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German Pages 55 [60] Year 1879
FRIEDRICH LIST I M A L T E E
V O K
23 J A II R E N.
Friedrich List. V o r t r a g
gehalten bei der III. General - Versammlung
des
Centraiverbands Deutscher Industrieller
zu Augsburg a m 22. S e p t e m b e r
1879
von
A.
S t a u b .
Mit dem Bildniss von F r i e d r i c h L i s t und der Karte des von ihm 1833 entworfenen deutschen Eisenbahnnetzes.
München. Verlag
von
K.
Oldenbourg.
Neun Jahrzehnte sind dahin geschwunden seit Deutschlands grosser Patriot und Nationalökonom F r i e d r i c h L i s t das Licht der Welt erblickte. Mit seinem Geburtsjahr hatte die französische Revolution begonnen, und mit ihr jener neue Zeitabschnitt der Weltgeschichte, der eine gänzliche Umgestaltung der politischen Institutionen und Verhältnisse des alten Europa herbeiführte. Innerhalb desselben stürzte das morsche Gebäude des alten deutschen Reiches zusammen und wurde das vorher schon so sehr zerstückelte, zerfahrene und so vielfach gedemüthigte Deutschland noch tiefer als je zuvor erniedrigt. Nachdem es sich aber vom Joche wieder befreit, gelangte es heute durch die Einigung der materiellen Interessen auch zur politischen Einheit. Und heute, welch' ein Bild bietet sich nunmehr unseren Augen dar! Das deutsche Reich, nach ruhmvollen Kämpfen, in denen tausende seiner Söhne dafür in den Tod gegangen sind, wieder erstanden glanzvoller und mächtiger denn je zuvor. Wer aber könnte sich denken, dass dieser Bau wieder aufgerichtet worden wäre, ohne den greisen Heldenkaiser, ohne dessen Weisheit und rastlose Fürsorge für sein Volk, und ohne den grossen, genialen Kanzler, dessen gewaltiger 1*
Verstand, dessen tiefe Einsicht, dessen Energie und Thatkraft des Kaisers Stütze sind. Oder vermöchte wohl jemand zu glauben, dass etwa unter denen, die sich's zur Aufgabe gemacht zu haben scheinen, dem, seine grossen Ziele zu dauernder Befestigung der auf dem Wohlstande ruhenden Macht und Grösse der Nation, verfolgenden Kanzler in den Weg zu treten, irgend welche je vermocht hätten, dieses grosse Werk zu vollbringen ? Wenn auch schon nicht zu bestreiten ist, dass dem Leben der Völker Keime inne wohnen, aus denen sich deren Entwickelung herausgestaltet, so hängt es doch oft von Persönlichkeiten ab, diese Entwickelung auf Jahrhunderte hinaus zu hemmen oder zu fördern, oder ihr gar eine ganz veränderte Richtung zu geben. Namentlich die Geschichte Deutschlands weist uns Zeitabschnitte auf, wo, wenn der rechte Mann sich an der rechten Stelle eingefunden hätte, die erst heute errungene Einheit schon vor Jahrhunderten hätte erreicht werden können. Jedoch auch der deutsche Kaiser und Fürst Bismark, die zur rechten Zeit und zur rechten Stelle so mächtig eingegriffen haben in Deutschlands Geschicke, sie bedurften des soliden Fundamentes für ihren glorreichen und erhabenen Bau. Dieses Fundament, es war der Z o l l v e r e i n , dessen intellectueller Urheber aber D e u t s c h l a n d s F r i e d r i c h List. Gleich wie der gesammte einsichtsvolle und urtheilsfäliige Theil der deutschen Nation die Ueberzeugung hegen muss, dass ohne Kaiser W i l h e l m
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und Fürst Bis m a r k das deutsche Reich heute nicht vorhanden, und vielmehr die deutsche Nation, bevor sie ihre angestrebten Ziele erreichen konnte, neuen, schweren Prüfungen anheim gefallen wäre, ebenso muss ein jeder, der den überwiegenden Antheil F r i e d r . L i s t ' s an der Errichtung des Zollvereins kennt, gestehen, dass dieser ohne ihn entweder gar nicht oder nicht frühzeitig genug zu Stande gekommen wäre, ohne L i s t aber jedenfalls seinen Zweck, die Wohlfahrt und damit die Machtstellung Deutschlands zu begründen, verfehlt haben würde. Nicht zu kühn ist es also, wenn wir nunmehr die Frage stellen: Wären die heutigen politischen und nationalökonomischenErrungenschaften Deutschlands ohne F r i e d r . L i s t schon jetzt erreicht worden?! — Heute daher, wo nicht nur das deutsche Reich wieder erstanden ist, sondern auch in seiner Handelspolitik wieder in die von F r i e d r . L i s t vorgezeichnete Bahn eingelenkt h a t , ist auch die Zeit der Sühne gekommen, für all das viele Unrecht und die Verkennung, welche diesem edelmüthigen Märtyrer für Deutschlands Wohlfahrt, Einheit, Macht und Grösse, zu seinen Lebzeiten zugefügt wurde, und es ist die Zeit gekommen, wo die Nation ihm einen Dank darzubringen hat, ebenbürtig seiner grossen Verdienste. Wenn er auch körperlich nicht mehr unter uns weilt, so ist es doch sein Geist, der die Nation stets wieder auf die richtigen Pfade zurückgeleitet hat. Sein
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Geist ist es auch, der in diesen weihevollen Tagen, die uns zusammengeführt haben, diese Räume durchdringt, und in unser aller Herzen lebt. Möge die gegenwärtige Stunde, in der wir voll ehrfurchtsvoll dankbarer Bewunderung zu ihm, als zu Deutschlands gutem Genius, emporblicken, in der wir uns sein Bild, sein Leben und Wirken vor unser Auge führen lassen, dazu geleiten, nicht nur dass die Erinnerung an ihn neu und kräftiger denn jemals wieder auflebe im ganzen deutschen Volke, sondern dass auch seine Lehren und Rathschläge zum Nutzen und Frommen der Nation fortan unvergänglich festen Fuss fassen. F r i e d r . L i s t war eine jener genial und grossartig angelegten Naturen, welche, gleich wie diejenige unseres grossen Kanzler's, die Jahrhunderte nur vereinzelt hervorbringen. Sein Charakter war aus Erz gegossen, unerschütterlich fest nach Oben wie nach Unten. Bei der ihm angebornen Seelengrösse, bei dem ihm eigenen Edelmuth, bäumte sich schon frühzeitig sein erhabenes Naturell auf gegen Unverstand, gegen Sophismen, gegen geistloses Formenwesen und alles Unrecht, wo es ihm auf seinem Wege entgegentrat. Ein unwiderstehlicher Trieb des Herzens, den Bedrängten beizustehen, und zu wirken, dass den Regierungen die Wahrheit kund werde, wo der Einzelne oder das Volk unter der Last alter Vorurtheile oder tlbermüthiger Selbstsucht erdrückt zu werden bedroht war, war es, was ihn im Anfange seiner Laufbahn schon in die schwersten Conflicte verwickelte, ihm
härteste Verfolgung, Kerker und Verbannung zuzog. Dieser Drang war es, der den grösseren Theil seines Lebens zu einem harten Kampfe gestaltete gegen den Widerstand der unpraktischen, apathischen, der grossen äusseren Ziele ganz entwöhnten Natur der deutschen Nation. Hemmungen, Chikanen, Kleinlichkeiten traten ihm vielfach entgegen und verbitterten ihm das Leben. Dabei blieb List dennoch eine weiche gemüthvolle Natur, voll argloser Hingebung an die Freunde, voll aufopfernder Liebe für die Seinen, aufrichtig, vertrauensvoll und herzlich; in seinen gesunden Tagen von unverwüstlicher Heiterkeit. Erst in den späteren Zeiten störten Verkennung und Anfeindung bei körperlichen und gemüthlichen Leiden jene heitere Stimmung. Dass er in seinen kleinen Verhältnissen und Privatangelegenheiten sich stets durch ein allzugrosses Vertrauen in die Rechtlichkeit der Menschen beherrschen liess, und von den Andern stets voraussetzte, sie seien von dem gleichen Adel der Gesinnung und Handlungsweise, wie er ihm selbst zu eigen war, geleitet, war allerdings der Grund, wodurch er so oft in engherzig kleinlicher Weise um die Früchte seiner Arbeit gebracht wurde. Wir haben ihm aber gerade diese edle Arglosigkeit als einen ferneren schönen Zug seiner erhabenen Seele hoch anzurechnen; Denn bei den reichsten Kenntnissen und dem tiefsten Wissen, war er begabt mit einem grossen, alles durchdringenden Verstände, wie er nur dem Genie zu eigen ist. Sein Urtheil und seine Schlussfolgerungen, sein Blick
in die Zukunft würden eine Divinationsgabe genannt werden können, wenn wir nicht wüssten, dass sie die Ergebnisse seiner tiefen Einsicht, seiner richtigen Logik waren. Seine Plane und seine Bestrebungen, die oft als Hirngespinnste und Phantastereien von Seite kleinlicher, engherziger und beschränkter Geister beurtheilt und verlacht wurden, waren dennoch stets so praktischer Natur, dass sie, mochten ihrer unmittelbaren Ausführung auch oft obschwebende Verhältnisse zeitweilig Hindernisse in den Weg gelegt haben, etwas früher oder später zur Beschämung seiner Spötter und Zweifler doch ihre Ausführung fanden. Seine politischen Conceptionen waren grossartig und auf die richtigste Würdigung der Verhältnisse gegründet. Seine Arbeitskraft war eine gigantische. Gewöhnlich begann er seine Thätigkeit schon früh 3 Uhr, ja bei grosser Ueberhänfung scheute er wochen - und monatelang nicht, sich bald nach Mitternacht vom Schlafe zu erheben. Dabei beseelte ihn ein glühender Patriotismus, der den selbstlosen Mann dahin führte, all diese Arbeitskraft, diese grossen Geistesgaben, all seine Energie und Wissen, Ehre, Einkommen , gesicherte Lebensstellung, Vermögen, Sicherheit des Erwerbes grosser Reichthümer in uneigennützigster Weise unverrückt und unermüdlich dem einen grossen Ziele zu weihen und aufzuopfern, sein Deutschland zu Wohlfahrt, Einheit, Macht und Grösse zu führen, mit Eifersucht wachend, alles Unheil, alle Schädigung von ihm abzuwenden, überall helfend, rathend,
