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German Pages 35 [36] Year 1911
IBsU Gedanken eines Laien über
Gefangenen-fürsorge von
«
Prinz (Emil von Zchoenaich-Larolath, mit einem Nachworte von
Dr. phil. Ej. Zeyfarth, Pastor am Hamburger Zentralgefängnis.
Kommissions-Vcrlag: A. B. Ueberwasser, Wandsbek-Hamburg. PreiS 1 Mark. Der Ertrag fließt der Kaffe des deutschen Hilfsvereins für entlassene Gefangene zu.
= = T-^-
-----
^Abseits der Städte, über denen das Brausen des
tausendstimmigen Lebenskampfes liegt, heben sich die massigen,
ziegelroten
Zellengefängnisses.
langgestreckten
Mauern
des
Dort leben Hunderte in Stumpf-
sinn, in Groll, in Hader mit Gott, in aufkeimendem
Irrsinn, selten in Reue und Buße. Laßt uns nicht fragen, wieviel des Leides, das sich in den finsteren, kahlen Gebäudekomplexen verbirgt, auf eigenes Verschulden der Gefangenen zurückzuführen ist.
Laßt
uns bedenken, daß ein Gesammtverschulden vorliegt, denn
wir
Menschen
Sicher ist es,
sind
für
einander
haftbar.
daß die Überschrift des Gefängnis-
tores lauten könnte: „Die Sünde ist der Leute Ver
derben", oder „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher". Leider aber schlingt sich, dem Auge unsichtbar,
um
das
düstere
Portal
eine
ganz
andere
In
schrift, und diese lautet für die meisten der Insassen niederschmetternd, erbarmungslos: Laßt, die ihr ein
geht, jede Hoffnung sinken.
Unsere Regierenden
daß die Beweg,
wissen,
gründe zum Verbrechen oftmals ein unvermeidliches
sozialer
Ergebnis
Notstände
weiteren lehrt die Statistik, daß gefangenen
22
unehelicher
Des
darstellen.
von 100 Straf-
Abkunft
Die
sind.
Versuchung zum Verbrechen, die gar ost aus bitteren Daseinssorgen emporgewachsen ist, schlummert im
Menschen, wie ein Krankheitsstoff, und die Straftat
selbst stellt lediglich den Ausbruch der Krankheit dar. Ward der Schritt vom Wege getan, so setzen die Furcht vor Entdeckung, die Schmach der
nötig schonungslos
oft un
gehandhabten Verhaftung, die
oft übermäßige Länge der Untersuchungshaft,
die
seelischen Erschütterungen des Hauptverfahrens ver-
heerend
ein.
Ins Gefängnis wandert in vielen
Fällen ein geschwächter Mensch,
dem zugleich tiefe
Verbitterung an Herz und Leben ftißt.
Es fühlt
sich, gleichviel mit Recht oder Unrecht, der Ver urteilte als Opfer.
Er grollt dem Untersuchungs
richter, der ihn geschickt der Schuld überführte, dem
Richterkollegium, dessen Auffassung derselben Schuld ihm Verständnis- und mitleidslos erschien,
er grollt
über die hurtige, schematische Abwicklung der Haupt-
Verhandlung, endlich über die zuweilen unverständlich In der Einzelhaft, in den
hohe Strafabmessung.
langen schlaflosen Nächten erwachen bei weicheren, besseren Naturen,
Reue und Verzweiflung, Sehn
sucht nach Weib und Kind mit verstärkter Gewalt. Das zehrt am Leben, das schwächt die Hand, die
Wolle zupfen soll, das zieht beim Brust
zusammen.
Ungenügend
Korbflechten die erfüllte
Arbeits
leistung wird oft mit Entziehung der dürftigen bis aufs Gramm bemessenen Kost bestraft. Das erscheint
fast als ein Versuch,
die Geschwächten durch eine
Bei manchem der Ge
Hungerkur zu kräftigen.
fangenen kommt Wahnsinn, dessen Keime teils vor handen gewesen, teils aber durch die Härten des Strafvollzuges entfacht wurden, zum Durchbruch.
Anstaltsärzte wissen oftmals die traurige Disposition zu Geisteskrankheit den Eingelieferten vom Gesicht
abzulesen. Dennoch geschieht es, daß Kranke, bereit
Leiden
nicht rechtzeitig
erkannt
wurden,
Disziplinarstrafen zu erdulden haben.
Gefangenen
Schwindsucht.
erbarmt
sich
die
rasch
schwere
Bieler der verlaufende
Biele werden durch das einförmige
Arbeitsleben derartig abgestumpft, daß der Begriff
Zeit ihnen entschwindet. der Haft,
Die meisten nehmen auS
in Gestalt eines dauernden Gebrechens,
ein Andenken auf Lebenszeit mit.
Anstrebenswert blieb eine, wenn auch nur grobe Sichtung des Menschenmaterials.
Die bemitleidenswerten besseren Naturen, welche
aus
menschlich
mild
zu
ins Gefängnis gerieten,
bemessenden
Gründen
sind mit Gewohnheitsver
brechern zusammengesperrt, die sich ihrer Unverbesser
lichkeit
rühmen,
und
denen
es eine
Unverdorbenen auf ihren eigenen
Lust ist, die
moralischen Tief
stand hinabzuziehen, oftmals mit dem Hintergedanken,
sie nach wiedergewonnener Freiheit zu beherrschm
und auszubeuten.
Das Zuchthaus macht den Verbrecher ja nur
zeitweilig unschädlich, eines Tages tritt er, geschwächt, aber ungebessert, haßerfüllt ins bürgerliche Leben
zurück.
