Friedrich Franz von Mayer: Begründer der »juristischen Methode« im deutschen Verwaltungsrecht [1 ed.] 9783428474899, 9783428074891

Das Verwaltungsrecht stellt das jüngste Kind der Rechtswissenschaft dar. Bis es die Stellung einer selbständigen Rechts-

162 53 27MB

German Pages 267 Year 1992

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Friedrich Franz von Mayer: Begründer der »juristischen Methode« im deutschen Verwaltungsrecht [1 ed.]
 9783428474899, 9783428074891

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Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht

Band 13

Friedrich Franz von Mayer Begründer der „juristischen Methode“ im deutschen Verwaltungsrecht Von

Prof. Dr. Toshiyuki Ishikawa

Duncker & Humblot · Berlin

TOSHIYUKI ISHIKA W A

Friedrich Franz von Mayer

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit Martin HeckeI, Ferdinand Kirchhof Hans von Mangoldt, Thomas Oppermann Günter Püttner sämtlich in Tübingen

Band 13

Friedrich Franz von Mayer Begründer der ,Juristischen Methode" im deutschen Verwaltungsrecht

Von Prof. Dr. Toshiyuki Ishikawa

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ishikawa, Toshiyuki: Friedrich Franz von Meyer : Begründer der "juristischen Methode" im deutschen Verwaltungsrecht / von Toshiyuki Ishikawa. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht ; Bd. 13) Zug!.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07489-0 NE:GT

D30 Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: W. März, Tübingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-07489-0

Meinen lieben Eltern, insbesondere meinem verstorbenen Vater

Geleitwort Die hiennit vorgelegte Arbeit über Friedrich Franz von Mayer (l8161870) ist das Ergebnis enger wissenschaftlicher Kontakte zwischen deutschen und japanischen Universitäten. Professor Toshiyuki Ishikawa (Chuo-Universität, Tokyo) war 1979-1981 zunächst als Stipendiat des DAAD in Tübingen, dann 1987/88 als Stipendiat der Humboldt-Stiftung in Tübingen und Frankfurt am Main. Seine Interessen galten der Verfassungsgeschichte und der Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts. Dabei stieß Professor Ishikawa in dem ohnehin dichten Feld württembergischer Verwaltungsrechtler des 19. Jahrhunderts auf ,,P.P. Mayer". Dieser wurde in der Literatur gelegentlich als "Vorläufer" von Ouo Mayer zitiert, aber weder seine Biographie noch seine Werke waren wirklich bekannt; schon die genaue Feststellung seiner Vornamen bereitete Schwierigkeiten. Dies ist umso erstaunlicher, als Friedrich Franz von Mayer als erster den Versuch gemacht hat, aus württembergischem, bayerischem und preußischem Material ein "gemeindeutsches Verwaltungsrecht" zu entwickeln. Mit ihm beginnt die wissenschaftliche Diskussion um Inhalte und Ausgestaltung eines "Allgemeinen Teils des Verwaltungsrechts". Als liberaler und rechtsstaatlich gesinnter Praktiker erkannte Mayer die Bedeutung der Rechtsfonn, des Verwaltungsverfahrens und der Verwaltungskontrolle. Zu diesen Ursprüngen zurückzufinden ist nicht nur für die Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, sondern auch für die Verwaltungsrechtswissenschaft in Japan von großer Bedeutung, wenn sie über die Erforschung der Rezeption europäischen Rechts Klarheit über ihre eigenen Anfange gewinnen will. Indem nun die Arbeit in den Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht erscheint, kommt eine langjährige erfreuliche Zusammenarbeit mit Professor Ishikawa zum Abschluß, an die wir uns beide mit Vergnügen erinnern und die auch die Grundlage künftiger enger Verbindung sein wird. Ouo Bachof

Michael Stolleis

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1991 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im November 1990 abgeschlossen. Mein aufrichtiger Dank gilt zunächst meinem Betreuer und zugleich meinem verehrten deutschen Kollegen, Herrn Prof. Dr. Michael Stolleis. Er hat mir stets mit gutem Rat beigestanden und mich in meinem Vorhaben ermuntert. Sodann bin ich Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Otto Bachof zu großem Dank verpflichtet Seit meiner Zeit als Stipendiat in Tübingen (1979/81) hat er mir jede mögliche Unterstützung gewährt. Als Zweitgutachter hat er mir mit seiner konstruktiven Kritik sehr geholfen. Herrn Prof. Dr. h.c. Peter Rößler möchte ich meinen tiefen Dank aussprechen für die Überlassung des Manuskripts "Notizen aus meinem Lebensgang" sowie für das Porträt seines Urgroßvaters Friedrich Franz von Mayer. Nicht zuletzt danke ich Frau Rechtsassessorin Anna Maria Bareeis (Frankfurt) für ihre Kritik und ihre Hilfe bei der Durchsicht des Manuskripts meiner Arbeit. Darüber hinaus möchte ich Herrn Prof. Dr. Wolfgang Graf Vitzthum meine Dankbarkeit für die Aufnahme dieser Frankfurter Arbeit in die "Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht" aussprechen, über die ich mich aus folgenden drei Gründen besonders freue. Zum einen war die Eberhardina nicht nur die alma mater von F.F. Mayer, sondern auch die des Verfassers. Zum anderen besteht seit 1988 eine gute Partnerschaft zwischen der Eberhardina und der Chuo-Universität in Tokio, an der ich tätig bin. Schließlich gebührt mein Dank dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und der Alexander von Humboldt-Stiftung für ihre großzügige Unterstützung und Förderung. Frankfurt am Main, im November 1991

Toshiyuki Ishikawa

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

§ 1 Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

§ 2 Bisheriger Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

22

§ 3 Methode und Plan der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . "

27

Kapitell: F.F. Mayer und seine Zelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

31

§ 4 ,,Notizen aus meinem Lebensgang"

........................

31

1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

2. Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

3. Das Königreich Württemberg und der Verfassungskampf . . . . . . . ..

35

a) F.F. Mayer als Geschichtsschreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

35

b) Der Verfassungskampf 1815 -1819 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

36

c) Besonderheiten der württembergischen Verfassungsurkunde von 1819 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

38

§ 5 Vom Schreiberinzipienten zum Regiminalstudium

...............

43

1. Das Schreiberwesen in Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . ...... .

43

2. Die staats wirtschaftliche Fakultät an der Universität Tübingen ..... .

47

3. Der ..Staatswirt" im Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

§ 6 F.F. Mayers Entwicklung zum Verwaltungsrechtswissenschaftler ..... .

58

1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

2. F.F. Mayers Tätigkeit als Oberamtmann im Jahre 1848 . . . . . . . . . .

63

3. Von Neckarsulm nach Göppingen

66

§ 7 Bis zu seinem Tode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

12

Inhaltsverzeichnis

1. Die Erhebung in den Personaladel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

2. Eine "ausgebrannte Phantasie"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

73

Kapitel 2: F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts ............. .

75

§ 8 Ausgangspunkt der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

1. F.F. Mayer im Spiegel der Literatur

75

a) Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

76

b) Subjektives öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

76

c) Begriff des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

d) Besondere Form des Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . .

77

e) Ermessensausübung der Verwaltung und ihre Grenzen. . . . . . . ..

78

f) Begriff der Anstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

80

g) Lehre vom sog. beliehenen Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

2. Mängel der "F.F. Mayer-Forschung"

82

§ 9 Staat und Staatszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

83

1. Der Staat als Organismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

84

2. Der Staat als Rechtssubjekt

...........................

87

3. Der Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

88

4. Staatszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

90

5. Zusammenfassung

92

.................................

§ 10 Das Rechtsverständnis F.F. Mayers

........................

92

1. Die ,.Rechtskreise" der Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

93

2. Privates und öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

94

3. Subjektives öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

97

4. Einfaches Interesse, rechtliches Interesse und subjektives Recht des Einzelnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 101 5. Zusammenfassung § 11 Verwaltung und Justiz

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 103

1. F.F. Mayers Verständnis der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 103

2. Der Begriff der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Inhaltsverzeichnis

13

3. F.F. Mayers Begriff der "Rechtsprechung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4. Das Unterscheidungsmerkmal von Justiz und Verwaltung . . . . . . . . . 110 5. Zusammenfassung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

§ 12 Die Verselbständigung des Verwaltungsrechts als Wissenschaft . . . . . .. 112 1. Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 112

2. K.H.L. Hoffmanns Forderung aus dem Jahre 1844 . . . . . . . . . . . . . 113 3. F.F. Mayers Methode des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4. Zusammenfassung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

§ 13 F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Der Aufbau seines Systems

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

2. Handlungsformen der Verwaltung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

a) Die rechtliche Einteilung von Verwaltungshandlungen . . . . . . . .. 125 b) Der "Verwaltungsact" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Die Kontrolle der Verwaltungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . 130 d) Das Verwaltungsermessen und seine Grenzen . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Das System des materiellen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . 133 a) Die Einteilung der öffentlichen Rechtsbeziehungen . . . . . . . . . .. 133 b) Das Staatsverwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 135 aa) Die Grundlage des Rechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . .. 136 bb) Die unmittelbaren Beziehungen der Einzelnen zum Staat (das ,.Mitwirkungsrecht") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Das Verwaltungsrecht der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 141 dd) Das Recht der "Staatspflege" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 148 c) Das Gemeindeverwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 aa) Der Begriff der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Das Verhältnis der Gemeinde zum Staat

. . . . . . . . . . . . . . 157

cc) Das Verhältnis der Gemeinde zu anderen öffentlichen Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 dd) Das Verhältnis der Gemeinde zu den Einzelnen . . . . . . . . . . 158 d) Das Recht der "Staatshaftung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 160 aa) Die Expropriation und die Entschädigung . . . . . . . . . . . . .. 160 bb) Ein umfassendes Rechtsinstitut der "Staatshaftung"? . . . . . . . 162

14

Inhaltsverzeichnis 4. Das System des formellen Verwaltungsrechts

164

a) F.F. Mayers Vorstellung zur Einrichtung der Verwaltungsrechtsprechung , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

b) Streitige und reine Verwaltungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 165

c) Das Ziel der streitigen Verwaltungssachen . . . . . . . . . . . . . . . . 166 d) Gnmdsätze des Verfahrens der Verwaltungsstreitsachen . . . . . . .. 167 aa) Subjekt des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Quellen der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 168 cc) Arten der Verwaltungsstreitsachen

169

dd) Verfahrensgrundsätze der Verwaltungstreitsachen . . . . . . . . . 170 ee) Entscheidungen und Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 e) Zusammenfassender Überblick über das formelle Verwaltungsrecht F.F. Mayers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

Kapitel 3: Schlußbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 § 14 Das wissenschaftliche Verdienst F.F. Mayers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Die Systembildung und ihre Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

a) Ziele der Systembildung b) Die Methode F.F. Mayers

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

c) Ein allgemeiner Teil des Verwaltungsrechts? . . . . . . . . . . . . . .. 180 2. Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Die Bestimmung des Verwaltungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Die Verwaltung als Gesetzesvollzieherin und als Wächterin der öffentlichen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 184 c) Arten der öffentlichen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 aa) Die Dreiteilung des Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . 185 bb) Anerkennung einer leistenden Verwaltung? . . . . . . . . . . . .. 185 cc) Die Einordnung des Verwaltungshandelns nach seinen Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 dd) Der Begriff des "Verwaltungsactes" . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 d) Das Verwaltungsrecht als ein System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3. Das Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Die Herrschaft des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

15

Inhaltsverzeichnis b) Die Anerkenmmg eines subjektiven öffentlichen Rechts

192

c) Das Fehlen des sog. besonderen Gewaltverhältnisses . . . . . . . . .. 195 d) Der "verfahrensmäßige" Gedanke bei F.F. Mayer . . . . . . . . . . . . 196 e) Die Durchsetzung des Rechtsstaatsprinzips in den Verwaltungsstreitsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4. Die Bedingungen rur die Entwicklung der Verwaltungsrechtswissenschaft F.F. Mayers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Die persönliche Lage

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

b) Der Einfluß des süddeutschen Konstitutionalismus . . . . . . . . . . . 203 c) Die hochentwickelte Administrativjustiz in Württemberg d) Zusammenfassung

. . . . . . . 204

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

§ 15 Grenzen der Verwaltungsrechtswissenschaft F.F. Mayers . . . . . . . . . . . 208

1. Die methodische Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Einzelne Rechtsinstitute

210

a) Die Bestimmung des Verwaltungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 b) Das Recht der Polizeiverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Das Verwaltungsrecht der Staatspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 d) Die Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 e) Das Gemeindeverwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

o Die Grundsätze der Verwaltungsrechtsprechung

. . . . . . . . . . . . . 212

g) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Schlußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

Anhang I: Die rezipierte juristische Methode des Verwaltungsrechts in Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Anhang 11: "Notizen aus meinem Lebensgang" von F.F. Mayer

227

Quellen- und SchrIfttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

Abkürzungsverzeichnis a.a.O.

am angeführten Ort

Abt.

Abteilung

ADB

Allgemeine Deutsche Biographie

Allg. VerwR.

Allgemeines Verwaltungsrecht

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Aufl.

Auflage

Bd .• Bde.

Band, Bände

bzw.

beziehungsweise

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

Diss.

Dissertation

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DVBl

Deutsches Verwaltungsblau

DVG

Deutsche Verwaltungsgeschichte

ebd.

ebenda

f .• ff.

folgend. folgende

FN

Fußnote

geb.

geboren

HRG

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte

Hrsg .. hrsg.

Herausgeber. herausgegeben

HStAS

Hauptstaatsarchiv Stuttgart

i.e.

id est (= d.h.)

insb.

insbesondere

Jh.

Jahrhundert

NF

Neue Folge

Nr.

Nummer

Rdnr.

Randnummer

Reg.-Bl.

Regierungsblatt

S.

Seite

AbkürzlUlgsverzeichnis sog.

sogenannte

Sp.

Spalte

SS

Sommersemester

StA

Stadtarchiv

u.

und

u.a.

und andere, lUlter anderem, und anderswo

UA

Universitätsarchiv

v.

von

VerfGesch.

Verfassungsgeschichte

VerwArch

Verwaltungsarchiv

VerwR.

Verwaltungsrecht

vgl.

vergleiche

VU

VerfassungsurklUlde

VVDStRL

VeröffentlichlUlgen der VereiniglUlg der Deutschen Staatsrechtslehrer

WS

Wintersemester

z.B.

zum Beispiel

ZgStW

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

ZWLG

Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte

2 Ishikawa

17

Einleitung "F.F. Mayer muß daher als der Begründer der juristischen Methode verwaltungswissenschaftlicher Darstellung angesprochen werden." (Bodo Dennewitz, Die Systeme des Verwaltungsrechts, S. 68)

§ 1 Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung 1. Das Verwaltungsrecht stellt das jüngste Kind der Rechtswissenschaft dar. Bis es die Stellung einer selbständigen Rechts- und Lehrdisziplin erlangte, bedurfte es eines langen Entwicklungsprozessesi. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem württembergischen Beamten, der in der Zeit zwischen dem Frühkonstitutionalismus und der Reichsgründung lebte und zur Verselbständigung und Verwissenschaftlichung dieses Faches einen wesentlichen Beitrag leistete. Etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte er, über die damals übliche landesrechtliche Orientierung hinaus als erster mit einer neuen Methode: der "juristischen Methode", ein allgemeines und gemeinsam-deutsches Verwaltungsrecht zu begründen. Es handelt sich um Friedrich Franz von Mayer (1816-1870). Bodo Dennewitz (1908-1952)2 muß das Verdienst zugerechnet werden, vor allem in der Nachkriegszeit darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß F.P. Mayer bei der Entwicklung eines systematisch-wissenschaftlichen Verwaltungsrechts in Deutschland eine sehr erhebliche Rolle spielte, insbesondere im Sinne eines wichtigen Wegbereiters zu Otto Mayer (1846-1924)3. Dennewitz mußte in seiner 1948 erschienenen, epochemachenden Geschichtsschreibung zur Entstehung der Verwaltungsrechtswissenschaft jedoch eingestehen, daß über F.F. Mayer "bedauerlicherweise kaum biographische Noti-

1

Feist, Entstehung, S. 1.

2

Zu Dennewitz siehe Sr;hack, DÖV 1952, S. 180 f.

Dennewitz, Systeme, S. 66 ff. Über Ouo Mayer sind die beiden Werke Heyens und Huebers 1981/82 erschienen. 3

2'

20

Einleitung

zen bestehen"4. Zwar weist z.B. Norbert Achterberg ebenfalls auf ihn hin, doch trotz der inzwischen vergangenen vier Jahrzehnte seien F.F. Mayers "Lebensdaten unbekannt"5. Während wir bislang nur durch die Angaben auf Titelblättem6 sowie durch die Selbstdarstellung im Vorwort seines Hauptwerkes7 etwas über Mayers Werdegang erfahren konnten, ging Peter Rößler bereits früh in einem Essay über Robert von Mohl auch auf F.F. Mayer ein 8 • Aufgrund einer persönlichen Bekanntschaft mit Peter Rößler erfuhr der Verfasser, daß dieser mütterlicherseits ein Urenkel F.F. Mayers ist9 , und daß sein Urgroßvater eine bisher unbekannte Selbstbiographie ("Notizen aus meinem Lebensgang") hinterließ. Freundlicherweise stellte Herr Rößler dem Verfasser diese Selbstbiographie zur Verfügung. So wird es Gegenstand dieser Untersuchung sein, anhand dieser Aufzeichnung und anderer Quellen das bisher beinahe unbekannte Leben und Wirken F.F. Mayers demjenigen Publikum vorzustellen, das sich für die Geschichte der Verselbständigung des Verwaltungsrechts als Wissenschaft interessiert. Bereits Dennewitz erkannte die Bedeutung F.F. Mayers und bezeichnete ihn als "Begründer der juristischen Methode verwaltungswissenschaftlicher Darstellung"lO. In diesem Sinne soll es die Aufgabe der Untersuchung sein nachzuprüfen, ob und inwieweit Dennewitz' Urteil zutrifft. Wie unten in § 2 noch zu zeigen sein wird, wurde F.F. Mayer bislang entweder in der Geschichte des Öffentlichen Rechts bzw. des Verwaltungsrechts im allgemeinen oder in den Werken, die sich mit Otto Mayer beschäftigen, jedenfalls aber als Randfigur behandelt. Eine detaillierte Forschung über ihn fehlt weitgehend.

4

Dennewitz, a.a.O., S. 66/67.

5

Achterberg, Allg. VerwR., S. 76; zum bisherigen Forschungsstand unten § 2.

Wie sich aus Titelblatt des "Strafverfahrens" (1842) ergibt, war Mayer zunächst Assessor der wilrttembergischen Kreis-Regierung in Ulm. Aus dem Titelblatt des "Strafrechts" (1845) ist zu entnehmen, daß er Oberamtrnann in Neckarsulm war und aus den Titeln seiner zwei Zeitschriftenaufsätze (1849/1856), daß er dieselbe Funktion in Göppingen innehatte. Im Titel seiner "Grundzüge" (1857) wird er lediglich als "Oberamtrnann", im Titel der "Grundsätze" (1862) als "wUrtt. Oberamtrnann" bezeichnet. 6

7

Mayer, Grundsätze, Vorwort, S. III.

g Rößler, Mohl, S. 113. Über Rößler (geb. 1912) siehe T. Müller, DÖV 1977, S. 853, und W. Krause, DÖV 1982, S. 899.

9 Seine Mutter, Dora Rößler (1887 -1951), war die Tochter von Mayers ältestem Sohn Eduard (1846 -1923). Siehe auch S. 31 ff., insb. FN 91. 10

Dennewitz, Systeme, S. 68.

§ 1 Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

21

2. Das Hauptanliegen des Verfassers erschöpft sich jedoch nicht nur in einer rechtshistorischen Untersuchung: Erst vor kurzem wurde von einem "Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft" gesprochen ll , vor allem aufgrund der Erkenntnis, daß ihre Dogmatik "vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung ... in Bewegung geraten" sei 12. Bekanntlich wurde das Thema "Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung" zwischenzeitlich auf der Regensburger Staatsrechtslehrertagung (1971) referiert und diskutiert l3 . Insoweit ist es durchaus aktuell, nach der Genese unseres Faches in der Vergangenheit zu suchen und in ihr eventuell einen Schlüssel zur Problemlösung zu finden. Hierbei kommt in erster Linie jene Methode in Betracht, die zuerst von earl Friedrich von Gerber (1823 -1891) entwickelt und sodann von Paul Laband (1838-1918) endgültig und mit Erfolg auf das Staatsrecht angewandt wurde l4 • Im Verwaltungsrecht wurde diese sog. ,juristische Methode" um die Iahrhundertwende von Otto Mayer vollständig ausgebildet und seitdem allgemein anerkannt l5 . Dem deutschen Leser ist es möglicherweise nicht bekannt, daß diese Methode außer in Deutschland beispielsweise auch in Italien durch die Arbeit Vittorio Emanuele Orlandos (1860-1952) Anklang fand l6. Darüber hinaus wurde sie auch in Japan, dem Heimatland des Verfassers, durch Tatsukichi Minobe (1873 -1946) übernommen und ist dort fest verwurzelt17 . F.P. Mayer ist nach fast einhelliger Auffassung als Begründer dieser verbreiteten Methode im Verwaltungsrecht anzusehen l8 •

11

So der Titel von Meyer-Hesemanns Werk (1981).

12

Meyer-Hesemann, Methodenwandel, Vorwort, S. VII und S. 1.

Referate Baclwfs und Brohms, in: VVDStRL 30, S. 193 ff., S. 245 ff. Vor allem weist Bachof dabei auf F.F. Mayer als "Vorgänger" O. Mayers hin (sein Referat jetzt in: ders., Wege zum Rechtsstaat, S. 302). 13

14

Hueber, Otto Mayer, S. 14.

15

Hueber, a.a.O.; Heyen, Otto Mayer, passim.

16

Mazzarelli, Italien, in: Heyen (Hrsg.), Geschichte, S. 105 ff.

17

Näheres siehe unten Anhang I.

18

Näheres siehe gleich unten § 2.

22

Einleitung

§ 2 Bisheriger Forschungsstand l. Friedrich Franz Mayer, der 1866 in den württembergischen Personaladel erhoben wurde19 , ist keineswegs ein Unbekannter; vielmehr erregte er als Bahnbrecher stets Bewunderung und reges Interesse bei denjenigen, die sich mit der Geschichte der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft befaßten, während er noch bei seinen Zeitgenossen, wie Dennewitz feststellt, wenig Ansehen fand2o • Die Gründe, warum F.F. Mayer nach seinem Tode schnell in Vergessenheit geriet, faßt Dennewitz folgendermaßen zusammen: l. Wenige Jahre nach seinem Werk ("Grundsätze", 1862) erschien die "Ver-

wa1tungslehre" Lorenz von Steins (1866/68). 2. Diese Arbeit Steins hatte zur Folge, daß die sog. "staatswissenschaftliche Methode" der verwaltungsrechtlichen Darstellung aufblühte, wobei das Hauptgewicht auf die organisatorische Betrachtung der Verwaltung gelegt wurde. 3. Da F.F. Mayer sein verwaltungsrechtliches System noch vor der Zeit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit entwickelt hatte, konnte er neue Begriffe, die inzwischen von der Verwaltungsrechtsprechung eingebracht worden waren, naturgemäß nicht kennen21 . Hinzu kommt wohl der Umstand, daß er während seines kurzen Lebens - er starb im Alter von 54 Jahren - stets Praktiker blieb22• Allerdings ist hier nicht der Ort, um die Äußerungen Dennewitz' endgültig zu' beurteilen; dies muß der Schlußbetrachtung vorbehalten bleiben23 • Da nach dem Tode F.F. Mayers in der zweiten Hälfte des 19. Jh. die sog. "staatswissenschaftliche Methode" bevorzugt wurde, kam der Moment, in dem F.F. Mayer "entdeckt" wurde, erst mit dem Vollender der juristischen Methode im Verwaltungsrecht, mit OUo Mayer. Er kritisierte in der Einleitung seines epochemachenden "Deutschen Verwaltungsrechts" (l. Aufl. 1895/96) die Nachteile der in der Verwaltungslehre verwendeten staatswissenschaftlichen Methode, wobei er jedoch ihren eigenen Wert durchaus anerkannte:

19

Hof- und Staats-Handbuch (1869), S. 51. Vgl. unten S. 71 mit FN 285.

Dennewitz, Systeme, S.73. So konnte der Verfasser zu Mayers ..Grundsätzen" nur die Rezensionen Pözls einerseits und Frickers andererseits finden. 20

21 "Selbst seine Landsleute scheinen ihn häufig nicht mehr zu kennen", wie z.B. Karl Göz (Dennewitz, a.a.O., S. 73). 22

Stolleis, Verwaltungslehre, S. 91. Unten S. 215.

23

Unten S. 176 ff.

§ 2 Bisheriger Forschungsstand

23

"Für die juristische Wissenschaft giebt es keine bessere Lage, als wenn sie ein festes scharf ausgeprägtes Rechtsinstitut in der Gesetzgebung unmittelbar gegeben findet ... Eine derartige Behandlung des deutschen Verwaltungsrechts hat zuerst F.F. Mayer zu geben gesucht in seinem trefflichen Buche: Grundsätze des Verwaltungsrechts mit besonderer Rücksicht auf gemeinsames deutsches Recht.,,24

Diese Aussage des "Meisters deutscher Verwaltungsrechtswissenschaft,,25 ist richtungsweisend für die Bedeutung, die man F.F. Mayer zukünftig beimessen sollte. Denn seither pflegt man auf ihn fast einhellig hinzuweisen. Walter Jellinek (1885 -1955) nennt ihn den "Vorgänger" seines Lehrers Otto Mayer26• Im gleichen Jahr (1928) sagte der andere hervorragende Schüler O. Mayers, Fritz Heiner (1867 -1937): "Der erste, der diese [rein juristische] Methode zur Anwendung brachte, war ein Praktiker, der württembergische Oberamtmann F.F. Mayer."27 Die eben zitierte Ansicht bestand auch während des Dritten Reiches fort. Sowohl unter den Verwaltungsrechtslehrern, die politisch gesehen eher eine liberale Haltung einnahmen, wie z.B. Ludwig von Köhler (1868-1953), als auch unter denjenigen, die dem Regime treu ergeben waren, wie beispielsweise Hans Frank, herrschte in bezug auf die Bedeutung F.F. Mayers insoweit Einigkeit28 . Dennewitz kann das Verdienst zugesprochen werden, daß er als erster nach dem Krieg (1948) wieder auf F.F. Mayer aufmerksam machte29 , obwohl er in seinem 1944 erschienenen Lehrbuch des Verwaltungsrechts diesen bereits, wenn auch nur skizzenhaft, genannt hatte 3o. Im Jahre 1962 bedauerte Klaus Stern das Fehlen einer "Wissenschaftsgeschichte des Verwaltungsrechts" dahingehend, daß "eine Geschichte der Verwaltungsrechtswissenschaft - von Ansätzen abgesehen (z.B. Dennewitz, Die Systeme des Verwaltungsrechts, Hamburg 1948) - bislang nicht geschrieben ist, da die Wissenschaft des Verwaltungsrechts eine treffende Spiegelung des politischen und staatlichen Lebens vermittelt,,31. Fünf Jahre später gab Peter Badura - auf 24

o.

2S

Kormann, System, S. In.

Mayer, Dt. VerwR., Bd. I, S. 19/20 FN 8 (Hervorhebung vom Verfasser).

W. Jellinek, VerwR., 1. Aufl. (1928), S. 101; 3. Auf!. (1931, Nachdruck 1966), S.l06. 26

27

Fleiner, Institutionen, 8. Aufl., S. 44 FN 42.

Köhler, Grundlehren, S. 54; Schwerin, in: Frank (Hrsg.), Dt. VerwR., S. 3. Vgl. auch Wolffl Bachof, VerwR., Bd. I, S. 61. 28

29

Dennewitz, Systeme, S. 9, 63, 66 ff., 83 u.a.

30

Dennewitz, Verwaltung, S. 31 f.

31

Stern, Bundesgesetzgebung, S. 266 FN 10.

