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German Pages 313 [314] Year 2006
G. W. F. HegelI
Phänomenologie des Geistes
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Klassiker Auslegen Herausgegeben von Otfried Höffe Band 16
Otfried Höffe ist o. Professor für Philosophie an der Universität Tübingen.
G. W. F. Hegel
Phänomenologie des Geistes Herausgegeben von Dietmar Köhler und Otto Pöggeler
2., bearbeitete Auflage
Akademie Verlag
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IV Titelbild: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Brustbild in den jüngeren Jahren (genaue Datierung unbekannt), wahrscheinlich von Riepenhausen angefertigt, im Besitz des Hegel-Archivs der Ruhr-Universität Bochum.
ISBN-10: 3-05-004234-6 ISBN-13: 978-3-05-004234-3 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2006 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706 Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form – by photoprinting, microfilm, or any other means – nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Gesamtgestaltung: K. Groß, J. Metze, Chamäleon Design Agentur, Berlin Satz: Hans Herschelmann, Berlin Druck und Bindung: MB Medienhaus, Berlin Gesetzt aus Janson Antiqua Printed in the Federal Republic of Germany
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Inhalt
Zitierweise und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII 1. Einführung Dietmar Köhler / Otto Pöggeler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit Andreas Graeser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung Joachim Hagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Hegel’s “Inverted World” Joseph C. Flay . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Die Bewegung des Anerkennens in Hegels Phänomenologie des Geistes Ludwig Siep . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6. Selbstbewußtsein als Leitfaden der Phänomenologie des Geistes Otto Pöggeler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 7. Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie Klaus Düsing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 8. The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit Marcos Bisticas-Cocoves . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
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Inhalt 9. Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt – Überlegungen zum Geist-Kapitel der Phänomenologie des Geistes Elisabeth Weisser-Lohmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 10. Hegels Gewissensdialektik Dietmar Köhler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 11. Die Metapher des Knotens als Leitfaden zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes Luis Mariano de la Maza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 12. Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft Gabriella Baptist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 13. Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie in Hegels propädeutischer Geisteslehre in Nürnberg Udo Rameil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Hinweise zu den Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
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Zitierweise und Siglen
Zitierweise Hegels Phänomenologie des Geistes wird zitiert nach dem von W. Bonsiepen und R. Heede herausgegebenen Band 9 im Rahmen der historisch-kritischen Ausgabe der Gesammelten Werke, Hamburg 1980 (= GW 9). .
Siglen GW
Werke
TW
Br
G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. (In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft) hg. von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg 1968 ff. G. W. F. Hegel: Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten. Berlin 1832 ff. G. W. F. Hegel: Werke. Theorie-Werkausgabe hg. von E. Moldenhauer und K. M. Michel. Frankfurt a. M. 1969 ff. Briefe von und an Hegel. 4 Bde. Hg. von Johannes Hoffmeister. Hamburg 1952/1953.
Einführung
Dietmar Köhler /Otto Pöggeler
Einführung
Hegels Buch Die Phänomenologie des Geistes erschien 1807 als „erster Teil“ eines Systems der Wissenschaft. Das Werk erläuterte selbst seinen Ansatz und die Ausführung. Es ordnete sich zugleich in das Systemganze ein. Doch diese Einordnung – und damit auch wohl der Ansatz und die Ausführung – wurden Hegel später problematisch. Blickt man auf den Weg von Hegels Denken im ganzen, dann steht dieses Werk an einem Wendepunkt. Es nimmt die Motive auf, durch die Hegel sich seit seinen frühesten Arbeiten anleiten ließ; es wird später aber auch umgedeutet – Materialien aus der Phänomenologie des Geistes können verwandelt in andere Zusammenhänge aufgenommen werden. So hat dieses Werk bei Hegel selbst schon ein Schicksal; seine Wirkung mußte den spezifischen Charakter annehmen, Hegels Systematik aufzusprengen und neuen Frageansätzen zu überliefern.
I. Ansatz, Ausführung und Einordnung der Phänomenologie Zweifellos hat Hegels Phänomenologie noch bei der Niederschrift eine große Ausweitung erfahren. Trotzdem konnte Hegel bei der Publikation wenigstens für etwa zwei Jahre der Auffassung sein, die Ausführung entspräche dem Ansatz. Wurde aber nicht eine Geschichte des Bewußtseins ausgeweitet zu einer Aufschlüsselung von Weltgeschichte überhaupt? Doch
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler glaubte Hegel in abschließenden Erörterungen, auch vom Geschichtsbezug aus seine Phänomenologie bruchlos in sein System einordnen zu können.
I. 1 Der Ansatz der Phänomenologie Hegel hat seiner Phänomenologie des Geistes nachträglich eine „Vorrede“ mit auf den Weg gegeben, die zugleich Vorrede zum geplanten System der Wissenschaft ist. Auf diese Vorrede folgt im gedruckten Werk jener einführende Text, der mit den nachfolgenden Partien gleich zu Anfang in den Satz gegeben wurde, im späteren Inhaltsverzeichnis dann den Titel „Einleitung“ bekam. Dieser Text führt in das Ganze der Phänomenologie ein, die aber bei der Abfassung des Textes noch „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins“ heißen sollte. Hegel gibt in ihr die Absicht dieser Wissenschaft an, die mit der geplanten Logik in näheren Zusammenhang steht. Mit ironischen Wendungen lehnt Hegel es ab, daß man unabhängig vom Erkannten und vorweg das Erkennen als Werkzeug oder Medium klären könne. Diese angeblich „natürliche Vorstellung“ setze schon voraus, daß das Erkennen auf der einen Seite stehen könne, das zu erkennende Objektive oder das „Absolute“ auf der anderen. Solche Vorstellungen und Redensarten machen nach Hegel „nur eine leere Erscheinung des Wissens aus, welche vor der auftretenden Wissenschaft unmittelbar verschwindet“. Hegel muß aber zugeben: Die Wissenschaft ist, wenn sie auftritt, auch nur eine Erscheinung des Wissens; sie steht neben anderen Erscheinungen und kann als bloße Erscheinung unwahr sein. Da ein Versichern oder die Berufung auf eine bessere Ahnung hier nicht hilft, muß das erscheinende Wissen selbst dargestellt werden „als der Weg des natürlichen Bewußtseins, das zum wahren Wissen dringt“. (GW 9, 55) Das natürliche Bewußtsein ist nur Begriff des Wissens und nicht reales Wissen (es fügt sich mit der erkannten Sachhaltigkeit noch nicht in das Ganze des Erkennens ein). Der Zweifel muß dem natürlichen Bewußtsein das zufällig Erkannte nehmen und das Bewußtsein so auf den Weg der Verzweiflung bringen. Die Darstellung des erscheinenden Wissens ist der „sich vollbringende Skeptizismus“; aber sie springt nicht von
Einführung diesem zufälligen Wissen, es aufgebend, zu jenem, sondern ist, „die ausführliche Geschichte der Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft“. Die Negation eines Erkannten ist eine „bestimmte Negation“; sie geht durch die Negation des Einen zu einem bestimmten Anderen fort. Als ein notwendiger Fortgang durchläuft sie die Vollständigkeit der Formen des Bewußtseins; so ist sie eine Geschichte, die ihr Ziel hat. Nur das natürliche Bewußtsein wird durch den Tod, den es von außen erleidet, über sein bestimmtes Dasein hinausgetrieben; das Bewußtsein, das seine Beschränktheit negiert, tut sich diese Negation selbst an und kann so eine letzte Vollendung als Selbstgewißheit erreichen. Die „Methode der Ausführung“ dieses Weges wird von Hegel einleitend und vorweg eigens vorgestellt. Der entsprechende Text bekam später den Titel „Einleitung“. Die Bildung des Bewußtseins zur Wissenschaft kann als „Prüfung der Realität des Erkennens“ gefaßt werden. Eine Prüfung verlangt einen Maßstab, der an die Prüflinge gelegt wird; doch ein Philosophieren, das sich selbst rechtfertigen muß, hat kein Amt über sich, welches Prüfungsmaßstäbe festlegt. Sind die Wahrheit und das Ansich, die bei einer Prüfung des erscheinenden Wissens vorausgesetzt werden müssen, nicht der von uns selbst aufgestellte Gegenstand, also bloß „unser“ Gegenstand? Das Bewußtsein überhebt uns dieser Trennung zwischen dem, was an sich, und dem, was für uns ist. Diese Unterscheidung fällt in das Bewußtsein. So hat das Bewußtsein den Maßstab der Prüfung an ihm selbst; es unterscheidet in sich ein Ansichsein und ein Füranderessein, Gegenstand und Begriff, Wahrheit und Gewißheit. Hegel nimmt diese Redeweisen durchaus vorläufig und ungeklärt aus der Tradition auf. So ist es gleichgültig, ob (begriffsrealistisch) der Begriff gegenüber dem Gegenstand oder (nominalistisch) der Gegenstand gegenüber dem Begriff als das Maßgebliche gilt. Wir brauchen das Bewußtsein nicht zu prüfen und dafür keinen Maßstab als unsere Zutat zu liefern, weil das Bewußtsein sich selbst prüft, nämlich die genannten Seiten in sich unterscheidet und zum Ausgleich bringt. Was dem Bewußtsein das Ansich war, erweist sich als ein Für-es; durch die bestimmte Negation entspringt ein neuer Gegenstand für das Bewußtsein, so daß eine neue Prüfung beginnen muß. Diese „dialektische Bewegung“ ist das, was in der Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins „Erfahrung“ genannt wird.
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler Hegel besteht darauf, daß die gemachte Erfahrung nichts Zufälliges ist (das wäre etwa dann der Fall, wenn sich das Haus, welches wir anstreben, nicht als das gesuchte Café, sondern als eine Sparkasse erwiese). Sicherlich sei das Bewußtsein in der Erfahrung begriffen und werde von Erfahrung zu Erfahrung getrieben. Wir bringen auch in der Tat, weil wir schon das ganze System der Wissenschaft und vor allem die Logik vor Augen haben, eine „Zutat“ ein: Wir sehen, daß der Weg des Bewußtseins notwendigerweise von einem Gegenstand zum anderen führt und sich in der Selbstgewißheit vollendet. (Allerdings hat Hegel 1805/06 nur die Grundelemente dieser Logik skizzenartig vorgestellt, ohne diese Konzeption jemals näher auszuarbeiten. Keineswegs darf die der Phänomenologie zugrundeliegende Logikkonzeption mit der späteren „Wissenschaft der Logik“ gleichgesetzt werden. Die Frage nach Schlüssigkeit sowie Vollständigkeit der der Phänomenologie zugrundeliegenden Logikkonzeption muß somit gleichfalls offen bleiben.) In Hegels Phänomenologie wirft der Skeptizismus nicht eine Erfahrung nach der anderen in den Abgrund des Nichtigen; vielmehr vollbringt er sich, indem er einen notwendigen Verlauf nimmt. In einem Satz, der einen eigenen Abschnitt bildet, faßt Hegel gegen Ende der Einleitung die Konsequenz aus dieser Auffassung zusammen: „Durch diese Notwendigkeit ist dieser Weg zur Wissenschaft selbst schon Wissenschaft, und nach ihrem Inhalte hiemit Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins.“ Die Erfahrung des Bewußtseins begreift in sich das ganze System oder das Reich der „Wahrheit des Geistes“. Die Bestimmung „Geist“ meint das Absolute; in Hegels damaliger Logik oder spekulativer Philosophie ist diese Bestimmung der abschließende Begriff. Die Wahrheit des Geistes ist die Entfaltung aller seiner Möglichkeiten, also der Grundbestimmungen der Logik. In der Natur- und Geistesphilosophie von 1805/06 gibt Hegel am Schluß an, daß sein System der Wissenschaft sich in die spekulative Philosophie einerseits und in die Naturund Geistesphilosophie andererseits gliedere. Die Grundbestimmungen der „spekulativen Philosophie“, jetzt einfach „Logik“ genannt, werden so angegeben: „absolutes Sein, das sich Anderes (Verhältnis) wird, Leben und Erkennen – und wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich“. (GW 8, 286)
Einführung Der Gedankenstrich in dieser Aufzählung von sechs Teilen ist noch ein schwacher Nachklang davon, daß Hegel in den früheren Jenaer Jahren zwischen der Logik als einer kritischen Darstellung der Grundbegriffe und der Metaphysik als Darstellung des Trägers des Begreifens dieser Begriffe trennte. In jedem Fall ist die Phänomenologie des Geistes von der Erfahrung des Bewußtseins her durch den Gang der Momente der Logik bestimmt; dieser logische Gang macht sich mit seiner Notwendigkeit gegenüber dem Bewußtsein „hinter seinem Rücken“ geltend. Die Momente dieser Logik sind aber nicht – wie in der Logik selbst – „abstrakte reine Momente“; sie stellen sich hier vielmehr dar in Beziehung auf das Bewußtsein, das mit ihnen seine Erfahrung macht, und so als „Gestalten des Bewußtseins“. In komprimierten Sätzen hält die kleine Einleitung am Schluß fest, daß das Bewußtsein über seine Erfahrungen „zu seiner wahren Existenz sich forttreibt“. Dabei erreiche es einen Punkt, wo es den Schein ablegt, mit Fremdartigem und Anderem behaftet zu sein; die Erscheinung werde dem Wesen gleich. In der Phänomenologie selbst wird Hegel dann das Selbstbewußtsein einen „Wendungspunkt“ nennen, der aus dem Gegensatz zwischen dem farbigem Schein des sinnlichen Diesseits und der leeren Nacht des übersinnlichen Jenseits heraustritt und in den „geistigen Tag der Gegenwart“ einschreitet (GW 9, 127). Die Gestalt der sinnlichen Gewißheit mag dem Sein der Logik, also dem Bereich der Qualitäts- und Quantitätskategorien, entsprechen. Die Wahrnehmung erreicht das Verhältnis, also Relationskategorien wie Substanz und Akzidens. Das bloße Daß des Seins schließt sich also auf zu einem Verhältnis, doch muß die Kraft dieses Verhältnis überbrücken: die Substanz ist Kraft, welche aus sich herausgeht und die Akzidenzien trägt, sie aber in die Substanz zurücknimmt. So kann die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst, die im Text selbst und im späteren Inhaltsverzeichnis dann auch als Selbstbewußtsein angesprochen wird, sich aus dem Leben und seiner Verflechtung in das Seiende erheben. Im Folgenden geht es dann darum, daß die spekulativen Momente wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich zur Erfahrung kommen; diesen Teilen der Logik oder spekulativen Philosophie entsprechen in der Phänomenologie die Gestalten der Vernunft, des Geistes, dann der Religion und des absoluten Wissens. Hegel sagt am Schluß der Einleitung,
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler mit eben diesem Punkte (also nach dem Wendungspunkt des Selbstbewußtseins) falle die Darstellung des Bewußtseins „mit eben diesem Punkte der eigentlichen Wissenschaft des Geistes“ zusammen. Die eigentliche Wissenschaft des Geistes ist die Logik oder spekulative Philosophie; der Punkt an ihr, auf den es ankommt, ist die Überwindung zwischen dem Dinglichen und dem Bewußten. Die Vernunft kann sich in allem suchen, was ist, der Geist sich als das Absolute verstehen. Doch muß das Bewußtsein auf dem Weg von der Vernunft über den sittlichen und religiösen Geist sein Wesen, Geist zu sein, erst noch erfassen. Dann aber kann es „die Natur des absoluten Wissens selbst bezeichnen“.
I. 2 Die Ausführung des Ansatzes Will man nachweisen, wie die Phänomenologie des Geistes den genannten Ansatz ausführt, dann muß man den Weg der Phänomenologie im ganzen nachvollziehen. Das kann nur exemplarisch und im übrigen andeutend geschehen. Hegel beginnt mit der Gestalt der „sinnlichen Gewißheit“. Wenn diese Gestalt später auch „unmittelbare Gewißheit“ genannt wird, dann ist klar, daß die Sinnlichkeit hier auf die weiteste Entfernung von der Selbstgewißheit verweist und so von dieser wegführt zur Unmittelbarkeit. Die sinnliche Gewißheit ist ein Wissen des Unmittelbaren oder des Seienden; in ihr weiß ein Einzelner unmittelbar das Einzelne oder das reine Dieses, bzw. Diese im Plural. Vom Reichtum möglicher Erfahrungen wird gegenüber diesem Diese nur angegeben, daß sie sind. Es zeigt sich, daß diese Diese nur zu meinen sind, die Gewißheit also unmittelbar oder sinnlich bleibt. Hegel gebraucht deshalb einen Doppeltitel: „Die sinnliche Gewißheit; oder das Diese und das Meinen“. Ehe Hegel die Gestalt der sinnlichen Gewißheit auftreten läßt und sie so als Phänomen erfaßt, sagt er in einführenden Bemerkungen, worum es überhaupt geht. Das unmittelbare Wissen des Unmittelbaren erscheint als die reichste Erkenntnis; sie führt uns in den Reichtum hinaus, der sich in Raum und Zeit zeigt, aber auch hinein in die Fülle, die wir durch Teilung eines einzelnen Stücks erreichen. Sie erscheint als die wahrhaf-
Einführung teste Gewißheit, und doch ist sie die abstrakteste und leerste, da sie von allem nur sagt, daß es sei. Der Gegenstand ist nur das reine Dieses, und das Ich ist ebenfalls nur reiner Dieser. Doch das Unmittelbare erweist sich schon als vermittelt durch einen Unterschied: ein Dieser, der weiß, ist unterschieden vom Diesen als Gegenstand. Unzählige weitere Unterschiede kommen hinzu, und so ist die sinnliche Gewißheit in ihrer Wirklichkeit immer nur ein Beispiel, das Vermittlungen voraussetzt. Die sinnliche Gewißheit weicht dieser Erfahrung aus, indem sie nur etwa den Gegenstand als das Wesen oder das Wahre setzt, sich das Unwesentliche und Vermittelte nimmt. Doch der Gegenstand entschwindet der Gewißheit. Wird er etwa im Jetzt gesucht, dann ist dieses die Nacht; bald aber ist die Nacht entschwunden und das Jetzt der Mittag. Wenn wir die Wahrheit aufgeschrieben haben, ist sie schal geworden. Doch das Jetzt erhält sich in dem, was als Tag oder Nacht bei ihm herspielt; es ist immer schon zu einem Allgemeinen geworden, einem „Sein überhaupt“. Die Sprache kann gar nicht aussprechen, was die sinnliche Gewißheit meint; sie widerlegt mit ihrer Richtung auf das Allgemeine unsere Meinung. Ähnlich ist es beim Hier, welches das Haus oder der Baum sein kann, jedenfalls eine vermittelte Einfachheit oder Allgemeinheit! Damit der Unterschied und die Vermittlung beseitigt würde, sollte der Gegenstand allein das Wesen sein. Er wurde in einer Verkehrung zum Unwesentlichen; er ist nur, weil ich ihn meine, nämlich mich auf ihn richte als den meinen. Das Wesen der sinnlichen Gewißheit wird so zurückgedrängt in das Ich. In der Unmittelbarkeit des Sehens und Hörens soll nun die Wahrheit liegen. Doch wird auch diese Unmittelbarkeit des Ich sofort aufgehoben: Ich sehe diesen Baum, doch sieht ein anderer ein Haus. Das Eine verschwindet zugunsten des Anderen; was bestehen bleibt, ist das Ich als Allgemeines. Hegel weist hier noch einmal die Forderung Krugs zurück, die idealistische Philosophie solle doch einmal diesen bestimmten Menschen oder nur dieses Ding, seine Schreibfeder etwa, deduzieren. Schon im Kritischen Journal der Philosophie, das Schelling und Hegel gemeinsam herausgaben, hatte Hegel die Forderung Krugs abgewehrt: Eine solche Deduktion versucht die idealistische Philosophie gar nicht, da es ihr ausschließlich um Wesentliches geht.
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler Doch kann ein Kritiker wie Krug mit seiner Forderung gemäß der Phänomenologie gar nicht einmal sagen, „welches dieses Ding oder welchen diesen Ich sie meine, denn dies zu sagen ist unmöglich“ (GW 9, 73). Muß man nicht das Ganze der sinnlichen Gewißheit in ihrer Unmittelbarkeit als Wesen setzen, also die Ungetrenntheit von Gegenstand und Ich? Die sinnliche Gewißheit muß sich dann durchhalten als die sich selbst gleichbleibende Beziehung zwischen Gegenstand und Ich. Doch auch von dieser Beziehung, dem „reinen Anschauen“, gilt, daß sie nicht festzuhalten ist. Um durch die Sprache nicht ins Allgemeine einzutreten, müssen wir diese unmittelbare Beziehung uns zeigen lassen. Wir müssen „in denselben Punkt der Zeit oder des Raums eintreten“, wo etwas unmittelbar gewußt wird. Indem das Jetzt gezeigt wird, ist es aber schon ein anderes; es ist „gewesen“, und was gewesen ist, ist nicht mehr das gesuchte unmittelbare Sein. Ich behaupte ein Jetzt als das Wahre meiner Gewißheit; doch indem ich es aufzeige, ist es schon gewesen. Ich behaupte diese Negation, das Gewesensein, als Wahrheit. Doch das Jetzt stellt sich in einer Negation der Negation wieder her. Aber es ist nicht nur das viele Jetzt, sondern das reflektierte Erste und Unmittelbare, eine „einfache Vielheit“ oder „die Bewegung“ einer „einfachen Komplexion“. Diese reflektierte Einfachheit ist als Zusammenfassung des Vielen schon ein vermitteltes Allgemeines. Hegel spricht von einer „Dialektik“ und bezieht sie auf die Skepsis. Wie im Kritischen Journal in seinem Aufsatz über den Skeptizismus, so gibt Hegel auch hier dem antiken Skeptizismus recht, der anders als der moderne die Behauptung der Realität oder des Seins äußerer Dinge nicht für unantastbar hält. Zugleich verweist Hegel auf die alten Eleusischen Mysterien der Ceres und des Bacchus: das Geheimnis des Essens des Brotes und des Trinkens des Weins ist, daß alles Einzelne und Sinnliche aufgezehrt wird. Auch die Tiere seien von dieser Weisheit nicht ausgeschlossen. Hegel kehrt dann noch einmal zurück zur Auseinandersetzung mit Krug: Er meine dieses Stück Papier, worauf ich dies schreibe oder geschrieben habe; doch das Gemeinte könne nicht gesagt werden, weil es der Sprache unerreichbar sei, da diese schon dem Bewußtsein und dem Allgemeinen angehöre. Die Sprache habe „die göttliche Na-
Einführung tur“, die Meinung unmittelbar zu verkehren, nämlich vom schlechthin Einzelnen und Individuellen zum Allgemeinen zu führen. In der Tat hat Hegel das Programm ausgeführt, das er in der Einleitung skizzierte. Das Sprechen und schon das Zeigen verkehren die Meinung, die das schlechthin Individuelle sucht, in seine Wahrheit, in ein erstes Allgemeines. Was als Wahrheit aufgestellt wurde (das schlechthin individuelle Sein) ist nur Meinung; was wirklich in meiner Gewißheit liegt, ist schon etwas Reflektiertes und Allgemeines. Diese Wahrheit, die wirklich in der Gewißheit liegt, wird zum Thema der weiteren phänomenologischen Erfahrung: Statt ein Unmittelbares wissen zu wollen, nimmt die nächste Gestalt wahr und heißt deshalb „die Wahrnehmung“. Man hat früh schon deutlich gemacht, daß Hegel sich in seiner Dialektik der sinnlichen Gewißheit und der Wahrnehmung an der antiken Philosophie orientiert. Die Beispielsätze vom Jetzt, das Tag und Nacht ist, sind der Darstellung der pyrrhonischen Skepsis durch Sextus Empiricus entnommen. Die Wahrnehmungskritik scheint den platonischen Theaitet im Auge zu haben. Kritisch mag eingewandt werden, daß Hegel den Gegensatz zwischen dem „echten“ antiken Skeptizismus und dem nicht radikalen modernen Skeptizismus übersteigere; sicherlich hat Hegel Hume nicht so intensiv im Original gelesen wie etwa Hobbes. Doch die Phänomenologie soll keine Fragen entscheiden, die in der Geschichte der Philosophie zu erörtern sind. Vielmehr sucht die Phänomenologie für eine Einführung in den Umgang mit logischen Grundbestimmungen einfache Exempel. Dabei scheut Hegel die gewaltsame Konstruktion nicht. (Schwerlich wird sich z. B. jemand finden, der den aufgeschriebenen Satz vom Jetzt als der Nacht am Mittag prüft und seine „Wahrheit“ nur noch als eine schal gewordene hat.) Hegel will aber auch nicht systematisch die Leistung deiktischer Ausdrücke oder okkasioneller Bedeutungen wie „Jetzt“, „Hier“, „Dieser“ genauer bestimmen. Vielmehr will er zeigen, daß der Gebrauch der Kategorien der Qualität und der Quantität über sich hinaustreibt zu den Kategorien der Relation oder des Verhältnisses (und auch der Modalität – in einem freilich noch näher zu spezifizierenden Sinne). Ohne Zweifel greift Hegel zurück auf seine Logik oder spekulative Philosophie.
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler Auf diese führt also eine kritische Auseinandersetzung mit dem Anfang der Phänomenologie zurück.1 Zweifellos stellt der Anfang von Hegels Logik wie der Anfang der Phänomenologie sich gegen die Kategorienlehre Kants. Hegel macht den Schritt Kants rückgängig, der das Sein (die Existenzbehauptung) von dem Realen oder sachhaltigen Prädikaten scheidet. Hegel nennt die Realität aus den Qualitätskategorien Realität, Negation, Limitation das „Sein“, das bei Kant als Gegensatz von Dasein und Nichtsein zu den Modalitätskategorien gehört. Dieses Sein erweist sich dann als ein in sich reflektiertes; wenn ich „Es ist“ sage, dann zeigt sich darin immer schon eine Vermittlung. Da das Sein als Realität oder Sachhaltigkeit aufgefaßt wird, kann Hegel von ihm zum Grundverhältnis zwischen Substanz und Akzidens übergehen. Das „Es ist“ erweist sich als Substanz, die ihre Akzidenzien trägt. Die Wahrnehmung, die sich dieses Wahre nimmt, muß dann in einem zweiten Gang daraufhin geprüft werden, was an ihrer Wahrheit ist. Damit ist die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit zuerst einmal beiseite gerückt, doch nicht endgültig aufgegeben. Im absoluten Wissen wird sich erweisen, daß und wie die sinnliche Gewißheit mit ihrer Wahrheit zum absoluten Wissen gehört. Das absolute Wissen sieht aber nicht mehr mit dem geraden Blick des natürlichen und bornierten Bewußtseins nur auf die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit; es sieht zugleich mit einem zweiten Blick alle anderen Wahrheiten, nämlich die anderen logischen 1 Zu Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit vgl. Purpus, W. 1905: Die Dialektik der sinnlichen Gewißheit bei Hegel, dargestellt in ihrem Zusammenhang mit der Logik und der antiken Dialektik. Nürnberg; Düsing, K. 1973: Die Bedeutung des antiken Skeptizismus für Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit. In: Hegel-Studien 8, 119– 130; ferner Graeser, A. 1987: Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit. In: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie. 34. Band, 437–453. Über die Verflechtung mit der Krug-Kritik vgl. Pöggeler, O. 1976: Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit. In: Sinnlichkeit und Verstand. Hg. von Hans Wagner. Bonn, 167–185. Zur neueren Literatur vgl. Sell, A. 1995: Das Problem der sinnlichen Gewißheit. Neuere Arbeiten zum Anfang der Phänomenologie des Geistes. In: HegelStudien 30, 197–206. Zum Skeptizismusbezug vgl. Buchner, H. 1990: Skeptizismus und Dialektik. In: Hegel und die antike Dialektik. Hg. von Manfred Riedel. Frankfurt a. M., 227–243; Roettges, H. 1987: Dialektik und Skeptizismus. Die Rolle des Skeptizismus für Genese, Selbstverständnis und Kritik der Dialektik. Frankfurt a. M. Zur Verbindung der Bestimmung des Seins mit dem schlechthin Individuellen in den Jahren 1805–1808 vgl. Shikaya, T. 1978: Die Wandlung des Seinsbegriffs in Hegels Logik-Konzeption. In: Hegel-Studien 13, 119–173.
Einführung Grundbestimmungen. So kann das absolute Wissen der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit ihren begrenzten Platz anweisen und in reflektierter Weise zur sinnlichen Gewißheit zurückkehren. Die Phänomenologie der Wahrnehmung entfaltet die Dialektik des Verhältnisses am Beispiel des Verhältnisses von Ding und Eigenschaften. Wollen wir uns in der Welt orientieren, dann müssen wir vieles zu einem Substanziellen zusammennehmen (etwa viele Bestimmungen über Temperatur, Feuchtigkeitsgrad und Windbewegung zu der Rede von dem „schönen Wetter“). Kann das Bewußtsein aber das Eine des Substanziellen mit dem Vielen der Eigenschaften zusammendenken? Überraschenderweise führt dieses Problem zur folgenden Gestalt des Verstandes. Der Logik des Verhältnisses entsprechen also zwei phänomenologische Gestalten; die spätere Wissenschaft der Logik spricht von einer Logik des Wesens, da das Wesen aus dem Verhältnis zur Erscheinung gedacht wird; sie kann die Exempel der Phänomenologie, also Ding und Eigenschaften und auch Spiel der Kräfte und verkehrte Welt, in neuer Ordnung in sich aufnehmen. Der Verstand deutet die Substanz (in der Tradition von Leibniz) als Kraft und findet so in der Kraft die „Idee“ des Verhältnisses, welche Grundverhältnisse wie Substanz und Akzidens oder auch Kausalität und Wechselwirkung verständlich macht. Die Kraft geht aus sich heraus und gibt so den vielen Eigenschaften Raum; sie nimmt dieses Viele wieder in sich zurück und ist so ein Spiel der Kräfte. Dabei kommt es zur Verkehrung des gesetzhaft Allgemeinen einer übersinnlichen Welt und der Erscheinung mit dem Individuellen. Der Verstand faßt damit die sinnliche Gewißheit und die Wahrnehmung zusammen, um so das Bewußtsein mit seinem Gegenstandsbezug zu einer Vollendung zu führen. Das Spiel der Kräfte, in seiner höheren Erfüllung gedacht, erweist sich als das Leben; dieses Leben geht anders als das bloße Ding selbsttätig aus einem Lebenskeim hervor, indem es die Mannigfaltigkeit des Lebendigen ausformt. Das Leben kann zur Erkenntnis seiner selbst fortschreiten. Deshalb muß das folgende Kapitel über die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst zeigen, wie das Leben zum Erkennen und zur selbsthaften Freiheit kommt. Es ist also eine verkürzte Rede, wenn diesem Kapitel im Inhaltsverzeichnis der einfache Titel „Selbstbewußtsein“ gegeben wird.
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler Kann das, was ist, kann also letztlich das „Absolute“ als Selbstbewußtsein gefaßt werden? Dieses Selbstbewußtsein müßte dann eins sein können mit dem Leben und dessen Verwurzelung in der Dinglichkeit. Hegel prüft an handlichen Exempeln Versuche, den Zusammenhang von Leben und Selbsthaftigkeit zu fassen. Das Exempel des Kampfes auf Leben und Tod soll zeigen, daß der Zusammenhang nicht als bloße Negation des Lebens, als ein Töten gesehen werden kann, weil dann das Leben nur verschwindet. Aber auch die Unterwerfung der einen Seite zugunsten der Herrschaft der anderen bleibt unzulänglich. Die Arbeit des Menschen, die an einer Geformtheit des Dinglichen und Lebendigen anknüpft, bietet eher schon einen Lösungshinweis. Bleibt aber nicht das endliche Selbstbewußtsein dem unendlichen gegenüber? Stoizismus und Skeptizismus weisen auf die Einheit beider hin, doch bricht der Gegensatz im unglücklichen Bewußtsein und seinem religiösen Verhalten neu auf. Die Dialektik dieser Lösungsversuche führt zur Position der Vernunft, die in allem waltet, so daß die menschliche Vernunft sich in allem wiederfinden kann. Wenn die Vernunft auftritt mit der These, sie sei alle Realität, dann wird der Idealismus von Fichtes Rede vom Ich aufgenommen. Diese These ist metaphysisch-logisch angesetzt; durch den vierten Abschnitt von Hegels Logik über das wissende Wissen wird sie in den Gang der Logik überhaupt eingeschmolzen. Die Wissenschaft der Erfahrung oder Phänomenologie des Geistes soll zeigen, daß sie nicht unvermittelt ist mit dem natürlichen Bewußtsein. Mögliche Vermittlungsweisen werden phänomenologisch überprüft. Kann eine beobachtende Vernunft sich selbst und ihre Formen in der toten und lebendigen Natur vorfinden, dann psychologisch-logisch im reinen Selbstbewußtsein und auch physiognomisch oder mit der Gallschen Schädellehre in der Leiblichkeit des Selbst? In einem zweiten Prüfungsgang wird gefragt, ob und wie das Selbstbewußtsein sich selbst verwirklichen kann. Wenn Faust sich in das Leben stürzt, zeigt sich in der Lust eine Notwendigkeit, die den Einzelnen aufhebt und in ein übergreifendes Ganzes rückt. Doch dieses Ganze ist dabei so wenig leitend wie im proklamierten Gesetz des Herzens oder im Eigensinn des Bestehens auf „Tugend“. Die spezifisch praktische Seite des Selbstbewußtseins kommt in einem dritten Prüfungsgang zur Geltung.
Einführung Die Gewißheit, alle Realität zu sein, ist nach Hegel verwirklicht im Geist, der für ihn der sittliche Geist ist. Die Impulse, die den Einzelnen als Familienpietät und Patriotismus leiten, sind zugleich vorfindbar als Formen des sittlichen Zusammenlebens, der Familie und des Gemeinwesens. Geist ist „das Individuum, das eine Welt ist“, so das „sittliche Leben eines Volkes“ (GW 9, 290). In seiner Natürlichkeit kommt der Mensch jedoch vor als Frau oder Mann. Die Frau ist natürlicherweise stärker auf Geburt und Tod ausgerichtet und damit auf das Leben in der Familie; der Mann will mittels der Gesetze das Gemeinwesen formen und regieren. So treten sich Antigone und Kreon in der größten aller Tragödien gegenüber und gehen an ihren einseitigen Ausrichtungen zugrunde. Hegel übersetzt hier (wie ähnlich schon in Frankfurter Aufzeichnungen) einen Satz aus der Antigone des Sophokles mit seinen Grundworten: „Weil wir leiden, anerkennen wir, daß wir gefehlt“ (GW 9, 256). (In Wahrheit sagt Antigone bei Sophokles anderes: „Wenn Du recht hast, werde ich durch mein Leiden anerkennen müssen, daß ich gefehlt habe – wenn aber ich Recht hätte, wirst Du durch Dein Leiden anerkennen müssen, daß Du gefehlt hast.“ Hegel erzwingt sich sein Exempel.) Leiden und Untergang zeigen auf die jeweilige Einseitigkeit, die das Sichzurückstellen in das übergreifende Ganze verfehlt. Dieses Leiden muß anerkannt werden, wenn das Gefüge des Ganzen (Familie und Gemeinwesen als Grundcharaktere der sittlichen Wirklichkeit) sichtbar werden soll. So müssen Mann und Frau (wie im römischen Recht) sehen, daß jeder Mensch fähig ist, Träger von Rechten zu sein. Dann kann sich über Entfremdungsprozesse die Sphäre von Wirtschaft, Handel und deren privatrechtlicher Absicherung emanzipieren; das Gewissen in seiner Vereinzelung kann in der Anerkennung des anderen Gewissens neu zur Gemeinsamkeit finden. Diese Gemeinsamkeit erlangt ihr Selbstverständnis in der Religion. Hegels Plan einer Logik von 1806 benennt als abschließende spekulative Grundbestimmungen den Geist und dazu das Wissen des Geistes von sich. So erscheint die Religion in der Phänomenologie des Geistes als das Selbstbewußtsein des Geistes und damit als erstes Wissen des sichwissenden Geistes. Hegel unterscheidet den sichwissenden Geist vom daseienden Geist. Der Geist steigt aus seiner Allgemeinheit über die Bestimmung
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler oder Besonderung zur Einzelheit herab. Die Bestimmung führt zu den Momenten Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft und Geist; diese Momente sind abstrakte Seiten des Geistes, die für sich keine Wirklichkeit in der Zeit haben. Dagegen behauptet Hegel nun, das Herabsteigen zur Einzelheit, etwa zur sinnlichen Gewißheit und zur Wahrnehmung als Gestalten des Bewußtseins, unterscheide sich in der Zeit. Diese „Verläufe“ der Seiten oder Momente des Geistes prägen auch die Grundmöglichkeiten einer Geschichte der Religion. Religion als Sichwissen des Geistes führt von der Unmittelbarkeit zum Sichwissen seiner selbst (so von der Naturreligion über die geistige Kunstreligion zur offenbaren Religion). Die einzelnen Gestalten dieser Religionen bilden sich dadurch, daß das Sichwissen des Geistes durch die Momente oder Seiten des Geistes hindurchgreift auf die Gestalten dieser einzelnen Seiten, die als wirkliche in der Zeit sind. So bestimmt und besondert sich die erste Gestalt der Naturreligion, indem sie das Sein der sinnlichen Gewißheit und den Herrn des Selbstbewußtseins als Gestalt des Göttlichen auffaßt: als das Licht, das sich vom Dunkel trennt, das dann auch als Herr angesprochen wird (wie in der altiranischen und der jüdischen Religion). Die Kunstreligion geht wiederum in der Weise der sinnlichen Gewißheit vom Sein aus; sie möchte das Göttliche zuerst einmal in der steinernen Statue haben. Die offenbare Religion geht aus von Jesus als diesem Gottmenschen, um schließlich die Dreieinigkeit Gottes zu entfalten. Hegel sagt, die Reihe des Fortschreitens der Gestalten gehe über Knoten immer wieder in sich zurück, um dann neu zu beginnen (GW 9, 367). So geht die Entfaltung des Bewußtseins im Verstand in sich zurück, um als Selbstbewußtsein neu zu beginnen. Diese Knoten können die einzelnen Seiten des Geistes zu einem Bund zusammenfassen, so daß die sinnliche Gewißheit neben die Selbständigkeit des Selbstbewußtseins als Herr zu liegen kommt. Das Sichwissen des Geistes kann diese nebeneinanderliegenden Bestimmungen zusammennehmen und das Göttliche nach seinen Erscheinungsweisen bestimmen. So folgt die Naturreligion der sinnlichen Gewißheit, aber auch der „geistigen Wahrnehmung“ (GW 9, 372). Sie wird dann zur Pflanzen- und Tierreligion, da für die Wahrnehmung das Innere und die äußeren Glieder auseinandertreten. Die Religion des Verstandes folgt dann mit den ägyptischen Pyramiden und
Einführung Obelisken dem „instinktartigen Arbeiten“ eines Werkmeisters. Hat die Religion in der vernünftig interpretierten christlichen Religion alle ihre Möglichkeiten ausgeschöpft und zusammengefaßt, dann kann ein absolutes Wissen das weltliche Dasein des Geistes und das Sichwissen des Geistes in der Religion so vereinigen, daß das religiöse Erfahren mit der Weltlichkeit des Geistes vereinigt wird. Damit wird der Geist sich selbst durchsichtig; gemäß den Worten einer Hymne Schillers schäumt die Unendlichkeit des Geistes aus dem Kelch des versammelten Geisterreiches.
I. 3 Einordnung in das System In den abschließenden Ausführungen zum absoluten Wissen kommt Hegel noch einmal zurück auf die Ausführungen der vorangestellten Einleitung. Er hatte dort die Notwendigkeit und Vollständigkeit in der Darstellung des erscheinenden Wissens unsere „Zutat“ genannt. Nunmehr sagt er: Was wir hinzugetan haben, ist die Versammlung aller Momente zum Ganzen und darin das Festhalten des Begriffes als Begriffes, also auch der begriffenen Entfaltung der Logik hinter dem Rücken des erfahrenden Bewußtseins. Hegel nimmt ebenso noch einmal die Rede von der Realisierung des Begriffs auf, die im absoluten Wissen erreicht sei. Noch nicht in der Religion, erst im absoluten Wissen erscheint diese Realisierung als unser selbstgewisses Tun. Hegel bemerkt aber auch: Zuerst muß der Begriff mit allen seinen Möglichkeiten erfahren und vorgestellt werden, ehe die Wissenschaft diesem Erfahren im ganzen die begriffene Form geben kann. Die Wissenschaft erscheint „nicht eher“, als bis der Geist zum Bewußtsein des Daseins und damit der Entfaltung des Begriffs in die einzelnen Grundbegriffe gekommen ist. Hegel kann auch sagen, das Bewußtsein, das auf anderes gerichtet sei, erweise sich als Selbstbewußtsein; in diesem Sinn spricht er vom „Erkennen“. Dabei ist also vorausgesetzt, daß das Selbstbewußtsein sich als Vernunft, Geist und Religion weiterentfaltet hat zum selbstbewußten und selbsthaften Geist. Die einzelnen Grundbegriffe, die „Wesenheiten“ der Logik oder spekulativen Philosophie, müssen in ihrem ganzen Bau in die Bewegung des Bewußtseins hineingenommen werden, das
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler von Bestimmung zu Bestimmung getrieben wird. Der Begriff, der da ist und damit der Zerstreuung in das Nebeneinander seiner einzelnen Bestimmungen und Momente übergeben wird, trägt über diese Bewegung die Zeit in sich, die das Hinausgehen über das Bestimmte und Besondere ist. Wird die Entfaltung des Begriffs in seiner Vollständigkeit dargestellt, dann kann der Begriff die Zeit, das bloße Nebeneinander, „tilgen“. Die Zeit ist das Schicksal und die Notwendigkeit nur des Geistes, der noch nicht vollendet ist (GW 9, 429 f.). Die Bewegung, in der der Geist sein Wissen von sich als Selbstgewißheit hervorbringt, ist „die Arbeit, die er als wirkliche Geschichte vollbringt“ (GW 9, 430). So bereitet der Geist sich das Element, in dem die Wissenschaft zur Entfaltung kommt. In der Wissenschaft, nämlich in der Logik als der spekulativen Philosophie, fällt das abstrakte Moment (das Sein oder das Ding mit seinen Eigenschaften) nicht mehr auseinander in die Dialektik von Gegenstand und Begriff oder von Wahrheit und Wissen bzw. Gewißheit. Vielmehr wird (durch die Leistung der Phänomenologie des Geistes) das Ganze der Momente überschaut und nach seinem notwendigen Verlauf hin durchschaut; so können die einzelnen Momente unmittelbar in ihrer reinen Gestalt, befreit vom Erscheinen für das erfahrende Bewußtsein und dem Fortgetriebenwerden dieses Erfahrens, dargestellt werden. Doch muß diese Wissenschaft der Logik sich ihrer begrifflichen Form wieder entäußern. Zu ihr gehört auch die Unmittelbarkeit, die sich als Gewißheit vom Unmittelbaren und damit als sinnliches Bewußtsein verstehen und so mit der sinnlichen Gewißheit immer neu anfangen muß. Diese Unmittelbarkeit gehört zum absoluten Wissen, das eben die sinnliche Gewißheit als ihr Anfangen und damit die Phänomenologie in sich enthält. Doch gibt es auch eine Entäußerung, in der das Bewußtsein über seine Grenzen hinausgeht und sich selbst so aus seinem Bezug auf die Grundbestimmungen der Logik entläßt. Das Wissen vom Logischen opfert sich in das „zufällige“ Geschehen, das sich als Natur und Geschichte zeigt. Die Wissenschaft kann (den Einwand Krugs zurückweisend) sehr wohl sagen, was das Gestein innerhalb der Natur ist, aber nicht, daß es soundsoviele Gesteinsarten gibt. Gesagt werden kann, daß die Philosophie auftreten muß, aber nicht, daß sie das an bestimmten Plätzen Großgriechenlands getan hat.
Einführung In der Geschichte bewahrt die Erinnerung auf, was geschehen ist (und nach Hegel entgeht der Erinnerung nichts Wesentliches). Am Schluß der Ausführungen zum absoluten Wissen unterscheidet Hegel drei Formen von Geschichte: 1. die Geschichte, die als konkrete Naturgeschichte oder als Geschichte des Geistes das Erinnerte in der Form der Zufälligkeit bewahrt, 2. die Erinnerung „nach der Seite ihrer begriffenen Organisation“ (GW 9, 434) (hier leiten die Grundbestimmungen der Logik die Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins, die nun angesprochen wird als „Wissenschaft des erscheinenden Wissens“); 3. die begriffene Geschichte, welche die wirkliche Geschichte mit Hilfe der Phänomenologie deutet und z.B. klarmachen kann, was jene Philosophie ist, die zufälligerweise in Großgriechenland begann. Diese begriffene Geschichte ist für Hegel sowohl als Schädelstätte des Geistes ein Golgatha als auch das Aufschäumen des Weins im Kelch. In dieser Geschichte bleibt der absolute Geist nicht mehr „das leblose Einsame“ sondern ist der Zusammenhang eines Reiches Gottes. Nachträglich stellte Hegel seinem Buch, der selbständig gewordenen Phänomenologie des Geistes, noch eine Vorrede voran, die aber die Vorrede zum ganzen angekündigten System der Wissenschaft ist. In einer Kritik der irregehenden Überzeugungen der Zeit reklamiert Hegel als entscheidende Aufgabe, die Philosophie aus einer bloßen Liebe zum Wissen zur Wissenschaft zu erheben und damit als System zu entfalten. Das vorgelegte Buch wird als „Phänomenologie des Geistes“ vorgestellt, so daß der Titel geändert werden mußte. Hegel legt den Akzent darauf, daß diese Phänomenologie die ungeheure Arbeit der „Weltgeschichte“ eigens aufnimmt; Bildung wird so etwas ganz anderes, als sie bei den Griechen noch sein konnte, nämlich Verarbeitung des schon Erarbeiteten (GW 9, 25). Hegel wiederholt mit eindringlichen Worten, daß zum Bewußtsein das Hinausgetriebenwerden über jede einzelne Erfahrung gehört, damit der Tod, den das Bewußtsein eigens als seinen übernimmt. Wiederholt wird auch, daß die Phänomenologie des Geistes die Momente der Logik über die Erfahrung des natürlichen Bewußtseins aufnimmt (GW 9, 30 f.). Diese Vorrede sagt nichts anderes als die „Einleitung“, doch sagt sie es anders.
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II. Das Schicksal der Phänomenologie Als Hegel 1801 in Jena, dem Zentrum der idealistischen Philosophie und des romantischen Aufbruchs, etwas verspätet auch noch als Dozent auftrat, versprach er das, was ein Philosoph damals seinen Hörern und Freunden schuldig zu sein schien: sein „System“. Beginnen wollte er mit einer Logik und Metaphysik, also mit einer alten Disziplin, die im idealistischen Aufbruch beiseite gerückt worden war. Doch konnte er erst im Frühjahr 1807 Gedrucktes vorlegen: den ersten Teil seines Systems, von dem er Anfang Mai gegenüber Schelling zugestand, daß er „eigentlich die Einleitung“ sei („denn über das Einleiten hinaus, in mediam rem, bin ich noch nicht gekommen“).2 Eine „unselige Verwirrung“ habe den ganzen „buchhändler- und druckerischen Verlauf“ wie zum Teil die „Komposition sogar selbst“ beherrscht; die „größere Unform der letztern Partien“ müsse dem Umstand zugute gehalten werden, daß er „die Redaktion überhaupt in der Mitternacht vor der Schlacht bei Jena geendigt habe“. Als Preußen unter den Schlägen Napoleons wie ein Kartenhaus zusammenbrach, flüchtete Hegel im brennenden Jena mit den letzten Niederschriften zur Phänomenologie zu Freunden. Nach dem Bericht des Buchhändlers Frommann kam der Junggeselle mit seinem ganzen Haushalt, nämlich mit 6 Personen, vor allem einer Dame, die nach zwei Kindern „in Unehren“ auch von Hegel ein Kind erwartete. Dabei nagte Hegel längst buchstäblich am Hungertuch: Das väterliche Erbe war aufgezehrt, und die außerplanmäßige Professur brachte nicht viel ein. Es war zu einem langwierigen Streit mit dem Verleger gekommen, da Hegel das Honorar für sein System oder doch für seine Phänomenologie vorweg brauchte. Hegel war zum Druckort Bamberg ausgewichen und verfertigte dort noch eine zusätzliche Vorrede, die zugleich in das angekündigte System der Wissenschaft im ganzen einführte. Als er dann die Redaktion der Bamberger Zeitung übernahm, begann er gleich mit der Arbeit an der Logik oder spekulativen Philosophie. Als Nürnberger Gymnasialdirektor brachte er vordringlich seine Phänomenologie in den 2 Briefe von und an Hegel. Hg. von Karl Hegel, 1. Theil, Leipzig 1887, 100 ff; Brief von Hegel an Schelling vom 1. Mai 1807.
Einführung Unterricht ein; das Ergebnis aber war, daß eine andersartige und verkürzte Phänomenologie zu einem Teil der Philosophie des subjektiven Geistes innerhalb einer Enzyklopädie wurde. Das Buch von 1807 blieb schließlich ortlos zurück. Am Schluß der Phänomenologie des Geistes hält Hegel fest, daß die Zeit zum Schicksal und zur Notwendigkeit jenes Geistes wird, der „nicht in sich vollendet“ ist. Der Phänomenologie selber geht es um eine Vollendung des Geistes, welche die Zeit als schicksalhaft zerstreuende tilgt, indem sie alle Schicksale gemäß einer verborgenen Logik zu einem Ganzen auf ein Ziel hin sammelt. Eben dieses Werk, das Schicksal überwinden soll, hatte gegen alle Pläne sein eigentümliches Schicksal. Gab es im Denken Hegels von Anfang an Impulse, die zu dieser Rolle der Phänomenologie des Geistes führten und diesen einleitenden ersten Systemteil zu einem schicksalhaften Werk wider Willen machten? In jedem Fall kann das Werk auf eine doppelte Weise wirken: Es kann aufgefaßt werden als eine große Krise auf Hegels Weg zum System oder umgekehrt dazu anleiten, Hegels Systematik in eine offene Geschichte zurückzustellen.
II. 1 Ein Werk wider Willen? Nach der Schlacht bei Jena sah Hegel den Sieger Napoleon durch die Stadt reiten, und er sprach ihn an als die Weltseele, die sich konzentriert zu einem Punkt auf einem Pferd. Keineswegs sprach Hegel, wie oft zitiert wird, vom Weltgeist, der in der Geschichte vorwärts stürmt; er erinnerte, jetzt auch mit der Geschichte des Neuplatonismus befaßt, an die Weltseele der Platoniker, die die Gesetze für die Wirklichkeit in sich trägt. Wie Napoleon die Verfassungen für reformierte europäische Staaten mit sich trug, so ist die Geschichte nach Hegel überhaupt die Ausformung von Strukturen und deren Gesetzlichkeiten. Hegel tritt mit diesem Vertrauen, das Neues und vielleicht Endgültiges mit seiner Gesetzlichkeit hervortreten wolle, an den Umbruch Europas heran, der sich ihm seit seiner Jugend aufdrängte. Als Hegel gerade in das Tübinger Stift eingetreten war, brach die Französische Revolution aus; bestimmender war für die Studenten die deutsche Revolution des Geistes, die den Umsturz über die überlieferte Religion, Kunst und Philosophie brachte.
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler Lessing hatte sich kurz vor seinem Tode jede vorschnelle Kritik an dem angeblichen Atheisten und Fatalisten Spinoza verbeten und sich selbst auf ein Hen kai pan zurückgezogen. Diese Formel wurde zum Losungswort für Tübinger Stiftler wie Hegel und Hölderlin; sie forderte dazu auf, den Anfang der Philosophie neu aufzunehmen. Das Älteste des Alten, das Sein des Parmenides und das in sich unterschiedene Eine des Heraklit, wurden als bleibende Aufgabe von der Moderne her und von deren Streit über Religion und Sittlichkeit aus erfaßt. Hegel hat in Tübingen auch die Dialoge Platons und die Romane Jacobis gelesen; ihm mußte auch Herder nahekommen, der von Hemsterhuis aus den Menschen in die wechselseitige Steigerung von Liebe und Selbstheit hineinstellte. Hegels Ausgangspunkt war gerade nicht die Weise, wie Werther sich im Kreisen um sich problematisch wurde, oder wie Faust in der Welt Selbstverwirklichung gewann. Wenn Fichte und der junge Schelling die Freiheit dem Selbstverlust entgegenstellten, dann fragte Hegel nach der konkreten Geschichte, die erst so spät wieder durch Revolution und Neubeginn zur Freiheit zurückkehrt. Als Hegel in Frankfurt erneut in der Nähe Hölderlins lebte, notierte er sich für sein Fragment über die Liebe aus Shakespeares Romeo und Julia die Einsicht: „Je mehr ich gebe, umso mehr habe ich“. Diese wechselseitige Steigerung bestimmt auch – wie die Antigone-Tragödie des Sophokles zeigen kann – die fortschreitende Differenzierung des Lebens der Menschen unter den Mächten der Geschichte. Eine abschließende Arbeit aus der Frankfurter Zeit über Religion und Philosophie zeigt in zwei allein erhaltenen Fragmenten, daß die Ökonomie am bloßen Haben und die Philosophie am trennenden Begriff festhält. Dagegen zeige die Religion die Kraft der Liebe in der Erhebung des endlichen Lebens zum unendlichen Leben. Bedarf aber nicht das Geheimnis der Einheit des Endlichen und Unendlichen einer metaphysischen Klärung? So verwundert es nicht, daß Hegel als Jenaer Dozent die Logik und Metaphysik zu seinem Anliegen machte. Die Logik führt die Grundbegriffe von einfachen Setzungen und Entgegensetzungen wie Sein und Nichts zu komplizierten Relationen wie Substanz und Akzidens und fragt schließlich nach dem Träger dieser Bewegung; die Metaphysik entfaltet diesen Träger. So kann Hegel die Frage entscheiden, wie weit Fichtes Ich
Einführung oder Schellings Geistnatur den Idealismus prägen können. Er hat ein begriffliches Kriterium für die Frage, welche Weisen der Sittlichkeit und der Religion die Zukunft bestimmen dürfen. Der Weg von der ersten Natur zur zweiten Natur der Sittlichkeit und zum Sichwissen des Geistes in Kunst, Religion und Philosophie führt zurück zum Absoluten, das sich begrifflich entfaltet und auslegt. Diese Auslegung wird am Ende der Jenaer Jahre in einer einheitlichen Logik oder spekulativen Philosophie durchgeführt: Die Metaphysik, zuerst auf die Substanzen von Welt, Seele und Gott bezogen, wird selbst zur Logik; die Selbstauslegung des Logos führt über Leitfäden des Weltbezugs wie Mechanismus, Chemismus und Leben zur Auslegung des Geistes gemäß den Ideen des Wahren, des Guten und der religiösen Erhebung. Da die Logik nun nicht mehr Hinführung zur Metaphysik ist, muß sich seit 1804 eine neue Disziplin melden, welche die Aufgabe einer Einleitung übernimmt: eine Geschichte der Erfahrung des Bewußtseins. Was kann das Wort „Geschichte“ in diesen Zusammenhängen bedeuten? Es verweist zuerst einmal auf einen Ordnungszusammenhang, etwa auf die Reihenfolge der Fähigkeiten, die man dem Menschen zuschreibt. Hegel hat schon in einem Berner Manuskript zur Psychologie und Transzendentalphilosophie exzerpierend und sammelnd die Geschichte des Bewußtseins im Sinne der empirischen Psychologie zur transzendentalphilosophischen Fragestellung geführt. Was Geschichte sein kann, hat er dann in Frankfurt in der Nähe Hölderlins vom Schicksal-haben her verstanden. Wenn der Jenaer Aufsatz Glauben und Wissen in der Einbildungskraft die verbindende Mitte von Sinnlichkeit und Verstand findet, dann öffnet diese Einbildungskraft durchaus metaphysische Bereiche, das Subjekt-Objekt, die Geist-Natur. Die Öffnung dieser Bereiche wird getragen von jenen geschichtlichen Gemeinschaften, die Hegel mit Herder und Hölderlin als „Volk“ anspricht. Die Potenzen, die ein solches Volk ermöglichen, wollen zusammengefaßt und so auch Geschichte werden. Hegels Natur- und Geistesphilosophie von 1803/04 spricht von drei Potenzen: Sprache und Gedächtnis, welche in Symbolen das, was ist, aufnehmen; das Werkzeug und damit der Prozeß der Arbeit, der rechtlich geordnet werden muß; der Besitz und die Familie, also der Kampf um Anerkennung des Besitzes wie die Liebe und ihre Bildung
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler von Gemeinsamkeit. Die Realphilosophie von 1805/06 gibt dann im Ich als Intelligenz und Willen ein Prinzip an, durch das der „abstrakte“ Geist, der mit seinen Potenzen den „wirklichen“ Geist ermöglicht, geordnet werden kann. Vom abstrakten Geist, vor allem der Unterscheidung von Anschauung, Vorstellung und Begriff her, werden auch die Leistungen von Kunst, Religion und Philosophie bestimmt. Die Weise, wie die Philosophie zur Religion tritt, ist aber geschichtlich bestimmt. So zeigt Hegel am Abschluß einer Naturrechtsvorlesung, daß der Mensch vor einer offenen Zukunft steht, in der er sich aus der Majestät der Freiheit heraus nimmt, was ihm nur gegeben zu sein schien.3 Hegel glaubt dann aber zeigen zu können, daß die vernünftig interpretierte christliche Religion das Ergebnis der Geschichte ist und mit der Philosophie als Wissenschaft zusammengeht. Mit diesen Fragen nach den Potenzen des abstrakten Geistes und der Verschiebung im Verhältnis zwischen Sittlichkeit, Religion und Wissenschaft öffnet sich der Weg zur Ausgestaltung der Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins zur Phänomenologie des Geistes. Für seine Logik und Metaphysik von 1804/05 reklamiert Hegel selbst im Rückblick ein „Voraus“, das erst den Anfang der Logik ermögliche. Damit überein stimmt die Nachricht von Rosenkranz (S. 202), daß die Erfahrung des Bewußtseins seit 1804 in den Einleitungen zur Logik und Metaphysik entwickelt worden sei. Die Realphilosophie von 1805/06 grenzt ihre Entwicklungen ausdrücklich ab von einer Entwicklung im Sinne der „Erfahrung des Bewußtseins“ (GW 8, 196). Im Winter 1805/06 liest Hegel erstmals Geschichte der Philosophie. Karl Rosenkranz hat in seinem Leben Hegels (S. 202) uns den Schluß dieser Vorlesung überliefert; das Zitierte wird in der Ausgabe der Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie durch Michelet ergänzt. Danach zeigt diese Vorlesung in dreierlei Hinsicht Übereinstimmungen mit der Phänomenologie des Geistes: 1. in der leitenden These: „Es ist eine neue Epoche in der Welt entsprungen“. 2. In der Überzeugung, daß der Weltgeist das fremde, gegenständliche Wesen von sich abgetan habe und der Kampf des Endlichen mit dem absoluten Selbstbewußtsein geendigt sei (wie die Phänomenologie des 3 Rosenkranz, K. 1988: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Berlin 1844. Unveränd. reprograph. Nachdruck. Darmstadt, 141.
Einführung Bewußtseins und des Selbstbewußtseins es darstellen); 3. im Nachweis, daß die Sittlichkeit als zweite Natur sich selbst erfaßt und dabei über Kunst und Religion in einer Veränderung der geschichtlichen Konstellation sich zum absoluten Wissen erhebt. Hegel hat dann im Februar 1806 die ersten Textstücke zu einer Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins in den Satz gegeben. Da Hegel vorweg Honorar verlangen mußte, kam es zum Streit mit dem Verleger; dabei zeigte sich, daß im September 284 Seiten gesetzt waren. Hegel stand also im VernunftKapitel. Da er im Sommer die ersten gedruckten Bogen für seine Vorlesungen verwandte, konnte die Vorlesungstätigkeit auf die Abfassung des Textes zurückwirken. In jedem Fall kam es zu einer großen Ausweitung des Vernunft-Kapitels. Offensichtlich wollte Hegel die „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins“ zuerst als einführenden Teil in einem Buch unterbringen, das zum Hauptinhalt die Logik oder spekulative Philosophie hatte. Doch bekam der erste Teil, der nur die Einleitung war, eine unvorhergesehene Ausdehnung mit unproportionierten Teilen. Den sechs Hauptabschnitten der spekulativen Philosophie entsprachen acht Abschnitte der Wissenschaft der Erfahrung, da zur Wahrnehmung des Verhältnisses der Verstand als Auffassung der Idee des Verhältnisses trat und im Wissen des Geistes von sich Religion und absolutes Wissen unterschieden wurden. Die Darstellung der sinnlichen Gewißheit, ein Achtel des Ganzen, brauchte 16 Seiten; folglich hätte das Ganze mitsamt der Einleitung mit etwa 120 Seiten abgeschlossen sein können. Doch die Vernunft als phänomenologische Entsprechung zum absoluten Wissen hat statt 16 Seiten 214 Seiten. So gebrauchte die Phänomenologie im ganzen 765 Seiten, denen noch eine Vorrede von 91 Seiten vorangestellt wurde. Während der Niederschrift war der einleitende erste Teil der spekulativen Philosophie explodiert und ergab einen eigenständigen umfangreichen Band. Hegel mußte sich auch um eine neue Gliederung des Ganzen bemühen. Schon im Text, dann im Inhaltsverzeichnis werden sinnliche Gewißheit, Wahrnehmung und Verstand als „Bewußtsein“ zusammengefaßt und damit der „Wahrheit der Gewißheit seiner selbst“ als dem „Selbstbewußtsein“ gegenübergestellt. Die Ausführungen über das Selbstbewußtsein werden zweigeteilt, da es sich erst zu sich aus dem Leben erheben
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler muß. Die folgenden Abschnitte bekommen detaillierte Untergliederungen. Das Inhaltsverzeichnis setzt zum Bewußtsein und Selbstbewußtsein als dritten Teil einen Teil, der nur durch den großen Buchstaben C (zu A. Bewußtsein und B. Selbstbewußtsein) angegeben wird. Was folgt, wird dann freilich sehr detailliert durchgegliedert. Doch erreichen die verschiedenen Gliederungsansätze keine Eindeutigkeit. Auch greift Hegel zu einem neuen Strickmuster. In der Darstellung der sinnlichen Gewißheit herrscht ganz und gar die Dialektik in der Verkehrung von Wahrheit und Gewißheit; zuerst wird in einem Metatext das Thema „Sein“ angegeben, dann folgt die Dialektik der Erfahrung, die am Schluß wieder in Metaerörterungen ausläuft. Die Darstellung des wahren Geistes räumt den Metaerörterungen einen eigenen Abschnitt ein (a. Die sittliche Welt), um dann erst die Dialektik der Erfahrungen und damit den eigentlichen phänomenologischen Text zu bringen (b. Die sittliche Handlung). Die Vorrede nimmt von der kleinen „Einleitung“ das Programm für den Weg zum absoluten Wissen auf. Doch die „Bildung“ des natürlichen Bewußtseins ist zu jener modernen Bildung geworden, welche die Arbeit der Weltgeschichte im Ganzen aufnehmen muß. Es ist nunmehr weniger vom Bewußtsein die Rede als vielmehr vom Geist, der sich über seine Entfremdungen in der Weltgeschichte ausbilden muß. Die Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins bekommt deshalb den neuen Titel einer Phänomenologie des Geistes. Als Hegel Gymnasialdirektor in Nürnberg geworden war, baute er seinen Philosophieunterricht auch auf seinem gerade erschienenen ersten systematischen Buch auf, der so schwierigen und prekären Phänomenologie des Geistes. Für die zusammengefaßten Mittelklassen plante Hegel 1808/09 eine propädeutische Geisteslehre aus Phänomenologie und Psychologie. Dabei führte die Dialektik der sinnlichen Gewißheit nicht mehr anhand des Exempels deiktischer Worte in den Umgang mit den Bestimmungen der Seinslogik ein; vielmehr knüpfte sie das Wissen an die Sinnlichkeit, welche äußere Gegenstände aufnimmt. Das Selbstbewußtsein wurde als praktisches Bewußtsein gefaßt, die Phänomenologie des Selbstbewußtseins in diesem Sinne reduziert. Als Hegel zur beobachtenden Vernunft kam, brach er ab; wegen Zeitmangels ging er nicht zur Psychologie, sondern sofort zur Logik weiter, deren propädeutische
Einführung Funktion zur Geltung kommen sollte. Wenn die Propädeutik aus Phänomenologie und Psychologie zum Denken und damit zur logischen Tätigkeit hinführt, dann ist das, was Denken als Tätigkeit des Geistes bedeutet, auch im System selbst, in der Geisteslehre, Thema. So konnte Hegel dazu kommen, die Phänomenologie mit der Psychologie zusammen in die Philosophie des subjektiven Geistes einzubauen. Dabei stellte er der Phänomenologie, die schon die Trennung von Gegenstand und Bewußtsein voraussetzt, noch die sog. Anthropologie voraus: Diese Lehre von der „Seele“ sieht den Menschen bestimmt durch die Einführung in die außermenschliche und die menschliche Natur, also etwa durch Klima und Rasse. Die Phänomenologie, verkürzt auf den Weg bis zur Vernunft, betrachtet nur noch das gegenständliche Bewußtsein. Sie ist damit ihrer Funktion nach wie in ihrer Ausführung nur noch äußerlich, von ausgewählten Materialien her, mit der Phänomenologie von 1807 verbunden. Für das Schicksal der Phänomenologie des Geistes von 1807 ist entscheidend geworden, daß Hegel jene Logik umgestaltete, welche den Weg des erfahrenden Bewußtseins hinter dessen Rücken leitete. Das Neue an der Logik-Konzeption von 1805/ 06 war, daß Hegel ausdrücklich den Begriff des Lebens (zusammen mit dem Erkennen) in die logischen Grundbestimmungen aufnahm. Doch zeigt die Phänomenologie der Vernunft, daß das Leben ein zweites Mal vorkommt, nämlich als Wissen vom Lebendigen im wissenden Wissen! Hegel scheint einmal den neuplatonischen Weg vom dinglichen Sein zum Leben und zum Wissen folgen zu wollen; dann (mit dem Einsatz des wissenden Wissens) folgt er eher der kantischen Kritik, die in einer dritten Kritik von der Urteilskraft her die Teleologie des Lebens zur Kritik der theoretischen und der praktischen Vernunft stellt. Die Wissenschaft der Logik, die dann in Nürnberg wirklich ausgearbeitet und publiziert wurde, gestaltet die Logik oder spekulative Philosophie noch einmal völlig um. Die Seinslogik und die Relationslogik als Lehre vom Wesen im Unterschied zum Schein bilden die objektive Logik; ihnen folgt die subjektive Logik, die an die Lehre von Begriff, Urteil und Schluß eine Lehre von den Ideen anhängt. Dabei wird der Idee des Lebens der Mechanismus und Chemismus vorausgeschickt; während aber die Idee des Lebens in der Logik zusammen mit der Idee des Erkennens ausführlich entfaltet wird, bleibt für die
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler Bestimmung der Idee des Guten nur eine kurze Skizze. Die absolute Idee wird nur noch genannt. Die Idee des Schönen oder das Ideal wird z. B. abgedrängt in die Realphilosophie, nämlich als erster Teil der Ästhetik oder Philosophie der Kunst entfaltet. Hegel hätte gut daran getan, seinen Schülern und Lesern darzulegen, warum er Schwierigkeiten mit der Phänomenologie von 1807 bekommen hatte. Wenn er schließlich eine Philosophie des subjektiven Geistes aus Anthropologie, Phänomenologie und Psychologie aufbaute, konnte er schwerlich noch die Phänomenologie zusammen mit der Psychologie in die Propädeutik rücken oder gar eine Phänomenologie als exemplarische Einführung in den Umgang mit logischen Bestimmungen nutzen. Selbstverständlich konnte die Phänomenologie mit ihren Gestalten nicht mehr in eine Wissenschaft der Logik einführen, die mit ihren Grundbestimmungen einen anderen und neuen Verlauf genommen hatte. Zeigt nicht die Unausgeglichenheit der Ideenlehre, daß Hegel selbst in seiner Logik unterschiedlichen Motiven folgte? Kantianisierende Hegelianer wie Rosenkranz haben deshalb diese Ideenlehre schon aus der Logik zu entfernen versucht. Statt diese Probleme offenzulegen, griff Hegel gelegentlich direkt auf seine Phänomenologie zurück, z. B. wenn er die abschließenden Bestimmungen der Moralität innerhalb der Rechtsphilosophie entfaltete. In einer Erläuterung zum § 25 der Berliner Enzyklopädie beklagt Hegel, daß die Entwicklung der konkreten phänomenologischen Gestalten der Sittlichkeit, Kunst und Religion Parallelen zeige zur Philosophie des Geistes. Doch ging die Parallelität 1807 noch nicht direkt auf die Realphilosophie, sondern auf die Entfaltung des Geistes und des Wissens des Geistes von sich als der abschließenden Bestimmung in der spekulativen Philosophie! Offenbar war die Phänomenologie des Geistes für den Verlag kein Verkaufserfolg. Im Juni 1829 teilte der Buchhändler Wesche aus Frankfurt mit, daß er den Rest der ersten Auflage vom Verlag Goebhardt aufgekauft habe und nun eine zweite Auflage machen wolle. Hegel hielt eine „Umarbeitung des Werkes für nötig“ und wollte gegebenenfalls gegen die Eigenwilligkeiten des Verlages einschreiten. (Wie er seinem Schwager von Meyer am 9. August schrieb (Br IV, 68)). Kurz vor dem Tode, am 1.10.1831, schloß Hegel mit der Buchhandlung Duncker und Humblot einen Vertrag wegen des Druckes und Verlags (der
Einführung zweiten verbesserten Ausgabe) der Phänomenologie ab. In der Tat machte Hegel sich an eine Redaktion; dabei strich er die Bezeichnung der Phänomenologie als des ersten Teils des Systems der Wissenschaft. In einer Notiz nahm er die alten Leitvorstellungen auf, dieser „erste Teil“ sei „eigentlich“ ein „Voraus der Wissenschaft“. Doch nun sprach Hegel von einer „eigentümlichen früheren Arbeit“, die in eine vergangene philosophische Situation gehöre, nämlich ein herrschendes „abstraktes Absolutes“ bekämpfen sollte (also den Idealismus Fichtes und Schellings Identitätsphilosophie). Die Devise lautete nun: „nicht umarbeiten“. Eine Umarbeitung, die das Werk der neuen Logik und der neuen Realphilosophie angepaßt hätte, war auch kaum vorstellbar. Eine Umarbeitung hatte Hegel gleich nach der Publikation des Werkes gegenüber Schelling gefordert. Um 1830 hätte nur eine gänzliche Neufassung die Anpassung an die erreichte Ausbildung des Systems bringen können. Doch bleibt die Frage, ob die Ausbildung des Systems nicht auch Fragen unterdrückt hat, die in der Phänomenologie noch wirksam blieben und dem Werk eine eigentümliche Wirkung verschaffen mußten.
II. 2 Zur Wirkungsgeschichte Jene Schüler und Freunde Hegels, die sich schon in Jena oder doch in Heidelberg mit seinem Denken beschäftigten, mußten sich an der Phänomenologie des Geistes, dem ersten großen öffentlichen Werk, orientieren. Das ist in der Tat der Fall bei Gabler und Hinrichs und auch bei dem Heidelberger Theologen Daub. Die eigentliche Hegelschule bildete sich aber in Berlin; für diese neuen Schüler war die Phänomenologie des Geistes nur ausnahmsweise noch einbezogen in die Vorlesungstätigkeit Hegels. So konnte Michelet berichten, Hegel habe die Phänomenologie seine „Entdeckungsreisen“ genannt. Karl Rosenkranz, als Biograph mit der Entwicklung von Hegels Denken befaßt, mußte in der Phänomenologie eine vorübergehende Krise im Hegelschen Weg zur Ausarbeitung des Systems sehen. Die Junghegelianer, die Hegel von den Erfahrungen der Zeit her aufnahmen, mußten wie David Friedrich Strauss und Bruno Bauer statt auf das fertige System wieder auf die Phänomenologie des Geistes setzen. So konnte Karl Marx in seinen Pariser Manu-
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler skripten versuchen, die Eierschalen der Logik in Hegels Denken beiseite zu schieben und von der Phänomenologie des Selbstbewußtseins her Geschichte aufzuschlüsseln. Während Hegel in einer traditionellen theoretischen Einstellung das Ewige in der Gegenwart habe finden wollen, müsse nunmehr die Praxis über den Kampf von Herr und Knecht und die wachsende Arbeitsteilung eine Vollendung der Geschichte in der Zukunft erreichen. Als die französische Hegelforschung auf Hegels Jenaer Entwürfe und die Phänomenologie des Geistes aufmerksam geworden war, konnte Alexandre Kojève von Hegels Phänomenologie des Selbstbewußtseins aus den Gang der Weltgeschichte überhaupt deuten. Diesen Gedankengängen fiel die Gunst einer Wendezeit zu, als Francis Fukuyama sie 1989 unter den Titel des „Endes der Geschichte“ stellte: Die Unterschiede zwischen den Kulturen sollen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Geschichte so etwas wie ein Ziel erreicht, wenn die Menschen rational und effizient ihre Subsistenz durch Arbeit gewinnen, dazu sich gegenseitig anerkennen und damit weltweit eine marktwirtschaftliche Demokratie durchsetzen. Fraglich aber bleibt, ob solche Spekulationen, mögen sie auch auf angebliche anthropologische Konstanten zurückgreifen, wirklich geschichtliches Geschehen fassen können. Rudolf Haym hat schon 1857 in seinen Vorlesungen Hegel und seine Zeit bei Hegel eine verbliebene wirklichkeitsfremde Metaphysik aufweisen wollen und diesen leitenden Traditionsrest auf reale geschichtliche, nämlich restaurative Motive zurückgeführt. Hegel habe Kants Transzendentalphilosophie nicht zur historischen Kritik verdichten können, sondern diese Transzendentalphilosophie als Psychologie mit der konkreten Geschichte vermischt. „Um Alles zu sagen: Die Phänomenologie ist eine durch die Geschichte in Verwirrung und Unordnung gebrachte Psychologie und eine durch die Psychologie in Zerrüttung gebrachte Geschichte.“4 Wilhelm Dilthey sah die Aufgabe, Hegels frühe Wege neu zu deuten. Den Jenaer Arbeiten Hegels konnte er sich aber nur noch in wenigen Fragmenten zuwenden. Dabei sollte gezeigt werden, wie Fichtes und Schellings transzendentale Geschichte sich bei Hegel mit der kon4 Haym, R. 1857: Hegel und seine Zeit. Vorlesungen über Entstehung und Entwicklung, Wesen und Werth der Hegelschen Philosophie. Berlin, 243.
Einführung kreten Geschichte verbindet; wenn Dilthey sich in seinen späten Ausarbeitungen auch wieder dem hermeneutischen Anliegen zuwandte, dann konnten Hegels Anstöße sich auswirken. Als Martin Heidegger die Tradition des Denkens grundlegend destruieren wollte, mußte er der Phänomenologie des Geistes besondere Aufmerksamkeit widmen. Das galt in gesteigertem Maße, als er nicht nur mit Sein und Zeit nach der Geschichtlichkeit des Daseins fragte, sondern sein Denken in die Geschichte der Wahrheit des Seins zurückstellen wollte. Trat der Weg von Leibniz zu Hegel und Schelling und dann zu Nietzsche nicht als ein zweiter Aufbruch des Denkens zur Geschichtserfahrung hin zum Anfang philosophischen Fragens bei den Griechen? Hegels Phänomenologie wird in die Nähe von Schellings Freiheitsschrift gerückt. Doch wird die Kontroverse zwischen den beiden idealistischen Philosophen genügend deutlich? Auch Schellings Unterscheidung zwischen dem, was in Gott der Grund ist und was er selbst ist, soll wie Hegels Ansatz auf eine letzte teleologische Vermittlung zielen. Besteht Schelling aber nicht gemäß dem „kabbalistischen Ansatz“ auf dem nichtvermittelbaren Unterschied von Grund und Existenz, so daß das Böse, aber auch Krankheit und Wahnsinn die Vermittlung stören können? Die Philosophie muß dann zeigen, wie Gott den Grund gewähren läßt und ihn in eine Bewegung der Liebe und Weisheit aufnimmt. Dagegen verlangt Hegel in seiner Vorrede zur Phänomenologie, daß die Philosophie den Namen der Liebe zum Wissen ablegen und statt bloßer Weisheit wirkliches Wissen werden müsse. Hegel nimmt die Bewegungen der Geschichte in konkreten Analysen auf, die Schelling versagt blieben. Doch muß Heidegger ihm vorhalten, daß er trotz anderslautender Erklärungen das Nichts und den Entzug, wie sie sich in der Todeserfahrung zeigten, nicht ernst genug genommen habe.5 Auf unterschiedlichen Linien des Denkens hat Hegels Phänomenologie des Geistes neue Aktualität erhalten. Dabei ist sie gegen das spätere Hegelsche System ausgespielt oder auch mit den Jugendschriften zusammen als eine lebendige Linie Hegelschen Denkens gegen die Systembildung gestellt worden. 5 Zum Verhältnis von Hegels Phänomenologie und Schellings Freiheitsschrift vgl. zuletzt Köhler, D. 2006: Freiheit und System im Spannungsfeld von Hegels Phänomenologie des Geistes und Schellings Freiheitsschrift. Paderborn/München.
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler Die Aufarbeitung der frühen Texte Hegels und vor allen der Jenaer Entwürfe hat aber gezeigt, daß die Phänomenologie aufs Engste mit Hegels Logik und mit der Realphilosophie verbunden ist und in spezifischer Weise auf die Probleme der Systembildung verweist. Kann überhaupt eine Logik jene Grundbegriffe vorweg bereitstellen, die dann in der Realphilosophie anzuwenden sind? Oder sind das Substanz-Akzidens-Verhältnis und die Kausalität eher Konzeptionen, die sich erst in unterschiedlichen Anwendungsfeldern erfüllen? Dann muß das offene Ganze dieser Konzeptionen „phänomenologisch“ vermittelt werden, ohne daß man dem Weg der Erfahrung einen endgültigen Abschluß geben könnte. Wenn man heute versucht, die Hegelsche Phänomenologie ihrer eigenen „Idee“ nach aufzunehmen, so sieht man sich durch die Auseinandersetzung mit Hegels „Programm“ unmittelbar genötigt, erneut nach der Gestalt eines zukünftigen Philosophierens zu fragen. Von der Phänomenologie her zeigt sich das Problem des Hegelschen Systems überhaupt: die Vermittlung von System und Geschichte und darüber hinaus die der Philosophie mit anderen Weisen unserer Verständigung über unser In-der-Welt-sein. Konkret verstanden werden kann die Phänomenologie aber nur, wenn man beachtet, was Hegel über die programmatischen Erklärungen hinaus tut. Angesichts des völlig unproportionalen Aufbaus der Phänomenologie müssen die Beiträge dieses Bandes die Grundintention des Werkes, dessen strukturellen Aufbau wie auch die aktuelle philosophische Relevanz der Phänomenologie anhand von exemplarischen Analysen zu den einzelnen Kapiteln erörtern. Bei einem Werk vom Umfang der Phänomenologie ist es kaum möglich und auch wenig sinnvoll, einen Kommentar in strenger Analogie zum Text durchzuführen, da der Kommentar dann ebenso unproportional wie seine Vorlage bleiben würde und zudem schwer handhabbar wäre. Stattdessen bietet sich aber die Möglichkeit, die spezifischen Paradigmen der jeweiligen Kapitel herauszuarbeiten und deren Funktion für die Gesamtkonzeption des Hegelschen Werkes zu erläutern. Im einzelnen werden sich die Beiträge von A. Graeser der Sinnlichen Gewißheit und von J. Hagner dem Wahrnehmungskapitel widmen. Das dritte Kapitel „Kraft und Verstand“ wird dann anhand von J. C. Flays Untersuchungen über „Hegels ‚In-
Einführung verted World‘“ dargestellt. Über den engeren Kontext des Selbstbewußtseins-Kapitels hinausgreifend heben die Beiträge von O. Pöggeler und L. Siep die Funktion des Selbstbewußtseins als Leitfaden der Phänomenologie sowie die tragende Rolle der Anerkennung hervor. Zum Vernunft-Kapitel folgen dann die Abhandlungen von K. Düsing und M. Bisticas-Cocoves, denen sich die Ausführungen zum Geist-Kapitel von E. Weisser-Lohmann über das Problem der Sittlichkeit und D. Köhler über die Gewissensdialektik anschließen. Auf die Schlußkapitel über die Religion und das absolute Wissen gehen dann die Untersuchungen von M. de la Maza und G. Baptist ein. Abschließend wirft der Beitrag von U. Rameil noch einen Blick auf die „Verwindung“ der Phänomenologie-Konzeption in Hegels Nürnberger Propädeutik. Für die Aufarbeitung der umfangreichen Sekundärliteratur zu Hegels Phänomenologie des Geistes konnten die Herausgeber bei der ersten Auflage des vorliegenden Bandes von 1998 mit Unterstützung der Fritz Thyssen-Stiftung die Hilfe von Frau A. Sell gewinnen. Ihr und der Stiftung sei dafür gedankt. Inzwischen legte L. Siep auch im Deutschen einen vollständigen Kommentar zur Phänomenologie des Geistes vor, der auch umfangreiche Literaturangaben bringt. Der letzte Beitrag dieses Bandes gilt der Rolle, die die Phänomenologie in der philosophischen Propädeutik spielt, wie Hegel sie als Nürnberger Gymnasialrektor vorgetragen hat. Diese Entwürfe wurden jetzt in zwei Halbbänden der Akademie-Ausgabe von Hegels Gesammelten Werken ediert (Hamburg 2006). Die Materialien wurden dabei ausgerichtet auf ihr Ergebnis, die Enzyklopädie als Grundriss des Systems, publiziert zum Gebrauch für die Lehre an der Universität. Die Niederschriften und Nachschriften wurden an anderer Stelle von ihrem Ausgangspunkt, der Idee und den Materialien der Phänomenologie des Geistes, in entwicklungsgeschichtlicher Anordnung dargeboten (vgl. Kozu 1999). So kann leichter gefragt werden, wie noch in Hegels Berliner Zeit die propädeutische Einführung in das System sich in der Enzyklopädie der Wissenschaften Geltung verschaffte, nämlich in den Ausführungen über die drei Stellungen des Gedankens zur Objektivität. Ersetzen nicht diese Erörterungen, aber auch die Darlegungen zum Verhältnis der Religion zur Philosophie sowie die Geschichte der Philosophie die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins,
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler die zur Phänomenologie des Geistes wurde? Doch wollte Hegels noch kurz vor seinem Tode die Phänomenologie neu drucken lassen, freilich als eigentümliche Arbeit aus einer früheren Zeit und Problemlage. Hegel hat in seinen Nürnberger Jahren die Wissenschaft der Logik mit drei Bänden in selbständiger Ausführung vorgelegt. In Berlin kam er nur dazu, die Rechtsphilosophie als eigenständiges Kompendium für die Vorlesungen zu publizieren. So ist die Naturphilosophie wie die Philosophie des subjektiven und des absoluten Geistes nur fassbar in den Paragraphen der Enzyklopädie und in den Vorlesungen über die Philosophie der Natur und die Philosophie des subjektiven Geistes, die Ästhetik oder Philosophie der Kunst, die Philosophie der Religion und die Geschichte der Philosophie. Auf den Vorlesungen beruhte jedoch ein Großteil von Hegels Wirkung zu Lebzeiten und im Jahrzehnt nach seinem Tode. Innerhalb der Akademie-Ausgabe von Hegels Gesammelten Werken konnte die Edition der Jenaer Schriften und Systementwürfe abgeschlossen werden. Die editorische Arbeit war begleitet von einer lebhaften philosophisch-historischen Aufarbeitung dieser Texte. So hielten die verschiedenen Hegel-Gesellschaften es für nötig, die Eigenständigkeit der Arbeit von Hegel in den Jenaer Jahren zu diskutieren. Die entsprechende Tagung wurde in Rotterdam gehalten. Heinz Kimmerle, der die Tagung organisierte, publizierte auch die gehaltenen Vorträge. Diese schlossen mit einem Hinweis auf die Kontroversen um Hegels Phänomenologie des Geistes. In der Phänomenologie wurde Hegels Jenaer Entwicklung von bestimmten Perspektiven aus zusammengefasst, aber schon auf einer neuen Stufe der Entwicklung der Hegelschen Systematik. Hegel hat in seiner Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins, die dann zu einer Phänomenologie des Geistes wurde, die logischen Grundbegriffe einüben wollen. Dafür benutzte er als Exempel deiktische Worte wie Dieses, Hier und Jetzt, aber auch große literarische Werke von den Dramen des Sophokles bis zu den Romanen von Diderot und Jacobi. Hegels Lektüre des Neveu des Rameau von Diderot in der Übersetzung Goethes wurde von Hans Robert Jauß analysiert in seinem Grundwerk Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. So konnte Hegel von seiner Phänomenologie des Geistes her geradezu als
Einführung Literaturwissenschaftler erscheinen. Zudem ist Hegels Phänomenologie ein Werk, das auch in der Dichtung und Kunst aufgenommen wurde. Mit dem jungen Marx und Hegelinterpreten wie Alexandre Kojève konnte man in Hegels Phänomenologie jenes Geheimnis der Hegelschen Philosophie finden, das auch uns noch die Geschichte aufschließen kann. Inzwischen habe wir genauer zu beachten gelernt, wie die phänomenologischen Tendenzen bei Hegel und seinen Nachfolgern eingebettet sind in den wechselnden systematischen Rahmen. Das Frühjahr 2007 bringt die 2oo. Wiederkehr des Datums des Erscheinen der Phänomenologie des Geistes. So ist es nötig, die Geschichte der Interpretation dieses Werkes in die Erörterung seiner Bedeutung für uns einzubeziehen. Die folgenden Bemühungen um das Werk, die nur eine kleine Auswahl aus der breiten Zuwendung zu ihm geben, mögen diesem Ziel dienen.
