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German Pages 528 [516] Year 2005
Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik
Ged ächtn isseh rift für
CHRISTOPH TRZASKALIK heraus~e~eben
von
Klaus llpke und Hartmut Söhn
2005
oUs
Dr.~~midt Köln
Vorwort Christoph Trzaskalik hat die Gemeinschaft der Fachkollegen, seine Studierenden und seine Ehefrau nach schwerer Krankheit im Alter von nur 60 Jahren zu früh verlassen müssen. Allen, die ihn kannten, wird er als bemerkenswerter Rechtswissenschaftler, als Kollege, als Freund in Erinnerung bleiben. Fachlich stellte er (auch) an sich selbst hohe Anforderungen. Er schätzte kontroverse Diskussionen und wich auch unbequemen Streitfragen nicht aus. Engagiert strebte er nach Lösungen, die für alle Beteiligten überlegensoder überdenkenswert waren, und förderte so sein Fachgebiet. Fachtagungen, Spaziergänge und Radtouren nutzte er gern zu langen, mitunter sehr langen Fachgesprächen. Gegenüber Kollegen, denen er besonders eng verbunden war, griff er zur Klärung von Fachfragen auch zum Telefon. Sein Einsatz in Forschung und Lehre war vorbildlich. Um seine schwere Krankheit wohl wissend, versuchte er bis zur Erschöpfung seine Aufgaben als Hochschullehrer weiter wahrzunehmen. Mit letzter Kraft kümmerte er sich bis zuletzt um die Betreuung seiner Doktoranden. Christoph Trzaskalik war von sympathischer Bescheidenheit und Verbindlichkeit, dies freilich nicht auf Kosten der Sache, von der er überzeugt war. Er wollte nicht nur andere überzeugen. Er wollte auch selbst überzeugt werden, und zwar nicht bloß durch Hinweise auf die herrschende Meinung oder die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Die Beiträge von Hochschullehrern und Praktikern zu dieser Gedächtnisschrift betreffen thematisch durchweg die Forschungsschwerpunkte von Christoph Trzaskalik , nämlich das allgemeine Steuerrecht (einschließlich Gemeinnützigkeitsrecht), das Einkommensteuer- und Ertragsteuerrecht, das Umsatzsteuerrecht, Lenkungsabgaben und das Steuerstrafrecht. Allen Autoren danken die Herausgeber für ihre Mitwirkung, dem Verlag für die uneigennützige Veröffentlichung und besonders Frau Dr. Angelika Stadlhofer-Wissinger und Frau Mattina Roth für die Betreuung im Verlag. Christoph Trzaskalik ist unvergessen. Wie auch die Beiträge zu dieser Gedächtnisschrift zeigen, enthält sein Werk – obwohl nicht abgeschlossen – viele wegbereitende Gedanken, an die die Kommenden anknüpfen können. Köln und Passau im Juli 2005
Klaus Tipke
Hartmut Söhn
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Inhalt Seite
Vorwort .......................................................................................................
V
I. In memoriam Christoph Trzaskalik KLAUS TIPKE .................................................................................................
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HARTMUT SÖHN ...........................................................................................
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II. Allgemeines Steuerrecht, Finanzverfassung RÜDIGER VON GROLL Die Mißachtung der Abgabenordnung, ein Beitrag zur Verunsicherung im Steuerrecht – dargestellt am Beispiel der Tatbestandsverwirklichung ....................................................................
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MONIKA JACHMANN Gemeinnütziger Sport versus subventionierte Freizeitbetätigung ......
31
PETER FISCHER Gemeinwohl, Daseinsvorsorge und bürgerschaftliches Engagement – eine Gedankenskizze zum Zweckbetrieb (§ 65 AO) .............................
49
JOACHIM N. STOLTERFOHT Bedarf ein feststellender Verwaltungsakt einer speziellen Ermächtigungsgrundlage? .......................................................................
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KLAUS-DIETER DRÜEN Bestimmtheitserfordernis und Nichtigkeitsfolge bei Steuerbescheiden ...............................................................................................
95
KLAUS TIPKE § 160 AO – nochmals systematisch überdacht .....................................
121
KLAUS SIEKER Im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen zu internationalen Verrechnungspreisen im Sinne von § 162 Abs. 3 und 4 AO .................
135
JOACHIM SCHULZE-OSTERLOH Der Steuerbescheid nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO gegen den Haftungsschuldner ..................................................................................
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VII
Inhalt
HANS GEORG RUPPE Vertrauensschutz und Verwaltungserlässe ............................................
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HEINRICH WILHELM KRUSE Über Dienstleistungspflichten und Haftung .........................................
169
LERKE OSTERLOH Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als offene Frage der Finanzverfassung .....................................................................................
181
III. Einkommensteuer, Ertragsteuern SEBASTIAN MÜLLER-FRANKEN Verfassungsrecht und Einkommensteuerrecht .....................................
195
JOHANNA HEY Das Individualsteuerprinzip in Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer .........................................................................................
219
HEINZ-JÜRGEN PEZZER Vermietung und Verpachtung – eine strukturell defizitäre Einkunftsart .............................................................................................
239
ROLF PEFFEKOVEN Zur Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums – Plädoyer für die Investitionsgutlösung – ...............................................................
255
WERNER DORALT Betriebsaufgabe durch Verpachtung? .....................................................
273
WALTER DRENSECK Einkommensteuerreform und objektives Nettoprinzip ........................
283
KURT JOACHIM VON BORNHAUPT Abstands-, Räumungs- und Erhaltungsaufwendungen des Eigentümers bei Beendigung der Vermietungsphase ............................
295
JÖRG GILOY Zum Zeitpunkt der steuerlichen Erfassung von Einnahmen und Ausgaben als technisches und wertendes Prinzip .................................
311
FRANZ WASSERMEYER Über den Zufluss fiktiver Beteiligungserträge vor dem Hintergrund des BMF-Schreibens vom 15. Juli 2004 zu § 8a KStG ...........................
331
VIII
Inhalt
DIETER BIRK Rückzahlbare Steuern und hinausgeschobene Steuererstattungen – Zur kompetenzrechtlichen Zulässigkeit des sog. Körperschaftsteuermoratoriums ..................................................................................
345
IV. Andere Steuern, Lenkungsabgaben WERNER WIDMANN Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger als Beispiel der Steuererhebungspflichten Privater ............
361
RAINER HÜTTEMANN Die Neuregelung der Rundfunkbesteuerung .........................................
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PAUL KIRCHHOF Lenkungsteuern .......................................................................................
395
PETER SELMER Ökologische Steuerreform, Verfassungsrecht und Bundesverfassungsgericht ...................................................................................
411
ANNE WOHLFEIL/CHRISTIAN KAESER Lenkung durch Gebühren .......................................................................
431
V. Steuerstrafrecht ROMAN SEER Steueramnestie und Idee einer Entpönalisierung des Steuerrechts .....
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WOLFRAM REIß Auswirkungen der Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 der EMRK im Steuerrecht .............................................................................
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Liste der Veröffentlichungen von Christoph Trzaskalik ..........................
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Autorenverzeichnis ....................................................................................
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Stichwortverzeichnis ..................................................................................
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IX
Klaus Tipke
In memoriam Christoph Trzaskalik 1. Christoph Trzaskalik wurde am 3. Januar 1943 in Gleiwitz geboren. Seinen Vater hat er nicht kennen gelernt; er war am 21. Juli 1942 an der Ostfront gefallen. Als die Rote Armee sich Oberschlesien näherte, begab sich seine Mutter mit den beiden Kindern auf die Flucht. Seine Volksschuljahre verbrachte Christoph Trzaskalik zunächst in Rüthen/Westfalen, später in Bonn. Seine glaubensstrenge katholische Mutter veranlasste, dass er ab 1953 das von Jesuiten geleitete Humanistische Aloisius-Kolleg in Bad Godesberg besuchte. An dieser Schule legte er 1962 die Reifeprüfung ab. Im Anschluss daran begann er an der Universität Bonn mit dem Studium der Rechtswissenschaft und der Orientalistik, wobei die Orientalistik ihn zunächst mehr anzog als die Rechtswissenschaft. Nach dem zweiten Semester ging er für fast zwei Jahre ins Ausland, nach Oxford und nach Grenoble, wo er sich mehr mit Philosophie und Literatur beschäftigte als mit der Jurisprudenz. Erst als er einsehen musste, dass die Orientalistik sich als Brotberuf wenig eignet, widmete er sich intensiv dem Jurastudium und legte im Dezember 1967 die Erste Juristische Staatsprüfung ab. Referendar war er in Köln und Aachen, später in Würzburg. An der Universität Würzburg übernahm er während der Referendarzeit am Seminar für Allgemeines Deutsches und Bayerisches Staats- und Verwaltungsrecht eine Stelle als Wissenschaftliche Hilfskraft. Im Herbst 1972 legte er die Zweite Juristische Staatsprüfung ab und wurde danach Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Würzburg. 1975 heiratete er Rita Trzaskalik, geb. Olesch. Sie brachte das Musische in die Partnerschaft ein. 2. Ein möglichst getreues und realistisches Bild von einer Persönlichkeit zu zeichnen, ist immer eine schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe. Die Neue Zürcher Zeitung brachte einmal „Maximen für den redlichen Intellektuellen“. Eine Maxime lautete: „Vermeide Gelegenheiten, in denen du Dankreden ausbringen müsstest, ebenso Lob- und Grabreden. Sie geraten dir zum Unheil. Schon mit den ersten 10 Sätzen bist du integriert, fängst mit der Bestechlichkeit an. Schließlich musst du gute Manieren bewahren“. Ein amerikanischer Kollege hat die deutsche akademische Festschrift einmal „die organisierte Schmeichelei“ genannt. Für Gedächtnisschriften hätte er diese Bewertung wohl erst recht angebracht gehalten. Christoph Trzaskalik indessen war kein Schmeichler, und er erwartete – das erleichtert meine Aufgabe – auch für sich keine Schmeicheleien; sie waren ihm eher peinlich. Damit will ich durchaus nicht sagen, dass auch Christoph Trzaskalik in gesunden Tagen nicht auf Wertschätzung und Einfluss aus gewesen wäre, wenn auch auf seine gezügelte Weise. 3
Klaus Tipke
Christoph Trzaskalik zeichnete sich – so wie ich ihn kennen gelernt habe – durch intellektuelle Bescheidenheit und durch Anspruchslosigkeit im Leben aus, und er schätzte diese Eigenschaften auch an anderen. Wie wir als Spezialisten alle wissen oder wissen sollten, wissen wir von dem, was von Menschen bisher gewusst werden kann, nur einen kleinen Bruchteil. Diese Erkenntnis hatte Christoph Trzaskalik gut verinnerlicht. Er musste nicht todkrank werden, um zu der Einsicht zu kommen, dass wir endliche Wesen sind mit sehr begrenztem Wissen. Er zog die leisen Töne vor. Selbstdarstellung oder Selbstinszenierung durch große Gesten lag ihm nicht, hochfahrendes Pathos ebenso wenig. Sein Fach nahm er wichtiger als sich selbst. Dünkelhaftigkeit, Selbstüberhebung, Wichtigtuerei, Gönnerhaftigkeit störten ihn, erregten sein Missfallen. Als er schließlich anfing, sich über den „Jahrmarkt der Eitelkeiten“ zu amüsieren oder die Ruhmsüchtigen zu bedauern, war er schon reif zum Tode. Bei Christoph Trzaskalik dominierten die Forschungstätigkeit und die Betreuung seiner Studenten das Privatleben. Äußerer Tand bedeutete ihm, dem oberschlesischen Flüchtlingskind, nichts. Ein Mainzer von ansteckender rheinischer Fröhlichkeit wurde er nicht. Er war kein Genussmensch; dem Asketen stand er näher als dem Epikureer. Guten Wein verschmähte er allerdings nicht. Ernste Geselligkeit bedeutete ihm viel, laute Fröhlichkeit missfiel ihm eher. 3. Das Vorurteil hält das Steuerrecht für eine staubtrockene Materie. Hartmut Söhn berichtet in dieser Schrift (S. 11 ff.) darüber, wie der Öffentlichrechtler Christoph Trzaskalik trotzdem zum Steuerrecht – als einem Teil des öffentlichen Rechts – gekommen ist. Er bemerkte sehr bald, dass das Steuerrecht nicht nur die Wirtschaft beeinflusst, sondern in das Leben der großen Mehrheit der Bürger eingreift. So begann das Fach ihn zu faszinieren. M. E. sollte ich nicht verschweigen, dass Christoph Trzaskalik sich in seinen ersten Mainzer Jahren in der Fakultät nicht wohlfühlte. Er wollte sich in Mainz hauptsächlich dem Steuerrecht widmen. Das missfiel nach seiner Darstellung einigen Kollegen des Öffentlichen Rechts, von denen er wohl anfangs annahm, dass sie die Bedeutung und den juristischen Gehalt des Steuerrechts geringschätzten oder unterschätzten. Bitter sprach er in diesen Jahren von einer Abwehrhaltung von Fakultätskollegen gegen das Steuerrecht. Man habe das Steuerrecht marginalisieren wollen, die Lehre vom Verwaltungsakt und von der Zurücknahme des Verwaltungsakts hätten einige für das Weltenei des Verwaltungsrechts gehalten. Wäre es so gewesen, man könnte mit Mephisto feststellen: Daran erkenn’ ich den gelehrten Herrn ! Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern, Was ihr nicht faßt, das fehlt euch ganz und gar, Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr, Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht, Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht !
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In memoriam Christoph Trzaskalik
Christoph Trzaskalik berichtete, man habe ihn als Grenzgänger abstempeln wollen, man habe ihm gesagt, es dürfe nicht jeder seinen privaten Schrebergarten aufmachen; er dürfe sich nicht wie ein Privatgelehrter für Steuerrecht gerieren. Ich nehme eher an, dass man Anstoß daran nahm, dass jemand sich der Lehre im Prüfungsfach Allgemeines Verwaltungsrecht weitgehend zu Lasten von Kollegen enthalten wollte. Je weniger jemand lehrt, desto mehr müssen andere sich zur Erfüllung des Lehrdeputats einsetzen. Fast jeder liebt sein Fach, und manche lieben die Forschung mehr als die Lehre. Wer nach Verantwortlichen sucht: Verantwortlich sind die, die die Ausbildungs- und Prüfungsordnung beschließen. Es gibt objektive Maßstäbe für die Gewichtung von Fächern: die rechtsprinzipielle Bedeutung des Faches und seine praktische Bedeutung. Das Steuerrecht hat rechtsprinzipielle Bedeutung, weil es eben nicht bloß ein Spezialgebiet ist, sondern ein eigenständiges rechtliches Subsystem. Dementsprechend ist das Steuerrecht z.B. in unseren Nachbarländern Österreich und der Schweiz Pflichtfach. Unsere Verantwortlichen sind m. E. nicht mit der Zeit gegangen. Christoph Trzaskalik musste erst lernen, dass die Durchsetzungskraft nicht allein vom Gewicht der Argumente abhängt. Die Vernachlässigung des Steuerrechts in vielen Universitäten hat nicht verhindert, dass die Steuerrechtswissenschaft seit etwa zwei Jahrzehnten einen großen Aufschwung genommen hat. Der Bundesfinanzhof verfügt heute über ausgezeichnete Richter. Allein sieben Richter des Bundesfinanzhofs haben sich an dieser Gedächtnisschrift beteiligt. Abträglich für den Rechtsschutz ist indessen, dass das Steuerrecht als Vorfrage nicht selten eine Rolle auch im Zivilrecht spielt. Das Steuerstrafrecht ist zwar Strafrecht, aber vom Steuerrecht abhängiges Strafrecht. Die Klage, dass es an den Zivilgerichten und den Strafgerichten zu wenig steuerrechtskompetente Richter gebe, wird nicht von ungefähr immer wieder laut. Auch beim Bundesverfassungsgericht waren über lange Zeit keine steuerkompetenten Richter tätig. Die Folge: Sie konnten im Steuerrecht keine Verfassungswidrigkeiten entdecken. Das hat sich seit 1987 sehr verbessert, jedenfalls in einem der beiden Senate. Die Misere des Steuerstrafrechts wird besonders manifest durch einen Fall, den der Bundesgerichtshof kürzlich entschieden hat. Der Bundesgerichtshof urteilte (zutreffend): „Der Tatrichter hat den Sachverhalt so zu ermitteln und im Urteil darzustellen, dass deutlich wird, welches steuerliche Verhalten bei der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerstraftat geführt hat. Dies kann vom Gericht nicht dadurch ersetzt werden, dass aus Betriebs- oder Fahndungsprüfungsberichten und diesen zugrundeliegende steuerrechtliche Beurteilungen der Finanzverwaltung verwiesen oder zurückgegriffen wird ... Auch wenn die dem deutschen Strafprozess an sich fremden einverständlichen verfahrensbeendenden Absprachen zur täglichen Praxis der Strafgerichte gehören, ist es rechtsstaatlich nicht hinnehmbar, dass die Willensfreiheit des Angeklagten dadurch beeinträchtigt wird, dass bei Ablegung eines Geständnisses eine zweijährige Freiheits-
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Klaus Tipke strafe mit Aussetzung zur Bewährung angeboten, ohne Geständnis aber eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren angedroht wird“ (BGH-Beschluss v. 9.6.2004, BFH/NV-Beilage 2005, 122).
Im Klartext: Das Landgericht wollte sich die Befassung mit steuerrechtlichen Vorfragen ersparen. Daher bot es einen Deal an: Würde der Angeklagte gestehen, sollte er eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung, erhalten. Sollte er kein Geständnis ablegen und die Strafkammer des Landgerichts dadurch in die Verlegenheit versetzen, sich mit steuerrechtlichen Fragen befassen zu müssen, sollte er eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren erhalten. Warum die Strafkammer sich in ihrer Not so verhielt, ist leicht zu verstehen. Den Richtern ist m.E. weniger etwas vorzuwerfen als den Verantwortlichen für die Juristenausbildung. Auch Christoph Trzaskalik hat nie eine Ausbildung im Steuerrecht erhalten. Er war nie in einem praktischen Steuerberuf tätig. Er war steuerrechtlich niemandes Adept. Es sind allerdings nur wenige, die bei dem Versuch, sich mit dem Fach und seinen Besonderheiten autodidaktisch vertraut zu machen, Erfolg haben. Umso größeren Respekt verdienen die, die nicht nur nicht gescheitert sind, sondern als Hochschullehrer wesentlich zur Entwicklung des Steuerrechts beigetragen haben. Dazu gehört auch Christoph Trzaskalik. 4. Christoph Trzaskalik war ein eher skeptischer Wissenschaftler. Man hat ihn als Ideenträger immer anerkannt, gelegentlich aber auch als Bedenkenträger empfunden. Meinen Ansatz, zunächst in die Breite und dann in die Tiefe zu gehen, respektierte er, wählte selbst aber eine andere Methode: Er pflegte sich Einzelbereiche des Steuerrechts vorzunehmen und dabei bis tief in die Details vorzudringen. Dass die detaillierte Durchdringung der Materie wegen der Material- und Informationsfülle des Steuerrechts die Arbeitskraft eines einzelnen bei weitem überfordert, wusste er natürlich sehr gut. Und er war sich stets bewusst, dass es in den Geisteswissenschaften, zu denen die Steuerrechtswissenschaft gehört, oftmals mehrere vertretbare Antworten gibt. Wo er keine eindeutige Antwort fand, flüchtete er sich gelegentlich auch in Mehrdeutigkeiten oder Vagheiten. Aber er pflegte dann wenigstens die ihm richtig erscheinenden Fragen zu stellen. Das Stellen richtiger Fragen kann als Teilschritt effizienter sein als die vorschnelle Antwort auf eine falsche Fragestellung. Wenn ihn Probleme nicht losließen und er intensiv nach Antworten suchte, wandte Christoph Trzaskalik sich auch an Kollegen und verwickelte sie – auch telefonisch – in seine Überlegungen. Auch dem Einzelforscher Christoph Trzaskalik bedeutete der Gedankenaustausch auf der Suche nach Klarheit sehr viel. Probleme, die bei seiner Kommentierungsarbeit anfielen, besprach er gern auch mit seinen Assistenten. Wie sehr er den Dialog schätzte, bekunden in dieser Schrift auch H. G. Ruppe (S. 157), H.-J. Pezzer (S. 239), K. J. v. Bornhaupt (S. 295) und P. Kirchhof (S. 395). 6
In memoriam Christoph Trzaskalik
5. Christoph Trzaskalik war geradezu leidenschaftlich kritisch; er zerpflückte gern jedes Detail. Es machte ihm nichts aus, gegen den Strom zu schwimmen. Gerade denen, die sich für Etablierte hielten, schien er besonders gern zu widersprechen. Von den wenigen Steuerrechtslehrern an den deutschen Universitäten schreiben wiederum nur wenige Rezensionen. Christoph Trzaskalik schrieb welche. Niemand hat Christoph Trzaskalik jemals Denkfaulheit vorgeworfen. Welcher Teilbereich des Steuerrechts ihn auch beschäftigte, welche Probleme er auch aufgriff: Er ging jeweils mit äußerster Gründlichkeit zu Werke. Die herrschende Meinung bedeutete ihm wenig; sie erschien im gerade besonders der Überprüfung bedürftig. So war er denn alles andere als ein an die herrschende Meinung Angepasster. Selbständiges Denken war für ihn akademische Pflicht, die er auch seinen Studenten vermittelte. Er konnte zuhören und schätzte besonders die, die auch ihm zuhörten und auf ihn eingingen, statt zu monologisieren. Als Fachschriftsteller neigte Christoph Trzaskalik zu einer nüchternen Prosa. Pathetische Rhetorik, bildhafte Sprache waren seine Sache nicht. Verschnörkelte, überhaupt schwerverständliche oder gar unverständliche Sätze waren für ihn alles andere als Beweis für Wissenschaftlichkeit – ganz gleich, aus wessen Feder die Sätze stammten. Wie andere Hochschullehrer so musste auch er erfahren, dass – wohl vor allem in den 70er und 80er Jahren – Studenten oder Doktoranden – Abiturienten also – Arbeiten mit vielen orthographischen Fehlern und groben Stilmängeln ablieferten. Es kam auch vor, dass Studenten ohne Punkt und Komma schrieben. So nachsichtig Christoph Trzaskalik wohl gegenüber bemühten Studenten sein konnte: Sprachlich war er äußerst sensibel und reagierte entsprechend. So wird berichtet, er habe einem Studenten seine Hausarbeit mit den Worten zurückgegeben: „Das ist schon sprachlich so schlecht; zum Inhalt bin ich gar nicht erst gekommen“. Einem anderen Studenten habe er gesagt: „Sie schreiben auf dem Niveau eines hessischen Gesamtschülers“. 6. Für akademische Trockenübungen hatte Christoph Trzaskalik keinen Sinn. Er hielt sie für Zeitverschwendung. Seine Tätigkeit sollte schon einen möglichst großen Nutzen für die Praxis abwerfen, nicht in irrelevantem Geschreibe bestehen. Er nahm die Probleme auf, die auf dem Boden vor ihm lagen und flüchtete sich zu ihrer Lösung nicht in die Wolken. Er durchschaute es schnell, wenn leeres Gerede, leerläufige Rhetorik als Tiefe getarnt werden sollte. Als Kommentator ging es ihm nicht bloß darum, das Gedächtnis der Leser zu füllen; er wollte nicht zuletzt auch Einsicht vermitteln. Auch die Richter des Bundesfinanzhofs schätzten seine Kommentierungen besonders und zitierten ihn dementsprechend häufig. Die Kenner, nicht nur Richter, wissen: Es lohnt sich durchweg, Christoph Trzaskalik und seine Argumente zu lesen, daraus Erkenntnisse zu gewinnen. Mit seinen Arbeiten 7
Klaus Tipke
wird er daher Spuren hinterlassen, auch wenn es ihm nicht vergönnt war, seine Grundauffassung einmal in einem Buch zusammenzufassen: Dass er das vorhatte, hat er meines Wissens nie geäußert. 7. Christoph Trzaskalik pflegte offen und ungeschützt zu reden. Er spielte mit offenen Karten. Intrigen, Hinterhältigkeiten, Ränkespiele lagen ihm nicht – wenn ich das irgend richtig beurteilen kann. Auch in Sachen Religion war er ein Skeptiker. Von Orthodoxen, Glaubensgewissheit verkündenden Wahrheitsbesitzern hielt er nichts. Die Botschaft hatte er – zumal bei den Jesuiten – gehört; allein es fehlte ihm der Glaube. Obwohl er jeden Gläubigen ernst nahm und respektierte: Die Transzendenz erschien ihm als Ablenkung von den miserablen Zuständen, unter denen ein Großteil der Menschen leben muss. Bis zuletzt verlangte er nicht nach Tröstung. Am 6. Dezember 2003 ist Christoph Trzaskalik im Alter von 60 Jahren einer tückischen Krankheit erlegen. Eine Krönung seiner beruflichen Laufbahn war ihm nicht vergönnt. Als ich kurz vor seinem Tode mit ihm telefonierte und ihm sagte, ich glaubte mir vorstellen zu können, wie bitter es sein müsse, im Alter von nur 60 Jahren für immer aus der Arbeit herausgerissen zu werden, erwiderte er: Er habe sich damit schnell abgefunden, Sorgen mache er sich nur um seine Frau, die er nun im Stich lassen müsse. Krankheit und Schmerzen hat er tapfer und klaglos ertragen. Es hat Phasen aufkeimender Hoffnung gegeben, dann bald aber auch wieder Rückschläge. Christoph Trzaskalik war über seine Krankheit und ihren Verlauf gut informiert; er hatte keine Illusionen, war bis zuletzt beherrscht und jeder Sentimentalität abhold. Theodor Storm, der an derselben Krankheit litt, fasste seinen Gemütszustand in einem mit „Beginn des Endes“ überschriebenen Gedicht wie folgt zusammen: „Ein Punkt nur ist es, kaum ein Schmerz, nur ein Gefühl, empfunden eben; und dennoch spricht es stets darein, und dennoch stört es dich zu leben. Wenn du es anderen klagen willst, so kannst du’s nicht in Worte fassen. Du sagst dir selber: Es ist nichts!“ Und dennoch will es dich nicht lassen. So seltsam fremd ist dir die Welt, und leis’ verlässt dich alles Hoffen, bis du es endlich, endlich weißt, dass dich des Todes Pfeil getroffen“.
8. Die Mitwirkenden an dieser Gedächtnisschrift – Steuerrechtstheoretiker und -praktiker bringen durch ihre Beiträge ihre kollegiale Wertschätzung für das Werk von Christoph Trzaskalik zum Ausdruck. Das Andenken an ihn wollen sie dadurch bewahren. 8
In memoriam Christoph Trzaskalik
In ihr Gedenken beziehen sie auch Ehefrau Rita Trzaskalik ein. In einem Lebenslauf von 1979 hat Christoph Trzaskalik einmal erwähnt: „Sie wirkte ausgleichend in der Habilitationszeit sowie in den unruhigen Jahren der Lehrstuhlvertretungen“ (vor dem Ruf nach Mainz). Sie war für ihn immer eine aufmerksame Zuhörerin und Ratgeberin. Das mit der entsetzlichen Krankheit1 verbundene Schicksal hat sie nach Kräften mitgetragen und die Leidenszeit ihres Mannes so erträglich wie möglich gemacht. Auch ihr gilt der besondere Respekt derer, die an dieser Gedächtnisschrift mitgewirkt haben.
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Der Strafrechtler Peter Noll (Diktate über Sterben und Tod, Zürich 1984) und Siegfried Delahaine (Die Kunst des Sterbens. Eine Streitschrift für das Recht auf einen selbstbestimmten Tod, Franfurt/Main 1998) haben über das mit dieser Erkrankung verbundene Leiden ausführlich berichtet.
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Hartmut Söhn
In memoriam Christoph Trzaskalik Christoph Trzaskalik hat im Mai 1972 an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Würzburg promoviert und dort im Herbst desselben Jahres die Stelle eines wissenschaftlichen Assistenten am Institut für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht sowie Allgemeines Prozessrecht übernommen. 1977 wurde er durch die Juristische Fakultät habilitiert und erhielt die Lehrbefähigung für die Fächer Staats- und Verwaltungsrecht sowie Allgemeines Prozessrecht. 1980 folgte die Berufung auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Universität Mainz. Dort war er bis zu seinem Tode am 6. Dezember 2003 tätig. Rufe an die Universitäten Bamberg (1984) und Berlin (1993) hat er abgelehnt. Forschungsschwerpunkte von Christoph Trzaskalik waren zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn in erster Linie prozessuale Fragen. Sowohl seine Dissertation über „Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung im Lichte der Allgemeinen Prozeßrechtslehre“ (1972) als auch seine Habilitationsschrift zum Thema „Die Rechtsschutzzone der Feststellungsklage im Zivil- und Verwaltungsprozeßrecht“ (1978) zeigen ihn als einen ebenso kritischen wie scharfsinnigen Verwaltungsprozessualisten. Das Steuerrecht fehlte zunächst zur Gänze, – auch in der ursprünglich erteilten Lehrbefähigung. Daß Christoph Trzaskalik zum Steuerrecht gefunden und das Steuerrecht so nachhaltig zu „seinem“ Arbeitsgebiet gemacht hat, war ein „Zufall“. Als er im Jahre 1977 zum ersten Mal an einer Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer teilnahm (1977 in Basel), saß er beim traditionellen Empfang des Rektors der Universität zufällig mit dem ebenfalls früh verstorbenen Kollegen Walter Schick und mir am gleichen Tisch und das Gespräch kam nicht von ungefähr auf das Steuerrecht. Denn Christoph Trzaskalik hatte während seiner Assistentenzeit für seinen „Chef“ Küchenhoff eine größere Zahl von Urteilsbesprechungen in den im Verlag Dr. Otto Schmidt erscheinenden StRK-Anmerkungen verfasst, die sich mit steuersystematischen Grundsatzfragen wissenschaftlich auseinandersetzten. Walter Schick und ich haben deshalb Christoph Trzaskalik an diesem Abend gedrängt, sich intensiver dem Steuerrecht zu widmen, als erstes einen größeren steuerrechtlichen Beitrag in der Zeitschrift „Steuer und Wirtschaft“ zu veröffentlichen und dann – mit unserer Unterstützung – eine Erweiterung seiner Venia auf das Steuerrecht bei der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg zu beantragen. Gesagt, getan! Christoph Trzaskalik hat den Aufsatz „Personal gebundene Einkommensteuerpflicht
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Hartmut Söhn
und Gesamtrechtsnachfolge“1 publiziert und noch im gleichen Jahr die Lehrbefähigung für Steuerrecht erhalten. Der „Startschuß“ für eine wissenschaftliche Karriere auf dem Gebiet des Steuerrechts war gefallen und der kleine Kreis der Steuerrechtler hatte einen vielversprechenden, engagierten jungen Kollegen gewonnen. Denn der Beitrag über „Personal gebundene Einkommensteuerpflicht und Gesamtrechtsnachfolge“ war seinerzeit für die angesprochene Problematik grundlegend2 und ist es bis heute geblieben. Die Jahrestagung 2003 der Steuerjuristischen Gesellschaft in Mainz, die Christoph Trzaskalik nicht mehr erleben dufte, hat das nachdrücklich bestätigt. In der Folgezeit hat Christoph Trzaskalik das Steuerrecht zunehmend zur Hauptsache seiner wissenschaftlichen Arbeit gemacht und durch die Behandlung steuerrechtlicher Grundsatzfragen die Diskussion um eine steuersystematische Erfassung und Weiterentwicklung des Steuerrechts nachhaltig beeinflusst. Seine Interessengebiete waren vielfältig. Schwerpunkte seiner Arbeiten wurden Verfassungsfragen der Besteuerung, der Rechtsschutz in Steuersachen, das Steuerverfahrensrecht, Fragen des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts und das Einkommensteuerrecht. Hierbei hat seine „prozessuale Herkunft“ immer eine wichtige Rolle behalten. Aus der Vielzahl einschlägiger Publikationen zunächst einige Beispiele aus den 80iger Jahren: Auf der Jahrestagung 1981 der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft in Mainz hat Christoph Trzaskalik über „Steuerverwaltungsvorschriften aus der Sicht des Rechtsschutzes“ referiert3 und u. a. eine Verkürzung des Rechtsschutzes sowie eine „Aufweichung“ des Gesetzmäßigkeitsprinzips durch Steuerverwaltungsvorschriften beklagt. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Sein Vorschlag, notfalls über die Einführung eines objektiven Beanstandungsverfahrens gegen Steuerverwaltungsvorschriften nachzudenken, ist zwar ohne Echo geblieben. Seine Untersuchungen sind aber nicht von ungefähr in ein von Andrea Amatucci (Universität Neapel) herausgegebenes italienisch/spanisch/deutsches Gemeinschaftswerk zum Steuerrecht eingegangen und eine Übersetzung für eine englischsprachige Ausgabe war eine der letzten Arbeiten von Christoph Trzaskalik. Die Überlegungen zu „Zuflußprinzip und periodenübergreifenden Zusammenhängen“4 – die Christoph Trzaskalik Ende der 80iger Jahre in einer umfassenden Kommentierung des § 11 EStG5 vertieft hat – sind eine sehr kritische Stellungnahme zu der seinerzeit von der Rechtsprechung vertretenen Ansicht zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung erstatteter Betriebs-
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StuW 1979, 97 ff. Klaus Tipke, Steuerrecht, 9. Auflage, 1983, S. 145. Klaus Tipke (Hrsg.), Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, DStJG, Bd. 5, 1982, S. 315 ff. StuW 1985, 222 ff. Kirchhof/Söhn, EStG, 1986 ff.
In memoriam Christoph Trzaskalik
ausgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben und außergewöhnlicher Belastungen. Seine Forderung, Zufluß und Leistung als korrespondierende Begriffe nach einheitlichen Wertungen auszulegen war ebenso einsichtig wie der Vorschlag, Unsicherheiten oder Fehleinschätzungen der Zu- oder Abflußwirkung über die verfahrensrechtlichen Korrekturvorschriften aufzufangen. Die Rechtsprechung ist dieser Auffassung zwischenzeitlich für überzahlte, nicht verrechenbare Kirchensteuern gefolgt. Auf der Jahrestagung 1988 der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft in Karlsruhe hat Christoph Trzaskalik die „Steuererhebungspflichten Privater“ verfassungsrechtlich hinterfragt, einen unzureichenden Dialog der beteiligten Akteure über die verfassungsrechtliche Problematik beklagt und ein jedenfalls unerfreuliches Gesamtergebnis konstatiert6. Dieser Befund hat nach wie vor Gültigkeit. Der Rechtsschutz in Steuersachen, insbesondere Mängel im Rechtsschutz, waren Christoph Trzaskalik immer ein besonderes Anliegen, was nicht zuletzt von seinen prozeßrechtlichen Arbeiten zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn herrühren dürfte. So nimmt es nicht wunder, dass er die Behandlung des Rechtsschutzes in Steuersachen durch die Steuerjuristische Gesellschaft auf der Jahrestagung 1994 in Dresden mit den Worten resümiert hat, es habe „vergleichsweise lange gedauert“, bis sich die Gesellschaft diesem Thema gewidmet habe, dass es zwar weniger eine Tagung zum Steuerprozeßrecht gewesen sei, sondern „zur Rechtsverwirklichung im gewaltenteilenden Rechtsstaat“, aber Referate und Diskussionen insgesamt den Eindruck vermittelten, dass es um die Verwirklichung des Art. 19 Abs. 4 GG im Steuerrecht „schlecht bestellt“ sei7, – ein mehr als nachdenkenswertes Fazit. In den 90iger Jahren hat Christoph Trzaskalik steuerrechtliche Grundsatzfragen schon im Titel seiner Veröffentlichungen verstärkt zu seinem Thema gemacht. Beispiele hierfür sind insbesondere die „Studien zu Drittaufwendungen“8 und der Beitrag „Vom Einkommen zu den Einkunftsarten, Marginalien zum steuertheoretischen Grundansatz von Klaus Tipke“9. Die vor dem Vorlagebeschluß des 4. Senats des BFH vom 9. 7. 1992 – IV R 115/9010 erschienenen Untersuchungen zu Drittaufwendungen sind für die „Arbeitsweise“ von Christoph Trzaskalik exemplarisch: Mit Hilfe der geläufigen Kategorien „Einnahmen und Ausgaben“ werden Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Vorschläge zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Drittaufwendungen ebenso offensichtlich wie die steuersystematischen Anforderungen an eine „richtige“ Lösung. Der Appell, der inhaltlichen Qualität von Leistungsbeziehungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, hat auch beim heutigen Stand der Diskussion noch einiges für sich. Der sehr kri-
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Friauf (Hrsg.), Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG, Bd. 12, 1989, S. 157 f. Trzaskalik (Hrsg.), Der Rechtsschutz in Steuersachen, DStJG, Bd. 18, 1995, S. 189 ff. Festschrift für Ludwig Schmidt, 1993, S. 51 ff. Festschrift für Klaus Tipke, 1995, S. 321 ff. BStBl. II 1992, 948 ff.
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Hartmut Söhn
tische Beitrag zum steuertheoretischen Grundansatz von Klaus Tipke würde sich nahtlos in die aktuelle Diskussion zur Reform der Einkommensteuer, insbesondere zum Umfang des Einkünftekatalogs einpassen. Christoph Trzaskalik lehnt einen einheitlichen, alle Steuerarten prägenden Leistungsfähigkeitsbegriff ab, bejaht (einerseits) i. S. der Reinvermögenzugangstheorie eine Erhöhung der einkommensteuerrechtlichen Leistungsfähigkeit auch durch soziale Transferleistungen und spricht sich (andererseits) – etwas überraschend – aus „außersteuerrechtlichen Gründen“ eher für eine gänzliche Streichung als für eine Ausdehnung des § 23 Abs. 1 a EStG (Besteuerung privater Grundstücksveräußerungen) aus. Mit der Übernahme der Erstkommentierung des § 11 EStG im 1986 erschienenen Kommentar von Kirchhof/Söhn und dem Eintritt in den Autorenkreis des AO/FGO-Kommentars von Hübschmann/Hepp/Spitaler hat sich Christoph Trzaskalik innerhalb kurzer Zeit auch einen „Namen“ in der Steuerpraxis gemacht. Die Erläuterungen zu § 11 EStG waren und sind in ihrer wissenschaftlichen Tiefe „konkurrenzlos“ und die später hinzu gekommene Kommentierung des § 21 EStG liefert nicht nur umfassende Informationen, sondern spart auch nicht mit z. T. harscher – bis heute „nicht erledigter“ – Kritik im Grundsätzlichen, z. B. mit dem Hinweis, dass die Vermietung weitgehend ein „geborenes Verlustgeschäft“ sei, so dass die Grundsätze über die steuerliche Behandlung von Nutzungsverhältnissen zwischen nahen Angehörigen überdacht werden müssten, dass die allgemeinen Regeln über die Einkünfteerzielungsabsicht „nahezu nicht handhabbar“ seien, dass § 21 EStG kein „prinzipienorientiertes Konzept“ zugrunde liege und die originäre steuerrechtliche Zielsetzung „im Dunklen“ bleibe11. Schließlich und nicht zuletzt sind die Erläuterungen der lohnsteuerrechtlichen Vorschriften (§§ 38–42f EStG) nach wie vor das zur Zeit „Beste auf dem Markt“. Kaum jemand hat die Schwachstellen des Lohnsteuerrechts so nachhaltig moniert und Besserung verlangt wie er. Für die Kommentierungen der AO (§§ 134–162, 164–168, 209–217) ist „typisch“, dass selbst eine seit langem eingefahrene Praxis immer kritisch hinterfragt und einer ständigen Rechtsprechung erforderlichenfalls bescheinigt wird, dass sie „in jeder Hinsicht unbefriedigend“ sei12. Ein Beispiel unter vielen für das besondere wissenschaftliche Niveau der Kommentierungen sind die Erläuterungen des § 162 AO zur „Schätzung der Höhe oder auch dem Grunde nach“ und zu „Mitwirkungsverletzung und Schätzung“13. In seinen letzten Lebensjahren hat sich Christoph Trzaskalik verstärkt neuen Fragestellungen gewidmet, z. B. dem Einfluß des Europarechts auf das natio-
__________ 11 § 21 EStG Rz. A 3, 5. 12 § 164 AO Rz. 39. 13 § 162 AO Rz. 11 ff., 20 ff.
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In memoriam Christoph Trzaskalik
nale Recht14, Problemen des Finanzausgleichs15 und insbesondere der „Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts“16. Die gutachtliche Stellungnahme für den 63. Deutschen Juristentag ist – nicht unerwartet – sehr kritisch, und die Empfehlungen sind unmissverständlich, aber nicht unbedingt i. S. der überwiegenden Vorstellungen ausgefallen: Einem Gesetzgeber, der Sinn dafür habe, dass dem Rechtsstaat die Offenlegung einer Entscheidung angemessen sei, könne der verstärkte Einsatz der Steuer als Instrument der Verhaltenslenkung nicht empfohlen werden17 und Vergünstigungstatbestände, die die einkommensteuerrechtliche Bemessungsgrundlage beeinflussten, seien wegen des progressiven Tarifs gleichheitswidrig und sachlich nicht zu rechtfertigen18. Dem ist nichts hinzuzufügen. Die letzte wissenschaftliche Arbeit aus der Feder von Christoph Trzaskalik über die „Kurtaxe“19 ist erst nach seinem Tode erschienen. Der Beitrag zeigt noch seinen gewohnt kritischen Geist: Zwar sei die Kurtaxe nur eine Bagatellabgabe, aber wie alle staatlichen Abgaben verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig und ein ganzes Bündel von Bedenken an den gegenwärtigen, unterschiedlich ausgestalteten Regelungen lasse daran zweifeln. Das leuchtet dem Leser unschwer ein. Der Steuerrechtswissenschaftler Christoph Trzaskalik hat in seinen Arbeiten nie etwas als selbstverständlich hingenommen, sondern selbst eingefahrene Pfade hinterfragt, ist alten und neuen Fragestellungen vertieft nachgegangen, hat einerseits nie mit Kritik gespart, war aber andererseits immer bemüht, „um der Sache einer rechtsstaatlichen Besteuerung willen“ nach besseren, überzeugenderen Konzepten zu suchen und die Steuerrechtswissenschaft voranzubringen. Allen, die ihn kannten, bleibt er als ein besonders liebenswürdiger Kollege unvergessen; der Steuerrechtswissenschaft wird Christoph Trzaskalik fehlen.
__________ 14 Europa als Rechtsgemeinschaft, 1997. 15 Bemerkungen zum Finanzausgleichsurteil vom 11. 11. 1999, Festschrift für Walter Rudolf, 2001, S. 397 ff.; Marginalien zum Einnahmenbegriff im Sinne von Art. 106 Grundgesetz, Festschrift für Rolf Peffekoven, 2003, 252 ff. 16 Gutachten E zum 63. Deutschen Juristentag, Leipzig, 2000. Vgl. ferner bereits die Beiträge zur steuerlichen Förderung des Sports (StuW 1986, 219 ff.; Recht und Sport, Band 6, 1981, S. 55 ff.). 17 Thesen, Teil A Nr. 6. 18 Thesen, Teil B Nr. 13. 19 Festschrift für Peter Selmer, 2004, S. 949 ff.
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Rüdiger von Groll
Die Mißachtung der Abgabenordnung, ein Beitrag zur Verunsicherung im Steuerrecht – dargestellt am Beispiel der Tatbestandsverwirklichung Inhaltsübersicht I. Ausgangslage II. Folgen der Nichtbeachtung der §§ 3 Abs. 1, 38 AO 1. Anknüpfung an ein unpassendes Tatbestandsmerkmal 2. Mißdeutungen
3. Verzicht auf Tatbestandsverwirklichung 4. Die verkannte subjektive Seite der Tatbestandsverwirklichung III. Fazit
I. Ausgangslage Bekanntlich ist es ja beileibe nicht so, daß man die vielbeklagten Mängel1 des Steuerrechts allein dem Gesetzgeber anlasten könnte2. Besonders eindrucksvolles Anschauungsmaterial dafür, daß Konzeptlosigkeit und Desorientierung, die diese Teilrechtsordnung prägen, durchaus als „Gemeinschaftswerk“ zu werten sind, liefert die steuerjuristische Fachwelt immer wieder in ihrem Umgang mit der Abgabenordnung (AO). Hier nur einige symptomatische Beispiele: Nach der Bibliotheksordnung des obersten deutschen Steuergerichts ebenso wie nach dem Titel eines angesehenen Kommentars3 ist dieses Gesetz dem „Verfahrensrecht“ zuzuordnen – ungeachtet dessen, daß schon dessen Vorläufer, die Reichsabgabenordnung (beginnend mit § 1 Abs. 1; s. i. ü. vor allem die §§ 97 ff. RAO), durchsetzt war mit rein materiellen Regelungen4 und in der AO gar ein wesentlicher, für alle Einzelsteuergesetze gleichermaßen grundlegender Teil mit „Steuerschuldrecht“ überschrieben ist5.
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S. dazu u. a. Tipke, StuW 1971, 2; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 1993, S. 487 ff.; Raupach, Festschrift für F. Klein, 1994, S. 309; Helsper, BB 1995, 17 u. BB 1996, 2326; Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl., 2002, § 4 Rz. 1 ff. – jew. m. w. N. S. dazu u. a. v. Groll, StuW 1972, 197, 200 f.; Wolff-Diepenbrock, Festschrift für K. Offerhaus, 1999, 299, 302 ff. – jew. m. w. N. Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, Loseblatt-Kommentar zur AO, FGO und Nebengesetzen. S. dazu auch Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung u. a., 8. Aufl., 1976, § 1 RAO Rz. 13 ff. sowie zu §§ 97 ff. RAO; Tipke/Kruse, AO u. a., Einf. AO Rz. 1; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO u. a., Einf. AO Rz. 27. Die Rede ist vom Zweiten Teil der AO: §§ 33 – 77; dazu Tipke/Kruse, AO, a. a. O. (Fn. 4) Rz. 4; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O. (Fn. 4) Rz. 111.
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Umsomehr verwundert es, wenn ein erprobter Steuerrechtslehrer die Vorschriften über die Verzinsung (§§ 233 ff. AO) als Verfahrensrecht qualifiziert6 – ungeachtet dessen, daß er sie an anderer Stelle7 zutreffend als steuerliche Nebenleistung i. S. des § 3 Abs. 4 AO qualifiziert hat, die das Gesetz (in § 37 Abs. 1 AO) ausdrücklich zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis zählt und die es im Übrigen grundsätzlich, in § 1 Abs. 3 AO, denselben Regeln unterwirft, wie den Steueranspruch selbst. War es dieses Beispiel oder der „genius loci“, der, bei derselben Veranstaltung, einen anderen Referenten8 gar dazu verleitete, die Verjährung unter den „Rechtsinstituten aus dem Verfahrensrecht“ abzuhandeln, obgleich doch deren Eintritt kraft Gesetzes (§ 47 AO) vor allem das Erlöschen des Steueranspruchs zur Folge hat? Was schließlich soll man sagen, wenn einer der ganz Großen des Steuerrechts, der sich in besonderem Maße um systematische Ordnung in dieser Materie bemüht, die Bestimmung von Rechten und Pflichten der Finanzbehörde (wie etwa Auskunftsrechten, Mitwirkungspflichten usw.) als vorrangige Aufgabe des Verfahrensrechts betrachtet9, obgleich er selbst doch wesentlichen Anteil hatte an der Entdeckung des Steuerrechtsverhältnisses als einer Dauerrechtsbeziehung zur steuerschuldrechtlichen Verortung abgabenrechtlicher Nebenpflichten10 – eine Sichtweise, die schließlich selbst den Gesetzgeber infizierte und zu einem inhaltsgleichen Verständnis veranlaßte (s. § 33 Abs. 1 AO sowie argumento e contrario § 33 Abs. 2 AO). Als mehr oder weniger zufällige Pannen oder als folgenlose Mißverständisse lassen sich diese Vorgänge nicht abtun: Handelt es sich doch nur um einige besonders markante Musterbeispiele – zum einen für eine alltägliche Anwendungspraxis zum andern für eine auch in der Theorie nachhaltig gepflegte, „von oben abgesegnete“ Kategorisierung: So konzediert K. Tipke der Abgabenordnung zwar, sie regle „vor die Klammer gezogen“ Materien, die „für alle oder für mehrere Steuern gemeinsam gelten“11, und sie habe „materielles und formelles Recht“12 zum Gegenstand, läßt aber diesem Gesetz an gleicher Stelle13 folgende Gesamtbewertung zuteil werden: (sie enthält) „keine steuerrechtliche Grundordnung … Die tragenden Prinzipien ergeben sich nicht aus der Abgabenordnung … Von dem inhaltlichen oder inneren System
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Birk, DStJG 27 (2004), S. 1, 14. Birk, Steuerrecht, 7. Aufl., 2004 Rz. 267 ff. Waldhoff, DStJG 27 (2004), S. 129, 148 u. 153 f. Tipke, StuW 2004, 3, 4. Tipke, Festschrift für Höhn, 1995, S. 401; s. i. ü. dazu vor allem Kruse in Tipke/ Kruse, RAO, a. a. O., (Fn. 4) § 97 RAO Rz. 1 a; ders. in Steuerrecht I, 1991, S. 91 ff.; sowie in Tipke/Kruse, AO u. a., a. a. O., (Fn. 4) Rz. 1 ff. Vor § 33 AO; Tipke/Lang, a. a. O. (Fn. 1) § 6 Rz. 1 ff. – jew. m. w. N. 11 Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl., 2000 S. 63. 12 A. a. O. (Fn. 11). 13 A. a. O. (Fn. 11) S. 65.
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Die Mißachtung der Abgabenordnung des besonderen Steuerrechts spiegelt die AO nichts wider; sie enthält wenig Grundsätzliches.“
Eine überaus ermutigende Botschaft für alle diejenigen, die sich angewöhnt haben, ihre Fälle „ohne AO“ zu lösen – ganz so, wie dies einmal ausdrücklich den bayerischen Examenskandidaten in einem besonders „hilfreichen“ Hinweis zur Bearbeitung ihres steuerrechtlichen Klausurfalles empfohlen worden ist. Eine solche, im Steuerrecht überaus seltene, dazu noch mit „höheren Weihen“ versehene Einmütigkeit müßte eigentlich beruhigend wirken. Daß dies nicht der Fall ist, jedenfalls nicht, was den Verfasser angeht, hat seinen Grund nicht etwa in dem ebenfalls „von oben“ diagnostizierten Bedürfnis, die Beschäftigung mit einer allseits als minderwertig erachteten Materie durch Aufwertung zu kompensieren14, sondern in der unerschütterlichen, jahrelang in Theorie wie Praxis bewährten Gewißheit, daß eine recht verstandene Einordnung der AO in das System des Steuerrechts unerläßliche Voraussetzung für solide, überzeugende Problemlösungen und für eine ebensolche Selbstkontrolle ist. Dies soll an einem, wenn nicht gar dem zentralen juristischen Thema auch im Steuerrecht, veranschaulicht werden: an der Anspruchsgrundlage. Zwar wird die Frage, „quae sit actio?“, soweit ersichtlich, nicht mehr mit der Berufung auf Steuerrichtlinien, aber doch immer wieder in anderer Hinsicht recht nachlässig beantwortet – wie nachstehende Beispiele zeigen sollen.
II. Folgen der Nichtbeachtung der §§ 3 Abs. 1, 38 AO 1. Anknüpfung an ein unpassendes Tatbestandsmerkmal Die Frage, wer bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gem. den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, 21 Abs. 1 Satz 1 EStG als Schuldner der Einkommensteuer anzusehen sei, wurde lange Zeit in ständiger Rechtsprechung danach entschieden, wem die in Frage stehenden Rechtsgüter unter dem Gesichtspunkt „wirtschaftlichen Eigentums“ zuzurechnen seien15. Erst unter dem – bezeichnenderweise uneingestandenen – Einfluß Ruppes16, der aufgezeigt hatte, daß sich die Bedeutung des § 39 AO auf die Zurechnung von Wirtschaftsgütern beschränkt und prinzipiell nichts über die Einkünfteerzielung aussagt, änderte der BFH seine Rechtsprechung und stellte fortan gerade auch in Fällen der Nießbrauchsbestellung darauf ab, wer die Einkünfte
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14 So Tipke, StuW 2004, S. 3 über die „Armen“, die ständig mit „Verfahrensrecht“ (was immer damit gemeint ist), zu tun haben! 15 S. z. B. BFH v. 8. 3. 1977 – VIII R 180/74, BFHE 122, 64 = BStBl. II 1977, 629, unter II.2.; v. 21. 6. 1977 – VIII R 18/75, BFHE 124, 313 = BStBl. II 1978, 303; w. Nachw. bei Biergans/Stockinger, FR 1982, 28; Döllerer, StuW 1988, 203 sowie bei Ruppe, DStJG 1 (1978), S. 7, 20 Fn. 47. 16 A. a. O. (Fn. 15), S. 14 ff., 20 f. u. 29.
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erzielt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EStG) und, indem er dies weiter konkretisierte, darauf, wer den Einkünfteerzielungstatbestand „erfüllt“17. Diese Erkenntnis hat sich zwar inzwischen „theoretisch“ allgemein durchgesetzt, und zwar prinzipiell für alle Einkunftsarten18, dies allerdings erstaunlicherweise regelmäßig ohne Rückgriff auf die für alle Steuerarten, für das gesamte besondere Steuerschuldrecht also, gleichermaßen geltenden Grundregeln des allgemeinen Steuerschuldrechts, d. h. der §§ 3 Abs. 1, 38 AO. Solch mangelnde methodische Gründlichkeit hat, wie so oft, ihren Preis: In der praktischen Durchführung läßt sich die Tatbestandsverwirklichung keineswegs als das allein maßgebliche und letztlich auch einzig verläßliche Zuordnungs- und Zurechnungskriterium ausmachen, als das es nach der verfassungsrechtlichen Verteilung der Hoheitsaufgaben sowie der Systematik des allgemeinen und besonderen Steuerschuldrechts zu gelten hat. Und die Steuerrechtsprechung bleibt immer gut für weitere Überraschungen! 2. Mißdeutungen So verfiel der BFH in dem soeben angesprochenen Bereich der Rechtsanwendung, schon kurze Zeit nach seiner Abkehr von § 39 AO für die Tatbestandsverwirklichung i. S. der §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, 21 Abs. 1 Satz 1 EStG darauf, auf das Merkmal der rechtlichen oder tatsächlichen Macht zur entgeltlichen Nutzungsüberlassung abzustellen19 und in diesem Zusammenhang danach zu fragen, wer denn der Träger der „Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis“ sei20, statt, wie die §§ 3 Abs. 1, 38 AO i. V. m. den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dies generell, verdeutlicht außerdem an den §§ 40 und 41 AO, erfordern und das Beispiel der unerlaubten Untervermietung bestätigt, die reinen Tatsachen sprechen zu
__________ 17 BFH v. 13. 5. 1980 – VIII R 63/79, BFHE 131, 212 = BStBl. II 1981, 295 unter 1.; unter Berufung auf Tipke, StuW 1977, 293, 298; s. auch BFH v. 13. 5. 1980 – VIII R 128/78, BFHE 131, 216 = BStBl. II 1981, 299 u. VIII R 75/79, BFHE 131, 808 = BStBl. II 1981, 297; v. 29. 1. 1983 – VIII R 217/79, BFHE 140, 199 = BStBl. II 1984, 366, unter 2. a); ferner: L. Schmidt, DStJG 1, a. a. O. (Fn. 15) S. 61, 409; Raupach, ebenda, S. 210 f. und in Festschrift für Beisse, 1997 S. 403 jew. m. w. N. 18 S. z. B. Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG § 2 Rz. B 208; Seeger in Schmidt, EStG, 23. Aufl., 2004, § 2 Rz. 18 und 55 f.; Stuhrmann in Blümich, EStG, § 2 Rdz. 43; Tipke/Lang, Steuerrecht, a. a. O. (Fn. 1), § 9 Rz. 150 ff. – jew. m. w. N. 19 BFH v. 31. 10. 1989 – IX R 216/84, BFHE 159, 319; v. 15. 4. 1986 – IX R 52/83, BFHE 146, 415 = BStBl. II 1986, 605, in nicht gerechtfertigter Berufung auf das BFHUrteil v. 26. 4. 1983 – VIII R 205/80, BFHE 138, 242 = BStBl. II 1983, 502; v. 3. 12. 1991 – IX R 155/89, BFHE 166, 460 = BStBl. II 1992, 459; v. 27. 1. 1993 – IX R 290/87, BFHE 170, 383 = BStBl. II 1994, 615, unter I. 1.; v. 11. 3. 2003 – IX R 17/99, BFH/NV 2003, 1045, 1046; v. 19. 11. 2003 – IX R 54/00, BFH/NV 2004, 1079. 20 BFH v. 27. 1. 1993, a. a. O. (Fn. 19); v. 25. 6. 2002 – XI R 55/99, BFH/NV 2002, 1596, unter II. 1.; v. 11. 3. 2003 – IX R 16/99, BFH/NV 2003, 1043, unter II. 1. a); v. 19. 11. 2003 – IX R 54/00, DStR 2004, 1915, 1916, unter II. 1. sowie v. 18. 5. 2004, IX R 49/02, BFH/NV 2004, 1325, unter II. 2.
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Die Mißachtung der Abgabenordnung
lassen und der Vertragsgestaltung im Einzelfall nichts weiter als eine rein indizierende Bedeutung beizumessen21. Verwirrend auch, daß man bei solcher Art des Judizierens keinen Widerspruch erkennt zwischen der allgemeinen, auch durch die neuere Rechtsprechung nicht angezweifelten, Erkenntnis, die Grundbegriffe „Vermietung“ und „Verpachtung“, die objektive Seite des in den §§ 2 Abs. 1 Nr. 6, 21 EStG fixierten Tatbestands also, nicht zivilrechtlich zu verstehen22, und der These, im Anwendungsbereich derselben Norm die Person des abgabenrechtlichen „Vermieters“ bzw. „Verpächters“ nach dem Vertragsinhalt zu bestimmen. 3. Verzicht auf Tatbestandsverwirklichung Als Steigerung solcher „AO-Ferne“ ist die verstärkte Neigung der BFH-Rechtsprechung zu werten, im Abgrenzungsbereich Einkünfteerzielung/„Liebhaberei“ die Frage nach der Eignung der Betätigung zur Erzielung positiver Einkünfte typisierend zu beantworten: –
mit der erstaunlichen Aussage, das Betreiben einer Anwaltskanzlei sei „regelmäßig“ nicht dazu bestimmt und geeignet, der Befriedigung persönlicher Neigungen oder der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile außerhalb der „Einkommensphäre zu dienen“23;
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eine These, die für den Betrieb einer Steuerberaterkanzlei zwar „deklamierend“ übernommen24, dann aber der im Ergebnis anders lautenden Entscheidung letztlich doch nicht zu Grunde gelegt wurde25;
__________ 21 Wie z. B. geschehen im BFH-Urteil v. 26. 4. 1983 – VIII R 205/80, BFHE 138, 242 = BStBl. II 1983, 502. 22 Schmidt/Drenseck, EStG, a. a. O. (Fn. 18) § 21 Rz. 1; Stuhrmann in Blümich, a. a. O. (Fn. 18), § 21 Rz. 3; zu den Widersprüchlichkeiten in diesem Zusammenhang: Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff; a. a. O. (Fn. 18) § 21 Rz. A 22 u. B 55. 23 BFH v. 22. 4. 1998 – XI R 10/97, BFHE 186, 206 = BStBl. II 1998, 663, unter II. 2. a), unter Berufung auf das BFH-Urteil v. 19. 11. 1985 – VIII R 4/83, BFHE 145, 375 = BStBl. II 1986, 289, das bezeichnenderweise zum Fall eines Getränkegroßhandels ergangen ist, zur Rechtfertigung eines entsprechenden „Anscheinsbeweises“; zur fehlenden dogmatischen Ableitung dieser Beweislastregel, deren Voraussetzungen und problematische Anwendung selbst im Parteienprozeß: Greger in Zöller, ZPO, 24. Aufl., 2004, Rz. 29 ff. Vor § 284, s. i. ü. näher dazu: Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., 1993, S. 660 ff.; v. Groll in Gräber, FGO, 5. Aufl., 2002, § 96 Rz. 17; s. i. ü. FG München v. 2. 8. 2004 – 15 K 4609/00, EFG 2005, 23 (Az. BFH: IV B 144/04) zur Rechtsanwaltsfähigkeit eines Ruheständlers – jew. m. w. N. 24 BFH v. 31. 5. 2001 – IV R 81/99, BFHE 195, 382 = BStBl. II 2002, 276, unter 2. a). 25 BFH, a. a. O. (Fn. 24), mit der Begründung, unter 2. c), der Anscheinsbeweis sei durch die Feststellung „widerlegt, der Kläger habe die Praxis trotz jahrelanger Verluste weiterbetrieben, um seinem Sohn die Praxisübernahme zu ermöglichen“; ähnlich zum Ende einer freiberuflichen (ärztlichen) Tätigkeit: BFH v. 26. 2. 2004 – IV R 43/02, BFHE 205, 243 = BStBl. II 2004, 455.
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sehr viel deutlicher, wenngleich noch immer nicht prinzipiell fiel einige Zeit später die Distanzierung zur typisierenden Beurteilung im Anwendungsbereich des § 18 EStG für die Erfolgsprognose bei einem Architekten aus26;
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den weitaus „kühnsten“ Schritt weg von der lästigen Anspruchsgrundlage vollführte der BFH im Bereich der Abgrenzung Liebhaberei/Vermietungseinkünfte mit seinem Grundsatzurteil vom 30. 9. 199727, indem er seither für den Regelfall einer auf Dauer angelegten Vermietertätigkeit die Absicht der Überschußerzielung einfach unterstellt28.
Wäre in all diesen Fällen der Bezug zu den §§ 3 Abs. 1, 38 AO und damit zur Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung in die richterliche Überzeugungsbildung einbezogen worden, so hätte in allen Fällen offenkundig werden müssen, daß man mit solchen „Erkenntnissen“ über ein Element des gesetzlichen Tatbestands disponiert, nämlich dessen subjektive Seite, und zwar unabhängig davon, ob man diese als final verstandenen Bestandteil des Handlungstatbestands29 oder als verselbständigtes Tatbestandsmerkmal „Einkünfteerzielungsabsicht“ begreift30. Vor allem hätte ins Bewußtsein dringen müssen, daß man mehr oder weniger uneingeschränkt in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht auf die Prüfung eines Merkmals des gesetzlichen Tatbestands verzichtet – etwas, was prinzipiell weder der Finanzbehörde (§§ 85 Abs. 1 Satz 1, 88 Abs. 1 Satz 1 sowie §§ 365 Abs. 1 und 367 Abs. 2 Satz 1 AO) noch (in Begrenzung durch das Klagebegehren, §§ 65 Abs. 1 Satz 1, 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) dem Gericht (§§ 96 Abs. 1 Satz 1, 96 Abs. 1 Satz 1, 100 Abs. 1 Satz 1 u. 101 Satz 1 FGO) gestattet ist; auch dann nicht, wenn man eine solche Operation als Typisierung aufzieht31. Interessant übrigens sind die „Nebeneffekte“ solcher „Vereinfachung“ der Rechtsanwendung bei den Vermietungseinkünften:
__________ 26 BFH v. 12. 9. 2002 – IV R 60/01, BFHE 200, 284 = BStBl. II 2003, 85 unter 1. b). 27 IX R 80/94, BFHE 184/406 = BStBl. II 1998, 771; s. außerdem: BFH v. 27. 7. 1999 – IX R 64/96, BFHE 190, 125 = BStBl. II 1999, 826 sowie v. 22. 7. 2003 – IX R 59/02, BFHE 202, 566 = BStBl. II 2003, 806 jew. m. w. N.; s. aber BFH v. 6. 10. 2004, IX R 30/03, BFH/NV 2005, 426 („Ausnahme von der Typisierung“). 28 So ausdrücklich im Rahmen seiner Darstellung und Rechtfertigung dieser Rechtsprechung: Heuermann, DStZ 2004, 9, 11; s. dazu i. ü. auch K. Ebling in Festschrift für Offerhaus, 1999, S. 567, 576 ff.; Heuermann, DB 2002, 2011 sowie Thürmer, DB 2002, 444 u. DStZ 2002, 855; BMF v. 8. 10. 2004, DB 2004, 2237. 29 So v. Groll in Festschrift für K. Vogel, 2000, S. 687, 688 ff. m. w. N. 30 So der BFH in st. Rspr. seit dem Beschluß des Großen Senats v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405 = BStBl. II 1984, 751, unter C. IV. 2. u. 3.; neuerdings z. B. BFH v. 9. 7. 2003 – IX R 102/00, BFHE 203, 86 = BStBl. II 2003, 940; speziell für die Mitunternehmerschaft: BFH v. 30. 9. 2003 – III R 5/00, BFHE 203, 289 = BStBl. II 2003, 947 unter II. 1. a). 31 Zur methodischen Fragwürdigkeit der Typisierung im Rahmen der Rechtsanwendung: Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, AO, a. a. O. (Fn. 4), § 4 AO Rz. 390 m. w. N.
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Die Mißachtung der Abgabenordnung
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Die Prozesse in diesem Bereich scheinen sich, gemessen an den veröffentlichten Entscheidungen, keineswegs zu verringern.
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In dieselbe Richtung weist auch die Reaktion der Exekutive auf diese Rechtsprechung: Für deren „Umsetzung“ benötigt das BMF32 fünf Seiten und 41 Randziffern.
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Andererseits besteht das Ergebnis solcher kaum verhüllten Rechtsetzung durch Judikative und Exekutive darin, daß die Einkunftsart Vermietung und Verpachtung, ungeachtet des für den Einkünftekatalog des EStG geltenden Gleichwertigkeitsgrundsatzes, weiter zu einem reinen Subventionstatbestand mutiert33. Auch der Versuch, diese rechtschöpferische Umgestaltung einer Fiskalzwecknorm in eine Lenkungsnorm mit der Erwägung zu rechtfertigen, Steuerpflichtige wählten die Einkunftsart Vermietung und Verpachtung „nicht zuletzt deshalb, weil sie ihr Vermögen etwa zur Alterssicherung anlegen wollen“, das Vermögen selbst aber (von § 23 EStG abgesehen) „nicht unmittelbar steuerverstrickt“ sei34, erweist sich als untauglich: Auf die Motive, die jemanden dazu bewegt haben, einen der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 – 7 EStG aufgezählten Tatbestände zu verwirklichen, hat der Gesetzgeber – aus gutem Grund – nicht abgestellt. So unbeachtlich für die Einkünftebesteuerung ist, warum jemand Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, so unerheblich ist es auch, warum er eine Immobilie dauerhaft gegen Entgelt vermietet, solange beides nur auf das Erzielen eines positiven Ergebnisses hin angelegt ist. Von der Beantwortung dieser letztgennannten Frage darf sich der Rechtsanwender nicht durch Ausweichen auf allerlei wohlmeinende, aber nach unserer verfassungsrechtlichen Aufgabenteilung der Gesetzgebung überlassene Erwägungen dispensieren.
4. Die verkannte subjektive Seite der Tatbestandsverwirklichung Zu regelrechten Ausfällen führt die „AO-Abstinenz“ in einem speziellen Anwendungsbereich der subjektiven Seite der §§ 3 Abs. 1, 38 AO: Daß diese Vorschriften (i. V. m. den einschlägigen Normen der Einzelsteuergesetze) nicht nur Aufschluß darüber geben, wann und unter welchen objektiven Voraussetzungen ein Steueranspruch besteht, sondern grundsätzlich, sofern nicht ausdrücklich eine abweichende Zurechnungsregelung des Einzelsteuergesetzes eingreift (§ 43 Satz 1 AO), auch darüber, in wessen Person
__________ 32 Schreiben v. 8. 10. 2004, DB 2004, 2237. 33 Schon für 1998 stellt der Wissenschaftliche Beirat beim BMF in seinem Gutachten vom Juli 2004, „Flat Taxe oder Duale Einkommensteuer?“, Schriftenreihe des BMF, Bd. 76, S. 12 Fn. 8) fest, daß bei dieser Einkunftsart negative Einkünfte regelmäßig überwiegen, und zwar um über 16 Mrd. Euro. 34 Heuermann, DStZ 2004, 9, 11.
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dies geschieht, wird zwar immer wieder, allerdings ebenfalls ohne Bezugnahme auf die Basisnormen des allgemeinen Steuerschuldrechts, zum Ausdruck gebracht35, indessen durchweg in seiner ganzen systematischen Tragweise nicht erkannt und vor allem nicht folgerichtig „zu Ende gedacht“. Nur so sind Scheu und Unsicherheit zu erklären, die sich in Theorie und Praxis immer wieder zeigen, wenn es um die Lösung von Fällen geht, in denen es unklar ist oder auch sein soll, wer von mehreren in Betracht kommenden Steuerrechtssubjekten tatsächlich den in Frage stehenden Steuertatbestand erfüllt hat. Daß auch insoweit die für alle Steuerarten verbindlichen Vorgaben des allgemeinen Steuerschuldrechts einerseits und deren Konkretisierung im besonderen Steuerschuldrecht andererseits die letztlich allein maßgeblichen und verläßlichen Antworten bereithalten, wird in diesem Zusammenhang immer wieder übersehen. Infolgedessen bleibt unerkannt, daß –
die §§ 3 Abs. 1, 38 AO nach Wortsinn und systematischem Zusammenhang offen sind auch für eine arbeitsteilige Tatbestandsverwirklichung und daß
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es von der speziellen Ausgestaltung des jeweils in Frage stehenden Besteuerungstatbestands im Einzelsteuergesetz abhängt, ob und inwieweit es bei dieser Ausgangslage bleibt oder höchstpersönliche Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist.
So hat sich im Ergebnis etwa die Erkenntnis, daß Tatbestandsverwirklichung i. S. der §§ 3 Abs. 1, 38 AO i. V. m. den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 15 EStG nicht höchstpersönliche Beteiligung des Steuerschuldners am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr verlangt, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar partiell durchgesetzt36. Regelmäßig unbeachtet indessen bleibt, daß diese gesetzliche Anspruchsgrundlage auch die Fälle mittelbarer Tatbestandsverwirklichung erfaßt und dabei nicht darauf abstellt, ob diese „offen“ oder – aus welchen Gründen auch immer – „verdeckt“ gestaltet worden ist.
__________ 35 S. z. B. BFH v. 27. 1. 1993 – IX R 269/87, BFHE 170, 383 = BStBl. II 1994, 615, unter I. 1., sowie die weiteren zu Fn. 17 zitierten Entscheidungen; außerdem: BFH v. 18. 3. 2004 – III R 25/02, BFHE 205, 470 = BStBl. II 2004, 787, unter II. 2. b) aa); grundlegend: Kruse in Tipke/Kruse, AO, a. a. O. (Fn. 4), § 38 AO Rz. 6; v. Groll, StuW 1995, 326, 328 f.; ebenso schon Tipke/Kruse, RAO u. a., a. a. O. (Fn. 4), § 11 StAnpG Rz. 1 f. – jew. m. w. N. 36 So z. B. BFH v. 31. 7. 1990 – I R 173/83, BFHE 162, 236 = BStBl. II 1991, 66, unter B. 5. a), für den An- und Verkauf von Wertpapieren über Dritte; BFH v. 19. 11. 1990 – VIII B 101/89, BFH/NV 1991, 321 für die Einschaltung einer Maklers in gewerbliche Grundstücksgeschäfte; besonders anschaulich: BFH v. 3. 7. 1991 – X R 163 – 164/87, BFHE 164, 556 = BStBl. II 1991, 802 für den Fall, daß ein Bankangestellter seine Bank „benutzt“, um eigene Wertpapiergeschäfte zu betreiben; w. N. bei Kruse in Tipke/Kruse, AO, a. a. O. (Fn. 4), § 38 AO Rz. 6; s. auch Weber-Grellet in Schmidt, EStG, a. a. O. (Fn. 18), § 15 Rz. 20; v. Groll, StuW 1995, 526.
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Die Mißachtung der Abgabenordnung
Niemand würde zwar auf den Gedanken verfallen, die einkommensteuerrechtliche Tatbestandsverwirklichung durch einen Maurermeister davon abhängig zu machen, ob und inwieweit er alles „selber macht“. Sobald er aber seine Selbständigkeit „tarnt“, kann er auf allgemeine Verunsicherung auch bei den Finanzbehörden und -gerichten zählen. Ein anschauliches Beispiel solcher Irritation gibt der III. Senat in seinem Urteil vom 18. 3. 200437, als er bei der Beurteilung eines Falles des gewerblichen Grundstückshandels zu dem Ergebnis gelangte, man könne dem Alleingesellschaftergeschäftsführer die Aktivitäten „seiner“ GmbH nur in Mißbrauchsfällen zurechnen, und damit letztlich eine ebenso unnötig wie ungerechtfertigte Rechtsanwendungslücke produzierte, weil er nicht nur im Ergebnis, sondern auch in der Begründung einen Vorrang des § 42 AO vor den §§ 3 Abs. 1, 38 AO annahm – was allerdings bezeichnenderweise ohne Rückgriff auf diese Normen „gelang“38 und i.ü. auch nur mit Hilfe einer solchen Unterlassung hat gelingen können. Ohne ein solches Versäumnis nämlich hätte klarwerden müssen, daß –
die systematische Rangfolge der in Frage stehenden Normen des allgemeinen Abgabenrechts, dem Gesetzesaufbau entsprechend, genau umgekehrt ist: § 42 AO greift nur ein, soweit die Anwendung der §§ 3 Abs. 1, 38 AO i. V. m. den einschlägigen Normen des Einzelsteuergesetzes scheitert bzw. einen Gestaltungsmißbrauch nicht erfaßt; inhaltlich setzt § 42 AO Vermeidung der Tatbestandsverwirklichung durch entsprechende (mißbräuchliche) Sachverhaltsgestaltung voraus39;
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die Einbeziehung mittelbarer Tatbestandsverwirklichung40 rechtlich nur möglich ist, sofern die Umschreibung des Besteuerungstatbestands im einschlägigen Einzelsteuergesetz hierfür offen ist41, und dann allerdings keiner (weiteren) „Angabe des Rechtsgrundes“42 bedarf;
__________ 37 III R 25/02, BFHE 205, 470 = BStBl. II 2004, 787; s. aber BFH v. 2. 3. 2004 – III B 114/03, BFH/NV 2004, 1109, 1110 f. sowie v. 4. 11. 2004 – III R 21/02, BFH/NV 2005, 294. 38 BFH, a. a. O. (Fn. 37), unter II. 2. b) u. c). 39 Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, AO, a. a. O. (Fn. 4) § 42 AO Rz. 2; s. auch P. Fischer DB 1996, 644 u. in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O. (Fn. 4) § 42 Rz. 17; Tipke/ Lang, a. a. O., (Fn. 1) § 5 Rz. 95; z. T. abw.: Clausen, DB 2003, 1589 – jew. m. w. N. 40 Ausführlich dazu: v. Groll, StuW 1995, 325; s. auch Crezelius, FR 2002, 805; Kruse in Tipke/Kruse, AO, a. a. O. (Fn. 4) § 38 AO Rz. 6; Weber-Grellet, FR 1998, 955; Jäschke in Lademann, EStG, § 2 Rz. 109; L. Schmidt, StbJb 1980/81, S. 115, 124; Schmiesczek in Beermann, a. a. O. (Fn. 3), § 38 AO Rz. 22. 41 Also nicht etwa im Anwendungsbereich der §§ 3 Abs. 1, 38 AO i. V. m. den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 u. 19 EStG. 42 Die der BFH in seinem Urteil v. 18. 3. 2004, a. a. O. (Fn. 37), unter II. 2. b) dd) vermißt, weil seine Bemühungen insoweit unvollständig waren.
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die „Zurechnung“ grundsätzlich nicht als eigenständiges Tatbestandsmerkmal, sondern als „Frucht“ der Verknüpfung der objektiven mit der subjektiven Seite des Gesetzestatbestands zu werten ist43;
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es infolgedessen nicht etwa um eine „Zurechnungsverschiebung“ auf den Hintermann bzw. um eine „Sphären- und Rechtsträgervermengung“ geht44, sondern „nur“ um konsequente, methodisch einwandfreie Ausschöpfung der einschlägigen Gesetzestatbestände bzw. Tatbestandsmerkmale45, genauer gesagt darum, ernst zu machen mit der hieraus abzuleitenden Weisung an den Rechtsanwender, einen Sachverhalt so zu beurteilen, wie er in Wirklichkeit ist, und nicht so, wie er „daherkommt“;
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der Anwendungsbereich des §§ 42 AO (ebenso wie übrigens derjenige der §§ 40 und 41 AO) theoretisch wie praktisch jedenfalls erst dort beginnt, wo derjenige der §§ 3 Abs. 1, 38 AO i. V. m. den einschlägigen Normen des Einzelsteuergesetzes endet46; § 42 AO also gar nicht angewendet werden darf, bevor nicht alle Mittel zur Prüfung der Tatbestandsverwirklichung ausgeschöpft wurden.
Eine vergleichbare Situation ergibt sich wegen der Offenheit des Unternehmerbegriffs i. S. des § 2 UStG bzw. des Art. 4 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie für arbeitsteilige Tatbestandsverwirklichung im Umsatzsteuerrecht47, bleibt aber auch in dieser Teilrechtsordnung letztlich ebenso unbeachtet wie im Einkommensteuerrecht, obgleich hier die normativen Hilfen für den Rechtsanwender noch dadurch verstärkt sind, daß der Grundsatz der Tatbestandsverwirklichung ausdrücklich auch im besonderen Steuerschuldrecht fixiert
__________ 43 Grundlegend dazu Ruppe, DStJG 1 (1978) a. a. O. (Fn. 15) S. 17 ff.; Raupach in Festschrift für Beisse, a. a. O. (Fn. 17), S. 403, 431. 44 So aber, allerdings ohne Substantiierung dieser schlagwortartigen Qualifikation: Gosch, KÖSDI, Steuerrechtsprechungsforum (StF) 18 (1998/99) S. 60 f.; in Erg. ebenso, ebenfalls ohne konkrete Begründung: Kupfer, KÖSDI 1999, 12230, 12236; Fabry, GmbHR 1999, 169, 170; sie alle allerdings mit Begründungswirkung für den BFH, a. a. O. (Fn. 42). 45 Ausführlich hierzu: v. Groll, a. a. O. (Fn. 40), S. 322 ff. 46 Daß dies für die Steuergestaltung als mißliebig angesehen und ebenso heftig wie „methodenfrei“ bekämpft wird (s. Rose, FR 2003, 1274 u. Rose/Glorius-Rose, DB 2004, 2174) ist angesichts der erhöhten Anforderungen, die § 42 AO auch an die Sachaufklärung stellt, nur allzu verständlich, ohne allerdings hierdurch zum juristischem Argument zu erstarken (s. demgegenüber auch P. Fischer, FR 2003, 1277 u. FR 2004, 720). 47 Sehr anschaulich BFH v. 15. 7. 1987 – X R 90/80, BFHE 150, 459 = BStBl. II 1987, 746 mit Anmerkung HFR 1987, 622; vgl. auch BFH v. 15. 7. 1987 – X R 56/81, BFH/NV 1988, 58 sowie v. 15. 9. 1994 – XI R 56/93, BFHE 176, 285 = BStBl. II 1995, 275; v. Groll, a. a. O. (Fn. 40), S. 329 u. 332; Kruse in Tipke/Kruse, AO, a. a. O. (Fn. 4) § 38 AO Rz. 6 – jew. m. w. N.
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Die Mißachtung der Abgabenordnung
ist48. Dies hindert die Rechtsprechung nicht, die „Strohmann“-Fälle dadurch zu lösen, daß sie entscheidend auf zivilrechtliche Vertragsgestaltung abstellt, obgleich weder die allgemeine Beschreibung des Steuertatbestands in der AO noch die spezielle im nationalen oder supranationalen Recht dies auch nur andeutungsweise rechtfertigt49.
III. Fazit Wie fremd Steuerrechtlern die Anspruchsgrundlage samt ihrer theoretischen und praktischen Bedeutung ist, zeigt sich z. B. auch, wenn ein überaus gründlicher, problembewußter Fachaufsatz in der „sensationellen“ Erkenntnis „gipfelt“, eine bestimmte abgabenrechtliche Norm50 habe „einen Tatbestand, der erfüllt sein muß, wenn seine Rechtsfolgen eintreten sollen“51. Ja, so aufregend ist Steuerrecht! Im Übrigen ließe sich die Liste der „Sünden wider die AO“ noch beliebig verlängern – etwa um die Erörterung der Frage, –
warum die nicht enden wollende Debatte über die Rechtssubjektivität der Personengesellschaft im Einkommensteuerrecht i. d. R. ohne Rückgriff auf die §§ 179 ff. AO geführt wird52;
__________ 48 Und zwar fast wortgleich, jedenfalls aber inhaltsgleich in Art. 10 Abs. 1 u. Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie für den Steueranspruch sowie i. V. m. Art. 17 Abs. 1 der 6. EGRichtlinie für den Vorsteueranspruch. 49 S. dazu z. B. sehr anschaulich BFH v. 31. 1. 2002 – V B 108/01, BFHE 198, 208 = BStBl. II 2004, 622, unter II. 4. m. w. N. – in ausdrücklichem Gegensatz zum BFHUrteil v. 13. 7. 1994 – XI R 97/92, BFH/NV 1995, 168, 169, worin systematisch überzeugend allein auf die tatsächlichen Verhältnisse abgestellt und der zivilrechtlichen Gestaltung zutreffenderweise nur indizierende Bedeutung beigemessen wurde; vgl. zu dieser vom Gesetzgeber nicht legitimierten zivilrechtlichen Betrachtungweise auch: BFH v. 26. 6. 2003 – V R 22/02, BFH/NV 2004, 233; v. 9. 10. 2003 – V B 12/02, BFH/NV 2004, 97; v. 20. 2. 2004 – V R 152/02, BFH/NV 2004, 833; v. 15. 7. 2004 – V B 164/63, BFH/NV 2004, 1676; Hess. FG v. 15. 6. 2004 – 6 K 2609/00, EFG 2005, 68; s. zu den Widersprüchlichkeiten dieser Rechtsprechung: Heidner in Bunjes/Geist, UStG, 7. Aufl., 2003, § 2 Rz. 13 u. 38 f. sowie § 15 Rz. 60; kritisch auch Jakob, UStR, 2. Aufl., 1998, § 4 Rz. 26 u. § 5 Rz. 113 ff.; s. i. ü. v. Groll, StuW 1995, 326, 329 f. u. 332 m. w. N. 50 In diesem Fall § 42 AO. 51 U. Clausen, DB 2003, 1589, 1596. 52 So durchweg die Rspr. seit dem Beschluß des Großen BFH-Senats v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405 = BStBl. II 1984, 751, zu C. III. und IV.; s. auch KnobbeKeuk, a. a. O. (Fn. 1), S. 361 ff.; Seeger in Schmidt, a. a. O. (Fn. 18), § 2 Rz. 25 sowie Schmidt, ebenda, § 15 Rz. 160 ff. S. demgegenüber: v. Groll, DStJG 18 (1995), S. 47, 55 sowie in Gräber, a. a. O. (Fn. 23), § 48 Rz. 12. und 15; § 57 Rz. 15a und 26.
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warum eine einheitliche, widerspruchsfreie Antwort auf die einfache Frage, wer denn im Einzelnen die „Finanzbehörde“ im Steuerrechtsverhältnis repräsentiert, noch immer nicht gelungen ist53;
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warum die „Lehre“ vom formellen Bilanzenzusammenhang noch immer Bestand hat54.
Anhand derart zahlreicher und gewichtiger Beispiele erweist es sich als „venire contra factum proprium“, wenn man einerseits nicht müde wird, mangelnde Systematik im Steuerrecht zu beklagen, andererseits aber die vielfältigen Möglichkeiten objektiv vorhandener Systematik unbeachtet läßt. Und um auf die Eingangsüberlegungen dieses Beitrags zurückzukommen: Auch im Steuerrecht ist es ja durchaus sinnvoll, materielles Recht und Verfahrensrecht auseinanderzuhalten – dies allerdings nicht „nach gusto“55 – sondern nach den methodischen Regeln der Zunft und vor allem nicht in isolierender Betrachtungsweise56.
__________ 53 S. dazu ausführlich: v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O. (Fn. 4), § 173 AO Rz. 183 ff.; Loose in Tipke/Kruse, AO u. a., a. a. O. (Fn. 4), § 173 AO Rz. 28 ff. – jew. m. w. N.; in „unbekümmerter“, nicht thematisierter Abweichung von der st. BFH-Rspr. zu § 173 AO (z. B. BFH v. 19. 5. 1998 – I R 140/97, BFHE 186, 124 = BStBl. II 1998, 599, unter II.1.): BFH v. 5. 1. 2003 – IV R 38/02, BFHE 203, 1 = BFH/NV 2003, 1618, zur Adressatenbestimmung bei der Zustimmungserklärung nach § 172 Abs. 1 s.1 Nr. 2a). 54 S. dazu z. B. BFH v. 6. 9. 2000 – XI R 18/00, BFHE 193, 279 = BStBl. II 2001, 106 (unter II.1.); zu weiteren Nachweisen und zur Kritik: v. Groll in FS f. Kruse, 2001, S. 445 sowie in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O. (Fn. 4), Rz. 127 Vor §§ 172 – 177 AO und in Gräber, a. a. O. (Fn. 23) Rz. 25 vor § 40, § 40 Rz. 90. 55 D. h. nach dem Motto: „Verfahrensrecht ist alles, was mir fremd oder zuwider ist“. 56 Zur wechselseitigen inneren Abhängigkeit von materiellem und formellem Recht: Zöller, AcP 190 (1990), S. 471.
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Gemeinnütziger Sport versus subventionierte Freizeitbetätigung Inhaltsübersicht I. Der gemeinnützige Sport nach geltendem nationalen Recht II. Rechtspolitischer Diskurs III. Reformbedarf und Entwicklungsoptionen 1. Gemeinnützige Zweckverfolgung als adäquates Steuersubstitut 2. Sportförderung als substituierbare Staatsaufgabe a) Sport als Förderung von Verfassungswerten b) Sportförderung als Staatsziel
c) Sportförderung als wahrgenommene Staatsaufgabe d) Sport im Recht der Europäischen Kommission e) Sport als pluralistische Gemeinwohlaufgabe 3. Zielkonflikte 4. Die vereinsmäßige Sportförderung an den Grenzen der gemeinnützigen Zweckverfolgung IV. Gemeinnütziger Sport für die Zukunft
Christoph Trzaskalik war ein vielfältig interessierter Jurist. In seinem breiten Forschungsspektrum fand manch wesentliche Erscheinung des gesellschaftlichen Zusammenlebens ihren Platz – so auch der Sport.1 Anknüpfend an seine durchaus kritische Betrachtung der steuerlichen Förderung des Sports soll im Folgenden den Grundlagen und der Berechtigung der steuerlichen Gemeinnützigkeit des Sports nachgegangen werden.
I. Der gemeinnützige Sport nach geltendem nationalen Recht Mit dem Gemeinnützigkeitsstatus eines Sportvereins sind diverse steuerliche Erleichterungen gegenüber der Regelbesteuerung verbunden,2 die sich
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Trzaskalik, Die steuerliche Förderung des Sport, StuW 1986, S. 219 ff.; ders., Die Steuer – Instrument der Sportförderung? in Subventionierung des Sports, Recht und Sport, Band 6, 1987, S. 55 ff.; ders., Inwieweit ist die Verfolgung ökonomischer und ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts zu empfehlen?, Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag, Leipzig 2000. Zu den gemeinnützigkeitsabhängigen Steuervergünstigungen gehören auf der Ebene der gemeinnützigen Körperschaft insbes. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG, § 3 Nr. 6 GewStG, § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG, § 13 Abs. 1 Nr. 16 ErbStG, § 3 Abs. 1 Nr. 3b GrStG. Darüber hinaus sind Zuwendungen an gemeinnützige Körperschaften ertragsteuerlich beschränkt abziehbar (§ 10b EStG, § 9 Abs. 1 Nr. 2 KStG, § 8 Nr. 9, § 9 Nr. 5 GewStG). Dazu stv. Fischer/Helios, Die aktuelle Vereinsbesteuerung,
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in der Praxis vielfach als Grundbedingungen effektiven Wirkens erweisen. Gemeinnützige Körperschaften sind – abgesehen vom wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb von der Körperschaftsteuer (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG), der Gewerbesteuer (§ 3 Nr. 6 GewStG) und der Grundsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 3b GrStG) befreit. Als Zuwendungsempfänger profitieren sie vom Spendenabzug.3 Grundlage der Gemeinnützigkeit eines Vereins ist primär seine gemeinnützige Zweckverfolgung. Hierfür muss die Tätigkeit des Vereins darauf gerichtet sein, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern (§ 52 Abs. 1 S. 1 AO). Was „Förderung der Allgemeinheit“ meint, konkretisiert die beispielhafte Nennung gemeinnütziger Zwecke in § 52 Abs. 2 AO; hierzu zählt auch die Förderung des Sports (§ 52 Abs. 2 Nr. 2 AO).4 Eine Definition des Begriffs „Sport“ enthält die Abgabenordnung nicht. Allgemein wird von einer körperlichen, über das ansonsten übliche Maß hinausgehenden Aktivität ausgegangen, die durch äußerlich zu beobachtende Anstrengung oder durch die einem persönlichen Können zurechenbare Kunstbewegung gekennzeichnet ist,5 die aber – anders als noch nach § 17 Abs. 3 Nr. 1 StAnpG6 – keine Leibesübung darstellen muss.7 Erfasst sind auch Sportarten – so der Motorsport8 –, deren Ausübung sich als nur geringe körperliche Aktivität darstellt, aber eine Körperbeherrschung erfordert, die nur durch Konditionstraining erworben und erhalten werden kann.9 Schach wird gem. § 52 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 AO als Sport fingiert. Damit Sport gemeinnützig ist, muss er die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet fördern. Hierzu stellt das Gesetz lediglich fest, dass der Kreis der Geförderten nicht geschlossen sein darf. Anerkannt wird jedoch auch die Förderung eines kleinen Kreises als gemeinnütziger „Ausschnitt aus der Allgemeinheit“.10 Unschädlich ist die begrenzte Nut-
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2003, S. 1 ff., 255 ff., Trzaskalik, StuW 1986, S. 219 (220) (Fn. 1); Jachmann in Igl (Hrsg.), Rechtliche Rahmenbedingungen bürgerschaftlichen Engagements, 2002, S. 67 (97) m. w. N.; dies., Nachhaltige Entwicklung und Steuern, 2003, S. 172. So auch Trzaskalik, StuW 1986, S. 219 (Fn. 1). Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (110 f.) (Fn. 2); dies., S. 182 (Fn. 2); Trzaskalik, Recht und Sport, Band 6, 1987, S. 55 (Fn. 1). Stv. BFH v. 29. 10. 1997 – I R 13/97, BStBl. II 1998, 9 (10); vgl. auch Trzaskalik, StuW 1986, S. 219 (221) (Fn. 1). Dazu BFH v. 12. 11. 1986 – I R 204/85, BFH/NV 1987, 705 (706). Schad/Eversberg, Begünstigende Regelung zur Vereinsbesteuerung, DB 1980, S. 1234 (1234); Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (111 f.) (Fn. 2). BFH, BStBl. II 1998, 9 (10) (Fn. 5). Hofmeister, Begünstigende Regelungen zur Vereinsbesteuerung, DStZ 1999, S. 545 (546); Geserich, Spende und Schulgeld im Steuerrecht, 2000, Rz. 357; krit. Herrnkind (Steuerliche Förderung von Sportvereinen, Diss., 1995, S. 9 f.), der zwischen der vorbereitenden Tätigkeit als Sport im steuerlichen Sinne und der Ausübung des Motorrennsport als bloße Fortbewegung unter Zuhilfenahme von Motorkraft differenziert. BFH v. 13. 8. 1997 – I R 19/96, BStBl. II 1997, 794 (795 f.).
Gemeinnütziger Sport versus subventionierte Freizeitbetätigung
zungsmöglichkeit einer Sportanlage.11 Eine gemeinnützigkeitsschädliche Begrenzung der Mitgliederzahl kann neben einer ausdrücklichen Beschränkung der Mitglieder aufgrund der Satzung auch dadurch erreicht werden, dass der Verein exklusiv hohe Aufnahmegebühren und Beiträge von seinen Mitgliedern verlangt. Nicht eindeutig geklärt ist, nach welchen Kriterien sich der Inhalt bzw. Gegenstand der Förderung der Allgemeinheit bestimmt.12 Der Bundesfinanzhof geht von einem sehr weiten Werteverständnis aus.13 Insbesondere begreift er Motorsport (Automobilsport) als gemeinnützig. Das für die steuerrechtliche Förderungswürdigkeit des Motorsports entscheidende Allgemeinwohlkriterium sei die Eignung des Motorsports zur körperlichen Ertüchtigung. Die Gemeinnützigkeit der Förderung des Sports erfordere nicht, dass die geförderte, im Rahmen der Gesetze erlaubte Sportart weder unfallträchtig noch umweltbelastend sei. Es sei allein Aufgabe des Gesetzgebers, Zielkonflikte innerhalb des Katalogs des § 52 Abs. 2 AO durch Einschränkungen der begünstigten Zwecke oder durch Regelungen im Polizei-, Umwelt- und Ordnungsrecht zu lösen. Dies gelte auch für etwaige Zielkonflikte zwischen dem Katalog des § 52 Abs. 2 AO und Art. 20a GG.14 Demgegenüber betont die Literatur, dass auch die Förderung des Sports ausweislich des einleitenden Wortlauts in § 52 Abs. 2 AO unter dem Vorbehalt der Förderung der Allgemeinheit stehe.15 Soweit mit einer unter § 52 Abs. 2 AO fallenden Aktivität zugleich Nachteile für die Allgemeinheit verbunden seien, könne dies bei der gebotenen Prüfung des Merkmals der Förderung der Allgemeinheit im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs nicht unberücksichtigt bleiben.16 Die Praxis begnügt sich freilich vielfach mit der Zuordnung zum Katalog des § 52 Abs. 2 AO. Jedoch verbietet sich schon bei einer Auslegung de lege lata bei dominie-
__________ 11 BFH v. 13. 12. 1978 – I R 64/77, BStBl. II 1979, 488 (490). 12 Vgl. zum Streitstand schon Herrnkind, Die steuerliche Behandlung von Freizeitvereinen aufgrund des Gutachtens der Gemeinnützigkeitskommission, DStZ 1988, S. 547 (549) m. w. N.; zum methodischen Ansatz Tipke in Tipke/Kruse, § 52 AO, Rz. 1 ff. m. w. N; Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (112) (Fn. 2). 13 Vgl. etwa BFH v. 29. 8. 1984 – I R 215/81, BStBl. II 1985, 106 (107); BFH v. 29. 8. 1984 – I R 203/81, BStBl. II 1984, 844 (846); BFH v. 13. 12. 1978 – I R 39/78, BStBl. II 1979, 482 (484). 14 BFH, BStBl. II 1998, 9 (Fn. 5); zust. Schauhoff in Handbuch der Gemeinnützigkeit, 2000, § 5, Rz. 27; hiergegen zu Recht etwa Tipke in Tipke/Kruse, § 52, AO Rz. 8. 15 Arndt/Immel, Zur Gemeinnützigkeit des organisierten Sports, BB 1987, S. 1153 (1154); Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 20, Rz. 2 f.: Güterabwägung. 16 Herrnkind, S. 98 (Fn. 9), Gmach, Freizeitaktivität und Gemeinnützigkeit, FR S. 1996, 308 (313); Bauer, Die Steuerpflicht gemeinnütziger Körperschaften nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, FR 1989, S. 61 (65); Lang in Tipke/ Lang, § 21, Rz. 2 (Fn. 15): Güterabwägung; weitergehend Tipke in Tipke/Kruse, § 52 AO, Rz. 8: „Nach § 56 AO müssen ausschließlich gemeinnützige Zwecke verfolgt werden.“
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render Gemeinschädlichkeit die Annahme einer Förderung der Allgemeinheit (Gemeinnützigkeit).17
II. Rechtspolitischer Diskurs Rechtspolitisch wird die Gemeinnützigkeit des Sports traditionell kontrovers diskutiert. So hat 1988 die Unabhängige Sachverständigenkommission zur Prüfung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts empfohlen, den Sport grundsätzlich nicht mehr als gemeinnützig anzuerkennen, die Sportvereine aber – zur Steuervereinfachung als Idealkörperschaften – auch weiterhin von der Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Vermögensteuer und Grundsteuer zu befreien.18 Zum einen sei die Sportförderung keine gesetzlich geregelte Verpflichtung, zum anderen sei der Sport zur Erhaltung der Lebensgrundlagen des Gemeinwesens allenfalls bedingt geeignet und erforderlich. Lediglich soweit Vereine Sport ausschließlich aus Gründen der Gesundheitspflege betrieben (etwa den Rehabilitations- und den Behindertensport), diene dieser der öffentlichen Gesundheitspflege als gemeinnützigem Zweck. I. Ü. dienten diverse Sportarten nicht ausschließlich der Gesundheit. Nicht wenige – so Boxen, Ringen, Eishockey, Fußball oder Skifahren – schädigten die Gesundheit mehr oder weniger nachhaltig. Zum Teil beeinträchtigt Sport durch Belastung der Umwelt und durch Lärm die Lebensqualität vieler Bürger. Hochleistungssport fördere nicht die Gesundheit; es gehe nur um gesamtstaatliche Repräsentation und Nationalprestige. Zugleich dienten die Sportvereine in einer Weise der Freizeitgestaltung und dem Geselligkeitsbedürfnis ihrer Mitglieder, d. h. eigennützigen Zwecken ihrer Mitglieder, dass sie sich nicht wesentlich von anderen nicht selbstlos tätigen Freizeitvereinen unterschieden. Die Förderung eigennütziger Ziele sei aber schlechthin nicht förderungswürdig, unabhängig davon, ob es sich um wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche handle.19 Insgesamt enthalte der Sport zwar auch Elemente der Gemeinnützigkeit, dies gelte jedoch nicht für alle Sportarten gleichermaßen. Eine Differenzierung nach Sportarten sei aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität abzulehnen.20 Im Anschluss an das Gutachten der Unabhängigen Sachverständigenkommission hat die sog. Bareis-Kommission21 vorgeschlagen, aus dem Verzeich-
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17 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (112) (Fn. 2). 18 Gutachten der Unabhängigen Sachverständigenkommission zur Prüfung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts, BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 276 f. 19 BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 95 (Fn. 18). – Nach geltendem Recht ist es nicht gemeinnützigkeitsschädlich, wenn ein Verein eigennützige Zwecke seiner Mitglieder fördert, solange es sich dabei nicht um wirtschaftliche Zwecke handelt (§ 55 AO). 20 BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 143 f. (Fn. 18). 21 Thesen der Einkommensteuer-Kommission zur Steuerfreistellung des Existenzminimums ab 1996 und zur Reform der Einkommensteuer, BMF-Schriftenreihe Heft 55, 1995, S. 33, 49.
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nis der als besonders förderungswürdig anerkannten Zwecke die Förderung des Sports wie die Freizeitvereine zu streichen und Ausgaben zur Förderung des Sports vom Spendenabzug auszuschließen. In der Literatur wird dem Sport z. T. nur insoweit gemeinnützige Qualität zugesprochen, als er der Staatsrepräsentation dient,22 oder es wird vorgeschlagen, den Sport aus dem Gemeinnützigkeitsbegriff insoweit herauszunehmen, als er sich überwiegend als Freizeitgestaltung darstellt. Letzteres soll insbesondere für den Vereins- und Breitensport anzunehmen sein. Dagegen könne die Steuervergünstigung im Bereich des Jugend-, Alten- und des Behindertensports23, nach anderer Auffassung für die olympischen Sportarten24 erhalten bleiben. Der 10. Sportbericht der Bundesregierung betont demgegenüber nachdrücklich das öffentliche Interesse am Sport. Der Sport und die ihn tragenden Organisationen gehörten zu den stabilisierenden und wertevermittelnden Institutionen des gesamten Staatswesens.25 Dementsprechend wurde in dem von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten zu den Rahmenbedingungen des bürgerschaftlichen Engagements angesichts der vielfältigen Funktionen des Sports vorgeschlagen, den Sport im Katalog der gemeinnützigen Zwecke zu belassen mit Ausnahme von solchen Sportarten, deren Schädlichkeit für das Gemeinwohl ihre Nützlichkeit typischerweise überwiegt.26
III. Reformbedarf und Entwicklungsoptionen Zu fragen ist nach der grundsätzlichen Rechtfertigung einer steuerlichen Gemeinnützigkeit des Sports. 1. Gemeinnützige Zweckverfolgung als adäquates Steuersubstitut Die Steuerzahlung der Bürger finanziert die Gemeinwohlverwirklichung durch den Staat. Dabei kann vom Einzelnen gleichheitsgerecht (Art. 3 I GG) eine Mitfinanzierung der allgemeinen staatlichen Aufgabenerfüllung via Gemeinlast nur in dem Maße verlangt werden, in dem ihn eine Mitverantwortung für die allgemeinen staatlichen Belange trifft. Ersetzt gemeinnützi-
__________ 22 Stv. Geserich, Spende und Schulgeld im Steuerrecht, 2000, Rz. 16; Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 10b EStG, Rz. B 238. 23 So Hüttemann, Thesen zur Reform des Spendenrechts in Bertelsmann-Stiftung/ Maecenata Institut für Dritter-Sektor-Forschung (Hrsg.), Expertenkommission zur Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts, Materialien, 2. Aufl. 2000, S. 176 (178). 24 Herrnkind, DStZ 1988, S. 581 (587 f.) (Fn. 12). 25 BR-Drs. 590/02, S. 13; so auch schon 7. Sportbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 11/8459, S. 11. 26 Vgl. dazu Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (211 ff.) (Fn. 2).
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ges Handeln auf der privaten oder gesellschaftlichen Ebene ein entsprechendes staatliches Handeln,27 so wird dadurch unmittelbar Gemeinwohlverantwortung übernommen. In entsprechendem Maße ist die Entlastung von der Verpflichtung zur Übernahme von Gemeinwohlverantwortung durch Steuerzahlung gleichheitsgerecht. Eine so begründete Steuervergünstigung verwirklicht – systemimmanent – eine gleichmäßige Besteuerung nach der Gemeinwohlverantwortung.28 Entsprechend sind auch die Anforderungen der steuerlichen Gemeinnützigkeit zu entwickeln. Gemeinnütziges Handeln impliziert danach zwei Elemente: Zum einen muss es geeignet sein, die staatliche Aufgabenerfüllung zu reduzieren, d. h. sich inhaltlich als Äquivalent einer staatlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben darstellen. Zum anderen muss es – jenseits der Privatheit des Subjekts – qualitativ einer staatlichen Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabe entsprechen; die jeweilige Aufgabe muss grundsätzlich altruistisch und unmittelbar wahrgenommen werden.29 Taugliches Äquivalent staatlicher Aufgabenerfüllung ist danach zweifellos die Wahrnehmung von sog. „konkurrierenden Gemeinwohlaufgaben von Staat und Privaten“,30 die insbesondere den Bereich der Wohlfahrtspflege, der Verfolgung mildtätiger Zwecke i. S. v. § 53 AO, der Jugendhilfe und – in einem gewissen Rahmen – auch der Kulturförderung betreffen. Aber auch die mit sog. pluralistischen Gemeinwohlaufgaben31 verbundene subjektive Präferenzentscheidung hindert deren Gemeinnützigkeitsqualität nicht. Die funktionale Staatsentlastung bezieht sich hier zum einen auf die organisatorische und finanzielle Förderung durch den Staat,32 zum anderen auf eine dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Gemeinwohlverwirklichung. Das Subsidiaritätsprinzip33 impliziert einen Vorrang grundrechtsautonomer Gemein-
__________ 27 Vgl. Isensee in FS Dürig, 1990, S. 33 (61 f.). 28 Jachmann, S. 174 (Fn. 2); BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 92 f. (Fn. 18); Seer in DStJG 26 (2003), S. 11 (21 ff.); zust. auch aus volkswirtschaftlicher Sicht Paqué, Gemeinnützigkeit und Spenden im deutschen Steuerrecht – einige grundsätzliche Gedanken in Bertelsmann-Stiftung/Maecenata Institut für Dritter-Sektor-Forschung (Hrsg.), Expertenkommission zur Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts, Materialien, 2. Aufl. 2000, S. 110 (113); ähnlich Herrnkind (S. 68 f. (Fn. 9)), der als Legitimation für die Steuervergünstigung die selbstlose Förderung von Gemeinwohlwerten i. S. d. verfassungsrechtlichen Wertesystems bezeichnet. 29 Jachmann, S. 175 (Fn. 2). 30 BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 356 ff. (Sondervotum) (Fn. 18). 31 BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 356 ff. (Sondervotum) (Fn. 18). 32 BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 356 ff. (Sondervotum) (Fn. 18); ebenso Seer in DStJG 26 (2003), S. 11 (25 f.). 33 Das Subsidiaritätsprinzip fungiert als verfassungsrechtliche Begrenzung des Steuereingriffs (Jachmann, Verfassungsrechtliche Grenzen der Besteuerung, 1996, S. 26 f.; dies., Sozialstaatliche Steuergesetzgebung im Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit: Belastungsgrenzen im Steuersystem, StuW 1996, S. 97 (103 f.); Seer, Die neue Erbschaft- und Schenkungsteuer auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand, StuW 1997, S. 283 (296 f.); Butzer, Freiheitsrechtliche Gren-
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wohlerfüllung vor der staatlichen.34 Indem der Staat einen Ausschnitt der Gemeinwohlverwirklichung, für den ihn eine Letztverantwortung trifft, der gesellschaftlichen Wahrnehmung überlässt, eröffnet er ein Spektrum für unmittelbar gemeinnütziges Handeln. Dieses gemeinnützige Handeln bedeutet Wahrnehmung von Gemeinwohlverantwortung, die der Steuerzahlung gleichwertig ist.35 Insgesamt sind als Inhalte der Gemeinnützigkeit i. e. S. (Gemeinwohlaufgaben) neben der Förderung von Verfassungswerten, die von Verfassungs wegen in die staatliche Verantwortung fallen,36 alle Aufgaben geeignet, die der unmittelbar demokratisch legitimierte parlamentarische Gesetzgeber als Staatsaufgaben definiert hat.37 Dabei muss aber die jeweilige Staatsaufgabe vor der Anerkennung als gemeinnütziger Zweck in der Rechtsordnung als Staatsaufgabe hinreichend klar vorgegeben sein. Soweit dies nicht schon die Verfassung leistet, ist ein gesetzliches Regime – unabhängig vom steuerlichen Gemeinnützigkeitsrecht – zu verlangen. Allein die gesetzliche Definition als gemeinnütziger Zweck i. S. des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts macht diesen Zweck noch nicht zur – substituierbaren – Staatsaufgabe.38 2. Sportförderung als substituierbare Staatsaufgabe a) Sport als Förderung von Verfassungswerten Sport fördert die Volksgesundheit, dient der nationalen wie internationalen Repräsentation, leistet einen wesentlichen Beitrag zu Integration, Identifikation und Völkerverständigung, erzieht zu demokratischem Verhalten und macht einen nicht zu vernachlässigenden Bestandteil der Jugendhilfe aus. Zu unserer hochzivilisierten, in hohem Maße technisierten und arbeitsteiligen Gesellschaft verliert körperliche Arbeit zunehmend an Bedeutung,
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zen der Steuer- und Abgabenlast, 1999, S. 77 ff.; ders., Der Halbteilungsgrundsatz und seine Ableitung aus dem Grundgesetz, StuW 1999, S. 227 (239 ff.)). Als ungeschriebenes Strukturprinzip des GG (Oppermann, Subsidiarität als Bestandteil des Grundgesetzes, JuS 1996, S. 569 (570 ff.)) entspricht es qualitativ dem Übermaßverbot (dazu Pieper, Subsidiarität, 1994, S. 103 ff., 114 ff.; zust. Seer, Der sog. Halbteilungsgrundsatz als verfassungsrechtliche Belastungsgrenze der Besteuerung, FR 1999, S. 1280 (1285)) und statuiert ein Primat der individuellen Selbstverantwortung (Jachmann, StuW 1996, S. 97 (103) (s. o.)). Isensee, FS Dürig, 1990, S. 33 (59); vgl. auch Seer, FR 1999, S. 1280 (1284) (Fn. 33). Jachmann, 175 f. (Fn. 2). Vgl. BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 94 ff. (Fn. 18): „Lebensgrundlage des Gemeinwesens“; Lang, Zur steuerlichen Förderung gemeinnütziger Körperschaften, DStZ 1988, 18 (28 f.), der im Zusammenhang einer verfassungskonformen Interpretation der steuerlichen Gemeinnützigkeit von einem verfassungsorientierten Gemeinwohlbegriff bzw. einer verfassungsrechtlich tragfähigen Gemeinwohlqualität spricht. Vgl. BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 94 ff. („Pflichtaufgaben des Staates“) (Fn. 18); Jachmann, S. 176 f. (Fn. 2). Jachmann, S. 177 (Fn. 2).
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während v. a. Bewegungsmangel, Fehlernährung und schlechte Umweltbedingungen zu diversen Zivilisationskrankheiten führen, die nicht nur das Gesundheitssystem mehr und mehr belasten.39 Zur Entlastung des Sozialstaats und der Gemeinschaft ist sachkundig angeleiteter Breitensport (einschließlich des Leistungssports) unerlässliches Element der Gesunderhaltung, Gesundheitserziehung und Rehabilitation der Bevölkerung.40 Insbesondere Ausdauersportarten wie Laufen, Schwimmen, Radfahren, Skilanglauf und intensive Gymnastik beugen auf natürliche Weise Übergewicht wie Herz- und Kreislauferkrankungen vor.41 Dem hat der Gesetzgeber etwa im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 durch Aufnahme von sportlichen Betätigungen in den Katalog der gesundheitlichen Präventionsmaßnahmen (§ 20 SGB V)42 und auch bei der Gesundheitsreform 2003 Rechnung getragen, die es Krankenkassen ermöglicht, bei sportlicher Betätigung einen Bonus zu gewähren und zudem Kosten der Sportausübung zu bezuschussen (§ 65a SGB V).43 Die Vorsorge für die Gesundheit der breiten Bevölkerung als Staatsaufgabe folgt aus dem Sozialstaatsprinzip wie auch aus dem Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu entnehmenden staatlichen Schutzauftrag für Leben und körperliche Unversehrtheit. Zudem ist die Bundesrepublik Deutschland den Grundsätzen der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation44 sowie Art. 11 der Europäischen Sozial-Charta45 verpflichtet, die die Mitgliedstaaten auf Prävention und Gesundheitsförderung im Sinne einer positiven Gestaltung der Lebensumstände verpflichtet.46 Die sachkundige Anleitung des Breitensports müsste durch staatliche Institutionen erfolgen, gäbe es die Sportvereine nicht. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe durch die Sportvereine entspricht dem Subsidiaritätsprinzip.47 Hochleistungssport ist unerlässliche Basis der olympischen Außendarstellung und nationalen wie internationalen Repräsentation des Staates sowohl durch die Teilnahme deutscher Spitzensportler an internationalen Wettkämpfen als auch durch die Durchführung von Welt-, Europameisterschaften und anderer wichtiger Sportveranstaltungen im Inland.48 Förderung des
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39 Die Kosten für die Behandlung von Krankheiten infolge Bewegungsmangels werden auf 60 Mill. DM geschätzt, so Mrozynski in Wannagat/Eichenhofer, SGB V, § 20, Rz. 4. 40 Vgl. dazu stv. Steiner, Verfassungsfragen des Sports, NJW 1991, S. 2729 (2730); Häberle in FS Thieme, 1993, S. 25 (47): „Soweit der Sport der Volksgesundheit dient, ist die Staatsaufgabe „Gesundheitsschutz“ Titel für die Staatsaufgabe „Sport“. 41 Herrnkind, DStZ 1988, S. 547 (553) (Fn. 12). 42 10. Sportbericht der Bundesregierung, BR-Drs. 590/02, S. 12. 43 Vgl. FOCUS Nr. 8/2004 vom 16. 2. 2004, S. 139. 44 21. 11. 1986, DOK 1988, S. 117 ff. 45 BGBl. II 1964, 1262. 46 Igl/Welti in GK-SGB V, § 20, Rz. 16 ff.; Wagner in SozKV, § 20, Rz. 4. 47 Jachmann in Igl (Hrsg.), Rechtliche S. 67 (212) (Fn. 2). 48 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (212) (Fn. 2); Herrnkind, DStZ 1988, S. 581 (587) (Fn. 12); Steiner in FS Stern, 1997, S. 509 (516). „Erfolg im Sport ist Werbung für unser Land.“ Zitat des Bundesinnenministers Otto Schily, FAZ vom 12. 3. 2004.
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Hochleistungssports bedeutet nicht nur individuelle Begabtenförderung des einzelnen Sportlers, sondern stellt schon im Hinblick auf die gebotene Präsenz in der Staatengemeinschaft eine Staatsaufgabe dar.49 Die sportliche Repräsentation des Landes im internationalen Bereich ist aber ohne die Sportvereine als Basis, die Nachwuchssportler hervorbringen und einen Beitrag zur Talentsuche leisten, nicht zu gewährleisten.50 Erst die vereinsmäßige Organisation ermöglicht dabei viele Mannschafts- und Wettkampfsportarten.51 Spitzensport kann es ohne Jugendarbeit in Sportvereinen und diese wiederum nicht ohne nationalen Breitensport von Erwachsenen geben. Aus dieser Aufbauarbeit gehen die sportlichen Leistungseliten hervor.52 Die Professionalisierung des Hochleistungssports scheidet diesen nicht aus der Staatsaufgabe der nationalen Selbstdarstellung aus. Allein die Mitwirkung bezahlter Sportler ist kein global taugliches Kriterium für die Aberkennung des gemeinnützigen Zwecks.53 Zutreffend weist Fischer darauf hin, dass niemand einer Kantorei nur deswegen die Gemeinnützigkeit absprechen würde, weil bei der Aufführung der Matthäus-Passion Berufsmusiker als Solisten und im Orchester mitwirken.54 Den Spitzenverbänden des Sports kommt weiter eine verfassungsrechtlich tragfähige Gemeinwohlqualität insoweit zu, als sie der in Art. 9 Abs. 2, 24 und 26 GG verankerten Völkerverständigung dienen und den gemeinwohlschädlichen Phänomenen des Sports entgegenwirken. Sport fördert sozialverträgliches Handeln und Identifikation auf lokaler wie nationaler Ebene,55 dient wie sonst keine Betätigung der Integration verschiedener Gruppen und Schichten in der pluralistischen Gesellschaft (insbesondere auch von Aussiedlern56 und Migranten), wirkt so Extremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit entgegen, schafft Brücken in der sich immer mehr heraus-
__________ 49 Vgl. Herrnkind, DStZ 1988, S. 581 (587) (Fn. 12); anders BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 143 (Fn. 18). 50 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (213) (Fn. 2); 10. Sportbericht der Bundesregierung, BR-Drs. 590/02, S. 10, 45. Eine unverzichtbare Brückenfunktion bei der Talentsuche und der leistungsorientierten Nachwuchsförderung zwischen Schule und Verein nimmt der „Bundeswettbewerb der Schulen Jugend trainiert für Olympia“ als Gemeinschaftsprojekt der Landeskultusbehörden, der Sportfachverbände und des DSB wahr. 51 Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (613). 52 Martens, Die Besteuerung wirtschaftlicher Aktivitäten im Amateursport, Diss., 1988, S. 57; Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (213) (Fn. 2). 53 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (215) (Fn. 2); Trzaskalik, Recht und Sport, Band 6, 1987, S. 55 (57); ders., StuW 1986, S. 219 (223) (Fn. 1). 54 Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (603). 55 BVerfG v. 17. 2. 1998 – 1 BvF 1/91, BVerfGE 97, 228 (257). 56 10. Sportbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 590/02, S. 13, 73. Dieses Potential hat die Bundesregierung mit dem Projekten „Sport mit Aussiedlern“ (seit 1989) und „Integration durch Sport“ (seit 2001), die vom DSB durchgeführt und vom BMI gefördert werden, zur Festigung des gesellschaftlichen Zusammenhalts genutzt.
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kristallisierenden Zweiklassengesellschaft, und zwar zwischen Gruppen, die ohne den Sport – im sog. bloßen Freizeitbereich – nicht zusammenkämen.57 Angesichts der mit den Mobilitätserfordernissen auf dem modernen Arbeitsmarkt einhergehenden Probleme des Verlustes an Bindung bietet der Sport gute Möglichkeiten der Wiedereinbindung. Sportlicher Erfolg wie das sportliche Kräftemessen überhaupt schaffen Gemeinschaftserlebnisse.58 Der Mensch wird aus seiner Vereinzelung ein Stück herausgeführt, wenngleich die Intensität dieses Gemeinschaftserlebnisses je nach Sportart qualitativ wie quantitativ differiert.59 Insofern ist der Sport ein ideales Sozialisationsfeld, in dem überdies vorhandene Sprachbarrieren (sowohl innerhalb deutscher Idiome als auch zwischen Deutschen und Ausländern) eine untergeordnete Rolle spielen. Sportliche Leistungen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nonverbal erbracht werden. Wer die zugrunde liegenden Regeln internalisiert hat, kann problemlos integriert werden und erfolgreich interagieren.60 Hier wird die „Sportförderung als Kulturaufgabe des Verfassungsstaats“61 relevant. Sport zählt in der vom Grundgesetz vorgefundenen Gesellschaft zur Kulturstaatlichkeit.62 Sport dient der Einübung demokratischer und mitgestaltender Verhaltensweisen und vermittelt das Bewusstsein für Werte wie Teamgeist, Leistung und Wettbewerb sowie Toleranz, Fairness und Chancengleichheit, die als unverzichtbare Elemente der Demokratie gerade auch bei jungen Menschen zu trainieren sind.63 Sport fördert die Anpassung und Einordnung in eine Gemeinschaft, die Anerkennung von Regeln und die Handhabung von Mechanismen der kontrollierten Konfliktlösung, aber auch die Entwicklung von Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung unter Anerkennung von Leistungskriterien.64 Mit gutem Grund steht Sport daher gleichberechtigt neben Musik und Kunst als Pflichtfach auf den Lehrplänen deutscher
__________ 57 Vgl. Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (600); Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (212) (Fn. 2); Häberle in FS Thieme, 1993, S. 25. 58 Häberle in FS Thieme, 1993, S. 25 (48). 59 Häberle in FS Thieme, 1993, S. 25 (43). 60 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (212 f.) (Fn. 2). 61 Häberle in FS Thieme, 1993, S. 25 (47 ff.) m. w. N. 62 A. A. BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 143 (Fn. 18); s. aber etwa Art. 9 Abs. 3 SchlHVerf, Art. 36 Abs. 3 Verf. SachsAnh; vgl. auch Thom, Sportförderung und Sportförderungsrecht als Staatsaufgabe, 1992, S. 160 ff.; Heintzen in Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band IX, 1996, § 218, Rz. 89; zur Problemstellung Tettinger, Sportliche Freizeitaktivitäten und Umweltschutz, SpuRt 1997, S. 109 (112); Häberle in FS Thieme, 1993, S. 25 (40 f.); Stern in FS Thieme, 1993, S. 269 (274); Steiner in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III, 1996, § 86, Rz. 26 f.; ders., Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 7, 8; Berlit, Die neue Niedersächsische Verfassung, NVwZ 1994, S. 11 (15), der den Sport gar als wichtigen Kulturteil ansieht. 63 Häberle in FS Thieme, 1993, S. 25 (45 f.). 64 10. Sportbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 590/02, S. 14.
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Schulen, die so den verfassungsrechtlich fundierten Erziehungsauftrag (Art. 7 GG) verwirklichen.65 Zu den zentralen Merkmalen der Sportvereine zählen demokratische Entscheidungsstrukturen mit entsprechenden Partizipationsund Mitbestimmungsmöglichkeiten gerade auch für jugendliche Vereinsmitglieder. Hier findet sich gelebte Demokratie, die insbesondere für Kinder und Jugendliche einen Beitrag zur Integration in gesellschaftliche und rechtsstaatliche Zusammenhänge leistet.66 In Zeiten zunehmender Jugendkriminalität und -gewalt ist die sportliche Betätigung schließlich ein effektives Mittel der Gewaltprävention. Sie steht so der Jugendhilfe (§ 52 Abs. 2 Nr. 2 AO) nahe, die sich als Staatsaufgabe aus dem Sozialstaatsprinzip, der Menschenwürde (Art. 1 GG) und dem Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) ergibt.67 Benachteiligungen und gesellschaftliche Isolierung sind Nährboden für Rechtsextremismus und Gewaltbereitschaft. Gerade der Sport kann über aktive persönliche Begegnungen der Jugendlichen verschiedener Herkunft dazu beitragen, Vorurteile und Angst vor Fremden abzubauen sowie Fairness und Respekt zu erleben und zu erlernen.68 b) Sportförderung als Staatsziel Die meisten Landesverfassungen begreifen die Sportförderung als Staatsziel mit dem Effekt einer objektivierten staatlichen Verpflichtung.69 Das Verfassungsrecht aller neuen Bundesländer enthält Sportförderungsklauseln.70 Länder, Gemeinden, z. T. auch die Gemeindeverbände, werden von Verfassungs wegen verpflichtet, den Sport (Art. 140 Abs. 3 BayVerf, Art. 3c Abs. 1 BaWüVerf und Art. 9 Abs. 3 SchlHVerf) oder die sportliche Betätigung (Art. 11 Abs. 1 SächsVerf)71 zu fördern. Z. T. wird der Sport auch als förderungswürdiger Teil des Lebens bezeichnet (Art. 35 Satz 1 BrandVerf) oder dem Sport soll neben Förderung auch Schutz durch Land, Gemeinden und Gemeindeverbände gebühren (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 MVVerf, Art. 6 NdsVerf, Art. 36 Abs. 1 SachsAnhVerf und Art. 30 Abs. 3 ThürVerf). Sport wird als förderungs- und schützenswerter Teil des Lebens bezeichnet (Art. 32 Satz 1 BerlVerf). Er ist durch Land und Gemeinden zu fördern sowie zu pflegen (Art. 18 Abs. 3 NWVerf und Art. 40 Abs. 4 RhPfVerf). Art. 126 Abs. 1
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Seer in DStJG 26 (2003), S. 11 (31). 10. Sportbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 590/02, S. 13. Lang, DStZ 1988, S. 18 (27) (Fn. 36). 10. Sportbericht der Bundesregierung, BR-Drs. 590/02, S. 72 f. Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (213) (Fn. 2). Art. 16 Abs. 1 MVVerf; Art. 11 Abs. 1 und 2 der SächsVerf; Art. 36 Abs. 1 und 2 SachsAnhVerf; Art. 30 Abs. 3 der ThürVerf. 71 Die Teilnahme am Sport ist zu ermöglichen (Art. 11 Abs. 2 Satz 1 SächsVerf) und dafür sind öffentlich zugängliche Sportstätten zu unterhalten (Art. 11 Abs. 2 Satz 2 SächsVerf).
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BayVerf zählt die Erziehung der Kinder zu leiblicher Tüchtigkeit zu den Bildungs- und Erziehungszielen. Art. 83 Abs. 1 der BayVerf weist den Gemeinden die körperliche Ertüchtigung der Jugend als Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises zu. Die verfassungsrechtliche Anerkennung des Sports hebt die Sportförderung auf die Ebene der Förderung von Kunst und Kultur sowie des Denkmalschutzes.72 Zwar kann die landesverfassungsrechtliche Staatszielbestimmung „Sportförderung“ den Bundesgesetzgeber nicht verpflichten. Auch das Landesverfassungsrecht kann jedoch eine – grundsätzlich via Steuer zu finanzierende und insoweit auch durch direkte Gemeinwohlverwirklichung substituierbare – Staatsaufgabe definieren.73 c) Sportförderung als wahrgenommene Staatsaufgabe Die Einordnung der Sportförderung als durch gemeinnütziges Handeln substituierbare Staatsaufgabe wird durch das entsprechende Selbstverständnis von Gesetzgeber und Regierung bestätigt. Schon die – den neben der Gemeinnützigkeitsanerkennung – gewährten diversen direkten staatlichen Subventionen zeigen, dass Parlament und Regierung die Sportförderung als staatliche Aufgabe begreifen.74 Nur stichwortartig sei auf die Palette der im 10. Sportbericht der Bundesregierung75 aufgezählten Fördermaßnahmen verwiesen: Förderung des Deutschen Sportbundes und des Nationalen Olympischen Komitees, der Bundessportfachverbände, des Hochleistungssports u. a. durch Fördergruppen bei Bundeswehr und Bundesgrenzschutz, der Sportmedizin, der Talentsuche, des Sportstättenbaus, insbesondere des Neu- und Umbaus von Sportstätten der Grundversorgung in den neuen Bundesländern (sog. Sonderförderprogramm „Goldener Plan Ost“) sowie des Stadionbaus für die Ausrichtung der Fußball-WM 2006, der Sportwissenschaft, des Breiten-, Rehabilitations-, Jugend-, Hochschul- und Behindertensports sowie Sportförderung im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik und der Entwicklungspolitik. Zu denken ist weiter an die diversen Einrichtungen der öffentlichen Sportverwaltung, etwa den Sportausschuss des Deutschen Bundestags, das Bundesinstitut für Sportwissenschaften oder die Sportministerkonferenz.76
__________ 72 Steiner in FS Stern, 1997, S. 509 (516). 73 So Fischer in FS Offerhaus 1999, S. 597 (601 ff.); Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (214) (Fn. 2). 74 Ähnlich Herrnkind, DStZ 1988, S. 547 (553) (Fn. 12); Häberle in FS Thieme, 1993, S. 25 (49). 75 10. Sportbericht der Bundesregierung, BR-Drs. 590/02. 76 10. Sportbericht der Bundesregierung, BR-Drs. 590/02, S. 18 f. Die Sportförderung ist zudem in der Koalitionsvereinbarung der amtierenden rot-grünen Bundesregierung als wichtiges Politikziel ausdrücklich festgelegt worden. (10. Sportbericht der Bundesregierung, BR-Drs. 590/02, S. 10).
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d) Sport im Recht der Europäischen Kommission Auch der europarechtliche Kontext indiziert eine Einordnung der Sportförderung als Staatsaufgabe. So werden etwa im Rahmen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems der EU-Mitgliedstaaten (Art. 1 Abs. 1 der 1. USt-RL) Umsätze im Sportbereich in der Weise begünstigt, dass alle Dienstleistungen in einem engen Zusammenhang mit Sport und Körperertüchtigung umsatzsteuerfrei sind, wenn sie von Einrichtungen ohne Gewinnstreben an Personen erbracht werden, die Sport oder Körperertüchtigung ausüben (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der 6. EG-RL). Die Europäische Kommission hat – gestützt auf Art. 149 EGV – das Jahr 2004 zum Europäischen Jahr der Erziehung durch Sport erklärt mit dem Ziel der Förderung der sozialen und erzieherischen Dimension des Sports, der sozialen Integration von Benachteiligten durch den Sport, sowie sportlicher Aktivitäten in den Schulen gegen Bewegungsmangel und Übergewichtigkeit.77 Die Förderung des Sports hat zudem Eingang in den Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa gefunden,78 nachdem dies von der übergroßen Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten aufgrund der gesellschaftlichen Rolle des Sports befürwortet wurde.79 e) Sport als pluralistische Gemeinwohlaufgabe Insgesamt erweist sich die Sportförderung damit als durch gemeinnütziges Handeln substituierbare Staatsaufgabe.80 Wenngleich sie auf Bundesebene bislang nicht als Staatsziel bestimmt ist,81 so ist Sport doch ein Mittel zur Förderung von Verfassungswerten, Sportförderung eine pluralistische Gemeinwohlaufgabe.82 Zwar ist Sportförderung ihrem Inhalt nach der unmit-
__________ 77 ABl. L 43 vom 18. 2. 2003, S. 1 ff. 78 Art. III-182 des Entwurfs eines Vertrages über eine Verfassung für Europa v. 18. 7. 2003, CONV 850/03: (1) … Die Union trägt in Anbetracht der sozialen und pädagogischen Funktion des Sports zur Förderung seiner europäischen Aspekte bei. (2) Die Tätigkeit der Union hat folgende Ziele: … g) Entwicklung der europäischen Dimension des Sports durch Förderung von Fairness bei Wettkämfen und der Zusammenarbeit zwischen Sportorganisationen sowie durch den Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der Sportler, insbes. junger Sportler. 79 FAZ vom 26. 2. 2003, S. 30. 80 Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (601 f.); Stern in FS Thieme, 1993, S. 269 (275 ff.); Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (212) (Fn. 2). 81 Vgl. Grupp, Rechtswidrige steuerliche Förderung des Motorsports, DAR 1997, S. 389 (392); Schauhoff/Fischer in Non Profit Law Yearbook 2002, S. 199. 82 Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (602); Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (212) (Fn. 2).
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telbaren staatlichen Regie entzogen; Sport kann kein Staatssport sein.83 Art. 9 GG gewährleistet Vereinen die Autonomie des Sportes und Art. 2 Abs. 1 GG dem Einzelnen die sportliche Betätigung im Rahmen der individuellen Handlungsfreiheit. In der freiheitlichen Gesellschaft ist es jedoch Aufgabe des Staates, unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips die organisatorischen Rahmenbedingungen der grundrechtlich-freiheitlichen Betätigung zu sichern.84 Er trägt damit indirekt zur Erhaltung gesellschaftlicher Grundlagen bei, auf die er einerseits angewiesen ist, die er andererseits selbst nicht schaffen und über die er nicht verfügen kann.85 Insoweit trägt die Rechtfertigung aus der Staatssubstitution auch bei der Sportförderung als pluralistischer Staatsaufgabe.86 Der Gemeinnützigkeitsstatus gewährleistet den Sportvereinen die grundrechtsautonome Gemeinwohlverwirklichung, indem die freiheitliche Individualförderung in ihren finanzwirtschaftlichen Auswirkungen gestärkt wird, ohne dass an ihre Stelle eine nach Gegenstand und Höhe staatlich bestimmte Förderung träte.87 3. Zielkonflikte Wenngleich danach Sportförderung grundsätzlich einen geeigneten gemeinnützigen Zweck darstellt, stehen den gemeinwohlnützigen Aspekten des Sports gemeinschädliche Facetten gegenüber. Zu denken ist v. a. an Sportverletzungen, Gesundheitsschäden durch Überbeanspruchung, Stress und Angst, Belastungen der Umwelt durch Massensportarten und Lärmbelästigungen vieler durch wenige. Gerade im Leistungssport spielt auch Doping eine Rolle.88 Diese negativen Auswüchse, die dem Sport nur schaden können, nehmen ihm jedoch grundsätzlich nicht seine Gemeinnützigkeit. Vielmehr aktualisiert sich angesichts von Brutalitäten und Verwüstungen durch Randale anlässlich von Sportveranstaltungen, aber auch angesichts von Gesundheitsrisiken durch Hochleistungssport zunächst die Staatsaufgabe, den Sport zu fördern bzw. auch zu schützen, andererseits aber auch in Ausgleich zu bringen mit anderen verfassungsmäßigen Belangen, etwa dem Umweltschutz.89 In diesem Sinne sehen die Art. 4 ff. des Übereinkommens des Europarates gegen Doping90 vor, dass der Staat mit den Hebeln der Sportförderung
__________ 83 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (212) (Fn. 2); Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (602). 84 Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (602); Seer in Gemeinnützigkeit in DStJG 26 (2003), S. 11 (25) zum Beispiel der Kultur. 85 Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (602). 86 Seer in DStJG 26 (2003), S. 11 (26). 87 P. Kirchhof in Sport und Umwelt, Schriftenreihe Recht und Sport, Band 17, 1992, S. 41 (46). 88 Tipke in Tipke/Kruse, § 52, Rz. 27. 89 Dazu stv. Stern in FS Thieme, 1993, S. 269 (277 ff.) m. w. N. 90 Hierzu Gesetz v. 2. 3. 1994, BGBl. II 1994, 337.
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und der Finanzierung von Analyseeinrichtungen sowie mit Erziehungsprogrammen Einfluss nehmen soll.91 Eine Vielzahl von Rechtsvorschriften enthalten Beschränkungen für bestimmte sportliche Betätigung und bezwecken – als Element der verfassungsgemäßen Ordnung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG – den Ausgleich mit anderen verfassungsmäßigen Belangen, beispielsweise die Sportanlagenlärmschutzverordnung (§§ 3, 4 18. BImSchV). De lege ferenda wäre in typisierender Betrachtung ein gemeinwohlbezogener Kern des Sports festzustellen; ausgehend davon wären Sportarten und Gepflogenheiten der Sportdurchführung vom Gemeinnützigkeitsbegriff auszuklammern, die nicht geeignet sind, diesen gemeinwohlbezogenen Kern des Sports auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet zu fördern. Den gemeinwohlbezogenen Kern des Sports als Breitensport macht zum einen die aus einer über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Anstrengung resultierende positive Einflussnahme auf die Gesundheit der Bevölkerung aus, zum anderen eine Förderung ideeller Werte einschließlich der sozialen Integration und Gewaltprävention. Der Spitzensport ist geprägt durch seinen Beitrag zur nationalen und internationalen Repräsentation des Staates. Werden diese Merkmale im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls durch überwiegend negative Einflussnahmen auf das Gemeinwohl verdrängt, wäre nicht mehr von Gemeinnützigkeit auszugehen. Nicht unerheblich ist, ob negative Auswüchse bewusst in Kauf genommen werden oder ungewollte Nebenfolge der sportlichen Betätigung wie beispielsweise Sportverletzungen sind. Auszuscheiden wären danach Sportarten, deren Schädlichkeit für das Gemeinwohl ihren Nutzen für das Gemeinwohl typischerweise überwiegt. Hiervon wäre bei dem in besonderem Maße Umweltverschmutzung und Lärm verursachenden sowie risikoträchtigen Motorsport und Motorflugsport auszugehen.92 Im Einzelnen kommt dem Gesetzgeber dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu. 4. Die vereinsmäßige Sportförderung an den Grenzen der gemeinnützigen Zweckverfolgung Ist – nicht überwiegend gemeinwohlschädlicher – Sport als gemeinnütziger Zweck einzuordnen, so hat dessen Förderung freilich die weiteren unerlässlichen Hürden gemeinnützigen Handelns zu nehmen. Insbesondere verbleibt die Problematik der potentiell fehlenden Selbstlosigkeit wie auch der Abgrenzung zum bloßen Freizeitverein. Soweit Sport nicht als gemeindienliche Betätigung am Nächsten, sondern als eigeninteressiertes oder allein im Interesse der Vereinsmitglieder vorge-
__________ 91 Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (604 f.). 92 Vgl. Tipke in Tipke/Kruse, § 52, AO Rz. 29 m. w. N.; Arndt/Immel, BB 1987, S. 1153 (1155) (Fn. 15); Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (215) (Fn. 2).
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nommenes Tun qualifiziert wird,93 trifft dies die maßgebliche Abgrenzungsfrage nur unzureichend. Ausgehend vom Gedanken der Staatsentlastung ist zwar zu fordern, dass die Aufgabenerfüllung durch die Sportvereine entsprechend einer staatlichen Wahrnehmung altruistisch erfolgen muss. Den sich daraus ergebenden Anforderungen genügt jedoch eine grundsätzlich vollständige und zeitnahe Mittelverwendung für gemeinnützige Zwecke.94 Als maßgeblich ist es allein zu erachten, dass die Zweckverfolgung einer Körperschaft einen inhaltlich gemeinnützigen Kern hat, und nicht, dass dieser Gegenstand den Mitgliedern keinen ideellen Nutzen bringt.95 Angesichts der in der Natur der Sache liegenden Wechselwirkungen zwischen dem begünstigten Zweck und den Folgen seiner Verwirklichung ist die mitgliederbezogene Vorteilsgewährung um der im Interesse des Gemeinwohls liegenden Sportförderung willen quasi als Nebenprodukt der begünstigten Tätigkeit96 hinzunehmen.97 Der Berufssport ist grundsätzlich auszuklammern, da es ihm am Altruismus fehlt.98 I. Ü. scheitert die Gemeinnützigkeitsqualität von Sport nicht zwangsläufig an seiner etwaigen Kommerzialisierung.99 Diese Kommerzialisierung ist in gleicher Weise nach den Kriterien des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs zu behandeln wie bei anderen gemeinnützigen Tätigkeiten.100 Zudem eignen sich nur wenige werbewirtschaftlich interessante Sportarten für eine Kommerzialisierung.101 Die Abgrenzung von gemeinnützigen Sportvereinen und Freizeitvereinen muss typisierend nach dem Schwergewicht der Betätigung erfolgen. Wesentliches Element des Sports ist die körperliche Anstrengung.102 Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Steuervergünstigung kann schwerpunktmäßig auf bloße Erholung gerichtete Freizeitgestaltung dem-
__________ 93 So stv. Bertelsmann-Stiftung/Maecenata Institut für Dritter-Sektor-Forschung (Hrsg.), Expertenkommission zur Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts, Materialien; Geserich, Privater, gemeinwohlwirksamer Aufwand im System der deutschen Einkommensteuer und des europäischen Rechts, 1999, S. 211, 217 m. w. N. 94 Zur gemeinnützigkeitsrechtlichen Bindung der Erträge Trzaskalik, Recht und Sport, Band 6, 1987, S. 55 (60); ders.; StuW 1986, S. 219 (225) (Fn. 1). 95 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (222) (Fn. 2); Fischer in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 55 AO, Rz. 92 f. 96 So schon BFH, BStBl. II 1979, 482 (487) (Fn. 13). 97 Martens, S. 86 (Fn. 62); z. T. zustimmend Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (613); Trzaskalik, StuW 1986, S. 219 (221) (Fn. 1). 98 Anders im Ansatz Trzaskalik, StuW 1986, S. 219 (222 ff.) (Fn. 1). 99 Vgl. aber BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 141 f. (Fn. 18). 100 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (215) (Fn. 2) Trzaskalik, Recht und Sport, Band 6, 1987, S. 55 (56 f.) (Fn. 1). 101 Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (603); zur Kommerzialisierung des Sports Niese, Fortschreitende Kommerzialisierung des Sports – wo bleibt der Athlet?, SpuRt 1996, S. 126 f. 102 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (214) (Fn. 2).
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gegenüber nicht als Staatssubstitution begriffen werden. Damit sollen jedoch nicht grundsätzlich alle Betätigungen aus der Gemeinnützigkeit i. e. S. ausgeklammert werden, die der Einzelne als Mittel zur sinnvollen Freizeitgestaltung begreift. Lebt doch jegliches bürgerschaftliches Engagement im privaten Bereich letztlich davon, dass die engagierte Person ihre Freizeit einsetzt. Sport wie Musik, Theater, Ballett oder Literatur sind und sollen für die Allgemeinheit nicht Selbstzweck sein, sondern Mittel zur sinnvollen Freizeitgestaltung.103 Nicht anders als die letztgenannten musischen bzw. künstlerischen Kulturbereiche impliziert Sport – wegen seines gemeinnützigen Kerns – mehr als bloßen Freizeitnutzen.104 Es ist also nicht von einer Alternative Freizeitgestaltung einerseits und Sport andererseits auszugehen.105 Vielmehr ist gemeinnütziger Sport, bei dem sich etwa Gesundheitsförderung und Jugendarbeit mit der Freizeitgestaltung treffen, von solcher Freizeitgestaltung abzugrenzen, die mangels entsprechender Bezüge nicht zugleich staatssubstituierend wirken kann.106
IV. Gemeinnütziger Sport für die Zukunft Die Förderung des Sports hat zu Recht ihren traditionellen Platz im Katalog der gemeinnützigen Zwecke. Es handelt sich grundsätzlich um eine durch gemeinnütziges Handeln substituierbare Staatsaufgabe. Wenngleich nur auf Landesebene ausdrücklich als Staatsziel anerkannt, fungiert Sport als Mittel zur Förderung von Verfassungswerten, indem er insbesondere einen unverzichtbaren Beitrag zu Volksgesundheit und Völkerverständigung, zur nationalen sowie internationalen Repräsentation und zur Vermittlung ethischer Werte leistet. Diverse staatliche Einrichtungen zur öffentlichen Sportförderung sowie vielfältige Fördermaßnahmen des Staates setzen hier an. Der zentrale gemeinwohlbezogene Kern der Sportförderung ist Maßstab für die Entscheidung über eine überwiegende Gemeinwohlschädlichkeit einzelner Sportarten, ausschlaggebendes Argument für die Selbstlosigkeit der vereinsmäßigen Sportförderung sowie sachlicher Grund für die bevorzugte steuerliche Behandlung im Verhältnis zu sonstigen Freizeitvereinen. Freilich vermittelt das geltende Recht kein konturenscharfes Bild der Inhalte der Gemeinnützigkeit und bedingt so wertende Konkretisierungen seitens Verwaltung und Rechtsprechung.107 Im Interesse der Tatbestandsmäßigkeit der Steuererhebung sowie eines gleichmäßigen Steuervollzugs wären die gemeinnützigen Zwecke de lege ferenda möglichst exakt in einem enumera-
__________ 103 104 105 106 107
So zutreffend Trzaskalik, StuW 1986, S. 219 (221) (Fn. 1). So auch Seer in DStJG 26 (2003), S. 11 (30 f.). So Trzaskalik, StuW 1986, 219 (221) (Fn. 1). Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (216) (Fn. 2). Vgl. auch BMF-Schriftenreihe Heft 40, 1988, S. 80 (Fn. 18); Lang in StbJb 1988/89, S. 251 (258 f.); ähnlich Trzaskalik, StuW 1986, S. 219 (225) (Fn. 1).
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tiven, hinreichend bestimmt gefassten, abschließenden Zweckkatalog in der AO ohne Verweis auf eine Generalklausel gesetzlich zu definieren.108 In diesen wäre der Sport als gemeinnütziger Zweck aufzunehmen mit Ausnahme von Sportarten, deren Schädlichkeit für das Gemeinwohl ihre Nützlichkeit typischerweise überwiegt.109 Den steuerrechtlichen Sportbegriff sollte der Gesetzgeber – angesichts seiner Komplexität wie Vagheit – zumindest durch einen Hinweis auf die erforderliche Eignung zur Körperertüchtigung konkretisieren. Maßstab für die Bestimmung der Inhalte der Gemeinnützigkeit muss allein das Prinzip der Staatssubstitution sein. Nicht ankommen kann es auf die Zahl der geförderten Personen und die Höhe der Mitgliedsbeiträge zu einem gemeinnützigen Verein,110 vielmehr ist zwischen den Geförderten und der Gesamtheit der Bevölkerung als Allgemeinheit, in deren Interesse Gemeinwohlaufgaben definiert und verfolgt werden, zu unterscheiden.111 Dementsprechend sollte de lege ferenda klargestellt werden, dass eine Orientierung der Gemeinnützigkeit nicht am Personenkreis zu erfolgen hat, sondern bei der gebotenen wertbezogenen Konkretisierung auch die Förderung eines kleinen Kreises von Personen staatssubstituierende Wirkung haben kann.112 Ausgehend vom Gedanken der Staatsentlastung ist allein maßgebend, dass die Zweckverfolgung einer Körperschaft einen inhaltlich gemeinwohlbezogenen Kern hat, und nicht, dass dieser Gegenstand den Mitgliedern keinen ideellen Nutzen bringt. Die Regelung der Selbstlosigkeit sollte de lege ferenda auf das Gebot einer grundsätzlich vollständigen und zeitnahen Mittelverwendung für den gemeinnützigen Zweck reduziert werden.113
__________ 108 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (112) (Fn. 2). 109 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (272) (Fn. 2). 110 Lang, DStZ 1988, S. 18 (21) (Fn. 36); Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (201) (Fn. 2); anders Trzaskalik, Recht und Sport, Band 6, 1987, S. 55 (56) (Fn. 1), der die Allgemeinheit mit den Mitgliedern des Vereins gleichsetzt. Stehe der Vereinsbeitritt jedermann offen, sei die staatliche Vergünstigung ein Angebot an die Allgemeinheit. 111 Fischer in FS Offerhaus, 1999, S. 597 (609). Anders Trzaskalik, Recht und Sport, Band 6, 1987, S. 55 (56) (Fn. 1). 112 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (201) (Fn. 2); ebenso bereits Trzaskalik, StuW 1986, S. 219 (222) (Fn. 1). 113 Jachmann in Igl (Hrsg.), S. 67 (222) (Fn. 2).
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Gemeinwohl, Daseinsvorsorge und bürgerschaftliches Engagement – eine Gedankenskizze zum Zweckbetrieb (§ 65 AO) Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die aktuelle Reformdiskussion zum Gemeinnützigkeitsrecht 1. Mitteilung der Europäischen Kommission 2. Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages 3. Expertenkommission der Bertelsmann-Stiftung und des MaecenataInstituts 4. Die Stellungnahme der Monopolkommission zum ordnungspolitischen Rahmen für Sozialsysteme 5. Die Zukunft des Zweckbetriebs III. Der Zweckbetrieb in der aktuellen Reformdiskussion 1. Die Auffassung von Trzaskalik 2. Die Auffassung von Seer 3. Fragestellung 4. Vorüberlegungen zur Erforderlichkeit der Rechtsfigur „Zweckbetrieb“
5. Die zwei Kategorien von Zweckbetrieben IV. Leistungen der Daseinsvorsorge und Marktversagen 1. Die grundlegenden Entscheidungen des RFH 2. Daseinsvorsorge durch den leistenden Staat 3. Daseinsvorsorge durch den gewährleistenden Staat 4. Daseinsvorsorge am Beispiel der Krankenhausfinanzierung … 5. … und des sog. Pflegemarktes 6. Zur Bedeutung der Art. 87 ff. EGV 7. Wider eine ausschließliche Ökonomisierung der Daseinsvorsorge 8. Regelungsvorbehalt im Vertrag über eine Verfassung für Europa V. Leistungserbringung im Rahmen konkurrierender sowie pluralistischer Gemeinwohlzwecke VI. Ausblick
I. Einleitung Trzaskalik hat sich am Beispiel der steuerlichen Sportförderung mit Grundfragen des Gemeinnützigkeitsrechts befasst. In seinem im Jahre 19861 erschienenen Aufsatz stellt er einleitend fest: Das Gemeinnützigkeitsrecht gehöre zum steuerlichen Subventionsrecht, was drei Fragen aufwerfe: (1) Was ist Gegenstand der Förderung? (2) Welches Instrumentarium wird zur
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Die steuerliche Förderung des Sports, StuW 1986, 219; ders., Die Steuer – Instrument der Sportförderung? in Subventionierung des Sports, Recht und Sport, Band 6, 1987, S. 55 ff. – Zu dieser Thematik wird auf den Beitrag von Monika Jachmann in dieser Gedächtnisschrift (S. 31 ff.) verwiesen.
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Förderung eingesetzt? (3) Wie wird eine dem Förderzweck entsprechende Mittelverwendung gesichert? Der vorliegende, dem Andenken an Christoph Trzaskalik gewidmete Beitrag befasst sich mit der steuerlichen Fördertechnik derjenigen Körperschaften, die Leistungen durch ihre Zweckbetriebe erbringen und mit dieser Tätigkeit steuerlich begünstigt sind. Hierbei geht es nicht um die Begünstigung im Umsatzsteuerrecht, für das die 6. MwSt-Richtlinie2 – vorrangig vor dem nationalen Recht – völlig neue normative Vorgaben macht, aber weder den Zweckbetrieb noch den Mittelbeschaffungsbetrieb deutscher Provenienz kennt und insofern keine systematisch weiterführenden normativen Hinweise gibt. Die Befreiung von der Vermögensteuer vor allem von Körperschaften mit hoher Kapitalausstattung – Forschungsinstitute, Krankenhäuser, Träger der Wohlfahrtspflege – spielt keine Rolle mehr, seitdem diese Steuer nicht mehr erhoben wird. Nebenbei bemerkt: Damit ist auch die Notwendigkeit eines rigiden Systems der Zeitnähe der Mittelverwendung entfallen. Und auch die Relevanz der Steuerfreiheit von im Zweckbetrieb als privilegiertem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erwirtschafteten Gewinnen dürfte in denjenigen – freilich zahlreichen – Fällen zu vernachlässigen sein, in denen die Leistungserbringung nach Art und Preisgestaltung nicht auf Gewinnerzielung, sondern auf Kostendeckung ausgerichtet ist. In den letzteren Fällen mag es zutreffen, dass eine ertragsteuerliche Begünstigung eine lediglich deklaratorische Fiskalzweckbefreiung ist. Dies vorausgesetzt, ist das steuerrechtlich bedeutsamste Privileg des Zweckbetriebs darin zu sehen, dass er steuerbegünstigte Vermögenstransfers in Gestalt von Spenden (§ 10b EStG), mittels des Buchwertprivilegs (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG) oder nach § 15 Abs. 1 Nr. 13 ErbStG steuerbefreite Erwerbe von Todes wegen tätigen bzw. Schenkungen unter Lebenden erhalten darf.3 – Es soll hier der Frage nachgegangen werden, ob und ggfs. aus welchen Gründen diese steuerlichen Privilegierungen gerechtfertigt sind.
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S. z. B. EuGH, Urt. v. 7. 9. 1999 – Rs. C-216/97 – Gregg, UR 1999, 419, zur Auslegung des Begriffs „andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen“ (Art. 13 Teil A Abs. 1 der 6. EGRichtlinie 77/388/EWG), betr. gemeinwohlorientierte Tätigkeit von Einzelpersonen; EuGH v. 21. 3. 2002 – C-267/00 – Kennemer Golf- und Country-Club (EuGHE I 2002, 3353). Lt. Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf Maßnahmen im Bereich der direkten Unternehmensbesteuerung – 98/C 384/03 – ABl. EG v. 10. 12. 1998 Nr. C 384, S. 3 ff., Nr. 25, kann die gemeinnützige Körperschaft, die keine Gewinne erzielt, auch nicht Gegenstand einer steuerlichen Privilegierung sein. Dies trifft erkennbar nicht zu. Dass NonProfit-Organisationen erwirtschaftete Gewinne nicht an Anteilseigner ausschütten, ist europarechtlich grundsätzlich irrelevant, soweit diese Organisationen am Wirtschaftsleben teilnehmen und geldwerte Leistungen anbieten.
Gemeinwohl, Daseinsvorsorge und bürgerschaftliches Engagement
II. Die aktuelle Reformdiskussion zum Gemeinnützigkeitsrecht Das Gemeinnützigkeitsrecht ist in Bewegung geraten. Die aktuelle Reformdiskussion mahnt eine grundlegende Neuorientierung an. 1. Mitteilung der Europäischen Kommission Die Europäische Kommission4 hatte im Jahre 1997 in ihrer Mitteilung über die Förderung der Rolle gemeinnütziger Vereine und Stiftungen in Europa die im Rahmen des Johns Hopkins University Comparative Nonprofit Sector Project5 erarbeitete Definition von Organisationen des bürgerschaftlichen Engagements übernommen. 2. Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages hat in ihrem Bericht diese Kategorisierung für überzeugend gehalten. Sie klassifiziert die Gemeinwohlzwecken dienenden Organisationen erstmals weder nach ihren inhaltlichen Zielen noch – dies ist für das deutsche Recht mit Ausnahme des harmonisierten Mehrwertsteuerrechts revolutionär – nach ihrer Rechtsform, sondern nach ihrem Selbstverständnis als −
Dienstleister (z. B. Sozialdienste, medizinische Betreuung, Ausbildung, Information, Beratung oder Unterstützung);
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Selbsthilfeorganisationen (Zusammensetzung aus Gruppen von Gleichgesinnten mit dem Ziel der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung, Zusammenarbeit sowie Informationsaustausch);
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Themenanwälte/Propagierung von Interessen (Eintreten für eine Sache oder Gruppe mit dem Ziel, die öffentliche Meinung oder die Politik zu verändern);
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Organisationen zur Vermittlung und Koordinierung (Mittlerorganisationen bzw. Infrastruktureinrichtungen, die entweder die Tätigkeit Einzelner auf einem bestimmten Gebiet tätiger Einrichtungen oder des Sektors allgemein koordinieren, unterstützen bzw. Informationen bereitstellen).
Diese Einteilung biete, so die Enquete-Kommission, eine Grundlage für einen ersten Zugang zu der Thematik. Hieraus solle eine inhaltliche Definition steuerlicher Gemeinnützigkeit entwickelt werden. Die Enquete-Kommission geht davon aus, dass das Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht in Deutschland grundsätzlich zu erhalten sei. Sie empfiehlt indes eine grundlegende Reform. Sie geht mit Recht davon aus, dass das geltende Recht kein
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Mitteilung v. 6. 7. 1997 KOM (97) 241 endg.; hierzu BR-Drucks. 748/1/97. The Johns Hopkins University Comparative Nonprofit Sector Project (2001): Comparative Data Tables, http://www.jhu.edu/~cnp/compdata.html.
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klares Bild der Inhalte der Gemeinnützigkeit vermittelt. Eine grundlegende Überarbeitung des Kataloges der gemeinnützigen Zwecke in § 52 AO durch eine Kommission des Deutschen Bundestages sei notwendig, gegebenenfalls nach dem Modell der Charity Commission in Großbritannien. Die Enquete-Kommission hält u. a. eine Erleichterung des Zugangs zum Gemeinnützigkeitsstatus für Freiwilligenagenturen und Selbsthilfegruppen für dringend geboten. Ein Bündel von Maßnahmen sei notwendig, um gemeinnützigen Vereinen und Organisationen zu mehr Flexibilität im Rahmen der vier Tätigkeitsbereiche – ideeller Bereich, Vermögensverwaltung, Zweckbetrieb, wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb – zu verhelfen. Der Bericht der Enquete-Kommission, der in der steuerrechtlichen Fachöffentlichkeit kaum Beachtung gefunden hat, liefert eine breit angelegte Zustandsbeschreibung des mannigfachen Engagements, das der Vielfalt bürgerschaftlichen Lebens entspricht. Neben der Tätigkeit in Vereinen und Verbänden, Kirchen, karitativen und anderen gemeinnützigen Organisationen, in Freiwilligenagenturen, Hospizbewegung oder Tafeln umfasst es – um nur einige Beispiele zu geben – die Mitarbeit in Selbsthilfegruppen, Nachbarschaftsinitiativen und Tauschringen. Politisches Engagement entfaltet sich in Bürgerinitiativen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Volksbegehren oder anderen Formen von direktdemokratischer Bürgerbeteiligung. Hierzu gehört auch die Arbeit in Parteien und Gewerkschaften und der Einsatz in Freiwilligendiensten. Die Enquete-Kommission will ermutigen zu einer „Kultur des kooperativen Handelns und Entscheidens, die zentrale Lebensbereiche und Institutionen prägen sollte“.6 Sie hält viele Grundfragen – auch die Rolle des Steuerrechts – für ungeklärt. 3. Expertenkommission der Bertelsmann-Stiftung und des MaecenataInstituts Auch die Bertelsmann-Stiftung und das Maecenata-Institut7 haben sich durch Konstituierung einer „Expertenkommission zur Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts“ das Ziel gesetzt, einem aus ihrer Sicht nach wie vor offenkundigen Mangel an Grundlagenarbeit abzuhelfen. Eine Reform müsse die Bürgergesellschaft in den Mittelpunkt stellen, wie sie sich „in Vereinen und Stiftungen, Bürgerinitiativen, Freiwilligenagenturen, Spendenparlamenten und Selbsthilfegruppen konkretisiert“. Es gehe, so heißt es,
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Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ – Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft, BT-Drucks. 14/8900, S. 6. Bertelsmann Stiftung/Maecenata Institut für Dritter-Sektor-Forschung (Hrsg.), Expertenkommission zur Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts. Materialien, 2000; insbes. Stellungnahme „Reform des Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrechts“, S. 344 ff., 353 ff., 355.
Gemeinwohl, Daseinsvorsorge und bürgerschaftliches Engagement
möglicherweise „um ein völlig neues System“. Als wichtige – neu zu formulierende – Gemeinwohlziele werden genannt: –
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit;
–
Förderung einer integrierten nachhaltigen Entwicklung unter ökologischen, sozialen und kulturellen Aspekten („Agenda-21-Prozess“);
–
Bürgerschaftliches Engagement (Bürgerstiftungen und Freiwilligenagenturen);
–
Innovationsförderung;
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Kulturförderung.
4. Die Stellungnahme der Monopolkommission zum ordnungspolitischen Rahmen für Sozialsysteme Die Monopolkommission hat im Jahre 1998 in ihrem 12. Hauptgutachten8 den Gesetzgeber aufgefordert, im Wege einer grundlegenden Erneuerung auch des Gemeinnützigkeitsrechts einen gemeinschaftsrechtlich kompatiblen ordnungspolitischen Rahmen für ihre Sozialsysteme zu schaffen. Knut Ipsen9 hat sich dieser Forderung nachdrücklich angeschlossen. Die Dringlichkeit dieses Anliegens zeigt sich vor allem im Hinblick darauf, dass die sozialen Dienstleistungen der Freien Wohlfahrtspflege zu ca. 80 v. H. aus Leistungsentgelten finanziert werden.10 Diskussionswürdige Reformansätze stellen nach Auffassung der Monopolkommission eine Gewinnorientierung für alle Anbieter und eine Reform des Gemeinnützigkeitsprivilegs dar, insbesondere mit Blick auf die Träger der Wohlfahrtspflege.11 5. Die Zukunft des Zweckbetriebs Nach alledem gibt es ein weites Feld für Reformüberlegungen, aber auch für wissenschaftliche Systematisierung. Nachfolgend geht es um diejenigen gemeinnützigen Rechtsträger, die Leistungen gegen Entgelt erbringen. Die von
__________ 8 Zwölftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1996/1997, BT-Drucks. 13/11291, S. 419 ff.; hierzu weiterführend K. Ipsen, Germeinschaftsrechtliche Tendenzen und Gemeinnützigkeit, in Festschrift für H. W. Kruse, 2001, S. 557 ff., 572 ff. 9 A. a. O. (Fn. 8), S. 574 ff. 10 Monopolkommission (Fn. 8), S. 444. 11 S. hierzu Luthe, Privilegien der Freien Wohlfahrtspflege aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht, SGb 2000, 505 ff.; ders., Gemeinnützige Sozialunternehmen im europäischen Wettbewerb, NDV 2000, 361; Bernd Schulte, Freie Wohlfahrtspflege und Europäisches Gemeinschaftsrecht – Herausforderungen und Chancen, ArchsozArb 1999, 210; Gohde/Erdmenger/Cless, Zur Rechtsgeltung europäischer Wettbewerbsbestimmungen im Sozialbereich, NVD 2000, 168.
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Trzaskalik aufgeworfene Frage nach den Förderinstrumenten soll auf diese Sphäre gemeinwohldienlicher Tätigkeit beschränkt werden.
III. Der Zweckbetrieb in der aktuellen Reformdiskussion 1. Die Auffassung von Trzaskalik Zum Förderinstrumentarium des Gemeinnützigkeitsrechts stellt Trzaskalik fest: Die subventionelle Steuervergünstigung beziehe sich immer auf steuerbare Tatbestände. Sie ziele stets auf die Geschäftstätigkeiten der Körperschaft, mit denen diese Leistungen am Markt gegen Entgelt anbietet. „Der gewinnorientierte Geschäftsbetrieb wird von der Steuer freigestellt, weil die Erträge nicht für Zwecke der privaten Bedürfnisbefriedigung, sondern eben für gemeinnützige Zwecke verwandt werden.“ Wolle der Staat über Steuervergünstigungen erreichen, dass Mittel für einen bestimmten Zweck verwandt werden, müsse er daran interessiert sein, dass Mittel erwirtschaftet werden. Das geltende Gemeinnützigkeitsrecht ignoriere derartige Vorstellungen. § 65 AO gehe auf die Rechtsprechung des RFH zurück und sei durch zwei Überlegungen geprägt: Zum einen gebe es gemeinnützige Zwecke, die nur durch Führung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs erfüllt werden können; zum anderen müsse der Wettbewerb im Verhältnis zu steuerpflichtigen privaten Unternehmern in den Vordergrund gestellt werden. Freilich sei die Unterscheidung zwischen wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb und Vermögensverwaltung unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten ohne jede Aussagekraft. Trzaskalik legt dar, dass sich der mit Wirkung vom 1. 1. 1986 eingeführte § 67a AO von den in § 65 AO formulierten Grundsätzen entferne: Unter Wettbewerbsgesichtspunkten könne „nur das Außenverhältnis, d. h. das Gebaren des Vereins im Verhältnis zu seinen Kunden erheblich sein“. § 67a AO leide unter dem Konstruktionsfehler, dass eine steuerliche Förderung, die nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führe, ein Widerspruch in sich sei. Die Überlegungen könnten sich nur darauf richten, auf welchen Märkten die gemeinnützige Körperschaft ihre Erträge erwirtschaften dürfe. Trzaskalik kommt zu dem Schluss: „Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Benachteiligung der mit der gemeinnützigen Körperschaft konkurrierenden freien Unternehmer liegt ausschließlich in der Bindung der Erträge für den gemeinnützigen Zweck.“ 2. Die Auffassung von Seer Roman Seer12 fragt, warum es überhaupt der besonderen Kategorie „Zweckbetrieb“ bedarf. Ein wesentlicher Vorteil des Zweckbetriebs liege gerade darin, dass bei gleichzeitigem vollen Vorsteuerabzug die in einem Zweckbetrieb
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12 Seer, Gemeinwohlzwecke und steuerliche Entlastung, DStJG 26 (2003), S. 11 ff., 37 ff.
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anfallenden Umsätze ermäßigt besteuert würden. Die undifferenziert an den Gemeinnützigkeitsstatus anknüpfende Steuersatzermäßigung widerspreche jedoch dem System einer Verbrauchssteuer. Über Steuerermäßigungen sei aus der Sicht der Verbraucher zu entscheiden. Die Aufhebung dieser Begünstigung „böte die Gelegenheit, mit dem Begriff des ‚wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs’ ertragsteuerkonform nur noch solche erwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten zu erfassen, die auf Gewinnerzielung gerichtet sind“. Reine Kostendeckungsbetriebe würden „das Schicksal des ertragsteuerfreien Idealbetriebs a priori teilen“. Bei Tätigkeiten, durch die nachhaltig Gewinn erzielt wird, könne dagegen eine vermeidbare Beeinträchtigung des Wettbewerbs vermutet werden. 3. Fragestellung Zur Auffassung von Seer ist zu bemerken, dass der – in der Tat entbehrliche13 – § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG nur eines von mehreren Förderinstrumentarien darstellt. Der Zweckbetrieb ist seiner Natur nach ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb und er betreibt auch dann und vor allem dann störenden Wettbewerb, wenn seine Geschäftstätigkeit nur auf Kostendeckung oder auf die Erzielung eines geringen steuerbaren Ertrags gerichtet ist. Möglicherweise ist er wegen der Dotierung mit steuerbefreiten Spenden oder Schenkungen gar nicht darauf angewiesen, Gewinne zu erwirtschaften. Warum also sollte eine rechtfertigungsbedürftige Störung „des Marktes“ z. B. durch Spenden gesponsert werden? Auch in einem solchen Fall bedarf es der Verhältnismäßigkeitsprüfung des – zugegebenermaßen kaum justitiablen14 – § 65 Nr. 3 AO. Es soll daher hier versucht werden, der Rätselhaftigkeit des Zweckbetriebes von einem anderen Ansatz aus nachzuspüren. 4. Vorüberlegungen zur Erforderlichkeit der Rechtsfigur „Zweckbetrieb“ Brauchen wir die Rechtsfigur des Zweckbetriebs? Sicherlich nicht – in diesem Punkte ist Roman Seer Recht zu geben – wenn es nur darum geht, eine Leistung im Interesse des Endabnehmers durch die Absenkung eines Verbrauchssteuersatzes zu verbilligen. Zu diesem Zweck muss der Leistungsträger auch nicht körperschaftlich verfasst sein. Letzteres gilt, was § 4 GrStG zeigt, auch für die realsteuerliche Entlastung von Grundbesitz, das für bestimmte begünstigte Zwecke genutzt wird. Ein Studentenwerk dürfte kaum
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13 So auch Igl/Jachmann/Eichenhofer, Rechtliche Rahmenbedingungen bürgerschaftlichen Engagements, 2002, S. 239. 14 Walz, Sinn und Zweck der partiellen Steuerpflicht für Erträge aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, in Kötz/Rawert/Schmidt/Walz (Hrsg.), Non Profit Law Yearbook 2001 (2002), S. 197 ff., 116 ff. S. bereits Boettcher/Leibrecht, GemVO, 1956, § 7 (S. 65); Becker/Riewald/Koch, Kommentar zur RAO, 9. Aufl., § 17 StAnpG § 10b (3): Zur wettbewerbsrelevanten Abwägung habe § 7 Abs. 1 GemVO eine „etwas dunkle Bestimmung“ getroffen.
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nennenswerte Gewinne erwirtschaften; es bedarf deswegen de facto keiner Befreiung von Ertragsteuern. Auch sein Vermögen wird steuerlich nicht belastet, nachdem die Vermögensteuer abgeschafft ist. Und im Zweifel dürfte das Studentenwerk kein typischer Empfänger von Spenden und/oder lebzeitigen sowie letztwilligen Zuwendungen sein. Indes profitiert der Zweckbetrieb im Hinblick auf seine Zuordnung zur ideellen Sphäre von der ganzen Bandbreite der gemeinnützigkeitsrechtlichen Privilegien. So ist es z. B. zulässig, Spenden im Zweckbetrieb zu verwenden. Dies erfordert, Förderbedarf und sämtliche steuerlichen Förderinstrumente flexibel aufeinander abzustimmen. Nehmen wird als weiteres Beispiel die Selbsthilfe-Bewegung. Sie wird inzwischen gerne als „vierte Säule“ des Gesundheitswesens beschrieben. Zu fragen ist, ob und vor allem warum eigentlich sich jede – ohnehin zumeist mitgliedernützige – Selbsthilfegruppe in das Rechtskleid der juristischen Person zwängen sollte. Hier könnte es zweckmäßig sein, andere Feinstrukturen des Förder- und Zuwendungsrechts zu entwickeln. Dies geschieht bereits: Neuer Aufgabenbereich für die organisierte Selbsthilfe ist die Patientenberatung. Z. B. ist in § 65b SGB V die Förderung von Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung gesetzlich vorgeschrieben; die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hat dazu Modellvorhaben einzurichten. Dies ist sicherlich kein Instrumentarium etwa für Themenanwälte, die nach ihrem Selbstverständnis staatsfern agieren wollen und müssen, oder für Organisationen mit hohem Kapitalbedarf, die eine zentrale steuerliche Bedarfslage haben: nämlich die Berechtigung, steuerlich abziehbare Spenden empfangen zu können. 5. Die zwei Kategorien von Zweckbetrieben Ein Zweckbetrieb ist vorbehaltlich der Wettbewerbsklausel des § 65 Nr. 3 AO gegeben, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb „in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen“ (§ 65 Nr. 1 AO). Vorausgesetzt wird ferner, dass „die Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können“ (§ 65 Nr. 2 AO). Die Rechtsprechung stellt darüber hinaus gehend eine Abwägungsrelation her zwischen dem steuerbegünstigten Vereinszweck und dem „zu seiner Erreichung unentbehrlichen und einzigen Mittel“. Mit dieser Relation werden „Hilfstätigkeiten“ – etwa der Betrieb einer Pferdepension durch einen gemeinnützigen Verein15 – in die Förderung einbezogen. Dies verfälscht die rechtliche Perspektive, weil auf diese Weise auch dem satzungsmäßigen Zweck lediglich dienliche Leistungen gleichfalls gefördert
__________ 15 S. bereits zur Veranstaltung von Rennen durch einen die Pferdezucht betreibenden Verein RFH v. 23. 7. 1938 – VIa 92/37, RFHE 44, 277 = RStBl. 1938, 914.
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werden.16 Es wird die Chance einer salvierenden Abwägungsrelation sogar für ausschließlich mitgliedernützige Leistungen eröffnet. Mit der historisch verbürgten Konzeption des Zweckbetriebs vereinbar ist hingegen allein die (Prüf-)Frage, ob mit der Leistungserbringung als solcher das Gemeinwohl unmittelbar gemehrt wird. Wie darzustellen sein wird, zwingt nicht zuletzt das europäische Recht dazu, in diese Richtung zu blicken.17 Es gibt nicht „den Zweckbetrieb“ schlechthin. Vielmehr umfasst der Begriff zumindest zwei18 realtypisch und rechtlich unterschiedliche und dementsprechend differenziert zu behandelnde Erscheinungsformen: den daseinsvorsorgenden Zweckbetrieb und die Leistungserbringung in Verfolgung konkurrierender bzw. pluralistischer Gemeinwohlzwecke. Diese beiden Realund Rechtstypen bedürfen einer jeweils gesonderten Erörterung.
IV. Leistungen der Daseinsvorsorge und Marktversagen 1. Die grundlegenden Entscheidungen des RFH In einer Grundsatzentscheidung vom v. 25. 9. 192819 hatte sich der RFH zu befassen mit einem – wie er formulierte – „kommunalen Eingriff in die Milchversorgung“ durch eine städtische Milchversorgungs-GmbH. Der RFH führte aus: Der Zweck, „minderbemittelten Personen Hilfe in ihrer Privatwirtschaft zu gewähren“, könne „unbedenklich Gemeinnützigkeit i. S. des Gesetzes begründen“. Die Verbilligung von Lebensmitteln für hilfsbedürftige Bevölkerungskreise sei ein ideeller Zweck. Dies ungeachtet des Umstandes, dass auch diese Grundversorgung grundsätzlich Aufgabe des „freien Han-
__________ 16 S. nur zum Betreiben einer Pferdepension BFH v. 19. 2. 2004 – V R 39/02, BStBl. II 2004, 672 = BFHE 205, 329. Der BFH hält es für denkbar, dass die Pferdepension ein „unentbehrliches Mittel“ bei der Verfolgung des ideellen Vereinszweckes ist und misst in diesem Zusammenhang der Satzung des Klägers eine entscheidende Bedeutung bei. Hierzu Hettler, Die umsatzsteuerliche Behandlung von Pensionspferdebetrieben – dargestellt anhand der jüngsten Rechtsprechung des BFH zu gewerblichen Anbietern und gemeinnützigen Vereinen, DB 2004, 1640. 17 Vgl. aus der umfänglichen Literatur Mestmäcker, Daseinsvorsorge und Universaldienst im europäischen Kontext, in FS für Hans F Zacher, 1998, S. 365, Schwarze, Daseinsvorsorge im Lichte des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2001, 334; Kämmerer, Daseinsvorsorge als Gemeinschaftsziel oder: Europas „soziales Gewissen“, NVwZ 2002, 1041; Harms (Hrsg.), Wettbewerb in Europa und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, 2000/2002; Moistl, Renaissance und Rekonstruktion des Daseinvorsorgebegriffs unter dem Europarecht, in Brenner/Huber/Moistl, Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, FS Badura, 2004, S. 951 ff.; Magiera, Gefährdung der öffentlichen Daseinsvorsorge durch das EG-Beihilfenrecht? In FS für Rauschning, 2001, S. 269 ff. 18 Die Betriebe zum Absatz bestimmter – insbesondere in eigenen Fertigungsbetrieben geschaffener – Waren sollen hier ausgeklammert werden; s. z. B. RFH v. 4. 10. 1938 – VIa 43/38, RStBl. 1939, 92. 19 RFH v. 25. 9. 1928 – II A 283/28, RFHE 24, 123.
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dels“ in Entfaltung des wirtschaftlichen Wettbewerbs sei. Nach der Reichsverfassung beruhe nämlich „die Volkswirtschaft auf dem freien Wettbewerbe der erwerbstätigen Kreise“. Dieser Ausgangsüberlegung des RFH ist auch heute zuzustimmen: Die existenzielle Abhängigkeit von einem bestimmten Gut ist keine tragfähige Begründung dafür, sie dem öffentlichen Kompetenzbereich zuzuweisen oder den Leistungserbringer steuerlich zu fördern. Der Bäcker, der uns unser tägliches Brot verkauft, mehrt zwar das Gemeinwohl, ist aber eigennütziger Gewerbetreibender.20 Der RFH fährt fort: Anderes gelte, wenn die hilfsbedürftige Bevölkerung sich „die lebensnotwendigen Gegenstände auch nicht zu den vom freien Handel gewährten billigsten Preisen beschaffen kann“. Die RFH-Entscheidung zur mensa academica aus dem Jahre 193021 vertieft diesen Ansatz: „Von einer ausschließlichen Gemeinnützigkeit auf wirtschaftlichem Gebiete (kann) … erst die Rede sein, wenn ein Wirtschaftszweig oder wenn wirtschaftliche Kräfte, deren Verkümmern auf die Dauer nicht ohne schädliche Rückwirkung auf die Wohlfahrt des Ganzen stehen kann, die wirtschaftliche Befriedigung ihrer Bedürfnisse aus irgendwelchen Notständen im freien Wettbewerb nicht finden können und daher auf uneigennützige Hilfe angewiesen sind.“
Wohl aus praktischen Gründen sollte es nach Auffassung des RFH unschädlich sein, wenn sich wohlhabende Bürgerkinder und auch Professoren in die Mensa verirrten. Dies ist nebenbei bemerkt der historische Ursprung der heute in ganz anderen Dimensionen wirkenden 2/3-Regelung des § 66 Abs. 3 AO. Die Argumentation des RFH lässt sich mit dem Schlagwort vom „Marktversagen“ verdeutlichen. Dieses erklärt, warum die Bürgerküche22, das Ledigenheim für Minderbemittelte,23 das Armenspital, das „Siechenheim“ (§ 9 Abs. 1
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20 Isensee, HdbStR § 57 Rz. 59: „Gemeinwohl geht indirekt aus dem offenen Wettbewerb der privaten Egoismen hervor, unabhängig von subjektiven Motiven als objektiver Effekt.“ Zutreffend auch Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 193: „Die Lebensnotwendigkeit eines Gutes allein kann wie das einfache Beispiel des täglichen Brotes zeigt, die staatliche Garantenpflicht noch nicht auslösen. Hinzukommen muss, dass der – aufgrund der Angewiesenheit des Einzelnen für erforderlich gehaltene – gerechte Zugang zu diesem Gut für alle durch eine allein in privater Verantwortung liegende Produktion nicht sichergestellt werden kann. Das ist immer dann der Fall, wenn der einzelne Produzent für seinen Aufwand von den Nutzern keinen angemessenen Preis verlangen kann.“ 21 RFH v. 30. 3. 1930 – II A 40/30, RStBl. 1930, 241; s. ferner RFH v. 24. 9. 1937 – Via A 42/37, RFHE 42, 131, zur „Anstalt zur Versorgung Minderbemittelter“: Ein Wettbewerb mit privaten Gaststätten ist ausgeschlossen, „wenn das Essen nur an solche Personen verabfolgt wird, die beim Fehlen derartiger Einrichtungen wirtschaftlich nicht der Lage sein würden, sich in einer privaten Gaststätte eine ausreichende Verpflegung zu erstehen“. 22 RFH v. 22. 12. 1920 – II B 38/20, RFHE 4, 142. 23 RFH v. 5. 7. 1938 VIa 42/37, RFHE 44, 234 = RStBl. 1938, 828.
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Nr. 1 GemVO), das Altersheim jedenfalls für Bedürftige,24 Waisenhäuser und Kindergärten als Beispiele für „piae causae“ als historisch verbürgte Prototypen des Zweckbetriebs gelten.25 Ein Förderbedürfnis mit dem Instrumentarium des Steuerrechts ist mithin zu rechtfertigen aufgrund der Prüffrage, ob eine Körperschaft die Teilhabe an Gütern vermittelt, die durch gesellschaftliche Selbstregulierung allein nicht sichergestellt werden kann. Eine rechtfertigungsbedürftige Wettbewerbssituation ist gegeben, wenn der Leistungsempfänger die Möglichkeit hat, vergleichbare Leistungen unter vergleichbaren Bedingungen jederzeit auch bei Privaten zu erhalten.26 2. Daseinsvorsorge durch den leistenden Staat Mit den referierten Entscheidungen hat sich der RFH – zeitlich weit vor Ernst Forsthoff27 – den heute mehr denn je aktuellen juristischen Grundfragen der sog. Daseinsvorsorge genähert. „Daseinsvorsorge“ war früher der Inbegriff des die Grundversorgung sicherstellenden „leistenden Staates“. Die Triebfeder war und ist ein „Versagen individueller Daseinsvorsorgeverantwortung“ (Forsthoff) bzw. die „privatwirtschaftlich unzulänglich befriedigte Versorgungsaufgabe“ (Badura). Die Daseinsvorsorge beschreibt eine Garantenpflicht des Staates, der sich dieser nicht entziehen kann, wenn und soweit der Einzelne auf den Bestand des verwaltungsrechtlichen Leistungsverhältnisses angewiesen ist. Ein Defizit der verwaltungsrechtlichen Doktrin
__________ 24 RFH v. 23. 10. 1937 VIa 70/37, RFHE 42, 226 = RStBl. 1937, 1160. 25 Ausführlich hierzu die Analyse des Reichsfinanzrichters J. Kraft, Die steuerliche Gemeinnützigkeit, StVJSchrStuFR 1932, 315 ff., 351 ff., 355 ff., der die Frage stellt: „Welche Gesichtspunkte können nun die steuerliche Befreiung wegen Gemeinnützigkeit auch für Bestrebungen rechtfertigen, die in Gegensatz zu Belangen anderer Teile der Bevölkerung treten? Offensichtlich nur ein wirtschaftlicher Notstand des durch die gemeinnützige Veranstaltung zu fördernden Volksteils, denn nur er lässt das Opfer, das dadurch dem übrigen Bevölkerungsteil zugemutet wird, begründet erscheinen. …“ Kraft (S. 359) schließt seine Analyse: „Hiernach wird stets und nur eine wirtschaftliche Notlage des geförderten Bevölkerungsteils als Vorbedingung der Gemeinnützigkeit für ein andere Bevölkerungsteile schädigendes Verhalten anzusehen sein – sowohl bei Förderung durch die öffentliche Hand wie auch bei Förderung durch Privatunternehmungen“. S. ferner Seer (Fn. 12) S. 37 f.; Walz, Sinn und Zweck der partiellen Steuerpflicht für Erträge aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, Non-Profit-Jahrbuch 2001 (2002), S. 197 ff., 218 f.; grundlegend bereits Hüttemann, Wirtschaftliche Betätigung und steuerliche Gemeinnützigkeit, 1991, S. 184 ff., 190. 26 S. auch Hüttemann (Fn. 25), S. 190: „Im Ergebnis ist festzustellen, dass ein unvermeidbarer Wettbewerb im Sinne von § 65 Nr. 3 AO durch ein Überwiegen der Allgemeinwohlvorteile gegenüber den Wohlfahrtsverlusten aus Wettbewerbsbeeinträchtigungen gekennzeichnet ist. Dieser Fall ist anzunehmen, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb überwiegend solche Personen versorgt, die nicht zum tatsächlichen oder potentiellen Kundenkreis steuerpflichtiger Anbieter zählen.“ 27 Hierzu Kingreen, (Fn. 20) S. 107 ff.
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war es, dass sie sich unter den Aspekten der Teilhabe und der Grundrechtsbindung auf das Rechtsverhältnis der öffentlichen Hand zum Leistungsempfänger konzentrierte, während das Wettbewerbsverhältnis zu konkurrierenden privaten Anbietern tendenziell vernachlässigt wurde. Den gebotenen Wechsel der Perspektive erzwingt nunmehr das EU-Recht. 3. Daseinsvorsorge durch den gewährleistenden Staat Die Notwendigkeit einer steuerlichen Förderung unter dem Gesichtspunkt des Marktversagens ist in dem Umfang in Frage zu stellen, wie Grundbedürfnisse der Bevölkerung durch den leistenden und – in einem weiteren Schritt der Rechtsentwicklung – durch den gewährleistenden Staat sichergestellt werden. Die Versorgung der bedürftigen Bevölkerung mit Brot, Milch, Wohnraum sowie z. B. die Versorgung von Studenten mit Wohnraum wird nicht vom Staat vorsorglich durch eigene Leistungen, sondern von privaten Anbietern erfüllt und „im individuellen Bedarfsfall“ durch die Nachsorge28des Leistungsrechts gewährleistet. Die Leistungsverwaltung als klassischer Modus der Verantwortung staatlicher Daseinsvorsorge ist abgelöst worden durch den gewährleistenden Staat, der eine Auffangverantwortung wahrnimmt.29 Der Gesetzgeber hat das Sozialstaatsprinzip in vielen Bereichen normativ entfaltet:30 Sozialversicherung, Arbeitsschutz, Recht der Sozialhilfe, Ausbildungsförderung, soziale Förderung einschließlich der Familienleistungen, Wohngeld, Kinder- und Jugendhilfe, zusätzliche Leistungen für Schwerbehinderte. Es geht um die Teilhabe an Gütern, die durch gesellschaftliche Selbstregulierung allein nicht sichergestellt werden kann. In ihren ehemaligen Kernbereichen – Post, Telekommunikation, Energie, Verkehr – sind neue Formen einer staatlichen Gewährleistung zwar nach Art der Leistung gemeinwohlorientierter, aber privatwirtschaftlicher Leistungserbringung getreten. Soweit individuelle Hilfe für den Lebensunterhalt Bedürftiger erforderlich ist, wird der individuelle Bedarf abgedeckt durch die Gewährung von Sozialhilfe, von Wohngeld, durch zusätzliche Hilfen für Schwerbehinderte usw. Dies verlockt zu dem Gedankenspiel, ob es nicht die gemessen an Art. 104a GG finanzverfassungsrechtlich bessere Lösung ist, z. B. Landesschulheime oder die Nachfolger der mensa academica, nämlich die Studentenwerke, statt als gemeinnützige Rechtsträger zu Lasten fremder Haushalte zu begünstigen, aus dem Kultusetat des jeweiligen Landes zu finanzieren. Die hiermit zusammenhängenden finanzverfassungsrechtlichen Fragen sind derzeit noch ungeklärt.
__________ 28 Schwarze (Fn. 17), S. 335. 29 Hoffmann-Riem, Finanzkontrolle als Steuerungsaufsicht im Gewährleistungsstaat, DÖV 1999, 221 ff., m. w. N. der Literatur. 30 Kingreen (Fn. 20) S. 163 ff.
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4. Daseinsvorsorge am Beispiel der Krankenhausfinanzierung31 … Betrachtet man auf dieser gedanklichen Grundlage das Krankenhaus i. S. des § 67 AO als gesetzliches Regelbeispiel des Zweckbetriebes, so ist festzustellen: Die allgemeine Krankenhausversorgung ist wesentlicher Teil der ortsnah sicherzustellenden Daseinsvorsorge der Bevölkerung. Der LVerfGH NRW32 hat jüngst formuliert: „Zu den elementaren Grundvoraussetzungen sozialer Existenz gehört es, dass sich in erreichbarer Entfernung ein Krankhaus befindet, um jedenfalls die allgemeine stationäre Grund- und Notfallversorgung sicherzustellen.“ Dem trägt das Krankenhausfinanzierungsgesetz vom 29. 6. 1972 Rechnung, das ein duales Finanzierungskonzept etabliert hat mit der Unterscheidung zwischen den durch die Pflegesätze zu deckenden laufenden Betriebskosten und den Investitionskosten, deren Finanzierung eine öffentliche Aufgabe ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 KHG). Nach näherer Maßgabe der Landesgesetze werden mit Hilfe der vom Land und den Gemeinden aufgebrachten Gelder gesetzlich näher beschriebene Krankenhausinvestitionen gefördert. Bei Becker/Riewald/Koch33 heißt es: „Der Betrieb eines Krankenhauses ist ein Zweckverwirklichungsbetrieb, weil der gemeinnützige Zweck, Kranke gesund zu machen, nur durch ein Krankenhaus erreicht werden kann.“ Diese Aussage erscheint heute durch die Entwicklung der Verhältnisse als überholt, weil sie nicht erklärt, warum es einer zusätzlichen Förderung durch das Gemeinnützigkeitsrecht bedarf. Nicht von ungefähr fragt die Expertenkommission der Bertelsmann Stiftung und der Maecenata Stiftung, warum eigentlich Krankenhäuser gemeinnützig betrieben werden müssen.34 Sie fragt dies mit Recht, weil die Daseinsvorsorge in Gestalt der Krankenhausbehandlung bereits anderweitig gewährleistet ist und es denkbar ist, dass zu den erstatteten Betriebskosten auch die nach Streichung der einschlägigen Befreiungsnorm gezahlte Grundsteuer gehören sollte. 5. … und des sog. Pflegemarktes Die Problematik kann am Beispiel des heute so bezeichneten Pflegemarktes vertieft werden. Die verschiedentlich in der Literatur geäußerte Auffassung, der Betrieb z. B. eines Altenheims sei kein Erwerbszweck,35 ist angesichts der
__________ 31 Zur Systematik der direkten und indirekten Finanzierung gemeinnütziger Träger Münder/von Boetticher, Gemeinnützigkeit und Gemeinschaftsrecht – Vereinbarkeit der Gemeinnützigkeitsförderung mit dem europäischen Beihilfenrecht am Beispiel sozialer Dienstleistungen, 2003, S. 10 ff. 32 LVerfGH NRW v. 13. 1. 2004 – 16/02, DÖV 2004, 662 = NWVBL 2004, 141. 33 A. a. O. (Fn. 14) § 17 StAnpG Anm. 10a (2). 34 A. a. O. (Fn. 7), S. 89. 35 Geserich, Privater, gemeinwohlwirksamer Aufwand im System der deutschen Einkommensteuer und des europäischen Rechts, 1999, S. 97 ff., 121 ff.: „Aufgrund der besonderen, mildtätigen Ausrichtung besteht keine Konkurrenz mit dem freien Markt.“
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Konkurrenzsituation am bundesdeutschen „Pflegemarkt“, der Finanzierung von Pflegeleistungen durch eine Pflichtversicherung sowie gemessen an der EU-rechtlichen Bewertung unternehmerischer Tätigkeiten unzutreffend. Bei Angeboten gemeinnütziger Träger besteht häufig kein Unterschied zu denen konkurrierender „kommerzieller“ Anbieter.36 Bereits im Jahre 1998 waren von 9000 ambulanten Pflegeeinrichtungen bereits 46 v. H. privat-gewerblich.37 Da z. B. die Kosten von Pflegedienstleistungen zunehmend von Versicherungen abgedeckt werden, ist dies keine Branche, welcher der gewährleistende Staat – zusätzlich – unter die Arme greifen müsste. Dieser Markt wird auch für ausschließlich erwerbswirtschaftliche Unternehmen lukrativ. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 11 Abs. 2 Satz 2, 3 SGB XI (Pflegeversicherungsgesetz) die Gleichrangigkeit der gemeinnützigen Institutionen der Freien Wohlfahrtspflege und der privat-gewerblichen Träger ausdrücklich statuiert. Diese rechtlichen Rahmendaten würden den EuGH im gedachten Ernstfall, dass die steuerrechtlichen Privilegien der gemeinnützigen Wohlfahrtspflege auf den Prüfstand des EU-Rechts gestellt würden, vermutlich beeindrucken. 6. Zur Bedeutung der Art. 87 ff. EGV Die Dringlichkeit dieses Anliegens ergibt sich daraus, dass die sozialen Dienstleistungen der Freien Wohlfahrtspflege zu ca. 80 v. H. aus Leistungsentgelten finanziert werden. Knut Ipsen38 hält eine grundlegende Reform der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit für unausweichlich. Er gibt zu bedenken, ob nicht der institutionelle Ansatz, „nämlich der Ansatz bei der Körperschaft, der Gemeinnützigkeit zuerkannt wird oder nicht, trotz seiner langen Tradition im Gemeinnützigkeitsrecht korrekturbedürftig ist“. Er weist hin auf Körperschaften von der Größe eines mittleren Konzerns, die mit gewerblichen Anbietern konkurrieren. In einem europarechtlichen Kontext ist zu bedenken, dass Nonprofit-Organisationen (NPO) trotz – etwaiger – ideeller, vor allem selbstloser Zweckverfolgung als Marktteilnehmer agieren; das europäische Beihilfe- und Wettbewerbsrecht dürfte somit prinzipiell anwendbar sein.39 Die europarechtliche Situation wird in Deutschland weithin unterschätzt. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages40 sieht zwar „ein deutliches Spannungsverhältnis zwischen der gewachsenen Kultur der Förderung von Angeboten im Sozialbereich auf der Ebene der Nationalstaaten
__________ 36 Bericht der Enquete-Kommission (Fn. 6), S. 183 f. 37 K. Ipsen (Fn. 8), S. 573, unter Hinweis auf eine Veröffentlichung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. 38 K. Ipsen, (Fn. 8), 559 ff. 39 Münder/von Boetticher (Fn. 31), S. 16 ff. 40 Bericht der Enquete-Kommission (Fn. 6), S. 184.
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und der Strategie auf der EU-Ebene, möglichst alle Wirtschaftssektoren mit gemeinschaftsweiter Bedeutung zügig und soweit eben möglich für den Markt zu öffnen“. Indes führt sie aus: Wegen der Besonderheiten des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts in Deutschland liege aber „im Ergebnis kein Verstoß gegen europäisches Recht vor“.41 Spenden würden typischerweise in die ideelle Sphäre, nicht in die durch das EU-Marktrecht geschützte Erwerbssphäre geleistet. Zweckbetriebe insbesondere im Bereich der Wohlfahrtspflege seien karitativ, nicht erwerbswirtschaftlich orientiert. – Diese Sicht ist auf eine möglicherweise fatale Weise unrealistisch.42 Zwar schließt die Selbstbeschränkung einer Tätigkeit auf lokale und regionale Belange vor allem bei Beihilfen an sog. Kleinstdienstleister eine innergemeinschaftliche Handelsbeeinträchtigung aus.43 Jenseits dessen droht seitens der EU-Kommission und des EuGH eine Entprivilegierung des gemeinnützigen Sektors durch Ökonomisierung44 auch gewinnzweckfreier45 Dienstleistungen. Der wirtschaftlich-funktionale, für das Recht der Marktfreiheiten zentrale Begriff des Unternehmens wird – bezogen auf die Verwirklichung mildtätiger Zwecke – EU-rechtlich nur dort zurückgenommen, wo Einrichtungen wie etwa die Sozialversicherung auf der Grundlage der nationalen Solidarität an der Aufgabe der sozialen Sicherheit mitwirken oder ein der ausschließlichen mitgliedstaatlichen Kompetenz vorbehaltenes Systemelement der Sozialhilfe sind („nicht marktbezogene gemeinwohlorientierte Tätigkeiten und Leistungen“). Erst und nur dann, wenn ein sozialpolitisches Ziel lediglich über marktfremde oder gar marktgegenläufige Maßnahmen zu erreichen ist, schließt die bei den Mitgliedstaaten verbliebenen sozialpolitische Kompetenz die Anwendung des Gemeinschaftsrechts aus. Dies wird
__________ 41 Bericht der Enquete-Kommission (Fn. 6), S. 299. Differenzierter Jachmann in Igl/ Jachmann/Eichhofer, Rechtliche Rahmenbedingungen bürgerschaftlichen Engagements, 2002, S. 88: „Ausgehend von der … verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der steuerlichen Gemeinnützigkeit als systemimmanente Konsequenz einer Steuerrechtfertigung aus der Gemeinwohlverantwortung des Bürgers dürften die mit der steuerlichen Gemeinnützigkeit verbundenen Steuervergünstigungen als systeminterne Differenzierungen aus dem Beihilfebegriff auszunehmen sein. 42 Zutreffend Münder/von Boetticher (Fn. 31), S. 20 ff., 27: „Rein karitativ und nicht auch am Wirtschaftsprozess beteiligt ist nur derjenige, der gibt, ohne dafür zu nehmen. ‚Charity’ statt ‚business’ ist nur dann anzunehmen wenn diese vollständig an Dritte weitergeleitet werden und nicht die Infrastruktur der Dienstleistung bzw. des Träger mitfinanziert.“ 43 Zutreffend Jachmann in Igl/Jachmann/Eichhofer, Rechtliche Rahmenbedingungen bürgerschaftlichen Engagements, 2002, S. 88, 89. 44 Zur Ökonomisierungstendenz der Kommissionspolitik K. Ipsen (Fn. 8), S. 559 ff., 570: „Entprivilegisierung“. Ausführlich Münder/von Boetticher, (Fn. 31). 45 Bezüglich der Kulturförderung hat die Kommission in ihrer Entscheidung zum Erlebnis-Salzbergwerk Hallstatt ausgeführt, dass selbst ein nicht kostendeckender Betrieb bei gleichzeitig geringer Ertragsaussicht die Unternehmenseigenschaft nicht entfallen lässt, s. Kommission, Entsch. v. 22. 12. 1998 Staatliche Beihilfe Nr. N 494/98, S. 4 – Österreich.