24

Einleitung

Sterns Anregung hin - einen kurzen geschichtlichen Überblick (59 S.): nach dem Untertitel des Werkes handelt es sich um "Methodische Überlegungen zur Entstehung des wissenschaftlichen Verwaltungsrechts,,32. In dem aufschlußreichen Büchlein geht Badura nicht ohne Grund auf die "später als bahnbrechend empfundenen Arbeiten des Württembergers F.F. Mayer" ein33 • Im folgenden Jahr 1968 erschien sodann die Dissertation Hans Joachim Feists. Trotz einiger Besonderheiten, die vor allem in der vertieften Beschäftigung mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den deutschen Ländern liegen34 , knüpft sie - mindestens in bezug auf F.F. Mayer - an das Dennewitzsche Werk an; dort wird F.F. Mayer in einem begrenzten Umfang (fünf Seiten) behandelt35 • Der ambitiöse Versuch zur Darstellung der Geschichte der Verwaltungsrechtswissenschaft Meyer-Hesemanns (1981) legt hingegen mehr Wert auf die Zeit nach Ouo Mayer, womit er über den Rahmen der Dennewitzschen Untersuchung hinausgeht. Infolgedessen hält er F.F. Mayer zwar für "zukunftsweisend", widmet diesem aber nur eine halbe Seite36 . Andererseits sucht man seinen Namen vergeblich in Hans Maiers Monographie "Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre", weil dort in erster Linie die Kameral- und Polizeiwissenschaft als Vorläufer der modemen Verwaltungswissenschaft behandelt werden sollte37 . Im Rahmen der sechsbändigen "Deutschen Verwaltungsgeschichte" veröffentlichte Michael Stolleis kürzlich zwei Aufsätze über "Verwaltungslehre und Verwaltungsrechtswissenschaft 1803-1866" (Bd. 11, 1983) und "Verwaltungsrechtswissenschaft und Verwaltungslehre 1866-1914" (Bd. III, 1984), in denen er auch auf F.F. Mayer hinweist38 . Es ist bemerkenswert, daß in einer Fußnote ein Teil der bislang wenig bekannten biographischen und bibliographischen Daten von ihm genannt werden 39 •

32

So der Untertitel von Baduras "Verwaltungsrecht des liberalen Rechtsstaates".

33

Badura, Verwaltungsrecht, S. 11. Vgl. auch S. 24, 54 f., 59.

34

Vgl. Feist, Entstehung, Vorwort, S. Ill.

3S

Feist, a.a.O., S. 122-126. Vgl. Dennewitz, Systeme, S. 66-74.

Meyer-Hesemann, Methodenwandel, S. 11. Das Erscheinungsjahr der "Grundsätze" F.F. Mayers muß übrigens nicht 1882, sondern richtigerweise 1862 heißen. 36

37

Maier, Verwaltungslehre, 2. Auflage 1980, S. 240 ff.

Stolleis, Verwaltungslehre, in: DVG, Bd. ll, S. 90 f.; ders., Verwaltungsrechtswissenschaft, in: DVG, Bd. Ill, S. 86. 38

39

Stolleis, Verwaltungslehre (Bd. ll), S. 90 FN 198.

§ 2 Bisheriger Forschungsstand

25

Im gleichen Sinne leistete Alfons Hueber mit seiner Dissertation (1982), die sich mit "Otto Mayer - Die juristische Methode' im Verwaltungsrecht" beschäftigt, einen wichtigen Beitrag zur F.F. Mayer-Forschung: Zu Beginn des Kapitels über die "Methode vor Otto Mayer in der zeitgenössischen Theorie" geht er auf F.F. Mayer ein40• Dort gibt Hueber zutreffend unter Heranziehung jenes bisher wenig beachteten Essays von Peter Rößler41 den vollständigen Namen mit ,,Friedrich Franz von Mayer" an42• Darüber hinaus scheint er einen Schritt weiter gehen zu wollen, denn er setzt hinzu: ,,Nach Abschluß des Manuskripts konnten zu Leben und Wirken F.F. Mayers zahlreiche Einzelheiten in Erfahrung gebracht werden. Von einer Einarbeitung wurde abgesehen, da dies umfangreiche Ergänzungen bedeutet hätte. Das weitere biographische Material soll stattdessen der Verwertung in einer gesonderten Veröffentlichung vorbehalten bleiben.,,43

Die Vermutung des Verfassers geht dahin, daß Hueber auf dieselben Quellen gestoßen sein könnte, wie sie sich im Besitz des Verfassers befinden. Leider sind Huebers Pläne bis zur Abfassung der vorliegenden Arbeit noch nicht verwirklicht worden. Erk Volkmar Heyen, der sich ebenfalls mit Ouo Mayer auseinandersetzt, geht dagegen in seiner Habilitationsschrift (1981) kaum auf F.F. Mayer ein44 • Ebensowenig findet man den Namen in seiner Speyerer Antrittsvorlesung (1983)45. Hingegen bewertet er in einem von ihm herausgegebenen Sammelband der "Geschichte der Verwaltungsrechtswissenschaft in Europa" (1982) F.F. Mayer folgendermaßen: .Jn die Richtung Gerbers" avanciert er ..aufgrund seines Bemühens, die leitenden Grundsätze und Rechtsinstitute eines gemeinsamen (gemeinen) deutschen Verwaltungsrechts herauszuarbeiten. zum ,Begründer der juristischen Methode verwaltungswissenschafdicher Darstellung ".46 .

2. Wenn man nun den Blick auf diejenigen Werke richtet, die die Geschichte des Öffentlichen Rechts thematisieren, so zeigt sich etwa folgendes

Bild: Der von Michael Stolleis vorgelegte erste Band der "Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland" um faßt lediglich die Zeit bis zum Jahre

40

Hueber, Otto Mayer, Drittes Kapitel, S. 125 ff.

41 Oben S. 20 mit FN 8. 42

Hueber, a.a.O., S. 126.

43

Hueber, a.a.O., S. 126 FN 4a (Hervorhebung vom Verfasser).

44

Heyen, Otto Mayer, passim.

45

Heyen, Entwicklungsbedingungen, S. 21 ff.

46

Heyen, Geschichte, S. 31.

26

Einleitung

180647 . Dieter Wyduckel rückt F.F. Mayer an den Rand seiner Forschung48 ; in ähnlicher Weise verfährt Dieter Grimm49 . 3. Das gleiche gilt mehr oder weniger für die Lehrbücher des Verwaltungsrechts: Wolff I Bachof zählen bei der Darstellung des Gegensatzes zwischen der staatswissenschaftlichen und der juristischen Methode im Verwaltungsrecht F.F. Mayer zu den Vertretern der letzteren Richtung So. Forsthoff schildert ihn in dem Sinne, daß er ein gemeines deutsches Verwaltungsrecht zu begründen versucht habe, wobei er die Beziehung des Einzelnen zum Staat als "öffentliches Rechtsverhältnis" behandelt und das subjektive öffentliche Recht bereits der Gliederung des Ganzen dienstbar gemacht habe: "Damit war das methodische Prinzip der späteren Verwaltungsrechtswissenschaft zum erstenmal verwirklicht"Sl. Achterberg schenkte ihm lediglich drei Zeilens2. 4. Schließlich finden F.F. Mayer und sein Werk selbstverständlich in einzelnen Monographien verschiedener verwaltungsrechtlicher Thematik bis in die jüngste ZeitS3 immer wieder Erwähnung: Hier seien genannt: Georg Jelline~4, Karl Kormann ss , Otto Maye~6, Edmund BernatzikS7 , Ottmar Bühle~8, Philipp ZornS9 , earl Edwin Leuthold60 , Hans Peter Ipsen61 , Rolf Stödte~2,

47

Stolleis, Geschichte, Bd. 1.

48

Wyduckel, Ius Publicum, S. 272 FN 272.

49 Grimm, Recht und Staat, S.302 (,,Am Beginn der neuen Richtung steht F.F. Mayer.").

so Wolffl Bachof, VerwR., Bd. I, S. 61. 51

Forsthoff, Lehrbuch, S. 50.

52

Achterberg, Allg. VerwR., S. 76; ähnlich Maurer, AJlg. VerwR., S. 17.

S3

Lange, Anstalt, in: VVDStRL 44 (1986), S. 170 FN 3.

54

G. Jellinek, System, S. 6 FN 3 und S. 332 FN 2.

ss Kormann, System, S. 78 FN 20, S. 84 mit FN 10, 13, S. 140 FN 23, S. 155 FN 44,47, S. 157 FN 62 usw. 56

O. Mayer, Öffentlichrechtlicher Vertrag, S. 31; ders., Rechtskraft, S. 11 FN 20.

57

BernaJzik, Rechtskraft, S. 20 f.

58

Bühler, Zuständigkeit, S. 52, 57, 116 FN 1 usw.; ders., Die subj. öffentl. Rechte,

S.77. 59

Zorn, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 142.

60

Leuthold, Öffentliches Interesse, S. 391.

61

Ipsen, Widerruf, S. 52, 170 usw.

62

Stödter, Entschädigung, S. 13, 16, 100, 106 usw.

§ 3 Methode und Plan der Darstellung

27

Karl Graf von Demblin63 , Klaus Vogel64 , Hans Jecht65 , Horst Ehmke66 , Dietrich Jesch67 , OUo Bachofi8 , Hans-Uwe Erichsen69 , Ludwig Wenninger70 usw. 71 5. Aus dem kurzen Überblick über den Stand der bisherigen Forschungen ergibt sich etwa folgendes: l. F.F. Mayer steht zwischen C.F. von Gerber und Ouo Mayer, im Sinne eines "Methodenvermittlers" vom Staats- zum Verwaltungsrecht. 2. Dabei wird er fast einhellig entweder als "Begründer" der juristischen Methode im Verwaltungsrecht oder als "Vorgänger" O. Mayers genannt. 3. Meist wird er jedoch nur als "Nebenfigur" dargestellt, um das Verdienst O. Mayers hervorzuheben. 4. Insoweit ist das Dennewitzsche Werk bahnbrechend und gilt heute noch als "Standardwerk"72. 5. Alles in allem fehlt es jedoch noch weitgehend an einer detaillierten Forschung zu F.F. Mayers Leben und Werk.

§ 3 Methode und Plan der DarsteIJung 1. Für die anzuwendende Methode bei der Beschäftigung mit F.F. Mayer und seinem Werk sind die folgenden Aspekte wesentlich. Wie das nachstehende Zitat verdeutlicht, bot die damalige württembergische Verfassung eine Grundlage für die Entwicklung von F.F. Mayers Werk: "F.F. Mayer [konnte] seine Darstellung auf eine fortschrittliche, nämlich die Würuembergische Verfassungsgrundlage aufbauen. ,,73

63

Demblin, Anstaltsbegriff, S. 101 ff., 179, 196.

64

Vogel, Wirtschaftseinheiten, S. 47.

65

lech!, Anstalt, S. 12 FN 3.

66

Ehmke, Ennessen, S. 10 ff., 19,26.

67

lesch, Gesetz, S. 162 FN 278.

68

Bachof, Dogmatik, S. 302.

Erichsen, Grundlagen, S. 116 f., 121, 131, 146 f., 150 f. usw., allerdings meist in den Fußnoten. 69

70

Wenninger, Geschichte, S. 52 f.

71

Hueber, Otto Mayer, S. 130 FN 41 mit weiterer Literaturangabe.

72

Hueber, a.a.O., S. 126 f. FN 4.

73

Dennewitz, Systeme, S. 71.

28

Einleitung

Für die Annahme einer Wechselwirkung zwischen der württembergischen Verfassung und den Arbeiten F.P. Mayers spricht auch die Tatsache, daß die beiden bedeutenden Verwaltungsrechtler74 Robert von Mohl und Otto von Sarwey 75 - sie kamen ebenfalls aus Württemberg - in ihren Arbeiten wiederholt auf die württembergische Verfassung zurückgegriffen haben. Zwar ist Badura der Meinung, es habe zur Zeit der Reichsgründung von 1870/71 eine "Wissenschaft vom deutschen Verwaltungsrecht noch nicht" gegeben76• Allerdings setzt er einen allzu engen Wissenschaftsbegriff voraus; nach ihm soll Wissenschaft grundsätzlich eine systematische Forschung über einen Gegenstand voraussetzen, die von einer größeren Gruppe zusammenarbeitender Personen betrieben werde77 . Diese Definition ist jedoch hinsichtlich des Kriteriums, ab wann eine wissenschaftliche Behandlung vorliegt, zu allgemein. Auch Badura selbst sah dieses Problem; mit seinem Verweis auf die Werke Pözls, P.F. Mayers und L. von Steins vermied er es, letztlich eine klare Qualifizierung ihrer Werke und Person vorzunehmen; zumindest erkannte er sie jedoch als Wegbereiter an. Zuzustimmen ist Badura lediglich in dem Sinne, daß es noch keine deutsche i.S.v. gesamtdeutscher Verwaltungsrechtswissenschaft gab. Da dieses Problem aber hier nicht im Vordergrund steht, wird man wohl doch F.P. Mayer als Verwaltungsrechtswissenschaftler ansehen dürfen. Hinsichtlich der angesprochenen Wechselwirkung zwischen der Württembergischen Verfassung und dem Werk Mayers ist zunächst der Frage nachzugehen, in welchem Sinne die Verfassung als fortschrittlich anzusehen ist. Dennewitz äußert sich dazu leider nicht näher78 . So wurde z.B. der erste Lehrstuhl für Verwaltungsrecht in Deutschland bereits 1842 an der württembergischen Landesuniversität Tübingen eingerichtet, während dies in anderen Ländern erst in den 80er Jahren des 19. Jh. geschah79 • Sein erster Inhaber,

74

Dennewitz, a.a.O., S. 47 ff. (Mohl); S. 66 ff. (F.F. Mayer) und S. 114 ff. (Sar-

wey).

75 Dazu kann man noch Karl Heinrich Ludwig Hoffmann zählen ein Schüler Mohls und der erste Lehrstuhlinhaber für Verwaltungsrecht in Deutschland. Siehe unten S. 54 f., 113 ff. 76

Badura, Verwaltungsrecht, S. 1l.

77

Badura, a.a.O., S. 11.

Er weist lediglich (Systeme, S. 48) darauf hin, daß in Württemberg "eine starke Verfassungstradition gleicher freier Gesinnung" bestand. 78

79

Stern, Bundesgesetzgebung, S. 265.

§ 3 Methode und Plan der Darstellung

29

Karl Heinrich Ludwig Hoffmann (1807-1881), war ein Schüler Mohls8o . Diese Lehrstuhlgründung ist nicht nur ein wichtiges Indiz für den schon vorhandenen Stand der Wissenschaft, sondern war naturgemäß auch ein Motor zu ihrer weiteren Entwicklung. In diesem Zusammenhang sei noch angemerkt, daß Friedrich List (1789-1846) 1819 den Lehrstuhl für die Staatsverwaltungspraxis in Tübingen übernahm 81 . Allerdings gehörten die beiden Lehrstühle nicht zur juristischen, sondern zu der 1817 neu gegründeten staatswirtschaftlichen Fakultät82. In dieser Fakultät wurde das Sonderstudium für Kameral- (Finanzministerium) und Regiminalbeamten (Innenministerium) durchgeführt, während die Justizbeamten in der juristischen Fakultät ihre Ausbildung erhielten ein augenfälliger Gegensatz zu Preußen, wo dieses Trennungssystem unbekannt war und die universitäre Ausbildung der höheren Beamten ein "Juristenmonopol" aufwies 83 . In Württemberg entwickelte sich außerdem seit den 20er Jahren des 19. Jh. eine Form von Verwaltungsgerichtsbarkeit, die sog. Administrativjustiz. Selbst als aufgrund des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 16. Dezember 1876 der Verwaltungsgerichtshof errichtet wurde, "ändert(e) sich sachlich kaum etwas"84. Diese sog. "Administrativjustiz" wurde durch den Geheimen Rat ausgeübt, wobei sie sich in Württemberg "am besten entwikkelt hatte" 85. Wie die Verwaltungsgerichtsbarkeit des Conseil d'Etat der Entwicklung der französischen Verwaltungsrechtswissenschaft Impulse gab86 , so hat auch die Verwaltungsrechtspflege des württembergischen Geheimen Rats großen Einfluß auf F.F. Mayer und seine Werke ausgeübt. 2. Aufgrund dieser Überlegungen ergibt sich für den Verfasser die folgende Vorgehensweise: - Im l. Kapitel wird "F.F. Mayer und seine Zeit" dargestellt; hierbei wird vor allem auf sein bislang fast unbekanntes Leben und Wirken, insbeson-

80 Zu ihm siehe Jolly, Hoffmann, in: DAß, Bd. 50, S. 108 ff. Vgl. auch unten S. 54 f., 113 ff. 8!

Born, Geschichte, S. 23 ff. und S. 150.

82

Born, a.a.O., S. 23 ff.

s. 416

f.; Feist, Entstehung,

Bleek, Kameralausbildung, S.262, 286 ff. F.F. Mayer studierte 1834-1837 an der Tübinger Fakultät. Siehe unten S. 51 ff. 83

84

Sellmann, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 64.

85

Poppitz, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 194.

86

Beeker, Einfluß, S. 8.

30

-

-

Einleitung

dere auch vor dem Hintergrund des würuembergischen Verfassungslebens, eingegangen. Im 2. Kapitel wird ,,P.F. Mayers System des Verwaltungsrechts" vorgestellt. Zunächst werden einige wichtige Grundbegriffe wie Staat, Recht und Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, wie F.F. Mayer sie verstand, betrachtet. Außerdem wird ein Überblick über Mayers System des formellen und materiellen Verwaltungsrechts gegeben - hieran fehlte es bisher in der Literatur. Im 3. (und letzten) Kapitel wird einerseits das wissenschaftliche Verdienst F.F. Mayers gewürdigt, andererseits werden die Grenzen der Verwaltungsrechtswissenschaft Mayers erörtert. In Anhang I wird begründet, warum sich der Verfasser als ausländischer Wissenschaftler mit dem deutschen Verwaltungsrecht bzw. mit dessen Geschichte beschäftigt. In Anhang 11 schließlich wird die oben genannte Autobiographie von F.F. Mayer ,,Notizen aus meinem Lebensgang" zum ersten Mal in gedruckter Form vorgelegt, um sie dem wissenschaftlichen Publikum leichter zugänglich zu machen.

Kapitell

F.F. Mayer und seine Zeit "Auch in dem mehr oder minder gewöhnlichen Lebenswege eines Mannes, der in der Welt etwas erreicht, wenn auch in bescheidener Dunkelheit sein Name verbleibt, werden Lichtpunkte sich fmden, die selbst für den Fremden und Unbekannten nicht ohne Interesse würdig jedenfalls sind." (Friedrich Franz von Mayer, Notizen aus meinem Lebensgang, S. 1)

§ 4 "Notizen aus meinem Lebensgang" 1. Vorbemerkungen Wie eingangs der Arbeit bereits erwähnt, hinterließ F.P. Mayer eine bisher völlig unbekannte Autobiographie81 • Der Verfasser erhielt sie von einem seiner Nachkommen88 ; ihr Titel lautet: "Notizen aus meinem Lebensgang". Das aus seiner eigenen Hand stammende Original, das sich zuletzt im Besitz seines jüngsten Sohnes, Karl Alexander Mayer (1857 -1936) befand, verbrannte bedauerlicherweise während des 2. Weltkriegs; es sind jedoch noch drei Abschriften vorhanden, die 1939 durch eine Enkelin P.P. Mayers mit der Schreibmaschine angefertigt worden sind. Anband einer Abschrift seiner Aufzeichnungen und anderer Quellen wird zunächst versucht, sein Leben und Wirken vor dem Spiegel seiner Zeit darzustellen; auf diese Weise möchte der Verfasser den Hintergrund der Werke F.F. Mayers verdeutlichen. Damit wird ein Teil des Standardwerks von Dennewitz korrigiert werden89 •

87

Oben S. 20. Vgl. auch unten Anhang lI.

a Der Verfasser ist Herrn Prof. Dr. h.c. Peter Rößler in Mannheim/Hohenheim sehr dankbar, daß er ihm freundlicherweise erlaubt hat, die Akten seines Urgroßvaters als Quellen für diese Arbeit zu benutzen und zu veröffentlichen. 89 F.F. Mayer. "über den bedauerlicherweise kaum biographische Notizen bestehen" (Dennewitz. Systeme. S. 66/67).

32

Kap. 1: F.F. Mayer lUld seine Zeit

Die Selbstbiographie ist als solche keineswegs umfangreich: Die Schreibmaschinenabschrift beträgt lediglich 29 DIN A4-Seiten, wobei 27 Seiten auf dem Original F.F. Mayers beruhen, während die letzten beiden Seiten von seinen Kindern nach seinem Tode (1870) hinzugefügt wurden. Außerdem wurde eine 22seitige Aktensammlung über ihn, die ebenfalls eine kostbare Quelle für die vorliegende Arbeit bildet, von seinen Kindern als "Anhang" beigefügt9o• Die Enkelin schrieb die Autobiographie ihres Großvaters ab, um sie vor einer eventuellen völligen Vernichtung zu retten; dies geht aus ihrer eigenen' Einleitung hervor: ,,Berlin, 9. Januar 1939

Einige Erläuterungen zu Notizen aus meinem Lebensgang' und dem Anhang dazu. Ich, Dora Rößler 91, geb. Mayer habe für meine drei Kinder ... die ,Notizen' lUld den ,Anhang' ... abgeschrieben. Es handelt sich um den Lebenslauf meines Großvaters, Friedrich Franz Mayer, den ich selbst nicht mehr gekannt habe. Als ich im Herbst des Jahres 1935 besuchs weise mich in Stuttgart aufhielt, erklUldigte ich bei dem einzigen noch lebenden Bruder .... meines Vaters, ob er mir nicht einiges erzählen könnte über meinen Großvater und irgendwelche Aufzeichnungen vorhanden wären. Zu meiner großen Freude teilte mir mein Onkel, Karl Alexander, früher Landgerichtspräsident in Heilbronn, mit, daß sich sogar eigenhändige Aufzeichnungen meines Großvaters in seinem Besitz befänden, von denen mein Vater, der älteste Sohn92, gar nichts wußte. Dies berührte mich seltsam, und ich kann mir den GTlUld nicht erklären. Aus dem Hause geben wollte mein Onkel die AufzeichnlUlgen nicht, doch durfte ich an einem Sonntag Vormittag alles durchlesen ... Mein lieber Onkel starb dann im Januar darauf, und seine Witwe ... stellte mir dann auf meine Bitte hin alles zur VerfüglUlg, so daß ich eine Abschrift anfertigen konnte. Jetzt werde ich die Originale wieder nach Stuttgart an meine Tante zürücksenden93 . Die ,Notizen' hat mein Großvater selbst geschrieben. Seine Handschrift ist außerordentlich schwer leserlich. Daher haben bald nach seinem Tode seine Söhne ... eine Abschrift davon verfertigt. Trotzdem ist manches nicht zu entziffern gewesen, und manche Namen sind wohl lUlgenau ... In liebevoller Pietät haben dann die Söhne im Anhang noch Verschiedenes angeführt, so vor allem die wissenschaftlichen Werke ihres Vaters lUld darauf bezügliche Rezensionen, die Grabrede, be-

90

Siehe Quellen- und Schrifttumsverzeichnis.

91 1887 -1951: Pianistin in Berlin. Die unten im Text wiedergegebene Einleitung Dora Rößlers umfaßt eine Seite.

92

Eduard Mayer, 1846-1923, Geistlicher.

93

Kurz darauf ist die Selbstbiographie verbrannt.

§ 4 ,,Notizen aus meinem Lebensgang"

33

rufliche Korrespondenzen und einige Privatbriefe94, die wohl für die Nachkommen deshalb am wertvollsten sind, da sie mehr die menschliche Seite des Ahnen berühren ... Der Großvater muß um das Jahr 1850 herum mit den Aufzeichnungen angefangen haben. Dies scheint mir hervorzugehen aus der Bemerkung S. 13 [der Aufzeichnungen] oben95 . Aber es mag vielleicht schon etwas früher gewesen sein, vielleicht während seiner Witwerschaft96 . Zuerst sind die Aufzeichnungen ziemlich genau, auch die Schrift noch zu entziffern, in der Fortsetzung wird der Stil immer skizzenhafter und die Schrift fast unleserlich. Der Großvater muß wohl bis zu seinem Lebensende ab und zu kleine Eintragungen gemacht haben."

2. Herkunft

Friedrich Franz wurde am 10. Februar 1816 als sechstes von acht Kindern des Zoll- und Umgeldvisitators Christoph Peter Mayer (1771 - 1824) und seiner Ehefrau Anna Elisabeth (1778-1823), geh. Pflugfelder, in Schwäbisch Hall geboren97 . Er erblickte ganz in der Nähe des mächtigen Münsters der alten Salzhandelsstadt das Licht der Welt: "Meine elterliche Wohnung lag gegenüber der alten St. Michaelskirche, die durch ihre Lage auf einem vorspringenden mit hohen Mauern um faßten , vorne mit einer breiten Staffel umgürtelten Hügel einen imponierenden Eindruck macht. ,,98 An einer anderen Stelle in seinen ,,Notizen" findet sich folgende Beschreibung: "Das ehrwürdige Gelaß der lateinischen Schule, früher Gymnasium, ... hatte etwas sehr Anziehendes für mich, besonders da ich dort nun auch meine elterliche Wohnung vor mir hatte."99 Aufgrund seiner Nachforschungen konnte der Verfasser feststellen, daß F.F. Mayers Vater die Wohnung, die in der dritten Etage jenes Gebäudekomplexes lag, der heute zu einem Hotel gehört (Am Markt 12, 7170 Schwäbisch

94

Jene Aktenstücke, die im Quellenverzeichnis der Arbeit aufgeführt sind.

95 Dort hieß es wörtlich: "jetzt, nachdem ich 6 Jahre Oberamtrnann [in Neckarsulm] bin" (F.F. Mayer, Notizen, S. 13, unten S. 237). Vgl. auch das Titelblatt von Mayers Strafrecht.

96 Seine erste Frau Charlotte, geb. Faber (1821-1846), ist an den Folgen der Geburt ihres Sohnes EdUßrd gestorben. F.F. Mayer, Notizen, S. 18. Siehe dazu unten S.63. 91 Familienregister F.F. Mayers, Kirchenregisteramt Schwäbisch Hall, M, S. 13. Gemäß Taufbuch ist er in der Nacht zwischen 8 und 9 Uhr zur Welt gekommen. Siehe Taufregister St. Michael, 1808 -1821, NI. 26. 98

F.F. Mayer, Notizen, S. 1 (Hervorhebung vom Verfasser), unten S. 227.

99

F.F. Mayer, a.a.O., S. 5 (Hervorhebung vom Verfasser), unten S. 230.

3 Ishikawa

34

Kap. 1: P.P. Mayer Wld seine Zeit

Hall), am 27. Juni 1805 kaufte 1oo • Nach dem Bericht F.F. Mayers war die Einrichtung dieser Wohnung "etwas besser als die gewöhnliche bürgerliche"IOl. Als Zollvisitator war sein Vater des öfteren auf Reisen. An seine Mutter erinnerte er sich nur dunkel, weil er sie im Alter von sieben Jahren verlor. Bald darauf heiratete sein Vater zum zweiten Mal, doch starb er im Jahre 1824, als F.F. Mayer erst acht Jahre alt war. So spricht er von den "herben Prüfungen des Familienunglücks"I02. Damals begann der 19jährige älteste Bruder Christoph Friedrich Theologie an der Landesuniversität Tübingen zu studieren. Der andere Bruder, Carl Ludwig Christoph, war gerade 12 Jahre alt. F.F. Mayer und Carl Ludwig wurden von einem Pfleger, der bei der Saline in Hall als Buchhalter tätig war, aufgenommen, während seine beiden Schwestern bei ihrer Stiefmutter lebten 103 • Von 1824 an besuchte F.F. Mayer sechs Jahre lang die Lateinschule in Hall. Es handelte sich um eine höhere Schule, die aus dem 13. Jh. stammte; ihr Ziel lag in der Vorbereitung auf den Kirchendienst oder auf einen Beruf wie den des Beamten. Kinder, die ihr siebentes Lebensjahr beendet hatten, mußten zur Aufnahme eine Prüfung in Deutsch und Latein ablegen104 • F.F. Mayer war in der Lateinschule "einer der besten Schüler"I05. Lateinisch interessierte ihn sehr, Französisch dagegen weniger106 • Seine Begabung zeigte sich später bei der Aufnahmeprüfung zum Studium an der Landesuniversität Tübingen, bei der ihn ein Examinator bei der Übersetzung aus "Titus Livius" lobte107 • Als sich die Schulzeit ihrem Ende näherte, forderten die Stiefmutter und der älteste Bruder ihn auf, Geistlicher zu werden. Er entschloß sich jedoch, sich dem Schreiberstand zuzuwenden, weil sich damals der Schreiberstand im

100 Angaben hierzu nach dem Kaufbuch der Stadt Hall, Stadtarchiv Hall 19/999, S. 456 ff. 101

F.F. Mayer, Notizen, S. I, Wlten S. 227.

102

F.F. Mayer, a.a.O., S. I, unten S. 227.

103

F.F. Mayer, a.a.O., S. 2, unten S. 228.

104 Dehlinger, Staatswesen, Bd. I, S. 471 f. In der Schulklasse F.F. Mayers waren 16 bis 26 Schüler. Vgl. Schülerverzeichnis (1823-1854), StA Hall 119 f.

10'

F.F. Mayer, Notizen S. 5, Wlten S. 230.

106

F.F. Mayer, a.a.O., S. 5, Wlten S. 230.

107

F.F. Mayer, a.a.O., S. 8, Wlten S. 234.