Literatur Briefe von und an Hegel. Hg. von Karl Hegel, 1. Theil, Leipzig 1887. Buchner, Hartmut 1990: Skeptizismus und Dialektik. In: Hegel und die antike Dialektik. Hg. von Manfred Riedel. Frankfurt a. M., 227–243. Düsing, Klaus 1973: Die Bedeutung des antiken Skeptizismus für Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit. In: Hegel-Studien 8, 119–130. Graeser, Andreas 1987: Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit. In: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie. 34. Band, 437–453. Haym, Rudolf 1857: Hegel und seine Zeit. Vorlesungen über Entstehung und Entwicklung, Wesen und Werth der Hegelschen Philosophie. Berlin. Jauß, Hans Robert 1982: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Frankfurt a. M., 467–504. Köhler, Dietmar 2006: Freiheit und System im Spannungsfeld von Hegels Phänomenologie des Geistes und Schellings Freiheitsschrift. Paderborn/München. Kozu, Kunio 1999: Bewußtsein und Wissenschaft. Zu Hegels Nürnberger Systemkonzeption (Hegeliana Band 10). Frankfurt a. M. Pöggeler, Otto 1976: Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit. In: Sinnlichkeit und Verstand. Hg. von Hans Wagner. Bonn, 167–185. Pöggeler, Otto 2004: Die Phänomenologie – Konsequenz oder Krise in der Entwicklung Hegels? In: Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels. Hg. von Heinz Kimmerle. Berlin, 257–267. Purpus, Wilhelm 1905: Die Dialektik der sinnlichen Gewißheit bei Hegel, dargestellt in ihrem Zusammenhang mit der Logik und der antiken Dialektik. Nürnberg. Roettges, Heinz 1987: Dialektik und Skeptizismus. Die Rolle des Skeptizismus für Genese, Selbstverständnis und Kritik der Dialektik. Frankfurt a. M.
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Dietmar Köhler /Otto Pöggeler Rosenkranz, Karl 1988: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Berlin 1844. Unveränd. reprograph. Nachdruck. Darmstadt. Sell, Annette 1995: Das Problem der sinnlichen Gewißheit. Neuere Arbeiten zum Anfang der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien 30, 197– 206. Shikaya, Takako 1978: Die Wandlung des Seinsbegriffs in Hegels LogikKonzeption. In: Hegel-Studien 13, 119–173. Siep, Ludwig 2000: Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a. M. Speight, Allen 2001: Hegel, Literature and the Problem of Agency. Cambridge.
Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit
Andreas Graeser
Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit
I. Die Wissensauffassung, die Hegel zu Beginn des Bewußtseinskapitels charakterisiert, ist dadurch bestimmt, daß das erkennende Subjekt meint, unmittelbaren Zugang zur Realität zu haben. Die Prüfung dieses Anspruches ergibt jedoch, daß das erkennende Subjekt beim Versuch der Identifizierung seiner Gegenstände selbst auf allgemeine Termini angewiesen ist und daß die Gegenstände dem erkennenden Subjekt mithin durch Begriffe vermittelt sind. Sie sind als gewußte Gegenstände also weder unmittelbar gegeben noch überhaupt Einzelnes. Mithin ist die in Rede stehende Wissensauffassung von einer internen Diskrepanz gekennzeichnet. Diese Diskrepanz eliminieren heißt, eine Revision der Wissensauffassung vornehmen und so zu einer neuen Position vorstoßen, die Mängel der kritisierten Vorstellung hinter sich läßt. Hegels These wird, zumindest in dieser allgemeinen Form, als korrekt angesehen. Strittig ist allenfalls die Art ihrer Rechtfertigung. So hat die Beschreibung und Kritik der sinnlichen Gewißheit in einigen Punkten vehementen Protest hervorgerufen. Namentlich die Rede vom „Das Jetzt“, „Das Hier“ usw. wurde als triviales Mißverständnis bezüglich der linguistischen Rolle von Ausdrücken diagnostiziert, welche indexikalische Funktion haben. (Zur Kritik siehe namentlich Becker 1969, 108–151; ders. 1971, 19–29, sowie Soll 1976, 283–287. – Die positiven Züge der Verwandtschaft mit modernen Attacken
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Andreas Graeser gegen die Theorie des Gegebenen vermerkt gut Solomon 1983, 319–337.) In diesem Kontext wurde auch Hegels Neigung kritisiert, diese Ausdrücke als allgemeine Termini zu behandeln und sie so mit „Baum“ und „Haus“ auf eine Stufe zu stellen. (Siehe z. B. Hamlyn 1961, 141 ff.) An apologetischen Einlassungen hat es wohl nie gemangelt (so etwa bei Düsing 1973, 119–130; siehe dagegen Graeser 1985). Doch gibt es keine eigentlichen Verteidigungsversuche. Einer der wenigen Verteidigungsversuche – er stammt aus der Feder von Wolfgang Wieland1 – macht zwar geltend, daß sich Hegel der Unzulässigkeit der Redeweise durchaus bewußt war. Allerdings läßt die Erörterung in der eben genannten Arbeit nicht recht deutlich werden, warum Hegel diesen Punkt (und Stein des Anstoßes) dann nicht als solchen zu erkennen gibt. Die nachfolgenden Erörterungen bemühen sich um die Skizzierung eines Interpretationsrahmens, innerhalb dessen Hegels Rede als Teil der Beschreibung der Position der sinnlichen Gewißheit verständlich werden soll. Insbesondere versuchen sie, plausibel zu machen, daß Hegels zugegebenermassen mißverständliche Redeweise ihrer Intention nach als notwendiger Teil einer Selbstbeschreibung bzw. Selbstthematisierung der sinnlichen Gewißheit zu verstehen ist. Damit würde die Redeweise als solche zwar nicht immunisiert (s. u.). Doch wäre mit der Verschiebung der relevanten Ebenen auch ihr Stellenwert ein anderer geworden und damit auch die Bedingung modifiziert, unter der sie kritisierbar ist.
1 Wieland 1973, 67–82, bes. 70: „Doch wird man Hegel nicht gerecht, wenn man ihm logische oder semantische Fehler nachweist und nicht gleichzeitig die Möglichkeit in Rechnung stellt, daß er diese Fehlerhaftigkeit selbst gekannt und berücksichtigt hat“. – Siehe auch Wiehl 1973, 41: „Die Sprache, die dieses Bewußtsein spricht, um seine Erfahrung auszusprechen: das Jetzt ist Tag, das Hier ist Baum –, muß ihm unnatürlich, ja verkehrt vorkommen“. Vgl. auch Scheier 1980, 39: „Die Prüfung […] kann nun wohl als spitzfindig oder sogar als unverständig erscheinen, wenn sie nicht ausschließlich bezogen bleibt auf die hier vom Bewußtsein behauptete, und unbeschadet, ob geschichtlich aufgetretene oder eigens für diesen Anfang abstrahierte Wahrheit“.
Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit
II. Die sinnliche Gewißheit wird gelegentlich als vor-philosophische Position charakterisiert, – als Weise der alltäglichen Weltzuwendung etwa,2 deren Selbstverständnis durch keinerlei Problematisierung ihrer begrifflichen Annahmen getrübt ist. Für dieses Verständnis3 könnte u. a. sprechen, daß die für philosophisches Denken wichtige Unterscheidung zwischen Ding und Eigenschaft erst auf der Stufe der Wahrnehmung Gestalt annimmt. Mag die als sinnliche Gewißheit beschriebene Bewußtseinsgestalt auch als vorphilosophische Position gelten, so ist damit allerdings nicht gesagt, daß die Position nicht philosophisch relevant sei. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Denn Hegel bringt diese Bewußtseinsgestalt, „die Realität oder das Seyn von äußern Dingen als diesen, oder sinnlichen, habe absolute Wahrheit für das Bewußtseyn“ (GW 9, 69) und „Die, welche solche Behauptung aufstellen …“ / „aber sie sprechen ,wirkliche Dinge, äußere oder sinnliche Gegenstände, absolut einzelne Wesen‘ …“ (GW 9, 69 f.) mit hier nicht näher spezifizierten Positionen philosophischer Art in Verbindung. Genauer gesagt, scheint Hegel sagen zu wollen, daß die von ihm im vorangehenden beschriebene und kritisierte Position Bestandteil eben jener Auffassungen sei, welche ihre Thesen bezüglich der Erkenntnis von Gegenständen auf die Sinneswahrnehmung bzw. auf die Annahme einer vermeintlichen unmittelbaren Be-
2 Vgl. z. B. Daniels 1983, 88. Schon Nink 1948, 16, spricht von einer „vorphilosophischen, unkritischen Einstellung“. – Siehe hingegen Westphal 1973, 89: „Die sinnliche Gewißheit ist eine unwirkliche Abstraktion. Unser Wissen von der äußeren Welt fängt nicht in der verdünnten Sphäre reiner Sinnlichkeit an, sondern in der konkreten Lebenswelt des alltäglichen Bewußtseins von Dingen und ihren Eigenschaften.“ – 91: „Um den Primat der Wahrnehmung in Hegels Phänomenologie der Erfahrung zu verstehen, muß man jedoch mehr als das bloß Abgeleitete des Appells an sinnliche Gewißheit begreifen. Man muß auch einsehen, daß mit diesem Namen überhaupt keine wirkliche Bewußtseinsform bezeichnet ist“. 3 Hegel selbst, der in der „Vorrede“ der Ph.d.G., (GW 9, 24) und in der Philosophischen Propädeutik (TW 4, 111) von „sinnlichem Bewußtsein“ (im Gegensatz zu „wahrnehmendem Bewußtsein“) spricht, charakterisiert die sinnliche Gewißheit gelegentlich auch als „gemeines Bewußtsein“ (TW 19, 374–375) und spricht von ihm als dem „ungebildeten Standpunkt des Individuums“ („Vorrede“ zur Ph.d.G., GW 9, 24).
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Andreas Graeser ziehung zwischen dem erkennenden Subjekt einerseits und dem erkannten Objekt andererseits gründen. So zeigt insbesondere Hegels Kommentar „Eine solche Behauptung weiß zugleich nicht, was sie spricht, weiß nicht, daß sie das Gegentheil von dem sagt, was sie sagen will“ (GW 9, 69) bzw. „sagen aber, gemäß vorhergehenden Bemerkungen, auch selbst unmittelbar das Gegentheil dessen, was sie meynen“ (a. a. O.), daß bestimmte philosophische Positionen etwa bezüglich der Realität und ihrer unmittelbaren Erkennbarkeit aus prinzipiellen Gründen zum Scheitern verurteilt sind. Sie scheitern – in Hegels Sicht der Dinge – da, wo auch die sinnliche Gewißheit scheitern muß, sofern sie als Wissensanspruch auftritt. Dieser Punkt ist wichtig. Denn er beleuchtet den eigentlichen Stellenwert der in Rede stehenden Bewußtseinsgestalt: Mag sie auch nicht das sein, was wir unter einer eigentlichen Theorie der Gegenstandserkenntnis (dazu siehe Röd 1981, 69–86) verstehen und von einer solchen erwarten würden, so stellt sie doch etwas dar, was im Rahmen bestimmter Theorien bezüglich unmittelbarer Gegenstandserkenntnis verankert zu sein scheint und den Nerv solcher Theorien ausmachen würde.4 In der Tat ist Hegels Unterfangen in der Phänomenologie des Geistes wohl am meisten gedient, wenn die von ihm sinnliche Gewißheit genannte Bewußtseinsgestalt unabhängig von historischen und systematischen Konstellationen und unabhängig auch von ontogenetischen oder phylogenetischen Gesichtspunkten als philosophisch relevanter Kernbestand variabler Auffassungen wahrscheinlich gemacht werden könnte. Der springende Punkt wäre, daß Hegel – zu recht oder unrecht – unterstellt, daß mit solchen Auffassungen stets Annahmen verbunden sind, wie sie die sinnliche Gewißheit als Bewußtseinsgestalt ausmachen; und es wäre Hegels Absicht zu zeigen,
4 Dies wäre mit der allgemeinen Charakterisierung „Empirismus“ verträglich, die Taylor 1975, 141/dt. 1978, 195 gibt: „Diese Auffassung hat evidentermaßen mit dem Empirismus eine gewisse Ähnlichkeit. Sie ist nicht mit ihm identisch, denn sie ist nicht etwa genauso eindeutig spezifiziert wie der Empirismus. Aber die Vorstellung, daß das Bewußtsein primordial empfänglich ist und vor der intellektuellen (d. h. der begreifenden) Tätigkeit einsetzt, ist sicherlich ein empiristisches Thema, ebenso wie die Auffassung, daß den Äußerungsformen dieser Empfänglichkeit (Rezeptivität) ein höherer Grad an Gewißheit zukommt als irgendwelchen anderen Ansichten, zu denen wir hinsichtlich der Eigenschaften oder Tätigkeiten des Bewußtseins kommen könnten.“
Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit daß die Unhaltbarkeit dieser Position rein immanent aufgewiesen werden könne, d. h. anhand ihrer eigenen Annahmen und Voraussetzungen.
III. Von der „Einleitung“ der Phänomenologie des Geistes her gilt, daß jede philosophische Position auf dem Wege der Selbstprüfung des Bewußtseins auf ihre Stimmigkeit hin zu testen sei. Nun steht und fällt Hegels Vorstellung der Selbstprüfung des Bewußtseins5 allerdings mit der Annahme, daß sich die in Frage stehende Position selbst thematisieren kann. Im Fall der sinnlichen Gewißheit ist dies jedoch zweifelhaft. Denn so, wie sich Hegel ausdrückt, scheint es sich um eine geradezu vorsprachliche Stufe zu handeln. Doch ist diese Interpretation vielleicht weder zwingend noch eigentlich notwendig. Was den Gedanken der Selbstprüfung hier gefährdet, ist die Tatsache, daß die Prüfung des Wissensanspruches der sinnlichen Gewißheit in Hegels Schilderung (GW 9, 64) von „uns“ vorgenommen wird: „Sie ist also selbst zu fragen […] antworten wir also zum Beyspiel …“ Ein solches Vorgehen muß die möglichen Meriten der phänomenologischen Methode (dazu siehe besonders Dove 1970, 615–641; ders. 1974, 605–621) Hegels in Frage stellen. Denn wenn Hegel in der „Einleitung“ die Position des phänomenologischen Beobachters dadurch definiert, daß ihm bzw. uns das reine „Zusehen“ bleibt, so meint er, daß jede „Zuthat“ unsererseits überflüssig sei (GW 9, 59). Sicher gibt es Stellen – so vor allem „diese Betrachtung der Sache ist unsere Zuthat“ (GW 9, 61)6 –, die die Frage nahelegen, ob Hegel über einen kohärenten Begriff des „reinen Zusehens“ verfügt. Auch mag man sich fragen, ob das Ideal einer rein beschreibenden Perspektive unter den Bedingungen heutigen 5 Dazu siehe GW 9, 59 f. – Der Gedankengang bedarf weiterer Rechtfertigung. Eine solche Rechtfertigung versuche ich in Graeser 1986, 182–186. 6 Im Blick auf unsere Stelle hier ergeben sich sicher Probleme. – Claesges 1981, 133 scheint das Problem als weniger gravierend anzusehen: „Das natürliche Bewußtsein aber, an dem die sinnliche Gewißheit als eines der es bestimmenden Momente nachweisbar ist, kann sehr wohl über das Bewußtsein seiner selbst verfügen und ist in der Lage, die Funktion und Bedeutung, die ein rein unmittelbares Wissen in seinem Gegenstandsverständnis hat, anzugeben“.
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Andreas Graeser Philosophierens, namentlich seit Heideggers Ausführungen in Sein und Zeit §§ 31 ff., nicht überhaupt als Chimäre gelten muß. Doch handelt es sich bei diesen Problemen solange um Schwierigkeiten vergleichsweise zweitrangiger und fernerliegender Art, als Hegel selbst keinen Zweifel daran läßt,7 daß die Beschreibung und Prüfung der sinnlichen Gewißheit eben nicht eigentlich Sache ihrer Selbstthematisierung des Bewußtseins ist, sondern Sache einer von außen und zudem retrospektiv herangetragenen Betrachtung: Wir sind es, die die sinnliche Gewißheit befragen und wir sind es, die die Antworten geben und die sinnliche Gewißheit sogar auf etwas „aufmerksam machen“ (GW 9, 67).8 Mit welchem Recht tun wir dies? Woher wissen wir, wie sich die sinnliche Gewißheit äußern würde, wenn sie sich äußern könnte? Eine Antwort auf diese Frage erscheint schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Denkbar wäre, daß wir unterstellen, was die sinnliche Gewißheit sagen müßte, wenn sie sich äußern würde. Der damit angezeigte Weg wäre der einer transzendentalen Argumentation: Hegel könnte von einer unbestreitbaren Facette der Erfahrung ausgehen und von daher schließen, daß die in Rede stehende Erfahrung bestimmte Züge haben müsse, um überhaupt eine Erfahrung dieses Typus sein zu können (so Taylor 1976, 152). Doch stellt auch dieser Weg in Wirklichkeit keine gangbare Option dar. Denn genaugenommen verfügen wir über kein Faktum, das uns das sinnliche Bewußtsein bzw. die sinnliche Gewißheit als Bewußtsein sui generis und innerhalb ihrer eigenen Grenzen vor Augen führen könnte. Wenn 7 Verschiedene Autoren weisen auf die Struktur des sokratischen Dialoges hin, der in Hegels Inszenierung der Prüfung der sinnlichen Gewißheit zugrunde liege. Zu diesem Zweck verweist Westphal 1973, 83 auf Platon, Theaitet 161b–162b, d. h. auf Sokrates’ Ausspruch, daß „keine der Reden von mir ausgeht, sondern stets von dem Mitunterredner, während ich mich nur auf die Kleinigkeit verstehe, die darin besteht, daß ich die Rede eines anderen weisen Mannes einer richtigen Behandlung und Prüfung unterwerfe […]. Also abermals muß ich mich an den weisen Theaitet wenden“. Die Analogie liegt nahe, ist jedoch für diesen Zusammenhang nicht sehr illustrativ. 8 Vgl. auch Heinrich 1983, 1. Aufl. 1974, 113: „Das sinnliche Bewußtsein als solches vermag nicht Rede und Antwort zu stehen. Es existiert auch niemals rein als solches. Wohl aber existieren zeitgenössische und vorhergehende philosophische Strömungen, mit denen die Diskussion über solches Bewußtsein von nöten erschien.“
Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit Hegel zu Beginn der Darstellung sagt: „Wir haben uns ebenso unmittelbar oder aufnehmend zu verhalten“ (GW 9, 63), so statuiert er einen Kernzug der sinnlichen Gewißheit, der nicht eigentlich vorfindlich ist. Er ist das Produkt einer Idealisierung: Hegel selbst fragt nach dem geeigneten Ausgangspunkt für die Darstellung des erscheinenden Wissens und erklärt rhetorisch forcierend – „kann kein anderes sein als …“, – daß hier nur „unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren“ in Frage komme.9 Was also wird unter dem Titel „sinnliche Gewißheit“ beschrieben, wenn nicht das Produkt einer Abstraktion?
IV. Gewiß kann die Thematisierung der sinnlichen Gewißheit nicht als reguläre Beschreibung gelten, geschweige denn als etwas, was sich uns darbietet, wenn wir das Bewußtsein im Akt der Reflexion betrachten. Eher handelt es sich um ein Gedankenexperiment mit dem Ziel, tatsächliche oder mögliche Konstruktionen dieser Art als widersprüchlich zu erweisen. Zu diesem Zweck konstruiert Hegel freilich auch denkbare Wege der Rechtfertigung, die die Position der sinnlichen Gewißheit beschreiten müßte: Es ist dieser Kontext, der auch das Verständnis jener Redeweisen bestimmt, welche in der Kritik gelegentlich als unzulässig betrachtet werden. So gesehen wäre die Rede vom „Das Hier“, „Das Jetzt“, „Das Diese“ Teil einer Position, die Hegel der sinnlichen Gewißheit als notwendiges – wenn auch nicht notwendig bewußtes – Element des Selbstverständnisses unterstellt und auf das er sie verpflichtet. Unter dieser Voraussetzung wäre es also nicht gerechtfertigt, mit Wolfgang Wieland zu sagen: „Es entspricht der Naivität der sinnlichen Gewißheit recht gut, wenn sie von den Komplikationen einer gezielten Was-Frage noch ebensowenig weiß wie von den Schwierigkeiten, die sich durch eine Substantivierung – das „ Jetzt“ – ergeben können, wenn man 9 Die Destruktion der Unmittelbarkeit ist ein zentrales Thema bei Hegel. Grundlegend für die Einschätzung dieser Thematik sind Hegels Erörterungen in der Wissenschaft der Logik, – siehe „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“, W.d.L. I (TW 5).
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Andreas Graeser den ursprünglichen Funktionssinn des Wortes „jetzt“ dabei vergißt“ (Wieland 1973, 75). Denn es ist keineswegs ausgemacht – und auch nicht mit Hegels Begriff des „gemeinen Bewußtseins“ notwendig verbunden -, daß ein Advokat der sinnlichen Gewißheit simpliciter naiv ist und die alltagssprachliche Verwendung solcher Ausdrücke a fortiori nicht beherrscht. Allerdings wäre auch nicht einsichtig, daß jemand, der die Regeln seiner Muttersprache beobachtet, in dem Augenblick, da er die Position der sinnlichen Gewißheit expliziert, zu solchen Sätzen wie „das Jetzt ist die Nacht“ Zuflucht nehmen würde. Glaubhafter ist, daß Hegel unterstellt, eine Position von der Art der sinnlichen Gewißheit müßte konsequenterweise Ausdrücke wie „Diese(s)“, „Hier“, „ Jetzt“ regelrecht substantivieren und als Eigennamen auffassen, denen reale Segmente der Wirklichkeit als Bedeutungen gegenüberstehen. Doch ist eine solche Unterstellung gerechtfertigt? Welche Gründe könnte Hegel für sie geltend machen? Die wenigen Anhaltspunkte, die Hegels Schilderung bietet, weisen in folgende Richtung: Die sinnliche Gewißheit kennzeichnet jene Form von Unmittelbarkeit, die als „Beziehung unmittelbar reine Beziehung“ sei (GW 9, 63); und von dieser Beziehung gilt, daß „ein reiner dieser; der einzelne, […] reines dieses, oder das einzelne“ weiß (a. a. O.). Unmittelbarkeit wird auf dieser Stufe als Beziehung zwischen einem unmittelbaren Objekt (GW 9, 67): „wie das unmittelbare beschaffen ist“) und einem Subjekt bzw. Wissen verstanden. Dieses ist seinerseits als unmittelbar anzusehen, weil es rein aufnehmender Natur (GW 9, 63) ist und seinen Gegenstand in keiner Weise begrifflich strukturiert (GW 9, 63): „als nichts an ihm, wie es sich darbietet, zu verändern“ / „sie hat von dem Gegenstand noch nichts weggelassen“). Wenn jemand das sinnliche Bewußtsein also nicht nur als bloßen Bestandteil, sondern wie Epikur geradezu als Kernstück einer Wissensauffassung ansieht, so tut er dies in der Annahme, daß allein diese Beziehung genuines Wissen von einem Gegenstand eröffnet.10 In diesem Sinn scheint die Annahme einer strikten oder gar 10 Der heutige Leser denkt hier besonders an Bertrand Russells Konzeption des „Wissens durch Bekanntschaft“ und damit an seine Vorstellung von Sinnes-Daten als unmittelbar gegebenen Gegenständen des Bewußtseins. Vgl. z. B. Russell 1970, 1. Aufl. 1912, 25: „We shall say that we have acquaintance with anything of which
Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit radikalen Unmittelbarkeit insbesondere darin deutlich zu werden, daß Objekt und Subjekt dieser Beziehung im Horizont der externen Sichtweise sozusagen als nicht-konzeptualisierte und auch nicht konzeptualisierbare Pole beschrieben werden. Dies könnte auch erklären, weshalb Hegel das Demonstrativum „Dies(e)“ zur Fixierung beider Pole verwendet. Der Ausdruck könnte in Analogie zu dem verstanden werden, was in der Philosophie Russells logische Eigennamen sind. Die Verwendung regulärer Eigennamen und der ihnen äquivalenten Kennzeichnungen würde bereits Beschreibungen einführen. Damit wären die in Rede stehenden Gegenständlichkeiten schon nichts mehr, was sich im vorausgesetzten Sinne von Unmittelbarkeit zueinander in Beziehung setzen ließe.
V. Allerdings bietet Hegels Vorgehen einige Probleme. Vom Resultat der Argumentation des ersten Kapitels her betrachtet ist klar, daß Hegel jenes Vertrauen, das der Advokat der sinnlichen Gewißheit in die Verwendung deiktischer Ausdrücke und in den Vollzug entsprechender Gebärden setzt, für unbegründet hält. In diesem Sinne scheint Hegels eigene Position bereits eine gewisse Nähe zu jenen Überlegungen aufzuweisen, die W. V. O. Quine namentlich in Word and Object entwickelte. Doch geht es in der von Hegel portraitierten Position genau genommen nicht um die Annahme, daß wir uns auf Gegenstände beziehen können; es geht vielmehr um die weiterreichende Position, daß wir dies in der Weise der Unmittelbarkeit tun können. Nun gilt es zu sehen, daß diese weiterreichende Annahme – sie ist für moderne Begriffe geradezu eine contradictio in terminis – genaugenommen nicht als Position der Auffassung in Erscheinung tritt, welche zur Debatte steht: Da, wo Hegel das Demonstrativum „Dies(e)“ einführt und gewissermaßen als logischen Eigennamen für den Gegenstand der sinnlichen Gewißheit eintreten läßt (GW 9, 63), wird nicht etwa die sinnliche Gewißheit in actu beschrieben. Vielmehr geht es um eine Erläuterung der we are directly aware, without the intermediary of any process of inference or any knowledge of truth.“ – Hegel denkt sicher an Epikur (vgl. etwa fr. 247 Us.).
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Andreas Graeser Position. Die Betrachtung des Gegenstandes als „Dies(e)“ ist also nicht Teil einer Selbstdefinition der in Rede stehenden Position. Diese wird erst im Anschluß an die methodischen Hinweise thematisch (GW 9, 64). Dort aber wird die Verwendung des Ausdrucks „Dies(e)“ bereits selbstverständlich als Teil der Selbstbetrachtung der Position der sinnlichen Gewißheit vorausgesetzt. Vergleichbar ist das Prozedere im Wahrnehmungskapitel. Auch hier entwickelt und bestimmt Hegel den Gegenstand zunächst in der Perspektive des „für uns“. Erst im Anschluß an diese – wie Hegel meint – wenig ausgeführte Bestimmung (GW 9, 71) wird die Perspektive der Wahrnehmung und damit auch die Sicht ihrer Erfahrung mit dem Gegenstand eröffnet. Doch sind die begrifflichen Strukturen, die innerhalb dieser Erfahrung Gestalt gewinnen, schon bestimmt. – Hegels Orientierung am Vorsprung des Standpunktes „für uns“11 bietet uns im ersten Kapitel jedenfalls das Problem, daß eine Auffassung über die sinnliche Gewißheit (z. B. GW 9, 63 „läßt sie erscheinen“) als Auffassung der sinnlichen Gewißheit selbst behauptet wird. Damit wird zugleich deutlich, daß die Frage „Was ist das Diese?“ die sinnliche Gewißheit auf eine Position behaftet, die ihr unterstellt wurde. Dieser Punkt ist wichtig. Denn wenn wir voraussetzen, daß die Substantivierung des Ausdrucks „Dies(e)“ in Hegels Augen philosophisch bedeutsam ist, so bleibt zu fragen, weshalb Hegel meint, ihr einen systematischen Stellenwert zuweisen zu müssen.
VI. Der fiktive Dialog mit der sinnlichen Gewißheit ((GW 9, 64) „Sie ist also selbst zu fragen: Was ist das Diese?“) entzündet sich also an der Gegenstandsauffassung, die der sinnlichen Gewißheit als Theorie einer Gegenstandserkenntnis eigentümlich ist oder eigentümlich sein müßte. In diesem Zusammenhang (GW 9, 64) finden nun die Substantivierungen („Das Die-
11 Die Beobachtung dieses Vorsprungs wird namentlich von Ottmann 1974 gut betont.
Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit se“, „Das Hier“, „Das Jetzt“)12 statt. Sicher ist es eine Sache zu sagen, daß wir im Rahmen der sinnlichen Gewißheit (oder im Rahmen einer beliebigen empiristischen Position, welche auf dieser fußt und geltend macht, jene Unmittelbarkeit aufzuweisen, welche das Ideal unmittelbarer Gegenstandserkenntnis erfüllt) unsere Gegenstände zu treffen versuchen, ohne Begriffe zu Hilfe zu nehmen. Sicher ist es eine andere Sache zu sagen, daß wir uns in solchen Situationen auf Gegenständlichkeiten von der Art eines „Das Diese“ beziehen. Aber genau dies scheint Hegel vorauszusetzen: Unmittelbarkeit in dem zu Beginn des Kapitels vorausgesetzten Sinn reinen Aufnehmens besagt ja, daß das aufnehmende Subjekt seine Gegenständlichkeit weder gliedert noch überhaupt in einer Beziehung zu anderen möglichen Gegenständen erfährt. Diese Weise reinen Aufnehmens, die gegen sämtliche Formen und Horizonte indifferent sein müßte, würde sich genaugenommen auch von solchen beobachtungsartigen Zuwendungen unterscheiden, die man mit Moritz Schlick als Konstatierungen zu bezeichnen hätte (z. B.: „Hier jetzt blau und grün …“). Denn derartige Äußerungen vollziehen sich bereits im Horizont selektiver und jedenfalls kontextuell geprägter Erfahrungen. Genau diese Möglichkeit selektiver Erfahrung scheint für die sinnliche Gewißheit ex hypothesi ausgeschlossen. In diesem Sinn ist es nicht erstaunlich, wenn die Beschreibung voraussetzt, daß „Hier“ und „Jetzt“ für einen „unwandelbaren“ Gegenstand stehen, der im Modus seiner Unmittelbarkeit alles Raum- und Zeitbewußtsein nicht nur erfüllt, sondern geradezu ausfüllt: Das Hier, Das Jetzt usw. Von hieraus betrachtet wäre es nicht gleichgültig, ob der Beispielsatz die Form „Jetzt ist Nacht“ oder „Das Jetzt ist Nacht“ erhält (GW 9, 64).
12 Die Verbindung von „dies“, „jetzt“, „dort“ findet sich in dieser Form in den Zweiten Analytiken des Aristoteles: „Die Wahrnehmung ist von dem Solchen und nicht von einem Diesen; aber was man wahrnimmt, ist mit Notwendigkeit ein Dieses, sowie irgendwo und jetzt“ (87b29). Hier, wie 100a16 („Man nimmt zwar das Einzelne wahr, aber es ist eine Wahrnehmung von einem Universalen, z. B. einem Menschen, nicht dem Menschen Kallias“), ist anzunehmen, daß Aristoteles also zwischen einem referentiell intendierten x auf der einen Seite unterscheidet, und einem Wahrnehmungsgehalt y, als welches x wahrgenommen wird. – Vgl. hierzu Lloyd 1979, 145. Hierzu sind die KOINA-Strukturen zu vergleichen, die sich in der Aisthesis-Kritik des Theaitet finden. Vgl. Graeser 1985, 51–56.
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Andreas Graeser Die Äußerung „ Jetzt ist Nacht“ wäre eine bloße Konstatierung. Derjenige, der diese Äußerung macht, weiß, daß diese Konstatierung deshalb nicht aufgeschrieben werden kann, weil die Worte „hier“ und „jetzt“ dann ihren Sinn verlieren.
VII. Nun behauptet Hegel zwar nicht, daß der Advokat der sinnlichen Gewißheit dies nicht wisse. Doch zeigt die Formulierung „Das Jetzt ist die Nacht“, daß Hegel die Konzeption der sinnlichen Gewißheit mit einer Auffassung verbindet, die ihrem eigenen Selbstverständnis nach diese Einsicht eben nicht voraussetzen darf. Denn damit wäre die Annahme radikaler Unmittelbarkeit bereits destruiert. Gleichwohl ist der Satz „Das Jetzt ist die Nacht“ nicht leicht zu verstehen. Das „ist“ hat die Funktion des Identitätszeichens. Der Satz selbst bringt demnach eine Identität von “Nacht“ einerseits und dem durch „Das Jetzt“ gewissermaßen unmittelbar benannten Gegenstand zum Ausdruck. In der Sicht der sinnlichen Gewißheit würde es sich bei dem, was hier gesagt wird, vermutlich nicht einmal um eine urteilshafte Struktur handeln, sondern um den Bericht einer unmittelbaren Kontaktnahme von der Art, wie sie bei Aristoteles gelegentlich im Begriff der Phasis vorgestellt wird. Diese Struktur ist nicht irrtumsfähig (siehe Berti 1987, 141–164). Wenn Hegel hier also eine Art von nicht-propositionaler Benennung vor Augen gehabt haben sollte,13 so würde dies gut zur 13 Ähnlich wird die Struktur bei Hegel von Claesges 1981, 142 verstanden: „Die Antwort ist nicht ein Urteil, ein Aussagesatz, sondern hat die Funktion einer unmittelbaren Benennung. Das Jetzt hat einen Namen: Nacht (die herrschende Dunkelheit). Die Benennung ist so beschaffen, daß Name und Benanntes eine unmittelbare Einheit bilden“. – Allerdings ist fraglich, ob mit dieser Interpretationshypothese viel gewonnen ist. Denn wenn Hegel (was Claesges der Sache nach vielleicht vor Augen hat) tatsächlich etwas von der Art gemeint hatte, was zeitgenössische Philosophen unter nicht-propositionaler Wahrnehmung im Unterschied zu propositionalem Wahrnehmen verstehen (vgl. etwa Todd 1975, 325–362; Crawford 1972, 201–210), so wäre schwer einzusehen, was Hegel dann genau mit dem Wandel des Wahrheitswertes des Satzes „Das Jetzt ist die Nacht“ gemeint haben könnte. Im Interesse einer Verteidigung der Rede von der Wahrheit, die „schal geworden ist“ wäre zu sagen, daß Hegel den aufgeschriebenen Satz selbst als Bericht über ein (nicht-propositionales?) Wahrnehmungser-
Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit eingangs geschilderten Situation der Unmittelbarkeit passen. Namentlich die Implikation (GW 9, 63 f.), daß sich die sinnliche Gewißheit fälschlicherweise als Einheit von Sache und Wissen versteht, wohingegen in der Reflexion „ein Dieser als Ich, und eines Dieses als Gegenstand herausfallen“, könnte diese Deutung stärken. – Allerdings läßt sich nicht leugnen, daß Hegel selbst an einen Satz denkt bzw. an eine Wahrheit; die Durchführung der Prüfung des Bewußtseins zeigt zudem, daß Hegel konzediert, daß Sätze ihren Wahrheitswert ändern können. Eine Lösung dieser Schwierigkeit scheint allerdings unter der Voraussetzung denkbar, daß Hegel die von ihm selbst statuierte Identitätsbehauptung als Formulierung betrachtet, welche das Bewußtsein artikulieren müßte: Unmittelbarkeit im relevanten Sinn der Hypothese behaupten, hieße eine Identifikation von Gegenstand und Zeit(-stelle) vornehmen. Mehr noch: Die Behauptung einer Unmittelbarkeit von jener Art, wie sie im tatsächlichen oder vermeintlichen Anspruch der sinnlichen Gewißheit vorausgesetzt wird, läuft in Hegels Augen auf so etwas wie eine essentielle Prädikation von Nacht vom Jetzt hinaus. Aber eben diese essentielle Prädikation wäre unangemessen: „so wenig die Nacht und der Tag sein Seyn ist, ebensowohl ist es auch Tag und Nacht“ (GW 9, 65).
VIII. Dieser Hinweis genügt Hegel, um das sich im Bewußtsein der sinnlichen Gewißheit „erhaltende Jetzt“ als nicht „unmittelbares, sondern ein vermitteltes“ zu charakterisieren. Damit ist eine wesentliche Komponente der Gewißheit des sinnlichen Bewußtseins erschüttert. Denn die Unmittelbarkeit, die hier von der sinnlichen Gewißheit in Anspruch genommen wurde, steht und fällt mit der Voraussetzung, daß die Bezugnahme auf
eignis verstanden wissen will. Dann freilich bliebe zu fragen, ob Hegel nicht etwa – um die Terminologie Moritz Schlicks zu verwenden – eigentliche Konstatierungen („hier jetzt so und so“) mit Protokollsätzen verwechselt („M. S. nahm am so und sovielten April 1934 und zu der und der Zeit an dem und dem Ort blau wahr“). Zur Unterscheidung selbst siehe Schlick 1934, 79–99, bes. 97.
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Andreas Graeser die Gegenstände in keinerlei Weise vermittelt ist. Aber eben diese Voraussetzung ist nicht gegeben. In diesem Sinn ist auch das für das Selbstverständnis der sinnlichen Gewißheit unverzichtbare Vertrauen in ein singuläres, nicht-austauschbares Jetzt nicht begründet. Ähnlich wie Russell (1970, 1. Aufl. 1912, 25 ff.) zugestehen müßte, daß Sinnes-Daten (rote Flächen usw.) nicht eigentlich unmittelbar gegeben sind, sondern im Gegenteil als Beispiele elementarer begrifflicher Klassifikationen angesehen werden müssen (vgl. Solomon 1983, 321 ff.), müßte der Advokat der sinnlichen Gewißheit verstehen, daß selbst ein als Gegenstand unmittelbarer Bekanntschaft vorausgesetztes Jetzt kein wirklich singulärer Gegenstand ist und somit nicht als Garant sinnlicher Gewißheit gelten kann. Bereits hier gelangt Hegel zum relevanten Teil seiner Schlußfolgerungen bezüglich der Prüfung der sinnlichen Gewißheit: „das allgemeine ist also in der That das wahre der sinnlichen Gewißheit“ (GW 9, 65; vgl.GW 9, 70 f. u. ö.). Damit ist gesagt, daß die in Rede stehende Bewußtseinsgestalt keine akzeptable Theorie der Gegenstandserkenntnis darstellt. Denn die sinnliche Gewißheit „meint“ zwar Einzelnes, aber sie kann diesen Gegenstand nur als Allgemeines verfügbar machen. Damit ist nicht nur die vorausgesetzte Beziehung begriffloser Unmittelbarkeit destruiert; auch der als „an sich“ angenommene Charakter oder Status des vorausgesetzten Gegenstandes (siehe „Einleitung“, GW 9, 58 f.) erweist sich in Hegels Augen als Teil einer unzulänglichen Gegenstandsauffassung. Allerdings wirft Hegels Betrachtung ein zusätzliches Problem auf. Denn er charakterisiert die Sprache als Korrektiv des sinnlichen Bewußtseins: „Die Sprache aber ist, wie wir sehen, das wahrhaftere, in ihr widerlegen wir selbst unmittelbar unsere Meynung, und da das allgemeine das wahre der sinnlichen Gewißheit ist, und die Sprache nur dieses wahre ausdrückt, so ist es gar nicht möglich, daß wir ein rein sinnliches Seyn, das wir meynen, je sagen können“ (GW 9, 65). – Man mag geltend machen, daß Hegel hier der Position der sinnlichen Gewißheit auf einem Terrain zu begegnen sucht, das ihr fremd ist und gemäß den Bemerkungen der „Einleitung“ nicht ohne weiteres als Begegnungsfeld immanenter Kritik angesehen werden darf. Zwar liegt es nahe, mit Charles Taylor geltend zu machen, daß „etwas wissen“ soviel impliziere wie „sprachlich artikulieren
Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit können“.14 Doch wird diese Annahme, die für Wittgensteins Argumentation gegen die Möglichkeit einer Privatsprache wichtig ist, von Hegel nicht als Voraussetzung formuliert (siehe auch Solomon 1983, 330–331).15 Selbst wenn sie für Hegel wichtig war, bleibt fraglich, ob er dieser Annahme retrospektiv den Status einer Voraussetzung einräumen dürfte. Denn im weiteren Verlauf der Erörterung skizziert er die Möglichkeit, daß sich der Advokat der sinnlichen Gewißheit sozusagen wortlos auf die Unmittelbarkeit der Erkenntnisbeziehung beruft, die in einer deiktischen Geste veranschaulicht werden könne (GW 9, 67 f.). Hier nun scheint das Argument der Sprachlichkeit – zumindest in Hegels Sicht der Dinge – keine Rolle zu spielen. Denn Hegels Argumentation stellt im wesentlichen auf die Überlegung ab, daß das Jetzt, welches aufgezeigt werden soll, bereits aufgehört habe, zu bestehen. Gleichwohl bleibt zu fragen, in welchem Sinn die Sprache als Korrektiv zur sinnlichen Gewißheit anzusehen ist. Was kann das Argument bezüglich der Sprache als Allgemeinem16 überhaupt sicherstellen?
14 Taylor 1976, 162: „Now Hegels démarche in face of his conception is very similar to Wittgenstein’s: He challenges sensible certainty to say what it experiences. The underlying principle is the same, viz. that if it is really knowledge then one must be able to say what it is“. Vgl. ders. 1975, 195: „Er behandelt das Vermögen, sich durch Sprechen auszudrücken, wie eine maßgebende Eigenschaft des Wissens. Und es fällt wohl schwer, ihm hier nicht recht zu geben. Denn deutlich ist im Wissen, im hier relevanten Sinn, ein sicheres Bewußtsein von dem, was gewußt wird, enthalten“. 15 Hinzuzufügen wäre hier, daß Hegel den Maßstab sprachlicher Artikuliertheit aus der Perspektive des „für uns“ quasi nur als Instrument der Erläuterung einführt. Denn Sätze wie „Sie sagt von dem, was sie weiß, nur dies aus: Es ist“ (GW 9, 63) „enthält allein das Seyn der Sache“ (a. a. O.), dürfen natürlich nicht als Berichte darüber gelesen werden, was die sinnliche Gewißheit de facto artikuliert oder was jemand, der diese Position einnimmt, de facto äußert. Vielmehr handelt es sich um Erläuterungen (und Bewertungen) bezüglich des angenommenen Bewußtseinsstandes dessen, der eine solche Position einnimmt. 16 Ähnliche Überlegungen finden sich auch in der Enzyklopädie (1830) § 20 und in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I (TW 18, 534–538) im Zusammenhang der Charakterisierung des Megarikers Stilpon.
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IX. Diese Frage ist deshalb schwer zu beantworten, weil Hegels Position nicht klar genug hervortritt. Dies betrifft nicht allein den Begriff von Allgemeinheit, der in Hegels Beschreibung operativ ist; es betrifft auch die Natur der von Hegel behaupteten Diskrepanz zwischen dem, was wir „meinen“, und dem, was wir „sagen“ (GW 9, 65/69 f.). – Was Hegels Charakterisierung des Allgemeinen angeht, so fällt z. B. auf, daß dieser Begriff von dem des Ganzen bzw. der Vielheit (GW 9, 68) überlagert wird, ohne daß Hegel eigens die Möglichkeit in Betracht zöge, daß ein Ganzes seinerseits auch ein Besonderes oder Einzelnes sein kann (vgl. gut Soll 1976, 287). In diesem Zusammenhang bliebe zu fragen, in welchem Sinn etwas von der Art einer aufgezeigten Gegenständlichkeit, welche Teile hat, in dem Sinn allgemein ist, in welchem ein Begriff allgemein ist, der von einem Gegenstand exemplifiziert wird.17 Diese Frage berührt nun auch die Deutung der Diskrepanz zwischen „meinen“ und „sagen“. Wohl liegt es nahe, den von Hegel angesprochenen Sachverhalt in der unterschiedlichen Seinsweise zu sehen, die den Begriff als Allgemeines charakterisiert, den Gegenstand allerdings, der unter den Begriff fällt, als Einzelding. Diese Deutung bietet sich auch insofern an, als jene griechischen Philosophen, die Hegel in seiner Ansicht bestärkten (siehe Anm. 16), der Sache nach das Problem vor Augen hatten, Partikuläres mittels allgemeiner Termini erschöpfend zu beschreiben. In diesem Zusammenhang wäre, gewissermaßen exemplarisch, auf die Argumentation zu verweisen, die Sextus Empiricus (Adv.Log.I, 195–198) für die kyreanische Schule nennt. Doch ergibt sich für diese Deutung eine Komplikation. Denn der Zusammenhang im ersten Kapitel der Phänomenologie des Geistes betrifft nicht, oder zumindest 17 Ähnliche Probleme stellen sich bereits im Zusammenhang der Frage nach dem Status der Universalien in der Kategorien-Schrift des Aristoteles. Auch hier gibt es ein Schwanken zwischen der Eigenschafts-Konzeption auf der einen Seite und der Aggregats-Auffassung auf der anderen Seite. Dieses Schwanken wird m. E. besonders gut von Jones (1975, 161 ff.) herausgestellt. – Zur Berührung zwischen der Auffassung der Kategorien-Schrift und der Sicht der Idee als Vielheit im Platonischen Philebos (15a) siehe Frede 1978, 34. – Ich habe die Auffassung übernommen in: Graeser 1983, 30–56, siehe weiter Oehler 1984, 180 ff.
Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit nicht primär, die Frage, ob eine Gegenständlichkeit x vermittels eines Prädikats F erschöpfend beschrieben werden könne oder nicht. Zur Debatte steht vielmehr die Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine begriffslose Erkenntnis geben könne und ob uns ein unmittelbarer Zugang zur Realität offensteht. In diesem Zusammenhang fällt nun auf, daß Hegel im Rahmen der Beschreibung der sinnlichen Gewißheit Ausdrücke wie „Baum“ und „Haus“ (GW 9, 65 f.) zuläßt, ohne dieses Faktum zu bemängeln, geschweige denn von vornherein gegen die Position der sinnlichen Gewißheit zu wenden (vgl. z. B. Adler 1931, 322, Hypolite 1946, 91 und Soll 1976, 284, Anm. 2). Daß er dies nicht tut und den offensichtlich mühevollen Umweg über eine Destruktion des Diese, Hier und Jetzt einschlägt, spricht gegen die zunächst angenommene Deutung; damit ist zugleich ein Präjudiz für die Annahme gegeben, daß der Widerspruch zwischen dem Einzelnen, welches „gemeint“ wird und dem Allgemeinen, welches „gesagt“ wird, für Hegel hier zumindest nicht in der Relation zwischen dem Einzelnen zu suchen ist, welches ein Universales exemplifiziert, und dem Universalen, welches vom Gegenstand exemplifiziert wird. Dieser Sachverhalt läßt – unter der Voraussetzung, daß Hegel diese naheliegende Möglichkeit einer Attacke gegen die sinnliche Gewißheit nicht einfach übersehen hat – wohl nur die Deutung zu, daß sich Hegel tatsächlich für eine andere Frage interessierte, die er als vordringlich und – um einen Ausdruck der Fragerichtungen Heideggers aufzunehmen – als ursprünglich empfand. Vordringlich ist für ihn die Frage, ob wir mittels deiktischer Ausdrücke und entsprechender Gesten jenes unmittelbare Fundament zu identifizieren vermögen, das der sinnlichen Gewißheit als Ausgangspunkt dient oder dienen müßte. Demgegenüber ist die Tatsache, daß Dinge im Lichte von Begriffen beschrieben werden, sozusagen bereits ein abkünftiges Phänomen, welches keiner besonderen Aufmerksamkeit bedarf. Wenn dies so ist, so betrifft der von Hegel behauptete Widerspruch zwischen „meinen“ und „sagen“ auf der hier relevanten Ebene den Umstand, daß „das Hier“, „das Jetzt“ im Sinne des (GW 9, 68) Gesagten eben nicht etwas Einzelnes ist, sondern „eine Vielheit von Itzt zusammengefaßt“. Mithin geht es um den Gegensatz zwischen dem Ausgesagten, das Teile hat und in diesem Sinn
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Andreas Graeser allgemein ist und dem Gemeinten, das als Gemeintes nichts von der Art ist. – Daß das Jetzt als Ausgesagtes allerdings ein Ganzes ist, welches Teile hat, ist zweifelhaft.18
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18 Für vielfältige Anregungen danke ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern meines Seminars über die Phänomenologie des Geistes, insbesondere Dr. Martin Bondeli, Dr. Eduard Marbach, Dr. Duen Marti-Huang und Dr. Jean-Claude Wolf [1986], für ihre unschätzbare Hilfe bei der Herstellung dieser Version bin ich Rebecca Iseli zu Dank verpflichtet.
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Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung
Joachim Hagner
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung
Es gibt nicht viele Forschungsbeiträge, die sich ausschließlich oder auch nur ausdrücklich mit dem Wahrnehmungs-Kapitel befassen. Die wenigen Untersuchungen, für die das gilt, lesen es entweder als Palimpsest, dessen Hypotexte Platons Theaitetos (Westphal, M. E. 1973), Kants Kritik der reinen Vernunft (Westphal, M. E. 1973) sowie bestimmte Abschnitte aus Humes Traktat sein sollen (Westphal, K. R. 1996). Oder sie konzentrieren sich – offenbar unter der Voraussetzung der Unabhängigkeit der spekulativen Methode und ihrer verschiedenen Momente gegenüber besonderen Inhalten – auf die begrifflich-systematischen Aspekte der hegelschen Argumentation (Becker 1969, 1971 u. 1982, Scheier 1980). Daneben wird das Wahrnehmungs-Kapitel nur noch im Rahmen übergeordneter Bemühungen verhandelt. Seine Deutung ist dann etwa Bestandteil des Versuches, die Phänomenologie des Geistes von 1807 mit einer besonderen Systemkonzeption Hegels in Zusammenhang zu bringen (Heidegger 1980), sie als durchgängige Kantkritik zu etablieren (Görland 1966) oder sie vor dem Hintergrund einer eigenen systematischen Theorie als idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins zu entwickeln (Claesges 1981). Ein Mangel herrscht dagegen an Interpretationen, die sich als Kommentar auf den Text und seine Schwierigkeiten einlassen, ohne in einer der beiden obengenannten Weisen einseitig zu verfahren. In die Richtung einer solchen Untersuchung, die auch die Grundlage für alle weiterführenden Überlegungen
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Joachim Hagner schafft, ist wohl erst ein – allerdings raumgreifender – Schritt unternommen worden (Fink 1977), an den ich mit der folgenden Rekonstruktion des Wahrnehmungs-Kapitels und seiner Argumentation anschließen möchte. Zuerst soll jedoch dasjenige skizziert werden, was als die Aufgabe, der systematische Sinn oder die „Idee“ der Phänomenologie bezeichnet werden kann. Denn ich werde im folgenden immer wieder auf bestimmte methodische und begriffliche Bestimmungen zurückgreifen müssen, die sich allesamt der Tatsache verdanken, daß die Phänomenologie eine ganz bestimmte „Idee“ verwirklichen soll. Die groben Züge dieser Skizze sind dabei bereits durch die drei Bedeutungen der Phänomenologie festgelegt, über deren Kombination sich nach meiner Auffassung ihre „Idee“ konstituiert: Nach Hegel ist die Phänomenologie Einleitung in die spekulative Logik, idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins in einem distinkten Sinn und „sich vollbringende[r] Skepticismus“ (GW 9, 56). Und diese drei Bedeutungen will ich denn auch kurz darlegen (1.), bevor ich mit dem Versuch beginne, die Argumentation des Wahrnehmungs-Kapitels zu rekonstruieren (2.).
I. Die „Idee“ der Phänomenologie I.1 Einleitung in die spekulative Logik Zu Beginn von Hegels Jenaer Zeit hatte die Logik die Aufgabe einer Einleitung in die Metaphysik als der eigentlichen Wissenschaft zu versehen. Diese frühere, von Schelling als „wissenschaftliche[r] Skepticismus“ (Schelling 1859, 269) etikettierte Logik, die Logik der endlichen Reflexion sollte im Durchgang durch die endlichen Reflexionsbestimmungen des Ich deren grundsätzliche Widersprüchlichkeit aufzeigen, den Erkenntnisanspruch der endlichen Reflexion zurückweisen und so in die Metaphysik als Wissenschaft des Seienden an sich einleiten. Hegel selbst setzt diese Logik zu Beginn seiner Jenaer Zeit weitgehend dem gleich, was Fichte und Schelling als idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins betrieben haben.
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung In dem Logik-Fragment von 1804/05 (GW 7, 3–125) ist die Logik dann aber nicht mehr nur Logik der endlichen Reflexion. Dort werden auch Fragen der metaphysischen Erkenntnis untersucht, die in Hegels früheren systematischen Skizzen erst an dem Punkt aufgenommen wurden, an dem die Erörterung von der Logik zur Metaphysik überging oder sich schon am Anfang der Metaphysik befand. Und in seinem Systementwurf zur Realphilosophie von 1805/06 vereinigt Hegel die Logik mit der Metaphysik zur „philosophia speculativa s[ive] logica“ (Kimmerle 1967, 55), wie dieser erste Systemteil in einer Vorlesungsankündigung für das Sommersemester 1806 bezeichnet wird. Die auf diese Weise vakant gewordene Stelle jedoch einer in die spekulative Logik einleitenden Wissenschaft wird 1807 mit der Phänomenologie besetzt. Daß es überhaupt eine Einleitung geben muß, ist in dem Umstand begründet, daß die spekulative Logik in der Zeit, und d. h.: neben anderen, etwa empiristischen, kritischen und skeptischen Positionen der Philosophie auftritt. Will sie in einem solchen Zusammenhang den Anspruch rechtfertigen, ihr spekulativ-idealistisches Wissen sei das einzig wahre, dann müssen zuvor alle anderen Wahrheitsansprüche zurückgewiesen werden. Die Berücksichtigung dieser Wahrheitsansprüche und der ihnen entsprechenden Standpunkte ist somit für die Phänomenologie als Einleitung grundlegend. Nun hatte Hegel schon in der Differenz-Schrift festgestellt, daß dazu mehr als die bloße Entgegensetzung eines neuen, als überlegen nur behaupteten Systems oder eine Beschreibung des aktuellen Zustands der Philosophie erforderlich ist, wie sie Reinhold in seinen Beyträgen versucht hatte. Die Anerkennung des Überlegenheitsanspruchs eines bestimmten philosophischen Systems bleibt auf diese Weise zufällig, sie bleibt davon abhängig, daß ein „allgemeineres Bedürfniß der Philosophie“ (GW 4, 7), das sich selbst nicht die Gestalt eines Systems zu geben vermag, in einer „instinktiven Hinneigung“ (GW 4, 7) in diesem System etwas von dem entdeckt, worauf auch sein Bedürfnis geht. Nach Hegel ist dieser Makel der Zufälligkeit erst da getilgt, wo die Anerkennung in der Einsicht in die eigene Unwahrheit
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Joachim Hagner gründet, welche die wahre Philosophie, die in den frühen Jenaer Schriften noch überwiegend als Kritik in Erscheinung tritt, der jeweiligen Position nachweist. Nur auf diese Weise kann sie den Boden bereiten für das Auftreten und die Anerkennung des allein wahren philosophischen Systems. Die Phänomenologie als Einleitung weist daher die Wahrheitsansprüche aller anderen philosophischen Standpunkte nicht nur einfach zurück. Sondern sie versucht, diese Zurückweisung als freiwilliges, in deren eigener dialektischer „Erfahrung“ (GW 9, 60) gründendes Eingeständnis der Unhaltbarkeit des jeweiligen Wahrheitsanspruchs seitens der betroffenen Positionen zu gestalten. Damit dieser Versuch angestrengt werden kann, sind aber zwei zusätzliche Bestimmungen erforderlich, die dann gemeinsam mit ihrer Charakterisierung als Einleitung in die spekulative Logik die „Idee“ der Phänomenologie ausmachen: Nach Hegel ist sie zum einen sich vollbringender Skeptizismus. Das Programm eines solchen Skeptizismus ist der methodische Ausdruck jenes Bestrebens, konkurrierende Standpunkte zu einem freiwilligen Eingeständnis in die Unhaltbarkeit ihrer Ansprüche auf Wahrheit zu bewegen, sie auf dem Wege einer Selbstprüfung zu dieser Erkenntnis gelangen zu lassen. Insofern ist dieses Programm die Gestalt, in der die Phänomenologie in die spekulative Logik einleitet. Zusammen gehört damit das Konzept des sich in seinen Erscheinungen selbst denkenden Geistes oder der Idee, das dessen systematische Absicherung darstellt. Darauf werde ich unten noch kurz eingehen. Die Durchführung des Programms des sich vollbringenden Skeptizismus setzt jedoch die Aufnahme anderer Positionen und ihrer Wahrheitsansprüche in einer ganz eigenen Hinsicht voraus: Sie müssen als Weisen des Fürwahrhaltens angesehen werden und deshalb eine besondere Struktur zugewiesen bekommen, wenn so etwas wie eine Selbstprüfung möglich sein soll. Diese Struktur muß so beschaffen sein, daß sie allen aufgenommenen Standpunkten nachgewiesen werden kann. Sie muß grundsätzlich ausschließen, daß auch nur eine dieser Positionen behaupten kann, ihr würde diese Struktur nicht zugrunde liegen und sie könne deshalb nicht als Weise des Fürwahrhaltens betrachtet werden. Untersucht haben die Struktur der Weisen des Fürwahrhaltens daraufhin u. a. Cramer 1978, bes. 376–89, mit
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung dem sich Bonsiepen 1993, 148–53 kritisch befaßt, Scheier 1980, 19/20 und Claesges 1981, 70–74. Und entwickelt wird sie im Rahmen der idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins, welche die Phänomenologie nach der zweiten, noch ausstehenden Bestimmung ist. Sie soll im folgenden zuerst dargelegt werden, da das Programm des sich vollbringenden Skeptizismus unabhängig von den Weisen des Fürwahrhaltens und ihrer spezifischen Struktur kaum durchgeführt werden kann.
I.2 Idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins Die Phänomenologie realisiert das Projekt einer vollständigen genetischen Darlegung der Vermögen und Leistungen der Subjektivität in einer systematischen, durch das Prinzip des Selbstbewußtseins und seiner vielschichtigen Struktur geleiteten Abfolge bis hin zur vollendeten Selbstbeziehung. Sie steht damit in der Tradition einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins, deren noch unsystematische, sensualistische Anfänge in Condillacs Traité des sensations von 1754 liegen und die ihre Fortsetzung dann in Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95, seiner Wissenschaftslehre nova methodo von 1797–99 und Schellings System des transzendentalen Idealismus von 1800 findet. – Eine detaillierte Untersuchung dieser Zusammenhänge, der Bedeutung einer Geschichte des Selbstbewußtseins für und in dem gedanklichen Werdegang Hegels in der Jenaer Zeit, der Rolle, die sie für Phänomenologie spielt, sowie ihrer subjektivitätstheoretischen Aspekte hat Düsing 1993 angestellt. Auf diesen Aufsatz beziehen sich die folgenden Ausführungen, sofern sie die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins bei Hegel betreffen. Konstitutiv für eine solche Geschichte des Selbstbewußtseins ist zunächst bei Fichte und Schelling wie bei Hegel neben der prinzipiengeregelten Entwicklung der Fähigkeiten und Leistungen der Subjektivität die Unterscheidung eines betrachteten Ich von einem betrachtenden Ich. Das betrachtende Ich verkörpert dabei die komplexe Struktur der vollständig entwickelten Selbstbeziehung und ist in dieser Eigenschaft das Prinzip, dem die Entwicklung jener Vermögen und Leistungen systematisch gehorcht. Das betrachtete Ich nä-
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Joachim Hagner hert sich im Zuge dieser Entwicklung dem betrachtenden Ich stufenweise an, indem es sukzessive für sich wird und sich zuletzt in erfüllter Selbstbeziehung weiß. Die dargelegten Fähigkeiten und Leistungen der Subjektivität, das, womit das betrachtete Ich auf der jeweiligen Stufe seiner Genese identisch ist, konzipiert Hegel nun, anders als Fichte und Schelling, als Weisen des Fürwahrhaltens. Die Struktur einer solchen Weise des Fürwahrhaltens ist bestimmt durch die Dichotomie von Wissen oder Gewißheit und Wahrheit als dem „an sich“ (GW 9, 58) sowie durch die von Bewußtsein, dem Subjekt des Fürwahrhaltens, und Gegenstand. Diese Bestimmung ermöglicht erst die Selbstprüfung an dem je eigenen Maßstab (GW 9, 59/60) sowie die in diese Selbstprüfung eingeschlossene dialektische Erfahrung, wie sie für das Programm des sich vollbringenden Skeptizismus konstitutiv ist. Der Gegenstand oder die Wahrheit als die eine Seite der Dichotomie kann dann im Zusammenhang mit der Unterscheidung des betrachteten von dem betrachtenden Ich unter einer doppelten Optik betrachtet werden: In der Sichtweise des betrachteten Ich ist er nur „für es“ (GW 9, 59), mit den Augen des betrachtenden Ich gesehen zeigt er sich, wie er „für uns“ (GW 9, 58) ist. Die Phänomenologie liefert keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß „für es“ und „für uns“ noch einer anderen Instanz zugeordnet werden könnten als dem betrachteten bzw. dem betrachtenden Ich. Eine Gleichsetzung etwa des „für uns“ mit der Erfahrung des Lesers der Phänomenologie, wie er sie in der Beobachtung der „dialektische[n] Bewegung des natürlichen Bewußtseins“ macht (Westphal, M. E. 1973, 85), sollte deshalb eigentlich nicht in Betracht kommen. Diese Gleichsetzung scheint denn auch weder zu rechtfertigen, daß das Bewußtsein sukzessive dem mit „für uns“ bezeichneten Standpunkt angenähert wird, noch dürfte sie begründen können, weshalb der Text der Phänomenologie immer wieder darauf hinweist, daß sich etwas nur „für uns“ auf eine bestimmte Weise darstellt, nicht jedoch „für es“, für das Bewußtsein. Denn die Erfahrung des Lesers fiele, wenn sie tatsächlich der Beobachtung des Bewußtseins und seiner Erfahrung geschuldet wäre, mit dieser Erfahrung zusammen, so daß „für uns“ und „für es“ nicht mehr unterschieden wären.
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung I.3 Sich vollbringender Skeptizismus Dem Subjekt der einzelnen Weisen des Fürwahrhaltens, wie sie die Phänomenologie als idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins darstelllt, tut sich eine Kluft zwischen seiner Gewißheit oder seinem Wissen und dem auf, was es für die Wahrheit hält. Es erfährt in der von ihm selbst durchgeführten „Prüffung“ (GW 9, 58), daß sein Wahrheitsanspruch nach seinem eigenen Maßstab ungerechtfertigt ist, daß das Wahre das Gegenteil dessen ist, was ihm als das Wahre galt, und gerät darüber in eine „Verzweiflung“ (GW 9, 56), an der es als Subjekt einer bestimmten Weise des Fürwahrhaltens zugrunde geht. Erst dem absoluten Wissen bleibt diese Verzweiflung erspart, indem es seinen Wahrheitsanspruch bewähren und Gewißheit oder Wissen und Wahrheit zur Deckung bringen kann. Im absoluten Wissen wird, unter Beibehaltung ihrer Differenz, die Übereinstimmung zwischen dem Subjekt des Fürwahrhaltens und dem Gegenstand erreicht. Diese Prüfung des Wahrheitsanspruchs heißt nun „Skeptizismus“, weil sie die Vorläufigkeit aller Weisen des Fürwahrhaltens mit Ausnahme des absoluten Wissens transparent macht und sie so vernichtet. Und „sich vollbringender Skeptizismus“ heißt sie, weil sie diese Vernichtung nach Hegels Konzeption nicht als äußere Einwirkung, sondern je als Selbstprüfung an einem von ihr akzeptierten Maßstab herbeiführt. Die Voraussetzung dafür, daß der Weg der Verzweiflung, auf den der sich vollbringende Skeptizismus das Subjekt des Fürwahrhaltens bringt, nicht mit dessen erster Selbstprüfung, sondern erst im absoluten Wissen endet, ist Hegels Theorie der bestimmten Negation und deren Auffassung als eines methodischen Prinzips, vermittels dessen logische und realgeschichtliche Vorgänge gleichermaßen erfaßt werden können. Und die Bedingung dafür, daß die einzelnen Stationen dieses Weges und ihre Reihenfolge nicht willkürlich gewählt werden können, die Bedingung der Systematizität der Kritik, wie sie die Phänomenologie als sich vollbringender Skeptizismus übt, ist die These, daß die Weisen des Fürwahrhaltens zugleich Erscheinungsweisen des Geistes oder der Idee sind, die sich in ihnen selbst denkt und erkennt: Den Weisen des Fürwahrhaltens liegen die Kategorien der spekulativen Logik zugrunde. Deren Abfolge und dia-
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Joachim Hagner lektischer Zusammenhang verbürgt die systematische Notwendigkeit aller Schritte auf dem Weg von der sinnlichen Gewißheit bis zum absoluten Wissen. Orientiert scheint diese Abfolge dabei an der Anordnung der Kategorien, wie sie Hegel in seinem ersten Entwurf einer spekulativen Logik von 1805/06 vorgenommen hat: „absolutes Seyn, das sich andres (Verhältniß wird) Leben und Erkennen – und wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich“ (GW 8, 286). Dem Wahrnehmungs-Kapitel würden danach die Kategorien des Verhältnisses zugrunde liegen. Und diese Auffassung, zu der Pöggeler 1966 in kritischer Auseinandersetzung vor allem mit Fulda 1965 gelangt ist, wird, außer von Hansen 1994, bes. 47–49, inzwischen allgemein akzeptiert. Die Konzeption eines sich in seinen Erscheinungen selbst denkenden und erkennenden Geistes oder der Idee dagegen stand Hegel schemenhaft wohl schon zu Beginn seiner Jenaer Zeit vor Augen, obwohl das systematische Umfeld dort noch ein anderes war. Denn der Aufsatz Ueber das Wesen der philosophischen Kritik entwickelt eine Konzeption von Kritik, die diese Konzeption strukturell zu präfigurieren scheint: Es sei wichtig für die Kritik, heißt es dort: „die Mannichfaltigkeit der Reflexe des Geistes, deren jeder seiner Sphäre in der Philosophie haben muß, sowie das untergeordnete und mangelhafte derselben zu kennen“ (GW 4, 120). Als „Reflexe des Geistes“ werden dabei diejenigen Standpunkte bezeichnet, in denen die „Idee der Einen und selben Philosophie“ (GW 4, 118) noch von dem „Schein“ (GW 4,119) der „Subjectitivät und Beschränktheit, welche sich in die Darstellung […] einmischt“ (GW 4, 119), verdeckt ist. Demnach dürften die unvollkommenen „Gestalt[en]“ (GW 4, 119) der Idee der Einen und selben Philosophie auf den Reflexen des Geistes fußen, so wie in der Phänomenologie die kategorialen Momente des Geistes oder der Idee die Weisen des Fürwahrhaltens als ihre Erscheinungen fundieren. Dort denkt und erkennt sich der Geist in diesen seinen Erscheinungen. Und obwohl in der Untersuchung Ueber das Wesen der philosophischen Kritik von solchem Denken und Erkennen seiner selbst nicht die Rede ist, deutet sie es doch wenigstens an: Denn da die Kritik zu ihrem Maßstab die Idee der Einen und selben Philosophie nimmt, da sie die kritisierten Positionen von der Warte des Geistes aus betrachtet, ist sie immer auch mit sich
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung selbst befaßt, wenn sie die Mannigfaltigkeit der Reflexe des Geistes kennenlernt. Im Zusammenhang mit der Einleitungsfunktion der Phänomenologie gerät die Konzeption des Geistes, der sich in seinen Erscheinungen selbst denkt und erkennt, allerdings in einen Zirkel, der sich offenbar ebenfalls schon in dem Aufsatz Ueber das Wesen der philosophischen Kritik andeutet: Nach Hegels Anspruch verfährt die Phänomenologie in der Entwicklung der einzelnen Weisen des Fürwahrhaltens, denen jeweils kategoriale Momente des Geistes oder der Idee zugrunde liegen, dialektisch. Das dialektische Verfahren und die Kategorien gehören aber der spekulativen Logik zu, deren Ebene durch die Darlegung der Weisen des Fürwahrhaltens allererst erreicht werden sollte. Und in der Untersuchung Ueber das Wesen der philosophischen Kritik wird die Kritik als „Subsumtion unter die Idee [der Philosophie]“ (GW 4, 118) definiert, die als ihr Maßstab angesetzt wird. Die Kritik weist den Standpunkten, mit denen sie sich befaßt, das Vorhandensein dieser Idee, wenn auch in einer noch unvollkommenen Gestalt auf. Sieht man davon ab, daß der Kritik als Subsumtion unter die Idee der Philosophie nur diejenigen Positionen eine Angriffsfläche bieten, in denen „die[se] Idee […] vorhanden ist“ (GW 4, 118), nicht dagegen die Standpunkte der „Unphilosophie“ (GW 4, 119), dann liegt die Schwierigkeit dieser Konzeption von Kritik darin, daß die Kritik erst zu der Idee der Philosophie hinführen soll, derer sie sich als Maßstab längst bedient. Wie in der Phänomenologie als Einleitung die Darstellung der Weisen des Fürwahrhaltens, so greift demnach auch die Kritik im Rahmen ihrer propädeutischen Tätigkeit zu Mitteln, die ihr erst zur Verfügung stehen dürften, wenn diese Vorbereitung abgeschlossen ist. In dem Aufsatz Ueber das Wesen der philosophischen Kritik scheinen sich somit nicht nur die Konzeption des sich in seinen Erscheinung selbst denkenden und erkennenden Geistes oder der Idee vorzubereiten, sondern auch die damit verbundenen Schwierigkeiten. Wenn ich nun im folgenden den Versuch unternehme, Hegels Darlegung der Wahrnehmung und ihrer dialektischen Erfahrung zu rekonstruieren, dann geschieht das vor dem Hintergrund der gerade angedeuteten drei Momente der „Idee“ der Phänomenologie: Die Erfahrung der Wahrnehmung ist also einmal Bestandteil der Einleitung in die spekulative Logik. Und
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Joachim Hagner daraus ergibt sich für einen Kommentar die Verpflichtung, auf die konkurrierenden Wahrheitsansprüche und die ihnen zugehörenden Standpunkte zumindest hinzuweisen, die im Wahrnehmungs-Kapitel zurückgewiesen werden könnten. Denn eine solche Zurückweisung sollte in die Einleitungsfunktion der Phänomenologie eingeschlossen sein. Außerdem stellen die Wahrnehmung und ihre Erfahrung ein Kapitel in der idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins dar, was für einen Kommentar die Aufgabe bedeutet, den Bestimmungen Rechnung zu tragen, die mit der Darlegung der Vermögen und Leistungen der Subjektivität und ihrer Umdeutung in einer solchen Geschichte unmittelbar zusammengehören. So gilt es z. B., die beiden mit „für es“ und „für uns“ bezeichneten Perspektiven auseinanderzuhalten, die sich im Text mitunter zu überschneiden scheinen. Vor allem jedoch gilt es, die Wahrnehmung als eine Weise des Fürwahrhaltens anzusehen, deren spezifische Struktur sie nicht nur von den Fähigkeiten und Leistungen unterscheidet, wie sie Fichte und Schelling darlegen, sondern auch von dem psychischen Vorgang der Wahrnehmung, wie wir ihn aus „alltäglichen“ Zusammenhängen kennen. Ein entscheidender Unterschied dazu wird denn auch deutlich, wenn man bedenkt, daß die Wahrnehmung zuletzt eine Etappe auf dem Weg darstellt, der als sich vollbringender Skeptizismus zum absoluten Wissen führt. Die Wahrnehmung beansprucht die vollständige Kongruenz von Subjekt und Gegenstand als die Wahrheit. Von solcher vollständigen Übereinstimmung, die erst im absoluten Wissen zustande kommt, und selbst von der bloß formalen, wie sie sich im Selbstbewußtsein herstellt, ist die Wahrnehmung jedoch noch weit entfernt. Weil sie als eine Weise des Fürwahrhaltens aber mit ihrem Wahrheitsanspruch zusammenfällt, geht sie an der Erfahrung seiner Unhaltbarkeit zugrunde. Der Wahrnehmung kommt insofern, wie den anderen Weisen des Fürwahrhaltens auch, Bedeutung nur im Rahmen ihrer Abfolge, nur als Aufgehobener zu. Und das dürfte weder auf die Vermögen und Leistungen der Subjektivität in Fichtes und Schellings idealistischer Geschichte des Selbstbewußtseins zutreffen, die dort je für sich reale Bedeutung haben, noch auf den psychischen Vollzug der Wahrnehmung.
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung
II. Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung Inhalt und des Resultat des Wahrnehmungs-Kapitels ist, kurz zusammengefaßt, das Folgende: Das Subjekt des Fürwahrhaltens, das „Wahrnehmen“ (GW 9, 71), erfährt an seinem Gegenstand, dem „Ding von vielen Eigenschafften“ (GW 9, 71), den Widerspruch von Vielheit und Einheit. Der Gegenstand changiert beständig zwischen diesen beiden Bestimmungen. Weil das Kritierium, welches das Wahrnehmen für die Wahrheit in Anschlag bringt, jedoch die Sichselbstgleichheit ist, sucht es diesen Widerspruch zu vermeiden, indem es zunächst sich selbst und dann andere Gegenstände als Ursache für das Auftreten der jeweils widersprechenden Bestimmung ansieht. Es gelingt ihm aber weder auf die eine noch auf die andere Art, die Sichselbstgleichheit seines Gegenstandes als die Wahrheit zu retten. Der Wahrheitsanspruch, der die Wahrnehmung als eine Weise des Fürwahrhaltens auszeichnet, erweist sich so als unhaltbar, und das bedeutet ihren Untergang. Diejenige Weise des Fürwahrhaltens, die nach der Wahrnehmung aufgenommen wird, ist der Verstand, der zu seinem Gegenstand den Gedanken der Kraft hat. In dem Gedanken der Kraft, die ihr Einssein immer wieder auf die Vielheit ihrer Äußerungen oder Eigenschaften hin überschreitet, um von da aus in ihr Einssein zurückzukehren, ist der Widerspruch von Einssein und Vielheit aufgehoben und bewahrt. Die Kraft ist die Idee des Substanz-Akzidens-Verhältnisses, für welches das Ding und seine vielen Eigenschaften stehen. Eine solche Zusammenfassung wirft nun eine ganze Reihe von Fragen auf: Welche Überlegungen führen zu der Bestimmung des Gegenstandes der Wahrnehmung als Ding von vielen Eigenschaften? Worin gründet der Widerspruch von Einssein und Vielheit und in welchen Gestalten zeigt er sich? Weshalb muß das Wahrheitskriterium des Wahrnehmens die Sichselbstgleichheit sein? Was ist die Bedingung dafür, daß es das Vorkommen derjenigen Bestimmung, welche die Sichselbstgleichheit gerade zu zerstören droht, erst sich selbst und anschließend anderen Gegenständen zuschreiben kann? Zu diesen Fragen, wie sie die kurze Zusammenfassung von Inhalt und Resultat des Wahrnehmungs-Kapitels aufwirft, kom-
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Joachim Hagner men noch weitere hinzu, sobald man in dessen Lektüre eintritt. Sie betreffen z. B. den Gebrauch bestimmter Begriffe und Argumente, derer Hegel sich bedient, oder die Anzahl der Phasen, welche die Erfahrung des Wahrnehmens durchläuft. Die Rekonstruktion der Argumentation des WahrnehmungsKapitels hat somit nicht nur die Aufgabe, auf die konkurrierenden Positionen und ihre Wahrheitsansprüche hinzuweisen, die Hegel vor Augen gestanden haben könnten, oder die Bestimmungen zu berücksichtigen, die mit der Darlegung der Fähigkeiten und Leistungen der Subjektivität in einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins und der Umdeutung dieser Fähigkeiten zu Weisen des Fürwahrhaltens zusammenhängen, sondern sie muß auch die genannten Fragen beantworten.
II.1 Die Bestimmung des Gegenstandes der Wahrnehmung als Ding von vielen Eigenschaften Nach Hegel soll sich diese Bestimmung aus einer Entwicklung des Resultats der Erfahrung der sinnlichen Gewißheit (GW 9, 71) ergeben. In der Beobachtung dieser Erfahrung hatte sich dem betrachtenden Ich gezeigt, daß die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit als das „an sich“ nicht das einzelne sinnliche „Diese“ (GW 9, 64) ist, und zwar weder als „Itzt“ (a. a. O.) noch als „Hier“ (a. a. O.). Es ist vielmehr die bestimmte Negation dieses aufgezeigten einzelnen sinnlichen Itzt oder Hier, deren Ergebnis die Wahrheit dieser ersten Weise des Fürwahrhaltens darstellt. „[E]in in sich reflectirtes, oder einfaches, welches im Andersseyn bleibt, was es ist; ein Itzt [oder Hier], welches absolut viele Itzt [oder Hier] ist“ (GW 9, 68), ein unmittelbares, sinnliches „Allgemeines“ (GW 9, 68), zu dem „das Aufzeigen“ (GW 9, 68) als „eine Bewegung, von dem gemeynthen [einzelnen Itzt oder] Hier aus durch viele [Itzt oder] Hier“ (a. a. O.) führt: Das ist das Resultat der Erfahrung der sinnlichen Gewißheit oder ihre Wahrheit, aus welcher Hegel das Ding von vielen Eigenschaften als Gegenstand der Wahrnehmung „für uns“ zu entwickeln beansprucht. Im folgenden gilt es also nicht allein, nachzuvollziehen, wie diese Entwicklung geschieht, sondern es muß zugleich geprüft werden, ob sie tatsächlich nur die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit zur Grundlage hat.
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung Eine Bemerkung jedoch vorab: Das Subjekt der sinnlichen Gewißheit, das betrachtete Ich, verliert in der Bewegung des Aufzeigens, in dem Füreswerden des „an sich“ seine Wahrheit oder seinen Gegenstand und fällt dadurch mit dieser Bewegung zusammen: „Es erhellt, daß die Dialektik der sinnlichen Gewißheit nichts anders, als die einfache Geschichte ihrer Bewegung […] und die sinnliche Gewißheit selbst nichts anders als nur diese Geschichte ist.“ (GW 9, 68) Dieses Zusammenfallen bedeutet für die sinnliche Gewißheit ihre Vernichtung als eine Weise des Fürwahrhaltens, für die das Gegenüber von Wissen und Wahrheit oder Bewußtsein und Gegenstand gerade konstitutiv sein sollte. Die Wahrnehmung als dasjenige betrachtete Ich, dem ein „Moment[e]“ (GW 9, 71) des für es gewordenen „an sich“ der sinnlichen Gewißheit oder des Resultats ihrer Erfahrung die Wahrheit oder der Gegenstand ist, wird insofern als ein anderes neu von dem betrachtenden Ich aufgenommen. Es kann daher nicht ein und dasselbe betrachtete Ich als „das Bewußtsein“ sein, daß „statt des ersten Ansich, des einzelnen, […] ,das Für-es-sein dieses Ansich‘“ (Scheier 1980, 48/49) ergreift. Im Rahmen einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins, die als sich vollbringender Skeptizismus in die spekulative Logik einleitet, gerät das Subjekt jeder einzelnen Weisen des Fürwahrhaltens in Verzweiflung und geht zugrunde. Es wird demnach nie das Subjekt einer Weise des Fürwahrhaltens mit dem der ihr nachfolgenden identisch sein, wie Scheier das unterstellen muß, wenn seine Feststellung richtig sein soll. Soweit die Vorbemerkung. Die Entwicklung des Dings und seiner vielen Eigenschaften aus der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit beginnt Hegel nun mit der Verteilung dieses Allgemeinen, das „für uns“ das „Princip“ (GW 9, 71) der Wahrnehmung ist, auf die zwei Seiten, die für eine Weise des Fürwahrhaltens konstitutiv sind. Auf der Gegenstandsseite tritt es danach in der Gestalt des vermittelten Einfachen auf, das im Anderssein bleibt, was es ist. Und auf der Seite des Subjekts zeigt sich das Allgemeine als die Bewegung des Aufzeigens, die dem Wahrnehmen gleichgesetzt wird. Das Aufnehmen beider Gestalten und des Allgemeinen selbst durch das betrachtende Ich ist nach Hegel ein „nothwendiges“ (GW 9, 71). Denn das, was dabei aufgenommen wird, ist „geworden“ (a. a. O.), insofern es das Ergebnis der Erfahrung der
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Joachim Hagner sinnlichen Gewißheit ist. Das „erscheinende[s] Aufnehmen“ (a. a. O.) des reinen unmittelbaren Seins als des Prinzips der sinnlichen Gewißheit und seiner Momente, die nicht als Resultat der Erfahrung des Subjekts einer ihr vorhergehenden Weise des Fürwahrhaltens vorliegen, bedarf im Gegensatz dazu einer anderen Rechtfertigung, wie sie von Becker 1971, 21, Scheier 1980, 46 und ausführlich von Claesges 1981, 127–33 erörtert wird. Das Aufnehmen der Wahrnehmung mit ihrem Prinzip des Allgemeinen nach der sinnlichen Gewißheit und dem Prinzip des reinen unmittelbaren Seins ist nun notwendig auch im Hinsehen auf die Abfolge der Kategorien, welche den Weisen des Fürwahrhaltens als den Erscheinungen des Geistes oder der Idee zugrunde liegen sollen: In dem Logik-Entwurf von 1805/06 wird das „absolute[s] Seyn […] sich andres (Verhältniß […])“. Und „sich andres“ oder Verhältnis ist auch das einzelne Itzt oder Hier geworden, wenn es sich als Allgemeines entpuppt. Warum es sich bei diesem Verhältnis aber um das eines Dinges – als Substanz – und seiner vielen Eigenschaften – als deren Akzidenzien – und bei dem Gegenstand der Wahrnehmung um das Ding von vielen Eigenschaften handeln muß, das geht weder aus der Verhältniskategorie unmittelbar hervor, die dem WahrnehmungsKapitel zugrunde liegt, noch hat Hegel das zu diesem Zeitpunkt aus der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit entwickelt. Er weist lediglich darauf hin, daß das Einfache, in dessen Gestalt das Allgemeine hier auftritt, ein vermitteltes Einfaches ist, dem man als einem sinnlich-unmittelbaren vermittelten Einfachen diese Vermittlung müsse ansehen können. Und damit soll dann bereits das Ding von vielen Eigenschaften vorliegen. Plausibel wird diese Bestimmung jedoch offenbar erst dann, wenn sie im Kontext der Einleitungsfunktion betrachtet wird, welche die Phänomenologie als sich vollbringender Skeptizismus übernimmt. In dieser Funktion ist die Berücksichtigung konkurrierender Standpunkte für sie verpflichtend. Und im Falle des Wahrnehmungs-Kapitels könnte es sich bei diesen Standpunkten einmal um den Humes handeln, wie er ihn in den Abschnitten Vom Skeptizismus in bezug auf die Sinne und Von der alten Philosophie im ersten Buch seines Traktats vertritt. Hume erörtert besonders in dem letzteren Abschnitt Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem „Körper“ (Hume 1978,
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung 288) als „Eine[m]“ (Hume 1978, 288) und seinen vielen „sinnliche[n] Qualitäten“ (Hume 1978, 288), die an die Probleme erinnern, die das Wahrnehmen mit dem Einssein des Dinges und seiner Vielheit hat: „Es wird von den urteilsfähigsten Philosophen zugestanden, daß die Vorstellung eines Körpers nichts ist als ein vom Geiste geschaffenes Zusammen von Vorstellungen verschiedener, an sich selbständiger sinnlicher Qualitäten, die ein Objekt zusammensetzen und [dabei] eine konstante Verbindung miteinander zeigen. So gewiß nun aber diese Qualitäten an sich selbständige Bewußtseinsobjekte sind, so betrachten wir doch jedesmal das Ganze, das sie bilden, als Eines und zugleich als etwas, das trotz sehr wesentlicher Veränderungen dasselbe bleibt. Die zugestandene Zusammengesetztheit steht aber offensichtlich mit dieser angenommenen Einfachheit, und [ebenso] die Veränderung mit der Identität im Widerspruch.“ (Hume 1978, 288) Einem Vergleich dieser Passage mit Hegels Erörterung der Erfahrung des Wahrnehmes im Hinsehen auf die beiden Texten zugrundeliegenden Intentionen und den Gebrauch bestimmter Begriffe zeigen sich zwar gravierende Unterschiede. Doch die sprechen in meinen Augen nicht gegen eine Bezugnahme Hegels auf diesen und noch einen anderen Abschnitt aus dem humeschen Traktat, wie sie Westphal, K. R. 1996, bes. 154–169 nachzuweisen sucht. Sie dürften jedoch ein Indiz dafür sein, daß Hegel die Positionen, die er aufnimmt, idealisiert. Eine solche Idealiserung bedeutet zum einen die Möglichkeit, philosophische Probleme aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang zu lösen und sie in einem veränderten systematischen Kontext neu zu verhandeln. Sie macht es außerdem möglich, daß eine Weise des Fürwahrhaltens durchaus für mehrere Standpunkte stehen kann. Sie ist dann deren von historischen Zufälligkeiten gereinigte theoretische „Essenz“: So ist es ist gut möglich, daß Hegel bei seiner Bestimmung des Gegenstands der Wahrnehmung als Ding von vielen Eigenschaften und bei der Darlegung ihrer Erfahrung nicht nur an Humes Schwierigkeiten mit dem einen Körper und seinen vielen sinnlichen Qualitäten gedacht hat, sondern auch an gewisse aristotelische (Fink 1977, 95) und kantische (Westphal, M. E. 1973, 84/85; Fink 1977, 92) Theoreme oder an bestimmte Lehrstücke der platonischen Philosophie.