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erhebliche Auswirkungen auf das rechtliche Umfeld haben, in dem die Träger der Wohlfahrtspflege ihre Dienstleistungen erbringen.46 7. Wider eine ausschließliche Ökonomisierung der Daseinsvorsorge Der Bericht der Enquete-Kommission47 resümiert: Bei der Europäisierung des Dritten Sektors ist zu bedenken, dass die Leistungen, die er für die Daseinsvorsorge erbringt, schutzwürdig sind. Sie seien daher nicht im Sinne der europäischen Wettbewerbsordnung und des gleichen Marktzugangs ausschließlich nach ökonomischen Gesichtspunkten zu behandeln. „Die zentrale ideelle Dimension muss berücksichtigt werden.“ Ob dies auf der Rechtsgrundlage der durch Art. 16, 86 Abs. 2 EGV und Art. 36 der Grundrechte-Charta eingedenk ihrer „Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt“ (vgl. auch Art. III-6 des Entwurfs eines Vertrages über eine Verfassung für Europa) verbürgten Vorzugsstellung der „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ – im Wesentlichen der Bereich der Daseinsvorsorge – in ausreichendem Umfang möglich ist, bedarf noch einer ausführlichen Diskussion.48 Es ist dem Anliegen Rechung zu tragen, dass die Einbindung des ehrenamtlichen Engagements für die Träger der Wohlfahrtspflege sinn- und identitätsstiftend ist. Ohne die Gewährung besonderer Privilegien wäre nicht nur die Erfüllung ihrer Gemeinwohlverpflichtung gefährdet, sondern ihr wirtschaftliches Überleben insgesamt in Frage gestellt. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass unter dem Dach „sozioindustrieller“ Anbieter „kleinteilige, weniger fest organisierte Angebote wie im Bereich der Familienhilfe, der Arbeit mit so genannten Problemgruppen u. Ä., die, gestützt auf ein hohes Maß an Engagement, so weder ‚marktfähig’ noch einfach als sozialstaatliche Regelleistung organisierbar wären“.49 Man wird fragen müssen, ob nicht diese historisch gewachsenen, in Europa einmaligen Strukturen als integraler Bestandteil der nationalen Identität (vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV)50 gegen eine lediglich auf die Marktfreiheiten, nicht aber auf andere Wertungsaspekte des EGV abstellende Ideologie verteidigt werden muss. Der aktivierende51 bzw. ermöglichende Staat52 – Isensee spricht von einer im Subsidiaritätsprinzip angelegten „vertikalen Gewaltenteilung“53
__________
46 Hierzu B. Schulte, (Fn. 11), 210 ff.; ders., Freie Wohlfahrtspflege, Daseinsvorsorge und gemeinsamer Markt, in: Europäische Daseinsvorsorge 2002, 41. 47 Bericht der Enquete-Kommission (Fn. 6), S. 185. 48 Skeptisch offenbar Koenig, EuZW 2001, 481: Art. 16, 86 Abs. 2 EGV seien zu einem „vagen Programm mitgliedschaftlicher Politikbehauptung gegenüber der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbskontrolle“ geworden. 49 Bericht der Enquete-Kommssion (Fn 6), S. 279. 50 Hierzu Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2. Aufl. 2004, S. 54 ff. 51 S. auch Isensee, Gemeinnützigkeit und Europäisches Gemeinschaftsrecht, DStJG Bd. 26 (2003), S. 93 ff., 101 f. S. 93 ff., 100: „Aktivierung von Bürgerkompetenz“. 52 Bericht der Enquete-Kommission (Fn. 6), S. 25. 53 Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in HdbStR Bd. III, § 57 Rz. 97, 163 ff.
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zwischen Staat und Gesellschaft – ist darauf angewiesen, soziale Zusammenschlüsse zu fördern, die Gemeinsinn und Solidarität jenseits des Staates organisieren und vermitteln.54 Die deutschen Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege kämpfen derzeit mit guten Gründen gegen die Aberkennung ihrer Privilegien. Gewiss muss es auch weiterhin möglich sein, dass steuerlich abziehbare Spenden und sonstige Zuwendungen dem bürgerschaftlichen Engagement zugute kommen. Ob ihre durch am Markt erbrachte Leistungen erwirtschafteten Gewinne der Förderung durch das Gemeinnützigkeitsrecht bedürfen, wird jeweils im Einzelfall zu prüfen sein. Die EU-Kommission hat in ihrem Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse55 angekündigt, 2005 eine Mitteilung über derartige Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen vorzulegen. Die Mitteilung wird sich damit auseinandersetzen müssen, wie die sozialen Dienste in den Mitgliedstaaten organisiert sind, wie sie funktionieren und in welcher Weise sie zum sozialen und territorialen Zusammenhalt, zur Wahrung der europäischen Grundrechte und zur Sicherstellung eines angemessenen Sozialschutzes beitragen. 8. Regelungsvorbehalt im Vertrag über eine Verfassung für Europa In Art. III-6 des Entwurfs eines Vertrages über eine Verfassung für Europa ist bestimmt: „Unbeschadet der Artikel III-55, III-56 und III-136 und in Anbetracht des von allen in der Union anerkannten Stellenwerts der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sowie ihrer Bedeutung bei der Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts tragen die Union und ihre Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse im Anwendungsbereich der Verfassung dafür Sorge, dass die Grundsätze und Bedingungen, insbesondere jene wirtschaftlicher und finanzieller Art, für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, dass diese ihren Aufgaben nachkommen können. Diese Grundsätze und Bedingungen werden durch Europäische Gesetze festgelegt.“
Der ausdrückliche Gesetzesvorbehalt in Satz 2 des zitierten Artikels56 bewirkt insbesondere, dass für die EU-Kommission und für den EuGH ein Verbot solcher Rechtsfortbildung zu postulieren ist, durch welche der derzeitige Status von Trägern der „Dienste von allgemeinem Interesse“ tangiert wird.
__________ 54 Kingreen (Fn. 20), S. 604. 55 KOM (2004) 347 endgültig. 56 Hierzu von Danwitz, Die Rolle der Unternehmen der Daseinsvorsorge im Verfassungsentwurf, in Schwarze (Hrsg.), Der Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents, 2004, S. 251 ff., 257 ff.; H. Schweitzer, Die Daseinsvorsorge im Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents – ein europäische Service Public?, in Schwarze (Hrsg.), ebd., S. 269 ff., 293 ff.
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V. Leistungserbringung im Rahmen konkurrierender sowie pluralistischer Gemeinwohlzwecke Nun lebt der dank dem gewährleistenden Staat – erforderlichenfalls aufgrund des Bezugs von Wohngeld – behauste Mensch nicht von Brot und Milch allein. Es gibt die konkurrierenden Gemeinwohlaufgaben, bei denen Staat und Gesellschaft nebeneinander zur Aufgabenerfüllung berufen sind. Z. B. können sowohl der Staat als auch Private Träger von Universitäten, Rechtsschulen, Museen,57 Opernhäuser, Ausstellungen und Orchester sein. Und schließlich gibt es die pluralistischen Gemeinwohlaufgaben, welche allein die Bürger wahrnehmen, die in eigener Verantwortung das Gemeinwohl generieren und mehren, weil dem Staat eine direkte Förderung aus Gründen der Neutralität gegenüber der Grundrechtswahrnehmung seiner Bürger untersagt ist.58 Der Staat fördert außerhalb des staatlich Organisierbaren, aber im Rahmen staatlicher Gemeinwohlverantwortung59 private – individuelle und kollektive – Aktivitäten gemeinsinniger Bürger zwecks Entstehenssicherung grundrechtlich-freiheitlicher Betätigung. Es ist denkbar, dass der Staat durch die Finanzierung die vor allem im Kulturbereich bestehenden Wettbewerbsstrukturen beeinträchtigt. Hier befinden wir uns jenseits staatlicher Infrastruktur- und Steuerungsverantwortung und einer „Betrauung mit Aufgaben“ durch den Staat i. S. von Art. 86 Abs. 2 EG. Für diesen Sektor droht Gefahr für das tradierte Steuerrecht der Gemeinnützigkeit. Nach Art. 151 EV (Amsterdamer Fassung, vgl. auch den Kulturvorbehalt des Art. 87 Abs. 2 Buchst d, Abs. 3 EGV60), hat die Gemeinschaft bei ihrer Tätigkeit den kulturellen Aspekten Rechnung zu tragen, wobei die „Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten“ sowie die Wahrung und „Förderung der Vielfalt der Kulturen“ im Vordergrund steht. Der Staat muss die Leistungserbringung etwa durch den gemeinnützigen Träger eines Musikfestivals fördern können, auch wenn dieser in Konkurrenz zu privaten Konzertagenturen tritt. Der kulturelle Sektor lebt aus der Vielfalt seines Angebots. Es ist bedenklich, gestützt allein auf den Gesichtspunkt der Nichtdiskriminierung und der Grundfreiheiten der Gemeinschaft der deutschen Steuerzahler eine Finanzierungsverantwortung61 für ausländi-
__________ 57 Koenig/Kühling, Mitgliedstaatliche Kulturförderung und gemeinschaftliche Beihilfekontrolle durch die EG-Kommission, EuZW 2000, 197, 200. 58 Isensee/Knobbe-Keuk, Gutachten der Unabhängigen Sachverständigenkommission zur Prüfung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts, BFM-Schriftenreihe Bd. 40, 1988, S. 351 ff.; Seer (Fn. 12), S. 20 f. 59 Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, HbStR Bd. III., § 57 Rz. 162 ff., ausführlich m. w. N. Geserich (Fn. 35), S. 22 ff. 60 Hierzu Kruse, Das gemeinschaftsrechtliche Beihilfeverbot und die für „Kultur“ und „kulturelles Erbe“ bestehende Befreiungsmöglichkeit, EWS 1996, 133 ff.; Koenig/Kühling, (Fn. 57), 197. 61 Zu dieser Jachmann, Die Europarechtswidrigkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 2 KStG, BB 2003, 990 ff.; dies. in Igl/Jachmann/Eichenhofer (Fn 13), S. 67, 92.
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sche gemeinnützige Rechtsträger anzusinnen. Der I. Senat des BFH62 hat dies jüngst in einem Vorabentscheidungsersuchen aus der eingeengten Perspektive ausschließlich der Grundfreiheiten und des Diskriminierungsverbotes anders gesehen. Wenn die EU die Vielfalt der Kulturen in Europa zu respektieren hat, muss es jedem Mitgliedstaat möglich sein, Inhalt und Umfang der Finanzierungsverantwortung ihrer Steuerbürger auf das Gemeinwohl zu verpflichten, das auf seinem Boden stattfindet oder – wie z. B. Völkerverständigung, Entwicklungshilfe, Katastrophenschutz63 oder die auswärtige Kulturpolitik – von seinem Boden ausgeht. Die Beschränkung auf inländische Körperschaften entspricht, wie Jachmann zutreffend ausführt, der „Rechtfertigung des Spendenabzugs aus dem Prinzip der Staatssubstitution“64. Im Übrigen fordert Ress65 zu Recht, das Beihilfenrecht des Art. 87 EGV „in favorem culturae“ anzuwenden. Hiermit steht im Einklang, dass die Kommission in ihren Entscheidungen zur Filmförderung akzeptiert, dass die Fördermittel im Wesentlichen in der die Beihilfen gewährenden Gebietskörperschaft investiert werden.66
VI. Ausblick Die Entwicklung des deutschen Gemeinnützigkeitsrechts, sieht man ab von bürokratischer Überregulierung etwa im Bereich der Rücklagenbildung, ist eine herausragende Leistung der Rechtskultur. In Europa gibt es nichts Vergleichbares. Das harmonisierte Mehrwertsteuerrecht, soweit es gemeinwohlorientierte Lieferungen und Leistungen fördert, ist demgegenüber konzeptionslos. Der Funktionsbegriff „Zweckbetrieb“ muss neu durchdacht und gegebenenfalls neu konzipiert werden, soll er nicht „einer fast alle Lebensbereiche erfassenden Ökonomierung des Denkens und Handelns unserer Zeit“67 zum Opfer fallen.
__________ 62 BFH v. 14. 7. 2004 – I R 94/02, BB 2004, 2338; zustimmend hierzu u. a. Helios/Th. Müller, Vereinbarkeit des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts mit dem EGVertrag, BB 2004, 2332; s. bereits Thömmes, Gemeinnützigkeit und EG-Recht – Zur EG-Rechtswidrigkeit des § 5 Abs. 2 Nr. 3 KStG, JbFÄStR 1999/2000, S. 123 ff. Eicker, IWB Fach 11 Europäische Gemeinschaften Gruppe 2, S. 139 ff.; Helios, Vereinbarkeit des steuerlichen Gemeinnützigkeitsrechts mit dem EG-Vertrag, BB 2002, 1893; allgemein Helios, Steuerliche Gemeinnützigkeit und EG-Beihilfenrecht, 2005; Schäfers, Die steuerrechtliche Behandlung gemeinnütziger Stiftungen in grenzüberschreitenden Fällen. 63 OFD München v. 23. 11. 2001 – S 2223-145 St 41. 64 Jachmann (Fn. 41), S. 84. 65 Ress, Die Zulässigkeit von Kulturbeihilfen in der Europäischen Union, in: Gedächtnisschrift für Grabitz, 1995, S. 595 ff., 602, 622. 66 Koenig/Kühling (Fn. 57), S. 202, m. w. N. 67 So die berechtigte Warnung von P. Häberle (Fn. 50), S. 155 f.
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Bedarf ein feststellender Verwaltungsakt einer speziellen Ermächtigungsgrundlage? Inhaltsübersicht I. Bestandsaufnahme 1. Die Situation 2. Argumente a) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit b) Belastender Eingriff c) Gewaltenteilung II. Der feststellende Verwaltungsakt als Teil eines mehrstufigen Verwaltungsverfahrens 1. Mehrstufige Verwaltungsverfahren 2. Der Bezug zu Art. 19 Abs. 4 GG a) Effektiver Rechtsschutz b) Die Vorwirkung des Art. 19 Abs. 4 GG auf das Verwaltungsverfahren c) Die grundsätzliche Unbedenklichkeit gesetzlich angeordneter gestufter Verwaltungsverfahren 3. Beeinträchtigungen des Rechtsschutzes durch nicht normativ angeordnete gestufte Verwaltungsverfahren a) Verdeckung der Intensität des Eingriffs und Prozessvervielfachung b) Die Rechtsschutzfrage in der Rechtsprechung 4. BVerfGE 40/237 (Vorverfahren StrVollzG) 5. Übertragbarkeit und Grenzen
a) Vorrang des Gesetzes b) Einheitliche flächendeckende Verwaltungsvorschriften III. Folgerungen 1. Auslegung von Ermächtigungsnormen in der Rechtsprechung a) Kein ausdrückliches Verbot b) Kompetenz für umgrenzte Sachbereiche c) Sachgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit 2. Kein Bedürfnis aus Rechtsschutzgründen a) Direkte Rechtsfolgenanknüpfung b) Sonderfall: Vollstreckungshindernisse 3. Welche Handlungen sind Verwaltungsakte a) Auslegung öffentlich-rechtlicher Willenserklärungen b) Maßgeblichkeit der Rechtsbehelfsbelehrung 4. Situationsübergreifende Feststellungen a) Einverständnis des Bürgers b) Grenzen einverständlicher feststellender Verwaltungsakte c) Divergierende Auffassung zwischen Behörde und Bürger d) Das „wohlverstandene Interesse“ des Bürgers an einer Feststellung
Trzaskalik1 ist in seiner Habilitationsschrift davon ausgegangen, dass die Grundsätze über die Feststellungsklage in ihrer formelhaften Erstarrung von der Rechtsprechung fast beliebig eingesetzt werden, um vom Rechtsgefühl getragene „richtige“ Ergebnisse zu begründen. Von diesem Ausgangspunkt
__________ 1
Trzaskalik, Die Rechtsschutzzone der Feststellungsklage im Zivil- und Verwaltungsprozess, 1978, S. 17.
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ist er der Frage nachgegangen, welche Rechtsschutzzone der Feststellungsklage im bürgerlichen und öffentlichen Recht eröffnet ist. Die parallele Frage nach der Funktion von feststellenden Verwaltungsakten weist eine ähnliche Erstarrung auf. Eine Gedenkschrift für Christoph Trzaskalik erscheint als ein geeigneter Ort, ihr nachzugehen.
I. Bestandsaufnahme 1. Die Situation Wer in Rechtsprechung und Literatur sucht, ob eine Behörde befugt ist, einen feststellenden Verwaltungsakt2 zu erlassen, auch wenn sie sich dafür nicht auf eine speziell auf die Feststellungsbefugnis bezogene Ermächtigungsgrundlage berufen kann, der trifft auf einen widersprüchlichen Befund3. Einerseits finden sich Stellungnahmen, die generell eine Ermächtigungsgrundlage für jede Feststellung fordern4, also die bloße Ermächtigung zu Eingriffen als Grundlage für eine behördliche Feststellung nicht ausreichen lassen. Dem stehen andererseits Auffassungen gegenüber, die generell davon ausgehen, dass normierte Eingriffsbefugnisse einer Behörde zugleich immer auch die Berechtigung mit umfassen, verbindlich Feststellungen zu treffen5. Auffällig ist dabei allerdings, dass der Ausgangspunkt beider Extrempositionen meist durch Einschränkungen und Verwässerungen alsbald wieder relativiert wird. So judiziert das BVerwG6 einerseits, dass feststellende Verwaltungsakte jedenfalls dann einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, „wenn ihr
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Zur Klarstellung der Terminologie: Bisweilen werden auch Verwaltungsakte als „feststellende“ bezeichnet, die Gestaltungen oder Verbote zum Inhalt haben vgl. KG v. 20.3.1996 – Kart 4/95, WuW 1996, 833 (846) „Stromversorgung Aggertal“. Nach BayVGH v. 2.6.1999 – 19 B 94.2154, BayVBl. 2000, 470 soll der feststellende Verwaltungsakt im Gegensatz zum gestaltenden nicht auf eine „Änderung“ der Rechtslage gerichtet sein, sondern nur auf deren deklaratorische Festschreibung. Soweit es sich bei den gestaltenden Verwaltungsakten aber nicht um privatrechtsgestaltende handelt, ist der Unterschied wohl nur graduell und wird hier nicht weiter problematisiert. Zur Terminologie vgl. die in Fn. 3 genannten Autoren. Zusammenfassung des Schrifttums bei Appel/Melchinger, Rechtsanwendung und feststellender Verwaltungsakt, VerwArch. 84 (1993), S. 349 (369 ff.) und König, Der feststellende Verwaltungsakt, BayVBl. 1987, 261. VG Dessau v. 18.3.1997- 13 K 1278/95, NuR 1997, 465 naturschutzrechtliche Feststellung eines Grundstücks als Streuobstwiese; OVG Münster v. 22.2.1991 – 15 A 1519/90, NVwZ-RR 1991, 419 Verlust eines Kommunalmandates; VGH München v. 25.2.1983 – 25 B 81 A/1183, NVwZ 1983, 550 lebensmittelrechtliche Beanstandung; OVG Münster v. 20.5.1988 – 15 A 406/85, NWVBl. 1988, 337 (338) Feststellung der Befugnis zur Führung der Bezeichnung „Stadt“. VGH Mannheim v. 1.4.1992 – 6 S 2203/90, NVwZ-RR 1993, 416, der dies aus dem „Wesen der verwaltenden Staatstätigkeit“ ableitet, die es der Behörde bei Meinungsverschiedenheiten erlaube, durch eigenes aktives Handeln Rechtsklarheit zu schaffen und dazu das Instrument des bestandskraftfähigen Verwaltungsaktes einzusetzen; VGH München v. 18.8.1980 – Nr. 22 B – 1410/79, NJW 1981, 2076. BVerwG v. 29.11.1985 – 8 C 105.83, BVerwGE 72, 265.
Bedarf ein feststellender Verwaltungsakt einer spez. Ermächtigungsgrundlage?
Inhalt etwas als rechtens feststellt, was der Betroffene erklärtermaßen für nicht rechtens hält“, lässt dann jedoch andererseits die Feststellung der Ersatzpflichtigkeit für Kosten nach § 92a BSHG (heute § 95 SGB XII) zu7, weil sie vom Gesetz „nicht ausgeschlossen“, sondern im Verhältnis zu einem Leistungsbescheid nur unzweckmäßig ist und erkennt die Feststellung der Beitragspflicht zur Insolvenzversicherung in einem sog. „Beitragsgrundlagenbescheid“ an, weil dies zweckmäßig erscheint8. 2. Argumente Schaut man sich die (knappen) Begründungen für die unterschiedlichen Auffassungen an, so tragen diese meist nicht weit. Zwar entspricht es nach Auffassung des BVerwG9 den auf das Gewohnheitsrecht zu gründenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen des deutschen Verwaltungsrechts, dass Verwaltungsbehörden zur hoheitlichen Erfüllung ihrer Aufgaben Verwaltungsakte erlassen können. Doch kann sicherlich ein vorkonstitutioneller gewohnheitsrechtlicher Satz des Inhalts, dass nach Ermessen der Behörde auch feststellende Verwaltungsakte anstelle von Verwaltungsakten erlassen werden können, die Gebote und Verbote anordnen, nicht festgestellt werden.10 a) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Soweit das Argument anklingt, dass dort, wo die Behörde etwas untersagen darf, die Feststellung von Voraussetzungen für die Eingriffsbefugnis ein minus gegenüber dem Eingriff selbst sei, das nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erst recht möglich sein müsse, beruht dieser Vergleich auf einer Unterschätzung der überschießenden Reichweite von verbindlichen Feststellungen: Denn die Untersagung beispielsweise des Betriebes eines Heimes (§ 19 HeimG) hat eine klare und überschaubare, aber dennoch begrenzte Zielsetzung. Der Adressat ist durch eine solche Eingriffsverfügung nicht gehindert, in einem anderen Verwaltungsverfahren einzuwenden, dass
__________ 7 BVerwG v. 5.5.1983 – 5 C 112.81, BVerwGE 67, 163 (165). 8 BVerwG v. 15.1.1987 – 3 C 3.81, BVerwGE 75, 318 (319): „Eine derartige Verfahrensweise erscheint zweckmäßig, wenn Streit über die Beitragspflicht besteht.“ Ähnlich auch BVerwG v. 28.6.1994 – 1 C 20.92, ZIP 1994, 1455. 9 BVerwG v. 17.9.1964 – II C 147.61, BVerwGE 19, 243 (245) betreffend die Inanspruchnahme des den Dienstherrn schädigenden Beamten durch Verwaltungsakt. 10 Nur vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht kann wegen Art. 123 Abs. 1 GG einen Eingriff in Grundrechtspositionen rechtfertigen, vgl. BVerfG v. 28.6.1967 – 2 BvR 143/61, BVerfGE 22, 114 (121) und BVerfG v. 14.2.1973 – 2 BvR 667/72, BVerfGE 34, 293 (303). Zwar kann auch vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht „mit den anerkannten Auslegungsmethoden weiterentwickelt, verfeinert und auch auf neue Tatbestände angewendet werden“ (BVerfG v. 19.12.1962 – 1 BvR 163/56, BVerfGE 15, 226 (233)), doch fehlt hier dafür wohl schon die opinio necessitatis. Zur Problematik vorkonstitutionellen Gewohnheitsrechts ausführlicher Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 234 ff.
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er sich nicht an die baulichen Anforderungen der Heimmindestbauverordnung11 halten müsse oder eine Zuwendung an den Träger der Einrichtung nicht unwirksam nach § 134 BGB in Verbindung mit § 14 HeimG sei12, weil ein „Heim“ nach § 1 HeimG in Wahrheit gar nicht vorliege. Die durch Verwaltungsakt getroffene Feststellung ist hingegen nach § 43 Abs. 2 VwVfG schlechterdings in vollem Umfang und nicht nur in bezug auf einzelne Rechtsfolgen verbindlich13. Verfolgt ein Verein einen steuerbegünstigten Zweck nach §§ 51 ff. AO, so ist er von der Körperschaftsteuer befreit (§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG). Wenn das Vorliegen dieses Zwecks vom Finanzamt verneint und der Verein zur Körperschaftsteuer herangezogen wurde, ist er dennoch nicht gehindert, die Gemeinnützigkeit bei der Gewerbesteuer (§ 3 Nr. 6 GewStG) oder bei der Grundsteuer (§ 3 Nr. 3, 6 GrStG) erneut mit dem Hinweis geltend zu machen, das Finanzamt habe bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer falsch entschieden. Denn darüber, ob eine Körperschaft nach ihrer Satzung und auch ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke verfolgt, ist in dem Veranlagungsverfahren für die jeweilige Steuer und für den jeweiligen Veranlagungszeitraum zu entscheiden14; die in der Praxis erteilte Bescheinigung über die vorläufige Anerkennung der Gemeinnützigkeit hat lediglich den Charakter einer unverbindlichen Auskunft15. Würde hingegen – was de lege lata wegen § 157 Abs. 2 AO heute nicht geschehen kann – der Status der Gemeinnützigkeit selbständig festgestellt, so wäre das nicht mehr möglich; wenn die Gemeinnützigkeit einmal verneint wäre, wäre sie dies dann für alle Steuern und alle Veranlagungszeiträume bis zur Beseitigung der Feststellungswirkung.16 Die Feststellung ist also nicht ein minus, sondern ein aliud. Aus diesem Grunde ist z. B. prozessual auch die Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO geschaffen worden: Gerade weil die Feststellung des präjudiziellen Rechtsverhältnisses sonst nach § 322 Abs. 1 ZPO nicht an der Rechtskraft teilhaben, sondern ein bloßes Element der Begründung bilden würde, bedurfte es einer besonderen Norm.
__________ 11 § 3 Abs. 2 HeimG in Verbindung mit der Verordnung über bauliche Mindestanforderungen für Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige (HeimMindBauV) v. 3.5.1983 (BGBl. I 1983, 550). 12 Vgl. zur Nichtigkeit der Rechtsgeschäfte bei einem Verstoß gegen § 14 HeimG BGH v. 9.2.1990 – V ZR 139/88, BGHZ 110, 235. 13 In welchem Umfang Verwaltungsakte auch gegenüber Dritten Tatbestandswirkung entfalten, kann im Rahmen dieses Beitrags nicht näher untersucht werden. 14 BFH v. 11.9.1956 – I 188/55 U, BStBl. III 1956, 309; BFH v. 13.12.1978 – I R 77/76, BStBl. II 1979, 481 m. w. N.; BFH v. 7.5.1986 – I B 58/85, BStBl. II 1986, 677. 15 Fn. 14 und BFH v. 19.4.1989 – I R 3/88, BStBl. II 1989, 595 (596). 16 BFH v. 13.7.1994 – I R 5/93, BStBl. II 1995, 135 lässt aber die zur Anfechtung erforderliche Beschwer bereits in der Verneinung der Gemeinnützigkeit liegen, weil sonst Vereine, deren Einnahmen unter dem Freibetrag des § 24 KStG liegen, die Frage der Gemeinnützigkeit nie gerichtlich klären lassen könnten.
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b) Belastender Eingriff Ebenfalls nicht tragfähig ist umgekehrt allerdings als Begründung für die Notwendigkeit einer speziellen Ermächtigungsgrundlage für feststellende Verwaltungsakte die Erwägung, dass es sich um einen belastenden Eingriff handelt, der schon wegen dieser Belastungswirkung einer Ermächtigungsgrundlage bedürfe17. Denn die Feststellung als solche ist weder belastend, noch begünstigend. Sie schreibt lediglich ein Element eines unvollständigen Rechtssatzes fest. Ob sie begünstigend oder belastend wirkt, hängt letztlich allein davon ab, welche weiteren Folgebescheide Behörden oder Gerichte aufgrund der getroffenen Feststellung aufgrund deren Bindungswirkung später erlassen; der feststellende Verwaltungsakt als solcher begünstigt oder belastet nicht. Er ist immer auf weitere Vollzugsakte angelegt, die erst die Begünstigung oder Belastung realisieren. Wollte man diese zukünftigen Folgeakte mit dem feststellenden Verwaltungsakt bereits bei dessen Erlass – gewissermaßen gedanklich vorgreifend – zu einer Einheit verschmelzen, führt das letztlich zur Spekulation, zumal in vielen Fällen bei komplexeren Feststellungen sowohl günstige als auch ungünstige Rechtsfolgen in einander verwoben sind. Wenn z. B. nach § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO festgestellt wird, dass mehrere Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft als Mitunternehmer gemeinschaftliche Einkünfte erzielt haben, so kann das in der einen Hinsicht vorteilhaft, in einer anderen nachteilig sein. Wenn (wofür es keine spezielle Ermächtigungsgrundlage gibt) festgestellt wird, jemand sei Landwirt nach § 1 ALG18, so mag das mit Blick auf das Recht auf Zahlung einer Altersrente vorteilhaft sein, bei der Pflicht zur Zahlung von Beiträgen hingegen nachteilig. Einen feststellenden Verwaltungsakt nur deshalb als belastend zu qualifizieren, weil er mit der Anfechtungsobliegenheit belastet ist und ohne Anfechtung die in ihm getroffene Feststellung bestandskräftig wird, geht ebenfalls nicht an19. Denn die nur befristete Anfechtungsmöglichkeit ist ein Element jedes Verwaltungsaktes, sei er begünstigend oder belastend. c) Gewaltenteilung Ebenfalls ist es nicht überzeugend, wenn die Notwendigkeit einer speziellen Ermächtigungsgrundlage aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung hergeleitet wird.20
__________ 17 So VG Dessau v. 18.3.1997 – 13 K 1278/95, NuR 1997, 465. 18 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) vom 29.7.1994 (BGBl. I 1994, 3445). 19 So jedoch Appel/Melchinger, Rechtsanwendung und feststellender Verwaltungsakt, VerwArch. 84 (1993) S. 349 (369 f.). 20 So VGH München v. 5.4.1976 – Nr. 1 IX 71, DVBl. 1977, 108 mit überzeugender Widerlegung durch VGH München v. 18.8.1980 – Nr. 22 B – 1410/79, NJW 1981, 2076.
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II. Der feststellende Verwaltungsakt als Teil eines mehrstufigen Verwaltungsverfahrens Es gilt, sich dem Problem von einer anderen Seite her zu nähern. 1. Mehrstufige Verwaltungsverfahren Der feststellende Verwaltungsakt ist nicht nur das Endergebnis eines konkreten auf seinen Erlass gerichteten bestimmten einzelnen Verwaltungsverfahrens. Als isoliert gedachter Einzelakt wäre der feststellende Verwaltungsakt sinnlos und würde nur zur Selbstbeschäftigung der Verwaltung führen. Er erlangt seinen Sinn nur aus dem Blickwinkel eines mehrstufigen Verwaltungsverfahrens, in welchem mit ihm bestimmte Elemente selbständig – und insoweit mit Bestandskraft – abgeschichtet werden. Damit er sinnvoll ist, bedarf es regelmäßig noch weiterer Folgebescheide oder Folgehandlungen, die auf dieser Feststellung aufbauen und daraus Konsequenzen ziehen. Dies zeigt sich besonders anschaulich bei der Gewerbesteuer: Auf der Grundlage des nach dem EStG oder KStG ermittelten Gewinns21 ermittelt das staatliche Finanzamt den Gewerbeertrag (§ 7 GewStG) und setzt ihn durch den (feststellenden) Gewerbesteuermessbescheid (§ 14 GewStG) fest. An diese Festsetzung ist dann die Gemeinde beim Erlasse des Gewerbesteuerbescheides gebunden, der darauf aufbaut (§ 184 Abs. 1 S. 4 AO mit § 182 Abs. 1 AO). Wird der Gewerbesteuermessbescheid bestandskräftig, so wird damit ein Teil des Lebensvorganges „Erhebung von Gewerbesteuer“ vorab verbindlich abgeschichtet und erledigt. Im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Gewerbesteuerbescheid kann dann der Steuerpflichtige nicht mehr einwenden, seine Einkünfte seien keine gewerblichen oder der Höhe nach unzutreffend ermittelt. Dem steht die Bindung an die verbindlich getroffene Feststellung entgegen. Das Steuerrecht ist mit derartigen gestuften Verwaltungsakten vertraut und enthält zur Problembewältigung komplexe Regelungen22 darüber, wie bei Änderungen der Grundlagenbescheide eine Anpassung der bereits bestandskräftigen, auf ihnen aufbauenden Folgebescheide erfolgt. Die Problematik ist strukturell in den anderen Bereichen des Verwaltungsrechts keine andere. Die Struktur ist nicht einmal auf Verwaltungsverfahren im engeren Sinn beschränkt, wie die Kostenfestsetzung im gerichtlichen Verfahren zeigt, bei der der Richter aufgrund der Vorschriften der jeweiligen Prozessordnungen die Kostengrundentscheidung trifft, während auf der Grundlage dieser Kos-
__________ 21 Insoweit besteht keine verfahrensmäßige Bindung BFH v. 17.12.2003 – XI R 83/00, BStBl. II 2004, 699. 22 Insbes. in § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 171 Abs. 10 AO, aber auch § 35b GewStG.
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tengrundentscheidung und mit Bindung an sie der Rechtspfleger die konkret zu erstattenden Kosten festsetzt.23 Der Mechanismus derartiger mehrstufiger Verfahren ist auch funktionell vielseitig einsetzbar. Er kann wie beim gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren und der Gewerbesteuererhebung der Verteilung einer einheitlichen Aufgabe auf mehrere Kompetenzträger mit unterschiedlicher Sachkunde dienen. Er kann auch die Tätigkeit auf verschiedene gleichrangige, aber örtlich unterschiedlich lokalisierte Verwaltungsbehörden aufteilen, wie dies zum Beispiel die Feststellung des Gewinns oder Verlusts durch das ortsnahe Betriebsstättenfinanzamt nach § 180 Abs. 1 Nr. 2b AO vorsieht, wenn Veranlagungsfinanzamt und Betriebsstättenfinanzamt räumlich auseinander fallen. Er kann schließlich auch dazu dienen, eine Maßnahme, die im Rahmen von mehreren Verfahren rechtlich relevant wird, auf ein einziges Verfahren zu konzentrieren, wie dies etwa im Rahmen der steuerlichen Einheitsbewertung geschehen ist, mit der die Bewertung von Wirtschaftsgütern auf ein Verfahren konzentriert werden soll. Und derartige gestufte Verwaltungsverfahren treten schließlich bei technologischen Großvorhaben wie atomrechtlichen Projekten auf, bei denen es gilt, Probleme, die erst im Laufe der Erstellungsphase auftreten, statt durch eine Einzelgenehmigung durch Vorbescheide und Teilgenehmigungen zu bewältigen24 oder wenn ein in vielfacher Beziehung als Anknüpfung für Rechtsfolgen maßgeblicher Status generell festgestellt wird. 2. Der Bezug zu Art. 19 Abs. 4 GG Im Rahmen der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG stellt sich ein derartiges gestuftes Verfahren formal als eine Erschwerung des durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Zugangs zum Gericht dar. An dessen Maßstäben ist die Zulässigkeit gestufter Verwaltungsverfahren zu messen. a) Effektiver Rechtsschutz Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgt ein Gebot, dass der Staat effektiven Rechtsschutz zu gewähren hat, so dass der Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt nicht nur nicht völlig ausgeschlossen, sondern auch nicht „in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise er-
__________ 23 Dazu §§ 308 Abs. 2, 103 ff. ZPO, §§ 161 Abs. 1, 164 VwGO, §§ 143 Abs. 1, 149 FGO, §§ 193 Abs. 1, 197 Abs. 1 SGG. 24 Vgl. nur BVerwG v. 11.1.1985 – 7 C 74/82, NVwZ 1985, 341 Atomrecht; OVG Lüneburg v. 6.3.1985 – 7 B 64/84, NVwZ 1985, 506 Immissionsschutzrecht; OVG Frankfurt/Oder v. 19.2.1997 – 3 B 137/96, NVwZ-RR 1998, 484 Bauvorbescheid und Teilbaugenehmigung.
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schwert“ werden darf.25 Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG verlangt diese Vorschrift, dass jeder Akt der vollziehenden Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht durch ein Gericht vollständig nachgeprüft werden kann26; das Gericht ist dabei weder in tatsächlicher, noch in rechtlicher Hinsicht an die Feststellungen der Verwaltungsbehörde gebunden.27 Zwar kann der Gesetzgeber der Verwaltung Gestaltungsspielräume in Form von Ermessens- und Beurteilungspielräumen mit einer reduzierten Kontrolldichte einräumen28. Diese müssen jedoch, gerade wenn dadurch Grundrechte tangiert werden, gerichtlich nachprüfbar sein und unter dem Aspekt des berührten Grundrechts gewertet werden29 und können nur „ausnahmsweise und bei Vorliegen ganz besonderer Voraussetzungen“30 gerechtfertigt sein. Deshalb fordert das Bundesverwaltungsgericht, dass der Gesetzgeber klar zum Ausdruck bringt, dass er der Verwaltung das abschließende Urteil über das Vorliegen der durch einen unbestimmten Rechtsbegriffs gekennzeichneten tatbestandlichen Voraussetzungen übertragen will.31 Eine Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit liegt auch dann vor, wenn einzelne Elemente im Rahmen eines mehrstufigen Verwaltungsverfahrens vorab durch einen feststellenden Verwaltungsakt abgeschichtet werden. Denn das mehrstufige Verwaltungsverfahren beschränkt die gerichtliche Kontrolle über diejenigen Tatbestandselemente, die bereits bestandskräftig und damit für den Bürger verbindlich festgestellt sind (§ 43 Abs. 2 VwVfG, §§ 124 Abs. 2, 182 Abs. 1 AO, § 39 Abs. 2 SGB X) und eröffnet sie nur noch insoweit, als keine verbindliche Feststellung vorliegt. Dass hier nicht unbeträchtliche Rechtsschutzhindernisse liegen können, zeigt der historische Umstand, dass der RFH32 noch im Jahre 1930 zum EStG 1925 glaubte Nachsicht (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) gewähren zu müssen, weil die Frage, ob bestimmte Einwendungen (konkret ging es um Sonderbetriebsausgaben) innerhalb des Verfahrens der einheitlichen Gewinnfeststellung33 oder aber innerhalb des Verfahrens der Einkommensteuerveranlagung erhoben
__________ 25 BVerfG v. 12.1.1960 – 1 BvL 17/59, BVerfGE 10, 264 (268) Gerichtskostenvorschuss; BVerfG v. 29.10.1975 – 2 BvR 630/73, BVerfGE 40, 272 (275). 26 BVerfG v. 9.8.2004 – 2 BvR 1766/03, NJW-RR 2004, 1713 Schutz gegen Richter. 27 BVerfG v. 5.2.1963 – 2 BvR 21/60, BVerfGE 15, 275 Wiederaufnahme von Owi-Verfahren. 28 BVerfG v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 und 213/83, BVerfGE 84, 34 (53 ff.) Prüfungsentscheidungen; zusammenfassend BVerwG v. 22.12.1994 – 4 B 114/94, NVwZ 1995, 700. 29 BVerfG v. 17.4.1991 – 1 BvR 419/81 und 213/83, BVerfGE 84, 34 (53); BVerfG v. 21.12.1992 – 1 BvR 1295/90, NJW 1993, 917 (918) Prüfungsentscheidungen; BVerfG v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87, BVerfGE 83, 130 (145) Josefine Mutzenbacher. 30 BVerwG v. 25.11.1993 – 3 C 38.91, BVerwGE 94, 307 (309). 31 BVerwG v. 25.11.1993 – 3 C 38.91, BVerwGE 94, 307 (309); BVerwG v. 21.12.1995 – 3 C 24.94, BVerwGE 100, 221 (225). 32 RFH v. 20.3.1930 – VI A 358/30, RFHE 26, 266. 33 § 67 Abs. 1 S. 2 EStG 1925 (heute § 180 Abs. 1 Nr. 2a AO).
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werden mussten und die Geltendmachung im falschen Verfahren zur endgültigen Nichtberücksichtigung führte. b) Die Vorwirkung des Art. 19 Abs. 4 GG auf das Verwaltungsverfahren Art. 19 Abs. 4 GG bestimmt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit nicht nur die Maßstäbe für das gerichtliche Verfahren, sondern zugleich auch für das dem erlassenen und gerichtlich angefochtenen Staatsakt vorausgehende Verwaltungsverfahren34. Auch dieses hat sich an Art. 19 Abs. 4 GG zu orientieren35 und darf nicht so ausgestaltet werden, dass dem Bürger durch die Verwaltungsbehörde der Zugang zur umfassenden gerichtlichen Kontrolle in nicht zumutbarer Weise erschwert wird36. Dazu gehört auch, dass das Verwaltungsverfahren nicht so ausgestaltet sein darf, dass die spätere Nachprüfungsmöglichkeit des Gerichts ausgeschaltet wird37. Derartige Erschwerungen sind, weil Art. 19 Abs. 4 GG keinen Schrankenvorbehalt enthält, gegen andere grundgesetzlich geschützte Wertentscheidungen abzuwägen. Deshalb hat das BVerfG bei Planfeststellungsverfahren die Anordnung der Präjudizierung von Einwendungen gegen Planfeststellungsentscheidungen durch den Gesetzgeber untersucht und unter sorgfältiger Abwägung der Zugangserschwernisse einerseits und der Besonderheiten von Planfeststellungsverfahren andererseits für zulässig erachtet.38 c) Die grundsätzliche Unbedenklichkeit gesetzlich angeordneter gestufter Verwaltungsverfahren Soweit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes derartige gestufte Verfahren angeordnet worden sind, werden Bedenken unter dem Aspekt des Art. 19 Abs. 4 GG allerdings grundsätzlich nicht bestehen. Im allgemeinen hat der Gesetzgeber die Erschwernisse bei der gerichtlichen Kontrolle einerseits und die Vorteile einer Einführung eines speziellen zusätzlichen Feststellungsverfahrens sachgerecht oder jedenfalls doch vertretbar gegeneinander abgewogen. Wenn er beispielsweise die (rechtlich kompliziertere) Festsetzung der
__________
34 Zu den Zusammenhängen zwischen der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens für den nach Art. 19 Abs. 4 GG zu gewährenden Rechtsschutz vgl. Kopp, Verfassungsrecht und Verwaltungsverfahrensrecht, 1971, S. 148 ff. 35 BVerfG v. 6.6.1967 – 2 BvR 375/53/60 und 18/65, BVerfGE 22, 49 (81) Unterwerfungsverfahren der Finanzverwaltung; BVerfG v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82 (109 ff.) Präklusion bei der Planfeststellung; BVerfG v. 24.4.1985 – 2 BvF 2,3,4/83 und 2/84, BVerfGE 69, 1 (49) Kriegsdienstverweigerung. 36 BVerfG v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82 (110) Präklusion bei der Planfeststellung. 37 BVerfG v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82 (110) Präklusion bei der Planfeststellung; BVerfG v. 24.4.1985 – 2 BvF 2, 3, 4/83 und 2/84, BVerfGE 69, 1 (49) Kriegsdienstverweigerung. 38 BVerfG v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82 (109 ff.).
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Gewerbesteuermessbeträge dem staatlichen Finanzamt überträgt, der Erhebungshoheit der Gemeinde aber durch die Verwaltung der Gewerbesteuer im übrigen Rechnung trägt, wenn er die Beurteilung der Jugendeignung eines Filmes der Bundesprüfstelle überlässt39 und dann bei der Förderung und bei der polizeilichen Kontrolle die Vollziehungsbehörden an diese fachkundige Einschätzung (über die man immer wird streiten können) aus kompetenzrechtlichen Gründen bindet oder wenn er die Schwerbehinderteneigenschaft für alle Sozialleistungen und steuerlichen Vergünstigungen für maßgeblich erklärt40, liegen dem jeweils sachgerechte Erwägungen zugrunde41. Dabei ist zu bedenken, dass auch der Normgeber schon zur Vermeidung von überflüssigen Kosten im Regelfall kein Interesse daran haben kann, Aufwand für zusätzliche nicht unbedingt notwendige Verwaltungsverfahren zu verursachen. 3. Beeinträchtigungen des Rechtsschutzes durch nicht normativ angeordnete gestufte Verwaltungsverfahren Dieser Ausgangspunkt verändert sich jedoch, wenn nicht mehr der Gesetzgeber die Entscheidung trifft, ob ein mehrstufiges Verwaltungsverfahren zu erfolgen hat, sondern dies ohne eine ermächtigende Entscheidung des Gesetzgebers durch die Verwaltungsbehörde von Fall zu Fall selbst nach deren Ermessen bestimmt wird. Bei ihr besteht nicht in gleichem Maße die Gewissheit, dass die Verwaltung hiervon nur einen sachgerechten Gebrauch macht und alle Umstände unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Art. 19 Abs. 4 GG gegeneinander abwägt. a) Verdeckung der Intensität des Eingriffs und Prozessvervielfachung Feststellende Verwaltungsakte können den Rechtsschutz des Bürgers durchaus erheblich tangieren. Denn gerade weil die Feststellung als solche einerseits (noch) keine Rechtsfolge anordnet und damit in gewissem Sinne „neutral“ ist, und andererseits dann, wenn eine solche spätere Rechtsfolgeanordnung gar nicht geplant ist, sinnlos erscheint, wird der Bürger in vielen Fällen gar nicht genau erkennen können, mit welcher Eingriffsintensität
__________ 39 BVerwG v. 28.1.1966 – VII C 128.64, BVerwGE 23, 194. Dass es sich bei der Erteilung von Prädikaten durch den Bewertungsausschuss der Filmbewertungsstelle um einen feststellenden Verwaltungsakt handelt, vgl. Forsthoff, Verwaltungsrecht Band I, 10. Auflage, S. 210 Fn. 3. 40 § 69 SGB IX und vgl. BVerwG v. 11.7.1985 – 7 C 44.83, BVerwGE 72, 8; BFH v. 22.9.1989 – III R 167/86, BStBl. II 1990, 61. 41 Ähnlich lag es bei der Bindung der Finanzämter bei der Erhebung der Beförderungssteuer an die Standortbestimmung von Fahrzeugen durch die Verkehrsbehörden (vgl. BFH v. 24.7.1963 – II 20/60 U, BStBl. III 1963, 396) und liegt es im Falle der Feststellung durch die Bundesregierung bei der wiederholten Unterschreitung der Mehrwegquote nach § 9 Abs. 2 S. 2 der Verpackungsverordnung (BVerwG v. 16.1.2003 – 7 C 31.02, BVerwGE 117, 322).
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seine Rechte schon durch die bloße Feststellung betroffen sind. Wird z. B. von der Behörde nur festgestellt, dass ein vom Bürger betriebenes Gewerbe den Betrieb eines Heimes darstellt42, so werden dem Adressaten eines solchen Verwaltungsaktes regelmäßig nicht alle mit dem Betrieb eines Heimes verbundenen Rechtsfolgen bewusst sein. Er wird beispielsweise kaum damit rechnen, dass nach § 4 der Heimmindestbauverordnung in jedes Stockwerk ein Aufzug führen muss43 und dies, wenn eine Nachrüstung nicht oder nicht wirtschaftlich möglich ist, zur Schließung des Heimes führen kann. Die Androhung der Betriebsuntersagung hätte möglicherweise zu einer viel heftigeren Gegenwehr geführt als die „neutrale“ Feststellung, er betreibe ein Heim. Auch mit dem Einwand, es handele sich gar nicht um ein Heim, sondern um ein Krankenhaus, ein Studentenheim etc. wäre der Adressat eines derartigen Feststellungsbescheides ausgeschlossen. Zudem ist unter dem Gesichtspunkt, dass staatlicher Rechtsschutz immer auch ein knappes Gut darstellt, eine Vervielfältigung von Prozessen häufig unerwünscht. Trzaskalik44 hat überzeugend dargelegt, dass die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage eine (wenn auch nicht die einzige) ihrer Funktionen in der Vermeidung von Zweitprozessen hat. Solche Zweitprozesse werden erforderlich, wenn der Beklagte aus dem Feststellungsurteil nicht die gebotenen Folgerungen zieht. Aus den gleichen Gründen, aus denen eine Feststellungsklage nicht erhoben werden kann, wenn eine Leistungsklage möglich ist45, und daher einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstellen und eine „Elementen-Feststellungsklage“ als unzulässig angesehen wird46, sollte eine Behörde nicht die Möglichkeit erhalten, nach ihrem Ermessen in Fällen, in denen mehrere Tatbestandsvoraussetzungen tatsächlich oder rechtlich umstritten sind, die Auseinandersetzung in eine Mehrzahl von Verwaltungsverfahren über einzelne Elemente aufzuspalten. Das gilt vor allem dann, wenn sich durch unzureichende personelle und materielle Ausstattung des Justizbetriebs die Prozesse hinziehen und der Gesetzgeber die Kostenbelastung des gerichtlichen Rechtsschutzes für den Bürger sukzessive erhöht. Derartige Fälle der Feststellung von einzelne Elementen von Verwaltungsrechtsverhältnissen sind in der Praxis nicht so selten, wie man dies prima facie annehmen sollte, gelangen aber meist nicht vor die Obergerichte. So
__________ 42 43 44 45 46
OVG Frankfurt/Oder v. 1.12.1999 – 4 B 127/99, NJW 2000, 1435. Kunz/Butz/Wiedemann, HeimG, 10. Auflage, § 4 HeimMindBauVO Rdnr. 14. Fn. 1 S. 140/141. § 41 Abs. 2 S. 1 FGO, § 43 Abs. 2 VwGO. BGH v. 15.10.1956 – III ZR 226/55, BGHZ 22, 43 (48); BGH v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, BGHZ 68, 331; BGH v. 19.4.2000 – XII ZR 332/97, NJW 2000, 2280; BGH v. 31.5.2000 – XII ZR 41/98, NJW 2000, 2663. Vgl. auch BSG v. 30.9.1993 – 4 RK 1/92, BSGE 73, 146, wonach die Schwerpflegebedürftigkeit nach § 53 a. F. SGB V kein (durch Klage oder Verwaltungsakt) feststellungsfähiges Rechtsverhältnis darstellt.
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stellt z. B. die Landwirtschaftliche Alterskasse fest, dass ein Beamter „Landwirt“ im Sinne des ALG ist, weil er mit 20 anderen Erben einen Wald geerbt hat und damit Landwirt geworden sei, befreit ihn aber durch einen gesonderten Bescheid nach § 3 Abs. 1 ALG von der Versicherungspflicht, da er als Beamter versorgt ist47. Obwohl voraussichtlich wegen der Versorgungsbezüge nie eine Rente und nie Beiträge gezahlt werden müssen, muss der Adressat diesen Bescheid anfechten, wenn er geltend machen will, dass die nach § 1 Abs. 5 ALG festgesetzte Mindestgröße des Waldes nicht erreicht wird, weil die Fläche durch die Zahl der Erben zu teilen ist und auf ihn daher nur ein Zwanzigstel der gesamten Waldfläche entfällt.48 b) Die Rechtsschutzfrage in der Rechtsprechung Vereinzelt kommt dieser Rechtsschutzaspekt zur Sprache, wenn Gerichte bei der Beurteilung, ob ein feststellender Verwaltungsakt erlassen werden durfte, zur Bejahung von dessen Zulässigkeit darauf zurückgreifen, dass der Kläger im konkreten Fall nicht in „rechtsschutzbeeinträchtigender Weise“ beschränkt worden sei49. Diese Bemühung, den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG zu genügen, ist jedoch nicht ausreichend, weil sie auf den Einzelfall abstellt und die Ergebnisse der gerichtlichen Erkenntnis, ob der Bürger durch die Feststellung einer Behörde „nicht rechtsschutzverkürzend beeinträchtigt“ sei, kaum voraussehbar sind. Die Orientierung an den materiellen Anforderungen, die das BVerfG darüber anstellt, ob der Zugang zum Gericht in unzumutbarer Weise beschränkt wird, würde daher nur dann in Betracht kommen können, wenn überhaupt die Verwaltungsbehörde ein Wahlrecht hätte, ob sie durch einen Leistungsbescheid oder einen Feststellungsbescheid vorgeht. Wie zufällig der Aspekt des Rechtsschutzes von der Rechtsprechung behandelt wird, zeigt eine Entscheidung, in der das Bundesverwaltungsgericht50 die Feststellung gestattet hat, dass eine Rundfunkanstalt „dem Grunde nach“ der Beitragspflicht zur Insolvenzversicherung unterliegt. Obwohl für eine solche Feststellung keine Ermächtigungsgrundlage besteht, wird die Feststellung nicht als Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG angesehen, denn sie lege „dem Kläger keine unzumutbare Anfechtungslast“ auf. Auch für ihn stelle es nämlich eine verfahrensrechtliche Erleichterung dar, wenn er sich in diesem Stadium nicht mit der Höhe der Beitragsforderung auseinandersetzen muss“.
__________ 47 So der Sachverhalt SG Freiburg v. 16.1.2004 – S 4 LW 2328/01 (unveröffentlicht); ähnlich OVG Münster v. 12.12.1989 – 5 A 1301/89, NWVBl. 1990, 165 (Feststellung der Mitgliedschaft im anwaltlichen Versorgungswerk). 48 Für die Zurechnung der vollen Fläche bei allen Erben BSG v. 9.2.1971 – 11 RLw 6/69, RdL 1972, 23. 49 OVG Berlin v. 28.10.1999 – 2 N 9/99, NVwZ-RR 2000, 648 (649). 50 BVerwG v. 15.1.1987 – 3 C 3.81, BVerwGE 75, 318 (319).
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4. BVerfGE 40/237 (Vorverfahren StrVollzG) Das BVerfG51 hat sich mit der Frage befasst, ob es gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstößt, wenn das StrVollzG es den Ländern überlässt, ob diese ein Vorverfahren einführen oder den Rechtsweg nach § 23 EGGVG direkt eröffnen wollen und ein Bundesland von dieser Befugnis nur durch eine verwaltungsinterne Allgemeinverfügung Gebrauch macht und anordnet, dass der an das Oberlandesgericht gerichtete Verfahrensantrag ohne fristgerechte Durchführung des Vorverfahrens unzulässig ist. Es hat das Vorgehen für zulässig gehalten. Es hat jedoch zugleich deutlich die Schranken aufgezeigt: Auch wenn das Gesetz keinen „Totalvorbehalt des förmlichen Gesetzes“ verlange, so müsse in jedem Fall gewährleistet sein, dass eine abstrakt-generelle Bestimmung besteht, die jedem, den es angeht, bekannt werden kann, und dass die Regelung gleichmäßig gehandhabt wird. Rechtsunsicherheit stelle hier eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zum Gericht dar. 5. Übertragbarkeit und Grenzen Diese Erwägungen lassen sich auf die Frage übertragen, ob von der Verwaltung feststellende Verwaltungsakte ohne gesetzliche Ermächtigung erlassen werden dürfen. a) Vorrang des Gesetzes Zu verlangen wäre in jedem Fall, dass der Vorrang des Gesetzes beachtet wird. Das setzt beispielsweise feststellenden Verwaltungsakten in bezug auf die steuerlichen Bemessungsgrundlagen Schranken. Denn §§ 157 Abs. 2, 179 Abs. 1 AO bestimmen ausdrücklich, dass Bestandteile der Bemessungsgrundlage nur dann gesondert festgestellt werden dürfen, wenn dies eine Norm ausdrücklich anordnet. Daher wäre es z. B. nicht zulässig, wenn die Finanzverwaltung, die hierüber lediglich eine vorläufige Rechtsauskunft erteilt, die Gemeinnützigkeit von Körperschaften gesondert feststellen würde, eine Maßnahme die auch nicht zweckmäßig wäre, da gerade im voraus nicht überprüft werden kann, ob nicht nur die Satzung den gesetzlichen Anforderungen genügt, sondern die Organe auch tatsächlich danach handeln. In ähnlichem Sinne wie im Steuerrecht wird § 31 SGB I zu verstehen sein, der anordnet, dass auch feststellende Verwaltungsakte einer Ermächtigungsgrundlage bedürfen.52 Problematisch ist es auch, wenn trotz der Aufhebung einer Ermächtigung zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts53 dennoch
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51 BVerfG v. 28.10.1975 – 2 BvR 883/73 und 379, 497, 526/74, BVerfGE 40, 237 (253). 52 Das BSG (v. 16.2.1983 – 7 Rar 90/81, NVwZ 1984, 62) hat allerdings angenommen, dass vor einer Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens trotz § 31 SGB I auf allgemeine verwaltungsrechtliche Grundsätze ergänzend zurückgegriffen werden darf. 53 VGH München v. 17.8.1960 – 195 IV 55, DVBl. 1960, 735 (Festlegung eines Jagdbezirks).
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angenommen wird, dass die Behörde auch weiterhin die Befugnis hat, solche Akte zu erlassen. b) Einheitliche flächendeckende Verwaltungsvorschriften Im übrigen wäre zu fordern, dass – wie dies das Bundesverfassungsgericht als Mindeststandard verlangt – für die Fälle, in denen ein feststellender Verwaltungsakt ergehen kann, zumindest landesweit das Nähere dazu festgelegt wird, was heute regelmäßig nicht der Fall ist. Die Publizierung von entsprechenden Vorschriften würde den größten Nachteilen entgegenwirken, dass nämlich von Fall zu Fall gehandelt wird und dadurch Unsicherheit und Ungleichheit entsteht. Gerade das Wissen, in welcher Funktion im Rahmen eines Regelwerkes eine bestimmte Feststellung erfolgt, und die Klarheit, welche Folgen das hat, würde dem feststellenden Verwaltungsakt ohne gesetzliche Grundlage vieles von seiner Problematik nehmen. Problemlos wird er dann dennoch nicht, wenn der feststellende Verwaltungsakt dazu dient, in verbindlicher Form nur „Leitlinien“ für das Verhalten des Adressaten zu formulieren, die es von diesem „zu berücksichtigen“ gilt.54
III. Folgerungen Kommt man zu dem Ergebnis, dass Feststellungen ohne Ermächtigungsgrundlage grundsätzlich höchstens unter den genannten Einschränkungen einer umfassenden Regelung durch allgemeine Verwaltungsvorschriften zulässig sind, so ergeben sich daraus bestimmte Folgerungen, die aufgezeigt werden sollen. 1. Auslegung von Ermächtigungsnormen in der Rechtsprechung Häufig entnehmen Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Normen diesen, der Normgeber habe auch zum Erlass von feststellenden Verwaltungsakten ermächtigen wollen. Damit wird die Problematik aber häufig hinwegdefiniert. Natürlich müssen Normen immer ausgelegt werden; es gibt keine Normanwendung ohne Auslegung55. Insofern ist der Hinweis von Gerichten56 auf die Auslegungsbedürftigkeit richtig. Viele Entscheidungen
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54 Vgl. OVG Münster v. 17.5.2002 – 13 A 5293/00, CR 2002, 662 (Anordnung des Bundesministers für Post- und Telekommunikation nach dem TKG). 55 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S. 80 f. 56 BVerwG v. 29.11.1985 – 8 C 105.83, BVerwGE 72, 265 (268); BVerwG v. 10.10.1990 – 1 B 131/90, NVwZ 1991,267; BVerwG v. 12.12.1979 – 8 C 77.78, Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 4; BVerwG v. 22.10.1991 – 1 C 1/91, NVwZ 1992, 665; OVG Berlin v. 28.10.1999 – 2 N 9/99, NVwZ-RR 2000, 649 (650); VGH Mannheim v. 22.12.1992 – 9 S 2018/90, NJW 1993, 1219; OVG Lüneburg v. 15.8.1988 – 8 OVG A 45/87, DVBl. 1989, 48 (49); OVG Münster v. 12.12.1989 – 5 A 1301/89, NWVBl. 1990, 165.
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legen aber gerade nicht aus, sondern ergehen sich in allgemeinen Behauptungen, die über formelhafte Wendungen nicht hinausgehen57. Sie bringen zum Ausdruck, dass die Gerichte in bestimmten Situationen einen feststellenden Verwaltungsakt für zweckmäßig halten, ohne im Rahmen einer korrekten Normauslegung eine Ermächtigungsgrundlage aufzuzeigen. Das entgeht ersichtlich häufig auch den Gerichten nicht, wenn beispielsweise58 gesagt wird, dass keine „wahrhaft ausdrückliche“ Ermächtigungsgrundlage gefordert werde. Das sei beispielhaft dargestellt: a) Kein ausdrückliches Verbot Häufig wird im Rahmen der vermeintlichen Auslegung darauf hingewiesen, dass das Gesetz eine Feststellung von Elementen durch Verwaltungsakt nicht ausdrücklich verbiete59. Dieser Befund ist regelmäßig zwar zutreffend. Aber er eröffnet erst die Fragestellung nach der Zulässigkeit eines feststellenden Verwaltungsaktes. Dass nämlich eine „Auslegung des Gesetzes“ nicht gegen die ausdrückliche gesetzliche Anordnung selbst erfolgen kann, ergibt sich bereits aus dem Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes und ist eine bare Selbstverständlichkeit. b) Kompetenz für umgrenzte Sachbereiche In vielen Fällen wird als Auslegungskriterium darauf hingewiesen, dass ein Normengefüge einer bestimmten Behörde die Kompetenz für eine umgrenzte Sachaufgabe zuweist. Darum geht es aber gar nicht. Denn entscheidend ist nicht, welche Sachaufgabe die Verwaltungsbehörde erfüllen soll, sondern welche Handlungsformen ihr dafür nach dem Gesetz zur Verfügung gestellt sind60. Darüber sagen Aussagen über den Kompetenzbereich nichts. Es handelt sich nur um eine sprachlich anders eingekleidete Behauptung, dass eine
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57 Ein Gegenbeispiel bietet BFH v. 23.6.1983 – IV R 3/82, BStBl. II 1983, 768, wo sorgfältig anhand des Gesetzgebungsverfahrens dargelegt wird, dass die Feststellung der Überschreitung der Buchführungsgrenzen nach § 141 Abs. 1 AO durch die Finanzbehörde eine Ermächtigung zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes darstellt. 58 VGH Mannheim Urt. vom 9.9.1992, NVwZ-RR 1993,241/242. Vgl. auch zur „wahrhaft ausdrücklichen“ Ermächtigungsgrundlage, die nicht zu fordern sei, BVerwG v. 29.11.1985 – 8 C 105.83, BVerwGE 72, 265 (268). 59 Z. B. OVG Berlin v. 28.10.1999 – 2 N 9/99, NVwZ-RR 2000, 649 wo angenommen wird, die Verantwortlichkeit zum Ersatz der durch eine unmittelbare Ausführung einer polizeilichen Maßnahme entstandenen Kosten könne angeordnet werden, weil eine solche eigenständige Feststellung „durch das Gesetz nicht ausgeschlossen“ sei. 60 Deshalb lehnt das OVG Lüneburg v. 15.8.1988 – 8 OVG A 45/87, DVBl. 1989, 48 (49) auch ab, einer Ärztekammer die Beseitigung einer Lichtreklame eines Arztes zu ermöglichen.
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Behörde im Rahmen ihrer Aufgaben auch ohne bestimmte Ermächtigung feststellende Verwaltungsakte erlassen dürfe, was aber erst zu begründen wäre. So kann beispielsweise aus dem Bestehen einer Anzeigepflicht nach § 12 HeimG, wonach die Eröffnung oder Änderung eines Heimes der zuständigen Behörde mitzuteilen ist, damit diese ihrer Überwachungsaufgabe nachkommen kann, nicht der Schluss gezogen werden, dass feststellende Verwaltungsakte im Rahmen der Heimaufsicht erlassen werden können.61 Das ist im Grunde kein Argument, das weiter trägt als die (ebenfalls nicht belegte) Behauptung, das Recht zum Erlass feststellender Verwaltungsakte ergebe sich aus dem „Wesen der verwaltenden Staatstätigkeit“62. Es bleiben aber Fälle, in denen man durch Auslegung zu dem Ergebnis kommen kann, dass der Gesetzgeber eine Feststellung durch Verwaltungsakt hat zulassen wollen. In § 24 Abs. 2 AsylVerfG kann z. B. die Anordnung, dass nach der Stellung des Asylantrages dem Bundesamt die „Entscheidung obliegt, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen“, durchaus dahin verstanden werden, dass damit zugleich eine Grundlage für die Feststellung von Abschiebungshindernissen angeordnet worden ist.63 Anders liegt es hingegen in folgendem Fall: Den Baurechtsbehörden ist die Kontrolle der baurechtlichen Aktivitäten übertragen. Sie können Baugenehmigungen erteilen, sie zurücknehmen oder widerrufen, einen ohne Baugenehmigung ausgeführten Bau einstellen oder auch im Wege eines Bauvorbescheides eine baurechtliche Vorfrage mit einem feststellenden Verwaltungsakt klären. Keine dieser Befugnisse kann aber eine Grundlage dafür bilden, dass eine Baurechtsbehörde in bezug auf eine durch Fristablauf abgelaufene Baugenehmigung nunmehr entgegen dem Willen des Bauherren feststellt, das diese Baugenehmigung unwirksam ist, wenn das jeweilige Landesrecht eine Rücknahme oder einen Widerruf einer durch Fristablauf erloschenen Baugenehmigung nicht zulässt. c) Sachgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit Das Argument schließlich, dass eine Feststellung mehr oder minder sachgerecht sei und daher die Behörde vom Normgeber sicherlich auch in den Stand gesetzt werden sollte, eine Feststellung anstelle eines belastenden oder begünstigenden Verwaltungsaktes zu erlassen, beruht auf einem Zirkelschluss. Gerade die Sachgerechtigkeit ist nämlich wegen der tendenziellen Beeinträchtigung des Rechtsschutzes zweifelhaft. Die Klagen gegen derartige Verwaltungsakte zeigen, dass die Kläger diese Beurteilung der Sachgerech-
__________ 61 So aber der Schwerpunkt der Argumentation des OVG Frankfurt/Oder v. 1.12.1999 – 4 B 127/99, NJW 2000, 1435. 62 Vgl. Fn. 5. 63 BVerwG v. 27.2.1996 – 9 C 145.95, InfAuslR 1996, 323; BVerwG v. 21.3.2000 – 9 C 41/99, NVwZ 2000, 940; OVG Münster v. 16.10.1995 – 22 A 5963/95. A, NVwZRR 1996, 421.
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tigkeit in vielen Fällen nicht teilen. Deshalb wird das Ergebnis von manchen Gerichten noch mit dem Hinweis untermauert, dass eine solche Feststellung, auch wenn der Adressat des Bescheides sich gegen die Feststellung wehre, doch in dessen Interesse liege64. Damit wird aber das tatsächlich geäußerte Interesse des Bürgers in ein Spannungsverhältnis zu seinem nur von den Gerichten zutreffend erkannten „wahren“ Interesse gesetzt, das gegen seinen geäußerten Willen staatlich durchzusetzen ist. 2. Kein Bedürfnis aus Rechtsschutzgründen Der feststellende Verwaltungsakt wird regelmäßig auch nicht als Instrument des Rechtsschutzes benötigt, wenn Rechtsfolgen bereits kraft Gesetzes eintreten. Dies ist im Beamtenrecht beispielsweise bei der Einbehaltung von Dienstbezügen nach § 44 BBG bei der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand65 oder beim Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis wegen bestimmter strafrechtlicher Verurteilungen66 der Fall. Ebenso liegt es, wenn die Aufenthaltserlaubnis eines Ausländers kraft Gesetzes erloschen ist.67 Hier treten die gesetzlichen Folgen ohne zwischengeschaltete Vollzugsmaßnahmen ein. Man hat deshalb teilweise überlegt, ob man zur Effektivierung des Rechtsschutzes hier einen Bedarf hat, diese kraft Gesetzes eingetretenen Folgen in Form eines Verwaltungsaktes nochmals festzustellen. a) Direkte Rechtsfolgenanknüpfung Der Gesetzgeber ist rechtlich nicht gehindert, an ein behördliches Handeln kraft Gesetzes bestimmte Rechtsfolgen zu knüpfen68, die automatisch eintreten und nicht erst durch einen Verwaltungsakt konkretisiert werden müssen. In der intensivsten Form wird von diesem Mechanismus Gebrauch gemacht, wenn das Gesetz nicht erst an den Verstoß gegen bestimmte feststellende Verwaltungsakte, sondern direkt an das Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale strafrechtliche Sanktionen knüpft.69
__________ 64 Vgl. Fn. 106. Typisch ist die Argumentation, dass, weil die Behörde einem Bürger nicht durch Verwaltungsakt aufgeben könne, einen Genehmigungsantrag zu stellen, sie anstelle einer Gewerbeuntersagung oder der Untersagung einer anderen Tätigkeit eine Feststellung treffen dürfe, dass eine derartige Tätigkeit nur mit einer Genehmigung erlaubt sei. Dies erspare dem Bürger Investitionen, die sich nachher bei einer Untersagung als nutzlos erweisen. 65 BVerwG v. 27.6.1991 – 2 C 26.89, BVerwGE 88,332 kein Verwaltungsakt. 66 BVerwG v. 29.12.1969 – VI C 4.65, BVerwGE 34, 353 Verwaltungsakt. 67 VGH Mannheim v. 13.3.1990 – 1 S 3361/89, NVwZ-RR 1990, 513. 68 BVerwG v. 27.6.1991 – 2 C 26.89, BVerwGE 88, 332 (336). 69 Zur Schaffung von Rechtssicherheit durch Verfahrensakte als Korrelat zum materiellen Recht grundlegend Karsten Schmidt, Kartellverfahrensrecht – Kartellverwaltungsrecht – Bürgerliches Recht, 1977, S. 158 ff.
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Allerdings gebietet Art. 19 Abs. 4 GG, einen effektiven einstweiligen Rechtsschutz zu ermöglichen. Da es bei der nicht durch einen Verwaltungsakt vermittelten direkten Anknüpfung von Rechtsfolgen an einen verwirklichten Tatbestand an einem zwischengeschalteten Verwaltungsakt fehlt, kann auch der vorläufige Rechtsschutz nicht nach § 80 VwGO eingreifen. Es gibt aber keine Hinderungsgründe, dass in derartigen Fällen beispielsweise dem Beamten, dessen Bezüge einbehalten worden sind, nach § 123 VwGO vorläufiger Rechtsschutz gewährt wird.70 Zwar ist der einstweilige Rechtsschutz über eine einstweilige Anordnung schwerer gerichtlich durchzusetzen als eine Aussetzung der Vollziehung. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen aber beide Wege71; auch sonst ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass die Betroffenen bei ähnlichen Fallgestaltungen einmal auf den Weg der Aussetzung der Vollziehung, ein andermal auf die ungünstigere einstweilige Anordnung verwiesen werden.72 b) Sonderfall: Vollstreckungshindernisse Besondere Probleme stellen sich allerdings, wenn aus Rechtsgründen ein Eingriffsakt im Verhältnis zu Behörden nicht durchsetzbar ist, wie dies zum Beispiel bezüglich immissionsschutzrechtlicher Anforderungen gegenüber gemeindlichen Anlagen der Fall sein kann.73 Wenn man hier davon ausgeht, dass einerseits diese Maßnahmen nicht aus der Kontrollbefugnis der für den Immissionsschutz zuständigen Behörden entlassen sind, andererseits aber diese Behörden zum Beispiel zwar Grenzwerte festsetzen, ihre Einhaltung
__________ 70 Hiervon geht auch BVerwG v. 27.6.1991 – 2 C 26.89, BVerwGE 88, 332 (336) aus. OVG Bremen v. 4.11.1988 – 2 B 136/88, NVwZ-RR 1990, 41 sagt nichts anderes, weil es dort darum ging, der Behörde die Fortsetzung des Zwangspensionierungsverfahrens zu untersagen, nicht um die Zahlung von Bezügen. 71 BVerfG v. 13.6.1979 – 1 BvR 699/77, BVerfGE 51, 268 (284 ff.); vgl. auch BVerfG v. 19.10.1977 – 2 BvR 42/76, BVerfGE 46, 166. 72 So kann derjenige, der die vorläufige Erstattung von Vorsteuer verlangt, dies nur im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO begehren (BFH v. 1.4.1982 – V B 37/81, BStBl. II 1982, 515), während dann, wenn die für eigene Umsätze errechnete Umsatzsteuer die Vorsteuern übersteigt, die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO möglich ist (BFH v. 29.11.1984 – V B 44/84, BStBl. II 1985, 194 (197). Es sei auch darauf hingewiesen, das bis zur Einführung des § 80a VwGO einige Oberverwaltungsgerichte vorläufigen Drittschutz nach § 123 VwGO gewährten, während überwiegend eine Aussetzung der Vollziehung nach § 80 VwGO als richtiger Weg angesehen wurde (vgl. Schoch, Der vorläufige Rechtsschutz im 4. VwGO-Änderungsgesetz, NVwZ 1991, 1121 (1124)), so dass die Form des einstweiligen Rechtsschutzes eine Funktion der örtlichen Lage des Bauvorhabens war. 73 Offengelassen von VGH Kassel v. 7.3.1996 – 14 TG 3967/95, NVwZ 1997, 304 Lärmimmissionen eines kommunalen Schwimmbades; a. A. VGH Kassel v. 29.8.2001 – 2 UE 1491/01, NVwZ 2002, 889 mit dem Nachweis auch jener Auffassungen, die den Erlass von Verwaltungsakten beim Vollzug des BImSchG zulassen.
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aber nicht auch zwangsweise durchsetzen können, so liegt es nahe, hier feststellende Verwaltungsakte jedenfalls zuzulassen und auf diese Weise eine gerichtliche Kontrolle zu ermöglichen. Es würde sich hier nur scheinbar um eine Ausnahme, in Wahrheit aber um eine konsequente Fortführung des Grundgedankens handeln, dass feststellende Verwaltungsakte den Rechtsschutz nicht einschränken dürfen. Denn jede gelungene rechtsdogmatische Lösung verlangt, Ausnahmen als konsequente Erfüllung des gedanklichen Grundprinzips zu deuten.74 3. Welche Handlungen sind Verwaltungsakte Die hier dargestellte Sicht des Art. 19 Abs. 4 GG könnte auch Rückwirkungen auf die Beantwortung der Frage haben, ob eine Feststellung einer Behörde einen Verwaltungsakt darstellt oder nur einen rechtlichen Hinweis enthält75. Die Verwaltungsgerichte nehmen hier in der Regel subtile Auslegungen vor, ob aus der Sicht eines verständigen Adressaten eine Erklärung eine Regelung darstellen sollte oder nicht76. Schwerpunkt für derartiger Probleme sind die Erteilung von Auskünften und die Eintragungen in Register77. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass auch dann, wenn die Behörde nicht durch Verwaltungsakt handeln durfte, dies aber in concreto dennoch getan hat, eine Anfechtungsmöglichkeit bestehen muss, um den Rechtsschein und die Bindung an ihn zu verhindern.
__________ 74 So Schmidt-Rimpler, Zum Problem der Geschäftsgrundlage, Festschrift für H.C. Nipperdey, 1955, S. 1 (3). 75 Das Problem stellt sich bisweilen auch in der Form, dass einem Akt, der zweifelsfrei einen Verwaltungsakt darstellt, auch – was im Steuerrecht § 157 Abs. 2 AO gerade verhindern will – zugleich weitergehend zusätzlich noch eine Feststellung von Elementen dieser Begründung als verbindliche Feststellung substituiert wird. Vgl. BVerwG v. 22.10.1991 – 1 C 1/91, NVwZ 1992, 665 (die Spielhallenerlaubnis enthielt ohne Rechtsgrundlage zusätzlich noch eine Feststellung über die Größe der Spielhalle); OVG Münster v. 28.1.1992 – 15 A 2219/89, NVwZ-RR 1992, 449 (Untersagung eines „Ärztestreiks“ umfasste nach Auffassung des Klägers zugleich eine Maßnahme der Staatsaufsicht). 76 Als Beispiel diene VGH Mannheim v. 16.10.1980 – 5 S 1035/80, VBlBW 1981, 397: Dort ging es darum, dass ein Baukontrolleur (§ 46 Abs. 5 bwLBO) bautechnische Änderungen für notwendig gehalten hatte. Über die rechtliche Qualität seiner Äußerungen als Verwaltungsakt bestanden Meinungsunterschiede. Obwohl eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht gegeben worden war, sah das Regierungspräsidium in der Erklärung einen (inzwischen bestandskräftigen) Verwaltungsakt, der VGH nur einen rechtlichen Hinweis. 77 Zur Rechtsnatur der Eintragung in das Denkmalbuch als konstitutiv oder nur deklaratorisch je nach der gesetzgeberischen Gestaltung vgl. VGH Kassel, Urt. v. 23.1.1992, NVwZ-RR 1993, 462; zur Eintragung im Melderegister VGH Kassel v. 13.11.1990 – 11 UE 4950/88, NVwZ-RR 1991, 357; VGH Mannheim v. 24.3.1987 – 1 S 134/86, NVwZ 1987, 1007.
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a) Auslegung öffentlich-rechtlicher Willenserklärungen Für die Auslegung von Verwaltungsakten gilt § 133 BGB analog78; maßgebend ist danach nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der bestimmungsgemäße Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen durfte. Ob eine Entscheidung als Verwaltungsakt oder nur als Äußerung einer Rechtsauffassung gewollt ist, hängt nach der Rechtsprechung davon ab, „ob der betroffene Bürger unter Berücksichtigung aller ihm bekannten oder erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben bei objektiver Auslegung die Erklärung der Behörde als eine verbindliche Regelung auffassen konnte bzw. musste“.79 Maßgebend seien dabei die äußere Form, insbes. das Vorliegen einer Rechtsbehelfsbelehrung, ob die Erklärung im Rahmen einer Auseinandersetzung mit divergierenden Auffassung ergangen ist oder „mehr oder minder unerwartet“ als Information verstanden werden muss. Diese Auslegungsgrundsätze gelten im Zivilrecht auch für die Beurteilung, ob überhaupt ein Erklärungswille vorliegt oder nicht80. b) Maßgeblichkeit der Rechtsbehelfsbelehrung Da nach § 58 Abs. 1 VwGO81 jeder schriftliche VA mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen sein muss, liegt es nahe, hierauf entscheidend abzustellen. Eine Erklärung der Behörde, die eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, muss für den Bürger den Eindruck einer verbindlichen Regelung schaffen, der in solchen Fällen davon ausgehen muss, dass er ohne Anfechtung Rechtsnachteile erleidet oder zumindest erleiden kann. Umgekehrt sollte das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur, wie allgemein angenommen wird, für die Auslegung „eine gewisse Bedeutung“82 haben und nur eines von mehreren Indizien gegen die Rechtsverbindlichkeit bilden. Man sollte vielmehr dann, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlt, grundsätzlich davon ausgehen, dass kein Verwaltungsakt vorliegt. Zwar ist es denkbar83, dass eine Behörde ihre Erklärung, auch wenn sie erkennbar keinen Verwaltungsakt darstellen soll, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versieht, um die Monatsfrist für den Fall in Gang zu setzen, falls das Gericht doch einen Verwaltungsakt annimmt. Dies kann jedoch einfach dadurch zum Ausdruck
__________ 78 VGH Mannheim v. 25.2.1988 – 2 S 2543/87, VBlBW 1988, 439 (440); BFH v. 16.3.2001 – IV B 17/00, BFH/NV 2001,1103 m. w. N. 79 VGH Mannheim v. 3.4.1982 – 5 S 2334/81, DÖV 1982, 703 Hinweis auf die Schutzwürdigkeit als Kulturdenkmal. 80 BGH v. 7.6.1984 – IX ZR 66/83, BGHZ 91, 334; BGH v. 2.11.1989 – IX ZR 197/88, BGHZ 109, 171 (177). 81 Bzw. § 356 Abs. 1 AO oder § 66 SGG. 82 So BVerwG v. 26.4.1968 – VI C 113.67, BVerwGE 29, 310 (313); ähnlich zurückhaltend BVerwG v. 12.1.1973 – VII C 3.71, BVerwGE 41, 305 (307). 83 Eine Erwägung, die BVerwG v. 10.10.1961 – VI C 123.59, BVerwGE 13, 99 (103) anstellt.
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gebracht werden, dass diese maßgeblichen Erwägungen in der Begründung zum Ausdruck gebracht werden. Man sollte daher der Rechtsmittelbelehrung nicht nur eine „gewisse Bedeutung“84 zuerkennen, sondern sie zum allein maßgeblichen Kriterium dafür machen, ob aus der Sicht des Adressaten eine verbindliche Regelung getroffen werden sollte oder nicht. Das gilt vor allem dann, wenn man das berechtigte Interesse des Adressaten an einer klaren Beantwortung der Frage, ob ein Verwaltungsakte vorliegt oder nicht, auf Art. 19 Abs. 4 GG stützt85. Der praktische Unterschied der Qualifizierung liegt letztlich darin, ob ein ohne Rechtsbehelfsbelehrung erlassener Akt nach Ablauf eines Jahres noch angegriffen werden kann (§ 58 Abs. 2 VwGO, § 356 Abs. 2 AO, § 66 Abs. 2 SGG) oder nicht und ob eine Erklärung, dass man sich gegen die Auffassung der Behörde wendet, zu einer aufschiebenden Wirkung nach § 80 VwGO führt. Klare typisierende Grundsätze anstelle von subtilen Auslegungen liegen im Interesse des Rechtsschutzes der Bürger, der wissen muss, woran er ist. 4. Situationsübergreifende Feststellungen Zahlreiche der zum feststellenden Verwaltungsakt ergangenen Entscheidungen betreffen Feststellungen, die über den einzelnen Fall hinausreichend wirken und in mehreren Beziehungen Rechtswirkungen entfalten und klare Verhältnisse schaffen sollen. Es kann beispielsweise Uneinigkeit darüber bestehen, ob die dem Steuerberater erteilte Rechtsberatungserlaubnis für das Gebiet des „Zivilrechts“ auch zur Beratung im Arbeitsrecht berechtigt86, ob eine erteilte Baugenehmigung durch Zeitablauf erloschen ist87, ob ein Beamter wegen einer strafgerichtlichen Verurteilung kraft Gesetzes aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden ist88, ob bestimmte Geschäfte nur mit einer Erlaubnis betrieben werden dürfen89, ob die Produktion einer bestimmten Ware unter das Nachtbackverbot fällt90, ob eine Mitgliedschaft einer Gemeinde in einem Zweckverband nur mit Zustimmung der Aufsichtsbe-
__________ 84 So BVerwG, Urt. v. 26.4.1968, BVerwGE 29,310/313. 85 So BVerwG v. 12.1.1973 – VII C 3.71, BVerwGE 41, 305 (306) und schon BVerwG v. 21.4.1972 – VII C 80.70, NJW 1972, 1682. 86 VGH Mannheim v. 22.12.1992 – 9 S 2018/90, NJW 1993, 1219. 87 VGH München v. 12.10.1989 – 26 B 86.02944, NVwZ-RR 1991, 117; BVerwG v. 22.6.1979 – 4 C 40/75, NJW 1980, 718, ob eine luftverkehrsrechtliche Genehmigung für Ausbaumaßnahmen eines Flughafens erforderlich ist. 88 BVerwG v. 29.12.1969 – VI C 4.65, BVerwGE 34, 353. 89 BVerwG v. 10.10.1990 – 1 B 131/90, NVwZ 1991, 267 Makler- und Bauträgertätigkeit; BVerwG v. 29.3.1966 – I C 19.65, BVerwGE 24, 23 immissionsschutzrechtliche Genehmigung; BVerwG v. 2.7.1991 – 1 B 64/91, NVwZ-RR 1992, 192 Betrieb eines Heimes. 90 VGH München v. 18.8.1980 – Nr. 22 B – 1410/79, NJW 1981, 2076.
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hörde gekündigt werden kann91 oder ob eine Sozialhilfeempfängerin zum Kostenersatz verpflichtet ist, wenn sie den Namen des Vaters ihres Kindes nicht nennt und damit einen Rückgriff des Sozialhilfeträgers verhindert92. In solchen Fällen wird man behördlichen Feststellungen eine gewisse Zweckmäßigkeit nicht absprechen können. Die Problematik kann auch bei typischerweise begünstigenden Fällen auftreten, etwa wenn nach § 11 S. 4 Bundeslaufbahn-VO festgestellt wird, dass die Probezeit vom Beamten als geleistet gelte.93 Das BVerwG94 hat es auch als zulässig angesehen, dass eine Beitragspflicht „dem Grunde nach“ festgestellt wird, um die Frage nach der Beitragshöhe einem späteren Verwaltungsverfahren vorzubehalten und den Arbeitgeber von Rechenarbeit zu entlasten. Als streitig wurde, ob ein niedergelassener Arzt befugt war, in-vitro-Fertilisationen und den Embryotransfer vorzunehmen, wurde vom VGH Mannheim95 eine behördliche Klärung durch eine nicht mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Negativerklärung für zulässig erachtet mit dem Hinweis, „eine Prüfungs- und Überwachungspflicht schließt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Feststellung von Pflichtverstößen bzw. der Berufspflichtwidrigkeit einer beruflichen Betätigung ein“. In allen diesen Fällen mag eine verbindliche Feststellung „dem Grunde nach“ möglicherweise durchaus rechtspolitisch als zweckmäßig erscheinen96. Doch ist es Sache des Normgebers, die Voraussetzungen für solche Feststellungen durch Verwaltungsakt zu eröffnen97. Denn er hat, woran meist nicht gedacht wird, dabei auch immer zu bedenken, in welchem Maße solche feststellenden Entscheidungen dann nicht nur zwischen den Parteien des konkreten Rechtsverhältnisses wirken, sondern auch für dritte Personen Tatbestandswirkung entfalten sollen98. a) Einverständnis des Bürgers Die Tatsache, dass zwischen der Verwaltung und dem Bürger unterschiedliche Auffassungen über eine tatsächliche oder rechtliche Beurteilung beste-
__________ 91 92 93 94 95 96
ThürOVG v. 16.11.2001 – 4 EO 221/96, LKV 2002, 336 (= DÖV 2002, 712 Leitsatz). BVerwG v. 5.5.1983 – 5 C 112.81, BVerwGE 67, 163. OVG Bremen v. 28.4.1994 – 2 BA 13/93, NVwZ-RR 1995,457 (Leitsatz). Fn. 8. VGH Mannheim v. 6.6.1991 – 9 S 1167/90, NJW 1991, 2368. Zu den Zweckmäßigkeitserwägungen vgl. Kopp, Feststellende Verwaltungsakte und Vollziehungsverfügungen im Gewerberecht, GewA 1986, 41. 97 So auch VGH München v. 5.4.1976 – Nr. 1 IX 71, DVBl. 1977, 108 und VGH München v. 17.8.1960 – 195 IV 55, DVBl. 1960, 735/736 (a. A. VGH München v. 18.8.1980 – Nr. 22 B – 1410/79, NJW 1981, 2076). 98 Wie dies etwa für den Vertriebenenausweis galt (BVerwG v. 16.10.1969 – I C 20.66, BVerwGE 34, 90 und BVerwG v. 25.6.1970 – I C 10.69, BVerwGE 35, 316) und heute wohl für die Bescheinigung der Spätaussiedlereigenschaft nach dem BVG n. F. angenommen werden muss.
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hen können, ist eine Situation, mit der häufig zu rechnen ist. Das berechtigte Bedürfnis des Bürgers, derartige Fragen zu klären, bedarf funktionell der Befriedigung. Christoph Trzaskalik hat in der Klärung dessen, was der Bürger bei seinen zukünftigen Handlungen als rechtens zugrunde legen kann, damit er eine sichere Verhaltensbasis hat, eine der beiden wesentlichen Rechtsschutzfunktion der Feststellungsklage99 gesehen. Art. 19 Abs. 4 GG will dem Bürger den Rechtsschutz gegen die staatliche Gewalt eröffnen. Es kann von dieser Zielsetzung aus gesehen aber nicht verlangt werden, dass auch im Falle eines Konsenses über die Rechtslage eine Feststellungsklage erhoben werden muss, nur um die gewünschte Rechtssicherheit zu gewährleisten. Dies würde der „knappen Resource Recht“ nicht angemessen Rechnung tragen. Deshalb ist es richtig, dass das BVerwG100 im Leitsatz seiner Entscheidung die Auffassung vertreten hat, dass es einer Ermächtigungsgrundlage für feststellende Verwaltungsakte dann nicht bedarf, wenn die Behörde und der Bürger etwas übereinstimmend als rechtens ansehen und insoweit von der Behörde eine verbindliche Feststellung getroffen wird. Man kann nämlich andererseits auch nicht davon ausgehen, dass in diesen Fällen überhaupt kein Bedarf mehr nach einer verbindlichen Klärung besteht. Denn eine solche Feststellung sichert den Bürger nicht nur – wenn auch nur im Rahmen der Vorschriften über den Widerruf und die Rücknahme von Verwaltungsakten – vor zukünftigen Änderungen der Rechtsauffassung der Behörde, sondern hat unter Umständen auch über eine Tatbestandswirkung oder bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung eine Drittwirkung. So wird der Steuerberater, dem durch Verwaltungsakt erklärt worden ist, dass auch das Arbeitsrecht zum „Zivilrecht“ gehört, für das er eine Rechtsberatungserlaubnis erhalten hat, sich im Rahmen eines Wettbewerbsprozesses mit einem Kollegen nach § 1 UWG hierauf erfolgreich berufen können, während bei einer bloßen Bekundung einer bloßen Rechtsauffassung das zuständige Landgericht an diese behördliche Auffassung mangels Tatbestandswirkung nicht gebunden wäre101. Wenn auch in diesen Fällen eine verbindliche Feststellung des Inhalts eines Rechtsverhältnisses mit Einverständnis des Bürgers als möglich angesehen wird, so ist dies eine Folgerung der Tatsache, dass Art. 19 Abs. 4 GG Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt gewähren will. Gleiches wird man auch annehmen dürfen, wenn zwar die Behörde und der Bürger sich nicht inhaltlich einig sind, (z. B. ob die Beratungserlaubnis für das Zivilrecht auch das Arbeitsrecht umfasst), jedoch übereinkommen, diese Frage gerichtlich nicht im Rahmen einer Feststellungsklage, sondern im Rahmen einer Anfech-
__________ 99 Fn. 1. Die andere liegt in der Feststellung der Rechtsmäßigkeit eines in der Vergangenheit verwirklichten Geschehens, vgl. nur die Ergebnisse auf S. 202. 100 BVerwG v. 29.11.1985 – 8 C 105.83, BVerwGE 72, 265. 101 BGH v. 28.1.1969 – VI ZR 231/67, NJW 1969, 922.
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tungsklage gegen einen feststellenden Verwaltungsakt zu klären. Besteht Konsens, so ist der Schutzbereich dieser Zielsetzung nicht berührt. b) Grenzen einverständlicher feststellender Verwaltungsakte Eine solche einvernehmliche Feststellung ähnelt funktionell einer verbindlichen Zusage oder einer Genehmigung. Ob ihr trotz der Unbedenklichkeit unter dem Aspekt des Art. 19 Abs. 4 GG andere rechtliche Hindernisse entgegen stehen, ist eine Frage nicht des Vorbehaltes, sondern des Vorrangs des Gesetzes. Ihre Beantwortung richtet sich nach der jeweiligen Sachgesetzlichkeit des geregelten Rechtsgebietes. Generelle Regeln lassen sich hier wohl nicht aufstellen. Ist eine Feststellungsklage des Bürgers nicht möglich, so kann dieser das erstrebte Ergebnis schwerlich dadurch erreichen, dass er mit der Behörde einen Konsens herbeiführt und diese eine entsprechende Feststellung durch Verwaltungsakt trifft. Das Jahresprinzip des § 2 Abs. 7 S. 1 EStG kann wohl schwerlich dadurch überwunden werden, dass im Rahmen einer Zwischenfeststellungsklage nach § 155 FGO in Verbindung mit § 256 Abs. 2 ZPO in einem Prozess über die Steuer des Jahres 01 zugleich die Höhe der Abschreibungen für die Folgejahre 02 ff. festgestellt werden. Das kann dann aber auch nicht durch eine einvernehmliche behördliche Feststellung geschehen102, selbst wenn § 157 Abs. 2 AO nicht entgegen stehen würde. c) Divergierende Auffassung zwischen Behörde und Bürger Der eigentlich kritische Fall liegt jedoch vor, wenn der Bürger zwar eine Klärung einer Statusfrage durch die Behörde durchaus wünscht, sich aber ein anderes Ergebnis dieser Klärung als die Behörde vorstellt, die Rechtsauffassungen von Behörde und Bürger also divergieren. Beantragt wird beispielsweise festzustellen, dass eine bestimmte Tätigkeit keiner Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz bedarf. Teilt die Behörde die Auffassung des Antragstellers jedoch nicht, so stellt sich die Frage dahin, ob dann auch ohne eine Ermächtigungsgrundlage (und ohne Zustimmung des Betroffenen) eine negative Feststellung ergehen darf. Nicht anders liegt es dann, wenn der Bürger bereits in der Erwartung einer für ihn negativen Auffassung der Behörde erst gar keinen Antrag stellt. In derartigen Fällen wird der Bürger in der Lage sein, eine Feststellungsklage zu erheben, die ihm – wenn er damit Erfolg hat – eine rechtssichere Basis für sein zukünftiges Handeln gibt. Es ergibt sich dabei allerdings das Problem, dass die Erhebung der Feststellungsklage mit dem vorbeugenden Rechts-
__________ 102 Die konsequente Einhaltung des Jahresprinzips stellt grundsätzlich keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar (BFH v. 5.12.1989 – VIII R 322/84, BFH/NV 1990, 499 (501 m. w. N.).
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Bedarf ein feststellender Verwaltungsakt einer spez. Ermächtigungsgrundlage?
schutzsystem abgestimmt werden muss103. Der praktische Unterschied liegt darin, das man dann, wenn man alternativ den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts ohne Zustimmung des Betroffenen für zulässig hält, dem Bürger eine Anfechtungslast aufbürdet; ficht er die Feststellung der Behörde nicht an, wird sie für ihn rechtens. Ob er hingegen eine Feststellungsklage erhebt, unterliegt nur seiner eigenen freien Entscheidung. Allein der Umstand, dass eine Klärung der Rechtslage aus der Sicht der Behörde sinnvoll ist, kann keine hinreichende Legitimation sein, durch feststellenden VA das Gegenteil dessen was (oder jedenfalls etwas anderes als) der Bürger begehrt, festzustellen. Denn damit wird der Bürger durch die Notwendigkeit der befristeten Anfechtung unter Druck gesetzt, weil ihm sonst ohne Anfechtung des feststellenden Verwaltungsaktes später die Geltendmachung eines gegenteiligen Standpunktes regelmäßig nicht mehr möglich ist. Dieser Druck ist auch dann nicht hinzunehmen, wenn man berücksichtigt, dass im Falle eines feststellenden Verwaltungsaktes ein Widerspruchsverfahren der gerichtlichen Anfechtung voranzugehen hat, zumal dieses häufig nicht kostenfrei ist. Die Argumentation, dass die bloße Aufgabenwahrnehmung innerhalb eines Sachbereiches für die Behörde keine Ermächtigungsgrundlage für feststellende Verwaltungsakte schafft, wurde bereits oben erörtert. Es ist bei genauerer Betrachtung auch kein wirklicher Bedarf für derartige Feststellungen vorhanden. Denn wenn jemand eine Tätigkeit ausübt, die nur aufgrund einer Erlaubnis ausgeübt werden darf, so besteht für die Behörde die Möglichkeit, zielgenau ihre Auffassung durch Unterlassungsverfügungen durchzusetzen, wenn der bloße Meinungsaustausch durch die Darlegung von rechtlichen Erwägungen erfolglos ist. Irgendwelche Defizite im Handlungsinstrumentarium der Verwaltung ergeben sich nicht: Der ohne Baugenehmigung begonnene Bau kann eingestellt werden, die ohne Genehmigung begonnene Berufstätigkeit kann untersagt werden. Auch für den einstweiligen Rechtsschutz ergeben sich keine relevanten Unterschiede. Denn ebenso wie die Untersagungsverfügungen hat auch der Widerspruch gegen feststellende Verwaltungsakte aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO104, so dass die Behörde den sofortigen Vollzug anordnen muss, wenn sie der Untersagung sofort Wirksamkeit verschaffen will. Zwar ist auch bei einem feststellenden Verwaltungsakt die Anordnung des sofortigen Vollzuges nicht prinzipiell ausgeschlossen. Doch die Voraussetzungen dafür werden regelmäßig nicht vorliegen, wenn sich die Behörde nicht einmal des ihr zustehenden Mittels von Geboten oder Verboten bedient, sondern sich mit einem feststel-
__________ 103 Grundlegend dazu Trzaskalik (Fn. 1), S. 120 ff. Der Frage kann hier nicht näher nachgegangen werden. 104 Vgl. VGH München v. 27.7.1998 – 5 ZS 98.1714, NVwZ 1998, 1318 und VGH Kassel v. 20.3.1990 – 11 UE 3768/88, DVBl. 1990, 1003.
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lenden Verwaltungsakt begnügt, der zur Umsetzung auf der zweiten Stufe immer noch eines weiteren vollstreckungsfähigen Verwaltungsaktes bedarf. d) Das „wohlverstandene Interesse“ des Bürgers an einer Feststellung In Gerichtsentscheidungen, die solche feststellenden Verwaltungsakte zulassen, wird immer wieder argumentiert: Das geltende Recht erlaube der Behörde nicht, verbindlich dem Bürger die Beantragung einer Genehmigung aufzugeben105. Wenn daraus jedoch dann die Folgerung abgeleitet wird, es liegt im wohlverstandenen Interesse des Bürgers, ein solches Verfahren zuzulassen106, da er davor geschützt werde, auf unsicherer Basis Investitionen zu tätigen, die sich dann später als nutzlos erweisen, so gehen die Gerichte damit über ihre Rechtsschutzauftrag hinaus. Die Beurteilung, ob ein Bürger auf einer unsicheren Rechtsbasis Investitionen vornehmen will, die möglicherweise später als nachteilig erscheinen, ist Sache des mündigen Bürgers, nicht der Gerichte. Diesen fehlt für derartige Betreuungsakte gegenüber dem Bürger die Befugnis. Wenn der Bürger meint, er könne dieses Risiko eingehen, dann ist dies seine eigene Entscheidung. Allein der Umstand, dass die regelmäßig auf andere Lebenserfahrungen zurückblickenden Richterpersönlichkeiten die Eingehung solcher Risiken für sich selbst nicht für opportun halten würden, kann rechtlich nicht ausschlaggebend sein.
__________ 105 Anders für Anzeigepflichten BVerwG v. 1.7.1987 – 1 C 25.85, BVerwGE 78, 6; BVerwG v. 26.1.1993 – 1 C 25/91, NVwZ 1993, 775. 106 Z. B. OVG Frankfurt/Oder v. 1.12.1999 – 4 B 127/99, NJW 2000, 1435: „Es entspricht im Übrigen nicht nur dem Interesse der Heimbewohner, sondern auch dem wohlverstandenen Interesse des Heimbetreibers, wenn die Behörde zunächst von einer Betriebsuntersagung absieht und sich auf die Feststellung des Vorliegens eines anzeigepflichtigen Heimes beschränken kann“. Auch BVerwG v. 10. 10. 1990 – 1 B 131/90, NVwZ 1991, 267.
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Bestimmtheitserfordernis und Nichtigkeitsfolge bei Steuerbescheiden Inhaltsübersicht I. Ein Denkanstoß und sein praktisches Testfeld II. Das Gebot inhaltlicher Bestimmtheit von Steuerbescheiden 1. Allgemeine und steuerartspezifische Bestimmtheitsanforderungen 2. Die Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle in einem Steuerbescheid a) Der Sammelbescheid b) Verwaltungsökonomie und ihre Grenzen 3. Zulässigkeitskriterien für Sammelbescheide am Beispiel der Schenkungsteuer a) Materielle Vorgaben und verfahrensrechtliche Folgen b) Rechtsprechungsanalyse zum Erfordernis einer Aufgliederung der Steuerbeträge
c) Positivkriterium der Identifikationsmöglichkeit und Negativkriterium des fehlenden Differenzierungsbedürfnisses d) Dispositivität von Bestimmtheitserfordernissen III. Rechtsfolge bei Verletzung der Bestimmtheitserfordernisse 1. Dualismus der Fehlerfolgen a) Nichtigkeit als qualifizierte Fehlerfolge b) Voraussetzungen der Nichtigkeit bei Bestimmtheitsmängeln 2. Besondere Schwere des Fehlers 3. Offenkundigkeit des schwerwiegenden Fehlers IV. Resümee
I. Ein Denkanstoß und sein praktisches Testfeld Steuerrecht ist Massenfallrecht. Die Steuerverwaltung ist eine Massenfallverwaltung1, die jährlich weit über 30 Millionen Steuerbescheide erläßt2.
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Ähnlich Tipke/Kruse, AO/FGO, § 85 AO Tz. 15 (Febr. 2002) und Waldhoff, Vertrauensschutz im Steuerrechtsverhältnis, in DStJG 27 (2004), S. 129 (144 f.): „Massenverwaltung“. Die „massenhaften Steuerverfahren“ (so Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, 1996, S. 231) sind regelmäßig keine „Massenverfahren“ mit einer großen Zahl von Beteiligten an einem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren (vgl. diese allgemeine Definition von Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. 1995, § 45 Rz. 1 m. w. N.), weshalb Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, S. 4 mit Note 28 in Anschluß an Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 2. Aufl. 1996, § 70 Rz. 10, für den Terminus der „Massenverkehrsverwaltung“ plädiert, der freilich wegen Bezugsmöglichkeiten auf den Inhalt der Verwaltungstätigkeit auch Fehlassoziationen wecken kann. Insgesamt vorzugswürdig ist darum der Terminus der „Massenfallverwaltung“. Laut Angaben des BMF werden bundesweit pro Jahr allein über 30 Millionen Einkommensteuerbescheide erlassen (vgl. BMF [Bearbeiter Zinner], Modernisierung
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Angesichts knapper Personalausstattung3, steigendem Statistikdruck4 und sinkender Bearbeitungszeit pro Steuerfall5 sind fehlerhafte Steuerbescheide an der Tagesordnung. Denn das Verwaltungsverfahren entbehrt wegen der hohen Fallzahlen der Gründlichkeit des gerichtlichen Verfahrens, so daß die Gefahr fehlerhafter Entscheidungen – strukturell bedingt – größer ist6. Dabei unterlaufen der Finanzverwaltung nicht nur Fehler bei der Rechtsanwendung, sondern bei der angesichts dieser Eckdaten nachvollziehbaren Suche nach einer „verwaltungsökonomischen“ Festsetzungspraxis auch Verstöße gegen die inhaltlichen Anforderungen an Steuerbescheide. Die Abgabenordnung legt für Steuerbescheide spezielle Bestimmtheitsanforderungen fest, verzichtet aber auf die explizite Normierung der Fehlerfolge. Sie läßt offen, ob ein inhaltlich unbestimmter Verwaltungsakt nichtig und damit unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO) oder lediglich aufhebbar, aber gültig ist7. Eine auf den Verstoß gegen das Bestimmtheitserfordernis zugeschnittene Rechtsfolgeanordnung fehlt8. Die Literatur nimmt weitgehend die Nichtigkeit des Steuerbescheides als Regelfolge an, wenn die Bestimmtheitsanforderungen verletzt sind9. Dagegen macht die Rechtsprechung vor allem bei unzureichender
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des Lohnsteuer- und Einkommensteuerverfahrens – ein zentrales Element der Steuervereinfachung, in BMF-Monatsbericht 6/2004, 33 [36]). Zu den Personallücken vgl. Ondracek, Gleichmaß der Besteuerung, in FS Ritter, 1997, S. 227 (230 f., 237 f., 244). Seer, Reform des Veranlagungsverfahrens, StuW 2003, 40 (42 f.). Dazu Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 231 m. w. N. Zutreffend Loose, in Tipke/Kruse, Vor § 172 AO Tz. 1 (Okt. 2003) zur Differenzierung von Rechts- und Bestandskraft. Darum scheitert der Versuch, das ermittlungsrichterliche Beweismaß in das finanzbehördliche Verfahren zu antizipieren (Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, S. 305 ff.), bereits an der Masse der behördlichen Fallzahlen (vgl. Seer, Reform des [Lohn-]Steuerabzugs, FR 2004, 1037 [1044 f.]: „Praxisferne“). Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 119 AO Rz. 140 (Nov. 1999); ebenso für Steuerbescheide Balmes, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 18. Aufl. 2004, § 119 AO Rz. 20: „nicht eindeutig geklärt“, anders aber § 125 AO Rz. 3; Schwarz/Frotscher, AO, § 119 Rz. 13 (Juni 2003). Trzaskalik, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 157 AO Rz. 11 (Juli 1997). Baum, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 157 AO Rz. 9; Schwarz/Frotscher, § 119 Rz. 13 (Juni 2003): „Nichtigkeit zwingende Rechtsfolge“; Heißenberg, Nichtigkeit von Steuerverwaltungsakten, KÖSDI 1/1992, 8793 (8798): „unaufgegliederte Zusammenfassung … führt regelmäßig zur Nichtigkeit“; Rozek, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 125 AO Rz. 53, 55 (Nov. 2004): „regelmäßig nichtig“, vgl. aber Rz. 14; Tipke/Kruse, § 119 AO Tz. 6 (März 2004): „im allgemeinen nichtig“, ebenso § 125 Tz. 13 (Okt. 2003), § 157 Tz. 7 f., 9 a.E. (Juli 2001); Boruttau/Viskorf, GrEStG, 15. Aufl. 2002, § 15 Rz. 82; Kühn/v. Wedelstädt, § 157 AO Rz. 21; Beermann/v. Wedelstädt, Steuerliches Verfahrensrecht, § 125 AO Rz. 11 (Dez. 2002); ohne Differenzierung auch Pahlke/Koenig, AO, 2004, § 119 Rz. 21 und Cöster, ebenda, § 157 Rz. 17; Balmes, in Kühn/v. Wedelstädt, § 125 AO Rz. 3, anders aber § 119 AO Rz. 20; im Ausgangspunkt auch: Klein/Rüsken, AO, 8. Aufl. 2003, § 157 Rz. 10, 21; Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 119 AO Rz. 141 f., 150 (Nov. 1999), aber differenzierend für spezialgesetzliche Bestimmtheitsanforderungen in Rz. 141.
Bestimmtheitserfordernis und Nichtigkeitsfolge bei Steuerbescheiden
Aufgliederung von Steuerbeträgen Ausnahmen10. Christoph Trzaskalik hat in gewohnt kritischer Manier erwogen, wegen des singulären Charakters des Nichtigkeitsfalles die Nichtigkeitsfolge für engumgrenzte Fälle „zu reservieren“11: „Es könnte einiges dafür sprechen“, daß der Steuerbescheid nur dann nichtig sei, wenn „die Person des Steuerschuldners und die Höhe der Steuer im Wege der Auslegung nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden können“12. Sonstige Verstöße führten dagegen lediglich zur Anfechtbarkeit des Steuerbescheides. Dieser Denkanstoß von Trzaskalik soll zu seinem Gedächtnis aufgegriffen und durch eine Rechtsprechungsanalyse mit Leben gefüllt werden. Eine Inventur der neueren Judikatur zeigt, daß die Frage der Nichtigkeit als Fehlerfolge für Steuerbescheide nicht nur akademischer13, sondern rechtspraktischer Natur ist14. Aktueller Testfall für die inhaltlichen Bestimmtheitsanforderungen und die Folgen ihrer Verletzung sind dabei zusammengefaßte Schenkungsteuerbescheide. Denn ein neueres Urteil des BFH15 hat einerseits die Erbschaft- und Schenkungsteuerfinanzämter verunsichert und andererseits Steuerpflichtige und Berater animiert, ergangene Bescheide auf ihre inhaltliche Bestimmtheit hin zu überprüfen16. Die Frage der Fehlerfolge inhaltlich unbestimmter Steuerbescheide darf nicht erst auf der Ebene der Rechtsfolge, sondern muß bereits auf der Ebene des Tatbestandes der Bestimmtheitserfordernisse ansetzen17. Darum sind im ersten Schritt die Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit von Steuerbescheiden darzustellen (dazu II.), bevor im zweiten Schritt die Rechtsfolge bei Verstößen betrachtet werden kann (dazu III.).
__________ 10 Vgl. an dieser Stelle nur die Rechtsprechungsnachweise bei Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 119 AO Rz. 141 Note 6 (Nov. 1999); eingehend dazu sub II. 2. und 3. 11 Trzaskalik, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 157 AO Rz. 11 (Juli 1997). 12 So Trzaskalik, ebenda, unter vorsichtigem Bezug („in diese Richtung weisend“) auf BFH v. 22. 11. 1988 – VII R 173/85, BStBl. II 1989, 220 (222) zur mangelnden Aufgliederung einer Haftungsschuld. 13 In diese Richtung aber Tipke/Kruse, § 125 AO Tz. 3 (Okt. 2003). 14 Aus der neueren Rechtsprechung zur Nichtigkeit von Steuerbescheiden aus verschiedenen Gründen vgl. BFH v. 8. 2. 1995 – I R 127/93, BStBl. II 1995, 764 (766); v. 19. 8. 1999 – IV R 34/98, BFH/NV 2001, 409 (410); v. 23. 8. 2000 – X R 27/98, BStBl. II 2001, 662 (664); v. 20. 12. 2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381 (382); v. 7. 2. 2002 – VI R 80/00, BStBl. II 2002, 438 (439); v. 2. 7. 2004 – II R 74/01, BFH/NV 2004, 1511 (1512 f.). 15 BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092); darauf aufbauend und differenzierend FG Köln v. 27. 11. 2003 – 9 K 3304/02, 9 K 6334/02, EFG 2004, 664 (665 f.), dagegen Revision: II R 5/04. 16 So Wefers, Inhaltliche Bestimmtheit zusammengefaßter Steuerbescheide, AO-StB 2004, 123 (124). 17 Insoweit zutreffend Schwarz/Frotscher, § 119 AO Rz. 13 a.E. (Juni 2003).
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II. Das Gebot inhaltlicher Bestimmtheit von Steuerbescheiden 1. Allgemeine und steuerartspezifische Bestimmtheitsanforderungen Ein Verwaltungsakt muß nach § 119 Abs. 1 AO inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Gebot der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes läßt sich dabei auf das Rechtsstaatsprinzip18 sowie das Prinzip der Rechtssicherheit19 und Rechtsklarheit20 zurückführen. Da die Behörde erst die Rechte und Pflichten des Bürgers durch Verwaltungsakt konkretisiert, muß der Verwaltungsakt so inhaltlich bestimmt sein, daß der Bürger weiß, woran er ist und das Bestimmte befolgen kann21. Die Klarstellungsfunktion22 gebietet, daß der Verwaltungsakt klar, eindeutig und widerspruchsfrei erkennen läßt, wer gegenüber wem was feststellt, von wem was wann verlangt oder wem was gewährt oder abgelehnt wird23. Diese Mindestanforderungen an den Inhalt eines Verwaltungsaktes ergänzen Spezialvorschriften, die – wie § 157 Abs. 1 Satz 2 AO für Steuerbescheide – weitergehende Anforderungen an den hinreichend zu bestimmenden Inhalt stellen24. Schriftliche Steuerbescheide müssen nach § 157 Abs. 1 Satz 2 AO die festgesetzte Steuer nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die Steuer schuldet. Diese Angaben sind wegen der Bestandskraftfunktion unabdingbar, um die Grenzen der Bestandskraft des Steuerbescheides zu bestimmen25. Das Erfordernis, die festgesetzte Steuer nach Art und Betrag zu bezeichnen, verlangt die Angabe der einzelnen, durch die Verwirklichung eines bestimmten Steuertatbestandes (vgl. § 38 AO) jeweils ausgelösten Steuerschuld26. Die Bestimmtheitsanforderungen des § 157 Abs. 1 Satz 2 AO sind steuerartspezifisch festzulegen27. Insbesondere die aus § 157 Abs. 1 Satz 2 AO abgeleitete Forderung nach der genauen Angabe, welche Lebenssachverhalte be-
__________ 18 Pahlke/Koenig, § 119 AO Rz. 2; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 21 Rz. 93. 19 Beermann/Güroff, § 119 AO Rz. 1 (Nov. 2001); Tipke/Kruse, § 119 AO Tz. 1 (März 2004). 20 FG Köln v. 27. 11. 2003 – 9 K 3304/02, 9 K 6334/02, EFG 2004, 664 (665). 21 Tipke/Kruse, § 119 AO Tz. 1 (März 2004). 22 Vgl. zu den Funktionen des Bestimmtheitserfordernisses Krämer, Bestimmtheit und Begründung von Haftungs- und Pauschalierungsbescheiden, 1994, S. 37–39. 23 So die verbreitete Formel mit Variationen bei Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, 1991, S. 255; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 21 Rz. 93; Tipke/Kruse, § 119 AO Tz. 2 (März 2004); aus der Rspr.: BFH v. 19. 8. 1999 – IV R 34/98, BFH/NV 2001, 409 (410) m. w. N. 24 Klein/Brockmeyer, § 119 AO Rz. 1; Tipke/Kruse, § 119 AO Tz. 3 (März 2004). 25 BFH v. 5. 7. 1978 – II B 50/77, BStBl. II 1978, 542. 26 So BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092) unter Hinweis auf BFH v. 30. 1. 1980 – II R 90/75, BStBl. II 1980, 316; v. 15. 10. 1980 – II R 127/77, BStBl. II 1981, 84. 27 Zuletzt FG Köln v. 27. 11. 2003 – 9 K 3304/02, 9 K 6334/02, EFG 2004, 664 (665) m. w. N.
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steuert werden sollen28, ist für einzelne Steuerarten differenziert zu sehen. Entwickelt hat sie der BFH29 – soweit ersichtlich – erstmals für die (frühere) Gesellschaftsteuer beim Beitritt einer Vielzahl von Kommanditisten zu einer Publikums-GmbH & Co KG30. Für die (damalige) Gesellschaftsteuer betont der BFH, daß die Steuerschuld bei dieser Steuerart anders als bei der Umsatzsteuer (vgl. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG) nicht mit Ablauf eines bestimmten Zeitraums für sämtliche innerhalb dieses Zeitraums verwirklichten Rechtsvorgänge entstehe, sondern jede Verwirklichung des gesellschaftsteuerlichen Tatbestands einen abgeschlossenen Steuerfall bilde31. Bei einmaligen (oder sachverhaltsbezogenen) Steuern bedarf es danach der Angabe des besteuerten Lebenssachverhaltes32. Bei Jahressteuern wie der Einkommensteuer (§ 2 Abs. 7 EStG) verschmelzt das Abschnittsprinzip die einzelnen Lebenssachverhalte zu einer Einheit. Darum reicht bei periodischen Steuern die Angabe der Steuerart und des Veranlagungszeitraums aus33. Diese Erleichterungen gelten indes nicht für das Testfeld zusammengefaßter Schenkungsteuerbescheide. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer besteuert Einmaltatbestände34 und knüpft als aperiodische Steuer an den einzelnen Vermögenstransfer an35. Die Schenkungsteuer als vorzeitige Erbschaftsteuer entsteht im Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), wobei der Entstehungszeitpunkt zugleich der Bewertungsstichtag für die Wertermittlung ist (§ 11 ErbStG). Mehrere Schenkungen zwischen denselben Parteien bilden danach materiell-rechtlich nur dann eine einheitliche Zuwendung, wenn sie zum selben Zeitpunkt ausgeführt werden36. Entscheidend ist das Kriterium der Zeitgleichheit37. Fallen verschiedene Schenkungen zeitlich auseinander, so liegen wegen der Stichtagsdivergenz selbständige Erwerbsvorgänge vor38, wobei die „schenkungsteuerrechtliche
__________ 28 BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092); v. 22. 1. 2003 – II R 76/01, BFH/NV 2003, 1137 zur Grunderwerbsteuer. 29 BFH v. 5. 7. 1978 – II B 50/77, BStBl. II 1978, 542. 30 Bei einer Vielzahl von Beteiligten ist der Terminus des „Massenfalles“ (s. Note 1) zutreffend. 31 BFH v. 30. 1. 1980 – II R 90/75, BStBl. II 1980, 316 (317). 32 Insbesondere auch für die Grunderwerbsteuer, wobei die Bezugnahme auf die Vertragsurkunde bei mehreren Grundstücken ausreicht, vgl. Hofmann, GrEStG, 8. Aufl., 2004, Vor § 15 Rz. 2; Pahlke/Franz, GrEStG, 2. Aufl. 1999, Vor § 15 Rz. 5. 33 Allgemeine Ansicht Klein/Rüsken, § 157 AO Rz. 10; Tipke/Kruse, § 157 AO Tz. 9 (Juli 2001); Trzaskalik, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 157 AO Rz. 5 (Juli 1997), jeweils m. w. N. 34 Gebel, Zusammenfassung mehrerer Zuwendungen bei der Steuerberechnung und der Steuerfestsetzung, ZEV 2001, 213. 35 Seer, in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 13 Rz. 104 f. 36 Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 7 Rz. 78 (April 2003). 37 Vgl. Meincke, ErbStG, 14. Aufl. 2004, § 10 Rz. 10; Moench, ErbStG, § 7 Rz. 127 (Dez 2003). 38 BFH v. 16. 12. 1992 – II R 114/89, BFH/NV 1993, 298 (299); FG Rheinland-Pfalz v. 17. 4. 2003 – 4 K 1172/03, DStRE 2003, 995, rkr.
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Zäsur“ verschiedener Stichtage selbst einheitliche Schenkungsversprechen in getrennte Zuwendungen zergliedern kann39. Selbständige Zuwendungen sind materiell-rechtlich selbständig zu besteuern40, weil sie jeweils ein einzelner Steuerfall sind41. Daran ändert auch die Steuerberechnungsvorschrift des § 14 ErbStG über die Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe innerhalb eines Zehnjahreszeitraumes nichts42. Grundsätzlich folgt aus § 157 Abs. 1 Satz 2 AO für Schenkungsteuerbescheide, daß der besteuerte Lebenssachverhalt genau anzugeben ist43. 2. Die Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle in einem Steuerbescheid a) Der Sammelbescheid Die Rechtsprechung hat früh ausgeführt, daß keine Vorschrift des formellen Rechts es verbiete, mehrere Steuerfälle in einem Steuerbescheid zusammenzufassen44. Aus der prozessualen Möglichkeit der Verbindung finanzgerichtlicher Verfahren (§ 73 FGO) hat der BFH gefolgert, „daß mangels abweichender Bestimmungen auch die Verbindung verschiedener Steuerfestsetzungsverfahren zulässig ist“45. Dies gelte bei einem „zusammengefaßten Steuerbescheid“46 für mehrere Schenkungsfälle „um so mehr, als durch § 13 ErbStG 1959 (heute § 14 ErbStG) eine Berücksichtigung früherer Erwerbe bei der Steuerfestsetzung hinsichtlich eines späteren Erwerbs vorgeschrieben“47 sei. Seither hat der BFH mehrfach die verfahrensrechtliche Möglichkeit betont, mehrere Schenkungen in einem Schenkungsteuerbescheid zusammenzufas-
__________ 39 Näher Gebel, ZEV 2001, 213 (215). 40 FG Rheinland-Pfalz v. 17. 4. 2003 – 4 K 1172/03, DStRE 2003, 995, rkr.; Kapp/ Ebeling, ErbStG, § 14 Rz. 52 (Juli 2003). 41 Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, ErbStG/BewG, 2001, § 10 ErbStG Rz. 4; ähnlich bereits Lieberwirth, In welcher Form ist die Zusammenfassung mehrerer Zuwendungen in einem Schenkungsteuerbescheid zulässig?, DStR 1972, 141 (142). 42 Ausdrücklich BFH v. 16. 12. 1992 – II R 114/89, BFH/NV 1993, 298 (299); Gebel, ZEV 2001, 213 (216); Moench, § 7 ErbStG Rz. 127 (Okt. 2003); Seer, in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 13 Rz. 179. 43 BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092); v. 2. 7. 2004 – II R 74/01, BFH/NV 2004, 1511 (1512). 44 BFH v. 5. 7. 1978 – II B 50/77, BStBl. II 1978, 542 zur Gesellschaftsteuer; ähnlich später BFH v. 22. 11. 1995 – II R 26/92, BStBl. II 1996, 162 (163 f., zur Grunderwerbsteuer): „gesetzlich nicht ausdrücklich untersagte Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle in einem Bescheid“. 45 BFH v. 20. 2. 1980 – II R 90/77, BStBl. II 1980, 414 (415) zur Schenkungsteuer; zustimmend Krämer, Bestimmtheit, Fn. 22, S. 26 m. w. N. 46 Rspr. und Literatur verwenden den Begriff des zusammengefaßten Steuerbescheides über den gesetzlich geregelten Fall der Zusammenfassung der Festsetzung gegenüber mehreren Steuerschuldnern als Gesamtschuldner (§ 155 Abs. 3 Satz 1 AO) hinaus, auch für den Fall der Zusammenfassung der Festsetzung mehrerer Zuwendungen an denselben Zuwendungsempfänger (vgl. Moench/Kien-Hümbert, § 32 ErbStG Rz. 9 [Okt. 2002]). 47 BFH v. 20. 2. 1980 – II R 90/77, BStBl. II 1980, 414 (415).
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sen48. Die urkundliche Zusammenfassung mehrerer Verwaltungsakte in einem Schriftstück bezeichnet die Literatur auch als „Sammelbescheid“, der sowohl dem Zweck behördlicher Verfahrensvereinfachung dient, als auch den Steuerpflichtigen davor schützt, „mit Papier überhäuft zu werden“49. Trotz der Zusammenfassung handelt es sich „in Wirklichkeit um mehrere Bescheide“50. b) Verwaltungsökonomie und ihre Grenzen Inwieweit eine Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle zulässig ist, erscheint der Literatur als Spagat zwischen „den rechtstheoretischen Erfordernissen der inhaltlichen Bestimmtheit“ und „den die Verwaltungswirklichkeit beherrschenden Zwängen der Verfahrensökonomie“51. Abgesehen davon, daß die §§ 119, 157 AO keine rechtstheoretischen Postulate sind, sondern als Rechtsnormen praktische Handlungsanweisungen vorgeben, stellt sich die Frage inwieweit die Verwaltung durch Erlaß zusammengefaßter Steuerbescheide ihre Ressourcen schonen darf. Ein Teil der Literatur erteilt einem solchen Ansinnen eine deutliche Absage, indem sie unter Verweis auf Entscheidungen des BFH zur Gesellschaftsteuer die Ansicht vertritt, daß eine unaufgegliederte Zusammenfassung mehrerer Steuerschulden unzulässig sei52. Da Wirtschaftlichkeit und Effizienz – innerhalb der gesetzlichen Grenzen – zu den Handlungsmaßstäben der Verwaltung zählen und der schonende Umgang mit Ressourcen sogar ein verfassungsrechtlich abgesichertes Prinzip ist53, bedarf diese Deutung einer Revision. Die Rechtsprechung zur Zusammenfassung mehrerer Gesellschaftsteuerbeträge ist zu Fällen ergangen, in denen die Finanzverwaltung den Steuerbetrag für eine Vielzahl von Gesellschaftern bei sog. Publikumsgesellschaften unaufgegliedert zusammengefaßt hat. Im „Auftaktfall“, der stets der Anfangspunkt höchstrichterlicher Verweise bei den Bestimmtheitserfordernissen ist54, ging es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren um den Beitritt einer
__________ 48 BFH v. 16. 12. 1992 – II R 114/89, BFH/NV 1993, 298 (299); v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092); ebenso Kapp/Ebeling, § 14 ErbStG Rz. 52 (Juli 2003); Gebel, ZEV 2001, 213 (216). 49 So Krämer, Bestimmtheit, Fn. 22, S. 19 f. m. w. N. zu lohnsteuerlichen Haftungsoder Pauschalierungsbescheiden. 50 Tipke/Kruse, § 119 AO Tz. 5 (März 2004). 51 So Wefers, AO-StB 2004, 123 (124). 52 Baum, in Koch/Scholtz, § 157 AO Rz. 7; Heißenberg, KÖSDI 1/1992, 8793 (8798); Kruse, Lehrbuch Steuerrecht, Fn. 23, S. 255 mit Note 63; ähnlich Viskorf/Glier/ Hübner/Knobel/Schuck, § 32 ErbStG Rz. 3. 53 Näher Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 1998, S. 280, 284 ff.; Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 209 ff., 302 f. 54 So BFH v. 20. 2. 1980 – II R 90/77, BStBl. II 1980, 414 (415); v. 17. 9. 1986 – II R 62/84, BFH/NV 1987, 738 (740); Urteil v. 22. 11. 1995 – II R 26/92, BStBl. II 1996, 162 (163); v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092).
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Vielzahl von Kommanditisten zu einer Publikums-GmbH & Co KG, wobei der BFH ernstliche Zweifel an der inhaltlichen Bestimmtheit des Gesellschaftsteuerbescheides hatte, weil sich der steuerauslösende Sachverhalt mit Namen und Kapitaleinlage der Kommanditisten nicht aus einer Anlage zum Bescheid, sondern nur aus einer Aufstellung in den Steuerakten ergab55. Die Praxis der Finanzverwaltung ging so weit, daß sie die Einzahlungen von mehr als 200 stillen Gesellschaftern ohne Aufstellung der einzelnen besteuerten Fälle in einem Gesellschaftsteuerbescheid zusammenfaßte56. Da in diesen Fällen „verschiedene Personen zu verschiedenen Zeitpunkten“ den gesellschaftsteuerrechtlichen Tatbestand jeweils verwirklichten, hat der BFH dieser Praxis der Finanzverwaltung einen Riegel vorgeschoben57, obwohl die Kapitalgesellschaft Steuerschuldnerin der Gesellschaftsteuer war (§ 10 Abs. 1 KVStG) und die Erwerber von Gesellschaftsrechten nur hafteten (§ 10 Abs. 2 Nr. 1 KVStG). Er begründete dies damit, daß die Finanzverwaltung eine Vielzahl zu besteuernder Vorgänge nicht unaufgegliedert zusammenfassen dürfe, wenn „nicht oder nur schwer zu beurteilen wäre, z. B. wann und in welcher Höhe der einzelne Steueranspruch entstanden ist, ob und gegebenenfalls wann er verjährt ist, ob und gegebenenfalls auf welchen Rechtsvorgang ein ermäßigter Steuersatz anzuwenden ist, welcher Erwerber in welchem Umfange für die Steuer haftet, ob und gegebenenfalls hinsichtlich welchen Rechtsvorgangs ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen“. Dabei hat der BFH zu Recht hervorgehoben, daß die Finanzverwaltung dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung nur im Rahmen des Gesetzes Rechnung tragen darf und das Ziel der Verwaltungspraktikabilität keinen die Wertungen des Gesetzes zurückdrängenden oder gar mißachtenden Gesetzesvollzug rechtfertigt58. Das Gesetz ist Antrieb und zugleich Grenze des Verwaltungshandelns und darf nicht unter Hinweis auf verwaltungsökonomische Optimierungspotentiale ignoriert werden. Die Verwaltungsökonomie ist kein gesetzesexterner Handlungsmaßstab, vielmehr steckt der Gesetzgeber ihren Rahmen ab59. Eine „praktikabilitätsschaffende Normauslegung“ contra legem und zu Lasten schutzwürdiger Interessen der Steuerpflichtigen ist unzulässig60. Der BFH hat das Spannungsverhältnis zwischen Verwal-
__________ 55 56 57 58
Vgl. im Einzelnen BFH v. 5. 7. 1978 – II B 50/77, BStBl. II 1978, 542. BFH v. 15. 10. 1980 – II R 127/77, BStBl. II 1981, 84. BFH v. 30. 1. 1980 – II R 90/75, BStBl. II 1980, 316 (317). Näher zu den Grenzen verwaltungsökonomischer Praktikabilität als Auslegungsdirektive Lohmann, Die Praktikabilität des Gesetzesvollzugs als Auslegungstopos im Verwaltungsrecht, AöR 100 (1975), 415 (427 ff., 436). 59 Zum Auftrag des Gesetzgebers, auf Praktikabilität und Effizienz des Rechtsvollzuges bereits bei Erlaß des materiellen Rechts zu achten, vgl. Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, 1999, S. 534. 60 Zutreffend Wefers, Verfahrensrechtliche Probleme der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach Ablauf der Feststellungsfrist (§ 181 Abs. 5 AO 1977), StuW 1997, 310 (317).
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tungsökonomie und dem Schutz berechtigter Interessen der Betroffenen in den gesellschaftsteuerrechtlichen Massenfällen des Eintritts in Publikumsgesellschaften61 mangels einer gesetzlichen Regelung, wie sie § 183 AO für die Bekanntgabe bei mehreren Feststellungsbeteiligten vorsieht, zugunsten des Informationsbedürfnisses der Betroffenen aufgelöst. Bereits die besondere Verfahrenslage und Gefahrenlage in gesellschaftsteuerrechtlichen Massenfällen sprechen dagegen, das Verbot einer unaufgegliederten Zusammenfassung des Steuerbetrages 1:1 auf den Testfall der zusammengefaßten Festsetzung mehrerer Steueransprüche gegenüber demselben Steuerschuldner zu übertragen. Zudem betont auch der BFH, daß die Frage der Zusammenfassung von Steuerbescheiden als Ziel der Verwaltungspraktikabilität maßgeblich von den „Wertungen des Gesetzes“ abhängt62. Wie diese Wertungen die Frage einer Zusammenfassung von Steuerbescheiden vorprägen, soll im Folgenden für das Testfeld zusammenfassender Schenkungsteuerbescheide veranschaulicht werden. 3. Zulässigkeitskriterien für Sammelbescheide am Beispiel der Schenkungsteuer a) Materielle Vorgaben und verfahrensrechtliche Folgen Bereits im Jahre 1980 hat der BFH ausgeführt, daß die Zusammenfassung mehrerer Schenkungsteuerfälle in einem Steuerbescheid zulässig sei und dies „um so mehr (gelte), als durch § 13 ErbStG 1959 (jetzt § 14 ErbStG) eine Berücksichtigung früherer Erwerbe bei der Steuerfestsetzung hinsichtlich eines späteren Erwerbes vorgeschrieben (sei)“63. Dem liegt die zutreffende Einsicht zugrunde, daß das Verfahrensrecht kein Selbstzweck ist64 und eine materielle steuerrechtliche Zusammenfassung eine verfahrensrechtliche
__________ 61 BFH v. 5. 7. 1978 – II B 50/77, BStBl. II 1978, 542 (543) stellt explizit auf diese Fälle der „Publikums-KG mit einer erheblichen Anzahl von Kommanditisten“ ab, „bei der nicht ohne weiteres deutlich (sei), welche der Steuer unterliegenden Vorgänge im Bescheid zusammengefaßt werden sollen“. 62 Vgl. BFH v. 30. 1. 1980 – II R 90/75, BStBl. II 1980, 316 (317); ebenso wieder FG Köln v. 27. 11. 2003 – 9 K 3304/02, 9 K 6334/02, EFG 2004, 664 (665). 63 BFH v. 20. 2. 1980 – II R 90/77, BStBl. II 1980, 414 (415). 64 Damit wird nicht der These von der „bloß dienenden Funktion“ des Verfahrensrechts das Wort geredet (dagegen mit Blick auf die Fehlerfolgenlehre zu Recht bereits Schmidt-Aßmann, Verwaltungsverfahren, Fn. 1, § 70 Rz. 34). Der Gegenpol der „Selbständigkeit des Verfahrensrechts“ kann indes nicht durchschlagen, soweit keine schutzwürdigen Belange des Bürgers betroffen sind (dazu bereits II. 2. b]), weil in diesem Falle das Verfahrensrecht zuvörderst die Verwirklichung des materiellen Rechts bezweckt (vgl. allgemein Schoch, Der Verfahrensgedanke im allgemeinen Verwaltungsrecht, Die Verwaltung 25 (1992), 21 (24 f., 27 f.). Zur Korrespondenz zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht vgl. noch die nachfolgen Abschnitte.
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Entsprechung finden muß65. Materiell bewirkt § 14 ErbStG eine besondere Art eines Progressionsvorbehaltes, der den letzten Erwerb durch Zusammenrechnung auf die Belastungsstufe des Gesamterwerbes hebt, damit persönliche Freibeträge innerhalb des Zehn-Jahreszeitraumes nur einmal ausgenutzt werden können und durch sukzessive Teilschenkungen kein Progressionsvorteil entsteht66. Verfahrensmäßig wird dieses Ziel dadurch erreicht, daß alle Erwerbe von derselben Person innerhalb des Zehnjahreszeitraumes zusammengerechnet werden und die Steuer vom Gesamtbetrag berechnet wird67, wobei die einzelnen Erwerbe trotz der Zusammenrechnung nach § 14 ErbStG selbständige Steuerfälle bleiben. In den verschiedenen Konstellationen kann § 14 ErbStG – gerade bei variierenden Steuersätzen, Freibeträgen und Familienverhältnissen – zu erheblichen materiellen Konsequenzen führen68. Bei konstanten Verhältnissen bei Vor- und Nacherwerb bewirkt die Vorschrift dagegen, daß mehrere Erwerbe gleich einem einzigen Erwerb im Gesamtwert besteuert werden69. Gleichwohl hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz jüngst hervorgehoben, daß sich ein Erwerb „über die Regelung des § 14 ErbStG … auf die Steuer für die nachfolgenden Vorgänge auswirken kann“, weshalb es „bei der Zusammenfassung in einem Steuerbescheid für den Bescheidadressaten … klar ersichtlich sein (müsse), daß es sich nicht um eine, sondern um mehrere Steuerfestsetzungen mit den einzelnen Vorgängen hinreichend deutlich zugeordneten Steuerbeträgen“ handele70. Auf derselben Linie liegt die Forderung, daß auch die Einzelsteuerbeträge in einem zusammengefaßten Steuerbescheid ausgewiesen werden müssen, damit der Bescheidadressat erkennen kann, welche steuerliche Folgerung die Finanzbehörde aus den einzelnen Erwerbsvorgängen jeweils abgeleitet hat71. Diese hohen Anforderungen an die betragsmäßige Aufgliederung der Steuerbeträge sind allerdings nur angebracht, sofern sie durch das materielle Recht gedeckt sind. Eine Aufgliederung der einzelnen Steuerfälle ist zunächst erforderlich, wenn bei gemischten Verträgen jede einzelne Zuwendung materiell gesondert in Hinblick auf die Gegenleistung zu qualifizieren ist72. In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatten Ehegatten in vier eigenständigen Verträgen vier verschiedene wirtschaftliche Einheiten (Betriebsvermögen, Grundstücke pp.) gegen Übernahme verschiedener Renten- und Darlehensverbindlichkeiten
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65 In der Sache ähnlich Boruttau/Viskorf, § 2 GrEStG Rz. 232, der aus „dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 Satz 2 GrEStG“ den Schluß auf die formelle Zulässigkeit eines einheitlichen Bescheides zieht. 66 Statt vieler Seer, in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 13 Rz. 179. 67 Moench, § 14 ErbStG Rz. 2 (April. 2002). 68 Eingehend Jülicher, Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe nach § 14 ErbStG, 1993, S. 50 ff. 69 Troll/Gebel/Jülicher, § 14 ErbStG Rz. 1 (Febr. 2001). 70 FG Rheinland-Pfalz v. 17. 4. 2003 – 4 K 1172/03, DStRE 2003, 995, rkr. 71 Gebel, ZEV 2001, 213 (216). 72 BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092).
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übertragen. Da die Finanzverwaltung zur steuerrechtlichen Qualifikation einer gemischten Schenkung eine Verhältnisrechnung anstellen muß73, bedurfte es „schon vom Anspruchsgrund her“ einer getrennten Beurteilung, weil es sich bei den vier Vorgängen um gegenseitige Verträge handelte, die jeweils für sich daraufhin zu untersuchen waren, ob Leistung und Gegenleistung objektiv in einem offenbaren Mißverhältnis stehen74. Für diese Fälle hebt der BFH zu Recht hervor, daß trotz § 14 ErbStG jeder Erwerbsvorgang selbständig bleibt und die Verhältnisrechnung zwischen den Verkehrwerten von Leistung und Gegenleistung gesondert zu berechnen ist75. Die materiell gebotene getrennte Würdigung der Einzelzuwendungen verlangt auch verfahrensrechtlich eine Aufgliederung des zugrundeliegenden Tatsachenstoffes. In der zweiten Fallgruppe ist eine Aufgliederung der einzelnen Erwerbsvorgänge erforderlich, weil sich die Zusammenrechnung materiell auf die Höhe der Steuerschuld auswirkt. Der Gesamtsteuerbetrag für mehrere Erwerbe nach § 14 ErbStG zusammengerechnete Erwerbe und die Gesamtsteuer für einen einheitlichen Erwerbsvorgang derselben Gegenstände weicht indes nur dann voneinander ab, wenn zur Schenkung auch ein Vermögensgegenstand mit einem negativen Steuerwert gehört76. Dann gilt das Verbot, selbständige Zuwendungen zu verschiedenen Zeitpunkten mit positivem und negativem Steuerwert zu saldieren77. Die beiden Fallgruppen untermauern, daß pauschale Aussagen zum Erfordernis der Aufgliederung der Einzelzuwendungen wegen der materiellrechtlichen Vorgaben des § 14 ErbStG verfehlt sind78. Die verfahrensrechtlichen Anforderungen lassen sich nicht pauschal bestimmen, sondern richten sich nach den konkreten materiellen Auswirkungen. Soweit eine gesonderte Würdigung der Erwerbsvorgänge materiell geboten ist, muß die Finanzverwaltung korrespondierend dazu die einzelnen Erwerbsvorgänge im zusammengefaßten Steuerbescheid aufgliedern. Soweit aber § 14 ErbStG die Einzelzuwendungen materiell zu einem einzigen Erwerb im Gesamtwert unifiziert, ist auch verfahrensrechtlich keine Aufgliederung erforderlich. Es besteht eine Korrespondenz zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht79.
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73 Dazu Seer, in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 13 Rz. 122 m. w. N. 74 So BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092). Auch im Urteilsfall des FG Rheinland-Pfalz v. 17. 4. 2003 – 4 K 1172/03, DStRE 2003, 995, rkr. ging es um die Frage der Bemessung der Gegenleistung (Anrechnung eigener Arbeitsleistung) bei mehreren Erwerben. 75 Zuvor bereits BFH v. 16. 12. 1992 – II R 114/89, BFH/NV 1993, 298 (299). 76 Gebel, ZEV 2001, 213 (216 f.); Meincke, § 10 ErbStG Rz. 10. 77 Troll/Gebel/Jülicher, § 14 ErbStG Rz. 30 f. (März 2002), § 32 ErbStG Rz. 8 (März 2004). 78 Darum zu undifferenziert Lieberwirth, DStR 1972, 141 (143). 79 Zur Einheit von materiellem Recht und Verfahrensrecht vgl. Drüen, Zur Rechtsnatur des Steuerrechts und ihrem Einfluß auf die Rechtsanwendung, FS Kruse, 2001, S. 191 (205) m. w. N.
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Sind aus allen Erwerbsvorgängen einheitliche Steuerfolgen abzuleiten, so erübrigt sich die Aufgliederung80. Eine Aufgliederung der „den einzelnen Vorgängen hinreichend deutlich zugeordneten Steuerbeträge“81 erhöht in diesen Fällen allein den Arbeitsaufwand der Finanzverwaltung, ohne daß dem „eine zusätzliche Klarheit über die zusammengefaßten Steuerfälle“82 für den Steuerpflichtigen gegenübersteht, weil Einzel- oder Gesamtausweis wegen § 14 ErbStG materiell folgenlos sind. Das „Mehr an Papier“ dient weder der Verwaltungspraktikabilität noch schützt es die Interessen des Steuerpflichtigen oder beseitigt „Unklarheiten und Unsicherheiten tatsächlicher oder rechtlicher Art“83. Die Interessenlage weicht in diesem Fall deutlich von der in den beschriebenen Massenfällen (s. II. 2. b]) ab. Besteht aber wegen § 14 ErbStG kein Bedürfnis zur betragsmäßigen Aufgliederung, so dürfen – angesichts augenfälliger Vollzugsdefizite bei der Besteuerung84 – die knappen Ressourcen der Finanzverwaltung nicht mit folgenlosen „Darstellungsfragen“85 verschwendet werden. In diesem Falle darf und muß die Verwaltung dem Gebot der Verwaltungsökonomie Rechnung tragen86: Eine betragsmäßige Aufgliederung ohne materielle Folgen und Informationsgewinn für den Steuerpflichtigen wäre eine verfahrensrechtliche l’art pour l’art87. Daß der BFH einem derartigem Fehlverständnis des Verfahrensrechts nicht das Wort geredet hat, zeigt eine Analyse seiner Rechtsprechung. b) Rechtsprechungsanalyse zum Erfordernis einer Aufgliederung der Steuerbeträge Der BFH faßt das Erfordernis der Aufgliederung der einzelnen Steuerbeträge wie folgt zusammen88: Grundsätzlich „unzulässig ist es … verschiedene Steuerschulden desselben Steuerschuldners in einem Betrag unaufgegliedert
__________ 80 Dies übergeht Gebel, ZEV 2001, 213 (216). 81 So die Forderung von FG Rheinland-Pfalz v. 17. 4. 2003 – 4 K 1172/03, DStRE 2003, 995, rkr. 82 Explizit BFH v. 12. 10. 1983 – II R 56/81, BStBl. II 1984, 140 (141). 83 So die Formulierung von BFH v. 30. 1. 1980 – II R 90/75, BStBl. II 1980, 316 (317). 84 Vgl. zu den „Vollzugsmängeln wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen“ und strukturellen Vollzugsdefiziten zuletzt BVerfG v. 9. 3. 2004 – 2 BvL 17/02, FR 2004, 470 (472298); eingehend zur defizitären Vollzugsrealität am Beispiel der Einkommensteuer Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 344 ff., 406 f. 85 Gebel, ZEV 2001, 213 (217), weist zutreffend darauf hin, daß – sofern nur Vermögensgegenstände mit positivem Steuerwert Gegenstand der Schenkung sind – es nicht um die Höhe der Gesamtsteuerlast, sondern nur um die Verteilung des Gesamtsteuerbetrages auf die einzelnen Zuwendungen und deren „Darstellung in einem zusammengefaßten Steuerbescheid“ geht. 86 In der Sache ebenso FG Köln v. 27. 11. 2003 – 9 K 3304/02, 9 K 6334/02, EFG 2004, 664 (666) zu § 14 ErbStG. 87 Gegen „überspitzte Förmeleien ohne praktische Auswirkungen“ auch Wefers, AO-StB 2004, 123 (124). 88 BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092).
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zusammenzufassen“89. … „Bei körperlicher Zusammenfassung in einem Schriftstück (ist) neben der genauen Angabe, welche Lebenssachverhalte (Besteuerungstatbestände, -zeiträume) besteuert werden sollen, für jeden Steuerfall eine gesonderte Festsetzung der Steuer (erforderlich)“90. Hierauf könne „im Einzelfall ausnahmsweise nur dann verzichtet werden, wenn trotz unaufgegliederter Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle eindeutig feststeht, welche Steuerfälle von dem Bescheid erfaßt werden, und auch ansonsten keine Notwendigkeit zu einer Differenzierung besteht“91. Damit vermittelt der II. Senat des BFH durch die Verweise auf andere Judikate den Eindruck einer gefestigten Rechtsprechung zum Regel-Ausnahme-Verhältnis beim Erfordernis der betragsmäßigen Aufgliederung zusammengefaßter Steuerbescheide92. Ein näherer Blick auf die in Bezug genommenen Judikate relativiert indes diesen Eindruck: Im Beschluß vom 5. Juli 1978 hat der II. Senat des BFH nicht gefordert, daß die Finanzverwaltung die Steuerbeträge bei einem zusammenfassenden Steuerbescheid im Einzelnen aufgliedert. Er hat vielmehr ernstliche Zweifel an der Bestimmtheit eines zusammengefaßten Bescheides geäußert, weil die erforderlichen Angaben wegen einer abweichenden Festsetzung weder aus der Steueranmeldung noch aus einer Anlage zum Steuerbescheid, sondern „lediglich aus einer bei den Akten befindlichen, dem Steuerpflichtigen jedoch nicht bekanntgegebenen Aufstellung zu entnehmen (waren)“93. Im Urteil vom 28. Januar 1983 führt der VI. Senat des BFH zwar aus, daß die auf einen bestimmten Steueranspruch ausgerichtete Steuerfestsetzung „weder mit Steuern der gleichen Art desselben Steuerschuldners aus einem anderen Steueranspruch, noch mit Steuern anderer Art desselben Steuerschuldners, noch – grundsätzlich – mit Steuern anderer Steuerschuldner und schon gar nicht zusammen mit der Anforderung von Steuerhaftungsbeträgen in einem Betrag zusammengefaßt werden (darf)“94. Entscheidungserheblich war indes nur der letzte Teil dieser weitreichenden Aussage, weil der VI. Senat im Urteilsfall die Zusammenfassung eines Lohnsteuerhaftungsbescheides mit der Festsetzung pauschalierter Lohnsteuer zu einem Gesamtbetrag als unzulässig erachtet hat95. Da er dieses Ergebnis auf lohnsteuerspezifische Gründe wie die Anfechtungsberechtigung und die Anrechnung auf die Einkommensteuer sowie das Verhältnis zwischen Haftungs- und Steuerbescheid stützt, tragen die Urteilsgründe nicht in Gänze ein Verbot der unaufgegliederten Zusammenfassung von Steuerbeträgen. Das bestätigt auch der Verweis des VI. Senats auf das Urteil des II. Senats vom 30. Januar 1980, in dem ein solches Verbot seinerseits durch Verweis auf Judikate zu Haf-
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89 Mit dem Verweis: „vgl. BFH, Urteil v. 28. 1. 1983 – VI R 35/78, BStBl. II 1983, 472“. 90 Mit dem Verweis: „vgl. BFH, Beschluß v. 5. 7. 1978 – II B 50/77, BStBl. II 1978, 542 sowie BFH, Urteil v. 22. 11. 1995 – II R 26/92, BStBl. II 1996, 162“. 91 Mit dem Verweis: „vgl. zur Grunderwerbsteuer: BFH, Urteile v. 17. 9. 1986 – II R 62/84, BFH/NV 1987, 738, und v. 22. 11. 1995 – II R 26/92, BStBl. II 1996, 162 für den Erwerb mehrerer Grundstücke durch einen Vertrag zu einem Gesamtkaufpreis“. 92 Dem folgend Gebel, ZEV 2001, 213 (216); Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 119 AO Rz. 121 (Nov. 1999). 93 BFH v. 5. 7. 1978 – II B 50/77, BStBl. II 1978, 542. 94 BFH v. 28. 1. 1983 – VI R 35/78, BStBl. II 1983, 472 (473). 95 Ebenso Krämer, Bestimmtheit, Fn. 22, S. 50.
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Klaus-Dieter Drüen tungsbescheiden über Gesellschaft- und Körperschaftsteuer begründet wird96. Ob die Anforderungen an die Bestimmtheit von Steuerbescheiden, die nach dem Legalitätsprinzip festzusetzen sind (§ 85 AO), gleich streng sind wie die Anforderungen an Haftungsbescheide, die dem Opportunitätsprinzip folgen (§ 191 Abs. 1 AO) und deren Rechtmäßigkeit die pflichtgemäße Ausübung von Entschließungs- und Auswahlermessen voraussetzt (vgl. § 5 AO)97, erscheint fraglich. So sprechen die Akzessorietät der Haftung98, die Erlöschenswirkung99 und die Gewähr eines Regresses des Haftenden100 auf den Steuerschuldner für spezifische Bestimmtheitserfordernisse bei Lohnsteuer-Haftungsbescheiden101. Jedenfalls ist das Urteil vom 28. Januar 1983 kein Präjudiz für das Erfordernis der betragsmäßigen Aufgliederung zusammengefaßter Schenkungsteuerbescheide, sondern allenfalls ein obiter dictum. Schließlich fordert auch das in Bezug genommene Urteil des II. Senats des BFH vom 22. November 1995 nicht, daß die Finanzverwaltung bei zusammengefaßten Steuerbescheiden die einzelnen Steuerbeträge im Regelfall aufgliedert. Vielmehr hat der II. Senat bei einem Grunderwerbsteuerbescheid, mit dem die Finanzverwaltung „unaufgegliedert eine einheitliche Steuer für mehrere Grunderwerbsteuerfälle festgesetzt (hat)“, gerade keinen Bestimmtheitsmangel angenommen102. In dieser Entscheidung konstruiert der II. Senat auch kein Regel-Ausnahme-Verhältnis, sondern hebt hervor, daß die Bestimmtheit eines zusammengefaßten Bescheides „von den Umständen des Einzelfalls“ abhängt103.
Die durchaus heterogenen Verweisjudikate verdeutlichen, daß die bisherige Rechtsprechung eine betragsmäßige Aufgliederung unter zwei Voraussetzungen als entbehrlich erachtet: „Eine Zusammenfassung beeinträchtigt daher dann nicht die Bestimmtheit des Steuerbescheids, wenn gleichwohl
__________ 96 BFH v. 30. 1. 1980 – II R 90/75, BStBl. II 1980, 316 (317) unter Hinweis auf BFH v. 7. 11. 1973 – II 201/65, BStBl. II 1974, 386 (387), betreffend einen Gesellschaftsteuerhaftungsbescheid, und v. 23. 2. 1977 – I R 243/74, BStBl. II 1977, 366 (367), betreffend einen Körperschaftsteuerhaftungsbescheid. 97 Tipke/Kruse, § 191 AO Tz. 36 ff., 104 ff. (Juli 2004). 98 BFH v. 8. 11. 1985 – VI R 237/80, BStBl. II 1986, 274 (275 f.), auch zum Regreß. 99 Vgl. BFH v. 7. 11. 1973 – II 201/65, BStBl. II 1974, 386 (387), der das Erfordernis der betragsmäßigen Aufgliederung eines Haftungsbescheides für Gesellschaftsteuer explizit damit begründet, daß feststellbar sein müsse, „welche Verbindlichkeiten der Erstschuldner erloschen und welche von diesen noch zu erfüllen sind“, wenn der Haftungsschuldner freiwillig oder zwangsweise nur einen Teil des von ihm geforderten Betrages zahle. 100 Zur Aufgliederung in Hinblick auf das Rückgriffsrecht des Arbeitsgebers, vgl. Schmidt/Drenseck, EStG, 23. Aufl. 2004, § 42d Rz. 46 f., 64. 101 Dazu Krämer, Bestimmtheit, Fn. 22, S. 70 ff.; Tipke/Kruse, § 191 AO Tz. 83 ff. (Juli 2004). Allerdings senkt die Rechtsprechung diese Anforderungen in bestimmten Fallgruppen ab (dazu II. 3. c]) und überdies führt die Verletzung dieser Anforderungen nicht automatisch zur Nichtigkeit des Haftungsbescheides (dazu III.). 102 BFH v. 22. 11. 1995 – II R 26/92, BStBl. II 1996, 162. Ebenso bereits das auch in Bezug genommene BFH v. 17. 9. 1986 – II R 62/84, BFH/NV 1987, 738 (740, ebenfalls zu einem einheitlichen zusammengefaßten Grunderwerbsteuerbescheid). 103 Unter Hinweis auf BFH v. 12. 10. 1983 – II R 56/81, BStBl. II 1984, 140 (141).
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eindeutig feststeht, welche Steuerfälle von dem Bescheid erfaßt werden und auch ansonsten keine Notwendigkeit zu einer Differenzierung besteht“104. Damit erachtet der II. Senat eine unaufgegliederte Zusammenfassung als zulässig, wenn das Positivkriterium der Identifikationsmöglichkeit der beschiedenen Steuerfälle erfüllt und das Negativkriterium des Differenzierungsbedürfnisses nicht erfüllt ist105. Darum sollte die Entbehrlichkeit der betragsmäßigen Aufgliederung nicht als Ausnahmefall verstanden werden106, der nur bei Überwindungen erhöhter Argumentationslasten angenommen werden kann. Nach den Kriterien der Rechtsprechung ist die betragsmäßige Aufgliederung vielmehr stets und nicht nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn im konkreten Einzelfall die Identifikationsmöglichkeit gegeben ist und kein Differenzierungsbedürfnis besteht107. c) Positivkriterium der Identifikationsmöglichkeit und Negativkriterium des fehlenden Differenzierungsbedürfnisses Das Positivkriterium der Identifikationsmöglichkeit der erfaßten Steuerfälle verlangt, daß trotz der Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle in einem Steuerbescheid ersichtlich sein muß, welche Steuerfälle im Einzelnen bescheidmäßig zusammengefaßt werden108. Das Erfordernis inhaltlicher Bestimmtheit des Steuerbescheids soll in den Worten des BFH sicherstellen, „daß für den Betroffenen erkennbar ist, welcher Sachverhalt besteuert wird“109. Dabei ist der Bescheid aus der Sicht des Bekanntgabeadressaten auszulegen110, wobei auch die Unterlagen heranzuziehen sind, auf die der Bescheid Bezug nimmt111. Da bei der Schenkungsteuer die einzelnen Erwerbsvorgänge besteuert werden (s. II. 1.), fragt es sich, ob es der Angabe jedes einzelnen Erwerbsvorganges bedarf. Die pauschale Forderung nach einer Individualisierung der Einzelzuwendung112 überzeugt schon darum nicht, weil die Anforderungen an die Bestimmtheit nicht pauschal festgelegt werden können, sondern sich nach den Umständen des Einzelfalls rich-
__________ 104 BFH v. 22. 11. 1995 – II R 26/92, BStBl. II 1996, 162 (164). 105 Daran anknüpfend BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092). 106 Zutreffend darum FG Köln v. 27. 11. 2003 – 9 K 3304/02, 9 K 6334/02, EFG 2004, 664 (665): „ist daher entbehrlich, wenn …“. 107 Ebenso Klein/Brockmeyer, § 119 AO Rz. 12. 108 So bereits BFH v. 5. 7. 1978 – II B 50/77, BStBl. II 1978, 542. 109 BFH v. 17. 9. 1986 – II R 62/84, BFH/NV 1987, 738 (740); v. 22. 11. 1995 – II R 26/92, BStBl. II 1996, 162 (164); ebenso Boruttau/Viskorf, § 15 GrEStG Rz. 90. 110 Tipke/Kruse, § 118 AO Tz. 51 (März 2004). 111 Schwarz/Frotscher, § 119 AO Rz. 11 (Juni 2003). 112 So aber Lieberwirth, DStR 1972, 141 (142–144), nach dem auch im Anschluß an eine Außenprüfung oder Steuerfahndungsprüfung die einzelnen Zuwendungen im Steuerbescheid anzugeben seien, selbst wenn des es der Finanzverwaltung erhebliche Ermittlungsschwierigkeiten bereite, weil sonst „unter Umständen auch die Zusammenrechnungsvorschrift“ des (heutigen) § 14 ErbStG verletzt werde.
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ten113. Zwar ist es zutreffend, daß die Rechtsprechung in gesellschaftsteuerrechtlichen Massenfällen eine Aufstellung der einzelnen besteuerten Fälle trotz des erheblichen Arbeitsaufwandes der Finanzverwaltung gefordert hat114. Indes senkt sie auch die Bestimmtheitserfordernisse bei Haftungsbescheiden aus den Gesichtspunkten der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Aufgliederung ab, was insbesondere dann gilt, wenn der Betroffene der Finanzverwaltung Angaben zur Aufgliederung vorenthalten hat115. Wenn auf dem Boden der Rechtsprechung die Aufgliederung eines Haftungsbetrages nicht als Frage seiner Begründung116, sondern seiner Bestimmtheit verstanden wird, ist es nur folgerichtig die Absenkung der Bestimmtheitserfordernisse für Haftungsbescheide erst recht auf Steuerbescheide zu übertragen. Dies gilt insbesondere für Schenkungsteuerbescheide, die gestützt auf die „verkehrsteuerrechliche Reminiszenz“117 des § 20 Abs. 1 ErbStG gegen den entreicherten Schenker erlassen werden, weil die „rein fiskalisch motivierte“ Gesamtschuldnerschaft118 deutlich in die Nähe einer Haftung rückt. Nach dem Negativkriterium des fehlenden Differenzierungsbedürfnisses zwischen den Steuerfällen kann „auf eine differenzierte Festsetzung der Schenkungsteuer“ für jeden einzelnen Erwerbsvorgang verzichtet werden, „wenn unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Differenzierung erforderlich ist“119. Dies ist der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der verschiedenen Steueransprüche nach Anspruchsgrund bzw. dessen Wegfall, hinsichtlich möglicher Befreiungstatbestände und des Eintritts der Verjährung keinen unterschiedlichen Verlauf nehmen sowie der für den Einzelfall festgesetzten Steuer keine weitere rechtliche Bedeutung für weitere Steuerfälle (z. B. im Rahmen des § 14 ErbStG) zukommen kann120. Dies ist Frage des Einzelfalles121.
__________ 113 Explizit BFH v. 12. 10. 1983 – II R 56/81, BStBl. II 1984, 140 (141); ebenso Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 119 AO Rz. 17, 56 (Nov. 1999) m. w. N.; dem folgend FG Köln v. 27. 11. 2003 – 9 K 3304/02, 9 K 6334/02, EFG 2004, 664 (665). 114 BFH v. 15. 10. 1980 – II R 127/77, BStBl. II 1981, 84. 115 Vgl. BFH v. 8. 11. 1985 – VI R 237/80, BStBl. II 1986, 274 (276); dazu eingehend und krit. Krämer, Bestimmtheit, Fn. 22, S. 84 ff. 116 So mit guten Gründen aber Schmidt/Drenseck, § 42d EStG Rz. 47; Schwarz/ Frotscher, § 119 AO Rz. 13 (Juni 2003). 117 Dazu krit. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl., 2003, S. 878. 118 Seer, in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 13 Rz. 134. 119 Wie der BFH auch Cöster, in Pahlke/Koenig, § 157 AO Rz. 12. 120 So BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1092); ähnlich zuvor BFH v. 17. 9. 1986 – II R 62/84, BFH/NV 1987, 738 (740); v. 22. 11. 1995 – II R 26/92, BStBl. II 1996, 162 (164) und zur Verjährung BFH v. 20. 2. 1980 – II R 90/77, BStBl. II 1980, 414 (415). 121 Anschaulich zuletzt FG Köln v. 27. 11. 2003 – 9 K 3304/02, 9 K 6334/02, EFG 2004, 664 (665 f.).
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d) Dispositivität von Bestimmtheitserfordernissen Schließlich findet das Erfordernis der betragsmäßigen Aufgliederung in der Rechtsprechung noch eine weitere Schranke: „Eine genaue Aufgliederung ist dann nicht erforderlich, wenn zwischen den Beteiligten keinerlei Streit darüber besteht, welche Steuerfälle zusammengefaßt worden sind“, weil dann durch die Aufgliederung „keine zusätzliche Klarheit über die zusammengefaßten Steuerfälle gewonnen werden (kann)“122. Die Einschränkung macht deutlich, daß die betragsmäßige Aufgliederung kein Selbstzweck ist, sondern wie alle Bestimmtheitsanforderungen der Verständlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit des Bescheides dienen soll. Wenn indes über die Frage, welche einzelnen Zuwendungen im Schenkungsteuerbescheid erfaßt sind, kein Streit besteht123 und zudem § 14 ErbStG keine gesonderte materielle Qualifikation der einzelnen Erwerbe erfordert, sondern eine einheitliche Behandlung im Einzelfall vorschreibt, wäre eine Aufgliederung reiner Formalismus. Weil der Zweck des § 119 Abs. 1 i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO in diesen Fällen keine Aufgliederung gebietet, verzichtet der BFH zu Recht auf sie124. Die Rechtsprechung verdeutlicht, daß sie das Erfordernis der Aufgliederung als dispositiv einstuft125. Da die Beteiligten Verständigungen im Vorfeld der Steuerfestsetzung auch mit verfahrensrechtlichem Inhalt treffen können126, ist auch eine Verständigung über die Entbehrlichkeit einer betragsmäßigen Aufgliederung im Einzelfall zulässig. Nach einem konsensualen Verzicht kann sich keiner der Beteiligten mehr auf eine fehlende Aufgliederung und eine potentielle inhaltliche Unbestimmtheit des Bescheides berufen. Auch ohne Verzicht kann die Berufung auf die Unbestimmtheit eines Steuerbescheides treuwidrig sein127.
__________ 122 BFH v. 12. 10. 1983 – II R 56/81, BStBl. II 1984, 140 (141). Ebenso BFH v. 12. 10. 1988 – II B 85/88, BStBl. II 1989, 12; Cöster, in Pahlke/Koenig, § 157 AO Rz. 12; Boruttau/Viskorf, § 15 GrEStG Rz. 90 a.E. 123 Wenn Streit besteht, ist die Angabe erforderlich, weil der Lebenssachverhalt die Überprüfung im Einspruchsverfahren begrenzt, vgl. BFH v. 22. 1. 2003 – II R 76/01, BFH/NV 2003, 1137 zur Grunderwerbsteuer. 124 Ebenso Beermann/Güroff, § 157 AO Rz. 8 (Jan. 2002). 125 Dafür spricht auch BFH v. 8. 11. 1985 – VI R 237/80, BStBl. II 1986, 274 (276), wonach die Aufgliederung des Haftungsbescheides von den „Bedürfnissen“ und „Interessen“ des Haftenden abhängt. 126 Dazu Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 19, zur umstrittenen Verständigungsmöglichkeit über Rechtsfragen, ebenda, S. 206 ff. 127 So kann es – freilich unter weiteren Voraussetzungen – der Finanzverwaltung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben versagt sein, sich auf eine von ihr selbst verursachte inhaltliche Unbestimmtheit eines Bescheides zu berufen, sofern die Beteiligten jahrelang übereinstimmend von seiner Wirksamkeit ausgingen (vgl. FG Köln, Urteil v. 22. 9. 1994 – 4 K 5642/90, EFG 1995, 240 [241 f.], rkr.; zustimmend FinMin. Mecklenburg-Vorpommern, Erlaß v. 3. 7. 1995 – IV 300 – S 0065 – 1/92, StEK AO 1977, § 119 Nr. 1; Kruse/Drüen, in Tipke/Kruse, § 4 AO Tz. 178 [Okt. 2001]).
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III. Rechtsfolge bei Verletzung der Bestimmtheitserfordernisse In Anschluß an die Betrachtung der einzelfallbezogenen Bestimmtheitsanforderungen als „Primärebene“ potentieller Fehler, schließt sich die „Sekundärebene der Fehlerfolge“ an. Dabei verdient die eingangs vorangeschickte These der Literatur, wonach ein Steuerbescheid regelmäßig nichtig ist, wenn die Bestimmtheitsanforderungen verletzt sind (s. I.), eine kritische Betrachtung. 1. Dualismus der Fehlerfolgen Die Fehlerhaftigkeit eines Steuerbescheides kann zur Rechtswidrigkeit oder zur Nichtigkeit führen. Beide Fehlerfolgen sind keine sauber gegeneinander abgeschotteten Kategorien, sondern kennzeichnen unterschiedliche Grade der Fehlerhaftigkeit128. a) Nichtigkeit als qualifizierte Fehlerfolge Die Nichtigkeit ist eine „besonders starke Art der Fehlerhaftigkeit“129, nämlich eine qualifizierte Fehlerfolge mit der gravierendsten aller möglichen Rechtsfolgen der Fehlerhaftigkeit130. Ein nichtiger Bescheid ist ein rechtliches Nullum, das in die „pathologische Abteilung“ der Verwaltung gehört131. Der Empfänger kann ihn „in den Wind schlagen oder in den Papierkorb werfen“132. Reicht die Fehlerhaftigkeit nicht zur Nichtigkeit, ist der Verwaltungsakt wirksam. Mit den Worten von Otto Mayer: „Die Fehlerhaftigkeit hat erst dann Bedeutung, wenn der Verwaltungsakt an eine zur Nachprüfung zuständige Behörde gelangt. Die Fehlerhaftigkeit bedeutet also eine bloße Vernichtbarkeit“133. Nichtigkeit als Rechtsfolge tritt „ipso iure“ ein, während die bloße Anfechtbarkeit oder Aufhebbarkeit nicht unmittelbare Rechtsfolgen des Fehlers sind134. Aber auch wenn ein nichtiger Verwaltungsakt kraft Gesetzes unwirksam ist (§ 124 Abs. 3 AO), ist die Nichtigkeit kein „quasi-naturwissenschaftlicher Vorgang“135. Sie ist keine dem Verwaltungsakt inhärente Qualität, sondern vielmehr Ergebnis einer externen Qua-
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Schnapp, Die Folgen von Verfahrensfehlern im Sozialrecht, SGb 1988, 309 (311). So bereits Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 1924, S. 95. Rozek, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 125 AO Rz. 3 (Nov. 2004). Ähnlich bereits Tipke, Der fehlerhafte Steuerverwaltungsakt, StuW 1957 I Sp. 1 (6 f.). Plastisch Wolff, Die Nichtigkeit von Verwaltungsakten, MDR 1951, 523. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 1924, S. 95, der allerdings von „einfacher Ungültigkeit“ als Gegenbegriff der Nichtigkeit spricht. Zutreffend J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2003, Rz. 679 f., 691, 693. Da Anfechtbarkeit oder Aufhebbarkeit die Wirkungen eines einfachen Fehlers beschreiben, können sie trotz dieses Einwandes zu den Fehlerfolgen gerechnet werden. So J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 693.
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lifikation des Verwaltungsaktes durch das Gericht136. Dabei werden Rechtsprechung und Literatur nicht müde zu betonen, daß die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes die seltene Ausnahme von der Regel der bloßen Anfechtbarkeit des Verwaltungsaktes ist137. Diese Einschätzung teilt auch Klaus Tipke, betont aber zu Recht, daß sie die Nichtigkeitsprüfung nicht beeinflussen darf138. Es ist genauso verkürzt, die bloße Rechtswidrigkeit als Regelfolge zu unterstellen, wie umgekehrt den Mangel inhaltlicher Unbestimmtheit mit der Nichtigkeit des Steuerbescheides gleichzusetzen139. Die Nichtigkeitsfolge ist vielmehr das Ergebnis einer Bewertung des einzelnen Verwaltungsaktes anhand der gesetzlichen Kriterien des § 125 AO. b) Voraussetzungen der Nichtigkeit bei Bestimmtheitsmängeln Nach § 125 Abs. 1 AO ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist140. § 125 Abs. 1 AO geht – wie die allgemeine verwaltungsrechtliche Vorschrift des § 44 Abs. 1 VwVfG – von einem Stufenverhältnis aus, nach dem der Fehler die Qualifikationsstufe der besonderen Schwere erreichen141 und zugleich offenkundig sein muß142. Fehlt eine dieser weiteren Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 AO, so ist der fehlerhafte Verwaltungsakt nur anfechtbar bzw. aufhebbar, aber nicht nichtig143. Darum ist es zu undifferenziert, wenn ein-
__________ 136 Ebenso zuvor Schnapp, Die Nichtigkeit des Verwaltungsakts – Qualität oder Qualifikation?, DVBl. 2000, 247 (248, 250). 137 BFH v. 1. 10. 1981 – IV B 13/81, BStBl. II 1982, 133 (134 f.); Urteile v. 20. 12. 2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381 (382); v. 7. 2. 2002 – VI R 80/00, BStBl. II 2002, 438 (439). Aus der Literatur Klein/Brockmeyer, § 125 AO Rz. 1; Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2002, § 15 Rz. 27; Hufen, Zur Systematik von Verfahrensfehlern – eine Bestandsaufnahme nach zehn Jahren VwVfG, DVBl. 1988, 69 (71); Jachmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2003, Rz. 105; Kruse, Lehrbuch Steuerrecht, Fn. 23, S. 263; Hans Meyer/Borg-Maciejewski, VwVfG, 2. Aufl. 1982, § 44 Rz. 1; Rozek, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 125 AO Rz. 9 (Nov. 2004); Beermann/v. Wedelstädt, § 125 AO Rz. 1 (Dez. 2002). 138 Tipke/Kruse, § 125 AO Tz. 6 a.E. (Okt. 2003). 139 So aber FG Rheinland-Pfalz v. 17. 4. 2003 – 4 K 1172/03, DStRE 2003, 995, rkr., und ein Teil der Literatur (s. Nachweise in Note 9). 140 Daneben zählt § 125 Abs. 2 AO in einem „Positivkatalog“ Fälle auf, in denen der Verwaltungsakt ohne Rücksicht auf die besondere Schwere des Fehlers und seine Offenkundigkeit nichtig ist. Ist keiner der absoluten Nichtigkeitsgründe des § 125 Abs. 2 AO einschlägig, bestimmt sich die Nichtigkeit nach der Generalklausel des § 125 Abs. 1 AO. 141 Anschaulich z. B. BFH v. 8. 2. 1995 – I R 127/93, BStBl. II 1995, 764 (766): „Der Bescheid … war zwar fehlerhaft. …. Dies war aber kein schwerwiegender zur Unwirksamkeit führender Fehler.“. 142 Vgl. Klein/Brockmeyer, § 119 AO Rz. 6; Heißenberg, KÖSDI 1/1992, 8793 (8794, 8797); ausdrücklich auch BFH v. 22. 11. 1988 – VII R 173/85, BStBl. II 1989, 220 (222). 143 Explizit BFH v. 10. 11. 1993 – I R 20/93, BStBl. II 1994, 327 (329).
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zelne Autoren behaupten, die fehlende inhaltliche Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes sei ein besonders schwerwiegender Fehler144, der „logischerweise“ evident sei145. Richtigerweise ist auf das Gewicht des Mangels abzustellen146. Nichtigkeit ist nur in schwerwiegenden Fällen inhaltlicher Unbestimmtheit anzunehmen147, wenn dem Verwaltungsakt nicht hinreichend sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird148, wenn etwa der Adressat nicht angegeben149 oder die festgesetzte Steuer nicht bezeichnet wird150. Auf dieser Linie liegen – entgegen anderer Deutungen der Literatur151 – auch mehrere Judikate des BFH, nach denen die Verletzung des Bestimmtheitserfordernisses nur zur Rechtswidrigkeit des betreffenden Bescheides führt152. Der VII. Senat des BFH hat diese differenzierende Position im Urteil vom 22. November 1988 mit eingehender Begründung bekräftigt und die mangelnde Aufgliederung eines Haftungsbetrages nicht als so schwerwiegenden Fehler angesehen, als daß er zur Nichtigkeit des Bescheids führt153. Solange
__________ 144 So auch Rozek, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 125 AO Rz. 53 (Nov. 2004), in gewissem Gegensatz zur Aussage in Rz. 14. 145 So aber Schiedeck, Die Nichtigkeit von Verwaltungsakten gemäß § 44 VwVfG, JA 1994, 483 (487 f.), nach dessen Ansicht die inhaltliche Unbestimmtheit stets zur Nichtigkeit führen soll. 146 Zutreffend darum Trzaskalik, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 157 AO Rz. 11 (Juli 1997). 147 Ebenso Knack/Hubert Meyer, VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 44 Rz. 22. Gl. A. auch noch Kühn/Hofmann, AO, 17. Aufl. 1995, § 157 AO Anm. 5 b: „u. U. – abhängig von dem Ausmaß des Verstoßes – ist der Bescheid lediglich rechtswidrig“. 148 Zutreffend OVG Münster v. 15. 3. 1989 – 3 A 2807/88, NVwZ 1989, 1086 (1087) in Anschluß an Tipke/Kruse, § 125 AO Tz. 13 (Okt. 2003); ebenso Beermann/v. Wedelstädt, § 125 AO Rz. 11 (Dez. 2002). 149 Vgl. BFH v. 19. 8. 1999 – IV R 34/98, BFH/NV 2001, 409 (410), wonach die ungenügende Bestimmung des Inhaltsadressaten und der Verteilung der festgestellten Einkünfte zur Nichtigkeit führt. BFH v. 8. 2. 1995 – I R 127/93, BStBl. II 1995, 764 (766) sieht einen Fehler, der zur Verwechselung der Steuerschuldner führen kann als schwerwiegend an. 150 Kruse, Lehrbuch Steuerrecht, Fn. 23, S. 263. 151 Unrichtig ist die Aussage von Heißenberg, KÖSDI 1/1992, 8793 (8798), daß die unaufgegliederte Zusammenfassung nach der Rspr. regelmäßig zur Nichtigkeit des Bescheides führt. Die von ihm zitierten Urteile (Nachweise in der nachfolgenden Note 152) besagen das Gegenteil (insoweit unzutreffend auch Klein/ Rüsken, § 157 AO Rz. 10). Das von Heißenberg weiterhin zitierte Urteil des BFH v. 12. 10. 1983 – II R 56/81, BStBl. II 1984, 140 (141) erachtet die Zusammenfassung sogar ausdrücklich als zulässig. Schließlich stellt der ebenfalls zitierte Beschluß des BFH v. 12. 10. 1988 – II B 85/88, BStBl. II 1989, 12 ausdrücklich auf den Einzelfall ab. 152 BFH v. 30. 1. 1980 – II R 90/75, BStBl. II 1980, 316 (317 f.); v. 15. 10. 1980 – II R 127/77, BStBl. II 1981, 84, beide zur unaufgegliederten Zusammenfassung von Steuerbeträgen. 153 BFH v. 22. 11. 1988 – VII R 173/85, BStBl. II 1989, 220 (221 f.); dem folgend nunmehr auch Schmidt/Drenseck, § 42d EStG Rz. 47 m. w. N. Ebenso zur fehlenden Aufgliederung eines Rückforderungsbescheides Martens, Die Rechtsprechung
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ein Verwaltungsakt zwar unbestimmt, aber nicht in sich unsinnig oder unverständlich ist, führt dieser Mangel nur zu seiner Anfechtbarkeit und nicht Nichtigkeit154. Der Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot rückt damit lediglich in solchen Fällen, in denen der Adressat nicht eindeutig und sicher entnehmen kann, was von ihm verlangt wird, „dogmatisch … in den Bereich der Verpflichtung zum Unmöglichen“155. Darum führt die unzureichende Bestimmtheit nur dann zur Nichtigkeit, wenn der Verwaltungsakt nicht befolgbar ist156. In Einklang mit dieser differenzierenden Position157 betont der BFH, daß nur im Einzelfall entschieden werde könne, ob ein infolge unaufgegliederter Zusammenfassung entgegen § 119 Abs. 1 AO inhaltlich nicht hinreichend bestimmter Steuerbescheid an einem besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler i. S. von § 125 Abs. 1 AO leide158. 2. Besondere Schwere des Fehlers Der Maßstab für die besondere Schwere des Fehlers ergibt sich aus dem einschlägigen Gesetz und den Wertungen der Verfassung. Besonders schwerwiegend ist der Fehler nach Ansicht des BFH, wenn er den Verwaltungsakt als schlechterdings unerträglich erscheinen läßt, weil der Verwaltungsakt mit
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zum Verwaltungsverfahrensrecht, NVwZ 1987, 464 (468) m. w. N. Gl. A. zur fehlenden Aufgliederung eines Erschließungsbeitragsbescheides OVG Münster v. 15. 3. 1989 – 3 A 2807/88, NVwZ 1989, 1086 (1087); zustimmend Knack/Hubert Meyer, § 44 VwVfG Rz. 23. Offenlassend für einen Bescheid über die Rückforderung von Arbeitnehmer-Sparzulagen ohne Aufgliederung der Einzelbeträge für mehrere Jahre BFH v. 11. 7. 1986 – VI R 105/83, BStBl. II 1986, 775. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 44 Rz. 112; Martens, NVwZ 1987, 464 (468); Jachmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 105; ähnlich nunmehr Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 44 Rz. 26. Insoweit zutreffend Schiedeck, JA 1994, 483 (487); ähnlich Heißenberg, KÖSDI 1/1992, 8793 (8795). Seer, in Tipke/Lang, Steuerrecht, § 21 Rz. 94; Tipke/Kruse, § 119 AO Tz. 6 (März 2004), jeweils unter Hinweis auf § 125 Abs. 2 Nr. 2 AO. Ausdrücklich BFH v. 1. 10. 1981 – IV B 13/81, BStBl. II 1982, 133 (134); v. 22. 11. 1988 – VII R 173/85, BStBl. II 1989, 220 (222). Explizit BFH v. 12. 10. 1988 – II B 85/88, BStBl. II 1989, 12; dem folgend Klein/ Brockmeyer, § 125 AO Rz. 6. Davon ist BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1093) auch nicht explizit abgerückt, hat aber – unter Hinweis auf die differenzierende Position der Literatur – die fehlende Aufgliederung im Einzelfall wegen der materiell-rechtlichen Relevanz als schwerwiegenden Fehler qualifiziert. Auch Söhn, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 119 AO Rz. 141 (Nov. 1999) der im Falle der Verletzung der allgemeinen Bestimmtheitserfordernisse von der Nichtigkeit als regelmäßiger Fehlerfolge ausgeht, hebt hervor, daß die unaufgegliederte Zusammenfassung „weniger schwerwiegend“ sein kann und dann zur bloßen Anfechtbarkeit des Steuerbescheides führt. Völlig unklar bleibt die Fehlerfolge bei Lieberwirth, DStR 1972, 141 (142 f.), der einen unaufgegliederten Schenkungsteuerbescheid alternierend als unwirksam (a. a. O., S. 142 rechte Spalte und S. 143 linke Spalte) und rechtswidrig (a. a. O., S. 142 rechte Spalte und S. 143 rechte Spalte) einstuft.
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tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar ist159. Der Fehler muß die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen Maße verletzen, daß von Niemandem erwartet werden kann, den ergangenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen160. Als Schulbeispiel hierfür dient der Fall, daß das Finanzamt gegen den Eigentümer eines Fahrrades einen Kraftfahrzeugsteuerbescheid erläßt161. Das unterstreicht: Der BFH hat die „Latte“ des schwerwiegenden Fehlers so hoch gelegt, daß sie nur in krassen Ausnahmefällen „gerissen“ wird. Ausgehend von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen hat der VII. Senat des BFH erkannt, daß die mangelnde betragsmäßige Aufgliederung eines Haftungsbescheides „nicht in dem Sinne im Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrunde liegenden Wertvorstellungen der Gemeinschaft (steht), daß es unerträglich wäre, ihn zu beachten“162. Dies hat er (auch) darauf gestützt, daß auf die Aufgliederung des Haftungsbetrags nach der Rechtsprechung unter besonderen Umständen (wie der Kenntnis des Haftungsschuldners) verzichtet werden könne. Mit Christoph Trzaskalik ist diesen Aussagen zuzustimmen163, weil Mängel in Bezug auf verzichtbare Verfahrensanforderungen rechtstaatlich nicht so schwer wiegen können, daß sie die „Unerträglichkeitsschwelle“ überschreiten. Dieses Ergebnis stützt auch der Blick auf die jeweiligen für das Verhalten der Behörde maßgebenden Rechtsvorschriften, nach denen die Schwere des Fehlers zu beurteilen ist164. Wenn die fehlende Aufgliederung des Steuerbetrages überhaupt als Verstoß gegen § 119 Abs. 1 i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO anzusehen ist (s. II. 3.), so ist dieser Fehler nicht eo ipso schwerwiegend165. Denn für die Beurteilung der Schwere eines Fehlers kommt es maßgeblich auf das materielle Recht an: Führt z. B. die Steuerberechnungsvorschrift des § 14 ErbStG dazu, daß die betragsmäßige Aufgliederung der Schenkungsteuer für die materielle Qualifikation unerheblich und materiell folgenlos ist, kann der Fehler nicht von Gewicht sein. Denn eine Aufgliederung bräch-
__________ 159 BFH v. 18. 10. 1988 – VII R 123/85, BStBl. II 1988, 76 (78); ebenso Rozek, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 125 AO Rz. 12 (Nov. 2004) m. w. N. – auch zur Rspr. des BVerwG – in Note 3. 160 Ständ. Rspr., vgl. BFH v. 22. 11. 1988 – VII R 173/85, BStBl. II 1989, 220 (222); v. 20. 12. 2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381 (382); v. 7. 2. 2002 – VI R 80/00, BStBl. II 2002, 438 (439), jeweils m. w. N. zur Rspr. 161 Balmes, in Kühn/v. Wedelstädt, § 125 AO Rz. 3. 162 Vgl. BFH v. 22. 11. 1988 – VII R 173/85, BStBl. II 1989, 220 (222); ebenso Rozek, in Hübschann/Hepp/Spitaler, § 125 AO Rz. 14 (Nov. 2004). 163 Trzaskalik, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 157 AO Rz. 11 (Juli 1997) zu Steuerbescheiden. 164 BFH v. 20. 12. 2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381 (382); v. 7. 2. 2002 – VI R 80/00, BStBl. II 2002, 438 (439). 165 Vgl. die Nachweise in Fn. 153 und 158.
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te dem Steuerpflichtigen kein Plus an Klarheit. Anders liegt der Fall bei der Schenkungsteuer, wenn Unklarheiten über die gesonderte Qualifikation der einzelnen gemischten Erwerbsvorgänge dazu führen, daß bei einer anderen Qualifikation nicht festgestanden hätte, welcher Lebenssachverhalt erfaßt wäre166. 3. Offenkundigkeit des schwerwiegenden Fehlers Selbst wenn die unaufgegliederte Zusammenfassung der Steuerbeträge im Einzelfall als schwerwiegender Fehler zu qualifizieren ist, folgt daraus noch nicht die Nichtigkeit des Steuerbescheides. § 125 Abs. 1 AO fordert über die Schwere des Fehlers hinaus seine Offenkundigkeit. Bereits der Wortlaut „… und dies …“ macht deutlich, daß Schwere und Offenkundigkeit des Fehlers zwei getrennte Kriterien sind, die nur zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führen, wenn sie kumulativ vorliegen167. Das Gesetz folgt damit der Einsicht, daß das Prinzip der Rechtssicherheit, welches den Bestand des Verwaltungsakts trotz möglicher Rechtsfehler rechtfertigt, nur dann dem Prinzip der materiellen Richtigkeit weichen muß, wenn der Verwaltungsakt an einem offensichtlichen und zudem schwerwiegenden Fehler leidet168. Zwar „überspringt“ der II. Senat des BFH bisweilen „in höchstrichterlicher Souveränität“ das Tatbestandsmerkmal der Offenkundigkeit des Fehlers und setzt den schwerwiegenden Fehler mit der Nichtigkeit gleich169. Daraus läßt sich indes nicht folgern, daß das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals fingiert werden kann oder gar obsolet ist. Zutreffend hat jüngst der VII. Senat bekräftigt, daß es verfehlt ist, die Schwere des Fehlers mit seiner Offenkun-
__________ 166 So im Urteilsfall BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1093), in dem das materiell-rechtliche Gebot der gesonderten Qualifikation der einzelnen Erwerbsvorgänge dazu führte, daß der BFH „konstitutive Anforderungen an den Inhalt eines Steuerbescheides“ als nicht erfüllt ansah. Ebenso BFH v. 2. 7. 2004 – II R 74/01, BFH/NV 2004, 1511 (1512 f.), wonach der Bescheid widersprüchlich war und nicht erkennen ließ, welche Schenkungen besteuert werden sollten. 167 Explizit Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 15 Rz. 26; Rozek, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 125 AO Rz. 10 (Nov. 2004); Stelkens/Bonk/Sachs, § 44 VwVfG Rz. 119; Vogel, Die Lehre vom Verwaltungsakt nach Erlaß der Verwaltungsverfahrensgesetze, BayVBl. 1977, 617 (621); in der Sache auch Schiedeck, JA 1994, 483 (484); Beermann/v. Wedelstädt, § 125 AO Rz. 17 (Dez. 2002); zuvor bereits aus der Sicht der Evidenztheorie Bender, Der nichtige Verwaltungsakt, DVBl. 1953, 33 (34, 36); für eine „Kombination“ beider Tatbestandsmerkmale Hans Meyer/Borg-Maciejewski, § 44 VwVfG, Rz. 7 f., 10. 168 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2004, § 10 Rz. 31, der zu Recht darauf hinweist, daß die Gleichsetzung mit der Evidenztheorie (zusammenfassend Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, 6. Aufl. 2000, § 49 Rz. 9–15) wegen der Kriterien der „Offenkundigkeit“ und der „Schwere des Fehlers“ verkürzend ist. 169 So z. B. BFH v. 9. 12. 1998 – II R 6/97, BFH/NV 1999, 1091 (1093); v. 2. 7. 2004 – II R 74/01, BFH/NV 2004, 1511 (1513).
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digkeit gleichzusetzen170. Er hat zu Recht betont, daß ein Verwaltungsakt trotz eines schwerwiegenden Fehlers nur als rechtswidrig und nicht als nichtig eingestuft werden kann, wenn die Offenkundigkeit des schwerwiegenden Fehlers nicht positiv festgestellt werden kann171. Da § 125 Abs. 1 AO die konkreten Umstände des Einzelfalls zum gesetzlichen Bewertungsmaßstab erhebt („bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände“), ist die Offenkundigkeit des Fehlers konkret zu bestimmen, so daß sich eine abstrakte Betrachtung der Schwere des Fehlers verbietet172. Aus der Schwere des Fehlers darf nicht seine Offensichtlichkeit abgeleitet werden, vielmehr muß die Offenkundigkeit des Fehlers im Einzelfall feststehen173. Ein schwerwiegender Mangel ist nur dann offenkundig, wenn jeder verständige Dritte bei Unterstellung der Kenntnis aller in Betracht kommenden Umstände in der Lage ist, den Fehler der Verwaltungsmaßnahme in seiner besonderen Schwere zu erkennen174. Dabei ist auf die Sicht eines Durchschnittsbetrachters abzustellen175. Darum ist für die Frage, ob ein Steuerbescheid einen schwerwiegenden Fehler quasi „auf der Stirn“ trägt, nach herrschender Ansicht keine besondere juristische Fachkunde zu fordern176. Aber auch wer in komplizierten Fällen einen mit dem Steuerrecht Vertrauten als Maßstab für die Offenkundigkeit heranzieht177, muß fragen, ob die schwere Fehlerhaftigkeit ohne weiteres, insbesondere ohne weitere Ermittlungen178 oder rechtliche Prüfungen sofort erkennbar ist179, sich also geradezu aufdrängt180. Das ist immer dann zu verneinen, wenn die besondere Schwere des Fehlers erst später, insbesondere nach einer Rechtsprechungsänderung, ersichtlich wird181. Soweit die Rechtsprechung das Tatbestandsmerkmal der
__________ 170 Zutreffend differenzierend BFH v. 22. 10. 2002 – VII R 56/00, BStBl. II 2003, 109 (111). 171 BFH v. 22. 10. 2002 – VII R 56/00, BStBl. II 2003, 109 (111). 172 So aber noch Wolff, MDR 1951, 523 (525): Nichtigkeit als absolute Rechtswidrigkeit. 173 Ebenso Stelkens/Bonk/Sachs, § 44 VwVfG Rz. 119 f. 174 BFH v. 23. 8. 2000 – X R 27/98, BStBl. II 2001, 662 (664); v. 22. 10. 2002 – VII R 56/00, BStBl. II 2003, 109 (111). 175 BFH v. 22. 11. 1988 – VII R 173/85, BStBl. II 1989, 220 (221 f.); v. 23. 8. 2000 – X R 27/98, BStBl. II 2001, 662 (664); Tipke/Kruse, § 125 AO Tz. 6 (Okt. 2003). 176 Heißenberg, KÖSDI 1/1992, 8793 (8794); Beermann/v. Wedelstädt, § 125 AO Rz. 18 (Dez. 2002); Schiedeck, JA 1994, 483 (485). 177 Vgl. Hans Meyer/Borg-Maciejewski, § 44 VwVfG Rz. 9, der im allgemeinen Verwaltungsrecht auf „den mit dem öffentlichen Recht Vertrauten als hypothetische Bezugperson“ abstellt. 178 BFH v. 22. 10. 2002 – VII R 56/00, BStBl. II 2003, 109 (111). 179 Knack/Hubert Meyer, § 44 VwVfG Rz. 28 f. 180 Kopp/Ramsauer, § 44 VwVfG Rz. 12; Obermayer/Schäfer, VwVfG, 3. Aufl. 1999, § 44 Rz. 20. 181 Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rz. 230. Es fehlt an der Offenkundigkeit, wenn dem Verwaltungsakt zwar eine unrichtige Rechtsauffassung zugrunde liegt, diese aber über längere Zeit und auch noch im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes praktiziert wurde, ohne daß die herr-
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Offenkundigkeit thematisiert, nimmt sie es bei unzureichender Aufgliederung von Steuerbeträgen nicht automatisch an: Bei einem Bescheid über die Rückforderung von Arbeitnehmer-Sparzulagen ohne Aufgliederung der Einzelbeträge für mehrere Jahre hat der BFH die Offenkundigkeit offengelassen182 und bei der mangelnden Aufgliederung der Haftungsschuld hat er den Fehler als nicht offenkundig angesehen183. Die praktischen Fälle, die durch alle Schritte des gebotenen Prüfungsrasters fallen und zur Nichtigkeit des Steuerbescheides führen, sind demnach tatsächlich Ausnahmefälle.
IV. Resümee Eine Analyse der Judikatur zum Gebot der Inhaltsbestimmtheit, speziell am Beispiel zusammengefaßter Schenkungsteuerbescheide zeigt, daß die Bestimmtheitsanforderungen für Steuerbescheide nicht nur steuerartenspezifisch, sondern auch einzelfallbezogen zu konkretisieren sind184. Die Anforderungen an die Bestimmtheit sind keine abstrakten und absoluten Handlungsanweisungen an die Verwaltung, sondern richten sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Das Gesetz steckt mit dem Bestimmtheitsgebot der §§ 119, 157 AO einen Bestimmtheitsrahmen ab, der nach Maßgabe der Wertungen der einzelnen Steuerart für den Einzelfall auszufüllen ist (s. II.). Innerhalb dieses Rahmens darf die Verwaltung dem Gebot der Verwaltungsökonomie insoweit Rechnung tragen, als nicht eine unaufgegliederte Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle berechtigte Interessen der Betroffenen, wie ihr Informationsbedürfnis, verletzt (s. II. 2 b] und 3.). Verbieten sich bereits auf der Primärebene des Fehlers schematische Aussagen, so gilt dies umso mehr für die Sekundärebene der Fehlerfolge. Auch die Konsequenzen der Verletzung von Bestimmtheitsanforderungen lassen sich nicht abstrakt oder für den Regelfall festlegen. Indem § 125 Abs. 1 AO die „verständige( ) Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände“ zu einer tatbestandlichen Voraussetzung der Nichtigkeitsfolge macht, werden die konkreten Umstände des Einzelfalls zum gesetzlichen Bewertungsmaßstab. Die Relativität der Fehlerfolge ist im Gesetz angelegt185. Der BFH betont zu Recht: „Welche Fehler im Einzelnen als so schwerwiegend anzusehen sind, daß sie die Nichtigkeit des Verwaltungsakts zur Folge haben können, läßt sich nur
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schende Meinung in Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur dies für rechtsfehlerhaft hielt (Schwarz/Frotscher, § 125 AO Rz. 6 [Juni 2003]; Rozek, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 125 AO Rz. 71 [Nov. 2004]; im Ergebnis ebenso BFH v. 10. 11. 1993 – I R 20/93, BStBl. II 1994, 327 [329] in Anschluß an Tipke/ Kruse, § 125 AO Tz. 6 a.E. [Okt. 2003] und BFH v. 8. 2. 1995 – I R 127/93, BStBl. II 1995, 764 [766]). BFH v. 11. 7. 1986 – VI R 105/83, BStBl. II 1986, 775. BFH v. 22. 11. 1988 – VII R 173/85, BStBl. II 1989, 220 (222). Explizit zuletzt FG Köln v. 27. 11. 2003 – 9 K 3304/02, 9 K 6334/02, EFG 2004, 664 (665). Gegen relative Nichtigkeit dagegen noch Wolff, MDR 1951, 523 (524).
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von Fall zu Fall entscheiden“186. Unverzichtbar ist eine „einzelfallbezogene wertende Betrachtung“187. An die Stelle der vorsichtigen, im Konjunktiv gehaltenen Erwägung von Christoph Trzaskalik, für diese differenzierende Nichtigkeitsfolge „könnte einiges … sprechen“ (s. I.), tritt eine klare Aussage: Nichtigkeit als „größter anzunehmender Verwaltungsunfall“ ist nur für schwerwiegende Fälle inhaltlicher Unbestimmtheit zu reservieren (s. III.). Erforderlich ist darum eine doppelte Einzelfallprüfung hinsichtlich der Bestimmtheitserfordernisse als potentiellem Fehler und der Nichtigkeit als potentieller Fehlerfolge. Auch im Steuerrecht als Massenfallrecht erfolgt die Überstellung in die Pathologie nicht im Regelfall, sondern erst nach der Diagnose im Einzelfall.
__________ 186 BFH v. 22. 11. 1988 – VII R 173/85, BStBl. II 1989, 220 (222). 187 Zutreffend jüngst Rozek, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 125 AO Rz. 14 (Nov. 2004).
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§ 160 AO – nochmals systematisch überdacht Inhaltsübersicht I. Einleitung: Über Christoph Trzaskaliks wissenschaftliche Einstellung und Denkmethode II. Christoph Trzaskaliks Einwendungen gegen die herrschende Meinung zum Zweck des § 160 AO 1. Die herrschende Meinung: § 160 AO begründet eine „Art von Gefährdungshaftung“ 2. Einwendungen gegen die herrschende Meinung a) Christoph Trzaskalik
b) Martin Hegemann c) Anlass zum Überdenken III. Entstehungsgeschichte und Normzweck des § 160 AO IV. Wäre § 160 AO zur Ermittlung der Steuerschuld des eine Zahlung Behauptenden überflüssig? V. Ist § 160 AO eine rechtsstaatlich akzeptable Haftungsvorschrift? VI. Fazit
I. Einleitung: Über Christoph Trzaskaliks wissenschaftliche Einstellung und Denkmethode Christoph Trzaskalik war nicht nur Ideenträger; man durfte ihn im guten Sinne wohl auch als Bedenkenträger bezeichnen. Er machte es sich und anderen nicht leicht. Er verlangte Argumente. Die herrschende Meinung bedeutete ihm wenig; ja, er hielt sie für besonders überprüfungsbedürftig. Er bestritt nicht, dass die herrschende Meinung quantitativ dominiert. Aber der Verdacht oder die Befürchtung, es könnte irgendeine Autorität die herrschende Meinung irgendwann einmal vorschnell initiiert haben, und es könnten sich dann viele dieser Meinung ohne eigene Denkanstrengung angeschlossen haben, ließ ihn nicht los. Der Behauptung, die herrschende Meinung oder die ständige Rechtsprechung hätten die Vermutung der Richtigkeit für sich, begegnete er mit Skepsis, hatte er es doch oft genug erlebt, dass die herrschende Meinung einer gründlichen Überprüfung nicht standhielt, dass sie argumentativ ziemlich nackt sein konnte. Um über Probleme zu diskutieren, die ihn besonders bewegten und die ihn nicht losließen, pflegte Christoph Trzaskalik immer wieder einmal – bevorzugt am Wochenende –, lange Telefongespräche mit mir (wohl auch mit anderen) zu führen.1
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Über die Thematik „Lenkungssteuern und Lenkungsnormen“ (s. Gutachten E. von Trzaskalik zum 63. Deutschen Juristentag, 2000) haben wir mehrere lange Gespräche geführt.
