Frauen der Reformationszeit: Gelehrt, mutig und glaubensfest [4 ed.] 9783666552861, 9783525552865


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German Pages [217] Year 2017

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Frauen der Reformationszeit: Gelehrt, mutig und glaubensfest [4 ed.]
 9783666552861, 9783525552865

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Vandenhoeck & Ruprecht

Bereits zu Beginn der Neuzeit vor 500 Jahren gab es Aufbrüche zu einer Gleichberechtigung von Frauen in Kirche und Gesellschaft. Davon erzählt Sonja Domröse in biographischen Portraits exemplarischer Frauen wie Elisabeth von CalenbergGöttingen, Argula von Grumbach, Ursula Weyda, Elisabeth Cruciger oder Olympia Fulvia Morata, indem sie deren theologisches und schriftstellerisches Wirken würdigt. Neben der Darstellung einzelner weiblicher Biographien setzt sich die Autorin mit dem Frauenbild Martin Luthers auseinander. Domröse dokumentiert so auf beeindruckende Weise den weiblichen Einfluss auf die Reformation in Deutschland. Die 4. Auflage ist aktualisiert und um einige Portraits erweitert.

Sonja Domröse  Frauen der Reformationszeit

11,5

Die Autorin Sonja Domröse ist Pastorin, Pressesprecherin und Kommunikationsmanagerin im Sprengel Stade der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers.

Sonja Domröse

Frauen der Reformationszeit

www.v-r.de

V

4. Auflage

Sonja Domröse

Frauen der Reformations­zeit Gelehrt, mutig und glaubensfest

4., erweiterte Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht

Für meine Familie

Mit 15 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-55286-1 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: textformart, Göttingen

Inhalt 7 Vorwort 11 Vorwort zur vierten Auflage 13 Einführung in die Reformationszeit 19 Argula von Grumbach Kämpferische Streiterin für die Reformation 35 Ursula Weyda Eine Frau wirft den Fehdehandschuh 47 Katharina Zell Predigerin und unerschrockene Bürgerin 61 Elisabeth Cruciger Die erste Dichterin des Protestantismus 75 Ursula von Münsterberg Eine Nonne flieht aus dem Kloster 89 Florentina von Oberweimar Gewalt im Kloster 101 Caritas Pirckheimer Eine Äbtissin im Widerstand

115 Jeanne de Jussie Chronistin des Kampfes um Genf 129 Wibrandis Rosenblatt Die Frau an der Seite der oberrheinischen Reformatoren 143 Elisabeth von Calenberg-Göttingen, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg Regentin und Säugamme der Kirche 157 Olympia Fulvia Morata Gelehrte und weibliches Wunderkind 175 Erasmus von Rotterdam Humanist, Wegbereiter der Reformation und Förderer gelehrter Frauen 189 Martin Luther und seine Sicht der Frau 201 Auswirkungen der Reformation auf Leben und  Stellung der Frau 205 Zeittafel 210 Quellen- und Literaturverzeichnis 215 Bildnachweise

Vorwort

I

m August 2008 startete die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Wittenberg die »Lutherdekade«, die mit den Feierlichkeiten zum 500. Reformationsjubiläum im Jahr 2017 ihren festlichen Abschluss finden wird. Denn am 31.  Oktober 1517 schlug der damalige Augustinermönch Martin Luther seine 95 Thesen in Wittenberg an und setzte damit die Reformation in Gang. Dieser Thesenanschlag gegen den damals üblichen Ablasshandel gilt gemeinhin als Beginn der Reformation, und er setzte ein äußerst komplexes Geschehen in Bewegung. Nicht nur die Spaltung der bis dahin einheitlichen westlichen Kirche in einen römisch-katholischen und einen protestantischen Zweig stand am Ende der religiösen Auseinandersetzungen, sondern auch viel­ fältige politische und gesellschaftliche Veränderungen wurden in der Reformationszeit initiiert. So hat die Reformation viele Gesichter und unterschiedlichste Facetten. Immer mehr Beachtung fand in den letzten Jahren dabei auch der Einfluss von Frauen auf die Reformation in Deutschland, denn nicht wenige von ihnen fühlten sich durch die umstürzenden Ereignisse gerade der frühen Reformationszeit dazu ermutigt, ihre Stimme als Frau öffentlich zu erheben. Die Reformation war ein kollektives Ereignis, in dem sich nicht nur Menschen aller Schichten, sondern neben zahlreichen Männern eben auch viele Frauen dazu berufen fühlten, ihre Glaubensüberzeugungen selbstverantwortlich zu vertreten. Es ist das Ziel dieses Buches im Rahmen der Reformations­ feierlichkeiten diesen historischen Beitrag von Frauen mehr in das Bewusstsein einer interessierten Öffentlichkeit zu rücken. In acht Biographien wird die couragierte und vielfältige Beteiligung von Frauen am Reformationsgeschehen dargestellt. Frauen unterschiedlicher Schichten sind dabei zu entdecken. Neben der Fürstin Elisabeth von Calenberg-Göttingen, die als ReVorwort

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gentin in ihrem Gebiet die Reformation einführte, wird die Lebensgeschichte weiterer adeliger Frauen wie Argula von Grumbach oder Ursula von Münsterberg erzählt. Aber auch Frauen aus dem Bürgertum wie Katharina Zell und Ursula Weyda setzten sich selbstbewusst mit ihren Schriften für die neue evangelische Lehre ein. Die Italienerin Olympia Fulvia Morata, die ihrer Zeit als ausgewiesene Gelehrte galt, verließ aus Glaubensgründen ihre Heimat und floh in das Land der Reformation. Die erste Dichterin des Protestantismus, Elisabeth Cruciger, wird mit ihrem Werk und Leben gewürdigt. Und nicht zuletzt findet die Lebensgeschichte von Wibrandis Rosenblatt Erwähnung, die mit gleich drei bedeutenden Reformatoren nacheinander verheiratet war und ihrem letzten Mann bis ins englische Exil folgte. Gerade die frühe Reformationszeit, die die Jahre bis zum Ausbruch des Bauernkrieges 1525 umfasst, stärkte das Selbstbewusstsein vieler Frauen. Dies hatte viele Gründe. So ermutigte Martin Luther in seinen frühen Schriften ausdrücklich die Laien dazu, selbst die Bibel in die Hand zu nehmen, darin zu lesen und mit der Heiligen Schrift gegen die kirchlichen Missstände zu argumentieren. Dieses Schriftprinzip, dem zu Folge allein theologische Gültigkeit beanspruchen kann, was in den Heiligen Schriften zu lesen ist, entfachte eine ganze Literatur-Flut. Die Übersetzung der Bibel ins Deutsche sorgte dafür, dass jeder des Lesens Kundige prüfen konnte, was in der Bibel geschrieben steht. Die reformatorische Erkenntnis des Priestertums aller Glaubenden, die den Geistlichen einen besonderen Status vor Gott absprach, sorgte darüber hinaus für eine Wertschätzung jeder Christin und jedes Christen. Und so fühlten sich nicht wenige Frauen berufen – durch die neuen Möglichkeiten des Buchdrucks und der Flugschriften begünstigt – aktiv durch eigene Publikationen in die Auseinandersetzungen der Reformationszeit einzugreifen und die untergeordnete Stellung der Frau zu bekämpfen. So hatten die reformatorischen Ideen und Erkenntnisse Konsequenzen auch für die Beziehung zwischen den Geschlechtern. Die männliche Vorherrschaft geriet ins Wanken, wo Frauen nur noch Gott als höchste Autorität für sich entdeckten und akzeptierten. Diese unmittelbare Beziehung zu Gott, die keiner Mittlerrolle der Kirche mehr bedurfte, brachte auch eine neue Erkenntnis für Frauen mit sich: Viele beanspruchten Gottes Willen aus 8 

Vorwort

dem Lesen der Bibel selber erkennen und verantworten zu können, ohne männliche Autoritäten um Rat zu fragen. Nicht nur Männer waren vom Geist Gottes ergriffen, auch Frauen postulierten dies für sich und argumentierten aus dieser neuen Glaubensgewissheit heraus. War es für alle Laien schon ein emanzipatorischer Akt, die Bibel selbst in die Hand zu nehmen und in ihr zu lesen, so war es dies für Frauen erst recht. Denn nicht wenige erkannten, dass sie mit der Heiligen Schrift gegen frauenfeindliche Passagen der ­Bibel argumentieren konnten. Das Schweigegebot für Frauen in den Gemeinden wurde in seiner absoluten Gültigkeit widerlegt mit frauen­freundlichen Zitaten der Bibel. Mit der Würdigung biblischer Frauengestalten nahmen die Streiterinnen der Reformationszeit den Kampf um ein gleichberechtigtes Miteinander von Frauen und Männern in der Kirche auf. Biblische Frauen galten Autorinnen wie Katharina Zell, Argula von Grumbach oder auch Elisabeth von Calenberg-Göttingen in ihren mutigen Auseinander­ setzungen des 16. Jahrhunderts als Vor- und Leitbilder. So macht dieses Buch durch die Würdigung des theologischen und schriftstellerischen Wirkens exemplarischer Frauen zu Beginn der Neuzeit deutlich, dass es bereits vor 500 Jahren Aufbrüche zu einer Gleichberechtigung von Frauen in Kirche und Gesellschaft gegeben hat. Auch wenn die hier portraitierten Frauen in ihrer Denk- und Verhaltensweise Individuen sind, deren Schicksal keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erheben kann, so sind ihre Lebensgeschichten doch bedeutsam. Denn jede einzelne Biographie ist ein Beispiel dafür, wie Frauen sich immer wieder in herausfordernden geschichtlichen Ereignissen engagiert und bewährt haben. So kommen die Frauen durch ihre Schriften zu Wort. Um den heutigen Leserinnen und Lesern das Verständnis zu erleichtern, wurde die Originalsprache dem heutigen Deutsch angepasst. Im weiteren Verlauf des Reformationsgeschehens ist dieser Aufbruch der evangelischen Bewegung hin zu einer Geschlechter­ gerechtigkeit nicht weiter aufgenommen worden und wurde sogar teilweise aktiv zurückgedrängt. Daher ist nach der Würdigung einzelner Frauenbiographien der Reformationszeit eine Auseinandersetzung mit dem Frauenbild Martin Luthers unabdingbar. Denn in seiner ambivalenten Sicht auf Frauen legte Luther als der Vorwort

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bedeutendste Reformator eines der Fundamente dafür, dass Frauen einerseits in der heutigen evangelischen Kirche die gleichen geistlichen Ämter bekleiden können wie Männer, es andererseits aber über ein halbes Jahrtausend dauerte bis es so weit war. Den vorherrschenden Eindruck, das Reformationsgeschehen sei allein und ausschließlich durch einflussreiche Männer geprägt worden, möchte dieses Buch korrigieren, indem es das Engagement und den Mut exemplarischer Frauengestalten würdigt und deutlich macht. So soll im Rahmen der Reformationsdekade das Wirken von Frauen am Beginn der Neuzeit und der reformatorischen Be­ wegung in das ihnen gebührende Licht gestellt werden. Denn sie selber sahen sich als Streiterinnen und Kirchenmütter, als Säugammen der Kirche und selbstbewusste Töchter Gottes. Stade, 24. März 2010

Sonja Domröse

Vorwort zur vierten Auflage Die Reformation ist ganz neu ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Das liegt nicht nur am Verkaufsschlager der Luther-Playmobilfigur, sondern vornehmlich an all den Veröffentlichungen, Ausstellungen, Internet-Portalen, Radio-Features, Fernsehfilmen und Themenschwerpunkten der letzten Jahre. Und natürlich am Jahr 2017 selber! Denn am 31. Oktober wird mit dem staatlichen Feiertag bundesweit der Beginn der Reformation begangen. Das Interesse an der weiblichen Seite dieser kirchlichen Erneuerung ist dabei in der Reformationsdekade kontinuierlich gestiegen. Dieses Erbe wurde sichtbar in der Ausstellung auf Schloss Rochlitz »Eine STARKE FRAUENgeschichte – 500 Jahre Reformation«. Aber auch die Wanderausstellungen der Evangelischen Frauen in Mitteldeutschland, der Frauenarbeit der Nordkirche in Kooperation mit der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek unter dem Titel »… von gar nicht abschätzbarer Bedeutung« oder das Projekt »Reformatorinnen. Seit 1517« der rheinischen Kirche sind hier zu nennen. Und nicht zuletzt die Internet-Seite der Evangelische Frauen in Deutschland mit der Domain www.frauen-und-reformation.de haben für eine große öffentliche Wahrnehmung gesorgt. Mit dem vorliegenden Buch, das nun seit seiner ersten Veröffentlichung im Jahr 2010 in der vierten, ergänzten und überarbeiteten Fassung vorliegt, sollen exemplarisch die Protagonistinnen dieser Aufbruchszeit ins Licht gerückt werden. Neben die bereits in der ersten Auflage vorgestellten Lebensgeschichten treten neue hinzu. So die Erlebnisse der ehemaligen Nonne Florentina von Oberweimar, die ihre Gewalterfahrungen im Kloster überlieferte. Aber nicht minder bedeutsam sind die beiden Zeugnisse der bewusst an ihrem katholischen Glauben festhaltenden Klosterfrauen Caritas Pirckheimer, die als Äbtissin ihr Kloster durch die Wirren der Nürnberger Reformationsjahre führte, sowie der Chronistin Jeanne de Jussie. Sie dokumentierte die Ereignisse der Vertreibung ihres Klarissen-Konventes aus Genf, die spannend und lesenswert sind. Vorwort zur vierten Auflage

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Die Äußerungen Luthers zum weiblichen Geschlecht ergänzen nun eine Schrift aus der Feder des einflussreichsten und bekanntesten Humanisten der Zeit, Erasmus von Rotterdam, sowie eine Einordnung seiner Sicht der Frau. Ich freue mich, dass im Rahmen dieses Reformationsjubiläums erstmals auch die Geschichte der Frauen des 16. Jahrhunderts, ihrer mutigen und selbstbewussten Schriften, auf großes Interesse stoßen. Und wir eine Ahnung davon erhalten, was sie bewegt hat, von ihrem Glauben zu erzählen. Denn starke Glaubenszeugnisse haben sie uns alle hinterlassen. Stade, 24. März 2017

Sonja Domröse

Einführung in die Reformationszeit

Die Jahre, in der die in diesem Buch portraitierten Frauen leb-

ten und wirkten, waren eine Zeit der großen politischen und reli­ giösen Umbrüche, der gesellschaftlichen Unruhen und Utopien. Daher scheint es ratsam, einen groben Überblick der historischen Ereignisse zu geben und sie den Biographien voranzustellen. Denn die nicht immer leicht zu entwirrenden verschiedenen Stränge können so sicherlich besser eingeordnet werden. Daher erfolgt zunächst in der gebotenen Kürze eine Einführung in die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts. Am 31. Oktober 1517 schlug der Augustinermönch Martin Luther in der Universitätsstadt Wittenberg seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der Kirche öffentlich an. Was von ihm als eine Erneuerung der römisch-katholischen Kirche, als eine Reform also, gedacht und gemeint war, wuchs sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu einem großen religiösen, politischen und gesellschaftlichen Umbruch aus, an dessen Ende die konfessionelle Spaltung der bis dahin einheitlichen westlichen Kirche stehen sollte. Denn Luthers Thesen fanden von Anfang an großen Widerhall in der Bevölkerung. Luther war 1502 in Erfurt in den Augustinerorden eingetreten und damit Mönch geworden. In den Jahren 1510 und 1511 reiste er nach Rom und begann noch im selben Jahr seine Vorlesungen an der damals noch jungen Universität Wittenberg. Empört über die Praxis des Dominikaners Johann Tetzel, der mit seinem Tross von Stadt zu Stadt zog und den Gläubigen den kompletten Ablass ihrer Sünden versprach, vorausgesetzt sie kauften sich einen Ablassbrief, verfasste Luther seine Thesen. Er sah die Kirche mehr und mehr in eine Glaubwürdigkeitskrise geraten, aus der er sie aus Liebe zu seiner Kirche retten wollte. Was folgte, war aber eine Reihe von Disputationen, Auseinander­ setzungen und schlussendlich ein Streit mit den Vertretern des Einführung in die Reformationszeit

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Papstes und der Leitung der katholischen Kirche, der in einer Anzeige in Rom gegen Luther gipfelte. Aufgrund dieser Anzeige wurde 1518 ein Ketzerprozess gegen ihn angestrengt, und er wurde auf dem Reichstag in Augsburg verhört. Er weigerte sich dort, seine in langen Jahren des Bibelstudiums gewonnenen Glaubensüberzeugungen zu widerrufen und floh aus Augsburg. Sein Prozess zog sich hin, da mittlerweile im Januar 1519 Kaiser Maximilian I. gestorben war. Im Juni desselben Jahres wurde Karl V. zum neuen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewählt und der Prozess gegen Luther von der römischen Kurie wieder aufgenommen. 1520 schrieb Luther seine reformatorischen Hauptschriften »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« und »Von der Freiheit eines Christenmenschen«. Der Papst erließ gegen Luther eine Bann­ androhungsbulle, einige seiner Schriften wurden öffentlich verbrannt. Luther reagierte darauf, indem er seinerseits die päpstliche Bulle sowie Bücher des kanonischen Rechts in Wittenberg öffentlich ins Feuer warf. Luther wurde daraufhin 1521 vor den Reichstag in Worms ge­ laden, um öffentlich zu widerrufen. Wieder weigerte er sich, daraufhin wurde gegen ihn die Reichsacht verhängt, die ihn vogelfrei machte und eine Verbreitung seiner Lehre und Schriften verbot. Sein Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise, versteckte Luther auf der Wartburg, wo dieser in den Jahren 1521 und 1522 das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Während Luthers Abwesenheit begannen Mönche in Wittenberg zu heiraten, so wie Luther es bereits in seiner Schrift an den Adel gefordert hatte, indem er das Zölibat scharf kritisierte. Die Turbulenzen in Wittenberg zwangen Luther, die Frage der klösterlichen Gelübde zu untersuchen, und er forderte schließlich in einem Traktat ihre Abschaffung. 1522 kehrte er eilig nach Wittenberg zurück, da in der Zwischenzeit der Fortgang der dortigen Reformen tumultartige Züge angenommen hatte. Die Auseinandersetzungen mit den Schwärmern, denen die Veränderungen in der Kirche nicht schnell genug und zu wenig radikal waren, nahmen an Schärfe zu. 1524 brach der Bauernkrieg aus, in dem sich die bäuerliche Bevölkerung gegen die Leibeigenschaft sowie die ungerechten Verhältnisse im Land erhob. ­Thomas ­Müntzer, einst Wegbegleiter Luthers in Wittenberger Tagen und nun einer seiner schärfsten Kritiker, wurde in der Schlacht von 14 