nichts vergessend, nichts ausser Acht lassend, als — sich selbst! Als Sohn eines ehrsamen Weissgerbermeisters wurde F r i e d . L i s t den 6. August 1789 in der damals noch freien Reichsstadt Reutlingen geboren. Früh schon zeigte er einen lebhaften Geist und eine ausgezeichnete Fassungsgabe. Zum Jünglinge herangewachsen und mit reichen Kenntnissen ausgestattet, die er sich theils in der Schule noch mehr aber durch Selbstbelehrung erworben hatte, wurde er durch seine Eltern, da er für den Beruf seines Vaters keine Neigung zeigte, dem Beamtenstande gewidmet. Nachdem er mit gutem Erfolg und Auszeichnung bereits mehrere Stufen durchlaufen hatte, finden wir ihn in seinem 23. Jahre heim Oberamt in Tübingen angestellt. Hier nun fand der in ihm stets wache Trieb für wissenschaftliche Ausbildung seine volle Befriedigung. Die Gelegenheit, die sich ihm dort dafür geboten h a t t e , benützte er in seinen freien Stunden in solch eifriger Weise, dass er in Bälde eine höhere Prüfung im Regiminalfache glänzend bestand. In Tübingen übte auf ihn eine wohlthätige und anregende Wirkung der Umgang mit dem späteren Minister Schlayer, und dort war es auch, wo der berühmte Minister v. Wangenheim auf ihn aufmerksam wurde. Nachdem er zum Sekretär im Ministerium und bald darauf (1816) zum OberRevisor mit dem Titel Rechnungs-Rath befördert worden war, zog ihn Wangenheim zu mehreren Commissionen, wo er, mit den Ansichten und Be-
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strebungen dieses Ministers einig gehend, jedoch bei den alten Bureaukraten durch seine neuen selbstständigen Ideen und Vorschläge grossen Anstoss erregte. Eine Schöpfung Wangenheims, durch welche er seinen Reformen eine wissenschaftliche Grundlage geben und den veralteten Gewohnheiten und Gebräuchen einen dauerhaften Damm entgegensetzen wollte, ist die Gründung einer staatswirthschaftlichen Fakultät in Tübingen, zu welcher L i s t durch sein im Jahr 1817 abgegebenes Gutachten wesentlich beitrug. Der Minister bestimmte L i s t selbst, trotz seines anfänglichen Sträubens, zum Professor der Stkatswissenschaft an der neuen Fakultät. Dieser widmete sich seinem neuen Amte mit Eifer und war voll Hoffnung auf die künftige Gestaltung der Würtembergischen Verhältnisse, wie sie nun aus den Grundsteinen der Verfassung, Volksrepräsentation und Oeffentlichkeit hervorgehen werde. Durch die königlichen Edikte, welche die Ablösung der Feudallasten vorbereiteten, die Rechtspflege von der Verwaltung trennten und eine neue Gemeindeverfassung schufen, hatte das Ministerium Wangenheim eine freisinnige Organisation angebahnt. Aber der Geist, welcher die Carlsbader Beschlüsse hervorrief, warf bereits seine Schatten vor sich her. Deutschland erschrack vor der Morgenröthe einer bessern Zukunft, geweckt durch die siegreichen Befreiungskriege. Das Streben nach Einheit und zeitgemässen Reformen, der erwachende Nationalstolz und die erwachende
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Liebe zum ganzen grossen Vaterlande wurden verwechselt mit den verwerflichen Auswüchsen der französischen Revolution und desshalb verpönt. Das Gros der Nation gravitirte überall zurück in die trostlosen Zustände seiner ehemaligen Zerfahrenheit, Demuth, philisterhaften Engherzigkeit und Apathie. Ein starker Widerstand erhub sich gegen die hochherzigen Reformen König Wilhelms, die er fallen lassen musste und iuit ihnen seinen Minister Wangenheim. Der Sturz dieses Ministers erschütterte zugleich die Stellung und die Lehrweise des Professor L i s t . E r wurde verwarnt, rechtfertigte sich directe bei seinem König und erhielt von diesem die Antwort, „Seine Majestät habe sich gerne überzeugt, dass der Professor L i s t seinen Schülern keine mit dem Wohle des Staates unvereinbaren Grundsätze einzuflössen beabsichtige, trotzdem möge er bei seinen Lehrvorträgen die äusserste Vorsicht anwenden." Jm Frühjahr 1819 wurde L i s t auf einer Durchreise nach Göttingen, in Frankfurt von mehreren Kaufleuten und Fabrikanten darum angegangen, ihnen eine Eingabe wegen Aufhebung der deutschen Binnenzölle an die Bundesversammlung zu verfassen. L i s t , der sich schon längst in seinem Innern zu ähnlichen Bestrebungen angetrieben fühlte, entsprach desshalb dem Verlangen um so freudiger und in Folge dessen stiftete er den deutschen Handels- und Gewerbe-Verein (aus dessen erfolgreicher Wirksamkeit der Zollverein hervorging) und wurde zu dessen Consulenten ernannt.
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Diese Ernennung hatte zur Folge, d a s s L i s t , da er sich durch ihre Annahme den Tadel der württembergischen Regierung zuzog, seine Entlassung aus dem Staatsdienste forderte, die er auch Ende Mai 1819 erhielt. L i s t , von den Fesseln des Staatsdienstes befreit, hatte nunmehr freie Hand. Jetzt erst war er so recht des ganzen trostlosen Zustandes seines weitern Vaterlandes gewahr. Da lag es vor ihm verkrüppelt, hilflos, die vielen Theile, in die es zersplittert war, sich gegenseitig schädigend. Durch das schleichende Fieber der Schwindsucht seines Wohlstandes immer mehr dem Siechthum verfallen, war damals das Land als Beute fremden gierigen Geiern preisgegeben. Denn mit dem Sturze Napoleons wurde auch die Continentalsperre, unter der die deutsche Industrie Wurzel gefasst hatte, aufgehoben und diese der vernichtenden Konkurrenz englischer Fabrikate, mit denen nunmehr Deutschland überschwemmt wurde, schonungslos preisgegeben. Aber L i s t er liebte dieses Vaterland über alles. „Mir geht es wie den Müttern mit ihren verkrüppelten Kindern," sagte er, „je verkrüppelter sie sind, desto mehr lieben sie sie." Im Vollgefühle seiner Kiesenkraft, brennend von dem Ungestüm seines gewaltigen, unwiderstehlichen inneren Triebes, der Retter seines Vaterlandes zu werden, nahm er es auf seine Schultern Deutschland zur materiellen Einheit zu führen und durch diese die politischen Einheit anzubahnen. Er fasste den grossen Gedanken, alle die
— 13 — Schlagbäume zu beseitigen, welche nach allen Richtungen Land auf und ab, in die Kreuz und in die Quere, die verschiedenen Theile Deutschlands in eben so viele Zollgebiete trennten, um dagegen das ganze Deutschland in ein einziges Handelsgebiet, mit dem nöthigen Schutz gegen die Konkurrenz von aussen, zusammenzufassen. Und wie wiederhallten seine wuchtigen Keulenschläge gegen diese Schlagbäume von einem Ende Deutschlands zum andern, die Gemüther mit freudigen Ahnungen einer glücklichen Zukunft erfüllend. Bei unvergleichlicher Fülle der Gedanken, die er nun mit feuriger Zunge in Wort und Schrift verbreitete, wusste er die Lage und ihre Folgen mit der überzeugendsten Klarheit darzustellen und die Verhältnisse im Gegensatze zu denen der umliegenden Länder zu beleuchten. Alle Einwände wusste er mit schlagenden Gründen zu beseitigen, die zu ergreifenden Mittel anzugeben und die zu befolgenden Wege vorzuzeichnen. Um solchergestalt durch die Presse zu wirken, gründete L i s t das „Organ für den deutschen Handels- und Gewerbestand." Er besorgte nicht nur die Redaktion, sondern ihm gehören auch eine Reihe der werthvollsten Beiträge an. Darin forderte er damals schon eine Menge der wichtigsten Reformen, wie gemeinsame Gewerbegesetze, Erfindungspatente, Posteinheit, die erst in der neuesten Zeit zur Ausführung gekommen sind. Die Thätigkeit, welche L i s t entwickelte, war eine Tastlose, alles bewegende. Ueberall eingreifend und
— 14 — anregend, bald publizistisch, bald in Versammlungen Vorträge belehrender und aufmunternder Art haltend, bald auf Reisen nach den Industriebezirken oder an die verschiedenen deutschen Höfe. Beim Congress der deutschen Staaten in Wien hielt er sich fünf Monate auf unter der angestrengtesten Thätigkeit, um die österreichischen Staatsmänner und die Gesandten der anderen Staaten für die Sache zu gewinnen. Er arbeitete eine Reihe von Denkschriften aus, unter denen einzelne einen geschichtlichen Werth behalten haben. Mit jener Unermüdlichkeit und Ausdauer, die ihm eigen war, beschäftigte er sich Tag und Nacht mit Besuchen, Zeitungsartikeln, Gutachten; auch beim Kaiser, der ihn wohlwollend empfieng, hatte er eine längere Audienz. Seine Eingabe an den Congress in Wien, sowie auch diejenige an die Bundesversammlung sind wahre Meisterwerke einer klaren Auffassung, Darstellung der Verhältnisse, der Schilderung der daraus hervorgehenden Uebel und der durchaus praktischen Mittel zur Abhilfe, durchdrungen zugleich von einer erhebenden patriotischen Wärme. In die Zeit seines Wiener Aufenthaltes fällt, auch sein Entwurf zu einer allgemeinen deutschen Industrie- und Kunstausstellung, wie denn insgeeammt seine Pläne ins Weite und Grosse gingen. Aber gerade dieser Umstand brachte ihn zu seinen Auftraggebern in ein peinliches Verhältniss; seine Tendenzen waren den Kaufleuten zu gross und es erging ihm schon damals wie in spätem
— 15 — Jahren mit seinen Eisenbahnprojekten, die von den kleineren Geistern als Phantastereien, wo nicht gar als Schwindeleien angesehen wurden. Die Männer, mit denen L i s t die Sache betrieb, behandelten die Angelegenheit meist nur vom kaufmännischen Gesichtspunkte. Bei L i s t ' s umfassenden Entwürfen empfanden sie nur die Angst kleiner Kaufleute, und warnten vor dergleichen „unnützen Projekten' 1 ! liessen auch wohl durchfühlen , dass L i s t's Vielseitigkeit ihnen unbequem sei. Für seinen erhabenen politischen Gedanken, dass aus der Einigung aller deutschen materiellen Interessen die politische Einigung von selbst hervorgehen müsse, hatten sie kein Verständniss. Unter allen freundlichen und bewundernden Complimenten musste er hören, dass seine politische Richtung missbeliebig, er selbst eine persona minime grata sei. Eine rühmliche Ausnahme machte jedoch sein treuester Freund E r n s t W e b e r aus Gera, der in vollem Verständniss seiner edlen Ziele stets mit billigender Bewunderung zu ihm aufblickte. Unter all diesen wechselnden Eindrücken verlor L i s t den Muth keinen Augenblick, so wenig wahren Dank er selbst bei Nächststehenden erntete , denn immerhin fingen die Erfolge an seine Bemühungen zu belohnen. Ein bedeutender Schritt vorwärts, der als eine der ersten erfolgreichen Wirkungen des Handelsvereins betrachtet werden durfte, war geschehen; durch den Zusammentritt des Darmstädter Haudels-Congresses, den Preussen, Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Nassäu