Jüngeren Strafgefangenen kann durch Be
rührung mit Gewohnheitsverbrechern sicherlich nur Schaden erwachsen.
Kinder gehören auf keinen Fall
ins Gefängnis, sie sollten in Anstalten der Fürsorge erziehung gebessert,
aber nicht durch kriminelle Be
strafung entehrt werden.
Ein geradezu himmelschreiender Mißstand liegt
in der Bestrafung jugendlicher Personen vom zwölf ten Lebensjahre an.
Heranzüchten
Das
bedeutet
zum Verbrechertum.
geradezu ein Schulpflichtige
Kinder sollten vor krimineller Bestrafung geschützt bleiben, und eine erhebliche Heraufsetzung des straf mündigen
Alters
müßte
so
lange zum
ceterum
censeo werden, bis die Forderung Gehör fände. Vielleicht könnte das Alter, in welchem durch
schnittlich
die Mannbarkeit einzutreten pflegt, in
bezug auf Strafmündigkeit als Norm angenommen
werden. Strafe soll nicht den Charakter der Rache an
sich tragen.
Sie soll Besserung, Heilung erstreben, sie
soll mit der Freiheit nicht zugleich die Gesundheit
entziehen,
sie soll der Gesellschaft kein geistig und
körperlich gebrochenes Individuum,
gegen
sondern einen
des
Lebens
kampfes gefestigten Menschen wiedergeben.
Daß die
gegen
Rückfälle,
die
Stöße
heutige Art des Strafvollzuges ihrem Zwecke nicht gerecht wird, wissen und bestätigen alle Sachkenner, dennoch sind die meisten dem Gedanken an die Er füllung
eines
weitherzigeren
Systems
durchaus
Diese Auffassung entspricht in selten voll
abhold.
kommener
Weise
dem
Empfinden
breiten
der
Schichten jener Wohlanständigen, die beim Anblicke
gefallener Brüder sich zu beglückwünschen Pflegen, daß sie um so vieles besser Fast
—
eingesperrten.
sind,
als
die
als
scheint es,
Nicht-
wehe ein
milderer, großzügigerer Geist durch die Rechtspflege Die bei uns sehr aus
unserer westlichen Nachbarn.
gedehnte Gewalt des Untersuchungsrichters ist dort
wesentlich eingeschränkt. Einer jeglichen Vernehmung
des Angeschuldigten hat dessen Verteidiger beizu Die Folge davon ist eine im Durchschnitt
wohnen. bedeutend
verkürzte
man
unsern
bei
Nie wird
Untersuchungshaft. Nachbarn
durch
die
Fesselung
deren Schuld vielleicht noch gar
von Gefangenen,
die Menschenwürde in so unnötiger
nicht erwiesen,
Weise herabsetzen, als dies bei uns geschieht.
Wir haben ganzen kann.
die
einen Richterstand,
vollste
Hochachtung
dem man im
entgegenbringen
Ist dieser Stand gleichwohl
bedauerlicher
weise im Volke wenig beliebt, so liegt der Grund
zum allergrößten Teil darin, zwungen
ist,
auf
Grund
daß der
eines
Richter ge
veralteten Para-
graphenapparates
Urteile
christlichen Empfinden,
zu
fällen,
welche
dem
der gesunden Vernunft des
gewöhnlichen Mannes unerhört zuwiderlaufen, und welche auch dem geläuterten Verständnisse des Ge
bildeten nicht entsprechen.
Der Richter muß nach
dem Buchstaben urteilen, es geht nicht anders. Aber warum
geht,
was
uns
versagt
blieb,
wiederum
vortrefflich bei unseren Nachbarn im Westen? Längst ist dort, auf
Anregung
eines Ehrenmannes, dem
Präsidenten Magnaud,
der
Namen „le bon juge“ beigelegt
gesetzbuch derartig reformiert,
des
Volksmund den
hat,
das
Straf
daß Not so wie die
Notwehr gewertet wird. Das menschliche Herz birgt hundertfache
und
entsetzliche Abgründe; es gibt Abirrungen so grauenvoller Art, daß selbst
handensein
einer satanischen
Neben den finstersten die aus
der Skeptiker an das Vor
selbstlosen,
Macht glauben lernt.
Verfehlungen liegen andere,
ja aus edlen Beweggründen
begangen werden können.
Es gibt sogar obrigkeit-
liche Verfügungen, denen ein Mensch von warmem, richtigem Empfinden unbedingt zuwiderhandeln wird. Allen
diesen vielfachen,
an Abarten reichen.
in
Ursachen
ihren
ganz
gehungen gegenüber, steht Geldstrafe
sühnenden
zu
23er-
grundverschiedenen
—
leichten,
die
hier
Fälle sind
durch
auszu
schalten — dem Richter nur eine plumpe Keule, die
Freiheitsstrafe zur Verfügung.
Mit diesem
Werk
zeuge hat er nach dem Wortlaut des Paragraphen
zuzuschlagen, ehern und ungefüg.
Der gleiche Schlag
aber, der dem Verkommenen gering deucht, schmettert
den noch Ehrliebenden in den
Boden hinein;
das
gleiche Strafmaß, das den Jüngeren, den Stärkeren,
erschüttert,
aber
Schwächeren,
nicht
dem
wird
niederzwingt,
dem
Zartfühlenden zur Todesstrafe.
Müßte hier nicht eine
Reform
eintreten,
die
deutschem, modernem Geiste einen Spielraum neben, oder
besser
währte?