Einführung in die Reformationszeit

Frankenhausen mit seinem Bauernheer vernichtend geschlagen und wenig später hingerichtet. Mitten in den Wirren des Bauernkrieges heiratete der ehemalige Mönch Martin Luther 1525 die ehemalige Nonne Katharina von Bora. Auf dem 1. Reichstag zu Speyer, ein Jahr nach Luthers Hochzeit, wurde das Wormser Edikt ausgesetzt. Dieses Edikt hatte Luther für vogelfrei erklärt und ein Verbot seiner Lehre und Schriften angeordnet. Da Kaiser Karl V. durch die drohende Eroberung seines Reiches durch die Türken, die bereits 1521 Belgrad eingenommen hatten und 1529 vor den Toren Wiens stehen sollten, außenpolitisch gebunden war, hatten die Fürsten seines Reiches relative Handlungsfreiheit. So interpretierten die evangelischen Fürsten das Aus­setzen des Wormser Edikts für sich als ein Recht, ihre Gebiete zu reformieren. 1529 tagte der Reichstag zum zweiten Mal in Speyer. Die konfessionelle Spaltung war noch weiter fortgeschritten, so dass von katholischer Seite gefordert wurde, unverzüglich zu den alten Traditionen zurückzukehren und alle Neuerungen in den evange­lischen Territorien rückgängig zu machen. Dies führte zum Protest der evangelischen Stände, zur sogenannten »Protestation«, nach der die Evangelischen sich von nun an selbstbewusst auch »Protestanten« nannten. Im selben Jahr trafen sich auf Veranlassung Philipp von Hessens, einem der einflussreichsten evangelischen Fürsten, in dessen Residenzstadt Marburg die Reformatoren aus Wittenberg mit denen vom Oberrhein, um ihre Auseinandersetzungen in der Abendmahlslehre beizulegen. In Marburg begegneten Martin L ­ uther und Philipp Melanchthon den Reformatoren aus der Schweiz und aus Straßburg, Ulrich Zwingli, Martin Bucer und Johannes Oeko­lampad. Trotz intensiver Dispute erzielten die Theologen jedoch keine Einigung und die Marburger Religionsgespräche endeten ohne eine Annäherung der lutherischen und der reformierten Seite. Als der Reichstag 1530 in Augsburg tagte, konnte Luther, der weiterhin unter der Reichsacht stand, nur von der Feste Coburg aus am Geschehen teilnehmen. Auf dem Reichstag legten die protestantischen Stände das Augsburger Bekenntnis (Confessio ­Augustana) vor. Der Kaiser lehnte dieses Bekenntnis der Protestanten ab und drohte mit Krieg, indem er ein Ultimatum stellte: Einführung in die Reformationszeit

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Innerhalb eines Jahres sollte sich die evangelische Seite unterwerfen. Weil er aber selber vollauf mit den außenpolitischen Auseinandersetzungen mit Frankreich und den Türken sowie Auseinandersetzungen mit dem Papst in Anspruch genommen war, konnte er seine Drohungen nicht in die Tat umsetzen. Erst nach Luthers Tod 1546 hatte der Kaiser freie Hand, sich der deutschen Frage ungehindert zuzuwenden. 1531 war in der thüringischen Stadt Schmalkalden ein Bund der evangelischen Stände gegründet worden, um gemeinsam gegen den katholischen Kaiser auftreten zu können. Gegen diesen Schmalkaldischen Bund begann Kaiser Karl V. im Jahr 1546 einen Krieg, den er 1547 siegreich beendete. Dabei hatte gerade einer der evangelischen Fürsten eine unrühmliche Rolle gespielt. Moritz von Sachsen, der sich zum evangelischen Glauben bekannte, hatte sich – wohl nicht zuletzt aus politischen Erwägungen – auf die Seite des katholischen Kaisers geschlagen und so den Sieg über den Schmalkaldischen Bund bei der Schlacht von Mühlhausen erst möglich gemacht. Moritz von Sachsen war daraufhin auf evangelischer Seite als »Judas von Meißen« geächtet. Nach dem Sieg der kaiserlichen Truppen über die evangelische Streitmacht wurde auf dem Augsburger Reichstag 1548 das Augsburger Interim vom Kaiser durchgesetzt. Dieses gestand den Protestanten zwar einige Neuerungen wie die Feier des Abendmahls in Brot und Wein sowie das Zugeständnis der Legitimierung der bis dahin geschlossenen Priesterehen zu, ansonsten aber musste unter Gewaltanwendung überall wieder die alte Ordnung durchgesetzt werden. In der Folge mussten evangelische Theologen  – wie Martin Bucer beispielsweise – ihre Heimat verlassen und ins Exil gehen. 1552 wendete sich das Blatt allerdings wiederum, erneut unter tätiger Mitwirkung von Moritz von Sachsen. Von Kaiser Karl V. enttäuscht, da dieser gegebene Versprechen nicht gehalten hatte, wechselte der sächsische Fürst erneut die Seiten und überrumpelte das kaiserliche Heer, so dass Karl V. gezwungen war, sein Heil in der Flucht zu suchen. Daraufhin wurde Moritz als Retter der Protestanten gefeiert, denn er konnte im Vertrag von Passau ein Moratorium für die evangelische Seite durchsetzen. Allerdings starb er bereits ein Jahr später in der Schlacht von Sievershausen, in der auch Erich II. von Braunschweig und andere kämpften. Im Augs16 

Einführung in die Reformationszeit

burger Religionsfrieden des Jahres 1555 wurde die konfessionelle Spaltung des Deutschen Reiches dann besiegelt. Er verfügte durch die Formel »cuius regio, eius religio« (zu Deutsch: »Wessen Gebiet, dessen Religion«), dass der Fürst eines Landes nunmehr berechtigt war, die Religion seiner Untertanen vorzugeben. Mit dem Augsburger Religionsfrieden war die Idee eines universalen christ­ lichen Kaisertums endgültig obsolet geworden, denn im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation lebten nun Katholiken und Evangelische nebeneinander. Nur ein Jahr später dankte Kaiser Karl V. ab.

Argula von Grumbach Kämpferische Streiterin für die Reformation

Verlogen und neydisch Zungen han mich zu Leid und Schmerz gedrungen. Gravur einer Schaumünze mit dem Portrait Argula von Grumbachs

A

n einem Spätsommertag des Jahres 1523 greift eine mutige und gebildete Frau zur Feder, um einen Sendbrief an die Gelehrten der Universität Ingolstadt zu schreiben. Selbstbewusst fordert die 31-Jährige darin die Professoren auf, »in Gegenwart unser dreier Fürsten und der ganzen Gemeinde« sich mit ihr theologisch auseinanderzusetzen. Einzige Bedingung: Da sie kein Latein kann, soll der Disput auf Grundlage der Heiligen Schrift in Deutsch geführt werden. »Ich habe euch kein Frauengeschwätz geschrieben, sondern das Wort Gottes als ein Glied der christlichen Kirche«, schließt sie ihre Botschaft. Wer war diese Frau, die mit diesem Brief an das Licht der Öffentlichkeit trat und innerhalb kurzer Zeit die bekannteste Flugschriftenautorin der Reformationszeit wurde? Ihr Name: Argula von Grumbach, geboren 1492 auf der Burg Ehrenfels in Franken als Tochter von Bernhardin von Stauff und Katharina von T ­ örring zu Seefeld, die beide aus altem bayrischem Adel stammten. Die einst sehr reiche Familie von Stauff war verarmt, legte aber trotzdem großen Wert auf eine gute Bildung ihrer Kinder. Als 10-Jährige bekam Argula bereits von ihrem Vater eine deutsche Bibel geschenkt. Auch wenn Martin Luther erst 1522 seine deutsche Übersetzung des Neuen Testaments und ein Jahr später die Übersetzung des ersten Teils des Alten Testaments herausgab, so waren doch bereits vor Luthers bahnbrechender Arbeit Bibeln in verschiedenen Volkssprachen im Umlauf. Argula jedenfalls zitierte zeit ihres Lebens aus ihrer vorlutherischen deutschen Bibel. Kämpferische Streiterin für die Reformation

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Die Adlige wuchs mit zwei Schwestern und vier Brüdern auf und kam als junges Mädchen zur Erziehung an den Münchner Hof des Herzogs Albrecht IV. und seiner Frau Kunigunde, einer Schwester Kaisers Maximilians I. (1459–1519). Nachdem 1509 innerhalb von fünf Tagen die 17-jährige Argula sowohl Vater als auch Mutter durch die Pest verloren hatte, bekam die vom Vater geschenkte Bibel für die Heranwachsende eine besondere Bedeutung. Sie lernte wichtige Passagen auswendig und erwarb sich eine bemerkenswerte Bibelkenntnis. Um 1515 heiratete sie Friedrich von Grumbach, der aus frän­ kischem Adel stammte. Vier Kinder wurden dem Paar geboren: die Söhne Georg, Hans Georg und Gottfried sowie die Tochter Apollonia. Neben der Erziehung der Kinder widmete sich Argula intensiv der neuen Glaubenslehre aus Wittenberg. Mit den Schriften Martin Luthers war sie bestens vertraut, hatte sie doch zahl­reiche davon gelesen. Seit 1522 stand sie mit ihm in einem regen Briefwechsel. Aber auch mit Georg Spalatin, einem Freund Luthers und Hofprediger in Wittenberg, sowie Paul ­Speratus, dem ehemaligen Würzburger Domprediger und späterem Hofprediger in Königsberg, tauschte sie sich per Brief aus. Ihr Ehemann da­gegen, der seit 1515 als gut bezahlter Pfleger von Dietfurt und damit als Statthalter im Dienst der bayrischen Herzöge stand, blieb bis zu seinem Tod 1529 überzeugter Katholik. Bereits 1522 erließen die bayrischen Herzöge eine scharfe Verordnung gegen die Reformation. Es war nicht nur verboten, sich dem neuen Glauben zuzuwenden, sondern allein schon das Diskutieren über Luthers Lehren und Schriften wurde unter Strafe gestellt. Umso unerschrockener erscheint da das Handeln Argula von Grumbachs nur ein Jahr später. Was genau trieb sie zu ihrem mutigen Brief gegenüber der Universität Ingolstadt, mit dem sie als erste Frau öffentlich für die Reformation eintrat? Kein Mann hatte es gewagt, sich offen für den 18-jährigen Magister Arsacius Seehofer einzusetzen. Dieser hatte 1521 bei Philipp Melanchthon in Wittenberg studiert und hielt nun in Ingolstadt auf der Basis von Melanchthon-Texten Vorlesungen und warb für die Reformation. Da dies durch herzogliche Verordnung verboten war, wurde gegen ihn ein Verfahren eröffnet. Er musste öffentlich abschwören und wurde ins Kloster Ettal verbannt. Die prägende und beherrschende Gestalt an der Universität 20 

Argula von Grumbach

Ingolstadt war zu dieser Zeit Johann Eck, der bedeutendste Gegner Martin Luthers und einer der intellektuell Fähigsten. Hatte es zwischen den beiden Männern anfangs noch Ansätze einer posi­ tiven Beziehung gegeben, so griff Eck bereits 1518 Luther scharf an. In der Leipziger Disputation von 1519 stritt Eck öffentlich mit Luther und Andreas Karlstadt und nur ein Jahr später arbeitete er im Auftrag Roms die päpstliche Bannandrohungsbulle gegen Luther aus. Luther belegte ihn daraufhin in seinen Schriften mit so groben Ausdrücken wie »Dr. Sau« und »das Schwein von Ingolstadt«. Möglicherweise mag diese erbitterte Feindschaft zwischen diesen beiden exponierten Streitern ein Grund gewesen sein, warum keiner der männlichen Gelehrten für Arsacius Seehofer Partei er­ greifen mochte. Durch einen Nürnberger Bürger hatte Argula von den Vorkommnissen in Ingolstadt gehört. Sie reist daraufhin selber nach Nürnberg, trifft sich dort mit dem wichtigsten Reformator der Stadt, Andreas Osiander, und berät sich mit ihm. Offensichtlich von ihm ermutigt, verfasst sie wagemutig einen Sendbrief an die Universität in Ingolstadt. Für sie ist offenkundig: Unter Androhung von Gewalt fordern die Gelehrten einen Widerruf See­ hofers, ohne ihn durch biblische Zeugnisse widerlegen zu können. Solch ein Vorgehen ist nach ihrer Meinung aber gegen Gottes Wille, denn, so schreibt sie, »ich finde an keinem Ort der Bibel, dass Christus noch seine Apostel oder Propheten jemanden eingekerkert, gebrannt noch gemordet haben oder das Land verboten.« Argula beginnt ihren Sendbrief mit einem Zitat aus dem Matthäus-Evangelium: »Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.« (Matthäus 10,32f) Für sie wird durch dieses Bibelwort offenbar: Sowohl Männer als auch Frauen sind zum Bekenntnis Jesu Christi aufgerufen. Daher, so Argula, wage sie es überhaupt zu schreiben, obwohl sie lange mit sich gerungen habe. Denn »mit Schwermütigkeit« habe sie es bisher unterlassen, öffentlich zu reden. Argula von Grumbach kennt ihre Bibel gut und weiß, dass mit dem Satz aus dem 1.  Korintherbrief »die Frauen sollen schweigen in der Gemeinde« (1.  Korinther  14,34) schon immer gerne argumentiert Kämpferische Streiterin für die Reformation

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wurde, wenn es darum ging, Frauen mundtot zu machen. Daher entkräftet sie diese Bibelstelle mit den Worten aus dem Matthäusevangelium. Selbstbewusst fordert sie die Gelehrten der Universität auf, ihr die strittigen Thesen Seehofers schriftlich mitzuteilen, woraufhin sie nach Ingolstadt kommen wolle, um »in Gegenwart unser dreier Fürsten und der ganzen Gemeinde mit Euch zu reden«. Da auch Jesus sich mit Frauen unterhalten habe, sollen die Professoren dies auch tun. »Auch wenn es dazu kommen sollte, wovor Gott sei, dass Luther widerruft, so soll es mir nichts zu schaffen machen. Ich baue nicht auf sein, mein oder sonst eines Menschen Verstand, sondern allein auf den wahren Felsen Christus selber.« Bemerkenswert an diesem Brief sind auch die Gottesbilder, die Argula verwendet. Als exzellente Kennerin der biblischen Worte zitiert sie so ausgefallene Stellen wie Hosea 13,8. Hier spricht Gott von sich selber in einem weiblichen Bild, in dem er sich mit einer Bärin vergleicht, der ihre Jungen genommen sind. Ohne falsche Scheu beendet Argula ihr Schreiben mit dem Satz, dass sie kein Frauengeschwätz geschrieben habe, »sondern das Wort Gottes als ein Glied der christlichen Kirche.« Dieser aufrührerische Akt sollte für Argula von Grumbach nicht ohne Folgen bleiben, auch wenn sie nie eine Antwort auf ihr Schreiben erhielt. Noch im selben Jahr wurde ihre Schrift gedruckt und hatte eine enorme Resonanz. Innerhalb von zwei Monaten erschien die Flugschrift in 13 Auflagen. Möglicherweise auch wegen des provozierenden Titelblattes. Die gedruckte Version des Sendbriefes ziert nämlich ein ungewöhnliches Bild: Argula von Grumbach steht als einzelne Frau mit der Bibel in der Hand einer Schar von männlichen Gelehrten gegenüber. Auf dem Boden liegen Bücher, womöglich päpstliche Dekrete. An der Hand eines Theologen baumelt bereits der Fehdehandschuh. Flugschriften waren in den Jahren von 1520 bis 1525 das Medium schlechthin, denn bis ins 18. Jahrhundert hinein sollte es nicht wieder eine so große Zahl von Publikationen geben. Mit Flugschriften gingen sowohl Männer als auch Frauen an die Öffentlichkeit, um ihre Überzeugungen einem großen Publikum bekannt zu machen. Flugschriften waren nach der Erfindung des Buchdrucks schnell und unkompliziert herzustellen, sie kosteten ungefähr den Gegenwert eines Mittagessens und wurden von Hand zu Hand gereicht. 22 

Argula von Grumbach

Abb. 1 Argula von Grumbach diskutiert mit den Gelehrten der Ingolstädter Universität

Wer nicht lesen konnte, dem wurde der Inhalt der Flugschriften im Wirtshaus, auf dem Markt oder auch von der Kanzel vorge­ lesen. Der Höhepunkt der Veröffentlichung von Flugschriften ist in den Jahren 1521 bis 1525 zu verzeichnen. Waren es in diesen Jahren vornehmlich Laien, die sich in den theologischen Auseinandersetzungen zu Wort meldeten, sollte sich dies nach den Kämpfen des Bauernkrieges im Jahre 1525 ändern. Die Flugschriften aus Kämpferische Streiterin für die Reformation

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Laienfeder gehen deutlich zurück, die Diskussion liegt nun wieder vornehmlich bei den Theologen und ihren Veröffentlichungen. So nimmt es nicht Wunder, dass die Flugschriften Argula von Grumbachs just in die Anfangszeit der Reformation fallen. Allein aus ihrer Feder wurden innerhalb der beiden Jahre 1523/24 noch sieben weitere Schriften veröffentlicht, die insgesamt eine Auflage von 30.000 Exemplaren erreichten. Dabei war ihre erste Flugschrift die erfolgreichste und konnte sich mit den Auflagen Luthers und denen der »Zwölf Artikel gemeiner Bauernschaft« messen. Bis 1524 wurde ihr Sendbrief an die Universität Ingolstadt insgesamt 15 Mal nachgedruckt. Ein deutlicher Hinweis darauf wie spektakulär und ungewöhnlich dieser Schritt einer Frau in den Augen ihrer Zeitgenossen war. Dabei hatte sie die Flugschrift gar nicht selber herausgegeben, sondern ein anonym bleibender Herausgeber war dafür verantwortlich. In seinem Vorwort stellt er Argulas Schrift in einen endzeitlichen Zusammenhang, denn »in diesen letzten Tagen« werde die Bibel nicht durch die Geistlichen ausgelegt, »sondern auch durch ander viel, Junge und Alte, Manns- und Weibsbilder.« In der Person Argula von Grumbachs werde die Prophezeiung aus dem Joel-Buch wahr, dass Gott seinen Geist über seine Söhne und Töchter ausgieße. Er vergleicht sie mit biblischen Frauengestalten wie Judith. Diese hatte, gemäß dem apokryphen Buch Judith, die Ältesten ihres Volkes belehrt und ihnen Gottes Willen ausgelegt. Um ihr Volk vor dem Übergriff der Feinde zu bewahren, schreckte sie auch nicht davor zurück, den feindlichen Fürsten Holofernes mit seinem eigenen Schwert im Schlaf zu enthaupten. Eine wahrhaft kämpferische Frau also! Was sich wie eine Erfolgsgeschichte anhört, war für die mutige Schriftstellerin selbst aber eine bittere Zerreißprobe mit ihrer Familie. Denn Argulas Ehemann teilte ihre Ansichten in keinster Weise. Bei ihrem öffentlichen Auftreten war sie bereits seit acht Jahren mit ihm verheiratet. Mit seiner gut bezahlten Stelle als Pfleger stand er in Sold und Brot der bayrischen Herzöge, die alle reformatorischen Neuerungen per Dekret strikt verboten. Nun setzte sich seine Frau nicht nur über das Verbot hinweg, Luthers Schriften zu diskutieren, sondern stellte sich mit ihrem Sendbrief und seiner massenhaften Verbreitung noch öffentlich auf die Seite der neuen Glaubenslehre. 24 