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Joachim Hagner In den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie etwa erläutert Hegel die Wendung Platons gegen die „leere Dialektik“ (TW 19, 71) der Sophisten. Und zu deren Charakterisierung bedient er sich des Beispiels vom Ding und seinen Eigenschaften. Außerdem beinhaltet diese Charakterisierung eine Beschreibung, welche die der Erfahrung des Wahrnehmens sein könnte, wie sie sich „für uns“ darstellt: „Die Einheit des Entgegengesetzten schwebt nämlich jedem Bewußtsein überhaupt vor; aber das Bewußtsein, dem das Vernünftige nicht zum Bewußtsein kommt, hält dabei das Entgegengesetzte immer auseinander. Daß alles eins ist, sagen wir von jedem Dinge: ,Es ist dies Eine, und ebenso zeigen wir auch die Vielheit an ihm auf, viele Teile und Eigenschaften‘, – aber es wird dabei gesagt, es sei in ganz anderer Rücksicht Eins, als es Vieles ist, bringen diese Gedanken nicht zusammen. So geht das Vorstellen und Reden von einem herüber und hinüber zum anderen.“ (TW 19, 71) Die Bestimmung des Gegenstandes der Wahrnehmung als Ding von vielen Eigenschaften wird zu dem frühen Zeitpunkt, an dem Hegel sie vornimmt, also offenbar nur dann plausibel, wenn man berücksichtigt, daß das Wahrnehmungs-Kapitel eine – verdeckte – Auseinandersetzung mit bestimmten Positionen einschließt, für die eine Betrachtung des Dinges und seiner Eigenschaften unter der Perspektive des Gegensatzes von Einheit und Vielheit zentral ist. Daß diese Bestimmung ihrer Entwicklung aus der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit vorangestellt ist, könnte darauf hindeuten, daß sie dabei die Rolle einer leitenden Hinsicht spielen wird. Und das läßt vermuten, daß nicht nur die vorgezogene Bestimmung des Gegenstandes, sondern auch seine Entwicklung als Ding von vielen Eigenschaften zu ihrem Verständnis mehr voraussetzt als nur die Wahrheit der sinnlichen Gewißheit.
II.2 Die Entwicklung des Gegenstandes der Wahrnehmung als Ding von vielen Eigenschaften Doch zunächst bildet diese Wahrheit noch den Ausgangspunkt des nächsten Schrittes dieser Entwicklung, der die Ansetzung vieler Eigenschaften rechtfertigen soll: Hegel weist darauf hin, daß das Allgemeine, wie es Prinzip der Wahrnehmung ist, ein
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung sinnlich-unmittelbares Allgemeines darstellt. Es hatte sich aus der bestimmten Negation des einzelnen sinnlichen Diesen ergeben, die „ein Negiren und ein Aufbewahren zugleich“ (GW 9, 72) ist. Sie vernichtet das einzelne sinnliche Diese nicht nur, sie „bewahrt“ (a. a. O.) es als „Nichts von einem Inhalte, nemlich dem Diesen“ (a. a. O.), mitsamt seinem sinnlichen, unmittelbaren Charakter auch auf. Und entsprechend handelt es sich bei dem Allgemeinen, das Resultat dieser bestimmten Negation ist, um ein sinnlich-unmittelbares Allgemeines. Diese Erinnerung an die Natur des Allgemeinen ist deshalb wichtig, weil Hegel anschließend den Sachverhalt, daß ein solches Allgemeines „die Vermittlung oder das negative“ (a. a. O.) einschließt, das sich daran dann als Unterscheidung oder „Entgegensetzung“ (GW 9, 73) zeigt, als „unterschiedene, bestimmte Eigenschafft“ (GW 9, 72) bezeichnet. Von Eigenschaft kann hinsichtlich dieses Sachverhalts nur dann gesprochen werden, wenn es ein unmittelbares, sinnliches Allgemeines ist, das die Negation einschließt. Wo das jedoch der Fall ist, da sollen ineins mit der Setzung einer solchen unterschiedenen, bestimmten Eigenschaft „viele solche Eigenschafften, eine die negative der andern, gesetzt“ (a. a. O.) sein. Eine ausdrückliche Begründung dieser Behauptung liefert der Text allerdings nicht. Er gibt lediglich einen Hinweis darauf, wie eine solche Begründung aussehen könnte, indem er von „unterschiedenen, bestimmten Eigenschaften“ spricht und feststellt, daß „eine [solche unterschiedene, bestimmte Eigenschaft] die negative der andern“ (a. a. O.) ist. Die Bestimmtheit, die eine Eigenschaft erst zur Eigenschaft qualifiziert, gründet danach in ihrer Unterscheidung oder, wie Hegel an einer anderen Stelle sagt: in ihrer – konträren – „Entgegensetzung“ (GW 9, 73) gegen eine andere, die sie nicht ist. Doch das erfordert nur die Setzung zweier Eigenschaften. Viele Eigenschaften müssen aufgrund einer solchen Entgegensetzung erst da gesetzt werden, wo sie von vornherein im Bereich der gegebenen Mannigfaltigkeit des sinnlichen Wissens geschieht, wo der „Reichthum des sinnlichen Wissens“ (GW 9, 71), den Hegel der Wahrnehmung zuspricht, bereits vorhanden ist. Erst dort ist das Salzige dann tatsächlich nicht nur dem Bitteren, sondern genauso dem Scharfen oder dem Sauren entgegengesetzt. Die Setzung einer Eigenschaft, welche die Setzung vieler
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Joachim Hagner Eigenschaften einschließt, steht somit unter ähnlichen Voraussetzungen wie die „barbarisch[e]“ (GW 12, 83) Disjunktion des empirischen disjunktiven Urteils, die Hegel in der Wissenschaft der Logik erläutert: „Ein empirisches disjunctives Urtheil ist ohne Nothwendigkeit; A ist entweder B oder C oder D u.s.f weil die Arten B, C, D u.s.f. sich vorgefunden haben“ (GW 12, 81). „Die Farbe ist entweder violett, indigoblau, hellblau, grün, gelb, orange, oder roth“ (GW 12, 83). Auf diese Weise also beansprucht Hegel, an dem sinnlichunmittelbaren Allgemeinen als der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit die vielen Eigenschaften aufgewiesen zu haben. Von dem Ding, dessen Eigenschaften sie sein sollen, war dabei noch nicht die Rede. Das sucht Hegel erst in den beiden folgenden Schritten zu entwickeln, die zugleich den grundsätzlichen Widerspruch sichtbar machen sollen, der in einem solchen Ding angelegt ist. Und das dürfte denn auch die Ursache dafür sein, daß Hegel zunächst nicht das Ding, sondern die bloße „Dingheit überhaupt“ (GW 9, 72), das „Medium“ (a. a. O.) oder „ Auch“ (a. a. O.) der vielen Bestimmtheiten entwickelt, welches eines der beiden – einander widersprechenden – Momente darstellt, die den Gegenstand der Wahrnehmung nach Hegel auszeichnen. II.2.1 Das Ding als „ Auch, gleichgültige Einheit“ (GW 9, 73) Am Anfang der Entwicklung dieses ersten Moments des Gegenstandes steht die Erinnerung daran, daß das sinnlich-unmittelbare Allgemeine in der Gestalt eines vermittelten Einfachen Gegenstand der Wahrnehmung ist. Als ein Einfaches, das im Anderssein bleibt, was es ist, bezieht sich dieses vermittelte Einfache auf sich selbst. Und wenn man dieses Sichaufsichselbstbeziehen fokussiert und gleichzeitig die Negation, die Unterscheidung oder Entgegensetzung, die das Allgemeine bzw. das vermittelte Einfache als Eigenschaft ausgezeichnet hatte, ausblendet, dann hat man es nach Hegel nicht mehr mit Eigenschaften, sondern mit „Bestimmtheiten“ (GW 9, 72) zu tun, die sich entsprechend „auf sich selbst“ (a. a. O.) beziehen und „gleichgültig gegen einander [sind], jede für sich, frey von der andern“ (a. a. O.). Aus Eigenschaften wie „weiß“, „rot“ oder „schwarz“, die einander konträr entgegengesetzt sind und sich
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung insofern ausschließen, werden auf diese Weise Bestimmtheiten wie „weiß“, „scharf“ oder „kubisch“, die einander keineswegs entgegengesetzt sind und sich daher gegenseitig „ruhig“ (a. a. O.) lassen. Die Dingheit überhaupt aber als Auch der vielen Bestimmtheiten ist nichts anderes als die bloße Verdinglichung jenes im Gedanken des vermittelten Einfachen oder der Bestimmtheit enthaltenen Sichaufsichselbstbeziehens, das rein für sich betrachtet wird: „Die einfache sich selbst gleiche Allgemeinheit selbst [ J. H.] aber, ist wieder von diesen ihren Bestimmtheiten unterschieden, und frey“ (a. a. O.). Daß sie diese als Medium einschließen soll, erscheint von daher genauso problematisch wie die Behauptung, das Sichaufsichselbstbeziehen der Bestimmtheiten und damit ihre Gleichgültigkeit gegeneinander gründe in der „Theilnahme“ (a. a. O.) an der sich auf sich selbstbeziehenden Allgemeinheit als der Dingheit überhaupt oder dem Auch. Denn das würde voraussetzen, daß Hegel aus der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit nicht die vielen Eigenschaften bzw. Bestimmtheiten, sondern die Dingheit überhaupt oder das Auch und die vielen Bestimmtheiten dann als dessen Momente entwickelt hätte. Wie sich gezeigt hat, geht die Argumentation jedoch den umgekehrten Weg, indem sie sich für das Sichaufsichselbstbeziehen, das zur Dingheit überhaupt als Auch einfach verdinglicht, nicht etwa entwickelt wird, auf die vielen Bestimmtheiten beruft. „Gerechtfertigt“ erscheint diese Verdinglichung nun einzig vor dem Hintergrund der Bestimmung des Gegenstandes der Wahrnehmung als Ding von vielen Eigenschaften, wie Hegel sie – offenbar auch im Hinsehen auf eine Auseinandersetzung mit Positionen, die in seinen Augen für eine Untersuchung des Dinges und seiner Eigenschaften stehen – bereits vor ihrer Entwicklung vorgenommen hat. Diese Bestimmung bildet die Hinsicht, unter der die Verdinglichung des im Gedanken des vermittelten Einfachen oder der Bestimmtheit implizierten Sichaufsichselbstbeziehens dann sogar unumgänglich erscheint. Denn wo von vornherein feststeht, daß es um das Ding von vielen Eigenschaften gehen soll, da können diese Eigenschaften bzw. Bestimmtheiten, nachdem sie einmal entwickelt worden sind, nicht einfach nur für sich bestehen, sondern müssen Bestimmtheiten von oder genauer: in etwas sein – es handelt sich ja
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Joachim Hagner um Bestimmtheiten von sinnlich-unmittelbarem, also z. B. räumlichen Charakter. Unabhängig von dieser Hinsicht, aus der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit allein erhellt dagegen nicht, wie man von den vielen Bestimmheiten zur Dingheit überhaupt als deren Auch gelangt. Die anschließende Entwicklung des zweiten Moments des Gegenstandes der Wahrnehmung, das diesen überhaupt erst als das Ding auszeichnet, setzt das Auch und die Gültigkeit seiner Entwicklung aber voraus. Denn dieses zweite Moment ist das Ergebnis einer veränderten Sichtweise des Auch, wie sie das gleiche Verfahren erforderlich macht, das auch die Betrachtung der vielen Eigenschaften als Bestimmtheiten ermöglicht hatte: Dabei wird jeweils eines der beiden Implikate des sinnlichunmittelbaren Allgemeinen oder vermittelten Einfachen, entweder das Sichaufsichselbstbeziehen oder die Negation hervorgehoben, während von dem anderen gänzlich abgesehen wird. Und war es oben die Hervorhebung des Sichaufsichselbstbeziehens, die zur Auffassung der vielen Eigenschaften als Bestimmtheiten geführt hatte, so ist es jetzt die Fokussierung der Negation – als Unterscheidung oder Entgegensetzung –, welche die Ansicht der vielen Bestimmtheiten als Eigenschaften und damit auch die veränderte Sichtweise des Auch nach sich zieht. II.2.2 Das Ding als „Eins, ausschließende Einheit“ (GW 9, 73) Hegel beginnt seine Entwicklung dieses zweiten Moments des Gegenstands der Wahrnehmung mit einem Verweis auf die Ursache für die Bestimmtheit der Eigenschaften, durch die sie erst zu Eigenschaften werden. Die Bestimmtheit sollte in der konträren Entgegensetzung einer Eigenschaft gegen andere gründen, die sie nicht ist, in der Tatsache also, daß sie „sich auf andere als entgegengesetzte beziehen“ (GW 9, 73). Eine solche Beziehung der Entgegensetzung kann freilich nicht innerhalb eines Auch oder der Dingheit überhaupt als Medium statthaben, in dem die gegeneinander gerade gleichgültigen Bestimmtheiten sich auf sich selbst beziehen. Vielmehr müssen die Eigenschaften ihre „entgegengesetzte Beziehung nothwendig an Eigenschafften [haben], die aus ihrem Auch entfernt sind“ (a. a. O.). Beinhaltet ein Auch etwa die Eigenschaft „weiß“, dann muß die ihr entgegengesetzte Eigenschaft, etwa „schwarz“, in
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung einem anderen Auch sein. Nun ist jedoch das erste Auch durch die Eigenschaft „weiß“ selbst bestimmt und damit dem durch die Eigenschaft „schwarz“ bestimmten Auch entgegengesetzt, das es ausschließt. Und das nötigt nach Hegel dazu, das Auch oder die Dingheit überhaupt jetzt als Eins, ausschließende Einheit oder Ding zu betrachten. Ob der Gegenstand der Wahrnehmung also als Auch der vielen Bestimmtheiten oder als Eins, als Dingheit überhaupt oder als Ding aufgefaßt werden muß, das scheint davon abzuhängen, welches der beiden Implikate des unmittelbar-sinnlichen vermittelten Einfachen gerade in den Vordergrund gerückt wird: Ist es das Sichaufsichselbstbeziehen, das die gegeneinander gleichgültigen Bestimmtheiten auszeichnet, dann muß der Gegenstand als Auch angesehen werden. Ist es dagegen die Negation, die als Entgegensetzung die Bestimmtheiten zu bestimmten Eigenschaften werden läßt, so muß er als Eins betrachtet werden. Der Widerspruch aber, der in dem Gegenstand vorhanden sein soll, gründet offenbar darin, daß dem unmittelbaren, sinnlichen vermittelten Einfachen das Sichaufsichselbstbeziehen genauso wesentlich zugehört wie die Negation, daß es Bestimmtheit und Eigenschaft zugleich ist und sich infolgedessen keines dieser beiden dauerhaft ausblenden läßt. Die sich auf sich selbst beziehende Bestimmtheit „weiß“, die gleichgültig neben den Bestimmtheiten „kubisch“, „scharf“ oder „schwer“ besteht, ist zugleich die bestimmte Eigenschaft „weiß“, da sie den Eigenschaften „schwarz“, „rot“ oder „gelb“ konträr entgegengesetzt ist. Und das würde vor dem Hintergrund des eben angedeuteten kausalen Zusammenhangs zwischen der Hervorhebung entweder des Sichaufsichselbstbeziehens oder der Negation und der Ansicht des Gegenstandes als Auch oder Eins bedeuten, daß dieser immer abwechselnd bald als Auch der vielen Bestimmtheiten oder als Vielheit, bald als Eins angesehen werden muß. Der Widerspruch von Vielheit und Einheit wäre insofern nur eine Auswirkung desjenigen „Widerspruchs“, der in dem unmittelbar-sinnlichen vermittelten Einfachen angelegt ist.
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Joachim Hagner II.3 Die Erfahrung des Subjekts der Wahrnehmung Bevor Hegel mit der Beobachtung der Erfahrung beginnt, die das Wahrnehmen mit seinem Gegenstand macht, legt er zunächst die Bedingungen dar, unter denen diese Erfahrung steht: Dabei ist vorausgesetzt, daß sich die Erfahrung des Subjekts einer Weise des Fürwahrhaltens stets als Prüfung der Übereinstimmung seines Wissens mit dem Gegenstand oder der Wahrheit vollzieht, die als das Wesentliche oder das „an sich“ Maßstab der Prüfung ist. Als Maßstab darf sich der Gegenstand oder die Wahrheit nun nicht verändern. Und so setzt auch das Wahrnehmen seinen Gegenstand zunächst als das unveränderliche Wesentliche oder „an sich“ an. Wie die sinnliche Gewißheit hat es den Gegenstand dann „nur zu nehmen, und sich als reines Auffassen zu verhalten; was sich ihm dadurch ergibt, ist das Wahre. Wenn es selbst bey diesem Nehmen etwas thäte, würde es durch solches hinzusetzen oder weglassen die Wahrheit verändern“ (GW 9, 73). Anders als die sinnliche Gewißheit hat das Wahrnehmen jedoch „das Bewußtseyn der Möglichkeit der Täuschung“ (GW 9, 74). Es hat die Möglichkeit bewußt, in seinem Auffassen den Gegenstand zu verfehlen. Und insofern das die Unterscheidung eines richtigen von einem falschen Auffassen einschließt, verhält sich das Wahrnehmen bereits nicht mehr als reines Auffassen. Wie kommt es aber zu einem solchen Bewußtsein von der Möglichkeit der Täuschung? Das Wahrnehmen ist das Allgemeine als die Bewegung des Aufzeigens, und die impliziert die Täuschung über die Wahrheit des einzelnen sinnlichen Diesen: Das Aufzeigen dekuvriert das Itzt als „gewesenes, oder als ein aufgehobenes“ (GW 9, 68), und so geht die Bewegung des Aufzeigens zu diesem gewesenen oder aufgehobenen Itzt als dem Anderssein des ersten Itzt über. Insofern „ist das Andersseyn selbst unmittelbar für es, aber als das nichtige aufgehobene“ (GW 9, 74). Denn daß die Wahrheit des Itzt in seinem Gewesen- oder Aufgehobensein besteht, stellt sich ebenfalls als Täuschung heraus. Und infolgedessen wird „dieses Andersseyn, oder Aufheben des ersten […] selbst wieder aufgehoben, und so zu dem Ersten zurückgekehrt“ (GW 9, 68).
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung Dieses Erste ist freilich nicht mehr das einzelne unmittelbare, sondern ein allgemeines Itzt als ein Einfaches, welches im Anderssein bleibt, was es ist, ein Einfaches, das sich selbst gleich bleibt. Und da dieses Einfache als Gegenstand die Wahrheit oder das „an sich“ verkörpert, ist das „Kriterium der Wahrheit“ (GW 9, 74), welches das Wahrnehmen ansetzt, „die Sichselbstgleichheit“ (a. a. O.). Nun hatte sich jedoch gezeigt, daß das unmittelbar-sinnliche vermittelte Einfache ebenso durch das Sichaufsichselbstbeziehen wie durch die Negation ausgezeichnet ist, so daß es sich wechselweise als Bestimmtheit und als bestimmte Eigenschaft und den Gegenstand als Auch und als Eins präsentiert. Dem Wahrnehmen werden sich auf diese Weise „verschiedene[n] Momente“ (a. a. O.) oder Ansichten darbieten, die es vor dem Hintergrund der für die Wahrheit geforderten Sichselbstgleichheit miteinander vergleicht. „[W]enn sich aber in dieser Vergleichung eine Ungleichheit hervorthut“ (a. a. O.), dann wird das Wahrnehmen darin nicht eine Unwahrheit des Gegenstandes sehen, der als sich selbst gleicher keinerlei Ungleichheit zuläßt, sondern seiner selbst. Und entsprechend wird es versuchen, die durch es zerstörte Sichselbstgleichheit auch selbst wieder herzustellen: Das Wahrnehmen wird im Rahmen seiner Erfahrung ein „Verhalten“ (a. a. O.) an den Tag legen, das Hegel entsprechend als „sich selbst gleiches“ (a. a. O.) bezeichnet. Sinnvoll und erforderlich ist dieses Verhalten – wie auch die Vergleichung verschiedener Ansichten des Gegenstandes – freilich nur da, wo ein Bewußtsein von der Möglichkeit der Täuschung vorhanden ist, wo das Subjekt des Fürwahrhaltens bewußt hat, daß eine bestimmte Ansicht des Gegenstandes falsch sein kann. Wie gestaltet sich nun aber die Erfahrung eines Subjekts, das über ein solches Bewußtsein verfügt? Was unternimmt das Wahrnehmen, um die Sichselbstgleichheit seines Gegenstandes zu gewährleisten? Bevor ich versuche, das im einzelnen darzustellen, werde ich der besseren Übersicht halber zuerst Inhalt und Resultat der drei Phasen, die ich mit Claesges 1981, 157/58 an der Erfahrung des Wahrnehmens unterscheide, kurz zusammenfassen. In den beiden ersten Phasen (GW 9, 74 f.) bietet sich der Gegenstand als „rein Eine[r]“ (GW 9, 74) oder als „Eines“ (GW 9, 75) und damit als Ding dar. Daher versucht das Wahr-
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Joachim Hagner nehmen auch zuerst, das Eins als die sichselbstgleiche Wahrheit des Gegenstandes festzuhalten. Es kann jedoch nicht umhin, die Eigenschaften, die einem solchen Ding zugehören, auch als die vielen sich auf sich selbst beziehende Bestimmtheiten aufzufassen und sieht sich deshalb gezwungen, die Wahrheit des Gegenstandes in der Vielheit des Auch zu sehen, die der ersten Wahrheit widerspricht. Doch auch diese Wahrheit vermag das Wahrnehmen nicht als sich selbst gleiche aufrechtzuerhalten, da die Bestimmtheiten sich immer auch als Eigenschaften zeigen und zur Auffassung des Gegenstandes als Eins nötigen. Und so scheitert der Versuch des Wahrnehmens, die Sichselbstgleicheit des Gegenstandes zu garantieren, in der ersten und zweiten Phase seiner Erfahrung an der Tatsache, daß dem unmittelbarsinnlichen vermittelten Einfachen das Sichaufsichselbstbeziehen genauso eigentümlich ist wie die Negation und es sich deshalb gleichzeitig als Bestimmtheit und als bestimmte Eigenschaft darbietet. Denn das hat am Gegenstand den Widerspruch von Eins und Auch oder Einheit und Vielheit zur Folge. Um diesen Widerspruch zu vermeiden, ergreift das Wahrnehmen dann bestimmte Maßnahmen: In der ersten Phase nimmt es das der Sichselbstgleichheit jeweils widersprechende Moment einfach auf sich, während es dieses Moment in der zweiten Phase „seiner Reflexion in sich“ (GW 9, 75) zurechnen kann, die es von seiner „einfachen Auffassung“ (a. a. O.) des zunächst wahrgenommenen Moments unterscheidet. Keine der beiden Maßnahmen ist aber erfolgreich. Außerdem wird dem Wahrnehmen als Ergebnis der zweiten Phase seiner Erfahrung bewußt, daß die einander widersprechenden Momente des Gegenstandes insofern an diesem selbst sind, als er in sich zurückgeht oder „in sich reflectiert ist“ (GW 9, 77). Das Wahrnehmen wird also die beiden Momente, die in der dritten Phase (a. a. O.) in einer bestimmten Hinsicht für die Einheit und die Vielheit stehen, das Füressein und das Füreinanderessein, nicht mehr auf sich einerseits und den Gegenstand andererseits, sondern auf zwei verschiedene Gegenstände verteilen. Auf diese Weise soll das Einssein, das der Gegenstand für sich, als in sich reflektierter ist, als seine sichselbstgleiche Wahrheit gerettet werden. Indem jedoch auch das mißlingt, geht das Wahrnehmen und mit ihm sein Gegenstand schließlich zugrunde.
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung II.3.1 Die erste Phase Zuerst nimmt das Wahrnehmen den Gegenstand als rein Einen für wahr. Es bemerkt jedoch an ihm auch „die Eigenschafft […], die allgemein ist, dadurch aber über die Einzelnheit hinausgeht. Das erste Seyn des gegenständlichen Wesens als eines Einen, war also nicht sein wahres Seyn; da er das Wahre ist, fällt die Unwahrheit in mich, und das Auffassen war nicht richtig.“ (GW 9, 74) Das Wahrnehmen bemerkt an dem Gegenstand etwas, das als Anderssein seine erste Wahrheit, rein Einer zu sein, aufhebt. Dabei kann es sich allerdings nicht um eine Eigenschaft als bestimmte Eigenschaft handeln, der gerade keine Allgemeinheit zukommt, sondern nur um die sich auf sich selbst beziehende Bestimmtheit. Das bestätigt sich, wenn das Wahrnehmen „um der Allgemeinheit der Eigenschafft willen“ (a. a. O.) als die „zweyte Wahrheit“ (GW 9, 68) des Gegenstandes ihn als „Gemeinschaft überhaupt“ (GW 9, 74) ansetzt und nicht als Eins, wie das der Fall hätte sein müssen, wenn das Wahrnehmen eine bestimmte Eigenschaft bemerkt hätte. Das geschieht erst jetzt: „Ich nehme nun ferner die Eigenschafft wahr als bestimmte, anderem entgegengesetzte, und es ausschließende.“ (a. a. O.) Mit der Wahrnehmung einer Eigenschaft gehört jedoch die Ansicht des Gegenstandes als Eins zusammen. Und so gerät auch dem Wahrnehmen jetzt die Gemeinschaft überhaupt zum „ausschließende[n] Eins“ (a. a. O.). Es nimmt also die Gemeinschaft überhaupt als Unwahrheit auf sich und behauptet nun, der Gegenstand sei in Wahrheit ausschließendes Eins. Das Wahrnehmen stößt aber auf eine Vielheit von sich auf sich selbst beziehenden, gegeneinander gleichgültigen Bestimmtheiten, die seine Behauptung des Gegenstandes als ausschließendes Eins Lügen strafen. Deshalb gilt ihm nun das „allgemeine[s] gemeinschafftliche[s] Medium“ (a. a. O.), das Medium als Auch der vielen Bestimmtheiten als die Wahrheit über den Gegenstand. Daß er ausschließendes Eins sei, nimmt das Wahrnehmen als eine weitere Unwahrheit auf sich. Zugleich hat es damit alle Möglichkeiten erschöpft, den Gegenstand als Einen zu nehmen, der sich als solcher selbst gleich bleibt: Das Wahrnehmen sieht sich immer wieder gezwungen,
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Joachim Hagner das vermittelte Einfache als Bestimmtheit und den Gegenstand damit als die Vielheit des Auch zu betrachten. Wenn es also vor diesem Hintergrund noch etwas „einfache[s]“ (a. a. O.) wahrnimmt, dann kann das nur noch „die einzelne [bestimmte] Eigenschafft für sich“ (a. a. O.) sein. Doch die wird zu einem einzelnen sinnlichen Diesen, zu einem „sinnlichen Seyn überhaupt“ (GW 9, 75), wenn sie rein für sich genommen wird. Denn bestimmte Eigenschaft als ein „bestimmtes Seyn“ (GW 9, 74) ist etwas nur in Entgegensetzung gegen anderes. Indem jedoch das Wahrnehmen es mit einem einzelnen sinnlichen Diesen zu tun hat, geht es in das „Meynen“ (GW 9, 75) der sinnlichen Gewißheit und damit „in sich“ (a. a. O.) zurück. Denn das Wahrnehmen ist nichts anderes als die Wahrheit jenes Vermeinens eines einzelnen sinnlichen Diesen, das deshalb in es übergegangen war. Und das geschieht immer wieder: „[D]as sinnliche Seyn und Meynen geht selbst in das Wahrnehmen über; ich bin zu dem Anfang zurückgeworfen, und wieder in denselben, sich in jedem Momente und als Ganzes aufhebenden Kreislauff hineingerissen.“ (a. a. O.) Allerdings gerät das Wahrnehmen in diesen Kreislauf nicht als dasselbe wieder hinein, das es vor seinem Regreß in die sinnliche Gewißheit war. Denn ihm ist dabei bewußt geworden, „daß das Resultat und das Wahre desselben seine Auflösung, oder die Reflexion in sich selbst aus dem Wahren ist“ (a. a. O.). Das Wahrnehmen gelangt bei seinem Versuch, die Sichselbstgleichheit des Gegenstandes als Eins zu sichern, schließlich zu einem einzelnen sinnlichen Diesen. Das konfrontiert es mit sich selbst, indem es in Ansehung seiner in die sinnliche Gewißheit oder in sich selbst zurückzugehen gezwungen ist. Dem Wahrnehmen wird so bewußt, was „für uns“ schon feststand, daß es kein „einfaches reines Auffassen, sondern in seinem Auffassen zugleich aus dem Wahren heraus in sich reflectirt“ (a. a. O.) ist. Auf diese Weise verändert das Wahrnehmen freilich das Wahre: Sein Gegenstand, das sichselbstgleiche vermittelte Einfache, wandelt sich ihm zu einem einfachen sinnlichen Diesen und damit zu einer Wahrheit über es selbst. Im Falle der sinnlichen Gewißheit, deren Verhältnis zu ihrem Gegenstand ein gänzlich unmittelbares war, mußte aufgrund einer Veränderung an ihrem Gegenstand die „Kraft ihrer Wahrheit“ (GW 9, 66) in
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung das Subjekt gesetzt werden. Das Wahrnehmen dagegen hat, als Folge der ersten Phase seiner Erfahrung, seine Reflexion in sich selbst aus dem Wahren bewußt. Es kann deshalb Veränderungen des Gegenstandes als „Unwahrheit“ (GW 9, 75) auf das Konto seiner Reflexion in sich buchen und so vorerst die Sichselbstgleichheit des Gegenstandes retten: „[E]s unterscheidet sein Auffassen des Wahren von der Unwahrheit seines Wahrnehmens“ (a. a. O.). Dem schreibt es alles das zu, was darin der sichselbstgleichen Wahrheit des Gegenstandes widerspricht. II.3.2 Die zweite Phase Wie zu Beginn der ersten nimmt das Wahrnehmen auch in der zweiten Phase seiner Erfahrung den Gegenstand zunächst als Eins und damit als Ding auf. Die verschiedenen allgemeinen, sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten aber, die das Wahrnehmen in der ersten Phase genötigt hatten, ihn als Gemeinschaft überhaupt oder Auch anzusehen, schreibt es jetzt seiner Reflexion zu: Es nimmt das Moment des Auch auf sich und versucht auf diese Weise die Sichselbstgleichheit des Gegenstandes als Eins oder Ding aufrechtzuerhalten: „Diß Ding ist also in der That nur weiß, an unser Auge gebracht, scharf auch, an unsre Zunge, auch kubisch an unser Gefühl und so fort. Die gänzliche Verschiedenheit dieser Seiten nehmen wir nicht aus dem Dinge, sondern aus uns; sie fallen uns an unserem von der Zunge ganz unterschiedenen Auge und so fort, so auseinander. Wir sind somit das allgemeine Medium [als Auch], worin solche Momente sich absondern, und für sich sind.“ (GW 9, 75 f.) Durch ein solches Verhalten hätte das Wahrnehmen dann den Widerspruch in seinem Gegenstand vermieden, der sonst zwischen dem Moment der Allgemeinheit, für welches das Auch der vielen sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten steht, und dem des Eins entstanden wäre. Es hätte die Sichselbstgleichheit auf diese Weise noch einmal aufrecht erhalten. Von Dauer kann dieser Zustand aber nicht sein. Denn das Wahrnehmen hat zu seinem Gegenstand das Ding, das Ding nur durch „die Bestimmtheit“ (GW 9, 76) ist, durch die „es andern sich entgegensetzt“ (a. a. O.). Und ausgerechnet aus dieser grundlegenden Bedeutung der Bestimmtheit soll sich für das Wahrnehmen nun die Notwendigkeit ergeben, die Wahr-
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Joachim Hagner heit des Dinges in das Auch der vielen sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten zu setzen und das Einssein als Unwahrheit seiner Reflexion in Rechnung zu stellen. Hegel sucht das in drei Schritten plausibel zu machen. In einem ersten erinnert er daran, daß die Bestimmtheit der Dinge in der Bestimmtheit ihrer Eigenschaften gründet, die sich ihrerseits der Negation der ihnen jeweils entgegengesetzten Eigenschaften verdankt. Wenn eine bestimmte Eigenschaft ist, dann müssen immer auch die ihr entgegengesetzten sein. Auf diese Weise hätte Hegel gezeigt, daß die Bestimmtheit des Dinges das Vorhandensein von Eigenschaften voraussetzt. Die einander entgegengesetzten Eigenschaften sollten allerdings verschiedene, einander dadurch ebenfalls entgegengesetzte Dinge auszeichnen; sie sollten nicht Eigenschaften ein und desselben Dinges sein können. Und so muß dort, wo der Aufweis ihrer Vielheit den ersten Schritt auf dem Weg zu dem Auch als Wahrheit des Gegenstandes darstellen soll, in einem zweiten nachgewiesen werden, daß sie durchaus an einem Ding sein können: Hegel betrachtet zu diesem Zweck die Eigenschaften als je „eigene Eigenschafft des Dinges“ (a. a. O.). Zugleich hebt er an dem Ding hervor, daß es als die Wahrheit „an sich selbst [ist]; und was an ihm ist, ist an ihm als sein eigenes Wesen, nicht um anderer willen“ (a. a. O.). In diesem Kontext kann dann die bestimmte Eigenschaft, die als eigene Eigenschaft des Dinges etwas an ihm ist, nicht „nur um anderer Dinge willen, und für andere Dinge, sondern [muß in erster Linie] an ihm selbst“ (a. a. O.) sein. Das bedeutet für die bestimmte Eigenschaft jedoch, daß die ihr entgegengesetzten an dem gleichen Ding sein müssen wie sie selbst. Denn andernfalls wäre sie primär um desjenigen Dinges willen, an dem diese jeweils sind. In dem zweiten Schritt wäre somit gezeigt worden, daß die Bestimmtheit des Dinges das Vorhandensein von vielen bestimmten Eigenschaften an dem gleichen Ding zur Bedingung hat. Um nun aufzuweisen, daß es sich bei dieser Vielheit von bestimmten Eigenschaften strenggenommen nur um eine Vielheit von sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten und bei dem Ding, an dem sie sein sollen, nur um die Dingheit überhaupt, um das Medium als Auch handeln kann, greift Hegel in einem dritten Schritt auf Bestimmungen zurück, die er im
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung Rahmen der Entwicklung des Gegenstandes der Wahrnehmung vorgenommen hat. Denn danach ist eine Vielheit, die nicht an verschiedenen, sondern an einem Ding ist, eigentlich gar nicht mehr an einem Ding, sondern „in der Dingheit“ (a. a. O.), dem Medium als Auch. Und in diesem Medium befinden sich entsprechend keine bestimmten Eigenschaften, sondern Bestimmtheiten, die „an und für sich und gleichgültig gegen einander sind“ (a. a. O.). Von der Bestimmtheit des Dinges, die den Ausgangspunkt gebildet hatte, würde somit tatsächlich ein bestimmter Weg zu dem Auch der vielen sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten führen: „Es ist also in Wahrheit das Ding selbst, welches weiß, und auch kubisch, auch scharf, und so fort ist, oder das Ding ist das Auch, oder das allgemeine Medium, worin die vielen Eigenschaften außer einander bestehen, ohne sich zu berühren und aufzuheben; und so genommen wird es als das wahre genommen.“ (a. a. O.) Die Vielheit der „verschiedenen und unabhängigen Eigenschafften“ (a. a. O.), die in diesem allgemeinen Medium als Auch ist und daher eigentlich eine Vielheit von sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten oder „freye[n] Materie[n]“ (a. a. O.) darstellt, diese Vielheit steht nun im Widerspruch zu der „Einheit des Dings mit sich selbst“ (a. a. O.), die ebenfalls im Wahrnehmen aufgetreten war. „Sie ist es demnach, welche das Bewußtseyn auf sich zu nehmen hat“ (a. a. O.). In der ersten Phase der Erfahrung des Wahrnehmens hatte dieses Aufsichnehmen der Einheit des Dings als der Unwahrheit darin bestanden, daß das Wahrnehmen einfach das Auch oder die Gemeinschaft als das Wahre behauptet hatte (GW 9, 74). In der zweiten Phase hat das Wahrnehmen aber die Möglichkeit bewußt, sein Auffassen des Wahren von der Unwahrheit seines Wahrnehmens zu unterscheiden und diese Unwahrheit seiner Reflexion in sich gutzuschreiben. Das Wahrnehmen schlägt daher die Vielheit der sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten im Auch als die Wahrheit dem Auffassen und das Einssein des Dinges als die Unwahrheit seiner Reflexion zu und versucht so, die Sichselbstgleichheit des Gegenstandes als Auch zu garantieren. – Wenn allerdings gesagt wird, „es[, das Ding als Eins] ist weiß, auch kubisch, und auch scharf u.s.f.“ (GW 9, 76), dann sind dabei Vielheit und Einheit, Auffassen und Reflexion gerade
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Joachim Hagner noch nicht unterschieden, sondern vereint und widersprechen einander. Der zuletzt zitierte Satz macht das graphisch sichtbar, indem er, im Unterschied etwa zu GW 9, 76, 20–23, wo nur das „auch“ abgesetzt ist, neben diesem „auch“, das die Vielheit bezeichnet, zugleich das „es“, das für die Einheit steht, und das „ist“, die Kopula, die beide Momente verbindet, hervorhebt. – Um die Vielheit des Auch und das Einssein nun aber doch jeweils dem Auffassen und der Reflexion zuweisen und damit die Sichselbstgleichheit des Dings aufrechterhalten zu können, führt das Wahrnehmen jetzt das „Insofern“ (a. a. O.) ein: „Es wird also von dem Dinge gesagt, es ist weiß, auch kubisch, und auch scharf u.s.f. Aber insofern es weiß ist, ist es nicht kubisch, und insofern es kubisch und auch weiß ist, ist es nicht scharf u.s.f. Das in eins setzen dieser Eigenschafften kommt nur dem Bewußtseyn zu, welches sie daher an dem Ding nicht in Eins fallen zu lassen hat. Zu dem Ende bringt es das Insofern herbey, wodurch es sie auseinander, und das Ding als das Auch erhält.“ (a. a. O.) Dennoch ist der Versuch des Wahrnehmens gescheitert, die Sichselbstgleichheit des Dinges als die Wahrheit dadurch zu sichern, daß es dasjenige Moment, das sie zerstören würde, seiner Reflexion zurechnet. Denn das Wahrnehmen hat nicht nur sich selbst, sondern auch das Ding sowohl „zum reinen vielheitslosen Eins, wie zu einem in selbständige Materien aufgelösten Auch“ (GW 9, 77) als einer Vielheit von sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten machen müssen. Hegel beschreibt diesen Vorgang im Hinsehen auf das Ding als „Zurückgehen[s]“ (a. a. O.): Das Ding geht von dem Eins, das sich dem Wahrnehmen zuerst als dessen Wahrheit dargestellt hatte, in das Auch über, das ihm für eine Unwahrheit seiner Reflexion galt, und aus diesem wieder in die Einheit mit sich selbst zurück, in der es den Unterschied aus sich auszuschließen scheint und sich dem Wahrnehmen wieder als Eins zeigt. Das Ding ist freilich ebensowenig dasselbe, nachdem es so in sich zurückgegangen ist, wie das Wahrnehmen in seinem Zurückgehen in sich dasselbe geblieben war. Nach Hegels Bestimmung sollte es vielmehr „ein in sich reflektiertes, oder einfaches [sein], welches im Andersseyn bleibt, was es ist“. Und so wird jetzt auch dem Wahrnehmen bewußt, daß das Ding sich für es „auf eine bestimmte Weise darstellt, aber zugleich aus der Weise,
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung in der es sich darbietet, heraus und in sich reflectirt ist, oder an ihm selbst eine entgegengesetzte Wahrheit hat“ (a. a. O.). Das Wahrnehmen ist auf diese Weise „aus dieser zweyten Art, sich im Wahrnehmen zu verhalten, nemlich das Ding als das wahre sich selbst gleiche, sich aber für das ungleiche, für das aus der Gleichheit heraus in sich zurückgehende, zu nehmen, selbst heraus, und der Gegenstand ist ihm itzt diese ganze Bewegung, welche vorher an den Gegenstand und an das Bewußtseyn verteilt war“ (a. a. O.). Das bedeutet freilich nicht, daß das Wahrnehmen gleichermaßen das Einssein wie die ihm widersprechende Vielheit des Auch als die Wahrheit seines Gegenstandes ansetzt. Es wird im Gegenteil nach wie vor versuchen, einen Widerspruch in diesem Gegenstand als der Wahrheit zu vermeiden, deren Kriterium die Sichselbstgleichheit bleibt. Nur kann das Wahrnehmen jetzt, wo ihm der Gegenstand für die ganze Bewegung gilt, das jeweils widersprechende Moment nicht mehr einfach auf sich nehmen oder es seiner Reflexion zuschreiben. Sondern es muß einen Weg finden, den Widerspruch auf der Seite des Gegenstandes selbst aufzuheben. II.3.3 Die dritte Phase Auch in dieser Phase ist das Ding zunächst wieder „Eins“ (GW 9, 77). Und insofern es „in sich reflectirt“ (a. a. O.) ist, ist es als Eins „für sich“ (a. a. O.). Das Ding stellt sich jedoch auch dem Wahrnehmen dar. Es ist „auch für ein anderes“ (a. a. O.). Und weil das Ding aus der bestimmten Weise, auf die es sich darstellt, gleichzeitig auch heraus und in sich reflektiert ist, weil die Wahrheit, die es an ihm selbst hat, jeweils derjenigen entgegengesetzt ist, die sich dem Wahrnehmen zeigt, „ist es ein anderes für sich, als es für anderes[, für das Bewußtsein,] ist“ (a. a. O.). In diesem Umstand aber, daß der Gegenstand für sich und für ein anderes ist, daß ihm also ein „gedoppelte[s] verschiedene[s] Seyn“ (a. a. O.) zukommt, gründet in der dritten Phase der Erfahrung des Wahrnehmens die Vielheit, die der Einheit widerspricht, die der in sich reflektierte Gegenstand für sich ist. Und der Versuch, die Sichselbstgleichheit des Gegenstandes als Eins zu retten, wird entsprechend darin bestehen müssen, die
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Joachim Hagner Vielheit des Zugleich von Füres- und Füreinanderessein von dem einen Gegenstand fernzuhalten. Um das zu erreichen, hätte das Wahrnehmen in der ersten Phase seiner Erfahrung das der Einheit widersprechende Moment einfach auf sich genommen. In der zweiten würde es dieses Moment auf das Konto seiner Reflexion gebucht haben. In der dritten Phase jedoch ist eine solche Verteilung der Bewegung vom Einssein zur Vielheit und zurück auf den Gegenstand und das Wahrnehmen nicht mehr möglich, da „dem Dinge selbst“ (a. a. O.) als der ganzen Bewegung genauso „das Einsseyn zu[kommt]“ (a. a. O.) wie die Vielheit des gedoppelten verschiedenen Seins. Soll der Widerspruch zwischen der Vielheit des Gegenstandes und seinem Einssein dennoch vermieden und er in diesem Einssein als sichselbstgleicher erhalten werden, dann müssen die beiden Momente, in denen die Vielheit gründet, das Fürsichsein und das Füreinanderessein „verschiedene[n] Dinge[n]“ (a. a. O.) zugesprochen werden: „[D]er Widerspruch, der an dem gegenständlichen Wesen überhaupt ist, vertheilt sich an zwey Gegenstände. Das Ding ist also wohl an und für sich, sich selbst gleich; aber diese Einheit mit sich selbst wird durch andere Dinge gestört; so ist die Einheit des Dings erhalten, und zugleich das Andersseyn außer ihm, so wie außer dem Bewußtseyn.“ (a. a. O.) Das Füreinanderessein müßte vor diesem Hintergrund nicht mehr dem Gegenstand selbst zugesprochen werden. Es käme ihm einzig aus der Sicht eines anderen Gegenstandes zu, so daß er nur noch durch ein Moment, durch das Einssein, das er für sich ist, und nicht mehr zugleich durch die Vielheit von Fürsichsein und Füreinanderessein bestimmt wäre. Der Widerspruch wäre aufgehoben und die Sichselbstgleichheit des Dinges als Eins gerettet. Das Wahrnehmen wird aber erfahren, daß „an das abgesonderte einzelne Ding selbst der Unterschied“ (a. a. O.) von Fürsichsein und Füreinanderessein und damit zugleich der Widerspruch von Einssein und Vielheit kommen muß. Hegel beginnt die Darstellung dieser Erfahrung mit der Feststellung, daß die beiden „verschiedenen Dinge“ (a. a. O.), an die das Fürsichsein und das Füreinanderessein verteilt werden sollen, „für sich gesetzt“ (a. a. O.) sind und beiden das Füreinanderessein nur von der Warte des jeweils anderen aus zugehört. Auf diese Weise ist „jedes nicht von sich selbst, sondern nur von
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung dem andern verschieden“ (a. a. O.). Die in diese Verteilung eingeschlossene Unterscheidung der beiden Dinge bedeutet jedoch eine Beeinträchtigung des Fürsichseins und des Einsseins. Denn in einer solchen Unterscheidung ist jedes Ding „selbst als ein unterschiedenes bestimmt, und hat den wesentlichen Unterschied von den andern an ihm“ (a. a. O.). Hegel spielt mit dieser Formulierung wieder auf die Wandlung der Dingheit überhaupt in das Ding als Konsequenz der Betrachtung der sich auf sich selbst beziehenden Bestimmtheiten als bestimmte Eigenschaften an. Danach ist für ein Ding, dessen Bestimmtheit in einer spezifischen Eigenschaft gründet, die Entgegensetzung oder der Unterschied zu denjenigen anderen Dingen grundlegend, die durch die jeweils entgegengesetzten Eigenschaften bestimmt sind. Es ist „als ein unterschiedenes bestimmt“. Und weil sich dieser Unterschied bestimmten Eigenschaften verdankt, hat das bestimmte Ding mit ihnen zugleich den Unterschied „an ihm“. Damit wäre aber der Versuch des Wahrnehmens mißraten, die Sichselbstgleichheit seiner Wahrheit, das Fürsichsein des Gegenstandes und sein Einssein aufrecht zu erhalten, indem es das Fürsichsein und das Füreinanderessein auf zwei verschiedene Gegenstände verteilt: Denn daß die beiden Dinge in ihrer Entgegensetzung aufeinander bezogen sind, bedeutet, daß sie jeweils auch für ein anderes sind, und zwar genau so, wie Hegel das beschrieben hatte: Für das andere Ding ist das eine das Gegenteil dessen, was es selbst auszeichnet, und damit von seiner Warte aus ein anderes als das eine Ding für sich ist. Und daß das Ding den Unterschied in Gestalt seiner Eigenschaften an ihm hat, heißt, daß er „nothwendig als wirklicher Unterschied mannichfaltiger Beschaffenheit [oder als Vielheit] an ihm“ (GW 9, 78) ist. Nun kommen das Füreinanderessein und die Vielheit nur insofern an das jeweilige Ding, als sie im Verhältnis zueinander betrachtet und damit ihre Bestimmtheit auf ihren Unterschied zurückgeführt wird. Insofern das Wahrnehmen ein Ding, das als Ding bestimmt sein muß, ausschließlich „für sich“ (a. a. O.) in den Blick nimmt, zeigt es sich als „einfache Bestimmtheit“ (a. a. O.), die erst der Grund seines Unterschieds von dem anderen Ding ist. Das Ding wäre so weder für ein anderes, noch hätte es die Vielheit an sich. Und damit nicht mit dem „ge-
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Joachim Hagner doppelte[n[ Insofern“ (a. a. O.) beides doch wieder an das Ding kommt, führt das Wahrnehmen den Unterschied des Wesentlichen und des Unwesentlichen ein: Diesen Unterschied hatte es bislang auf sich und seinen Gegenstand verteilt. Doch da der Gegenstand jetzt die ganze Bewegung ist, muß auch dieser Unterschied als ganzer auf ihn übertragen werden: Die einfache Bestimmtheit macht dann „seinen wesentlichen es von andern unterscheidenden Charakter“ (a. a. O.) aus, während die „sonstige mannichfaltige Beschaffenheit das unwesentliche“ (a. a. O.) ist. „Das Ding hat hiemit zwar in seiner Einheit das gedoppelte Insofern an ihm, aber mit ungleichem Werthe.“ (a. a. O.) Was das Einssein des Gegenstandes dann dennoch zerstört, ist nun ausgerechnet dasjenige Moment, welches das Wahrnehmen als das wesentliche angesetzt hatte: Die einfache Bestimmtheit sollte das Ding von dem anderen Ding so unterscheiden, daß sein Fürsichsein und sein Einssein garantiert sind. Unterscheidung bedeutet im Wahrnehmungs-Kapitel immer auch Negation. Im Falle der einfachen Bestimmtheit durfte es sich dabei allerdings nicht um die Negation irgendeines „andern“ (a. a. O.) handeln, weil dadurch notwendig das Füreinanderessein und die Vielheit an das Ding kämen. Die einfache Bestimmtheit muß vielmehr als „absolute Negation alles Andersseyns“ (a. a. O.) einen entsprechend „absoluten Unterschied“ (a. a. O.) herstellen. Damit geht jedoch „das Aufhören des für sich seyns“ (a. a. O.) und des Einsseins des Dinges einher. Denn das Ding, das als einfache Bestimmtheit absolute oder „nur sich auf sich beziehende Negation“ (a. a. O.) ist, negiert sich selbst und damit auch das Fürsichsein, das es auszeichnen sollte. Und wo es nicht für sich ist, da kann es in diesem Kontext nur für ein anderes sein. Außerdem ist das Ding „für sich seyendes Eins […] nur, insofern es nicht in [ein]er Beziehung auf andere steht“ (a. a. O.). Und die geht das Ding gerade durch den absoluten Unterschied ein, den es als einfache Bestimmtheit vermittels der absoluten Negation alles Andersseins herstellt. Es „verhält […] sich zu andern, und ist wesentlich nur diß Verhalten; das Verhältniß aber ist die Negation seiner Selbständigkeit, und das Ding geht vielmehr durch seine wesentliche Eigenschaft zu Grunde“. Dem Wahrnehmen ist es also auch in der dritten Phase seiner Erfahrung nicht gelungen, durch die Ansetzung der einfachen
Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung Bestimmtheit als wesentliches Moment des Dinges und Ursache seines Unterschieds von dem anderen Ding seine Sichselbstgleichheit, sein Fürsichsein und Einssein zu garantieren. Mit der einfachen Bestimmtheit tritt neben dem Fürsichsein des Dinges als Eins immer auch das Füreinanderessein und damit die Vielheit an ihm auf. Der Gegenstand ist „in einer und derselben Rücksicht das Gegentheil seiner selbst, für sich insofern e[r] für anderes, und für anderes insofern e[r] für sich ist“ (GW 9, 79). Der Gegenstand ist Eins und Vielheit zugleich. Und damit ist es zu der zweiten Umkehrung des Bewußtseins innerhalb der Phänomenologie gekommen, an der das Wahrnehmen und sein Gegenstand zugrunde gehen. Denn „ein für sich seyn, welches mit dem Seyn für ein anderes behafftet ist“ (a. a. O.) entspricht nicht mehr der unmittelbaren, sinnlichen Allgemeinheit, die als vermitteltes Einfaches Gegenstand der Wahrnehmung war. Ein solches Fürsichsein ist vielmehr „die unbedingte absolute Allgemeinheit“ (a. a. O.). Und die ist als Kraft Gegenstand des Verstandes.
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Hegel’s “Inverted world”
Joseph C. Flay
Hegel’s “Inverted world”
The “Inverted world” occupies a most crucial position in Hegel’s Phenomenology of Spirit: it serves to carry us forward from the phenomenological examination of appearing consciousness as pure consciousness, i. e., as pure intentional consciousness over against a pure intended world, into the examination of appearing consciousness as self-consciousness. Its importance cannot be overestimated; for such a movement in the interpretation of the meaning and structure of consciousness is central to Hegel’s philosophy. We are moved from an “epistemological” and “intellectualistic” consideration of consciousness as a “somewhat” which is different in kind from that which is its object to an examination of consciousness as a living, internal involvement in the world such that the “knower” cannot be treated as a mere spectator. Yet it has remained for the most part one of the most obscure passages in the Phenomenology, a state of affairs which is usually attributed to the inherent absurdity of the position outlined in this passage. A verkehrte Welt is, after all, a topsy-turvy, absurd world.1 I shall suggest in this paper that this “inverted world” is exactly that: an absurd position. This is not to say that it is to be 1 Jean Hyppolite and Hans-Georg Gadamer must be excepted here. Both have made sustained attempts to make sense of this passage, the former in a reference to Christian doctrine and the latter in reference to Plato and Aristotle. My own attempt here to comprehend this passage in reference to Kant and Leibniz does not disagree with either interpretation, but rather supplements them. See Hyppolite 1946 and Gadamer 1964. See also Horn 1963 and Goldstein 1988.
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Joseph C. Flay ignored or condemned as “fantastic,” but rather that its importance and intelligibility lay in its very absurdity, in its appearance as an unintelligible inversion of what previously was taken to constitute the intelligibility of the world of appearance. More precisely, I shall suggest that this inverted world is a misunderstanding and perversion of the conclusion to which we should have been brought at this point in the Phenomenology. It is Hegel’s intention, underscored by the conditional rather than indicative construction of this section, that we see this misunderstanding as a misunderstanding. When on the other hand the inversion is correctly understood, it brings to the phenomenological “we” undergoing the Bildungsprozess of the Phenomenology of Spirit the explicit realization that consciousness is not merely finite intentionality, but as such is infinite. Consciousness is self-consciousness, consciousness limited by nothing but itself.
I. Any attempt to interpret a single section of a philosophical work is beset with difficulties. In the case of Hegel, it verges on insanity. An interpretation of the “inverted world” cannot, therefore, simply stand on its own, but must include in its structure an interpretation of the whole work of which it is a part. The limits of a short essay preclude such an interpretation of the whole. Nevertheless, I shall attempt an adumbrated version of an interpretation which hopefully will suffice as a groundwork for an interpretation of the section of the Phenomenology at hand. The “inverted world” stands near the end of the examination of understanding-consciousness and its object, force. It completes the analysis of consciousness seen as intending consciousness over against the world. This examination of consciousness as consciousness, in turn, stands at the beginning of the examination of spirit which manifests itself concretely as world history and as the true substance of the individual. The latter constitute the ultimate subject-matter of the Phenomenology of Spirit. What is important for us, then, is to understand what part the analysis of understanding-consciousness and force plays in the whole of the articulation and analysis of spirit.
Hegel’s “Inverted world” The task of the Phenomenology is clearly laid out both in its “Preface” and in the “Introduction” to The Science of Logic. It is to display the becoming of a science in general, a becoming which is a journey from immediate spirit or sensible, commonsense consciousness to authentic knowledge or philosophical science. The former is for-itself spiritless: it is in-itself its own substance, but is not aware of itself as substance nor of this substance as subject. The latter, authentic knowledge, is for itself its own pure concept. It has come to be at home with itself, having achieved access to being, to the primordial ground of what-is as such (GW 9, 24; GW 21, 32–34, 54–55). It is necessary to display this becoming primarily because ordinary or natural consciousness is a being in the world for which philosophy makes no sense. But equally this display is required because to be science, to be the absolute grasping of absolute knowledge, the true domain of this science must be existentially embraced, casting aside the bonds of natural consciousness (GW 9, 431–432). Philosophical science (and this is the only science of which we here speak) is an absurdity, an unnatural inversion (ein Verkehrtes), from the vantage point of immediate spirit or natural consciousness. Thus, the whole task of the Phenomenology of Spirit is to display and clarify the intelligibility of what appears at first to be an absurdity (GW 9, 23). Hegel’s remarks here in the preface demonstrate his view of the necessity for a discussion of inversion and inverted worlds and offer a clue to its place in the work, namely at that point at which natural consciousness is forced first to give up its “natural” world. This is at the point where the analysis of consciousness becomes the analysis of selfconsciousness. The means by which this task is to be accomplished is equally clearly indicated. We must undertake a journey of doubt and despair (GW 9, 56), upon which we pass through our own substance and world spirit as it has come to be (GW 9, 25–26). In less figurative language, we are to place our own existence (Dasein) before ourselves, no longer simply to undergo it but now to become explicitly aware of what this undergoing entails in both structure and content. In short, we prepare ourselves for philosophical science by becoming explicitly aware of the content and structure of what we nesciently undergo in the many modes through and in which we maintain ourselves in and
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Joseph C. Flay toward the world. In the process of this education we become aware of the mediation and negativity entailed in any mode of being in the world. This education, then, is a journey of doubt and despair, not because we find that all modes except absolute knowing are false modes à fond, but rather because actuality is revealed as not immediately accessible in any one mode of being in and toward the world. One of the many modes is that of understanding-consciousness. Understanding is a mode in which man faces what-is, not as sensuous, material being, but as categories or Gedankendinge. These Gedankendinge are intended as constituting the unconditioned universal, the absolute ground (Urgrund) of what appears, and to constitute it such that the distinctions which are immediately manifest in the various modes of perception and action are unconditionally grounded and united within an “objective” realm of “ideas.” Understanding is to be the selfgrounding knowledge of the supersensible ground of the sensible and is therefore an attempt to hold the “really real” before a knowing intentional consciousness. The phenomenological analysis of understanding-consciousness grows out of the failure of perceptual-consciousness to ground itself. Perception and the extended world which is its “object” show themselves as a revelation of a manifold of unities, spread out in experience within the matrix of perceiverperceived. But there is also present in this manifold a unity which is an unconditioned universal, a spatio-temporal unity which “holds together” the manifold, extended “this-here-now.” When common sense (or a philosophical position based on the postulates that perception is knowledge and that the essence of what-is is extension) attempts to explicate this its own unity, it falls either into a mere positing of this unity as a “given” or as axiomatic, or into a species of deception which equivocates on the relationship between the various aspects of the one and the many experienced within the perceptual world. Perception, to be sure, has successfully grasped the “this-here-now” which eluded immediate sense awareness, and therefore has “truly taken” the objects of its world. But such a taking or having of what-is falls short of its own demands for knowledge; for there remains a je ne sais quoi which marks perceptual knowledge and empirical philosophy as abstract rather than concrete know-
Hegel’s “Inverted world” ledge. Understanding-consciousness purports to overcome this lacuna with its explicit recognition of and attendance to Gedankendinge as the constituting factors of ultimate reality. Thus the purpose of the phenomenological analysis of understanding-consciousness is to ascertain whether and to what extent such a mode of being in and toward the world is capable of being absolute, unconditioned knowledge which comprehends the absolute, unconditioned “object.” The course of the inquiry will reveal the negative conclusion that understanding fails in its task to be absolute knowledge because, like the whole of the mode of pure consciousness, it presupposes the subject-object dualism and the primacy of the given. The positive conclusion, manifested by a discussion of the inverted, absurd world, will be a dialectical recognition of the truth that consciousness is selfconsciousness, i. e., that consciousness is an involvement in and toward the world in which subject and object mutually implicate each other as a duality which arises out of an original unity rather than as a pre-given dualism which then has to be unified. With this brief outline of the problematic and thematic out of which and for which the consideration of understanding arises, we can now turn to the question of the structure of the examination of this mode of consciousness which leads to the consideration of an inverted, absurd world.2
II. In the process of the examination of understanding we find a movement embracing two fundamental stances. The first is a stance or mode of knowing and being in which the essence of what-is is to be found in a supersensible realm transcendent to the knower and constituted as a kingdom of laws which remains static and unaffected by change. This arises simply as a demand of the dialectic of perceptual appearance. Appearance itself stands “between” the knower and the intelligible reality in various ways. Ultimately appearance is constituted as extension and motion and the mundus intelligibilis as non-sensuous force 2 For a more detailed account of my view of the section on Consciousness and of the whole of the Phenomenology see Flay 1984.
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Joseph C. Flay (Kraft). This is the first supersensible world and entails the denial of extension and of the perceptual world as a matrix of this-here-now as ultimate reality. Clarification of this position comes with an examination of Leibniz’ position, especially as shown in his “New System of Nature and of the Communication of Substances,” Sections 2 and 3 (Leibniz 1960 b). As will be seen below, I am attempting to understand this chapter in the Phenomenology as a “discussion” between Leibniz and Kant. A careful comparison of the Leibniz work just referred to, together with the beginning section of “Understanding” on extension and force – a task which is beyond the confines of the present, brief essay – would show that Hegel has in mind here essentially the position of Leibniz. This view would be further supported by a consideration of Hegel’s remarks on Leibniz in the Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (TW 20, 233–255). On the view represented here, instead of vacillating between perceiver and perceived or between the various manifestations of oneness and manyness, we attempt to hold the totality of the process of this world “as at once inseparably united in regard to the process of grasping the truth” (GW 9, 84–85).3 We have as our phenomenological object a stance of intentional consciousness which holds before itself the metaphysical, non-sensuous “inner of things” constituted as force (GW 9, 85). We are examining a mode of consciousness which attempts to comprehend what-is as such and in totality in its a priori, non-sensuous ground. This first supersensible world, however, fails to be an unconditioned, but instead involves us with a distinction between inner and outer of things, a distinction between appearance and reality which itself calls for a ground. On the one hand, appearance is constituted by the play or manifestation of forces and consequently is a realm of change. This is in fact the same world which perceptual consciousness holds before itself. On the other hand, reality is constituted by an objective realm of law, a kingdom of laws which ground appearance and the changing, but which is itself unaffected by change. 3 Cf. Leibniz’ discussion of perception and apperception in the New Essays on the Understanding, Bk. IV, chaps. 1 4 (Leibniz 1960 a).
Hegel’s “Inverted world” The question arises: Wherein lies the necessity of these laws in respect to the world of appearance? If we re-examine what such a consciousness is undergoing we find that it is involved in a process of explanation (Erklären), duplicating the world of appearance, but placing this world under the rubric of unchangeable law. This first supersensible world is “the immediate and unmediated raising of the perceptual world into the element or realm of universality; it has its necessary counterpart and antitype in the perceptual world which still retains for itself the principle of alteration and succession” (GW 9, 96–97). In short, understanding in this stance does nothing but repeat the constitution of the manifold or the world of appearance under the form of universality and necessity. It involves itself in a tautological process, and “is an explanation [Erklären] which not only clarifies nothing [nichts erklärt], but rather is so clear [klar] that, when it prepares to say something different from that already said, it says nothing and merely repeats again the same thing” (GW 9, 95). The “clearing” that is made is the same as that which is to be cleared. But there is here a positive result as well: “Through the process nothing new arises in reference to the state of affairs itself, but the process is of importance only as a process of the understanding “ (a. a. O.). With this realization consciousness “has crossed over from the inner as object to the other side within understanding” (a. a. O.). The second supersensible world, and the second major stance for understanding-consciousness has arisen for us. The essence of what-is is now to be found in the understanding itself, constituted such that its laws embrace change and distinction within unchanging universality. Appearance itself is taken up into this realm, or better, has already been taken up into it, since the phenomenological analysis of perception yielded the truth of perception as an indissoluble matrix of perceiver-perceived. The “collapse into the one side” now introduces the unconditioned universal, the inner for knowledge and being, as appearance. “The supersensible is the sensible and the perceptual posited as they are in truth; the truth of the sensible and perceptual is, however, to be appearance. The supersensible is therefore appearance as appearance” (GW 9, 90). A distinction is here made between appearance as Schein, as things appearing, and, on the other hand, appearance as appearance: Erscheinung
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Joseph C. Flay als Erscheinung. Hegel has articulated this distinction and its importance for us here most clearly in the preface: “Appearance is the process of arising into being and passing away, a process which itself does not arise and does not pass away, but which is in-itself and constitutes the actuality and the process of the life of truth” (GW 9, 35). That is to say, appearances appearing constitute the positivity of appearance itself which in turn is their ground as process itself. Appearance, the self-containment of coming into being and passing away, is the truth which we have named the unconditioned universal. Appearance as such, then, and the second supersensible world, are one and the same. There now follows a rather closely packed discussion of the result of the movement to this second supersensible world. From the realization that explanation is nothing but the explanation of appearances whose ground lies in understanding itself (that is to say, in being in and toward the world of appearance in this mode of consciousness), we come to the realization that the realm of law (non-change, permanence through manyness) and the realm of change (appearances, manifold occurrences) are one and the same for consciousness. Yet at the same time the distinction is maintained between that which happens (the appearing of appearances) and the laws, rules, and principles as well as the ground for that which happens. “Understanding thus learns that it is a law for the sphere of appearance for distinctions to come about which are no distinctions. In other words, it learns that what is self-same or likenamed is repelled from itself; and precisely therefore that the distinctions or differences are only such that they are in truth no distinctions and are transcended yet preserved in the whole: or that what is not self-same or what is unlike-named is absorbed.” (GW 9, 96). It is at this point where we reach a contradictory state of affairs and the discussion of the “inverted world” arises. The law of appearance itself seemingly destroys the sought-after unity and stability which is to constitute lawfulness. Laws as well as the concept of law itself embrace an identity in difference and a difference in identity.
Hegel’s “Inverted world”
III. Before proceeding now to a discussion of this “inverted world,” I should like to lay some groundwork with a glance toward Kant. I suggest that in the movement from the first to the second supersensible world (and their respective consciousnesses) we have undergone, by means of a dialectical critique of the first supersensible world, a phenomenological counterpart to Kant’s Copernican revolution and the proofs for its necessity which are contained in the transcendental deduction.4 The law expressed by the understanding is to be the law of the inner of things, i. e., of the ground and essence of appearances. Insofar as consciousness is concerned, the realm of appearance as it stands for perceptual consciousness cannot ground itself. But we have also found, in the discussion of the first supersensible world (which both Kant and Hegel ascribe to Leibniz), that a supersensible beyond cannot ground appearance either, but is only the immediate taking up of what occurs sensuously and perceptually into an intelligible, non-sensuous world. Yet either there must be an intelligible, unconditioned realm or we are abandoned to the ungrounded “knowledge” of the perceptual world. If the latter is the case, our inquiry is at an end and, while we certainly have “natural knowledge” and can and do operate with concepts of necessity and laws, we are nonetheless condemned to the philosophical skepticism of Hume. Kant’s “transcendental turn” had arisen from the same dilemma and he proffered his alternative to the positions of Hume and Leibniz. With the transcendental deduction he laid the groundwork for the ultimate principle of understanding: “Every object stands under the necessary conditions of synthetic unity of the manifold of intuition in a possible experience” (Kant 1911, A158, B197). The pure principles of understanding then
4 It might be added here that such a suggestion is possible is attested to by Hegel himself in the Preface, namely that we are to re-traverse the path already taken by world spirit in such a way that we make it our own. See GW 9, 24–26. Leibniz and Kant play a major role in the introductory chapters of the Encyclopedia where, in more didactic form, a preparation for the Logic is made. My suggestion that it is Leibniz and Kant that are here being “repossessed” can be established only by evidence which I hope will become manifest in the remainder of this paper.
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Joseph C. Flay articulate the meaning of this ultimate principle and establish Kant’s version of the law of appearance. “That there should be principles at all is entirely due to pure understanding. Not only is it the faculty of rules in respect to that which happens, but is itself the source of principles according to which everything that can be presented to us as an object must conform to rules.” (Kant 1911, A158–59, B197–98) That is to say: through the principles of the understanding the forms of the manifold as manifold and the structure and very possibility of this manifold as objective experience (empirically real and transcendentally ideal) are brought together in such a way that both the stability and the instability of the world are grounded in understanding itself. Neither necessity nor contingency, thought nor intuition, spontaneity nor givenness are prior to the other; each without the other is abstract, and it is this that the analytic of principles rectifies. Thus the unity of the spatiotemporal world and the constituting syntheses of knowledge yield the law of appearance which we must now repeat: “The highest principle of all synthetic judgments is therefore this: every object stands under the necessary conditions of synthetic unity of the manifold of intuition in a possible experience.” (Kant 1911, A158, B197) Kant has now established the ground for both knower and known. But in spite of the fact that “we have now not merely explored the territory of pure understanding, and carefully surveyed every part of it, but have also measured its extent, and assigned to everything in it its rightful place” (Kant 1911, A235, B294), Kant finds it necessary to follow with a two-fold discussion: namely that of “The Ground of the Distinction of All Objects in General into Phenomena and Noumena” and “The Amphiboly of Concepts of Reflection.” A question arises here concerning why this analysis occurs between the “Transcendental Analytic” and the “Transcendental Dialectic”. That is, why, if we have so completely articulated and established the law of appearance, can we not simply proceed to expose the nature of the misuse of pure reason and explicitly attack previous metaphysics as a “logic of illusion”? Kant’s answer to this question is the following. He argues that although we have indeed “assigned everything its rightful place” and are now prepared to “explore the sea of illusion surrounding
Hegel’s “Inverted world” the island of truth” (Kant 1911, A235–36, B295), in order to help strengthen our conviction we might first give a summary statement of what has been explored and demonstrate that we are under compulsion to accept its findings. This demonstration can reveal to us “by what title we possess even this domain, and can consider ourselves as secured against all opposing claims” (Kant 1911, A236, B295). This is accomplished, not by an actual summary of the “Transcendental Analytic,” but (1) by underscoring the distinction between phenomena and noumena, and marking the difference between this distinction and that offered by Leibniz between mundus intelligibilis et mundus sensibilis and (2) by discussing an amphiboly which arises when understanding does not make this distinction properly in its own employment.5 In other words, the reason for the insertion of these two sections is to articulate the difference between the intelligibility of the world in Kant’s own doctrine of experience and that of the mundus intelligibilis of Leibniz. Kant argues here that if the critique contained in the “Transcendental Dialectic” and the exposition offered in the “Transcendental Doctrine of Method” is to be correctly understood, we must comprehend how and to what extent the critical system differs from conventional metaphysics: namely that there is in critical-transcendental philosophy no external distinction between worlds or between aspects of the same world. While “Leibniz erected an intellectual system of the world, or rather believed that he could obtain knowledge of the inner of things by comparing all objects merely with the understanding and with the sundered, formal concepts of its thought, […] [leaving – JF] sensibility […]only a confused mode of representation […] of the thing in itself (Kant 1911, A270, B326), Kant himself has articulated an “intelligible world” in which “the condition of the objective employment of all our concepts of understanding is merely the mode of our sensible intuition, by which objects are given to us” as a manifold (Kant 1911, 286, B342). Previous metaphysics were involved in “a transcendental amphiboly, that is, a confounding of an object of pure understanding with appearance” (Kant 1911, A270, B326).
5 In both sections it is Leibniz to whom Kant opposes himself.
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Joseph C. Flay What is clarified here is that the concept as concept of the understanding is indeed the same as the inner of things; but what ‘inner’ means here is not the same as what it meant for Leibniz and his predecessors. The distinction between inner and outer, appearance and supersensible, is no longer a distinction insofar as knowledge is concerned in its own appearing. My object is no longer a supersensible, merely intelligible “beyond” which is a transcendent intended by intentional consciousness; rather understanding itself is the totality of the ground of the object as object. Understanding is not subjective, but “embraces” the subjective-objective distinction. To be sure, Kant does not offer Hegel’s move from consciousness to self-consciousness, but it can be argued that he laid the ground for this move.6 “In dealing with appearances I shall always be obliged to compare my concepts, in transcendental reflection, solely under the conditions of sensibility; and accordingly space and time will not be determinations of things-in-themselves but of appearances. What the things-in-themselves may be I do not know, nor do I need to know, since a thing can never come before me except in appearance.” (Kant 1911, A276–77, B332–33) Given the explicit articulation of this difference Kant can now proceed to his arguments concerning the nature of the mistaken transcendent application of understanding-consciousness. The radical turn from transcendence to immanence has been made the focal point, underscoring and justifying his claim for a “Copernican revolution.”
IV. I have suggested that we can gain some comprehension of Hegel’s treatment of understanding by turning our attention to Kant. In particular, I have suggested that the dialectical movement from the first supersensible world to the second can be seen as Hegel’s version of Kant’s rejection of both Leibniz and 6 On this, see Kant’s discussion of self-consciousness at B139. Hegel, at any rate, saw Kant in this way. See his discussion of this in his lectures on Kant in his Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (TW 20, 332).
Hegel’s “Inverted world” Hume and his articulation of his own transcendental position. I have now offered an interpretation of the meaning and substance of the two sections which separate the doctrine of principles from the transcendental dialectic: namely, that it was important for Kant to underscore and argue for the difference between his own “transcendental” position and that metaphysics which constituted previous attempts to offer the unconditioned. Finally, I have suggested that this “clarification” on the part of Kant lays the ground for the argument that consciousness is self-consciousness. My purpose for discussing Kant’s phenomena-noumena distinction and his discussion of the amphiboly was to allow the following further suggestion: Hegel has made the same clarification in his discussion of the inverted world that Kant made in these sections of the Critique of Pure Reason just discussed. At the point at which we left the Phenomenology the contradictions produced by the law of appearance were introduced. If I may repeat this passage: “Understanding thus learns that it is a law for the sphere of appearance for distinctions to come about which are no distinctions. In other words, it learns that what is self-same or likenamed is repelled from itself; and precisely therefore that the distinctions or differences are only such that they are in truth no distinctions and are transcended yet preserved in the whole: or that what is not self-same or what is unlike-named is absorbed.” (GW 9, 96). A second law (and second supersensible world, since understanding now gives the law of the inner world) now arises in which what was “formerly characteristic of the sphere of appearance, and lay outside the inner world, [finds – JF] its way into the region of the supersensible itself” (GW 9, 95). The mundus intelligibilis et mundus sensibilis, the unchanging and the changing, the one and the many, the identical and the different, are now of one and the same domain as opposed to the differing domains of the first supersensible world. Yet this single domain which we have now reached is identified as the inner of things, the ground of appearance itself. And this world first appears as a second supersensible world, with a second law of appearance which is both absurd and the inversion and perversion of the first. The reason for the perversion and inversion is that all
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Joseph C. Flay distinction is internal distinction: the one is many and the many are one. It is at this point that a demand is made that “thoughtlessness brings both laws together and becomes aware of their opposition. To be sure the second is also a law or an inner, self-like Being, but a self-likeness rather of unlikeness, a constancy of inconstancy” (GW 9, 96). That is to say: we cannot thoughtlessly continue to interpret this second supersensible world as the first was interpreted; they are generically different. The discussion of the second world and its law as inverted, perverted, and absurd is the articulation of this distinction, demonstrating what would be the case were this second domain of intelligibility, containing contradiction, truly a second, supersensible world standing over against either appearance of the first supersensible world. The absurdity is brought to a halt when we are reminded of the actual nature of this second law of appearance: to wit, that the “distinctions between inner and outer, appearance and the supersensible, as two actualities, is no longer a distinction which is here present” (GW 9, 97–98, italics mine JF). The task to be accomplished is the same as Kant’s discussed above. The difference is that it is carried out, not by directly insisting upon the difference as such, but by drawing absurd conclusions which follow when the distinction between the old metaphysics (the first supersensible) and the new position (the second supersensible) is not made. Without the distinction absurd contradictions follow and the “second supersensible world” in fact only serves to make unintelligible the world of appearance which it purports to ground and make intelligible. Sour becomes sweet, North Pole becomes South Pole, crime becomes a good, punishment becomes a benefit, etc., because the changing and the unchanging are of the same domain and at the same time predominantly law, i. e., unchanging necessity.7 Insofar as the changeable perceptual world is this second, supersensible, lawful world, instability, change, and difference are no more or less a proper constituent of this domain as are stability, changelessness, and identity. Differences and therefore identities, as traditionally interpreted, become meaningless. The law 7 Zimmerman 1982, 369 offers a criticism of this point. However, I think that I have taken into account all the things he thinks that I have omitted.
Hegel’s “Inverted world” of this second supersensible domain, as here misinterpreted, is in fact lawlessness. When, however, the distinction is made as it really now is – namely as internal distinction – the supersensible as supersensible disappears. It is not the case that sweet is sour, North Pole is South Pole, wrong is right, etc., but rather that they determine each other, necessarily standing in a self-defining relationship. This is the law of appearance, the dialectical constitution of internal definition and determination. Law is within the realm of appearance itself and thus changing appearance is unconditioned or self-conditioned. “Thus the supersensible world, which is the inverted, perverse world, simultaneously overreaches the other supersensible and has the other in itself; the supersensible world is for itself inverted, that is, is the inverted of itself. It is itself and its opposed world within one unity. Only thus is difference as inner difference, or difference in reference to itself: it is infinity” (GW 9, 99). The Gedankendinge are within experience itself, constituting the world as it is in experience, and in particular in explanation. Understanding-consciousness is therefore infinite because limited by nothing but itself. That is to say: since the distinction between the manifold of perception, extended and in flux, and the lawful, ordered understanding is itself only a distinction within consciousness itself, there is no supersensible and transcendent some-what over against consciousness itself. As Kant had also said, but Hegel now gives its strongest interpretation: “What the things-in-themselves may be I do not know, nor do I need to know, since a thing can never come before me except in appearance” (Kant 1911, A276–77, B332–33). For Hegel, the structure and meaning of the intending (Meinen) and the “this” (Dieses) with which the analysis of consciousness began is wholly within consciousness. To say now that consciousness is aware of itself as inverted is to say that it is aware of this immanent transcendence and thus can come, phenomenologically, to the awareness of being self-awareness, self-consciousness, Selbstbewußtsein. Thus, the inverted, absurd world remains inverted and absurd from the point of view of a pure attitude of consciousness where the knower stands over against and transcendent to the objec-
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Joseph C. Flay tive appearance and the supersensible which grounds this appearance. But when the limits of consciousness are explicitly brought before us, when there is awareness of an inversion and perversion of this duality and a collapse of the knowing and the knowable into experience as such, then the absurdity evaporates. With this “evaporation of the absurdity” we have made that crucial step forward toward absolute knowledge and philosophical science. We have brought into radical question the common sense, natural attitude (which, as Hegel has already pointed out in the Preface, holds science to be absurd and perverse) that objects and truth are an sich and other than consciousness (GW 9, 103).
V. At this point, of course, the parallel with Kant begins to disintegrate. And well it should; for if Kant had pursued the argument further, the history of German idealism would have been different. Hegel’s argument to the end of this section on understanding rounds out the transition to the realization that consciousness is self-consciousness. We cannot follow this out here. I hope only to have thrown some light on a difficult and obscure but crucial passage in Hegel’s Phenomenology of Spirit. I have suggested and tried to show that this obscurity lay in its absurdity and that this absurdity is the result of a dialectical argument in which, by means of a reductio argument based upon the suppression of a vital difference, Hegel shows two things: (1) a misinterpretation in which the immanence of difference in a transcendental philosophy is treated as a transcendence, and (2) the correct understanding of this position from which we are led to the principle of idealism. Both are demonstrated by arguing that the distinction between appearance and a supersensible unconditioned is a mistake. I have suggested that a backward glance at Kant’s distinction between phenomena and noumena and the discussion of the amphibolies of reflection would help to make Hegel’s intention clear.
Hegel’s “Inverted world”
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Die Bewegung des Anerkennens
Ludwig Siep
Die Bewegung des Anerkennens in der Phänomenologie des Geistes
Das IV. Kapitel der Phänomenologie des Geistes gehört zweifellos zu den wirkungsmächtigsten des gesamten Werkes. Vor allem im Marxismus und der französischen Existenzphilosophie sind die Themen von Begierde und Kampf, Herrschaft und Knechtschaft, Arbeit und unglücklichem Bewußtsein rezipiert, diskutiert und oft zur Grundlage der gesamten Hegel-Interpretation gemacht worden.1 In der Gegenwart war es vor allem der Begriff des wechselseitigen Anerkennens, der ein prinzipielles Interesse der Interpreten auf sich gezogen hat. Man hat in diesem Begriff das Prinzip der praktischen Philosophie Hegels überhaupt2 und über Hegel hinaus den Grundbegriff der „moralischen Grammatik sozialer Konflikte“3 oder der marktwirtschaftlichen Demokratie4 gesehen. Im folgenden soll zunächst die Bedeutung des Begriffs Anerkennung für den ersten Abschnitt (A.) des Selbstbewußtseins1 Am wirksamsten wohl bei Kojève, A. 1947: Introduction a la lecture de Hegel. Paris, repr. 1968 (deutsche Auswahl unter dem Titel „Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens“, hg. von I. Fetscher, Frankfurt 1975). Kritisch dazu Gadamer, H. G. 1973: Hegels Dialektik des Selbstbewußtseins. In: H. F. Fulda, D. Henrich, Materialien zu Hegels „Phänomenologie des Geistes“. Frankfurt, 217–242 (bes. Anm. 4 u. 6) sowie Pöggeler, O. 1973: Zur Deutung der Phänomenologie des Geistes. In: ders., Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/München,189 f. 2 Vgl. Siep, L. 1979: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. Freiburg/München. 3 Vgl. Honneth, A. 1992: Der Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt. 4 Vgl. Fukuyama, F. 1992: Das Ende der Geschichte. München.
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Ludwig Siep kapitels (I) und dann für den weiteren Verlauf der Phänomenologie erörtert werden (II). Dann gehe ich auf die neueren grundsätzlichen Adaptationen des Begriffes Anerkennung ein (III).
I. In der Phänomenologie des Geistes geht es um das Verhältnis von „Wissen“ und „Gegenstand“ – modern gesprochen könnte man sagen, um die „ontologischen Implikationen“ (ontological commitments) die in jeder Auffassung von Erkenntnis stecken. Sie sind in den Auffassungen vom Gegenstand des Wissens ebenso enthalten wie in den Maßstäben und Kriterien für „eigentliches“ (objektives, angemessenes, „wissenschaftliches“) Wissen selber. Beim letzteren kann man an Putnams Kriterien der rationalen Akzeptierbarkeit denken.5 „Wissen“ wird aber von Hegel in einem ganz weiten Sinne gefaßt: Es gehören dazu alle Ansprüche auf Wahrheit – nicht nur theoretische Ansprüche, etwas Wahres auszusagen, sondern auch die Gewißheiten des praktischen Lebens, der Moral und Religion, ja sogar die Ansprüche „wahrer“ Kunstwerke und gerechter Institutionen. Die Frage ist, welche Aufassung der „eigentlichen“ Wirklichkeit oder der Realität (auch der geistigen) darin bewußt angenommen oder eben implizit vorausgesetzt ist. Und vor allem: Wie gehört das Wissen, nicht nur sein Inhalt, sondern auch die subjektive Gewißheit selber zu dieser Wirklichkeit? Das Resultat, auf das Hegel hinaus will, ist die Unhaltbarkeit der Unterscheidung von Wissen und Gegenstand, Subjektivität und Realität selber. Die eigentliche Realität, das „Absolute“, erweist sich als ein System von Begriffen und logischen Relationen, die sowohl objektiv wie subjektiv, wirklich wie „für sich“ bzw. geistig sind. Zum Bewußtsein gehört selber der Versuch, sich zu vergewissern, ob eine Auffassung von der Wirklichkeit adäquat ist, sich im Handeln und im Vergleich mit der Meinung anderer bewährt. Man kann nach Hegel diesen „Erfahrungstest“ auch auf 5 Vgl. Putnam, H. 1982: Vernunft, Wahrheit und Geschichte (übers. v. J. Schulte). Frankfurt a.M., 176.
Die Bewegung des Anerkennens die Fragen der impliziten Ontologie und der Wissensstandards anwenden. Die Frage lautet dann, ob sich beim Erwerb oder der Aussage des Wissens die Maßstäbe bewähren, die für wahres Wissen und objektive Realität aufgestellt worden waren. Nach Hegel lassen sich sogar große Teile der menschlichen Kulturgeschichte als solche Erfahrungsprozesse „lesen“. Freilich muß der Philosoph sie dazu in Sequenzen ordnen, die nicht immer dem faktischen Verlauf entsprechen. Das gelingt ihm letztlich nur, weil er in den historischen Erfahrungsprozessen bereits die logischen Beziehungen und begrifflichen Relationen erkennen kann, die die absolute, durch keine einseitige Metaphysik oder Wissenschaftstheorie mehr verzerrte Wirklichkeit ausmachen.6 Im Verlaufe der kritischen Prüfung von Positionen, die auf den Gegensatz zwischen Wissen und Gegenstand – beide im erwähnten weiten Sinne genommen – „eingeschworen“ sind, ist man am Anfang des Kapitels „Selbstbewußtsein“ zu der These gelangt, daß das Selbstbewußtsein die eigentliche Realität ausmacht. Hegel schickt dem Fortgang der Prüfungs- oder Erfahrungsgeschichte eine größere, ziemlich kompliziert gegliederte Einleitung voraus (IV vor Abschnitt A., GW 9, 103–109). In dieser wird zunächst das Resultat der bisherigen Prüfung aus der Sicht des resümierenden Philosophen charakterisiert. Und zwar zunächst von der Seite des Wissens, dann von der der „Realitätsauffassung“ (der Ontologie des Lebens, GW 9, 104–107). Verwirrend ist, daß Hegel dann bereits eine „Erfahrung“ (GW 9, 107 f.) darstellt, durch die erst der „Begriff“ des Selbstbewußtseins vollendet sei: die Erfahrung der Begierde. Sie ist ein Versuch, die alleinige Realität des Selbstbewußtseins dadurch zu erweisen, daß die sinnliche Welt gänzlich für die Selbstbestätigung im Genuß „instrumentalisiert“ wird. In der „Handlungserfahrung“ ergibt sich aber, daß eine wirkliche und dauerhafte Befriedigung des begehrenden Selbst (nicht der bloß dumpfen, animalischen Begierde) nur in einem lebendigen, sich selber durch den Genuß hindurch erhaltenden und behauptenden „Gegenüber“ möglich ist.7 Damit gewinnt die These von 6 Vgl. Marx, W. 1971: Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimmung ihrer Idee in „Vorrede“ und „Einleitung“. Frankfurt a.M., vor allem Kap. VI. 7 Vgl. dazu die plastische Interpretation bei Gadamer 1973, 225 f.
