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German Pages 186 [188] Year 1976
FRAUENLEITBILD UND FRAUENARBEIT IN ÖSTERREICH
SOZIAL-
UND
WIRTSCHAFTSHISTORISCHE
STUDIEN
Herausgegeben von A L F R E D H O F F M A N N und M I C H A E L
MITTERAUER
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Universität Wien BAND 8
Wissenschaftliche A r b e i t auf dem Gebiet der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte steht heute in einem besonderen S p a n n u n g s f e l d . D i e Geschichtswissenschaft erkennt i m m e r klarer die B e d e u t u n g gesellschaftlicher G r u n d l a g e n f ü r die B e a n t w o r t u n g ihrer Fragestellungen. Traditionelle T h e m e n müssen u n t e r diesem Aspekt neu durchdacht w e r d e n . V o n Seiten d e r Sozialwissenschaften e r f ä h r t die historische D i m e n s i o n stärkere Beachtung — ein reiches A u f g a b e n f e l d f ü r d i e ihr n a h e s t e h e n d e n historischen Teildisziplinen. D i e „Sozial- u n d wirtschaftshistorischen S t u d i e n " b e m ü h e n sich um einen möglichst w e i t e n thematischen R a h m e n . Sowohl S p e z i a l u n t e r suchungen w i e Oberblicksdarstellungen w e r d e n A u f n a h m e f i n d e n . N e u zeitliche u n d mittelalterliche Arbeiten sollen e i n a n d e r das Gleichgewicht h a l t e n . V o n P r o b l e m s t e l l u n g u n d Quellenlage her ergibt sich insofern ein räumlicher A k z e n t — im M i t t e l p u n k t stehen Österreich u n d seine N a c h b a r l ä n d e r — , als die veröffentlichten Untersuchungen in erster Linie aus der Forschungsarbeit am Institut f ü r W i r t s c h a f t s - u n d Sozialgeschichte d e r U n i v e r s i t ä t Wien hervorgehen.
EDITH RIGLER
FRAUENLEITBILD UND FRAUENARBEIT IN ÖSTERREICH vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg
Mit einem Geleitwort von Hertha Firnberg
R. OLDENBOURG VERLAG MÜNCHEN 1976
© 1976. Verlag f ü r Geschichte und Politik Wien Druck: Manz, Wien 9, Lustkandlgasse 52 Umschlagentwurf: Renate Uschan-Boyer
ISBN 3-486-48131-2 Das Buch erschien auch im Verlag f ü r Geschichte und Politik Wien (mit der ISBN 3-7028-0085-9)
INHALT GELEITWORT
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EINLEITUNG
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1. DAS ROLLENBILD DER FRAU IN DER GEGENWARTSGESELLSCHAFT Breites Spektrum der Leitbilder — Wiederaufleben der Emanzipationsbewegung — „Statusunsicherheit" — Motivationen der Berufstätigkeit — Berufsverbundenheit — Autoritätsstruktur in der Familie — Neue Ordnungsformen — Einfluß der Massenmedien — Klischees in Lesebüchern 2. VERSUCHE ZUR DARSTELLUNG „WEIBLICHER EIGENART' Geschlechterpsychologie — Zeitgenössische Darstellungen zum „Wesen der Frau" — Empirische Studien 3. HISTORISCHE ARBEITSTEILUNG UND TRADITIONELLE GESCHLECHTSROLLEN . . . Arbeitsteilung in der Frühgeschichte — Patriarchalismus — Bäuerliche Familie — Kaufmanns- und Handwerkerfamilie — Adel — Proletarierfamilie 4. WIRTSCHAFTICHE UND SOZIALE EINFLÜSSE DER INDUSTRIALISIERUNG AUF DIE ARBEITSWELT Bürokratisierung — Intersektorale Umschichtungen — Verschwinden bzw. Entstehen von Berufen — Vorindustrielle und moderne Berufsausbildung — Auflösung der Familienwirtschaft — Funktionsentlastung der Familie 5. D I E ENTSTEHUNG DER FRAUENBEWEGUNG . . Zeitgenössische Ansichten — Wirtschaftliche und soziale Ursachen — Aufklärung — Spätromantik — Forderungen der Frauenbewegungen — Aufgabenverlust im Haus-
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Inhalt
halt — Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung — Angestrebte Berufe 6. D I E FRAUENARBEIT VOM AUSGEHENDEN 19. JAHRHUNDERT BIS ZUM ERSTEN WELTKRIEG Entwicklung 1890 bis 1910 — Heimarbeit — Häusliche Dienste — Fabrikarbeit — Staatsdienst — Bildungsprobleme — Frauenstudium — Arbeits- und Sozialgesetzgebung 7. VOM KRIEGSAUSBRUCH BIS 1918 Arbeitslosigkeit — Arbeiterschutz im Krieg — Streiks — Frauenarbeit — Arbeitszeit — Frauenlöhne 8. WIRTSCHAFTLICHE UND SOZIALE PROBLEME NACH KRIEGSENDE Preissteigerungen und Inflation — Berufsumschichtungen — Normative Einstellungen: alte und neue Leitbilder — Frauenzeitschriften — Bürgerliches Ideal und proletarische Forderungen — Situation auf dem Arbeitsmarkt — Gesetzgebung nach 1918 9. D I E FRAUENARBEIT IN DER ZWISCHENKRIEGSZEIT Volkszählungsergebnisse 1923 —• Vergleich von Berufsgruppen 1910 und 1923 — Soziale Stellung — Regionale Unterschiede — Arbeitslosigkeit — Aufleben der Heimarbeit — Lehrlingswesen — Zeitgenössische Ansichten zur Frauenarbeit — Statistischer Überblick — Das „Doppelverdienertum" — Ausblick auf den Nationalsozialismus
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10. SCHLUSSBEMERKUNGEN Schlußfolgerungen — Bildungsprobleme bei Mädchen — „Büdungsdefizit" — Rollendefinitionen in der Mittelund Arbeiterschicht — Berufstätigkeit: Voraussetzung für die Emanzipation?
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BIBLIOGRAPHIE Bücher und Artikel — Zeitschriften und Zeitungen .
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PERSONEN- UND SACHREGISTER .
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GELEITWORT Mit zunehmender Industrialisierung kam es zu einschneidenden Veränderungen in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stellung der Frau. Die Diskussion über die Probleme der Frauenarbeit, über die Rolle und das „Wesen" der Frau ist noch nicht abgeschlossen. Einerseits wird die Frau als Arbeitskraft gebraucht, andererseits gibt es immer wieder Stimmen, die die Berufstätigkeit der Mütter ablehnen und ihren Tätigkeitsbereich auf den Haushalt beschränken wollen. Beide Ansichten berücksichtigen aber den Wunsch nach persönlicher Entfaltung wohl nur unzureichend. Das vorliegende Buch versucht aufzuzeigen, wie tief verwurzelt die alten Rollenklischees sind. Gerade die späte Franzisko-Josefinische Epoche hat, ähnlich wie die gleichzeitige Viktoriansche Ära in England, jene traditionalen Rollenklischees besonders betont, obwohl die Entwicklung der Fabriksproduktion bereits in immer größerem Maße die Beschäftigung von Frauen erforderte. Quantitativ noch erheblichere Ausmaße erreichte diese Beschäftigung während des Krieges. Die Spannung zwischen der frauenarbeitsfeindlichen Ideologie und der Realität vergrößerte sich. Nunmehr erlangten aber auch andere Leitbilder, die der veränderten Situation besser entsprachen, größere Verbreitung. Die Autorin hat es weiterhin unternommen, eine Verbindung zwischen der Gegenwart und der historischen Situation der Zwischenkriegszeit herzustellen. Die Analyse der Vergangenheit soll die Entstehung neuer Leitvorstellungen, die heute noch wirksam sind, verdeutlichen. Dabei verbirgt die Verfasserin nicht ihre Ansicht, daß die Gleichberechtigung der Frau heute noch nicht in wünschenswertem Maß erreicht ist. Eingewurzelte Ideologien erweisen also weit über die ihnen zugrundeliegenden historischen Situationen hinaus eine erstaunliche Lebenskraft.
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Geleitwort
Der besondere Wert der vorliegenden Veröffentlichung liegt darin, daß durch die Erfassung des Zeitraumes der Zwischenkriegszeit eine Lücke in der Analyse der Frauenarbeit in Österreich geschlossen wurde. Zum anderen kann das Buch Anregungen dazu geben, Probleme, die hier nur angeschnitten werden konnten — etwa der Wandel der Familie, der Heimarbeit, der Dienstbotenfrage, Motive für die Berufstätigkeit, die Rolle der Sozialisation etc. — zu verfolgen und speziell zu untersuchen.
Wien, im November 1975 Dr. Hertha Firnberg Bundesminister für Wissenschaft und Forschung
EINLEITUNG Die vorliegende Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Komplex von Faktoren darzustellen, der zu den Veränderungen in der gesellschaftlichen Rolle und der beruflichen Stellung der Frau in Österreich vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg beitrug. Die soziale Lage der erwerbstätigen Frau, ihr Kampf um die Gleichberechtigung muß jedoch in engem Zusammenhang mit der Arbeiterbewegung gesehen werden. Daher ist es ein weiteres Ziel der Arbeit, einen Beitrag zum Verständnis der österreichischen Arbeiterbewegung zu leisten. Man muß sich darüber im klaren sein, daß die heute bestehende Sozialgesetzgebung, Lohnregelungen, die Arbeitsvermittlung und Berufsberatung etc. Einrichtungen sind, deren Entstehung nur durch lange Kämpfe, Streiks und Verhandlungen möglich war und daß diese Institutionen nicht etwa durch den guten Willen und die ethische Einsicht mancher Unternehmer ins Leben gerufen wurden. Die Ansicht Robert v. Mohls, der 1835 meinte, durch ein „natürliches Gefühl des Wohlwollens und gemeinschaftlichen Interesses" zwischen Arbeiter und Lohnherr könnten die „Nachtheile der Industrialisierung" beseitigt werden 1 , erwies sich als Utopie. Die Vergangenheit soll jedoch nicht isoliert betrachtet, sondern in engem Bezug zur Gegenwart behandelt werden. Geschichte und Gegenwart stehen ja in ständiger Wechselbeziehung: relevante Erscheinungen der Gegenwartsgesellschaft werden oft nur durch einen Rückblick auf ihre Entstehung verständlich und erklärbar; andererseits sind die Fragen, die der Wissenschaftler an die Geschichte richtet, stets durch seine Stellung in der modernen Gesellschaft bedingt und beeinflußt. Die Geschichte muß die Gegenwartsperspektive ergänzen, doch auch Fragestellungen der Geschichtswissenschaft müssen aus moderner Sicht neu überdacht 1 Robert v. Mohl, Die gesellschaftlichen Naditheile der Industrialisierung, in: Friedrich Fürstenberg (Hrsg.), Industriesoziologie I. Vorläufer und Frühzeit 1 8 3 5 — 1 9 3 4 (1966), 302.
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Einleitung
werden. Die Arbeit ist daher bemüht, von Gegenwartsproblemen ausgehend in die Vergangenheit zurückzublicken bzw. aus der historischen Situation der Zwischenkriegszeit abschließend Schlußfolgerungen mit einem Ausblick auf die Gegenwart zu treffen. Aus diesem grob umrissenen Konzept erklärt sich die Gliederung der Arbeit: das erste Kapitel versucht, die Vielfalt der Meinungen und Werthaltungen, die uns in der modernen Gesellschaft begegnen, sozialwissenschaftlich zu erfassen. Ergebnisse der Psychologie, der Soziologie und Sozialpädagogik leisten hier Hilfe. Vorstellungen und Vorurteile, die sich bis heute erhalten haben, sind ohne Analyse ihrer ideologischen Grundlagen jedoch kaum verständlich. Das zweite Kapitel bemüht sich daher, sowohl naturrechtliche Leitbilder, popularisierte und simplifizierte Konzepte, pseudopsychologische Untersuchungen zum „Wesen der Frau" des frühen 20. Jahrhunderts als auch moderne Forschungsergebnisse der Psychologie, Soziologie und Sozialmedizin zur Sprache zu bringen. Dadurch soll der Zusammenhang zwischen dem breiten Spektrum der heute auftretenden Werthaltungen mit jenen Ideologien, die ihnen zugrunde liegen, hergestellt werden. Der darauf folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der historischen Entstehung der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau und versucht, den Kontrast zwischen Handlungsvorbildern und sozialer Wirklichkeit aufzuzeigen: den Leitbildern, die versuchten, das geglaubte „Wesen der Frau" und damit ihre Rechte und Pflichten als verbindlich festzulegen, wird die historische Entwicklung gegenübergestellt. Ein Exkurs über die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen ab der Industriellen Revolution stellt schließlich die Verbindung zum 19. Jahrhundert her und versucht eine Erklärung für das Entstehen der „Frauenfrage" und der Frauenbewegung zu geben. Eine Analyse der Frauenarbeit und gleichzeitig des Frauenleitbildes ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert bot die Möglichkeit, die von der Soziologie aufgestellte These des „cultural lag" — daß sich nämlidi in komplexen Gesellschaften verschiedene Lebensbereiche in verschiedenen Rhythmen wandeln 2 — historisch zu überprüfen. Diese Zeitverschiebungen zwischen der materiellen und der 2 V g l . W i l l i a m F . Ogburn und M e y e r F . N i m k o f f , Sociology (1940), 890. D o r t heißt es: „. . . the m a n y und f r e q u e n t technological innovations of o u r modern age, b y occurring prior to the social dianges they precipitate, are the causes of m a n y cultural lags in s o c i e t y " .
Einleitung
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immateriellen Kultur sollten an einem begrenzten Zeitraum untersucht werden. Die Zeitspanne — vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg — ergab sich einerseits aus der Bedeutung, die die Erwerbstätigkeit von Frauen infolge der technischen Umgestaltung der Produktion in der Monarchie am Ende des vorigen Jahrhunderts bereits erreicht hatte; andererseits sollten die Auswirkungen jener Bruchsituation, die der Erste Weltkrieg mit sich brachte, in der Zwischenkriegszeit verfolgt werden. Durch den kriegswirtschaftlichen Einsatz eines beträchtlichen Teils der weiblichen Bevölkerung kam es zu einer Zäsur in der bislang geringen Wertschätzung der Frauenarbeit. Radikale Umschichtungen, gepaart mit einer Revision der landläufigen Standpunkte, kennzeichnen diese Periode. Außerdem lag relativ einheitliches, vergleichbares Quellenmaterial vor, das sich für eine quantitative Auswertung eignete. Es waren also auch technische Gründe, die für diese Begrenzung sprachen: es hätte weitere umfangreiche Untersuchungen und Neuberechnungen erfordert, um die Arbeit in und über den Zweiten Weltkrieg hinaus fortzuführen. Dadurch wäre der Rahmen der Arbeit aber sowohl thematisch als auch umfangmäßig gesprengt worden. Die Konzentration der Untersuchung auf Wien erfolgte aus der Überlegung, daß sich im Industrie- und Einzugsbereich einer Großstadt mit ihren größeren Bildungsmöglichkeiten Tendenzen eines qualitativen Strukturwandels leichter verfolgen lassen. Ländliche Gebiete wurden deshalb kaum berührt, weil sich die Arbeit der Frau in vorwiegend agrarisch bestimmten Sozialstrukturen hauptsächlich als Mithilfe im bäuerlichen Betrieb vollzieht. Arbeitsbedingungen — wie z. B. Arbeitszeit und Entlohnung — lassen sich, da es sich dabei meist um unentgeltliche und zeitlich ungeregelte Arbeit handelt, daher nicht fassen. Zum vorliegenden Thema bot sich eine Fülle von Material älteren und neueren Datums. Als statistische Quellen dienten die Volkszählungsergebnisse von 1890 bis 1934. Vergleiche der verschiedenen Volkszählungen waren insofern schwierig durchzuführen, als in der Berufstatistik von 1934 als erster „moderner" Zählung neue Wege eingeschlagen wurden. War früher ausschließlich die „subjektive Berufsbetätigung" berücksichtigt worden, so erfolgte nun eine Trennung in wirtschaftliche und berufliche Zugehörigkeit. Die Aufnahme eines eigenen Wirtschaftssektor ab
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Einleitung
1923 — „Häusliche Dienste und Lohnarbeit wechselnder Art" — erschwerte Vergleiche ebenso wie die sich von Zählung zu Zählung ändernde Zusammensetzung der einzelnen Berufsgruppen. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen: Apotheker wurden einmal der chemischen Industrie — und damit dem Wirtschaftssektor „Industrie und Gewerbe" — ein andermal dem Gesundheitswesen — und damit dem Sektor „Öffentlicher Dienst und freie Berufe" — zugezählt. Differenzen, die im Zahlenmaterial der Tabellen auftaudien, sind darauf zurückzuführen, daß eine vollständige Neuberechnung mancher Berufsgruppen in einigen Fällen nicht möglich war. Ein weiteres Problem bei der Auswertung des statistischen Materials lag in der speziellen Art der Erhebungen, die eine Beantwortung jener Fragen, die heute aktuell erscheinen, häufig nicht gestattete. Als Quellen für die Analyse des Frauenleitbildes wurden hauptsächlich Zeitungen und Zeitschriften herangezogen. Es mag der Eindruck entstehen, die benützte Literatur sei nach polaren Gesichtspunkten ausgesucht worden: steht auf der einen Seite das extrem-konservative, teils klerikale, teils deutsch-nationale Leitbild, so wird auf der anderen Seite das progressive sozialistische Wunschbild dargestellt. Diese Extreme ergaben sich jedoch aus der Literatur selbst. Sicherlich waren in den Arbeiterkreisen patriarchalische Auffassungen und traditionelle Rollenverteilungen hinsichtlich der Autoritätsstruktur innerhalb der Familie vorhanden. Die Theoretiker der Arbeiterbewegung stammten dagegen zum Großteil aus nicht-proletarischen Schichten, kamen meist aus dem liberalen Bürgertum und besaßen häufig akademische Bildung. In ihren theoretischen Schriften kommt daher das breite Spektrum von sozialen Leitbildern, wie sie damals im Bewußtsein der Menschen verankert waren, nicht zum Ausdruck. Abgesehen davon darf man nicht vergessen, daß die Erste Republik sowohl in politischen als auch sozialen Fragen in diametral entgegengesetzte Lager zerfiel. Da Nuancierungen, die vom theoretischen Konzept der führenden Intellektuellen der Arbeiterbewegung abwichen, nicht erfaßt werden konnten, mußte die Arbeit hier einseitig bleiben.