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Dabei unterschieden wir uns im methodischen Ansatz. Er nahm sich einzelne Teilgebiete des Steuerrechts vor, um dann alsbald festzustellen, dass sie wissenschaftlich „unterbelichtet“ oder „unausgegoren“ seien; und bei seiner Gründlichkeit musste er dann relativ lange bei einem Problemkomplex ausharren. Ich selbst versuchte, möglichst schnell eine breite Übersicht über das Ganze zu gewinnen und dann vom Allgemeinen in das Spezielle „vorzudringen“.2 Es hat sich jedoch gezeigt, dass es für beide Seiten förderlich sein konnte, wenn jeder sein Wissen vom Allgemeinen oder vom Besonderen einbringt.3 Allerdings, auch wenn es Christoph Trzaskalik vergönnt gewesen wäre, einige Jahrzehnte länger zu leben: Bei seiner Gründlichkeit wäre es ihm niemals gelungen, alle Bereiche des Steuerrechts in seiner Weise zu durchdringen. Dass er Zukunftspläne hatte, die zu verwirklichen ihm nicht mehr vergönnt waren, versteht sich. Am 28. 10. 1993 schrieb mir Christoph Trzaskalik, meine These, alle Steuern seien im weiteren Sinne Einkommensteuern, weil das (gespeicherte) Einkommen die einzige Steuerquelle sei, habe ihn nicht überzeugt, die daraus gezogenen Schlussfolgerungen hätten es folglich auch nicht. Anders als die Einkommensteuer erfasse z. B. die Erbschaftsteuer kein selbst erwirtschaftetes Einkommen, und die Umsatzsteuer habe ganz andere Strukturen als die Einkommensteuer. Wer wollte das leugnen? Mir ist es zunächst nicht gelungen, Christoph Trzaskalik, der eben anders an das Steuerrecht heranging als ich, zu überzeugen. In seinem Beitrag zur Festschrift Tipke4 hat er dann erneut versucht, meine Auffassung in seinen „Marginalien“ zu meinem „steuertheoretischen Grundansatz“ zu erschüttern. Aber trotz unterschiedlicher Grundansätze waren wir uns einig in Folgendem: Jedes wissenschaftliche Denken steht unter dem Vorbehalt weiterer Nachprüfung; es darf keine Ruhe an der wissenschaftlichen Steuerfront geben, keinen wissenschaftlichen Status quo der Erkenntnis, an dem nicht gerüttelt werden dürfte.5,6 Wir sollten etwas als Irrtum Erkanntes ein-
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„Hinabzusteigen“ sage ich bewusst nicht. Zu der verbreiteten Auffassung, dass das Allgemeine, Abstrakte, Unanschauliche auch stets das Höherwertige gegenüber den Besonderen Teilen sei, s. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, 2. Auflage, 2000, S. 65. Das Allgemeine lebt schließlich aus dem Besonderen. Dazu K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II, 2. Auflage, 2003, S. 595 ff.: „Vom Allgemeinen zum Besonderen – vom Besonderen zum Allgemeinen.“ J. Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, 1995, S. 321 ff. Gerichten mag es gut anstehen, mit einer langjährigen Rechtsprechung nicht abrupt, sondern schrittweise zu brechen (dazu J. Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2000, S. 610; zur Gewährung von Dispositionsschutz gegenüber Rechtsprechungsänderungen, a. a. O. S. 627 ff.). Dementsprechend lehnte Chr. Trzaskalik entgegen BVerfGE 16, 147, 161 die Rechtfertigung einer Steuer mit ihrer Tradition wie folgt ab: „Traditionelle Steuern sind nicht unbedingt gerechte Steuern. Es gibt Steuern, deren einzige verfassungsrechtliche Legitimation darin besteht, dass sie traditionell erhoben werden. Man sollte die unvernünftigerweise verfassungsrechtlich rezipierten Steuern
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räumen, statt den Irrtum aus Eitelkeit, aus Selbstüberhebung oder, aus welchem Grunde auch immer, stillschweigend oder beredt zu leugnen. Für Christoph Trzaskalik waren das nicht leere Worte; er handelte auch danach. So rief er mich etwa zwei Jahre nach Erscheinen der erwähnten Festschrift an und teilte mir mit, er habe die „Steuerrechtsordnung“ jetzt zur Gänze gelesen und festgestellt, dass er mich missverstanden habe. Wir wurden uns darüber einig, dass der Satz, alle Steuern stammten aus einer Quelle, empirisch richtig sei und dass man ein steuerrechtliches Ideal wie das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht durch den Hinweis widerlegen könne, die Realität stimme mit dem Ideal nicht überein, es sei denn, die Realität erweise die Unvernünftigkeit und Unrealisierbarkeit des Ideals.
II. Christoph Trzaskaliks Einwendungen gegen die herrschende Meinung zum Zweck des § 160 AO 1. Die herrschende Meinung: § 160 AO begründet eine „Art von Gefährdungshaftung“ Die herrschende Meinung nimmt an, § 160 AO ordne eine „Art von Gefährdungshaftung“ an. Wer sich darauf einlasse, dass der Zahlungsempfänger sich gegenüber dem Zahlenden nicht identifiziere, ermögliche es dem Zahlungsempfänger, die Steuer auf das Empfangene zu verkürzen.7 Dadurch gefährde er den Steueranspruch des Staates gegen den Zahlungsempfänger. Der Staat halte sich daher dadurch schadlos, dass er den Abzug des Gezahlten von der Bemessungsgrundlage nicht zulasse. Darauf, ob tatsächlich gezahlt worden sei, komme es nicht an, und die Einkommensverhältnisse des Zahlungsempfängers seien soweit wie möglich zu berücksichtigen.8
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nicht als Anlass nehmen, die Unvernunft zum Verfassungsprinzip zu erklären.“ Diese Bemerkung (Gutachten E. zum 63. Deutschen Juristentag, 2000, S. 14, 45) zielte auf die auch nach Meinung von Trzaskalik ungerechtfertigte „Rechtfertigung“ von Steuern aus Art. 105, 106 GG. Da es sich hier um systematische Überlegungen handelt, kann der Einfachheit halber von Ausgaben und Einnahmen gesprochen werden – statt auch von Betriebsausgaben und Werbungskosten, von Schulden und anderen Lasten. Kommentare von Hofmann in Kühn/Hofmann, AO/FGO, 17. Auflage, 1995, § 164 Anm. 2; Baum in Koch/Scholtz, AO, 5. Auflage, 1996, § 164 Rz. 2; Frotscher in Schwarz, AO (Loseblatt Lfg. 97), § 164 Rz. 1: § 160 „ähnelt einer Haftungsnorm, deren Grund eine vom Steuerpflichtigen veranlasste oder mitverursachte Steuergefährdung bildet.“; Sauer in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht (Loseblatt Lfg. 36, Rz. 2: „eine Art Haftung des Schuldners“); Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO (Loseblatt Lfg. 105), § 160 Tz. 3 m. w. N.: „eine Art Gefährdungshaftung“. Zu Österreich s. G. Stoll, Kommentar zur Bundesabgabenordnung, Bd. 2, Wien 1994, § 162, 2 c. Dem folgt auch die Rechtsprechung (BFH v. 29. 11. 1978 – I R 148/76, BStBl. 1979 II 587, 589; v. 30. 3. 1983 – I R 228/78, BStBl. 1983 II 654, 655; v. 9. 8. 1989 – I R 66/86, BStBl. 1989 II 995, 996; v. 24. 6. 1997 – VIII R 9/96, BStBl. 1998 II 51, 53 f.; v. 15. 10. 1998 – IV R 8/98, NV 1999, 698, 699; v. 1. 4. 2003 – I R
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2. Einwendungen gegen die herrschende Meinung a) Christoph Trzaskalik Gegen die herrschende Meinung macht Christoph Trzaskalik insbesondere geltend: § 160 AO sei als Beweisvorschrift zur Ermittlung des Einkommens des Steuerpflichtigen aufzufassen. Ein Haftungsgrund, der sich rechtfertigen lasse, liege nicht vor, zumal § 160 keine Schuld (Verschulden) voraussetze. Eine Haftung nach § 160 AO vertrage sich „wertungsmäßig“ nicht mit § 71 AO. Es sei nicht Aufgabe des Zahlenden, sich Gedanken darüber zu machen, ob der Empfänger seine steuerlichen Pflichten erfüllen werde. Eine entsprechende Nachforschungspflicht sei dem Zahlenden nicht zuzumuten. Eine Haftung für einen bloß vermuteten Steuerausfall bei einem Dritten sei eine „Sonderlast für bestimmte Auskunftspersonen“, die nicht zu rechtfertigen sei. Daher müsse die herrschende Meinung überdacht werden.9 b) Martin Hegemann M. Hegemann hat sich der Aufgabe, die herrschende Meinung zum Zweck des § 160 AO zu überdenken, in seiner 2004 erschienenen Dissertation angenommen.10 Schon der Untertitel der sehr lesenswerten Schrift – „Der Steuerpflichtige als Inspektor in fremder Sache“ – drückt aus, dass der Verfasser der Meinung von Christoph Trzaskalik folgt, es sei nicht Aufgabe des zahlenden Steuerpflichtigen, sondern des Steuerinspektors, Nachforschungen darüber anzustellen, ob ein Dritter (der Zahlungsempfänger) seine steuerlichen Pflichten erfüllen werde. M. Hegemann verfolgt die Entstehung des § 160 bis auf seine Vorläufer zurück und deutet zur Ermittlung des Gesetzeszwecks alle Gesetzesvorschriften, Gesetzesbegründungen und Erlasse so – um nicht zu sagen: er deutet sie so zurecht –, dass man sich fragt, wie überhaupt jemand auf die Idee kommen konnte, der Gesetzgeber habe je an eine „Art von Gefährdungshaftung“ gedacht. M. Hegemann sieht in § 160 AO eine Vorschrift, die den ordnungsmäßigen Abzug der Zahlung des Steuerpflichtigen bei diesem selbst betreffe; § 160 betreffe die eigene Steuerschuld des Zahlenden, nicht fremde Steuerschulden. Da der Haftungstatbestand hinreichend bestimmt sein müsse, setze er einen genau bezifferbaren Steuerausfall oder Haftungsbetrag voraus; für einen bloß spekulativ ermittelbaren, bloß wahrscheinlichen oder zu schätzenden Betrag könne man nicht haftbar gemacht werden.
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28/02, NV 2003, 1241). Weitere Nachweise von Literatur und Rechtsprechung durch M. Hegemann, Benennung von Zahlungsempfängern gem. § 160 AO, 2004, S. 68 Fn. 288–292. 9 Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO (Loseblatt Lfg. 155 v. Dez. 1997), § 160 AO, insb. Rz. 22, 24, 51 f., 54, 57 f. 10 M. Hegemann, Benennung von Zahlungsempfängern gem. § 160 AO. Der Steuerpflichtige als Inspektor in fremder Sache, Osnabrücker Diss. 2004. – Hegemann weist fünf weitere Dissertationen zu § 160 AO (§ 205a RAO) nach.
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c) Anlass zum Überdenken Zusammengefasst11 bringen Christoph Trzaskalik und M. Hegemann zwei Einwendungen: (1) Eine „Art von Gefährdungshaftung“ für den Steuerausfall bei einem Dritten lasse sich aus § 160 AO nicht ableiten. § 160 AO betreffe – überflüssig oder nicht – die Ermittlung der Einkünfte dessen, der die Zahlung geltend macht. (2) § 160 genüge nicht den an einen Haftungstatbestand zu stellenden rechtsstaatlichen Anforderungen. Diese Einwendungen sind so gewichtig, dass es angezeigt ist, den § 160 AO, vor allem seinen Zweck und was daraus folgt, noch einmal zu überdenken. § 160 AO „revisited“ – würden die Amerikaner titeln. Die Revisitation ist auch deshalb angebracht, weil sich mit § 160 AO die Rechtsprechung immer wieder beschäftigen muss. Vielleicht befriedigt die herrschende Meinung das Rechtsgefühl nicht.
III. Entstehungsgeschichte und Normzweck des § 160 AO Vorläufer des § 160 AO (1977) war § 205a RAO, der 1934 in die Reichsabgabenordnung eingefügt worden war.12 Vorausgegangen war ein Gutachten des Reichsfinanzhofs aus dem Jahre 1932.13 Dieses Gutachten befand auf Ersuchen des Reichsministers der Finanzen, dass Auskunft über einen unbekannten Dritten in einem bestimmten Steuerermittlungsverfahren nicht verlangt werden könne, dass aber die allgemeine Steueraufsicht (§ 201a RAO 1919; § 201 AO 1931) eine Rechtsgrundlage für die Auskunft auch über den Zahlungsempfänger als unbekannten Dritten biete. Nach dieser Vorschrift könne die Angabe des Zahlungsempfängers verlangt und erzwungen werden.14 Gleichwohl fügte der Gesetzgeber 1934 den § 205a RAO15 in die Reichsabgabenordnung ein – mit folgendem Wortlaut:
__________ 11 Im Einzelnen können hier nicht alle Einwendungen im Detail wiedergegeben werden. Die Arbeit von Hegemann umfasst 196 Seiten. 12 Eingefügt durch Gesetz v. 16. 10. 1934, RGBl. I 925, 935. 13 Gutachten v. 10. 3. 1932 – VI D 1/32, RStBl. 1932, 324 f. = RFHE 30, 233. 14 § 201 Abs. 1 AO 1931 lautete: „Die Finanzämter haben darüber zu wachen, ob durch Steuerflucht oder in sonstiger Weise zu Unrecht Steuereinnahmen verkürzt werden.“ Diese Vorschrift – auch als „Wünschelrute in der Hand der Finanzverwaltung“ bezeichnet, ließ ganze Verfahrensabschnitte der RAO überflüssig werden, wenn man sie wörtlich nahm. Als vage Generalklausel für beliebige Eingriffe konnte sie unter dem Grundgesetz nicht in die AO 1977 übernommen werden. – Zu § 201 RAO 1931 Tipke in Tipke/Kruse, RAO, 7. Aufl. (Lfg. 20 v. 1974); Tipke, Steuerliche Betriebsprüfung im Rechtsstaat, 1968, S. 37 ff., 55 ff. 15 RGBl. I 1934, 925, 935.
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Klaus Tipke „(1) … (2) Wenn der Steuerpflichtige beantragt, dass Betriebsausgaben oder Werbungskosten bei der Feststellung des Einkommens abgesetzt werden, so kann das Finanzamt verlangen, dass der Steuerpflichtige die Empfänger genau bezeichnet. (3) Soweit der Steuerpflichtige die vom Finanzamt verlangten Angaben nicht macht, werden die beantragten Absetzungen nicht vorgenommen.“
Es liegt die Frage nahe, warum der Gesetzgeber neben den § 201 RAO noch den § 205a RAO gesetzt hat, wo doch die Auskunft über den Zahlungsempfänger schon nach § 201 RAO verlangt werden konnte. Doch gibt es einen Unterschied zwischen den beiden Vorschriften. § 205a RAO verzichtet darauf, die Auskunft über den Zahlungsempfänger zu erzwingen und bestimmt die Rechtsfolge für den Fall, dass die Auskunft nicht erteilt wird. Man kann sich zusammendenken: Es spricht viel dafür, dass der nicht benannte und folglich nicht bekannte Zahlungsempfänger das Empfangene nicht versteuert und dass daher der Zahlende das Gezahlte nicht soll abziehen können. Von einem Beweis gegen den Zahlenden, dessen Steuerschuld betreffend, ist jedenfalls in § 205a RAO keine Rede, von Haftung des Zahlenden für dessen Steuerschuld allerdings auch nicht. Zur amtlichen Begründung des § 4 EStG 1934 wurde u. a. gesagt: „Die bisher in Praxis, Schrifttum und Rechtsprechung nicht eindeutig geklärte Frage, wie sogenannte Schmiergelder bei der Ermittlung des Gewinns oder des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten zu behandeln sind, ist jetzt in § 205a AO … geregelt.“16 Das sollte wohl heißen: Auf ein Schmiergeld-Abzugsverbot in § 4 EStG konnte verzichtet werden; was im Ergebnis gewollt ist, wird bereits durch § 205a AO erreicht. Aber offenbar stellte § 205a AO den Reichsfinanzminister auch noch nicht zufrieden. Jedenfalls setzte er 1939 noch einen auf die nationalsozialistische Weltanschauung (§ 1 Abs. 1, 3 StAnpG) gestützten, ein Abzugsverbot anordnenden Erlass neben den §§ 205a RAO17. Gleichwohl wurde § 205a AO nicht aufgehoben. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen, den Interpreten aber leider verwirren oder ihn gar zur Verzweiflung bringen. Nun hätte der Gesetzgeber der Abgabenordnung von 1977 (AO 1977) für Klarheit über das von ihm Gewollte sorgen und alle Verwirrung beheben können. Das ist aber leider nicht geschehen. In der Regierungsbegründung zu § 160 AO 1977 heißt es, dass die Bedeutung der Vorschrift „vor allem in der Verhinderung von Steuerausfällen“ liege.18 Es wird jedenfalls nichts gesagt, was für Christoph Trzaskalik und M. Hegemann spräche, dass es nämlich dem Gesetzgeber um den Beweis zur Ermittlung der Steuerschuld des Zahlenden gegangen sei, um den Beweis der Abzugsfähigkeit des Gezahlten als
__________ 16 RStBl. 1935, 37. 17 RStBl. 1939, 195. 18 BT-Drucks. VI/1982, 146, zu § 141 des Gesetzentwurfs.
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§ 160 AO – nochmals systematisch überdacht
Betriebsausgabe, nicht darum, ob es durch das Verhalten des Zahlenden zu einem Steuerausfall gekommen sei, den der Zahlende ausgleichen solle. Muss man daher die Begründung nicht doch so lesen, dass Steuerausfälle gemeint sind, die dadurch entstehen, dass der Zahlungsempfänger das Empfangene nicht versteuert und der Zahlende dafür einstehen soll. Dafür spricht immerhin, dass die „Haftungstheorie“ schon vor Geltung der AO 1977 vertreten wurde. Schon in Tipke/Kruse, RAO, 2. Auflage 1965, Tz. 1, hieß es: „Es entspricht z. B. der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Schmiergeldempfänger oder Personen, die Rechnungserteilung ablehnen … die Einnahmen nicht zu versteuern pflegen. Wirkt der Steuerpflichtige bei einem solchen Geschäft, das erfahrungsgemäß im Gefolge hat, dass der Gläubiger oder Empfänger die Forderungen oder Einnahmen steuerlich nicht erfasst, mit, so soll er nach Maßgabe des § 205a III für den mit mehr oder minder großer Wahrscheinlichkeit entstandenen Steuerausfall einstehen, wenn er den Gläubiger oder Empfänger nicht bezeichnen kann und dem Finanzamt die Möglichkeit nimmt, sich an den Gläubiger oder Empfänger zu halten. Es handelt sich um eine Art Gefährdungshaftung.“ Diese Auffassung ist bis zur 7. Auflage d. h. bis zum In-Kraft-Treten der AO 1977 fortgeführt worden (s. 7. Auflage, Tz. 1). Sie war wohl auch den Verfassern der Regierungsbegründung zu § 160 AO 1977 bekannt. Mich hat zu meiner Auffassung auch bewogen, dass der Abzug auch dann versagt werden kann, wenn erwiesen ist oder wenn nicht bezweifelt werden kann, dass der Steuerpflichtige gezahlt hat, er aber den Zahlungsempfänger nicht benennen kann oder will.19
Gegen eine „Gefährdungshaftung“ könnte es sprechen, wenn die Finanzverwaltung, nachdem der Abzug beim Zahlenden versagt worden ist, den Zahlungsempfänger doch noch ermitteln und nun auch die korrespondierende Einnahme beim Zahlungsempfänger zur Steuer heranziehen würde. Abgesehen davon indessen, dass ein solcher Fall wohl noch nie vorgekommen ist: Nach § 44 AO sind Schuldner und Haftender Gesamtschuldner, und die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wirkt auch für die übrigen Gesamtschuldner. Diese Regelung könnte m. E. analog zugunsten des Zahlungsempfängers angewendet werden. Es lässt sich indessen nicht ausschließen, dass sich auch der Gesetzgeber der AO 1977 nicht darüber im Klaren war, wo er sich systematisch bewegte. Nach allem hätte ich keine Schwierigkeiten, folgender Feststellung von M. Hegemann zuzustimmen: „Trotz einer ausführlichen und sehr kontroversen Diskussion ist der Zweck des § 160 AO weiterhin unklar. Dies beruht hauptsächlich auf der vagen Formulierung in der Regierungsbegründung, dass die Bedeutung der Vorschrift ‚vor allem in der Verhinderung von Steuerausfällen‘ liegt“ (S. 69). Sie sagt aber nicht, ob Steuerausfälle beim
__________ 19 Es ist richtig, dass ich diese Meinung auch als Finanzrichter vertreten habe. Nur kann ich M. Hegemanns Ansicht nicht bestätigen, ich hätte wohl einen Gedanken der Verfügung der OFD Hamburg v. 20. 12. 1948 aufgenommen und zu einer Gefährdungshaftung weiterentwickelt (a. a. O. S. 51). An diese Verfügung habe ich jedenfalls keine Erinnerung. Ende 1948 war ich Jurastudent im 2. Semester.
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Zahlenden oder beim Zahlungsempfänger gemeint sind. Nur muss ein Richter sich auch bei Unklarheit einer Vorschrift entscheiden, und die von M. Hegemann auf S. 68 zitierte Rechtsprechung (und Literatur) hat über die Unklarheit hinweg zu einem anderen Ergebnis gefunden als er. Wir werden wohl nicht herausbekommen, was der Gesetzgeber konkret wollte. Er wollte Steuerausfälle verhindern, aber bei wem und wie er diesen Zweck erreichen wollte, ist unklar und offen geblieben. Gesetzesbegründungen aber, die unbestimmt und unklar sind, sollten bei der Auslegung nicht in Betracht gezogen werden. Danach sollten wir uns zwei Fragen stellen: (1) Wäre § 160 AO zur Ermittlung der Steuerschuld des eine Zahlung Behauptenden überflüssig, weil dieser bereits nach anderen Vorschriften verpflichtet ist, den Empfänger zu benennen? (2) Wäre § 160 AO – würde mit ihm eine „Art Gefährdungshaftung“ bezweckt – eine im rechtsstaatlichen Sinne akzeptable oder nicht akzeptable Haftungsvorschrift?
IV. Wäre § 160 AO zur Ermittlung der Steuerschuld des eine Zahlung Behauptenden überflüssig? Die Finanzämter könnten Steuern entgegen § 85 AO nicht gesetzmäßig und gleichmäßig festsetzen, wenn sie den Abzug von Ausgaben unkontrolliert hinnehmen müssten. Zunächst, die Positionierung des § 160 AO zwischen § 159 AO und § 161 AO20 spricht dafür, dass auch § 160 AO eine Beweisvorschrift ist, eine Beweisvorschrift mit bestimmten Folgen. Allerdings gehören Beweisvorschriften nicht in den Unterabschnitt „Steuerfestsetzung“; die §§ 158–161 AO sind sämtlich falsch positioniert, § 162 AO ist es übrigens auch.21 Auf den Inhalt wirkt sich das indessen nicht aus. § 160 AO und § 159 AO haben gemeinsam, dass auf Verlangen etwas zu benennen bzw. nachzuweisen ist und dass nach beiden Vorschriften § 102 AO unberührt bleibt (§§ 159 II, 160 II AO). Und ebenso wie § 159 AO22 enthält § 160 AO23 eine doppelte Ermessensermächtigung.24 Als Beweisvorschrift
__________ 20 § 159 AO enthält eine die freie Beweiswürdigung einschränkende Beweisregel (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 159 Tz. 1). Wer eine Treuhänderschaft etc. behauptet, hat auf Verlangen nachzuweisen, wem die Rechte oder Sachen gehören. Er muss also den Treugeber etc. benennen (Seer, a. a. O. § 159 Tz. 9). § 161 AO enthält zwei Beweisvermutungen, die durch Glaubhaftmachung widerlegt werden können (Seer, a. a. O. § 161 Tz. 5, 28 f.). 21 S. auch R. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 Tz. 14. 22 Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 159 Tz. 15. 23 Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 160 Tz. 8, 19. 24 Ich gehe hier davon aus, dass Tatbestand und Rechtsfolge trotz der doppelten Einzugsermächtigung hinreichend bestimmt sind.
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§ 160 AO – nochmals systematisch überdacht
gäbe § 160 AO sich besser zu erkennen, wenn er – angepasst an die Formulierung des § 159 AO – lauten würde: „Wer behauptet, abziehbare Ausgaben gehabt zu haben, hat auf Verlangen den Empfänger nachzuweisen; andernfalls ist der Abzug regelmäßig zu versagen.“ Bei einer solchen Fassung wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, die Vorschrift wolle den Zahler für einen Steuerausfall beim Empfänger haften lassen. Dass § 160 AO als Haftungsvorschrift erst recht falsch eingeordnet ist, ist nicht zu bestreiten. Den Vorschlag, die Norm bei den Haftungsvorschriften unterzubringen oder sie ganz aus der AO zu entfernen, hat der Verfasser schon 1971 gemacht.25 Den Kritikern ist darin zuzustimmen, dass der Veranlagungsbeamte oder der Außenprüfer bereits aufgrund des § 93 I AO bzw. § 200 I AO den Steuerpflichtigen um Auskunft darüber anhalten kann, wer der Empfänger einer behaupteten Ausgabe sei.26 Eine solche Auskunft ist beweiserheblich. Wird sie nicht gegeben, so lässt sich nicht ausschließen, –
dass es sich um eine fingierte Zahlung handelt;
–
dass die Ausgabe die Bemessungsgrundlage nicht mindern durfte, weil sie nicht betrieblich/beruflich veranlasst war.
Die Einschränkung des § 93 I 3 AO trifft nicht zu, wenn der Empfänger unbekannt ist. Wird die Auskunft der Veranlagungsstelle nicht gegeben, so sind auch die Voraussetzungen des § 97 II 1 AO erfüllt (auf die der Außenprüfer nicht angewiesen ist, s. § 200 I 4 AO): Es können Belege oder andere Urkunden als Beweismittel verlangt werden, wenn der Steuerpflichtige belegpflichtig ist und die Belege aufbewahren muss.27 Nicht belegpflichtig sind Freiberufler und Bezieher von Vermietungseinkünften.28 Das Finanzamt darf die Auskunft erzwingen, darf aber auch sogleich schätzen, ob und in welcher Höhe Ausgaben angefallen sind. Für Schätzungen kommt kein einheitliches Beweismaß in Betracht. R. Seer begründet das überzeugend so: „Allerdings besteht zwischen Sachaufklärungsintensität und Mitwirkung des Steuerpflichtigen naturgemäß ein wechselseitiger Zusammenhang. Finanzbehörde und Steuerpflichtiger bilden eine auf die Sachaufklärung bezogene Verantwortungsgemeinschaft, bei der die Letztverantwortung auf Seiten der Finanzbehörde verbleibt … § 162 II AO zieht aus diesem Zusammenhang die Konsequenz, dass er die Finanzbehörde
__________
25 FR 1971, 168, 172. 26 Die Auffassung, dass die Auskunft über den Zahlungsempfänger auch im Steuerermittlungsverfahren verlangt werden könne, hat der Verfasser, gestützt auf §§ 171 I; 205 RAO 1931 schon in der 1. Auflage des Tipke/Kruse, AO, 1961, § 205a Tz. 1, vertreten. 27 Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO (Loseblatt Lfg. 105), § 93 Tz. 15 a. E.; M. Hegemann (Fn. 10), S. 9 f., 171. S. auch § 4 V Nr. 2 EStG, wonach der Steuerpflichtige zum Nachweis der Bewirtungskosten die Bewirteten benennen muss. 28 Tipke in Festschrift für H. W. Kruse, 2001, S. 225 ff.
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Klaus Tipke zur Schätzung verpflichtet, wenn die Sachaufklärung an der mangelnden Mitwirkung des Steuerpflichtigen scheitert. Das Gesetz orientiert die Reduzierung des Beweismaßes damit an der Sphärenverantwortlichkeit. Beruht das finanzbehördliche Sachaufklärungsdefizit auf unzureichender oder gar fehlender Mitwirkung des Steuerpflichtigen, so reduziert sich (für steuerbegründende oder -erhöhende Tatsachen) das Beweismaß nach § 162 II AO entsprechend des Ausmaßes der Mitwirkungspflichtverletzung auf eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit. Umgekehrt fordert der Telos des § 162 I AO aber das Festhalten an einem hohen Regelbeweismaß: und damit eine Entscheidung nach der objektiven Beweislast … zu Ungunsten des Steuerpflichtigen, wenn wegen dessen fehlender Mitwirkung steueraufhebende oder -entlastende Tatsachen unaufgeklärt bleiben. Hier fällt das Aufklärungsdefizit in den Verantwortungsbereich des seine Mitwirkung verweigernden Steuerpflichtigen, so dass dieser nicht noch durch eine sich zu seinen Gunsten auswirkende Beweismaßreduzierung belohnt werden darf …“29
Das heißt konkret: Hat der Steuerpflichtige Bücher zu führen und folglich auch die Buchungsbelege aufzubewahren (§ 147 I 4 AO), so muss der Steuerpflichtige die in § 160 erwähnten Ausgaben belegen. Hat er aber keinen Beleg über den Zahlungsempfänger, weil seine Belegführung mangelhaft ist, so hat er seine Mitwirkungspflicht verletzt. Diese darf nicht durch eine Beweismaßreduzierung prämiert werden. Vielmehr muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass und in welcher Höhe etwas in einer die Bemessungsgrundlage mindernden Weise ausgegeben worden ist. Das ist nicht möglich, wenn der, der eine Zahlung behauptet, den Empfänger der Zahlung nicht benennen und nachweisen kann. Dieser Mangel hat das Versagen jeglichen Abzugs nach Beweislastgrundsätzen zur Folge und entspricht somit im Ergebnis der Lösung nach § 160 I 1 AO. Soweit Steuerpflichtige nicht zur Buch- und Belegführung verpflichtet sind30, dürfte – da Verletzung der Mitwirkungspflicht zu verneinen wäre – geschätzt werden, ob und evtl. in welcher Höhe etwas ausgegeben worden ist. Die unterschiedliche Rechtsfolge erklärt sich daraus, dass die Einkünfteermittlungsvorschriften des Einkommensteuergesetzes lückenhaft sind. Die Lücke müsste geschlossen werden. Dann wäre § 160 AO – soweit es um die zutreffende Besteuerung des eine Zahlung Behauptenden geht – vollen Umfangs überflüssig.
V. Ist § 160 AO eine rechtsstaatlich akzeptable Haftungsvorschrift? Wenn § 160 AO zur Ermittlung der Steuer des Steuerpflichtigen (der eine Ausgabe geltend macht) wegen § 93 I AO überflüssig ist, fragt sich, ob er als Haftungsvorschrift dienlich sein kann. Das setzt voraus, dass er überhaupt die rechtsstaatlichen Anforderungen an eine Haftungsvorschrift erfüllt. Von Christoph Trzaskalik und M. Hegemann wird das verneint.
__________ 29 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Auflage, 2002, § 21 Rz. 216. 30 Dazu BVerfG v. 9. 3. 2004 – 2 BvL 17/02, BStBl. 2005 II, 56, 68 re. Sp. unten, 69.
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Eine Haftungsvorschrift muss hinreichend bestimmt sein. Ihr muss zu entnehmen sein, wer wegen welcher Handlungen oder Unterlassungen für die Erfüllung von wessen Steuerschulden haften soll. Die Haftung ist grundsätzlich akzessorisch. Sie hängt davon ab, dass die Steuerschuld in der Höhe, in der für sie gehaftet werden soll, besteht31. Der Haftung muss ein Haftungsgrund zugrunde liegen, der die Haftung rechtfertigt. § 160 knüpft die Rechtsfolge (hier unterstellt: Haftung) daran, dass der eine Ausgabe geltende machende Steuerpflichtige den Empfänger nicht genau benennt. Es gibt in der AO 1977 indessen keine allgemeine Vorschrift, die von Steuerpflichtigen verlangt, sie müssten sich in die Lage versetzen, den Empfänger benennen zu können. Muss man eine solche Verpflichtung aus § 160 AO erschließen? Das würde eine Beweisvorsorgepflicht voraussetzen, wie man sie in Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (einschl. von Belegaufbewahrungspflichten) erblicken kann. § 90 II AO enthält einen besonderen Fall der Beweisvorsorgepflicht. Dabei geht es allerdings um Beweisvorsorge in eigener Sache. In § 160 AO geht es aber allenfalls darum, mit Hilfe von Namen und Adresse des angeblichen Zahlungsempfängers den Steueranspruch gegen diesen Empfänger zu sichern. Christoph Trzaskalik und M. Hegemann meinen, eine solche Verpflichtung gegenüber Dritten sei dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten, so dass die Haftung nicht zu rechtfertigen sei. Der Vertragspartner-Steuerpflichtige dürfe nicht zum „Steuerinspektor in fremder Sache“ gemacht werden. Das Gesetz mutet aber an anderer Stelle zur Sicherung des Steueraufkommens z. B. Arbeitgebern die Einbehaltung der Lohnsteuer, Gläubigern von Kapitalerträgen die Einbehaltung von Kapitalertragsteuer, Empfängern von Bauleistungen die Einbehaltung von Steuern zu, die der Leistende schuldet. Für den Fall, dass die Steuer nicht einbehalten wird, sieht das Gesetz eine Haftung vor. Wenn das zumutbar ist, warum sollte eine Haftung wegen einer unterlassenen – unterstellt: vorgeschriebenen – Beweisvorsorge nicht zumutbar sein? Die Rechtsfolge „Die Ausgaben sind regelmäßig nicht zu berücksichtigen“ passt allerdings wenig zu einer Haftungsvorschrift. Besteht die Haftung darin, dass die Steuerschuld wegen Nichtabzugsfähigkeit einer Ausgabe erhöht wird, so werden Steuerschuld und Haftungsschuld untrennbar miteinander vermischt.32 Die Rechtsprechung berücksichtigt es, wenn der Zahlungsempfänger kein zu versteuerndes Einkommen hat oder wenn sein Einkommen vermutlich unter dem des Steuerpflichtigen liegt. Aber abgesehen davon,
__________ 31 Chr. Trzaskalik dazu in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 160 Tz. 22: „Das Räsonieren über die steuerlichen Verhältnisse eines unbekannten Steuerpflichtigen verlangt geradezu hellseherische Fähigkeiten.“ Zur Schätzung im steuerrechtlichen Haftungsverfahren Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 162 Tz. 14 (Lfg. 103). 32 Der Gesetzgeber gibt sich nicht immer besondere Mühe, zwischen (Aufstockung der) Steuerschuld und Haftung zu unterscheiden, so auch nicht in § 14 III UStG. Eine Ausfall-Gefährdungshaftung wäre passender gewesen (s. auch Reiss in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 17. Auflage, 2002, § 14 Rz. 130 a. E.).
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Klaus Tipke
dass sich über das Einkommen eines Unbekannten nichts Zuverlässiges feststellen lässt33: Wenn das Einkommen des Zahlungsempfängers weit über dem des Steuerpflichtigen (der eine Zahlung behauptet) liegt, bleibt es dabei, dass die Ausgabe nicht abgezogen werden darf. Ein Zuschlag über die Verweigerung des Abzugs hinaus scheitert am Wortlaut des § 160 AO, der von einer Korrespondenz ausgeht, die in der Regel nicht besteht. Im Übrigen: Wenn sich nicht erweisen lässt, was der Steuerpflichtige aus welchem Grunde an wen ausgegeben hat und er daher aus Beweislastgründen die behauptete Ausgabe nicht abziehen darf, hätte er noch einen Vorteil, wollte man dennoch aus Rücksicht auf die vermuteten mäßigen Einkommensverhältnisse des Zahlungsempfängers einen Teilabzug zugestehen. Die Anwendung der Beweisvorschriften (§§ 93 I, 97 II 1, 200 I AO) muss dem § 160 AO jedenfalls vorausgehen. Christoph Trzaskalik und M. Hegemann beanstanden ferner, dass § 160 AO kein schuldhaftes Verhalten verlange. Nur, die Lohnsteuerhaftung (§ 42 d EStG) setzt auch kein Verschulden voraus. Was bis heute fehlt, ist eine gründliche Untersuchung hinreichender Rechtfertigungsgründe für die Inanspruchnahme als Haftender. Vielleicht findet sich dafür bald ein Doktorand. Natürlich können nicht beliebige Bürger aus beliebigen Gründen zu Haftenden erklärt werden. Aber könnte man von Beliebigkeit sprechen, wenn etwa folgende Vorschrift beschlossen und in das EStG eingestellt würde? „Ein Steuerpflichtiger, der eine Lieferung oder sonstige Leistung empfängt, ist verpflichtet, die Identität des Leistenden festzustellen. Verletzt er diese Verpflichtung, haftet er für die Steuerschuld, die der Zahlungsempfänger vermutlich nicht erfüllt hat. Die Höhe dieser Schuld darf geschätzt werden. Fehlt es an Schätzungsgrundlagen, ist von einem Steuersatz von 35 % auszugehen.“
Es ließe sich einwenden, wenn z. B. der Abzug der Ausgabe beim Steuerpflichtigen mangels Beweises gestrichen werde, lasse sich nicht bei einem Dritten das als nicht verausgabte Angenommene als Einnahme ansetzen. M. E. wäre es vorzuziehen, wenn der Gesetzgeber an § 160 AO nicht festhalten würde. Auch die Formulierung einer klaren Haftungsvorschrift ist nicht zu empfehlen. Die Rechtsprechung könnte schon jetzt dazu übergehen, im Falle der Nichtbenennung des Ausgabenempfängers die Rechtsfolge aus den Beweisvorschriften abzuleiten und § 160 AO leerlaufen zu lassen.
__________ 33 Anders z. B. § 10 b IV 2 EStG zur Haftung wegen unrichtiger Spendenbestätigungen; § 44 V 1 EStG zur Haftung wegen nicht einbehaltenen Kapitalertragsteuer; s. auch § 48 a III EStG zur Haftung wegen nicht einbehaltener Steuer bei Bauleistungen.
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§ 160 AO – nochmals systematisch überdacht
VI. Fazit Um zu ermitteln, ob ein Steuerpflichtiger etwas an einen anderen ausgegeben hat, reichen die Beweisvorschriften der Abgabenordnung aus. § 160 AO wird dafür nicht benötigt. Daher sollte die Praxis auch die Beweisvorschriften anwenden und nicht den für die Ermittlung der Steuerschuld des die Ausgabe Behauptenden überflüssigen § 160 AO. Ergeben die Beweisvorschriften die Nichtabzugsfähigkeit, so lässt sich dem aufgrund des § 160 AO nichts mehr hinzufügen. Aber er gibt auch keinen Grund für Abstriche aufgrund der Einkommensverhältnisse beim Zahlungsempfänger. Gegen die Einführung eines Haftungstatbestandes bestehen erhebliche Bedenken. Auch ist § 160 AO durch das Abzugsverbot des § 4 V Nr. 10 EStG weitgehend entbehrlich geworden. Wollte man die Einführung einer Verpflichtung zur Identifizierung des Vertragspartners in Betracht ziehen, so könnte die Verletzung einer solchen Pflicht als Ordnungswidrigkeit behandelt und mit Bußgeld bewehrt werden. Spanien, die Schweiz und die Türkei kommen ohne eine dem § 160 AO vergleichbare Vorschrift aus. Mehr noch: Mit Ausnahme von Österreich und Luxemburg ist mir kein Land bekannt, in dem es so etwas wie den § 160 AO gibt. Im Falle Österreich und Luxemburg handelt es sich um deutschen Import. Eine nochmalige Aufforderung zum Mitdenken über § 160 AO dürfte ganz im Sinne von Christoph Trzaskalik liegen, der uns viel zu früh hat verlassen müssen und sein Anliegen selbst nicht mehr verfolgen kann.
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Klaus Sieker
Im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen zu internationalen Verrechnungspreisen im Sinne von § 162 Abs. 3 und 4 AO Inhaltsübersicht I. Aufzeichnungspflichten II. Offene Fragen III. Wann sind vorgelegte Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar? 1. Höchste Relevanz der Fragestellung 2. Fehlen einer gesetzlichen Definition 3. Gegenstand und Zweck der Aufzeichnungspflichten a) Gegenstand aa) Sachverhaltsdokumentation
bb) Angemessenheitsdokumentation cc) Bezugnahme auf Geschäftsvorfälle b) Zweck der Aufzeichnungspflichten 4. Erstellungszeitpunkt und Vorlagefristen 5. Verwaltungsgrundsätze-Verfahren (Entwurf) IV. Ergebnisse
I. Aufzeichnungspflichten1 In Reaktion auf das BFH-Urteil vom 17. 10. 20012 hat der Gesetzgeber auf Drängen der Finanzverwaltung im Rahmen des Steuervergünstigungsabbau-
__________ 1
Aus dem umfangreichen Schrifttum zu §§ 90 Abs. 3, § 162 Abs. 3 und 4 AO wird insbesondere verwiesen auf: Andresen, Neue gesetzliche Verpflichtung zur Dokumentation von Verrechnungspreisen: Handlungsbedarf für grenzüberschreitend tätige Unternehmen, RIW 2003, 489; Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsverordnung (GAufzV), DStR 2004, 157; Cöster in Pahlke/Koenig, 1. Aufl. 2004, § 162 AO, Rz. 69–91; Eigelshoven/Kratzer, Rechtsverordnung zu Aufzeichnungspflichten bei der Bestimmung angemessener Verrechnungspreise, IStR 2004, 30; Frotscher in FS Wassermeyer, 2005, S. 391; Joecks/Kaminski, Dokumentationsund Sanktionsvorschriften für Verrechnungspreise in Deutschland, IStR 2004, 65; Kaminski/Strunk, Die „Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung“ – Teil I, StBp 2004, 1 und Teil II, StBp 2004, 29; Kroppen/Himmelsbach/Dika, Geplante Strafmaßnahmen bei Verrechnungspreisen nach dem Steuervergünstigungsabbaugesetz, IWB 2003, Gruppe 1, 1965; Kroppen/Rasch, Die Aufzeichnungspflichten für internationale Verrechnungspreise, IWB 2003, Gruppe 1, 1977; Kroppen/Rasch, Die Konkretisierung der Aufzeichnungspflichten für internationale Verrechnungspreise in den Verwatungsgrundsätzen-Verfahren, IWB 2005, Gruppe 1, 2091; Naumann/Förster, Die neuen Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, NWB, Fach 2, 8483; Schnorberger, Verrechnungspreis-Dokumentation und StVergAbG – Offene Fragen und Probleme, DB 2003, 1241; Schreiber, Pflicht zur Angemessenheitsdokumentation bei internationalen Verrechnungspreisen, IWB 2005,
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Klaus Sieker
gesetzes v. 16. 5. 20033 die Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen für den Bereich der internationalen Konzern-Verrechnungspreise (sowie der internationalen Gewinnzuordnung auf Betriebsstätten) in einem neu angefügten Absatz 3 zu § 90 AO drastisch verschärft. Die Mitwirkungspflicht besteht nach § 90 Abs. 3 Satz 1 AO darin, über Art und Inhalt von grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG Aufzeichnungen zu erstellen. Art, Inhalt und Umfang der zu erstellenden Aufzeichnungen i. S. d § 90 Abs. 3 AO werden näher bestimmt in der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung (GAufzV) v. 13. 11. 20034. Der Gesetzgeber hat es für notwendig erachtet, eine (qualifizierte) Verletzung der neuen Aufzeichnungspflichten in einer den Steuerpflichtigen besonders belastenden Weise zu ahnden. Eine (qualifizierte) Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO wird in zweifacher Weise sanktioniert. Erstens wird in einem neu eingefügten Absatz 3 zu § 162 AO (Schätzung von Besteuerungsgrundlagen) eine (vom Steuerpflichtigen) widerlegbare Vermutung dahingehend statuiert, dass die im Inland steuerpflichtigen Einkünfte des Steuerpflichtigen höher sind als die von ihm erklärten Einkünfte. Lässt sich in diesen Fällen die zutreffende Höhe der Einkünfte nur schätzen, kann ein etwaiger Schätzungsrahmen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeschöpft werden, § 162 Abs. 3 Satz 2 AO. Zweitens ist gegen den Steuerpflichtigen ein Zuschlag in Höhe von mindestens 5000 Euro bzw. von mindestens 5 % bis höchstens 10 % des Einkünfteberichtigungsbetrages festzusetzen, wenn der Steuerpflichtige Aufzeichnungen i. S. d. § 90 Abs. 3 AO nicht vorlegt oder vorgelegte Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind. Diese im neu eingefügten Absatz 4 Satz 1 zu § 162 AO eingefügte Regelung wird ergänzt um eine Regelung für den Fall der verspäteten Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen, die einen „Verspätungszuschlag“ von bis zu 1 Mio. Euro, mindestens von 100 Euro für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung vorsieht.
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Gruppe 1, 2105; Schreiber, Aufzeichnungspflichten für internationale Verrechnungspreise, Stbg 2003, 474; Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO, Rz. 31 ff., § 162 AO, Rz. 66–84 (jeweils m. w. N.); Seer in Piltz/Schaumburg, Internationale Einkünfteabgrenzung, 2003, S. 35; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 90 AO, Rz. 188– 224 (m. w. N.); Vögele, Die neue Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO: Systematik zu Aufbau und Struktur der Verrechnungspreisdokumentation, IStR 2004, 48; Vögele/Brem/Crüger in Vögele/Borstell/Engler, Handbuch der Verrechnungspreise, 2. Auflage 2004, S. 305; Wassermeyer, Dokumentationspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, DB 2003, 1535; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff, (FWB) § 1 AStG, Rz. 821 ff. (m. w. N.); Werra, Zweifelsfragen bei der Dokumentation von Verrechnungspreisen – zum Entwurf der Verwaltungsgrundsätze-Verfahren zur Einkunftsabgrenzung zwischen internationalen Unternehmen, IStR 2005, 19; Wünsch in Pahlke/Koenig, 1. Aufl. 2004, § 90 AO, Rz. 24–42. BFH v. 17. 10. 2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 ff., siehe zur Anwendung BMFSchreiben v. 26. 2. 2004, BStBl. I 2004, 270 ff. BGBl. I 2003, 660 ff. BGBl. I 2003, 2296 ff.
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Unverwertbare Aufzeichnungen zu internationalen Verrechnungspreisen
Die erstmalige Anwendung der §§ 90 Abs. 3, 162 Abs. 3, 4 AO ist im Einzelnen in Art. 97 § 22 EGAO geregelt. Danach sind die Aufzeichnungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. 12. 2002 beginnen. Die Sanktionen gem. § 162 Abs. 3 und 4 AO sind demgegenüber erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. 12. 2003 beginnen, jedoch frühestens 6 Monate nach In-Kraft-Treten der Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO. Das BMF nimmt mit ausführlichem Schreiben vom 12. 4. 2005 (sog. Verwaltungsgrundsätze-Verfahren) u. a. zur Auslegung und Anwendung der §§ 90 Abs. 3, 162 Abs. 3, 4 AO Stellung5. Da die Vorschriften erst seit kurzem anwendbar sind, sind im Übrigen noch keine aussagekräftigen Ergebnisse über ihre Anwendung in der Praxis bei Außenprüfungen verfügbar.
II. Offene Fragen Die §§ 90 Abs. 3, 162 Abs. 3 und 4 AO werfen eine Vielzahl von offenen Fragen auf, die teils ins Grundsätzliche gehen, teils die Auslegung im Detail betreffen. So wird als Grundsatzfrage streitig die Konformität des § 90 Abs. 3 AO oder jedenfalls der Abs. 3 und 4 des § 162 AO mit den aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Diskriminierungsverboten des EG-Vertrags diskutiert6. Von gleichfalls grundsätzlicher Bedeutung ist die Frage nach dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Abs. 3 und 4 des § 162 AO. Grundsätzlich sind die Vorschriften zwar erstmals auf Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. 12. 2003 beginnen, jedoch frühestens 6 Monate nach In-Kraft-Treten der Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO. Nach § 8 GAufzV tritt die Verordnung zwar mit Wirkung vom 30. 6. 2003 in Kraft, ergangen ist sie jedoch erst am 13. 11. 2003. Die streitige Rechtsfrage geht
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Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren), BMF-Schreiben vom 12. 4. 2005, BStBl. I 2005, 570. Das BMF hatte zuvor am 18. 10. 2004 einen Entwurf ins Internet eingestellt (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren-Entwurf). Die EG-Rechtswidrigkeit der §§ 90 Abs. 3, 162 Abs. 3 und 4 AO wird bejaht von: Wassermeyer in FWB, § 1 AStG Rz. 823.39, 825.12; Lüdicke, Internationale Aspekte des Steuervergünstigungsabbaugesetzes, IStR 2003, 434 (437); Schnorberger (Fn. 1), DB 2003, 1241 (1247); Kroppen/Rasch (Fn. 1), IWB Deutschland Gruppe 1, 1977 (1987), Joecks/Kaminski (Fn. 1), IStR 2004, 65 (66 ff.). Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 48, § 162 AO, Rz. 82 f., Söhn in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 90 AO Rz. 191 sowie Hahn/Suhrbier-Hahn, Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten europarechtswidrig?, IStR 2003, 84, 86 erachten § 90 Abs. 3 AO als gemeinschaftsrechtskonform, Seer und Hahn/Suhrbier-Hahn § 162 Abs. 4 AO hingegen als gemeinschaftsrechtswidrig.
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dahin, ob die in § 8 GAufzV verfügte In-Kraft-Tretens-Regelung beachtlich ist7. Diese und viele weitere offenen Fragen sollen hier nicht näher behandelt werden.8 Vielmehr ist dieser Beitrag der für die Praxis bedeutsamsten Frage gewidmet, wann vorgelegte Aufzeichnungen i. S. v. § 162 Abs. 3, 4 AO im Wesentlichen unverwertbar sind.
III. Wann sind vorgelegte Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar? 1. Höchste Relevanz der Fragestellung Wer sich als Steuerpflichtiger weder auf § 6 GAufzV berufen darf noch darauf verlassen möchte, dass eines (fernen) Tages der EuGH die Regelungen in § 162 Abs. 3, 4 AO mit ex tunc-Wirkung als mit dem EG-Vertrag unvereinbar „kassiert“, wird den Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO entsprechen wollen. Das Bemühen der Steuerpflichtigen wird dahin gehen, die Mitwirkungspflichtigen gem. § 90 Abs. 3 AO in einer Art und Weise zu erfüllen, die sie mit vertretbarem Aufwand gegen die Hinzuschätzung von Mehreinkünften nach § 162 Abs. 3 AO und gegen die Festsetzung von Zuschlägen nach § 162 Abs. 4 AO schützt.9 Dazu ist es erforderlich, dass der Steuerpflichtige rechtzeitig verwertbare Aufzeichnungen vorlegt, weil anderenfalls bei Nichtvorlage die Schätzungsbefugnis der Finanzbehörde zu Lasten des Steuerpflichtigen nach § 162 Abs. 3 AO und die Befugnis zur Festsetzung von Zuschlägen nach § 162 Abs. 4 AO eingreift. Schutz vor Sanktionen bietet jedoch nicht jedwede Vorlage von Aufzeichnungen, sondern nur von solchen Aufzeichnungen, die nicht im Wesentlichen unverwertbar sind. Von zentraler Bedeutung für den Steuerpflichtigen ist deshalb die Frage, wie dessen Aufzeichnungen beschaffen sein müssen, damit sie nicht als „im Wesentlichen unverwertbar“ disqualifiziert werden. 2. Fehlen einer gesetzlichen Definition Das Gesetz definiert weder den Begriff „unverwertbar“ noch den Begriff „im Wesentlichen“. Entsprechendes gilt für die GAufzV, die zwar in § 1 Abs. 1 Satz 4 den Begriff der im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen ebenfalls verwendet, ohne ihn jedoch zu erläutern. Das Gesetz spricht weiter in § 162 Abs. 4 Satz 3 von „verwertbaren“ Aufzeichnungen, jedoch ebenfalls ohne nähere Erläuterung.
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Ablehnend Wassermeyer in FWB, § 1 AStG Rz. 823.38; Seer in Tipke/Kruse § 90 AO Rz. 49, § 162 AO Rz. 84; Kaminski/Strunk (Fn. 1), StBp 2004, 29, 34; bejahend hingegen Naumann/Förster, NWB Fach 2, 8483 (8486). Vgl. dazu insbesondere das in Fn. 1 genannte Schrifttum. Vgl. auch Werra (Fn. 1), IStR 2005, 19 (23).
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Aus dem Gesetzeswortlaut lässt sich mithin nur entnehmen, dass den Finanzbehörden die Befugnis zur Schätzung und zur Festsetzung von Zuschlägen nicht nur dann erwächst, wenn vorgelegte Aufzeichnungen unverwertbar sind, sondern auch schon dann, wenn die vorgelegten Aufzeichnungen zwar zum Teil verwertbar, im Wesentlichen jedoch nicht verwertbar sind. Gewisse Anhaltspunkte für das Begriffsverständnis des Verordnungsgebers lassen sich einem „Rohentwurf“ der GAufzV entnehmen.10 Die entsprechende Regelung des Rohentwurfs hatte folgenden Wortlaut: „§ 7 – Verwertbarkeit von Aufzeichnungen (1) Die Aufzeichnungen müssen es einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit ermöglichen, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, welchen Sachverhalt der Steuerpflichtige bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen verwirklicht hat und ob er dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat. (2) Aufzeichnungen, die die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht erfüllen, sind als unverwertbar anzusehen. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn (a) die Aufzeichnungen in wesentlichen Teilen unvollständig sind, (b) der Steuerpflichtige eine offensichtlich ungeeignete Verrechnungspreismethode gewählt hat und entsprechende Aufzeichnungen vorlegt, (c) die Aufzeichnungen in sich widersprüchlich sind.“
Die Regelung des § 7 Abs. 1 des Rohentwurfs findet sich im Wesentlichen wortgleich wieder in § 2 Abs. 1 Satz 3 der endgültigen Fassung der GAufzV. Hingegen wurde die in § 7 Abs. 2 des Rohentwurfs enthaltene Regelung ersatzlos gestrichen. Die Streichung beruht auf der Erkenntnis, dass Regelungen zur Verwertbarkeit von Aufzeichnungen i. S. d. § 162 Abs. 3 und 4 AO nicht von der Verordnungsermächtigung des § 90 Abs. 3 Satz 5 AO gedeckt waren.11 Im Übrigen ist anzumerken, dass die in § 7 Abs. 2 des Rohentwurfs vorgesehene Regelung nur eine Aussage darüber trifft, unter welchen Umständen Aufzeichnungen als unverwertbar anzusehen sind, wohingegen der Gesetzeswortlaut des § 162 Abs. 3 und 4 AO darauf abstellt, ob die Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind. Da im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen allerdings einen höheren Qualitätsstandard aufweisen als unverwertbare Aufzeichnungen, sind Aufzeichnungen, die gemessen an den Maßstäben des § 7 Abs. 2 des Rohentwurfs als unverwertbar anzusehen sein sollten, jedenfalls auch i. S. d. § 162 Abs. 3 und 4 AO als im Wesentlichen unverwertbar zu behandeln.
__________ 10 Veröffentlicht in IStR 2003, 248 f.; vgl. zum Entwurf der GAufzV kritisch Kaminski/ Strunk, Dokumentationspflicht bei Verrechnungspreisen – Erste Analyse des Entwurf der Rechtsverordnung zu § 90 Abs. 3 AO, RIW 2003, 61; Wassermeyer, Dokumentationspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, DB 2003, 1535. 11 Vgl. Naumann/Förster, NWB Fach 2, 8483 (8495).
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Zur Auslegung des Wesentlichkeitsmerkmals wird auf das allgemeine Verständnis der Wesentlichkeitsgrenze im deutschen Steuerrecht von über 25 % der Bezugsgröße verwiesen.12 Nicht klar geregelt und folglich kontrovers wird die Frage der Bezugsgröße diskutiert. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist auf die Gesamtheit der von der Finanzbehörde je Veranlagungszeitraum angeforderten Aufzeichnungen abzustellen.13 Nach anderer Ansicht ist auf die insgesamt vom Steuerpflichtigen erstellten Aufzeichnungen abzustellen.14 Schließlich wird auch die Ansicht vertreten, dass auf die für jede einzelne Entgeltvereinbarung vorgelegten Aufzeichnungen abzustellen sei.15 3. Gegenstand und Zweck der Aufzeichnungspflichten Wer die Verwertbarkeit bzw. Unverwertbarkeit von vorgelegten Aufzeichnungen beurteilen möchte, benötigt dafür einen Beurteilungsmaßstab. Dieser Maßstab ist aus Gegenstand und Zweck der Aufzeichnungspflichten abzuleiten. a) Gegenstand Der Gegenstand der Aufzeichnungspflichten wird in den Sätzen 1 und 2 des § 90 Abs. 3 AO geregelt16, die wie folgt lauten: „Bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, hat ein Steuerpflichtiger über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen i. S. d. § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes Aufzeichnungen zu erstellen. Die Aufzeichnungspflicht umfasst auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden.“
aa) Sachverhaltsdokumentation Satz 1 verpflichtet zur Erstellung einer sog. Sachverhaltsdokumentation, worunter gem. § 1 Abs. 2 GAufzV Aufzeichnungen über die Art, den Umfang und die Abwicklung sowie über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zu verstehen sind.17 Dazu rechnet gem. § 4 Satz 1 Nr. 2 a) GAufzV die Erstellung einer Übersicht über Art und Umfang von grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen sowie eine Übersicht über die diesen Geschäftsbeziehungen zugrunde liegenden Verträge. Anzufertigen ist
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Vgl. Wassermeyer in FWB, § 1 AStG Rz 823.30. Vgl. Tz. 4.6.3 Verwaltungsgrundsätze-Verfahren. So wohl Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 75. Vgl. Wassermeyer in FWB, § 1 AStG Rz. 823.19. § 90 Abs. 3 Satz 4 ordnet eine entsprechende Geltung der Aufzeichnungspflichten für Zwecke der grenzüberschreitenden Gewinnzuordnung auf Betriebsstätten an. 17 Vgl. nur Tz. 3.4.1 und 3.4.11 Verwaltungsgrundsätze-Verfahren.
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ferner eine Liste der wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter, die dem Steuerpflichtigen gehören und die er im Rahmen seiner Geschäftsbeziehungen zu Nahestehenden nutzt oder zur Nutzung überläßt, § 4 Satz 1 Nr. 2 b) GAufzV. Zur Sachverhaltsdokumentation rechnet schließlich eine Funktions- und Risikoanalyse, die darüber Auskunft gibt, welche Funktionen der Steuerpflichtige und die nahestehende Person im Rahmen ihrer Geschäftsbeziehungen ausgeübt haben, welche Risiken diese Personen übernommen und welche Wirtschaftsgüter sie im Rahmen der Geschäftsbeziehung eingesetzt haben. Zu erläutern sind in diesem Zusammenhang ferner die wesentlichen Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, unter denen die Geschäftsbeziehungen vereinbart und abgewickelt worden sind, § 4 Satz 1 Nr. 3 a) GAufzV. Darüber hinaus verlangt § 4 Satz 1 Nr. 3 b) GAufzV eine Darstellung der Wertschöpfungskette und des Wertschöpfungsbeitrages des Steuerpflichtigen im Verhältnis zu den nahestehenden Personen, mit denen Geschäftsbeziehungen bestehen. Diese Aufzeichnungen sind jedoch nach dem Einleitungssatz des § 4 GAufzV nur dann anzufertigen – was im Übrigen für alle Arten von Aufzeichnungen gilt –, soweit diese Aufzeichnungen für die Prüfung von Geschäftsbeziehungen von Bedeutung sind. Die Bedeutung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der vom Steuerpflichtigen angewandten Verrechnungspreismethode; § 2 Abs. 2 Satz 1 GAufzV. Eine Wertschöpfungsanalyse i. S. v. § 4 Satz 1 Nr. 3 b) GAufzV ist infolgedessen nur anzufertigen, wenn der Steuerpflichtige seine Verrechnungspreise unter Anwendung der Gewinnaufteilungsmethode bestimmt.18 bb) Angemessenheitsdokumentation Nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AO umfasst die Aufzeichnungspflicht auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden. Dies wird schlagwortartig als Verpflichtung zur Erstellung einer sog. Angemessenheitsdokumentation bezeichnet.19 Im Gesetzesentwurf zu § 90 Abs. 3 AO war diese Verpflichtung wie folgt formuliert: „Die Aufzeichungspflicht umfasst insbesondere auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen, die für die Festsetzung angemessener Preise und anderer vereinbarter Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden von Bedeutung sind.“20
In der Gesetzesbegründung zum Gesetzentwurf wird dazu ausgeführt, dass der neue Absatz 3 zu § 90 AO für Steuerpflichtige eine Verpflichtung festlege, die Grundlagen ihrer Entscheidungen über die Festsetzung von Verrechnungspreisen zu dokumentieren und die Steuerpflichtigen damit gehal-
__________ 18 Vgl. Werra (Fn. 1), IStR 2005, 19 (22). 19 Vgl. nur Tz. 3.4.1 und Tz. 3.4.12 Verwaltungsgrundsätze-Verfahren. 20 BT-Drs. 15/119, 26.
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ten seien, schriftliche Unterlagen über Vergleichsdaten und andere Grundlagen zur Verfügung zu stellen, welche zur Beurteilung der Angemessenheit der Verrechnungspreise erforderlich seien, sowie ihre Entscheidungen über die Preisfestsetzungen zu begründen.21 Die Regelung in § 90 Abs. 3 Satz 2 AO ist schwer verständlich. Entsprechendes gilt für die Formulierung im Gesetzentwurf. Was ist unter den wirtschaftlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen zu verstehen? Was sind die rechtlichen Grundlagen? Sind dies die den Geschäftsbeziehungen zugrunde liegenden Verträge? Die Verträge sind jedoch bereits Bestandteil der Sachverhaltsaufzeichnungen. Oder sind damit (auch) die Rechtsvorschriften über die Festsetzung von angemessenen Verrechnungspreisen und die dazu ergangenen Verwaltungsanweisungen und Gerichtsentscheidungen gemeint? Die Gesetzesbegründung zum Gesetzesentwurf versteht unter wirtschaftlichen Grundlagen wohl schriftliche Unterlagen über Vergleichsdaten und andere Grundlagen, die zur Beurteilung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen erforderlich sind. Über diese Vorlagepflicht noch hinausgehend, enthält nach der Gesetzesbegründung zum Gesetzesentwurf die Neuregelung des § 90 Abs. 3 AO eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen, die Grundlagen seiner Entscheidungen über die Festsetzung von Verrechnungspreisen zu dokumentieren und die Entscheidungen zu begründen. Danach ist nicht nur die Entscheidung als solche (der Steuerpflichtige hat entschieden, dass ein Zinssatz von x % angemessen ist) aufzuzeichnen. Ebenso sind auch die Grundlagen für diese Entscheidung (rechtliche Grundlage ist der Fremdvergleichsgrundsatz, wirtschaftliche Grundlage ist das Zinsniveau) aufzuzeichnen und die Entscheidung ist zu begründen. Was ist unter Begründung der Entscheidung zu verstehen? Im vorliegenden Zusammenhang kann und wird der Steuerpflichtige seine Entscheidung immer mit seiner Absicht, seine Verrechnungspreise fremdvergleichskonform festzusetzen, begründen. Welchem Zweck sollte es dienen, dem Steuerpflichtigen ein solches (schriftliches) Bekenntnis zum Fremdvergleichsgrundsatz abzuverlangen? Gemeint ist wohl vielmehr, dass der Steuerpflichtige nicht die Entscheidung begründet, sondern die Richtigkeit seiner Entscheidung in dem Sinne, dass die von ihm festgesetzten Verrechnungspreise im Sinne des Fremdvergleichsgrundsatzes „richtig“ sind. Versteht man die Aufforderung der Gesetzesbegründung an den Steuerpflichtigen, seine Entscheidungen über die Preisfestsetzungen zu begründen im vorstehenden Sinne, wäre der Steuerpflichtige gehalten, im Rahmen seiner Aufzeichnungen eine Begründung für die Angemessenheit seiner Verrechnungspreise abzugeben. Eine Begründungspflicht dergestalt, dass der Steuerpflichtige die Gründe darlegt, weshalb nach seiner Ansicht die von ihm festgesetzten Verrechnungspreise an-
__________ 21 Vgl. BT-Drs. 15/119, 83.
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gemessen sind, lässt sich dem Gesetz jedoch nicht entnehmen.22 Darin läge eine unzulässige Umkehr der Beweislast, die auch vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt ist.23 Mit dem Gesetz vereinbar ist nur die Annahme einer Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Erstellung von Aufzeichnungen, welche die Ermittlung des vom Steuerpflichtigen festgesetzten Verrechnungspreises in einer für einen sachverständigen Dritten nachvollziehbaren und damit überprüfbaren Weise darlegen.24 Nachvollziehbar wären etwa auch Angaben des Steuerpflichtigen dahingehend, dass seine Verrechnungspreise von einer nahestehenden Person vorgegeben worden seien. Damit wäre allerdings ersichtlich dem Zweck des Gesetzes, der Finanzverwaltung die Prüfung der Verrechnungspreise zu ermöglichen, nicht Genüge getan. Vielmehr müssen die Aufzeichnungen über die Ermittlung der Verrechnungspreise das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen belegen, dass er seine Geschäftsbeziehungen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes gestaltet. Eine Rechtsgrundlage für dieses in § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV verankerte Gebot lässt sich – bei einem entsprechenden Vorverständnis des Gesetzanwenders – aus § 90 Abs. 3 Satz 2 AO ableiten.25 Immerhin ist in § 90 Abs. 3 Satz 2 AO von einer Aufzeichnungspflicht hinsichtlich der Grundlagen einer den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtenden Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen die Rede. Mit der Bezugnahme auf eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen knüpft § 90 Abs. 3 AO – wenn auch nur undeutlich – an eine außerhalb von § 90 Abs. 3 AO angeordnete Verhaltenspflicht des Steuerpflichtigen zur Ermittlung und Festsetzung fremdvergleichskonformer Verrechnungspreise an. Eine entsprechende Verhaltenspflicht lässt sich aus § 150 Abs. 2 AO ableiten, wonach Angaben in Steuererklärungen wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen zu machen sind und diese, wenn der Vordruck dies vorsieht, schriftlich zu versichern sind.26 Eine solche Versicherung wird nur derjenige Steuerpflichtige abgeben können, der sich ernsthaft um die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes bemüht hat. Daran knüpft § 90 Abs. 3 AO mit der Anordnung an, Aufzeichnungen zu erstellen und auf Anforderung vorzulegen, welche das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen belegen. Einem Steuerpflichtigen wird man ein ernsthaftes Bemühen um die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes nur dann attestieren dürfen, wenn er der Ermittlung seiner Verrechnungspreise eine sachgerechte Methode zu-
__________ 22 Vgl. Wassermeyer in FWB, § 1 AStG Rz. 823.16; 823.27; wohl auch Schreiber (Fn. 1), IWB 2005, 2105 (2112). 23 Vgl. die Begründung zur GAufzV, BR-Drs. 583/03, 7. 24 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 GAufzV; siehe auch Schreiber (Fn. 1), IWB 2005, 2105 (2112). 25 Vgl. Wassermeyer in FWB, § 1 AStG Rz. 833.17; aA Werra (Fn. 1), IStR 2005, 19 (23). 26 Vgl. allgemein Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 150 AO Rz. 17, der das Wahrheitsgebot des § 150 Abs. 2 AO prägnant als „Aufforderung zur korrekten Gesetzesanwendung“ bezeichnet.
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grunde legt. Als sachgerechte Methode gilt dabei u. a. auch die Ermittlung von Verrechnungspreisen aufgrund von unternehmensinternen Berechnungssystemen.27 Insoweit sind die in § 2 Abs. 2 Satz 2 sowie die in § 4 Satz 1 Nr. 4 a) und b) GAufzV geforderten Angabepflichten vom Gesetz gedeckt. Entsprechendes gilt für die in § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz GAufzV geforderte Darstellung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, die für die Tätigkeiten des Steuerpflichtigen und die vereinbarten Bedingungen von Bedeutung sind. Der Steuerpflichtige hat darüber hinaus den von ihm durchgeführten Fremdvergleich aufzuzeichnen. Dies kann ein tatsächlicher oder ein hypothetischer Fremdvergleich sein. Der Steuerpflichtige unterliegt deshalb entgegen § 1 Abs. 3 Satz 2 GAufzV keiner Verpflichtung zur Beschaffung von Vergleichsdaten.28 Er darf ebenso die Preise und Bedingungen im Wege eines hypothetischen Fremdvergleichs durch „Nachdenken“ ermitteln und dabei auf alle ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen einschließlich der Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zurückgreifen.29 So ist es beispielsweise ohne weiteres statthaft und zum Beleg des ernsthaften Bemühens um Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes ausreichend, wenn der Steuerpflichtige für die Bestimmung des Gewinnaufschlagsatzes bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode für die Weiterverrechnung von Dienstleistungen auf die entsprechenden Ausführungen in Tz. 3.1.2 der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze30 verweist.31 Nicht von der Ermächtigung in § 90 Abs. 3 Satz 5 AO gedeckt und daher ohne Rechtsgrundlage sind hingegen die Anweisungen in § 1 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz, in § 1 Abs. 3 Satz 1 sowie in § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz GAufzV, wonach aus den Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen ersichtlich sein müsse, ob und inwieweit der Steuerpflichtige bei seinen Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet habe. Eine Feststellung darüber, ob und inwieweit der Steuerpflichtige den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat, erfordert eine Beurteilung der Angemessenheit der Verrechnungspreise des Steuerpflichtigen. Die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen müssten danach eine Angemessenheitsbeurteilung beinhalten, was einer Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Begründung der Angemessenheit seiner Verrechnungspreise entspricht. Eine solche Begründungspflicht ist von § 90 Abs. 3 AO nicht gedeckt. Es ist und bleibt Aufgabe der Finanzbehörden, die Angemessenheit der vom Steuerpflichtigen festgesetzten Verrechnungspreise zu beurteilen.
__________ 27 Vgl. Tz. 2.4.3 Verwaltungsgrundsätze 1983, BMF-Schreiben vom 23. 2. 1983, BStBl. I, 218. 28 Vgl. Wassermeyer in FWB, § 1 AStG Rz. 823.24; Werra (Fn. 1), IStR 2005, 19 (20). 29 Vgl. Wassermeyer in FWB, § 1 AStG Rz. 823.27. 30 BMF-Schreiben vom 24. 12. 1999, BStBl. I 1999, 1076. 31 Siehe auch IDW Stellungnahme: Entwurf eines BMF-Schreibens zu den Verwaltungsgrundsätzen, WPg 2004, 1408, (1415).
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Ebensowenig von der Ermächtigung des § 90 Abs. 3 Satz 5 AO gedeckt und daher ohne Rechtsgrundlage ist die Anweisung in § 1 Abs. 3 Satz 4 GAufzV, wonach der Steuerpflichtige Aufzeichnungen über innerbetriebliche Plandaten erstellen muss, die eine Plausibilitätskontrolle seiner Verrechnungspreise ermöglichen. Diese Daten sind nur dann (ausnahmsweise) als Bestandteil der Aufzeichnungen i. S. v. § 90 Abs. 3 AO aufzuzeichnen, wenn der Steuerpflichtige sich zur Festsetzung seiner Verrechnungspreise auf diese Daten stützt.32 In anderen Fällen ist eine Aufzeichnungspflicht nicht begründbar, weil sie nicht erforderlich sind, um das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen um Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu belegen. Im Übrigen ist der Steuerpflichtige auch nicht verpflichtet, die Angemessenheit seiner Verrechnungspreise zu belegen, auch nicht im Wege einer Plausibilitätskontrolle. Letztere obliegt nur der Finanzverwaltung. cc) Bezugnahme auf Geschäftsvorfälle Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 GAufzV sind Aufzeichnungen grundsätzlich geschäftsvorfallbezogen zu erstellen. Unter den in § 2 Abs. 3 Sätze 2 und 3 GAufzV genannten Voraussetzungen können vergleichbare Geschäftsvorfälle für Aufzeichnungszwecke zu Gruppen zusammengefasst werden. Und schließlich kann auf die Erstellung von geschäftsvorfallbezogenen Einzelaufzeichnungen verzichtet werden, wenn die Preisermittlung in innerbetrieblichen Verrechnungspreisrichtlinien geregelt ist und die Richtlinien tatsächlich befolgt werden. Letzteres ist mit der Erwägung gerechtfertigt, dass die Aufstellung von (qualifizierten) Verrechnungspreisrichtlinien, verbunden mit organisatorischen Vorkehrungen zur Durchsetzung ihrer innerbetrieblichen Befolgung, das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen um Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei Festsetzung seiner Verrechnungspreise besonders augenfällig belegt. b) Zweck der Aufzeichnungspflichten Bemerkenswerterweise verhält sich § 90 Abs. 3 AO nicht zum Zweck der Aufzeichnungspflichten. Entsprechendes gilt für § 162 Abs. 3 und 4 AO. § 162 Abs. 4 Satz 4 AO äußert sich allein zum Zweck des Zuschlags, der darin besteht, den Steuerpflichtigen zur Erstellung und fristgerechten Vorlage der Aufzeichnungen i. S. d. § 90 Abs. 3 AO anzuhalten, enthält jedoch keine Hinweise zum Zweck der Aufzeichnungspflichten. Nach der Gesetzesbegründung zum Gesetzesentwurf des § 90 Abs. 3 AO soll die Regelung insbesondere die Möglichkeit der Verrechnungspreisprüfung durch die Finanzbehörden sichern.33 Dieser Regelungszweck wird zwar nicht aus § 90 Abs. 3
__________ 32 Vgl. auch Schreiber (Fn. 1) Stbg 2003, 474 (485). 33 Vgl. BT-Drs. 15/119, 83.
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AO erkennbar, kommt jedoch ansatzweise in § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV34 und deutlich in der Begründung zur GAufzV zum Ausdruck, wonach vom Steuerpflichtigen Aufzeichnungen gefordert werden, die es dem sachverständigen Außenprüfer gestatten, die Prüfung von Verrechnungspreisen in angemessener Zeit durchzuführen.35 Der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV schießt jedoch über diesen Regelungszweck hinaus. Es heißt dort: „Die Aufzeichnungen müssen es einem sachverständigen Dritten ermöglichen, innerhalb einer angemessenen Frist festzustellen, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit seinen Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen verwirklicht hat und ob und inwieweit er dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat.“
Die erste Forderung, dass nämlich die Aufzeichnungen eine Feststellung ermöglichen müssen, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige verwirklicht hat, ist zweifelsohne vom Gesetz (§ 90 Abs. 3 AO) gedeckt. Die zweite Anforderung, dass die Aufzeichnungen dem sachverständigen Dritten eine Feststellung ermöglichen, ob und inwieweit der Steuerpflichtige den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat, ist hingegen nicht vom Gesetz gedeckt. § 90 Abs. 3 AO statuiert nur eine Verpflichtung zur Erstellung von Aufzeichnungen über Art und Inhalt von grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen sowie der wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden. Das Gesetz fordert nicht die Erstellung von Aufzeichnungen von einer Art, die eine Feststellung ermöglichen, ob der Steuerpflichtige den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat. Vom Gesetz gedeckt ist nur die Anordnung in § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV, wonach die Aufzeichnungen (nur) das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen belegen müssen, seine Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gestalten.36 Infolgedessen ist die Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV dahingehend auszulegen, dass die Aufzeichnungen einem sachverständigen Dritten eine Feststellung dahingehend ermöglichen müssen, ob der Steuerpflichtige sich ernsthaft bemüht hat, seine Geschäftsbeziehungen zu nahe stehenden Personen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gestalten. Damit übereinstimmend wurde in Tz. 3.4.17 a) Verwaltungsgrundsätze-Verfahren (Entwurf) hinsichtlich der Verwertbarkeit bzw. Unverwertbarkeit von Aufzeichnungen ausgeführt, dass Aufzeichnungen nach § 2 Abs. 1 GAufzV ver-
__________ 34 § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV entspricht weitgehend wortgleich § 7 Abs. 1 GAufzV i. d. F. des in IStR 2003, 248 f. veröffentlichten Rohentwurfs. 35 Vgl. BR-Drs. 583/03, 9. 36 Vgl. auch Baumhoff/Ditz/Greinert (Fn. 1), DStR 2004, 157 (159); wohl a. A. Schreiber (Fn. 1) IWB 2005, 2105 (2109).
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wertbar sind, wenn sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit die Feststellung und Prüfung ermöglichen, ob der Steuerpflichtige sich ernsthaft bemüht hat, die Geschäfte mit nahe stehenden Personen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gestalten. Nunmehr heißt es jedoch in Tz. 3.4.19 a) Verwaltungsgrundsätze-Verfahren, dass Aufzeichnungen verwertbar seien, wenn sie die Feststellung und Prüfung ermöglichen, ob und inwieweit der Steuerpflichtige dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat. Entgegen dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV und Tz. 3.4.19 a) Verwaltungsgrundsätze-Verfahren ist es für die Annahme einer Verwertbarkeit der Aufzeichnungen ausreichend, wenn sie die Feststellung ermöglichen, ob der Steuerpflichtige sich ernsthaft um die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes bemüht hat, ohne darüber hinausgehend die Feststellung zu ermöglichen, ob und inwieweit der Steuerpflichtige den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat. 4. Erstellungszeitpunkt und Vorlagefristen Vom Fall der außergewöhnlichen Geschäftsvorfälle abgesehen, besteht keine Verpflichtung zur zeitnahen Erstellung der Aufzeichnungen; § 90 Abs. 3 Satz 3 AO. Die Aufzeichnungen können mithin grundsätzlich zu jedem beliebigen Zeitpunkt nach Verwirklichung der aufzeichnungspflichtigen Sachverhalte erstellt werden.37 Aufzeichnungen sind nur auf Aufforderung seitens der Finanzbehörde hin vorzulegen. Die Vorlage hat innerhalb einer Frist von 60 Tagen zu erfolgen; § 90 Abs. 3 Satz 8 AO. Diese Frist kann in begründeten Einzelfällen verlängert werden; § 90 Abs. 3 Satz 9 AO. Bei verspäteter Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen kann zwar gegen den Steuerpflichtigen der besondere Verspätungszuschlag gem. § 162 Abs. 4 Satz 3 AO festgesetzt werden. Hingegen berechtigt die verspätete Vorlage von verwertbaren Aufzeichnungen die Finanzbehörde weder zur Hinzuschätzung gem. § 162 Abs. 3 AO noch zur Festsetzung des mehreinkünftebezogenen Zuschlags gem. § 162 Abs. 4 Satz 2 AO. Vor diesem Regelungsgefüge taucht die Frage auf, ob der Steuerpflichtige eine (vermeintliche oder tatsächliche) Unverwertbarkeit der von ihm fristgerecht vorgelegten Aufzeichnungen im Wege einer – wenn auch fristverletzenden – Vorlage von ergänzenden Aufzeichnungen „heilen“ darf. Für die Beantwortung dieser Frage sind im Ausgangspunkt zwei Gesichtspunkte festzuhalten. Erstens besteht vom Fall des § 90 Abs. 3 Satz 4 AO abgesehen keine Verpflichtung zur zeitnahen Erstellung von Aufzeichnungen. Infolgedessen darf der Steuerpflichtige auch nach Ablauf der Vorlagefrist die vorgelegten Aufzeichnungen ergänzen. Dieser Befugnis sind jedoch Grenzen
__________ 37 Allgemeine Ansicht, vgl. z. B. Naumann/Förster (Fn. 1), NWB Fach 2, 8483 (8492).
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gesetzt. Diese resultieren aus dem Gebot, dass die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen das ernsthafte Bemühen belegen müssen, seine Geschäftsbeziehungen unter Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gestalten. Ein ernsthaftes Bemühen erfordert vom Steuerpflichtigen in zeitlicher Hinsicht, dass er (bereits) im Zeitpunkt der Festsetzung seiner Verrechnungspreise jene Überlegungen und Ermittlungshandlungen anstellt, die für eine Festsetzung von fremdvergleichskonformen Verrechnungspreisen notwendig sind. Es steht ihm jedoch frei, diese Überlegungen und Ermittlungshandlungen – vom Fall des § 90 Abs. 3 Satz 4 AO abgesehen – zu einem späteren Zeitpunkt aufzuzeichnen. 5. Verwaltungsgrundsätze-Verfahren (Entwurf) Die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren äußern sich in Tz. 3.4.19 zur Frage der Verwertbarkeit bzw. Unverwertbarkeit von Aufzeichnungen. Diese Äußerungen sollen im Folgenden kurz kritisch gewürdigt werden. In Tz. 3.4.19 a) Verwaltungsgrundsätze-Verfahren wird die Aussage getroffen, dass Aufzeichnungen dann vertretbar sind, „wenn sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit die Feststellung und Prüfung ermöglichen, welche Sachverhalte vom Steuerpflichtigen verwirklicht wurden („Sachverhaltsdokumentation“) und ob und inwieweit der Steuerpflichtige dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat („Angemessenheitsdokumentation“).“
Sofern das BMF damit die Rechtsansicht zum Ausdruck bringen möchte, dass eine Verwertbarkeit von Aufzeichnungen nur dann zu attestieren ist, wenn die Aufzeichnungen (auch) eine Feststellung und Prüfung ermöglichen, ob der Steuerpflichtige den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat, und anderenfalls Unverwertbarkeit vorliegt, fehlte es der so verstandenen Aussage an einer Rechtsgrundlage. Aufzeichnungen sind vielmehr bereits dann verwertbar, wenn sie das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen um die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes belegen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 GAufzV). Die kategorisch anmutende Aussage in Tz. 3.4.19 a) VerwaltungsgrundsätzeVerfahren wird allerdings durch die sich anschließenden Ausführungen in Tz. 3.4.19 b) und c) Verwaltungsgrundsätze-Verfahren relativiert. Es heißt dort, dass die Frage, ob Aufzeichnungen im Wesentlichen unverwertbar sind, nur im einzelnen Fall entschieden werden könne. Dabei führe die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit von Aufzeichnungen in einzelnen Punkten regelmäßig nicht zur Unverwertbarkeit. Darüber hinaus soll die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen zur Nachbesserung seiner Aufzeichnungen auffordern, falls die Finanzbehörde eine Unverwertbarkeit feststellt und schließlich soll die Finanzbehörde gar prüfen, ob sie nicht selbst die Verwertbarkeit der Aufzeichnungen ohne weitere Mitwirkung des Steuerpflichtigen herbeizuführen vermag. 148
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Im Übrigen begnügen sich die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren mit einigen wenigen konkreten Hinweisen für das Vorliegen von im Wesentlichen unverwertbaren Aufzeichnungen. Gemäß Tz. 3.4.19 c) dritter Absatz Verwaltungsgrundsätze-Verfahren sei z. B. eine Angemessenheitsdokumentation im Wesentlichen unverwertbar, wenn Aufzeichnungen ohne Zustimmung der Finanzbehörde in fremder Sprache vorgelegt werden und der Steuerpflichtige diese trotz Aufforderung nicht übersetzt. Dem ist mit der Maßgabe zuzustimmen, dass bei der Anforderung von Übersetzungen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist38. Das Gleiche gelte, wenn die Aufzeichnungen zur Angemessenheit sich in der Aussage erschöpfen, dass die Verrechnungspreise von einer nahe stehenden Person vorgegeben worden seien. Dem ist zuzustimmen. Dies sei ferner der Fall, wenn der Steuerpflichtige zur Begründung seiner Verrechnungspreise nur die Verrechnungspreismethode und ihre Eignung für einen konkreten Fall ohne den Abgleich mit Fremdvergleichsdaten oder ohne ausreichende Planrechnungen darlege. Daran ist zutreffend, dass allein die Darlegung der angewandten Verrechnungspreismethode unzureichend ist. Die Festsetzung eines angemessenen Verrechnungspreises erfordert in Abhängigkeit von der angewandten Verrechnungspreismethode auch eine Entscheidung über die anzusetzende Bruttospanne, Nettospanne oder des Gewinnaufschlags. Dazu darf der Steuerpflichtige jedoch auf alle brauchbaren Erkenntnismöglichkeiten zurückgreifen, einschließlich der Rechtsfigur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Schließlich seien Aufzeichnungen dann im Wesentlichen unverwertbar, wenn sich die Aufzeichnungen zur Angemessenheit ausschließlich auf Daten stützen, die keinen Fremdvergleich erlaubten oder wenn eine inländische Vertriebsgesellschaft mit Routinefunktionen lediglich eine Datenbankstudie über Renditekennziffern von Fremdunternehmen vorlege; Tz. 3.4.19 c) fünfter Absatz Verwaltungsgrundsätze-Verfahren. Dem ist mit der Maßgabe zuzustimmen, dass im Umkehrschluss Aufzeichnungen dann als verwertbar zu akzeptieren sind, wenn der Steuerpflichtige bei Vornahme eines datenbankgestützten Nettorenditenvergleichs die gemäß Tz. 3.4.12.4 Verwaltungsgrundsätze-Verfahren geforderten Informationen aufzeichnet und eine Funktions- und Risikoanalyse für das geprüfte Unternehmen vorlegt.
IV. Ergebnisse 1. Vorgelegte Aufzeichnungen sind dann im Wesentlichen unverwertbar i. S. v. § 162 Abs. 3 und 4 AO, wenn sie den Zweck der Aufzeichnungspflichten gemäß § 90 Abs. 3 AO im Wesentlichen nicht erfüllen. Der Zweck der Aufzeichnungspflichten besteht darin, dass sie der Finanz-
__________ 38 Vgl. auch Tz. 3.4.16 Verwaltungsgrundsätze-Verfahren.
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verwaltung eine Feststellung ermöglichen, ob der Steuerpflichtige sich ernsthaft um die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei der Festsetzung seiner Verrechnungspreise bemüht hat. Belegen die vorgelegten Aufzeichnungen in einer Gesamtschau, dass der Steuerpflichtige bei mindestens 75 % seiner grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen sich ernsthaft um die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes bemüht hat, sind die Aufzeichnungen nicht im Wesentlichen unverwertbar. 2. Der Steuerpflichtige ist entgegen der GAufzV nicht zur Erstellung von Aufzeichnungen verpflichtet, die darlegen, ob und inwieweit sein ernsthaftes Bemühen um Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes tatsächlich eine Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes zum Ergebnis hat. Diese Beurteilung der Fremdvergleichskonformität der vom Steuerpflichtigen festgesetzten Verrechnungspreise ist weiterhin allein Aufgabe der Finanzverwaltung. 3. Eine nicht unerhebliche Anzahl von weiteren Regelungen der GAufzV ist von der Ermächtigung des § 90 Abs. 3 Satz 5AO nicht gedeckt und mithin ohne Rechtsgrundlage. 4. Den Steuerpflichtigen ist die Anfertigung von qualifizierten Verrechnungspreisrichtlinien, verbunden mit organisatorischen Vorkehrungen zu ihrer Befolgung, zu empfehlen. Sie belegen das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen um die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes und gewähren daher Schutz gegen die Sanktionen gemäß § 162 Abs. 3 und 4 AO.
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Der Steuerbescheid nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO gegen den Haftungsschuldner Inhaltsübersicht I. Einführung II. Die Unterscheidung zwischen Steuerund Haftungsbescheid
III. Der Zweck der Regelung in § 167 Abs. 1 Satz 1 AO IV. Ergebnis
I. Einführung Christoph Trzaskalik verdanken wir u. a. grundlegende Untersuchungen über das Verhältnis von materiellem Steuerrecht und Verfahrensrecht. So hat er in dem Kommentar zum Einkommensteuergesetz von Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff eine bisher wohl unübertroffene umfassende Erläuterung des materiellen Lohnsteuerrechts der §§ 38 ff. EStG vorgelegt. Gleichzeitig hat er in dem ursprünglich von Hübschmann/Hepp/Spitaler herausgegebenen Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung wichtige Vorschriften zur Durchführung der Besteuerung, darunter die dafür einschlägigen Bestimmungen der §§ 167, 168 AO über die Steueranmeldung, kommentiert. In diesem Zusammenhang hat ihn wiederholt die Frage beschäftigt, welche Bedeutung es hat, daß mit der Änderung des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO durch Art. 15 Nr. 2 des Steuerreformgesetzes 19901 die Möglichkeit eröffnet wurde, einen Steuerbescheid nicht nur gegenüber einem Steuerschuldner, sondern auch gegenüber einem Haftungsschuldner zu erlassen.2 Nachdem sich inzwischen auch der Bundesfinanzhof3 hierzu geäußert hat, erscheint es im Gedenken an Christoph Trzaskalik angebracht, das Problem hier noch einmal aufzugreifen.
__________ 1 2 3
BGBl. I 1988, 1093, 1127. Trzaskalik, Über die Vorbehaltsfestsetzung und die Steueranmeldung, StuW 1993, 371, 378; ders. in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 167 AO Rz. 5 (Lfg. 176, März 2003). BFH 13. 9. 2000 – I R 61/99, BFHE 193, 286 ff. = BStBl. II 2001, 67 ff.; BFH v. 7. 7. 2004 – VI R 171/00, BStBl. II 2004, 1987 ff. = BFH/NV 2004, 1569 ff. = DB 2004, 2194 ff. = DStR 2004, 1745 ff. = FR 2004, 1292 ff. = KFR 2005, 7 f. mit Kommentar Tiedchen.
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II. Die Unterscheidung zwischen Steuer- und Haftungsbescheid Die Problematik des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO ergibt sich daraus, daß nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO gegenüber einem Haftungsschuldner normalerweise ein Haftungsbescheid und nicht ein Steuerbescheid erlassen wird. Für beide Bescheide gelten unterschiedliche Regelungen. Der Steuerbescheid ist die Regelform der Steuererhebung. Nach § 155 Abs. 1 AO setzt die Finanzbehörde, vorbehaltlich abweichender Bestimmung, Steuern durch Steuerbescheid fest. Sie unterliegt insoweit dem Legalitätsprinzip4 des § 85 AO.5 Der Haftungsbescheid richtet sich gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO nicht gegen den Steuerschuldner, sondern gegen denjenigen, der für eine fremde Steuerschuld haftet. In dieser Hinsicht gilt nicht das Legalitätsprinzip. Vielmehr steht der Behörde – vom Sonderfall des § 13c Abs. 2 Satz 2 UStG abgesehen – insoweit ein Ermessen zu.6 Insbesondere ist abzuwägen, ob nicht zunächst der Steuerschuldner in Anspruch genommen werden soll. Diese Ermessensabwägung muß in dem Bescheid zum Ausdruck kommen.7 Ein weiterer Unterschied zwischen Steuer- und Haftungsbescheid besteht in den Möglichkeiten, den Bescheid zurückzunehmen. Für den Steuerbescheid gelten die §§ 172 ff. AO. Auch kann er nach § 164 AO unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt und damit im Rahmen der Festsetzungsfrist jederzeit geändert werden. Zusätzlich kann in geeigneten Fällen die Steuer nach § 165 AO vorläufig festgesetzt werden. Der Haftungsbescheid unterliegt dagegen den allgemeinen Bestimmungen der §§ 130 ff. AO über Rücknahme und Widerruf.8 Weder § 164 AO9 noch § 165 AO10 sind anwendbar.11 Folglich bedeutet es einen erheblichen Unterschied für den Haftungsschuldner, ob er vermittels eines Steuerbescheides oder eines Haftungsbescheides in Anspruch genommen wird. Bei diesem Vergleich ist besonders hervorzuheben, daß – jedenfalls bei wörtlicher Anwendung des Gesetzes – die Behörde beim Erlaß eines Steuerbescheides, anders als beim Erlaß eines Haftungsbescheides nicht genötigt ist, eine Ermessensentscheidung zu treffen und sie
__________ 4 Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 86 AO Rz. 40 (Lfg. 171, November 2001); Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 85 AO Rz. 6 (Lfg. 97, Februar 2002). 5 Tipke (Fn. 4), § 155 AO Rz. 5 (Lfg. 103, März 2004); Trzaskalik in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 155 AO Rz. 20 (Lfg. 153, Juli 1997). 6 Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 191 AO Rz. 29 (Lfg. 161, Juni 1999); Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Rz. 37 (Lfg. 104, Juli 2004). 7 Boeker (Fn. 6), § 191 AO Rz. 64 ff. (Lfg. 161, Juni 1999); Kruse (Fn. 6), § 191 AO Rz. 104 ff. (Lfg. 104, Juli 2004). 8 Boeker (Fn. 6), § 191 AO Rz. 80 (Lfg. 161, Juni 1999); Kruse (Fn. 6), § 191 AO Rz. 122 (Lfg. 104, Juli 2004). 9 Kruse (Fn. 6), § 191 AO Rz. 113 (Lfg. 104, Juli 2004). 10 Kruse (Fn. 6), § 191 AO Rz. 118 (Lfg. 104, Juli 2004). 11 Boeker (Fn. 6), § 191 AO Rz. 54 (Lfg. 161, Juni 1999).
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Der Steuerbescheid nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO
im Bescheid zum Ausdruck zu bringen.12 Es ist daher entgegen Tipke13 kein nur verfahrenstechnischer Unterschied, wenn die Behörde anstatt eines Haftungsbescheides einen Steuerbescheid erläßt. Insofern liegt in der gesetzlichen Regelung – anders als Tipke meint – durchaus eine Eingriffsverschärfung.
III. Der Zweck der Regelung in § 167 Abs. 1 Satz 1 AO Die Regelung in § 167 Abs. 1 Satz 1 AO hat in der Finanzgerichtsbarkeit einige Verwirrung ausgelöst. So hat das Finanzgericht Hamburg14 zum Ausdruck gebracht, daß es die Vorschrift für unverständlich halte. Das Finanzgericht Münster15 hat im Ergebnis § 167 Abs. 1 Satz 1 AO im Fall einer Haftung des Arbeitgebers für Lohnsteuer für nicht anwendbar erklärt. Das Niedersächsische Finanzgericht16 beschränkt den Anwendungsbereich des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO auf Fälle der Vollschätzung bei zeitraumbezogenen Steuernachforderungen. Es ist daher nach dem Sinn dieser Vorschrift zu fragen. Dafür ist hervorzuheben, daß sie nicht sämtliche Fälle der Haftung für fremde Steuern17 betrifft, sondern nur diejenigen, bei denen der Haftungsschuldner zugleich verpflichtet ist, eine Steueranmeldung abzugeben. Der wohl wichtigste Fall ist die Haftung des Arbeitgebers für die Lohnsteuer der Arbeitnehmer nach § 42d EStG i. V. m. § 41a EStG. Weiterhin gehören hierher die Haftung des Schuldners oder der auszahlenden Stelle von Kapitalerträgen für die einbehaltene und abzuführende Kapitalertragsteuer nach § 44 Abs. 5 EStG i. V. m. § 45a EStG sowie die Haftung des Schuldners für Steuerabzüge bei beschränkt Steuerpflichtigen nach § 50a Abs. 1, 4 EStG i. V. m. § 73e EStDV. Die Umsatzsteuer-Voranmeldung nach § 18 UStG ist in diesem Zusammenhang in den Fällen von Bedeutung, in denen sie nicht vom Unternehmer selbst, sondern von seinem Vertreter i. S. d. § 34 AO abzugeben ist, der nach § 69 AO für die Erfüllung der damit zusammenhängenden Pflichten haftet. Weitere Fälle ergeben sich aus Verbrauchsteuergesetzen.18 Diese Beschränkung der Regelung auf Haftungsschuldner, die es unterlassen haben, eine Steueranmeldung anzugeben, scheint dafür zu sprechen, in diesem Verhalten einen gravierenden Umstand zu sehen, der es rechtfertigt, insoweit das Opportunitätsprinzip des § 191 AO durch das Legalitätsprinzip zu ersetzen. Das würde bedeuten, daß in diesen Fällen ein Haftungsbescheid
__________ 12 Trzaskalik (Fn. 2), § 167 AO Rz. 5 (Lfg. 176, März 2003); wohl auch Tipke (Fn. 4) § 167 AO Rz. 9 (Lfg. 95, Juli 2001). 13 Tipke (Fn. 4) § 167 AO Rz. 9 (Lfg. 95, Juli 2001). 14 FG Hamburg v. 17. 6. 1996 – II 40/96, EFG 1997, 17, 18 f. 15 FG Münster v. 2. 2. 1998 – 15 V 7148/97 L, EFG 1998, 823. 16 Niedersächsisches FG v. 29. 6. 1999 – VI 177/96, EFG 2000, 468, 470. 17 Vgl. die Zusammenstellung bei Boeker (Fn. 6), § 191 AO Rz. 26 (Lfg. 161, Juni 1999). 18 Trzaskalik (Fn. 2), § 167 AO Rz. 3 (Lfg. 176, März 2003).
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trotz der unverändert gebliebenen Regelung des § 191 AO nicht ergehen dürfte, die Finanzbehörde vielmehr ausschließlich einen Steuerbescheid erlassen müßte. Der Bundesfinanzhof19 nimmt allerdings mit Zustimmung eines Teils des Schrifttums20 ein Alternativverhältnis an. Es sei zwischen der Haftungsschuld und der Pflicht zur Abführung der Steuer zu unterscheiden.21 Daher bestehe keine Konkurrenz zwischen der Haftungsschuld und der Verpflichtung des Arbeitgebers, die Lohnsteuer abzuführen.22 Die Finanzbehörde müsse daher auch nicht begründen, warum sie sich für einen Steuerbescheid und nicht für einen Haftungsbescheid entschieden habe. Die Differenzierung zwischen diesen beiden Arten der Verpflichtung versagt aber als Argument, wenn denjenigen, der zur Anmeldung der Steuer verpflichtet ist, keine eigene Abführungspflicht trifft, so wenn ein gesetzlicher Vertreter es unterläßt, für den Steuerpflichtigen die Umsatzsteuer-Voranmeldung abzugeben. Dann kann der Vertreter nur als Haftender in Anspruch genommen werden. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen kann es der Finanzbehörde keinesfalls überlassen bleiben, zwischen dem Erlaß eines Steuerbescheides und dem eines Haftungsbescheides zu wählen23 und für ihre Auswahl – wie der Bundesfinanzhof24 meint – nicht einmal eine Begründung geben zu müssen. Der Systematik des Gesetzes entspricht es daher eher, unter den Voraussetzungen des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO die Möglichkeit eines Haftungsbescheides zu verneinen und die Finanzbehörde ausschließlich auf den Steuerbescheid zu verweisen. Dafür können auch die Erwägungen herangezogen werden, mit denen die Bundesregierung die Änderung des § 167 Abs. 1 AO im Entwurf eines Steuerreformgesetzes gerechtfertigt hat.25 Danach hielt die Bundesregierung einen Haftungsbescheid in den in § 167 Abs. 1 AO geregelten Fällen deshalb für unzweckmäßig, weil er nach § 130 AO nur unter erschwerten Voraussetzungen zurückgenommen und nicht nach § 164 AO unter den Vorbehalt der Nachprüfung mit der Möglichkeit der Aufhebung oder Änderung der Festsetzung gestellt werden könne. Daraus scheinen sich – so deutet die Begründung an – Schwierigkeiten ergeben zu haben, wenn der Haftungsschuldner die Anmeldung nachträglich abgibt oder berichtigt. Dieser Befund hätte als
__________
19 Für Anmeldung zur Kapitalertragsteuer: BFH v. 13. 9. 2000 – I R 61/99, BFHE 193, 286, 289 f. = BStBl. II 2001, 67, 69; für Lohnsteueranmeldung: BFH v. 7. 7. 2004 – VI R 171/00, BStBl. II 2004, 1087, 1089. 20 Klein/Rüskens, AO, 8. Aufl. 2003, § 167 AO Rz. 5; Pahlke/Koenig/Cöster, AO, 2004, § 167 AO Rz. 13; L. Schmidt/Drenseck, EStG, 23. Aufl., 2004, § 41 a EStG Rz. 7; Tiedchen, KFR 2005, 7, 8. 21 So auch schon BFH v. 24. 3. 1998 – I R 120/97, BFHE 186, 98, 100 = BStBl. II 1999, 3. 22 Ebenso Tipke (Fn. 4) § 167 AO Rz. 9 (Lfg. 95, Juli 2001). 23 Ebenso Trzaskalik (Fn. 2), § 167 AO Rz. 5 (Lfg. 176, März 2003); ähnlich Frotscher in Schwarz, AO, § 167 AO, Rz. 7 (81. Lfg., Dezember 1997). 24 BFH v. 7. 7. 2004 – VI R 171/00, BStBl. II 2004, 1087, 1089. 25 BR-Drucks. 100/88, 402 f.
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Der Steuerbescheid nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO
Lösung allerdings eine Bestimmung nahegelegt, mit der die Möglichkeit eines Vorbehalts der Nachprüfung für die in Betracht kommenden Haftungsbescheide eingeführt wird. Das hat man ohne Erläuterung nicht getan, sondern mit einer umfassenden Regelung den Steuerbescheid gegen den Haftungsschuldner geschaffen. Das Verhältnis zu dem Haftungsbescheid nach § 191 AO wurde dabei nicht erörtert. Eine solche Erörterung liegt auch nicht in dem Einleitungssatz der Begründung, der nur allgemein von der Ersetzung des Haftungsbescheids durch einen Steuerbescheid spricht. Man kann aber der Begründung insgesamt entnehmen, daß der Haftungsbescheid in den Fällen einer mit einer Steueranmeldung verknüpften Haftungsschuld als ein ungeeignetes Instrument angesehen wurde. Daß die Finanzbehörde insoweit ein Wahlrecht zwischen Steuerbescheid und Haftungsbescheid haben sollte, wurde nicht erwogen. Die dargestellten unterschiedlichen Folgen beider Bescheide sprechen dagegen. Es bleibt dann somit kein Raum mehr für einen alternativ zulässigen Haftungsbescheid. Für den hiernach allein vorgeschriebenen Steuerbescheid sind aber die materiellen Besonderheiten der jeweiligen Haftungsschuld zu beachten.26 So ist bei der Inanspruchnahme des Schuldners oder der auszahlenden Stelle von Kapitalerträgen für die einzubehaltende und abzuführende Kapitalertragsteuer durch Steuerbescheid zu berücksichtigen, daß die Haftung nach § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG dann entfällt, wenn sie nachweisen, daß sie die ihnen auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt haben,27 wie auch der Bundesfinanzhof28 zutreffend erkannt hat.
IV. Ergebnis Die Änderung des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO durch das Steuerreformgesetz 1990 hat – bisher unerkannt – dazu geführt, daß für die in dieser Vorschrift genannten Fälle einer Haftung für fremde Steuerschuld der Steuerbescheid an die Stelle des in § 191 Abs. 1 Satz 1 AO vorgesehenen Haftungsbescheides getreten ist. Dessen Erlaß unterliegt nicht – wie ein Haftungsbescheid – einer Ermessensausübung durch die Finanzbehörde. Vielmehr gilt für ihn das Legalitätsprinzip. Eine Wahl zwischen Steuerbescheid und Haftungsbescheid ist der Finanzbehörde nicht eröffnet worden. Allerdings gelten materiellrechtliche Einschränkungen der Haftung auch für den Inhalt dieses Steuerbescheides.
__________ 26 Ebenso, aber unter Annahme eines Wahlrechts Tiedchen, KFR 2005, 7, 8. 27 Tipke (Fn. 4) § 167 AO Rz. 9 (Lfg. 95, Juli 2001); sinngemäß ebenso, aber von einem Wahlrecht der Behörde ausgehend Trzaskalik (Fn. 2), § 167 AO Rz. 3 (Lfg. 176, März 2003). 28 BFH v. 13. 9. 2000 – I R 61/99, BFHE 193, 286, 290 f. = BStBl. II 2001, 67, 69.
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Hans Georg Ruppe
Vertrauensschutz und Verwaltungserlässe Neue Entwicklungen in Österreich
Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Zur grundsätzlichen Einordnung von Erlässen in das Rechtsquellensystem – die Judikatur der österreichischen Höchstgerichte
III. Vertrauensbegründende Wirkung von Erlässen? IV. Einräumung von Vertrauensschutz gegenüber Erlässen durch den Gesetzgeber V. Schlussfolgerung
Christoph Trzaskalik hat sich, seit ich ihn kannte, für eine rechtsvergleichende Betrachtung steuerrechtlicher Fragen interessiert. Häufig haben wir die deutsche und die österreichische Rechtslage miteinander verglichen und die jeweiligen Vor- und Nachteile der verschiedenen Lösungen erörtert. Mir sind diese Gespräche in intensiver Erinnerung. Ich könnte mir vorstellen, dass sich auf der Basis der nachfolgenden Schilderung der österreichischen Situation und Entwicklung mit ihm zu seinen Lebzeiten eine interessante Diskussion ergeben hätte, bei der jedenfalls mir wieder einmal die Relativität juristischer Ansätze bewußt geworden wäre. Ich bedaure zutiefst, dass diese Diskussion nie mehr möglich sein wird.
I. Vorbemerkung Verwaltungsvorschriften, die für eine Mehrzahl von Fällen die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung zur Interpretation bestimmter Rechtsvorschriften oder zur steuerrechtlichen Behandlung bestimmter Sachverhaltskonstellationen bekannt geben, somit einer einheitlichen Rechtsanwendung dienen, finden sich wohl in den meisten Steuerrechtsordnungen. Sie besitzen auch in Österreich eine hervorragende praktische Bedeutung, wobei hier die rechtliche Bewältigung dieses Phänomens im Hinblick auf das Schweigen der Rechtsordnung einerseits, die streng verstandene Gesetzesbindung (Legalitätsprinzip, Art. 18 B-VG) andererseits gewisse Schwierigkeiten bereitet. Nachfolgend soll der Frage nachgegangen werden, ob bzw. allenfalls unter welchen Voraussetzungen derartige Verwaltungsvorschriften – sie werden in Österreich üblicherweise Erlässe genannt, treten aber auch unter der Bezeichnung Richtlinien, Durchführungsbestimmungen, Erläuterungen oder dergleichen auf – unter dem Aspekt des Grundsatzes von Treu und Glauben bzw. des Vertrauensschutzes Beachtung, allenfalls sogar Verbindlichkeit be157
Hans Georg Ruppe
anspruchen können, inwieweit es sich somit um vertrauensbegründende Äußerungen handelt.
II. Zur grundsätzlichen Einordnung von Erlässen in das Rechtsquellensystem – die Judikatur der österreichischen Höchstgerichte Die beiden in Österreich in Abgabensachen zuständigen Höchstgerichte, der Verfassungsgerichtshof (VfGH) und der Verwaltungsgerichtshof (VwGH), haben traditionell einen unterschiedlichen Zugang zum Phänomen der Verwaltungserlässe. Für den Verfassungsgerichtshof ist Ausgangspunkt der Betrachtung Art. 139 B-VG, wonach der Gerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen erkennt. Ist der Gerichtshof mit einer in einem (veröffentlichten) Erlass geäußerten Rechtsauffassung konfrontiert, untersucht er daher zunächst, ob es sich dabei nicht in Wahrheit um eine Verordnung handelt1. „Auch Erlässe unterliegen der Prüfung nach Art. 139 B-VG, wenn sie sich inhaltlich als generelle Normen darstellen“2. Hiefür sind weder die Bezeichnung des Rechtsaktes noch sein Adressatenkreis noch die Modalitäten der Publikation von Bedeutung. Allein entscheidend ist der Inhalt, der normative Gehalt. Daher bejaht der VfGH den Verordnungscharakter eines Erlasses dann, wenn dieser ein Mindestmaß an Publizität erreicht (somit in irgendeiner Weise an die Öffentlichkeit getreten ist) und sich einer „imperativen Diktion“ bedient, das heisst, Rechtsauffassungen mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit bekannt gibt, die von den nachgeordneten Behörden somit zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht werden sollen, also eine Verhaltensbindung intendieren. Gelegentlich wird zwischen Vorschriften und bloßen Empfehlungen unterschieden3 oder geprüft, ob die fraglichen Bestimmungen über bloße Erläuterungen und Empfehlungen hinausgehen4. Letzteres ist der Fall, wenn der Erlass nicht nur eine unverbindliche Darlegung von Rechtsmeinungen, sondern Anordnungen enthält, die darauf abzielen, das Verhalten der Adressaten zu binden. In verschiedenen Entscheidungen wird für maßgeblich erachtet, ob die Regelung die Rechtslage verändert und daher rechtsgestaltend ist5. Im Erkenntnis VfSlg. 10.170/1984 vertritt der Gerichtshof die Auffassung, dass bei Verwendung einer imperativen Diktion
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2 3 4 5
Die Rechtsprechung unterscheidet überdies zwischen Verwaltungsverordnungen, das sind Erlässe, die lediglich Dienstpflichten der nachgeordneten Behörden, nicht aber Rechte oder Pflichten Dritter begründen; davon zu unterscheiden seien Rechtsverordnungen, die sich an die Allgemeinheit wenden (VfSlg. 13.635/1993 m. w. N.). VfSlg. 1692/1948. VfSlg. 5300/1966. VfSlg. 5300/1966. VfSlg. 9416/1982, 10.170/1984, 13.331/1993.
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Vertrauensschutz und Verwaltungserlässe
eine Verordnung nur dann nicht vorliege, wenn ausdrücklich die Unverbindlichkeit klargestellt sei. Kommt der VfGH zum Ergebnis, dass eine solche imperative Diktion vorliegt (und die Unverbindlichkeit nicht klargestellt ist), der Erlass somit in Wahrheit als Verordnung zu qualifizieren ist, dann ist die regelmäßige Konsequenz die Aufhebung wegen Gesetzwidrigkeit nach Art. 139 B-VG im Hinblick auf den dann gegebenen Mangel ordnungsmäßiger Kundmachung: Verordnungen bedürfen grundsätzlich der Publikation im Bundesgesetzblatt, während für die Erlässe der Finanzverwaltung keine Kundmachungsvorschriften existieren, diese daher – wenn überhaupt – (nur) im Amtsblatt der Österreichischen Finanzverwaltung publiziert werden6. Kommt der VfGH hingegen zum Ergebnis, dass der Erlass unverbindlich ist und keinen Verordnungscharakter besitzt, dann wird er nicht als maßgebliche Rechtsquelle betrachtet. Ein solcher Erlass kommt nicht als Rechtsgrundlage eines Bescheides in Betracht, ein Bescheid wird daher nicht an diesem Erlass, sondern am zugrunde liegenden Gesetz (bzw. allenfalls einer Verordnung) gemessen7. Die Verwaltung hat auf diese Judikatur in der Weise reagiert, dass den Erlässen inzwischen regelmäßig eine salvatorische Klausel voran- oder nachgestellt wird, wonach es sich bei dem Erlass um einen Auslegungsbehelf handelt, der im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise mitgeteilt werde. Über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten könnten aus dem Erlass nicht abgeleitet werden. Gelegentlich findet sich auch der Hinweis, dass in den behördlichen Erledigungen (Bescheiden) Zitierungen des Erlasses zu unterbleiben haben. In solchen Fällen vertritt der VfGH die Auffassung, dass die Behörde (idR der Bundesminister für Finanzen) damit dem Erlass selbst jegliche normative Wirkung abgesprochen und zum Ausdruck gebracht habe, dass dieser als Rechtsgrundlage für finanzbehördliche Entscheidungen ungeeignet sei8. Im Erkenntnis VfSlg 6928/1972 ergänzt der Gerichtshof in diesem Zusammenhang: „Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die Finanzbehörden die Einkommensteuer-Richtlinien 1968 ungeachtet dieses Umstandes bei ihrer Tätigkeit heranziehen und es deshalb den Anschein haben könnte, als sei es für den Staatsbürger bedeutungslos, ob der Bundesminister ‚anordnet‘ oder bloß ‚im Interesse einer einheitlichen Vorgangsweise mitteilt‘. Eine solche Auffassung ließe jedoch außer Betracht, daß ein derartiger Erlass die Adressaten zwar informiert, aber keineswegs verpflichtet, dieser Information gemäß zu handeln. Die Rechtsstellung sowohl der Organwalter als auch der Parteien des finanzbehördlichen Verfahrens bleibt durch den Erlass völlig unberührt:
__________ 6 7 8
Vgl. z. B. VfSlg. 10.170/1984, 11.467/1987, 13.331/1993, 13.578/1993. VfSlg. 6928/1972, 8858/1980. ZB wieder VfSlg. 6928/1972, 8858/1980.
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erstere haben für den Fall seiner Nichtbeachtung keinerlei rechtliche Sanktionen zu gewärtigen, letztere können daher durchaus nicht ohne Aussicht auf Erfolg einwenden, daß das Gesetz nicht den in den Erlaßbestimmungen umschriebenen Inhalt habe“9. Der Verwaltungsgerichtshof orientiert sich in dieser Frage nicht am Inhalt des zu beurteilenden Aktes, sondern an seiner Form: Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH vermögen Erlässe der Finanzverwaltung keine Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen zu begründen10. Ein Erlass liegt aber immer dann vor, wenn es sich um eine nicht im Bundesgesetzblatt kundgemachte Enunziation der Verwaltung handelt. Demgemäß handelt es sich (zum Beispiel) auch bei den Einkommensteuerrichtlinien mangels Kundmachung im Bundesgesetzblatt um keine für den Verwaltungsgerichtshof beachtliche Rechtsquelle11. Für den VwGH ist somit der Umstand der Publikation im Bundesgesetzblatt entscheidend. Ist diese erfolgt, dann nimmt der VwGH eine Verordnung an, an die grundsätzlich auch er gebunden ist. Hegt er Bedenken im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit dieser Verordnung, hat er die Möglichkeit bzw. Verpflichtung, die Verordnung beim Verfassungsgerichtshof anzufechten12.
III. Vertrauensbegründende Wirkung von Erlässen? Kommt einem Erlass keine Verbindlichkeit zu, ist er lediglich eine unverbindliche Bekanntgabe einer Rechtsauffassung, begründet er somit weder Rechte noch Pflichten, so ist die naheliegende Schlussfolgerung, dass er auch kein Vertrauen begründen kann. In der Tat ist dies die grundsätzliche Einstellung des VfGH13. Eine gewisse Ausnahme bildet das Erkenntnis VfSlg. 6058/1969. Dort ging es um die Konstellation, dass das Bundesministerium für Finanzen in einem Erlass eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsauffassung vertreten hatte (Verneinung eines Wahlrechtes im Zusammenhang mit der AfA-Bemessungsgrundlage bei Mietobjekten bei zweifelhaftem Gesetzeswortlaut), die der VfGH im Erkenntnis VfSlg. 5673/1968 als gesetzlos („denkunmöglich“) ablehnte (Bejahung des Wahlrechtes). Im Folge-
__________ 9 Ebenso VfSlg. 8858/1980. 10 Aus jüngerer Zeit VwGH 18. 3. 1992, 92/14/0019; 22. 9. 1999, 97/15/0005; 28. 1. 2003, 2002/14/0139. 11 VwGH 28. 1. 2003, 2002/14/0139 zu den EStR 2000. 12 Diese Konstellation ist manchmal gegeben, wenn die Finanzverwaltung eine Rechtsauffassung zunächst in Erlassform bekannt gibt (zB zu den Kriterien einkommensteuerlicher Liebhaberei), diese Rechtsauffassung dann vom VwGH nicht geteilt wird und das BM für Finanzen die Rechtsauffassung in der Folge in eine Verordnung kleidet (Liebhaberei-Verordnung 1993, BGBl. 33). In diesem Fall ist dann der VfGH zum „Schiedsrichter“ aufgerufen. 13 Zuletzt VfGH 16. 12. 2004, B 1575/03.
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Vertrauensschutz und Verwaltungserlässe
erkenntnis VfSlg 6058/1969 vertrat der VfGH dann die Auffassung, es könne Abgabepflichtigen, die sich zunächst an den Erlass gehalten und daher keinen Antrag gestellt hatten, nicht entgegengehalten werden, sie wären rechtlich nicht gehindert gewesen, die Auffassung des Bundesministeriums zu bekämpfen und hätten daher freiwillig ihr Wahlrecht in bestimmter Weise ausgeübt (somit verbraucht). Diese Entscheidung – der in den seither verstrichenen 35 Jahren keine vergleichbare folgte – ist wohl eher dem Problembereich Treu und Glauben zuzuordnen: Wenn die Verwaltung im Erlassweg ein Wahlrecht verneint, kann sie nicht später im Widerspruch dazu die Auffassung vertreten, der Steuerpflichtige hätte im Hinblick auf die Unverbindlichkeit des Erlasses ohnehin ein Wahlrecht gehabt und durch seine Nichtausübung dieses konsumiert. Für einen Vertrauensschutz bei rechtswidrig begünstigenden Erlassmeinungen ist aus dieser Entscheidung wohl nichts zu gewinnen. Die Auffassung des VwGH ist differenzierter, aber keineswegs eindeutig. Im Erkenntnis 18. 3. 1992, 92/14/0019, verneint der VwGH die Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben „schon deswegen“, weil die damals strittige Erlassregelung gar nicht einschlägig war (womit letztlich offen bleibt, ob eine Verletzung dieses Grundsatzes bei Erlässen in Betracht käme). In späterer Judikatur vertritt der Gerichtshof den Standpunkt, allgemeinen Verwaltungsanweisungen, wie Richtlinien oder Erlässen, könne unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht die gleiche Wirkung beigemessen werden wie einer verbindlichen Zusage oder Auskunft für den Einzelfall, weil der Grundsatz von Treu und Glauben ein konkretes Verhältnis zwischen dem Abgabepflichtigen und dem Finanzamt voraussetze, bei dem allein sich eine Vertrauenssituation bilden könne14. Im Erkenntnis 27. 11. 2003, 2003/15/0087, ist ein neuer Ansatz zu finden. Das Erkenntnis betraf die Haftung für die Abzugssteuer, die vom inländischen Veranstalter bei Beschäftigung ausländischer (beschränkt einkommensteuerpflichtiger) Künstler einzubehalten ist. Der Abzugspflichtige bekämpfte die Ermessensentscheidung der Behörde, auf Grund derer er zur Haftung für die Abzugssteuer herangezogen worden war, und berief sich auf einen Erlass des BM für Finanzen, der unter gewissen Voraussetzungen eine „Abstandnahme von der Abzugsbesteuerung aus Vereinfachungsgründen“ vorsah. Ungeachtet der ausdrücklichen Unverbindlichkeitserklärung hält der VwGH diese Erlassstelle nicht mehr für vollkommen unbeachtlich: „Auch wenn dem Beschwerdeführer durch derartige Erlässe nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine subjektiven Rechte eingeräumt werden, vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, dass im Rahmen der Ermessensentscheidung eine erlassmäßige Regelung mit zu berücksichtigen ist, wenn es der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Erlasslage unterlassen
__________ 14 VwGH 22. 9. 1999, 97/15/0005 unter Verweis auf 8. 9. 1992, 87/14/0091.
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hat, von den ausbezahlten Honoraren Steuer abzuziehen und an das Finanzamt abzuführen.“ Der VwGH prüfte daher in der Folge, ob nach dem Erlass die Voraussetzungen für eine Abstandnahme von der Abzugssteuer vorlagen (verneinte dies allerdings letztlich, womit die Ermessensentscheidung als rechtsrichtig zu beurteilen war). Einem Erlass (in Form eines Vereinfachungserlasses) wird hier erstmals eine gewisse normative Bedeutung beigemessen, wenn auch nur im Rahmen einer Ermessensübung15. Die Diktion ist freilich vorsichtig: der Erlass zwingt nicht zu einer bestimmten Ermessensübung, sondern ist nur „mit zu berücksichtigen“. Andere Umstände können daher auch nach dieser Entscheidung offenbar größeres Gewicht haben und eine Vernachlässigung des Erlasses rechtfertigen. Zu bedenken ist auch, dass der Gerichtshof im konkreten Fall zum Ergebnis kam, dass die Voraussetzungen für die erlassmäßige Vereinfachungsregel gar nicht vorlagen. Eine Entscheidung, die einem solchen Erlass letztlich auch im Einzelfall bei objektiver Gesetzwidrigkeit bindende Wirkung beilegt, ist bisher auch vom VwGH nicht getroffen worden.
IV. Einräumung von Vertrauensschutz gegenüber Erlässen durch den Gesetzgeber Mit der Novelle BGBl. I 97/2002 (Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz – AbgRmRefG) wurde in die Bundesabgabenordnung (BAO), dem österreichischen Abgabenverfahrensgesetz, folgender § 117 eingefügt: „Liegt eine in Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes oder in als Richtlinien bezeichneten Erlässen des Bundesministeriums für Finanzen vertretene Rechtsauslegung dem Bescheid einer Abgabenbehörde, der Selbstberechnung von Abgaben, einer Abgabenentrichtung in Wertzeichen (Stempelmarken), einer Abgabenerklärung oder der Unterlassung der Einreichung einer solchen zu Grunde, so darf eine spätere Änderung dieser Rechtsauslegung, die sich auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes oder auf einen Erlass des Bundesministeriums für Finanzen stützt, nicht zum Nachteil der betroffenen Partei berücksichtigt werden.“
__________ 15 Das entspricht der Grundtendenz der Judikatur des VwGH, Äußerungen der Finanzverwaltung (etwa auch Auskünften) oder einer Verwaltungspraxis eine Bindungswirkung (allenfalls) dann beizumessen, wenn die Behörde einen Entscheidungsspielraum besitzt (vgl. dazu Doralt/Ruppe, Steuerrecht II4, Wien 2001, Rz. 375). Allerdings ist zu bedenken, dass ein – mit der Erlasslage begründeter – Verzicht auf die Geltenmachung einer Haftung häufig bedeutet, dass überhaupt auf die Realisierung der Steuerschuld verzichtet wird, weil der Steuerschuldner selbst nicht herangezogen werden kann. Damit stellt sich aber die Frage, warum ein Erlass nur bei Ermessensentscheidungen Bedeutung haben soll. Es läge dann nahe, auch bei bindenden Entscheidungen eine erlasswidrige Steuereinhebung als unbillig einzustufen und etwa im Wege einer Nachsicht zu berücksichtigen. Diesen Schritt ist der VwGH bisher aber nicht gegangen.
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Vertrauensschutz und Verwaltungserlässe
Nach den Materialien16 handelt es sich um eine Regelung, durch die das Vertrauen der Partei in eine bisher gehandhabte Auslegung geschützt werden soll. Wörtlich wird dazu ausgeführt: „Nach derzeitiger Rechtslage (§ 307 Abs. 2 BAO) besteht lediglich bei Wiederaufnahme des Verfahrens ein Schutz der Partei vor Verböserungen, die sich insbesondere aus Änderungen der Rechtsprechung ergeben könnten. Ein solcher Vertrauensschutz soll nicht nur bei Wiederaufnahme, sondern generell bei allen Abänderungen (zB gemäß § 295 BAO) und Aufhebungen (zB gemäß § 299 BAO) gelten. Dieses Vertrauen der Partei soll etwa auch im Zusammenhang mit Selbstberechnungen und mit der Einreichung von Abgabenerklärungen geschützt werden. § 117 BAO schützt das Vertrauen der Partei in Rechtsauslegungen der Höchstgerichte unabhängig davon, ob der Bescheid in der Begründung auf die Judikatur hinweist. Entscheidend ist, ob die dem erstmals beispielsweise über die Abgabe absprechenden Bescheid zugrundegelegte Rechtsansicht im Ergebnis mit der (vor seiner Erlassung ergangenen) Rechtsprechung übereinstimmt; dies unabhängig davon, ob die Partei oder die Abgabenbehörde diese Judikatur kennen. Das Abstellen auf die formale Bezeichnung als ‚Richtlinie‘ vermeidet (im Unterschied zum derzeitigen § 307 Abs. 2 BAO) Zweifel, was ein allgemeiner Erlass ist (bzw. wann eine bloße Einzelerledigung vorliegt). Dies dient der Rechtssicherheit. Die Bezeichnung als ‚Richtlinie‘ hat nichts mit dem Umfang des Erlasses zu tun. In Hinkunft werden somit auch Erlässe, die nur wenige Seiten umfassen, als Richtlinien zu bezeichnen sein. Ebenso wie der bisherige § 307 Abs. 2 BAO normiert § 117 BAO keine Bindung an Judikatur oder an Erlässe. Lediglich ‚rückwirkende‘ Konsequenzen aus (für die Partei nachteiligen) Änderungen der Judikatur oder als Richtlinien bezeichneter Erlässe werden vermieden. § 117 BAO ändert nichts am Grundsatz von Treu und Glauben im Zusammenhang mit (sich als unrichtig erweisenden) im Einzelfall erteilten Rechtsauskünften der zuständigen Abgabenbehörde.“
Die Vorschrift ist am 26. Juni 2002 in Kraft getreten. Mit derselben Novelle wurde der in den Materialien erwähnte § 307 Abs. 2 BAO gestrichen. Diese (die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffende) Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: „In der Sachentscheidung darf eine seit Erlassung des früheren Bescheides eingetretene Änderung der Rechtsauslegung, die sich auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes oder auf eine allgemeine Weisung des Bundesministeriums für Finanzen stützt, nicht zum Nachteil der Partei berücksichtigt werden.“
Die neue, nicht unelegant formulierte und zweifellos von guter Absicht getragene Vorschrift hat unmittelbar nach ihrem In-Kraft-Treten eine intensive literarische Diskussion ausgelöst. Sie betraf nicht nur Interpretationsprobleme, sondern stellte auch die Verfassungsmäßigkeit vor allem unter dem
__________ 16 Vgl. die Erläuterungen zum Initiativantrag A 666/A, 21. GP.
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Aspekt des Gleichheitssatzes, aber auch im Hinblick auf das Legalitätsprinzip in Frage17. In der Praxis zeigte sich, dass die neue Vorschrift in den verschiedenen, von ihr geregelten Konstellationen sehr rasch praktische Bedeutung erlangte und erstaunlich bald auch die Höchstgerichte beschäftigte. Der VfGH wurde mit ihr erstmals in einem Fall konfrontiert, in dem es darum ging, dass eine erlassmäßige (unter Unverbindlichkeitsvorbehalt stehende) Vereinfachungsregel betreffend die Berechnung von Kapitalertragsteuer bei sog. zero bonds, die bei bestimmten Wertpapierkategorien ausgenützt wurde, um offensichtlich nicht beabsichtigte Steuervorteile zu lukrieren, durch einen späteren Erlass rückgängig gemacht wurde, und zwar auch mit Wirkung für die Vergangenheit. Der in 2. Instanz zuständige Unabhängige Finanzsenat (UFS) war der Auffassung, dass er im Hinblick auf seine verfassungsrechtlich garantierte Weisungsfreiheit an § 117 BAO nicht gebunden sei, daher auch nicht zu beachten habe, dass hier eine Richtlinienbestimmung durch eine ungünstigere abgelöst worden war. Der VfGH ging hingegen von der Anwendbarkeit des § 117 BAO im konkreten Fall aus, war somit der Auffassung, dass der UFS bei Gültigkeit des § 117 BAO die inzwischen überholten (günstigeren) Richtlinien weiterhin anzuwenden gehabt hätte, hegte aber Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Norm und leitete im Frühjahr 2004 das Prüfungsverfahren nach Art. 140 B-VG ein. Hier führt er einleitend Folgendes aus: „Der Gerichtshof versteht die in Prüfung gezogene Regelung so, daß (u. a.) eine Rechtsauslegung, die seitens des Bundesministeriums für Finanzen in bestimmten Erlässen (‚Richtlinien‘) vertreten wurde, vom Gesetzgeber nunmehr als vertrauensbegründender Umstand gewertet und mit bestimmten Rechtswirkungen verbunden wird. Hat der Steuerpflichtige sich in seinem abgabenrechtlich relevanten Verhalten (Abgabe von Steuererklärungen oder deren Unterlassung, Selbstbemessung von Abgaben) auf eine solche Auslegung gestützt oder wurde diese Auslegung von der Abgabenbehörde einem Bescheid zugrunde gelegt, so wird das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Richtigkeit dieser Auslegung insofern geschützt, als eine Änderung der Auslegung, die in einem (anderen) Erlass des BM für Finanzen oder auch in einem Erkenntnis eines Gerichtshofes des öffentlichen Rechts vorgenommen wurde, nicht zu seinem Nachteil berücksichtigt werden darf. Gegen die Gewährung von Vertrauensschutz auch gegenüber Äußerungen von Verwaltungsbehörden, die nicht in Verordnungs- oder Bescheidform ergehen, bestehen an
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17 Vgl. etwa Ehrke/Wisiak, § 117 BAO idF AbgRMRefG: Vertrauen auf Erlässe?, ÖStZ 2002, 541, 545; Ehrke, Die Bedeutung von Steuererlässen aus innerstaatlicher und aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht, in: Eisenberger u. a. (Hrsg.), Norm und Normvorstellung, FS Funk, Wien u. a. 2003, 139; Ritz, Verböserungsverbot nach § 117 BAO, RdW 2002, 759; derselbe, Auskünfte über Umsatzsteuer-Identifikationsnummern, SWK 2003, S. 304; Lang, Vertrauensschutz durch § 117 BAO, in: Holoubek/Lang (Hrsg.), Vertrauensschutz im Abgabenrecht, Wien 2004, 333; Huemer, Unzureichender Schutz des Steuerpflichtigen vor Verböserungen durch § 117 BAO?, UFS aktuell 2004, 12, 14.
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Vertrauensschutz und Verwaltungserlässe sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das der österreichischen Bundesverfassung zugrunde liegende rechtsstaatliche Prinzip fordert nicht nur die Bindung der gesamten Vollziehung an das Gesetz (Art. 18 B-VG), sondern verlangt auch die Gewährleistung von Rechtssicherheit. Den im rechtsstaatlichen Verfahren unvermeidlich auftauchenden Widerstreit zwischen den Prinzipien der Rechtsrichtigkeit (Gesetzmäßigkeit) und der Rechtssicherheit oder Rechtsbeständigkeit zu lösen, ist Aufgabe des einfachen Gesetzgebers. Er hat jeweils – im Rahmen der durch die Verfassung gezogenen Schranken – zu entscheiden, ob dem Postulat der Rechtssicherheit oder dem der Gesetzmäßigkeit das größere Gewicht beizumessen ist. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Bestimmung der Rechtswirkungen eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens (vgl. dazu VfSlg. 4273/1962, 4986/1965), sondern auch bei der Bestimmung, welche Rechtswirkungen qualifizierten Äußerungen von Verwaltungsbehörden, die einen Einzelfall betreffen, zukommen. Der Gerichtshof kann es im vorliegenden Zusammenhang dahingestellt sein lassen, ob Gleiches auch für Äußerungen der Verwaltung gilt, die generellen Charakter haben, jedoch als bloße (nicht-imperative) Mitteilungen einer Rechtsansicht betrachtet werden und daher nicht in Verordnungsform ergehen. Die einfachgesetzliche Bindung an eine solche Äußerung könnte nämlich überhaupt nur dann verfassungskonform sein, wenn sie in sich sachlich ausgestaltet wäre, den Anforderungen des Art. 18 B-VG entspräche und mit den Regelungen des B-VG über die Hierarchie der Normen und den Rechtsschutz, insbesondere über die Aufgaben der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, vereinbar wäre. Dies scheint aber nach der vorläufigen Annahme des Gerichtshofes auf § 117 BAO nicht zuzutreffen.“
Der Gerichtshof äußerte nun im Prüfungsbeschluss in der Folge verschiedene Bedenken unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes, darunter das Bedenken, dass der Vertrauensschutz bei Änderungen der Rechtsauslegung durch ein höchstgerichtliches Erkenntnis anscheinend demjenigen Steuerpflichtigen vorenthalten werde, der gerade Anlass für die Änderung der Rechtsauslegung war: Geschützt werde nach § 117 BAO nämlich lediglich das Vertrauen derjenigen, die (noch) nicht Gegenstand eines bzw. jenes Verfahrens vor dem Höchstgericht waren, anlässlich dessen es zu einer (verschlechternden) Änderung der Rechtsauslegung kam. Bei diesen Folgefällen wäre anscheinend – anders als im Anlassfall – Vertrauensschutz zu gewähren, womit die Konsequenz verbunden sein dürfte, dass die Gewährung von Vertrauensschutz von dem zufälligen Umstand abhänge, ob der betreffende Steuerpflichtige Anlassfall für die Änderung der Rechtsauslegung gewesen sei oder nicht. Dem Gerichtshof war nicht erkennbar, dass § 117 BAO eine Interpretation zuließe, wonach es zu einer (nachteiligen) Änderung der Rechtsauslegung durch ein höchstgerichtliches Erkenntnis kommen kann und zugleich im Anlassfall die Wirkung dieser nachteiligen Änderung für den Beschwerdeführer ausgeschlossen werden könnte. Differenziere aber § 117 BAO bei der Gewährung von Vertrauensschutz zwischen dem Anlassfall einer Änderung der Rechtsauslegung und den Folgefällen, dann dürfte hiefür eine sachliche Rechtfertigung nicht zu finden sein. Der Gerichtshof äußerte gegen die in Prüfung gezogene Bestimmung aber auch – und vor allem – Bedenken unter dem Blickwinkel des Art. 18 B-VG 165
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(Legalitätsprinzip), der bundesverfassungsrechtlich vorgegebenen Grundsätze über die Rechtsquellen und ihre Hierarchie sowie im Hinblick auf die den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts aufgetragene (und vorbehaltene) Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und damit letztlich die Gewaltenteilung: „Berücksichtigt man, daß § 117 BAO im Ergebnis anscheinend dazu führt, daß die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ebenso wie nachgeordnete Verwaltungsbehörden und der Unabhängige Finanzsenat an als Richtlinien bezeichnete Erlässe des BM für Finanzen – somit an Enunziationen einer Verwaltungsbehörde, denen keine Verordnungsqualität zukommt (vgl. dazu VfSlg. 6928/1972, 8613/1979, 8858/1980, 14.674/ 1996 u. a.) – pro praeterito gerade dann gebunden sind, wenn die dort vertretene Rechtsauslegung von einem Gerichtshof des öffentlichen Rechts als objektiv gesetzwidrig erkannt wurde, dann dürfte der einfache Gesetzgeber damit einen Rechtsquellentypus geschaffen haben, der von der Verfassung nicht vorgesehen und schon deswegen unzulässig sein dürfte, weil bei ihm anscheinend der verfassungsgesetzlich gebotene Vorrang des Gesetzes verletzt ist … Aus der Sicht der rechtsanwendenden Verwaltungsorgane (einschließlich des Unabhängigen Finanzsenates) führt § 117 BAO nämlich anscheinend dazu, dass sie im Fall einer entsprechenden Änderung der Rechtsauslegung durch ein höchstgerichtliches Erkenntnis nunmehr für die noch offenen Fälle die in der Richtlinie vertretene, von der hiefür zuständigen Rechtsprechung inzwischen als gesetzwidrig erkannte Rechtsauffassung anzuwenden haben, somit verpflichtet sind, eine nicht im Einklang mit dem Gesetz stehende Entscheidung zu treffen. Damit dürfte der einfache Gesetzgeber den verfassungsgesetzlich verankerten Grundsatz der Bindung der Verwaltung an das Gesetz (Art. 18 B-VG) – anscheinend ohne verfassungsrechtliche Deckung – durchbrochen haben … Für die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts hingegen dürfte die durch § 117 BAO verfügte Bindung an Richtlinien des BM für Finanzen im Widerspruch zu den ihnen von der Bundesverfassung eingeräumten Aufgaben stehen: Während etwa der Verwaltungsgerichtshof im Falle einer von ihm für gesetzwidrig erachteten Verordnung deren Aufhebung beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen hat, hätte er unter Geltung des § 117 BAO anscheinend einen Bescheid auch dann aufzuheben, wenn er die ihm zugrunde liegende Richtlinie bereits in einem früheren Erkenntnis für gesetzwidrig erachtet hat. Für den Verfassungsgerichtshof scheint sich aus § 117 BAO die Konsequenz zu ergeben, daß er zwar für gesetzwidrig erachtete Verordnungen aufheben und aussprechen kann, daß die Verordnung nicht mehr anwendbar ist, daß er jedoch die Anwendung von Richtlinien, die er für gesetzwidrig erachtet, auf alle vorher verwirklichten und noch nicht entschiedenen Fälle nicht verhindern kann. Vergleichbare Bedenken erweckt es, wenn § 117 BAO den in höchstgerichtlichen Erkenntnissen vertretenen Rechtsauslegungen (im Ergebnis) Bindungswirkung beilegt. Auch damit dürfte der einfache Gesetzgeber einen in der Verfassung nicht vorgesehenen Rechtsquellentypus geschaffen haben, bei dem der Vorrang des Gesetzes nicht gesichert erscheint, sind doch die Verwaltungsbehörden anscheinend verpflichtet, eine Rechtsauslegung, die inzwischen von den zur Rechtskontrolle berufenen Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts als gesetzwidrig erkannt wurde, für die Vergangenheit weiterhin anzuwenden. Ebensowenig dürfte es mit dem B-VG vereinbar sein, im Wege des einfachen Gesetzes Höchstgerichte des öffentlichen Rechts, deren Auf-
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Vertrauensschutz und Verwaltungserlässe gabe die jeweils rechtsrichtige Entscheidung des Einzelfalles ist, zu zwingen, nach einer Änderung der Rechtsauslegung frühere Fälle unter Bindung an eine inzwischen als unrichtig (gesetzwidrig) erkannte, ihrerseits nur in Entscheidung eines Einzelfalles ergangene Auslegung zu entscheiden.“
Im Gesetzesprüfungsverfahren selbst (G 95/04), das mit dem Erkenntnis vom 2. Dezember 2004 abgeschlossen wurde, kam der Gerichtshof zum Ergebnis, dass seine Bedenken nicht entkräftet werden konnten. Die Bundesregierung war diesen Bedenken im Prüfungsverfahren gar nicht entgegengetreten. Der Gerichtshof blieb daher dabei, dass die in Prüfung gezogene Vorschrift in gravierender Weise gegen das dem B-VG zugrunde liegende rechtsstaatliche Prinzip verstoße: § 117 BAO schütze nicht bloß das Vertrauen in die Bestandskraft eines (allenfalls objektiv rechtswidrigen) individuellen Verwaltungsaktes, sondern lege im Ergebnis ministeriellen Enunziationen, die nicht die Form der Verordnung aufwiesen, aber auch im Einzelfall ergehenden Erkenntnissen von Höchstgerichten den Rang verbindlicher genereller Normen bei und schaffe damit Rechtsquellentypen, die in der Bundesverfassung nicht vorgesehen seien. Die Vorschrift durchbreche ferner die in Art. 18 B-VG angeordnete Bindung der Verwaltung an das Gesetz, ohne daß hiefür eine verfassungsgesetzliche Deckung vorhanden wäre. Sie sei schließlich aus den im Prüfungsbeschluß näher ausgeführten Gründen mit den von der Bundesverfassung den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts übertragenen Aufgaben nicht vereinbar. Ausdrücklich hält der Gerichtshof Folgendes fest: „Den Gesetzesmaterialien zufolge soll die Regelung das Vertrauen der Partei in eine bestimmte Rechtsauslegung schützen und dadurch der Rechtssicherheit dienen. Nun ist es in der Tat – wie der Gerichtshof schon im Prüfungsbeschluß festgehalten hat – Aufgabe des einfachen Gesetzgebers, einen im Verfahren allenfalls auftretenden Konflikt zwischen den Prinzipien der Rechtsrichtigkeit (Gesetzmäßigkeit) und der Rechtssicherheit oder Rechtsbeständigkeit zu lösen. Der Gesetzgeber hält sich dabei aber nicht mehr im Rahmen des Rechtsquellenkataloges der geltenden Verfassung, wenn er zu diesem Zweck in Erlässen des Bundesministeriums für Finanzen oder in Erkenntnissen eines Gerichtshofes des öffentlichen Rechts vertretene Rechtsauslegungen als solche für generell verbindlich erklärt.“
V. Schlussfolgerung Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus dem Dargelegten? In der Judikatur des VwGH ist eine Tendenz erkennbar, den Erlässen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes eine größere Bedeutung beizumessen als bloß unverbindlichen Bekanntgaben einer Rechtsauffassung. Hier wird freilich abzuwarten sein, welche Entwicklung die Rechtsprechung nimmt. Der VfGH hat mit seiner Entscheidung zu § 117 BAO einen strengen Standpunkt eingenommen. Er ist der Auffassung, dass es im Rahmen der Bundesverfassung nicht möglich ist, generellen Enunziationen der Verwaltung, die nicht 167
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die Form der Verordnung wählen, Bindungswirkung zu verleihen. Den Bemühungen, erlassmäßige Äußerungen der Finanzverwaltung, denen in der Praxis ohne Zweifel ein großer Stellenwert zukommt, mit Vertrauensschutz auszustatten, sind damit deutliche Schranken gesetzt worden. Das mag auf den ersten Blick bedauerlich erscheinen, dürfte aber auf längere Sicht eher der Rechtssicherheit dienen, als die Erhebung von Erlässen in den Rang von verbindlichen Rechtsquellen. Schon in der kurzen Zeit seit dem Wirksamwerden des § 117 BAO zeichnete sich ab, dass diese Vorschrift geeignet gewesen wäre, im Erlasswege unbequemen höchstgerichtlichen Entscheidungen auszuweichen und von Höchstgerichten verworfene Rechtsauffassungen im Wege von „Richtlinien“ weiterzuschreiben. Unter Geltung eines § 117 BAO hätten diese Richtlinien mehr Kraft gehabt als die Entscheidung des zuständigen Höchstgerichtes. Die in der Literatur angebotene einschränkende Auslegung, § 117 nur auf Erlassmeinungen zu beziehen, die ohnehin gesetzeskonform sind18, ist nicht zielführend: Wäre der Vorschrift der Sinn beizumessen, dass sie nur zutreffende Rechtsauslegungen mit Vertrauensschutz ausstattet, wäre sie ohne relevante Bedeutung und daher überflüssig19. Darüber hinaus war bereits erkennbar, dass die Frage, was eine Rechtsauffassung im Sinn des § 117 BAO ist und wann eine Änderung einer solchen Rechtsauffassung vorliegt, speziell im Zusammenhang mit höchstgerichtlichen Urteilen und den dort enthaltenen oft allgemeinen Aussagen oder obiter dicta erhebliche Probleme aufgeworfen hätte. Die Entscheidung des VfGH steht sicher nicht im Widerspruch zu der neueren Judikatur des VwGH, wonach in Erlässen geäußerte Rechtsauffassungen im Rahmen von Ermessensentscheidungen mit zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung hindert auch nicht gesetzliche Regelungen, die Vertrauensschutz für qualifizierte Einzelfallentscheidungen, etwa für Auskünfte, vorsehen oder ein Ruling-Verfahren für konkrete Sachverhalte einführen wollen. Dies geht aus den Einleitungssätzen des Prüfungsbeschlusses klar hervor. Verfassungswidrig ist es jedoch, Erlässen auf dem Umweg einer Vertrauensschutzregelung die Qualität von generellen Rechtsnormen beizulegen. Diese Qualität ist den Verordnungen und Gesetzen vorbehalten. Insofern könnte und wird vermutlich die Entscheidung Anlass für die Finanzverwaltung sein, vom Erlass(un)wesen etwas abzurücken und verstärkt die Rechtsform der Verordnung zu wählen.
__________ 18 Ritz, a. a. O (Fn. 16). 19 VfGH 16. 12. 2004, B 1575/03.
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Heinrich Wilhelm Kruse
Über Dienstleistungspflichten und Haftung Inhaltsübersicht I. Not des Reiches und Lohnsteuerabzug II. Verfassungsrechtliche Fragen III. Kulmination der Dienstleistungspflichten IV. Steuerschuldner und Steuerkollektor V. Kosten der Dienstleistungen
VI. Entschädigung für den Kostenaufwand VII. Verursachungs- versus Verschuldenshaftung VIII. Kompromiss des Bundesfinanzhofs IX. Bescheide gegen den Dienstleistungspflichtigen X. Schluss
I. Not des Reiches und Lohnsteuerabzug Auf den Lohnsteuerabzug waren die Urheber der Finanzreform Erzbergers besonders stolz. In der damals immer wieder beschworenen „ungeheuren Finanznot des Reichs“1 glaubte man, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Adam Smith2 hatte schon Mitte des 18. Jahrhunderts verlangt, jede Steuer solle zu einer Zeit oder auf eine Art und Weise erhoben werden, dass die Zahlung der Abgabe dem Pflichtigen am leichtesten falle. Diese klassische Vorgabe erfüllte § 44 I EStG 1920 geradezu ideal. Der Arbeitgeber sollte bei jeder Lohnzahlung 10 v. H. des Arbeitslohns zu Lasten des Arbeitnehmers einbehalten und für den einbehaltenen Betrag Steuermarken in die Steuerkarte des Arbeitnehmers einkleben und entwerten. Einfacher konnte es gar nicht gehen. Der Arbeitnehmer brauchte sich um die Zahlung der Steuer nicht zu kümmern, der Gegenwert der Steuermarken war bereits vor Fälligkeit der Steuerschuld durch den Verkauf der Steuermarken erbracht. Arbeitgeber und Arbeitnehmer mögen den Einbehalt der Steuer damals als patriotische Pflicht empfunden haben. Gleichwohl wurde die Pflicht zum Einbehalten der Steuer durch die Haftung des Arbeitgebers ergänzt. § 50 EStG 1920 bestimmte: „Der Arbeitgeber haftet dem Reiche der Einbehaltung und Entrichtung [der Steuer] … neben dem Arbeitnehmer als Gesamtschuld-
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Begründung zum Entwurf des EStG 1920. Verhandlungen des Deutschen Reichstags, I. Wahlperiode, Sten. Berichte Anlage Nr. 1624, S. 36. Vgl. auch Becker, RAO, 7. Auflage, § 4 Anm. 1a. Der Wohlstand der Nationen, deutsche Übersetzung von Horst Claus Recktenwald, 1974, 704.
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ner.“ Daraus hat sich die Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG entwickelt3. Christoph Trzaskalik4 hat in seiner letzten Bearbeitung des § 42d EStG berichtet, dass die Haftungsvorschrift in den Beratungen der Nationalversammlung überhaupt nicht diskutiert worden ist. Noch gut ein halbes Jahrhundert später ist das Bundesverfassungsgericht über das Problem in lapidarer Kürze hinweggegangen5. Der Arbeitgeber werde durch die Indienstnahme nur unerheblich belastet, weil er im Rahmen seiner sozialstaatlichen Fürsorgepflicht seine Arbeitnehmer in der vereinfachten Erfüllung der ihm obliegenden Steuerpflicht unterstütze. Einige Jahre zuvor hatte der Bundesfinanzhof die Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers bei der Erhebung mit dessen Mitwirkungspflichten bei der Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge verglichen und diese Pflichten als auf dem öffentlichen Recht beruhende Reflexwirkung der Begründung privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse gerechtfertigt6. Ganz im Sinne von Adam Smith und der Väter der Finanzreform Erzbergers hatte der Bundesfinanzhof auf den Zweck des Lohnsteuerverfahrens verwiesen „in möglichst einfacher Form einen möglichst vollständigen und schnellen Eingang der Lohnsteuer des Arbeitnehmers sicher zu stellen“. Und schließlich: Die Arbeitgeber seien „gewissermaßen Beauftragte des Steuerfiskus … und Steuererheber gegenüber ihren Arbeitnehmern“. Kloubert7 hat schon vor Jahren den Befund dahingehend zusammengefasst, dass Rechtsprechung und dieser folgend die Verwaltung für den Arbeitgeber phantasievolle Namen bemühen und ihn mit Begriffen belegen, deren Inhalte über seine rechtliche Stellung nichts aussagen. Dies ist bis auf den heutigen Tag so geblieben.
II. Verfassungsrechtliche Fragen Trzaskalik8 hat bis zuletzt daran festgehalten, dass die Dienstleistungspflicht des Arbeitgebers im Lohnsteuerverfahren nicht an Art. 12 I GG gemessen werden kann. Das Steuerverfahrensrecht diene einer gemeinverträglichen Berufsausübung. Zur privatwirtschaftlichen Tätigkeit gehöre es eben gerade nicht, als „Hilfsorgan der Finanzverwaltung“ zu agieren. Die Frage, warum der Staat seine Aufgaben nicht selbst erledigt, lasse sich nicht mit
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Zur Entwicklung nach Inkrafttreten des EStG 1920 vgl. Strutz, Handbuch des Reichssteuerrechts, 1920, 225. Zur weiteren Entwicklung Trzaskalik in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 42d Anm. A 34 ff. (Lfg. 122 Juni 2002). Zu einer möglichen Reform des Lohnsteuerabzugs neuerdings Seer, FR 2004, 1037. A. a. O. Beschl. v. 17. 2. 1977 – 1 BvR 33/76 BVerfGE 44, 103 (104) = NJW 1977, 1282. Urt. v. 5. 7. 1963 – VI 270/62 U BFHE 77, 408 (410) = BStBl. 1963 III 468. Rechtliche Stellung des Arbeitgebers beim Lohnsteuerabzug, Berlin 1988, 2 (Diss. Bochum). In Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Note 3), § 38 Tz. A 95 (April 2003!).
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„vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls“ beantworten. Trzaskalik9 vermisst auch eine Begründung für die Unentgeltlichkeit der Dienstleistungspflicht. Die angebliche Geringfügigkeit der Kosten ist für ihn kein Belastungsgrund. Man wird hinzufügen müssen, dass der Staat sich die Erhebung der Kirchensteuern, zu über 90 % Kirchenlohnsteuer, von den Kirchen vergüten lässt. Auch den vom Bundesfinanzhof10 bemühten Gedanken, der Arbeitgeber könne im Haftungsfall den Arbeitnehmer in Regress nehmen, lässt Trzaskalik11 nicht gelten. Dieser Gedanke birgt nur ein Scheinargument. Solche Regresse kommen in der Praxis nur äußerst selten vor12. Welcher Arbeitgeber möchte mit dem Regress das Betriebsklima belasten. Statt dessen erfreut sich die Pauschalierung und Übernahme der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber nach § 40 I 1 Nr. 2 EStG in der Praxis großer Beliebtheit. Und schließlich stellt sich die Frage, warum ausgerechnet der Arbeitgeber mit dem Ausfallrisiko belastet werden soll. Was nützt der Regress, wenn der mühsam erstrittene Zahlungstitel gegen den Arbeitgeber nicht vollstreckt werden kann? Sind alle diese Belastungen des Arbeitgebers wirklich geringfügig? Das Stichwort „geringfügig“ verdeckt, dass bisher das Lohnsteuerverfahren nur isoliert betrachtet worden ist. Als erster hat Geißler13 beanstandet, dass die gesetzlichen Mitwirkungspflichten immer nur in Bezug auf die Lohnsteuer und die Kapitalertragsteuer behandelt worden sind14. Die eigentliche verfassungsrechtliche Aufgabe, so Trzaskalik15, ist bislang noch nicht gelöst. Es sei zu klären, warum bislang strukturell vergleichbare Formen der zahllosen Dienstleistungspflichten in den verschiedenen Rechtsbereichen nur isoliert und nicht in ihrer Gesamtwirkung analysiert worden sind.
III. Kulmination der Dienstleistungspflichten In der Tat: Eine Dienstleistungspflicht kommt zur anderen. Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer und deren Annexsteuern (Solidaritätszuschlag und Kir-
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9 So bereits DStJG 12 (1989), 157 ff. Zuletzt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Note 3), § 38 Tz. A 95. 10 Urt. v. 5. 7. 1963 (Note 6). 11 In Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Note 3), § 38 Tz. 96. 12 Ein solcher Streit geht dann gleich bis vor die Schranken des BAG, vgl. Urt. v. 16. 6. 2004 5 AZR 521/03 NJW 2004, 3588. 13 Der Unternehmer im Dienste des Steuerstaates, Stuttgart u. a., 2001, 23 (Diss. Jena). 14 Den kursorischen Hinweis des BFH Urt. v. 5. 7. 1963 (Note 6) auf die Mitwirkung des Arbeitgebers bei Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge kann man in diesem Zusammenhang getrost vergessen (s. noch unten zu VI). Es drängt sich der Verdacht auf, der BFH habe mit diesem Hinweis die Mitwirkungspflicht im Lohnsteuerverfahren rechtfertigen wollen. Zu den sozialrechtlichen Pflichtdiensten Geißler (Note 13), 86 ff. 15 In Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Note 3) § 38 Tz. A 97. Ebenso mit ausführlicher Analyse der Rspr. Drüen, FR 2004, 1139 ff.
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chensteuer16) einzubehalten und abzuführen (§ 38 III EStG). Der Schuldner der Kapitalerträge (oder die auszahlende Stelle) hat die Kapitalertragsteuer (§ 44 I 2 EStG)17, der Schuldner der Vergütungen an beschränkt steuerpflichtige Aufsichtsräte und sonstige beschränkt Steuerpflichtige die Einkommensteuer (§ 50a V EStG), der Empfänger von Bauleistungen die Bauabzugsteuer (§ 48 I 1 EStG) einzubehalten und abzuführen. Von 1996 bis 1998 „durfte“ der private Arbeitgeber zu allem Überfluss auch noch das seinen Arbeitnehmern zustehende Kindergeld auszahlen (§ 73 EStG18).
IV. Steuerschuldner und Steuerkollektor Das Umsatzsteuerrecht weiß den Unternehmer auf seine Art in die Pflicht zu nehmen. Während bei den Abzugsteuern des Einkommensteuerrechts der Abzugspflichtige die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners einzubehalten und abzuführen hat, also nicht selbst Steuerschuldner ist (§§ 38 III 1, 44 I 1, 50a V 4 EStG), schuldet der Unternehmer im Regelfall die Umsatzsteuer (§ 13a UStG). Das ändert aber nichts daran, dass der Unternehmer die Steuer zu zahlen hat. Auch daran hätte Adam Smith19 seine wahre Freude haben können. Die Umsatzsteuer steht in der Nachfolge der als „sanftmütig“ geltenden Akzisen des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts20. Sie, die Umsatzsteuer, ist nach den Worten v. Ehebergs21 „eine Art Generalakzise“. Da der Unternehmer die Steuer schuldet, die nicht er, sondern andere infolge der Überwälzung zu tragen haben, ist er de facto ein Hilfsorgan der Finanzverwaltung22, für Trzaskalik23„Steuerkollektor“. Diese Aufgabe wird dem Unternehmer durch den Vorsteuerabzug nur scheinbar erleichtert. Die damit verbundenen Pflichten sind immens. Der Unternehmer ist verpflichtet,
__________ 16 § 51a I EStG i. V. m. § 38 III EStG und den Kirchensteuergesetzen der Länder, z. B. § 10 I KiStG NRW. 17 Dazu Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 23. Auflage, 2004, § 43 Tz. 4: Der Kapitalertragsteuerabzug wird immer komplizierter. Ein Blick auf §§ 43 ff. EStG alter und neuer Fassung lehrt das Fürchten. Zum zeitlichen Anwendungsbereich beider Fassungen vgl. § 52 Abs. 53 EStG. Auch diese Vorschrift lässt an Überblick und Weitsicht der Gesetzesverfasser verzweifeln; an die Adressaten der Regelung hat man ersichtlich nicht gedacht. 18 I. d. F. v. 10. 10. 1995 BGBl. I 1510, aufgehoben durch Art. 1 Nr. 7 Steuerentlastungsgesetz 1999 v. 19. 12. 1998 BGBl. I 3779. Seither wird das Kindergeld wieder durch die Familienkassen ausgezahlt. Dazu ist es durch den Beschluss des BFH v. 26. 5. 1998 – VI R 58/97 BFHE 186, 253 = BStBl. 1998 II 517 gekommen. 19 Der Wohlstand der Nationen, deutsche Übersetzung von Horst Claus Recktenwald, 1974, 704. 20 Vgl. Boelcke, Die sanftmütige Akzise, Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, 21 (1972), 93 ff. 21 Die Kriegsfinanzen. Kriegskosten, Kriegsschulden, Kriegssteuern, 2. Aufl. Berlin 1917, 115. 22 Vgl. Geißler (Note 13), 50 ff. 23 DStJG 12 (1998), 158.
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Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis auszustellen (§§ 14, 14a UStG), dabei die eigene Steuer- und Identifikationsnummer, in den Fällen des § 14a UStG auch die Identifikationsnummer des Leistungsempfängers anzugeben, die Rechnung aufzubewahren (§ 14b UStG), die Steuer monatlich (vierteljährlich, jährlich) anzumelden (§ 18 II, IIa UStG), bei innergemeinschaftlichem Handel eine zusammenfassende Meldung abzugeben (§ 18a UStG) und so weiter und so fort. Die Anforderungen an den Unternehmer sind immer wieder erhöht worden, 2002 und 2003 mit Wirkung für das Folgejahr sogar im Jahresabstand. Nicht ganz so unübersichtlich liegen die Dinge bei der Versicherungsteuer. Schuldner der Versicherungsteuer ist der Versicherungsnehmer, doch der Versicherer hat die Steuer für Rechnung des Versicherungsnehmers zu entrichten (§ 7 I VerStG). Insoweit besteht eine Parallele zu den Abzugsteuern des Einkommensteuerrechts. Trzaskalik24 hat zu Recht beanstandet, dass die verschiedenen Dienstleistungspflichten zumeist nur isoliert betrachtet worden sind. Sicher, einmal trifft es nur den Arbeitgeber, dann den Schuldner der Kapitalerträge, den Schuldner der Vergütungen an den Aufsichtsrat, den Schuldner der an beschränkt Steuerpflichtige gezahlten Vergütungen, den Empfänger der Bauleistungen, den Unternehmer, den Versicherer. Doch diese Personen sind oft dieselben. Der Versicherer ist, um diesen zu nehmen, zugleich Arbeitgeber, Schuldner der Kapitalerträge, der Aufsichtsratsteuer und der Vergütungen, Empfänger der Bauleistungen und selbstverständlich auch Unternehmer. Damit summieren sich die Dienstleistungen zu einem prallen Paket.
V. Kosten der Dienstleistungen Der Umfang der Dienstleistungen zeigt sich an den durch sie verursachten Kosten. Diese lassen sich allerdings nur schwer schätzen, so dass eine gewisse Bandbreite der Unsicherheiten entsteht. Wohl am sichersten haben sich bisher die Kosten der Arbeitgeber für die Auszahlung des Kindergeldes ermitteln lassen. Der Deutsche Industrie- und Handelstag hat sie mit jährlich 60 bis 66 Mio. DM beziffert25. Sie haben sich in den drei Jahren von 1996 bis 1998 auf immerhin 180 bis knapp 200 Mio. DM summiert. Diese Zahlen des Deutschen Industrie- und Handelstages galten als so zuverlässig, dass sie in die Begründung des Steuerentlastungsgesetzes 1999 eingehen konnten26. Die Kosten des Lohnsteuerabzugs lassen sich naturgemäß nicht ganz so sicher schätzen. Die Kosten des Steuerabzugs müssen von den Kosten der
__________ 24 In Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Note 3), § 38 Tz. A 97. 25 Vgl. Blümich/Heuermann, EStG, § 73 Tz. 2 (März 1999). 26 BT-Drucks. 14/23 S. 271 und 14/265 S. 191.
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Berechnung und Auszahlung des Lohns abgegrenzt werden. Trzaskalik27 hat sich auf eine Berechnung des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahre 1953 gestützt. Das Institut war auf Kosten in Höhe von 4 % des Lohnsteueraufkommens gekommen. Dieser Satz entspricht dem Satz, den die Bundesländer für die Erhebung der Kirchensteuern den Kirchen in Rechnung stellen, nämlich zwischen 2 und 5 %, zumeist 4 % des Aufkommens28. Dabei ist zweierlei zu berücksichtigen: Einerseits sind Kirchen davon überzeugt, dass eine eigene Steuerverwaltung einen höheren Anteil am Aufkommen kosten würde. Andererseits ist der Aufwand der Bundesländer relativ gering. Da es sich um eine Annexsteuer handelt, ist der Aufwand für die Berechnung und Weiterleitung der Kirchensteuer bescheiden29. In absoluten Zahlen wird man die jährlichen Kosten des Lohnsteuerabzugs anhand von Zahlen aus dem Jahre 1996 auf etwa 5 Mrd. Euro (10 Mrd. DM) schätzen können30. Dazu kommen die Lohnsteuernachforderungen, bei denen die Arbeitgeber erfahrungsgemäß auf einen Regress verzichten31. Für das Jahr 1996 hat das Bundesministerium der Finanzen32 die Lohnsteuernachforderungen mit 1 263 319 210 DM angegeben. Die Kosten für den Steuerabzug vom Kapitalertrag und den Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige33 sind ebenfalls nicht unbeachtlich. Gestützt auf ein 1993 erstattetes Gutachten des Instituts für Mittelstandsforschung hat Schüßler34 die der Wirtschaft alljährlich entstehenden Kosten der Indienstnahme global auf 58 Mrd. DM, also knapp 30 Mrd. Euro, beziffert. Das waren nach seiner damaligen Berechnung immerhin 1,8 % des Bruttosozialproduktes. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaft hat in einem
__________ 27 DStJG 12 (1989), 177 f. Zu den Kosten jetzt wieder Drüen, FR 2004, 1136 ff. mit Schätzungsbeispielen. 28 Vgl. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 2. Aufl. München 1988, 169 f. Der Verfasser kann den Satz von 4 % aus eigener Kenntnis für die Nordelbische Kirche bestätigen. 29 Das Kirchensteueraufkommen besteht zu mehr als 90 % aus Kirchenlohnsteuern; der Anteil der veranlagten Steuern ist gering. Vgl. Monatsbericht der Deutschen Bundesbank März 2005, Statistischer Teil S. 54. Auch die Kosten für die Vollstreckung sind gering, weil Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer stets zusammen mit der Einkommensteuer vollstreckt werden. Überdies überweisen die Landesfinanzbehörden die Steuern der Religionsgesellschaften an eine Kirche, die im Rahmen eines Clearingverfahrens die Steuern an die jeweiligen Gläubiger weiterleitet. 30 Vgl. Geißler (Note 13), 46. 31 Siehe bereits zu II. 32 BMF-Finanznachrichten v. 23. 7. 1997, 4. Im Jahr 2000 sollen sich die Lohnsteuernachforderungen bundesweit auf 1,767 Mrd. DM belaufen haben (vgl. Drüen, FR 2004, 1137 Note 41). 33 Vgl. Trzaskalik, DStJG 12 (1989), 177, mit Berechnungen des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes und des Bundesverbandes der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken. 34 Festschrift Ritter, Köln 1997, 487 ff.
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bisher unveröffentlichten Gutachten35 die Kosten der Erhebung der Einkommen- und Körperschaftsteuer, der Gewerbesteuer, der Umsatzsteuer und der Kraftfahrzeugsteuer, also der wichtigsten direkten Steuern, auf jährlich 15 Mrd. Euro berechnet. Diese Kosten sollen nur zu einem Drittel bei den Steuergläubigern anfallen und zu zwei Dritteln die Steuerpflichtigen, hier vor allem die Wirtschaft, treffen. Der Anteil der Verwaltungskosten der einzelnen Steuergläubiger soll im Durchschnitt bei 2,4 % des Aufkommens, bei der Kraftfahrzeugsteuer jedoch bei über 30 % des Aufkommens liegen; hier besteht Handlungsbedarf. Man mag zu diesen Zahlen stehen, wie man will. Nimmt man jedoch alle zusammen, so kommt man auf eine Belastung der Wirtschaft in Höhe von 4 bis 5 % des Aufkommens. Dies ist just der Betrag, den die Bundesländer sich für die Erhebung der Kirchensteuer vergüten lassen. So angreifbar die Zahlen im Einzelfall auch sein mögen, so lassen sie doch immerhin die Größenordnung der Kostenbelastung erkennen36.
VI. Entschädigung für den Kostenaufwand Das Problem der Erstattung der den Abzugsverpflichteten entstehenden Kosten ist im Ausschuss des Reichstages über den Entwurf des Einkommensteuergesetzes 1925 zur Sprache gekommen. Dort hatte die demokratische Partei vorgeschlagen, dem Arbeitgeber eine Entschädigung in Höhe von 1 v. H. der jeweils abgeführten Steuerbeträge zu gewähren37. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt. Die in der Beratung vorgetragenen Argumente werden noch heute wiederholt; sie kommen einem merkwürdig bekannt vor. Georg Strutz38 wusste darüber zu berichten: „Staatssekretär Dr. Popitz bemerkte zu dem … Antrag, den Arbeitgebern für die Vornahme des Steuerabzugs eine Entschädigung zu gewähren, sei nicht neu. Er halte es nicht für richtig, dass sich die Arbeitgeber für die Vornahme des Steuerabzugs eine Entschädigung geben lassen wollten. Die Durchführung des Lohnabzugs sei eine Angelegenheit, die die Durchführung der Steuereinnahmen erleichtere. Es sei ein Nobile officium der Arbeitgeber, dass sie den Steuerabzug unentgeltlich vornehmen. Sie hätten auch ein Interesse daran, dass große Steuerbeträge aus der arbeitenden Bevölke-
__________ 35 Auszugsweise veröffentlicht in der Tageszeitung „Die Welt“ v. 18. 7. 2004. Das vollständige Gutachten soll in der Schriftenreihe der RWI veröffentlicht werden. 36 Betragen die Verwaltungskosten der Steuergläubiger im Durchschnitt 2,4 % des Aufkommens, so machen die restlichen zwei Drittel der Kosten, die von den Steuerpflichten zu tragen sind, 4,8 % aus. 37 Für eine Entschädigung in Höhe von 1 v. H. der Abzugsbeträge neuerdings wieder Seer, FR 2004, 1042, die, so gilt es zu bedenken, zu versteuern wären. Die Kosten des Steuerabzugs sind ohnehin Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Kosten der Steuerberatung und wirken sich darum steuermindernd aus (§§ 4 IV, 9 I 1, 10 I Nr. 6 EStG). 38 Kommentar zum Einkommensteuergesetz 1925, Zweiter Band, Berlin 1929, § 81 Anm. 1c.
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VII. Verursachungs- versus Verschuldenshaftung Mag mancher Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug als patriotische Pflicht und als Nobile officium empfunden haben, auf die Sanktion der Haftung glaubte man nicht verzichten zu können. Sie war von Anfang an als reine Verursachungshaftung ausgestaltet39. Daran hat § 78 I EStG 1925 festgehalten, und dabei ist es bis heute geblieben. Der Haftungstatbestand des § 42d I Nr. 1 EStG ist erfüllt, wenn der Arbeitgeber es unterlassen hat, die Lohnsteuern einzubehalten und abzuführen40. Gleichwohl hat Trzaskalik41 bis zuletzt daran festgehalten, dass die Haftung des Arbeitgebers dessen Verschulden voraussetzt. Er hat eine beachtliche Gefolgschaft gefunden42. Gegen die Verschuldungshaftung wird geltend gemacht, der Steuerabzug verlange lediglich eine mechanische Tätigkeit, der Arbeitgeber könne eine Anrufungsauskunft einholen und schließlich den Arbeitnehmer in Regress nehmen. Diese Gründe überzeugen nicht. Von einer mechanischen Tätigkeit konnte vielleicht noch 1920 die Rede sein, als die Lohnsteuer durch die Verwendung von Steuermarken entrichtet werden konnte. Dies ist längst vorbei. Der Antrag auf Erteilung einer Anrufungsauskunft setzt voraus, dass
__________ 39 § 50 EStG 1920 (siehe zu I). 40 BFH Urt. v. 29. 10. 1993 – VI R 26/92, BFHE 172, 472 (474) = BStBl. 1994 II 197 (199); st. Rspr. Ausführlich v. Bornhaupt StVJ 1993, 326 ff. Ebenso Blümich/ Heuermann, EStG, § 42 d Tz. 60; Frotscher/Herrmann, EStG, § 42d Tz. 60, Schmidt/Drenseck, EStG, 23. Aufl. München 2004, § 42d Tz. 7. 41 In Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Note 3), § 42d Tz. B 7. 42 Schick, BB 1983, 1044 ff.; Friedrich, DB 1984, 1118; Gast-de Haan, DStJG 9 (1986), 150 ff.; v. Groll, DStJG 9 (1986), 446 f.; Littmann/Barein, EStG, § 42d Tz. 9; Kloubert (Note 7), 104 ff.
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dem Arbeitgeber überhaupt Zweifel an der Notwendigkeit des Steuerabzugs kommen43. Die Möglichkeit des Regresses steht, wie bereits dargetan, weitgehend auf dem Papier; praktisch bedeutsam ist sie nicht. Für die Verschuldungshaftung spricht, dass es sich um eine Schadenersatzhaftung handelt44. Eine solche Haftung setzt stets Verschulden voraus; nur die Gefährdungshaftung des Tierhalters (§ 834 BGB), des Bahnbetriebsunternehmers (§ 1 HPflG, § 1 SHG) und des Kraftfahrzeughalters (§ 7 StVG), um die wichtigsten Fälle zu nennen45, ist eine Verursachungshaftung. Die Schadenersatzhaftung nach § 42d EStG hat ihre Parallele in der Schadensersatzhaftung des Vertreters nach § 69 i. V. m. §§ 34, 35 AO. Auch diese Haftung ist auf Schadenersatz gerichtet, nicht auf Sanktion46. Das führt zu der pikanten Konstellation der Verursachungshaftung des Arbeitgebers und der Verschuldenshaftung seines Vertreters47. Das gilt, lässt man die Exkulpationsmöglichkeit des § 44 V 1 EStG aus, selbst redend auch in allen anderen Fällen des Steuerabzugs.
VIII. Kompromiss des Bundesfinanzhofs Bei Annahme einer Gesetzeslücke böte sich der Analogieschluss zu § 69 AO an. v. Bornhaupt48 hat diesen Lösungsweg vor Jahren vehement ausgeschlossen. Dahinter dürfte die richterliche Vorsicht im Umgang mit dem Analogieschluss stehen. Jeder Analogieschluss ist notwendigerweise mit einem Mangel an Gewissheit belastet49. Dieser Mangel wiederum hat Karl Engisch50 veranlasst, vom „Wagnis“ des Analogieschlusses zu sprechen. Ein solches „Wagnis“ ist angesichts der augenblicklichen Haushaltslage nicht von der Hand zu weisen. Eben diese Haushaltslage lässt einen Appell an den Gesetzgeber von vornherein als aussichtslos erscheinen. Dazu kommt das schon von Georg Strutz51 gefürchtete „Volksempfinden“ in Steuersachen, „bei dem immer der Neid gegen die, von denen man glaubt, dass es ihnen
__________ 43 Gast-de Haan (Note 43), 155; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellingshoff (Note 3), § 42d Tz. B 7. Das Argument der Anrufungsauskunft sticht bei den übrigen Abzugsteuern ohnehin nicht. 44 Schmidt/Drenseck (Note 40), § 42d Tz. 2. 45 Weitere Fälle bei Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl. München 2005, Tz. 6 vor § 823. 46 Vgl. Gast-de Haan (Note 43), 152 BFH Urt. v. 26. 7. 1988 – VII R 83/87 BFHE 153, 512 (514) = BStBl. 1988 II 859; v. 5. 9. 1989 VII R 61/87 BFHE 158, 13 (15) = BStBl. 1989 II 979; v. 1. 8. 2000 – VII R 110/99 BFHE 192, 249 (250) = BStBl. 2001 II 271; unstreitig. 47 Gast-de Haan (Note 43), 153. 48 StVJ 1993, 326 ff. 49 Theodor Heller, Logik und Axiologie der analogen Rechtsanwendung, Berlin 1961, 119. 50 Einführung in das juristische Denken, 10. Aufl. Stuttgart u. a. 2005, 190. 51 EStG 1925, Erster Band, Berlin 1927, Einleitung S. 77.
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besser geht als einem selbst, eine sehr große, wenn nicht die größte Rolle spielt, und dessen oberster Grundsatz in Wahrheit ist, dass jede Steuer gut ist, die allein oder vorzugsweise andere Leute, jene schlecht, die einen selbst besonders stark trifft“. Der Heilige St. Florian lässt grüßen. Der Bundesfinanzhof hat einen Kompromiss gesucht und gefunden52. Er hat die Verschuldensfrage zu einer Ermessensfrage gemacht. Er hat damit dem Gesetzeswortlaut Rechnung getragen, indem er nicht offen für ein Verschulden des Arbeitgebers als Voraussetzung der Haftung votiert hat. Und er hat sich die Möglichkeit offen gehalten, die Belange des Arbeitgebers im Rahmen der Ermessensentscheidung des Finanzamts zur Geltung zu bringen. Dabei geht es einmal um das Entschließungsermessen, den Arbeitgeber überhaupt in Anspruch zu nehmen, und zum zweiten um das Auswahlermessen, den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer heranzuziehen (§ 191 I 1 i. V. m. § 44 I 1 AO). Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung ist die Inanspruchnahme des Arbeitgebers ermessensfehlerhaft, wenn der fehlerhafte Steuerabzug in der Sphäre des Finanzamts liegt53 oder auf einem entschuldbaren Tatsachen- oder Rechtsirrtum des Arbeitgebers beruht54.
IX. Bescheide gegen den Dienstleistungspflichtigen Hat der Bundesfinanzhof das Problem des Verschuldens mit nicht zu leugnender Eleganz gelöst, so könnte er jetzt auf dem eingeschlagenen Weg stolpern. Das lässt ein Urteil des Lohnsteuersenats aus dem Sommer 200455 befürchten. Im Urteilsfall hatte ein Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht angemeldet und abgeführt. Darauf hin hatte das Finanzamt die Lohnsteuer durch Steuerbescheid festgesetzt. Rechtsgrundlage soll, so Finanzamt und Bundesfinanzhof übereinstimmend, § 167 I 1 AO sein. Danach ist eine Steuerfestsetzung nach § 155 AO erforderlich, wenn der Steuer- oder Haftungsschuldner die Steueranmeldung nicht abgibt. Der Gesetzeswortlaut ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs eindeutig. Darum soll die Möglichkeit, einen Haftungsbescheid zu erlassen, dem Erlass eines Steuerbescheides nicht entgegen stehen. Das überzeugt nicht. Der Gesetzeswortlaut ist nicht eindeutig56. Der Steuerschuldner wird durch Steuerbescheid in Anspruch genommen (§ 155 I 1 AO), der Haftungsschuldner durch Haftungsbescheid (§ 191 I 1 AO). Dies ist im
__________ 52 Trzaskalik (Note 3), § 42d Tz. B 8. 53 BFH Urt. v. 24. 1. 1992 VI R 177/88 BFHE 167, 359 (363) = BStBl. 1992 II 696 (698). 54 BFH Urt. v. 18. 9. 1981 VI R 44/77 BFHE 134, 149 = BStBl. 1981 II 801. Weitere Nachweise bei Schmidt/Drenseck (Note 44), § 42d Tz. 26 ff. Ältere Nachweise bei v. Bornhaupt (Note 49), 331 ff. 55 Urt. v. 7. 7. 2004 VI R 171/00 BStBl. 2004 II 1087. 56 Tipke in Tipke/Kruse, AO, § 167 Tz. 8 f.
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Gesetzgebungsverfahren bewusst57 oder unbewusst nicht richtig verstanden worden. Darauf hat Trzaskalik58 schon frühzeitig aufmerksam gemacht. Solange das Gesetz die Unterscheidung von Schuld und Haftung und von Steuerbescheid und Haftungsbescheid aufrecht erhalte und daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfe, könne er für die Verletzung der Pflicht zum Steuerabzug kein Wahlrecht zwischen Steuer- und Haftungsbescheid einräumen. Und weiter: „Nicht minder fragwürdig wird die Sache, wenn man sich überlegt, ob ein Haftungsschuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung eine Steueranmeldung abzugeben hat (§ 167 Abs. 1 S. 1 AO). Hat man nicht jeden Sinn für Unterscheidungen verloren, sollte man erkennen, dass eine Mitwirkung des Zahlungspflichtigen i. S. der §§ 149 ff. AO nicht auf die Haftungsschuld passt. Eine Verpflichtung zum Bekennen rechtswidrigen Verhaltens ist nicht nur, aber auch wegen der steuerstrafrechtlichen Konsequenzen eine Zumutung. Der Arbeitgeber muß sich Gedanken darüber machen, ob er Lohnsteuer einzubehalten hat oder nicht59. Eine Erklärung des Inhalts zu verlangen, dass er wegen der Verletzung der Einbehaltungspflicht eine Haftungsschuld anerkenne, ist ein Unding.“
Der I. Senat des Bundesfinanzhofs60 hatte es einige Jahre zuvor mit der gleichen Fallkonstellation bei der Kapitalertragsteuer zu tun. Er entschied, bei Nichtabgabe der Anmeldung zur Kapitalertragsteuer könne das Finanzamt anstelle eines Haftungsbescheides einen Nachforderungsbescheid nach § 167 I 1 AO erlassen, jedoch wörtlich hinzugefügt: „Das ändert aber nichts daran, dass es sich materiell um die Geltendmachung eines Haftungsanspruchs handelt, so dass die Voraussetzungen gemäß § 44 V EStG erfüllt sein müssen“. § 44 V 1 EStG stellt den Schuldner der Kapitalerträge frei, wenn er nachweist, dass er die ihm auferlegten Pflichten weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. Der Lohnsteuersenat hat das Urteil des I. Senats (bewusst?) an die Spitze seiner Entscheidungsgründe gestellt. Er kann sich also die Ansicht des I. Senats zu eigen gemacht haben. Dann bedarf es nur noch eines klarstellenden Hinweises auf die Ausübung des Ermessens und seiner Begründung.
X. Schluss Christoph Trzaskalik hat wie kaum ein anderer die Schwachstellen des Steuerabzugs gesehen und gerügt. Er ist darin seit der Verfassungsrechts-
__________ 57 Das lässt die vom BFH zitierte Gesetzesbegründung befürchten. 58 StuW 1993, 378. 59 Man denke an § 38 I 3 und IV 3 EStG i. d. F. v. 15. 12. 2003 BGBl. I 2645 über den Lohnabzug bei von Dritten gewährten Bezügen. Hier muss der Arbeitgeber positiv wissen oder zumindest erkennen können, dass solche Zuwendungen von Dritten gewährt worden sind. Diese Regelung ist nicht durchführbar und nicht justitiabel (zutreffend Schmidt/Drenseck (Note 44), § 38 Tz. 11; Drüen, FR 2004, 1145). 60 Urt. v. 13. 9. 2000 I R 61/99 BFHE 193, 286 = BStBl. 2001 II 67.
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Heinrich Wilhelm Kruse
tagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft 1988 in Karlsruhe nicht müde geworden. Er hat immer wieder insistiert, zuletzt noch kurz vor seinem Tode bei den Erläuterungen der §§ 38 ff. EStG61. Das sollte nicht vergessen werden.
__________ 61 Siehe Noten 8 und 9.
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Lerke Osterloh
Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als offene Frage der Finanzverfassung Inhaltsübersicht I. Einführung II. Ausgangsbegriffe: Einheitlichkeit, Gleichwertigkeit III. Rechtliche Tragweite des Ziels einheitlicher Lebensverhältnisse 1. Das Leitbild des Wettbewerbsföderalismus – Konzept und Fragezeichen
2. Konsequenzen für das geltende Verfassungsrecht IV. Auswirkungen der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG auf die Finanzverfassung
I. Einführung Christoph Trzaskalik schloss seine kritische Analyse des Finanzausgleichsurteils des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999 in der ihm eigenen Direktheit und Klarheit mit der Bemerkung ab: „Zu einer von mancher Seite erstrebten neuen Sicht des Bundesstaats in seiner finanzwirtschaftlichen Dimension trägt das Urteil nichts bei; das ist vielleicht auch gut so.“1 Einzig der zweite Satzteil lässt eine gewisse, wenn auch skeptisch gedämpfte Sympathie mit dem Urteilsergebnis anklingen und verweist zugleich auf eine zentrale, seit jeher beobachtete und diskutierte Eigenheit des geltenden Finanzverfassungsrechts, nämlich auf dessen Offenheit und Vagheit, die immer dann ins Auge springt, wenn nach konkreten Antworten auf konkrete Streitfragen2 gesucht wird. Bereits im Jahr 1955 begann Karl Maria Hettlage seinen Vortrag auf der Staatsrechtslehrertagung zum Thema „Die Finanzverfassung im Rahmen der Staatsverfassung“3 mit dem Satz: „Die deutsche Finanzverfassung ist seit der Verabschiedung des Grundgesetzes eine offene Frage“, und er schloss mit
__________ 1 2
3
In: H.-W. Arndt u. a. (Hrsg.), Völkerrecht und deutsches Recht, Festschrift für Walter Rudolf zum 70. Geburtstag, 2001, S. 379 (390). Als neuere Beispiele seien nur genannt: Streit um eine sachgerechte Verteilung von Erlösen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen, vgl. BVerfGE 105, 185 ff.; (beim BVerfG anhängiger) Normenkontrollantrag des Senats von Berlin mit dem Ziel, Hilfen vom Bund wegen extremer Haushaltsnotlage zu erhalten; Problem der Lastenverteilung bei europarechtlichen Zahlungspflichten des Bundes wegen vertragswidrigen Verhaltens eines Landes, vgl. BVerfGE 109, 1 ff. VVDStRL 14 (1956), S. 2 ff.
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einem Plädoyer und einem Zitat. Das Plädoyer richtete sich gegen zu viel Verfassungsgläubigkeit und zu wenig „Vertrauen in die gestaltenden Kräfte der politischen Entwicklung“. Das Zitat ruft eine Äußerung Nicolo Machiavellis aus dem Jahr 1499 auf. Es heißt dort: „Roms Größe bestand darin, daß es sich nicht völlig durchordnete und lieber die Fortdauer der inneren Kämpfe und Bewegungen wählte, als eine endgültig ausgewogene Verfassung.“ Dazu ergänzend Hettlage im Jahr 1955: „Möchte unseren Verfassungsgebern etwas von dieser römischen Größe beschieden sein“. Wie schon 1955 war auch auf der Staatsrechtslehrertagung im Jahr 1992 zu den „Grundsätzen der Finanzverfassung des vereinten Deutschlands“ festzustellen, unsere Finanzverfassung genieße keinen guten Ruf4. Jetzt kam aber negativ hinzu, daß auch die Finanzen in schlechter Verfassung waren. Und trotzdem, trotz der gewaltigen auch finanziellen Probleme einer Auseinandersetzung mit den Folgen von 40 Jahren DDR-Herrschaft und trotz der zu konstatierenden offenen Frage nach einer sachgerechten Einstellung der Finanzverfassung auch auf diese Probleme, stimmte auch Peter Selmer der Grundposition Hettlages zu und warnte vor der Gefahr politisch allzu kurzatmiger Reformen5. Heute, mehr als 10 Jahre später, hat sich die Ausgangssituation nicht wesentlich geändert. Die geschriebene grundgesetzliche Finanzverfassung ist seit den Reformen der Jahre 1967, 1969 im Wesentlichen unverändert geblieben. Das Bundesverfassungsgericht hat, wie oben erwähnt, im Jahr 1999 keine wegweisende Grundsatzentscheidung im finanzpolitischen Richtungsstreit getroffen, und auch das verfassungsgerichtlich geforderte6 Maßstäbegesetz vom 9. September 20017 hat der gewohnten Rechtslage wenig hinzugefügt. Während der aktuelle finanzpolitische und finanzverfassungsrechtliche Streit zwischen Bund und Ländern um eine aufgabengerechte Finanzausstattung zunehmend an Schärfe gewinnt, wie u. a. die Berliner Haushaltsklage veranschaulicht, und obwohl über die grundsätzliche Reformbedürftigkeit der föderalen Ordnung in Deutschland weitgehend Einigkeit zu bestehen scheint, fehlt es gegenwärtig offenbar noch an politischer Kraft zu einer grundlegenden Neugestaltung. Die von Bundestag und Bundesrat eingesetzte Föderalismuskommission (Bundesstaatskommission)8, die ihre Arbeit im Dezember 2004 beendet hat, ohne Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes zu beschließen, konnte aus finanzverfassungsrechtlicher Sicht ohnehin keine großen Hoffnungen wecken, nachdem sich dort bereits zuvor relativ deutlich die (mehrheitlich) fehlende Bereitschaft zu grundlegenden Struktur-
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Selmer, VVDStRL 52 (1993), S. 10 (11). A. a. O., S. 39, 59. BVerfGE 101, 158 (214 ff.). BGBl. I, S. 2301. Beschlüsse des Bundestags und des Bundesrats vom 16. und 17. 10. 2003 zur Einsetzung einer Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, BT-Dr 15/1685 und BR-Dr 750/03.
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Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als offene Frage der Finanzverfassung
änderungen und die Neigung zur Konzentration auf einzelne Problemfelder, wie die Mischfinanzierungstatbestände und die Bundesergänzungszuweisungen, abgezeichnet hatte9. Demgegenüber ist es außerhalb der Finanzverfassung im Zusammenwirken von verfassungsänderndem Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht zu bemerkenswerten Verschiebungen im Verhältnis zwischen Bund und Ländern gekommen, nämlich im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen. Nachdem die Länder dem Bund im Rahmen der Verfassungsänderungen von 1994 die sogenannte Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG abgerungen hatten, hat das Bundesverfassungsgericht10 dieser Klausel eine für viele offenbar unerwartete Vitalität verschafft und die Stellung des Bundes als Gesetzgeber wesentlich geschwächt. Diese Entwicklung, nach der der Gedanke föderaler Vielfalt und Eigenständigkeit kräftige verfassungsrechtliche Impulse erhalten hat, legt die Frage nach möglichen unmittelbaren oder mittelbaren Auswirkungen auch auf die Interpretation der Finanzverfassung nahe. Vor diesem Hintergrund gelten die folgenden Überlegungen einer der Kernfragen des geltenden Finanzverfassungsrechts, die zugleich in das Zentrum älterer und jüngerer Reformdiskussionen11 nicht nur zum Finanzverfassungsrecht, sondern allgemeiner, zur föderalen Ordnung der Bundesrepublik führt: Wieviel Einheitlichkeit, wieviel Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse können, dürfen, müssen oder wollen wir anstreben? Dies impliziert zugleich die Frage nach dem rechten Maß an Finanzautonomie der Länder in einem auch vom bündischen Prinzip, vom Prinzip des Einstehens füreinander12, strukturierten Bundesstaatsverhältnis. Beide Fragen – die nach mehr oder weniger Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse und die nach mehr oder weniger Autonomie der Länder – sind nicht identisch. Bei Autonomie geht es um die organbezogene Politikfähigkeit des Landes, bei der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse um die gleichmäßige staatliche Aufgabenerfüllung als auch bürgerbezogene materiell gleichmäßige Versorgung. Beide Fragen sind aber doch unmittelbar aufeinander bezogen wie zwei Seiten einer Medaille. Autonomie der Länder will Unterschiedlichkeit der
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9 Vgl. dazu im Einzelnen die Drucksachen und Sitzungsprotokolle der Bundesstaatskommission, im Internet über die Homepage des Bundestags oder des Bundesrats abrufbar. 10 BVerfGE 106, 62 (135 ff. sowie Leitsätze zu 2.) – Altenpflegegesetz; BVerfG, NJW 2004, 2363 (2364 f.) – Ladenschlussgesetz; NJW 2004, 2803 (2805 f.) – Juniorprofessur; NJW 2005, 493 ff. – Studiengebühren. 11 Vgl. zahlreiche Beiträge zum aktuellen Stand in ZParL 3/2004; für einen Überblick über die Veränderungen der Finanzverfassung von 1949 bis 1989 Torsten Schmidt, Finanzreformen in der Bundesrepublik Deutschland, 2001. 12 BVerfGE 72, 330 (386 f. und passim); 86, 148 (214, 260 ff.); zu den anders gerichteten – akzessorischen – (Rücksichtnahme-)Pflichten zu bundesfreundlichem Verhalten nach dem Grundsatz der Bundestreue aus der ständigen Rechtsprechung nur BVerfGE 42, 103 (107); 103, 8 (87 f.).
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Lebensverhältnisse ermöglichen13. Wer mehr Autonomie fordert, muss auch für mehr Unterschiedlichkeit eintreten. Die Antworten auf das gleichsam siamesische Zwillingspaar föderaler Grundfragen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen den Polen Unitarismus14, kooperativer Föderalismus und Wettbewerbsföderalismus. Dabei erhalten mögliche Antworten zum Zusammenspiel der Staatsorgane im Zwei-EbenenModell des Bundesstaats eine zusätzliche, die Komplexität verstärkende Dimension durch die übergreifende dritte Ebene des Rechts der Europäischen Union. Im Folgenden soll es um einen bescheidenen Teilausschnitt aus diesem Fragenkreis gehen, nämlich um das zentrale Problem der Zielvorstellung einheitlicher Lebensverhältnisse in Deutschland. Welche inhaltliche Weichenstellung bietet hierzu das geltende Finanzverfassungsrecht, und welche Aufgabe kommt dabei dem Bundesverfassungsgericht zu?
II. Ausgangsbegriffe: Einheitlichkeit, Gleichwertigkeit Einheitlichkeit, nicht Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist Gegenstand der Ausgangsfrage. Zwar haben die Verfassungsänderungen von 1994 mit der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG den terminologischen Wechsel von der Einheitlichkeit zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Zusammenhang der Verteilung der allgemeinen Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern gebracht. Im speziellen finanzverfassungsrechtlichen Kontext der Art. 104a ff. des Grundgesetzes ist es wieder einmal etwas anders. Die Finanzverfassung blieb, wie bei früheren Gelegenheiten, so auch 1994 weitgehend ausgeklammert. Hier blieb es bisher beim alten Begriff der Einheitlichkeit, und zwar gemäß Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG. Dort sind die allgemeinen Grundsätze benannt, von denen bei der Festsetzung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer auszugehen ist. Dazu heißt es: „Die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder sind so aufeinander abzustimmen, dass ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird.“
Ob trotz unterschiedlicher Terminologie jetzt auch Art. 106 GG im Lichte der allgemeinen Klausel zur Begrenzung der Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes gemäß Art. 72 Abs. 2 GG ausgelegt werden sollte, „Einheitlichkeit“ also wie „Gleichwertigkeit“ zu lesen wäre, ist eine Frage von vielleicht eher akademischem Reiz. Gute Gründe sprechen dafür, die Wahl des Begriffs der
__________ 13 Vgl. nur – im Zusammenhang mit den Gesetzgebungskompetenzen – BVerfGE 106, 62 (150) m. w. N. 14 Zur weitergehenden Option eines Einheitsstaats de constitutione ferenda neuerdings Franz, Die Zukunft der deutschen Bundesstaatlichkeit: Verfassungsrechtliche Vorgaben für einen Systemwandel, ZParl 2004, 409 ff.
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Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als offene Frage der Finanzverfassung
Gleichwertigkeit als eine ausdrückliche Abkehr von einer eher formal verstandenen Gleichheit15 zu verstehen, als einen Begriff also, nach dem es auf die materielle Bewertung tatsächlich ungleicher Gegebenheiten ankommen soll. Danach wird man den terminologischen Wechsel politisch sicher als ein bedeutsames föderales Signal bewerten können. Wieweit es sich rechtlich jedoch um eine konstitutive Änderung handelt, scheint mir nicht ganz zweifelsfrei. Das Leitbild der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse wird allerdings häufig als mitverantwortlich für die starken unitarischen, zentralistischen und vereinheitlichenden Tendenzen der Verfassungspraxis angesehen16, während der Begriff der Gleichwertigkeit sich deutlicher gegen eine derart einseitige Inanspruchnahme sperrt. Der objektive normative Gehalt des Begriffs Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zwingt aber sicher nicht auf den Weg in den Unitarismus, sondern ist durchaus offen für unterschiedlich wertende materielle Gleichheitsvorstellungen. Dies folgt schon aus der schillernden Vieldimensionalität des Merkmals der Lebensverhältnisse. Zu diesen gehört ja das gesamte soziale, wirtschaftliche und politische Umfeld, alles was die Lebenswirklichkeit des Bürgers prägt17. Dass es hierfür sinnvollerweise nicht auf schematische, sondern auf materielle Gleichheit ankommen muss, lässt sich auch zwanglos im Rahmen der Interpretation der alten Formel berücksichtigen. Immerhin, schon dieses fast kuriose Randproblem einer unangepassten „alten“ finanzverfassungsrechtlichen Terminologie indiziert zugleich die Offenheit einer allgemeineren und grundlegenden Frage: Wie wirkt sich die geänderte Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG und deren verfassungsgerichtliche Interpretation mit der grundsätzlichen Verschiebung der Gesetzgebungsbefugnisse im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung zu Lasten des Bundes und zugunsten der Länder auf die Steuergesetzgebung aus? Auf diese Frage ist abschließend zurückzukommen.
III. Rechtliche Tragweite des Ziels einheitlicher Lebensverhältnisse Zunächst gilt es jedoch, den verfassungsrechtlichen Stellenwert der Formeln von der Wahrung der Einheitlichkeit oder der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse etwas näher zu bestimmen. Die umstrittene verfassungsrechtliche Frage lautet: Geht es hier nur um eine spezielle Umsatzsteuerverteilungsregel oder um ein allgemeines finanzverfassungsrechtliches Gebot, um einen Grundsatz, oder um ein Prinzip, einen Verfassungsauftrag oder ein allgemeines Staatsziel mit Wirkungen auch für die Interpretation anderer Normen, insbesondere der Normen zum Finanzausgleich? Praktisch alle denk-
__________ 15 Vgl. m. w. N. auch zur Entstehungsgeschichte BVerfGE 106, 62 (143 f.). 16 Dazu m. w. N. etwa Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 4. Aufl. 2000, Art. 72 Rz. 91. 17 Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Fn. 16), Art. 72 Rz. 92.
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baren Spielarten möglicher Interpretation sind in der Literatur18 vertreten worden. Die Diskussion kreist dabei selbstverständlich nicht nur um die spezielle Regelung des Art. 106 GG, sondern bezieht wesentliche weitere Normen und Grundsätze des Verfassungsrechts mit ein. So insbesondere das allgemeine Prinzip des Bundesstaats und das Sozialstaatsprinzip gem. Art. 20, 28 GG, aber auch das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht des Art. 109 GG. Was auf den ersten Blick als sehr grundsätzliche Gegensätze erscheint, erweist sich allerdings bei genauerem Hinsehen im praktischen Ergebnis als etwas weniger brisant. Jedenfalls, darüber herrscht weitestgehende Einigkeit, beschränkt sich eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Herstellung einheitlicher oder gleichwertiger Lebensverhältnisse auf die Sicherung eines ökonomischen Mindestniveaus19. Was trotzdem sehr umstritten bleibt, ist die Frage nach dem sachgerechten Maß an Einheitlichkeit und danach, ob und gegebenenfalls mit welchem Gewicht Einheitlichkeit neben anderen finanzverfassungrechtlichen Direktiven zu beachten ist. Wer Verfassungsrechtsdogmatik auch als die Suche nach sachgerechten Lösungen innerhalb des Rahmens verfassungsgesetzlicher Vorgaben versteht, sollte bereits auf der Ebene der Auslegung, Konkretisierung und Fortbildung des geltenden Rechts in den Blick nehmen, was grundsätzlich als sachgerechte Lösung der anstehenden Regelungsprobleme in Betracht zu ziehen ist. Als eine seit langem klar formulierte Position zur Notwendigkeit eines Wandels vom kooperativen zum Wettbewerbsföderalismus gerade auch im Bereich der Finanzverfassung sollen deshalb hier einige Thesen des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu Wort kommen. 1. Das Leitbild des Wettbewerbsföderalismus – Konzept und Fragezeichen Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung fordert seit langem, es sei „mit dem Föderalismus ernst zu machen. Dies bedeutet, dass mehr Wettbewerb zwischen den Bundesländern zuzulassen ist“20. Zu den Grundsätzen, die danach für eine Reform der Finanzverfassung zu gelten hätten, gehören – neben der Beseitigung der Mischfinanzierungen – unter anderem eine Einstellung der Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104a Abs. 4 GG, eine Neuregelung der konkurrierenden Gesetzgebung, eine Gewährung von Steuerautonomie für die Bundesländer, eine Reduzierung des Bereichs zustimmungspflichtiger Gesetze und eine
__________
18 Für viele Selmer, VVDStRL 52 (1993), 10 (19 ff.); F. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), 71 (83 ff.); Vogel/Waldhoff, in: Dolzer/Vogel/Graßhof (Hrsg.), BK, Vorbem. z. Art. 104a – 115, Rz. 81 ff.; Hidien, ebd., Art. 106 Rz. 316 f., 945 ff. 19 F. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), S. 71 (84). 20 Sachverständigenrat, Jahresgutachten 2002/03, Ziffer 398; dort auch zum folgenden; vgl. auch Jahresgutachten 2003/04, Ziffern 510 ff.; Jahresgutachten 2004/05 Ziffern 787 ff.