Argula von Grumbach

Und Argula schrieb am selben Spätsommertag 1523 noch einen zwei­ten Brief. Adressat diesmal: Landesherr Wilhelm IV. von Bayern. Sie legte diesem Brief eine Kopie ihres Schreibens an die Ingolstädter Universität bei und schrieb dem Herzog, den sie aus ihren Kindertagen am Münchener Hof persönlich kannte, um ihn von den Vorfällen in Ingolstadt zu unterrichten. Dieser Brief wurde von den Anhängern der Reformation als ein Reformationsmanifest großen Stils gelesen, denn u. a. befasst sich seine Autorin darin mit dem Gehorsam eines Christenmenschen gegenüber der Obrigkeit. Nach Meinung Argulas sollen Christen jeder Obrigkeit, auch der bösen, gehorchen, da sie von Gott eingesetzt sei. Die Obrigkeit ihrerseits müsse aber auf die Grenzen achten, die ihr von der Heiligen Schrift her gesetzt sind. Daher sei sie nicht befugt, das Wort Gottes zu verbieten. Befände sich ein Christ daher in der Situation, entweder Gott oder der Obrigkeit Folge zu leisten, solle er eher Leib und Leben riskieren, als das Wort Gottes zu verleugnen. Und so zierte folgerichtig den in Druck gelangten Brief denn auch ein Wort aus der Apostelgeschichte: »Richtet ihr selber, ob es vor Gott recht ist, dass wir euch mehr gehorchen als Gott«. (Apostelgeschichte 4,19) In ihrem Brief forderte sie von dem Herzog darüber hinaus einen selbstverantworteten Glauben, denn »es ist nicht genug, so wir sagen: Ich glaube, was meine Eltern geglaubt haben.« Da sie aufmerksam beobachtete, was um sie herum geschah, nahm sie in ihrem Brief an Wilhelm von Bayern auch Stellung zum Zölibat (»jede Frau soll einen Mann haben und jeder Mann eine Frau«), sie trennte scharf die Aufgaben des geistlichen und des weltlichen Regiments voneinander und machte deutlich, wie wichtig gut aus­ gebildete Prediger sind. Dies war ein offener Widerspruch gegen die bestehenden bayrischen Dekrete. Auch Herzog Wilhelm von Bayern befand die Autorin keiner Antwort für würdig. Dafür entließ er aber um­ gehend ihren Mann aus dem Dienst, wohl unter Anraten und tätiger Beeinflussung durch die Universität Ingolstadt und deren Professor für Theologie, Johann Eck. Der Grund für die Entlassung Friedrich von Grumbachs: Er habe seine Frau nicht gehindert, solche Briefe zu schreiben. So verlor von Grumbach durch das eigenständige und mutige Handeln seiner Frau seine gut dotierte Kämpferische Streiterin für die Reformation

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Stellung und die Familie geriet durch die drakonische Strafe in finanzielle Schwierigkeiten. Da Friedrich bis zu seinem Tod 1529 ein überzeugter Katholik blieb, war das eheliche Verhältnis von nun an wohl zerrüttet. Argula schrieb über ihren Mann: »Er tut leider viel zu viel dazu, dass er Christus in mir verfolgt.« Doch trotz dieser ehelichen Spannungen schrieb sie nur einen Monat später erneut einen Sendbrief, diesmal an den Rat der Stadt Ingolstadt. Sie spielt darin auf die vielen Anhängerinnen der Reformation in der Stadt an und schreibt, dass sie auch ihren eigenen Tod nicht fürchtet: »Ja, wenn ich allein sterbe, so werden doch hundert Frauen wider sie schreiben. Denn ihrer sind viele, die belesener und geschickter sind als ich.« Auch in diesem Brief beruft sie sich auf die Heilige Schrift. Dem Epheserbrief gemäß heißt es bei ihr: »Wer ein Christ sein will, muss, so viel er kann, denen, die Gottes Wort verdammen wollen, widersprechen, aber nicht mit Fechten, sondern mit dem Wort Gottes«. (Epheser 4,3–6) Im Spätherbst 1523 versammelten sich die Reichsstände in Nürn­ berg zu einem Reichstag. Ende November reiste auch Argula dorthin, wohl um direkten Einfluss auf die Fürsten zugunsten der reformatorischen Bewegung zu nehmen. Sie wurde vom Pfalzgrafen Johann von Simmern und Sponheim empfangen, in dem sie einen Streiter für die Reformation meinte gefunden zu haben. Deshalb schrieb sie ihm umgehend mit ungebrochenem Bekennerinnenmut: »Das Wort Gottes ist am Tag, darum fürchten wir uns vor keiner Gewalt, sondern treten fröhlich und ohne Zittern für unsere Sache ein.« Auch in diesem Brief beruft sie sich auf die Worte aus dem Matthäusevangelium, sich frei zu Gott zu bekennen. Sie rät dem Pfalzgrafen: »Gebrauch dieses Bibelwort auf diesem Reichstag frei und unerschrocken, denn Gott ist mit uns.« Am selben Tag, dem 1. Dezember 1523, wandte sie sich mit einem weiteren Brief an einen zweiten Landesherrn, den Kurfürsten Friedrich von Sachsen, der in seinem Territorium schützend die Hand über Martin Luther und seine Anhänger hielt. Der in diesem Brief angeschlagene Ton ist kämpferisch und stellt gewissermaßen einen aus Bibelstellen bestehenden Ruf zum Streit dar: »Lasst sie Euer Kurfürstliche Gnaden toben und wüten. Es ist doch ohne Kraft. Der Fels wird sie zerknirschen und zu Grund stürzen.« Zu ihren politischen Hoffnungen schreibt sie, »möge das Wort Gottes 26 

Argula von Grumbach

Abb. 2 Schaumünze mit einem Portrait Argula von Grumbachs

den Armen wieder gepredigt und nicht alles elendiglich mit Gewalt durch heidnische Fürsten verboten werden.« Aber Argulas Hoffnungen auf die Fürsten und ihr politisches Eintreten für die reformatorische Bewegung wurden enttäuscht. Desillusioniert schrieb sie als scharfe Beobachterin des Treibens beim Nürnberger Reichstag: »Wenn man aber so viel Fleiß auf Gottes Wort legen würde wie auf Essen, Trinken, Bankett halten, Spielen, Plaudern und Anderem würde es bald besser … Ich habe es selber zu Nürnberg gesehen, ein solch kindisches Wesen der Fürsten, das mir zeit meines Lebens vor Augen sein wird.« Auch von Seiten ihrer Verwandtschaft geriet sie zunehmend unter Druck, denn ihr Verhalten, dem schon die berufliche Kar­ riere ihres Mannes zum Opfer gefallen war, löste auch in der übrigen Familie Ängste aus. Und so rechtfertigte sie ihr Handeln in einem Schreiben an ihren Vetter Adam von Törring, der vorgeschlagen hatte sie »zu vermauern«, also wegzusperren. Auch ihm sandte sie zur eigenen Urteilsfindung eine Kopie ihres Sendbriefes an die Universität Ingolstadt. Sie legitimiert ihr Verhalten in diesem Brief durch die Taufe, durch die jeder Christ zu einem selbstverantworteten Glauben verpflichtet sei. Ganz reformatorisch argumentiert sie: Für jeden einzelnen Christen sei es nötig, die Bibel selber zu lesen; nur so sei Gottes Wille zu erfahren, um vor dem Endgericht zu bestehen. Kämpferische Streiterin für die Reformation

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1524 verfasste Argula noch zwei weitere Schriften: Einen Sendbrief an den Rat der Stadt Regensburg und eine in Reimen verfasste Antwort auf das anonyme Schmähgedicht eines I­ ngolstädter Studenten. Dieser hatte sie öffentlich in derben Knittelversen als Frau verhöhnt, hatte aber anscheinend nicht den Mut, sich mit Namen kenntlich zu machen. Dieses Spottgedicht wurde gedruckt und als Flugblatt veröffentlicht. Einige der Strophen machen deutlich, was eine Frau zu erwarten hatte, die sich entgegen der gesellschaftlichen Konventionen öffentlich zu religiösen und poli­tischen Fragen zu Wort meldete. Frau Argel arg ist euer Nam, viel Ärger, dass ihr ohne Scham, und alle weiblich Zucht vergessen, so frevel seid und so vermessen. Dass ihr euer Fürsten und Herren, erst wollt ein neuen Glauben lernen und euch daneben untersteht eine ganze Universität zu strafen und zu verschumpfieren Dass ihr nicht sollt disputieren, sondern das Haus daheim regieren. Und in der Kirchen schweigen still, sehet nur meine liebe Sybill Wie ein frech und wild Tier ihr seid, und ihr dünkt euch so gescheit … Ich merk erst was dich wohl behagt An Luthers Lehr und seinen Worten Dass er auch Weibern öffnet die Pforten Der Unzucht und der Büberei … Daher kommt auch dein groß Mitleiden Und gefällt dir vielleicht an der Schneiden Arsacius im krausen Haar Ein Jüngling von achtzehn Jahr … So stell ab dein Mut und gut Dünkel und spinn dafür an einer Kunckel oder strick Hauben und wirk Borten Ein Weib soll nicht mit Gottes Worten Stolzieren und die Männer lehren …

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Argula von Grumbach

Argula antwortete sofort auf diesen Frontalangriff ihrer Inte­grität als Frau. Hatte der anonyme Verfasser ihr doch ebenfalls unterstellt, ihr gefalle an Arsacius Seehofer wohl mehr sein schönes dunkles Haar als dessen Glaube. Ihre Antwort verfasste sie ebenfalls in Strophenform und gab damit ein weiteres Zeugnis ihrer schriftstellerischen Begabung. Sie fordert den anonymen Schreiberling auf, sich zu erkennen zu geben, damit sie öffentlich mit ihm diskutieren könne. Ganz bibelfest erläutert sie ihm weiter, dass sowohl Männern wie Frauen der Geist Gottes verheißen sei. Da ihre Gegner das Wort Gottes verdrehten und Gott sogar lästerten, habe sie begonnen, öffentlich aktiv zu werden. Auf einen Tag, der euch gefällt Hab ich geirrt, dasselb erzählt. So ihr mir Gottes Wort herbringt Folg ich, wie ein gehorsam Kind. Zeigt mir mein Irrsal redlich an Wie sich gebührt einem Christenmann … Gar oft hat einer sich vermessen Er wollt mich auf der Kanzel fressen So ich ihm unter Augen kam Gar wenig Schrift von ihm vernahm Sag ich, teilt mir euer Weisheit mit So kommen’s mit der Gunkel her Das ist gar fast ihr aller Lehr … Will ich es gar nicht unterlassen, zu reden im Haus und auf der Straßen. So viel mir Gott Gnad drin gibt Will ich’s teilen meinem Nächsten mit Paulus mir’s nicht verboten hat.

Selbstbewusst stellt sie sich in eine Reihe mit den alttestament­ lichen Frauen Judith und Deborah, die ebenfalls durch Gott Gesandte gewesen seien. Sie weiß, wie sie schreibt, sich zwar ihrem Mann zum Gehorsam verpflichtet, aber dieser Gehorsam höre in Bezug auf den wahren Glauben auf. Dieses Antwortschreiben auf das Schmähgedicht ist die einzige Veröffentlichung, die Argula selber in Auftrag gab. Stolz konnte Argula von Grumbach jedoch sein, dass Martin Luther ihren Einsatz für den jungen Gelehrten Arsacius See­hofer Kämpferische Streiterin für die Reformation

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nicht nur guthieß, sondern seinem Freund, dem ­Königsberger Prediger Johannes Briesmann, im Februar 1524 Folgendes über sie schrieb: »Der Herzog von Bayern wütet über die Maßen, mit aller Macht das Evangelium zu unterdrücken und zu verfolgen. Die edle Frau Argula von Stauff kämpft in jenem Land schon einen großen Kampf mit hohem Geist und erfüllt von dem Wort und der Erkenntnis Christi. Sie ist es wert, dass wir alle für sie bitten, dass Christus in ihr triumphiere. Sie ist ein besonderes Werkzeug Christi, ich befehle sie Dir, damit Christus durch dieses schwache Gefäß jene Mächtigen, die sich ihrer eigenen Weisheit rühmen, in Verwirrung bringe.« In ihrem ebenfalls 1524 verfassten Sendbrief an den Rat der Stadt Regensburg ermahnte Argula den Bürgermeister und die Rats­ herren, an dem neuen Glauben festzuhalten. »Liebe Brüder«, heißt es, »seid eingedenk, dass Euch Gott zu Hütern und Auf­sehern gesetzt hat, nehmet wahr der Seelen in Eurem Gebiet, nicht mit Gold und Silber erkauft, sondern mit einem teuren Wert des rosenfarbenen Blutes des Herrn Christus. Es ist Zeit aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist näher, denn da wir gläubig wurden. Lasst uns ritterlich wider die Feinde Gottes kämpfen, er wird sie erschlagen mit dem Hauch seines Mundes. Das Wort Gottes muss unser Waffen sein – nicht mit Waffen dreinzuschlagen, sondern den Nächsten zu lieben und den Fried untereinander zu haben … Es ist Zeit, dass die Steine bei uns schreien.« Nach diesem letzten Schreiben endet die publizistische Tätig­ keit Argula von Grumbachs. Nur ein gutes Jahr lang hatte sie versucht, durch ihre selbstbewussten und mutigen Schriften für die reformatorische Sache zu streiten. Die Erklärung für ihr Verstummen ist wohl zum einen in der allgemein ungünstigen Situation für Protestanten in Bayern zu finden, blieben die Herzöge doch auch weiterhin der neuen Lehre gegenüber feindlich gesinnt. Zum anderen hatte Argula sich als Frau an den Auseinander­setzungen um den Glauben beteiligt. Wie an den Reaktionen deutlich wurde, fand man sie entweder gar keiner Antwort für würdig oder verspottete sie öffentlich. Ihren Ehemann konnte sie nicht für die evangelische Sache gewinnen, in der eigenen Verwandtschaft wurde sie offen angefeindet. Darüber hinaus befand sich die Familie in finanziellen Schwierigkeiten, da ihr Mann für ihr mutiges Handeln drakonisch bestraft worden war. 30 

Argula von Grumbach

Die folgenden Jahre wird sie daher damit beschäftigt gewesen sein, das noch verbliebene Hab und Gut zusammenzuhalten und ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Als 1527 in Bayern die ersten Scheiterhaufen brannten, zog sie in das protestantische Nürnberg. Ihren ältesten Sohn Georg schickte sie zwei Jahre später nach Wittenberg zu Philipp Melanchthon, in dessen Haus er während seiner Studienzeit lebte. Als Martin Luther 1530 während des Augsburger Reichstages auf der Feste Coburg Unterkunft fand, kam es nach vielen Jahren reger brieflicher Kontakte zu einer persönlichen Begegnung mit Argula von ­Grumbach. Aber auch wenn Luther sie eine »Jüngerin Christi« nannte, so hat doch auch er nie öffentlich zu ihren Gunsten in den Streitigkeiten mit der Ingolstädter Universität Stellung genommen. Obwohl er ihre Schriften kannte und selber eine Stellungnahme zu den Vorkommnissen abgab, schwieg er in dieser Auseinandersetzung. Frauen als ebenbürtige Gesprächspartnerinnen, womöglich gar als Predigerinnen des Wortes Gottes, das lag außerhalb der Vorstellungswelt des Reformators. Und so liegt viel bittere Wahrheit in dem Deckblatt der ersten gedruckten Flugschrift, die Argula von Grumbach verfasste. Eben jenem Schreiben an die Universität von Ingolstadt, mit dem sie sich so mutig in die öffentliche Debatte einschaltete: Eine einzelne Frau steht mit der Bibel in der Hand männlichen Gelehrten allein gegenüber. Nach dem Tod ihres ersten Mannes Friedrich von Grumbach heiratete Argula 1533 einen Protestanten, Graf Schlick von P ­ assau, wurde aber bereits kurz darauf erneut Witwe. Zumindest mit einem ihrer Söhne hatte sie zeitweilig Probleme. In einem Brief aus dem Jahr 1538, geschrieben kurz nach Ostern, heißt es: Gnad und Fried mit Dir, lieber Sohn. Ich habe aus deinem Schreiben und vormals von den Leuten die Handlung, so zu Burggrumbach geschehen, mit großem Erschrecken vernommen und mich sehr darum bekümmert und noch klag ich’s Gott, dass ich so ungehorsame Kinder getragen und an meiner Brust ernähret und mit großer Sorg, Kosten und Angst aufgezogen habe. Gott wollt, dass du dich bekehrst und hinfortan besserst. Amen. Dieweil du aber mir jetzt schreibst, dir zu verzeihen und dich erbietest, wolltest dich gehorsam halten, will ich dich noch diesmal, so du dich anders nach meinem Befehl und Zucht hältst, annehmen und zu­ sehen, damit die Sach vertragen (= beigelegt) werde. Darum so mach dich von Stund an her heim. Doch wollest du nicht kommen, du nehKämpferische Streiterin für die Reformation

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mest denn zuvor zu Nürnberg das Sakrament und gehst zuvor zu Doktor ­Osiander, klag ihm dein Anliegen und Sach wahrhaftig. Der weiß dir in deiner Konscienz (= Gewissen) wohl einen Rat zu geben, er weiß voraus um die Sach und hüt dich bei Leib, dass du keinem Menschen nichts sagest, vertrau niemand und behalts aufs geheimste. So du dann das Sakrament empfangen hast, so heiß dir Osiander einen Zettel geben, sonst glaube ich dir nicht. Rechen auch alle Sach, was du verzehrt hast und was man vormals bei ihm aufgeschlagen mit dem Wirt ab und dass der Wirt alles unterschiedlich aufschreib, das bring mit dir her. Sag dem Gottfried, dass er fleißig studier und beim Lernen bleib und nicht in der Stadt oder in Wirtshäusern hin- und herlauf, dass er auch fleißig die Predigt merk und wahrhaftig züchtig, getreu und fromm bleib. Damit sei Gott in seiner Gnade befohlen.

Ein Jahr darauf verstarb ihre Tochter Apollonia, wenige Monate später auch ihr Sohn Georg. 1544 verlor sie ihren zweiten Sohn Hans Georg, bevor sie selber zehn Jahre später im Schloss Zeilitzheim bei Schweinfurt starb. Nur Gottfried überlebte seine Mutter. So ist wohl auch die Inschrift einer Münze zu verstehen, auf deren Vorderseite ein Portrait Argula von Grumbachs zu finden ist: »Verlogen und neidisch Zungen haben mich zu Leid und Schmerz gedrungen.« Ein bitteres Resümee für eine mutige Streiterin, die als erste Frau öffentlich durch eigene Publikationen für die Re­ formation Partei ergriff und sich nach einem Jahr reger schrift­ stellerischer Tätigkeit nicht wieder zu Wort gemeldet hatte. Die bayrische Landeskirche hat jedoch vor einiger Zeit eine Stiftung nach ihr benannt. Ziel der Argula von Grumbach-Stiftung ist es, die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Landeskirche zu fördern sowie die Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen im gesellschaftlichen und kirchlichen Kontext zu unterstützen. So schreibt die Stiftung den Argula von Grumbach-Preis aus, der in jeweils ausgewählten Bereichen die Leistungen ins­ besondere von Frauen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern sichtbar machen und dokumentieren soll. Nach allem, was wir von dieser mutigen Kämpferin nicht nur für die Reformation, sondern auch für die Stimme der Frauen wissen, ist dies sicherlich ganz in ihrem Sinne.

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Argula von Grumbach

Geboren

1492 auf der Burg Ehrenfels in Franken als Argula von Stauff

Gestorben

1554 im Schloss Zeilitzheim bei Schweinfurt

Leben

Mit Flugschriften setzte sie sich als erste Frau für die Reformation ein und veröffentlichte in den Jahren 1523/24 zahlreiche Schriften. Mit ihren Publikationen erreichte sie hohe Auflagen.