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Ludwig Siep der Realität des Selbstbewußtseins erst die Stufe, die dem Ende der Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins in den ersten Kapiteln adäquat ist: daß nicht nur das Subjekt für sich, sondern die von seinen Wünschen und Vorstellungen unabhängige, bleibende, „objektive“ Gegenständlichkeit den Charakter von Subjektivität oder Selbstbezogenheit hat. Die daran anschließende Betrachtung des Begriffes des Selbstbewußtseins (GW 9, 108 f.) geschieht aber wiederum aus der Perspektive des Philosophen (GW 9, 109 „für uns“) und zeigt in dem Erreichten bereits die Struktur des Geistes, eines kollektiven Selbstbewußtseins, in dem individuelle Subjekte („verschiedene für sich seiende Selbsbewußtsein“) sich „in vollkommener Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes“ entwikkeln können (a. a. O.). Diese Einheit von „Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist“ erweist sich später als die vollendete Anerkennung im rechtlichen, sittlichen, religiösen und philosophischen Leben eines Volkes. In der an diese Einleitung des IV. Kapitels anschließenden Prüfung von „Gestalten“ des Selbstbewußtseins – d. h. Positionen, die die These von der eigentlichen Realität des Selbstbewußtseins vertreten – geht Hegel aber mehrere Schritte zurück. Er beginnt mit einer neuen begrifflichen Exposition der intersubjektiven Struktur des Selbstbewußtseins, die er ausdrücklich „Bewegung des Annerkennens“ (a. a. O.) nennt. Auch dieser Struktur entsprechen die folgenden Erfahrungen (die GW 9, 110 u. mit dem Satz beginnen „Das Selbstbewußtsein ist zunächst einfaches Fürsichsein“) nur erst teilweise, vor allem nur „asymmetrisch“. Auf die komplizierte Exposition dieser Struktur will ich zunächst kurz eingehen. Vorauszusetzen ist dabei, daß nach dem III. Kapitel („Kraft und Verstand“), das sich mit der Naturwissenschaft und Naturphilosophie des 16. bis 18. Jahrhunderts befaßt hatte, sowohl die (eigentliche) Realität wie das Selbstbewußtsein grundsätzlich durch eine Struktur gekennzeichnet sind, die Hegel „Unendlichkeit“ nennt. Sie besteht darin, daß etwas durch sich selbst in sein Gegenteil übergeht oder sein Gegenteil „ist“. Wie Hegel das an den Begriffen und Prozessen der Natur, verstanden als ein durch Gesetze geordnetes Kräftespiel, dargelegt hat, kann hier nicht erörtert werden. Wichtig ist, daß sowohl Selbstbewußtsein überhaupt wie individuelles
Die Bewegung des Anerkennens Selbstbewußtsein diese Struktur besitzen, die Hegel bei der Erörterung der Bewegung des Anerkennens „Doppelsinn“ nennt. Er besteht darin, daß jedes selbstbewußte Wesen in gewisser Weise seine Identität in einem anderen selbstbewußten Wesen hat, aber dieses „Anderssein“ seiner selbst auch negieren muß. Es muß sich durch Ausgrenzen wiedergewinnen und das andere dadurch zugleich „frei entlassen“. Aber es kann das nicht allein durch eigenes Handeln, sondern das andere muß den gleichen Prozeß für sich bzw. „durch es selbst“ vollziehen. Hegel nennt das den Doppelsinn des Tuns, „ebensowohl sein Tun als das Tun des Anderen zu sein“ (GW 9, 110). Wollte man diese Struktur der Intersubjektivität oder des sozialen Wesens des Selbstbewußtseins in modernen Termini vereinfachend wiedergeben, so könnte man sagen, daß das Werden und die Veränderung eines selbstbewußten Wesens nicht ohne Erwartungen (bzw. „Erwartenserwartungen“), Anstöße, Reaktionen, Bestätigungen etc. von „Partnern“ möglich ist. Bewußtsein der eigenen Individualität, das hatte schon Fichte in seinem Naturrecht von 1796 zu „deduzieren“ versucht, setzt Interaktionen und wechselseitige Verstehensprozesse zwischen Individuen voraus. Hegel versucht schon in den Jenaer Schriften eine bestimmte Sequenz von Interaktionen aufzuweisen, in der sich ein individuelles Selbstbewußtsein „bilden“ kann. Eine solche Sequenz liegt offenbar auch der Erörterung der Bewegung des Anerkennens in der Phänomenologie zugrunde. Jedenfalls kann man sich die Stufen dieser Bewegung eigentlich nur anhand solcher Interaktionen klarmachen. Merkwürdig ist aber, daß Hegel für die erste Stufe in der Phänomenologie keine entsprechende Gestalt darstellt. „Es ist für das Selbstbewußtsein ein anderes Selbstbewußtsein; es ist außer sich gekommen“ (GW 9, 109) – dabei könnte man noch an die Erfahrung der Begierde denken, die Hegel gerade diskutiert hat. Sie hatte ergeben, daß eine dauerhafte Selbstbestätigung nur in einem Gegenüber möglich ist, das selbst entscheidende Charakteristika des Selbstbewußtseins hat (Lebendigkeit, Fähigkeit, sich in der Beschränkung oder „Negation“ seiner selbst zu erhalten etc.). Man muß diese Erfahrung aber schon sehr weit auslegen – und zwar in Hinsicht darauf, was der frühe Hegel nicht Begierde, sondern Liebe nannte –, um darauf die Kennzeichnungen anwenden zu können, die Hegel im folgen-
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Ludwig Siep den von der ersten Stufe der „Bewegung des Anerkennens“ gibt: sich „als ein anderes“ zu erfahren und in diesem anderen zugleich „sich selbst“ zu sehen. Daß man sich selbst in der hingebenden Selbstvergessenheit an den anderen „verloren“ hat, läßt sich an der nicht nur begehrenden, sondern empfindenden Liebe aufweisen – ebenso auch der Sachverhalt, daß es einem in den Gefühlen des Anderen um sich selbst geht, nämlich um das Geliebt- und darin Anerkanntwerden. Für die zweite Phase der Bewegung des Anerkennens, die sowohl diesen Selbstverlust wie die Vereinnahmung des anderen rückgängig macht bzw. „aufhebt“, kann man in der Phänomenologie dann die Erfahrung des Kampfes heranziehen, deren Struktur hier gewissermaßen vorgezeichnet ist. Allerdings sind beim Kampf um Anerkennung die Momente zu unterscheiden, die Hegel hier ineinsfallen läßt: das Anderssein als das Hängen an der eigenen sinnlichen Existenz und ihren Bedürfnissen und Freuden einerseits; der Andere, der einem die eigene Identität und Individualität sowohl bestreitet wie bestätigen muß, auf der anderen Seite. Daß dieses Aufheben des Anderen und des Andersseins eine „Rückkehr in sich selbst“ ist, die nicht nur die eigene Identität und Selbständigkeit aus der Abhängigkeit vom anderen zurückgewinnt, sondern auch diesen anderen wieder frei entläßt, wird aber nicht mehr im Selbstbewußtseinskapitel „erfahren“, sondern erst im „Geist“. Es zeigt sich nämlich, daß die Anerkennung selbstbewußter und selbständiger Wesen nur in einem gemeinsamen Selbstbewußtsein möglich ist, das in Institutionen „substantialisiert“ ist und sich im Leben und Bewußtsein der Individuen bestätigt findet. Für die „interpersonale“ Anerkennung bedarf es einer Anerkennung des „Ich“ im „Wir“ und des „Wir“ im „Ich“. In den Schriften vor und nach der Phänomenologie hatte Hegel dies schon als Resultat des Kampfes um Anerkennung dargestellt, insofern dieser Kampf zum Bewußtsein der Notwendigkeit des Rechtszustandes führte.8 Auf den Rechtszustand weist Hegel möglicherweise am Ende der Begriffsanalyse des Anerkennens hin, wenn er davon spricht, daß sich die Individuen 8 Vgl. dazu Siep, L. 1974: Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes in den Jenaer Schriften. In: Hegel-Studien 9, 155–207.
Die Bewegung des Anerkennens anerkennen „als gegenseitig sich anerkennend“ (GW 9, 110). Die wechselseitige Anerkennung als Person macht nach Hegel nämlich den wesentlichen Charakter der Rechtsbeziehung aus. Die Phänomenologie enthält am Ende des Kapitels A. aber nur sehr indirekte Hinweise auf den Rechtszustand, auf die ich noch zurückkomme. Daß Hegel aber an den Gestalten von Liebe, Kampf, natürlicher Herrschaft und Arbeit festhält, bedeutet, daß der rechtsphilosophische Zusammenhang einer Auseinandersetzung sowohl mit der aristotelischen Politikphilosophie9 wie vor allem mit dem neuzeitlichen Naturrecht10 erhalten bleibt. Die Erörterung der Struktur der Anerkennung ist abgeschlossen, wenn man auf die Phasen des Selbstverlustes und seiner Aufhebung die Erkenntnis der „Doppelsinnigkeit“ des Tuns anwendet. Und das noch einmal in einer „gedoppelten“ Weise: das Tun der Aufhebung muß sowohl ein Tun gegen sich und den anderen wie ein Tun des einen und des anderen sein. Selbstbewußtsein verlangt, sich im anderen und gegen den anderen zu erkennen, und dies durch wechselseitige Hingabe und Befreiung. Die Erfahrungsgeschichte des Kampfes um Anerkennung und der Beziehung von Herrschaft und Knechtschaft, die nun folgt, muß als die der zweiten Phase der Anerkennungsbewegung, nämlich der Aufhebung des Andersseins und des anderen „selbständigen Wesens“ verstanden werden – wie gesagt als eine noch unvollständige, die nicht zur vollendeten Rückkehr gelangt. Ich kann das hier nur kurz skizzieren. Es geht zunächst darum, die „ontologische Position“ des Selbstbewußtseins in der unmittelbaren Begegnung mit dem anderen zu bestätigen – die These nämlich, daß die eigentliche Realität das reine Bewußtsein seiner selbst, alles andere Bewußte dagegen unwesentlich bzw. „nichtig“ sei. Diese Bestätigung hat wiederum zwei Momente: Zum einen muß das selbstbewußte Individuum die Bedeutung dieses reinen „Fürsichseins“ ge9 Hegel behandelt Liebe in den Jenaer Schriften ja als ein Moment der Familie und bezieht sich damit deutlich auf Aristoteles’ Theorie der ersten natürlichen Gemeinschaft im ersten Buch der Politik. 10 Vgl. Siep 1974 und Duso, G. 1987: La critica Hegeliana del giusnaturalismo nel periodo di Jena. In: G. Duso (Hg.), Il contratto sociale nella filosofia politica moderna. Bologna, 311–362.
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Ludwig Siep wissermaßen im „Innenverhältnis“ bestätigen. Das heißt, es muß zeigen, daß ihm dieses Selbstbewußtsein alles, das übrige Dasein dagegen – im Konfliktfalle – nichts bedeutet. Und zweitens muß man diesen Beweis einem anderen gegenüber führen, der bloß zur Bestätigung dieser „Freiheit“ des ersten Individuums da ist. Hegel hat in den früheren Jenaer Schriften klargemacht, daß ein solcher Beweis der Sinn aller Zweikämpfe um Ehre ist: das Selbtsbewußtsein bzw. das Selbstbild, dem sich jeder verpflichtet fühlt, ist bei jeder Bestreitung als das Höchste, wichtiger als das Leben, zu erweisen. Er bringt dieses Zweikampf-Modell aber zugleich in Beziehung zu einer Figur des klassischen Naturrechts: der Erwerbung eines Sklaven in einem gerechten Krieg. Diese von Aristoteles bis Grotius aufrechterhaltene These besagte, daß man demjenigen, den man in einem gerechten Krieg besiegt hat, gegen Schonung seines Lebens zum Sklaven machen dürfe. Diese Vorstellung lag auch der Theorie des Unterwerfungsvertrages zwischen einem Volk und seinem Eroberer zugrunde, die sich noch bei Hobbes findet und die dann von Rousseau so heftig bekämpft wurde. Es handelt sich also beim Ausgang des Kampfes um Anerkennung um eine erste, gewissermaßen „rohe“ Form von sozialen Herrschaftsverhältnissen. Hegel folgt nun dem Verfahren der Phänomenologie, wenn er diesen Versuch der Bestätigung scheitern und in das Gegenteil des Intendierten bzw. dessen „Verkehrung“ umschlagen läßt. Er zeigt das zunächst auf der Seite desjenigen, der im Kampf sein Selbstbewußtsein wirklich über das Leben gesetzt hat und daher „Herr“ geworden ist; dann auf der Seite des durch Furcht um sein Leben Gescheiterten, zum Knecht Gewordenen. Das Scheitern bzw. die Umkehrung trifft für beide Seiten zu, aber während es beim Herrn in der Aporie endet, führt es beim Knecht zu einer ersten Form der Bestätigung der Freiheit des Selbst in dem ihm gegenüberstehenden Anderen. Der Herr, oder das Herrschaftsbewußtsein, ist aus mehreren Gründen zum Scheitern verurteilt. Zum einen, weil der andere, Unterworfene, nicht mehr zu einer freien Anerkennung in der Lage ist, eine erzwungene Bestätigung aber „nicht zählt“. Dem entspricht auf der begrifflichen Ebene die fehlende „Doppelsinnigkeit des Tuns“: Das, was der Herr an Befreiung und Bestätigung seines reinen Selbstbewußtseins leistete, ging über die
Die Bewegung des Anerkennens Fähigkeit des Unterlegenen hinaus, war nicht zugleich „Tun des Anderen“. Schließlich scheitert aber auch der Versuch, die Unabhängigkeit des Selbst vom Leben und von den anderen zu erweisen: Der Herr braucht den Knecht – wie Aristoteles sagte, als ein Organ oder lebendes Werkzeug – um leben zu können, er wird von ihm abhängig. Daß der zunächst gescheiterte Knecht dagegen zu einer positiven „Umkehrung“ geführt wird, die ihn sogar einen Schritt über das Bewußtsein des Herrn hinausführt, liegt daran, daß sich bei ihm drei Erfahrungsmomente verbinden können: erstens die Furcht als „Erschütterung“ aller bestimmten Bedürfnisse und Wünsche; zweitens, der Dienst am Herrn, dessen freies Selbst ihm als erstrebenswertes Ziel erscheint, dem er seine eigenen „unfreien“ Zwecke unterordnet; und schließlich die Arbeit, die das durch Furcht und Dienst befreite Selbstbewußtsein zu einer „Vergegenständlichung“ in den Dingen befähigt. Hier folgt Hegel der poiesis-Konzeption des Aristoteles, die er zugleich bewußtseinstheoretisch deutet. Nach Aristoteles überträgt ja der Technit die Form des geplanten Produkts aus der Seele in den Stoff. Für Hegel bedeutet das: Der die Dinge bearbeitende Mensch schaut sein eigenes Selbst im Gegenstand an und befreit sich zugleich von der Macht der Natur – seiner inneren durch „innerweltliche Askese“ und der äußeren durch „technische“ Naturbeherrschung. Die Bearbeitung der Natur enthält aber nur die Voraussetzung, nicht die Gewißheit einer Erfahrung der Freiheit. Wie Hegel zu Beginn des nächsten Abschnittes sagt (GW 9, 116), trennt der Knecht („das dienende Bewußtsein“) noch zwischen der Vergegenständlichung seines selbständigen Tuns in den bearbeiteten Dingen und dem Freiheitsbewußtsein, das er im Herrn vor sich hatte. Der eigentliche Schritt zur „neuen Gestalt des Selbstbewußtseins“ (a. a. O.) wird wieder durch den analysierenden Philosophen eingeleitet, der erkennt, daß die Einheit der beiden Momente, nämlich des freien Selbstbewußtseins und seiner Herrschaft über die Dinge, in einem Selbstbewußtsein liegt, für das die eigentliche Realiltät der Dinge in ihrer gedanklichen Form oder in den Begriffen besteht (a. a. O.). Hegel führt für diese Gestalt die antiken Philosophien des Stoizismus und Skeptizismus sowie – nach ihren ebenfalls „umkehrenden“ Erfahrungen – das vorneuzeitliche Christentum ein
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Ludwig Siep (im Abschnitt „Das unglückliche Bewußtseins“). Das kann hier nicht ausführlich erläutert werden. Ich gehe im folgenden nur übersichtsweise auf die für die „Bewegung des Anerkennens“ wichtigen Aspekte im weiteren Verlauf der Phänomenologie ein.
II. Hegel hatte in den Jenaer Schriften vor der Phänomenologie dem Kampf um Anerkennung die „Aufhebung“ der individuellen Selbstbehauptung in einer geistigen Gemeinschaft folgen lassen. In der – fast gleichzeitig mit der Phänomenologie konzipierten – Philosophie des Geistes von 1805/06 waren dies die ökonomischen Austausch- und die rechtlichen Anerkennungsverhältnisse. Später, in den Geistphilosophien der Heidelberger und Berliner Enzyklopädie weist er ebenfalls auf das Rechtsverhältnis hin, in dem die als Person anerkannten Individuen eine „geistige Existenz“ gewonnen haben. Im Manuskript von 1805/06 folgt dann ein ausdrücklich in den Termini des Anerkennens und Anerkanntseins gefaßter Prozeß der Auseinandersetzung und Vereinigung des individuellen Selbstbewußtseins mit dem – in Gesetzen und Institutionen „verwirklichten“ – allgemeinen Willen bzw. Geist des Gemeinwesens. Dagegen fährt die Phänomenologie ganz anders fort. Sie leitet zu den „theoretischen“ Formen des spätantik-philosophischen und mittelalterlich-christlichen Selbstbewußtseins über. Erst später, im zweiten und dritten Teil des Vernunftkapitels und im Geistkapitel (VI) geht es wieder um praktische und soziale Formen des Selbstbewußtseins. Dabei werden freilich die Grundformen der Hegelschen Sittlichkeitskonzeption, die vor allem in der späteren Rechtsphilosophie systematisch entfaltet werden, als phänomenologische Erfahrungsstufen behandelt: die Familie in der Erörterung der (alt-griechischen) Sittlichkeit, Aspekte der bürgerlichen Gesellschaft (unter dem Titel „Reichtum“) und solche des Staates in dem Abschnitt über die Bildung und die Entfremdung des Geistes. Daß auch diese Formen der Sittlichkeit zur Bewegung der Anerkennung gehören, kann man der Tatsache entnehmen, daß Hegel am Ende des Geistkapitels, im Abschnitt über die Moralität, noch einmal auf den Begriff des Anerkennens zurück-
Die Bewegung des Anerkennens kommt, der nun verwirklicht ist. In allen diesen Formen der praktischen Vernunft und des sittlichen Geistes geht es aber nicht primär um die „interpersonalen“ Anerkennungsverhältnisse, sondern um das Verhältnis des individuellen – sich aber dann als Repräsentant einer allgemeinen Vernunft verstehenden – Selbstbewußtseins zu dem allgemeinen Willen bzw. dem Geist einer Gemeinschaft. Mit den Worten der Einleitung zum Selbstbewußtseinskapitel geht es um das Verhältnis des „Ich“ zum „Wir“ und umgekehrt. Hegel benutzt dabei anders als 1805/06 aber nur selten den Begriff Anerkennung. Daß die Erfahrung von Kampf und Herrschaft – in den Termini des neuzeitlichen Naturrechts: von Naturzustand und „natürlich“ despotischer Herrschaft – zum Rechtsverhältnis führe, kann man nur insofern sagen, als auf die Herrschaft der Stoizismus folgt, dessen Philosophie für Hegel die Grundlage des römischen Rechts darstellt. Dieses wird unter dem Titel „Rechtszustand“ dann viel später, am Ende des ersten Teils des Geistkapitels, behandelt. Aber auch hier ist das interpersonale Rechtsverhältnis nur ein Aspekt. Hegel zeigt in diesem Kapitel vor allem, daß die Idee der Rechtsperson als Inhalt einer Staatsund Gesellschaftsordnung nicht ausreichend ist und ihre Verwirklichung in ihr Gegenteil, die absolute despotische Herrschaft, umschlagen muß. Auch hier ist aber die mangelhafte interpersonale Anerkennung, die vor allem in der EigentumsStruktur des römischen Familienrechts zum Ausdruck kommt (der pater familias als Eigentümer der Mitglieder seines Hauses), nur ein Aspekt der unzureichenden Anerkennung der Individualität in der Staatsordnung. Während in den Jenaer Geistphilosophien die „praktische“ Bedeutung des Anerkennens im Vordergrund stand, ist in der Phänomenologie der Wissensaspekt bedeutsamer. Das Selbstbewußtsein in seiner Reflexivität und seinem Autonomie-Bewußtsein soll als „Prinzip“ der Realität erwiesen werden. Dadurch wird es aber von seiner einseitigen Fassung in den „Subjektivitätsphilosophien“ (Kant, Fichte) und dem geistigen Selbstverständnis der Epoche befreit. Es wird als „geistige Substanz“ der Wirklichkeit erkannt. Dafür stellt Hegel zwei Prozesse in den Vordergrund: Zum einen die zunehmende „Subjektivierung“ der Wirklichkeit in Begriffen der Vernunft und einer im erkennenden und handelnden Subjekt „zu sich kommenden“ objek-
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Ludwig Siep tiven gedanklichen Ordnung (Abschnitt „Beobachtende Vernunft“). Zum anderen die Erhebung des Prinzips der selbstbewußten Individualität und Personalität zum Maßstab sozialer Ordnungen (Gestalten der praktischen Vernunft) sowie zum Inhalt dessen, was als letzte, absolute Wahrheit gilt (Geist und Religion). Auch diese Prozesse können als Stufenfolge der Anerkennung des Ich im Wir und umgekehrt verstanden wissen. Die „praktische“ Anerkennung des individuellen Selbstbewußtseins durch andere Individuen, sogar durch die soziale Ordnung und die Aktivität des Gemeinwesens, reicht dafür nicht aus. Vielmehr will das Selbstbewußtsein – wie sich schon im zweiten Abschnitt des Selbstbewußtseinskapitels zeigt – sein Wesen auch in einem von den zufälligen Individuen unabhängigen Subjekt anerkannt wissen. Diesem Anerkennungsstreben entspricht der religiöse Begriff eines absoluten geistigen Wesens, das die Individuen anerkennt bzw. „liebt“. Auch über die Verehrung eines jenseitigen, „ganz anderen“ Selbst geht die Bewegung des Anerkennens aber noch hinaus. Das individuelle Bewußtsein will sich mit diesem Gott vereinigen. Das Christentum, für Hegel die vollendete Religion, lehrt daher einen Prozeß der Trennung und Wiedervereinigung Gottes und des Menschen. In seiner nach-reformatorischen Entwicklung hebt es die Jenseitigkeit dieses Gottes auf und „versöhnt“ ihn mit den Menschen in der religiösen und sittlichen Gemeinschaft. Deren vollendete rechtliche und staatlich-institutionelle Form wird in der Phänomenologie – anders als in der früheren und späteren Philosophie des Geistes – zwar nicht systematisch erörtert, aber sie wird in der kritischen Form der Behandlung der antiken Sittlichkeit und des entfremdeten Geistes der Neuzeit schon sichtbar. Daraus kann man nach meiner Auffassung nicht schließen, daß Hegel diese Formen bloß als institutionelle Verkörperungen von Reflexionsakten des Geistes verstehe (vgl. Honneth 1992, 98, 104). Hegel parallelisiert ja ausdrücklich das moralische Anerkennen und das religiöse Bewußtsein: Aus der Einsicht in ihre wechselseitige Entsprechung ensteht das absolute Wissen. Da das moralische Bewußtsein von Hegel als Vollendung der praktischen Seite des Anerkennens dargestellt wird, soll darauf noch kurz eingegangen werden. Hegel nimmt hier die Themen noch einmal auf, die ihn seit seinen Frankfurter Schriften be-
Die Bewegung des Anerkennens schäftigt haben: die Trennung und Versöhnung des „abweichenden“ Individuums bzw. des „Verbrechers“ von der moralisch und rechtlich integrierten Gesellschaft. Diese Auseinandersetzung wird für ihn jetzt aber durch die Debatten um die „geniale“ Moral des Individuums in den Schriften des Sturm und Drang und der Romantik repräsentiert.11 Wenn die Moralität in der Autonomie des Gewissens besteht, kann sie jederzeit mit den allgemeinen moralischen Maßstäben in Konflikt geraten. Die verschiedenen Konstellationen und „Verkleidungen“ dieses Konfliktes im Abschnitt über die Moralität führen aber zu einer „Versöhnung“ in Form eines wechselseitigen Verzichtes. Einerseits muß das auf sein Gewissen pochende Individuum die Einseitigkeit und den möglichen Irrtum seiner Entscheidung bekennen. Auf der anderen Seite muß das allgemeine moralische Bewußtsein die Gewissensentscheidung, auch in ihrer Nonkonformität und „Bosheit“, als notwendiges Moment des Geistes anerkennen. „Das Wort der Versöhnung ist der daseiende Geist, der das reine Wissen seiner selbst als allgemeinen Wesens in seinem Gegenteile, in dem reinen Wissen als der absolut in sich seienden Einzelheit anschaut – ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist“ (GW 9, 361). Gewissen und allgemeine Gesetzlichkeit sind anerkannt als zwei Momente eines Geistes, der sich in der individuellen Entscheidung konkretisiert und fortentwickelt. Die praktischen und sozialen Formen dieser Versöhnung hat Hegel in der Phänomenologie nicht entwickelt. Der Hinweis im Schlußkapitel auf die Entsprechung zwischen dieser Gestalt der Moralität und der entwickelten (durch Reformation und Aufklärung geläuterten) christlichen Religion läßt aber vermuten, daß er sie vor allem in Formen religiöser Moralität am Werk sieht. Die religiöse Gemeinde ist das primäre Medium der wechselseitigen Korrektur von öffentlicher Moral und privatem Gewissen. Daß diese vernünftige Religiösität nur in einer berufsständisch gegliederten, rechts- und sozialstaatlich verfaßten 11 Vgl. Pöggeler, O. 1956: Hegels Kritik der Romantik, Bonn (Diss.) sowie Siep, L. 1995: Individuality in Hegel’s Phenomenology of Spirit. In: K. Ameriks u. D. Sturma (Hg.), The Modern Subject. Conceptions of the Self in Classical German Philosophy. New York, 140 ff.
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Ludwig Siep Monarchie möglich ist, hat Hegel in den übrigen geistphilosophischen Schriften von 1805 bis 1830 in extenso dargelegt.
III. Hegel hat den Begriff der Anerkennung von Fichte übernommen. Dieser hatte in seiner Naturrechtsschrift das Rechtsverhältnis als wechselseitiges Anerkennen freier Selbstbestimmung verstanden und dieses Verhältnis als Bedingung für individuelles Selbstbewußtsein überhaupt „deduziert“.12 Für Hegel ist das Recht – analog zu der von Herder beeinflußten historischen Schule – eine von mehreren Formen des Volksgeistes. Er entwickelt aber in seinen Jenaer Schriften, anknüpfend an die genetischen Theorien des Selbstbewußtseins bei Fichte und dem frühen Schelling, eine Theorie der Bildung des Geistes, in dem ein vernünftiges Selbstbewußtsein sich selbst erkennt und anerkannt findet. Er differenziert dabei die „interpersonalen“ Anerkennungsformen in eine Sequenz, die Liebe, Kampf und Recht umfaßt. Auf dieser baut eine „höherstufige“ Bewegung des Anerkennens zwischen den Individuen und dem – in Institutionen objektivierten – Geist eines Gemeinwesens auf. Mit den Termini des Geistbegriffs der Phänomenologie: eine Bewegung der Anerkennung des „Ich“ im „Wir“ und umgekehrt. Da Hegel in den Jenaer Schriften die Formen der Religion, Kunst und Philosophie noch weitgehend als Formen eines „sittlichen“ Volksgeistes versteht, gehören auch sie in diesen höherstufigen Anerkennungsprozeß. Gegen Ende der Jenaer Zeit trennt Hegel aber den „absoluten Geist“ deutlicher vom „objektiven“. Der erstere ist in seiner Vollendung von den historischen und sozialen Bedingungen eines Volksgeistes unabhängig, er hat sein Material allein in den Bildern, Vorstellungen und Begriffen seiner Selbstdarstellung und Selbsterkenntnis. Andererseits bleibt die freie, vor der Vernunft der Individuen gerechtfertigte Sittlichkeit des Staates auf die Formen des absoluten Geistes angewiesen.
12 Vgl. Siep, L. 1992: Einheit und Methode von Fichtes „Grundlage des Naturrechts“. In: ders., Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus. Frankfurt a.M., 47 ff.
Die Bewegung des Anerkennens Da in der Phänomenologie der Nachweis im Vordergrund steht, daß die eigentliche Realität die Struktur des Geistes hat, sich das Selbstbewußtsein also keiner „fremden“ Realität gegenüber findet, sondern einer, die auf sein Wissen und Handeln hin angelegt ist und sich darin „reflektiert“, steht in ihr der Prozeß der wechselseitigen Anerkennung von Ich und Wir im Vordergrund. Dabei nehmen aber die praktischen Themen der „Integration“ eines selbstbewußten Individuums, das seine Vernunft als Leitfaden des Handelns benutzt, in ein Gemeinwesen, das vor dieser Vernunft gerechtfertigt ist, breiten Raum ein. Hegel erörtert die in der Geschichte aufgetretenen Konstellationen der unmittelbaren Einheit bzw. „naiven“ Identifizierung des Individuums mit seiner Gemeinschaft und die der Trennung des autonomen Selbstbewußtseins von den Sitten und Institutionen der – familiären, staatlichen oder religiösen – Gemeinschaft. Ziel dieses Prozesses ist eine Integration bei gewissermaßen optimalem „Bewegungsspielraum“. Dieses Ziel heißt nach wie vor Anerkennung als wechselseitige Bejahung und „Freigabe“. Was die Hegelsche Theorie der Anerkennung für die praktische Philosophie interessant macht, ist vor allem zweierlei: Zum einen die Ausweitung der rechtlichen Anerkennung des wechselseitigen Respekts vor der Freiheit der Person auf Formen der „solidarischen“ Zustimmung zum Wohl und zur persönlichen „Identität“ des Anderen. Zum anderen der Gedanke eines integrierten „Musters“ von Zustimmung, Abgrenzung und Freigabe. Wenn Hegel diese „Bewegung“ zum Leitfaden einer systematischen Darstellung der Verhaltensweisen, sozialen Gebilde (Familie, Professionen, Staat) und Institutionen (Recht, Verwaltung, Staatsgewalten etc.) macht, dann stellt er damit einer sowohl systematischen wie „konkreten“ praktischen Philosophie ein – vielleicht noch heute brauchbares – Prinzip zur Verfügung. Man muß aber auch sehen, daß Hegels eigene philosophische Konzeption der Anwendung dieses Prinzips Grenzen setzt. Sie führt zu einer grundsätzlichen „Asymmetrie“ in seiner Anerkennungstheorie – vor allem einer Asymmetrie zugunsten des „Wir“ bzw. der geistigen „Substanz“ eines Gemeinwesens gegenüber den Individuen. Diese Asymmetrie zeigt sich hinsichtlich der beiden vorhin erwähnten Aspekte: In der institutionel-
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Ludwig Siep len „Realität“ der Staaten kommt der Anerkennung der persönlichen Einmaligkeit nur eine untergeordnete Rolle zu. Der Aspekt der „Freigabe“ des anderen durch Verzicht auf „Vereinnahmung“ ist im Verhältnis Individuum-Staat einseitig zugunsten des letzteren ausgelegt. Die Ansprüche der Individuen auf Anerkennung ihrer besonderen, „unverwechselbaren“ Identität13 müssen für Hegel emotional in der Familie, rational in der sozialen Umgebung seines Berufsstandes erfüllt werden. Schon auf der Ebene des Standes geht es aber in erster Linie um die kompetente, „rechtschaffene“ Ausübung der Berufspflichten und standesgemäßen Verhaltensweisen. Wie das Innovatorische, Schöpferische der individuellen Lebensführung – auch und gerade wenn sie eine „persönliche“ Auslegung etablierter Verhaltensweisen darstellt – auf die gemeinsamen Sitten „durchschlagen“ kann, hat Hegel schon auf der Ebene der gesellschaftlichen Gruppen (Stände) nicht erörtert. Noch weniger ist eine solche Wirkung auf der Ebene staatlicher Willensbildung sichtbar. Die Lehre der staatlichen Gewalten in der Rechtsphilosophie reduziert die Bedeutung der persönlichen Meinung fast gänzlich auf die „sachkompetente“ Äußerung in Ständeabordnungen der gesetzgebenden Gewalt.14 Schon in den Wahlverfahren der westeuropäischen Nationalversammlungen sah Hegel eine gefährlich „ungefilterte“ Manifestation privater Meinung im Raum staatlicher Rechtsetzung. Die Anerkennung des „abweichenden“ Individuums aber wird von Hegel auf der rechtlichen Ebene nur in den Institutionen der Begnadigung oder des außerordentlichen Appells an die Persönlichkeit des „übergesetzlichen“ Monarchen konkretisiert. Hegel hat in der Jenaer Geistphilosophie von 1805/06 das Moment der verzichtenden Freigabe des anderen ausdrücklich auch auf das Verhältnis des Staates zum Individuum angewandt (GW 8, 255). Das hat ihn nicht davon abgehalten, dieses Verhältnis nach wie vor als eines der Substanz zu ihren Akzidenzien 13 Vgl. Habermas, J. 1968: Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser „Philosophie des Geistes“. In: Ders.: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. Frankfurt, 16 ff. Ders. 1974: Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden? In: J. Habermas, D. Henrich. Zwei Reden aus Anlaß des Hegel-Preises. Frankfurt, 30 f.; Honneth 1992, 33 ff., 148 ff. 14 Vgl. L. Siep, Hegels Theorie der Gewalteneilung. In: Siep 1992, 254.
Die Bewegung des Anerkennens zu begreifen. Natürlich ist der Hegelsche Substanzbegriff nicht der des Aristoteles und das Bemühen der Phänomenologie wie der Wissenschaft der Logik besteht gerade darin, die Substanz als Subjekt zu begreifen, das sich in den selbständigen Individuen manifestiert und reflektiert. Gleichwohl bleibt auf der institutionellen Ebene etwas von der Zufälligkeit und Ersetzbarkeit der Akzidenzien im Verhältnis zur Substanz erhalten (eine definitive Abgrenzung von wesentlichen und unwesentlichen Akzidenzien gibt es für Hegel nicht). Sittlich zu leben, heißt vor allem auch begreifen, daß die staatlichen Institutionen Selbstzwecke sind, für die die Existenz und das Wohl der Einzelnen im Konfliktfall bloß akzidentell sind. In den staatlichen Institutionen wird, nach Hegels späterer Rechtsphilosophie, „in the long run“ zwar auch den besonderen Interessen der Individuen optimal Rechnung getragen. In der Freilassung der individuellen Besonderheit in den – staatlich stabilisierten – Marktverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft und in der Sicherung des bürgerlichen Eigentums- und Vertragsrechts ordnet sich der Staat tatsächlich in gewissem Maße der Entfaltung der Besonderheit der Individuen unter, macht sie zum „Staatszweck“. Insofern verzichtet er auf totalitäre oder paternalistische Vereinnahmung. Aber diese Freigabe hat, jedenfalls vom Standpunkt der modernen Rechtsentwicklung aus, doch enge Grenzen. Wenn der Staat gefährdet ist, hat er das Recht „vollkommen tyrannisch“ (GW 8, 259) zu verfahren. Bei der weitgehenden Akzeptanz des Krieges – nicht nur des defensiven – in der Hegelschen Rechtsphilosophie liegt darin eine erhebliche Beschränkung der „Freigabe“. Aber auch die Freiheit der öffentlichen Meinung und das Recht der Kritik wird bei Hegel in engen, staatserhaltenden Grenzen gehalten (vgl. Grundlinien der Philosophie des Rechts §§ 315–320). Dies wird verstärkt durch die untergeordnete Stellung repräsentativ-demokratischer Elemente in der Hegelschen Gewaltenteilung. Dennoch kann man den Standpunkt vertreten, daß Hegel für einen Staat, in dem die Besonderheit der Individuen sich in – sozial „abgefederten“ – Marktprozessen entwickeln kann und seine Auffassung vom Gemeinwohl demokratische Anerkennung erfährt, die beste Begründung geliefert habe. So hat etwa im Anschluß an die Interpretation von Kojève vor wenigen
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Ludwig Siep Jahren Francis Fukuyama argumentiert. (Vgl. Fukuyama 1992) Man kann gegen seine Deutung allerdings einwenden, daß er Hegels Geistphilosophie anthropologisch umdeutet und seiner Geschichtsphilosophie einen prognostischen Akzent verleiht, auf den Hegel ausdrücklich verzichtet. Das kann hier nicht weiter ausgeführt werden.15 Gegen diese affirmative Adaptation der Anerkennungslehre kann man auch versuchen, die kritischen Momente gerade ihrer früheren Jenaer Fassung herauszustellen und Hegels eigene Entwicklung als Abfall davon zu deuten. Dies hat Axel Honneth zum Gegenstand einer weit über Hegel hinausreichenden Untersuchung der „Grammatik moralischer Konflikte“ gemacht. (Zum Folgenden vgl. Honneth 1992) Nach Honneth hat Hegel vor allem in seinen frühen Jenaer Schriften (1802/03) eine Theorie von Anerkennungsformen entwickelt, auf die noch eine gegenwärtige kritische Gesellschaftstheorie aufbauen könnte.16 In der Konzeption des „Kampfes um Anerkennung“ habe Hegel ein Modell für die „moralischen Konflikte“ sozialer Gruppen geliefert, die die moralische und rechtliche Entwicklung der Menschheit verständlich mache. Diese Konflikte gehen von der Erfahrung verweigerter Anerkennung aus und führen – im günstigen Falle – zu höheren, konkreteren und institutionell gesicherteren Formen der Anerkennung. Auch das Ziel dieser Entwicklung werde in Hegels Jenaer Anerkennungstheorie in den Grundzügen vorgezeichnet, nämlich in den drei Formen der Anerkennung, die schon das System der Sittlichkeit (1802/03) erkennen läßt: „Im affektiven Anerkennungsverhältnis der Familie wird das menschliche Individuum als konkretes Bedürfniswesen, im kognitiv formellen Anerkennungsverhältnis des Rechts wird es als abstrakte Rechtsperson und im emotional aufgeklärten Anerkennungsverhältnis des Staates wird es schließlich als konkretes Allgemeines, nämlich
15 Für eine ausführliche Kritik an Fukuyama vgl. Pöggeler, O. 1995: Ein Ende der Geschichte? Von Hegel zu Fukuyma. Vorträge der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. G 332, Opladen. 16 Vgl. dazu auch die alternative, auf eine nicht-rechtsförmige Moral zielende Untersuchung von Hegels Anerkennungstheorie bei Wildt, A. 1982: Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart.
Die Bewegung des Anerkennens als in seiner Einzigartigkeit vergesellschaftetes Subjekt anerkannt“ (Honneth 1992, 45). Liebe, Recht und Solidarität sind die drei Formen der Anerkennung, um deren Realisierung und Anreicherung es in den sozialen Anerkennungskämpfen geht. Wie Honneth diesen Ansatz durch „nachmetaphysische“ Sozialtheorien zu transformieren versucht, kann hier nicht erörtert werden. Wichtig für die Phänomenologie-Interpretation ist aber, daß Honneth, wie zuvor Jürgen Habermas (Habermas 1968, 36) in diesem Werk schon einen „Abfall“ von der früheren Anerkennungslehre erblickt. Während in dieser die drei Anerkennungsformen noch als „Medien“ der Bildung von Gesellschaft konzipiert seien, würden sie seit 1805, definitiv aber dann in der Phänomenologie des Geistes, zu bloßen Reflexionsstufen eines „monologisch“ verstandenen Geistes. Die unter dem Einfluß Fichtes durchgeführte „bewußtseinsphilosophische Durchgestaltung“ (Honneth 1992, 55) seiner Geistphilosophie reduziere die Formen der Anerkennung auf Stufen der Entäußerung und Rückkehr des Geistes zu sich. In der Geistphilosophie von 1805/06 sieht Honneth dies vor allem auf der höchsten Stufe der Anerkennung, in der – ehemals als „Solidarität“ verstandenen – Sittlichkeit des Staates manifestiert: Der Staat sei nur noch als „institutionelle Verkörperung“ eines „Reflexionsaktes“ des Geistes verstanden (Honneth 1992, 98), die Sphäre der Sittlichkeit sei nun „von aller Intersubjektivität gereinigt“ (Honneth 1992, 101). In der Phänomenologie sei der Kampf um Anerkennung ganz auf die „Funktion der Bildung des Selbstbewußtseins“ reduziert und auf die „in der Herr-Knecht-Dialektik repräsentierte Bedeutung eingeschränkt“ (Honneth 1992, 104). Durch die „methodisch überlegene“ Konzeption der Phänomenologie habe Hegel sich endgültig den „Rückgriff auf die stärkste seiner älteren Intuitionen, das noch unfertige Modell des Kampfes um Anerkennung versperrt“ (a. a. O.). Es ist deutlich, daß meine oben vorgeschlagene Interpretation mit dieser Deutung in einigen Punkten kollidiert. Es sei hier nur noch einmal daran erinnert, daß Hegel den Begriff des Geistes unmittelbar vor der Exposition der „Bewegung“ des Anerkennens als ein „Wir“ versteht, innerhalb dessen die Individuen sich verselbständigen und sich einander sowie dem „Wir“ entgegensetzen können. Die Bewegung der Anerken-
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Ludwig Siep nung selber enthält dann alle Strukturelemente der Anerkennungs-Konzeption der früheren Schriften. Die Gründe dafür, daß Hegel sie im weiteren Verlauf der Phänomenologie nicht explizit „erfüllt“ und daß die praktische Bedeutung der Anerkennung in ihr zurücktritt, sind oben angedeutet worden. Am Ende der Reihe der praktischen Gestalten des Geistes, im Moralitätskapitel wird dann aber ausdrücklich das wechselseitige Anerkennen – sogar des „Außenseiters“ – als Inhalt des absoluten (!) Geistes bezeichnet. Von einer monologischen Struktur kann man nur sprechen, wenn man den Begriff der Reflexion bewußtseinstheoretisch versteht und ihn um seine logisch-ontologischen Aspekte, die vor allem die spätere Hegelsche Reflexionslogik entfaltet, verkürzt. Zuzugestehen ist Honneth und Habermas aber, daß Hegel das „Potential“ seiner Anerkennungslehre weder in der Phänomenologie noch in den früheren und späteren Schriften ausschöpft. Das läßt sich auch in einer immanenten Kritik der Ausführung dieser „Intuition“ in den verschiedenen Schriften Hegels zeigen. (Vgl. Siep 1979, 278 ff.) Hegel hat nach meiner Deutung die Bewegung des Anerkennens nicht auf den Kampf um Anerkennung verkürzt. Das muß auch gegen die geschichtsphilosophische Überbewertung des Kampfes um Anerkennung bei Kojève betont werden. Sieht man das Selbstbewußtseinskapitel der Phänomenologie im Rahmen der Begriffsexplikation der „Bewegung des Anerkennens“ und im Rahmen der übrigen Jenaer Texte, dann wird deutlich, daß der Kampf um Anerkennung – erst recht die auf ihn folgende Erfahrungsgeschichte von Herrschaft und Knechtschaft – nur eine Form und eine Stufe in der „Bewegung des Anerkennens“ ist. Die verschiedenen Interaktionsformen, die zu dieser Bewegung gehören, machen als ganze den Bildungsprozeß und – von ihren Einseitigkeiten und Asymmetrien befreit – auch das „Leben“ des Geistes aus. Das gilt auch noch für die späteren Konzeptionen des objektiven und absoluten Geistes. Daß Hegel entgegen seinen Intentionen und Begriffen gerade die Institutionen des objektiven Geistes nicht von einem Primat der Anerkennung des Staates durch die Individuen freigehalten hat, soll aber nicht bestritten werden.
Die Bewegung des Anerkennens
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Phänomenologie des Selbstbewußtseins
Otto Pöggeler
Selbstbewußtsein als Leitfaden der Phänomenologie des Geistes
Karl Marx fand 1844 in seinen Pariser Manuskripten zum Ansatz seiner Verwirklichung der Philosophie. Er entwarf seine Kritik der Nationalökonomie als eine neue Phänomenologie des Geistes. Das geniale Frühwerk Hegels war für ihn die Geburtsstätte und das Geheimnis der Hegelschen Philosophie und damit der Philosophie überhaupt: das Wesen des Geistes wurde in die Arbeit gelegt. Hegel habe freilich die Arbeit zu sehr in der geistigen Arbeit gefunden, nämlich von der Theorie her und damit von der Erfüllung des Geistes in seiner Gegenwärtigkeit her gesehen. Doch Hegels Ausführungen über den Kampf des Herrn und des Knechtes zeigten auch, daß das politische Herrschaftsdenken zugunsten eines Weges zur Freiheit über die gemeinsame Arbeit überwunden werden müsse. Marx gab seinen ökonomisch-philosophischen Manuskripten konsequenterweise eine Kritik der Hegelschen Dialektik mit, vor allem eine Übersicht über die Phänomenologie. Überraschenderweise beginnt diese Übersicht nicht mit einem Kapitel „A. Bewußtsein“; vielmehr faßt sie Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Vernunft zusammen unter einem ersten Kapitel „A. Selbstbewußtsein“. Freunde wie Bruno Bauer hatten, noch von der Kritik der Religion herkommend, von Hegels Phänomenologie her die antike Religions- und Geistesgeschichte entschlüsselt und Hegels Philosophieren dabei als eine Philosophie des Selbstbewußtseins gefaßt. Die Auseinandersetzungen auf dem Felde der Religion führte Søren Kierkegaard fort, wenn er Hegels Schriften im ganzen auf das unglückliche Bewußtsein festlegen
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Otto Pöggeler wollte und damit wieder einen Abschnitt der Phänomenologie des Selbstbewußtseins zum Zentrum machte. Statt einer Phänomenologie des Geistes gab Kierkegaard eine Lehre von den Stadien des Existierens, die den Weg des Menschen im Glauben gipfeln ließ und deshalb in Hegels spekulativem Denken eine Verirrung sehen mußte. Das 20. Jahrhundert hat diese Auseinandersetzung mit Hegel, die sich an der Phänomenologie des Selbstbewußtseins orientierte, fortgesetzt. So hat Jean Wahl 1929 ein Buch über das unglückliche Bewußtsein in der Philosophie Hegels veröffentlicht. Wenige Jahre später hat Alexandre Kojève seine Pariser Vorlesungen über Hegel begonnen, die von der Phänomenologie des Selbstbewußtseins her Hegels Philosophie als ein Erfassen der Menschwerdung des Menschen und seiner Geschichte deuten. Heute können wir kaum noch das Vertrauen Kojèves teilen, die menschlichen Gruppen und Völker seien in der einen Menschheitsgeschichte zusammengeschlossen worden, für die Hegel ein zureichendes Bewußtsein der Prinzipien einer vernünftigen Einrichtung der politischen Sphäre und einer Kritik der religiösen Überzeugungen gefunden habe. So stellt sich uns die Frage, in welcher Weise Hegel, vor allem in seiner Phänomenologie, vom Selbstbewußtsein gesprochen habe. Diese Frage soll in drei Schritten entfaltet werden. Zuerst soll gefragt werden, wie das Kapitel über das Selbstbewußtsein in der Phänomenologie eigentlich zu interpretieren ist. Dann soll verdeutlicht werden, wie eigentlich das Selbstbewußtsein für Hegel der Leitfaden für eine Bestimmung des absoluten Wissens ist. Schließlich mag abschließend darauf hingewiesen werden, wie Hegel mit seinem Ansatz sich in die Geschichte der Philosophie eingefügt und wie seine Aufgabenstellung heute von uns wiederholt werden kann.
I. Die Phänomenologie des Selbstbewußtseins Hegel gab im Februar 1806 die ersten Textstücke jenes Werkes zur Druckerei, das später den Titel einer Phänomenologie des Geistes bekam. Diese Textstücke waren die Darstellung der ersten Gestalten, beginnend mit der sinnlichen Gewißheit. Den Anfang machte eine kurze Einführung in den Sinn dieses Sy-
Phänomenologie des Selbstbewußtseins stemteils, der zuerst eine Hinführung zur Logik oder spekulativen Philosophie und auch nur der erste Teil eines Buches über Logik sein sollte. Dieser kurzen Einführung hat Hegel später (im Inhaltsverzeichnis) den Titel „Einleitung“ gegeben. Diese Einleitung fragt, welches Wissen denn überhaupt fähig sei, eine Wissenschaft und das heißt zuerst einmal eine Logik oder spekulative Philosophie aufzubauen. Kann das Wissen sich prüfen, ob seiner Gewißheit Wahrheit zukommt? Hegel besteht darauf, daß das Wissen von seiner Natur oder seinem Wesen aus auf eine Selbstprüfung angelegt sei. Das Wissen kann und muß immer wieder die Erfahrung machen, daß seiner Gewißheit die Wahrheit nicht entspricht. In der deutschen Alltagssprache weist das Wort „Gewißheit“ in der Tat auf eine enttäuschbare subjektive Einstellung hin, während das Wort „Wahrheit“ stärker auf Objektivität zielt. Ich bin dessen gewiß, daß es auch morgen schönes Wetter sein wird; aber trifft diese Gewißheit die objektive Konstellation? Die Erfahrung, die ich morgen mache, mag diese Frage entscheiden. Einer Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins geht es nicht um solche empirischen Fragen. Diese Wissenschaft will ja hinführen zur Logik oder spekulativen Philosophie, also zum rechten Gebrauch der Grundbegriffe und Denkformen. Anhand einfacher Exempel soll dem Leser, der ein Buch mit einer Logik in die Hand nimmt, der rechte Umgang mit Grundbegriffen klargemacht werden. Ein solches Exempel ist zum Beispiel das Wort „dieses“. Die Gewißheit meint mit diesem Wort das reine, schlechthin individuelle Sein zu fassen. Die anderen Menschen, die dieses Wort hören, sind sich aber nicht sicher, ob dieses Dieses oder jenes Dieses gemeint ist. Das bedeutet, daß auch das Wort „dieses“ schon eine komplexe Allgemeinheit in sich enthält. Die Gewißheit, das reine Sein zu fassen, wird enttäuscht. Was wirklich in dieser Gewißheit liegt, die sich in einem Wort wie „dieses“ ausspricht, ist schon eine Diesesheit: dieses eine Ding, das viele allgemeine Eigenschaften haben kann. Der Gebrauch von Kategorien aus der Sphäre des Seins (also der Qualität und Quantität) führt von sich aus weiter zum Gebrauch der Kategorien aus der Sphäre der Relation, also zum Beispiel zum Substanz-Akzidens-Verhältnis. Hinter dem Rükken des erfahrenden Bewußtseins oder des erscheinenden Geistes liegt der notwendige Weg der Wissenschaft der Logik, der
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Otto Pöggeler vom Sein zur Relation führt und dann weiter zu den anderen spekulativen Grundbestimmungen. Die Gestalten des Bewußtseins entsprechen damit den Momenten der Wissenschaft der Logik, die Phänomenologie als Lehre von den Erscheinungen des Geistes ist bezogen auf die Logik als die eigentliche Wissenschaft des Geistes. Hegel hat am Ende seiner damaligen Realphilosophie die Grundmomente und damit die Hauptabschnitte der Logik der spekulativen Philosophie angegeben: Sein, Verhältnis, Leben und Erkennen; wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich. Hegel faßt die spekulative Philosophie nun einheitlich als Logik, doch in der genannten Gliederung klingt noch die alte Zweiteilung in Logik und Metaphysik nach. Zuerst werden die logischen Grundbegriffe und Denkformen angegeben; zu den Kategorien treten differenzierende Denkformen wie die Teleologie als Grundzug des Lebens und Erkennens. Dann wird in einem metaphysischen Teil gefragt, wie das Erkennen, das als wissendes Wissen die Realität weiß, überhaupt existiert. Dieses wissende Wissen ist nur möglich, wenn die einzelnen in ihrem Volk leben, das Volk oder der sittliche Geist ein Wissen dieses Geistes von sich in Religion und Wissenschaft gewinnt und damit Gott, Welt und Seele zusammenschließt. Die Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins, die dann den Titel einer Phänomenologie des Geistes bekam, folgt diesem Weg der Logik, indem sie das natürliche und ungebildete Bewußtsein seine Erfahrungen mit dem Gebrauch der logischen Momente machen läßt. Da Hegel die Phänomenologie des Geistes in das Systemganze einfügt, hat diese Phänomenologie zwei Textsorten: zuerst gibt der Verfasser, der schon das Ganze des Systems im Blick hat, an, um welche logischen Momente es geht. Dann zeigt er, wie das natürliche Bewußtsein mit dem jeweiligen logischen Moment seine Erfahrungen macht. So wird bei der Darstellung der ersten Gestalt angegeben, daß es dem sinnlichen Bewußtsein um das reine Sein geht. Dann wird an Exempeln (dem Gebrauch von deiktischen Worten wie „dieses“) gezeigt, wie das ungebildete Bewußtsein seine Erfahrung mit dieser logischen Bestimmung macht. Die Erfahrung sagt, daß wir von dieser logischen Bestimmung zu anderen Bestimmungen geführt werden, nämlich zuerst zu der Relation zwischen dem einen Ding und den vielen Eigenschaften, dem
Phänomenologie des Selbstbewußtseins Thema der Wahrnehmung. In der Tat ist es so, daß die Eigenschaften (etwa die Härte des Tisches) nicht losgelöst von ihrem Träger durch den Raum fliegen – das wäre eine Welt, in der wir nicht leben könnten. Die dritte Gestalt des Verstandes muß schließlich zu dem Resultat kommen, daß das eine Ding mit seinen Eigenschaften als Relation nur möglich ist, wenn die Substanz, die die Eigenschaften trägt, Kraft ist, die aus ihrer Einheit heraus geht zur Vielheit der Eigenschaften und diese Eigenschaften dann auch immer wieder an ihre Einheit zurückbindet. So erst kommt die „Idee“ des Verhältnisses zur Sprache, welche die Trennung von Substanz und Akzidenzien erst möglich macht. Die zwei logischen Momente „Sein“ und „Verhältnis“ spiegeln sich in drei Gestalten des Bewußtseins, weil die dritte Gestalt den zusammenfassenden Knoten für die entfalteten logischen Bestimmungen zuzieht. Damit ist die Linie der Gestalten des Bewußtseins, das sich dem Gegenstand gegenüberstellt, abgeschlossen. Die abschließende Erfahrung sagt, daß der Gegenstand dieselbe Struktur zeigt wie das Bewußtsein: jene Kraft, die von der Einheit oder Identität zur Vielheit oder Differenz führt und dann wieder zurück zur Einheit und Identität. Damit kann eine neue Entwicklungslinie beginnen: ist nicht das, was überhaupt ist, in seiner erfüllten Form Leben, das sich aus seiner Entelechie heraus zu einem gegliederten Ganzen bildet und dieses gegliederte Ganze immer wieder an die einheitliche Entelechie zurückbindet? Dieses Leben kann sich selbst erkennen. Das geschieht im Menschen, der um die Welt und um sich selbst weiß. Wenn die Tiere wüßten, auf welche Weise sie jeweils Pferde oder Elefanten wären, dann wären sie vernünftige Wesen wie wir; doch nur die Menschen bauen so etwas wie eine Biologie und sogar eine Veterinärmedizin auf. Die Phänomenologie muß zur Erfahrung bringen und so mit dem natürlichen Bewußtsein einüben, daß die Strukturmomente des Lebens und des Erkennens das, was ist, bestimmen und damit eine „Wahrheit der Gewißheit seiner selbst“ gewonnen werden kann. Erst im späteren Inhaltsverzeichnis hat Hegel diesen Erfahrungsprozeß unter den Titel „Selbstbewußtsein“ gestellt. Es handelt sich um das sich erkennende oder selbstbewußte Leben oder das lebendige Selbstbewußtsein. So hat die Erfahrung des Selbstbewußtseins zwei Teile: es geht zuerst um die Unabhängigkeit des
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Otto Pöggeler Selbstbewußtseins im Leben, dann um dessen Freiheit oder Selbsthaftigkeit, in der das Einzelne selbst doch eingebunden bleibt in das übergreifende Ganze von Leben und Selbstbewußtsein. Die ersten drei Gestalten zeigen, wie der Herr die Begierde, er selbst zu sein, im Kampf auf Leben und Tod behauptet, wie dann das Bestehenbleiben des Lebens den Knecht neben den Herrn stellt und schließlich diese Entgegensetzung aufgelöst wird in der Arbeit, die dem Menschen die Herrschaft über die Dinge und das Leben gibt. Der zweiten Reihe der Gestalten hat Hegel selbst präzise Titel gegeben: „Stoizismus, Skeptizismus und unglückliches Bewußtsein“. Hegel entnimmt der Sozialphilosophie und der Geistesgeschichte einfache Exempel, um mit ihnen (wie vorher mit dem Gebrauch des Wortes „dieses“) zu illustrieren, daß das, was ist, sowohl Dinglichkeit und Leben wie auch Selbstbewußtsein ist. Das Selbstbewußtsein bleibt mit seiner Freiheit eingebunden in die Unmittelbarkeit des Seins und des Lebens; von dieser Eingebundenheit muß es sich durch eine Negation befreien. Doch das natürliche und ungebildete Bewußtsein mißversteht diese Negation, wenn es sie allzu borniert als ein Töten auffaßt. In diesem Auffassen fallen die Position des Lebens und die Negation seiner Unmittelbarkeit so auseinander, wie in einem Kampf auf Leben und Tod der Sieger und der Tote als bloßer Leichnam auseinanderfallen. Die Erfahrung lehrt, daß die Negation der Unmittelbarkeit des Lebens im Selbstbewußtsein anders aufgefaßt werden muß, also nicht abstrakt der Position des Lebens gegenüberstellt werden darf. Das negierte Leben muß im Selbstbewußtsein seine Unmittelbarkeit verlieren, aber als Grund des Selbstbewußtseins doch bestehenbleiben. Um Position und Negation in der nötigen Weise zu vermitteln, führt Hegel ein anderes Exempel ein: Das Verhältnis von Knechtschaft und Herrschaft. Er gibt sich alle Mühe, deutlich zu machen, daß er kein sozialphilosophisches Thema verfolgt, sondern ein illustrierendes Exempel gebraucht. Der Knecht, der die Gefahr des Todes nicht durchsteht und am Leben hängt, steht für die bleibende Unmittelbarkeit des Lebens, der Herr für das Selbstbewußtsein, das diese Unmittelbarkeit im Bestehen der Todesgefahr aufzuheben vermochte. Der Knecht ist nur Knecht zusammen mit dem Herrn, der ihn zur Arbeit zwingt und dabei von der Arbeit des Knechtes lebt. Das Sein des
Phänomenologie des Selbstbewußtseins Dinglichen und die Unmittelbarkeit des Lebens auf der einen Seite, die Selbsthaftigkeit und Herrschaft auf der anderen Seite werden durch Schlüsse vermittelt. Dabei wird der Herr sowohl durch den Schluß der Herrschaft wie durch den Schluß des Genusses charakterisiert. Der Schluß der Herrschaft lautet: der Herr ist die Macht des Seins; das Sein ist die Macht des Knechtes; der Herr ist die Macht des Knechts. Der Schluß des Genusses lautet: der Herr bezieht sich auf das Ding durch den Knecht; der Knecht bezieht sich auf das Ding durch die Arbeit; der Herr bezieht sich das Ding durch die anderwärts geleistete Arbeit (eben im bloßen Genuß der zubereiteten Speise auf dem Tisch). Statt Leben und Selbstbewußtsein im Absoluten in unmittelbarer Position und abstrakter Negation auseinanderfallen zu lassen, werden hier also die beiden Strukturmomente miteinander vermittelt. Doch bleibt diese Vermittlung einseitig und ungleich: der Herr tut nicht gegen sich selbst, was er gegen den Knecht tut. Er unterwirft sich nicht selbst der Arbeit; so muß seine Herrschaft sich im luxurierenden Genuß totlaufen. Deshalb deutet Hegel eine dritte Gestalt an, die das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft von der Seite des Knechtes aus sieht, dann aber auch diese einseitige Perspektive überwindet. Die Arbeit erweist sich als der wahre Weg zur Freiheit. Indem der Knecht das Dingliche und Lebendige durch seine Arbeit formiert, gewinnt er Herrschaft und braucht den fremden Herrn nicht mehr: er selbst ist der Herr seines Kornfeldes und der Herr seiner Herde. Darf man in der Arbeit die wahre Vermittlung von Leben und Selbstbewußtsein sehen? Hier antwortet Hegel mit einem „teils-teils“: die Arbeit muß in einer bestimmten Weise aufgefaßt werden, nicht als separiertes Tun des bloßen Bourgeois, sondern als Überwindung des Gegensatzes von Herrschaft und Arbeit durch den Bürger, der sowohl Bourgeois wie Citoyen ist. Eine zweite Reihe von Erfahrungsprozessen zeigt nicht so sehr die Überwindung der Unmittelbarkeit des Lebens, sondern die Konkretion der Freiheit im Selbstbewußtsein. Wenn Hegel hier auf Gestalten der Geistesgeschichte verweist, dann nicht innerhalb einer geschichtlichen Erörterung; die Gestalten illustrieren nur Erfahrungen, die das Bewußtsein im Umgang mit Momenten der Logik macht. Hat der Mensch erst einmal erfahren, daß er mit seiner Arbeit die bildende Kraft der Natur
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Otto Pöggeler fortsetzt und so selbstbewußt und selbsthaft wird, dann kann er mit dem Stoizismus in diesem Selbstbewußtsein zugleich den Logos der Welt finden. Bleibt der Stoizismus aber nicht unmenschlich, wenn er immer nur wiederholt, der Mensch solle auf dem Thron wie in den Ketten sich mit dem Logos einigen und damit frei sein? Beteuerungen dieser Art bleiben „langweilig“, da sie kein Kriterium für ein Handeln in konkreten Situationen angeben. Der Skeptizismus als zweites Exempel zeigt, wie das Selbstbewußtsein die Bindung an das Gegebene durch den Aufweis von dessen Widersprüchlichkeit auflöst. Das unglückliche Bewußtsein zieht Phänomene der jüdisch-christlichen Religionsgeschichte heran und macht deutlich, daß der konkrete Mensch in seiner Endlichkeit sich mit Gott als dem absoluten Selbst vermitteln kann. Die einführenden Erläuterungen zur Darstellung dieser Erfahrungsprozesse sagen klar, worum es geht: das ungebildete Bewußtsein soll den Umgang mit jenen logischen Bestimmungen lernen, die ihm sagen, daß das, was ist, also die Verflechtung von Welt, Seele und Gott, sowohl als Leben wie als Selbstbewußtsein gedacht werden muß. Dabei wird klar, daß es nicht um den einzelnen Menschen als selbstbewußtes Wesen geht. Vielmehr soll das absolute Selbst aufgefaßt werden als ein Prozeß, in dem das Leben und mit diesem die Dinglichkeit sich zum Selbstbewußtsein erhebt. Dieser Prozeß ist eine komplizierte Vermittlung, indem die beiden Seiten sich gegenseitig anerkennen müssen. Das Leben muß anerkennen, daß es zum Selbstbewußtsein tendiert; das Selbstbewußtsein muß im Leben seine bleibende Grundlage sehen. Gott soll Mensch werden, der Mensch sich aus Gott wissen. Dieser Prozeß des Anerkennens zeigt, daß die höchste logische Struktur die Teleologie ist, in der ein Ansich für sich selbst wird.
II. Selbstbewußtsein und absolutes Wissen Die logischen Grundbegriffe und Denkformen dienen Hegel dazu, das, was ist, von seinem Grunde her und in seinem Zusammenhang zu begreifen. So stehen neben den Partien der spekulativen Philosophie, die man in einem engeren Sinn „logisch“ nennen kann, „metaphysische“ Partien. Diese metaphy-
Phänomenologie des Selbstbewußtseins Absolutes Wissen sischen Partien tragen zur Zeit der Abfassung der Phänomenologie die Titel „Wissendes Wissen“, „Geist“, „Wissen des Geistes von sich“. Die Weisen des Wissens und Verhaltens, die hier entfaltet werden, sollen durch die phänomenologischen Abschnitte über Vernunft, Geist, Religion und absolutes Wissen eingeübt werden. Wenn die Vernunft die Ausrichtung des Bewußtseins auf einen Gegenstand mit dem Selbstbewußtsein verbindet, muß sie in drei Abschnitten jeweils drei Gestalten vorführen, also der Einstellung des Bewußtseins und der Einstellung des Selbstbewußtseins die Synthese von Bewußtsein und Selbstbewußtsein folgen lassen. So erweist sich das Wissen als ein Wissen, das um die Realität weiß. Das Kapitel über den Geist als sittlichen Geist zeigt, wie dieses wissende Wissen real existiert: in den einzelnen Menschen, in Ständen oder Klassen, in Völkern, in der Geschichte. In der Religion gewinnt der Geist ein Wissen von sich, nämlich von seinem sinngebenden Grund und seiner alles zusammenfügenden heiligen Mitte, die in einer unmittelbaren Zuwendung „Gott“ genannt wird. Die Gestalten der Religion werden von den vorher vorgeführten Gestalten her gewonnen. Die vorherigen Gestalten bilden Linien, auf denen zwei Gestalten in einer dritten Gestalt den abschließenden „Knoten“ finden: die sinnliche Gewißheit und die Wahrnehmung im Verstand, die Begierde des Herrn und das Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis in der Arbeit, jedenfalls Stoizismus und Skeptizismus im unglücklichen Bewußtsein. Die Religion greift durch das Bündel dieser Linien hindurch und versteht sich dann von den Gestalten her, die jeweils als erste, als zweite und als dritte Gestalt in diesem Bündel der Linien nebeneinander liegen. So versteht sich die erste Gestalt der Naturreligion von der sinnlichen Gewißheit her, aber auch von der Begierde des Herrn und vom stoischen Ich her. Sie setzt (etwa in der iranischen Religiosität) mit der sinnlichen Gewißheit das Licht in seinem Unterschied vom Dunkel als das Göttliche; dieses Göttliche wird dann (so in der jüdischen Religiosität) zum Herrn, der das Licht zum Kleid hat. Auf diese Weise werden die überhaupt möglichen Formen von Religiosität phänomenologisch abgeleitet. Damit wird aber die Geschichte der Religion logisch begriffen, denn hinter den phänomenologischen Gestalten stehen die Grundmomente der Logik, so hinter der sinnlichen Gewißheit das reine Sein.
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Otto Pöggeler Wenn Hegel Naturreligion, Kunstreligion und offenbare Religion unterscheidet, dann unterstellt er der Naturreligion den Standpunkt des Bewußtseins, der griechischen Kunstreligion den Standpunkt des Selbstbewußtseins, der christlichen als der offenbaren Religion aber die Einheit von Bewußtsein und Selbstbewußtsein. In dieser offenbaren Religion ist Gott nicht allein das unmittelbar vorgegebene Licht, aber auch nicht nur die heilige Statue mit ihrer menschlichen Gestalt, vom Künstler geschaffen; Gott wird erfahren in der Einheit der Unmittelbarkeit und der selbstbewußten Kunst, nämlich in diesem sterblichen und geschichtlichen Menschen, in dem der Anspruch Gottes an die Menschen sich zeigt. Die offenbare Religion ist deshalb die trinitarische Religion, in der die urchristliche Erfahrung des Göttlichen auf den Begriff gebracht wird. So aber kann schon in der religiösen Sphäre die Geschichte mit ihren Erfahrungen hintendieren auf die Durchsichtigkeit des Begriffs. Das Wissen des Geistes von sich ist nicht nur Religion, die unmittelbar einen letzten Sinn sucht, sondern zugleich das absolute Wissen, das das religiöse Wissen des Geistes von sich mit dem reflektierten Wissen vereint und so den letzten Knoten für das Bündel der phänomenologischen Gestalten bildet. Hegel macht darauf aufmerksam, daß zu den Gestalten des Bewußtseins Gestalten der Aufhebung des Bewußtseins im Selbstbewußtsein treten: zur sinnlichen Gewißheit tritt die physiognomische Beobachtung der Seele, zur Wahrnehmung das Bestehen der Aufklärung auf dem Verhältnis der Nützlichkeit, zum Verstand das moralische Selbstbewußtsein. Nur so kann (in der Gestalt der schönen Seele) die Anschauung des Göttlichen zugleich Selbstanschauung sein. Nicht das Selbstbewußtsein in seinem Gegensatz zum Bewußtsein, sondern beide in ihrer Synthese sind somit der Leitfaden für das absolute Wissen. Diese Synthese ist „logisch“ schon angezeigt im unglücklichen Bewußtsein, das auf sein Unglück verzichtet und so das einzelne Selbstbewußtsein aus einem übergreifenden teleologischen Prozeß versteht. Erst in diesem Prozeß wird erreicht, was das Selbstbewußtsein nur anzeigt: ein letztes Durchsichtigwerden des Absoluten, das alle einzelnen Gestalten in sich zurückholt. Das absolute Wissen ist nicht eine Gestalt des Bewußtseins unter anderen Gestalten, sondern jene „Gestalt“, die zum Beispiel die sinnliche Gewißheit ist, aber eine sinnliche Gewißheit, die über
Phänomenologie des Selbstbewußtseins Absolutes Wissen ihren Ort im ganzen des Prozesses aufgeklärt ist und deshalb um ihre Grenze weiß. So kann die Phänomenologie zur Wissenschaft der Logik hinführen, die nicht allein vom Sein spricht, sondern das Sein im Zusammenhang aller spekulativen Grundmomente sieht. Die Phänomenologie des Geistes kann in allem Bewußtsein von etwas eine Tendenz zum Selbstbewußtsein finden, weil das Selbstbewußtsein gefaßt wird als Selbstbewußtwerden des Absoluten (und damit nach der religiösen Sprache: des Gottes in uns). Die einzelnen Menschen können an diesem Selbstbewußtsein nur teilnehmen je nach dem Ort, den sie im sittlichen und religiösen Geist und in der Geschichte als dem Durchsichtigwerden des Absoluten einnehmen. Es ist die Metaphysik Hegels, die seinem Denken eine besondere Affinität zur Geschichte gibt. Dabei muß Hegel die Geschichte des Bewußtseins, die von der Logik geleitet ist, unterscheiden von der kontingenten Weltgeschichte. Er sagt am Schluß der Phänomenologie: „Seine Grenze wissen, heißt sich aufzuopfern wissen“. Das spekulative Wissen der Logik und die phänomenologische Einübung dieses Wissens müssen die Zufälligkeit in Natur und Geschichte außer sich setzen und eigens freilassen. Damit unterscheidet sich die phänomenologische Geschichte von der wirklichen Geschichte: die Geschichte des Bewußtseins ist eine „begriffene Organisation“ möglicher Erfahrungen, welche den Begriffen der Logik folgt; zu ihr tritt das Zufällige, daß zum Beispiel die Ausrichtung auf das Sein gerade in Großgriechenland gefunden worden ist. Erst die Verbindung dieser kontingenten Geschichte mit der Phänomenologie als der begriffenen Organisation der geschichtlich möglichen Erfahrungen ergibt die „begriffene Geschichte“, die das Ewige und Bleibende im Kontingenten findet und so zu einem logischen Verstehen von Geschichte und Geist führt.
III. Selbstbewußtsein als Teleologie Die Dualität des Bewußtseins von etwas erweist sich nach Hegel als Leben, das im Anderen und mit dem Anderen sich selbst findet und Selbstbewußtsein werden soll. In diesem Selbstbewußtsein wird das, was an sich ist, erst für sich, und so ist dieses Selbstbewußtsein ein teleologischer Prozeß. Von dieser Voraussetzung
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Otto Pöggeler aus konnte Hegel zur Zeit der Abfassung der Phänomenologie die neuplatonische Tradition und ihre jüdische (philonische) sowie christliche Umformung neu aneignen. Dabei geriet Aristoteles in die Rolle dessen, der diesen Neuplatonismus anführt, wenn er das Selbstbewußtsein (die Noesis Noeseos) zugleich als Leben (Zoe) und Wirklichkeit (Energeia) faßt. Hegels betonte Rede vom „wirklichen“ Wissen, das erst in einem geschichtlichen Prozeß zu sich findet, muß von der aristotelischen Auffassung der Energeia als Zoe und Noesis Noeseos her entschlüsselt werden. Hegel ist mit seiner Phänomenologie des Selbstbewußtseins seinem Freunde Schelling zugleich nah und fern. Auch Schelling sucht in seiner Schrift über das Wesen der menschlichen Freiheit von 1809 im Absoluten das, was dunkler Grund ist, mit dem zu vermitteln, was Gott als er selbst ist. Hegel besteht jedoch darauf, daß dieses Verhältnis vor aller Anthropologie, Theologie und Metaphysik logisch aufzuklären ist. Da sowohl Marx wie Kierkegaard diese logischen Bemühungen aufgaben, mußten sie vorschnell Thesen über den wirklichen Menschen und seine Geschichte oder die gläubige Existenz Hegel entgegenhalten. Hegel faßt in der Vorrede zur Phänomenologie seine Weise, vom Selbstbewußtsein in metaphysischer Absicht zu sprechen, in die Formel zusammen, die Substanz müsse als Subjekt gedacht werden. Damit stellt er nicht dem Bewußtsein das Selbstbewußtsein und auch nicht der antiken Orientierung am Sein die neuzeitliche Ausrichtung auf eine letzte Selbstgewißheit entgegen; vielmehr deutet er das Subjektsein der Substanz als einen teleologischen Prozeß. Damit kommt der Begriff, in dem das Absolute sich durchsichtig wird, in einen Bezug zur Zeit und zur Geschichte. Der Schluß der Phänomenologie nennt die Zeit den Begriff, der (in der Zerstreuung der Geschichte) da ist. So sei die Zeit das Schicksal und die Notwendigkeit des Geistes, sofern dieser unvollendet sei. Vom in sich vollendeten Geist wird dagegen gesagt, daß er durch den Begriff die Zeit und damit die schicksalhafte Zerstreuung „tilgt“. Diese Vollendung des Geistes hat Hegel für seine eigene Zeit beansprucht. Diesen Anspruch konnte er aber nur geltend machen, indem er die entscheidenden Probleme der spekulativen Philosophie kurzschlüssig auflöste, zum Beispiel die Idee des Guten und damit den sittlichen Geist zu nahe an die teleologische Struktur
Phänomenologie des Selbstbewußtseins Absolutes Wissen des Lebens heranrückte. Hier können wir Hegel nicht folgen. Die Phänomenologie des Geistes arbeitet noch an der Lösung dieser metaphysischen Probleme und verwickelt sich dabei in unaufgelöste Schwierigkeiten. So kann gerade dieses Hegelsche Werk uns dazu dienen, die Hegelsche Philosophie auf die in ihr liegenden Probleme hin aufzubrechen und so auf die Fragen unserer Zeit zu beziehen.
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Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie
Klaus Düsing
Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie
Es gilt heute nicht mehr als selbstverständlich, daß vernünftiges Argumentieren der Wahrheits- oder der Entscheidungsfindung dient. Dies läßt sich zum einen aus Versuchen ersehen, eigens allgemeine Rationalitätskriterien aufzustellen und für sie zu votieren oder für rationale Entscheidungskriterien im Praktischen zu werben; es läßt sich zum anderen und vor allem aus postmoderner Vernunftkritik und aus der Diagnose schon des späten Husserl, erst recht aber des späten Heidegger ersehen, die Vernunft der europäischen Wissenschaften sei in eine Krise geraten, ja sie verberge als universal gewordene technische Vernunft schließlich alle Wahrheit des Seienden. – Weder ist in solchen Voten für Rationalität noch in derartigen Kritiken an der Vernunft einhellig bestimmt, was Vernunft eigentlich bedeutet, noch sind die Gründe für sie oder gegen sie jeweils gleichartig, z. T. sind speziell die verschiedenartigen Gegengründe miteinander inkompatibel. So ist das Reden über Vernunft gegenwärtig offenbar diffus geworden. Damit ist eine Situation entstanden, in der eine Rückwendung zu Bestimmungen der Vernunft in der klassischen deutschen Philosophie von Kant bis Hegel von besonderem Orientierungswert sein kann. Gerade Hegel befand sich in einer ähnlichen Lage wie wir heute, da er zu bestimmten der Vernunft wenig gewogenen Positionen von großer zeitgenössischer Bedeutung, sei es des Sturm und Drang und der frühen Klassik, sei es der Romantik, Stellung zu nehmen sich genötigt sah. So hebt, um nur zwei Beispiele zu nennen, Goethe in Faust I das Unge-
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Klaus Düsing nügen Fausts an den Wissenschaften und am Betreiben von Wissenschaft hervor. Ironischerweise freilich ist es Mephisto, der ihn zum vollblütigen Leben verführt und der z. B. die zum geflügelten Wort gewordenen Verse spricht: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie/Und grün des Lebens goldner Baum“ (V. 2038 f.). Das Anstößige dieses Diktums müssen wir uns erst wieder vergegenwärtigen. Für Hegel ist dies offensichtlich anstößig; denn hiermit wird die Theorie, d. h. alle Wissenschaft und alle Philosophie herabgewürdigt.1 Oder Friedrich Schlegel erklärt im „Gespräch über die Poesie“, die Poesie sei der Urquell, von dem alles, auch die Wissenschaft ausgehe und zu dem alles zurückkehre, ein Gedanke, der sich teilweise schon bei Hamann und Herder und als ganzer ebenso beim jungen Schelling findet. Mit solcher Wissenschafts- und Vernunftskritik setzt Hegel sich auseinander; sein generelles Argument lautet: Vernunft und wissenschaftliche Erkenntnis sind in solcher Kritik unterbestimmt; wahre Vernunfterkenntnis ist nicht abstrakt, sondern konkret-allgemein, erfaßt somit auch das lebendige Seiende. Hegel unterscheidet jedoch von solcher uneingeschränkten Vernunfterkenntnis sowohl der reinen logischen Gedanken als auch des realen natürlichen und geschichtlichgeistigen Universums die begrenzte Bedeutung der endlichen Vernunft in der Phänomenologie. So soll im folgenden gezeigt werden, erstens daß die Vernunft in der Phänomenologie von 1807 eine bestimmte, aber vorläufige Weise des Fürwahrhaltens innerhalb einer systematischen Geschichte des Selbstbewußtseins darstellt, zweitens daß Anfangsund Endpunkt dieser Position des vernünftigen Fürwahrhaltens, an dem die Romantiker prinzipiell ihr Ungenügen finden, die Kantische theoretische und praktische Vernunft ist, über die Hegel vernunftimmanent hinausführen will, und drittens, wie die endliche Vernunft innerhalb des subjektiven Geistes in der Enzyklopädie einen neuen systematischen Stellenwert erhält und wie sie zur absoluten Vernunfterkenntnis steht. Am Schluß möge ein Hinweis auf die Bedeutung der nicht-instrumentellen und nicht-technischen endlichen Vernunft innerhalb einer modernen Subjektivitätstheorie stehen. 1 Vgl. G. W. F. Hegel: Ästhetik. Hg. von F. Bassenge. Berlin 1955. Nachdruck: Frankfurt a.M. o. J. II, 574.
Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie
I. Vernunft in der Geschichte des Selbstbewußtseins. Hegels Phänomenologie von 1807 Vernunft ist in der Phänomenologie von 1807 eine zentrale Weise des Fürwahrhaltens, die das Bewußtsein auf seinem Wege der „Bildung … zur Wissenschaft“ (GW 9, 56)2, nämlich zur sicheren wissenschaftlichen Erkenntnis durchläuft; vorausgehen Weisen des Fürwahrhaltens des Bewußtseins wie sinnliche Gewißheit, Wahrnehmung, Verstand und das Fürwahrhalten des Selbstbewußtseins; es folgen die Gestalten des Geistes und deren Weisen des Fürwahrhaltens. Nun kommt Vernunft nicht einfach als eine Fähigkeit unseres Geistes neben anderen wie Empfindung, Wahrnehmung, Verstand vor. Hegel spottet auch in der Phänomenologie wie schon im Skeptizismus-Aufsatz von 1802 über die damalige anthropologische bzw. psychologische „Hererzählung“ einer „Kollektion“ von Vermögen, als seien diese vorhanden in unserem Geist „wie in einem Sacke“ (GW 9, 169; vgl. GW 4, 237: „Sackvoll Vermögen“; vgl. auch 329). Hintergrund dieser Kritik ist das Programm einer systematischen idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins, wie Hegel es von Fichte und Schelling aufnimmt. Die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins hat, kurz gesagt, zwei grundlegende Aufgaben3: Zum einen hat sie in systematischer Stufenfolge, die durch ein Prinzip geregelt ist, die verschiedenen Fähigkeiten und Leistungen des Selbstbewußtseins darzulegen, bis dieses eine erfüllte Selbstbeziehung erreicht; durch diese Systematik und ihr Prinzip hebt sich die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins von der empirischen Anthropologie ab. Zum anderen muß sie zwischen betrachtendem und betrachte-
2 Vgl. hierzu Marx, W. 1981: Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimmung ihrer Idee in „Vorrede“ und „Einleitung“. 2. erw. Aufl. Frankfurt a.M., 45 ff. 3 Hierzu sei der Verweis erlaubt auf meinen Aufsatz: Hegels „Phänomenologie“ und die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins (zuerst: serbokroatisch in: Godišnjak za povijest filozofije 6, 1988, 32–48). Neue Fassung in: Hegel-Studien 28 (1993), 103–126. Dort wird auch deutlich, daß die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins einen empirischen Vorläufer hat in Condillacs Schilderung, wie an einer menschlichen Statue ein Vermögen nach dem anderen erwacht (vgl. Condillac, E. B. de 1754. Traité des sensations. 2 Bde. Paris). Hegel erwähnt diese Lehre Condillacs in der Enzyklopädie, vgl. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), GW 20, § 442 Anm.
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Klaus Düsing tem Ich auf den jeweils verschiedenen Stufen unterscheiden und zeigen, wie das thematisierte und erörterte, betrachtete Ich sich von Stufe zu Stufe mit Bestimmungen der Subjektivität anreichert, bis es dem betrachtenden Ich, das für die vollentwikkelte methodische und inhaltliche Position des erfüllten, selbstbezüglichen Ich steht, gleich wird und darin zur Vollendung gelangt. Schon aus diesem Aufbau ersieht man, daß die Selbstbeziehung des Selbstbewußtseins hier nicht nach einem Modell starrer und statischer Subjekt-Objekt-Beziehung gedacht wird. Die stufenartige Entwicklung des betrachteten Ich oder des Ich-Objekts geschieht hier über eine systematische Entfaltung von Fähigkeiten und Leistungen des Ich, in denen dieses in zunehmend komplexer Weise für sich wird, bis es sich schließlich in seiner vollendeten Selbstbeziehung erfaßt. Diese bestimmt Hegel als das „absolute Wissen“. Hegel ordnet freilich die Geschichte des Selbstbewußtseins in der Phänomenologie in einen gegenüber Fichte und Schelling neuen systematischen Kontext ein.4 Sie ist für ihn weder Bestandteil eines transzendentalen Idealismus als Grundlegung des Systems wie bei Fichte noch ein transzendentaler Idealismus als eine Art Geistesphilosophie wie bei Schelling; sie ist für Hegel vielmehr systematische Einleitung in das System, nämlich in die spekulative Logik als den ersten Systemteil.5 Diese Einleitungsfunktion erhält die Phänomenologie, nachdem Hegel in Jena zunächst mit einer solchen Einleitungsfunktion seine frühe Logik als Theorie der Reflexion und der endlichen Vernunft betraut hat. Erst als Hegel die Logik in spekulativer Bedeutung konzipierte und ihr die rein gedankliche Erkenntnis des Absoluten auftrug, wurde eine neue systematische Einleitung erforderlich, die Phänomenologie als Geschichte des Selbstbewußtseins, die die Entwicklung der Weisen des Fürwahrhaltens bis zum „absoluten Wissen“ darlegt. – Da hierbei aber keine der vorläufigen Arten des Fürwahrhaltens einer Prüfung 4 Vgl. zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Konzeptionen Schellings und Hegels in dieser Frage Marx, W. 1977: Aufgabe und Methode der Philosophie in Schellings System des transzendentalen Idealismus und in Hegels Phänomenologie des Geistes. In: Ders.: Schelling: Geschichte, System, Freiheit. Freiburg und München, 63–99. Vgl. ferner meinen in der vorigen Anmerkung erwähnten Aufsatz. 5 Vgl. dazu Fulda, H. F. 1975: Das Problem einer Einleitung in Hegels „Wissenschaft der Logik“. 2. Aufl. Frankfurt a.M.
Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie standhält, ist der geschilderte Weg des Selbstbewußtseins ein „sich vollbringender Skeptizismus“ (GW 9, 56), in dem das fürwahrhaltende Bewußtsein in weitem Sinne als Subjekt des Fürwahrhaltens auf jeder Stufe, die eine in sich abgeschlossene Bewußtseinsgestalt bildet, in Verzweiflung gerät. Der argumentative Fortgang innerhalb einer Stufe wird dabei durch eine „dialektische Erfahrung“ des Bewußtseins bewerkstelligt, in der es gewahr wird, daß das Gegenteil dessen, was es jeweils für das Wahre hielt, sich als das Wahre erweist. Diese Einsicht verursacht den Zweifel und die Verzweiflung des Bewußtseins. Daraus ergibt sich generell, daß in dieser Geschichte des Selbstbewußtseins als „sich vollbringendem Skeptizismus“ nicht die Fähigkeiten und Leistungen des Ich als solche erörtert und systematisch entwickelt werden, sondern nur, sofern sie Weisen des Fürwahrhaltens darstellen, also nicht etwa die Empfindung als solche, sondern die sinnliche Gewißheit. – Die Phänomenologie ist somit Geschichte des Selbstbewußtseins als „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins“, wie der ursprüngliche Zwischentitel lautete6; sie ist dies jedoch allein als systematische Einleitung in das System, speziell in die spekulative Logik und als „wissenschaftlicher Skeptizismus“, der die „dialektische Erfahrung“ des Bewußtseins und dessen jeweiligen Weg der Verzweiflung darstellt. Nur durch solchen Weg der Verzweiflung gelangt das Bewußtsein zum wahren Wissen. Diese Geschichte des Selbstbewußtseins als systematische Darlegung sich als unwahr erweisender Gestalten des Fürwahrhaltens, bis das wahre Wissen erreicht wird, ist für Hegel zugleich Phänomenologie oder Erscheinungslehre des Geistes. Die Gestalten des Bewußtseins und seines jeweiligen Fürwahrhaltens werden damit metaphysisch gedeutet als Erscheinungen des Geistes, der noch nicht in seiner Wahrheit auftritt. Die Geschichte des Selbstbewußtseins als Einleitung in die Logik und als „sich vollbringender Skeptizismus“ erhält damit ein spekulativ-metaphysisches Fundament. Ob dies allerdings dem Charakter der Einleitung, die doch erst metahysische Erkenntnis ermöglichen sollte, gerecht wird, bleibt fraglich.