1. DAS ROLLENBILD DER FRAU IN DER GEGENWARTGESELLSCHAFT „Die Polarität der Geschlechter bedingt für Mann und Frau verschiedene Arbeiten, wenigstens aber verschiedene Betätigungsweisen. Der Frau müßten dabei jene Berufe vorbehalten bleiben, in denen sich ihr Frauentum am stärksten auswirken kann. Selbst wenn Mann und Frau gleiche Berufe ausüben, werden sie es auf verschiedene Weise tun. Der Frau sind schon von Natur aus Sonderaufgaben in der Erfüllung ihres Lebenszweckes vorgezeichnet und damit Grenzen gesetzt. Diese nüchterne Erfahrungstatsache gilt nicht nur hinsichtlich der natürlichen Bestimmung der Frau, Mutter zu sein, sondern auch in allen anderen Lebensbereichen, die ihr in der Fortentwicklung der Kultur als Betätigungsfeld erwachsen sind . . . Die Frau besitzt einen eigenen Rhythmus und eigene Lebensgesetze . . . Während der Mann in seiner Arbeit werkbezogen ist, daher im Beruf auch ganz aufgehen und alles andere vergessen kann, bleibt die Frau in ihrem Tun mehr menschbezogen . . „Women represent the most oppressed class of life-contracted unpaid workers . . . They are the only true proletariat left . . . We need not challenge anyone to open battle, for the most effective method is simply to withdraw our cooperation in building up a system which oppresses us, the valid withdrawal of our labour . . . The surest guide to the correctness of the path that women take is joy in the struggle. Revolution is the festival of the oppressed . . . To be emancipated from helplessness and need and walk freely upon the earth that is your birthright. . ," 2 Diese beiden so gegensätzlichen Zitate mögen die verschiedenartigen Auffassungen von der Rolle der Frau in der Gegenwart 1 Josef Mörsdorf, Frauenarbeit und Frauenberufe, in: Die Frauenarbeit in Österreich. Die Wirtschaftszahl. Statistische Informationen der Handelskammer Niederösterreich 5 (1965), Sonderheft 1, 5. 2 Germaine Greer, The Female Eunuch (1971), 329 f f .
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Rollenbild der Frau in der Gegenwartsgesellschaft
illustrieren. Ist auf der einen Seite das herkömmliche Bild der Frau als Mutter und Hüterin des häuslichen Herdes, der Familie als Stätte der Ordnung impliziert, so stehen auf der anderen Seite die Forderungen von „Women's Lib" nach Herauslösung der Frau aus der Unterdrückung des patriarchalischen Systems durch die Weigerung, weiter im Produktionsprozeß einer solchen Gesellschaft zu arbeiten. Gilt es nach Mörsdorf, einen Beruf zu erstreben, in dem die Frau „ihre Lebensaufgabe erblicken und durch deren Verwirklichung ihrem Leben Inhalt und Sinnerfüllung" geben kann 3 , so gibt es nach Greer keine systemimmanenten Lösungen. Frauen müssen ihrer Meinung nach eigene systemändernde Wege beschreiten und dürfen sich nicht nur mit Reformen, die systemstabilisierend wirken, begnügen 4 . Die Beschäftigung mit dem Leitbild der Frauen, genauer gesagt mit dem „Konflikt zwischen der faktischen Übernahme von Verantwortungen aller Art mit dem traditionellen ,Bild' der in den Intimitätsraum der Familie eingeschlossenen Frau" 5 , hat weltweit sowohl konservative als auch progressive Kreise mit Unbehagen erfüllt. Die wirtschaftliche Entwicklung hat ebenso wie der gesellschaftliche Wandel dazu geführt, daß ein breites Spektrum von Leitbildern das traditionelle einheitliche Mutter- und Frauenbild zu verdrängen beginnt. Die Erwartungen, die von der Gesellschaft an die Frau gestellt werden, sind heute anders; trotzdem treffen negative Sanktionen noch immer hauptsächlich die Frau, falls es innerfamiliale Krisen gibt. Die verschiedenen Frauen- und Muttertypen werden von den einzelnen sozialen Schichten determiniert; sie reichen vom matronenhaft-konservativen über das verhärmt-sorgenvolle bis zum optimistischen, selbstbewußten „modernen" Frauenbild 6 . Das Leitbild des Mannes scheint im Gegensatz zur Fülle der differenzierten Auffassungen von der Frau ziemlich konstant geblieben zu sein. Hausarbeit gilt für „echte" Männer noch immer als D i e Frauenarbeit in Österreich, 10. Greer, Eunuch, 331. 5 René K ö n i g , D i e Stellung der F r a u in der modernen Gesellschaft, i n : O t t o K ä s e r (Hrsg.), G y n ä k o l o g i e und Geburtenhilfe 1 (1969), 3. 6 A l p h o n s Silbermann und U d o Michael K r ü g e r , Abseits der Wirklichkeit. D a s Frauenbild in deutschen Lesebüchern. Eine soziologische Untersuchung (1971), 32 f f . s
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Breites Spektrum der Leitbilder
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entwürdigend, kochende oder Kinder betreuende Väter werden als „Pantoffelhelden" belächelt. Die Zustimmung zur partnerschaftlichen Ehe bzw. zur außerhäuslichen Berufstätigkeit der Ehefrau und die damit verbundene Bereitschaft, einen Teil der Verantwortungen im Haushalt zu übernehmen, sind schichtspezifisch bedingt. In akademischen Kreisen dürfte, wie Elisabeth Pfeil feststellte, die Umorientierung des Mannes am weitesten fortgeschritten sein; der Frau wird hier am ehesten die Entfaltung ihrer Persönlichkeit zugebilligt7. In den letzten Jahren erhielt die Frauenemanzipationsbewegung, die man für eine abgeschlossene soziale Bewegung hielt, durch die beiden populären Bücher von Betty Friedan8 und Alva Myrdal/ Viola Klein9 neue Impulse. Am Charakter amerikanischer Frauen der fünfziger Jahre zeigte Friedan die Unerfülltheit des Hausfrauendaseins auf, das im Dienste der Absatzsteigerung verklärt wird. Friedans Verdienste liegen vor allem darin, daß zum erstenmal dargestellt wurde, wie sehr der „Weiblichkeitswahn" eine gefährliche antiemanzipatorische Ideologisierung der Rolle der Hausfrau und Mutter beinhaltet. Der „Weiblichkeitswahn", der darin bestehe, daß „gewisse konkrete, begrenzte, häusliche Aspekte des Frauendaseins — Kochen, Saubermachen, Waschen, Gebären — zu einer Religion, zu einem Vorbild, nach dem alle Frauen jetzt leben müssen, wenn sie ihre Weiblichkeit nicht verleugnen wollen"10, erhoben werden, mache Frauen damit zu einer der wichtigsten Konsumgruppen, zum Ziel unzähliger Werbespots. Das Kernproblem der Emanzipation ist nach Friedan die „Identitätskrise" der Frau, die daher rühre, daß die alten Leitbilder vernunftwidrig seien, neue aber fehlten11. Neben den beiden erwähnten, wohl populärsten Arbeiten zur Frauenemanzipation, wird in einer Fülle von Publikationen immer wieder die Problematik der Frauenberufstätigkeit unter verschiede7 Elisabeth Pfeil, Die Berufstätigkeit von Müttern. Eine empirischsoziologische Erhebung an 900 Müttern aus vollständigen Familien (1961), 243. 8 Betty Friedan, Der Weiblichkeitswahn oder Die Selbstbefreiung der Frau. Ein Emanzipationskonzept (1970). * A l v a Myrdal und Viola Klein, Die Doppelrolle der Frau in Familie und Beruf (1971). 1 0 Friedan, Weiblichkeitswahn, 33. 1 1 Ebd., 48 f f .
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Rollenbild der Frau in der Gegenwartsgesellschaft
nen Aspekten aufgeworfen. Durch provokative Titel, wie „Die Wirtschaft braucht die Frau", „Hat der Mann versagt?", „Die unfertige Emanzipation", „Der weibliche Eunuch" etc., wird versucht, verschiedene Seiten im Problemzusammenhang der Frauenemanzipation hervorzuheben. Eine Aktualisierung der sogenannten „Frauenfrage" ist also eingetreten, die den Anschein erweckt, als habe die Frauenemanzipation erst in den letzten Jahren plötzlich gesellschaftliche Bedeutung erlangt. Dieser Eindruck vertieft sich, versucht man, sich kurz über Bedeutung und Entstehung des Begriffs „Emanzipation" zu informieren. Schlägt man beispielsweise im Duden nach, so liest man von der „Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit oder Beschränkung" und erfährt, daß „emanzipiert" „frei, unabhängig, ungebunden, betont vorurteilsfrei, entfraulicht" 12 bedeute. Hier handelt es sich also um eine unhistorische Begriffserklärung, die die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge des Begriffs außer acht läßt. Die Nebenbedeutung „entfraulicht" zeigt außerdem, daß der Begriff Emanzipation ein Stereotyp geworden ist, das Ablehnung gegenüber einer als „unnatürlich" und abnorm geltenden Eigenschaft ausdrückt. Die unreflektierten Vorstellungen vom „natürlichen" bzw. „unnatürlichen" Wesen der Frau beinhalten meist auch eine stereotype Rollenzuweisung. Obwohl starre Rollenverteilungen heute seltener als früher bejaht werden, bestimmen traditionelle Auffassungen doch häufig weiterhin das Denkschema, das im Sozialisationsprozeß wirksam wird. Da die Orientierung an positiven Leitbildern für die moderne Frau noch fehlt, ergibt sich jener Zustand, den René König als „Statusunsicherheit" der Frau bezeichnet 13 . In der modernen Industriegesellschaft stellen Beruf und Einkommen wichtige Determinanten des sozialen Status dar. Solange die Frau über keine klar definierte Berufsrolle verfügt — denn die Rollen der Gattin, Hausfrau und Mutter beinhalten kaum Prestige — wird 12 Der G r o ß e Duden 5 ( 1 9 6 6 ) , 1 8 6 . Vgl. die A u s f ü h r u n g e n v o n Gisela Brandt u. a., Zur F r a u e n f r a g e im Kapitalismus ( 1 9 7 3 ) , 7 f. 1 3 Vgl. die Ausführungen v o n W e i n z i e r l über die Unsicherheit hinsichtlich der verschiedenen R o l l e n e r w a r t u n g e n , die sowohl berufstätige als auch nicht berufstätige Österreicherinnen e r f ü l l t . E r i k a Weinzierl, Emanzipation? österreichische Frauen im 20. J a h r h u n d e r t ( 1 9 7 5 ) , 1 1 3 f .
„ S t a t u s Unsicherheit"
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ihr sozialer Status weitgehend vom Beruf des Ehemannes abhängig sein, woraus sich eine verstärkte Unsicherheit ergibt 14 . Bleibt die Frau von einem Beruf ausgeschlossen, so verengt sich ihr Dasein gewöhnlich auf die Hausfrauen-, Mutter- und Gattenrolle. Ihr Interaktionsfeld beschränkt sich damit meist auf den häuslichen Rahmen, der nicht nur eine soziale Abkapselung, sondern häufig auch den Verlust geistiger und sozialer Anregungen zur Folge hat. Eine Emanzipation aus dieser häuslichen Sphäre wird dadurch erschwert, daß das Entstehen von Motivationen, daraus auszubrechen, durch das Leitbild von der häuslichen Frau unterdrückt und gehemmt wird, andererseits das Verhalten der Frauen aber jene Vorurteile, die eine Emanzipation verhindern, stärkt 15 . Als Alternative bietet die Gesellschaft den Frauen einerseits die Rolle des Hausmütterchens, das in der Familie aufgeht, andererseits die der Karrierefrau, die auf die Familie, zumindest aber auf Kinder verzichten muß. Diese alternativen Möglichkeiten entsprechen den folgenden Leitbildern: 1. Frauen sind in der Regel nicht berufstätig, 2. findet sich jedoch eine verheiratete berufstätige Frau, so ist sie ihrem Wesen „untreu" geworden, 3. Ausnahmen bestätigen die Regel. Es haben sich also Erklärungsschemata entwickelt, die den verschiedenen Erscheinungen Rechnung tragen, die nicht berufstätige, nur für die Familie sorgende Frau aber als „Idealfall" betrachten. Die traditionellen Leitbilder sind zwar, wie schon erwähnt, erschüttert, doch wird von konservativen Auffassungen abweichendes Verhalten von der Gesellschaft sanktioniert: eine Frau, die trotz ihres „Ausgefülltseins" durch Haushalt, Mann und Kinder einen Beruf ergreift, hat stets mit der Mißbilligung ihrer Umwelt bzw. mit der Verweigerung von Hilfeleistungen zu rechnen, es sei denn, sie gäbe als Hauptmotiv für ihre Berufstätigkeit finanzielle Sorgen an. Ein solches Motiv erscheint dann so plausibel, daß meist gar nicht weiter nach anderen Erklärungen gesucht wird. „Außerdem aber kann die Frau bei einer solchen Antwort davon ausgehen, daß sie ein von der Gesellschaft gebilligtes Motiv nennt" 16 . Untersuchungen haben indessen gezeigt, daß aus dem K ö n i g , S t e l l u n g der F r a u , 1 f f . V g l . d a z u S i l b e r m a n n / K r ü g e r , A b s e i t s d e r Wirklichkeit, 2 6 . 1 6 U r s u l a L e h r , D i e F r a u im B e r u f . E i n e psychologische A n a l y s e der weiblichen B e r u f s r o l l e ( 1 9 6 9 ) , 6 3 . V g l . d a z u W o l f g a n g M e t z g e r , L i e b e , E h e u n d geschlechtliches L e b e n bei der J u g e n d v o n heute, in: L e o p o l d 14 15
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Rigler, Frauenleitbild
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Rollenbild der Frau in der Gegenwartsgesellsdiaft
Komplex von Motivationen der Berufstätigkeit neben finanziellen Aspekten dem Arbeitsinteresse eine bedeutende Rolle zukommt, wobei die Art der Tätigkeit ausschlaggebend sein dürfte: bei Angestellten spielte die „Abwechslung gegenüber dem Haushalt" mit 50% eine größere Rolle als bei Verkäuferinnen (32%) und Arbeiterinnen (19% )17. Allerdings ist niemals nur ein einzelnes Motiv für die Ergreifung bzw. den Abbruch oder die Rückkehr in einen Beruf maßgebend. Eine ganze Kette von Beweggründen führt einen Entschluß herbei. Die Berufsverbundenheit einer Frau wird stark durch die Situation in den Lebensbereichen außerhalb der Arbeit, vor allem in der Familie, beeinflußt. In ihren Entscheidungen erscheint sie weniger autonom als der Mann; ihre Entschlüsse werden meist im Familienkreis nochmals überlegt und überprüft, während den männlichen Mitgliedern unbeschränkte Handlungsfreiheit zugestanden wird. Außerdem sind es bewußte und unbewußte Einstellungen, „wie sie von Familie, Nachbarschaft, Schule usw. in den frühen Entwicklungsjahren . . . entstanden sind" 18 und in den Massenmedien zu Klischees zementierte Leitbilder, die in Richtung auf „geringe Berufsverbundenheit" und geringen „Aufstiegswillen" wirksam werden. Nicht nur das Selbstbild der Frauen, sondern auch ihr soziales Handeln wird dadurch geprägt. Mit welcher Mißbilligung man der Berufsarbeit von Müttern heute noch gegenübersteht, zeigt sich sowohl in der Tendenz, Schäden, Krankheiten und Vernachlässigung der Kinder der Berufstätigkeit ihrer Mütter anzulasten, als auch in der geringen Hilfestellung, die die Gesellschaft einzunehmen bereit ist. Man stürzt berufstätige Mütter dadurch in den Konflikt, bei Krankheiten ihrer Kinder entweder ihren Arbeitsplatz zu gefährden oder diese unbeaufsichtigt zu lassen. Auch für geringe Schulleistungen ihrer Kinder werden berufstätige Mütter ganz selbstverständlich verantwortlich gemacht. Rosenmayr (Hrsg.), Krise der Ehe? Dreizehn Beiträge (1966), 88: „Sie (die vorbildliche Mutter, E. R.) geht nidit ohne dringende N o t einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit nach . . 17 Leopold Rosenmayr, u. a., Barrieren im beruflichen Aufstieg, Studien über die junge Arbeitnehmerin im Spannungsfeld von Beruf, Haushalt und Familie (1973), 13 f. 18 Hans Strotzka, Zur psychosozialen Lage der berufstätigen Frauen, in: Leopold Rosenmayr und Sigurd Höllinger (Hrsg.), Soziologie. Forschung in Österreich 1 (1969), 556.