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grundlegende Reform des Finanzausgleichssystems. Dies, so der Sachverständigenrat, sei eine gewaltige Aufgabe. So ist es. Auch die diesen Forderungen zugrundeliegenden Diagnosen sind klar formuliert: Ein föderales System funktioniere umso besser, je enger die Konnexität von öffentlichen Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen sei. Die Feststellung, dass wir hiervon weit entfernt seien, trifft zweifellos zu. Nach geltendem Recht kann der Bund im Rahmen seiner allgemeinen Gesetzgebungskompetenzen über Aufgaben entscheiden, deren Kosten von den Ländern oder Kommunen zu tragen sind. Steuerautonomie fehlt den Ländern vor dem Hintergrund umfassender Ausübung der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Aber, so der Sachverständigenrat, durch das Finanzausgleichssystem fehle es den Ländern auch weitgehend an Anreizen zur Erschließung und Ausschöpfung eigener Steuerquellen wie auch an Anreizen zur Vermeidung finanzieller Schieflagen. Schließlich würden auch durch eine enge Interpretation der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ wettbewerbliche Lösungsansätze konterkariert. Deutschland stecke auch wegen seiner föderalen Institutionen und Entscheidungsstrukturen in einer „Politikverflechtungsfalle“. Was auf den ersten Blick so überaus einleuchtend klingt, und was ja gegenwärtig auch breite Zustimmung nicht nur unter Ökonomen, sondern auch unter Verfassungsjuristen und Politikern findet, muss mit verschiedenen Fragezeichen versehen werden. Grundsätzliche Diagnose und Kritik am Phänomen föderaler Politikverflechtung in Deutschland sind seit den 70iger Jahren bekannt21. Was ist inzwischen Neues hinzugekommen, das die Aktualität dieser Kritik erklären könnte? Hervorstechend sind gegenwärtig insoweit – abgesehen von den rauher gewordenen Sitten im Bundesrat – die Wachstumsschwächen der Wirtschaft und der hohe Stand an Arbeitslosigkeit, der nicht zuletzt auch durch die inzwischen geradezu dramatische Entwicklung in den östlichen Bundesländern22 begründet ist. Sind diese Phänomene aber in besonderem Maß der föderalen Ordnung und insbesondere der Finanzverfassung zuzurechnen? Ich zweifele daran. Wie steht es mit dem zentralen ökonomischen Argument fehlender Anreizstrukturen für die Länder unter anderem infolge des übermäßig nivellierenden Finanzausgleichssystems? Dies scheint ein zunächst fast schlagendes Argument, wenn man sich die maßgeblichen Größenordnungen vor Augen hält: Bislang führte der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern zu einer Garantie der Finanzausstattung jedes Landes bis zur Höhe von 99,5 %
__________ 21 Insb. Scharpf/Reissert/Schnabel, Politikverflechtung: Theorie und Empirie des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, 1967. 22 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2004/2005, Rz. 613 ff.
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der durchschnittlichen Finanzkraft aller Länder23. Auch auf der Basis des inzwischen novellierten einfachen Rechts werden sich diese Proportionen nicht grundlegend ändern. Sollte dies bereits den Todesstoß für das geltende Finanzausgleichsrecht der Verfassung rechtfertigen? Ich meine, nein. Zum einen ist zunächst zu beachten, dass sich der hohe Prozentsatz der Anhebung der Finanzausstattung jedes Landes auf den Durchschnitt der Finanzkraft aller Länder bezieht. Es findet also nicht etwa eine allgemeine Nivellierung bis auf einen Unterschied von 0,5 % statt. Vor allem aber: Welche Rolle spielt die fehlende Anreizwirkung potentieller Defizite der Finanzausstattung nicht nur im ökonomischen Modell, sondern auch in der Wirklichkeit? Hier darf die äußerst dynamische und erfolgreiche Industrieansiedlungspolitik Bayerns angeführt werden, die – im Gegensatz zur relativen Kontinuität der Finanzkraft anderer Bundesländer – einen spektakulären Rollenwechsel vom Nehmer- zum Geberland herbeigeführt hat – trotz gegebener Finanzverfassung. Aber auch ein nicht nur geographisch konträres Beispiel stagnierender Entwicklung sei genannt: Wer wollte behaupten, dass die ökonomisch qualifizierte frühere Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins nicht alles versucht hätte, um die Stellung ihres Landes wirtschaftlich zu verbessern? Aber über Husum liegt der graue Nebel seit jeher nun einmal etwas schwerer als über dem Starnberger See, und wer nicht an der Schleswig-Holsteinischen Westküste geboren ist, den wird es selten dort hinziehen. – Es liegt mir fern, die Effizienz funktionierender Anreizsysteme zu bezweifeln. Zweifel sind jedoch dazu angebracht, ob die Vorstellungen der Ökonomen von wirksamen Anreizsystemen für die Landespolitiken hinreichend empirisch abgesichert sind. Ein letztes Fragezeichen: Wie steht es mit dem Verhältnis marktwirtschaftlicher, modellorientierter Annahmen zu den erkenntnis- und effizienzfördernden Wirkungen des Wettbewerbs zwischen autonomen Marktteilnehmern zur Realität der aktuellen Situation in den Bundesländern, insbesondere zur Realität der extrem ungleichen Ausgangsbedingungen der östlichen Länder? Wir beobachten dort eine äußerst besorgniserregende Abwanderungsbewegung wirtschaftlich leistungsfähiger jüngerer Bürger24. Deren Zurechnung zu „schlechter“ Landespolitik wäre geradezu zynisch. Von annähernd fairen Ausgangsbedingungen für autonome Teilnahme am föderalen Wettbewerb kann jedenfalls gegenwärtig keine Rede sein. Und es sind ja nicht zuletzt die besonderen Folgelasten des langzeitig real existierenden Sozialismus, die den politischen Forderungen nach mehr Steuer- und Finanzautonomie der Länder und nach weniger Einheitlichkeit oder Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse besondere Aktualität verliehen haben. In einer solchen Situation gilt es, sich an einen Satz aus dem ersten Band der Ent-
__________ 23 Näher dazu BVerfGE 101, 158 (161 ff., 186 ff.). 24 Sachverständigenrat (Fn. 22), Rz. 650 ff.
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scheidungen des Bundesverfassungsgerichts25 zu erinnern: „Das bundesstaatliche Prinzip begründet seinem Wesen nach nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten.“ – Das gilt nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder. 2. Konsequenzen für das geltende Verfassungsrecht Die verschiedenen soeben skizzierten Fragezeichen zum Konzept des Wettbewerbsföderalismus sind weder eine Widerlegung dieses Konzepts, noch ein Plädoyer für die Praxis des kooperativen oder des unitarischen Föderalismus. Bezogen auf die Frage nach sachgerechten Lösungen im Rahmen der Vorgaben des geltenden Verfassungsrechts führen sie jedoch zu rechtsdogmatisch entscheidenden Konsequenzen: Das Konzept des Wettbewerbsföderalismus mit seiner klaren Priorität für das Ziel der Finanzautonomie der Länder im Gegensatz zum Ziel einheitlicher oder gleichwertiger Lebensverhältnisse ist nicht das evident einzig sachgerechte Konzept. Solange der Verfassungstext selbst keine klare derartige Richtungsentscheidung erkennen lässt, kann es deshalb auch nicht die Aufgabe gerichtlicher Verfassungskonkretisierung sein, eine solche grundsätzliche Richtungsentscheidung herbeizuführen. Dem entspricht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Länderfinanzausgleich aus dem Jahr 199926, in der der politische Leitbegriff des Wettbewerbsföderalismus denn auch nicht auftaucht. Die viel gescholtene27, in dieser Entscheidung kreierte Figur des Maßstäbegesetzes ist zumindest insoweit klar und konsequent, als damit angesichts einer offenen Finanzverfassung die Aufgabe der Verfassungskonkretisierung in die eine oder in die andere Richtung dem einfachen Gesetzgeber anvertraut ist. Dass es auch nach dem nun existenten Maßstäbegesetz an einem klaren gesetzgeberischen Konzept fehlt, mag bedauerlich sein, kann den Realisten aber auch nicht sonderlich überrascht haben.
IV. Auswirkungen der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG auf die Finanzverfassung Ein abschließender Blick soll der Frage gelten, welche Konsequenzen die grundsätzliche Stärkung der Länder auf dem Feld der konkurrierenden Gesetzgebung speziell für das Finanzverfassungsrecht hat. Dies führt zugleich zu der allgemeineren Frage, wieweit ein deutlicher Richtungswechsel weg von der bisher die Verfassungspraxis dominierenden Zielsetzung einheitlicher Lebensverhältnisse hin zu mehr Finanzautonomie der Länder bereits
__________ 25 BVerfGE 1, 117 (131). 26 BVerfGE 101, 158 ff. 27 Wieland, Deutschlands Finanzverfassung vor neuen Herausforderungen, in: FS Selmer, 2004, S. 973 (978) m. w. N.
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nach geltendem Verfassungsrecht sinnvoll verfolgt werden kann, oder ob ein solcher Richtungswechsel eine grundlegende Reform des Finanzverfassungsrecht notwendig macht. Das Ergebnis wird sein: Auch hier steckt der Teufel jedenfalls im Detail. Die Steuerautonomie der Länder ist durch die Neufassung des Art. 72 Abs 2 GG und durch deren bisherige verfassungsgerichtliche Interpretation28 beträchtlich verstärkt worden. Nach Art. 105 Abs. 2 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 GG vorliegen. Dies ist der Verweis auf die neue Erforderlichkeitsklausel: Danach hat der Bund das Gesetzgebungsrecht – nur – wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Diese von der Verfassung gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG nachdrücklich als justitiabel ausgestattete Erforderlichkeitsklausel hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts bereits in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2002 zum Altenpflegegesetz29 – für manche wohl überraschend – sehr ernst genommen und vergleichsweise streng ausgelegt. Jedenfalls hat der Bund jetzt deutlich höhere Hürden im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung zu überwinden, als dies zuvor der Fall war. Entscheidende Konsequenzen hat dies für die Steuern, deren Ertrag allein den Ländern zusteht, also vor allem für Vermögen-, Erbschaft-, Kraftfahrzeug- und gewisse Verkehrsteuern. Für alle diese Steuern ist zukünftig zu prüfen, ob deren bundesgesetzliche Regelung im gesamtstaatlichen Interesse wirklich erforderlich ist. Das gilt jedenfalls für künftige Neuregelungen, die sich nicht auf die Änderung einzelner Vorschriften beschränken, sondern eine „grundlegende Neukonzeption“ präsentieren30. Geradezu spannend wird die Rechtslage zudem nach der jüngsten Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 125a Abs. 2 GG31, der die Fortgeltung „alten“, auf Grund des Art. 72 Abs. 2 GG a. F. erlassenen Bundesrechts regelt. Die dort ausdrücklich vorgesehene Möglichkeit des Bundes zu bestimmen, dass danach fortgeltendes Bundesrecht durch Landesrecht ersetzt werden kann, eröffnet dem Bund nach dieser Entscheidung kein unbeschränktes Freigabeermessen. Das Ermessen des Bundes wird unter Berücksichtigung des Grundsatzes bundes- und länderfreundlichen Verhaltens eingeschränkt: Unter bestimmten Voraussetzungen, so die Entscheidung zum Ladenschlussgesetz, kann eine Pflicht des Bundes entstehen, die Länder zur Neuregelung zu ermächtigen, dann nämlich, wenn die Neu-
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Oben Fn. 10. BVerfGE 106, 62. BVerfG, NJW 2004, 2363 (2364). A. a. O. (Fn. 30).
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Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als offene Frage der Finanzverfassung
konzeption einer Materie sachlich geboten oder politisch gewollt ist, die Voraussetzungen für eine Regelung des Bundes nach Art. 72 Abs. 2 GG n. F. aber nicht vorliegen. Was folgt daraus für die Finanzverfassung? Das ist zur Zeit schwer abzuschätzen, sobald man nach den Auswirkungen einer Freigabe der erwähnten Steuerarten auf den Finanzausgleich blickt und dabei nun wiederum die Rechtsprechung des Zweiten Senats berücksichtigt. Dort32 heißt es: „Einnahmen aus Quellen, über deren Nutzung Länder und Kommunen eigenverantwortlich entscheiden, können dem Grunde nach von der Finanzkraft nicht ausgenommen werden. Der Finanzkraftbegriff ist dafür offen, solche Einnahmen nach einem Soll-Aufkommen zu bemessen.“ Das bedeutet gegebenenfalls: faktischer Zwang zur Erhebung einer freigegebenen Steuer mindestens in Höhe des sogenannten Sollaufkommens. Nach allem ist hier auf den ersten Blick die Steuerautonomie der Länder deutlich verstärkt worden, auf den zweiten Blick – auch auf den Finanzausgleich – aber gerade nicht ohne weiteres. Wir haben es mit potentiell dysfunktionalen finanzverfassungsrechtlichen Folgen der Novellierung des Art. 72 Abs. 2 GG zu tun, die bislang anscheinend nicht bedacht worden sind und noch der Bereinigung harren. Dies mag als Beispiel dafür gelten, dass grundsätzliche Richtungsänderungen im Spannungsfeld zwischen den Zielen gleichwertiger Lebensverhältnisse einerseits und eines funktionierenden Wettbewerbs zwischen finanzautonomen Ländern im Bundesstaat andererseits trotz aller Offenheit der Finanzverfassung jedenfalls nicht durch Aushandeln punktueller Machtverschiebungen, sondern wohl doch nur im Rahmen wohldurchdachter Gesamtkonzepte einer Revision der Finanzverfassung insgesamt erreichbar sind.
__________ 32 BVerfGE 86, 148 LS 2; bestätigt durch BVerfGE 101, 158 (229, 230).
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Sebastian Müller-Franken
Verfassungsrecht und Einkommensteuerrecht Dargestellt am Beispiel der Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte
Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte 1. Einkommensteuerrecht in verfassungsrechtlicher Bindung. Ausgangspunkt 2. Einkommenstheorien a) Markteinkommenstheorie b) Reinvermögenszugangstheorie 3. Rechtfertigung der Besteuerung a) Notwendigkeit. Differenzierung zwischen einer staatsrechtlichen und einer staatsphilosophischen Ebene b) Staatsrechtliche Ebene aa) Eigentum: nicht Grund, sondern Grenze der Besteuerung bb) Gleichheit der Lastenzuteilung. Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit c) Staatsphilosophische Ebene 4. Weitere verfassungsrechtliche Vorgaben
a) Schutz der Privatsphäre b) Tatsächliche Belastungsgleichheit („Gleichheit im Belastungserfolg“) c) Rechtsstaatliches Gebot der Rationalität staatlichen Handelns 5. Differenzierung zwischen verschiedenen Vermögensgegenständen a) Für Erwerbszwecke eingesetztes Privatvermögen („Erwerbsvermögen“) b) Nicht für Erwerbszwecke eingesetztes Privatvermögen III. Rechtspflicht zur Einführung einer solchen Besteuerung? 1. Differenziertheit der normativen Gehalte der Verfassung 2. Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes 3. Rechtfertigende Gründe für eine Verschonung IV. Ergebnisse
I. Problemstellung Als im Herbst 2002 zu Beginn der 15. Legislaturperiode Einzelheiten aus dem Entwurf der Bundesregierung eines „Steuervergünstigungsabbaugesetzes“1 bekannt wurden, stießen diese auf ungewohnt heftige Kritik in der Öffentlichkeit. Unter der Vielzahl der vorgesehenen Steuerrechtsänderungen sorgten dabei u. a. Pläne für eine Neuordnung der Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte im Einkommensteuerrecht für Aufsehen. Abweichend vom geltenden Recht, das die Gewinne aus der Veräußerung betrieb-
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Entwurf eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz – StVergAbG), BR-Drs. 866/02 v. 28. 11. 2002.
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licher Wirtschaftsgüter voll besteuert und die Besteuerung von Gewinnen2 aus privaten Veräußerungsgeschäften demgegenüber von einem gewissen zeitlichen Zusammenhang zwischen Anschaffung und Veräußerung des Gegenstandes abhängig macht, sollten private Veräußerungsgeschäfte, mit Ausnahme der Veräußerung von Gegenständen des täglichen Gebrauchs, zukünftig generell steuerbar sein. Aufgrund des Widerstands der Opposition im Deutschen Bundestag sind diese Pläne im Gesetzgebungsverfahren nicht weiter verfolgt worden. Da eine Steuerstrukturreform weiter auf der Tagesordnung steht, hat sich das Thema damit indes nicht erledigt. Fragt man, ob eine solche Änderung des Einkommensteuerrechts „richtig“ wäre, so bedarf die Antwort hierauf eines Maßstabs.3 Der Kern des Problems besteht darin, welche Vermögensmehrungen als steuerbares Einkommen,4 d. h. was als das „Steuergut“5 der Einkommensteuer anzusehen ist, eine Frage, die im Zentrum der wissenschaftlichen Arbeit von Christoph Trzaskalik gestanden hat.6 In seinem Ursprung ist Einkommen eine ökonomische Kategorie7, und es waren deshalb zuerst die Finanzwissenschaften, die diesen Begriff inhaltlich zu konkretisieren suchten. Knüpft die Besteuerung an ökonomische Sachverhalte an und muß das Recht, wenn es wirken will, die Sachgesetzlichkeiten seines Gegenstandes aufnehmen,8 ist es naheliegend, zur Bestimmung des Begriffs des Einkommens im Steuerrecht an finanzwissenschaftliche Erkenntnisse anzuknüpfen. Die Steuergewalt des vom Grundgesetz verfaßten Staates ist indes – wie jede von ihm ausgeübte Staatsgewalt – durch die Verfassung begründete und begrenzte politische Herrschaft.9 Der Gesetzgeber
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Der Begriff „Gewinn“ wird hier nicht im Sinne der Einkunftsartenterminologie des § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG, sondern in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch des Gesetzes in § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG verwandt. Er umschreibt den positiven Saldo zwischen Veräußerungseinnahmen und Veräußerungskosten. Die Notwendigkeit, für gesetzgeberisches Handeln einen leitenden Maßstab zu bestimmen, wird häufig übersehen; richtig jedoch etwa das Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Schriftenreihe des BMF, Heft 17, Allg. Teil I, Rz. 36. Trzaskalik in FS Tipke, 1995, S. 321, 328. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl., 2002, § 7, Rz. 23, § 9, Rz. 40. Erwähnt seien insbesondere: Gewinnrealisierung bei unentgeltlichen Übertragungen (Erbfall, Schenkungen) von Betrieben, Teilbetrieben und Mitunternehmeranteilen auf andere Steuerrechtssubjekte – § 7 EStDV im System des Einkommensteuerrechts in DStJG 4 (1981), S. 145 ff.; in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 21, passim; Studien zu Drittaufwandsfragen, in FS Schmidt, 1993, S. 51 ff.; Vom Einkommen bis zu den Einkunftsarten. Marginalien zum steuertheoretischen Grundansatz von Klaus Tipke, in FS Tipke, 1995, S. 321 ff. Lang in Tipke/Lang, § 9, Rz. 49 (Fn. 5). Hoffmann-Riem, Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts als Aufgabe, AöR 115 (1990), 400, 401 f.; Jachmann in FS Offerhaus, 1999, S. 1071, 1073 f.; Vogel, Die Besonderheiten des Steuerrechts, DStZ/A 1977, 5, 8. Badura, Staatsrecht, 3. Aufl., 2003, A 1; Friauf in DStJG 12 (1989), S. 3, 5; H.-P. Schneider in Hansmeyer (Hrsg.), Staatsfinanzierung im Wandel, 1983, S. 111, 113.
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kann sich daher nicht allein aus ökonomischen Erwägungen für eine der in den Finanzwissenschaften diskutierten Einkommenstheorien entscheiden, sondern hat sich stets auch zu fragen, ob seine ökonomischen Überlegungen in Einklang zu bringen sind mit den Vorgaben, die die Verfassung seinem Handeln in dem betreffenden Bereich setzt.10 Für den vorliegenden Zusammenhang stellen sich dazu zwei Fragen, die deutlich voneinander zu unterscheiden sind: −
zum einen, ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, den Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften der Einkommensteuer zu unterwerfen (II);
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zum anderen, sollte die erste Frage zu bejahen sein, ob es möglicherweise darüber hinaus sogar verfassungsrechtlich geboten ist, das Einkommensteuerrecht in diesem Sinne zu ändern (III).
II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte 1. Einkommensteuerrecht in verfassungsrechtlicher Bindung. Ausgangspunkt Anders als die WRV (Art. 134) enthält das GG keine Norm, die speziell der Steuergesetzgebung einen inhaltlichen11 Maßstab setzt.12 Dieser Regelungsverzicht bedeutet jedoch nicht, daß der Steuergesetzgeber keinen materiellen Bindungen unterläge. Er ist vielmehr nur die Folge davon, daß die Verfassung einen Grundrechtsschutz vorsieht, der alle staatliche Gewalt bindet (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG), ohne nach der Art und Weise des Eingriffs zu unterscheiden.13 Die Charakterisierung des Steuerrechts als „offene Flanke“ der Verfassung gegenüber dem Staat14 in den Anfängen bundesrepublikanischer Staatlichkeit war in rechtlicher Hinsicht daher richtigerweise nie zu-
__________ 10 Söhn, Verfassungsrechtliche Aspekte der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit im Einkommensteuerrecht: Zum persönlichen Existenzminimum, FinArch. N. F. 46 (1988), 154, 159. 11 Kompetentielle und verfahrensrechtliche Vorgaben enthält die Finanzverfassung in den Art. 105 und 106 GG. 12 Das Gebot des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG, eine Überlastung des Steuerpflichtigen zu vermeiden, gehört zu den Maßstäben der Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern. Einen materiellen Maßstab für die Besteuerung selbst enthält diese Norm nicht, Kirchhof, Der verfassungsrechtliche Auftrag zur Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, StuW 1985, 319, 322; weitergehend Badura in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 1992, § 159, Rz. 17 (verfassungsrechtliche Anerkennung eines wünschbaren Staatsziels). 13 Badura, Staatsrecht, A 7 (Fn. 9); Kirchhof, Der Grundrechtsschutz des Steuerpflichtigen. Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahrzehnt, AöR 128 (2003), 1, 4. 14 Ballerstedt in Bettermann/Nipperdey/Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. III/1, 1958, S. 1, 39.
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treffend.15 Vielmehr kann auch das Steuerrecht nur in „unbedingter struktureller Homogenität mit der gesamten Verfassungsordnung gedacht werden“.16 Berücksichtigt man, daß die Besteuerung der Bereich ist, in dem öffentliche Gewalt für den einzelnen vor allem spürbar wird, hat sich der Verfassungsstaat als die Verkörperung der Idee des rechtlich gebundenen Staates17 gerade hier zu bewähren.18 Allerdings läßt sich ein komplettes Steuersystem aus der Verfassung nicht ableiten. Die Aufgabe einer Verfassung, „die rechtliche Grundordnung für ein Staatswesen festzulegen, die für lange Dauer die künftige politische Entwicklung in einen festen Rahmen einfügen soll“,19 bedingen ihre „Offenheit“20 und „Weite“.21 Die Verfassung normiert daher nur bestimmte Grundbedingungen einer gerechten und freien Staatsordnung und legt jenseits dessen die Verantwortung für Gerechtigkeit und Freiheit in die Hand von Regierung und parlamentarischer Vertretung.22 Es ist daher auch für das Steuerrecht gegenüber allzu stringenten verfassungsrechtlichen Ableitungen immer wieder an die Selbständigkeit des Gesetzesrechts und die Verantwortung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers für dieses zu erinnern:23 Steuergesetzgebung ist – nicht anders als jede andere Gesetzgebung auch – nicht „Vollzug“ von Verfassungsrecht,24 sondern konstitutive Begründung steuerlicher Pflichten in eigener Kompetenz.
__________ 15 Vgl. jedoch zur tatsächlichen Sonderrolle des Steuerrechts und den dafür maßgebenden Gründen Kirchhof, AöR 128 (2003), 1, 4 f. (Fn. 13). 16 Friauf, Gleichmäßigkeit der Besteuerung bei den Versorgungsbezügen der Unselbständigen, DStZ/A 1974, 51; ders., Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStZ/A 1975, 359, 360, im Anschluß an ders. in VVDStRL 27 (1969), S. 1, 6; vgl. auch Söhn, FinArch. N. F. 46 (1988), S. 154, 161 (Fn. 10). 17 Isensee in ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, 3. Aufl., 2004, § 15, Rz. 171; Wahl, Elemente der Verfassungsstaatlichkeit, JuS 2001, 1041. 18 Friauf, DStZ/A 1975, 359, 360 f. (Fn. 16); Kirchhof, AöR 128 (2003), 1, 5 f. (Fn. 13). 19 Scheuner, Artikel Verfassung, Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl., Bd. VIII, 1963, Sp. 117, 118. 20 Zu den unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs „Offenheit“ in diesem Zusammenhang Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., 1984, S. 83, Fn. 110. 21 Böckenförde, Die Eigenart des Staatsrechts und der Staatsrechtswissenschaft, S. 11, 16; Brenner, Die neuartige Technizität des Verfassungsrechts und die Aufgabe der Verfassungsrechtsprechung, AöR 120 (1995), 248, 252 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., 1995, Rz. 23; Isensee, Verfassungsgarantie ethischer Grundwerte und gesellschaftlicher Konsens, NJW 1977, 548, 549. 22 Badura, Staatsrecht, A 15 (Fn. 9). 23 Vgl. dazu allg. Isensee in ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 1992, § 162, Rz. 46; Schmidt-Aßmann in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. II, 3. Aufl., 2004, § 26, Rz. 29; Wahl, Der Vorrang der Verfassung und die Selbständigkeit des Gesetzesrechts, NVwZ 1984, 401, 406 ff. 24 Badura in HStR, Bd. VII, § 159, Rz. 12 (Fn. 12); Schick, Artikel Gesetz, Gesetzgebung, in Herzog/Kunst/Schlaich/Schneemelcher (Hrsg.), EvStL, 3. Aufl., 1987, Sp. 845 f.; Stern, Staatsrecht, S. 84 f. (Fn. 20).
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Bei der Herausarbeitung des verfassungsrechtlichen Rahmens für den Einkommensteuergesetzgeber ist daher darauf zu achten, beiden in der Verfassung miteinander verbundenen polaren Elementen Rechnung zu tragen: der Offenheit und Weite der Normierung, die dem politischen Entscheidungsprozeß systematisch einen Bewegungsraum zuordnen will, auf der einen Seite und den verbindlichen Festlegungen, die die Mehrheitsherrschaft durch materielle Begrenzungen zügeln sollen, auf der anderen Seite.25 2. Einkommenstheorien a) Markteinkommenstheorie Gegen eine Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte wendet insbesondere Kirchhof als Vertreter der sog. Markteinkommenstheorie ein, daß diese sich nicht auf den Grund stützen lasse, der die Einkommensbesteuerung legitimiere. Sie sei daher verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.26 Die Einkommensteuer belaste, so seine These, individuell hinzuerworbenes Eigentum. Eine Einnahme dürfte daher nur dann besteuert werden, wenn sich dies mit der Sozialbindung des Eigentums begründen lasse (Art. 14 Abs. 2 GG). Da der Berufsfreiheit und Eigentum gewährleistende Staat strukturell gehindert sei, sich wirtschaftlich zu betätigen, sei er darauf angewiesen, am Erfolg privaten Wirtschaftens teilzuhaben. Die Steuer sei damit einer privatnützigen Eigentumsordnung zwar nicht prinzipiell fremd, sondern deren notwendiger Inhalt. Einnahmen würden aber nicht durch bloße individuelle Anstrengung, sondern erst durch ihren Markterfolg, durch gegenseitiges Tauschen erzielt. Sie seien gleichermaßen von der Leistung des einzelnen und dem von der staatlichen Gemeinschaft organisierten und geförderten Markt abhängig. Allein diese tatsächliche Grundlage der Sozialbindung einer Einnahme rechtfertige aber deren Steuerbarkeit und verweise damit zugleich auf eine marktabhängige Erwerbsgrundlage als Tatbestandsvoraussetzung für die Einkommensteuer. Einnahmen aus privaten Veräußerungsgeschäften benötigten zwar den Markt, da der einzelne sich für ein solches Geschäft an die Allgemeinheit wenden und deren Nachfragekraft zum persönlichen Erwerb nutzen müsse. Ihnen fehle jedoch die „in einer Er-
__________ 25 Badura in FS Scheuner, 1973, S. 19, 33; Isensee in HStR, Bd. VII, § 162, Rz. 47 (Fn. 23); Stern, Staatsrecht, S. 82 ff. (Fn. 20). 26 Kirchhof, Gutachten zum 57. Deutschen Juristentag, Bd. II, Sitzungsberichte, 1988, S. F 16, 18, 20; ders., Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Steuern, in Steuern im Verfassungsstaat, 1996, S. 27, 32 f., 36 ff.; Sympathie: Crezelius in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23, Rz. A 23; Jakob, Einkommensteuerrecht, 3. Aufl., 2003, Rz. 15; Wendt, Empfiehlt es sich, das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen?, DÖV 1988, 710, 717.
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werbsgrundlage dauernd verfestigte Verbundenheit mit dem Markt“, die allein deren Besteuerung rechtfertigen könne.27 b) Reinvermögenszugangstheorie Es ist nicht zu bestreiten, daß der einzelne in der weit überwiegenden Mehrzahl der einkommensteuerbaren Tatbestände den Markt nutzen muß, wenn er Einkünfte erzielen will: Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbetrieb, aus selbständiger wie auch aus nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung kann der einzelne nur erzielen, wenn es einen Markt gibt, auf dem er jemandem begegnen kann, der bereit ist, ihm seine Leistung gegen ein Entgelt abzunehmen. Sieht man zudem in der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten beruflichen Tätigkeit eine den übrigen Einkommensquellen wie Grund und Boden, Gewerbebetrieb oder Kapitalvermögen vergleichbare Erwerbsgrundlage,28 wird man sich auch der These anschließen können, daß das Erzielen von Einkommen in der Regel eine Erwerbsgrundlage voraussetzt, die dauerhaft mit dem Markt verbunden ist. Daß das geltende Recht ganz überwiegend der Markteinkommenstheorie entspricht, ist also sicher richtig. Die entscheidende Frage aber lautet, ob es damit auch verfassungsrechtlich unzulässig ist, Vermögenszugänge zu besteuern, die nicht durch eine dauerhaft dem Markt zugewandte Erwerbsgrundlage erworben worden sind. Dazu fällt auf, daß schon das geltende Einkommensteuerrecht Einkunftstatbestände kennt, deren Besteuerung sich nicht auf den Belastungsgrund der Markteinkommenstheorie zurückführen läßt. So haben etwa Unterhaltsbezüge (§ 22 Nr. 1a EStG) nichts mit einem Erwerben am Markt zu tun, wie auch eine Besteuerung wiederkehrender Bezüge (§ 22 Nr. 1 EStG) nicht voraussetzt, daß diese am Markt erwirtschaftet worden sind.29 Das geltende Recht folgt damit an einigen Stellen der von v. Schanz wissenschaftlich ent-
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27 Vgl. insbesondere Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2, Rz. A 365 ff.; zuletzt ders., AöR 128 (2003), 1, 7 (Fn. 13). 28 Kirchhof, Gutachten zum 57. Deutschen Juristentag, Bd. II, Sitzungsberichte, 1988, S. F 16, 18, 20; ders., EStGBE, § 2, Rz. 5 („Arbeitskraft“; anders ders. aber § 2, Rz. 17: „Arbeitsplatz“); Gegenposition: Söhn in FS Tipke, 1995, S. 343, 350; Wittmann, Das Markteinkommen, 1992, S. 115. 29 Söhn in FS Friauf, 1996, S. 807, 820; ders. in FS Tipke, 1995, S. 343, 346. Dies wird durch das einschränkende Urteil des BFH v. 31. 3. 2004 – X R 18/03, DStR 2004, 1121, zu § 22 Nr. 1 Satz 1 und 2, Nr. 1a EStG nicht infrage gestellt. Auch der von einer Arbeitsgruppe um Kirchhof erarbeitete Karlsruher Entwurf eines Steuergesetzbuches sieht die Besteuerung solcher Wertzugänge vor, § 14 Nr. 2, Halbsatz 2, obwohl sich der Entwurf ausweislich seiner Begründung den Prinzipien der Markteinkommenstheorie verpflichtet sieht, vgl. S. 18 f. Anders jetzt aber § 2 Abs. 3 des von Kirchhof vorgelegten Entwurfs eines Einkommensteuergesetzbuchs, 2003, vgl. dazu die Begründung, § 2, Rz. 25.
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wickelten sog. Reinvermögenszugangstheorie, die als Einkommen den gesamten Wertzugang in einer Zeiteinheit der Besteuerung unterwirft.30 Für Vertreter dieser Lehre ist die Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte daher eine Selbstverständlichkeit. 3. Rechtfertigung der Besteuerung a) Notwendigkeit. Differenzierung zwischen einer staatsrechtlichen und einer staatsphilosophischen Ebene Ausgangspunkt der Überlegungen zu der Frage, welches der Konzepte nun „richtig“ ist, hat die Feststellung zu sein, daß Besteuerung als staatlicher Eingriff in die Freiheit des einzelnen der Rechtfertigung bedarf: Es ist aufzuweisen, daß Besteuerung als etwas auf den ersten Blick ungerechtes als gerecht anerkannt werden kann.31 Die Frage nach der Legitimation der Besteuerung ist allerdings keine, die nur eindimensional aus der Perspektive des Rechts beantwortet werden kann. Bei der Sichtung der Argumente sind vielmehr zwei Ebenen auseinanderzuhalten: eine staatsrechtliche und eine staatsphilosophische.32 Auf der staatsrechtlichen Ebene geht es darum, ob die staatliche Maßnahme mit dem Recht, das dem Staat vorgegeben ist, vereinbar ist; dies ist eine Frage des Verfassungsrechts. Auf der staatsphilosophischen Ebene geht es darum, ob sich die staatliche Maßnahme auf Gründe stützen kann, die sie gegenüber den Bürgern als legitim erweist; Maßstab dafür ist nicht das Recht, sondern das als legitim anerkannte Staatsverständnis. Dessen Bestimmungsgründe liegen in der Ethik.33 Die ethischen Rechtfertigungsgründe staatlicher Herrschaft sind zwar notwendig zeitbedingt und naturgemäß stets kontrovers; gleichwohl ist man sich heute überwiegend darüber einig, daß eine intersubjektive Verständigung auch in solchen Fragen möglich ist.34 Geht es hier um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Besteuerung von Veräußerungsgewinnen, ist primär gefragt nach der staatsrechtlichen Rechtfertigung. Eine Beschränkung der Einkommensteuer durch das Erfordernis, daß Einkommen durch Nutzung einer dauerhaft dem Markt zugewandten Erwerbsgrundlage erworben worden sein muß, käme hier nur in
__________ 30 v. Schanz, Der Einkommensbegriff und die Einkommensteuergesetze, FinArch. 13 (1896), 1, 24. 31 Vogel, Rechtfertigung der Steuern: eine vergessene Vorfrage, Der Staat 25 (1986), 481, 484. 32 Vogel/Waldhoff in Dolzer/Vogel/Graßhof (Hrsg.), BK, Loseblatt, 116 Lfg., April 2005, Vorbem. z. Art. 104a–115, Rz. 397. 33 Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl., 1996, § 10, S. 19 ff. 34 Braun, Rechtsphilosophie im 20. Jahrhundert. Die Rückkehr der Gerechtigkeit, 2001, passim, bes. S. 212 ff.
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Betracht,35 wenn der vom Grundgesetz verfaßte Staat Einkünfte nur unter diesen Voraussetzungen als Einkommen besteuern dürfte, die steuerliche Inanspruchnahme von Einkommen nur unter dieser Voraussetzung verfassungsrechtlich zu rechtfertigen wäre. b) Staatsrechtliche Ebene aa) Eigentum: nicht Grund, sondern Grenze der Besteuerung Gewiß: Ein Berufsfreiheit und Eigentum gewährleistender Staat wie der des GG überläßt das Wirtschaften den einzelnen und verweist sich damit selbst auf die Partizipation am Erfolg privaten Wirtschaftens. Der Staat des Grundgesetzes ist „Steuerstaat“, die Steuer der Preis für die von ihm anerkannte wirtschaftliche Freiheit der Menschen, die seiner Hoheitsgewalt unterworfen sind.36 Sieht man in der Besteuerung eine Beschränkung der Eigentümerfreiheit und damit den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts berührt, hält sich das Grundrecht kraft der Sozialbindung der geschützten Freiheit (Art. 14 Abs. 2 GG) dem Eingriff des Steuerstaates zwar offen. Von seiner Funktion als Freiheitsrecht ist die Eigentumsgarantie jedoch darauf angelegt, Eingriffe abzuwehren, nicht jedoch darauf, sie zu begründen. Verfassungsrechtlich konstituiert sie nicht den Steuereingriff, sondern ist sein Gegenpol und hat ihn als solchen zu begrenzen.37 bb) Gleichheit der Lastenzuteilung. Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Kann die Einkommensteuer in ihrer Bemessungsgrundlage damit nicht aus der Eigentumsgarantie verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden, bleibt eine Rechtfertigung weiter aufgegeben. Der Zweck der Einkommensteuer, den staatlichen Haushalt mit Finanzmitteln auszustatten, vermag diese nicht zu liefern. Ob der Finanzbedarf des Staates überhaupt abstrakt geeignet ist, die Einkommensteuer als Mittel staatlichen Handelns zu rechtfertigen,38 mag man bereits bezweifeln. Denn die Aufgabe, den Staat mit Finanzen
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35 Die Markteinkommenstheorie, die die Intensität der Teilnahme am Markt als Maß für die Intensität des steuerlichen Zugriffs nimmt, hat etwas Einschränkendes, Jakob in FS Schmidt, 1993, S. 115, 116. 36 Friauf in DStJG 12 (1989), S. 3 f.; ders., Unser Steuerstaat als Rechtsstaat, StbJb 1977/78, S. 39, 43. 37 Isensee, Referat auf dem 57. Deutschen Juristentag, Bd. II, Sitzungsberichte, 1988, S. N 32, 37; so auch noch Kirchhof, Steuergerechtigkeit und sozialstaatliche Geldleistungen, JZ 1982, 305, 307: „Die Finanzverfassung legitimiert die Steuergewalt; Art. 14 GG stellt dieser Gewalt den Schutz des besteuerbaren Privatvermögens gegenüber.“ 38 Isensee in Zacher (Hrsg.), Die Rolle des Beitrags in der sozialen Sicherung, 1980, S. 461, 473; vgl. BVerfG v. 10. 12. 1980 – 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 275, 301 (Das Grundgesetz setzt die Besteuerungshoheit des Staates „stillschweigend voraus“).
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zu versorgen, ließe sich auch durch staatliche Erwerbswirtschaft erfüllen, nicht jedoch verlangte dies gerade nach dem Mittel der Steuer.39 Jedenfalls aber ist der Finanzbedarf ungeeignet, dem in der Einkommensbesteuerung liegenden Eingriff eine Struktur zu geben und seine Bemessungsgrundlage vorzuzeichnen.40 Damit aber kann rechtfertigen der Einkommensteuer in ihrer Bemessungsgrundlage auf der Ebene der Verfassung nur heißen, diese gerecht auszugestalten.41 Die Bestimmung dessen, was gerecht ist, ist dabei nicht völlig den Wertungen der jeweiligen parlamentarischen Mehrheit überantwortet. Vielmehr enthält die Verfassung selbst Kriterien der Gerechtigkeit in den materiellen Anforderungen an das Recht, an die sie die Gesetzgebung bindet (Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 1 GG).42 Gerecht ausgestalten einer Steuer heißt damit: Ausgestalten der Steuer entsprechend den Vorgaben der Verfassung. Für das Steuerrecht statuiert die Verfassung ihre zentrale Gerechtigkeitsvorgabe im allgemeinen Gleichheitssatz. Der Steuereingriff gewinnt seine Rechtfertigung gerade aus der Gleichheit der Lastenzuteilung,43 diese konstituiert die materiale Steuergerechtigkeit.44 Für die Anwendung des Gleichheitssatzes gilt nun, daß nicht jeder sachliche Grund hinreichend ist, eine gesetzgeberische Unterscheidung zu rechtfertigen. Vielmehr bedarf die Beurteilung einer Differenzierung eines Bezugspunkts, eines Maßstabs, und dieser kann immer nur aus der Eigenart des zu regelnden Sachbereichs gewonnen werden;45 der Gleichheitssatz ist, wie es häufig heißt, „sachbereichsbezogen“ zu konkretisieren. Der Sachbereich der Besteuerung ist geprägt durch die Merkmale, die diesen Abgabentyp kennzeichnen: Die Steuer ist Gemeinlast, d. h. eine Abgabe, durch die alle Inländer zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben herangezogen werden.46 Die durch die Steuer finanzierten staatlichen Leistungen werden nicht einem einzelnen zugerechnet, sondern
__________ 39 Rodi, Die Rechtfertigung von Steuern als Verfassungsproblem, 1994, S. 141; Kirchhof, Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Steuern, in Steuern im Verfassungsstaat, Symposion zu Ehren von Klaus Vogel aus Anlaß seines 65. Geburtstags, 1996, S. 32. 40 Kirchhof, AöR 128 (2003), 1, 6 (Fn. 13). 41 Birk, Gleichheit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, StuW 1989, 212; vgl. dazu auch Vogel in Steueroasen und Außensteuergesetze, 1981, S. 125, 127; bereits ders., DStZ/A 1977, 5, 9 (Fn. 8). 42 Badura, Staatsrecht, 3. Aufl., 2003, A 5; Schmidt-Aßmann in HStR, Bd. II, § 26, Rz. 42 (Fn. 23); für das Steuerrecht: Birk, StuW 1989, 212 (Fn. 41); vgl. auch Vogel/ Waldhoff in BK, Vorbem. Art. 104, Rz. 400 (Fn. 32). 43 BVerfG v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 269; F. Kirchhof, Der Weg zur verfassungsgerechten Besteuerung – Bestand, Fortschritt, Zukunft −, StuW 2002, 185, 187. 44 Isensee in FS Flume, Bd. II, 1978, S. 129, 132. 45 BVerfG v. 8. 10. 1963 – 2 BvR 108/62, BVerfGE 17, 122, 130; v. 8. 4. 1987 – 2 BvR 909/83 u. a., BVerfGE 75, 108, 157 – st. Rspr.; Friauf, DStZ/A 1974, 51, 57 f. (Fn. 16); Selmer, Finanzordnung und Grundgesetz, AöR 101 (1976), 399, 444. 46 Isensee in FS H. P. Ipsen, 1977, S. 409, 430.
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kommen allen Mitgliedern der staatlichen Gemeinschaft zugute.47 Fehlt es damit an einem besonderen Zurechnungsgrund gegenüber den Betroffenen, kann aber nur ein Kriterium als sachgerechtes Unterscheidungsmerkmal steuerlicher Lastenzuteilung anzuerkennen sein: die wirtschaftliche Fähigkeit des einzelnen, Steuern zu zahlen.48 Steuerliche Gleichheit findet ihren bestimmenden Maßstab in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen. Eine Steuer ist damit materiell verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn und weil sie das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verwirklicht49 bzw., falls sie von diesem Prinzip abweichen will, diese Abweichungen ihrerseits gerechtfertigt sind. Das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist allerdings ein abstraktes Prinzip. Es enthält nicht bereits selbst Aussagen über die Bemessungsgrundlage der Steuer, sondern bedarf der Konkretisierung.50 Für den vorliegenden Zusammenhang ist der folgende Aspekt bedeutsam: Es ist anerkannt, daß wenn es an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit fehlt, der Staat nicht besteuern darf. Aus dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit folgt dann grundsätzlich ein Zugriffs(Besteuerungs-)Verbot. Doch auf diese negative, ausgrenzende Aussage ist das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht beschränkt. Vielmehr enthält es auch eine positive Aussage: Liegt wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vor, darf diese aus Gründen der Gleichbehandlung grundsätzlich nicht von der Besteuerung ausgenommen werden. Es enthält mithin auch ein prinzipielles Zugriffs-(Besteuerungs-)Gebot.51 Ob der einzelne seinen Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit einem Vermögenszugang zu verdanken hat, der auf die Nutzung einer Erwerbsgrundlage am Markt zurückzuführen ist, ist dabei unerheblich.52 Denn
__________ 47 Kirchhof in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IV, 1990, § 88, Rz. 28; Vogel in GS Martens, 1987, S. 265, 267. 48 Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 1983, S. 21 ff.; Rüfner in Dolzer/Vogel/Graßhof (Hrsg.), BK, Loseblatt, 116. Lfg., März 2005, Art. 3, Rz. 199 m. w. N.; Wendt, Der Gleichheitssatz, NVwZ 1988, 778, 783; ders., DÖV 1988, 710, 712 (Fn. 26). 49 Söhn in FS Friauf, 1996, S. 807, 819 f.; ders. in FS Tipke, 1995, S. 343, 346 ff. 50 Birk, Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 155 ff. (Fn. 48); insoweit zutreffend auch Arndt, Gleichheit im Steuerrecht, NVwZ 1988, 791 ff.; ders. in FS Mühl, 1981, S. 17 ff. 51 Birk/Barth in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 4, Rz. 461; Jakob, Einkommensteuerrecht, Rz. 9 ff. (Fn. 26); Lehner/Waldhoff in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 1, Rz. A 142; Lang in Tipke/Lang, § 4, Rz. 84 (Fn. 5). Hierbei handelt es sich um die „horizontale“ im Unterschied zur „vertikalen“ Steuergleichheit, vgl. BVerfG v. 29. 5. 1990 – 1 BvL 20/86, BVerfGE 82, 60, 89. 52 Söhn, Steuerbarkeit von Unterhaltsersatzrenten, FR 1996, 81, 85, 88 f.; vgl. auch Schön in FS Offerhaus, 1999, S. 385, 396. Auch das Bundesverfassungsgericht hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß es dem Gesetzgeber möglich ist, auch nicht am Markt erzielte Vermögenszugänge als Einkommen der Steuer zu unterwerfen,
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kommt es allein an auf die reale Fähigkeit, Steuern zu zahlen, kann deren Ursache keine Rolle spielen.53 Dem Leistungsfähigkeitsprinzip entspricht daher idealerweise ein Einkommensbegriff, der unter Einkommen den gesamten Wertzugang in einer Zeiteinheit versteht, mithin die Vorstellung der sog. „Reinvermögenszugangstheorie“. Die erwähnte Steuerbarkeit von Unterhaltsbezügen (§ 22 Nr. 1a EStG) sowie von nicht am Markt erworbenen wiederkehrenden Bezügen (§ 22 Nr. 1 EStG) erklärt sich somit daraus, daß deren Empfänger durch ihre Bezüge wirtschaftlich und damit auch steuerlich leistungsfähiger geworden sind. Geht man von dem die Einkommensbesteuerung „dirigierenden“ Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aus, bestehen an der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte keine Zweifel.54 c) Staatsphilosophische Ebene Damit steht die Rechtfertigung einer Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte jedoch noch nicht abschließend fest. Denn auch wenn die staatsrechtliche und die staatsphilosophische Rechtfertigung auf verschiedenen Ebenen liegen und staatsphilosophische Fragen daher nicht kurzerhand zu solchen des Staatsrechts erklärt werden können, so ist es für das Recht gleichwohl nicht unerheblich, ob sich eine Maßnahme auch staatsphilosophisch legitimieren läßt. Begründen kann man dies auf zweierlei Weise. Zum einen kann der vom GG verfaßte Staat seine (Besteuerungs-)Gewalt nicht beliebig, sondern nur mit dem Anspruch einsetzen, gerecht zu handeln. Die Idee der Gerechtigkeit ist als Element des Rechtsstaatsprinzips wie auch der umfassenden Verpflichtung des Staates auf das Gemeinwohl die Leitidee staatlichen Handelns.55 Kann der Staat sein Handeln aber nicht auf legitimierende Gründe stützen, kann dieses auch nicht als gerecht betrachtet werden.56
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53 54 55 56
BVerfG v. 3. 12. 1958 – 1 BvR 488/57, BStBl. I, 1959, 68, 69 f. (Nutzungswertbesteuerung); BVerfG v. 3. 5. 1995 – 1 BvR 1176/88 (3. Kammer des 1. Senats), BStBl. II 1995, 758, 759 (Progressionsvorbehalt und Lohnersatzleistungen). Zuletzt hat es in seiner Entscheidung zur Besteuerung von Alterseinkünften diesen Gedanken noch einmal ausdrücklich festgehalten, wenn es sagt, daß auch „insoweit, als es sich bei den Rentenbezügen um staatliche Transferzahlungen handelt, […] grundsätzlich einkommensteuerbares Einkommen“ vorliege, BVerfG v. 6. 3. 2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, 131. Tipke, Der Karlsruher Entwurf zur Reform der Einkommensteuer, StuW 2002, 148, 156. So im Ausgangspunkt auch das Gutachten der Steuerreformkommission 1971, ESt, LSt II, Rz. 96 (Fn. 3). BVerfG v. 24. 7. 1957 – BvL 23/52, BVerfGE 7, 89, 92; v. 9. 8. 1978 – 2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, 164; v. 14. 1. 1987 – 1 BvR 1052/79, BVerfGE 74, 129, 152; v. 24. 10. 1996 – 2 BvR 1851 u. a./94, BVerfGE 95, 96, 130. Vgl. zu solchen Überlegungen Vogel, Der Staat 25 (1986), 481, 485.
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Zum anderen ist das Einkommensteuergesetz positives Recht und als solches wie alles Recht angewiesen auf Akzeptanz.57 Zwar sind die Geltung einer Norm im Sinne ihres Befolgungsanspruchs und ihre reale Wirksamkeit kategorial voneinander geschieden.58 Eine Norm hört jedoch auf zu gelten, wenn sie ihre reale Wirksamkeit verliert.59 Das Recht hat aus sich heraus nun nicht die Kraft, die tatsächliche Grundlage seiner realen Wirksamkeit zu gewährleisten.60 Die dafür notwendige Bereitschaft der Rechtsgemeinschaft, eine Norm anzuerkennen, sie zu befolgen und anzuwenden61, hängt vielmehr davon ab, ob die Rechtsgemeinschaft im großen und ganzen bereit ist, die Norm zu akzeptieren. Dafür bedarf es zwar im allgemeinen keiner positiven Zustimmung der Rechtsgenossen zum Inhalt einer Norm; im Rechtsalltag äußert sich Akzeptanz vielmehr schlicht darin, daß die Rechtsgemeinschaft eine Norm tatsächlich befolgt und hinnimmt.62 Kommen aber Zweifel an der Befolgungsfähigkeit einer Norm auf und gerät ihre Befolgung in eine Krise, steigen die Anforderungen an ihre Akzeptanz und muß sich die Norm als legitim und zustimmungswürdig erweisen. Das Steuerrecht gehört nun zu den Rechtsgebieten, dessen Befolgungsbereitschaft im modernen und in eine Welt offener Staaten hineingestellten umverteilenden Sozialstaat aus vielen Gründen stets als prekär einzustufen ist.63 Will der Staat einen neuen Steuereingriff normieren, sollte er einen Grund aufweisen können, der den Rechtsgenossen den Eingriff als legitim erscheinen läßt, soll das den Eingriff tragende Gesetz nicht Gefahr laufen, in einer – freilich als zugespitzt gedachten – Krise seiner Akzeptanz seine Wirksamkeit und damit seine Geltung zu verlieren. Den danach notwendigen Legitimität schaffenden Grund kann das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht liefern. Denn dieses bietet nur den Maßstab der Besteuerung, nicht jedoch sagt es etwas darüber aus, warum überhaupt besteuert werden darf. Hier bedarf es anderer Gründe. An dieser Stelle kommen die Gedanken zum Tragen, die der Markteinkommenstheorie zu Grunde liegen. Die im Kern zutreffende Aussage der Markteinkommenstheorie besteht darin, daß der Staat sich einerseits um der Freiheit seiner Bürger wil-
__________ 57 Vgl. dazu allg. Isensee in FS Listl, 1999, S. 66 f. 58 Isensee in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 1997, § 202, Rz. 1. 59 Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, S. 112 f. Hiervon zu unterscheiden ist die prozedurale und kompetentielle Frage, ob eine Norm, deren Wirksamkeit in einem – wie immer zu bemessenden – nicht mehr akzeptablen Maße entfallen ist, von selbst ihre Geltung verliert oder es hierfür einer „autoritativen Normgeltungsbeendigung“ einer dafür zuständigen Stelle bedarf, vgl. dazu Heckmann, Geltungskraft und Geltungsverlust von Rechtsnormen, 1997, passim. 60 Isensee in FS Listl, 1999, S. 66. 61 Vgl. zur Umschreibung der Eigenschaft „Wirksamkeit“ von Normen etwa Lippold, Rechtstheorie 19 (1988), S. 463, 468 f., mit Fn. 15. 62 Isensee in FS Listl, 1999, S. 66 f.; ders. auch zum Folgenden. 63 Vogel in FS Fikentscher, 1998, S. 215, 222 ff. m. w. N.
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len der Erwerbswirtschaft enthält und sich deshalb über die Steuer finanzieren muß. Andererseits leistet der Staat einen notwendigen Beitrag zur Entstehung von Einkommen bei den Bürgern. Zwar wird dieser Beitrag nicht deutlich, wenn dieser staatliche Beitrag allein mit der Chiffre des „Marktes“ umschrieben wird. Denn der Markt ist keine staatliche Veranstaltung, sondern ein von Privaten hervorgebrachter Lebens- und Wirkungszusammenhang. Die Rolle des Staates beschränkt sich darauf, dem Markt einen rechtlichen Ordnungsrahmen zu geben. Sind es aber die Bürger, die selbsttätig Güterproduktion, -verkehr und -erwerb ins Werk setzen, läßt sich die Einkommensteuer nicht als Gebühr für die Nutzung einer staatlichen Einrichtung rechtfertigen.64 Es bleibt jedoch der zutreffende Kern der Markteinkommenstheorie, daß der einzelne sein Einkommen nicht aus sich heraus erzielen kann, sondern nur, weil ihm „Schutz, Ordnung und Leistungen der staatlichen Gemeinschaft zugute kommen“.65 Angesichts dessen wird man es als einen überzeugenden Grund ansehen können, daß der einzelne dem Staat von dem, was er nur mit Hilfe einer staatlichen Ordnung erworben hat, etwas abgeben muß, damit diese Ordnung erhalten bleiben kann.66 Von ihrer tieferen Legitimation her hat die Steuer damit etwas Gegenseitiges.67 Dabei geht es freilich nicht um eine Bemessung der Steuer als Gegenleistung für individuell empfangene Leistungen, sondern um deren Rechtfertigung durch die Gesamtheit staatlicher Ordnung. In der Leistung von Schutz und Ordnung durch die staatliche Gemeinschaft fände mithin auch die Besteuerung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften seine staatsphilosophische Rechtfertigung. 4. Weitere verfassungsrechtliche Vorgaben Fraglich ist jedoch, ob es Verfassungsnormen gibt, die der geplanten Neuordnung der Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte entgegenstehen. Denn der Maßstab der Steuerzahlungsfähigkeit ist zwar der für die Steuer zentrale Maßstab, der nicht durch irgendeinen anderen Maßstab ausgetauscht werden kann.68 Seine verfassungsrechtlichen Fundamente stehen jedoch weder für sich noch über anderen Normen der Verfassung, sondern sind eingebunden
__________ 64 Isensee, Referat, S. N 32, 36 f. (Fn. 37). 65 BVerfG v. 17. 7. 1984 – 2 BvE 11, 15/83, BVerfGE 67, 100, 143; F. Kirchhof in Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. II, 2. Aufl., 2000, Abgabenrecht, Rz. 28; Friauf in DStJG 12 (1989), S. 3, 7. 66 Ursprung: v. Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 5. Aufl., 2. Teil, 1. Abt., 1885, S. 348. 67 Vogel, Der Staat 25 (1986), 481, 616 f.; Papier in FS Vogel, 2000, S. 117, 118; allg. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 284 ff. 68 Papier, Steuern und Abgaben – Die offene Flanke des Rechtsstaats −, KritV 2 (1987), 140, 149.
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in deren Einheit.69 Es kann daher zu einer Kollision mit anderen verfassungsrechtlichen Bestimmungen kommen, und für diese Kollision steht ein unverrückbarer Vorrang des Leistungsfähigkeitsprinzips nicht a priori fest.70 Vielmehr sind die widerstreitenden, mit einander in Konflikt stehenden verfassungsrechtlichen Regeln nach dem Prinzip des schonendsten Ausgleichs71 (praktische Konkordanz)72 einander zuzuordnen. a) Schutz der Privatsphäre Gegen eine Besteuerung der Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften wird eingewandt, daß sich der Veräußerungsvorgang in der Privatsphäre ereignen und der Respekt vor dieser Sphäre einkommensteuerlichem Beobachten und Zugreifen entgegenstehen würde.73 Der private Veräußerer nutze zwar den Markt, verfüge jedoch nicht über eine dem Markt zugewandte und deshalb der Öffentlichkeit dauernd zugängliche Erwerbsgrundlage. Die Abschirmung der Privatsphäre gegenüber steuerlichem Ermitteln im geltenden Recht entspreche indes der Tradition des deutschen Einkommensteuerrechts. In der Tat findet der Steuergesetzgeber eine Grenze auch in dem in der Verfassung angelegten Schutz der Privatsphäre:74 Das Objekt einer Steuer darf nicht so gefaßt sein, daß es im Rahmen der Steuerermittlung und -festsetzung zu einem unverhältnismäßigen Eindringen in die Privatsphäre des einzelnen kommt. Die Privatsphäre ist jedoch kein völliges Tabu für den Steuergesetzgeber. Überwiegende Interessen der Allgemeinheit erlauben diesem vielmehr, unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre einzugreifen.75 Der Gesetzgeber ist daher nur berechtigt, Privates bei seinem steuerlichen Regeln aus-
__________ 69 Selmer, Der gerechte Steuerstaat, FinArch. N. F. 52 (1995), 234, 250 ff.; Vogel in FS Tipke, 1995, S. 93, 98; zuletzt Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip in der Unternehmenssteuerreform, StuW 2000, 328, 329 f.; allg. zur Einheit der Verfassung, Isensee in HStR, Bd. VII, § 162, Rz. 41 (Fn. 23). 70 F. Kirchhof, StuW 2002, 185, 187 (Fn. 43); Isensee, Referat, S. N 32, 37 (37); vgl. allg. auch Trzaskalik in FS Tipke, 1995, S. 321, 325. 71 Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 2. Aufl., 1999, S. 125 ff.; ders., FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. I, 2001, S. 331, 349 f. 72 Hesse, Grundzüge, Rz. 72 (Fn. 21). 73 Kirchhof, Gutachten, S. F 29 (Fn. 26); ebenso Crezelius in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23, Rz. A 23. 74 BVerfG v. 16. 7. 1969 – 1 BvL 19/63, BVerfGE 27, 1, 6 f.; v. 15. 12. 1983 – 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1, 42; v. 17. 7. 1984 – 2 BvE 11/83 u. a., BVerfGE 67, 100, 142 f. 75 BVerfG v. 15. 12. 1983, BVerfGE 65, 1, 44 (Fn. 74); v. 17. 7. 1984, 67, 100, 143 (Fn. 65). So sind also an persönliche und höchstpersönliche Umstände anknüpfende Regelungen, wie etwa im Einkommensteuerrecht die §§ 4 Abs. 5 Nrn. 6a und 6b, 10b, 24b, 26, 32, 33, 33a EStG, nicht verfassungswidrig.
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zublenden, nicht jedoch ist er dazu verpflichtet.76 Er besitzt bei der Abgrenzung der steuerpflichtigen Sphäre von der steuerfreien Privatsphäre vielmehr einen Bewegungsraum.77 Daß er diesen Bewegungsraum bei einer Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte verletzten würde, wird man jedoch nicht begründen können: Mit der Vornahme eines Veräußerungsgeschäfts verbleibt der einzelne nicht in seiner Privatheit, sondern tritt aus dieser hervor und wendet sich an die Öffentlichkeit.78 Es trifft zwar zu, daß diese Öffnung nur partiell und nicht dauerhaft erfolgen soll. Die Existenz einer dauerhaften Erwerbsgrundlage zur unverzichtbaren Voraussetzung eines Eingriffs in die Privatsphäre zu erheben würde jedoch den Bewegungsraum des Gesetzgebers in einer Weise einengen, die von der Verfassung nicht vorgegeben ist. Wollte man dies anders sehen, müßte man allein aus diesem Grunde auch die geltende, eingeschränkte Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte als verfassungswidrig ansehen, denn auch hier wird ohne Vorhandensein dauerhaft dem Markt zugewendeter Erwerbsgrundlagen besteuert. Dieser Einwand ist jedoch bislang auch von den Kritikern einer Erweiterung der Besteuerung von Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht erhoben worden.79 Daß das deutsche Einkommensteuerrecht traditionell private Veräußerungsgeschäfte von der Besteuerung ausgeklammert hat,80 kann dies nicht in Frage stellen: Die Verfassung hat die von ihr vorgefundene Einkommensteuer – wie erwähnt – nur in ihrem Typus, nicht aber in ihrem gesamten vorkonstitutionellen Rechtszustand anerkannt. Der Umfang der Bemessungsgrund-
__________ 76 Das Gesetz kann sich deshalb darauf beschränken, an die Erwerbstätigkeit anzuknüpfen und Vorgänge in der Privatsphäre auszublenden vgl. BVerfG v. 11. 11. 1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, 290; Friauf in DStJG 21 (1998), S. 85, 86; Rüfner in BK, Art. 3, Rz. 203 (Fn. 48); Möstl, Verfassungsrechtliche Grenzen der Besteuerung, DStR 2003, 720, 721; a. A. zu einer entsprechenden Pflicht tendierend Kirchhof, Grundlinien des Steuerverfassungsrechts in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, StbJb, 1994/95, 5, 20 f.; ders., Der Einfluß des Verfassungsrechts auf die Entwicklung des Steuerrechts, Stbg 1995, 68, 69. 77 Möstl, DStR 2003, 720, 721, Fn. 13 (Fn. 76). 78 Möstl, DStR 2003, 720, 721 (Fn. 76); Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 1. Aufl., 1993, S. 652; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, 2001, S. 81; BVerfG v. 27. 6. 1991, BVerfGE 84, 239, 280 (Fn. 43), läßt es offen, ob der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bei Informationszugriffen auf die Erträge marktoffenbaren Erwerbens ohne besonderen persönlichkeitsprägenden Gehalt überhaupt einschlägig ist. 79 Vgl. Kirchhof, Steuergleichheit, StuW 1984, 297, 311. 80 Das REStG v. 29. 3. 1920, RGBl. 1920, 359, das an der Reinvermögenszugangstheorie von v. Schanz orientiert war (§§ 4, 5), unterwarf zwar – konsequenterweise – Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften der Steuer (§ 11 Nr. 5). Es nahm allerdings Gewinne, die aus der Veräußerung von Gegenständen des „nichtsteuerbaren Vermögens“ erzielten worden sind, wie auch Gewinne aus der Veräußerung von Grundstücken, die erst innerhalb einer 10-Jahres-Frist erworben worden waren, von der Besteuerung aus, § 12 Nr. 12, 13.
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lage ist damit Änderungen des einfachen Gesetzgebers zugänglich. Die Nichtbesteuerung privater Veräußerungsgeschäfte steht im Rang von Tradition und Herkommen, die die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers aus sich heraus nicht beschränken kann.81 b) Tatsächliche Belastungsgleichheit („Gleichheit im Belastungserfolg“) Im vorliegenden Zusammenhang ergibt sich eine Grenze für den steuerlichen Zugriff jedoch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz selbst und zwar aus seiner zweiten, erst seit Anfang der neunziger Jahre durch das sog. „Zinsurteil“ in das allgemeine Bewußtsein getretenen Bedeutung: Das Gebot nicht nur einer Gleichheit in der normativen Steuerpflicht, sondern einer Gleichheit auch im Belastungserfolg.82 Die Steuerpflichtigen sollen durch das Steuergesetz nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gleich belastet werden.83 Der Gesetzgeber hat sein Steuerrecht von vornherein so auszugestalten, daß es auch tatsächlich einheitlich vollzogen werden kann.84 Hängt die Befolgung einer Norm allein von der Erklärungsbereitschaft des einzelnen ab, so ist deren gleichmäßige Durchsetzung nicht gewährleistet. Eine solche Norm darf damit aber erst gar nicht erlassen werden.85 c) Rechtsstaatliches Gebot der Rationalität staatlichen Handelns In die gleiche Richtung zielt das Gebot, daß die Kosten der Steuererhebung den Ertrag nicht aufzehren dürfen, den sie erbringen. Denn in einem solchen Fall diente die Steuer nicht dazu, den Staat zu finanzieren, sondern sich selbst. Sie führte sich ad absurdum.86 Dies wäre jedoch nicht nur eine Torheit, sondern verstieße auch gegen die Verfassung, nämlich das im rechtsstaatlichen Prinzip enthaltene Gebot der Rationalität staatlichen Han-
__________ 81 Vgl. BVerfG v. 11. 10. 1994 – 1 BvR 337/92, BVerfGE 91, 148, 171 f. Die Staatspraxis ist Gegenstand, nicht Maßstab verfassungsrechtlicher Beurteilung von Akten der öffentlichen Gewalt, BVerfG v. 14. 12. 1965 – 1 BvR 413/60, BVerfGE 19, 206, 223 f.; v. 14. 12. 1965 – 1 BvR 606/60, BVerfGE 19, 268, 280. Herkommen und Tradition können Normen des GG nicht verdrängen. 82 BVerfG v. 27. 6. 1991, BVerfGE 84, 239, 271 (Fn. 43); v. 10. 4. 1997 – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, 6; v. 11. 11. 1998, BVerfGE 99, 280, 289 (Fn. 76); vgl. bereits Hensel, Steuerrecht, 3. Aufl., 1933, S. 57, sowie Birk, StuW 1989, 212, 213 (Fn. 41); für den vorliegenden Zusammenhang: Crezelius in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23, Rz. A 23. 83 BVerfG v. 27. 6. 1991, BVerfGE 84, 239, 268 (Fn. 43). 84 BVerfG v. 10. 4. 1997, BVerfGE 96, 1, 7 (Fn. 82); v. 11. 11. 1998, BVerfGE 99, 280, 290 (Fn. 76); v. 7. 12. 1999 – 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297, 309. 85 Arndt in DStJG 22 (1999), S. 25, 33 f. (private Vermögensgegenstände bei der Vermögensteuer); Birk, a.gl.O., S. 7, 23. 86 BVerfG v. 31. 5. 1988 – 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214, 229; BFH v. 25. 10. 1985, BStBl. II 1986, 200, 204; Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976, S. 165; Kirchhof in DStJG 21 (1998), S. 9, 16.
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delns.87 Der Staat hat sich Ziele zu setzen und die Mittel auszuwählen, die geeignet sind, diese Ziele zu erreichen.88 Der Steuergesetzgeber hat daher von ihm für besteuerungswürdig befundene Steuergüter nur in solchen Steuergegenständen (Steuerobjekten) tatbestandlich zu fassen, die mit angemessenem Aufwand vollzogen werden können, soll die Steuer ihren Zweck erfüllen.89 5. Differenzierung zwischen verschiedenen Vermögensgegenständen Die Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte ist nach alledem davon abhängig, daß sie gleichmäßig und mit angemessenem Aufwand vollzogen werden kann. Angesichts der Vielfalt von Gegenständen des Privatvermögens kann es daher keine einheitliche Lösung im Sinne eines „Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte – Ja oder Nein“ geben, sondern es wird zu differenzieren sein: −
zum einen zwischen solchem Vermögen, das der einzelne für den Erwerb steuerpflichtiger Einkünfte einsetzt, und solchem, das er ausschließlich seiner Privatsphäre zugeordnet hat;
−
zum anderen – innerhalb dieser Vermögensgruppen – zwischen unbeweglichem und sonstigem Vermögen.
a) Für Erwerbszwecke eingesetztes Privatvermögen („Erwerbsvermögen“) Innerhalb des Erwerbszwecken gewidmeten Vermögens gilt für eine Besteuerung von Immobilien, daß diese den genannten Kriterien gerecht würde: Der Verwaltung werden Anschaffungs- und Veräußerungspreise schon über die Grunderwerbsteuer bekannt, ließen sich also kontrollieren.90 Da diese Vorgänge auch bereits aktenkundig sind, wäre dies auch ohne großen Verwaltungsaufwand möglich.91 Innerhalb des beweglichen, Erwerbszwecken dienenden Vermögens wird man Entsprechendes für ertragbringend angelegtes Kapital sagen können. Eine Verifikation ist dort zwar nicht direkt bei den privaten Anlegern, wohl aber
__________ 87 Vgl. dazu Müller-Franken, Maßvolles Verwalten, 2004, S. 80 ff., 127, 129 ff. Dies gilt jedenfalls für reine Finanzzwecksteuern, wie hier. Ob dies auch für Lenkungssteuern zu gelten hat, kann hier nicht behandelt werden. 88 Gröpl in Dolzer/Vogel/Graßhof (Hrsg.), BK, Loseblatt, März 2005, Art. 110, Rz. 140; Lerche in FS H. P. Ipsen, 1977, S. 437, 438; Löwer, Cessante ratione legis cessat ipsa lex, 1989, S. 12 f. 89 Kirchhof, Der Karlsruher Entwurf und seine Fortentwicklung zu einer Vereinheitlichten Ertragsteuer, StuW 2002, 3, 10; vgl. bereits Söhn, Neuordnung des Einkommensteuerrechts zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung, ZRP 1988, 344, 347. 90 Trzaskalik in FS Tipke, 1995, S. 321, 328. 91 Trzaskalik in FS Tipke, 1995, S. 321, 327 f.
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in der Regel indirekt durch eine Beobachtung des Schuldners der Erträge möglich.92 Der Erhebungsaufwand ließe sich in Grenzen halten, da er weitgehend auf die privaten Unternehmungen durch Melde- und Abzugspflichten verlagert werden könnte.93 Bei sonstigem Erwerbszwecken gewidmeten Vermögen liegen die Dinge indes schwieriger. Zwar ist es demjenigen, der Kosten für den Erwerb des Gegenstandes auf der Aufwandsseite geltend macht, zumutbar, auch auf der Einnahmenseite Belege zu sammeln.94 Indes bestehen hier nur wenige Möglichkeiten, die Erfüllung der steuerlichen Pflichten zu kontrollieren. Setzt der Erwerber den veräußerten Gegenstand seinerseits für berufliche Zwecke ein, so ließe sich zwar über die Instrumente der Kontrollmitteilung und der Empfängerbenennung (§ 160 AO) indirekt eine Besteuerung sicherstellen. Erfaßt würde dadurch indes nur ein Teil der Fälle, und dies auch nur mit erheblichem Verwaltungsaufwand. Nutzt der Erwerber den Gegenstand hingegen nicht beruflich bzw. befindet er sich im Ausland, griffe auch diese Möglichkeit nicht. Von den Möglichkeiten einer Außenprüfung abgesehen, wäre eine Besteuerung weitgehend abhängig von der Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen. b) Nicht für Erwerbszwecke eingesetztes Privatvermögen Bei der Besteuerung von nicht für Erwerbszwecke eingesetztem, rein privat genutztem Vermögen ergibt sich für privat genutzte Grundstücke kein Unterschied zu solchen Grundstücken, die Erwerbszwecken gewidmet sind. Auch hier wäre die Besteuerung einer Veräußerung wiederum aufgrund der Offenheit dieses Vorgangs im Rahmen der Grunderwerbsteuer gleichmäßig und unter angemessenem Aufwand möglich. Anders ist es hingegen bei rein privat genutztem beweglichen Vermögen. Hier bestehen die Schwierigkeiten, die schon die Besteuerung von zu Erwerbszwecken genutztem beweglichen Vermögen kennzeichnen, in noch größerem Maße,95 zumal hier eine – eine Erfassung zumindest indirekt ermöglichende – berufliche Widmung des Gegenstandes auf Seiten des Erwerbers selten sein wird. Fehlt es aber an Kontrollmöglichkeiten, verstieße eine Besteuerung der Veräußerung rein privat genutzten Vermögens gegen Art. 3 Abs. 1 GG.96 Diese Aussage gilt nicht nur für Gegenstände des persönlichen Gebrauchs, wie dies das Steuervergünstigungsabbaugesetz vorgesehen hatte, sondern für alle nicht beruflich genutzten Gegenstände des Privatvermögens
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92 Vgl. etwa Suhrbier-Hahn, Besteuerung von Spekulationserträgen – Vorschläge zur Neugestaltung, DStR 2003, 354, 356 ff. 93 Vgl. dazu allg. BVerfG v. 29. 11. 1967 – 1 BvR 175/66, BVerfGE 22, 380, 383 ff. 94 Trzaskalik in FS Tipke, 1995, S. 321, 330, Fn. 54. 95 Tartler/Stachow, Financial Times Deutschland v. 14. 1. 2003, S. 30; Dittmar, Die Welt v. 23. 1. 2003, S. 27. 96 Möstl, DStR 2003, 720, 723 (Fn. 76).
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schlechthin und damit etwa auch für die im vorliegenden Zusammenhang im Mittelpunkt des Interesses stehenden Kunstwerke und anderen Kostbarkeiten.
III. Rechtspflicht zur Einführung einer solchen Besteuerung? 1. Differenziertheit der normativen Gehalte der Verfassung Ist eine Besteuerung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in einigen Fällen nach alledem verfassungsrechtlich zulässig, stellt sich die zweite der eingangs aufgeworfenen Fragen, nämlich die nach einer Pflicht des Gesetzgebers, eine solche Besteuerung auch einzuführen. In einer bereits einige Jahre zurückliegenden Entscheidung zu diesem Thema hat das Bundesverfassungsgericht diese Frage verneint: Der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen zwar nicht gehindert, eine umfassende Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte einzuführen; verpflichtet sei er dazu jedoch nicht.97 In der Rechtswissenschaft wird eine solche Pflicht demgegenüber zunehmend bejaht.98 Der sog. „Dualismus der Einkunftsarten“, der den derzeitigen Rechtszustand kennzeichne, differenziere danach, ob der Gewinn aus einem Veräußerungsgeschäft im Rahmen einer sog. „Gewinn-“ oder einer sog. „Überschußeinkunftsart“ erzielt worden sei. Diese Ungleichbehandlung sei, so wird gesagt, nicht zu rechtfertigen. Dieses Problem führt zurück auf das bereits dargelegte Grundproblem der inhaltlichen Determinationskraft der Verfassung für gesetzgeberisches Handeln. Während es in der zuerst behandelten Frage nach der Zulässigkeit einer Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte darum ging, inwiefern die Verfassung gesetzgeberischem Handeln Grenzen setzt, geht es bei der nun zu beantwortenden Frage nach einer Besteuerungspflicht darum, inwieweit die Verfassung dem Gesetzgeber positiv Regelungsinhalte vorgibt.99 Soll die Verfassung einerseits die Rechte der Minderheit vor der Macht der Mehrheit schützen und andererseits zugleich gesetzgeberischer Gestaltung Räume offenhalten, so muß ihre normative Dichte abnehmen, wenn es nicht um die Begrenzung, sondern um die positive Verbestimmung gesetzgeberischen Handelns geht. Erteilt die Verfassung dem Gesetzgeber nicht einen Auftrag zum Tätigwerden im Sinne eines „Verfassungsbefehls“ (Beispiel: Art. 6 Abs. 5 GG), öffnet sich hier das weite Feld der übrigen „Verfassungsdirektiven“, die das Handeln des Gesetzgebers in unterschiedlicher Intensität
__________ 97 BVerfG v. 9. 7. 1969 – 2 BvL 20/65, BVerfGE 26, 302, 310 ff. 98 Dietz, Ist der Einkommensbegriff für Betriebsvermögen im Hinblick auf den für Privatvermögen noch verfassungskonform?, FR 1999, 85, 86; Lang in Tipke/Lang, § 9, Rz. 187 (Fn. 5); Mössner, Gerechtigkeit und Moral im Steuerrecht, DStZ 1990, 132, 136; Reiß in DStJG 17 (1994), S. 3, 7; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl., 2003, S. 723. 99 Vgl. Schmidt-Aßmann in HStR, Bd. II, § 26, Rz. 29 (Fn. 23).
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leiten und bestimmen, ohne es jedoch auf bestimmte Inhalte festlegen zu wollen.100 Diese Differenzierungen in den Gehalten der Verfassung sind stets zu beachten, will man nicht ihre Normativität überdehnen und nur rechtspolitisch Erwünschtes zu verfassungsrechtlich Gebotenem erklären.101 2. Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes Hält man sich an diese Grundsätze, so wird man dem Bundesverfassungsgericht bei seiner Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes für den Sachbereich des Steuerrechts zuzustimmen haben, wenn es sagt, daß dem Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes sowie bei der Bestimmung des Steuersatzes ein weitgehender Entscheidungsspielraum zuzuordnen ist.102 Will der Gesetzgeber eine bestimmte Steuerquelle erschließen, eine andere hingegen nicht, dann ist der allgemeine Gleichheitssatz solange nicht verletzt, „wie die Differenzierung auf sachgerechten Erwägungen, insbesondere finanzpolitischer, volkswirtschaftlicher, sozialpolitischer oder steuertechnischer Natur beruht“.103 Hat der Gesetzgeber aber eine Belastungsentscheidung getroffen, wird man ihn jedoch für verpflichtet halten müssen, die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig umzusetzen.104 Die systematische Unterscheidung zwischen den Einkunftsarten als solche ist dann nicht geeignet, eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.105
__________ 100 Zu dirigierenden Gehalten der Verfassung im Steuerrecht Isensee, Referat, S. N 32, 39 (Fn. 37); Jakob, Einkommensteuerrecht, Rz. 7 (Fn. 26); Möstl, DStR 2003, 720, 726 (Fn. 76); Söhn in FS Tipke, 1995, S. 343, 358. In die gleiche Richtung zielt die auf Forsthoff in GS W. Jellinek, 1955, S. 221, 232 f., zurückgehende Unterscheidung von Funktions-(Handlungs-) und Kontrollnorm, vgl. Herzog, Der Weg zum Bundesverfassungsgericht, DStZ 1988, 287, 290; Hesse, Grundzüge, Rz. 439 (Fn. 21); Isensee in HStR, Bd. VII, § 162, Rz. 63 (Fn. 23); für Bindungen, die über den richterlichen Kontrollmaßstab hinausgehen, auch Friauf, DStZ 1975/A 359, 362 (Fn. 16); Vogel in DStJG 12 (1989), S. 123, 136 f. 101 Isensee, Referat, S. N 32, 37 f., 38 ff. (Fn. 37); Möstl, DStR 2003, 720, 722 (Fn. 76); Sachs, Besprechung von Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I-III, StVj 5 (1993), 283, 288; Selmer, FinArch. N. F. 52 (1993), 235, 248, 258 (Fn. 69). 102 BVerfG v. 15. 12. 1970 – 1 BvR 559/70, BVerfGE 29, 402, 411; v. 29. 11. 1989 – 1 BvR 1402/87, BVerfGE 81, 108, 117 f.; v. 5. 2. 2002 – 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17, 46. 103 BVerfG v. 30. 10. 1961 – 1 BvR 833/59, BVerfGE 13, 181, 203; v. 12. 10. 1978 – 2 BvR 154/74, BVerfGE 49, 343, 360; v. 13. 3. 1979 – 2 BvR 72/76, BVerfGE 50, 386, 392; v. 6. 12. 1983 – 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325, 354; v. 10. 2. 1987 – 1 BvL 18/81, BVerfGE 74, 182, 200; v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17, 46 (Fn. 102). 104 BVerfG v. 7. 5. 1968, 1 BvR 420/64, BVerfGE 23, 242, 256; v. 27. 6. 1991, BVerfGE 84, 239, 271 (Fn. 43); v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 136; v. 11. 11. 1998, BVerfGE 99, 280, 290 (Fn. 76); v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17, 47 (Fn. 102). 105 BVerfG v. 8. 10. 1991 – 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348, 363 f.; v. 10. 4. 1997, BVerfGE 96, 1, 6 (Fn. 82); v. 30. 9. 1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, 95; v. 6. 3. 2002, BVerfGE 105, 73, 126 (Fn. 52).
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Die sich aus dem Gleichheitssatz ergebende Pflicht des Gesetzgebers, alle Steuerpflichtigen „möglichst gleichmäßig“106 zu belasten, ist zu entfalten innerhalb dieser Vorgaben. Das oben erwähnte Gebot, steuerliche Leistungsfähigkeit nicht zu verschonen wie auch die Einkunftsarten möglichst gleich zu behandeln, „dirigieren“ zwar die Entscheidung des Gesetzgebers bei der Erschließung von Steuerquellen; sie schränken seinen hier bestehenden Entscheidungsraum im Hinblick auf das „Ob“ der Besteuerung jedoch nicht ein.107 Um die Entscheidung über eine Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte an diesen Maßstäben messen zu können, ist diese zunächst entweder der Kategorie „Entscheidung über die Auswahl der steuerbaren Gegenstände“ oder der Kategorie „konsequente Weiterführung einer einmal getroffenen Belastungsentscheidung“ zuzuordnen.108 Im gegenwärtigen Steuerrecht hat sich der Gesetzgeber prinzipiell dafür entschieden, die Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens anders als die Veräußerung von Betriebsvermögen nicht der Steuer zu unterwerfen. Zwar hat er im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002109 sowie im Steuersenkungsgesetz v. 23. 10. 2000110 sowohl mit der Herabsenkung der für die Steuerpflicht im Rahmen des § 17 EStG maßgebenden Beteiligungsgrenze als auch mit der zeitlichen Ausdehnung der steuerlichen Verstrickung privater Vermögensgegenstände im Rahmen der § 22 Nr. 2, § 23 EStG die Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte erheblich ausgeweitet; gleichwohl ist das geltende Recht nach wie vor vom „Dualismus der Einkunftsarten“ getragen. Bei der Entscheidung über eine – sich im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen bewegende – Erweiterung der Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte geht es damit um die Frage der Auswahl des Besteuerungsgegenstandes, die prinzipielle Belastungsentscheidung. 3. Rechtfertigende Gründe für eine Verschonung Die Frage ist somit, ob es sachgerechte Gründe gibt, die die steuerliche Verschonung der für eine Besteuerung in Betracht kommenden privaten Veräußerungsgeschäfte rechtfertigen können. Die Beurteilung, ob ein Grund sachgerecht ist, ist damit nicht primär vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden. Vielmehr besitzt der Gesetzgeber aufgrund des Gewaltentei-
__________ 106 BVerfG v. 27. 6. 1991, BVerfGE 84, 239, 271 (Fn. 43). 107 Papier in FS Vogel, 2000, S. 117, 128; vgl. etwa zur Rechtfertigung der Nichtsteuerbarkeit von Lotterie- und Spielgewinnen Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 667 f. (Fn. 98); Trzaskalik in FS Tipke, 1995, S. 321, 326. 108 Vgl. dazu Friauf, Die Wesentlichkeitsschwelle in § 17 EStG als steuerpolitische Manövriermasse?, DB, Beilage Nr. 8/1995, S. 1, 7. 109 V. 24. 3. 1999, BGBl. I 1999, 402. 110 Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz – StSenkG) BGBl. I 2000, 1433.
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lungsprinzips eine Einschätzungsprärogative, so daß das Bundesverfassungsgericht nur evident sachwidrige Gründe zurückweisen könnte. Der Hinweis darauf, daß der Gesetzgeber „Gewinne aus Veräußerungsgeschäften über Gegenstände des Privatvermögens nur dann als Einkünfte qualifizieren zu können glaubt, wenn sie innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit erzielt worden sind“, wie das Bundesverfassungsgericht noch in der bereits erwähnten Entscheidung zur Steuerfreiheit privater Veräußerungsgeschäfte meinte argumentieren zu können,111 wird den hier maßgebenden Anforderungen allerdings nicht gerecht.112 Der Gesetzgeber muß Gründe benennen können, warum er von einer Besteuerung absieht. Ein bloßer „Glaube“ genügt dafür nicht.113 Indes reicht danach die „klassische Begründung“ für den Einkünftedualismus, das eingesetzte Vermögen habe bei Gewerbetreibenden eine andere Funktion als bei den Beziehern von Überschußeinkünften,114 nicht hin. Nicht nur, daß sich das Recht widersprechen würde, wenn es die Beteiligten auf der Aufwandsseite – von hier zu vernachlässigenden Ausnahmen abgesehen – im wesentlichen gleich behandelt, auf der Einnahmenseite aber funktionelle Unterschiede betonen wollte.115 Vor allem aber vermag der Umstand, daß Einkommen nicht primär durch den Einsatz von Vermögen, sondern primär durch Arbeit bzw. aus den Früchten des Vermögens erzielt wird, nicht zu erklären, warum eine Steigerung von Leistungsfähigkeit, die aus der Veräußerung der Einkunftsquelle resultiert, steuerlich ohne Bedeutung bleiben soll.116 Orientiert man sich statt dessen an den Maßstäben, mit denen Entscheidungen gegen eine Steueranknüpfung gerechtfertigt werden können, wird man indes auf folgende Aspekte hinweisen können: Der Mietwohnungsbau weist die Besonderheit auf, daß in die Kalkulation der Rentabilität einer Investition nicht allein der Mietpreis, sondern stets auch steuerfreie Wertsteigerung miteingerechnet wird.117 Berücksichtigt man nun, daß ohne diesen Posten Investitionen in den Mietwohnungsbau zurückgingen und der Wohnungsmarkt ohne das Engagement privaten Kapitals in eine prekäre Lage geriete,118 ist es jedenfalls volkswirtschaftlich und
__________ 111 112 113 114 115 116 117
BVerfG v. 9. 7. 1969, BVerfGE 26, 302, 313 (Fn. 97). Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 720 (Fn. 98). Vgl. Vogel, DStZ/A 1977, 5, 6 (Fn. 8). Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2, Rz. A 675. Trzaskalik in FS Tipke, 1995, S. 321, 330. Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 718 (Fn. 98). Expertenkommission Wohnungspolitik, Wohnungspolitik auf dem Prüfstand, Gutachten im Auftrag der Bundesregierung, 1995, S. 284, Rz. 8140; Trzaskalik in FS Tipke, 1995, S. 321, 330; Reaktion auf das angekündigte Gesetz: Loomann, Gehen im Immobiliengeschäft jetzt die Lichter aus?, FAZ v. 19. 10. 2002, S. 21. 118 Vgl. FAZ v. 8. 11. 2002, S. 51.
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sozialpolitisch vertretbar, die Gewinne aus der Veräußerung vermieteter Immobilien auch weiterhin nicht der Steuer zu unterwerfen. Rein privat genutzte Immobilien dienen vielfach der Altersversorgung. Angesichts der kritischen Entwicklung der Alterssicherungssysteme wird man die Bildung von privatem Wohneigentum ebenso als einen volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Belang ansehen können, der eine Nichtbesteuerung von entsprechenden Veräußerungsgewinnen zu rechtfertigen vermag. Bei ertragbringend angelegtem Vermögen stellt sich das Problem der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitalmarkts. Kapital verhält sich bekanntlich wie ein „scheues Reh“ (Hermann-Josef Abs). Es muß daher davon ausgegangen werden, daß bei der Einführung einer umfassenden Veräußerungsgewinnbesteuerung in Deutschland angesichts weltweit offener und untereinander in Konkurrenz stehender Kapitalmärkte privates Anlagekapital das Land verlassen wird. Das Problem einer durch Besteuerung ausgelösten Kapitalflucht rechtfertigt zwar nicht die fehlende Durchsetzung des geltenden Rechts; vielmehr gilt, daß wenn der Gesetzgeber sich dafür entschieden hat, Einkünfte aus Kapitalvermögen zu besteuern, er nicht aus volkswirtschaftlichen Gründen von einer Durchsetzung des Steueranspruchs absehen darf.119 Bei der Frage aber, ob ein Gegenstand überhaupt der Steuer unterworfen wird, ist die volkswirtschaftliche Überlegung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitalmarktes jedoch durchaus eine sachgerechte Erwägung, die dabei berücksichtigt werden kann.120 Für das übrige der Einkünfteerzielung dienende Vermögen wird sich der Gesetzgeber zwar nicht auf Gründe des Privatheitsschutzes berufen können. Der Steuerpflichtige hat sich dadurch, daß er die Kosten der entsprechenden Vermögensgegenstände auf der Aufwandsseite geltend gemacht hat, dem steuerlichen Beobachten geöffnet; die Besteuerung des Gewinns, der aus der Veräußerung der Gegenstände erzielt wird, aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre ausschließen zu wollen wäre nicht stimmig.121 In Betracht kommen hier aber steuertechnische Erwägungen. Bei der Erfassung der Einkünfte aus der Veräußerung von Erwerbszwecken dienendem Vermögen wirft die Verifikation, wie erwähnt, Schwierigkeiten auf. Wenn der Gesetzgeber hier aus diesem Grunde von einer Einführung der Besteuerung absieht, wird man ihm nicht eine Überschreitung seines Bewegungsraumes vorwerfen können. Gewiß widerstrebt es dem Gerechtigkeitsgefühl, daß etwa
__________ 119 BVerfG v. 27. 6. 1991, BVerfGE 84, 239, 273 f. (Fn. 43). 120 Vgl. dazu allg. Schön, Steuergesetzgebung zwischen Markt und Grundgesetz, StuW 2004, 62, 63, 72 ff.; etwa BVerfG v. 19. 4. 1978 – 1 BvR 596/77, BVerfGE 48, 206, 226. So wird etwa auch die Steuerfreiheit von Gewinnen aus der Veräußerung von Beteiligungen einer Kapitalgesellschaft gemäß § 8b Abs. 2 KStG mit der volkswirtschaftlichen Erwägung einer Entflechtung der Strukturen deutscher Unternehmen gerechtfertigt, vgl. Möstl, DStR 2003, 720, 723 (Fn. 76). 121 Möstl, DStR 2003, 720, 721 (Fn. 76).
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Hochschullehrer des Rechts eine juristische Bibliothek beliebigen Umfangs steuerwirksam aufbauen können, den Erlös aus der Bibliotheksveräußerung jedoch nicht zu versteuern brauchen, worauf Trzaskalik zu Recht hingewiesen hat.122 Aus der Perspektive des verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstabs kommt es indes nicht darauf an, ob der Gesetzgeber die gerechteste Lösung gefunden, sondern allein darauf, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Entscheidungs-(„Gestaltungs-“)Freiheit überschritten hat.123 Im Hinblick auf die Auswahl des Steuergegenstandes besitzt er auch bei der Einkommensteuer indes eine weite Entscheidungsfreiheit, wenn er seine Entscheidungen sachlich rechtfertigen kann. Eine solche Rechtfertigung wird man ihm jedoch hier nicht absprechen können.124
IV. Ergebnisse Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften könnten als steuerbares Einkommen qualifiziert werden. Maßstab für diese Qualifikation einer Einnahme ist der die Einkommensbesteuerung verfassungsrechlich rechtfertigende und begrenzende Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die Markteinkommenstheorie kann dies nicht in Frage stellen. Der Gesetzgeber darf jedoch ein für besteuerungswürdig erachtetes Gut nur in solchen Tatbeständen erfassen, die auch gleichmäßig und mit angemessenem Aufwand vollzogen werden können. Durch diese Vorgabe reduziert sich der für eine Besteuerung in Betracht kommende Kreis von privaten Veräußerungsgeschäften auf die Veräußerung von beruflich wie auch privat genutzten Grundstücken sowie von ertragbringend angelegtem Vermögen. Auch die Besteuerung der Gewinne aus der Veräußerung sonstigen für berufliche Zwecke eingesetzten Vermögens hielte sich noch in dem Rahmen, den die Verfassung dem Gesetzgeber setzt. Eine Pflicht des Gesetzgebers, eine solche Besteuerung auch einzuführen, besteht indes nicht. Volkswirtschaftliche, sozialpolitische sowie steuertechnische Gründe lassen sich dafür vorbringen, die hier relevanten Vermögensgegenstände auch weiterhin nicht der Steuer zu unterwerfen. Die Entscheidung ist daher der Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers überantwortet. Er wird hierbei die „dirigierenden“ Gehalte der Verfassung und steuersystematische Prinzipien auf der einen wie aber auch das Eingebundensein Deutschlands in eine Welt offener Staaten auf der anderen Seite zu berücksichtigen haben.
__________ 122 Trzaskalik in FS Tipke, 1995, S. 321, 330, Fn. 54. 123 BVerfG v. 8. 10. 1991, BVerfGE 84, 348, 359 (Fn. 105). 124 Vgl. dazu auch das Gutachten der Steuerreformkommission 1971, ESt, LSt II, Rz. 96 (Fn. 3).
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Das Individualsteuerprinzip in Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer Auflösungstendenzen personal gebundener Steuerpflichten
Inhaltsübersicht I. Christoph Trzaskalik und das Individualsteuerprinzip II. Beispiele für Durchbrechungen des Individualsteuerprinzips in Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer III. Individualsteuerprinzip als Subprinzip des Leistungsfähigkeitsprinzips 1. Verwirklichung individueller Belastungsgerechtigkeit 2. Bedeutung des Individualsteuerprinzips für die Ausgestaltung der Einkommensteuer 3. Geltung des Individualsteuerprinzips für die Ausgestaltung proportionaler Unternehmenssteuern? a) Körperschaftsteuer: Individualsteuerprinzip versus Einmalbesteuerung b) Gewerbesteuer: Individualsteuerprinzip versus Objektsteuercharakter
4. Individueller Steuereingriff und Überwälzung IV. Rechtfertigung von Durchbrechungen des Individualsteuerprinzips 1. Fehlender Mittelzufluss und Bewertungsunsicherheit bei unentgeltlicher Übertragung von Wirtschaftsgütern (§§ 6 Abs. 3, 5 Satz 3; 16 Abs. 3 Satz 2 EStG) 2. Besteuerung aufgrund von Drittverhalten zum Zwecke der Missbrauchsvermeidung (§§ 6 Abs. 5 Satz 4; 16 Abs. 3 Satz 3 EStG) 3. Vereinfachung durch Instrumentalisierung steuerlicher Überwälzungsvorgänge (§ 8b Abs. 2 KStG) 4. Gewerbesteuerpflicht der Mitunternehmerschaft bezüglich des Veräußerungsgewinns des Mitunternehmers (§ 7 Satz 2 GewStG)
I. Christoph Trzaskalik und das Individualsteuerprinzip 1981 schrieb Christoph Trzaskalik: „Hält man … daran fest, Wertsteigerungen im ruhenden Vermögen über die Vorschriften der Entnahme und Betriebsaufgabe abzuschöpfen, ist diese Wertsteigerung ebenso höchstpersönlich wie der Gewinn aus dem entgeltlichen Umsatzgeschäft“1. Damit sprach Trzaskalik sich gegen die Buchwertfortführung bei unentgeltlicher Betriebsübertragung aus und forderte den Gesetzgeber zu folgerichtigem Handeln auf. Mittlerweile entfernt sich der Gesetzgeber immer häufiger von den Vorgaben des Individualsteuerprinzips und durchbricht mit § 8b Abs. 2 KStG die
__________ 1
Chr. Trzaskalik, Aufschub der Gewinnrealisierung, DStJG Bd. 4 (1981), 145, 161.
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höchstpersönliche Erfassung stiller Reserven selbst bei entgeltlichen Umsatzgeschäften. Dies wirft die Frage nach Inhalt und Stellenwert des Individualsteuerprinzips auf, nach seiner Bedeutung für unterschiedliche Steuerarten und nach den Möglichkeiten einer Rechtfertigung von Durchbrechungen.
II. Beispiele für Durchbrechungen des Individualsteuerprinzips in Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer Lenkt man den Blick auf einige der aus jüngerer Zeit stammenden Durchbrechungen des Individualsteuerprinzips, wird deutlich, dass es sich um ein vielschichtiges Phänomen handelt. Mit einer Reihe von nur zum Teil aufeinander abgestimmten Regelungen privilegiert der Gesetzgeber die unentgeltliche Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen Betriebsvermögen verschiedener Steuerpflichtiger. Die von Christoph Trzaskalik kritisierte Buchwertfortführung des § 7 Abs. 1 EStDV a. F. ist mittlerweile in § 6 Abs. 3 EStG gesetzlich verankert2. Ebenso ordnet § 6 Abs. 5 EStG das Überspringen stiller Reserven auf einen anderen Steuerpflichtigen an, indem Buchwerte anzusetzen sind, soweit Wirtschaftsgüter aus dem (Sonder-)Betriebsvermögen eines Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 und 2 EStG) und umgekehrt oder zwischen den Sonderbetriebsvermögen verschiedener Mitunternehmer unentgeltlich übertragen werden3. Gleiches gilt für die seit 20014 wieder der Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern angepasste Realteilung in § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG. Zur Regel hat der Gesetzgeber die Abweichung vom Individualsteuerprinzip in § 8b Abs. 2 KStG erhoben, indem Gewinne aus der Anteilsveräußerung steuerlich außer Ansatz bleiben, obwohl die veräußernde Kapitalgesellschaft die im Veräußerungsgewinn realisierte Wertsteigerung des Anteils nicht nur erwirtschaftet hat, sondern – hier liegt der Unterschied zu §§ 6 Abs. 3 und 5; 16 Abs. 3 Satz 2 EStG – auch einen unmittelbaren Liquiditätszufluss erfährt. Umgekehrt kann der Erwerber, wenn sich der Kaufpreis für die Anteile im Nachhinein als überhöht darstellt, wegen § 8b Abs. 3 KStG die verlustbedingte Minderung seiner Leistungsfähigkeit steuerlich nicht geltend machen.
__________ 2 3 4
Eingefügt durch StEntlG 1999/2000/2002 v. 24. 3. 1999, BGBl. I, S. 402. W. Reiß, Individualbesteuerung von Mitunternehmern nach dem Steuersenkungsgesetz, StuW 2000, 399, 407. Zur wechselhaften Entwicklung der Realteilung s. W. Apitz, in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG-/KStG-Kommentar, Jahresband 2002, § 16 EStG Anm. J 01-5.
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Individualsteuerprinzip in Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer
§ 7 Satz 2 GewStG5 erklärt zu Gewerbeertrag auch den Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe von Anteilen an Mitunternehmerschaften, soweit er nicht unmittelbar auf eine natürliche Person entfällt. Nach h. M.6 soll die Mitunternehmerschaft Schuldnerin der Gewerbesteuer auf den Veräußerungsgewinn sein, obwohl nicht sie, sondern der ausscheidende Mitunternehmer den Gewinn realisiert. Damit wird nicht der Veräußerer, sondern paradoxerweise der Erwerber mit der Gewerbesteuer auf den Veräußerungsgewinn belastet, soweit die Parteien keine abweichende Steuertragungsklausel vereinbart haben.
III. Individualsteuerprinzip als Subprinzip des Leistungsfähigkeitsprinzips 1. Verwirklichung individueller Belastungsgerechtigkeit Das Leistungsfähigkeitsprinzip erfordert neben der vollständigen Erfassung des Einkommens die individuelle Zuordnung der Steuerlast7. Steuergerechtigkeit ist Verteilungsgerechtigkeit. Der Gesetzgeber muss nicht nur festlegen, was er besteuert, sondern auch, wen er besteuert. Nur auf diese Weise lässt sich der Steuereingriff an Individualgrundrechten messen. Deshalb folgt als verfassungskräftiges Subprinzip8 aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip ein Individualsteuerprinzip des Inhalts, dass sich der gesetzliche Steuereingriff gegen die Person richten muss, die über die abzuschöpfende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt bzw. diese erwirtschaftet hat. Die Verfügungsbefugnis über die Einkünfte und die Erwirtschaftung dieser Einkünfte kann auseinander fallen, wenn ein als Einkommensverwendung unbeachtlicher Leistungsfähigkeitstransfer zwischengeschaltet ist. In diesem Fall ist nach dem Individualsteuerprinzip derjenige zum Steuerschuldner zu bestimmen, der die Einkünfte als „Herr der Leistungsbeziehung“9 erwirtschaftet hat10. Wenn §§ 3, 38 AO die Entstehung des Steueranspruchs an die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes knüpft, dann ist darunter grundsätzlich die Verwirklichung des Tatbestandes durch den Steuerpflichtigen selbst
__________ 5 Eingefügt durch Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20. 12. 2001, BGBl. I, S. 3858. 6 S. Nachweise unten in Fn. 63. 7 I. Reinhardt, Übergang stiller Reserven im Steuerrecht der Kapitalgesellschaft, Frankfurt a. M. u. a. 1998, S. 61; G. Roderburg, Die Steuerfreiheit der Anteilsveräußerungsgewinne im neuen Körperschaftsteuerrecht, Diss. Köln 2003 (im Druck), 2. Kap. II.2. 8 J. Lang, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl., Köln 2002, § 4 Rz. 14; H. WeberGrellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, Köln 2001, S. 178. 9 H. G. Ruppe, Möglichkeiten und Grenzen der Übertragung von Einkunftsquellen als Problem der Zurechnung von Einkünften, DStJG Bd. 1 (1978), S. 7, 19. 10 P. Kirchhof, in Kirchhof/Söhn § 2 Rz. B 210; R. Pinkernell, Einkünftezurechnung bei Personengesellschaften, Diss. Berlin 2001, S. 118.
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gemeint11. Ohne Zurechnungsgrund können dem Steuerpflichtigen weder das erwerbswirtschaftliche Handeln eines anderen noch die hieraus folgenden Einkünfte zugerechnet werden. Das Individualsteuerprinzip ist folglich sowohl tätigkeits-, als auch ergebnisbezogen. 2. Bedeutung des Individualsteuerprinzips für die Ausgestaltung der Einkommensteuer Die besondere Bedeutung des Individualsteuerprinzips in der Einkommensteuer liegt nicht nur in der persönlichen Zuordnung der Steuerschuld, sondern auch darin, Progressionsvorteile durch eine intersubjektive Verschiebung von Einkünften zu verhindern12. Bemessungsgrundlage und progressiver Tarif sind auf die einzelne natürliche Person zu beziehen13. Einkünfte sind bei der Person zu erfassen, die sie erwirtschaftet hat. Zurechnungseinheit ist das Individuum14. In Bezug auf die Erfassung stiller Reserven bedeutet dies nicht nur, dass sie steuerlich abzurechnen sind, bevor die Steuerverstrickung etwa durch Ausscheiden aus der deutschen Steuerhoheit oder Entnahme endgültig endet. Diesem Zweck tragen die Tatbestände der Betriebsaufgabe- und Entnahmebesteuerung15 Rechnung. Abgerechnet werden muss grds. auch dann, wenn Wirtschaftsgüter unentgeltlich auf einen anderen Steuerpflichtigen übertragen werden, selbst wenn die stillen Reserven steuerverstrickt bleiben16. Denn die Steuerverstrickung ist unter dem Individualsteuerprinzip nicht objekt- sondern subjektbezogen zu bestimmen.
__________ 11 G. Crezelius, Besteuerung aus Drittverhalten, FR 2002, 805, 809; H. Weber-Grellet (Fn. 8), S. 178. 12 Grundlegend BVerfG v. 17. 1. 1957 – 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55, 67; st. Rspr. des BFH z. B. BFH v. 5. 5. 1999 – IX R 1/97, BStBl. II 1999, 653, 654, Vorlage an den GrS v. 28. 7. 2004 – XI R 54/99, BFH/NV 2005, 269 (B III. 2); S. Seeger, in L. Schmidt, EStG, 23. Aufl., München 2004, § 26b EStG Rz. 2; J. Becker, Der „Grundsatz der Individualbesteuerung“ im deutschen Einkommensteuerecht, Münster 1970, S. 118 f.; G. Roderburg (Fn. 7), 2. Kap. A.II.2. 13 P. Kirchhof, in Kirchhof, EStG KompaktKommentar, 4. Aufl., Heidelberg 2004, § 2 Rz. 68; J. Lang, in Tipke/Lang, § 9 Rz. 22; R. Könemann, Der Grundsatz der Individualbesteuerung im Einkommensteuerrecht, Frankfurt a. M. 2001, S. 33 ff. 14 Grundlegend BVerfG v. 17. 1. 1957 – 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55, 67; ferner BVerfG v. 14. 4. 1959 – 1 BvL 23/57, BVerfGE 9, 237, 242 ff.; BVerfG v. 3. 4. 1962 – 1 BvL 35/57, BVerfGE 14, 34, 38 ff.; BVerfG v. 30. 6. 1964 – 1 BvL 16/62, BVerfGE 18, 97, 103. 15 I. Reinhardt (Fn. 7), S. 64. 16 G. Luckey, Gewinnrealisierung bei Unternehmensumwandlung und bei Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter, StuW 1979, 129, 136; I. Reinhardt, (Fn. 7), S. 61; W. Reiß, Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts bei Mitunternehmerschaften – Bemerkungen zu den Vorschlägen des BMF, BB 2001, 1225, 1226; B. Paus, Die reale Teilung von Personengesellschaften, NWB Fach 3, S. 12629, 12636.
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3. Geltung des Individualsteuerprinzips für die Ausgestaltung proportionaler Unternehmenssteuern? a) Körperschaftsteuer: Individualsteuerprinzip versus Einmalbesteuerung Da das Individualsteuerprinzip nicht nur Progressionsverschiebungen verhindern soll, sondern ebenso der interpersonell gerechten Zuordnung der Bemessungsgrundlage nach der individuellen Leistungsfähigkeit dient, ist ihm auch bei der Ausgestaltung der Körperschaftsteuer Rechnung zu tragen, denn auch die Körperschaftsteuer ist als Einkommensteuer der juristischen Person Personensteuer17. Ungeachtet des bis heute nicht entschiedenen Streits, ob Körperschaften überhaupt über eine eigene Leistungsfähigkeit verfügen18, sind die Besteuerungstatbestände individuell zuzuordnen. Zu besteuern ist die Körperschaft, bei der ein Zuwachs an Leistungsfähigkeit eintritt bzw. die diesen erwirtschaftet hat. Andererseits wird im Körperschaftsteuerrecht auch dem Prinzip der Einmalbesteuerung gestaltende Wirkung beigemessen, wobei weder über den Inhalt dieses Prinzips noch über das Verhältnis zum Individualsteuerprinzip bisher Klarheit besteht. Zu unterscheiden ist dabei zunächst zwischen dem Grundsatz der Einmalbelastung und dem Grundsatz der Einmalbesteuerung. Während der Grundsatz der Einmalbelastung zum Ausdruck bringt, dass im Verhältnis zwischen Körperschaft und Anteilseigner Mehrfachbelastungen im Hinblick auf die lediglich temporäre Leistungsfähigkeit der Körperschaft zu vermeiden sind19, ist ein Grundsatz der Einmalbesteuerung des Inhalts, dass Gewinne stets mindestens einmal, d. h. entweder auf der Ebene der Körperschaft oder auf der Ebene des Anteilseigners, zu besteuern sind, abzulehnen20. Ob Gewinne,
__________ 17 Ebenso G. Crezelius, Steuerrecht II, 2. Aufl. 1994, S. 9; G. Wöhe, Die Steuern des Unternehmens, 6. Aufl., 1991, S. 19; G. Roderburg (Fn. 7), 2. Kap. A.II.2; J. Englisch, Dividendenbesteuerung. Europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben im Vergleich der Körperschaftsteuersysteme Deutschlands und Spaniens, Diss. Köln 2004 (im Druck), 2. Kap. B. I. 1. b) bb) (v); H. Komarek, Verlustberücksichtigung im nationalen und internationale Konzern, Frankfurt a. M. u. a. 1998, S. 52; I. Reinhardt (Fn. 7), S. 60 f. 18 Hierzu J. Hey, Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung in Europa, Köln 1997, S. 245 ff. mit zahlreichen Nachweisen und aktuell J. Englisch, Dividendenbesteuerung (Fn. 17), 2. Kap. A.I.2.a.cc (i). 19 J. Hey (Fn. 18), S. 254 ff.; J. Englisch, Dividendenbesteuerung (Fn. 17), 3. Kap. B. I. 1. b) bb) (v); G. Roderburg (Fn. 7), 2. Kap. A. II.3; E. Schipporeit, Ziele und Möglichkeiten einer Unternehmungsteuer, StuW 1980, 190, 196 f.; Maiterth/Müller, Die Änderungen im Bereich der Anteilsbesteuerung durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform und das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 aus steuersystematischer Sicht, BB 1999, 2639, 2642; dies., Anmerkungen zu den Auswirkungen des neuen Steuerrechts auf Unternehmenskaufmodelle aus steuersystematischer Sicht, BB 2002, 598, 599. 20 G. Roderburg (Fn. 7), 2. Kap. A. II.6.c; W. Leisner, Kein Anrechnungsverfahren für Steuerbefreite, StuW 1984, 244, 247 f.; J. Hey (Fn. 8), S. 208.
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die zunächst steuerlich verschont wurden, nochmals besteuert werden dürfen oder müssen, ist allein eine Frage des Leistungsfähigkeitsprinzips, konkretisiert etwa durch den Grundsatz intertemporaler Korrespondenz21 oder das Europarecht, wenn es um die Nachbesteuerung steuerfreier Auslandsgewinne oder die Aufdeckung stiller Reserven bei Wegzug zur Herstellung einer Einmalbesteuerung im Inland geht. Schließlich – und nur in dieser Bedeutungsvariante kommt es zum offenen Konflikt mit dem Individualsteuerprinzip – wird der Grundsatz der Einmalbesteuerung dahingehend verstanden, dass Gewinne unabhängig davon, wer sie erwirtschaftet hat, wenigstens einmal steuerlich zu erfassen sind. Danach könnte die Besteuerung bei fortbestehender Steuerverstrickung des Wirtschaftsguts solange hinausgeschoben werden, bis es zu einem Umsatzakt kommt. Ein Überspringen der stillen Reserven zwischen verschiedenen Steuerpflichtigen wäre unproblematisch. Eine solche Betrachtung wird möglich, wenn man annimmt, die stillen Reserven hafteten an dem Wirtschaftsgut selbst und nicht an der Person des Steuerpflichtigen, der das Wirtschaftsgut während der Entstehung der stillen Reserven gehalten hat22. Dem steht jedoch § 1 EStG entgegen, wonach natürliche Personen mit ihrem Einkommen und nicht Betriebe mit ihren Erträgen erfasst werden23. Dies gilt in gleicher Weise für die Körperschaftsteuer. Mit der Systematik der Körperschaftsteuer als Personensteuer ist eine Auflösung der personalen Zuordnung stiller Reserven nicht vereinbar. Steuerobjekt ist das Einkommen der juristischen Person. Dies setzt die Erfassung bei der Körperschaft voraus, die das Einkommen erwirtschaftet hat. Ein dem Individualsteuerprinzip gleichrangiges Prinzip der Einmalbesteuerung gibt es folglich bei den Personensteuern nicht. Ob und bei wem Gewinne einmal zu besteuern sind, ist eine Frage der individuellen Leistungsfähigkeit. b) Gewerbesteuer: Individualsteuerprinzip versus Objektsteuercharakter Während also bei den Personensteuern kein Zweifel daran besteht, dass das Individualsteuerprinzip das Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisiert und dessen Rang teilt, ist unklar, welche Bedeutung dem Individualsteuerprinzip in der Gewerbesteuer zukommt. Legt man die traditionelle Sichtweise der Gewerbesteuer als Objektsteuer24 zugrunde, dann ist die Ertragskraft eben-
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21 S. C. Dorenkamp, Nachgelagerte Besteuerung von Einkommen, 2004, S. 46; C. Gröpl, Intertemporale Korrespondenz und konsumorientierte Betrachtungsweise im System des geltenden Einkommensteuerrechts, FR 2001, 568 f. 22 So etwa B. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., 1993, S. 820; H. Albach, Gewinnrealisierung im Ertragsteuerrecht, StbJb. 1970/71, 287, 314 f.; H. Schuhmann, Realteilung von Personengesellschaften, StBp. 1983, 269, 275. 23 Chr. Trzaskalik, DStJG Bd. 4 (1981), 145, 159; G. Stoll, Ertragsbesteuerung der Personengesellschaften, Köln 1977, 115 f., 120; G. Luckey, StuW 1979, 129, 135. 24 H. Zitzelsberger, Grundlagen der Gewerbesteuer, Köln 1990, S. 106 ff.
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falls individuell zuzuordnen, und zwar dem jeweiligen Betrieb. Stille Reserven sind gewerbesteuerrechtlich in dem Betrieb zu erfassen, in dem sie erwirtschaftet wurden25. Damit ist aber noch nichts ausgesagt über die zeitliche und persönliche Zuordnung zum (Mit-)Unternehmer, der die Gewerbesteuer wirtschaftlich trägt. Versteht man die Gewerbesteuer als Objektsteuer, dann muss der Steuergesetzgeber bei der Ausgestaltung der Gewerbesteuer grundsätzlich keine Rücksicht auf die hinter dem Gewerbebetrieb stehenden Unternehmer nehmen. Allerdings verwirklicht die Gewerbesteuer das Objektsteuerprinzip nicht konsequent. Die Besteuerung des Gewerbebetriebs ist keineswegs völlig losgelöst von den hinter dem Gewerbebetrieb stehenden Personen26, was etwa deutlich wird an der für die Verlustverwertung geforderten Unternehmens- und Unternehmeridentität27. Ordnet man die Gewerbesteuer dagegen richtigerweise als Sondereinkommensteuer auf den gewerblichen Gewinn ein28, dann muss erst recht sichergestellt sein, dass die Gewerbesteuer denjenigen trifft, der den Ertrag im Betrieb erwirtschaftet hat. Auch die angebliche Überwälzbarkeit der Gewerbesteuer als Kostenfaktor29 steht dem nicht entgegen. Unabhängig davon, ob eine Überwälzung tatsächlich realisiert werden kann, hat der Gesetzgeber jedenfalls mit der Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer in der Einkommensteuer aufgrund von § 35 EStG eine personale Zuordnung hergestellt. § 35 EStG lässt sich nur dann rechtfertigen, wenn die Gewerbesteuer nicht überwälzt wird. Würde die Gewerbesteuer überwälzt, dann wäre einerseits § 35 EStG verfehlt, andererseits müsste die Belastung mit Gewerbesteuer aus der Sicht des tatsächlichen Steuerträgers gerechtfertigt werden. 4. Individueller Steuereingriff und Überwälzung Ob die Belastung der individuellen Leistungsfähigkeit Rechnung trägt, kann nämlich nur anhand der tatsächlichen Belastungswirkungen festgestellt werden30. Nicht die formal-tatbestandtechnische Anknüpfung der Besteuerung ist maßgeblich, sondern gerechtfertigt werden muss die Belastung gegenüber demjenigen, der sie tatsächlich trägt. Intendierte und vorhersehbare Überwälzungen muss der Gesetzgeber in seine Rechtfertigungserwägungen
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25 S. auch BFH v. 25. 5. 1962 – I 78/61 S, BStBl. III 1962, 438, 439. 26 H. Zitzelsberger (Fn. 24), S. 110. 27 BFH v. 19. 12. 1957 – IV 666/55 U, BStBl. III 1958, 210, 212; G. Güroff, in Glanegger/Güroff, Gewerbesteuer, 5. Aufl. 2002, § 10a Rz. 12; H. Weber-Grellet (Fn. 8), S. 179; als inkonsequent kritisiert von H. Zitzelsberger (Fn. 24), S. 288 f. 28 M. Jachmann, Die Gewerbesteuer im System der Besteuerung von Einkommen, DStJG Bd. 25 (2002), 195, 205 ff.; dies., Ansätze einer gleichheitssatzgerechten Ersetzung der Gewerbesteuer, BB 2000, 1432 ff.; a. A. K. Tipke, StRO Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 1141. 29 K. Tipke, StRO Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 1141. 30 J. Englisch, Dividendenbesteuerung (Fn. 17), 2. Kapitel, A.I.2.a.cc) (i) (1).
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einbeziehen31. Folglich werden die Belastungswirkungen der Umsatzsteuer und anderer indirekter Steuern aus der Sicht des Verbrauchers gewürdigt32. Weit weniger klar ist, in welcher Weise Überwälzungsvorgänge bei der Ausgestaltung des Steuertatbestandes direkter Steuern eine Rolle spielen. Anders als bei den indirekten Steuern sind bei den direkten Steuern Steuerschuldner und Steuerträger nach der Intention des Gesetzgebers identisch. Deshalb ist grundsätzlich derjenige zum Steuerschuldner zu bestimmen, den die Belastung treffen soll, weil er über die entsprechende Leistungsfähigkeit verfügt. Die Belastung eines nicht leistungsfähigen Steuerpflichtigen kann nicht allein mit dem Verzicht gegenüber einem anderen leistungsfähigen Steuerpflichtigen gerechtfertigt werden, auch wenn nahe liegen mag, dass in diesem Fall der nicht leistungsfähige Steuerschuldner versuchen wird, seine Belastung auf denjenigen, bei dem der Leistungsfähigkeitszuwachs eintritt, abzuwälzen33. Eine von der Erwirtschaftung der Einkünfte abweichende Anordnung der Steuerschuldnerschaft ist jedoch auch dann abzulehnen, wenn der Gesetzgeber davon ausgehen kann, dass durch Überwälzung die Belastung wirtschaftlich bei demjenigen ankommt, der über die entsprechende Leistungsfähigkeit verfügt. Da der Staat der Garant für die Verwirklichung individueller Belastungsgerechtigkeit ist, muss die persönliche Zuordnung des Steuereingriffs durch den Gesetzgeber festgelegt werden. Er muss entscheiden, welchen Steuerpflichtigen der Eingriff treffen soll und darf sich nicht darauf verlassen, dass die Parteien durch zivilrechtliche Abreden schon zu einer sachgerechten Verteilung der Steuerlasten kommen werden. Eine derartige Gesamtverantwortung aller an einem Austauschvorgang Beteiligten ist mit dem Konzept individueller Zuordnung der Steuerlasten und einem auf den Grundrechten basierenden Schutz gegenüber dem Steuereingriff nicht in Einklang zu bringen34. Die Instrumentalisierung von Überwälzungsvorgängen sollte im Bereich der direkten Steuern auch deshalb die Ausnahme darstellen, weil die Zielgenauigkeit eines Überwälzungsmechanismen voraussetzenden Eingriffs unzweifelhaft hinter der eines unmittelbaren Eingriffs zurücksteht. Deshalb bedarf der Gesetzgeber zum einen, wenn er Überwälzungsvorgänge in die Ausgestaltung direkter Steuern einbezieht, eines besonderen Grundes, der es rechtfertigt, die individuelle Zuteilung der Steuerlasten nicht staatlicher-
__________ 31 K. Tipke, StRO Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 584. 32 K. Tipke, StRO Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 979 ff.; W. Reiß, in Tipke/Lang, § 14 Rz. 1. 33 R. Könemann (Fn. 13) S. 40 f.; H. Söhn, Sonderausgaben (§ 10 EStG) und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, StuW 1985, 395, 406; T. Kaiser, Die Abzugsfähigkeit des Drittaufwandes, Köln 1993, S. 134. 34 In diese Richtung auch W. Reiß, StuW 2000, 399, 408, der sich gegen eine „Kollektivbesteuerung“ wendet.
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seits festzulegen, sondern dem Markt zu überlassen. Denkbar sind hier insbesondere Vereinfachungserwägungen. Zum anderen muss sichergestellt sein, dass es – zumindest typischerweise – zu einem Ausgleich auf vertraglicher Ebene zwischen den Steuerpflichtigen kommt.
IV. Rechtfertigung von Durchbrechungen des Individualsteuerprinzips Es fragt sich, ob sich die eingangs angeführten Beispiele einer Durchbrechung des Individualsteuerprinzips aus der jüngeren Gesetzgebung vor diesem Hintergrund rechtfertigen lassen. 1. Fehlender Mittelzufluss und Bewertungsunsicherheit bei unentgeltlicher Übertragung von Wirtschaftsgütern (§§ 6 Abs. 3, 5 Satz 3; 16 Abs. 3 Satz 2 EStG) Die Vorschriften der Buchwertfortführung bei unentgeltlicher Übertragung von Betrieben, Teilbetrieben und Einzelwirtschaftsgütern (§ 6 Abs. 3, 5 Satz 3 und § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG) haben einen doppelten Regelungsgehalt. Der Gesetzgeber verzichtet nicht nur auf die Aufdeckung der stillen Reserven im Zeitpunkt der unentgeltlichen Übertragung, sondern beschränkt sich – jedenfalls im Grundsatz – auf die Erfassung beim Empfänger. Eine entstehungsgerechte Besteuerung der stillen Reserven durch rückwirkenden Teilwertansatz beim übertragenden Steuerpflichtigen ist nur innerhalb der dreijährigen Sperrfrist angeordnet (§ 6 Abs. 5 Satz 4 EStG). Nach der gesetzgeberischen Konzeption dient die Sperrfrist der Vermeidung missbräuchlicher Inanspruchnahme des Übertragungsprivilegs35. Es handelt sich damit um eine Ausnahmevorschrift zu der Grundregel, nach der der Gesetzgeber das Überspringen stiller Reserven nicht nur hinnimmt, sondern zwingend anordnet, denn mit der Kodifizierung ist das frühere Wahlrecht des Mitunternehmererlasses entfallen36. Eine Rechtfertigung für die über den Steueraufschub hinausgehende Durchbrechung des Individualsteuerprinzips ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich37. Nicht zu überzeugen vermag die Argumentation mit dem Marktein-
__________ 35 Begründung zum Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20. Dezember 2001, BGBl. I, S. 3858, BT-Drucks. 14/7084, 7, 32 f. 36 BMF v. 20. 12. 1977, BStBl. I 1978, 8. Zu der zunächst durch StSenkG v. 23. 10. 2000 (BGBl. I, S. 1433) vorgenommenen „Abschaffung“ des Mitunternehmererlasses M. Wendt, in Herrmann/Heuer/Raupach, Steuerreform 1999/2000/2002, § 6 Anm. R 6. 37 Kritisch daher M. Wendt, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG-/KStG-Kommentar, Jahresband 2002, § 6 EStG Anm. J 01-9 u. J 01-35; W. Reiß, BB 2001, 1225, 1226, die jedenfalls bei späterer entgeltlicher Realisierung die Erfassung zum Übertragenden fordern.
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kommensprinzip, wonach die reine Umstrukturierung von Unternehmen nicht der Erwirtschaftung von Einkünften am Markt diene38, denn unzweifelhaft sind die stillen Reserven, um deren Zuordnung zum übertragenden Steuerpflichtigen es geht, am Markt erwirtschaftet worden und werden später am Markt realisiert. Auch Realisationsprinzip und Übermaßverbot legitimieren im Hinblick auf den fehlenden Mittelzufluss und die Bewertungsunsicherheit lediglich den Aufschub der Besteuerung bis zum Umsatzakt39. Nicht gedeckt ist das Überspringen der stillen Reserven auf den Rechtsnachfolger. Zwar geht es nicht in erster Linie darum, stille Reserven bei demjenigen zu versteuern, bei dem sie sich angesammelt haben, sondern Gewinne bei demjenigen zu versteuern, der sie erwirtschaftet hat40. Wenn der Gesetzgeber aber auch bei Entnahme und Betriebsaufgabe trotz der Unentgeltlichkeit dieser Vorgänge auf einer Besteuerung der während der Steuerverstrickung entstandenen stillen Reserven in der Person des Steuerpflichtigen, der sie erwirtschaftet hat, besteht, ist es zunächst ein Gebot der Folgerichtigkeit, auch bei unentgeltlicher Übertragung in das Betriebsvermögen eines anderen Steuerpflichtigen die personale Zuordnung der stillen Reserven beizubehalten41. Allerdings bleibt die Bewertungsunsicherheit auch bei späterer entgeltlicher Realisierung der stillen Reserven insoweit bestehen, als es um die Aufteilung zwischen den Beteiligten geht. Zwar ist mit der Markttransaktion nun ein Wert vorhanden, dieser gibt aber keine Anhaltspunkte bezüglich der Aufteilung der im Veräußerungsgewinn realisierten stillen Reserven zwischen Übertragendem und Empfänger. Je mehr Zeit zwischen der Übertragung und der nachfolgenden Veräußerung/Entnahme verstreicht, desto schwerer wird es, die Verursachungsbeiträge realitätsgerecht zuzuordnen. Hierin könnte eine zusätzliche Rechtfertigung für eine Fristenregelung liegen, die dann aber nicht mehr als Ausnahmeregelung zur Erfassung von Missbräuchen anzusehen wäre. Stattdessen wäre umgekehrt der Verzicht auf eine individuelle Abrechnung nach Ablauf der Sperrfrist als Vereinfachungszwecknorm zu rechtfertigen, wobei unter dieser Prämisse die fünf- bzw. dreijährige Frist (§ 6 Abs. 3 Satz 2; Abs. 5 Satz 4 EStG) eher zu kurz erscheint.
__________ 38 So I. Reinhardt, (Fn. 7), S. 87 ff.; N. Herzig, Ausgewählte Schwachstellen des Körperschaftsteuerrechts, GmbHR 1987, 140, 142. 39 J. Lang, in Tipke/Lang, § 9 Rz. 405; H. Beisse, Gewinnrealisierung – ein systematischer Überblick über Rechtsgrundlagen, Grundtatbestände und grundsätzliche Streitfragen, DStJG Bd. 4 (1981), 13, 40. 40 Chr. Trzaskalik, DStJG Bd. 4 (1981), 145, 157. 41 In diese Richtung M. Wendt, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG-/KStG-Kommentar, Jahresband 2002, § 6 EStG Anm. J 01-9; I. Reinhardt, Übergang stiller Reserven im Steuerrecht der Kapitalgesellschaft, Frankfurt a. M. u. a. 1998, S. 63 (Prinzip der Personenidentität stiller Reserven); a. A. scheinbar B. Paus, Die reale Teilung von Personengesellschaften, NWB Fach 3, S. 12629, 12637.
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Indes, es bleibt die Unabgestimmtheit mit Entnahme und Betriebsaufgabe. Auch hier stehen Bewertungsunsicherheit und fehlender Mittelzufluss der steuerlichen Abrechnung der stillen Reserven nicht entgegen. Beide Situationen unterscheiden sich allerdings, indem erstens bei der Überführung von Wirtschaftsgütern in das Privatvermögen ohne Entnahme-/Aufgabebesteuerung eine steuerliche Erfassung der stillen Reserven gänzlich unterbleiben würde, während bei der Überführung in ein anderes Betriebsvermögen jedenfalls eine Besteuerung beim Empfänger stattfinden wird, indem zweitens der Steuerpflichtige im Besitz der Wirtschaftsgüter bleibt und sich damit notfalls durch Beleihung oder Veräußerung die zur Steuerzahlung notwendigen Mittel verschaffen kann und indem drittens – hierbei handelt es sich um eine Sozialzwecküberlegung – der Betrieb nicht fortgesetzt wird. Der Besteuerungsaufschub verbunden mit dem Verzicht auf die individuelle Zuordnung der stillen Reserven soll nach der Intention des Gesetzgebers wirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierungsprozesse erleichtern42. Zwar hat Christoph Trzaskalik auf der 4. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft ausgeführt, dass es keinen allgemeinen Grundsatz der betrieblichen Kontinuitätsgewährung gäbe, der eine Durchbrechung des Individualsteuerprinzips erzwinge43. Denn dann dürfe auch die entgeltliche Betriebsübertragung nicht besteuert werden. Indes unterscheidet sich die entgeltliche von der unentgeltlichen Betriebsübertragung dadurch, dass in ersterem Fall der Veräußerer über die notwendige Liquidität zur Steuerzahlung verfügt. Dies dürfte Differenzierungsgrund genug sein. Zwar ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, den unentgeltlichen Betriebsübergang oder die Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern anders zu behandeln als Betriebsaufgabe und Entnahme. Er ist aber im Rahmen seiner gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit berechtigt, unentgeltliche Betriebsübertragungen zur Förderung der Generationennachfolge zu erleichtern, zumal insoweit auch der im Erbschaftsteuerbeschluss von 199544 aufgestellte Grundsatz der besonderen Sozialpflichtigkeit betrieblichen Vermögens herangezogen werden kann. Unter diesem Aspekt müsste allerdings das frühere Wahlrecht für einen höheren Wertansatz bis zum Teilwert wieder hergestellt werden. Denn es gibt keine Notwendigkeit, den Steuerpflichtigen unter Durchbrechung des Individualsteuerprinzips zur Übertragung der stillen Reserven zu zwingen45. Würde sich der Gesetzgeber dagegen im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit für eine strikte Verfolgung des Individualsteuerprinzips und damit generell – d. h. auch außerhalb der derzeit geltenden Fristen – für eine Beibehaltung
__________ 42 BT-Drucks. v. 10. 9. 2001 14/6882, 32 f.; für nicht ausreichend erachtet von W. Reiß, in Kirchhof, EStG KompaktKommentar, § 16 Rz. 351. 43 Chr. Trzaskalik, DStJG Bd. 4 (1981), 145, 152. 44 BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, S. 165, 175 (Erbschaftsteuer). 45 Verfassungsrechtliche Zweifel hat W. Reiß, in Kirchhof, EStG KompaktKommentar, § 16 Rz. 351.
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der individuellen Zuordnung der stillen Reserven entscheiden, bedürfte es eines über die nicht in allen Fällen einsetzbare Ergänzungsbilanz hinausgehenden Instruments individueller Zuordnung46. 2. Besteuerung aufgrund von Drittverhalten zum Zwecke der Missbrauchsvermeidung (§§ 6 Abs. 5 Satz 4; 16 Abs. 3 Satz 3 EStG) Es stellt sich die weitere Frage, wie sich die geltenden Fristenregelungen in das vom Gesetzgeber derzeit verfolgte Konzept einfügen. Um zu verhindern, dass stille Reserven zur Vorbereitung einer nachfolgenden Realisierung auf einen anderen Steuerpflichtigen verschoben werden47, hat der Gesetzgeber in §§ 6 Abs. 3 Satz 3, Abs. 5 Satz 4; 16 Abs. 3 Satz 3 EStG angeordnet, dass es bei Veräußerung oder Entnahme innerhalb einer Sperrfrist von drei bzw. fünf Jahren rückwirkend zur Aufdeckung der stillen Reserven beim Übertragenden kommt. Die Veräußerung/Entnahme innerhalb der Sperrfrist stellt ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Als Missbrauchsregeln lassen sich die §§ 6 Abs. 3 Satz 2; 6 Abs. 5 Satz 4; 16 Abs. 3 Satz 3 EStG meiner Ansicht nach jedoch nicht rechtfertigen, denn wie so oft typisiert der Gesetzgeber zu grob. Die Veräußerung innerhalb der Sperrfrist48 gilt unwiderleglich als Missbrauch. Die Missbrauchsabsicht des Übertragenden wird bei Veräußerung sperrfristbehafteter Anteile durch den Erwerber unterstellt, und zwar auch dann, wenn die spätere schädliche Handlung ohne Wissen und Wollen des Übertragenden geschieht. Rechtfertigen lässt sich die Zurechnung des Drittverhaltens unter dem Gesichtspunkt der Missbrauchsvermeidung nur dann, wenn Übertragender und Rechtsnachfolger kollusiv zusammenwirken. Dass der Gesetzgeber versucht, den Missbrauch zu typisieren, ist zwar im Hinblick auf die Praktikabilität im Massenverfahren nicht weiter zu beanstanden. Indes stellt sich die Frage, ob drei- bzw. fünfjährige Sperrfristen ohne die Möglichkeit, den Beweis des Gegenteils zu führen, eine sachgerechte Typisierung darstellen. Dies ist zu verneinen, um so mehr als der Gesetzgeber den Übergang der stillen Reserven auf den Empfänger und damit die Durchbrechung des Individualsteuerprinzips zwingend anordnet49.
__________ 46 S. die Anregung von M. Wendt, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG-/KStG-Kommentar, Jahresband 2002, § 6 EStG Anm. J 01-9. 47 S. BT-Drucks. v. 10. 9. 2001, 14/6882, 32 f. 48 Dabei ist unklar, warum der Gesetzgeber in § 6 Abs. 3 und 5 EStG unterschiedlich lange Sperrfristen für erforderlich erachtet hat; zu Recht kritisiert von W.-D. Hoffmann, Unentgeltliche Übertragung eines (Teil-)Betriebs oder Mitunternehmeranteils, GmbHR 2002, 236, 239; M. Wendt, Teilanteilsübertragung und Aufnahme eines Gesellschafters in ein Einzelunternehmen nach den Änderungen des EStG durch das UntStFG, FR 2002, 127, 134 f. 49 G. Crezelius, FR 2002, 805, 811.
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Individualsteuerprinzip in Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer
Darüber hinaus begegnet die Besteuerung der im Übertragungszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven beim Übertragenden in Abhängigkeit von Veräußerung/Entnahme durch den Empfänger auch ihrerseits im Hinblick auf das Individualsteuerprinzip Bedenken, soweit die Verwirklichung des Steuertatbestandes von einem Verhalten abhängig gemacht wird, auf das der Übertragende keinen Einfluss nehmen kann und für das es an einem zivilrechtlichen Zurechnungstatbestand fehlt. Problematisch ist der rückwirkende Teilwertansatz insbesondere dann, wenn die Veräußerung/Entnahme auf die Übertragung zwischen zwei Sonderbetriebsvermögen verschiedener Mitunternehmer derselben Mitunternehmerschaft oder nach einer Realteilung erfolgt. Denn in diesen Fällen besteht weder gesellschaftsrechtlich eine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Verwirklichung des rückwirkenden Ereignisses noch hat der Übertragende einen Anspruch auf Partizipation am Veräußerungsgewinn. Ohne zivilrechtlichen Rückgriffsanspruch muss der Übertragende die Steuer auf die stillen Reserven bezahlen, der Empfänger dagegen kann den Veräußerungsgewinn, soweit er auf im Vorbesitzzeitraum entstandene Wertsteigerungen entfällt, unversteuert vereinnahmen. Zwar ist über das subjektive Tatbestandsmerkmal der Einkünfteerzielungsabsicht hinaus die Entstehung des Einkommensteueranspruchs weder vom Wissen noch vom Wollen des Steuerpflichtigen abhängig50. Der Tatbestand der Einkünfteerzielung kann durch aktives Tun, ebenso wie durch Unterlassen verwirklicht werden. Um an das Verhalten eines Dritten steuerliche Folgen knüpfen zu können, bedarf es jedoch eines Zurechnungsgrundes. Dieser kann insbesondere in der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit mehrerer Steuerpflichtiger liegen51. Wird einer der Gesellschafter im Namen und für Rechnung der Gesellschaft tätig, so treffen die steuerlichen Folgen die anderen Gesellschafter. Der Zurechnungsgrund liegt in der gemeinschaftlichen Tatbestandsverwirklichung. Damit kann die Betätigung einzelner Mitunternehmer ohne Wissen und Wollen der anderen Mitunternehmer zugerechnet werden und beispielsweise eine gewerbliche Infektion bewirken. Indes ist stets Voraussetzung, dass die Gesellschafter in ihrer Verbundenheit als Personengesellschaft tätig werden52. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG setzt voraus, dass die Personengesellschaft auch gewerblich tätig wird. Der gewerblich tätige Mitunternehmer muss im Namen und für Rechnung der Personengesellschaft auftreten53. Hieran fehlt es insbesondere in den Fällen des § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG. Zivilrechtlich stellt die Realteilung eine andere Art der Beendigung der Personengesellschaft im Sinne von § 145 HGB dar. Damit entfällt auch der Zurechnungsgrund. Gleichwohl ordnet der Gesetzgeber an,
__________ 50 BFH v. 27. 3. 1990 – VII R 26/89, BStBl. II 1990, 939, 941; P. Fischer, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO-/FGO-Kommentar § 38 Rz. 5; H. W. Kruse, in Tipke/ Kruse, § 38 AO Tz. 8. 51 Grundlegend R. Pinkernell (Fn. 10), S. 85 ff. 52 BFH v. 9. 12. 2002 – VIII R 40/01, BStBl. II 2003, 294, 296 f. 53 L. Schmidt, in L. Schmidt, § 15 EStG Rz. 193.
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dass das Verhalten des Realteilers, der übernommenen Grund und Boden oder andere wesentliche Betriebsgrundlagen innerhalb von drei Jahren nach Abgabe der letzten Steuererklärung der Mitunternehmerschaft veräußert oder entnimmt, die Aufdeckung der stillen Reserven in der Gesamthandsbilanz nach sich zieht, mit der Folge der Verteilung als laufender Gewinn nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel auf die einzelnen Mitunternehmer54. Das Verhalten eines der ehemaligen Mitunternehmer führt also, ohne dass die Mitunternehmerschaft noch besteht, zu einer nachträglichen Erhöhung der Steuerschuld auch der anderen Mitunternehmer. Die Anknüpfung an das Drittverhalten kann nicht bereits damit gerechtfertigt werden, dass auf diese Weise lediglich die ursprüngliche – dem Individualsteuerprinzip entsprechende – Zuordnung der stillen Reserven wiederhergestellt wird55. Wenn einer der Gründe für den Verzicht auf die Abrechnung der stillen Reserven aufgrund der ersten Übertragung der Mangel an Liquidität war, so ändert sich hieran aus der Sicht des Übertragenden durch die spätere Veräußerung seitens des Empfängers nichts. Nicht ihm fließt die durch die Aufdeckung der stillen Reserven vermittelte Liquidität zu, sondern dem Empfänger und ohne vertragliche Vorsorge56 hat der Übertragende keinen Anspruch auf Ersatz seines Steuerschadens durch den Empfänger. Folgert man aus dem Individualsteuerprinzip auch bei unentgeltlicher Übertragung von (Teil-)Betrieben und Wirtschaftsgütern in das Betriebsvermögen eines anderen Steuerpflichtigen die Notwendigkeit, die stillen Reserven bei nachfolgender Realisierung am Markt bei dem Steuerpflichtigen zu erfassen, der sie angesammelt hat, wären die Sperrfristregeln also Regel- und nicht Ausnahmevorschriften, so müsste gleichwohl sichergestellt sein, dass der Übertragende nicht auf der Steuer sitzen bleibt, während sich der Empfänger des ungeschmälerten Veräußerungsgewinns erfreuen kann. Der Gesetzgeber müsste hierfür Sorge tragen, indem der Übertragende einen – disponiblen – gesetzlichen Anspruch auf den zur Steuerzahlung erforderlichen Teil des Veräußerungspreises gegenüber dem durch die unentgeltliche Übertragung begünstigten Empfänger eingeräumt wird. Versteht man die Sperrfristregeln dagegen entsprechend der derzeitigen gesetzlichen Konzeption als Missbrauchsvermeidungsvorschriften, dann bedarf es der Aufnahme eines Zurechnungselements, das die Annahme eines Zusammenwirkens von Übertragendem und Empfänger rechtfertigt.
__________ 54 R. Wacker, in L. Schmidt, § 16 EStG Rz. 555. 55 Ebenso G. Crezelius, FR 2002, 805, 811: Ein Systembruch kann nicht mit einem anderen gerechtfertigt werden. 56 Zur Notwendigkeit schuldrechtlicher Absicherung des Übertragenden M. Wendt, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG-/KStG-Kommentar, Jahresband 2002, § 6 EStG Anm. J 01-35.
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Individualsteuerprinzip in Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer
3. Vereinfachung durch Instrumentalisierung steuerlicher Überwälzungsvorgänge (§ 8b Abs. 2 KStG) Vereinfachungszwecke liegen der Durchbrechung des Individualsteuerprinzips in § 8b Abs. 2 KStG zugrunde. Der Gesetzgeber verzichtet auf die Besteuerung des Gewinns aus der Anteilsveräußerung bei der veräußernden Kapitalgesellschaft zum einen im Hinblick auf die körperschaftsteuerliche Vorbelastung der im Veräußerungserlös repräsentierten offenen Rücklagen, zum anderen im Hinblick auf die zukünftige Besteuerung der auf stillen Reserven basierenden Wertsteigerung. Diese stillen Reserven bleiben steuerverhaftet in der Kapitalgesellschaft, deren Anteile veräußert werden. Tarifverschiebungen sind in der proportionalen Körperschaftsteuer nicht zu befürchten. Allerdings nimmt der Gesetzgeber – was im Hinblick auf §§ 20 Abs. 3, 23 Abs. 4 Satz 2 UmwStG verwunderlich ist – hin, dass die Realisierung der stillen Reserven durch die Kapitalgesellschaft, deren Anteile veräußert wurden, nicht unter seine Steuerjurisdiktion fällt, da er die Steuerfreiheit auch im Fall der Veräußerung von Anteilen an einer ausländischen Kapitalgesellschaft gewährt. Indes, europarechtlich hat er ohnehin keine andere Wahl. Der Verzicht auf die Besteuerung des Veräußerungsgewinns ist keine Steuervergünstigung, sondern dient der Vermeidung einer Doppelbelastung57. § 8b Abs. 2 KStG ist nicht Ausdruck eines Prinzips der Einmalbesteuerung, sondern der Einmalbelastung. Dabei bedient sich der Gesetzgeber allerdings einer Technik, die das Individualsteuerprinzip außer Acht lässt und darauf vertraut, dass in der Kaufpreisbildung die zukünftigen steuerlichen Folgen antizipiert werden. Bei zutreffender Berücksichtigung der zukünftigen Körperschaftsteuerbelastung im Kaufpreis entspricht das Freistellungssystem in seiner wirtschaftlichen Belastungswirkung einer individuellen Erfassung auf jeder Beteiligungsstufe mit Anrechnung gezahlter Körperschaftsteuer und neutralisierender ausschüttungsbedingter Teilwertabschreibung58. Voraussetzung sind allerdings optimal informierte Vertragsparteien und ideale Marktbedingungen59. Dabei sind die Fehlermöglichkeiten in der Ermittlung der latenten Steuerlast vielfältig: Fehlbewertung im Zeitpunkt der Veräußerung, späterer Untergang der stillen Reserven, Ungewissheit über den
__________ 57 H.-J. Kanzler, Problematik der steuerlichen Behandlung von Veräußerungsgewinnen, FR 2000, 1245, 1251; W. Schön, Die Abzugsschranken des § 3c EStG zwischen Verfassungs- und Europarecht, FR 2001, 381, 384; I. van I. van Lishaut, Die Reform der Unternehmensbesteuerung aus Gesellschaftersicht, StuW 2000, 182, 189 ff.; J. Lang, Prinzipien und Systeme der Besteuerung von Einkommen, DStJG Bd. 24 (2001), 49, 92; ausführlich G. Roderburg (Fn. 7), 4. Kap. Abschn. A.I. 58 G. Roderburg (Fn. 7), 4. Kap. A.IV.2.d.aa. 59 J. Hey, Umwandlungssteuergesetz nach der Unternehmenssteuerreform, GmbHR 2001, 993, 997; P. Bareis, Das Halbeinkünfteverfahren im Systemvergleich, StuW 2000, 133, 142.
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für die korrekte Barwertermittlung relevanten Zeitpunkt der Realisierung und den in diesem Zeitpunkt geltenden Körperschaftsteuersatz. Das Risiko der Fehleinschätzung liegt allein beim Käufer. Die Zahlung eines im Hinblick auf die latente Steuerlast zu hohen Kaufpreises wirkt sich bei ihm mangels Teilwertabschreibung oder Verlustberücksichtigung (§ 8b Abs. 3 Satz 3 KStG) steuerlich nicht aus. Allerdings weist Georg Roderburg in seiner Kölner Dissertation „Steuerfreiheit der Anteilsveräußerungsgewinne im neuen Körperschaftsteuersystem“ nach, dass sich bei konsequenter Berücksichtigung die latenten Steuern im Veräußerungspreis selbst bei Fehleinschätzungen keine Belastungsunterschiede gegenüber dem früheren Anrechnungssystem ergeben60. Damit scheint die Durchbrechung des Individualsteuerprinzips insbesondere im Hinblick auf die europarechtliche Notwendigkeit eines einfach auch auf Auslandssachverhalte anwendbaren Verfahrens61 gerechtfertigt62, wobei allerdings kritisch anzumerken ist, dass es sich letztlich nur um eine Verlagerung der Komplexität vom Besteuerungsverfahren in die zutreffende Kaufpreisfindung handelt. 4. Gewerbesteuerpflicht der Mitunternehmerschaft bezüglich des Veräußerungsgewinns des Mitunternehmers (§ 7 Satz 2 GewStG) Gemäß § 7 Satz 2 Nr. 1, 2 GewStG gehört seit dem 1. 1. 2002 der Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs oder Teilbetriebs einer Mitunternehmerschaft oder eines Mitunternehmeranteils zum Gewerbeertrag, soweit er nicht auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligten Gesellschafter entfällt. Dabei soll nach ganz überwiegender Auffassung nicht der Veräußerer, sondern die Personengesellschaft, deren Anteil veräußert wurde, Steuerschuldner sein63. Da die Steuerschuld erst mit Ablauf des
__________ 60 G. Roderburg (Fn. 7), 4. Kap. B.II.4.a.bb. 61 S. etwa EuGH v. 6. 6. 2000 – Rs. C-35/98, EuGHE 2000, I-4071 (Verkooijen); EuGH v. 18. 9. 2003 – Rs. C-168/01, EuGHE 2003, I-9409 (Bosal). 62 W. Schön, Zum Entwurf eines Steuersenkungsgesetzes, StuW 2000, 151, 159; G. Roderburg (Fn. 7), 4. Kap. B.III; E; in diese Richtung für die Dividendenbesteuerung auch J. Englisch, Dividendenbesteuerung (Fn. 17), 3. Kap. B.I.1.b.bb (vi); sehr kritisch dagegen J. Sigloch, Unternehmenssteuerreform 2001. Darstellung und ökonomische Analyse, StuW 2000, 160, 174 f. 63 Bechler/Schröder, Gewerbesteuer bei Veräußerung von Mitunternehmeranteilen – § 7 Satz 2 GewStG i. d. F. des UntStFG, DB 2002, 2238, 2239; U. Förster, Übertragung von Mitunternehmeranteilen im Ertragsteuerrecht, FR 2002, 649, 651; Rödder/Schumacher, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (Teil II), DStR 2001, 1685; S. Benz, DB-Beil. 1, 2002, 21; Behrens/Schmitt, § 7 S. 2 GewStG n. F. – Neue Gewerbesteuer-Tatbestände für Mitunternehmerschaften und KGaA, BB 2002, 860, 861; Ritzer/Stangl, Gesetzliche Neuerungen im Bereich der Gewerbesteuer, INF 2002, 131, 133; R. Bonertz, Wer ist Schuldner der Gewerbesteuer nach § 7 Satz 2 GewStG n. F. bei gewerbesteuerpflichtigen Mitunternehmeranteilsveräußerungen?, DStR 2002, 795 ff.; Füger/Rieger, Veräußerung von Mitunternehmeranteilen und Gewerbe-
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Individualsteuerprinzip in Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer
Erhebungszeitraums entsteht, in dem das wirtschaftliche Eigentum an dem Anteil übergegangen ist64, trifft sie wirtschaftlich den Erwerber des Anteils65. Seine Belastung hängt damit von der Person des Veräußerers ab. Dies mag unproblematisch sein, falls das Individualsteuerprinzip aufgrund des Objektsteuercharakters der Gewerbesteuer nicht gilt. Doch zum einen wurde der Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer in der Vergangenheit gerade der Besteuerung von Gewinnen aus der Betriebsaufgabe und Veräußerung entgegengehalten. Wird nun der Veräußerungsgewinn im Fall der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils in bestimmten Fällen unter Durchbrechung des Objektsteuerprinzips doch erfasst, lässt sich die Zuordnung der steuerlichen Folgen schwerlich mit dem Objektsteuerprinzip rechtfertigen. Überdies sind der Überzeugungskraft jedweder Argumentation mit dem Objektsteuerprinzip enge Grenzen gesetzt. Zwar mögen die im Veräußerungsgewinn realisierten stillen Reserven Grundlage der objektivierten Ertragskraft des Gewerbetriebs der Mitunternehmerschaft sein, deren Anteile veräußert wurden. So hat der BFH zutreffend die Quelle für diese Einkünfte im Betrieb der Personengesellschaft gesehenen66. Einen Ertrag erzielt jedoch nur der Veräußerer, nicht dagegen die veräußerte Mitunternehmerschaft67 oder gar der Erwerber. Auch unter dem Aspekt des nach der Gesetzesbegründung vordringlich mit § 7 Satz 2 GewStG verfolgten Zwecks der Missbrauchsvermeidung, scheint eine Belastung der Mitunternehmerschaft und damit letztlich des Erwerbers geradezu paradox. Denn der zu verhindernde steuerliche Missbrauch kann nur von der Veräußerer-Kapitalgesellschaft begangen werden, indem diese Einzelwirtschaftsgüter steuerneutral in eine Mitunternehmerschaft einbringt, um sodann ihre Anteile an der Mitunternehmerschaft gewerbesteuerfrei zu veräußern. Dieses vom Gesetzgeber als unbillig empfundene Ergebnis wird nur dann verhindert, wenn im Kaufvertrag vereinbart ist, dass der Veräußerer für die gewerbesteuerlichen Folgen der Veräußerung einsteht. Fehlt es an einer solchen Regelung, wird dem Erwerber des Anteils zwar möglicherweise ein zivilrechtlicher Anspruch auf Vertragsanpassung über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zustehen, er trägt aber je-
__________
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steuer, DStR 2002, 933, 935 auf der Grundlage der bisherigen Rspr. BFH v. 26. 4. 2001 – IV R 75/99, BFH/NV 2001, 1195, 1196; BFH v. 28. 2. 1990 – I R 92/86, BStBl. II 1990, 699, 700 f.; zweifelnd dagegen Günkel/Levedag, FR 2004, 261, 265 ff. R. Wacker, in L. Schmidt, EStG, § 16 Rz. 214, 220. Zu den Auswirkungen auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander und das Erfordernis eines zivilrechtlichen Ausgleichs im Gesellschaftsvertrag, Brinkmann/Schmidtmann, DStR 2003, 93, 94 ff.; Benz, Gewerbesteuer auf Veräußerung eines Mitunternehmeranteils (§ 7 Satz 2 GewStG), DB Beilage 1/2002, 23; Füger/ Rieger, DStR 2002, 933, 936. BFH v. 25. 5. 1962 – I 78/61 S, BStBl. III 1962, 438, 439; ähnlich BFH v. 7. 3. 1996 – I R 89/95, BStBl. II 1997, 224. T. Beußer, Veräußerung von Mitunternehmeranteilen als künftiger Gegenstand der Gewerbesteuer, FR 2001, 880, 884.
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denfalls das Risiko mit seinem Rückgriffsanspruch auszufallen. Zusätzlich wird der zivilrechtliche Ausgleich dadurch erschwert, dass die endgültige Belastung des Erwerbers davon abhängt, ob er die Gewerbesteuer gemäß § 35 EStG auf seine Einkommensteuer anrechnen kann und schließlich dadurch, dass sich die Kaufpreisminderung wiederum auf die Gewerbesteuerbelastung auswirkt, der Minderungsbetrag folglich nur im Wege der Näherungsrechnung ermittelt werden kann68. Konsequent wäre es gewesen, die Steuerschuldnerschaft bei dem die Gewerbesteuerbelastung auslösenden Veräußerer anzuordnen. Der Grund für die in § 7 Satz 2 GewStG angeordnete Gewerbesteuer auf Beteiligungsveräußerungen liegt nämlich gerade nicht allgemein in der Ertragskraft der Mitunternehmerschaft, sondern in der Person des Mitunternehmers, denn der Gesetzgeber hat den Grundsatz, dass Aufgabe und Veräußerung des Gewerbebetriebs nicht der Gewerbesteuer unterliegen, weil es sich nicht um Gewinne des laufenden Gewerbebetriebs handelt69, nicht generell aufgegeben70. Mit der Besteuerung des Veräußerungsgewinns verlässt der Gesetzgeber das Prinzip der Objektbesteuerung und wechselt zu einer unternehmerbezogenen Sichtweise71. Dass es einfacher sein mag, den Veräußerungsgewinn bei der Mitunternehmerschaft zu besteuern, rechtfertigt eine vom Individualsteuerprinzip abweichende Steuerschuldnerschaft nicht. Ein sachgerechtes Ergebnis lässt sich im Wege der Auslegung erreichen. Der Wortlaut steht einer verfassungskonformen Auslegung in Einklang mit dem Individualsteuerprinzip nicht entgegnen. § 7 Satz 2 GewStG enthält keine ausdrückliche Aussage zur Steuerschuldnerschaft. Zwar deutet die Formulierung des § 7 Satz 2 GewStG, dass zum Gewerbeertrag auch der Gewinn aus der Veräußerung gehört, soweit er nicht auf eine unmittelbar beteiligte natürliche Person entfällt, auf eine Erfassung auf der Ebene der Mitunternehmerschaft hin72. Denn § 7 Satz 1 GewStG knüpft an die einkommensteuerrechtliche Gewinnermittlung an, die zunächst für Zwecke der Gewerbesteuer um die nicht zum laufenden Betrieb gehörenden Bestandteile vermindert wird, was § 7 Satz 2 GewStG dann partiell wieder rückgängig macht73. Andererseits kann die Formulierung auch als bloße Erweiterung des
__________ 68 Füger/Rieger, DStR 2002, 933, 936. 69 BFH v. 29. 8. 1984 – I R 154/81, BStBl. II 1985, 160; BFH v. 18. 11. 1971 – I R 116/69, BStBl. II 1971, 182. 70 Behrens/Schmitt, § 7 Satz 2 GewStG n. F. – Neue Gewerbesteuer-Tatbestände für Mitunternehmerschaften und KGaA, BB 2002, 860, 861; D. v. Twickel, in Blümich, EStG/KStG/GewStG, Kommentar, § 7 GewStG Rz. 141, 144; T. Beußer, Veräußerung von Mitunternehmeranteilen als künftiger Gegenstand der Gewerbesteuer, FR 2001, 880, 884. 71 Zutreffend T. Beußer, FR 2001, 880, 882. 72 In diese Richtung auch die Gesetzesbegründung BR-Drucks. 638/01 v. 17. 8. 2001, S. 67. 73 Bechler/Schröder, DB 2002, 2238, 2239.
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Individualsteuerprinzip in Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer
Gewerbesteuerobjekts ohne Aussage zu einer subjektiven Zuordnung interpretiert werden. Soweit im Schrifttum darüber hinaus auf § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG verwiesen wird74, spricht dies eher gegen eine Erfassung bei der Mitunternehmerschaft, da der Veräußerungsgewinn gerade nicht Gegenstand der Tätigkeit der Personengesellschaft ist. Auch verfahrensrechtlich gibt es keine Notwendigkeit einer Erfassung bei der Mitunternehmerschaft, da die nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO vorgenommene einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung nicht bindend ist für die Ermittlung des Gewerbeertrags.
__________ 74 R. Bonertz, DStR 2002, 795, 796; Füger/Rieger, DStR 2002, 933, 935.
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Heinz-Jürgen Pezzer
Vermietung und Verpachtung – eine strukturell defizitäre Einkunftsart Inhaltsübersicht I. Einführung II. Die Einkünfteerzielungsabsicht als grundlegendes, aber einkunftsartabhängiges Strukturmerkmal des Einkommensteuerrechts III. Spezifisches Merkmal der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung: Einkünfteerzielungsabsicht bei auf Dauer angelegter Vermietung 1. Die ältere Rechtsprechung 2. Das Urteil vom 30. 9. 1997 – IX R 80/94 a) Grundaussage b) Kritik im Schrifttum c) Stellungnahme
d) Ausnahmefälle, in denen die Einkünfteerzielungsabsicht anhand einer Prognose zu prüfen ist IV. Die Sonderrolle von steuerrechtlichen Subventions- und Lenkungsnormen 1. Negative Einkünfte aufgrund von Subventions- und Lenkungsnormen sind grundsätzlich kein Indiz gegen die Einkünfteerzielungsabsicht 2. Sonderfragen bei zweckwidriger Inanspruchnahme von Subventionsnormen V. Schlussbetrachtung
I. Einführung In kaum einer anderen Einkunftsart wird so häufig um die Berücksichtigung von negativen Einkünften (hier: Werbungskostenüberschüssen) gestritten wie bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Dieser in der gerichtlichen Praxis konstatierte (dort allerdings eher subjektive) Befund lässt sich durch Recherche objektivieren: So verzeichnet die JURISDatenbank für das Jahrzehnt von 1994 bis 2003 die Zahl von 416 Entscheidungen des IX. (u. a. für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zuständigen) Senats des BFH zu § 21 EStG, davon 345 Entscheidungen (= 83 %), die zusätzlich das Stichwort „Werbungskosten“ enthalten, und 110 Entscheidungen (= 26 %), die zusätzlich das Stichwort „Liebhaberei“, „Einkünfteerzielungsabsicht“ oder „Einkunftserzielungsabsicht“ aufweisen. Für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG), aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG), für sonstige Einkünfte (§ 22 EStG) und für die Gewinneinkunftsarten (§§ 13–18 EStG) ergeben sich demgegenüber deutlich andere Zahlen, wie die nachstehende Tabelle zeigt:
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Heinz-Jürgen Pezzer
Einkunftsart Entscheidungen (1994–2003)
§ 21 (IX. Senat)
§ 19 § 20 (VI. Senat) (VIII. Senat)
§ 22
§§ 13–18
416 = 100 % 115 = 100 % 139 = 100 % 161 = 100 % 1232 = 100 %
Stichworte „Werbungskosten“ 345 = 82,9 % 48 = 41,7 % 75 = 53,9 % 61 = 37,9 % „Betriebsausgaben“
197 = 16 %
Stichworte „Liebhaberei/ Einkünfte- oder 110 = 26,4 % Einkunftserzielungsabsicht“
112 = 9,1 %
2 = 1,7 %
19 = 13,7 % 17 = 10,6 %
Die Suchmethodik, insbesondere die Auswahl und Kombination der Stichworte, mag anfechtbar sein. Zumindest ist aber die Tendenz zu erkennen, dass die Frage der so genannten Liebhaberei, der Einkünfteerzielungsabsicht, bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ungleich häufiger Streitgegenstand ist als bei den übrigen Einkunftsarten. In mehr als jedem vierten Verfahren zu § 21 EStG vor dem IX. Senat des BFH findet dieses Phänomen in irgendeiner Form Erwähnung1. Dies passt zu den Erhebungen der Finanzverwaltung, nach denen die Einkunftsart „Vermietung und Verpachtung“ nicht nur keinen positiven Beitrag
__________ 1
Dies hat zur Folge, dass sich auch das Schrifttum bis in die jüngste Zeit immer wieder damit befasst: Heuermann, Verbilligtes Vermieten als teilentgeltliche Nutzungsüberlassung – § 21 Abs. 2 EStG im Fadenkreuz von Rechtsprechung und Gesetzgeber, DB 2003, 112; ders., Einkünfteerzielungsabsicht bei Vermietung und Verpachtung – Beweisanzeichen und normgerechte Tatbestandsprüfung –, StuW 2003, 101; ders., Objektivierung eines subjektiven Tatbestandsmerkmals: Die Einkünfteerzielungsabsicht bei Vermietung und Verpachtung in der deutschen und österreichischen Rechtsordnung, DStZ 2004, 9; Korn/Fuhrmann, Entwicklungen und Zweifelsfragen zur „Liebhaberei“ im Einkommensteuerrecht, DStZ 2004, 394, 431; Paus, Liebhaberei bei verbilligter Wohnungsvermietung, DStZ 2003, 189; Spindler, Kommentar zur Einkünfteerzielungsabsicht bei Investitionen in einen geschlossenen Immobilienfonds, ZfIR 2001, 237; ders., Zur Bedeutung von Indizien in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, StbJB 2002/2003, 61; ders., Zur Einkünfteerzielungsabsicht bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, in FS Korn, 2005, 165; Stein, Die neue BFH-Rechtsprechung zur Überschusserzielungsabsicht bei der Immobilienvermietung, ZfIR 2003, 226, 274, 323; ders., Keine Liebhaberei bei Vermietung auf Dauer?, DStZ 2004, 189; Stuhrmann, Der Prognosezeitraum im Rahmen der Einkunftserzielungsabsicht bei den Vermietungseinkünften, INF 2005, 61; Thürmer, Einkünfteermittlung beim Vermieten von Ferienwohnungen, DB 2002, 444.
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zum Staatshaushalt leistet, sondern seit Jahren sogar ein Defizit – von zuletzt rd. 16 Mrd. Euro jährlich – verursacht hat2. Die Gründe dafür, dass in dieser Einkunftsart die Problematik der Einkünfteerzielungsabsicht so markant wie wohl nirgends sonst aufscheint, dürften zunächst in den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen liegen: Aus der Vermietung von (nicht betrieblichen) Immobilien ist nämlich nur selten ein positiver Gesamtüberschuss zu erzielen, hauptsächlich dann, wenn die Immobilie im Wesentlichen mit Eigenkapital finanziert ist. Ist die Immobilie dagegen (überwiegend) fremdfinanziert, so ergeben sich in der Regel über längere Zeiträume – oft über Jahrzehnte – erhebliche Werbungskostenüberschüsse, weil – wenn Wertsteigerungen und Steuervorteile außer Betracht bleiben – allenfalls erst nach sehr langen Zeiträumen eine Rendite zu erwirtschaften ist3. Die Durchschnittsrendite bei Wohnimmobilien beträgt weniger als die Hälfte der Fremdkapitalzinsen4. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass auch Christoph Trzaskalik sich in seiner Kommentierung des § 21 EStG mit der Frage der Einkünfteerzielungsabsicht intensiv auseinandergesetz hat5. Er ist dort schließlich zu dem Ergebnis gelangt, die Anwendung der allgemeinen Regeln über die Einkünfteerzielungabsicht auf Vermietungseinkünfte könne kaum gelingen. Für ihren Einsatz bestehe auch kein Bedarf. Erziele der Vermieter von Immobilien im Regelfall langjährige Verluste – seien die Verluste also in § 21 und in den zugehörigen Vorschriften über Werbungskosten und Absetzungen mitgedacht –, müsse man insoweit das Nachdenken über beachtliche und unbeachtliche Verluste weitgehend einstellen. Die Verluste seien eben vom Gesetzgeber gewollt und damit beachtlich6. Diese im Juni 1996 erschienene Kommentierung lag bereits weitgehend auf der Linie des BFH-Urteils vom 30. 9. 1997 – IX R 80/947, mit dem der BFH entschieden hatte, dass – sofern nicht ausnahmsweise besondere Umstände gegen das Vorliegen einer Überschusserzielungsabsicht sprechen – bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit grundsätzlich von der Einkünfteerzielungsabsicht des Steuerpflichtigen auszugehen ist. Nach Veröffentli-
__________ 2 3
4 5 6 7
So der Finanzminister des Landes Rheinland-Pfalz Mittler auf dem Finanzgerichtstag in Köln am 24. 1. 2005. BFH v. 30. 9. 1997 – IX R 80/94, BStBl. II 1998, 771 = BFHE 184, 406; ebenso bereits Hellwig, Der Verlust im Steuerrecht – Ein Dauerbrenner mit neuem Zündstoff –, DStR 1984, 325, 328 f.; Groh, Gewinnerzielungsabsicht und Mitunternehmerschaft, DB 1984, 2424, 2425; Jakob/Hörmann, Einkünfteerzielungsabsicht oder Liebhaberei im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, FR 1989, 665, 666; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 21 Anm. B 269. Trzaskalik, Vom Einkommen zu den Einkunftsarten, in FS für Klaus Tipke, 1995, S. 321 (330). Trzaskalik (Fn. 3), § 21 Rz. B 250 ff. Trzaskalik (Fn. 3), § 21 Rz. B 304. BFH v. 30. 9. 1997 (Fn. 3).
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chung dieses Urteils meinte Christoph Trzaskalik einmal: „Als hätten wir uns abgesprochen!“ Seine Kommentierung hatte die Grundaussage des genannten Urteils geradezu prophetisch vorweggenommen. Die Entstehung der Kommentierung hat der Verfasser dieses Beitrags zwar aus räumlicher Distanz, aber inhaltlich durchaus unmittelbar mit erleben dürfen: Wiederholte Anrufe Christoph Trzaskaliks, auch zu ungewöhnlichen Zeiten, etwa am späten Sonntagabend, führten zu oft stundenlangen freundschaftlich-intensiven und überaus anregenden Diskussionen, die stets von beiden als sehr ertragreich empfunden wurden. Dies verdeutlicht auch, wie sehr Christoph Trzaskalik diese Aufgabe gefangen nahm, mit wieviel Engagement, ja Herzblut, er um die Rechtserkenntnis gerungen hat. Später war gelegentlich zu hören, es habe ihn beschäftigt, dass der IX. Senat des BFH seine Kommentierung so selten zitiert habe. Ihm darauf zu antworten, hat sich zu seinen Lebzeiten leider keine Gelegenheit ergeben. Darum sei es wenigstens an dieser Stelle niedergelegt: Die so genannten Berichte, welche die Beratung vorbereiten und, wenn der Senat der Auffassung des Berichterstatters folgt, die Grundlage der Entscheidung bilden, sind häufig erheblich umfangreicher als das spätere Urteil. Auch bei einem einvernehmlichen Verlauf der Beratung gehört es – jedenfalls im IX. Senat des BFH – zu den beliebtesten Verschönerungsmaßnahmen, den Entscheidungsentwurf nach Möglichkeit zu verschlanken und alles, was nicht unbedingt erforderlich ist, zu streichen; diesen Bemühungen fällt auch manches Zitat zum Opfer, das im Interesse der wissenschaftlichen Vollständigkeit besser bestehen geblieben wäre. Jedenfalls stößt die von Christoph Trzaskalik geschaffene Kommentierung des § 21 EStG seit Jahren gerade im IX. Senat des BFH auf treue Leser. Die von Christoph Trzaskalik entwickelte These, in § 21 EStG und in den zugehörigen Vorschriften über Werbungskosten und Absetzungen seien langjährige Werbungskostenüberschüsse mitgedacht, man müsse insoweit das Nachdenken über beachtliche und unbeachtliche Verluste weitgehend einstellen8, soll im folgenden näher untersucht werden, insbesondere auch deshalb, weil – worauf weiter unten noch zurückzukommen sein wird – im Schrifttum der Streit darüber, wie die Einkünfteerzielungsabsicht bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu prüfen ist und ob insoweit Unterschiede zu anderen Einkunftsarten bestehen, nach wie vor andauert.
II. Die Einkünfteerzielungsabsicht als grundlegendes, aber einkunftsartabhängiges Strukturmerkmal des Einkommensteuerrechts Gemäß § 2 Abs. 1 EStG unterliegen diejenigen Einkünfte aus den sieben Einkunftsarten der Einkommensteuer, die der Steuerpflichtige „erzielt“. Mit
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Trzaskalik (Fn. 6).
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dem Begriff des „Erzielens“ stellt das Gesetz – für alle Einkunftsarten – einen Zusammenhang her zwischen den Einkünften und der Tätigkeit oder Vermögensnutzung, durch die sie erzielt, das heißt erwirtschaftet werden. Einkünfte werden grundsätzlich durch zielgerichtetes Handeln/zielgerichtete Vermögensnutzung erwirtschaftet9. Wesentliches Merkmal der Einkünfteerzielung ist danach die Absicht, durch die Erwerbstätigkeit/Vermögensnutzung auf Dauer gesehen ein positives Ergebnis zu erzielen (Einkünfteerzielungsabsicht)10. Dementsprechend hat auch der Große Senat des BFH das Merkmal der Einkünfteerzielungsabsicht als tragendes Strukturmerkmal des Einkommensteuerrechts entfaltet. Seine dazu entwickelten Formulierungen sind gleichsam das Mantra eines jeden Steuerrechtlers, der sich mit diesem Problemkreis beschäftigt. Deshalb seien die Schlüsselpassagen hier nochmals hervorgehoben11: Bei der Ermittlung des Einkommens für die Einkommensteuer sind nur solche positiven oder negativen Einkünfte anzusetzen, die unter die Einkünfte des § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 7 EStG fallen. Kennzeichnend für diese Einkunftsarten ist, dass die ihnen zugrunde liegenden Tätigkeiten oder Vermögensnutzungen auf eine größere Zahl von Jahren gesehen der Erzielung positiver Einkünfte oder Überschüsse dienen. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so fallen die wirtschaftlichen Ergebnisse auch dann nicht unter eine Einkunftsart, wenn sie sich ihrer Art nach unter § 2 Abs. 3 EStG einordnen ließen. Verluste, die dem Steuerpflichtigen durch ein solches unter keine Einkunftsart fallendes Verhalten – auch als „Liebhaberei“ bezeichnet – entstehen, wirken sich ebensowenig einkommensmindernd aus, wie etwaige Gewinne oder Überschüsse daraus das steuerpflichtige Einkommen erhöhen. Dies folgt aus dem Zweck des EStG, Mittel für die öffentliche Hand zu beschaffen und dabei den Steuerpflichtigen entsprechend seiner Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Dieser Zweck ist nur zu erreichen, wenn auf Dauer gesehen positive Einkünfte für die Besteuerung erfasst werden können. Dass Steuergesetze auch durch nicht an die Leistungsfähigkeit anknüpfende finanzpolitische, volkswirtschaftliche, sozialpolitische, steuertechnische oder andere
__________ 9 Vgl. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 9 Rz. 122, m. w. N.; BFH v. 30. 9. 1997 (Fn. 3). 10 Für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb regelt § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG, dass ein Gewerbebetrieb nur dann vorliegt, wenn – neben weiteren Voraussetzungen – eine Betätigung mit der Absicht unternommen wird, Gewinn zu erzielen. Gemäß Satz 2 dieser Vorschrift ist eine Minderung der Steuern vom Einkommen kein Gewinn in diesem Sinne. Nach Satz 3 der Vorschrift ist es ausreichend, wenn die Gewinnerzielungsabsicht nur ein Nebenzweck ist. Diese für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb normierte Regelung enthält einen allgemeinen Grundsatz, der für alle Einkunftsarten fruchtbar gemacht werden kann (Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, S. 250 f. m. w. N.; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 2 Rz. 70; Raupach/Schencking in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 2 EStG Anm. 371; mithin auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. 11 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, 766 f. = BFHE 141, 405, 435, unter C. IV. 3. c aa (1).
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Heinz-Jürgen Pezzer Erwägungen motiviert sein können12, steht dem nicht entgegen. Auch solche Erwägungen sind letztlich von der Absicht auf Einnahmenerzielung durch die öffentliche Hand getragen.
An diesen Kernsätzen des Großen Senats fällt auf, dass sie recht schlicht, aber prägnant auf den fiskalischen Zweck des EStG gestützt sind: Da es darum geht, Mittel für den Fiskus zu beschaffen, zielt das EStG nicht auf solche Aktivitäten, die zu keinem positiven wirtschaftlichen Ergebnis führen. Wo nichts zu holen ist, besteht für das EStG kein Anlass, auf den Vorgang zuzugreifen. Dies gilt im Grundsatz für alle Einkunftsarten, folglich auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Dementsprechend fällt auch eine Vermietungstätigkeit nur dann unter die Einkunftsart Vermietung und Verpachtung, wenn der Vermieter die Absicht hat, auf Dauer einen Totalüberschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu erwirtschaften; nichtsteuerbare Veräußerungsgewinne bleiben dabei allerdings – dies im Gegensatz zu den Gewinneinkunftsarten des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG – unberücksichtigt13. Letzteres zeigt bereits, dass die Art und Weise, wie die Einkünfteerzielungsabsicht zu prüfen ist, je nach den Besonderheiten der einzelnen Einkunftsarten unterschiedlich ausgeprägt sein kann14. Wie sehr die Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht den Merkmalen der jeweiligen Einkunftsart Rechnung zu tragen hat, lässt sich beispielhaft durch einen Blick „über den Tellerrand“ auf die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft aufzeigen. Auch solche Einkünfte führen oft erst nach vielen Jahrzehnten zu einem Ernteertrag15. Aufgrund dieser vorgegebenen Sachgesetzlichkeit der Forstwirtschaft hat der BFH – dabei durchaus anknüpfend an den Beschluss des Großen Senats vom 25. 6. 198416 – wiederholt entschieden, dass für die Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht bei dieser Einkunftsart der gesamte Zeitraum von der Anpflanzung bis zur Holzernte zu betrachten ist, der häufig um 100 Jahre beträgt, und dass es der Einkünfteerzielungsabsicht eines Eigentümers nicht entgegensteht, wenn die Holzernte nicht schon während seiner Besitzzeit, sondern erst in späterer Zeit anfällt17. Die Parallelen zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sind augenfällig. Dennoch hat hier weder die Rechtsprechung noch die Finanzverwal-
__________ 12 Unter Hinweis auf BVerfG v. 6. 12. 1983 – 2 BvR 1275/79, BStBl. II 1984, 72 = BVerfGE 65, 325. 13 BFH v. 25. 6. 1984 (Fn. 11), unter C. IV. 3. c). 14 Ebenso Heuermann, StuW 2003, 101, 105 m. w. N. 15 Vgl. BFH v. 13. 12. 1990 – IV R 1/89, BStBl. II 1991, 452 = BFHE 163, 418. 16 BFH v. 25. 6. 1984 (Fn. 11). 17 BFH v. 18. 3. 1976 – IV R 52/72, BStBl. II 1976, 482 = BFHE 118, 441; v. 26. 6. 1985 – IV R 149/83, BStBl. II 1985, 549 = BFHE 144, 67; v. 14. 7. 1988 – IV R 88/86, BFH/NV 1989, 771; v. 13. 4. 1989 – IV R 30/87, BStBl. II 1989, 718 = BFHE 157, 98.
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tung Probleme damit, trotz überaus langer Verlustperioden die Gewinnerzielungsabsicht zu bejahen18.
III. Spezifisches Merkmal der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung: Einkünfteerzielungsabsicht bei auf Dauer angelegter Vermietung Weil die Vermietung von Immobilien typischerweise über längere Zeiträume zu Werbungskostenüberschüssen führt, war die Rechtsprechung für diese Einkunftsart sei jeher sehr vorsichtig mit der Annahme, es handele sich um Liebhaberei. 1. Die ältere Rechtsprechung Schon nach dem BFH-Urteil vom 21. 10. 1980 VIII R 81/7919, auf das sich der Große Senat des BFH seinerzeit ausdrücklich bezogen hat20, ist bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung Liebhaberei auch dann nur in Ausnahmefällen anzunehmen, wenn auf lange Sicht kein Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu erwarten ist; die Vermietung und Verpachtung nach § 21 Abs. 1 EStG ist danach für die Annahme einer Liebhaberei „wenig geeignet“21; es ist – so die Rechtsprechung – schwer vorstellbar, dass jemand ohne Überschusserzielungsabsicht lediglich aus persönlicher Neigung an Fremde vermietet22. Die Bezugnahme des Großen Senats auf dieses Urteil ist deshalb so bemerkenswert, weil es damals bereits Urteile zur Liebhaberei bei Vermietung und Verpachtung gab, in denen die vorstehenden einschränkenden Formulierungen fehlen23. Diese Urteile hat der Große Senat jedoch nicht erwähnt. Dies dürfte den Schluss rechtfertigen, dass man sich seinerzeit auch im Großen Senat der Sachgesetzlichkeit der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die eine „gemäßigte“ Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht erfordert, durchaus bewusst war24.
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18 Man muss freilich sehen, dass die Beteiligten hier im Vergleich zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung mit umgekehrtem Vorzeichen streiten: Oft geht es um die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung forstwirtschaftlicher Grundstücke, die zuvor seit vielen Jahrzehnten nur Verluste abgeworfen haben. 19 BFH v. 21. 10. 1980 – VIII R 81/79, BStBl. II 1981, 452 = BFHE 132, 518. 20 BFH v. 25. 6. 1984 (Fn. 11) unter C. IV. 3. c aa (2). 21 Ebenso BFH v. 26. 10. 1982 – VIII R 74/81, BStBl. II 1983, 364 = BFHE 138, 23. 22 BFH v. 21. 10. 1980 (Fn. 19). 23 BFH v. 22. 1. 1980 – VIII R 134/78, BStBl. II 1980, 447 = BFHE 130, 261; v. 1. 8. 1978 – VIII R 17/74, BStBl. II 1979, 14 = BFHE 126, 20; v. 14. 12. 1976 – VIII R 99/72, BStBl. II 1977, 305 = BFHE 121, 50. 24 Dies mag vielleicht diejenigen trösten, die meinen, der BFH sei mit seinem Urteil v. 30. 9. 1997 (Fn. 3) vom Beschluss des Großen Senats v. 25. 6. 1984 (Fn. 11) abgewichen; dazu unten III. 2.
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Auch im Anschluss an die Entscheidung des Großen Senats ist der BFH weiterhin davon ausgegangen, dass Liebhaberei bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nur in Ausnahmefällen angenommen werden kann25, und dass die Fremdvermietung regelmäßig in der Absicht ausgeübt wird, ein positives Gesamtergebnis zu erzielen26. An den älteren Entscheidungen fällt im Übrigen auf, dass der Sachverhalt jeweils auf spektakuläre Weise eine außersteuerliche, private Motivation nahelegte; außerdem verwies der BFH durchweg die Verfahren an die – insoweit sicherlich nicht zu beneidenden – Finanzgerichte zurück, denen damit die abschließende Entscheidung überlassen blieb, ob es sich um Liebhaberei handelte oder nicht27. Die Rechtsprechung bewegte sich also zunächst immer noch tastend auf die Problematik der Einkünfteerzielungsabsicht bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu. 2. Das Urteil vom 30. 9. 1997 – IX R 80/94 a) Grundaussage Mit seinem Urteil vom 30. 9. 1997 – IX R 80/9428 hat der BFH schließlich seine Rechtsprechungslinie weiter fortgesetzt und zu einem Fixpunkt geführt: Danach ist nach dem Regelungszweck des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige beabsichtigt, letztlich einen Einnahmenüberschuss zu erwirtschaften, auch wenn sich über längere Zeiträume Werbungskostenüberschüsse ergeben. Diese Auffassung hat der BFH damit begründet, ein besonderes Kennzeichen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bestehe gerade darin, dass die Einkünfteerzielung sich oft über Jahrzehnte erstreckt, zunächst jahrelang Werbungskostenüberschüsse getragen werden müssen und allenfalls erst nach sehr langen Zeiträumen eine Rendite zu erwirtschaften ist. Die Gesetzgebung hat indessen lediglich die Nutzungswertbesteuerung i. S. von § 21 Abs. 2 Satz 1, § 21a EStG, die überwiegend zu Werbungskostenüberschüssen geführt und sich im Ergebnis wie ein Subventionstatbestand ausgewirkt hatte29, durch das Wohneigentumsförderungsgesetz vom 15. Mai 198630 abgeschafft und durch offene Subven-
__________ 25 BFH v. 21. 1. 1986 – IX R 7/79, BFHE 146, 51, BStBl. II 1986, 394; vom 11. 4. 1990 – I R 63/88, BFH/NV 1990, 705, 706. 26 BFH v. 31. 3. 1987 – IX R 112/83, BStBl. II 1987, 774 = BFHE 150, 325; v. 24. 9. 1985 – IX R 32/80, BFH/NV 1986, 449. 27 BFH v. 24. 9. 1985 (Fn. 26) – Alterssitz –; v. 5. 5. 1988 – III R 41/85, BStBl. II 1988, 778 = BFHE 153, 374, – Ferienwohnung –; v. 5. 5. 1988 – III R 139/85, BFH/NV 1988, 774 – Bauernhaus –; v. 10. 8. 1988 – IX R 20/84, BFH/NV 1989, 160 – Eigentumswohnung in der Schweiz –; v. 15. 1. 1991 – IX R 21/89, BFH/NV 1991, 533 – Wasserschloss –; v. 31. 3. 1992 – IX R 11/87, BFH/NV 1993, 8 – Märchenwald –. 28 BFH v. 30. 9. 1997 (Fn. 3). 29 BTDrucks. 10/3633, 12 f. 30 BGBl. I 1986, 730; BStBl. I 1986, 278.
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tionen (§ 10e EStG, ab 1996 Eigenheimzulagengesetz) ersetzt. Hingegen wird die Vermietung und Verpachtung von unbeweglichem Vermögen gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG ohne Einschränkung weiterhin als Tatbestand der steuerbaren Erzielung von Einkünften erfasst. Daraus hat der BFH den Schluss gezogen, diese Norm beruhe auf der typisierenden Annahme, dass die langfristige Vermietung und Verpachtung trotz über längere Zeiträume anfallender Werbungskostenüberschüsse in der Regel letztlich zu positiven Einkünften führt. Für die Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht, die grundsätzlich eine in die Zukunft gerichtete und langfristige Beurteilung erfordert31 gebiete es der vorgenannte Normzweck des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG, im Falle einer beabsichtigten langfristigen Vermietung regelmäßig davon auszugehen, dass das Mietverhältnis im konkreten Fall letztlich zu positiven Einkünften führen soll und damit die Einkunftserzielungsabsicht gegeben ist. b) Kritik im Schrifttum Gegen diese Argumentation hat sich Kritik artikuliert32, am deutlichsten bei Stein33: Die Vorschrift des § 21 EStG sei eine Fiskalzwecknorm, mit der der Gesetzgeber die Erfassung positiver Einkünfte anstrebe. Es sei vom Ansatz her verfehlt, dem Gesetzgeber hinsichtlich des § 21 EStG eine allgemeine Verlustakzeptanz zu unterstellen. Nur wenn unmissverständlich deutlich werden würde, dass der Gesetzgeber § 21 EStG insgesamt für den Staat als „Verlustgeschäft“ erkannt hätte und dennoch an der bisherigen Besteuerung festhalten wollte, sei § 21 EStG als Subventionsvorschrift zu qualifizieren. Die vom BFH aufgestellte Fiktion sei durch nichts gerechtfertigt. Das Verbot von Kontrollrechnungen (Prognose) stehe mit dem Zweck des § 21 EStG als Fiskalzwecknorm nicht in Einklang. Es sei daher angezeigt, dem IX. Senat des BFH eine kritische Selbstkontrolle seiner Rechtsprechung anheim zu stellen. c) Stellungnahme Dazu ist zu sagen: Die rechtstatsächlichen Erkenntnisse, dass die Einkunftsart Vermietung und Verpachtung insgesamt, d. h. sowohl in Form der Nutzungswertbesteuerung als auch in den Fällen der Vermietung nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG für den Fiskus seit vielen Jahren ein Verlustgeschäft war und ist, dürften nach den in der Finanzverwaltung geführten Statistiken
__________ 31 BFH v. 25. 6. 1984 (Fn. 11). 32 Anm. zu BFH v. 27. 7. 1999 – IX R 64/96, BStBl. II 1999, 826 = BFHE 190, 125, von P. Fischer, FR 1999, 1377, 1379; Paus, DStZ 2000, 259; Rößler, BB 2000, 808; ferner Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 23. Aufl. 2004, § 15 Rz. 31 a. E.: „nicht erforderliche Fiktion“; ders., Vom normtypischen Verhalten zur normgerechten Tatbestandsprüfung, DB 2002, 2568. 33 Stein (Fn. 1), DStZ 2004, 189.
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offen zu Tage liegen34. Es stellt sich allerdings die Frage, weshalb der Steuergesetzgeber insoweit nur mit der Umstellung von der Nutzungswertbesteuerung zur sog. Konsumgutlösung reagiert, den Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG im Übrigen jedoch unverändert gelassen und insoweit das „Verlustgeschäft“ sehenden Auges weiterhin in Kauf genommen hat. Auch die Nutzungswertbesteuerung des § 21 Abs. 2 Satz 1, § 21a EStG a. F. war ursprünglich als reine Fiskalzwecknorm gedacht, die die Leistungsfähigkeit erfassen sollte, welche sich beim privaten Wohnen im eigenen Haus durch die ersparte Miete manifestiert. Diese Fiskalzwecknorm hatte sich durch die Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse in ihrer Wirkung umgekehrt und war zu einer verdeckten Subvention mutiert. Letzteres lässt sich mit gleichem Recht für die Vermietung nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG sagen. Dennoch ist diese Vorschrift im Gegensatz zur Nutzungswertbesteuerung unverändert bestehen geblieben. Die Gründe für diese gesetzgeberische Weichenstellung sind, soweit ersichtlich, nirgendwo dokumentiert. Deshalb lässt sich dazu keine seriöse Aussage treffen. Auf der anderen Seite kann den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kaum solche Realitätsferne unterstellt werden, dass das „Verlustgeschäft“ des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG unbemerkt geblieben sein könnte. Denn – wie gerade die Ersetzung der Nutzungswertbesteuerung durch die offene Subvention des § 10e EStG und die Eigenheimzulage belegt – beobachtet der Steuergesetzgeber35 die Entwicklung recht genau. Vor diesem Hintergrund ist der von Stein geprägte (allerdings abgelehnte) Begriff der „allgemeinen Verlustakzeptanz“36 in Bezug auf § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG durchaus treffend. Ebenso prägnant hatte schon Christoph Trzaskalik formuliert: In § 21 EStG sind die Verluste vom Gesetzgeber mitgedacht37. Der vom BFH aufgestellte Rechtssatz, § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG beruhe auf der typisierenden Annahme (des Gesetzgebers), dass die langfristige Vermietung und Verpachtung trotz über längere Zeiträume anfallender Werbungskostenüberschüsse in der Regel letztlich zu positiven Einkünften führt, ist folglich keine willkürliche richterliche Erfindung, auch keine Fiktion, sondern ein Anwendungsfall der historischen Gesetzesauslegung, eine Folgerung aus der Gesetzgebungsgeschichte der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung. Vor den gegensätzlichen Reaktionen des Gesetzgebers auf die defizitäre Nutzungswertbesteuerung einerseits und die defizitäre Besteuerung der Vermietung andererseits darf der Rechtsanwender nicht die Augen verschließen38.
__________ 34 S. dazu den Vortrag von Mittler (Fn. 2). 35 Genauer gesagt: die fachkundigen Beamten der Finanzverwaltung, welche die politisch Verantwortlichen beraten und die Gesetzgebung vorbereiten. 36 Stein (Fn. 1), DStZ 2004, 189, 192. 37 Trzaskalik (Fn. 6). 38 Ähnlich auch Heuermann (Fn. 1), StuW 2003, 101, 104.
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Im Übrigen erkennt auch Stein39 an, dass das BFH-Urteil vom 30. 9. 199740 einen Beitrag zum Rechtsfrieden in einem seit vielen Jahren umstrittenen Problembereich leisten sollte, er bezweifelt angesichts der zahlreichen Urteile der letzten Jahre jedoch, ob diese Wirkung tatsächlich eingetreten ist. Indes wäre das Konfliktpotenzial sicherlich deutlich größer, wenn auch in jedem Fall einer normalen Dauervermietung eine Kontrollrechnung zur Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht duchgeführt werden müsste. Solche Rechnungen haben ein beträchtliches Willkürelement41. Das beginnt schon mit der Frage, welcher Prognosezeitraum für die Vermietung von Immobilien zugrunde zu legen ist. Ursprünglich hielt selbst die Finanzverwaltung einen Zeitraum von 100 Jahren für zutreffend42. Wer will über diesen Zeitraum ernsthaft die Entwicklung des Vermietungsgeschäfts überblicken und verlässlich voraussagen? Die Rechtsprechung hat sich für die Sonderfälle, in denen ausnahmsweise eine Prognose angestellt werden muss43, inzwischen – in Anlehnung an die marktüblichen Hypothekenlaufzeiten – auf einen Zeitraum von 30 Jahren festgelegt44. Aber auch für diesen Zeitraum konnte der BFH die Prognose nur dadurch „berechenbar machen“45, dass er sie mit einer Reihe von Kautelen und einem zehnprozentigen Sicherheitszuschlag für die (anhand der letzten fünf Jahre geschätzten) Einnahmen sowie einem entsprechenden Sicherheitsabschlag für die – notfalls nach § 28 der II. BVO zu schätzenden – Ausgaben unterfüttert hat. Das alles ist sorgsam ausgedacht und gut gemeint, hat seinen endgültigen Praxistest aber erst noch vor sich. Jedenfalls dient es der Rechtssicherheit, solche langfristigen Prognosen, die immer ein Stück weit Abenteuer bleiben werden, auf Ausnahmefälle zu beschränken. d) Ausnahmefälle, in denen die Einkünfteerzielungsabsicht anhand einer Prognose zu prüfen ist Die der Vorschrift des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG zugrunde liegende Annahme, dass die langfristige Vermietung und Verpachtung trotz über längere Zeiträume anfallender Werbungskostenüberschüsse in der Regel letztlich zu positiven Einkünften führt, gilt nach der Rechtsprechung dann nicht, wenn
__________ 39 Stein (Fn. 1), DStZ 2004, 189, 192. 40 BFH v. 30. 9. 1997 (Fn. 3). 41 Man braucht oftmals nur die geschätzten Einnahmen und Ausgaben hinter dem Komma geringfügig zu verändern, um gegensätzliche Resultate zu erzielen; dazu insbesondere Ebling, Schornsteinfegergebühren und Liebhaberei – Gedanken zur Einkünfteerzielungsabsicht bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit, in FS Offerhaus, 1999, 567. 42 Schreiben des BMF v. 23. 7. 1992, BStBl. I 1992, 434. 43 Dazu unten III.2.d). 44 BFH v. 6. 11. 2001 – IX R 97/00, BStBl. II 2002, 726 = BFHE 197, 151; v. 9. 7. 2002 – IX R 57/00, BStBl. II 2003, 695 = BFHE 199, 422. 45 So die signifikante Formulierung von Heuermann (Fn. 1), StuW 2003, 101, 110.
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aufgrund besonderer Umstände der Beweis des ersten Anscheins oder Beweisanzeichen (Indizien) gegen das Vorliegen einer Überschusserzielungsabsicht sprechen46. Dann ist die im Gesetz vorausgesetzte Grundannahme durch die jeweiligen Sachverhaltselemente des konkreten Falles erschüttert, so dass in der Tat die Einkünfteerzielungsabsicht im Einzelfall durch eine Totalprognose überprüft werden muss. Dazu haben sich verschiedene Fallgruppen herausgebildet, die in der Rechtsprechung der letzten Jahre zunehmend konkretisiert worden sind. Dabei handelt es sich um die Vermietung von Ferienwohnungen47, die Beteiligung an einem Mietkaufmodell48 oder an einem geschlossenen Immobilienfonds49, den Immobilienerwerb mit Rückund Verkaufsgarantie50, die verbilligte Vermietung51, die Vermietung auf bestimmte Zeit52, den Wohnungsleerstand53 sowie – als jüngst hinzugetretene Fallgruppe – die Vermietung einer Wohnung in einem aufwändig gestalteten oder ausgestatteten Wohngebäude, wenn die am Wohnungsmarkt erzielbare Miete den besonderen Wohnwert offensichtlich nicht angemessen widerspiegelt54.
IV. Die Sonderrolle von steuerrechtlichen Subventions- und Lenkungsnormen 1. Negative Einkünfte aufgrund von Subventions- und Lenkungsnormen sind grundsätzlich kein Indiz gegen die Einkünfteerzielungsabsicht Der Grundansatz des Großen Senats des BFH, dass das Einkommensteuerrecht sich aufgrund des ihm vorgegebenen Zwecks nur für per Saldo ertragreiche Aktivitäten interessiert55, lässt sich unverfälscht nur dann durchhalten, wenn man die im Einkommensteuerrecht zahlreich vorhandenen Subventions- und Lenkungsnormen außer Betracht lässt. Dies hat seinerzeit auch der Große Senat des BFH erkannt, aber mit der Formulierung aufzufangen versucht, auch solche Vorschriften seien letztlich von der Absicht auf
__________ 46 So bereits BFH v. 30. 9. 1997 (Fn. 3). 47 S. dazu die Darstellungen bei Heuermann (Fn. 1), StuW 2003, 101, 107 f.; Spindler in FS Korn (Fn. 1), S. 171 ff.; Thürmer (Fn. 1); insoweit hat die Rechtsprechung jüngst noch einen weiteren „Lernschritt“ bewältigt: BFH v. 26. 10. 2004 – IX R 57/02, DStR 2005, 324. 48 S. Spindler in FS Korn (Fn. 1), S. 174. 49 Dazu Spindler in FS Korn (Fn. 1), S. 183. 50 Dazu Heuermann (Fn. 1), StuW 2003, 101, 107; Spindler in FS Korn (Fn. 1), S. 174. 51 Grundsatzurteil des BFH v. 5. 11. 2002 – IX R 48/01, BStBl. II 2003, 646 = BFHE 201, 46; dazu Heuermann (Fn. 1), StuW 2003, 101, 109; Spindler in FS Korn (Fn. 1), S. 176. 52 Heuermann (Fn. 1), StuW 2003, 101, 108; Spindler in FS Korn (Fn. 1), S. 174. 53 Dazu Spindler in FS Korn (Fn. 1), S. 181 f. 54 BFH v. 6. 10. 2004 – IX R 30/03, BFH/NV 2005, 426. 55 Dazu oben II.