6 Das Titelproblem ist gelöst in Nicolin, F. 1967: Zum Titelproblem der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien 4, 113–123.
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Klaus Düsing In diese Konzeption von Hegels Phänomenologie ist nun die Explikation der endlichen Vernunft als einer bestimmten Weise, das Wahre zu fassen, eingeordnet. Schon mit der vorangehenden Position des „Selbstbewußtseins“ wird nach Hegel „das einheimische Reich der Wahrheit“ (GW 9, 103) betreten. Für das Selbstbewußtsein ist das Wahre oder der Gegenstand von der Art des Selbstbewußtseins; Gegenstand bedeutet hierbei nicht etwa naturhaftes oder technisch hergestelltes Körperding, sondern hat die weite Bedeutung, noematisches Korrelat des vorstellenden Selbstbewußtseins zu sein, das das Selbstbewußtsein für das eigentlich Seiende und insofern Wahre hält. Aber dem Selbstbewußtsein ist sein Gegenstand noch ein anderes Selbstbewußtsein, auf das es sich negativ bezieht; deutlich wird dies insbesondere am Kampf auf Leben und Tod oder am Verhältnis von Herr und Knecht als Selbstbewußtseinsgestalten. Vernunft bedeutet demgegenüber das Fürwahrhalten des Selbstbewußtseins, das zu seinem Gegenstand, dem Selbstbewußtsein, ein positives Verhältnis gewinnt. So hat die Vernunft die Gewißheit, „alle Realität zu sein“ (GW 9, 133)7; solche Gewißheit schrieb Fichte dem reinen Ich zu. Das vernünftige Fürwahrhalten entdeckt, daß sein noematisches Gegenüber selbst ein positiv Vernünftiges ist. So ist das Vernünftige, das alle Realität ist, in seinem Begriff kein abstraktes und leeres, sondern ein erfülltes Allgemeines. Solches vernünftige Fürwahrhalten kommt in der Phänomenologie jedoch nur einem einzelnen Selbstbewußtsein zu; darin liegt die Vorläufigkeit auch dieses Fürwahrhaltens begründet. Das vernünftige Fürwahrhalten des einzelnen Selbstbewußtseins muß nun realisiert werden; diese Realisierung gliedert sich in eine Sequenz bestimmter Gestalten. Die erste Phase des Fürwahrhaltens ist das theoretische Erkennen der Natur und der Naturseite des Geistes aufgrund eines leitenden vernünftigen Prinzips; hier zeigt sich, daß das theoretisch Aufzunehmende und zu Erkennende ein nur vorgefundenes Vernünftiges ist. Bloß passives Vorfindlichsein aber ist nicht die eigentümliche Existenzweise des Vernünftigen für vernünftige Betrachtung. So sucht das Vernünftige sich in einer zweiten Phase aktiv zu 7 Vgl. J. G. Fichte-Gesamtausgabe. Abt. I, Bd. 2. Hg. von R. Lauth und H. Jacob unter Mitwirkung von M. Zahn. Stuttgart–Bad Cannstatt 1965, etwa 299.
Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie realisieren als einzelnes Selbstbewußtsein. Da zu Beginn die vernunft- und wissenschaftsfeindliche Position Fausts in Goethes Faust I erwähnt wurde, sei hier speziell auf Hegels kritische Deutung verwiesen. Hegel legt in dem Abschnitt: „Die Lust und die Notwendigkeit“ die Auffassung dar, daß Fausts Position sich ungewollt in ihrer paradoxen Konsequenz als vernünftig erweist. Faust wendet sich von der Wissenschaft ab und stürzt sich in dasjenige, was er für das Leben hält; er genießt Lust und Befriedigung der Begierde und bleibt darin in seiner Einzelheit befangen. Was er eigentlich sucht, ist dagegen erfüllte, lebendige Allgemeinheit. In der Erfahrung der Wesenlosigkeit der Lusterlebnisse des Einzelnen liegt – dies ist Hegels Argument – die schmerzhafte Einsicht verborgen, daß das Gegenteil dessen, was er für das Wahre hielt, die Lust des Einzelnen, das Wahre ist, die Notwendigkeit und das Schicksal, die freilich nicht unbegriffen bleiben dürfen, sondern die als erfüllte Allgemeinheit begriffen werden müssen. – Die dritte Phase des vernünftigen Fürwahrhaltens besteht in Versuchen der Realisierung der praktischen Vernunft des einzelnen Selbstbewußtseins, das in sich die sittlich erfüllte Allgemeinheit zu tragen beansprucht.
II. Anfangs- und Endpunkt der Entwicklung des vernünftigen Fürwahrhaltens Der Anfang und das Ende der Entwicklung des vernünftigen Fürwahrhaltens sind gekennzeichnet durch eine Auseinandersetzung Hegels mit Kants und Fichtes Prinzip des reinen Ich sowie mit Kants Begriff der praktischen Vernunft. Die Vernunft ist sich gewiß, „alle Realität zu sein“; dies ist nach Hegel das Prinzip des „Idealismus“ (GW 9, 133 u. ö.)8, das Kant in der Einheit der Apperzeption und Fichte in dem Grundsatz: „Ich bin Ich“ erfasse. Für Hegel ist darin enthalten, daß 8 Vgl. zur Interpretation Hyppolite, J. 1946: Genèse et structure de la phénoménologie de l’esprit de Hegel. Paris, 211–222; vgl. auch Labarrière, P. J. 1968: Structures et mouvement dialectique dans la phénoménologie de l’esprit de Hegel. Paris, 95 ff. Vgl. vor allem die detaillierte, wohlerwogene Interpretation, die auch Hegels Kant- und Fichtekritik am Anfang des Vernunftkapitels erläutert, von Kaehler, K. E./ Marx, W. 1992: Die Vernunft in Hegels Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a.M., 35–83.
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Klaus Düsing sich das Ich oder das Selbstbewußtsein nicht nur ein Gegenstand neben anderen ist, sondern einziger Gegenstand mit Ausschluß denkbarer anderer; es begreift sich wesentlich als alle Wahrheit in positiver Selbstbeziehung, und darin ist sein selbstbezügliches Fürwahrhalten allgemein und vernünftig; es erkennt in allem, was ist, wesentlich Selbstbewußtsein; dies gilt, wie sich dann erweist, auch für alles naturhaft Seiende als defizientes Selbstbewußtsein. So ist das reine Ich oder die Apperzeption Kategorie, d. h. allgemeine Grundbestimmung des Seienden überhaupt, von dem sich auf der Stufe der vernünftigen Selbstbeziehung zeigt, daß dies Seiende denkendes Wesen ist, oder die ontologische Bedeutung der Kategorie ist in sich egologisch. In der Realphilosophie von 1805/06 hatte Hegel erklärt: „Logos [ist] Vernunft, Wesen des Dings und Rede, Sache und Sage, Kategorie.“ (GW 8, 190)9 Hier wird die griechische, genauer Aristotelische Herkunft von Kategorie hervorgehoben als Einheit von gedanklicher Aussage und Bedeutung des Seienden. In der Phänomenologie wird dieser Logos subjektivitätstheoretisch gefaßt; er ist die Vernunft, die sich und alles als Selbstbewußtsein weiß. Diese Position der Vernunft reicht somit in Varianten von den Griechen bis zu Kant und Fichte; und sie ist grundsätzlich auch Hegels eigene Position. In der Darstellung der Phänomenologie haften dieser Position jedoch noch Vorläufigkeiten an, die Hegel u. a. im Rekurs auf seine Jenaer Kant- und Fichte-Kritik benennt und die generell darin bestehen, daß dies Vernünftige nur ein begrenztes Fürwahrhalten eines endlichen Selbstbewußtseins ist. Zum einen erklärt Hegel, daß die Position der Vernunft als Idealismus unmittelbar auftritt unter Vergessen des Weges, der zu ihr führt. Auch für die Gestalt des vernünftigen Fürwahrhaltens gilt, daß das Bewußtsein auf jeder Stufe neu und ohne Berücksichtigung der vorherigen Stufen beginnt. Darin liegt implizit der Vorwurf gegen die Kantische und insbesondere gegen die Fichtesche Philosophie, daß sie jeweils mit ihrem Prinzip anfangen, dessen Gültigkeit nur versichern können und keine systematische Einleitung zur Rechtfertigung dieses Prinzips voranschicken, wie Hegel dem System und der spekulativ-logischen Erkenntnis mit 9 Die Ergänzung folgt Hoffmeister (vgl. Hegel: Jenaer Realphilosophie. Hg. von J. Hoffmeister. Nachdruck: Hamburg 1967, 183).
Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie der Phänomenologie eine systematische Einleitung als Rechtfertigung dieser Erkenntnisweise vorausgehen läßt. Auch die beiden Einleitungen Fichtes in die Wissenschaftslehre von 1797 sind für Hegel offenbar nur äußerliche propädeutische Hinführungen, nicht aber systematische Einleitungen zur Rechtfertigung des Prinzips. Zum anderen faßt das idealistisch verstandene vernünftige Selbstbewußtsein die Kategorie nur als unmittelbare einfache Einheit auf und kann daher nicht begreifen, wie die Vielheit der Kategorien als Arten der Kategorie, d. h. des Ich, das für sich alle Wahrheit ist, daraus hervorgehen soll. Die Benennung dieser Vorläufigkeit ist zugleich ein Vorwurf vor allem gegen die Theorie Kants; die Vielheit der Kategorien als einen „Fund“ aus den Urteilsformen aufzunehmen, bezeichnet Hegel als „eine Schmach der Wissenschaft“ (GW 9, 135; vgl. auch 167 f.). Diese Kant-Schelte ist ihm mit Fichte und Schelling gemein. Der Vermeidung dieses Kant angelasteten Fehlers galt die systematische Kategorienentwicklung schon in Hegels früher Jenaer Logik von 1801/02; und noch in der Wissenschaft der Logik und in der „Enzyklopädie“ findet sich die gleiche Kritik an Kant (Vgl. GW 12, 44; GW 20, § 42 Anm.) sowie die Betonung, daß in der Logik die reinen Gedankenbestimmungen systematisch entwickelt werden müssen. Der Gerechtigkeit halber sei erwähnt, daß Kant in Briefen und Reflexionen eine eigenständige systematische Entwicklung der Urteilsformen und dementsprechend der Kategorien sehr wohl entworfen hat;10 aber dies konnten die Idealisten nicht kennen. Hintergrund für dieses eigentlich zur Logik gehörige Problem der systematischen Entwicklung der Kategorien ist in der Phänomenologie offenbar der von Hegel in der Jenaer Zeit mehrfach geäußerte Gedanke, daß die Logik Idealismus sei, wenn sie vom Kantisch-Fichteschen Prinzip des ,Ich denke‘ ausgehe. (Vgl. GW 4, 400; vgl. auch
10 Vgl. Reich, K. 1986: Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel. 3. Aufl. Hamburg. Zur neueren Literatur über die Systematik von Kants Urteilstafel vgl. die detaillierte Übersicht bei Brandt, R. 1991: Die Urteilstafel. Kritik der reinen Vernunft A 67–76; B 92–101. Hamburg, 9–43. – Daß die Urteilstafel und Kants Erläuterungen dazu in der Kritik der reinen Vernunft selbst schon die Anforderungen an systematische Entwicklung erfüllten, dürfte m. E. wohl zweifelhaft bleiben.
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Klaus Düsing GW 7, 3 f.)11 Das reine selbstbezügliche ,Ich denke‘ muß in seine ihm eigenen Bestimmungen oder Kategorien systematisch entfaltet werden. Im Vernunftkapitel der Phänomenologie skizziert Hegel hierzu seine Vorstellung: Das Prinzip des denkenden Selbstbewußtseins enthält in seiner Einheit, der selbstbezüglichen Identität, schon den Unterschied. Dieser muß nun eigentlich spekulativ-syllogistisch entfaltet werden in den Begriffsbestimmungen des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen; in ihnen weiß das Selbstbewußtsein jeweils spezifisch von sich; in deren Relationen und im geregelten Übergang von einer Bestimmung zur anderen erfaßt es sich schließlich insgesamt in seiner Denkbewegung. Es weiß als entfaltetes in dieser Struktur und dieser Bewegung des spekulativen Schlusses von sich, dessen Inhalt jene Begriffsbestimmungen sind.12 Diese Konzeption des erfüllten Wissens des Selbst von sich wird in der Phänomenologie vom vernünftigen Selbstbewußtsein jedoch nicht realisiert. Dessen Begrenztheit und Vorläufigkeit besteht letztlich nach Hegel darin, daß es, da es sich nicht immanent in seinen ihm eigenen Bestimmungen entfalten kann als bloß unmittelbar verstandene Einheit, inhaltsleer und insofern abstrakt bleibt. Deshalb muß bei Kant ein Mannigfaltiges von außen hinzutreten; deshalb konzipiert Fichte die Theorie des „Anstoßes“, der auf das Ich geschieht, damit weitere Entwicklung überhaupt möglich ist. Auch diese Kritik an der Leerheit des reinen Kantischen bzw. Fichteschen Ich hatte Hegel schon in Glauben und Wissen dargelegt. In der Phänomenologie hebt er deutlicher hervor, daß dieser Idealismus sich in einen grundlegenden Widerspruch begibt, nämlich für sein Prinzip, das vernünftige Ich, alle Realität zu beanspruchen und doch das
11 Vgl. Rosenkranz, K. 1844: Hegels Leben. Berlin, 188; dort findet sich das Hegel-Zitat (vermutlich aus der zweiten Hälfte der Jenaer Zeit): „Fichtes Wissenschaftslehre sowie Schellings Transzendentalidealismus sind beides nichts anders als Versuche, die Logik oder spekulative Philosophie rein für sich darzustellen.“ 12 In der Jenaer Realphilosophie von 1805/06 bemerkt Hegel einmal, daß die „Copula“ in einem solchen spekulativen Schluß, d. h. das Verbindende, logisch gesehen: der spekulative Mittelbegriff, der die Extreme zugleich in sich enthält, das Ich ist (vgl. GW 8, 197 Anm.). Zur weiteren Ausführung der subjektivitätstheoretischen Bedeutung des spekulativen Schlusses in der Logik sei der Verweis gestattet auf die Darlegung des Verf.s 1995. Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Hegel-Studien. Beiheft 15. 3. Aufl. Bonn, 203 f., vgl. 266 ff.
Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie Mannigfaltige oder den Anstoß als ein ihm Äußeres von ihm abzutrennen. Die Vernunft ist also, wie sich gezeigt hat, eine Weise des Fürwahrhaltens des Selbstbewußtseins, nach der das Ich als Prinzip des Idealismus sich gewiß ist, Kategorie, d. h. Einheit von Denken und Seiendem zu sein; aber es bleibt begrenzt und einseitig, da es unmittelbar auftritt und seine Gewißheit nur versichert, da es jene Einheit als eine einfache und unmittelbare versteht, die nicht entfaltet werden kann in innere Differenzierungen, und da es damit selbst leer und abstrakt ist und allererst erfüllt werden muß. Zunächst wird ihm die vernünftige, konkrete Einheit als in der Natur gegebene und vorfindliche einleuchtend; dabei verhält sich das vernünftige Fürwahrhalten als Naturerkennen. Aber die selbstbezügliche Vernünftigkeit kann sich zur Vernunft als Inhalt nicht passiv verhalten; sie muß ein spontanes, tätiges Verhältnis zum Vernunftinhalt des Vorgestellten entwickeln. Dies geschieht durch die praktische Vernunft und die verschiedenen Weisen ihrer Realisierung. Es ist eine und dieselbe Vernunft oder eine und dieselbe Gattung des Fürwahrhaltens des vernünftigen Selbstbewußtseins, das sich gewiß ist, Einheit von Denken und Seiendem oder alle Realität zu sein, und das diese Gewißheit einerseits theoretisch und anderseits praktisch zu realisieren sucht. Der Übergang zu praktischen Realisierungen der Vernunft beruht nach Hegels Darlegungen auf Defizienzen des theoretischen vernünftigen Erkennens. Auch in der Explikation der praktischen Realisierung der Vernunft, speziell ihrer höchsten Stufen als „gesetzgebende“ und „gesetzprüfende Vernunft“ bezieht sich Hegel kritisch auf Kant als den entscheidenden Repräsentanten der Aufklärung, die bis in seine eigene Zeit fortwirkt, und zwar auf Kants ethische Lehre von der praktischen Vernunft. Die Zurückweisung dieser Kantischen Lehre durch Hegel beruht offensichtlich auf einer anderen Vernunftkonzeption. Vor allem diese und weniger Hegels grundlegende Mißverständnisse von Kants ethischen Argumentationen13 seien hier hervorgehoben. 13 Vgl. dazu z. B. Görland, I. 1966: Die Kantkritik des jungen Hegel. Frankfurt a.M. 160 ff. Eine detaillierte immanente Interpretation der genannten beiden Abschnitte der Phänomenologie liefert Scheier, C.-A. 1986: Analytischer Kommentar
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Klaus Düsing Mit der Darlegung der „gesetzgebenden Vernunft“ erinnert Hegel an Kants ethische Autonomie; in der Entwicklung ihrer Widersprüche, wie Hegel sie sieht, aber wird sie ins Gegenteil verkehrt. Hegels Konzeption besteht darin zu zeigen, daß die subjektive Gewißheit des Selbstbewußtseins vom Vernunftinhalt, der sich als „sittliche Substanz“, als ein geschichtlich-konkretes sittliches Gemeinwesen erweist, abhängig ist und in Bezug darauf nur ein Moment bleibt. Die Gewißheit des Selbstbewußtseins in der Gesetzgebung ist nach Hegel lediglich – ganz anders als für Kant – das „Moment des Fürsichseins dieser Substanz“ (GW 9, 229. Zum Folgenden vgl. 229 ff.). Sucht das Selbstbewußtsein eigenständig bestimmte praktische Gesetze zu geben, so gerät es nach Hegel in den Widerspruch, etwas als absolut gültige Pflicht zu deklarieren, was doch unter einer Bedingung steht, und einen Inhalt des Wollens für praktisch notwendig zu erklären, der bloß zufällig ist. So kritisiert Hegel z. B. das neutestamentliche Liebesgebot, das Kant noch positiv aufnahm und als moralische Pflicht interpretierte: „Liebe deinen Nächsten als dich selbst“. Dies sei ein Wohltun aus zufälliger Empfindung, was Kant ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Es müsse ferner eingeschätzt werden, was für den Anderen gut und zweckmäßig sei; und dies Einschätzen sei, bloß vom Einzelnen ausgeübt, nicht substantiell; es bleibe im Grunde nur Hilfe in der Not übrig, die inhaltlich von zufälligen Umständen abhängig sei. Das Wohltun des Einzelnen, sofern es eine bestimmte Pflicht darstellen soll, wird von Hegel also als inkonsistent dargelegt. Signifikant für den Hintergrund dieser Auffassung ist Hegels Satz: „Das Verständige“, nämlich das Gute kennende, „wesentliche Wohltun ist … in seiner reichsten und wichtigsten Gestalt das verständige allgemeine Tun des Staats“ (GW 9, 231). Der Staat als sittliche Substanz ist nach Hegel der Garant für allgemeines, verständiges und erfolgreiches Wohltun; der Staat erfüllt nach dieser Ansicht am besten und am wirksamsten das neutestamentliche Liebesgebot. Angesichts dieser etatistischen Auffassung legt sich die Vermutung zu Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Architektonik des erscheinenden Wissens. 2. Aufl. Freiburg und München, 275–288; eine problemorientierte, die inhaltliche Gedankenentwicklung erhellende Darlegung geben Kaehler, K. E./Marx, W. 1992, 215–228.
Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie nahe, daß Hegel von der Civitas terrena grundsätzlich offenbar auch die Erfüllung der Aufgaben der Civitas Dei erwartet. Das Liebesgebot ist nur ein Beispiel für eine bestimmte Pflicht; Hegel kritisiert in der Phänomenologie alle bestimmten Pflichten, da sie die praktische Notwendigkeit von Handlungen bedeuten, deren gewollte bestimmte Inhalte zufällig sind. Dadurch sollen ganze Bereiche ethischer Reflexion irrelevant werden. Solche Zufälligkeit der Inhalte des Wollens sah freilich auch Kant, weshalb er das Sittengesetz als reine formale Allgemeinheit der Maximen konzipierte. Nach Hegels Vorstellung kann es allerdings bei der Zufälligkeit der Willensinhalte nicht bleiben, wenn Pflichten in der Wirklichkeit ausgeführt werden sollen. Hegels Beweisziel besteht hier darin zu zeigen, daß die „gesetzgebende Vernunft“ mit den von ihr vorgestellten inhaltlich bestimmten Pflichten inkonsistent wird. Die nächste Folge ist, daß vom bestimmten Inhalt zu abstrahieren und nur die formale Allgemeinheit gebotener Handlungen zu untersuchen ist. Dies geschieht durch die „gesetzprüfende Vernunft“. Hegel wendet sich hiermit – wie schon im Naturrechtsaufsatz von 1802 – wiederum gegen Kants Moralphilosophie, nämlich gegen Kants Kriterium der Moralität von Handlungen, das in der formalen Allgemeinheit der Maximen liegt. Hegels Argument dagegen ist dem vorigen äquivalent: eine bloß formal allgemeine Pflicht kann entgegengesetzte Inhalte in sich aufnehmen und damit Entgegengesetztes gebieten, das sich nach Hegel zudem jeweils in sich als inkonsistent erweist. Damit wird der Inhalt erneut zum internen Bestandteil der Allgemeinheit der Pflicht, was, wie erwähnt, auf Kants Lehre nicht zutrifft. Hegel hat bei seiner Kritik offensichtlich ein anderes Modell von praktischer Vernunft vor Augen: Die sich als autonom und gesetzprüfend ansehende Vernunft des einzelnen Selbstbewußtseins hat für Hegel in Wahrheit kein eigenständiges Bestehen; sie ist vielmehr nur das Moment des Fürsichseins und der Gewißheit der konkreten sittlichen Substanz, des Volkes, das in einem Staat lebt. Das Selbstbewußtsein als das Fürsichsein der sittlichen Substanz stellt diese sittliche Substanz als seine Vernunft thematisch vor. Die Gesetze oder die Pflichten, die es kennt, sind Regeln und Gesetze des Staates; andere Gesetze von substantieller sittlicher Bedeutung sieht Hegel nicht vor. Die
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Klaus Düsing sittliche Substanz aber ist kein unwirkliches Ideal, sondern der gegenwärtige Staat als Institution des Willens Aller. Hegel ontologisiert damit die praktische Vernunft als allgemeine Vernunft; (vgl. hierzu und zum Folgenden GW 9, 235 f.); er deutet sie als Substanz, innerhalb deren das Sich-Wissen des tätigen einzelnen Selbstbewußtseins nur Moment bleibt. In diesem Sich-Wissen des einzelnen Selbstbewußtseins weiß die sittliche Substanz von sich. Eine solche Vernunft als bestehende sittliche Substanz ist freilich nicht mehr genuin praktisch. – In dieser Vernunft als sittlicher Substanz ist die letzte Gestalt des vernünftigen Fürwahrhaltens als „gesetzprüfende Vernunft“ nach Hegel fundiert; die Vorläufigkeit auch dieser sittlich-substantiellen Vernunft aber besteht darin, daß ihr Wesen nur Substanz ist, die ihr Wissen allenfalls im einzelnen Selbstbewußtsein als ihrem Moment hat; ihr Wesen ist noch nicht derjenige Geist, der aus eigenem Wesen sich selbst weiß, und damit letztlich noch nicht vollständig sich wissende Subjektivität. Solches Wissen der Subjektivität von sich kommt für Hegel nur auf dem Boden des endgültigen, keinem Zweifel mehr unterliegenden Fürwahrhaltens zustande, auf dem Boden des „absoluten Wissens“.
III. „Vernunft“ als Moment des subjektiven Geistes in der Enzyklopädie Die grundlegende Veränderung der Phänomenologie innerhalb der Geistesphilosophie, ihre entscheidende inhaltliche Verkürzung um mehr als die Hälfte und ihre Beendigung schon mit dem „Vernunft“-Kapitel, das selbst abbreviativ bleibt, sowie ihre Verbindung mit der „Psychologie“ findet schon in den Schulkursen in Nürnberg statt. Da eine historisch-kritische Edition hierzu noch fehlt und eine historische Rekonstruktion dieser Abänderungen bisher zu bedeutsamen Teilergebnissen geführt hat, aber noch nicht abgeschlossen ist,14 mögen hier folgende 14 Vgl. hierzu Rameil, U. 1988: Der systematische Aufbau der Geisteslehre in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: Hegel-Studien 23, 19–49; ferner ders. 1990: Die Phänomenologie des Geistes in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“. Hg. von L. Eley. Stuttgart–Bad Cannstatt, 84–130.
Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie Bemerkungen genügen: Schon in der „Geisteslehre“ für die Mittelklasse von 1808/09 plant Hegel der Sache nach einen Übergang von der „Phänomenologie“ in die „Psychologie“, der jedoch nach Hegels Bericht erst ein Jahr später durchgeführt wird. Schon in diesem Kurs von 1808/09 endet die „Phänomenologie“ mit einer Kurzfassung des „Vernunft“-Kapitels. Die erste heute erhaltene „Psychologie“ stammt von 1810/11. Hinzugefügt sei, daß Hegel aufgrund der Vorschriften des bayerischen „Normativs“, eines allgemeinen Lehrplans, an der Schule in Nürnberg Psychologie zu lesen hatte. Daraus entwickelt Hegel den Gesamtkontext der verkürzten „Phänomenologie“ und der „Psychologie“ in seinem Sinne. Die Nürnberger propädeutischen Entwürfe enthalten so zumindest in der Anlage, was Hegel dann im Kontext der Enzyklopädie in den drei Auflagen näher, wenn auch immer noch in geraffter Zusammenfassung entwickelt; die in Berlin geplante ausführlichere Schrift über Philosophie des subjektiven Geistes kommt nicht zustande.15 Die inhaltlichen Abänderungen der Phänomenologie, die nun mit dem „Vernunft“-Kapitel in die „Psychologie“ überleitet, sind wesentlich durch den neuen systematischen Kontext der Philosophie des subjektiven Geistes begründet. Dabei hält der späte Hegel an der früheren Phänomenologie als notwendiger systematischer Einleitung in die spekulative Logik prinzipiell noch fest.16 – Die „Phänomenologie“ als Teil der Philosophie des subjektiven Geistes, die die spekulative Logik systematisch voraussetzt, kann erstens nicht systematische Einleitung in diese Logik sein. Daraus folgt, daß die Positionen des Bewußtseins, Selbstbewußtseins und der Vernunft ein anderes Verhältnis zu Kategorien der Logik haben als in der Konzeption der Phänomenologie als Einleitung; sie beruhen auf explizit schon entwikkelten Kategorien. Die „Phänomenologie“ als Teil der Philosophie des subjektiven Geistes kann daher zweitens kein „sich vollbringender Skeptizismus“ mehr sein. Die Abfolge der Be15 Vgl. auch Hegels Stichworte und Gliederungen zum subjektiven Geist in der Berliner Zeit: Ein Hegelsches Fragment zur Philosophie des Geistes. Eingeleitet und hg. von F. Nicolin. In: Hegel-Studien 1 (1961), 9–48 sowie Hegels Vorlesungsnotizen zum subjektiven Geist. Eingeleitet und hg. von F. Nicolin und H. Schneider. In: Hegel-Studien 10 (1975), 11–77. 16 Vgl. z. B. in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik (1831), s. GW 21, 32. Vgl. zu diesem Problem Fulda, H. F. 1975, 22 ff., 83 ff.
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Klaus Düsing wußtseins- und Selbstbewußtseinsstufen ist kein Weg des Zweifels und der Verzweiflung, der an die Einleitungskonzeption gebunden ist. Diese „Phänomenologie“ legt infolgedessen drittens auch innerhalb der einzelnen Stufen keine „dialektische Erfahrung“ des Bewußtseins mehr dar, die wiederum zu jenem „sich vollbringenden Skeptizismus“ und damit zur Einleitungskonzeption gehört. – Die „Phänomenologie“ innerhalb der Philosophie des subjektiven Geistes bleibt jedoch systematische, idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins. Hegel wendet sich erneut gegen die damalige empirisch-psychologische „mechanische Sammlung“ von „Kräften“ des Geistes17 und fordert eine prinzipiengeleitete organisch-systematische Entwicklung von Fähigkeiten und Leistungen des Geistes, die nicht mit inadäquaten, nur für Naturseiendes geltenden Bestimmungen charakterisiert werden. Die systematische Geschichte des Selbstbewußtseins in „Phänomenologie“ und „Psychologie“ innerhalb der Theorie des subjektiven Geistes gilt jedoch nun nicht mehr einer Stufenfolge von Weisen des Fürwahrhaltens, weil dies wiederum zur Einleitungskonzeption gehört, sondern einer geregelten Abfolge der Fähigkeiten und Leistungen des subjektiven Geistes selbst, in deren Ausübung und in deren Konstitutionsprodukten dieser sich stufenweise selbst begreift. Die „Phänomenologie“ innerhalb der Philosophie des subjektiven Geistes stellt den endlichen Geist in seiner Entzweiung dar, nämlich im gegensätzlichen Verhältnis von Bewußtsein bzw. Selbstbewußtsein einerseits und Gegenstand andererseits. Diese „Phänomenologie“ endet folgerichtig mit der Position der Vernunft als der Rückführung dieser entzweiten Momente in die Einheit. Die Vernunft repräsentiert die Einheit der Idee auf der Stufe des endlichen Selbstbewußtseins; sie ist Identität der Subjektivität und der Objektivität als entwickeltes Ich; dies findet in sich die Allgemeinheit des Objekts und weiß sich als „über das 17 Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), s. GW 20. § 445 Anm. Vgl. auch § 451 Zusatz (TW 10, 257). Zur Bedeutung der Geschichte des Selbstbewußtseins in Hegels Philosophie des subjektiven Geistes vgl. Lugarini, L. 1979: Die ,vernünftige Betrachtungsweise‘ des Geistes in der Hegelschen Psychologie. In: Hegels philosophische Psychologie. Hg. von D. Henrich. HegelStudien. Beiheft 19. Bonn, 141–158, ebenso Düsing, E. 1986: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln, 328 ff.
Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie Objekt übergreifende“ (GW 20, § 438 (nur in der dritten Auflage)) Subjektivität, die sich begreift; darin besteht für das Ich alle Wahrheit. Diese Position der Vernunft wird nur im Überblick charakterisiert; es werden keine speziellen, konkreten Gestalten vernünftigen Selbstbewußtseins geschildert wie in der Phänomenologie von 1807; Vernunft bedeutet auch keine vorläufige Weise des Fürwahrhaltens. Mit der „Vernunft“ wird vielmehr der in Ich und Objekt entzweite Geist nur im allgemeinen zu einer höheren, und zwar vermittelten Einheit entwickelt. Die Vernunft als diese Einheit bildet die generelle Grundlage der philosophischen „Psychologie“ und ihrer zusammenhängenden Explikation der Fähigkeiten und Leistungen des Geistes, der in sich bleibt und zunehmend vernünftige Selbsterkenntnis in sich hervorbringt. Diese wird erreicht im vernünftigen Denken des subjektiven Geistes, das spekulativ-syllogistisch von sich weiß.18 – Hegel verwendet hierbei das durch Kant in der Deduktion der Kategorien allererst fundierte und durch Reinhold als allgemeines, ursprüngliches Prinzip gefaßte Modell der Selbstbeziehung des Selbstbewußtseins als Subjekt-ObjektBeziehung, das für Hegel zum Modell der Selbstbeziehung als Identität von Subjekt und Objekt wird, die den Unterschied in sich enthält. Dies in der Geistesphilosophie verwendete Modell beruht auf der in der Logik dargelegten spekulativen Einheit von Subjektivität und Objektivität des reinen Denkens seiner selbst. Diese Einheit wird dort aber erst stufenweise aus ganz anderen Verhältnisbestimmungen entwickelt; sie ist für Hegel Resultat immer komplexer werdender reiner Beziehungsweisen und ihrer Relata; sie wird also keineswegs einfach angesetzt oder gar vorausgesetzt, sondern durch solche ideale Genesis allererst konstituiert und damit zugleich begründet. Sie ist es, die die kategoriale Grundbestimmung für jene selbstbezügliche Vernunftidentität des subjektiven Geistes darstellt.
18 Zur Interpretation dieses Denkens des subjektiven Geistes sei der Verweis auf die Darlegung des Verfassers erlaubt: Hegels Begriff der Subjektivität in der Logik und in der Philosophie des subjektiven Geistes. In: Hegels philosophische Psychologie. Hg. von D. Henrich. Hegel-Studien. Beiheft 19. Bonn 1979, 201–214.
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VI. Schluß Vernunft bedeutet also je nach systematischem Kontext für Hegel erstens eine Weise endlichen Fürwahrhaltens, nach der das Wissen des Ich von sich als Einheit von Denken und Seiendem konzipiert wird; diese Einheit darf, wie Hegel gegen Kant und Fichte erklärt, weder in theoretischer noch in praktischer Hinsicht abstrakt und formal bleiben, sondern muß als konkrete Einheit entwickelt werden. Über die Kantische und Fichtesche Begrenzung der formalen Vernunft führt also nicht die Berufung auf die ästhetische und poetische Anschauung oder das Gefühl hinaus, wie sie die Romantiker vornahmen, sondern vielmehr solche Konzeption der in sich konkreten Vernunft. Vernunft bedeutet zweitens ein Moment des realen subjektiven Geistes, nämlich die Rückkehr des in Bewußtsein bzw. Selbstbewußtsein und Gegenstand entzweiten Geistes in seine Einheit, die eine sich wissende Einheit von Subjektivität und Objektivität des Selbstbewußtseins ist. Diese wird eigens explizit im SichDenken des subjektiven Geistes. Solche Vernunft ist drittens fundiert in einer spekulativen, unendlichen Einheit, die Hegel auch als absolute Vernunft ansieht und die die Einheit der absoluten, sich in allem wissenden, über die Objektivität „übergreifenden Subjektivität“ (GW 20, § 215 Anm.; vgl. § 214 und § 577) ist. Man kann sicherlich Einwände gegen die absolute Metaphysik vorbringen, zu der Hegels Theorie der absoluten und auch der endlichen Subjektivität gehört. Von unbestreitbarer systematischer Bedeutung aber ist Hegels subjektivitätstheoretische Konzeption der Vernunft in den verschiedenen Kontexten. Vernunft ist jeweils die Einheit des Wissens von sich. Hegel verwendet dabei durchaus reflektiert das Selbstbewußtseinsmodell der Subjekt-Objekt-Beziehung und Subjekt-Objekt-Einheit, das für ihn aus anderen Weisen der Beziehung und Selbstbeziehung entsteht; es ist ein Selbstbeziehungsmodell neben anderen, für Hegel freilich das entscheidende. Eine moderne Subjektivitätstheorie kann aus dieser Hegelschen Theorie durchaus inhaltliche und methodische Einsichten für Strukturbestimmungen der Selbstbeziehung gewinnen. – Ferner ist Hegels Konzeption der Bedeutungen der Vernunft in den verschiedenen Kontexten keineswegs von der Grundbedeutung einer instrumentellen
Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie oder einer technischen Vernunft beherrscht. Vernunft bedeutet vielmehr – wie schon in der griechischen Logos-Ontologie – eine ontologische Struktur als Einheit des Wissens und des Seienden, welche Einheit für Hegel freilich der existierenden Subjektivität zukommt. Aber diese bemächtigt sich weder ihrer Welt noch des Seienden, um etwa dessen genuinen Sinn zu verbergen, sondern erkennt das eigentlich Seiende als sich selbst, als Subjektitvität. Darin liegt zugleich – gegen die Romantiker und speziell den jungen Schelling gewendet –, daß das Denken Vorrang vor der Poesie in der erfüllten Selbstbeziehung des Selbstbewußtseins hat. Das Selbst erfaßt sich wesentlich im Denken. Obwohl dies Denken dialektisch und d. h. in Widersprüchen vorgeht, hält Hegel am Vorrang der Einheit vor jeder Vielheit fest; sonst geht jede argumentative Konsistenz verloren. So steht Hegels Theorie der Vernunft in der Kontinuität der griechischen Ontologie des Logos und ist als Subjektivitätstheorie zugleich in bestem Sinne modern.
Literatur Brandt, R. 1991: Die Urteilstafel. Kritik der reinen Vernunft A 67–76; B 92–101. Hamburg. Condillac, E. B. de 1754: Traité des sensations. 2 Bände. Paris. Düsing, Edith 1986: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln. Düsing, Klaus 1979: Hegels Begriff der Subjektivität in der Logik und in der Philosophie des subjektiven Geistes. In: Hegels philosophische Psychologie. Hg. von D. Henrich. Hegel-Studien. Beiheft 19, 201–214. Düsing, Klaus 31995: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. HegelStudien. Beiheft 15. Düsing, Klaus 1993: Hegels „Phänomenologie“ und die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins. In: Hegel-Studien 28, 103–126. Fulda, Hans Friedrich 1975: Das Problem einer Einleitung in Hegels „Wissenschaft der Logik“. 2. Aufl., Frankfurt a.M. Görland, Ingtraud 1966: Die Kantkritik des jungen Hegel. Frankfurt a.M. G. W. F. Hegel: Ästhetik. Hg. von F. Bassenge. Berlin 1955. Nachdruck: Frankfurt a.M. o. J. 2 Bde. Hyppolite, Jean 1946: Genèse et structure de la phénoménologie de l’esprit de Hegel. Paris. Kaehler, K. E., Marx, Werner 1992: Die Vernunft in Hegels Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a.M. Labarrière, P. J. 1968: Structures et mouvement dialectique dans la phénoménologie de l’esprit de Hegel. Paris.
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Klaus Düsing Lugarini, A. 1979: Die ,vernünftige Betrachtungsweise‘ des Geistes in der Hegelschen Psychologie. In: Hegels philosophische Psychologie. Hg. von D. Henrich. Hegel-Studien. Beiheft 19, 141–158. Marx, Werner 1977: Aufgabe und Methode der Philosophie in Schellings System des Transzendentalen Idealismus und Hegels Phänomenologie des Geistes. In: Ders.: Schelling: Geschichte, System, Freiheit. Freiburg, München, 63–99. Marx, Werner 1981: Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimmung ihrer Idee in „Vorrede“ und „Einleitung“. 2. erw. Aufl. Frankfurt a.M. Nicolin, Friedhelm 1961 (Hg.): Ein Hegelsches Fragment zur Philosophie des Geistes. Eingeleitet und hg. von F. Nicolin. In: Hegel-Studien 1, 9–48. Nicolin, Friedhelm 1967: Zum Titelproblem der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien 4, 113–123. Nicolin, Friedhelm, Schneider, Helmut 1975 (Hg.): Hegels Vorlesungsnotizen zum subjektiven Geist. Eingeleitet und hg. von F. Nicolin und H. Schneider. In: Hegel-Studien 10, 11–77. Rameil, Udo 1988: Der systematische Aufbau der Geisteslehre in Hegels Nürnberger Propädeutik. Hegel-Studien 23, 19–49. Rameil, Udo 1990: Die Phänomenologie des Geistes in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“. Hg. von L. Eley. Stuttgart– Bad Cannstatt, 84–130. Reich, K. 31986: Die Vollständigkeit der Kantischen Urteilstafel. Hamburg. Rosenkranz, Karl 1844: G. W. F. Hegels Leben. Berlin. Scheier, Claus-Artur 21986: Analytischer Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Architektonik des erscheinenden Wissens. Freiburg, München.
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit
Marcos Bisticas-Cocoves
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit
The fifth chapter of Hegel’s 1807 Phänomenologie des Geistes offers, at first glance, excellent fodder for his critics. The putative subject matter of the chapter is reason, yet it contains the seemingly irrational juxtaposition of phrenology, Faust, and the categorical imperative. Its style resembles a pastiche, encompassing dense analysis, poetic flight, oblique reference, and vituperative critique. In short, “Reason” appears to present an excellent example of “senseless and maddening words” that form “the instrument of the most ponderous and general mystification that has ever existed.”1 First impressions are not everything, however: The chapter on reason contains a coherent argument. Its unity can be expressed in several ways. First, the chapter is consistent with Hegel’s larger argumentative strategy; it is only with an eye to the whole of the project of the Phenomenology that we can understand the argument of “Reason.” Further, the chapter possesses a unity of example: Above all, Hegel’s goal in the chapter on reason is a coming to terms with the history of German Idealism; the targets of his critiques, and the tools he uses to attack, can often be found in Kant, Fichte, and Schelling.
1 Schopenhauer, A. 1958: The World as Will and Representation, translated by E. F. J. Payne, New York, vol. I, 429; cf. Sämtliche Werke, edited by Wolfgang Frhr. von Löhneysen, Stuttgart–Frankfurt a.M. 1960, 579–80.
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Marcos Bisticas-Cocoves A detailed exegesis of the chapter on reason would require a book.2 The goal of this paper is more limited: It will try to outline a strategy for reading the chapter. This strategy is twopronged: First, it requires an exposition of the general movement of the text as a whole and its reflection in the chapter on reason; second, it demands the differentiation of various levels of argument in the text. It will therefore address both of these points, and then proceed to a sample reading of “The Actualization of Rational Self-Consciousness through Itself,” the second section of “Reason.”
I. Movements The title of the fifth chapter of the Phenomenology is the “Gewißheit und Wahrheit der Vernunft,” the “Truth and Certainty of Reason.” To understand the significance of this title, we must understand the chapter’s place in the text; therefore, some general remarks concerning the structure of the Phenomenology are in order. The Phenomenology is not simply the exposition of an argument, but a movement towards an end. This goal goes by several names: Hegel calls it both “absolute knowing” and “speculative philosophy”; it is the point where consciousness possesses adequate knowledge of its object, where it’s certainty is adequate to the truth. The movement of the text can be characterized in a number of ways. Most clearly, it is a linear path towards absolute knowing. The point of origin for this movement is natural consciousness. The movement itself is the experience of consciousness. Knowledge proceeds towards its goal through a series of discreet stages or “shapes of consciousness.” Each of the chapters corresponds to a shape of consciousness. These stages do not have equal value; rather, they entail a real development, where each stage contains and goes beyond its predecessor in the quest for knowledge. The Phenomenology also possesses a triadic movement. The table of contents divides the chapters of the text into three 2 In fact, one has been written; see Kaehler, K. E. and Marx, W. 1992: Die Vernunft in Hegels Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a.M.
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit groups. The first three chapters (“Sense-Certainty,” “Perception,” and “Force and the Understanding”) fall under the rubric of “Consciousness.” The fourth chapter, “the Truth of SelfCertainty,” is called “Self-Consciousness.” The last four chapters (“Reason,” “Spirit,” “Religion,” and “Absolute Knowing”) form the final group. This formal division provides substantive content for the argument of the text. As stated above, the goal of the text is the point where consciousness adequately knows its object, where certainty is equal to truth. In “Consciousness,” the focus remains on the object and the attempts of consciousness to know it directly. After the failure of these attempts, consciousness is thrown back upon itself, it attempts to know itself, and it attains “Self-Consciousness.” Yet this one-sided focus on the knower does no justice to the object; thus, in the final section of the text, Hegel treats the increasingly intimate relation of the knower and the known. This triadic movement, from object to consciousness to their unity, does not merely characterize the book as a whole, but is reflected in particular chapters as well. Thus, for instance, “Sense-Certainty” begins with an attempt at unmediated knowledge of the object. When this fails, consciousness tries to grasp the process of knowing by turning to itself as an immediate knower. When this too leads to incoherence, it attempts to see the whole of the process of knowing in its immediacy. This understanding of the movement and goal of the text is crucial for a reading of “Reason.” First, both the title of the chapter and the triadic structure of the text as a whole point to the fact that reason forms a turning point for consciousness: Not only has certainty attained to the truth in the chapter, but the last moment of the triadic movement of the text begins with “Reason.” Hegel emphasizes the centrality of the chapter by identifying the perspective of reason with idealism: “Reason is the certainty of consciousness that it is all reality; thus does idealism express its concept.”3 Consciousness looks at the world rationally, and the world looks back rationally.
3 Hegel, G. W. F.: Phenomenology of Spirit, translated by A. V. Miller, Oxford 1977, 140 (hereafter, Miller); cf. GW 9, 133.
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Marcos Bisticas-Cocoves Further, the triadic structure of the text is reflected in “Reason.” The chapter has three major sections: “Observing Reason,” “the Actualization of Self-Consciousness through Itself,” and “the Individuality Which is Real in and for Itself” (hereafter, “Observing Reason,” “Active Reason,” and “Individuality”). Thus, reason begins with knowledge of an object (“Observing Reason”), it continues with knowledge of itself (“Active Reason”), and finishes with the unity of the knower and the known (“Individuality”). Similarly, the three sub-sections of “Observing Reason” display the same pattern: The “Observation of Nature” is concerned with the object, “Logical and Psychological Laws” with consciousness, and “Physiognomy and Phrenology” with consciousness taken as an object. Finally, reason not only parallels the development of the text as a whole, it repeats the preceding experience of consciousness on a higher level. “Observing Reason,” with its focus on objectivity, explicitly recapitulates “Consciousness.” (Miller 145; GW 9, 137) “Active Reason” and “Individuality” echo the lessons of “Self-Consciousness”: “Active Reason,” with its focus on intersubjectivity and struggle, develops the themes of “Lordship and Bondage,” while “Individuality,” with its emphasis on the isolated individual mediating its relation to the universal, reiterates the “Freedom of Self-Consciousness.”
II. Levels To understand the movement of the text and the role of reason within that movement better, we must further differentiate the rhetorical and argumentative structure of the text. In particular, we must recognize that the text is written simultaneously on a number of levels. The argument of the Phenomenology has two primary levels. On the one hand, there is the experience of consciousness on its path to absolute knowing. On the other, there is a framing metadiscussion that takes place on the level of speculative philosophy. Hegel identifies the first level as for consciousness. The second he identifies as for us, the speculative observers of the experience of consciousness, we who have already attained to the truths of logic and can make sense of that which makes no sense to
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit consciousness. For brevity’s sake, I will call the first level “phenomenological,” the second “logical” or “speculative.” The relation of the phenomenological to the logical is complex. The Phenomenology records the experience of consciousness on its way to speculative philosophy. Each shape of consciousness undergoes a discreet form of experience; yet the progress from one form to another is beyond consciousness. We, the speculative observers, go behind the back of consciousness and contribute the link between stages. We see what the experience of consciousness means implicitly; as such, we provide the starting point for the new stage of consciousness. This distinction between levels is important for the argumentative and rhetorical structure of the book. In the early chapters, there is a clear distinction between two sorts of text; for example, “Sense-Certainty” begins with a brief excursus on the speculative level, in which the departure point for consciousness is identified as the immediate (das Unmittelbare), the singular (das Einzelne), or as being (Sein). Consciousness then proceeds garners its experience on the phenomenological level, and the chapter ends with the result of this dialectic, the universal (das Allgemeine), restated on the speculative level. This tripartite structure remains clear in “Perception”; some of the notorious difficulties in “Force and the Understanding” can be attributed to the lack of a clear distinction between argumentative levels. With “Self-Consciousness,” another pattern begins: Each of the chapters (“Reason” included) begins with a long introduction on the speculative level which is set off from the text proper. In “Reason,” each of the introductions to the major sections is also written from the speculative perspective. It is only when we arrive at the subsections that we encounter the experience of consciousness; and there, too, we have both logical and phenomenological text. Logic does not only frame the phenomenological discussion, it also underlies it. Each shape of consciousness corresponds to a logical determination (Miller 491; GW 9, 432); the experience of consciousness is a training in speculative philosophy. Therefore, to understand reason, we must understand the logical determination that underlies the chapter. The logical determination can be described in three ways. First, it can be characterized as a wissendes Wissen, a “knowing
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Marcos Bisticas-Cocoves knowledge.” Hegel conducted lectures on the philosophy of spirit in 1805/06, simultaneous with the composition of the Phenomenology. The notes to these lectures contain a brief sketch of a speculative logic; some have argued quite convincingly that this is the logic that underlies the Phenomenology.4 The determinations of this logic fall into two groups of three: being (Sein), relationship (Verhältnis), life and cognition (Leben und Erkennen); and then knowing knowledge (wissendes Wissen), spirit (Geist), and knowledge of spirit of itself (Wissen des Geistes von sich) (GW 8, 286). As Pöggeler has argued, the determinations can be mapped onto the Phenomenology, with wissendes Wissen corresponding to reason.5 What, then, is a “knowing knowledge”? Perhaps it is a knowledge that knows that it knows; one that is confident that the world can be known, that it will find its own rational structure in the world. Perhaps a “knowing knowledge” is an attempt to recast a Kantian transcendental logic, in much the way that Hegel attempts to do so with the “subjective logic” in the Nuremberg Wissenschaft der Logik. Such a possibility is implicit in Hegel’s engagement with idealism in general, and Kant and Fichte in particular, in the introduction to the chapter. That said, Hegel does not mention wissendes Wissen in the chapter explicitly. What he does discuss, however, is the category (die Kategorie), and perhaps we can identify these determinations with each other. The category is the unity of being and essence as a thinking actuality (Miller 142; GW 9, 134). In “Observing Reason,” the category is found on the side of the object, in “Active Reason” on the side of consciousness, and in “Individuality” in the unity of consciousness and its object. Thus, observing reason is confident that it will find the unity of the being and essence; that is, it is confident that it will find the reflection of its rationality in the law-governed nature of con-
4 See, for instance, Fulda, H. F. 1966: Zur Logik der Phänomenologie von 1807. In Hegel-Studien. Beiheft 3, 75–101; Pöggeler, O. 1993: Hegels Phänomenologie des Selbstbewußtseins. In: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Second edition, Freiburg, München, 231–98, esp. 268 ff.; and Trede, J. H. 1975: Phänomenologie und Logik. In: Hegel-Studien 10, 173–209. 5 Pöggeler, O. 1988: Ansatz und Aufbau der Phänomenologie des Geistes. In: Journal of the Faculty of Letters. Vol. 13, Tokyo, 11–36, esp. 21 ff.
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit crete things. Active reason tries to realize the unity of being and essence; that is, it tries to force its idea of the good on the world. Finally, individuality is the category: The categorical imperative is nothing but the assertion that the law or essence can be derived or tested by the concrete individual consciousness. Hegel expresses the logical relations inherent in reason in a third way: Reason is nothing but the progressive mediation of universality (Allgemeinheit) on the one hand and individuality or singularity (Einzelnheit) on the other. Hegel often makes recourse to this language, further identifying the universal with essence and mediation, the singular with actuality (Wirklichkeit) and immediacy. Thus, for example, the task of classification in observing reason is finding the universal in individual things; the pleasure and necessity is about the inevitable universal consequences of singular acts of pleasure; and the making of law is about the singular individual creating universally valid law. A final key to understanding the phenomenological development of consciousness rests in Hegel’s use of example. Hegel explicates the experience of consciousness by means of examples taken from philosophy, history, and literature. Thus, the “Freedom of Self-Consciousness” is illustrated through the examples of stoicism, skepticism, and the Christian religion; Sittlichkeit is presented through the example of Greek drama, in particular through Sophocles’ Antigone; and “Conscience” is exemplified in Jacobi’s Woldemar. Since the standpoint of reason is that of idealism, it is no surprise that Hegel’s examples in the chapter are often drawn from Kant, Fichte, and Schelling. Thus, the final moment of the “Observation of Nature” is an implicit critique of Schelling’s philosophy of nature. Similarly, Hegel clearly has Kant, and, to a lesser extent, Fichte, in mind in his discussion of the making and testing of law; less obviously, but equally the case, is the criticism of Kant’s practical philosophy in “Virtue and the Way of the World.” Finally, idealism provides the chapter a broader unity. Just as Kant’s philosophy moves from the theoretical to the practical, so the movement and the examples in reason begin with the theoretical (in “Observing Reason”) and move to the practical (in “Active Reason” and “Individuality”). Not all of Hegel’s examples are taken from idealism, however; rather, he surveys the rationalism of his day. Thus, the observa-
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Marcos Bisticas-Cocoves tion of nature discusses not only Kant and Schelling, but also Aristotle, Linnaeus, Benjamin Franklin, J. J. Winterls, F. A. C. Gren, G. T. Treviranus, and H. Steffans, among others. His consideration of physiognomy takes Lavater as its chief example, while Gall’s work is the departure point for his discussion of phrenology. As we shall see in the next section, the examples of active reason include Goethe’s Faust I, Rousseau’s Émile, Schiller’s The Robbers, and Cervantes’s Don Quixote. A question remains: Does the argument dictate the example, or the example the argument? Perhaps the question is misplaced; history, philosophy, and literature are not contingent occurrences for Hegel, but part of a world-historical development; perfectly appropriate examples of the experience of consciousness will present themselves, and in fact must necessarily present themselves, for they are products of a consciousness that has a necessary development and expression. Be that as it may, one cannot help but wonder if, for example, “Pleasure” could have an example other than Faust: For, if the experience of consciousness is a training in logic, and if that experience is valid for all consciousnesses, then thousands of examples of pleasure must present themselves every day.
III. A Reading of Active Reason As we have seen, “Reason” demands a reading that is sensitive to its place in the Phenomenology and to the multi-level structure of the text. As an example of how the chapter could be read, I would like to turn to its second section, “The Actualization of Rational Self-Consciousness through Itself” or, as Hegel also refers to it, “Active Reason.” The section possesses an introduction and three subsections: “Pleasure and Necessity,” “The Law of the Heart and the Madness of Self-Conceit,” and “Virtue and the Way of the World.” In what follows, I will deal with the introduction and each subsection separately.
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit The “Introduction” Active reason begins with a thirteen-paragraph introduction. The discussion takes place completely on the speculative level; we are not yet directly concerned with the experience of consciousness, but with the background necessary to comprehend that experience. The introduction has four parts: The first concerns the transition from conscious to self-conscious reason and the general path of self-consciousness in the chapter (paragraphs 1–2);6 the second, the category of substance (para. 3–6); the third, the relation of substance to the discussion at hand (para. 7–11); while the fourth is an a synopsis of what is to come (para. 12–13). The object before us is now self-consciousness (para. 1). In phrenology, we have a complete (if relatively immediate) penetration of inner and outer, of universal and singular, of consciousness and object. Insofar as both consciousness and object are determined as self-consciousness, we have reached our goal: the adequacy of concept to object, truth to certainty. Consciousness sees itself in the object; the object is no longer alien to it. In fact, we have made the transition to self-consciousness. The development of active reason will also parallel that of self-consciousness; it will be a movement from independence to freedom (para. 2). That said, however, there is no neat one-toone correspondence of its moments to self-consciousness; still, we will see the outlines of Begierde in Lust, of the struggle for self-consciousness in the battle for virtue, and of work in the process of actualization. For us, the result of the experience of observing reason is substance (para 3). Substance is the interpenetration of the consciousness and its object, of actuality and essence, and of the universal and the singular. In this, its initial form, substance remains unrealized; the “outer existence” of substance, however, is the realm of “ethical life” (Sittlichkeit). The moments of
6 Given that I would like to discuss the text closely, and the fact that the various editions and translations of the text do not share pagination, I have thought it best to refer to the subsections of “Active Reason” (the introduction, “Pleasure,” “The Law of the Heart”, and “Virtue”) by paragraph number. The numbering of each subsection of the text will begin anew with “paragraph 1.”
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Marcos Bisticas-Cocoves substance are fully expressed in the life of a people; It is the interdependence of the universal community and its singular members: The member depends on the community for its survival, but the community itself is made up of its members and is therefore dependent on them for its actuality (para. 4–6). Substance and ethical life are also the initial categories in the sixth chapter of the Phenomenology, “Spirit”; their appearance might seem premature in “Reason.” Yet this is only partially the case, for substance has a dual aspect: It is both the goal towards which the experience of consciousness is moving and the origin from which it is departing (para. 7). Ethical life is a goal in that substance has only made its initial appearance and therefore is not fully realized (para. 10). It is an origin in that this very immediacy must be overcome (para. 8–9). Put less technically, a human individual is necessarily part of a community, even if he or she does not realize it; the task of the remainder of the chapter on reason will be the realization that consciousness is rooted in a social world. Insofar as consciousness does not realize its social nature, “ethical life” is a goal; insofar as it is part of society, ethical life and substance are the points of departure. Hegel’s paradigms of ethical substance are often taken from the ancient world, particularly the Greek world. Thus, he closes his discussion of substance in the introduction by identifying the moral standpoint of ethical life with the wisdom of the ancient world (para. 6). This has important implications for his choice of examples in “Active Reason”: Since he argues that it is closer to the “spirit of our times” to understand the unity of ethical life as an origin rather than a goal, the examples of active reason will illustrate a consciousness that has left the ancient world behind. Hegel summarizes the path of “Active Reason” at two points: once at the end of the introduction, and once at the beginning of “Virtue and the Way of the World.” Both introductions highlight the logical background of the development of self-conscious reason. In “Pleasure and Necessity,” the singular individual confronts the empty universality of fate. In the “Law of the Heart,” both consciousness and its object contain both universality and singularity; yet these moments are united in consciousness and opposed in the object. Finally, both virtue and the way of the world are the mediated unity of universality and
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit singularity; and this identity is in part the basis for the overcoming of active reason. Die Lust und die Notwendigkeit “Pleasure and Necessity” is one of the shortest portions of the Phenomenology, consisting of only seven paragraphs. It falls into three parts. The first is written on the speculative level and explains the goal of consciousness (para. 1). In the second, consciousness compares its intention with its experience (para. 2–6). The final paragraph of the subsection concerns the result of this experience, both for consciousness and for us. Self-consciousness confronts an object which is also determined as self-consciousness (para. 1). Its goal is to become conscious of itself in the other. The parallel with the chapter “SelfConsciousness” is explicit; the logical background is equally clear: Consciousness is individual and has abandoned universality. Its singularity or immediacy manifests itself in the enjoyment of immediate sensation and in its abandonment of the universality of observation, theory, science, and law (para. 1; cf. para. 2). Hegel’s takes his example of Lust from Goethe’s Faust I. Faust himself is the consciousness that has rejected the universality of science and law. Mephistopheles is Hegel’s “Erdgeist,” the representative of sense and singularity that tempts consciousness away from the observation of nature. Gretchen is the other, the consciousness through which Faust seeks his recognition and his pleasure. Hegel signals his use of Goethe through a speech of Mephistopheles (para. 1). Interestingly, Hegel does not quote; he paraphrases, and this even though the paraphrase retains the form of verse. The source of this inexactitude might be found in the failure of Hegel’s memory. But perhaps there is another, deeper, reason: Hegel “quotes” only in so far as it suits his purpose. He chooses a long speech; he cuts an entire passage from it; he even edits lines and changes the gender of pronouns. In short, he takes what he needs, and only as much as he needs. Hegel is not providing us with a reading of Goethe; rather, Goethe is providing Hegel with an example of pleasure. Although the experience of consciousness in “Pleasure” is similar to that in “Self-Consciousness,” it is importantly differ-
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Marcos Bisticas-Cocoves ent. Most significantly, pleasure is not identical with desire, an operative concept in “Self-Consciousness” (para. 3). In desire, consciousness negates its immediate, living object. In pleasure, the object has the value of the category; that is, it is not merely immediately present, but has “the form of thought” (ibid.). It is not the being of the object that must be negated, but the consciousness of its independence. Where desire seeks to consume its object, pleasure will seek union with the other, Faust with Gretchen. The experience of pleasure has two aspects for consciousness. The first contains a moment consciousness fully expects: It becomes one with the object and thus an object to itself (para. 3). Yet even here, it does not get quite what it had planned: Unity with the object changes its very character; the particular, independent individual becomes part of the whole; or, to use Hegel’s language, the sublation of the singular is the universal. The enjoyment of its happiness has another, less expected, result: The sublation of singularity in universality is equally the negation of the singular (para. 4–6). This negation of the singular at the hands of the universal takes the phenomenological form of the individual at the hands of fate or necessity. Everything that consciousness does turns against it; all of Faust’s plans lead to destruction: Lust (pleasure) leads to Verlust (loss). Consciousness experiences this loss as a senseless inversion; it doesn’t understand that actions have consequences. It lives in the moment, in the immediacy of feeling. For consciousness, the result of its experience is nothing but the awareness of its loss (para. 7). For us, however, consciousness has revealed itself to be implicitly universal: For Hegel, the negation of the singular is the universal, and the singular consciousness has brought about its own negation. This unity of singularity and universality will set the stage for the next shape of consciousness. Das Gesetz des Herzens, und der Wahnsinn des Eigendünkels “The Law of the Heart and the Madness of Self-Conceit,” the second subsection of active reason, has three parts. The first is written for us; it makes the transition to the law of the heart, characterizes its goal, and describes its object (para. 1–5). The
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit second depicts the experience of consciousness (para. 6–9). The final part displays the result of experience for consciousness (para. 10–11), for its object (para. 12–13), and for us (para. 14). As consciousness attempts to realize its happiness in pleasure, it experiences its own necessary destruction at the hands of a cruel and unfeeling destiny. We, the speculative observers, know better: The singular is necessarily sublated in the universal, and this sublation is only in part negation. We see that the universal is necessary to the singular; and the immediate unity of these two moments will be the logical point of departure for the next shape of consciousness. Consciousness is now the immediate unity of singularity and universality; that is, it is the (universal) law of the (singular) heart (para. 1–2). Where the previous shape of consciousness sought only its own enjoyment, the heart takes pleasure in the general welfare; and since its pleasure is immediately law, it seeks to realize the universal good (para. 4). The heart is confronted with an object that also contains the moments of universality and singularity; however, they appear in opposition rather than in unity. The object is a “violent ordering of the world” under which humankind suffers; it is a universal law which oppresses the individual heart (para. 3). The task of consciousness, then, is to realize its law in the world, to translate its law from inactuality to actuality. In so doing, however, it falls into contradiction. As actualized, the law of the heart becomes part of the living universal order. It is therefore no long the law of the heart, but the law of the world. My law is no longer my law; the condition of eutopia is outopia (para. 6). Further, when consciousness elevates its individual law to supposed universality, it is revealed for what it is: the law of a particular heart. It is not the law of all hearts; others see it as only the law of one heart, and thus as oppressive to theirs (para. 7). Further still, the consciousness that acts cannot dismiss the world as an alien actuality, for the world is the product of its own activity (para. 8). Therefore, the result of the experience of consciousness is madness (para. 10–11). The heart experiences unbearable contradiction at is very root. The law of its heart should be actual and have universal validity; yet when its law is actual, it is invalid. Further, the law of its heart is the essential; yet the
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Marcos Bisticas-Cocoves imperative to actualize it demonstrates that the world order is in fact the essential, and consciousness itself the inessential. In short, the law of the heart is and is not essential, it should and should not be actualized. The world order is equally perverse (para. 12–13). On the one hand, it is supposedly the expression of the law of all hearts; on the other, each member has the law of its own heart. What should be a universal order is in fact a universal war: Each tries to realize its law and therefore enters into a struggle for dominance with others. For us, experience of consciousness results in an opposition (para. 14). Each side of the opposition maintains a mediated and immediate relation of universality and singularity. The one emphasizes both the inactuality of the universal and the perversion of the singular and is called “virtue”; the other stresses the contingency of the universal and the power of singularity and is designated as “the way of the world.” Several examples may form the basis for this subsection. One obvious source is the natural law tradition of the 17th and 18th centuries; in particular, Hegel may be making reference to Rousseau, Paine, and Hobbes. In the Émile, Rousseau observes that “[t]he heart receives laws only from itself,”7 “the entire right of nature is only a chimera if it is not founded on a natural need in the human heart,” (Émile 235; Œuvres 523) “the first sentiment of justice is innate in the human heart,” (Émile 279; Œuvres 584) and most significantly: “Laws! Where are there laws, and where are they respected? Everywhere you have seen only individual interest and men’s passions reigning under the name. But the eternal laws of nature and order do exist. For the wise man, they take the place of positive law. They are written in the depth of the heart by conscience and reason. It is to these that he ought to enslave himself in order to be free. … Freedom is found in no form of government; it is in the heart of the free man.” (Émile 473; Œuvres 857) 7 Rousseau, J.-J. 1979: Émile: or, On Education. Translated by Allan Bloom, New York, 234 (hereafter, Émile); cf. Œuvres complètes IV. Émile. Éducation-morale-botanique. Edited by Bernard Gagnebin and Marcel Raymond, Paris 1969, 521 (hereafter, Œuvres).
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit Rousseau’s themes form the basis for Hegel’s point of departure: The law of the heart is opposed to arbitrary positive law, and the wise man should follow his heart, not the established order. Consciousness in its madness rails against “fanatical priests” and “gluttonous despots” (para. 11). This may be a reference to Thomas Paine, who contrasts a just government founded on rights to an unjust one founded by priests and conquerors in the Rights of Man.8 Similarly, the madness of the world order may be a reference to Hobbes: Where Hegel describes the universal order as a “struggle of all against one another” (para. 13), the state of nature is a war “of every man, against every man” for Hobbes.9 Not all of Hegel’s examples are philosophical, however. Schiller’s play The Robbers (Die Räuber) could form the literary basis for the section as a whole. The Schiller’s protagonist is Karl Moor, a passionate nobleman with a good heart. Through the treachery of his brother, Franz, Karl flees to the woods and becomes the leader of a band of robbers. Karl comes to despise society and its conventions, while Franz becomes lord of the manor. Franz goes slowly insane in the family keep; after a series of tragedies brought about by his passionate nature, Karl realizes the madness of his ways: “Oh! fool that I was, to fancy that I could amend the world by misdeeds and maintain law by lawlessness!”10 The play ends with Karl’s surrender to authorities. This is, in its own way, a précis of the subsection. Karl is the law of the heart, Franz the world order; Karl, naturally good, opposes his evil brother and tries to live by his own law. Both brothers are revealed to be, in their own way, mad; both are effectively destroyed by the final curtain. On another level, the path of the law of the heart begins with Émile and ends with Karl Moor. Rousseau may provide a starting point for Hegel, but Schiller provides the opportunity to take Rousseau’s assumptions to their logical, if unforeseen, con-
8 Paine, T. 1925: The Life and Works of Thomas Paine. Volume 6, edited by William M. Van der Weyde, New Rochelle 72 ff. 9 Hobbes, T. 1968: Leviathan. New York, 185. 10 Schiller, F.: Works. Volume 3, translated by various hands, New York, 276; cf. Schillers Werke. Band III, edited by Herbert Stubenbach, Weimar 1953, 134.
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Marcos Bisticas-Cocoves clusion. For Hegel, the noble savage is the precursor to the savage noble. Die Tugend und der Weltlauf Following the pattern of the other subsections of active reason, “Virtue and the Way of the World” has an introduction (para. 1–5), a middle section which describes the experience of consciousness (para. 6–12), and a result both for consciousness and for us (para. 11–13). What does Hegel mean by the “virtue” and “the way of the world”? The virtuous consciousness esteems the good over the self; vicious individuals fail to actualize the good in their lives; rather, they pervert its purity for their own ends. Virtue is opposed by the consciousness that follows the way of the world: For the latter, the good is only a means to pleasure and preservation subordinate to the self; it can be realized or not, depending on what is advantageous. Both forms of consciousness recognize the value of both the good and the self; they simple estimate their worth differently. Both virtue and the law of the heart try to improve the world, yet they are importantly different. For the law of the heart, the good is an immediate feeling which can be, must be realized. Virtue, however, has a more complex relationship to the good: The heart is not to be trusted; in fact, it is the heart itself which is the source of all perversion; it must be disciplined and made virtuous. Both virtue and the way of the world are logically determined as the mediated unity of universality and singularity (para. 1). The phenomenological form of the moment of singularity is the self, that of universality the law or the good. These moments do not have equal weight for the opposing consciousnesses: The essential moment for virtue is the good, while that for the world is the self. Virtue identifies perversion in itself and the world as singularity; its goal is to subordinate singularity to universality in both itself and its other. The way of the world, on the other hand, makes use of the universal good only insofar as it suits its purpose. Virtue experiences its attempt to realize the good as a battle (Kampf) against the way of the world (para. 3). It wishes to fight
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit on behalf of the universal, which is as of yet unrealized or abstract (para. 4). The good is therefore an essence that can be actualized by the individual through action. Hegel identifies this abstract, unrealized universality with human gifts, powers or capabilities (para. 5). To fight for the good or to use one’s gifts, one has to involve the moment of singularity or the self; and in fact, to fight for the good is to use one’s gifts. However necessary to virtue, the battle against the way of the world is a sham (para. 6). First, virtue need not fight: It has faith that the good will ultimately triumph, and the good itself cannot be injured. Further, virtue should not fight: The good has been equated with its weapons, and these must not be damaged; similarly, the weapons of the way of the world are also the manifestation of the good, and they too must not be harmed. Finally, virtue cannot fight. It uses its gifts in battle; these have been identified with the universal, which has been equated in turn with the good. However, the way of the world also employs its weapons, or the good, against virtue. Therefore, insofar as it is engaged in battle, the way of the world embodies the good and is invulnerable to the attacks of virtue. In short, consciousness is caught in contradiction, and conflict is impossible: Virtue must act and cannot act; it wants to attack the good to preserve the good; it must utilize the singular to combat the singular. The way of the world has no such scruples, however. It can fight, and does. It can “risk and endure the loss of anything and everything” (para. 7). For consciousness, the outcome of the battle is clear: The way of the world must triumph. Where virtue is only abstract, the world is actual; where virtue is in itself, the world is for itself; where virtue is paralyzed, the world is victorious (para. 9). The defeat of virtue has a dual result for consciousness. On the one hand, virtue as a shape of consciousness is left behind: The way of the world is not evil, but active, and the good can be actualized (para. 10–11). On the other, the way of the world is equally transcended: It existed only through contrast to virtue; its individuality existed only by way of contrast to universality (para. 12). The experience of consciousness has revealed that the self necessarily actualizes the common good, despite its worst intentions.
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Marcos Bisticas-Cocoves For the speculative observer, the experience of consciousness demonstrates that the movement of individuality is the actuality of universality (para. 13). With this, active reason comes to an end: Universal and singular, essence and actuality, consciousness and the world are no longer opposed; the transition to “The Individuality Which is Real in and for Itself” has been made. In writing “Virtue and the Way of the World,” Hegel may have several examples in mind. The most probable is Kant; in the Critique of Practical Reason, he writes: “The stage of morality on which man […] stands is respect for the moral law. The disposition which obliges him to obey it is: to obey from duty and not from a spontaneous inclination or from an endeavor unbidden but gladly undertaken. The moral condition which he can always be in is virtue [Tugend], i. e., moral disposition in conflict [Kampf], and not holiness in the supposed possession of perfect purity of the intentions of the will.”11 For Kant, morality is a struggle of the individual against himself: Virtue is a “moral disposition in conflict,” that is, a battle between universal duty and individual inclination. The literary example behind “Virtue” may be Cervantes’ Don Quixote de la Mancha. Not only does Hegel liken virtue to a knight (para. 6, 7), but the protagonists of both texts engage in empty rhetoric and pointless battles that recall a world that has passed away. In the end, the way of the world triumphs over both Don Quixote and virtue: The old knight dies, and a way of life with him.
IV. Conclusion Hegel’s critics to the contrary, the Phenomenology possesses a unity of argument. “The Actualization of Rational Self-Consciousness through Itself” forms a prime example of the text’s coherence. First and foremost, it demonstrates the text’s logical 11 Kant, I. 1985: Critique of Practical Reason, translated by Lewis White Beck, New York, 87; cf. Kants Werke, Volume 5, edited by the Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, Berlin 1903, 84.
The Path of Reason in Hegel’s Phenomenology of Spirit unity. Active reason begins with the opposition of universality and singularity, essence and actuality, and the entire subsection is explicitly the progressive mediation of these moments. Odd twists and turns on the phenomenological level make sense once the logical connection is clarified. For instance, the surprising identification of the good with powers and capabilities in “Virtue” is possible only because both are phenomenological shapes of universality and essence. Further, the phenomenological level possesses a narrative unity. If the Phenomenology as a whole is a Bildungsroman, this is especially apparent in active reason. “Pleasure” is something of a greedy child, the “Law of the Heart” an idealistic adolescent, “Virtue” a weary man who knows what evil lurks in the hearts of men. The progressive logical mediation in the subsection is reflected in the increasingly complex experience of consciousness. Finally, the section demonstrates a unity of literary example. Faust, The Robbers, and Don Quixote are of a piece: Goethe places Faust in a mythic medieval world; Schiller finds Karl Moor in a forest and a castle two centuries previous to himself; Cervantes’s knight lives in a world without chivalry. They are all men of a lost past who rage against a world gone wrong. In short, a reading of “The Actualization of Rational SelfConsciousness” demonstrates that we need only distinguish the various threads of Hegel’s argument to avoid getting caught in tangles. Hegel is no Gordius, and it is possible to unravel his work.12
Bibliography Fulda, Hans-Friedrich 1966: Zur Logik der Phänomenologie von 1807. In: HegelStudien. Beiheft 3, 75–101. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1977: Phenomenology of Spirit. Translated by A. V. Miller. Oxford. Hobbes, Thomas 1968: Leviathan. New York. Kaehler, Erich Klaus and Werner Marx 1992: Die Vernunft in Hegels Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a.M.
12 My thanks to Dietmar Köhler, Mary Rawlinson, and Ellen Feder for their suggestions while I was preparing this manuscript.
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Marcos Bisticas-Cocoves Kant, Immanuel 1985: Critique of Practical Reason. Translated by Lewis White Beck. New York. Kant, Immanuel 1902 ff.: Werke. Edited by the Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften. Berlin. Paine, Thomas 1925: The Life and Works of Thomas Paine. Edited by William M. Van der Weyde. New Rochelle. Pöggeler, Otto 1988: Ansatz und Aufbau der Phänomenologie des Geistes. Journal of the Faculty of Letters 13, 11–36. Pöggeler, Otto 21993: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München. Rousseau, Jean Jacques 1979: Émile: or, On Education. Translated by Allan Bloom. New York. Rousseau, Jean Jacques 1959 ff.: Œuvres complètes. Edited by Bernard Gagnebin and Marcel Raymond. Paris. Schiller, Friedrich 1953: Schillers Werke. Edited by Herbert Stubenbach. Weimar. Schiller, Friedrich: Works. Translated by various hands. New York. Schopenhauer, Arthur 1960: Sämtliche Werke. Edited by Wolfgang Frhr. von Löhneysen. Stuttgart, Frankfurt a.M. Schopenhauer, Arthur 1958: The World as Will and Representation. Two volumes. Translated by E. F. J. Payne. New York. Trede, Johann Heinrich 1975: Phänomenologie und Logik. Hegel-Studien 10, 173–209.
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt
Elisabeth Weisser-Lohmann
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt – Überlegungen zum Geist-Kapitel der Phänomenologie des Geistes In der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes ergeht an die Wissenschaft die Forderung, das unmittelbare Selbstbewußtsein nicht außer sich zu belassen, sondern sich mit ihm zu vereinigen, bzw. zu zeigen, daß und wie das Selbstbewußtsein der Wissenschaft selbst angehöre. Hegel begründet diese Forderung damit, daß ohne die Wirklichkeit des Bewußtseins die Wissenschaft nur der Zweck, nur erst ein Inneres, geistige Substanz nicht aber Geist sei. Die Wissenschaft, so fordert Hegel, „hat sich zu äußern und für sich selbst zu werden, dies heißt nichts anders, als sie hat das Selbstbewußtsein als eins mit sich zu setzen“ (GW 9, 23). Gegen den Dogmatismus der Denkungsart, der von der Meinung geleitet wird, das Wahre bestehe in einem Satze, der als ein Resultat oder als Unmittelbares gewußt werde, entfaltet Hegel das Programm einer Wissenschaft, die die Darstellung des absoluten Wissens mit dem Prinzip der Wirklichkeit, dem unmittelbaren Selbstbewußtsein, vereinigt. Dieses Programm hat Konsequenzen sowohl für das Verhältnis von Wissenschaft und Wirklichkeit als auch für das Selbstbewußtsein. Mit den Konsequenzen sind auch die beiden Perspektiven genannt, die Hegels Phänomenologie von an Anfang an charakterisieren. Einmal soll sich der hier beschrittene Weg der Wissenschaft für das Selbstbewußtsein als Weg zum wahren Wissen erweisen, zum anderen soll dieser Prozeß eine Entäußerung des wahren Wissens in die Welt sein. Für das Selbstbewußtsein stellt sich dieses Programm als Leiter zum wahren Wissen dar. Für das absolute
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Elisabeth Weisser-Lohmann Wissen, die Metaphysik, wird dieser Weg zu einer ,Selbstbesinnung‘, zu einer ,Erinnerung‘, die dem allgemeinen Geist sein Selbstbewußtsein gibt (GW 9, 25). Beide Perspektiven sind in der Darstellung der Phänomenologie eng verwoben. Hegel nennt die Phänomenologie sowohl „Darstellung des werdenden Wissens“ wie auch „Wissenschaft von der Erfahrung des Bewußtseins“. Die entscheidende Rolle der Erfahrung bei der Umsetzung dieses Programms ist bedingt durch die Funktion, die Hegel dem Selbstbewußtsein zuweist: die Wissenschaft ist bei ihrer ,Entäußerung‘ auf die Erfahrungen des Selbstbewußtseins angewiesen, nur in ihnen sind die Bestimmungen der Wissenschaft wahrhaft wirklich, nur in ihnen kommt diesen Bestimmungen „Geist“ zu. Die Phänomenologie macht deutlich, daß es sich bei diesen Erfahrungen nicht um bestimmte Sinneserfahrungen handelt, aus denen dann Erkenntnisse abgeleitet werden. ,Erfahrung‘ schließt hier alles ein, was dem Menschen begegnet: wissenschaftliche Einsichten, Dinge des Lebens, Gewissensfragen, religiöse Erfahrungen und philosophische Einsichten. Es ist Hegels Anspruch an eine phänomenologische Darstellung, daß sie diesen Zusammenhang von Wissen und Erfahrung herleitet und herausarbeitet. Was aber haben bestimmte Wahrheitsdefinitionen mit den sozialen und religiösen Erfahrungen des Individuums zu tun? Inwiefern können diese Erfahrungen als für die Wissenschaft notwendige ausgewiesen werden? Der von Hegel formulierte Anspruch verbietet eine rein erkenntnistheoretische Herleitung oder Darstellung des wahren Wissens, es gehört vielmehr zum Wesenszug dieser Phänomenologie, daß sie beim natürlichen Bewußtsein und dessen ,Stellungnahmen‘, dessen Verständnis der Wirklichkeit ihren Ausgang nimmt. Dabei ist es zunächst gleichgültig, in welcher Weise dieses Bewußtsein in Spiel kommt, ob ihm für das wahre Wissen eine begründende, oder epistemologische und rein explikatorische Funktion zukommt. Grundsätzlich geht die Darstellung der Phänomenologie von der ganzen Mannigfaltigkeit subjektiver Weltdeutungen aus, ohne zunächst Auswahlkriterien zu formulieren. In der Vielfalt der subjektiven Weltdeutungen soll sich das absolute Wissen darstellen. Das die Untersuchtung leitende, wissende Ich kann daher gar nicht umhin, exemplarische Formen aus dieser Vielfalt aufzuwählen. Die Kriterien der Auswahl
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt bleiben für den Leser zunächst im Dunkeln, deutlich macht Hegel allerdings, daß der Zielpunkt des Weges, das wissende Wissen, diese Auswahl bestimmt. Es dürften somit die logischen Grundbestimmungen des absoluten Wissens sein, die hier die Auswahlkriterien stellen. Einer weiteren Bedingung müssen die herangezogenen exemplarischen Erfahrungen genügen: Sie müssen als eigenständige Formen auftreten. Denn das Recht des Individuums, daß die Wissenschaft ihm die Leiter reiche, gründet sich auf „seine absolute Selbständigkeit, die es in jeder Gestalt seines Wissens zu besitzen weiß“ (GW 9, 23). Aus diesem Ansatz ergibt sich für die Darstellung dieser Wissenschaft eine enge Verschränkung von systematischer Problementfaltung und Rückgriff auf Wirklichkeiten des Selbstbewußtseins, die für Hegel in konkreten (geistes)geschichtlichen Phänomenen anschaulich werden. Wenn diese Verschränkung für die phänomenologische Darstellung unaufgebbar ist, so stellt sich gleichwohl die Frage, inwiefern die Wissenschaft des Absoluten, also die an die Phänomenologie sich anschließende Logik oder spekulative Philosophie auf diese Darstellung, auf diese wie Hegel in der „Einleitung“ formuliert, „Untersuchung und Prüfung der Realität des Erkennens“ angewiesen ist. „Weil nun jenes System der Erfahrung des Geistes nur die Erscheinung desselben befaßt, so scheint der Fortgang von ihm zur Wissenschaft des Wahren, das in der Gestalt des Wahren ist, bloß negativ zu sein, und man könnte mit dem Negativen als dem Falschen verschont bleiben wollen, und verlangen, ohne weiteres zur Wahrheit geführt zu werden; wozu sich mit dem Falschen abgeben?“ (GW 9, 30) Ist aber das zu prüfende Wissen vom Standpunkt des absoluten Wissens tatsächlich nur das Falsche, das der Wissenschaft entgegengesetzte? Nur scheinbar schwankt Hegel bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Phänomenologie und dem Wissen der Wissenschaft, wenn er die Phänomenologie einmal als Weg zum wahren Wissen somit als ,Propädeutik‘ zur eigentlichen Wissenschaft einführt, an anderer Stelle aber der Phänomenologie selbst das Prädikat der Wissenschaft zuschreibt oder sie als einen Teil der Wissenschaft bestimmt. Die wechselnden Bestimmungen schreiben sich aus der doppelten Programmatik des Ansatzes her: das unmittelbare Bewußtsein soll zur Wissenschaft geführt werden, dieser Weg ist aber zugleich als eine
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Elisabeth Weisser-Lohmann notwendige „Entäußerung“ des absoluten Wissens zu begreifen, der reine Begriff muß ins Bewußtsein übergehen. Diesen doppelten Anspruch bringt die Formulierung, „das Wahre (ist) nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken“ (GW 9, 18)1 zum Ausdruck. Diese Formel verdeutlicht die doppelte Perspektive der Phänomenologie, einmal ist sie für das natürliche Bewußtsein Leiter und Instrument zum wahren Wissen, und damit Vorwissenschaft, Propädeutik. Vom reinen Begriff aus ist diese Entäußerung in die Phänomene aber nicht wohlwollendes Entgegenkommen, sondern gehört notwendig zum Begriff des absoluten Wissens selbst und insofern ist die Phänomenologie Teil der Wissenschaft oder selbst Wissenschaft. Mit dieser doppelten Programmatik ist die Verschränkung von Begriff und Phänomen für die Phänomenologie fundamental. Dieses Ineinander von systematischer Problementfaltung, die sich durchaus – mit Erweiterungen – als Fortführung des transzendentalen Programms einer Herleitung oder Deduktion des wahren Wissens auffassen läßt, und historischer Betrachtungsweise hat in der Rezeptionsgeschichte unterschiedliche Aufnahmen gefunden. Mit I. H. Fichte stellt sich für R. Haym die Phänomenologie als ein Zwitter dar: Erkenntnistheoretischer und realphilosophischer Beweisgang seien von Hegel gemischt worden, daraus konnte nichts Ganzes entstehen.2 Es wird der Vorwurf erhoben, Hegel habe sich nicht zwischen zwei Beweisgängen zu entscheiden gewußt und beide daher in unzulässiger Weise vermischt. Während K. Marx an der Phänomenologie den anthropologischen Ansatz, daß Hegel hier das Wesen der Arbeit erfasse und den wirklichen Menschen als das Resultat seiner
1 Das „ebensosehr“ im zweiten Satz zeigt, daß es im ersten Satzteil heißen müßte, „das Wahre ist nicht allein“. Der Hintergrund dieser These wird plausibel, wenn Schellings Abkehr von Fichtes ,Subjektivierung‘ und die gleichzeitige Wendung zu Spinozas Zentralbegriff „Substanz“ mitgedacht wird. Schellings Wende soll hier gleichsam auf höherer Ebene wieder rückgängig gemacht werden. Vgl. Metzke, E. 31970: Die Vorreden Hegels. Heidelberg, 160. 2 Fichte, I. H. 21841: Beiträge zur Charakteristik der neueren Philosophie oder kritische Geschichte derselben von Des Cartes und Locke bis auf Hegel. Sulzbach. Haym, R. 1857: Hegel und seine Zeit. Berlin. Zur Rezeptionsgeschichte insgesamt vgl. Pöggeler, O. 21993: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München, 170 ff.