Stellung zum Beruf
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Untersuchungen haben jedoch darauf hingewiesen, „daß die Berufstätigkeit der Mutter alleine selten, wenn überhaupt ausschlaggebend für psychische oder andere Schädigungen der Kinder ist" 1 9 und daß es für die Intelligenz und die Schulleistung eines Kindes nicht maßgebend ist, ob die Mutter einer Berufstätigkeit außer Hause nachgeht oder nicht. Entscheidend dürfte die häusliche Atmosphäre sein; psychische Störungen eines Kindes können nämlich ebenso durch die einseitige Ausrichtung einer frustrierten „Nur-Hausfrau" entstehen 20 . Gerade der Vater, dessen Funktion durch den Autoritäts- und Männlichkeitsschwund in der industriellen Gesellschaft viel an Inhalt verloren hat, könnte hier neue, dem traditionellen Leitbild entgegengesetzte Aufgaben übernehmen. War der Autoritätsanspruch des Mannes früher darauf gestützt, seiner Familie Prestige, Rang und gesellschaftliche Stellung zu bieten, so änderte sich dies in Krisenzeiten. Vor allem während und nach dem Zweiten Weltkrieg, der — im Widerspruch zur Ideologie des Nationalsozialismus — zur Verselbständigung der Frau innerhalb und außerhalb der Familie in hohem Maße beigetragen hatte, kam es zu einer Veränderung der Autoritätsstruktur innerhalb der Familie. Die Aufgabe, Familienernährer zu sein, konnte vom Mann häufig nicht mehr erfüllt, der Lebensstandard der Zeit vor dem Krieg oft nicht mehr geboten werden 21 . Die Verselbständigung — Übernahme von Verantwortung für die Familie auch im außerfamiliären Bereich — wurde den Frauen oft unfreiwillig, als „soziales Geschehen" 2 2 , auferlegt. Die Rückkehr des Mannes und der Anspruch auf die früher ausgeübte Autorität führten vielfach zu Verhaltenskonflikten, die die Persönlichkeitsstruktur von Mann und Frau berührten: sie äußerten sich darin, daß der Familienvater, der seine Funktionen und sein Prestige weitgehend verloren hatte, eine Scheinautorität auszuüben begann, die von der Frau als dem eigentlichen Entscheidungs- und Verantwortungsträger aber aufrechterhalten und sogar gepflegt wurde 23 . Ein „Sekundär1 8 Lieselotte Reichert, Haben sie es wirklich schlechter? in: Die Presse (12./13. Februar 1972), III. 2 0 Rosenmayr, Barrieren, 31. 2 1 Renate Mayntz, Die moderne Familie (1955), 4 8 . 2 2 Helmut Sdielsky, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart (1955), 291. 2 3 Ebd., 300.
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Rollenbild der Frau in der Gegenwartsgesellschaft
Patriarchalismus" 24 entstand also dadurch, daß der Vater bzw. Ehegatte noch Autorität geltend machte, obwohl die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür weggefallen waren. I n den letzten Jahrzehnten haben sich, wie Wurzbacher und Schelsky zeigten, neue Ordnungsformen der Familie herausgebildet. Renate Mayntz spricht von der Entstehung der „Gefährtenfamilie" 2 5 , und Wurzbacher stellte 1950 fest, daß die Mehrzahl eines Samples von Familien bereits unter dem vorwiegenden Einfluß von Leitbildern der Gleichrangigkeit stand. Nur durch personale Verschiedenartigkeit oder soziale Ausnahmesituationen, wie Arbeitslosigkeit, Krankheit usw., ergäben sich Unterschiede im familialen Gewicht der Partner 2 6 . Dem Trend zur Partnerschaft wirkt jedoch die Tatsache entgegen, daß Frauen weiterhin die Hauptakteure des Unterhaltungswesens sind. Filmstars, Schönheitsköniginnen, Mannequins und die Damen der Prominenz, deren Privatleben in Illustrierten emotional ausgebeutet und verkauft wird, stärken ja keineswegs das partnerschaftliche Leitbild, sondern stellen die „Andersartigkeit" des Gefühls- und Sexuallebens der Frauen betont heraus. Die Diskrepanz zwischen sozialer Wirklichkeit und dem traditionellen Leitbild wird in Illustrierten verdeckt, die Scheinwelt, die Klischees vom produzierenden Mann und der konsumierenden Frau bleiben erhalten; Mißstände werden nicht aufgedeckt. Im Witz allerdings taucht die soziale Realität oft viel wahrheitsgetreuer auf als in vielen Frauenzeitschriften 27 . Zur Kritik an einer unzeitgemäßen Kultivierung eines überholten Frauenideals besteht also gerade umso mehr Veranlassung, als die Massenmedien dieses Bild als einzig Verbindliches darstellen. Blättert man den Anzeigenteil einer Zeitung durch, so zeigt sich bald, daß Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen offenbar unterschiedlichen Kategorien von Berufstätigen angehören. Während man König, Stellung der Frau, 11. Mayntz, Familie, 48. 2 6 Gerhard Wurzbacher, Leitbilder gegenwärtigen deutschen Familienlebens. Ergebnisse und sozialpädagogische Forderungen einer soziologischen Analyse von 164 Familienmonographien (1969), 114 ff. 2 7 Vgl. dazu Egon Becker, Das Bild der Frau in der Illustrierten, in: M a x Horkheimer (Hrsg.), Zeugnisse. Theodor W. Adorno zum sechzigsten Geburtstag (1963), 4 2 7 — 4 3 8 ; Leopold Rosenmayr, The Austrian Woman, in: International Social Science Journal 14 (1962), 164. 24
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Rolle der F r a u in der Familie
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männlichen Stellensuchenden die Übernahme von Führungsaufgaben, Karriereposten und Stellen als „rechte Hand" des Leiters anbietet, fehlen derartige Offerte für Frauen. Für sie ist als „Karriereposten" lediglich der einer Chefsekretärin vorgesehen. Die Stellenangebote machen klar, inwieweit sich Frauen von Männern aus der Sicht der Arbeitgeber unterscheiden. Dispositionsfähigkeit, Format, Kreativität, Verantwortung, Dynamik, theoretisches Wissen, „überdurchschnittliche Fähigkeiten", unternehmerisches Denken — diese Eigenschaften sind anscheinend Charakteristika der Männer. Von Frauen erwartet man Gewissenhaftigkeit, Verläßlichkeit, Fleiß, eine rasche Auffassungsgabe, um den Chef „entlasten" zu können — und bietet dafür eine „abwechslungsreiche Tätigkeit", einen „schönen Arbeitsplatz", ein „modernes Büro" und die „Mitarbeit in einem Team netter, junger Kolleginnen". Geht es also auf der einen Seite um selbständige, qualifizierte und verantwortungsvolle Tätigkeiten, so bleibt auf der anderen Seite das Klischee der lächelnden, fleißigen, dienstbereiten Vorzimmerdamen erhalten, denen Arbeitsbedingungen geboten werden, wie sie für jeden Arbeitnehmer selbstverständlich sein sollten. Das Klischee von der Frau zeigt sich ebenfalls deutlich in soziologischen Untersuchungen von Lesebüchern, die, wie es scheint, von Erneuerungsprozessen und Veränderungen im Leitbild der Frau kaum Notiz genommen haben. Eine Analyse von 18 in der Bundesrepublik Deutschland verwendeten Lesebüchern 28 (für Volks-, Realschulen und Gymnasien), die zum Großteil 1967/68 erschienen waren, ergab als erstes eine Unterrepräsentation weiblicher Personen gegenüber männlichen: die Identifikationsmöglichkeiten waren demnach für Mädchen geringer als für Knaben. Die soziale Realität spiegelte sich kaum wider: traten weibliche Personen auf, so geschah dies vorwiegend im ländlich-bäuerlichen Bereich. Außerdem waren die Lesebuchfrauen vorwiegend verheiratet, ausschließlich im Haushalt tätig und überließen Entscheidungen ihren Männern. Einem Katalog von Eigenschaften, die in den Lesestücken positiv bewertet wurden, zufolge hatten Frauen mütterlich, familienorientiert und häuslich zu sein; Urteilsfähigkeit, Bildungsstreben und Selbstbewußtsein etwa wurden am wenigsten geschätzt. 28
S i l b e r m a n n / K r ü g e r , Abseits der Wirklichkeit, 5 2 — 9 3 . Untersuchun-
gen über österreichische Lesebücher sind z w a r in G a n g , Ergebnisse liegen jedoch noch nicht v o r .
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Rollenbild der Frau in der Gegenwartsgesellschaft
Ein ähnliche Untersuchung von Inge Sollwedel über die Lesebücher Hessens bestätigt diese Tendenzen: Frauen traten in den Lesestücken hauptsächlich als Leidende und nicht als Handelnde auf, sie agierten vorwiegend als Mütter. Nach der alten Vorstellung von typischen Frauenberufen wurde Heimarbeit als eine vorzügliche Lösung gepriesen 29 . Geht man davon aus, daß Lesebücher wichtige Instrumente im Sozialisationsprozeß eines Kindes und Jugendlichen darstellen und daß sie nicht nur Information und Sprachfähigkeit sondern auch Werthaltungen und Einstellungen, somit Ordnungsschemata vermitteln und liefern, so muß der Anachronismus erschreckend wirken: es kann keine Rede davon sein, daß sie dem Schüler seine Umwelt begreiflich machen. Sie wirken in keiner Weise zukunftsweisend. Im Gegenteil: sie fixieren überholte, der Wirklichkeit nicht mehr entsprechende Leitbilder. Der „cultural lag" der Familie, die sich situationeil angepaßt hat, aber in ideologischer Hinsicht ungefähr dem 18. Jahrhundert entspricht, ist somit auch in Lesebüchern verankert. Anhand der vorangegangenen Überlegungen zur gegenwärtigen Lage der Frau ließ sich erkennen, daß einander widersprechende Normen nebeneinander existieren. Zwar sind die alten Vorurteile brüchig geworden, doch allzuoft wird noch auf die „Natur" Bezug genommen: dieses oder jenes Verhalten der Frau sei „unnatürlich", es stehe im Gegensatz zu ihrem von der „Natur" festgelegten „Wesen". Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit jenen Werken, die von der „naturwissenschaftlichen" Beobachtung des Wesens der Geschlechter ausgingen, daran eine philosophische Deutung knüpften und schließlich zu einer Metaphysik der Geschlechter ausweiteten. 29 Inge Sollwedel, Untersuchung der derzeitigen Lesebücher f ü r den Deutschunterricht in den Grund-, Haupt- und Volksschulen Hessens, in: Gabriele Traxler, Zwischen Tradition und Emanzipation. Probleme der Frauenarbeit in Österreich (1973), 181 f f .