über
die es
dem dem
veralteten
Buchstaben
Richter gestattete,
ge
besser zu
individualisieren,
eine reichhaltigere Abstufung der
Strafabmessung,
mehr
Strafabarten
anzuwenden,
vom schwersten wuchtigsten Spruche, bis herab zur
Erkennung
auf eine custodia honesta,
aaf
Ver
schickung in ländliche Arbeitsstätten, in handgewerb
liche Schulen? Das Strafgesetz verweigert, bei einer Reihe von
Verbrechen,
die Zubilligung mildernder
Umstände
wohl nur deshalb, weil die schweren Fälle besonders
wuchtig getroffen werden sollten. sehr ungerechterweise
gehen
leiden —
die
zahlreichen
— hierunter
leichteren, oft geringfügigen
Verbrechen.
Nun
Ausgestaltungen jener
Des weiteren sind einer Reihe von Ver
mildernde
Umstände
nicht einmal dem einfachen
nicht
beigegeben,
Diebstahl,
so
bei dem es
sich zuweilen um gänzlich minimale Werte handelt. Dadurch ist es dem Richter unmöglich gemacht, auf
Geldstrafen
zu
selbst nicht
erkennen,
angesichts
eines Gelegenheitsdiebstahls, oder einer Entwendung von Nahrungsmitteln gegenüber, die aus quälendem Hunger
geschah.
Bestimmungen
Solche
das deutsche Volksherz
und
läuten
verletzen
sich selbst
die
Totenglocke.
Möchte ferner,
dort
wo mildernde Umstände
und Minimalstrafen vorgesehen sind, ein neues, mildes
Gesetz dem Richter,
bei der Strafabmessung,
unten hin volle Freiheit gestatten.
ein Sturm erwachte,
nach
Daß doch bald
der unserer Rechtspflege
eine
Wiedergeburt brächte, einen Umbau nach den festen
Richtmaßen deuffchen Empfindens, christlichen Geistes.
Reform
Jene
düsteren Dächer,
durch die brausen.
kalten
müßte
gleichzeitig
über
die
durch die dumpfigen Arbeitssäle, Zellen
der
Gefängnisanstalten
Möchten unsere Regierenden sich zu prak
tischen Versuchen auf dem Gebiete der theoretisch so
ost erörteten Deportionsfrage entschließen.
Völker sind uns hierin vorangegangen.
Andere
Die Fran-
zosen gewähren den Deportierten steigende Freiheitserweiterung. Die Verbrecher leben nach etlichen Jahren als
überwachte Kolonisten, später als Grundeigentümer. Es wird ihnen nach einem Zeitraum gestattet, ihre
Frauen nach Numea und Kaledonien lassen.
Frauen, von denen ein
kommen zu
Teil gleichfalls
Freiheitsstrafen in heimischen maisons centrales verbüßt haben.
Es dürste sich die bedeutsame sta-
tistisch bewiesene Erfahrung wiederholen, daß Kinder,
die nach der Wiedervereinigung
erzeugt wurden,
fast durchgängig immun gegen Verbrechen blieben. Möchten gleichzeitige Versuche in der Richtung des
irischen Systems angebahnt werden.
Richt sei zu
nächst dem amerikanischen Verfahren zugestimmt, das
seinen Anstaltsinsassen freie Zusammenkünfte
athle-
tische Spiele, sogar die Redaktion einer eigenen Zei tung,
von Gefangenen für
Gefangene geschrieben,
Wohl aber dürste einer Vollzugsform das
zugesteht.
Wort geredet werden können, welche die Gefangenen durch allmählich gewährte Erleichterung und Ver
ihrer
besserung
Lage wieder
zur Selbständigkeit,
zur Fähigkeit erzieht, die später zurückerlangte Frei
heit zu ertragen. Der heute übliche Strafvollzug erfüllt von dem,
das er bezweckt, ein genaues Gegenteil.
Dem bis
herigen Gange: der Herabwirtschaftung des Indivi duums zum Schaden für die Gesamtheit, wäre alles andere vorzuziehen.
Im Namen des Christentums ist hier Halt und
Umkehr zu
Es
gebieten.
müssen tausend Zungen
sich erheben, um nach Reform zu rufen.
lich ist daß
es,
den Strafvollzug
er schädigt,
wirken.
anstatt
Sogenannte
Unmensch
derart zu gestalten,
erzieherisch,
festigend zu
„Schwindsuchtarbeit"
sollte
völlig vom Plane verbannt, zweckmäßigere Kost sollte ermöglicht werden.
Es müßte vor allem der Grund
satz zur Tat anwachsen:
und etwas mehr Liebe.
etwas weniger Schema F
Unser Kaiser hat in dankenswertester Weise das -deutsche Volk
auf die Segnungen
der
körperlichen
Uebungen sowie auf diejenigen körperlicher Reinlich«
Sollten diese für die Gesunden
feit hingewiesen.
unerläßlichen Heilskräste nicht mit um so größerem Rechte den Heilungsbedürftigen, den ärmsten unserer
Brüder, den Gefangenen zugute kommen? Tägliche
Reinigung
wird
bald dem
Körper
unentbehrlich.
Hierin liegt ein gesundheitlich und erzieherisch bedeut
samer Faktor, auf den, beiläufig gesagt, auch in den
Kasernen
größeres
Gewicht gelegt
werden
sollte.
Wem Reinlichkeit zur Pflicht geworden, wer es ge
lernt hat, nicht ausschließlich Gesicht und Hände zu waschen, vermag, auch wenn er die Anstalt verlassen,
der Wohltat regelmäßiger Reinigung schwer zu ent-
raten;
er nimmt das Bedürfnis der täglichen stär
kenden Waschung mit sich ins bürgerliche Leben, sich
zur Pflege, anderen zu gutem, leicht nachzuahmendem Beispiel.