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und die sächsischen Regierungen am 20. September 1 8 2 0 beschickten. Es war geboten, dass auch der Verein den Congress beschickte, und in erster Linie L i s t dazu verwendete, allein man scheute sich nicht des verletzenden Undankes, ihn für diese Mission zu umgehen, und sie einem andern zu übertragen. Man nahm an seiner rücksichtslosen Sprache, an seinem anrüchigen politischen Glaubensbekenntniss Anstoss — und verbarg nicht, wie gerne man es sehen würde, wenn er sich von Darmstadt fern hielte. Während L i s t ' s treuester Genosse E r n s t W e b e r dem Vereins-Ausschuss die wohlverdientesten Vorwürfe machte, dass man L i s t auf die Seite geschoben, der doch der einzige Mann wäre, um die Sache energisch zu betreiben und zum Ziele zu führen, war jedoch L i s t selber bereit, sich jenem Wunsche zu fügen und suchte nun hauptsächlich durch die Zeitungen und die Kammern zu wirken. Inzwischen hatte aber die Ueberzeugung der unabweisbaren Notwendigkeit der handelspolitischen Einigung Deutschlands bei der ganzen Nation, bei den Begierenden sowohl wie bei den Regierten, so festen Grund gefasst, dass das Gebäude n o t g e drungen sich nunmehr darauf erheben musste. Das zu Stande zu bringen, das hatte allein ein Charakter wie L i s t vermocht, dazu war sein weiter Blick von Nöthen, der sich der Ziele bewusst war, denen Deutschland entgegen zu gehen habe, der diese Sache nicht nur vom Standpunkte der verletzten materiellen Interessen, sondern zugleich
— 17 — von den höchsten politischen Gesichtspunkten aus zu erfassen vermochte, und der zugleich die gewaltigen Eigenschaften besass, eine ganze Nation aus dem Banne der Apathie zu befreien, ihr wieder Selbstvertrauen und das Gefühl, was sie ihrer Würde schulde, einzuflössen. Andere hatten auch mitgewirkt und ähnliche Ideen gehabt wie L i s t , doch nur seiner unausgesetzten gewaltig hinreissenden unwiderstehlichen agitatorischen Thätigkeit, der Klarheit seiner Ideen und ihrer praktischen Durchführbarkeit war der Erfolg zu verdanken. Die Bahn war gebrochen, durch L i s t allein gebrochen, und so können und müssen wir ihm und ihm allein das Verdienst zuerkennen, den Zollverein begründet zu haben. F o r t a n sollte Deutschlands grosser R e g e n e r a t o r , t h e i l s durch die Schule bitt e r s t e r Erfahrungen und herber Schicksale, t h e i l s d u r c h die A n s c h a u u n g u n d d a s E i n g r e i f e n in d e n E n t w i c k l u n g s g a n g der jugendlich aufstrebenden amerikanis c h e n N a t i o n zu s e i n e m f e r n e r e n g r o s s e n L e h r a m t e u n d zu n e u e n s e g e n s v o l l e n T h a t e n in s e i n e m V a t e r l a n d e v o r b e r e i t e t w e r d e n . L i s t war in die Heimath zurückgekehrt. Nachdem er von der Stadt Reutlingen zum erstenmal im Juni 1819 in die Württembergische Kammer gewählt worden, die Regierung jedoch seine Wahl kassirt hatte, wurde er von derselben Stadt im December 1820 wieder gewählt. Sein erster, ihn charakterisirender, ihm aber nur zum höchsten Lob 2
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gereichender Antrag war: Die Kammer möchte die Mittel in Berathung ziehen, durch welche dem so tief gesunkenen Gewerbe und Handel des Vaterlandes aufgeholfen werden könnte. Derselbe kam jedoch nicht mehr zur Verhandlung, denn wegen einer Petition an die Kammer, welche er auf Wunsch seiner Wähler verfasste, und in der er, die Gebrechen im württembergischen Staatsdienste schonungslos aufdeckend, zugleich eine Reihe von Forderungen stellte, welche die heutige Zeit längst zu ihrem Programm gemacht hat, wurde er verfolgt, aus der Kammer ausgestossen, und ein unerhörtes Urtheil zehnmonatlicher Festungsstrafe über ihn verhängt, ein Urtheil, über das einer seiner Richter noch auf dem Todtenbette Reue ausgesprochen hatte, und über das die Juristen-Fakultät in Freiburg erkannte, dass nach Form und Wesen die über ihn ergangenen Erkenntnisse durchaus null und nichtig seien. L i s t entfloh und irrte unter vielfachen Entbehrungen drei Jahre in der Fremde herum. Einige Zeit hielt er sich in Strassburg auf, besuchte London und Paris, wo ihn L a f a j e t t e lieb gewann and ihm das Anerbieten machte, ihn nach Amerika zu begleiten. Amiängsten verweilte er in der Schweiz. Seine Arbeitskraft verliess ihn nie. Auf politischem und volkswirtschaftlichem Gebiet finden wir ihn fortwährend literarisch und publizistisch thätig für die Erreichung seiner grossen Ziele. Von Sehnsucht nach der Heimath getrieben, gedrückt durch die SoTgen um die Seinigen, wandte er sich endlich auf
— 19 — dringendes Anrathen seiner Würtembergischen Freunde mit einem Bittgesuch um Erlassung seiner Strafe an den König, und kehrte im August 1824 unvorsichtigerWeise zurück, bevor ihm ein Erfolg seiner Bittschrift bekannt geworden war. Der Empfang daselbst war, dass man ihn auf den Asperg gefangen setzte, und hier das vor drei Jahren gefällte Urtheil an dem Manne vollzog, der für Deutschland so unermesslich Grosses geleistet hatte. Auf die von ihm selbst angetragene Bedingung völlig auszuwandern, wurde er im J a n u a r 1825 der Haft entlassen, um in Amerika eine neue Heimath zu suchen lind zu finden. Nichts ist schmerzlicher für denjenigen, der von dankbarer Bewunderung erfüllt ist für dieses Mannes rastlose Bestrebungen, der Retter seines Vaterlandes zu sein aus den trostlosen Zuständen, in die es so tief versunken w a r , als der Hinblick auf diese Zeit der Verfolgung und der Misshandlung dessen, der vielmehr Hochverehrung, Dank und Liebe verdiente. Aber es war nun einmal sein dornenreiches Loos, in einer Zeit der Ermattung und des beschränkten Gesichtskreises zu leben und ihr als ein Vorläufer der viel späteren grossen Zeit, die zu erleben wir das Glück haben, zum Opfer zu fallen. Von den vielfachen Verkennungen, die ihm wurden, ist eine der ungerechtesten diejenige, welche ihn einen Demagogen, einen Mann des Umsturzes nannte. Niemand weniger als L i s t verdiente diese Bezeichnung. Er war mit einem zu klaren Ur2*
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theil begabt, gestützt auf reiche geschichtliche Kenntnisse, als dass er nicht gewusst hätte, dass Jahrtausend alte Staatsformen, seien sie nun monarchisch oder republikanisch, so tiefe Wurzeln haben und mit ihnen so unendlich viele Interessen all und jeder Art verknüpft sind, dass ein gewaltsamer Umsturz nur die grössten, Jahrhunderte andauernden Beunruhigungen und Convulsionen, Stösse und Gegenstösse im Gefolge haben müsste. Er war zu weitsehend und liebte sein Vaterland zn sehr, als dass ihm, der überdiess aus Ueberzeugung und Loyalität für Deutschland dem monarchischen Princip aus ganzer Seele huldigte, jemals nur im allerentferntesten der Gedanke hätte kommen können, durch solch schwankende Zustände dessen innere Wohlfahrt und seine Machtstellung nach Aussen zu gefährden. Vielmehr gerade um solch umstürzenden Bestrebungen für eine entferntere oder nähere Zukunft Zweck und Gegenstand zu rauben, wollte er die Monarchie mit Institutionen ausgestattet und die innere Verwaltung in einer Weise verbessert sehen, die deren Bestände eine neue unerschütterliche Dauer verleihen sollte. Sein politisches Verbrechen war, in einer Zeit des Drucks und der Verzagtheit seine Stimme laut und unermüdlich erhoben zu haben für alle die späteren Errungenschaften , die heute Deutschlands Fürsten und Völker als ihre höchsten Güter, als fortan mit ihrer Ehre und Wohlfahrt unzertrennlich erachten. L i s t selbst sagt in seiner Selbstbiographie
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über diese Beschuldigungen der Demagogie und des Jakobinismus wörtlich Folgendes: „Ich muss jedoch L i s t in Schutz nehmen „gegen den Vorwurf, der ihm später auch von seinen „minder politisch gebildeten Gegnern gemacht wor„ d e n , nämlich dass er jakobinische Grundsätze „hege oder gehegt habe. Dieser Vorwurf ist so unb e g r ü n d e t , dass gerade das Gegentheil wahr ist. „Das Wesen des Revolutionärs besteht darin, dass „er allererst einreisst ohne zu bauen, dass er, wenn „er zu bauen genöthigt ist, sein Gebäude auf eine „tabula rasa errichten will. L i s t dagegen hat „immer das Bestehende zur Grundlage seiner Ref o r m e n genommen. Seine Republik hatte im„mer einen König oder Kaiser an der Spitze. Wenn „er für die Individuen Freiheit in ihren besonderen „Kreisen ansprach, so forderte er auch für die „Staatsgewalt die Bedingung der Machtausübung. „ W e n n andere auf die Vernichtung des Adels aus„giengen, so behauptete er, nur die schädlichen „Vorrechte des Adels seien auszurotten, seine Theil„nahme an der Gesetzgebung und in manchen Bez i e h u n g e n an der Verwaltung, nachdem jene aufg e g e b e n seien, könne nur wohlthätig wirken und „gereiche dem Staate und der Nation zu unendl i c h e m Vortheil." Es sei mir hier gestattet eine Parallele zu ziehen zwischen L i s t und einer andern der höchsten Zierden der Weltgeschichte und des menschlichen Geschlechtes, dem e d e l m ü t h i g e n M a l e s h e r b e s , Vertheidiger Ludwig X V I . vor dem Convent.