§ 4 ,,Notizen aus meinem Lebensgang"

35

Lande großen Ansehens erfreute!08. So wurde eine Stelle in einem kleinen Dorf bei Tübingen gefunden109 • Bevor wir die Lehrzeit F.P. Mayers als Schreiberinzipient betrachten, empfiehlt es sich, einen Blick auf das Königreich Württemberg jener Zeit, vor allem auf das politische Leben, zu werfen. Dieses übte auf Mayers Gedankenwelt erheblichen Einfluß aus. In Betracht kommt in erster Linie der sog. württembergische Verfassungskampf, der "Kampf um's gute alte Recht", der im Frühjahr 1815 begann und aus dem die Verfassungs urkunde vom 25. September 1819 hervorgeht. Diese bildete die Grundlage für das System der Verwaltungsrechtswissenschaft F.P. Mayers llO.

3. Das Königreich Württemberg und der Verfassungskampf a) F.F. Mayer als Geschichtsschreiber

Obwohl P.P. Mayer in der ehemaligen Reichsstadt Hall geboren wurde, die erst 1803 zu Württemberg kam, fühlte er sich anscheinend dennoch diesem zugehörig. Dies zeigt sich in seinem ersten, aber bisher kaum bekannten Büchlein "Geschichte von Würuemberg" (Schwäbisch Hall 1840, 62 S.), das er als 24jähriger Oberamtsaktuar in Gaildorf schriebIll . Im Vorwort des Buches findet man z.B. die Worte "Unser Württemberger Land ,,112. Der Untertitel des Werkes lautet: "Geschrieben für Volk und Schule des Vaterlandes". Seit der Studentenzeit "war mir der Gedanke geblieben, eine populäre kurze Darstellung der Württembergischen Geschichte für Schule und Volk zu schreiben, woran es fehlte,,1l3. Sein Interesse an der Geschichte und sein Bestreben, einen Gegenstand allgemeinverständlich darzulegen, kommen in seinem ganzen Werk wiederholt zum Ausdruck.

I~ F.F. Mayer, a.a.O., S. 6, unten S. 231; August Ludwig Reyscher (1802-1880) stammte auch aus dem Schreiberstand und nannte Württemberg die "terra laudata scribarum" (Reyscher, Erinnerungen, S. 43. Zu ihm Rückert, Reyscher). 109 Er zog ,,mit Gelegenheitsfuhre nach Stuttgart und Tübingen, von da zu Fuß nach Dußlingen" (F.F. Mayer, a.a.O., S. 7, unten S. 232).

uo Siehe oben S. 27 mit FN 73. 111 Auf der Titelseite des Buches wird F.F. Mayer ohne Berufsangabe lediglich als ,,F. Mayer" genannt. Das ist der Grund dafür, daß diese Schrift nicht sehr bekannt ist. Er wurde im Dezember 1838 zum Aktuar ernannt; siehe Notizen, S. 13, unten S. 238.

3"

112

F.F. Mayer, Geschichte, Vorwort, S. 3 (Hervorhebung vom Verfasser).

113

F.F. Mayer, Notizen, S. 14, unten S. 238.

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

36

In der hier angesprochenen Abhandlung stellt er die Verhältnisse des beginnenden 19. Jh. etwa folgendermaßen dar: Durch eine Reihe von schnell aufeinanderfolgenden Ereignissen sei aus dem Herzogtum Württemberg ein selbständiges, unabhängiges Königreich geworden. König Friedrich habe die etwa 300 Jahre alte Verfassung, den Tübinger Vertrag von 1514, aufgehoben (1806) und verschiedene organisatorische Reformen durchgeführt. Nach den Befreiungskriegen sei in Wien der Deutsche Bund gegründet worden, dem auch Württemberg angehört habe. Aber das Verlangen des Volkes nach der Gewährung einer freien Verfassung sei besonders in Württemberg rege gewesen, wo das Andenken an die alte, aber außer Kraft gesetzte Landesverfassung lebendig geblieben sei. Daher habe der König dem Verlangen des Volkes durch eine von ihm entworfene Verfassung entgegenkommen wollen: ,,Allein die einberufene Ständeversammlung, den lauten Wünschen des Volkes nachgebend, wollte nur eine Verfassung annehmen, die auf das altwürt.[tembergische] Recht gegründet, durch frei Uebereinkunft [zwischen dem König und der Landständen] zu Stande käme,,114. So lautete Mayers Beschreibung des sog. "württembergischen Verfassungskampfesu115 .

b) Der Verfassungskampf 1815 -1819

Unter den größeren süddeutschen Staaten hatte sich nur Württemberg seine ständische Verfassung bis ins beginnende 19. Jh. hinein bewahrt. Zwar war sie durch schwere inhaltliche Mängel gekennzeichnet, doch hatte sie sich gegenüber absolutistischen Neigungen einzelner Herrscher behauptet. Ihr Bestand wurde sogar noch durch den Erbvergleich aus dem Jahre 1770 gesichert1l6 . König Friedrich (1797 -1816) hob, nachdem er im Preßburger Frieden die Königswürde erlangt hatte, am 30. Dezember 1805 die Verfassung Alt-Württembergs einseitig auf. Auch in den neu-württembergischen Gebieten beseitigte er das altständische System. Schließlich wurden durch das Königliche Manifest vom 18. März 1806 Alt- und Neu-Württemberg zu einem Einheitsstaat verbunden 117 • Als die Ständeversammlung am 15. März 1815 in Stuttgart einberufen wurde und ihr der König eine sofortige Annahme derjenigen Verfassung, die er inzwischen entworfen hatte, aufzwingen wollte, lehnte sie dies fast einstimmig ab. Hiermit beginnt der etwa viereinhalbjährige Verfassungskampf,

114 P.P. Mayer, Geschichte, S. 53 ff. 115 Einzelheiten zum württembergischen Verfassungskampf bei Huber, VerfGesch., Bd. I, S. 332. 116

Huber, VerfGesch., Bd. I, S. 329.

l17

Huber, a.a.O., S. 329.

§ 4 ,,Notizen aus meinem Lebensgang"

37

als dessen Frucht die Verfassungsurkunde vom 25. September 1819 anzusehen ist 118 • Skizzenhaft gezeigt, handelte es sich dabei um folgendes: 1. Man qualifiziert den württembergischen Verfassungskampf als den "ersten Verfassungskampf des 19. Jahrhunderts" 119. Er ist sowohl zeitlich als auch inhaltlich sehr bemerkenswert: zeitlich, weil er nach der Auflösung des alten Reiches ausbrach, und inhaltlich, weil es um den "Kampf um's gute alte Recht"l20 ging. Eine solche Rechtsauffassung galt zu Beginn des 19. Jh. in den anderen größeren deutschen Ländern in der Regel längst als überwunden. 2. Den äußeren Anlaß für die Auseinandersetzungen gaben die Verhandlungen in Wien im Jahre 1814, die den Entwurf einer Deutschen Bundesakte zum Ziel hatten. Der württembergische Vertreter wehrte sich vor allem gegen jenen Artikel, der sich mit der ständischen Verfassung befaßte. Da er sich aber nicht durchzusetzen vermochte, berief ihn der König aus Wien zurück. Darauf widmete sich der König der Ausarbeitung einer Verfassung, weil er einem bundesrechtlichen Zwang zur Wiederherstellung der alt-württembergischen Verfassung zuvorkommen und so seine Souveränität wahren wollte121 • 3. Es liegt nahe, den inneren Grund für den Verfassungskampf in erster Linie auf die einseitige Aufhebung der alten Verfassung durch den König zurückzuführen. Es war ein "verfassungswidriger Staatsstreich; denn die durch den Erbvergleich von 1770 gesicherte Verfassung konnte rechtmäßig nur durch einen Vertrag zwischen dem Fürsten und seinen Ständen geändert und beseitigt werden"122. 4. Deswegen rügten die sog. "Altrechtler", die die Opposition in der Ständeversammlung von 1815 bildeten, die Regierung und forderten die "Wiederherstellung des guten alten Rechts". Vor dem Protest, der auch von einer allgemeinen stürmischen Volksbewegung unterstützt wurde, wich der König zurück. Es kam zu langwierigen Verhandlungen der beiden Parteien. Obwohl auf beiden Seiten Verfassungsentwürfe verfaßt wurden, konnte nur schwer zu einem Komprorniß gefunden werden. Inzwischen verblaßte

118 Grube, Landtag, S. 492. Im Verfassungskampf sind folgende Zeitabschnitte voneinander zu unterscheiden: 1. Vom Januar 1815 bis 15. Oktober 1815; 2. Vom 15. Oktober 1815 bis 6. Juni 1817; 3. Vom 6. Juni 1817 bis 25. September 1819 (Frikker / Geßler, Geschichte, S. 150 ff.). 119

Huber, VerfGesch., Bd. I, S. 332.

120

So der Titel von Albrecht Lists Untersuchung.

121

Gönner, Württemberg, S. 413.

122

Huber, VerfGesch., Bd. I, S. 329.

38

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

die enthusiastische Stimmung im Volke, zumal das Jahr 1816 eine schlechte Ernte und eine allgemeine Hungersnot brachte. So verloren die Altrechtler bei der Neuwahl fast alle ihre Sitze 123 • 5. Die Opposition verkannte die Verhältnisse völlig. Zu Beginn des Kampfes (1815) bat sie z.B. die drei Garanten des Erbvergleichs (England, Dänemark und Preußen) um Intervention. Dies war zwar im altständischen Recht nicht ungewöhnlich, erschien mit den Staatsprinzipien des 19. Jh., insbesondere mit dem Prinzip der Souveränität, jedoch nicht mehr verträglich 11A • 6. Während des Verfassungskampfes starb überraschend König Friedrich (30. Oktober 1816), und sein Sohn Wilhelm I. (1816-1864) folgte ihm nach. Nach der Neuwahl arbeiteten frühere AltrechtIer mit der Regierungspartei zusammen. Die Opposition bildete dieses Mal die demokratisch gesinnte "Partei der Volksfreunde", deren Mitglied auch Friedrich List war. Die Mehrheit der neuen Ständeversammlung näherte ihren Standpunkt angesichts der Karlsbader Konferenz, auf der gerade reaktionäre Maßnahmen getroffen wurden, sehr rasch dem der Regierung an l25 . 7. In der Folge nahm die Versammlung am 23. September 1819 die Verfassung einstimmig an. Die damalige Stimmung spiegelt sich besonders in folgenen Worten Ludwig Uhlands (1787 - 1862) wieder: "Mancher wird manches vermissen, aber das Wesentliche besteht, vor allem jener Urfels unseres alten Rechts, der Vertrag."l26 Bei der abschließenden Würdigung des württembergischen Verfassungskampfes gelangt man zu dem Ergebnis, daß sich Württemberg nach dem Abschluß des Kampfes zu einem modernen Staat gewandelt hatte, wobei allerdings in den Verfassungsbestimmungen eine gewisse Kontinuität mit der alten Tradition zu finden ist. c) Besonderheiten der württembergischen Verfassungsurkunde von 1819

Das Ergebnis des eben kurz geschilderten Verfassungskampfes stellt die württembergische Verfassungsurkunde vom 25. September 1819 dar; zusammen mit den Verfassungen von Bayern, Baden (jeweils 1818) und dem Großherzogtum Hessen (1820) bildet sie jenen Verfassungstyp, der allgemein als

123

Pricker I Geßler, Geschichte, S. 169 ff.; Grube, Landtag, S. 500.

124

Huber, VerfGesch., Bd. I, S. 332 ff.

125

Grube, Landtag, S. 502 ff.

126

Grube, a.a.O., S. 504.

39

§ 4 ,,Notizen aus meinem Lebensgang"

"frühkonstitutionelle Verfassung" bezeichnet wird1'1:1. Bei einem Vergleich dieser vier Verfassungen (siehe Tabelle) lassen sich einige Besonderheiten der württembergischen Verfassung erklären. Tabelle

Vergleich der frühkonstitutionellen Verfassungen (anband von Huber, Dokumente, Bd. I, S. 155-236) Württemberg Anzahl der §§

3

Königreich König

15

Summe

18

Rechte und Pflichten der Bürger

Bayern

Baden

Hessen

Anzahl der § §

Anzahl der §§

Anzahl der §§

Königreich König Domänen

2 22 7

Regierung

31

6

Regierung Domänen

6

6

11 Rechte und Pflichten der Bürger

33

Gemeinden Staatsdienst

2 4

24

Rechte und Pflichten der Bürger

20

Staatsbehörden Gemeinden

19 8

Justiz Heerwesen

7 7

Ausübung der Staatsgewalt Finanzwesen

17 22

Summe

66

14

0

6

Kirchen

15

0

0

0

Stände

71

50

58

51

Staatsgerichtshof

11

GesamJzahi

127

205

Verfassungsgarantie

7

122

Huber, VerfGesch., Bd. I, S. 314 ff.

Rechte und Pflichten der Bürger

5

Ministeranklage

19

7

90

Verfassungsgarantie

5

Sonstiges

4 110

40

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

1. Die Gesamtzahl der Bestimmungen ist fast doppelt so hoch wie die der anderen Verfassungen l28 : -

Württemberg 205; Bayern 122; Baden 90; Hessen 110.

In erster Linie beruht dieser Unterschied auf einer Vielzahl organisatorischer Bestimmungen der württembergischen Verfassung; sie enthält: 66 Artikel über die Staats- und Verwaltungsorganisation im weiteren Sinne, nämlich - 19 über die "Staats-Behörden"; - 8 über die "Gemeinden und Amtskörperschaften"; - 17 über die "Ausübung der Staatsgewalt"; - 22 über das ,,Finanzwesen"I29. In Bayern sind dagegen lediglich nur 14 (über die Justiz und das Heerwesen), in Hessen nur 6 (über die Gemeinde und den Staatsdienst) und in Baden sogar überhaupt keine entsprechenden Bestimmungen zu finden. 2. Herkömmlicherweise unterscheidet man das materielle Recht vom formellen, zu dem auch das Organisationsrecht gezählt wird 130 • Zutreffend weist Menger darauf hin, daß "die Rechtsetzung auf dem Gebiet der Staats- und Verwaltungsorganisation ... aus dem Gesetzesbegriff herausfiel; sie wurde, soweit sie nicht wie die Verfassung zum Staatsrecht gezählt wurde, zum ,Nicht-Recht' degradiert, dessen Setzung dem Belieben des Landesherrn überlassen wurde ul3l • Wenn dies zutrifft, stellt die württembergische Verfassung in diesem Sinne eine große Ausnahme dar. 3. Eine weitere Besonderheit der württembergischen Verfassungsurkunde wird in der Einrichtung eines Staatsgerichtshofs erblickt (VU § 195-205). Die badische Verfassung kennt zwar auch die gleiche Bezeichnung unter dem Kapitel "Ministeranklage". Der badische Staatsgerichtshof war jedoch kein besonderer Gerichtshof wie in Württemberg. Vielmehr war damit die Zuständigkeit der ersten Kammer gemeint, über einen Minister zu ent-

128 Huber, Dokumente, Bd. I, S. 155 ff. (Bayern), 171 ff. (Baden), 187 ff. (Württemberg), 221 ff. (Hessen).

129 Wenn man die Bestimmungen über das "Verhältnis der Kirchen zum Staate" (VU § 70-84) mitzählt, belaufen sich diese Bestimmungen sogar auf 8I. 130

Achterberg, Allg. VerwR., S. 159.

131

Menger, VerfGesch., Rdnr. 235 (Hervorhebung vom Verfasser).

§ 4 ,,Notizen aus meinem Lebensgang"

41

scheiden, der wegen einer Verfassungsverletzung vor der zweiten Kammer angeklagt worden war (VU von Baden, § 67 b). Demgegenüber enthielten die Verfassungen von Bayern und Hessen keine entsprechenden Institutionen 132. 4. Die dritte - mehr oder weniger - eigentümliche Verfassungsbestimmung von Württemberg ist § 21 Abs. 2. Diese lautet wörtlich: " ... auch haben sie [i.e. alle Württemberger] gleichen verfassungsmäßigen Gehorsam zu leisten". Nach Gaupp / Göz soll hier eine Gehorsamspflicht des Bürgers gegenüber der Staatsgewalt gemeint sein, die innerhalb ihrer Zuständigkeit Gebote und Verbote erläßt133 . Die Bestimmung muß jedoch im Zusammenhang mit § 10 der VU ausgelegt werden: "Der Huldigungs-Eid wird dem Thronfolger erst dann abgelegt, wann Er in einer den Ständen des Königreichs auszustellenden feierlichen Urkunde die unverbrüchliche Festhaltung der LandesVerfassung bei seinem Königlichen Worte zugesichert hat". Dies ist nach Mohl nichts anderes als die ,,Lehre von dem Widerstandsrechte des Bürgers im Rechtsstaate"l34. In der Tat war § 21 Abs. 2 der VU die Fundierung eines allgemeinen Widerstandsrechts im Fall eines Verfassungsbruchs und insoweit eine völlig singuläre Erscheinung in den damaligen Verfassungen 135.

132 Die geschichtliche Wurzel des württembergischen Staatsgerichtshofs sieht Bihr (Staatsgerichtshof, S. 10 f.) in einem "Landgericht", das aus dem Testament des Herzog Ludwig (1592/93) stammte.

133

Gaupp / Göz, Staatsrecht, S. 34.

134

Mohl, Staatsrecht, Bd. I, S. 331 FN 1.

Bühler, Eigenart, S. 367 f. - Dies zeigt nach der richtigen Ansicht Bühlers am besten das Gutachten der Tübinger Juristenfakultät, das zum hannoverschen Verfassungsstreit von AL. Reyscher 1837 verfaßt wurde; denn es nimmt zu der Frage, welche Schlußfolgerung aus der Lehre vom verfassungsmäßigen Gehorsam zu ziehen ist, am weitestgehenden Stellung. Die Stadt OsnabrUck hatte 1838 wegen einseitiger Aufhebung der hannoverschen Verfassung von 1833 durch den neuen König Ernst August nach verschiedenen fruchtlosen Vorstellungen, z.B.. beim Deutschen Bund, schließlich von den Juristenfakultäten Heidelberg, Jena und Tübingen Rechtsgutachten darüber erbeten, ob sie weiter die nach der aufgehobenen Verfassung ihr obliegenden Pflicht zur Beitreibung staatlicher Steuern erfüllen solle und überhaupt dürfe, oder ob sie sich nicht damit einer rechtswidrigen, eventuell zum Schadenersatz verpflichtenden Handlung schuldig machen würde. Die hierzu ergangenen Gutachten stimmten alle drei darin überein, daß die alte hannoversche Verfassung noch bestehe und daß jenes sie einseitig aufhebende Patent des Königs (1. November 1837) einen Rechtsbruch darstelle. Aber nur das Tübinger Gutachten zog weiter daraus die Schlußfolgerung, daß für die städtischen Behörden ein Steuerverweigerungsrecht gegeben sei, 135

42

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

5. Das Widerstandsrecht - jedenfalls das passive - war in Württemberg also in der Verfassung verankert. Dies stellt im württembergischen Verfassungsleben insofern keine singuläre Erscheinung dar, als der verfassungsmäßige Gehorsam bereits im Tübinger Vertrag von 1514 zum ersten mal gesetzlich festgeschrieben l36 , durch den Erbvergleich von 1770 sodann erneut festgelegt 137 und schließlich im Verfassungskampf durch die "Altrechtler" energisch verteidigt worden war!38. Eine gewisse Kontinuität des alten Verfassungszustandes mit dem neuen ist daher nicht von der Hand zu weisen. 6. Während die Verfassungen der drei anderen, süddeutschen Länder oktroyiert waren, war die württembergische eine vereinbarte 139 • Dies erlaubt die Annahme, daß die vorgenannten Besonderheiten der württembergisehen Verfassungsurkunde auf ihren vertraglichen Charakter zurückgeführt werden können. So hatte die Möglichkeit einer vertraglichen Vereinbarung über die Verfassung zur Voraussetzung, daß Einzelheiten der Staatsorganisation, die dem formellen Recht zugerechnet und daher in der Regel nicht in eine Verfassung aufgenommen zu werden pflegten, in der Verfassung geregelt wurden. Aus der Vertragsnatur der Verfassung ergab wenn die geforderten Steuern nicht vom rechtmäßigen Landtag bewilligt würden. Der König von Hannover habe durch die Verfassungsaufhebung seine Untertanen aller Pflichten gegen ihn entbunden, und so komme nun das allgemeine Widerstandsrecht gegenüber verfassungswidrigen Befehlen der Obrigkeit zur Geltung, das die Kehrseite des nicht unbedingten, sondern nur verfassungsmäßigen Gehorsam sei (vgl. auch F.F. Mayer, Grundsätze, S. 7), der sich von selbst verstehe, auch wenn er nicht in der Verfassung festgelegt sei, wie es in Hannover der Fall sei. Das Gutachten verwendet dabei große Sorgfalt darauf, einer mißbräuchlichen Ausdehnung des Widerstandsrechts vorzubeugen. Nur für die äußersten Fälle, wie etwa bei einem Verstoß gegen die Verfassung oder offenbar verfassungswidrigen Gesetzen sollte es gegeben sein, und auch dann nur, wenn ein unersetzliches oder doch wahrscheinlich unwiderbringliches Recht für den Widerstehenden bedroht sei und nur, wenn alle anderen Mittel versagen würden. Aber immerhin wurde mit diesen Maßgaben das Recht passiver Resistenz bejaht und selbst ein Recht aktiver Auflehnung gegen die Obrigkeit für extreme Fälle wenigstens hypotetisch zugesprochen (Bühler, a.a.O., S. 368 f.). Dieses .Gutachten wurde von Friedrich Christoph Dahlmann zusammen mit zwei anderen Gutachten herausgegeben (Gutachten der Juristen-Facultäten in Heidelberg, Jena und Tübingen, die Hannoversche Verfassungsfrage betreffend, Jena 1839). Eine ausführliche Abhandlung darüber fmdet sich bei Schreiner, Gutachten, S. 117 ff. 136

Reyscher, Sammlung, Bd. 11, Nr. 18.

137

Reyscher, a.a.o., Nr. 88.

138

List, Kampf, S. 58 ff.

139

Huber, VerfGesch., Bd. I, S. 318.

§ 5 Vom Schreiberinzipienten zum Regiminalstudium

43

sich außerdem zwingend, daß das Volk dem König nur insoweit Gehorsam zu leisten hatte, als jener nicht den Verfassungsbestimmungen zuwiderhandelte. Schließlich hatte der Staatsgerichtshof als Institution die Aufgabe, die Wirksamkeit und Ausführung des Verfassungsvertrages rechtlich zu gewährleisten. F.F. Mayer wurde während des Verfassungskampfes (1815-1819) in Schwä-

bisch Hall geboren (10. Februar 1816). Aus den folgenden Untersuchungen, vor allem im 2. Kapitel, ergibt sich, daß die Verfassungstradition seines Vaterlandes, die man mit Friedrich C. SeIl den "schwäbischen Liberalismus" nennen kann l40 , auch auf das verwaltungsrechtliche System F.F. Mayers Einfluß ausgeübt hat.

§ 5 Vom Schreiberinzipienten zum Regiminalstudium 1. Das Schreiberwesen in Württemberg F.F. Mayer hatte sich nach dem Besuch der Lateinschule entschlossen, Schreiber zu werden 141 • Bis Mitte der 30er Jahre des 19. Jh. gab es in Württemberg in der Laufbahn der Beamten überhaupt keinen Unterschied zwischen höherem und niederem Dienst142• Vielmehr war es damals üblich, daß die Beamten, wenn man von den wenigen Juristen am Hofgericht und den gelehrten Räten in den höchsten Landesbehörden absieht, weitgehend aus dem "Schreiberstand" stammten.

Man trat nach dem Besuch einer Lateinschule, d.h. mit dem 15. Lebensjahr, zunächst als "Inzipient", also Lehrling, in eine Schreiberstube ein. Dort erledigten die Inzipienten zuerst einfache Arbeiten; außerdem gehörten Stilund Schreibübungen (Protokolle, Inventuren, Teilungen, Rechnungen) genauso zur Pflicht wie die Lektüre des Landrechts, der Ordnungen sowie berufspraktischer Anleitungsschriften. Nach einigen Jahren wurde der Inzipient zum "Skribenten" mit der Folge, daß er die Schreibgeschäfte selbständig besorgen

140

141

Sell, Tragödie, S. 114. Oben S. 34 f.

Erst durch die Verordnung vom 10. Februar 1837 (Reg.-Bl. 1837, S. 86) wurde eine höhere DienslpTÜfung in Württemberg eingeführt (Penz, Juristenausbildung, S. 133). Zufällig wurde die Verordnung am 21. Geburtstag F.F. Mayers erlassen; daher war er einer der ersten Kandidaten. bei denen sie durchgeführt wurde. Siehe dazu unten S. 56 ff. 142

44

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

durfte. Schließlich war er nach einem bestandenen "Kanzleiexamen"143 als "Substitut", d.h. Stellvertreter seines Dienstherrn, zur Ausübung aller Geschäfte berechtigtl44 . Um die Zeit, als F.F. Mayer seine Berufsausbildung begann, wurden jedoch gerade die Prüfungsvorschriften reformiert. Die Geschichte des Schreiberstandes reicht weit zurück; bereits im Tübinger Nebenabschied von 1514 wurde das Schreiberinstitut als ein "von Alters herkömmliches Amt" bezeichnet145 . Den würuembergischen Gerichten stand auf den Dörfern zunächst kein eigener Schreiber zur Verfügung. Man pflegte sich z.B. beim Abschluß eines Vertrags an den Geistlichen oder den Schulmeister zu wenden, die damals als einzige des Schreibens kundig waren. Der letztere war auch häufig als Gerichtsschreiber tätig. Erst allmählich verlangte man eine regelmäßige Protokollführung während der Gerichtsverhandlungen. Diesem Bedarf entsprechend entstand der Berufsstand der Schreiber. Der Wirkungskreis des Schreibers wurde im Laufe der Zeit immer ausgedehnter, so daß er etwa im 16. Ih. außer der Protokollführung folgende Geschäfte zu besorgen hatte: Aktensammlung für die Gerichtsverhandlung, Besorgung verschiedener Registraturen, Fertigung der Gemeinderechnung, sogar das Abfassen der Stadtchronik l46 . Durch solche Sachkenntnisse erwarben sich die Schreiber eine gewichtige Rolle im Gerichtswesen. Dennoch genossen sie kein sehr hohes gesellschaft1iches Ansehen; sie erhielten kein festes Gehalt, sondern lebten von Sporteln ihrer Auftraggeber, die teils nach der in Anspruch genommenen Zeit, teils nach der Anzahl der bearbeiteten Blätter bezahlt wurden. Da sie aber ein quasi-zünftliches Monopol besaßen, war es für die Sicherung ihrer Einnahmen ausreichend, wenn sie einige Blätter mit möglichst wenigen Worten pro Blatt unter großem Zeitaufwand zu schreiben hatten. Klagen über Mißbräuche kamen deswegen bis ins 19. Ih. in Württemberg ständig zur Sprache 147 •

143 Bei den von der früheren Kanzlei abgespalteten Landesbehörden, dem Regierungsrat, der Rentkammer und dem Kirchemat wurde das Examen abgenommen (Dehlinger, Staatswesen, Bd. 2, S. 952). 144

Penz, Juristenausbildung, S. 32; Bleek, Kameralausbildung, S. 196.

145

Knapp, Gerichtsverfassung, S. 9.

146

Wächter, Privatrecht, Bd. 1/1, S. 297 ff.

147 Knapp, Gerichtsverfassung, S. 11 f. Friedrich List, der selbst auch aus dem Schreiberstand des Oberamts Blaubeuren stammte, rügte 1814 die Untauglichkeit der Schreiber: "Stadt- und Amtsschreibereien mit ihren unzähligen Gehülfen (man darf die Zahl derselben auf jedes Ober amt mit 15 bis 20 Personen amJehmen) beschäftigen sich blos mit Schreiben ... So würden die Rechnungen um 3 /4 mal umJöthigerweise ausgedehnt. Ich kamJ dies um so zuverlässiger behaupten, als ich selbst bey einem

§ 5 Vom Schreiberinzipienten zum Regiminalstudium

45

Die viel zu große Zahl der Schreiber und ihrer Gehilfen wurde ebenso beklagt l48 . Dennoch sah August Ludwig Reyscher (1802-1880), Tübinger Ordinarius der Rechtsgeschichte und des Privatrechts, der selbst in seiner Jugendzeit Schreiberinzipient gewesen war, Württemberg als die "terra laudata scribarum" an 149 . So verbrachte P.P. Mayer auch seine dreijährige Lehrzeit als Schreiber bei einem Amtsnotar und Verwaltungsaktuar namens Müller in Dußlingen bei Tübingen. Er erinnert sich folgendermaßen: "Der Notar ... war ein gutmütiger, aber weder wissenschaftlich angeregter noch charakterfester, von seiner Frau zu einigem Hochmute gesteigerter Mann ... Die Art und Weise des Lernens war eine vorzugsweise mechanische, und ich wurde mit mancher Arbeit viel geplagt, z.B. mit Formularen. Einige Wochen erhielten wir einmal Unterricht in der Theorie, aber es hörte dann auf und war auch nicht sonderlich anregend. In Abwesenheit des Prinzipals gab es müßige Stunden, da ward ... die ganze Bibliothek des Notars verschlungen. Auf dem Dorfe war sonst nichts zu erobern, in Tübingen aber war die Leihbibliothek benützt zum Teil mit übler Lektüre. Indessen gewann ich bald selbst durch Anschauung der Beispiele die nötige übung. Der Notar lobte mich öfters bei Dritten und war wohl mit mir zufrieden" 150.