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt eigenen Arbeit begreife, hervorgehoben hat, wurde von jüngeren Marxisten, wie G. Lukács, Hegels Phänomenologie für die Entwicklung einer revolutionären Geschichtskonzeption in Anspruch genommen. Hegel und die Phänomenologie wird unter dem Gesichtspunkt, „daß … nur der ganze Geist eine wirkliche Geschichte“ hat, zum „Vorläufer des historischen Materialismus“. „Die Methode der Phänomenologie beruht auf einer Einheit historischer und systematischer Betrachtungsweise, auf der Überzeugung, daß zwischen logisch-methodologischer Abfolge der Kategorien, ihrer dialektischen Folge auseinander und zwischen der historischen Entwicklung der Menschheit ein tiefer Zusammenhang besteht.“3 Bereits in den frühen (vormarxistischen) Arbeiten suchte Lukács die Hegelsche Phänomenologie für das eigene Anliegen, die Grundlegung einer Ästhetik fruchtbar zu machen. Dort allerdings überwogen – wohl unter dem Einfluß der Hegel-Kritik von E. Lask – die Zweifel an der Legitimität dieses Verfahrens, logisch-systematische Kategorien mit geschichtlichen Erfahrungen zu korrellieren bzw. identisch zu setzen. Hegels Programm einer Phänomenologie des Geistes mit der Verknüpfung von systematischer Darstellung und Inanspruchnahme historischer Phänomene bleibt bis in die jüngste Zeit für die Hegel-Forschung kontrovers. Zugespitzt kuliminiert die hier angesprochene Problematik in der Frage, ob die Entwicklung, die das lernende Bewußtsein in der Phänomenologie vollzieht „in der Bahn einer zuvor entworfenen Logik läuft“4 oder nicht. Der Blick in die strittigen Diskussionsfragen zeigt, daß nicht nur die Verknüpfung selbst problematisch ist, sondern insbesondere der Rang und die Funktion der beanspruchten historischen Phänomene für den Gesamtprozeß des werdenden Wissens. Die ins Spiel gebrachten Beispiele lassen sich nur schwer mit der Chronologie der tatsächlichen Ereignisse vereinbaren, schwer auch ist der ,Leitfaden‘ für die notwendige Abfolge den geschilderten Phänomenen selbst zu entnehmen. 3 Lukács, G. 1948: Der junge Hegel. Über die Beziehung von Ökonomie und Dialektik. Zürich. NA 2 Bde Frankfurt a.M. 1973 (nach dieser Ausgabe wird zitiert), 718. 4 Schmitz, H. 1992: Hegels Logik. Bonn, Berlin. 301. Zur Kontroverse um diese Frage, vgl. Fulda, H. 1965: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik. Frankfurt a.M.; Düsing, K. 1976: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn.
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Elisabeth Weisser-Lohmann Gegen die Versuche, die in Anspruch genommenen Beispiele mit der tatsächlichen Chronologie und dem geschichtlichen Ablauf in Einklang zu bringen, hat O. Pöggeler darauf verwiesen, daß die Phänomenologie das System der spekulativen Bestimmungen als Geschichte darstellt: Die Phänomenologie „setzt die spekulativen Bestimmungen als Gegenstände der Gestalten des Bewußtseins und ist so eine Entäußerung der Logik aus der „Form des reinen Begriffs“ in die „Geschichte der Erfahrungen, die das Bewußtsein mit seinen Gegenständen macht.“ (Pöggeler 1993, 354) Entscheidend ist hierbei, daß diese ,Entäußerung‘ des reinen Begriffs noch unvollkommen ist: „sie hält den Gegenstand in der Beziehung auf das Bewußtsein fest, faßt am Gegenstand nur das auf, was in die spekulative Bestimmung … eingeht“ (a. a. O.). Von dieser ersten Stufe der Entäußerung muß sie dann den Gegenstand aus der Beziehung auf das Bewußtsein auf seine Gegenständlichkeit freigeben. Erst mit dieser „Aufopferung“ des Geistes ist die kontingente Geschichte erreicht. Als geordneter Zusammenhang kann die kontingente Geschichte daher erst durch die Fragestellung der Phänomenologie begriffen werden: erst in ihrer Beziehung auf das Bewußtsein werden bestimmte geschichtliche Phänomene begreifbar. Der Zusammenschluß beider ,Entäußerungsstufen‘ – ,kontingenter Geschichte‘ und ,Entäußerung des Begriffs als Bewußtseinsgeschichte‘ – machen die „begriffene Geschichte aus, in der der Geist sein Gewordensein erinnert und sich selbst begreift“ (Pöggeler 1993, 355). Es kann in dieser begrenzten Arbeit nur ein Teilaspekt der hier vorgestellten Problematik aufgegriffen werden. Die zunächst als These eingeführte Deutung des Zusammenhangs zwischen spekulativen Grundbestimmungen und der Inanspruchnahme geschichtlicher Phänomene soll im folgenden an einer begrenzten Stufe des werdenden Wissens geprüft werden, an der Entwicklung des Bewußtseins im Geist-Kapitel. Dabei wird die Frage nach der Logik, die die phänomenologischen Gestalten tragen, hier unerörtert bleiben müssen. Vorrangig soll es um die Klärung des Rangs der von Hegel herangezogenen geschichtlichen Ereignisse gehen. Inwieweit deutet Hegel hier geschichtliche Erfahrungen des Individuums als Entäußerungen einer logischen Grundbestimmung und wie rechtfertigt er die von ihm behauptete Entsprechung von Wissensbestim-
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt mung und sozialer Institution? Gelingt es Hegel diesen Zusammenhang plausibel zu machen und zu rechtfertigen, so werden die historischen Gestalten als Entäußerungen des spekulativen Wissens faßbar. Dann aber müssen die ausgewählten Beispiele keineswegs der tatsächlichen Chronologie der Ereignisse entsprechen. Sie könnten dann lediglich als exemplarische Formen in Anspruch genommen werden. Hegels Inanspruchnahme der Französischen Revolution soll im folgenden der Prüfstein für diese Fragen sein. Im Zentrum soll dabei die Klärung der Frage stehen, ob Hegel die Inanspruchnahme geschichtlicher Erfahrungen als exemplarische Wissensformen für den Gesamtentwurf der Phänomenologie beibehalten hat. Oder, ob nicht mit dem Geist-Kapitel eine andere Beweisabsicht verfolgt wird, die einen anderen Bezug zur Geschichte voraussetzt, und etwa auf die tatsächliche Chronologie der Ereignisse Rücksicht zu nehmen hätte.
II. Stellung des Geist-Kapitels Die Suche nach einer Konzeption von praktischer oder politischer Philosophie in der Phänomenologie orientiert sich meist an den dort gegebenen Analysen von Handlungweisen, wie Kampf und Arbeit, an Hegels Auseinandersetzung mit Institutionen, wie Familie und Recht, oder aber an den in Anspruch genommenen historischen Prozessen wie Aufklärung und Französischer Revolution. Die Analysen des Geist-Kapitels scheinen in diesem Zusammenhang besonders geeignet für eine systematische Darstellung der praktischen Philosophie Hegels.5 Von den vorausgegangenen Erscheinungsformen, Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Vernunft sollen sich die Erfahrungen, die das Bewußtsein im Geist-Kapitel macht, dadurch unterscheiden, daß die Gestalten des Geistes nun als „sich selbst tragende absolute reale Wesen“ auftreten. Alle bisherigen Gestalten des Bewußtseins sind Abstraktionen desselben, isoliert in einzelne Momente haben sie den Schein, als ob sie als solche wären. In der „Vorrede“ allerdings hatte Hegel betont, daß 5 So ordnet Lukács etwa dem Geist-Kapitel die Sphäre des objektiven Geistes zu, vgl. Lukács 1948, 728.
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Elisabeth Weisser-Lohmann allen Gestalten des Bewußtseins der Charakter der Selbständigkeit zukommt. Hier nun erscheinen sie als bloße Abstraktionen. Für Hegel gründet die Selbständigkeit aller auftretenden Gestalten, in der absoluten Form, daß alle Formen des Wissens für das Bewußtsein unmittelbar gewiß sind. Ihre Selbständigkeit ist zunächst rein subjektiv; erst auf der Stufe des Geistes aber soll ein wirkliches sittliches Wesen erreicht sein: „Der Geist ist als sittliche Leben eines Volks, insofern er die unmittelbare Wahrheit ist“ (GW 9, 240). Die Gewißheit des Bewußtseins bezieht sich nicht mehr ausschließlich auf ,subjektive‘ Wissensformen, sondern hat eine wirkliche Welt zum Gegenstand, der „Selbständigkeit“ muß ein objektiver Sinn zukommen. Wie aber wird dieses erreicht? Überschreitet Hegel mit diesem neuen Anspruch nicht das bisherige Anliegen der Phänomenologie Prüfungsverfahren für Wissensansprüche zu sein? Die Frage, die sich auf diesem neuen Erfahrungsniveau ergibt, ist, ob die im Geist-Kapitel ins Spiel gebrachten Phänomene noch in gleicher Weise als bloße Prüfungsinstanzen bzw. als ,Lektionen‘ verstanden werden können. Ist mit dem GeistKapitel nicht überhaupt ein Neuansatz ins Spiel gebracht, der das vorausgehende Programm, nämlich die Prüfung von Wissensformen sprengt? Nun werden allerdings auch schon in den vorausgehenden Prüfungen, praktische Verhältnisse mit herangezogen, etwa das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft im Kontext der Prüfung der „Wahrheit der Gewißheit seiner selbst“. Der Kampf auf Leben und Tod hat unabweislich praktische Konsequenzen. Das ursprünglich ,theoretische‘ Prüfungsverfahren muß durch die Aufnahme neuer Prinzipien erweitert werden. Hegel macht hier deutlich, daß Wahrheit nicht allein durch eine subjektive Perspektive zu gewinnen ist. Die Auseinandersetzung mit dem Mitmenschen ist gefordert.6 Die neuen Wahrheitsbestimmungen und die notwendig mit ihnen verbundenen Erfahrungen muß Hegel in Abgrenzung von vorausgegangenen Erfahrungsgestalten ausweisen. Welche Bedingungen muß das lernende Bewußtsein erfüllen, um die neuen Erfahrungen zu ermöglichen? Ändert sich auf der anderen Seite 6 Die Rolle der „Anerkennung“ für diesen Prozeß hat L. Siep herausgearbeitet. Vgl. Siep, L. 1979: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Freiburg; sowie den Beitrag von L. Siep in diesem Band.
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt etwas an der Entäußerung des absoluten Wissens selbst oder auch an der Art und Weise, wie diese Entäußerungen aufgefaßt werden? Mit dem Geist-Kapitel stellt sich somit in neuer Form die Frage nach dem Zusammenhang von logischer Grundbestimmung und historischem Phänomen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der ,Rang‘ der historischen Gestalten für die Darstellung des werdenden Wissens im Geist-Kapitel zu klären. Die Erfahrungen, die das lerndende Bewußtsein an den Gestalten von Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Vernunft macht, erweisen die nur begrenzte Gültigkeit der jeweiligen Überzeugung. Die gesetzgebende und gesetzprüfende Vernunft wird mit Erfahrungen konfrontiert, die die nur begrenzte Gültigkeit ihrer Gewißheiten erweisen. Vom Ganzen des sittlichen Bewußtseins haben sie sich durch ihre Verabsolutierungen isoliert: sie sind haltungslose Momente des sittlichen Bewußtseins. Wie bei allen negativen Erfahrungen zeigt sich auch hier ein Positives: die sittliche Substanz stellt sich mit dieser Erfahrung als Bewußtsein dar (vgl. GW 9, 234). Aufgrund dieser Erfahrung ist dem Bewußtsein das „Rechte“ nicht länger rein äußerlich, sondern es ist ihm „an und für sich“. Allerdings geht dieses Prüfungsverfahren bloß auf Allgemeinheit (im kategorischen Imperativ etwa). Gegenüber den zu meisternden Erfahrungen erweist es sich als formal, ihm kann eine nur begrenzte Gültigkeit eingeräumt werden: „Das geistige Wesen ist hiermit … für das Selbstbewußtsein als an sich seiendes Gesetz“ (GW 9, 235). Dies an sich seiende ewig gültige Gesetz wird zur sittlichen Substanz, es ist das Wesen des Selbstbewußtseins. Die schöne Sittlichkeit der griechischen Polis ist für Hegel Ausdruck einer Einheit von Individuum und Gesetz. „Die Substanz und das allgemeine, sichselbstgleiche, bleibende Wesen, – ist er der unverrückte und unaufgelöste Grund und Ausgangspunkt des Tuns Aller, – und ihr Zweck und Ziel, als das gedachte Ansich aller Selbstbewußtsein“ (GW 9, 239). Das Auseinanderbrechen dieser Einheit deutet Hegel als ein Fortgehen des Geistes zum wissenden Bewußtsein. Substanz und Bewußtsein treten fortan als getrennte Faktoren auf. Für das werdende Wissen ergibt sich ein Weiterschreiten zu neuen Wissensformen aufgrund einer Differenz zwischen Ansich und Fürsichsein des Geistes. Der Geist ist auf dieser ersten Stufe
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Elisabeth Weisser-Lohmann zum einen Substanz, die unwankende gerechte Sichselbstgleichheit. Für sich selbst ist die Substanz aber zum anderen „das aufgelöste, das sich aufopfernde gütige Wesen, an dem Jeder sein eignes Werk vollbringt, das allgemeine Sein zerreißt und sich seinen Teil davon nimmt“ (a. a. O.). Diese Auflösung und Vereinzelung der Substanz im Selbst macht das wirkliche und lebendige dieser Gestalt des Bewußtseins aus. Das Selbst und die geteilte Substanz sind jeweils in unmittelbarer Einheit verbunden: „das Individuum, das eine Welt ist“. Der Konflikt zwischen den aufeinanderstoßenden Welten – für Hegel wird er exemplarisch in dem Aufeinandertreffen von Kreon und Antigone – zerstört die Selbstgewißheit, die das Subjekt bisher mit seiner Deutung der Welt verband: „Weil wir leiden, anerkennen wir daß wir gefehlt“ – dieses Leid ist für Hegel ein Zeichen für die zerbrochene Einheit und die Schuld. Es ist diese Entfremdung, die Anlaß gibt zum Weiterschreiten. Der Geist aber muß diese Unmittelbarkeit verlassen und „durch eine Reihe von Gestalten zum Wissen seiner selbst gelangen“. Unter der Mannigfaltigkeit der Erfahrungsformen muß ausgewählt werden. Die neuen Gestalten sollen nicht als bloße Einzelformen auftreten, sondern sich als daseiende Gestalten bewähren. Die Auswahl der exemplarischer Gestalten bzw. Erfahrungsformen ist auch hier durch das Anliegen des absoluten Wissens bestimmt, absolute Formen als wirkliche zu erweisen. Hegel führt daher im folgenden jene ,Leitthemen‘ bzw. Grundbestimmungen an, die er aus der Sphäre der praktischen Philosophie in die spekulative Philosophie aufnehmen will. Zur Familie tritt das Gemeinwesen mit der Regierung, das System der persönlichen Selbständigkeit und das Eigentum, das persönliche und dingliche Recht, – diese Unterscheidung orientiert sich noch Kant –, Arbeit, Erwerb und Genuß sowie der Zusammenschluß in „eigenen Zusammenkünften“, d. h. Korporationen treten hinzu (GW 9, 246). All diese Gestalten, das wird von Hegel an dieser Stelle nocheinmal betont, „unterscheiden sich aber von den vorhergehenden dadurch, daß sie die realen Geister sind, eigentliche Wirklichkeiten, und statt Gestalten nur des Bewußtseins, Gestalten einer Welt“ (GW 9, 240). Die Gewißheit, alle Realität zu sein, ist nach Hegel in diesen Gestalten erreicht: Sie sind Gestalten des sittlichen Geistes.
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt Zumindest drei Fragen stellen sich gegenüber dem vorausgegangenen Prozeß der Wissensprüfung. Zum einen ist die Rolle des Geistes für diese neue Stufe der Phänomenologie zu klären – werden im Geist-Kapitel weiterhin an exemplarischen Gestalten logische Grundbestimmungen eingeübt? Wie ist zum anderen das „Weiterschreiten“ zu deuten? Findet dies losgelöst und unabhängig vom Prozeß des werdenden Wissens statt, so daß das werdende Wissen einen bereits in und durch sich selbst bestimmten Prozeß nur nachvollzieht – oder ist der Fortgang auch hier allein durch das werdende Wissen bestimmt? Drittens – und hierauf soll zunächst eingegangen werden –, was bedeutet es, wenn die Gestalten nun eine Welt bilden? Bereits die Erfahrungen des freien Selbstbewußtseins haben gezeigt, daß eine rein in der Selbstgewißheit verbleibende Wahrheitsbestimmung scheitert. Mit Macht drängt sich das andere Selbstbewußtsein auf und fordert die Anerkennung der eigenen Wahrheit – im Kampf zwischen Herr und Knecht. Nun sind diese Erfahrungen aber nicht mehr lediglich für das Bewußtsein entscheidend, sondern sie sollen nun eine „Welt“ prägen und bestimmen. Was zuvor noch als Konflikt zwischen verschiedenen Wahrheitsansprüchen auftrat, hat sich nun zu einem geschichtlichen Faktor entwickelt, der das Leben der Individuen insgesamt bestimmen sollen. Wie ist diese Ausweitung des Anspruchs zu begründen? Das „Wissen“ selbst und die Ansprüche an seine Leistungsfähigkeit hat sich gewandelt. Nicht mehr das, was dem Einzelnen gewiß ist, kann als wahr gelten, sondern das was gestaltend die Welt selbst bestimmt. Neben den Wissenschaften sind dies etwa die Sprache, Arbeit und Familie. Jede dieser neu auftretenden ,Wissensformen‘ dringt unmittelbar gestaltend in die Welt selbst ein wird zur Institution. Das ,Wissen‘ des Selbstbewußtseins ist zu einem Machtfaktor geworden. Für die Darstellung des werdenden Wissens bedeutet dies, daß es sich fortan an realen geschichtlichen Gestalten zu orientieren hat, denn in ihnen sind diese Wissenformen grundgelegt. Erst an diesen konkreten Gestalten lassen sich die ,Fortschritte‘ des Wissens auf dem Weg zum absoluten Wissen aufweisen. Die Sittlichkeit der griechischen Polis, das unmittelbare Wissen der Substanz führt über den Konflikt in der sittlichen Handlung zum abstrakten Wissen der sittlichen Substanz: Die Sittlichkeit geht in der formalen Allgemeinheit des Rechts unter. In ihr
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Elisabeth Weisser-Lohmann bringt sich das Selbst zur Geltung. In Gestalt der Person hat es Wirklichkeit gewonnen, zu dem Preis allerdings, daß die Einheit von Selbst und Substanz nun aufgelöst ist: „die Welt hat hier die Bestimmung, ein Äußerliches, das Negative des Selbstbewußtseins, zu sein“ (GW 9, 264).7 Das Individuum kann sich in den ,neuen‘ Institutionen nicht wiederfinden – das „gemeinsame“ Werk bzw. das „Tun aller“ ist als Identifikationsbasis zerstört. Die dem Bewußtsein gegenüberstehende Welt erscheint als fremde Wirklichkeit; sie ist in ihrem (negativen) Dasein aber auch als Werk des Bewußtseins zu begreifen. „Sie erhält ihr Dasein durch die eigne Entäußerung und Entwesung des Selbstbewußtseins“ (GW 9, 264). „Für sich“ sind die vom Bewußtsein isolierten, losgebundenen Elemente „das reine Verwüsten, und die Auflösung ihrer selbst“. Dies negative Wesen erweist sich aber, so Hegel, als die Entfremdung der Persönlichkeit selbst, in dieser Weise schwingt sie sich zum „Spiel“ der „tobenden Elemente“ auf. Als Geist weist sich diese Gestalt für Hegel aus, indem sie – auch in ihrer Entfremdung – sich als eine selbstbewußte Einheit von Selbst und Wesen erweist. In eine gedoppelte Welt zerfällt die einst „Eine Welt“ des Geistes: „die erste ist die Welt der Wirklichkeit oder seiner Entfremdung selbst; die andre aber die, welche er, über die erste sich erhebend, im Äther des reinen Bewußtseins sich erbaut“ (GW 9, 266). Die beiden einander entgegengesetzten Welten – als Diesseits die Welt der Bildung und als Jenseits die Welt des Glaubens – sind in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu begreifen. Die Entfremdung ist ein Produkt des Bewußtseins. Es ist für Hegel die Aufklärung, die die hier herrschenden Gestalten, verwirrt und revolutioniert. „Nützlichkeit“ und „Zweck“ sind jene Begriffe, die nun das Verhältnis des Bewußtseins zur Wirklichkeit bestimmen. In der neuen Gestalt des Bewußtseins, Die absolute Freiheit und der Schrecken, werden diese Begriffe nicht 7 Es ist problematisiert worden, daß der Rechtszustand des römischen Reichs hier nicht wie in der gleichzeitig entstandenen Realphilosophie II (1805/06) bzw. der späteren Rechtsphilosophie den Ausgangspunkt für die Sphäre der Sittlichkeit bildet. Vgl. Siep 1979. Hegel selbst allerdings betont in der Phänomenologie, daß der Rechtszustand eine entwickelte Form des Wissens ist (vgl. GW 9, 264). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, daß das Recht hier nicht als ein Prinzip eingeführt, sondern als eine Gestalt des Geistes: die Person und das auf sie gegründete Recht ist hier Inhalt und Zweck des römischen Staats.
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt mehr auf die außenstehende Wirklichkeit angewandt, sondern in das Selbst zurückgenommen. Der in das Diesseits und Jenseits entzweite Geist kehrt in diesem Prozeß in das Selbstbewußtsein zurück. Die Darstellung der neuen Gestalt des Geistes, der Moralität, hat den Übergang „in ein anderes Land“ zur Voraussetzung – nur dort, wo sich die neuen Wissensformen als Gestalt organisieren, wird diese Gewißheit erfahrbar.
III. Die sittliche Totalität ist ein Volk „Die absolute sittliche Totalität (ist) nichts anderes als ein Volk“ (NA 449) – mit dieser Formel begegnet Hegel in seinen Jenaer Anfängen der Kantisch/Fichteschen Zergliederung der Sittlichkeit in Legalität und Moralität. Hegels positive Darstellung des eigenen Ansatzes hebt mit diesem Diktum der Einheit der absoluten Sittlichkeit an. Die Identifikation des Sittlichen mit einem Volk zerbricht allerdings in der „Trägödie des Sittlichen“: das Negative, als Einzelheit aber auch als Rechtssphäre und Ökonomie macht sich als Prinzip geltend und zerstört die unmittelbare Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit. Hegel faßt diesen Einbruch des Negativen keineswegs rein punktuell auf, so als ob dies ausschließlich ein Geschehen wäre, das sich für die griechische Polissittlichkeit ereignet. Hegel faßt diesen Antagonismus grundsätzlicher, er findet sich auf verschiedenen Ebenen. Einmal stellt er sich als der immerwährende Kampf des lichtvollen Appollon gegen die Eumeniden, die unterirdischen Mächte dar. Dieser Gegensatz tritt aber auch in den beiden Ständen des Staates auf: dem allgemeinen Stand als der Lichtseite steht der Stand der Nichtfreien gegenüber. Letzteren, charakterisiert Hegel mit Platon als durch eine böse gewaltsame Natur beherrscht. Es sind nicht militärische Erfahrungen, die die besondere Rolle des Kriegerstandes als dem Stand der Freien ermöglichen. Es ist die Erfahrung des Todes, das Risiko des eigenen Lebens, die den Charakter dieses Standes bilden. Dieses Bewußtsein ist „das reale absolute Bewußtsein der Sittlichkeit“ (NA 462; 150, 151). Der Stand der Nichtfreien, welcher in der Differenz des Bedürfnisses und der Arbeit, und im Rechte und der Gerechtigkeit des Besitzes und des Eigentums ist, schließt die Gefahr des Todes nicht in sich. Zwar
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Elisabeth Weisser-Lohmann ermöglicht dieser zweite Stand und mit ihm der dritte Stand, die Bauern, den Freien die Unabhängigkeit von der Sorge um die eigene Subsistenzsicherung. Eine Leistung, die ihren Anteil an der Sittlichkeit des Volkes allerdings nicht zu bessern vermag, in Beziehung auf die absolute Sittlichkeit ist das Werk des zweiten und dritten Standes rein negativ zu bewerten. Dies bedeutet für Hegel aber nicht, daß diese Mächte unterdrückt werden müssen. Erst das Gewährenlassen dieser negativen Mächte in einem begrenzten Raum des Staates ermöglicht für ihn die Bewahrung der Sittlichkeit des Ganzen. Durch diese Differenzierung innerhalb der sittlichen Macht ist für Hegel im Naturrechts-Aufsatz der Bestand der Sittlichkeit eines Volkes garantiert. Historisch ist auch diese Differenzierung in Stände durch das Prinzip der formellen Einheit und Gleichheit im römischen Reich untergegangen. Dies ist auch das Ende der absoluten Sittlichkeit. In der Situation einer juridischen Gleichheit aller kann nur die bewußt Aufnahme des negativenPrinzips, des Bourgeois, des Privatlebens, in das Allgemeine Abhilfe bringen. Es bleibt allerdings die Differenzierung und Absonderung eines edlen Standes, der für Hegel in dieser Situation die Bewahrung der absoluten Sittlichkeit verbürgen könnte. Die Ausbildung dieser Subsysteme der Sittlichkeit ist für Hegel im Naturrechts-Aufsatz eine Leistung der „Natur“. Sein Ansatz steht damit konträr zur Tradition des Naturrechts, für die sich aus den natürlichen Rechten des einzelnen das Rechts- und Eigentumssystem der bürgerlichen Gesellschaft herleiten läßt. Für Hegel kommt dieser Ansatz beim einzelnen einer „Atomisierung“ der Sittlichkeit gleich. Die Identifikation der Sittlichkeit mit einem Volk ist seit den frühen Jenaer Arbeiten der Ausgangspunkt für Hegels Ansatz einer praktischen Philosophie. Dieser Ausgangspunkt hat auch für die Phänomenologie Gültigkeit, wenn für die Einübung in spezifisch praktische Wissensformen Gestalten einer Welt nicht lediglich Gestalten des Bewußtseins erfahren werden müssen. Vergleicht man den frühen Jenaer Ansatz mit der Konzeption des Geist-Kapitels in der Phänomenologie so dürfen die Differenzen in systematischer Hinsicht nicht ignoriert werden. Im Naturrechts-Aufsatz gibt Hegel in Abgrenzung von der Tradition des Naturrechts eine Darstellung seiner Konzeption von praktischer Philosophie und damit einhergehend seiner Auffas-
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt sung der absoluten Sittlichkeit. Im Kontext einer Phänomenologie des werdenden Wissens können diese Ziele nicht in gleicher Weise verfolgt werden. Kann es einer Darstellung des werdenden Wissens doch nicht darum gehen, die Institutionen der Sittlichkeit losgelöst vom Bewußtsein aufzuzeigen. Vielmehr müssen die subjektiven Voraussetzungen dieser Einrichtungen im Bewußtsein aufgewiesen werden. Wie aber ist die Auffassung des Naturrechts-Aufsatzes, daß die Natur des Sittlichen selbst jene Differenzierungen und Aufspaltungen hervorzubringen vermag, die eine Integration auch des zunächst negativ Erfahrenen in die Totalität ermöglicht, mit dem Programm der Phänomenologie zu vereinbaren? Für O. Pöggeler ist es die Aufnahme der modernen Naturrechtstheorien und der Nationalökonomie, die Hegels Position in der Phänomenologie bestimmt. Wenn Hegels Konzeption des Sittlichen jetzt mit dem Subjekt einsetzt, so ist dies nicht nur gegenüber dem Naturrechts-Aufsatz ein Novum. Noch in den Jenaer Vorlesungen (1803/04) hatte Hegel eine Potenzenlehre entwickelt, die den Geist wesentlich als Mitte faßt. Der Geist ist Mittler zwischen Begriff und Bewußtsein.8 Erst 1805/06 in der Realphilosophie II ersetzt Hegel diese Potenzenlehre. Das „Ich“ wird nun zum Zentrum, von dem aus Formen wie Arbeit, Eigentum und Recht entwickelt werden. Wie bringt die Phänomenologie diese Formen ins Spiel? Die Programmatik der Phänomenologie läßt auch hier zwei Argumentationswege zu. Zum einen müssen diese Formen als vom Bewußtsein hervorgebrachte eingeführt werden. Zum anderen sind sie „Selbstentäußerung“ bzw. Erinnerung des absoluten Wissens, müssen somit aus diesem entfaltet werden. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß darüberhinaus mit dem
8 „Wir betrachten die Momente des sich organisierenden Bewußtseins weder auf der Seite des Subjekts in der Form von Vermögen, Neigungen, Leidenschaften, Trieben usw. noch auf der andern Seite des Gegensatzes als eine Bestimmtheit der Dinge, sondern wie es als Einheit und Mitte von beidem absolut für sich ist“, (Fragment 20, in: GW 6, 290) In den einzelnen Potenzen, Sprache, Gedächtnis und Arbeit vollzieht sich Sozialisation und Individualisierung des Menschen. Damit ist die Entfaltung dieser Potenzen „nicht Thematik einer Philosophie des „subjektiven“ Geistes, der vom „objektiven“ Geist unterschieden wird“, sondern diese Formen konstituieren sich aus dem Zusammenspiel von Begriff und Bewußtsein (Pöggeler 1993, 66).
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Elisabeth Weisser-Lohmann Geist-Kapitel eine spezifisch neue Situation im Prozeß des werdenden Wissens erreicht ist. „Die Vernunft ist Geist, indem die Gewißheit alle Realität zu sein, zur Wahrheit erhoben, und sie sich ihrer selbst als ihrer Welt, und der Welt als ihrer selbst bewußt ist“ (GW 9, 238). Mit der hier erreichten ,Wissensform‘ sind alle weiteren Grundbestimmungen des absoluten Wissens für das lernende Bewußtsein künftig nur noch an konkreten geschichtlichen Gestalten erfahrbar. Für die Phänomenologie entsteht somit die Aufgabe das „sittliche Wissen“ an wirklichen Gestalten zu explizieren, d. h. gemäß dem oben entwikkelten Programm – sowohl als Werk des Bewußtseins als auch als Entäußerung des absoluten Wissens darzustellen. Betrachtet man allerdings die von Hegel als wirkliche Gestalten angeführten Beispiele, so stellt sich die Frage, ob hier wirklich eine neue Stufe erreicht ist. In gewisser Weise werden ja auch in den vorausgegangenen Gestalten die Erfahrungen an realen Beispielen der Geschichte veranschaulicht. So hatte Hegel den Übergang der griechischen Antike ins römische Reich bereits im Kontext der Erfahrungen des Bewußtseins thematisiert. Aus dem jeweils einseitigen Bewußtsein von „Herrschaft“ und „Knechtschaft“ entwickelten sich die Bewußtseinformen der stoischen und skeptischen Philosophie. Dieser Übergang von Bewußtseinsgestalten, die der griechischen Polis angehören zu Bewußtseinsformen, die mit dem römische Reich verbunden sind, wird nun nocheinmal im GeistKapitel thematisiert: die Gestalt der unmittelbaren Sittlichkeit der griechischen Polis wird durch die Gestalt der Person und das abstrakte Rechtssystem abgelöst. Hegel selbst betont die Differenz zwischen den beiden ,Beispielen‘: „was dem Stoizismus nur in der Abstraktion des Ansich war, ist nun wirkliche Welt“. Diese Wirklichkeit war im Bewußtseinskapitel nur als Gestalt des Bewußtseins aufgetreten, jetzt ist eine Ebene erreicht, auf der der erreichten Wissensform der fundamentale Zusammenhang von Wissensform, Selbstdeutung und Weltgestaltung durchsichtig wird. Was zuvor nur als bewußtseinsimmant thematisierbar war, wird für die Phänomenologie mit dieser Einsicht allererst explikabel. An der historischen Gestalt des „römischen Reiches“ sind für den Erfahrungsprozeß des Bewußtseins als Geist nur der für die reale Gestalt grundlegende Inhalt bzw. der herrschende Zweck
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt herauszugreifen.9 Die ganze Fülle der mit diesen Strukturen verwobenen kontingenten und inkontingenten Elemente wird von dieser Darstellung nicht erreicht. Im Unterschied zu anderen Darstellungen der Sittlichkeit bleibt die Auffassung des werdenden Wissens an jene Inhalte gebunden, die im Bewußtsein des Subjekts aufweisbar sind und für das lernende Bewußtsein diese Gestalt prägen. Ihre Auswahl bleibt bestimmt vom absoluten Wissen, das sich in diese Gestalten entäußert. Diese These soll nun im folgenden an Hegels Darstellung der französischen Revolution anschaulich gemacht werden. Die Notwendigkeit einer institutionellen Sicherung von ,Eigentum‘ durch Recht ist für Hegel die unhintergehbare Konsequenz aus dem Untergang der griechischen Sittlichkeit. Die formale Gleichheit der Personen vor dem Recht ermöglicht zwar ein durch Verträge geschütztes Eigentum, das auftretende „Selbst“ bleibt allerdings ohne alle Realität. Die „Gewißheit, alle Realität zu sein“ kommt hier allein den institutionellen Formen, nicht aber dem Selbst zu. Im Verhältnis zum Selbst ist die Welt ein bloß Äußerliches, das Negative des Selbstbewußtseins. Hegel zeigt an dieser Konstellation, daß das Individuum als Person zur vollkommenen Unwesentlichkeit herabsinkt. Auf der anderen Seite erhält die äußere Welt ihr Dasein durch die negative Arbeit des Selbstbewußtseins. „Verwüstung“ bestimmt das Verhältnis des Selbst zur Welt. „Das Ganze ist daher, wie jedes einzelne Moment, eine sich entfremdete Realität; es zerfällt in ein Reich, worin das Selbstbewußtsein wirklich sowohl es als sein Gegenstand ist, und in ein anderes, das Reich des reinen Bewußtseins, welches jenseits des Ersten nicht wirkliche Gegenwart hat, sondern im Glauben ist.“ (GW 9, 265)
IV. Die absolute Freiheit und der Schrecken Die vorausgegangenen Bildungsstufen des Geistes zeigten das Streben des entfremdeten Geistes die fehlende Substanz zu gewinnen. Das Streben nach Substantialität fand in der „Nütz-
9 Zur Problematik des hier verwendeten Zweckbegriffs, vgl. die Arbeit von M. Bienenstock 1992: Politique du jeune Hegel. Jena 1801–1806. Paris.
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Elisabeth Weisser-Lohmann lichkeit“ seinen Gegenstand und Zweck. „Herrschaft“ und „Reichtum“ als die Sphären dieses Prinzips bestimmen das Streben. Im Unterschied zu vorausgegangenen Bildungsstufen wurden die „Objekte“ des Strebens zu Machtfaktoren, Bildung und Sprache sind zu Machtfaktoren aufgestiegen. Grundlage für die in Abschnitt drei, Die absolute Freiheit und der Schrecken, erreichte Bildungsstufe ist die Zurücknahme des Prinzips ,Nützlichkeit eines Gegenstandes‘ in das Subjekt. In seiner Selbstbestimmung erfaßt sich das Subjekt wesentlich als „Sein für anderes“. Dieses Sein für anderes erweist sich aber als „das absolute sich selbst doppelt Sehen“ (GW 9, 317). Das einzelne Subjekt erweitert sich zum allgemeinen Subjekt, „die Gewißheit seiner ist das allgemeine Subjekt und sein wissender Begriff ist das Wesen der Wirklichkeit“ (a. a. O.). Damit ist der Geist „absolute Freiheit“ geworden, insofern dieser reinen Selbstbestimmung, der Spontaneität des Subjekts, keinerlei Widerstand entgegentritt. Bei der Bestimmung des eigenen Handlungsspielraums sieht sich das Subjekt ja keinem anderen freien Wesen gegenüber, da ihm selbst Allgemeinheit zukommt, ist diese Freiheit absolut grenzenlos. Wie bei allen Gestalten so lassen sich auch hier zwei Momente unterscheiden. Zum einen bestimmt Hegel diese Gestalt als Selbstbewußtsein, dessen Selbstgewißheit das Wesen aller geistigen Massen der realen sowie der übersinnlichen ausmacht. Zum anderen erscheinen Wesen und Wirklichkeit des Geistes in Gestalt des Wissens des Bewußtseins von sich. Vom Selbstbewußtsein geht die Forderung aus, der real allgemeine Wille soll mit dem Willen aller einzelnen identisch sein. Ist aber der einzelne Wille mit dem allgemeinen Willen als identisch gesetzt, so kann ein einzelner Wille sich auch auf den „Thron der Welt“ setzen und als Allgemeinheit handeln. Unbenannt bleibt hier Hegels Bezugspunkt, Napoleon, der von Hegel als „Vollender“ der von der Revolution postulierten Freiheit des Einzelnen aufgefaßt wird. Das einzelne Selbstbewußtsein ist mit allen einzelnen identisch. Auf dem „Thron der Welt“ ist das Bewußtsein allein das Element, worin die geistigen Wesen oder Mächte ihre Substanz haben. Historisch hat diese absolute Herrschaft den Zusammenbruch des Ständestaats zur Voraussetzung, jenes Systems also, das sich durch „Teilung in Massen organisierte“. „In dieser absoluten Freiheit sind also alle Stände, welche die
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt geistigen Wesen sind, worein sich das Ganze gliedert, getilgt“ (GW 9, 318). Nach wie vor ist das Prinzip der „Nützlichkeit“ Prädikat alles realen Seins. In dieser neuen Gestalt bleibt es als Prinzip nicht auf die Gegenstände der Außenwelt beschränkt, sondern ist auf das Selbst übertragen worden. Wie aber kann das Bewußtsein sich selbst ohne den Bezug auf einen Gegenstand bestimmen? Das Bewußtsein selbst wird Gegenstand des Bewußtseins. Der bestehende Gegensatz herrscht nun allein im Bewußtsein als Verhältnis zwischen allgemeinem und einzelnem Bewußtsein. Dieser rein ,bewußtseinsimmanente‘ Gegensatz verhindert die Gestaltung eines positiven Werks. Weder ein „allgemeines Werk der Sprache“ noch eines der Wirklichkeit, weder Gesetze noch allgemeine Einrichtungen der bewußten Freiheit vermag dieses Bewußtsein vorzubringen. Hegel diskutiert in diesem Zusammenhang die Frage, ob der sich Bewußtsein gebenden Freiheit überhaupt die wirkliche Gestaltung in einem Werk gelingen kann. Aber weder dann, wenn sie die allgemeine Substanz zum Gegenstand erhöbe, die Teilung der Gewalt und die Teilung der Arbeit zuließe, die allgemeine Freiheit auf diese Weise in Glieder gesondert aufträte, noch dann, wenn das allgemeine Werk aus einem einzelnen wirklichen Willen hervorginge, kann dies gelingen. Im ersten Fall, der Gewaltenteilung und ständischen Gliederung der gesellschaftlichen Arbeit, sind die Individuen dazu verurteilt, eine spezifische Aufgabe zu übernehmen, ein bestimmtes Sein zu werden. Sie hören damit auf, allgemeines Selbst zu sein. Aber auch mit dem zweiten Modell, das der Herrschaft eines einzelnen, in dem das Tun dieses einzelnen wirklichen Willen als Werk hervortritt, sind notwendig „alle anderen Einzelnen von dem Ganzen dieser Tat ausgeschlossen“. Es sind die hier herrschenden ,Wissensformen‘, die ein „positives Werk“ verhindern. Für Hegel eröffnet die Bewußtseinsgestalt der „allgemeinen Freiheit“ keinen Weg zu einem positiven Werk. Diese Gestalt bleibt „nur das negative Tun; sie ist nur die Furie des Verschwindens“ (GW 9, 319). In einem positiven Werk konkretisiert sich dagegen das Handeln aller. Hier aber fehlt dem Handeln jeder Bezug zu einer gestaltbaren Wirklichkeit. Einziger Bezugspunkt ist die Allgemeinheit des Selbst, diese kann sich aber ausschließlich im ,Vernichten‘ der anderen Selbstbewußtseine verwirklichen.
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Elisabeth Weisser-Lohmann Allein der Tod ist das Werk der „allgemeinen Freiheit“. Dieser Tod hat keinen „inneren Umfang noch Erfüllung“. Was in diesem Tod negiert wird, ist der „unerfüllte Punkt des absolutfreien Selbsts: „er ist also der kälteste, platteste Tod, ohne mehr Bedeutung, als das Durchhauen eines Kohlhaupts oder ein Schluck Wassers“ (GW 9, 320). Auch die Weisheit der Regierung geht über die „Plattheit der Silbe“ ,Tod‘ nicht hinaus, d. h. die Regierung kann, dies war bereits deutlich geworden als Hegel nach den Gestaltungsmöglichkeiten für ein positives Werk fragte, gar nichts anderes sein, „als der sich fortsetzende Punkt oder die Individualität des allgemeinen Willens“. Diese schließt notwendig die übrigen Individuen aus ihrer Tat aus – de facto hat sich in Hegels Gegenwart in dieser Gestalt das zweite Modell (die absolute Herrschaft eine Individuums) durchgesetzt. In ihrer Tat wird diese Regierung zum bestimmten Willen, dadurch ist sie dem allgemeinen Willen entgegengesetzt: „sie kann daher schlechterdings nicht anders, denn als eine Faktion sich darstellen“ (a. a. O.). Für den Bildungsprozeß des werdenden Wissens bedeutet dies, daß eine weiterführende Analyse der Erfahrung des Selbstbewußtseins möglich wird: das Bewußtsein ist hier bestimmt durch die Erfahrung der absoluten Freiheit. In dieser Gestalt wird sie zum Gegenstand der Erfahrung. Ansich ist die absolute Freiheit abstraktes Selbstbewußtsein, der Schrecken des Todes ist seine Realität und als solcher wird er hier erfahren. Diese Erfahrung steht konträr zu jenem Begriff, den das Selbstbewußtsein von der „absoluten Freiheit“ hat: „daß nämlich der allgemeine Wille nur das positive Wesen der Persönlichkeit sei“ (GW 9, 321). Für das lernende Bewußtsein zeigt sich hier ein Umschlagen: „Der allgemeine Willen, als absolut positives wirkliches Selbstbewußtsein, schlägt, weil es diese zum reinen Denken oder zur abstrakten Materie gesteigerte selbstbewußte Wirklichkeit ist, in das negative Wesen um, und erweist sich ebenso Aufheben des sich selbst Denkens oder des Selbstbewußtseins zu sein.“ (GW 9, 321) In der konkreten geschichtlichen Gestalt, der französischen Revolution, ist es aber letztlich nicht die Einsicht in den negativen Charakter des Selbstverständnisses, die eine Abkehr von der ,Schreckensherrschaft‘ ermöglicht, sondern es ist die Furcht vor dem absoluten Herrn, dem Tod, die eine „Organisation der
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt geistigen Massen“ akzeptieren lehrt. Die Furcht vor dem Tod ermöglicht hier einen Wandel und die Abkehr und Preisgabe des ursprünglichen Zwecks dieser Gestalt, die Verwirklichung der Freiheit durch das einzelne Selbstbewußtsein. Das Selbstbewußtsein kehrt zu einem nur geteilten und beschränkten Werke zurück, einem Werke aber der substantiellen Wirklichkeit. In diesem Werke durchdringen sich Selbstbewußtsein und Substanz in der gleichen Weise wie am Ausgang dieses Prozesses. Wäre dies allerdings das einzige Ergebnis dieser Erfahrung, dann müßte der Geist diesen Kreislauf immer wieder durchlaufen. Es gilt, so betont Hegel, noch einen anderen Aspekt bei dieser ,Rückkehr‘ zu beachten. In der zurückgelassenen Gestalt des Geistes – der absoluten Freiheit – war die „Welt schlechthin in der Form des Bewußtseins, als allgemeiner Wille“ mit dem Selbstbewußtsein in Wechselbeziehung. „Die Bildung, die es in der Wechselwirkung mit jenem Wesen erlangt, ist daher die erhabenste und letzte, seine reine einfache Wirklichkeit unmittelbar verschwinden und in das leere Nichts übergehen zu sehen“ (GW 9, 322). Hier erfährt das Selbst seine Entfremdung unverfälscht, nicht erfüllt als Reichtum oder Ehre. Alle Bestimmungen der Bildung, Ehre, Reichtum, Sprache des Geistes und der Einsicht, der Himmel des Glaubens oder das Nützliche der Aufklärung sind in der Negation der absoluten Freiheit verlorengegangen. Zugleich aber ist diese Negation in ihrer Wirklichkeit nicht ein Fremdes, „sondern sie ist der allgemeine Willen, der in seiner letzten Abstraktion nichts Positives und daher nichts für die Aufopferung zurückgeben kann“, – diese „unerfüllte Negativität des Selbsts schlägt im innern Begriffe zur absoluten Positivität um“ (GW 9, 322). Das Bewußtsein erfährt, daß der allgemeine Wille allein „sein reines Wissen und Wollen ist“. In diesem Wissen und Wollen verliert es nicht sich selbst, denn es ist das Selbstbewußtsein als das „reine Wissen von dem Wesen als reinem Wissen“. Auf dieser Einsicht baut die „Moralität“ als die neue Gestalt des Bewußtseins auf. Für das lernende Bewußtsein erfahrbar werden die neuen Bewußtseinsgehalte aber nur in einer neuen Gestaltung. Diese neue Gestalt des Geistes verwirklicht sich in einem anderen Land bzw. in einem anderen Volk.
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Elisabeth Weisser-Lohmann
V.
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt
Die Freiheit des Selbstbewußtseins ging von den Bewußtseinsgestalten „Stoizismus“ und „Skeptizismus“ in die Gestalt des „unglücklichen Bewußtseins“ über. Wie der Geist entwickelt auch das „unglückliche Bewußtsein“ eine doppelte Welt. Die vom „unglücklichen Bewußtsein“ hervorgebrachten Welten werden von Hegel allerdings nur als Gestalten des Bewußtseins eingeführt, nicht aber begegnen sie als Gestalten einer Welt. Aus der in diesen Gestalten herrschenden Entfremdung zwischen Selbst und Substanz geht für Hegel das moderne Bewußtsein hervor. Aus der Herrschaft des abstrakten Rechts im römischen Reich geht die mittelalterliche Welt mit ihrer Trennung von „Diesseits“ und „ Jenseits“ hervor. Die mit der Person und ihrer Suche nach Substantialität einsetzende Entfremdung erreicht in der „absoluten Freiheit“ ihren Höhepunkt. Grundmotiv aller im Geist-Kapitel vollzogenen Bewegungen, ist die Suche des Selbst nach wirklicher Substanz, nach einer Einheit von Ich und Welt. Die Identifikation über selbstgesetzte Zwecke, Reichtum oder Macht, erweist sich als instabil – beide können sich in wechselnden Kontexten als gut bzw. als schlecht erweisen. Auch der Glaube vermag dem zerrissenen Selbst keine Einheit zu bieten: Ist er doch hier nur Flucht aus der wirklichen Welt. Die Aufklärung zeigt diese negative Bedeutung des Glaubens auf. Mit ihrem Prinzip ,Nützlichkeit‘ versöhnt sie das Reich der Wahrheit des Glaubens mit dem Prinzip der Wirklichkeit. Diese ,Nützlichkeit‘ soll sich aber nicht nur als ein Prädikat des Gegenstandes, sondern auch als die Wirklichkeit des Subjekts erweisen. In der Gestalt der „absoluten Freiheit“ gewinnt das Bewußtsein diese Wirklichkeit. Das Bewußtsein erfährt den allgemeinen Willen als sein Wissen und Wollen. Auf der Grundlage dieser neuen Erfahrung baut sich die neue Gestalt, die Moralität, in einem anderen Land auf. Für die Gestalt der „absoluten Freiheit“ bleibt die Todeserfahrung das Entscheidende. Eine Organisation und Gliederung des allgemeinen Willens wird hier nur aus Furcht vor diesem absoluten Herrn akzeptiert. Diese Furcht allein ermöglicht den Verzicht auf die Verwirklichung des Allgemeinen durch den
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt Einzelnen und damit die Rückkehr zu einem geteilten und beschränkten Werke. In der seit dem Naturrechts-Aufsatz für Hegel gültigen Bindung der sittlichen Lebensformen an ein Volk, zeigen sich somit entscheidende Differenzen. War es im Naturrechts-Aufsatz die „Natur“ dieses Volkes, die die Grenzen einer sittlichen Gemeinschaft bestimmten, so zeigt Hegel in der Phänomenologie, daß es die Grenzen des Bewußtseins sind, die ein Volk an diese oder jene Gestalt binden. Der hier zugrundegelegte Bewußtseinsbegriff ist allerdings exemplarisch zu verstehen, er ist der „Geist“ dieser Gestalt, damit nicht unmittelbar als Wirklichkeit in jedem einzelnen Individuum dieser Gestalt nachzuweisen. Auch die verstärkte Rezeption der Naturrechtslehren hindert Hegel nicht daran, an seinem ursprünglichen Ansatz, der Verbindung von „Sittlichkeit“ und Volk, festzuhalten. Dieser Ansatz wird insofern korrigiert, als diese „Natur“ im Selbst, im Individuum durch die jeweilige Bewußtsseinsform die Grenzen dieser Gestalt bestimmt. Der Zweck, bzw. der allgemeine Wille ist für das lernende Ich am Ende des ,Terrors‘ die Einsicht, daß sich das Allgemeine nur im eigenen Wissen und Wollen bestimmen läßt. Auch ,Irrwege‘ müssen für diese Einsicht gegangen werden. Gestalten, die etwa die Freiheit des Selbst zu ihrem Zweck machen, bleiben dem Ziel alles Wissens und Handelns seit dem Untergang der griechischen Sittlichkeit verpflichtet, die Einheit von Selbst und Substanz herzustellen. Diese Einheit läßt sich nur in der Sittlichkeit eines Volkes verwirklichen, eine Gestalt des Geistes die fähig ist, begrenzte Aufgaben zu ,regionalisieren‘ und in einem Ganzen zu organisieren. Im WerkBegriff als dem Maßstab auch für die Gestalt der „absoluten Freiheit“ wird deutlich, wie Hegel die Ansprüche des modernen Individuums an Selbstverwirklichung mit dem Konzept einer sittlichen Totalität im „Werk eines Volkes“ zu vereinigen sucht. Diese „absolute Freiheit“ als Gestalt der Welt bleibt an diese ,Natur‘, an diesen Zweck gebunden, er ist ihre ,Substanz‘. Für das lernende Bewußtsein, das zum absoluten Wissen fortschreitet, ist der Übergang von einer Gestalt zur anderen – gleichgültig, ob diese nun eine Gestalt des Bewußtseins oder eine Gestalt der Welt ist – nur durch die neu gewonnenen Einsichten zu vollziehen. Dieser Übergang ist aber dem Bewußtsein der wirklichen Gestalten verwehrt. Indem das Indivi-
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Elisabeth Weisser-Lohmann duum mit seiner ,Deutung‘ und ,Auffassung‘ gestaltend in die Welt eingreift, ist seine Entfremdung und die Versuche ihrer Überwindung zu einem Machtfaktor in der sozialen und politischen Realität geworden. Hier erweist sich die Bedeutung der Sprache, des Reichtums, des Glaubens. Sie sind diejenigen Faktoren, die diese Gestalt der Welt ermöglichen und sie legitimieren. Eine „gestaltete Welt“ wird hier zum erfahrbaren Gegenstand des lernenden Bewußtseins, so wie auf den früheren Stufen Gestalten des Bewußtseins erfahrbar wurden. Das in dieser Welt heimische Bewußtsein ist in seiner ganzen Wirklichkeit sosehr in diese Gestalt eingebettet, daß ihm das einfache Weiterschreiten zu einer neuen Gestalt versagt bleibt. Dies ist die ,neue‘ Situation, die mit dem Geist-Kapitel für die im Erfahrungsprozeß in Anspruch genommenen Gestalten besteht. Diese Gestalten sind insofern unlösbar an ihre Wirklichkeit gebunden, als die Bewußtseinsformen hier objektive Institutionen hervorbringen und tragen. Für den Erfahrungsprozeß des werdenden Wissens werden auch diese Gestalt einer Welt zum Objekt der Erfahrung und des Lernens der Grundbestimmungen des absoluten Wissens. Muß aber nicht dieses Weiterschreiten des Geistes, die Teleologie, die sich an dem Endpunkt dieses Prozesses orientiert, nicht gerade an diesem Wendepunkt problematisch erscheinen? Werden die wirklichen Gestalten nicht vom spekulativen Wissen für den eigenen Zweck – sich Bewußtsein zu geben – mißbraucht? Für die frühe Jenaer Konzeption gab die Natur eines Volkes die inneren Entwicklungsmöglichkeit an. Interner Maßstab für die Beurteilung der einzelnen Gestalten war die Fähigkeit zur Ausbildung der absoluten Sittlichkeit. Ein Vergleich der unterschiedlichen Gestalten, ihre Reihung in einer Teleologie war nicht angestrebt. Die jeweilige „Natur“ gab Ziel, Zweck und Möglichkeiten der einzelnen Gestalten vor. Vor dem Ziel die Wissenschaft, das absolute Wissen zu erreichen, werden die wirklichen Gestalten im Bildungsprozeß der Phänomenologie Teil eines notwendigen Weiterschreitens zu neuen vollendeteren Gestalten. Auffällig bleibt die Zurückhaltung Hegels bei der konkreten Zuordnung der von ihm geschilderten Gestalten zu historischen Phänomenen: die französische Revolution, Napoleon usw. werden nicht ausdrücklich genannt. Hegels Bezug auf konkrete geschichtliche Phänomenen wurde von der For-
Gestalten nicht des Bewußtseins, sondern einer Welt schung wiederholt herausgearbeitet.10 Daß Hegel sich bei der Benennung seiner historischen Bezugspunkte zurückhält, könnte ein Hinweis darauf sein, daß die erfahrenen Gestalten für ihn eben nicht nur in dieser historischen Situation auftreten, sondern als exemplarische Formen sich durchaus in anderen Konstellationen wiederfinden lassen. Die Teleologie bezöge sich aber dann nur auf den Gang des Wissens, nicht aber ist sie damit automatisch in der Geschichte selbst wirksam. Dies würde bedeuten, daß den vom lernenden Bewußtsein erfahrenen Gestalten auch im Geist-Kapitel rein exemplarische Bedeutung zukommt. Die herangezogenen historischen Beispiele sind als exemplarische Gestalten allein von den Formen des absoluten Wissens in Anspruch genommen. Ihre Reihung und Teleologie bezöge sich lediglich auf den Lernprozeß bzw. auf die Selbstdeutung der Gegenwart im absoluten Wissen, nicht aber wäre hier der faktischen Geschichte eine immanente Zielgerichtetheit zugrundegelegt.11
Literatur Bienenstock, Myriam 1992: Politique du jeune Hegel. Jena 1801–1806. Paris. Düsing, Klaus 1976: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Bonn. Fichte, I. H. 21841: Beiträge zur Charakteristik der neueren Philosophie oder kritische Geschichte derselben von Des Cartes und Locke bis auf Hegel. Sulzbach. Fulda, H. 1965: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik. Frankfurt a.M. Haym, R. 1857: Hegel und seine Zeit. Berlin. Lukács, Georg 1948: Der junge Hegel. Über die Beziehung von Ökonomie und Dialektik. Zürich. NA 2 Bände. Frankfurt a.M. 1973. Metzke, E. 31970: Die Vorreden Hegels. Heidelberg. Pöggeler, Otto 21993: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/ München. Schmitz, Hermann 1992: Hegels Logik. Bonn, Berlin. Siep, Ludwig 1979: „Anerkennung“ als Prinzip der praktischen Philosophie. Freiburg.
10 Vgl. etwa die Studie von D. Köhler zu Hegels Jacobi-Rezeption in: ders. 1993: Hegels Gewissensdialektik. Hegel-Studien 28, 127–141. 11 Jener „tiefe Zusammenhang“, den Lukács zwischen der logischen Abfolge der Kategorien und der historischen Entwicklung der Menschheit in der Phänomenologie aufgewiesen sieht, wäre hier somit gerade nicht zu finden.
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Hegels Gewissensdialektik
Dietmar Köhler
Hegels Gewissensdialektik
Bei der Betrachtung der vorliegenden Interpretationen zum Kapitel VI. C. c. von Hegels Phänomenologie des Geistes, „Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeyhung“, fällt zunächst auf, daß die begrifflich-systematischen, gleichsam Hegel-immanenten Interpretationen1 und diejenigen, die dieses Kapitel als eine Art Zeit- und Literaturkritik verstehen,2 offenbar auseinanderfallen. Ferner tritt die Interpretation der Phänomenologie in diesen Arbeiten in keinen wesentlichen Bezug zu Hegels Arbeiten bzw. Vorlesungen im Umfeld der Phänomenologie, insbesondere den Jenaer Systementwürfen wie dem Vorlesungsmanuskript zur Realphilosophie von 1805/06.
1 Hierzu zu rechnen sind u. a. Lübbe, H. 1964: Zur Dialektik des Gewissens nach Hegel. In: Hegel-Studien. Beiheft 1. Heidelberger Hegel-Tage 1962. Vorträge und Dokumente. Hg. von H.-G. Gadamer. Bonn, 247–261; ferner Kaan, A. 1966: Le mal et son pardon. In: Hegel-Studien. Beiheft 3. Hegel-Tage Royaumont 1964. Beiträge zur Deutung der Phänomenologie des Geistes. Hg. von H.-G. Gadamer. Bonn, 187–194; schließlich Scheier, C.-A. 1980: Analytischer Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Architektonik des erscheinenden Wissens. Freiburg/ München, besonders 469–509. 2 Vgl. Hirsch, D. E 1926: Die Beisetzung der Romantiker in Hegels Phänomenologie. Ein Kommentar zu dem Abschnitte über die Moralität. In: Die idealistische Philosophie und das Christentum. Gesammelte Aufsätze von D. Emanuel Hirsch. Hg. von C. Stange. Gütersloh, 117–139; zuerst abgedruckt in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Bd. 2. 1924. Heft 3, 510–532. Daneben von besonderer Bedeutung ist die Arbeit von Falke, G. 1987: Hegel und Jacobi. Ein methodisches Beispiel zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien 22, 129–142.
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Dietmar Köhler Demgegenüber geht die nachfolgende Untersuchung sowohl von einer engen Verschränkung von systematisch-begrifflicher Problementfaltung mit der Zeit- und Literaturkritik im ,Gewissenskapitel‘ der Phänomenologie des Geistes, aufgrund welcher die Gewissensdialektik erst ihren eigentlichen Leistungssinn entfaltet, wie von einer Entsprechung des Aufrisses der spekulativen Philosophie von 1805/06 mit dem „Programm“ der Phänomenologie aus.3 Diese sachliche Übereinstimmung, nach der „jedem abstracten Momente der Wissenschaft eine Gestalt des erscheinenden Geistes“ d. h. jedem spekulativen Begriff der Logik eine je spezifische sachliche Erörterung in der Phänomenologie entsprechen müßte (vgl. GW 9, 432), kann in dieser kurzen Arbeit selbstverständlich nicht eigens aufgewiesen, sondern muß vorausgesetzt werden; jedoch soll der Vergleich zur gewandelten Ausprägung der Gewissensdialektik in Hegels späterer Rechtsphilosophie zeigen, daß die spezifischen Änderungen dieser Konzeption auf eine Wandlung des „Systems“ im Ganzen, insbesondere der spekulativen Philosophie, und damit auch auf eine modifizierte Funktion der Phänomenologie zurückgehen. Die folgenden Überlegungen hätten demnach zunächst auf die Verschränkung von Zeitkritik und begrifflich-systematischer Problementfaltung in der Gewissensdialektik einzugehen, um daran anschließend den Sinn des ,Gewissenskapitels‘ im Ganzen der Phänomenologie herauszustellen sowie schließlich die veränderte Funktion und Ausprägung der Gewissensdialektik innerhalb der Hegelschen Rechtsphilosophie im Kontext des gewandelten „Systems“ darzulegen.
3 Gegenteiliger Auffassung ist Schmitz, H. 1992: Hegels Logik. Bonn, Berlin; besonders 300–307. Ohne seiner Argumentation hier im einzelnen entgegenzutreten, was den Rahmen dieser Untersuchung bei weitem sprengen würde, muß an dieser Stelle doch angemerkt werden, daß seine eigenwillige Deutung von Hegels Aufriß der spekulativen Philosophie im Vorlesungsmanuskript zur Realphilosophie von 1805/06 (vgl. GW 8, 286) wie auch das von ihm praktizierte Verfahren, wesentliche Teile des Hegelschen Textes als nicht zur „eigentlichen“ Phänomenologie von 1807 gehörig auszuschließen, keineswegs überzeugen. Demgegenüber betrachtet die nachfolgende Untersuchung den vorliegenden Text der Phänomenologie als eine – trotz der „größeren Unform der letztern Partien“ – sich zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügenden Einheit, und dies gerade vor dem Hintergrund seiner Entsprechung zum o. g. Aufriß der spekulativen Philosophie.
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I. Die Verflechtung von Zeitkritik und begrifflich-systematischer Problementfaltung im ,Gewissenskapitel‘ der Phänomenologie des Geistes Im Zuge einer Analyse des komplexen Zusammenhanges von Hegels Kritik an zeitgenössischen Positionen auf der einen und strenger, begrifflich-systematischer Argumentation auf der anderen Seite im Kapitel VI. C. c. der Phänomenologie des Geistes erscheint es zunächst zweckmäßig, den Argumentationsgang dieses Kapitels in seinen wesentlichen Etappen kurz zu skizzieren: Nach seiner Kritik an der nur abstrakten Allgemeinheit der Französischen Revolution in dem Abschnitt über „Die absolute Freiheit und der Schrecken“ am Schluß des Kapitels VI. B. „Der sich entfremdete Geist; die Bildung“ weist Hegel auf, daß der sich entfremdete Geist sich der selbstzerstörerischen absoluten Freiheit abkehren und dem Land des moralischen Geistes – Preußen als dem Land der Kantischen Moralphilosophie – mit Notwendigkeit zuwenden müsse. Jedoch bleibt auch der Standpunkt der Kantischen Moralphilosophie und seiner Postulatenlehre ein bloßes „Durchgangsstadium“ der Entfaltung des moralischen Selbstbewußtseins, indem die Abschnitte über „Die moralische Weltanschauung“ und „Die Verstellung“ zeigen, daß das der Kantischen Moralphilosophie entsprungene moralische Bewußtsein sich in eine Vielzahl von Widersprüchen verstrickt, welche sämtlich darauf zurückgehen, daß das Bewußtsein Moralität und Pflicht in ein von ihm selbst verschiedenes Wesen setzt und somit einen Unterschied macht, „der nicht einmal mehr in den Worten liegt“. (GW 9, 339)4 4 Daß die Kantische Moralphilosophie und hier im speziellen seine Postulatenlehre in Hegels Interpretation zum Teil erhebliche Umdeutungen erfahren und somit Hegels Kant-Kritik nur mit deutlichen Einschränkungen als berechtigt zu werten ist, kann in dieser Arbeit leider nicht näher verfolgt werden. Den Anfängen von Hegels Deutung der Kantischen Postulatenlehre ist Klaus Düsing in dem Aufsatz nachgegangen: Die Rezeption der Kantischen Postulatenlehre in den frühen philosophischen Entwürfen Schellings und Hegels. In: Hegel-Studien. Beiheft 9. Bonn 21982, 53–90.
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Dietmar Köhler Im Gegensatz zu dem moralischen Bewußtsein weiß das Gewissen als unmittelbares Wissen seiner selbst in dem Abschnitt VI. C. c. „Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeyhung“ sich selbst zugleich als das reine Allgemeine bzw. die Pflicht, da es keine andere Bestimmung als diese Sichselbst-Gleichheit hat. Seine Gewissenhaftigkeit besteht dann nicht in der daseienden äußeren Handlung, sondern in der Überzeugung seiner Pflichtgemäßheit. Diese Überzeugung muß ausgesprochen werden, nur so kann sie von den Anderen, die ihrerseits ihre Überzeugung ausdrücken, anerkannt werden. Durch dieses wechselseitige Aussprechen der Überzeugung ist die strukturelle Gleichheit wie allgemeine Anerkennung der je individuellen Gewissen gegeben. Das Gewissen verliert so alle gegenständliche Äußerlichkeit; nur die von ihm selbst geäußerte Rede kehrt quasi als „Echo“ zu ihm zurück. Damit aber fehlt diesem Gewissen die „Kraft der Entäußerung“, als absolute Innerlichkeit, die ihre Reinheit zu bewahren sucht, wird es zur „schönen Seele“. Das wirklich handelnde Gewissen jedoch begibt sich durch die Bestimmtheit seiner Handlung in den Gegensatz zur Allgemeinheit der Pflicht; zugleich steht seine besondere Einzelheit im Gegensatz zu den anderen Einzelnen. Dem beurteilenden Gewissen nun gilt das handelnde als böse und heuchlerisch, da es mit dem Allgemeinen ungleich ist, jedoch sein Tun als pflichtgemäße Gewissenhaftigkeit, die ja immer dem Allgemeinen entsprechen müßte, ausspricht. Auch das beurteilende Gewissen seinerseits ist aber böse und heuchlerisch, indem es die Tat des handelnden Gewissens nach seiner Überzeugung beurteilt, selbst jedoch gar nicht handelt, d. h. die Pflicht nicht verwirklicht. Darüber hinaus unterstellt es dem von der Pflicht überzeugten handelnden Gewissen eine aus dem Inhalt der Handlung entlehnte Absicht und gibt diese individuelle Einschätzung als allgemein gerechte Beurteilung aus. Insofern also auch das beurteilende Gewissen das Moment des Bösen enthält, erkennt sich das handelnde in jenem wieder und bekennt sich um der Gleichheit mit dem anderen willen, erwartet aber auch von dem beurteilenden Gewissen das Eingeständnis seiner Schuld. Das beurteilende Gewissen verweigert jedoch als „hartes Herz“ dieses Eingeständnis, es stellt dem Eingeständnis des Bösen seine „schöne Seele“ entgegen. Da-
Hegels Gewissensdialektik durch setzt es sich selbst ins Unrecht und ist zerrüttet, da ihm die Verwirklichung und Anerkennung im anderen fehlt. In der Folge muß das urteilende Gewissen sein einseitiges, nicht anerkanntes Urteil aufgeben, d. h. verzeihen, ebenso wie ihm von dem handelnden Bewußtsein verziehen wird: Die Versöhnung als gegenseitiges Anerkennen ist Ausdruck des absoluten Geistes. In diesem Prozeß weiß der absolute Geist sich als Gegensatz und Wechsel mit sich selbst, d. h. sowohl als handelndes – einzelnes, für-sich-seiendes – Gewissen als auch als beurteilendes, somit abstraktes und unwirkliches Gewissen. In der Rede vollzieht sich die Versicherung der Gewißheit des Geistes in sich selbst. Erst über diese Entäußerung kehrt das in seinem Dasein entzweite Wissen in die Einheit seines Selbst zurück als „das allgemeine sich selbst Wissen in seinem absoluten Gegentheile“ (GW 9, 362). Die hier aufgezeigte Struktur des ,Gewissenskapitels‘ stimmt nun recht genau und an einzelnen Stellen bis hin zu wörtlichen Anklängen mit dem Entwicklungsgang von Friedrich Heinrich Jacobis Roman Woldemar 5 überein, wie in Ansätzen bereits in den 20er Jahren von Emanuel Hirsch und zuletzt ausführlich von Gustav Falke nachgewiesen worden ist.6 Der erste Teil des
5 Jacobi, F. H.: Werke. Hrsg. v. F. Roth und F. Köppen. Nachdruck. Darmstadt 1980. Bd. 5. Woldemar: 1. und 2. Teil. Auf die unterschiedlichen Fassungen des Woldemar ist in diesem Zusammenhang nicht näher einzugehen, da Hegel nicht ganze Textpassagen übernimmt oder gar zitiert, sondern nur einzelne Worte aus dem Woldemar verwendet (z. B. „schöne Seele“), die wie die Grundproblematik des Romans als invariante Elemente hinsichtlich der diversen Modifikationen der einzelnen Fassungen gelten können. (Daß der Begriff „schöne Seele“ seit Schiller und Goethe als durchaus geläufiger Zeitbegriff auftaucht, spricht nicht gegen Hegels terminologische Anknüpfung an Jacobi, da Hegel diesen Begriff hier in einer spezifisch Jacobischen Ausprägung, welche mit derjenigen Goethes und Schillers völlig inkompatibel ist, verwendet.) 6 Siehe hierzu Anm. 4. Den Ausführungen Falkes ist in diesem Zusammenhang nur zuzustimmen, jedoch betrachtet seine Arbeit nicht hinreichend die begrifflich-systematische Problementfaltung der Hegelschen Gewissensdialektik sowie ihre Funktion hinsichtlich der Gesamtintention der Phänomenologie, sondern liest das ,Gewissenskapitel‘ unter „sozialhistorischer“ Perspektive als eine Art von Literatur- und Zeitkritik. Fraglich bleibt überdies, ob dem Bezug zu Jacobis Woldemar wirklich ein so herausragender struktureller Vorzug gegenüber dem zu anderen Romantikern einzuräumen ist, was der m. E. paradigmatischen Rolle der
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Dietmar Köhler Romans bringt eine allgemeine Exposition der Moralitäts-, Tugend- und Gewissensproblematik, wobei Woldemar als die Hauptfigur des Romans den Standpunkt des Gewissens mit Nachdruck gegen die überkommenen Tugend- und Moralitätskonzeptionen sowie die Positivität der Gesetze proklamiert. Dieser Teil läßt sich mit der positiven Darstellung des Gewissensstandpunktes in der Phänomenologie gleichsetzen als einer Überwindung der Kantischen Trennung von Bewußtsein und Pflicht. Im zweiten Teil des Romans wird die unmittelbare Gewissenhaftigkeit Woldemars dadurch problematisiert, daß ihre Einseitigkeit und damit ihr Widerspruch zur Allgemeinheit der Tugend aufgewiesen, ja das Gewissen selbst aufgrund seiner Absolutsetzung gegenüber den anderen und der damit einhergehenden mangelnden Einsicht in die Berechtigung des Gewissensstandpunktes anderer als böse und heuchlerisch entlarvt wird. Modern gesprochen müßte man sagen, daß das Phänomen der Intersubjektivität als Korrektiv gegenüber dem zum absoluten Maßstab erhobenen je individuellen Gewissenstandpunkt geltend gemacht wird. Diese Problementwicklung entspricht wiederum genau der der Gewissensdialektik der Phänomenologie, wobei das handelnde Gewissen mit Woldemars „Gegenspielerin“ Henriette, das beurteilende Gewissen aber mit Woldemar selbst zu identifizieren ist. Da Hegel schon seit seiner Zeit im Tübinger Stift Jacobis Romane Woldemar und Allwill rezipiert hat und später in den ersten Jenaer Jahren in Glauben und Wissen ausdrücklich zu Jacobis Moralitätskonzeption, wie sie u. a. im Woldemar entfaltet ist, kritisch Stellung bezieht (vgl. GW 4, 382 f.), muß seine Kenntnis dieses Romans als einer möglichen Vorlage für die Darstellung der Gewissensdialektik in der Phänomenologie des Geistes nicht erst eigens nachgewiesen werden. Es könnte im Gegenteil der Eindruck entstehen, als sei das „Gewissenskapitel“ ausschließlich zum Zweck einer Kritik an den zeitgenössieinzelnen Momente der Gewissensdialektik doch widerspräche. Vgl. Falke 1987, 134, Anm. 6. Anders – und m. E. treffend – dagegen interpretiert Otto Pöggeler Hegels Bezug zu den Romantikern, da er sowohl die strukturelle Parallelität zu Jacobis Woldemar, wie die Nähe der Einzelgestalten im ,Gewissenskapitel‘ zu Hegels Sicht seiner Zeitgenossen (Novalis, Hölderlin, Schleiermacher, Fr. Schlegel u. a. ) aufweist. Vgl. Pöggeler, O. 1956: Hegels Kritik der Romantik. Bonn; besonders 49 ff.
Hegels Gewissensdialektik schen Moralitätskonzeptionen – nicht nur derjenigen Jacobis – verfaßt worden. Jedoch gibt es auch Indizien dafür, daß Hegel entgegen etwa seiner schroffen Polemik gegenüber dem Woldemar in den Vorlesungen über die Ästhetik7 in dem ,Gewissenskapitel‘ der Phänomenologie noch in einer durchaus positiven Weise an Jacobi anknüpft. Zunächst ist zu bedenken, daß der Standpunkt der Gewissensdialektik als der Abschluß des Geist-Kapitels die höchste Stufe der Entfaltung der Moralitäts- und Sittlichkeitsproblematik innerhalb der Phänomenologie darstellt. Ihm folgen nur noch die Kapitel über „Die Religion“ und „Das absolute Wissen“, welche aber nicht mehr ausdrücklich die Moralitätsproblematik thematisieren. Ferner aber ist durch das Motiv der Versöhnung in der gegenseitigen Anerkennung die Sphäre des absoluten Geistes bereits berührt; das Prinzip der Anerkennung, welches schon in dem Abschnitt über „Herrschaft und Knechtschaft“ eine herausragende Rolle spielt, erweist sich als eine letzte teleologische Struktur, die zu Religion und absolutem Wissen hinführen soll. So weist die Phänomenologie hinsichtlich der Moralitätsproblematik keinerlei „Alternativen“ zum Standpunkt der Gewissensdialektik auf, – im Gegenteil: Jene Dialektik, zu der wie in Schellings Freiheitsschrift von 1809 das Moment des Bösen notwendig hinzugehört, muß als unabdingbare Voraussetzung für die Möglichkeit des Guten bzw. der Wahrheit der Sittlichkeit gelten. Die Konzeption Jacobis wird hier also nicht einfach kritisiert und überwunden, sondern sie ist geradezu als paradigmatisch für den Erfahrungsprozeß des moralischen Bewußtseins aufzufassen. Diese Einschätzung wird bestätigt durch die teleologische Gesamtstruktur der Phänomenologie und insbesondere des Geist-Kapitels. Weder die Interpretation der Antigone oder der Romane Diderots noch die Charakterisierung der Französischen Revolution sowie die Kritik an der Kantischen Morali-
7 Vgl. Werke 10, 310: „Diese Schwäche [gemeint ist Werther] hat später bei immer steigender Vertiefung in die gehaltlose Subjektivität der eigenen Persönlichkeit noch mannigfach andre Formen angenommen. Die Schönseeligkeit z. B. Jakobi’s in seinem Woldemar läßt sich hierher rechnen. In diesem Roman zeigt sich die vorgelogene Herrlichkeit des Gemüths, die selbsttäuschende Vorspieglung der eigenen Tugend und Vortrefflichkeit im vollsten Maaße. …“
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Dietmar Köhler tätskonzeption sind für Hegel Selbstzweck; vielmehr sollen sie einführen in die unterschiedlichen „Etappen“ der Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins und damit zugleich wesentliche Grundbegriffe einer „Philosophie des Geistes“ explizieren. Folglich ist es nicht als zufällige Nachlässigkeit Hegels anzusehen, daß Kant nur mit einer Bemerkung, die völlig außerhalb des diskutierten Problemzusammenhanges steht, zitiert wird und der Name Jacobis gar nicht auftaucht: Beide Positionen stehen in ihrer paradigmatischen Funktion stellvertretend sowohl für eine bestimmte geistesgeschichtliche Epoche wie für eine spezifische, systematische Konzeption. Die Verknüpfung der beiden letztgenannten Momente macht ein wesentliches Charakteristikum der Phänomenologie aus, so daß eine explizite, isoliert vorgetragene Kant- bzw. Jacobi-Kritik abseits der zu entfaltenden Sachprobleme dem Grundtenor der Phänomenologie gerade zuwiderliefe, da ja die Aufgabe der letzteren nach Hegel eben darin besteht, die Geschichte, d. h. „das wissende sich vermittelnde Werden“ des entäußerten Geistes in ihrer „begriffnen Organisation“ aufzubewahren. (GW 9, 433 f.)
II. Stellung und Bedeutung der Gewissensdialektik innerhalb der Phänomenologie des Geistes sowie hinsichtlich des damaligen Hegelschen ,Systems‘ Unter der Voraussetzung, daß das von Hegel in der Vorrede und der Einleitung vorgetragene „Programm“ der Phänomenologie dem Text selbst im wesentlichen entspricht, ergibt sich ein notwendiger Fortgang auf dem Weg der bestimmten Negation von den einfachsten Gestalten des Bewußtseins in der sinnlichen Gewißheit bis hin zum absoluten Wissen, in welchen sich die Gewissensdialektik als ein Entwicklungsstadium dieses Prozesses einreihen muß.8 Näheren Aufschluß über die konkrete 8 Auf die Probleme der Entwicklungsgeschichte und Modifikationen während der Ausarbeitung der Phänomenologie des Geistes kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden; es mag hinsichtlich der hier allein verfolgten Fragestellung genügen, von der uns vorliegenden Textfassung auszugehen, die jedoch m. E.
Hegels Gewissensdialektik Stellung der Gewissensdialektik innerhalb dieser teleologischen Gesamtstruktur gewährt der Aufriß des Geistkapitels, den Hegel mit dem Satz beschließt: „Die sittliche Welt, die in das Disseits und Jenseits zerrissene Welt und die moralische Weltanschauung sind also die Geister, deren Bewegung und Rückgang in das einfache fürsichseyende Selbst des Geistes sich entwickeln, und als deren Ziel und Resultat das wirkliche Selbstbewußtsein des absoluten Geistes hervortreten wird.“ (GW 9, 240) Insofern der „Rückgang in das einfache fürsichseyende Selbst des Geistes“ über die vollkommene Entäußerung sich in der Gewissensdialektik darstellt, entfaltet diese das zentrale Motiv der Phänomenologie, die Substanz als Subjekt zu fassen und zwar als Resultat einer Vermittlung, d. h. einer „sich bewegende[n] Sichselbstgleichheit“ (GW 9, 19). Dies drückt sich am Schluß des ,Gewissenskapitels‘ darin aus, das das gegenseitige SichAnerkennen im versöhnenden „Ja“ dem absoluten Geist gleichgesetzt wird, indem dieses Anerkennen den Punkt markiert, wo der absolute Geist sich als Gegensatz und Wechsel mit sich nicht als reines „Zufallsgebilde“ aufzufassen ist. Vgl. hierzu Pöggeler, O. 21993: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München; ferner ders. 1966: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien. Beiheft 3, 27–74. In anderer Weise thematisiert auch Hermann Schmitz diese Problematik; gegenüber seiner „Rekonstruktion“ des „ursprüglichen Plans“ der Phänomenologie nimmt sich der vorliegende Text eher wie eine „Entgleisung“ Hegels aus. Das ,Gewissenskapitel‘ hätte sich nach Schmitz’ Hypothese urspünglich dem nach seiner Auslegung zentralen Kapitel V. C. a. „Das geistige Thierreich und der Betrug, oder die Sache selbst.“ anschließen müssen, da nach seiner Theorie das gesamte GeistKapitel (VI) wie auch die Kapitel VII und VIII aus dem „ursprünglichen Plan“ der Phänomenologie herausfallen. Ohne Schmitz’ Behauptungen hier im einzelnen entgegenzutreten, was zweifellos eine eigenständige Abhandlung erfordern würde, erheben sich doch Bedenken gegen das von ihm praktizierte Verfahren: Auf der einen Seite ergibt gerade das Geist-Kapitel auch in seiner tatsächlichen Stellung innerhalb des Textes der Phänomenologie nach meiner Überzeugung einen guten Sinn, auf der anderen Seite fasse ich Hegels historische Anspielungen keineswegs als „zum Himmel schreiende Anachronismen“ auf, sondern als paradigmatische Gestalten für die Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins. Ich unterstelle in diesem Zusammenhang, daß Hegel seine Auffassung von „Geschichte“, wie er sie auf den letzten Seiten der Phänomenologie entfaltet, dem Text selbst durchgehend zugrundelegt, was Schmitz offenbar nicht tut, da er schließlich auch das gesamte Kapitel über das absolute Wissen aus der „ursprünglichen Fassung“ der Phänomenologie eliminieren möchte. Vgl. Schmitz 1992, 238 ff.; besonders 282 ff.
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Dietmar Köhler selbst erkennt, d. h. das in seinem Dasein absolut entzweite Wissen in die Einheit des Selbstbewußtseins zurückkehrt. Hierin vollzieht sich die Vermittlung der abstrakten Allgemeinheit der Pflicht, des An-sich, mit der absoluten Einzelheit des Selbst, dem Für-sich. So stellt die Gewissensdialektik als noch zum Geist-Kapitel gehörig in gewisser Weise auch schon die Überleitung zu den folgenden Kapiteln über die Religion und das absolute Wissen dar. In diesem Zusammenhang erscheint es bemerkenswert, daß der Standpunkt der gegenseitigen Anerkennung in der Gewissensdialektik zu Beginn des Religions-Kapitels nicht etwa in Form einer Zurückweisung kritisch aufgehoben wird, sondern in diesem siebten Kapitel der Phänomenologie lediglich die vorher schon implizit enthaltene Religions-Thematik ausführlich in den verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung entfaltet wird. Die Gewissensdialektik läßt sich somit gleichsam als „Schnittstelle“ der Sphären des subjektiven, des objektiven und des absoluten Geistes – um diese Termini hier einmal in einer allein auf die Phänomenologie zu übertragenden Bedeutung zu gebrauchen – auffassen. Das einzelne handelnde und sich dabei absolut setzende Selbstbewußtsein könnte dabei stellvertretend für die Sphäre des subjektiven Geistes stehen, während im beurteilenden Gewissen sowie der Allgemeinheit der Pflicht und der Rede vor dem Hintergrund der „Intersubjektivitäts-Problematik“ die Sphäre des objektiven Geistes dargestellt wird, wie schon zuvor die Frage nach der geschichtlichen Wahrheit der Sittlichkeit wesentlich dem objektiven Geist zuzuordnen ist. Das Prinzip der Anerkennung schließlich wie die Sich-selbst-Gewißheit in der Bewegung seiner Gegensätze verweisen auf den absoluten Geist. Aus dem Bisherigen ergibt sich, daß die Gewissensdialektik keineswegs allein die Spitze von Hegels Erörterung der Moralitätsproblematik darstellt, sondern zugleich die Grundstrukturen spekulativer Begriffe, insbesondere die – von Hegel positiv gefaßte – antinomische Grundstruktur des Geistes freilegt. Dies geschieht in exemplarischer Weise mittels der Beschreibung des Erfahrungsprozesses des Bewußtseins im Umgang mit den spekulativen Grundbegriffen, damit der Geist sich in seiner „Tiefe“ offenbaren kann, wie Hegel noch im letzten Absatz der Phänomenologie fordert (vgl. GW 9, 433). Somit steht die Erläu-
Hegels Gewissensdialektik terung des Geist-Begriffs im ,Gewissenskapitel‘ in enger Verwandtschaft zur Logik oder spekulativen Philosophie und ist nicht allein Sache der Ethik oder der praktischen Philosophie. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang auf die grundsätzliche Entsprechung der Kapitelabfolge in der Phänomenologie zur damaligen Gliederung von Hegels Logik, wie sie sich aus der Übersicht am Schluß des Vorlesungsmanuskriptes zur Realphilosophie von 1805/06 ergibt ([1.] „absolutes Seyn, [2.] das sich andres (Verhältniß wird) [3.] Leben und Erkennen – und [4.] wissendes Wissen, [5.] Geist, [6.] Wissen des Geistes von sich“ (GW 8, 286, Numerierung D. K.)), zu verweisen.9 Das Geist-Kapitel der Phänomenologie entspräche demnach dem fünften Kapitel der Logik als einer spekulativen Philosophie. (Bekanntlich ist Hegels in dem o. g. Aufriß des Systemfragmentes III beschriebene Logikkonzeption nie zur Ausführung gelangt, sie darf jedoch keinesfalls mit der späteren Wissenschaft der Logik gleichgesetzt werden.) Bereits in der Vorrede zur Phänomenologie führt Hegel aus, daß die Logik nur die Bewegung „des Lebens der Wahrheit“ methodisch darlege und so den „Bau des Ganzen in seiner reinen Wesenheit“ aufstelle (GW 9, 35). Demnach behandeln Logik und Phänomenologie ein- und denselben Inhalt in je spezifischer Art und Weise. Der Logik liegen jedoch die Gegenstände des Wissens bereits in „der Form der Einfachheit“ (GW 9, 30) als bestimmte Begriffe vor, während in der Phänomenologie als einer Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins die Gestalten des Bewußtseins noch in den Gegensatz des Seins und des Wissens bzw. des Wissens und der Wahrheit auseinandertreten und sich wieder aufheben (vgl. GW 9, 432). Demgemäß führt die Phänomenologie gewissermaßen auf notwendig zu beschreitenden Umwegen ein in die spekulativen Grundbestimmungen, von denen im ,Gewissenskapitel‘ insbesondere die Strukturen des Geistes in seinem Verhältnis zum Selbstbewußt-
9 Die Entsprechung der einzelnen Momente der Logik oder spekulativen Philosophie gegenüber denen der Phänomenologie des Geistes hat Otto Pöggeler mehrfach dargelegt, zuletzt in dem Aufsatz: Ansatz und Aufbau der Phänomenologie des Geistes. In: Journal of the Faculty of Letters. The University of Tokyo. Aesthetics. Vol. 13. Tokyo 1988, 11–36; besonders S. 21 ff. Diesen Ausführungen schließt sich die nachfolgende Interpretation vollinhaltlich an.
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Dietmar Köhler sein sowie die in diesem Zusammenhang zentralen Phänomene der Sprache, des Bösen und der Versöhnung in ihrem Bezug zum Göttlichen erörtert werden. Gerade die Gewissensdialektik gibt in ihrer oben charakterisierten Funktion ein ausgezeichnetes Beispiel für den engen systematischen Zusammenhang von Logik und Phänomenologie in Hegels frühem philosophischen „System“, wobei dieses „System“, dessen genaue Ausgestaltung nur aus den Fragmenten und Entwürfen jeweils zu erschließen ist, weder als ein uniformer, in sich völlig konsistenter Block noch als ein vages, mehr oder weniger zufälliges Beziehungsgefüge aufzufassen ist.