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Vermietung und Verpachtung
Einnahmenerzielung durch die öffentliche Hand getragen56. Diese Aussage ist irritierend. Sie trifft nur auf Vereinfachungszwecknormen57 zu, die den Vollzug der Besteuerung praktikabler gestalten sollen; nicht aber auf Sozialzwecknormen58. Denn wenn der Steuergesetzgeber das Steuerrecht als Instrument einsetzt, um aus sozialen Gründen Subventionen zu verteilen oder durch das Angebot einer Steuerersparnis bestimmte als förderungswürdig erachtete Aktivitäten anzuregen, dann dienen die entsprechenden Vorschriften eben nicht der Beschaffung staatlicher Einnahmen, sondern zur Verteilung staatlicher Leistungen aus fiskalfremden Gründen. Das Steuerrecht wird zweckentfremdet, es verlässt seine angestammte Funktion und stellt lediglich das technische Instrumentarium zur Verteilung von Subventionen bereit. Beruht aber, wie vom Großen Senat des BFH zutreffend erkannt, die Notwendigkeit zur Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht gerade auf dem Zweck des EStG, Mittel für die öffentliche Hand zu beschaffen, so kann es nicht ohne Auswirkung auf diese Prüfung bleiben, wenn das jeweilige Ergebnis durch im EStG angesiedelte Sozialzwecknormen verfälscht wird59. Dann müssen, um die Einkünfteerzielungsabsicht in einer dem Zweck des EStG entsprechenden Weise prüfen zu können, zuvor die steuerrechtsfremden Verfälschungen des Ergebnisses durch Subventionsvorschriften eliminiert werden. Es stehen dann verschiedene Komponenten nebeneinander: einmal die Fiskalzwecknormen, die der Beschaffung öffentlicher Mittel dienen und nur auf Aktivitäten anzuwenden sind, die zu einem positiven Gesamtergebnis führen, und zum anderen Sozialzwecknormen, deren Anwendbarkeit nicht von einem positiven oder negativen Ergebnis (ihr Ergebnis wird nach dem Normzweck häufig negativ sein), sondern von der Verwirklichung des jeweiligen Subventions- oder Lenkungszwecks abhängt. Dies hat auch der BFH seit seinem Grundsatzurteil vom 30. 9. 199760 so gesehen und ausgeführt, bei der Prüfung, ob ein Totalüberschuss erzielt werden soll, seien jedenfalls negative Einkünfte aufgrund von steuerlichen Subventions- und Lenkungsnormen außer Ansatz zu lassen61; die Zielsetzung dieser Normen würde unterlaufen, wenn die durch sie entstandenen Werbungskostenüberschüsse unter dem Gesichtspunkt der Liebhaberei unberücksichtigt bleiben müssten. Damit ist bei der chronisch defizitären Einkunftsart „Vermietung und Verpachtung“ die Frage nach der Unterscheidung von „guten“ und „schlechten“ Werbungskostenüberschüssen aufgeworfen, oder, wie es Christoph Trzaskalik
__________ 56 57 58 59 60 61
BFH v. 25. 6. 1984 (Fn. 11). Dazu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I, 2. Aufl. 2002, S. 80. Zum Begriff s. Tipke (Fn. 57), S. 77. Vgl. auch Kirchhof, EStG KompaktKommentar, 4. Aufl. 2004, § 2 Rz. 49 c. BFH v. 30. 9. 1997 (Fn. 3). Ebenso bereits Trzaskalik (Fn. 3), § 21 Rz. B 280; a. A. Stein, Einflüsse der Fördergesetze auf die Totalüberschussermittlung, DStZ 2000, 780, 783 f.
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formuliert hat: Es ist darüber nachzudenken, wem Verluste zukommen sollen und wem nicht62. 2. Sonderfragen bei zweckwidriger Inanspruchnahme von Subventionsnormen Diese Problematik hat sich für den BFH in verschärfter Form in Fällen gestellt, in denen Steuerpflichtige sich nur in Form einer kurzfristigen Immobilieninvestition engagiert hatten. So hat der BFH aus der Tatsache, dass der Steuerpflichtige seine Wohnung nur befristet, ohne Verlängerungsklausel und in der ausdrücklichen Absicht der anschließenden Selbstnutzung vermietet hatte und in der Vermietungszeit kein positives Ergebnis erzielen konnte, ein Beweisanzeichen für das Fehlen der Einkünfteerzielungsabsicht hergeleitet, das die Überprüfung anhand einer Prognose erforderlich macht63. In diese befristete Prognose hat der BFH sodann die Sonderabschreibungen gemäß §§ 1, 3, 4 FördG mit folgender Begründung einbezogen: Durch das FördG soll dem Eigentümer ein Anreiz gegeben werden, die dringend erforderlichen Neubauten sowie Maßnahmen zum Ausbau, zur Erweiterung und zur Modernisierung von Gebäuden im Fördergebiet unverzüglich vorzunehmen64. Dieser Gesetzeszweck wird zwar generell durch die Herstellung oder Anschaffung von Neubauten erreicht. Für die Inanspruchnahme der Sonderabschreibungen muss das Gebäude jedoch innerhalb des Förderzeitraums fremdvermietet werden; denn die nach § 3 FördG begünstigten Baumaßnahmen müssen zur Einkünfteerzielung eingesetzt werden65. Die §§ 1, 3, 4 FördG eröffnen dem Steuerpflichtigen – abweichend von der allgemein vorgeschriebenen Verteilung der Herstellungskosten auf 50 Jahre gemäß § 7 Abs. 4 EStG – die Möglichkeit, von seinen Herstellungskosten bis zu 50 v. H. als Sonderabschreibungen im Jahr der Fertigstellung des Gebäudes und in den vier folgenden Jahren in Anspruch zu nehmen. Sie lassen es zu, einen erheblichen Teil der Herstellungskosten vorab geltend zu machen, um den Steuerpflichtigen dadurch zu Investitionen i. S. von § 3 FördG zu veranlassen. Damit nimmt das FördG die steuerrechtlichen Wirkungen vorweg, die sonst erst im Laufe der Nutzung dieses Wirtschaftsguts im Zusammenhang mit einer Einkunftsart eintreten würden66. Dieses Vorziehen steuerrechtlicher Wirkungen als Mittel, den Förderzweck zu erreichen, hat
__________ 62 63 64 65 66
Trzaskalik (Fn. 3), § 21 Rz. B 305. BFH v. 9. 7. 2002 – IX R 57/00, BStBl. II 2003, 695 = BFHE 199, 422. Unter Berufung auf BTDrucks. 12/562, S. 72. BFH v. 14. 9. 1999 – IX R 35/97, BStBl. II 2000, 478 = BFHE 189, 433. Brandis in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 7 EStG Rz. 47; Werndl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 7 Rz. A 396.
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den Charakter einer Steuerstundung, der zu einem Ausgleich in späteren Zeiträumen und damit anders als eine steuerliche Transferleistung nicht zu einem endgültig verbleibenden Steuervorteil führen soll. Der Ausgleich in späteren Jahren wird jedoch unterlaufen, wenn der Steuerpflichtige die Vermietungstätigkeit auf wenige Jahre befristet und dabei ernsthaft in Betracht zieht, die Wohnung anschließend selbst zu nutzen. Da seine Vermietungsabsicht von vornherein nur einen eng begrenzten Zeitraum umfasst, ist sie nicht auf eine dem Regelungszweck des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG entsprechende langfristige Vermietungstätigkeit gerichtet. Der Steuerpflichtige beabsichtigt vielmehr, durch die Vornahme von Sonderabschreibungen einen ihm endgültig verbleibenden Steuervorteil zu erlangen; dies gebietet es, bei der Frage, ob er dennoch Vermietungseinkünfte zu erzielen beabsichtigt, in die Totalüberschussprognose die geltend gemachten Sonderabschreibungen einzubeziehen. Man sieht: Christoph Trzaskalik hat – soweit ersichtlich als erster – erkannt67, dass bei der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht im Zusammenhang mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung der Frage nachzugehen ist, welche Auswirkungen die Teleologie der verlustauslösenden Normen, insbesondere von steuerlichen Subventions- und Lenkungsnormen, auf diese Prüfung hat. Erst Jahre später hat die Rechtsprechung sich dieser Frage vertieft zugewandt.
V. Schlussbetrachtung Die Untersuchung hat gezeigt, dass Christoph Trzaskalik der Rechtsprechung des BFH um etliche Schritte voraus gewesen ist. Er hat dogmatische Zusammenhänge erkannt, die sich der Rechtsprechung oft erst Jahre später erschlossen haben. Seine Denkanstöße finden sich in vielfältiger Weise offen oder konkludent in den Argumentationslinien der Rechtsprechung zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung wieder. Manche seiner Gedanken sind in der neueren Rechtsprechung weiter ausdifferenziert worden. Der IX. Senat des BFH kann Christoph Trzaskaliks Expertise zur neuesten Rechtsprechung nicht mehr einholen; es besteht aber Anlass zu der Annahme, dass Christoph Trzaskalik damit wohl im Großen und Ganzen einverstanden gewesen wäre. Eine gute Kommentierung ist für den Richter das, was ein Leuchtturm in stürmischer See für den Seemann bedeutet: Man bewegt sich nicht immer darauf zu, sondern manchmal auch daran vorbei oder sogar davon weg, aber das stete Licht am Horizont gibt dabei immer Orientierung und Sicherheit. In diesem Sinne wird Christoph Trzaskaliks Kommentierung die Rechtsprechung weiterhin begleiten.
__________ 67 Trzaskalik (Fn. 62).
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Zur Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums – Plädoyer für die Investitionsgutlösung – Inhaltsübersicht I. Zum Problem II. Zur derzeitigen Regelung 1. Ein Beispiel 2. Einladung zum „Steuersparen“ 3. Wechsel in der Besteuerungsart
III. Rückkehr zur Investitionsgutlösung? 1. Steuersystematische Überlegungen 2. Wirtschaftspolitische Überlegungen IV. Ausblick
I. Zum Problem Christoph Trzaskalik hat im Jahre 1996 bei der Kommentierung des § 21 EStG darauf hingewiesen, dass – solange Veräußerungsgewinne nicht voll besteuert werden – die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eine Einkunftsart bleiben, „bei der mehr über ‚gute’ oder ‚böse’ Verluste als über positive Einkünfte diskutiert wird“1. Durch die steuerlichen Änderungen der letzten Jahre ist zwar die Besteuerung der Veräußerungsgewinne deutlich ausgeweitet worden, aber eine umfassende Besteuerung der Kapitalerträge steht immer noch aus. Hinzu kommt, dass sich nach wie vor Fördertatbestände für den Wohnungsbau direkt (zum Beispiel Sonderabschreibungen) oder indirekt (zum Beispiel Eigenheimförderung) in der Einkommensteuer finden lassen, die das Aufkommen mindern. Allein die Eigenheimzulage hat bis zur Kürzung im Jahre 2004 jährlich nahezu 11 Mrd. Euro „gekostet“. Dass die steuerlich geltend gemachten Verluste bei dieser Einkunftsart immer noch erheblich sind, lässt sich auch aus einem anderen Zusammenhang schließen: Gemäß dem Vorschlag einer Bürgerversicherung, wonach alle Einkommen aller Bürger Bemessungsgrundlage für die Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung sein sollen, bleiben wiederum die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ausgeklammert.2 Diesen systematischen Bruch kann man sich nur damit erklären, dass bei diesen Einkünften Verluste nahezu die Regel sind und diese auch noch in erster Linie bei Beziehern hoher Einkommen anfallen. Die bei Trzaskalik nur angedeutete Frage, ob sich „die Besteuerung der Nutzungsüberlassungsverhältnisse für den Steuergläubiger überhaupt lohnt“3,
__________ 1 2 3
Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 1996, zu § 21, Rz. A 46. Bericht der Projektgruppe Bürgerversicherung des SPD-Parteivorstandes, Modell einer solidarischen Bürgerversicherung, 2004, S. 24. Kirchhof/Söhn, Fn. 1, Rz. 48.
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stellt sich für einen Ökonomen etwas anders dar: Wenn es zu der dringend gebotenen Reform der Einkommensteuer kommt und diese der Konzeption einer synthetischen Einkommensteuer folgt, müssen selbstverständlich auch die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer einbezogen werden. Gleichzeitig ist zu fordern, dass auch in diesem Bereich der Besteuerung sämtliche Steuervergünstigungen abgebaut werden und dass Wohnungsnutzung grundsätzlich nach einem einheitlichen Verfahren besteuert wird. Hier liegen die eigentlichen Probleme der steuerlichen Behandlung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, die derzeit zu vielfältigen Verzerrungen und damit zu Ungleichbehandlungen und Wohlstandsverlusten sowie zu erheblichen Steuerausfällen führen.
I. Zur derzeitigen Regelung 1. Ein Beispiel Gehen wir von folgendem Tatbestand aus: Ein Steuerpflichtiger erwirbt in einem Gebäude drei praktisch identische Eigentumswohnungen. Für jede der Wohnungen zahlt er den gleichen Kaufpreis. Bei der Finanzierung wird Fremdkapital in Höhe von jeweils 50 v. H. des Kaufpreises eingesetzt. Diese ökonomisch völlig gleichen Investitionen haben allerdings unterschiedliche Konsequenzen bei der einkommensteuerlichen Behandlung, je nachdem von wem die angeschafften Wohnungen anschließend genutzt werden. –
Die erste Wohnung – so sei unterstellt – wird zur geltenden Marktmiete vermietet. Steuerliche Konsequenz ist, dass die Wohnung wie ein Investitionsgut behandelt wird: Den Mieteinnahmen werden die Werbungskosten (vor allem Zinszahlungen, Abschreibungen, Erhaltungsaufwand) gegenübergestellt. Das Ergebnis sind (positive oder negative) Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im Sinne des § 21 EStG. In der Anfangsphase fallen meist hohe Zinszahlungen für das aufgenommene Fremdkapital an und möglicherweise können degressive Abschreibungen oder Sonderabschreibungen geltend gemacht werden. In der Regel ist deshalb in dieser Phase wohl eher mit einem Verlust zu rechnen. Dieser unterliegt – zusammen mit allen anderen Einkünften – der Einkommensbesteuerung. Wer über ein hohes zu versteuerndes Einkommen verfügt und daher einem hohen Grenzsteuersatz unterliegt, wird eine hohe Steuerersparnis realisieren können. Dem stehen in späteren Phasen normalerweise Überschüsse und folglich Steuerzahlungen gegenüber. Beim Werbungskostenabzug handelt es sich aber nicht um eine Steuervergünstigung, sondern um die konsequente Durchsetzung des Nettoprinzips in der Einkommensteuer: Die Kosten der Einkunftserzielung sind von den (Brutto-)Einnahmen abzuziehen. Steuervergünstigungen liegen erst dann vor, wenn zum Beispiel Abschreibungsregelungen gelten
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Zur Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums
und angewendet werden, die über die „normalen“, den tatsächlichen Wertverlust widerspiegelnden Abschreibungen hinausgehen und insoweit Fördertatbestände für den Wohnungsbau darstellen. Solche Maßnahmen sind bei der Besteuerung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung immer noch zu finden – trotz der permanenten Bekräftigung der Politiker, Subventionstatbestände bei der Einkommensteuer im Interesse einer breiten Bemessungsgrundlage und damit aus Gründen der steuerlichen Gerechtigkeit und der ökonomischen Effizienz abzubauen. –
Die zweite Wohnung wird selbst genutzt. Dafür gilt seit 1987 die so genannte Konsumgutlösung; seitdem wird nicht mehr eine Vergleichsmiete (§ 21 EStG a. F.)4 oder – wie früher bei Eigentumswohnungen und Wohnungen im Einfamilienhaus – ein pauschal ermittelter Nutzwert, der sog. Grundbetrag (§ 21a EStG a. F.), als Einnahme angesetzt. Dafür können aber auch keine Werbungskosten, also auch keine Zinsen auf das Fremdkapital steuerlich geltend gemacht werden. Auf der anderen Seite bleiben aber die Erträge aus dem in die eigengenutzte Wohnung investierten Eigenkapital (eingesparte Mietzahlung) steuerfrei. Auch das ist ein Fall von Steuervergünstigung. Das Wohnen in der eigenen Wohnung, die Selbstnutzung, ist einkommensteuerlich unerheblich. Die Anschaffung einer eigengenutzten Wohnung wird genauso behandelt wie sonstiges Gebrauchsvermögen (zum Beispiel Auto oder Hausrat).
–
Die dritte Wohnung wird an die Tochter des Eigentümers vermietet. Nunmehr gilt im Prinzip wieder die Investitionsgutlösung, aber mit erheblichen Gestaltungsmöglichkeiten. Der volle Werbungskostenabzug wird nach § 21 Abs. 2 EStG grundsätzlich solange gewährt, wie das Entgelt für die Überlassung der Wohnung zu Wohnzwecken mindestens 56 v. H. der ortsüblichen Marktmiete beträgt.5 Ansonsten ist die Nutzungsüberlassung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuteilen, und die Werbungskosten sind demzufolge auch nur teilweise anzusetzen. Praktische Bedeutung dürfte diese Regelung in erster Linie für Mietverträge mit nahen Verwandten, mit nicht-ehelichen Lebenspartnern und mit Freunden haben.6 Für die Vermietung der dritten Wohnung an eine nahe Verwandte (im Beispiel: an die Tochter) gelten ab dem Veranlagungsjahr 2005 noch weitere Sonderregelungen: Die Finanzverwaltung ist angewiesen, in Fällen, in denen die Mietzahlung zwar über 56
__________ 4 5 6
EStG i. d. F. vor dem 19. 10. 2002, BGBl. I 2002, 4210 i. V. m. WohneigFG v. 15. 5. 1986, BStBl. I 1986, 278 im Weiteren zitiert als EStG a. F. Bis einschließlich Veranlagungsjahr 2003 galt ein Satz von 50 v. H., der durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 v. 29. 12. 2003 erhöht wurde. Siehe BStBl. I 2004, 120, 126. Die Regelung gilt allerdings auch, wenn die Wohnung einem fremden Dritten überlassen wird und der Vermieter aus vertraglichen oder tatsächlichen Gründen gehindert ist, den vereinbarten Mietzins zu erhöhen, BFH v. 28. 1. 1997 – IX R 88/94, BStBl. II 1997, 605.
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v. H., aber unter 75 v. H. der Marktmiete liegt, die Einkunftserzielungsabsicht anhand einer Totalüberschussprognose zu überprüfen.7 Führt diese zu einem negativen Ergebnis, muss die Vermietungstätigkeit in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufgeteilt werden, der volle Werbungskostenabzug wird also verweigert. Im Ergebnis ist die Regelung des § 21 Abs. 2 EStG zweifellos eine steuerliche Subventionierung, die ökonomisch überhaupt nicht zu vertreten ist. § 21 Abs. 2 EStG lässt sich auch nicht als Vereinfachungsnorm rechtfertigen. Zurecht hat Trzaskalik die frühere Regelung scharf kritisiert und dem Gesetzgeber, der in Kenntnis der Rahmenbedingungen auf dem Vermietungssektor solche Regelungen einführt, sein Misstrauen ausgesprochen.8 Insbesondere passen sie auch nicht zu den ansonsten geltenden Regelungen über „Verträge zwischen nahen Verwandten“, die steuerlich nur anerkannt werden, wenn sie den Fremdvergleich aushalten, und über „Gewinnerzielungsabsicht“, die bei bewusstem Verzicht auf Einnahmen wohl in Frage stehen dürfte. Selbst in den Fällen einer negativen Totalüberschussprognose und einer Miete zwischen 56 und 75 v. H. der Marktmiete werden immerhin noch Teile der Werbungskosten anerkannt und bei Mietverträgen mit nahen Verwandten ist kein Fremdvergleich anzustellen.9 Auch das ist steuersystematisch nicht zu vertreten. Hier wird ein Sonderrecht für nahe Verwandte geschaffen.10 Nach all dem wäre es nur folgerichtig, wenn der Gesetzgeber die Regelung des § 21 Abs. 2 EStG ersatzlos streichen würde.11 2. Einladung zum „Steuersparen“ Das vorgetragene Beispiel zeigt, dass in der steuerlichen Behandlung vielfältige Ungereimtheiten und vor allem Ungleichbehandlungen vorliegen, die die Steuerpflichtigen zu allen möglichen Strategien veranlassen. Hier bieten sich viele Möglichkeiten zur legalen Steuervermeidung, aber auch wohl Anreize zur illegalen Steuerhinterziehung – beides erklärt das geringe Steueraufkommen. Unser Investor hätte in Kenntnis dieser Regelungen bereits bei der Finanzierung eigentlich ganz anders entscheiden müssen: Die erste und die dritte Wohnung hätten zu 100 v. H. oder doch jedenfalls so stark wie möglich mit Fremdkapital finanziert werden müssen. Für die zweite Wohnung wäre dagegen das vorhandene Eigenkapital einzusetzen gewesen. So hätte man die
__________ 7 BMF-Schreiben v. 8. 10. 2004, BStBl. I 2004, 933. 8 Trzaskaliks Kritik bezog sich auf § 21 Abs. 2 (EStG 1996), dem entspricht die heutige Regelung des § 21 Abs. 2 EStG. 9 BFH v. 22. 7. 2003 – IX R 59/02, BStBl. II 2003, 806. 10 Kirchhof, EStG, KompaktKommentar, 4. Auflage 2004, § 21, Rz. 155. 11 Ähnlich Kirchhof, Fn. 10, Rz. 154.
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unterschiedliche steuerliche Behandlung von Eigen- und Fremdkapital steuerlich optimal nutzen können. Die Entscheidung über die Finanzierungsart wird durch die steuerlichen Regelungen verzerrt, was einen Effizienzverlust darstellt. Im Mietvertrag mit der Tochter hätte eine Mietzahlung von über 75 v. H. der Marktmiete vereinbart werden sollen. Damit wäre der volle Werbungskostenabzug und folglich die Subventionierung gesichert worden. Zudem hätte man eine Prognose über die langfristige Gewinnerzielung vermieden, die erfahrungsgemäß immer mit hohen Risiken hinsichtlich des Ausgangs verbunden ist. Vielleicht hätte unser Investor mit dem Einzug in die zweite Wohnung auch noch einige Jahre warten sollen. Er hätte dann für die zunächst vermietete zweite Wohnung die in der Anfangsphase hohen Finanzierungskosten steuerlich geltend machen können. Das wäre gerade dann ein Vorteil, wenn der Investor einem hohen Grenzsteuersatz unterliegen würde. In einer späteren Phase der Eigennutzung, wenn die Zinszahlungen für Fremdfinanzierung deutlich zurückgegangen sind, würde es sich empfehlen, das Fremdkapital durch inzwischen angespartes Eigenkapital zu ersetzen. Die Erträge aus dem Eigenkapital bleiben dann steuerfrei. Bei geschicktem Übergang von der Investitions- zur Konsumgutlösung ist eine Besteuerung oft ganz zu vermeiden12 – dies gelingt um so eher, wenn auch noch sich abzeichnender Erhaltungsaufwand vor dem Wechsel der Nutzungsart erledigt werden kann. Schon dieser Fall zeigt, dass bei ein und derselben Wohnung ein Wechsel von der Investitionsgutlösung zur Konsumgutlösung eigentlich ausgeschlossen werden müsste. Das sollte sogar dann gelten, wenn zwischenzeitlich der Eigentümer gewechselt hat. Ansonsten läuft der Staat auch bei dieser Strategie Gefahr, hohe Steuerausfälle akzeptieren zu müssen. Insoweit ist die heute geltende Regelung – Konsumgutlösung für selbstgenutzte und Investitionsgutlösung für vermietete Wohnungen – auch unter fiskalischem Gesichtspunkt problematisch. 3. Wechsel in der Besteuerungsart Im Übrigen zeigen sich hier Parallelen zu der früheren Regelung der Besteuerung von selbstgenutztem Wohneigentum: Bis zum Jahre 1986 galt für selbstgenutzte Eigentumswohnungen und Wohnungen im Einfamilienhaus gemäß § 21a EStG a. F.: Die Mieteinnahmen wurden pauschal in Abhängigkeit vom Einheitswert des Grundstücks ermittelt. Dieser so genannte Grundbetrag ergab sich als 1,4 v. H. des Einheitswertes von 1964. Dagegen konnten die Schuldzinsen (allerdings nur bis zur Höhe des Grundbetrags) und die
__________ 12 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1983/84, Ziff. 574.
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Sonderabschreibungen nach § 7b EStG gegengerechnet werden. Im Ergebnis stellten sich in der Anfangsphase der Investition in der Regel keine zu versteuernden Überschüsse ein, sondern meist begrenzte Verluste in Höhe der § 7b-Abschreibungen13. Selbst nach Wegfall dieser Sonderabschreibungen, die acht Jahre lang in Anspruch genommen werden konnten, ergab sich in den meisten Fällen kein zu versteuerndes Einkommen. Erst wenn die Wohnungen weitgehend schuldenfrei waren, kam es zu Überschüssen und damit zu Steuerbelastungen.14 Diese hielten sich aber in engen Grenzen, denn die Einheitswerte von 1964 – jedenfalls soweit sie nach dem Ertragswertverfahren ermittelt wurden – lagen deutlich unter den Marktwerten der Grundstücke. In der Regel erreichten sie etwa 15 bis 20 v. H. dieser Werte. Obwohl de jure die Regelung nach § 21a EStG a. F. eine (pauschalierte) Investitionsgutlösung darstellte, kam das Ergebnis schon damals der Besteuerung nach der Konsumgutlösung nahe. Wohnungen, die nicht unter § 21a EStG a. F. fielen, wurden dagegen gemäß § 21 EStG a. F. nach der (reinen) Investitionsgutlösung besteuert. Das hatte zur Folge, dass in der Anfangsphase der Investition hohe Verluste entstanden, die sich tendenziell abbauten und später zu Überschüssen wurden, wenn die Vergleichsmieten dem Markttrend folgend angehoben, die Schulden abgebaut wurden und die Sonderabschreibungen ausliefen. Wer also besonders viel Steuern sparen wollte, musste bestrebt sein, bei der Besteuerung der selbstgenutzten Wohnung zunächst der Regelung des § 21 EStG a. F. zu unterliegen und zu einem späteren Zeitpunkt möglichst auf die Besteuerung nach § 21a EStG a. F. „umzusteigen“. In der Praxis wurde dies durch Artfortschreibung im Rahmen der Einheitswertermittlung erreicht: Zunächst musste das Einfamilienhaus um eine (vermietete) Einliegerwohnung ergänzt und damit zum Zweifamilienhaus werden, später war diese Einliegerwohnung wieder zu beseitigen oder selbst zu nutzen. Gesamtwirtschaftlich ineffizient und nur aus steuerlichen Gründen wurden also Einliegerwohnungen zunächst gebaut und später durch Abtrennung von Bauteilen wieder beseitigt. Was damals der Wechsel in der Besteuerung durch (formale) Artfortschreibung war, ist heute der Wechsel von der Investitionsgutlösung zur Konsumgutlösung, der freilich schwieriger ist, weil von Vermietung zu Selbstnutzung gewechselt werden muss. Dass dabei auch missbräuchliche Gestaltungen und oft sogar Scheinverträge üblich sind, liegt auf der Hand. Vor der Umstellung im Jahre 1986 hat die Steuerverwaltung zum Beispiel die Anforderungen an eine Einliegerwohnung
__________ 13 § 7b EStG sah vor, dass acht Jahre lang jährlich bis zu 7500 DM Sonderabschreibungen geltend gemacht werden. 14 Oft wird sogar gerade in dieser Entwicklung die tatsächliche Begründung für den Systemwechsel zum 1. 1. 1987 gesehen: Für viele im Eigentum von Rentnern stehende Wohnungen waren die Kredite zurückgezahlt, so dass trotz der niedrigen Grundbeträge Steuerbelastungen entstanden, die dem betreffenden Personenkreis aber erspart werden sollten.
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im selbstgenutzten Einfamilienhaus immer wieder verschärfen müssen, um den Missbrauch steuerlicher Vergünstigungen wenigstens halbwegs im Griff zu halten. Während ursprünglich in der Einliegerwohnung nur ein Küchenanschluss und eine Toilette vorhanden sein mussten, wurden später die Anforderungen schrittweise verschärft, also zum Beispiel die räumliche Abgeschlossenheit und ein getrennter Eingang sowie ein (tatsächlich und nachweislich vollzogener) Mietvertrag verlangt. Auch das heutige Nebeneinander von Investitionsgutlösung (für vermietete Wohnungen) und Konsumgutlösung (für selbstgenutzte Wohnungen) führt zu Versuchen, die jeweils günstigste steuerliche Lösung zu realisieren. Eine Möglichkeit wäre das „Überkreuzvermieten“: Zwei Personen verfügen über (möglicherweise sogar typengleiche) Einfamilienhäuser, die sie auch selbst nutzen wollen. Für sie würde also die Konsumgutlösung gelten. Wenn sie sich jedoch gegenseitig die Häuser vermieteten, würde die Investitionsgutlösung gelten, was beiden Steuerpflichtigen bei hoher Fremdfinanzierung und großzügigen Abschreibungsregeln erhebliche Steuervorteile bieten könnte. Solchen Aktionen ist allerdings schon bald nach der Neuregelung ein Riegel vorgeschoben worden: Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs werden die „Überkreuzmietmodelle“ steuerlich nicht anerkannt.15 Bei dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall ging es um wechselseitiges Vermieten von gleich großen Eigentumswohnungen in derselben Wohnanlage. Das wurde als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts im Sinne von § 42 AO 1977 angesehen. Ob „Überkreuzmietmodelle“ allerdings in allen Fällen entdeckt werden, sei einmal dahin gestellt. Zudem können sie ökonomisch auch durchaus sinnvoll sein. Zu denken ist etwa an den Fall, dass bei (zumal nur vorübergehendem) Wechsel des Arbeitsortes innerhalb eines Konzerns Kollegen sich ihre Wohnungen gegenseitig vermieten. Durch die Presse bekannt geworden ist auch der Fall eines prominenten Münchener Sängers, der eine komfortable Villa erworben und bewohnt hat, das Haus jedoch zum Schein an einen Lebenspartner vermietet und selbst – wiederum zum Schein – eine kleine Wohnung gemietet, aber – wie Wasserund Stromverbrauch signalisierten – offenbar nie genutzt hat. Die Folge waren beachtliche Steuereinsparungen durch die Verluste bei der „vermieteten“ Villa – de facto handelte es sich um einen Fall der Steuerhinterziehung. Dass diese Hinterziehung bekannt geworden ist, war wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Strategie nicht zu Ende durchdacht war: Für entsprechenden Wasser- und Stromverbrauch in der gemieteten Wohnung hätte man schon sorgen müssen. Die ausgiebige Berichterstattung über diesen Fall in Funk und Presse wird so manchen Steuerzahler möglicherweise erst auf neue Gedanken gebracht haben. Bei der Konsumgut-
__________ 15 BFH v. 19. 6. 1991 – IX R 134/86, BStBl. II 1991, 904.
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lösung ist demnach auch erheblicher Kontrollaufwand erforderlich. Das ist mit der bei ihrer Einführung angestrebten Steuervereinfachung und dem „Rückzug des Staates aus dem privaten Bereich“16 nicht recht zu vereinbaren. All diese Fälle zeigen eines überdeutlich: Dem in diesem Bereich üblichen Gestaltungsmissbrauch, der Steuervermeidung und der Steuerhinterziehung und damit auch den erheblichen Steuerausfällen kann am ehesten ein Riegel vorgeschoben werden, wenn man zu einem einheitlichen Besteuerungsverfahren für den vermieteten und den selbstgenutzten Wohnraum übergeht. Vor allem sollten alle Subventionstatbestände, wie etwa § 21 Abs. 2 EStG, aus den heutigen Regelungen für die Besteuerung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gestrichen werden. Sollte es die Politik nach wie vor für geboten halten, den privaten Wohnungsbau – zum Beispiel zur Förderung der Altersvorsorge oder aus familienpolitischen Gründen – zu fördern, sollte dies jedenfalls außerhalb des Einkommensteuergesetzes, also über sachgerecht konstruierte Transferzahlungen, geschehen.
III. Rückkehr zur Investitionsgutlösung? 1. Steuersystematische Überlegungen Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, ob bei der Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums nicht zur Investitionsgutlösung zurückgekehrt werden sollte, wie sie mit einer langen Tradition bis zum Jahre 1986 gegolten hat.17 Diese Frage ist im juristischen Schrifttum umstritten.18 Seit Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts hat es eine kontroverse Diskussion gegeben, die in der Literatur mit den Begriffen „Vermietertheorie“ und „Mietertheorie“ umschrieben wird. –
Die Vertreter der „Vermietertheorie“ fordern die Besteuerung des selbstgenutzten Wohnungseigentums, um eine steuerliche Gleichbehandlung von Vermietern und Eigennutzern zu erreichen. Der Eigennutzer wird so behandelt, als ob er die Wohnung an sich selbst vermietet hätte; ihm wird eine Vergleichsmiete zugerechnet, Werbungskosten können abgezogen werden.
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Nach der „Mietertheorie“ soll die Gleichstellung zwischen Eigennutzer und Mieter erreicht werden. Dem Eigennutzer werden zwar keine Erträge
__________ 16 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der steuerrechtlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums v. 8. 7. 1985, BT-Drucksache 10/3633. 17 Auf die relativ lange Übergangsfrist bei der Reform – immerhin bis zum Jahre 1998 – soll hier und im Folgenden nicht eingegangen werden. 18 Zu einem Überblick Nieskens, Die Konsumgutlösung im Bereich der Immobilienbesteuerung, 1989.
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zugerechnet, aber ihm wird die Ersparnis angelastet, die er im Vergleich zu einem Mieter hat, der die Mietausgaben aus versteuertem Einkommen zu zahlen hat. Die Gleichstellung kann man – statt über die Besteuerung des Nutzwertes – auch dadurch erreichen, dass die Mieter ihre Mietausgaben von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer absetzen können19 und auf die einkommensteuerliche Erfassung des Nettomietwerts (bei Abzugsfähigkeit der Aufwendungen) verzichtet wird. Diese Regelung ist jedoch einkommensteuersystematisch und angesichts der Größenordnung der zu erwartenden Steuerausfälle problematisch. Auch dürfte die mit dem Abzug von der Bemessungsgrundlage verbundene Differenzierung der Entlastung der Mieter in Abhängigkeit von der Höhe des marginalen Steuersatzes mit den verteilungspolitischen Zielsetzungen unvereinbar sein. Der „Mietertheorie“ wird man deshalb nur mit der Nutzwertbesteuerung gerecht werden können. Die bis 1987 praktizierte Regelung war deshalb – zumindest unter ökonomischem Gesichtspunkt – nicht so „absonderlich“ und nicht ein solcher „Unsinn“, wie Loritz20 es darstellt. Während der Reichfinanzhof ausnahmslos die „Vermietertheorie“ vertreten hat, ist der Bundesfinanzhof in den meisten Entscheidungen der „Mietertheorie“ und lediglich vereinzelt der „Vermietertheorie“ gefolgt.21 Im Ergebnis führen allerdings beide Ansätze zu einer Besteuerung der eigengenutzten Wohnung, wobei für einen Ökonomen die „Vermietertheorie“ schon überzeugender ist, zumal sie der mehrheitlich vertretenen finanzwissenschaftlichen Definition des steuerlichen Einkommensbegriffs, der Reinvermögenszugangstheorie, entspricht. Allerdings gibt es im juristischen Schrifttum auch Befürworter der Steuerfreiheit für die selbstgenutzte Wohnung. Das gilt zunächst für die Vertreter der so genannte Markteinkommenstheorie.22 Danach soll lediglich das am Markt erwirtschaftete Einkommen besteuert werden. Folglich muss der Nutzwert der eigenen Wohnung steuerfrei bleiben. Die Abschaffung der Nutzwertbesteuerung im Jahre 1987 ist sogar gelegentlich als „Annäherung des Gesetzgebers an das Gedankengut der Markteinkommenstheorie“23 bezeichnet und damit zustimmend bewertet worden. Allerdings akzeptieren auch Anhänger der Markteinkommenstheorie durchaus Erweiterungen des Einkommensbegriffs. So wird für Tipke24 die Markteinkommenstheorie zwar dem geltenden Steuerrecht gerecht, eine Einschränkung auf diese Theorie sei
__________ 19 Steichen, Die Markteinkommenstheorie – Ei des Kolumbus oder rechtswissenschaftlicher Rückschritt?, in FS für Tipke, 1995, S. 387. 20 Loritz, Einkomensteuerrecht, 1988, S. 145. 21 Nieskens, Fn. 18, S. 35 ff. 22 Zu einem Überblick Söhn, Erwerbsbezüge, Markteinkommenstheorie und Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, in FS für Tipke, 1995, S. 343 ff. 23 Wittmann, Das Markteinkommen, 1992, S. 36. 24 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II, 1993, S. 589.
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jedoch nicht angemessen und aus Praktikabilitätsgründen auch gar nicht erforderlich. Lang25 – auf den der Begriff der Markteinkommenstheorie zurückgeht – will ausdrücklich auch Nicht-Markteinkommen – demnach wohl auch zugerechnete Einkommen (imputed income) – steuerlich erfassen. Dennoch halten Tipke/Lang26 die Nutzwertbesteuerung für einen singulären systemwidrigen Einzelfall, da es ansonsten keine Besteuerung eigenerstellter Güter und Dienstleistungen bei Privatpersonen – hinzuzufügen ist: sehr wohl aber im Unternehmensbereich – gebe. Aus ökonomischer Sicht kann man dieses Argument nicht akzeptieren, weil ein wirtschaftlicher Sachverhalt unabhängig davon ist, ob jemandem durch juristische Definition Unternehmereigenschaft zugebilligt wird oder nicht.27 Dasselbe Objekt kann nicht je nach Eigentumsverhältnissen und Nutzungsart einmal als Konsumgut und dann wieder als Investitionsgut angesehen werden. Aus finanzwissenschaftlicher Sicht gibt es steuersystematisch zunächst keinen zwingenden Grund, „die Erträge aus Eigenkapital, das in Wohnungen investiert wird, von der Besteuerung dann freizuhalten, wenn die Wohnung vom Eigentümer selbst genutzt wird“28. Auch der Erwerb einer selbstgenutzten Wohnung stellt eine Kapitalanlage dar, und es ist ökonomisch unvertretbar, die Nettoerträge dieser Anlage gegenüber den Nettoerträgen anderer Kapitalanlagen (auch solchen der Mieter oder der Vermieter) zu präferieren. Das führt letzten Endes dazu, dass Kapital in eine volkswirtschaftlich wenig ertragreiche Richtung gelenkt wird, es kommt also zu einer Verzerrung der Kapitalallokation, die gesamtwirtschaftlich mit Effizienzverlusten verbunden ist. Der Anreiz, in selbstgenutzte Wohnungen zu investieren, wird im Übrigen umso stärker, je höher das Gesamteinkommen und damit der Grenzsteuersatz des Investors ist. Damit werden verteilungspolitisch unerwünschte Wirkungen erzielt und „die Steuerprogression teilweise unterlaufen“29. Die mit der gesetzlichen Neuregelung intendierte „steuerliche Förderung des selbstgenutzten Eigentums“30 wurde also gerade für einen Personenkreis mit hohem Einkommen und hohem Eigenkapital erreicht, der der Förderung aber keineswegs bedurft hätte. Um auch Bezieher niedriger Einkommen und Familien mit mehreren Kindern den Erwerb eigenen Wohnraums zu ermöglichen, musste die Neuregelung deshalb sogleich mit umfangreichen anderen – durchweg an Einkommenshöhe und Familienstand gebundenen – Fördermaßnahmen (begrenzter Schuldzinsenabzug, Kinderbau-
__________ 25 Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981, S. 18 f. 26 Tipke/Lang, Steuerrecht, 13. Auflage 1991, S. 359. 27 Nachtkamp, Grundsätze der Besteuerung – Steuerlicher Einkommensbegriff – Konsequenzen, in Wohnungspolitik an der Wende, Schriftenreihe des Instituts für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparen, Band 39, 1984, S. 7. 28 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Fn. 12, Ziff. 570. 29 Ebenda. 30 WohneigFG v. 15. 5. 1986, BStBl. I 1986, 278.
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geld, Eigenheimzulage etc.) verbunden werden. Da letztere – steuersystematisch zum Teil sehr bedenkliche – Regelungen aber bis auf die inzwischen gekürzte und zur Abschaffung anstehende Eigenheimzulage gestrichen worden sind, gelten jetzt wieder die verteilungspolitischen Bedenken gegen die Konsumgutlösung beim selbstgenutzten Wohneigentum.31 Mit der Reform zum 1. 1. 1987 werden also wesentliche Punkte dessen gar nicht erreicht, was in der Gesetzesbegründung als Motivation genannt wurde: eine Förderung der Vermögensbildung, eine familienpolitisch ausgerichtete Förderung und ein Rückzug des Staates aus dem privaten Bereich.32 Auch wer die generelle Steuerfreiheit für Kapitalerträge aus allokationspolitischen Gründen befürwortet und deshalb für eine konsumorientierte (spar- oder zinsbereinigte) Einkommensteuer eintritt, wird die einseitige Steuerfreiheit für die Erträge aus in der selbstgenutzten Wohnung eingesetztem Eigenkapital nicht akzeptieren können. Die Vertreter einer direkten Konsumbesteuerung (Ausgabensteuer)33 folgen bei der steuerlichen Behandlung der selbstgenutzten Wohnung in der Regel den Vorstellungen Kaldors: „In the case of dwelling house bougth for owner-occupation the obivious course under an expenditure tax would be to exempt the expenditure on purchase and to impose an annual charge on the value of benefits derived from possession“34. Die Anschaffungskosten werden – genauso wie andere Vermögensanlagen (zum Beispiel der Kauf von Wertpapieren) – also nicht als Konsumausgabe angesehen und müssen deshalb steuerfrei bleiben. Die Anschaffungskosten sind „keine Konsumaufwendung, weil das aufgewendete Eigenkapital weiterhin ohne nennenswerte Werteinbussen zur Vermögenssubstanz gehört, und weil sich die Nutznießung … über viele Jahre erstrecken wird“35. Der Mietwert einer selbstgenutzten Wohnung soll dagegen – genauso wie Mietausgaben – als Konsum behandelt und somit besteuert werden. Das läuft im Ergebnis auf die Investitionsgutlösung hinaus. Deshalb ist die Position von Rose36 – einem der prominenten Befürworter der konsumorientierten Einkommensteuer – auch nicht überzeugend, den Mietwert des selbstgenutzten Wohnraums im Rahmen seiner „Einfachsteuer“ nicht zu erfassen. Zu den „Einkünften aus selbständiger Erwerbstätigkeit“ zählt Rose
__________ 31 Die Anerkennung von Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit einer selbstgenutzten Wohnung (Entscheidung des Großen Senats des BFH v. 12. 5. 2003 – GrS 1/00, BStBl. II 2004, 95) würde im Ergebnis möglicherweise dazu führen, dass der Schuldzinsenabzug für selbstgenutzte Wohnungen wieder eingeführt werden müsste. Dazu Paus, Hat der Große Senat den Schuldzinsenabzug für selbst genutzte Wohnungen wieder eingeführt?, DStZ 2004, 519. 32 Nieskens, Fn. 18, S. 95. 33 Zu einem Überblick Peffekoven, Persönliche allgemeine Ausgabensteuer, Handbuch der Finanzwissenschaft, 3. Auflage 1980, Band II, S. 417 ff. 34 Kaldor, An Expenditure Tax, 1955, S. 196. 35 Zumstein, Die Ausgabensteuer, 1977, S. 273. 36 Rose, Die Einfachsteuer: „Das Konzept“, in Rose, Reform der Einkommensbesteuerung in Deutschland, 2002, S. 15 ff.
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auch die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; denn daraus „werden Einnahmen erzielt“37. Da das bei eigengenutzten Wohnungen eben nicht der Fall ist, soll deren Mietwert steuerfrei bleiben. In der finanzwissenschaftlichen Diskussion stellt sich die Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums im Rahmen einer synthetischen Einkommensteuer als die Behandlung zugerechneter Einkommen (imputed income) dar. Dabei handelt es sich um Leistungen, die der Steuerpflichtige für sich selbst oder seine Familienangehörigen erbringt. Dazu gehören auch die Wohnungsnutzungen, die der Wohnungseigentümer selbst konsumiert. Einkommensentstehung und Einkommensverwendung fallen dabei zusammen. „Im Interesse der Gleichmäßigkeit und der Wettbewerbsneutralität der Besteuerung ist es wünschenswert, diese Transaktionen zu Marktpreisen als steuerpflichtige Einkünfte zu erfassen.“38 Dahinter steht die zumindest mehrheitlich vertretene Auffassung, dass eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit eine umfassende Ermittlung des Einkommens nach dem Konzept der Reinvermögenszugangstheorie voraussetze. Jeder Zuwachs an „ökonomischer Dispositionskraft“ (Neumark) ist zu erfassen, und zwar unabhängig davon, ob dieser Zuwachs periodisch wiederkehrend (laufende Erträge) oder einmalig (zum Beispiel Veräußerungsgewinne), ob er (pekuniär) auf einem Marktvorgang oder (nichtpekuniär) auf der Selbstnutzung von Vermögen beruht. Insoweit müsste auch der Nutzwert (Mietwert) der eigengenutzten Wohnung in der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer erfasst werden, steuerlich also die Investitionsgutlösung praktiziert werden. Diese Auffassung ist bereits von Schanz39 vertreten worden und durchzieht seitdem die finanzwissenschaftliche Literatur. Allerdings hat die Steuerreformkommission im Jahre 1971 vorgeschlagen, „auf eine Besteuerung des Nutzungswerts der Wohnung im eigenen Haus zu verzichten, wenn sich die Wohnung im Privatvermögen befindet“40. Zwar war die Kommission der Meinung, „dass sich gewichtige Argumente sowohl für als auch gegen die Besteuerung des Nutzungswertes anführen lassen“, hat sich dann aber doch gegen die Besteuerung ausgesprochen und dafür folgende Gesichtspunkte als besonders gewichtig angesehen: –
Das Wohnen spielt sich in der Privatsphäre ab, und dem Wohnungseigentümer fließen keine Einnahmen zu.
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Der Verzicht auf Einnahmen wird in keinem anderen Falle besteuert.
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Der Verzicht auf Besteuerung bedeutet Vereinfachung.
__________ 37 Ebenda, S. 80. 38 Andel, Finanzwissenschaft, 4. Auflage 1998, S. 318. 39 Schanz, Der Einkommensbegriff und die Einkommensteuergesetze, Finanzarchiv, Band 13, 1896, S. 1. 40 Gutachten der Steuerreformkommission 1971, 1971, S. 118.
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Diese Argumente überzeugen nun allerdings nicht; sie basieren letzten Endes auf der Annahme, nur Markterlöse stellten Einkommen dar. Das ist im Rahmen einer auf der Reinvermögenszugangstheorie basierenden Einkommensteuer sicher nicht zu akzeptieren und wird an anderen Stellen des Einkommensteuergesetzes auch so nicht gesehen. „Einnahmen sind alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen…“ (§ 8 Abs. 1 EStG). Einnahmen, die nicht in Geld bestehen – in § 8 Abs. 2 EStG wird die Wohnung als Beispiel explizit genannt –, sind zu den üblichen Preisen anzusetzen. Was dort wohl für vom Arbeitgeber gestellte Werkswohnungen gefordert wird, kann auf eigengenutzte Wohnungen übertragen werden. Dafür spricht auch die Tatsache, dass über Eigenverbrauch Produktivleistungen in der Landwirtschaft, im Gewerbe und bei selbständiger Tätigkeit über die Entnahmeregelungen zu den Einkünften zählen. Zu Recht hat Mitschke41 darauf hingewiesen, „dass es nicht angehen kann, dass ein erheblicher Teil der Wohnraumerzeugung und das weitaus größte Investitionsvolumen der privaten Haushalte dem konsumtiven Bereich zugerechnet werden“. Ein Verzicht auf Einnahmen liegt – entgegen der Annahme der Steuerreformkommission – bei Eigennutzung auch gar nicht vor: Einkommensentstehung und Einkommensverwendung fallen lediglich zusammen. Schließlich kann auch die dritte Begründung nicht überzeugen: Eine steuerliche Vereinfachung dürfte zumindest heute kein Argument für die Steuerfreiheit sein. Für die Ermittlung einer Vergleichsmiete stehen in der Regel örtliche, meist amtliche Mietspiegel zur Verfügung. Das wird vom Gesetzgeber augenscheinlich auch so gesehen, wenn er sich mit der Regelung des § 21 Abs. 2 EStG zutraut, 56 v. H. der ortsüblichen Marktmiete exakt ermitteln zu können. Dass – nach Auffassung der Steuerreformkommission –, der Nutzwert nur dann nicht besteuert werden soll, wenn die Wohnung im Privatvermögen gehalten wird, kann auch nicht akzeptiert werden, weil damit eine Ungleichbehandlung von selbstgenutzten Wohnungen geschaffen wird, je nachdem ob diese im Privatvermögen oder im Betriebsvermögen gehalten werden. Eine solche Differenzierung wird wieder Anreize zur Steuerumgehung schaffen. Nun könnte man allerdings darauf hinweisen, dass bei Besteuerung des Nutzwerts der eigengenutzten Wohnung auch die Nutzungen, die ein Steuerpflichtiger aus anderen Gebrauchsgütern (zum Beispiel Möbel, Hausrat, Auto) zieht, ebenfalls in die Besteuerung einbezogen werden müssten. Ökonomisch gesehen gibt es zwischen der Wohnimmobilie und anderen Gebrauchsgütern jedoch wesentliche Unterschiede – Erstere hat eher den Charakter eines Investitionsgutes, Letztere dagegen sind wohl eher als Konsumgüter zu klassifizieren.42 Die wesentlichen Unterschiede dürften in Folgendem liegen:
__________ 41 Mitschke, Erneuerung des deutschen Einkommensteuerrechts, 2004, S. 62. 42 Hierzu Rüsch, Wohnungsbau- und Wohnungseigentumspolitik im Rahmen der Einkommensteuer, 1996, S. 143 f.
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Viele Gebrauchsgüter verlieren mit ihrer Anschaffung relativ schnell ihren Marktwert. Im Zeitpunkt der Anschaffung vermindert sich die Nettovermögensposition in Höhe der Anschaffungskosten. Bei Wohnmobilien ist das ganz anders: Auch bei langer Nutzung nimmt der Marktwert erfahrungsgemäß zu – vor allem bei hohem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum sowie bei Inflation.
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Bei „normalen“ Gebrauchsgütern entsprechen sich Wertverzehr und Abschreibungen. Die Verzinsung des eingesetzten Kapitals spielt kaum eine Rolle. Würde man hier besteuern, käme kein nennenswerter Nettoertrag zustande. Bei Immobilien ist das wiederum anders: Die Nutzung ist mit hohen Kapitalerträgen (ersparte Miete), aber geringem Wertverzehr verbunden.
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Gebrauchsgüter werden in der Regel aus dem laufenden Einkommen einer Periode finanziert; bei der Immobilie gilt dagegen: Für die Finanzierung werden zuvor gesparte Mittel (Eigenfinanzierung) eingesetzt, so dass vorhandenes Kapital in eine andere Verwendung umgelenkt wird. Bei Fremdfinanzierung wird im Umfang der Tilgungen – in die Immobilie angelegtes – Kapital gebildet.
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Selbst wenn man dennoch auch anderen Gebrauchsgütern den Charakter des Investitionsguts zubilligen würde, bliebe doch ein Unterschied: Die Verteilung des selbstgenutzten Wohneigentums auf die Bevölkerung ist wesentlich ungleichmäßiger (nur etwa 40 v. H. der Haushalte verfügen über eigengenutzte Wohnungen) als zum Beispiel die von Autos und Hausrat; unzureichende Besteuerung würde bei Immobilien zu besonders großen Ungerechtigkeiten führen43 – eben wegen der aufgezeigten Verteilungseffekte und der damit verbundenen Wirkungen auf die personelle Einkommensverteilung.
Ökonomisch spricht also vieles dafür, die eigengenutzte Wohnung als Investitionsgut zu betrachten, wie es die offizielle Statistik übrigens auch tut: In den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen werden die Ausgaben für den Erwerb oder Bau von selbstgenutzten Wohnungen der privaten Haushalte als Investitionen des Wohnungssektors ausgewiesen; die Mietwerte der selbstgenutzten Wohnungen sind folgerichtig Wertschöpfung (also Einkommen) dieses Sektors. Diesem Ansatz sollte man auch bei der Besteuerung folgen und für eigengenutzte Wohnungen die Investitionsgutlösung praktizieren. Allerdings muss man dann auch weitere Konsequenzen sehen: Private Veräußerungsgewinne im Sinne des § 23 Abs. 1 EStG müssten – innerhalb der Spekulationsfrist von zehn Jahren – auch dann voll besteuert werden, wenn sie aus der Veräußerung selbstgenutzten Wohnraums resultieren, was derzeit angesichts der geltenden Konsumgutlösung konsequenterweise nicht
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43 Oberhauser, Ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit, Wohnungswirtschaft und Mietrecht 1986, 163.
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der Fall ist. Sollte sich der Gesetzgeber – wofür aus steuersystematischen Gründen zu plädieren ist – für eine Streichung der Spekulationsfristen entscheiden und eine generelle Besteuerung der Veräußerungsgewinne einführen, dann müsste das auch für die selbstgenutzte Wohnung gelten. Das würde im Übrigen den Vorteil bieten, dass – soweit es um die steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen geht44 – auf die immer wieder umstrittene Abgrenzung zwischen privater Vermögensverwaltung und gewerblichem Grundstückshandel verzichtet werden könnte.45 Im Sinne einer effizienten Besteuerung der Kapitalerträge wäre die generelle Besteuerung von Veräußerungsgewinnen zu begrüßen. Dann könnte auch aus der Besteuerung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wohl ein insgesamt positives Aufkommen zu erzielen sein – ganz so, wie es Christoph Trzaskalik im Jahre 1996 herbei gewünscht hatte. 2. Wirtschaftspolitische Überlegungen Für die Investitionsgutlösung sprechen – neben steuersystematischen – auch allgemeine wirtschaftspolitische Überlegungen. Auf die negativen verteilungspolitischen Wirkungen der Konsumgutlösung ist bereits hingewiesen worden. Jedoch gibt es noch weitere wirtschaftspolitische Bedenken gegen die geltende Regelung. Mit ihrer Einführung dürften vor allem die Schwarzarbeit und damit die Steuerhinterziehung gefördert worden sein. Solche illegalen Aktivitäten haben sich zusehends zu einem ernsten Problem in der deutschen Wirtschaft entwickelt. Damit sind erhebliche Ausfälle bei den Steuereinnahmen und bei den Beitragszahlungen an die Sozialversicherungen verbunden, die die momentanen Finanzierungsschwierigkeiten in den öffentlichen Haushalten zu einem großen Teil mit verursachen. Zudem ergeben sich Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Anbietern von Leistungen. Zunächst geht es dabei um die Hinterziehung der Umsatzsteuer.46 Da die Umsatzsteuer in der heutigen Form der Nettoumsatzsteuer (Mehrwertsteuer) für Unternehmen wegen des Vorsteuerabzugs im Grunde ein durch-
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44 Würde zudem noch die Gewerbesteuer abgeschafft, wäre eine Abgrenzung zwischen privater Vermögensverwaltung und gewerblichem Grundstückshandel nicht mehr erforderlich. 45 Zu den Einzelheiten Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 2003, S. 1385 ff. (Anhang 17), basierend auf: Schreiben des BMF v. 20. 12. 1990, BStBl. I 1990, 884, unter Berücksichtigung der Änderungen durch Schreiben des BMF v. 9. 7. 2001, BStBl. I 2001, 512, erneut geändert durch BMF-Schreiben v. 24. 2. 2004, BStBl. I 2004, 434. 46 Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2004 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes, 2004, S. 161 ff. In diesem Bericht werden im Wesentlichen zwei Ursachen für die hohe Hinterziehung bei der Umsatzsteuer genannt: die so genannten Karussellgeschäfte im innergemeinschaftlichen Handel der EU und die Schwarzarbeit im Inland.
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laufender Posten ist, kann sich Steuerhinterziehung nur „lohnen“, wenn steuerpflichtige Unternehmer mit nichtsteuerpflichtigen Konsumenten (Haushalten) in Geschäftsbeziehung treten.47 Das ist vor allem der Fall, wenn Handwerker oder andere Dienstleister ihre Leistungen den Eigentümern selbstgenutzter Wohnungen anbieten. Da hier die Konsumgutlösung gilt, sind die Nachfrager dieser Leistungen an Rechnungen wohl nicht interessiert, denn sie können den Erhaltungsaufwand für ihre Immobilie nicht als Werbungskosten geltend machen. Wohnen im eigenen Haus ist steuerlich irrelevant, folglich sind gegenüber der Finanzverwaltung auch keine Rechnungen für Aufwendungen irgendwelcher Art vorzulegen. Die Eigentümer dieser Immobilien werden deshalb auf „Geschäfte ohne Rechnung“ ansprechbar sein, mit denen sie derzeit 16 v. H. des (Netto-)Rechnungsbetrages „einsparen“ können. Die Steuerhinterziehung ist damit aber noch nicht in vollem Umfang erfasst; denn der Unternehmer, der keine Rechnung ausgestellt hat, wird den Umsatz (die Betriebseinnahme) in seiner Einkommensteuererklärung auch nicht angeben, um die Steuerhinterziehung nicht offen legen zu müssen. Mithin hinterzieht er weitere Steuern, möglicherweise auch noch Sozialversicherungsbeiträge. In Anbetracht dieser Hinterziehungen ist der Unternehmer nunmehr vielleicht sogar bereit, einen Teil seiner Vorteile in Form reduzierter (Netto-)Rechnungsbeträge an den Immobilieneigentümer weiterzugeben, womit er sich einen weiteren Wettbewerbsvorteil verschaffen kann. Da somit „Schwarzgeld“ in die Kasse des Unternehmers gekommen ist, werden vielleicht auch noch die Löhne an die eigenen Angestellten „schwarz“ bezahlt, was wiederum Steuer- und Beitragsausfälle zur Folge hat. Hier kann es zu kumulativen Steuerausfällen kommen, die angesichts des desolaten Zustands der öffentlichen Haushalte dringend in Angriff genommen werden müssen. Zudem: Wie will man den Bürgern denn noch verständlich machen, dass zur Konsolidierung des öffentlichen Gesamthaushalts die Ausgaben um 15 bis 20 Mrd. Euro gekürzt werden müssten, ein etwa gleich hoher Betrag aber alljährlich bei der Umsatzsteuer hinterzogen wird? Zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung könnte der Übergang zur Investitionsgutlösung auch für die eigengenutzte Wohnung ein geeigneter Schritt sein. Da in diesem Fall eine Vergleichsmiete ermittelt werden müsste, gleichzeitig aber der volle Werbungskostenabzug zugelassen wäre, müssten die Wohnungseigentümer wieder an Rechnungen der Handwerker interessiert sein. Die „Geschäfte ohne Rechnung“ würden an Attraktivität verlieren. Zwar würden sich im Einzelfall auch bei selbstgenutzten Wohnungen steuerliche Verluste aus Vermietung und Verpachtung und damit Steuerausfälle ergeben, diese dürften aber allemal niedriger sein, als die oben beschrie-
__________ 47 Grundsätzlich gilt das auch, wenn steuerpflichtige Unternehmer an nichtsteuerpflichtige liefern.
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bene Kumulation von Steuerhinterziehungen bei der Umsatzsteuer, der Einkommensteuer und den Sozialversicherungsbeiträgen – ganz abgesehen von der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen insbesondere im Handwerksbereich. Neben steuersystematischen Überlegungen sprechen also auch allgemeine wirtschaftspolitische Argumente für einen Übergang zur Investitionsgutlösung bei der Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums.
IV. Ausblick Sieht man allerdings in der Anschaffung einer Wohnung (Gebäude) eine Investition, dann muss das auch Konsequenzen für die Umsatzsteuer haben. Errichtet ein Unternehmer ein Gebäude und ordnet er dieses seinem Betriebsvermögen zu, dann kann er die in den Rechnungen im Sinne des § 14 UStG gesondert ausgewiesenen Mehrwertsteuerbeträge als Vorsteuer gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG geltend machen. Nach Entscheidungen des Bundesfinanzhofs48 und Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften49 ist der volle Vorsteuerabzug sogar dann zulässig, wenn das Gebäude nur teilweise unternehmerisch, teilweise aber zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird. Die nichtunternehmerische Verwendung des Gebäudes (hier: die Nutzung für eigene Wohnzwecke) unterliegt dann allerdings als steuerpflichtiger Eigenverbrauch der Umsatzsatzbesteuerung.50 Das führt letzten Endes zu einer beachtlichen Förderung von eigengenutzten Wohnungen, die zu einem Betriebsvermögen gehören: In der Bauphase können oft erhebliche Vorsteuerbeträge geltend gemacht werden, denen erst in späteren Jahren Umsatzsteuerzahlungen für die Eigenmiete (Eigenverbauch) gegenüberstehen. Auch die in den Rechnungen für (späteren) Erhaltungsaufwand ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge können als Vorsteuer geltend gemacht werden. Das ist insgesamt gesehen ein beachtlicher Liquiditäts- und Zinsvorteil. Gehört die eigengenutzte Wohnung dagegen zu einem Privatvermögen, dann ist nach geltender Gesetzeslage ein solcher Vorteil nicht zu erzielen. Hier liegt erneut eine steuerliche Ungleichbehandlung für den eigengenutzten Wohnraum vor – nunmehr differenziert nach der Frage der Zugehörigkeit zu einem Privatvermögen oder zu einem Betriebsvermögen. Wenn man in der Schaffung von Wohnraum eine Investition sieht, dann müsste man konsequenterweise dem Bauherrn generell die Unternehmereigenschaft beimessen und ihn damit umsatzsteuerpflichtig machen. Vorsteuerbeträge könnten dann generell geltend gemacht werden. Die Mietzahlungen und auch der Nutzwert der eigengenutzten Wohnung müssten der Umsatzsteuer unterliegen. Eine solche Konzeption würde im Übrigen dem Charakter der Um-
__________ 48 BFH v. 24. 7. 2003 – V R 39/99, BStBl. II 2004, 371. 49 EuGH v. 8. 5. 2003 – Rs. C – 269/00 Seeling vs. Finanzamt Starnberg, EuGHE 2003, I – 4101, BStBl. II 2004, 371. 50 Vgl. dazu auch BMF-Schreiben v. 13. 4. 2004, BStBl. I 2004, 468.
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satzsteuer als einer allgemeinen Verbrauchsteuer eher gerecht werden: Die Konsumausgaben (Mietzahlung, Nutzwert) würden steuerlich erfasst, nicht aber die Investition in den Wohnungsbau. Die heutigen Regelungen der Umsatzsteuer sind steuersystematisch nicht überzeugend, weil Teile des Konsums (zum Beispiel Mietausgaben) steuerfrei bleiben, aber große Teile der gesamtwirtschaftlichen Investitionen (vor allem der Wohnungsbau der privaten Haushalte und die staatliche Investitionen) aber besteuert werden. Diese Gedanken können hier nicht weiter verfolgt werden. Eines aber dürfte sicher sein: Die oben genannten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs und des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften werden die Diskussion um die umsatzsteuerliche Behandlung des eigengenutzten Wohnraums ganz sicher anfachen.
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Betriebsaufgabe durch Verpachtung? Inhaltsübersicht I. Der Reichsfinanzhof II. Der Bundesfinanzhof 1. Bestätigung der frühen Rechtsprechung des RFH? – Einräumung eines Wahlrechts 2. Der Große Senat: Das Wahlrecht bleibt 3. Kritiklose Übernahme des Wahlrechts in der Literatur III. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof
IV. Gemeinsamer Grundgedanke nach BFH und VwGH V. Kritik an der Rechtsprechung 1. Die Systemwidrigkeit der Betriebsaufgabe durch Verpachtung 2. Das Wahlrecht 3. Betriebsaufgabe und Geschäftswert 4. Die Verpachtung des Geschäftswertes – ein weiterer Widerspruch VI. Die Lösung
Verpachtet der Betriebsinhaber seinen Betrieb, dann hat er nach der Rechtsprechung des BFH ein Wahlrecht, ob er damit eine Betriebsaufgabe erklären möchte. Auch nach Auffassung des österreichischen VwGH führt die Verpachtung zur Betriebsaufgabe, allerdings nur dann, wenn nach objektiven Kriterien nicht mehr damit zu rechnen ist, dass der Verpächter selbst den Betrieb fortführen wird. Nach Auffassung beider Gerichtshöfe kann damit die Betriebsverpachtung zur Betriebsaufgabe führen. Gerade in dieser Grundaussage überzeugt die Rechtsprechung nicht: Die Verpachtung alleine kann nicht zu einer Betriebsaufgabe führen; denn danach bleiben bei einer späteren Betriebsveräußerung stille Reserven im Ergebnis unversteuert. Ebensowenig ist einsichtig, wie es einen Firmenwert ohne Unternehmen geben soll, wovon der BFH ausgeht; nirgends wurde bisher die Frage behandelt, wie ein solcher Firmenwert ermittelt werden soll, wenn der Betrieb später veräußert wird. Schließlich ist nicht nachvollziehbar, dass die Einkünfte aus der Verpachtung des Geschäftswertes außerbetriebliche Einkünfte begründen, wenn der Geschäftswert auch nach der Verpachtung Betriebsvermögen bleibt. Der BFH beruft sich zwar in seinem Grundsatzurteil auf den RFH, doch hat der RFH die Betriebsverpachtung gerade nicht als Betriebsaufgabe gesehen.
I. Der Reichsfinanzhof Der RFH hat – noch zum EStG 1925 – die Betriebsverpachtung grundsätzlich nicht als Betriebsaufgabe gesehen, er hat unter Betriebsaufgabe nur jene Fälle 273
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verstanden, in denen „ein Betrieb aufgelöst wird“:1 Die Vorschrift „kann unmöglich den Fall im Auge gehabt haben, dass wesentliche Teile des Betriebsvermögens vorläufig nicht veräußert werden, weil eine günstige Gelegenheit, sie zu veräußern, abgewartet werden soll“. Vorher heißt es in dem Urteil: „Wirtschaftlich betrachtet würde die Annahme, Verpachtung bedeute die Aufgabe des Betriebes, zu bedenklichen Folgen führen. Der Verpächter müsste das gesamte verpachtete Betriebsvermögen als in sein Privatvermögen überführt betrachten und die nicht veräußerten Gegenstände des Betriebsvermögens mit dem gemeinen Wert im Zeitpunkt der Aufgabe ansetzen […]. Den hienach als erzielt angesehenen Gewinn müsste er also zu einem Zeitpunkt versteuern, wo ein solcher überhaupt nicht realisiert ist.“ Die Verpachtung als Betriebsaufgabe würde dem Grundsatz des Einkommensteuergesetzes widersprechen: „Keine Veräußerung noch nicht realisierter Gewinne.“ Voraussetzung einer Betriebsaufgabe war für den RFH, dass „die wesentliche Grundlage des Unternehmens, und in diesem Sinn die Hauptsache des Unternehmens veräußert wird“; entscheidend für den RFH war, dass nach der Betriebsaufgabe „das Unternehmen tatsächlich nicht mehr betrieben werden könnte“ oder – wie er einleitend verlangt hat und vorher erwähnt wurde –, dass der Betrieb „aufgelöst wird“. Als Resümee hält der RFH in seinem Urteil fest: „Die Verpachtung eines ganzen Betriebes durch den Einzelunternehmer ist nicht als Aufgabe des Betriebes anzusehen, wenn der Betrieb, wirtschaftlich betrachtet, gar nicht aufgegeben, sondern nur unter veränderten Umständen weitergeführt wird.“ An dieser Grundaussage änderte sich auch nichts, als der RFH später – unter dem Eindruck der Gewerbesteuer – den verpachteten Betrieb als „ruhenden Betrieb“ behandelte und auch in der Einkommensteuer zur Vermögensverwaltung rechnete: „In diesen Fällen hat das Ruhen des Gewerbebetriebes, das regelmäßig nicht die Aufgabe des Betriebes bedeutet, auch das Ruhen jeder laufenden gewerblichen Tätigkeit und damit das Ruhen gewerblicher Einkünfte iS des EStG zur Folge.“2 Der RFH hat also den Wechsel zur Vermögensverwaltung nicht automatisch als Betriebsaufgabe verstanden. Genau das ist aber der hier entscheidende Punkt: Ob während der Verpachtung betriebliche Einkünfte oder Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung vorliegen,3 hat nichts daran geändert, dass nach Auffassung des RFH eine Betriebsaufgabe „regelmäßig“ nicht vorlag.
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RStBl. 1932, 625; StuW 1934, Nr. 87; Reiß in Kirchhof/Söhn EStG, § 16 Rz. F 47. RStBl. 1937, 939. Die Verknüpfung mit der Gewerbesteuer wird heute nicht mehr vertreten; insoweit ist die Differenzierung bei der Einkunftsart (Vermögensverwaltung beim verpachtenden Betrieb) überholt (siehe auch Fn. 24).
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Betriebsaufgabe durch Verpachtung?
II. Der Bundesfinanzhof 1. Bestätigung der frühen Rechtsprechung des RFH? – Einräumung eines Wahlrechts Der BFH hat zunächst – in einem Urteil vom 9. 12. 1955 – an der Rechtsprechung des RFH und am ruhenden Gewerbebetrieb festgehalten: „Sofern der Verpächter sich darauf beschränkt, dem Pächter den Gebrauch und die Nutzung der Pachtsache zu überlassen, und den Pachtzins einzuziehen, übt er keine gewerbliche Tätigkeit aus.“4
Schon in der Folgeentscheidung beruft sich der BFH allerdings zu Unrecht auf die Rechtsprechung des RFH:5 „Die Rechtsprechung des RFH, die den Begriff des ruhenden Gewerbebetriebes entwickelt hat, wollte in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen eine Erleichterung für den Verpächter von Gewerbebetrieben schaffen. Diese sollten nicht gezwungen werden, die Verpachtung des Gewerbebetriebes als Aufgabe des Betriebes iS des § 16 EStG zu behandeln … Die Rechtsprechung hat deshalb den Steuerpflichtigen ein Wahlrecht eingeräumt, sie können bei Beginn der Pacht oder während der Pachtdauer die Gegenstände des früheren Betriebsvermögens ganz oder teilweise in das Privatvermögen überführen […].“
Entgegen dem BFH hat der RFH dem Steuerpflichtigen nie ein Wahlrecht eingeräumt, ob er mit der Verpachtung eine Betriebsaufgabe verbinden möchte oder nicht. In dem vom BFH zitierten Urteil des RFH6 ging es nicht um eine Betriebsverpachtung, sondern um eine Einbringung eines Betriebes in eine Kapitalgesellschaft;7 auch der RFH hat in diesem Urteil keinen Bezug zu seiner Rechtsprechung über die Betriebsverpachtung hergestellt. 2. Der Große Senat: Das Wahlrecht bleibt Auch im Urteil des Großen Senats zur Betriebsverpachtung8 beruft sich der BFH zunächst auf den RFH, wobei er „der früheren Rechtsprechung des RFH den Vorzug“ gab, und zwar „nicht zuletzt auch deshalb, weil damit eine Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zum BewG erzielt wird. Nach ständiger Rechtsprechung des RFH und des BFH bildet ein verpachtetes gewerbliches Unternehmen immer dann einen gewerblichen Betrieb des Verpächters iS des § 54 BewG, wenn die wesentlichen Betriebsgegenstände mitverpachtet sind“.
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BStBl. III 1956, 18. BStBl. III 1957, 273. RStBl. 1934, 838. Siehe auch Vangerow, Zur einkommensteuerlichen Behandlung von Betriebsverpachtungen, StuW 1956, 157. BStBl. III 1964, 124.
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Nach dieser Einleitung müsste die Rechtslage zumindest auf Grund des Urteils des Großen Senats eigentlich klar sein: Die Betriebsverpachtung führt grundsätzlich nicht zur Betriebsaufgabe. Auch im Bewertungsgesetz wurde nach der damaligen Rechtslage (bis 1992) der verpachtete Betrieb als gewerblicher Betrieb behandelt.9 Nur wenige Zeilen später widerspricht der Große Senat seiner eigenen Aussage, der früheren Rechtssprechung des RFH sei „der Vorzug“ zu geben, und räumt ebenfalls dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht ein: „Verpachtet ein Steuerpflichtiger einen Betrieb, so ist oft ungewiss, ob er sich damit endgültig aus dem Erwerbsleben zurückgezogen hat und sein bisheriges Betriebsvermögen als Privatmann durch Vermietung und Verpachtung nutzen will, oder ob er nur zeitweise seinen Betrieb in Form der Verpachtung nutzt, um ihn später wieder selbst zu führen. Weil die Situation in tatsächlicher Hinsicht gewöhnlich nicht eindeutig ist, im Interesse der Besteuerung aber bald Klarheit geschaffen werden muss, ist der Steuerpflichtige gehalten, den Finanzbehörden gegenüber klar zum Ausdruck zu bringen, wie er sich nach der Verpachtung des Betriebes den weiteren Fortgang denkt. Seine Entscheidung ist dann für die steuerrechtliche Behandlung maßgebend: Erklärt der Steuerpflichtige, dass er den Betrieb verpachtet habe, weil er ihn aufgeben wolle, so ist der Vorgang als Betriebsaufgabe gemäß § 16 Abs. 3 EStG zu behandeln. Erklärt der Steuerpflichtige dagegen, dass der Verpachtung nicht diese Bedeutung zukommen solle, oder lehnt er eine Erklärung ab, so gilt der bisherige Betrieb als fortbestehend; er wird dann nur in anderer Form als bisher genutzt.“
Bei diesem Wahlrecht ist es auch geblieben:10 Kein Wort davon, dass der RFH eine Betriebsaufgabe nur dann annahm, wenn der Betrieb „aufgelöst“ wird, kein Wort davon, dass der RFH es für „unmöglich“ bezeichnet hat, eine Betriebsaufgabe auch dann anzunehmen, wenn das Unternehmen bloß „vorläufig“ nicht veräußert werden soll. 3. Kritiklose Übernahme des Wahlrechts in der Literatur Die Literatur hat das Wahlrecht des Steuerpflichtigen, die Verpachtung als Betriebsaufgabe behandeln zu können, im Wesentlichen kritiklos übernommen; der BFH habe „zu einer Regelung gefunden, die den Interessen des Steuerpflichtigen entgegen kommt und von der Verwaltung akzeptiert wird“ (Knobbe-Keuk),11 das Wahlrecht ergebe sich „aus einer teleologischen Reduktion“ und entspreche der „allgemeinen Auffassung“ (Kulosa in Herrmann/ Heuer/Raupach),12 das Betriebsvermögen bleibe „bis zu seiner erklärten oder
__________ 9 Gürsching/Stenger, BewG § 95 Anm. 25 (bis 1992; Lfg. 69) und Anm. 40 (ab 1993, Lfg. 87). 10 Zuletzt auch BFH, BStBl. II 1998, 388. 11 Knobbe-Keuk, Unternehmensteuerrecht9, S. 793, wobei sie allerdings dogmatisch von einer Betriebsaufgabe ausgeht, ohne dabei freilich das Thema des Firmenwertes anzusprechen. 12 Kulosa, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG § 16 Tz. 418.
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Betriebsaufgabe durch Verpachtung?
konkludenten Überführung in das Privatvermögen“ Betriebsvermögen (Reiß in Kirchhof/Söhn).13 Auch Mathiak rechtfertigt ausdrücklich das Wahlrecht.14 Paus wendet sich zwar gegen das Wahlrecht, unterstellt aber, dass mit der Betriebsverpachtung regelmäßig eine Betriebsaufgabe verbunden sei.15 Auf die genau konträre Auffassung des RFH und das Lippenbekenntnis des BFH zum RFH geht Paus dabei nicht ein.
III. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof Der VwGH nimmt bei einer Betriebsverpachtung dann eine Betriebsaufgabe an, wenn das Gesamtbild der Verhältnisse für die Absicht des Verpächters spricht, den Betrieb nach Auflösung des Pachtvertrages nicht mehr fortzuführen.16 Ein hohes Alter und ein angegriffener Gesundheitszustand des Verpächters sprechen ebenso für eine Betriebsaufgabe17 wie die Zurücklegung der Gewerbeberechtigung.18 Maßgeblich für die Betriebsaufgabe sind die objektiven Kriterien; anders als nach der Rechtsprechung des BFH steht dem Betriebsinhaber nach der Rechtsprechung des VwGH kein Wahlrecht zu.19
IV. Gemeinsamer Grundgedanke nach BFH und VwGH Sowohl der BFH wie auch der VwGH gehen – wenn auch unter erheblich abweichenden Voraussetzungen – davon aus, dass mit der Betriebsverpachtung grundsätzlich eine Betriebsaufgabe verbunden sein kann. Nach Auffassung des BFH steht dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht zu, nach Auffassung des VwGH sind es objektive Kriterien, die zu einer Betriebsaufgabe führen.
V. Kritik an der Rechtsprechung Die Betriebsaufgabe im Fall der Verpachtung führt – was beide Gerichtshöfe unbeachtet lassen – zur Nichtbesteuerung der im Betriebsvermögen enthaltenen stillen Reserven.
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13 Reiß, in Kirchhof/Söhn, EStG § 16 Rz. F 51. 14 Mathiak, Der Umfang des Betriebsvermögens bei Betriebsverpachtung, FR 1984, 129. 15 Paus, Betriebsunterbrechung oder Betriebsaufgabe bei Betriebsverpachtung, DStZ 1986, 354; weitere kritische Literaturhinweise siehe Mathiak (Fn. 13), FR 1984, 129. 16 VwGH v. 19. 2. 1997, 94/13/0206, ÖStZB 1998, 130. 17 VwGH v. 26. 4. 1989, 88/14/0096, ÖStZB 1989, 458. 18 VwGH v. 3. 10. 1984, 83/13/0004, ÖStZB 1985, 203. 19 Ausführlich dazu V. Doralt/Kohlbacher, Besteuerung der Betriebsveräußerung, 1998, S. 85.
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Die Verpachtung einer Gastwirtschaft als Beispiel: Verpachtet der Gastwirt seinen Betrieb, und erklärt er gleichzeitig eine Betriebsaufgabe, dann wird das gesamte Betriebsvermögen, die Möbel, die Schank, die Kücheneinrichtung, zum gemeinen Wert bewertet. – Nicht der Fortführungswert, wie er bei einer Betriebsveräußerung erzielt werden könnte, ist maßgeblich, sondern der Einzelveräußerungswert jedes einzelnen Wirtschaftsgutes, in der Regel also ein Bruchteil des Wertes, den das Wirtschaftsgut in seiner betrieblichen Funktion hat. Mit diesem Wert wird also das Betriebsvermögen in das Privatvermögen des Gastwirtes übergeführt. Soweit nicht stille Reserven aus Grundstücken zu versteuern sind, beschränkt sich ein allfälliger Aufgabegewinn daher auf Bagatellbeträge. Wenige Jahre später verkauft der Gastwirt den Betrieb, selbstverständlich nicht bewertet mit dem gemeinen Wert der einzelnen Wirtschaftsgüter, sondern in ihrer Funktion eines bestehenden Betriebes. – Die stillen Reserven, die mit der Betriebsaufgabe durch die Bewertung mit dem gemeinen Wert entstanden sind, werden nunmehr realisiert, allerdings im Privatvermögen und damit unversteuert. 1. Die Systemwidrigkeit der Betriebsaufgabe durch Verpachtung Die Systemwidrigkeit der Betriebsaufgabe alleine durch Verpachtung liegt damit auf der Hand: Obwohl die für die Fortführung des Unternehmens erforderliche Struktur des Betriebes einschließlich des Firmenwertes erhalten und voll funktionsfähig bleibt, und auch als solche veräußert werden kann, unterstellt die Rechtsprechung – nach Wahl des Steuerpflichtigen – eine Betriebsaufgabe. Ein Betrieb, der in seiner Gesamtstruktur auch im Fall der Verpachtung unverändert erhalten bleibt, wird – entgegen den tatsächlichen Umständen – als aufgegeben fingiert. Dabei muss der Große Senat sehr wohl die Schwachstelle gesehen haben, die sich bereits aus der früheren Rechtsprechung des BFH ergab; denn die Rechtsprechung war „bei Wertsteigerungen des Betriebsvermögens während der Pachtdauer für den Steuerpflichtigen günstig, … hat sich aber auch oft zum Nachteil des Steuerpflichtigen ausgewirkt, weil man einen während des Ruhens eingetretenen Verlust an Betriebsvermögen steuerlich nicht geltend machen konnte“. Das gilt nicht nur für die vom BFH angesprochenen Stundungseffekte, wenn die stillen Reserven aus der Betriebsaufgabe erst bei der späteren Veräußerung versteuert werden konnten, sondern noch viel mehr für die grundsätzliche steuerliche Erfassung der Wertsteigerungen bzw. Wertverluste. Schon der RFH (siehe oben) hat den richtigen Weg gezeigt und eine Betriebsaufgabe nur dann angenommen, wenn der Betrieb „aufgelöst“ worden ist und der Betrieb „tatsächlich nicht mehr betrieben werden könnte“. 278
Betriebsaufgabe durch Verpachtung?
2. Das Wahlrecht Kritisch setzt sich der BFH mit seiner früheren Rechtsprechung und einer Stellungnahme des BMF auseinander, wonach zwar im Zeitpunkt der Verpachtung eine Betriebsaufgabe vorliege, die Besteuerung der stillen Reserven aber bis zur Veräußerung aufgeschoben werden könne. Eine solche Auffassung finde „im Gesetz keine Stütze“. Dem BFH ist darin gewiss zuzustimmen, doch findet sich auch für das vom Großen Senat eingeräumte Wahlrecht im Gesetz keine Stütze. Im Gegenteil, der BFH selbst hat das Verpächterwahlrecht als „Rechtswohltat“ bezeichnet;20 die Gewährung von Rechtswohltaten ist jedoch dem Gesetzgeber vorbehalten. 3. Betriebsaufgabe und Geschäftswert Unterstellt man mit der bestehenden Rechtsprechung des BFH die Möglichkeit einer Betriebsaufgabe durch Verpachtung, bleibt die Behandlung des Geschäftswertes ungelöst. Im Zeitpunkt der Verpachtung (Betriebsaufgabe) ist der Geschäftswert jedenfalls nicht anzusetzen; wird das verpachtete Unternehmen später veräußert und dabei ein Erlös für den Geschäftswert erzielt, so ist dieser Erlös eine gewerbliche Einnahme.21 Nach Auffassung des BFH gibt es also einen Geschäftswert ohne einen Betrieb; eine Vorstellung, die in der Literatur wohl zu Recht auf Unverständnis gestoßen ist, „weil ein Geschäftswert ohne Betrieb nicht existieren kann“ (Söffing);22 für den dogmatischen Betrachter sei das Urteil „aufwühlend“, ein „schon fast parapsychologisches Phänomen“ (L. Schmidt).23 Dabei bestätigt auch der BFH in derselben Entscheidung selbst, dass ein Geschäftswert „nur im Rahmen eines gewerblichen Betriebes denkbar ist“. Die einzige logische Konsequenz daraus, dass nämlich der gewerbliche Betrieb auch im Fall der Verpachtung zwingend weiter besteht, hat der BFH nicht gesehen. Akzeptiert man dennoch das Urteil des BFH, bleibt freilich die Frage offen, wie der Geschäftswert ermittelt werden soll, wenn der verpachtete, zum Privatvermögen gehörende Betrieb veräußert wird. Soll der verpachtete Be-
__________ 20 BFH, BStBl. II 1974, 208; zustimmend etwa Zugmaier, Das Verpächterwahlrecht bei der Betriebsverpachtung, FR 1998, 597; ebenso Mathiak (Fn. 13), FR 1984, 129. 21 BFH, BStBl. II 1979, 99; siehe auch V. Doralt/Kohlbacher (Fn. 17) S. 90; Presting, Geschäfts- oder Firmenwert bei der Betriebsverpachtung, FR 1992, 425; Schoor, Verpächterwahlrecht bei Betriebsverpachtung, FR 1994, 449; kritisch zum Praxiswert Tiedchen, Der Praxiswert bei der Verpachtung einer freiberuflichen Praxis, FR 1992, 705. 22 Söffing, Der Geschäftswert bei der Aufgabe eines verpachteten Betriebes, FR 1978, 305. 23 L. Schmidt, FR 1978, 244 in einer Urteilsanmerkung.
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trieb mit den Teilwerten der Wirtschaftsgüter bewertet werden, und ergibt die Differenz zum Kaufpreis den Firmenwert, wie auch der Käufer den Firmenwert ermittelt? Gibt es aber überhaupt Teilwerte bei einem Privatvermögen? Müssen daher die einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebes nicht mit dem gemeinen Wert bewertet werden, wie sie auch bei der Betriebsaufgabe mit dem gemeinen Wert bewertet wurden? – Oder ist der Kaufpreis auf alle veräußerten Wirtschaftsgüter einschließlich des Geschäftswertes verhältnismäßig aufzuteilen? Das setzt allerdings die gesonderte Ermittlung des Firmenwertes voraus, ohne dass man weiß, nach welcher Methode er ermittelt werden soll. Bemerkenswert ist immerhin, dass diese nahe liegende Frage – soweit ersichtlich – bisher nicht einmal diskutiert, geschweige denn gelöst worden ist. Blümich/Stuhrmann merkt immerhin an, die BFH-Auffassung „dürfte für die Praxis schwierig zu vollziehen sein“.24 4. Die Verpachtung des Geschäftswertes – ein weiterer Widerspruch Solange der Verpächter nicht erklärt hat, den Betrieb aufzugeben, „gilt der bisherige Betrieb als fortbestehend“, die verpachteten Wirtschaftsgüter bleiben sein Betriebsvermögen, „mit der Folge, dass er weiterhin Einkünfte aus Gewerbebetrieb hat“.25 Nach dieser Aussage des BFH verknüpft sich also – durchaus konsequent – das Vorliegen von Betriebsvermögen mit der Folge, dass eine Verpachtung zu gewerblichen Einkünften führt, solange der Betrieb nicht aufgegeben ist. Bleibt aber, wie der BFH betont, der Geschäftswert auch im Fall der Betriebsaufgabeerklärung jedenfalls Betriebsvermögen, dann muss im Fall der Verpachtung die anteilige auf den Geschäftswert entfallende Pacht ebenfalls zu betrieblichen Einkünften führen. Diesen Widerspruch löst der BFH allerdings nicht auf: Wird das Unternehmen verpachtet und wird mit der Verpachtung die Betriebsaufgabe erklärt, dann müssten nach der Auffassung des BFH die Pachteinnahmen konsequenterweise in einen betrieblichen Teil (Verpachtung des Geschäftswertes) und einen außerbetrieblichen Teil (Verpachtung des übrigen Vermögens) geteilt werden. Dass eine solche Auseinanderrechnung der Pachteinnahmen kein befriedigendes Ergebnis ist, lässt sich wohl nicht bestreiten, wäre aber die einzige richtige Konsequenz aus der Rechtsprechung.
__________ 24 Blümich/Stuhrmann, EStG, § 16 Rz. 365. 25 BFH, BStBl. III 1964, 124 (amtlicher Leitsatz).
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Betriebsaufgabe durch Verpachtung?
VI. Die Lösung Die Lösung ist ebenso nahe liegend wie einfach: –
Es ist richtig, einen Geschäftswert ohne Geschäft gibt es nicht. Andererseits verwertet aber der Verpächter, wenn er den verpachteten Betrieb veräußert, auch den Geschäftswert mit. Wenn es daher einen Geschäftswert ohne Betrieb nicht gibt, dann ist die Theorie der Betriebsaufgabe nicht haltbar: Der verpachtete Betrieb bleibt auch während der Verpachtung zur Gänze Betriebsvermögen. Es gibt keine Betriebsaufgabe durch Verpachtung.
–
Das entspricht auch der Auffassung des RFH, auf den sich der BFH – freilich zu Unrecht – beruft. Als Betriebsaufgabe versteht das Gesetz eine Auflösung des Betriebes, also einen Vorgang, der ausschließt, dass der Betrieb wirtschaftlich unverändert fortbesteht.
–
Es ist systemwidrig, wenn anlässlich der Betriebsverpachtung die Betriebsaufgabe zum gemeinen Wert erfolgt, während die spätere Veräußerung zu den Fortführungswerten erfolgt. Damit bleiben die stillen Reserven des Betriebsvermögens (hier der Unterschiedsbetrag zwischen dem gemeinen Wert und dem Veräußerungserlös) unversteuert.
Auch daraus ergibt sich: Eine Betriebsaufgabe durch Verpachtung gibt es nicht. Folgt man dieser Lösung, lösen sich auch alle Fragen der Veräußerung des verpachteten Betriebes; dementsprechend bezieht der Verpächter auch während der Verpachtung betriebliche Einkünfte.26
__________ 26 Da es eine Verknüpfung der einkommensteuerlichen Beurteilung mit der gewerbesteuerlichen Beurteilung nicht mehr gibt (Lenski/Steinberg, GewStG § 2 Anm. 1057, 70. Lfg.), erübrigt sich insoweit auch die Annahme außerbetrieblicher Einkünfte aus der Betriebsverpachtung, wie sie der RFH zur Vermeidung der Gewerbesteuerpflicht vertreten hat (siehe oben Punkt I).
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Einkommensteuerreform und objektives Nettoprinzip Inhaltsübersicht 1. Zu einigen Reformüberlegungen a) Politik b) Rechtswissenschaft 2. Zum objektiven Nettoprinzip a) FDP-Entwurf b) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zum objektiven Nettoprinzip c) Zusammenfassung
3. Die Beachtung des objektiven Nettoprinzips in den Reformüberlegungen a) Berliner Entwurf der FDP b) Doppelte Haushaltsführung c) Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte d) Häusliches Arbeitszimmer
1. Zu einigen Reformüberlegungen a) Politik Eigentlich sollte das Jahr 2004 das Jahr der großen Steuerreform werden, die uns allen eine radikale Steuervereinfachung und niedrige Steuersätze bescheren werde. Damals signalisierten die Regierungsparteien Gesprächs- und Einigungsbereitschaft. An Vorschlägen lagen die Leitsätze der CDU für eine radikale Vereinfachung und grundlegende Reform des Einkommensteuergesetzes vom 3. November 2003 vor.1 Diese Radikalvorschläge sind nach dem bekannten Streit zwischen CDU und CSU entschärft und in dem gemeinsamen steuerpolitischen Programm von CDU und CSU, das Konzept 21 vom 7. März 20042, zu Recht praxistauglicher verändert worden. Leider ist dieses Konzept niemals zu einem Gesetzentwurf erstarkt. Erst wenn man einen Gesetzentwurf vor sich hat, kann die Tauglichkeit eines Reformvorhabens beurteilt werden. Was die FDP geschafft hat, hätte eigentlich den größeren Parteien gut angestanden. Die FDP hat nämlich ihren Berliner Entwurf für eine neue Einkommensteuer und damit einen Gesetzentwurf vorgestellt (September 2003)3.
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So genannte Bierdeckelreform des Abgeordneten Merz. CDU/CSU, Modernes Steuerrecht, 2004, BT-Drucks. 15/2745 vom 23. 3. 2004; Faltlhauser, Konzept 21, München 2004. Solms (Hrsg.), Die neue Einkommensteuer, Berlin 2003; BT-Drucks. 15/2349 vom 14. 1. 2004.
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b) Rechtswissenschaft Aus dem Bereich der Steuerrechtswissenschaft liegen der Karlsruher Entwurf zur Reform der Einkommensteuer (Kirchhof-Modell)4 und der Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes vor.5 Das Kirchhof-Modell sticht hervor durch eine neue steuerrechtliche Dogmatik, durch seinen Einheitssteuersatz von 25 v. H., durch seine Kürze (23 Paragraphen) und durch einen radikalen Einschnitt in das objektive Nettoprinzip. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Einheitssteuersatz von 25 v. H. im Wesentlichen auf dem Rücken der Arbeitnehmer finanziert werden soll. Klaus Tipke hat in einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung Folgendes ausgeführt:6 „Der Tarif muss indessen auf einer wahren, dem Nettoprinzip entsprechenden Bemessungsgrundlage aufbauen, es darf nicht umgekehrt die Bemessungsgrundlage zur Finanzierung eines Mogeltarifs ungerechtfertigt erweitert werden.“ Noch ein weiterer Umstand lässt es gerechtfertigt erscheinen, dem Karlsruher-Entwurf skeptisch zu begegnen. Die Autoren dieses Entwurfs werben damit, man komme mit 23 gesetzlichen Paragraphen für ein EStGB aus. Dem ist zu widersprechen. Allein die bisher beigefügte Rechtsverordnung enthält weitere 35 Paragraphen; zu einigen Verordnungsermächtigungen haben die Autoren noch keine Verordnungstexte formuliert. Man sieht, entweder das Gesetz wird umfangreicher oder es kommen neue Verordnungsbestimmungen hinzu. Die Regelungsstreuung im Gesetz und in einer oder mehreren Verordnungen hat im Übrigen für den Bürger den Nachteil, dass er die Rechtslage nicht nur aus einem Gesetzeswerk beurteilen kann, sondern sich die Regelungen aus verschiedenen Quellen zusammensuchen muss. Dies hat mit Rechtsvereinfachung nichts zu tun. Erhebliche Rechtsunsicherheit wird entstehen, weil die Finanzgerichte die Verordnungsermächtigung im Blick auf Art. 80 Grundgesetz überprüfen und in zahlreichen Fällen nicht anerkennen werden. Dazu ein ganz konkretes Beispiel aus dem Karlsruher-Entwurf: § 4 Satz 1 EStGB lautet: „Lasten eigener oder fremder Lebensführung mindern die Einkünfte auch dann nicht, wenn sie durch Erwerbshandeln mitveranlasst sind (gemischte Kosten).“ In der Verordnungsermächtigung des § 23 EStGB heißt es: „Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften durch Rechtsverordnung zu erlassen, … 2. über die nähere Bestimmung von Erwerbskosten und gemischten Kosten gemäß § 2 Abs. 3 und § 4.“ In dem Entwurf zur Rechtsverordnung formuliert der Karlsruher-Entwurf wie folgt: „Nicht abziehbare Kosten der Lebensführung i. S. von § 4 Satz 1 EStGB sind insbesondere Kosten für 1. die Wohnung des Steuerpflichtigen, auch wenn
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Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch, 2003, Heidelberg 2003. Lang u. a., Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes, Köln 2005. Süddeutsche Zeitung vom 17. 3. 2004
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Einkommensteuerreform und objektives Nettoprinzip
sie teilweise zu Erwerbszwecken genutzt wird, 2. Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbsstätte, 3. Umzüge, auch wenn sie beruflich bedingt sind, 4. Kleidung, 5. Verpflegung, 6. den Computer in der Wohnung des Steuerpflichtigen, auch wenn dieser teilweise zu Erwerbszwecken genutzt wird.“ Allein dieser Teil des Kirchhof’schen Reformmodells ist streitanfällig und würde die Finanzgerichte und das Bundesverfassungsgericht auf Jahre beschäftigen. Hier nur eine Bemerkung im Hinblick auf Art. 80 Grundgesetz. Danach müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung zum Erlass der Rechtsverordnung im Gesetz bestimmt werden. Die Ermächtigungsnorm muss zum Ausdruck bringen, was geregelt werden soll und innerhalb welchen Rahmens sich die Regelung bewegen muss. Dabei muss die Ermächtigung bereits so substantiiert sein, dass der Bürger schon aus ihr erkennen kann, was von ihm gefordert werden soll.7 Insbesondere im Steuerrecht hat der Gesetzgeber die Grenzen seiner Delegation an den Verordnungsgeber besonders sorgfältig zu bestimmen.8 Das Parlament soll durch die Anforderungen des Art. 80 Grundgesetz gehindert werden, sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft zu entäußern, weshalb die Rechtssetzung durch Rechtsverordnung die Ausnahme bleiben soll.9 Diesen Anforderungen wird der Karlsruher-Entwurf zumindest hinsichtlich des häuslichen Arbeitszimmers, der Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbsstätte und des beruflich bedingten Umzuges kaum gerecht. Zum einen ist aus der Verordnungsermächtigung nicht zu erkennen, dass Kosten in den vorbezeichneten Bereichen als Lebensführungskosten gelten sollen. Zum anderen handelt es sich um eine gravierende Einschränkung des objektiven Nettoprinzips, die dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muss. Eine derartige Rechtssetzungsübertragung bedeutet eine Aushöhlung des Demokratieprinzips. Tipke10 bemerkt zutreffend: „Der Gesetzgeber kann sich auch verdächtig machen, für die Regelung bestimmter Materien selbst kein Konzept zu haben und deswegen die Flucht in die Verordnung angetreten zu haben.“ Bei allem Respekt vor der Leistung der Arbeitsgruppe des Karlsruher-Entwurfs – der Versuch, das „einkommensteuerrechtliche Rad“ neu zu erfinden, scheint nicht gelungen.11 Es hat nicht nur wegen der mangelnden Finanzierbarkeit, sondern auch wegen seiner sozialen Unausgewogenheit gegenüber den Arbeitnehmern kaum eine Chance auf Realisierung. Im Übrigen ist ein umfangreicheres Gesetz, in dem der Gesetzgeber durch eigene Entscheidungen für Klar-
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Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art. 80 Rz. 27, 28. Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl., Art. 80 Rz. 60. Schmidt-Bleibtreu/Klein, a. a. O., Art. 80 Rz. 7, m. w. N. Steuer und Wirtschaft 2002, 148, 173 f. S. auch die steuerjuristische Würdigung durch Tipke in Steuer und Wirtschaft 2002, 148 ff.
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heit sorgt, für den Bürger vorteilhafter als ein kurzes Gesetz, in dem zahlreiche Fragen offen gelassen oder gar nicht angesprochen werden. Anders verhält es sich mit dem Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes. Dieser Entwurf baut auf der bewährten und als sachgerecht erkannten Normensubstanz des geltenden EStG auf und entschlackt diese Normensubstanz von im Laufe der Jahre eingetretenen Fehlentwicklungen. Dies ist der richtige Weg – er vermeidet neue Rechtssätze und neue Rechtsbegriffe; dadurch werden unvermeidlich neu auftretende Streitfragen auf ein Minimum reduziert. Es wäre zu hoffen, dass dieser Entwurf über die Parteigrenzen hinweg mit dem einvernehmlichen Willen diskutiert wird, doch noch ein von den politischen Parteien gemeinsam getragenes Einkommensteuerreformgesetz zu verwirklichen. Es ist zu hoffen, dass dies nun durch die von der Stiftung Marktwirtschaft getragene Initiative erfolgreich gelingt.
2. Zum objektiven Nettoprinzip a) FDP-Entwurf Nicht nur der Karlsruher-Entwurf und die früheren Merz-Leitsätze haben zu Ungunsten der Arbeitnehmer das objektive Nettoprinzip stark eingeschränkt; der Berliner Entwurf der FDP geht noch einen Schritt weiter. Werden zunächst in § 10 Abs. 4 des Entwurfs für alle Steuerpflichtigen Aufwendungen für Arbeitsräume in der eigenen Wohnung und Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte zu nicht abziehbaren Ausgaben der Lebensführung erklärt, so bestimmt § 15 des Entwurfs: „Bei Arbeitnehmern sind für die mit ihrer wirtschaftlichen Betätigung als Arbeitnehmer im Zusammenhang stehenden Werbungskosten 2 v. H. der steuerpflichtigen Einnahmen abzuziehen. Weitere Ausgaben sind nicht abziehbar.“ Offenbar gehen die vorgenannten Entwürfe davon aus, dass das objektive Nettoprinzip besonders bei Arbeitseinkünften zur beliebigen und freien Disposition des Gesetzgebers steht; denn bei den anderen Einkunftsarten soll das Nettoprinzip entweder gar nicht eingeschränkt werden oder – sofern die für die Arbeitnehmer geltenden Einschränkungen allgemein anwendbar sein sollen – es kommen diese Aufwendungen bei den anderen Einkunftsarten kaum vor oder der Steuerpflichtige kann den Einschränkungen ausweichen. So kann der Gewerbetreibende z. B. dem Abzugsverbot für Aufwendungen bei Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte dadurch ausweichen, dass er von der Wohnung zunächst zu Kundenbesuchen aufbricht; das Finanzamt wird dies kaum überprüfen können. b) Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zum objektiven Nettoprinzip Nach feststehender Verfassungsrechtsprechung hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Steuergesetze einen weiten Entscheidungsspielraum. Die 286
Einkommensteuerreform und objektives Nettoprinzip
Steuerlast hat sich aber am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und am Gebot der Folgerichtigkeit auszurichten.12 Der Gesetzgeber bemisst die maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit nach dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip. Der Einkommensteuer unterliegt grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, das ist der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den betrieblichen/beruflichen Erwerbsaufwendungen sowie den privaten existenzsichernden Aufwendungen andererseits. Verfassungsrang hat das subjektive Nettoprinzip insoweit, als das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie zu beachten ist.13 Der für den notwendigen Lebensbedarf erforderliche Teil des Einkommens steht für eine Steuerbelastung nicht zur Verfügung, er ist dafür nicht disponibel.14 Dabei müssen die für das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie erforderlichen Aufwendungen in Höhe der staatlichen Existenzsicherung, also in Höhe der Sozialhilfe, steuerfrei gestellt werden.15 Steuerverschonung geht also vor Sozialleistung.16 Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Beschluss zur doppelten Haushaltsführung17 ausdrücklich darauf hin, es habe die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von Unterhaltsaufwendungen unabhängig von § 12 Nr. 1 EStG entwickelt. Im Gegensatz zu den dort erfassten nicht abziehbaren allgemeinen Kosten der Lebensführung muss beim Existenzminimum und beim Kindesunterhalt berücksichtigt werden, dass durch solche Aufwendungen die steuerliche Leistungsfähigkeit gemindert wird. Der Staat darf also auf Mittel, die für den eigenen Unterhalt und für den Unterhalt von Kindern unerlässlich sind, nicht in gleicher Weise bei der Besteuerung zurückgreifen wie auf Mittel, die der Bürger zur Befriedigung beliebiger anderer Bedürfnisse einsetzen kann. Während das subjektive Nettoprinzip in den vorbeschriebenen Grenzen Verfassungsrang genießt, hat das Bundesverfassungsgericht zum objektiven Nettoprinzip bisher stets offen gelassen, ob die Beachtung dieses Prinzips verfassungsrechtlich geboten ist.18 Diese Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts hat folgende Ursachen: Es ist geltendes Recht, dass es für den Betriebsausgaben-/Werbungskostenabzug nicht darauf ankommt, ob die Erwerbsaufwendungen notwendig, zweckmäßig oder üblich sind. Der Bürger ist insoweit in seiner Entscheidung frei, welche Aufwendungen er zur Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen einsetzen will. Diese Entscheidung des
__________ 12 Beschluss des BVerfG v. 4. 12. 2002 – 2 BvR 400/98 und 1735/00, BStBl. II 2003, 534, unter C. I. 1. b der Gründe. 13 BVerfG, a. a. O. (Fn. 12), unter C. I. 1. c bb der Gründe. 14 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 2. Auflage, Köln 2003, S. 795 f. 15 Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Auflage, Köln 2002, § 9 Rz. 69 ff., 74 ff., 88 ff. 16 Tipke, a. a. O. (Fn. 14), a. a. O., S. 793 ff. 17 a. a. O. (Fn. 13). 18 a. a. O. (Fn. 12) unter C. I. 1. b, aa der Gründe.
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Gesetzgebers ist im Ergebnis sachgerecht, da, würde es auf die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit oder Üblichkeit von Erwerbsaufwendungen ankommen, unsäglicher und unfruchtbarer Streit zwischen Finanzamt und Bürger vorprogrammiert wäre. Aber zwingend ist diese Entscheidung des Gesetzgebers nicht. Deshalb ist es dem Bundesverfassungsgericht auch nicht möglich, dem objektiven Nettoprinzip allgemeinen und umfassenden Verfassungsrang zuzusprechen. Aber eines lässt sich festhalten: Das Bundesverfassungsgericht betrachtet das objektive Nettoprinzip als eine Grundentscheidung des Einkommensteuerrechts, die nicht gänzlich abgeschafft, wohl aber bei Beachtung hinreichender Folgerichtigkeit eingeschränkt werden darf. „Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidungen bedürfen eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes.“19 Als ganz besonders bedeutsam erweist sich ein weiterer Ausspruch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur doppelten Haushaltsführung:20 „Allgemein gilt: Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit kommt es nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen an, sondern jedenfalls auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits.“ Hieraus lässt sich folgender Schluss ziehen: Je zwangsläufiger sich Erwerbsaufwendungen darstellen, umso geringer wird für den Gesetzgeber der Spielraum zur Einschränkung des objektiven Nettoprinzips. Das bedeutet letztlich, dass Raum für eine Einschränkung des objektiven Nettoprinzips weniger hinsichtlich der Abziehbarkeit von Erwerbsaufwendungen dem Grunde nach als hinsichtlich der Höhe der Erwerbsaufwendungen besteht. Ein weiteres Ergebnis lässt sich aus dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ableiten: Der Umstand, dass eine Erwerbsaufwendung auch von privaten Einflüssen tangiert wird, wie es das Bundesverfassungsgericht für die Führung der doppelten Haushaltsführung wegen der Entscheidung des Steuerpflichtigen zur Beibehaltung der bisherigen Lebensmittelpunktwohnung annimmt, berechtigt allein noch nicht zur Einschränkung des objektiven Nettoprinzips; von entscheidender Bedeutung ist vielmehr die Frage danach, ob es sich um freien/beliebigen Aufwand handelt oder ob der Aufwand zwangsläufig/pflichtbestimmt anfällt. In seinem Arbeitszimmerbeschluss hat das Bundesverfassungsgericht21 den Gesichtspunkt herangezogen, dass dem Finanzamt eine Nachprüfung der
__________ 19 BVerfG, a. a. O. (Fn. 18). 20 a. a. O. (Fn. 13). 21 Urteil v. 7. 12. 1999 – 2 BvR 301/98, BStBl. II 2000, 162, unter B. II. 1. c und 2. b, aa der Gründe.
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ausschließlich beruflichen Nutzung des Arbeitszimmers durch den Steuerpflichtigen wegen des Eingebundenseins des Arbeitszimmers in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen im Hinblick auf Art. 13 Grundgesetz nur eingeschränkt oder gar nicht möglich ist. Deshalb, so das Bundesverfassungsgericht, ist die Begrenzung der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer zur Missbrauchsabwehr sachlich gerechtfertigt. Und in einem weiteren Punkt hat das Bundesverfassungsgericht die Arbeitszimmerregelung bestätigt: Das Gesetz gewährt demjenigen Steuerpflichtigen, bei dem das häusliche Arbeitszimmer der Mittelpunkt der betrieblichen und beruflichen Tätigkeit ist, den Vollabzug der Kosten, während anderen Steuerpflichtigen allenfalls ein beschränkter Betriebsausgaben-/Werbungskostenabzug zugebilligt wird. Das Bundesverfassungsgericht erkennt an, dass der Gesetzgeber unterschiedliche Rechtsfolgen nach der Intensität der Erforderlichkeit der Aufwendungen bestimmen darf. „Auch wenn diese Erforderlichkeit in der Regel nicht Voraussetzung der Werbungskosten ist, kann sie – also die Erforderlichkeit – zur typisierenden Abgrenzung von Erwerbs- und Privatsphäre herangezogen werden.“22 c) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten: (1) Das objektive Nettoprinzip als Grundentscheidung des Einkommensteuerrechts genießt im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit verfassungsrechtlichen Bestandsschutz. (2) Es kann nur eingeschränkt werden, soweit das Gebot der Folgerichtigkeit beachtet ist; wenn also die Einschränkung durch besondere, sachlich rechtfertigende Gründe bedingt ist. (3) Besondere Bedeutung kommt dabei dem Umstand zu, ob der Aufwand zwangsläufig oder pflichtbestimmt anfällt oder nicht. (4) Der Gesetzgeber kann den Betriebsausgaben-/Werbungskostenabzug auch nach dem Grad der Erforderlichkeit einer Aufwendung abstufen. (5) Entsteht betrieblich/beruflich bedingter Aufwand in der Sphäre der privaten Lebensführung, die vom Finanzamt nur eingeschränkt oder gar nicht überprüft werden kann, so ist dem Gesetzgeber eine Einschränkung des objektiven Nettoprinzips zur Missbrauchsabwehr erlaubt.
__________ 22 BVerfG, a. a. O. (Fn. 21), unter B. II. 2. b und c der Gründe.
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3. Die Beachtung des objektiven Nettoprinzips in den Reformüberlegungen a) Berliner Entwurf der FDP Wendet man diese aus der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung abgeleiteten Rechtsgrundsätze auf die Reformentwürfe an, so erweist sich § 15 des Berliner Entwurfs der FDP als offensichtlich verfassungswidrig. Hier wird einer Gruppe von Einkunftserzielern, den Arbeitnehmern, ohne rechtfertigende Gründe das objektive Nettoprinzip verwehrt. In der Begründung für die Regelung des § 15 des Berliner Entwurfs heißt es: „Der einnahmeabhängige Pauschalbetrag von 2 v. H. als Einnahmen führt im Ergebnis zu einer spürbaren Tarifsenkung für Arbeitnehmer.“ Wenn der den Werbungskostenabzug einschränkende Pauschbetrag zu einer spürbaren Tarifsenkung für Arbeitnehmer führen soll, so stimmt der andere Teil der Begründung zu § 15 des Entwurfs nicht, wenn es dort heißt: „Streitigkeiten über Abzugsfähigkeit und Höhe von Werbungskosten haben Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Finanzverwaltung und Finanzgerichte über Gebühr belastet, zumal sich in vielen Fällen nur geringe steuerliche Auswirkungen ergeben haben.“ Wenn sich in vielen Fällen nur geringe steuerliche Auswirkungen ergeben haben sollen, so darf man sich schon fragen, wie dies dann zu einer spürbaren Tarifsenkung für Arbeitnehmer führen kann. Hier wird vielmehr offensichtlich, dass auf dem Rücken der Arbeitnehmer durch Beschränkung des objektiven Nettoprinzips eine allgemeine Tarifsenkung auch für solche Steuerpflichtige finanziert werden soll, die von einer Beschränkung des objektiven Nettoprinzips nicht betroffen sind. b) Doppelte Haushaltsführung Zunächst ein Wort zur Problemanfälligkeit der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung: Diese Vorschrift bereitet in der Praxis keine Probleme. Beim VI. Senat des Bundesfinanzhofs waren in den letzten Jahren außer den Revisionen, welche die Zwei-Jahres-Frist betrafen, nahezu keine Revisionen anhängig. Nur zu der Frage, ob ein alleinstehender Steuerpflichtiger am bisherigen Heimatort einen eigenen Hausstand unterhält oder ob er in einem fremden Haushalt als unselbständiger, nicht bestimmender Teil eingegliedert ist, wird der BFH hin und wieder in Einzelfällen beschäftigt. Aus Gründen einer Steuervereinfachung ist eine Änderung der bisherigen Regelung nicht geboten. Eine völlige Aufhebung der Vorschrift und damit eine Abschaffung der Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der steuerlichen Leistungsfähigkeit und damit verfassungswidrig. Dies folgt aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Zwei-Jahres-Frist der doppelten Haus290
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haltsführung.23 In all den Fällen, in denen die doppelte Haushaltsführung für den Steuerpflichtigen zwangsläufig ist, er sich ihr also nicht entziehen kann, muss die Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung erhalten bleiben. Dies sind die Fälle der so genannten Kettenabordnung und die Fälle beiderseits berufstätiger Ehegatten – dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Das Gleiche gilt aber auch für Fälle einer befristeten Abordnung oder auch für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger sowohl eine Arbeitsstätte am Familienwohnsitz (z. B. München) als auch eine weitere Arbeitsstätte an einem auswärtigen Ort (z. B. Köln) hat. Auch hier ist die doppelte Haushaltsführung zwingend. Liegen diese besonderen Fallgestaltungen nicht vor, so ist es, wie es das Bundesverfassungsgericht hat anklingen lassen, ausreichend, wenn die doppelte Haushaltsführung nur für eine angemessene Übergangszeit anerkannt wird; die doppelte Haushaltsführung zeitlich unbegrenzt als beruflich veranlasst anzusehen, ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Bei der folgerichtigen Bemessung einer angemessenen Übergangszeit dürfte die angespannte Arbeitsmarktsituation aber nicht außer Acht gelassen werden. Je unsicherer die Arbeitsplätze für Steuerpflichtige sind, umso länger ist für sie die doppelte Haushaltsführung zwangsläufig. Soweit der Kölner Entwurf in § 15 Abs. 2 Nr. 5 Satz 3 von einer Übergangszeit von einem Jahr ausgeht, erscheint dies nicht sachgerecht. Beruflich bedingte Mehraufwendungen einer doppelten Haushaltsführung sind die Verpflegungsmehraufwendungen für die ersten drei Monate der doppelten Haushaltsführung. Diese einschränkende Regelung ist folgerichtig, da nach einer gewissen Übergangszeit von einem beruflich bedingten Mehraufwand nicht mehr ausgegangen werden muss. Auch die Beschränkung des Abzugs von Kosten für Familienheimfahrten auf eine Fahrt je Woche ist eine folgerichtige Entscheidung des Gesetzgebers. Dieses entspricht dem Fahrverhalten der Mehrheit der auswärts Beschäftigten; mehrfache Fahrten in der Woche sind nicht notwendig und als aus privaten Motiven durchgeführt zu bewerten. Die Unterkunftskosten sind nach der gesetzlichen Vorschrift in der notwendigen Höhe abziehbar. Überhöhte Mietaufwendungen sind auf notwendige Beträge zu reduzieren. Auch dieses ist folgerichtig. Wenn auch die Entscheidung zur doppelten Haushaltsführung beruflich bedingt ist, so wird aber die Auswahl der Unterkunft von privaten Bedürfnissen beeinflusst – der eine Steuerpflichtige kommt mit einem möblierten Zimmer aus, der andere Steuerpflichtige bevorzugt ein luxuriöseres Appartment. Die Entscheidung, welcher Aufwand notwendig ist, ist sehr schwierig. Wenn es in diesem Bereich kaum Rechtsstreitigkeiten gibt, so liegt dies daran, dass die Finanzämter nur Extremfälle aufgreifen. Hier wäre es dem Gesetzgeber erlaubt, einen
__________ 23 A. a. O. (Fn. 12).
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Unterkunftspauschbetrag einzuführen, der sich an den Kosten für ein in einer Großstadt gelegenes Appartment durchschnittlicher Qualität orientiert. c) Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Da die Abschaffung der Abziehbarkeit von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ein Finanzvolumen von rund 5 Mrd. Euro ausmachen soll, kann man die Begehrlichkeit derjenigen verstehen, die zur Finanzierung eines niedrigen Steuersatzes auf anderweitiges Finanzvolumen angewiesen sind.24 Gegen den Abzug der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wird stets ein Argument geltend gemacht, wie es sich auch in der Begründung zu § 10 des Berliner Entwurfs der FDP findet: „Es ist eine Entscheidung im Rahmen der Lebensführung des Steuerbürgers, wie er seine Berufstätigkeit organisiert. Pendler, die einen weiten Weg zur Arbeit auf sich nehmen, haben im Allgemeinen einen Vorteil durch niedrige Miet- oder Grundstückskosten.“ Dem kann man immer nur begegnen: Die Frage, ob die Lebenshaltungskosten auf dem Lande niedriger sind als in der Stadt, betrifft das Existenzminimum und nicht das objektive Nettoprinzip. Bisher ist ja auch noch niemand auf die Idee gekommen, den Arbeitnehmer-Pauschbetrag für Landbewohner niedriger anzusetzen, weil sie billiger leben könnten als Städter. Auch ein weiteres Argument erweist sich als untauglich. Die Fahrtkosten seien gemischte Aufwendungen; allenfalls sei die Fahrt zur Arbeit beruflich bedingt, während die Rückfahrt nach Hause privat veranlasst sei. Dies ist unzutreffend. Die Fahrt nach getaner Arbeit wieder nach Hause bedeutet die Rückgängigmachung eines beruflich veranlassten Zustandes und ist damit ebenfalls berufsbedingt. Zutreffend ist vielmehr Folgendes: Art. 11 Grundgesetz gewährleistet die Freizügigkeit, also das Recht, an jedem Ort der Bundesrepublik den Wohnsitz zu nehmen. Dass dies eine private Entscheidung ist, ändert nichts an dem Umstand, dass die Fahrt von der Wohnung zur Arbeitsstätte die Bedingung dafür ist, dass die Arbeitsleistung erbracht werden kann und damit steuerpflichtige Einnahmen erzielt werden können. Diese Fahrten sind schlichtweg unvermeidbar, da es schließlich nicht möglich ist, dass alle Arbeitnehmer am Ort ihrer Arbeitsstätte auch wohnen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wegen der privaten Wahl des Wohnortes zu gemischt veranlassten Kosten führen, rechtfertigt dies die Abschaffung des Kostenabzugs nicht. Entscheidend ist nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur doppelten Haushaltsführung, ob es sich um freie oder beliebige Ein-
__________ 24 Zuletzt der Finanzsenator Berlins Sarrazin in Süddeutsche Zeitung v. 10. 3. 2005.
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kommensverwendung handelt oder ob ein Aufwand für den Steuerpflichtigen zwangsläufig oder pflichtbestimmt ist. Im letzteren Fall gebietet das objektive Nettoprinzip die steuerliche Berücksichtigung der Kosten. So liegen zwangsläufige Fahrtkosten vor, wenn beide Ehegatten an unterschiedlichen Orten einer Arbeit nachgehen. Zwangsläufiger Fahrtaufwand ist auch dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige seine Arbeitsstelle verliert und an einem auswärtigen Ort eine neue Arbeit aufnehmen muss. Bei der jetzigen Arbeitsmarktsituation kann dem Steuerpflichtigen nicht zugemutet werden, an den neuen Arbeitsort umzuziehen. Man kann vom Arbeitnehmer nicht Mobilität einfordern, die damit verbundenen zwangsläufigen Aufwendungen dann aber vom Werbungskostenabzug ausschließen. Geht es nach dem Kirchhof-Modell, kann der Arbeitnehmer weder die Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten absetzen, noch wären die Kosten des beruflich bedingten Umzuges abziehbar – ein Zeichen für die fehlende Ausgewogenheit dieses Modells. Zwangsläufig sind die Fahrtkosten im Übrigen auch, wenn der Steuerpflichtige mehrere Berufstätigkeiten an unterschiedlichen Orten ausübt. Nicht geboten ist es allerdings, die Fahrtkosten in der tatsächlich entstandenen Höhe zum Abzug zuzulassen. Denn die Entscheidung, wie der Weg zur Arbeitsstätte zurückgelegt werden soll – mit dem eigenen PKW der Mitteloder Spitzenklasse, mit öffentlichen Verkehrsmitteln usw. –, wird durch private Befindlichkeiten mitbestimmt. Dies ändert zwar nichts daran, dass der Aufwand beruflich bedingt ist, er eröffnet aber dem Gesetzgeber die Möglichkeit, pauschalierend die Erforderlichkeit der Kosten zu bestimmen. Dabei ist der Gesichtspunkt der Folgerichtigkeit zu beachten. Der Gesetzgeber dürfte die abziehbaren Aufwendungen nicht realitätsfern niedrig ansetzen, sondern müsste sich an Durchschnittskosten orientieren. Diesen Anforderungen wird § 15 Abs. 2 Nr. 4 des Kölner Entwurfs gerecht. Danach sind als Erwerbsausgaben abziehbar, „Ausgaben für Wege zwischen Wohnung und Erwerbsstätte in Höhe von 25 Cent je Kilometer der kürzesten Straßenverbindung, jedoch nur bis zur Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten“. Ein Verstoß gegen die Folgerichtigkeit der Einschränkung des objektiven Nettoprinzips liegt hingegen in dem Vorschlag der CDU/CSU im Konzept 21, die Kosten nur für eine Entfernung von höchstens 50 Kilometern zu berücksichtigen. Für einen Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz verloren hat und in einem 70 Kilometer entfernten Ort eine neue Arbeit gefunden hat, sind die Fahrtkosten für 70 Kilometer zwangsläufig, eine Begrenzung auf Fahrtkosten für nur 50 Kilometer wäre willkürlich und damit verfassungswidrig.
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d) Häusliches Arbeitszimmer Zum häuslichen Arbeitszimmer heißt es im Konzept 21 der CDU/CSU: „Im Übrigen sind gemischte Aufwendungen, beispielsweise für das häusliche Arbeitszimmer, grundsätzlich steuerlich nicht berücksichtigungsfähig.“ Dieser Auffassung liegt ein Irrtum zugrunde. Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer, das ausschließlich betrieblich/beruflich genutzt wird, sind keineswegs gemischte Aufwendungen, sondern ausschließlich beruflich veranlasste Aufwendungen. Wer sich derart undifferenziert für die Abschaffung des Abzugs der Kosten für das häusliche Arbeitszimmer stark macht, sollte die gravierenden Veränderungen im Arbeitsleben im Auge behalten – durch die elektronischen Medien nehmen die Heimarbeitsplätze drastisch zu. Einem Steuerpflichtigen, der zwingend auf sein häusliches Arbeitszimmer angewiesen ist, kann man den Abzug der Kosten für das Arbeitszimmer nicht verwehren – dies wäre ein Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip und damit verfassungswidrig. Auch insoweit erweist sich der Kölner Entwurf als angemessen. Gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 3 sind danach als Erwerbsausgaben abziehbar, „Ausgaben für einen häuslichen Arbeitsraum und seine Ausstattung, wenn der Raum ausschließlich für die Erwerbstätigkeit genutzt wird und für die in dem Raum ausgeübte Erwerbstätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht“.
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Abstands-, Räumungs- und Erhaltungsaufwendungen des Eigentümers bei Beendigung der Vermietungsphase Inhaltsübersicht I. Vorwort II. Entwidmung eines Mietwohngrundstücks bei Beendigung der Vermietungsphase 1. Kein besonderes Einkunftserzielungsvermögen bei Überschusseinkünften 2. Nichtsteuerbare Privatnutzung bei Beendigung der Vermietungsphase III. Grundsätze für Zuordnung von Aufwendungen bei Entwidmung des Mietwohngrundstücks 1. Veranlassungsprinzip als tragender Grundsatz des Einkommensteuerrechts 2. Veranlassungsprinzip bei nachträglichen Werbungskosten 3. Veranlassungsprinzip zur Abgrenzung von privaten Vermögensaufwendungen 4. Gewichtung mittels Fremd- und Eigenvergleichs
IV. Fallgruppen von Aufwendungen bei Beendigung der Vermietungsphase 1. Abstandszahlung zwecks vorzeitigen Auszugs des Mieters 2. Räumungskosten 3. Renovierungs- und Schadensbeseitigungskosten a) Schönheitsreparaturen b) Sonstige Schäden am Mietobjekt c) Verpflichtung zur Instandsetzung gegenüber dem Käufer des Grundstücks d) Renovierung und Schadensbeseitigung noch während der Mietzeit Zu 1–3 Maßgebender Zeitpunkt für die Absicht des Eigentümers auf private Verwendung des Grundstücks a) Bei der ursprünglichen Absicht b) Bei späterer Änderung der Absicht V. Ausblick
I. Vorwort Dieser Beitrag ist dem verstorbenen Prof. Dr. Christoph Trzaskalik gewidmet in dankbarer Erinnerung an die sehr gute Zusammenarbeit mit ihm im Kommentar zum Einkommensteuergesetz von Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, die uns auch menschlich sehr nahe brachte. Der Verstorbene hatte u. a. im Rahmen des § 21 EStG vorwiegend die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung und ich die damit zusammenhängenden Werbungskosten im Rahmen des § 9 EStG behandelt. Das Thema meines Beitrags hat den Verstorbenen im vorgenannten Kommentar in § 21 EStG zu Rz. B 419 ff. und mich in § 9 EStG zu Rz. B 850 Stichwort: „Nachträgliche Werbungskosten“ beschäftigt. Es soll im Andenken an den Verstorbenen nachstehend vertieft werden.
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II. Entwidmung eines Mietwohngrundstücks bei Beendigung der Vermietungsphase 1. Kein besonderes Einkunftserzielungsvermögen bei Überschusseinkünften Das Einkommensteuerrecht wird beherrscht von dem Dualismus der betrieblichen und nichtbetrieblichen Einkünfte. Der Dualismus wird dadurch geprägt, dass bei den betrieblichen Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit der Gewinn im Sinne der §§ 4 bis 7k EStG der Einkommensteuer unterworfen wird1, während bei nichtbetrieblichen Einkunftsarten aus nichtselbständiger Arbeit, Kapitalvermögen und Vermietung und Verpachtung sowie sonstigen Einkünften der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten der Einkommensteuer unterliegt2. Ob dieser Dualismus einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 2 GG darstellt3, mag hier dahingestellt bleiben. Da der Gewinn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahrs und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs darstellt, vermehrt um den Wert der Entnahmen und gemindert um den der Einlagen, sind Wirtschaftsgüter, die der Erzielung von betrieblichen Einkünften dienen, Gegenstand des Betriebsvermögens. Wirtschaftsgüter hingegen, die der Erzielung von nichtbetrieblichen Einkünften gewidmet sind, bleiben Teil des Privatvermögens. Denn das EStG stellt weder bei der Ermittlung des Überschusses noch sonst im Einkommensteuerrecht auf die Existenz eines besonderen Einküfteerzielungsvermögens außerhalb des Betriebs- und Privatvermögens ab, mag man auch bei den Überschusseinkünften von einem Berufsvermögen, Einkünfteerzielungsvermögen usw. als Denkfigur sprechen4. Da nichtbetrieblichen Einkünfte werden daher zu Recht als „Überschusseinkünfte“ bezeichnet. 2. Nichtsteuerbare Privatnutzung bei Beendigung der Vermietungsphase Werden daher Gegenstände, die bisher der Erzielung von Überschusseinkünften gedient haben, dadurch entwidmet, dass sie nicht mehr diesen Zwecken, sondern nur dem privaten Nutzen oder Gebrauch des Steuerpflichtigen dienen sollen, ändert dies nichts an der fortbestehenden Zugehörigkeit solcher Wirtschaftsgüter zum Privatvermögen. Mit dem entwidmeten Wirt-
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§ 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG. § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Näheres siehe z. B. Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 2 EStG Rz. C 8; vgl. auch v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 9 EStG Rz. B 108 und die beiden dort zitierten Entscheidungen des BVerfG, die die Verfassungsmäßigkeit bejaht haben. Vgl. v. Bornhaupt, Fn. 3, Rz. B 85 und die dort unter Fn. 192 angegebene Literatur.
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schaftsgut im Zusammenhang stehende Aufwendungen sind jedoch nicht mehr Werbungskosten, wenn die private Nutzung des Wirtschaftsguts nicht einkommensteuerbar ist5. Denn der fehlende Zusammenhang mit „steuerverhafteten Privatvermögen“ zieht – steuersystematisch konsequent – den Ausschluss des Werbungskostenabzugs nach sich6. Die nachstehenden Ausführungen befassen sich mit Aufwendungen bei Entwidmung eines Mietwohngrundstücks bei Beendigung der Vermietungsphase und anschließender nicht steuerbarer privaten Verwendung des Grundstücks, weil der Eigentümer a) das Grundstück liegen lässt und auf eine weitere Nutzung des Gebäudes auf Zeit oder auf Dauer verzichtet, etwa weil es baufällig geworden ist, b) das Grundstück nunmehr für sich (und seine Familie) zu eigenen Wohnzwecken nutzt und die große Übergangslösung i. S. des § 21 Abs. 2 i. V. m. § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG 1998 im Verhältnis zur früheren steuerbaren Privatnutzung des § 21a EStG nicht mehr anwendbar ist, was spätestens ab 1. 1. 1999 der Fall war; die Abgrenzung ist nach der Rechtsprechung des BFH nicht nach dem Zeitpunkt der Bezahlung der betreffenden Aufwendungen, sondern nach dem Zeitpunkt vorzunehmen, in dem die zugrunde liegende Maßnahme, wie etwa die Reparaturaufwendungen, durchgeführt wurden7, oder c) das Grundstück anschließend veräußert und dies nicht steuerbar ist, weil die Veräußerung nicht zu den im § 22 Ziff. 2 i. V. m. § 23 Abs. 1 Ziff. 1 EStG erfassten Veräußerungsgeschäften zählt und der Verkauf auch nicht gemäß der Rechtsprechung des BFH8 unter den gewerblichen Grundstückshandel fällt.
III. Grundsätze für Zuordnung von Aufwendungen bei Entwidmung des Mietwohngrundstücks 1. Veranlassungsprinzip als tragender Grundsatz des Einkommensteuerrechts Das Veranlassungsprinzip als eines der tragenden Grundsätze des Einkommenssteuerrechts9 bestimmt über den Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG
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Vgl. v. Bornhaupt, Fn. 3, Rz. H 52. Prinz in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz. 188 Abs. 4. Vgl. BFH v. 10. 10. 2000 – IX R 15/96, BStBl. II 2001, 787 = BFHE 193, 318 mit Anm. Thürmer, HFR 2001, 336; BFH v. 14. 10. 2003 – IX R 18/01, BFH/NV 2004, 401 und die dort zitierte Literatur; a. A. BFM v. 10. 11. 1998 – IV C S 2253 – 2/98, BStBl. I 1998, 1418. Vgl. z. B. BFH v. 14. 1. 2004 – IX R 88/00, BFH/NV 2004, 1089 und die dort zitierte Rechtsprechung. Vgl. z. B. Wassermeyer, Das Erfordernis objektiver und subjektiver Tatbestandselemente in der ertragsteuerlichen Rechtsprechung des BFH, StuW 1982, 352 ff.; Jacob/Jüptner, Drittaufwand, Nutzungseinlage und Überschusseinkünfte, FR 1988, 141 (146); v. Bornhaupt, Fn. 3, Rz. B 178.
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hinaus den Begriff der Werbungskosten10. Werbungskosten liegen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung somit vor, wenn sie durch die Vermietung und Verpachtung veranlasst sind. Das ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des BFH der Fall, wenn objektiv ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit der auf Vermietung und Verpachtung gerichteten Tätigkeit besteht und subjektiv die Aufwendungen zur Förderung der Nutzungsüberlassung gemacht werden11. 2. Veranlassungsprinzip bei nachträglichen Werbungskosten Aufwendungen können auch sog. nachträgliche Werbungskosten sein, die anfallen, wenn die einkunftserzielende Tätigkeit beendet wurde. Sie sind Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, wenn sie durch die bisherige Vermietungstätigkeit veranlasst wurden, mit der bisherigen Vermietung also in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und als Folge der bisherigen Nutzungsüberlassung geleistet werden. Als nachträgliche Werbungskosten sind sie den Einkünften aus dem bisherigen Mietverhältnis zuzurechnen. Dabei kommt es entgegen der vom IX. Senat des BFH bislang vertretenen Ansicht12 nicht darauf an, ob die nachträglichen Werbungskosten subjektiv der Förderung der Erzielung künftiger Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung dienen13. Denn die nachträglichen Aufwendungen brauchen bei einer anschließenden neuen Vermietung nicht zugleich vorab entstandene Werbungskosten beim neuen Mietverhältnis sein. Das gilt auch für andere Einkunftsarten. So sind etwa Kosten eines Rechtsstreits mit dem bisherigen Arbeitgeber wegen Nichtzahlung einer zugesagten Abfindung wegen Entlassung aus einem Dienstverhältnis auch dann nachträgliche Werbungskosten bei den bisherigen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, wenn der Arbeitnehmer anschließend in Rente geht, die Aufwendungen also nicht subjektiv der Förderung weiterer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dienen14. Nachträgliche Werbungskosten, die nicht auf die Erzielung künftiger Einnahmen gerichtet sind, liegen erst recht vor, wenn Aufwendungen dem Steuerpflichtigen nachträglich aufgezwungen werden, er sich ihnen also nicht entziehen kann15. Nachträgliche Kosten können dem Grundstückseigen-
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10 Vgl. z. B. v. Bornhaupt, Fn. 3, Rz. B 160 ff. 11 Vgl. z. B. BFH v. 10. 10. 2000 – IX R 15/90, BStBl. II 2001, 787 = BFHE 193, 318; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 21 EStG Rz. B 410; v. Bornhaupt, Fn. 3, Rz. B 169. 12 Vgl. z. B. BFH v. 23. 2. 1988- IX R 151/86, BFH/NV 1989, 485. 13 Vgl. v. Bornhaupt, Fn. 3, Rz. B 201 ff.; Lamminger/Traxel, Nachträgliche Werbungskosten und Leistungsfähigkeitsprinzip, DStZ 1995, 429. 14 Siehe auch die Beispiele bei Prinz in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG, Rz. 172. 15 Vgl. v. Bornhaupt, Fn. 3, Rz. B 203 ff. und die dort zitierte Literatur und Rechtsprechung.
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tümer etwa dadurch aufgezwungen werden, dass der Mieter die Wohnung trotz Kündigung nicht räumt. 3. Veranlassungsprinzip zur Abgrenzung von privaten Vermögensaufwendungen Aufwendungen, die gemäß Ausführungen vorstehend zu II 2 Abs. 1 einkommensteuerlich nicht absetzbar sind, weil sie das nicht steuerbare Grundvermögen betreffen, fallen zugleich unter das Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG16, da das dort normierte Abzugsverbot von „Aufwendungen für die Lebensführung“ die gesamte Privatsphäre betrifft17 und somit auch Aufwendungen für die anderweitige private Verwertung des Grundstücks nach Beendigung der Vermietungsphase. Hängen Aufwendungen teils mit der Einkunftssphäre und teils mit der privaten Vermögenssphäre zusammen, so ist das Veranlassungsprinzip der Maßstab, um den Bereich der Werbungskosten von der Privatsphäre abzugrenzen18. Dementsprechend sind Aufwendungen bei Beendigung der Vermietungsphase nach dem Veranlassungsprinzip danach zu prüfen, ob und inwieweit sie durch die bisherige Vermietungstätigkeit oder durch die anschließende anderweitige Verwertung des Grundstücks veranlasst waren. Hängen sie mit beiden Bereichen untrennbar zusammen und ist der private Anteil nicht von untergeordneter Bedeutung, unterliegen sie dem von der Rechtsprechung zu § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG entwickelten Abzugs- und Aufteilungsverbot. Wie Trzaskalik19 zutreffend bemerkt, ist dieses Verbot jedoch bei Aufwendungen „problematisch“, die „nicht nur durch die vorangegangene Vermietung, sondern auch durch die anschließende nicht steuerbare Verwendung des Grundstücks bedingt sind“. Denn Risiken, die mit der steuerlichen erfassten Wirtschaftstätigkeit verbunden sind, wie z. B. Schadensbeseitigungskosten nach Beendigung der Vermietungstätigkeit, sollten auch hier der Einkunftssphäre zugeordnet werden. Um diesen Bedenken Rechnung zu tragen, dürfen hier nicht pauschal alle Aufwendungen in die Privatsphäre verwiesen werden, wenn sie durch die bisherigen Vermietung und zugleich durch die geplante anderweitige Grundstücksverwertung veranlasst sind. Unter Zuhilfenahme der Lebenserfahrung sind vielmehr die jeweiligen Verhältnisse des Einzelfalls danach zu gewich-
__________ 16 A. A. Prinz, Fn. 14 Rz. 179 S. E 133. 17 Drenseck in Schmidt, 23. Aufl. 2004, § 12 EStG Rz. 3. 18 Vgl. z. B. BFH v. 2. 3. 1962 – VI 79/60 S, BStBl. III 1962, 192 = BFHE 74, 513; BFH v. 28. 11. 1977 – GrS 2.3/77, BStBl. II 1978, 105 (108) = BFHE 124, 43; v. Bornhaupt, Fn. 3 Rz. B 250 ff. 19 Fn. 11, Rz. B 422.
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ten, ob die Aufwendungen wesentlich oder nur unwesentlich von den privaten Motiven beeinflusst wurden. 4. Gewichtung mittels Fremd- und Eigenvergleichs Für diese Abgrenzungen sind vor allem sog. Fremd- und Eigenvergleiche sehr hilfreich. a) Bei Vornahme eines Fremdvergleichs wendet man einen Maßstab an, wie er bei Abgrenzung zur steuerschädlichen Privatsphäre auch sonst allgemein üblich ist, so z. B. auch bei der Anerkennung von Mietverhältnissen unter nahen Angehörigen20. Ist etwa die Frage zu beantworten, warum das Mietverhältnis aufgelöst wurde, so kann ein Fremdvergleich aufzeigen, inwieweit hierfür der mietfreie Verkauf des Grundstücks oder das Fehlverhalten des Mieters ursächlich war. Die Absicht des mietfreien Grundstücksverkaufs wird dann von untergeordneter Bedeutung sein, wenn ein anderer Vermieter wegen ständiger Nichtzahlung der Miete oder aus anderen zwingenden Gründen das Mietverhältnis ebenfalls – ggf. vorzeitig – beendet hätte. b) Zweckdienlich kann oft auch ein sog. Eigenvergleich sein, nämlich ein Vergleich mit dem eigenen Verhalten des Steuerpflichtigen in der Vergangenheit. Reparaturaufwendungen dürften z. B. nicht unwesentlich durch einem beabsichtigten Verkauf des Grundstücks veranlasst worden sein, wenn der Eigentümer den Schaden nicht schon beim vorangegangenen Mieterwechsel hat beheben lassen.
IV. Fallgruppen von Aufwendungen bei Beendigung der Vermietungsphase 1. Abstandszahlung zwecks vorzeitigen Auszugs des Mieters Der Eigentümer kann großes Interesse daran haben, dass das Mietverhältnis vorzeitig beendet wird oder der Mieter seinen berechtigten Widerspruch gegen die Kündigung nach § 574 BGB zurücknimmt, weil er, der Eigentümer, das Grundstücks möglichst bald veräußern oder für eigenen Wohnzwecke nutzen will. Leistet er in einem solchen Fall Abstandszahlungen an den Mieter, damit dieser (vorzeitig) auszieht, wie etwa durch die Übernahme der Speditionskosten oder Zahlung eines pauschalen Ausgleichs für die künftig höhere Miete, so sind dies i. d. R. einkommensteuerlich nicht abziehbare Kosten auf das Grundstück21.
__________ 20 Vgl. Trzaskalik, Fn. 11, Rz. B 164 ff. und die dort zitierte Rechtsprechung. 21 Claßen in Lademann, § 9 EStG Rz. 411, Stichwort: Abstandszahlungen Abs. 3; a. A., nämlich stets absetzbar: Meyer, Zur einkommensteuerlichen Behandlung von Abstandszahlungen im Rahmen privater Miet- und Pachtverhältnisse, FR 1984, 1 (7).
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Anders können die Verhältnisse liegen, wenn der Vermieter solche Abstandszahlungen leistet, um den Mieter so schnell wie möglich „los zu werden“, weil dieser die Mieten wiederholt nicht gezahlt hat, die Mietsache erheblich beschädigt hat oder mit den anderen Mietern desselben Hauses ständig in Streit lebt, oder weil andere Misshelligkeiten vorliegen. Die beabsichtigte anderweitige private Nutzung des Grundstücks steht gemäß den Grundsätzen vorstehend zu III 4 der Abziehbarkeit der Abstandszahlung als Werbungskosten im Wege des Fremdvergleichs nicht entgegen, wenn anzunehmen ist, dass ein anderer Grundstückseigentümer, der weiterhin vermietet, Abstandszahlungen zwecks vorzeitiger Auflösung des Mietverhältnis ebenfalls geleistet hätte22. 2. Räumungskosten Ist das Mietverhältnis durch Kündigung beendet worden, zieht der Mieter aber trotz Beendigung des Mietverhältnisses, Aufforderung und Fristsetzung nicht aus, so entstehen oftmals Prozess- und Anwaltskosten, ggf. auch Speditionskosten, um den Mieter zur Räumung der Mieträume zu zwingen. Kosten dieser Art sind notwendige Aufwendungen des Grundstückseigentümers auf das bisherige Mietverhältnis und damit Werbungskosten, da ohne die Räumung das Mietverhältnis per facto nicht beendet werden kann. Die Räumung ist der zwangsläufige letzte Akt der Vermietungsphase, da erst hierdurch das Grundstück in den ursprünglichen mietfreien Zustand zurückversetzt wird. Räumungskosten sind daher ihrer Natur nach nachträgliche Werbungskosten, zumal sie in solchen Fällen dem Grundstückseigentümer aufgezwungen werden (siehe vorstehend zu III 2 Abs. 3). Räumungskosten können dadurch mitveranlasst sein, dass der Grundstückseigentümer zugleich die Absicht hatte, das Grundstück anschließend nicht zu nutzen, für eigene Wohnzwecke zu gebrauchen oder mietfrei zu verkaufen. Diese Absicht ist für den Abzug der Räumungskosten i. d. R. nicht schädlich, wenn der Vermieter zur Kündigung gezwungen wurde, weil der Mieter die Mieten wiederholt nicht gezahlt und/oder die Mietsache erheblich beschädigt hat oder mit den anderen Mietern desselben Hauses ständig in Streit lebt oder andere Misshelligkeiten vorliegen. Diese Kündigungsgründe haben i. d. R. ein solches Gewicht, dass die privaten Absichten des Eigentümers von untergeordneter Bedeutung sind23. Ein Fremdvergleich zeigt,
__________ 22 A. A. nämlich generell nicht absetzbar z. B. Siebenhüter in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 9 EStG Rz. 750, Stichwort: Abstandszahlungen. 23 A. A. BFH v. 21. 2. 1988 – IX R 151/86, BFH/NV 1989, 485; wie BFH auch Kröner, Differenzierende Betrachtung zum Betriebsausgaben- und Werbungskostenbegriff, StuW 1985, 115 (130); Gänger in Bordewin/Brandt, § 21 EStG Rz. 117; Trzaskalik Fn. 11, Rz. B 420 ließ offen, ob er dieses BFH-Urteil für zutreffend hält.
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dass jeder andere Grundstückseigentümer dem Mieter ebenfalls gekündigt und Räumungskosten in Kauf genommen hätte, um ihn „los zu werden“. Die Räumungskosten sind daher nachträgliche Werbungskosten ohne Rücksicht darauf, dass sie nicht auf die Erzielung neuer Miteinnahmen gerichtet sind24. Sie können als aufgezwungene Kosten der Räumung als letzten Akt der Vermietungstätigkeit nicht anders behandelt werden als z. B. Abbruchkosten eines wirtschaftlich und technisch verbrauchten Gebäudes, die BFH v. 31. 3. 1998 – IX R 26/9825 im Hinblick auf diesen letzten Akt der Vermietungstätigkeit zu Recht auch bei späterer Eigennutzung des Grundstücks als nachträgliche Werbungskosten anerkannt hat. Wurde der Vermieter nicht durch derartige Umstände zur Kündigung gezwungen, haben die privaten Motive keine untergeordneter Bedeutung mehr. Unter Aufgabe meiner bisher hierzu vertretenen Ansicht26 sind die Räumungskosten dann der Privatsphäre zuzuordnen und somit nicht absetzbar27. Zur Frage, ob es auf die Absichten des Eigentümers bei Kündigung des Mietverhältnisses oder bei Entstehen der Räumungskosten ankommt, siehe nachstehend zu 1–3 a) Abs. 2. 3. Renovierungs- und Schadensbeseitigungskosten Abzulehnen ist aus den Gründen vorstehend zu III 2 Abs. 2 auch hier die inzwischen wohl teilweise aufgegebene (siehe nachstehend zu b) bb) Abs. 2 und d) Abs. 2) generelle und typisierende Ansicht des BFH z. B. in BFH v. 21. 6. 1994 – IX R 61/9128 und BFH v. 21. 6. 1994 – IX R 62/9129, Renovierungskosten nach Beendigung des Mietverhältnisses seien insbesondere bei anschließender Nutzung des Grundstücks zu eigenen Wohnzwecken oder bei der Grundstücksveräußerung keine nachträglichen Werbungskosten, weil sie nicht auf die Erzielung künftiger Mieteinnahmen gerichtet und wegen der beabsichtigten Privatnutzung stets von nicht untergeordneter Bedeutung seien und daher unter das Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG fielen30.
__________ 24 25 26 27
A. A. auch insoweit BFH Fn. 23. BFH/NV 1998, 1212. Vgl. v. Bornhaupt Fn. 3, Rz. B 850, Stichwort: Räumungskosten. A. A. nämlich stets absetzbar früher BFH v. 25. 7. 1972 – VIII R 56/68, BStBl. II 1972, 880 = BFHE 106, 532; FG des Saarlandes v. 9. 8. 1985 – I 251/83, EFG 195, 550 betr. beabsichtigtem Leerstand der bisher vermieteten Wohnung; Lamminger/ Traxel, Fn. 13; Meyer Fn. 21. 28 BFH/NV 1995, 958. 29 BFH/NV 1995, 108. 30 Vgl. v. Bornhaupt, Erhaltungsaufwand nach Auszug des Mieters als nachträgliche Werbungskosten, BB 1998, 136; a. A. z. B. FG München v. 14. 11. 1990 – 13 K 3685/89, EFG 1991, 244; FG Baden-Württemberg v. 8. 2. 1994 – 1 K 161/90, EFG
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Bei Renovierungskosten ist vielmehr zwecks zutreffender Besteuerung des Steuerpflichtigen nach seiner individuellen Leistungsfähigkeit je nach Sachverhalt wie folgt zu differenzieren: a) Schönheitsreparaturen Führt der Eigentümer nach Auszug des Mieters Schönheitsreparaturen wie das Streichen und/oder Tapezieren von Wänden durch, wozu der Mieter nach Auszug nicht verpflichtet war, so bestreitet der Eigentümer Kosten, die bei einer erneuten Vermietung der künftige Mieter tragen müsste. Will er das Grundstück anschließend leer stehen lassen, zu eigenen Wohnzwecken nutzen oder veräußern, so sind dies nicht abziehbare Kosten der Privatsphäre31. Ist der Mieter hingegen beim Auszug zur Vornahme von Schönheitsreparaturen rechtsverbindlich verpflichtet und kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, so handelt es sich um den letzten Akt der Vermietung, wenn der Eigentümer die Schönheitsreparaturen selbst vornimmt. Hat er vom Mieter eine Kaution erhalten und bezahlt er hiervon die Kosten, so ist nach zutreffender Ansicht des BFH32 die Inanspruchnahme der Mietkaution als Einnahme und zugleich als Ausgabe in Gestalt von Werbungskosten auch bei nachträglicher privater Verwendung des Grundstücks zu werten. Hatte der Mieter keine Kaution geleistet oder reicht sie zur Deckung der Kosten nicht aus, handelt es sich aus gleichen Gründen um nachträgliche Werbungskosten, wenn er vom bisherigen Mieter keinen Ersatz der Aufwendungen einschließlich evtl. Prozesskosten erlangen kann. Diese ihm durch die Weigerung des Mieters aufgezwungenen Aufwendungen sind auch hier abziehbar, wenn der Eigentümer das Grundstück anschließend selbst nutzen oder veräußern will33. Jeder andere Eigentümer würde bei einer anschließenden Vermietung des Grundstücks solche Schönheitsreparaturen auf eigenen Kosten gleichfalls ausführen. Das gilt auch dann, wenn von vornherein feststeht, dass der Mieter nicht zahlen kann, und der Eigentümer bei vorangegangenen Mieterwechsel ebenfalls die an sich dem Mieter obliegenden Schönheitsreparaturen nicht auf den Nachmieter abgewälzt hat, sondern auf eigene Kosten hat durchführen lassen, etwa weil sich das Objekt dann besser vermieten lässt.
__________ 1994, 746; FG Hamburg v. 22. 12. 1994 – III 323/90, EFG 1995, 614; FG München v. 22. 8. 1995 – 13 K 1502/93, EFG 1996, 365. 31 Insoweit im Ergebnis zu Recht BFH v. 7. 11. 1995 – IX R 81/93, BFH/NV 1996, 533; v. Bornhaupt, Fn. 30, BB 1998, 136. 32 BFH v. 11. 7. 2000 – IX R 48/96, BStBl. II 2001, 784 = BFHE 192, 311. 33 Vgl. v. Bornhaupt, Fn. 3, Rz. 850, Stichwort: Nachträgliche Werbungskosten Abs. 4; Drenseck, Fn. 17, Rz. 42; Gänger in Bordewin/Brandt, § 21 ESStG Rz. 117; FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, v. 16. 12. 1999 – 2 K 215/98, EFG 1999, 327; a. A. BFH v. 17. 12. 2002 – IX R 6/99, BFH/NV 2003, 610, wodurch das vorgenannte FG-Urteil aufgehoben wurde.
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Anders liegen die Verhältnisse, wenn mit den Aufwendungen ein Zustand hergestellt wird, der über dem liegt, wie er vor Beginn des letzten Mietverhältnisses bestand. Dies kann vor allem der Fall sein, wenn der Eigentümer nachher die Räume zu eigenen Wohnzwecken nutzen will. Dann sind die Aufwendungen insgesamt der privaten Sphäre zuzurechnen, da sie untrennbar und nicht unwesentlich von der späteren Selbstnutzung des Grundstücks mitbestimmt wurden34. Um festzustellen, ob ein steuerschädliches Mehr an Aufwand vorliegt, ist zu prüfen, ob sich die Kosten je nach Größe der Wohnung im üblichen Rahmen der betreffenden Wohngegend bewegen oder nicht. Bei getrennt angefallene Kosten ist zudem danach zu differenzieren, welche Maßnahmen jeweils über die Renovierung hinausgingen35. Ein Indiz für ein Mehr an Aufwand kann auch der Umstand sein, ob sich der bisherige Mieter hierauf bei seiner Weigerung berufen hat, die Kosten dem Eigentümer zu erstatten. b) Sonstige Schäden am Mietobjekt Handelt es sich um sonstige Schäden am Mietobjekt, ist von gleichen Grundsätzen wie vorstehend zu a) Abs. 2 auszugehen, wenn der Mieter den Schaden zu verantworten und auf eigene Kosten zu beheben hat, dies aber nicht getan hat. Beseitigt der Eigentümer den Schaden nach Auszug des Mieters und kann er von diesem keinen Ersatz erlangen, sind solche Aufwendungen entsprechend den Grundsätzen vorstehend zu a) Abs. 3 ebenfalls nachträgliche Werbungskosten, auch wenn der Eigentümer das Grundstück anschließend nicht nutzen, zu eigenen Wohnzwecken nutzen oder mietfrei veräußern will36. Bei Erhaltungsaufwendungen, die dem Eigentümer obliegen, ist zu differenzieren: aa) Handelt es sich um kleinere Schäden und Abnutzungserscheinungen, so sind Beseitigungskosten bei nachfolgender Eigennutzung des Grundstücks entgegen der Ansicht des BFH37 nicht grundsätzlich private Aufwendungen. Für das Vorliegen von Werbungskosten kann vielmehr der Umstand sprechen, dass solche Schäden während einer langjährigen Vermietung angefallen sind und die Renovierung über eine bloße Instandsetzung nicht hinausging38.
__________ 34 Insoweit im Ergebnis zu Recht BFH IX R 62/91, Fn. 29; FG Hamburg v. 17. 11. 1995 – III 165/94, EFG 1997, 214; v. Bornhaupt, Fn. 30. 35 Vgl v. Bornhaupt, Fn. 30. 36 A. A. BFH v. 18. 12. 2001 – IX R 24/98, BFH/NV 2002, 904, nachdem er diese Frage noch 1996 in BFH IX R 81/93, Fn. 31 offen gelassen hatte. 37 BFH IX R 48/96, Fn. 32. 38 Stuhrmann in Blümich, § 21 EStG Rz. 116; Drenseck, Fn. 17 Rz. 42.
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Im Übrigen ist im Wege des Eigenvergleichs (siehe vorstehend zu III 4 b) zu prüfen, ob die Schäden schon beim vorletzten Mietverhältnis bestanden haben. War dies der Fall, so ist anzunehmen, dass der Eigentümer sie auch jetzt nicht beseitigt hätte, wenn er das Grundstück erneut vermieteten würde. Die Absicht des anschließenden Grundstücksverkaufs usw. wäre dann für die Schadensbeseitigungskosten nicht von untergeordneter Bedeutung mit der Folge, dass die Kosten nicht absetzbar wären. bb) Liegen jedoch größere Schäden vor, die eine normale Abnutzung erheblich übersteigen, wird der Eigentümer sie zwecks Erhaltung des Mietobjekts i. d. R. möglichst schnell beseitigen. Hier hat die notwendige Schadensbeseitigung ein solches Gewicht, dass die Absicht der anschließenden anderweitigen Verwertung des Grundstücks i. d. R. von untergeordneter Bedeutung ist. Das ist inzwischen auch die Ansicht des IX. Senats des BFH, der die Beurteilung eines solchen Sachverhalts noch in BFH v. 29. 7. 1997 – IX R 70/9539 offen gelassen hatte. Es ist daher zu begrüßen, dass er jüngst in BFH v. 11. 7. 2000 – IX R 48/8440 unter teilweiser Aufgabe seiner bisherigen typisierenden Betrachtungsweise (siehe vorstehend zu 3 Abs. 1) Beseitigungskosten größerer Schäden, insbesondere wenn sie vom Mieter mutwillig verursacht wurden, bei anschließender privaten Nutzung des Grundstücks grundsätzlich als nachträgliche Werbungskosten anerkannt hat. Es kann diesem Urteil allerdings insoweit nicht gefolgt werden, als der BFH Aufwendungen, die den bisherigen Zustand wieder hergestellt haben, nicht als Werbungskosten anerkennt, wenn sie den Wert der zerstörten Wirtschaftsguts im Zeitpunkt der Schädigung überschritten haben. Denn jeder andere Eigentümer hätte bei einer erneuten Vermietung den früheren Zustand ohne Rücksicht auf den Wert des Wirtschaftsguts bei der Schädigung wieder herbeigeführt. c) Verpflichtung zur Instandsetzung gegenüber dem Käufer des Grundstücks Instandhaltungskosten nach Beendigung der Vermietungsphase können allerdings in einem besonders engen Verhältnis zur Grundstücksveräußerung stehen, wenn der Eigentümer sich gegenüber dem Käufer im Grundstückskaufvertrag zur deren Vornahme verpflichtet hat, da dies i. d. R. den Grundstückskaufpreis beeinflusst. Dann werden i. d. R. solche Aufwendungen der privaten Vermögenssphäre zuzurechnen sein41.
__________ 39 BFH/NV 1997, 850. 40 Fn. 32. 41 So zu Recht BFH v. 23. 1. 1990 – IX R 17/85, BStBl. II 1990, 465 = BFHE 159, 491, wo der Kaufpreis wegen der Höhe der Schadensbeseitigungskosten nachträglich herabgesetzt wurde; der Entscheidung in einer Anmerkung zustimmend Drenseck, FR 1990, 364; ebenso BFH v. 14. 12. 2004 – IX R 34/03, zur Veröffentlichung bestimmt.
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Das gilt erst recht, wenn die Motivation für die Instandsetzungsarbeiten ein diesbezüglicher Wunsch des Käufers war42 oder die Aufwendungen gemäß den Grundsätzen vorstehend zu a) Abs. 4 ohnehin steuerschädlich sind, da sie über die Instandsetzung hinausgingen43. d) Renovierung und Schadensbeseitigung noch während der Mietzeit Hat der Eigentümer in den Fällen zu a) bis c) die Renovierung oder sonstige Schadensbeseitigung noch während der Mietzeit durchgeführt, so kann er dabei schon die Absicht gehabt haben, nach Beendigung der Mietzeit das Grundstück nicht oder zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen oder es zu verkaufen. Das gilt umso mehr, je näher die Renovierung oder Schadensbeseitigung zum Ende des Mietverhältnisses vollzogen wurde. Der IX. Senat des BFH hat hierzu in typisierender Betrachtungsweise jüngst in BFH v. 10. 10. 2000 – IX R 15/9644 und in BFH v. 20. 2. 2001 – IX R 49/9845 entschieden, dass die Absicht der nachfolgenden Nutzung des Mietobjekts zu eigenen Wohnzwecken stets von untergeordneter Bedeutung ist, wenn die Renovierungskosten vorstehend zu a) bis c) noch in die Mietzeit fallen. Sie sind dann unabhängig davon, wann sie bezahlt wurden, stets als Werbungskosten abziehbar. Der Senat hat im letztgenannten Urteil das FG Nürnberg v. 29. 6. 1998 – VI 253/9746 bestätigt, dass solche Aufwendungen zum Abzug zuließ, obgleich sich bei der Reparatur am Ende des Mietverhältnisses die beabsichtigte Selbstnutzung durch den Eigentümer bereits abzeichnete47. Die Finanzverwaltung ist dem nur eingeschränkt gefolgt. So ist nach BFM v. 26. 11. 2001 – IV C 3 – S 2211 – 53/0148 ein Abzug als Werbungskosten ausgeschlossen, „wenn die Erhaltungsmaßnahmen für die Selbstnutzung bestimmt sind und in die Vorvermietungszeit verlagert werden. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn das Mietverhältnis bereits gekündigt ist und die Maßnahmen unter Zugrundelegung eines objektiven Maßstabes nicht nur zur Wiederherstellung oder Bewahrung der Mieträume und des Gebäudes erforderlich sind“. Diese Anweisung ist wohl dahin zu verstehen, dass Aufwendungen insbesondere nicht abziehbar sein sollen, wenn sie sich
__________ 42 So FG Düsseldorf v. 28. 5. 2003 – 16 K 770/01, EFG 2003, 1233 (mit Anm. Hoffmann) für den Fall der Veräußerung des Grundstücks unter Fortsetzung des bisherigen Mietverhältnisses. 43 So im Ergebnis auch BFH v. 23. 1. 1990 – IX R 159/85, BFH/NV 1990, 761. 44 Fn. 7 mit Anm. Thürmer in HFR 2001, 336. 45 BFH/NV 2001, 1022. 46 EFG 1999, 21. 47 Ebenso FG Köln v. 7. 2. 1996 – 1 K 502/95, EFG 1996, 807; v. Bornhaupt, Fn. 3 Rz. B 850, Stichwort: Nachträgliche Werbungskosten. 48 BStBl. I 2001, 868.
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an den künftigen besonderen Wohnbedürfnissen des Eigentümers orientieren49. Ich gebe der typisierenden Wertung des BFH zugunsten des Steuerpflichtigen bei Erhaltungsaufwendungen während der Mietzeit den Vorzug, da damit viele Rechtsstreitigkeiten vermieden werden. Sie dürfte in gleicher Weise auch in Fällen anzuwenden sein, in denen der Eigentümer bei der Renovierung beabsichtigt, das Grundstück nicht mehr zu nutzen oder es zu verkaufen. Es ist zuzugeben, dass der IX. Senat hierdurch ein Steuerschlupfloch eröffnet hat. Denn jeder Eigentümer wird danach trachten, Erhaltungsaufwendungen in der Mietzeit vorzunehmen, um sie als Werbungskosten geltend machen zu können. M. E. sollte dies aus Gründen einer leichteren Handhabung des Gesetzes bei der gerade hier schwierigen Abgrenzung der Einkunftssphäre von der privaten Vermögenssphäre hingenommen werden50. Folgt man nämlich dem vorgenannten Schreiben des BFM, so werden damit die Streitigkeiten mit dem Finanzamt entsprechend den Ausführungen vorstehend zu a) Abs. 4 wieder eröffnet, die der BFH mit seiner Typisierung gerade künftig umgehen wollte. Inzwischen hat BFH v. 14. 12. 2004 – IX R 34/0351 die Typisierung zu Recht dahin eingeschränkt, dass sie nicht gilt, wenn Aufwendungen für die im Rahmen der Veräußerung eines Mietwohngrundstücks vom Verkäufer übernommenen Instandsetzungen angefallen sind; sie sind bei ihm also nicht absetzbar (vgl. vorstehend zu IV. 3. c). Zu 1–3 Maßgebender Zeitpunkt für die Absicht des Eigentümers auf private Verwendung des Grundstücks a) Bei der ursprünglichen Absicht Die Absicht des Eigentümers, das Grundstück nach Beendigung der Vermietungsphase nicht oder zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen oder es mietfrei zu veräußern, ist schädlich, wenn sie nicht von untergeordneter Bedeutung ist und zu dem Zeitpunkt bereits vorlag, in dem die Ursache für die betreffenden Ausgaben gelegt wurden. Daher sind Instandhaltungs- und Reparaturaufwendungen vorstehend zu 3 durch diese Absicht (mit-)veranlasst, wenn sie beim Entschluss des Eigentümers vorlag, solche Maßnahmen durchzuführen. Ob er diese Absicht auch noch im Zeitpunkt der Bezahlung solcher Rechnungen hatte, ist ohne Bedeutung52. Entsprechend ist bei Abstandszahlungen bei vorzeitigem Auszug
__________ 49 50 51 52
Drenseck, Fn. 17, Rz. 42; Hoffmann, Fn. 42. A. A. FG Düsseldorf, Fn. 42 mit Anmerkung Hoffmann. Fn. 41. So zu Recht BFH IX R 15/96, Fn. 7 und IX R 18/01, Fn. 7; FG Düsseldorf, Fn. 42; Drenseck, Fn. 17 Rz. 43.
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des Mieters (vorstehend zu 1) auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem der Eigentümer den Entschluss fasste, dem Mieter solche Zahlungen anzubieten. Wurden Räumungskosten jedoch dem Eigentümer dadurch aufgezwungen, dass der Mieter nicht bereit war, freiwillig aus dem Mietobjekt auszuziehen, sind die Absichten des Eigentümers bei Beendigung des Mietverhältnisses, insbesondere beim Ausspruch der Kündigung, maßgebend und es ist entgegen der Ansicht des BFH53 nicht die Absicht beim Entstehen der Räumungskosten entscheidend. Denn zwangsläufige Räumungskosten sind die Folge der Kündigung und der dabei vorhandenen Absichten. Kosten dieser Art sind nicht deshalb höher oder niedriger, weil der Eigentümer erst später bei Erhebung der Räumungsklage die Absicht fasst, das Grundstücks anderweitig zu verwerten. b) Bei späterer Änderung der Absicht Hatte der Eigentümer ursprünglich die Absicht der späteren privaten Verwertung des Grundstücks und war sie gemäß den vorstehenden Ausführungen steuerschädlich, so bleibt der Zusammenhang der Erhaltungs- und Schadensbeseitigungskosten mit dem bisherigen Mietverhältnis gelöst, wenn er die steuerschädliche Absicht vor der beabsichtigten privaten Nutzung aufgibt und das Grundstück erneut vermietet. Die Kosten sind dann jedoch nach dem Nettoprinzip als vorab entstandene Werbungskosten dem neuen Mietverhältnis zuzuordnen, soweit es sich nicht um Herstellungskosten handelt. Sie hängen mit der neuen Vermietung zusammen, da der Eigentümer die Höhe der künftigen Miete i. d. R. nur erzielen kann, weil er das Mietobjekt renoviert hat. Die Aufwendungen kommen dem neuen Mietverhältnis zugute, auch wenn sie ursprünglich nicht zu diesem Zweck getätigt wurden54. Aus gleichen Gründen bleibt die bisherige Qualifikation der Aufwendungen als nachträgliche Werbungskosten bestehen, wenn der Eigentümer zunächst die Absicht der erneuten Vermietung hatte, diese jedoch – etwa nach vergeblichen Vermietversuchen – aufgibt und das Grundstück selbst bewohnt oder veräußert55 Das gilt erst bei Änderung der Absicht nach kurzfristiger Auflösung des neuen Mietverhältnisses, etwa weil der Mieter sich grob vertragswidrig verhalten hat.
V. Ausblick Im Sinne der Steuerpflichten wäre es sehr zu begrüßen, wenn mein Beitrag den IX. Senat des BFH dazu veranlassen würde, von seiner anfangs sehr pau-
__________
53 BFH IX R 151/86, Fn. 23; so auch Kröner, Fn. 23. 54 So im Ergebnis v. Bornhaupt, Fn. 30. 55 So auch v. Bornhaupt, Fn. 30.
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schalen Verneinung nachträglicher Werbungskosten beim Zusammentreffen mit anschließender privater Grundstücksverwendung weiter abzurücken. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen der Eigentümer Aufwendungen leisten musste, die zwangsläufig sind und die an sich der Mieter hätte tragen müssen, dies aber nicht getan hat. Wie dargelegt kann man vor allem mit Hilfe eines Fremd- und Eigenvergleichs den jeweiligen Verhältnissen des Einzelfalls mehr Rechnung tragen. Damit verwirklicht man zugleich das vorstehend zu III 3 Abs. 4 herausgestellte Anliegen von Trzaskalik56, der die Anwendung des Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG hier für bedenklich hält, weil insbesondere Schadensbeseitigungskosten, die mit den Risiken der Vermietungstätigkeit verbunden sind, möglichst der Einkunftsphäre zugeordnet werden sollten.
__________ 56 Fn. 11 Rz. 419.
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Zum Zeitpunkt der steuerlichen Erfassung von Einnahmen und Ausgaben als technisches und wertendes Prinzip Inhaltsübersicht I. Besteuerungsabschnitte als Gebot des Leistungsfähigkeitsprinzips und des Fiskalinteresses II. Periodische und periodenübergreifende Sachgesetzlichkeiten des geltenden Einkommensteuerrechts 1. Einkünfteerzielungsebene a) Gewinneinkünfte b) Überschusseinkünfte 2. Einkünfteverwendungsebene a) Sonderausgaben b) Außergewöhnliche Belastungen 3. Interdependenzen zwischen Einkünfteerzielungs- und Einkommensverwendungsebene III. Verlagerungstendenzen in der Besteuerungswirklichkeit versus folgerichtiger Periodenabgrenzung
1. Gestaltungsvielfalt zum Erstreiten temporärer oder absoluter Steuervorteile 2. Beispiel 1: Umwandlung künftiger Entgeltansprüche des Arbeitnehmers in wertgleiche Anwartschaften auf Versorgungsleistungen 3. Beispiel 2: Arbeitszeitkonten als steuerunbelastete Ansammlung von Wertguthaben 4. Beispiel 3: Verlagerung von Kapitalerträgen in künftige Besteuerungsabschnitte 5. Beispiel 4: Veräußerungsgeschäfte als Umetikettierung von Kapitaleinkünften IV. Ausblick
I. Besteuerungsabschnitte als Gebot des Leistungsfähigkeitsprinzips und des Fiskalinteresses Die Einkommensteuer ist eine Jahressteuer. Die Grundlagen für ihre Festsetzung sind jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln1. Die Einkommensteuer entsteht mit Ablauf des einjährigen Veranlagungszeitraums2. Bemessungsgrundlage ist nicht der individuelle Erwerbserfolg3, sondern das zu versteuernde Einkommen; denn erst mit dieser Bemessungsgröße werden insbesondere unabweisbare private Aufwendungen, wie Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt, die das erzielte Markteinkommen schmälern4.
__________ 1 2 3 4
§ 2 Abs. 7 Satz1 und 2 EStG. § 25 Abs. 1 EStG. Wie es Kirchhof in Kirchhof, 5. Aufl. 2005, § 2 Rz. 153 formuliert. S. dazu II.2.
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Das Jahressteuerprinzip ist insofern ein technisches Prinzip als die materiellrechtlichen Vorschriften des EStG erst mit dem Bezug zu einer Zeiteinheit handhabbar werden5. In diesem Zusammenhang ist die Entsprechung des geltenden Kalenderjahrprinzips mit den regelmäßig zu einem Jahreswechsel wirksam werdenden Änderungen des Einkommensteuerrechts ein wichtiger Aspekt; man denke beispielhaft an die Staffelung von Erhöhungsund Ermäßigungsbeträgen durch das Alterseinkünftegesetz beim Übergang zum Prinzip der nachgelagerten Korrespondenz über jahrzehntelange Zeiträume oder auch an die in mehrere Jahresschritte gestreckte Absenkung des Einkommensteuertarifs. Darüberhinaus bestehen auch zeitliche Verknüpfungen zwischen Steuerzahlung und Ansprüchen auf einkommensabhängige staatliche Transferleistungen6. Kirchhof 7 weist im Zusammenhang mit dem Fiskalinteresse des Staates an einer zeitnahen Teilhabe an der Steuerkraft der Bevölkerung darauf hin, dass die Haushaltspläne der öffentlichen Hand im einjährigen oder zweijährigen Kalenderrythmus aufgestellt werden. Das Jahresprinzip ist andererseits ein materielles Prinzip, weil das steuerlich relevante Einkommen in einem inneren Zusammenhang mit einer oder mehreren Einkommensquellen steht, die in unterschiedlichen Zeittakten sprudeln können. So könnte etwa ein Monatszeitraum nicht nur bei Kapitalerträgen aus jährlichen Fälligkeiten ein verzerrtes Bild über die steuerliche Leistungsfähigkeit abgeben; selbst bei Arbeitnehmern mit monatlichen Lohn- oder Gehaltsansprüchen setzt sich das Jahresergebnis unter Einrechnung von sonstigen Bezügen in vielfältiger Erscheinung unterschiedlich zusammen. Nicht von ungefähr erkundigen sich Stellensuchende nach dem zu erwartenden Jahreslohn. Deshalb ist es auch nicht umstritten, dass das Kalenderjahr der Mindestzeitraum für die Ausgestaltung des Periodizitätsprinzips der Einkommensteuer sein muss. Lohnsteuertabellen für Tages-, Wochen- und Monatslöhne sind allein anwendungstechnische Ableitungen auf der Grundlage des materiellen Jahresprinzips. Indessen spiegelt auch das Jahresprinzip nicht immer die steuerliche Leistungsfähigkeit wider. Deshalb fordert Beiser8 eine periodenübergreifende Progressionsglättung durch eine antragsgebundene Einbeziehung des Gesamteinkommens der letzten zehn Jahre. Eggesiecker9 möchte bei akademischen Berufen die Steuerprogression infolge der später beginnenden Berufstätigkeit durch eine Berücksichtigung der ertragslosen Ausbildungszeit mildern; er schlägt vor, die Einkommensteuerschuld um den zu quantifizierenden Ausbildungsaufwand zu kürzen. Solche gruppenspezifische Folgerungen stellen
__________ 5 6 7 8 9
BFH v. 24. 10. 2001 – X R 153/97, BStBl. II 2002, 75. Vieldeutige Einkommensbegriffe, NWB 1978, 75. In Kirchhof (Fn. 3), § 2 Rz. 154. Die Gleichheit in der Pensionsbesteuerung, DB 2002, 703. Eggesiecker, Kinderfreibeträge, außergewöhnliche Belastungen und Steuervergünstigungen in der Steuerreform, FR 1971, 450.
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indes das Kalenderjahrprinzip nicht grundsätzlich in Frage und stünden deshalb lediglich mit einer Vielzahl von Korrekturen in einer Reihe, die der Gesetzgeber bereits auf der Einkünfteerzielungsebene10 oder auf der Einkünfteverwendungsebene11 vorsieht. Unter Hinweis auf unterschiedliche einkommensteuerliche Belastungen während des Lebenseinkommens möchten Wissenschaftler das Lebenseinkommen eines Steuerpflichtigen im Rahmen einer Gesamtrechnung berücksichtigen. Zeppernik12 hält das Lebenseinkommensprinzip infolge der einkommensabhängigen Staatsleistungen für ein Gebot der Gerechtigkeit, um eine unkontrollierte Häufung von Transferleistungen im Verlauf des Lebens zu vermeiden. Engels13 möchte die Steueransprüche mit den Staatsleistungen über das Jahresprinzip hinaus verrechnen, um anhand eines Gesamttarifs den Saldo gegebenenfalls auf einem negativen Ast ablesen zu können. Hackmann14 hat einen Plan einer fortschreitenden Durchschnittsbesteuerung entwickelt. Schließlich will Irving Fisher15 dem Problem der Einkommensperiodisierung durch die Besteuerung des Konsums völlig entgehen. Ein Lebenseinkommensprinzip könnte indes, so meine ich, von allen technischen Fragen einmal abgesehen, nur funktionieren, wenn das EStG weder im materiellen Bereich noch im Rahmen der Tarifbelastung während des Lebenseinkommens der Steuerpflichtigen keine Änderungen erführe. Dies ist Utopie16. Mag es technisch noch zu bewältigen sein, die Entwicklung der Kaufkraft über die Gesamtperiode durch Umrechnungen zu berücksichtigen, könnten materielle Änderungen nicht einzelfallbezogen periodiziert werden17. Dies gilt heute mehr denn je; niemals zuvor sind periodenübergreifende Sinnzusammenhänge deutlicher geworden als im Alterseinkünftegesetz, welches dem Gebot folgerichtiger Besteuerung in den Phasen der Finanzierung und der Erzielung von Alterseinkünften andererseits mit Hilfe typisierender Regelungen allenfalls dadurch nachkommen konnte, dass Jahre vor 2005 ausgeblendet wurden. Das Lebenseinkommensprinzip kann schließlich zu Verzerrungen der einkommensteuerlichen Leistungsfähigkeit führen, wenn sich das Aufkommen von Steuerarten zueinander wandelt, insbesondere im Verhältnis der Einkommensteuer zur Umsatzsteuer unter internationalen Aspekten.
__________ 10 S. dazu II.1. 11 S. dazu II.2. 12 Die Bedeutung der Finanz- und Sozialpolitik für die Einkommensverteilung, Finanzarchiv Bd. 34, 1. 13 In Engels/Mitschke/Starkloff, Staatsbürgersteuer 1973. 14 Lebenseinkommensbesteuerung durch interperiodischen Progressionsausgleich, StuW 1980, 318. 15 Theory of Interest, 1930. 16 Giloy, Zur Periodizität der Einkommensteuer, FR 1979, 133, 136. 17 Vgl. Tarifbericht der Bundesregierung, Schriftenreihe des BdF, Heft 23.
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Der kalenderjährliche Besteuerungsabschnitt mit seinen periodenübergreifenden Korrekturen18 entspricht daher am Ehesten den Grundsätzen sowohl der steuerlichen als auch der transfer-rechtlich19 zu bestimmenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
II. Periodische und periodenübergreifende Sachgesetzlichkeiten des geltenden Einkommensteuerrechts 1. Einkünfteerzielungsebene a) Gewinneinkünfte Wird der Gewinnermittlung aus selbständigen Tätigkeiten die Vermögensübersicht (Bilanz) zugrundegelegt, unterscheidet sich dieser Bestandsvergleich des Betriebsvermögens (bereinigt um Entnahmen und Einlagen) in seiner Wirkung von einer bloßen Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben; denn das nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ausgewiesene Betriebsvermögen kann durch Wertveränderungen im Wirtschaftsjahr (z. B. Kursentwicklung von Aktien) oder aktive und passive Rechnungsabgrenzungsposten20 beeinflusst sein. Da die Buchführung nach § 239 Abs. 1 HGB dokumentationstechnisch und wirtschaftlich richtig (Bilanzwahrheit) und nach § 243 Abs. 2 HGB klar und übersichtlich sein muss (Bilanzklarheit), kann das Steuerrecht die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz postulieren, um alsdann lediglich steuerbilanzielle Spezifika aufzupfropfen. Der ermittelte Steuerbilanzgewinn (oder Verlust) des Wirtschaftsjahres weist das Betriebsergebnis unter Berücksichtigung von Rücklagen, Rückstellungen, Abgrenzungsposten und Wertberichtigungen periodengerecht aus und ist deshalb der einfachen Einnahmen-/ Überschussrechnung überlegen. Unter dem Blickwinkel intertemporaler Leistungsfähigkeit bleibt zu erwähnen, dass das auf der Ebene des Einzelunternehmens oder der Personengesellschaft ermittelte Betriebsergebnis im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer des Betriebsinhabers oder der Teilhaber einer Personengesellschaft gegebenenfalls durch Verlustrücktrag21, Freibetrag für Veräußerungsoder Betriebsaufgabegewinne22, Milderung der Progressionswirkung23 sowie Tarifermäßigung für zusammengeballte Einkünfte24 steuerlich entzerrt, niedriger angesetzt oder tarifbegünstigt besteuert wird.
__________ 18 19 20 21 22 23 24
S. dazu II.1.a). Giloy, (Fn. 6), 44. Crezelius in Kirchhof (Fn. 3), § 4 Rz, 127, 158. § 10d EStG. § 16 Abs. 4 EStG. § 34 Abs. 1 EStG. § 34 Abs. 3 EStG.
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Für Selbständige, die weder Bücher führen noch Jahresabschlüsse erstellen müssen und dies auch nicht freiwillig tun25, sieht § 4 Abs. 3 EStG die Überschussrechnung von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben vor, wodurch insbesondere Bestandskonten und Inventur entbehrlich werden. Für die Bestimmung des Zuflusszeitpunkts gilt die für Überschusseinkünfte konzipierte Regelung des § 11 EStG26. Verlagerungen des betriebswirtschaftlichen Ergebnisses in andere Besteuerungsabschnitte werden grundsätzlich in Kauf genommen. Zahlt etwa ein Handwerker Materialbeschaffungskosten und Fertigungslöhne im Wirtschaftsjahr 01 für das Anfang des Wirtschaftsjahres 02 hergestellte und gelieferte Werk, so entsteht im Wirtschaftsjahr 01 insoweit ein Scheinverlust, weil ein tatsächlicher Verlust gar nicht eingetreten ist. Umgekehrt erzielt der Handwerker im Wirtschaftsjahr 01 einen Scheingewinn, wenn sein Auftraggeber im Wirtschaftsjahr 01 Vorschüsse auf die Werklieferung zahlt, die Fertigungskosten jedoch erst im Wirtschaftsjahr 02 anfallen27. Solche intertemporale Verfälschungen will der Gesetzgeber – von vorgeschriebenen Durchbrechungen der Istrechnung28 und rechtsmissbräuchlicher Gestaltung29 abgesehen – nicht korrigiert wissen; diesem Prinzip folgt der Gesetzgeber erst recht bei den Überschusseinkünften, wie ein Exkurs zu § 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LStDV aufzeigt, wonach Einnahmen im Hinblick auf ein künftiges Dienstverhältnis oder Einnahmen aus einem früheren Dienstverhältnis im Zahlungszeitpunkt zufließen. Das periodengerecht praktizierte Zu- und Abflussprinzip erspart insoweit die Korrektur von Steuerbescheiden, die nach Maßgabe der wirtschaftlichen Zugehörigkeit von Einnahmen und Ausgaben sehr häufig anstünde30. Anzumerken ist, dass sich Korrekturmöglichkeiten ohnehin nur nach der AO eröffnen könnten, weil die Vorschriften über die Änderung der Überschussrechnung nicht herangezogen werden dürfen31. Das technische Prinzip der Überschussrechnung gilt selbst dann, wenn die Rückzahlungsverpflichtung im Zahlungszeitpunkt bereits feststeht; so sind vorschussweise erzielte Honorare eines Freiberuflers auch dann zugeflossen, wenn im Zeitpunkt der Veranlagung bereits feststeht, dass sie teilweise zurückzuzahlen sind; denn ein „Behaltendürfen“ ist nicht Merkmal des Zuflusses32. Daraus folgt im Umkehrschluss, so meine ich, dass auch der Betriebsausgabenabzug keine endgültige Belastung voraussetzt; anderenfalls müsste z. B. ein Rechtsanwalt seine Kraftfahrzeugkosten zur Wahrnehmung
__________ 25 26 27 28 29 30 31
Vgl. §§ 141 f. AO. Crezelius in Kirchhof (Fn. 3), § 4 Rz, 127, 158. Vgl. R 16 Abs. 2 S. 1 und 2 EStR. § 4 Abs. 2–5 EStG. S. § 42 AO. BFH v. 26. 6. 1996 – X R 73/94, BStBl. II 1997, 646. Trzaskalik, Zuflussprinzip und periodenübergreifende Sinnzusammenhänge, StuW 1985, 222. 32 BFH v. 13. 10. 1989 – III R 31/85, BStBl. II 1990, 287.
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eines Gerichtstermins vom Gesamtaufwand des laufenden Kalenderjahres ausgrenzen, sofern er seinen Erstattungsanspruch gegenüber dem Mandanten erst im Folgejahr mit seiner Honorarrechnung liquidiert. Regelmäßig wiederkehrende Einnahmen und Ausgaben, die beim Steuerpflichtigen kurze Zeit vor oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zu- oder abfließen, gelten als in diesem Kalenderjahr bezogen33. Ein Zeitraum bis zu zehn Tagen ist als kurze Zeit vor oder nach Jahresbeginn unschädlich34. Auf die Fälligkeit kommt es nicht an35. Die Rechtsprechung hat den Zuflusszeitpunkt zuweilen aus Gründen der Handhabbarkeit nicht konsequent festgelegt; so sollen Arzthonorare, die von der kassenärztlichen Vereinigung liquidiert werden, erst mit der Überweisung zufließen36. b) Überschusseinkünfte Zu den Überschusseinkünften werden solche Einkünfte der sieben Einkunftsarten gerechnet, deren Erfolg durch nichtselbständige Arbeit, Überlassung von Kapitalvermögen zur vorübergehenden Nutzung, Vermietung und Verpachtung sowie durch sonstige Erwerbsgrundlagen veranlasst sind. Diesen Einkunftsarten ist gemein, dass die Ergiebigkeit der jeweiligen Einkunftsquelle vom Saldo der Einnahmen und Ausgaben (Werbungskosten) bestimmt wird. Mit der Bezugnahme in § 2 Abs. 2 Nr. 2 auf §§ 8 bis 9a EStG wird der sachliche Zusammenhang zwischen Leistung und Ertrag hergestellt. Der Zeitpunkt der steuerlichen Erfassung von Einnahmen und Werbungskosten folgt unmittelbar aus § 11 EStG. Auf die Fälligkeit der Einnahmen kommt es – wie bei der Ermittlung von Gewinneinkünften durch Überschussrechnung37 – nicht an. Maßgebend ist der Zeitpunkt des Zuflusses; dies gilt auch für die Fälle, in denen die Einkommensteuer durch Steuerabzug erhoben wird, also für die Kapitalertragsteuer38, die Lohnsteuer39 und für den Steuerabzug bei beschränkt Steuerpflichtigen40. Haben Einnahmen eines Steuerpflichtigen einen bürgerrechtlichen Veranlassungszusammenhang mit Tätigkeiten im Dienst einer Personengesellschaft, an der er als Mitunternehmer beteiligt ist, werden die Tätigkeitsvergütungen nicht als Lohnzahlungen i. S. des § 19 EStG, sondern als gewerbliche Einkünfte auch mit der Wirkung umqualifiziert, dass sich die zeitbezogene steuerliche Erfassung nach den Regeln der Gewinneinkünfte richtet41; dies
__________ 33 34 35 36 37 38 39 40 41
§ 11 Abs. 1 S. 1 EStG. BFH v. 24. 7. 1984 – IV R 309/84, BStBl. II 1987, 16. BFH v. 23. 9. 1999 – IV R 1/99, BStBl. II, 2000, 121. BFH v. 20. 2. 1964 – IV 4/61 U, BStBl. III 1964, 329. S. dazu II.1.a). § 44 Abs. 1 S. 2 EStG. § 38 Abs. 2 S. 2 EStG. Vgl. § 50a Abs. 5 S. 1 EStG. § 15 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 EStG.
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gilt für Einnahmen aus der Hingabe von Darlehen und der Überlassung von Wirtschaftsgütern (zur Nutzung) entsprechend42. Die Subsidiarität der Überschusseinkünfte gegenüber den Gewinneinkünften folgt für Einkünfte aus Kapitalvermögen umfassend aus § 20 Abs. 3 EStG, für Vermietungseinkünfte aus § 21 Abs. 3 EStG und für sonstige Einkünfte aus §§ 22 Nr. 3 Satz 1 und 23 Abs. 2 EStG. Werden Geldansprüche aus Leistungseinkünften im engen zeitlichen Zusammenhang mit der erbrachten Leistung erfüllt, führen die unterschiedlichen Ermittlungstechniken zu keinen exorbitanten Fehlabbildungen der aktuellen steuerlichen Leistungsfähigkeit. Je geringer die aus der Erwerbstätigkeit folgende Kaufkraft ist, umso weniger Raum bleibt für die Effizienz einer Steuerplanung durch Verlagerung des Leistungsentgelts. Eine Abzweigung von fälligen Lohnteilen zugunsten wertgleicher, aber aufgeschobener Vermögenswerte zur Vermögensbildung oder Altersvorsorge ist dann nur eingeschränkt oder überhaupt nicht darzustellen. Ein Geringverdiener wird allenfalls mit einer bloßen Stundung mit Rücksicht auf die angespannte Ertragslage des arbeitgebenden Unternehmens zur Erhaltung seines Arbeitsplatzes einverstanden sein. Eine Schuldumschaffung zugunsten einer betagten Forderung gegen den Arbeitgeber, die keine gegenwärtige Sozialversicherungsbeitrags- und Lohnsteuerlast auslösen würde43, erklären sich Arbeitnehmer regelmäßig nur einverstanden, wenn der (zu passivierende) Aufwand des Arbeitgebers als zusätzlicher Arbeitslohn vereinbart wird. Deshalb haben auch arbeitgeberfinanzierte Vermögensbildungs- und Altersvorsorgemodelle den Weg für Lohnsteuerstundungseffekte bei korrespondierenden Steuerbilanzierungshilfen geebnet, die längst für arbeitnehmermitfinanzierte oder ausschließlich arbeitnehmerfinanzierte Modelle ebenfalls zu periodenübergreifenden Vorteilen genutzt werden können. Mit Verlagerungstendenzen im Bereich der Überschusseinkünfte im Einzelnen werden wir uns noch an Hand ausgewählter Fallgruppen auseinandersetzen44. 2. Einkünfteverwendungsebene a) Sonderausgaben Sonderausgaben können nur solche Aufwendungen sein, die weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind45; diese Abgrenzung von Ausgaben der Einkommensverwendung von solchen der Einkommenserzielung hat der Gesetzgeber dem Katalog aufgezählter Abzugstatbestände vorangestellt. Aus den
__________ 42 43 44 45
§ 15 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG. Vgl. BFH v. 30. 1. 1974 – I R 139/71, BStBl. II 1974, 454. S. dazu III. S. Einleitungssatz in § 10 Abs. 1 EStG.
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Gegensätzlichkeiten der Vermögenssphäre und der Einkünfteerzielungsebene folgt, dass sich der Erfassungszeitpunkt für Sonderausgaben nicht unmittelbar aus § 11 EStG ableiten lässt. Denn Absatz 2 dieser Vorschrift umfasst ihrem Wortlaut nach lediglich Aufwendungen, die ihre Veranlassung im Streben nach Gewinn oder der Erzielung von Überschusseinkünften haben46; Sonderausgaben sind demgegenüber nur „privat veranlasste“ Ausgaben47. Wenngleich zum Abzugszeitpunkt von Sonderausgaben § 11 EStG „gelten soll“48, könnte der Begriff der „Aufwendungen“ in § 10 EStG im Einzelfall zu einem von der unmittelbaren Anwendung des § 11 EStG abweichenden Ergebnis führen; denn es darf nicht unberücksichtigt bleiben, so meine ich, dass es im Sonderausgabenbereich an einer Verknüpfung von konkreten Aufwendungen zu einer bestimmten Einkunftsquelle fehlt, bei der sämtliche Erfolgsvorgänge, also Einnahmen und Ausgaben in eine periodische Gesamtrechnung eingehen müssen. Daraus möchte ich folgern, dass die im Vermögensbereich entstehenden Sonderbelastungen in katalogisierten Einzelfällen mangels Verklammerung mit (fließenden) Einkunftsquellen auch einzelfallbezogen gewürdigt werden müssen. Dann indes müsste der gegenwärtige Aufwand in einen korrespondierenden Bezug zu der konkreten Belastung gesetzt werden. Ist es im Zeitpunkt der Verausgabung noch ungewiss, ob der Steuerpflichtige mit seinen tatsächlich im Veranlagungsjahr geleisteten Sonderausgaben auch (periodenübergreifend) endgültig belastet bleibt, bedürfte es verfahrensrechtlich keines Zuwartens, weil die anstehende Veranlagung entweder vorläufig ergehen könnte oder weil im Fall einer bestandskräftig zugrundegelegten Belastungshöhe oder gar beim Wegfall der gesamten Belastung eine Änderungsveranlagung Platz greifen könnte. Der BFH49 sieht jedenfalls in der Erstattung von Kirchensteuer in einem späteren Kalenderjahr ein rückwirkendes Ereignis, das nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu einer Änderung des Einkommensteuerbescheids führen darf, sofern die überzahlte Kirchensteuer im Jahr der Erstattung nicht mit gezahlter Kirchensteuer verrechnet werden kann. Die Wertverrechnung bei Sonderausgaben als Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hat das Bundesverfassungsgericht50 unter Einbeziehung des Bereichs der außergewöhnlichen Belastungen51 bejaht.
__________ 46 Vgl. zu Betriebsausgaben § 4 Abs. 4 EStG, zu Werbungskosten § 9 EStG; s. auch § 2 Abs. 2 EStG. 47 Weiterführend Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10 Rz. A 7 und A 43. 48 Fischer in Kirchhof (Fn. 3), § 10 Rz. 13. 49 V. 7. 7. 2004 – XI R 10/04, BFH/NV 2004, 1687. 50 Beschluss v. 18. 2. 1988, HFR 1989, 271 unter 1.b). 51 S. dazu nachfolgend unter b).
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b) Außergewöhnliche Belastungen Die Ermäßigung der Einkommensteuer durch außergewöhnliche Belastungen setzt eine tatsächliche und endgültige Belastung des Steuerpflichtigen voraus52. Dies entspricht dem Grundsatz der steuerlichen Leistungsfähigkeit53. Daraus folgt, dass Erstattungen und Ausgleichszahlungen Dritter zur Vorteilsanrechnung führen müssen; denn nur vorübergehende Belastungswirkungen genügen nicht54. Vorteile müssen periodengerecht ausgeglichen werden, weil das Abflussprinzip, wie es in § 11 Abs. 2 EStG zum Ausdruck kommt, hinter das Belastungsprinzip zurücktreten muss. Verfahrensinstrumente zur Umsetzung des Belastungsprinzips hält die Abgabenordnung bereit55. 3. Interdependenzen zwischen Einkünfteerzielungs- und Einkommensverwendungsebene Periodenübergreifende Sinnzusammenhänge sind bei der gesetzgeberischen Umsetzung des vom Bundesverfassungsgericht postulierten Gebots der Folgerichtigkeit56 der Besteuerung von Alterseinkünften in den Vordergrund getreten; anders als es die kurzgefasste Kennzeichnung als „Alterseinkünftegesetz“ erwarten lässt, wird die Interdependenz von Altersvorsorgeaufwendungen einerseits und Altersbezügen andererseits neu geordnet. Mit einem abgestimmten Konzept von Entlastungen in der Ansparphase durch (erweiterte) Steuerfreistellungen des Arbeitslohns, verbesserte Abzugsmöglichkeiten im Sonderausgabenbereich und damit korrespondierenden Aufholungen in der Leistungsphase treffen systematische Effekte nicht allein das Vergleichspaar der Pensionäre und Bezieher von Leibrenten aus gesetzlichen Rentenversicherungen, sondern – in Teilbereichen – auch andere Steuerpflichtige. Die Ablösung der Ertragsanteilsbesteuerung gesetzlicher Renten durch eine Vollbesteuerung (in Schritten bis 2040) wird zwar leichthin als Prinzip der nachgelagerten Besteuerung umschrieben57, ist aber ungenau. Wenn etwa im Karlsruher Entwurf58 § 9 mit „Nachgelagerter Besteuerung von Leistungen zur Zukunftssicherung“ überschrieben ist, wird der Gegensatz von Einkommenverwendungsebene in der Ansparphase und Einkünfteerzielungsebene in
__________ 52 BFH v. 30. 7. 1982 – VI R 67/79, BStBl. II 1982, 744. Zur Belastungstheorie kritisch Kanzler, Zurück zur „Belastungstheorie!“, FR 1999, 1194. 53 BVerfG (Fn. 50). 54 Brockmeyer, Entwicklungslinien der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu den außergewöhnlichen Belastungen, DStZ 1997, 214. 55 Dazu Mellinghoff in Kirchhof (Fn. 3), § 33 Rz. 16. 56 BVerfG v. 6. 3. 2002 – 2 BvL 17/99, BStBl. II 2002, 618. 57 Harder-Buschner, Das Alterseinkünftegesetz, NWB 2004, S. 1965. 58 Karlsruher Entwurf zur Reform des Einkommensteuergesetzes, Heidelberger Forum, Bd. 116 (2001).
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der Leistungsphase verwischt. Dabei hat bereits das Altersvermögensgesetz59 mit der Einfügung des § 10a EStG aufgezeigt, dass die Entlastung im Sonderausgabenbereich im Hinblick auf die Bildung eines Kapitalstocks die Vollbesteuerung der „Riester-Rente“ nach § 22 Nr. 5 EStG nach sich zieht. Da eine Rente ohnehin erst ab Beginn des Rentenlaufs besteuert wird, charakterisiert man die mit der Vollbesteuerung typisierte neutralisierende Wirkung des Sonderausgabenabzugs treffend als „nachgelagertes Verfahren“60, „nachgelagerte Korrespondenz“61 oder schließlich – wie es der Wissenschaftliche Beirat beim BMF schon 198662 am aussagekräftigsten formulierte – als „finanzwirtschaftliches Prinzip der intertemporalen Korrespondenz“.
III. Verlagerungstendenzen in der Besteuerungswirklichkeit versus folgerichtiger Periodenabgrenzung 1. Gestaltungsvielfalt zum Erstreiten temporärer oder absoluter Steuervorteile Den Überschusseinkünften liegt regelmäßig ein gegenseitiger Vertrag zugrunde. Die Leistung (Arbeit, Nutzungsüberlassung von Kapital, Gebrauchsüberlassung vermieteter Sachen und sonstige Leistungen) wird nur um der Gegenleistung willen (Synallagma) erbracht. Der Leistungserfolg löst zwar regelmäßig die sofortige Fälligkeit nach § 320 BGB aus. Bürgerlich-rechtliche, arbeitsrechtliche, private, aber auch steuerrechtliche Erwägungen können Anlass sein, die Art der Gegenleistung zu modifizieren. Steuerliche Erwägungen haben etwa zum Ziel, wertgleiche Vorteile in spätere Besteuerungsabschnitte zu verlagern, um Steuerstundungseffekte oder auch absolute Steuerersparnisse zu erreichen. Einige Beispiele oder Fallgruppen im Bereich der Überschusseinkünfte sollen daraufhin geprüft werden, ob und inwieweit die individuelle oder auch teilweise typisierte Steuerlast im Verlauf der jeweiligen Besteuerungszeiträume der einzelnen Lebensabschnitte den Maximen der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Folgerichtigkeit in Gesetz und Verwaltungsanweisungen überzeugend beachtet werden.
__________ 59 V. 26. 1. 2001, BGBl. I 2001, 420. 60 Fischer, Altersvorsorge und Altersbezüge, DStJG, 2001, 463, 477 ff. 61 Dorenkamp, Die nachgelagerte Besteuerung der sog. Riester-Rente, StuW 2001, 253 nimmt damit terminologisch die „vorgelagerte Entlastung“ im Sonderausgabenbereich durch das zusätzliche Abzugsvolumen des § 10a EStG aus. 62 BMF Heft 38, S. 9. Kirchhof, Die steuerliche Behandlung der verschiedenen Leistungen zur Altersversorgung, Schriftenreihe des Deutschen Sozialgerichtsverbandes (1978), Bd. XVII, S. 127 ff., 139, bevorzugt das „nachgelagerte Verfahren“ als „zentraler Maßstab steuerlicher Gerechtigkeit“.