2. VERSUCHE ZUR DARSTELLUNG „WEIBLICHER EIGENART" Die Diskussion über psychologische Unterschiede von Mann und Frau wurde schon im Altertum begonnen — die gegensätzlichen Auffassungen haben jedoch bis heute kaum eine Änderung erfahren. Besonders im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfestigte sich vor dem Hintergrund einer patriarchalischen Gesellschaftsstruktur die abwertende Haltung der Frau gegenüber; am Anfang des 20. Jahrhunderts erreichte sie in den Werken von Moebius, Weininger etc. einen gewissen Höhepunkt. Nach Ursula Lehr lassen sich unter den zahlreichen Veröffentlichungen des 20. Jahrhunderts, die sich mit „der Frau" schlechthin beschäftigen, zwei Richtungen feststellen: einerseits liegen Arbeiten vor, die sich um eine „ganzheitliche Erfassung des Wesens der Frau", um die Erkenntnis „weiblicher Eigenart" bemühten. Andererseits sind Autoren zu nennen, die aufgrund empirischer Studien geschlechtsspezifische Verhaltens- und Erlebnisweisen zu analysieren versuchten 1 . Als Vertreter der Geschlechterpsychologie in „ganzheitlicher Wesensschau" ist vor allem Otto Weininger zu nennen. Ebenso wie B. v. Moebius 2 , M. Moers 3 und F. J. J. Buytendijk 4 betonte Weininger in seinem 1903 erschienenen Buch „Geschlecht und Charakter" die intellektuellen Unterschiede zwischen Mann und Frau. Von Vorurteilen seiner Zeit ausgehend, versuchte er, mit Hilfe mißverstandener ethnologischer Forschungsergebnisse das „Wesen" der Frau, das allen Zeiten und Kulturen gemeinsam sei, festzustellen. Weininger sprach ebenso wie Eberhard 5 , Heymans 6 , Moebius und Liepmann 7 der Frau jede Denkfähigkeit ab. Er meinte: „Das Weib Lehr, Frau im Beruf, 8 f f . B.J.Moebius, Uber den physiologischen Schwachsinn des Weibes (1908). 3 Martha Moers, Das weibliche Seelenleben (1941). 4 F. J . J . Buytendijk, Die Frau (1953). 5 E. F. W. Eberhard, Feminismus und Kulturuntergang. Die erotischen Grundlagen der Frauenemanzipation (1927). * Gerard Heymans, Die Psychologie der Frauen (1910). 7 W . Liepmann, Psychologie der Frau (1920). 1
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Versuche zur Darstellung
„weiblicher Eigenart"
ist weder tiefsinnig noch hochsinnig, weder scharfsinnig noch geradsinnig, es ist vielmehr von alledem gerade das Gegenteil; es ist, soweit wir bisher sehen, überhaupt nicht ,sinnig': es ist als Ganzes Un-sinn, un-sinnig" 8 . Charakterzüge wie die „Verlogenheit" 9 , die „Seelenlosigkeit" 10 und „Willenlosigkeit" des Weibes 1 1 , das ein „Symbol des Nichts" 12 sei, die von Weininger in emotionell betonter Weise herausgestellt werden, finden bei Eberhard ihre Parallele. Auch hier stehen im Vordergrund der Argumentation biologische Verschiedenheiten zwischen Mann und Frau, wie etwa das angeblich geringere Gewicht des weiblichen Gehirns, das Eberhard veranlaßte, für Frauen nur den „sicheren Hort der Familie" gelten zu lassen und den „harten, außerhäuslichen Daseinskampf" nur dem Manne zuzugestehen 13 . Da das weibliche Auffassungsvermögen mehr „Instinkt als Intelligenz, mehr Erraten als Begreifen" 14 sei, auf geistigem Gebiet hervorragende Frauen selbständiges Denken durch „wortgetreues Auswendiglernen", einen „krankhaften Ehrgeiz" und eine größere Anpassungsfähigkeit kompensierten, erbrächten sie manchmal bessere Leistungen als Männer 15 . Die Frauenbewegung lehnte Eberhard konsequent als „Kennzeichen des Völkerverfalls", als „Zersetzungserscheinung" ab, die durch „virile Frauen, sogenannte Mannweiber", inszeniert werde 16 . Die Frauenrechtlerinnen gehörten seiner Meinung nach zu den „sexuellen Zwischenstufen und verraten im Äußeren sowohl als auch im Charakter so viele männliche Züge, daß auch der Fernstehende sieht: Dies sind keine Vollweiber, sie sind zum mindesten in ihrem äußeren Gebaren abnorm" 17 . Die Abnormität zeige sich vor allem bei den „studierten Frauen", bei denen „auf Grund ihrer von Jugend an geübten geistigen Uberanstrengung" die „geschlechtliche Leistungsfähigkeit" verkümmert sei. „Die Natur kann solche Mütter für die Erzeugung Otto Weininger, Geschledit und Charakter (1947), 221. • Ebd., 233. 1 0 Ebd., 168. 11 Ebd., 218. 1 2 Ebd., 257. l s Eberhard, Feminismus, 73 f f . 14 Ebd., 26. " Ebd. 16 Ebd., 4. 1 7 Ebd., 372 f. 8
Geschlechterpsychologie
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gesunden Nachwuchses nicht brauchen und merzt den Stamm nach Möglichkeit aus." 1 8 Die Frau wird bei Eberhard also völlig auf ihre Geschlechtlichkeit degradiert. In der Kleinhaltung der Familie sieht der Autor ein Versagen der „Natur", die den Menschen beherrscht. Richtiger wäre es, die geringe Kinderzahl auf soziale Determinanten zurückzuführen: infolge der langen Ausbildung erhöhte sich das Heiratsalter, Beruf und Kinder ließen sich um die Jahrhundertwende äußerst schwer vereinbaren, und außerdem war allgemein eine Tendenz zur Kleinhaltung der Familie zu erkennen, da Kinder nun als Kostenfaktor und nicht mehr als notwendige Arbeitskräfte verstanden wurden 19 . Auch Sigmund Freuds Ansichten über die Frau unterschieden sich, wie Erich Fromm 20 nachweisen konnte, kaum von den viktorianischen Vorstellungen von der Frau als einem Wesen ohne Sexualität, dessen Verlangen fast ausschließlich auf das Gebären und Aufziehen von Kindern gerichtet sei 21 . Der biologische Determinismus, den Freud vertrat, war nur eine Variante der patriarchalischen Vorurteile des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Für ihn bestand die Stellung der Frau darin, „in jungen Jahren ein angebetetes Liebchen und in reiferen ein geliebtes Weib" zu sein; ihre Inferiorität erschien ihm selbstverständlich, das Recht des Ehemannes, das Leben seiner Frau zu beherrschen, natürlich 22 . Freud zufolge war nur der Mann in vollem Umfang ein menschliches Wesen, die Frau dagegen ein verkrüppelter, kastrierter Mann 23 . Das organisch-biologistische Denken setzte sich bei J . LanzLiebenfels 24 fort: die Polarität der Geschlechter wurde von ihm Ebd., 40. Vgl. Gerhard Madienroth, Bevölkerungslehre, in: Arnold Gehlen (Hrsg.), Soziologie. Ein Lehr- und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde (1955), 85. 2 0 Erich Fromm, Sigmund Freuds Sendung. Persönlichkeit, geschichtlicher Standort und Wirkung (1961); ders., Analytische Sozialpsydiologie und Gesellschaftstheorie (1970). 2 1 Fromm, Sozialpsydiologie, 185. 2 2 Fromm, Freuds Sendung, 39 ff. 2 3 Fromm, Sozialpsydiologie, 184. Vgl. dazu die Ausführungen von Betty Friedan, Der Weiblichkeitswahn oder Die Selbstbefreiung der Frau. Ein Emanzipationskonzept (1970), 68 ff. 2 4 Jörg Lanz-Liebenfels, Die entsittlichende und verbrecherische Weiberwirtschaft unserer Zeit (1912); ders., Die Gefahren des Frauenrechts und die Notwendigkeit der mannesrechtlichen Herrenmoral (1909). 19
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Versuche zur Darstellung „weiblicher Eigenart"
hervorgehoben, Mann und Frau völlig getrennte Lebensbereiche zugeordnet. Für Lanz-Liebenfels ist die Frau dem Manne aufgrund somatologischer Beobachtungen untergeordnet, ein Wesen auf „niedrigerer Entwicklungsstufe" 25 . Antisemitisches und rassenbiologisches Gedankengut verbinden sich bei ihm zu offenem Haß gegen die Frauenrechtlerinnen, jene „unbefriedigten hysterischen Zwitter" 26 . Das Rätselraten um die „geheimnisvolle Innerlichkeit der Frau" ist auch bei Buytendijk vom leiblichen Erscheinungsbild und von biologischen Gegebenheiten geprägt 27 . Intensiv setzte er sich mit der Polarität „aktiv-passiv" auseinander und bemühte sich, aufgrund biologischer, anatomischer und physiologischer Beobachtungen um eine „vorurteilslose Anschauung der Erscheinungsweise der Frau" 28 . Das „Streben nach Geborgenheit beim Mädchen gegenüber dem größeren Expansionsstreben des Jungen" schien ihm der Grundzug der weiblichen Existenz zu sein 29 . Buytendijk, der sich an die Lebensphilosophie Nietzsches und Klages' anlehnte, ging methodisch wie die meisten der genannten Autoren vor: unwissenschaftliche, in Metapher gekleidete Leerformeln aus Philosophie und Dichtung wurden übernommen und verallgemeinert, um ein idealtypisches Bild „der Frau" zu konstruieren. Nach Philipp Lersch30 und Helene Deutsch 31 ist die größere Passivität, nach Gerard Heymans 32 die starke Emotionalität der Frau das Hauptmerkmal des „typisch Weiblichen" 33 , nach Liepmann 34 die leichtere Verwundbarkeit der Frau 35 . Die Passivität als typisch weibliches Merkmal spielt auch in Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht" eine wesentliche Rolle. Allerdings hebt Beauvoir ausdrücklich hervor, daß dies kein biologisch beLanz-Liebenfels, Gefahren des Frauenrechts, 2. Ebd., 3. 2 7 Buytendijk, Die Frau, 208. 28 Ebd., 202. 29 Ebd., 150. 30 Philipp Lersch, Vom Wesen der Geschlechter (1947), 44 ff. 3 1 Helene Deutsch, The Psychology of Women. A Psychoanalytic Interpretation (1944/45), 224 f f . 32 Heymans, Psychologie, 66 f f . 33 Vgl. dazu die Ausführungen von Lehr, Frau im Beruf, 9 f. 34 Liepmann, Psychologie, 230 f f . 35 Vgl. Viola Klein, The Feminine Character. Kistory of an Ideology (1946), 163. 25
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Zeitgenössische Darstellungen
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dingter Zug sei, sondern ein „Schicksal", das der Frau von ihren Erziehern und der Gesellschaft „auferlegt" werde 36 , und daß es sich um eine Rolle handle, die eingeübt wird 3 7 . Viola Klein, die in ihrem Buch „The Feminine Character" eine Liste weiblicher Eigenschaften zusammenstellte, wie sie bei einer Reihe von Autoren als charakteristisch und anlagebedingt hervorgehoben werden — u. a. Mathias und Mathilde Vaerting, Sigmund Freud, Alfred Adler, W . Liepmann und Gerard Heymans —, konnte anhand der widersprüchlichen Aussagen zeigen, wie sehr alle diese vermeintlichen Charaktereigenschaften von individuellen Werthaltungen und Vorurteilen geprägt waren und den sozialhistorischen Ausgangspunkt des Untersuchenden reflektierten 38 . Auch zeitgenössische Darstellungen zum „Wesen der Frau" liegen zum Teil ganz auf der Linie einer von biologischen Unterschieden ausgehenden differentiellen Psychologie der Geschlechter. Das Argument, die „natürlich gottgewollte Ordnung" habe den Familienkreis zur „eigentlichen und ursprünglichen Wirkungssphäre der Frau" bestimmt 39 , wie auch die Ansicht, die weibliche Emanzipation sei „unnatürlich" 40 und der „Gebärstreik" der modernen Frau 41 müsse durch die Pflege und Nutzung der „natürlichen Zeugerinstinkte" 42 unterbunden werden, stammen aus den letzten Jahren. Wesensdeutung und soziale Rolle, die der Frau zugestanden wird, stehen stets in einem engen Zusammenhang. Bald werden diese, bald jene Züge als „wesenhaft" hervorgehoben, ihre Realisierung in der sozialen Rolle gefordert. Außerdem versuchte die Geschlechterpsychologie, durch die Betonung einiger als „spezifisch" gedeuteter Eigenschaften ein für alle Zeiten und Kulturen gültiges „Wesen der Frau" zu finden. 36 Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau (1968), 274 f. " Ebd., 320. 38 Klein, Feminine Character, 163 f f . 39 Roderich von Ungern-Sternberg, Die sozial-biologische Aufgabe der Frau, Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 78 (1958), H. 3, 83 f. 40 E. R. Maexie, Die Frau v o r der Zukunft (1961), 51. 4 1 Ebd., 148. 4 2 Gina Görner-Schönbauer, Industriegesellschaft und Mutterschaft, Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 78 (1958), H. 6, 92.
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Versuche zur Darstellung
„weiblicher
Eigenart"
Abschließend soll kurz darauf hingewiesen werden, welche Funktion das „Wesen" der Frau für den Produktionsprozeß erfüllt. Wenn Kroeber-Keneth z. B. von der „unbezweifelbar größeren Neigung der Frau zur Fließbandarbeit" spricht und meint, die Frau finde „genußhafte Befriedigung an rhythmisch ablaufenden Griffreihen", während der Mann von „Zielvorstellungen" beherrscht werde 43 , so ist dies zweifellos eine Mystifikation, die der Legitimierung der Diskriminierung der Frau im Betrieb dient. Ganz deutlich zeigt sich hier die Gefährlichkeit der Ideologie. Stereotypien werden in den Betrieb hineingetragen, denen zufolge Frauen genau diejenigen Eigenschaften besitzen, die für die Fabrikarbeit unter den heutigen Bedingungen vorteilhaft sind. Die psychische Anstrengung der Arbeiterin, die Monotonie der Arbeit aufs beste zu bewältigen, wird als ihre besondere weibliche Begabung, als etwas „Wesenhaftes" konstatiert und keineswegs als Konfliktsituation erkannt. Aber selbst hohe physische Leistungen bedeuten nicht, daß die Form der Arbeit der „Natur" der Frau angepaßt ist. Leistungen sind ja stets auch von der ökonomischen Situation der Arbeitenden mitbedingt. Ältere Frauen leisten unter dem Druck der Entlassung oder dem Lohndruck von Gastarbeiterinnen den geforderten Akkordsatz daher oft schneller als junge, geschicktere Mädchen. Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es eine Fülle empirischen Materials zum Problem der Geschlechtsspezifität. Die Mehrzahl der Studien befaßte sich mit geschlechtspezifischen Unterschieden im intellektuellen Bereich — wie Fähigkeiten und Leistungen; doch auch Persönlichkeitsvariablen — z. B. Aggression, Ängstlichkeit etc. — , der Prozeß des Hineinwachsens in die Geschlechterrolle, die Übernahme geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen unter dem Einfluß der Erziehung wurden untersucht. Das sich ergebende Bild zeigte nicht nur Lücken und offene Fragen im gegenwärtigen Stand der Forschung, sondern ergab auch äußerst divergierende, einander widersprechende Resultate 44 . Vor allem ließen sich zwei Grundtendenzen erkennen: einerseits ging man von einer Negation geschlechtsspezifischer Unterschiede aus, andererseits hielten manchen Studien an der traditionellen An4 3 Ludwig Kroeber-Keneth, Frauen unter Männern. Grenzen und Möglichkeiten der arbeitenden F r a u (1955), 192. 4 4 Vgl. dazu die Ausführungen von Lehr, F r a u im Beruf, 10—34.
Empirische Studien
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sieht von der grundsätzlichen Andersartigkeit von Mann und Frau in ihrem Verhalten und Erleben fest. Die meisten Untersuchungen gingen zusätzlich von der Annahme aus, daß der Beruf im Leben einer Frau etwas grundsätzlich anderes bedeute als im Leben eines Mannes. Kaum jemals wurde daher die Frage nach der Berufsmotivation des Mannes gestellt, kaum seine Leistungsfähigkeit, Gesundheit und die Auswirkung seiner Berufstätigkeit auf die familiäre Situation in Frage gestellt 45 . Die Berufstätigkeit von Frauen in unserer Gesellschaft gilt — zumindest in bestimmten Lebenssituationen — als keineswegs selbstverständlich. Vor allem die Erwerbstätigkeit verheirateter Mütter stößt besonders leicht auf Mißbilligung, da sie sowohl finanziell als auch mit Haushaltspflichten als „versorgt" gelten. Die Probleme und Motivationen dieser speziellen Gruppe werden jedoch oft als repräsentativ für die Gesamtheit arbeitender Frauen dargestellt. Auch die traditionelle Medizin, die Mann und Frau hauptsächlich als biologisch differenzierte Wesen sieht, hat bis heute kaum von soziokulturellen und psychologischen Faktoren, die sich auf Krankheit und Gesundheit der Menschen auswirken können, Notiz genommen. Im allgemeinen dominiert die Tendenz, „Frauen als eine verkleinerte, schwächere und passivere Ausgabe des Mannes einzuschätzen.. ," 46 . Schon das Selbstbild der Frauen und Männer, das in Tests ermittelt wurde, spiegelte die Rollenklischees wider: Frauen fühlten sich gehemmter, schwächer und ängstlicher als Männer; Dominanz, Ehrgeiz und Stärke waren dagegen charakteristisch für die Selbsteinschätzung der Männer. Die Überprüfung der anerzogenen Rollenstereotypien ergab die Erklärung: für Frauen war es aufgrund ihrer angelernten Verhaltensmuster durchaus „erlaubt", ihre Schwächen und inneren Spannungen einzugestehen. Von Männern wurde erwartet, daß sie jederzeit fit und dynamisch seien. Diese anerzogenen Leitbilder führten daher einerseits zu einem offenen und sichtbaren Eingeständnis, andererseits zu einer Verleugnung und Verdrängung psychischer Leiden. Richter warf 45 Lehr, Frau im Beruf, 4. Vgl. auch Leopold Rosenmayr, The Austrian Woman, International Social Science Journal 14 (1962/1), 157. 46 Horst Eberhard Richter, Konflikte und Krankheiten der Frau, in: Dieter Ciaessens und Petra Milhoffer (Hrsg.), Familiensoziologie. Ein Reader als Einführung (1973), 293.
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Versuche zur Darstellung „weiblicher Eigenart"
als Konsequenz die Frage auf, ob nicht die Idealnorm der Ärzte vom Gesundheitsverhalten ihrer Patienten überprüft werden sollte, d. h. ob nicht das Ideal des starken Mannes, der ohne Wimpernzucken psychische und physische Überbeanspruchungen überwindet, zugunsten des als „wehleidig" charakterisierten weiblichen Verhaltens weichen solle 47 . Ging es im vorliegenden Kapitel darum, Ideologiekritik zu betreiben und jene Leitbilder aufzuzeigen, die die Aufgaben der Frau als biologisch begründet verstanden, so soll der folgende Abschnitt den historischen Grundlagen, die das Prinzip des Patriarchalismus entstehen ließen, nachgehen. Vor allem soll die Klammer, die zwischen der biologischen und kulturellen Ebene besteht, anhand eines historischen Überblicks über die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau dargestellt werden. 47
Richter, Konflikte, 294 f f .