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L i s t war von dem Jakobinismus, dessen ihn seine Feinde beschuldigten, eben so weit entfernt als M a l e s h e r b e s himmelweit entfernt war von den Demagogen Saint-Just, Robespierre und M a r a t ; obschon er, der schon unter Ludwig XV. die Einberufung der Generalstaaten verlangte, gegen Missbräuche in der Amtsgewalt ankämpfte, in hoher amtlicher Stellung an freisinniger Handlungsweise, die ihm ebenfalls Verbannung und Massregelungen zugezogen hatte, F r i e d r . L i s t nicht nachstund, während überhaupt in manchen Beziehungen sowohl in der Geistesrichtung als in den Bestrebungen dieses hochherzigen Franzosen eine auffallende Aehnlichkeit mit F r i e d r . L i s t nicht zu verkennen i s t , wie denn auch beide als Märtyrer für ihr Vaterland gestorben sind. Hätten Ludwig XV. und XVI. Malesherbes' weisen Rathschlägen Folge geleistet, die französische Revolution würde nicht als blutiges Ungethüm einhergeschritten sein, und wären die erleuchteten Rathschläge F r i e d r . L i s t ' s rechtzeitig gewürdigt worden, anstatt dass man ihn als Demagogen verfehmte, die Umwälzungen des Jahres 1 8 4 8 wären Deutschland wohl ebenfalls erspart worden. In den Tagen der herannahenden Todesstunde drückte Ludwig XVI. den früher verkannten Malesherbes an sein Herz, und Malesherbes, dem sein künftiges Schicksal nicht verborgen sein konnte, legte bald nach ihm sein ehrwürdiges Haupt ebenfalls unter das Fallbeil. F r i e d r. L i s t war ganz die Natur, die in ähnlicher Lage ebenso gehandelt
— 23 — haben würde. Ludwig XVIII., der Bruder des enthaupteten Königs, aber errichtete dem edlen Malesherbes ein Denkmal; und dass auch hochherzige deutsche Fürsten für das Andenken von D e u t s c h l a n d s F r i e d r . L i s t noch ein gleiches thun werden, das glaube ich im Geiste zu schauen. Eine wiederholte Aufforderung Lafajette's, welche er in einem Briefe von Richmond in Virginia vom 22. Jan. 1825 datirt, an List ergehen liess, brachte ihn zu dem endgiltigen Entschlüsse, nach Amerika auszuwandern. Am 16. April schiffte sich L i s t mit den Seinigen in Havre ein, und langte am 10. Juni in New York an, von wo er sich sogleich nach Philadelphia zu Lafayette begab, der, indem er ihn einlud, ihn auf seinem Zuge durch die Vereinigten Staaten zu begleiten, ihn so in Bälde mit den höchsten Staatsbeamten der Nation bekannt machte. Es konnte nicht lange dauern, dass bei denselben eine Persönlichkeit von den überlegenen Geistesgaben eines L i s t zu grosser Geltung kam. Mit England war im Jahr 1827 ein Zollconflict ausgebrochen. Das war nun die Gelegenheit, wo seine neuen amerikanischen Freunde sofort den Beistand seiner ausserordentlichen nationalökonomischen Kenntnisse anriefen. So entstanden seine berühmten 12 Briefe an J. I n g e r s o l l , Präsidenten der pennsylvanischen Gesellschaft zu Beförderung der Manufakturen, die bald unter dem Titel „outlines of a new system of political Oeconomy," das ausserordentlichste Aufsehen erregten, und die grösste Verbreitung fanden. Er bekämpfte darin,
— 24 — wie er schon in Deutschland gethan, das kosmopolitische Freihandels-System des A. Smith, stellte dessen System der Tauschwerthe dasjenige der Produktivkräfte gegenüber und während die Smithsche Volkswirthschaftslehre nur Individuen und Privatwirthschaften kannte, schaltete List auch in ökonomischer Beziehung, zwischen dem Einzelnen und der Menschheit das Mittelglied der Nation ein, als Träger eines relativ selbstständigen Wirthschaftslebens. List's Ansehen stieg jetzt in seiner neuen Heimath auf eine hohe Stufe, und die ersten Staatsmänner der Union brachten dem deutschen Nationalökonomen ihre Huldigungen dar. Mänuer wie Madison, Clay, Livingstone sprachen List brieflich ihre Anerkennung und Theilnahme aus. Seine Correspondenz beweist, dass er seit dieser Zeit mit diesen Männern und andern berühmten Politikern der Freistaaten z. B. dem späteren Präsidenten v a n B u r e n in lebhafte und freundliche Beziehung kam. So wurde ihm denn in dem Lande seiner Zuflucht in kurzer Zeit alles, was ihm in Deutschland versagt worden war. Und, wie wenn sein Geschick endlich ermüdet gewesen, ihn im Uebermass durch Qualen zu prüfen, so lachte ihm nun endlich auch in anderer Beziehung das Glück. Unversiegbar schien es von nun an sein Füllhorn auf ihn ausgiessen zu wollen. Auf einem Ausfluge ins Gebirge entdeckte L i s t ein reichhaltiges Steinkohlenbergwerk, und erkannte sogleich die ungeheure Wichtigkeit dieses Fundes. Seine darauf
— 25 — gegründeten Unternehmungen hatten so gewinnreiche Erfolge, dass L i s t in Bälde ein reicher Mann sein musste. Aber es war dieser Natur nicht gegeben, dauernd ihre eigenen Interessen zu pflegen. „ I m H i n t e r g r u n d a l l e r m e i n e r P l a n e l i e g t D e u t s c h l a n d " , — dieses mitten im besten Gelingen seiner überseeischen Unternehmungen in sein Tagebuch niedergelegte Bekenntniss drückt sein ganzes Y/esen und Streben aus. Die Ausbeutung dieser Minen, welche den Bau einer Verbindungsbahn zwischen denselben und dem Schuykill-Canal erforderte, war der Anstoss, der ihn zu seiner grossartigen Auffassung des Eisenbahnwesens führte. „Mitten in der Wildniss der blauen Berge," schrieb er, „träumte mir von einem deutschen Eisenbahnsystem; es war mir klar, dass nur durch ein solches die Handelsvereinigung in volle Wirksamkeit treten könne. Diese Ideen machten mich mitten im Glücke unglücklich. Früher" fährt er fort, „hatte ich die Wichtigkeit der Transportmittel nur gekannt, wie sie von der Werththeorie gelehrt wird; ich hatte nur den Effect der Transport-Anstalten im Einzelnen beobachtet und nur mit Rücksicht auf Erweiterung des Marktes und Verminderung des Preises der materiellen. Güter, jetzt erst fing ich an, sie aus dem Gesichtspunkte der Theorie der productiven Kräfte und in ihrer Gesammtwirkung als Nationaltransportsystem folglich nach ihrem Einfluss auf das ganze geistige und politische Leben, den geselligen Verkehr, die Productivkraft und die Macht derNatio-
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nen zu betrachten. Jetzt erst erkannte ich, welche Wechselwirkung zwischen der Manufakturkraft und dem NationaltranspoTtsystem bestehe, und dass die eine ohne das andere nirgends zu hoher Vollkommenheit gedeihen könne. Dadurch ward ich in den Stand gesetzt, diese Materie — ich darf es wohl behaupten — umfassender abzuhandeln, als irgend ein anderer Nationalökonom vor mir und namentlich die Notwendigkeit und Nützlichkeit ganzer Nationaleisenbahnsysteme in ein klares Licht zu stellen, ehe noch irgend ein Nationalökonom in England, Frankreich oder Nordamerika daran gedacht hätte, sie aus diesem höhern Gesichtspunkte zu betrachten." Im Jahr 1828 erschienen L i s t ' s „Mittheilungen aus Amerika" in Hamburg herausgegeben von W e b e r & A r n o l d i , worin er gegen das bayerische Canalprojekt, und für Anlegung von Eisenbahnen zwischen Main, Rhein und Weser kämpft. Im Jahre 1829 verhandelte er lebhaft mit J o s e p h B a a d e r in München über den Plan, Bayern und Mitteldeutschland durch Eisenbahnen mit der Nordsee zu verbinden. In verschiedenen Schriften setzte er den Vorzug dieses Transportsystems vor den Canal-Verbindungen nach allen Seiten auseinander, und behauptete damals schon mit prophetischem Blicke die Post von Calcutta nach London, müsse zuletzt den Weg über Deutschland nehmen. Gleich wie früher für Errichtung des Zollvereins, so liess nun L i s t die sprudelnde Fülle seiner Ideen und Entwürfe vor sich einhergehen, er kündigte
— 27 — dadurch Deutschland das Wiedererscheinen seiner Segen spendenden Persönlichkeit an, gleich wie die Morgenröthe den Aufgang der Sonne ankündigt. „Wanim," r u f t L i s t ' s Biograph, L u d w . H ä u s s e r aus „warum blieb er nicht, warum liess er sich von dem deutschen Heimweh fortreissen, die neue dankbare Heimath mit der alten undankbaren zu vertauschen? Warum zog es ihn weg aus dieser grossartigen praktischen Umgebung, aus diesem Lande der öffentlichen Diskussion in die kleinstädtische Heimath, wo jede neue praktische Idee nur auf den zähen Widerstand kleinlicher, bornirter, philisterhafter Vorurtheile rechnen konnte, wo man den Segen des öffentlichen Lebens noch nicht kannte, oder nicht zu nützen verstand, wo jede rührige agitatorische Thätigkeit als eine unwillkommene Störung des bequemen contemplativen Hinbrütens angesehen ward, wo das Grösste und Beste unter dem steten Druck des Kleinen und Kleinlichen sich aufreiben muss, wo man ein Talent und eine Thätigkeit, wie sie List besass, nicht einmal entfernt zu schätzen verstand, sondern an den engen Gesichtskreis der Erdscholle gebannt, seine kühnen Entwürfe als luftige Träumereien ansah, seine agitatorische Thätigkeit für Marktschreierei und Charlatanerie ausgab? Warum blieb er nicht in dem Lande, wo er in wenig Jahren mehr Anerkennung gefunden, als in zwei Jahrzehnten zu Hause, warum setzte er die dort errungene Unabhängigkeit aufs Spiel, um dafür wieder der Heimath dauklose Frohndienste zu
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leisten ? Warum suchte er nicht mit seinem Vermögen, das sich rasch zu vermehren schien, fernerhin fruchtbringend zu arbeiten, statt dass er es in der unbelohnten Sorge um die heimathlichen Dinge vernachlässigte oder aufopferte?" Solche Fragen müssen sich jedermann unwillktlhrlich aufdrängen. Die Antwort aber liegt in L i s t ' s ganzem Lebenslauf. Der gleiche Grund •war es, der ihn veranlasste Stellung und gesichertes Einkommen gegen das dornenvolle Amt eines Consulenten des Handelsvereines zu vertauschen, und trotz Undank und Verkennung in dieser Stellung ohne allen materiellen Nutzen für sich opferfreudigst zu verharren, es war der gleiche Grund, der ihn zu der so verhängnissvollen Reutlinger Petition veranlasste, die ihm Verfolgung, Verurtheilung, Kerker und Verbannung brachte. Es war der gleiche Grund, der ihn jederzeit muthig Hass und Anfeindung ertragen liess für die grosse Sache seines Vaterlandes. Der allgewaltige Drang war es, der L i s t antrieb nur dem Wohle Deutschlands zu leben. — Eben so wohl könnte man die Sonne fragen warum sie aufgehe. — Die schönste Antwort aber gab er selbst in den inhaltsschweren Worten: Deutschland liegt im Hintergrunde all' meiner Pläne. Die hohe Achtung, die sich L i s t bei den amerikanischen Staatsmännern erworben hatte, veranlasste den Präsidenten J a c k s o n , dessen Absicht, nach Deutschland zurückzukehren, auch für die amerikanischen Interessen zu Nutzen zu ziehen.