III. Die modifizierte Funktion der Gewissensdialektik innerhalb der Rechtsphilosophie Bereits in den Nürnberger Jahren Hegels wandelt sich die Rolle der Phänomenologie, wie Hegel sie etwa im Paragraphen 129 der Philosophische[n] Enzyklopädie für die Oberklasse definiert, grundlegend gegenüber der Phänomenologie von 1807: Die Phänomenologie des Geistes rückt neben Anthropologie und Psychologie und untersucht den Geist als Bewußtsein, insofern er sich auf ein Anderes als ein Objekt bezieht. Deutlicher noch tritt die veränderte Stellung der Phänomenologie in der Gliederung in allen drei Auflagen der Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften im Grundrisse zutage. Hier gehört die Phänomenologie des Geistes neben der Anthropologie und der Psychologie zur Lehre vom subjektiven Geist und umfaßt nunmehr lediglich die Abschnitte „Bewußtsein als solches“, „Selbstbewußsein“ und „Vernunft“. Die Gewissensproblematik kann aber nach dieser Einteilung nicht mehr innerhalb der Phänomenologie des Geistes abgehandelt werden, sondern sie fällt in einen anderen Teil der Realphilosophie, in das Moralitätskapitel der Lehre vom objektiven Geist.10
10 Zur gewandelten Funktion und Ausprägung der Phänomenologie im Hinblick auf das spätere „System“ Hegels vgl. Pöggeler 1988, 30 ff.
Hegels Gewissensdialektik Diese systematische Einordnung entspricht genau der Gliederung der Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1820, wo die Gewissensthematik im zweiten Teil „Die Moralität“ unter dem dritten Abschnitt „Das Gute und das Gewissen“ noch einmal von Hegel ausführlich behandelt wird. Jedoch weist schon die Form der Behandlung gegenüber der Phänomenologie von 1807 wesentliche Differenzen auf: Während dort ein notwendiger Entwicklungsprozeß vor dem Hintergrund einer teleologischen Gesamtstruktur auf dem Wege der bestimmten Negation durchlaufen wurde, verweist die Einteilung in Paragraphen allein bereits auf eine eher statische Konzeption der Gewissensthematik in der Rechtsphilosophie. Der argumentative Fortgang vollzieht sich nicht mehr in Analogie zur dramaturgischen Konfiguration von Jacobis Woldemar, wie Hegel überhaupt nach seiner scharfen Kritik an Jacobis Betonung der Subjektivität in den Vorlesungen zur Ästhetik und zur Geschichte der Philosophie nicht mehr ohne weiteres positiv an Jacobis Ausführungen zum Moralitätsproblem anknüpfen kann. Im Gegenteil müßte die Kritik an Jacobis Standpunkt zugleich als – von Hegel freilich nicht ausgesprochene – Kritik an der eigenen früheren Position gelten. Bei der Behandlung der Gewissensthematik innerhalb der Rechtsphilosophie werden die einzelnen Momente nicht mehr wie in der Phänomenologie des Geistes in einer dialektischen Bewegung aufgehoben; vielmehr behalten sie trotz der erforderlichen kritischen Einschränkungen eine relative Berechtigung als notwendige Konstituenten der Sittlichkeit. Von einer Gewissensdialektik kann daher zumindest nicht mehr im gleichen Sinne die Rede sein wie in der Phänomenologie. Zwar wird auch in der Rechtsphilosophie dem individuellen Gewissensstandpunkt als der subjektiven Überzeugung von der Pflichtmäßigkeit einer Handlung der objektive Standpunkt der überindividuellen Grundsätze und Gesetze gegenübergestellt. Jedoch ist dieser letztere Standpunkt nicht wiederum ein Gewissensstandpunkt wie der des beurteilenden Gewissens in der Phänomenologie, sondern der Staat als der objektive Garant von Recht und Pflicht ist es, der das subjektive Gewissen nicht anerkennt (vgl. § 137). Die nur formelle, d. h. inhaltslose Willensbestimmung des Gewissensstandpunktes, welche auf das rein subjektive Wissen und Wollen des an und für sich Guten zurückgeht, wird zwar auch in der Weise problematisiert, daß
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Dietmar Köhler das Gewissen ständig Gefahr läuft, ins Böse und in Heuchelei umzuschlagen, da seiner Überzeugung jeder beliebige – also auch schlechte und unmoralische – Inhalt beigelegt werden könnte. Hingegen vollzieht sich die Art und Weise dieser Problematisierung auf einem anderen Weg als in der Phänomenologie. Es werden nämlich unterschiedliche „Typen“ von Problemfällen – von der Heuchelei anderen gegenüber über den „Probabilismus“, nach welchem irgendein guter Grund als zureichender Rechtfertigungsgrund der Handlung reklamiert wird, bis hin zur sich als das Absolute behauptenden Subjektivität des Selbstbewußtseins, die insbesondere anhand der Ironiekonzeption Friedrich Schlegels dargestellt und kritisiert wird – vorgeführt, welche sämtlich auf die Gleichgültigkeit der abstrakten Sichselbstgleichheit des Gewissens gegenüber jedwedem Inhalt der Handlung zurückzuführen sind. Unter Punkt „e)“ des Paragraphen 140 wird dabei auch der Standpunkt der subjektiven Überzeugung im Sinne Woldemars scharf kritisiert, da jener der Möglichkeit des Irrtums unterliegt und somit keinerlei Geltung gegenüber der objektiven Wahrheit der Sittlichkeit beanspruchen kann. Diese unterschiedlichen Einwände gegen den – zunächst nicht unberechtigten – Gewissensstandpunkt könnten zwar ggf. auch als eine Art dialektischer Prozeß gedeutet werden, doch müßte dieser zweifellos einem anderen Typus zugerechnet werden als die dialektische Entgegensetzung von handelndem und beurteilenden Gewissen. Die Charakterisierung im einzelnen deckt sich allerdings in vielen Punkten mit derjenigen im ,Gewissenskapitel‘ der Phänomenologie, weshalb Hegel auch insbesondere im Hinblick auf die Beschreibung der „schönen Seele“ vor dem Hintergrund der sich als das Absolute behauptenden Subjektivität ausdrücklich auf diesen Abschnitt der Phänomenologie verweisen kann. Ebenso deckt sich die These, daß nur der Mensch, insofern er auch böse sein könne, gut sei, im Zusatz zum Paragraphen 139 der Rechtsphilosophie mit dem zentralen Gehalt des ,Gewissenskapitels‘ der Phänomenologie. Das methodische Vorgehen wie auch die dahinterstehende strukturelle Gesamtkonzeption weichen jedoch eindeutig von der Phänomenologie ab, wie ja auch die versöhnende Ausgleichung nicht mehr durch das gegenseitige Sich-Bekennen und Anerkennen als „Werk“ des absoluten Geistes zustande kommt, sondern die abstrakte Allgemeinheit des
Hegels Gewissensdialektik Rechts wird mit der abstrakten Moralität des subjektiven Gewissensstandpunktes in der konkreten Sittlichkeit im Sinne des konkreten sittlichen Staates vermittelt. Obgleich Recht und Moralität erst in dem tragenden Fundament der Sittlichkeit zur Wirklichkeit gelangen und die Idee des Sittlichen bereits auf das Unendliche, mithin Absolute verweist, kann doch das ,Gewissenskapitel‘ in der Rechtsphilosophie nicht in gleicher Weise als Überleitung zur Sphäre des absoluten Geistes aufgefaßt werden, wie die Gewissensdialektik der Phänomenologie des Geistes. Dies geht mit der unterschiedlichen Funktion beider Texte im Kontext des „Systemganzen“ einher: Während die Gewissensdialektik in der Phänomenologie sowohl die Moralitäts- und Sittlichkeitsproblematik wie auch auf der anderen Seite die spekulativen Grundbegriffe und -strukturen erörtert, konzentriert sich das entsprechende Kapitel der Rechtsphilosophie wesentlich auf die Moralitätsproblematik sowie die Überleitung zur Sittlichkeit. Die insofern stark eingeschränkte Funktion der Abhandlung über das Gewissen erklärt sich zudem durch den weit weniger engen Bezug der Rechtsphilosophie zur – inzwischen stark modifizierten – Logik; man könnte dies bildlich so ausdrükken, daß die Gewissendialektik von einem Zentralbereich des „Systems“ über die Realphilosophie mehr in die Peripherie gewandert sei. Da die Realphilosophie und die Ideenlehre einschließlich der Idee des Guten wie auch der für die Jenaer Logikkonzeption noch so bedeutsame Begriff des Lebens nunmehr innerhalb der Wissenschaft der Logik keinen so breiten Raum mehr einnehmen, fehlt der Gewissensthematik die entscheidende Verbindungslinie zur Logik. (Vgl. Pöggeler 1988, 34.) Auf der anderen Seite bildet die Gewissensdialektik innerhalb der Rechtsphilosophie nicht mehr im gleichen Sinne quasi die Spitze der Erörterungen über Moralität und Sittlichkeit, insofern sie als – gleichwohl notwendiges – Moment doch nur eine Art „Durchgangsstadium“ innerhalb der Verwirklichung der Sittlichkeit ausmacht. Hegels eigene Verweise auf die Phänomenologie des Geistes könnten die in diesem Zusammenhang bestehenden Differenzen leicht verschleiern; die von Hegel reklamierten Übereinstimmungen zur Gewissensdialektik der Phänomenologie betreffen jedoch primär Einzelergebnisse seiner Untersuchung, nicht aber die Gesamtkonzeption und -intention der Gewissensdialektik.
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Dietmar Köhler Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß der Wandel hinsichtlich Funktion und Anlage der Gewissensdialektik von der Phänomenologie des Geistes zur Rechtsphilosophie als Ausdruck einer tiefgreifenden Veränderung der systematischen Gesamtkonzeption zu interpretieren ist. Während es auf der einen Seite vordringliche Aufgabe der Phänomenologie ist, die spekulativen Grundbegriffe und in diesem Kapitel namentlich den Geistbegriff mittels der dialektischen Bewegung der Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins zu entfalten, übernimmt die Rechtsphilosophie vor dem Hintergrund eines weit mehr durchkonstruierten Systemganzen, innerhalb dessen jedem Glied spezifische Aufgaben zugewiesen sind, primär die Diskussion der Moralitäts- und Sittlichkeitsproblematik. Der Vergleich der beiden unterschiedlichen Versionen der Gewissensdialektik kann dabei zugleich einigen Aufschluß darüber geben, warum und in welcher Hinsicht sich die Phänomenologie von 1807 nicht mehr ohne weiteres in Hegels spätere Systemkonzeption einfügen kann. Obgleich die voranstehende Untersuchung sich auf einen einzigen Teilaspekt der Phänomenologie beschränken mußte, mag sie vielleicht doch gezeigt haben, inwiefern ein derartiger entwicklungsgeschichtlicher Vergleich auch hinsichtlich anderer Problemkomplexe sich als fruchtbar erweisen könnte.
Literatur Düsing, Klaus 21982: Die Rezeption der Kantischen Postulatenlehre in den frühen philosophischen Entwürfen Schellings und Hegels. In: Hegel-Studien. Beiheft 9. Bonn, 53–90. Falke, Gustav 1987: Hegel und Jacobi. Ein methodisches Beispiel zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien 22, 129–142. Hirsch, D. Emanuel 1926.: Die Beisetzung der Romantiker in Hegels Phänomenologie. Ein Kommentar zu dem Abschnitte über die Moralität. In: Die idealistische Philosophie und das Christentum. Gesammelte Aufsätze von D. Emanuel Hirsch. Hg. von Carl Stange. Gütersloh, 117–139; zuerst abgedruckt in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Bd. 2. 1924. Heft 3, 510–532. Jacobi, Friedrich Heinrich: Werke. Hrsg. v. Friedrich Roth und Friedrich Köppen. Nachdruck. Darmstadt 1980. Bd. 5. Woldemar: 1. und 2. Teil. Kaan, André 1966: Le mal et son pardon. In: Hegel-Studien. Beiheft 3. HegelTage Royaumont 1964. Beiträge zur Deutung der Phänomenologie des Geistes. Hg. von Hans-Georg Gadamer. Bonn, 187–194.
Hegels Gewissensdialektik Lübbe, Hermann 1964: Zur Dialektik des Gewissens nach Hegel. In: HegelStudien. Beiheft 1. Heidelberger Hegel-Tage 1962. Vorträge und Dokumente. Hg. von Hans-Georg Gadamer. Bonn, 247–261. Pöggeler, Otto 1956: Hegels Kritik der Romantik. Bonn. Pöggeler, Otto 1966: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien. Beiheft 3, 27–74. Pöggeler, Otto 21993: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München. Pöggeler, Otto 1988: Ansatz und Aufbau der Phänomenologie des Geistes. In: Journal of the Faculty of Letters. The University of Tokyo. Aesthetics. Vol. 13. Tokyo, 11–36. Scheier, Claus-Artur 1980: Analytischer Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Architektonik des erscheinenden Wissens. Freiburg/München. Schmitz, Hermann 1992: Hegels Logik. Bonn, Berlin.
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Die Metapher des Knotens
Luis Mariano de la Maza
Die Metapher des Knotens als Leitfaden zur Interpretation der Phänomenologie des Geistes
Die Einleitung zum Religionskapitel der Phänomenologie enthält einige der schwierigsten Passagen des Werkes, die jedoch zugleich – schon ihrer Ausdrucksform nach – eine entscheidende Funktion für die Entschlüsselung der Bedeutung des Ganzen zu haben versprechen. Unter diesen Texten ragen die Paragraphen acht bis zehn hervor, in denen Hegel den Sinn der Bewegung der verschiedenen Gestalten der Religion ankündigt und gleichzeitig ihren Zusammenhang mit den Hauptstrukturen der vier großen vorhergehenden Abschnitte des Werkes, nämlich „Bewußtsein“, „Selbstbewußtsein“, „Vernunft“ und „Geist“ aufzeigt. Hegel unterstreicht die besondere Stellung der Religion im Ganzen, indem er sie als „Selbstbewußtsein des Geistes“ dem „Geist in seiner Welt“ oder dem „Dasein“ des Geistes gegenüberstellt. Mit diesem Letzten meint Hegel ein dynamisches, sich selbst bewegendes Ganzes, das aus verschiedenen Momenten besteht: „Die Momente aber sind das Bewußtsein, das Selbstbewußtsein, die Vernunft und der Geist; – der Geist nämlich als unmittelbarer Geist, der noch nicht das Bewußtsein des Geistes ist“. (GW 9, 365)1 Die Reihenfolge dieser Momente ist nicht zeitlich gemeint. Sie werden eher als unzertrennbare Aspekte des ganzen Geistes konzipiert, und deshalb können sie keine sich in der Zeit erstreckende Wirklichkeit beanspruchen. Die Wirklichkeit des 1 Rechtschreibung und Zeichensetzung folgen der Studienausgabe von H.-F. Wessels und H. Clairmont. Hamburg 1988.
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Luis Mariano de la Maza ganzen Geistes entfaltet sich aber zeitlich (in einem Sinn, der noch geklärt werden muß) über einzelne Gestalten, die dem Allgemeinen eine besondere Konkretisierung verleihen. Diese Gestalten werden als „Unterschiede“ innerhalb der soeben genannten Momente dargestellt, wie z. B. die „sinnliche Gewißheit“, die Wahrnehmung“ und „Kraft und Verstand“ den ganzen Geist unter dem Aspekt des Bewußtseins bestimmen. Nun behauptet aber Hegel im 10. Paragraphen des Religionskapitels, daß die Gestalten, die bis zu diesem Punkte auftraten, aus der Perspektive des selbstbewußten Geistes anders geordnet sind als sie bisher erschienen. Und er fügt dieses seltsame Gleichnis hinzu: „Wenn also die bisherige Eine Reihe in ihrem Fortschreiten durch Knoten die Rückgänge in ihr bezeichnete, aber aus ihnen sich wieder in Eine Länge fortsetzte, so ist sie nunmehr gleichsam an diesen Knoten, den allgemeinen Momenten, gebrochen und in viele Linien zerfallen, welche in Einen Bund zusammengefaßt, sich zugleich symmetrisch vereinen, so daß die gleichen Unterschiede, in welche jede besondre innerhalb ihrer sich gestaltete, zusammentreffen“ (GW 9, 367). Es ist leicht einzusehen, daß das Bild des Knotens, wie alle anderen von ihm abhängenden, unbedingt erhellt werden muß, wenn man ein Minimum von Klarheit über die Organisation des Ganzen und die Entsprechung seiner Teile gewinnen will. Dies soll im Folgenden versucht werden, wobei die Resultate einer früheren Forschungsarbeit erneut aufgenommen und zusammengefaßt werden.2
I.
Knoten als Unterbrechung und Neuanfang einer Kontinuität
In der soeben zitierten Passage der Phänomenologie spricht Hegel von einer fortschreitenden Reihe, in der bestimmte „Rückgänge“ durch „Knoten“ bezeichnet werden; aus diesen Knoten setze sie aber ihre Bewegung in eine „Länge“ fort. Der Zusammenhang dieses Textes weist ohne Zweifel darauf hin, 2 Vgl. De la Maza, L. M. 1998: Knoten und Bund. Zum Verhältnis von Logik, Geschichte und Religion in Hegels Phänomenologie des Geistes. Bonn.
Die Metapher des Knotens daß sich die genannte Reihe auf die „Gestalten“ der Phänomenologie bezieht, das heißt auf jene „Unterschiede“ die die „Wirklichkeit“ des ganzen Geistes ausmachen. Jeder Leser der Phänomenologie kann selbst feststellen, wie die genaue Bestimmung dieser Gestalten von Kapitel zu Kapitel zunehmend schwieriger und fraglicher wird. Während am Anfang die ersten zwei Kapitel die Gestalten der „sinnlichen Gewißheit“ und der „Wahrnehmung“ deutlich zu bestimmen vermögen, geschieht im dritten Kapitel eine merkwürdige Verdoppelung des Titels, die auch Indiz einer inhaltlichen Doppelung in der Gestaltung von „Kraft und Verstand“ zu sein scheint. Noch komplizierter wird die Abgrenzung im vierten Kapitel, das nun ausdrücklich in zwei Abschnitte aufgeteilt ist, die wiederum auf mehr als eine Gestalt hinweisen, etwa „Begierde“, „Herrschaft“ und „Knechtschaft“ im ersten Abschnitt, „Stoizismus“, „Skeptizismus“ und „unglückliches Bewußtsein“ im zweiten Abschnitt. Vom fünften Kapitel an wird das Problem der eindeutigen Ausgrenzung von Gestalten praktisch unlösbar und es drängt sich die Feststellung auf, daß die Gestalten der Phänomenologie nicht als fixe Einheiten betrachtet werden dürfen, sondern vielmehr als das was sie nach Hegel darstellen, nämlich Erfahrungen eines sich bildenden Bewußtseins, flüssige Bestimmungen, die je nach dem Zusammenhang, in dem sie erscheinen, als eine gewisse Ganzheit von Erfahrungen oder selbst als ein Erfahrungsmoment einer anderen Gestalt genommen werden. Es kann m. E. keinen Zweifel darüber geben, daß der Fortschritt von einer Gestalt zur anderen, unabhängig von der Tatsache ihrer problematischen Ausgrenzung, in bestimmten Punkten der Darstellung unterbrochen wird, um dann wieder von Neuem anzufangen. Gerade diese Punkte werden von Hegel mit einer der Bedeutungen der Metapher des Knotens bezeichnet. Er weist ausdrücklich darauf hin, was er genau in diesem Zusammenhang mit der Metapher beabsichtigt, oder mit anderen Worten, was er mit den genannten Unterbrechungspunkten meint, nämlich die „allgemeinen Momente“. Wir wissen bereits, was die „Momente“ bedeuten: Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft usf. Sie sind „allgemein“ in bezug auf die Gestalten, die sie als ihre „Unterschiede“ enthalten. Die Knoten werden auch „Rückgänge“ genannt, eine Bezeichnung, die für Hegel nicht nur den negativen Sinn eines Unterbre-
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Luis Mariano de la Maza chens oder Zurücktretens, sondern zugleich den positiven Sinn vom „Übergang in ein Weiteres“ (Werke VII/1, 241) hat. Insofern kann er behaupten, daß sich die Reihe der Gestalten „wieder in Eine Länge“ fortsetzt. Dieser Bedeutungskomplex von ,Knoten‘ wird nicht nur in der Phänomenologie, sondern auch an anderen Stellen des Hegelschen Werkes angewendet. So z. B. in den Jenaer Systementwürfen zur Naturphilosophie, wo Knoten für die Unterbrechung der Linie des Stammes einer Pflanze steht, oder für den Samen, von dem aus eine neue Pflanze sich entfaltet (GW 6, 197; vgl. auch GW 8, 136)3. Im selben Sinne erscheint die Metapher im Abschnitt über die „Knotenlinie von Maßverhältnissen“ der Wissenschaft der Logik , denn dort handelt es sich um die sprunghafte Unterbrechung einer quantitativen Kontinuität innerhalb einer bestimmten Qualität, die dann zu einer qualitativ neuen Bestimmung übergeht, um sich weiter zu entwickeln.
II. Knoten als Verknüpfung von einzelnen Punkten zu Momenten eines Ganzen unter der Macht eines Prinzips Eine zweite Bedeutungskonstellation für die Metapher des Knotens spricht sowohl in der Phänomenologie wie in anderen Texten Hegels von der Verknüpfung einer Vielheit von verschiedenen Elementen durch ein einheitsstiftendes Prinzip. In Hegels Habilitationsschrift De Orbitis Planetarum ist die Rede von der Schwere, welche durch das wechselseitige Verhältnis von Faktoren „eine Reihe von Knoten und Zentren“ erzeugt, „von denen jeder zwar die übrige Vielheit des Verhältnisses besitzt, aber sie unter die Macht seines eigenen Prinzips zurückgebracht hat und durch sein Gesetz und seine eigene Organisation zusammenhält“.4
3 Rechtschreibung und Zeichensetzung folgen den Studienausgaben von K. Düsing und H. Kimmerle, Hamburg 1986, und von R.-P. Horstmann, Hamburg 1987. 4 Hegel, G. W. F. 1986: Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von W. Neuser, Weinheim, 121.
Die Metapher des Knotens Eine ähnliche Anwendung der Metapher kann in der Geistesphilosophie des dritten Jenaer Systementwurfs festgestellt werden. Dort wird vom erblichen Monarchen gesagt, daß er ein „fester, unmittelbarer Knoten“ ist, weil er die einzelnen Interessen im sittlichen Ganzen zusammenfügt (GW 8, 262). Auch in seinen Einleitungen zu den Berliner Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie tritt dieser Sinn der Knoten hervor, denn Hegel behauptet, daß einzelne Prinzipien verschiedener Philosophien sich z. B. in der platonischen oder der alexandrinischen Philosophie zu einem Ganzen vereinigen und so „gleichsam in einem Knoten aufbewahrt werden“.5 Was haben diese Exempel der Metapher mit der Phänomenologie gemeinsam? Eben dieses, daß die „allgemeinen Momente“, Bewußtsein, Selbstbewußtsein usf. Knoten nicht nur in dem Sinne sind, daß der Anfang eines jeden Momentes die Unterbrechung des Fortschreitens der Gestalten bedeutet und ein Neuanfang in der Bewegung ansetzt, sondern auch im Sinne einer bestimmten Form der Vereinigung aller einzelnen Gestalten innerhalb des Ganzen, das sie darstellen. Und zwar findet diese Vereinigung unter der Macht eines besonderen Prinzips statt, das von Fall zu Fall eine neue Synthese herstellt. Mit Hegels Worten: „In der betrachteten Reihe bildete sich jedes Moment, sich in sich vertiefend, zu einem Ganzen in seinem eigentümlichen Prinzip aus“ (GW 9, 367). Und einige Zeilen weiter unten heißt es, daß der „seiner selbst gewisse Geist“ (d. h. die Religion) es nicht gestattet, daß diese einzelnen Prinzipien sich isolieren und deshalb alle Momente in sich versammelt und zusammenhält. Es stellt sich nun die Frage, was für Prinzipien Hegel mit jedem allgemeinen Moment oder Hauptabschnitt der Phänomenologie in Zusammenhang bringt. Außer den allgemeinen Titeln Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft und Geist, gibt Hegel keinen ausdrücklichen Hinweis auf die zugehörigen Prinzipien. Dennoch kann versucht werden, ihren Sinn aufgrund einer aufmerksamen Lektüre der entsprechenden Partien der Phäno-
5 Hegel, G. W. F. 1959: Einleitung in die Geschichte der Philosophie. Hg. von J. Hoffmeister. Hamburg, 130 f., 132.
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Luis Mariano de la Maza menologie auszulegen. Hier kann ich meine eigene Interpretation nur sehr knapp zusammenfassen.6 Das Prinzip, das alle Gestalten des Bewußtseins zu einer strukturellen Einheit zusammenfügt, kann m. E. als Prinzip der bewußtseinsbestimmten Gegenständlichkeit ausgelegt werden. Damit ist die Grundstruktur gemeint, von der Hegel nur eine operative Bestimmung liefert, wenn er in der Einleitung zur Phänomenologie schreibt, daß das Bewußtsein etwas von sich unterscheidet, worauf es sich zugleich bezieht (GW 9, 58). Mit dieser Struktur gewinnt Hegel ein operatives Schema, das nicht nur allgemein für den Vergleich von Wahrheit und Gewißheit oder Gegenstand und Begriff wichtig ist, sondern darüber hinaus auch für die Bewegung der ersten drei Gestalten bestimmend ist, die zusammen den Hauptabschnitt Bewußtsein ausmachen. Dazu finden wir eine ausdrückliche Äußerung Hegels im Kapitel über das absolute Wissen: „Der Gegenstand ist also teils unmittelbares Sein, oder ein Ding überhaupt – was dem unmittelbaren Bewußtsein entspricht; teils ein Anderswerden seiner, sein Verhältnis oder Sein für anderes, und Fürsichsein, die Bestimmtheit – was der Wahrnehmung – teils Wesen oder als Allgemeines, – was dem Verstande entspricht“ (GW 9, 422 f.). Die ganze Entwicklung des Bewußtseins ist darauf gerichtet die Trennung desselben von dem Gegenstand aufzuheben, und genau das ist mit dem Prinzip des Bewußtseins gemeint. Das Moment des Selbstbewußtseins faßt alle seine Gestalten unter einem anderen Prinzip, und zwar dem Prinzip der Anerkennung. Obwohl dieses eine gewisse Verwandtschaft hat mit dem, was Hegel in der Realphilosophie, genauer gesagt in der Geistesphilosophie der Jahre 1803/04 und 1805/06 ausführt, ist seine Bedeutung alles andere als eine realphilosophische. Die verschiedenen Vermittlungsweisen zweier entgegengesetzter Selbstbewußtsein dienen nur als Exempel für das Verhältnis von Substanz und Subjekt – oder, logisch ausgedrückt, von Leben und Erkennen – d. h. für ihre gegenseitige Bedingtheit in einer teleologischen Struktur, von welcher Hegel z. B. Folgendes schreibt: „Die einfache Substanz des Lebens also ist die Entzweiung ihrer selbst in Gestalten, und zugleich die Auflösung 6 Weiteres darüber in meinem schon erwähnten Buch: Knoten und Bund, Zweiter Teil, 5.1, 6.2, 7.2, 8.2.
Die Metapher des Knotens dieser bestehenden Unterschiede“; aber „in diesem Resultate verweist das Leben auf ein anderes, als es ist, nämlich auf das Bewußtsein, für welches es als diese Einheit, oder als Gattung, ist“. Dieses Bewußtsein hat sich zunächst nur abstrakt als „reines Ich“ zum Gegenstand, aber durch seine Erfahrung „wird sich ihm dieser abstrakte Gegenstand bereichern, und die Entfaltung erhalten, welche wir an dem Leben gesehen haben“ (GW 9, 106 f.). In den zwei Teilen des Selbstbewußtseinkapitels wird nach dem Vorbild der Anerkennung einerseits gezeigt, daß das Leben keinen bloß substantiellen, sondern einen subjektiven Charakter hat; und andererseits, daß die Subjektivität des freien Denkens auf die allgemeine Substanz des Lebens zurückbezogen werden muß. Das Prinzip, das alle Gestalten der Vernunft zu einem allgemeinen Moment verknüpft, ist das Prinzip des philosophischen Idealismus, das Prinzip der Identität oder der Einheit von Sein und Denken. In der Einleitung zum Vernunftkapitel setzt sich Hegel mit Fichte und Schelling auseinander, indem er fordert, aus der unmittelbaren Gewißheit der Identität Ich = Ich eine entwickelte Wahrheit zu machen: „Das Selbstbewußtsein ist aber nicht nur für sich, sondern auch an sich alle Realität erst dadurch, daß es diese Realität wird, oder vielmehr sich als solche erweist“ (GW 9, 133). Im absoluten Wissen bezieht sich Hegel rückblickend auf die Vernunft und behauptet, daß sie von der abstrakten Einheit des Seins und des Selbstbewußtseins ausgeht, die sich dann durch die folgenden Gestalten zum Ich = Ich als erfüllte Einheit entfaltet (GW 9, 423 ff.). Diese Entwicklung geschieht zunächst auf einer einseitig theoretischen Ebene, aber schon der zweite und der dritte Teil des Vernunftkapitels gehen zum praktischen Ich über, wenngleich auf eine ebenso einseitige Weise, die noch der Individualität verhaftet bleibt. Das Geistkapitel bedeutet einen entscheidenden Schritt zu einer reicheren und allgemeineren Betrachtungsweise, die als Prinzip der Versöhnung ausgedrückt werden kann. Hiermit ist noch nicht der ganze Geist gemeint, sondern nur derjenige, den Hegel den „unmittelbaren Geist“ nennt, der erst im Religionskapitel sich selbst in der Fülle seiner Bestimmungen bewußt werden kann (GW 9, 365 f.). Das Prinzip der Versöhnung besteht aus einer Konkretisierung auf der Ebene des praktisch – gesellschaftlichen Lebens des allgemeinen Prinzips der Aner-
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Luis Mariano de la Maza kennung, welches die Gestalten des Selbstbewußtseins vereinigt hatte. Es handelt sich jetzt um die Überwindung der Gegensätze und einseitigen Positionen, die notwendig aus dem Handeln des freien Subjekts im Gemeinwesen entstehen, etwa zwischen dem göttlichen und menschlichen Gesetz in der griechischen Sittlichkeit, oder zwischen Bildung und Glauben bzw. zwischen dem Bösen und der „schönen Seele“ in der christlichen und modernen Welt.
III. Knoten als Anhalts- und Richtungspunkte der Entwicklung Die soeben genannten Prinzipien haben eine enge Verbindung mit der dritten Bedeutungskonstellation des Knoten-Bildes. Diese erscheint ausdrücklich in einem späteren Werk Hegels, nämlich in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Wissenschaft der Logik. Dort ist die Rede von einer „natürlichen“ Logik, die im Denken instinktartig wirkt. Ihre Grundbestimmungen müssen aber bewußt gemacht werden, weil sonst die Mannigfaltigkeit des Bewußtseinsstoffes keine Festigkeit und Richtung bekommt: „In diesem Netze schürtzen sich hin und wieder festere Knoten, welche die Anhalts- und Richtungspunkte seines Lebens und Bewußtseins sind; sie verdanken ihre Festigkeit und Macht eben dem, daß sie, vor das Bewußtsein gebracht, an und für sich seiende Begriffe seiner Wesenheit sind“ (GW 21, 15)7. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf die Einleitung des Religionskapitels richten, können wir feststellen, daß Hegel für das, was er hier mit den Knoten verbildlicht auch den Ausdruck „allgemeine Richtungen“ gebraucht (GW 9, 367). Nach seiner Vorstellung geschieht im Übergang vom Geist zur Religion eine Neuordnung der Gestalten, die bis dahin eine fortschreitende Reihe bildeten, jetzt aber als parallele Linien bestimmt werden. Diese Linien entsprechen den allgemeinen Momenten die bisher die Gestalten vereinigt hatten, denn sie reproduzieren dieselben Inhalte oder „Unterschiede“, die früher innerhalb der verschiedenen Momente dargestellt wurden. 7 Rechtsschreibung und Zeichensetzung folgen der Studienausgabe von H.-J. Gawoll. Hamburg 1990.
Die Metapher des Knotens Aber wenn sie jetzt auch als Knoten bezeichnet werden können – Hegel tut es nicht ausdrücklich –, geschieht das aus einem anderen Grund als einer Unterbrechung und Neuentwicklung einer fortschreitenden Kontinuität oder als einer Zusammenfügung einer Mannigfaltigkeit von Gestalten unter einem gemeinsamen Nenner, obwohl das Letztere mit der neuen Bedeutung des Knotens näher verwandt ist. Denn das, was bis jetzt als Prinzip der Vereinigung von Gestalten erschien, wird nun als Orientierungspunkt der Entwicklung des ganzen Geistes betrachtet: „Es erhellt übrigens aus der ganzen Darstellung von selbst, wie diese hier vorgestellte Beiordnung der allgemeinen Richtungen zu verstehen ist, daß es überflüssig wird, die Bemerkung zu machen, daß diese Unterschiede wesentlich nur als Momente des Werdens, nicht als Teile zu fassen sind“ (a. a. O.). Von diesen Momenten sagt Hegel auch, daß es in der Phänomenologie darauf ankommt, sie als Bestimmungen aufzufassen in denen der Geist sich seines Wesens bewußt wird, was wiederum an die schon erwähnten Anhalts- und Richtungspunkte der Wissenschaft der Logik erinnert.
IV. Knoten als Verbindung von Geistigem und Natürlichem, Logischem und Empirischem Eine der wichtigsten Eigentümlichkeiten der Phänomenologie hängt damit zusammen, daß sie bildlich ausgedrückt auf zwei Schienen läuft, die sich sowohl unterscheiden als auch aufeinander beziehen. Einerseits handelt es sich um die Darstellung des Weges des natürlichen, sich bildenden Bewußtseins, das vom erscheinenden Wissen zum wahren Wissen fortschreitet, bis es den Punkt erreicht, „auf welchem es seinen Schein ablegt, mit Fremdartigem, das nur für es und als ein anderes ist, behaftet zu sein, oder wo die Erscheinung dem Wesen gleich wird“ (GW 9, 55, 62). Dieser Punkt ist nicht erst derjenige, wo die Phänomenologie zur Logik oder „spekulativen Philosophie“ (GW 9, 30) übergeht, sondern bereits der Wendepunkt innerhalb der Phänomenologie, wo die Trennung von Bewußtsein und Gegenstand überwunden wird, d. h. der Anfang des Selbstbewußtseinskapitels. Von da an bewegt sich die Phänomenologie im „einheimischen Reich des Geistes“ (GW 9, 103), obwohl die Kulmination
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Luis Mariano de la Maza des Prozesses, das Selbstbewußtsein des Geistes, später im Religionskapitel und dann in einer anderen Form im absoluten Wissen stattfindet. Andererseits aber behauptet Hegel, daß „jedem abstrakten Moment der Wissenschaft“ – also den Kategorien der Logik – „eine Gestalt des erscheinenden Geistes“ – also der Phänomenologie – entspricht (GW 9, 432). Dementsprechend gehören auch schon der sinnlichen Gewißheit, der Wahrnehmung, der Kraft und dem Verstande bestimmte logische Kategorien an. Darauf ist die „wissenschaftliche“ Notwendigkeit, mit der die Gestalten des Bewußtseins aufeinanderfolgen, begründet, was aber nur „für uns“ –nämlich für diejenigen, die den Weg des sich bildenden Bewußtseins schon hinter sich haben – begreifbar ist, nicht aber für das Bewußtsein selbst, das die verzweifelnde Erfahrung der Unzulänglichkeit seines Wissens macht (GW 9, 61). Für diese Verbindung des Logischen oder Geistigen mit dem Empirischen oder „Natürlichen“ (im Sinne der „Erfahrungen“ des „natürlichen“ Bewußtseins) ist wieder eine bestimmte Bedeutung der Metapher des Knotens relevant, die auch an einer anderen Stelle von Hegel verwendet wird. In den Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte bezieht er sich auf die ägyptische Religion mit Hilfe dieser Metapher, weil er gerade auf eine solche Verbindung aufmerksam machen will: „Osiris, die Sonne, der Nil, dieses Dreifache ist in einem Knoten vereinigt […] So ist dieses Heterogene, die Naturerscheinung und das Geistige, in Einem Knoten verwebt“. Und weiter unten noch einmal: „Keine Bestimmung ist Bild ohne zugleich Bedeutung zu seyn, jede ist jedes: aus einer erklärt sich die andere. Es entsteht so eine reiche Vorstellung, die aus vielen Vorstellungen zusammengeknüpft ist, worin die Individualität der Grundknoten bleibt, und nicht in das Allgemeine aufgelöst wird“ (Werke IX, 255 f.). Kann nicht dasselbe von den Gestalten der Phänomenologie gesagt werden? Es handelt sich sicherlich auch um konkrete, individuelle Vorstellungen, mit deren Hilfe allgemeine oder reine Gedanken der Logik für das noch ungebildete Bewußtsein verbildlicht werden, und zwar auf eine Weise, in welcher die Notwendigkeit der Bewegung in einer bestimmten Reihenfolge von Gegenständen nur „für uns“ einsichtig ist, während für das natürliche Bewußtsein das eigentliche Fundament seiner Erfah-
Die Metapher des Knotens rung „hinter seinem Rücken vorgeht“ (GW 9, 61). Die Exempel, die Hegel auf Grund einer propädeutischen Rücksichtnahme für den Zweck einer eigentümlichen, noch nicht im Element der Wissenschaft fortschreitenden Einführung in die spekulative Philosophie aussucht, enthalten sicherlich eine gewisse Mischung von Vorstellungen, in denen der täuschende Schein von wahrem Wissen vorläufig erduldet wird. Trotzdem kann in ihnen der logische Sinn der phänomenologischen Gestalten gesehen werden, etwa die Kategorien des Seins (wie Realität und Negation, Einheit und Vielheit, Unendlichkeit), dargestellt als vermeintlich unmittelbares und einzelnes Dieses, das sich aber in Wahrheit als vermitteltes Allgemeines erweist; oder das Substantialitätsverhältnis der Relationskategorien, dargestellt als das Ding mit vielen Eigenschaften in der Gestalt der Wahrnehmung, usf.8
V. Knoten als Entgegensetzungen, die aufgehoben werden müssen Die Metapher des Knotens steht nicht nur für den positiven Sinn einer Vereinigung oder Verbindung von verschiedenen und eventuell auch heterogenen Elementen in einer Einheit, sondern sie weist auch auf das Gegenteil hin, wie schon bei der ersten der untersuchten Bedeutungskonstellationen festgestellt werden konnte. Nun kommt am Ende dieser Untersuchung wieder einmal ein negativer Aspekt vor, der jetzt nicht als die Unterbrechung einer Kontinuität erscheint, die dann wieder von Neuem fortgesetzt wird, sondern als Ende einer Entwicklung in der entgegengesetzte Gesichtspunkte vorgetragen werden. Diese Entgegensetzungen tauchen zunächst in den Übergängen von einer Gestalt des Bewußtseins zur anderen auf, die 8 Obwohl dies in letzter Zeit bestritten worden ist, (vgl. Schmitz, H. 1992: Hegels Logik, 300–307) scheint mir immer noch der Vorschlag von O. Pöggeler, die Systemskizze am Ende der Geistesphilosophie vom dritten Jenaer Systementwurf (1805/06) als wichtigsten Hinweis für die Entsprechungen zwischen Phänomenologie und Logik heranzuziehen, die angemessenste und am besten begründete Position. Vgl. dazu Pöggeler, O. 1973: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München 1973, 269 ff. Siehe auch W. Bonsiepens Einleitung zu der in Fußnote 1 erwähnten Studienausgabe der Phänomenologie, XXVI ff.
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Luis Mariano de la Maza Hegel als „Umkehrung des Bewußtseins“ (GW 9, 61) bezeichnet, aber sie erscheinen auch auf einem höheren Niveau wieder, nämlich im Kontrast zwischen den verschiedenen Momenten des ganzen Geistes, für die Hegel gerade die Metapher des Knotens anwendet. Jedes dieser Momente vertritt, wie schon gesagt, ein eigentümliches Prinzip, das von den anderen ausgegrenzt und ihnen gegenübergestellt werden kann. Darauf bezieht sich Hegel, wenn er sagt, daß die Länge, in der sich die unterbrochene und wiederhergestellte Reihe von Gestalten fortsetzte, „nunmehr an diesen Knoten, den allgemeinen Momenten, gebrochen und in viele Linien zerfallen“ ist, welche dann symmetrisch „in Einen Bund zusammengefaßt“ werden (GW 9, 367). Es handelt sich also um eine Entgegensetzung, die als solche überwunden wird, wobei für die neue Einheit nicht mehr die Metapher des Knotens, sondern nun die des Bundes verwendet wird. Sinnverwandte Anwendungen der Metapher des Knotens finden sich auch in anderen Werken Hegels. So etwa in seinem Artikel Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, wo die Knoten auf die Gegensätze in der Komödie bezogen werden (GW 4, 460 f.); oder in den Vorlesungen über Philosophie der Weltgeschichte im Zusammenhang mit der formellen Freiheit der Französischen Revolution, die immer wieder neue Konflikte erzeugt: „der Wille der Vielen stürzt das Ministerium und die bisherige Opposition tritt nunmehr ein; aber diese, insofern sie jetzt Regierung ist, hat wieder die Vielen gegen sich. So geht die Bewegung und Unruhe fort. Diese Kollision, dieser Knoten, dieses Problem ist es, an dem Geschichte steht, und den sie in künftigen Zeiten zu lösen hat“ (Werke IX, 541). Die „Lösung“ der Phänomenologie ist gerade diejenige, die mit der Metapher des Bundes illustriert wird: die Religion als totalisierende Instanz, die keinen neuen Knoten hinter den anderen bildet, sondern vielmehr aus der Reihe der Knoten heraustritt und alle Linien, in denen sich die Knoten gebrochen hatten, zusammenbindet, so wie dies etwa im Bund eines Blumenstraußes oder im Bündel einer Getreidegarbe geschieht. Dieses Bild erlaubt m. E. ohne jeden Zweifel, die besondere Stellung des Religions-Kapitels in der Phänomenologie zu unterstreichen. In ihm wird die gesamte Entwicklung des erfahrenden Bewußtseins zusammengefaßt, es stellt also kein weiteres abstraktes
Die Metapher des Knotens Moment, sondern vielmehr die „Substanz“ des ganzen Geistes dar. Von dieser Substanz behauptet Hegel in der Einleitung zum Religionskapitel, daß sie „nunmehr herausgetreten“ ist und daß sie, alle Momente „in sich versammelnd und zusammenhaltend“, in diesem „gesamten Reichtum ihres wirklichen Geistes“ fortschreitet, wobei alle ihre besonderen Momente „die gleiche Bestimmtheit des Ganzen“ „gemeinschaftlich“ in sich „nehmen und empfangen“ (GW 9, 367). Dementsprechend stellt Hegel die verschiedenen geschichtlichen Gestalten der Religion so dar, daß in ihnen alle anderen Gestalten wieder zusammentreffen, die bisher unter einem eigentümlichen Prinzip an einen bestimmten Knoten gebunden waren: „Wenn also dem sich wissenden Geiste [d. h. der Religion] überhaupt Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft und Geist angehören, so gehören den bestimmten Gestalten des sich wissenden Geistes die bestimmten Formen an, welche sich innerhalb des Bewußtseins, Selbstbewußtseins, der Vernunft und des Geistes an jedem besonders entwickelten“ (GW 9, 366). Abschließend kann gesagt werden, daß die Metapher des Knotens besonders deshalb nützlich ist, weil sie es ermöglicht, eine Vielfalt von Aspekten der Phänomenologie zu erörtern, die die meisten Kommentare kaum in ihrem Zusammenhang beachten. Mit ihrer Hilfe kann vor allem das besondere Verhältnis der Gestalten der Phänomenologie zur Logik, zur Geschichte und zur Religion besser verstanden werden. Es wird klar, daß der eigentliche Gegenstand der Darstellung des erscheinenden Wissens nicht die Gestalten des natürlichen Bewußtseins als solche sind, sondern vielmehr die durch diese Gestalten illustrierte Bedeutung der logischen Begriffe und der spekulativen Prinzipien, unter deren Macht sie geordnet werden. Aus diesem Grund konnte Hegel die Phänomenologie als Text für sein letztes Kolleg in Jena über Logik oder spekulative Philosophie im Sommersemester 1806 heranziehen.9 Ebenso sollte nicht mehr daran gezweifelt werden, daß in keinem früheren Kapitel als im Religionskapitel die Zeit in einer welthistorischen Dimension vorkommt, denn nur in ihm 9 Siehe dazu den Bericht von Gabler und Rosenkranz in Kimmerle, H. 1967: Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801–1807). In: Hegel-Studien 4, 71, 84.
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Luis Mariano de la Maza stellt sich der ganze Geist als Pendant der Religion dar. Von ihm sagt Hegel in der Einleitung des Kapitels: „Der ganze Geist nur ist in der Zeit, und die Gestalten, welche Gestalten des ganzen Geistes als solchen sind, stellen sich in einer Aufeinanderfolge dar, denn nur das Ganze hat eigentliche Wirklichkeit, und daher die Form der reinen Freiheit gegen anderes, die sich als Zeit ausdrückt“ (GW 9, 365). Wenn aber Hegel einige Zeilen weiter unten behauptet, daß innerhalb der Momente des Bewußtseins, des Selbstbewußtseins, der Vernunft und des unmittelbaren Geistes sich die Gestalten auch zeitlich unterscheiden, dann meint er nicht die weltgeschichtliche Zeit sondern nur eine „begriffene Organisation“ (GW 9, 434) derselben, die gewisse Erscheinungsformen aus ihr abstrahiert, um sie nach systematischen Kriterien für den Zweck der Bildung des Bewußtseins zu benutzen. Es handelt sich also um Beispiele, die aus der Geschichte genommen werden und innerhalb der Momente (oder Knoten) in einer diachronischen Reihenfolge erscheinen, welche aber im Übergang von einem Knoten zum anderen unterbrochen und neu begonnen wird. Im allumfassenden Bund der Religion dagegen taucht zum ersten Mal der Geist als eine Totalität auf, die zwar noch nicht die „begriffene Geschichte“ ist, die Hegel im absoluten Wissen von der zufällig-realen und von der phänomenologischen Geschichte unterscheidet, (a. a. O.) wohl aber eine weltgeschichtliche Dimension erreicht, die in den idealtypischen Formen der Religionsgeschichte – der natürlichen Religion des Orients, der Kunst-Religion der Griechen und der offenbaren Religion der Christen – aufgenommen wird. Diese geschichtliche Erscheinung des ganzen Geistes ist für Hegel insofern notwendig, weil sie es ermöglicht, daß der Geist sich selbst in der Zeit als „daseiender“ oder gegenständlicher Begriff anschaut, bevor er sich im absoluten Wissen auch zur „Form“ des Begriffs erheben und somit die reine Durchsichtigkeit einer begriffenen Geschichte erreichen kann. In diesem Sinne stellt die Religion den „absoluten Inhalt“ des absoluten Wissens dar (GW 9, 426). Hierin liegt aber gerade ihre unentbehrliche Funktion für die Phänomenologie, wie Hegel sie versteht: „Eh daher der Geist nicht ansich, nicht als Weltgeist sich vollendet, kann er nicht als selbstbewußter Geist seine Vollendung erreichen. Der Inhalt der Religion spricht daher früher in der Zeit, als die Wissen-
Die Metapher des Knotens schaft, es aus, was der Geist ist, aber diese ist allein sein wahres Wissen von ihm selbst“ (GW 9, 429 f.). In welcher Weise kann aber nach Hegel die Religion den Weltgeist vollenden? Die Antwort lautet: Indem sie selbst ihre Entwicklung vollendet, und das heißt, indem zwischen der Form in der sich ein Volk in seiner eigenen Religion selbst erkennt und dem weltgeschichtlichen Dasein dieses Volkes eine reale Entsprechung stattfindet (GW 9, 370). Da aber die Menschwerdung Gottes wesentlicher Bestandteil der Religion als Selbstbewußtsein des Geistes ist, kann diese, laut Hegel, ihr Ziel nur im Christentum erreichen.
Literatur De la Maza, Luis Mariano 1998: Knoten und Bund. Zum Verhältnis von Logik, Geschichte und Religion in Hegels Phänomenologie des Geistes. Bonn. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1986: Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von W. Neuser, Weinheim. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1959: Einleitung in die Geschichte der Philosophie. Hg. von J. Hoffmeister. Hamburg. Kimmerle, Heinz 1967: Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801–1807). In: Hegel-Studien 4, 21–99. Pöggeler, Otto 1973: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg, München. Schmitz, Hermann 1992: Hegels Logik. Bonn, Berlin.
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Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft
Gabriella Baptist
Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft
Der letzte Kapitel der Phänomenologie des Geistes ist vielleicht einer der kontroversten Texte Hegels überhaupt. Seine Stellung am Ende, wodurch dieses Kapitel gleichzeitig als eine Einleitung zum damals vorgesehenen zweiten Teil des Systems zu verstehen ist, sein zirkuläres Zurückstreben zum Anfang und die zeitliche Nähe zur Verfassug der berühmten Vorrede, sein erneutes Aufwerfen der Problematik der Kontingenz und der Zeit gerade bei der Thematisierung des Absoluten und nachdem der „Weg des Bewußtseins“ zu Ende gelaufen ist, zwingen den Interpreten, sich mit den Beziehungen von Phänomenologie und Logik einerseits, Phänomenologie und Geschichte andererseits auseinanderzusetzen, das heißt sich mit den „Geheimnissen“ dieses Werkes selbst zu befassen. Das Problem einer vernünftigen Erkenntnis des Absoluten stellte sich Hegel bekanntlich schon in Jena als philosophische Aufgabe; darüber hinaus war hier bereits von einem „Wissen des absoluten Geistes von sich“ (Hegel GW 8, 280) die Rede gewesen und dabei auf einer Dreiteilung in Kunst, Religion und Wissenschaft verwiesen worden.1 Im letzten Kapitel der Phänomenologie soll es nun gerade um die Selbstkonstruktion dieses 1 Vgl. GW 8, 277 ff. Schon in diesem Kontext wird der Kunst die Erkenntnisweise der Anschauung und der Vorstellung sowie das logische Niveau der Form und der Unmittelbarkeit zugesprochen; die Religion wird als der vorgestellte Geist behandelt, wobei auf der Stufe des Wesens und seiner Versöhnung mit der Wirklichkeit argumentiert wird; bei der absoluten Wissenschaft der Philosophie ist endlich der Begriff erreicht.
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Gabriella Baptist Absoluten gehen, was zur Totalisierung des begrifflichen Prozesses in der spekulativen Logik, aber auch zur erneuten Entäußerung in die Kontingenz der Natur und der Geschichte und also zurück in den Weg des Bewußtseins überleiten soll. Nicht nur wegen der Fülle an philosophischen Anregungen sind allerdings diese Seiten vom Anfang an wie von einer Aura des Heldenhaften umgegeben gewesen: In einem Brief an Schelling vom 1. Mai 1807 bittet Hegel den Freund um Verständnis wegen der größeren „Unform der letztern Partien“ seines Werkes, deren Redaktion „überhaupt in der Mitternacht vor der Schlacht bei Jena geendigt“ wurde (Hoffmeister 31969, I 161–162). Die Gefahr, daß die Lebensnot mehr Verwirrung denn geistige Klarheit bewirkt haben könne, vermindert jedenfalls in keiner Weise die philosophische Kraft dieser Seiten, die seit je zur Auseinandersetzung herausgefordert haben. Unter den bedeutendsten philosophischen Interpretationen dieses Teils der Phänomenologie seien hier erwähnt Heideggers Freiburger Vorlesung aus dem Wintersemester 1930/31 (Heidegger 1980), Marcuses Hegelbuch aus dem Jahre 1932 (Marcuse 1989, II 347–362) und Kojèves Vorlesungen, die zwischen 1933 und 1939 bei der École des Hautes Études in Paris gehalten wurden. Zu den Kommentaren kann hier auf die ausführlichere Lektüre von Rousset (Hegel 1977, 7–88, 123–246) sowie auf die Interpretation von Labarrière verwiesen werden, der das Kapitel über das absolute Wissen als „Schlüssel“ sowohl des statischen Gleichgewichts des ganzen Werkes als auch der dynamischen Bewegung seiner Gestalten und Sektionen deutet (Labarrière 1968, 185 ff.).
I.
Die letzte „Versammlung“ der einzelnen phänomenologischen Momente und die neue Gestalt des Geistes: das „Bewußtsein“ des absoluten Wissens und sein Werden
Die Überwindung des Zwiespaltes von Gegenstand und Bewußtsein, welche das absolute Wissen als solches charakterisiert – „der sich in Geistsgestalt wissende Geist oder das begreiffende Wissen“ (GW 9, 427), nach Hegels ausdrücklicher Defini-
Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft tion – wird zunächst dadurch vorbereitet, indem die Totalität der Momente des Gegenstandes selbst und des ihm jeweils entsprechenden Verhaltens des Bewußtseins – das heißt im Grunde der ganze Werdegang der Phänomenologie – noch einmal wiederholt wird. Eine Aufzählung der früheren phänomenologischen Momente war schon im Kapitel über die Religion als eine rekapitulierende Besinnung auf die Bewegung des Ganzen umrissen worden.2 Aber eigentlich hatte auch die Einleitung zum 6. Kapitel „Der Geist“ mit einer Skizzierung der früheren Momente des Bewußtseins, des Selbstbewußtseins und der Vernunft angefangen (GW 9, 239)3. Die erneute Rekapitulation schlägt allerdings eine pointiertere Auswahl der früheren Stufen vor, und vermag somit über die theoretischen Intentionen des Kapitels Auskunft zu geben. Deswegen sei es hier erlaubt, den zusammenfassenden Überblick in seinen Hauptpunkten nochmals zu wiederholen, um dabei seine systematische Bedeutung hervorzuheben. Zuerst erweist sich der Gegenstand in den phänomenologischen Stufen des unmittelbaren Seins des Anfanges, der Wahrnehmung und des Verstandes als das Wissen des Bewußtseins, dann findet die Erfahrung der beobachtenden Vernunft – nach der „das Seyn des Ich ein Ding ist“ und also das Ding als aufgehoben gilt, denn: „Das Ding ist Ich“ (GW 9, 423) – ihre Bestätigung im gebildeten Selbstbewußtsein des sich entfremdeten Geistes, nach dem die Dinge bloß nützlich sind. Dies in seinem Gang durch das Bewußtseins-, Vernunft- und Geistkapitel verfolgte Wissen des wahren Seins der Dinge wird schließlich im moralischen Bewußtsein und im Gewissen ein Wissen des wahren Wesens und der absoluten Wesenheit, des Inneren und des Selbst, wobei Dasein und Gewißheit zusammenfallen. Dabei gelingt „die Versöhnung des Geistes mit seinem eigentlichen Bewußtseyn“ (GW 9, 424), während bei der Verzeihung das 2 Vgl. dazu die Dissertation von Mariano de la Maza, Knoten und Bund. 3 Dies scheint allerdings eine Charakteristik von jedem entscheidenden Punkt der phänomenologischen Entwicklung zu sein, vgl. wie z. B. im 4. Kapitel: „Die Wahrheit der Gewissheit seiner selbst“ die früheren Bewußtseinsstufen kurz wiederholt werden (GW 9, 103 f.) und auch wie am Anfang des 5. Kapitels: „Gewißheit und Wahrheit der Vernunft“ der Übergang zwischen Bewußtsein, absolutem Wesen und Verstand, der zum Selbstbewußtsein wird, und unglücklichem Bewußtsein kurz umrissen wird (GW 9, 132).
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Gabriella Baptist Dasein auch noch mit dem Wissen des Ich = Ich gleichgestellt wird, wobei die „Versöhnung des Bewußtseyns mit dem Selbstbewußtseyn“ (GW 9, 425) angestrebt wird. Dies wird aber erst vom religiösen Geist erreicht, obwohl das noch bewußtseinsmäßig geschieht, da die Versöhnung in der Form des Ansichseins eines objektivierten Gottes als eines realen Wesens erfolgt. Die Vereinigung des Bewußtseins des Geistes und seines Selbstbewußtseins, seines Wissens des Seins und seines Wissens des Wesens ist jetzt jedenfalls als die eigentliche Aufgabe des absoluten Wissens eingeführt, was „diese Reihe der Gestaltungen des Geistes beschließt“ (GW 9, 425), da der Geist sich zu wissen hat, wie er in der Einheit des Begriffes an und für sich ist, das heißt als ein Wissen von dem reinen Wissen, als ein Wissen von dem Begriff. Die Gestalt der schönen Seele hatte sich schon – zwar einseitig, weil der eigenen Realisierung und Erfüllung entgegengesetzt – als ein Wissen von sich selbst als Geist erwiesen. Im handelnden Geist und in der Religion hatte dieses noch leere Wissen schließlich seinen Inhalt erlangt und seinen Begriff mit dem Dasein und mit dem Wesen zusammengebracht, aber lediglich auf vorstellende Weise. Im absoluten Wissen soll darüber hinaus der Begriff „das Wissen des Thuns des Selbsts in sich als aller Wesenheit und alles Daseyn, das Wissen von diesem Subjecte als der Substanz, und von der Substanz als diesem Wissen seines Thuns“ (GW 9, 427) sein, das heißt das handelnde Bewußtsein, noch inhaltsarm, und das religiöse Bewußtsein, noch entzweit in seinem Wissen von dem Wesen und Wissen von dem Sein, sollen in einem begrifflichen Wissen von sich vereinigt werden, was eben „die Versammlung der einzelnen Momente“ sowie „das Festhalten des Begriffes in der Form des Begriffes“ (GW 9, 427) erlaubt. Der Leitfaden für die Auswahl der früheren Stufen der phänomenologischen Entwicklung ist ausdrücklich ein logisch-systematischer, wie die wiederholte Anwendung von argumentativen Instrumenten wie an sich/für sich/an und für sich, Sein/ Wesen/Begriff, Bewußtsein/Selbstbewußtsein/Vernunft oder Geist oder Inhalt/Form bestätigt. Vergleicht man diesen Leitfaden mit der Darstellung am Anfang des Geistkapitels oder des Religionskapitels, so drückten die früheren Zusammenfassungen im ersten Fall bloß eine Skizze des Bewußtseins des Geistes
Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft als Bewußtsein seines Seins aus,4 im zweiten Fall jedoch die verschiedenen Weisen des Bewußtseins des absoluten Wesens als des Selbst, eines erstmaligen Wissens von sich, obwohl noch in der Bestimmung des geistigen Wesens als eigentlichen Gegenstandes, wie dies in der Religion als eines ersten Selbstbewußtseins des Geistes sich zeigte. Bei der letzten Vollendung des früheren Ablaufes im absoluten Wissen gelangt man zum absoluten Selbstbewußtsein des Geistes zunächst über das Bewußtsein seines Begriffes. Deswegen ist diese Rekapitulation des Weges überhaupt die „letzte Gestalt des Geistes“ (GW 9, 427) in seinem Bewußtsein, das er von sich als absoluter hat. Es ist ein „Geist, der seinem vollständigen und wahren Inhalte zugleich die Form des Selbsts gibt, und dadurch seinen Begriff ebenso realisirt als er in dieser Realisirung in seinem Begriffe bleibt“ (GW 9, 427), wobei seine Wahrheit und seine Gewißheit, sein Dasein oder Inhalt und sein Selbst, sein Wesen oder seine Form als letzte Gestaltung des begrifflichen Wissens, als Wissenschaft in dem Begriff transparent werden. Diese nochmalige Versammlung der phänomenologischen Gestalten kann als das „Sein“ oder „Dasein“ des absoluten Wissens selbst gedeutet werden, als seine erste Stufe und als Objekt seines absoluten Bewußtseins. Nicht zufällig wird hier gerade auf jene Wissenschaft verwiesen, die die Phänomenologie als dem philosophischen Bewußtsein selbst erscheinende „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins“ bietet, was hier skizziert und mit Hervorhebung der begrifflich-systematischen Intention dargestellt wird: Das Sein oder das Bewußtsein des absoluten Wissens ist so die begriffliche Wahrheit seines eigenen Werdens, sein gewußter Weg als Gestalt des wissenschaftlichen Begreifens, die letzte und perfekte Gestaltung, weil einerseits der Unterschied und die Zerrissenheit des Bewußtseins endgültig überwunden ist, aber dennoch andererseits im Begriff das Objekt der Wissenschaft und also des philosophischen Bewußtseins ist.5 4 Auch am Anfang des Religionskapitels werden die Stufen des wahren, des sich entfremdeten und des seiner selbst gewissen Geistes als Gestalten des „Bewußtseyn[s]“ des Geistes vorgestellt (GW 9, 364). 5 Vgl. GW 9, 428: „Dieser Inhalt bestimmter angegeben, ist er nichts anders, als die so eben ausgesprochene Bewegung selbst; denn er ist der Geist, der sich selbst und zwar für sich als Geist durchläufft, dadurch daß er die Gestalt des Begriffes in seiner Gegenständlichkeit hat“.
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Gabriella Baptist
II. Geist und Zeit: das „Selbstbewußtsein“ des absoluten Wissens und sein Wesen Diesen dargelegten wissenschaftlichen Weg als solchen und in seinem Daseinscharakter stellt Hegel als einen zeitlichen dar. Es ist nicht nur die Zeit, in der der Geist phänomenologisch erscheint – die äußerliche Zeit des Weltgeistes in seinem Sein etwa von der sittlichen Antike bis zum postrevolutionären Ich –, es ist auch nicht bloß die gedachte Zeit des Selbstbewußtseins des Geistes – die verinnerlichte Zeit seines Wesens und seiner Substanz in der absoluten Gottesgeschichte typologisch dargestellt –, es ist vielmehr die begriffliche Zeit des Denkens, die in einem kurzen Abriß der modernen Philosophie ausgelegt wird. Durchsichtig genug scheinen die Verweise auf eine philosophiegeschichtliche Linie, die von Descartes’ Gleichstellung vom Denken und Sein über Spinozas Thematisierung einer selbstlosen Substanz, zu der Leibniz die Individualität hinzugetan habe, weiter durch die Entäußerung der Aufklärung und der absoluten Freiheit Rousseaus hindurch in die Verherrlichung des Willens bei Kant, in die Sichselbstgleichung des Ich = Ich bei Fichte und in die erneute Gleichstellung von Substanz und Subjekt, Inhalt und Reflexion bei Schelling sowie in Hegels philosophischem Projekt selbst mündet (vgl. GW 9, 430 f.). Der Zusammenhang, der im Kapitel über das absolute Wissen zwischen Denken der Zeit und moderner Philosophiegeschichte hergestellt wird, ist besonders von Michael Murray (1981, 700) und Joseph Flay herausgearbeitet worden, der die Beziehung zwischen Geschichte der Philosophie und dem Projekt einer Phänomenologie des Geistes selbst hervorhebt (Flay 1974, besonders 54 ff.). Auch für Jean Hyppolite ist das absolute Wissen in engem Verhältnis zu einer „Philosophie der Philosophie“ als „Logik der Philosophie“ zu deuten (Hyppolite 1971, besonders 165 f., 174). Bekanntlich hat Hegel erstmals im Winter 1805/06 über Geschichte der Philosophie gelesen. Diese Vorlesung soll in einer besonderer Nähe zur Phänomenologie des Geistes gestanden haben, da sie wahrscheinlich als eine Teildisziplin der Geschiche des Geistes präsentiert wurde, wie Otto Pöggeler (1989) erinnert. Nach Walter Jaeschke wollte Hegel in Jena durch die Geschichte der Philosophie eigentlich die Geschichtlichkeit des (absoluten) Geistes thematisieren und da-
Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft bei auf neue Weise Geschichte und Vernunft vereinigen, was aber infolge des ungeklärt gebliebenen Verhältnisses zwischen Weltgeschichte und Geschichte beziehungsweise Geschichtlichkeit des absoluten Geistes scheitern mußte (Jaeschke 1996, 363–373). Das Geschehen der Philosophie, das das Kapitel über das absolute Wissen thematisiert, ist jedenfalls nicht bloß ein einfaches In-die-Zeit-Fallen oder Die-Zeit-Wissen. Der zeitlichgeschichtliche Weg des Denkens ist auch eine Aneignung der Zeit selbst, sozusagen nicht nur ein Weg in die Zeit hinein oder von der Zeit her, sondern auch ein Weg zur Zeit hin dank der Akzentverschiebung von einer Zentralität der Ausdehnung des Seins (als res extensa) zu einer Priorität der Zeit (als Temporalität des Selbst): Die neue Zeit des Denkens ist auch ein neues Denken der Zeit!6 Darüber hinaus erscheint dies geschichtlich sich entfaltende Denken der Zeit nicht in irgendeiner Zeit, sondern erst, wenn das Bewußtsein des Geistes, „der weiß, was er ist“ (GW 9, 428), zu seinem Selbstbewußtsein, das heißt zu dem Wissen der eigenen Substanz und des eigenen Wesens, des eigenen Grundes und des Selbst, also zu seiner absoluten Gewißheit emporgestiegen ist. Eine solche Leistung war von der Religion als ein erstes Selbstbewußtsein des Geistes erfüllt worden, obwohl dies noch in Form einer Bewußtseinsgestalt erschienen war. Die religiöse Erfahrung, besonders bei der offenbaren Religion, hatte sich von einem Wissen des absoluten Wesens und der absoluten Substanz zu einem Wissen des Geistes als Selbst und Subjekt entwickelt, was – in der Kunstreligion schon vom gegenständlichen Dasein des Wesens zum Selbst der Gottesfigur gelangt – schließlich durch die Menschwerdung als wahrhaftes Zentrum der Trinitätslehre bestätigt wurde.7 Die Versöhnung zwischen 6 Vgl. die von Hegel hervorgehobene Annäherung zwischen Sichselbstgleichheit des Ichs und der Zeit als Charakteristikum der zeitgenössischen Philosophie in GW 9, 430: „so daß wie vorhin das Wesen als Einheit des Denkens und der Ausdehnung ausgesprochen wurde, es als Einheit des Denkens und der Zeit zu fassen wäre“. Man merke, wie schon hier die Ausdehnung des Seins (mit indirektem Verweis auf Schelling) und die Tiefe des Ichs (mit indirektem Bezug auf Fichte) bei der vorgeschlagenen Einheit von Substanz und Subjekt in wechselseitiger Beziehung stehen. 7 Vgl. GW 9, 419: „Diß Wissen [daß Gott selbst gestorben ist – G. B.] also ist die
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Gabriella Baptist dem ewigen Wesen und dem unmittelbar gegenwärtigen Gott, der aber nach seinem Tod in die Vergangenheit gerückt wird und also seine Wirklichkeit als ein Geschehnis und als ein geschichtliches Ereignis beweist, ermöglichte das dritte Moment eines wahrhaften Selbstbewußtseins des Absoluten in der Gemeinde als „Allgemeinheit des Geistes, der in seiner Gemeine lebt, in ihr täglich stirbt und aufersteht“ (GW 9, 418). Dergestalt gelangt man zu einer anderen Auffassung der Zeit, die über die Abstraktheit des Ewigen und die Verzweiflung einer verlorenen Gegenwart hinausweist. Nach der Überwindung der vorstellenden und daher noch gespaltenen Dimension geht es aber im Falle der kurz umrissenen Geschichte der modernen Philosophie dagegen vielmehr um ein fürsichseiendes und begriffliches Wissen der Substanz und des Wesens des absoluten Geistes selbst. In diesem Selbstbewußtsein des Geistes, dessen Pointe beim Subjektwerden der Substanz und des Seins zu finden ist, sind die Momente nicht mehr die noch von der Differenz des Bewußtseins affizierten religiösen Gestalten, sondern begriffliche Weisen des Sichwissens. Diese Teile eines systematischen Ganzen sind für Hegel der begriffliche Grund der spekulativen Wissenschaft, welche noch nicht als Ganzes vollendet sein kann, obwohl die Religion die zum Subjekt gewordene Substanz und die Zeit gewordene Ausdehnung des Seins unbegriffen schon vorzustellen vermag. Deswegen fängt die philosophiegeschichtliche Übersicht bei Descartes an, gerade weil erst die Religion der Moderne, und der Protestantismus insbesondere, zu der Eingrenzung des begrifflichen und wissenschaftlichen Problems gelangt war, die das Christentum als neuen Boden für das Denken der neuzeitlichen Philosophie abgeben konnte: die Vorstellung und der Gedanke des Absoluten als Geist und als Wissen von sich. Also gibt es zwei brennende Fragen, denen sich das absolute Selbstbewußtsein des Geistes widmen muß: erstens die Problematik der Zeit (und eigentlich die der Neuzeit), in die es nicht als bloßes Geschehen, sondern als geschichtliche Wissenschaft fällt (wozu auch die Phänomenologie selbst zu rechnen ist), zweiBegeistung, wodurch die Substanz Subject, ihre Abstraction und Leblosigkeit gestorben, sie also wirklich und einfaches und allgemeines Selbstbewußtseyn geworden ist“.
Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft tens das damit verbundene Verhältnis zu der Religion, aus der die moderne Wissenschaft schließlich entsteht und mit der sie verbunden bleibt, zumindest in dem Sinne, daß die erstere ihr begriffliches Ganze vorstellungsmäßig zu antizipieren vermag. Hier soll besonders dem ersten Problem Aufmerksamkeit geschenkt werden, obwohl es eng auch mit dem zweiten verbunden ist, wie sich zeigen wird. Die berühmt/berüchtigten Äußerungen über die Zeit als Dasein des Begriffs, welches von diesem letzteren getilgt werden muß, sobald er zu seiner Reinheit gelangt, haben die Interpreten viel beschäftigt und sind in maßgeblichen Deutungen als Siegel eines Endes der Geschichte (etwa Kojève 1947, besonders 364 ff., 381 ff.) oder als Beweis der ungenügenden Problematisierung einer objektivierten Zeit verstanden worden (etwa Heidegger 198616, 434 f., § 82). Hier geht es allerdings nicht sosehr um eine Definition der Zeit auf natur- oder geschichtswissenschaftlicher Basis, dies wäre bloß eine Zeit des Geistes, in der dieser fällt, mit allen Zufällen, die daraus entstehen würden8. Vielmehr handelt es sich um eine Besinnung auf die Problematik der Zeitlichkeit, weshalb erneut auf das religiöse Bewußtsein verwiesen wird, das sich in der Zeit wußte und nicht bloß darin war. Darüber hinaus steht aber auch die Bedeutung des phänomenologischen Weges selbst zur Diskussion, jene Verstandesund Begriffsoperation, die die Zeit in ihrem Sinne transformiert. Wenn es stimmt, daß das Bewußtsein in die Zeit bloß versunken ist und es deswegen noch nicht denken kann und daß „der ganze Geist nur […] in der Zeit“ (GW 9, 365) ist, dann kann ein Verständnis der Temporalität als ein Denken der Zeit nur innerhalb eines Selbstbewußtseins des absoluten Geistes geschehen. Die Zeit (als „Fall-Raum“ des Geistes) ist deswegen „das Schicksal und die Nothwendigkeit des Geistes“ (GW 9, 429)9, nur solange er seinen (diachronisch) beschränkten Weg 8 Schon in der Jenaer Naturphilosophie war von einem Tilgen und Aufheben der Zeit die Rede gewesen, sofern von der Zeit die Dimension der Totalität ihrer Momente hervorgehoben wurde, vgl. GW 7, 195. Nach Seba (1980, 47) sind im absoluten Wissen „weder die physische Zeit, noch diejenige der geschichtlichen Fakten getilgt“. 9 Man beachte hier besonders den Gebrauch der Metapher des Schicksals. Den Zusammenhang zwischen Schicksal und Notwendigkeit auf einer logischen Ebene habe ich zu bearbeiten versucht in Baptist 1997.
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Gabriella Baptist geht. Erst bei der selbstbewußten Besinnung auf das Hintersich-Gebrachte, die von der Religion schon vorstellungsmäßig geleistet wurde, erscheint dagegen jenes Andere der Zeit, welches nicht bloß eine andere Zeit (zum Beispiel der Erlösung als ein vorgestelltes Jenseits der Zeit selbst, sei es auch nach ihrem vermeintlichen Ende) ist, sondern hier die (synchronische) Intemporalität der begrifflichen Betrachtung bedeutet10. So wie bei der anfänglichen Rekapitulation des absoluten Geistes die Versammlung der phänomenologischen Gestalten als das Objekt und somit als das Sein seines Bewußtseins betrachtet wurde, so ist jetzt das Wesen oder das Selbstbewußtsein des absoluten Wissens die in der Philosophie gewußte Geschichtlichkeit und Intemporalität des Geistes selbst, sein „Werden seiner zu dem, was [der Geist] an sich ist“ (GW 9, 429), als seine wahre und absolute Substanz. Eine Doppelheit der Geschichte der Philosophie wurde eigentlich schon in der Differenzschrift formuliert, indem betont wurde, wie jede genuine Philosophie sich das Problem des ewigen Absoluten setzt und eine vollendete Antwort darauf gibt.11 Aber diese letzten Seiten der Phänomenologie fügen noch hinzu, daß jetzt die Zeit der Philosophie gekommen ist, nicht irgendeine Zeit, sondern die Neuzeit der Moderne, in der die Philosophie zur herrschenden Gestalt des sich wissenden Geistes wird. Die Philosophie ist der Kunst der schönen griechischen Sittlichkeit 10 Vgl. die Jenaer Überlegungen über „das andre der Zeit – nicht eine andre Zeit, sondern die Ewigkeit, der Gedanke der Zeit“ (GW 8, 287). Ebenso auch Labarrière (1979, 98 und 100): „Das ist das absolute Wissen: nicht die letztgültige Aneignung der Schlüssel des Universums, sondern jene viel ärmere Macht, welche ein einigendes Wort riskiert, das dem unerwartet Einfallenden einen Sinn zu geben vermag“. „Hier, in der Fluktuation der Dinge, drückt sich die Ewigkeit des Geistes als dieses Verständis aus, das die Zeit in Geschichte verwandelt“. 11 Vgl. die folgenden Äußerungen in GW 4, 10: „Wenn aber das Absolute, wie seine Erscheinung die Vernunft, ewig ein und dasselbe ist, wie es denn ist; so hat jede Vernunft, die sich auf sich selbst gerichtet und sich erkannt hat, eine wahre Philosophie producirt, und sich die Aufgabe gelöst, welche, wie ihre Auflösung, zu allen Zeiten dieselbe ist. Weil in der Philosophie die Vernunft, die sich selbst erkennt, es nur mit sich zu thun hat, so liegt auch in ihr selbst ihr ganzes Werk wie ihre Thätigkeit, und in Rücksicht aufs innre Wesen der Philosophie gibt es weder Vorgänger noch Nachgänger“. Vgl. auch GW 4, 12: „Jede Philosophie ist in sich vollendet, und hat, wie ein ächtes Kunstwerk, die Totalität in sich“, deswegen ist für Hegel kein früheres System als eine bloße Vorübung für die Gegenwart zu betrachten.
Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft und auch der Religion des christlichen Mittelalters darin überlegen, daß sie den Begriff einer neuen Zeit und Zeitlichkeit auslegt (dazu Brauer 1982, besonders 135 ff., 171 ff. und 185). Nur bezüglich dieser dritten Zeit, die über die Zyklizität oder Linearität des Endlichen und des Geschichtlichen sowie über das Eschatologische hinausreicht, kann man von einem „Ende der Geschichte“ reden. Dies würde dann bloß hervorheben, daß das einzige Interesse der Geschichte der Philosophie sicherlich nicht ihre Geschichte ist, sondern die Philosophie selbst (dazu Vieillard-Baron 1978, 20). Nur in diesem Sinne ist für die philosophische Wissenschaft qua Philosophie die Zeit und die Geschichte getilgt, indem sie sich der Macht der Notwendigkeit bemächtigt und ihre (neue) Zeit frei in ihrem Denken bestimmt. Ein solcher Charakter würde dann die Philosophie gar nicht als a-historisch erklären, sondern im Gegenteil gerade ihre Geschichtlichkeit fundieren.
III. Der Abschluß der Gestaltung und die Entäußerung/Erinnerung zu einer neuen Unmittelbarkeit: die „Vernunft“ des absoluten Wissens und sein Begriff „In dem Wissen hat also der Geist die Bewegung seines Gestaltens beschlossen“ (GW 9, 431), da der Begriff die Versöhnung von Sein und Selbst erlangt hat. Aber dennoch ist dies Ende auch ein neuer Anfang, der den Aufriß des Systems vorzeichnet. Das Wissen des Geistes von sich im Denken ist demgemäß auch das Wissen seines Seins als der Raum außer sich – im Schauplatz der Natur, in der der Geist das „Theater“ seines Werdens findet –, sowie das Wissen seiner Selbst als die Zeit seiner Geschichte. Die Doppelungen und Entzweiungen, die den Lauf des Bewußtseins begleitet hatten, kehren hier auf einem anderen Niveau wieder, da die Spaltung von Wahrheit und Gewißheit in der wirklichen Vernunft des Systems vereinigt wird: Die Entäußerung in die Ausdehnung des Seins und der Substanz und die Erinnerung in die Tiefe des selbstbewußten Subjektes bilden nun die Richtlinien einer skizzierten Philosophie der Natur und des Geistes, aber auch einer Rückkehr zum Dasein des neuen
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Gabriella Baptist Anfanges und der neuen Geburt als „neue Welt und Geistesgestalt“ (GW 9, 433). Von zentraler Bedeutung ist hier besonders die Bewegung der Erinnerung (vgl. dazu Verra 1970), in der sowohl eine platonische Reminiszenz als auch ein christlicher Zug wiederzuerkennen ist, indem Platos Anamnesis und Christus Kreuzweg in der „anamnèse salvifique“ des absoluten Wissens zusammenfallen (Vieillard-Baron 1978, 37 ff.). Schon in den Jenaer Logikentwürfen hatte Hegel das Erkennen als Operation des Resümierens und als Kreisbewegung aufgefaßt (vgl. GW 7, 116–117), ebenso war die Selbsterkenntnis des Geistes als Kreislauf der Rückkehr in sich aus seinem Anderen und in den Anfang zurück dargestellt (vgl. GW 7, 173 und 177).12 Das Sinnbild des Kreislaufes kann jetzt auch für die neue Geschichte und Geschichtlichkeit gelten, die durch die Vernunft und den Begriff des absoluten Wissens definiert werden, also nach der Versammlung seines Werdens in seinem Bewußtsein und nach der Besinnung auf sein zeitliches Wesen in seinem Selbstbewußtsein. Die unterschiedlichen Typen von Geschichte, die in der Phänomenologie selbst ihren Schauplatz gefunden hatten – etwa die aus der Geschichte herausgezogenen Beispiele zur Einübung in die Kategorialität, die tatsächliche Weltgeschichte, die typologische Geschichte des Bewußtseins oder der Religion – ordnen sich hier demnach begrifflich zu drei verschiedenen Geschichten, bei denen eine kreisförmige Vermittlung zwischen dem Kontingenten und dem Logisch-Systematischen ermöglicht wird: So gibt es die zufällige Geschichte des bloßen Geschehens, sozusagen die „histoire événémentielle“ als einfaches Werden und Wahrheit des Seins und des Lebens des Geistes, als sein Schicksal, dann die bewußtseinsmäßig organisierte Geschichte des erscheinenden Wissens, die die Phänomenologie selbst als Geschichte der Erfahrung des Bewußtseins, als Weg der Verzweiflung durch die „Gallerie von Bildern“ (GW 9, 433) und als Gewißheit und Erkennen des Geistes darstellt und schließlich die begriffliche und begriffene
12 Vgl. auch den dort betonten Übergang von dem absoluten Geist zur Natur als seinem Anderen, sowie die Definition der Natur als „der sich auf sich selbst beziehende absolute Geist“, „der als das Andre seiner selbst sich darstellende Geist“ in GW 7, 179 und 184. Auch die Zeit wurde in der Jenaer Naturphilosophie als ein Kreislauf aufgefaßt, vgl. GW 7, 195.
Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft Geschichte der Wissenschaft und der Philosophie selbst als die erreichte Wirklichkeit des Wissens, als die wahrhafte und gewußte Geschichte und Geschichtlichkeit des absoluten Geistes. Nur bei dieser letzten Geschichte und Geschichtlichkeit gilt die Tilgung und Aufhebung im Begriffenen nicht nur hinsichtlich der Geschichte oder der Zeit selbst als zufälliges Geschehnis, sondern auch hinsichtlich des bloß Geschichtlichen:13 Keine Aufeinanderfolge von Tatsachen und auch keine Gestaltungen charakterisieren deswegen diese allerletzte Stufe des Geistes, sie ist vielmehr jenes Geisterreich, das nicht von ungefähr die letzten, nach dem Zeugnis von Michelet und Rosenkranz vom Jenaer Heft inspirierten Seiten der Berliner Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie abschließt. Bekanntlich gleichen die dortigen Ausführungen vielen Begriffen und Wendungen des letzten Kapitels der Phänomenologie, wie etwa der berühmte Abschluß: „Es ist eine neue Epoche in der Welt entsprungen“ oder die Betrachtungen, nach denen der Standpunkt der Zeit „die Reihe der geistigen Gestaltungen“ abschließe, welche „das wahrhafte Geisterreich“ ist (Werke 15, 689–691).14 Bei der früheren Besinnung über die Zeit hatte man das Zusammenfallen von zwei verschiedenen Zeiten beobachten können, die retrospektive Zeit der Versammlung und die perspektivische Zeit des Horizontes, das heißt die chronologische und lineare Zeit des Ablaufes in der Natur und in der Geschichte und die vorstellungsmäßige Zeit der Offenbarung und der Erlösung als Antizipation der logisch-teleologisch-prozessualen Zeit des begrifflichen Verständnisses. Dies markierte das Aufkommen der neuen Zeit des Denkens, das die Zeit des Seins als bloßes In-der-Zeit-Sein des Geistes und die Zeit des Wesens als Temporalität der geistigen Substanz und des geistigen Subjektes überschreitet. Wenn die Zeit des absoluten Wissens als eine dritte Zeit betrachtet werden muß, die weder die objektive und endliche Zeit des natürlichen und geschichtlichen Geschehens
13 Vgl. Pöggeler 1989, 112–113 zur Unterscheidung zwischen einer Geschichte als Dasein des Geistes, als Lehre von seinen Erscheinungen und schließlich als logisch-systematischer Begriffsgeschichte. 14 Über das Jenaer Heft vgl. das Vorwort von Karl Ludwig Michelet in Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Werke 13, VI ff., sowie Rosenkranz 1844, 202.
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Gabriella Baptist als Zeit des tragischen Überganges, noch die subjektive und verinnerlichte Zeit des Sinnes als die Zeit der Reflexion ist, dann ermöglicht diese „absolute“ Zeit der philosophischen Neuzeit die neue Geschichte und Geschichtlichkeit des absoluten Geistes und des Systems der Philosophie. Die Forschung hat sich wiederholt mit der Problematik der Zeit des absoluten Wissens auseinandergesetzt: Für Andreas Luckner bietet die Phänomenologie als Ganzes eine Genealogie der Zeitbegriffe im Sinne eines dynamischen Schematismus, wobei Zeit und Begriff identifiziert werden, um den Dualismus zwischen einer Welt der Endlichkeit und einer Welt der Ewigkeit zu verhindern, deswegen muß das begreifende „Tilgen der Zeit“ in die Zeit der Unendlichkeit, in die historisch erfüllte „Gegenwart, kairos, Augenblick“ gestellt werden (Luckner 1994, 228 und 234). Für Catherine Malabou ermöglicht das absolute Wissen die dialektische Aufhebung nicht der Zeit überhaupt, sondern einer gewissen Zeit, indem die vom Denken befreite Zukunft eine neue Zeit der Synthese zwischen der griechisch-teleologischen und der christlich-linearen Zeit ankündigt (Malabou 1996, 176 ff.). In der vom absoluten Begriff geleisteten und in der Aufeinanderfolge des Geisterreiches erlangten „Offenbarung der Tiefe“ (GW 9, 433) gelingt nach Hegel jedenfalls das wechselseitige Ineinandergehen von Ent-Äußerung und Er-Innerung, das heißt von Ausdehnung in die Vergegenständlichung und Versenkung ins „entgegenständlichte“ Subjekt: „Nach“ der Zeit als „Schicksal“ der Endlichkeit und „nach“ der Geschichte als „Golgotha“ einer Höllenfahrt15 ist diese Zeit und diese Geschichte des Begriffes, diese begriffliche Zeit und diese begriffene Geschichte jene versöhnende geistige „Unendlichkeit“, die das letzte Wort des absoluten Wissens – und der Phänomenologie des Geistes – sagt: „aus dem Kelche dieses Geisterreiches / schäumt ihm seine Unendlichkeit“ (GW 9, 434), die berühmte Variation eines Verses aus Schillers Die Freundschaft, mit der Hegel sein Werk abschließt.16
15 Man achte auf die Anwendung der Metapher einer „Schädelstätte des absoluten Geistes“ in GW 9, 434, die analog zur früheren Darstellung der Zeit als „Schicksal“ gebraucht wird. 16 Bekanntlich hatte Schiller in dem 11. und 12. seiner Briefe Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen, schon an einem Tilgen der Welt sowie an eine Aufhebung
Das absolute Wissen. Zeit, Geschichte, Wissenschaft In der Vorrede, bekanntlich nach dem Abschluß des Kapitels über das absolute Wissen verfaßt, treten wiederholt Anklänge an die dort umrissenen Züge eines neuen Denkens und einer neuen Zeit auf. Zu demonstrieren, „daß die Erhebung der Philosophie zur Wissenschaft an der Zeit ist“ (GW 9, 11), ist schließlich als Vorhaben des ganzen Werkes vorgestellt: Nach Hegel hat der Geist „mit der bisherigen Welt seines Daseyns und Vorstellens gebrochen“ (GW 9, 14, Hervorhebungen von G. B.), so daß man in einem Übergang zu einer neuen Periode lebt, deswegen ist „unsre Zeit eine Zeit der Geburt“ (ebenda), in der sich das Erkennen nicht mehr bloß „mit dem Ansich oder dem Wesen begnügen“ (GW 9, 19, Hervorhebungen von G. B.) wird. „Der Geist, der sich so als Geist weiß, ist die Wissenschaft. Sie ist seine Wirklichkeit und das Reich, das er sich in seinem eigenen Elemente [das heißt im Begriff – G. B.] erbaut“ (GW 9, 22). Um mindestens eine vorläufige Bilanz des letzten Kapitels und der zuletzt verfaßten Seiten der Phänomenologie des Geistes ziehen zu können, sollte man abschließend noch berücksichtigen, daß vermutlich Hegel nur hier den Zusammenhang zwischen Zeit, Geschichte und Wissenschaft ausdrücklich aufarbeitet und so etwas wie eine Zeit und eine Geschichtlichkeit der Vernunft und des absoluten Geistes skizzenmäßig darlegt. Dieser Zusammenhang mußte später durch eine allmähliche Beschränkung der Rollen von Zeit und Geschichte auf die Bereiche der Natur- beziehungsweise der objektiven Geistesphilosophie eher verdeckt bleiben. Über das Problem hinaus, ob die von Hegel umrissene Zeit, ob die neue Art von Geschichtlichkeit und ob die angestrebte Wissenschaft immer noch unsere Zeit, unsere Geschichte beziehungsweise Geschichtlichkeit und unsere Wissenschaft sind, bleiben allerdings jene getilgte Zeit des Begriffs aus der Phänomenologie des Geistes als punktuelle Erfahrung der Unendlichkeit, der Verweis auf eine Geschichtlichkeit der Vernunft und des Geistes sowie Hegels Appell zu einer neuen Wissenschaft weiterhin eine Aufforderung auch für das zeitgenössische Denken. Der Begriff eines absoluten Wis-
der Zeit und ihres Werdens appelliert, vgl. Schiller 1962, 341 ff., besonders 343 und 346.