Werke

Insgesamt sieben Flugschriften, u. a. »Wye ein Christliche fraw des adels / in Beyern durch iren / in Gotlicher schrifft / wolgegrundtenn Sendtbrieffe / die hohenschul zu Ingolstadt / um das sie eynen Euangelischen Jungling / zu widersprechung des wort Gottes / betrangt haben / straffet« von 1523

Ursula Weyda Eine Frau wirft den Fehdehandschuh

Ich weiß wohl, das spöttisch / und für gering Wert angesehen / das sich ein Weibsbilde untersteh, solch große Hansen zu strafen / die antworten werden / wie etwa die stolzen Pharisäer zum Blinden sagten Johannes 9: Wiltu uns lehren? Wiltu Du eine fremde Sach verantworten, welche dich nit belangt? Aber was gehet mich ihre Widerrede an / mir wär von Herzen leid / wenn der fromm christ­ lich Luther sein Zeit nicht nützlicher sollt zubringen / denn solchen Eseln zu antworten / Darzu so weiß ich das Christus gleich als wohl zu mir / als zu allen Bischöfen gesagt hat / Matthäus 10: Wer mich bekennt vor den Menschen / den will ich auch bekennen vor meinem Vater / der in Himmel ist / der aber mein Wort verleugnet vor den Menschen / den will ich auch vor meim Vater verleugnen. Ursula Weyda in ihrer Flugschrift von 1524

Wir schreiben das Jahr 1524: Sieben Jahre ist es her, dass 1517

in Wittenberg der Augustinermönch Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel der römisch-katholischen Kirche ver­ öffentlicht hat. Viele umstürzende Prozesse sind dadurch in Gang gesetzt worden. Luther steht unter dem Bann des Papstes und der Reichsacht, seine Schriften sind offiziell verboten, manches von ihm öffentlich verbrannt worden. Im Gegenzug verbrennt Luther ebenfalls öffentlich die Bulle des Papstes und das kanonische Recht. Den Aufenthalt auf der Wartburg, auf die ihn Kurfürst Friedrich von Sachsen zu seinem eigenen Schutz hat bringen lassen, da Luther durch die Reichsacht vogelfrei ist, hat dieser genutzt, um das Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen. 1522 ist Luther eilig nach Wittenberg zurückgekehrt, denn er befürchtet, dass die Neuerungen zu radikal und kompromisslos eingeführt werden und alles ihm entgleitet. Die Auseinandersetzungen mit den Eine Frau wirft den Fehdehandschuh

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katholischen Gegnern haben an Schärfe noch einmal zugenommen und auch mit den sogenannten »Schwärmern« gibt es theologischen Streit. Luther sind die Veränderungen zu radikal, die vornehmlich Thomas ­Müntzer, aber auch Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, predigen. Beide Männer sind frühere Mitstreiter Luthers, liegen aber nun mit ihm im Streit. Thomas Müntzer wird 1525 aktiv in den Bauernkrieg eingreifen und auf Seiten der Aufständischen, die u. a. die Aufhebung der Leibeigenschaft fordern, in der Schlacht von Frankenhausen kämpfen und später hingerichtet werden. Wir befinden uns also in einer Phase der Reformation, die durch zahlreiche Auseinandersetzungen, Konfrontationen und gegenseitige Anwürfe gekennzeichnet ist. In diese Atmosphäre des öffentlichen Streits greift auch eine Frau couragiert mit einer von ihr veröffentlichten Druckschrift ein. Ursula Weyda muss so um die 20 Jahre alt sein, als sie 1524 mit einer Streitschrift Stellung nimmt gegen den Abt von Pegau und seine Mönche. »Wider das unchristlich Schreiben und Lesterbuch / des Abts Simon zu Pegau und seiner Brüder« titelt sie ihre Flugschrift, mit der sie sich im Streit der Männer zu Wort meldet. Um sich gleich darauf als Absenderin kenntlich zu machen und gewissermaßen mit offenem Visier in den Streit einzutreten: »Durch Ursula Weydin Schösserin zu Eyssenbergk / Ein gegründe christlich Schrift göttlich Wort und ehelich Leben belangende.« Ursulas Schrift ist selbstbewusst von Anfang an für die Öffentlichkeit und damit für den Druck bestimmt. Sie bezeichnet sich als »Schösserin zu Eyssenbergk« was nichts anderes bedeutet, als dass sie die Frau eines Verwaltungsbeamten ist. Johannes Weyda, ihr Mann, steht nämlich im Dienst des Herzogs Johann von Sachsen-Altenburg. Zur Zeit der Abfassung der Flugschrift seiner Frau Ursula ist er offensichtlich herzoglicher Schösser des Amtes Eisen­ berg in Thüringen, einer kleinen Stadt, gelegen zwischen Jena und Zeitz. Ursula Weyda löst mit ihrem Schreiben weitere Streitschriften aus, denn ihre Flugschrift ist das zweite Glied in einer Kette von insgesamt vier Veröffentlichungen. Die Teilnehmer an der theo­ logischen Fehde in Sachsen-Altenburg sind zum einen der Abt des Klosters Pegau, der mit seinem »Buchlein« am Beginn der Auseinandersetzungen steht. Zu Anfang des Jahres 1524 veröffentlicht, wirft er darin Luther »und seins anhangs« vor, dass sie zum 36 

Ursula Weyda

Verderben von Land und Leuten predigen und handeln, denn sie seien verantwortlich für Aufstände, den Verfall der Kirchen und Klöster, das Elend der Bildschnitzer, den Niedergang der Universitäten, den wirtschaftlichen Verfall vieler Städte sowie die allgemeine Missachtung von Recht, Ordnung und Gesetz. Daraufhin veröffentlicht Ursula Weyda nur wenige Monate später im Sommer desselben Jahres ihre Gegenschrift, in der sie zum Wesen des göttlichen Wortes, der Kirche sowie zum Zölibat und der Ehe Stellung nimmt. Ein anonymer Verfasser, der sich Henricus nennt, sieht sich daraufhin herausgefordert zu einer Antwort auf das »unchristlich Lesterbuch« Ursulas. In dieser Flugschrift verunglimpft er nicht nur sie als Frau, sondern mit ihr auch gleich die neuen evangelischen »Weybern« allgemein, im besonderen Argula von Grumbach, deren öffentlich ausgetragener Streit mit der Universität Ingolstadt bis nach Thüringen gedrungen war. Diese anonyme Schrift provoziert wiederum eine vierte Flugschrift, ebenfalls von einem Autor, der sich nicht mit Namen kenntlich macht. Er nimmt darin die couragierte Autorin Ursula Weyda und ihren Mann Johannes in Schutz und unterstellt dem Abt von Pegau, seine Schrift nicht selbst verfasst zu haben, da von ihm die Rede ginge, er könne nicht einmal einen Brief schreiben. Ursula Weydas Streitschrift hat im thüringisch-obersächsischen Raum also den öffentlichen Disput mitgeprägt und Wirkung gezeigt. Was genau ist nun in dieser Streitschrift zu lesen? Denn immerhin wirft hier eine Frau bewusst den Fehdehandschuh, indem sie mit persönlichen Schmähungen ihres Gegners, des Abtes Simon von Pegau, nicht zimperlich ist. In einer Vorrede wendet sich die Autorin ganz bewusst an »den christlichen Leser« und nimmt direkt Bezug auf das Schreiben des Klosterabtes, ein »Lesterbuch«, wie sie schreibt. Denn, so Ursula, der Abt verleugne darin nicht nur Gottes Wort, sondern verleumde auch alle, die Christus wahrhaft folgen wollten. Er bezeichne alle, die die lutherische Lehre annehmen würden als vom Glauben Abgefallene, Abtrünnige, Meineidige und Verlaufene. Wüsste sie nicht, dass dieses Schreiben aus der Feder des Abtes komme, so »gedacht ich ein halb­sinniger Mensch /  guter Bierbruder / oder sonst ein unverschämter Eselskopf / als er denn auch ist / het es erdicht.« Abt Simon ist für Ursula intellektuell eigentlich nicht satisfaktionsfähig, denn sie sieht in ihm einen Eselskopf, der nicht ernst zu nehmen ist. Aber da sie LuEine Frau wirft den Fehdehandschuh

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ther und mit ihm alle Christen angegriffen sieht, stellt sie sich dem Kampf, in dem sie nicht nach eigenem Gutdünken, sondern allein auf Grundlage der Heiligen Schrift argumentieren will. Nicht mehr der päpstlichen Kirche und »alter Gewohnheit« sei zu folgen, allein dem Schriftprinzip und dem »reinem göttlichen Wort« gilt in guter reformatorischer Argumentation ihre Aufmerksamkeit. Ursula Weyda muss bereits vor dem Sommer 1524 die theologischen Auseinandersetzungen zwischen Luther und seinen Gegnern engagiert und kenntnisreich verfolgt haben. Denn sie nimmt in ihrem Schreiben ausdrücklich Bezug auf Johannes Eck und ­Hieronymus Emser. Mit Eck, einem der bedeutendsten Gegner Luthers, hatte sich ein Jahr zuvor bereits Argula von Grumbach in ihrem Sendschreiben an die Universität Ingolstadt, dessen Rektor Eck war, auseinandergesetzt. Hieronymus Emser stand zunächst – wie Eck – Luther durchaus nahe, aber schon zu Beginn der 1520er Jahre kühlte sich das Verhältnis ab und beide befehdeten einander mit Streitschriften. Von der lutherischen Seite wurde Emser, der auf seine Herkunft recht stolz war und seine Schriften mit dem Familienwappen eines gehörnten Ziegenbocks zierte, nur noch als »Bock Emser« verunglimpft. Hierauf bezieht sich in Ursulas Streitschrift ihr Seitenhieb auf Emser: »Sihestu nit das der Bock sein Hörner verstossen hat und nichts mehr denn blecken kann / das macht das ihm Salz in Mund geben wird / sonst wär er längst auch stumm worden.« Dieses Bild vom Bock nimmt wiederum der ­anonyme Verfasser Henricus, der gegen Ursulas Streitschrift pole­ misiert, auf, um auf sexuell anzügliche Weise die evangelischen Frauen zu diffamieren. Er schreibt: Ich halt die neuen evangelischen Weibern wollten auch gern Salz ­lecken … / derhalben müssen sie auch Buchlein schreiben und darin loben / verlaufen Mönche / abtrünnige Pfaffen / … die ihre Hörner noch nit verstossen hetten / die wären gute / das sie ihren Verfechterinnen Salz zu lecken geben / wo bleibt nun dein Gespan Argula von Grumbach / die wollt ganz die Universität vertilgen / um eins Jünglings willen / Gott weiß wohl warum … Eine schreibt wider das Collegium / die andere wider den Abt und seine Brüder zu Pegau / wer weiß was diesen zwei Schwestern mangelt.

Um sich als weibliche Autorin von vornherein zu rechtfertigen, stellt Ursula Weyda ihrer Flugschrift ein biblisches Zitat voran. 38 

Ursula Weyda

Abb. 3 Titelblatt der Flugschrift Ursula Weydas mit einer Weissagung aus dem Alten Testament

»Es soll geschehen in den letzten Tagen spricht Gott / Ich will aus­ giessen von meinem Geist auf alles Fleisch / und eure Jünglinge sollen Gesichter sehen / und eure Töchter sollen weissagen / und auf meine Knechte / und auf meine Mägde will ich in den selbigen Tagen von meinem Geist ausgiessen und sie sollen weissagen.« (Joel 3,1–2) Als Frau wie auch als Laientheologin fühlt sie sich beEine Frau wirft den Fehdehandschuh

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rufen und legitimiert, die Heilige Schrift auszulegen und mit ihr zu argumentieren. Und so finden sich in ihrem Schreiben nicht weniger als 79 Bibelzitate aus dem Alten und dem Neuen Testament, mit denen sie kompetent und kenntnisreich ihre Meinung begründet. Wo und wann sie ihre Bildung und ihr theologisches Wissen erworben hat, ist ungewiss. Über ihre Herkunft ist lediglich bekannt, dass sie eine geborene von Zschöpperitz ist und in Altenburg um das Jahr 1504 zur Welt kam, einer Stadt zwischen Leipzig und Zwickau. Ihrem Vater Heinrich von Zschöpperitz gehörten mehrere Güter und für seine Verdienste beim Herzog wurde er von diesem mit einem besonderen Status seines Besitzes in Altenburg belohnt. Über ihre Mutter Apollonia ist überliefert, dass sie nach dem Tod ihres Mannes Heinrich in die Dienste des Alten­burger Hofes getreten war. Kurfürst Johann belehnte sie mit Gartenland, so dass ihr Lebensunterhalt gesichert war. In der Stadt war sie darüber hinaus für ihre Wohltätigkeit bekannt. Auf welchem Weg Ursula Weyda Kontakt zur reformatorischen Lehre erhielt, ist ebenfalls nicht bekannt. Ihr Elternhaus in Altenburg lag nur unweit der St. Bartholomäus-Kirche, die das reformatorische Zentrum der Stadt war. Hier war seit 1522 ein Freund Luthers, Wenzeslaus Linck, als Pfarrer tätig und wurde hier von Luther selbst im Jahr 1523 getraut. Auch war Ursulas Mann Jo­ hannes der Reformation sehr zugetan und setzte sich aktiv für sie ein. So heißt es in dem besagten Brief des anonymen Schreibers Henricus, der auf Ursulas Flugschrift hin sich zu Wort meldet: »Unter ihnen ist einer … / nämlich der Schosser von Eyssenbergk /  welcher seine Pfaffen alle Weiber gibt / oder ihnen die Pfarr nehmet / ein solchen Regenten / soll man über Sauen setzen / und nit über Christenmenschen.« Ausführlich geht Ursula in ihrer Gegenschrift zum Buch des Abtes von Pegau auf das Wesen des göttlichen Wortes und der Kirche sowie das Zölibat ein. So schreibt sie über die Beziehung von Gottes Wort und Kirche: »Denn allein auf das göttliche Wort /  durch den Glauben wird gebaut die Kirche Gottes / und darinnen vom Heiligen Geist erhalten« und weiter »Die Kirche aber welche gewisslich den Heiligen Geist hat / ist ein geistlicher Leib … welche nicht gesehen werden mag sondern geglaubt wie unser Glaube sagt: Ich glaube ein heilige christliche Kirche Gemeinde der Heiligen.« 40 

Ursula Weyda

Der katholischen Kirche wirft sie dagegen vor, dass sie nicht auf Gottes Wort gebaut sei, »sondern ganz auf menschlich Gut­ dünken / Fürgeben / und Sand gesetzt«. In der Kirche solle allein Gottes Wort gepredigt werden »ohn allen Zusatz«, so wie allgemein zu gelten habe »allein die Schrift«, denn nur sie gebe Zeugnis von Jesus Christus. Über die Rechtfertigung allein aus dem Glauben schreibt sie: »Alle sein wir durch Christus gerechtfertiget /  denn er ist unser Gerechtigkeit / Heiligkeit / und Erlösung … Die Gerechtigkeit Gottes kommet durch den Glauben Jesu Christi«. Dem Abt hält sie vor, dass er sich mit guten Werken Gottes Gnade erkaufen wolle, was ein »verkehrt Weis« sei. Ihre Kritik an der katholischen Kirche entzündet sich aber nicht nur an theologischen Überlegungen. Ursula schildert vielmehr auch die Missstände, mit denen sich aus ihrer Sicht die Kirche gesellschaftlich diskreditiert hat. Sie hält den Mönchen vor, mit ihrem Besitz nicht redlich umzugehen und der Völlerei verfallen zu sein. Sehr ironisch kann sie im Disput mit Abt ­Simon sagen: »So närrisch ungelehrt Ding gibestu vor / das ich acht es wird ein Sprichwort werden / bei jedermann / über all die närrische Ding … und man wird pflegen zu sagen / Wenn es gleich der Abt zu Pegau getan het / so wäre es ja närrisch genug.« Und sie spart nicht mit Schmähungen gegen ihn, wenn sie ihm über sein Buch attestiert: »Darinnen du reichlich deinen Unverstand an Tag gibst / wie du in der Schrift ja als wenig weisst als ein grober unbehauener Klotz / hastu doch die Schrift durchwühlet als ein unflätige Sau.« Was in unseren Ohren wie eine grobe Beleidigung klingt, war zur Zeit der Glaubenskämpfe des 16. Jahrhunderts allerdings noch ein moderater Ton. Ursula wird an keiner Stelle vulgär in ihrer Ausdrucksweise und mit »Esel, Bock, Hund, Wolf, Maul« überschreitet sie nie die untere Grenze der für ihre Zeitgenossen üblichen drastisch-derben Ausdrucksweise in Streitschriften. Da wusste Luther andere Worte einzusetzen, wenn er von »Blut­säufern, Gewürm, blutdürstigen Bauern und Mordpropheten« sprach. Thomas Müntzer gebrauchte in seinen Schriften die Bilder von wahnsinnigen, wollüstigen Schweinen und Mastsäuen, um seine Gegner zu diffamieren. Der zweite große Komplex der polemischen Flugschrift aus Ursulas Feder ist dem Zölibat gewidmet und der neuen evange­lischen Lehre über den Stand der Ehe. 1522 hatte Martin Luther seine Eine Frau wirft den Fehdehandschuh

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Schrift »Vom ehelichen Leben« veröffentlicht und mit ihr die Ehe enorm aufgewertet. War bis dahin in der Kirche des Mittelalters dem Mönch bzw. der Nonne der höchste religiöse Status beschieden gewesen, da sie keusch zu leben gelobt hatten, pro­k lamierte Luther nun das Gegenteil. Aus den Worten der Schöpfungsgeschichte »Seid fruchtbar und mehret euch« (1. Mose 1,28) folgerte er: »Aus dem Spruch sind wir gewiss, das Mann und Weib sollen und müssen zusammen, dass sie sich mehren … Denn es ist nicht eine freie Willkür oder Rat, sondern ein nötig natürlich Ding, dass alles, was ein Mann ist, muss ein Weib haben, und was ein Weib ist, muss ein Mann haben.« So ist nach lutherischer Auf­ fassung die Ehe die erste, von Gott geschaffene gesellschaftliche Ordnung. Ursula Weyda argumentiert ganz auf der Linie Martin Luthers, wenn sie schreibt: »Wie kann ich Keuschheit geloben so es doch nicht in meinem Vermögen stehet zu halten / wie Christus der Mund der Wahrheit selbst sagt Matthäus XIX das niemand begreifen mag keusch zu leben denn welchen es von Gott über­natürlich geben wird.« Und sie fährt in ihrem Beweis aus der Bibel fort: »Denn / wie die Schrift sagt und die Erfahrung zu verstehen gibet / dass der Mensch von Gott geschaffen sei / nicht Keuschheit zu halten / sondern sich mehren und mannigfaltig werden.« Keuschheit ist ihrer Auffassung nach nicht von Menschen zu geloben, sondern wird allein von Gott geschenkt und gewirkt. Daher gelten auch die klösterlichen Keuschheitsgelübde nichts und sie ermuntert Mönche und Nonnen in Bezug auf ihr Gelöbnis zur sexuellen Enthaltsamkeit, »wenn ich erkenne nachmals mein Irrtum / mag ich frisch dreingreifen und solch Gelöbnis auf­lösen / und nicht schuldig werden.« Vielmehr sollen sich alle Christen an das halten, was sie durch die Taufe empfangen haben: Und halt dich wieder zu deinem ersten Gelöbnis / das du Gott in der Tauf gegeben hast / das ist Gott anzuhangen / seinen Worten zu folgen / werde dazu ehelich / wie dich Gottes Wort lehrt / und du zum ersten in der Tauf zu halten gelobet hast / Schilt man dich hierüber Buben / oder eine Bübin / meineidig / abtrünnig / So acht solch Geplärr gar nicht / so auch Leiden daraus folgen würden / So leide was zu leiden ist /  ist besser gelitten / und tot­geschlagen zeitlich / denn ewig zum Teufel fahren.