— 29 — L i s t , bei dem diese Anregung Anklang fand, fasste eine solche Aufgabe in der ihm eigenen grossartigen Anschauungsweise auf und bezeichnete in einem Briefe an den Präsidenten (21. Okt. 1830) die Gesichtspunkte, die seine Wirksamkeit in Europa bestimmen sollten. Unter den besonderen Nebenaufgaben die er sich stellte, war die erste die, den Verkehr zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten in Beziehung auf eine Ileihe von Artikeln, insbesondere die Einführung der amerikanischen Kohlen nach Kräften zu fördern. Eine der Hauptaufgaben, die er sich für seine Rückkehr stellte, war die Bekämpfung des englischen Monopols- Das konnte nur durch ein gemeinsames Zusammengreifen der übrigen Handelsstaaten auf dem europäischen Continente mit Erfolg geschehen, desshalb fasste er auch deren Angelegenheiten in's Auge. L i s t gab sich desshalb auch namentlich in Frankreich und Belgien Mühe für Verbreitung seiner Ideen über das EisenbahnTransportwesen. Die Bahn von Havre nach Strassburg ward zuerst von ihm angeregt, und auch das Belgische Eisenbahnsystem verdankt die Entstehung seinem Anstosse. L i s t -wurde nun zum Generalconsul der Vereinigten Staaten nach Hamburg ernannt. Er empfing das Patent hiezu am 8. November 1830, ging der grossartigsten Entwürfe voll sogleich zu Schiffe und landete am 21. Dezember in Havre. Da jedoch der Hamburger Senat L i s t seiner früheren po litischen Verwickelungen willen nicht
— 30 — anerkennen wollte, kehrte er binnen Jahresfrist, nachdem er in Deutschland, Belgien, Frankreich stets anregend und förderlich gewirkt und sich auch mehrfach literarisch beschäftigt hatte, nach Amerika zurück, um sich 1832 dauernd wieder in Deutschland nieder zu lassen. Er wurde zum amerikanischen Consul in Leipzig ernannt, blieb aber vorerst ein J a h r in Hamburg, wo er für seine Lieblingsidee, das deutsche Eisenbahnsystem, einen fruchtbaren Boden zu finden hoffte. Er setzte sich mit den bedeutendsten Punkten in Correspondenz, und suchte in der grossen Stadt selbst Propaganda zu machen. Man betrachtete sie inzwischen als Chimäre, und als ein Engländer damals das Eisenbahnsystem in Deutschland für eine Unmöglichkeit erklärte und die Ansicht aussprach, nur zwischen Hamburg und Hannover könne eine Eisenbahn rentabel sein , und auch diese nur mit englischen Kapitalien gebaut werden, so zweifelte man nicht daran, dass diess die richtige Auffassung sei. L i s t entschied sich nun mit seinem richtigen Urtheil für Leipzig, als den natürlichen Ausgangspunkte für seine Bestrebungen für ein Deutsches Eisenbahntransportsystem. Bei den weiten Gesichtspunkten, die er eröffnete, bei dem männlichen frischen Muth, der ihn belebte, der frohen Zuversicht, die ihn erfüllte, mit dem festen Vorsatz alle Hemmnisse zu überwinden, die ihm Erschlaffung und Verzagtheit, Kleinlichkeit und Vorurtheile entgegen stellten, sein Vaterland auf die höchsten Stufen des Wohlstandes hinzureissen, war seine Erschein-
— 31 — u n g eine gewaltige, einem andern Moses gleich, der gekommen, sein Volk aus der Wüste nach dem gelobten Land zu führen. Die Thätigkeit, die L i s t nunmehr entwickelte, war eine grossartige. — Anfangs wurden seine kühnen Entwürfe als Hirngespinnste betrachtet, nach einiger Zeit der mühevollsten Aufklärung undUeberredung, fand sich jedoch ein Kreis von Kaufleuten, Finanzmännern, und Gelehrten, die sich damit befreundeten. L i s t veröffentlichte nun seine die Geister aus ihrer Ruhe und Apathie aufrüttelnde Schrift „ ü b e r e i n s ä c h sisches E i s s n b a h n s y s t e m als G r u n d l a g e eines allgemeinen deutschen Eisenbahns y s t e m s und i n s b e s o n d e r e über die Anl e g u n g einer E i s e n b a h n von L e i p z i g nach D r e s d e n." Diese Schrift, in welcher er die Vortheile eines solchen Systems aufs eindringlichste darlegte, und die Einwürfe der Unausführbarkeit schlagend zurückwies, gab er ein Kärtchen*) bei, auf welchem bereits die künftigen Linien des deutschen Netzes verzeichnet stehen und zwar mit solch richtiger Beurtheilung der Notliwendigkeit ihrer einzuschlagenden Richtungen, dass beim späteren Bau der Bahnen, dieselben sämmtlich eingehalten wurden: Die Linie von Basel nach Frankfurt, von da nach Kassel, Hannover und Bremen, ferner nach Gotha, Leipzig und Berlin, von da wieder über Magdeburg, Braunschweig, Hannover nach Minden und Cüln, anderseits Arme nach Pom*) Siehe dasselbe am Sehluss.
— 32 — inern, nach Westpreussen und nach Schlesien. Leipzig steht hier mit Dresden und Prag, mit Berlin, durch Halle und Magdeburg mit dem Norden, und durch die Stldbahn durch Thüringen, über Bamberg, Nürnberg, Augsburg, München, Lindau mit dem Bodensee in Verbindung. Was damals als Schwindelei betrachtet wurde, das stand nach kaum 15 Jahren vollendet da. Die Schrift, von der L i s t 500 Exemplare den Regierungsbehörden und Kammern, dem Stadtrath, den Stadtverordneten und angesehenen Bürgern vertheilte, machte in den nächsten Umgebungen, namentlich in Leipzig selbst, einen ausserordentlichen Eindruck, sie war praktisch und eindringlich geschrieben, reich an Erfahrungen, die zum grossen Theile noch neu waren in Deutschland, sie fusste überall auf Zahlen und Berechnungen, und legte, gestützt auf die Beispiele in andern Ländern, gleich das Schema zu einem AktienVertrag an, worin alle Zwischenfälle und Voraussetzungen sorgfältig berücksichtigt waren. D i e sächsische R e g i e r u n g und die beiden K a m mern erliessen D a n k s a g u n g s s c h r e i b e n an L i s t , von dem H a n d e l s s t a n d n ä h e r t e n s i c h ihm einige der a n g e s e h e n s t e n M i t g l i e d e r , die L e i p z i g e r S t a d t v e r o r d n e t e n s p r a c h e n i h m in e i n e r Z u s c h r i f t d e n D a n k d e r S t a d t a u s . Durch diese Aufnahme ermuthigt., war L i s t von nun an mit der Elastizität des Geistes, die nur ihm zu Gebote stand, unermüdlich thätig für das Projekt; er half das auf seine An-
— 33 — regung gewählt Comité, dessen Seele und mächtigste Triebfeder er selbst war, organisiren, dessen Berichte entwerfen, den Plan ausarbeiten, das Expropriationsgesetz begutachten und durch die Presse die öffentliche Meinung bearbeiten. Die Regierung setzte eine Commission nieder, welche die nöthigen Vorbereitungen zu treffen und Untersuchungen und Berechnungen anzustellen hatte. Das Ergebniss derselben lautete günstig und bestätigte die von L i s t auf seine amerikanischen Erfahrungen und vorhandene Thatsachen gestützte Vorausberechnung. Inzwischen war doch zu fürchten, die Theilnahme möchte nachlassen , während man die vorbereitenden Maassregeln treffe. L i s t ward daher aufgefordert, einen auszuarbeiten, neuen Aufruf an das Publikum worin die Sache wiederholt angeregt wurde (Mai 1834). Er schrieb in der eindringlichen und populären Weise, die seine Schriften alle auszeichnet, einen „Aufruf an unsere Mitbürger in Sachsen, die Anlage einer Eisenbahn zwischen Dresden und Leipzig betreffend", der gratis vertheilt wurde und einen gleichen Erfolg hatte. D i e M ä n n e r , w e l c h e L i s t dazu a u f g e f o r dert h a t t e n , waren mit der W i r k u n g übera u s z u f r i e d e n und v e r e h r t e n i h m e i n e n s i l b e r e n P o k a l mit der A u f s c h r i f t : „Dem V e r f a s s e r des A u f r u f s a n u n s e r e M i t b ü r g e r von H a r k o r t , D u f o u r F e r o n c e , S e i f f e r t , Lange." L i s t durfte demnach hoffen, dass man seinen wesentlichen und unentbehrlichen Antheil 3
— 34 — an der Sache werde zu würdigen wissen. Aber bald zeigte sich der schnöde U n d a n k , mit dem L i s t alle seine deutschen Bemühungen belohnt wurden. Er war mit grosser Stimmenmehrheit ins Comité gewählt worden ; aber die W a h l wurde nicht f ü r giltig e r k a n n t , weil er nioht Leipziger Bürger sei! Man wollte ihn ausnutzen, aber nichts gelten lassen. Sogar auf unzarte und unverständige Weise wurde ihm zu verstehen geg e b e n , dass er entbehrlich sei. Da dachte L i s t denn doch für seine Arbeiten, seinen Aufwand und Zeitverlust sich einigermassen sicher zu stellen: er verlangte erstlich Ersatz für seine Auslagen, zweitens die Befuguiss, ein J a h r lang nach Vollendung der Bahn 2 Prozent der Actien al pari zeichnen zu dürfen, und drittens eine seineu persönlichen Verhältnissen entsprechende Anstellang bei der Gesellschaft mit fixem Gehalt. Man fand diese Forderung ganz billig, vertröstete ihn aber auf die Einsetzung des Directoriums. „Wir werden wie Elhrenmänner handeln nicht wie Yankees" lautete die stolze Versicherung, und nachdem er zwei J a h r e l a n g unausgesetzt f ü r das Unternehmen thätig gewesen war, entblödete sich das Directorium nicht, ihn f ü r allen seinen Aufwand an geistiger Arbeit, Zeit und Geld mit einem Ehrengeschenk von 2000 Thalern abspeisen zu wollen, währenddem man einem Engländer f ü r ein, wie sich in der Folge zeigte, verfehltes Gutachten M. 17,000 bewilligte. Nur in einem Punkt wurde von den Leipziger Handelsherren Wort gehalten. Sie hatten