Im März 1834 war die unbefriedigende Lehrzeit F.F. Mayers endlich abgeschlossenl 51 . Aufgrund seiner großen Begabung war es ihm wohl

vor kurzer Zeit gemachten Versuch eine Gemeinderechnung, welche vorher 280 Blätter enthielt auf 30 Blätter reduzierte, unbeschadet der Deutlichkeit des Geschäftes" (List, Gedanken, wiedergegeben bei Gehring, List, S. 374/375). 148 Knapp, a.a.O., S. 12. Der Untersuchung Gehrings zufolge (List, S. 115) waren 1816 in Württemberg 183 Schreiber, 300 Substitute und 295 Skribenten tätig, während im gleichen Jahr die Zahl der württembergischen Zivilstaatsdiener insgesamt 10.565 betrug, d.h. ebenso viel wie in dem fast dreimal so großen Bayern (Wunder, Privilegierung, S. 307).

149 Oben FN 108. Das Schreiberinstitut war die "Pflanzschule für die gesamte Bureaukratie des Landes" (Reyscher, Erinnerungen, S. 43). ISO

P.P. Mayer, Notizen, S. 7, unten S. 232 f.

151 Das Abschlußzeugnis des Amtsnotars Müller (9. März 1834) lautet: ,,Dem Herrn Pranz Maier, gebürtig aus Schw.[äbisch] Hall, welcher drei Jahre lang bei mir incipirt und mich nach Vollendung semer Lehrzeit als Gehülfe unterstützt hat, gab ich hiermit das gewissenhafte Zeugnis, daß er während dieser Zeit in moralischer Beziehung sich musterhaft betragen und sich recht schöne Kenntnisse im Fache der willkürlichen Gerichtsbarkeit sowohl als m den Verwaltungs geschäften durch anhaltenden Eifer und Fleiß erworben habe, so daß ich stets vollkommen mit ihm zufrieden war. Hierbei kann ich nicht unbemerkt lassen, daß wenn Herr Maier sein Vorhaben die Universität zu beziehen, ausführt, und dort gleichen Eifer und Fleiß wie bisher bethä-

46

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

nicht möglich, die monotone, wenig fruchtbare Laufbahn des Schreibers fortzusetzen, da er sonst verkümmert wäre. Nach Hall zurückgekommen, erklärte er dem Pfleger seine Wünsche, die "in Tübingen rege werden mußten, mich dem Studium zu widmen" 152. Ein halbes Jahr lang besuchte er dann wieder die Lateinschule in seiner Heimatstadt, um dort Privatunterricht in Französisch und in Geometrie zu nehmen. Der Lehrer hielt es kaum für möglich, daß er eine Aufnahmeprüfung für die Landesuniversität Tübingen 153 bestehen könne. Doch es gelang l54 • Statt sich jedoch an der juristischen Fakultät in Tübingen zu bewerben, immatrikulierte er sich an der staatswirtschaJtlichen Fakultät, die dort erst 1817 errichtet worden war155 • Bevor wir nunmehr seine Studentenzeit betrachten, ist es zweckmäßig, einen Blick auf diese Fakultät und das Studium zu werfen.

tigt, sich mit Grund erwarten läßt, daß er sich zu einem recht tüchtigen Manne heranbilden werde, zurnal als es ihm an Talent durchaus nicht fehlt" (Anhang zu F.F. Mayer, Notizen, S. 5).

F.F. Mayer, Notizen, S. 8, unten S. 233. Anders als heute gab es damals in Württemberg eine zentrale Maturitätsprüfung; die dezentrale Abiturprüfung konnte sich erst ab 1873 durchsetzen. Zur Feststellung von Talent und Kenntnis hatten sich die Kandidaten in Latein durch schriftliche und mündliche Probeübersetzungen auszuweisen; es waren Fragen aus der Logik, der Geschichte und der Geographie zu beantworten, Aufgaben aus der Mathematik zu lösen und über Religions- und Sittenlehre ein Aufsatz in deutscher Sprache anzufertigen (Penz, Juristenausbildung, S. 61; Müller-Pabst, Staat und Universität, S.96). Die Kandidaten für die juristische Fakultät mußten außerdem noch eine mündliche und schriftliche Prüfung in griechischer Sprache ablegen, während "Cameralisten" (Staatswirte) davon befreit worden waren, weshalb die juristische Ausbildung ein größeres Ansehen genoß (Penz, ebd., S. 129). F.F. Mayer erzählt selbst: "Unter meinen Examinatoren war Gustav Schwab, der bei der Übersetzung aus Livius beifällig lächelnd mich anhörte" (F.F. Mayer, Notizen, S. 8, unten S. 233). 154 F.F. Mayer, Notizen, S. 8, unten S. 233. ISS Verzeichnis der Studierenden auf der Königlich Württembergischen Universität Tübingen zu Anfang des Winterhalbjahrs 1834/35, S. 16 (Nr. 638). Laut der Eintragungen immatrikulierte sich F.F. Mayer am 13. November 1834 an der staatswirtschaftlichen Fakultät. Am Anfang des 19. Jh. waren in Deutschland nur noch 19 Universitäten vorhanden (Titze, Hochschulstudium, Bd. I/l, Einleitung, S. 16). Im WS 1834/35 befanden sich insgesamt 12.575 Studenten in Deutschland, und davon studierten 3.371 Rechts- und Staatswissenschaft (Titze, a.a.O., S. 86: Tabelle 23). Andererseits hatte die Universität Tübingen im WS 1835/36 insgesamt 609 Studenten und 36 Professoren (Ellwein, Universität, S. 323: Tabelle 4). Im WS 1834/35 waren 37 Studenten (35 Württemberger, 2 Ausländer) an der staats wirtschaftlichen Fakultät eingeschrieben (Verzeichniß, S. 15/16). 152

153

§ 5 Vom Schreiberinzipienten zum Regiminalstudium

47

2. Die staatswirtschaftliche Fakultät an der Universität Tübingen Da sich die Gründung der staatswirtschaftlichen Fakultät vor dem Hintergrund einschneidender Veränderungen im Staatsleben vollzog, soll hier zunächst kurz auf diese Ereignisse eingegangen werden. Zu Anfang des 19. Jh. verdoppelte sich im Königreich Württemberg nicht nur die Bevölkerung, sondern auch das Staatsgebiet156 . Schon vor Beginn des Verfassungskampfes in der Zeit von 1803 -1810 wurden grundlegende organisatorische Reformen im Hinblick auf die neue Staatseinheit durchgeführt. Als Reformprinzipien galten vor allem das Realsystem in der Geschäftsverteilung und das Bureausystem in der Geschäftsbehandlung1s7 . Unter einem Geheimen Rat als "Verwaltungskabinett"lS8 wurden sechs Fachministerien eingerichtet1S9 . Das Land wurde in vier Kreise als Mittelinstanzen l60 und in 65 Oberämter als unterste Bezirke eigeteilt 161 . Die Verwaltung wurde hierbei bis auf die unterste Stufe von der Justiz völlig getrennt 162 • Trotz dieser Umwälzung existierte die "Schreiberkaste" weiter: Schon unter den einfacheren Verhältnissen des 18. Jh. war die württembergische Verwaltung der Schreiber mangelhaft gewesen 163 . So hielt Friedrich List

156 Die Bevölkerungszahl wuchs von 650.000 auf 1.400.000 und das Landesgebiete von 9.500 km2 auf 19.000 km2 an (Seybold, Württembergs Industrie, S. 3). 157

Knemeyer, Reformen, S. 304 ff.

158 Knemeyer, Kabinett, S. 411 f.; ders., Reorganisation, in: DVG, Bd. II, S. 120 ff. (insb. S. 139). 159 Es waren: das Ministerium der Justiz, der auswärtigen Angelegenheiten, des Inneren, des Kirchen- und Schulwesens, des Kriegswesens und der Finanzen (VU § 56, in: Huber, Dokumente, Bd. I, S. 194). 160 Nachdem ein Plan, das Land in drei Provinzen einzuteilen, gescheitert war (1806), wurde es vorläufig in 12 Kreise geteilt (§ 22 des Organisationsmanifestes von 1806). Sodann wurden sie in "Landvogteien" umbenannt (1810). Schließlich wurde ihre Zahl auf vier reduziert und die Bezeichnung wieder in "Kreis" geändert (1818). Dazu Winterlin, Behördenorganisation, Bd. I, S. 196 f., 229; Bd. 11, S. 14; Grube, Vogteien, Bd. I, S. 72. 161 Die Amtskörperschaften (Alt-Württemberg) und Ober ämter (Neu-Württemberg), deren Zahl sich insgesamt auf etwa 140 belief, wurden zwischen 1807 und 1810 in 65 Oberämter umgewandelt (Holzmann, Oberämter, S. 164).

162

Herzog von Württel'l'iberg, Trennung, passim.

163

Born, Geschichte, S. 7.

48

Kap. 1: F.F. Mayer Wld seine Zeit

z.B. das Schreiberwesen für den "Sitz des Übels"I64; nach Hegel sei der "Schreiber-Unfug" in der Vergangenheit unter anderem für die Auswanderung der Bevölkerung verantwortlich gewesen l65 . Da die Schreiber keine akademische Ausbildung genossen hatten, waren sie für die Verwaltung des neuen Verfassungsstaates im 19. Jh. nicht mehr geeignet. Deshalb konnten sie nicht länger eingesetzt werden. Um die Verwaltung des neuen Verfassungsstaates sicherzustellen, sollten die zukünftigen Staatsdiener eine wissenschaftliche Ausbildung erhalten. Aus dieser Perspektive muß die Bedeutung der Gründung der staatswirtschaftlichen Fakultät an der Universität Tübingen begriffen werden. Dieses Modell der württembergischen Beamtenausbildung hatte es aber auch eine über die partikulare Landesgeschichte hinausgehende Bedeutung: Denn das "vormärzliche Württemberg stellt in der Ausgestaltung seines Studien-, Prüfungs- und Ausbildungswesens, in der universitären Verankerung der staatswissenschaftlichen und öffentlichrechtlichen Fächer die umfassende

164 List, Gutachten an das württembergische Innenministerium vom 26. Januar 1816, zitiert nach Gehring, List, S. 82.

165 Hegel, Politische Schriften, S. 140 ff., insbes. S. 236 ff. Bis zum Ende des 18. Th. wanderten beispielsweise aus Deutschland nach Nordamerika etwa 200.000 Personen aus, wobei über die Hälfte aus Süddeutschland stammten (Bassier, AuswandeTWlgsfreiheit, S. 117 ff.). Diese Auswanderungsfreiheit hängt eng zusammen mit religiösen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren, mit der Reformation, der Entstehung einer kapitalistischen Wirtschaftsform, der Herausbildung der Souveränität des Territorialstaates und seines Herrschaftsapparates und der Agrarverfassung (Ballestrem, Emigrationsrecht, S. 146 f.; Gerteis, AuswanderWlgsfreiheit, S. 163). Politische und religiöse Gründe gab es in Württemberg jedoch kaum, weil hier die "Landschaft" eine übergeordnete Macht besaß und andererseits die BevölkerWlg fast ausnahmslos protestantisch war. Wesentlich für den Auswanderungswunsch waren hier also die wirtschaftlichen Faktoren: die Erbteilung, die in Süddeutschland üblich war; die daraus folgende Zerstückelung des Bodens; die allzu dichte Bevölkerung und die Armut (Bassier, a.a.O., S. 122). Zum anderen waren die Rechtsinstitute Württembergs für die AuswanderWlg sehr günstig: bereits der Tübinger Vertrag (111 10) räumte der Landschaft, auch den Leibeigenen, den Freizug ein (Reyscher, SammlWlg, Bd. n, Nr. 18). Dies war ein ungewöhnliches Privileg für die damalige Situation, weil in den anderen Territorien jener Zeit regelmäßig Auswanderungsverbote erlassen wurden (Ballestrem, a.a.O., S. 148). Trotz der Versuche der Herzöge, die AuswanderWlgsfreiheit zu beseitigen, wurde deren Gewährleistung erhalten Wld durch den Erbvergleich (1770) erneut anerkannt (Reyscher, a.a.O., NI. 88). Schließlich bestimmt § 32 der VU von 1819: "Jedem Staatsbürger steht es frei, aus dem Königreiche, ohne Bezahlung einer Nachsteuer, auszuwandern" (Huber, Dokumente, Bd. I, S. 191).

§ 5 Vom Schreiberinzipienten zum Regiminalstudium

49

Alternative zum preußischen System dar"l66. Schlagwortartig stellt man in diesem Zusammenhang dem ,)uristenmonopol" in Preußen das "Sonderstudium der Verwaltungs beamten" in Württemberg gegenüber 167 . In der Tat war das Qualifikations- und Prüfungssystem der übrigen deutschen Länder zwischen diesen beiden Polen einzuordnenl68 . Nach den vergeblichen Versuchen der Institutionalisierung eines besonderen, akademischen Verwaltungsbeamtentums im 16. und 18. Jh. l69 lebte diese Problematik zu Beginn 166 Bleek, Kameralausbildung, S.21 (Hervorhebung vom Verfasser). In ähnlichem Sinne ist die folgende Anmerkung Ottmar Bühlers (Zuständigkeit, S. 5) aufschlußreich: ,,Nun stellen in Beziehung auf den Gesamtcharakter des Staatswesens und die Verfassungsgeschichte Preußen, das Land des stärksten entwickelten und am spätesten überwundenen Absolutismus, das Land dessen Regierungssystem man bis heute noch ein vorwiegend konservatives nennen muß, und Württemberg mit seiner bis 1805 erhaltenen ständischen Verfassung, seiner nach kurzer Zeit des Absolutismus (1806-1819) aufgerichteten modemen Verfassung, die dem Volk einen sehr großen Anteil an der Regierung sichert, und überhaupt dem stark demokratischen Grundzug seines Staatslebens im alten wie im neuen Verfassungsstaat unter den monarchisch regierten Staaten Deutschlands wohl die größten Gegensätze dar. Ebenso "stellt in der Ausgestaltung seines öffentlichen Rechts Württemberg den größten Gegensatz zu Preußen dar" (Bühler, Eigenart, S. 363). Dies zeigt sich auch an der Verwaltungsrechtswissenschaft P.P. Mayers, die aus dem württembergischen System hervorgegangen ist. 167 Bleek, Kameralausbildung, S. 102 ff. (Preußen) und S. 203 ff. (Württemberg). Diesen Unterschied findet man auch auf einer anderen Ebene wieder: In Preußen waren damals ein dreijähriges Studium und ein vierjähriger Vorbereitungsdienst üblich; in Württemberg hingegen zwangen die umfassenderen theoretischen Anforderungen der ersten Prüfung zu einem Universitätsstudium von durchschnittlich vier Jahren, während das Referendariat nur ein Jahr dauerte. ,,Zwischen akademischer Lehre und justizieller und administrativer Praxis bestand in den süddeutschen Staaten nie jene für Preußen kennzeichnende Kluft" (Bleek, a.a.O., S. 54). 168

Bleek, a.a.O., S. 262.

1559 wurde ein Collegium Illustre in Tübingen gegründet, das der Erziehung künftiger Staatsdiener gewidmet war. Dort wurden die Institutionen, das Lehen-, Straf- und Prozeßrecht, die Geschichte und Politik, die Logik und die Rhetorik sowie Italienisch und Französisch gelehrt. Da damals die Verwaltung von der Justiz nicht getrennt wurde, mißlang dieser Versuch. Nachdem das Collegium Illustre infolge der Franzoseneinfälle (1688) endgültig geschlossen worden war, entstand 1770 die Hohe Karlsschule in Stuttgart: Der kameralistische Unterricht begann 1773, die juristischen Fächer kamen 1777 und in den folgenden Jahren Physik, Botanik, Chemie, Mathematik, Rechnungsstil und Landwirtschaft, vor allem aber Bergbau, praktische Geometrie und Baukunst, Finanzwissenschaft und Kanzleipraxis hinzu. Wegen der Finanznot wurde die Karlsschule jedoch nach dem Tode ihres Begründers, des Herzogs Karl Eugen, 1794 geschlossen (Penz, Jurlstenausbildung, S. 33 ff.). Zum Collegium Illustre 169

4 Ishikawa

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Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

des 19. Jh. wieder auf. Die Notwendigkeit, wissenschaftlich ausgebildete Beamte heranzuziehen, war als solche unumstritten; fraglich waren lediglich Art und Ausmaß. Diskutiert wurden 1. eine Erweiterung der philosophischen Fakultät; 2. die Neuerrichtung einer politischen Fakultät, die aus der Rechtswissenschaft und der "Staatsgelehrtheit" (Staatswissenschaft) bestehen sollte, und 3. die Gründung einer eigenen staatswirtschaftlichen Fakultät17o. Karl August Freiherr von Wangenheim (1773-1850)171 hatte bereits 1811, nachdem er Kurator der Universität Tübingen geworden war, mit Friedrich Karl von Fulda (1774 -1847)172 die Errichtung einer besonderen Fakultät erörtert. 1816 wurde Wangenheim von König Wilhelm I. zum Minister des Kirchen- und Schulwesens ernannt. 1817 nahm er jene Pläne wieder auf und beauftragte seinen Vertrauten Friedrich List, ihm ein Gutachten über die akademische Vorbildung der Staatsdiener im Verwaltungsfach vorzulegen l73 • Bestätigt durch seinen regen Meinungsaustausch mit Fulda 174 richtete er am 11. Juni 1817 an den König den Antrag, an der Universität Tübingen eine Staatswirtschaftliche Fakultät errichten zu dürfen 175. Vier Monate später gab der König dem Ministerium des Kirchen- und Schulwesens die Vollmacht zur Fakultätsgründung (17. Oktober 1817). Die neue, sechste Fakultät mit fünf Ordinariaten 176 nahm schließlich am 26. Oktober 1817 durch Erlaß des Ministeriums an den akademischen Senat der Universität ihre Tätigkeit auf177 •

siehe Schüz, Collegium Illustre, S. 243 ff., und über die Karlsschule Uhland, Hohe Karlsschule, passim. 170

Penz, Juristenausbildung, S. 127 ff.

Zu Wangenheim siehe Huber, VerfGesch., Bd. I, S.382. Born (Geschichte, S. 1) zählt ihn außer Fr. List zu den "Initiatoren der Staats wirtschaftlichen Fakultät". 171

172 Fulda - ,,Karisschüler" - War damals Ordinarius der Kameralwissenschaften arJ der philosophischen Fakultät in Tübingen. Mit der Fakultätsgründung hatte er darm das Ordinariat der Staatswirtschaftstheorie inne (Born, a.a.O., S. 161). 173

Bleek, Kameralausbildung, S. 203.

174

Born, Geschichte, S. 12 ff.

175

Born, a.a.O., S. 17. Der Antrag ist abgedruckt bei Gehring, List, S. 406 ff.

Näheres bei Born, a.a.O., S. 150 ff. Nach der Entlassung Lists wurde die Staatsverwaltungspraxis umbenarmt in Staatsrecht, Politik, Enzyklopädie der Staatswissenschaften und durch Robert von Mohl übernommen (Born, a.a.O., S. 151). 176

177

Born, a.a.O., S. 19 mit dem Erlaß (a.a.O., S. 116 ff.).

§ 5 Vom Schreiberinzipienten zum Regiminalstudium

51

Da hier nicht der Ort ist, auf die Fakultätsgeschichte näher einzugehen, wird nur auf das für die Untersuchung Notwendigste hingewiesen: Die Fakultät war damals in Deutschland einzigartig. Trotz der hoffnungsvollen Neugründung übte sie anfangs keine Anziehungskraft auf die Studierenden aus. Der Antrag auf die Verleihung eines Promotionsrechts wurde 1818 verweigert, "weil nirgends in Deutschland Doktoren der Staatswirtschaft kreiert würden,,!78. Die Rettung trat schließlich Ende der 20er Jahre auf den Plan; nach der Entlassung Lists 179 wurde zunächst K.H.F. Krehl (1783 -1824) zu seinem Nachfolger ernannt. 1828 trat der bisherige Extraordinarius für Staatsrecht an der Juristischen Fakultät, Robert von Mohl (1799 - 1875) dessen Nachfolge an. Erst mit seinem Eintritt in die Fakultät "begann der Umschwung, und zehn Jahre später erreichte sie den ersten Höhepunkt ihrer akademischen Wirksamkeit und ihrer wissenschaftlichen Bedeutung. Mahls Energie und Organisationstalent, seine Lehrbefähigung und sein wissenschaftlicher Rang und nicht zuletzt auch seine gute Beziehung zum Universitätskanzler ... haben die Entwicklung der Staatswirtschaftlichen Fakultät fast zwei Jahrzehnte lang beeinflußt und gefördert,,180.

3. Der "Staatswirt" im Vormärz So immatrikulierte sich F.F. Mayer im November 1834 als Student an der Königlich-Württembergischen Universität Tübingen l81 . Dort studierte er sechs Semester (bis Ende SS 1837) staatswirtschaftliche Wissenschaften. Er blickt auf seinen Studienanfang und erzählt: "Ohne Plan und Leitung begann

178 Born, a.a.O., S. 24. Das Promotionsrecht erhielt die Fakultät - auf Mohls Betreiben - erst am 29. April 1830. Es wurde der Titel eines Dr. oec. publ. verliehen (Born, a.a.O., S. 34).

179

Huber. VerfGesch .• Bd. I. S. 384 ff.

ISO Born. Geschichte. S. 34. Mohl kann auch das Verdienst zugesprochen werden. daß er mit den anderen Fakultätskollegen 1844 die berühmte Tübinger .,Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" gründete (Stolleis I Schmitt. Zeitschriften. S. 752). Der Entwurf zur Gründung ist abgedruckt bei Born. a.a.O., S. 122-127. Im Gründungsheft setzte sich Hoffmann, der erste Lehrstuhlinhaber des Verwaltungsrechts in Deutschland (oben S. 28 f.), mit dem •.Begriff. dem Inhalt und der Bedeutung des Staatsverwaltungsrechts in dessen engeren Sinne" auseinander (ZgStW 1, S. 190-219). Vgl. auch unten S. 113 ff. 181

4*

Oben S. 46 f. mit FN 155.

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Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

ich meine Studien im Herbst 1834. Die viele freie Zeit, die Ungebundenheit war mir etwas ganz Neues und tat mir sehr wohl,,182. Unter den Studierenden der Fakultät, den "Staatswirten", waren zwei Richtungen zu unterscheiden: die "Kameralisten" einerseits und die ,,Regiminalisten" andererseits. Die beiden Begriffe wurden zwar bis zum 19. Ih. synonym gebraucht und meinten die höheren Verwaltungsbeamten l83 . Später wurden mit dem Begriff "Kameralisten" allein die Finanzbeamten bezeichnet, während der Begriff "Regiminalisten" für die Beamten der Innenverwaltung verwandt wurde l84 • Ab 1837 galten für sie zwei verschiedene Prüfungsordnungen 185 .

Beiden Fachrichtungen war dennoch gemeinsam, daß die Studierenden innerhalb von sechs Semestern insgesamt fünfundzwanzig Fachvorlesungen hören mußten 186. Aus den eigenhändigen Eintragungen der "Fächerwahlverzeichnisse" F.P. Mayers, die sich heute im Besitz des Universitätsarchivs Tübingen befinden, ergibt sich, daß er vierundzwanzig Lehrveranstaltungen besuchte!87. Hierbei sind drei verschiedene Fächer voneinander zu unter-

182 F.F. Mayer, Notizen, S. 8, unten S. 234. ,,Nach meiner jetztigen Anschauung [war die Studienzeit] eine fast verlorene Zeit. Aus der Schreiberstube heraus war mir die Idee wissenschaftlichen Studiums ziemlich neu und fremd, es fehlte an der Anregung und Anleitung. Kein concentriertes Streben auf ein Bestimmtes, ein Hang zum Allerlei und Vielerlei, ein träumerisches Hinleben ohne klares Ziel und Bewußtsein ..." (ebd., S. 11, unten S. 236). 183

Penz, Juristenausbildung, S. 33 FN 1.

184

Penz, a.a.O., S. 131 FN 45.

Diese neue Dienstprüfungsordnung für die Regiminalisten (Reg.-BL 1837, S. 86) erhebt württembergisches Staatsrecht, Privat-, Kirchen, Straf- und Prozeßrecht zu Gegenständen der Prüfung, während die kameralistische Prüfungsordnung (Reg.BI. 1837, S. 93) wenig Wert auf das Studium juristischer Fächer legte (Penz, a.a.O., S. 131, 141). 185

186

Penz, Juristenausbildung, S. 131.

Studentenakten F.F. Mayers: UATü 40/141, Nr. 38. Danach hörte er folgende Vorlesungen (in Klammern werden der Name des Dozenten und die Anzahl der Wochenstunden jeder Vorlesung genannt): [WS 1834/35] Logik (Fischer: 4 St.); Universal-Geschichte, 1. Teil (Haug: 5 St.); Natur-Recht (Reyscher: 4 St.); Enzyklopädie der ökonomisch-politischen Wissenschaften (Fulda: 3 St.). [SS 1835] Institutionen (Hepp: 5 St.); Landwirtschaftslehre (Widemann: 6 St.); Universal-Geschichte, 2. Teil (Haug: 5 St.); Deutsche Literatur (Fischer: 2 St.); Experimental-Physik (Nörrenberg: 5 St.). [WS 1835/36] Pandekten, 1. Teil (Mayer: 10-11 St.); Württembergisches und deutsches Staatsrecht (Mohl: 6 St.); Staats- und Privat-Cameralrecht (Mohl: 5 St.). [SS 1836] Gemeines und württembergisches Kirchenrecht (Scheuerlen: 5 St.); 187

§ 5 Vom Schreiberinzipienten zum Regiminalstudium

53

scheiden: 1. juristische, 2. staatswirtschaftliche und 3. allgemeinwissenschaftliche Fächer. Allerdings gehörte damals das öffentliche Recht im heutigen Sinne noch nicht zum Studium der Rechtswissenschajten188 • Zählt man die "öffentlichrechtlichen" Fächer daher nicht zu den juristischen Disziplinen, sondern zu den staatswirtschaftlichen Fächern, so setzen sich die Vorlesungen, die F.F. Mayer hörte, aus 8 juristischen, 8 staatswirtschaftlichen und wiederum 8 allgemeinwissenschaftlichen Fächern zusammen 189 • Wenn man von der letzten Gruppe einmal absieht, zeigt sich folgendes Bild: Unter die juristischen Fächer fallen: 1. Institutionen; 2. Pandekten; 3. deutsches und 4. württembergisches Privatrecht; 5. Strafrecht; 6. Kriminalprozeßrecht; 7. Naturund 8. Kirchenrecht. Bei den staatswirtschaJtlichen kann man dagegen als "öffentlich-rechtliche" Fächer im weiteren Sinne nennen: 1. Staatsrecht; 2. Kameralrecht; 3. wÜfttembergische Verwaltungsgesetze; 4. Polizeiwissenschaft und 5. Politik, während 6. ,,Enzyklopädie", 7. Technologie und 8. Landwirtschaftslehre staatswirtschaftliche Fächer im engeren Sinne waren. Dabei ist augenfällig, daß Robert von Mohl alle fünf "öffentlich-rechtlichen" Fächer allein las. Beachtlich ist es auch, daß man dort die Bezeichnung "Verwaltungsgesetze" findet. Aus dem damaligen Vorlesungsverzeichnis der Universität Tübingen kann man entnehmen, daß es sich um "historisch-kritisch[e]" Erläuterungen der "württembergischen Verwaltungsgesetze (mit Ausschluß der Finanzgesetze)" handelte l90 • Der Lehrstoff wird dort nicht ausdrücklich genannt; vermutlich hat Mohl den zweiten Band seines "Staatsrechts des Königreiches Württemberg" der Vorlesung zugrundegelegt l91 • Württembergische Verwaltungsgesetze (Mohl: 5 St.); Deutsches Privatrecht (Michaelis: 5 St.); Geschichte der deutschen Poesie (Vischer: 3 St.). [WS 1836/37] Strafrecht (Hepp: 8 St.); Württembergisches Privatrecht (Michaelis: 5 St.); Polizeiwissenschaft (Mohl: 5 St.); Religions-Philosophie (Baur: 4 St.). [SS 1837] Politik (Mohl: 5 St.); Spezielle Technologie (Poppe: 5 St.); Kriminalprozeß (Scheuerlen: 5 St.); Deutsche Stilübungen (Vischer: 1 St.). Die Anzahl der Wochenstunden beruht auf den Angaben im "Verzeichnis der Vorlesungen der Universität Tübingen" (WS 1834/35-SS 1837). 188

Penz, Juristenausbildung, S. 75.