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Ursula Weyda

Diese polemische Streitschrift, verfasst dazu noch von einer Frau, die mit Schmähungen des Gegners nicht spart, musste Widerspruch hervorrufen. Und so ließ eine Gegenschrift nicht lange auf sich warten. Der schon erwähnte anonyme Schreiber, der sich nur Henricus nennt, verweist Ursula und die in seiner Vorrede ebenfalls angesprochen Leser darauf, dass Frauen in öffentlichen Angelegenheiten zu schweigen hätten und es daher der Weyda gar nicht zustehe, sich überhaupt zu äußern. Mit den einschlägigen Bibel­stellen aus 1. Timotheus 2,12 (»Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still«) und 1. Korinther 14,34 (»Wie in allen Gemeinden der Heiligen sollen die Frauen schweigen in der Gemeindeversammlung; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt«) bestreitet er ihr schlichtweg das Recht, sich öffentlich zu Wort zu melden. Die evangelischen Frauen werden allgemein diffamiert, ein Seitenhieb trifft Ursulas Mutter, ein zweiter ihren Mann. Hierauf wiederum erscheint eine Verteidigungsschrift für Ursula Weyda, in der ebenfalls ein Anonymus Ursula und ihr Vorgehen in Schutz nimmt und eigene Standpunkte über Kirche, Ehe und Zölibat darlegt. Der Verfasser dieses Schreibens nennt den anonymen Henricus, gegen den er argumentiert, spöttisch nur »Heinz ­Pfeiffer«. In einem letzten Abschnitt wendet sich auch diese Schrift an den Leser und resümiert: Aus dieser kurzen Schrift kannstu merken / den Grund des Büchlein so die Schösserin wider den Abt gestalt hat / und wie ohn Ursach ja fälschlich dieses christliche Weib von Heinz Pfeiffer ein Ketzerin gescholten wird / dass er doch nicht beweisen wird können und wahr machen /  wenn er gleich töricht würde. Auch wie Heinz Pfeiffer die Schrift einführt das Jammer ist / Gott gebe uns allein seine Gnade und sein Selbsterkenntnis. Amen.

Diese Flugschrift ist das letzte Glied in der Kette der insgesamt vier Schriften, die sich aufeinander beziehen, polemisch miteinander streiten und argumentieren um den rechten Weg zum Verständnis der Bibel, aber auch zum Wesen der Kirche und dem Stellenwert der Ehe. Die Flugschrift Ursula Weydas ist dabei das einzige Schriftstück, das von ihr überliefert ist. Aus ihrem weiteren Leben nach Eine Frau wirft den Fehdehandschuh

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1524 ist nicht vieles bekannt. 1541 stirbt ihr Mann Johannes und hinterlässt seine kinderlose Frau ohne große finanzielle Mittel. Franz Behm, der mit Johannes’ Schwester Appollonia verheiratet war, schreibt über den Tod seines Schwagers: »So ist Johann Weyda mein Schwager Mittwoch nach Judica in Gott verschieden sein Weib in großem Elende / Armut und Bekümmernis gelassen.« Er schreibt weiter von Ursulas kranker Mutter, deren Tod jeden Tag zu befürchten sei. Franz Behm, Amtsschreiber in Altenburg, wird Ursulas Vormund, bereits wenige Monate später heiraten beide, da auch Franz’ Ehefrau Appollonia verstorben ist. In einem Brief an seinen Kollegen und Freund Stephan Roth berichtet Behm im Sommer 1541 über dessen unhöfliches Verhalten Ursula gegenüber. Roth hatte seinem Freund nämlich geraten, doch keine so alte Frau zu heiraten. Behm schreibt seinem Freund daraufhin, dass seine Frau Ursula des Lesens und Schreibens mächtig sei und sie den Brief gelesen habe, in dem sie als »altes Weib« tituliert wird. Sie wolle daher beim Besuch Roths von ihm wissen, warum wohl »alte Bräute« schlecht seien und mit ihm darüber einen Disput führen. Darauf solle sich Roth gefasst machen. »Aber sie will nit Arges mit Argem vergelten sondern Böses mit Gutem ver­ gelten«, so Behm an seinen Freund »und ein hübsch weich Bette mache mit Ehr­erbietung.« Nachtragend scheint Ursula nicht gewesen zu sein. Und so scheint diese Ungeschicklichkeit Roths der Freundschaft augenscheinlich nichts angehabt zu haben, denn 1545 ist die Familie Behm zu seiner Hochzeit nach Zwickau eingeladen. Ursula steht in ihrer Ehe mit Franz Behm einem Haushalt vor, zu dem neben ihrer kranken Mutter die drei halbwüchsigen Kinder ihres Mannes aus erster Ehe gehören. Eine Hausbrauerei, die innerhalb und außerhalb Altenburgs Kunden beliefert, hat sie außerdem zu führen. Elias, ­Ursulas ältester Stiefsohn, besucht in Zwickau die Schule und wohnt über Jahre bei der befreundeten Familie Roth. Er wird später Pfarrer. 1556 sichert Franz Behm seiner Frau Ursula das Haus in Altenburg als Witwensitz zu. 1566 ist Ursula noch im Häuserbuch der Stadt Altenburg als »Ursula v. Zschöpperitz, Franz Behms 2. Frau« aufgeführt. In späteren Einträgen aus dem Jahr 1572 ist sie nicht mehr zu finden, weshalb zu vermuten ist, dass sie um das Jahr 1570 gestorben sein muss. 44 

Ursula Weyda

Als einzige der Frauen im 16. Jahrhundert, die sich durch Flugschriften öffentlich äußerten, konzipierte Ursula Weyda ihre polemische Gegenrede zum Buch des Abtes Simon von Pegau von Anfang an als eine ausgewiesene Streitschrift. Damit warf sie von sich aus den Fehdehandschuh, pochte selbstbewusst auf ihren christlichen Glauben, argumentierte kompetent mit ihrer Bibelkenntnis, erwies sich als theologisch gut informierte Zeitgenossin und scheute auch nicht davor zurück, ihren Gegner durch Schmähungen zu provozieren. Damit mischte sie sich ein in die Streitkultur der Männer und vertrat couragiert ihren Standpunkt. Geboren

in Altenburg als Ursula von Zschöpperitz um das Jahr 1504

Gestorben

in Altenburg um das Jahr 1570

Leben

Dem Beispiel Argula von Grumbachs folgend, verfasste sie eine Flugschrift, in der sie öffentlich die Auseinandersetzung mit einem katholischen Abt und dessen Orden sucht. Mit ihrer Schrift, die ausdrücklich für den Druck geschrieben war, hat sie im thüringisch-obersächsischen Raum den öffentlichen Disput mitgeprägt.

Werk

Flugschrift von 1524: »Wyder das unchristlich schreyben un Lester­ buch / des Apts Simon zu Pegaw unnd seyner Brüder. Durch Ursula Weydin Schösserin zu Eyssenberg / Eyn gegründe Christlich schrifft Götlich wort und Ehelich leben belangende«

Katharina Zell Predigerin und unerschrockene Bürgerin

Ich bin, seit ich zehn Jahr alt, eine Kirchen-Mutter, eine Ziererin des Predigtstuhls und Schulen gewesen, habe alle Gelehrten geliebt, viel besucht, und mit ihnen mein Gespräch, nicht von Tanz, Weltfreuden noch Fassnacht, sondern vom Reich Gottes gehabt. Katharina Zell in einem ihrer Briefe

Straßburg war im 16. Jahrhundert die führende Stadt im elsässi­

schen Reichsgebiet und als Freie Reichsstadt stolz auf eine lange Tradition der Unabhängigkeit. Freie Reichsstädte unterstanden unmittelbar dem Kaiser und hatten keinen Landesherren als Fürsten über sich. Daher verfügten diese Städte über eine Anzahl von Freiheiten und Privilegien, was eine Autonomie für den Stadtrat mit sich brachte. Gelegen am Rhein und damit an einer der wichtigsten Wasserstraßen Europas, war Straßburg ein Verkehrs­k notenpunkt, denn eine wichtige Handelsroute von Ost nach West kreuzte hier ebenfalls den Fluss. So entstand ein reges Handels- und Gewerbezentrum an der Grenze zwischen dem deutschen und dem französischem Kultur- und Sprachraum. 20.000 Einwohner zählte der stolze Ort in der Reformationszeit und gehörte zu den bedeutendsten Städten in Europa. Hier kam Katharina Zell, geborene Schütz, um das Jahr  1497 als Tochter eines Schreinermeisters und angesehenen Bürgers auf die Welt. Sie genoss eine gute Bildung und hatte bereits als junges Mädchen großes Interesse an Büchern und geistreichen Gesprächen. Sie arbeitete schon früh in der Kirche mit und kam bereits in jungen Jahren mit Schriften Martin Luthers in Berührung. Von dieser tiefen religiösen Erfahrung berichtete sie später, Luther habe ihr »den Herren Jesum Christum so lieblich fürschriebe, dass ich meinte, man zöge mich … aus dem ErdenPredigerin und unerschrockene Bürgerin

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reich herauf, ja aus der grimmen, bitteren Höll, in das lieblich süß Himmel­reich.« Dahinter steckte die für Katharina Zell wie auch für Luther existentielle Frage nach dem gnädigen Gott angesichts der eigenen Sündhaftigkeit. Wie Luther kämpfte sie ein Leben lang darum, immer wieder aus der »bitteren Höll« der vermeintlich eigenen Unzulänglichkeit in das »lieblich süß Himmelreich« der Glaubens­ gewissheit zu gelangen, von Gott anerkannt und geliebt zu sein allein durch den Glauben an ihn. 1518 war Matthäus Zell als Prediger an das Straßburger Münster gekommen, wo er bereits wenige Jahre später im lutherischen Sinne zu lehren begann. Den Status seiner Kanzel am Münster nutzend, entwickelte er sich zum beliebtesten und bekanntesten Prediger der Stadt, zog immer mehr Geistliche auf die evange­ lische Seite und begeisterte auch die junge Katharina Schütz. Am 3.  Dezember 1523 heirateten der 46-jährige Reformator und die zwanzig Jahre jüngere Katharina. Martin Bucer, neben Zell und Wolfgang Capito der Dritte im Bunde der führenden Reformatoren in Straßburg, vollzog die Trauung im voll besetzen M ­ ünster. Waren beide Partner diesen Lebensbund mit den besten Vorsätzen für eine vorbildliche christliche Ehe eingegangen, so musste das neu­vermählte Paar doch viel »Schand, Nachred und Lügen« über sich ergehen lassen, wie Katharina selber berichtete. Die Priester­ ehe war zu dieser Zeit noch etwas unerhört Neues und provozierte den massiven Widerstand des katholischen Bischofs von Straßburg. Alle sieben Geistlichen, die bis zu diesem Zeitpunkt geheiratet hatten, wurden von ihm vorgeladen und im April 1524 exkommuniziert. Durch päpstlichen Bann wurden sie aus der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen. Zell und Capito verfassten daraufhin eine Appellation gegen diesen Bannspruch, aber auch Katharina selber verteidigte ihre Eheschließung öffentlich. Wie in allen ihren Werken tritt sie bereits in dieser Schrift als eine selbstbewusste und couragierte Frau auf, die gewandt ist im Schreiben und deren Umgang mit der Heiligen Schrift auf eine ebenso große Vertrautheit mit der Bibel schließen lässt, wie bei Argula von Grumbach. Beides, ihr Mut wie ihre bibelfeste Argumentation, werden bereits in dieser ersten Schrift, ihrer »Entschuldigung« offenbar. Unter dem Titel »Entschuldigung Katharina Schützin, für Matthes Zellen, ihren Ehegemahl, der ein Pfarrer 48 

Katharina Zell

und Diener ist im Wort Gottes zu Straßburg, von wegen großer Lügen auf ihn erdicht« gibt sie diese Schrift in Druck. Katharina schreibt, sie habe dem Bischof »rauchende Briefe« geschickt, er beschwerte sich beim Rat der Stadt Straßburg über das Schreiben »eines heißen Inhalts«. Was nun ist hier zu lesen? Katharina verteidigt in ihrem Brief ihre Eheschließung und setzt sich gegen üble Nachrede zur Wehr. Matthäus Zell sei ihr ein liebender Ehemann so wie sie ihm eine liebende Ehefrau, beide seien »nie kein Viertelstund uneins gewesen.« Sie wehrt sich aber nicht nur gegen Verleumdung, sondern geht direkt zum frontalen Angriff gegen die angeblich zölibatär lebenden katholischen Geistlichen über, von denen nicht selten, so Katharina, sieben Frauen gleichzeitig schwanger seien. Engagiert und bibelfest setzt sie sich mit den paulinischen Worten zum Schweigegebot der Frauen auseinander. Paulus sagt: Die Weiber sollen schweigen. Antworte ich: Weißt aber nicht auch, dass er sagt Galater 3: In Christus ist weder Mann noch Weib; und dass Gott im Propheten Joel sagt im 2. Kapitel: Ich werde ausgießen von meinem Geist über alles Fleisch und eure Söhne und Töchter werden weissagen etc. Und weißt auch, da Zacharias ein Stummer ward, hat ­Elisabeth Maria, die Jungfrau, gebenedeit. … Also (…) ich begehr nicht, dass man (auf) mich höre als (wie auf) Elisabeth oder Johannes den Täufer oder Nathan, den Propheten, der David sein Übel angezeigt, noch als einen (anderen) Propheten, sondern nur als (wie auf) den Esel, (auf) den doch der falsche Prophet Bileam hörte. Denn ich doch nicht anderes begehre, als dass wir möchten selig miteinander werden. Dazu helfe uns Gott durch Christus, seinen lieben Sohn. Amen.

Durch ihre Heirat mit Matthäus Zell war Katharina eine der ersten evangelischen Pfarrfrauen geworden. Ihr ging es von Beginn ihrer Ehe an um das Wort Gottes und den Aufbau der Gemeinde, »da unser Eheberedung nit von Widem (Besitzungen zugunsten einer Kirche, S. D.), Morgengab, Silber noch Gold, sondern von Feuer und Wasser um des Bekenntnis Christi willen war.« So konnte sie von sich sagen, »dann ich auch den Predigt-Stuhl zu Straßburg haben helfen bauen«, und mit Stolz berichtet sie, ihr Mann habe sie seinen »Helfer« genannt, was nach damaligem Sprachgebrauch nichts anderes als einen Hilfsprediger meint. Sie muss eine sehr warmherzige und praktische Frau gewesen sein, denn als ein Jahr nach ihrer Eheschließung 150 GlaubensPredigerin und unerschrockene Bürgerin

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flüchtlinge aus dem südbadischen Kenzingen nach Straßburg kamen, brachte sie allein 80 von ihnen in ihrem Pfarrhaus unter und versorgte bis zu 60 Personen vier Wochen lang. Straßburg besaß als Freie Reichsstadt vielerlei Rechte und Freiheiten, so dass Glaubensflüchtlinge in ihren Mauern immer wieder Sicherheit und Schutz fanden. So auch die Kenzinger Männer, die ihren reformiert gesinnten Gemeindepfarrer nach seiner Ausweisung einige Kilometer aus der Stadt heraus begleitet hatten, um nach ihrer Rückkehr die Stadttore verschlossen und von österreichischen Soldaten bewacht vorzufinden. Ein Mann wurde festgenommen und hingerichtet, die anderen 150 konnten in Richtung Rhein fliehen und fanden Schutz in Straßburg. Katharina Zell nahm sich aber nicht nur der Flüchtlinge an, sondern verfasste auch einen Trostbrief an die zurückgebliebenen Frauen in Kenzingen, der von großer seelsorgerlicher Tiefe geprägt ist. Den Zurückgelassenen schreibt sie 1524 über die Verborgenheit Gottes und seine oft nicht leicht zu erkennenden Wege. Die Kinder der Welt, so Katharina, statte Gott mit Gaben aus, wie auch Abraham es mit Ismael getan habe, aber der wahre Sohn Abrahams sei dennoch Isaak gewesen, den er sogar bereit war zu opfern. Die Frauen sollten wissen, dass, selbst wenn ihre Männer getötet würden, Jesus Christus die Auferstehung sei. Da Jesus gelitten habe, »also ihr auch, wollt ihr Christen sein, und mit ihm in seine Herrlichkeit gehen, so müsst ihr auch mit ihm leiden.« Sie deutet in dieser Schrift das Leiden als eines der wahr­ haftigsten Zeichen göttlicher Liebe, da Gott selber seinen Sohn habe leiden lassen. »Darum, liebe christliche Weiber, gedenket dieser Worte, die nit mein, sondern des Geist Gottes sind, und seid dankbar und empfänglich solcher Gottes Gaben.« Auch wenn Gott ihnen jetzt verborgen sei, fährt sie fort, sollten die Frauen sich seiner Barmherzigkeit gewiss sein. Mit einem Jesaja-Wort, in dem Gott von sich selber als einer stillenden Mutter spricht, versucht sie ihre Glaubensschwestern zu trösten: »So wenig als die Mutter ihres saugenden Kinds mag vergessen, so wenig mag ich (Gott, S. D.) euer vergessen. Und ob sie sein vergisst, so mag ich doch euer nicht vergessen, Jesaja 49,15 … Also, liebe christliche Schwestern, vertraut Gott. Er legt euch nicht mehr auf zu tragen, denn euch gut und notdürftig ist.« Sie kennt aber auch die Glaubenszweifel und den Sieg der Verzagtheit. Aber dies solle die zurückgelassenen 50 

Katharina Zell

Frauen nicht schrecken, denn »es ist ein seliger Kampf, also muss es sein, der Glaub ist kein Glaub, der nit angefochten wird.« Eigene Glaubenszweifel mögen Katharina angesichts ihrer Kinderlosigkeit überkommen haben. Sie schenkte zwar zwei Kindern das Leben, aber keines überlebte das Säuglings- und Kleinkind­ alter. Wie sie in einem Brief an Ambrosius Blarer, einen ober­ deutschen Reformator schrieb, deutete sie dieses Los als gött­liches Zeichen und Strafe für ihre Sünden. Dieser innere Druck mag einer der Gründe für ihr unermüdliches Arbeiten und Wirken ge­ wesen sein. 1524 brach der Deutsche Bauernkrieg aus, und auch rund um Straßburg sammelten sich Gruppen aufgebrachter Bauern, bereit zum Kampf für ihre Rechte und gegen die Unterdrückung durch die Obrigkeit. Begleitet von Wolfgang Capito und ihrem Mann ging auch Katharina Zell in die Lager der Aufständischen und versuchte, für ein gewaltfreies Vorgehen zu werben. Allerdings vergeblich. In mehreren Schlachten, von denen eine in unmittelbarer Nähe Straßburgs stattfand, wurden die Bauern von den Soldaten der Fürsten grausam besiegt. Frauen und Kinder der Getöteten, auch Überlebende der Massaker, strömten daraufhin nach Straßburg, so dass sich zeitweilig bis zu 3.000 Kriegsflüchtlinge in der Stadt aufhielten. Auch in dieser Situation sorgte Katharina Zell bis über die eigenen körperlichen Grenzen hinaus mit Hilfe anderer Straßburger Bürger für die Flüchtlinge. Sie war dafür verantwortlich, all jene Flüchtlinge, die nicht im verlassenen Franziskanerkloster Unterschlupf finden konnten, bei aufnahmewilligen Privatpersonen unterzubringen und die Spenden der Straßburger zu organisieren. Ein halbes Jahr lang dauerte diese akute Krisenhilfe. Dann verließen die Flüchtlinge wieder die Stadt. 1529 beherbergte Katharina Zell gleich zwei bedeutende Reformatoren in ihrem Haus. »Ich bin 14 Tag Magd und Köchin gewesen«, schrieb sie über den Besuch von Ulrich Zwingli aus Zürich und Johannes Oekolampad aus Basel. Beide Männer waren unterwegs nach Marburg, um dort auf Einladung Philipp von Hessens mit Martin Luther über das Verständnis des Abendmahls zu disputieren, drohte an der unterschiedlichen Auffassung des Abendmahls doch die Einigkeit der evangelischen Seite zu zerbrechen. Luther verstand die Einsetzungsworte aus dem 1. Korintherbrief »Dies ist mein Leib« als Verheißung der leiblichen GegenPredigerin und unerschrockene Bürgerin