Ein Wasserkrug und ein Frottiertuch haben
in der engsten Kammer Platz und sind für den Ge ringsten erschwinglich.
Wäre für die Dauer des Winters den Gefangenen Turnunterricht, Unterweisung in nützlichen handge-
werblichen
Fertigkeiten,
gemeinsame
Vorlesungen
lehrreichen, nicht immer religiösen Inhalts zu gönnen,
so
müßte,
wenn der Winter
die Kerkertüren öffnen.
vergeht,
große Liebe
Hinaus mit den Gefangenen
in Barackenlager, auf die Haide, zur Urbarmachung von Oedländereien!
Auch für Frauen schafft Arbeit
im Garten und Feld Genesung.
Die Männer jedoch,
die jugendlichen, kräftigen, gehören auf Werften und
schwimmende Docks,
zur Erlernung
Baggerarbeiten.
von
zum Schiffszimmermannswerk, Deichbau,
Strandschutz
oder
Im herben Ruch der Ackerschollen,
im salzigen Seewinde liegen ungehobene Schätze an sittlicher Genesung und läuternder, sühnender Kraft
Heran nun an einen Schaden,
der titf klafft,
und
der sich zu einer Gefahr für Gesellschaft und Staat auszuweiten droht!
Der
entlassene Strafgefangene
merkt gar bald, daß seine Zukunft eine
hoffnungs-
lose ist.
Der Staat versagt ihm Beistand, schließt
ihn
jeder
von
staatlichen Anstellung
aus.
Kein
Wunder, daß Handlungshäuser, Reedereien, Privat
unternehmer das
harte Beispiel nachahmen.
Abgewiesene ist den Arbeitgebern
menschen
gegenüber
auf
ein
Der
sowie seinen Mit immerwährendes
Bersteckspiel angewiesen; sein ganzes Leben wird zu
Haltlosigkeit, Unrast und Lüge.
Keinen Tag ist er
vor Denunziantentum seiner Mitmenschen oder vor
polizeilichen Nachforschungen sicher;
fand er einmal
einen christlich denkenden Handwerksmeister, so ver-
weigern oft die Mitgesellen „einem, der gesessen hat".
gemeinsame Arbeit mit Auf nahezu
unfehlbare
Weise wird der Vorbestrafte hierdurch dem Rückfalle
preisgegeben und dem Zuchthause zurückgelief-rt. Den Vorbestraften hilft kein eisernes Wollen, kein guter
Vorsatz; ihnen streckt sich keine Hand entgegen, ihnen öffnet sich keine Tür.
Sie erkennen'gar bald, daß
sie hoffnungslos ausgestoßen sind.
Diese Erkenntnis,
im Verein mit dem häuslichen Elende und der ver heerenden Wirkung
des Volkströsters, Todfreundes
Branntwein, erzeugt naturgemäß einen bitteren Haß gegen Obrigkeit und Besitzende.
Die vielen Zehn
tausende der Enterbten
werden soziale Krankheits
erreger,
die
können
leicht
Fundamente zu
einem
finsteren fünften Stande zusammenschichten. Staat, Gemeinde, Schule verbinden sich, um den
Vorbestraften grundsätzlich zu deklassieren,
und die
große Mehrzahl der Staatsbürger stimmt freudigst
zu.
Woher dieses
unbarmherzige Abwenden
von
einem gefallenen Bruder? Besitzen die Mitmenschen in Wirklichkeit einen so empfindsamen sittlichen Grad messer, einen so heiligen Respekt vor der Unverletz
lichkeit gesetzlicher Schranken? Ach nein, viele Menschen
sind geneigt, auf jenen Schranken, namentlich wenn
es sich nicht um grobe Vergehungen handelt, umher
zutänzeln, aber
es mit der Befolgung
lästiger Verfügungen
vieler
kleinerer,
leicht zu nehmen.
sehr
„Laß Dich nicht erwischen", heißt es im Volksmund,
und
hierin
liegt
ausgesprochen,
Menschen weniger das Vergehen,
Vergehen
die
daß
meisten
als die auf das
gesetzte Strafe für schimpflich
Es muß der ernstliche Wille eines
erachten. christlichen
Staates sein, den Gefallenen die Rückwege zu einem gesetzmäßigen Leben zu
ebnen.
Es
könnte durch
wohlwollende Handhabung der Polizeibestimmungen, durch Beseitigung des Strafvermerks in den Papieren viel Gutes erreicht
werden.
Auch
dürfte die Auf-
Hebung oder doch Milderung des barbarischen Aus
schiffungsverbotes
vorbestrafter
Amerika zu erstreben sein.
Staat stets neu darauf
Auswanderer
in
Nicht minder müßte der
bedacht
bleiben,
die Wege
einzudämmen, welche in das Gefängnis hineinführen.
Es müßte der Ruf:
„Schutz dem Jünglingsalter",
mehr als bisher zum Richtworte werden.
Christliche
Beeinflussung der Lehrlinge gerade in den gefähr lichsten, versuchungsvollsten Jahren, welche zwischen
dem Verlassen der Schule und dem Eintritte in das Heer liegen, würde sicherlich Gutes stiften.
Für
sorge für Lehrlinge und jugendliche Arbeiter würde
auch der Armee ein willigeres, Rekrutenmaterial zuführen.
zur
Verschüttung
sittlich gefestigteres
Die Hauptarbeit jedoch
der Wege,
die
ins
Gefängnis
führen, die Hauptarbeit an der sittlichen, sowie wirt
schaftlichen Wiederherstellung seiner gefallenen Brüder muß das Volk aus sich selbst heraus verrichten,
in ersterem Sinne durch immer freudigeren Anschluß an die, gottlob, stets machtvoller wachsende Abstinenz
bewegung, in
letzterer Hinsicht durch Abtun alles
pharisäischen Sauerteiges und in kräftiger Ausübung werktätiger Nächstenliebe. Hier aber gähnt als schmerzhafter Gegensatz zur
treuen Arbeit der
Fürsorgevereine
für Entlassene
ein erschreckender Abgrund an Gleichgültigkeit und
Scheinchristentum.