189

Vgl. oben FN 187.

190 Vorlesungsverzeichnis SS 1836, S. 11. Die Finanzgesetze wurden deswegen ausgeschlossen, weil sie Gegenstand des "Cameralrechts" waren. 191 P.F. Mayer hörte Mohls "Verwaltungsgesetze" im SS 1836, während Mohls "Staatsrecht" 1829 (Bd. I) und 1831 (Bd. 11 - Verwaltungsrecht) erschien (Dennewitz, Systeme, S. 47 ff.).

54

Kap. 1: P.P. Mayer und seine Zeit

Es ist leider nicht bekannt, wie F.F. Mayer die Vorlesung Mohls über die "Verwaltungsgesetze" inhaltlich bewertete, da er sich in seiner Autobiographie nicht äußert. Er lobte lediglich Mohls "lebendigen Vortrag" aus dem Gebiet des Staatsrechts l92 , während er sein Kameralrecht als ein "an Tiefe und juristischer Schärfe des Vortrags fehl[ende)", "unter Gähnen vor[getragene]" und "sehr schlecht[e]" Vorlesung beschreibt193 . Seinen polizeiwissenschaftlichen Vortrag hielt Mayer für "gut"I94. In den anderen Ländern wurden damals die Verwaltungsgegenstände an den Universitäten noch innerhalb der Polizei- und Finanzwissenschaft behandelt l95 • Hingegen wurden in Tübingen - wie gesehen - das Kameralrecht und die Verwaltungsgesetze auBerhalb des Staatsrechts und der Polizeiwissenschaft als selbständige Disziplin gelehrt. Dies führte in der Folgezeit, allerdings erst nachdem p.p. Mayer sein Studium abgeschlossen hatte, zur "Errichtung des ersten verwaltungsrechtlichen Lehrstuhls in Tübingen (1843)"196. Diesen übernahm Hoffmann, einer der "beiden Professoren der zweiten Generation" der Fakultätl97 . Hoffmann hatte den künftigen Regiminalisten und Kameralisten das württembergische Verwaltungs- und Finanzrecht vorzutragen. Nach der Entlassung Mohls (1845)198 war er bis zur Errichtung des staatsrechtlichen Lehr-

192

F.F. Mayer, Notizen, S. 9, unten S. 235.

193

F.F. Mayer, a.a.O., S. 10, unten S. 235.

194

F.F. Mayer, a.a.O., S. 10, unten S. 235.

195

Feist, Entstehung, S. 109.

196 Stern, Bundesgesetzgebung, S. 265. Das Errichtungsjahr dieses Lehrstuhis muß aber richtigerweise nicht 1843, sondern 1842 lauten, denn .. Hoffmann übernahm den 1842 neu errichteten Lehrstuhl" (Born, Geschichte, S. 43). 197 Born, a.a.O., S. 42. Der andere war Christoph Schüz (1811-1875), der als Nachfolger Fuldas ebenfalls 1842 den Lehrstuhl für Nationalökonomie (früher: Theorie der Staatswirtschaft) innehatte (Born, a.a.O., S. 43). Hoffmann beschränkte sich in seinen Vorlesungen und literarischen Arbeiten aber auf das geltende württembergische Recht und seine Geschichte: ,,Ein Dogmatiker war er nicht" (Born, a.a.O., S. 44). Er ist dennoch "als Vorläufer der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jh. entwickelnden sog. staats wissenschaftlichen Behandlungsweise des Verwaltungsrechts anzusehen, weil er die Verwaltungsgebiete nicht ausschließlich vom Rechtsstandpunkt behandelt wissen will, sondern auch von ihrer organisatorischen Seite" (Feist, a.a.O., S. 110/ 111). Zu Hoffmann siehe auch unten S. 113 ff. 198 Der württembergische hmenminister Johannes Schlayer wollte 1844 das Sonderstudium der Verwaltungsbearnten abschaffen und versuchte das ausdrücklich aufgegebene römische Recht wieder in den Kanon der Prüfungsfächer aufzunehmen.

§ 5 Vorn Schreiberinzipienten zum Regiminalstudium

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stuhls (1865) lange Zeit der "einzige Öffentlichrechtler der Fakultät" 199. Als erster Lehrstuhlinhaber des Verwaltungsrechts forderte er noch im Gründungsheft der Tübinger Zeitschrift, daß dem Verwaltungsrecht "bei dem akademischen Unterricht ... eine eigene und volle Stelle unter den bereits eingebürgerten Lehrfächern einzuräumen sei"zoo. Diese Bewertung der "öffentlich-rechtlichen" Fächer dürfte wohl auch F.F. Mayer etwa 20 Jahre nach seinem Studienabschluß dazu angeregt haben, das System des Verwaltungsrechts mit einer neuen, juristischen Methode anzugehen Z01 • Zwei Dinge seien noch erwähnt, bevor wir die Studentenzeit F.F. Mayers Z02 verlassen: der Erwerb einer Preismedaille und der Erlaß einer neuen

Angesichts dieser Fakultätskrise verteidigte Mohl das Sonderstudium in einern Aufsatz seiner Zeitschrift und kritisierte die Regierung scharf (Mohl, Bildung, S. 129184). Wegen einer Indiskretion wurde Mohl am 6. Dezember 1845 seiner Professur enthoben und als Rat an die Kreisregierung Ulm versetzt (Born, Geschichte, S. 51; Angermann, Mohl, S. 47 ff.). 199 Born, Geschichte, S. 43/44. 1865 wurde das Ordinariat für Staatsrecht, Völkerrecht und Polizeirecht errichtet, das Karl Vi/aor Fricker (1830-1907) übernahm. Am Ende des 19. Jh. wurde der Lehrstuhl in einen für "Öffentliches Recht" umgewandelt. Auf diesem Lehrstuhl finden sich folgende große Namen (in Klammem wird die Amtszeit genannt): Gerhard Anschütz (1898-1899); Heinrich Triepel (1900-1909); Richard Thoma 0909-1911); Rudolf Smend (1911-1915) und Marschall von Bieberstein (1915 -1920). Siehe Born, Geschichte, S. 153 ("Genealogie und Besetzung der Lehrstühle"). 200

Hojfnulnn, Begriff, S. 217. Vgl. auch unten S. 113 ff.

201

Siehe FN 202.

202 F.F. Mayer schloß sein Studium an der "Eberhardina" ab. 1857, genau zwanzig Jahre später, kamen seine "Grundzüge des Verwaltungs-Rechts und -Rechtsverfahrens" 002 S.) als Vorstudie zu den 1862 erschienen "Grundsätze des VerwaltungsRechts" (500 S.) zur Veröffentlichung: möglicherweise erschien schon 1856 ein Vorläufer zu beiden Werken mit dem Titel "Über Verwaltungs-Recht und -Rechtspflege" in der Tübinger Zeitschrift (ZgStW 12: Erster Artikel, S. 284-312; Zweiter Artikel, S. 461-485). Hinsichtlich dieses letzten Beitrags trat Mohl, der Chefredakteur der Zeitschrift, in einern Schreiben vorn 09. Juli 1845 an F.F. Mayer mit folgender Bitte heran: ,Jch bin nun beauftragt, Ihnen unsere gemeinsame Bitte um Beiträge vorzulegen. Ihre Schriften, namentlich auch die neueste [hier sind vermutlich die "Grundzüge des polizeilichen Strafrechts" Mayers (Neckarsulm 1845) gemeint] beweisen, in welch seltenem Grade Sie mit dem praktischen Leben die wissenschaftliche Forschung und Ausbildung der Ideen zu verbinden wissen, daß wir nicht fürchten, eine abschlägige Antwort zu erhalten" (Anhang zu F.F. Mayer ,.Notizen", S. 8). Zu dieser fortschrittlichen Atmosphäre der ,,Eberhardina" bemerkt Denn.ewitz: "Wurde in diesem Zeitabschnitt [i.e. der ,.nationalstaatsbürgerlichen Epoche", wie er sie narIn-

56

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

Dienstprüfung für "Regiminalisten", die ihn betraf. König Friedrich hatte 1811 eine Verordnung erlassen, nach der alljährlich für alle Fakultäten seiner Universität zur Belohnung für besonderen Fleiß Preise für wissenschaftliche Arbeiten ausgesetzt und am Geburtstag des Königs (6. November) vor versammeltem Senat verliehen werden sollten203 • Daneben sollte die staatswirtschaftliche Fakultät jährlich ihren eigenen, akademischen Preis verleihen. So stellte sie 1835/36 folgende Preisaufgabe: "Unter welchen Gesichtspunkten stellt die National-Oekonomie die verschiedenen künstlichen Verbindungsmittel der Orte und Länder (Straßen, Kanäle, Eisenbahnen) und ihre gegenseitigen Verhältnisse?"204 P.P. Mayer beschreibt seine Studiensituation und seine Beteiligung am vorgenannten Wettbewerb folgendermaßen: Es fehlte ihm "an der Anregung und Anleitung. Kein concentriertes Streben auf ein Bestimmtes ... Ich bearbeitete eine Preisaufgabe":WS. Dann gewann er in der Tat den ausgesetzten Preis, obwohl er "dazu morgens je eine Stunde verwendete" und ihm die Aufgabe "fast keine absonderliche Mühe" bereitete206 •

Gerade am Ende seiner Studienzeit, und zwar zufällig an seinem 21. Geburtstag, am 10. Februar 1837, wurde eine Verordnung über die Dienstprüfung im Departement des Inneren erlassen; danach wurden zum erstenmal in

tel eine Verwaltungswissenschaft auf Lehrstühlen vertreten? Die einzigen modernen Lehrstühle hielten Mohl und Hoffmann besetzt. Beide lehrten in Tübingen." (DeflTU!witz, Systeme, S. 53) 203

Dehlinger, Staatswesen, Bd. I. S. 518.

204 ,.Bekanntmachung der Ergebnisse der academischen Preisbewerbung" (v gl. Quellen- und Schrifttumsverzeichnis), S. 15. Weiter heißt es dort (a.a.O.): ,,Die Fakultät wird es gerne sehen, wenn die Wirkungen jener Verbindungsmittel auf die National-Reichtümer einzelner bestimmter Staaten werden nachgewiesen werden." lOS

F.F. Mayer, Notizen, S. 11, unten S. 236.

F.F. Mayer, a.a.O., S. 11, unten S. 236. Die obige Bekanntmachung teilte das Ergebnis der Bewerbung folgendermaßen mit: Zu der Aufgabe des Jahres 1836 sei an der Fakultät eine Schrift eingereicht worden, ,,mit dem Motto: ,Time is money'. Der Verfasser derselben hat bewiesen, daß er den Gegenstand im Allgemeinen recht wohl aufgefaßt hat, angenehm darzustellen und ihn in dieser Art durchzuführen verstand. Wenn es zwar die Fakultät gerne gesehen hätte, daß die Wirkung der künstlichen Verbindungsmittel der Orte und Länder auf die National-Reichtümer einzelner bestimmter Staaten wären nachgewiesen worden: so war doch dieser Wunsch nicht unbedingt gestellt, und wenn daher gleich derselbe vom Verfasser nur durch einige Andeutungen durch Noten berücksichtigt wurde, so konnte doch die Fakultät in Hinsicht auf die allgemeine Lösung der Frage keinen Anstand finden, dieser Arbeit den Preis zuzuerkennen" (Bekanntmachung, S. 16). 206

§ 5 Vom Schreiberinzipienten zum Regiminalstudium

57

Württemberg unterschiedliche Zulassungsbedingungen für den höheren und niederen Verwaltungsdienst aufgestellt. Gemäß dieser Verordnung bestanden die Prüfungen aus einem schriftlichen und einem darauf folgenden mündlichen Teil (§ 3). Die höheren Dienstprüfungen - die F.F. Mayer betrafen wurden dahingehend unterteilt, daß mit der ersten das theoretische Wissen und mit der zweiten die praktische Befähigung ermittelt werden sollte (§ 16). Prüfungsgegenstände waren folgende acht Fächer: 1. 2. 3. 4. 5.

Württembergisches Staatsrecht; gemeines und württembergisches Privatrecht; Kirchenrecht; Grundsätze des Strafrechts, des Straf- und des Zivilprozesses; Nationalökonomie; 6. Polizeiwissenschaft; 7. Württembergisches Steuer- und Rechnungswesen; sowie 8. enzyklopädische Kenntnisse der Gewerbekunde, der Land- und Forstwirtschaft (§ 17). Die Befähigungsstufen wurden nach drei Klassen (I., H. und III.) eingeteilt, die wiederum aus zwei Unterabteilungen (a und b) bestanden (§ 18). Die erste Prüfung wurde zweimal im Jahr in Tübingen durchgeführt (§ 20), wobei ein Studium nicht vorausgesetzt wurde (§ 21 Abs. 3). Wer die theoretische (erste) Prüfung bestanden hatte, der wurde vom Ministerium zum "Regiminalreferendar zweiter Klasse" bestellt und leistete einen einjährigen Probedienst, und zwar acht Monate bei einem Bezirksamt und vier Monate bei einer Stelle des Ministeriums (§ 24). Die zweite höhere Dienstprüfung wurde auch zweimal im Jahr in Stuttgart abgenommen (§ 27). Nach der bestandenen, praktischen Prüfung trat man ins Dienstverhältnis als "Regiminalreferendar erster Klasse" ein (§ 30)207. F.F. Mayer, der als einer der ersten Kandidaten von dieser neuen Prüfungsordnung betroffen wurde, berichtet: "Der Schluß der akademischen Laufbahn nahte, als die neue Verordnung erschien, nach welcher die Regiminalisten auch ein Referendärjahr zu erstehen haben sollen. Ich hätte daher den Mut verlieren können''208. Dennoch blieb er in den Herbstferien 1837 in Tübingen, traf Vorbereitungen mit einem Studienkollegen und machte im November des Jahres das erste Examen: ,,Es reichte bei mir", so erinnerte er sich, "nicht weiter als 11. Klasse b209 ... Nun sollte ich Referendär werden.

W7

1356.

Reyscher, Sammlung, Bd. XV, 2. Abt. (bearbeitet von F.F. Mayer!), S. 1351-

208

F.F. Mayer, Notizen, S. 11, unten S. 236.

209

Zu dieser Befähigungsstufe siehe oben bei FN 207.

58

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

Nach Hall wollte ich nicht; ich weiß nicht, wie ich dazu kam, Göppingen zu wählen,,21O. P.F. Mayer trat darauf als 21jähriger im Dezember 1837 in den Probedienst des königlich-württembergischen Innenministeriums ein.

§ 6 F.F. Mayers Entwicklung zum Verwaltungsrechtswissenschaftler 1. Vorbemerkung In der bisher erschienenen Literatur finden sich zur Biographie F.F. Mayers nur wenige Angaben2l1 , die größtenteils seinen eigenen Veröffentlichungen entnommen wurden212. Diese Lücken können durch die Entdekkung seiner Autobiographie fast vollständig geschlossen werden. Dabei ist es das besondere Anliegen des Verfassers darzustellen, wie sich F.F. Mayer zu dem von der Nachwelt als bahnbrechend empfundenen Vorläufer der modernen Verwaltungsrechtswissenschaft entwickelt hat. F.P. Mayer hinterließ trotz seines kurzen Lebens - er wurde nur 54 Jahre alt - insgesamt zwölf selbständige Veröffentlichungen und sechs ZeitschriJtenartikel 213 • Es ist interessant, daß seine Erstlingsschrift nicht juristischer, sondern eher geschichtlicher Natur ist, nämlich die "Geschichte von Württemberg geschrieben für Volk und Schule des Vaterlandes" (Hall 1840, 62 S.). Schon hier zeigen sich seine Neigungen: das Interesse für die Geschichte und seine Fähigkeiten zu einer allgemein verständlichen populären Darstellung214 . Mit Robert von Mohl kann man ferner sagen, daß er in großem

210

F.F. Mayer, Notizen, S. 12, unten S. 236.

211 Denn.ewitz, System, S. 67 FN 117 (F.F. Mayer stand "seit dem Jahre 1838 im WÜTttembergischen Verwaltungsdienst"). Hueber, Otto Mayer, S. 126 f. (F.F. Mayer war ,,1845 ... Oberamtmann in Neckarsulm ... 1856 wird dann bei gleicher Berufsbezeichnung als Ort Göppingen angegeben. 1862 nennt F.F. Mayer die Zahl von 24 'in Verwaltungsämtem zugebrachten Dienstjahren"). Rößler, Mohl, S. 114 ("der württembergische Oberamtmann und spätere Staatsrat Friedrich Franz von Mayer"). Rößlers Familienbeziehung zu F.F. Mayer siehe oben S. 20. Die Angaben Huebers sind also bisher am ausführlichsten (vgl. auch Stolleis, Verwaltungslehre, S. 90 FN 198). 212

Vgl. Hueber, a.a.O., S. 126.

213

Vgl. "F.F. Mayers Bibliographie" (im Quellen- und Schrifttumsverzeichnis).

214

Oben S. 35 f. Seit der Studentenzeit in Tübingen "war mir der Gedanke geblie-

§ 6 F.F. Mayers Entwicklung zum Verwaltungsrechtswissenschaftler

59

Maße die Fähigkeit besaß, in seinen Werken die Erfahrungen des praktischen Lebens mit der wissenschaftlichen Forschung zu verbinden 21S . Auf der anderen Seite hatte seine Tätigkeit als Praktiker zur Folge, daß er in der Geschichte der Verwaltungsrechtswissenschaft nicht unmittelbar stilbildend wirken konnte; erst etwa 30 Jahre später, als Ouo Mayer ihn "entdeckte", gewann seine Methode Einfluß auf die Verwaltungsrechtswissenschaft216. Nach seiner Zeit als Regiminalreferendar zweiter Klasse im Oberamt Göppingen war F.F. Mayer noch acht Monate in der Kanzlei des Innenministeriums in Stuttgart tätig217 • Im November 1838, also ein Jahr nach seinem Studienabschluß, machte er dann die zweite höhere Dienstprüfung; er bestand sie mit der Note ,,11. a mit Annäherung an I. Klasse,,218. Anschlieben, eine populäre kurze Darstellung der Württembergischen Geschichte für Schule und Volk zu schreiben. woran es fehlte. Mit Hilfe von Pfaffs und Pohls Geschichte. Eichhorns Rechtsgeschichte war das Ding zusammengesetzt und bei Schwend in Hall herausgegeben" (F.F. Mayers. Notizen. S. 14. unten S. 238). 215 Mohl schätzt F.F. Mayer hoch. weil dieser .. in welch seltenem Grade ... mit dem praktischen Leben die wissenschaftliche Forschung und Ausbildung der Idee zu verbinden" weiß (aus einem Brief Mohls an F.F. Mayer vom 9. Juli 1845. siehe FN 202). 216 Oben § 2 C,Bisheriger Forschungsstand"). Stolleis (Verwaltungslehre. S. 91) ist der Meinung. daß die Bewertung F.F. Mayers als eines Praktikers damit zusammenhänge. daß er und seine Werke nach seinem Tode schnell in Vergessenheit geraten seien; die von Dennewitz behauptete Dominanz der Verwaltungslehre L. von Steins habe hingegen weniger Gewicht. 217 F.F. Mayer. Notizen. S. 12 f.. unten S. 237. Vgl. auch oben S. 56 ff. (DienstpTÜfungsverordnung). 218 F.F. Mayer. Notizen. S. 12. unten S.237. Sein Zeugnis der zweiten Dienstprüfung lautet: ..Der Regiminal-Referendär zweiter Classe Friedrich Franz M a y er. geb. zu Hall am 10. Febr. 1816. Bürger daselbst, hat. nachdem seinem Gesuche um Zulassung zu der zweiten höheren Dienstprüfung im Departement des Inneren entsprochen worden ist. bei der vom 26. November bis 1. Dezember d. 1. mit ihm vorgenommenen Prüfung solche Kenntnisse gezeigt. daß ihm hiermit das Zeugniß zweiter Classe. erster Abteilung. mit Annäherung an die erste Classe (Cl. 11 Abt. a. mit Annäherung an Cl. 1.) erteilt und er zur Bewerbung um die im § 15 der K. Verordnung vom 10. Febr. 1837 bezeichneten Ämter des Departements des Inneren für befähigt erklärt wird. Stuttgart. dem 5. Dezember 1838. Die Prüfungskommissäre: Oberregierungsrat Köstlin Schumm" (Anhang zu F.F. Mayer. Notizen. S. 5). Gemäß § 18 Abs. 2 der vorbezeichneten Verordnung von 1837 wird .,Die Classe 1.. Unterabtheilung a).... nur ausgezeichnetten Candidaten erteilt" (Reyscher. Sammlung. Bd. XV. Abt. 2, bearbeitet von F.F. Mayer. S. 1354).

60

Kap. 1: F.F. Mayer Wld seine Zeit

ßend trat er in den Verwaltungsdienst des Königreiches Württemberg ein. Seit seinem Eintritt in den Verwaltungsdienst pendelte er fast jedes Jahr zwischen dem Ministerium in Stuttgart und seiner Bezirksstelle in Ulm, bis er schließlich 1844 zum Oberamtmann in Neckarsulm ernannt wurde219 • Die Arbeit im Ministerium war für ihn zwar "belehrend", aber hinsichtlich der Aufgaben nicht befriedigend, weil es erstens an einem bestimmten Geschäftskreis fehlte und sich zweitens eine "entscheidende Abneigung" in ihm gegen Schlayers (Innenminister 1832-1848) Vorliebe für "Juristen" entwikkelte220 • Aufgrund dieser Vorliebe für die juristische Ausbildung wollte Schlayer im Jahre 1844 den Studienplan für die Beamtenausbildung ändern: Nach seinem Plan sollten Vorlesungen des römischen Rechts eingeführt werden, durch die sich das Studium für Regiminalisten auf vier Jahre verlängert hätte221 • Dies bedeutete eine Krise für das verwaltungsspezifische Sonderstudium an der Staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen. Mohl veröffentlichte deshalb 1845 in seiner Zeitschrift einen Aufsatz "Über die wissenschaftliche Bildung der Beamten in den Ministerien des Inneren Mit besonderer Anwendung auf Württemberg,,222. In diesem Aufsatz kritisierte er vor allem den Erlaß Schlayers. Wenig später, am 6. Dezember 1845,

219 November 1840: Kanzleiassistent des Ministeriums in Stuttgart; November 1841: RegiefWlgsassessor in Ulm; August 1842: Hilfsarbeiter des OberregiefWlgskollegiums in Stuttgart; November 1844: Oberamtmann in Neckarsulm (F.F. Mayer, Notizen, S. 13 ff., unten S. 237 ff.). In die Neckarsulmer Zeit 1844-1850 fallt der Höhepunkt seiner literarischen Tätigkeit.

220 F.F. Mayer, a.a.O., S. 15 ff., unten S. 240 f. Gegen Ende 1844 wurde ihm die Stelle eines Kanzleidirektors angeboten. Diese erschien ihm einerseits sehr reizvoll, um ,,meinen Blick für Praktische, meine Einsicht in die reiche Fülle des Lebens zu erhöhen". Die Vorliebe Schlayers für Juristen war andererseits so groß, daß er "in der unmittelbaren Nähe Schlayers" nicht arbeiten wollte. Als ausgebildeter "Staatswirt" wehrte "ich mich deshalb mit Händen Wld Füßen und erklärte Herrn v. Schlayer meine entscheidende AbneigWlg" (a.a.O., S. 16, unten S. 241). 221 Penz, Juristenausbildung, S. 134 f. Schlayer veröffentlichte einen Erlaß vom 28. Juli 1844. In diesem "Studienplan", der das regiminalistische Studium änderte, wurde im Ergebnis die Rücknahme des Sonderstudiums begründet. Der Kernpunkt dieser Reform lag in der Krönung der Rechtswissenschaften zur Hauptsache des Studiums: In den Mittelpunkt regiminalistischer Ausbildung rückte somit das im Gründungserlaß der Staatswirtschaftlichen Fakultät noch ausdrücklich verbannte römische Recht (Penz, a.a.O., S. 135). Vgl. auch oben S. 54 f. mit FN 198. 222 Mohl, Bildung, in: ZgStW 2, S. 129-184; Schlayers Erlaß ebd., S. 161 ff. Mohl kritisierte die Bevorzugung der Juristen im höheren VerwaltWlgsdienst und erklärte, daß eine überwiegend juristische Ausbildung der Beamten nachteilig sei.

§ 6 F.F. Mayers Entwickhmg zum Verwaltungsrechtswissenschaftler

61

wurde Mohl infolge einer Indiskretion seiner Professur enthoben und als Rat an die Kreisregierung in Ulm versetzr-'23. Den "Notizen" kann unmittelbar nicht entnommen werden, wie die Entlassung seines Lehrers Mohl auf F.F. Mayer wirkte224 • Nachdem er ein scheinbar sehr günstiges Stellenangebot als Kanzleidirektor in Stuttgart - in erster Linie wegen seiner Abneigung gegen Schlayer - abgelehnt hatte, nahm er im November 1844 die Bezirksstelle des Oberamtmanns in Neckarsulm an225 • Er blieb dort sechs Jahre lang. Am 27. Februar 1850 wurde er zum Oberamtmann in Göppingen ernannt, wo er schon als Referendar gearbeitet hatte226 • Insgesamt widmete sich F.F. Mayer bis zu seiner Beförderung zum Regierungsrat (30. September 1863)227 fast zwanzig Jahre lang der Arbeit in der Gemeindeverwaltung 228 • Aufgrund dieser langjährigen Tätigkeit im kommunalen Bereich ist es verständlich, daß er später in seinen "Grundsätzen des Verwaltungs-Rechts" (1862) das "Öffentliche Körperschafts-(Gemeinde-) Recht" ausführlich behandelt (etwa ein Viertel des Werkesf29.

223 Born, Geschichte, S. 51: Zum offenen Bruch kam es allerdings wenig später, nachdem Mohl den Aufsatz veröffentlicht hatte, als er sich um die Wahl zum Abgeordneten der württembergischen zweiten Kammer bewarb. Er schrieb einen Brief an einen ehemaligen Schüler, in dem er das herrschende System in Württemberg scharf kritisierte. Aufgrund einer Indiskretion wurde dieser Brief bekannt mit der Folge, daß die Regierung von ihm in scharfer Form Rechenschaft forderte. Er antwortete aber ebenfalls scharf und wurde daraufhin seiner Professur enthoben, da er "als akademischer Lehrer das Vertrauen der Regierung" verloren habe. 224

F.F. Mayer hörte in Tübingen sogar fünf Fächer bei Mohl. Siehe dazu oben

S. 53 f.

225 Oben S. 60 mit FN 220. Nach der Ablehnung wurde er "daher einstweilen provisorisch ernannt und endlich nach mehrfachen Dienstfällen im Nov. 1844 zum Oberamtmann in Neckarsulm gemacht, 28 1/2 Jahre alt" (F.F. Mayer, Notizen, S. 16/17, unten S. 241). 226 Oben S. 57 f. Die zweite Göppinger Zeit war "die wichtigste Periode meines Lebens" (F.F. Mayer, a.a.O., S. 22, unten S. 246). 227 F.F. Mayer, a.a.O., S. 26, unten S. 250: Eine Schwächung der Gesundheit machte ,,nach und nach den Wunsch in mir rege, mich in ein Kollegium zurückzuziehen". Er schrieb daher eine Bittschrift an das Innenministerium und erhielt "Titel und Rang eines Regierungsrates" (ebd., unten S. 250). 228

Vgl. Hueber, Otto Mayer, S. 126.

229 F.F. Mayers "Grundsätze" umfassen 500 Seiten, von denen das zweite Kapitel (S. 266-399) dem "Gemeindeverwaltungsrecht" gewidmet ist. Vgl. unten S. 69.