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wart Christi im Sakrament. Damit war für ihn eine Realpräsenz gemeint, bei der in, mit und unter Brot und Wein Christi wahrer Leib und sein wahres Blut ausgeteilt werden. Daher war das Abendmahl für ihn in erster Linie ein Handeln Gottes mit den Menschen. Dem stand nun die Auffassung Zwinglis gegenüber. Dieser verstand das »ist« im griechischen Urtext im Sinne von »bedeutet« und damit das Abendmahl als eine Erinnerung an den Tod Christi, bei dem Jesus Christus im Heiligen Geist gegenwärtig ist und nicht real in Brot und Wein. Für Zwingli war das Abendmahl daher zuerst ein Bekenntnisakt der Gemeinde. Die Gespräche scheiterten, da keine Einigung in dieser Frage erzielt werden konnte. Im Verlauf der Reformation zeigten sich hier erstmals die Gräben zwischen reformierter und lutherischer Seite, die später zu Verwerfungsurteilen führen sollten. Erst durch die Leuen­berger Konkordie von 1973 wurden die im 16.  Jahrhundert getroffenen Lehrentscheidungen und die damit einhergehenden Trennungen und gegenseitigen Verwerfungen rückgängig gemacht und zwischen reformierten und lutherischen Gemeinden die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft wieder hergestellt. Katharina Zell mischte sich mit einem Brief an Luther direkt in den Abendmahlsstreit ein, indem sie dem Wittenberger Re­ formator nach dem Scheitern der Gespräche vorwarf, die Liebe untereinander nicht genug beachtet zu haben, denn sie sei wichtiger als alle Lehrstreitigkeiten. Luther bestätigte dies, allerdings mit einer Einschränkung: »Denn ihr wisst …, dass wohl die Liebe soll über alles gehen und den Vortritt haben, ausgenommen Gott, der über alles, auch über die Liebe, ist. Wo derselbe und sein Wort vorgeht, da soll ja bei uns die Liebe gewiss die Oberhand haben nächst Gott.« Abgesehen von Luther pflegte Katharina auch einen regen Briefwechsel mit anderen Reformatoren wie Ambrosius Blarer, Martin Bucer, Ulrich Zwingli oder Heinrich Bullinger und ­Kaspar Schwenckfeld. 1540 waren »30 herrlicher, gelehrter Männer aus Wittenberg, Sachsen, Hessen, Nürnberg, Schwaben und anderen Orten« bei den Zells zu Gast. Sie selber reiste mit ihrem Mann in die Schweiz, nach Schwaben und Nürnberg, in die Pfalz und 1538 sogar zu Luther nach Wittenberg. Wie Katharina Zell berichtet, warnte Luther bei diesem Treffen die Straßburger, etwas von dem Erreichten aufzugeben. Sinn der Reise war es, das freund52 

Katharina Zell

schaftliche Verhältnis zwischen Wittenberg und den süddeutschen Städten zu festigen. Sowohl Matthäus wie auch Katharina Zell kehrten voller Begeisterung für Luther nach Hause zurück. Bereits 1534 hatte Katharina ein Liederbuch herausgegeben. Dies enthielt Auszüge des 1531 erschienenen Gesangbuches der böhmisch-mährischen Brüder, dem Katharina Zell ein Vorwort voranstellte. Das Büchlein sei »eher ein Lehr-, Gebet- und Dankbuch, denn ein Gesangbuch« schreibt sie, »wie wohl das Wörtlein Gesang recht und wohl geredt ist, weil das größte Lob Gottes in Gesang ausgesprochen ist worden.« Dem Vorwort gemäß sollte es für den privaten Gebrauch bestimmt sein, und jeder Christ und jede Christin sollte die Lieder bei der täglichen Arbeit singen. Denn indem »die Christen treulich im Glauben haushalten, gehorsamen, kochen, Schüsseln waschen, Kinder wischen und warten, und sich in diesen Werken, die zum menschlichen Leben dienen, zu Gott kehren auch mit der Stimme des Gesanges, so gefallen sie ihm mehr als der Pfaff, Mönch und Klosterfrau in ihrem unverständ­ lichen Chorgesang.« Katharina Zell hat also schon früh die Bedeutung des religiösen Gesangs erkannt und mit der Herausgabe der Liedersammlung dafür gesorgt, dass reformatorisches Gedankengut auch durch Lieder verbreitet wurde. Als im Januar 1548 ihr Mann starb, ergriff die 51-Jährige nach der Grabrede Martin Bucers selbst das Wort und wandte sich an die Gemeinde. Sie beließ es aber nicht nur bei dieser ersten öffentlichen Predigt ihrerseits, sondern gab darüber hinaus noch eine Schrift zum Gedenken ihres Mannes heraus. Da ihre Predigt am Grab ihres Mannes bereits für Unmut gesorgt hatte, betont sie bereits in ihrer Einleitung, dass sie sich nicht in das Amt des Predigers oder des Apostels stellen möchte, »sondern allein wie die liebe Maria Magdalena ohne Vorbedacht ihrer Gedanken zu einer Apostelin ward und vom Herrn selbst gedrungen den Jüngern zu sagen, dass Christus auferstand wäre und zu seinem und unserem Vater aufgestiegen, also ich jetzt auch.« Sie erinnert die Gemeinde daran, wie ihr Mann »mit viel großer Sorg und Gefahr seines Lebens tapfer und fröhlich gepredigt und gelehrt habe« und sie in 24 Jahren Ehe »seine Gehilfin nach ihrem Maß und Vermögen auch im Amt und Dienst« gewesen sei. Über ihren Mann, der von allen Straßburger Reformatoren der liberalste auch im Umgang mit den Täufern war, schrieb Katharina: »Also hat auch mein Predigerin und unerschrockene Bürgerin

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frommer Mann selig Matthäus Zell so oft geredet in seinem Leben, wer Christus für den wahren Sohn Gottes, und einzigen Heiland aller Menschen glaube und bekenne, der solle Teil und Gemeinschaft an seinem Tisch und Herberge haben, er wolle auch Teil und Gemeinschaft mit ihm in dem Himmel haben.« Von K ­ atharinas ebenfalls toleranter Haltung, von der nicht wenige vermuteten, dass sie die eigentlich treibende Kraft hinter der liberalen Einstellung ihres Mannes war, zeugen auch ihre anrührenden Besuche bei Melchior Hoffmann. Er war einer der unruhigsten unter den Täufern und einer Prophezeiung wegen nach Straßburg gekommen, denn er erwartete in dieser Stadt in Kürze die Wiederkunft Christi. Hoffmann wurde verhaftet und blieb bis zu seinem Lebensende zehn Jahre lang im Gefängnis. Katharina stimmte seiner Lehre nicht zu, aber sah es als einen Akt der Nächstenliebe an, den quasi lebendig Begrabenen zu besuchen. Ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes nahm sie heimlich die beiden aus der Stadt ausgewiesenen Prediger und Reformatoren Martin Bucer und Paul Fagius für mehrere Wochen in ihrem Haus auf und gewährte ihnen damit Asyl, bevor beide auf Grund des Augsburger Interims gezwungen waren, ins englische Exil zu gehen. Als Dank ließen sie ihr zwei Goldstücke zurück und sandten einen Dankesbrief aus England. Katharina antwortete und legte eines der Goldstücke wieder mit in den Brief. Sie schrieb den beiden Exilanten: Matthias hat alle meine Kunst und Freude hinweg mit ihm (genommen). Auf dass aber meine Schamröte zum Teil abgelegt würde, habe ich euch diese zwei Stücke Gold wiederum in diesen Brief legen wollen wie Joseph seinen Brüdern. Da ist ein verjagter Prediger mit fünf Kindern zu mir gekommen und eine Predigerfrau, deren Mann man den Kopf abgeschlagen hat vor ihren Augen. Die habe ich zwei Tage bei mir gehabt und dieses eine Stück Gold diesen beiden zur Zehrung von euch beiden geschenkt, und den anderen euch wiederum in diesen Brief getan, denn ihr werdet noch viel brauchen.

1550 musste sie selber das Pfarrhaus räumen und es für einen katholischen Geistlichen frei machen. Sie hatte 1555 ihren Neffen Laux Schütz bei sich aufgenommen, der an Syphilis litt. Als sie ihn zu Hause nicht mehr pflegen konnte, kam er in ein »Blatternhaus«, in das Katharina ihn begleitete und 54 

Katharina Zell

dort im Hospiz ebenfalls eine Zeit lang lebte. Über die katastrophalen Zustände in dem Haus beschwerte sie sich in einem vernichtenden Bericht an den Rat der Stadt und regte darin an, dass es neben einer von Grund auf erneuerten materiellen Versorgung auch eine geistliche und seelsorgerliche Betreuung der Kranken geben müsse. »Es sollte aber einer am Morgen da sein, das Evangelium zu sagen oder zu lesen und mit ihnen beten … Am Morgen ist jeder Mensch geschickter, andächtiger und das Herz empfänglicher für göttliche Dinge … Es kommen (Leute) hinein, die das Vaterunser nicht können beten.« Hier wird noch einmal deutlich, dass sowohl Katharina wie auch ihr Mann Matthäus Zell Zeit ihres Lebens daran mitgearbeitet haben, die sozialen Bedingungen in der Stadt zu verbessern sowie für eine allgemeine Bildung und die Einführung eines Schulwesens zu sorgen. Ihre letzten Jahre waren nicht nur geprägt durch Krankheiten, sondern noch mehr überschattet von der Auseinandersetzung mit der neuen Generation evangelischer Prediger in Straßburg, die streng lutherisch gesinnt waren und alle Andersgläubigen hart verurteilten. Das konnte Katharina, die Zeit ihres Lebens die christ­ liche Liebe über die Glaubensunterschiede gestellt hatte, nicht hinnehmen. Ganz im Geiste der ersten Straßburger Reformatoren, die stets offen gewesen waren für die verschiedenen Strömungen der Reformation, hatte Katharina Kontakt zu Kaspar Schwenckfeld, der dem linken Flügel der Reformation zugerechnet wird. Sie besuchte Melchior Hoffmann im Gefängnis und hatte auch Verständnis für die »armen Täufer … die doch Christum den Herrn auch mit uns bekennen.« So war ihr das Gehetze gegen alle nicht-lutherisch Gesinnten zutiefst zuwider, und sie veröffentlichte 1557 ihren Briefwechsel mit Ludwig Rabus, einem der neuen Prediger, der samt einem offenen Brief an die Bürgerschaft Straßburgs erschien. Ludwig ­Rabus, ein besonders eifriger Verfechter der lutherischen Richtung, verleumdete in seinen Predigten andere Reformatoren, indem er Zwingli und seine Anhänger als Ketzer titulierte und in einer Weihnachtspredigt 1556 besonders Kaspar Schwenckfeld scharf attackierte, den er »verflucht, teuflisch, verdammt und schändlich« nannte. Katharina schrieb ihm daraufhin einen Brief, in dem sie Rabus u. a. vorwarf, er selber zerreiße die Kirche anstatt sie aufzubauen, da er so unchristlich über andere ernsthafte Christen rede. Predigerin und unerschrockene Bürgerin

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Rabus sandte ihr den Brief un­geöffnet zurück. Bald danach verließ er die Stadt, um in Ulm ein Superintendentenamt anzutreten. Katharina schrieb ihm erneut im März in weit schärferem Ton, wohl verärgert durch ihre nicht beachtete Mahnung und durch Rabus’ »undankbaren, schnellen, unfreund­lichen und ärgerlichen Abschied.« Daraufhin antwortete Rabus ihr mit einem sehr groben Brief, den sie Satz für Satz beant­wortete. Diesen Briefwechsel ließ sie zusammen mit einem Brief an die Bürgerschaft Straßburgs in Druck geben, damit die Leser be­urteilen mochten, wer von beiden im Unrecht sei und ob Katharina »heidnisch, unchristlich, erstunken und erlogen« geschrieben habe. In ihren Briefen an Rabus verteidigt Katharina vor allem Schwenckfeld, der von ihm und seinen Kollegen als »Stenckfeld« verunglimpft worden war. Sie nimmt Stellung zu seiner theo­logischen Position der Zwei-Naturen-Lehre, in der es um die Frage geht, wie Jesus Christus gleichzeitig wahrer Mensch und wahrer Gott sein kann. Sie legt dar, dass der angegriffene Schwenckfeld nie die Menschlichkeit Jesu geleugnet, jedoch sein Augenmerk auf dessen göttliche Natur gelegt habe und nicht nur auf »Kreutz, Schmach und Tod«. Mit Verweis auf verschiedene Bibelstellen argumentiert sie, »dass sich Gott herab getan zum Menschen und Gott blieben, auf dass er den Menschen durch Kreutz und Tod hinauf führte zu Gott.« In ihrem zweiten Brief verweist sie vornehmlich auf die Weitherzigkeit ihres Mannes und dessen umfassendes, nicht ausgrenzendes Verständnis eines rechten Christenmenschen. Weil ihrer Meinung nach der Glaube nicht zu zwingen und zu regieren ist, kann sie auch die Täufer würdigen. Nun die armen Täufer, da ihr so grimmig, zornig über sie seid, und die Obrigkeit allenthalben über sie hetzt wie ein Jäger die Hund auf ein wildes Schwein und Hasen, die doch Christus den Herrn auch mit uns bekennen im Hauptstück, darinnen wir uns vom Papsttum getrennt haben, über die Erlösung Christi … und viel unter ihnen bis in das Elend, Gefängnis, Feuer und Wasser bekannt haben.

Rabus solle daher aufhören, andere zu verdammen, damit er selber nicht verdammt werde. Daraufhin antwortete ihr der Kontrahent doch noch mit einem sehr groben Brief, in dem er sie bezichtigte, sie habe ein »unverschämtes Maul«. Darüber hinaus warf er 56 

Katharina Zell

Abb. 4 Trostbrief aus der Feder Katharina Zells mit einer Auslegung des 51. Psalms sowie des Vaterunsers

ihr vor: »Du hast aber in der Kirche zu Straßburg eine solche Unruhe bald im Anfang, und mit deinem frommen Mann selber anfangen, dass ich gedenk Gottes Urteil wird dich dermaleins treffen und lass mich hinfür mit deinen Lügen- und Lästerschreiben zufrieden.« In ihrer Replik erklärt sie ihr Sakramentsverständnis, demgemäß weder durch Taufe noch durch Abendmahl die Sünden ver­geben werden, sondern dies allein durch den Kreuzestod Jesu geschehe. Deshalb bezeichnet sie die Taufe auch nicht als Predigerin und unerschrockene Bürgerin

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Wiedergeburt, sondern als ein Bekenntnis zu Jesus. Der Kindertaufe steht sie kritisch gegenüber: »Mein lieber Mann hat gelehrt, der Tauf soll frei sein der Zeit und Alters halb.« Das Abendmahl ist für sie ein »Speis und Trank der Seelen«, denn wer mit dem Mund das Abendmahl nimmt und nicht zuvor geistlich gespeist und g­ etränkt wurde, dem dient das Abendmahl zum Gericht. Jesus selber sei nicht im Brot, sondern zur Rechten Gottes und in den Gläubigen anwesend. Ein Jahr später, 1558, veröffentlichte sie ihr letztes schriftstellerisches Werk: Einen Trostbrief an Felix Armbruster mit einer Aus­ legung des 51. Psalms sowie des Vaterunsers. Felix Armbruster war ein ehemals hochangesehenes Ratsmitglied, der vom Aussatz befallen war und vor den Toren Straßburgs als »lebendiger Toter« lebte. Katharina stellt in ihrem Trostbrief an ihn noch einmal unter Beweis, wie sehr sie am Leid anderer Menschen Anteil nahm und wie viel ihr daran lag, die Leidgeprüften zu trösten. Mit seelsorgerlicher und geistlicher Tiefe kann sie schreiben: Gib uns auch heiliger Vater, … dass … wir … uns auch willig im Ge­ horsam ans Kreutz ergeben mit Christo allerlei Schmach, Elend, Armut und den Tod zu leiden auch wie sich Christus uns dargeben überantwort und sein Seel für uns in Tod gesetzt hat wir auch also für alle Menschen und Brüder, deine Jünger, unsere Brüder und Schwestern in ihrem Unfall, Elend, Armut … uns ihnen auch also darbieten.

Sie wählt aus einer ganzen Reihe früher von ihr verfasster Betrachtungen diejenigen aus, die ihr für Armbruster passend zu sein scheinen und erwähnt: »Ich habe noch sehr viel aufgezeichnet, wie ich mich mehr denn vierzig Jahr zwischen Gott und mir erspracht habe, wüsste ich’s euch oder anderen zu Nutz und Trost zu brauchen, wollte ich’s gerne tun.« Zweimal sollte Katharina Zell noch öffentlich predigen, beide Male an Gräbern von Frauen. Kurz vor ihrem eigenen Tod stand sie am Grab von Elisabeth Heckerlin, die eine Anhängerin Schwenckfelds gewesen war. Darum wollte kein Pastor die Verstorbene beerdigen ohne öffentlich darauf hinzuweisen, dass sie von der Kirche Jesu Christi abgefallen sei. Daraufhin entschied die Familie Heckerlin, die Beerdigung morgens in aller Frühe von der Öffentlichkeit unbemerkt stattfinden zu lassen, und bat Katharina Zell den Trauergottesdienst zu halten. Sie selber war schon zu 58 

Katharina Zell

schwach, um gehen zu können und ließ sich in einem Wagen zum Friedhof bringen. Der Rat der Stadt wollte sie wegen dieser von ihr geleiteten Beerdigung zur Rechenschaft ziehen, sobald sie sich gesundheitlich erholt habe. Die unerschrockene Predigerin starb jedoch, bevor es zu irgendwelchen Konsequenzen für sie kommen konnte am 5. September 1562 und wurde unter großer Beteiligung der Bevölkerung zu Grabe ge­tragen. Aus heutiger Sicht finden sich in Katharina Zells theologischem Werk bereits Ansätze zu den Anliegen der heutigen feministischen Theologie. So las sie die Heilige Schrift bewusst aus der Perspektive einer Frau, wie ihre theologischen Auseinandersetzungen mit den paulinischen Schriften deutlich machen. Sie achtete auf das Auftreten von Frauen in der biblischen Botschaft und bezog sich in ihrem Handeln auf sie. Nicht nur Maria Magdalena, die Apostelin, war ihr ein Vorbild, auch Frauen wie die Mutter Jesu und deren Cousine Elisabeth, aber auch alttestamentliche Figuren wie Judith und Abigail, die sich bei David für ihren Mann Nabal einsetzte, waren für sie weibliche Leitbilder. In ihrer Auslegung des Vater­ unsers nimmt sie Bezug auf weibliche Gottesbilder, denn Gott könne auch mit einer Frau verglichen werden, welche die Schmerzen der Geburt und die Freude, ein Kind zu stillen, kenne. So ist Katharina Zell wahrhaftig eine Kirchen-Mutter gewesen, die nicht nur aktiv am Aufbau der evangelischen Kirche in Straßburg beteiligt war, sondern darüber hinaus in der Öffentlichkeit für das Evangelium in Wort und Tat eintrat. Dabei setzte sie für Frauen neue Akzente und lebte vor, wie eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen und Männern im Dienst der Kirche schon vor einem halben Jahrtausend hätte gestaltet werden können. In ihrer Einstellung zu den Täufern begegnet sie uns zudem als eine moderne und liberale Theologin. Im Sommer des Jahres 2010 fand in Stuttgart ein historischer Akt statt. In einem Buß­ gottesdienst versöhnten sich der Lutherische Weltbund und die Mennonitische Weltkonferenz, ein Zusammenschluss der evangelischen Gemeinden, die aus der Täuferbewegung hervorgegangen sind. Vorausgegangen war diesem Bußgottesdienst ein einstimmig verfasstes Schuldbekenntnis der Lutheraner gegenüber den Mennoniten. In der Erklärung heißt es, die lutherischen Kirchen empfänden »tiefes Bedauern und Schmerz über die Verfolgung der Täufer durch lutherische Obrigkeiten und besonders darüber, Predigerin und unerschrockene Bürgerin

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dass lutherische Reformatoren diese Verfolgung theologisch unterstützt haben. Im Vertrauen auf Gott, der in Jesus Christus die Welt mit sich versöhnte, bitten wir deshalb Gott und unsere mennonitischen Schwestern und Brüder um Vergebung für das Leiden, das unsere Vorfahren im 16. Jahrhundert den Täufern zugefügt haben, für das Vergessen oder Ignorieren dieser Verfolgung in den folgenden Jahrhunderten und für alle unzutreffenden, irreführenden und verletzenden Darstellungen der Täufer und Mennoniten, die lutherische AutorenInnen bis heute in wissenschaftlicher oder nichtwissenschaftlicher Form verbreitet haben.« Zu dieser Einsicht war eine Frau wie Katharina Zell bereits 500 Jahre zuvor fähig. Geboren

Um das Jahr 1497 in Straßburg als Katharina Schütz

Gestorben

1562 in Straßburg

Leben

Gemeinsam mit ihrem Mann Matthäus Zell trat sie aktiv für die Reformation in ihrer Heimatstadt Straßburg ein. Sie veröffentlichte eigene Schriften, predigte bei Trauerfeiern und stellte sich schützend vor Glaubensflüchtlinge. In ihrem Werk finden sich darüber hinaus Anregungen für den Aufbau eines städtischen Sozial­ gefüges sowie ein Diakonenamt für Frauen.