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2. Beispiel 1: Umwandlung künftiger Entgeltansprüche des Arbeitnehmers in wertgleiche Anwartschaften auf Versorgungsleistungen Die betriebliche Altersversorgung ist im Betriebsrentengesetz im Jahre 197463 im Grunde als Sozialleistung des Arbeitgebers konzipiert worden, die neben dem laufenden Arbeitslohn und sonstigen Lohnaufwendungen des Arbeitgebers dem Arbeitnehmer ausdrücklich zugesagt werden muss. Die arbeitnehmerfinanzierte Altersversorgung durch Abspaltung eines Teils der Gesamtvergütung vom Barlohn und Verwendung der Differenz als wertgleiche Direktzusage wurde zwar zunächst als Disposition des Arbeitnehmers über einen Teil seines Arbeitslohns betrachtet und demzufolge als sofort zufließender Arbeitslohn behandelt. Erst unter dem Eindruck der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Gehaltsverzicht mit und ohne Verwendungsauflage64 entwickelte sich die lohnsteuerliche Anerkennung der Kürzung künftiger Gehaltsansprüche zugunsten nachgelagert besteuerter Pensionsansprüche. Wegbereiter war zudem die hergebrachte Lohnsteuerpauschalisierung nach § 40b EStG, mit der indes nur der günstige Pauschsteueratz für sofort zufließende Altersvorsorgeprodukte65 zu erreichen war. Systematischen Einwänden gegen die im Verwaltungsweg zugelassenen „Barlohnkürzungen“66 begegnet Trzaskalik67 zu Recht mit dem pragmatischen Hinweis, dass es die Parteien des Dienstverhältnisses ohnehin in der Hand hätten, die Versicherungsbeiträge als zusätzlichen Arbeitslohn auszuweisen; so könnte der Versicherungsbeitrag insbesondere an die Stelle einer Gehaltserhöhung treten. Der steuerliche Anwendungsbereich von Umwandlungen des Barlohns für eigenfinanzierte Maßnahmen der Altersvorsorge erhielt durch das Betriebsrentengesetz zusätzlichen Auftrieb, weil betriebliche Altersversorgung auch vorliegt, wenn künftige Entgeltansprüche in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen umgewandelt werden68. Lohnsteuerlich richtet sich der Zeitpunkt des Zuflusses nach dem Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung69, so dass auch bei arbeitnehmerfinanzierter Direktzusage Arbeitslohn erst im Zeitpunkt der Zahlungen der Altersvorsorgeleistungen zufließt70. Rechtspolitisch erweist sich die Entgeltumwandlung zugunsten einer Direktzusage als Privilegierung der Steuerpflichtigen mit Einkünften aus nicht-
__________ 63 V. 19. 12. 1974, BGBl. I 1974, 3610. 64 BFH v. 30. 7. 1993 – VI R 87/92, BStBl. II 1993, 884. 65 Beiträge an eine Direktversicherung oder an eine Pensionskasse; vgl. § 40b Abs. 1 EStG. 66 Vgl. R 129 Abs. 5 LStR. 67 In Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (47), § 40b EStG Rz. B 8. 68 Trzaskalik (Fn. 47), § 40b EStG Rz. B 8. 69 So § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG als Definition der Entgeltumwandlung. 70 Vgl. BMF v. 5. 8. 2002, BStBl. I 2002, 767, Rz. 149.
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selbständiger Arbeit, weil die kapitalgedeckte Altersvorsorge nicht aus gegenwärtig steuerbelasteten Einkommensteilen aufgebaut wird. Mit der bloßen Rückstellungsbildung des Arbeitgebers nach § 6a EStG fehlt es an Zahlungen eines arbeitgebenden Unternehmens an ein Versicherungsunternehmen; es mangelt somit an einem Abfluss von Betriebsausgaben und damit korrespondierenden Einnahmen des Arbeitnehmers aus seinem Dienstverhältnis unter dem Blickwinkel eines verkürzten Zahlungswegs, wie es bei Beiträgen des Arbeitgebers zu seiner Direktversicherung wirtschaftlich betrachtet wird71. Zahlungen des Arbeitgebers an eine Rückdeckungsversicherung werden ohnehin nicht als Arbeitslohn qualifiziert72. Der Gesetzgeber hat diesem Störungsfall der Symmetrie der Einkunftsarten73 keine Beachtung geschenkt. Handlungsbedarf hätte sich jedenfalls im Zusammenhang mit dem kräftig erhöhten Sonderausgabenvolumen für kapitalgedeckte Altersversorgungswege mit jährlich 20 000 Euro/40 000 Euro für Ehegatten (wenngleich in Schritten bis 2020) durch das Alterseinkünftegesetz74 ergeben. Nach wie vor müssen Arbeitnehmer, die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen, keine Kürzungen der Sonderausgabenhöchstbeträge für eigenfinanzierte kapitalgedeckte Lebensversicherungen hinnehmen. War dieser Personenkreis schon bisher nicht von der Kürzung des Vorwegabzugs betroffen75, so wird das ab 2005 verfügbare Höchstvolumen zwar auf methodisch andere Weise geschmälert, jedoch mit geringerer Auswirkung. Lediglich der nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfreie Arbeitgeberanteil und gleichgestellte steuerfreie Zuschüsse des Arbeitgebers sind den Beiträgen des Arbeitnehmers (in der Einkommensverwendungsebene) hinzuzurechnen76; damit mindert sich das Sonderausgabenvolumen für Beiträge des Arbeitgebers zwar für Beiträge an eine Direktversicherung, an einen Pensionsfonds und für Zuwendungen an Pensionskassen77; die Entgeltumwandlung in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen führt jedoch zu keiner Aushöhlung des Sonderausgabenvolumens78.
__________ 71 BMF (70), Rz. 150 i. V. m. Rz. 149 S. 4. Im Übrigen ergibt sich der sofortige Zufluss auch aus § 40b EStG, weil nur zufließender Arbeitslohn pauschalisiert werden kann. 72 R 129 Abs. 3 LStR. 73 Giloy, Zur Symmetrie der Einkunftsarten, FR 1978, 205. 74 Vgl. § 10 Abs. 3 EStG n. F. 75 § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG a. F. 76 § 10 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG n. F. 77 Bei diesen Durchführungswegen der betrieblichen Altersversorgung wird allgemein verkürzter Zahlungsweg angenommen; siehe Myßen, Das Alterseinkünftegesetz – Die steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen nach § 10 EStG, NWB F. 3, 2004, 4055, 4069. 78 Myßen (Fn. 77) spricht den Aspekt des Wertungswiderspruchs des Gesetzgebers gar nicht an.
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3. Beispiel 2: Arbeitszeitkonten als steuerunbelastete Ansammlung von Wertguthaben Unternehmen können ihre Betriebszeiten durch Führung von Arbeitszeitkonten weitgehend der Kapazitätsauslastung anpassen. Wollte man dabei allein an den Fall denken, dass das Wertguthaben des Arbeitszeitkontos „abgefeiert“ wird, wäre dies zu kurz gegriffen; denn das Arbeitszeitkonto kann mit ungenutzen Urlaubstagen, laufendem Arbeitsentgelt oder mit Einmalzahlungen aufgebaut werden. Voraussetzung ist stets, dass der auf dem Arbeitszeitkonto gutzuschreibende Arbeitslohn im Zeitpunkt der Vereinbarung noch nicht fällig ist79. Was früher dem Werksparkassenverbot unterfiel, wird seit April 1998 nach dem Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeiten80 durch die Verpflichtung des Arbeitgebers gefördert, in Arbeitszeitkonten auszuweisende Wertguthaben der Mitarbeiter gegen Insolvenz zu schützen. Rund zwei Drittel aller Betriebe in Deutschland sollen bereits Wertguthaben führen81. Das Wertguthaben kann etwa für Erziehungsurlaub, Vorruhestand oder Teilzeitarbeit genutzt werden. Auch die Überführung in eine betriebliche Altersversorgung kommt in Betracht. Bei Teilzeitbeschäftigten erlaubt die Führung eines Arbeitszeitkontos Steuersparmodelle bei geringfügig Beschäftigten im Rahmen der Lohnsteuerpauschalisierung nach § 40a EStG durch Streckung des Zuflusszeitraums, weil es auf die Stundenlohngrenze nicht mehr ankommt82. Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vertreten die Auffassung, dass die Mitnahme des Wertguthabens zu einem neuen Arbeitgeber grundsätzlich nicht zur Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge führt, vielmehr Sozialversicherungsbeiträge erst bei Auszahlung des Wertguthabens zu zahlen sind; die Finanzverwaltung83 überträgt diese Beurteilung auf die Bestimmung des lohnsteuerrechtlich maßgebenden Zeitpunkts. Wenngleich dieser Auslegung in der Literatur gefolgt wird84, kann diese undifferenzierte Betrachtung nicht rechtens sein. Nach § 38 Abs. 3 EStG hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Zahlung von Arbeitslohn einzubehalten. Diese Verfahrensvorschrift bestimmt die Person des Abzugsverpflichteten als Beteiligten des Dienstverhältnisses85; das materielle Erfordernis des Zuflusses nach § 11 Abs. 1 EStG ist der Steuerabzugsverpflichtung immanent. Wird Arbeits-
__________ 79 80 81 82 83
BMF v. 5. 8. 2002 (Fn. 70), Rz. 154. V. 6. 4. 1998, BGBl. I 1998, 688. Kujawa in FAZ, Beilage Alterversorgung, v. 26. 10. 2004. Drenseck in Ludwig Schmidt, EStG (23. Aufl.), § 40a Rz. 8 m. w. N. OFD Koblenz v. 14. 2. 2002, DStR 2002, 1047 und OFD Frankfurt v. 20. 4. 2002, DStZ 2002, 97. 84 Wellisch/Näth, Arbeitszeitkonten – steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung und Vorteilshaftigkeitsüberlegungen, DStR 2003, 309. 85 Dazu Giloy (Fn. 47), § 19, Rz. B 207, 217 ff.
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lohn lediglich gutgeschrieben, befindet sich der Arbeitgeber regelmäßig im Erfüllungsrückstand, weil im Fall einer bloßen Stundung allein der Arbeitnehmer seine Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis erfüllt hat86. Nimmt jedoch der Arbeitnehmer eine andere Leistung als die aus dem Arbeitsvertrag geschuldete Geldleistung an Erfüllungsstatt i. S. des § 364 Abs. 2 BGB an, kommt es für die Bestimmung des Zuflusszeitpunkts darauf an, ob dadurch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers aktuell (und nicht erst künftig) gestärkt wird87. Kommen Arbeitgeber und Arbeitnehmer überein, das im Arbeitskonto ausgewiesene Wertguthaben auf den neuen Arbeitgeber zu übertragen und kommt alsdann eine Schuldübernahme zwischen dem bisherigen Schuldner und dem Übernehmer nach § 415 BGB zustande, muss der bisherige Arbeitgeber dem neuen Arbeitgeber die Befreiung aus der bisher im Arbeitskonto ausgewiesenen Verpflichtung entgelten. Da der Arbeitnehmer die Schuldübernahme nach § 415 Abs. 1 BGB genehmigen muss, könnte in der Genehmigung der Schuldübernahme eine Disposition des Arbeitnehmers über seinen Lohnanspruch gesehen werden, die den sofortigen Zufluss des Arbeitslohns auslöst88; so sieht es das niedersächsische Finanzgericht89. Nach meiner Meinung vermag indes die Genehmigung einer Schuldübernahme durch den Arbeitnehmer den Zuflusszeitpunkt nicht anders festzulegen als dies bei der Abtretung von Lohnansprüchen der Fall ist. In beiden Sachverhalten liegt die Wirkung (zunächst) in der Vermögensebene; sofern der Arbeitnehmer als Zedent kein Abtretungsentgelt erhält, wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erst im Zeitpunkt des Zahlungseingangs beim Zessionar gestärkt. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BFH90 auch beim gesetzlichen Forderungsübergang. Zahlt daher der bisherige Arbeitgeber den neuen Arbeitgeber (regelmäßig im zeitlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsplatzwechsel) einen Ausgleich für die schuldbefreiende Übernahme des „mitgenommenen“ Arbeitszeitkontos, fließt der bisher aufgeschobene Arbeitslohn dem Arbeitnehmer mit dem Zahlungseingang beim neuen Arbeitgeber zu. Nach der Terminologie des Lohnsteuerrechts handelt es sich dabei um Lohnzahlung an Dritte91. Obliegt dem Arbeitgeber schon im Allgemeinen die Einbehaltungspflicht der Lohnsteuer „bei jeder Lohnzahlung“92, kann die Abzugsverpflichtung des Arbeitgebers als Beteiligter des Dienstverhältnisses93 bei Zahlungen aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses nicht wirklich zweifelhaft sein;
__________ 86 87 88 89 90
S. II.1.b). S. III.2. Vgl. Giloy (Fn. 47) § 19, Rz. B 227 ff. Urt. v. 8. 4. 1991 – VII 535/86, EFG 1992, 73. Urt. v. 16. 3. 1993 – XI R 52/88, BStBl. II 1993, 507; zur Vertiefung siehe Trzaskalik (Fn. 47), § 11, Rz. B 135 „Abtretung“. 91 Giloy (Fn. 47), § 19, Rz. B 726 ff. 92 § 38 Abs. 3 S. 1 EStG. 93 Giloy (Fn. 47), § 19, Rz. B 207 ff.
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Zum Zeitpunkt der steuerlichen Erfassung von Einnahmen und Ausgaben
denn die persönliche Einbehaltungspflicht kann nicht auf Dritte und damit auch nicht auf den neuen Arbeitgeber mit befreiender Wirkung gegenüber dem Fiskus übertragen werden. Eine andere Frage ist, ob Lohnsteuer in ihrer Höhe dadurch temporär erspart werden kann, dass der bisherige Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers den Barwert einer unverfallbaren Anwartschaft (frühestens ab Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses) auf den neuen Arbeitgeber nach § 4 Betriebsrentengesetz übertragen muss, sofern der neue Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine dem übertragenen Barwert wertmäßig entsprechende Zusage erteilt; indes könnte sich diese Frage erst im Rahmen des neuen Dienstverhältnisses stellen94. Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber nicht berücksichtigte intertemporäre Behandlung der Entgeltumwandlung zugunsten einer Direktzusage einerseits und dem Sonderausgabenvolumen andererseits95 hielte ich es letztlich auch aus rechtspolitischen Gründen für verfehlt, den Anwendungsbereich der Entgeltumwandlung durch Verwaltungsvorschriften auszuweiten; hier sollte der Gesetzesvorbehalt wirksam werden. 4. Beispiel 3: Verlagerung von Kapitalerträgen in künftige Besteuerungsabschnitte Fließen Erträge aus einer Kapitalüberlassung zur Nutzung laufend zu, wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen periodengerecht abgebildet. Indes haben Finanzinnovationen das Kontensparen oder die Zeichnung festverzinslicher Schuldverschreibungen mit stetigen Zinszahlungen in den Hintergrund gedrängt. Der Kapitalanleger will heute zumindest Steuerstundungseffekte erreichen, etwa durch den Erwerb abgezinster Schuldverschreibungen (Nullkuponanleihen), am liebsten möchte er jedoch seine Kapitalerträge von der Nutzungsebene in die Ebene steuerunbelasteter Veräußerungsgeschäfte verlagert wissen. Wer Finanzinnovationen auf ihre steuerrechtliche Tatbestandsmäßigkeit i. S. der verwirrenden Kasuistik des § 20 EStG hin untersuchen will, sollte zur teleologischen Interpretation die Sachgesetzlichkeit des EStG auch hinsichtlich der übrigen Leistungseinkünfte nicht aus den Augen verlieren, weil sie sämtlich entlang bürgerlich-rechtlicher Schuldverhältnisse konzipiert sind. Geldvermögen kann sowohl durch Nutzungsüberlassung auf Zeit als auch durch Umschichtung in andere Vermögenswerte eingesetzt werden. Die darlehensweise Überlassung begründet ein bürgerlich-rechtliches Dauerschuld-
__________ 94 Im Einzelnen BMF-Schreiben v. 5. 8. 2002 (Fn. 70), Rz. 149 ff. 95 S. III.2.
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verhältnis96. Gegenleistung ist der Zins, nicht aber die Rückzahlung der Darlehensvaluta, die ledigleich eine Folgeverpflichtung aus Anlass des beendigten Darlehensverhältnisses ist97. Verkauft der Darlehensgeber seine Darlehensforderung vor Fälligkeit und sind im Kaufpreis rückständige Darlehenzinsen eingerechnet, realisiert er den auf seine Besitzzeit entfallenden Zinsanspruch als Surrogat. Entsprechend werden Gegenleistungen für andere Leistungsarten, wie Mieten für die Gebrauchsüberlassung von Sachen oder Vergütungen für Dienstleistungen der jeweiligen Einkunftsquelle zugeordnet. So erzielt ein Vermieter Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 EStG auch dann, „wenn die Einkünfte im Veräußerungspreis von Grundstücken enthalten sind und die Miet- oder Pachtzinsen sich auf einen Zeitraum beziehen, in dem der Veräußerer noch Besitzer war“. Dadurch grenzt der Gesetzgeber die Einkommensverwendungsebene (Verkauf) von der Einkommenserzielungsebene (Ertrag) zutreffend ab. Eine weitere Kollisionsnorm sieht der Gesetzgeber in § 23 Abs. 2 EStG vor, wonach Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. des § 23 EStG anderen Einkunftsarten zuzurechnen sind, soweit sie zu diesen gehören, z. B. der Veräußerungsgewinn beim Verkauf eines im Betriebsvermögen gehaltenen privaten Grundstücks als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Sofern eine private Veräußerung von Wertpapieren gar kein privates Veräußerungsgeschäft i. S. des § 23 EStG ist, weil im konkreten Fall der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt98, kann § 23 EStG seine Funktion als Auffangtatbestand nicht erfüllen. Ob und inwieweit Kapitaleinkünfte durch Umetikettierung in nichtsteuerbare Veräußerungsgeschäfte vermieden werden können, soll im Beispiel 499 erörtert werden. Der Gesetzgeber hat die Grundtatbestände der Einkünfte aus Kapitalvermögen in § 20 Abs. 1 EStG abschließend aufgezählt; er will indes in Absatz 2 auch Einnahmen aus der Veräußerung, Abtretung oder Einlösung bestimmter Gruppen von Kapitalforderungen mit besonderen Ausstattungsmerkmalen differenziert besteuert wissen. Unterschiedliche Steuerwirkungen lassen sich im Wesentlichen auf den Gegensatz von „Emissionsrendite“ und „Marktrendite“ reduzieren. Die Besteuerung von Kapitalforderungen nach ihrer von Emittenten kalkulierten Emissionsrendite weist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Erstzeichners einer Schuldverschreibung dann zutreffend aus, sofern er die Kapitalforderung bis zur Einlösung innehat; dann können sich zwischenzeitliche Wertschwankungen des Marktzinses letztlich nicht auswirken. Veräußert der Erstzeichner sein verbrieftes Recht während der Laufzeit, wird er je nach Entwicklung des Marktzinses mit Gewinn, Verlust oder neutral aus
__________ 96 97 98 99
Putzo in Palandt, BGB (64. Aufl.), Einführung vor § 607 BGB. § 609 Abs. 1 BGB. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG. S. III.5.
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seinem Engagement herausgehen. Zwischenerwerber können sich beim Erwerb der Schuldverschreibung unter dem Pariwert dann eine höhere Gesamtrendite im Vergleich zur Emissionsrendite ausrechnen, wenn sie die Schuldverschreibung bis zur Einlösung durchhalten; denn nach der Gesetzesfassung kommt es nicht auf die Marktrendite im Zeitpunkt des Zwischenerwerbs an, weil dem Wertpapier das Merkmal der Emissionsrendite dauerhaft (bis zur Einlösung) aufgepfropft ist100. Dieses Ergebnis ist nach meiner Auffassung nicht zu rechtfertigen, weil dieser Zweiterwerber einen geringeren Kaufpreis als der Erstzeichner aufwenden musste, so dass sich sein Anlageerfolg nicht allein im vereinnahmten Nominalzins, sondern zusätzlich in der Verbilligung des Kaufpreises infolge des den Rechtsvorgänger treffenden Wertverlust (Kursverlust) widerspiegelt. Dass die Differenz zwischen Anschaffungskosten und Einlösungsbetrag dem materiellen Gehalt nach ein Kapitalertrag ist, der seine Wurzel in der vorübergehenden Kapitalüberlassung hat, zeigt sich bei der Besteuerung von Zwischengewinnen aus der Veräußerung von abgezinsten Schuldverschreibungen und sonstigen Kapitalforderungen101. Die Einschätzung der OFD Frankfurt102, dass der Gesetzgeber mit dem Ansatz der Marktrendite für Schuldverschreibungen ohne „Emissionsrendite“ eine leichtere Form der Ertragsermittlung zulassen wollte, kann ich weder teilen noch dürfte dieses Argument ausschlaggebend sein. Die in der Verfügung der OFD Frankfurt zutreffend wiedergegebene Definition der Marktrendite als „Differenz zwischen Entgelt für den Erwerb und Einnahmen aus der Veräußerung“ spiegelt zutreffend die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wider und ist deshalb materiellrechtlich folgerichtig. Dass der steuerpflichtige Ertrag „regelmäßig anhand der Abrechnung der Kreditinstitute über den An- und Verkauf der Wertpapieren berechnet werden kann“103, indiziert sogar Praktikabilität, konnte jedoch die zwischenzeitlichen Erfassungs- und Überprüfungsmöglichkeiten, insbesondere durch die Jahresbescheinigung über „Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne aus Finanzanlagen“ gemäß § 24c EStG (für Erträge und Gewinne ab 2004104) noch nicht berücksichtigen. Leider hat der Gesetzgeber die Marktrendite in Abgrenzung von der Emissionsrendite nur umschrieben, statt den Begriff Marktrendite im Gesetzestext zu verwenden. Dann wäre einerseits deutlich geworden, dass ein Arbeitnehmer sowohl mit seiner Arbeitsleistung als auch mit seiner Kapitalanlage am Markt teilnimmt und daraus ein Markteinkommen, wie es Kirchhof105 anschaulich formuliert, erzielt. Andererseits wäre aber auch leichter ins
__________ 100 101 102 103 104 105
§ 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 S. 2 EStG. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG. A. a. O. (Fn. 83). A. a. O. (Fn. 83). § 52 Abs. 39a EStG. A. a. O. (Fn. 3), § 2, Rz. 47.
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Auge gefallen, dass die Emissionsrendite ebenfalls eine Marktrendite umschreibt, diese Bemessungsgröße jedoch allein für anlagestrategische, steueroptimierende Überlegungen des Erstzeichners aussagefähig ist; denn für seine Einzelrechtsnachfolger während der Laufzeit der Anleihe kann ohnehin allein die aus deren Sicht zu berechnende Marktrendite kaufentscheidend sein. Die Emissionsrendite kann sich durch ein Emissionsdisagio als Abschlag vom Nennwert erhöhen. Das Emissionsdisagio diente ursprünglich der Feineinstellung des Zinssatzes106, heute dient es vornehmlich der Steueroptimierung. Da das Emissionsdisagio die Anschaffungskosten des Erstzeichners verringert, qualifiziert der BFH107 diesen Vorteil zutreffend als Ertrag aus der Kapitalüberlassung. Gleichwohl lässt die Finanzverwaltung durch den Disagio-Erlass108 „aus Vereinfachungsgründen“ einen Abschlag im Rahmen einer Staffelung bis zu 10 v. H. des Nennwerts109 zu. Vereinfachungsgründe sollten indes nicht mehr anzumahnen sein, weil Banken die tatsächlichen Anschaffungskosten der Anlagen ihrer Kunden nach § 24c EStG ohnehin aufzeichnen müssen. 5. Beispiel 4: Veräußerungsgeschäfte als Umetikettierung von Kapitaleinkünften Werden Kapitalerträge durch Einlösung von Kapitalforderungen realisiert, kann kein privates Veräußerungsgeschäft vorliegen, weil es unabhängig vom Zeitpunkt der Anschaffung und der Einlösung an einem Veräußerungstatbestand fehlt. Dies folgt aus dem Umkehrschluss der Regelungstechnik in § 20 Abs. 2 Nr. 4 Satz 4 EStG, wonach die Einlösung des Wertpapiers oder der Forderung einer Veräußerung oder Abtretung im Wege der Fiktion gleichgesetzt wird; die Frage nach der Subsidiarität des § 23 gegenüber § 20 EStG kann sich somit nach meiner Auffassung nicht (oder nicht mehr) stellen110. Wird dagegen die verbriefte Kapitalforderung nach einer Besitzzeit von nicht mehr als einem Jahr veräußert oder abgetreten, sind etwaige zwischenzeitliche Ausschüttungen als Kapitalerträge nach § 20 EStG und ein Veräußerungserlös oder Abtretungsentgelt als privates Veräußerungsgeschäft nach § 23 EStG zu beurteilen. Ob im Einzelfall die steuerliche Erfassung geldwerter Vorteile als privates Veräußerungsgeschäft oder als Einkünfte aus Kapitalvermögen günstiger ist, kann davon abhängen, ob etwa Veräußerungsverluste aus Kapitalforderungen oder Aktien im selben Kalenderjahr ausgleichsfähig sind, ob der Verlust-
__________ 106 107 108 109 110
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S. Dötsch (Fn. 47), § 20, Rz. I 123. Urt. v. 13. 10. 1987 – VIII R 156/84, BStBl. II, 1988, 252. BMF v. 24. 11. 1986, I, 539. Der höchste Abschlag wird bei Laufzeiten ab 10 Jahren erreicht. Umstritten, siehe Dötsch (Fn. 47), § 20 Rz. B 57a.
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abzug nach § 10d EStG genutzt werden kann oder ob die Freigrenze für Veräußerungsgewinne nach § 23 Abs. 3 Satz 6 EStG eine geringere Steuerlast auslöst, wenn der Sparer-Freibetrag durch andere Kapitalerträge ausgeschöpft wird. Die einkünftespezifischen Wirkungen der §§ 20 und 23 EStG sind 2004 durch das Investmentsteuergesetz111 für Zwischengewinne während eines Fondsgeschäftsjahres ausgehebelt worden; denn in § 1 Abs. 3 InvStG waren die den Stückzinsen bei einer Direktanlage vergleichbaren Zinserträge im Fall der Rückgabe oder der Veräußerung des Investmentanteils nicht mehr aufgezählt; dies begründete der Gesetzgeber mit hohem Verwaltungsaufwand und hohen Verwaltungskosten. Der Systembruch wurde zum Steuersparmodell: Wird der Anteilschein zu Beginn eines Fondsjahres erworben und kurz vor dem Ende des Folgegeschäftsjahres veräußert, so führt der nahezu zweijährige Kapitaleinsatz lediglich zur Versteuerung einer einzigen Jahresausschüttung; denn die Veräußerung nach Jahresfrist fällt nicht unter § 23 EStG. Auf Initiative der Bundesregierung112 tritt die Zwischengewinnbesteuerung ab 2005 wieder ein.
IV. Ausblick Die Bemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nach dem geltenden Jahresprinzip hat sich bewährt und sollte nicht in Frage gestellt werden. Die Überschussrechnung wird zwar bei Gewinneinkünften und Überschusseinkünften auch künftig der aussagekräftigeren, aber auch aufwändigen Erstellung von Vermögensübersichten nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unterlegen sein; indes wäre eine Bilanzierungspflicht für jedermann weder zumutbar noch erreichbar. Das Jahresergebnis des rechnerisch einfach zu ermittelnden Überschusses der Einnahmen über die Ausgaben (oder auch umgekehrt) wird durch periodengerechte Korrekturen der Leistungsfähigkeit mit entlastender und belastender Wirkung „in der Zeit“ angepasst. Die bevorstehenden Erfahrungen durch die Anwendung des Alterseinkünftegesetzes werden den Blick dafür schärfen. Unter der verfassungsrechtlichen Maxime der für jeden Besteuerungsabschnitt wirtschaftlich zutreffend zu bemessenden steuerlichen Leistungsfähigkeit halte ich es für besonders dringlich, arbeitsrechtliche, sozialversicherungsrechtliche und steuerrechtliche Vorschriften stärker aufeinander abzustimmen, um Verfälschungen der Bemessungsgrundlagen für Beiträge, Abgaben und Steuern zu vermeiden. Unter der Maxime des Gesetzesvorbehalts sollte es selbstverständlich sein, dass sich Steuererleichterungen aus
__________
111 V. 15. 12. 2003, BGBl. I, 2676. 112 Storg, Die Besteuerung von Investmentvermögen, NWB (2004), 2787 und Hilbertz, Wegfall der Zwischengewinnbesteuerung: Renditeoptimierung mit Investmentfonds, NWB (204), 2255.
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den Steuergesetzen ableiten lassen; denn das Einkommensteuergesetz ist ebenso eigenständig konzipiert wie dies auf die Gesetze des Arbeits- und Sozialrechts zutrifft. So werden arbeitsrechtlich bestimmte lohnsteuerfreie Einnahmen nur deshalb vom „Arbeitsentgelt“ ausgenommen, weil dies in der Arbeitsentgeltverordnung ausdrücklich vorgesehen ist. Diesen grundsätzlich richtigen Weg – lässt man einmal die Trennlinie zwischen Gesetz und Verordnung unberücksichtigt – hat man indes bei dem Institut der Entgeltumwandlung (ausschließlich arbeitsrechtliche Normen) und bei der Einführung von Arbeitszeitkonten („zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeiten“) nicht beschritten; im sog. Flexi-Gesetz, einem Artikelgesetz, sucht man einkommensteuerrechtliche Vorschriften vergeblich. Indes unterliegt auch die Einräumung gruppenspezifischer Steuerstundungseffekte dem Vorbehalt steuergesetzlicher Regelungen. § 222 AO hilft nicht weiter. Abgesehen davon, dass eine Stundung nach § 222 Satz 1 AO erhebliche Härten im Einzelfall vermeiden soll, schließt der Gesetzgeber in Satz 3 der Vorschrift eine Stundung gänzlich aus, wenn ein Dritter als Entrichtungspflichtiger die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners einzubehalten und zu entrichten hat. Aktuelle Steuermindereinnahmen durch Steuerstundungseffekte laufen dem Fiskalinteresse zuwieder und versperren den Weg zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, um Raum für (Beitrags- und) Steuertarifsenkungen zu schaffen. Der Gesetzgeber sollte seine Regelungskompetenz nutzen und die Folgen fehlerhafter Periodisierungen zeitig bedenken.
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Über den Zufluss fiktiver Beteiligungserträge vor dem Hintergrund des BMF-Schreibens vom 15. Juli 2004 zu § 8a KStG Inhaltsübersicht 1. Einführung 2. Die Wechselbeziehung zwischen Einnahme und Zufluss 3. Die Unterscheidung zwischen Zahlungsempfänger und Zurechnungsadressat 4. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG in der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 5. Zur Bedeutung des § 20 Abs. 2a EStG in der Fassung des Standortsicherungsgesetzes
6. Die in § 8a KStG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Ermittlungsempfehlung zum StVergAbG vom 22. 12. 2003 getroffene Regelung 7. Die Regelungen im BMF-Schreiben vom 15. Juli 2004 8. Rechtssystematische Einordnung der Auffassung der Finanzverwaltung 9. Das Verschulden der Rechtsprechung
1. Einführung Christoph Trzaskalik, dem dieser Beitrag in freundschaftlicher Erinnerung gewidmet ist, hat im Kommentar von Kirchhof/Söhn/Mellinghoff1 § 11 EStG kommentiert. § 11 EStG regelt den Zufluss von Einnahmen innerhalb der sog. Überschusseinkunftsarten i. S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 4 – 7 EStG. Aus der Feder von Trzaskalik stammt der Satz, es gebe keine Rechtsfolgen auslösende Einnahme ohne Zufluss2. Er erklärte die Einnahmeerzielung als ein reales Geschehen, d. h. als einen tatsächlichen Vorgang3. Er grenzte den tatsächlichen Vorgang von anderen ab, die lediglich eine zulässige oder eine unzulässige Zuflussfiktion begründeten4. In diesem Zusammenhang erwähnt er als Beispiele von Zuflussfiktionen die Ersetzung von Entgeltzahlungen durch die Zusage von Versorgungsleistungen, die Besteuerung beherrschender Kapitalgesellschafter und die Erfassung verdeckter Gewinnausschüttungen5. Letztere Frage hat durch die Neufassung des § 8a KStG durch das Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungs-
__________ 1 2 3 4 5
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 11, Rz. A 1 ff. Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 11, Rz. B 11. Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 11, Rz. B 1. Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 11, Rz. B 4. Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 11, Rz. B 4.
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empfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 20036 noch einmal an Bedeutung gewonnen. Obwohl die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung ausdrücklich erklärte7, auf die Technik einer Fiktion verzichten zu wollen, geht die Finanzverwaltung in ihrem BMF-Schreiben zu § 8a KStG8 von einem Beteiligungsertrag des Gesellschafters auch in den Fällen der Fremdfinanzierung durch eine nahe stehende Person oder einen Dritten i. S. des § 8a Abs. 1 Satz 2 KStG aus, ohne dass dem Gesellschafter jedoch ein geldwerter Vorteil zufließt. Der Rechtsanwender steht vor dem Rätsel, ob es Einnahmen ohne den Zufluss eines geldwerten Vorteils gibt oder ob der Zufluss von Zinsen beim Darlehensgläubiger zugleich als Zufluss einer Dividende beim Gesellschafter gedeutet werden kann. Diesen Fragen, denen sich Christoph Trzaskalik leider nicht mehr stellen konnte, soll mit den folgenden Überlegungen nachgegangen werden.
2. Die Wechselbeziehung zwischen Einnahme und Zufluss § 11 Abs. 1 EStG ist in seiner Einbettung in den Tatbestand des § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG zu verstehen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG unterliegen der Einkommensteuer näher bezeichnete Einkünfte, die der Steuerpflichtige erzielt. Daraus folgt, dass der Zufluss i. S. des § 11 Abs. 1 EStG Teil eines möglichen Tatbestandes der Einkünfteerzielung ist. Daraus folgt allerdings nicht, dass jede Form der Einkünfteerzielung zwingend einen Zufluss voraussetzt. Vielmehr belegen §§ 4 – 7k EStG, dass die Einkünfteerzielung sich auch in anderen Formen als dem Zufluss vollziehen kann, selbst wenn dort zumindest die Entstehung einer Forderung als Wirtschaftsgut gefordert wird. Indes bleibt festzuhalten, dass § 11 Abs. 1 EStG den Zufluss allgemein für die Erzielung von Einkünften i. S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 4 – 7 EStG regelt. Soweit der Tatbestand des § 11 Abs. 1 EStG bei Einkünften i. S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 4–7 EStG im Einzelfall nicht erfüllt sein sollte, kann eine Einkünfteerzielung nur dann angenommen werden, wenn das Gesetz ausnahmsweise eine Einkünfteerzielung ohne Zufluss vorsieht, wie dies z. B. in § 10 Abs. 2 Satz 1 AStG geregelt ist. In einem solchen Fall ist es durchaus sachgerecht, von der Fiktion eines Zuflusses zu sprechen9. Das Verhältnis zwischen Einnahme und Zufluss ist umstritten. Es wird die Auffassung vertreten, Einnahmen seien ohne Zufluss begrifflich nicht denk-
__________ 6 7 8 9
Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. 12. 2003, BGBl. I 2003, 2840. Vgl. BT-Drucks. 15/1518 S. 10; BR-Drucks. 560/03, S. 17. BMF-Schreiben v. 15. 7. 2004 IV A 2 – S 2742a – 20/04, BStBl. I 2004, 593, Rz. 4 Satz 2. So ausdrücklich: Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 11, Rz. B 4.
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Über den Zufluss fiktiver Beteiligungserträge
bar10. Aufklärung gibt insoweit die Abgrenzung zwischen „Erträgen“ und „Einnahmen“. Unter Erträgen im bilanzrechtlichen Sinne sind alle bewertbaren Vermögensmehrungen einer Abrechnungsperiode zu verstehen11. Einnahmen sind dagegen die erhaltenen Gegenwerte für die in der Periode veräußerten Güter oder Leistungen sowie die sonstigen Geldvermögenszugänge12. In zeitlicher Hinsicht sind die Erträge periodisierte Einnahmen. So gesehen bildet die Entstehung einer Entgeltsforderung zwar einen Ertrag, aber noch keine Einnahme. Die Einnahme setzt im Regelfall den Zufluss des Entgelts voraus. Ohne Zufluss ist im Regelfall keine Einnahme denkbar13. Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt, wann im Einzelfall ein Zufluss anzunehmen ist. Auch bedeutet die aufgestellte These nicht, dass das Gesetz nicht ausnahmsweise eine Einnahme fingieren könne. Dazu bedarf es dann aber einer Rechtsgrundlage. Ob der in § 10 Abs. 2 AStG geregelte Hinzurechnungsbetrag in diesem Sinne eine Einnahme darstellt, ist allerdings zweifelhaft. Nach § 10 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AStG gehört der Hinzurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Kapitalvermögen bzw. zu den Gewinneinkünften i. S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 EStG. Im bilanzrechtlichen Sinne stellt er keinen Geldvermögenszugang dar. Deshalb kann der Hinzurechnungsbetrag nicht in der Handelsbilanz angesetzt werden. Nach herrschender Auffassung ist der Hinzurechnungsbetrag außerhalb der Steuerbilanz anzusetzen. Er erhöht den Gewinn bzw. die Einkünfte aus Kapitalvermögen als Nettobetrag und nicht die übrigen Einnahmen als Bruttobetrag. Dies spricht dafür, dass das Steuerrecht insoweit dem Handelsrecht folgt. Der Hinzurechnungsbetrag ist ein Korrekturposten, der die Eignung hat, Einkünfte zu erhöhen. Er ist deshalb keine Einnahme. Einkünfte sind demjenigen zuzurechnen, der den Tatbestand der Erzielung dieser Einkünfte erfüllt14. Die Rechtsfolgen des Einnahmezuflusses können sich nur bei demjenigen einstellen, der die Einnahme erwirtschaftet hat. Seit dem RFH-Urteil vom 13. 11. 192815 versteht die Rechtsprechung unter einem Zufluss den Zeitpunkt der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über das Entgelt. Wann die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt ist, ist an Hand der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. In der Regel handelt es sich um den Zeitpunkt, in dem der Schuldner seine Erfüllungshandlung gegenüber dem Gläubiger erbracht hat.
__________ 10 Crezelius in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 8 Rz. A 20: WeberGrellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 4 Rz. D 66. 11 Vgl. Förschle in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 HGB, Rz. 653. 12 Vgl. Förschle in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 HGB, Rz. 653. 13 Vgl. BFH-Urteil v. 21. 7. 1987 – VIII R 211/82, BFH/NV 1988, 224. 14 Vgl. BFH-Urteil v. 13. 5. 1980 – VIII R 63/79, BFHE 131, 212, BStBl. II 1981, 295, BFH-Beschluss v. 29. 11. 1982 – GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl. II 1983, 272; Ruppe, DStJG 1, S. 16; Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl., § 9 Rz. 150 ff.; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 11, Rz. B 12. 15 RFH-Urteil v. 13. 11. 1928 – VI A 155/28, RFHE 24, 272, RStBl. 1929, 224.
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3. Die Unterscheidung zwischen Zahlungsempfänger und Zurechnungsadressat Grundsätzlich können Zahlungsempfänger und Zurechnungsadressat auseinander fallen, d. h. die Zahlung an eine Person A kann steuerlich einer Person B in dem Sinne zuzurechnen sein, dass B als die Person zu behandeln ist, die die Einnahme (Einkünfte) erzielt. Klassischer Fall ist insoweit die Abtretung des Entgeltanspruchs vor seiner Erfüllung durch den Anspruchsgläubiger, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt. Komplizierter ist jedoch die Rechtslage bei den hier interessierenden Ausschüttungen an eine dem Gesellschafter nahe stehende Person. Der Zufluss gegenüber der dem Gesellschafter nahe stehenden Person wird steuerlich dem Gesellschafter zugerechnet. Streit besteht insoweit darüber, wann die Ausschüttung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist. Die Frage geht dahin, ob beim Gesellschafter eine Vermögensmehrung erkennbar sein muss bzw. ob die Ausschüttung zumindest auch im Interesse des Gesellschafters liegen muss16. Deutlich wird das Problem, wenn man in einem 10-stufigen Konzern von einer verdeckten Gewinnausschüttung durch die auf der 10. Stufe angesiedelte Ururenkelgesellschaft unmittelbar an die Konzernobergesellschaft ausgeht. Insbesondere dann, wenn die zwischengeschalteten Konzerngesellschaften keinen Einfluss auf die verdeckte Gewinnausschüttung genommen haben bzw. sogar nichts von ihr wissen, stellt sich die Frage, ob auf allen Stufen von einem Ertrag einerseits und einer Weiterausschüttung andererseits ausgegangen werden kann. Tatsache ist jedenfalls, dass entsprechende Zurechnungen steuerlich allgemein angenommen werden17. Streitig ist nur, ob es sich insoweit um einen Beweis des ersten Anscheins18, um eine wirtschaftliche Realität19 oder um eine Fiktion handelt. Gegen einen Beweis des ersten Anscheins spricht, dass derselbe widerlegt werden können müsste. Tatsache ist aber, dass kein Fall bekannt ist, in dem der Gegenbeweis anerkannt wurde. Gegen die Annahme wirtschaftlicher Realität spricht die Tatsache, dass kein Wirtschaftsprüfer einen Ertrag bzw. eine Ausschüttung auf den zwischengeschalteten Konzernstufen testieren wird. Handels- und bilanzrechtlich ist also weder eine Vermögensmehrung noch eine Ausschüttung auf den zwischengeschalteten Stufen festzustellen. Die Zurechnung beruht letztlich auf einer steuerlichen Besonderheit, die sicherlich in der Nähe
__________ 16 Verneinend: BFH-Urteil v. 18. 12. 1996 – I R 139/94, BFHE 182, 184, BStBl. II 1997, 301; Wassermeyer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 20 C 58; bejahend: Schmidt/Heinicke, EStG, § 20 Rz. 74; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, Anhang vGA zu § 8, Rz. 59 ff.; Blümich/Stuhrmann, EStG, § 20 Rz. 83 ff. 17 Vgl. BFH-Urteile v. 25. 10. 1963 – I 325/61 S, BFHE 78, 46, BStBl. III 1964, 17; v. 27. 1. 1972 – I R 28/69, BFHE 104, 353, BStBl. II 1972, 320. 18 So BFH-Urteil v. 27. 1. 1972 – I R 28/69, BFHE 104, 353, BStBl. II 1972, 320; Blümich/Stuhrmann, EStG, § 20 Rz. 84 und Wrede in Herrmann/Heuer/Raupach, § 20 EStG, Rz. 231. 19 So Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, Anhang vGA zu § 8, Rz. 62.
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einer Fiktion liegt bzw. mit einer solchen erklärt werden kann. Steuerlich wird unterstellt, dass Beteiligungserträge nur von einem Gesellschafter erzielt werden können und dass deshalb die von der Konzernobergesellschaft konkret vereinnahmte verdeckte Gewinnausschüttung über die zwischengeschalteten Konzerngesellschaften geleitet worden sein muss. Dies gilt auch dann, wenn die zwischengeschalteten Konzerngesellschaften nichts von der verdeckten Gewinnausschüttung wissen sollten. Insoweit handelt es sich um eine Besonderheit des Steuerrechts. Für die steuerliche Zurechnung genügt einerseits die Feststellung, dass der nahe stehenden Person ein Vermögensvorteil zufließt, der die Voraussetzungen einer Einnahme i. S. des § 8 EStG erfüllt. Zusätzlich muss die bestehende Beteiligungskette die verdeckte Gewinnausschüttung veranlasst haben. Man muss den Unterschied zwischen Zahlungsempfänger und Zurechnungsadressat auch vor dem Hintergrund anderer Fallgestaltungen sehen. So nimmt der BFH20 bei Vorteilszuwendungen zwischen sog. Schwestergesellschaften eine Ausschüttung an die gemeinsame Muttergesellschaft und die Weitergabe des Vorteils an die begünstigte Tochtergesellschaft an. In der Begründung betont der BFH, er sehe hierin weder eine Unterstellung (Fiktion) noch einen unzulässigen Durchgriff durch die Rechtsform der juristischen Person. Obwohl auch in diesem Fall kein Wirtschaftsprüfer einen Beteiligungsertrag und eine Einlage der Muttergesellschaft testieren wird, geht das Steuerrecht seinen eigenen Weg.
4. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG in der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 Durch das Steuerreformgesetz 1990 v. 25. 7. 198821 wurde in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ein neuer Satz 2 eingefügt. Danach gehören verdeckte Gewinnausschüttungen zu den sonstigen Bezügen im Sinne des Satzes 1. An sich war das Einfügen eines solchen Satzes überflüssig. Es ist nur vor dem Hintergrund der damaligen Absicht des Gesetzgebers zu verstehen, in das KStG einen § 8a KStG einzufügen, durch den bestimmte Gesellschafterfinanzierungen als Eigenkapital behandelt werden sollten. Als Folge davon wären Entgelte, die die Körperschaft an den Gesellschafter zahlt, bei der Gewinnermittlung als verdeckte Gewinnausschüttungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu qualifizieren gewesen. Der neu gefasste § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG sollte sicherstellen, dass die geplante Regelung des § 8a KStG auch für die Besteuerung des Gesellschafters durchgreift. Das Vorhaben wurde jedoch aufgegeben. Dabei hat man vergessen, auch den nunmehr über-
__________ 20 BFH-Urteile v. 23. 10. 1968 – I 228/65, BFHE 94, 373, BStBl. II 1969, 243; v. 3. 2. 1971 – I R 51/66, BFHE 101, 501, BStBl. II 1971, 408; BFH-Beschluss v. 26. 10. 1987 – GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl. II 1988, 348. 21 Steuerreformgesetz 1990 v. 25. 7. 1988, BGBl. I 1988, 1093 = BStBl. I 1988, 224.
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flüssigen § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu streichen. Heute geht die Frage dahin, ob man dem § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG nicht dennoch die fiktive Rechtsfolge entnehmen kann, dass jede verdeckte Gewinnausschüttung im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zugleich sonstiger Bezug im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist. In dieser Allgemeinheit ist die Frage sicher zu verneinen. Es gibt nämlich verdeckte Gewinnausschüttungen, die sich zunächst nur bei der ausschüttenden Körperschaft auswirken und deren Rechtsfolgen sich beim Gesellschafter erst später bzw. unter Umständen nie auswirken. Das Beispiel einer unangemessen hohen Pensionszusage an den Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH macht deutlich, was mit dieser Aussage gemeint ist. Verdeckte Gewinnausschüttungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG sind ein Teil der auf den Zusagezeitpunkt zu bildende Pensionsrückstellung sowie Teile der ihr zu späteren Bilanzstichtagen zuzuführenden Beträge. Beteiligungserträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG sind dagegen erst dann anzunehmen, wenn die Pension dem GesellschafterGeschäftsführer in der Regel viele Jahre später ausbezahlt wird. Die spätere Erzielung von Beteiligungserträgen vollzieht sich nicht, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer vor dem Eintritt in den Ruhestand versterben sollte. Es ist kein Anhaltspunkt dafür zu erkennen, dass die dargestellten Rechtsfolgen mit Hilfe des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG verändert und zeitlich vorgezogen werden sollten. Dies würde auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten keinen Sinn machen. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG kann deshalb allenfalls dahin verstanden werden, dass immer dann, wenn bei einer Kapitalgesellschaft eine verdeckte Gewinnausschüttung (ggfs. fiktiv) anzunehmen ist, unter den Voraussetzungen ihres Zuflusses auch beim Gesellschafter ein entsprechender Beteiligungsertrag anzunehmen sein soll. Zwingend ist diese Schlussfolgerung allerdings nicht. Auch dies belegt das Beispiel einer verdeckten Gewinnausschüttung in einem 10-stufigen Konzern durch die auf der 10. Stufe angesiedelte Ururenkelgesellschaft unmittelbar an die Konzernobergesellschaft. In diesem Fall ermöglicht § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG nur die Annahme eines Zuflusses bei der der ausschüttenden Gesellschaft vorgeschalteten Beteiligungsgesellschaft. Die Rechtsgrundlage für die Annahme einer Ausschüttung von der Beteiligungsgesellschaft an die nächste vorgeschaltete Beteiligungsgesellschaft bleibt jedoch im Dunkeln. Sie ist dem § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG mit Sicherheit nicht mehr zu entnehmen. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG wirft zusätzlich die Frage auf, ob das Steuerrecht von irgendeiner Korrespondenz zwischen den steuerlichen Beurteilungen auf den Ebenen des Zahlenden und des Empfängers der Zahlung ausgeht oder ob die Vorschrift als eine Ausnahme von dem Grundsatz zu verstehen ist, dass eine entsprechende Korrespondenz normalerweise nicht besteht. An sich spricht alles für letztere Auffassung. Zahlt eine natürliche Person Zinsen für ein Darlehen, so muss sich die Zahlung bei ihr steuerlich überhaupt nicht auswirken. Dies schließt nicht aus, dass der Zahlungsempfänger Zin336
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sen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG oder Betriebseinnahmen im Sinne des § 15 EStG erzielt. Entsprechendes gilt, wenn die Zinsen beim Zahlenden Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb oder Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung oder Verpachtung sein sollten. Unbeschadet aller steuerlichen Beurteilungen müssen allerdings Zinsen beim Zahlenden und beim Empfänger im Rahmen einer Auslegung des Begriffes nach der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes nach den gleichen Kriterien bestimmt werden. Zahlt ein Darlehensnehmer „Zinsen“, so erzielt im Regelfall auch der Darlehensgeber „Zinsen“. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bedarf einer besonderen Gesetzesgrundlage. Dies sollte auch für die Erzielung von Dividenden im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gelten.
5. Zur Bedeutung des § 20 Abs. 2a EStG in der Fassung des Standortsicherungsgesetzes Durch das Standortsicherungsgesetz vom 13. 9. 199322 wurde der Regelungsinhalt des bisherigen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 in den neuen § 20 Abs. 2 Buchst. a aufgenommen. Nach dem Bericht des Finanzausschusses des Bundestages schließt die Neuregelung eine Gesetzeslücke. Bei der Definition des Anteilseigners habe es bisher an einer zeitlichen Festlegung gefehlt. Dies habe zu Rechtsunsicherheit in der Frage geführt, wer in den Fällen, in denen sich der Anteil und der Dividendenschein in unterschiedlichen Händen befinden, den Tatbestand der Erzielung steuerbarer Kapitalerträge erfülle. Die Neuregelung solle klarstellen, dass ein Dividendenanspruch bis zum Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses unselbständiger Bestandteil des Stammrechts sei und daher von demjenigen als Kapitalertrag versteuert werden müsse, dem im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses das Stammrecht steuerlich zuzurechnen sei. Vereinbarungen im Sinne des § 101 Nr. 2 zweiter Halbsatz BGB darüber, wer berechtigt sein soll, die Gewinnanteile zu beziehen, beträfen bereits die Einkommensverwendung und seien daher für die steuerliche Zurechnung unmaßgeblich. Die Frage geht dahin, ob dem § 20 Abs. 2a EStG der allgemeine Grundsatz entnommen werden kann, dass auch verdeckte Gewinnausschüttungen als Beteiligungserträge steuerlich stets dem Gesellschafter zuzurechnen sind, der diese Eigenschaft bei der Begründung des Anspruches innehatte. Dagegen spricht, dass die Vorschrift ausdrücklich nur sog. offene Ausschüttungen, nicht aber auch verdeckte Beteiligungserträge betrifft. Es kommt hinzu, dass verdeckte Gewinnausschüttungen denkbar sind, die durch eine ehemalige oder aber durch eine künftige Gesellschafterposition veranlasst sind. So kann eine Körperschaft ein Interesse daran haben, ihrem künftigen Gesellschafter einen Ver-
__________ 22 Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland im Europäischen Binnenmarkt (Standortsicherungsgesetz – StandOG) v. 13. 9. 1993, BGBl. I 1993, 1569, BStBl. I 1993, 774.
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mögensvorteil zuzuwenden. Verstünde man § 20 Abs. 2a EStG in dem angesprochenen engeren Sinne, so stünde dies einer Erfassung von sonstigen Bezügen bei dem künftigen Gesellschafter entgegen. Dennoch strahlt § 20 Abs. 2a EStG auf die verdeckte Gewinnausschüttung insoweit aus, als die Vorschrift Indiz dafür ist, dass verdeckte Gewinnausschüttungen im Konzern z. B. nicht bei einer Schwestergesellschaft oder bei einer nur mittelbar beteiligten vorgeschalteten Gesellschaft erfasst werden können. § 20 Abs. 2a EStG kann in diesem Sinne als eine Vorschrift verstanden werden, die den § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ergänzt.
6. Die in § 8a KStG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Ermittlungsempfehlung zum StVergAbG vom 22. 12. 2003 getroffene Regelung Nach § 8a KStG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Ermittlungsempfehlung zum StVergAbG vom 22. 12. 200323 sind Zinsen für eine übermäßige Fremdfinanzierung einer Kapitalgesellschaft durch an ihr wesentlich beteiligte Gesellschafter als verdeckte Gewinnausschüttung qualifiziert. Die entsprechende verdeckte Gewinnausschüttung löst unstreitig bei der die Zinsen zahlenden Kapitalgesellschaft eine Hinzurechnung außerhalb der Steuerbilanz aus. Streit besteht darüber, ob die Zinsen auch beim Gesellschafter sonstige Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auslösen. Dazu sollte zwischen den folgenden vier Grundfällen unterschieden werden: 1. Grundfall An der A-GmbH ist A zu 100 vH beteiligt. A gewährt der A-GmbH ein Darlehen, das Zinszahlungen von 100 pro Jahr auslöst. Das Darlehen soll die Anforderungen an eine unangemessene Gesellschafterfremdfinanzierung erfüllen. Frage: Erzielt A sonstige Bezüge im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 oder Zinsen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG jeweils in Höhe von 100? 2. Grundfall Die M-GmbH ist über 9 zwischengeschaltete Gesellschaften an der E-GmbH beteiligt. Sie gewährt der E-GmbH ein Darlehen, das Zinszahlungen von 100 pro Jahr auslöst. Das Darlehen soll die Anforderungen an eine unangemessene Gesellschafterfremdfinanzierung erfüllen. Fragen: Erzielt die M-GmbH sonstige Bezüge im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 oder Zinsen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG jeweils in Höhe von 100? Was erzielen die zwischengeschalteten Beteiligungsgesellschaften?
__________ 23 BGBl. I 2003, 2840, BStBl. I 2004, 14.
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3. Grundfall Die M-GmbH ist an der T-GmbH beteiligt. Die T-GmbH gewährt der M-GmbH ein Darlehen, das Zinszahlungen von 100 pro Jahr auslöst. Das Darlehen soll die Anforderungen an eine unangemessene Gesellschafterfremdfinanzierung erfüllen. Fragen: Erzielen die Gesellschafter der M-GmbH sonstige Bezüge im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG jeweils in Höhe von 100? Was erzielt T-GmbH? 4. Grundfall Die T-GmbH nimmt ein Darlehen bei der X-Bank auf. Ihre Muttergesellschaft M-GmbH bürgt für das Darlehen. Das Darlehen, das Zinszahlungen von 100 pro Jahr auslöst, soll die Anforderungen an eine unangemessene Gesellschafterfremdfinanzierung erfüllen. Die Bank hat die Möglichkeit der Rückgriffsnahme auf die M-GmbH. Fragen: Erzielt die X-Bank sonstige Bezüge im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 oder Zinsen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG jeweils in Höhe von 100? Erzielt die M-GmbH sonstige Bezüge im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG? Ausgangspunkt aller Überlegungen muss § 8a KStG sein. Die Vorschrift steht im KStG. Sie gilt deshalb nur für die Besteuerung von Körperschaften. Die Vorschrift regelt trotz ihres anderen Wortlauts nur die Gewinnermittlung der ausschüttenden bzw. der die Zinsen zahlenden Körperschaften24. Insoweit ist die Auslegung der Vorschrift unstreitig. Der Streit betrifft die weitergehende Frage, ob die Regelung des § 8a KStG auf die Gesellschafterebene durchschlägt. Erzielt der Gesellschafter z. B. im 1. Grundfall statt der Zinsen einen sonstigen Bezug im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, so wäre auf den sonstigen Bezug § 3 Nr. 40 Buchs. d EStG mit der Folge anzuwenden, dass er nur 50 statt 100 zu versteuern hätte. Wäre der Gesellschafter eine Körperschaft, fände § 8b Abs. 1 und 5 KStG mit der Folge Anwendung, dass statt 100 nur 5 zu versteuern wären. Der Nachteil bei der die Zinsen zahlenden Gesellschaft (Hinzurechnung als verdeckte Gewinnausschüttung) würde durch den Vorteil auf der Gesellschafterebene in bestimmten Fallgestaltungen (teilweise) kompensiert. Beim Gesellschafter würde die Umqualifizierung von Zinsen in Dividenden gleichzeitig die Nichtanwendung von § 8 Nr. 1 GewStG (Hinzurechnung von 50 vH der Dauerschuldzinsen bei der Gewerbesteuer) auslösen. Indes verweist nur § 8 Abs. 1 KStG auf den Einkommensbegriff des EStG. Es fehlt an einer unmittelbaren Verweisung im EStG auf § 8a KStG. Deshalb müsste § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG die entsprechende Anwendung des § 8a KStG bei der Besteuerung des Einkommens des Gesellschafters entnommen werden, wenn die Verweisungskette im Sinne eines Durchschlagens auf die Gesellschafterebene aufgehen sollte. Dies erscheint insbesondere in dem 3. und 4. Grundfall fraglich. Im
__________ 24 Vgl. Wassermeyer, DStR 2004, 749.
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3. Grundfall erzielen die Gesellschafter der M-GmbH nicht einmal eine Einnahme im Sinne des § 8 Abs. 1 EStG, die ihrerseits in einen Beteiligungsertrag umgedeutet werden könnte. Im 4. Grundfall fehlt es ebenfalls regelmäßig an einer Einnahme der M-GmbH (Muttergesellschaft). Das Vermögen der M-GmbH wird nicht vermehrt. Ein dennoch unterstellter Beteiligungsertrag wäre eine Fiktion, die ihrerseits einer Rechtsgrundlage bedarf, an der es jedoch fehlt. Damit zeigen der 3. und der 4. Grundfall auch die Problematik des 1. und 2. Grundfalles auf. In allen vier Grundfällen werden die gezahlten Zinsen bei der zahlenden Gesellschaft als verdeckte Gewinnausschüttungen dem Gewinn wieder hinzugerechnet. Nur im 1. und 2. Grundfall kann jedoch ein Beteiligungsertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erwogen werden. Für die entsprechende Differenzierung fehlt jedoch jede Rechtsgrundlage. Entweder führt der Abfluss der Zinszahlungen immer oder nie zu einem Beteiligungsertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Hinzuweisen ist noch auf die besonderen Besteuerungsfolgen bei einem ausländischen Anteilseigner. Auf ihn findet weder § 8b Abs. 1 KStG noch § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG Anwendung25. Die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer wird im Wege des Kapitalertragsteuerabzuges erhoben, wobei § 43b EStG ggfs. Anwendung findet. Soweit eine Kapitalertragsteuer anfällt, wird diese zusätzlich zu der Körperschaftsteuer auf die verdeckte Gewinnausschüttung erhoben, weshalb sich insoweit keine Kompensation ergibt. Der ausländische Anteilseigner kann deshalb kein Interesse an dem Durchschlagen des § 8a KStG auf die Anteilseignerebene haben.
7. Die Regelungen im BMF-Schreiben vom 15. Juli 2004 Das BMF-Schreiben vom 15. Juli 200426 ist die Finanzverwaltung erkennbar um eine Entschärfung der Probleme um § 8a KStG bemüht. Dieselben sind allerdings so gelagert, dass die Finanzverwaltung es nicht allen Interessierten gleichzeitig recht machen kann. Nach Tz. 4 des Schreibens soll eine verdeckte Gewinnausschüttung im Sinne des § 8a KStG beim wesentlich beteiligten Anteilseigner zu Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG führen. Dies soll in den Fällen der Fremdfinanzierung durch eine nahe stehende Person oder einen Dritten im Sinne des § 8a Abs. 1 Satz 2 KStG entsprechend gelten. Nach Tz. 5 des Schreibens sollen die Kapitalerträge gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen. Die Kapitalertragsteuer soll nach den allgemeinen Grundsätzen von der fremdfinanzierten Kapitalgesellschaft einzubehalten und abzuführen sein. Nach Tz. 11 des Schreibens sollen die als verdeckte Gewinnausschüttungen zu qualifizierenden Vergütungen dem Halb-
__________ 25 Vgl. § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG. 26 BMF-Schreiben v. 15. 7. 2004 – IV A 2 – S 2742a – 20/04, DB 2004, 1692.
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einkünfteverfahren27 unterliegen. § 8b Abs. 5 KStG und § 3c Abs. 2 EStG sollen anzuwenden sei. Für Zwecke der Gewerbesteuer soll § 9 Nr. 2a GewStG zu beachten sein. Bei der Fremdfinanzierung durch eine nahe stehende Person28 wird unterstellt, dass die fremdfinanzierte Kapitalgesellschaft eine verdeckte Gewinnausschüttung in der Form der Zinszahlungen an den Gesellschafter vornimmt, der seinerseits die Zinsen der finanzierenden nahe stehenden Person zuwendet. Bei der nahe stehenden Person sollen die Zinsen als Einlage behandelt werden, soweit es sich um eine Kapitalgesellschaft handelt, an der auch der Anteilseigner beteiligt ist. Bei einer Fremdfinanzierung durch eine Tochtergesellschaft (3. Grundfall) gegenüber ihrer Muttergesellschaft soll dagegen der Anteilseigner der Muttergesellschaft keinen Beteiligungsertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erzielen. Vielmehr soll die Zinszahlung der Muttergesellschaft an die Tochtergesellschaft bei letzterer zu einer Einlage führen. Die Tochtergesellschaft muss also keine Zinsen versteuern. Gleichzeitig soll sich der Buchwert der Beteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft erhöhen, was vor dem Hintergrund des § 8b Abs. 3 KStG von Bedeutung ist. Bei der Fremdfinanzierung durch einen rückgriffsberechtigten Dritten sollen die Rechtsfolgen beim Anteilseigner nur dann eintreten, wenn der wesentlich beteiligte Anteilseigner seinerseits gegen den Dritten eine Forderung hat, auf die der Dritte zurückgreifen kann (Back-to-back-Finanzierungen)29. Dies bedeutet, dass der wesentlich beteiligte Anteilseigner nur dann einen Beteiligungsertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG erzielen soll, als bei ihm oder bei einer ihm nahe stehenden Person unmittelbar oder mittelbar ein Vermögensvorteil eintritt30. Anders ausgedrückt soll nicht die Zinszahlung der fremdfinanzierten Tochtergesellschaft an den rückgriffsberechtigten Dritten, sondern nur die von diesem an den Anteilseigner bzw. an eine ihm nahe stehende Person gezahlten Vergütungen einen Beteiligungsertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auslösen.
8. Rechtssystematische Einordnung der Auffassung der Finanzverwaltung Die rechtssystematische Einordnung der Auffassung der Finanzverwaltung muss bei § 8 Abs. 1 EStG ansetzen. Der sonstige Bezug im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG setzt eine Einnahme im Sinne des § 8 Abs. 1 EStG voraus. Eine solche ist nur gegeben, wenn dem Anteilseigner ein Gut in Geld
__________ 27 § 3 Nr. 40 EStG und § 8b Abs. 1 KStG. 28 Vgl. Tz. 12 ff. des BMF-Schreibens v. 15. 7. 2004 – IV A 2 – S 2742a – 20/04, DB 2004, 1692. 29 Vgl. Tz. 18 ff. des BMF-Schreibens v. 15. 7. 2004 – IV A 2 – S 2742a – 20/04, DB 2004, 1692. 30 Vgl. Tz. 22 des BMF-Schreibens v. 15. 7. 2004 – IV A 2 – S 2742a – 20/04, DB 2004, 1692.
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oder in Geldeswert zufließt. Diese Voraussetzung ist in der Form von empfangenen „Zinsen“ nur im 1. Grundfall sowie im 2. Grundfall bezogen auf die M-GmbH erfüllt. In beiden Grundfällen stellt sich zusätzlich die Frage, ob die „Zinsen“ im Rahmen der Einkunftsart des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i. V. mit § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zufließen. Dies ist in tatsächlicher Hinsicht nicht der Fall. Es bedarf vielmehr einer steuerlichen Umqualifizierung der Zinsen in Beteiligungserträge. Diese Umqualifizierung enthält allenfalls § 8a KStG. Die entscheidende Frage geht dahin, ob die Umqualifizierung in § 8a KStG auf die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG durchschlägt. Dies ist nur der Fall, wenn man unterstellt, dass unter den verdeckten Gewinnausschüttungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG alle im Sinne des KStG zu verstehen sind. Diese Frage wurde oben31 unter Hinweis auf die unterschiedlichen zeitlichen Ansatzpunkte verneint. Immerhin kann man daran denken, dass die Umqualifizierung sich nur auf den Zufluss innerhalb einer bestimmten Einkunftsart bezieht und den Zufluss von Gütern in Geld oder Geldeswert zusätzlich voraussetzt. Dem soll hier nachgegangen werden. Dazu soll zunächst auf den 3. Grundfall und seine Regelung in dem BMFSchreiben eingegangen werden32. Im 3. Grundfall fließt dem Anteilseigner der fremdfinanzierten Muttergesellschaft kein Vermögensvorteil zu. Insoweit ist es konsequent, dem Anteilseigner keinen Beteiligungsertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zuzurechnen. Es fehlt an einem Tatbestandsmerkmal des § 8 Abs. 1 EStG. Die finanzierende Tochtergesellschaft erhält in tatsächlicher Hinsicht „Zinsen“, die bei der Muttergesellschaft gemäß § 8a KStG in verdeckte Gewinnausschüttungen umqualifiziert wurden. An sich wäre es konsequent, die Zinsen ebenso in einen Beteiligungsertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG umzuqualifizieren. Allerdings fehlt es an einem Beteiligungsverhältnis, aus dem die Tochtergesellschaft Beteiligungserträge erzielen könnte. Verneint man deshalb mit dem BMF-Schreiben Beteiligungserträge der finanzierenden Tochtergesellschaft, so anerkennt man, dass die Umqualifikation in § 8a KStG nicht automatisch auf die Ebene des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG durchschlägt. Auf der Ebene des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG findet also eine eigenständige Beurteilung statt. Dann fehlt dort aber die Rechtsgrundlage für jegliche Umqualifikation. Die Zinsen bleiben gewissermaßen Zinsen. Für ihre Umqualifikation in eine nicht steuerbare Einlage fehlt jeder Rechtfertigungsgrund. Die Umqualifikation ist willkürlich. Aus der Behandlung des 3. Grundfalls folgt dann gleichzeitig, dass auch dort der Anteilseigner bzw. die M-GmbH Zinsen und keine Beteiligungserträge erzielen.
__________ 31 Vgl. unter Nr. 4 der Hinweis auf unangemessen hohe Pensionszusagen gegenüber einem Gesellschafter-Geschäftsführer. 32 Vgl. Tz. 16 ff. des BMF-Schreibens v. 15. 7. 2004 – IV A 2 – S 2742a – 20/04, DB 2004, 1692.
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Über den Zufluss fiktiver Beteiligungserträge
Betrachtet man nunmehr den 4. Grundfall und seine Regelung in dem BMFSchreiben33, so fällt wiederum auf, dass beim Anteilseigner nicht die Zinsen, sondern anderweitige Vergütungen, die der rückgriffsberechtigte Dritte an den Anteilseigner oder eine ihm nahe stehende Person zahlt, in Beteiligungserträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG umqualifiziert werden sollen. Dies ist insoweit konsequent, als man den Zufluss eines Gutes in Geld oder Geldeswert beim Anteilseigner verlangt. Jedoch wird letztlich auch im 4. Grundfall der Bezug zu § 8a KStG vollständig aufgegeben, weil nicht mehr die Zinsen, die § 8a KStG in verdeckte Gewinnausschüttungen umwandelt, in Beteiligungserträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG umqualifiziert werden. Es werden anderweitige Vergütungen umqualifiziert. Für diese anderweitige Umqualifikation enthalten das EStG und das KStG jedoch keinerlei Rechtsgrundlage. Die Umqualifikation ist willkürlich. Die deutsche Finanzverwaltung maßt sich die Rechte eines Gesetzgeber an. Diese stehen ihr indes nicht zu. Wiederum muss die Vorgehensweise Rückwirkung auf die Lösung des 1. und 2. Grundfalls haben. Man kann die hier interessierende Rechtsfrage auch aus der Sicht eines bilanzierenden Gesellschafters betrachten. Hält z. B. der bilanzierende Gesellschafter A sämtliche Geschäftsanteile an der A-GmbH und an der B-GmbH und gewährt die A-GmbH der B-GmbH ein verzinsliches Darlehen, das die Voraussetzungen des § 8a KStG erfüllt, so kann ein Beteiligungsertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG nur bei A angesetzt werden, der den Beteiligungsertrag anschließend in das Vermögen der A-GmbH einlegt34. Die Besonderheit dieser Fallkonstellation besteht darin, dass die Einlage nachträgliche Anschaffungskosten des A auf seine Beteiligung auslöst35. Die nachträglichen Anschaffungskosten erhöhen den Beteiligungsbuchwert an der A-GmbH. Die Erhöhung vollzieht sich innerhalb der Steuerbilanz. Dies kann jedoch nur funktionieren, wenn auch der Beteiligungsertrag innerhalb der Steuerbilanz zu erfassen wäre. Dies ist indes nur dann möglich, wenn der Beteiligungsertrag entweder in Geld bestünde oder die Voraussetzungen eines Wirtschaftsgutes erfüllen würde. Tatsächlich fließt dem A jedoch weder Geld zu noch entsteht in seinem Vermögen eine Forderung. Genau genommen scheitert deshalb die Annahme einer Einnahme (Ertrag) des A daran, dass es an jeder bewertbaren Vermögensmehrung im Vermögen des A fehlt.
__________ 33 Vgl. Tz. 18 ff. des BMF-Schreibens v. 15. 7. 2004 – IV A 2 – S 2742a – 20/04, DB 2004, 1692. 34 Vgl. Tz. 14 des BMF-Schreibens v. 15. 7. 2004 – IV A 2 – S 2742a – 20/04, DB 2004, 1692. 35 Vgl. BFH-Urteil v. 28. 4. 2004 I R 20/03, BFHReport 2004, 1178.
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Franz Wassermeyer
9. Das Verschulden der Rechtsprechung Die zur Zeit bestehende Situation ist ganz wesentlich auf die Rechtsprechung zurückzuführen. Die Rechtsprechung hat schon immer geglaubt36, eine bei der Kapitalgesellschaft abfließende verdeckte Gewinnausschüttung dem Gesellschafter zurechnen zu können, ohne die Voraussetzungen einer Vermögensmehrung des Gesellschafters prüfen zu müssen. Dies war und ist ein Trugschluss. Der Große Senat des BFH37 hat diesen Fehler noch einmal vertieft. Die Entscheidung hat in der Öffentlichkeit fast ausnahmslose Zustimmung erfahren. Keiner hat hinterfragt, wie aus einem außerhalb der Bilanz zuzurechnenden Beteiligungsertrag eine Beteiligungswerterhöhung innerhalb der Steuerbilanz werden kann. Keiner ist dem Unterschied zwischen Fiktion und Vermögensmehrung nachgegangen. Keiner hat auf Trzaskalik gehört, der den Satz geprägt hat, es gebe keine Rechtsfolgen auslösende Einnahme ohne Zufluss38. Der Gesetzgeber hat im Vertrauen auf diese allgemeine Auffassung § 8a KStG geschaffen. Dabei ist er offensichtlich davon ausgegangen, dass die Vorschrift auf die Anteilseignerebene durchschlage, was sie jedoch objektiv gesehen nicht tut. Die Gesetzesauslegung kann sich allerdings nicht an fehlerhaften BFH-Entscheidungen orientieren. Vielmehr bedürfen fehlerhafte BFH-Urteile der Korrektur. Die Korrektur muss ggfs. der Gesetzgeber vornehmen, wenn er erkennt, dass eine von ihm beabsichtigte Regelung sich nicht auf fehlerhafte BFH-Urteile stützen lässt, sondern einer konstitutiven Vorschrift bedarf. Die Lösung kann nur in einer Fiktion liegen, die innerhalb der Steuerbilanz wirken muss.
__________ 36 Vgl. BFH-Urteile v. 25. 10. 1963 I 325/61 S, BFHE 78, 46, BStBl. III 1964, 17; v. 27. 1. 1972 I R 28/69, BFHE 104, 353, BStBl. II 1972, 320. 37 BFH-GS, Beschluss v. 26. 10. 1986 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl. II 1988, 348. 38 Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 11, Rz. B 11.
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Dieter Birk
Rückzahlbare Steuern und hinausgeschobene Steuererstattungen – Zur kompetenzrechtlichen Zulässigkeit des sog. Körperschaftsteuermoratoriums Inhaltsübersicht I. Staatsfinanzierung durch Abgaben und Kredite 1. Die Deckungsfunktion der Abgaben 2. Die Auffassung Trzaskaliks zu rückzahlbaren Steuern II. Die Zwangsanleihe im verfassungsrechtlichen Kompetenzgefüge 1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes für rückzahlbare „Steuern“ 2. Rückzahlbare Landessteuer? 3. Gesetzgebungskompetenz für eine rückzahlbare Sonderabgabe?
III. Hinausschieben eines Erstattungsanspruchs als Zwangsanleihe 1. Keine vorübergehende „Steuerbelastung“ durch „erstattungsbehaftete“ Steuern 2. Temporäre Verhinderung der Erstattung ist wirtschaftlich Kreditaufnahme 3. Die Einordnung des Körperschaftsteuermoratoriums
I. Staatsfinanzierung durch Abgaben und Kredite 1. Die Deckungsfunktion der Abgaben Der moderne Staat deckt seinen Finanzbedarf durch die Erhebung von Abgaben. Sie sind das Finanzierungsmittel, das er benötigt, um seine Ausgaben zu bestreiten. Schon daraus ergibt sich, dass Abgaben für den Staat den Charakter von Eigenmitteln aufweisen müssen, denn Fremdmittel sind rückzahlbar und damit zur Deckung von Ausgaben letztlich ungeeignet. Zwar können Ausgaben auch mittels der Aufnahme von Krediten getätigt werden, spätestens deren Tilgung erfordert dann aber Eigenmittel, die wiederum nur aus Abgaben stammen können. Eine rückzahlbare Abgabe ist deshalb schon auf den ersten Blick ein Widerspruch in sich. Nicht ohne Grund legt die Verfassung dem kreditfinanzierenden Staat besondere Beschränkungen auf, da die Kredite Ausgaben nicht decken, sondern die Belastung nur in die Zukunft verlagern. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes trennt deshalb streng zwischen Steuern (Art. 105 GG) und Krediten (Art. 115 GG). Rückzahlbare Steuern fallen – so hat das BVerfG mit Urteil vom 6. November 1984 ausdrücklich entschieden – nicht unter den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff und sind deshalb kompetenzrechtlich unzulässig.1
__________ 1
BVerfG E 67, 256 Ls. 4 (Investitionshilfeabgabe). Dazu Birk, JURA 1985, 143 ff.; Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 3 AO Rz. 16; Heintzen, in: v. Münch/Kunig,
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Dieter Birk
2. Die Auffassung Trzaskaliks zu rückzahlbaren Steuern Das hat Trzaskalik anders gesehen. Nach seiner Ansicht erfüllt eine Abgabe auch bei von vornherein vorgesehener Rückzahlbarkeit die Voraussetzungen des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs.2 Zu dem vom BVerfG für verfassungswidrig und nichtig erklärten Investitionshilfegesetz vertrat er die Auffassung, eine solche Abgabe, die ihrer Art nach als Steuer ausgeformt sei, bleibe eine Steuer, auch wenn der Gesetzgeber die Rückzahlung zusage.3 Trzaskalik stützte seine Ansicht zunächst auf eine Betrachtungsweise, die zwischen der Erhebung der Abgabe auf der einen und der versprochenen Rückzahlung auf der anderen Seite trennt.4 Die Kompetenz für ein Rückzahlungsversprechen folge bei dieser Sichtweise unmittelbar aus Art. 105 GG.5 Weiter könne die Kompetenz zur vorübergehenden Mittelbeschaffung aus der Kompetenz zur Auferlegung der endgültigen Belastung abgeleitet werden.6 Wer Steuern erheben dürfe, könne auch versprechen, erhobene Steuern zurückzuzahlen.7 Im Übrigen modifiziere die Rückzahlungsverpflichtung
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GG, Bd. 3, 5. Aufl. 2003, Art. 105 Rz. 16; Birk/Kulosa, FR 1999, 433 (433 f.); Tipke/ Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 3 Rz. 16. Vgl. im Überblick die Rspr. des BVerfG und die Literatur: Keine Steuer der Konjunkturzuschlag nach dem Konjunkturzuschlagsgesetz, BGBl. 70 I 1125 ff., dazu BVerfGE 29, 402 (408); ebenso die Investitionshilfeabgabe nach dem Investitionshilfegesetz, BGBl. 82 I 1857 (1867 ff.), dazu BVerfGE 67, 256, 281 ff. (s. o); auch die sog. Bauabzugsteuer (§§ 48–48d EStG) soll keine Steuer sein – näher Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 3 AO Rz. 16a. Dagegen wurde der Stabilitätszuschlag mangels Rückzahlungsverpflichtung vom BVerfG als Steuer eingestuft, BVerfGE 36, 66 (70). Vgl. auch BVerfGE 4, 7 (14 f.) – Investitionshilfe 1952 und E 55, 275 (305) – Ausbildungsplatzförderungsgesetz. Trzaskalik, DB 1984, 421 (422). Trzaskalik, DB 1984, 421 (423), demzufolge die Investitionshilfeabgabe aufgrund ihrer tatbestandlichen Ausgestaltung eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) sein soll. Trzaskalik, DB 1984, 421; ablehnend Bestgen, DÖV 1983, 280 (282). Vgl. auch die Ausführungen des BVerfG hierzu: „Es geht auch nicht an, den Rückgewähranspruch von der Geldleistungspflicht zu trennen, um so die Problematik der rückzahlbaren Abgabe zu vermeiden und die Erzielung von Einkünften annehmen zu können. Der Gesetzgeber hat von vornherein die Absicht gehabt, nicht eine Steuer, sondern rückzahlbare Abgaben zu erheben. Geldleistungspflicht und Rückgewähranspruch gehören gemäß der Regelung des Investitionshilfegesetzes zusammen; beide gemeinsam machen die Art der Investitionshilfeabgabe aus. Das schließt es aus, die verfassungsrechtliche Beurteilung des Gesetzes auf die Geldleistungspflicht – getrennt von dem Rückgewähranspruch – zu beschränken.“BVerfGE 67, 256 (283) – Investitionshilfeabgabe. Trzaskalik, DB 1984, 421. Trzaskalik, DB 1984, 421 (423); Hervorhebung vom Verf. Trzaskalik, DB 1984, 421; ablehnend gegenüber dieser Argumentationsfigur des „milderen Mittels“ das BVerfG: Ein milderes Mittel sei (nur) dort denkbar, wo der Staat in die Rechtssphäre der Bürger eingreife, nicht jedoch bei der Anwendung der Kompetenzordnung und -verteilung zwischen Bund und Ländern, wo es um feste und eindeutige Grenzziehungen gehe. Schon die Ansicht, eine rückzahlbare
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lediglich die Belastungswirkung einer Abgabe, verändere aber nicht ihre rechtliche Qualität.8 Trzaskalik versuchte, die gegenteilige Rechtsansicht – Ausgrenzung der rückzahlbaren Abgabe aus dem Steuerbegriff – unter Hinweis auf ihre kompetenz- und finanzverfassungsrechtlichen Konsequenzen zu widerlegen: Folge man der Ansicht, dass Art. 105 GG rückzahlbare Abgaben nicht erfassen kann, ergebe sich die merkwürdige Konsequenz, dass allein die Rückzahlungsverpflichtung über die Einschlägigkeit des Kompetenztitels entscheide.9 Dies könne nicht richtig sein. Sollten Steuern von anderen Abgaben überhaupt abgrenzbar bleiben, müssten die Art. 73 ff. und Art. 105 GG aufgabenbezogen interpretiert werden.10 Für die Frage, ob die Finanzverantwortung der Allgemeinheit oder einer speziellen Gruppe von Bürgern angesprochen ist, ist es nach Ansicht Trzaskaliks ohne Belang, ob die Abgabe einen endgültigen oder bloß vorübergehenden Mittelentzug bewirke.11 Akzeptiere man überhaupt rückzahlbare Abgaben, lasse sich jede Abgabe mit einer Rückzahlungsklausel versehen. Dann könne die Rückzahlungsverpflichtung nicht über die Qualität der Abgabe entscheiden.12 Verneine man nach alldem allein wegen der Rückzahlungsklausel das Vorliegen einer Steuer, gerate man schließlich in kaum überwindbare Schwierigkeiten bei der Behandlung des Rückzahlungsanspruchs.13
II. Die Zwangsanleihe im verfassungsrechtlichen Kompetenzgefüge 1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes für rückzahlbare „Steuern“ Das Grundgesetz hat die Gesetzgebungszuständigkeit, aber auch die Verwaltungs- und Ertragszuständigkeit (Art. 105–108 GG) allein für Steuern, nicht auch für andere Abgabeformen geregelt. Steuern werden gegenleistungsfrei erhoben und dienen der Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben; sie fließen in den allgemeinen Haushalt.14 Die Grenze innerhalb der Besteuerungshoheit zwischen dem Bund einerseits und den Ländern andererseits wird dabei durch Art. 105 GG festgelegt.15
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Abgabe stelle gegenüber der herkömmlichen, nicht rückzahlbaren Steuer ein milderes Mittel dar, teilt das BVerfG nur begrenzt; siehe im Einzelnen BVerfGE 67, 256 (289 f.) – Investitionshilfeabgabe. Trzaskalik, DB 1984, 421 (423). Trzaskalik, DB 1984, 421 (423). Trzaskalik, DB 1984, 421 (423). Trzaskalik, DB 1984, 421 (423). Trzaskalik, DB 1984, 421 (423). Trzaskalik, DB 1984, 421 (423). BVerfGE 91, 186 (201); Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG-Kommentar, Bd. 3, 5. Aufl. 2003, Art. 105 Rz. 24. Vogel/Waldhoff, BK, Vorbem. z. Art. 104a – 115 Rz. 360.
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Dieter Birk
Gem. Art. 105 GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für Zölle und Finanzmonopole (Art. 105 Abs. 1 GG) und die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen (Art. 105 Abs. 2 GG). Eine Kompetenz des Bundes zur Einführung einer „rückzahlbaren Steuer“ setzt demnach voraus, dass eine solche Abgabe den Begriff der Steuer i. S. d. Grundgesetzes erfüllt.16 Das Grundgesetz definiert den Steuerbegriff nicht.17 Im Anschluss an die Rspr. des BVerfG18 wird der verfassungsrechtliche Steuerbegriff weitgehend an der einfachgesetzlichen Definition der Steuer in § 1 Abs. 1 RAO, § 3 Abs. 1 AO 1977 orientiert.19 Darauf aufbauend betont das BVerfG in seiner neueren Rechtsprechung, dass der Steuerbegriff des Grundgesetzes über ein „Konzentrat einfachgesetzlicher Normen“ hinausreicht und im „Funktionszusammenhang der bundesstaatlichen Finanzverfassung“ steht.20 Ist der Steuerbegriff des Grundgesetzes insoweit eigenständig aus der Verfassung zu entwickeln,21 stellt der einfachgesetzliche Steuerbegriff doch eine wichtige Auslegungshilfe dar.22 Will der Gesetzgeber eine Abgabe z. B. als Steuer einführen, kommt es nicht darauf an, wie das Abgabengesetz selbst die Abgabe klassifiziert.23 Entscheidend ist vielmehr, ob sich die Abgabe nach ihrem materiellen Gehalt als eine Steuer darstellt.24 Bei einer rückzahlbaren Abgabe ist der Steuerbegriff des Grundgesetzes zwar insoweit erfüllt, als es sich um eine Geldleistung handelt und nicht etwa um die befristete Einräumung einer Nutzungsmög-
__________ 16 Vgl. Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2000, Art. 105 Rz. 18; Birk, Steuerrecht, 7. Aufl. 2004, Rz. 101; Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 3 Rz. 9. 17 BVerfGE 67, 256 (282); Birk/Eckhoff, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 3 AO Rz. 25; Birk, Steuerrecht, 7. Aufl. 2004, Rz. 101; Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2000, Art. 105 Rz. 10. 18 Vgl. zur Übernahme der einfachgesetzlichen Definition des Steuerbegriffs durch den Verfassungsgeber (sog. Rezeptionsthese) BVerfGE 3, 407 (435); 7, 244 (251); 38, 61 (79 f.); 67, 256 (282). 19 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2000, Art. 105 Rz. 12; Vogel/Waldhoff, BK, Vorbem. z. Art. 104a – 115 Rz. 360. 20 BVerfGE 55, 274 (299) – Ausbildungsplatzförderungsabgabe; E 67, 256 (282)- Investitionshilfeabgabe. 21 Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2000, Art. 105 Rz. 12 m. w. N. 22 Birk/Eckhoff, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 3 AO Rz. 25; Vogel/ Waldhoff, BK, Vorbem. z. Art. 104a – 115 Rz. 371; K. Vogel, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR Bd. 4, § 87 Rz. 44. 23 BVerfGE 7, 245 (252); 67, 256 (276). 24 BVerfGE 7, 245 (252); 55, 274 Ls. 2 Buchst. a. und S. 304 f.; 95, 91 (114); Heun, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 2000, Art. 105 Rz. 10; Bestgen, DÖV 1983, 280 (281); Trzaskalik, DB 1984, 421.
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lichkeit an bestimmten Geldbeträgen.25 Die Geldleistung muss jedoch zur Erzielung von Einnahmen auferlegt sein.26 In der Entscheidung zur Investitionshilfeabgabe hat das BVerfG dieses Erfordernis dahingehend präzisiert, dass die Abgabe dem Fiskus endgültig zufließen muss.27 Besteht eine Einheit von Geldleistungspflicht und Rückzahlungsanspruch, zielt die Abgabe wie ein Kredit nur auf Erzielung von vorübergehenden Einnahmen, bewirkt aber nicht endgültige Einkünfte.28 Die Abgabe ist danach als Zwangsanleihe und nicht als Steuer im verfassungsrechtlichen Sinn zu qualifizieren, kann also nicht auf die Kompetenznorm des Art. 105 Abs. 2 GG gestützt werden.29 Die von Trzaskalik vertretene Gegenauffassung30 konnte sich nicht durchsetzen und wurde – soweit ersichtlich – im Schrifttum nicht weiter aufgegriffen. 2. Rückzahlbare Landessteuer? Fraglich ist, ob das Finanzierungsinstrument der rückzahlbaren Steuer damit nur dem Bund nicht zur Verfügung steht oder überhaupt (d. h. auch auf Länderebene) unzulässig ist. Das richtet sich nach Art. 30 GG (i. V. m. Art. 70 Abs. 1 GG). Danach ist die Ausübung staatlicher Befugnisse Sache der Länder, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Die Befugnis für die Erhebung einer rückzahlbaren Steuer ist im Grundgesetz nicht geregelt. Grundsätzlich könnte somit die Kompetenz, die Bürger mit einer rückzahlbaren Steuer zu belasten, bei den Ländern liegen.31 Die Art. 105 f. GG regelten dann allein die Kompetenz für die dort genannten Abgaben, zu denen rückzahlbare Geldleistungen nicht zählen.32 Indessen darf eine Verfassungsvorschrift nicht isoliert gesehen werden; sie muss vielmehr aus dem Gesamtgefüge der Verfassung heraus ausgelegt werden (Prinzip der Einheit der Verfassung).33 Vorliegend ist insoweit die bun-
__________ 25 BVerfGE 67, 256 (283) – Investitionshilfeabgabe; a. A. Bestgen DÖV 1983, 280 (282 f.). 26 Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 3 Rz. 16. 27 BVerfGE 67, 256 (282) – Investitionshilfeabgabe; vgl. bereits in der Tendenz BVerfGE 4, 7 (14 f.) – Investitionshilfe 1952; E 36, 66 (70) – Stabilitätszuschlag und E 55, 274 (305) – Berufsausbildungsförderungsabgabe; siehe auch BFHE 140, 396 (400); kritisch dazu Henseler, NVwZ 1985, 398 (399). 28 Insbesondere sollen hiernach die vom Staat ersparten Zinsaufwendungen keine (endgültigen) Einkünfte, sondern lediglich nicht getätigte Ausgaben darstellen, BVerfGE 67, 256 (283); siehe auch Bestgen, DÖV 1983, 280 (283). Anders Birk, BB 1982, 2121 (2123 f.). Ausführlich zum Ganzen Arndt, Steuern, Sonderabgaben und Zwangsanleihen – Zur „Abgabenerfindungskompetenz“ des Bundesgesetzgebers, Kölner Steuerthemen H 9, S. 51 f. und Beckmann, Verfassungsrechtsfragen im Grenzbereich zwischen Steuern und besonderen Abgaben, Diss. jur. 1976, S. 56 ff. 29 BVerfGE 67, 256 (283). 30 Siehe oben I. 2. 31 BVerfGE 67, 256 (285) – Investitionshilfeabgabe. 32 BVerfGE 67, 256 (285) – Investitionshilfeabgabe. 33 Z. B. BVerfGE 55, 275 (300) m. w. N.
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desstaatliche Finanzverfassung zu berücksichtigen. Zutreffend hat das BVerfG hervorgehoben, dass die in der Verfassung festgelegte bundesstaatliche Finanzordnung erheblich beeinträchtigt würde, wenn den Ländern über das Instrument der rückzahlbaren Abgabe zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs ein allgemeiner Zugriff auf das keineswegs unerschöpfliche finanzielle Leistungsvermögen der Bürger zustünde, der nicht durch ihre sehr eingeschränkte Steuergesetzgebungskompetenz (Art. 105 Abs. 2 und 2 a GG) begrenzt wäre. Der Bund hingegen wäre an den numerus clausus der Leistungspflichten der Art. 105 f. GG gebunden. „Aus diesem Grund scheidet es aus, allein den Ländern unabhängig von der Regelung im X. Abschnitt des Grundgesetzes die Befugnis einzuräumen, rückzahlbare Abgaben zur Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs zu erheben. Die Regelung des X. Abschnittes des Grundgesetzes muß aus zwingenden bundesstaatsrechtlichen Gründen als eine für Bund und Länder abschließende Regelung verstanden werden.“34
3. Gesetzgebungskompetenz für eine rückzahlbare Sonderabgabe? Scheidet nach der Rspr. des BVerfG die Erhebung einer rückzahlbaren Steuer aus, stellt sich weiter die Frage, ob Bund und/oder Länder grundsätzlich eine Kompetenz zur Einführung einer rückzahlbaren außersteuerlichen Sonderabgabe35 haben. In der Rspr. des BVerfG ist die finanzverfassungsrechtliche Zulässigkeit von Sonderabgaben, wenn auch in engen Grenzen, grundsätzlich anerkannt.36 Die Zulässigkeitskriterien, die zunächst für Sonderabgaben des Bundes entwickelt wurden, hat das BVerfG entsprechend auf landesrechtliche Abgaben erstreckt.37 Auch hier kommt es auf den materiellen Gehalt der zu beurteilenden Abgabe an.38 Sonderabgaben sind Geldleistungspflichten, die im Unterschied zu Steuern nicht von der Gesamtheit der Steuerbürger, sondern nur von bestimmten Gruppen erhoben werden und zur Finanzierung besonderer Aufgaben dienen.39 Die Kompetenz des Bundesgesetzgebers zur Einführung solcher Abgaben ergibt sich – anders als bei Steuern – aus den allgemeinen Sachzustän-
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34 BVerfGE 67, 256 (286). 35 Rückzahlbare Vorzugslasten (Gebühren, Beiträge) dürften nicht in Betracht kommen. Diese unterliegen aufgrund ihrer Gegenleistungsabhängigkeit dem Äquivalenz- und Kostendeckungsprinzip; vgl. Heun, in: Dreier (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 3, 2000, Art. 105 Rz. 21 mit zahlreichen w. N. Beide Prinzipien sind mit der Rückzahlbarkeit der Abgabe nicht zu vereinbaren. 36 Grundlegend BVerfGE 55, 274 ff. – Ausbildungsplatzförderungsabgabe; siehe weiter E 81, 156 (186 ff.); 89, 132 (144). 37 BVerfGE 92, 91 (115 f.) – Feuerwehrabgabe. 38 S. o., vgl. auch Arndt, Steuern, Sonderabgaben und Zwangsanleihen – Zur „Abgabenerfindungskompetenz des Bundesgesetzgebers“, Kölner Steuerthemen H 9, S. 56. 39 Birk, Steuerrecht, 7. Aufl. 2004, Rz. 111; ders., a. a. O., Rz. 113a zur Abgrenzung der Sonderabgabe von Steuern, deren Aufkommen für einen bestimmten Zweck verwendet werden soll (Zwecksteuern); vgl. auch BVerfGE 7, 245 (254); 67, 256 (279).
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digkeiten nach Art. 73 ff. GG.40 Für den Landesgesetzgeber folgt sie aus Art. 30, Art. 70 Abs. 1 GG. Das BVerfG betont: „Jede Sonderabgabe gerät zwangsläufig in Konkurrenz zu dem verfassungsrechtlich umfassend geregelten Institut der Steuer, mit der sie insoweit übereinstimmt, als sie den Betroffenen eine Geldleistungspflicht „voraussetzungslos“ – d. h. ohne Rücksicht auf eine korrespondierende Gegenleistung der öffentlichen Hand – auferlegt. Trotz dieser Ähnlichkeit unterscheiden sie sich nach „Idee und Funktion“ grundlegend. Das Grundgesetz versagt es dem Gesetzgeber, Sonderabgaben zur Erzielung von Einnahmen für den allgemeinen Finanzbedarf eines öffentlichen Gemeinwesens zu erheben und das Aufkommen aus derartigen Abgaben zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben zu verwenden.“41
Möchte der Gesetzgeber über eine rückzahlbare Abgabe vorübergehend seinen allgemeinen Finanzbedarf decken, so scheitert er schon an den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Zulässigkeitskriterien für Sonderabgaben. Denn als Deckungsinstrument der Bedürfnisse des öffentlichen Haushalts kommt nur die Steuer in Betracht. Aber auch für spezielle und gruppennützig42 definierte Sonderabgaben dürfte gelten, dass sie durch die Rückzahlbarkeit ihre wesentliche Funktion als Deckungsinstrument verlieren. Auch Sonderabgaben werden – wenn auch für eng umgrenzte Bereiche – bedarfsbezogen erhoben. Rückzahlbarkeit schließt Bedarfsdeckung aus und verlagert die Finanzierungslast lediglich in die Zukunft. Das verfassungsrechtlich hierfür vorgesehene Mittel ist der Kredit, den das Grundgesetz abschließend geregelt und für dessen Erhebung es in Art. 115 Abs. 1 GG klare Grenzen gesetzt hat.
III. Hinausschieben eines Erstattungsanspruchs als Zwangsanleihe 1. Keine vorübergehende „Steuerbelastung“ durch „erstattungsbehaftete“ Steuern Nun gibt es seit jeher steuerliche Regelungen, die nur vorübergehend und nicht endgültig zu Einkünften des Staates führen. Dies ist etwa beim Umsatzsteueranspruch so, den der Staat gegenüber einem Unternehmer hat, der aber durch den gegenläufigen Vorsteueranspruch wieder neutralisiert wird. Das war auch so im bis zum Jahre 2001 geltenden körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren, in dem die Körperschaftsteuer nur so lange dem Staat Einnahmen bescherte, als die Gewinne nicht ausgeschüttet wurden. Bei Ausschüttung war die Körperschaftsteuer wirtschaftlich als Vorauszah-
__________ 40 BVerfGE 55, 275 (297) unter Verweis auf BVerfGE 4, 7 (13); 8, 274 (317); 18, 315 (328 f.); 29, 402 (409); 37, 1 (16 f.); Heintzen, in: v. Münch/v. Kunig, GG, Bd. 3, 5. Aufl. 2003, Art. 105 Rz. 16; Birk, Steuerrecht, 7. Aufl. 2004, Rz. 112. 41 BVerfGE 55, 275 (298) – Ausbildungsplatzförderungsabgabe und E 67, 256 (275) unter Verweis auf BVerfGE 55, 74 (298). 42 BVerfGE 82, 159 (181).
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lung der Einkommen- oder Körperschaftsteuer anzusehen, sie hatte somit „wirtschaftlich den Charakter einer an der Quelle abgezogenen Vorauszahlung auf die Kapitaleinkünfte des Anteilseigners“.43 Diese vorübergehende steuerliche Belastungswirkung beruhte aber nicht darauf, dass sich der Staat einen zeitlich begrenzten Finanzierungsspielraum schaffen wollte, sondern war Bestandteil eines Systems, welches im Ergebnis zu endgültigen Einnahmen führte. Soweit die Körperschaftsteuer unter Geltung des Anrechnungsverfahrens durch den gespaltenen Tarif zu vorübergehenden Belastungen geführt hat, ließ sich dies aus der Systematik des Gesetzes erklären, beim Anteilseigner ein einheitliches, auf 30 % begrenztes Anrechnungsvolumen herzustellen, bzw. bei nicht anrechnungsberechtigten Anteilseignern die Vorbelastung auf 30 % zu begrenzen. Erstattungsansprüche, die durch die Anwendung bestehender gesetzlicher Regelungen entstehen, dienen nicht dazu, dem Staat (vor ihrer Realisierung) vorübergehend finanzielle Mittel zu verschaffen, sondern sind entweder aus dem Grundgedanken des Regelungssystems selbst heraus zu erklären (Vorsteueranspruch als technisches Mittel zur steuerlichen Erfassung des in einem Leistungsaustausch geschaffenen Mehrwerts; Körperschaftsteuererstattung als Mittel der Einmalbesteuerung des Gewinns) oder sie werden in Kauf genommen, um noch nicht bezifferbare Steueransprüche zu sichern (z. B. zu hohe Einkommensteuervorauszahlungen). Erstattungsansprüche sind also entweder Bestandteil einer Besteuerungstechnik zur zutreffenden Ermittlung der Bemessungsgrundlage oder sie entstehen durch Überzahlungen aufgrund der Unschärfen steuerlicher Vorauszahlungen oder aufgrund von Korrekturen von Steuerbescheiden. Erstattungsansprüche setzen zwar voraus, dass der Staat Abgaben vereinnahmt hat, die er wieder zurückzahlen muß, sie sind aber niemals ein Mittel, dem Staat finanziellen Handlungsspielraum zu verschaffen, indem ihm vorübergehend Finanzmittel zur Deckung seines allgemeinen Finanzbedarfs zur Verfügung gestellt werden. 2. Temporäre Verhinderung der Erstattung ist wirtschaftlich Kreditaufnahme Diese Überlegungen kommen nicht zum Tragen, wenn der Staat aus Gründen der Finanznot bereits bestehende oder in der Entstehung begriffene Erstattungsansprüche hinausschiebt. Sieht sich der Staat solchen Ansprüchen ausgesetzt und verhindert er durch Gesetz nur deren Realisierung, dann liegt der einzige Zweck einer solchen Regelung in der Schaffung vorübergehender Deckungsmittel, also wie bei Krediten: zeitlich begrenzten Finanzierungsspielraums. Die Streckung bereits vorhandener Erstattungsansprüche hat wie beim Schuldner, der nicht zahlt, einen selbsttäuschenden Effekt: Sie verhindert den an sich notwendigen Mittelabfluss und gaukelt damit einen
__________ 43 BFH, BStBl. II 2001, 261 m. w. N.
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Rückzahlbare Steuern und hinausgeschobene Steuererstattungen
Finanzspielraum vor, der in Wahrheit gar nicht besteht. Genau dies ist beim sog. Körperschaftsteuermoratorium der Fall. Das Moratorium verschafft dem Staat keine (endgültigen) Mittel, sondern verhindert nur die Auszahlung von Erstattungsansprüchen, die bei ordungsgemäßer Abwicklung des Übergangsrechts hätte erfolgen müssen. Nutzt der Staat diesen Spielraum zur Deckung seines Haushaltsbedarfs, so gibt er in Wirklichkeit mehr aus, als ihm wirtschaftlich an Haushaltsmitteln zusteht. Er finanziert Ausgaben über Kredit, wenn auch nicht über den Kapitalmarkt, sondern über Zwangskredit einzelner. Worum handelt es sich beim Körperschaftsteuermoratorium? Durch das sog. Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 16. 5. 200344 wurde die Realisierung von Körperschaftsteuerguthaben für ordentliche Gewinnausschüttungen für einen Zeitraum von drei Jahren (2003–2005) ausgesetzt. § 37 Abs. 2a KStG begrenzt die Minderung der Körperschaftsteuer „für Gewinnausschüttungen, die nach dem 11. 4. 2003 und vor dem 1. 1. 2006 erfolgen, jeweils auf 0 Euro“. Durch die ursprüngliche Übergangsregelung in § 37 Abs. 1 KStG wollte der Gesetzgeber gewährleisten, dass Körperschaften ihre Altrücklagen, die mit 40 % Körperschaftsteuer belastet worden sind, bei Ausschüttung auf 30 % Steuer herunter schleusen können. Körperschaften sollten also auch nach dem Übergang zum Halbeinkünfteverfahren im Falle der Ausschüttung von Altrücklagen einen Minderungsanspruch haben. Dies war notwendig, da nach einhelliger Meinung, der sich auch der Gesetzgeber anschloss, davon ausgegangen wurde, dass die unter der Geltung des Anrechnungsverfahrens bezahlte Körperschaftsteuer bei Ausschüttung jedenfalls insoweit erstattet werden mußte, als die sog. Ausschüttungsbelastung herzustellen war.45 Es bestand insoweit ein Anwartschaftsrecht, das sich eigentumsrechtlich verfestigt hat und das der Gesetzgeber nicht mehr beseitigen konnte. Dieses Anwartschaftsrecht war für die Kapitalgesellschaften wirtschaftlich einem Erstattungsanspruch gleichwertig, da seine Realisierung nur von der (in der Entscheidung der Kapitalgesellschaft liegenden) Gewinnausschüttung abhing. § 37 Abs. 2 KStG a. F., der die Realisierung dieses Anwartschaftsrechts einem Zeitablauf unterwarf, war insoweit Bestandteil einer folgerichtigen Übergangsregelung, als darin festgelegt wurde, dass Gewinnausschüttungen für den Zeitraum von 15 Jahren die Körperschafteuer in Höhe der Differenz zwischen Tarif- und Ausschüttungsbelastung mindern.
__________ 44 BGBl. I 2003, 660. 45 Siehe BMF (Hrsg.), Brühler Empfehlungen, Schriftenreihe Heft 66, 1999, 63; Hey, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, Vor § 36 KStG Anm. R 25; Raber, DB 1999, 2596 (2599).
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3. Die Einordnung des Körperschaftsteuermoratoriums Dies hat sich mit der Einfügung des Körperschaftsteuermoratoriums geändert. § 37 Abs. 2a KStG ist keine Übergangsregelung zum Wechsel vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren, sondern hat den alleinigen Zweck, dem Gesetzgeber aus Gründen der Haushaltspolitik einen vorübergehenden Zugriff auf das Steuerguthaben zu ermöglichen. Nach dem Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren sind die Funktionen eines gespaltenen Körperschaftsteuertarifs (insbesondere Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen) weggefallen, was den Gesetzgeber grundsätzlich vor die Entscheidung gestellt hat, wie mit dem unter Geltung des Anrechnungsverfahrens entstandenen Eigenkapital zu verfahren ist, das mit 40 % vorbelastet, aber noch nicht ausgeschüttet wurde46. Hätte er die Erstattungsansprüche verfallen lassen, wäre es zu einer endgültigen Belastung gekommen, die zwar eine steuerliche Regelung i. S. d. Art. 105 Abs. 2 GG dargestellt hätte, aber als Entzug eines eigentumsrechtlich geschützten Anwartschaftsrechts auf einen Erstattungsanspruch materiell verfassungswidrig gewesen wäre47. Hätte er zugelassen, dass die Guthaben sofort mit dem Systemwechsel und unabhängig von einer Ausschüttung geltend gemacht werden können, so hätte das neben haushaltspolitischen Problemen48 dazu geführt, dass die Körperschaften ohne ersichtlichen Grund erheblich besser als vor dem Systemwechsel gestellt worden wären. Die bis zur Ausschüttung weiter bestehende vorübergehende Belastung ließ sich somit als steuerliche Übergangsvorschrift vom gespaltenen hin zum einheitlichen und definitiven Körperschaftsteuersatz erklären49. Dies gilt aber nicht für die Verhinderung der Realisierung des Steuerguthabens trotz Ausschüttung durch das Körperschaftsteuermoratorium. Das Moratorium in § 37 Abs. 2a Nr. 1 KStG i. d. F. des StVergAbG verbietet in den Jahren 2003 bis 2005 eine Realisierung der Körperschaftsteuerguthaben durch Erstattung gänzlich und zwar unabhängig davon, ob die Körperschaft ausschüttet oder nicht.50 Die Guthaben können erst bei Ausschüttungen in den Jahren 2006 bis 2019 geltend gemacht werden. Durch das Moratorium in § 37 Abs. 2a Nr. 1 KStG i. d. F. des StVergAbG kommt es demnach nicht zu einer endgültigen 40 %igen Besteuerung der Altrücklagen durch einen endgültigen Entzug der Körperschaftsteuerguthaben. Vielmehr bleibt
__________ 46 Vgl. Klapdor/Hild, DStZ 2000, 737 (737). 47 Im Ergebnis schon BMF (Hrsg.), Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Schriftenreihe Heft 66, S. 63. 48 Vgl. schon BMF (Hrsg.), Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Schriftenreihe Heft 66, S. 62. 49 Zu weitgehend daher Wiese/Klass, GmbHR 2003, 557 (559), die auch die §§ 36 ff. KStG i. d. F. des StSenkG als einen Zwangskredit ansehen. 50 Vgl. Korn/Strahl, KÖSDI 2003, 13714 (13722); Schnitger, DStR 2003, 768 (770).
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Rückzahlbare Steuern und hinausgeschobene Steuererstattungen
das Guthaben bestehen. Es kann lediglich erst später durch eine Erstattung geltend gemacht werden. Tatsächlich bewirkt das Moratorium demnach, dass sich der Staat in den Jahren 2003 bis 2005 die nach materiellem Recht bestehenden Erstattungsansprüche stunden lässt, da er ihnen erst in den Jahren 2006 bis 2019 nachkommen muss. Wirtschaftlich betrachtet erhöht sich so in den Jahren 2003 bis 2005 im Haushalt der Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben durch Reduzierung der Ausgaben (kein Ansatz von Erstattungen), obwohl dem Staat dieser Mehrbetrag nicht endgültig zusteht. Denn korrespondierend werden sich in den Jahren 2006 bis 2019 die Ausgaben durch dann geltend gemachte, auszuzahlende Erstattungen erhöhen, was für diese Jahre den Überschuss aus der Körperschaftsteuer mindern wird. Spiegelbildlich sind die Körperschaften verpflichtet, dem Staat in den Jahren 2003 bis 2005 wirtschaftlich ein zinsloses Darlehen zu geben (= Valutierungsphase), das sie sukzessive erst in den Jahren 2006 bis 2019 zurückgezahlt bekommen (= Rückzahlungsphase). Eine solche Regelung hat nicht den Charakter eines Übergangsrechts, sondern zielt darauf ab, dem Staat bei der Bewältigung von Haushaltsengpässen zu helfen. Nicht der Systemwechsel, der Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren, ist Grund für die Regelung des Moratoriums in § 37 Abs. 2a Nr. 1 KStG, sondern der staatliche Finanzbedarf. Mit einer Ausschüttung entfällt jeder gesetzessystematische Grund, an einer vorläufigen Belastung festzuhalten. Vielmehr muss nach dem System der §§ 36 ff. KStG eine Erstattung spätestens zum Zeitpunkt der Ausschüttung erfolgen. Eine darüber hinaus bestehende nur vorläufige Belastung, wie sie das Moratorium in § 37 Abs. 2a Nr. 1 KStG bewirkt, ist mangels Sachzusammenhangs mit steuerlichen Regelungen selbst keine steuerliche Regelung, sondern auch unter diesem Aspekt ein von der Steuergesetzgebungskompetenz nicht gedeckter Zwangskredit. Der Einordnung des Körperschaftsteuermoratoriums als Zwangskredit kann somit nicht mit dem Einwand begegnet werden, es handele sich dem materiellen Gehalt nach um eine steuergesetzliche Übergangsregelung. Auch dem materiellen Gehalt des Moratoriums in § 37 Abs. 2a Nr. 1 KStG nach handelt es sich um einen Zwangskredit.51 Die tatsächliche Wirkung entspricht der Investitionshilfeabgabe, die in den Jahren 1983 und 1984 auch von Körperschaften erhoben (= Valutierungsphase) und an diese in den Jahren 1987 bis 1989 zurückgezahlt werden sollte (= Rückzahlungsphase). Zwar könnte man bei oberflächlicher Betrachtung einen möglichen Unterschied zur Entscheidung des BVerfG über das Investitionshilfegesetz 1982 sehen, in der auf die Einheit zwischen Geldleistungspflicht und Rückgewährungsanspruch bereits bei der gesetzgeberischen Intention abgestellt
__________ 51 Birk/Desens, DB 2003, 1644 (1644 f.); im Ergebnis auch Wiese/Klass, GmbHR 2003, 557 (559), a. A. neuerdings FG Rheinland-Pfalz EFG 2005, 227.
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wird52 und es zumindest im 4. Leitsatz heißt, dass Abgaben, deren Rückzahlungspflicht von vornherein vorgesehen sind (sog. Zwangsanleihen), keine Steuern im Sinne der Verfassung sind53. Bei genauerem Hinschauen zeigt sich aber, dass auch das Moratorium in § 37 Abs. 2a Nr. 1 KStG von vornherein darauf angelegt ist, erst zeitlich verzögert (2006 bis 2019) Rückzahlungen in Form von Erstattungen zu gewähren. Nach dem maßgeblichen materiellen Gehalt macht es keinen Unterschied, ob der Staat die Geldleistung erst fordert (= InvHG 1982) oder ob er die Geltendmachung der gegen ihn gestellten Erstattungsansprüche hinauszögert, obwohl er deren Existenz unstreitig anerkennt (= § 37 Abs. 2a Nr. 1 KStG). Es kann auch nicht darauf ankommen, dass die vorläufige Belastung bis zu einer Ausschüttung (vgl. § 37 Abs. 2 KStG) noch als eine steuerliche Regelung i. S. d. Art. 105 Abs. 2 GG anzusehen ist. Auch wenn das Moratorium in § 37 Abs. 2a Nr. 1 KStG insoweit an eine bestehende steuerliche Regelung anknüpft, spricht die Rechtsprechung des BVerfG zum Investitionshilfegesetz 1982 gegen eine wie auch immer geartete „Fortwirkung des Steuercharakters“. Das BVerfG hat sich nämlich auch die Frage gestellt, ob eine den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff erweiternde Interpretation in der Form möglich ist, dass es Bund und Ländern gestattet würde, unter den Bedingungen, unter denen sie jeweils Steuern erheben dürfen, den Bürgern auch rückzahlbare Geldleistungen aufzuerlegen.54 Es hat diese Frage verneint55: „Eine solche Interpretation wäre jedoch mit erheblichen Nachteilen und Unabwägbarkeiten für die die Finanzverfassung ordnende Funktion des Steuerbegriffs verbunden. Sie würde die Formenklarheit beseitigen, die gerade die Finanzverfassung des Grundgesetzes auszeichnet. Wird die Anknüpfung des Steuerbegriffs der Art. 105 ff. GG an den der Abgabenordnung bei einem seiner Merkmale aufgegeben, ist nicht ersichtlich, warum dies bei anderen Merkmalen nicht auch sollte der Fall sein können. Damit würde ein weites Feld eröffnet für Interpretationskämpfe, inwieweit die Ablösung des verfassungsrechtlichen Steuerbegriffs von dem der Abgabenordnung zulässig ist und wo Verknüpfungselemente bestehen bleiben müssen.“
Materielle Zwangskredite wie das Moratorium in § 37 Abs. 2a Nr. 1 KStG können deshalb auch dann nicht unter den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff fallen, wenn sie vom Gesetzgeber im Regelungszusammenhang einer kompetenzgemäß erhobenen Steuer, wie es die Körperschaftsteuer ist, normiert werden.56 So wie es dem Gesetzgeber kompetenzrechtlich versagt ist,
__________ 52 53 54 55
BVerfGE 67, 256 (283). BVerfGE 67, 256 (257). BVerfGE 67, 256 (286). BVerfGE 67, 256 (286 ff.), zustimmend Vogel/Waldhoff, in: BK-GG, Vor. Art. 104a– 115 Rz. 372. 56 Birk/Desens, DB 2003, 1644 (1647).
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Rückzahlbare Steuern und hinausgeschobene Steuererstattungen
rückzahlbare Abgaben zu erheben, so muss es ihm auch versagt sein, denselben Effekt durch zeitliche Streckung von Erstattungsansprüchen herbeizuführen. Haushaltsengpässe oder Haushaltsnotlagen lassen sich nicht dadurch bewältigen, dass der Staat seinen Erstattungspflichten zeitlich verspätet nachkommt. Der staatliche Finanzbedarf ist über Steuern und – in den Grenzen des Art. 115 Abs. 1 GG – über Kredite zu decken. Eine Mischform dieser beiden Deckungsinstrumente kennt die Verfassung nicht, und der Gesetzgeber sollte auch gar nicht versuchen, unter dem Deckmantel einer Übergangsregelung eine solche Mischform „auszutesten“.
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Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger als Beispiel der Steuererhebungspflichten Privater Inhaltsübersicht I. Einführung – Rechtfertigung des Themas II. Die Umsatzsteuer soll nur den Endverbrauch belasten 1. Steuererhebung beim Unternehmer 2. Besteuerung beim Nichtunternehmer 3. Beschränkung der nichtunternehmerischen Liefer- und Erwerbsbesteuerung im Binnenmarkt auf Neufahrzeuge 4. Verbrauchsteuerpflichtige Waren III. Verfassungsrechtliche Grenzen für die Steuererhebungspflichten Privater 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 2. Folgerungen für die Umsatzsteuer 3. Konflikt zwischen deutschem Verfassungsrecht und EU-Recht 4. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 5. Ansätze zur Systemänderung
IV. Die Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger im geltenden Recht 1. § 25b UStG: Innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte 2. § 13b UStG: Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger bei bestimmten Umsätzen a) Rechtslage ab dem 1. Januar 2002 b) Rechtslage ab dem 1. April 2004 c) Praktische Abgrenzungsschwierigkeiten d) Einbeziehung der Bezüge für den privaten Bereich des Leistungsempfängers V. Die Vorzüge der generellen Steuerschuldverlagerung auf den vorsteuerabzugsberechtigten Leistungsempfänger 1. Steuertechnische Gesichtspunkte 2. Mögliche Nachteile 3. Zuwachs an Aufkommenssicherheit VI. Resümee
I. Einführung – Rechtfertigung des Themas Das Thema „Steuererhebungspflichten Privater“ hat Christoph Trzaskalik immer wieder beschäftigt; es taucht in seinem Schrifttumsverzeichnis als eigener Titel1 auf, denn er hatte dazu auf der Jahrestagung 1988 der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft nicht zufällig im Rahmen des Generalthemas „Steuerrecht und Verfassungsrecht“ referiert. Dabei widmete er sich zwar vornehmlich lohnsteuerlichen Fragestellungen, stellte aber mehrfach auch vergleichbare umsatzsteuerliche Probleme, gleich-
__________ 1
Trzaskalik, Die Steuererhebungspflichten Privater, in Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStjG 12, S. 157.
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sam zur Kontrolle und Verifikation der lohnsteuerlichen Erkenntnisse zur Debatte. Der Verfasser darf ohne falschen Stolz davon berichten, dass Christoph Trzaskalik ihn dazu wiederholt ins Gespräch gezogen hat. Die von Trzaskalik gewählte Betrachtungsweise erscheint deshalb reizvoll, weil die Anknüpfung der Umsatzsteuer an einen Umsatz, der grundsätzlich vom leistenden Unternehmer als dem Steuerschuldner zu versteuern ist, insofern bemerkenswert ist, als nicht dieser, sondern seine Abnehmer die Steuerträger sein sollen. Bei der Lohnsteuer haftet der Arbeitgeber hingegen nur für eine fremde Steuerschuld, vgl. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG, denn Steuerschuldner der Lohnsteuer sind die Arbeitnehmer, vgl. § 38 Abs. 2 EStG. Lohnsteuer und Umsatzsteuer gehen also völlig verschiedene Wege. Auch die sog. Bauabzugssteuer gem. §§ 48–48d EStG macht den Leistungsempfänger (vgl. § 48 Abs. 1 EStG) nur zum Haftenden (vgl. § 48a EStG), nicht zum Schuldner der Steuern, auf die der Steuerabzug gem. § 48c EStG beim Leistenden angerechnet wird. Durch die Freistellungsbescheinigung gem. § 48b EStG kann der Leistende dafür sorgen, dass der Leistungsempfänger mit der Bauabzugssteuer überhaupt nichts zu tun bekommt, vgl. § 48 Abs. 2 EStG. Das Gesetz überlässt es also den an einer Bauleistung beteiligten Parteien, ob sie das Verfahren nach §§ 48 ff. EStG beachten müssen oder nicht. Im Rahmen der Privatautonomie kann ein Leistungsempfänger sogar entscheiden, ob er überhaupt einen Leistenden beauftragt, der keine Freistellungsbescheinigung vorlegt. Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger hingegen ist bisher in Deutschland nicht dispositiv geregelt; man wird dazu auch fragen müssen, ob sich eine dispositive Regelung – ungeachtet der EU-rechtlichen Vorgaben – überhaupt empfehlen würde.
II. Die Umsatzsteuer soll nur den Endverbrauch belasten 1. Steuererhebung beim Unternehmer Die Umsatzsteuer will den privaten Letztverbrauch besteuern. Sie bedient sich dazu gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG aber des Unternehmers als dem Steuerschuldner in der Erwartung, dass diesem die Überwälzung der Steuer im Allgemeinen gelingen werde. Es wäre angesichts der unzähligen Verbrauchsvorgänge durch die Privatpersonen und die öffentliche Hand in ihrem Hoheitsbereich zwar vielleicht nicht völlig unmöglich, den Verbraucher zum Steuerpflichtigen zu machen und an einen zum geltenden Recht spiegelbildlichen tatbestandlichen Rechtsverkehrsakt – statt Verschaffung (vgl. § 3 Abs. 1 UStG) Erhalt der Verfügungsmacht, statt Erbringung (vgl. § 3 Abs. 9 UStG) Entgegennahme einer sonstigen Leistung – anzuknüpfen. Immerhin gibt es dies bei der Grunderwerbsteuer, die, wie schon ihr Name sagt, Erwerbsvorgänge besteuert (vgl. § 1 GrEStG) und die daran Beteiligten regelmäßig, in besonderen Fällen aber auch nur den Erwerber, zum Steuerschuldner macht (vgl. § 13 GrEStG). 362
Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger
Die Konzentration der Steuererhebung auf die Unternehmer schränkt den Aufwand bei der Umsatzsteuer für den Fiskus drastisch ein. Statt bei ca. 80 Millionen natürlichen Personen und bei allen nichtunternehmerischen juristischen Personen als Verbraucher in Deutschland die Umsatzsteuer zu erheben, mussten sich die Finanzämter im Jahr 2003 nur mit den UmsatzsteuerVoranmeldungen und -erklärungen von ca. 4,9 Millionen Unternehmern beschäftigen. Allerdings belastet das Allphasenprinzip alle Umsatzstufen mit erheblichem Aufwand für die Rechnungserteilung und für die Erfüllung von Steuererklärungspflichten; nur über den an strenge Formalien geknüpften Vorsteuerabzug wird die Unternehmersphäre mit steuerpflichtigen Umsätzen oder steuerfreien Exporten entlastet. Dadurch ist die Mehrwertsteuer in der Unternehmerkette neutral und hat die gleiche fiskalische Wirkung wie eine Einzelhandelssteuer. Weil bei der Beurteilung der Effizienz einer Steuer auch die sog. Interventionskosten des Staates eine bedeutende Rolle spielen, ist es nach herkömmlicher Betrachtung legitim und verfassungsrechtlich unbedenklich, die Umsatzsteuer grundsätzlich beim leistenden Unternehmer zu erheben, anders als möglicherweise bei der beim Arbeitgeber erhobenen Lohnsteuer, bei der in vielen Fällen ohnehin nochmals eine Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers stattfinden muss2. 2. Besteuerung beim Nichtunternehmer Es darf nicht übersehen werden, dass die Umsatzsteuer schon immer auch die Steuerschuld von Nichtunternehmern postuliert: § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG besteuert schlicht die Einfuhr, gleich von wem sie tatbestandlich verwirklicht wird. Seit dem 1. 1. 1993 kennen wir im Rahmen der sog. Binnenmarkt-Übergangsregelung den innergemeinschaftlichen Erwerb von neuen Fahrzeugen gemäß § 1 b UStG durch Nichtunternehmer und diese Personengruppe unterliegt auch mit der Lieferung von neuen Fahrzeugen in das übrige Gemeinschaftsgebiet gemäß § 2 a UStG der Umsatzsteuer – freilich gilt dafür die Steuerbefreiung gemäß § 6 a UStG3. Mit diesen Sonderregelungen trägt das UStG entsprechend den Vorgaben der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie4 dem Ziel der Umsatzsteuer Rechnung, dass
__________ 2 3 4
S. dazu Drüen, FR 2004 S. 1136. S. dazu Schwarz in Plückebaum/Malitzky/Widmann, Umsatzsteuergesetz, 10. Aufl. § 6a RZ 61. Sechste Richtlinie des Rates vom 17. 5. 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG), in der aktuellen Fassung abgedruckt u. a. bei Plückebaum/Malitzky/Widmann, a. a. O., Bd. I Teil C 60 S. 1 ff.; im folgenden zitiert als 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie.
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grundsätzlich das Verbrauchsland das Umsatzsteueraufkommen erhalten soll. Die Erwerbsbesteuerung nach Art. 28a der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie ist nichts anderes als eine gigantische Form der Verlagerung der Steuerschuld des Lieferers, der in seinem Sitzland steuerfrei innergemeinschaftlich liefert, auf den Abnehmer in einem anderen EU-Mitgliedstaat. Weil die Steuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb auch ohne das Vorliegen einer Rechnung bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen als Vorsteuer abziehbar ist (vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG entspr. Art. 17 Abs. 2 Buchst. d der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie) kommt es zwar zu keinen umsatzsteuerbedingten Zahlungsbewegungen hinsichtlich der Erwerbssteuer. Die Erklärungspflichten für die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Rahmen der Zusammenfassenden Meldung (vgl. § 18a UStG) sind aber aufwändig und der Erwerber muss damit rechnen, dass bei ihm nicht nur eine Nachprüfung gem. der Zusammenarbeits-Verordnung5 stattfindet, um die Berechtigung der Steuerfreiheit der Lieferung im Mitgliedstaat des Lieferers zu verifizieren, sondern dass auch die Korrektheit seiner Erwerbsbesteuerung überprüft wird. Diese Form der Inanspruchnahme des Abnehmers stellt eine bisher erstaunlicherweise nicht problematisierte Diskriminierung innergemeinschaftlicher gegenüber inländischen Lieferungen dar, die das Binnenmarkt-Übergangsregime von Anfang an angreifbar machte, denn bei Lieferungen durch Inländer gibt es grundsätzlich keine Überprüfungen beim Abnehmer6. 3. Beschränkung der nichtunternehmerischen Liefer- und Erwerbsbesteuerung im Binnenmarkt auf Neufahrzeuge Obschon die 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie in Art. 28 l für eine endgültige Binnenmarktregelung das sog. Ursprungslandprinzip anstrebt, steht für die letztliche Zuweisung des Steueraufkommens das Verbrauchslandprinzip nicht zur Debatte. Deshalb muss man bei der grenzüberschreitenden Bewegung von wertvollen Gegenständen, wie z. B. Neufahrzeugen, welche jederzeit auch durch Privatpersonen bewerkstelligt werden kann, eine Einbeziehung dieser Nichtunternehmer in das umsatzsteuerliche Binnenmarktregime vornehmen. Streng genommen wäre dies auch erforderlich bei anderen wertvollen Gegenständen, die häufiger zwischen Privatpersonen gehandelt werden, aber die 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie hat die Regelung bewusst auf neue Fahrzeuge beschränkt, da in vergleichbarem Umfang grenzüberschreitende Umsätze z. B. mit neuen Klavieren oder Schmuckstücken zwi-
__________ 5 6
Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7. 10. 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92, ABl. EU 2003 Nr. L 264/1. Zu diesen Mängeln des Übergangsregimes s. auch Widmann, Die Entwicklung der Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt – Fehlentwicklungen und Perspektiven, in Steuerrecht im Europäischen Binnenmarkt, DStjG 19, 219.
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Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger
schen Privatpersonen wohl nicht vorkommen oder jedenfalls nur sehr schwer festzustellen wären. Hier wäre also die Indienstnahme Privater für die Erhebung von Umsatzsteuer anlässlich einer privaten grenzüberschreitenden Warenbewegung kaum praktikabel und von verfassungsrechtlich zweifelhaften Vollzugsdefiziten begleitet. Bei neuen Luft-, Wasser- und Straßenfahrzeugen gibt es hingegen regelmäßig amtliche Registrierungs- oder Zulassungsverfahren, so dass der Vollzug der Regelung auch einigermaßen sichergestellt werden kann. Dafür soll auch die Ermächtigung gem. § 18c UStG sorgen, die es dem Bundesministerium der Finanzen ermöglicht, mit Zustimmung des Bundesrates in einer Rechtsverordnung bestimmte Meldepflichten auch für private Fahrzeuglieferer zu schaffen. Allerdings ist diese seit dem 1. 1. 1993 bestehende Ermächtigung bisher noch ausgefüllt worden. Angesichts der Steuersatzdifferenz zwischen den EU-Mitgliedstaaten kommt es so zu gewissen Aufkommensverschiebungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten: Wenn z. B. jemand in Dänemark bei einem Unternehmer einen Flügel für private Zwecke für 25 000 Euro kauft, wird diese Anschaffung definitiv mit 25 v. H. dänischer Umsatzsteuer belastet. Kauft die dänische Privatperson den Flügel in Deutschland bei einem Unternehmer und holt ihn in Deutschland ab oder lässt ihn in eigener Regie nach Dänemark transportieren, dann kommt es hingegen nur zu einer Belastung mit der deutschen Umsatzsteuer i. H. von 16 v. H. Und so wäre es auch, wenn der Flügel durch eine in Deutschland ansässige Privatperson angeschafft und dann nicht steuerbar an die Privatperson in Dänemark geliefert würde. Der Kaufpreis für diese Lieferung spielt dann überhaupt keine Rolle. Dann hätte Deutschland auch die Steuer i. H. von 16 v. H. endgültig vereinnahmt, weil der private Käufer in Deutschland mangels Unternehmereigenschaft keinen Vorsteuerabzug geltend machen kann. Das geltende Binnenmarktregime nimmt diese Konsequenzen des insoweit geltenden Ursprungslandsprinzips für private Käufe bewusst hin. Nur für den Versandhandel gegenüber Privatpersonen gibt es Sonderregelungen, die aber nur Unternehmer betreffen, vgl. § 3c UStG entsprechend Artikel 28b Teil B der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie. Die Europäische Kommission will für diese unternehmerischen Umsätze die Steuererklärungspflichten im Bestimmungsland abschaffen zu Gunsten der sog. Einortregistrierung – Schlagwort „Einzige Anlaufstelle“ oder auch „Onestop-shop“7. 4. Verbrauchsteuerpflichtige Waren Beim grenzüberschreitenden Erwerb von verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus der Hand von Unternehmern innerhalb des Gemeinschaftsgebietes werden auch die nichtunternehmerischen Empfänger zum Erwerbsteuerpflichti-
__________ 7
Vgl. die Vorschläge der Europäischen Kommission BR-Drucks. 1002/04, s. dazu Nieskens, UR 2004, 410.
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gen, wenn sie juristische Personen sind, vgl. § 1a Abs. 5 i. V. m. Abs. 3 UStG; in diesen Fällen gilt keine Erwerbsschwelle. So muss z. B. ein Idealverein in Deutschland den innergemeinschaftlichen Erwerb von Wein versteuern, den er sich für nichtunternehmerische Zwecke wie z. B. für eine Jubilarehrung, von einem Winzer aus Italien schicken lässt. Der private Verein, der nicht Unternehmer ist, wird also zur Sicherstellung des deutschen Steueranspruchs auf verbrauchsteuerpflichtige Waren, zu denen auch Wein gehört, obschon es in Deutschland keine Weinsteuer gibt (vgl. §§ 26 ff. des Gesetzes zur Besteuerung von Schaumwein und Zwischenerzeugnissen) zum Steuerschuldner und damit für eine Steuerschuld in Dienst genommen, die durch die Lieferung eines ausländischen Unternehmers veranlasst ist. Der deutsche Fiskus will mit diesem ausländischen Unternehmer nichts zu tun haben – aus dessen Sicht freundlicher formuliert: diesem wird die umsatzsteuerliche Registrierung in Deutschland erspart – und mittels der Erwerbsbesteuerung wird die Steuerschuld auf den Abnehmer verlagert. Auch hier ergibt sich die bereits oben geschilderte Situation, dass der Direktimport aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet für den Erwerber deutlich verwaltungsaufwändiger ist als der Bezug der Waren aus der Hand eines inländischen Lieferanten.
III. Verfassungsrechtliche Grenzen für die Steuererhebungspflichten Privater 1. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Der Gesetzgeber darf im Interesse des Allgemeinwohls anordnen und verlangen, dass die Bürger in dem allgemein üblichen, herkömmlichen und notwendigen Umfang bei der Steuererhebung in eigenen und fremden Angelegenheiten ohne besondere Vergütung mitwirken8. Das Bundesverfassungsgericht akzeptierte bei der Beurteilung der bis Ende 1967 geltenden BruttoAllphasen-Umsatzsteuer auch unterschiedliche Auswirkungen dieser Pflichten bei einzelnen Wirtschaftsteilnehmern, wenn dies unvermeidbar ist9. Die Verpflichtung zum Einbehalt von Kuponsteuer durch Banken hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 29. 11. 196710 an der Berufsausübungsfreiheit gem. Art 12 Abs. 1 GG gemessen und u. a. von folgenden Voraussetzungen abhängig gemacht: –
Der Verpflichtete muss keine besonderen steuerrechtlichen Kenntnisse benötigen, um seinen Pflichten nachkommen zu können.
–
Der Steuerabzug muss im Rahmen der vom Verpflichteten ausgeübten üblichen Geschäftstätigkeit erfüllbar sein.
__________ 8 Vgl. BFH v. 5. 7. 1963 – VI 270/62 U, BStBl. III 1963, 468. 9 BVerfG v. 20. 12. 1966 – 1 BvR 320/57, 70/63, BVerfGE 21, 12 (27). 10 2 BvR 175/66, BVerfGE 22, 380.
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Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger
–
Es dürfen nur einzelne Betriebsmittel gebunden werden, die für die Betriebsführung nicht von ausschlaggebender Bedeutung sind.
–
Der gewerbliche Gesamtgewinn darf nicht in maßgeblicher Weise beeinflusst werden.
–
Die Rentabilität des Unternehmens darf wegen der Verpflichtung nur in geringfügiger Weise gemindert werden.
2. Folgerungen für die Umsatzsteuer Wesselbaum-Neugebauer11 stimmt Stadie12 „uneingeschränkt“ zu, dass das Umsatzsteuer-Erhebungsverfahren in Deutschland diesen Kriterien schon lange nicht mehr gerecht werde und sich die Frage nach seiner Verfassungsmäßigkeit stelle. Käme man zu dem Ergebnis, dass die Belastung der Steuerpflichtigen durch das Umsatzsteuerrecht hinsichtlich der Aufzeichnungs-, Erklärungs- und Abführungsverpflichtungen ohnehin nicht verfassungsmäßig ist, dann stellte sich freilich gar nicht mehr die Frage, wie dieses weitestgehend auf europäischen Vorgaben beruhende Normengefüge verfassungskonform gestaltet werden kann. Aus der Sicht der Steuerpflichtigen wäre dann zudem die Konkurrenz von Grundrechtsschutz nach dem deutschen nationalen Recht gegen offensichtlich verfassungswidriges EU-Recht zu klären. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, wann dieser seit langem schwelende Konflikt des deutschen Verfassungsrechts und des Europarechts auch an einen Steuerrechtsfall – womöglich zuerst bei der Umsatzsteuer – auflodert13 Ob dabei Ausgangspunkt verfahrensrechtliche Vorgaben oder materiell-rechtliches EU-Recht sein wird, ist nicht abzusehen. Die geschilderten unterschiedlichen Folgen zwischen innergemeinschaftlichem Erwerb und inländischem Einkauf, die durchaus wettbewerbsrelevant sein können, stünden dann sicher auch zur Debatte. 3. Konflikt zwischen deutschem Verfassungsrecht und EU-Recht Als weiteres Beispiel für einen materiellen Konfliktfall sei an das Urteil des EuGH vom 11. 8. 199514 erinnert, in dem dieser entschieden hatte, dass die Steuerbefreiung durch Art. 13 Teil A Abs. 1 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie für „Einrichtungen mit sozialem Charakter“ nicht von natürlichen Personen beansprucht werden könne.
__________
11 UR 2004, 401. 12 UR 2004, 136. 13 S. dazu Schön, Gemeinschaftskonforme Auslegung und Fortbildung des nationalen Steuerrechts – unter Einschluß des Vorlageverfahrens nach Art. 177 EGV, in Steuerrecht im Europäischen Binnenmarkt, DStjG Bd. 19, 167; Kirchhof, UR 2002, 541. 14 Rs. C – 453/93 – Bulthuis-Griffioen, UR 1995, 476; s. dazu Lohse, UR 1995, 477.
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Deutschland hatte dieses Urteil nicht zum Anlass genommen, den anders formulierten § 4 Nr. 20 UStG hinsichtlich der Steuerbefreiung, die auch von natürlichen Personen beansprucht werden kann, zu ändern. Dies wäre ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG wohl auch nicht möglich gewesen. Jedenfalls ist die Rechtsformneutralität als Ausprägung des Gleichheitssatzes auch von der Umsatzsteuer zu beachten15. Der EuGH hat sich dann aber im Urteil vom 7. 9. 199916 von seinem Urteil vom 11. 8. 1995 distanziert und ausdrücklich auch natürliche Personen in den Geltungsbereich der Steuerbefreiung einbezogen. 4. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Aus der Sicht der Umsatzsteuer hat das Thema „Steuererhebungspflichten Privater“ also einen doppelten Sinn: Einerseits stellt die Indienstnahme privater Rechtssubjekte für die Erhebung von Steuern einen aus freiheitsrechtlicher Sicht zu rechtfertigenden Eingriff dar und andererseits ist, wenn man diese Eingriffsberechtigung für die Umsatzsteuer mit dem BVerfG aus sachlichen Gründen bejahen kann, die Unterscheidung zwischen den Unternehmern und den Nichtunternehmern, die im umsatzsteuerlichen Sprachgebrauch als Privatpersonen bezeichnet werden, zu treffen. Bei den Unternehmern kommt dann zusätzlich noch die Abgrenzung zwischen ihrer unternehmerischen und ihrer nichtunternehmerischen Sphäre ins Spiel. Bei allem muss auch bedacht werden, ob die Belastung oder gar Belästigung der Umsatzsteuerpflichtigen durch Erhebungspflichten dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhält. Eine Steuer darf die Steuerpflichtigen nicht mehr als unbedingt nötig mit formalen Pflichten in Anspruch nehmen; wenn es einfachere steuertechnische Lösungen gibt, sind diese den materiellfiskalisch gleichwertigen vorzuziehen. Die generelle Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger, der vorsteuerabzugsberechtigt ist, könnte einen erheblichen Vereinfachungseffekt gegenüber dem geltenden System haben, wenn nicht neue Meldepflichten eingeführt werden. Zugleich würde ein Gleichlauf zwischen den innergemeinschaftlichen Erwerben und den inländischen Warenbezügen hergestellt, so dass der oben beschriebene Diskriminierungseffekt bei den innergemeinschaftlichen Erwerben entfiele. Inlandseinkäufe und innergemeinschaftliche Beschaffungen würden tatsächlich gleichbehandelt. 5. Ansätze zur Systemänderung Dies ist auch der Ansatz, der gegenwärtig von Bund und Ländern im Rahmen eines Planspiels erprobt wird, denn die Betrugsanfälligkeit des bisherigen
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15 Vgl. das sog. Schwarzwaldklinik-Urteil des BVerfG v. 10. 11. 1999 – 2 BvR 2861/93, BStBl. 2000 II S. 160; s. dazu Widmann, UR 1999, 496. 16 Rs. C – 216/97 – Gregg, UR 1999, 419.
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Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger
Systems ist inzwischen so groß, dass dringend über Systemmodifikationen nachgedacht werden muss. Den Anstoß dazu gaben die „Mainzer Vorschläge zur Umsatzsteuer“ des rheinland-pfälzischen Finanzministers Gernot Mittler vom August 2001, die eine Vorstufenbefreiung für Lieferungen im vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmerbereich forderten17. Inzwischen spricht man dazu vom „Mittler-Modell“. Daraus wurde von den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder das sog. Reverse-Charge-Modell entwickelt, das nun dem erwähnten Planspiel zugrunde liegt18. Es wird hier darauf ankommen, die Gefahr zu bannen, die sich aus dem systembedingten Anreiz ergibt, dass sich private Erwerber als vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer ausgeben und ohne Steuerberechnung einkaufen, dann aber die Steuerschuldverlagerung nicht realisiert werden kann. Diese sog. Ameisenkriminalität19 lässt sich aber durch eine entsprechende Bagatellgrenze für die betroffenen Umsätze deutlich einschränken. Liegt diese Grenze bei z. B. 2500 Euro, wäre das Risiko der ungerechtfertigten Inanspruchnahme des Reverse-Charge zur Erlangung eines unversteuerten Letztverbrauchs sicher nicht mehr allzu hoch.
IV. Die Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger im geltenden Recht 1. § 25b UStG: Innergemeinschaftliche Dreiecksgeschäfte Das deutsche Umsatzsteuerrecht kennt die Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger erst seit dem 1. 1. 1997: Damals wurden mit § 25b UStG die Vorgaben der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie für die innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfte in das deutsche Recht übernommen. Damit der zweite Lieferer im Dreieck der Beteiligten in dieser Form des Reihengeschäftes sich im Mitgliedstaat seines Abnehmers, in dem der Ort der sog. unbewegten Lieferung liegt20, nicht umsatzsteuerlich registrieren lassen muss, verlagert § 25b Abs. 2 UStG die Steuer für die Lieferung des zweiten Unternehmers an den dritten (und letzten Unternehmer) im Lieferdreieck auf diesen. Weil dieser Lieferung noch ein innergemeinschaftlicher Erwerb
__________ 17 S. UR 2001, 385; s. dazu Widmann, UR 2002, 14. 18 S. Mittler, UR 2004, 1. Die zur Steuerschuldverlagerung von Ammann bereits früher, vgl. UR 1984, 109; UR 1998, 217; UR 2001, 428, vorgelegten Vorschläge hatten zunächst keine Resonanz in der „Umsatzsteuerzunft“ oder bei den Steuerpolitikern gefunden. Erst die Mainzer Vorschläge zur Umsatzsteuer aus dem Jahr 2001 brachten die Systemdiskussion auch auf der Ebene der Finanzministerkonferenz und im Bundesrat in Gang. 19 Dieser Begriff stammt aus dem Forschungsbericht des ifo-Instituts „Entwicklung des Umsatzsteueraufkommens und finanzielle Auswirkungen neuerer Modelle bei der Umsatzbesteuerung, München 2002. 20 Vgl. § 3 Abs. 7 Nr. 2 UStG, s. dazu Flückiger in Plückebaum/Malitzky/Widmann, UStG, § 3 Abs. 7 UStG Rz. 22 ff.; Abschn. 276b UStR 2005.
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im Bestimmungsland – in dem Land des dritten Unternehmers in der Reihe – vorausgeht, arbeitet Artikel 28c Teil E Abs. 3 der 6. EG-UmsatzsteuerRichtlinie und ihm folgend § 25b Abs. 3 UStG mit einer Fiktion: Der innergemeinschaftliche Erwerb des ersten Abnehmers, also des zweiten Unternehmers in der Reihe, gilt als besteuert. Man weiß zwar nicht wo und wann diese Besteuerung stattfindet, aber bei dieser Fiktion spielt das dann ja auch keine Rolle und könnte allenfalls umsatzsteuerliche Systemfetischisten wirklich genauer interessieren. Diese Vereinfachung des Reihengeschäfts mit drei Unternehmern in drei verschiedenen Mitgliedstaaten – nur diese Konstellation fällt unter § 25b UStG – ist im Interesse der Unternehmer eingeführt worden. Die Steuerschuld „auf Zuruf“ beim Leistungsempfänger ist leicht vermeidbar durch entsprechende Gestaltungen. Insofern dürften kaum nennenswerte praktische Probleme auftreten unter dem Gesichtspunkt, dass der Staat seine Erhebungsaufgabe auf Private verlagert. Immerhin: Den administrativen Preis dafür, dass der mittlere Unternehmer in der Dreierreihe sich die Regulierung im Bestimmungsland erspart, erlegt der letzte Abnehmer, denn er muss seine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer bei der Bestellung des Gegenstandes gegenüber seinem Lieferer verwenden, vgl. § 25b Abs. 2 Nr. 4 UStG. Der letzte Abnehmer muss darauf achten, eine Rechnung ohne Ausweis von Umsatzsteuer zu erhalten (vgl. § 25b Abs. 2 Nr. 3 UStG). Er muss die Bemessungsgrundlage der an ihn ausgeführten Lieferung sowie die hierfür anfallenden Steuerbeträge und den Namen und die Anschrift seines Lieferanten aufzeichnen. Insofern hat er abweichende und weitergehende Verpflichtungen gegenüber den allgemeinen Aufzeichnungspflichten gemäß § 22 UStG bei Bezügen für das Unternehmen. 2. § 13b UStG: Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger bei bestimmten Umsätzen a) Rechtslage ab dem 1. Januar 2002 Während seit dem 1. 1. 1980 unternehmerische Leistungsempfänger und juristische Personen des öffentlichen Rechts bei der Inanspruchnahme bestimmter sonstiger Leistungen und Werklieferungen von nicht im Inland ansässigen Unternehmern zur Einbehaltung und Abführung der Umsatzsteuer verpflichtet waren gemäß dem sog. Umsatzsteuer-Abzugsverfahren nach § 18 Abs. 8 UStG i. V. m. §§ 51 ff. UStDV i. d. F. bis Ende 2002, wurde zum 1. 1. 2002 entsprechend den Vorgaben der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie i. d. F. der sog. Steuerschuldner-Richtlinie21 durch den neu in das UStG eingefügten § 13b UStG der Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungs-
__________ 21 Richtlinie 2000/65/EG des Rates v. 17. 10. 2000 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG bezgl. der Bestimmung des Mehrwertsteuerschuldners, ABl. EG Nr. 2000 L 269, S. 44.
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Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger
empfänger angeordnet in den Fällen, in denen vorher das UmsatzsteuerAbzugsverfahren galt22. Das Umsatzsteuer-Abzugsverfahren hatte nämlich nur eine Haftung des Leistungsempfängers für die unverändert beim Leistenden bestehende Steuerschuld vorgesehen, vgl. § 55 UStDV i. d. F. bis Ende 2001. Damit verlagerte sich die Steuerschuld ab dem 1. 1. 2002 in folgenden Fällen auf den Leistungsempfänger, wenn dieser Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist: –
Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers (§ 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG)
–
Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände durch den Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer außerhalb des Insolvenzverfahrens (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG)
–
Lieferung von Grundstücken in Zwangsversteigerungsverfahren durch den Vollstreckungsschuldner an den Ersteher (vgl. § 13b Abs. 1 Nr. 3 UStG
Diese Verlagerung der Steuerschuld ist unausweichlich; sie bedarf keiner zivilrechtlichen Vereinbarung und sie kann auch nicht abbedungen werden. Indem die schon beim Umsatzsteuer-Abzugsverfahren geltende Beschränkung der Steuerschuldverlagerung auf Unternehmer und juristische Personen des öffentlichen Rechts fortgeführt wurde, nahm der Gesetzgeber für die Erhebung der Umsatzsteuer nur Personen in Anspruch, die er, wie die Unternehmer, ohnehin für Zwecke der Umsatzsteuer als Steuereinsammler für sich arbeiten lässt, oder er bedient sich anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts, die nicht zu den Privaten i. S. unserer Themenstellung gezählt werden können. Allerdings mag man sich schon fragen, warum z. B. eine Ärztekammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts bei der Bestellung eines Gutachtens zu einer medizinischen Frage bei einem ausländischen Unternehmer genauso behandelt wird wie ein Pharmaunternehmen, das ein derartiges Gutachten in Auftrag gibt. Ein Privatmann, der ein derartiges Gutachten im Ausland bestellt, z. B. im Zusammenhang mit einem Arzthaftungsprozess, hat keine Verlagerung der Steuerschuld zu ertragen. Bei ihm ist der Umsatz des ausländischen Gutachters noch nicht einmal steuerbar im Inland, denn nur durch § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStDV wird der Ort der Leistung des Sachverständigen abweichend von § 3a Abs. 1 UStG in das Inland verlegt, wenn der Leistungsempfänger eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Nur dann kann hier im Inland eine Steuerschuld entstehen, die auf den Leistungsempfänger übergeht gemäß § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG.
__________ 22 S. dazu BMF-Schreiben v. 5. 12. 2001 – IV D 1 – S 7279 – 5/01, BStBl. I 2001, 1013.
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b) Rechtslage ab dem 1. April 2004 Der Gesetzgeber hat im Haushaltsbegleitgesetz 200423 die Steuerschuldverlagerung gemäß § 13b UStG erheblich erweitert. Die dazu erforderliche Ermächtigung nach Art. 27 der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie hat der Europäische Rat am 30. 3. 2004 erteilt24, so dass die Regelung am 1. 4. 2004 in Kraft getreten ist25. Nunmehr geht die Steuerschuld zusätzlich zu den schon bisher geregelten Fällen auch dann auf den Leistungsempfänger über, wenn der leistende Unternehmer im Inland ansässig ist, bei folgenden Umsätzen: –
steuerpflichtige Lieferung von Grundstücken (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 UStG i. d. F. ab dem 1. 4. 2004)
–
Werkleistungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen (§ 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG)26.
Allerdings geht in den Fällen des § 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG die Steuerschuld gemäß § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG nur auf den Leistungsempfänger über, wenn dieser seinerseits Leistungen i. S. von § 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG erbringt, mithin die dort erwähnten bauwerksbezogenen Umsätze ausführt. c) Praktische Abgrenzungsschwierigkeiten Es verwundert nicht, dass diese, nach österreichischem Vorbild getroffene Regelung, welche für den typischen Subunternehmer im Baugewerbe gedacht war27, zahlreiche Zweifelsfragen aufgeworfen hat, vor allem wegen der Abgrenzung der betroffenen Umsätze im Verhältnis zu anderen Werklieferungen und sonstigen Leistungen. Insofern macht hier die Umsatzsteuer jetzt die gleichen Schwierigkeiten durch, die sich schon bei der auf Wunsch und Drängen der Bauwirtschaft eingeführten, gleichwohl dann aber ungeliebten sog. Bauabzugssteuer gemäß § 48 ff. EStG ergeben haben28. Während die Bauabzugssteuer aber mittels einer Freistellungsbescheinigung vom leistenden Unternehmer vermieden werden kann, so dass sich die Inanspruchnahme des Auftraggebers für fiskalische Belange darauf beschränkt, sich ggf. über die Gültigkeit dieser Freistellungsbescheinigung zu vergewis-
__________ 23 V. 29. 12. 2003, BGBl. 2003 I, 3076. 24 S. ABl. EU Nr. L 94/2004, 54; BStBl. I 2004, 453. 25 S. dazu BMF-Schreiben v. 31. 3. 2004 – IV D 1 – S 7279 – 131/04, BStBl. I 2004, 453 und v. 2.11.2004 – IV A 6 – S 7279 – 100/04, BStBl. I 2004, 1129. 26 S. dazu die in Fn. 25 erwähnten BMF-Schreiben. 27 Vgl. Regierungsbegründung zum Haushaltsbegleitgesetz 2004, BT-Drs. 15/1502. 28 S. dazu BMF-Schreiben v. 27. 12. 2002 – IV A 5 – S 2272 – 1/02, BStBl. I 2002, 1399 und v. 4. 9. 2003 – IV A 5 – S 2272b – 20/03, BStBl. I 2003, 431.
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Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger
sern, ist der Übergang der Steuerschuld gemäß § 13b Abs. 1 nicht disponibel. Der leistende Unternehmer muss sich also darüber Kenntnis verschaffen, ob sein Leistungsempfänger zum Unternehmerkreis gehört, der in § 13b Abs. 1 Nr. 4 UStG beschrieben ist und damit treffen die erwähnten Abgrenzungsprobleme sowohl den Leistungsempfänger, der ggf. zum Steuerschuldner wird, als auch den leistenden Unternehmer. Das BMF-Schreiben vom 30. 3. 200429 versucht, das Risiko der Ungewissheit über die Steuerschuldnerschaft pragmatisch dadurch zu lösen, dass es nicht beanstandet werden soll, wenn die am Umsatz Beteiligten sich einvernehmlich auf die Regelung der Steuerschuldnerschaft durch den Leistungsempfänger einigen. Es dürfte kaum zweifelhaft sein, dass derartige zivilrechtliche Absprachen bei der abgabenrechtlichen Frage, wer denn nun der Steuerschuldner für einen Umsatz ist, nicht zu berücksichtigen sein werden. Die Steuerschuldnerschaft steht nämlich auch bei § 13b UStG nicht zur Disposition der Vertragsparteien eines umsatzsatzsteuerpflichtigen Leistungsaustausches. d) Einbeziehung der Bezüge für den privaten Bereich des Leistungsempfängers Ein kritischer Punkt in der Regelung gem. § 13b UStG liegt darin, dass die Steuerschuldverlagerung auch dann stattfindet, wenn die Leistung für den nichtunternehmerischen Bereich stattfindet, vgl. § 13b Abs. 2 UStG. Der Gesetzgeber will damit offenbar die Schwierigkeiten vermeiden, die der leistende Unternehmer hat, wenn er an einen von § 13b UStG betroffenen Leistungsempfänger Umsätze ausführt, denn der Leistende kann oftmals nicht erkennen, ob sein Leistungsempfänger die Leistung für seinen unternehmerischen oder seinen nichtunternehmerischen Bereich verwendet. Gerade dieses Argument wird gegen das Mittler-Modell und gegen das Reverse-ChargeModell vorgebracht. In der Tat gibt es diese Schwierigkeiten, aber die Identifizierung des Leistungsempfängers und seiner Zuordnungsentscheidung ist bereits an anderen Stellen der Mehrwertsteuer als Erschwernis für die Praxis zu finden, man denke z. B. an die Bestimmung des Ortes der sonstigen Leistung gem. § 3a Abs. 3 UStG oder an den Verzicht auf eine Steuerbefreiung gem. § 9 UStG. Auch dort hängen umsatzsteuerliche Folgen davon ab, ob etwas für das Unternehmen des Leistungsempfängers bezogen wird. Man kann aber durchaus bezweifeln, ob es zu rechtfertigen ist, dass ein Bauunternehmer, der sein Privathaus durch einen anderen unter § 13b UStG fallenden Unternehmer reparieren lässt, anders als ein anderer Privatmann für die Leistung seines Auftragnehmers gem. § 13b Abs. 2 UStG zum Steuerschuldner wird. Hier ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu fragen, ob die Indienstnahme des Privaten für die Erhebung dieser Steuer
__________ 29 Vgl. Fn. 25.
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wirklich notwendig ist oder ob es nicht genügen würde, die Steuerschuld beim leistenden Unternehmer zu belassen und diesem eine Dokumentationspflicht über die Angaben seines Auftraggebers aufzuerlegen, so dass nachprüfbar ist, warum sich die Steuerschuld nicht verlagert hat.
V. Die Vorzüge der generellen Steuerschuldverlagerung auf den vorsteuerabzugsberechtigten Leistungsempfänger 1. Steuertechnische Gesichtspunkte Die geschilderten Abgrenzungsprobleme sprechen indes nicht gegen die grundsätzliche Verlagerung der Steuerschuld als steuertechnisches Instrument zur systematischen Umsatzsteuer-Betrugsverhinderung. Vielmehr ergeben sie sich nur deswegen, weil eben nur für eine einzelne Branche die Steuerschuldverlagerung auf den vorsteuerabzugsberechtigten Leistungsempfänger stattfindet. Bei einem generellen Reverse-Charge gäbe es diese Schwierigkeiten nicht. Bereits oben wurde auf die sich daraus ergebenden Vereinfachungseffekte hingewiesen: –
Die Frage des zutreffenden Steuersatzes für einen Umsatz spielt keine Rolle.
–
Die Formalien der Rechnung sind im Hinblick auf den Vorsteuerabzug ohne Interesse, denn beim Reverse-Charge wird die Umsatzsteuer nicht offen ausgewiesen. Damit können sich die vom EuGH verschiedentlich festgestellten Überspannungen an den Nachweis der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug in Bezug auf ihre „Anzahl und Technizität“ nicht ergeben30. Insofern wächst die Rechtssicherheit.
–
Die Zahlung von Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger an den leistenden Unternehmer entfällt; dieser muss keine Umsatzsteuer an sein Finanzamt abführen. Das die Mehrwertsteuer kennzeichnende „Nullsummenspiel“ im vorsteuerabzugsberechtigten Bereich manifestiert sich auf jeder unternehmerischen Stufe ohne Gefährdung für den Fiskus.
–
Änderungen der Bemessungsgrundlage gem. § 17 UStG lösen keine umsatzsteuerbedingten Zahlungsbewegungen aus.
–
Die sich aus dem Sollprinzip ergebenden Vorfinanzierungseffekte entfallen: Der leistende Unternehmer braucht die Umsatzsteuer, die er noch nicht vereinnahmt hat, nicht „aus der eigenen Tasche“ an sein Finanzamt abzuführen; der Leistungsempfänger kann nicht aus einer Rechnung den Vorsteuerabzug geltend machen, obschon er die Gegenleistung noch nicht an den leistenden Unternehmer entrichtet hat. Damit erledigt sich die unter Betrugsbekämpfungsaspekten weitgehend nutzlose Diskussion
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30 Vgl. EuGH-Urteil v. 14. 7. 1988 – Rs. C-123 und 330/87 – Jeune homme, UR 1989, 380; EuGH-Urteil v. 1. 4. 2004 – Rs. C-90/02, Gerhard Bockemühl, UR 2004, 367.
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Die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Leistungsempfänger
darüber, ob man vom geltenden Sollprinzip auf das Istprinzip umsteigen soll31. Angesichts der In Deutschland gegenwärtig ca. 560 Mrd. Euro offen in Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuern32, von denen nur ca. 20 v. H. schließlich als Umsatzsteuerkommen beim Fiskus endgültig verbleiben, ist es erstaunlich, dass sich die Wirtschaft und ihre Berater in Deutschland, aber auch in der Europäischen Union bisher nicht stärker für die Reverse-ChargeSteuertechnik einsetzen. Selbstverständlich lässt sich eine derartige Systemmodifikation nur auf europäischer Ebene erreichen. Ohne Änderung der 6. EG-Umsatzsteuer-Richtlinie wird sich nichts bewegen. Immerhin ist aber, wie dargestellt, die Steuerschuldverlagerung in der 6. EG-UmsatzsteuerRichtlinie schon angelegt. In der Richtlinie vom 7. 10. 2003 zur Besteuerung der Gas- und Elektrizitätslieferungen33, die zum 1. 1. 2005 durch das EURichtlinien-Umsetzungsgesetz34 in das UStG übernommen wurde, wurde § 13b UStG durch eine neue Nr. 5 in Abs. 1 wieder erweitert für Strom- und Gaslieferungen aus dem Gemeinschaftsgebiet in das Inland. 2. Mögliche Nachteile Möglicherweise herrscht eine – erfahrungsgemäß leider nicht völlig unbegründete – Furcht davor, dass der möglichen Vereinfachung kaum absehbare zusätzliche administrative Verpflichtungen der Unternehmer gegenüberstünden. Denn das ist wohl selbstverständlich: Die Steuerschuldverlagerung auf den Leistungsempfänger bedarf ebenso der Kontrolle wie das bisherige System. Ob die Meldungen der leistenden Unternehmer über ihre ReverseCharge-Umsätze an Abnehmer mit einer finanzamtlichen BerechtigungsNummer zur Teilnahme am Reverse-Charge letztendlich einen größeren Aufwand erzeugen als das derzeitige System, soll auch durch das erwähnte Planspiel herausgefunden werden. Auch gibt es praktische Schwierigkeiten, wenn der Leistungsempfänger nicht voll zum Vorsteuerabzug berechtigt ist oder wenn sich eine vorsteuerschädliche Verwendung des Bezugs einstellt. Diese Probleme lassen sich aber relativ einfach durch entsprechende Normen lösen.
__________ 31 S. dazu BMF, Schreiben an ausgewählte Wirtschaftsverbände v. 12. 11. 2003 – IV B 2 – S 7050 – 107/03, UR 2003, 16. S. dazu zustimmend – unter Ablehnung des sog. Cross-Checks durch Lieferer und Abnehmer – Stadie, UR 2004, 136 und 398; kritisch: Widmann, UR 2004, 177; UR 2005, 14. 32 Vgl. Mittler, UR 2004, 1. 33 Richtlinie 2003/92/EG des Rates vom 7. 10. 2003 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der Vorschriften über den Ort der Lieferung von Gas und Elektrizität, ABl. EU 2003 Nr. L 260 S. 8. 34 V. 9. 12. 2004, BGBl. I 2004, 3310. S. dazu Nieskens, UR 2005, 57; Widmann, DB 2005, 183; Vellen, UR 2005, 133.
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3. Zuwachs an Aufkommenssicherheit Auf jeden Fall muss man den Zuwachs des Mehrwertsteuersystems an Sicherheit gegen die Betrugsformen, die an den offenen Ausweis von Umsatzsteuer in Rechnungen und den damit möglichen Vorsteuerabzug anknüpfen, bei der Abwägung von Vor- und Nachteilen eines Systemwechsels als wesentliches Positivum einschätzen. Das sollte auch die durch den wettbewerbsstörenden Umsatzsteuerbetrug erheblich beeinträchtigte gesetzestreu handelnde Wirtschaft bedenken ebenso wie die Europäische Kommission, die mit dem Reverse-Charge auch den Binnenmarkt voranbringen könnte. Es entfiele dann nämlich weitgehend das der Verwirklichung des Ursprungslandprinzips bisher ungelöst entgegenstehende Problem des Vorsteuer-Clearings zwischen den EU-Mitgliedstaaten, das notwendig wird, wenn es im Binnenmarkt anstelle der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen nur noch steuerpflichtige inländische Lieferungen auch an EU-Abnehmer gäbe.
VI. Resümee Die generelle Verlagerung der Steuerschuld vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger in der vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmerkette bricht mit einer durchaus berechtigten Tradition der Umsatzsteuer. Sie ist aber im europäischen Mehrwertsteuersystem für bestimmte grenzüberschreitende Umsätze bereits angelegt und sie eignet sich vorzüglich zur Vorsteuer-Betrugsverhinderung. Daher empfiehlt sich eine entsprechende Systemänderung, die auf europäischer Ebene vorzunehmen ist.
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Die Neuregelung der Rundfunkbesteuerung Inhaltsübersicht I. Einführung II. Zur Körperschaftsbesteuerung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 1. Gebührenfinanzierte Sendetätigkeit als steuerfreie Hoheitsbetätigung 2. Die Veranstaltung von Werbesendungen als steuerpflichtiger Betrieb gewerblicher Art 3. Gewinnermittlung im Betrieb gewerblicher Art „Werbesendungen“ III. Programmaufwendungen als Betriebsausgaben des Werbegeschäfts 1. Programmaufwendungen als gemischt veranlasste Aufwendungen 2. Aufteilungsgebot nach § 8 Abs. 1 KStG, § 3c EStG 3. Zur Anwendbarkeit der Grundsätze des BFH-Urteils v. 27.3.1991
4. Ergebnis IV. Zur Gewinnpauschalierung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG 1. Inhalt der Regelung 2. Objektiver Gleichheitssatz, staatliche Neutralitätspflicht im Rundfunkbereich und Wettbewerbsgleichheit 3. Feststellung einer Ungleichbehandlung a) Belastungsgegenstand der Körperschaftsteuer b) Auswirkung der Gewinnpauschalierung 4. Rechtfertigung durch Vereinfachungsgründe 5. Systemwidrige Bruttobesteuerung V. Ergebnis
I. Einführung Durch das Solidarpaktfortführungsgesetz v. 20. 12. 2001 ist die Besteuerung des Werbegeschäfts der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit Wirkung zum 1. 1. 2002 neu geregelt worden. Der neu eingefügte § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG lautet: „Bei den inländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten beträgt das Einkommen aus dem Geschäft der Veranstaltung von Werbesendungen 16 v. H. der Entgelte (§ 10 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes) aus Werbesendungen.“ Nach der Gesetzesbegründung1 zielt die Neuregelung zum einen auf eine steuerliche Gleichbehandlung aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, da die neue Gewinnpauschalierung im Unterschied zur früheren Rechtslage nicht mehr auf das ZDF beschränkt ist, sondern auch für die ARD-Anstalten gilt. Zum anderen sollen durch die gesetzliche Pauschalierung des Einkommens tatsächliche Schwierigkeiten bei der steuerlichen Zuordnung von Programmaufwendungen zum Werbegeschäft der ARD-Anstalten beseitigt werden. Mit der Einführung der neuen Ge-
__________ 1
Vgl. BT-Drucks. 14/7646, S. 32.
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winnpauschalierung reagierte der Gesetzgeber insbesondere auf einen Bericht des Bundesrechnungshofs, in dem die Ungleichbehandlung zwischen ARD-Anstalten und ZDF sowie die streitanfällige steuerliche Behandlung bei den ARD-Anstalten beanstandet und zur Schaffung einer erhöhten Rechtssicherheit eine gesetzliche Neuregelung gefordert worden war.2 Der nachfolgende Beitrag zeigt die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen des Werbegeschäfts der Rundfunkanstalten auf und unterzieht die Neuregelung einer kritischen Würdigung. Er behandelt damit Rechtsfragen eines Lebensbereichs, mit dem sich auch Christoph Trzaskalik in seinem wissenschaftlichen Werk auseinandergesetzt hat.3
II. Zur Körperschaftsbesteuerung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 1. Gebührenfinanzierte Sendetätigkeit als steuerfreie Hoheitsbetätigung Als rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten grundsätzlich persönlich von der Körperschaftsteuer befreit. Wie sich im Umkehrschluss aus § 1 Abs. 1 Nr. 6 und § 4 KStG ergibt, gilt die Steuerbefreiung jedoch nicht uneingeschränkt, sondern ist aus Gründen der Wettbewerbsneutralität der Besteuerung auf den Bereich der hoheitlichen Tätigkeit beschränkt.4 Nach § 4 Abs. 5 KStG liegt eine hoheitliche Tätigkeit vor, wenn sie überwiegend „der Ausübung der öffentlichen Gewalt dient“. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH setzt dies voraus, dass die „in Frage stehende Tätigkeit der Körperschaft des öffentlichen Rechts in ihrer Eigenschaft als Trägerin der öffentlichen Gewalt eigentümlich und vorbehalten ist“.5 Das Merkmal „eigentümlich und vorbehalten“ ist bereits vom RFH entwickelt worden6 und diente der Rechtsprechung dazu, eine steuerfreie Erfüllung öffentlicher Aufgaben von einer steuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeit abzugrenzen, „die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privatgewerblichen Unternehmers nicht wesentlich unterscheidet.“7 Nach ganz überwiegender Auffassung erfüllen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit dem Betrieb von Rundfunksendeanlagen und der Veranstaltung von Rundfunk- und Fernsehsendungen, also insbesondere der Ausstrahlung, der Gestaltung und der Beschaffung des Programms hoheit-
__________ 2 3 4
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BT-Drucks. 14/7646 a. a. O. Trzaskalik, Transparenzpflichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, 2000. Zur Besteuerung der öffentlichen Hand vgl. etwa Seer, DStR 1992, S. 1751 ff., 1790 ff.; Seer/Wendt, DStR 2001, S. 825; Siegel, Der Begriff des „Betriebs gewerblicher Art“ im Körperschaft- und Umsatzsteuerrecht, 1999; Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002. Statt vieler BFH v. 8. 1. 1998 BStBl. II 1998, 410. Zur Rechtsprechungsentwicklung vgl. Hüttemann, (Fn. 4), S. 78 ff. RFH v. 9. 7. 1937 RStBl. 1937, 1306 f.
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liche Aufgaben im steuerrechtlichen Sinne.8 In seiner Grundsatzentscheidung zur Umsatzbesteuerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem Jahr 1971 hat das BVerfG dazu festgestellt:9 „Die Tätigkeit der Rundfunkanstalten vollzieht sich im öffentlich-rechtlichen Bereich. Die Rundfunkanstalten stehen in öffentlicher Verantwortung, nehmen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr und erfüllen eine integrierende Funktion für das Staatsganze. Ihre Tätigkeit ist nicht gewerblicher oder beruflicher Art.“ Zur weiteren Begründung verwies das BVerfG vor allem auf die besonderen Grundsätze, die sich aus der institutionellen Freiheit des Rundfunks für die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ergeben, sowie auf seine Gebührenfinanzierung. Es hat deshalb die Fiktion des § 2 Abs. 3 UStG 1967, durch welche die Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als Ganzes der Umsatzsteuerpflicht unterworfen wurde, für verfassungswidrig erklärt, da der Gesetzgeber mit einer solchen Fiktion seine Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet der Umsatzbesteuerung überschritten habe.10 Auf Grund der BVerfG-Entscheidung ist die gebührenfinanzierte Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bis heute sowohl umsatz- als auch körperschaftsteuerlich als Hoheitsbetrieb behandelt worden. 2. Die Veranstaltung von Werbesendungen als steuerpflichtiger Betrieb gewerblicher Art Die persönliche Steuerbefreiung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten betrifft nur die durch die Rundfunk- und Fernsehgebühren abgegoltene allgemeine Sendetätigkeit. Unterhalten die Anstalten einen so genannten Betrieb gewerblicher Art, entsteht eine partielle unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht wegen dieses Betriebes nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG. Betriebe gewerblicher Art sind nach § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KStG „alle Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich.“ Zu den steuerpflichtigen Betrieben gewerblicher Art einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt gehören z. B. die Verpachtung einer Aussichtsterrasse in einem Fernsehturm,11 die Durchführung von Konzertveranstaltungen und der Ver-
__________ 8 Vgl. BVerfG v. 27. 7. 1971 BVerfGE 31, 314, 329; BFH v. 6. 7. 1967 BStBl. III 1967, 582; BFH v. 17. 4. 1969 BStBl. II 1969, 415; FG München v. 2. 12. 1969 EFG 1970, 189; Felder in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, § 4 KStG Rz. 71; ablehnend das Minderheitsvotum der Richter Geiger, Rinck und Wand, BVerfGE 31, 314, 337 ff.; aus umsatzsteuerlicher Sicht kritisch Stadie in Rau/Dürrwächter, § 2 UStG Rz. 1006 ff. 9 BVerfG v. 27. 7. 1971 (Fn. 8), a. a. O. 10 BVerfG v. 27. 7. 1971 (Fn. 8), a. a. O. 11 BFH v. 13. 3. 1974 BStBl. II 1974, 391.
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kauf von CDs und Schallplatten durch ein Rundfunkorchester.12 Von weitaus größerer praktischer Bedeutung ist dagegen die Steuerpflicht aus der Veranstaltung von Werbesendungen.13 Rundfunkwerbung gibt es in Deutschland seit den fünfziger Jahren. Die Werbung entwickelte sich in der Folgezeit zu einer wichtigen zusätzlichen Einnahmequelle, auch wenn ihr Finanzierungsanteil in den letzten Jahren wegen der zunehmenden Konkurrenz der privaten Fernseh- und Hörfunkprogramme zurückgegangen ist. Die Rundfunkwerbung der öffentlich-rechtlichen Anstalten unterliegt gesetzlichen Einschränkungen. So ist z. B. die Fernsehwerbung werktäglich auf 20 Minuten vor 20.00 Uhr beschränkt. Die Veranstaltung von Werbesendungen erfüllt alle Merkmale eines steuerpflichtigen Betriebs gewerblicher Art nach § 4 Abs. 1 KStG:14 Es handelt sich um eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen. Das Werbegeschäft hebt sich auch aus der hoheitlichen Tätigkeit wirtschaftlich heraus, wie sich insbesondere daraus ergibt, dass die Ausstrahlung von Werbung auf bestimmte Sendezeiten und Programmteile beschränkt ist. Mit ihrem Werbegeschäft nehmen die öffentlich-rechtlichen Anstalten auch am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teil. Dies gilt nicht nur dann, wenn die betreffende Anstalt – wie im Fall des ZDF – selbst die Verträge mit den Werbekunden schließt, sondern auch bei einer Übertragung der Verwaltung des Werbegeschäfts auf selbständige Tochtergesellschaften, wie es der Praxis der ARD-Anstalten entspricht.15 Denn für die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr reicht auch die Tätigkeit gegenüber einem einzigen Nachfrager aus. Das Werbegeschäft ist schließlich auch kein steuerfreier Hoheitsbetrieb, sondern eine typische wirtschaftliche Tätigkeit.16 Es ist den Rundfunkanstalten nicht im Sinne der BFH-Rechtsprechung „eigentümlich und vorbehalten“, da es sich seinem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens, das gegen Entgelt Werbung für andere Unternehmen durchführt, nicht wesentlich unterscheidet. Daran änderte in der Vergangenheit auch der Umstand nichts, dass nur die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf Grund des Rundfunkmonopols berechtigt waren, Werbung mit den Mitteln des Hörfunks und Fernsehens zu betreiben. Solche Monopolrechte haben – wie der BFH schon früh entschieden hat17 – steuerlich keine ausschlaggebende Bedeutung. Eine Besteuerung des Werbegeschäfts ist zudem aus Wettbewerbsgründen erst recht geboten, nachdem in den achtziger Jahren der Rundfunk auch für werbefinanzierte private Rundfunkanbieter geöffnet worden ist. Die Veranstaltung von Werbesendungen
__________ 12 13 14 15 16 17
Vgl. Felder in Dötsch/Eversber/Jost/Witt, § 4 KStG Rz. 71. Zur Steuerpflicht des Werbegeschäfts vgl. FG München v. 2. 12. 1969 (Fn. 8), a. a. O. Vgl. dazu FG München v. 2. 12. 1969 (Fn. 8), 190. Vgl. dazu Kläschen, Kommentar zum KStG, § 7 Rz. 5. So auch FG München v. 2. 12. 1969 (Fn. 8), 190. Vgl. etwa BFH v. 4. 2. 1976 BStBl. II 1976, 355, 356.
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begründet somit eine „partielle Körperschaftsteuerpflicht“ der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten. 3. Gewinnermittlung im Betrieb gewerblicher Art „Werbesendungen“ Die Feststellung, dass die Anstalten nicht als Ganzes, sondern nur mit bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeiten der Körperschaftsteuer unterliegen, führt zu der Frage, nach welchen Grundsätzen das Einkommen der Anstalten aus dem Betrieb gewerblicher Art „Werbesendungen“ zu ermitteln ist. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG bestimmt sich die Gewinnermittlung im Betrieb gewerblicher Art vorbehaltlich besonderer Vorschriften des KStG nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des EStG. Bis zur gesetzlichen Neuregelung im Jahr 2001 galten für ARD und ZDF insoweit unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Das Werbegeschäft des ZDF war seit 1977 Gegenstand einer eigenen Pauschalierungsvorschrift in §§ 7 Abs. 1, 23 Abs. 6 KStG a. F. Danach war das Einkommen des ZDF aus der Veranstaltung von Werbesendungen mit zuletzt 4 v. H. der Einnahmen im Sinne des UStG anzusetzen. Für die ARD-Anstalten fehlte eine besondere Gewinnermittlungsvorschrift, so dass die allgemeinen Regelungen des EStG, insbesondere die Vorschrift des § 4 Abs. 4 EStG betreffend den Betriebsausgabenabzug Anwendung fanden. Dabei stellte sich insbesondere die Frage, ob und in welchem Verhältnis neben den Einzelkosten der Ausstrahlung von Werbesendungen auch die Aufwendungen für das Rahmenprogramm anteilig bei der Gewinnermittlung im Betrieb gewerblicher Art „Werbung“ steuerlich zu berücksichtigen waren.
III. Programmaufwendungen als Betriebsausgaben des Werbegeschäfts 1. Programmaufwendungen als gemischt veranlasste Aufwendungen Nach § 4 Abs. 4 EStG sind Betriebsausgaben „Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind“. Für die Besteuerung von Betrieben gewerblicher Art folgt daraus, dass grundsätzlich alle Aufwendungen der Trägerkörperschaft, die dieser aus der Unterhaltung des Betriebs gewerblicher Art erwachsen, als Betriebsausgaben abziehbar sind.18 Mithin kommt es für die Abzugsfähigkeit der Programmaufwendungen entscheidend darauf an, ob eine betriebliche Veranlassung besteht, sie also objektiv mit dem Werbegeschäft zusammenhängen und subjektiv dem Betrieb „Werbung“ zu dienen bestimmt sind. Zwischen den Aufwendungen für das Rahmenprogramm und den Einnahmen aus dem Werbegeschäft besteht ein doppelter Zusammenhang: Zum einen dienen die Einnahmen der Mitfinanzierung der Programmaufwendungen. Zum anderen sind – wie schon das FG München im Jahr 1969 zutref-
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18 So auch KStR 2004 Abschn. 33 Abs. 3.
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fend festgestellt hat – die Einnahmen aus dem Werbegeschäft letztlich ohne ein unterhaltsames und informatives Rahmenprogramm nicht möglich, weil erst durch das Rahmenprogramm die Bereitschaft der Zuschauer und Zuhörer geweckt wird, den Werbesendungen zu folgen.19 Ausgehend vom steuerlichen Nettoprinzip ist nur der zweite Kausalzusammenhang von Interesse:20 Erst durch ein für die Zuschauer attraktives Fernseh- und Hörfunkprogramm wird der Rundfunk zu einem wirtschaftlich interessanten Werbemedium.21 Dieser Zusammenhang zeigt sich u. a. auch an den konkreten Programminhalten während des Werbefernsehens vor 20.00 Uhr, die besonders auf solche Zielgruppen ausgerichtet sind, die für die werbenden Unternehmen von großem Interesse sind (z. B. jüngere Zuschauer). Der Anerkennung einer betrieblichen Veranlassung steht nicht entgegen, dass das Rahmenprogramm im Rahmen des gesetzlichen Programmauftrags ausgestrahlt wird und insoweit auch durch die steuerfreie hoheitliche Tätigkeit mit veranlasst ist. Eine solche doppelte Veranlassungsbeziehung entspricht dem geltenden System der Mischfinanzierung des öffentlichen Rundfunks, das den Rundfunkanstalten im Rahmen ihres gesetzlichen Programmauftrags ausdrücklich die Möglichkeit einräumt, zusätzliche Einnahmen durch Werbung zu erzielen.22 Bei den Programmaufwendungen handelt es sich folglich um gemischt veranlasste Aufwendungen. 2. Aufteilungsgebot nach § 8 Abs. 1 KStG, § 3c EStG Das KStG enthält keine besonderen Vorschriften über die steuerliche Berücksichtigung gemischt veranlasster Aufwendungen. Die einkommensteuerliche Regelung des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG gilt im Anwendungsbereich des KStG nicht.23 Auch das Abzugsverbot des § 10 Nr. 1 KStG greift nicht ein, da die Aufwendungen auch betrieblich veranlasst sind.24 Somit sind die Grenzen der Abzugsfähigkeit gemischt veranlasster Aufwendungen bei partiell steuerpflichtigen Körperschaften des öffentlichen Rechts aus der Vorschrift des § 3c EStG abzuleiten.25 Danach ist der Abzug insoweit ausgeschlossen, als ein Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen besteht. Die Vorschrift enthält aber nicht nur ein Abzugsverbot, sondern auch ein Auf-
__________ 19 FG München v. 2. 12. 1969 (Fn. 8), 191. 20 Eingehend zur Abzugsfähigkeit gemischt veranlasster Aufwendungen bei steuerbefreiten Körperschaften Lang/Seer, FR 1994, S. 521 ff. 21 Ebenso Thiel, DB 1993, S. 1208 ff. 22 Zur Zulässigkeit einer untergeordneten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Werbeeinnahmen vgl. BVerfG v. 6. 10. 1992 BVerfGE 87, 181, 200; BVerfG v. 22. 2. 1994 BVerfGE 90, 60, 91; zur Rundfunkfinanzierung vgl. auch Schulze-Fielitz in Dreier, GG, Art. 5 I, II Rz. 273 ff. m. w. N. 23 BFH v. 16. 12. 1981 BStBl. II 1982, 465, 467. 24 BFH v. 15. 7. 1987 BStBl. II 1988, 75, 76. 25 Allgemeine Ansicht, vgl. nur Lang/Seer, (Fn. 20), S. 535 f.; Thiel, (Fn. 21), S. 1210 f.; Hüttemann, (Fn. 4), S. 142 f.
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teilungsgebot. Sie verwirklicht insoweit das objektive Nettoprinzip, das den Abzug aller Aufwendungen fordert, soweit sie als Betriebsausgaben die objektive Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindern.26 Eine anteilige Berücksichtigung gemischt veranlasster Aufwendungen entspricht auch dem Sinn und Zweck der Besteuerung von Körperschaften des öffentlichen Rechts. Die Besteuerung der Betriebe gewerblicher Art dient vor allem der Herstellung steuerlicher Wettbewerbsgleichheit. Dieses Ziel ist auch auf der Ebene der steuerlichen Gewinnermittlung zu beachten.27 Im Fall des Werbegeschäfts der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten muss einerseits ausgeschlossen werden, dass die Steuerpflicht durch eine zu großzügige Berücksichtigung von Programmaufwendungen des steuerfreien Hoheitsbereichs unterlaufen wird. Andererseits rechtfertigt der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität aber auch keine Überbesteuerung des Werbegeschäfts der öffentlich-rechtlichen Anstalten, wie sie sich im Verhältnis zu privaten Rundfunkanbietern ergeben würde, wenn man unter Hinweis auf die partielle Steuerfreiheit gemischt veranlasste Aufwendungen einem strikten Abzugsverbot unterwerfen würde. Eine vergleichbare Belastung konkurrierender Anbieter wird nur erreicht, wenn alle mit der steuerpflichtigen Werbetätigkeit zusammenhängenden Aufwendungen steuerlich berücksichtigt werden. Zur Erreichung dieses Ziels hat die Finanzverwaltung, wenn sich der Anteil nicht sicher ermitteln lässt, eine schätzweise Aufteilung nach § 162 AO vorzunehmen. 3. Zur Anwendbarkeit der Grundsätze des BFH-Urteils v. 27. 3. 1991 Fraglich ist, ob einer anteiligen Berücksichtigung von Programmaufwendungen im Betrieb gewerblicher Art „Werbung“ die Grundsätze entgegenstehen, die der BFH für den Betriebsausgabenabzug bei gemischt veranlassten Aufwendungen von gemeinnützigen Körperschaften aufgestellt hat.28 Nach Ansicht des BFH ist es für die steuerliche Zuordnung gemischter Aufwendungen von Bedeutung, dass eine Körperschaft, die die „teilweise Befreiung von der Körperschaftsteuer erlangen und bewahren will, nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke – z. B. gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke – verfolgen darf (s. § 55 Abs. 1 S. 1 AO 1977).“29 Daraus folgert der BFH, „dass primärer Anlass für das Entstehen einer sowohl mit steuerbefreiten als auch mit steuerpflichtigen Tätigkeiten zusammenhängenden Ausgabe die nicht erwerbswirtschaftliche, steuerbefreite Tätigkeit ist“. Dieser sei allein maßgebend, „wenn die Ausgabe auch ohne den steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb entstanden wäre“. Nur wenn die Aus-
__________ 26 Näher Lang/Seer, (Fn. 20), S. 521, 523 f., 531. 27 Lang/Seer, (Fn. 20), S. 524; Hüttemann, (Fn. 4), S. 144; Thiel, (Fn. 21), S. 1210. 28 Vgl. BFH v. 27. 3. 1991 BStBl. II 1992, 103; siehe auch BFH v. 21. 9. 1995 BFH/NV 1996, 268; BFH v. 21. 7. 1999 BFH/NV 2000, 85, 86. 29 BFH v. 27. 3. 1991 (Fn. 28), 104.
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gabe ohne den steuerpflichtigen Geschäftsbetrieb geringer gewesen wäre, sei sie nach einem „objektiven und sachgerechten Maßstab aufzuteilen“.30 Mit dieser Rechtsprechung ist der BFH von früheren Urteilen abgewichen, in denen er eine Aufteilung gemischt veranlasster Kosten im Wege „griffsweiser Schätzung“ zugelassen hatte.31 Würde man die BFH-Rechtsprechung zu gemeinnützigen Körperschaften auf die Besteuerung des Werbegeschäfts der Rundfunkanstalten übertragen, dann müsste bei solchen Ausgaben, die sowohl durch die steuerfreie hoheitliche Tätigkeit als auch durch die Unterhaltung eines Betriebes gewerblicher Art veranlasst sind, stets die steuerbefreite hoheitliche Tätigkeit als „primärer Anlass“ angesehen werden.32 Eine anteilige Berücksichtigung der Programmaufwendungen im Betrieb gewerblicher Art Werbung wäre folglich nur noch in engen Grenzen möglich. Abziehbar wären neben den Einzelkosten des Werbegeschäfts (also z. B. die Aufwendungen für die Ausstrahlung der Werbesendungen) nur noch ein nachgewiesener Mehraufwand an Programmaufwendungen, wie er z. B. durch einen Vergleich der Durchschnittsminutenkosten des Rahmenprogramms in den werberelevanten Zeiten mit den Durchschnittsminutenkosten der sonstigen Sendezeiten schätzungsweise ermittelt werden könnte. Die BFH-Grundsätze zur Abzugsfähigkeit gemischt veranlasster Aufwendungen bei steuerbefreiten Körperschaften sind im steuerrechtlichen Schrifttum zu Recht auf nahezu einhellige Ablehnung gestoßen.33 Der BFH verkennt zunächst den Inhalt des Selbstlosigkeitsgebots in § 55 Abs. 1 AO, das nur das subjektive Element der Gemeinnützigkeit (Verbot kollektiven Eigennutzes) enthält,34 aber nichts für die steuerliche Veranlassung von Aufwendungen im steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb hergibt. Auf juristische Personen des öffentlichen Rechts lässt sich die Argumentation schon deshalb nicht übertragen, weil die Vorschrift des § 55 Abs. 1 AO nur für gemeinnützige Organisationen gilt.35 Für öffentlich-rechtliche Körperschaften gibt es dagegen keinen Rechtssatz des Inhalts, dass eine Körperschaft des öffentlichen Rechts „nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgen darf“. Wie das Beispiel der Sparkassen zeigt, kann sich die Betätigung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sogar in der Unterhal-
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BFH v. 27. 3. 1991 (Fn. 28), 104. BFH v. 28. 11. 1961 BStBl. III 1962, 73. So Felder, (Fn. 12), § 4 KStG Rz. 72; wohl auch Thiel, (Fn. 21), S. 1209. Eingehende Kritik bei Lang/Seer (Fn. 20), S. 521 ff.; Thiel, (Fn. 21), S. 1208 ff.; Bott in Schauhoff (Hrsg.), Handbuch der Gemeinnützigkeit, 2000, B § 7 Rz. 274 f.; Dötsch in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG Rz. 248; differenzierend Walz, Non Profit Law Yearbook 2001, S. 197, 213 ff.; dem BFH folgend dagegen Pauly, DB 1994, S. 1160. 34 Vgl. nur Hüttemann, Wirtschaftliche Betätigung und steuerliche Gemeinnützigkeit, 1991, S. 53 ff. 35 Hüttemann, (Fn. 4), S. 148.
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tung eines steuerpflichtigen Betriebs gewerblicher Art erschöpfen, was bei gemeinnützigen Einrichtungen nach der herrschenden „Geprägetheorie“36 nicht denkbar ist. Vor allem aber verstößt die „Gewichtungstheorie“ des BFH gegen das objektive Nettoprinzip, weil sie die betriebliche (Mit-)Veranlassung negiert und damit zu einer tendenziellen Überbesteuerung gemeinnütziger Körperschaften führt, die vom Sinn und Zweck der partiellen Steuerpflicht nicht gedeckt wird.37 Selbst der Gesetzgeber ist der Rechtsprechung nicht gefolgt und hat das Abzugsverbot durch Einführung eines Gewinnpauschalierungswahlrechts in § 64 Abs. 6 AO für bestimmte Sachverhalte außer Kraft gesetzt, um – wie es in der Gesetzesbegründung heißt – eine vom Sinn und Zweck der partiellen Steuerpflicht nicht gebotene Überbesteuerung gemeinnütziger Einrichtungen zu verhindern.38 In neuerer Zeit ist das Aufteilungsverbot des BFH zwar mit dem ordnungspolitischen Argument verteidigt worden, es solle die Möglichkeit steuerbefreiter Einrichtungen beschränken, ihre Verbundvorteile zu Lasten anderer Marktteilnehmer, die die gleiche Leistung ebenso gut und ebenso effizient erbringen können, zu nutzen.39 Ein solcher Vorrang privater Anbieter ist aber zumindest im Bereich der Rundfunkwerbung schon deshalb nicht anzuerkennen, weil das geltende Rundfunkrecht den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ausdrücklich die Ausstrahlung von Werbesendungen in Konkurrenz zu privaten Anbietern gestattet, um zusätzliche Einnahmen zu erwirtschaften. Vor diesem Hintergrund besteht für das Steuerrecht kein Grund, die Veranstaltung von Werbesendungen durch öffentlich-rechtliche Anstalten im Wettbewerb zu privaten Rundfunkanbietern dadurch zu benachteiligen, dass Aufwendungen des Rahmenprogramms steuerlich nicht abgezogen werden dürfen. 4. Ergebnis Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass ein Abzugsverbot für gemischt veranlasste Aufwendungen nicht besteht und daher Aufwendungen des Rahmenprogramms entsprechend ihrer betrieblichen Mitveranlassung – zumindest anteilig – bei der Gewinnermittlung im Betrieb gewerblicher Art Werbung zu berücksichtigen sind. Die vorstehenden Überlegungen bestätigen folglich im Grundsatz das so genannte 1:4/1:7-Modell, auf dessen Grundlage das Einkommen der ARD-Rundfunkanstalten aus der Veranstaltung von Werbesendungen bis zur Einführung der neuen Pauschalbesteuerung ermittelt wurde.40 Im Mittelpunkt dieser Regelung stand die Festlegung
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Vgl. BFH v. 26. 4. 1989 BStBl. II 1989, 670. Ebenso Lang/Seer, (Fn. 20), S. 528. Vgl. BT-Drucks. 14/4626, S. 3 f., 7 f. So Walz, (Fn. 33), S. 214. Dazu Kläschen, KStG § 7 Rz. 5; Thiel, (Fn. 21), S. 1209.
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bestimmter Verhältnisgrößen, nach denen die tatsächlichen Programmaufwendungen der einzelnen ARD-Anstalten als Betriebsausgaben des Werbegeschäfts anerkannt wurden. So waren z. B. beim Werbefernsehen für jede Minute verkaufte Werbung die Aufwendungen für vier Minuten des Rahmenprogramms, das in den Werbezeiten ausgestrahlt worden ist, als Betriebsausgaben des Werbegeschäfts abziehbar. Im Bereich der Hörfunkwerbung galt ein Verhältnis von 1:7. Das 1:4/1:7-Modell zielte somit auf die Schätzung eines bestimmten Aufteilungsmaßstabs, anhand dessen ein Teil der Programmaufwendungen dem steuerpflichtigen Werbegeschäft zugeordnet wurde. Mit dieser Aufteilung wurde der Schätzungsspielraum ausgefüllt, den § 162 AO der Finanzverwaltung bei der Ermittlung der abziehbaren Betriebsausgaben bei einer gemischten Veranlassung eröffnet.
IV. Zur Gewinnpauschalierung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG 1. Inhalt der Regelung Mit der neuen Gewinnpauschalierung des § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG hat sich der Gesetzgeber für die ARD-Anstalten von der bisherigen Besteuerungspraxis nach dem 1:4/1:7-Modell verabschiedet und eine für ARD und ZDF einheitliche Gewinnpauschalierung des Einkommens auf 16 v. H. der Einnahmen aus der Veranstaltung von Werbesendungen eingeführt.41 Damit ist das bisher nur für das ZDF geltende Besteuerungsmodell auf alle öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten ausgedehnt worden. Der Gewinnsatz von 16 v. H. entspricht dem zuletzt für das ZDF-Werbegeschäft geltenden Sondersteuersatz von 4 v. H.42 Für die ARD-Anstalten hat die Neuregelung zur Folge, dass das Einkommen aus dem Werbegeschäft nicht mehr – wie nach dem 1:4/1:7-Modell – auf der Grundlage der tatsächlichen Programmaufwendungen ermittelt wird, sondern die Besteuerung ganz unabhängig von der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen ist. Unterschiede bei der tatsächlichen Höhe der Programmaufwendungen zwischen einzelnen Anstalten können sich somit steuerlich nicht mehr auswirken. Durch die ausschließliche Anknüpfung an einen bestimmten Prozentsatz der Einnahmen ist auch der Ausweis eines steuerlichen Verlustes aus der Veranstaltung von Werbesendungen ausgeschlossen. Im Weiteren ist zu untersuchen, ob der Gesetzgeber mit dieser Pauschalierung die verfassungsrechtlichen Vorgaben eingehalten hat, die er bei der Ausgestaltung der Körperschaftsbesteuerung der Rundfunkanstalten zu beachten hat.
__________ 41 Eine weitere Steuerbelastung, die im vorliegenden Zusammenhang außer Betracht bleiben soll, ergibt sich aus der Kapitalertragsteuer nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 b Satz 3 EStG. 42 Der Sondersteuersatz von 4 v. H. entspricht bei einem KSt-Satz von 25 v. H. einem Gewinnsatz von 16 v. H. der Einnahmen.
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2. Objektiver Gleichheitssatz, staatliche Neutralitätspflicht im Rundfunkbereich und Wettbewerbsgleichheit Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der Neuregelung ist zunächst vom allgemeinen Gleichheitssatz auszugehen, der nicht nur ein Grundrecht ist, sondern auch als objektives Verfassungsgebot die legislative Gewalt begrenzt. Als bereichsspezifische Ausprägung des Gleichheitssatzes im Steuerrecht verlangt der Grundsatz der steuerlichen Lastengleichheit, dass „die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden.“43 Dies gilt nicht nur im Verhältnis der öffentlichrechtlichen Anstalten untereinander, sondern auch im Vergleich zu den voll steuerpflichtigen privaten Rundfunkanbietern. Darüber hinaus folgt aus der verfassungsrechtlichen Funktionsgewährleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks44 ein Differenzierungsverbot gegenüber den einzelnen Rundfunkanstalten, soweit es um die Ausgestaltung der Rundfunkfinanzierung geht. Denn die Rundfunkfinanzierung darf „nicht zu Zwecken der Programmlenkung oder der Medienpolitik eingesetzt werden“.45 Diese Neutralitätspflicht des Staates gilt – wie Ossenbühl dargelegt hat – auch für die Besteuerung der Rundfunkanstalten.46 Soweit der Staat Rundfunkanstalten der Besteuerung unterwirft, muss er sie folglich gleichmäßig belasten. Dieses Gleichbehandlungsgebot ist im geltenden dualen Rundfunksystem auch auf private Rundfunkanbieter zu erstrecken, d. h. private Anbieter dürfen gegenüber öffentlich-rechtlichen Anbietern steuerlich weder benachteiligt noch bevorzugt werden.47 Das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz und der Gewährleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abgeleitete Neutralitätsgebot trifft sich schließlich mit dem aus der Wettbewerbsgleichheit abgeleiteten Gedanken einer wettbewerbsneutralen Besteuerung, der auch der Besteuerung von Betrieben gewerblicher Art zugrunde liegt.48 Für den Bereich der Rundfunkwerbung ergibt sich daraus die Forderung nach einer gleichmäßigen steuerlichen Belastung miteinander konkurrierender Anstalten. 3. Feststellung einer Ungleichbehandlung a) Belastungsgegenstand der Körperschaftsteuer Die Frage, ob eine bestimmte Regelung zu einer Ungleichbehandlung führt, lässt sich nur im Sachzusammenhang des jeweiligen Rechtsgebietes beantworten. Für das Körperschaftsteuergesetz ist insoweit maßgebend, dass der Belastungsgegenstand die „Reineinkünfte“ der juristischen Personen sind, also der Saldo der Einnahmen und Ausgaben bzw. Erträge und Aufwendun-
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BVerfG v. 22. 6. 1995 BVerfGE 93, 121, 134. Vgl. dazu BVerfG v. 6. 10. 1992 (Fn. 22), 198 ff.; BVerfG v. 22. 2. 1994 (Fn. 22), 90 ff. So BVerfG v. 22. 2. 1994 (Fn. 22), 93 f. Ossenbühl, FS Flume Bd. II, S. 201, 208. Vgl. dazu BVerfG v. 24. 3. 1987 BVerfGE 74, 297, 332. Vgl. nur Hüttemann, (Fn. 4), S. 8 ff. m. w. N.