62

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

Hinsichtlich der literarischen Tätigkeit F.F. Mayers ist ein etwa fünfiähriges Vakuum zwischen 1851 und 1856 festzustellen, so daß wohl zwei Jahresdekaden voneinander zu unterscheiden sind: 1. die Phase der wissenschaftlichen Entwicklung (1840-1851); 2. die Phase der Abfassung seiner spezifisch verwaltungsrechtlichen Werke (1856-1866). In der ersten Dekade beschäftigte er sich zunächst mit der Strafgewalt der Polizei und bearbeitete verschiedene geltende württembergische Gesetze 230 • Auf dieser Grundlage konnte er dann zwischen 1856 und 1862, in seiner zweiten Schaffensphase, sein System des Verwaltungsrechts aufbauen 231 • An dieser Stelle sei angemerkt, daß bereits etwa ein Jahr nach seiner Ernennung zum Kreisregierungsassessor in Ulm (11. November 1841)232 seine juristische Erstlingsschrift erschien 233 , in der er seine praktischen Kenntnisse, die er sich inzwischen angeeignet hatte, theoretisch verarbeitete. Zum Verfahren der Verwaltungsbehörden in Strafsachen nimmt er folgendermaßen Stellung: Das Verfahren "ist, im nothwendigen Gefolge der Entwicklung unserer constitutioneHen Eimichtungen, wiederholt zur öffentlichen Besprechung gekommen. Dieser Entwicklung ist es zwar auch zuzuschreiben, daß man wenig mehr hört von jener willkührlichen, mitunter launigen Weise des Verfahrens, worüber früher manche Geschichte erzählt wurde. Aber der Tadel gegen das game Institut ist geblieben, daß die Verwaltungsbehörden, als selbst betheiligt bei jedem Straffalle, nicht vermögend sei, Schuld und Strafe nach dem allein gültigen Gesetze der Gerechtigkeit abzuwägen ... In der vorliegenden Schrift ist versucht, die Lücken der positiven Vorschriften über das Verfahren der Administrativ-Strafbehörden durch Aufnahme der in Doktrin und Praxis ReItenden Grundsätze zu ergämen und das Ganze in geordneter Folge darzu· stellen ,m4.

230 Er verfaßte zunächst 1841 ,,Das Strafverfahren der Polizeibehörde" und dann 1845 "Grundzüge des polizeilichen Strafrechts". Außerdem war er auch als einer der neun Bearbeiter bei der von Reyscher herausgegebenen "Sammlung der württembergischen Gesetze" tätig und bearbeitete die "Regierungsgesetze von 1806-1838" (Bd. XV, 1. und 2. Abteilung der Sarmnlung) und die "Gesetze in Betreff der Israeliten" sowie die "Gesetze in Betreff des Post- und Landboten Wesens" (in einem Band als "Anhang" der Sarmnlung). Vgl. auch "F.F. Mayers Bibliographie" im Quellenund Schrifttumsverzeichnis.

231

Näheres siehe unten Kapitel 2.

232

FP. Mayer, Notizen, S. 14, unten S. 239.

233

F.F. Mayer, Strafverfahren (oben FN 230).

234

FP. Mayer, Strafverfahren, Vorwort, S. III f. (Hervorhebung vom Verfasser).

§ 6 F.F. Mayers Entwicklung zum Verwaltungsrechtswissenschaftler

63

Hier zeigt sich schon deutlich seine Neigung zur Systematisierung, die später auch in seinem Werk über das Verwaltungsrecht zu finden ist. Im gleichen Geist veröffentlicht er anschließend seine "Grundzüge des polizeilichen Strafrechts" (1845); darin behandelt er die "vielfachen Eigentümlichkeiten der polizeilichen Straffälle" und die Zusammenstellung der "gesunden Rechts-Sätze,,235. Im Vorwort führt F.F. Mayer an, daß "der Wechsel meiner Dienstverhältnisse für jetzt mir die Ruhe und Muße zu wiederholter Überarbeitung" ermöglichf36• Aus den ,,Notizen" ergibt sich, daß er zu dieser Zeit die Bearbeitung der Regierungsgesetze der Reyscherschen Sammlung von seinem ehemaligen Studienkollegen Zeller, der die ,,Regierungsgesetze von 14891805" (Bd. 12-14 der Sammlung, 1841/43) bearbeitete, übernahm: Es war eine "ziemlich geistlose aber anstrengende Arbeit, von welcher ich mich in die Hegeische Philosophie zu versenken suchte und besonders geweckt durch Wirths Schrift über Moral ein philosophisches PolizeistraJrecht zu schreiben unternahm mit einem praktischen Teile, wo ich die kriminelle Behandlung des Polizeistrafrechts zu geißeln und dessen eigentümlichen Grundsätze zu entwickeln suchte,,237.

2. F.F. Mayers Tätigkeit als Oberamtmann im Jahre 1848 Die Neckarsulmer Zeit (1844-1850) war auch für das Familienleben F.F. Mayers von Bedeutung; er vermählte sich dort am 5. Juni 1845 mit Charlotte Faber (geb. 1821)238. Dieses Familienglück währte jedoch nur kurz, da seine Frau nach der Geburt des Sohnes Eduard (1846-1923)239 am 7. April 1846 starb: "Mein Leben war wieder einförmig, finster"240. Nach einer vierjährigen Witwerschaft, während deren er sich um das Kleinkind kümmerte, schloß er dann am 7. Februar 1850 eine zweite Ehe mit

23S

F.F. Mayer, Strafrecht, Vorwort, S. V.

236

F.F. Mayer, a.a.O., S. IV.

F.F. Mayer, Notizen, S. 15/16, unten S. 240 (Hervorhebung vom Verfasser). Das ,,strafverfahren" wurde "in mehreren Journalen gut beurteilt" und fand "ziemlich Absatz" (a.a.O., S. 15, unten S. 239). 237

238

F.F. Mayer, Notizen, S. 17, unten S. 242.

239

Eduard Mayer ist der Großvater Peter Rößlers (oben FN 9).

2AO

F.F. Mayer, a.a.O., S. 18, unten S. 242.

64

Kap. 1: P.P. Mayer und seine Zeit

Pauline Marie Fischer (1827 _1904)241. Aus dieser Ehe gingen weitere vier Kinder hervo~2. Während dieser schwierigen familiären Situation wurde er mit den Ereignissen von 1848 konfrontiert. Die Stelle des Oberamtmanns ist mit der des heutigen Landrats vergleich-

b~3. Das Königreich Württemberg bestand damals aus 64 Oberämtern

einschließlich der Stuttgarter Stadtdirektion; das Oberamt Neckarsulm gehörte zum Neckar-Krei~. Als der höchste Verwaltungsbeamte im Oberarnt sah F.F. Mayer die Ereignisse des Jahres 1848 voraus: "besonders aus dem Getümmel eines Neujahrtanzes am 31. Dez. [18]47 und sprach meine Ansicht von kommenden großen Dingen aus ... Schon im März [1848] brachen die im Badischen zuerst entstandenen Bauern-Unruhen auch bei uns aus ... Ich kam zu Puß aufs Rathaus, wo die Bürger in großer Aufregung versammelt waren. Ich begrüßte sie, indem ich die Zeitung in die Höhe hielt, welche Nachrichten von der Ernennung des Ministers Römer [des württembergischen ,Märzministeriums 'j enthielt. Dies machte sichtbaren Eindruck. ,,245

Ordnung und Ruhe stellte er durch energisches Eingreifen wieder her. Dabei faßte er die neue Ära "mit jugendlichen Mute" auf, nahm regen Anteil an den öffentlichen Nachrichten und fuhr im August 1848 mit seinem Bruder nach Frankfurt am Main zur Nationalversammlung246 . Die politischen Wirren dauerten weiter an. Als im Mai und im Juni 1849 im Großherzogtum Baden, an dessen unmittelbarer Grenze sich das Oberarnt Neckarsulm befand, ein revolutionärer Aufruhr ausbrach, näherte sich die badische Bürgerwehr dem württembergischen Ufer; F.F. Mayer warnte sie als Oberamtmann vor der Begehung von ,,Landfriedensbruch"247. Unter dem neu eingesetzten "Märzministerium" Friedrich Römers wurden in Württemberg verschiedene Reformen in Angriff genommen, wie etwa die Grundentlastung der Bauern und die Verwaltungsreform: Zu diesem Zweck

241

P.P. Mayer, a.a.O., S. 21, unten S. 246.

242

Pamilienregister P.F. Mayers, Standesamt Stuttgart, Bd. 19 (P 1864), S. 904.

243 Haverkern/ Wallach, Hilfswörterbuch, Bd. II, S. 376 f. ("Landrat"), 448 ("Oberamtmann").

244

Hof- und Staatskalender (1885), S. 38 ff.

245

P.P. Mayer, Notizen, S. 19, unten S. 243.

246

P.F. Mayer, a.a.O., S. 20, unten S. 244.

247

P.P. Mayer, a.a.O., S. 20, unten S. 244.

§ 6 F.F. Mayers Entwickhmg zum Verwaltungsrechtswissenschaftler

65

wurde im Mai 1848 eine "Organisations-Kommission" aus liberalen Politikern und höheren Beamten unter dem Vorsitz des Tübinger Straf- und Zivilrechtiers Karl Georg von Wächter (1797 - 1880) eingesetzt. Dabei sollte in erster Linie "möglichste Freiheit und Einfachheit im Staatsleben bei entscheidendem Festhalten an Recht und Ordnung ... auf volkstümlicher Grundlage erstrebt werden"248. Diese Kommission veröffentlichte im September 1848 den "Entwurf einer Gemeinde-Ordnung für das Königrek:h Württemberg" (Stuttgart, 62 S.), das dem Motto "Weniger Staat und mehr Selbstverwaltung" entsprach 249 • Unter dem Pseudonym ,,Phil. Gottlieb Gernlacher, Verwaltungs-Aktuar in Zweifelhausen" verfaßte F.F. Mayer 1849 ein Flugblatt mit dem Titel "Motive aus dem Leben zum neuesten Entwurf der Gemeinde-Ordnung gesammelt und nachträglich in Druck gegeben" (Heilbronn, 40 S.). Dieses Flugblatt war bisher unbekannt250 . In ihm kritisierte er das althergebrachte Schreiberinstitut und die Unvollständigkeit des "Entwurfs" der Organisations-Kommission bezüglich der Selbständigkeit der Gemeinden, obwohl er den Entwurf im ganzen doch für "ein epochemachendes Werk" hielt251 . Nach den "Notizen" lag dieser pseudonymen Veröffentlichung sein Unwillen darüber zugrunde,daß ,,hierbei zwar manches gebessert wurde, im Ganzen aber die vom Geiste der neuen Zeit angeregten Ideen keine lebendige und organische Verwirklichung im Gemeindeleben fand, kein wahrhaft schöpferisches Prinzip darin war, etwas Schreibermäßiges im Ganzen zu stark sich ausdrückte,,252.

Unter den Mitgliedern der Kommission findet man viele Kollegen und Bekannte F.F. Mayers253 • Zu jener Zeit schrieb er in der Tübinger Zeitschrift einen Aufsatz "Über das Steuerwesen der Gemeinde und Bezirke" (1848), in dem "eine Geschich-

2A8 Programm der Kommission, in: Mann, "Organisations-Kommission", S.531; Mann/ Nüske. Württemberg, S. 575. 249

Mann, "Organisations-Kommission", S. 522, 529 und 545 (Anlage 4).

2SO Der Verfasser wurde auf dieses Flugblatt durch den Anhang zu F.F. Mayers ,,Notizen", S. 6, aufmerksam. Es wird in der Universitätsbibliothek Tübingen aufbewahrt.

251 Gernlacher (F.F. Mayer), Motive, S. 33 ff. (Kritik des Schreiberturns); S. 12 ff. (Unvollständigkeit des Entwurfs); S. 10 (Selbständigkeit der Gemeinden) und S. 39 (Gesamturteil des Entwurfs). 252

F.F. Mayer, Notizen, S. 20/21, unten S. 245.

253

Deren Zahl war ,,nicht weniger als einundzwanzig" (Gernlacher, Motive, S. 4).

5 Jshikawa

66

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

te des wümemb.[ergischen] Steuerwesens und eine Darstellung der rechtsund selbst gesetzwidrigen Privilegien mit Vorschlägen zu einem gerechten Steuersystem verknüpft wurde"254. 3. Von Neckarsulm nach Göppingen Die Begeisterung des Jahres 1848 war jedoch sehr rasch verflogen, nachdem das sog. "Rumpfparlament" in Stuttgart durch die wÜfttembergische Regierung mit Gewalt aufgelöst worden w~5. Da Württemberg nicht nur jene "Grundrechte des deutschen Volkes", sondern auch die Frankfurter Reichsverfassung am 25. April 1849 als einziges Königreich angenommen hatte, mußte die wÜfttembergische Verfassungsurkunde in entsprechender Form abgeändert werden. Deshalb wurden ab September 1849 drei "verfassungsberatende Landesversammlungen" einberufen. Dabei wurden insgesamt sechs Verfassungsentwürfe verfaßt, bis schließlich am 17. April 1852 die Verfassung von 1819 wieder in Kraft gesetzt wurde256 . Als Oberamtmann hatte F.F. Mayer naturgemäß die Wahl zu betreuen. Zu dieser Zeit (8. Dezember 1849) hatte Schlayer, der 1849 wieder zum Innenminister ernannt worden war, Mayer zur Bewerbung um eine Stadtdirektionsstelle (Stadtoberamtmann) in Stuttgart aufgefordert257 . Mayer lehnte jedoch diesen "ehrenvollen Ruf' entschieden ab258 . Aufgrund seiner Ernennung zum Oberamtmann in Göppingen verließ er am 27. Februar 1850 Neckarsulm. In Göppingen mußte er in der ersten Zeit

254

585.

P.F. Mayer, a.a.O., S. 21, unten S. 245; ders., Steuerwesen, ZgStW 4, S. 539-

n,

255

Huber, VerfGesch., Bd.

256

Adam, Ein Jahrhundert, S. 95 ff.

257

Anfrage Schlayers vom 8. Dezember 1849, in: Anhang zu P.F. Mayer, Notizen,

S.12.

S. 882; Menger, VerfGesch., Rdnr. 276.

258 Siehe unten S. 73 f. (..Eine ,ausgebrannte Phantasie'?"). - .. Dem ehrenvollen Rufe ... nicht folgen zu wollen, würde ich vor mir selbst nicht zu rechtfertigen wissen ... die Wahrnehmung, daß die Ergebnisse seit Jahr und Tag, namentlich die oft wiederholten Alterationen und Anregungen durch die Vorgänge in meiner hiesigen Umgebung mich körperlich und geistig angegriffen haben, so daß das gewöhnlich mit sitzender Lebensweise verknüpfte Übel zeitweise bedenklich sich steigert, und eine gewisse Unsicherheit und Ängstlichk~it in mir zurückblieb. Deshalb mangelt mir der Mut, in völlig veränderte äußerliche Verhältnisse einzutreten" (Antwort P.F. Mayers an Schlayer, ohne Datum, in: Anhang, S. 13).

§ 6 F.F. Mayers Entwicklung zum Verwaltungsrechtswissenschaftler

67

elmge "verdrießliche Wahlgänge" durchführen259• Außerdem übernahm er im Sommer 1851 die Leitung und Wiedererweckung eines ,juristisch-kameralistischen Lesevereins"260 und veröffentlichte das umfangreiche wissenschaftliche Werk "Die Gemeindewirtschaft nach geläuterten Begriffen und nach den im Königreich Württemberg geltenden Gesetzen" (Stuttgart, 552 S.). Es sollte "zur Ausbildung von Geschäftskundigen im Rechnungs- und Steuerwesen und etwa zur Erleichterung der Verwaltungsdienstprüfungen" beitragen261 . Als 37jähriger Oberamtmann schrieb F.F. Mayer in seinen ,,Notizen": "Die wissenschaftliche Beschäftigung wird seltner, schwerer gehts mir ein, ich werde älter, nicht mehr die frische Klarheit und Auffassungsleichtigkeit von früher! ,,262. Tatsächlich befaßte er sich dennoch ständig mit der Ausbildung des Systems der Verwaltungsrechtswissenschaft. Als erstes Ergebnis erschien 1856 ein Aufsatz "Über Verwaltungs-Recht und -Rechtspflege" in der Tübinger Zeitschrift263 : "Die nachstehenden Erörterungen bezwecken ... zunächst eine Untersuchung der Beziehungen zwischen Verwaltung und Recht, also der rechtlichen Natur der Verwaltungs-Acte selbst, von ihrem Wesen und Zweck aus, um von da zur Entwicklung des Eigentümlichen der Streitsachen im Gebiete der Verwaltung und des Verfahrens bei ihrer Entscheidung zu gelangen"264 . Dieser Gedanke entwickelte sich noch deutlicher in dem im folgenden Jahr erschienenen Werk: "Grundzüge des Verwaltungs-Rechts und -Rechtsverfahrens" (Tübingen 1857, 102 S.): "Die Aufgabe dieser Blätter soll die Untersuchung des rechtlichen Gehaltes und Charakters der Verwaltungsacte, des Verhältnisses der praktischen Staatsverwaltung zu dem Rechtsleben der Einzelnen und der Körperschaften und die Entwicklung der entsprechenden Grundsätze für das Verfahren bei hierin entstehenden Streitigkeiten sein. Die Lösung wollte versucht werden auf dem Grunde deutscher Rechts- und StaatsauJfassung, mit Unterstützung von Zeugnissen der praktischen Rechtsübung; mit Beiseitelassung des in den verschiedenen Partikulargesetzgebungen verschieden gestaltenden äußeren Details wollte nur eine geordnete übersicht und eine allgemeine. auf die leitenden Grundsätze und den inneren Rechtsstoff hinweisende Darstellung jenes flüssigen Gebietes öJfentlichrechtlicher Verhältnisse gegeben werden; eines Gebietes, worin bald im Sinne des



259

P.P. Mayer, Notizen, S. 23, unten S. 247.

260

P.P. Mayer, a.a.O., S. 22, unten S. 247.

261

P.F. Mayer, Gemeindewirtschaft, Vorwort, S. III/IV.

262

P.F. Mayer, Notizen, S. 24, unten S. 248.

263

ZgStW 12, Erster Artikel: S. 284-312; Zweiter Artikel: S. 461-485.

264

P.P. Mayer, über Verwaltungs-Recht, S. 284.

68

Kap. 1: F.F. Mayer illld seine Zeit feudalen und absoluten Staates nur unanfechtbare Ausflüsse der Herrschaftsgewalt, Machtansprüche illld Gnadenerzeigilllgen gesehen wurden, bald aber dem Rechte des Individuums ein solches Gewicht, ein so weitgreifender Kreis zugeschrieben wird, wobei das Recht der Gesamtheit verschwindet und diese in einer Stellilllg erscheint, daß sie ihre Mittel erst mühsam in Prozessen zu erkämpfen oder bei diesen souverainen Einzelwillen zusammenzubetteln hätte."265

F.F. Mayer vollendete sein System schließlich in seinem 1862 erschienenen, stark erweiterten Werk über "Grundsätze des Verwaltungs-Rechts" (Tübingen, 500 S.)266. Diese drei verwaltungsrechtlichen Werke stellen den Gegenstand der im folgenden Kapitel 2 im Detail unternommenen Untersuchung dar.

Um das Wichtigste vorwegzunehmen, sei hier schon Mayers Bewertung der Verwaltung als "praktische Ausführung, Realisirung der Staatszwecke" genannt267 . Er unterscheidet drei Tätigkeiten der Verwaltung: 1. die "ökonomische Verwaltung", d.h. die Geschäftsführung für den Staat selbst, soweit er Inhaber eingener Rechte ist; 2. die "fördernde Verwaltung", d.h. die freie Einwirkung auf die im Staat befindlichen Individuen und Genossenschaften (Körperschaften) durch Maßnahmen verschiedener Art (wie z.B. Aufmunterung, Belehrung, Bewachung etc.); 3. die "gebietende und verbietende Verwaltung", d.h. die rechtlich zwingende Einwirkung auf die Einzelnen und Körperschaften mit dem Ziel, die Rechte und Interessen des Staates zu wahren bzw. zu verwirklichen 268 . Vor allem zum dritten Tätigkeitsbereich führt F.F. Mayer aus, daß es die Aufgabe der Verwaltung ist, "mit rechtlicher Wirkung für die Einzelnen und Körperschaften wie für den Staat sich zu bestimmen, Recht zu sprechen,,269. Wenn auch letzteres nicht willkürlich betrieben werden dürfe, sondern durch das "öffentliche Recht im objectiven Sinne" bedingt werde, so

265

P.P. Mayer, Grundzüge, Vorwort, S. rn/IV (Hervorhebung vom Verfasser).

Der Untertitel der "Grundsätze" heißt: ,,mit besonderer Rücksicht auf gemeinsames deutsches Recht, sowie auf neuere Gesetzgebung und bemerkenswerthe Entscheidungen der obersten Behörden zunächst der Königreiche Preußen, Baiem und Württemberg". 266

267

P.F. Mayer, Grundsätze, S. 1.

268 P.P. Mayer, Über Verwaltungs-Recht, S. 285; Grundzüge, S. 2 f.; Grundsätze, S. 10 ff. Hinsichtlich des Wortes ,.Einwirkung" ist Hueber folgender Meinilllg: ,,Man beachte die terminologische Übereinstirnmilllg mit O[tto] M[ayer]. P.P. Mayer verwendet den Ausdruck regelmäßig" (Hueber, Otto Mayer, S. 128 FN 17). 269

P.F. Mayer, Grundsätze, S. 39.

§ 6 F.F. Mayers Entwickhmg zum Verwaltungsrechtswissenschaftler

69

blieben dem Einzelnen aufgrund der Rechtsstaatsgarantie "eigenthümliche Rechte" erhalten27o. Das Verhältnis des Einzelnen zum Staat wird nach der Auffassung Mayers von den Staatszwecken geprägt, wobei er die Bewahrung und Verwirklichung des Rechts an sich für das wesentliche Staatsziel hält; die bloße Aufrechterhaltung der individuellen Rechte der Einzelnen untereinander könne nicht den Staatszweck darstellen271 . Insoweit unterscheidet er folgende "Rechtsbeziehungen im Gebiet der Verwaltung"272: 1. die Rechtsbeziehung des Einzelnen zum Staatsganzen, das sog. "Staatsverwaltungsrecht"273; 2. die Rechtsbeziehung der öffentlichen Körperschaften zum Staat, zu einander und zu den Individuen, das sog. "Gemeindeverwaltungsrecht"274; 3. die Rechtsbeziehung der Individuen zueinander aufgrund staatlicher Maßnahmen 27s . Der Inhalt des "Gemeindeverwaltungsrechts" ist nach seiner Ansicht ein "dem Staatsverwaltungsrechte analoges Rechtsgebiet,,276. Das "Staatsverwaltungsrecht" sei ein "System rechtlicher Grundsätze und Einrichtungen, in welchen zunächst die auch im Privatrecht anwendbaren Bestimmungen über juristisch wichtige Eigenschaften der Einzelnen (Personenrecht), aber dort in der Richtung auf die Stellung der letzteren als Subjekte öffentlicher Rechtsverhältnisse Platz greifen ... welches ferner gewisse allgemeine Rechtsbegriffe mit dem Privatrecht gemein hat, welches dann aber auch wesentlich in eigenthUmlichen, der Natur der öffentlichen Verwaltung entsprechenden Formen und Gestaltungen sich ausbildete und entsprechend dem Wechsel der öffentlichen Bedürfnisse fortwährend ausbildet,,277.

Das System eines solchen Verwaltungsrechts setzt nach F.F. Mayer die Staatsangehörigkeit bzw. die Zugehörigkeit einer bestimmten Gemeinde als "Grundlage aller besonderen Rechtsverhältnisse" voraus278 . Diese Rechtsverhältnisse bestehen aus:

270

F.F. Mayer, Grundzüge, S. 7; ders., Grundsätze, S. 7.

27l

F.F. Mayer, über Verwaltungs-Recht, S. 287.

272

F.F. Mayer, Grundzüge, S. 8.

273

F.F. Mayer, Grundzüge, S. 8; ders., Grundsätze, S. 50 ff.

274

F.F. Mayer, Grundzüge, S. 9; ders., Grundsätze, S. 266 ff.

275

F.F. Mayer, Grundzüge, S. 9; ders., Grundsätze, S. 399 ff.

276

F.F. Mayer, Grundsätze, S. 26.

m F.F. Mayer, aa.O, S. 8 (Hervorhebung vom Verfasser). 278

F.F. Mayer, aa.O., S. 23.

70

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

1. "Rechten und Pflichten öffentlicher Geschäftsführung" (dem Mitwirkungsrecht); 2. "Beschränkung der individuellen Bewegung gemäß den Staatszwecken" (dem Polizeirecht) und 3. "Betheiligung der Einzelnen am Gemeingut" (dem Recht der Staatspflege?79. Den ,,Notizen" kann leider nicht unmittelbar entnommen werden, wie F.F. Mayer selbst dieses Werk sieht und bewertet. Er macht keinerlei Andeutungen, weder bezüglich des Motivs noch bezüglich des Zwecks.

§ 7 Bis zu seinem Tode 1. Die Erhebung in den Personaladel F.F. Mayer widmete sich in seinem Leben neben dem Verwaltungsdienst als Oberamtmann sehr intensiv seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Zu Beginn seiner Göppinger Zeit begann er sich allerdings Sorgen bezüglich seiner weiteren Karriere zu machen und beneidete seine Amtskollegen in Stuttgart um deren Beförderungen: ,,Es fangt an, mir zuweilen recht unbehaglich zu werden und Gedanken an Austritt, Ergreifung neuer Lebensberuje U.s.w. dämmern auf ... Doch wurmt mir auch das Vorrücken eines Renner zum Oberfinanzrat, eines Fleischhauer zum Oberregierungsrat"2BO. Am 3. November 1858 wurde ihm der Friedrichsorden zur Anerkennung und Belohnung ausgezeichneter Verdienste im Zivildienst verliehen 281 • F.F. Mayer, a.a.O., Inhaltsverzeichnis, S. VII ff. lIIO F.F. Mayer, Notizen, S. 24, unten S. 248. lIIl F.F. Mayer, a.a.O., S. 25, unten S. 249. In einem diesbezüglichen Vorschlag des Innenministeriums an den König vom 30. Oktober 1858 wurde F.F. Mayer folgender219

maßen bewertet: .. Vermöge seiner gediegenen Rechts- und Verwaltungskenntniße, seiner Geschäftsgewandtheit, seiner umsichtigen und thätigen Hingebung für sein Amt, wie vermöge seines jede Bürgschaft gewährenden sittlichen u. politischen Charakters ist er schon während seiner Dienstzeit in Neckarsulm zu den ausgezeichneteren Bezirksbeamten des Neckar-Kreises gezählt worden u. ein Gleiches gilt nun auch von ihm während seiner Anstellung im Donaukreis [i.e. in Göppingen]. Nur eine gewiße Schüchternheit im öffentI.[ichen] Auftreten ist ihm eigen, die ich schon zu tadeln hatte. Doch gleichen seine sonstigen vorzügl.[ichen] Eigenschaften diesen Mangel, der keineswegs im weniger guten Willen seinen Grund findet, wieder aus. u. ich darf hier wohl noch der literarischen Thätigkeit des O[ber] Amtmanns Mayer erwähnen, durch welche er sich in weiten Kreisen sehr vortheilhaft bekannt gemacht hat. Neben der Sammlung der württemb. Regierungsgesetze. der Gesetze für die

§ 7 Bis zu seinem Tode

71

Dennoch entstand in dieser Zeit aufgrund einer Schwächung seiner Gesundheit in ihm der Wunsch, sich nach Stuttgart zurückzuziehen. Im Juni 1863 reichte F.F. Mayer daher ein entsprechendes Gesuch an den Innenminister von Linden ein. Darin heißt es unter anderem: "Das hiesige Amt [des Oberamtmanns in Göppingen] ... ist gerade in dem Alter des Unterzeichneten aufreibend; die damit verbundenen Aufregungen dürften es mir bei der Lage meiner Gesundheitsumstände ratsam machen, nach einem oder mehreren Jahren um den Eintritt in ein Collegium nachzusuchen."282

Daraufhin erhielt er am 30. September 1863 zunächst "Titel und Rang eines Regierungsrates,,283 und am 4. Oktober 1865 die Ernennung zum außerordentlichen Mitglied des Geheimen Rats1M • Anschließend wurde er am 28. Dezember 1865 zum Oberregierungsrat befördert, worauf am 5. März 1866 die mit der Erhebung in den Personaladei verbundene Verleihung des Ritterkreuzes des Ordens der Würuembergischen Krone folgte 285 . Schließlich wurde er am 28. Mai 1870 zum Staatsrat ernannt286 • In diesen Jahren ver-

Israeliten, der Postgesetze als Theilen von Reyschers großer Gesetzessammlung, neben einer Schrift über Strafverfahren der Verwaltungsbehörden, über AdminstrativJustiz u. Anderem hat er insbesondere durch sein im Jahr 1851 erschienenes Werk über ,Gemeindewirtschaft nach geläuterten Begriffen u. nach den in Württemberg geltenden Gesetzen' eine wesentliche Lücke in der Literatur ausgefüllt, was ihm als entscheidendes Verdienst angerechnet werden kann" (HStAS E 146 Bü 2746 Nr. 76). F.F. Mayer (Notizen, S. 25, unten S. 249) äußerte sich dazu: "Die Auszeichnung, die man dem wackeren Oberamtrnann und noch bräveren Abgeordneten Idler in Kirchheim mit dem Friedrichsorden geben wollte, brach das Eis auch für mich, sofern mir anstandshalber dasselbe zu Theil wurde." Das Danksagungsschreiben F.F. Mayers für die Ordensverleihung (November 1858) befindet sich im Anhang zu ,.Notizen", S. 17. 282 Gesuch F.F. Mayers an das Ministerium vom 29. Juni 1863, in: Anhang, S. 18 (Hervorhebung vom Verfasser). 283

F.F. Mayer, Notizen, S. 26, unten S. 250.