Der Geschäftsleiter des Deutschen Hilfsvereins
für entlassene Gefangene berichtet, daß in
dreihundert
deutschen Zeitungen zur Unterbringung Vorbe
strafter erlassene Aufrufe,
welche für
Vermittlung
jeglicher noch so bescheidenen Stellung Gebühren in
Aussicht stellten,
sechs Offerten zur Folge
hatten,
von denen vier unbrauchbar waren. Etwa
dreihundert
mittlungsbureaus
in
allen
verlangten
Deutschlands
Städten
wurden befragt, ob sie bereit seien,
jeder
Stellenver
kaufmännische
gegen Zahlung
kaufmännisch
Gebühr,
gebildeten
Entlassenen bescheidene Stellung zu verschaffen. Zu
gesagt hat nicht ein hundert
um
einziges Bureau
ihre Mithilfe
gebetenen
besitzern, denen zugemutet wurde,
Von Fünf Großgrund-
einen Entlassenen
gebildeter Stände, der durch sechsmonatliche Probezeit in einer Uebergangsstation die Redlichkeit seines
Wollens bewiesen
habe,
in irgend
einem Verwal
tungszweige anzustellen, waren es 470, die ablehnten oder die Zuschrift ignorierten.
Die Selbstlosigkeit war stets
eine schwer aus
zuübende Tugend, nie aber erscheint ihre Erfüllung
unmöglicher
als
heutzutage,
inmitten
einer
Zeit
elektrischer Akkumulationen, gesteigerterer Kraftanspan nung auf allen Gebieten.
Nie nahmen der Wett
bewerb, das Rennen um die Existenz rücksichtslosere
Formen an,
Volldampf in jedem Berufe, rastlose
Nervenanspannung in allen Ständen, das deutsche
Volksherz ward voll Unrast, voll Vergnügungssucht,
voll Nichtachtung stillen Glückes, voll Gottentfremdung. Klein ist der Teil des Volkes, der noch stille Stunden
kennt.
Dennoch liegt die Rettung in stillen Stunden,
nicht in solchen, die dem einzelnen, unfreiwillig und zu spät, hinter Eisengittern, einem Staate durch Er
schütterungen, durch Heimsuchungen kommen, doch in
jenen, die Gott allein wirken kann, um einem Volke die große Unrast, das Mißtrauen vor der Zukunst vom Herzen zu nehmen,
um uns die Güter der
Sonntagsheiligung, des gemilderten Daseinskampfes,
des vertiefteren Familienlebens wiederzuschenken, um uns, bei Freude an der Natur,
bei Pflege edler
Kunst, den Wegen der Nächstenliebe, der Genügsam keit,
den
großen
näher zu führen.
Wegen
inneren
Wohlgedeihens
Nachwort. Von Dr. phil. K. Seyfarckh, Pastor
am
Hamburger Zentralgefängnis,
Geschäftsleiter des Deutschen Hilfsverems für entlassene
Gefangene, Hamburg-Fuhlsbüttel.
Mehr als eine literarische Schöpfung des Prin
zen Emil von Schoenaich-Carolath, vor allem die Novelle „Bürgerlicher Tod", bezeugt, daß der Ver
fasser mit warmem Herzen den sozialen Notständen
unserer Zeit ins Auge schaut; und die Begründung
des Hamburger Brockenhauses,
das unter seinem
Protektorate steht, ist ein sichtbarer Beweis dafür,
daß er nicht nur aus weiter Ferne über diese Fragen reflektiert, sondern persönlich mit Hand anzulegen bestrebt ist, wenn es gilt, Not und Elend zu lindern.
So sind ihm auch die ernsten Probleme, die Schuld
und Sühne in sich schließen, Veranlassung geworden, sich den Bestrebungen, die der „Deutsche Hilfs verein
folgt,
für
entlassene
Gefangene"
ver
anzuschließen, und unser Vorstand hat die
Freude, ihn zu seinen Mitgliedern und Mitarbeitern zählen zu dürfen.
Es ist mir gestattet worden, den tiefgründigen
und warm empfundenen Ausführungen des Prinzen
ein kurzes Nachwort anzufügen und darin speziell das Problem etwas näher zu beleuchten, auf dessen Schtvierigkeit der Verfasser im letzten Teile seiner
Betrachtungen mit so großem Ernst hinweist :
die
Fürsorge für die Entlassenen.
Mit Recht betont der Verfasser, daß kein Mensch, der sich mit vollem sittlichen Ernst und ohne Selbst
betrug den
Problemen
Verbrechens
des
und der
Strafe gegenüber stellt, sich verhehlen kann, daß an
vielen Handlungen der Schwachen, welche sich zum
Rechtsbruch
gestalten,
die
menschliche
Gesellschaft
in ihrer Gesamtheit eine Mitschuld trifft, und daß namentlich die Art, wie sich Staat und Gesellschaft
dem einmal Gefallenen nach verbüßter Strafe gegenüberstellen, weder mit den Vorschriften der Religion, noch mit den Forderungen der Humanität zu ver
einbaren ist. Ich bin selbstverständlich
weit davon entfernt,
das Wort abschwächen zu wollen, daß „die Sünde der Leute Verderben" ist; wenn man tagtäglich in
Gefängnissen arbeitet,
so sieht man mit Schrecken,
wie Gottlosigkeit, Leichtsinn, Arbeitsscheu und Trunk-
sucht
der
dirette
Grund
zu
zahllosen
strafbaren
Handlungen sind und die Menschen ins Unglück und Elend reißen.