3. H I S T O R I S C H E A R B E I T S T E I L U N G UND TRADITIONELLE GESCHLECHTSROLLEN Die Arbeitsteilung ist ein zentrales Gliederungsprinzip komplexer Gesellschaften, das ökonomische und soziale Relevanz besitzt 1 . Die meisten Arbeiten werden nicht undifferenziert von Männern und Frauen verrichtet; vielmehr haben sich spezifische Beschäftigungen, Aufgaben und Pflichten herausgebildet, die jeweils einem der beiden Geschlechter zufallen. In der menschlichen Frühgeschichte entwickelte sich aus der Fähigkeit der Frau, zu gebären und zu stillen, eine funktionale Arbeitsteilung: da gesellschaftliche Einrichtungen fehlten, die sie von der Pflege und Aufzucht der Kinder freistellten, blieb sie für längere Zeit an diese Aufgaben und damit an den Rastplatz gebunden. Die erste grundlegende Arbeitsteilung war also dadurch gegeben, daß die Frau nun hauptsächlich die um die Feuerstätte konzentrierten Arbeitsprozesse ausübte, während dem Mann jene Tätigkeiten zufielen, die ihn vom Haus entfernten. Allerdings muß man sich, wie Goode feststellt, darüber im klaren sein, daß die Zahl der biologischen Faktoren, die für die Lebensweise des Menschen relevant sind — etwa der Sexualtrieb und die Fähigkeit der Frau, ein Kind zur Welt zu bringen — relativ klein ist, und daß diese biologischen Eigenschaften „nicht einmal die wesentlichsten Charakteristika des Familienlebens" erklären können 2 . Der Stellenwert der biologischen Faktoren darf daher nicht, wie dies häufig geschieht, überschätzt werden. Von jenen Unterschieden zwischen den Geschlechtern, die für das familiale Zusammenleben Bedeutung besitzen, sind folgende hervorzuheben: die Frau menstruiert, bringt Kinder zur Welt und stillt sie. Dadurch ergeben sich für sie im Prozeß der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern spezifische Bedingungen. Männer be1 Vgl. Stichwort „Arbeitsteilung" in: René K ö n i g (Hrsg.), Soziologie ( 1 9 6 7 ) , 31 ff. 2 William J . Goode, Soziologie der Familie ( 1 9 6 7 ) , 3 2 ff.
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Arbeitsteilung und Gesdilechtsrollen
sitzen meist eine physische Überlegenheit und können schneller laufen 3 . Untersuchungen von 224 Stämmen haben gezeigt, daß in mehr als 75% jener Gesellschaften, für die wir über Informationen verfügen, die Frauen mit folgenden Aufgaben beschäftigt sind: Getreide mahlen, kochen, Nahrung aufbewahren, Kleidung ausbessern und herstellen, weben, Nahrung sammeln und Töpfereiarbeiten herstellen. Alle diese Aufgaben können im Umkreis des Hauses durchgeführt werden und machen eine Trennung der Frau von den Kindern nicht nötig. Die den Männern zufallenden Pflichten betragen in 75% der untersuchten Gesellschaften: Vieh hüten, Holz fällen, jagen, fischen, Fallen stellen, Bergwerks- und Steinbrucharbeiten, und Krieg führen. Viele dieser Tätigkeiten erfordern Kraft, die meisten machen es nötig, vom Haus entfernt herumzuziehen 4 . Demgegenüber gibt es eine Vielzahl von anderen Pflichten, für die weder Kraft noch Abwesenheit vom Haus erforderlich ist, und die je nach ökonomischen Verhältnissen, unter denen eine Gesellschaft lebt, variieren. Die Aussaat von Getreide oder der Reisanbau beispielsweise könnten ebensogut von Frauen durchgeführt werden. Es zeigt sich also, daß die biologischen Eigenschaften dem Mann auf dem Gebiet der Jagd, des Umherziehens und des Krieges manche Vorteile verschaffen, und daß sich damit die Wahrscheinlichkeit, daß Männer diese Tätigkeit ausüben, verstärkt. Allerdings rechtfertigen diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht die — zwar naheliegende, doch trotzdem unüberlegte — Schlußfolgerung, die von Frauen ausgeübten Tätigkeiten seien minderwärtig. In primitiven Gesellschaften mit einem niedrigen Heiratsalter und häufigen Geburten muß freilich schon das heranwachsende Mädchen auf die Rolle der Mutter hin sozialisiert werden. Seine Beschränkung und Konzentration auf die im und um das Haus liegenden Arbeitsbereiche ist daher sinnvoll. Auf höherer Entwicklungsstufe mit einer spezialisierten Arbeitsteilung werden die Mann und Frau zugewiesenen Pflichten aber zunehmend austauschbar. Die Ansicht, die biologische Fähigkeit der Frau zu gebären, beschränke damit das ganze weibliche Geschlecht — und damit auch alle jene Frauen, die noch nicht oder nicht mehr gebären — auf die häusliche Sphäre, hat in komplexeren Gesellschaften daher keine Grundlage mehr. 3 4
Goode, Soziologie, 131. George P. Murdock, Social Structure (1965), 213.
Arbeitsteilung in der Frühgeschichte
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Die meisten menschlichen Vergesellschaftungen haben eine geschlechtliche Arbeitsteilung bzw. Kooperation entwickelt, die auf einer biologisch determinierten Trennung der Sphären beruht. Zwar variieren die Beschäftigungsarten von Mann und Frau von Gesellschaft zu Gesellschaft, doch gibt es kein Gesellschaftssystem, wo sie nicht voneinander grundverschieden sind 5 . Es ist jedoch falsch, eine solche Arbeitsteilung auf angeborene psychologische Unterschiede zwischen Mann und Frau zurückzuführen®. Im Gegenteil — psychologische Unterschiede ergeben sich vielfach aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. Mit der Differenzierung der Gesellschaft und dem Fortschreiten der Arbeitsteilung verliert die Behauptung, die „Natur" lege den Aufgabenkreis von Mann und Frau fest, an Berechtigung. Die Sozialisation übernimmt hier die Schlüsselstellung: sobald neue Aufgaben entstehen, werden sie je nach Herkommen und Belieben einem der beiden Gechlechter zugewiesen. Außerdem trägt die Sozialisation dazu bei, die Menschen zur Übernahme gewisser Tätigkeiten zu motivieren: sie sorgt dafür, daß die Erfüllung rollenspezifischer Aufgaben in einer persönlichen Befriedigung resultiert 7 . Die Gewöhnung an gewisse Pflichten, die bereits in der Kindheit einsetzt, sowie die nach Geschlechtern verschiedenen Verhaltensmuster, die Vorbildwirkung besitzen, sind bestimmend dafür, was als „natürlich" betrachtet wird. Die Gewöhnung selbst hat ihre Grundlagen im Sozioökonomischen. Diese Überlegung läßt verstehen, daß das, was in einer Gesellschaft als „typisch männliche" Aufgabe gilt, in einer anderen, unter unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen lebenden Gruppe ebensogut für eine „spezifisch weibliche" Tätigkeit gehalten werden kann 8 . Die Tatsache, daß beispielsweise in den meisten Gesellschaften die Organisation, die Kontrolle, das Fällen von Entscheidungen und die Pflege des Kultwesens zum überwiegenden Teil in den Händen der Männer liegt, läßt sich kaum aus deren Schnelligkeit oder physischen Stärke, bzw. aus dem Umstand, daß manche Frauen Kinder zur Welt bringen, erklären 9 .
König, Soziologie, 144. Murdock, Structure, 7. 7 Ebd. Vgl. Goode, Soziologie, 42. 8 Vgl. dazu die Ausführungen von Ruth Benedict über die „entgegengesetzten Idealbilder des Männlichen", in: Urformen der Kultur (1955), 79 ff. 9 Goode, Soziologie, 35, 132. 5 6
3
Rigler, Frauenleitbild
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Arbeitsteilung und
Geschlechtsrollen
W i e schon erwähnt, entscheiden also bestimmte kulturelle und sozial fixierte Vorstellungen darüber, welche Tätigkeiten oder Arbeiten in einer Hand vereinigt werden 10 . Ein Paradoxon, das zugleich darauf verweist, wie unrationell die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung häufig praktiziert wird, besteht darin, daß Frauen oft männliche Aufgaben übernehmen. Selten kommt es aber zum entgegengesetzten Vorgang: Männer könnten effektiv sämtliche weibliche Arbeiten leisten, führen diese aber kaum durch. Hier dürfte ein Prestigedenken der wesentlichste Faktor sein: wie immer die männliche Tätigkeit auch geartet sein mag, sie wird als besonders ehrenvolle Aufgabe verstanden 11 . Ein Rückblick auf die Geschichte der Familie, ihre Arbeitsteilung und Autoritätsstruktur verdeutlicht, daß die in primitiven Gesellschaften bestehende Trennung der Arbeitssphären in einem Patriarchalismus ihren Niederschlag fand, der sich bis ins 20. Jahrhundert zieht. Heute haben sich aber nicht nur die Konditionen, unter denen ein Kind geboren wird, wesentlich verändert, sondern auch die Anzahl der Geburten im Leben einer Frau ist stark gesunken. Die Erhöhung der Lebenserwartung verlängert jene Zeitspanne, die der Frau nach Erfüllung ihrer Mutterpflichten zur Verfügung steht. Die Konzeption, die physiologischen Funktionen der Frau determinierten den Sinn ihres Lebens und verwiesen sie zugleich auf die häusliche Sphäre und die damit verbundenen Arbeitsbereiche, verliert damit endgültig ihre Daseinsberechtigung. Jahrhundertelang hat allerdings die „Natur" zur Rechtfertigung patriarchalischer, die Frauen diskriminierender Verhältnisse gedient. Man muß sich jedoch vor Augen halten, daß sich im Laufe des historischen Wandels die Menschen selbst in spezifischer Weise wandeln können. Elias bezeichnet diesen Vorgang metaphorisch als „Wendeltreppe des Bewußtsseins": mit dem Aufstieg von einem Stockwerk zum anderen hat der Mensch nicht nur eine andere Perspektive auf das Land, in dem der Wendelturm steht, sondern er sieht auch beim Hinunterblicken sich selbst auf der früheren Stufe stehen, von der er gekommen ist 1 2 . Soziale Unterschiede konnten also auf einer gewissen Ebene des Wissenstandes noch nicht als sozial wahrgenommen werden. 10
König, Soziologie, 3 6 .
11
Vgl. Goode, Soziologie, 131. N o r b e r t Elias, D i e höfische Gesellschaft ( 1 9 6 9 ) , 3 6 3 f.
12
Bäuerliche Familie
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Das wichtigste Merkmal der traditionellen Organisation der bäuerlichen Familie war die Unterordnung des einzelnen unter die Interessen des Betriebes, wobei davon sowohl das Gesinde, als auch Frau und Kinder betroffen waren. Der Mann war nicht nur der Leiter des Betriebes, sondern vertrat auch in politischer Hinsicht das „ganze Haus". Dadurch, daß ihm, der durch Schwangerschaften, Geburten und die Pflege der Kinder nicht behindert wurde, „Außentätigkeiten", wie das Kriegführen, der Schutz des Hauses und der Familie — sowohl gegen Überfälle als auch Naturereignisse — zugefallen waren, erlangte er die Rechtsfähigkeit: nur wer wehrhaft war — und dies konnten nur Männer sein —, wurde im Mittelalter als rechtsfähig betrachtet. Dies wiederum war die Voraussetzung für die politische Berechtigung 13 . Damit stand nur dem Hausvater das Recht der Vertretung in der Öffentlichkeit, also vornehmlich gegenüber der Gemeinde, der Kirche und deren Einrichtungen, zu 14 . Eine ideologische Untermauerung dieser bereits in der antiken Ökonomik formulierten Ordnung innerhalb der Familie bot die Hausväterliteratur, eine für das 16. Jahrhundert charakteristische Literaturgattung 15 . Die strenge Aufgabentrennung sprach dem Hausvater die Vormachtstellung zu: er hatte sein Haus zu „gubernieren", das „Haupt der ehelichen Gemeinschaft" und der „Beschützer", „Ernährer und Versorger" zu sein 16 . Neben dem Hausvater stand als Inhaberin der wichtigen Rolle der Hausmutter die Frau; allerdings kann die Parallelisierung der beiden Rollen nicht über den Abstand hinwegtäuschen, der zwischen beiden Geschlechtern bestand. Der Frau fiel der Arbeitsbereich im und um das Haus zu, wobei sich eine feste Ordnung, worin „Frauenarbeit" bestehe, entwickelte. Zweifellos zeigte sich
1 3 Peter Schmidtbauer, Hausrechtliche Abhängigkeit und politische Emanzipation. Ein Beitrag zur Geschichte des Wahlrechts im 19. Jahrhundert. Phil. Diss. (Wien 1974), 136 f. 1 4 Ferdinand Oeter, Die Familie als soziale Funktionseinheit, in: ders. (Hrsg.), Familie und Gesellschaft (1966), 1. 1 5 Vgl. Otto Brunner, Das „Ganze Haus" und die alteuropäische Ökonomik, in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte (1968), 105 f f . 1 6 Zitiert nach Helmut Möller, Die kleinbürgerliche Familie im 18. Jahrhundert (1969), 11 f f .
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Arbeitsteilung und Geschlechtsrollen
im bäuerlichen Haushalt ein gewisser „Rollenergänzungszwang" 17 : die erfolgreiche Bewirtschaftung des Betriebes erforderte eine rationelle Arbeitsteilung; ein Teil der Pflichten der Bäuerin ergab sich daraus, daß sie durch die Geburt und Pflege der meist zahlreichen Kinder eine gewisse Zeit an das Haus gebunden blieb. Die beiden zentralen Rollen der Hausgemeinschaft — Hausvater und Hausmutter — mußten stets besetzt sein, um das Funktionieren des Betriebes zu gewährleisten. Fiel einer der beiden Rollenträger aus, so versuchte man durch Wiederverehelichung bzw. dadurch, daß eine Verwandte oder im Haus Lebende die Rolle übernahm, die leerstehende Position wieder zu besetzen 18 . In den Beziehungen zwischen Mann und Frau dürfte es jedoch bereits früh partnerschaftliche Elemente gegeben haben: schon in der „historischen Bauernfamilie" entwickelten sich selbständige Autoritätsbereiche der Frau, die vom Mann respektiert wurden 19 . Trotzdem blieb der Patriarchalismus das hervorstechendste Merkmal: da nur der Mann rechtsfähig war und damit über politische Rechte verfügte, besaß er allein die Vermittlerrolle zwischen Familie und gesellschaftlicher Umwelt. Dazu kam noch der Besitz an eigenem Grund und Boden, der nicht nur die wirtschaftliche Grundlage der Bauernfamilie darstellte, sondern innerhalb der Familie die Autorität des Trägers oder Treuhänders des Besitzes verstärkte 20 . In der Familie des Kaufmanns und des Handwerkers war der aus der wirtschaftlichen Existenzbewältigung resultierende „Rollenergänzungszwang" nicht mehr so stark ausgeprägt. Vor allem bestand keine absolute ökonomische Notwendigkeit mehr, beide zentralen Rollen zu besetzen. Im Haus des Kaufmanns war die Frau durch das Vorhandensein von Dienstpersonal funktional entlastet. Auch im Handwerkerhaushalt war die Frau nicht mehr direkt an der Produktion beteiligt. Hier lagen ihre Aufgaben hauptsächlich in der Führung des Haushalts. Da die gewerblichen Mitarbeiter im Meistershaushalt lebten und arbeiteten — gegenüber 1 7 Michael Mitterauer, Funktionsverlust der Familie? in: Beiträge zur historischen Sozialkunde (1974/2), 32. 1 8 Michael Mitterauer, Zur Familienstruktur in ländlichen Gebieten, in: Heimold Helczmanovszki (Hrsg.), Beiträge zur Bevölkerungs- und Sozialgeschichte Österreichs (1973), 185 ff. 1 9 Ulrich Planck, Der bäuerliche Familienbetrieb zwischen Patriarchat und Partnerschaft (1964), 64 f. 2 0 Vgl. ebd., 67.