284 F.F. Mayer, a.a.O., S. 26, unten S. 250. Das diesbezügliche Ernennungsschreiben vom 4. Oktober 1864 (HStAS E 33 Bü 69, Nr. 210) lautet: ,jch finde Mich bewogen, den Oberamtmann in Göppingen, Regierungsrath Mayer, zum außerordentlichen Mitgliede des Geheimen Raths für den Rest des laufenden Jahres und das Jahr 1865 ... gnädigst zu ernennen ... Der Geheime Rath hat hiernach das Erforderliche zu besorgen. Stuttgart, den 4. Okt. 1864 Kari".

21' F.F. Mayer, a.a.O., S. 26/27, unten S. 250. Der württembergische Personaladel wurde am 1. Dezember 1806 eingeführt und durch Verordnung vom 1. September 1913 aufgehoben (Wunder, Personaladel, S.494 ff.). über die im Text genannten beiden Orden ebd., S. 507.

286 F.F. Mayer, a.a.O., S: 27, unten S. 251. Der Ernennungsbrief des Königs vom 28. Mai 1870 (Anhang zu ,,Notizen", S. 19) lautet: ,,Meinem Oberregierungsrat von

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit

72

öffentlich te p.p. Mayer neben der Schrift "Das Recht des Aufenthaltes, der Niederlassung und Übersiedlung im Königreich Württemberg, nach seiner geschichtlichen Entwicklung und mit Vorschlägen zur Reform" (Stuttgart 1863, 132 S.) noch drei - bislang unbekannte - Artikel in der ,,zeitschrift für die frei willige Gerichtsbarkeit" (1864 / 66)287 . Schon damals litt Mayer sehr unter seiner angegriffenen Gesundheit: "Denn das seit Neckarsulm mir anhaftende Hüsteln hatte sich seit Winter [18]68 ständig gemacht. Erholungs- und Badereisen vergeblich,m8. Laut eines ärztlichen Zeugnisses litt er an "einer ... chronischen Bronchial-Affektion, sowie an erhöhter Empfindlichkeit und Schwäche des Nervensystems"289. F.F. Mayer sprach selbst ebenfalls von einem chronischen "Bronchial-Katarr mit zunehmendem Emphysem der Lunge und Herzklopfen mit Asthma,,290. Wegen seines Leidens besuchte er am 20. Juli 1870 Bad Soden, wo er vom Ausbruch des deutsch-französischen Krieges überrascht wurde; diese Aufregung führte ebenso zu einer Verschlimmerung seiner Krankheit291 wie der frühzeitige Einbruch des ungewöhnlich kalten Winters des Jahres 1870. Dennoch unternahm er täglich Spaziergänge und besuchte regelmäßig die Sitzungen des Geheimen Rats; außerdem bearbeitete er die zweite Auflage der "Grundsätze des Verwaltungs-Rechts"292. Seit Ende November des Jahres 1870 war sein Gesundheitszustand so schlecht, daß er nicht mehr zu Tisch kommen konnte. Am 10. Dezember 1870 unterhielt er sich abends mit seiner Frau über die Zukunft; am folgenden Morgen fiel seiner Frau sein verändertes bleiches Aussehen auf. Die darauffolgenden ärztlichen Behandlungen waren vergeblich. Um zwei Uhr

Mayer. Mein lieber Oberregierungsrat von Mayer! Um Thnen einen Beweis meiner Zufriedenheit mit den von Thnen in Threm wichtigen Wirkungskreise bisher geleisteten Diensten zu erteilen, habe ich Mich bewogen gefunden, Sie zum Staatsrate und Außerordentlichen Mitgliede des Geheimen Rates ... zu ernennen ... Hiernächst verbleibe ich, mein lieber Staatsrat von M ayer Thr gnädiger König Kar t" . 287

Vgl. "P.F. Mayers Bibliographie" (im Quellen- und Schrifttumsverzeichnis).

288

P.F. Mayer, Notizen, S. 27, unten S. 251.

289

Das Zeugnis vom 27. August 1869, in: Anhang, S. 5.

Die Eingabe Mayers an den Geheimen Rat vom 9. September 1870, in: Anhang, S. 21. 290

291 Nachtrag zu den "Notizen" von den Kindern P.F. Mayers, S. 28 f., unten S.252. 292

Nachtrag zu den ,.Notizen", S. 28 f., unten S. 252.

§ 7 Bis zu seinem Tode

73

kamen seine Kinder an sein Bett; nur eine Viertelstunde später trat der Tod ein. Seine letzten Worte waren: "Gönnt mir meine Ruhe ,,293. Am 13. Dezember 1870 wurde P.P. Mayer "an einem trüben nebeligen Wintemachmittag ... auf dem Fangelbachskirchhof beerdigt,,294. Der Friedhof befindet sich in der Cottastraße 34, 7000 Stuttgart295 . Auf eine Anfrage des Verfassers an die Verwaltung wurde ermittelt, daß er zwar dort in einem Doppelgrab beigesetzt wurde, daß jedoch sein Grab heute nicht mehr vorhanden isf96. 2. Eine "ausgebrannte Phantasie"? Bevor das biographische, erste Kapitel endet, lohnt es sich auf eine interessante Tatsache aufmerksam zu machen. Hinsichtlich seiner Ablehnung des Angebots gegenüber Innenminister Schlayer, sich um die Stadtdirektionsstelle in Stuttgart zu bewerben, findet sich in dem Anhang zu seinen "Notizen" Folgendes: "Schon früher im Okt. 1846 hatte Papa auf eigenhändiges Schreiben des Ministers Schlayer, der ihm eine Minsterialassessorstelle angeboten hatte, ablehnend geantwortet; auch im Jahr 1847 und 48, und dann später wieder [18]51, lehnte er mehrfache Aufforderungen in das Oberregierungsratscollegium 7.ll treten, ab. Den Gedan.kl!n, Professor in Tübingen zu werden, mit dem er sich du.nals beschiiftigte, gab er nach seiner Ernennung zum Oberamtmann in Göppingen auf"297.

Recherchen des Verfassers im Universitätsarchiv Tübingen ergaben jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß sich F.P. Mayer um den (seit 1845) freigewordenen Lehrstuhl Robert von Mohls beworben hätte. Dennoch äußerte er sich in den "Notizen" zu seiner beruflichen und privaten Situation in jener Zeit folgendermaßen: ,,10. Februar 1856. Heute ist mein 40. Lebensjahr vollendet ... Neben dem ganzen Unbehagen gehabter Täuschungen vielfach unbefriedigter Lage ... Fortgesetzte Studien über administr.[ative] Justiz. Gedanken über Mangel aber Notwendigkeit einer Konzentrierung. Doch weiß ich mich nicht für ein Bestimmtes zu entschei-

293

Nachtrag zu den ,,Notizen", S. 28 f., unten S. 253.

294

Nachtrag zu den ,,Notizen", S. 29, unten S. 253.

295 Freudenberger, Stuttgart, S. 115. 296 Sein Grab befand sich auf dem Fangeisbachfriedhof, Abt. 3-24-24/25 (047821/13). 297 Die Bemerkung seiner Kinder zur ablehnenden Antwort Mayers an Schlayer, in: Anhang, S. 13 (Hervorhebung vom Verfasser).

74

Kap. 1: F.F. Mayer und seine Zeit den. Der Ber'fs zum jurist.[ ischen] ... ??? liegt nicht in mir, die Phantasie ist ausgebrannt,,2 8.

Die drei Fragezeichen machen eine Stelle in dem "Notizen" kenntlich, an der Mayers Handschrift für seine Kinder bzw. seine Enkelin schwer lesbar war. Nach der angeführten Bemerkung seiner Kinder ist wohl folgende Ergänzung vorzunehmen: "Der Beruf zum juristischen Professor". Auch wenn F.P. Mayer stets nur als Praktiker tätig war, so fand sein wissenschaftliches Werk doch überwiegend Anerkennung. Im Nachtrag seiner "Notizen" teilen seine Kinder dazu folgende Episode mit: "Sehr erfreute ihn noch in diesen Tagen [Le. im Herbst 1870, kurz vor seinem Tode] der Besuch eines Professors einer norddeutschen Universität, welcher, wie er sich ausdrückte, es sich bei seiner Anwesenheit in Stuttg.[art] nicht versagen konnte, den Verfasser so gediegener Schriften, die er vielfach zur Grundlage seines Lehrsystems gemacht hatte, aufzusuchen und persönlich kennen zu lernen,,299.

Wer dieser ,,Professor einer norddeutschen Universität" war, konnte der Verfasser nicht klären.

298 P.P. Mayer, Notizen, S. 25, unten S. 249 (Hervorhebung vom Verfasser). 299 Nachtrag zu den ,,Notizen", S. 28, unten S. 252 (Hervorhebung vom Verfasser).

Kapitel 2

F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts ;,Übrigens sprechen in Deutschland für die wissenschaftliche Bearbeitung des Verwaltungsrechts ... als eines allgemeinen und gemeinsam-deutschen genau dieselben Gründe, wie sie beim Staatsverfassungsrecht und beim Privatrecht geltend gemacht werden."

(F.F. Mayer, Grundsätze des Verwaltungsrechts, S. 48 f.)

§ 8 Ausgangspunkt der Untersuchung 1. F.F. Mayer im Spiegel der Literatur Wie oben in § 2 bereits angedeutet, finden P.P. Mayer und seine Werke in der alten und neuen Literatur zum Verwaltungsrecht eine nicht geringe Beachtung3OO • Dies weist auch darauf hin, daß er in mancher Hinsicht als Wegbereiter der modemen Verwaltungsrechtswissenschaft angesehen wird, und daß seine Werke ein sehr breites Spektrum besitzen. Daher sollen hier die Verdienste, die F.F. Mayer von verschiedenen Autoren zugesprochen worden sind, genannt werden, um den Ausgangspunkt der Untersuchung festlegen zu können. Die zunächst besprochenen Punkte berühren den Kern des heute noch anerkannten Systems des Verwaltungsrechts: Gesetzmäßigkeit der Verwaltung; subjektives öffentliches Recht; Begriff des öffentlichen Rechts; besondere Form des Verwaltungshandeins; Ermessensausübung und ihre Grenzen; Begriff der Anstalt; Lehre vom sog. beliehenen Unternehmer.

300

Oben S. 22 ff.

76

Kap. 2: F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts a) Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

Der Vorrang des Gesetzes war auch schon vor F.F. Mayer Allgemeingut in der Literatur301 ; jedoch wurde der Vorbehalt des Gesetzes wahrscheinlich von ihm zum ersten Mal formuliert: "Jede polizeiliche Beschränkung der persönlichen Freiheit und des Eigentums der Staatsbürger muß im Allgemeinen rechtlich begründet sein ... Grundsatz der Freiheit der Person und des Eigentums in dem Sinne, daß Beschränkungen derselben nur durch wirkliche öffentliche Interessen ... gerechtfertigt sind und im Einzelnen aus der gesetzlich näher bestimmten oder doch im Allgemeinen anerkannten Aufgabe der Polizeiverwaltung hervorgehen müssen und nicht vorweg zu vermuthen sind. ,,3(J].

Ottmar Bühler sieht insoweit "ein erstes Auftauchen der Idee" bei F.F. Mayer303 . Ebenso kommt Mayers oben angegebenes Postulat nach der Auffassung Dietrich Jeschs dem modemen Begriff des Eingriffsvorbehalts am nächsten304 . Nach Hueber schließlich muß "nicht Paul Laband, ... sondern F.F. Mayer [... ] damit als Begründer der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes im neueren Sinne gelten,,305. b) Subjektives öffentliches Recht

Der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts wurde bekanntermaßen von earl Friedrich von Gerber begründet306 und von Georg Jellinek in der sog. "Status-Lehre" systematisch geordnet und ausgebildet307 . Zwar bemängelt Jellinek bei den damaligen Autoren das Fehlen einer in die Tiefe dringenden Erörterung der Grundprobleme des subjektiven öffentlichen Rechts und der sich daran knüpfenden Spezialfragen308 , doch hält er die diesbezüglichen Untersuchungen F.F. Mayers für die "verhältnismäßig eingehendsten,,309. In der Tat behandelt F.F. Mayer nicht nur den Begriff des

301

Hueber, Otto Mayer, S. 128.

3(J].

F.F. Mayer, Grundsätze, S. 106 f. (Hervorhebung vom Verfasser).

303

Bühler, Die subj. öffentl. Rechte, S. 77.

304

fesch, Gesetz, S. 162 FN 278.

305

Hueber, Otto Mayer, S. 128.

306

Gerber, Über Öffentliche Rechte (1852).

307

felliTU!k, System, S. 81 ff.

308

felliTU!k, a.a.O., S. 6.

309

felliTU!k, a.a.O., S. 6 FN 3.

§ 8 Ausgangspunkt der Untersuchung

77

subjektiven öffentlichen Rechts, sondern auch seine Arten, die Entstehung, die besondere Natur und sein Erlöschen 31O • c) Begriff des öffentlichen Rechts

Die Trennung von öffentlichem und privatem Recht war der juristische Ausdruck der vom Liberalismus des 19. Ih. angestrebten Unterscheidung von Staat und Gesellschaft311 • Der klare Begriff des öffentlichen Rechts stellt naturgemäß eine wichtige Voraussetzung der modemen Verwaltungsrechtswissenschaft dar. Dazu führt F.F. Mayer aus: ,,Als Rechtssubjekt kann der Staat auch als solcher [Le. im Gegensatz zum Fiskus] in seinen öffentlichen Verhältnissen ... im Verwaltungs-Rechte aufgefaßt werden ... , aber sein Recht ist hier nicht ein gleiches mit dem der einzelnen Personen im Staate; hier sind nach dem älteren Ausdrucke nicht pares, nicht Partheien, Widersacher, sondern sein Recht ist ein höheres, das Einzelrecht erst bestimmendes, er handelt vi potestatis über die Einzelnen ".312

F.F. Mayer eröffnet hiermit "ein eigenes Gebiet rechtlicher Beziehungen" durch die "Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze", d.h. den Staat313 • Er erkennt also den rechtlichen "Mehrwert" des Staates an, wie dies später Otto Mayer ins Auge faßte 314 . d) Besondere Form des Verwaltungshandelns

Für F.F. Mayer ist die Verwaltung ein Zweig der öffentlichen Gewalt zur "Realisirung der Staatszwecke mitteist Handhabung der öffentlichen Eimichtungen und Anwendung der öffentlichen Mittel nach gegebenen Grundlagen ... in umnittelbarer Berührung mit [dem] Einzelnen und mit Genossenschaften im Staate"315.

Zwar wird der Begriff des Verwaltungsaktes als Instrument des Verwaltungshandelns von F.F. Mayer noch nicht klar verwandt, und man sucht ihn des-

310

P.F. Mayer, Grundsätze, S. 23 ff., 438 ff.

m Grimm, Recht und Staat, S. 295. P.P. Mayer, Grundsätze, S. 14 FN 1. Vgl. auch OUo Mayer, Öffentliehrechtlicher Vertrag, S. 31 (Hervorhebung vom Verfasser). 312

313

P.F. Mayer, Grundzüge, S. 5.

314

Hueber, Otto Mayer, S. 130. Vgl. auch a.a.O., S. 48 ff.

315

F.F. Mayer, Grundsätze, S. 1.

78

Kap. 2: F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts

halb im Register seiner "Grundsätze" vergebens, doch kann man dort folgendes Stichwort ausfindig machen: "Rechtsangriffe durch Verwaltungs-Acte gegen Entschädigung,,316.

So schreibt F.F. Mayer im Vorwort seiner "Grundzüge": "Die Aufgabe dieser Blätter soll die Untersuchung des rechtlichen Gehaltes und Charakters der Verwaltungsacte ... sein.'o317

Im Ergebnis bildet er also noch keinen klaren Begriff des Verwaltungsaktes, sondern beschreibt lediglich die Aufgabe der Verwaltung: "Das Amt der Verwaltung, die Natur ihrer Thätigkeit in dem, was in dieses Gebiet fällt und einer speziellen Regelung bedarf, ist dies, mit rechtlicher Wirkung für die Einzelnen und Körperschaften wie für den Staat sich zu bestimmen, Recht zu sprechen".318

Dies stimmt teilweise mit jener berühmten Definition des Verwaltungsaktes Otto Mayers überein: "Der Verwaltungsakt ist ein der Verwaltung zugehöriger obrigkeitlicher Ausspruch, der dem Unterthanen gegenüber im Einzelfall bestimmt, was für ihn Rechtens sein soll" .3 19

e) Ermessensausübung der Verwaltung und ihre Grenzen

Nach F.F. Mayers Auffassung wurde die "Action der Verwaltung" durch Schranken begrenzt; zum einen sollte die Privatrechtsordnung eine Schranke bilden und zum anderen seien diesem Teilgebiet des "öffentlichen Rechtslebens" bei der Erfüllung seiner Aufgaben durch die öffentlichen Rechte der Individuen und Körperschaften Grenzen gezogen. Ansonsten sei die Verwaltung "frei gegenüber partikulären Interessen", soweit sie sich "unter ihrer staatsverfassungsrechtlichen, dem Ganzen gegenüber zu wahrenden Verantwortlichkeit" bewege320 • Diese letzte Form des Verwaltungshandelns sollte vor allem ein freies, selbständiges und rasches Tätigwerden der Verwaltung ermöglichen. F.F. Mayer rechnete diese Verwaltungstätigkeit, die nicht Gegenstand einer Be-

316

P.F. Mayer, a.a.O., Register, S. 498.

317 P.F. Mayer, Grundzüge, Vorwort, S. III (Hervorhebung vom Verfasser). Vgl. auch ders., Über Verwaltungs-Recht, S. 284. 318

P.F. Mayer, Grundsätze, S. 39. Vgl. auch oben S. 68.

319

O. Mayer, Dt. VerwR., Bd. I, S. 95. Vgl. auch Hueber, Otto Mayer, S. 128.

32ü

P.F. Mayer, Grundsätze, S. 453.

§ 8 Ausgangspunkt der Untersuchung

79

schwerde sein konnte, zu den reinen Verwaltungssachen 321 • Hierin sollte nach seiner Ansicht neben gewissen ,,rechtsfürsorgenden Amtshandlungen" und der Ausübung der ,,reglementären Gewalt (pouvoir regulateur)" durch "allgemeine Maasregeln und Anordnungen"322 auch die "Ausübung der freien, nach eigenen Ermessen sich bestimmenden Rechtsgewalt der Verwaltung (pouvoir discretionnaire)" gehören 323 • Letztere sollte durch "spezielle Anordnungen und Maasregeln der reinen Verwaltung" auf die Interessen und Rechte der Einzelnen einwirken324 . F.F. Mayer sah also in diesem Zusammenhang den Ermessensbereich als ein Teilgebiet der "reinen Verwaltungssachen". Als Beispiele führte er die fiskalische Tätigkeit der Verwaltung sowie die Gewährung kraft hoheitlicher Verleihung zu erlangender Rechte an325 . Ansonsten werde Ermessen im Bereich der gebundenen Verwaltung ausgeübt; denn in diesem Bereich der Verwaltung gelangten weitgefaßte Gesetze wie z.B. die Polizeigesetze zur Anwendung. Ihr Inhalt müsse vor ihrer Anwendung erst durch Auslegung ermittelt werden im Gegensatz zu jenen eine strenge Anwendung fordernden Gesetzen, die Rechte und Pflichten klar bestimmten326 . Dabei ermöglichten die weitgefaßten Gesetze die "der Verwaltung eigenthümlich zugestehende Erwägung (Arbitrirung)"327. Auf diese Weise werde vermieden, daß "unter dem Scheine der Rechtsgleichheit und Gesetzlichheit künstliche, erzwungene und ungerechte Zustände geschaffen" würden 328 . Dies sei "die besondere, technische Aufgabe der activen Verwaltung, bei welcher die Interessen der Einzelnen und Körperschaften ihre rechtliche Gewähr nur in den Vorschriften für ein vorsichtig ermittelndes Verfahren ... finden können,,329. Diese Zweiteilung - nämlich die Ermessensausübung im Bereich der reinen Verwaltung einerseits und in der gebundenen Verwaltung andererseits kann mit Ehmke als ein Vorläufer des späteren Gegensatzes von "Ermessen" und "unbestimmtem Rechtsbegriff' verstanden werden 33o . Denn F.F. May-

323

F.F. Mayer, a.a.O., S. 453; ders., Grundzüge, S. 66. F.F. Mayer, Grundsätze, S. 453 ff. u. vor allem S. 455 ff. F.F. Mayer, a.a.O., S. 459 ff.

324

F.F. Mayer, a.a.O., S. 459 ff.

325

F.F. Mayer, a.a.O., S. 459 f.

32!

322

327

F.F. Mayer, a.a.O., S. 464 f. F.F. Mayer, a.a.O., S. 460.

328

F.F. Mayer, a.a.O., S. 460.

329

F.F. Mayer, a.a.O., S'. 461. Ehm.ke, Ermessen, S. 11.

326

330

80

Kap. 2: F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts

er lokalisierte mit der Anerkennung der zweiten Art von Ermessen die Problematik der "Ermessensausübung" im Bereich der Anwendung der den Einzelnen berechtigenden oder verpflichtenden Gesetze; damit verläßt er nach dem heutigen Verständnis den Ermessensbereich und wendet sich der Frage der Gesetzesanwendung und -auslegung zu. Für F.F. Mayer schließt sich sogleich die Frage nach den Grenzen des Ermessens und damit nach dem Schutz an, den die öffentlichen Rechte der Einzelnen gegenüber jener "nach eigenem Ermessen sich bestimmenden Rechtsgewalt der Verwaltung" genössen. Nach seiner Ansicht unterliegt die Ermessensausübung der förmlichen Rechtskontrolle und wird in den folgenden Grenzen gehalten: 1. hinsichtlich der Einhaltung der Formvorschriften; 2. hinsichtlich der Einhaltung etwa bestehender materieller Vorschriften und der allgemeinen verfassungsmäßigen Regeln für die Ausübung der Hoheitsrechte; 3. hinsichtlich der Einhaltung der dem Ermessen gezogenen Grenzen 331 • Als Ermessensüberschreitungen seien dabei anzusehen: a) die Nichtberücksichtigung entscheidungsrelevanter Tatsachen; b) eine Entscheidung aufgrund unsachlicher Motive; c) die Nichtangemessenheit der gewählten Mittel332 •

o Begriff der Anstalt Fast einhellig wird Otto Mayer als Urheber des Anstaltsbegriffs anerkannt333 • In öffentlich-rechtlicher Hinsicht befaßte sich aber wohl erstmals F.F. Mayer mit ihren Besonderheiten, ihrer inneren Ordnung und den Rech-

331

P.F. Mayer, Grundsätze, S. 462.

332 P.F. Mayer, a.a.O., S. 462. Angesichts dieses Systems kann man sich der Überlegung Ehmkes (Ermessen, S. 12) anschließen: "So interessant es ist, sich zu vergegenwärtigen, daß es, bevor die mit dem Ausbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit verbundene Ermessensdiskussion begann, in unserer Literatur bereits eine derart ge schlossene Ermessenslehre gab - es lohnt sich wirklich zu fragen, wieweit unsere Literatur in den vergangenen 100 Jahren eigentlich über P.P. Mayers Ermessenslehre hinausgekommen ist." 333 Zum Anstaltsbegriff Köttgen, Anstalt, S. 107 ff.; Demblin, Anstaltsbegriff, S. 108 ff.; s.a. Jecht, Anstalt, S. 11; Lange, Anstalt, S. 170; Wenninger, Geschichte, S.50.

§ 8 Ausgangspunkt der Untersuchung

81

ten der Einzelnen zu ihr334 . Er zählt die Anstalten zum öffentlichen Sachenrecht und zum Gemeingut335 . Die Benutzungsbefugnisse der Einzelnen am Gemeingut stellten einerseits eine Erweiterung der individuellen "Rechtskreise" dar, die andererseits "eigenthütnliche Beschränkungen mit sich führen und deshalb ... eine besondere Klasse öffentlicher Rechtsverhältnisse bilden"; diese Beschränkungen hätten im ganzen die gleiche rechtliche Natur wie "polizeiliche Gebote, Verbote und spezielle Einwirkungen,,336. Die innere Ordnung der Anstalt werde bestimmt durch die Anstaltsordnung (Reglements, Statuten) und durch die Natur, die Bestimmung und den Zweck der Anstalt; der in diesem Zusammenhang erlassene "Verwaltungsakt" ist nach dem Verständnis F.F. Mayers rechtlich entweder "bloße (negative) Aufsicht" über den Eintritt in den Gebrauch der Anstalt und dessen Ausübung oder "förmliche Zulässigkeitserklärung" oder "förmliche Verleihung"337. Insofern faßte F.F. Mayer die "Staatspflege" als ein Teilgebiet der späteren "Leistungsverwaltung" ins Auge 338 . g) Lehre vom sog. beliehenen Unternehmer

Ebenso wurde die Lehre vom sog. beliehenen Unternehmer von Otto Mayer begründet339 . Ansätze einer ähnlichen Begriffsbildung finden sich dennoch ebenfalls bereits bei F.F. Mayer: "Die Gründung und Erhaltung mancher öffentlichen Anstalten ... wird in Aussicht auf den ... Gewinn von Einzelnen oder Gesellschaften unternommen werden, wenn die öffentliche Gewalt einerseits darauf verzichtet, dieselben Zwecke durch ähnliche Anlage aus öffentlichen Mittel auszuführen ... , anderseits die Ausführung der Anlage als eines Unternehmens für öffentliche Zwecke dadurch ermöglicht, daß sowohl die nöthige Benutzung öffentlicher Güter ... zugestanden, als das Recht auf Zwangsenteignung von Privatrechten eingeräumt, auch endlich der solchen öffentlichen Anlagen nothwendige besondere Schutz zugesichert wird. Diese Einräumungen sind durch eine besondere Bewilligung, Concession, zu erlangen."34O

334

Demblin, a.a.O., S. 101 f.; Wenninger, a.a.O., S. 52.

335

P.F. Mayer, Grundsätze, S. 169.

336

P.F. Mayer, a.a.O., S. 170.

337

P.F. Mayer, a.a.O., S. 232.

338

Unten S. 148 ff., 185 ff.

339 O. Mayer, Dt. VerwR., 1. Aufl., Bd. schaftseinheiten, S. 47.

n,

S. 294 ff. Vgl. auch Vogel, Wirt-

340 P.P. Mayer, a.a.O., S.212 f. (Hervorhebung vom Verfasser). Allerdings denkt P.P. Mayer hierbei noch nicht an eine Übertragung von Verwaltungsaufgaben an

6 Isbikawa

82

Kap. 2: F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts

2. Mängel der F.F. Mayer-Forschung Dieser Überblick gibt einen Eindruck, wie viele wichtige Schlüsselbegriffe, die die Voraussetzungen zur Entstehung des modemen Verwaltungsrechts bilden, F.F. Mayer bereits kannte bzw. prägte. Wenn man von den vorgenannten Untersuchungen einmal absieht, in denen er im Rahmen des jeweiligen Themas nur vereinzelt Erwähnung findet, beschäftigten sich bisher drei Autoren - mehr oder minder eingehend - mit dem System des Verwaltungsrechts F.F. Mayers, nämlich Bodo Dennewitz, Hans-Joachim Feist und Alfons Hueber. Dennewitz sieht das Verdienst F.F. Mayer besonders darin, daß dieser das Verwaltungsrecht vom Staatsrecht einerseits und vom Privatrecht andererseits exakt abgrenzte und die "damals noch herrschende Vermengung privatund öffentlichrechtlicher Begriffe" ablöste. Auf diese Weise habe F.F. Mayer die Darstellung des Verwaltungsrechts anhand "leitender allgemeiner Rechtssätze für die Verwaltung" entwickelt341 • Dabei weist Dennewitz auch auf die Bedeutung der rechtsvergleichenden Arbeiten hin, die F.F. Mayer sowohl bezüglich des Verwaltungsrechts der deutschen Länder untereinander als auch bezüglich des französischen Verwaltungsrechts vomahm 342 . Unter Heranziehung der "Grundsätze" stellt Dennewitz dar, wie Mayers System des Verwaltungsrechts aufgebaut ist. Er weist auf die neue, juristische Methode, die Klarheit in das System des Verwaltungsrechts brachte, hin 343 und geht schließlich der Frage nach, warum F.F. Mayer nach seinem Tode so rasch in Vergessenheit geriet344 • Feist lehnt sich - bezüglich F.F. Mayer - weitgehend an das Dennewitzsche Werk an und fügt ihm nur wenig hinzu 345 • Hueber geht hingegen einen Schritt weiter als die beiden bereits genannten Autoren, die ausschließlich die "Grundsätze" heranziehen, indem er außerdem auf die "Grundzüge" (1857) und andere Werke F.F. Mayers ver-

Private, sondern im Gegenteil gerade an ein Zurücktreten der staatlichen Verwaltung gegenüber der freien Privatinitiative (Vogel, a.a.O, S. 47). 341

Dennewitz, Systeme, S. 68 ff.