Aber ebensowenig wird jemand, der
sich dem Nachdenken über die dunklen Seiten der menschlichen Natur nicht verschließt, leugnen können,
daß oftmals auch nur der Zufa ll der V ersuchung sich
zur
Schuld
gestaltet,
und
die
Unschuld
nichts weiter, als Freiheit von der Versuchung ist; über allen Zweifel erhaben aber ist es,
daß
jedem — mag er nun aus diesem oder jenem Grund
gefehlt
haben
und
bestraft
worden
sein —
die
Möglichkeit gegeben werden muß, sich bei redlichem
Willen wieder emporzuringen, mal
verbüßte
Strafe
und daß eine ein
nicht
für
das
ganze Leben eines Menschen vernichtend nachwirken darf.
Das ist aber tatsächlich heute
noch ost der Fall, und an
einer Änderung dieses
Zustandes mitzuhelfen, ist eine soziale Pflicht, der
sich niemand entziehen dürfte. Zwar existieren, seit sich das öffentliche Interesse
überhaupt der Person des Rechtsbrechers mehr zu-
gewendet hat, und der Standpunkt aufgegeben ist,
daß der Zweck der Strafe lediglich die Vergeltung für begangenes Unrecht sei, allerorten Vereine, die
sich bestreben, Entlassene wieder in geordnete Ver hältnisse zu bringen.
Es sind ihrer gegenwärtig in
Deutschland etwa 600, die mit großer Treue und reichem
Erfolge
arbeiten,
und
teilweise
unberechenbarem sozialem Segen sind.
ältesten
und
in
seiner
Organisation
von
Einer der
vorbildlich
ist der „Berliner Verein zur Besserung der Straf gefangenen", welcher seit seinem Bestehen unzähligen
gebrochenen Eristenzen wieder aufgeholfen hat; und
neben ihm wirken die vielen anderen in gleichem Geiste.
In den einzelnen Ländern und Provinzen
haben sie sich zu Landes- und Provinzialverbänden zusammengeschlossen und finden in dem Verbände
der
deutschen
Schutzvereine
für
entlassene
Ge
fangene, welcher in Karlsruhe seinen Sitz hat, und
der tatkräftigen Initiative des hochverdienten Ge
heimrats Fuchs daselbst sein Entstehen verdankt, den richtigen
Mittelpunkt,
von
welchem
aus das
ge
samte Gefangenen-Fürsorgewesen nach möglichst ein
heitlichen Gesichtspunkten geregelt und die einzelnen
25 ^»-WseL»-r^LKL»-WL^L»-rV!r
Verbandsangehörigen untereinander in steter Fühlung erhalten werden können. Aber trotz aller Arbeit, die uneigennützig und
unverdrossen von diesen vielen Stellen Jahr aus Jahr
ein geleistet wird, bleibt dennoch das Wort bestehen, daß in manchen und gerade sehr ernsten Fällen die bestehende Fürsorgepraxis nicht imstande ist,
reichende und dauernde Hilfe
aus
zu leisten.
Es ist
dies namentlich dann der Fall, wenn es sich darum
handelt, Kreisen
Entlassenen,
welche
angehören und
den
deren
gebildeten
körperliche
Be-
schaffenheit ihnen die Leistung schwerer Handarbeit unmöglich macht, nach einer verbüßten Strafe eine neue Existenz zu begründen.
Für Handarbeiter und
gelernte Handwerker ist die bestehende Fürsorge fast
durchweg
ausreichend,
und wenn einer nur
den
ernsten Willen hat, so wird ihm von seinem Lokal-
verein wohl regelmäßig ein Arbeitsplatz nachgewiesen
und seine etwa bestehende materielle Not gelindert werden können.
Ganz anders aber liegt die Sache
bei studierten Leuten, früheren Lehrern, Kaufleuten
und anderen Angehörigen gebildeter Stände. dem
redlichsten
Bemühen
ist
es
hier
Selbst
oftmals
unmöglich, ihnen nach einer verbüßten Strafe wieder
eine Existenz zu begründen.
Ein seit Jahrzehnten
in der Fürsorgearbeit überaus tätiger Mann, der Kirchenrat Fleischmann in Kaiserslautern,
bei der letzten
hat es
Hauptversammlung des Verbandes
der deutschen Schutzvereine offen ausgesprochen, und viele sind seinen Ausführungen beigetreten,
daß es
ihm trotz aller Bemühungen noch nicht ein einziges
Mal gelungen sei, einen gebildeten Entlassenen in einer seiner Fähigkeiten und Neigungen auch nur einigermaßen entsprechenden Weise unterzubringen;
und aus den nach Hunderten zählenden Gesuchen solcher Leute, die mir vorliegen, geht deutlich her vor, daß bei einer großen Anzahl alle Anstrengungen
der Fürsorgeorgane und Privaten nicht imstande ge wesen sind, ihnen zu helfen. — Es liegt hier
ein sozialer Notstand vor, durch welchen jährlich zahlreiche von dem besten Willen
beseelte Menschen, deren Fähigkeiten sehr wohl noch dem Dienste der Allgemein
heit zugute kommen könnten, verzweifeln und zugrunde gehen. Die Fürsorgeorgane trifft keine Schuld daran,
denn ihre Hilfe wird von so vielen in Anspruch
genommen, daß ihnen, mit Ausnahme von großen Vereinen,
ihre Mittel nicht gestatten,
auf einen
einzelnen Fall so große Summen zu verwenden, wie
sie zur dauernden Rehabilitierung solcher Leute nötig sind, denen Staat und Gesellschaft die Rückkehr in
ihren früheren Beruf unmöglich machen.