Adel
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Lehrlingen vertrat die Meisterfrau die Mutterrolle —, mußten die Aufgaben, die eine solche Wohn- und Arbeitsgemeinschaft mit sich brachten, bewältigt werden 21 . Im Adel erhielt der „Rollenergänzungszwang" eine andere Bedeutung: produktiver Arbeit enthoben, lag seine Aufgabe hauptsächlich in der Repräsentation. Der gebildete adelige Herr benötigte zur Hebung seines Prestiges daher auch eine gebildete Gattin. Die höfisch-aristokratische Ehe wurde nicht geschlossen, weil die Arbeitskraft der Frau fehlte und man auf zahlreichen Kindersegen, der zugleich zukünftige Arbeitskräfte bedeutete, hoffte. Im Gegensatz zum bäuerlichen Bereich kam es bei der Eheschließung in diesen Kreisen vielmehr „auf ein dem Rang des Mannes entsprechendes, möglichst sein Prestige und seine Beziehungen vergrößerndes ,Aufmachen' und ,Fortführen' seines ,Hauses' an, auf den Rangund Ansehensgewinn oder mindestens auf die Rang- und Ansehensbehauptung der Eheschließenden als der gegenwärtigen Repräsentanten dieses Hauses" 2 2 . Führte die bäuerliche und bürgerliche Familie ein gewisses „Familienleben", so war die Beziehung zwischen dem Herrn und der Dame der adeligen Oberschicht durch die Verpflichtung zur Repräsentation gekennzeichnet. Der Enge und Intimität des Bauern- und Bürgerhauses stand die räumliche Distanz der „appartements prives" gegenüber. Die adelige Gesellschaft selbst war so weiträumig, daß auch der Frau Spielraum für ein Eigenleben gegeben war 23 . Der Zwang zur Wiederverehelichung betraf sie kaum mehr: adelige Damen konnten bereits allein ihrem Haus vorstehen. Die sich auf den biologischen Faktor des Gebärens berufende Ansicht, der Pflichtenkreise der Frau liege im Haus, galt für die adelige Dame ebenfalls nicht mehr: ihre „Arbeitssphäre" lag nicht im Haushalt, denn die höfische Dame war keine Hausfrau mehr. Schon die bauliche Struktur der Schlösser und Palais läßt dies erkennen. Die Anlage der Bedienungs- und Küchenräume deutet darauf hin, daß die Herrschaft mit Haushaltsangelegenheiten nicht konfrontiert werden wollte 24 . Die Proletarierfamilie der Epoche der Industriellen Revolution war ein ganz anderer Typ der wirtschaftlichen Einheit. Der Vater 21 22 28 24
Vgl. Mitterauer, Funktionsverlust, 30. Elias, Höfische Gesellschaft, 81. Vgl. ebd., 79 ff. Ebd., 74.
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Arbeitsteilung u n d Geschlechtsrollen
übte nicht mehr die Rolle des Betriebsleiters aus, der über die Produktion des Familienbetriebes bestimmte und wachte. Die Frau wurde nun wie der Mann in das erwerbswirtschaftliche Denken eingespannt; ihre hauswirtschaftlichen Funktionen gingen größtenteils verloren, denn einerseits fehlte die Zeit für sie, andererseits übernahm sie der Markt. Dadurch ergab sich ein grundlegender Unterschied gegenüber der bäuerlichen und der kleinbürgerlichen Familie: während sich Bauer und Bäuerin mit komplementären Aufgaben befaßten und andererseits für die kleinbürgerliche Familie die klare Scheidung von häuslicher Sphäre (Aufgabenkreis der Frau) und Sicherung des vorwiegend monetären Lebensunterhaltes (Pflicht des Mannes) charakteristisch war, fehlten diese Kennzeichen im Proletarierhaushalt. Kinder bedeuteten nicht mehr, wie im bäuerlichen Haushalt, eine Art „Investition", denn sie stellten nun nicht mehr willkommene Arbeitskräfte dar, sondern wurden primär ein Kostenfaktor 25 . Der Patriarchalismus — jene Familienordnung, bei der die Gewalt in der Familie in den Händen des Vaters lag — verlor in der Arbeiterfamilie nur rasch seine Berechtigung. Der Fabrikarbeiter, der weder über Besitz an Land oder Maschinen, noch über besondere Kenntnisse oder Fertigkeiten verfügte, entsprach in keiner Weise mehr dem „Hausvater". Auch die außerfamiliären geistigen und religiösen Zusammenschlüsse, die Öffentlichkeit und Staatsverfassung büßten ihren partriarchalischen Charakter ein. Die Autoritätsstruktur in der Familie war nun nicht mehr ein Spiegelbild des paternalistischen Verhältnisses Grundherr — Unfreier oder Landesvater — Untertan. Trotz der zunehmenden Emanzipation des einzelnen in der Gesellschaft blieb der Patriarchalismus aber hartnäckig bestehen. Ein Bewußtseinsrückstand war also eingetreten: der Komplex von Werthaltungen, der als Reaktion auf die in primitiven Gesellschaften sinnvolle Zuordnung bestimmter Aufgaben nach Geschlechtern entstanden war, blieb im Bewußtsein der Menschen verankert, obwohl längst ein wirtschaftlicher Umbruch stattgefunden hatte, der diesen Werthaltungen die sachliche Grundlage entzog. Hand in Hand mit den wirtschaftlichen Veränderungen löste sich die organisatorische Geschlossenheit der Familie auf. Mit dem Vordringen industrieller Fertigungsmethoden verloren nämlich die 25
Planck, Familienbetrieb, 59.
Proletarierfamilie
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traditionellen bäuerlichen und handwerklichen Arbeitsformen, die auf der Gemeinschaft innerhalb der Familie beruhten, ihre Bedeutung 26 . Das folgende Kapitel soll sich etwas detaillierter mit diesen Umstrukturierungen beschäftigen. 26
Vgl. Oeter, Familie, 2.
4. WIRTSCHAFTLICHE UND SOZIALE EINFLÜSSE DER INDUSTRIALISIERUNG AUF DIE ARBEITSWELT Eine Reihe von Faktoren, die sich wechselseitig bedingten, — Bewußtseinsänderungen ebenso wie Fortschritte der Technik, die Rationalisierung der Produktionsmittel, der Ausbau des Verkehrsnetzes — veränderte ab der Mitte des 18. Jahrhunderts die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen. Die zunehmende Spezialisierung und Differenzierung ließen in rascher Folge neue Berufe entstehen. Die Bürokratisierung, die für die Staatsverwaltung von der Organisation her unumgänglich wurde, verdrängte immer mehr die ehrenamtlichen Posten1. Aufgaben, die bislang von Inhabern beruflicher Positionen „nebenberuflich" oder „ehrenamtlich" erledigt worden waren, wurden in zunehmendem Maße zu Inhalten neuer Berufspositionen 2 . Die Entstehung und Ausdehnung der Verteilungs- und Dienstleistungsbereiche hatten intersektorale Umschichtungen zur Folge. Um 1800 gehörten nach Bahrdt rund 80 % der Erwerbstätigen in Deutschland dem primären Sektor an; rund 20 % verteilten sich auf den sekundären Sektor. Der tertiäre Sektor machte nur einen Bruchteil aus3. Als Folge der schnellen technischen Entwicklung nahm der sekundäre Sektor personell stark zu. Durch die Verbesserung der Produktionsmethoden, die trotz verkürzter Arbeitszeit immer weniger Menschen in Anspruch nahmen, zeigte sich in der Folge eine Verschiebung zum tertiären Sektor. Für die österreichischen Alpenländer ergaben Untersuchungen für 1890 eine Agrarquote von 51,15 %. Dagegen waren 34,11 % der Berufstätigen im Gewerbe, Handel und Verkehr beschäftigt. 1910 betrug der Anteil der in der Land- und Forstwirtschaft Arbeitenden noch immer fast 40 %, der Prozentsatz der in Gewerbe, Handel und Verkehr Täti1
Walter Rüegg, Soziologie (1971), 182 f. Hansjürgen Daheim, D e r Beruf in der modernen Gesellschaft. Versuch einer soziologischen Theorie beruflichen H a n d e l n s (1967), 22 f. » H a n s Paul Bahrdt, Wege zur Soziologie (1966), 97. 2
Verschwinden bzw. Entstehen von Berufen
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gen war auf 40,76 % gestiegen 4 . Prognosen für 1980 geben das Verhältnis der Sektoren in reziproker Weise an 5 . Diese Verschiebung innerhalb der Sektoren ist auf die „wohlhabende, aber ungeheuer kompliziert gewordene moderne Wirtschaftsgesellschaft" mit ihrem steigenden Bedarf an tertiären Leistungen zurückzuführen. „Immer mehr Dienstleistungen, bürokratische Arbeit, Arbeit im Handel und Verkehr müssen erledigt werden." 5 Die Zunahme der im tertiären Bereich Beschäftigten drückt sich in der Expansion der Angestellten und Beamten aus, der sogenannten „whitecollar workers"'". Aus der Position des Handlungsgehilfen und des Privatbeamten der Industrie und der Banken stammend wurde die Angestelltentätigkeit erst mit der Bürokratisierung der Unternehmensverwaltung zu einem sozial bedeutsamen Beschäftigungssektor 8 . Betrug in Österreich der Anteil der Angestellten an den Gesamtbeschäftigten im Jahre 1934 nur 14 %, so belief er sich 1969 schon auf 33 %. Das Verhältnis der Angestellten zu den Arbeitern verschob sich im gleichen Zeitraum von 100:352 auf 100: 119. Eine wichtige Ursache für die Expansion der Angestellten war das starke Einströmen von Frauen in Angestelltenberufe 9 . Setzt man z. B. die Anzahl der weiblichen Angestellten Wiens im Jahre 1890 gleich 100, so betrug ihr Index 1900 bereits 199, 1910 schon 420, 1923 780 und 1934 gar 1116. Die gesamte Angestelltenschaft war im gleichen Zeitraum von 100 auf 255 gestiegen 10 . Ein weiteres Strukturmerkmal der Industrialisierung und ihres Einflusses auf die Berufsstruktur ist das Verschwinden einer Reihe von Berufen neben dem Entstehen neuer spezialisierter Tätigkeiten. Eng im Zusammenhang damit ist die Abnahme der Selbständigen 4 Herbert Matis, Österreichs Wirtschaft 1848—1913. Konjunkturelle Dynamik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter Franz Josephs I. (1972), 389. 5 Eridi Bodzenta, Die österreichische Gesellschaft (1972), 212. • Bahrdt, Soziologie, 97. 7 Ebd. 102. 8 Brandt, Frauenfrage, 121 f. 9 Bodzenta, Gesellschaft, 117. Vgl. Hertha Firnberg, Wesen und Wandel der Sozialschichtung Österreichs, in: Wilhelm Weber (Hrsg.), Österreichs Wirtschaftsstruktur gestern — heute — morgen 2 (1961), 919. 10 Errechnet aus Felix Olegnik, Historisch-statistische Ubersichten v o n Wien 1, in: Mitteilungen aus Statistik und Verwaltung der Stadt Wien (1956), Sonderheft 1, 82.
E i n f l ü s s e der Industrialisierung auf die Arbeitswelt
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und der mithelfenden Familienangehörigen zu sehen. Das statistische Material verleitet jedoch gerade hier oft zu Fehlschlüssen, denn häufig bedeutet ja die Verminderung der Zahl der selbständigen Landwirte im Hauptberuf keinen Rückgang der selbständigen Betriebe. Eine Änderung ist nur insofern eingetreten, als der Betrieb vom früher Selbständigen, der im Hauptberuf Lohnarbeiter geworden ist, nunmehr nebenberuflich weiterbewirtschaftet wird. Handwerker ohne Gesellen und Lehrlinge, sogenannte „Alleinmeister", die oft nicht einmal eine richtige Werkstatt besaßen, waren oft gezwungen, ihre Selbständigkeit aufzugeben und als Lohnarbeiter in die Industrie abzuwandern. Dem eigentlichen mittelständischen Handwerkertum gelang jedoch manchmal die Anpassung an die veränderten Bedingungen durch eine gewisse Technisierung ihrer Kleinbetriebe bzw. durch einen Funktionswandel: aus sehr vielen Bereichen der Produktion wurden Handwerksbetriebe auf Reparaturaufgaben oder Funktionen des Fachhandels verdrängt und fanden so einen Ersatz. Auch völlig neue Handwerke konnten durch diese Funktionsverschiebung entstehen, die von vornherein auf Reparatur-, Instandsetzungs- und Installationsaufgaben spezialisiert waren 11 . Als Folge der genannten Veränderungen kam es somit zu einem Rückgang des alten selbständigen Mittelstandes, während parallel dazu eine neue Arbeitnehmer-Mittelschicht entstand 12 . Waren die Änderungen in der Industrie durch die Anwendung rationaler Methoden und technischer Neuerungen gekennzeichnet, so war der erste eigentliche Schritt der Bürowelt in die Industrialisierung nicht so sehr technisch als organisatorisch bestimmt. „In den größeren Behörden, Industrieverwaltungen, im Bank- und Versicherungswesen begann man mehr und mehr, die vielen kleinen Kontore aufzulösen und Großbüros zu schaffen." 13 Für Frauen entstanden hier neue Berufsmöglichkeiten als spezialisierte Hilfskräfte. Die „Verberuflichung", d. h. die Tatsache, daß mehr und mehr Erwerbstätige eine Berufsausbildung durchlaufen 14 , ist ein weiteres Merkmal industrieller Gesellschaften. Diese Entwicklung der mo11 12 13 14
B a h r d t , Soziologie, 103 f f . E b d . , 108. Ebd., 134. R ü e g g , Soziologie, 148.
Auflösung der Familienwirtschaft
43
dernen Arbeitswelt setzt jedoch eine „Erziehung des Einzelnen auf das spätere Wahrnehmen leistungsorientierter Rollen voraus" 15 . Die Berufsausbildung und Wissensvermittlung erfolgte in der vorindustriellen Gesellschaft im Familienverband, durch Partizipation des Jugendlichen bei der Arbeit. Heute übernehmen Sekundärinstitutionen weitgehend die Vermittlung systematisierten Wissens. Eine Ausbildung, die in der vorindustriellen Zeit nur einer Elite zugänglich und Frauen überhaupt verschlossen war, wird nun auf breiterer Basis vermittelt 16 . Berufe sind, zum Unterschied von der vorindustriellen Gesellschaft, in der der Beruf als lebenslange Zugehörigkeit zu einem Stand verstanden wurde, nun nicht mehr auf Dauer angelegt und werden nicht mehr für das ganze Leben erlernt. Den Bildungsinstanzen kommt heute somit auch die Aufgabe zu, den Menschen zu einer größeren Flexibilität zu erziehen und die Fähigkeit, sich neuen Situationen anzupassen, zu schulen. Außerdem gewinnt nun die Weiterbildung an Bedeutung. Ausbildungsprobleme spielen vor allem für Frauen eine wichtige Rolle. Obwohl die Berufstätigkeit einer Frau oft noch mit Skepsis betrachtet wird, stellt ein Beruf in geringerem Maße als früher eine Uberbrückung bis zur Heirat dar, sondern wird nach der Eheschließung fortgeführt oder später wieder aufgenommen 17 . Die Industrialisierungswelle brachte jedoch nicht nur eine wirtschaftliche Umwälzung, die den erwähnten Komplex von Faktoren bedingte, sondern durchbrach auch die festgefügte gesellschaftliche Gliederung in die Stände Adel, Klerus und Bürgertum 18 . Da sich die Wirtschaftsweise der vorindustriellen Gesellschaft vorwiegend als Subsistenzwirtschaft vollzog, trug die soziale Einheit des Hauses die Fülle der zum Leben notwendigen Funktionen — Produktion, Erziehung, sozialer Schutz, Kult etc. Die gesellschaftliche Bedeutung des Hauses bzw. der Familie wurde jedoch noch dadurch gesteigert, daß Rang und Status des einzelnen primär vererbt und ihn zugeschrieben waren und nicht aufgrund seiner Leistungen erworben wurden. Die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse der Industrialisierungsepoche führten zur Auflösung der herkömmliEbd., 185. Ebd. 1 7 Hertha Firnberg und Ludwig S. Rutsdika, Die Frau in Österreich (1967), 25. 1 8 Vgl. Rüegg, Soziologie, 180 f. 15
18
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Einflüsse der Industrialisierung a u f die Arbeitswelt
chen Familienwirtschaft, die die Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte zur Folge hatte. Die ersten Kreise der höheren sozialen Schichten, deren berufliche Tätigkeit außer Haus verlegt und in Gehältern abgegolten wurde, waren Beamte und Offiziere 19 . Da außerdem Funktionen, die ursprünglich im Rahmen von Haus und Familie wahrgenommen wurden, auf Sekundärinstitutionen übergingen, wurde die bürgerliche Frau von körperlicher Arbeit und Sorge weitgehend entlastet. Der Trend zu Verkleinerung der Kinderzahl brachte daher einen Aufgabenverlust mit sich, der in der Arbeiterklasse keine Parallele fand 20 . Während in den bürgerlichen Kreisen damit die „Frauenfrage" entstand, wurden die Frauen des Proletariats, die schon in der Zeit des hausindustriellen Verlagssystems den Mann bei der Heimarbeit unterstützt hatten, zur außerhäuslichen Fabrikarbeit gezwungen. Die Konsequenzen dieses sozialen Umbruchs — die Auflösung der väterlichen Autorität und des „ganzen Hauses" stießen bei den Zeitgenossen der Industriellen Revolution auf heftige Kritik. Heinrich Riehl beispielsweise, der den Zerfall der Familie anprangerte, erhoffte sich durch die Beseitigung des „Geistes der Familienlosigkeit" und des Verfalls der „häuslichen Sitten" eine Stabilisierung der Gesellschaft 21 . Nicht nur Produktivfunktionen gingen durch die wirtschaftlichen Änderungen verloren, sondern auch die Sicherungs- und Fürsorgefunktion, die die Familie erfüllt hatte, wurde — an Krankenhäuser und Versicherungen etc. — abgetreten; die ehemalige Religionsund Kultgemeinschaft verlor ihre Bedeutung, da die kulturelle Betätigung nun aus der Familie in die Öffentlichkeit verlagert wurde 2 2 . Auch die Erziehungsfunktion mußte die Familie teilweise abgeben; die Übermittlung von Wissen und Kenntnissen erfolgt heute in Sekundärinstitutionen; eine wesentliche Aufgabe, die der Familie erhalten blieb, liegt jedoch in der „zweiten Geburt" des Menschen 23 .