— 35 — ihrem Versprechen gemäss nicht gehandelt wie die — Yankees. — L i s t machte in einer ausführlichen Darlegung seines Verdienstes um das Unternehmen und der von ihm gebrachten Opfer seine Ansprüche auf die ihm früher gemachte Zusage geltend, aber umsonst, ja unglaublich, sogar die öffentliche Anerkennung, die er wünschte, und die er zu seinen weiteren Unternehmungen für nöthig erachtete, wurde ihm verweigert, w ä h r e n d d e m d o c h s e i n e V e r d i e n s t e v i e l f a c h a k t e n m ä s s i g a n e r k a n n t waren. Man weiss kaum, soll man mehr über das Unwürdige dieser ganzen Handlungsweise, die List zu Theil wurde, empört oder mehr erstaunt sein, dass so etwas nur jemals möglich war. Dass aber heute durch die Aktionäre der Leipzig-Dresdener-Bahn Harkort als dem Gründer derselben ein Denkmal gesetzt wurde, ohne L i s t zu erwähnen, setzt dem alten Unrecht aufs Neue die Krone auf. Erblickten wohl die Leipziger Handelsherren, nachdem sie L i s t ausgenützt hatten, in ihm nur noch den ihren handelspolitischen Tendenzen nicht sympatischen ehemaligen Consulenten des Handelsvereins ? ! List fand jedoch seinen Dank und seine Befriedigung in dem Erfolg, den seine Vorschläge fortan im übrigen Deutschland hatten. Er war von nun an bei allen Eisenbahnentwürfen, dem badischen, dem hannoverschen, dem preussischen mit thätig. Auf allen bedeutenden Punkten Deutschlands wurde das Unternehmen in Angriff genommen, und List sah die Ausführung der Idee 3*
— 36 — eines grossen deutschen Eisenbahnsystems immer näher rücken. — Während seines Leipziger Aufenthaltes 1835 hatte List sein Eisenbahnjournal gegründet, das durch Reichhaltigkeit und anziehende Darstellung bald eine grosse Ausbreitung gewonnen, und ihm eine dauernde Existenz zu gründen versprach, als es auf einmal in unbegreiflicher, niemals aufgeklärter Weise in Oestreich verboten wurde, was dem vielgequälten Manne einen harten Schlag versetzte. Auch hatte inzwischen List in Leipzig die gleiche Erfahrung gemacht wie in Hamburg. Man nahm Anstand ihm als amerikanischem Consul die Bestätigung zu ertheilen, und das geschah in Sachsen, das ihm so viel verdankte. Zudem waren Nachrichten über Gefährdung seines Vermögens aus Amerika eingegangen. Welche Stärke des Gemüths haben wir hieT zu bewundern, die so viel Missgeschick Schlag auf Schlag zu ertragen vermochte. Zwei grosse S c h ö p f u n g e n h a t t e L i s t fürDeutschland vollbracht: dieSchöpfung des Z o l l v e r e i n s und den A n s t o s s zur Erstellung des deutschen Eisenbahnnetzes. Er verliess jetzt Deutschland wieder auf drei Jahre um sich zu neuen Thaten zum Wohle seines Vaterlandes vorzubereiten. Es blieb ihm übrig, den Zollverein, den er geschaffen, in die zu seinem Frommen nothwendigen richtigen handelspolitischen Pfade einzuleiten, Deutschlands nationalökonomische Interessen gegen Englands Eingriffe zu schützen, und es davor zu bewahren, sich
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nicht, wie er sich mit Bitterkeit ausdrückte, für solide Gold- und Silberbarren in Mondschein und Hoffnung bezahlen zu lassen. Auch fühlte List das Bedürfnis^ einer veränderten Umgebung auf einige Zeit um sich von den peinlichen Eindrücken zu erholen, die so vielfache Verkennung, Hemmungen und Undank in ihm wach gerufen hatten. Er wendete sich nach Paris, wohin ihn auch die Interessen seiner Vermögensverhältnisse riefen. Seinen Weg nahm er über Belgien. Währenddem er im eigenen Vaterlande, für das er so vieles Grosse geleistet, vielfach zurückgesetzt und verkannt wurde; so erfreute er sich jederzeit, wenn er im Auslande erschien, daselbst von Seite der hervorragendsten Persönlichkeiten, von den Souveränen und ihren Ministern jeder Beweise von Hochachtung für seine grossen Eigenschaften. So nahm ihn auch diessmal wieder in Brüssel der Minister Nothomb mit vieler Auszeichnung auf, und König Leopold selbst bewies ein lebhaftes Interesse für seine schöpferischen Ideen, und versprach ihm den Eintritt in die einflussreichen Kreise zu Paris und namentlich den Zutritt bei Louis Philipp zu erleichtern. So ward der Brüsseler Aufenthalt eine willkommene Erholung für List. Er fand hier in der Fremde die Anerkennung, die man ihm in der Heimath durch tausend Kleinlichkeiten verbitterte, und kam hier mit Männern in Berührung, deren umfassender Blick, deren staatsmännischer Unternehmungsgeist, seine
— 38 — genialen Entwürfe zu schätzen und zu nützen verstand. Zur Stärkung seiner angegriffenen Gesundheit machte er einen Ausflug nach Ostende; dort traf er Dr. Kolb aus Augsburg, seinen Landsmann und Leidensgefährten, den er nicht mehr gesehen hatte, seit sie beide miteinander auf dem Asperg gefangen gewesen waren. Kolb gehörte zu List's frühesten Bekanntschaften; er war noch unter seinen Zuhörern in Tübingen gewesen. Jetzt in Ostende knüpfte sich das alte Verhältniss wieder fester, und blieb ein enges und freundschaftliches bis zu List's Tod. In Paris fand L i s t beim König und den Ministern eine sehr freundliche Aufnahme. L o u i s P h i l i p p empfieng den von seinem königlichen Schwiegersohn Empfohlenen mit der ihm eigenen gewinnenden Artigkeit. Durch ihn wurde er auch direct in Beziehung zu den Ministem gesetzt. L i s t entwickelte sofort in Paris eine grosse literarische Thätigkeit, er war dort zugleich Korrespondent der Augsburger „Allg. Ztg.", der er nationalökonomische und politische Aufsätze lieferte, auch seine vielfachen- Bekanntschaften mit Publizisten und Staatsmännern wurden von ihm eifrig zu praktischer Propaganda für seine Ideen benützt. In seinen vertraulichen Briefen jedoch, sprach sich eine tiefe Verstimmung aus, über misslungene Entwürfe über den Undank und die Zurückstossung, die er im Vaterlande erfahren hatte. Leute, die ihm Dank schuldeten, hatten ihn unfreundlich oder
— 39 — gleichgiltig behandelt, andere seine Lieblingsgedanken durchkreuzt, es war ihm so viel Unrecht geschehen, dass er auch da absichtliche Kränkung sah, wo vielleicht nur Leichtsinn oder Missverständniss sich ihm in den Weg warfen. Kurz nach L i s t's Ankunft in Paris hatte die französische Akademie die Preisfrage ausgeschrieben: Welche Massregeln sich zur Ueberleitung aus dem Schutz- in das Freihandelssystem empfehlen möchten. L i s t beschloss, obwohl der Termin, bis zu welchem die konkurrirenden Arbeiten abgeliefert werden sollten, nur noch wenige Wochen übrig liess, eine Arbeit vorzunehmen, wozu ihm weder geschriebenes Material, noch eigene Aufzeichnungen im Augenblick zu Gebot standen, sondern die er lediglich aus der Erinnerung zu schöpfen hatte. Doch seine gigantische Arbeitskraft leistete das scheinbar Unmögliche, in wenig Wochen hatte er die Arbeit, zwei leidlich dicke Bände, vollendet. Es wurde jedoch keine der eingesandten Preisschriften gekrönt, dagegen aber unter 27 eingegangenen Arbeiten 3 als „ouvrages remarquables" bezeichnet und unter diesen befand sich auch die L i s t ' s e h e , die mit dem Wahlspruch „et la patrie ei l'humanité" bezeichnet war, den er später seiner politischen Oekonomie als Motto voransetzte. Der bleibende Nutzen für L i s t war, dass er dadurch auf Studien zurückgeführt ward, die früher nur begonnen, dann lange Jahre unterbrochen waren und die durch neue Anregungen zu fördern und umzugestalten, er doch vorzugsweise berufen war.
— 40 — Ich war, erklärte L i s t , in meiner anfänglichen Ansicht bestärkt, ein tüchtiges System müsse durchaus eine tüchtige historische Grundlage haben. L i s t zog sich daher ganz auf geschichtliche und nationalökonomische Studien zurück; sie sind vom Ende des Jahres 1837 bis in den Sommer 1840 fast seine einzige Beschäftigung gewesen. Insbesondere das I. Buch seines nationalen Systems betitelt die „Geschichte," gieng aus diesen Studien hervor. Dieser Abschnitt, der die handelspolitische Geschichte der europäischen Staaten und der Vereinigten Staaten umfasst, und wodurch L i s t vermittelst der Geschichte der Vergangenheit, der Zukunft einen Spiegel entgegenhält, voll der reichsten Erfahrungen, ist einer bewundernswerten originellen Idee L i s t ' s entsprungen. Vermittelst dieser Darstellung war er der erste, der die Wissenschaft derWirthschaftslehre von ihren ideellen Spekulationen auf den praktischen Boden zurückführte. Einzelne französische Staatsmänner bewiesen L i s t dafür grosses Interesse. Unter diesen war namentlich T h i e r s , der mit seinem richtigen praktischen Instinkte die Bedeutung der L i s t'schen Studien erkannte. L i s t selbst erwähnte oft mit Bewunderung die grosse anerkannte Gabe dieses Franzosen, in fremde Ideen rasch und selbständig einzugehen. T h i e r s machte denn auch L i s t ein Anerbieten in französische Dienste zu treten. L i s t schlug dasselbe jedoch um so unbedenklicher aus, als die Besorgniss nahe lag, dass man ihn dort gegen sein Vaterland gebrauchen wollte.