342

Dennewitz, a.a.O., S. 69 ff.

343

Dennewitz, a.a.O., S. 71 ff.

344

Dennewitz, a.a.O., S. 73. Vgl. oben S. 20 f.

345

Feist, Entstehung, S. 122 ff. Siehe besonders seine Fußnoten.

§ 9 Staat und Staatszwecke

83

weist346 • Dies ermöglicht es ihm, die Dreiteilung des Verwaltungshandelns in Mayers Lehre aufzuzeigen347 • Hueber sieht in F.F. Mayer vor allem einen verdienstvollen Vorläufer Otto Mayers, da er den Versuch unternahm, Begriffe wie die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, den Verwaltungsakt, die Selbstbindung der Verwaltung und das öffentliche Recht zu bilden348 . Allerdings zwingt ihn seine Themenwahl dazu, sich mit knappen Ausführungen über F.F. Mayer im Rahmen der "Methode vor Otto Mayer" zu begnügen349 • Trotz solcher Ansätze ist über ,,P.F. Mayer ... immer noch wenig bekannt"350. Insbesondere fehlt es an einer Untersuchung, die auf die Grundlage des Verwaltungsrechts F.F. Mayers eingeht und seinem System gerecht wird. Dies soll der Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung sein.

§ 9 Staat und Staatszwecke "Die Lehre vom Verwaltungsrecht findet ihren Gegenstand am Staat Der Begriff der Verwaltung bezeichnet die Seite, von der er uns angeht"351. Schließt man sich dieser Auffassung Otto Mayers an, so ist die Bestimmung des Staatsbegriffs als Grundlage der Verwaltungsrechtswissenschaft von besonderer Bedeutung. Bei der Behandlung des Staatsbegriffs unterscheidet F.F. Mayer zunächst das ,,Regierungs- oder Verwaltungsrecht" vom "Staats- oder Verfassungsrecht"; neben einem solchen "Staatsverwaltungsrecht", das "durch einen dem Verfassungsrecht folgenden zweiten Theil ... dargestellt zu sein pflegt", sei außerdem ein "Verwaltungsrecht im engeren, technischen Sinne" geboten, wobei es sich um die "spezielle Ausführung

346 "Über Verwaltungs-Recht" (1856) und "Grundzüge des polizeilichen Strafrechts" (1845). Siehe Hueber, Otto Mayer, S. 127 f. Vgl. auch sein Literaturverzeichnis, a.a.O., S. 201.

347 Hueber, a.a.O., S. 127. Vgl. oben S. 68. Soweit dem Verfasser bekannt ist, wurde diese Dreiteilung des Verwaltungshandelns bei F.F. Mayer von Badura erstmals erwähnt (Badura, Verwaltungsrecht, S. 53). 348

Hueber, a.a.O., S. 128 ff.

349 Hueber, a.a.O., S. 126-131. Hierbei beschränk! Hueber sich "überwiegend darauf festzustellen, inwieweit in der Verwallungswissenschaft vor Otto Mayer die Überzeugung von der Unerläßlichkeit eines juristisch-systematisch geordneten Verwaltungsrechts zum Ausdruck gebracht wurde" (Hueber, a.a.O., S. 125). 350

Hueber, a.a.O., S. 126~

351

0. Mayer, Dt. VerwR., 1. Aufl., Bd. Ir, S. 1.

84

Kap. 2: F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts

der Verwaltungsaufgaben im Verhältniß zu den Einzelnen und Körperschaften" hande1t352 . Da das Hauptinteresse F.F. Mayers der Behandlung des Verwaltungsrechts im engeren Sinne galt, fehlt es bei ihm naturgemäß an einer eigenen Fonnulierung des Staatsbegriffs, wie dies z.B. bei Otto Mayer der Fall ist3S3 • Vielmehr wird der Staatsbegriff als gegeben vorausgesetzt. Dennoch läßt sich bei einer Analyse der von ihm verwendeten Begriffe sein Verständnis des Staatsbegriffs quasi "herauskristallisieren". So begreift F.F. Mayer den Staat verschiedenartig: "Staat als einheitliches Ganzes"3S4, "Staat als ein lebendiges Wesen"355; "Staat als Organismus"356; "Staat als Rechtsorganismus"357; "Staat als rechtliche Einzelperson"358; "Staat als Rechtsanstalt"359; "Staat als Rechtssubjekt"360. Außerdem findet sich oft in seinen Werken der Tenninus "Rechtsstaat", allerdings ohne jegliche Definition361 . Andererseits spricht er von "Staatszwecken" im Plural362.

1. Der Staat als Organismus F.F. Mayers Staatsauffassung kann zunächst seiner Darstellung über das Verhältnis der öffentlichen Körperschaften zum Staat entnommen werden: ,Jnnerhalb ... des Staats bestehen noch als besondere sittlich-vernünftige und vom Willen der Einzelnen unabhängige Gestaltungen menschlicher Gemeinsamkeit und Wechselwirkung, engere und ihrem Zweck nach vom Staate mehr oder weniger

352

F.F. Mayer, Grundsätze, S. 47.

O. Mayer, a.a.O., S. 1 f. Vgl. auch Hueber, Ouo Mayer, S. 48 ff.; Heyen, Ouo Mayer, S. 61 ff. 353

354

F.F. Mayer, Grundsätze, S. 1.

355

F.F. Mayer, a.a.O., S. 6.

356

F.F. Mayer, Grundzüge, S. 29.

357

F.F. Mayer, a.a.O., S. 26.

358

F.F. Mayer, Grundzüge, S. 2.

359

F.F. Mayer, Grundsätze, S. 41.

360

F.F. Mayer, a.a.O., S. 14 FN 1. Vgl. oben S. 77.

361 F.F. Mayer, Über Verwaltungs-Recht, S. 294, 295, 311; ders., Grundzüge, S. 2, 7, 22, 43, 91; ders., Grundsätze, S. 14, 28, 40 FN 2, 121 usw. 362 F.F. Mayer, Grundzüge, S. 3, 5, 15, 16; ders., Grundsätze, S. I, 7, 8, 12, 14, 16,17,20,21,400 usw.

§ 9 Staat und Staatszwecke

85

verschiedene Gemeinwesen ... die öffentlichen Körperschaften ... Aber ihre Bethätigung als öffentliche und auf ihre Untergebenen äußerlich bestimmend einwirkende organische Wesen für die ihnen eigenthümlichen Zwecke, die mit der Wirksamkeit des Staatsorganismus selbst zusammentrifft ... hat ihren Grund ebenso wenig wie die ähnliche des Staates in blos vertragsmäßiger Unterwerfung der Einzelnen, sie beruht auf der durch jene Zwecke gerechtfertigten und vom Staat anerkannten obrigkeitlichen (quasi-hoheitlichen) Gewalt (jurisdictio) jener Organismen. Es muß daher nicht nur die Organisation dieser Körperschaften (ihre Verfassung) und ihre praktische Bethätigung (Verwaltung) von dem Staate als dem höheren Rechtsorganismus ... bestimmt und gefördert werden ... ".363

Angesichts dieses Zitats sollte man sich die Zeit vergegenwärtigen, in der F.F. Mayer sich zuletzt mit dem System des Verwaltungsrechts beschäftigte: In jener Zeit (1862) waren Gerbers "Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts" (1. Aufl. 1865) und damit seine Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Staates noch nicht veröffentlicht; lediglich die berühmte Rezension Wilhelm Eduard Albrechts (1837) läßt schon Ansätze zu dieser Lehre erkennen364 • Kurz vor dem Erscheinen von Mayers Zeitschriftenartikel "Über Verwaltungs-Recht" (1856) hatte Gerber sein epochemachendes Werk "Über Öffentliche Rechte" veröffentlicht (1852)365. Aus dem Vergleich des damals aktuellen Staatsrechtsverständnisses mit dem des 18. Jh. zieht Gerber den Schluß, daß eine tiefe Kluft bestehe, und daß das "heutige" Staatsrecht "ein völlig neues" sei. Dabei sieht er das "specifisch juristische Princip", mit dessen Hilfe das "staatsrechtliche Element ... charakterisiert" wird, im Verhältnis des Herrschers zum Staat366 • Indem er einige Ansichten seiner Zeitgenossen kritisch anführt, kommt er zu dem Ergebnis: "Der Staat ist ein sittlicher Organismus, der nicht wie der Mechanismus durch eine außer ihm stehende Kraft, sondern durch das eigene in ihm selbst wohnende Lebensprincip bewegt wird. ,,367 Der Einfluß Hegels ist insofern erkennbar368 • Wie oben bereits erwähnt, las F.F. Mayer

363

F.F. Mayer, Grundsätze, S. 25 f. (Hervorhebung vom Verfasser).

Albrecht, Rezension über Maurenbrechers "Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechts", in: Göttingische gelehrte Anzeigen 1837, S. 1489 ff., 1508 ff. Vgl. auch Häfelin, Rechtspersönlichkeit, S. 84 ff. 364

365 Diese Schrift Gerbers findet ausdrückliche Erwähnung bei F.P. Mayer, Grundsätze, S. 420 in der zum Untertitel gehörigen Anmerkung.

366

Gerber, Über Öffentliche Rechte, S. 14.

367

Gerber, a.a.O., S. 19.

368 Häfelin, Rechtspersönlichkeit, S. 131. Nach Hegel (Grundlinien, § 257) sei der Staat, wie bekannt, die "Wirklichkeit der sittlichen Idee".

86

Kap. 2: F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts

die Werke Hegels369 , daher ist eine Beeinflussung Mayers durch Hegel nicht auszuschließen. Etwas anders ist die Darstellung bei Robert von Mohl, die F.F. Mayer als seinem Schüler natürlich vertraut war370 . 1851 veröffentlichte Mohl den Aufsatz "Gesellschaftswissenschaften und Staatswissenschaften". Einerseits sieht Mohl darin den Staat ebenfalls als einen "Organismus von Einrichtungen, welche je eine Anzahl von einzelnen, in einem begrenzten Raum zusammenlebenden Persönlichkeiten zu einer mit einem Gesamtwillen, einer Gesamtkraft versehenen und gemeinsame Zwecke verfolgenden Einheit verbinden", an 371 . Andererseits übernimmt es der Staat nach Mohl aber auch, für ein geordnetes Zusammenleben der ihm angehörigen Individuen, für den notwendigen Ausgleich der widerstrebenden Interessen unter ihnen und für das Vorhandensein derjenigen Bedingungen zu sorgen, die der Einzelne braucht, um seine Lebenszwecke gegenüber den Interessen der anderen durchsetzen zu können: Mohls Staat ist also keine Form der "Wirklichkeit der sittlichen Idee" mehr, wie es noch Hegel formulierte, sondern ausschließlich ein zweck-

rationales Gebilde372 •

Dies stimmt mit der Ansicht F.F. Mayers überein: "Die freie Lebensäußerung und Bethätigung der Einzelnen im Staate" findet nicht bloß in dem "an sich individuell-rechtlichen Gebiete" statt, sondern zielt auch! auf allgemeine, öffentliche Interessen und Bedürfnisse ab; dieser freien Entfaltung steht "als weitere Bedingung des vernünftigen Zusammenlebens ... vor Allem die öffentliche Rechtssicherheit" gegenüber, die die Beschränkungen der "individuellen Bewegung gemäß den Staatszwecken" ermöglicht373 • Der Staat erscheint nach seiner Auffassung als ein "in seiner Wirklichkeit gegen Störung und Bedrohung zu schützende(r) Organismus"374. Wenn F.F. Mayer von "Organismus" spricht, so darf dieser allerdings nicht im Sinne der organischen Staatslehre der Romantik verstanden werden, da die Romantik insoweit einer universalistischen Vorstellung anhängt, nach der das Recht in das Kulturganze eingeordnet und innig mit dessen anderen Äußerun-

369

Oben S. 63 mit FN 237.

370

Oben S. 53 f., 6l.

371

Mohl, Gesellschaftswissenschaften, S. 31 (Hervorhebung vom Verfasser).

372

Meissner, Komponente, S. 35.

373

P.P. Mayer, Grundsätze, S. 99 (Hervorhebung vom Verfasser).

374

P.P. Mayer, aa.O., S. 99.

§ 9 Staat und Staatszwecke

87

gen (wie Religion und Kunst) verbunden ist375 • Der Organismusbegriff

F.F. Mayers hingegen wird ausschließlich vom Recht durchdrungen 376 •

2. Der Staat als Rechtssubjekt F.F. Mayer sieht "im Staate selbst ... ein System rechtlicher Normen, nach welchem die Organe für das selbständige Handeln des Staates als eines lebendigen Wesens - Staatsoberhaupt, Regierung, Volksvertretung - gegründet sind,,377. Die Regierung ist nach seiner Ansicht das "Subject der Staatsgewalt"378. Sie führt nicht nur im Inneren "selbständig die zwischen Gesetzgebung und Ausführung nöthige Vermittlung ... herbei", sondern "vertritt" den Staat auch nach außen 379 . Es ist naheliegend, daß Mayer insoweit eine Rechtspersönlichkeit des Staates voraussetzt. Der Staat bedarf - nach dem Verständnis Mayers - zunächst einer "individuell-rechtlichen Persönlichkeit", um seine Zwecke und Aufgaben ausführen zu können. Er und die in ihm wirkenden öffentlichen Körperschaften "treten als Besitzer von Gütern, als Contrahenten über Lieferung von Arbeiten, Waaren" auf38o . Hierbei handelt es sich freilich um den ,,Fiscus" als die "privatrechtliche Persönlichkeit des Staates", den "Staat in Vermögenssachen"381. Als Rechtssubjekt kann "der Staat auch als solcher in seinen öffentlichen Verhältnissen ... im Verwaltungs-Rechte aufgefaßt werden ... , aber sein Recht ist hier nicht ein gleiches mit dem der einzelnen Personen im Staate ... , sondern sein Recht ist ein höheres. das Einzelrecht erst bestimmendes, er handelt vi potestatis über die Einzelnen,,382. Das Wirken der Staatsgewalt ist danach nicht als "Ausfluss der Gewalt", sondern als "Ausfluss von Rechten" aufzufassen 383 • Daraus folgen gewisse "Rechtsbeziehungen im Gebiete der

375

Häfelin. Rechtspersönlichkeit. S. 109.

376 Z.B.: "So finden wir denn auch das weite Gebiet der Verwaltung im Rechtsstaate durchdrungen vom Rechte" (P.F. Mayer. Grundzüge. S. 2).

P.F. Mayer. 378 P.F. Mayer. 379 P.P. Mayer, 380 P.P. Mayer, 377

Grundsätze. S. 6 (Hervorhebung vom Verfasser). Grundzüge, S. l. Grundsätze, S. l. Grundzüge, S. 4.

381

P.F. Mayer, Grundsätze, S. 14 ff.

382

P.P. Mayer, a.a.O., S. 14 f. FN 1. Vgl. auch oben S. 77. P.P. Mayer, über Verwaltungs-Recht, S. 286 f.

383

88

Kap. 2: F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts

Verwaltung", die 1. das "Verhältniß der Einzelnen zum Staatsganzen", 2. das "Verhältniß der öffentlichen Körperschaften im Staate", und 3. das "Verhältniß der Individuen zu einander" bestimmen384 •

3. Der Rechtsstaat Obwohl F.F. Mayer den Begriff des Rechtsstaats nicht definiert, verwendet er ihn 385 • Dieses Kompositum ist eine im letzten Jahrzehnt des 18. Jh. auftauchende Neubildung 386 • An dieser Stelle muß zunächst an Mohl erinnert werden, der zur weiteren Popularisierung dieses Begriffs einen wesentlichen Beitrag leistete; es erscheint daher wahrscheinlich, daß F.F. Mayer - zumal als Schüler Mohls - den Rechtsstaatsbegriff im Sinne seines Lehrers verwandte. Mohl geht bei seinen Überlegungen vor allem von dem Gedanken aus, daß es nicht nur einen ,,richtigen" Staatszweck gibt387 ; vielmehr habe jedes Volk eine seinem Wesen entsprechende Staatsform. In diesem Sinne unterscheidet er fünf Staatstypen, in denen er gleichzeitig auch Entwicklungsstufen bezüglich der Ausbildung der Staatsformen sieht. Er zählt sie in dieser Reihenfolge auf: "Der religiösen Lebensrichumg entspricht die Theokratie; der sinnlich verkümmerten die Despokratie; der privatrechdichen Forderung der Patrimonialstaat; der einfachen Familienansicht der Eatriarchalische Staat; dem sinnlich-vernünftigen Lebenszwecke der Rechtsstaat."3 8

Der Rechtsstaat ist für Mohl also eine Staatsform, die auf der höchsten Entwicklungsstufe steht389 • Er habe den Zweck, das Zusammenleben eines Volkes so zu gestalten, daß jedes Mitglied in der freien Entfaltung seiner sämtlichen Kräfte unterstützt und gefördert werden kann 390 • Dabei kann

384 F.F. Mayer, a.a.O., S. 287; ders., Grundzüge, S. 8 f. Vgl. auch oben S. 69 f. 385 Vgl. oben S. 84 mit FN 36l. 386

Stolleis, Rechtsstaat, in: HRG, Bd. IV, Sp. 367.

387

Mohl, Polizeiwissenschaft, S. 5.

388

Mohl, a.a.O., S. 5.

389

Angermann, Mohl, S. 120.

390 Mohl, a.a.O., S. 8. Bezüglich des Begriffs vom "Staatsbürgerrecht" meint Mohl (Staatsrecht, Bd. I, S. 316 FN 3) in gleicher Hinsicht, daß weder der Patrimonialstaat noch die Despotie noch die Theokratie, sondern nur der Rechtsstaat seinen Mitgliedern das Staatsbürgerrecht naturgemäß zuerkennt. In jedem Staat gebe es einen "Unterthan", nur der Rechtsstaat kenne den "Staatsbürger".

§ 9 Staat und Staatszwecke

89

sich der Staat in verschiedenen Formen entwickeln, oder wie Mohl es ausdrückt: ,,Mag die Handhabung der Staatsgewalt Einem übertragen seyn, oder von Mehreren ausgeübt werden; mögen diese Regenten durch Andere beschränkt seyn oder nicht.,,39"1

Mohls Rechtsstaatsbegriff enthält daher gleichermaßen formale wie materiale Elemente392. Nach F.F. Mayer wird das "weite Gebiet der Verwaltung im Rechtsstaate durchdrungen vom Rechte"393. Die "natürliche und erste Aufforderung" des Rechtsstaates ist deshalb darin zu erblicken, daß "nach Rechtsgrundsätzen verwaltet werden soll,,394. Einerseits ist die "Thätigkeit der Verwaltung als solche im Rechtsstaate an rechtliche Formen gebunden"395, andererseits gilt es "im Rechtsstaate die Garantie eines gewissen unverletzbaren Kreises der individuellen Berechtigung und ihrer lebendigen Bethätigung" zu gewährleisten396 . Ebenso hängt die "Bewegung der industriellen Kräfte ... nicht von beliebiger Zulassung der Staatsgewalt im Rechtsstaate ab"397. Ferner kann "im Rechtsstaate ein Zweifel darüber nicht bestehen, daß die Entschließung der Behörde lediglich auf fachlichen Gründen, insbesondere auf einer Erwägung der nach Gründen der Wahrscheinlichkeit eintretenden Gefahren für die Rechtssicherheit zu beruhen hat und das individuelle Recht der Bethätigung und des Erwerbs nur durch begründete Besorgnisse solcher Art beschränla werden darj,,398. .

Bei der Ausübung der Staatsgewalt, insbesondere hinsichtlich der Tätigkeit der Verwaltung, existiere "immer eine die anerkannten individuellen und besonderen Rechtskreise begründete Seite, die zu wahren ist, deren Vertheidigung im Rechtsstaate erlaubt sein muss,,399.

Daher greife im Streitverfahren "das im Rechtsstaate natürliche Verlangen Platz ... , daß die bezweifelte rechtliche Begründung einer auf die individuelle 391 Mohl, Polizeiwissenschaft, S. 9. 392 Stolleis, Rechtsstaat, in: HRG, Bd. IV, Sp. 370. 393 P.F. Mayer, Grundzüge, S. 2.

394 P.P. Mayer, Grundsätze, S. 40 FN 2. 395 P.P. Mayer, a.a.O., S. 14. 396 P.P. Mayer, Grundzüge, S. 7. 397 P.F. Mayer, a.a.O., S. 22. 398 P.P. Mayer, Grundsätze, S. 121 (Hervorhebung vom Verfasser).

399 P.P. Mayer, Ober Verwaltungs-Recht, S. 294 f.

90

Kap. 2: F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts

Rechtssphäre einwirkenden Verfügung für Zwecke der Gesamtheit jederzeit nachzuweisen ist ,,400.

Aus diesen Zitaten läßt sich entnehmen, wie bedeutsam das Prinzip des Rechtsstaats im verwaltungsrechtlichen System F.F. Mayers ist4ol . Es kommt ihm auf "die Beziehungen zwischen Verwaltung und Recht, also der rechtlichen Natur der Verwaltungs-Acte selbst, ... " an402 . F.F. Mayers Rechtsstaatsbegriff ist insoweit sowohl formal, weil die Verwaltung sich in ihrer Tätigkeit an bestimmte rechtliche Formen binden lassen muß403 , als auch material, weil dem Recht die Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit zugrundeliegen und dem Rechtsschutz im subjektiven Sinne auch Rechnung getragen wird404 .

4. Staatszwecke Während es nach Mohl nicht nur einen "richtigen" Staatszweck gibt und er den Rechtsstaat insoweit dem "sittlich-vernünftigen" zuordnet405 , spricht F.F. Mayer von "Staatszwecken,,406. Die Staatszwecklehre hat eine lange Tradition: In der Antike wurde von den Herrschern "Gerechtigkeit" gefordert407 . Im Mittelalter war die politische Philosophie ambivalent; sie betonte einerseits vielfältig die Bindungen des Herrschers an göttliches und menschliches Recht und erlaubte den Widerstand gegen ungerechte Herrschaft, verlangte anderseits aber auch Gehorsam gegenüber der Obrigkeit408 . Mit dem Absolutismus war das Ziel herrschaftlicher Tätigkeit und damit die Bindung des Fürsten an Formeln wie "Gemeinwohl", "öffentliches Wohl" oder "gemeines Bestes" am stärksten verdichtet409 .

400

F.F. Mayer, Ober Verwaltungs-Recht, S. 311 (Hervorhebung vom Verfasser).

401

Näheres siehe unten S. 191 ff.

402

F.F. Mayer, Ober Verwaltungs-Recht, S. 284.

403

Oben S. 89 mit FN 395.

404

F.F. Mayer, Grundsätze, S. 2, 7. VgI. unten S. 97 ff.

405

Oben S. 88 mit FN 388.

406

Oben S. 84 mit FN 362.

407

Bull, Staatsaufgaben, S. 17.

408

Bull, a.a.O., S. 19.

409

Bull, a.a.O., S. 20.

§ 9 Staat und Staatszwecke

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Im Gegensatz zum ,,Polizeistaat" wurde die staatliche Tätigkeit allmählich auf die Gefahrenbehebung beschränkt410. Im 19. Jh., d.h. zu F.F. Mayers Lebzeiten, wurde die Staatszwecklehre - seit der Romantik - vernachlässigtlI. 1821 schrieb Hegel daher beispielweise, der Staat sei "absoluter unbewegter Selbstzweck"4J2. Im Positivismus wurde schließlich die Auffassung vertreten, daß die Bestimmung der Staatszwecke keine juristische Frage sei, sondern eine Frage der Politik413 • Bei einer ideengeschichtlichen Betrachtung der Ansicht F.F. Mayers ergibt sich, daß er die "Staatszwecke" in erster Linie von der positiven Verfassung abhängig macht: "Das Bestehen und die Wirksamkeit des Staatsganzen mit seinem verfassungsmäßig festgesetzten oder sonst anerkannten Zwecken und Aufgaben ... ist bedingt durch die Unterordnung der Einzelnen.'·414

Danach gibt es mehrere Staatszwecke. Konkret nennt Mayer in diesem Zusammenhang folgende: 1. "Wahrung der individuellen Rechte"415; 2. "was nicht von den Aufgaben der menschlichen Entwicklung durch die Einzelnen oder deren freiwilliges Zusammentreten erreicht wird und werden kann"416; 3. "Sicherheit des Ganzen und den unverkümmerten Rechtsgenuß"417; 4. "rechtliche Sicherheit"418; 5. "Wahrung und Förderung der öffentlichen Interessen, die auf der Bedeutung der individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung für das Gemeinwesen beruhen,,419; 6. "Herstellung und Erhaltung öffentlicher Einrichtungen und Anstalten" usw. 420

410

BuIl, a.a.O., S. 22.

411

Hepse, Staatszwecklehre, S. 2l.

412

Hegel, Grundlinien, § 258.

413

Bu/I, a.a.O., S. 27.

414

P.F. Mayer, Grundsätze, S. 27 (Hervorhebung vom Verfasser).

415

P.P. Mayer, Grundzüge, S. 3.

416

P.F. Mayer, a.a.O., S. 5.

417 P.F. Mayer, a.a.O., S. 15. 418

P.P. Mayer, a.a.O., S. 16.

419

P.F. Mayer, Grundsätze, S. 12.

420

P.P. Mayer, a.a.O., S. 20.

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Kap. 2: F.F. Mayers System des Verwaltungsrechts

Die Auswahl und Erfüllung dieser Staatszwecke wird dabei als eine wesentliche Aufgabe der Verwaltung angesehen421 • 5. Zusammenfassung Für F.F. Mayer ist der Staat ein Organismus, der sowohl im Privat- als auch im öffentlichen Recht mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist. Mit Hilfe eines Vergleichs der Rechtsordnungen der deutschen Länder abstrahiert er das Bild seines Staats422 und setzt es als gegeben voraus. Der Staat ist für ihn nicht mehr Selbstzweck, wie er es für die idealistische Philosophie und die Romantik gewesen ist, sondern unterliegt der positiven Verfassung. Die Staatszwecke werden hauptsächlich von dieser bestimmt, so daß Mayers Staat der Verfassungsstaat ist. Sein Staat ist aber auch der Rechtsstaat, der formale wie materiale Elemente enthält. Dieses Rechtsstaatsprinzip legt er seinem System des Verwaltungsrechts zugrunde. Einer der wesentlichen Staatszwecke ist nach seiner Auffassung die Wahrung des Rechts im subjektiven und objektiven Sinne, weshalb an dieser Stelle kurz auf sein Rechtsverständnis eingegangen werden soll.

§ 10 Das Rechtsverständnis F.F. Mayers Wenn sich auch F.F. Mayer in seinen Werken unmittelbar zu seiner Staatsanschauung nur selten äußert, so geht er doch häufig auf sein Verständnis des Rechtsbegriffs ein. Dabei ist vor allem seine Lehre vom "Rechtskreis" bedeutsam, weil dieser als ein wichtiger Schlüsselbegriff in seinem System des Verwaltungsrechts anzusehen ist. Darüber hinaus unterscheidet er das öffentliche Recht streng vom Privatrecht, um auf diese Weise dem Begriff des Verwaltungsrechts klare Konturen verleihen zu können. Schließlich wird in seinem verwaltungsrechtlichen System dem Einzelnen ein subjektives öffentliches Recht zuerkannt, in dem das Verhältnis des Individuums zum Staat deutlich seinen Ausdruck findet.

421

FP. Mayer, a.a.O., S. 14.

422 Die Untersuchung des Verwaltungsrechts "wollte versucht werden auf dem Grunde deutscher ... Staatsanschauung" (F.F. Mayer, Grundzüge, Vorwort, S. ill).

§ 10 Das Rechtsverständnis F.F. Mayers

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1. Die "Rechtskreise" der Einzelnen Nach F.F. Mayer steht die öffentliche Verwaltung bei der Erledigung ihrer Aufgaben stets "anderen berechtigten Kreisen des Seins und Wirkens" gegenüber: "Diese stete Berührung mit Rechtskreisen ist aber eine wesentliche - als solche noch lange nicht genügend erörterte Seite der öffentlichen Verwaltung. ,,423

Dieser "Rechtskreis" ist nichts anderes als ein "Kreis freier Selbstbestimmung des Individuums,,424. Er wird "nicht erst von dem Staate geschaffen", sondern besteht schon vor diesem; grundsätzlich ist er von der Gestaltung des Staates unabhängig425 • Vielmehr wird der Staat gerade dazu geschaffen, um das zu verwirklichen, was "nicht von den Aufgaben der menschlichen Entwicklung durch die Einzelnen oder deren freiwilliges Zusammentreten erreicht wird und werden kann,