Ich habe bei
anderen Gelegenheiten die hier vorliegenden Schwierig
keiten
ausgeführt
und
die fast
unüberwindlichen
Vorurteile näher beleuchtet, mit denen solche Un glücklichen zu kämpfen haben, und beschränke mich
darauf,
die Tatsache zu wiederholen, daß es für
einen gebildeten Mann, der nach einer erlittenen Freiheitsstrafe nicht mit einer Lüge in die bürger
liche Gesellschaft zurücktreten will, oftmals auch beim besten Willen unmöglich ist, wieder eine Existenz
zu finden, und daß daher in vielen Fällen für sie eine einmal
verbüßte Strafe
tatsächlich für das
ganze Leben vernichtend ist.
Wenn man auch den Standpunkt vertreten mag, daß solche Leute um ihrer besseren Erkenntnis halber
für einen Rechtsbruch besonders hart anzusehen sind,
und daß sie ihre Ansprüche auf das bescheidenste
Maß
zurückdrängen
müssen,
so
das
Wort
Mensch
empfindender
schaffen wollen,
niemand
daß
darf, der den
wird
aus
doch
kein
der
Welt
umkommen
redlichen Willen hat,
gerettet zu werden.
Aus diesen Erwägun
gen heraus hat sich daher unter der freudigen Zu stimmung fast aller bestehenden Fürsorgevereine im Jahre 1903 auf meine Veranlassung der deutsche Hilfsverein
für entlassene
Gefangene
gebildet, der es zu seiner schweren Aufgabe gemacht
hat, sich speziell mit der Lösung des Problems zu beschäftigen,
wie es möglich ist, diesem Notstände
abzuhelfen.
Die Tätigkeit dieses Vereins ist natur
gemäß eine etwas andere, als die der Lokalvereine
für Entlassene; und wenn die letzteren mit verhältnis
mäßig geringen Mitteln Großes leisten können, so ist dies dem deutschen Hilfsverein ^unmöglich;
muß,
um
segensreich
weitgehenden
Ziele
er
zu wirken und seine
realisieren
zu
können,
große Mittel zur Verfügung haben, sonst bleibt der Nofftand gestehen.
nicht kräftig und
Wenn auf diesem Gebiete durchgreifend
geholfen
werden kann, so ist meist die ganze aufgewendete
Mühe umsonst.
Der deutsche Hilfsverein tritt prin
zipiell nur in solchen Fällen ein, in welchen alle andere Hilfe versagt, obwohl der betreffende Ent
lassene vom ernsten Willen beseelt ist, Unrecht wieder gut zu machen.
vergangenes
Er sieht nicht auf
Konfession oder Heimatsangehörigkeit, sondern ledig lich auf den ernsten Willen und die Bedürftigkeit.
Da nun aber in Deutschland bei den einmal bestehenden Vorurteilen eine Rehabilitierung bestraf ter Leute oftmals nicht möglich ist, so verpflanzt er
seine Schützlinge auf ihren Wunsch in solchen Fällen
in deutsche Gemeinden des Auslandes, wo
sie ihre Fähigkeiten nutzbringend verwerten und in ganz neuen Verhältnissen ein neues Leben beginnen können.
Sehr häufig
werden zum Beispiel semi
naristisch oder akademisch gebildete Entlassene, meist frühere Lehrer,
unserer Hilfe empfohlen.
Solche
Leute sind in Deutschland schlecht daran; ich habe mit verschiedenen Landesregierungen
darüber ver
handelt, ob man nach einer angemessenen Zeit tadel losen Verhaltens in der Freiheit nicht eine
weise
Wiederanstellung
ins
Auge
fassen
probe könne,
durchweg aber ablehnenden Bescheid erhalten. Was
soll nun ein solcher Mann anfangen?! Zur Erlernung
eines
Handwerks ist
er
zu alt
und
schwere körperliche Arbeit hat er nie
ungeschickt;
betrieben und
ist oft auch nicht imstande, sie zu leisten; der robuste
Knochenbau seiner Mitbewerber sticht ihn aus. bei
hängen
diese Leute
meist
Da-
außerordentlich
an
ihreni Beruf und haben oft Vorzügliches darin ge
leistet und großes Lehrtalent, so daß es ein Jammer ist, es verkominen zu lassen.
daher
schon Lehrern
in
Wiederholt haben wir
deutschen Gemeinden
Auslandes eine neue Heimat
begründet,
des
wo außer
unseren Vertrauensleuten, niemand ihre Vergangen
heit kennt, und das lähmende Gespenst ihres einmal begangenen Rechtsbruchs nicht überall hindernd an
ihrer Seite steht und sie in ihrem Vorwärtsstreben hemmt.
deutschen
Einer hat sich, nachdem er zunächst an einer
Schule
unterrichtet hatte,
infolge
seiner
pädagogischen Begabung so viel Vertrauen erworben,
daß er jetzt selbst eine Schule leitet und glücklich und
zufrieden ist.
Hier
wäre er — da er nach
einer
Wechselfälschung eine Gefängnisstrafe verbüßt hatte — ohne Zweifel zugrunde gegangen, denn alle seine
ungezählten Versuche zu seiner Rehabilitierung waren
gänzlich resultatlos gewesen. — Und ähnlich liegen viele andere Fälle.