— 41 — In den letzten Jahren seines Pariser Aufenthaltes war L i s t eifrig bemüht gewesen, in Deutschland die Stimmung für sein nationales System vorzubereiten. Der Cyclus von Aufsätzen, welche in den Jahren 1839 und 1840 in der „Allg. Ztg." erschien, enthielt bereits alle Grundlagen des im folgenden Jahre erschienenen Werkes. Zu seinen Freunden in Paris, Heine, Venedy und Laube sagte er: „Wenn ich mit meinem ersten Bande fertig bin, so komme ich nach Deutschland, predige dort eine politische Nationalökonomie, wie sie mir eine 20jährige Erfahrung als allein praktisch gelehrt hat und ärgere mich mit den deutschen Gelehrten." Der Tod eines geliebten Sohnes, der in Algier als Offizier einem hitzigen Fieber erlag, beschleunigte denEntschluss zur Rückkehr nach Deutschland. Auf dem Wege nach Leipzig erfuhr List, dass die thüringischen Fürstenthümer in lebhafter Besorgniss waren wegen der künftigen Richtung der Bahn, welche Halle und Leipzig mit Cassel und mittelbar mit Frankfurt verbinden sollte; es war der Plan aufgetaucht für die Linie die alte Handelsstrasse, die durch die thüringischen Fürstenthümer führte, zu verlassen, und den geraden Weg von Halle nach Cassel zu wählen. List entschloss sich sogleich dieser verkehrten, für die kleinen thüringischen Staaten verderblichen Richtung entgegen zu treten und liess eine Reihe von klar und lichtvoll geschriebenen Aufsätzen erscheinen, die er mit den Namen eines der ehrwürdigsten Vorkämpfer deutscher Nationalinteresten, Justus
— 42 — M ö s e r unterzeichnete. Er bewies damit wie viel für den Personen- und Waaren-Yerkehr davon abhänge, dass die bevölkertsten Orte berührt werden, wie wichtig diess ferner in strategischer Hinsicht sei. Er beschränkte sich aber nicht darauf, durch die Presse auf die öifentliche Meinung zu wirken, sondern er unternahm persönlich das schwierige Geschäft, an den verschiedenen thüringischen Höfen auf ein gemeinsames Handeln in der Sache hinzuwirken. Er conferirte persönlich mit den Herzogen von Coburg, Gotha, Weimar, Meiningen. In den einzelnen Städten dieser H e r z o g t ü m e r wurde ihm allenthalben ein ausgezeichneter und dankbarer Empfang zu T h e i l ; in Gotha sagte der Herzog selbst zu der Deputation, die ihm für seinen Eifer in der Eisenbahnsache dankte, die ihm zur höchsten Ehre gereichenden W o r t e : „meine Herren, wenn wir alle in dieser Sache klar sehen, so haben wir es e i n e m Manne zu verdanken; dieser ist der Herr Cónsul L i s t , d e r f r ü h e r f ü r s e i n patriotisches Wirken mit Undank belohnt w o r d e n i s t , und, dadurch gleichwohl nicht abgeschreckt, zu uns kam, und uns seine Zeit und Kräfte widmete, um uns über unsere Interessen aufzuklären." In J e n a wurde ihm von Seite der Universität so anerkennend und auszeichnend begegnet wie noch nirgends, weder im gelehrten noch im praktischen Deutschland. Im November 1840 ertheilte die juristische Fakultät daselbst List „wegen seiner Verdienste um die Sache des deutschen Handels-
— 43 — Vereins und des deutschen Eisenbahnsystems" das Ehrendiplom der juristischen Doktorwürde. List wählte nun, veranlasst durch seine engen Beziehungen zur Augsburger Allg. Zeitung und seine Freundschaft zu deren Redacteur Dr. K o l b , die Stadt, in der wir heute tagen, zum bleibenden Aufenthalt mit seiner Familie. Hochgeehrt vom ganzen Lande und insbesondere hochgeschätzt von Bayerns geistvollem und national gesinntem König, war es hier, wo er zur Förderung der gesammten deutschen Interessen gegen alles diese Gefährdende oder ihnen sich Entgegenstemmende den Kampf mit einer nie ermattenden Energie, mit Leidenschaft und unbeugsamer Beharrlichkeit aufs neue auf seine Schultern nahm. Von hier aus war es, dass er den Gedanken eines deutschen Eisenbahntransportsystems, den er vor einigen Jahren zuerst angeregt, von neuem aufgriff, um das Unzureichende aller bis dahin begonnenen .Unternehmungen darzuthun. Von hier aus durchkreuzte er die Absichten der Engländer, Deutschland durch den Handelsvertrag vom 2. März 1842 zu übervortheilen. Von hier aus war es, dass er den Dr. B o w r i n g , der ausgesandt war, Deutschland in die Irre zu führen, „mit Bomben ankündigte, mit Bomben empfing, und mit Bomben wieder nach seiner Insel zurücksandte." Hier endlich vollendete er den 1. Theil seines erhabenen unsterblichen Werkes: „Das n a t i o n a l e System der p o l i t i s c h e n O e k o n o m i e " durch welches e r : Der Wahrheit gegen Trug, der Klarheit der Ideen gegen Sophismen,
— 44 — der Vernunft gegen Unsinn, der Wirklichkeit gegen Schwärmerei, den gesunden nationalen Bestrebungen gegen seichten Kosmopolitismus zum Siege, die nationale Arbeit zu ihrem Recht, und Deutschlaad zur Erkennung seiner wahren Interessen führte. Währenddem dieses Buch, nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt mit Bewunderung erfüllte, rief es auf der andern Seite, bei der grossen Zahl von Anhängern der Smith'schen Lehren, welche denselben nicht weniger unantastbare Wahrheit zuerkannten, als der Mathematiker seinen Lehrsätzen, einen wahren Sturm des Unwillens hervor. Wie unbequem war für ihre Dogmen, zu erfahren, dass sie übersehen hatten, zwischen das Individuum und die gesammte Menschheit die Nation mit ihren Bedürfnissen, Bestrebungen und Ansprüchen einzuschalten. Wie unsanft wurden sie aus ihren elegischen Träumen über den Freihandel und den friedlichen Wettkampf der Nationen aufgeweckt durch das Buch der Lehren der Geschichte, die ihnen zeigten, wie diese friedlichen Kämpfe mehr Entsittlichung und Unheil anstiften, und schwerere Wunden schlagen, als der wirkliche Krieg. Wie verblüfft mussten sie sein, als er ihnen durch die Geschichte nachwies, wie ungleich der Entwicklungsgang und der Bildungsprozess der Nationen sei, wie durch ungestörtere Entwicklung eine Nation vorangekommen, durch Krieg und andere Hemmnisse die andere Nation zurückgeblieben sei, die eine mit furchtbaren Waffen für diesen friedlichen Westkampf
— 45 — ausgerüstet sei, die andere sie aber ganz oder theilweise entbehre. Wie unerwartet und anstössig war ihnen die Lehre, dass die Interessen der Gesammtnation weit über denen der Individuen stehen, wie aber die Wahrung dieser Gesammtinteressen wiederum vortheilhafter auf diejenigen der Individuen zurückwirkt. Wie ärmlich, kleinlich, engherzig musste der Lehrsatz, zu kaufen, wo der Markt am billigsten sei, demjenigen der Erweckung, der Erwerbung und des Herbeiziehens dauernderProduktiv-Kräfte gegenüber erscheinen, wie erhaben und überlegen stund der Smith'schen Theorie der Tauschwerte die L i s t ' s c h e der produktiven Kräfte gegenüber. Wie kontrastirte mit dem sinnlosen Lehrsatz des Gehenund Geschehen-lassens, derjenige des Nationalen Systems lautend: „ D e r S c h u t z z o l l f ü r e i n e n b e s c h ü t z t e n I n d u s t r i e z w e i g d a r f n i e so w e i t fallen, dass diese Industrie durch fremde C o n c u r r e n z g e f ä h r d e t w e r d e n k a n n , " und der vandalische Lehrsatz der Freihändler: Was ohne Schutz nicht bestehen kann soll untergehen, mit dem L i s t ' s e h e n lautend: „ E r h a l t u n g des B e s t e h e n d e n , B e s c h ü t z u n g der W u r z e l n und des S t a m m e s der N a t i o n a l i n d u s t r i e m u s s u n v e r b r ü c h l i c h e r Grundsatz sein." Wie richtig urtheilte L i s t , als er sich von einem nationalen Transportsystem ganz andere Wirkungen versprach als vom Freihandel, und wie hat sich seine Voraussicht bewahrheitet, nachdem seither nachgewiesen wurde, dass die Vermehrung des Exports und Importes der verschiedenen
— 40 — Staaten nicht auf dem Freihandel, sondern auf der Vermehrung der Transportmittel beruht. Im Sommer 1841 finden wir L i s t in Stuttg a r t , nachdem er, in Folge eines Beinbruches in Cannstatt, daselbst und im Wildbad einen gezwungenen Aufenthalt von mehreren Wochen hatte nehmen müssen. Die ganze Stadt war in freudigst, erregter Stimmung ihren berühmten Landsmann wieder in ihrer Mitte zu haben. Dort wurde er vom Könige, der ihm für die Zusendung seines nationalen Systems hatte danken lassen, und der ihm nunmehr sehr freundlich gesinnt war, wiederholt in Audienz empfangen. Er hatte stundenlange Unterredungen mit ihm, bei denen namentlich das Finanzwesen Württembergs und die Eisenbahnsysteme auf's Eingehendste besprochen wurden. Auch gab der König L i s t häufig die Versicherung: „Mein lieber List, ich trage Ihnen nichts nach, es ist nur schade, dass wir uns nicht schon vor 25 Jahren so wie jetzt kennen gelernt haben." Dieses Bedauern des Königs, das ihm zum höchsten Buhm gereicht, möchten auch wir theilen, überzeugt, dass dann weder Verfolgung noch Verbannung stattgefunden hätten. Aber, müssen wir uns fragen, hätte L i s t alsdann diese reichen Erfahrungen gesammelt, die Deutschland zu so unberechbarem Nutzen geworden sind ? Es gibt prädestinirte Menschen, deren Verhängniss sich zum Heil der Nationen und der Menschheit erfüllen inuss. Zu den
— 47 — grössten unter diesen gehört D e u t s c h l a n d s F r i e d r . List. — Bei seiner Anwesenheit in Stuttgart besprach L i s t mit C o t t a den Plan ein handelspolitisches Journal im Sinne des Schutzzoll zu gründen, der bei diesem die bereitwilligste Aufnahme f a n d , er hoffte durch ein eigenes Blatt die Politik des Zollschutzes am wirksamsten vertreten zu können. So erschien mit dem neuen J a h r 1843 sein „Zollvereinsblatt", ein Blatt, das in der publizistischen Literatur Deutschlands nicht seines Gleichen hat. L i s t schrieb lebhaft, leicht, in lebensvollem Tone heiterer und geistreicher Conversation, ganz populär und doch wieder voll Schwung, wo er auf die grossen Ziele hinwies, auch verstand es L i s t ganz vortrefflich, einen und denselben Gegenstand in hundert Variationen abzuspinnen und das nämliche grosse Zeitthema nach allen Seiten so oft und so mannigfaltig durchzusprechen, dass die Ideen, deren Verbreitung ihm am Herzen lag, schon durch die Unermüdlichkeit der Verhandlung Propaganda machen mussten. Zunächst arbeitete das Blatt folgerichtiger Weise auf den Beitritt Hannovers, Oldenburgs und der Hansestädte zum deutschen Zollverein, und auf die daraus folgenden Bundeseinrichtungen nach Innen und nach Aussen hin, insbesondere Flotte, Konsulate, regelmässige Packet- und Dampfboote, Oberaufsicht und Leitung der Flussschifffahrt und der Eisenbahnen, Kanalsystem, Postreforin, gleiches Maass und Gewicht, gleiche Handels- und Patentgesetzgebung,
— 48 — Organisation der Auswanderung, nationale Kunstund GeWerbeausstellungen, Handelsrath und statistisches Bureau des Bundes. Am Zollverein aber tadelte L i s t fortwährend, dass seine Beschlüsse nicht aus einem parlamentarischen Körper hervorgehen. Welch ein Programm einer Zukunft, welche das alles in Erfüllung brachte, und die wir heute bereits hinter uns haben, sehen wir hier entrollt, und welch grosse staatsmännische Auffassung haben wir nicht auch hier wieder an L i s t zu bewundern!! — Die grossartige Wirksamkeit L i s t ' s seit mehr als 25 Jahren und die reichen Resultate, die daraus freilich nicht für ihn, aber für sein Vaterland hervorgegangen waren, konnten nicht verfehlen ihn auf einen weithin sichtbaren Standpunkt zu heben. Wenn er auch vieles zu erdulden hatte, so waren auf der andern Seite die Achtung und der R u h m , den er sich erworben, noch viel grösser. Ohne alle offizielle Stellung, ohne auch nur einer Volksvertretung anzugehören, ganz auf sich selbst angewiesen, war er dennoch durch den Einfluss den er auf viele Persönlichkeiten in hoher Stellung, auf Volksvertreter, Vereine, Ständeversammlungen ausübte, eine Macht und in EisenbahnAngelegenheiten eine Autorität geworden, die von allen Seiten um Rath gefragt wurde. Er war der Vorkämpfer für die Wahrung der materiellen Interessen Deutschlands und als solcher der Mittelpunkt einer mächtig angewachsenen Parthei.