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gen.49 § 8 Abs. 1 KStG verweist für die Gewinnermittlung auf die Vorschriften des EStG und damit auf das objektive Nettoprinzip (vgl. § 2 Abs. 2 EStG), wie es auch im finanzverfassungsrechtlichen Begriff der Einkommenund Körperschaftsteuer verankert ist.50 Für die Prüfung des § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG folgt daraus, dass die Auswirkungen der Gewinnpauschalierung auf die Körperschaftsbesteuerung am Maßstab des objektiven Nettoprinzips zu messen sind. Daraus ist für die Besteuerung des Werbegeschäfts die Forderung abzuleiten, dass grundsätzlich alle mit der Ausstrahlung von Werbesendungen zusammenhängenden tatsächlichen Aufwendungen steuerlich abziehbar sein müssen. Soweit Aufwendungen sowohl durch die steuerfreie Hoheitstätigkeit als auch durch das Werbegeschäft veranlasst sind, sind diese durch Schätzung nach § 162 AO aufzuteilen. b) Auswirkung der Gewinnpauschalierung Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass durch die Anwendung eines einheitlichen Gewinnsatzes eine Gleichbehandlung der öffentlich-rechtlichen Anstalten erreicht wird. Gemessen am objektiven Nettoprinzip ergibt sich aber ein anderes Bild. Denn durch die pauschale Gewinnermittlung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG werden Unterschiede in der wirtschaftlichen Ertragsfähigkeit des Werbegeschäfts zwischen den einzelnen Anstalten, die sich nach allgemeinen Gewinnermittlungsgrundsätzen auf das steuerpflichtige Einkommen auswirken würden, ausgeblendet.51 Dies gilt namentlich für unterschiedliche Kostenstrukturen, die auch bei gleich hohen Werbeeinnahmen und Anwendung eines einheitlichen Aufteilungsmaßstabs nach der Berücksichtigung der Rahmenprogrammkosten zu unterschiedlich hohen Reineinkünften führen würden. Aber auch Unterschiede bei den Werbepreisen der einzelnen Anstalten, die bei gleich hohen Aufwendungen zu unterschiedlichen Reineinkünften führen würden, bleiben bei der Gewinnermittlung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG außer Betracht. In beiden Fällen verhindert die Gewinnpauschalierung also eine dem Nettoprinzip entsprechende Ermittlung der tatsächlichen Reineinkünfte. Schließlich ist auch an den Fall zu denken, dass die verrechenbaren Aufwendungen die Werbeeinnahmen übersteigen und damit ein steuerlicher Verlust eintritt, z. B. weil die Nachfrage nach Werbesendungen vorübergehend erheblich zurückgeht. Auch hier kommt es auf Grund der Gewinnpauschalierung zum Ausweis eines positiven Einkommens, obwohl tatsächlich ein wirtschaftlicher Verlust eingetreten ist. Gemessen an den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften führt die Gewinnpauschalierung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG somit
__________ 49 Vgl. nur Schulze-Osterloh, DStJG Bd. 23, S. 67, 69; Schön, StuW 1995, S. 366, 368. 50 Zur finanzverfassungsrechtlichen Absicherung des Nettoprinzips vgl. auch Vogel, DStJG Bd. 12, S. 123, 143; Schön, (Fn. 49), S. 369. 51 Vgl. insoweit zur Vorgängerregelung in §§ 7 Abs. 1, 23 Abs. 6 KStG auch Ossenbühl, (Fn. 46), S. 221.
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– entgegen der Auffassung des Gesetzgebers52 – zu erheblichen steuerlichen Ungleichbehandlungen zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Dabei spricht einiges dafür, dass sich die Pauschalierung tendenziell zugunsten der größeren Rundfunkanstalten auswirkt, deren Rahmenprogrammaufwendungen auf Grund von Größeneffekten eher geringer sein dürften als die Programmkosten kleinerer Anstalten, und die gleichzeitig wegen einer höheren Reichweite ihrer Programme höhere Minutenpreise erzielen können. Die festgestellte Abweichung vom Nettoprinzip führt auch im Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanbietern zu einer Ungleichbehandlung, weil bei der Gewinnermittlung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die tatsächlichen Aufwendungen des Werbegeschäfts unberücksichtigt bleiben. Da nicht erkennbar ist, auf welchen tatsächlichen Annahmen der vom Gesetzgeber festgelegte Gewinnsatz beruht, kann weder eine systematische Überbesteuerung noch eine Begünstigung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ausgeschlossen werden. Eine genaue Beurteilung der Belastungswirkungen ist auch deshalb nicht möglich, weil die Gewinnpauschalierung auch innerhalb der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu Ungleichbehandlungen führt. 4. Rechtfertigung durch Vereinfachungsgründe Fraglich ist, durch welche Gründe die festgestellten Ungleichbehandlungen gerechtfertigt werden können. Für eine auf bestimmte Gemeinwohlgründe gestützte Lenkungswirkung fehlt es bereits an einer „erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung“, wie sie das BVerfG fordert.53 Die Gesetzesbegründung gibt keinen Anlass für die Annahme, der Gesetzgeber habe mit der Gewinnpauschalierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk steuerlich fördern wollen. Damit können zur Rechtfertigung der Abweichung vom Nettoprinzip nur Vereinfachungsgründe angeführt werden. In diese Richtung geht auch die Gesetzesbegründung, in der es heißt, durch § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG solle „die streitanfällige steuerliche Behandlung bei den ARD-Anstalten“ beseitigt und eine „erhöhte Rechtssicherheit“ geschaffen werden.54 Auch die Vorgängerregelung für das ZDF ist mit der Erwägung gerechtfertigt worden, der Gesetzgeber habe mit der Pauschalbesteuerung „die Frage über eine Einschätzung der anteiligen Betriebsausgaben beantwortet und auf den so ermittelten Gewinn den Körperschaftsteuersatz angewendet“. Im Gesetz sei dies dann „in einem Prozentsatz der Einnahmen“ ausgedrückt worden.55
__________ 52 53 54 55
BT-Drucks. 14/7646, S. 32. BVerfG v. 22. 6. 1995 BVerfGE 93, 121, 147. BT-Drucks. 14/7646, S. 32. So Müller-Gatermann, DStJG Bd. 23, S. 170 f.
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Rainer Hüttemann
Überträgt man diese Überlegung auf die Neuregelung, dann wäre § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG also nur eine vereinfachende Regelung über die abziehbaren Betriebsausgaben, ausgedrückt durch einen bestimmten Prozentsatz der Werbeeinnahmen. Es ist allgemein anerkannt, dass dem Steuergesetzgeber ein gewisser Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zusteht. Steuergesetze betreffen in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens. Sie müssen daher, wie das BVerfG ausgeführt hat, „um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und damit in weitem Umfang die Besonderheiten nicht nur des einzelnen Falles, sondern gegebenenfalls auch ganzer Gruppen vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen“.56 Es bestehen erhebliche Zweifel, ob § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG diesen Anforderungen an typisierende Regelungen genügt. Denn die Besteuerung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten betrifft nur eine sehr kleine Zahl von Steuerpflichtigen. Anders als z. B. bei beschränkt Steuerpflichtigen oder bei der Besteuerung von Arbeitnehmern geht es nicht um „Massenvorgänge“, die mit den normalen Sachverhaltsermittlungsregeln nicht zu bewältigen wären. Vielmehr zeigt die bisherige Besteuerungspraxis für die ARD-Anstalten, dass eine Besteuerung auch ohne gesetzliche Pauschalierung möglich war. Ein besonderer gesetzlicher Typisierungsbedarf ist auch im Hinblick auf die anteilige Zuordnung von Aufwendungen des Rahmenprogramms zum Werbegeschäft nicht ohne weiteres erkennbar. Denn mit dem Rechtsinstitut der Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO verfügt die Finanzverwaltung über ein ausreichendes verfahrensrechtliches Instrument, um tatsächliche Schwierigkeiten bei der Zuordnung gemischt veranlasster Aufwendungen im Einzelfall zu lösen. Auch die vom Gesetzgeber behauptete „Streitanfälligkeit“57 des 1:4/1:7-Modells kann für sich genommen keinen ausreichenden Grund für gesetzliche Typisierungen darstellen. Meinungsverschiedenheiten zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigen darüber, welche Umstände bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zu berücksichtigen sind, dürften in den meisten Fällen des § 162 Abs. 1 AO auftreten. Sie mögen bei „Massenvorgängen“ gesetzliche Pauschalierungen rechtfertigen, nicht aber bei Besteuerungsfragen, die nur ganz wenige Steuerpflichtige betreffen, die zudem noch
__________ 56 BVerfG v. 20. 4. 2004 WM 2004, 997. 57 So BT-Drucks. 14/7646, S. 32.
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in einem Wettbewerb zueinander stehen. Zu Recht ist gegen die frühere Sonderregelung für das ZDF der Einwand erhoben worden, eine Rechtfertigung „aus Gründen der Typisierung scheide a limine aus, weil die Lex ZDF das genaue Gegenteil einer steuerlichen Massengesetzgebung sei, nämlich ein offenes Individualgesetz“.58 Weshalb dies grundsätzlich anders sein soll, wenn nicht nur eine, sondern zehn Anstalten betroffen sind, ist schwer einzusehen. Aber selbst wenn man unterstellt, die tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Schätzung der „anteiligen Betriebsausgaben“ seien so erheblich, dass im Interesse der Vereinfachung der Besteuerung eine Typisierung geboten sei, wäre vorliegend zunächst zu beachten, dass die tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung nur die anteilige Zuordnung der Rahmenprogrammkosten zum Werbegeschäft betreffen, nicht aber die Höhe der tatsächlichen Programmkosten insgesamt. So gesehen, erweist sich die vom Gesetzgeber getroffene Pauschalierung als unverhältnismäßig, weil sie sich im Unterschied zum bisherigen 1:4/1:7-Modell gerade nicht darauf beschränkt, einen bestimmten Aufteilungsmaßstab festzulegen, nach dem die tatsächlichen Aufwendungen des Rahmenprogramms dem Werbegeschäft zugeordnet werden, sondern den Umfang der abziehbaren Aufwendungen als Prozentsatz der Werbeeinnahmen abschließend festlegt. Eine so weitgehende Umgestaltung der Besteuerungsgrundlage, durch die alle Unterschiede zwischen der Ertragsfähigkeit des Werbegeschäfts der einzelnen Anstalten (unterschiedliche Kostenstruktur, verschieden hohe Werbepreise) ausgeblendet werden, führt notwendigerweise zu gravierenden steuerlichen Ungleichbehandlungen zwischen den Rundfunkanstalten und hat angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung des Werbegeschäfts erhebliche Wettbewerbsverzerrungen im Bereich der Rundfunkwerbung zur Folge. Derart weitgehende Ungleichbehandlungen lassen sich aber kaum durch das Interesse der Finanzverwaltung rechtfertigen, sich eine „streitanfällige Schätzung“ der anteiligen Betriebsausgaben im Werbegeschäft der Rundfunkanstalten zu ersparen. 5. Systemwidrige Bruttobesteuerung Schließlich stellt sich die weitergehende Frage, ob der Gesetzgeber mit der Gewinnpauschalierung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG das Nettoprinzip für den Bereich der Rundfunkbesteuerung nicht nur in gewisser Hinsicht eingeschränkt, sondern sogar ganz außer Kraft gesetzt hat.59 Eine vollständige Abkehr vom Nettoprinzip, die zu einer unzulässigen Bruttobesteuerung und damit zu einer grundlegenden Änderung der Belastungsentscheidung führen
__________ 58 Ossenbühl, (Fn. 46), S. 217. 59 Ebenso zu den Vorgängerregelungen für das ZDF in §§ 7 Abs. 1, 23 Abs. 6 KStG a. F. Ossenbühl, (Fn. 46), S. 221; Schulze-Osterloh, (Fn. 49), S. 69.
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würde, ist grundsätzlich nicht zu rechtfertigen.60 Sie hätte zudem zur Folge, dass die Pauschalbesteuerung finanzverfassungsrechtlich zu einer verdeckten Umsatzsteuer umgestaltet würde, was insbesondere Konsequenzen für die Verteilung der Steuereinnahmen nach Art. 106 GG haben könnte.61 Fraglich ist jedoch, ob der Gesetzgeber mit § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG tatsächlich das Nettoprinzip aufgegeben hat oder ob in der Festlegung eines bestimmten Gewinnsatzes nur eine vereinfachende Anwendung des Nettoprinzips liegt, bei der nicht die tatsächlichen Aufwendungen, sondern nur die typische Kostenbelastung bestimmter Einnahmen berücksichtigt wird, d. h. immer noch eine Besteuerung von „Reineinkünften“ stattfindet. Die gleiche Frage stellt sich auch dann, wenn der Gesetzgeber keinen Gewinnsatz festlegt, sondern – wie dies für das ZDF in §§ 7 Abs. 1, 23 Abs. 6 KStG a. F. geschehen war – auf der Grundlage eines solchen Gewinnsatzes einen Sondersteuersatz formuliert, der unter dem Regelsteuersatz liegt. Die Abgrenzung zwischen einer unzulässigen Bruttobesteuerung und einer mit dem Nettoprinzip noch zu vereinbarenden Pauschalierung wird man davon abhängig machen müssen, ob die Vereinfachungsregelung noch „glaubwürdig“ ist.62 Dies ist nur dann anzunehmen, wenn sich der Gesetzgeber bei der Bestimmung des Gewinnsatzes oder Sondersteuersatzes an der „typischen Kostenbelastung“ der betreffenden Einnahmen orientiert hat.63 Überträgt man diesen Ansatz auf den Fall der Rundfunkbesteuerung, so ergibt sich das Problem, dass die Höhe des Gewinnsatzes in der Gesetzesbegründung nicht näher erläutert wird. Allerdings kann man aus der Tatsache, dass der Gewinnsatz exakt dem bisherigen Sondersteuersatz für das ZDF entspricht,64 darauf schließen, dass der Gesetzgeber in § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG einfach das frühere ZDF-Besteuerungsmodell auf die ARD-Anstalten ausgedehnt hat. Diese Typisierung ist aber aus mehreren Gründen nicht überzeugend: Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über die Höhe des Sondersteuersatzes für das ZDF im Jahr 1976 bekanntlich weniger auf steuersystematischen Überlegungen beruhte, sondern vorrangig dazu diente, „die Gefährdung des Sendebetriebs“ des ZDF durch eine Besteuerung der Werbe-
__________ 60 Vgl. Schön, (Fn. 49), S. 369; Schulze-Osterloh, (Fn. 49), S. 69. Vgl. auch BVerfG v. 7. 11. 1972 BVerfGE 34, 103, 117, wonach die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit darin ihre Grenze finde, dass die „Grundstruktur der Einkommen- und Körperschaftsteuer als einer Steuer, die auf den von einem bestimmten Steuersubjekt bezogenen Gewinn ausgerichtet ist, nicht verändert wird.“ 61 Zu den finanzverfassungsrechtlichen Auswirkungen vgl. Vogel, Handbuch des Staatsrechts Bd. IV, § 87 Rz. 92. 62 So Vogel, (Fn. 50), S. 143; zustimmend Schön, (Fn. 49), S. 369. 63 Vgl. Vogel, (Fn. 50), S. 143 Fn. 82; Engelschalk, Die Besteuerung von Steuerausländern auf Bruttobasis, 1988, S. 25 ff. 64 Für das ZDF galt zuletzt ein Sondersteuersatz von 4 v. H. bei einem Regelsteuersatz von 25 v. H. Dies entspricht einem Gewinnsatz von 16 v. H.
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einnahmen zu vermeiden.65 Angesichts dieser Vorgeschichte kann die Anknüpfung an die „Lex ZDF“ kaum als sachgerechte Typisierung für alle Rundfunkanstalten gewertet werden. Aber auch wenn man diese Bedenken gegen den Sondersteuersatz zurückstellt, bleibt die Frage, weshalb ausgerechnet die wirtschaftlichen Verhältnisse beim ZDF als „typisch“ für die Gesamtheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten anzusehen sind. Dazu bedürfte es zumindest eines Vergleichs der Ertragssituation des ZDF mit der durchschnittlichen Ertragsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Schließlich spricht entscheidend gegen die Anknüpfung an den bisherigen ZDF-Steuersatz, dass das ZDF nur Werbefernsehen betreibt, während die ARD-Anstalten auch erhebliche Einnahmen aus der Hörfunkwerbung erzielen. Es liegt auf der Hand, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse von Fernseh- und Hörfunkwerbung wesentlich unterscheiden. Dies hat offenbar auch die Finanzverwaltung in der Vergangenheit so gesehen und deshalb im Rahmen des 1:4/1:7-Modells für Fernseh- und Hörfunkwerbung unterschiedliche Aufteilungsmaßstäbe für die Zuordnung der Rahmenprogrammkosten festgelegt. Vor diesem Hintergrund ist die ausschließliche Orientierung am ZDF-Steuersatz aber als willkürlich anzusehen, weil nicht erkennbar ist, weshalb die durchschnittliche Kostenbelastung im ZDFWerbefernsehen auch für die Hörfunkwerbung der ARD-Anstalten als „typisch“ anzusehen ist. Damit ergibt sich insgesamt, dass die Anknüpfung an den ZDF-Steuersatz nicht mehr als zulässige Typisierung angesehen werden kann und der Gesetzgeber mit der Gewinnpauschalierung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG mithin das Nettoprinzip aufgegeben hat. Es handelt sich also um eine systemwidrige Bruttobesteuerung, die auch durch Vereinfachungsgründe nicht zu rechtfertigen ist.66
V. Ergebnis Mit der Neuregelung der Rundfunkbesteuerung in § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG hat der Gesetzgeber die Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten, die sich aus dem Gleichheitssatz, der Rundfunkfreiheit und der Wettbewerbsgleichheit für die Besteuerung des Werbegeschäfts ergeben. Die Pauschalierung des Einkommens aus dem Werbegeschäft mit einem Gewinnsatz von 16 v. H. führt zu einer systemwidrigen Bruttobesteuerung, die auch mit Vereinfachungsgründen nicht gerechtfertigt werden kann.
__________ 65 Ossenbühl, (Fn. 46), S. 201 ff. spricht insoweit treffend von einer „Sanierung durch Steuervorteile“. 66 Im Ergebnis ebenso für §§ 7 Abs. 1, 23 Abs. 6 KStG a. F. Ossenbühl, (Fn. 46), S. 221; Schulze-Osterloh, (Fn. 49), S. 69; a. A. Müller-Gatermann, (Fn. 55), S. 170 f.
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Paul Kirchhof
Lenkungsteuern Inhaltsübersicht I. Lenkungsteuern als Ausnahme II. Erwartungen an den Rechtsstaat: Gutes Recht oder gutes Geld?
IV. Verfassungsrechtliche Anforderungen an eine Lenkungsteuer V. Drei offene Fragen
III. Finanzierung des Staates jenseits des Leistungstausches
I. Lenkungsteuern als Ausnahme Christoph Trzaskalik haben wir als streitbaren Juristen vor Augen, der Geläufiges und Vertrautes in Frage stellt, auf eine strikte Prinzipienbindung des Steuerrechts drängt, das Kompromisshafte moderner Maßnahmegesetzgebung zurückweist und in einem unbeirrten Vernunftvertrauen Gesetzgebung und Rechtsprechung auf einen besseren Weg zu bringen sucht. In vielen Gesprächen, Begegnungen und auch in gemeinsamer Sportlichkeit haben wir uns über Grundsatzfragen des Einkommensteuerrechts, der Abgabenordnung, der Hochschulpolitik und der Juristenausbildung ausgetauscht – nicht selten kontrovers, doch stets verbunden in dem gemeinsamen Bemühen um ein systematisches, widerspruchsfreies Steuerrecht. Eines der fordernden Themen, über die wir eine langanhaltende und in die Gegenwart nachklingende Auseinandersetzung führten, ist die Frage der Lenkungsteuern. Christoph Trzaskalik hat in seinem fundierten und vielbeachteten Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag in Leipzig1 die Lenkungsteuer einer systematischen Kritik unterworfen. Im Ergebnis sei ein verstärkter Einsatz der Steuer als Instrument der Verhaltenslenkung nicht zu empfehlen, weil die Lenkungsteuer die gesetzgeberische Entscheidung nicht in einer dem Rechtsstaat angemessenen Weise offen lege, die Steuer vor allem aber als Gemeinlast erhalten werden müsse, die nicht nach persönlichen Vorteilen und verursachten Kosten frage, damit die staatliche Gemeinschaft nicht in Gruppen zerfallen lasse, die sich wechselseitig Vorteile und Kosten vorrechneten. Wenige Jahre zuvor habe ich auf der 17. Tagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft im Eröffnungsreferat dieser Tagung die verfassungsrecht-
__________ 1
Christoph Trzaskalik, Inwieweit ist die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts zu empfehlen?, Verhandlungen des 63. Deutschen Juristentages 2000, Bd. I, E 9 f.
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lichen Grenzen von Umweltabgaben untersucht2 und bin dort zu einem ähnlich kritischen Ergebnis gekommen, das die rechtsstaatliche Funktions- und Formenklarheit der Handlungsmittel einfordert, deswegen eher eine Rücknahme der Steuerlenkung fordert, sich in Einzelüberlegungen aber von denjenigen von Christoph Trzaskalik unterscheidet. Unsere Auffassungen stimmen in der Kernthese überein, Lenkungsabgaben dürften nur eingesetzt werden, wenn ihr Einsatz erwünschte, aber nicht notwendige Ziele des jeweiligen Verwaltungsprogramms verfolge. Ziele, bei denen ein Scheitern des Verwaltungsprogramms nicht hingenommen werden könne, müssten mit dem herkömmlichen ordnungsrechtlichen Instrumentarium erreicht und dürften nicht durch eine bloße Androhung von Steuerlasten erschwert werden, weil sich dort der Steuerpflichtige durch Zahlung von der Verhaltenspflicht freikaufen könne3. Unsere Überlegungen begegnen sich auch in der freiheitssichernden Funktion des Steuerbegriffs, der nur bestimmte Belastungen – bei den direkten Steuern nach dem Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit – erlaubt und deshalb den Einzelnen verfassungserheblich schützt4. Auf dieser Grundlage gehen wir dann gemeinsam den weiteren Schritt, das Steuererfindungsrecht des Gesetzgebers auf die dank Leistungsfähigkeit besteuerungswürdigen Sachverhalte zu beschränken, den Lenkungszweck also nicht als Belastungsgrund für eine Steuer anzuerkennen5. Der Staat darf zwar mit Steuern steuern; der Lenkungszweck rechtfertigt aber nicht die Begründung eines Steuertatbestandes. Ebenso vertreten wir gemeinsam die Auffassung, dass Steuergesetze nur schwer an den Verhaltensgrundrechten, insbesondere an Art. 12 GG gemessen werden können, weil das Steuergesetz den Einzelnen nicht als Inhaber eines bestimmten Berufes anspricht, es ihn vielmehr nach Maßgabe seiner finanziellen Leistungsfähigkeit zur Besteuerung heranzieht6. Schließlich drängt sich uns wiederum in einem gleichen rechtsstaatlichen Grundanliegen die Einsicht auf, dass eine Steuervergünstigung durch Abzug von der Bemessungsgrundlage einer progressiven Steuer den Progressionsgedanken gleichheitswidrig in das Gegenteil verkehrt: Der Vergünstigungseffekt wächst
__________ 2 3 4 5 6
Paul Kirchhof, Verfassungsrechtliche Grenzen von Umweltabgaben, in: ders. (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht, DStJG, Bd. 15, 1993, S. 3 f. Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 16, 18, 68; Paul Kirchhof, a. a. O., S. 3, 5 f. Christoph Trzaskalik, a. a. O.,E 44; Paul Kirchhof, in: Festschrift für Friauf, Die Sonderabgaben, 1996, S. 669 (670). Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 48 f.; Paul Kirchhof, Verfassungsrechtliche Grenzen von Umweltabgaben, in: ders. (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht, DStJG, Bd. 15, 1993, S. 3 (22). Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 51 f.; Paul Kirchhof, Besteuerungsgewalt und Grundgesetz, 1973, S. 57 f.; ders., Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Grundgesetz, 1996, S. 37 mit Fn. 191.
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mit zunehmendem Einkommen; wachsendes Einkommen aber ist sozialpolitisch ein Indiz für sinkende, nicht für steigende Förderungswürdigkeit7. Deutliche Unterschiede werden jedoch in der Grundrechtsdogmatik sichtbar, wenn der Prüfungsgegenstand durch eine „Wahlschuld“ erschlossen werden soll8, der aus Art. 14 GG entwickelte „Halbteilungs-Gedanke“ der Lenkungsteuer gegenübergestellt wird9, und wenn der Gleichheitssatz gegenüber Lenkungszielen ähnlich dem Verhältnismäßigkeitsprinzip bei den Freiheitsrechten zur Wirkung gebracht werden soll10. Auch in der Einschätzung der bundesstaatlichen Kompetenzordnung gewichten wir unterschiedlich. Christoph Trzaskalik kritisiert vor allem die Ansicht, Lenkungsteuern wirkten gestaltend in den nichtsteuerlichen Sachbereich ein, bedürften deshalb auch kompetenzrechtlich einer besonderen Rechtfertigung11. Auch die Warnung, bei Landes- und Gemeinschaftsteuern biete der Bund Verschonungssubventionen zu Lasten fremder Kassen – der Länder und Gemeinden –, findet Trzaskalik „nur bedingt überzeugend“12.
II. Erwartungen an den Rechtsstaat: Gutes Recht oder gutes Geld? Die Frage, ob der Staat durch Steuern lenken solle, betrifft die verfassungsrechtliche Grundbeziehung zwischen freiheitsverpflichtetem Staat und freiheitsberechtigter Gesellschaft. Grundsätzlich erwartet das Rechtsstaatsprinzip eine Herrschaft des Staates durch das Recht, nicht durch die Macht des Geldes. Die Grundrechte stehen unter einem Vorbehalt des Gesetzes13, nicht unter dem Vorbehalt individueller Finanzkraft, die den Freiheitsberechtigten befähigt, seine Freiheit nach Steuerzahlung in Anspruch nehmen zu dürfen. Die Alternative, mit der Autorität des Gesetzes anzuordnen oder mit der Macht des Geldes zu steuern, verändert die Handlungsweisen des Staates grundlegend. Bei der gesetzlichen Anordnung steht der Gesetzgeber grundsätzlich vor klaren Entscheidungsalternativen: Er verbietet ein bestimmtes Geschäftsgebaren oder belässt es bei der freiheitlichen Erlaubnis. Er anerkennt eine Berufsqualifikation oder sperrt insoweit die freie Berufswahl. Er
__________ 7 Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 85; Paul Kirchhof, Verfassungsrechtliche Grenzen von Umweltabgaben, in: ders. (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht, DStJG, Bd. 15, 1993, S. 7 f. 8 Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 22, E 63; Paul Kirchhof, a. a. O., S. 3/10 sowie bereits Besteuerungsgewalt und Grundgesetz, 1973, S. 60. 9 Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 52 f.; BVerfGE 93, 121 (135) – Vermögensteuer –, eine Entscheidung, bei der ich Berichterstatter war. 10 Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 60; Paul Kirchhof, Gleichmaß und Übermaß, in: Peter Badura/Rupert Scholz (Hrsg.), Festschrift für Peter Lerche, 1993, S. 133 ff. 11 Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 37 f.; 75. 12 Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 74. 13 Walter Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975.
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lässt die Nutzung eines bestimmten Gerätes nach Sicherheits- und Umweltprüfung zu oder er verbietet sie. Gesetzliche Entscheidungen treffen in der Generellität und Abstraktheit ihrer Regelungen grundsätzlich jedermann in gleicher Weise14. Bei der gesetzlichen Entscheidung über Steuerbelastungen und Steuervergünstigungen hingegen gibt es grundsätzlich so viele Entscheidungsalternativen, als eine Summe in Euro teilbar ist. Zudem drängt die Lenkung durch Geld in Begünstigung und Privileg: Wenn der Gesetzgeber auf 80 Millionen Euro verzichten könnte und er deshalb jeden Bürger von einem Euro Steuerschuld entlastete, so wäre diese Maßnahme wirkungslos. Entlastet er hingegen 80 Bürger von jeweils einer Million Euro Steuerschuld, so erreicht er dadurch deutliche Lenkungseffekte. Zudem erzielt die steuerliche Lenkung den beabsichtigten Erfolg nur, wenn der Adressat der angedrohten Steuerbelastung ausweicht oder die angebotene Steuervergünstigung annimmt. Der Gesetzgeber kann die Wirkungen seiner Bestimmungen weder bei den betroffenen Menschen noch für sein Staatsbudget verlässlich einschätzen. Die Aussicht, vom Staat nicht nur gutes Recht sondern auch gutes Geld zu erhalten, verstärkt die Bemühungen mächtiger Gruppen, den Staat in einen Privilegienstaat zu verwandeln. Die Rechtsordnung regelt nicht mehr nur die allgemeine und einfache Struktur des Zusammenlebens, sondern befriedigt tagesaktuelle Regelungsbedürfnisse und gruppennützige Rechtsanliegen. Aus der rechtlichen Grundsatzordnung wird eine überquellende Fülle von Detailregelungen, Besonderheiten, Privilegien und Bevorzugungen. Die Gleichheit vor dem allgemeinen Gesetz und das Verbot der Einzelfallgesetze (Art. 19 Abs. 1 GG) verlieren an praktischer Wirksamkeit. Der Staat kauft dem Freiheitsberechtigten ein Stück seiner Freiheit wieder ab, wenn er Geldzuwendung oder Steuervorteil davon abhängig macht, dass der Steuerpflichtige in den Schiffsbau, den Denkmalschutz, den Filmfonds oder das Windrad investiert, er also Verhaltensweisen wählt, für die er sich selbst aus eigener ökonomischer Vernunft so nicht entscheiden würde. Wenn der Steuerpflichtige sich schließlich noch in Verlustzuweisungsgesellschaften rechtlich bindet, deren ausschließlicher Zweck das Produzieren von Verlusten ist, oder er in unvermietbaren und deshalb unverkäuflichen Mietund Büroraum investiert, so hat der Freiheitsberechtigte seine Freiheit zur ökonomischen Vernunft gänzlich aufgegeben. Das staatliche Gesetz, Ideal der Vernünftigkeit in der generellen und abstrakten, bleibenden Regel, wird zum Interventionsinstrument, das zur Unvernunft lockt. Wenn der Mensch vom Staat weniger Rechtsgewähr und mehr Geldzahlungen erwartet, verschiebt sich auch die Aufgabe des Parlaments. Die parlamentarische Demokratie ist in Deutschland erkämpft worden, damit der
__________ 14 Hasso Hofmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: Christian Starck (Hrsg.), Die Allgemeinheit des Gesetzes, 1987, S. 9 f.
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Steuerzahler selbst, repräsentiert durch seine Abgeordneten, über Art und Höhe der Staatsausgaben und Steuern entscheide15, schon dieses Verfahren die Steuerlast mäßige und gleich bemesse. Heute empfiehlt sich der Abgeordnete seinem Wähler als Vordenker neuer Staatsleistungen, damit von Steuererhöhungen. Der Politiker sucht einzelne Gruppen durch Geldgeschenke an sich zu binden, empfängt dabei Applaus und hofft auf erneuten Beifall durch weitere Geschenke. Der Freiheitsgedanke ist in doppelter Weise substanziell berührt: Der Steuerpflichtige lässt sich seine Freiheitswahrnehmung bereits in der Entstehensphase „abkaufen“, stellt sein freiheitlich gebildetes Handlungsziel gegenüber steuerlichem Erwerbsstreben zurück. Der Steuerpflichtige sucht seinen Gewinn nicht mehr am Markt, sondern im Staatshaushalt. Der Vorbehalt des Gesetzes und die Gleichheit vor dem Gesetz sind elementar bedroht, das Prinzip einer maßvollen Besteuerung durch einen ständigen Antrieb zur Steuererhöhung gefährdet, die Übersichtlichkeit des Gesetzes in der Fülle der Ausnahmeregelungen einer Unverständlichkeit gewichen. Der Mensch kann diese Gesetzgebung nicht mehr als gerecht empfinden.
III. Finanzierung des Staates jenseits des Leistungstausches Die Aufgabe, Macht maßvoll auszuüben, betrifft gegenwärtig vor allem die Herrschaft des Geldes. Geld ist geprägte Freiheit16, damit ökonomische Grundlage fast aller Freiheitsrechte. Unser Leben ist von dem fast unerschöpflichen Bestreben nach Geld und der im Kapital angelegten Mächtigkeit bestimmt. Im Gelderwerb sichert der moderne Mensch die Grundlage seiner Existenz, die wirtschaftliche Basis seiner Freiheit. Allerdings können berufliche Anstrengung und Eigentümerklugheit auch zur Habgier werden, Gewinnstreben drängt ins Grenzenlose und damit ins Übermaß. Manch einer hat sich im Kampf um das Geld gesundheitlich geschädigt, beruflich ruiniert, gesellschaftlich isoliert, in der Ausschließlichkeit des Erwerbstrebens ein Stück seiner Identität verloren. Die Finanzmacht des Staates gründet sich auf Steuern, also auf anstrengungslose Einnahmen. Auch die Staatsleistungen sind von einer Gegenleistung unabhängig, bieten den Empfängern ein wiederum anstrengungsloses Einkommen. Dieser Geldkreislauf jenseits des Leistungstausches macht den Staat von seinem Financier unabhängig, erlaubt ihm, Leistungen allein nach Gesetz und Recht zu erbringen, also auch dem Bedürftigen sozialstaatliche Zuwendungen zuzuweisen, begründet aber in seiner Anstrengungslosigkeit
__________ 15 Reinhard Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976; Karl Heinrich Friauf, Der Staatshaushaltsplan im Spannungsfeld zwischen Parlament und Regierung, 1968, S. 19 ff. 16 BVerfGE 97, 350 (371) – Euro –.
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einen Hang zur ständigen Mehrung von Staatseinnahmen und Staatsausgaben, droht in diesem Übermaß die staatliche Kultur des Maßes zu sprengen. Der Staat folgt als Treuhänder seiner Geldgeber, der Steuerzahler, dem Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit, nicht wie der freie Bürger der Tauschgerechtigkeit. Er setzt seine Haushaltsmittel für öffentliche Aufgaben und Einrichtungen ein, die der Allgemeinheit der Staatsbürger oder Inländer zugute kommen, ohne dass der Geldgeber wegen seiner Zahlungen eine bevorzugende Staatsleistung erwarten dürfte. Der Sozialstaat gewährt Sozialhilfe, weil der Empfänger bedürftig ist und die Sozialleistung gerade nicht entgelten kann. Der Rechtsstaat teilt Berechtigungen – den Führerschein oder die Baugenehmigung – nach Qualifikations- und Gemeinverträglichkeitskriterien zu und wehrt sich mit der Strafbarkeit jeder Bestechlichkeit gegen eine entgeltliche Vergabe der Rechte. Die Demokratie verlöre die Unbefangenheit und gleichmäßige Distanz zu allen Bürgern, wenn der Großsteuerzahler mehr Einfluss auf die Entscheidung der Staatsorgane gewönne als der Kleinsteuerzahler oder der Nichtsteuerzahler. Die Republik gäbe ihre Allgemeinwohlverantwortlichkeit auf, müsste sie die staatliche Leistung dem Entgeltbereiten und Entgeltfähigen vorbehalten. Deshalb ist die marktwirtschaftlich-wettbewerbliche Tauschgerechtigkeit folgerichtig von der staatlichen Bedarfsgerechtigkeit zu unterscheiden17. Bei der Tauschgerechtigkeit begründen freiheitsberechtigte Menschen Rechtsverbindlichkeiten für Güter und Leistungen, weil sie den Tausch der für sie verfügbaren Güter im freien Wettbewerb wollen. Bei der Bedarfsgerechtigkeit verfügt der freiheitsverpflichtete Staat in Treuhänderschaft für andere nach Maßstäben des Rechts und setzt sie für die Bedürfnisse der ihm anvertrauten Menschen ein. Diese unterschiedlichen Maßstäbe geraten durcheinander, wenn in einem Europa und einer Welt der offenen Grenzen die Menschen – Bedürftige, Steuerzahler und Unternehmen – ihren Standort wechseln und für sich damit die Rechtsordnung eines anderen Staates wählen wollen. Auswanderung und Einwanderung sind zwar Elementarrechte für denjenigen, der seine Freiheit und Identität im Hoheitsbereich einer Staatsordnung nicht findet. Sie bieten aber nicht in einem „Wettbewerb der Rechtssysteme“ ein Instrument, um sich als Nachfrager in diesem vermeintlichen Wettbewerb zu beteiligen. Die Mehrzahl der Bürger nämlich lebt – durch Staatsangehörigkeit gefestigt – in einem Staat, wandert nicht aus, macht also von einem „Angebot“ eines anderen Staates niemals Gebrauch. Nur wenige Menschen und Unternehmen können und wollen ihren Heimatstaat verlassen, wenn ein anderer Staat höhere Subventionen anbietet, ein einfacheres Steuerrecht
__________ 17 Paul Kirchhof, Das Wettbewerbsrecht als Teil einer folgerichtigen und widerspruchsfreien Gesamtrechtsordnung, in: ders. (Hrsg.), Gemeinwohl und Wettbewerb, 2005, S. 1 (7 f.).
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regelt, die Lebensmittelzulassung weniger streng handhabt oder die betriebliche Mitbestimmung unternehmerfreundlicher gestaltet. Demokratische Staaten umwerben nicht Kunden, sondern dienen ihren Staatsbürgern. Sie erfüllen ihre Aufgaben vielfach in gegenseitiger Abstimmung, bei den Ländern etwa die Innen- oder Kultusministerkonferenz, ohne dabei einem Kartellverbot zu unterliegen. Sie suchen den anderen Staat nicht in „feindlicher“ Übernahme zu verdrängen, sondern garantieren im Rahmen der UNO und der Europäischen Union dessen Status. Vor allem aber wird das Recht einseitig gesetzt, ohne Entgelt und Gegenleistung zu erwarten. Deshalb sollte jeder bevorzugende Ansiedlungsanreiz, der als „Entgelt“ Steuereinnahmen erwartet, als bestechungsähnlicher Leistungsaustausch für Staaten und Bundesländer strikt unterbunden werden. Der Gleichheitssatz fordert die Zuteilung von Rechten unabhängig von der Steuerkraft. Ebenso verbietet er einen Steuervorteil für den Ansiedlungsbereiten, weil Steuern nach Einkommen und Kaufkraft, nicht nach einem „Ansiedlungswettbewerb“ bemessen werden. Der Rechtsstaat verfügt nicht individuell je nach Gegenleistungsangebot über Rechte – nicht über Gewerbekonzessionen, Baugenehmigungen, Emissionsrechte, Subventionen und nicht über Steuerpflichten. Jede Annäherung an Tauschprinzipien beschreitet den Weg zur Korrumpierung. Deshalb muss die Tauschgerechtigkeit wieder strikt auf die Verständigung über frei verfügbare Leistungen begrenzt, der Staat hingegen in den Maßstäben der Bedarfsgerechtigkeit gebunden werden. Die Tauschgerechtigkeit gilt für die öffentliche Hand nur, soweit der Staat Waren und Dienstleistungen erwirbt. Im übrigen folgt der Staat dem Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz, das abweichende Vereinbarungen ausschließt. Die freiheitliche Demokratie baut auf die Erneuerungskraft von Staat und Staatsvolk in Bindung an Legitimation, Verfassungsrecht und Verantwortlichkeit, unabhängig von Entgelt und Marktstrukturen. Ein wesentlicher Reformauftrag der Gegenwart liegt gerade im Abbau von entgeltähnlichen Leistungsverhältnissen. Der Bürger will in einem sozialen Sicherungssystem Besitzstände bewahren, im Generationenvertrag die nachfolgende, teilweise noch nicht geborene Generation auf ein herkömmliches Leistungssystem verpflichten, in Arbeitnehmerrechtsverhältnissen ein Stück stetiger Verlässlichkeit gegen Freiheit eintauschen, die klassischen Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit durch Freiheit, Gleichheit, Sicherheit eintauschen. Eine Rückkehr zu den klassischen Idealen der Demokratie wehrt verfassungspolitisch die Steuervergünstigung ab, in der ein gleicher Bürger seinen finanziellen Vorteil im Staatshaushalt sucht und dabei die Mehrbelastung anderer Steuerpflichtiger in Kauf nimmt. Die Steuervergünstigung ist gegenwärtig zwar eine Alltagserscheinung moderner Gesetzgebung, sollte aber wieder zur rechtfertigungsbedürftigen Ausnahme werden.
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IV. Verfassungsrechtliche Anforderungen an eine Lenkungsteuer Die Steuer ist grundsätzlich eine allen Bürgern unausweichlich18 auferlegte Gemeinlast, durch die der Staat den Inländer je nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit gleich zur Finanzierung der staatlichen Aufgaben heranzieht19. Die Steuer bleibt im Gegensatz zu entgeltähnlichen Abgaben von „bedingenden Zusammenhängen losgelöst“; sie ist insoweit „voraussetzungslos“20. Ihre Aufgabe ist es, einen Teil der beim Einzelnen tatbestandlich nachgewiesenen oder vermuteten Zahlungskraft abzuschöpfen und sie öffentlichen Haushalten zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben zuzuführen. Die Verwendung des Handlungsmittels „Steuer“ rechtfertigt sich aus der staatlichen Teilhabe am Erfolg individuellen freiheitlichen Erwerbs. Dennoch ist es verfassungsrechtlich21 und abgabenrechtlich (§ 3 AO) anerkannt, dass der Staat seine Besteuerungsgewalt nicht nur zu Finanzierungszwecken, sondern auch zu Lenkungszwecken einsetzen darf. Diese Feststellung beschreibt jedoch das verfassungsrechtliche Problem, gibt noch keine verfassungsrechtliche Antwort auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen und inwieweit der Gesetzgeber eine Lenkungsteuer vorsehen darf. Wenn das Finanzierungsinstrument der Steuer für Verwaltungszwecke eingesetzt wird, ist die im Steuersystem angelegte Formenbindung gelockert, also ein besonderer Rechtfertigungsbedarf gegeben. Die Lenkungsteuer bleibt im System der Steuerfinanzierung des Staates ein Fremdkörper22: Die Lenkungsteuer beansprucht Steuergesetzgebungskompetenzen für Verwaltungszwecke, überfordert die Finanzverwaltung in der Zuweisung nichtsteuerlicher Verwaltungsaufgaben, gewährt bei Gemeinschaftsteuern oder Landesertragsteuern Zuwendungen zu Lasten fremder Haushalte, wird allein durch Erfüllung des Steuertatbestandes zugeteilt und entzieht sich dadurch den engeren Bindungen eines Subventionsverfahrens, belässt das Parlament und die Öffentlichkeit im Unklaren über die Höhe des Subventionsvolumens und weicht der regelmäßigen Überprüfung des parlamentarischen Budgetrechts aus, verfremdet durch nicht im Haushalt ausgewiesene Subventionen die Aussage über die Staatsquote, begründet systemimmanente Widersprüche, wenn sie gleichzeitig durch Steuerentlastung bestimmte, z. B. umweltfreundliche, Verhaltensweisen anregt und gleich-
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18 BVerfGE 96, 1 (6 f.) – Arbeitnehmerfreibetrag –; 101, 97 (309) – Arbeitszimmer –. 19 BVerfGE 84, 239 (269) – Zinsbesteuerung –. 20 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1924, Bd. I, S. 316; dazu Klaus Vogel, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 1990, § 87 Rn. 43; Paul Kirchhof, Staatliche Einnahmen, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 1990, § 88 Rn. 51. 21 BVerfGE 93, 171 (146 f.) – Vermögensteuer –; 98, 106 (117) – Verpackungsteuer –; 110, 274 (292) – Ökosteuer –. 22 Paul Kirchhof u. a., Karlsruher Entwurf zur Reform des Einkommensteuergesetzes, 2001, S. 19 f.
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bleibende, nur bei umweltschädlichem Verhalten erreichbare Steuererträge verspricht, gefährdet ein staatliches Verwaltungsprogramm, etwa des Umweltschutzes, weil der Adressat sich durch Steuerzahlung von der Verwaltungspflicht „freikaufen“ kann, beeinflusst die Freiheit des Subventionsempfängers bereits in der sensiblen Phase der Bildung eines freien Willens, durchbricht als Steuervorzug die Besteuerungsgleichheit und gewährt vielfach auch – insbesondere bei der Minderung der Bemessungsgrundlage einer progressiven Steuer – Steuerprivilegien, drängt den Bürger auch zu Verhaltensweisen, die er in alleinverantwortlicher ökonomischer Vernunft so nicht wählen würde, veranlasst also tendenziell individuelle ökonomische Unvernunft. Das Bundesverfassungsgericht stellt deshalb an eine Lenkungsteuer wachsende Anforderungen: Zunächst wird eine Lenkungsteuer nur anerkannt, wenn der Lenkungszweck von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen ist23. Sind die Einheitswerte lediglich tatsächlich hinter den Verkehrswerten zurückgefallen24 oder war mit der Einbeziehung in die Ertragsanteilsbesteuerung eine steuerliche Begünstigung der Sozialversicherungsrenten nicht bezweckt25, so können diese steuerlichen Bevorzugungen nicht durch nichtfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele gerechtfertigt werden; sie liefern keine rechtfertigenden Gründe für steuerliche Be- oder Entlastungen26. Sodann muss der Steuergesetzgeber, wenn er eine Steuer als Verwaltungsmittel einsetzen will und damit in den Kompetenzbereich des Sachgesetzgebers übergreift, die beabsichtigte Lenkung der Gesamtkonzeption der sachlichen Regelung und deren konkreten Einzelregelungen anpassen; anderenfalls verstößt die Lenkungsteuer gegen die grundgesetzliche Kompetenzordnung27. Diese kompetenzrechtliche Verpflichtung zur wechselseitigen staatlichen Rücksichtnahme wird durch das Rechtsstaatsprinzip ergänzt, das auch eine widerspruchsfreie Abstimmung aller Regelungen gegenüber den Grundrechtsträgern fordert, so dass den Normadressaten nicht gegenläufige, widersprüchliche Verbindlichkeiten erreichen28. Unter diesen Voraussetzungen ist für die Steuerintervention neben der Steuergesetzgebungskompetenz keine zusätzliche Sachkompetenz erforderlich29.
__________ 23 BVerfGE 93, 121 (147) – Vermögensteuer –; 105, 73 (112 f.) – Rentenbesteuerung –; 110, 274 (293) – Ökosteuer –. 24 BVerfGE 93, 121 (147) – Vermögensteuer –. 25 BVerfGE 105, 73 (113) – Rentenbesteuerung –. 26 BVerfGE 93, 121 (147 f.) – Vermögensteuer –; 99, 280 (296) – Zulage Ost –; 105, 73 (113) – Rentenbesteuerung –. 27 BVerfGE 98, 83 (97 f., 104 f.) – Landesabfallabgabe –. 28 BVerfGE 98, 106 (118 f.) – Kommunale Verpackungsteuer –. 29 BVerfG, a. a. O.
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Die dritte Begrenzung der Lenkungsteuer ergibt sich aus deren Zweck. Auch der Steuergesetzgeber darf das Verhalten der Steuerpflichtigen nur aus Gründen des Gemeinwohls lenken30. Der Gesetzgeber hat diesen gemeinwohldienlichen Lenkungszweck strikt vom Gruppenprivileg abzugrenzen, seine Gemeinwohlverpflichtung nachdrücklich gegenüber tagesaktuellen Interventionswünschen abzuschirmen. Dabei wird sich erweisen müssen, dass der Tatbestand „nur zum Wohle der Allgemeinheit“ ähnlich der Enteignungsvoraussetzung (Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG) als griffige Grenze gehandhabt werden kann. Sollen nichtfiskalische Ziele steuerliche Lenkungen rechtfertigen, so ist „ein Mindestmaß an zweckgerechter Ausgestaltung des Vergünstigungstatbestandes“ erforderlich31. Fehlt ein Mindestmaß an gegenseitiger Abstimmung zwischen ausgleichsbedürftigen Nachteilen der jeweiligen Altersbezüge und Ausgleichswirkungen der Steuervergünstigung, so entfällt ein rechtfertigender Grund für die ungleich wirkende Steuervergünstigung32. Nach diesen Maßstäben erwies sich die Ertragsanteilsbesteuerung der Rentenbezüge als ein offensichtlich ungeeignetes Instrument zum Ausgleich möglicher rentenrechtlich bedingter Versorgungsdefizite33. Hat der Steuergesetzgeber eine Ausnahmeregelung getroffen, bleibt die Regelbelastung grundsätzlich die Grundregel, der gegenüber die Ausnahme zu rechtfertigen ist. Ist der Zweck der Lenkungsteuer erreicht oder sonst entfallen, dient der Abbau dieser nicht mehr gerechtfertigten Lenkungsteuer der folgerichtigen Ausgestaltung der gesetzlichen Belastungsgründe und wird auch am Maßstab der grundrechtlich veranlassten Verhältnismäßigkeitsprüfung grundsätzlich hinreichend gerechtfertigt34. Die Aufhebung der Lenkungsteuer ist auch geeignet, das Steuerrecht zu vereinfachen und ein „ordnungspolitisches Signal“ zu setzen35. Das steuergesetzliche Subventionsangebot bildet zwar eine Vertrauensgrundlage, auf die der Steuerpflichtige sein steuerlich geregeltes Verhalten stützt36. Jedenfalls bei unbefristeten und über Jahrzehnte wirkenden Steuervergünstigungen kann er sich aber nicht darauf berufen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht mehr zu seinen Lasten verändert werden dürfen37. Gerade innerhalb eines zur wechselseitigen Rücksichtnahme verpflichtenden Subventionsrechtsverhältnisses muss der Steuerpflichtige seine langfristigen Dispositionen auch auf die sich
__________ 30 31 32 33 34 35 36 37
BVerfGE 93, 121 (147) – Vermögensteuer –. BVerfGE 105, 73 (113 f.) – Rentenbesteuerung –. BVerfG, a. a. O. BVerfGE 105, 73 (114) – Pensionsbesteuerung –. BVerfGE 105, 17 (32 ff.) – Sozialpfandbriefe –. BVerfG, a. a. O. (35). BVerfGE 97, 67 (80) – Schiffsbausubvention –. BVerfG, a. a. O. (36 f.).
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wandelnden Anliegen des Staates und seiner demokratischen Gesetzgebung einrichten38. Nimmt der Steuerpflichtige das gesetzliche Angebot einer Steuersubvention durch Tatbestandserfüllung an, erwirbt er keine durch Einsatz von Arbeit oder Kapital erworbene Rechtsposition, folglich kein durch Art. 14 Abs. 1 GG geschütztes Eigentum39. Ebenso verfestigt die in Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Unternehmerfreiheit nicht eine zur Dispositionsgrundlage eines Unternehmers gewordene Gesetzeslage zu einem grundrechtlich geschützten Bestand40. Allerdings gelten Gesetze – anders als Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen – über den Einzelfall hinaus und versprechen wegen dieser Allgemeingültigkeit grundsätzlich ein hohes Maß an Beständigkeit41. Die Steuergesetze setzen Rahmenbedingungen, die erst ein geordnetes Wirtschaften ermöglichen. Steuerrechtliche Dispositionsbedingungen bilden deshalb zwar bei der Disposition eine schützenswerte Vertrauensgrundlage42. Bei der Fortentwicklung der Lebensverhältnisse und der demokratischen Gesetzgebung behält der Steuerpflichtige jedoch „keinen abwägungsresistenten“ Vertrauensschutz, sondern muss sich darauf einrichten, dass der Gesetzgeber zwischen der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl einerseits und der Betroffenheit des in seinem Vertrauen geschützten Steuerpflichtigen in seinen geschützten Grundrechtspositionen andererseits abwägt43. Will der Gesetzgeber erkennbar eine Subvention aufgeben, muss der Steuerpflichtige danach und bei Abschluss und inhaltlicher Gestaltung steuerveranlasster Vertragsverbindlichkeiten in Rechnung stellen, dass das Subventionsangebot geändert werden soll; andernfalls muss der steuerveranlasste Kapitaleinsatz bewusst als Einsatz von Risikokapital bemessen werden44. Der Steuerpflichtige gewinnt deshalb durch das gesetzliche Angebot einer Steuersubvention einen gesetzlichen Anspruch auf eine durch den Subventionszweck gerechtfertigte steuerliche Begünstigung, nicht aber einen Anspruch auf kontinuierlichen Fortbestand dieses Vorteils. Die Steuersubvention ist in das Subventionsprogramm eingebettet, dessen Ziel und Grenze „mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet und gleich-
__________ 38 So BVerfGE 105, 17 – Sozialpfandbriefe –, dort allerdings S. 38: Die Vertrauensgrundlage sei bei einer steuerrechtlichen Lenkungsvorschrift „verstärkt“; vgl. im Übrigen: BVerfGE 72, 200 (254 f.) – deutsch-schweizerisches Doppelbesteuerungsabkommen –; BVerfGE 97, 67 (78 f.) – Schiffsbausubvention –; Paul Kirchhof, Rückwirkung von Steuergesetzen, StuW 2000, 221 f. 39 BVerfGE 97, 67, 83 – Schiffsbausubvention –. 40 BVerfG, a. a. O. 41 BVerfGE 105, 17 (36 f.) – Sozialpfandbriefe –. 42 BVerfGE 97, 67 (80) – Schiffsbausubvention –. 43 BVerfGE 105, 17 (42 f.) – Sozialpfandbriefe –. 44 BVerfGE 97, 67 (82 f.) – Schiffsbausubvention –.
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heitsgerecht ausgestaltet“ sein muss45. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip und der Gleichheitssatz finden in dieser gesetzlichen Bestimmung ihr Ziel und ihren Rahmen. Darüber hinaus muss die Steuervergünstigung nach ihren tatsächlichen Wirkungen bemessen werden: Beiträge und Spenden an politische Parteien dürfen deshalb im Rahmen des strikten Gleichheitssatzes nur insoweit begünstigt werden, als die steuerliche Begünstigung von der Mehrzahl der Steuerpflichtigen in gleicher Weise genutzt werden kann (Normalspende)46. Das Recht des Bürgers auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung hat – neben der Chancengleichheit der Parteien - zur Folge, dass hohe Spenden natürlicher Personen nicht steuerlich begünstigt werden dürfen. Außerdem dürfen natürliche Personen nicht über eine von ihnen bestimmte Körperschaft zusätzlichen, vom Staat geförderten Einfluss auf die politische Willensbildung gewinnen; Spenden von Körperschaften dürfen deshalb steuerlich nicht begünstigt werden47.
V. Drei offene Fragen Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Rechtsprechung verdeutlicht, dass Steuervergünstigungen Freiheit und Gleichheit der Berechtigten wie auch ihrer Konkurrenten grundrechtserheblich betreffen können. Zudem sind auch die Kompetenzfragen verfassungsrechtlich aufgenommen worden; gefordert wird nicht eine Doppelkompetenz für Steuer- und Sachgesetzgebung, wohl aber eine Verpflichtung zur Rücksichtnahme der Steuergesetzgebung auf das Sachprogramm. Dürfte ich diese Entwicklung der Rechtsprechung heute mit Christoph Trzaskalik erörtern, so würde er ihr vermutlich mit wohlwollender Kritik, ich mit kritischem Wohlwollen begegnen. Drei Fragen bleiben jedoch offen: die der Ertragshoheit, die Dogmatik der „Wahlschuld“ und die Bedeutung des sog. Halbteilungsgrundsatzes für Lenkungsteuern. 1. Die Einordnung von Lenkungsteuern in das finanzverfassungsrechtliche System der Ertragshoheit wird zum Problem, weil die Steuergesetzgebung nach Art. 105 GG in der Regel beim Bund liegt, die Ertragshoheit jedoch für die Gemeinschaftsteuern der Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer nach Art. 106 Abs. 3 GG bei Bund und Ländern, für andere Steuern, insbesondere die Erbschaftsteuer und die Kraftfahrzeugsteuer, sogar ausschließlich bei den Ländern. Der Bundesgesetzgeber kann also Steuervergünstigungen anbieten, die ganz oder teilweise durch die Länder finanziert werden müssen. Würde der Bundesgesetzgeber hingegen Leistungssubventionen vorsehen, so müsste er sie aus dem eigenen Haushalt finanzieren; ein Zugriff auf den Länderhaushalt wäre ausgeschlossen.
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45 BVerfGE 99, 280 (296) – Zulage Ost –; BVerfGE 93, 121 (148) – Vermögensteuer –. 46 BVerfGE 85, 264 (313) – Parteienfinanzierung VI –. 47 BVerfG, a. a. O (314 f.).
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Das Bundesverfassungsgericht hat die Problematik abgabengesetzlicher Einwirkungen auf das Budgetrecht des Parlaments bisher nur für die „haushaltsflüchtige“ Sonderabgabe vertieft48. Die Sonderabgabe sei nur als seltene Ausnahme zulässig und rechtfertigungsbedürftig, weil sie – neben der Kompetenz- und Gleichheitsfrage – das Abgabeaufkommen für einen Sonderzweck binde, damit den Entscheidungen des Budgetgesetzgebers vorgreife und die Vollständigkeit des Haushaltsplans in Frage stelle. Diese Rechtsprechung ist nunmehr durch eine haushaltsrechtliche Informationspflicht verschärft worden49. Sonderabgaben sind zum Schutz des parlamentarischen Budgetrechts in einer dem Haushaltsplan beigefügten Anlage zu dokumentieren. In dieser sind alle nichtsteuerlichen Abgaben aufzunehmen, die weder Gebühr noch Beitrag sind und bei denen mangels sonstiger spezieller Sach- und Zweckzusammenhänge eine Konkurrenz zur Steuer nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Diese aus dem Budgetrecht des Parlaments (Art. 110 GG) und dem Gebot wirksamer parlamentarisch-demokratischer Legitimation und Kontrolle von Haushaltsplanung und Haushaltsentscheidung entwickelten Erfordernisse legen es nahe, den Respekt des Steuergesetzgebers vor der Budgethoheit des Parlaments auch und insbesondere dann einzufordern, wenn der Gesetzgeber in die Budgethoheit einer anderen Gebietskörperschaft übergreift. In dieser bundesstaatlichen Frage steht die Verfassungsrechtsprechung erst an einem Anfang. 2. Christoph Trzaskalik wendet sich nachdrücklich gegen die Vorstellung, die lenkende Abgabe begründe für den Pflichtigen die Wahlschuld, sich entweder der Abgabelast zu unterwerfen oder das im Lenkungstatbestand empfohlene Verhalten zu beachten50. Das Ausweichverhalten sei von der Regelungsanordnung nicht erfasst. Der Steuerpflichtige habe zwar die Wahl, schulde aber nicht ein alternatives Verhalten (Vermeidung oder Zahlung). Steuerrechtlich sei nur das geschuldet, wozu das Gesetz verpflichte: Die Zahllast, nicht die Vermeidungsalternative. Die Lenkungsteuer äußere sich auch nicht ansatzweise zu Art, Umfang und Zumutbarkeit der Vermei-
__________ 48 BVerfGE 82, 159 (181) – Absatzfonds –; 91, 186 (203 f.) – Kohlepfennig –; 92, 91 (113) – Feuerwehrabgabe –; 98, 83 (100) – landesrechtliche Abfallabgabe –; 101, 141 (147) – Ausgleichsfonds –. 49 BVerfGE 108, 186 (280) – Altenpflegeumlagen –; 110, 370 (393) – KlärschlammEntschädigungsfonds –. 50 So zuerst P. Kirchhof, Besteuerungsgewalt und Grundgesetz, 1973, S. 60; ders., JZ 1979, S. 153, 157; ders., Gutachten zum 57. Deutschen Juristentag, 1988, F. 78; ders., in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 1990, § 88 Rn. 58; ders., DStJG Bd. 15, 1993, S. 3, 10; zustimmend etwa Hans G. Ruppe, Das Abgabenrecht als Lenkungsinstrument der Gesellschaft und Wirtschaft und seine Schranken in den Grundrechten, Verh. des Achten Österreichischen Juristentages Graz 1982, Bd. I, 1982, S. 66; Wolfram Höfling, StuW 1992, S. 242, 247; S. Meyer, Gebühren für die Nutzung von Umweltressourcen, 1995, S. 205, 235; Michael Kloepfer, Umweltrecht, 2. Auflage 1998, § 5 Rn. 282.
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dungsmöglichkeiten. Eine Stromsteuer verpflichte den Verbraucher weder zu energiesparenden Investitionen noch zum Frieren, die Tabak- oder Alkoholsteuer weder zum Konsumverzicht noch zur Bekämpfung einer Sucht, das Baulandsteuergesetz weder zur Bebauung noch zur Veräußerung des Grundstücks51. In diesem Einwand zeigt sich die rechtliche Schärfe des Arguments, das die verbindliche Rechtsfolge in den Blick nimmt, die Nichtanwendbarkeit dieser Rechtsfolge bei tatbestandlicher Vermeidung jedoch außerhalb der verfassungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Gesetzgebers ansiedelt. Wird allerdings mit dem Bundesverfassungsgericht52 eine Lenkungsteuer nur anerkannt, wenn der Lenkungszweck mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet und gleichheitsgerecht ausgestaltet wird, so tritt die Lenkungsfolge auch formalisiert in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers und wird – dort ausdrücklich für den Gleichheitssatz – auch in dieser Alternative an den Grundrechten gemessen. Der Gedanke der Wahlschuld hat deshalb die dogmatische Funktion, die Rechtfertigungsbedürftigkeit sowohl der Zahllast wie der Ausweichlast gegenüber den Grundrechten bewusst zu machen. Würde der Lenkungszweck des Energiesparens, des Bekämpfens hochgradiger Süchtigkeit oder der Bebauung mit hinreichender Bestimmtheit im Gesetz tatbestandlich vorgezeichnet sein, so müsste der Gesetzgeber auch diese Regelung gegenüber den Grundrechten verantworten. Gleiches gilt von einer steuerlichen Belastung, die den Adressaten etwa zur Verwendung einer umweltfreundlichen Technik anhalten will. Auch hier zeichnet das Gesetz mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich die Zahllast und die Ausweichlast vor. 3. Schließlich äußert Christoph Trzaskalik Zweifel daran, ob die Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 14 GG als Maßstab und Schranke für lenkende Steuern Wirkungen entfalten werde. Seine Analyse der Rechtsprechung ist kurz und trefflich: Die Rechtsprechung lebt aus der Erwägung, dem Einzelnen einen „Kernbestand des Erfolgs einer Betätigung im wirtschaftlichen Bereich“ zu sichern53. Mit der Belastungsobergrenze, die in der Nähe einer hälftigen Teilung verläuft, soll gesichert werden, dass vom verdienten Geld – verstanden als „geprägte Freiheit“54 – ein angemessener Teil dem steuerlichen Zugriff entzogen ist55. Das Verbot „erdrosselnder Steuern“56 wurde quantifiziert. Die Rechtsprechung
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51 Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 22 f. 52 BVerfGE 93, 121 (148) – Vermögensteuer –, seitdem stRspr. vgl. oben Fn. 23. 53 BVerfGE 87, 153 (169); 93, 121 (137); danach erübrigt sich ein Nachdenken über Art. 2 Abs. 1 GG. 54 So BVerfGE 97, 350 (371) – Euro –. 55 Zur Entwicklung der Rechtsprechung: Klaus Vogel/Christian Waldhoff, Vorb. zu Art. 104a–115 GG, Rn. 532 ff.; zum „Halbteilungsgrundsatz“ Hermann Butzer, Freiheitsrechtliche Grenzen der Steuer- und Sozialabgabenlast, 1999. 56 Vgl. die Nachweise im Sondervotum von Böckenförde, BVerfGE 93, 154.
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besagt aber nichts dazu, welche Steuern im Einzelnen gelten sollen und wie sie ausgestaltet werden dürfen. Der Lenkungszweck oder nichtfiskalische Zweck ist ohne jede Bedeutung für die Höhe des Steuersatzes. Es gibt keine Bemessungsregeln, die davon abhängig wären, ob die Steuer auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners oder auf einen „sonstigen“ Zweck zielt. Es gilt einheitlich die nunmehr quantifizierte Belastungsobergrenze57. Jede Lenkungsteuer muss jedoch grundrechtlich in der Belastungsintensität beurteilt werden, die sie nach dem Gesetz entfaltet. Weicht der Steuerpflichtige dem Steuertatbestand nicht aus, trägt er die gesetzlich vorgesehene Zahllast. Diese ist in der gesetzlich vorgesehenen Höhe vor Art. 14 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Allerdings bezieht sich die Belastungsobergrenze in der Nähe der hälftigen Teilung auf die im Zusammenwirken der verschiedenen Steuern erreichte Gesamtbelastung. Dieser Maßstab ist notwendig, weil der Steuerpflichtige in dieser Gesamtsumme beschwert und es für ihn weniger erheblich ist, aus welchem Steuergesetz diese Belastung folgt. Das Bundesverfassungsgericht steht jedoch vor der Schwierigkeit, dass es ein Überschreiten der Belastungsobergrenze nicht einer einzelnen Steuer zuordnen kann; welche Einzelsteuer „das Fass zum Überlaufen bringt“, lässt sich logisch nicht beurteilen. Vielmehr liegt es in der Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers, an welcher Stelle er das Übermaß zurücknehmen und das Zusammenwirken der Einzelsteuern in die verhältnismäßige Last zurückführen will. Das Bundesverfassungsgericht wird deshalb eine Appell- oder Unvereinbarkeitserklärung treffen, die den Gesetzgeber beauftragt, das Übermaß binnen bestimmter Frist zurückzunehmen. Auch hier weist die Kritik von Christoph Trzaskalik trefflich in die Zukunft. Seine Fähigkeit, Grundstrukturen des Steuerrechts aufzudecken und daran die gegenwärtige Entwicklung von Gesetzgebung und Rechtsprechung zu messen, verdient Bewunderung. Wir werden seine Werke immer wieder lesen und mit Gewinn zu Rate ziehen.
__________ 57 Christoph Trzaskalik, a. a. O., E 52 f.
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Ökologische Steuerreform, Verfassungsrecht und Bundesverfassungsgericht Bemerkungen anläßlich der Ökosteuer-Entscheidungen des BVerfG vom 20. April 2004
Inhaltsübersicht I. Einführung II. Zum Steuer- und zum Verbrauchsteuer-Charakter der Strom- und der (erhöhten) Mineralölsteuer 1. Steuercharakter 2. Verbrauchsteuer-Charakter III. Zur Grundrechtsbetroffenheit der „indirekt“ steuerbelasteten Unternehmen 1. Die thematisch berührten Grundrechte 2. Selbstbetroffenheit der „indirekt“ steuerbelasteten Unternehmen?
IV. Zur Asymmetrie von Steuerbelastung und Aufkommensverwendung V. Gleichheitsgerechtigkeit der Vergünstigungstatbestände und der Auswahl der begünstigten Unternehmen? 1. Zur Gleichheitsgerechtigkeit der Vergünstigungstatbestände 2. Zur sachgerechten Abgrenzung des Kreises der begünstigten Unternehmen VI. Schlußbemerkung
I. Einführung Christoph Trzaskalik, dessen ehrendem Andenken dieser Beitrag gewidmet ist, hat sich des Themas der Umweltabgaben1 recht spät angenommen. Erschien seine erste wissenschaftliche Arbeit im Jahre 19722, so veröffentlichte er seine erste einschlägige Abhandlung – „Der instrumentelle Einsatz von Abgaben. Bemerkungen zum Entwurf eines Abfallabgabengesetzes“ – erst 19923. Freilich reihte ihn diese Untersuchung in ihrer von jeder Routine freien zupackenden wie tiefschürfenden, dabei durchweg abgewogenen Gedankenführung alsbald in die Reihe der führenden Vertreter des Umweltabgabenrechts ein. So kam es nicht von ungefähr, daß ihm 2000 die Erstattung des öffentlich-rechtlichen Gutachtens zum 63. Deutschen Juristentag anvertraut wurde, das sich – als seine zweite und leider letzte umweltabga-
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Vgl. zu ihnen etwa Söhn, Umweltsteuern und Finanzverfassung, in: FS Stern, 1997, S. 587; Jachmann, Die Rechtfertigung der ökologisch motivierten Steuer, in: FS Selmer, 2004, S. 707; Koch, Umweltabgaben in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ebd., S. 769, jew. m. w. Nachw. Vgl. Trzaskalik, Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung im Lichte der allgemeinen Prozessrechtslehre, 1972. Vgl. StuW 1992, S. 135–150.
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Peter Selmer
benrechtliche Abhandlung – umfassend, dabei in vielfacher Hinsicht weiterführend mit der Frage auseinandersetzte: „Inwieweit ist die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts zu empfehlen?“4. In dem Gutachten finden sich mannigfache Einwürfe auch zu der sogenannten – seinerzeit gerade in Kraft getretenen – ökologischen Steuerreform, deren kürzliche verfassungsgerichtliche Beurteilung Gegenstand des vorliegenden Beitrages ist5. Das Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform vom 24. 3. 1999 (BGBl I, 378), das am 1. 4. 1999 in Kraft trat, normierte in Art. 1 – erstmalig – ein Stromsteuergesetz (StromStG) sowie in Art. 2 eine Reihe von Änderungen des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG). Das Stromsteuergesetz ordnete eine Besteuerung elektrischen Stroms mit 2 Pfennig/kWh an; die Mineralölsteuer wurde für Diesel und Benzin um 6 Pfennig/l, für Heizöl um 4 Pfennig/l und für Gas um 0,32 Pfennig/kWh erhöht. Im Gegenzug wurde der Beitragssatz zur Rentenversicherung paritätisch um 0,8 Prozentpunkte gesenkt. Der ökologischen Steuerreform lag das Konzept zu Grunde, durch die erstmalige Besteuerung von Strom und die Erhöhung der Steuersätze für Mineralöl den Energieverbrauch zu verteuern und gleichzeitig durch die erhöhten Steuereinnahmen die Lohnnebenkosten zu senken6. Durch die Verteuerung des Energieverbrauchs sollten Anreize geschaffen werden, vorhandene Energiesparpotenziale auszuschöpfen, erneuerbare Energie stärker auszubauen und energiesparende und ressourcenschonende Produkte und Produktionsverfahren zu entwickeln7. Mit den erhöhten Steuereinnahmen sollte der Finanzbedarf für die angestrebte Senkung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Rentenversicherung ausgeglichen werden8. Sowohl das Stromsteuergesetz als auch das geänderte Mineralölsteuergesetz enthielten Vergünstigungstatbestände, insbesondere solche zugunsten der – von den übrigen Branchen nach der vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Klassifikation der Wirtschaftszweige abgegrenzten – Unternehmen des „Produzierenden Gewerbes“, um der „energieintensiven Wirtschaft“ die „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ zu erhalten9. An den Vergünstigungen hielt auch das Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform vom 16. 12. 1999 (BGBl. I, 2432) – bei einer Verschärfung der Belastungen im Übrigen – fest. Das Gesetz zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform vom 23. 12. 2002 (BGBl. I, 4602), in Kraft getreten am 1. 1. 2003, hat vor allem den ermäßigten Steuersatz für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes von 20 v. H. des Regelsatzes auf 60 v. H. angehoben.
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Vgl. Gutachten E zum 63. Deutschen Juristentag Leipzig 2000, 2000, S. E 5–E 120. Vgl. Trzaskalik, Gutachten E (Fn. 4), etwa S. E 13 f., 17, 25 f., 29, 31. Vgl. BT-Drucks. 14/40, S. 9 f. Vgl. BT-Drucks. 14/40, S. 1. Vgl. Fn. 7. Vgl. BT-Drucks. 14/40, S. 19 und 22.
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Ökosteuer-Entscheidungen des BVerfG vom 20. April 2004
Die ökologische Steuerreform sah sich, wie nicht anders zu erwarten, im Vorfeld ihrer Realisierung nicht nur von finanzwissenschaftlicher Seite10, sondern auch aus der Sicht des Steuer- und Verfassungsrechts11 heftiger Kritik ausgesetzt. Gleichwohl hat der von Betreibern gewerblicher Kühlhäuser mit einem Dienstleistungsangebot für in- und ausländische Unternehmen sowie von Transportunternehmen mit europaweitem Dienstleistungsangebot angerufene Erste Senat des BVerfG in einem Urteil vom 20. 4. 200412 die Verfassungsbeschwerden zwar für teilweise – auf Art. 3 I GG beschränkt – zulässig, durchgehend aber für unbegründet erklärt. Eine weitere Beschwerde land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, die vornehmlich bodenunabhängige Viehwirtschaft betreiben, hat die 1. Kammer des Ersten Senats durch Beschluß vom 20. 4. 200413 mangels Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Einige der vom BVerfG angesprochenen verfassungsrechtlichen Grundsatzfragen verdienen es, angesichts ihrer übergreifenden Bedeutung und präjudiziellen Wirkung für künftige umweltsteuerliche Gesetzesvorhaben etwas näher in den Blick genommen zu werden. Dem gelten die nachfolgend angestellten Überlegungen.
II. Zum Steuer- und zum Verbrauchsteuer-Charakter der Strom- und der (erhöhten) Mineralölsteuer 1. Steuercharakter Mit Recht ist der Erste Senat über eine Reihe literarischer Einwendungen gegen die Steuereigenschaft der im Rahmen der ökologischen Steuerreform normierten Abgaben ohne viel Federlesens hinweggegangen. In dieser Hinsicht war – von einer namhaften Stimme des Steuerrechts – geltend gemacht worden, bei den in Rede stehenden Belastungen handele es sich nicht um „Steuern“ i. S. des Grundgesetzes, weil sie angesichts der Unentbehrlichkeit der Energie im täglichen Leben in Wirklichkeit eine „Verhaltensregel“ gegenüber dem Pflichtigen zum Inhalt hätten14. Darüber hinaus seien sie auch aus dem andersartigen Grund keine Steuern, weil das aus ihnen resultierende Aufkommen „nicht dem Finanzbedarf des Bundes oder der Länder“ diene,
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10 Vgl. für viele m. w. Nachw. Werbeck, Ökonomische Bedenken gegen eine ökologische Steuerreform, Wirtschaftsdienst 1995, 40; Krause-Junk, Fallstricke einer ökologischen Steuerreform, Wirtschaftsdienst 1997, 694; Zimmermann, Ökologische Steuerreform: Das „Wunder“ der doppelten Dividende, Wirtschaftsdienst 1997, 702. 11 Vgl. etwa List, Gedanken zur Öko-Stromsteuer, DB 1999, 1623; ders., Die Ökobesteuerung und das Grundgesetz, BB 2000, 1216; m. w. Nachw. Herdegen/Schön, Ökologische Steuerreform, Verfassungsrecht und Verkehrsgewerbe, 2000. 12 BVerfG v. 20. 4. 2004 – 1 BvR 1748/99 und 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 (287 ff.) = NVwZ 2004, 846 = DVBl 2004, 224 = JuS 2004, 813 Nr. 3 (Selmer). 13 BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats v. 20. 4. 2004 – 1 BvR 610/00. 14 List, BB 2000, 1216 (1217).
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„sondern der Sozialversicherung“, die „in erster Linie durch Beiträge finanziert“ werde15. Beide Einwendungen waren schwerlich in der Lage, die begriffliche Steuereigenschaft der Abgaben auf Strom und Mineralöl ernstlich in Frage zu stellen. Wohl trifft es zu, daß unter bestimmten Voraussetzungen steuerliche Quantität in nichtsteuerliche Qualität umschlagen kann, so, wenn die – steuerbegrifflich als solche ohne weiteres zulässige – steuerliche Lenkung nach Gewicht und Auswirkung einer verbindlichen Verhaltensregel nahe kommt, die Finanzfunktion der Steuer also durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter verdrängt wird16. Von einer solchen Konstellation konnte indes vorliegend nicht die Rede sein. Das Gericht ging vielmehr treffend kurzerhand davon aus, daß die angegriffenen Abgaben „einen Ertrag zur Finanzierung der staatlichen Aufgaben“ erbringe. In diesem Zusammenhang durfte das Gericht insbesondere auch den weiteren Einwand, daß das Steueraufkommen zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verwendet werden solle, angesichts der seit je anerkannten Zulässigkeit von Zwecksteuern als Steuern i. S. des Grundgesetzes17 steuerbegrifflich ohne weiteres vernachlässigen18. Einen deutlichen Mangel der Deduktion des Senats bildet sodann freilich, daß das Gericht mit der steuerbegrifflichen Unbedenklichkeit der „Verknüpfung“ von Steueraufkommen und Senkung der Rentenversicherungsbeiträge offensichtlich zugleich die davon zu unterscheidende Steuergerechtigkeitsfrage als erledigt ansieht, d. h. die Frage nach der Notwendigkeit und gegebenenfalls nach dem Vorliegen eines inneren legitimatorischen Sachzusammenhangs zwischen der steuerlichen Zahlungslast und dem Verwendungszweck des Aufkommens. Diese thematische Zurückhaltung des Senats war ungerechtfertigt. Dieser hätte nicht nur den ersichtlich problembelade-
__________ 15 List, DB 1999, 1623 (1625). 16 Vgl. zu dieser Konstellation erstmals BVerfG v. 17. 7. 1974 – 1 BvR 51, 160, 285/69, 1 BvL 16, 18, 26/72, BVerfGE 38, 61 (81), im Anschluß an Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 122; zuletzt wie oben BVerfG v. 7. 5. 1998 – 2 BvR 1991, 2004/95, BVerfGE 98, 106 (118). 17 Vgl. grdl. BVerfG v. 4. 2. 1958 – 2 BvL 31, 33/56, BVerfGE 7, 244 (254); s. ferner BVerfG v. 20. 5. 1959 – 1 BvL 1, 7/58, BVerfGE 9, 291 (300); BVerfG v. 12. 10. 1978 – 2 BvR 154/74, BVerfGE 49, 343 (353 f.); BVerfG v. 10. 12. 1980 – 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 (305, 310); BVerfG v. 6. 12. 1983 – 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325 (344); vgl. aus dem Schrifttum m. w. Nachw. aus jüngerer Zeit etwa Selmer, Zur Zweckbindung von Umweltsteuern im Rahmen eines Umweltgesetzbuches, in: Bohne (Hrsg.), Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch, 2002, S. 297 (300 f.); Waldhoff, Die Zwecksteuer, StuW 2002, 285 (301 ff. u. passim). 18 Dies gilt naturgemäß auch dann, wenn man das Vorliegen einer „echten“ Zwecksteuer verneinen sollte, weil in den ökosteuerlichen Regelungen eine entsprechende Verwendungszusage nicht unmittelbar ausgesprochen, sondern (so in den Erstattungsbestimmungen) nur vorausgesetzt wird; vgl. dazu Löwer, Wen oder was steuert die Öko-Steuer?, 2000, S. 34; Selmer, Zur Zweckbindung von Umweltsteuern (Fn. 17), S. 312; de Hesselle, Ökologisch motivierte Normen im geltenden Steuerrecht, 2004, S. 103 f.
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nen Umstand zu verarbeiten gehabt, daß mit dem umweltrechtlichen Erhebungszweck einerseits und dem sozialversicherungsrechtlichen Verwendungszweck andererseits zwei inadäquate Zwecke in Rede stehen19. Es wäre in seine Überlegungen ferner auch einzubeziehen gewesen, daß die Gruppen der mit den Abgaben Belasteten und durch die Aufkommensverwendung Entlasteten keineswegs deckungsgleich sind, weil den durch die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge begünstigten Unternehmen und versicherungspflichtigen Arbeitnehmern eine große Zahl von Steuerträgern gegenübersteht, denen die Senkung der Beiträge nicht zugute kommt20. Zu alledem findet sich in der Entscheidung kein tiefer auslotendes Wort. Das Gericht verweist21 nur darauf, was indes von niemandem in Zweifel gezogen worden war, daß die Zweckbindung der Einnahmen als solche (auch) haushaltsverfassungsrechtlich unbedenklich sei, weil dem Grundsatz der Gesamtdeckung des Haushalts Verfassungsrang nicht zukomme22 und für eine Zweckbindung in unvertretbarem Ausmaß vorliegend nichts ersichtlich sei. Auf einige materiell-verfassungsrechtliche Aspekte der vom Ersten Senat übergangenen Asymmetrie von Belastung und Verwendung wird in entsprechendem Zusammenhang (unter IV) einzugehen sein. 2. Verbrauchsteuer-Charakter Das BVerfG hat, was den Verbrauchsteuer-Charakter der Stromsteuer und der (erhöhten) Mineralölsteuer anbetrifft, nicht gezögert, diese Steuern als Verbrauchsteuern i. S. von Art. 106 I Nr. 2 GG zu würdigen. Das unterliegt nicht der Kritik, hätte man gern auch mehr über die Grenzen dieser Kompetenzkategorie gehört23, deren Weite freilich nicht zuletzt von der ihrerseits noch nicht abschließend beantworteten Frage abhängen dürfte, ob dem einfachen Gesetzgeber ein über den Steuertypenkatalog des Art. 106 GG hinausgehendes Steuererfindungsrecht zugestanden werden muß24, dessen Anerkennung die Bedeutung der Typenbegriffe des Art. 106 GG relativieren
__________ 19 Vgl. auch Herdegen/Schön, Ökologische Steuerreform (Fn. 11), S. 48. 20 Vgl. näher dazu Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler, Ökosteuer und Grundgesetz, Stellungnahme für das BVerfG, 2003, S. 24 ff. 21 Unter Bezugnahme auf BVerfG v. 7. 11. 1995 – 2 BvR 413/88 und 1300/93, BVerfGE 93, 319 (348). 22 Vgl. dazu m. w. Nachw. näher Selmer, Zur Zweckbindung von Umweltsteuern (Fn. 17), S. 304 ff. 23 Vgl. zum Diskussionsstand m. w. Nachw. Selmer, Verfassungsrechtliche und finanzrechtliche Rahmenbedingungen, in: Umweltschutz durch Abgaben und Steuern, UTR 16, 1992, S. 15 (34 ff.); ders./Brodersen, Die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts, DVBl 2000, 1153 (1160 f.); Rodi, Verfassungsfragen einer ökologischen Steuerreform, StuW 1992, 242 (245 ff.). 24 Vgl. zum Meinungsstand in dieser Frage Selmer/Brodersen, DVBl 2000, 1153 (1159 m. Fn. 63).
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würde. Wenn das Gericht vorliegend bei den Steuern die Wahrung des verbrauchsteuerlichen Nexus attestiert hat, so steht das in Übereinstimmung mit seiner Rechtsprechung, daß dem für eine Steuer zuständigen Gesetzgeber eine „weitgehende Gestaltungsfreiheit“ bei ihrer Ausformung und Fortentwicklung gebühre25. Die vom Senat jetzt formulierte Zulassung des „Anknüpfens einer Verbrauchsteuer an ein Produktionsmittel“ war deshalb zu erwarten, zumal bereits mehrere (jetzt auch in Bezug genommene) Beschlüsse eines Vorprüfungsausschusses sich 1985 dem Versuch, die Tragweite des verfassungsrechtlichen Verbrauchsteuer-Begriffs insbesondere in Abgrenzung zu (reinen) Produktions(mittel)steuern auszuloten und ihm schärfere Konturen zu verleihen, versagt hatten26. Auch im Hinblick auf die gebotene Überwälzbarkeit der Steuern als Verbrauchsteuern blieb der Senat im Rahmen seiner – insoweit freilich nicht unproblematischen – bisherigen Judikatur, die das Gericht im Zusammenhang mit der Vergnügungsteuer entwickelt hatte: Dort ließ das Gericht ungeachtet des gewerberechtlichen Verbots einer Erhöhung des Einsatzes bei Spielautomaten „die Möglichkeit einer nur kalkulatorischen Überwälzung“ genügen, dergestalt, daß „der Steuerpflichtige den von ihm gezahlten Betrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einsetzen und hiernach die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen treffen kann“27, als die der erkennende Senat vorliegend „Preiserhöhung, Umsatzsteigerung oder Senkung der sonstigen Kosten“ in Betracht zieht.
III. Zur Grundrechtsbetroffenheit der „indirekt“ steuerbelasteten Unternehmen Eines Teils der auf ihn zukommenden grundrechtlichen Probleme hat sich der Erste Senat bereits dadurch entledigt, daß er ihnen schon a limine den Zutritt zu einer materiellen Prüfung verwehrte, sei es, daß er eine Berührung des Schutzbereichs der Freiheitsrechte durch die erhobenen Abgaben ausschloß, sei es, daß er eine für die Gewährung von Verfassungsrechtsschutz unabdingbare Grundrechtsbetroffenheit verneinte. Auch diese Darlegungen des Gerichts können nicht durchweg überzeugen. Sie scheinen mir vor allem darunter zu leiden, daß der Senat allzu behände zu dem – bei den indirekten Steuern nahe liegenden – Mittel greift, jeweils rechtsschutzverkürzend einmal die Inanspruchnahme der Unternehmen – als Verbraucher –, sodann aber ihre Nichtinanspruchnahme – als Steuerschuldner – argumentativ als erheblich in den Vordergrund zu stellen.
__________
25 Vgl. BVerfG v. 1. 4. 1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 (19); s. ferner BVerfG v. 28. 1. 1970 – 1 BvL 4/67, BVerfGE 27, 375 (383); BVerfG v. 29. 11. 1989 – 1 BvR 1402, 1528/87, BVerfGE 81, 108 (117). 26 Vgl. BVerfG v. 17. 9. 1985 – 1 BvR 1260 und 1261/84, DStZ/E 1985, 334 = DB 1985, 1569 m. Anm. Förster. 27 BVerfG v. 1. 4. 1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 (20 m. w. Nachw.).
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1. Die thematisch berührten Grundrechte Was die zuvorderst in Betracht kommende Berufsfreiheit des Art. 12 I GG angeht, so knüpft das Gericht hier an seine langjährige Judikatur an, derzufolge der Schutzbereich dieses Grundrechts auch dann berührt ist, wenn Normen, die nur „Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern, infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben“28. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird für die vorliegende Konstellation ohne weiteres verneint. Das erscheint, gerade auch aus der Sicht der vom erkennenden Senat selbst gesetzten Prämissen, nicht ohne weiteres einleuchtend. So hat der Senat in einem kürzlichen Beschluß und in Abweichung von seiner früheren Judikatur den „Nachweis einer besonderen berufsregelnden Tendenz“ ausdrücklich für „nicht erforderlich“ gehalten, um die Berufsfreiheit als Maßstabsnorm zu aktualisieren29. Der daraus in concreto resultierende Klärungsbedarf wird indes vorliegend nicht befriedigt. Das Gericht sieht allerdings darüber hinaus auch keinen engen Zusammenhang zwischen Steuern und Berufstätigkeit, denn: „Die Steuern treffen … alle Verbraucher ungeachtet ihrer beruflichen Betätigung“. Das scheint sich hören zu lassen, übersieht aber, daß die Judikatur des Gerichts seit langem gerade im Zusammenhang mit Art. 12 I GG die grundrechtliche Eigenständigkeit als solcher zu würdigender abgrenzbarer Teilgruppen eines Adressatenkreises anerkennt30 und darüber hinaus für das thematische Eingreifen des Art. 12 I GG insbesondere auch auf die Stellung der Betroffenen im Wettbewerb als einem insoweit schutzbereichsrelevanten Aspekt abgestellt hat31. Aus alledem hätten sich für die in Rede stehende Konstellation auch andere als die vom Gericht gezogenen Schlußfolgerungen herleiten lassen. Jedenfalls aber wäre, vom Senat ebenfalls ausgeklammert, ein Blick auf Art. 2 I GG als thematisch subsidiär heranzuziehendes Grundrecht zu werfen gewesen32, während Art. 14 I GG mit dem Gericht in der Tat als Maßstabsnorm vernachlässigt werden durfte33.
__________ 28 Vgl. BVerfG v. 30. 10. 1961 – 1 BvR 833/59, BVerfGE 13, 181 (186); BVerfG v. 5. 3. 1974 – 1 BvL 27/72, BVerfGE 37, 1 (18); BVerfG v. 8. 4. 1997 – 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267 (302); BVerfG v. 14. 7. 1998 – 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218 (258). 29 BVerfG v. 18. 11. 2003 – 1 BvR 302/96, BVerfGE 109, 64 (85) = NJW 2004, 146 (148) in ausdrücklicher Abweichung von BVerfG v. 23. 4. 1974 – 1 BvL 19/73, BVerfGE 37, 121 (131). 30 Vgl. dazu näher unten bei und in Fn. 67 ff. 31 Vgl. etwa BVerfG v. 12. 10. 1977 – 1 BvR 217, 216/75, BVerfGE 46, 120 (137); für einen Überblick über die Judikatur des BVerfG zum Verhältnis von Steuerrecht und Berufsfreiheit vgl. P. Kirchhof, Der Grundrechtsschutz des Steuerpflichtigen, AöR 128 (2003), S. 1 (22 ff.). 32 Dazu, daß als Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit i. S. des Art. 2 I GG auch die wirtschaftliche Betätigung grundrechtlichen Schutz genießt, vgl. m. w. Nachw. BVerfG v. 14. 7. 1998 – 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218 (259). 33 Zu Art. 3 I GG vgl. bei und in Fn. 36, 52, 56, 60, 64 f.
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2. Selbstbetroffenheit der „indirekt“ steuerbelasteten Unternehmen? Ausgehend davon, daß Verfassungsrechtsschutz gegen Gesetze nur zu gewähren ist, wenn die Rechtsschutzsuchenden selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten betroffen sind, lag hier gewiß ein weiterer problematischer Punkt der vorliegenden Verfassungsbeschwerden. Auch insoweit hat sich der Erste Senat freilich sehr schnell auf die für die betroffenen Unternehmen ungünstigste Argumentation zurückgezogen, angesichts der Steuerschuldnerschaft (nur) der Stromversorger (§ 5 II StromStG) und der Inhaber der Steuerlager (§ 9 I MinöStG) fehle es bei den beschwerdeführenden Unternehmen an der für die Zulässigkeit der Beschwerden erforderlichen rechtlichen Betroffenheit. Gegen dieses enge Rechtsschutzverständnis waren bereits mehrfach Einwände erhoben worden34, und der Zweite Senat hatte mit seinem Kohlepfennig-Beschluß, der die „Betroffenheit des Endverbrauchers“ bei einer Überwälzung der Abgabe als „rechtlich vorbereitete und vorgesehene Regelfolge der Abgabenbelastung“ ausdrücklich bejahte35, deutlich die Weichen in eine rechtsschutzfreundliche Richtung gestellt. Daß der Erste Senat, anstatt den damit eingeschlagenen Weg fortzuschreiben, einigermaßen lapidar den Ausschluß der Grundrechtsbetroffenheit der steuertragenden Unternehmen nur mit der Ungewißheit einer erfolgreichen Über- und Weiterwälzung begründet, erscheint umso problematischer, als das Gericht in gleichheitsrechtlichen Zusammenhängen36 sodann selbst die Argumente für die Berechtigung einer derartigen Fortschreibung liefert. So ist37 von der Inanspruchnahme der End- und Letztverbraucher als einer „indirekten Steuerlast“ die Rede, weil die Steuern „ihrem Wesen nach auf Überwälzung angelegt“ seien und „lediglich der Einfachheit halber beim Verteiler oder Hersteller des verbrauchsteuerbaren Gutes erhoben“ würden. Auch gehe der Gesetzgeber „zumindest für den Regelfall davon aus, daß die Überwälzung der strom- und mineralölsteuerlichen Belastung auf die Konsumenten gelingt“, weil anderenfalls der mit den Steuern „verfolgte Len-
__________ 34 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 1993, S. 1392; Selmer, Der gerechte Steuerstaat, FinArch n. F. 52 (1995), S. 234 (257). 35 Vgl. BVerfG v. 11. 10. 1994 – 2 BvR 633/86, BVerfGE 91, 186 (204 ff.) = JuS 1995, 1128 Nr. 1 (Selmer). 36 Hinsichtlich der es der Senat freilich im grundsätzlichen Zusammenhang (unter C I 2) bei einem Hinweis auf den durch den allgemeinen Gleichheitssatz verbürgten „Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten (vgl. BVerfGE 35, 324, 335)“ sowie einem Hinweis darauf bewenden läßt, daß Steuergesetze „in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens“ beträfen und deshalb, „um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren“ müßten. Auf die Grenzen dieser Typisierung wird (a. a. O.) zwar hingewiesen. Die Frage, ob diese Grenzen in concreto eingehalten worden sind, wird indes im besonderen Zusammenhang (unter C II 4) weder gestellt noch beantwortet, sondern durch eine rein subventionsrechtliche Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes ersetzt. 37 Unter C I 2 und C II 4a der Urteilsgründe.
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kungszweck, den Verbraucher durch Verteuerung von Energie zu umweltbewußtem Verhalten anzuregen, die Adressaten nicht erreichen, sondern leer laufen“ würde. In diesem Zusammenhang hat das Gericht offenbar auch verkannt, daß letzterer Aspekt ein weiteres, selbständig zu würdigendes Argument für die unmittelbare Selbstbetroffenheit der beschwerdeführenden Unternehmen beinhaltet. Denn jedenfalls der gezielte psychologisch-wirtschaftliche Druck auf die unternehmerische Entscheidung der potentiellen Steuerträger, sich im Sinne der ökologischen Lenkungszielsetzung zu verhalten, lag und liegt vollständig und abschließend bereits in den strom- und mineralölsteuergesetzlichen Regelungen selbst angelegt38.
IV. Zur Asymmetrie von Steuerbelastung und Aufkommensverwendung Die Gleichheitsproblematik der (unter II. 1.) aufgezeigten Inadäquanz von Erhebungs- und Verwendungszweck, begleitet von einer Deckungsungleichheit der (indirekt) belasteten und entlasteten Gruppen, hat der Erste Senat ebenfalls nicht in Angriff genommen. Dabei lag in der spezifischen Zweckverknüpfung der ökologischen Steuerreform ersichtlich das Neuartige der vom Gesetzgeber gewählten Konstruktion. Denn bei allen bisherigen Zwecksteuern, angefangen mit der geläufigen Zweckbindung von Mineralölsteuererträgen für Zwecke des Straßenbaus39 über die badische Weinabgabe40, die schleswig-holsteinische Abgabe wegen Änderung der Gemeindeverhältnisse41 bis zur Überlinger Zweitwohnungssteuer42, war, anders als vorliegend, ein enger sachlicher Bezug von Erhebungs- und Verwendungszweck stets unübersehbar. Gleichwohl wird man gleichheitsrechtlich, d. h. von Verfassungs wegen, einen solchen Sachzusammenhang nicht ohne weiteres fordern dürfen, soweit nicht im Einzelfall die legitimierende causa der steuerlichen Belastung gerade in einem bestimmten Verwendungszweck liegen soll. Ansonsten darf der Steuerzahler grundsätzlich nicht erwarten, daß seine Steuerleistungen für bestimmte Zwecke verwendet bzw. nicht verwendet werden. Denn der heutige Steuerstaat zeichnet sich dadurch aus, daß der Einzelne in Distanz zu den Ausgabenentscheidungen des Gesetzgebers steht, der nach Maßgabe seiner Befugnisse über die Verwendung entscheidet43. Deshalb kann auch von einem Steuerpflichtigen nicht etwa geltend gemacht werden,
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38 Vgl. in Richtung dieser Betrachtungsweise auch BVerfG v. 22. 5. 1963 – 1 BvR 78/56, BVerfGE 16, 147 (159); näher dazu Selmer, Steuerinterventionismus (Fn. 16), S. 334. 39 Vgl. näher Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, 1991, S. 38 f. 40 Vgl. BVerfG v. 4. 2. 1958 – 2 BvL 31, 33/56, BVerfGE 7, 244 (254). 41 Vgl. BVerfG v. 12. 10. 1978 – 2 BvR 154/74, BVerfGE 49, 343 (353). 42 Vgl. BVerfG v. 6. 12. 1983 – 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325 (344). 43 Vgl. auch P. Kirchhof, Grundrechtsschutz (Fn. 31), S. 41; Waldhoff, StuW 2002, 285 (303); Rodi, Die Rechtfertigung von Steuern als Verfassungsproblem, 1994, S. 57.
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daß eine bestimmte Steuerverwendung in verfassungswidriger Weise in seine Grundrechte eingreife44. Er hat sich grundsätzlich mit den Budgetentscheidungen des über die Ausgabenhoheit verfügenden Parlaments abzufinden. Auf diese im Grundsatz strikte Trennung von Steuererhebung und Verwendungsentscheidung hat das BVerfG zuletzt in einem kürzlichen Beschluß der 3. Kammer des Ersten Senats mit Recht ausdrücklich hingewiesen45. Eine im gegebenen Zusammenhang zu beantwortende Frage war und ist freilich, ob Gleiches auch für – mit einer Verwendungsbindung gekoppelte – Erhebungszwecksteuern zu gelten hat, deren gesetzliche Inaussichtstellung bei den Adressaten eine Verhaltenslenkung bewirken, vorliegend also die Verbraucher zu einem umweltbewußten Verhalten anregen soll. Unübersehbar ist die grundrechtliche Andersartigkeit dieser Konstellation. Während bei Fiskalzwecksteuern, dient ihr Ertrag auch der Finanzierung einer bestimmten Aufgabe, der rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsgedanke nur schwache Konturen entwickelt, tritt er bei einer Koppelung von Lenkungszweck und Verwendungsbindung durchaus deutlicher hervor. Jedenfalls zwingt er zu einer Inbeziehungsetzung dieser beiden Größen. Deckt diese Inbeziehungsetzung keinen hinreichend sachgerechten Bezug zwischen ihnen auf, verstößt die gesetzlich inaugurierte „finanzielle Zwangspatenschaft“46 mit ihrer Unzumutbarkeit zugleich gegen das Gebot gleichheitsrechtlich gebotener Rechtfertigung der Steuer47. Eine weitere Überlegung tritt hinzu: Die leitende und legitimierende Ratio von Lenkungssteuern liegt nicht in der Bereicherung des Staatshaushalts, sondern in der Entziehung der Mittel auf der Seite der Lenkungsadressaten. Die gleichwohl notwendig eintretende Zunahme an staatlichem Vermögen muß entsprechend dem Gesamtdeckungsprinzip48 dann grundsätzlich als willkommener „Beifang“ mit den anderen Mitteln des allgemeinen Staatshaushalts frei verwendet werden. Meint aber der Gesetzgeber, die zu erwartenden Mittel zweckgebunden verwenden zu müssen, so kann es dabei von Verfassungs wegen nur um eine fördernde Unterstützung gerade der Lenkungsziele gehen. Ihre Unterstützung auf der Verwendungsseite trägt, und das gilt ohne weiteres auch für Umweltabgaben, zu einer zügigeren Erreichung der Erhebungszwecke bei und ist daher potentiell in der Lage, auf wei-
__________ 44 Vgl. BVerfG v. 18. 4. 1984 – 1 BvL 43/81, BVerfGE 67, 26 (37); BVerfG v. 15. 6. 1988 – 1 BvR 1301/86, BVerfGE 78, 320 (331); BFH v. 6. 12. 1991 – III R 80/89, NJW 1992, 1407 = JuS 1993, 347 Nr. 12 (Selmer). 45 Vgl. BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, v. 2. 6. 2003 – 2 BvR 1775/02, NJW 2003, 2600 = JuS 2003, 1243 Nr. 22 (Selmer). 46 Terminus nach Mußgnug, Die zweckgebundene öffentliche Abgabe, FS Forsthoff, 1972, S. 259 (292). 47 So für den vorliegenden Zusammenhang jedenfalls im Ergebnis wohl auch Waldhoff, StuW 2002, 285 (307, 309). 48 § 7 S. 2 HGrG, § 8 S. 2 BHO.
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tere Sicht eine Abmilderung der Lenkungseingriffe gegenüber den Betroffenen zu ermöglichen49. Dieser im Ansatz grundrechtsschonende Effekt lenkungsadäquater Zweckbindungen läßt es für die Betroffenen als unzumutbar erscheinen, sozusagen auf ihre Kosten erhebungszweckfremde Gruppeninteressen zu befriedigen. Die vorstehend angestellten Erwägungen mögen zeigen, daß, bezogen auf die Stromsteuer und die erhöhte Mineralölsteuer, die Verkoppelung dieser steuerlichen Zahlungslasten mit der ins Auge gefaßten und praktizierten Verwendung eines Großteils des Aufkommens zugunsten einer Senkung der Rentenversicherungsbeiträge verfassungsrechtlich jedenfalls fragwürdig ist. Das Schweigen des Ersten Senats zu dieser Problematik muß als ein besonders bedauerliches Desiderat der Entscheidung vermerkt werden. Hinzu kommt, daß wegen der Gegenläufigkeit von Energiesparambition und Einnahmeerziehungswillen zwecks Senkung der Lohnnebenkosten schon das „Erfordernis eines hinreichend bestimmten, die steuerliche Sonderlast rechtfertigenden Lenkungszwecks“ als durchaus ungesichert und damit erörterungsbedürftig erscheinen mußte50.
V. Gleichheitsgerechtigkeit der Vergünstigungstatbestände und der Auswahl der begünstigten Unternehmen? Einen – weiteren – Schwerpunkt der die ökologische Steuerreform von Beginn an begleitenden verfassungsrechtlichen Kritik bildeten die Ausformung der (verbraucherbezogenen) Vergünstigungstatbestände (§§ 9 III, 10 I, II StromStG, §§ 25, 25a MinöStG) und die Auswahl der in diesen Vorschriften begünstigten Unternehmen. Das BVerfG hat auch insoweit Grundrechtsverletzungen nicht festzustellen vermocht. Die nachfolgenden Bemerkungen gelten weniger diesem Befund als den ihm zugrunde liegenden Gründen. 1. Zur Gleichheitsgerechtigkeit der Vergünstigungstatbestände Auf der von ihm zuvor51 gelegten Grundlage, daß die den End- oder Letztverbraucher treffenden Lasten der ökologischen Steuerreform durch ihre haushaltspolitischen, d. h. fiskalischen, sowie ihre umwelt- und arbeitsmarktpolitischen Zwecke im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) als solche hinreichend legitimiert seien, setzt sich das BVerfG
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49 Vgl. hierzu aus jüngerer Zeit auch J. Becker, Gleichheitsgerechte Grenzen indirekter Steuerung durch staatliche Abgaben und Leistungen, in: Europäisches Zentrum für Staatswissenschaften und Staatspraxis (Hrsg.), Diskussionspapiere zu Staat und Wirtschaft, Heft 20/2001, S. 12 m. w. Nachw.; für den vorliegenden Zusammenhang Selmer, Zur Zweckbindung von Umweltsteuern (Fn. 17), S. 312. 50 Mit guten Gründen das Fehlen des obigen Erfordernisses registrierend P. Kirchhof, Steuersubventionen, in: FS Selmer, S. 745 (762). 51 Unter C II 1-3 der Urteilsgründe.
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alsdann mit der Gleichheitsgerechtigkeit der Vergünstigungstatbestände auseinander. Dabei fokussiert es seine Aufmerksamkeit sogleich52 auf die Würdigung der weitgehenden Herausnahme des Produzierenden Gewerbes aus der Lastenzuteilung als eine „steuerrechtlich überbrachte Subvention“, für deren verfassungsrechtliche Beurteilung er ohne weiteres auf die im Subventionsrecht anerkannte „große Gestaltungsfreiheit“ des Gesetzgebers verweist: Zwar müßten Subventionen aus Gleichheitsgründen „auch gemeinwohlbezogen“ sein; der Staat dürfe seine Leistungen „nicht nach unsachlichen Kriterien“ gewähren. Sachbezogene Differenzierungsgesichtspunkte stünden dem Gesetzgeber jedoch „in weitem Umfang zu Gebote“. Angesichts der den begünstigten Unternehmen ansonsten drohenden „Beeinträchtigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ gelangt der Senat damit zu dem Ergebnis53, daß der Gesetzgeber hinsichtlich des Produzierenden Gewerbes „in zulässiger Weise gewichtigen wirtschaftlichen Belangen den Vorrang vor seinem generellen – mit der Ökosteuer verfolgten – umweltpolitischen Anliegen“ eingeräumt habe. Wernsmann hat dieser Deduktion den Vorwurf einer Entwertung des allgemeinen Gleichheitssatzes gemacht, der nach ständiger Rechtsprechung zu einer „strengen gleichheitsrechtlichen Prüfung“ bei der Durchbrechung einer einmal getroffenen Belastungsentscheidung – hier: der zugunsten der Schonung der Umwelt und eines sparsamen Umgangs mit Energie – verpflichte54. Den Verweis des BVerfG auf die weite Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Gewährung von Subventionen hält er für einen unzulässigen „Kunstgriff“: „Wählt der Gesetzgeber das Steuerrecht für (Verschonungs-)Subventionen, so muß er sich auch dessen Regime unterwerfen. Auf steuerrechtliche Verschonungssubventionen können nicht unbesehen die Kriterien, die für direkte Subventionen gelten, übernommen werden“. Für die vorliegenden Ausnahmetatbestände wäre damit „eine strenge gleichheitsrechtliche Prüfung angezeigt“ gewesen. Letztere Bewertung erscheint mir im Ergebnis überzeugend, die für sie gegebene Begründung nicht ohne weiteres. Die Feststellung des BVerfG, daß – vorbehaltlich einer sachgerechten Abgrenzung des Kreises der von der Maßnahme Begünstigten – die subventionsspezifische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers auch gilt, wenn dieser „eine Subvention steuerrechtlich überbringt, statt sie direkt finanziell zuzuwenden“55, unterliegt als solche
__________ 52 D. h. unter impliziter Ausklammerung der Frage, ob mit der Abstellung auf das Produzierende Gewerbe die vom Gericht selbst (unter C I 2) angesprochenen Grenzen der Typisierung überschritten sind (vgl. dazu bereits oben in Fn. 36). 53 Unter C II 4c der Urteilsgründe. 54 Vgl. Wernsmann, Viel Lärm um nichts? – Die Ökosteuer ist verfassungsgemäß, NVwZ 2004, 819. 55 Vgl. zum Begriff der Steuersubvention m. w. Nachw. Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 1983, S. 94; Rodi, Die Subventionsrechtsordnung, 2000, S. 657 ff.; P. Kirchhof, FS Selmer (Fn. 50), S. 750 ff., jew. m. w. N.
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nicht der Kritik. Gesichtspunkte, die zwingend eine grundsätzlich andere Beurteilung nahe legen, sind nicht erkennbar. Die vom Gericht, aber auch von Wernsmann insoweit vernachlässigte Besonderheit der vorliegenden Konstellation liegt allerdings darin, daß mit der steuerlichen Begünstigung des Produzierenden Gewerbes gegenüber den übrigen Wirtschaftszweigen in mehrfacher Hinsicht Belastungsentscheidungen des Gesetzgebers durchbrochen wurden: Durchbrochen wurde mit ihr nicht nur die grundlegende außerfiskalische Lenkungsentscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Umwelt; durchbrochen wurde mit ihr ferner aber auch die fiskalische Steuerwürdigkeitsentscheidung des Gesetzgebers, die Energieverbraucher nach Maßgabe ihrer (durch den Umfang des Verbrauchs indizierten) wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit finanziell zur Entlastung des Faktors Arbeit heranzuziehen. Damit hat der Gesetzgeber der ökologischen Steuerreform hinsichtlich des Produzierenden Gewerbes in zweifacher Weise evident „gegen den Strich gebürstet“ – dies zugunsten eines Wirtschaftszweiges, der wegen seines weithin hohen Energiebedarfs als Adressat der leitenden außerfiskalischen und fiskalischen Planvorstellungen geradezu prädestiniert war. Das damit in der Privilegierung des Produzierenden Gewerbes liegende substanzielle Defizit an systemgerechter und folgerichtiger Umsetzung56 beider Planvorstellungen durch den Gesetzgeber hätte eine sorgfältigere Erörterung als die ihm durch den bloßen – gewichtungslosen – Hinweis auf die „Gestaltungsfreiheit“ des Gesetzgebers zuteil gewordene verdient gehabt57. Daß der Gesetzgeber „mehrere gemeinwohlbezogene Zwecke“ verfolgen darf58, trifft gewiß zu. Aber darum ging es hier nicht. Der wirtschaftliche Belang der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der begünstigten Unternehmen war eben kein zusätzlicher Zweck der ökologischen Steuerreform, sondern Zweck ihrer tatbestandlichen Durchbrechung. Diese Durchbrechung abwägend zu rechtfertigen, ist dem BVerfG indes nicht in überzeugender Weise gelungen.
__________ 56 Zum gleichheitsrechtlichen Gebot der folgerichtigen Umsetzung einmal getroffener Belastungsentscheidungen vgl. BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (136); BVerfG v. 30. 9. 1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (95); BVerfG v. 29. 10. 1999 – 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101, 132 (138); BVerfG v. 10. 11. 1999 – 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151 (155); zur Entwicklung vgl. Prokisch, Von der Sach- und Systemgerechtigkeit zum Gebot der Folgerichtigkeit, in: FS Vogel, 2000, S. 293 m. w. Nachw. 57 Zur rechtsstaatlich gebotenen Inbeziehungsetzung außerfiskalischer und fiskalischer Aspekte eines Steuergesetzes und der Begründungsbedürftigkeit ihrer konkreten Gewichtung vgl. etwa Osterloh, Lenkungsnormen im Einkommensteuerrecht, in: Ebling, Besteuerung von Einkommen, 2001, S. 383 (401 f.); Selmer, FinArch n. F. 52 (1995), S. 234 (244). 58 So der erkennende Senat unter C II 4c, bb der Urteilsgründe.
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2. Zur sachgerechten Abgrenzung des Kreises der begünstigten Unternehmen Zu den Essentialien der Gleichheitsprüfung auch im Begünstigungsbereich zählt der Erste Senat des BVerfG mit Recht die Forderung, daß „der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten“, um nicht verfassungsrechtlich beanstandet zu werden, „sachgerecht abgegrenzt“ sein müsse. Ob dieser Forderung hinsichtlich übergangener Gruppen Rechnung getragen ist, bemißt sich notwendig nach Maßgabe der die Steuerverschonung jeweils leitenden Gesichtspunkte. Als ein solcher trat hier die vom Gesetzgeber so gesehene Notwendigkeit in den Vordergrund, „die energieintensive Wirtschaft zur Erhaltung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit“59 von den zusätzlichen Belastungen der ökologischen Steuerreform weitgehend auszunehmen. Bei der Bestimmung der von diesem Aspekt erfaßten Begünstigten durfte der Gesetzgeber60, woran keine grundsätzlichen Zweifel bestehen, typisieren. Hiervon hat er durch die Ausformung der Gesamtgruppe des Produzierenden Gewerbes als steuerbegünstigt Gebrauch gemacht, der er als nicht begünstigte Normadressaten – nur – den Dienstleistungssektor als solchen gegenüberstellte. Vor allem der Frage, ob der Gesetzgeber mit dieser Scheidung nicht allzu grob rasternd verfahren war, sah sich das BVerfG hinsichtlich mehrerer Gruppen dienstleistender Unternehmen konfrontiert. Leider hat sich das Gericht dieser Frage nicht nachhaltig gestellt. Es ist vielmehr im Wesentlichen in den Spuren des Gesetzgebers geblieben und damit dem vorrangigen Problem ausgewichen, ob allein eine vergleichende Betrachtung des Produzierenden Gewerbes mit dem Dienstleistungssektor eine umfassende Beurteilung der Wahrung des Gleichheitssatzes überhaupt zuließ61. Diesem Problem in concreto nachzugehen, bestand vor allem deshalb Veranlassung, weil der Gesetzgeber mit der Abstellung auf das Produzierende Gewerbe nach Maßgabe der Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes – damit eine zunächst vorgesehene Differenzierung zwischen energieintensiven und nicht energieintensiven Unternehmen zurückstellend – die Grenzen einer zulässigen Typisierung aufs äußerste angestrengt, wenn nicht gar überdehnt hatte; das gilt auch für das mit der Zugehörigkeit zum Produzierenden Gewerbe unwiderleglich vermutete Stehen im internationalen Wettbewerb. Daß der Gesetzgeber selbst Korrekturbedarf sah und in einigen ihm genehm erscheinenden Fällen auch Remedur schuf62, vermochte nichts daran zu ändern, daß die typisierten Steuerbegün-
__________ 59 Vgl. BT-Drucks. 14/40, S. 19 und 22. 60 Die grundsätzliche Wahrung der Belastungsgerechtigkeit einmal unterstellt (vgl. dazu Fn. 36 und 52). 61 Dies nachdrücklich bezweifelnd etwa Bongartz, Welche „Ökosteuerbegünstigung“ für das Produzierende Gewerbe ist verfassungsgemäß?, NJW 2004, 2281 (2282 f.); Wernsmann, NVwZ 2004, 819 (821). 62 Vgl. Bongartz, NJW 2004, 2281 (2283).
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stigungen der ökologischen Steuerreform (in ihrer ursprünglichen wie in ihrer fortgeschriebenen Fassung) das BVerfG vor die Aufgabe stellte, solchen Unternehmensgruppen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die – obschon der für die Vergünstigungen maßgebliche Beweggrund sich auf sie projizieren ließ – der an der bloßen Zugehörigkeit zum Produzierenden Gewerbe orientierten groben Typengerechtigkeit des Gesetzes zum Opfer fielen. Diese Aufgabe ist vom Gericht nicht angemessen bewältigt worden. Allein zu einer teleologischen Reduktion des tatbestandlichen Anwendungsbereichs der Stromsteuervergünstigung mochte es sich verstehen: Nach §§ 9 III, 10 StromStG dürfe das Produzierende Gewerbe Strom nur für eigenbetriebliche Zwecke steuervergünstigt beziehen; Fremdleistungen zu Lasten dienstleistender Wettbewerber dürften deshalb nicht mit vergünstigtem Strom erbracht werden63. Hiervon abgesehen, ließ der Senat seiner im allgemeinen Teil64 vorangestellten Forderung, daß die Praktikabilitätsvorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit ihr verbundenen Ungleichheit stehen müßten, im konkreten Zusammenhang, d. h. hinsichtlich der in Rede stehenden Teilgruppen, keine vertiefende Prüfung folgen. Dabei mag ihm zustatten gekommen sein, daß er diesen Gruppen zuvor – freilich zu Unrecht – eine auch freiheitsrechtliche Betroffenheit (Art. 12 I oder 2 I GG) a priori abgesprochen und den grundrechtlichen Bezug allein über den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG vermittelt gesehen hatte65. Ohne diese Verengung des grundrechtlichen Blickwinkels hätte das Gericht daran anknüpfen können, daß es in seiner bisherigen Judikatur zunehmende Bereitschaft gezeigt hat, über Art. 12 I bzw. Art. 2 I GG i. V. mit Art. 3 I GG oder dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) atypische Sachverhalte bzw. Sachverhaltsgruppen ungeachtet einer übergreifenden gesetzgeberischen Typisierung grundrechtlich besonders zu würdigen66. Dabei mußte vor allem von der Einsicht ausgegangen werden, daß es bei einer Fülle grundrechtsrelevanter gesetzlicher Gesamtregelungen dazu kommt, daß einzelne Teilgruppen aufgrund bestimmter tatbestandlicher Eigenheiten typischerweise stärker belastet werden als die Gesamtgruppe als solche. Gleichheitsgerechtigkeit und individueller grundrechtlicher Freiheitsschutz gebieten hier ohne weiteres, (jedenfalls) einer gruppentypischen Sonderbetroffenheit bei der Normierung Rechnung zu tragen. Dem hat sich
__________ 63 Zu etwaigen Konsequenzen dieser Anwendungsbeschränkung vgl. Bongartz, NJW 2004, 2281 (2283 f.). 64 Unter C I 2 der Urteilsgründe. Vgl. dazu oben bei und in Fn. 36. 65 Wobei das Gericht dessen Wirkkraft in concreto noch durch die Rügevoraussetzung eines Wettbewerbsverhältnisses der Benachteiligten und Bevorzugten in besonderer Weise thematisch gemindert hatte; vgl. dazu mit Recht krit. Wernsmann, NVwZ 2004, 819 (821). 66 Vgl. hierzu und zum Folgenden den Überblick bei Selmer, Die Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards durch den EuGH, 1998, S. 67–72.
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das BVerfG schon in seiner Bevorratungs-Entscheidung67 nicht verschlossen und ausgeführt: „Werden durch eine Berufsausübungsregelung, die im ganzen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, innerhalb der betroffenen Berufsgruppe nicht nur einzelne, aus dem Rahmen fallende Sonderfälle, sondern bestimmte, wenn auch zahlenmäßig begrenzte, Gruppen typischer Fälle ohne zureichende sachliche Gründe wesentlich stärker belastet, dann kann Art. 12 I GG i. V. mit Art. 3 I GG verletzt sein (vgl. BVerfGE 25, 236, 251 f.) … Der Gesetzgeber hätte also erwägen müssen, ob die unabhängigen Importeure als besondere Unternehmensgruppe durch die Auferlegung der unentgeltlichen Bevorratungspflicht gegenüber den anderen Importunternehmen typischerweise stärker belastet werden“.
Das BVerfG hat diese treffende Sicht später mehrfach bestätigt68. Im Schrifttum ist sie durchweg auf Zustimmung gestoßen69. Die grundrechtliche Eigenständigkeit als solcher zu würdigender abgrenzbarer Teilgruppen einer Berufsgruppe darf heute ohne weiteres den gesicherten Schutz-Standards der Grundrechte zugerechnet werden. Zu bejahen haben wird man darüber hinaus aber auch die Frage, ob die Schutz-Standards der Grundrechte selbst den Schutz des atypischen einzelnen „aus dem Rahmen fallenden Sonderfalles“ einschließen70. Das ist freilich nicht selbstverständlich: Die Spannung von Typisierung und Einzelfallgerechtigkeit (Billigkeit) liegt auf der Hand. Sie zu lösen war seit jeher ein zentrales verfassungsrechtliches Problem. Das BVerfG hat sich – mit Recht – in besonderer Weise darum bemüht, den für die gebotene gesetzgeberische Typisierung zu zahlenden Grundrechtspreis in vertretbaren Grenzen zu halten71. So hat es immer wieder gefordert, daß die durch die Typisierung „eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist“72. In den letzten Jahrzehnten ist das Problembewußt-
__________ 67 BVerfG v. 16. 3. 1971 – 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, BVerfGE 30, 292 (327). 68 Vgl. BVerfG v. 9. 2. 1982 – 1 BvR 698, 771/79, BVerfGE 59, 336 (356); BVerfG v. 3. 11. 1982 – 1 BvL 4/78, BVerfGE 61, 291 (311 ff.); BVerfG v. 17. 10. 1984 – 1 BvL 18/82, 46/83 und 2/84, BVerfGE 68, 155 (173); BVerfG v. 6. 10. 1987 – 1 BvR 1086, 1468, 1632/82, BVerfGE 77, 84 (113). 69 Vgl. etwa Breuer, Die staatliche Berufsregelung und Wirtschaftslenkung, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 1989, § 148 Rz. 36 f.; Pernice, Billigkeit und Härteklauseln im öffentlichen Recht, 1991, S. 463; Gubelt, in: v. Münch/ Kunig, 5. Aufl. 2000, Art. 12 Rz. 94; Hoffmann, Der grundrechtliche Schutz der marktwirtschaftlichen Unternehmenstätigkeit und der gesellschaftsrechtlichen Unternehmensorganisation durch die „Unternehmensfreiheit“, 1988, S. 94 ff., jew. m. w. Nachw. 70 Formulierung nach BVerfGE 30, 292, 327 (s. Fn. 67). 71 Vgl. hierfür den instruktiven Überblick bei Osterloh, in: Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl. 2003, Art. 3 Rz. 104–111. 72 BVerfG v. 8. 10. 1991 – 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348 (360); vgl. ferner BVerfG v. 16. 12. 1958 – 1 BvL 3, 4/57, 8/58, BVerfGE 9, 20 (31 ff.); BVerfG v. 20. 12. 1966 – 1 BvR 320/57, 70/63, BVerfGE 21, 12 (27); BVerfG v. 2. 7. 1969 – 1 BvR 669/64,
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sein beim BVerfG darüber hinaus weiter gewachsen. Dahinter mag einmal die Überlegung stehen, daß die an die Typisierbarkeit der betroffenen Fälle geknüpfte Einschränkung des Grundrechtsschutzes durchaus fragwürdig ist, ist doch „– theoretisch – jeder noch so singuläre Fall in seiner Eigenart als Typus beschreibbar“73. Zum anderen trat mit der Zeit zunehmend der freiheitsgrundrechtliche Aspekt des Problems hervor und damit die Konsequenz der Einsicht, daß grundrechtlicher Freiheitsschutz „Individualrechtsschutz“ ist und deshalb „eine Billigkeitsprüfung je im Einzelfall“ fordert74. Diese Gesichtspunkte fanden erstmals 1975 in der Feststellung eines Vorprüfungsausschusses des Ersten Senats ihren ausdrücklichen Niederschlag, es sei „nicht von der Hand zu weisen, daß die Anwendung eines Gesetzes in besonders gelagerten Fällen zu einem Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter führen kann“75. Der Senat selbst erkannte dann 1978 auf der Grundlage des Art. 2 I GG i. V. mit dem Rechtsstaatsprinzip ausdrücklich ein Gebot zur Rücksichtnahme auf den grundrechtlichen Einzelfall an, „wenn die Erhebung der Steuer im Einzelfall Folgen mit sich bringt, die unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellung durch den gebotenen Anlaß nicht mehr gerechtfertigt sind (Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 290 f.)“76. Diese Einschätzung der Grundrechtsrelevanz des atypischen Härtefalls hat die 3. Kammer des Zweiten Senats vor einiger Zeit in einem Beschluß vom 13. 12. 199477 nachdrücklich bestätigt – bezogen auf den Fall, daß ein Gesetz, das in seinen generalisierenden Wirkungen verfassungsgemäß ist, „im Einzelfall zu Ergebnissen führt, die dem Belastungsgrund des Gesetzgebers zuwiderlaufen“. Ein solcher Überhang des gesetzlichen Tatbestandes sei „aus Gründen der Besteuerungsgleichheit zu vermeiden, wenn die Anwendung des Gesetzes zu sachwidrigen Härten“ führe. Das könne der Fall sein, „wenn die Erhebung der Steuer im Einzelfall Folgerungen mit sich bringt, die unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellung durch den gebotenen Anlaß nicht mehr gerechtfertigt sind“78.
__________
73 74
75 76 77 78
BVerfGE 26, 265 (275 f.); BVerfG v. 23. 6. 1970 – 2 BvL 8/65, BVerfGE 29, 22 (32); BVerfG v. 18. 5. 1971 – 1 BvL 7, 8/69, BVerfGE 31, 119 (130 f.); BVerfG v. 22. 6. 1977 – 1 BvL 2/74, BVerfGE 45, 376 (390); BVerfG v. 8. 2. 1983 – 1 BvL 28/79, BVerfGE 63, 119 (129); BVerfG v. 14. 6. 1994 – 1 BvR 1022/88, BVerfGE 91, 93 (115). So treffend Pernice, Billigkeit und Härteklauseln (Fn. 69), S. 463. So, bezogen auf den Eigentumsschutz, P. Kirchhof, Gesetz und Billigkeit im Abgabenrecht, in: FS Scupin, 1983, S. 775 (789); s. bereits auch Selmer, Generelle Norm und individueller Grundrechtsschutz, DÖV 1972, 551; Isensee, Das Billigkeitskorrektiv des Steuergesetzes, in FS Flume, Bd. II, 1978, S. 129. BVerfG (Vorprüfungsausschuß des Ersten Senats) v. 27. 10. 1975, NJW 1976, 101 m. Anm. Selmer, StRK-Anm. GG Art. 14 R 79. BVerfG v. 5. 4. 1978 – 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102 (115 f.). BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats) v. 13. 12. 1994 – 2 BvR 89/91, NVwZ 1995, 989 = JuS 1996, 273 Nr. 16 (Selmer). Vgl. BVerfG (Fn. 77) unter Bezugnahme auf BVerfGE 48, 102, 116 (s. Fn. 76).
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Neben diesen Entscheidungen, in denen die grundrechtliche Erheblichkeit atypischer Sonderfälle in grundsätzlicher Weise thematisiert wird, findet sich in der Judikatur des BVerfG eine ganz Reihe von Judikaten, in denen diese Erheblichkeit ohne weiteres vorausgesetzt und für die Abweichung von der Typengerechtigkeit der generellen Norm auf – vorhandene – Härteklauseln bzw. Billigkeitsregelungen verwiesen wird79. Das Schrifttum hat alledem durchweg zugestimmt80. Wenn auch noch manche Einzelheiten weiterer Durchdringung bedürfen: Alles in allem darf im Ergebnis als gesichert gelten, daß neben der Gesamtgruppe der Normadressaten und typisierbaren Teilgruppen einer Gesamtgruppe auch der atypische Einzelfall prinzipiell als für eine grundrechtliche Würdigung relevant zu gelten hat. Die vorgenannten Erwägungen auf die dem BVerfG in concreto unterbreiteten Konstellationen anzuwenden und gegebenenfalls fortzuschreiben, hätte umso näher gelegen, als die grob gestrickte Typengerechtigkeit des von der vollen Anwendung der Ökosteuergesetze ausgenommenen Kreises Begünstigter das Auftreten teilgruppentypischer grundrechtlicher Mißgriffe wahrscheinlich machen mußte. Indes ließ der Erste Senat nicht nur das schon in der Privilegierung des Produzierenden Gewerbes an sich liegende Defizit an systemgerechter und folgerichtiger Umsetzung der grundlegenden gesetzgeberischen Planvorstellungen ohne nachhaltige Überprüfung. Auch die Überprüfung der dem Gericht vorgelegten Teilgruppenprobleme blieb ohne konsequente Ausrichtung auf die leitenden gesetzgeberischen Beweggründe – hier: die der Steuervergünstigungen aus Gründen der Energieintensität und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Statt dessen hat der Senat wiederum vor allem nur auf die – bei typisierter Betrachtung bestehenden – Unterschiede im Verhältnis Produzierendes Gewerbe/Dienstleistungssektor Bezug genommen. Die Grenzen dieser Typisierung vom Gericht aufgezeigt zu sehen, war indes gerade das Begehren der beschwerdeführenden Unternehmen. Letzteren ergänzend vorzuhalten, aus einer Steuervergünstigung für eine Gruppe erwachse aus den Grundrechten grundsätzlich kein Anspruch einer anderen Gruppe auf eine andere Steuervergünstigung, ging gleichermaßen an diesem – verständlichen – Begehren vorbei81.
__________ 79 BVerfG v. 22. 5. 1963 – 1 BvR 78/56, BVerfGE 16, 147; BVerfG v. 21. 12. 1966 – 1 BvR 33/64, BVerfGE 21, 54 (71); BVerfG v. 17. 7. 1974 – 1 BvR 51, 160, 258/69, 1 BvL 16, 18, 26/72, BVerfGE 38, 61 (95); BVerfG v. 12. 10. 1976 – 1 BvR 2328/73, BVerfGE 43, 1 (12); aus der Rechtsprechung des BFH vgl. insb. BFH v. 6. 2. 1976 – III R 24/71, BFHE 118, 151, sowie BFH v. 1. 6. 1976 – VIII R 64/75, NJW 1976, 1768 (beide Entscheidungen = JuS 1976, 820 Nr. 11). 80 Vgl (abgesehen von den in Fn. 74 Genannten) insb. Pernice, Billigkeit und Härteklauseln (Fn. 69), S. 248 ff., 266 ff., 461 ff.; Osterloh, Gesetzesbindungen und Typisierungsspielräume bei der Anwendung der Steuergesetze, 1992, S. 126 f.; dies., in: Sachs (Fn. 71), Art. 3 Rz. 111. 81 Vgl. unter C II 4d, bb der Urteilsgründe; wie oben auch der Kammerbeschluß v. 20. 4. 2004 (s. Fn. 13) unter II 2 der Beschlußgründe.
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VI. Schlußbemerkung Die Überlegungen dieses Beitrags mögen noch einmal verdeutlicht haben, daß der ökologischen Steuerreform eine Reihe verfassungsrechtlich erheblicher Mängel anhaftet, über die das BVerfG allzu harmonisierend und glättend hinweggegangen ist. Das gilt bereits für die problematische Verkürzung des Grundrechtsschutzes der von der ökologischen Steuerreform als Steuerträger ins Auge gefaßten – vorliegend also der beschwerdeführenden – Unternehmen. Das hier, abgesehen von der materiellen Frage des thematischen Einzugsbereichs der in Betracht kommenden Freiheitsrechte, angelegte Problem des Finanz- und Verfassungsrechtsschutzes „indirekt“ Steuerbelasteter harrt damit weiterhin der verfassungsgerichtlichen Aufhellung, nachdem in der Kohlepfennig-Entscheidung ein erster Ansatz zu seiner Bewältigung gemacht schien. Einer vertiefenden Würdigung entzogen hat das BVerfG ferner auch die in ihrer Bedeutung hoch anzusiedelnde Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen als Zwecksteuern ausgeformte Lenkungsabgaben einen – gegebenenfalls näher zu bestimmenden – Legitimationszusammenhang zwischen dem Erhebungszweck der Abgabe und ihrem Verwendungszweck aufweisen müssen. Auch sie bleibt auf der verfassungsrechtlichen Tagesordnung, nachdem die vorliegenden Entscheidungen des Gerichts über die Bestätigung des seit langem anerkannten Steuercharakters von Zwecksteuern und ihrer grundsätzlichen haushaltsverfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit nicht hinaus gelangt sind. Nicht recht zu überzeugen vermocht hat insbesondere aber die allzu nachsichtige Überprüfung der Freistellung von Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, die sowohl den außerfiskalischen als auch den fiskalischen Planvorstellungen der ökologischen Steuerreform diametral entgegenlief. Auch der Erscheinung, daß die mit dem Abstellen auf die bundesstatistische Eingrenzung des Produzierenden Gewerbes überaus grob gerasterte Typisierung energieintensiver und im internationalen Wettbewerb stehender Unternehmen auch solche Teilgruppen des Dienstleistungssektors der vollen Belastung ausgesetzt hat, die den Beweggründen der Freistellung ebenfalls entsprachen, ist das BVerfG nicht überzeugend gerecht geworden. Bei alledem mag die degressive Gestaltung der Steuervergünstigungen für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes durch das Gesetz zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform vom 23. 12. 2003 (BGBl I, 4602) mit seiner Anhebung des ermäßigten Steuersatzes von 20 v. H. auf 60 v. H. des Regelsatzes die gesetzesschonende Haltung des Gerichts mit beeinflußt haben82. Auch hat der Senat wohl befürchtet, mit der Anerkennung einzelner Dienstleistergruppen als begünstigungswürdig die Büchse der
__________ 82 Vgl. denn auch den freilich mehr beiläufigen Hinweis des Senats unter C II 3 der Urteilsgründe, daß das Gesetz zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform „die Vergünstigungen … in gewissem Umfang abgeschmolzen“ habe.
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Pandora zu öffnen83, die geschlossen zu halten ihm offenbar als das einzige Mittel erschien, die ökologische Steuerreform als solche zu retten. Das macht die Entscheidungen des Gerichts in gewisser Hinsicht verständlich, ändert aber an der verfassungsrechtsdogmatischen Fragwürdigkeit mancher ihrer Passagen nichts. Den etwa betroffenen Dienstleistern bleibt indes gegebenenfalls nur, über eine – freilich auf Analogie angewiesene – Anwendung der §§ 163, 227 AO als eine sachliche Unbilligkeit geltend zu machen, daß ihre indirekte steuerliche Inanspruchnahme den verschonungsbegründenden Wertungen des Gesetzgebers zuwiderlaufe und daher der jedenfalls exekutiven Korrektur bedürfe84.
__________ 83 Zu denken ist etwa an die ebenfalls energieintensiven und im internationalen Wettbewerb stehenden Dienstleistungsunternehmen der Hafenwirtschaft sowie an die gewerblichen Mineralölfernleitungsunternehmen, diese auch im Verhältnis zum steuerbegünstigten Schienenverkehr sowie zu den ebenfalls steuerbegünstigten betrieblichen Fernleitungsbetreibern. Was die Schlechterstellung gegenüber den letzteren anbetrifft, so hat das FinG Hamburg in einem Urteil v. 1. 4. 2003 – IV 191/00, ZfZ 2003, 420, nachdrücklich Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 I GG angemeldet, von einer Aussetzung aber abgesehen. Die immerhin zugelassene Revision hat der BFH durch Urteil v. 30. 11. 2004 – VII R 41/03 – zurückgewiesen: Im Verhältnis zu den Unternehmen des Produzierenden Gewerbes, die betriebseigene Fernleitungen unterhalten, sei eine gleichheitswidrige Belastung nicht gegeben, weil von den Unternehmen in diesen Fällen entsprechend BVerfGE 110, 274 (301) Strom nur für eigenbetriebliche Zwecke steuervergünstigt bezogen werden dürfe. Auch im Verleich zum steuerbegünstigten Schienenverkehr liegt nach Auffassung des BFH angesichts der großen gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit bei der Abgrenzung des Kreises der Begünstigten (BVerfGE 110, 274, 299) – der gegenüber der BFH den geringeren Stromverbrauch und die Geräuscharmut des Fernleitungstransports ungeachtet der umweltpolitischen Zielsetzung der Steuerbegünstigung als bloße „Teilaspekte“ nicht gelten läßt – eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung nicht vor. 84 Zur verfassungsgebotenen Anwendung der §§ 163, 227 AO als eines Instruments zum Ausgleich typisierungsbedingter Verstöße gegen die Lastengerechtigkeit vgl. etwa Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts (Fn. 39), S. 49; Osterloh, in: Sachs (Fn. 71), Art. 3 Rz. 111; vgl. ferner auch die in Fn. 79 genannten Entscheidungen.
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Anne Wohlfeil/Christian Kaeser
Lenkung durch Gebühren Inhaltsübersicht I. Der Begriff der Gebühr II. Zweckverfolgung mit Gebühren III. (Lenkungs-)Gebühren und Verfassungsrecht 1. Materielle Anforderungen an (Lenkungs-)Gebühren a) Sachliche Rechtfertigung der Gebührenerhebung
b) Schranken aus der Finanzverfassung c) Die Gebührenbemessung 2. Gebührenkompetenz IV. Einsatzmöglichkeiten der (Lenkungs-)Gebühr V. Resümee
Geldleistungspflichten erschöpfen sich nicht in der finanziellen Belastung, sondern zeitigen stets darüber hinausgehende Wirkungen. Dieser bereits anhand der Steuer exemplifizierte Befund1 trifft die Belastung durch Gebühren in gleicher Weise. Unabhängig von streitigen Detailfragen liegt jeder Gebühr eine individuell zurechenbare, öffentliche Leistung zugrunde. Bereits die Entscheidung, ob eine solche staatliche Leistung gebührenpflichtig sein soll oder nicht, beeinflusst ihre Nachfrage. Die Verknüpfung der Gebühr mit einer staatlichen Leistung legt nahe, dass ihr Einsatzgebiet zur Verfolgung bestimmter Lenkungszwecke anderen tatsächlichen wie rechtlichen Schranken unterliegt als die Lenkung mit Hilfe der „voraussetzungslosen“2 Steuern. Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung sollen insbesondere die rechtlichen Schranken sein, die bei der Erhebung jeder Gebühr durch den Staat zu beachten sind. Betrachtet man das bereits erhebliche Gebührenaufkommen3 und bedenkt man die chronische Geldnot nicht nur in Kommunen, erlangen die Gebühren auch gesteigerte praktische Relevanz.
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Trzaskalik, Gutachten zum deutschen Juristentag 2000. Diese Bezeichnung verwendet z. B. Hendler, Gebührenstaat statt Steuerstaat, DV 1999, 749, 751. Sie wird allerdings missverstanden, interpretiert man sie wie Hendler, der Steuergesetzgeber sei wegen der Voraussetzungslosigkeit der Steuer praktisch keinen Schranken unterworfen. Auch Steuern müssen gerechtfertigt werden, dazu Fn. 23. So nahmen die Gemeinden laut Pressemitteilung des Statistischen Bundesamt v. 12. 12. 1997 in den ersten drei Vierteljahren 1997 58,6 Mrd. DM an Steuern und 26,6 Mrd. DM an Gebühren und Entgelten ein, geben die Deutschen jeden Tag 5 Mio. Euro fürs Parken aus.
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I. Der Begriff der Gebühr Wie auch bei der Steuer (§ 3 Abs. 1 AO) fehlt es für Gebühren nicht an einfachgesetzlichen Definitionen. Beispielhaft sei nur § 4 Abs. 2 KAG NRW genannt: „Gebühren sind Geldleistungen, die als Gegenleistung für eine besondere Leistung – Amtshandlung oder sonstige Tätigkeit – der Verwaltung (Verwaltungsgebühren) oder für die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen und Anlagen (Benutzungsgebühren) erhoben werden.“ Anders als bei der Steuer verneint jedoch das Bundesverfassungsgericht (im folgenden BVerfG) einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Begriff der Gebühr.4 Selbst aus der Abgrenzung zum verfassungsrechtlichen Steuerbegriff lasse sich kein allgemein anwendbarer Prüfungsmaßstab herleiten.5 Und so verwundert es auch nicht, dass in Ermangelung einer verfassungsrechtlichen Basis die einfachgesetzlichen Gebührenbegriffe genauso stark differieren wie die in der Literatur gebräuchlichen.6 Vor diesem Hintergrund muss die vom BVerfG in ständiger Rechtsprechung7 gebrauchte Gebührenformel verstanden werden, wonach Gebühren öffentlich-rechtliche Geldleistungen sind, „die aus Anlass individuell zurechenbarer, öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich- rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken“.8 Diese „besondere Zweckbestimmung, Einnahmen zu erzielen, um speziell die Kosten der individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung ganz oder teilweise zu decken, unterscheidet die Gebühr regelmäßig von der Steuer (vgl. auch § 3 Abs. 1 Abgabenordnung; BVerfGE 20, 257 [269])“.9 Dieser Gebührendefinition des BVerfG kommt kaum Begrenzungswirkung zu. Zum einen handelt es sich bei ihr um eine Art gebührenrechtlicher Bestandsaufnahme, eine aufs Allgemeine reduzierte Wiedergabe dessen, was im Rechtssprachgebrauch gemeinhin als Gebühr verstanden wird. Mangels verfassungsrechtlicher Verankerung dieser Definition sind öffentliche Geldleistungspflichten, die sich nicht unter den Gebührenbegriff des BVerfG sub-
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Z. B. BVerfG v. 6. 2. 1979, BVerfGE 50, 216 (225); was zunächst erstaunt, da die Gebühr dem Grundgesetz als Begriff bekannt ist (Art. 74 Nr. 22, Art. 80 Abs. 2 GG), es lediglich an einer der Steuerordnung in den Art. 105 ff. GG vergleichbaren Gebührenordnung fehlt. Die Zurückhaltung erklärt sich vielleicht aus der Befürchtung, durch die verfassungsrechtliche Weihe eines bestimmten Gebührenbegriffs Flexibilität einzubüßen. BVerfG a. a. O. (Fn. 4). Einen Überblick der verschiedenen Ansätze bietet Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, 1973, S. 16 ff. So BVerfGE 7, 244 (254); 18, 392 (396); 20, 257 (269); 28, 66 (86 ff.); 50, 217 (226). BVerfG a. a. O. (Fn. 4). BVerfG a. a. O. (Fn. 4).
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sumieren lassen, einfach keine Gebühren. In dieser begrifflichen Wirkung erschöpft sich die Leistungsfähigkeit des verfassungsgerichtlichen Gebührenbegriffs. Über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einzelner Gebühren ist damit genauso wenig gesagt wie über die sonstiger öffentlicher Geldleistungen.10 Zum anderen ist die Definition als solche unscharf. Sind Leistungen nur solche Staatshandlungen, die dem Gebührenschuldner als „Leistungsempfänger“ einen Vorteil bringen?11 Dann müssten Strafurteile gerichtsgebührenfrei ergehen, versteigt man sich nicht dazu, die Spezialprävention sei der Vorteil, der dem Verurteilten zukomme.12 Was gehört zu den Kosten der öffentlichen Leistung, ist hierfür ein betriebswirtschaftlicher Kostenbegriff zugrunde zu legen, sind es die Einzelkosten der jeweiligen Leistung, die Gesamtkosten aller gleichartigen Leistungen, eines gesamten Leistungszweiges oder gar einer gesamten Behörde?13 Inwieweit stehen die Kosten der Leistungen im Ermessen der Verwaltung, unterliegt sie insofern einem Wirtschaftlichkeitspostulat oder kann sie frei schalten und walten?14 Und wenn gerade diese Kosten gedeckt werden sollen, dürfen mit Gebühren dann Überschüsse erzielt oder sonstige Zwecke verfolgt werden?15 Eine genaue Untersuchung des Gebührenbegriffs verbietet der Rahmen dieser Abhandlung. Sie ist für den hier verfolgten Zweck auch nicht erforderlich. Solange das Grundgesetz keinen abschließenden Katalog der öffent-
__________ 10 Der Frage inwiefern Verfassungsrecht durch Gewohnheitsrecht geschaffen werden kann, soll hier nicht nachgegangen werden. Sie ist auch ohne Belang, da das BVerfG seiner Gebührendefinition ja gerade keinen verfassungsrechtlichen Rang beilegt. 11 Davon ging zunächst das BVerwG-Urteil v. 24. 3. 1961, BVerwGE 12, 162 (166, 169 f.) – aus: die „Gebühr …“ sei „… das Äquivalent für Amtshandlungen, von denen einzelne Personen besondere Vorteile haben, so dass es gerechtfertigt erscheint, den Staat an diesen Vorteilen partizipieren zu lassen, damit eine Belastung der Allgemeinheit mit den Kosten der Amtshandlungen vermieden wird“. Später gab das BVerwG dieses Erfordernis auf, so Urteil v. 8. 12. 1961, BVerwGE 13, 214 (219); auch das BVerfG scheint einen Vorteil beim Gebührenschuldner zu verlangen, BVerfGE 93, 319 (344). Aus der Literatur: Hettlage, HdSW I S. 728; H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I § 42 II a2 (S. 279); auch Friauf klassifiziert die Gebühren als „vorteilsbezogene spezielle Entgeltabgaben“, „Verleihungsgebühren“ als Finanzierungsinstrument für öffentliche Aufgaben, FS der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr- Feier der Universität zu Köln, 1988, S. 679, 682. 12 Zu den Problemen solcher Spitzfindigkeiten Wilke a. a. O. (Fn. 6), S. 74 ff. 13 Zur Kostenproblematik ausführlich Wilke, a. a. O. (Fn. 6), S. 275 ff. 14 Zur Disposition der öffentlichen Hand über den Kostenumfang und damit die Gebührenhöhe Wilke, a. a. O. (Fn. 6), S. 278. 15 Beides ist nach hM zulässig; BVerfG a. a. O. (Fn. 4), 230; Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern unter dem Grundgesetz, 1999, S. 30; F. Kirchhof, DÖV 1992, 237; Heimlich, Die Verleihungsgebühr als Umweltabgabe, 1996, 207 ff.
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lichen Geldleistungspflichten vorgibt16, sondern für nichtsteuerliche Abgaben aller Art offen ist17, wäre auch ein verfassungsrechtlicher Gebührenbegriff ohne Relevanz.18 Abgaben, die nicht unter einen solchen verfassungsrechtlichen Gebührenbegriff subsumiert werden könnten, könnten immer noch als nichtsteuerliche Abgaben sui generis Bestand haben. In den Worten des BVerfG: „Fragen der Systematisierung und Katalogbildung aufgrund bestehender Gesetze sind keine Verfassungsfragen.“19 Die Unschärfe des Gebührenbegriffs sowie seine verfassungsrechtliche Irrelevanz dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Gebühren“ wie auch alle anderen hoheitlich auferlegten Geldleistungspflichten verfassungsrechtlichen Schranken unterliegen. In formeller Hinsicht ist die Gebührenkompetenz erforderlich, materiell müssen Gebühren als belastende Regelungen gerechtfertigt werden, worin sich die Abwehrfunktion der Grundrechte konkretisiert.20 Für den Gang der weiteren Untersuchung sind mit Gebühren alle öffentlichen Geldleistungen gemeint, die anlässlich einer individuell zurechenbaren Staatshandlung erhoben werden.21 Auf diese Weise wird eine rein äußere Umschreibung gewählt und somit vermieden, dass Rechtfertigungsgründe Eingang in die Definition finden und als antizipierte Ergebnisse die Untersuchung verschleiern. Die Anknüpfung an eine individuell zurechenbare Staatshandlung ermöglicht die Unterscheidung von den „voraussetzungslos“ erhobenen Steuern.22 Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG23 deckt sich der verfassungsrechtliche Steuerbegriff mit dem des § 3 Abs. 1 AO. Möchte man hieraus schon keine verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Begriff der Gebühr gewinnen, steht auf der anderen Seite fest, wann keine Gebühr, sondern eine
__________ 16 Eine Katalogbildung innerhalb der Abgaben vermag die Abgabengewalt des Gesetzgebers nur dann wirksam zu begrenzen, wenn der Katalog von Verfassungs wegen abschließend vorgegeben ist (So Birk, „Vorteilsabschöpfung“ durch Abgaben, FS für Ritter, 1997, S. 41, 46 ff.); das wird vom BVerfG allerdings gerade verneint, vgl. BVerfGE 93, 319. 17 Das BVerfG geht davon aus, dass das Grundgesetz für nichtsteuerliche Abgaben aller Art offen ist, BVerfGE 82, 159 (181); 3, 319 (342); s. a. P. Kirchhof in Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. 4, § 88 Rz. 269. 18 Das verkennt Hendler, AÖR Bd. 115 (1990), 577, 593, der die rechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Einführung einer bestimmten Abgabe von ihrer Einordnung abhängig macht. 19 BVerfG v. 7. 11. 1995, BVerfGE 93, 319 (345). 20 Die Vorfrage, ob das GG die Gebührenerhebung überhaupt erlaubt, darf als geklärt angesehen werden. Dazu Wilke a. a. O. (Fn. 6), S. 150 ff. 21 Ein kleinster gemeinsamer Nenner, der auch die Vorteilsabschöpfungsabgaben oder Ausgleichsabgaben, nicht aber die Sonderabgaben erfasst. 22 Die Verfassungsqualität des Steuerbegriffs steht der Akzeptanz der Sonderabgaben im übrigen auch nicht entgegen. Letztlich geht es bei jeder öffentlichen Geldleistungsverpflichtung um deren verfassungsrechtliche Rechtfertigung; zu „voraussetzungslosen“ Steuern vgl. Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 1). 23 BVerfGE 3, 435; 7, 251; 10, 76; 29, 408; 36, 70; 40, 62; 42, 228; 49, 353; 84, 239.
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Steuer vorliegt. Knüpft eine Geldleistung nicht an staatliche Handlungen an, muss sie als Steuer verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.24 Dabei muss noch geklärt werden, ob dieser rein äußerlichen Unterscheidung anhand der Anknüpfung an eine bestimmte staatliche Handlung, die es dem Gesetzgeber leicht macht, durch entsprechende Tatbestandsgestaltung zwischen Steuer und Gebühr zu wählen25, nicht auch materieller Gehalt zukommt, der etwa bestehende Wahlrechte einschränkt.
II. Zweckverfolgung mit Gebühren Die Frage nach den Zwecken, die mit Gebühren verfolgt werden können, ist untrennbar mit den Wirkungen der Gebührenerhebung verbunden. Einen bestimmten Zweck mit Gebühren anvisieren erfordert, dass der Gebühr eine korrespondierende – zur Zweckerreichung geeignete – Wirkung zukommt. Anders formuliert: Braucht der Gesetzgeber Geld, kann er die Gebühr mit Erfolg einsetzen, will er hingegen die Bürger beispielsweise ins Museum locken, erscheint die Eintrittsgebühr kontraproduktiv. Die Untersuchung der möglichen Wirkungen der Gebührenerhebung ist daher der Zweckverfolgung mit Gebühren logisch vorgelagert. Die Gebühren bringen in erster Linie Geld in die Kassen und so ist auch ihr originärer Zweck der der Einnahmeerzielung.26 Dabei darf die Einnahmeerzielung nicht mit der Deckung der Kosten der konkreten staatlichen Handlung gleichgesetzt werden. Mit der Kostendeckung ist bereits ein Rechtfertigungsgrund der Gebührenerhebung angesprochen.27 Wer bestimmte Kosten veranlasst, etwa Öl ins Grundwasser gelangen lässt und so die Feuerwehr auf den Plan ruft, soll diese Kosten auch selbst tragen und nicht der Allgemeinheit aufbürden.28 So bezweckt und bewirkt auch die Steuer die Einnahmeerzielung, gerechtfertigt ist sie nur, wenn mit ihr die Leistungsfähigkeit des Steuerzahlers angezapft wird. Als finanzielle Belastung kommt der Gebühr eine Vielzahl von Wirkungen zu. Dabei muss zwischen den Wirkungen der Gebührenerhebung als solcher
__________ 24 Dass auch insoweit Ausnahmen bestehen, machen die Sonderabgaben deutlich. 25 Das wird anhand der Schankerlaubnissteuer deutlich: Steuer oder Verleihungsgebühr? 26 Die nicht als Überschusserzielung verstanden werden darf. Zur Einnahmeerzielung vgl. Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 1), sub C III. 27 Sieht man Gebühren bereits begrifflich als Mittel zur Kostendeckung an, ist damit kein Erkenntnisgewinn verbunden, da auch anders gerechtfertigte öffentliche Geldleistungspflichten verfassungsrechtlich zulässig sein können, vgl. Friauf, a. a. O. (Fn. 11), S. 695. 28 Insofern besteht auch kein direkter Zusammenhang dergestalt, dass gerade das Gebührenaufkommen zur Kostentilgung verwandt werden müsste. Zu diesem „Non-Affektations-Prinzip“ Bohley, Gebühren und Beiträge, S. 67, 156.
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und den mit ihrer konkreten Ausgestaltung verbundenen Effekten unterschieden werden. Die Gebührenpflichtigkeit verteuert die staatliche Handlung und senkt so deren Attraktivität für den Gebührenschuldner. Dadurch kann es zu einer Besinnungswirkung kommen. So wird sich etwa der säumige Schuldner überlegen, ob er es wirklich auf einen Prozess mit der damit verbundenen Kostenfolge ankommen lassen will oder nicht doch gleich seiner Zahlungsverpflichtung nachkommt.29 Auf diese Weise trägt die Gebühr zur Funktionsfähigkeit des Staatswesens bei, das vor einer Vielzahl unbedachter Anträge und damit unnützer Arbeit bewahrt wird.30 Die Besinnungswirkung macht auch dort Sinn, wo es um die Verteilung knapper Güter geht. Der Griff in den Geldbeutel legt die Frage nahe, ob die Leistung tatsächlich benötigt wird. In diese Richtung gehen auch die Überlegungen zur Einführung bzw. Erhöhung von Studiengebühren soweit sie damit begründet werden, der zahlende Student werde sich sein Interesse am und seine Eignung zu dem angestrebten Studium besser überlegen als der Student zum Nulltarif. Eng mit der Besinnungswirkung hängt die Abschreckungswirkung der Gebühr zusammen.31 Sie tritt bei demjenigen ein, der sich die Inanspruchnahme der staatlichen Handlung überlegt hat und dabei zu dem Ergebnis gelangt ist, die Sache sei die mit ihr qua Gebühr verbundene finanzielle Belastung nicht wert. Besinnung und Abschreckung sind somit zwei Seiten derselben Medaille. Die Frage, wann der Einsatz von Gebühren als Nachfragekorrektiv Sinn Macht, geht bereits in eine andere Richtung. Insofern wird geklärt werden müssen, ob durch die Abschreckung gerade die Inanspruchnahme der staatlichen Handlung vermindert oder ob mittelbar ein bestimmtes Verhalten des Gebührenschuldners beeinflusst werden soll bzw. hervorgerufen werden kann. Mit anderen Worten: Eine Müllabfuhrgebühr soll den Gebührenschuldner mit Sicherheit nicht dazu animieren, den Müll selbst im Wald zu entsorgen, kann diesen Effekt aber gerade haben. Erreicht die Abgabenbelastung durch Gebühren eine derartige Höhe, dass sie die Erfüllung des Abgabentatbestandes faktisch unmöglich macht, kommt der Gebühr eine Verbotswirkung, exakter eine verbotsgleiche Wirkung, zu. Das Negativ der Abschreckungswirkung ist die Anreizwirkung. Der Anreiz kann darin bestehen, ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen und so die Gebührenerhebung zu umgehen. Ein solcher Anreiz ist mit jeder Abschreckung notwendig verbunden. Anders verhält es sich in den Fällen, in denen mit der Gebührenfreiheit bestimmter staatlicher Leistungen ein ge-
__________ 29 Vgl. dazu die Ausführungen in BVerGE 50, 217 (230) zu den Effekten der Widerspruchsgebühr. 30 Zur verfassungsrechtlichen Problematik unten III. sowie BVerfGE 50, 217 (231). 31 Die Abschreckungswirkung lässt sich auch als Vermeidungswirkung bezeichnen, so F. Kirchhof, Die Höhe der Gebühr, S. 133.
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zielter Anreiz zu ihrer Inanspruchnahme gesetzt wird. Auch die Gebührenfreiheit kann somit als Lenkungsmittel dienen. – Der kostenlose Museumsbesuch weckt Kunstinteresse bei jedermann.32 Die belastende Wirkung der Gebühren wird auch genutzt, wenn gerade ein dem Gebührenschuldner durch die staatliche Handlung zukommender Sondervorteil gegenüber der Allgemeinheit finanziell ausgeglichen wird. Damit bewegt man sich auf dem Gebiet der sog. Vorteilsabschöpfungsabgaben.33 Hier wird also gerade die finanzielle Belastung zum Zweck der Gebührenerhebung. Die Frage ob Vorteile, welche Vorteile und wieweit sie abgeschöpft werden können, ist weiter unten zu behandeln. Letztlich kann die Gebührenerhebung auch Signalwirkung haben. Sie zeigt der Verwaltung, ob und wie ihre Leistungen akzeptiert werden. Durch dieses Feedback wird sie in die Lage versetzt, ihre eigene Leistungsfähigkeit exakter einzuschätzen. Es geht also darum zu ermitteln, was dem Gebührenschuldner die staatliche Handlung wert ist, für wie wertvoll bzw. nützlich er sie erachtet. Öffnet die Gebührenerhebung als solche – womit die Gebührenfreiheit eingeschlossen sein soll – durch die mit ihr verbundenen vielfältigen Wirkungen somit das Tor zur Zweckverfolgung, erlaubt die konkrete Ausgestaltung der Gebühren eine angepasste Zweckverfolgung. Durch Tarifdifferenzierungen können staatliche Handlungen für bestimmte Gruppen leichter finanzierbar werden. Als Beispiele seien die nach Einkommen der Eltern gestaffelten Kindergartengebühren34 oder die ermäßigten „Eintrittspreise“ der Museen für Rentner genannt. Auf diese Weise können die sozialen Unterschiede zwischen den Gebührenschuldnern berücksichtigt werden.35 Die Tarife könnten aber auch so gestaltet sein, dass eine bestimmte staatliche Handlung mit zunehmender Inanspruchnahme nicht nur linear, sondern auch progressiv teuerer wird. Auf diese Weise würden Abschreckungseffekte dort wo sie am nötigsten sind effektiver.36 In Bezug auf alle oben angeführten Wirkungen der Gebührenerhebung darf nicht übersehen werden, dass sich ihre Instrumentalisierung, also ihr bewusster Einsatz durch den Gebührengesetzgeber nur für den Zweck der Ein-
__________ 32 Die kilometerlangen Schlangen vor dem Louvre am ersten Sonntag eines jeden Monats belegen dies eindrucksvoll. 33 Vgl. Dazu Birk, „Vorteilsabschöpfung“ durch Abgaben, in FS f. Ritter, 1997, S. 41 ff.; Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 1) unter C VI, der den Vorteilsausgleichsgedanken im Regelfall als Rechtfertigungsgrund für Gebühren für untauglich hält (vgl. dazu unter C V a.E.). 34 Dazu BVerfG v. 10. 3. 1998, BVerfGE 97, 332 ff. 35 Dazu Gußen, Sozialstaatliche Tarifdifferenzierungen im Kommunalabgabenrecht, 1993. 36 Z. B. Müllabfuhrgebühren, die jedes weitere Kilogramm progressiv belasten.
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nahmebeschaffung aus dem Tatbestand der Gebührennorm selbst ergibt.37 Was neben der Einnahmeerzielung gewollt ist wird gerade nicht deutlich, ein Verhaltensappell nicht ausgesprochen.38 Gebühren sieht man nicht an, ob sie den Gebührenschuldner abschrecken oder zur Besinnung bringen wollen. Eins steht jedoch fest, ob gewollt oder nicht: Gebühren bringen Geld in die Staatskasse.39 Die hier aufgezählten Wirkungen und Zwecke der Gebühr können nicht abschließend sein. Das durch sie verdeutlichte erhebliche Lenkungspotential der Gebühr legt eine Untersuchung der insofern bestehenden verfassungsrechtlichen Vorgaben nahe.
III. (Lenkungs-)Gebühren und Verfassungsrecht Mit dem Befund, dass sich Gebühren aufgrund ihrer tatsächlichen Auswirkungen zu anderen Zwecken als der Einnahmeerzielung eignen, ist noch nichts darüber gesagt, ob sonstige Zwecke, welche Zwecke und inwieweit sie verfassungsgemäß verfolgt werden dürfen. 1. Materielle Anforderungen an (Lenkungs-)Gebühren Die Enthaltsamkeit des Grundgesetzes zum Gebührenbegriff setzt sich fort, wenn es um die Zulässigkeit der Gebührenerhebung geht. Dies gilt erst recht für die Zulässigkeit der Verfolgung bestimmter Zwecke mit Hilfe von Gebühren. Dabei handelt es sich um kein gebührenspezifisches Problem. Das Grundgesetz sagt auch explizit nichts zur Zulässigkeit der Zweckverfolgung mit Steuern. Insgesamt findet sich im Grundgesetz keine begriffliche Beschränkung der Art, mit bestimmten Mitteln könnten nur bestimmte Zwecke verfolgt werden. Die Verfassung legt vielmehr den materiellen Rahmen staatlicher Tätigkeit fest, indem sie bestimmte Anforderungen aufstellt, denen schlechthin jedes staatliche Handeln entsprechen muss. Die bereits erwähnte Äußerung des BVerfG40, das Grundgesetz sei offen für nichtsteuerliche Abgaben jeder Art, muss auch vor diesem Hintergrund verstanden werden. Die Verfassung sagt zwar nichts zu einzelnen nichtsteuerlichen Abgaben, gleichwohl müssen diese sich an den verfassungsrechtlichen Vorgaben messen lassen.
__________ 37 Es sei denn, der Gesetzgeber schreibt die sonstigen Zwecke ausdrücklich ins Gesetz. Aber selbst dann kann der Gebührenschuldner diese der Gebührenschuld erst nach Lektüre des Gesetzestextes beilegen. 38 Dies gilt für Steuern ebenso wie für Gebühren: vgl. Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 1) sub A III (für Steuern) bzw. C III (für Gebühren). 39 Bedenkt man dies und die staatliche Geldnot, relativieren sich vom Gesetzgeber angeführte Sachzwecke von selbst. 40 A. a. O. (Fn. 17).
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a) Sachliche Rechtfertigung der Gebührenerhebung Als belastende Regelung bedarf die Gebührenerhebung nicht nur einer gesetzlichen Grundlage (dazu unten 2.), sie muss auch sachlich gerechtfertigt sein.41 Dieses Erfordernis ergibt sich bereits aus der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit.42 Eingriffe in dieses Auffanggrundrecht sind nur gerechtfertigt, wenn sie Ausdruck der verfassungsmäßigen Ordnung sind. Dabei ist insbesondere der aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG entwickelte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.43 Jede Einschränkung der Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG ist daher besonders auf die Tragfähigkeit der zu ihrer Rechtfertigung vorgebrachten Gründe zu untersuchen.44 Der „Sozialbezug“ der betroffenen grundrechtlich geschützten Handlungsweise muss den Eingriff überhaupt rechtfertigen, der Bürger also durch sein Verhalten auf andere einwirken und so die Belange des Gemeinschaftslebens berühren.45 Betrachtet man zunächst die „klassische Gebühr“ aus diesem Blickwinkel, so trifft die finanzielle Belastung den Gebührenschuldner, weil er dem Staat Kosten verursacht hat (z. B. ein erfolgloses Widerspruchsverfahren geführt hat). Für die Überprüfung anhand Art. 2 Abs. 1 GG ist entscheidend: Der Staat will Einnahmen durch die finanzielle Belastung des Bürgers erzielen, die er damit rechtfertigt, dass eine dem Bürger individuell zurechenbare staatliche Handlung Kosten verursacht hat. Durch diese Kostenverursachung hat der Bürger Belange des Gemeinschaftslebens berührt, nämlich die Staatsfinanzen. Die finanzielle Belastung ist insoweit das geeignete Mittel zur Kostendeckung. Ist die Gebührenerhebung hier dem Grunde nach gerechtfertigt ist noch nichts über die Höhe gesagt. Dazu später. Akzeptiert man das Erfordernis eines sachlichen Grundes, einer Rechtfertigung für die Gebührenbelastung, stellt sich die Frage, womit außer der Kostenverursachung noch die Gebührenerhebung „begründet“ werden kann. In Betracht kommen vor allem die oben unter II. dargestellten Wirkungen der Gebühr, die der Gesetzgeber sich zur gezielten Zweckverfolgung zu Nutze machen könnte. So könnte der Gesetzgeber die Erhebung einer Gebühr allein damit rechtfertigen wollen, der Bürger solle von einem bestimmten Verhalten abgeschreckt, sich der Folgen seines Tuns stärker bewusst werden. Eine Straßenbenutzungsgebühr könnte dann allein erhoben werden, um den Bürger zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu bewegen. Im Fall der Straßenbenutzungsgebühr ist es vorstellbar, dass bei entsprechender Gebührenhöhe tatsächlich Autofahrer auf öffentliche Verkehrsmit-
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41 Vgl. Murswiek, Die Entlastung der Innenstädte vom Individualverkehr, 1993, S. 54. 42 Vgl. Vogel, Vorteil und Verantwortlichkeit, in: Verantwortlichkeit und Freiheit, Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag, Tübingen 1989, S. 529. 43 BVerfGE 19, 342 (348 f.). 44 So Schmidt/Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG, Art. 2 GG, Rz. 8. 45 BVerfGE 6, 389 (435); 35, 203 (220).
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tel umsteigen. Die Gebührenerhebung erscheint daher als geeignetes Mittel zur Zweckerreichung. Der Zweck selbst, stärkere Auslastung des öffentlichen Nahverkehrs und damit einhergehende Verminderung der Umweltbelastung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, korrespondiert er doch sogar mit Art. 20a GG. Verzichtet man einmal auf die Überprüfung der Erforderlichkeit, also die Suche nach einem milderen Mittel, sowie der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, für die unter anderem auch die Gebührenhöhe relevant würde, erscheint die Gebührenerhebung bei solch kursorischer Überprüfung als sachlich gerechtfertigt. Der Fall der Straßenbenutzungsgebühren weckt jedoch Unbehagen, formuliert man die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung der Gebührenerhebung anders. Ausgangspunkt ist die bereits oben gewonnene Feststellung, dass Gebühren keinen Verhaltensappell, sondern lediglich einen Zahlungsbefehl aussprechen. Gebühren sind immer mit Einnahmen der öffentlichen Hand verbunden, auch wenn sie das Verhalten der Gebührenschuldner beeinflussen sollen. Sie wirken insofern anders als Verbote oder Gebote, nämlich nur mittelbar über die finanzielle Belastung der Gebührenschuldner. Die Straßenbenutzungsgebühr sagt nicht, schone die Umwelt, sondern, wer diese Straße benutzt, zahlt – oder anders: Wer diese Straße benutzt, hat einen Beitrag zur Staatsfinanzierung zu leisten. Mehr lässt sich der bloßen Gebührenerhebung selbst nicht entnehmen, ohne auf deren Reflexwirkungen abzustellen. Lautet die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung der Straßenbenutzungsgebühr daher: „Warum soll derjenige, der eine bestimmte Straße benutzt, einen Beitrag zur Staatsfinanzierung leisten?“46 passt allein die Antwort, weil er dadurch Kosten verursacht – nicht aber weil man ihn zum Busfahren bringen möchte. Geht es also bei der Rechtfertigung von Gebühren letztlich stets um die Finanzierungsverantwortung des Gebührenschuldners, fallen bestimmte Gründe für die Gebührenerhebung weg. So kann weder ein Besinnungs-, Abschreckungs-, Verbots- oder Signalzweck die Gebührenerhebung rechtfertigen. Wohl lässt sich aber mit dem Gedanken der Vorteilsabschöpfung eine Gebührenpflicht begründen. Derjenige, dem der Staat einen Vorteil zuwendet, kann von diesem Vorteil oder wegen der Erlangung des Vorteils etwas
__________ 46 Diese Frage klingt bei Vogel an, Vorteil und Verantwortlichkeit, in: Verantwortlichkeit und Freiheit, Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag, Tübingen 1989, S. 530. Vogel formuliert die Frage nach der Rechtfertigung der Gebührenerhebung aber in Richtung auf die Belastung des Bürgers, „Was rechtfertigt es, statt über Steuern der Allgemeinheit, den mit dem Staat in besondere Beziehungen getretenen einzelnen zu belasten?“ Die Belastung des Bürgers ließe sich aber auch mit einem Lenkungszweck rechtfertigen. Ausschlaggebend ist, dass im Gegensatz zur „normalen“ Belastung (Verbot) der Staat bei den Abgaben etwas erhält – nämlich Geld zu seiner allgemeinen Finanzierung. Die Belastung darf deshalb nicht isoliert betrachtet werden. Trotzdem kommt Vogel zum richtigen Ergebnis.
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zur Staatsfinanzierung abgeben.47 Als Rechtfertigungsgründe bleiben also die Kostenverursachung und die Vorteilsabschöpfung.48 Den eben angestellten Überlegungen könnte entgegenstehen, dass sich bei jeder individuell zurechenbaren staatlichen Handlung Kosten der öffentlichen Hand oder Vorteile des Betroffenen ausmachen lassen werden. Dem Gebührengesetzgeber stünde daher stets die Möglichkeit offen, einen korrekten Rechtfertigungsgrund für die Gebührenerhebung zu finden. Bei den Straßenbenutzungsgebühren kann deshalb ins Feld geführt werden, die Benutzung der Straße verursache dem Staat Kosten. Genauso gut lässt sich ein Vorteil des Autofahrers ausmachen. Ohne Straße wäre sein Kfz nutzlos. Wo ein solcher Grund besteht, können Motive mitverfolgt werden, sodass letztlich mit Gebühren doch Sachzwecke verfolgt werden können. Der Einwand verliert an Schlagkraft, sofern nicht jeder beliebige Vorteil des Gebührenschuldners die Gebühr zu rechtfertigen vermag. Denn ein Vorteil läge auch in dem Schutz, den die Polizei oder die Bundeswehr dem einzelnen vermittelt. Eine erste Beschränkung gewinnt man insofern über die Lehre von den „öffentlichen Gütern“. In der finanzwissenschaftlichen Terminologie werden hierunter die Güter verstanden, die von mehreren gleichzeitig genutzt werden können, ohne dass die Nutzung durch den einen die durch einen anderen hindert.49 Teilweise wird darauf abgestellt, ob es möglich ist, Personen von der Nutzung des betreffenden Gutes auszuschließen.50 Verallgemeinernd zeichnen sich öffentliche Güter somit durch Nicht-Rivalität bzw. Nicht-Ausschließbarkeit aus. Der Vorteil, unter dem Schutz der Polizei, Feuerwehr bzw. Bundeswehr zu leben, ist daher mangels Ausschließbarkeit des Einzelnen nicht gebührenfähig.51 Soweit die öffentlichen Güter über den Aspekt der Nicht-Rivalität definiert werden, lässt sich das Fehlen eines gebührenfähigen Vorteils auch über den hier verfolgten Ansatz der Finanzierungsverantwortung erzielen. Derjenige, der ein derartiges „öffentliches Gut“ nutzt, hebt sich nicht aus der Allgemeinheit heraus. Er wird gegenüber den restlichen Bürgern, die das öffent-
__________ 47 Womit nicht gesagt ist, ob jeder Vorteil ausreicht und erst recht nicht, in welcher Höhe ein Vorteil abgeschöpft werden darf. 48 So Vogel a. a. O. (Fn. 47), S. 536; schon A. Wagner unterteilte die Gebühren in solche für „geleistete Dienste“ sowie solche wegen einer „verursachten Ausgabe (Kostenprovokation)“, Finanzwissenschaft, Zweiter Teil: Theorie der Besteuerung, Gebührenlehre und allgemeine Steuerlehre, 2. Aufl. 1890, S. 36, 38. Auch P. Kirchhof lehnt ein „beliebiges „Gebührenerfindungsrecht““ des Gesetzgebers ab, Verfassungsrecht und öffentliches Einnahmesystem in: Staatsfinanzierung im Wandel, Hansmeyer (Hrsg.), 1983, S. 33, 53. 49 Z. B. P. Samuelson, Eine Theorie der öffentlichen Ausgaben, Graphische Darlegung, in: H. C. Recktenwald (Hrsg.), Finanztheorie, 1969, S. 146 ff. 50 R. Musgrave, in: R. Musgrave/P. Musgrave/Kullmer, Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis. 51 So Vogel, a. a. O. (Fn. 47), S. 534.
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liche Gut in gleicher Weise nutzen können, nicht privilegiert, ein Grund ihm einen gesonderten Finanzierungsbeitrag aufzuerlegen besteht daher nicht. Soweit die öffentlichen Güter an die Nicht-Ausschließbarkeit anknüpfen, bestehen Bedenken. Dass jemand von der Nutzung eines bestimmten Gutes ausgeschlossen werden kann, erklärt nicht, warum er einen Beitrag zur Staatsfinanzierung leisten soll.52 Die Ausschließbarkeit reicht erst dann, wenn der Gebührenschuldner sich durch die Nutzung des Gutes aus der Gruppe der Allgemeinheit insofern abhebt, als sie ihm einen Sondervorteil verschafft. Das ist der Fall, wenn bei beschränkten Kapazitäten bestimmte Nutzungsrechte vergeben werden.53 Die Beschränkung kann eine tatsächliche aber auch eine rechtliche – wenn sie sachlich gerechtfertigt ist – sein.54 Auf die Straßennutzung übertragen bedeutet dies: Die Nutzung allein ist noch kein Sondervorteil. Sie wird es auch nicht durch die Erhebung von Gebühren für die Straßennutzung, auch wenn derjenige, der sich zu zahlen weigert, von der Nutzung ausgeschlossen wird.55 Erst wenn aus Gründen des Umweltschutzes die Anzahl der Kfz, die an einem Tag eine bestimmte Straße nutzen, zulässig beschränkt würde – was zugegebenermaßen illusorisch ist – ergäbe sich ein Sondervorteil für den die Straße benutzenden Autofahrer. Nach momentaner Rechtslage lassen sich Straßengebühren daher nur aus Kostenzurechnungsgesichtspunkten rechtfertigen. Auch der Großteil der Genehmigungen, wie z. B. Baugenehmigungen oder die Anwalts-/Arztzulassung56 verschaffen dem Empfänger keinen Sondervorteil.57 Bei den Erlaubnisvorbehalten handelt es sich um präventive Verbote. Das erlaubnispflichtige Verhalten ist als Verwirklichung grundrechtlicher Freiheiten erlaubt, es wird nur aus ordnungsrechtlichen Überlegungen unter Erlaubnisvorbehalt gestellt. Die Erlaubnis stellt insofern keinen Sondervorteil dar, sondern ist nur Ausdruck des ohnehin grundrechtlich verbürgten Freiheitsraums.58 In diesem Bereich dürfen daher nur an den Kosten der Erlaubniserteilung orientierte Verwaltungsgebühren erhoben werden59.
__________ 52 Man käme sonst in den Bereich der Ansicht Wilkes, a. a. O. (Fn. 6) S. 88, „Diejenigen Leistungen sind individuell zurechenbar, die er (Ergänzung: der Gesetzgeber) individuell zurechnet.“ 53 Die Telekommunikations- Nummerngebührenverordnung v. 16. 8. 1999, BGBl. I 1999, S. 1887, ist daher als Vorteilsabschöpfungsabgabe gerechtfertigt. 54 Kritik an der Vorteilsabschöpfung übt Birk, Vorteilsabschöpfung durch Abgaben, in: Festschrift für Ritter, 1997, S. 41 ff., 51. 55 Andernfalls könnte der Gesetzgeber die Gebührenerhebung durch sich selbst rechtfertigen. 56 Bei der Kassenarztzulassung ließe sich ein Sondervorteil in Folge der zahlenmäßigen Beschränkung ausmachen. 57 Den Bereich der öffentlichen Güter hat man hier ohnehin verlassen. 58 Vgl. P. Kirchhof, a. a. O. (Fn. 49), S. 53. 59 So verlangt Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 1) sub C V a.E. generell eine Beschränkung auf den Kostendeckungsgedanken.
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Der Gebührengesetzgeber ist aber nicht nur bei den Anknüpfungspunkten der Gebührenerhebung begrenzt, auch bei der Gebührenbemessung unterliegt er Schranken. Die Gebührenbemessung ist nichts anderes als die quantitative Ausgestaltung des Belastungsgrundes. Wer Gebühren zu zahlen hat, weil er Kosten verursacht, muss nicht mehr als diese Kosten zahlen. Soll ein Vorteil abgeschöpft werden, bildet dieser Vorteil die Obergrenze der Gebührenhöhe.60 Die Obergrenzen der Gebührenbemessung sind daher durch den jeweiligen Belastungsgrund fixiert. Sie können nicht aufgrund irgendwelcher Sachzwecke durchbrochen werden.61 Soweit der Gesetzgeber in dem vorgegebenen Gebührenrahmen frei ist, kann er sich auch durch sonstige Sachzwecke leiten lassen. Wie sich das Äquivalenzprinzip zu bestimmten Sachzwecken verhält und ob diese eine Differenzierung zwischen verschiedenen Gebührenschuldnern ermöglichen, muss noch untersucht werden (unten c). b) Schranken aus der Finanzverfassung Die Vorschriften der Finanzverfassung enthalten keine ausdrückliche Aussage zu dem Verhältnis der steuergestützten Staatsfinanzierung zur Finanzierung durch nichtsteuerliche Abgaben. Zunehmend wird jedoch die Auffassung vertreten, die Bundesrepublik Deutschland sei vom Grundgesetz als Steuerstaat verfasst.62 So geht auch das BVerfG davon aus, dass die Finanzverfassung als „Eckpfeiler der staatlichen Ordnung“63 ihren Sinn und ihre Funktion verlöre, „wenn unter Rückgriff auf die Sachgesetzgebungskompetenz von Bund und Ländern daneben beliebig Abgaben unter Umgehung der bundesstaatlichen Verteilung der Finanzen erhoben werden könnten und damit zugleich ein weiterer Zugriff auf die keineswegs unerschöpflichen Ressourcen der Bürger eröffnet würde.“64 Die „Steuerstaatsdoktrin“ lässt sich weder auf den Grundsatz der Belastungsgleichheit65, noch auf die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG66 stützen. Die Belastungsgleichheit trägt allein Art. 3 GG Rechnung. Sie gilt für Steuern wie auch nichtsteuerliche Abgaben gleichermaßen. Dass Grundrechte sowohl der Begründung von Hand- und Spanndiensten (Art. 12 GG) der Bürger als auch übermäßigem staatlichen Unternehmertum entgegenstehen, lässt
__________ 60 Hier sind Probleme für lediglich ideelle Vorteile vorgezeichnet. 61 So auch Maak, Verkehrslenkende Abgabenmodelle, 1998, S. 40 ff. (44), der dieses Ergebnis aber aus dem Äquivalenzprinzip gewinnt. Einer Bemühung dieses Prinzips bedarf es nicht. 62 K. Vogel, Der Finanz- und Steuerstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der BRD, Bd. I, 1987, S. 1151, 1181 ff.; Isensee, Steuerstaat als Staatsform, in: Stödter/Thieme (Hrsg.), Hamburg, Deutschland, Europa, Festschrift für Ipsen zum 70. Geburtstag, 1977, S. 409, 434, 436. 63 BVerfGE 55, 274 (300). 64 BVerfG v. 8. 6. 1988, BVerfGE 78, 249 (267). 65 Klingt in BVerfGE 78, 249 (267) an. 66 Vgl. Isensee, a. a. O. (Fn. 50), S. 421 ff.
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die Bundesrepublik notwendig als Abgabenstaat auftreten, nicht aber mit der gleichen Notwendigkeit als Steuerstaat.67 Eine Vorrangstellung der Steuern bei der Staatsfinanzierung könnte sich allerdings direkt aus den Art. 104a ff. GG ergeben.68 Die finanzverfassungsrechtlichen Regelungen konzentrieren sich in der Tat auf die Steuern.69 Ein gesonderter Abschnitt, der sich mit der Steuergesetzgebung und Steuerertragshoheit sowie technischen Fragen der Staatsfinanzierung auseinandersetzt, macht bereits aus systematischen Überlegungen Sinn. Im Gegensatz zu Gebühren und sonstigen nichtsteuerlichen Abgaben lassen sich Steuern nicht auf Sachkompetenzen stützen. Ihnen liegt keine Sachfrage zugrunde, sie rechtfertigen sich aus einem eigenständigen Aspekt heraus, der Leistungsfähigkeit des Steuerzahlers. Der ausführlichen Erwähnung der Steuern in den Art. 104a ff. GG muss daher nicht zwingend ein steuerlicher Finanzierungsvorrang entnommen werden. Auch das föderative Konzept Deutschlands lässt sich nicht nur durch den Steuerstaat bewahren. Zum einen verlagern die Art. 104a ff. GG selbst das finanzverfassungsrechtliche Schwergewicht auf den Bund, der die Steuerkompetenzen zu einem Großteil innehat, so dass „Steuergesetzgebung praktisch Bundesgesetzgebung ist“.70 Zum anderen bedürfen auch die nichtsteuerlichen Abgaben einer gesetzlichen Grundlage, die sich in den Art. 72 ff. GG finden. Die Sachkompetenzen spiegeln aber gerade das Bundesstaatsprinzip durch ihre Aufteilung in ausschließliche Kompetenzen des Bundes und der Länder sowie konkurrierende und Rahmenkompetenzen des Bundes wider. Darüber hinaus sichert die Gebührenkompetenz das föderative Konzept sogar vor einer finanziellen Überbelastung der Länder ab. Tragen diese doch gem. Art. 104 Abs. 2 GG bei der Ausführung von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheiten die Kosten. Einer solchen Kostenbelastung durch Bundesgesetze können die Länder mit der Erhebung von Verwaltungsgebühren zumindest teilweise begegnen.71 Überdies ist die Finanzverfassung schon von sich aus flexibel gestaltet. So ermöglicht Art. 106 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 Sätze 3 und 4 Nr. 1, 2 GG die gesetzliche Neufeststellung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer bei einer wesentlichen Veränderung der Einnahme- und Ausgabeverhältnisse. Desgleichen können solche Veränderungen über den bundesstaatlichen Finanzausgleich (Art. 107 GG) Berücksichtigung finden. Die Elastizität der Finanzverfassung kann daher eine Verschiebung der Staatsfinanzierung zugunsten nichtsteuerlicher Abgaben bis zu einem gewissen
__________ 67 Vgl. hierzu Hendler, a. a. O. (Fn. 18), S. 597. 68 So wohl BVerfGE 78, 249 (266), vgl. obiges Zitat. 69 Beiläufig werden daneben Kredite als Mittel zur Staatsfinanzierung angesprochen (Art. 115 GG). 70 Ipsen, Staatsorganisationsrecht, 2. Aufl. 1989, 189. 71 Zur Kompetenz unten III.2.
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Grad abfedern, so dass insoweit keine Bedrohung für das grundgesetzliche Finanzsystem besteht.72 Kommt der Steuerstaatsdoktrin aus der Sicht des Staates somit eine eher deskriptive Funktion zu, indem sie die finanzgeschichtliche Entwicklung moderner Staatlichkeit zu einer steuerfinanzierten Aufgabenerfüllung wiedergibt,73 könnte sie aus der Perspektive des Abgabenschuldners einen Schutz vor übermäßiger Belastung bieten. Die Finanzverfassung selbst vermag aber nicht einmal die Steuerbelastung wirksam, bzw. voraussehbar zu begrenzen. Das Halbteilungsgebot ist vom BVerfG aus Art. 14 GG entwickelt worden. Auch die Rechtfertigung der Besteuerung aus der Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners ist kein Substrat der finanzverfassungsrechtlichen Vorschriften. Wie soll da erst ein Maßstab für eine Staatsfinanzierung durch Steuern und nichtsteuerliche Abgaben gewonnen werden? Wohl kaum dergestalt, dass der Vorrang der Steuer dazu führt, dass der Staat sich zu mindestens 51 % aus Steuern finanzieren muss, zumal damit wieder auf die Perspektive des Staates abgestellt wäre, die Belastung des Abgabenschuldners aus den Augen geriete. Wie der Staat sich finanziert ist dem Abgabenschuldner letztlich gleichgültig, solange seine finanzielle Belastung unverändert bleibt. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis stellt sich die Äußerung des BVerfG74, der Gesetzgeber könne nicht nach „Belieben“ Abgaben neben den Steuern erheben (also aufgrund von Sachkompetenzen), nicht als Folge des Finanzverfassungsrechts dar, sondern als Ausdruck der für jede Abgabenbelastung erforderlichen Finanzierungsverantwortung des Abgabenschuldners. Dabei stellen sich Steuer und Gebühr als zwei unterschiedliche Finanzierungsmittel des Staates dar, die demgemäss an unterschiedliche Finanzierungsverantwortungen anknüpfen. Die steuerliche Finanzierungsverantwortung knüpft nicht an eine staatliche Handlung an, sie ist voraussetzungslos. Zur voraussetzungslosen Finanzierung eines Staatswesens kann aber nur derjenige beitragen, der Geld verdient, verwendet oder besitzt. Mit Steuern kann daher nur der „Leistungsfähige“ belastet werden, nur er kann die Steuer zahlen. Die Frage bei den Steuern lautet daher generell: Warum soll jemand einen Beitrag zur Staatsfinanzierung leisten? – Weil er leistungsfähig ist. So gesehen rechtfertigen sich die Steuern durch eine allgemeine Finanzierungsverantwortung des Leistungsfähigen für „seinen“ Staat, während die Gebühren durch spezielle Finanzierungsverantwortungen getragen werden.75 Durch die „spezielle“ Rechtfertigungsbedürftigkeit nichtsteuerlicher Abgaben erlangen diese gegenüber den Steuern sogar einen Vorsprung an Rechtssicherheit, insofern die Gebührenhöhe kontrollierbarer ist als die
__________ 72 73 74 75
So Hendler, a. a. O. (Fn. 18), S. 600. So Hendler, a. a. O. (Fn. 18), S. 600. A. a. O. (Fn. 4). Der Satz, Steuern decken die allgemeinen, Gebühren die speziellen Staatskosten, hat deshalb keine Unterscheidungs- und Aussagekraft. Es kommt nicht auf die Kosten, sondern das Warum eines Finanzierungsbeitrages an.
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Steuerhöhe76. Steuern und Gebühren unterscheiden sich daher nicht nur formell, sondern auch materiell. Nichts anderes als der Ausdruck des Erfordernisses einer speziellen Finanzierungsverantwortung ist auch die Rechtsprechung des BVerfG zum Bereich der Sonderabgaben. Die Unterscheidungsmerkmale der Sonderabgaben, die voraussetzungslos erhoben werden, zu den Steuern sind zugleich die Rechtfertigung für die Erhebung der Sonderabgabe. Wenn das BVerfG verlangt, „Die mit der Abgabe belastete Gruppe muss dem mit der Erhebung verfolgten Zweck evident näher stehen als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler. Aus dieser Sachnähe der Abgabenpflichtigen zum Erhebungszweck muss eine besondere Gruppenverantwortung für die Erfüllung der mit der außersteuerlichen Abgabe zu finanzierenden Aufgabe entspringen.“77,
spricht es einen Fall spezieller Finanzierungsverantwortung an, die hier in einer Sachverantwortung begründet liegt. Das weitere Erfordernis gruppennütziger Verwendung des Aufkommens der Sonderabgabe ist ebenfalls im Kontext der Finanzierungsverantwortung zu sehen.78 Was weder die Finanzverfassung noch das Erfordernis einer Finanzierungsverantwortung zur Rechtfertigung jedweder öffentlicher Geldleistungspflicht für den Abgabenpflichtigen leisten können, ist die sinnvolle Begrenzung der Gesamtbelastung mit Abgaben. Hierfür verfassungsrechtliche Maßstäbe zu entwickeln ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Entscheidend ist, dass die Finanzverfassung einer Staatsfinanzierung mit nichtsteuerlichen Mitteln nicht entgegensteht. c) Die Gebührenbemessung In Bezug auf die Gebührenbemessung wurde bereits oben dargelegt, dass diese als quantitative Umsetzung der Finanzierungsverantwortung des Gebührenschuldners bestimmte Grenzen in sich trägt. Wird die Gebühr wegen einer Kostenveranlassung erhoben, bilden die Kosten die Obergrenze, wird die Gebühr aus Gründen des Vorteilsausgleichs eingesetzt, muss sie sich an der Richtmarke des auszugleichenden Vorteils orientieren. Diese Obergrenzen können auch nicht wegen der Verfolgung bestimmter Sachzwecke durchbrochen werden.79 Den Sachzwecken könnte jedoch Bedeutung zukommen,
__________ 76 A. A. Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 1) sub C IV. 77 BVerfGE 82, 159/180; ebenso BVerfGE 67, 256/276; so auch Vogel, a. a. O. (Fn. 47), S. 528, 529. 78 Das Erfordernis scheint durch BVerfGE 55, 274/307; 82, 159/180 aufgegeben zu sein, so dass auch eine fremdnützige Verwendung zulässig ist. 79 So auch Vogel, a. a. O. (Fn. 47), S. 534; anders BVerfGE 50, 217 (226), wobei man eine Begründung vermisst. In diesem Zusammenhang kann auch das Europarecht eine Rolle spielen. Der EuGH hat entschieden, dass die bei der Eintragung von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung und bei der Erhöhung des Kapitals dieser Gesellschaften erhobenen Ausgaben, um Gebühren-
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wenn es um die Ausgestaltung des durch die Obergrenzen fixierten Belastungskorridors geht. Dabei muss zwischen der Festsetzung der Gebührenhöhe (wie hoch soll die Gebühr sein?) und der Festsetzung verschiedener Gebühren (soll jeder die gleiche Gebühr zahlen?) unterschieden werden. Ist der Gebührengesetzgeber frei in der Entscheidung, ob er für einen gebührenfähigen Tatbestand Gebühren erhebt oder nicht, ist damit noch nichts über deren konkrete Höhe gesagt. Ist es stets zulässig, dem Kostenveranlasser die vollen Kosten aufzubürden oder einen bestimmten Vorteil ganz abzuschöpfen? Der Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG und die damit verbundene Rechtfertigungsbedürftigkeit legen es nahe, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf die Bestimmung der Gebührenhöhe durchschlagen zu lassen.80 Dabei kommt der Erforderlichkeit als Frage nach dem milderen Mittel keine eigenständige Bedeutung zu. Milderes Mittel kann nur die weniger finanziell belastende Gebühr sein, die aber nie in der gleichen Weise zur Staatsfinanzierung geeignet sein kann, wie die stärker belastende Gebühr. Die Untersuchung der Verhältnismäßigkeit im Kontext der Gebührenhöhe beschränkt sich daher auf die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Dabei ist zu prüfen, ob die Beeinträchtigung, also die Gebühr, nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck steht81, bei einer Gesamtbewertung angemessen82 und daher dem Betroffenen zumutbar83 ist. Die so aufgestellte Zweck-Mittel-Relation verschiebt sich natürlich, je nachdem welches Mittel eingesetzt und welche Zwecke verfolgt werden. Kann ein bestimmter einsichtiger Sachzweck von Bedeutung für das allgemeine Wohl bei der Überprüfung einer Gebühr in die Waagschale des Verhältnismäßigkeitsprinzips i. e. Sinne geworfen werden, wäre auch eine höhere Gebührenbelastung zulässig. Die maßgebliche Frage ist daher, ob Sachzwecke wenigstens über diesen Umweg bei der Gebührenerhebung eine Rolle spielen können. Die Formulierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lässt die Berücksichtigung bestimmter Sachzwecke zunächst als zulässig erscheinen. Strebt der Gebührengesetzgeber einen bestimmten Sachzweck mit seiner Gebühr an, soll dieser Sachzweck auch bei der Kontrolle der Zweck-Mittel-Relation Beachtung finden.84 Ausgangspunkt muss auch hier wieder die Finanzie-
__________
80 81 82 83 84
charakter zu haben, allein auf der Grundlage der Kosten der betreffenden Förmlichkeiten berechnet werden dürfen, Urteil v. 2. 12. 1997, Rs. C-188/95, Fantask AS/Industrieministeriat, IStR 1998, 77 ff. Mangels Sondervorteil der Eintragung ein Ergebnis, das auch nationalem Verfassungsrecht entspricht. Dafür plädiert Wilke, a. a. O. (Fn. 5), S. 301 ff.; auch das BVerfG wendet den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Kontrolle der Gebührenhöhe an BVerfGE 50, 217 (227). BVerfGE 50, 217 (227) zu den Gebühren. BVerfGE 93, 213 (237 f.). BVerfGE 92, 262 (274). So berücksichtigt auch das BVerfG alle mit einer Gebühr verfolgten Zwecke bei der Verhältnismäßigkeitskontrolle, BVerfGE 50, 217 (227).
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rungswirkung der Gebühr sein. Die Suche nach dem warum der Gebührenerhebung setzt sich so in der Höhe der erhobenen Gebühr fort. Genauso wenig wie der Sachzweck der Abschreckung eine Finanzierungsverantwortung des Gebührenschuldners zu begründen vermag, ist er auch nicht in der Lage, die konkrete Gebührenhöhe zu beeinflussen. Warum soll der Kostenveranlasser mehr der von ihm verursachten Kosten tragen und damit mehr zur Staatsfinanzierung beitragen, nur weil man ihn von einem bestimmten Verhalten abschrecken will? In der Zweck-Mittel-Abwägung fließt daher nur der gerade einschlägige Aspekt der Finanzierungsverantwortung des Gebührenschuldners ein. Diese kann aber stark variieren. Der Widerspruchsführer, der bei völlig klarer Rechtslage nur aus Gründen der Verzögerung des Verwaltungsverfahrens Widerspruch einlegt, verursacht zwar kausal die gleichen Kosten wie derjenige, der lange und sorgsam seinen Widerspruch abwägt und gewichtige Gründe geltend machen kann. Unter dem Gesichtspunkt der Finanzierungsverantwortung erscheint es jedoch angebracht, dem Querulanten mehr Kosten anzulasten als dem „sorgfältigen Widerspruchsführer“. Eine Missbrauchsgebühr85 lässt sich daher zwar nicht als Abschreckungs-/Besinnungsmittel rechtfertigen, wohl aber als Ausdruck unterschiedlicher Finanzierungsverantwortung. Diese auf die Berücksichtigung der Finanzierungsverantwortung beschränkte Verhältnismäßigkeitsprüfung ähnelt letztlich stark dem insbesondere von der Verwaltungsrechtsprechung oft bemühten Äquivalenzprinzip. Das Bundesverwaltungsgericht versteht das Äquivalenzprinzip als „Verbot eines Missverhältnisses zwischen Gebühr und Leistung für den Gebührenschuldner“86. Irgendwelche sonstigen Sachzwecke bleiben außen vor. Berücksichtigt werden nur die finanzielle Belastung in Gestalt der Gebühr und deren Anknüpfungspunkt in Gestalt der öffentlichen Leistung. Zerlegt man diese Leistung in ihre Unterfälle, landet man bei der Finanzierungsverantwortung. Denn worin besteht die öffentliche Leistung, wenn nicht in dem Aufwand (Kosten), der dem Staat entsteht bzw. in dem Vorteil, der dem Gebührenschuldner zugewandt wird. Dass letztlich gerade in den Fällen des Vorteilsausgleichs Schwierigkeiten bei der Vorteilsbewertung entstehen, insgesamt die Funktionsfähigkeit der Verwaltung typisierender Gebühren bedarf, verschafft dem Gebührengesetzgeber einen gewissen Bewertungs- und damit auch Bemessungsspielraum.87 Füllt der Gesetzgeber diese Bewertungsspielräume in sachgemäßer Weise aus, ist die Gebühr der Höhe nach nicht zu beanstanden. Im Umfang solcher Bewertungsspielräume können daher auch Lenkungsziele mitverfolgt werden.
__________ 85 Dazu BVerfGE 50, 217 (227). 86 BVerwG v. 14.4 1967, BVerwGE 26, 305 (308). 87 Vgl. dazu Vogel, a. a. O. (Fn. 47), S. 535.
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Steht der Maßstab für die Bemessung der Gebühr fest, scheint das Ergebnis für eine nach personellen Kriterien ausdifferenzierte Gebührenerhebung vorgezeichnet. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, die aktuelle Entwicklung in den Blick zu nehmen. So hat das BVerfG nach Einkommen der Eltern gestaffelte Gebührensätze abgesegnet, solange auch die höchste Gebühr die individuell zurechenbaren Kosten der Einrichtung Kindergarten nicht übersteigt.88 Auf der gleichen Ebene liegen die Forderungen nach am Einkommen der Eltern orientierten Studiengebühren. Die Problematik scheint sich auf den Bereich des Art. 3 GG zu verlagern. Letztlich geht es aber in der gleichen Weise um die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer mit höherem/niedrigerem Einkommen begründeten höheren/niedrigeren Gebührenbelastung. Hat man in einem ersten Schritt eine bestimmte Gebühr für eine staatliche Handlung nach dem obigen Schema festgelegt, also unter Vernachlässigung irgendwelcher Sachzwecke, lässt sich eine Erhöhung der Gebühr nur wegen eines persönlichen Umstandes, nämlich der Leistungsfähigkeit, nicht rechtfertigen. Die Leistungsfähigkeit spiegelt sich in der den Steuern zugrundeliegenden allgemeinen Finanzierungsverantwortung des Einzelnen wider. Mit der die Gebühren tragenden speziellen Finanzierungsverantwortung hat sie nichts zu tun. Die Leistungsfähigkeit kann nur mit Steuern finanziell ausgebeutet werden.89 Anders verhält es sich mit einer Ermäßigung der Gebühr wegen geringerer Leistungsfähigkeit. Zwar führt die Erhebung der gleichen Gebühr wie bei dem „Reichen“ nicht zur Unverhältnismäßigkeit oder zu einem Verstoß gegen Art. 3 GG. Die Ermäßigung ist in diesen Fällen als Subventionierung anzusehen, die nicht direkt ausgezahlt, sondern verrechnet wird. Besteht ein sachlicher Grund für eine solche Ermäßigung, also z. B. Bedürftigkeit des Betroffenen, ist die Subventionierung wie auch die Gebührenermäßigung gerechtfertigt.90 Je nachdem welcher Bereich betroffen ist, kann sich das Recht zur Subventionierung sogar zu einer Pflicht verdichten. Behält sich der Staat das Rechtsschutzmonopol vor, muss er den Rechtsschutz unabhängig vom Einkommen und Vermögen des Rechtssuchenden gewähren. Für den Bereich der Gerichtskosten hat der Staat sich für direkte Subventionen
__________ 88 BVerfG v. 10. 3. 1998, BVerfGE 97, 332 ff., womit allerdings nicht die Kosten als Obergrenze der Gebührenbemessung anerkannt werden sollten, sondern auf eine bei Kostenüberschreitung angeblich eintretende Quersubventionierung abgestellt wurde. Wegen des Non-Affektationsprinzips ein nicht recht nachvollziehbares Ergebnis. 89 Das ist das gleiche Ergebnis wie das des BVerfG, allerdings ohne eine auf eine Quersubventionierung gestützte Begründung; auch Kempen, Gebühren im Dienste des Sozialstaates, NVwZ 1995, 1163, 1166, gelangt zu diesem Ergebnis, begründet es aber ähnlich wie das BVerfG mit Umverteilungsgedanken. 90 Der Vergleich mit der Direktsubvention und das Erfordernis einer entsprechenden Rechtfertigung stehen einer generellen Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit bei der Gebührenbemessung daher entgegen.