19
Pfeil, Berufstätigkeit
von Müttern,
4.
M a y n t z , Familie, 4 3 . Vgl. Georg Schwägler, Soziologie d e r Familie ( 1 9 7 0 ) , 77 ff. 2 1 Heinrich Riehl, Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik 3 ( 1 8 8 2 ) , 103 ff. 2 2 Vgl. Michael Mitterauer, D i e Familie als historische S o z i a l f o r m , in: B e i t r ä g e z u r historischen Sozialkunde 3 ( 1 9 7 3 / 1 ) , 1 — 4 . 2 3 M a y n t z , Familie, 84 f f . 20
Funktionsentlastung der Familie
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Im mittelalterlichen Zunftwesen, in bäuerlichen und handwerklichen Familienbetrieben hatten die in der Familie erlernten Rollenmuster auch die beruflichen, politischen und religiösen Verhaltensformen geregelt. Die Berufsrollen lassen sich in der industriellen Gesellschaft nun nicht mehr in der Familie oder in Verwandtschaftsgruppen durch Partizipation am Arbeitsprozeß erlernen, und die Rollenmuster genügen nicht mehr, „um die Verhaltenssicherheit des Einzelnen . . . zu gewährleisten" 24 . Für die Familie, die ihren Öffentlichkeitscharakter zunehmend einbüßte und Intimgruppe wurde, verengte sich somit der soziale Bezugsrahmen: Geburt, Heirat, Krankheit und Tod mit den damit verbundenen sozialen Dienstleistungen und Verpflichtungen spielen sich heute in zunehmendem Maße außerhalb des Hauses ab und werden von Sekundärgruppen übernommen 25 . Die Funktionsentlastung der Familie wurde in der Familiensoziologie häufig negativ beurteilt, die neue Mobilität des Haushalts und die Kurzlebigkeit der Gebrauchsgüter zur früheren Stabilität und Statik in Kontrast gesetzt. Gerade die Familiensoziologie zeigte sich — vielleicht, weil sie als ausgesprochene „Krisenwissenschaft" unter dem Eindruck der Konsequenzen des Industrialisierungsprozesses entstanden war26 — für Wertungen, was „gut" oder „schädlich" für die Entwicklung der Familie sei, besonders anfällig. Wissenschaftliche Untersuchungen über die Familie werden außerdem noch dadurch belastet, daß es sich bei dem Thema „Familie" um die privateste Welt, um die Intimsphäre handelt. „Sie zum Gesprächsthema öffentlicher Diskussionen zu machen, so meinte man, könne daher entweder nur auf Indiskretionen hinauslaufen oder auf Gemeinplätze . . Die Entlastung der Familie von den Funktionen schmälerte vor allem die Aufgaben der Haushaltsführung. „Das Brotbacken im Hause, das Einmachen von Gemüse und Früchten, die häusliche Herstellung von Essig und Seife, die Manipulation des Weines im eigenen Keller, das Waschen und Plätten, das Zuschneiden, Nähen
24 25 26 27
Rüegg, Soziologie, 139. Ebd. König, Soziologie, 69. Erich Egner, Studien über H a u s h a l t und Verbrauch (1963), 54.
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Einflüsse der Industrialisierung auf die Arbeitswelt
und Stricken, die Holzverkleinerung in eigener Regie . . ," 2 8 wurden zum Großteil aus dem Haushalt hinaus verlegt. Allerdings täuscht man sich leicht darüber, in welchem Ausmaß auch der moderne Haushalt noch Ort produktiver Tätigkeiten geblieben und nicht nur eine „Stätte des Konsums" ist. Eine ganze Reihe von Produktionsstufen — z. B. das Basteln einfacher Möbelstücke, die Herstellung von Kleidung, das Setzen von Gemüse etc. — steckt aus Gründen der Sparsamkeit immer noch im städtischen Arbeitnehmerhaushalt. Außerdem wurden im Prozeß der Funktionsentlastung nicht nur produktive Funktionen, sondern auch Konsumakte — etwa der Besuch eines Friseurs, eines Konzerts, das Einnehmen einer Mahlzeit außer Haus — in Sekundärinstitutionen verlagert 29 . 2 8 Eugen Schwiedland, Kleingewerbe und Hausindustrie in Österreich (1894), 8. 2 8 Vgl. d a z u Bahrdt, Soziologie, 90.
5. D I E E N T S T E H U N G D E R F R A U E N B E W E G U N G Als sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ahnungslose Zeitgenossen regenschirmschwingenden, aggressiv-militanten Suffragetten gegenübersahen, beeilte man sich, diese „neuartige Spezies" 1 belächelnd als Konsequenz des Frauenüberschusses, der Schwierigkeiten der Eheschließung und der mangelnden „Heiratslust" der Männer 2 zu erklären. Vor allem nahm man an, ein Mann oder Ehegatte würde genügen, um die fehlende „Weiblichkeit" der Frauenrechtlerinnen wieder ins rechte Lot zu bringen 3 . Eine weitere gedankenlose Ansicht lautete, es gäbe „irgendeine größere oder geringere Zahl lediger Frauen. Die müssen einen Beruf haben als Notbehelf. Könnten sie heiraten, wäre es besser. Jedenfalls beginnt und endigt das ganze Problem bei der Versorgung dieser Ledigen." 4 Gertrud Bäumer hob bereits 1914 die Monokausalität dieser Argumentation hervor und bemerkte, daß es sich bei den „überschüssigen" Jahrgängen ja hauptsächlich um ältere Frauen handelte 5 . Die Feststellung Marie Bernays', es handle sich beim Frauenüberschuß „weit eher um eine Witwenfrage als eine Jungfernfrage" 6 , liegt auf derselben Linie. Nicht nur wirtschaftliche Gründe und die Änderung der Bevölkerungszusammensetzung, sondern auch die Entleerung der Familie von vielen ihrer früheren Aufgaben sowie ein Gleichheitsstreben dürften als maßgebliche Ursachen für die Entstehung der Frauenbewegung zu nennen sein. Die Ausschließung der bürgerlichen Frauen 1 Francis Latham, Is the British Empire Ripe for Government by Disorderly Women Who Smash Windows and Assault the Police (1912), 2 ff. 2 Heinrich Müller, O, diese Weiber! Ein Beitrag zur Frauenfrage (1912), 4 ff. 3 Vgl. Eva Figes, Patriardial Attitudes (1972), 21. 4 Gertrud Bäumer, Die Frau in Volkswirtschaft und Staatsleben der Gegenwart (1914), 4. 5 Ebd. 6 Marie Bernays, Die deutsche Frauenbewegung (1920), 11.
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Die Entstehung d e r F r a u e n b e w e g u n g
von den auf dem Privateigentum beruhenden Freiheiten und Rechten war ein wesentlicher Anstoß. Bezeichnenderweise erhoben die Frauen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Landes mit der damals höchstentwickelten Demokratie, als erste die Forderung nach Gleichberechtigung, die sie aus den proklamierten Menschenrechten ableiteten 7 . Mary Wollstonecraft schrieb 1792 ihre berühmte Schrift „A Vindication of the Rights of Women", in der sie mit größtem Nachdruck Freiheit im physischen, moralischen und bürgerlichen Sinne sowie verbesserte Erziehungsmöglichkeiten für Frauen forderte, in deren Vernachlässigung sie die Ursache der Fehler und Schwächen des weiblichen Geschlechts sah 8 . Der Aufklärung kommt eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Entstehung des Gedankens der Gleichberechtigung zu. Weit stärker als die Renaissance huldigte sie einem neuen Humanismus, der den Menschen unabhängig vom Glauben machte und ihn seine geistige Selbständigkeit erkennen ließ. Die Theorie von der Gleichartigkeit der Frau war die Begründung für die Forderung nach ihrer politischen Gleichberechtigung. Gleichartigkeit der Frau bedeutete aber, daß die Frau ihrem Wesen nach dem Mann der bürgerlichen Gesellschaft gleich sei; unter Emanzipation verstand man daher „in erster Linie nicht Befreiung der Frau zur Entfaltung ihrer als solcher noch gar nicht bekannten spezifischen Anlagen und Möglichkeiten, sondern ihre Emanzipation zum bürgerlichen Mann" 9 . Die von der Französischen Revolution verkündeten Menschenrechte der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren ja als Männerrechte gedacht. Die französischen Frauenrechtlerinnen Theroigne de Mercourt und Olympe de Gouges forderten daher die Ausdehnung der Bürgerrechte auch auf die Frauen, zusammen mit der Beseitigung der männlichen Privilegien 10 . Die Französische Revolution ging aber an diesen Forderungen vorbei und brachte, als Olympe de Gouges 1798 unter der Guillotine starb, nur die „Gleichheit vor dem Schaffott" 1 1 . Vgl. B r a n d t , F r a u e n f r a g e , 16. L i l y B r a u n , Die F r a u e n f r a g e , wirtschaftliche Seite (1901), 93. 9 Fromm, Sozialpsychologie, 85. 10 J o s e f M ö r s d o r f , G e s t a h w a n d e l in der N e u z e i t (1958), 81 f f . 11 Helene Lange, Die Anfänge z u m Frauenleben in der Geschichte 7 8
ihre geschichtliche Entwicklung
und
des Frauenbildes und F r a u e n b e r u f s der F r a u e n b e w e g u n g , Q u e l l e n h e f t e 17 (1927), 4.
Aufklärung und Spätromantik
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In Deutschland stellte die 1792 aus dem Gedankenkreis der Aufklärung hervorgegangene Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber" von Theodor von Hippel ein Gegenstück. Hippel setzte sich darin vehement für die Frauen ein — „man vernachlässigt sie nicht bloß; man unterdrückt sie absichtlich" 12 — und forderte ihre personale und soziale Gleichberechtigung 13 . Mit der politisch rückläufigen Bewegung nach der Französischen Revolution trat an die Stelle der Theorie von der Gleichartigkeit von Mann und Frau die Auffassung von der grundlegenden „natürlichen" Verschiedenheit der Geschlechter. Dies gilt vor allem für die Spätromantik: in den Salons einer Bettina von Arnim, Caroline Schlegel, Henriette Herz und Rahel Levin nahmen zwar einige Frauen an literarischen und philosophischen Auseinandersetzungen teil; es läßt sich aber weder von einer gesellschaftlichen noch politischen Emanzipation der Frauen sprechen 14 . Die Auffassung von dem universellen Unterschied zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit wurde von Fichte, der die moralische und personale Inferiorität der Frau betonte, über Herder, Schlegel, Schleiermacher und Schelling bis hin zu Schiller vertreten, in dessen Ideal von der Hausfrau im „Lied von der Glocke" sich die weiblichen Tugenden erschöpften 15 . Die Grundforderungen und Ziele der entstehenden Frauenbewegungen waren in fast allen damals hochentwickelten Ländern identisch: gleiche Erziehung und Bildung, Zulassung zur Arbeit bei gleichem Lohn, volle Rechts- und Handlungsfähigkeit der Ehefrau, Aufhebung der juridischen Ausnahmebestimmungen für das weibliche Geschlecht, das Vereins- und Wahlrecht 16 . Durch die Badenische Wahlreform vom Jahre 1897 war allen 24jährigen „unbescholtenen" Staatsbürgern in Österreich das aktive 1 2 Theodor von Hippel, Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber (1792), 219. 1 3 Ebd., 413. 1 4 Vgl. die Erinnerungen der Henriette H e r z von 1799, zitiert in Alice Berend, Die gute alte Zeit (1962), 121 ff. Siehe auch Fromm, Sozialpsychologie, 8 5 ; Mörsdorf, Gestaltwandel, 116 ff.; Mary H a r grave, Some German Woman and their Salons (o. J.). 1 5 Vgl. Mörsdorf, Gestaltwandel, 102—157. 1 6 Emma Kancler, Die österreichische Frauenbewegung und ihre Presse. Von ihren Anfängen bis zum Ende des 1. Weltkrieges, Phil. Diss. (Wien 1947), 4.
4
Rigler, Frauenleitbild
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Die Entstehung der Frauenbewegung
Wahlrecht zugebilligt worden. Nur Frauen, Unmündige und Verbrecher blieben ausgeschlossen17. Auch das Vereinsgesetz schuf eine Ausnahmeregelung für Frauen, da Ausländer, „Frauenspersonen" und Minderjährige als Mitglieder politischer Vereine keine Rede- und Versammlungsfreiheit besaßen, sondern nur als „Gäste" und „Förderinnen" auftreten durften 18 . Während der § 30 des Vereinsgesetzes schließlich 1911 aufgehoben wurde, erhielten die Frauen erst 1918 das Wahlrecht 18 . Der Wirkungsbereich, der der bürgerlichen Frau des 18. und 19. Jahrhunderts gestattet wurde, Haushalt und Familie, verlor durch die Entleerung an Aufgaben immer mehr an Inhalt und Reiz. Daneben reichte in den breiten bürgerlichen Mittelschichten der Verdienst des Mannes oft nicht mehr aus, um den Töchtern bis zu ihrer Heirat ein Auskommen zu gewährleisten bzw. ihnen eine standesgemäße Mitgift zu finanzieren. Die Arbeitsstellen, die mit Individuallohn abgegolten wurden, warfen kein Familieneinkommen mehr ab. Eine qualifizierte Bildung und Ausbildung für einen Beruf war den Frauen jedoch noch versperrt, und die Arbeit in der Fabrik galt für Bürgerstöchter als unstandesgemäß 20 . Dorothee van Velsen, eine Tochter aus bürgerlichem Haus, die später aktiv in der Frauenbewegung mitarbeitete, schreibt in ihrer Autobiographie über die Zeit um die Jahrhundertwende: „Das Dasein der jungen Mädchen jener Zeit wurde vor allem durch das Bewußtsein ihrer Nutzlosigkeit beschwert. Eine Ehe zu schließen, womit sie im Grunde alle rechneten, war keineswegs mehr so sicher wie früher, als diese von den Familien geplant und vorbereitet wurden . . . Im Elternhaus aber zu bleiben, war eine schreckliche Vorstellung. Man kannte Familien, wo mehrere Töchter die alternde Mutter umgaben, und es graute einem davor . . . Anderer-
17 Maria I. Wittmann, Die österreichische Frauenstimmreditsbewegung im Spiegel der Frauenzeitungen. Phil. Diss. (Wien 1950), 83. 1 8 Vgl. Frauenwahlrecht und Arbeiterinnenschutz. Verhandlungen der Dritten sozialdemokratischen Frauenkonferenz in Österreich (1908), 15; Clara Zetkin (Hrsg.), Berichte an die Zweite Internationale Konferenz sozialistischer Frauen zu Kopenhagen am 26. und 27. August 1 9 1 0 (1910), 19. 19 Wittmann, Frauenstimmrechtsbewegung, 83. 20 Jutta Menschik, Gleichberechtigung oder Emanzipation. Die Frau im Erwerbsleben der Bundesrepublik (1971), 41.