Freilich ist die äußerste Vorsicht bei dieser Tätig keit geboten,
damit unser schwieriges Unternehmen
nicht diskreditert wird und unsere mit vielen Mühen
gewonnenen Vertrauensleute nicht enttäuscht werden. Um daher auch den Anschein zu vermeiden, als
handle es sich bei diesem sozial so wichtigen Rettungs
werke um
eine Abschiebung
lästiger Elemente ins
Ausland, wird unter den Personen, welche von den Lokalvereinen und Behörden vorgeschlagen werden,
oder sich direkt bei
unserem Vereine
melden,
noch
eine strenge Auswahl getroffen, indem unsere Hilfe nur solchen Leuten zuteil wird, die durch ein meist sechsmonatliches tadelloses Verhalten in
der Freiheit den Beweis erbracht haben, daß es ihnen mit ihren guten Vorsätzen Emst ist und man ihnen die Kraft zu deren Durchführung
darf.
Zu diesem
Zweck hat der
zutraucn
Deutsche Hilfs-
verein in Hamburg eine äberflanfl$ftation begründet, in welcher sie diese Probezeit absolvieren und ihre
Zuverlässigkeit bewähren müssen.
Diese Art unserer
Arbeit gibt aber zugleich den Beweis
dafür,
daß
unser Werk nur dann erfolgreich
betrieben werden
kann, wenn wir sehr große Mittel zur Ber-
fügung haben, welche durch die Jahresbeiträge der mit uns verbundenen Vereine nicht annähernd auf
gebracht werden können.
Denn nehmen wir an,
daß einer unserer Schützlinge von keiner Seite Unter
stützung findet — was mehr als einmal vorkommt —
so kostet uns seine Unterhaltung in der Übergangs
station monatlich 60 Mk., das wären in 6 Monaten 360 Mk. Die Ausrüstung für sein Bestimmungsland
kostet an Garderobe usw. mindestens 150 Mk., die
Überfahrt, je nach der Gegend, in die wir ihn ver senden, 200 bis 300 Mk. und mehr, und außerdem
senden wir fast stets dem Vertrauensmanne,
der
sich unserer Schützlinge in der Ferne annimmt, für alle Notfälle eine Summe von 100 Mk., damit die
Leute nicht ganz mittellos dastehen, so daß also für
einen einzelnen Fall etwa 1000 Mk. nicht zu hoch gegriffen sind.
Das ist wenig,
wenn man daran
denkt, daß vielleicht ein Menschenleben und eine
Menschenseele dadurch gerettet wird, aber viel, wenn man bedenkt, daß Hunderte von Menschen vorhanden sind, für die eigentlich in der geschilderten
Weise eingetreten werden müßte, um sie zu retten.
Natürlich werden die Mittel zum großen Teil von den zuständigen Lokalvereinen, Provinzialverbänden, oder
selbst, sofern sie
auch den Entlassenen
sind,
imstande
aber
aufgebracht;
dazu
derartiges
ein
Unternehmen müßte pekuniär so gestellt sein,
daß
Mittellosigkeit des Bewerbers unter keinen Um ein Grund ist,
ständen
aus dem die notwendige
Hilfe unterbleibt. Dreißig unserer Schützlinge haben wir während
des ersten Jahres unserer Tätigkeit im
Auslande
eine Existenz begründet, da wir in allen in Bettacht
kommenden Ländern der Welt
Vertrauensleute ge
wonnen haben, die uns in unserem Bestreben, zer Menschenschicksale
trümmerte
wieder
aufzubauen,
selbstlos und willig zur Hand gehen.
Aber es ist — so gern wir das auch möchten — unmöglich, unsere Tätigkeit lediglich hierauf zu be schränken
und wird auch in Zukunst nicht möglich
sein, denn es zeigt sich während der Probezeit sehr häufig, daß diejenigen, für welche unsere Hilfe er beten war, sich nicht fürs Ausland eignen, und wir können
sie
doch,
nachdem
wir uns einmal ihrer
angenommen, nun nicht unverrichteter Sache wieder
in die Heimat zurückschicken und neuer Hoffnungs losigkeit preisgeben. Deshalb ist es unumgänglich, daß der deutsche Hilfsverein
auch
bei denen nach
deren Wunsch,
ins Ausland zu
ausnahmsweise
Kräften eingreift,
gehen, sich aus irgend welchen Gründen nicht ver
wirklichen läßt,
und er hat dies nach
Möglichkeit
und mit manchem guten Erfolg bereits getan,
so
daß durch seine Hilfe, außer den ins Ausland ver pflanzten, nahezu einhundert innerhalb Deutsch-
lands rehabilitiert worden sind, auch hier unter Be
rücksichtigung des Umstandes, daß die Verpflanzung
in eine neue Umgebung
das beste und wirk
samste Mittel zur Wiedergewinnung der Entgleisten für die bürgerliche Gesellschaft sei.
Gegenüber den geschilderten Aufgaben sind nun aber die zu Gebote stehenden Mittel noch durchaus
unzureichende, und es
Menschenfreunde die
Arbeit
des
ergeht darum an alle
die
dringende
deutschen
Bitte,
Hilfsvereins,
für dessen Begründung Hamburg mehr als
30000 Mk. an freiwilligen Gaben aufgebracht hat.
durch
Gewährung
größerer,
einmaliger
Beiträge finanziell zu sichern, und dadurch
an der Beseitigung eines Notstandes mitzuarbeiten,
dem
viele
bedauernswerte
Menschen zum Opfer
fallen, die den redlichen Willen haben, vergangenes
Unrecht wieder gut zu machen, aber der Last der
Vorurteile unterliegen müssen, wenn warmherzige Menschenliebe sich ihrer nicht erbarmt.
A. B. Ueberroaffer, Wandsbek-Hamburg.