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in Form der Gerichtskostenhilfe entschieden. Eine Gebührenermäßigung wäre ein Alternativmittel.91 Dem steht auch nicht der Einwand entgegen, es komme so zu einer ungleichen Belastung von Gebührenpflichtigen im Verhältnis zu Nichtgebührenpflichtigen. Besteht ein sachlicher Grund für eine Subvention ist diese auch gerechtfertigt, unabhängig davon, in welcher Form sie gewährt wird. Schicken Eltern ihre Kinder zu ermäßigten Gebühren in den städtischen Kindergarten, liegt darin keine ungleiche Behandlung zu gleich leistungsfähigen Kinderlosen.92 Letzteren entsteht mangels Kindern überhaupt kein Aufwand in Form von Kindergartengebühren. Es fehlt bereits an der Vergleichbarkeit der Gruppen. Die Berücksichtigung der individuellen Leistungsfähigkeit allein dem Bereich der Steuern vorbehalten zu wollen, nimmt dem Staat einen großen Teil seiner Flexibilität und kommt überdies in Konflikt mit dem grundgesetzlich verankerten Sozialstaatsprinzip. (Art. 20 Abs. 1 GG). 2. Gebührenkompetenz Als belastende Regelung bedarf die Gebührenerhebung einer gesetzlichen Grundlage. Angesprochen ist die Gebührenkompetenz. Eine besondere Erwähnung erfahren die Gebühren insofern lediglich in Art. 74 Nr. 22 GG, wonach die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes auch die Erhebung und Verteilung von Gebühren für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen erfasst. Der nur vereinzelten Erwähnung innerhalb des Kompetenzabschnitts kann allerdings nicht entnommen werden, in anderen Fällen bestehe keine Kompetenz zur Gebührengesetzgebung.93 In allen Fällen folgt das Recht zur Gebührengesetzgebung aus einer Annexkompetenz zur jeweiligen Sachmaterie.94 Das Verständnis der Gebührenkompetenz als Anhängsel einer Sachkompetenz hängt mit der hauptsächlichen Funktion der Gebühren, Einnahmen zu erzielen und ihrer regelmäßigen Rechtfertigung, individuell zurechenbare Kosten zu verteilen, zusammen. Die Frage, wer bestimmte Kosten decken soll, ist keine Sachfrage mehr. Sie kann aber Ausfluss einer sachlichen Regelung sein. Für z. B. Nut-
__________ 91 Vgl. Hierzu P. Kirchhof, a. a. O. (Fn. 49), S. 53; auch Gußen, Sozialstaatliche Tarifdifferenzierungen im Kommunalabgabenrecht, 1993. 92 Dieses Beispiel verwendet Vogel, um eine Ungleichbehandlung darzustellen, a. a. O. (Fn. 47), S. 535, Fn. 93. 93 Was nicht selbstverständlich ist, bedenkt man, dass die Gebührenregelung in Art. 74 Nr. 22 GG erst 1969 mit dem Ziel begründet worden ist, die Straßenverkehrssteuer durch eine Gebührenregelung ablösen zu können (dazu ausführlich Schmidt-Bleibtreu, BB 1968, 261 ff.). Man hielt scheinbar eine ausdrückliche Erwähnung für erforderlich. 94 Vgl. Wilke, a. a. O. (Fn. 5), S. 162; die von Jarass, a. a. O. (Fn. 14), Fn. 236 angeführten 3 Belegstellen des BVerfG (BVerfGE 4, 7 (13); 29, 402 (409); 37, 1 (16)) betreffen allesamt keine Gebühren.
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zungsgebühren ist daher die Kompetenz für die Nutzung der betreffenden Einrichtung maßgebend.95 Dies gilt genauso, wenn es um Kosten des Verwaltungsverfahrens geht. Das Verwaltungsverfahren verfolgt selbst keinen eigenen Sachzweck, sondern dient der Verwirklichung bestimmter Sachzwecke. Fallen hierbei wie im Regelfall Kosten an, ist die Erhebung von Verwaltungsgebühren Ausfluss des Verwaltungsverfahrens. Über die Verbindung der Verwaltungsgebühren mit dem Verwaltungsverfahren erlangen die Länder somit auch in den Fällen eine Gebührenkompetenz, in denen sie auf ausschließliche oder konkurrierende Bundeskompetenzen gestützte Bundesgesetze ausführen.96 Besitzt so in einer Vielzahl von Fällen der Landesgesetzgeber eine Gebührenkompetenz obwohl ihm die Sachkompetenz fehlt (Verwaltungsgebühren) und bedenkt man die möglichen Lenkungswirkungen der Gebühren, stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit einer die bloße Annexkompetenz ergänzenden Sachkompetenz. Will der Landesgesetzgeber nur seine Verfahrenskosten regeln, stützt er seine Gebührenregelung also auf den Rechtfertigungsgrund der Kostenveranlassung, sind kompetenzielle Kollisionen undenkbar. Das gilt auch dann, wenn die Gebührenerhebung wie im Regelfall tatsächliche Auswirkungen auf das Verhalten des Gebührenschuldners haben wird. Solche Auswirkungen sind, da zwangsläufig mit der Gebührenerhebung verbunden, von der Gebührenkompetenz abgedeckt.97 Ist die Gebührenerhebung neben der Kostenveranlassung/-deckung auch durch Sachzwecke wie etwa den der Abschreckung motiviert, ändert sich daran nichts.98 Dies gilt jedenfalls solange, wie die Kostenveranlassung die Gebührenerhebung rechtfertigt. Werden Kosten übersteigende Gebühren erhoben, die Gebührenerhebung aber nur durch die Kostenveranlassung gerechtfertigt, fehlt nicht nur die Kompetenz, sondern die materielle Rechtfertigung der betreffenden Gebühr.99 Beruft sich der Gebührengesetzgeber in diesem Fall darauf, er habe sich nicht verrechnet, sondern verfolge neben der Kostenzurechnung noch einen bestimmten Sachzweck, benötigt er hierzu die entsprechende Sachkompetenz – unabhängig davon, ob man eine Rechtfertigung der Gebührenerhebung bzw. der Gebührenhöhe durch Sachzwecke überhaupt für zulässig hält. Daran fehlt es in den oben geschilderten Fällen der Ausführung
__________ 95 Vgl. dazu Jarass, a. a. O. (Fn. 14), S. 39. 96 Vgl. Jarass, a. a. O. (Fn. 14), S. 39. 97 Der Gebührenerhebung können aber trotz bestehender Kompetenz materielle Stolpersteine im Weg liegen. So sind Bearbeitungsgebühren auf die Bewilligung und Auszahlung von Sozialhilfe widersinnig. Dazu oben 1. 98 Bei Gesetzen reicht es anders als bei Ermessensakten der Verwaltung aus, dass sie von einem Rechtfertigungsgrund getragen werden. Kommt es auf weitere Rechtfertigungsgründe daher nicht an, ist insofern eine Kompetenz nicht erforderlich. 99 Was dabei zu den Kosten gehören soll sowie Vereinfachungs-/Pauschalisierungsaspekte einmal dahingestellt.
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von Bundesgesetzen durch den Landesgesetzgeber.100 Anders herum: Einen sachlichen Rechtfertigungsgrund für eine bestimmte Regelung kann nur derjenige ins Felde führen, dem auch die korrespondierende Sachkompetenz zukommt. Fehlt diese, stellt sich die Frage materieller Rechtfertigung nicht mehr.101 Dieser Befund überzeugt, wenn die Sachregelung und die Lenkungswirkung der Gebühr einander zuwiderlaufen. Geht die Lenkungswirkung der Gebühr in die gleiche Richtung wie das Konzept des Sachgesetzgebers, kann nichts anderes gelten. Die den Föderalismus prägende Kompetenzaufteilung würde inhaltsleer, schlösse sie ein Handeln ohne Kompetenz nur für die Fälle aus, in denen die Sachgesetzgebung entgegengesetzt agiert. Zur Kompetenz gehört es eben gerade auch, den Umfang des gesetzgeberischen Handelns festzulegen. Daher benötigt der Gebührengesetzgeber, der seine Gesetzgebung nicht ausschließlich als Annex zum Verwaltungsverfahren rechtfertigen kann und will, für andere Rechtfertigungsgründe eine Sachkompetenz. Diese wird dem Landesgesetzgeber stets fehlen, wenn er ein auf ausschließliche Bundeskompetenz gegründetes Bundesgesetz ausführt. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung wäre zu prüfen, ob der Bund mit der Wahrnehmung seiner Kompetenz den Sachbereich abschließend regeln wollte oder ob insofern noch Freiraum für den Landesgesetzgeber verbleibt.
IV. Einsatzmöglichkeiten der (Lenkungs-)Gebühr Der Einsatzbereich von Gebühren zu Lenkungszwecken wird durch die rechtlichen Vorgaben erheblich eingeengt. Lässt sich die Gebührenerhebung als Vorteilsabschöpfung oder Kostenzurechnung rechtfertigen, können Sachzwecke in diesem Rahmen mit verfolgt werden. Der Gebührengesetzgeber macht sich die Wirkungen zulässiger finanzieller Belastungen für sonstige Zwecke zu Nutze. Zulässig ist auch die Ausfüllung von Bewertungsspielräumen mit Hilfe von Sachzwecken sowie die Ermäßigung von Gebühren um einen Anreiz zu setzen oder verminderter Leistungsfähigkeit bestimmter Personen Rechnung zu tragen. Für diese Fälle lohnt es sich, die Nebeneffekte der Gebührenerhebung einmal näher unter die Lupe zu nehmen.
__________
100 Das gilt jedenfalls für den besonderen Sachzweck der Abschreckung, nicht aber für den Zweck, den Gebührenschuldner von der Stellung unbedachter Anträge abzuhalten. Die Besinnungswirkung dient in diesem Fall der Funktionsfähigkeit des Verwaltungsverfahrens und lässt sich daher kompetenziell auch mit der entsprechenden Gesetzgebungsbefugnis rechtfertigen. 101 Wenn Jarass, a. a. O. (Fn. 14), S. 39, materiell-rechtlichen Regelungen des Bundes regelmäßig die Sperrwirkung für die lenkenden Gehalte von Gebühren abspricht und hierzu die Entscheidung des BVerfG v. 30. 10. 1961, BVerfGE 13, 181 (196 f.) anführt, verkennt er, dass das BVerfG die streitige Schankerlaubnissteuer hier gerade als Steuer und nicht als Gebühr qualifiziert hat. Warum eine Aussage zu Steuern auch auf Gebühren übertragen werden kann, müsste insofern erst noch begründet werden.
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Lenkung durch Gebühren
Soll mit einer Gebühr der Gebührenschuldner dazu gebracht werden, über die Notwendigkeit der Inanspruchnahme staatlicher Leistung nachzudenken, wird diese Gebühr auch denjenigen treffen, der lange und sorgsam überlegt und sich infolge triftiger Gründe für eine Inanspruchnahme entschieden hat. Der begnadete Student und spätere Nobelpreisträger zahlt die gleiche Studiengebühr wie derjenige, der sich nur wegen des kostenlosen Stundententickets einschreibt. Der Gebühr kommt zwar eine Besinnungswirkung, aber keine Unterscheidungswirkung zu.102 Dies sollte bei einer derartig motivierten Gebühr bedacht werden. Will die Gebühr eine bestimmte staatliche Handlung verteuern, um den Gebührenschuldner von einem bestimmten Verhalten abzuschrecken, kann es zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen. Eine hohe Müllabfuhrgebühr kann den potentiellen Gebührenschuldner dazu animieren, den Müll nicht zu vermeiden, sondern im Wald zu entsorgen. Bei Abschreckungs-/Vermeidungsgebühren muss daher stets das mögliche Vermeidungsverhalten in Betracht gezogen werden. Bei der Müllabfuhrgebühr wäre eine Müllentsorgung im Wald rechtswidrig, als Vermeidungsverhalten insofern nur bei extremer Gebührenhöhe zu bedenken. Soll der Berufspendler zum Busfahren gebracht werden, indem auf den Hauptzufahrtsstraßen abkassiert wird, wird er sich eventuell eine neue Route (Schleichweg) überlegen, die dann länger ist und noch mehr Abgase verursacht oder durch bislang verschonte Wohngebiete verläuft. Wirksam wird ein solcher Vorstoß nur, wenn jeder Zugang der Stadt gebührenpflichtig wird. Versteht man die Vorteilsabschöpfung in dem hier favorisierten Sinn, nämlich als Ausgleich eines Sondervorteils, nimmt auch die Gefahr ab, die Gesellschaft in Gruppen zu spalten, die sich gegenseitig bestimmte Vorteile vorrechnen. Die Gebühr als Mittel des (Sonder-)Vorteilsausgleichs vermag fast die Wogen der Gemüter zu glätten. So wird der ausgeschlossene Bewerber um eine terrestrische Rundfunksendefrequenz103 die Entscheidung eher akzeptieren, wenn der erfolgreiche Konkurrent für die Erteilung der Frequenz einen Ausgleich leisten muss. Zwangsläufig entstehende Ungleichbehandlungen können so abgefangen werden.
V. Resümee Sachzwecke lassen sich mit Gebühren verfolgen, können diese aber allein nicht rechtfertigen. Da bei einer Zweckverfolgung mittels Gebühren kein direkter Verhaltensappell ausgesprochen wird, sondern sich die Lenkungswirkung erst als Reflex der finanziellen Belastung ergibt, ist eine zielgenaue
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102 So BVerfGE 50, 217 (231). 103 Terrestrische Rundfunkgebühren sind beschränkt und unterliegen einem staatlichen Vergaberegime, vgl. P. Charissé, Die Rundfunkveranstaltungsfreiheit und das Zulassungsregime der Rundfunk- und Mediengesetze, 1999.
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Verhaltenssteuerung über Gebühren weder möglich noch rechtlich fassbar. Was das in Zeiten leerer Staatskassen heißt, macht die Diskussion um die Tabaksteuer deutlich: nach mehrfacher erheblicher Erhöhung mit dem Ziel, den gesundheitsschädlichen Zigarettenkonsum einzudämmen, ist die Nachfrage nach Tabakwaren tatsächlich gesunken. Da damit aber auch das Aufkommen aus der Tabaksteuer zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt zurückging, hat sich der Gesetzgeber entschlossen, die Tabaksteuer nicht weiter zu erhöhen. Mit anderen Worten: Sachzwecke dienen sowohl bei Steuern als auch bei Gebühren praktisch vor allem als Argument, die beim (Wahl-) Bürger unbeliebte finanzielle Belastung besser verkaufen zu können. Nicht mehr und nicht weniger.
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Steueramnestie und Idee einer Entpönalisierung des Steuerrechts Inhaltsübersicht I. Einführung II. Rechtfertigung der Steueramnestie 1. Fiskalisches Ziel – Traum und Wirklichkeit 2. Vermutung der Gleichheitswidrigkeit (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG) 3. Erhöhte Anforderungen an die Rechtfertigung der StraBEGAmnestie 4. „Schlussstrich-Gesetz“ und Idee eines Neuanfangs
5. Überflüssigkeit einer Amnestie bei strukturellen Vollzugsdefiziten III. Idee der Entpönalisierung des Steuerrechts 1. Ultima ratio-Charakter des Steuerstrafrechts 2. Maßstablosigkeit des Steuerverbrechenstatbestandes des § 370a AO 3. Rückführung der Kriminalstrafbarkeit zugunsten eines Präventivschutzes durch ein abgestimmtes System von Steuerzuschlägen
I. Einführung Christoph Trzaskalik hat stets mit kritischem Blick die aktuelle Steuerpolitik beobachtet. Die wohl spektakulärste steuerpolitische Maßnahme der jüngsten Zeit stellt wohl das Gesetz über die strafbefreiende Erklärung (Strafbefreiungserklärungsgesetz – StraBEG) vom 23. 12. 20031 dar. Auffällig ist, dass zu diesem Gesetz – anders als in der Diskussion um das sog. Zinssteueramnestiegesetz2 vor 15 Jahren3 – nur wenige kritische Stimmen ein Gerechtigkeitsdefizit beklagten. Im Vordergrund standen vielmehr Überlegungen, wie wirksam die Steueramnestie aus fiskalischer Sicht letztlich sein würde. Dieser aus rechtswissenschaftlicher Sicht erstaunliche Paradigmenwechsel fiel offenbar auch dadurch leichter, dass sich Christoph Trzaskalik an dieser Diskussion leider nicht mehr mahnend beteiligen konnte. Deshalb möchte ich zu Ehren des Verstorbenen die Steueramnestie im Folgenden unter II. einer Fundamentalkritik unterziehen. Darüber hinaus stellt sich aber auch die Frage, ob das Steuerstrafrecht in seiner gegenwärtigen Ausge-
__________ 1 2 3
BGBl. I 2928. Gesetz über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen und von Kapitalvermögen (Art. 17 StRefG 1990) v. 25. 7. 1988, BGBl. I 1093. K. Tipke, Über „richtiges Recht“, StuW 1988, 262, 279 f.; H.-W. Arndt, Gleichheit im Steuerrecht, NVwZ 1988, 787, 793; D. Birk, Verfassungsfragen des sog. Steueramnestiegesetzes, NJW 1989, 1072, 1074.
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staltung überhaupt tauglich ist, ein steuerehrliches Verhalten bei den Zensiten zu bewirken (dazu III.).
II. Rechtfertigung der Steueramnestie 1. Fiskalisches Ziel – Traum und Wirklichkeit Steueramnestien sind Maßnahmen schwacher Staaten; sie sind Ausdruck ihrer Resignation. Der Steuerstaat gesteht sich damit ein, dass er in der Realität nicht in der Lage ist, Gesetzesverletzungen aufzudecken und den gesetzlichen Steueranspruch in der Fläche zu verwirklichen4. Die Bundesregierung offenbart diesen Befund nicht, sondern verharmlost ihn mit den Worten, die Durchsetzung des Normprogramms stoße „mitunter an rechtliche und tatsächliche Grenzen“5. An die Stelle des hoheitlichen Eingriffs setzt sie auf einen „unbürokratischen“ Lockvogel, der Steuersünder zur Rückkehr in die Legalität bringen soll. Diese neue „Brücke in die Steuerehrlichkeit“ ist gegenüber der Selbstanzeige (§ 371 AO) deutlich verbreitert. Mit der fristgemäßen Zahlung eines pauschalen Betrages in Höhe von 25 % der nacherklärten Einnahmen (§ 1 Abs. 1, 2 StraBEG) tritt nicht nur Straf- und Bußgeldfreiheit ein. Vielmehr erlöschen insoweit auch alle vor dem 1. 1. 2003 entstandenen Steueransprüche. Aufgrund der attraktiven „Konditionen“6 rechnete die Regierungskoalition mit einer wahren Rückkehrwelle sog. Fluchtgelder. Sie bezifferte die daraus sprudelnden Steuermehreinnahmen optimistisch-unfundiert auf 5 Milliarden Euro und schönte so das Haushaltsdefizit7. Nachdem man sich kurzfristig an dem Phantom-Mehrergebnis berauscht hatte, ist eine gewisse Katerstimmung eingetreten. Insgesamt wurden 1,244 Milliarden Euro aufgrund von Nacherklärungen eingenommen8. Diese Berechnung erfasst aber nicht die Wirkung des Rückgangs von Selbstanzeigen im Sinne des § 371 AO, die durch die strafbefreienden Nacherklärungen substituiert worden sind9. Es ist aus Sicht des Fiskus deshalb zu befürchten, dass die Steueramnestie in der Gesamtschau ein deutlich schmaleres Ergebnis bewirkt hat.
__________ 4 5 6 7 8 9
Zutreffend J. Pezzer, Die geplante Steueramnestie – ein gut gemeinter Schlag ins Wasser?, DStZ 2003, 724, 726. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD u. Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerehrlichkeit, BT-Drucks. 15/1309, 7. A. Striegel/M. Weger, Die neue Steueramnestie: Geschenk des Himmels oder steuerliches Fallbeil?, DStR 2004, 534, 539, sprechen von einem „Schnäppchenpreis“. Gesetzentwurf (Fn. 5), BT-Drucks. 15/1309, 2. Mitteilung des BMF lt. Tagesspiegel vom 21. 4. 2005, abrufbar unter www.finanznachrichten.de. Darauf weist Kemper, in Dietz/Cratz/Rolletschke, Steuerverfehlungen, § 371 AO Rz. 165 (Juni 2004), klarsichtig hin.
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Diese ernüchternde Zwischenbilanz überrascht bei einem Blick über die Grenzen nicht. So hatte das Joint Committee on Taxation (JCT) bereits 1998 die Auswirkungen einer bundesweiten Steueramnestie in den USA diskutiert10. Der Congress-Ausschuss gelangte zu dem Schluss, dass eine USBundessteueramnestie mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Verlust an Steuereinnahmen zur Folge hätte. Dieses Negativtestat bestätigt die für den Zeitraum 1980–2000 von Sausgruber und Winner vorgenommene Untersuchung von 20 OECD-Staaten11. Die beiden österreichischen Finanzwissenschaftler weisen in ihrer Studie empirisch nach, dass die bisher im OECDRaum durchgeführten Steueramnestien das Steueraufkommen nicht signifikant steigern konnten. Vielmehr haben sie regelmäßig die Steuermoral derart erodieren lassen, dass überperiodisch sogar ein Rückgang des Steueraufkommens eingetreten ist. Es bestehen daher bereits erhebliche Zweifel daran, ob eine Steueramnestie überhaupt ein geeignetes Mittel ist, für die Zukunft ein erhöhtes Maß an Steuerehrlichkeit zu bewirken. 2. Vermutung der Gleichheitswidrigkeit (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG) Im umgekehrten Verhältnis zur zweifelhaften Fiskalwirkung steht das Ausmaß der Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen. Das StraBEG schafft zunächst eine Schieflage im Vergleich zu nicht amnestierten Steuerstraftätern. Während der amnestierte Straftäter nicht nur keine Bestrafung erfährt, sondern überdies auch noch mit einer Vorzugsbesteuerung davonkommt, werden andere mit der normalen Steuerquote belastet und überdies mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe oder einer Geldauflage im Sinne des § 153a StPO belegt12. Dies mag als Ungleichbehandlung in der Zeit13 noch hingenommen werden können. Der Steuerstraftäter begünstigende partielle Steuerverzicht steht jedenfalls im krassen Missverhältnis zur Behandlung steuerehrlicher Bürger, denen kein entsprechender Rückzahlungsanspruch gewährt wird. Die gegen die sog. Zinssteueramnestie vorgebrachten Einwände14 gelten erst recht gegenüber dem in seinem Anwendungsbereich deutlich weiterreichenden StraBEG15. Der in der Rückholung von sog. Fluchtgeldern
__________ 10 Joint Committee on Taxation, Tax Amnesty, Washington 1998, abrufbar als Dokument JCS – 2-98 unter www.house.gov/jct; s. auch J. Hasseldine, Tax Amnesties: An International Review, Bulletin for International Fiscal Documentation, Bd. 52 (1998), 303 ff. 11 R. Sausgruber/H. Winner, Steueramnestie abgesagt: Eine kluge Entscheidung? – Empirische Evidenz aus OECD-Ländern, ÖStZ 2004, 207 ff. 12 W. Joecks/K. Randt, Steueramnestie 2004/2005, München 2004, Tz. 75. 13 Zur Ungleichbehandlung in der Zeit s. P. Kirchhof, Rückwirkung von Steuergesetzen, StuW 2000, 221, 225. 14 Siehe bereits die Nachweise unter Fn. 3; im BVerfG-Urt. v. 27. 6. 1991 – 2 BvL 3/89, BVerfGE 84, 233, 238, offengelassen. 15 Ebenfalls krit. A. Striegel/M. Weger (Fn. 6), DStR 2004, 534, 539.
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bestehende Fiskalzweck, dessen Verwirklichung schon höchst zweifelhaft ist (siehe 1.), reicht zur Begründung der Ungleichbehandlung nicht aus16. Bereits eine rein strafrechtliche Amnestie bedarf angesichts des Art. 3 GG der besonderen Rechtfertigung17. Hier geht es aber um mehr: Der Staat gewährt nicht nur Straffreiheit, sondern als „Zugabe“ auch noch Steuererlass. Indem das Gesetz an ein pflichtwidriges (sogar strafbares!) Verhalten eine begünstigende Privilegierung knüpft, verkehrt es Recht in Unrecht18. Es gefährdet so massiv die Steuermoral als Bereitschaft, dem Gesetz gegenüber in Zukunft loyal zu bleiben19. Deshalb hat die Straf- und Steueramnestie die Vermutung eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gegen sich20. 3. Erhöhte Anforderungen an die Rechtfertigung der StraBEG-Amnestie Vor diesem Hintergrund sind erhöhte Anforderungen an die Rechtfertigung einer Amnestie zu stellen. In einer Amnestie sieht das BVerfG regelmäßig den gesetzgeberischen Willen verwirklicht, unter eine Zeit, in der das Rechtsbewusstsein infolge außergewöhnlicher Verhältnisse erheblich gestört war, einen Strich zu ziehen21. Ein solches „Schlussstrichgesetz“ muss also auf die rechtspolitische Bewältigung einer Ausnahmesituation beschränkt sein. Da die Amnestie für die Vergangenheit das Gesetz dispensiert, muss sie ausgleichend für die Zukunft die Rechtsordnung restituieren22. Im Anschluss an Bernd Schünemann lassen sich drei Fallgruppen von Ausnahmesituationen23 unterscheiden: a) das Gesetz zieht einen Schlussstrich unter die Vergangenheit, verbunden mit einem staatlichen Neuanfang; b) nach einer tiefgreifenden materiellen Neuordnung werden obsolete Rechtsnormen nicht mehr angewendet; c) nach einer Zeit großer Rechtsunsicherheit oder Anarchie stellt die Amnestie den Rechtsfrieden wieder her.
__________ 16 Siehe J. Pezzer (Fn. 4), DStZ 2003, 724, 725. 17 Siehe nur C. Pestalozza, Die Selbstamnestie, JZ 1984, 559, 560. 18 Siehe bereits R. Seer, Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 1 des Amnestiegesetzes wegen Verletzung der Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG – Steuererlaß für steuerehrliche Bürger?, StB 1989, 141, 144. 19 C. Pestalozza (Fn. 17), JZ 1984, 559, 560; s. auch H. Weber-Grellet, Zur Verfassungsmäßigkeit der Steueramnestie, DB 2004, 1574, 1575. 20 R. Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Köln, Vor StraBEG Tz. 3 (Juli 2004). 21 BVerfG-Beschl. v. 15. 12. 1959 – 1 BvL 10/55, BVerfGE 10, 234, 241. 22 Siehe auch H. Weber-Grellet (Fn. 19), DB 2004, 1574, 1575. 23 B. Schünemann, Förderung der Steuerehrlichkeit durch Amnestierung der Steuerhinterziehung?, ZRP 2003, 434, 437.
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4. „Schlussstrich-Gesetz“ und Idee eines Neuanfangs Die h. M. reklamiert zur Rechtfertigung des StraBEG die erstgenannte Fallgruppe des sog. „Schlussstrichgesetzes“24. Heinrich Weber-Grellet bezeichnet die Amnestie im Anschluss an Christian Pestalozza als „ReformAnnex“25. Jedoch trifft diese Beschreibung den Rechtfertigungsgrund des Schlussstrichgesetzes nicht ganz. Die Steueramnestie ist nicht Annex, sondern Vorbote einer Steuerreform. Sie zieht für die Vergangenheit den Schlussstrich, weil für die Zukunft das Recht grundlegend neugestaltet wird. Nur das Junktim mit einer für die Zukunft geltenden Neugestaltung vermag die massive Ungleichbehandlung für die Vergangenheit zu rechtfertigen. Diesem Rechtfertigungsansatz entsprach ursprünglich das Projekt einer Steueramnestie, welche die Bundesregierung zunächst mit einer zukünftigen Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge verbunden hatte26. Damit war ein Neuanfang zumindest für die Besteuerung der Kapitalerträge klar umrissen gewesen. Letztlich blieb hiervon aber nichts übrig. Statt dessen enthält das sog. Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. 12. 200327 nur eine eher singuläre zusätzliche Komponente: Während Art. 1 das zeitlich bis zum 31. 3. 2005 befristete StraBEG regelt („Schlußstrichgesetz“), ermöglicht Art. 2 mit Wirkung vom 1. 4. 2005 durch Einfügung eines § 93b in die Abgabenordnung den automatisierten Abruf von Kontoinformationen bei Kreditinstituten. In Zukunft kann ein Finanzamt das Bundesamt für Finanzen ersuchen, sich von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die dort in einer sog. Kontenevidenzzentrale nach § 24c Abs. 1 KWG gespeicherten Daten übermitteln zu lassen. Allerdings unterliegt das Ersuchen des Finanzamts der einschränkenden Subsidiaritätsklausel des § 93 Abs. 7 AO. Zudem ermöglicht der Abruf nur die Feststellung von sog. Kundenstammdaten (§ 24c Abs. 1 KWG), nicht aber den Abruf von Kontenständen und Kontenbewegungen28. Darüber hinaus erklärt die Gesetzesbegründung, dass das nach § 30a AO geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Bank und Kunde „unangetastet“ bleiben solle29. Das Verhältnis zwischen § 93b AO und § 30a
__________ 24 W. Joecks, Steueramnestie: Verfassungsrechtlich zulässig, aber korrekturbedürftig, DStR 2003, 1417, 1418; B. Hilgers-Klautzsch, Der Regierungsentwurf zur Steueramnestie – Zuckerbrot und Peitsche für Steuersünder, StuW 2003, 297, 304; H. Weber-Grellet (Fn. 17), DB 2004, 1574, 1578 f.; M. Streck/H.-W. Kamps, BeraterKommentar zur Steueramnestie, Köln 2004, Einl. Tz. 12 ff. 25 H. Weber-Grellet (Fn. 17), DB 2004, 1574, 1575. 26 Siehe den gescheiterten Referentenentwurf v. 17. 3. 2003 eines „Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung und zur Förderung der Steuerehrlichkeit (Zinsabgeltungssteuergesetz-ZinsAbG)“. 27 BGBl. I 2003, 2928 = BStBl. I 2004, 22. 28 Gesetzesbegründung (Fn. 5), BT-Drucks. 15/1309, 12; K. Randt, Der Steuerfahndungsfall, München 2004, Rz. B 280. 29 Gesetzesbegründung (Fn. 5), BT-Drucks. 15/1309, 12.
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AO erweist sich deshalb als widersprüchlich und ungeklärt30. Zwar ist nun die sog. Zinsrichtlinie31 durch § 45e EStG32 in Verbindung mit der Zinsinformationsverordnung33 (sog. ZIF) ins nationale Recht umgesetzt worden. Die EU-einheitliche Zinsbesteuerung wird nun voraussichtlich zum 1. 7. 2005 in Kraft treten34. Jedoch erfasst die sog. Zinsrichtlinie nur einen Teilausschnitt der Einkünfte aus Kapitalvermögen und hinterlässt im übrigen weiterhin schwerwiegende strukturelle Vollzugsdefizite35. Die Finanzdienstleistungsbranche bereitet durch sog. EU-steueroptimierte Produkte bereits die zur Umgehung tauglichen Angebote vor. Zur Zinsrichtlinie hätte schließlich das ebenfalls Ende 2002 noch geplante nationale System automatischer Kontrollmitteilungen über die Kapitalerträge36 gepasst. Geblieben ist statt dessen in § 24c EStG lediglich eine Jahresbescheinigungspflicht über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne aus Kapitalanlagen. Indem der Gesetzgeber zwischen Abgeltungsteuer und Kontrollmitteilungssystem hin und her schwankt, sendet er widersprüchliche Signale. Es bleibt ein zerrissenes Bild der Unschlüssigkeit und punktueller Einzelmaßnahmen, die ein geschlossenes Gesamtkonzept vermissen lassen. Eine umfassende, die wesentlichen Steuerarten für einen Zeitraum von 10 Jahren betreffende Amnestie darf nur im Zuge einer ebenso umfassenden, vollzugstauglichen Steuerreform ausgesprochen werden. Ansonsten fehlt es an einem kompensationsfähigen staatlichen Neuanfang. Die durch das StraBEG ausgesprochene Steueramnestie ist daher ohne tragfähige Rechtfertigung. 5. Überflüssigkeit einer Amnestie bei strukturellen Vollzugsdefiziten Die Steueramnestie soll gerade in solchen Fällen einen Anreiz zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeit bieten, in denen der Staat nur eingeschränkt in der
__________
30 J. R. Müller, Das Gesetz über die strafbefreiende Erklärung und seine Anwendung, StBp. 2004, 95 f.; K. Tipke u. R. Seer, in Tipke/Kruse (Fn. 20), § 93b AO Tz. 3 (Oktober 2004), Vor StraBEG Tz. 4 (Juli 2004). Zwar sehen B. Hilgers-Klautzsch (Fn. 24), StuW 2003, 297, 304; Joecks/Randt (Fn. 12), Tz. 78, in § 30a AO nur noch eine „inhaltsleere Hülse“ (ähnlich J. Hey, Vollzugsdefizite bei Kapitaleinkommen: Rechtsschutzkonsequenzen und Reformoptionen, DB 2004, 724, 728). Für die Frage, ob das Finanzamt überhaupt ein Ersuchen nach §§ 93 Abs. 7, 93b Abs. 2 AO stellen darf, bleibt § 30a AO aber relevant. 31 Richtlinie 2003/48/EG v. 3. 6. 2003, ABl. EU Nr. L 157, S. 38 ff. 32 Eingefügt durch das Steueränderungsgesetz v. 15. 12. 2003, BGBl. I 2645. 33 Zinsinformationsverordnung v. 26. 1. 2004, BGBl. I 128. 34 Siehe Entscheidung des EU-Ministerrats v. 28.6./19. 7. 2004, AmtsBl. L 257/7 v. 4. 8. 2004; das zum Inkrafttreten erforderliche Abkommen mit der Schweiz wurde am 26. 10. 2004 unterzeichnet; die Verhandlungen mit Liechtenstein, Monaco und San Marino sind ebenfalls abgeschlossen. 35 Siehe dazu W. Menck/L. Mutén, Die EU-Politik bezüglich der Besteuerung privater Auslandszinsen – Die Zinsrichtlinie – Ein Durchbruch?, Institut für Finanzen und Steuern, Heft Nr. 418, Bonn 2004, 46 ff. 36 Siehe den Entwurf eines Steuervergünstigungsabbaugesetzes v. 2. 12. 2002, BTDrucks. 15/119, 5 (dort § 23a EStG-E).
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Lage ist, seinen Steueranspruch durchzusetzen. Allerdings bedarf es der Amnestie nicht, soweit wegen Nichtigkeit der steuerbegründenden Norm gar kein staatlicher Steueranspruch existiert. Das BVerfG hat jüngst in seinem Urteil vom 9. 3. 2004 deutlich gemacht, dass es für den Bereich der Wertpapiergeschäfte an einem normativen Umfeld fehlte, das die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen entsprechend dem materiellen Steuergesetz gewährleistet37. Als Konsequenz dieses strukturellen Vollzugsdefizits hat das BVerfG den materiellen Steuertatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b) EStG 1997 für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 für nichtig erklärt, weil sich die verfahrensrechtlichen Normen für diese Zeiträume nicht mehr nachträglich umgestalten lassen38. Für die früheren Veranlagungszeiträume bis 1994 gelangt der Bundesfinanzhof dagegen zu einem überraschenden Ergebnis. Obwohl auch in dieser Zeit das vom BVerfG konstatierte strukturelle Vollzugsdefizit vorgelegen habe, sei die Vorschrift des § 23 EStG nicht nichtig39. Das Gericht verweist zur Begründung auf das Zinssteuer-Urteil vom 27. 6. 199140, in dem das BVerfG dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist bis zum 31. 12. 1992 zur Beseitigung des strukturellen Vollzugsdefizits hinsichtlich der Besteuerung der Zinsen zugebilligt hatte. Da das Problem der Vollzugsdefizite für die Besteuerung von Spekulationsgewinnen erst deutlich später aufgeworfen worden sei, hätte dem Gesetzgeber insoweit eine über den 31. 12. 1992 hinausreichende Übergangsfrist gegeben werden müssen. Damit ist die Verwirrung komplett; der Irrsinn sog. Weitergeltungsanordnungen wird offenbar41. Ab wann erstarkt die Unvereinbarkeit des § 23 EStG mit der Verfassung zur Nichtigkeit? Warum sollte dies erst ab dem Veranlagungszeitraum 1997 so sein?42 Ausdrücklich offengelassen hat das BVerfG, wie der mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 zu „privaten Veräußerungsgewinnen“ erweiterte Tatbestand des § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu beurteilen ist. M. E. besteht das strukturelle Vollzugsdefizit auch für die unter die Amnestie fallenden Veranlagungszeiträume 1999–2002 fort. Denn auch für diese Zeiträume hängt die Durchsetzung des materiellen Steueranspruchs unverändert von einer „qualifizierten Er-
__________ 37 BVerfG-Urt. v. 9. 3. 2004 – 2 BvL 17/02, FR 2004, 470, 473 ff. 38 BVerfG (Fn. 37), a. a. O., 481. 39 BFH-Urt. v. 1. 6. 2004 – IX R 35/01, DStR 2004, 1166, 1168 (bis VZ 1993 zum Verlustausgleich entschieden); BFH-Urt. v. 29. 6. 2004 – IX R 26/03, DStRE 2004, 1068, 1070 (VZ 1994 zur Steuerbarkeit der Glattstellung einer erworbenen Option an der DTB [EUMEX]). 40 BVerfG-Urt. v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 285. 41 Kritisch R. Seer, Die Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG am Beispiel seiner Rechtsprechung zum Abgabenrecht, NJW 1996, 285, 289 ff.; ders., in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Aufl., Köln 2002, § 22 Rz. 287 ff.; G. Habscheidt, Der Anspruch des Bürgers auf Erstattung verfassungswidriger Steuern, Diss. Bochum, Köln 2003, 34 ff. 42 Kritisch auch J. Hey (Fn. 30), DB 2004, 724, 726.
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klärungsbereitschaft“ des Steuerpflichtigen ab43. Mit Recht hegen BFH und Finanzgerichte ernstliche Zweifel auch an der Verfassungsmäßigkeit der Nachfolgenorm44. Für die Abgabe einer strafbefreienden Erklärung stellt sich die Frage, wie die Spekulations- und Veräußerungsgewinne zu behandeln sind. Derzeit zeigt sich das folgende Bild: Für Veranlagungszeiträume bis 1994 ist auf der Basis der genannten BFH-Rechtsprechung der Saldo zwischen dem Brutto-Veräußerungspreis und Anschaffungskosten, gekürzt um 40 %, anzusetzen45. Für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 sind Spekulationsgewinne wegen der Nichtigkeitserklärung durch das BVerfG entweder gar nicht aufzunehmen oder mit 0 Euro auszuweisen46. Die Behandlung des Veräußerungsgewinns ist für die Veranlagungszeiträume 1995–1996 sowie 1999– 2002 ungeklärt. Damit die Amnestiewirkungen in vollem Umfang eintreten, sollte sicherheitshalber der Veräußerungsgewinn angesetzt und die Abgeltungsteuer abgeführt werden. Es bleibt dann die Möglichkeit, gegen die Steueranmeldung, die gemäß § 10 Abs. 2 StraBEG einer endgültigen Steuerfestsetzung gleicht, innerhalb der Monatsfrist Einspruch einzulegen47. Ebenso ungeklärt ist für den Amnestiezeitraum die verfassungsrechtliche Beurteilung der Zinsbesteuerung. Ein großer Teil der Literatur bejaht auch für die Zeiträume nach 1992 das Bestehen eines strukturellen Vollzugsdefizits48. Folgt man dem zumindest für den Amnestiezeitraum bis zum Veranlagungszeitraum 2002, wäre auf der Grundlage des BVerfG-Urteils vom 9. 3. 200449 der steuerbegründende Tatbestand des § 20 EStG wohl ebenfalls als nichtig zu qualifizieren. Deshalb sollte die strafbefreiende Erklärung die verkürzten Kapitalerträge zwar enthalten; die Abgeltungsteuer wäre abzuführen, um Straffreiheit und Erlöschen des Steueranspruchs zu bewirken.
__________ 43 So F. Jacob/N. Vieten, Urteilsanmerkung, FR 2004, 482, 484; J. Hey (Fn. 30), DB 2004, 724, 727; krit. auch D. Birk, Sanktionierung des Gebots gleichmäßigen Steuervollzugs, StuW 2004, 277, 281. 44 BFH-Beschl. v. 4. 8. 2003 – IX B 45/03, BFH/NV 2004, 37; BFH-Beschl. v. 21. 10. 2003 – VII B 85/03, BStBl. II 2004, 36; FG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 25. 11. 2002 – 2 V 146/02, DStRE 2003, 616, 617 (rkr.); FG Brandenburg, Beschl. v. 24. 5. 2004 – 3 V 974/04 (BFH-Az.: IX B 88/04), DStRE 2004, 956; FG Düsseldorf, Beschl. v. 27. 7. 2004 – 8 V 2806/04 (A) E, EFG 04, 1693. 45 Siehe BMF-Merkblatt v. 3. 2. 2004, BStBl. I 2004, 225, Tz. 3.3.4. 46 R. Seer, in Tipke/Kruse (Fn. 20), § 1 StraBEG Tz. 9 (Juli 2004). 47 R. Seer, in Tipke/Kruse (Fn. 20), § 10 StraBEG Tz. 8 (Juli 2004). 48 Papier/Dengler, Verfassungsrechtliche Fragen im Zusammenhang mit Steuerfahndungsmaßnahmen der Banken, BB 1996, 2541 ff., 2593 ff.; R. Schumacher, Die Verfassungswidrigkeit der neuen Zinsbesteuerung, FR 1997, 1; R. Eckhoff, Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung?, DStR 1997, 1071; J. Niebler, Höchstrichterliche Hilfe für angebliche Steuerhinterzieher, Stbg. 2000, 221, 222; U. Risto/ J. Julius, Die Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteuerung, DB-Beilage Nr. 4/2002; J. Lang, in Tipke/Lang (Fn. 41), § 9 Rz. 563 m. w. N. 49 Siehe oben Fn. 37.
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Gleichzeitig bietet es sich aber auch hier an, gegen die durch die Steueranmeldung ausgelöste Steuerfestsetzung fristgerecht Einspruch einzulegen.
III. Idee der Entpönalisierung des Steuerrechts 1. Ultima ratio-Charakter des Steuerstrafrechts Die Misere der Besteuerung der Kapitalerträge und privaten Veräußerungsgewinne ist symptomatisch für den Zustand unseres Steuerrechts. Die Steueramnestie vermag ihn als isolierte Maßnahme nicht zu verbessern, sondern lässt die Steuermoral nur weiter erodieren. Die Zeit ist längst reif für eine grundlegende Steuerreform. Zur Reform des materiellen Rechts liegen mittlerweile eine Fülle von Vorschlägen auf dem Tisch50. Die Steuergesetze sollten von Lenkungs- und Subventionsnormen befreit51 und auf ihre systemtragenden Fiskalprinzipien zurückgeführt werden. Eine praxisgerechte und effiziente Ausgestaltung des Besteuerungsverfahrens hat überdies die Vollziehbarkeit des materiellen Einkommensteuerrechts zu gewährleisten52. Das BVerfG beschreibt in seinem Urteil vom 9. 3. 2004 das anzustrebende Ideal mit den folgenden Worten:53 „… Das Verfahrensrecht muss … so ausgestaltet sein, dass es die gleichmäßige Umsetzung der durch eine materielle Steuernorm bestimmten Belastung in der regulären Besteuerungspraxis gewährleistet. Die Form der Steuererhebung und – in Ergänzung des Deklarationsprinzips – das behördliche Kontrollinstrumentarium haben somit der
__________ 50 J. Lang, Entwurf eines Steuergesetzbuchs, BMF-Schriftenreihe, Heft 49, Bonn 1993; M. Rose (Hrsg.), Reform der Einkommensbesteuerung in Deutschland. Konzept, Auswirkungen und Rechtsgrundlagen der Einfachsteuer des Heidelberger Steuerkreises, Heidelberg 2002, P. Kirchhof, Einkommensteuer – Gesetzbuch, Ein Vorschlag zur Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Schriftenreihe des Instituts für Finanz- und Steuerrecht, Forschungsgruppe Bundessteuergesetzbuch, Bd. 2, Heidelberg 2003, passim (unter Mitarbeit von B. Bippus, T. Eisgruber, A. Ehrhardt-Rauch, C. Fischer, F. Knaupp, H. Kube, U. Palm, R. Peuker, G. Rauch, C. Seiler, A. Statkiewicz); Berliner Entwurf der FDP, Die neue Einkommensteuer, hrsg. v. H. O. Solms, Berlin 2003; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Flat Tax oder Duale Einkommensteuer – Zwei Entwürfe zur Reform der deutschen Einkommensteuer, Gutachten, Berlin, Juli 2004; J. Mitschke, Erneuerung des deutschen Einkommensteuerrechts – Gesetzestextentwurf und Begründung. Mit einer Grundsicherungsvariante, Köln 2004; M. Elicker, Entwurf einer proportionalen Netto-Einkommensteuer, Textentwurf und Begründung, Köln 2004; J. Lang/N. Herzig/J. Hey/H.-G. Horlemann/J. Pelka/H.-J. Pezzer/R. Seer/ K. Tipke, Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes, Köln 2005. 51 Grundlegend dazu C. Trzaskalik, Inwieweit ist die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts zu empfehlen?, Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag (Leipzig 2000), München 2000, passim, insb. E 81 ff.; siehe auch P. Kirchhof, in diesem Band, S. 395 ff. 52 R. Seer, Reform des Veranlagungsverfahrens, StuW 2003, 40, 44. 53 BVerfG (Fn. 37), a. a. O., 473.
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Roman Seer materiellen Steuernorm regelmäßig so zu entsprechen, dass deren gleichheitsgerechter Vollzug im Massenverfahren der Veranlagung möglich ist, ohne unverhältnismäßige Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen oder übermäßigen Ermittlungsaufwand der Finanzbehörden zu fordern.“
Diesem Postulat ist zuzustimmen. Allerdings möchte ich hinzufügen: Umgekehrt muss das gesetzte Recht auch derart ausgestaltet sein, dass es verfahrensrechtlich durchsetzbar ist. Bei gleichgelagerten Massenphänomenen bedarf es deshalb Typisierungen, welche die Bemessungsgrundlage im Steuervollzug operabel machen. Ansonsten bleibt es bloßes „Paper Law“ und verliert seinen inneren Geltungsanspruch. Dazu geeignet ist der konsequente Einstieg in ein Electronic-Government durch elektronische Vernetzung der Steuerabzugs- mit dem Veranlagungsverfahren54 unter Ausbau der Mitteilungspflichten Dritter. Das Verwaltungsressourcen vergeudende hoheitliche Veranlagungsverfahren sollte durch ein Selbstveranlagungssystem mit ausgebautem Risiko-Management ersetzt werden55. Das Steuerstrafrecht ist dagegen ungeeignet, strukturelle Vollzugsdefizite auf der Ebene des exekutiven Normenvollzugs auszugleichen und die gebotene Belastungsgleichheit herzustellen56. Zwar soll das Steuerstrafrecht das vollständige und rechtzeitige Aufkommen der Steuern sichern57 und die Solidargemeinschaft der ehrlichen Steuerzahler schützen58. Die Verknüpfung der beiden Rechtsgebiete darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass das Steuerstrafrecht dem Strafrecht angehört. Denn die wesentliche Rechtfertigung der Strafe ist die Herstellung eines Schuldausgleichs unter gleichzeitiger Berücksichtigung spezial- und generalpräventiver Gesichtspunkte59. Charakteristisch für das Steuerstrafverfahren ist seine Ausgestaltung als Individualverfahren, das nach Schuld und Verantwortlichkeit fragt60. Ein Konzept, steuerliches Fehlverhalten in Massenverfahren durch Pönalisierung des
__________ 54 Dazu näher R. Seer, Reform des (Lohn-)Steuerabzugs, FR 2004, 1037, 1040 ff. 55 Dazu ausf. R. Seer (Fn. 52), StuW 2003, 40, 45 ff. 56 Ebenso H.-J. Papier, Steuerreform als Verfassungsproblem, Stbg. 1999, 49, 56; K. Tipke, Kann das Steuerstrafrecht das Steuerrecht verbessern?, PStR 2000, 143, 145 f. 57 So die h. M., statt vieler W. Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, Kommentar, 6. Aufl., München 2005, Einl. Rz. 8 f. 58 K. Tipke, Besteuerungsmoral und Steuermoral, Wiesbaden 2000, 97 f.; R. Seer, in Tipke/Lang (Fn. 41), § 23 Rz. 1; F. Salditt, Die Hinterziehung ungerechter Steuern, in Festschrift K. Tipke, Köln 1995, 475, 479, hält die gleichmäßige Lastenverteilung sogar für das alleinige Rechtsgut des § 370 AO; ihm folgend G. Kohlmann/B. Hilgers-Klautzsch, Bestrafung wegen Hinterziehung verfassungswidriger Steuern?, wistra 1998, 161, 166. 59 Stellvertretend zu den Grundsätzen für ein „gerechtes“ Strafen BVerfG-Urt. v. 21. 6. 1977 – 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187, 253 ff. 60 Treffend formuliert und der Intention des Steuerverfahrens gegenübergestellt von M. Streck, Das Recht des Verhältnisses von Steuer- und Strafverfahren, DStJG Bd. 6 (1983), 217, 220.
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Steuerrechts zu bekämpfen, ist deshalb zum Scheitern verurteilt. Treffend bezeichnet das BVerfG die Strafnorm als „ultima ratio im Instrumentarium des Gesetzgebers“61. Nach dem rechtsstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das das ganze öffentliche Recht einschließlich des Verfassungsrechts beherrscht, darf er von diesem Mittel nur behutsam und zurückhaltend Gebrauch machen62. 2. Maßstablosigkeit des Steuerverbrechenstatbestandes des § 370a AO Vor diesem Hintergrund verweigert der BGH der Vorschrift des § 370a AO mit Recht die Gefolgschaft, weil diese Strafnorm ganz erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist63. Mit bemerkenswerter Deutlichkeit folgt der für Steuerstrafsachen zuständige 5. Senat des BGH der Kritik seiner Vorsitzenden Monika Harms64 und sieht sich außerstande, § 370a AO verfassungskonform auszulegen. Der Gesetzgeber ist gehalten, die grundsätzlichen Entscheidungen zu Art und Ausmaß sowohl des Tatbestands als auch der denkbaren Rechtsfolgen selbst zu treffen und dem Richter den Rahmen möglichst klar vorzugeben, innerhalb dessen er sich bewegen muss65. Die Anforderungen an den Gesetzgeber sind dabei umso strenger, je intensiver der Eingriff wirkt. Unter Anwendung dieses verfassungsrechtlichen Maßstabs ist der Steuerverbrechenstatbestand des § 370a AO in mehrfacher Hinsicht unbestimmt66. Zunächst passt das qualifizierende Merkmal der „Gewerbsmäßigkeit“, wie es in der Rechtsprechung gemeinhin ausgelegt wird67, nicht auf die Steuerhinterziehung. Der BGH weist mit Recht darauf hin, dass das Steuerstrafrecht im Rahmen der Blankettnorm des § 370 AO aufgrund der durch das Steuerrecht vorgegebenen regelmäßigen Erklärungspflichten durch eine serielle Begehungsweise geprägt wird. Deshalb ist eine Eingrenzung des Verbrechenstatbestands überhaupt nur zu
__________ 61 BVerfG-Urt. v. 25. 2. 1975 – 1 BvF 1-6/74, BVerfGE 39, 1, 47. 62 BVerfG-Urt. v. 25. 2. 1975 (Fn. 61), a. a. O.; s. auch BVerfG-Urt. v. 21. 6. 1977 (Fn. 59), a. a. O., 259 f. 63 BGH-Beschl. v. 22. 7. 2004 – 5 StR 85/04, NJW 2004, 2990. 64 M. Harms, § 370a AO – Optimierung oder gesetzgeberischer Fehlgriff?, Festschrift für Kohlmann, Köln 2003, 413, 419 ff. 65 BVerfG-Beschl. v. 20. 3. 2002 – 2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135, 154 f. 66 Ebenso in zeitlicher Reihenfolge: R. Seer, Kriminalisierung des Steuerbürgers – Ringen um § 370a AO, BB 2002, 1677, 1680; T. Park, Die Vereinbarkeit des § 370a AO n. F. mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, wistra 2003, 328, 329 ff.; W. Reiß, Gutachten zur Gesetzgebung zum Umsatzsteuerbetrug, Stbg. 2004, 113, 117. 67 BGH-Beschl. v. 16. 2. 1994 – 5 StR 578/93, wistra 1994, 230, 232; A. Schmitz, § 370a AO Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Steuerhinterziehung – die aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung, StB 2004, 212, 213 f.
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erreichen, wenn man das qualifizierende Merkmal der „Gewerbsmäßigkeit“ teleologisch reduziert68 Eine zusätzliche Unsicherheit birgt das weitere Merkmal „in großem Ausmaß“, das der Gesetzgeber kurzerhand aus dem Kanon von Regelbeispielen für die Strafzumessung (§ 370 Abs. 3 Nr. 1 AO, §§ 263 Abs. 3 Nr. 2, 264 Abs. 2 Nr. 1, 266a Abs. 4 Nr. 1 StGB) entnommen und in den Tatbestand verlagert hat. Es lässt sich nicht erkennen, unter welchen Voraussetzungen dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, welche Anknüpfungspunkte maßgeblich sein sollen und ob es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt oder ob bei einer Vielzahl von Hinterziehungstaten eine Gesamtbetrachtung entscheidend sein soll. Für die angebotenen absoluten Betragsgrenzen69 liefert das Gesetz keinen sicheren Anhalt70. Aufgrund seiner vom individuell-konkreten Fall abhängigen Inhaltsprägung ist dieses Merkmal untauglich, um ein Delikt tatbestandlich-abstrakt der Verbrechens- oder der Vergehenskategorie mit gravierenden Eingriffsfolgen zuzuordnen71. Weder das Merkmal der „Gewerblichkeit“ noch das Merkmal „in großem Ausmaß“ und schon gar nicht die Verbindung beider Merkmale geben dem Tatbestand Konturen. Zudem lassen sich die Rechtsfolgen des § 370a AO weder widerspruchsfrei in das Verhältnis zum Grundtatbestand des § 370 AO noch in das allgemeine System von Vermögensdelikten einfügen72. Es ist daher überfällig und ein Schritt zur Entpönalisierung von Steuerpflichtigen, den rechtsstaatlich nicht tolerablen Verbrechenstatbestand abzuschaffen. 3. Rückführung der Kriminalstrafbarkeit zugunsten eines Präventivschutzes durch ein abgestimmtes System von Steuerzuschlägen Der Gesetzgeber agiert – wie gezeigt – in hohem Maße widersprüchlich. Einerseits hat er die Steuerstrafbarkeit sowohl nach unten (z. B. in § 26b UStG: „Schädigung des Umsatzsteueraufkommens“) als auch noch oben (§ 370a AO) deutlich ausgeweitet. Andererseits amnestiert er aber Steuerstraftäter und „belohnt“ sie für ein zweifelhaftes Wohlverhalten sogar noch mit einem
__________ 68 W. Joecks, Strafvorschriften im Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, wistra 2002, 201, 204; R. Spatschek/M. Wulf, „Schwere Steuerhinterziehung“ und Geldwäsche – Auslegung und Anwendung der neuen §§ 370a AO und 261 Abs. 1 Satz 3 StGB, DB 2002, 392, 393; R. Seer (Fn. 66) BB 2002, 1677, 1678; Kemper, in Dietz/Cratz/ Rolletschke, Steuerverfehlungen, § 370a AO Tz. 28 ff. [Dezember 2003]). 69 J. Meyer, Die Problematik der neuen Regelung zur gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung nach § 370a AO (Interview), DStR 2002, 879, 881: 50 000 Euro; Vorinstanz LG Wuppertal: 250 000 Euro; D. Hunsmann, Die Tatbestandsmerkmale des § 370a AO – Zugleich eine kritische Bestandsaufnahme bisheriger Restriktionsversuche, DStR 2004, 1154, 1155: 500 000 Euro. 70 Ebenso krit. M. Langrock, Das „große Ausmaß“ der schweren Steuerhinterziehung, wistra 2004, 241. 71 W. Reiß (Fn. 66), Stbg. 2004, 113, 117. 72 Seer (Fn. 66), BB 2002, 1677, 1680; W. Reiß (Fn. 66), Stbg. 2004, 113, 116 f.
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Steuererlass. Gleichzeitig hat er das Arsenal sonstiger Sanktionsmittel der Finanzverwaltung um einen sog. Strafzuschlag in § 162 Abs. 4 AO erweitert. Allerdings beschränkt sich dessen Anwendungsbereich auf die Verletzung von sog. Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen (§ 90 Abs. 3 AO) im internationalen Konzern73. Der „Strafzuschlag“ ist keine Strafe im Rechtssinne74. Er ist vielmehr den amerikanischen Civil Penalties (Sec. 6651 ff. IRC) nachgebildet, die sich von den Criminal Penalties deutlich unterscheiden75. Er entspricht dem Verspätungszuschlag und ist ein spezifisches Druckmittel der Steuerverwaltung zur Durchsetzung von Aufzeichnungspflichten. Jedoch wirkt der Zuschlag im Sinne des § 162 Abs. 4 AO nur punktuell und ist im deutschen Besteuerungsverfahren ein Fremdkörper. In seiner derzeitigen Ausgestaltung führt er zu unvertretbaren Wertungsschieflagen76. Wer sich als Gewerbetreibender nur im Inland betätigt, keine Steuererklärung abgibt und pflichtwidrig nicht einmal eine Buchführung unterhält, muss einen Verspätungszuschlag von max. 25 000 Euro und ggf. eine Geldbuße von max. 5000 Euro (§ 379 Abs. 1 AO) befürchten. Ein Steuerpflichtiger, der seine Steuererklärungs- und Buchführungspflichten dagegen voll erfüllt, aber den Verrechnungspreis nicht dokumentiert, wird nach § 162 Abs. 4 Satz 2 AO mit mindestens 5 % der Verrechnungspreis-Einkünfte (nicht: der Steuer!) und mindestens 5000 Euro belangt. Diese die grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit behindernde Ungleichbehandlung verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit der Art. 43, 48 EGV77 und wird sich als isolierte Maßnahme dauerhaft nicht halten lassen. Der Gesetzgeber gibt also auch hier keine sichere Orientierung. Er implementiert für einen engen Sachbereich mit den sog. Strafzuschlägen kurzerhand ein Instrumentarium des amerikanischen Rechtskreises, ohne ein Gesamtkonzept zu besitzen. Es fehlt seinen Maßnahmen erneut die Konsequenz. Da das Steuerstrafrecht den regulären Verwaltungsvollzug nicht sicherstellen kann, sollte es sich auf seine originäre Aufgabe konzentrieren, schwere Steuerkriminalität zu bekämpfen. Die Kluft zwischen dem materiellen Gesetz und seiner praktischen Umsetzung lässt sich nur überwinden, wenn die Legislative das Gesetz der Vollzugswirklichkeit anpasst. Dem
__________ 73 Siehe dazu K. Sieker, in diesem Band. 74 Zumindest missverständlich H. Hahn/U. Suhrbier-Hahn, Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten europarechtswidrig? – Neukonzeption der §§ 90 Abs. 3 und 162 Abs. 3 und 4 AO im SteVAG, IStR 2003, 84, 86. 75 R. Seer, Besteuerungsverfahren: Rechtsvergleich USA-Deutschland, Heidelberg 2002, Rz. 86 f. 76 R. Seer, in Tipke/Kruse (Fn. 20), § 162 AO Tz. 73 (März 2004), m. w. N. 77 J. Lüdicke, Internationale Aspekte des Steuervergünstigungsabbaugesetzes, IStR 2003, 433, 437; S. Schnorberger, Verrechnungspreis-Dokumentation und StVergAbG – Offene Fragen und Probleme, DB 2003, 1241, 1246 f.; H.-K. Kroppen/ S. Rasch, IWB Fach 3 Gruppe 1, 1977, 1987 f.; W. Joecks/B. Kaminski, Dokumentations- und Sanktionsvorschriften für Verrechnungspreise in Deutschland, IStR 2004, 65, 70; R. Seer, in Tipke/Kruse (Fn. 20), § 162 AO Tz. 82 (März 2004).
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rechtlichen Idealzustand der Kongruenz könnte sich de lege ferenda ein Selbstveranlagungsverfahren mit integriertem Steuerzuschlagsystem78, das strafrechtliche Sanktionen zumindest im Bereich minderschwerer Steuervergehen ersetzt, nähern. Das Selbstveranlagungsverfahren appelliert in starkem Maße an die Kooperationsbereitschaft des Steuerpflichtigen, der die von ihm geschuldete Steuer selbst berechnen und bis zum gesetzlich festgelegten Fälligkeitstermin entrichten muss. Kommt der Steuerpflichtige seinen gesetzlichen Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig nach, so sollte kraft Gesetzes ein obligatorischer Verspätungszuschlag79 entstehen. Ergänzen lässt sich dieser Schutz gegen säumige Steuerpflichtige durch eine generalpräventive Vorkehrung gegen eine Unterbemessung der Steuer. Ein sog. Nachzahlungszuschlag kann an die nach Kontrolle des Steuerfalls festgesetzte Mehrsteuer verschuldensunabhängig (prozentual) anknüpfen und generalpräventiv gegen Steuerverkürzungen wirken80. Eine an dem realen Marktzinsniveau ausgerichtete, bereits mit der Entstehung der Steuer (zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen) einsetzende Verzinsung kann im übrigen dafür sorgen, dass eine verspätete oder unsorgfältige Erstellung von Steuererklärungen wirtschaftlich ohne Vorteil bleibt. Ein derartiges Zuschlagsystem wäre angesichts der derzeit geübten Rechtspraxis keineswegs revolutionär. Werden Steuerstrafverfahren nach § 153a StPO gegen Geldauflagen und Akzeptanz einer hohen Steuerfestsetzung eingestellt, kommt es faktisch bereits jetzt zu einer (gesetzlich aber ungesteuerten, höchst uneinheitlichen) Steuerzuschlagspraxis. Ein vorab durch feste Prozentsätze normiertes Steuerzuschlagsystem würde dem wildwüchsigen „Ablasshandel“81 ein Ende bereiten, Strafgerichte, Finanzverwaltung sowie Strafverfolgungsbehörden entlasten und zugleich weniger stark in die Grundrechte des Steuerbürgers eingreifen. Eine derartige Entkriminalisierung des Steuerrechts mindert keineswegs die staatliche Autorität. Diese würde ganz im Gegenteil gestärkt, wenn die Exekutive die Steuergesetze bereits im Besteuerungsverfahren breitflächig durchsetzen könnte. Da sich das Steuerstrafrecht dann ganz auf Fälle gesteigerter krimineller Energie beschränkt, könnte es seinen Verfassungsauftrag besser erfüllen. Wenn sich die Strafverfolgungsbehörden mit deutlich weniger Fällen zu befassen haben, können die (Steuer-)Strafverfolgungsbehörden von den Finanzbehörden auch ressortmäßig getrennt werden. Dadurch fielen eine Vielzahl der durch die Gemengelage von Besteuerungs- und Steuerstraf-
__________ 78 Dazu eingehend R. Seer (Fn. 52), StuW 2003, 40, 56 ff. 79 Vorbild für den Automatismus ist der gem. § 240 AO erst nach erfolgter Steuerfestsetzung greifende Säumniszuschlag. 80 Vorbild für eine solche Regelung ist der im US-amerikanischen Steuersystem vorgesehene sog. Failure to File-Penalty (Sec. 6651 IRC), s. dazu R. Seer (Fn. 75), Rz. 86 f. 81 Dazu kritisch R. Seer, Konsensuale Paketlösungen im Steuerstrafrecht, in Festschrift für G. Kohlmann, Köln 2003, 535, 549 ff.
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verfahren hervorgerufenen Probleme schlicht weg. Eine aufgrund der weiten Ausdehnung der Strafbarkeitszone jederzeit mögliche Vermischung des Besteuerungs- mit dem Steuerstrafverfahren und der dysfunktionale Einsatz des strafprozessualen Eingriffsinstrumentariums für steuerliche Zwecke wären ausgeschlossen. Das Spannungsverhältnis zwischen steuerlichen Mitwirkungspflichten und dem strafrechtlichen Selbstbezichtigungsverbot ließe sich so weitgehend auflösen. In den massenhaften Steuerverfahren verlöre die individuelle Einzelfallbetrachtung wegen der verminderten Eingriffsintensität von schlichten Steuerzuschlägen an Bedeutung. Die aus dem Gesetz für jedes steuerliche Fehlverhalten minderer Schwere ablesbare (außerstrafrechtliche) Sanktion würde dem verfassungsrechtlich fundierten Bestimmtheitsgebot in besonderer Weise gerecht. Vom Verhandlungsgeschick abhängige „Strafverfahrenseinstellungs-“ und „Gesamtbereinigungspakte“ wichen einem festen Regeln folgenden, berechenbaren und ex ante transparenten Verfahren. Dadurch würde zugleich das dem Schuldprinzip verpflichtete (Steuer-)Strafrecht nachhaltig gestärkt.
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Auswirkungen der Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 der EMRK im Steuerrecht Inhaltsübersicht I. Einleitung: Die Strafrechtspflege und das Steuerrecht II. Entscheidung über das Vorliegen einer Steuerhinterziehung als Vorfrage im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren 1. Aus der Rechtsprechung der Finanzgerichte – fehlende Bindung an freisprechende Strafgerichtsurteile? 2. Entscheidungskompetenz der Finanzbehörden und Finanzgerichte nach AO und FGO 3. Umfang der materiellrechtlichen Feststellungen zum Vorliegen einer Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren a) Haftung des Steuerhinterziehers nach § 71 AO und Hinterziehungszinsen nach § 235 AO b) Verlängerte Festsetzungsfrist und Änderung von aufgrund einer Außenprüfung ergangenen Bescheiden 4. Verfahrensgrundsätze zur Feststellung einer Steuerhinterziehung III. Einbettung der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK in die deutsche Rechtsordnung 1. Bedeutung der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR in der deutschen Rechtsordnung
2. Die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK in der Rechtsprechung des BVerfG IV. Reichweite und Inhalt der Unschuldvermutung für das Besteuerungsverfahren 1. Ausschluss der Anwendung der Gewährleistungen des Art. 6 EMRK für das Besteuerungsverfahren a) Zum zeitlichen Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 EMRK b) Steuerstreitigkeiten keine zivilrechtlichen Streitigkeiten c) Anwendung des Art. 6 auf von Steuerbehörden verhängte „Sanktionen“ in der Rechtsprechung des EGMR 2. Unschuldsvermutung und strafrechtliche Schuldfeststellung im Besteuerungsverfahren a) Schuldfeststellung nach rechtskräftigem Freispruch im Strafverfahren aa) Keine Begrenzung auf Verhängung von Maßnahmen mit Strafcharakter bb) Verbindung mit einer Strafsache b) Einstellung des Strafverfahrens durch Strafverfolgungsbehörden V. Beendigung der Halbherzigkeit des geltenden Regelungsmodells
I. Einleitung: Die Strafrechtspflege und das Steuerrecht In seinem unter obiger Überschrift erschienenen Beitrag hat sich Christoph Trzaskalik kritisch mit steuerstrafrechtlich induzierten Durchsuchungsaktionen bei deutschen Banken auseinandergesetzt1. Aus der berechtigten
__________ 1
Trzaskalik, Die Strafrechtspflege und das Steuerrecht, DB 1994, 550.
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Kritik verdient jenseits der Einzelheiten festgehalten zu werden, dass Trzaskalik einerseits zutreffend die Verantwortung des (Steuer) Gesetzgebers anmahnt, die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem, hier zwischen Steuererhebung und Steuerstrafverfolgung, deutlich zu markieren. Andererseits nimmt er berechtigterweise auch die Strafverfolgungsorgane (Staatsanwälte und Gerichte) in die Pflicht, für das Steuerstrafverfahren vorgreifliche Fragen der Auslegung des materiellen Steuerrechtes, wie auch des Steuerverfahrensrechtes, nicht auf eine „exzentrische Gesetzesauslegung“ zu stützen. Angemahnt wird insoweit, dass – ungeachtet der eigenen Verantwortung für die Gesetzesauslegung auch hinsichtlich steuerrechtlicher Vorfragen – bei der Verfolgung und Aburteilung von Steuerstraftaten eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Gesetzesmaterialien und der darauf gestützten Auslegung durch die zuständigen Finanzbehörden stattfindet. In diesem Zusammenhang betont Trzaskalik zutreffend, dass das Steuerstrafrecht bloßes Folgerecht zum Steuerrecht ist. Dies trägt allerdings nicht die zu weit gehende Feststellung, dass das Steuerstrafrecht nicht auf einer eigenständigen Wertung strafwürdigen Verhaltens basiert. Vielmehr ist umgekehrt festzuhalten, dass sich die Wertung als strafwürdiges Verhalten erst aus den steuerstrafrechtlichen Normen, hier § 369 ff. AO, ergibt. Dass dabei in § 370 AO sowohl hinsichtlich des zu schützenden Rechtsgutes an das materielle Steuerrecht – hier Steueraufkommen – als auch hinsichtlich der Tatbestandshandlungen – unrichtige bzw. pflichtwidrig unterlassene Erklärungen – an außerstrafrechtlich begründete steuerverfahrensrechtliche Pflichten angeknüpft wird, ist im Grundsatz nichts Ungewöhnliches. Strafrecht schützt regelmäßig Rechtsgüter, die ihre Existenz nicht erst strafrechtlichen Normen verdanken, vor bestimmten Angriffen, die ihrerseits auch ohne strafrechtliche Sanktion rechtswidrig sind. Die Wertung als strafwürdiges Unrecht erfolgt allerdings ausschließlich erst durch den Strafgesetzgeber. Insoweit ist Strafrecht immer Folgerecht für bereits außerhalb des Strafrechtes bestehende schützenswerte Rechtsgüter. Weder materielle Rechtsfolgen des Steuerrechtes, noch dessen verfahrensmäßige Durchsetzung hängen normalerweise davon ab, ob eine Steuerstraftat begangen wurde oder nicht. Allerdings verquickt bereits die Abgabenordnung die Ermittlung des steuerrechtlich relevanten Sachverhalts nach den Vorschriften des Steuerverfahrensrechtes mit Ermittlungen im Steuerstrafverfahren nach den strafprozessualen Vorschriften. So wird in § 208 Abs. 1 S. 1 AO der Steuerfahndung in Nr. 1 die Aufgabe der Erforschung/Ermittlung von Steuerstraftaten zugewiesen und in Nr. 2 zugleich die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen. § 404 AO weist ihr die Befugnisse der Polizeibehörden zur Ermittlung von Straftaten nach der StPO zu und die weitergehenden strafprozessualen Befugnisse der Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft zu Beschlagnahmen, Durchsuchungen etc. Zugleich stehen ihr gemäß § 208 Abs. 1 S. 2 474
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AO aber auch die normalen Ermittlungsbefugnisse der Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren zu. Ob die Problematik der Kumulation strafprozessualer und steuerverfahrensrechtlicher Ermittlungsbefugnisse in der Hand derselben Behörde durch den Ausschluss des Einsatzes von Zwangsmitteln im Besteuerungsverfahren gegen den Steuerpflichtigen nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO befriedigend gelöst wurde, falls sich der Steuerpflichtige selbst einer Steuerstraftat bezichtigen müsste, bleibe hier dahingestellt. Die Kumulation von Aufgaben und Befugnissen zu steuerstrafrechtlichen Ermittlungen und zur Ermittlung des Besteuerungssachverhaltes birgt jedenfalls die Gefahr, dass die von Trzaskalik angemahnte Grenzmarkierung zwischen Steuererhebung und Steuerstrafverfolgung nicht immer beachtet wird. Dies gilt in beiderlei Richtung. Weder dürfen die Befugnisse zur Ermittlung des Besteuerungssachverhaltes dazu genutzt werden, die rechtsstaatlichen Garantien für die Durchführung eines Strafverfahrens zu überspielen – darauf beruht die Regelung des § 393 Abs. 1 S. 2 AO –, noch dürfen steuerstrafrechtliche Ermittlungsbefugnisse durch ungerechtfertigte Annahme eines Tatverdachtes dazu missbraucht werden, erst die Grundlage für eine Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen zu schaffen, wenn der Steuergesetzgeber seinerseits durch die Halbherzigkeit seines Regelungsmodells2 geradezu dazu einlädt, dem Steuerpflichtigen durch Nutzung legaler Möglichkeiten ein Verschweigen der Besteuerungsgrundlagen zu erleichtern. Sieht man von dieser Verquickung steuerstrafrechtlicher Ermittlungen mit Ermittlungen im Besteuerungsverfahren einmal ab, so stellt das Vorliegen einer Steuerstraftat normalerweise weder eine Voraussetzung für den Eintritt von steuerlichen Rechtsfolgen noch für die verfahrensmäßige Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerrechtsverhältnis dar. Allerdings kennt das Gesetz Ausnahmen. So ordnet § 71 AO für den Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung an, dass er für die hinterzogenen Steuern haftet, und § 70 AO begründet für den Vertretenen eine Haftung, falls sein Vertreter eine Steuerhinterziehung oder Steuerverkürzung begeht. Nach § 235 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. § 169 Abs. 1 S. 2 AO verlängert die Festsetzungsfrist für hinterzogene Steuern auf zehn Jahre. Nach § 173 Abs. 2 AO können aufgrund einer Außenprüfung ergangene Steuerbescheide erneut geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerhinterziehung vorliegt. Das Vorliegen einer Steuerhinterziehung begründet hier entweder erst Ansprüche aus dem Steuerrechtsverhältnis – Haftungsanspruch, Zinsanspruch – oder ermöglicht erst die Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis – Verlängerung der Festsetzungsverjährung, Durchbrechung der Bestandskraft. Für diese Konstellationen ließe sich etwas überpointiert
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Dazu Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 1), DB 1994, 550 (552).
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in Umkehrung der Formulierung von Trzaskalik davon sprechen, dass hier das Steuerrecht zum „bloßen Folgerecht“ des Steuerstrafrechts wird3. In Aufnahme des Ansatzes von Trzaskalik ist dann freilich anzumahnen, dass auch im Besteuerungsverfahren die Wertungen beachtet werden, die sich daraus ergeben, dass hier der Gesetzgeber das Vorliegen einer (Steuer) Straftat zur Voraussetzung für den Eintritt von Rechtsfolgen im Steuerrechtsverhältnis gemacht hat. Unter diesem Aspekt ist namentlich zu problematisieren, ob und welche Bindungen an Entscheidungen der für die strafrechtliche Ahndung zuständigen Strafgerichte im Besteuerungsverfahren hinsichtlich der Entscheidung über die Vorfrage des Vorliegens einer Steuerhinterziehung (oder Steuerverkürzung) bestehen und welche Bedeutung insoweit der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung für das Besteuerungsverfahren zukommt.
II. Entscheidung über das Vorliegen einer Steuerhinterziehung als Vorfrage im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren 1. Aus der Rechtsprechung der Finanzgerichte – fehlende Bindung an freisprechende Strafgerichtsurteile? Die Frage nach einer etwaigen Bindungswirkung strafgerichtlicher Erkenntnisse für die im Besteuerungsverfahren zu treffende Entscheidung über die Vorfrage, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, stellt sich, wie noch auszuführen sein wird, nicht nur, wenn bereits steuerstrafrechtliche Entscheidungen vorliegen. Die Problematik, dass es zu einander inhaltlich widersprechenden Entscheidungen kommen kann, wird freilich besonders deutlich, wenn bereits strafgerichtliche Erkenntnisse vorliegen. Dass dies nicht eine lediglich akademische Frage ist, wird durch Urteile des FG Köln und des FG Berlin belegt. Im Urteil des FG Köln ging es um die Frage, ob nach einer Außenprüfung ergangene Umsatzsteuerbescheide nach § 173 Abs. 2 AO noch geändert werden durften, weil dem Steuerpflichtigen eine Steuerhinterziehung vorzuwerfen war. Das FG Köln bejahte diese Frage und stillschweigend auch seine uneingeschränkte Prüfungskompetenz hinsichtlich des Vorliegens einer Umsatzsteuerhinterziehung4, obwohl der Steuerpflichtige vom Vorwurf der Umsatzsteuerhinterziehung durch Urteil des BGH5 schon mangels Vorliegens des objektiven Tatbestandes der Umsatzsteuerhinterziehung freigesprochen worden war. In der Sache folgte das FG freilich zutreffend nicht der steuerlich unzutreffenden Rechtsansicht des BGH, dass an den Steuerpflich-
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A. a. O. (Fn. 1), DB 1994, 550 (552). FG Köln v. 30. 1. 1985 – I VI-589/80, EFG 1985, 524. BGH v. 20. 5. 1981 – 2 StR 784/80, NJW 1981, 2071.
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tigen von „Freiern“ zu zahlende Entgelte für Dienste von bei diesem „angestellten“ Bardamen nicht zum Entgelt für Leistungen des Steuerpflichtigen gehörten6. Das Finanzgericht billigte dem Steuerpflichtigen ungeachtet des BGH-Urteils keinen unvermeidlichen Verbotsirrtum zu, respektive sah sich nicht gehindert, Leichtfertigkeit anzunehmen. Zu einer Erörterung, ob von dem Urteil immerhin des höchsten deutschen Strafgerichts, auch wenn es materiell unrichtig sein sollte, eine Bindungswirkung hinsichtlich der im Besteuerungsverfahren zu treffenden Entscheidung über das Vorliegen einer Steuerhinterziehung ausgehen könnte, sah sich das FG Köln nicht veranlasst. Jedenfalls fehlen insoweit jegliche Ausführungen, ebenso wie zur Bedeutung der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK. Demgegenüber bejaht das FG Berlin7 für die Haftung nach § 71 AO kurioserweise eine Bindung der Finanzbehörden und Finanzgerichte an eine strafgerichtliche Verurteilung, verneint aber eine derartige Bindung bei einem freisprechenden Urteil. Zur Begründung einer Bindung an die Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil führt das FG Berlin aus, dass eine strafgerichtliche Verurteilung gestaltende Wirkung entfalte. Diese bindende Gestaltungswirkung soll daraus folgen, dass bei einer strafrechtlichen Verurteilung sowohl die Schuldfeststellung als auch der Rechtsfolgenentscheidung in positiver als auch negativer Hinsicht unabänderlich würden. Sie seien daher dann für alle Rechtssubjekte und damit auch für die Finanzgerichte bindend. Ein freisprechendes Urteil soll hingegen trotz Bejahung einer „Gestaltungswirkung“ keine Bindung entfalten. Die dafür gegebene Begründung verdient wörtlich festgehalten zu werden: „Diese Rechtsfolge (mangelnde Bindung an einen Freispruch) ergibt sich aus § 71 AO. Denn da diese Norm eine Haftung ausschließlich an die Begehung einer Steuerhinterziehung (oder Steuerhehlerei) knüpft, eine solche Straftat vom LG Berlin (Strafgericht) jedoch nicht festgestellt worden ist, muss die Feststellung zwangsläufig durch das FG geschehen“. Allerdings hat das FG Berlin nach eigener Beweisaufnahme sodann wie schon das Strafgericht das Vorliegen einer Steuerhinterziehung verneint. Die Urteile verdienen hier deshalb Erwähnung, weil sie die Grundproblematik deutlich machen, die sich daraus ergibt, dass in den genannten Konstellationen der §§ 71, 70, 169 Abs. 2 S. 2, 173 Abs. 2 und 235 AO das Vorliegen einer Steuerhinterziehung zur Vorfrage für den Eintritt steuerlicher Rechtsfolgen materieller und/oder verfahrensrechtlicher Art gemacht wird. Erstens gilt es zunächst grundsätzlich zu klären, ob und inwieweit nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht oder allgemeinen Grundsätzen im Besteuerungsverfahren eine Bindung an strafgerichtliche Erkenntnisse besteht, so dass diese im Besteuerungsverfahren zwingend zu übernehmen wären. Sofern eine solche Bindungswirkung generell zu verneinen sein sollte, bleibt zu
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Vgl. dazu bereits Reiß, StuW 1986, 68 (69). FG Berlin v. 27. 1. 1999 – 2 K-21/3897, EFG 1999, 680.
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klären, welche Bedeutung der in Art. 6 Abs. 2 EMRK niedergelegten Unschuldsvermutung für im Besteuerungsverfahren zu treffende Feststellungen zum strafrechtlichen Schuldvorwurf zukommt. Insbesondere erscheint problematisch, ob im Besteuerungsverfahren Schuldfeststellungen getroffen werden dürfen, die im Widerspruch zu einem strafgerichtlichen Erkenntnis in derselben Sache stehen, namentlich wenn im strafgerichtlichen Verfahren ein Freispruch erfolgte. Nur mit einer gewissen Verwunderung kann man insoweit feststellen, dass diese Frage von beiden Urteilen in keiner Weise problematisiert wurde. 2. Entscheidungskompetenz der Finanzbehörden und Finanzgerichte nach AO und FGO Eine verfahrensrechtliche oder prozessuale Bindung an Urteile der Strafgerichtsbarkeit ist weder in der AO, noch in der FGO ausdrücklich ausgesprochen. Eine solche Bindung kann auch nicht aus § 363 der AO, respektive § 74 FGO abgeleitet werden. Danach besteht zwar eine Aussetzungsmöglichkeit für die Finanzbehörde bzw. für das Finanzgericht, wenn die Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das Gegenstand eines anhängigen Rechtstreites ist oder das von einem anderen Gericht oder einer anderen Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Schon der Wortlaut ergibt aber eindeutig, dass die Aussetzung jeweils im Ermessen von Behörde oder Gericht steht. § 363 AO bzw. § 74 FGO ordnet auch bei erfolgter Aussetzung keine prozessuale Bindung an die Entscheidung des anderen Gerichtes bzw. der anderen Verwaltungsbehörde an. Selbst wenn man also annehmen wollte, dass das Bestehen oder Nichtbestehen eines staatlichen Strafanspruches wegen Steuerhinterziehung ausnahmsweise für §§ 70, 71, 169 Abs. 2 S. 2, 173 Abs. 2 und 235 AO ein vorgreifliches „Rechtsverhältnis“ im Sinne der §§ 363 AO, 74 FGO wäre8, so ergäbe sich daraus nicht, dass die Finanzbehörden oder die Finanzgerichte nicht in eigener Kompetenz über das Vorliegen einer Steuerhinterziehung entscheiden dürften und sogar müssen. Ihre Entscheidungkompetenz folgt mangels abweichender gesetzlicher Anordnung für die Finanzbehörden aus ihrer alleinigen sachlichen und örtlichen Zuständigkeit für die jeweils im Besteuerungsverfahren zu treffenden Entscheidungen. Dabei hat die Finanzbehörde den maßgeblichen Sachverhalt nach § 88 AO selbst von Amts wegen zu ermitteln. Weder bei der Sachverhaltsermittlung, noch hinsichtlich der Rechtsauslegung bezüglich der §§ 70, 71, 169 Abs. 2 S. 2, 173 Abs. 2, 235 AO und damit auch des vorgreif-
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Vgl. dazu Reiß, StuW 1986, 68 (69) m. w. N.; Tipke, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 363 Rz. 2; vgl. aber KG v. 24. 3. 1958, NJW 1958, 959; BGH v. 1. 8. 1962, NJW 1962, 2070 und v. 6. 6. 1973, NJW 1973, 1582 (jeweils zur Ablehnung einer Aussetzung nach § 396 AO, falls vorher von der Finanzbehörde nach § 363 ausgesetzt wurde!).
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lichen § 370 AO wird die Finanzbehörde nach der Abgabenordnung dabei an Sachverhaltsfeststellungen oder Rechtsauffassungen des Strafgerichtes gebunden. Entsprechendes gilt bei einer finanzgerichtlichen Klage gegen einen auf § 70 oder § 71 AO gestützten Haftungsbescheid, respektive gegen einen auf § 169 Abs. 2 S. 2, § 173 Abs. 2 AO gestützten Änderungsbescheid oder gegen eine Zinsfestsetzung nach § 235 AO. Hier hat das Finanzgericht nach § 76 FGO von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln. Auf der Basis des vom Finanzgericht selbst von Amts wegen ermittelten Sachverhaltes hat es sodann gemäß § 96 FGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Diese freie Überzeugungsbildung betrifft sowohl die Sachverhaltswürdigung anhand der Beweislage als auch die Rechtsanwendung. Dazu gehört zwingend auch, dass das Finanzgericht in den genannten Fällen entscheiden muss, ob der vorgreifliche Tatbestand der Steuerhinterziehung oder der Beihilfe dazu vorliegt oder nicht. Die dem Finanzamt und gegebenenfalls dem Finanzgericht obliegende Pflicht zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes schließt freilich nicht aus, dass Finanzamt und/oder Finanzgericht etwaige im Strafverfahren erfolgte Ermittlungsergebnisse nach ordnungsgemäßer Einführung in das Verwaltungsverfahren bzw. in das finanzgerichtliche Verfahren übernehmen. Ebenfalls nicht ausgeschlossen ist es, dass Behörde und/oder Finanzgericht die strafgerichtliche Würdigung übernehmen und sich zu eigen machen. Auch dann bleibt es aber dabei, dass es sich um von Amts wegen im Besteuerungsverfahren ermittelte Sachverhalte handeln muss und auch die Würdigung letztlich in eigener Verantwortung durch die Finanzbehörde und/oder das Finanzgericht erfolgen muss. Zutreffend führt der BFH insoweit aus, dass das FG sich die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen des Strafgerichts zu eigen machen dürfe, wenn und soweit es zu der Überzeugung gelange, dass diese zutreffend seien9. Eine prozessuale rechtliche Bindungswirkung an ein verurteilendes Strafurteil besteht nach zutreffender ganz überwiegender Meinung nicht10. Es ist daher durchaus möglich und auch erforderlich, dass die Finanzbehörde oder nach Anfechtung das Finanzgericht z. B. eine Haftung nach § 71 AO
__________ 9 BFH v. 13. 7. 1994 – I R 112/93, BStBl. II 1995, 198; BFH v. 12. 1. 1988 – VII R 74/84, BFH/NV 1988, 692 m. w. N.; vgl. auch BFH v. 21. 5. 1999 – VII B 37/99, BFH/NV 1999, 1496 (Geständnis im Strafverfahren); BFH v. 26. 2. 2004 – VII B 174/03 (Strafbefehl) zit. nach Lexinform Nr. 0594963. 10 Vgl. u. a. BFH v. 10. 10. 1972 – VIII R 117/69, BStBl. II 1973, 68; BFH v. 7. 11. 1973 – I R 92/72, BStBl. II 1974, 125; BFH v. 18. 10. 1961 – VII 129/60, HFR 1962, 140; v. 12. 2. 1963 – VII 144/61, HFR 1964, 23; v. 22. 2. 1972 – VII R 80/69, BStBl. II 1972, 544; v. 13. 6. 1973 – VII R 58/71, BFHE 109, 306, BStBl. II 1973, 666; v. 10. 1. 1978 – VII R 106/74, BStBl. II 1978, 311; Reiß, StuW 1986, 68 (70); Kruse, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 70, Rz. 6 b; Paulick, StbJb 1964/65, 376; v. Wallis, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, § 70 Rz. 6.
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verneint, obgleich der Betreffende als Steuerhinterzieher oder Gehilfe zur Steuerhinterziehung strafrechtlich unanfechtbar verurteilt wurde. Dies ist selbstverständlich, soweit der Haftungsanspruch aus anderen Gründen als der Verneinung des Vorliegens einer strafbaren Steuerhinterziehung nicht besteht. Denn insoweit kann ein Strafurteil per se keine Bindungswirkung entfalten. Es trifft aber auch zu, soweit die Behörde oder das Finanzgericht im Gegensatz zum Strafgericht das Vorliegen einer strafbaren Steuerhinterziehung oder einer strafbaren Beihilfe dazu verneint. Der entgegen stehenden Auffassung des FG Berlin ist nicht zu folgen11. Unter dem Aspekt einer angeblich aus der Gestaltungswirkung eines Strafurteils folgenden Bindungswirkung ist zunächst einmal die dort vorgenommene Differenzierung zwischen einem verurteilenden Erkenntnis und einem freisprechenden Urteil erkennbar verfehlt. Die vom FG Berlin angenommene Gestaltungswirkung hinsichtlich des Schuldspruches wie auch der Rechtsfolgeentscheidung müsste dann gleichermaßen auch für ein freisprechendes Urteil gelten. Die Begründung einer fehlenden Bindung bei einem Freispruch kann nur als absonderlich bezeichnet werden. Denn wenn ein verurteilendes Erkenntnis wegen des Schuldausspruches und der ausgesprochenen Rechtsfolge – nämlich Bestrafung – kraft seiner angeblichen Gestaltungswirkung für Finanzbehörden und Finanzgerichte zwingend zu beachten wäre, darf für ein freisprechendes Urteil offenkundig nichts anderes gelten. So wie bei einem verurteilenden Erkenntnis der Strafausspruch und die ihn tragende Schuldfeststellung in Rechtskraft erwächst, gilt dies gleichermaßen auch für die beim Freispruch angeordnete Rechtsfolge, nämlich keine Strafe, und die zugrunde liegende Schuldfeststellung, nämlich, dass es an strafrechtlicher Schuld mangelt. Soweit das FG Berlin sich zur Begründung seiner Auffassung von einer Bindungswirkung verurteilender Erkenntnisse auf die Rechtsprechung des RFH12 beruft, geht diese Berufung schon deshalb fehl, weil der RFH seinerseits nicht zwischen verurteilenden Erkenntnissen und freisprechenden Erkenntnissen unterschieden hat. Gegen eine aus prozessualen Grundsätzen oder aus dem Gedanken der Rechtskraft abzuleitenden Bindungswirkung an strafgerichtliche Erkenntnisse spricht vor allem die geschichtliche Entwicklung zur umgekehrten Aussetzungsbefugnis für das Steuerstrafverfahren nach § 396 AO. Danach kann das Steuerstrafverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens ausgesetzt werden, wenn die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung davon abhängt, ob ein Steueranspruch besteht. § 396 AO stellt eine solche Aussetzung ebenfalls in das Ermessen des Strafgerichtes bzw. der Staatsanwaltschaft. Eine zwingende Verpflichtung zur Aussetzung besteht nicht.
__________ 11 FG Berlin v. 27. 1. 1999 – 2-K-2138/97, EFG 1999, 680. 12 RFH v. 25. 5. 1937 – I A 19/36, RFHE 41, 253.
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§ 396 AO stellt quasi die steuerstrafrechtliche Parallelvorschrift zu § 262 Abs. 2 StPO dar, wonach ein Strafverfahren ausgesetzt werden kann, wenn die Strafbarkeit von der Beurteilung eines bürgerlichen Rechtsverhältnisses als Vorfrage abhängt. § 262 Abs. 1 StPO spricht hier ausdrücklich aus, dass das Strafgericht auch über die zivilrechtliche Vorfrage selbst zu entscheiden hat13, ungeachtet der in § 262 Abs. 2 StPO eingeräumten Befugnis zur Aussetzung. Die Berechtigung und Verpflichtung zur eigenen Entscheidung über die zivilrechtlichen Vorfragen – unter Anwendung der Vorschriften der StPO für das Strafverfahren –, bleibt auch nach Aussetzung des Verfahrens bestehen. Der Strafrichter soll für die Entscheidung der Strafsache gerade nicht prozessual an das zivilgerichtliche Erkenntnis gebunden sein, sofern er es sich nicht wegen dessen Überzeugungskraft zu eigen macht. Exakt an diese Rechtslage, die als der Normalfall angesehen wurde und wird, sollte auch für das Verhältnis von Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren angeknüpft werden. Für das Verhältnis von behördlichen oder finanzgerichtlichen Entscheidungen zu einem Steuerstrafverfahren wird durch § 396 AO eben dieselbe Rechtslage hergestellt. Dass aus § 396 AO gerade keine Bindungswirkung an im Besteuerungsverfahren zu treffende Entscheidungen abzuleiten ist, wird speziell für das Verhältnis Steuerstrafverfahren und Besteuerungsverfahren durch die Entstehungsgeschichte des § 396 AO bestätigt. Denn die ursprünglich nach der Reichsabgabenordnung bestehende als außergewöhnlich angesehene Bindung der Strafgerichte hinsichtlich der Beurteilung der steuerrechtlichen Vorfragen an Entscheidungen des Reichsfinanzhofes und später des Bundesfinanzhofes wurde durch die Neufassung des § 396 AO gerade beseitigt. Es sollte ausdrücklich dieselbe Rechtslage wie nach § 262 StPO hergestellt werden, also jede prozessuale Bindungswirkung beseitigt werden14. Es entspricht daher zu Recht der ganz herrschenden Meinung, dass für das Strafgericht keinerlei prozessuale Bindung sowohl hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen als auch hinsichtlich der Beurteilung vorgreiflicher Steuerrechtsfragen an Entscheidungen der Finanzbehörden und/oder der Finanzgerichte einschließlich des Bundesfinanzhofes besteht15. Auf einem anderen Blatt steht freilich, dass die Strafgerichte und Strafverfolgungsbehörden gehalten sind, sich mit der Rechtsprechung der Fachgerichtsbarkeit jeweils auseinanderzusetzen, wenn und soweit sie steuerrechtliche Vorfra-
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13 Dazu bereits RG v. 2. 12. 1935, RGSt 70, 6; vgl. auch Roxin, Strafverfahrensrecht, § 15 C II 3; Hürxthal, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 262 Rz. 3; Meyer-Goßner, StPO, § 262 Rz. 5; zur entsprechenden Geltung bei der Beurteilung von Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten, BGH v. 1. 7. 1954 – 3 StR 223/54, zitiert nach Karlsruher Kommentar, § 262 Rz. 4. 14 Vgl. dazu Reiß, StuW 1986, 68 m. w. N. 15 Vgl. auch Isensee, NJW 1985, 2071; Kohlmann, FS Klug, 1973, 507 ff.; Gast/ de Haan, in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 396 Rz. 5; Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar AO, § 396 Rz. 21.
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gen in eigener Verantwortung zu beurteilen haben, wie Trzaskalik zu Recht anmahnte16. Von der fehlenden prozessualen Bindung ist allerdings zu unterscheiden, dass der Tatbestand des § 370 AO verlangt, dass die Steuerverkürzung kausal auf die Tathandlung der unrichtigen, unvollständigen oder pflichtwidrig unterlassenen Angaben zurückzuführen sein muss. Es stellt daher – entgegen der herrschenden Meinung17 – eine verfehlte Anwendung des § 370 AO dar, wenn ein Strafgericht eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung ausspricht, obwohl die zuständigen Behörden das Bestehen eines Steueranspruches verneinen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die von den zuständigen Behörden vertretene Rechtsauffassung zutreffend für das Strafgericht nicht bindend ist. Denn ungeachtet dessen fehlt es an der Kausalität der Täuschungshandlung für den Eintritt der Steuerverkürzung, wenn die zuständige Behörde auch bei Kenntnis der Sachlage die Steuern nicht in der gesetzlich geschuldeten Höhe festgesetzt hätte.18 Dies hat aber nichts mit einer prozessualen Bindungswirkung der im Besteuerungsverfahren getroffenen Entscheidungen zu tun. Es folgt vielmehr aus der vom Tatbestand des § 370 AO verlangten Kausalität der unrichtigen oder unterlassenen Angaben für die zu niedrige oder nicht erfolgte Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörden. Der Unterschied zu einer prozessualen Bindungswirkung zeigt sich deutlich, wenn umgekehrt die Finanzbehörden und die Finanzgerichte das Bestehen eines Steueranspruches bejahen, hingegen das Strafgericht es verneint. Dann muss das Strafgericht, ungeachtet einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung freisprechen, weil keine prozessuale Bindungswirkung besteht und nach seiner Überzeugung der Tatbestand nicht erfüllt ist19. Wie die Beseitigung der prozessualen Bindung der Strafgerichte an Entscheidungen des RFH und später des BFH für die vorgreifliche Beurteilung hinsichtlich des Bestehens des Steueranspruches zeigt, die gerade deshalb erfolgte, weil eine solche Bindungswirkung als prinzipiell im Verhältnis der Gerichtsbarkeiten als verfehlt angesehen wurde und wird, kann auch umgekehrt nicht davon ausgegangen werden, dass die Finanzgerichte und im Vorfeld die Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren prozessual an steuerstrafrechtliche Entscheidungen gebunden sind. Auch aus der Rechtskraft solcher Entscheidungen lässt sich eine solche Bindungswirkung nicht herleiten.
__________ 16 Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 1), DB 1994, 550. 17 Vgl. BGH v. 16. 10. 1981 – 3 StR 408/81, NJW 1982, 1237; dazu kritisch Reiß, wistra 1983, 55. 18 Vgl. dazu Reiß, wistra 1983, 85; Reiß, StuW 1986, 68 (71); a. A. unzutreffend BGH v. 16. 10. 1981 – 3 StR 408/81, NJW 1982, 1237, desavouiert durch EuGH v. 28. 2. 1984 – Rs 194/82, HFR 1984, 444. 19 Vgl. zum selben Sachverhalt einerseits BGH v. 20. 5. 1981 – 2 StR 784/80, NJW 1981, 2071 (Freispruch, da kein Steueranspruch) und FG Köln v. 30. 1. 1985 – I (VI) 589-593/80, EFG 1985, 524 (Steuerfestsetzung, weil Steueranspruch besteht).
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Aus der fehlenden prozessualen Bindungswirkung folgert die Rechtsprechung freilich auch, dass die Finanzbehörden und Finanzgerichte selbst im Falle eines strafgerichtlichen Freispruches berechtigt und verpflichtet seien, im Rahmen ihrer Vorfragenkompetenz das Vorliegen einer strafbaren Steuerhinterziehung in eigener Kompetenz zu bejahen20. Dem könnte freilich, wie noch auszuführen ist, die in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung entgegenstehen. Zutreffend ist aber zunächst der Ausgangspunkt, wonach sich aus den Vorschriften der Abgabenordnung und der FGO keine prozessualen Bindungswirkungen an strafgerichtliche Feststellungen zum Vorliegen wie auch zur Verneinung des Vorliegens einer Steuerstraftat für das Besteuerungsverfahren ableiten lassen. 3. Umfang der materiellrechtlichen Feststellungen zum Vorliegen einer Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren a) Haftung des Steuerhinterziehers nach § 71 AO und Hinterziehungszinsen nach § 235 AO Nach § 71 AO haftet für die verkürzte Steuer sowie für Zinsen nach § 235 AO, „wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt.“ Die Haftung setzt danach jedenfalls voraus, dass eine tatbestandsmäßige Handlung im Sinne des § 370 AO begangen wird. Der Haftende muss als Täter entweder im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gegenüber der Finanzbehörde unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht haben oder im Sinne der Nr. 2 diese pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen haben. Diese Handlung muss dazu geführt haben, dass Steuern verkürzt wurden. Der subjektive Tatbestand verlangt auf Seiten des Hinterziehers Vorsatz, § 370 AO in Verbindung mit § 15 StGB. Der Täter muss mithin wissen und wollen – dolus eventualis genügt –, dass er unrichtige Angaben etc. über steuerlich erhebliche Tatsachen gegenüber den Finanzbehörden macht und dadurch Steuern verkürzt werden. Ob und inwieweit der Vorsatz bereits zum Tatbestand gehört – so wohl richtig – oder nur ein Element der Schuld ist, ist freilich umstritten, kann hier aber dahinstehen. Eine Bestrafung als Steuerhinterzieher setzt weiterhin voraus, dass keine Rechtfertigungsgründe eingreifen – solche kommen praktisch bei einer Steuerhinterziehung nicht in Betracht – und der Täter vorwerfbar schuldhaft gehandelt hat. Es darf mithin kein Schuldausschließungsgrund im Sinne der §§ 19, 20 StGB oder ein unvermeidbarer Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB vorliegen. Im Übrigen kann eine Bestrafung auch noch entfallen, falls
__________ 20 BFH v. 10. 10. 1972 – VIII R 117/69, BStBl. II 1973, 68; FG Köln v. 30. 1. 1985 – I (VI) 589–593/80, EFG 1985, 524 mit Anm. Reiß, StuW 1986, 68; BFH v. 1. 8. 2001 – II R 48/00, HFR 2002, 278; BFH v. 27. 4. 1991 – VIII R 84/89, BStBl. II 1992, 9.
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ein Strafaufhebungsgrund eingreift, vorliegend namentlich aufgrund einer Selbstanzeige nach § 371 AO. Folgt man dem Wortlaut des § 71 AO, so verlangt dieser, dass der danach Haftende eine Steuerhinterziehung begeht (als Täter) oder jedenfalls an einer solchen teilnimmt. Hinsichtlich der Inanspruchnahme als Täter einer Steuerhinterziehung nach § 71 AO besteht in der Rechtsprechung21 und Literatur22 angesichts des eindeutigen Wortlautes zutreffend die einhellige Meinung, dass nur derjenige nach § 71 AO als Haftender in Anspruch genommen werden kann, der den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 370 AO verwirklicht hat. Der Haftende muss mithin vorsätzlich gehandelt haben. Darüber hinausgehend wird zutreffend auch verlangt, dass es sich um eine rechtswidrige und schuldhafte Tat handelt23. Eine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner kommt mithin selbst bei vorsätzlicher Tathandlung nicht in Betracht, wenn ein objektiver Rechtfertigungsgrund besteht oder die Schuld wegen §§ 17, 19, 20 StGB ausgeschlossen ist. Es müssen mithin die Grundlagen der Strafbarkeit in vollem Umfange vorliegen. Auch für die Haftung des Teilnehmers (Gehilfen) und des Steuerhehlers nach § 71 AO wird zutreffend verlangt, dass ihr Handeln sich als schuldhafte strafbare Tat darstellt. Hinsichtlich der Haupttat bei der Beihilfe bzw. der Vortat bei der Steuerhehlerei, genügt es allerdings, dass lediglich eine rechtswidrige Steuerhinterziehung vorliegt, ohne dass erforderlich ist, dass die Steuerhinterziehung als Haupt- oder Vortat von einem schuldfähigen Täter begangen wurde. Dies ist aber keine Besonderheit des steuerlichen Haftungsrechtes, sondern entspricht den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen. Für die Beihilfe verlangt § 27 StGB gerade nicht die Hilfeleistung zu einer schuldhaft begangenen Haupttat, sondern es genügt ausdrücklich, dass zu einer vorsätzlich rechtwidrig begangenen Tat Hilfe geleistet wird. Fehlen dem Gehilfen besondere persönliche Merkmale, die erst die Strafbarkeit des Täters begründen, schließt dies ebenfalls eine Strafbarkeit des Gehilfen nicht aus, § 28 StGB, sondern führt nur zu einer Strafmilderung24. Unberührt davon bleibt aber, dass als Gehilfe nur strafbar ist, wer mit entsprechendem Gehilfenvorsatz zur vorsätzlichen Tat des Haupttäters Hilfe geleistet hat
__________ 21 BFH v. 5. 3. 1979 – GrS 5/77, BStBl. II 1979, 570; BFH v. 6. 3. 2001 – VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100; BFH v. 13. 7. 1994 – I R 112/93, BStBl. II 1995, 198. 22 Statt vieler Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 71 Rz. 11; Ehlers, in: Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 71 AO 1977 Rz. 6; Kruse, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 71 Rz. 3. 23 Grundlegend FG Düsseldorf v. 4. 8. 1992 – 14-V-2425/92, EFG 1992, 702; Kruse, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 71 Rz. 3; Schwarz, KommentarAO, § 71 Anm. 5; ebenso BFH v. 27. 8. 1991 – VIII R 84/89, BStBl. II 1992, 9 zur Schuldfähigkeit; FG München v. 12. 1. 1994 – 3-K-2111/92, EFG 1994, 809. 24 Vgl. dazu BFH v. 27. 5. 1986 – VII S 5/86, BFH/NV 1987, 10; Joecks, in: Franzen/ Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 369 Rz. 82; zur Bedeutung des § 28 bei unechten Unterlassungsdelikten vgl. Hoyer, in: SK -StGB, § 28 Rz. 35.
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und dabei selbst als Gehilfe schuldfähig ist, bzw. schuldhaft gehandelt hat. Ausdrücklich bestimmt § 29 StGB insoweit, dass der Gehilfe nach seiner Schuld bestraft wird. Für die Steuerhehlerei nach § 374 AO genügt ebenfalls, dass eine rechtswidrige Steuer- oder Zollhinterziehung als Vortat hinsichtlich der angekauften oder abgesetzten Ware vorliegt, ohne dass der Steuerhinterzieher schuldhaft gehandelt haben muss25. Gleichwohl muss aber der Steuerhehler selbst tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben, damit eine Strafbarkeit nach § 374 AO für ihn in Betracht kommt. Auch in den Fällen der Beihilfe zur Steuerhinterziehung oder der Steuerhehlerei verlangt § 71 AO für die Haftung des Gehilfen oder des Steuerhehlers mithin, dass der in Anspruch genommene Gehilfe oder Hehler seinerseits eine tatbestandsmäßige, vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhafte Handlung vorgenommen hat und sich dadurch strafbar gemacht hat26. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass nach der zutreffenden Auslegung sowohl der Rechtsprechung als auch der Literatur die Inanspruchnahme einer Person als Haftender nach § 71 AO immer voraussetzt, dass diese Person selbst eine objektiv und subjektiv tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Tat begangen hat. Die Inanspruchnahme als Haftender nach § 71 AO setzt mithin zwingend voraus, dass dem Haftenden angelastet wird, er sei verantwortlicher Täter oder Teilnehmer einer Straftat. Entsprechendes gilt auch für die Verzinsung hinterzogener Steuern nach § 235 AO. Auch hier wird vom Gesetz verlangt, dass eine strafbare Hinterziehung erfolgt ist, mithin der objektive und subjektive Tatbestand des § 370 AO erfüllt ist. Außerdem dürfen keine Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe vorliegen27. Allerdings verlangt § 235 AO nicht, dass der Zinsschuldner – namentlich also der Steuerschuldner – selbst Täter oder Gehilfe der Steuerhinterziehung war28. Die Haftung des Vertretenen nach § 70 AO kommt ohnehin nur in Betracht, wenn die Steuerhinterziehung nicht von ihm, sondern von für ihn nach §§ 34, 35 AO handelnden Personen begangen wurde. Die Haftung setzt aber
__________ 25 BFH v. 8. 11. 1988 – VII R 78/85, BStBl. II 199, 1188; Voß in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 374 Rz. 11; Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 374 Rz. 7; Klein/Wisser, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 374 Rz. 7. 26 Vgl. dazu BFH v. 21. 1. 2004 – XI R 3/03, BFH/NV 2004, 1006; BFH v. 26. 2. 1991 – VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504; FG Köln v. 19. 12. 2001 – 10 K 2330/96, EFG 2002, 513; FG Münster v. 11. 12. 2001 – 1 K 3310/98, EFG 2002, 655; FG Münster v. 11. 11. 2002 – 4 K 2864/98 (Revision Az XI R-1/03). 27 Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 235 Tz. 2; Gast-de Haan, DStJG Bd. 6, 187, 192; BFH v. 13. 12. 1989 – I R 39/88, BStBl. II 1990, 340; BFH v. 1. 8. 2001 – II R 48/00, HFR 2002, 278; BFH v. 27. 8. 1991 – VIII R 84/89, BStBl. II 1992, 9. 28 Vgl. BFH v. 19. 3. 1998 – V R 54/97, BStBl. II 1998, 466.
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auch hier voraus, dass die für den Vertretenen handelnden Personen ihrerseits tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft handeln29. b) Verlängerte Festsetzungsfrist und Änderung von aufgrund einer Außenprüfung ergangenen Bescheiden Auch für die Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 S. 1 AO und für die Änderung von aufgrund einer Außenprüfung ergangenen Steuerbescheiden nach § 173 Abs. 2 AO verlangt die Rechtsprechung zutreffend, dass im Besteuerungsverfahren festgestellt wird, dass der objektive und subjektive Tatbestand des § 370 AO erfüllt wurde30 und der Täter rechtswidrig und schuldhaft31 gehandelt hat. Dem steht nicht entgegen, dass die Verlängerung der Festsetzungsfrist ausweislich § 169 Abs. 2 S. 1 AO auch dann eintritt, wenn die Steuerhinterziehung nicht durch den Steuerschuldner begangen wurde und er dazu auch nicht beigetragen hat32. Auch für die Änderungsbefugnis des § 173 Abs. 2 AO ist nicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige die Steuerhinterziehung begangen hat oder dazu Beihilfe leistete. Es muss dann aber eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Steuerhinterziehung eines Dritten in Bezug auf die in dem zu ändernden Steuerbescheid festzusetzende Steuer vorliegen33. 4. Verfahrensgrundsätze zur Feststellung einer Steuerhinterziehung Soweit die Finanzbehörde nach § 88 AO den für die Besteuerung erheblichen Sachverhalt zu ermitteln hat, kann sie sich dafür nur der Ermittlungsmaßnahmen bedienen, die nach der Abgabenordnung zugelassen sind. Ein Rückgriff auf strafprozessual zulässige Ermittlungsmaßnahmen scheidet aus, vor-
__________ 29 Vgl. BFH v. 2. 5. 1991 – VII R 7/89, BFH/NV 1992, 219; vgl. auch Mösbauer, Die Steuerhaftung des Vertretenen (§ 70 AO), Inf 1987, 529. 30 Vgl. dazu bereits BFH v. 5. 3. 1979 – GrS 5/77, BStBl. II 1979, 570. Der Vorlagefall betraf zwar einen Haftungsfall. Der GrS betont aber ausdrücklich, dass für die Rechtsfrage, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt oder nicht, für die Haftungsinanspruchnahme in gleicher Weise wie für die Verlängerung der Festsetzungsfrist stellt. 31 BFH v. 2. 4. 1998 – V R 60/97, BStBl. II 1998, 529 (zu § 169 AO und Schuldausschließung nach § 20 StGB wegen Unzurechnungsfähigkeit); BFH v. 18. 12. 1986 – I B 49/86, BStBl. II 1988, 213 (zu § 169 und zu § 173 Abs. 2 AO und zu einem unvermeidbaren Verbotsirrtum). 32 Vgl. insoweit BFH v. 4. 5. 2004 – VII R 64/03, BFH/NV 2004, 1516; v. 23. 3. 1982 – VI R 68/81 BFHE 135, 563; v. 30. 10. 1990 – VII R 18/88, BFH/NV 1991, 721; v. 31. 1. 1989 – VII R 77/86, BFHE 156, 30 und v. 20. 7. 1999 – VII R 85/98, BFHE 189, 244. 33 Vgl. BFH v. 31. 7. 1996 – XI R 74/95, BStBl. II 1997, 157; v. 14. 12. 1994 – XI R 80/92, BStBl. II 1995, 293 = BFHE 176, 308.
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behaltlich dessen, dass die Finanzbehörde nicht als Strafverfolgungsbehörde im Rahmen der §§ 385 ff. AO tätig wird. Im Besteuerungsverfahren stehen ihr die Ermittlungsbefugnisse nach der StPO und nach den §§ 399, 402, 404 AO gerade nicht zu. Entscheidungen nach den §§ 70, 71, 235 AO sowie unter Berücksichtigung von § 169 Abs. 1 S. 2 und § 173 Abs. 2 S. 1 AO ergehen aber im normalen Besteuerungsverfahren und nicht im Steuerstrafverfahren. Auch soweit die Finanzbehörde im Rahmen des normalen Besteuerungsverfahrens mithin steuerstrafrechtliche Vorfragen bei den §§ 70, 71, 169 Abs. 2 S. 2, 173 Abs. 2 und 235 AO zu entscheiden hat, kann und darf sie nur von den Ermittlungsbefugnissen der AO Gebrauch machen. Entsprechendes gilt auch für das Finanzgericht. Soweit dieses nach § 74 FGO den Sachverhalt zu ermitteln hat, kann es ebenfalls nur von den in der FGO vorgesehenen Ermittlungsbefugnissen Gebrauch machen. Im Ergebnis ist es mithin auf die Ermittlungsbefugnisse der AO unter Ausschluss strafprozessualer Ermittlungsbefugnisse verwiesen. Soweit die Finanzbehörde und gegebenenfalls das Finanzgericht über das Vorliegen einer Steuerhinterziehung als Vorfrage zu entscheiden haben, ist allerdings strittig, ob hier entsprechend § 261 StPO unter Beachtung des Grundsatzes in dubio pro reo zu entscheiden ist oder ob uneingeschränkt nur die Beweisgrundsätze nach der Abgabenordnung anzuwenden sind. Für die Entscheidung des Finanzgerichtes ordnet § 96 FGO zunächst in Übereinstimmung mit § 261 StPO an, dass das Finanzgericht – wie das Strafgericht – nach seiner freien Überzeugung entscheidet. Allerdings wird sodann die sinngemäße Anwendung der §§ 158, 160 und 162 AO vorgeschrieben. Von der im Strafverfahren für § 261 StPO vorausgesetzten Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo bei der Beweiswürdigung kann ersichtlich für im Besteuerungsverfahren zu treffende Sachverhaltsfeststellungen nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Weder der Steuerschuldner noch ein etwaiger Haftungsschuldner sind im Besteuerungsverfahren Angeklagte. Es stellt sich allerdings die Frage, ob dieser Grundsatz nicht im Rahmen der Beweiswürdigung durch das Finanzgericht und schon vorher durch die Finanzbehörde gelten muss, wenn diesen die Vorfragenkompetenz zukommt, darüber zu entscheiden, ob wegen des Vorliegens einer Steuerhinterziehung besondere Maßnahmen im Rahmen des Besteuerungsverfahrens zulässig sind, etwa eine Haftung nach § 71 AO oder die Festsetzung von Hinterziehungszinsen. Da insoweit im Besteuerungsverfahren eine genuin strafrechtliche Vorfrage zu entscheiden ist, liegt immerhin nahe, hier denselben Grad der Gewissheit für die Entscheidung der Vorfrage zu verlangen, wie in einem echten Strafprozess. Dementsprechend hatte der BFH zunächst auch bejaht, dass bei der Sachverhaltswürdigung, soweit das Vorliegen einer Steuerhinterziehung in Betracht komme, der strafprozessuale Grundsatz des in dubio pro reo auch im Be487
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steuerungsverfahren zu beachten sei34. Der Große Senat hat diese Frage jedoch verneint35. Der Große Senat führt insoweit aus, dass die Prüfung, ob die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung vorliegen, nicht nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, sondern nach den Vorschriften der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu erfolgen habe. Denn es handele sich lediglich um eine strafrechtliche Vorfrage im Rahmen einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Steuerverwaltungsaktes. Der Große Senat folgte daher nicht der Auffassung des V. Senats, die Steuerbehörde und das FG müssten bei ihrer Entscheidung „die Grundsätze des Strafverfahrensrechts“ beachten. Zur geforderten Beachtung des Grundsatzes in dubio pro reo im Besteuerungsverfahren vertritt der Große Senat die Auffassung, dass damit lediglich zum Ausdruck gebracht werde, dass die Finanzbehörde die objektive Beweislast36 für das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale der strafbaren Handlung trägt. Dies bedeute aber keine Übernahme von Grundsätzen des Strafverfahrensrechts, sondern lasse sich schon daraus ableiten, dass im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die Tatsachen, die den Steueranspruch begründen, beim Steuergläubiger liege. Daher sei für die Feststellung der Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei, die nach § 76 Abs. 1 S. 1 und 5 FGO von Amts wegen zu treffen sei, kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das Finanzamt (FA) die objektive Beweislast (Feststellungslast) trage. Diesen Ausführungen des Großen Senates ist hinsichtlich der Nichtanwendung der StPO zu folgen. Es kann nicht in Betracht kommen, dass im Besteuerungsverfahren oder im Verfahren vor den Finanzgerichten die StPO anzuwenden ist, sei es für die Ermittlungsbefugnisse, sei es für die Beweiswürdigung. Soweit der Finanzbehörde und dem Finanzgericht die Vorfragenkompetenz zukommt, Feststellungen zum Vorliegen einer Steuerhinterziehung zu treffen, können auch diese Feststellungen nur entsprechend den für die AO und die FGO geltenden Verfahrensgrundsätzen getroffen werden. Denn dieses sind die maßgeblichen Verfahrensordnungen für die Finanzbehörden und die Finanzgerichte, soweit sie im Besteuerungsverfahren tätig werden. Eine Verweisung auf strafprozessuale Grundsätze der StPO lässt sich weder der AO noch der FGO entnehmen, soweit nicht die Finanzbehörden nach § 385 ff. AO als Strafverfolgungsbehörden tätig werden. Dann aber besteht auch keine Zuständigkeit der Finanzgerichte mehr, sondern nur noch die Zuständigkeit der Strafgerichte.
__________ 34 BFH v. 10. 10. 1972 – VII R 117/69, BStBl. II 1973, 68. 35 BFH v. 5. 3. 1979 – GrS 5/77, BStBl. II 1979, 570. 36 GrS 5/77, a. a. O. (Fn. 35) unter Hinweis auf Urteile zur Feststellungslast: BFH v. 24. 6. 1976 – IV R 101/75, BStBl. II 1976, 562; v. 5. 11. 1970 – V R 71/67, BStBl. II 1971, 220; v. 20. 1. 1978 – VI R 193/74, BStBl. II 1978, 338.
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Nach alledem ist festzustellen, dass die Geltung des Grundsatzes des in dubio pro reo im Besteuerungsverfahren nicht auf eine Anwendung von Normen der StPO gestützt werden kann. Dies gilt auch dann, wenn ausnahmsweise im Besteuerungsverfahren über die strafrechtliche Vorfrage des Vorliegens einer Steuerhinterziehung zu entscheiden ist. Daraus müssen sich allerdings keine geringeren Schutzwirkungen als im Strafverfahren selbst ergeben. Denn für die Feststellung des Vorliegens einer Steuerstraftat im Besteuerungsverfahren gibt es keine speziellen Beweiserleichterungsregeln. Namentlich sind die §§ 158, 160 und 162 AO insoweit schon inhaltlich auch nicht sinngemäß anwendbar. Dies gilt nicht nur selbstverständlich für den subjektiven Tatbestand des Vorsatzes sowie die Feststellung der Schuld, sondern auch schon für den objektiven Tatbestand der Steuerverkürzung nach § 370 AO. Von daher steht nichts entgegen, im Rahmen der von § 96 FGO verlangten Entscheidung nach der freien Überzeugung des Gerichts dieselben Maßstäbe anzuwenden wie sie im Strafverfahren nach § 261 StPO maßgeblich sind. Denn dieser stellt ebenfalls auf die freie Überzeugung des Strafgerichtes ab. Immerhin könnte aber aber zweifelhaft erscheinen, ob nicht der jeweils verlangte subjektive Überzeugungsgrad bei § 261 StPO und § 96 FGO unterschiedlich ist. Da allerdings Art. 6 EMRK, namentlich die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK, auch auf das finanzgerichtliche Verfahren anwendbar ist, soweit über die Vorfrage des Vorliegens einer Steuerstraftat zu entscheiden ist (dazu unter IV.), ergibt sich daraus, dass der Grundsatz in dubio pro reo seinem materiellen Inhalt nach auch im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 96 FGO durch die Finanzgerichtsbarkeit in gleicher Weise wie von Strafgerichten zu beachten ist37, so dass es einer Berufung auf Grundsätze der StPO nicht bedarf.
III. Einbettung der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK in die deutsche Rechtsordnung 1. Bedeutung der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR in der deutschen Rechtsordnung Die EMRK ist zunächst einmal ein multinationaler völkerrechtlicher Vertrag. Die Bundesrepublik hat die EMRK als einer der ersten Staaten bereits 1952 ratifiziert38. Nach der Bekanntmachung vom 15. 12. 1953 ist die EMRK
__________ 37 Dies bejaht im Ergebnis bereits ohne Rückgriff auf Art. 6 Abs. 2 EMRK zutreffend BFH v. 14. 8. 1991 – X R 86/88, BStBl. II 1992, 128; zur Geltung des Grundsatzes des in dubio pro reo für unter Art. 6 Abs. 2 EMRK fallende „Strafverfahren“ vgl. EGMR v. 20.1 2001 – Appl. no. 33501/96 (Telfner v. Austria); EGMR v. 6. 12. 1988 (Barberà, Messegué and Jabardo v. Spain), Series A no. 146, pp. 31 and 33. 38 Gesetz v. 7. 8. 1952, BGBl. II, 685, 953.
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für die Bundesrepublik am 3. 9. 1953 in Kraft getreten39. Bereits 1955 anerkannte Deutschland auch das Individualbeschwerderecht40. Durch die Zustimmung des Bundesgesetzgebers gilt die Konvention innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Range eines einfachen Gesetzes41. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht zutreffend aus der völkerrechtlichen Verbindlichkeit für die Bundesrepublik besondere Konsequenzen auch hinsichtlich der innerstaatlichen Bedeutung und der daraus folgenden Anwendung für sämtliche staatliche Organe abgeleitet. Auf der Ebene des Verfassungsrechtes geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gewährleistungen der Konvention die Auslegung der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes beeinflussen, allerdings nicht zu einer Minderung des Grundrechtsschutzes führen dürfen. Auf diesem Wege wird gegebenenfalls mittelbar auch der Weg zu einer Verfassungsbeschwerde wegen Nichtbeachtung der Gewährleistungen der Konvention eröffnet. Auf der Ebene der einfachen Gesetzesanwendung sind Gerichte und Verwaltungsbehörden zur Beachtung der Gewährleistungen der Konvention schon wegen des innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls nach Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet. Im Rahmen der ihnen nach dem Grundgesetz zugewiesenen Kompetenzen sind sie daher verpflichtet, die Gewährleistungen der Konvention im Rahmen vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen. Schon dadurch wird sich regelmäßig vermeiden lassen, dass es zu einem völkerrechtlichen Verstoß der Bundesrepublik wegen Nichtbeachtung der Konvention kommt42. Gesetze sind danach im Rahmen zulässiger Gesetzesauslegung so auszulegen, dass sie nicht in Widerspruch zu den Gewährleistungen der Konvention stehen. Soweit sich allerdings ein durch Gesetzesauslegung nicht behebbarer Widerspruch zu den konventionsrechtlichen Gewährleistungen ergibt, sind weder Gerichte noch Verwaltungsbehörden nach der innerstaatlichen Kompetenzanordnung befugt, das widersprechende Gesetz einfach nicht zu beachten. Gerichte müssten dann dieses Gesetz dem Bundesverfassungsgericht im Wege der Normenkontrolle vorlegen wegen Verstoßes gegen das jeweilige Grundrecht, dessen Auslegung durch die Berücksichtigung der Konventionsgewährleistungen beeinflusst wird. Die zur Konvention ergangenen Urteile des EGMR haben eine besondere Bedeutung zunächst für das Konventionsrecht als Völkervertragsrecht. Aus ihnen ergibt sich der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention. Die Urteile sind daher auch für die innerstaatliche Auslegung der Konvention zu be-
__________ 39 BGBl. II 1954, 14. 40 Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, S. 3. 41 BVerfG v. 14. 10. 2004 – 2 BvR 1481/04, JZ 2004, 1171 mit Anm. Klein, JZ 2004, 1176 (dort auch zur hier nicht weiter interessierenden Kontroverse zwischen Transformationstheorie und Vollzugslehre, der das BVerfG gerade ausgewichen ist). 42 Klein, a. a. O. (Fn. 41).
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rücksichtigen. Dies folgt schon daraus, dass nur dadurch ein zukünftiger völkerrechtlicher Konventionsverstoß vermieden werden kann. Die Urteile des EGMR sind daher im Rahmen der den Gerichten und Verwaltungsbehörden zugewiesenen Kompetenz zur Auslegung und Anwendung der Gesetze von diesen zu beachten. Soweit die Bundesrepublik an einem Verfahren als Partei beteiligt war und ein Konventionsverstoß festgestellt worden ist, ist die Bundesrepublik verpflichtet, den Konventionsverstoß zu beenden und möglichst den ohne die Konventionsverletzung bestehenden Zustand wieder herzustellen43. 2. Die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK in der Rechtsprechung des BVerfG Unter Berufung auf seine frühere Rechtsprechung44 führt das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 26. 3. 198745 zur Bedeutung von Art. 6 Abs. 2 der EMRK aus, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Range eines Bundesgesetzes sei. Als solches genieße Art. 6 Abs. 2 EMRK zwar nicht Verfassungsrang. Die Unschuldsvermutung sei aber Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips des Grundgesetzes. Insoweit führe eine Verletzung der Unschuldsvermutung ungeachtet des nur einfachen Gesetzesranges von Art. 6 Abs. 2 EMRK auch zu einem Verstoß gegen das grundgesetzlich verbürgte Rechtsstaatsprinzip. Dieser Verstoß könne jedenfalls über Art. 2 GG in Verbindung mit Art. 20 GG auch mit der Verfassungsbeschwerde durch den Einzelnen gerügt werden. Zur Feststellung des Inhaltes des grundgesetzlich verbürgten Rechtsstaatsprinzips hinsichtlich der Unschuldsvermutung bezieht sich das Bundesverfassungsgericht auf den Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 EMRK46. Bei der Auslegung des Grundgesetzes seien Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK zu berücksichtigen. Deshalb müsse die Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes herangezogen werden. Gesetze – das Bundesverfassungsgericht verweist als Beispiel auf die Strafprozessordnung – seien im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflich-
__________ 43 BVerfG v. 14. 10. 2004, a. a. O. (Fn. 41) verweist dazu auf die unterschiedlichen Möglichkeiten für Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und Verwaltung im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeiten. Darauf ist hier nicht näher einzugehen. 44 BVerfG v. 26. 3. 1987 – 2 BvR 589/79; 2 BvR 740/812; 2 BvR 284/85, BVerfGE 74, 358 zitiert insoweit BVerfGE 19, 342 (347); 22, 254 (265); 25, 327 (331); 35, 311 (320). 45 BVerfG v. 26. 3. 1987 – 2 BvR 589/79; 2 BvR 740/812; 2 BvR 284/85, BVerfGE 74, 358. 46 So bereits BVerfGE 35, 311 (320) zit. nach BVerfG v. 26. 3. 1987, a. a. O. (Fn. 44).
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tungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, selbst wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag. Es könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen wolle. Aus dem Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden dürfe, folge die Aufgabe des Strafprozesses, den Strafanspruch des Staates in einem justizförmig geordneten Verfahren durchzusetzen. Dies gewährleiste eine wirksame Sicherung der Grundrechte des Beschuldigten47. Dem Täter müssten deshalb Tat und Schuld nachgewiesen werden. Bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld werde seine Unschuld vermutet. Die Unschuldsvermutung stehe in engem Zusammenhang mit dem Recht des Beschuldigten, den staatlichen Strafanspruch in einem rechtsstaatlichen, fairen Verfahren abzuwehren und sich zu verteidigen. Sie sei die selbstverständliche Folge eines nach Inhalt und Grenzen durch das Gebot der Achtung der Menschenwürde bestimmten, auf dem Schuldgrundsatz aufbauenden materiellen Strafrechts48. Die Unschuldsvermutung erzwinge so ein prozessordnungsgemäßes Verfahren zum Beweis des Gegenteils, bevor wegen eines Tatvorwurfes Entscheidungen getroffen werden, die die Feststellung von Schuld erfordern. Sie schütze den Beschuldigten auch vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen sei. Nach allem verbiete die Unschuldsvermutung zum einen, im konkreten Strafverfahren ohne gesetzlichen, prozessordnungsgemäßen – nicht notwendiger Weise rechtskräftigen – Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen und ihn verfahrensbezogen als schuldig behandeln; zum anderen verlange sie den rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor dem Verurteilten diese im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden dürfe49. Die Unschuldsvermutung als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips enthalte allerdings – wie auch das Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren – keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote; ihre Auswirkungen auf das Verfahrensrecht bedürften vielmehr der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dies sei grundsätzlich Sache des Gesetzgebers.
__________ 47 BVerfG v. 26. 3. 1987, a. a. O. (Fn. 44) unter Hinweis auf BVerfGE 57, 250 (275). 48 BVerfG v. 26. 3. 1987, a. a. O. (Fn. 44) unter Hinweis auf Sax, in: Bettermann/ Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. 3, 1959, S. 987 und Vogler, in: FS Kleinknecht, 1985, S. 429 (436). 49 BVerfG v. 26. 3. 1987, a. a. O. (Fn. 44) unter Hinweis auf BVerfGE 19, 342 (347); 35, 311 (320).
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Das Bundesverfassungsgericht hat diese Grundsätze in späteren Entscheidungen immer wieder bestätigt50. Zusammenfassend kann unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes festgehalten werden: Die in Art. 6 Abs. 2 EMRK niedergelegte Unschuldsvermutung gilt zwar aufgrund der Umsetzung der EMRK nur als einfaches Gesetz. Es besteht aber die Vermutung, dass die Bundesrepublik ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Beachtung der EMRK auch nachkommen will. Schon von daher sind einfache Gesetze im Rahmen zulässiger Gesetzesauslegung so auszulegen, dass die Bundesrepublik nicht durch die Gesetzesanwendung gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verstößt. Da zur Auslegung der EMRK primär der EGMR berufen ist, ist es auch die Pflicht jeglichen deutschen Gerichtes und jeglicher deutscher Verwaltungsbehörde, die Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung der EMRK bei der völkerrechtskonformen Auslegung und Anwendung der deutschen Gesetze zu beachten. Das Bundesverfassungsgericht sieht zutreffend die Unschuldsvermutung als Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten Rechtsstaatsprinzipes an. Insoweit ist die Unschuldsvermutung auch verfassungsrechtlich verbürgt und zu beachten. Auch deshalb ist jede Verwaltungsbehörde und jedes Gericht im Rahmen seiner Zuständigkeit zu einer – allerdings die Grenzen zulässiger Auslegung beachtenden – verfassungskonformen Auslegung des betreffenden Gesetzes verpflichtet. Wird dies nicht beachtet und ist der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft, kann der EGMR im Wege der Individualbeschwerde angerufen werden. Schon dies gebietet, wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend betont, dass Gesetze unter Beachtung der Verpflichtungen aus der EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EGMR ausgelegt werden.
IV. Reichweite und Inhalt der Unschuldvermutung für das Besteuerungsverfahren 1. Ausschluss der Anwendung der Gewährleistungen des Art. 6 EMRK für das Besteuerungsverfahren Art. 6 Abs. 2 der EMRK bestimmt: „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig“. In den allein authentischen englischen und französischen Fassungen lautet er:
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50 BVerfG v. 2. 5. 1990 – 2 BvR 254/88 und 1343/88, BVerfGE 82, 106; v. 21. 4. 1993 – 2 BvR 1706/92, NJW 1994, 377; v. 15. 3. 1993 – 2 BvR 140/93, ZAP EN-Nr 432/93; v. 29. 6. 1995 – 2 BvR 1342/95; v. 7. 2. 2002 – 2 BvR 1342/95; v. 19. 8. 1987 – 2 BvR 815/84 –, NStZ 1988, S. 84; v. 12. 11. 1991 – 2 BvR 281/91 –, NStZ 1992, 238; v. 25. 11. 1991 – 2 BvR 1056/90 –, NJW 1992, S. 2011; v. 16. 12. 1991 – 2 BvR 1590/89 und 2 BvR 1542/90, NJW 1992, 1611; v. 16. 1. 1991 – 1 BvR 1326/90, NJW 1991, 1530; v. 21. 4. 1993 – 2 BvR 1706/92, NJW 1994, 377.
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„Everyone charged with a criminal offence shall be presumed innocent until proved guilty to law“, respektive „Toute personne acusée d’une infraction est presumée innocente jusqu’à ce que sa culpabilitè ait été legalement établie“. Art. 6 Abs. 1 EMRK garantiert für Streitigkeiten in Bezug auf zivilrechtliche Ansprüche (in the determination of his civil rights/des contestation sur ses droits et obligations de charactère civil) und über eine „gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage“ (any criminal charge against him/ toute accusation en matière pénale dirigée contre elle) ein unabhängiges Gericht und ein faires Verfahren innerhalb angemessener Zeit. Art. 6 Abs. 3 enthält weitere prozessuale Garantien in einem Strafverfahren, u. a. zur Wahl eines Verteidigers, zum Fragerecht an Belastungszeugen. Sowohl die systematische Anordnung der Unschuldsvermutung in Art. 6 Abs. 2 der EMRK als auch die Bezugnahme darauf, dass die Person einer Straftat „angeklagt“ sein müsse (charged with a criminal offence) legt nahe, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK nur Anwendung finden kann, wenn auch im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK eine „strafrechtliche Anklage“ (criminal charge) vorliegt. Auch der EGMR sieht in der in Art. 6 Abs. 2 EMRK niedergelegten Unschuldsvermutung primär eine besondere Ausprägung des von Art. 6 Abs. 1 EMRK verlangten fairen Strafverfahrens51. a) Zum zeitlichen Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 EMRK Unter Zugrundelegung des strafprozessualen rechtstechnischen Begriffes der Anklageerhebung in der deutschen Rechtsordnung würde sich die Anwendung des Art. 6 EMRK insgesamt auf im Besteuerungsverfahren zu treffende Entscheidungen daher jedenfalls immer schon dann verbieten, wenn zeitlich noch keine strafrechtliche Anklage gemäß §§ 151, 170 StPO durch die Staatsanwaltschaft erhoben worden ist. Darüber hinausgehend könnte die Unschuldsvermutung auch nach Beendigung des Strafverfahrens keine Wirkung mehr entfalten, denn dann ist die betreffende Person nicht mehr angeklagt. Es versteht sich aber, dass Art. 6 EMRK einschließlich der dort verwendeten Begriffe nicht unter dem Aspekt rechtstechnischer Begriff der deutschen StPO ausgelegt werden darf. Dies schon deshalb nicht, weil nur die englische und französische Fassung authentisch sind. Es bedarf aber auch nicht der Untersuchung, welche rechtstechnische Bedeutung den Begriffen charged with a criminal offence, respektive accusée d’une infraction im englischen, respektive französischen Recht zukommt. Dies verbietet sich angesichts des internationalen Charakters der EMRK. Vielmehr bedarf es erkennbar einer gegenüber den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen autonomen Ausle-
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51 EGMR v. 23. 7. 2002 – Appl. no. 36985/97 (Vesterbärga Taxiaktiebolag and Vulic v. Sweden) und Appl. no. 34619/97 (Janosevic v. Sweden) unter Berufung auf Bernard v. France judgment of 23 April 1998, Reports 1998-II, p. 879, § 37; vgl. auch bereits EGMR v. 25. 1. 1984 – Appl. no. 8544/79 (Öztürk v. Germany) unter Hinweis auf EuGH v. 8. 6. 1976 (Engel and others), Series A no. 22, p. 34.
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gung hinsichtlich des Anwendungsbereiches des Art. 6 EMRK, soweit dieser auf eine strafrechtliche Anklage abstellt. Dies auch deshalb, weil die Anwendung der Konvention nicht von der jeweiligen nationalen Definition des Strafverfahrens und der Anklageerhebung in einem solchen abhängig gemacht werden darf52. Für den zeitlichen Anwendungsbereich der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK ist insoweit ohne weiteres festzustellen, dass die Unschuldsvermutung auch bereits vor Erhebung der öffentlichen Anklage eingreifen muss. Denn unbestritten liegt der Sinn der Unschuldsvermutung zumindest darin, den möglichen Straftäter bis zu einem verurteilenden Erkenntnis vor der Verhängung von endgültigen Sanktionen zu bewahren und ihm unvoreingenommene Richter, die über seine Schuld zu urteilen haben, zu sichern. Diese Garantie könnte leicht umgangen werden, wenn der Schutz erst nach öffentlicher Anklageerhebung eingriffe53. Zutreffend wendet daher der EGMR Art. 6 Abs. 2 EMRK in zeitlicher Hinsicht unabhängig davon an, ob bereits eine öffentliche Anklage erhoben wurde oder nicht, so etwa, wenn Strafverfolgungsbehörden einen Verdächtigen bereits in der Öffentlichkeit als schuldigen Straftäter bezeichnen. In diesem Zusammenhang betont der EGMR ausdrücklich, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht nur verletzt wird, wenn Strafverfolgungsbehörden im engeren Sinne oder gar Mitglieder des aburteilenden Strafgerichtes jemanden vor dem Urteil als einer Straftat schuldig bezeichnen, sondern erstreckt die Garantie der Unschuldsvermutung auf jegliche Äußerungen zur Schuld seitens staatlicher Organe einschließlich der Sprecher des Parlamentes54 und von Kabinettsmitgliedern, jedenfalls dann, wenn die Äußerungen im Zusammenhang mit einer möglichen Strafverfolgung stehen55. Umgekehrt endet der Schutzbereich der Unschuldsvermutung auch nicht mit der Beendigung des Strafverfahrens, sei es durch Freispruch oder anderweitige Nichtverfolgung56. Es versteht sich, dass dann erst recht keine strafrechtlichen Sanktionen mehr ergriffen werden dürfen. Die Gefahr einer Beeinflussung der Richter besteht zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr, sieht man von einer eventuellen Wiederaufnahme der Strafver-
__________ 52 EGMR v. 25. 1. 1984 – Appl. no. 8544/79 (Öztürk v. Germany) unter Hinweis auf EGMR v. 8. 6. 1976 (Engel and others), Series A no. 22, p. 34. 53 Vgl. insoweit ausdrücklich EGMR v. 25. 1. 1984 – Appl. no. 8544/79 (Öztürk v. Germany), wonach jede Bekanntgabe durch eine kompetente Autorität über eine Anschuldigung genügt. 54 Vgl. EGMR v. 26. 2. 2002 – Appl. no. 48297/99(Butkevicius v. Lithuania) unter Hinweis auf Daktaras v. Lithuania, no. 42095/98, ECHR 2000-X. 55 EGMR v. 23. 1. 1995 – no. 3/1994/450/529 (Allenet de Ribemont c. France). Zur Problematik der Garantie der Pressefreiheit und ihrer Einschränkung zum Schutze der Unschuldsvermutung vgl. EGMR v. 11. 1. 2000 – Appl. no. 31457/96, veröffentlicht in Medien und Recht 2000, 221. 56 So ausdrücklich EGMR v. 23. 1. 1995, a. a. O. (Fn. 52) unter Hinweis auf Sekanina c. Autriche v. 25. 8. 1993, série A n° 266-A und Lutz, Englert und Nölkenbockhoff c. Allemagne v. 25. 8. 1987, série A nos 123-A, 123-B et 123-C.
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folgung ab. Erkennbar sieht der EGMR die Bedeutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK insoweit auch darin, dem Betreffenden eine Persönlichkeitsschutz dahingehend zu gewähren, dass jedenfalls von staatlichen Organen nicht mehr der Vorwurf erhoben werden darf, der Täter habe sich einer Straftat schuldig gemacht. Unklar ist allerdings insoweit, ob noch ein und gegebenenfalls welcher Zusammenhang mit einem abgeschlossenen Strafverfahren bestehen muss. b) Steuerstreitigkeiten keine zivilrechtlichen Streitigkeiten Ebenso wie der Begriff der „strafrechtlichen Anklage“ im Sinne des Art. 6 einschließlich des Art. 6 Abs. 2 EMRK autonom auszulegen ist, bedarf es einer autonomen Auslegung des Begriffes der zivilrechtlichen Streitigkeit57. Der EGMR vertritt insoweit zutreffend die Auffassung, dass eine autonome Auslegung schon deshalb geboten sei, weil die prozessualen Garantien des Art. 6 nicht davon abhängig gemacht werden dürften, wie nach der jeweils anwendbaren Rechtsordnung die Abgrenzung zwischen Zivilrechtsstreitigkeiten und öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vorzunehmen sei. Erkennbar legt der EGMR den Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeiten im Vergleich etwa zum deutschen Recht weit aus. Als grobe Linie lässt sich feststellen, dass er bei vermögensrechtlichen Sekundäransprüchen, namentlich auf Schadensersatz in Geld, die gegen den Staat geltend gemacht werden, zur Annahme einer zivilrechtlichen Streitigkeit tendiert, mögen diese auch ihre Grundlage in öffentlich-rechtlichen Rechtspositionen haben58. Darauf ist hier nicht näher einzugehen. Von Bedeutung ist jedoch, dass der EGMR in ständiger Rechtsprechung59, wenn auch unter erheblicher Kritik durch abweichende Voten des Gerichtshofes60, entschieden hat und daran festhält61, dass Steuerrechtsstreitigkeiten in keinem Falle als zivilrechtliche
__________ 57 EGMR v. 12. 7. 2001 – Appl. no. 44759/98 (Ferrazzini v. Italy), NJW 2002, 3453 unter Hinweis auf die früheren Entscheidungen König v. Germany v. 28. 7. 1978, Series A no. 27 und Baraona v. Portugal v. 8. 7. 1987, Series A no. 122. 58 EGMR v. 12. 7. 2001, a. a. O. (Fn. 57) unter Hinweis auf die früheren Entscheidungen Ringeisen v. Austria, v. 16.7 1971, Series A no. 13; Sporrong and Lönnroth v. Sweden v. 23. 9. 1982, Series A no. 52; Allan Jacobsson v. Sweden v. 25. 10. 1989, Series A no. 163; Benthem v. the Netherlands v. 23. 10. 1985, Series A no. 97; Tre Traktörer AB v. Sweden v. 7.1989, Series A no. 159, 43. Zu Sozialhilfeansprüchen siehe auch Feldbrugge v. the Netherlands v. 29. 5. 1986, Series A no. 99; Deumeland v. Germany v. 29. 5. 1986, Series A no. 100; Salesi v. Italy v. 26.2 1993, Series A no. 257-E. 59 EGMR v. 12. 7. 2001 – Appl. no. 44759/98 (Ferrazzini v. Italy), a. a. O. (Fn. 57); vgl. auch EGMR v. 24. 10. 1986 – Az. 14/1984/86/133 (Agosi v.UK), NJW 1989, 3079 = EGRZ 1988, 513. 60 Vgl. abweichende Voten der Richter Lorenzen, Rozakis, Bonello, Stráñnická, Bîrsan und Fischbach in EGMR v. 12. 7. 2001, a. a. O. (Fn. 57). 61 EGMR v. 23. 7. 2002 – Appl. no. 36985/97 (Vesterbärga Taxiaktiebolag and Vulic v. Sweden) und Appl. no. 34619/97 (Janosevic v. Sweden).
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Streitigkeiten qualifiziert werden dürfen. Damit sind Entscheidungen im Besteuerungsverfahren grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK entzogen, es sei denn, sie könnten als im Rahmen einer „strafrechtlichen Anklage“ im Sinne der autonomen Auslegung von Art. 6 EMRK ergangen qualifiziert werden62. c) Anwendung des Art. 6 auf von Steuerbehörden verhängte „Sanktionen“ in der Rechtsprechung des EGMR Im Zusammenhang mit der Festsetzung von Hinterziehungszinsen gegen die Erben nach dem Tode des Steuerpflichtigen hat der VIII. Senat des BFH die Auffassung vertreten, Art. 6 Abs. 2 der EMRK sei insoweit schon deshalb nicht anwendbar, weil die Europäische Kommission für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung die Einbeziehung steuerrechtlicher Verfahren – abgesehen von Steuerstrafverfahren – in den Schutzbereich des Art. 6 abgelehnt habe63. Dies wäre jedenfalls insoweit eine unzutreffende Begründung, wenn damit gemeint sein sollte, in den Anwendungsbereich des Art. 6 fielen nur solche Maßnahmen, respektive ihre Unterlassung, die sich nach deutschem Verständnis als in einem Steuerstrafverfahren getroffene Entscheidungen darstellen. Denn aus der Rechtsprechung des EGMR ergibt sich gerade im Gegenteil, dass Maßnahmen im Steuerverwaltungsverfahren zwar nicht unter dem Aspekt der zivilrechtlichen Streitigkeit unter Art. 6 EMRK fallen, sehr wohl aber unter den – aus nationaler Perspektive betrachtet – weit zu verstehenden Begriff der „strafrechtlichen Anklage“ fallen können. Insoweit hat der EGMR ausdrücklich im Steuerverwaltungsverfahren wegen unzutreffender Steuererklärungen festgesetzte Geldbußen, respektive Zuschläge zur regulär geschuldeten Steuer als „Strafen“ im Sinne des Art. 6 EMRK qualifiziert und daher auch die Gewährleistungen des Art. 6 im Grundsatz für anwendbar erachtet. Der EGMR hat insoweit zu entsprechenden von den Steuerbehörden festgesetzten Fiskalstrafen Frankreichs64 (pénalités fiscales), gegen Erben festgesetzte Geldstrafen/Geldbußen (fines)
__________ 62 Zu dieser Differenzierung grundlegend: EGMR v. 12. 7. 2001 – Appl. no. 44759/98 (Ferrazzini v. Italy), NJW 2002, 3453 und EGMR v. 24. 2. 1994 – no. 3/1993/398/ 476 (Bendenoun c. France), série A no 284; vgl. auch EGMR v. 23. 7. 2002 – Appl. no. 36985/97 (Vesterbärga Taxiaktiebolag and Vulic v. Sweden) und Appl. no. 34619/97 (Janosevic v. Sweden); EGMR v. 20. 7. 2004 – Appl. no. 41265/98 (Manasson v. Sweden). 63 BFH v. 27. 8. 1991 – VIII R 84/89, BStBl. II 1992, 9 unter Berufung auf Mössner, Internationale Menschenrechte und Steuern, StuW 1991, 224 sowie Frowein/ Peukert, Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1985, Art. 6 Rz. 111 ff. 64 EGMR v. 9. 12. 2004 – requete no. 55704/00 (Rega c. France) und grundlegend EGMR v. 24. 2. 1994 – no. 3/1993/398/476 (Bendenoun c. France), série A no 284, p.20.
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der Schweiz65 sowie wegen unkorrekter Steuererklärungen erhobenen Steuerzuschlägen (tax surcharges) Schwedens66 entschieden. Daher findet Art. 6 EMRK einschließlich Art. 6 Abs. 2 EMRK zweifellos auch auf das Bußgeldverfahren bei Verhängung von Geldbußen wegen Steuerordnungswidrigkeiten nach § 377 ff. AO Anwendung, wie der EGMR eingehend zu Geldbußen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten begründet hat67. Der II. Senat des BFH hat die Entscheidung des VIII. Senates daher zutreffend dahingehend eingeschränkt, dass damit lediglich ausgesagt werden sollte, dass der Festsetzung von Hinterziehungszinsen gegen die Erben auch bei weiter Auslegung kein Strafcharakter im Sinne der Art. 6 und 7 EMRK68 zukomme. Sie unterfalle nicht dem Begriff der „strafrechtlichen Anklage“ im Sinne des Art. 669. Dies gilt es anhand der Rechtsprechung des EGMR zu hinterfragen. 2. Unschuldsvermutung und strafrechtliche Schuldfeststellung im Besteuerungsverfahren a) Schuldfeststellung nach rechtskräftigem Freispruch im Strafverfahren aa) Keine Begrenzung auf Verhängung von Maßnahmen mit Strafcharakter Soweit ersichtlich, hatte der BFH bisher noch nicht ausdrücklich zu entscheiden, ob auch nach einem Freispruch im Strafverfahren von den Steuerbehörden und Finanzgerichten im Besteuerungsverfahren als Vorfrage für die dort zu treffende Entscheidung ohne Verletzung des Art. 6 Abs. 2 EMRK festgestellt werden darf, dass der Freigesprochene eine strafbare Steuerhinterziehung begangen hat. Allerdings legen die Ausführungen zur Nichtanwendbarkeit des Art. 6 EMRK eine solche Schlussfolgerung nahe. Denn der BFH bezieht sich insoweit primär darauf, dass Entscheidungen im Besteuerungsverfahren von den Wirkungen her kein Strafcharakter im Sinne der EMRK zukomme70.
__________ 65 EGMR v. 29. 8. 1997 – no. 75/1966/694/886 (E. L, R. L, J. O – L. v. Switzerland) und v. 29. 8. 1997 – no. 71/1996/690/882 (A. P., M. P. and T. P v. Switzerland). 66 EGMR v. 23. 7. 2002 – Appl. no. 36985/97 (Vesterbärga Taxiaktiebolag and Vulic v. Sweden) und Appl. no. 34619/97 (Janosevic v. Sweden). 67 EGMR v. 25. 1. 1984 – Appl. no. 8544/79 (Öztürk v. Germany). 68 Art. 7 EMRK enthält den Grundsatz „Keine Strafe ohne (vorheriges) Gesetz“. Er entspricht im Kern Art. 103 Abs. 2 GG. 69 BFH v. 1. 8. 2001 – II R 48/00, HFR 2002, 278; vgl. so auch bereits FG München v. 22. 2. 1988 – XIII-30/86, EFG 1988, 545 bestätigt durch BFH v. 12. 5. 1992 – VIII R 33/80, BFH/NV 1992, 793; BFH v. 14. 8. 1991 – X R 86/88, BStBl. II 1992, 128. 70 BFH v. 27. 8. 1991 – VIII R 84/89, BStBl. II 1992, 9; BFH v. 1. 8. 2001 – II R 48/00, HFR 2002, 278; vgl. so auch bereits FG München v. 22. 2. 1988 – XIII -30/86, EFG 1988, 545 bestätigt durch BFH v. 12. 5. 1992 – VIII R 33/80, BFH/NV 1992, 793.
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Das Abstellen auf den fehlenden Strafcharakter von im Besteuerungsverfahren zu treffenden Entscheidungen, die die zwingende vorherige Feststellung verlangen, dass eine strafbare Steuerhinterziehung begangen wurde, vermag als solches jedoch nicht die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 EMRK auszuschließen. Im Zusammenhang mit nach einem Freispruch erfolgten Klagen auf Kostenersatz, Entschädigungen wegen Untersuchungshaft oder sonstigen Entschädigungen wegen aus der Strafverfolgung erlittenen Schäden hat der EGMR inzwischen vielfach entschieden, dass eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 EMRK vorliegt, wenn entsprechende Klagen mit der Begründung abgewiesen werden, dass der Kläger die Straftat begangen habe71. Insoweit stellt der EGMR ausdrücklich zunächst fest, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK zeitlich auch nach Beendigung des eigentlichen Strafverfahrens weiterhin Anwendung findet. Nach einem Freispruch darf auch nicht mehr in derartigen Entschädigungsverfahren danach differenziert werden, ob ein Freispruch wegen erwiesener Unschuld oder mangels Beweises erfolgt ist72. Insbesondere stellt es auch einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK dar, wenn die Entschädigungs- oder Kostenerstattungsansprüche mit der Begründung versagt werden, es bestehe weiterhin der Verdacht, dass die Straftat begangen worden sei, respektive der Verdacht sei trotz des Freispruches nicht völlig beseitigt worden. Davon zu unterscheiden ist freilich, wie der EGMR betont, dass aus Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht eine Verpflichtung der Konventionsstaaten abgeleitet werden kann, im Falle eines Freispruches Entschädigungen wegen rechtmäßiger Strafverfolgungsmaßnahmen leisten zu müssen oder dem Angeklagten seine Kosten in vollem Umfange zu erstatten. Insoweit bleibt es zulässig, derartige Ansprüche etwa damit als unbegründet zurückzuweisen, dass die entsprechenden Strafverfolgungsmaßnahmen nach dem damaligen Stand der Ermittlungen wegen eines damals bestehenden Tatverdachtes rechtmäßig waren, nicht aber darf nach einem Freispruch ein Tatverdacht aufrechterhalten werden. Weder die Versagung einer Kostenerstattung noch einer Entschädigung haben jedoch auch bei weiter Interpretation den Charakter einer strafrechtlichen Sanktion, wie der EGMR auch ausdrücklich betont. Die Verletzung des Art. 6 Abs. 2 EMRK wird auch
__________ 71 Grundlegend EGMR v. 25. 6. 1993 – Nr. 21/1992/366/440 (Sekanina v. Austria); vgl. auch die Folgeurteile EGMR v. 21. 3. 2000 – Appl. no. 28389/95 (Rushiti v. Austria); v. 20. 12. 2001 – Appl. no. 33730/96 (Weixelbraun v. Austria); v. 17. 12. 2002 – Appl. no. 38549/97 (Vostic v. Austria); v. 5. 11. 2002 – Appl. no. 35437/97 (Demir v. Austria); v. 18. 11. 2004 – Appl. no. 69169/01 (Reinmüller v. Austria); verbundene Sachen EGMR v. 11. 2. 2003 – Appl. no. 56568/00 (Y. v. Norway), Appl. no. 30287/96 (Hammeren v. Norway), Appl. no. 29327/95 (O. v. Norway); EGMR v. 23. 10. 2003 – Appl. no. 44320/98 (Baars v. the Netherlands); v. 9. 11. 2004 – Appl. no. 44760/98 (Del Latte v. the Netherlands). 72 EGMR v. 21. 3. 2000 – Appl. no. 28389/95 (Rushiti v. Austria); v. 17. 12. 2002 – Appl. no. 38549/97 (Vostic v. Austria).
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nicht darin gesehen, dass die Versagung von Entschädigungen eine strafähnliche Maßnahme darstelle, sondern die Verletzung wird ausdrücklich und nur darin gesehen, dass trotz erfolgten Freispruches weiterhin ein Tatverdacht geäußert wird, gleichgültig ob dieser auf Begründungen bereits des vom Strafvorwurf freisprechenden Gerichtes oder auf eigene Erkenntnisse und Beweiserhebungen des über den Entschädigungsanspruch entscheidenden Gerichts gestützt wird. bb) Verbindung mit einer Strafsache Allerdings hat der EGMR die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 EMRK in diesen Fällen darauf gestützt, dass es sich bei den Kostenerstattungs- und Entschädigungsprozessen quasi um Folgeprozesse des Strafverfahrens handele und diese jedenfalls in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 EMRK einbezogen werden müssten. Dies entnahm der EGMR z. B. für die gegen Österreich entschiedenen Fälle daraus, dass die österreichische Gesetzgebung und Praxis die zwei Fragen, nämlich die nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Beschuldigten (accused) und nach einer Entschädigung so miteinander verknüpften, dass die Entscheidung über die Entschädigungsfrage als Konsequenz und Begleiterscheinung der Entscheidung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit erscheine73. Eben dies bejahte er auch in den gegen Norwegen entschiedenen Entschädigungsfällen, dabei betonend, dass der Zusammenhang sich schlicht schon daraus ergäbe, dass es sich um Klagen wegen Entschädigungen aufgrund eines gegen die Kläger durchgeführten Strafverfahrens handele74. Unter Hinweis auf frühere Entscheidungen sieht der EGMR die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 auch außerhalb eines anhängigen Strafverfahrens jedenfalls immer dann als gegeben an, wenn es um Verfahren geht, die sich quasi als Konsequenz oder Begleiterscheinung von Strafverfahren (criminal proceedings) darstellen. Dabei ist zu beachten, dass hier der weite Begriff des Strafverfahrens nach der EMRK verwendet wird, nämlich unter Anwendung folgender drei Kriterien: 1. Klassifikation bereits nach nationalem Recht als Strafverfolgung oder 2. wesentliche Natur (essential nature) des Verfahrens und/oder 3. Schwere der möglichen Sanktionen (severity of penalty). Diese Ausführungen des EGMR zum Erfordernis einer Verbindung (link) mit Strafverfolgungsmaßnahmen, respektive dass sich das Verfahren quasi als Konsequenz oder notwendige Begleiterscheinung einer „Strafverfolgung“ darstellen müsse, könnte dafür sprechen, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK deshalb nicht auf strafrechtliche Schuldfeststellungen im deutschen Besteuerungsverfahren anzuwenden ist, weil, wie ausgeführt, nach dem maßgeblichen Ver-
__________ 73 EGMR v. 25. 6. 1993 – Nr. 21/1992/366/440 (Sekanina v. Austria). 74 Verbundene Sachen EGMR v. 11. 2. 2003 – Appl. no. 56568/00 (Y. v. Norway), Appl. no. 30287/96 (Hammeren v. Norway), Appl. no. 29327/95 (O. v. Norway).
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fahrensrecht der AO und FGO gerade keinerlei Bindung an strafprozessuale Entscheidungen besteht. Diese Schlussfolgerung ist jedoch unzutreffend, wie sich aus der Entscheidung Ringvold v. Norway ergibt75. Dort lehnt der EGMR die Anwendung des Art. 6 Abs. 2 auf einen zivilrechtlichen Adhäsionsprozess des präsumtiven Opfers gegen den Angeklagten, der im Strafprozess vom Vorwurf der Anklage freigesprochen worden war, ab. Dabei untersucht der EGMR unter dem Gesichtspunkt, ob das Schadensersatzverfahren nach der nationalen Rechtsordnung bereits als „Strafverfahren“ zu qualifizieren sei oder nach seiner Natur oder wegen der Schwere der zu erwartenden „Sanktionen“ so zu behandeln sei. Dies wird verneint, weil nach dem maßgeblichen norwegischen Recht die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht Voraussetzung für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche sei, weil die zivilrechtliche Verantwortlichkeit trotz gewisser Überschneidungen sich von der strafrechtlichen Verantwortung unterschied, weil dem zivilrechtlichen Opfer nicht Schadensersatzansprüche wegen des strafrechtlichen Freispruches abgeschnitten werden dürften, namentlich ansonsten auch gegenüber dem Opfer Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt würde. Ausdrücklich heißt es sodann, dass Art. 6 Abs. 2 der EMRK aber anwendbar wäre, wenn die über den Schadensersatz zu treffende Entscheidung eine Feststellung enthalten müsste, die dem Beklagten strafrechtliche Verantwortlichkeit zuschriebe (imputing criminal liability). Da das zivilrechtliche Urteil weder offen noch der Substanz nach feststellte, dass alle Voraussetzungen erfüllt waren, wonach der Beklagte der Straftat schuldig sei, von der er im Strafverfahren freigesprochen worden sei, sei das zivilrechtliche Verfahren weder inkompatibel mit dem Freispruch gewesen, noch habe es diesen missachtet (set aside that acquittal). Demgegenüber verknüpft der deutsche Gesetzgeber die nach den §§ 70, 71, 169 Abs. 2 S. 2, § 173 Abs. 2 und § 235 AO zu fällenden Entscheidungen ausdrücklich damit, dass die Feststellung des Vorliegens einer schuldhaften strafbaren Steuerhinterziehung unabdingbare Voraussetzung für die zu treffenden Entscheidungen im Besteuerungsverfahren sind. Damit wird schon von Gesetzes wegen die zwingende Verbindung zu einem strafrechtlichen Vorwurf hergestellt. Die im Besteuerungsverfahren zu treffenden Entscheidungen setzen bei einem Freispruch zwingend voraus, dass dieser von der Entscheidung im Besteuerungsverfahren missachtet wird, wenn im Besteuerungsverfahren das Vorliegen einer Steuerstraftat bejaht wird. Es ist auch nicht etwa eine weitere Partei betroffen, die im Strafverfahren ihre Verletzung nicht geltend machen konnte. Vielmehr ist es eben der Staat, der im Strafverfahren den Beweis der Schuld nicht führen konnte, der nunmehr in Gestalt anderer Organe, die für das eigentliche Strafverfahren gerade nicht zur Feststellung der Schuld als kompetent erklärt wurden, den Schuldvor-
__________ 75 EuGH v. 11. 2. 2003 – Appl. no. 34964/97.
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wurf erhebt. Wegen der insoweit bereits im materiellen Steuerschuldrecht – Haftung, Zinsen –, und im steuerlichen Verfahrensrecht – Festsetzungsverjährung, Durchbrechung der Änderungssperre – angelegten Verbindung zu einer Steuerstrafsache ist daher auch der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 EMRK eröffnet. Im Übrigen lässt diese Verbindung es auch zweifelhaft erscheinen, ob hier nicht doch eine strafähnliche Sanktion im weiteren Sinne verhängt wird. Zweifellos ist richtig, dass es darum geht, rechtmäßig begründete Steueransprüche, die keinen Strafcharakter haben, durchzusetzen einschließlich eines etwaigen Zinsverlustes. Der Haftungsanspruch und der Zinsanspruch haben primär Schadensersatzcharakter. Dies ändert aber nichts daran, dass gerade das Vorliegen einer Straftat zur Voraussetzung dafür gemacht wird, ansonsten von der Rechtsordnung selbst aus guten Gründen statuierte Hindernisse bei der Durchsetzung von Steueransprüchen zu beseitigen, etwa die Bestandskraft oder das Erlöschen des Steueranspruches mit Eintritt der Festsetzungsverjährung. Die sanktionsähnliche Wirkung ergibt sich gerade aus den gegenüber dem Normalfall erweiterten Durchsetzungsmöglichkeiten. Davon geht auch eine gewollte Abschreckungswirkung aus. Dagegen ist auch nichts zu erinnern. Nur muss dann eben Art. 6 Abs. 2 EMRK beachtet werden. Eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 EMRK bei Bejahung einer Steuerstraftat durch die Steuerbehörden und Finanzgerichte liegt daher immer vor, wenn im Steuerstrafverfahren ein Freispruch ergeht, wie sich aus der oben zitierten Rechtsprechung des EGMR ergibt. Dies könnte nur dann anders sein, wenn nicht die Strafgerichte, sondern die Finanzbehörden, respektive die Finanzgerichte die für die Feststellung strafrechtlicher Schuld kompetenten Autoritäten wären. Davon kann, ungeachtet der den Steuerbehörden und Finanzgerichten durch den Gesetzgeber zugewiesenen Aufgaben zur Feststellung des Vorliegens einer Steuerhinterziehung im Rahmen der im Besteuerungsverfahren zu treffenden Entscheidungen, nicht ausgegangen werden. Aus der Rechtsprechung des EGMR folgt insoweit auch eindeutig, dass im Sinne des Art. 6 Abs. 2 EMRK der gesetzliche Beweis der Schuld (proved according to law) nur durch ein Urteil des nach nationalem Recht zuständigen Strafgerichts erbracht wird, wenn eine solche Zuständigkeit besteht76.
__________ 76 Vgl. EGMR v. 3. 10. 2002 – Appl. no. 37568/97 (Böhmer v. Germany), NJW 2004, 43; soweit eine Zuständigkeit der Strafgerichte nicht besteht, weil nach nationalem Recht keine Straftat vorliegt, können allerdings auch Verwaltungsgerichte oder Steuergerichte zuständig sein, vgl. EGMR v. 23. 7. 2002 – Appl. no. 36985/97 (Vesterbärga Taxiaktiebolag and Vulic v. Sweden) und Appl. no. 34619/97 (Janosevic v. Sweden).
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Auswirkungen der Unschuldsvermutung
b) Einstellung des Strafverfahrens durch Strafverfolgungsbehörden Die Rechtsprechung des EGMR differenziert bei geltend gemachten Entschädigungsansprüchen aus strafprozessualen Maßnahmen zwischen freisprechenden Urteilen und nicht bis zu einem abschließenden Urteilsspruch durchgeführten Strafverfahren. Im letzteren Falle soll es zulässig sein, weiterhin den Verdacht zu äußern, dass eine Straftat begangen wurde, im ersteren Falle nicht77. Unzulässig sei jedenfalls auch in diesen Fällen, in den Gründen für eine Zurückweisung der Ansprüche festzustellen, dass eine Straftat begangen wurde (finding of guilt). Ob diese Unterscheidung überzeugend ist, mag dahinstehen. Näher läge es, in beiden Konstellationen schlicht nur darauf abzustellen, ob die strafprozessualen Maßnahmen nach dem Kenntnisstand bei ihrer Anordnung rechtmäßig waren oder nicht. Auch wenn man diese Rechtsprechung zugrunde legt, verbieten sich jedoch im Besteuerungsverfahren Feststellungen zum Vorliegen einer strafbaren Steuerhinterziehung, wenn das Steuerstrafverfahren mangels Tatverdachtes nach §§ 170, 204 StPO eingestellt wird oder nach §§ 153, 154 StPO von der Verfolgung abgesehen wird. Denn strafrechtliche Schuld ist dann gerade nicht von den zuständigen Strafgerichten festgestellt worden78. Dabei kann dahinstehen, ob nach einer Einstellung des Strafverfahrens ohne vorherige Feststellung zur Schuldfrage, ein fortbestehender Verdacht staatliche Maßnahmen nicht strafrechtlicher Art rechtfertigt79. Denn für das Besteuerungsverfahren verlangt der Gesetzgeber für die hier erörterten Konstellationen gerade als Voraussetzung der zu treffenden Entscheidungen, dass die volle strafrechtliche Schuld festgestellt wird und stellt damit die Verbindung zur Anklage einer Straftat im Sinne des Art. 6 Abs. 2 EMRK her. Es kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass in den Fällen der Einstellung des Strafverfahrens das an sich zur Feststellung der Straftat berufene Strafgericht über die Schuldfrage nicht entscheiden könne oder jedenfalls an der Entscheidung kein strafrechtliches Interesse mehr bestehe und deshalb die volle Schuldfeststellung im Besteuerungsverfahren von den Finanzbehörden mit Überprüfung durch die Finanzgerichtsbarkeit zu treffen sei. Wenn die zur Strafverfolgung berufenen zuständigen staatlichen Organe/ Gerichte den Nachweis strafrechtlicher Schuld aus tatsächlichen Gründen nicht führen können oder aber der Staat zu erkennen gibt, dass er auf die
__________
77 EGMR v. 28. 10. 2003 – Appl. no. 44320/98 (Baars v. the Netherlands) und v. 9. 11. 2004 – Appl. no. 44760/98 (Del Latte v. the Netherlands); grundlegend EGMR v. 25. 8. 1987 (Lutz, Englert and Nölkenbockhoff v. Germany), Series A no. 123. 78 Vgl. insoweit generell zum Fortgelten der Unschuldsvermutung bei Einstellungen BVerfG v. 29. 5. 1990 – 2 BvR 254/88 u. 2 BvR 1343/88, BVerfGE 82, 106; BVerfG v. 26. 3. 1987 – 2 BvR 589/79, BVerfGE 74, 358; BVerfG v. 16. 5. 2002 – 1 BvR 2257/01, NJW 2002, 3231. 79 Vgl. insoweit BVerfG v. 16. 5. 2002 – 1 BvR 2257/01, DVBl 2002, 1110 (Datensicherung für präventiv-polizeiliche Zwecke); BVerfG v. 5. 3. 2001 – 2 BvR 2450/90, NVwZ 2001, Beilage Nr. I 6, 58 (Ausländerrecht).
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Klärung im Strafverfahren keinen Wert legt, so muss es dabei sein Bewenden haben, dass strafrechtliche Schuld nicht gesetzlich festgestellt worden ist. Sofern in diesen Konstellationen im Besteuerungsverfahren Interessen nicht strafrechtlicher Art auf dem Spiel stehen, darf die Durchsetzung dieser Interessen vom Gesetzgeber eben nicht davon abhängig gemacht werden, dass zuvor strafrechtliche Schuld festzustellen ist und diese Aufgabe dann an sich nicht für die strafrechtliche Schuldfeststellung zuständigen Steuerbehörden/ Finanzgerichten zuweisen. Soweit der EGMR auch Finanzbehörden bei Überprüfungsmöglichkeit durch unabhängige (Finanz)Gerichte als zur Beurteilung der Straffrage kompetente staatliche Autoritäten ansieht, betrifft dies nur solche „Strafverfahren“ im Sinne der EMRK, in denen nach nationalem Recht keine mit ethischem Unwerturteil verbundenen Strafen verhängt werden, sondern Verwaltungsunrecht geahndet wird80. Darum geht es aber vorliegend nicht. Soweit es um eine auch nach nationalem Recht echte Straftat wie bei § 370 AO geht, kann der gesetzliche Beweis der Schuld (proved guilty according to law) nur durch ein Verfahren vor dem dafür zuständigen Strafgericht erbracht werden81. Fraglich könnte allenfalls sein, ob etwas anderes gelten kann, wenn ein Strafverfahren wegen des Todes des mutmaßlichen Hinterziehers nicht mehr durchgeführt werden kann. Hier lässt sich immerhin argumentieren, dass die Durchführung eines Strafverfahrens vor einem Strafgericht nicht mehr möglich ist. Dem stünden auch Urteile des EGMR nicht entgegen82, wonach gegen die Erben keine Fiskalgeldstrafen wegen steuerverkürzender Handlungen des Erblassers festgesetzt werden dürfen. Denn insoweit stellte der EGMR darauf ab, dass hier „Strafen“ gegen die nicht der Straftat schuldigen Erben verhängt wurden und sah den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK darin, dass hier Strafe ohne Schuld verhängt wurde, während er ausdrücklich betonte, dass die Erben selbstverständlich für Steuerschulden einzustehen haben. Auch hier läge es aber in der Konsequenz der übrigen Rechtsprechung des EGMR, eine posthume Feststellung der strafrechtlichen Schuld des Erblassers durch Finanzbehörden und Gerichte nicht mehr zuzulassen83.
V. Beendigung der Halbherzigkeit des geltenden Regelungsmodells Als unmittelbare Konsequenz aus der Geltung des Art. 6 Abs. 2 EMRK ergibt sich, dass entgegen der herrschenden Meinung im Besteuerungsverfahren
__________ 80 Vgl. EGMR v. 23. 7. 2002 – Appl. no. 36985/97 (Vesterbärga Taxiaktiebolag and Vulic v. Sweden) und Appl. no. 34619/97 (Janosevic v. Sweden). 81 Vgl. EGMR v. 3. 10. 2002 – Appl. no. 37568/97 (Böhmer v. Germany), NJW 2004, 43. 82 EGMR v. 29. 8. 1997 – Nr. 71/1966/690/882 (A. P., M. P. and T. P v. Switzerland) und Nr. 75/1966/694/886 (E. L, R. L and J. O-L v. Switzerland). 83 So bereits Rainer/Streck, Die Feststellung der Steuerhinterziehung im Besteuerungsverfahren nach dem Tode des mutmaßlichen Hinterziehers, StuW 1979, 277; anders die Rechtsprechung, a. a. O. (Fn. 63, 69, 70).
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Auswirkungen der Unschuldsvermutung
keine Feststellungen zum Vorliegen einer Steuerhinterziehung getroffen werden dürfen, sofern nicht eine strafgerichtliche Verurteilung erfolgt. Dies ist bereits bei der Auslegung der §§ 70, 71, 169 Abs. 2 S. 2, 173 Abs. 2 und 235 AO zu berücksichtigen. Diese möglicherweise vom Gesetzgeber nicht vorhergesehene Konsequenz aus der vom Gesetzgeber aber gewollten Beachtung der EMRK ist bereits bei der gebotenen völkerrechtskonformen Auslegung der AO von den Finanzbehörden und den Finanzgerichten zu ziehen. Sie überschreiten damit ihre verfassungsmäßigen Kompetenzen nicht. Unabhängig davon sollte allerdings auch der Gesetzgeber nunmehr angesichts der vorliegenden Rechtsprechung des EGMR tätig werden und jedenfalls klarstellen, dass die Anwendung der genannten Paragraphen der AO eine strafgerichtliche Verurteilung voraussetzt. Dabei könnte zugleich die offenkundige Halbherzigkeit des jetzigen gesetzlichen Regelungsmodells beseitigt werden. Diese von Trzaskalik84 allerdings in anderem Zusammenhang beklagte Halbherzigkeit und Grenzverwischung im Hinblick auf Strafrechtspflege und Steuerrecht besteht darin, dass weder die Strafrechtspflege zum Büttel des Steuerrechtes gemacht werden sollte, noch umgekehrt die Durchsetzung des Steuerrechtes Entscheidungen der Strafrechtspflege konterkarieren sollte. Soweit der Steuergesetzgeber mithin die Durchsetzung steuerlicher Folgen ausnahmsweise tatsächlich davon abhängig machen will, dass ein strafrechtlicher Vorwurf zu erheben ist, bedarf es dann auch der Feststellung strafrechtlicher Schuld durch die dazu berufenen Gerichte. Dies sollte dann auch schon unmittelbar aus der AO hervorgehen. Soweit hingegen nicht der strafrechtliche Vorwurf, sondern andere Gründe es rechtfertigen, erweiterte Durchsetzungsmöglichkeiten gegenüber dem Normalfall vorzusehen, sollte der Gesetzgeber diese offen, ohne Bezug auf das Vorliegen einer Steuerstraftat, im Gesetz benennen. Als Vorbild könnten insoweit beispielsweise § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 c, respektive § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO dienen.
__________ 84 Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 1).
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Liste der Veröffentlichungen von Christoph Trzaskalik (ohne Rezensionen) I. Monographien Das Widerspruchsverfahren der Verwaltungsgerichtsordnung im Lichte der allgemeinen Prozessrechtslehre, Königstein 1972, 90 Seiten Die Rechtsschutzzone der Feststellungsklage im Zivil- und Verwaltungsprozeß, Duncker + Humblot 1978 Die Steuererhebungspflichten Privater, Karlsruhe 1988 Transparenzpflichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Vistas 2000 Inwieweit ist die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts zu empfehlen? Gutachten für den 63. Deutschen Juristentag, Leipzig 2000
II. Beiträge zu Sammelschriften Steuerverwaltungsvorschriften aus der Sicht des Rechtsschutzes, in: Tipke (Hrsg.), Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, 1982, S. 315–338 Die Steuererhebungspflichten Privater, in: K.H. Friauf, Steuerrecht und Verfassungsrecht, DStJG Bd. 12, 1989, S. 157 Resümee zu „Der Rechtsschutz in Steuersachen“, in: Trzaskalik (Hrsg.), Der Rechtsschutz in Steuersachen, DStJG Bd. 18, 1995, S. 189–203 Vom Einkommen zu den Einkunftsarten, Marginalien zum steuertheoretischen Grundsatz von Klaus Tipke, in: Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion, Festschrift für Klaus Tipke, 1995, S. 321–341 Studien zu Drittaufwendungen in: Festschrift für Ludwig Schaudt, 1993, S. 51–73 Subventionierung des Sports, Recht und Sport Bd. 6, herausgegeben von Gerd Finger/Karl Schmid/Christoph Trzaskalik/Peter J. Tettinger, Heidelberg 1987 Der Einfluß des Europarechts auf das nationale Steuerrecht, in: Europa als Rechtsgemeinschaft, 1997
III. Aufsätze Verfassungsrechtliche Probleme einer Bundesraumplanung,Verw 1978, S. 273–291
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Liste der Veröffentlichungen von Christoph Trzaskalik
Personal gebundene Einkommensteuerpflicht und Gesamtrechtsnachfolge, StuW 1979, S. 97–112 Veränderungen im Nachbarrechtsverhältnis durch staatliche oder kommunale Raumnutzungsentscheidungen, DVBl 1981 Die Vereinheitlichung der Verwaltungsprozeßordnungen, NJW 1982, S. 1553– 1558 Nutzungsrechte im Einkommensteuerrecht, StuW 1983, S. 126–135 Die Rechtsprechung zum Verwaltungsprozeßrecht, JZ 1983, S. 415–422 Die einkommensteuerliche Beurteilung des Räumungsverkaufs wegen Geschäftsaufgabe, DB 1983, 194 Zur Verfassungsmäßigkeit des Zweckentfremdungsverbots von Wohnraum, Verw 1983, S. 33–34 Investitionshilfeabgabe – Zwangsanleihe oder rückzahlbare Steuer?, DB 1984, S. 421 Zuflussprinzip und periodenübergreifende Sinnzusammenhänge, StuW 1985, S. 222–228 Die beschränkte Hilfeleistung in Steuersachen, DStR 1985, S. 67 Die steuerliche Förderung des Sports, StuW 1986, S. 219–231 Marginalien zur Einkommensteuer der beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer, StuW 1990, S. 380–389 Die Lohnsteuer-Pauschalierung, DB 1990, S. 1203 Zu den Folgen, wenn das BVerfG Gesetze für nichtig erklärt, DB 1991, S. 2225 Der instrumentelle Einsatz von Abgaben, Bemerkungen zum Entwurf eines Abfallabgabengesetzes, StuW 1992, S. 135–150 Walter Schick 60 Jahre, StuW 1993, S. 295 (mit Hartmut Söhn) Über die Vorbehaltsfestsetzung und die Steueranmeldung, StuW 1993, S. 371– 379 Die Strafrechtspflege und das Steuerrecht zu der Durchsuchungsaktion bei einer Großbank, DB 1994, S. 550–552
IV. Kommentar Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung, Kommentar (Loseblatt) §§ 134–139 AO Erfassung der Steuerpflichtigen Vor § 140, §§ 140–148 AO Führung von Büchern und Aufzeichnungen §§ 149–153 AO Steuererklärungen 508
Liste der Veröffentlichungen von Christoph Trzaskalik
§ 154 AO Kontenwahrheit §§ 155–168 AO Steuerfestsetzung Vor § 209, §§ 209–217 AO Steueraufsicht in besonderen Fällen Kirchhof/Söhn, Kommentar zur Einkommensteuer (Loseblatt) § 21 EStG Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung §§ 38-42f EStG Steuerabzug vom Arbeitslohn
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Autorenverzeichnis BIRK, Dieter Prof. Dr., Direktor des Instituts für Steuerrecht der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster VON BORNHAUPT,
Kurt Joachim Dr., Richter am Bundesfinanzhof a. D., Rechtsanwalt und Steuerberater, München DORALT, Werner Prof. Dr., Vorstand des Instituts für Finanzrecht der Universität Wien DRENSECK, Walter Prof. Dr., Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München DRÜEN, Klaus-Dieter Dr., Wissenschaftlicher Assistent, Ruhr-Universität Bochum FISCHER, Peter Prof. Dr., Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München GILOY, Jörg Dr., Ministerialdirigent a. D., Bingen VON GROLL,
Rüdiger Prof., Richter am Bundesfinanzhof a. D., Rechtsanwalt, München HEY, Johanna Prof. Dr., Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf HÜTTEMANN, Rainer Prof. Dr., Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn JACHMANN, Monika Prof. Dr., Richterin am Bundesfinanzhof, München KAESER, Christian Dr., Rechtsanwalt, München KIRCHHOF, Paul Prof. Dr., Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D., Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht der Universität Heidelberg KRUSE, Heinrich Wilhelm em. o. Prof. Dr., Ruhr-Universität Bochum MÜLLER-FRANKEN, Sebastian Prof. Dr., Universität Münster 511
Autorenverzeichnis
OSTERLOH, Lerke Prof. Dr., Richterin des Bundesverfassungsgerichts, Karlsruhe PEFFEKOVEN, Rolf Prof. Dr., Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz PEZZER, Heinz-Jürgen Prof. Dr., Richter am Bundesfinanzhof, München REIß, Wolfram Prof. Dr., Universität Erlangen-Nürnberg RUPPE, Hans Georg Prof. Dr., Dr., Institut für Finanzrecht der Universität Graz, Richter am Verfassungsgerichtshof SCHULZE-OSTERLOH, Joachim em. o. Prof. Dr., Freie Universität Berlin SEER, Roman Prof. Dr., Ruhr-Universität Bochum SELMER, Peter em. o. Prof. Dr., Universität Hamburg SIEKER, Klaus Dr., Steuerberater, Mainz SÖHN, Hartmut Prof. Dr., Universität Passau STOLTERFOHT, Joachim Prof., Dr., Rechtsanwalt und Steuerberater, Freiburg i. Br. TIPKE, Klaus em. o. Prof. Dr., Universität zu Köln WASSERMEYER, Franz Prof. Dr., Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof a. D., Sankt Augustin WIDMANN, Werner Ministerialdirigent, Leiter der Steuerabteilung im Ministerium der Finanzen Rheinland-Pfalz, Mainz WOHLFEIL, Anne Dr., Rechtsanwältin, Berlin
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Stichwortverzeichnis Bestandsvergleich des Betriebsvermögens 314 Besteuerungsabschnitte 311 Bestimmtheitsanforderungen, Bestimmtheitsrahmen 96, 98, 119 Beweis des ersten Anscheins 250 Beweisanzeichen (Indizien) 250 Bindungswirkung strafgerichtlicher Erkenntnisse 476 Brutto-Allphasen-Umsatzsteuer 366 Bürgerschaftliches Engagement 49
Abgabenordnung 19 Abgrenzung von privaten Vermögensaufwendungen 299 Abschreckung; Abschreckungswirkung 436, 437, 439, 448, 453 Abstandszahlung zwecks vorzeitigem Auszug des Mieters 300 Abzugs- und Aufteilungsverbot 299 Allphasenprinzip 363 Anrechnungsverfahren 354 Anspruchsgrundlage 21 Arbeitszeitkonten als steuerunbelastete Ansammlung von Wertguthaben 322 Arbeitszimmer 289 Artfortschreibung 260 Asymmetrie von Steuerbelastung und Aufkommensverwendung 419 Auf Dauer angelegte Vermietungstätigkeit 245, 246 Aufgezwungene Aufwendungen 298 Aufgliederung einzelner Steuerfälle 104 Aufgliederung der Steuerbeträge 106 Ausgabensteuer 265 Außergewöhnliche Belastungen 319 Aussetzung 478
Daseinsvorsorge 49, 59 Daseinsvorsorge und Marktversagen 57 Daseinsvorsorgender Zweckbetrieb 57 „Dienste von allgemeinem Interesse“ 65 Dienstleister 51 Disagio-Erlass 328 Dispositivität von Bestimmtheitserfordernissen 111 Doppelte Haushaltsführung 287, 288, 290 Dreiecksgeschäfte 369
Bauabzugssteuer 362 Bauwerke 372 Beendigung der Vermietungsphase 295, 296 Beihilfe 63 Besinnungs-/Abschreckungszweck 440 Besinnungsmittel 448 Besinnungswirkung 436, 453 Besondere Schwere eines Fehlers 115
Effektiver Rechtsschutz 69, 75 EG-Richtlinien (6. MehrwertsteuerRichtlinie) 363 Eigenheimzulage 255 Eigenkapital 258, 259 Eigenvergleich 300 „Emissionsrendite“ 326 „Einfachsteuer“ 265 Einfuhr 363 Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse 181, 184
Computer 285
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Stichwortverzeichnis
Einheitswertermittlung 260 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft 244 Einkünfteerzielungsabsicht 239, 241, 242, 244, 245, 247, 251 Einkünfteerzielungstatbestand 21, 22 Einkünfteverwendungsebene 317 Einkunftserzielungsvermögen 295, 296 Einnahmen-/Überschussrechnung 314 Einstellung des Strafverfahrens 503 Einverständnis 90 Emissionsdisagio 328 Emissionsrendite 326 EMRK 489 Enquete-Kommission 51 Entgeltumwandlung zugunsten einer Direktzusage 321 Entprivilegierung des gemeinnützigen Sektors 63 Entscheidungskompetenz für die Finanzbehörde 478 Entwidmung eines Mietwohngrundstücks 297 Erbschaftsteuergesetz (§ 14) 103, 104, 105 Erforderlichkeit der Rechtsfigur „Zweckbetrieb“ 55 Erforderlichkeitsklausel 183, 190 Erhaltungsaufwendungen 304 Ermittlungen im Steuerstrafverfahren 474 Erwerbsausgaben 294 Erwerbsschwelle 366 Erwerbsvorgang 105 Europäische Kommission 51 Europäisches Recht 63 Europäisierung des Dritten Sektors 64 Europarecht 62 Expertenkommission der Bertelsmann-Stiftung und des Maecenata-Instituts 52 514
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte/Erwerbsstätte 292 Fahrtkosten 293 Fahrzeuglieferer 365 Familienheimfahrten 291 Fehlerfolgen 96, 112 Ferienwohnung 250 Festsetzungsfrist 486 Feststellender Verwaltungsakt 70 Feststellungsklage 69 Finanzautonomie der Länder 183 Finanzierungsverantwortung 66 Finanzinnovationen 325 Finanzverfassung 181 Fiskalischer Zweck des EStG 244 Fiskalzwecknorm 25, 247, 248 Föderalismuskommission 182 Folgeprozesse des Strafverfahrens 500 Förderinstrumentarium 54 Freie Wohlfahrtspflege 53, 62 Freispruch 499 Freizeitbetätigung versus Sport 31 ff. Freizügigkeit 292 Fremdkapital 256, 258, 259 Fremdvergleich 300 Gas- und Elektrizitätslieferungen 375 Gebot der Folgerichtigkeit 287 Gebot inhaltlicher Bestimmtheit 98 Gebührenkompetenz 434, 444, 450 Gemeinnützigkeit 31 ff., 49 ff. Gemeinwohl 49 Gemeinwohlziele 53 Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeiten 322 Gesetzgebungskompetenzen 183 Gestaltungsmissbrauch 27 Gewährleistender Staat 60 Gewaltenteilung 69, 73 Gewinnpauschalierung nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KStG 386
Stichwortverzeichnis
Gewohnheitsrecht 71 Gleichheitsgerechtigkeit der Vergünstigungstatbestände 421 Gleichheitssatz 368 Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse 184 Grundbetrag 257, 259 Grunderwerbsteuer 362 Grundrechtsbetroffenheit der „indirekt“ steuerbelasteten Unternehmen 416 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 368 Grundsatz in dubio pro reo 487 Halbeinkünfteverfahren 354 Haftung des Steuerhinterziehers 483 Haftungsbescheid, Haftungsschuldner 151, 152 Häusliches Arbeitszimmer 294 Immobilienfonds 250 Imputed income 264 Inländische Körperschaften 67 Innergemeinschaftlicher Erwerb 363 Innerstaatliche Bedeutung 490 Interdependenzen zwischen Einkünfteerzielungs- und Einkünfteverwendungsebene 319 Investitionshilfeabgabe 355 Investmentsteuergesetz 328 Jahressteuerprinzip 312 Karlsruher Entwurf 284 Kategorien von Zweckbetrieben 54, 56 Kaution 303 Kölner Entwurf 284 Kompetenzen 83 Konkurrierende Gemeinwohlaufgaben 66 Konsumgutlösung 248
Körperschaftsbesteuerung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 378 Körperschaftsteuer 351 Körperschaftsteuermoratorium 345, 353 Kostenverursachung 440, 443 Kostendeckung 435, 439 Kostenveranlassung 446, 451 Krankenhausfinanzierung 61 Langfristige Vermietung 247 Lebenseinkommensprinzip 313 Leistender Staat 59 Lenkungsnormen 25 Letztverbrauch 362 Liebhaberei 23, 239, 243, 246, 251 Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände 371 Lieferung von Grundstücken 372 Lohnsteuer 362 Markteinkommenstheorie 263 Marktmiete 256, 257, 258 Marktrendite 326 Marktversagen 58 Massenfälle, Massenfallrecht 95, 103, 106 Materielle Zwangskredite 356 Materielles Recht 30 Mehrstufige Verwaltungsverfahren 69, 74 Mehrwertsteuersystem 376 Mietertheorie 262, 263 Mietkaufmodell 250 Mitgliedernützige Leistungen 57 Mittelbare Tatbestandsverwirklichung 26 Mittler-Modell 369 Mittlerorganisationen 51 Monopolkommission 53 Nachträgliche Werbungskosten 298 Neufahrzeuge 364 515
Stichwortverzeichnis
Nichtigkeit, Nichtigkeitsfolgen 112, 114, 119 Nichtigkeit bei Bestimmtheitsmängeln 113 Nichtigkeitsfolge 119 Nichtunternehmer 363 Normzweck des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG 247 Nutzungswertbesteuerung 246, 248
Regelungszweck des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG 246 Reinvermögenszugangstheorie 266 Renovierungskosten 302 Reverse-Charge-Modell 369 Risiken der Vermietungstätigkeit 309 Rückzahlbare Steuern 345, 348 Rundfunkbesteuerung 377
Objektives Nettoprinzip 286, 287, 288, 289, 290, 293 Offenkundigkeit eines schwerwiegenden Fehlers 117 Öffentlich-rechtliche Willenserklärung 69, 88 Ökologische Steuerreform 411 Ökonomisierung der Daseinsfürsorge 64
Sammelbescheid 100, 103 Schäden am Mietobjekt 304 Schadensbeseitigung noch während der Mietzeit 306 Schadensbeseitigungskosten 302 Scheinverträge 260 Schenkungsteuer 103 Schönheitsreparaturen 303 Schuldner der Einkommensteuer 21 Schwarzarbeit 269 Sekundärebene einer Fehlerfolge 119 Selbsthilfe, Selbsthilfeorganisationen 51, 56 Sonderabgabe 350 Sonderausgaben 317 Soziale Dienste 65 Sozialstaatsprinzip 60 Sozialzwecknormen 251 Spezielle Ermächtigungsgrundlage 69 Sport und Gemeinnützigkeit 31 ff. Staatssubstitution 67 Steuer i. S. d. Grundgesetzes 348 Steuer- und VerbrauchsteuerCharakter der Strom- und der (erhöhten) Mineralölsteuer 413 Steueranmeldung 153 Steuerautonomie der Länder 190 Steuerbegriff 348 Steuerbescheid 152 Steuererhebungspflichten Privater 361 Steuererstattungen 345 Steuerhinterziehung 269, 270, 475
„Pathologische Abteilung“ der Verwaltung 112, 120 Periodische und periodenübergreifende Sachgesetzlichkeiten des Einkommensteuerrechts 314 Pflegemarkt 61 Pluralistische Gemeinwohlaufgaben 66 Pluralistischer Gemeinwohlzweck 57 Politikverflechtung 187 Primärebene des Fehlers 119 Privilegien 64 Prognose, Prognosezeitraum 247, 249 Programmaufwendungen als Betriebsausgaben des Werbegeschäfts 381 Prozessvervielfachung 69, 78 Räumungskosten 301 Rechtsbehelfsbelehrung 69, 88 Rechtsformneutralität 368 Rechtsweggarantie 75 Reform, Reformdiskussion 51, 52 516
Stichwortverzeichnis
Steuerrechtsverhältnis 30 Steuerschuldrecht 19 Steuerschuldverlagerung 373 Steuerstrafverfahren 474, 497 Steuerstundung, Steuerstundungseffekte 253, 325 Steuervergünstigungsabbaugesetz 353 Strafcharakter im Sinne der EMRK 498 Strohmann 28 Subjektives Nettoprinzip 287 Subventionen, Subventionierung 251, 258, 449, 450 Subventions- und Lenkungsnormen 250, 251 Subventionstatbestand, Subventionsvorschrift 246, 247 Symmetrie der Einkunftsarten 322 Synthetische Einkommensteuer 256 Tatbestandsverwirklichung 19 Temporärer oder absoluter Steuervorteil 320 Themenanwälte 51 Totalüberschuss, Totalüberschussprognose 244, 251, 258 Typisierende Annahme/Betrachtungsweise 247, 248, 305 Typisierung 24 Überkreuzvermietung 261 Überschusseinkünfte 316 Umsatzsteuer/Umsatzsteuerrecht 28, 362 Umsatzsteuer-Abzugsverfahren 370 Umsatzsteuer-Betrugsverhinderung 374 Umwandlung künftiger Entgeltansprüche in wertgleiche Anwartschaften auf Versorgungsausgleich 320 Umweltabgaben 411
Umzug 285, 293 Unschuldsvermutung 491, 494 Unterkunftskosten 291 Unternehmer, Unternehmerbegriff 28, 363 in Ursprungslandprinzip 364 Veranlassungsprinzip 297 Veranstaltung von Werbesendungen 379 Veräußerungsgeschäfte als Umetikettierung von Kapitaleinkünften 328 Veräußerungsgewinne 255, 268 Verbilligte Vermietung 250 Verbrauchssteuerpflichtige Waren 365 Verdeckte Subvention 248 Vereinfachungszwecknormen 251 Verfahrensgrundsätze 486 Verfahrensrecht 30 Verfahrensrecht kein Selbstzweck 103 Verfälschungen der Bemessungsgrundlagen für Beiträge, Abgaben und Steuern 329 Vergleichsmiete 257, 260 Verhältnismäßigkeit 69, 71 Verlagerung von Kapitalerträgen in künftige Besteuerungsabschnitte 325 Verlagerungstendenzen in der Besteuerungswirklichkeit 320 Vermietertheorie 262, 263 Vermietung, Vermietung und Verpachtung 23, 239 Vermietung auf bestimmte Zeit 250 Vermögensübersicht (Bilanz) 314 Verpachtung 23 Verpflegung, Verpflegungsmehraufwendungen 285, 291 Verpflichtung zur Instandsetzung gegenüber dem Käufer eines Grundstücks 305 517
Stichwortverzeichnis
Vertikale Gewaltenteilung zwischen Staat und Gesellschaft 64 Verwaltungsgebühren 432, 442, 451 Verwaltungsökonomie 101, 102, 106 Verwaltungspraktikabilität 102, 103 Verwaltungsvereinfachung 102 Vielfalt der Kulturen 66, 67 Vollstreckungshindernisse 86 Vorrang des Gesetzes 81 Vorsteuerabzug 271 Vorsteuer-Clearings 376 Vorteilsabschöpfung 437, 440, 443, 453 Vorteilsausgleich 446, 448 Werbungskosten, Werbungskostenabzug 239, 256 Werbungskostenüberschüsse 241 Werklieferungen 371 Wettbewerbsföderalismus 186
518
Wettbewerbssituation 59 Wohlfahrtspflege 64 Wohnungsleerstand 250 Zeitlicher Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 EMRK 494 Zeitpunkt der Erfassung von Einnahmen und Ausgaben 311 Zeitpunkt für die Absicht des Eigentümers auf private Verwendung 307 Zivilrechtliche Streitigkeit 496 Zusammengefasste Schenkungsteuerbescheide 97, 99 Zwangsanleihe 347, 349 Zwangsversteigerungsverfahren 371 Zweckbetrieb 49, 50 Zweckwidrige Inanspruchnahme von Subventionsnormen 252 Zwischenfeststellungsklage 72 Zwischengewinne 328