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Gabriella Baptist sens scheint zwar meistens im voraus verdächtig zu sein, trotzdem bedeutet er bei Hegel gar nicht so etwas wie eine endgültige Offenbarung oder Verklärung und auch nicht einen Endpunkt, der ein für allemal erreicht wäre, sondern er meint gerade die Möglichkeit, eine offene Zeit und eine offene Geschichte immer vom Neuen begrifflich zu versammeln und durch „neue Geburten“ zu verwirklichen. Weder der tragische Verlust der Endlichkeit noch die Illusion einer anderen Zeit und einer anderen Geschichte, sondern der immer zu leistende Prozeß der Entäußerung an die Oberfläche der Natur und in die Ausdehnung des Seins sowie die Erinnerung in die Tiefe der Geschichte und des Selbst hinein erweisen sich als ein offener Blick auf das Ganze.
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Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie
Udo Rameil
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie in Hegels propädeutischer Geisteslehre in Nürnberg I. In die Zeit von 1808 bis 1816, in der Hegel als Rektor und Philosophielehrer am Gymnasium in Nürnberg wirkt, fallen zwei Ereignisse, die für die genuine Gestalt der Hegelschen Philosophie von herausragender Bedeutung sind: Zum einen erarbeitet und veröffentlicht Hegel in den Nürnberger Jahren die beiden Bände der Wissenschaft der Logik (1812/13 und 1816), zum anderen entwickelt er in dieser Zeit die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften als Gesamtdarstellung seines philosophischen Systems. Diese beiden philosophischen Projekte stehen allerdings in einem ganz unterschiedlichen Verhältnis zu Hegels Nürnberger Gymnasialunterricht. Während er mit der Wissenschaft der Logik in den Zustand der Wissenschaft der Philosophie seiner Zeit eingreifen will, „um einen neuen Begriff wissenschaftlicher Behandlung“ (GW 11, 7)1 der Philosophie und eine neue Grundlegung ihrer Methode zu etablieren, entwirft er die Enzyklopädie unmittelbar als integralen Teil seines 1 In Ergänzung zum Siglenverzeichnis dieses Bandes werden für Zitate aus Hegels Werken folgende Siglen verwendet: NS: G. W. F. Hegel: Nürnberger Schriften 1808–1816. Hg. von J.Hoffmeister. Leipzig 1938 HEnz: G. W. F. Hegel: Sämtliche Werke. Hg. von H. Glockner. Band 6: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse und andere Schriften aus der Heidelberger Zeit. Stuttgart 1968 (Faksimile-Nachdruck der Originalausgabe der Enzyklopädie, Heidelberg 1817)
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Udo Rameil gymnasialen Lehrprogramms und übernimmt sie in dieser Form später dann – mit einigen Modifikationen und weiteren Ausarbeitungen – als Grundlage auch für seine akademischen Vorlesungen in Heidelberg und Berlin. Freilich hat Hegel auch auf dem Gebiet der Logik zentrale und für die besondere Gestalt seiner spekulativen Logik charakteristische Elemente, die über seine Jenaer Entwürfe zur Logik hinausgehen, im Kontext seiner Logikkurse am Nürnberger Gymnasium ausgearbeitet; und er konnte dies tun, weil er im Gymnasialunterricht seine eigene spekulativ-ontologische Logik vortrug, soweit er dies im Rahmen der philosophischen Propädeutik für möglich hielt. So läßt sich anhand des überlieferten Textmaterials aus Hegels Nürnberger Zeit beispielsweise aufzeigen, daß er in seinen propädeutischen Logikkursen zum erstenmal eine (in den Jenaer Logik-Entwürfen noch fehlende) eigenständige Wesenslehre konzipiert; und in der Lehre vom Begriff ist die allmähliche Herausbildung eines eigenen Abschnitts zur Objektivität und die sukzessive Integration der Ideenlehre in die subjektive Logik rekonstruierbar.2 Die Wissenschaft der Logik insgesamt jedoch und ihre spezifische diskursive Darstellungsform verdanken sich nicht der gymnasialen Lehrtätigkeit Hegels. Vielmehr ist dieses umfangreiche Hauptwerk der Hegelschen Philosophie als nicht unmittelbar auf die Lehre bezogene, sondern dezidiert wissenschaftliche Publikation neben den Unterrichtsverpflichtungen und trotz der damit verbundenen Belastungen entstanden und den von Hegel als Mühsal empfundenen Schulverhältnissen sozusagen ,abgetrotzt‘. So macht Hegel für die aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Abfassung und für die Verzögerungen bei der Fertigstellung der Wissenschaft der Logik „meine Amts-Verhältnisse und andere persönliche Umstände“ verantwortlich, die ihm „nur eine zerstreute Arbeit“ an der wissenschaftlichen Darstellung der Logik erlaubten (GW 12, 6).3
2 Siehe dazu Verf. 1993: Der teleologische Übergang zur Ideenlehre und die Entstehung des Kapitels „Objektivität“ in Hegels propädeutischer Logik. In: Hegel-Studien 28, 165–191. 3 „Vorbericht“ zur Begriffslehre von 1816, also nach Abschluß des gesamten Projekts; ähnlich äußert sich Hegel bereits zu Beginn der Veröffentlichung der Wissenschaft der Logik in einem Brief an Niethammer vom 5. Februar 1812: „Es ist
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie Die Wissenschaft der Logik ist nach Hegels eigenem Bekunden als systematische ,Fortsetzung‘ der Phänomenologie des Geistes geschrieben. Auch die Phänomenologie von 1807 ist ohne direkten Bezug auf eine Lehrsituation als rein wissenschaftlichdiskursive Abhandlung entworfen, und zwar als „Erster Theil“ dessen, was Hegel auf dem Titelblatt als „System der Wissenschaft“ bezeichnet (GW 9, 3). In einer „Selbstanzeige“ kündigt Hegel an: „Ein zweyter Band wird das System der Logik als speculativer Philosophie, und der zwey übrigen Theile der Philosophie, die Wissenschaften der Natur und des Geistes enthalten“ (GW 9, 447). Nach diesem Gesamtplan einer Darstellung des philosophischen Systems von 1807 bilden die beiden Bände der Wissenschaft der Logik von 1812/13 und 1816 mithin den Anfang oder den ersten Teil des auf die Phänomenologie folgenden zweiten Bandes des Gesamtsystems der philosophischen Wissenschaften. Diese Bestimmung des Verhältnisses von Phänomenologie und Logik im philosophischen System greift Hegel 1812 in der „Vorrede“ zum ersten Band der Wissenschaft der Logik auf; ursprünglich „war dem ersten Theil des Systems der Wissenschaft (Bamb. und Würzb. bey Göbhard 1807), der die Phänomenologie enthält, ein zweyter Theil zu folgen bestimmt, welcher die Logik und die beyden realen Wissenschaften der Philosophie, die Philosophie der Natur und die Philosophie des Geistes, enthalten sollte, und das System der Wissenschaft beschlossen haben würde“ (GW 11, 8). Der unvermeidbar große Umfang der Logik habe allerdings zur gesonderten Publizierung der Logik geführt; „sie macht also in einem erweiterten Plane [scil. im ,System der Wissenschaft‘] die erste Folge zur Phänomenologie des Geistes aus. Späterhin werde ich die Bearbeitung der beyden genannten realen Wissenschaften der Philosophie folgen lassen“ (a. a. O.). Diesen ursprünglichen Plan einer Komplettierung der ausführlichen wissenschaftlichen Gesamtdarstellung des Systems der philosophischen Wissenschaften hat Hegel allerdings nicht in die Tat umsetzen können; über die Logik als ,erste Folge zur Phänomenologie des Geistes‘ ist er – was den diskursiv-wissenschaftlichen Darstellungsstil betrifft – nicht hinausgekommen. Am Ende seines schriftstellerikeine Kleinigkeit, im ersten Semester seiner Verheuratung ein Buch des abstrusesten Inhalts von 30 Bogen zu schreiben.“ (Br I, 393)
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Udo Rameil schen Werkes räumt Hegel ein, daß er die ausführliche Bearbeitung der realphilosophischen Systemteile hat schuldig bleiben müssen. Allerdings kann er auf eine Kompensationsleistung verweisen, die er als geeignet ansieht, das Fehlen der angekündigten monographischen Darstellung der auf die Phänomenologie folgenden Systemteile auszugleichen. In einer Fußnote, die er in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik von 1832 der wiederabgedruckten „Vorrede zur ersten Ausgabe“ (von 1812) hinzufügt, merkt Hegel an: „An die Stelle des … erwähnten Vorhabens eines zweyten Theils, der die sämmtlichen andern philosophischen Wissenschaften enthalten sollte, habe ich seitdem die Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften … ans Licht treten lassen“ (GW 21, 9). Die Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften kann mithin – nach Hegels eigener Auskunft – als ,Stellvertreter‘ angesehen werden, der den – nach dem Systemplan von 1807 – auf die Phänomenologie des Geistes folgenden zweiten Systemteil (Logik, Natur- und Geistesphilosophie) ersetzen soll – freilich nun in einem anderen Darstellungsstil: nicht mehr wie anfangs geplant in der umfassend ausgearbeiteten diskursiven Form wissenschaftlicher Monographien, sondern bloß als „Grundriß“, als ein zu Zwecken der akademischen Lehre in Paragraphen eingeteiltes und mündlich zu erläuterndes Kompendium. In eins mit der Veränderung der Darstellungsform hat aber auch eine einschneidende inhaltlich-systematische Änderung stattgefunden: Im Aufbau des neuen (,stellvertretenden‘) enzyklopädischen Systems hat die Phänomenologie des Geistes nicht länger die Funktion einer Einleitung in das philosophische System, und in ihm nimmt die Phänomenologie nicht mehr wie 1807 als diese systematische Einleitung zugleich den Rang des ersten Teils des Systems selber ein. Vielmehr ist die Phänomenologie nun als ein systematischer Bestandteil in die realphilosophische Lehre vom subjektiven Geist integriert, und als geistesphilosophischer Systemteil ist sie reduziert auf die ersten Gestalten des erscheinenden Geistes (Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Vernunft) des Werkes von 1807.4 4 Dies ist nicht der erste Wandel in Hegels Systemkonzeption. Zu Hegels vor der Phänomenologie liegenden Systementwürfen und zu der Rolle der Logik als wissenschaftlicher Einleitung in die spekulative Philosophie oder Metaphysik siehe
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie Die beiden herausgehobenen Charakteristika, die Hegels enzyklopädisches System auszeichnen, sowohl die neue darstellerisch-formale Präsentation als auch der neue systematische Gesamtentwurf, sind von Hegel unmittelbar im Rahmen seiner gymnasialen Philosophiekurse erarbeitet worden: Der kompendiarische Darstellungsstil und der dreiteilige Systemaufbau ohne vorangehende Phänomenologie als systematische Einleitung (und erster Systemteil) sowie die Einbeziehung einer abbreviativen Phänomenologie in die realphilosophische Lehre vom Geist resultieren aus Hegels Nürnberger philosophischen Propädeutik.
II. Hegel hat sein endgültiges und vollständiges System der Philosophie erstmals 1817 in der Heidelberger Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften veröffentlicht, zehn Jahre nach dem Erscheinen der Phänomenologie des Geistes. Die im enzyklopädischen Gesamtsystem nun als Mittelteil der Philosophie des subjektiven Geistes fungierende Kurzversion der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie ist allerdings schon sehr bald nach der Publikation des Werkes von 1807 in Hegels philosophischen Lehrvorträgen am Gymnasium in Nürnberg entstanden. Die erhaltenen Texte aus Hegels Nürnberger Jahren geben Aufschluß darüber, daß er bereits in den ersten Philosophiekursen von 1808/09 und 1809/10 das – die ersten drei BewußtseinsGestalten umfassende – Kurzprogramm der Phänomenologie entwickelt und in den Kontext einer enzyklopädischen Gesamtdarstellung des philosophischen Systems einordnet. Und zwar geschieht dies in einem engen Zusammenspiel zweier Motive, die Hegel bei der Auswahl und der Festlegung seiner Lehrinhalte leiten: Er verbindet die strikte Orientierung an den inhaltlichen und formalen Vorgaben des maßgeblichen Lehrplans mit
Düsing, K. 1976 : Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Hegel-Studien. Beiheft 15. Bonn und Baum, M. 1986: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn.
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Udo Rameil dem Festhalten und der Weiterentwicklung der eigenen spezifischen Konzeption einer spekulativ-idealistischen Philosophie.5 Wer sich einen Überblick über die überlieferten Quellen verschafft, die Hegels Wechsel von Bamberg nach Nürnberg dokumentieren, wird nicht umhin können zu konstatieren, daß Hegel die mit diesem Ortswechsel verbundene Berufsveränderung von 1808 recht überstürzt und in bezug auf die ihn erwartenden neuen Aufgaben weitgehend unvorbereitet vollziehen mußte. Hegel hoffte in Bamberg bis zuletzt auf eine Möglichkeit, in eine Universitätstätigkeit zurückzukehren, und entschied sich erst im Oktober 1808, sozusagen in letzter Minute, auf Niethammers Angebot einzugehen und das Amt des Rektors des Aegidiengymnasiums und des Professors der philosophischen Vorbereitungswissenschaften anzutreten, um sich dadurch endlich „vom Zeitungsjoche“ (Br I 239) in Bamberg befreien zu können. Läßt schon diese äußerst späte Entscheidung kaum eine hinreichend gründliche Unterrichtsvorbereitung bis zum nahen Beginn des Schuljahres zu, so kommt noch hinzu, daß in Nürnberg eine völlige Neuorganisation des Gymnasiums nach Niethammers Reformplänen anstand. Als Hegel Anfang November 1808 seine offizielle Ernennung in das für ihn gänzlich neue Amt erhielt, war er noch in völliger Unkenntnis über die Inhalte des reformierten Lehrplans, der zu dieser Zeit auch in Nürnberg noch gar nicht vorlag. Daraufhin schreibt Hegel an Niethammer: „Selbst nach Eintreffen des Lehrplans werden wenigstens ein paar Tage, für den Lehrer der philosophischen Vorbereitungswissenschaften mehr als für andere, … nötig sein, um ihr halbjähriges Pensum zum voraus zu übersehen. – Ich weiß auch noch gar nichts weder über die philosophischen Lehrgegenstände oder Wissenschaften, die auf einem Gymnasium zu lehren sein werden, noch über Bücher, die dabei als Leitfaden zugrunde zu liegen haben, noch ob mein Unterricht verschiedenen Klassen … zugeteilt werden wird“ (Br I 260 f.). Von seinem Freund Paulus, dem neuen Kreisschulrat in Nürnberg, erhält Hegel wenige Tage vor Unterrichtsbeginn die erste 5 Siehe hierzu und zu den folgenden Darlegungen die ausführlichere Abhandlung vom Verf. 1990: Die Phänomenologie des Geistes in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: L. Eley (Hg.): Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“. Stuttgart-Bad Cannstatt, 84–130.
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie detaillierte Mitteilung über die anstehenden philosophischen Lehrgegenstände, wie sie das neue, auf Niethammer zurückgehende Allgemeine Normativ der Einrichtung der öffentlichen Unterrichtsanstalten6 vorschreibt. Welchen inhaltlichen Anforderungen sieht sich Hegel zu Beginn seiner Unterrichtstätigkeit am Nürnberger Gymnasium gegenüber? Das Normativ gibt als philosophischen Lehrgegenstand für die höchste gymnasiale Schulstufe, die Oberklasse, den „allgemeinen Zusammenhang der Wissenschaften“ unter dem Titel einer „philosophischen Enzyklopädie“ an; von Anbeginn seiner Nürnberger Lehrtätigkeit an ist Hegel also mit der Aufgabe konfrontiert, gemäß dem vorgegebenen Lehrplan eine Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften auszuarbeiten und vorzutragen. Für die zweijährige Mittelklasse sieht das Normativ „logikalische Übungen“ (untere Mittelklasse) und „Einleitung in die Philosophie“ mit der Alternative „Psychologie“ (obere Mittelklasse) vor. Hegel versucht nun offenbar zu Beginn seines Philosophieunterrichts, den Vorgaben des Normativs in der Weise gerecht zu werden, daß er alle im Lehrplan für die Mittelklasse aufgeführten philosophischen Lehrinhalte (Logik, Einleitung in die Philosophie, Psychologie) miteinander in eine inhaltlich-konzeptionelle Verbindung bringt und in einem Kursus thematisiert.7 Wenn unterstellt werden kann, daß Hegel sich – ohne jede Lehrerfahrung im Gymnasialunterricht – in eine solche Ausgangssituation für seinen ersten Philosophiekurs für die Mittelklasse (1808/09) gestellt sieht, dann fragt sich, wie er diese Lage zu meistern imstande ist. Schon die große Zeitnot bis zum 6 Vollständiger Abdruck in: Monumenta Germaniae Paedagogica. Bd XLII: Mittelschulgeschichtliche Dokumente Altbayerns, einschließlich Regensburgs. 2. Bd. Berlin 1908. Wiederabdruck in: Niethammer, F. I. 1968: Philanthropinismus – Humanismus. Texte zur Schulreform. Bearbeitet von W. Hillebrecht. Weinheim u. a. – Teilabdruck in: Rosenkranz, K. 1844: G. W. F. Hegels Leben. Berlin (Nachdruck Darmstadt 1977), 254 f.; siehe auch TW 4, 598 f. 7 Dieselbe Tendenz zur Verbindung der im Normativ für eine Klassenstufe alternativ aufgeführten philosophischen Lehrgegenstände läßt sich an Hegels erstem Kursus für die Unterklasse von 1809/10 beobachten, in dem er von den allgemeinen Begriffen der Logik zu den Grundbegriffen der Rechts-, Pflichten- und Religionslehre überging; siehe Hegels Bericht NS 4, TW 4, 295. Von diesem (einmaligen) Vorgehen rückt Hegel in den folgenden Jahren ab; siehe Hegels Gutachten von 1812: NS 437, TW 4, 405.
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Udo Rameil Unterrichtsbeginn läßt es nicht zu, an einen völlig neuen thematischen Entwurf einer „Einleitung in die Philosophie“ zu denken; Hegel kann nichts anderes übrig bleiben, als auf seine Jenaer Konzeption der Philosophie zurückzugreifen. Und da liegt es auf der Hand, seinen Lehrvorträgen über die „Einleitung in die Philosophie“ dasjenige philosophische Projekt zugrunde zu legen, das er zuletzt in Jena zum Abschluß gebracht hatte: die Phänomenologie des Geistes von 1807. Denn die Phänomenologie war ja gerade als Einleitung in die Wissenschaft der Philosophie konzipiert worden. Und auch unter der Annahme, daß Hegel die Angaben des Normativs so auslegt, daß die für die Mittelklasse geforderte „Einleitung in die Philosophie“ sich der speziellen Disziplin der Psychologie zuzuwenden habe, muß sich für ihn die Phänomenologie des Geistes als geeignetes Grundgerüst und Leitfaden geradezu anbieten. Freilich in der Weise, daß Hegel dabei seine spekulative Auffassung einer philosophischen Psychologie zugrunde legt, die er von der ,gewöhnlichen‘ Psychologie als empirischer Lehre von den Vermögen und Leistungen der Seele absetzt (siehe Enzyklopädie (1817) § 367 Anm.). Die Phänomenologie von 1807 hat nun gerade die Aufgabe, als Einleitung in die Wissenschaft der spekulativen Philosophie das absolute Wissen als das Element der spekulativen Philosophie dadurch zu begründen, daß die Leistungen und Fähigkeiten des Geistes als Erkenntniskraft in ihrer genetischen Entwicklung aufgezeigt und im Zusammenhang ihrer systematischen Abfolge dargestellt werden. Die Phänomenologie als „ausführliche Geschichte der Bildung des Bewußtseyns selbst zur Wissenschafft“ (GW 9, 56) steht so in der Tradition einer idealistischen Geschichte des Selbstbewußtseins.8 Als solche soll sie – gemäß der „Selbstanzeige“ Hegels – „an die Stelle der psychologischen Erklärungen, oder auch der abstractern Erörterungen über die Begründung des Wissens treten“ (GW 9, 446). Wenn Hegel 1808/09 als Thema des philosophischen Einleitungskurses im Anschluß an die Bestimmungen des Normativs die Psychologie wählt, dann im dezidierten Sinne einer spekulativen Lehre vom Geist nach dem idealistischen Entwurf der Phänomenologie des Geistes von 1807. Dem entspricht Hegels Lehrprogramm zu 8 Siehe dazu Düsing, K. 1993: Hegels „Phänomenologie“ und die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins. In: Hegel-Studien 28, 103–126.
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie Beginn des ersten Unterrichtsjahres, wie er es Niethammer am 14. Dezember 1808 ankündigt: „In der Mittelklasse gedenke ich gewissermaßen Psychologie, nämlich mehr als Geisteslehre denn als Seelenlehre in der bisherigen, gleichsam naturgeschichtlichen, völlig unspekulativen oder durch keinen Begriff zusammenhängenden Weise vorzunehmen.“ (Br I, 272)
III. Aus Hegels Bestreben, die Vorgaben des Normativs mit den spekulativ-idealistischen Inhalten seines philosophischen Grundkonzeptes zu erfüllen, resultiert das Programm einer „Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie“, wie es Hegel zu Beginn des ersten Mittelklassenkursus von 1808/09 entwirft. Daß für ein solches Vorhaben die Phänomenologie des Geistes die naheliegende Grundlage abgeben kann, ergibt sich ganz natürlich, verfolgt sie doch gerade die systematische Aufgabe einer – die gewöhnliche Psychologie ersetzenden – Begründung der Seelenvermögen bis zum absoluten Wissen und somit einer Einleitung in die Philosophie, nämlich in die Logik als spekulativer Wissenschaft. Was Hegel im einzelnen im Kursus von 1808/09 zum Thema macht, geht aus den beiden Manuskripten hervor, die seine Diktate dokumentieren: Zum einen handelt es sich um Hegels eigenes Manuskript, das ihm als Vorlage für seine Diktate dient, zum anderen um eine Nachschrift eines (anonymen) Schülers, die Hegel als Grundlage zu Überarbeitungen für den folgenden Kursus von 1809/10 nutzt.9 Hegels Manuskript zeigt bereits
9 Hegels Manuskript (eines der sog. Harvard-Manuskripte) wurde nach einer ersten Edition von J. Löwenberg (Entwürfe zur Enzyklopädie und Propädeutik nach den Handschriften der Harvard-Universität. In: Hegel-Archiv I, 1. Leipzig 1912) von J. Hoffmeister – z. T. fehlerhaft – veröffentlicht: NS 11–50, TW 4, 70–110. – Die Diktat-Nachschrift ist beschrieben von Ziesche, E. 1975: Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaß. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 29, 438 f.; vgl. Der handschriftliche Nachlaß G. W. F. Hegels und die Hegel-Bestände der Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz. Teil 1: Katalog, beschrieben von E. Ziesche. Wiesbaden 1995, 212 f. – Zitate aus diesem Manuskript sind übernommen aus der Edition des Verf. 1994: Texte zu Hegels Nürnberger Phänomenologie. In: Hegel-Studien 29, 9–61. Zu den schwer-
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Udo Rameil vom ersten, drei Paragraphen umfassenden Ansatz an, daß ihm von vornherein als Lehrgegenstand die Gestalten des Bewußtseins aus der Phänomenologie von 1807 vor Augen stehen: Unter dem ursprünglichen Titel „Von den Arten des Bewußtseins, Wissens und Erkennens“ (NS 12; TW 4, 70) skizziert er die Abfolge sinnliche Gewißheit, Wahrnehmung und (gestr., ohne inhaltliche Ausführung) Verstand. Im zweiten (ebenfalls nicht weitergeführten) Ansatz seines Manuskripts entwirft Hegel ein über die Phänomenologie hinausgehendes Gesamtprogramm für den Kursus zur ,Geisteslehre‘; unter dem Titel „Bewußtseins- und Seelenlehre“ (NS 13; TW 4, 71) soll die Phänomenologie des Geistes als Lehre vom Bewußtsein durch eine Seelenlehre ergänzt werden, so daß insgesamt – nach Hegels Gliederungsnotiz – „I. Der Geist nach den verschiedenen Arten seines Gegenstandes; II. nach den verschiedenen Arten seiner Tätigkeit“ (ebd.) thematisiert wird. Die „gewissermaßen Psychologie“, die ,mehr Geisteslehre als Seelenlehre‘ ist (Br I, 272; siehe oben Abschnitt II), ist mithin nach Hegels anfänglicher Planung zweigeteilt in eine Lehre von den Arten des Bewußtseins gemäß seinen je verschiedenen Gegenständen (Bewußtseinslehre) und in eine Lehre von den inneren Tätigkeiten des Geistes (Seelenlehre). Der zweite Ansatz in Hegels Manuskript enthält außer dem zweistufigen Gesamtaufbau der Geisteslehre von 1808/09 einen Gliederungsentwurf für die Lehre vom Bewußtsein als dem ersten Teil dieser Geisteslehre. Diese Gliederung (§ 2) gibt nun Aufschluß darüber, welche Inhalte Hegel auf der Grundlage der Phänomenologie von 1807 in der Bewußtseinslehre von 1808/09 zu behandeln beabsichtigt: „A. Das Bewußtsein von abstrakten Gegenständen. B. Das Bewußtsein von der Welt des endlichen Geistes. C. Das Bewußtsein von dem absoluten Geiste.“ (NS 13; TW 4, 72) Setzt man diesen von Hegel zu Beginn des Unterrichtsjahres 1808/09 skizzierten Aufriß der Bewußtseinslehre ins Verhältnis zum Gesamtaufbau der Phänomenologie von 1807, so ist offensichtlich, daß Hegel zunächst keineswegs eine Reduzierung des ursprünglichen phänomenologischen Programms wiegenden Mängeln der alten Edition der Nürnberger Phänomenologie durch K. Rosenkranz (Werke 18, 79–90) siehe außerdem die in Anm. 5 genannte Abhandlung des Verf.
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie vorhatte, sondern wie im Werk von 1807 eine vollständige Darlegung aller wesentlichen Stationen der Erscheinungslehre des Geistes bis hin zum absoluten Wissen anstrebt.10 Der dritte und zum endgültigen Diktattext ausgeführte Ansatz in Hegels Manuskript – jetzt unter dem Titel „Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie“ – schließt in Inhalt und Struktur an den zweiten Ansatz an: Die Zweiteilung des Lehrprogramms in eine Lehre vom Bewußtsein und in eine Seelenlehre wird in § 2 (NS 14; TW 4, 73) formuliert, die dreiteilige Untergliederung der Bewußtseinslehre enthält der § 6 (NS 15; TW 4, 74). Daß Hegel sich mit den genannten „drei Hauptstufen“ (§ 6; ebd.) des Bewußtseins am ursprünglichen Gesamtkonzept der Phänomenologie des Geistes orientiert, macht auch der im dritten Ansatz neu hinzugefügte Eröffnungsparagraph deutlich, in dem Hegel das Unternehmen einer „Einleitung in die Philosophie“ im Grundzug vorweg zu charakterisieren sucht. Einerseits ist es die Aufgabe einer Einleitung in die Philosophie als spekulative Wissenschaft, die sich im Element des absoluten Wissens oder des absoluten Geistes bewegt, diejenigen „verschiedenen Beschaffenheiten und Tätigkeiten des Geistes zu betrachten“ (§ 1 – NS 14; TW 4, 73), die als seine – vorläufigen – Gegenstands- und Selbstbezüge den Geist in seinen unterschiedlichen Gestaltungs- und Erscheinungsformen bestimmen, bis er zu seiner Vollendungsgestalt als Wissenschaft gelangt; die Einleitung in die Philosophie ist so die Vorbereitung auf die eigentliche philosophische Wissenschaft und leitet insofern in sie ein, als sie die systematische Abfolge der geistigen Vorstufen thematisiert, die dem sich als Geist wissenden Geist vorausliegen und vom gewöhnlichen (vor-philosophischen) Bewußtsein mit dem Ziel durchlaufen und nachvollzogen werden müssen, sich zum spekulativen Standpunkt des Geistes selbst zu erheben. Andererseits stehen die geistigen Beschaffenheiten und Tätigkeiten, welche die zu durchlaufenden Bewußtseinsgestalten als Erscheinungsformen des Geistes kennzeichnen, untereinander selbst in einem „notwendigen Zusammenhange“ (a. a. O.) und bilden dadurch einen inneren Entwicklungsprozeß, der im Akt der Selbsterkenntnis des Geistes als Geist mündet; in dieser Hin10 Vgl. Pöggeler, O. 1966: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Studien. Beiheft 3. Bonn 1966, 27–74.
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Udo Rameil sicht, daß der Entwicklungsgang des Geistes bis zu seiner Selbsterkenntnis zugleich ein notwendiger und in seiner Notwendigkeit erkennbarer und erkannter ist, „macht diese Selbsterkenntnis gleichfalls eine Wissenschaft aus“ (a. a. O.), und also hat die Einleitung in die Wissenschaft selbst schon den Charakter der Wissenschaft. Diese beiden in § 1 des Kursus „Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie“ von 1808/09 unterschiedenen und in eine Beziehung gesetzten Momente – wissenschaftliche Hinführung zur Wissenschaft – sind nun gerade die konzeptionell entscheidenden Charakteristika bereits der Phänomenologie des Geistes von 1807, wie sie Hegel in deren „Einleitung“ hervorhebt: Der Erfahrungsprozeß des Bewußtseins im Durchgang durch seine Gestalten als Erscheinungsformen des Geistes wird dadurch selbst „zum wissenschaftlichen Gange“ erhoben, daß „die ganze Folge der Gestalten des Bewußtseyns in ihrer Nothwendigkeit“ aufgewiesen und dargestellt wird; „durch diese Nothwendigkeit ist dieser Weg zur Wissenschaft selbst schon Wissenschaft“ (GW 9, 61). Dieser Zusammenhang von Wissenschaft als Ziel und wissenschaftlichem Weg dorthin kennzeichnet die systematische Doppelbestimmung der Phänomenologie als Einleitung in die philosophische Wissenschaft und zugleich als erster Teil des wissenschaftlichen Systems. Hegels „Selbstanzeige“ bringt dieses Grundkonzept der Phänomenologie von 1807 auf den Begriff: „Sie betrachtet die Vorbereitung zur Wissenschaft aus einem Gesichtspuncte, wodurch sie eine neue, interessante, und die erste Wissenschaft der Philosophie ist“ (GW 9, 446). Daß Hegel an diese Konzeption der gedruckten Phänomenologie zu Beginn seines Gymnasialunterrichts unmittelbar anzuknüpfen beabsichtigt, ist nach der in § 1 formulierten Zielsetzung der „Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie“ evident. Offensichtlich will sich Hegel in doppelter Weise eng am Werk von 1807 orientieren: sowohl prinzipiell hinsichtlich des systematischen Grundansatzes (§ 1), als auch im einzelnen in der inhaltlichen Durchführung, indem er in der Bewußtseinslehre zunächst das vollständige Programm der Phänomenologie des Geistes zu berücksichtigen plant (§ 6).
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IV. Hegel hat das anfangs projektierte und den Schülern diktierte Programm seines Kurses von 1808/09 zur „Geisteslehre als Einleitung in die Philosophie“ im weiteren Unterrichtsverlauf nicht beibehalten. Weder läßt er der Lehre vom Bewußtsein die angekündigte Seelenlehre (oder eigentliche Psychologie) folgen, noch stellt er die vollständige Reihe der Erscheinungsformen des Geistes am Leitfaden der publizierten Phänomenologie dar. In Hegels Manuskript und in der Schülernachschrift der Diktate folgt in der Hauptgliederung dem Titel „I. Teil. Die Lehre von dem Bewußtsein“ nicht ein entsprechender Titel „II. Teil. Seelenlehre“; in der Untergliederung des ersten Teils bleibt das Kapitel „A. Das Bewußtsein abstrakter Gegenstände“ ohne die in § 6 vorgesehene Fortsetzung durch ein Kapitel „B. Das Bewußtsein von der Welt des endlichen Geistes“ und „C. Das Bewußtsein von dem absoluten Geist“. Das einzig ausgeführte Kapitel A erfährt die Einteilung in „I. Das Bewußtsein überhaupt“, „[II.] Das Selbstbewußtsein“, „III. Die Vernunft“.11 Nur bis zum Beginn des Unterkapitels „III. Die Vernunft“ folgt Hegel seinem anfänglichen Plan, der eine Darlegung der Hauptstufen einer im wesentlichen unverkürzten Phänomenologie (Bewußtseinslehre) mit anschließender Psychologie (Seelenlehre) vorsieht; nach nur zwei Paragraphen zum VernunftKapitel12 geht Hegel – ausweislich seines Manuskripts und der
11 Den Aufbau dieses ersten Teils der Bewußtseinslehre hat Hoffmeister in seiner Edition des Hegelschen Manuskripts durch seine Eingriffe verfälscht; Hoffmeister läßt die gesamte Bewußtseinslehre – gegen Hegels eindeutigen Text – gegliedert sein in „A. Das Bewußtsein abstrakter Gegenstände“, „[B. Selbstbewußtsein]“, „C. [aus Ms.: III.] Vernunft“ (NS 15, 20, 27). In der Theorie Werkausgabe wird Hoffmeisters eigenmächtige Gliederung zurecht kritisiert (TW 4, 74 n und 611 f.) und – der Sache nach zutreffend, aber editorisch unzulänglich und offenbar ohne direkten Rückgriff auf das Harvard-Manuskript – korrigiert in „A. Das Bewußtsein abstrakter Gegenstände; [I. Bewußtsein]“, „[II. Selbstbewußtsein]“, „[III. Vernunft]“ (TW 4, 74, 78, 85). – Die Untergliederung des Kapitels A ist in Hegels Manuskript völlig stringent und vollständig durchgeführt, es fehlt lediglich zur Überschrift „Selbstbewußtsein“ die Gliederungsziffer „II.“ – ausschließlich diese ist in Hegels Manuskript editorisch zu ergänzen. In der Schülernachschrift der Diktate von 1808/09 ist auch diese Gliederungsziffer enthalten. 12 Offenbar hat Hegel ursprünglich eine etwas ausführlichere Darstellung der Vernunft vorgehabt; eine Randnotiz in Hegels Manuskript von 1808/09 lautet:
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Udo Rameil Diktatnachschrift – zur Logik über.13 Nach der Programmankündigung zu Beginn des Kursus muß ein solcher Übergang zur Logik für die Schüler überraschend kommen, hatte Hegel doch vorweg keinerlei Hinweis darauf gegeben, daß er außer der Geisteslehre (Bewußtseins- und Seelenlehre) noch eine andere philosophische Disziplin zu behandeln vorhabe. Auch im Ausgang von Hegels damaliger philosophischen Systematik bereitet ein solcher Übergang vom Anfang des Vernunft-Kapitels der Phänomenologie zur Logik im Rahmen einer „Einleitung in die Philosophie“ einige Schwierigkeiten. Zwar läßt sich an Hegels Manuskript von 1808/09 (siehe § [33] – NS 27; TW 4, 85 – und § 29 der entsprechenden Diktatnachschrift) nachvollziehen, wie er parallel zur Phänomenologie von 1807 bis zu deren Teil „V. Gewißheit und Wahrheit der Vernunft“ vordringt und – weiterhin in Orientierung an der Phänomenologie – einen (freilich gestrichenen und nicht diktierten) Paragraphen zum Kapitel „A. Beobachtende Vernunft. a) Beobachtung der Natur“ entwirft (NS 27 n; TW 4, 85 n), um dann einen Paragraphen (siehe § [34] in Hegels Manuskript – NS 27 f.; TW 4, 86) zum nächsten Unterkapitel „b)“ der Phänomenologie anzuschließen, das dort die Stichworte „logische und psychologische Gesetze“ (GW 9, 167) aufführt; der gestrichene ursprüngliche Anfang dieses Paragraphen lautet in Hegels Manuskript (von Hoffmeister nicht mitgeteilt): „Die logischen Gesetze“. Daß Hegel nun aber an die „beobachtende Vernunft“, die in einem Akt der Selbstreflexion „die Gesetze des Denkens“ (GW 9, 167) findet, die Logik selbst anschließt, hat keine Parallele in der Phänomenologie von 1807 und entspricht nicht deren Konzeption; denn die „nähere Entwicklung“ der „sogenannten Denkgesetze“ gehört nach dem Ansatz der Phänomenologie „in die speculative Philosophie“ (GW 9, 168), mithin nicht in die Phänomenologie, sondern in die Wissenschaft der Logik. Diese aber bewegt sich von ihrem Anfang an im Element des absoluten Wissens, auf das die Phänomenologie insgesamt vorbereitet und in das sie „Vern[unft,] allg[emeines] Selbst, sowohl äußerlich als innerlich“ (vgl. NS 15 n; TW 4, 74 n). 13 Dieser Übergang ist der Grund, weshalb Hoffmeister Hegels Manuskript – abweichend von Hegels Bezeichnung seines Kursus – unter dem Sachtitel „Bewußtseinslehre und Logik für die Mittelklasse 1808/09“ ediert hat (NS 11; TW 4, 70, 86).
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie einleitet, das hier aber im Vernunft-Kapitel noch gar nicht erreicht ist. Daß Hegel 1808/09 gleichwohl an das verkürzte Programm der Phänomenologie die Logik nicht etwa lediglich im Sinne irgendwelcher „logikalischer Übungen“, wie es im Normativ heißt, sondern in der spezifischen Bedeutung einer spekulativen Wissenschaft anfügen will, geht aus der Einteilung dieser Wissenschaft in „Logik des Objektiven, des Subjektiven und der Idee“ (§ [35] – NS 28; TW 4, 86) hervor.14 Nun hatte Hegel bereits in seiner letzten Vorlesung in Jena vom Sommersemester 1806 die Phänomenologie mit der Logik so verknüpft, „daß er jene als Einleitung zu dieser nahm“; anders aber als auf die Weise, wie Hegel 1808/09 tatsächlich verfährt, bedeutete das 1806, daß Hegel „aus dem Begriff des absoluten Wissens unmittelbar zu dem des Seins überging“. (Rosenkranz 1844, 214) Ein solcher Übergang vom absoluten Wissen als der Endgestalt des sich selbst als Geist erkennenden Geistes zur Logik als spekulativer Philosophie entspricht dem systematischen Entwurf der gedruckten Phänomenologie von 1807 und der Wissenschaft der Logik (siehe oben Abschnitt I). Hegels Vorgehen im propädeutischen Philosophiekurs von 1808/09, die Darstellung der Logik direkt an die Behandlung der (beobachtenden) Vernunft anzuhängen, findet allerdings keine zureichende Begründung in der systematischen Gesamtkonzeption seiner Philosophie. Er hat eine solche Verbindung von Phänomenologie und Logik weder explizit gerechtfertigt, noch in einer späteren Lehrveranstaltung wiederholt; in Hegels gesamten Werk bleibt ein solcher Übergang von der Bewußtseinslehre zur Logik, wie Hegel ihn 1808/09 vollzieht, eine singuläre Ausnahme. Offenbar hat Hegel erst im Verlauf des Unterrichts die Entscheidung getroffen, in seinem Einleitungskurs auch die Logik zu behandeln. Vermutlich waren nicht zuletzt didaktische Gründe ausschlaggebend dafür, im ersten Unterrichtsjahr in der Mittelklasse die Betrachtung der höher entwickelten Bewußtseinsgestalten nicht weiterzuverfolgen, auf die angekündigte Seelenlehre ganz zu verzichten und statt dessen die ele14 Zu Hegels Nürnberger Ideenlehre siehe Verf. 1993: Aufbau und systematische Stellung der Ideenlehre in Hegels propädeutischer Logik. (Erscheint demnächst im Tagungsband der Marburger Tagung (1993) über Hegels enzyklopädisches System der Philosophie. Hg. von H.-C. Lucas und B. Tuschling.)
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Udo Rameil mentaren Grundbegriffe der Logik einzuführen. Dabei mag der (in Abschnitt II) erörterte Umstand eine Rolle gespielt haben, daß im Normativ auch die Logik als Lehrgegenstand für die Mittelklasse aufgeführt ist; darauf war Hegel eigens durch Paulus hingewiesen worden, der ihm Ende November 1808 als Unterrichtsstoff für die Mittelklasse „Einleitung in die Philosophie nebst logikalischen Uebungen“ (Br I, 264) angegeben hatte. Daß Hegel die Logik gegenüber der Geisteslehre für den didaktisch besser geeigneten Lehrgegenstand eines philosophischen Einleitungskurses hält, geht aus seinem Gutachten für Niethammer hervor, das er 1812 auf der Grundlage seiner inzwischen gesammelten Lehrerfahrungen verfaßt hat: „Das Logische und Psychologische [scil. Bewußtseins- und Seelenlehre] … miteinander verglichen, so ist das Logische im Ganzen für das Leichtere anzusehen, weil es einfachere, abstrakte Bestimmungen zu seinem Inhalt hat, das Psychologische dagegen ein Konkretes, und zwar sogar den Geist.“ (NS 437; TW 4, 405)15
V. Aus den bisherigen Darlegungen ergibt sich, daß durch Hegels (unangekündigten) Übergang vom Anfang des Vernunft-Kapitels der Bewußtseinslehre zur Logik das ,Kurzprogramm‘ der Phänomenologie (Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft) 1808/09 auf eine eher zufällige und – gemessen an Hegels philosophischer Systematik – recht unerwartete Weise zustande gekommen ist, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen ist festzustellen, daß Hegel, solange er eine Geisteslehre plant, die aus einer Bewußtseins- und einer Seelenlehre (oder Phänomenologie und Psychologie) bestehen soll, für die Bewußtseinslehre keineswegs an eine Kurzversion der Phänomenologie von 1807 denkt, sondern im wesentlichen deren vollständiges Programm als Lehrgegenstand vorsieht – im Unterschied zur späteren ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie, die ja gerade (gefolgt 15 Daß Hegel hier wiederum an eine spekulativ ausgerichtete Psychologie denkt (siehe Abschnitt II), geht ex negativo aus der Fortsetzung der oben zitierten Stelle hervor: „Aber zu leicht ist die Psychologie, wenn sie so trivial als ganz empirische Psychologie … genommen werden soll.“ (a. a. O.)
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie von der Psychologie) die ursprünglichen Inhalte der Phänomenologie auf die ersten Bewußtseins-Gestalten reduziert; zum anderen fällt auf, daß Hegel, sobald er im Kursus von 1808/09 von der Phänomenologie zur Logik übergeht und damit im Grunde die Phänomenologie wie noch in Jena systematisch als Vorbereitung auf die (spekulative) Wissenschaft behandelt, das phänomenologische Programm auf die drei ersten Gestalten des erscheinenden Geistes einschränkt – anders als in der Phänomenologie von 1807, die zwar als eine solche Einleitung in die spekulative Wissenschaft konzipiert ist, dazu aber immanent das Erreichen des Standpunkts des absoluten Wissens fordert, der durch das Durchlaufen des phänomenologischen Kurzprogramms doch noch nicht eingenommen wird. Anders gesagt: Solange Hegel 1808/09 eine Bewußtseinslehre im Rahmen einer Lehre vom Geist (also nicht mit folgender Logik, sondern mit anschließender Psychologie oder Seelenlehre) plant und insofern – systematisch gesehen – einen realphilosophischen Zusammenhang (wie in der späteren Enzyklopädie) herstellt, entwirft er gerade keine (,enzyklopädische‘) Kurzform der Phänomenologie, sondern hält an dem vollständigen Programm der Phänomenologie fest; als er im Verlauf des Unterrichts an die Phänomenologie die Logik anschließt und insofern – systematisch betrachtet – der Konzeption der Phänomenologie von 1807 folgt, die ein Durchlaufen der vollständigen Reihe der Erscheinungsweisen des Geistes bis zum absoluten Wissen erfordert, beschränkt er das ursprüngliche Programm der Phänomenologie auf die spätere ,enzyklopädische‘ Kurzform. Von Hegels systematischem Gesamtentwurf seiner Philosophie aus müßte der Behandlung der Logik das vollständige Programm der Phänomenologie (als Einleitung in die spekulative Philosophie oder Logik) bis hin zur Stufe des absoluten Wissens vorausgehen – das aber geschieht im Kursus von 1808/09 gerade nicht; vielmehr trägt Hegel nur eine auf die ersten Bewußtseins-Gestalten reduzierte Fassung der Phänomenologie vor. Dem tatsächlich vorgetragenen Kurzprogramm der Bewußtseinslehre müßte – wie 1808/09 anfangs geplant – eine Seelenlehre (eigentliche Psychologie) folgen – statt dessen aber geht Hegel vom phänomenologischen Standpunkt der Vernunft bereits zur Logik über. Die im Kursus von 1808/09 auf die erörterte Weise faktisch entstandene Abbreviation der Phänomenologie wird von Hegel
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Udo Rameil im folgenden Unterrichtsjahr 1809/10 in einen veränderten Kontext gestellt, und gerade dadurch gewinnt sie nun ihre systematische Fundierung und philosophische Begründung. Denn nun fungiert die reduzierte Phänomenologie nicht länger als eine – der Logik vorangehende – Einleitung in die Philosophie (wie im tatsächlichen Verlauf des Kursus von 1808/09), sondern sie wird von Hegel – nun von vornherein in ihrer Kurzversion – in den Rahmen eines philosophischen Programms integriert, das – wie bereits zu Beginn des Kursus von 1808/09 geplant, dann aber nicht durchgeführt – außer der Bewußtseinslehre eine Seelenlehre enthält. Die Phänomenologie hat nun nicht mehr die Aufgabe zu erfüllen, in die spekulative Wissenschaft einzuleiten, sondern ist Teil einer realphilosophischen Geisteslehre, der in systematischer Hinsicht die Logik bereits vorausliegt. Dieser prinzipielle Konzeptionswandel der Bewußtseinslehre wird in Hegels Überarbeitung der Schülernachschrift der Diktate von 1808/09 für den neuen Mittelklassenkursus von 1809/ 10 deutlich.16 Hegel streicht in der Schülernachschrift die Überschrift „A. Das Bewußtsein abstrakter Gegenstände“ und beseitigt dadurch dieses Relikt der 1808/09 ursprünglich geplanten vollständigen Phänomenologie; in demselben Zuge der Überarbeitung ersetzt er den alten Gliederungsparagraphen (§ 6 von 1808/09; siehe oben Abschnitt III), der die „drei Hauptstufen“ der gesamten Phänomenologie enthält, am Rand durch eine neue oberste Einteilung: „Das Bewußtsein hat im allgemeinen folgende Stufen: a) Bewußtsein überhaupt oder äußerliches Bewußtsein; b) Selbstbewußtsein; c) Vernunft“ (§ 5 von 1809/10). Die ehemalige Untergliederung der ersten Hauptstufe im vollständigen Programm der Phänomenologie von 1808/09 wird dadurch unzweideutig zur Hauptgliederung der (nun von vorn-
16 Das Schülerheft mit den Diktaten von 1808/09 ist nicht nur – neben Hegels eigenem Manuskript – ein bedeutendes Dokument für den Kursus von 1808/09, sondern durch Hegels eigenhändige Überarbeitungsnotizen für 1809/10 die einzige Textgrundlage, auf der Hegels Phänomenologie von 1809/10 rekonstruierbar ist. (Siehe dazu die in Anm. 9 genannte Edition des Verf.) Da Hegel 1808/09 keine auf die Bewußtseinslehre folgende Seelenlehre vorgetragen hat, fehlen im Schülerheft der Diktate von 1808/09 naturgemäß Hegelsche Notizen zur eigentlichen Psychologie als zweitem Teil der Geisteslehre von 1809/10; die Psychologie von 1809/10 ist weder durch ein Manuskript Hegels, noch durch eine Diktatnachschrift überliefert.
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie herein verkürzten) Phänomenologie von 1809/10: Das Kurzprogramm der Phänomenologie, das sich im ersten Mittelklassenkursus vor dem Übergang zur Logik ergeben hatte, ist zum vollständigen Inhalt der (verkürzten) Phänomenologie als des ersten Teils der (realphilosophischen) Geisteslehre erhoben. Ein zweiter für den eingetretenen Konzeptionswandel signifikanter Eingriff betrifft – notwendigerweise – das Ende der Lehre vom Bewußtsein; denn es ist ja nicht mehr wie 1808/09 eine Überleitung zur Logik, sondern nun zur Seelenlehre oder Psychologie herzustellen. Folglich bezieht Hegel den Paragraphen über die „logischen Bestimmungen“ (§ 30 der Diktatnachschrift; in Hegels Manuskript § [34] – NS 27; TW 4, 86), der 1808/09 das phänomenologische Vernunft-Kapitel beschließt und den Übergang zur Logik herstellt, nicht mehr in seine Überarbeitung für 1809/10 ein (und läßt so in § 30 auch eine den Sinn entstellende Textlücke in der Schülernachschrift unkorrigiert); statt dessen entwirft er zwei neue Paragraphen zum Kapitel „Vernunft“, in denen er den am Ende der (verkürzten) Phänomenologie gewonnenen Standpunkt näher erläutert, auf dem nun die Seelenlehre als der zweite Hauptteil der Geisteslehre von 1809/10 einsetzt: Der Geist, der als Bewußtsein betrachtet sich zu einem Gegenstand verhält, erreicht auf der Stufe der Vernunft die Einsicht, daß sein Gegenstand „für das Ich kein Fremdes …, sondern von demselben durchdrungen … oder von ihm erzeugt ist“ (§ [47] von 1809/10 – vgl. NS 210; TW 4, 122), so daß nun der Geist, wie er in der folgenden Psychologie betrachtet wird, sich nur zu sich selbst und zu seinen eigenen Bestimmungen verhält. Diesen im Schülerheft von 1808/09 von Hegel für den Kursus von 1809/10 neu entworfenen Übergang von der Phänomenologie zur Psychologie hält er – nahezu unverändert – auch im Mittelklassenkurs zur Geisteslehre von 1811/12 bei (siehe unten Abschnitt VII).
VI. Die Kurzversion der Phänomenologie (von der sinnlichen Gewißheit bis zum Anfang der Vernunft), die sich 1808/09 durch den Übergang vom Auffinden der logischen Gesetze durch die beobachtende Vernunft zur Logik selbst ergeben hat, ist 1809/
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Udo Rameil 10 als Programm des ersten Teils der realphilosophischen Lehre vom (subjektiven) Geist festgeschrieben. In seinem Gutachten für Niethammer vom Oktober 1812 „Über den Vortrag der Philosophie auf Gymnasien“ beschreibt Hegel im Rückblick auf seine Kurse von 1809/10 und 1811/12 sein Vorgehen in der „Geisteslehre“ oder „Psychologie“ ausführlich: „Ich teile den Vortrag der Psychologie in zwei Teile, a. des erscheinenden, b. des an und für sich seienden Geistes; – in jenem handle ich das Bewußtsein, nach meiner Phänomenologie des Geistes, aber nur in den dort bezeichneten drei ersten Stufen: 1. Bewußtsein, 2. Selbstbewußtsein, 3. Vernunft, in diesem die Stufenfolge von Gefühl, Anschauung, Vorstellung, Einbildungskraft usf. ab. Beide Teile unterscheide ich so, daß der Geist als Bewußtsein auf die Bestimmungen als auf Gegenstände tätig ist, und sein Bestimmen ihm zu einem Verhältnis zu einem Gegenstande wird, daß er als Geist aber nur auf seine Bestimmungen tätig ist, und die Veränderungen in ihm als seine Tätigkeiten bestimmt sind, und so betrachtet werden.“ (NS 437; TW 4, 406) In dieser Konstellation einer zweiteiligen Lehre vom Geist, die das Bewußtsein als erscheinenden Geist und den Geist an und für sich betrachtet, nimmt Hegel die dreistufige Kurzfassung der Phänomenologie auch in die Philosophische Enzyklopädie auf, deren erste Fassung Hegel in seinen Nürnberger Oberklassenkursen entwickelt. Allerdings behandelt Hegel die Phänomenologie im Rahmen der Enzyklopädie-Kurse17 nicht ausführlich, sondern widmet ihr – „wiederholungsweise“ (NS 6; TW 4, 298) – nur einen einzigen Paragraphen (1810/11: § 65; 1812/13: § 54), um sie ins philosophische System einzuordnen. Auch noch in dem spätesten durch Nachschriften dokumentierten Enzyklopädiekursus (1812/13)18 beginnt die Wissenschaft vom Geist mit der Lehre von seinen Erscheinungsformen, also mit der erörterten dreistufigen Phänomenologie des Geistes; die später von Hegel der Phänomenologie vorangestellte Anthropologie als Lehre vom Naturgeist (siehe Enzyklopädie (1817) § 307) fehlt in den Dokumenten zur propädeutischen Philosophie Hegels noch durchgehend. Ein erster Hinweis auf die 17 Siehe Verf. 1995: Hegels „Philosophische Enzyklopädie“ in Nürnberg. Mit einer Nachschrift von 1812/13. In: Hegel-Studien 30, 9–38. 18 Siehe die demnächst erscheinende Edition vom Verf.
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie systematische Einbeziehung einer Anthropologie, durch die allererst die endgültige triadische Einteilung der Lehre vom subjektiven Geist zustande kommt, findet sich zwar in einer Überarbeitungsnotiz Hegels im Schülerheft der Diktate zur Geisteslehre von 1810/11, stammt aber wohl aus der späten Nürnberger Zeit und rückt damit nahe an die Vorbereitung der Heidelberger Enzyklopädie heran. In Hegels eigenen Abschlußberichten über seine Nürnberger Philosophiekurse ist jedenfalls bis zum Schluß ausschließlich von einer aus Phänomenologie und Psychologie bestehenden Geisteslehre die Rede (siehe NS 5–10; TW 4, 297–302). Erst in einem Gliederungsaufriß der Geisteslehre im letzten Teil der Wissenschaft der Logik von 1816 (GW 12, 197) und in einem Schreiben Hegels an Raumer vom August 1816 (Br II, 102) ist die Anthropologie in die Lehre vom Geist integriert.19
VII. Anders als noch im Mittelklassenkurs von 1808/09 hat Hegel im Kursus des folgenden Jahres – wie gezeigt – eine klare Vorstellung davon, daß die Betrachtung des Geistes an und für sich durch eine Lehre vom erscheinenden Geist oder vom Bewußtsein vorbereitet werden muß, die genau die Stufenfolge des Bewußtseins als solchen, des Selbstbewußtseins und der Vernunft umfaßt. Mit der Entscheidung für ein derartig – gemessen an der Phänomenologie des Geistes von 1807 – reduziertes Programm der Bewußtseinslehre im Kontext einer (nun realphilosophischen) Geisteslehre erfährt die Phänomenologie einen Wandel ihrer systematischen Konzeption; denn nun stellt sich ihr nicht länger die Aufgabe, die ihr im philosophischen System zukam, solange sie als Einleitung in die spekulative Philosophie fungierte, nämlich bis zum absoluten Wissen als dem Element der spekulativen Wissenschaft vorzudringen. Hegel ist bemüht, diesen Konzeptionswandel der Phänomenologie in den propädeutischen Philosophiekursen zur Geisteslehre der folgenden Jahre dadurch deutlich zu machen, daß er an deren 19 Siehe dazu Verf. 1988: Der systematische Aufbau der Geisteslehre in Hegels Nürnberger Propädeutik. In: Hegel-Studien 23, 19–49.
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Udo Rameil Beginn auf eine allgemeine Einleitung in die Geisteslehre noch eine ausführliche Einleitung speziell in die Phänomenologie (als ersten Teil der Geisteslehre) folgen läßt, in der er auf das (gegenüber dem Werk von 1807) neue Kurzprogramm der Phänomenologie reflektiert.20 Er unternimmt in zwei Anläufen den Versuch, plausibel zu machen, daß das auf drei BewußtseinsStufen eingeschränkte phänomenologische Programm hinreicht, die geforderte Funktion zu erfüllen, die immanente Entwicklung des Bewußtseins bis zum an und für sich seienden Geist aufzuzeigen und so zum zweiten Teil der Geisteslehre hinzuführen. Ist dieses Ziel erreicht, so ist dadurch das dreistufige Kurzprogramm der Phänomenologie als ein in sich geschlossenes und vollständiges erwiesen. In der ersten Argumentation (Meinel 1811/12: §§ 6 – 8. Vgl. NS 201 f.: §§ 7 – 9; TW 4, 112 f.) greift Hegel auf die grundlegende Subjekt-Objekt-Beziehung des Wissens überhaupt zurück, die er zuvor in der allgemeinen Einleitung in die Geisteslehre insgesamt (§§ 1–5. Vgl. NS 200 f.; TW 4, 111 f.) analysiert hat. Das Bewußtsein ist in der Verschiedenheit seiner Gestalten abhängig von der Verschiedenheit seiner Objekte (§ 6). Objekt des Bewußtseins kann aber prinzipiell dreierlei sein (§ 8): (1) das dem Ich Gegenüberstehende, der Gegenstand (dann ist das Bewußtsein ein äußerliches Bewußtsein oder Bewußtsein überhaupt); (2) das Ich selbst, das sich somit selbst Gegenstand wird und sich auf sich selbst bezieht (dann ist das Bewußtsein Selbstbewußtsein); (3) etwas Gegenständliches, das zugleich wesentlich dem Ich selbst angehört (dann ist das Bewußtsein Vernunft). Hegel hat die im diktierten Text so begründete Vollständigkeit der drei Bewußtseins-Stufen – nach den Aufzeichnungen Meinels von 1811/12 – im Unterricht näher erläutert: „Wir haben im Bewußtsein 1) den Gegenstand selbst, 2) Ich, 3) die Beziehung des Ichs auf den Gegenstand zum Ge20 Diese Einleitungen in die Geisteslehre insgesamt (§§ 1–5) und in die Phänomenologie (§§ 6–11) sind für den Mittelklassenkursus von 1811/12 zur „Geisteslehre“ oder „Psychologie“, bestehend aus der Lehre vom Bewußtsein und der Lehre vom eigentlichen Geist, durch eine Nachschrift des Schülers Chr. S. Meinel belegt; siehe – außer der in Anm. 9 genannten Edition des Verf. – die Abhandlung des Verf. 1991: Bewußtseinsstruktur und Vernunft. Hegels propädeutischer Kursus über Geisteslehre 1811/12. In: F. Hespe, B. Tuschling (Hg.): Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes. Stuttgart-Bad Cannstatt, 155–187.
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie genstand. Von diesen kann jedes der Gegenstand des Bewußtseins sein … Es ist unvollkommen, wenn es ein Extrem zum Gegenstand hat, hingegen ist es vollkommen, wenn es das Bewußtsein in der Totalität in der Beziehung zum Gegenstand zu seinem Gegenstand hat“ (ad § 8). Der Entwicklungsgang des Bewußtseins von seiner Unmittelbarkeit bis zu seiner Vollkommenheit findet sein Telos in der Vernunft21 als der Vereinigung von Bewußtsein und Selbstbewußtsein in einer höheren vermittelnden Einheit, wodurch der Begriff des Geistes an und für sich als Betrachtungsgegenstand der folgenden (eigentlichen) Geisteslehre oder Psychologie erreicht ist. Diese Überlegungen, mit denen Hegel 1811/12 einleitend die Vollständigkeit der dreistufigen Phänomenologie aufweist, hat er später in die gedruckten Fassungen der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften übernommen (siehe Enzyklopädie (1817) § 334 – HEnz 247; Enzyklopädie (1827, 1830) § 417 – GW 19, 318, GW 20, 424). Die Vollkommenheit, die der erscheinende Geist im Ausgang von seiner Unmittelbarkeit als sinnliche Gewißheit schließlich als Vernunft realisiert, formuliert Hegel zum Abschluß der Einleitung in die Phänomenologie von 1811/12 in einem zweiten Argumentationsgang (§§ 9–11) als das Aufheben der Differenz von Gewißheit und Wahrheit des Bewußtseins. Das Bewußtsein ist in seinem notwendigen und es konstituierenden Gegenstandsbezug zunächst „gegenständliches Wissen“; insofern es das Gegenständliche in sich aufgenommen hat, hat das gegenständlich bestimmte Ich Gewißheit vom Gegenstand (§ 9). In dieser Gewißheit aber bleibt das Ich zugleich noch vom Gegenständlichen (als dem Inhalt des Bewußtseins) unterschieden; Ich und Gegenstand sind in ihrem Bezug noch einseitige Relate: „das Subjektive ist auf diese Art dem Objektiven noch ungleich“ (§ 10). Es ist das Streben des Bewußtseins, die Ungleichheit und Unterschiedenheit von Gegenständlichkeit und Wissen aufzuheben, d.h. die Gewißheit zur Wahrheit (als der Übereinstimmung des Subjektiven und des Objektiven) zu erheben. Der Prozeß der Erhebung der Gewißheit zur Wahrheit findet im 21 Zur Stufe der Vernunft siehe Düsing, K. 1994: Der Begriff der Vernunft in Hegels „Phänomenologie“. In: H. F. Fulda, R.-P. Horstmann (Hg.): Vernunftbegriffe in der Moderne. Stuttgart 1994, 245–260; wiederabgedruckt in diesem Band.
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Udo Rameil Durchgang durch die Gestalten des äußerlichen Bewußtseins und des Selbstbewußtseins sein Ziel in der Vernunft (§ 11). Entsprechend heißt es zum Abschluß der Diktate zur Phänomenologie von 1811/12 (in nahezu wörtlicher Übereinstimmung mit Hegels Überarbeitungsnotizen für 1809/10), das von der Vernunft Eingesehene sei „erstens ein Inhalt, der nicht in unseren bloßen Vorstellungen oder Gedanken besteht, die wir uns für uns machen, sondern der das an und für sich seiende Wesen gegenständlich enthält und objektive Realität hat, und zweitens der für das Ich kein Fremdes oder Gegebenes, sondern von ihm durchdrungen, sich angeeignet und darin ebensosehr von ihm erzeugt ist“ (§ 47 – vgl. NS 210: § 41; TW 4, 122). Hat aber der als Bewußtsein seinen Selbstentwicklungsprozeß beginnende Geist in der Vernunft und als Vernunft ein Wissen gewonnen, das seinem Ziel gemäß „nicht die bloße subjektive Gewißheit, sondern auch Wahrheit“ ist (§ 48 – vgl. NS 210: § 42; TW 4, 123), so muß die Lehre vom Bewußtsein oder die Phänomenologie des Geistes als Teil der realphilosophischen Geisteslehre auf der Stufe der Vernunft als der Identität von Subjektivität und Objektivität enden und übergehen in eine Betrachtung des Geistes an und für sich, wie er „sich fernerhin nur zu sich selbst und zu seinen eigenen Bestimmungen“ verhält (§ 49 – Vgl. NS 267: § 127; TW 4, 42).
VIII. Die Jenaer Phänomenologie des Geistes hatte ein weiter gestecktes Ziel und folglich auch ein umfangreicheres Programm als die dreistufige Kurzfassung der Bewußtseinslehre in Hegels Nürnberger Geisteslehre. Die Notwendigkeit, innerhalb der Phänomenologie von 1807 auch die höheren Gestalten des Geistes zu thematisieren, begründet Hegel retrospektiv in der Berliner Enzyklopädie (§ 25 Anm.) mit der besonderen systematischen Funktion der Jenaer Phänomenologie als systematischer Einleitung in die philosophische Wissenschaft: „In meiner Phänomenologie des Geistes, welche deswegen bei ihrer Herausgabe als der erste Theil des Systems der Wissenschaft bezeichnet worden, ist der Gang genommen worden, von der ersten, einfachsten Erscheinung des Geistes, dem unmittelbaren Bewußtseyn, anzu-
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie fangen und die Dialektik desselben bis zum Standpunkte der philosophischen Wissenschaft zu entwickeln, dessen Nothwendigkeit durch diesen Fortgang aufgezeigt wird.“ (GW 20, 68; vgl. GW 19, 50) Da dieser Standpunkt des philosophischen oder absoluten Wissens „in sich der gehaltvollste und concreteste“ ist, „setzte er auch die concreten Gestalten des Bewußtseyns, wie z. B. der Moral, Sittlichkeit, Kunst, Religion voraus“ (GW 20, 69; vgl. GW 19, 50). So fällt das, was dem Inhalt nach für sich genommen „den concreten Theilen“ im System der philosophischen Wissenschaft, d. h. der realphilosophischen Lehre vom (subjektiven, objektiven und absoluten) Geist angehört, „zum Theil schon mit in jene Einleitung“ (a. a. O.) in die philosophische Wissenschaft und ist – insofern es sich „als das Ansich zum Bewußtseyn verhält“ (a. a. O.) – Gegenstand der Phänomenologie des Geistes.22 Die geistigen Gehalte sind dadurch, daß sie „so, wie sie für das Bewußtseyn sind“ (GW 9, 61), genommen werden, nur Erscheinungen des Geistes; Aufgabe der Phänomenologie ist es gerade, in einem notwendigen (dialektischen) Erfahrungsgang des Bewußtseins den Geist aus seiner Erscheinung ,aufzuheben‘ und so zum Standpunkt der spekulativen Wissenschaft hinzuleiten. Im ersten Oberklassenkurs zur „Philosophischen Enzyklopädie“ von 1808/09 diktiert Hegel (§ 2): „Die philosophische Wissenschaft setzt voraus, … daß der Geist nicht mehr der Erscheinung angehört.“ (unediert) Diejenige Bewußtseinslehre aber, die aus der Verpflichtung entlassen ist, den Standpunkt des absoluten Wissens als notwendiges Resultat aus dem dialektischen Fortgang der Erscheinungsformen des Geistes darzustellen, um von diesem Standpunkt aus den Übergang zur Logik als spekulativer Philosophie herzustellen, ist damit auch der Aufgabe ledig, die höheren
22 In seinen Berliner Vorlesungen zur Geistesphilosophie weist Hegel ebenso darauf hin, daß die höheren geistigen Gehalte in der Phänomenologie von 1807 nur aus der Perspektive des Bewußtseins und im Verhältnis zu diesem thematisiert werden. „In der Phänomenologie [Randnotiz: Bamberg 1807] ist nicht nur abgehandelt das Bewußtsein, sondern auch der weitere Gehalt des Geistes, sofern er in das Bewußtsein fällt.“ (G. W. F. Hegel: Vorlesungen. Bd. 13: Vorlesungen über die Philosophie des Geistes. Berlin 1827/1828 (Erdmann). Hg. von F. Hespe und B. Tuschling. Hamburg 1994, 148; siehe auch die Vorlesungen zur Geisteslehre von 1825 (Griesheim): Hegels Philosophie des subjektiven Geistes. Hg. von M. J. Petry. Bd. 3: Phänomenologie und Psychologie. Dordrecht, Boston 1978, 296.)
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Udo Rameil geistigen Gehalte vorweg aus der Perspektive ihres Verhältnisses zum Bewußtsein und damit vor ihrer eigentlichen Verortung im philosophischen System selbst zu erörtern. Eine derart funktional ,entlastete‘ Phänomenologie ist nun als Systemteil der realphilosophischen Wissenschaft vom Geist notwendig reduziert auf die Behandlung derjenigen Bewußtseinsgestalten, aus deren Entwicklungsgang der Geist an und für sich resultiert, und hat folglich in der Stufenfolge des äußerlichen Bewußtseins, des Selbstbewußtseins und der Vernunft ein systematisch in sich geschlossenes und inhaltlich vollständiges Programm. Die Ablösung der Phänomenologie von ihrer ursprünglichen systematischen Funktion, die sie 1807 als Einleitung in die philosophische Wissenschaft hatte, und ihre Neubestimmung als integraler Teil der realen Philosophie des Geistes vollzieht Hegel zuerst in seinen Lehrvorträgen im Rahmen der philosophischen Vorbereitungswissenschaften am Nürnberger Gymnasium. Mit dem Konzeptionswandel der Lehre vom Bewußtsein geht – wie erörtert – notwendig eine Reduzierung des inhaltlichen Programms der Phänomenologie einher, so daß Hegel – bereits kurze Zeit nach dem Erscheinen der Jenaer Phänomenologie des Geistes (1807) in der Nürnberger philosophischen Propädeutik (1808 ff.) die abbreviative Fassung der Phänomenologie entwickelt. Die auf diese Weise entstandene realphilosophische Bewußtseinslehre wird von Hegel in sein philosophisches System integriert, das bereits in den Nürnberger Philosophiekursen die Gestalt einer Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften annimmt. In der gegenüber der Phänomenologie von 1807 in ihrer systematischen Funktion veränderten und deshalb in ihrem inhaltlichen Programm verkürzten Bewußtseinslehre hat Hegel diejenige Form der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie gewonnen, die er dann – nach Voranstellung der Anthropologie – als Mittelteil seiner Lehre vom subjektiven Geist in die drei gedruckten Fassungen der Enzyklopädie übernimmt.
Die Entstehung der ,enzyklopädischen‘ Phänomenologie
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Personenregister (Kursiv gesetzte Seitenzahlen beziehen sich auf die Anmerkungen.) Adler, C. 51, 52 Aristoteles 45, 46, 50, 52, 53, 69, 91, 115, 116, 117, 125, 142, 152, 172 Baptist, G. 31, 253, 260 Bauer, B. 27, 131 Baum, M. 267, 289 Becker, W. 35, 52, 55, 68, 89 Berti, E. 46, 52 Bienenstock, M. 201, 209 Bisticas-Cocoves, M. 31 Bonsiepen, W. 59, 89, 239 Brandt, R. 153, 163 Brauer, O. D. 255, 260 Buchner, H. 10, 31 Burri, A. 52 Cervantes, M. de 172, 182, 183 Claesges, U. 39, 46, 52, 55, 59, 68, 77, 89 Condillac, E. B. 59, 147, 163 Cramer, K. 58, 89 Crawford, I. 46, 52 Daniels, C. 37, 52 Daub, K. 27 Descartes, R. 188, 209, 250, 252 Diderot, D. 32, 217 Dilthey, W. 28, 29 Dove, K. 39, 52 Düsing, E. 31, 160, 163 Düsing, K. 10, 31, 36, 52, 89, 163, 189, 209, 213, 226, 267, 270, 285, 289 Duso, G. 115, 129 Epikur 43 Falke, G. 211, 215, 216, 226 Feder, E. 183 Fichte, I. H. 188, 209 Fichte, J. G. 12, 20, 27, 28, 56, 59, 60, 64, 113, 119, 122, 126, 127,
129, 147, 148, 150, 152, 153, 154, 160, 162, 163, 165, 170, 171, 188, 197, 235, 250, 251 Fink, E. 56, 69, 89 Flay, J. C. 30, 95, 107, 250, 260 Franklin, B. 172 Frede 50, 52 Frommann, K. F. E. 18 Fukuyama, F. 28, 109, 126, 129 Fulda, H. F. 52, 62, 89, 148, 159, 163, 170, 183, 189, 209 Gabler, G. A. 27, 241 Gadamer, H.-G. 91, 107, 109, 111, 129 Goethe, J. W. 32, 145, 151, 172, 175, 183, 215 Görland, I. 55, 89, 155, 163 Goldstein, L. J. 91, 107 Graeser, A. 10, 30, 31, 36, 39, 45, 50, 52 Gren, F. A. C. 172 Grotius, H. 116 Habermas, J. 124, 127, 128, 129 Hagner, J. 30 Hamann, G. 146 Hamlyn, D. W. 36, 52 Hansen, F.-P. 62, 90 Haym, R. 28, 188, 209 Hegel, K. 18 Heidegger, M. 29, 40, 51, 55, 145, 246, 253, 260 Heinrich, J. 40, 52 Hemsterhuis, F. 20 Henrich, D. 52 Heraklit 20 Herder, G. 20, 21, 122, 146 Hinrichs, H. F. W. 27 Hirsch, D. E. 211, 215, 226 Hobbes, T. 9, 114, 116, 178, 179, 183 Hoffmeister, J. 152, 260, 275 Hölderlin, F. 20, 21
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Personenregister Honneth, A. 109, 120, 124, 126, 127, 128, 129 Horn, J. C. 91, 107 Hume, D. 9, 55, 68, 69, 90, 99, 103 Husserl, E. 145 Hyppolite, J. 51, 53, 91, 107, 151, 163, 250, 260 Jacobi, F. H. 20, 32, 171, 209, 215, 216, 217, 218, 223, 226 Jaeschke, W. 250, 251, 260 Jauß, H. R. 32 Jones, B. 51, 53 Kaan, A. 211, 226 Kaehler, K. E. 151, 156, 163, 166, 183 Kainz, H. P. 53 Kant, I. 10, 25, 28, 55, 69, 89, 91, 96, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 119, 145, 146, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 161, 162, 164, 165, 171, 171, 172, 182, 184, 194, 197, 213, 216, 217, 218, 226, 250 Kettner, M. 53 Kierkegaard, S. 131, 132, 142 Kimmerle, H. 32, 57, 90, 241, 243 Köhler, D. 29, 31, 183, 209 Kojève, A. 28, 33, 109, 125, 128, 129, 132, 246, 253, 260 Kozu, K. 31 Krug, W. T. 7, 8, 10, 16 Labarrière, P. J. 151, 163, 246, 260 Lask. E. 189 Lavater, J. K. 172 Leibniz, G. W. 11, 29, 91, 96, 99, 101, 102, 107, 250 Lessing, G. E. 20 Linné, C. v. 172 Lloyd, A. C. 45, 53 Locke, J. 188, 209 Löwenberg, J. 271 Lübbe, H. 211, 227 Luckner, A. 258, 261 Lugarini, L. 160, 162 Lukács, G. 189, 191, 209
Malabou, C. 258, 261 Marcuse, H. 246, 261 Marx, K. 27, 33, 131, 142, 188 Marx, W. 111, 129, 147, 148, 151, 156, 163, 164, 166, 183 de la Maza, L. M. 31, 230, 243, 247, 261 Mead, G. H. 160, 163 Meinel, C. S. 284, Metzke, E. 188, 209 Michelet, K. L. 22, 27, 257 von Meyer, P. G. 26 Murray, M. 250, 261 Napoleon 18, 19, 202, 208 Nicolin, F. 149, 159, 164 Niethammer, F. I. 268, 269, 271, 282 Nietzsche, F. 29 Nink, C. 37, 53 Novalis (Fr. v. Hardenberg) 216 Oehler, K. 50, 53 Ottmann, H.-H. 44, 53 Paine, T. 178, 179, 184 Parmenides 20 Paulus, H. E. G. 268 Platon 9, 20, 40, 50, 55, 69, 70, 91, 197, 233, 256 Pöggeler, O. 10, 31, 62, 90, 109, 121, 126, 129, 170, 184, 188, 190, 199, 209, 216, 219, 221, 222, 225, 227, 239, 243, 250, 257, 261, 273, 289 Purpus, W. 10 Putnam, H. 110, 129 Quine, W. V. O. 43 Rameil, U. 31, 158, 164, 289 Raumer, F. L. G. v. 283 Rawlinson, M. 183 Reich, K. 153, 164 Reinhold, K. L. 57, 161 Riedel, M. 10 Röd, W. 38, 53 Roettges, H. 10, 31 Rosenkranz, K. 22, 26, 27, 154, 164, 241, 257, 261, 269, 272, 277, 289
Personenregister Rousseau, J.-J. 116, 172, 178, 179, 184, 250 Rousset, B. 246 Russel, B. 42, 43, 48, 53 Scheier, C. A. 36, 53, 55, 59, 67, 68, 90, 155, 164, 211, 227 Schelling, F. W. J. 7, 18, 20, 21, 27, 28, 29, 56, 59, 60, 62, 90, 142, 147, 148, 153, 154, 163, 164, 165, 171, 172, 188, 213, 217, 226, 235, 246, 250, 251 Schiller, F. 15, 172, 179, 183, 184, 215, 258, 259, 261 Schleiermacher, F. 216, Schlegel, F. 146, 216, 224 Schlick, M. 45, 47, 53 Schneider, H. 159, 164 Schmitz, H. 189, 209, 212, 219, 227, 239, 243 Schopenhauer, A. 165, 184 Schütz, A. 160, 163 Seba, J.-R. 253, 261 Sell, A. 10, 31 Sextus Empirikus 9, 50 Shakespeare, W. 20 Shikaya, T. 10 Siep, L. 31, 109, 114, 115, 121, 122, 124, 128, 129, 192, 196, 209 Sokrates 40
Soll, I. 35, 50, 51, 53 Solomon, R. C. 36, 48, 49, 53 Sophokles 13, 20, 32, 171 Spinoza, B. 20, 250 Steffans, H. 172 Stilpo 49 Strauss, D. F. 27 Taylor, C. 38, 40, 47, 49, 53 Todd, D. 46, 53 Trede, J. H. 170, 184 Treviranus, G. T. 172 Verra, V. 256, 261 Vieillard-Baron, J.-L. 255, 256, 261 Wagner, H. 10 Wahl, J. 132 Weisser-Lohmann, E. 31 Westphal, K. R. 55, 69, 90 Westphal, M. 37, 40, 53, 55, 60, 69, 90 Wiehl R. 36, 53 Wieland, W. 36, 41, 42, 53 Wildt, A. 126, 129 Winterls, J. J. 172 Wittgenstein, L. 49 Ziesche, E. 271, 289 Zimmermann, R. 104, 107
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Hinweise zu den Autoren Gabriella Baptist ist außerordentliche Professorin für Moralphilosophie an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Cagliari; 1997–1999 Forschungsstipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Ruhr Universität Bochum. Wichtigste Veröffentlichungen: Il problema della modalità nelle logiche di Hegel. Un itinerario tra il possibile e il necessario (1992). Tra finzione e fatticità. La possibilità facoltativa nel pensiero di Edmund Husserl (in Vorbereitung). Herausgeberin von: B. Waldenfels: Fenomenologia dell’ estraneità (2002). Pensare l’alterità, „Paradigmi“, N. 60 (2002). Zahlreiche Artikel zu Hegels systematischem Denken, zur phänomenologischen und hermeneutischen Philosophie. Marcos Bisticas-Cocoves ist Assistant Professor of Philosophy an der Morgan State University. Klaus Düsing ist Professor für Philosophie an der Universität zu Köln. Wichtigste Veröffentlichungen: Die Teleologie in Kants Weltbegriff. 2. Aufl. Bonn 1986 (Kant-Studien. Ergänzungsheft 96), Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. 3. Aufl. Bonn 1995 (Hegel-Studien. Beiheft 15), Hegel und die Geschichte der Philosophie. Darmstadt 1983, Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801– 1802). Köln 1988, Selbstbewußtseinsmodelle. München 1997. Hegel e l’antichità classica. Napoli 2001. Subjektivität und Freiheit. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002. Fundamente der Ethik. Stuttgart-Bad Cannstatt 2005. Zahlreiche Artikel zur antiken und klassischen deutschen Philosophie. Joseph C. Flay ist Professor Emeritus of Philosophy an der Pennsylvania State University. Wichtigste Veröffentlichungen: Hegel’s Quest for Certainty (1984). Aufsätze über Hegels Verhältnis zur Geschichte der Philosophie und zur Philosophie des 20. Jahrhunderts sowie über Hegels Metaphysik. Andreas Graeser ist Professor für Philosophie an der Universität Bern. Wichtigste Veröffentlichungen: Positionen der Ge-
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Hinweise zu den Autoren genwartsphilosophie. München 2002. Platons „Parmenides“. Stuttgart 2003. Aufsätze zur Sprachphilosophie, Hermeneutik und Philosophiegeschichte. Joachim Hagner ist Studiendirektor und Leiter des Fachbereiches Deutsch in Berlin; daneben lehrt er Didaktik der Philosophie an der HU-Berlin.Veröffentlichungen: Wozu Philosophie? Ein Versuch. In: Die erscheinende Welt. Festschrift für Klaus Held. Berlin 2002. Hg. Heinrich Hüni u. Peter Trawny, 411–440 (mit Ulrich Claesges). Sein letztes Wort zu Hegel und den Marxisten unter seinen Verehrern: Robert Menasses „Geschichte des verschwindenden Wissens“. In: Dossier: Robert Menasse. Hg. Kurt Bartsch u. Verena Holler. Graz/Wien 2004,104–121. Aufsätze zur literarischen Rezeptionsgeschichte von Hegels Phänomenologie des Geistes. Dietmar Köhler ist Privatdozent an der Universität Lüneburg sowie Lehrbeauftragter für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Wichtigste Veröffentlichungen: Martin Heidegger. Die Schematisierung des Seinssinnes als Thematik des dritten Abschnittes von „Sein und Zeit“. Bonn 1993. Freiheit und System im Spannungsfeld von Hegels „Phänomenologie des Geistes“ und Schellings „Freiheitsschrift“. Paderborn/München 2006. Herausgeber: Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bonn 1998. Verfassung und Revolution: Hegels Verfassungskonzeption und die Revolutionen der Neuzeit. Hamburg 2000. (gemeinsam mit E. Weisser-Lohmann). Aufsätze und Rezensionen zur Philosophie des Deutschen Idealismus sowie zur phänomenologischen und praktischen Philosophie. Luis Mariano de la Maza ist Professor für Philosophie an der katholischen Universität Santiago de Chile. Wichtigste Veröffentlichungen: Knoten und Bund: Zum Verhältnis von Logik, Geschichte und Religion in Hegels Phänomenologie des Geistes (Diss. 1990, Bonn 1998). La Fenomenología del Espíritu de Hegel como Introducción a la Filosofía especulativa (Ediciones Universidad Católica de Chile: Santiago de Chile 2004). Artikel und Übersetzungen zu Hegels spekulativer
Hinweise zu den Autoren und praktischer Philosophie, zur hermeneutisch-phänomenologischen Philosophie sowie zur Ethik und Sozialphilosophie. Otto Pöggeler ist em. Professor für Philosophie an der RuhrUniversität Bochum und ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Wichtigste Veröffentlichungen: Hegels Kritik der Romantik. Bonn 1956 und erweitert München 1996. Der Denkweg Martin Heideggers. Pfullingen 1963, 4. erw. Aufl. 1994. Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes. Freiburg/ München 1973, 2. erw. Auf. 1993. Heidegger in seiner Zeit. München 1999. Der Stein hinterm Aug. Studien zu Celans Gedichten. München 2000. Bild und Technik. Heidegger, Klee und die moderne Kunst. München 2002. Schicksal und Geschichte. Antigone im Spiegel der Deutungen und Gestaltungen seit Hegel und Hölderlin. München 2004. Zahlreiche Aufsätze zum Deutschen Idealismus, zur phänomenologischen und hermeneutischen Philosophie, zur praktischen Philosophie und zur Philosophie der Kunst. Udo Rameil ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bergischen Universität Wuppertal (Julius-Ebbinghaus-Archiv). Wichtigste Veröffentlichungen: Raum und Außenwelt. Interpretationen zu Kants kritischem Idealismus (1977). Mitarbeiter: Hegel, Gesammelte Werke Bd. 13, Bd. 20: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1817, 1830 (2000, 1992). Herausgeber: Hegel, Vorlesungen (ausgewählte Nachschriften) Bd. 10: Logik 1831 (2001), Bd. 15: Philosophische Enzyklopädie 1812/13 (2002). Mitherausgeber: J. Ebbinghaus, Gesammelte Schriften Bd. 4: Studien zum Deutschen Idealismus (1994), K. Reich, Gesammelte Schriften (2001). Aufsätze zu Kant und Hegel, insbesondere zu Hegels propädeutischer Philosophie in Nürnberg.
Ludwig Siep ist Professor für Philosophie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Wichtigste Veröffentlichungen: Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804. (1970), Anerkennung als Prinzip der praktischen
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306 Philosophie (1979), Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus (1992), Zwei Formen der Ethik (1997). Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Ein einführender Kommentar zu Hegels „Differenzschrift“ und „Phänomenologie des Geistes“. Frankfurt a. M. 2000. Konkrete Ethik. Frankfurt a. M. 2004. Aufsätze zur praktischen Philosophie der Neuzeit und zur biomedizinischen Ethik. Elisabeth Weisser-Lohmann ist Privatdozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl III des Instituts für Philosophie der FernUniversität Hagen. Wichtigste Veröffentlichungen: Georg Lukács’ Heidelberger Kunstphilosophie. Bonn 1992. Eigentum und Freiheit. Zwei Grundbegriffe der praktischen Philosophie. Hagen 1995. Rechtsphilosophie als Praktische Philosophie. Hegels „Grundlinien“ und die Grundlegung einer Praktischen Philosophie. (erscheint München 2006). Herausgeberin: Revolution und Geschichte. Bonn 1994. (gemeinsam mit C. Jamme). Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Bonn 1998. (gemeinsam mit D. Köhler). Verfassung und Revolution: Hegels Verfassungskonzeptionen und die Revolutionen der Neuzeit. (gemeinsam mit D. Köhler). Hamburg 2000. Kultur, Kunst, Öffentlichkeit. Philosophische Perspektiven auf praktische Probleme (gemeinsam mit A. Gethmann-Siefert) München 2002. Aufsätze, Lexikonartikel und Rezensionen zu Hegels politischer Philosophie.