Werk

Annähernd ein Dutzend Schriften, wie z. B. die Entschuldigung Katharina Schützin für Matthäus Zell, 1524 oder die Trostschrift an die Frauen von Kenzingen, 1524. Sie gab 1534 eine Liedersammlung heraus und legte Psalmen sowie das Vaterunser aus. Ein offener Brief an die Stadt Straßburg samt dem Briefwechsel mit Ludwig Rabus stammt aus dem Jahr 1557.

Elisabeth Cruciger Die erste Dichterin des Protestantismus

Du Schöpfer aller Dinge, du väterliche Kraft, regierst von End zu Ende kräftig aus eigner Macht. Das Herz uns zu dir wende und kehr ab unsre Sinne, dass sie nicht irrn von dir. Elisabeth Cruciger in ihrem Kirchenlied »Herr Christ, der einig Gotts Sohn«

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a gibt es die Geschichte von diesem Traum. Eines Morgens, gerade vom Schlaf erwacht, erzählt eine Frau in Wittenberg ihrem Mann, einem gelehrten Theologen, sie habe im Traum in der Kirche ihrer Stadt auf der Kanzel gestanden und gepredigt. Darauf ihr Mann lachend: »Vielleicht will euch der liebe Gott für würdig erachten, dass eure Gesänge, mit denen ihr zu Hause immer umgeht, in der Kirche sollen gesungen werden.« So wird es berichtet aus dem Haus von Elisabeth und Caspar Cruciger, damals vor 500 Jahren in Wittenberg. Vom Predigen im Gottesdienst konnte Elisabeth Cruciger nur träumen, aber Verse von ihr erklingen im evangelischen Gottesdienst trotzdem seit langem. Denn sie ist die erste Lieddichterin der evangelischen Kirche. Schon 1524 verfasste sie ihr Gemeindelied »Herr Christ, der ­einig Gotts Sohn«, das im heutigen Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 67 zu finden ist und an jedem letzten Sonntag der Epiphanias-Zeit gesungen wird. Wort und Musik, beides prägt die evangelische Frömmigkeit und den evangelischen Gottesdienst von Beginn an auf besondere Weise. Denn bereits für Martin Luther hatte das Kirchenlied einen festen liturgischen Platz im reformatorischen Gemeinde­ gottesdienst. Er gab damit der Gemeinde – entgegen dem Brauch der mittelalterlichen Kirche, in der Klerikerchöre das Singen im Die erste Dichterin des Protestantismus

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Gottesdienst übernahmen – ihr musikalisches Amt zurück. L ­ uther, der selber musizierte und Lieder schrieb, schätzte die Musik außerordentlich. »Ich liebe die Musik«, schreibt er 1530, auch gefallen mir nicht, die sie verdammen, die Schwärmer. 1. Weil die Musik Gabe Gottes und nicht der Menschen ist; 2.  weil sie die Seelen fröhlich macht; 3.  weil sie den Teufel vertreibt; 4.  weil sie unschuldige Freude macht. Dabei vergehen Zorn, Begierden, Hochmut. Den ersten Platz gebe ich der Musik nach der Theologie. Das ergibt sich aus dem Beispiel Davids … 5. weil sie in der Friedenszeit herrscht … Ich lobe die Fürsten Bayerns deshalb, weil sie die Musik pflegen. Bei uns Sachsen werden Waffen und Bombarden gepredigt.

Diese Hochachtung der Musik durch Luther, der ihr den ersten Platz nach der Theologie gab, wird Elisabeth Cruciger gekannt haben. Denn es war ja der Reformator selber gewesen, der ihre Trauung vollzogen hatte, mit dessen Familie sie in freundschaftlicher Verbundenheit in Wittenberg lebte und der dafür sorgte, dass ihre Dichtung bereits in eines der ersten Wittenberger Gesangbücher aufgenommen wurde. »Hie haben wir einen sehr schönen Geistreichen Betpsalm, den ihr billich eure Kindlein und Gesinde sollet lehren und oft singen lassen … Und hat diesen Psalm ein recht fromm Gottfürchtiges Weib gemacht Elisabeth Creutzigerin geheissen … und hat dem Doctor martino so wohl gefallen, dass er ihn selbst hat in sein Gesangbüchlein zu setzen befohlen,« weiß 1571 der evangelische Theologe und Kirchenlieddichter Cyriakus Spangenberg zu berichten. Über das Leben Elisabeth Crucigers ist nicht Vieles über­liefert und von ihren Liedern ist nur dieses eine erhalten, obwohl sie nachweislich mehrere Gesänge verfasst hat. Ihr genaues Geburtsdatum ist unbekannt, sie wird wohl um 1500 zur Welt gekommen sein. Auch ihre Herkunftsfamilie lässt sich nicht mehr identifizieren. Sicher ist: Sie wird als Elisabeth von Meseritz geboren, gilt aber den einen als Sprössling einer märkisch-pommerschen, anderen wiederum als Tochter einer polnischen Adelsfamilie. Deutlich ist jedoch, dass sie aus dem Grenzgebiet zwischen Pommern und Polen stammte. Sie wurde in das Kloster Marienbusch bei Treptow an der Rega aufgenommen, ob auf eigenen Wunsch oder den der Eltern ist ungewiss. Sie lebte dort in einem Konvent der Prä­ monstratenserinnen, für viele Adlige im Osten nicht ungewöhn62 

Elisabeth Cruciger

lich, unterstützte dieser Orden doch die Seelsorge und Mission der Einheimischen. Marienbusch benachbart war das Männerkloster Belbuck, bekannt geworden durch den späteren Reformator und Stadtpfarrer in Wittenberg, Johannes Bugenhagen. Dieser Bugenhagen, von den Wittenberger Freunden »Doktor Pomeranus« oder »Der ­Pommer« genannt, war 1504 als Rektor an die Stadtschule von Treptow gekommen, hatte sich 1509 zum Priester weihen lassen und hielt von 1517 an auf Einladung des Abtes von Kloster Belbuck Vorlesungen über biblische Bücher. Geschult an den humanistischen Ideen des Erasmus von Rotterdams wollte auch Bugenhagen »Zurück zu den Quellen«. Mit diesem Ruf »Ad fontes« verband er – so wie viele Menschen seiner Zeit in Europa – den Impuls, die Wurzeln der abendländischen und europäischen Kultur neu zu entdecken. Unverstellt durch die kirchliche Vermittlung sollten die Texte der antiken Philosophen, aber auch die biblischen Bücher in der Ursprache gelesen werden, um nicht mehr von kirchlichen Autoritäten abhängig zu sein, sondern den eigenen Erkenntnissen zu folgen. Und so griff er in seinen Predigten bereits 1518 oder 1519 den Lebensstil vieler Kleriker massiv an und stellte dagegen die biblischen Apostel als Vorbilder der Barmherzigkeit für alle Christinnen und Christen dar. Im Herbst 1520 lernte er Martin Luthers Schrift »Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche« kennen, in der dieser erstmals sein reformatorisches Programm ausformulierte. Einige Monate später brach Johannes Bugenhagen als 36-Jähriger nach Wittenberg auf, um dort Theologie zu studieren. Seine Schüler und Freunde, auch der Abt des Klosters Belbuck sowie die Mönche, verließen ihr Kloster, mitgerissen von dem Schwung und der Dynamik, die durch die reformatorischen Ideen die ganze Region ergriffen hatten. Um diese Zeit muss auch Elisabeth von Meseritz das Kloster Marienbusch verlassen haben. Sie, die bislang nur das gesicherte und geregelte Leben in einem Frauenkloster kannte, machte sich ebenfalls auf den Weg nach Wittenberg, wo sie eine Zeitlang im Haus von Johannes Bugenhagen und dessen Familie wohnte. Im Kloster hatte sich Elisabeth von Meseritz eine damals für Mädchen nicht übliche Bildung angeeignet. Denn Klöster boten für Frauen in dieser Zeit eine der wenigen Möglichkeiten, sich zu bilden. Novizinnen hatten eigene Lehrerinnen, deren Aufgabe es war, Unter­ Die erste Dichterin des Protestantismus

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richt zu erteilen in Lesen und Schreiben, Rechnen und Musik. Das geregelte klösterliche Leben bildete die Herzen und Seelen der Frauen durch die gottesdienstliche Liturgie mit Gesang und Lesungen, aber auch durch das Vorlesen biblischer Abschnitte während der Mahlzeiten. So bekamen die Mädchen und Frauen ganz selbstverständlich einen Schatz an religiöser und sprachlicher Bildung. Ein Zeugnis dieser klösterlichen Bildung, die auch ­Elisabeth genoss, datiert noch aus ihrer Zeit in Marienbusch: Ein Brief eines getauften Judens namens Joachim von Stettin an Elisabeth von Meseritz vom 19.  Januar 1519 ist uns überliefert. Auch wenn der ursprüngliche Brief aus Elisabeths Feder nicht mehr erhalten ist, so zitiert ihn ihr Briefpartner Joachim von Stettin in seinem Antwortschreiben doch ausführlich. Elisabeth hatte ihm Folgendes geschrieben: Lieber Bruder, dir sei Gnade und Friede. Ich verstehe ganz wohl, lieber Bruder, dass wir zusammengesetzt sind von einer gebrechlichen Materie und stets leben außerhalb in einem Widerwillen Gottes und nicht mächtig sind (obwohl wir alle durchs Blut Christi erlöst sind), solche Gnade Gottes von uns empfangen zu erhalten bis ans Ende und zur Wiederkunft Christi, weshalb wir sehr in Furcht stehen und zuweilen zweifeln, was über alle Bitterkeit zu erleiden ist. Darum tröste dich, lieber Bruder, sieh, die ich auch eine Mitleiderin bin deiner Krankheit, sieh, ich habe Gott ermahnet durch sanft­mütiges Bitten vor Seinen göttlichen Augen, sieh, ich wünsche dir und gebe dir durch Seine Kraft Gnade und Friede … und solches durch den Herrn Christum, nicht durch einen Engel oder Mose. Ei, lieber Bruder, sei zufrieden, hab Mut, denn, der das gute Werk und die Seligkeit in uns angefangen hat, wird’s ohne Zweifel vollbringen; er wird selbst vor uns stehen und bedecken unsere Ungerechtigkeit, dass wir von keinem mögen werden angeklagt. Dessen freue dich und tröste dich, mein lieber Bruder, denn desselben erfreu und tröste ich mich auch. Darauf empfange dies mein Schreiben und lass dir’s ein Trost sein, denn es ist bei Gott ein Wohlgefallen, dass wir uns untereinander trösten und küssen mit dem Kuss der Liebe Gottes, daher auch der Spruch des Herrn Christi herrührt: ›Liebt euch untereinander, gleichwie ich euch geliebt.‹ Deshalb bitte ich auch für dich, dass dich Gott der Herr erhalte … Darum ich dich einen herzlichen Bruder nenne und deine Schrift lieblich empfangen habe und erkenne dein christliches Herz.

Neben dem von ihr gedichteten Kirchenlied ist dies der einzige Text, der von Elisabeth Cruciger erhalten geblieben ist. Einiges 64 

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ist an diesen Zeilen bemerkenswert. Da ist zunächst einmal die schriftliche Gewandtheit der Briefschreiberin. Sie hat ein sehr feines Gespür für Sprache, wie es einige Jahr später auch in ihrer Lieddichtung zum Ausdruck kommen wird. Sie schafft ein neues poetisches Wort, in dem sie sich als »Mitleiderin« bezeichnet. Auch in ihrer Formulierung »und küsse dich mit dem Kuss der Liebe Gottes« liegt eine große sprachliche Kraft und Zartheit. Über die sprachliche Schönheit des Briefes hinaus verweisen die Zeilen aber auch auf eine profunde Bibelkenntnis. Neben dem von ihr zitierten Vers aus dem Johannesevangelium (»Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander liebhabt«, Johannes  13,34) verweisen ihre Worte an Joachim von Stettin auch auf den Anfang des Philipperbriefes, in dem der Apostel Paulus schreibt: »Ich bin darin guter Zuversicht, dass der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden bis an den Tag Christi Jesu.« (­Philipper 1,6) Ganz auf der Linie der reformatorischen Entdeckungen argumentiert Elisabeth über die unmittelbare Beziehung des gläubigen Menschen zu Gott. Keine Kirche tritt hier als Heilsmittlerin auf, direkt vor Gott und seinem Sohn Jesus Christus steht der Glaubende und darf auf die Rechtfertigung allein durch den Glauben an den barmherzigen Gott vertrauen: »Er selbst wird vor uns stehen und bedecken unsere Ungerechtigkeit, dass wir von keinem mögen werden angeklagt.« Bemerkenswert ist auch ihr Selbstbewusstsein, mit dem sie schreiben kann »ich habe Gott ermahnet durch sanftmütiges Bitten … und gebe dir durch Seine Kraft Gnade und Friede.« Nicht nur ein tiefes seelsorgerliches Verstehen spricht also aus diesen Zeilen, in denen Elisabeth über ihre Anfechtungen spricht und sich damit an die Seite Joachim von Stettins stellt. Ein priester­ liches Amt reklamiert sie hier ebenso für sich, in dem sie Gott durch Bitten ermahnt und durch seine Kraft ihrem Gesprächspartner Gnade und Friede zuspricht. Das Priestertum aller Getauften, von dem Martin Luther in seinen Frühschriften spricht, bricht sich hier Bahn. Auf welchem Weg Elisabeth von Meseritz das Kloster Marienbusch verlassen hat, ist unbekannt. Ob es eine Flucht war wie bei Katharina von Bora, der späteren Ehefrau Martin Luthers, oder Die erste Dichterin des Protestantismus

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ein ungehinderter Aufbruch, wissen wir nicht. Sie gelangte jedenfalls nach Wittenberg, wo sie im Haus Johannes Bugenhagens Unterschlupf fand. Im Sommer 1524 heiratete sie Caspar Cruciger, der aus Leipzig stammte und sich 1521 in Wittenberg niedergelassen hatte, um bei Luther und Philipp Melanchthon zu studieren. Eine Aufzeichnung über die Hochzeit Caspar Crucigers mit ­Elisabeth von Meseritz gibt einen Eindruck davon, wie solch eine Eheschließung in der Frühzeit der Reformation von Statten ging, bei der Martin Luther selber die Brautleute traute. Wie Doctor Martinus Luther Caspar Creutziger und Elisabeth von Meseritz, Dienstag vor Viti, vor der Pfarrkirchen zu Wittenberg zusammengegeben hat. Erstlich sagt er zum Bräutigam: Also steht geschrieben: Im Schweis deines Angesichts wirstu dein Brot eßen. Diese Lection hat Gott dir ­Caspar geben. Folgend sprach Er zu der Braut: Du sollst deine Kinder mit Kummer gebären. Diese Lection hat Gott dir Elsa geben. Nu ist eben das die Meinung, dass im ehelichen Leben Jammer und Not, Mühe und Arbeit ist. Wie ihr denn beide selbst wohl gelesen habt. Wo ihr euch nu darein mit einander begeben wollt, so mögt ihr das hier vor der Christlichen Gemeyn bekennen, Euch vor Gott das bekentniß zu geben. Und sagt darauf zum Bräutigam: Caspar, was sagest Du darzu? Der Bräutigam antwortet: Herr Doctor, Ja. Darnach sprach er zu der Braut: Elsa, was sagest Du darzu? Die Braut antwortet auch: Ja. Do stecket Doctor Martinus dem Bräutigam und der Braut die Ringe an und sprach: Was Gott zusammengefügt, soll der Mensch nicht scheiden. Gab also den Bräutigam und die Braut mit den Händen zusammen und sagt: Seyd fruchtbar und mehret euch. Damit hätt das Zusammengehen ein Ende. Ist er (Cruciger) also, der er geheyrathet, noch nicht Doctor, auch nur 20 Jahre alt gewesen.

Hochzeit halten vor 500 Jahren war also eine recht nüchterne Angelegenheit, in der vornehmlich die Mühsal der Ehe betont wurde. Für den Mann bedeutete die Ehe nach dieser Auffassung, im Schweiße seines Angesichts für das tägliche Brot und damit für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Der Frau wiederum wurde vor Augen gehalten, dass sie ihre Kinder unter Schmerzen gebären werde. Nichtsdestotrotz wurde aber anscheinend die Eheschließung gut gefeiert. So schrieb Johannes Bugenhagen an seinen Freund 66 

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Abb. 5 Das Leben der Hausfrau (re.), geziert mit der Taube als Symbol des Heiligen Geistes, steht polemisch dem der klösterlich lebenden Nonne gegenüber

Georg Spalatin, der Beichtvater des sächsischen Kurfürsten Friedrich der Weise war und zwischen dem Landesfürsten und Martin Luther die Kontakte pflegte: Ich konnte nicht gleich antworten, weil ich zu Hause neben den häus­ lichen Geschäften die künftige Hochzeit unserer Elisabeth vorbereitete … Wir werden aber die Hochzeit am Dienstag Mittag und den ganzen Tag feiern, der von heute an der 13. Tag sein wird. Der Bräutigam aber, Kaspar Cruciger aus Leipzig, und die Braut, meine Elisabeth, ich und meine Gattin bitten, dass Du mit Freunden, die Du mitbringen willst, bei uns sein mögest … und wenn es Dir nichts ausmacht, etwas Wildbret zu schicken! Für ungefähr zehn Tische müssen wir Speisen bereiten, denn wir haben Rücksicht zu nehmen auf die Verwandtschaft der Braut … Die erste Dichterin des Protestantismus

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Im Jahr 1524, dem Jahr ihrer Hochzeit, hat Elisabeth Cruciger auch ihr Kirchenlied »Herr Christ, der einig Gotts Sohn« geschrieben, das sie nach der Melodie eines geistlichen Liedes aus Erfurt verfasste. Herr Christ, der einig Gotts Sohn, Vaters in Ewigkeit, aus seim Herzen entsprossen, gleichwie geschrieben steht, er ist der Morgensterne, sein Glänzen streckt er ferne vor andern Sternen klar; für uns ein Mensch geboren im letzten Teil der Zeit, dass wir nicht wärn verloren vor Gott in Ewigkeit, den Tod für uns zerbrochen, den Himmel aufgeschlossen, das Leben wiederbracht: lass uns in deiner Liebe und Kenntnis nehmen zu, dass wir im Glauben bleiben, dir dienen im Geist so, dass wir hier mögen schmecken dein Süßigkeit im Herzen und dürsten stets nach dir. Du Schöpfer aller Dinge, du väterliche Kraft, regierst von End zu Ende kräftig aus eigner Macht. Das Herz uns zu dir wende und kehr ab unsre Sinne, dass sie nicht irrn von dir. Ertöt uns durch dein Güte, erweck uns durch dein Gnad. Den alten Menschen kränke, dass der neu’ leben mag und hier auf dieser Erden den Sinn und alls Begehren und G’danken hab zu dir.