Bürgerliche und proletarische Bewegung
51
seits, das Haus zu verlassen, fehlte der Anlaß, die Möglichkeit, oft der Antrieb." 2 1 Während sich die Masse der Arbeiterfrauen zur Arbeit gezwungen sah und die Bemühungen der Sozialdemokratie nach Viktor Adler dahin gehen sollten, nicht die Frau vor der Arbeit, sondern Frau und Arbeit vor Ausbeutung zu schützen 22 , verlief die bürgerliche Frauenbewegung grundsätzlich anders. Für die Frauen des besitzenden Bürgertums ging es darum, über ihr Eigentum frei verfügen zu können; für die nicht durch üppige Aussteuern versorgten bürgerlichen Töchter stellte sich das Problem, in einem Beruf eine Alternative zur Versorgung durch die Ehe zu finden. Die Tatsache, daß eine Bildung auf akademischem Niveau und somit die Wahl eines gehobeneren „standesgemäßen" Berufes den Töchtern des Bürgertums bis um die Jahrhundertwende verwehrt war, hatte „der Hauswirtschaft und dem Kinderzimmer eine große Zahl von bürgerlichen Töchtern, Schwestern, Tanten und armen Verwandten, die entweder gar nicht bezahlt werden mußten oder indirekt entlohnt wurden" 2 3 , erhalten. Jene ledigen oder verwitweten Frauen, die nicht bei Verwandten unterkommen konnten, bildeten das Heer der Haushälterinnen, Stützen und Gesellschafterinnen und nahmen damit — mangels anderer Berufschancen — mit geringen Löhnen vorlieb 24 . Ab 1866 setzte in Österreich mit der Gründung des Wiener Frauenerwerbsvereines, der eine Reihe von anderen Vereinsgründungen — neben rein geselligen Frauenklubs auch Berufsberatungen, Hausfrauen- und Konsumentenvereinigungen, Zirkel verschiedener Berufssparten — nach sich zog, der Kampf um das „Recht auf Arbeit" und auf Bildung ein. Neben diesen Forderungen standen allerdings auch die Bekämpfung der Prostitution und des Alkoholismus, Mäßigkeitsbestrebungen und Friedenspropaganda im Programm der bürgerlichen Frauenbewegung 25 . Ein weiteres Ziel war die Anerkennung der Hausfrauentätigkeit als Beruf 2 6 . Die Dorothee von Velsen, Im Alter die Fülle. Erinnerungen (1956), 81. Edith Krebs, Die Frau in der heutigen Sozialordnung, in: Die Republik (1967), H . 3, 40. 2 3 Rolf Engelsing, Das häusliche Personal in der Epoche der Industrialisierung, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft 20 (1969), 95. 24 Ebd. 2 5 Kanclex, Frauenbewegung, 10 ff. 26 Marianne Hainisch, Frauenarbeit (1911), 16. 2X
22
4*
52
Die Entstehung der Frauenbewegung
ersten rasch nacheinander gegründeten Schulen, die vorwiegend durch Privatinitiative entstanden, strebten drei Ziele an: die Bildung der Bürgerstochter zur vollendeten Hausfrau, die Vorschulung der Hausgehilfin und die Nachschulung der Fabrikarbeiterin. „Dienstbotenschulen", „höhere Arbeiterschulen", hauswirtschaftliche Fortbildungskurse, Kochschulen und „Zentralspitzenkurse" etc. sind charakteristisch für die Bemühungen der bürgerlichen Frauenbewegung 27 . Im Gegensatz zur proletarischen Frau, die gezwungen war, unqualifizierte, schlecht entlohnte Fabrikarbeit zu leisten, die von der männlichen Arbeiterschaft oft angefeindet wurde — eine Haltung, die sich mit der Maschinenstürmerei vergleichen läßt 28 — , ging es für die bürgerliche Frau um das „Recht auf Arbeit", also um den Anspruch „auf die Freiheit der wirtschaftlichen Existenz" 2 9 . Die Skala der von der bürgerlichen Frauenbewegung angestrebten spezifischen Berufe erstreckte sich auf Tätigkeiten, die aus der häuslichen Sphäre stammten: die Erzieherin, Kindergärtnerin, Krankenpflegerin — Beschäftigungen, die zum Teil ehrenamtlich von den Frauen der Aristokratie übernommen, jedoch zum Großteil von geistlichen Orden durchgeführt worden waren 30 . In diesen Bestrebungen läßt sich die Rolle der Frau, wie sie von den bürgerlichen, vor allem den katholischen Frauen verstanden wurde, erkennen. Für sie, die sich übrigens als letzte Gruppe der Frauenbewegung aktiv anschlössen, lag das Hauptgewicht weiblicher Tätigkeit auf der Ausübung wohltätiger Pflichten. In der Frage der Berufstätigkeit bestand der wesentliche Unterschied zur sozialdemokratischen Bewegung darin, daß die katholischen Frauen im Erwerb außer Haus keinen erstrebenswerten Zustand sahen, sondern weibliche Erwerbstätigkeit als traurige Folge der mißlichen wirtschaftlichen Verhältnisse verstanden, die die Frau von ihrem Hauptziel, der Mutterschaft und Mütterlichkeit, entferne. Da die soziale Vorrangstellung des Mannes als gottgewollt und „natürlich" 2 7 Vgl. Festschrift 100 Jahre Unterrichtsministerium 1848—1948, hrsg. vom Bundesministerium für Unterricht in Wien (1948), 235. 2 8 Brandt, Frauenfrage, 22. 2 9 Karl Thomas Richter, Das Recht der Frauen auf Arbeit und die Organisation der Frauen-Arbeit (1867), 20. 3 0 Arthur Glaser, Die Frau in der österreichischen Wohlfahrtspflege (1910), 3, 51.
Angestrebte B e r u f e
53
interpretiert wurde, setzten sie sich konsequenterweise für eine Steigerung der Männerlöhne ein, um der Frau dadurch das Verbleiben im Haushalt zu gewährleisten 31 . Zu den sozialen Berufen, für die den Frauen kaum die Eignung abgesprochen wurde, da Männer und Frauen sich hier nicht als Konkurrenten gegenüberstanden, kamen Beschäftigungen, die im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung entstanden waren: Tätigkeiten in Handel und Verkehr, in Banken und im Versicherungswesen. Die Frauen drangen ab der Jahrhundertwende immer mehr in diese Angestelltenberufe, die bis dahin durchwegs „Männerberufe" gewesen waren, wobei ihnen freilich nur die Tätigkeiten auf unterer Ebene leicht zugänglich waren. Höhere Posten als Beamtinnen im öffentlichen Dienst bzw. als Privatbeamtinnen waren äußerst schwer erreichbar32. Dem Zustrom der Frauen zu qualifizierten Berufen, die ein Hochschulstudium voraussetzten, wurde erheblicher Widerstand entgegengesetzt. Vgl. K a n c l e r , F r a u e n b e w e g u n g , 114 f f . 82 Wegweiser zur B e r u f s w a h l f ü r Mädchen, hrsg. vom Bund österreichischer Frauenvereine (1912), 76. Vgl. auch E d u a r d L e o n h a r d t , Ratgeber f ü r die weibliche B e r u f s w a h l . Eine Übersicht über die B e r u f e , die den F r a u e n in Österreich offenstehen (1910), 56. 81
6. D I E F R A U E N A R B E I T V O M AUSGEHENDEN 19. J A H R H U N D E R T BIS ZUM E R S T E N W E L T K R I E G Schon im 19. Jahrhundert und vor dem Ersten Weltkrieg war Österreich 1 eines jener Länder Europas, die einen besonders hohen Anteil weiblicher Erwerbstätigkeit aufwiesen. Im Vergleich mit Deutschland z. B. schnitt Österreich (ohne Ungarn) wesentlich höher ab: während in Österreich im Jahre 1900 mehr als 41 % aller Berufstätigen Frauen waren, betrug die weibliche Erwerbsquote in Deutschland im Jahre 1895 nur 20,8 % und 1907 nur 33,8 % t . Das Schwergewicht der weiblichen Berufstätigkeit in Österreich lag zwischen 1890 und 1910 in der Land- und Forstwirtschaft. 1890 arbeiteten ca. 74 % der berufstätigen Frauen Österreichs in der Land- und Forstwirtschaft, dagegen nur 12,46 % in der Industrie; 4,27 % entfielen auf Handel und Verkehr, 9,32 % auf den öffentlichen Dienst und die freien Berufe 5 . Der Anteil der berufstätigen Frauen an der Gesamtzahl der Berufstätigen war in ganz Österreich mit 42,90 % höher als in Wien, wo der Prozentsatz nur 31,38 % betrug, obwohl gerade in Wien der Frauenüberschuß größer war als in den Ländern 4 . Der Frauenüberschuß großer Städte ist übrigens eine häufige Erscheinung. Vermutlich liegt der Grund darin, daß sie als Zentren des Warenhandels und der häuslichen Dienste hauptsächlich weibliche Arbeitskräfte anzogen5. In Wien 1 I m folgenden sind bis 1 9 1 8 unter der Bezeichnung Österreich „die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und L ä n d e r " zu verstehen. 2 Friedrich Z a h n , D i e F r a u im Erwerbsleben der K u l t u r s t a a t e n . E i n B e i t r a g zur Statistik des Frauenerwerbes, in: Allgemeines Statistisches Archiv 7 ( 1 9 1 4 ) , 198. 3 österreichisches Statistisches Handbuch 15 ( 1 8 9 6 ) , 16. 4 Errechnet aus: österreichisches Statistisches H a n d b u d i 15 ( 1 8 9 6 ) , 8 f f . ; Berufsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung v o m 3 1 . Dezember 1 8 9 0 , i n : österreichische Statistik 33 ( 1 8 9 4 ) , H . 2, 51 ff. 5 Gerhard Mackenroth, Bevölkerungslehre. Statistik der Bevölkerung ( 1 9 5 4 ) , 18.
Theorie,
Soziologie
und
Entwicklung 1890 — 1910 irj ON_
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Die Frauenarbeit von 1890 bis 1914
kamen auf 1 0 0 0 Männer 1086 Frauen, in ganz Österreich dagegen nur 1036 Frauen 6 . Der größere Prozentsatz berufstätiger Frauen in den Ländern hängt sicherlich mit dem großen Anteil der in der Landwirtschaft beschäftigten Frauen zusammen, die in Wien nahezu bedeutungslos war. Daß ca. 74 % aller berufstätigen Frauen in der Land- und Forstwirtschaft tätig waren, läßt sich durch die damalige wirtschaftliche Struktur erklären: schließlich lag der Anteil der in der Land- und Forstwirtschaft Beschäftigten um 1890 noch bei 62,41 % . Dieser Prozentsatz verringerte sich jedoch zwischen 1 8 9 0 und 1910 (vgl. Tab. 1, Seite 5 5 ) . Betrachtet man die Prozentsätze der berufstätigen Frauen in den einzelnen Wirtschaftszweigen, so zeigt sich, daß ihr Anteil zwischen 1 8 9 0 und 1910 in der Land- und Forstwirtschaft stagnierte, in der Industrie und im Gewerbe etwas zurückging, in den anderen Wirtschaftssektoren jedoch stieg (vgl. Tab. 1 ) . Die errechneten Indizes zeigen das starke absolute Wachstum der Frauenarbeit im öffentlichen Dienst und vor allem im Handel und Verkehr besonders deutlich (vgl. Tab. 2 ) . Tabelle 2. Änderungen
in der Berufsstruktur
1890—1910
Land- und Forstwirtschaft Industrie und Gewerbe Handel und Verkehr öffentlicher und Militärdienst, freie Berufe, Berufslose Summe
der Frauen
in
Österreich
1890
1900
1910
100 100 100
95,78 99,02 119,33
99,75 123,77 217,22
100
131,46
191,40
100
100,51
116,31
Quelle: österreichisches Statistisches Handbuch 15 (1896), 8 ff.; ebd., 22 (1903), 24 f.; ebd., 34 (1915), 16 f.
I n Wien ist das Bild etwas anders: die Land- und Forstwirtschaft war für die weibliche Arbeit weniger bedeutend; Frauen stellten nur ca. ein Viertel der hier Beschäftigten und waren stärker
6 Käthe Leichter, Frauenarbeit reich (1927), 6.
und Arbeiterinnenschutz
in Öster-
Entwicklung
1890 — 1 9 1 0
57
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Die Frauenarbeit von 1890 bis 1914
58
als in ganz Österreich in der Industrie tätig (vgl. Tab. 3 ) . Auch in Wien 2eigt sich jedoch das starke absolute und relative Wachstum der Frauenarbeit im Handel und Verkehr sowie im öffentlichen Dienst und den freien Berufen (vgl. Tab. 4 ) . Ihrer sozialen Stellung nach überwogen bei den berufstätigen Frauen im Jahre 1910 noch die mithelfenden Familienmitglieder; sie stellten 43,41 % der 6,769.763 berufstätigen Frauen Österreichs. An zweiter Stelle standen mit 28,50 % die Selbständigen, gefolgt von 19,61 % Arbeiterinnen. An vierter Stelle standen die Taglöhnerinnen, erst an fünfter Stelle die Angestellten (vgl. Tab. 5 ) .
Tabelle 4. Änderungen
in der Berufsstruktur 1890—1910 (in %)
der Frauen in Wien
1890
1900
1910
Land- und Forstwirtschaft Industrie und Gewerbe Handel und Verkehr öffentlicher und Militärdienst, freie Berufe, Berufslose
100 100 100
53,94 104,36 140,35
96,64 126,79 251,15
100
148,33
220,41
Summe
100
122,08
173,84
Quelle: Österreichisdie Statistik 33 (1894), H. 2, 51 ff.; ebd., 66 (1904), H. 2, 66 ff.; ebd., NF 3 (1916), H. 2, 2 ff.
Tabelle 5. Die
soziale
Stellung der im Jahre
berufstätigen 1910
trauen
Österreichs
absolut
in%
Mithelfende Familienmitglieder Selbständige Arbeiterinnen Taglöhnerinnen Angestellte Lehrlinge Pächter und Kolonen
2,938.878 1,929.675 1,327.523 372.674 131.171 55.135 14.707
43,41 28,50 19,61 5,51 1,94 0,81 0,22
Summe
6,769.763
100,00
Quelle: österreichisches Statistisches Handbuch 34 (1915), 16 f.
59
Entwicklung 1 8 9 0 — 1 9 1 0
Die Verteilung der weiblichen mithelfenden Familienmitglieder auf die einzelnen Wirtschaftszweige läßt erkennen, daß 1900 in Wien die Mithilfe der Frauen im Handel und Verkehr, in Österreich dagegen in der Land- und Forstwirtschaft und in den freien Berufen dominierte. Ein Vergleich zwischen 1900 und 1910 zeigt die Veränderungen in der Zahl der weiblichen Mithelfenden in Wien in den einzelnen Wirtschaftszweigen (vgl. Tab. 6 ) . Lag der Anteil der Frauen Wiens im Jahre 1900 noch zwischen 60 und 70 % , so zeigten sich 1910 Werte um 70 % und sogar 85 % . Absolut gesehen stieg die Zahl der mithelfenden Frauen Wiens auf das Doppelte. In ganz Österreich fand jedoch der umgekehrte Prozeß statt: nicht nur die absolute Zahl der weiblichen mithelfenden Familienmitglieder nahm um mehr als 81.000 ab, auch ihr Anteil an sämtlichen Mithelfenden sank von 73,94 % auf 70,72 % . Dieser Abfall ist primär auf die absolute und relative Abnahme in der Land- und Forstwirtschaft zurückzuführen (vgl. Tab. 6 ) . Eine weitere wichtige Tendenz in der Entwicklung der Frauenarbeit vor dem Ersten Weltkrieg war das Ansteigen der Zahl der verheirateten berufstätigen Frauen bei gleichzeitigem Sinken der ledigen und verheiratet gewesenen (verwitwet, getrennt, geschieden) zwischen 1890 und 1910 7 .
ledig verheiratet verheiratet gewesen insgesamt
1890
1900
1910
in%
in °/o
in %
44 45 11
41,6 48,3 10,1
43 47,3
100,0
100,0
100,0
9,7
Kennzeichnend für die Entwicklung vor dem Ersten Weltkrieg war die Zunahme der Zahl der selbständigen Frauen. Der Betriebszählung von 1902 zufolge standen in ganz Österreich 180 Fabriksbesitzerinnen 13.580 männlichen Inhabern von Fabriken gegenüber — dies entspricht einem Verhältnis von 1:75,5. In den einzelnen Gewerbezweigen zeigten sich jedoch bedeutende Unterschiede: es gab ca. 32 Gewerbearten, in denen der Anteil der selbständigen Frauen gegenüber den Männern überwog. Mit 90 % dominierten sie in der Wäschekonfektion, der Federn- und Spitzen7 Berufsstatistik nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 3 1 . Dezember 1 9 1 0 , in: österreichische Statistik N F 3 ( 1 9 1 6 ) , H . 1, 8 0 .
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Die Frauenarbeit von 1890 bis 1914
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Frauenarbeit in der Zwischenkriegszeit
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