— 49 — Aber ungeachtet alles dessen, ungeachtet seiner verdienstvollen Thätigkeit, hatte er an materiellen Gütern nichts erworben, wohl aber sein Vermögen aufgeopfert; er musste von seiner schriftellerischen Arbeit leben, er konnte den Seinigen, an denen er mit inniger Liebe hing, kein festes Asyl in der ungewissen Zukunft bieten. Folgende rührende Schilderung seiner traurigen ökonomischen Lagen ist in der Empfangsanzeige eines von rheinischen Eisenindustriellen ihm zugestellten Ehrengeschenks vonTh. 1000 enthalten, worin L i s t sich entschuldigt, wenn er dasselbe zu Befriedigung seiner Privatbedürfnisse verwende, sie lautet: „Als ich im Jahre 1818 an die Spitze des damaligen Handelsvereins t r a t , aus welchem nachmals der Zollverein wuchs, war ich ein Mann von schönem Vermögen, war ich ausserdem im Besitze eines Staatsamtes, das mir nicht nur ein reichliches Einkommen, sondern auch eine bedeutende Carriere im Staatsdienst sicherte. Mein Bestreben für die deutsche Industrie aber hatte nicht nur den Verlust eines grossen Theils meines Vermögens, sondern auch den meines Amtes und meiner Carriere, ja zuletzt den meines Vaterlandes zur Folge." „Als ich im Jahre 1831 aus Amerika zurückkam, hatte ich mir wieder ein unabhängiges Vermögen erworben. Durch mein Bestreben, den Eisenbahnbau und eine nationale Handelspolitik empor zu bringen, glaubte ich mich um mein Vaterland verdient zu machen, und mich wenigstens bei 4
— 50 — meinem Vermögen erhalten zu können. Mein Lohn aber war Verfolgung und der Verlust eines grossen Theiles meines Vermögens." „Jetzt den Sechzigen nahe, von körperlichen Uebeln heimgesucht, sehe ich nur mit Besorgniss iu die Zukunft, ja ich traue mir nicht einmal uiehr die Kraft zu, zum zweiten Mal nach Amerika auszuwandern , wohin mich meine dortigen Freunde rufen, und wo ich leicht in einigen Jahren mich wieder erholen könnte." Namentlich im Hinblick auf die Sorge um die Seinigen schmerzte es List tief, dass ihm weder in Württemberg noch in Bayern gelang, eine feste amtliche Stellung zu erhalten. L i s t war aber eine Persönlichkeit, die nur entweder als erster Minister an der Spitze eines Staates, oder nur in ganz unabhängiger Stellung diejenige Wirksamkeit entfalten konnte, die ihm so sehr zur zweiten Natur und Deutschland zu grossem Segen geworden war. Vielfachen Ansuchen angesehener Ungarn aufolge hatte List 1844 seine berühmte Reise nach diesem Lande unternommen, wo ihm die grössten Ehrenbezeugungen zu Theil wurden. Nachdem er sodann in Wien seinen Entwurf zur nationalökonomischen Reform dieses Landes, ein Meisterstück politischer Umsicht und Voraussicht, ausgearbeitet hatte, kehrte er nach Augsburg zurück, wo ihm neuerdings neben vielfachen Beweisen der Anerkennung, neue bittere Anfeindungen zu Theil wurden, unter denen ein besonders niederträchtiger Angriff, über
— 51 — den or in gesunden Tagen gelacht haben würde, ihn in eine ungewöhnliche Aufregung verbunden i.nit schlaflosen Nächten versetzte. Dennoch verlies« ihn niemals sein klarer weitaus schauender politischer Blick. Dieser führte ihn damals dazu, eine Allianz zwischen Deutschland und England gegründet auf die freie und ungestörte Entwicklung beider Nationen, anzustreben. Bestärkt durch den preussischen Gesandten in London, entwickelte nun List diesen Gedanken in seiner berühmten Denkschrift betitelt: „Ueber den Werth und die Bedingungen einer Allianz zwischen Grossbritannien und Deutschland." Diese Denkschrift, welche die Summe seiner politischen Einsichten und Voraussichten enthält, war sein letztes Werk. Die Mission aber, die er sich darauf gestützt gegeben, sie misslang. Mit gebrochenem Herzen, körperlich und geistig verändert, kam er von London zurück. Seine Unternehmungen schienen ihm verfehlt, an dem Emporkommen seines Zollvereinsblattes verzweifelte er, er war gebrochen und seine alte Energie dahin. Seine Nerven waren völlig zerrüttet und die furchtbaren Kopfleiden verliessen ihn nicht mehr. Seine Heftigkeit und Ungeduld, sein Witz und seine frohe Laune waren dahin, und an deren Stelle eine melancholische Sanftmuth getreten. Er war stets ein zärtlicher Gatte und Vater gewesen, hatte immer, wie seine älteste Tochter Emilie einmal sagte, eine heitere Stimmung in den Familienkreis gebracht und war der liebevollste Vater, den es geben konnte. Jetzt war er gelassen und theil-
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nahmlos. Die Folgen körperlicher Zerrüttung, geistiger Ueberspannung und die nagende Erinnerung an eine trübe Kette von unverdienten Leiden, wirkten mächtig zusammen und überwältigten die sonst ungewöhnliche Kraft des vielgeprüften Mannes. Dennoch blieb er bis in diese schwerere Zeit thätig. Die Gründung eines bayerischen Industrie- und Handelsvereins war es namentlich, was ihn beschäftigte. Seine Laufbahn war jedoch dem Ende nahe. Er hatte zu seiner Erholung eine Reise nach Meran angetreten, er kam nur bis Kufstein. Am 30. Nov. in der Frühe verliess er seine Herberge, er kehrte nicht wieder. Abends wurde seine Leiche unter einer Decke frisch gefallenen Schnee's aufgefunden. Iin Schneesturm schritt er dahin auf diesem seinem letzten Gang: der Begründer des Zollvereins, der Schöpfer der ersten deutschen Eisenbahn, der intellektuelle Urheber des deutschen Eisenbahnnetzes, der Mann, der das erste Fundament gelegt zu Deutschlands Wohlstand, Einheit, Macht und Grösse, der edelmüthige hochherzige Patriot, der Wohlthäter seines Vaterlandes, dessen ceterim censeo war, dass Deutschlands Regierungen und Völker immer mehr zur Einsicht kommen müssen: Nationaleyiheit sei der Fels, auf welchem das Gebäude ihres Wohlstandes, ihrer Macht, ihrer gegenwärtigen Sicherheit und Existenz und ihrer künftigen Grösse zu gründen sei. Da schritt er hin im Schneesturm Deutschlands grosser Nationalökonom, der, wie ihmKossuth zurief, die Nationen
— 53 — am besten über ihre Interessen aufgeklärt hat, der Verfasser des nationalen Systems der politischen Ö k o n o m i e , der Deutschlands industrielle Riesenkräfte mächtig weckte, der unermüdliche Mahner im Zollvereinsblatt, der Deutschland vor Uebervortheilung zu bewahren wusste. Da schritt er hin der klaren Blicks weit ausschauend warnende Politiker, dessen Voraussagungen, gestützt auf sein einsichtsvolles Urtheil, stets so überraschend eingetroffen sind, der grosse Geschichtskundige, der wie keiner vor ihm durch die Beispiele der Vergangenheit vor den Fehlern der Zukunft zu warnen wusste. Da schritt er hin, der Patriot, der, als endlich das Glück ihm seine Gunst in der Verbannung zugewendet hatte, Reichthum und ehrenvolle Stellung dahin gab, um zu seinem undankbaren Vaterlande zurückzukehren, das ihn Verstössen und misshandelt h a t t e , um es reich und mächtig zu machen, denn „im Hintergrunde all seiner Pläne lag Deutschland." Da schritt er hin, das Herz belastet mit dem furchtbaren Schmerzgefühl erlittenen Undanks, gemartert von dem Gedanken, seine gigantische Arbeitskraft verbraucht zu fühlen, ein dem Vaterland geweihtes Lehen voll Mühe und Arbeit dahin gegeben zu h a b e n , um inmitten all des Reichthums, den er geschaffen, der Aermste zu sein. Da brachte er das letzte Opfer, das schwerste. Er glaubte es seinen Lieben schuldig zu sein. Er ging in den Tod, um nicht das Wenige, was der
geliebten Gnttiu und den Kindern noch übrig blieb, al-s siecher Mann aufzehren zu müssen. Wenn wir uns diesen furchtbaren Gang F r i e d . L i s t s so recht vergegenwärtigen, wenn wir uns vergegenwärtigen, welch qualvolle Leiden er in dieser Todesstunde erduldete, so müssen auch wir uns vom tiefsten Schmerz ergriffen fühlen, dass ein solches Opfer vollbracht werden musstc. Aber dieser tiefe Schmerz, der uns bewegt, er ist nothwendig, damit wir uns so recht nach innen kehren, um gewahr zu werden, was heute unsere Pflichten sind gegen den für Deutschlands Wohl Dahingegangenen, und welche Pflichten wir zugleich auszuüben haben gegen das Vaterland, das er so glühend lieiss geliebt hat. Und heute besonders, wo all das erreicht ist, was er anstrebte und wozu er den Grund legte, wo Deutschland die reiche Eriulte einführt, von dem, was er gesäet, ist es so rccht an der Zeit, wo Deutschland sich mit diesen Pflichten zu beschäftigen hat. So ist es nicht nur unsere Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass dem Andenken F r i e d r . L i s t ' s diejenigen äusseren Ehren erwiesen werden, die der Mit- und Nachwelt sein Andenken wach erhalten, unsere Aufgabe ist nebstdem, dafür besorgt zu sein, dass seine Lehren fortan zum Gemeingut der Nation werden und in allen Schichten derselben feste Wurzel fassen zur Fortentwicklung der grossen Errungenschaften, zu denen er den Grund legte. Wir haben dafür zu sorgen, dass sein Wahlspruch zur Wahrheit werde:
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„ S o l l e n in D e u t s c h l a n d d i e N a t i o n a l , i n t e r e s s e n d u r c h die T h e o r i e der p o l i t i s c h e n Qekonomie g e f ö r d e r t werden, ,so m u s s s i e a u s den S t u d i e r s t u b e n d e r G e l e h r t e n , von den K a t h e d e r n der P r o f e s s o r e n , a u s den K a b i u e t e n der h o h e n i S t a a t s b e a m t e n in die C o u i p t o i r e der F a b r i k a n t e n , der G r o s s h ä n d l e r , d e r S c h i f f s r h e d e r , d e r K a p i t a l i s t e n und B a n k i e r s , in d i e B u r e a u s aller ö f f e n t l i c h e n Beamt e n u n d S a c h w a l t e r , i n die W o h n u n g e n , d e r G u t s b e s i t z e r , v o r z ü g l i c h a b e r in die K a m m e r n der L a n d s t ä n d e h e r a b s t e i g e n , m i t e i n e m W o r t , s i e m u s s zum G e m e i n g u t a l l e r G e b i l d e t e n in der N a t i o n werden."
Druck vou J . f . Iliinmei tu Augsburg
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