Auch hier zeigt sich Elisabeth wieder als eine Autorin, die ihre Bibel kennt und mit ihr theologisch umzugehen weiß. Gleich in den ersten Versen nimmt sie Bezug auf das Johannesevangelium. ­Luther hatte Johannes 1, Vers 18 in Hinblick auf Jesus folgendermaßen übersetzt: »der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist.« Die letzte Liedstrophe wiederum hat Anklänge an die Worte, die Paulus den Römern schrieb: »Was sollen wir nun sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren, damit die Gnade umso mächtiger werde? Das sei ferne! Wie sollten wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind? Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die 68 

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Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.« (Römer 6,1–4) Auch das altkirchliche Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel mag Elisabeth zur ersten Strophe ihres Liedes inspiriert haben, heißt es doch im 2.  Glaubensartikel über Jesus Christus: »Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes einge­ borenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen.« (Evangelisches Gesangbuch 805) Kennzeichnend für Elisabeths Dichtung ist aber auch die sinnliche Sprache, die in der mittelalterlichen Mystik ihre Wurzeln haben mag. Christus ist der Morgenstern, der weithin leuchtet vor allen anderen Sternen. Seine Barmherzigkeit beschreibt sie als eine »Süßigkeit des Herzens«, die zu schmecken ist und nach der Menschen dürsten. Geistliche Erfahrungen, die sich nur schwer in Worte fassen lassen, finden in einer sinnlichen Sprache ihren Ausdruck. Auch fällt hier wiederum auf, dass die Glaubenden in unmittelbarer Beziehung zu Gott sind. Keine Heiligen, kein Lehramt, keine Engel, keine Kirche stehen zwischen der Gläubigen und Gott. Nur auf Christus allein, »solus Christus«, konzentriert sich dieses Lied. Damit nimmt Elisabeth Cruciger eines der Grundprinzipien der reformatorischen Lehre auf. Dabei meint »solus Christus« (Christus allein), dass ausschließlich durch das Heilswirken Jesu Christi der Mensch erlöst und befreit wird, nicht durch eigene Handlungen und Werke. Diese Argumentation wurde in den Auseinandersetzungen der Reformatoren mit der katholischen Kirche ergänzt durch die weiteren Grundsätze der reformatorischen Theologie: »Sola scriptura« (allein durch die Schrift), »sola fide« (allein durch den Glauben) und »sola gratia« (allein durch die Gnade) findet der Mensch zu Gott. Indem Elisabeth Cruciger ein Kirchenlied schrieb, nahm sie den sinnlichen Charakter des Glaubens auf. Denn der Glaube kommt aus dem Hören des Evangeliums (Römer 10,17). Weil der Schall des Evangeliums, der frohen Botschaft, an das Ohr dringt, können seine Worte nie nur geistig, sondern auch körperlich und sinnlich empfunden werden. Deshalb ist die Musik für den Reformator Martin Luther so wichtig. In seiner Vorrede zum »September­ Die erste Dichterin des Protestantismus

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testament«, der ersten Auflage seiner Übersetzung des Neuen Testaments, die 1522 erschien, schreibt er: »Evangelion ist ein griechisch’ Wort und heißt auf deutsch gute Botschaft, gute Mär … davon man singet, saget und fröhlich ist.« Das Singen steht bei ihm also vor dem Sagen, wie es auch sein Weihnachtslied »Vom Himmel hoch, da komm ich her« deutlich macht, wo es gleich in der ersten Strophe vom Engel heißt »davon ich singen und sagen will«. Da das Evangelium eine gute Botschaft ist, macht es den ganzen Menschen fröhlich und rührt alle seine Sinne an. »Da Gott durch seine Wunderwerke nicht allein prediget, sondern auch an unsere Augen klopfet, unsere Sinne rühret und uns gleich ins Herz leuchtet«, beschreibt es Luther. Und er kann in seinen Tischreden sagen: »Gott predigt das Evangelium durch die Musik.« Musik ist von daher kein beliebiges Attribut des christlichen Gottesdienstes, sondern sie gehört zu seinem Wesen. Ein Jahr nach der Hochzeit von Elisabeth und Caspar C ­ ruciger kam ihr erstes Kind zur Welt, ein Sohn, der wie der Vater auf den Namen Caspar getauft wurde. Die zweitgeborene Tochter erhielt den Namen der Mutter: Elisabeth. Caspar Cruciger der Jüngere wurde wie sein Vater Theologe. Nach dem Tod seines Lehrers Philipp Melanchthon im Jahr 1560 übernahm er dessen Lehrstuhl an der Wittenberger Universität, wurde allerdings wegen religiöser Auseinandersetzungen 15 Jahre später aus dem Kurfürstentum Sachsen ausgewiesen. Die Tochter Elisabeth heiratete in erster Ehe einen Rektor namens Kegel. Nachdem sie Witwe geworden war, vermählte sie sich mit Luthers ältestem Sohn Johannes. Caspar Cruciger der Ältere, Elisabeths Ehemann, wurde 1528 Theologieprofessor in Wittenberg und übernahm das damit verbundene Amt des Predigers an der Schlosskirche. An der Seite Martin Luthers arbeitete er an Bibelübersetzungen und deren Druckvorbereitungen. Als Protokollant, z. B. von Luthers Predigten, erwarb er sich einigen Ruhm, so dass Zeitgenossen über ihn sagen konnten: »Die Lutheraner haben einen Schreiber, gelehrter als alle Päpstlichen!« Über Elisabeths Leben als Pfarrfrau und Mutter, die einem Pfarrhaus vorstand, wissen wir nur weniges aus Briefen anderer. So schreibt Johannes Bugenhagen von Lübeck aus an Martin L ­ uther: 70 

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Ein Freund sagt, dass ihr alle gesund seid, dass du mit Philipp (Me­ lanchthon) ein Gastmahl gefeiert hättest … Herr Philipp hätte mir nicht schreiben können, da er vom Gastmahl weg zur Prüfung der neuen Magister geeilt sei. In der Zwischenzeit hat jener nur einen Brief der Gattin unseres Crucigers an meine Frau gebracht. Darin stand nichts Schlimmes; dennoch sagt mir meine Vermutung, dass die kluge Frau uns verschwiegen haben könnte, wenn etwas Schlimmes passiert gewesen wäre. Deshalb schwankt mein Geist zwischen Hoffnung und Furcht, doch die Hoffnung beginnt stärker zu sein …

1532 schreibt Martin Luther an Caspar Cruciger: Gnade und Frieden. Gestern brachte deine Elisabeth ein goldenes Geschenk meiner Herrin (Käthe Luther) für ein Gastgeschenk vom Markt, mein Caspar, das sehr erwünscht und ein Zeichen der Dankbarkeit war. Ich schicke wiederum deiner Herrin (Elisabeth Cruciger) dieses Markt­ geschenk, das zwar dem deinigen unähnlich ist, aber nicht unähnlich in der Absicht und dem Eifer, welches du nicht verachten mögest … es könnte vom Hals herabhängen … Leb wohl mit all den Deinen! Am Samstag des Heiligen Apostels Thomas 1532. Dr. Martinus Luther.

Die Familien Cruciger und Luther waren demnach freundschaftlich verbunden, beschenkten sich gegenseitig  – manchmal sogar mit goldenen Kostbarkeiten – und pflegten einen vertrauten Umgang. Katharina von Bora, Luthers Ehefrau, war wie Elisabeth von Meseritz vor ihrer Ehe Nonne gewesen. Sie war wie diese eine der ersten Frauen, die es wagte, einen Theologen der neuen evangelischen Glaubensrichtung zu heiraten und damit das neue Rollenbild der evangelischen Pfarrfrau zu prägen. So gab es nicht nur zwischen den Männern viele Berührungspunkte, sondern auch zwischen den beiden Frauen. Am 2. Mai 1535 starb Elisabeth in Wittenberg. Melanchthon beschreibt in einem Brief die Trauer ihres Mannes ob dieses Verlustes. »Cruciger nahm Sebaldus als Begleiter mit, damit er seine Trauer aufhebe, denn Cruciger hat die Gattin verloren.« Und was wurde aus Elisabeths Traum, der sie als Predigerin auf die Kanzel der Schlosskirche zu Wittenberg geführt hatte? Ein halbes Jahrtausend sollte es noch dauern, bis dieser Traum Wirklichkeit werden konnte und die evangelische Kirche in Deutschland Frauen ordinierte und sie mit dem Amt der Pastorin betraute. Inner­halb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Die erste Dichterin des Protestantismus

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­ achten die kleinen Landeskirchen den Anfang. So waren die m Landeskirchen Pfalz, Lübeck und Anhalt die Vorreiter und machten in der Mitte des 20.  Jahrhunderts den Weg für die Frauen­ ordination frei. Die pfälzische Synode verabschiedete 1958 das »Theologinnengesetz«, das Frauen und Männer im geistlichen Amt gleichstellte. Waltraud Hübner wurde 1959 die erste Gemeindepfarrerin bundesweit. Waren zuerst nur unverheiratete Frauen zum Pfarrdienst zugelassen, wurde später diese »Zölibatsklausel« abgeschafft. Als letzte evangelische Landeskirche in Deutschland öffnete Schaumburg-Lippe 1991 das Pfarramt für Frauen. Unter dem Einfluss der Frauenbewegung im 20.  Jahrhundert, der ökumenischen Bewegung, der Erneuerung der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Befreiungstheologie etablierte sich nach 1980 die feministische Theologie. Die Katholikin Catharina Halkes übernahm 1983 den weltweit ersten Lehrstuhl für Feministische Theologie im niederländischen Nimwegen. Im selben Jahr rückte die Schweizer Theologin Marga Bührig in das Präsidium des Weltkirchenrates. In Deutschland entstand »Schlangenbrut«, eine Zeitschrift für feministisch und religiös interessierte Frauen. 1989 hatte die Synode der EKD im badischen Bad Krozingen festgehalten: »Es ist anzustreben, dass in die Leitungs- und Beratungsgremien evangelischer Kirchen Frauen und Männer in gleicher Zahl gewählt oder berufen werden.« Mit diesem Leitsatz läutete die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland 1989 einen Reformprozess ein, der zu mehr Geschlechtergerechtigkeit innerhalb der Kirche führen sollte. Die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR stellte im selben Jahr ebenfalls die Weichen in diese Richtung. 20 Jahre später ist manches umgesetzt worden, aber es bleibt noch vieles zu tun. Mit Maria Jepsen wurde 1992 in Hamburg die erste lutherische Bischöfin weltweit gewählt. 1999 folgte in Hannover Margot Käßmann als erste Bischöfin der größten deutschen evangelischen Landeskirche. Bis 2008 gab es in der Nord­elbischen Kirche neben Maria Jepsen mit Bärbel Wartenberg-Potter im Spren­ gel Holstein-Lübeck sogar zwei Bischöfinnen und die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland wählte 2009 Ilse Junkermann zu ihrer 72 

Elisabeth Cruciger

Bischöfin. Von Oktober 2009 bis Februar 2010 stand erstmals in der Geschichte der evangelischen Kirche mit Margot Käßmann eine Frau dem Rat der EKD vor. Sie war damit, wenn auch nur für eine kurze Zeit, die höchste Repräsentantin aller Protestantinnen und Protestanten im Land der Reformation. In der Kanzelabkündigung, die ihrem Rücktritt als Landesbischöfin der hannoverschen Kirche am 24. Februar 2010 folgte, heißt es: »Als eine der ersten Frauen im Bischofsamt und als erste Ratsvorsitzende in der Evangelischen Kirche hat sie vielen Frauen Mut gemacht, sich in einer Kirche, die über Jahrhunderte von Männern geprägt war, mutig und couragiert einzubringen.« So gilt einerseits die Frauenförderung seit 1989 als Daueraufgabe in der Kirche, denn weitere Vorsätze von damals müssen umgesetzt werden: Ein angemessener Platz für die theologische Frauenforschung sowie eine Sprache in Verwaltung und Liturgie, die durchgängig Frauen und Männer berücksichtigt. Darüber hinaus hatte die Synode eine Quote beschlossen, mit der innerhalb von zehn Jahren der Anteil der Frauen in Leitungspositionen auf 40 Prozent zu erhöhen sei. Die Synodenbeschlüsse von Bad Krozingen markieren eine Zäsur im Umgang der evangelischen Kirche mit Frauen und bedeuten einen Bruch mit der auch theologisch begründeten Tradition, die die Benachteiligung von Frauen über Jahrhunderte hinweg rechtfertigte. Andererseits sprechen manche Zahlen auch nach 20 Jahren Reformprozess zur »Neuen Gemeinschaft von Frauen und Männern« von einem Treten auf der Stelle. Denn der Maßstab von 40 Prozent Frauen in kirchlichen Leitungspositionen ist auch nach 20 Jahren unerreicht. Momentan sind in der EKD 74 Prozent der Beschäftigten im Kirchendienst weiblich. Trotzdem sind nur knapp ein Drittel der evangelischen Pfarrer weiblich. Unter den Geist­lichen stellen Frauen aber die Mehrzahl derjenigen, die in Teilzeit beschäftigt sind. Mehr als die Hälfte derjenigen, die aktuell Theologie studieren, sind Frauen und so wird die evangelische Kirche in Zukunft nicht nur in ihrer ehrenamtlichen Arbeit maßgeblich von Frauen getragen und geprägt sein, sondern zunehmend auch durch ihre hauptamtlichen Würdenträgerinnen. In einer multireligiösen Gesellschaft ist das Eintreten für Geschlechtergerechtigkeit ein deutlich sichtbares Alleinstellungsmerk­ mal der evangelischen Kirche. Nach 500  Jahren Reformations­ Die erste Dichterin des Protestantismus

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geschichte in Deutschland ist es selbstverständlich, dass Frauen im Talar auf der Kanzel predigen. So hat sich der Traum Elisabeth Crucigers erfüllt, auch wenn noch einiges zu tun bleibt in Bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit in Kirche und Gesellschaft. Geboren

Um 1500 im Grenzgebiet zwischen Polen und Pommern als Elisabeth von Meseritz

Gestorben

1535 in Wittenberg

Leben

Sie heiratete 1524 den Wittenberger Reformator und Gelehrten Caspar Cruciger, nachdem sie zuvor das Kloster Marienbusch bei Treptow verlassen hatte. Dort hatte sie in einem Konvent der Prämonstratenserinnen als Nonne gelebt. Als Autorin von Kirchenliedern, von denen nur eines noch überliefert ist, gilt sie als erste Dichterin des Protestantismus

Werk

Das Kirchenlied: »Herr Christ, der einig Gotts Sohn«

Ursula von Münsterberg Eine Nonne flieht aus dem Kloster

Es ist nicht alles Gold, das gleißt. Denn wer wollte doch unter einem solchen säuberlichen Schein menschlicher Heiligkeit eine solche große Gefahr suchen? Wir glauben’s auch nicht, wenn wir selber nicht so tief darinne gesteckt hätten Ursula von Münsterberg in ihrer Rechtfertigungsschrift zum Verlassen ihres Klosters, 1528

Eine vom Klosterleben enttäuschte Nonne legt ausführlich in

einem Bericht dar, warum sie nicht länger in ihrem Konvent bleiben kann, in dem sie doch aufgewachsen ist und viele Jahre ihres Lebens verbracht hat. Diese desillusionierte Frau ist nicht irgendwer, sondern sie ist die Enkelin des böhmischen Königs Georg ­Podiebrad, Cousine der regierenden Herzöge Georg und Heinrich von Sachsen, und daher selbst eine durchlauchte und hochwohl­ geborene Herzogin: Ursula von Münsterberg. In 69 Artikeln rechtfertigt sie ihren Schritt, die bergenden Klostermauern des Ordens der heiligen Maria Magdalena von der Buße in Freiberg (Sachsen) zu verlassen. Als sie diese Rechtfertigungsschrift verfasst, lebt sie nach eigenem Bekunden noch im Konvent. »Vollendet und geschrieben mit unserer eigenen Hand, am 28. April 1528« ist unter ihrem Schreiben zu lesen. Erst Monate später wird sie gemeinsam mit zwei weiteren Nonnen, der Freiberger Bürgerstochter Dorothea Tanberg und der Leipziger Bürgerstochter Margaretha Volckmar, aus dem Kloster fliehen. Am Abend des 6.  Oktober hören die Mitschwestern zwar ein ungewöhnliches Pochen an einer der Türen des Konvents, denken sich aber weiter nichts dabei. Erst am nächsten Morgen wird an der Gartentür ein Schleier gefunden und die Flucht der drei Nonnen ist offenkundig. Warum ver­lassen drei junge Frauen ihr Kloster, um einer sehr ungewissen Zukunft Eine Nonne flieht aus dem Kloster

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entgegen zu gehen? Ursula von Münsterberg legt ihren Zeitgenossen die Gründe ausführlich dar. »Solch alles, lieben Freunde, die ihr seid unsere Brüder und Schwestern in Christo, Eines Glaubens und Einer Taufe (Epheser  4,5), haben wir euch öffentlich wollen an Tag geben, auf das ihr kennen möget, dass die Verlassung unsers Ordens nicht herfließe aus einem leichtfertigen Gemüte, sondern aus mächtigen, wichtigen und ernsten Sachen, in denen kein Schimpf nicht vorzu­ wenden ist.« Sie wird nicht müde, in ihrem Bericht zu betonen, dass sie nicht aus Leichtfertigkeit gehandelt habe, »sondern dieweil ich schuldig bin, vor Gottes Gericht Rechenschaft zu geben für meine Seele«. Auch nicht aus einer Gemütslaune heraus ist nach eigenem Bekunden ihr Schritt geschehen, »sondern allenthalben bewogen und wohlbedacht.« Denn Ursula von Münsterberg hatte sich bereits etliche Zeit vor ihrer Flucht aus dem Kloster mit reformatorischem Gedankengut beschäftigt. Die Ehefrau ihres Cousins Heinrich, Herzogin K ­ atharina, spielte dabei eine besondere Rolle. Ursula hatte mit ihren Vettern Georg und Heinrich einen Teil ihrer Kindheit verbracht. Geboren in den Jahren zwischen 1491 und 1495, verlor sie beide Eltern schon als Kind. Ihre Mutter Margaretha, Tochter des Markgrafen Bonifazius von Montferrat, starb bereits 1496, ihr Vater Viktorin, Herzog von Troppau, nur vier Jahre später. Aufgenommen wurde sie daraufhin von ihrer Tante Zdena, der Schwester ihres Vaters. Zdena war die Ehefrau Herzog Albrecht von Sachsens und Mutter der beiden Brüder Georg und Heinrich, mit denen Ursula einige Jahre ihrer Kindheit verlebte. Wann genau sie in das Kloster zu Freiberg gegeben wurde, ist unklar, vermutlich aber bereits in Kinderjahren. Vom neunten bis zum fünfzehnten Lebensjahr konnten Kinder in Klöstern aufgenommen werden. Ursulas Mitgift beim Eintritt in den Konvent war sehr bescheiden und nach dem Wunsch der Tante sollte sie gehalten werden wie eine gewöhnliche Nonne. Die familiären Bande waren anscheinend auch durch das Leben im Kloster nicht gerissen. So sind zwei Briefe Ursulas überliefert, in denen sie eine Cousine um finanzielle Unterstützung bittet, da sie ihre Ausgaben nicht selbst bestreiten konnte. Ferner scheint es einen engen Kontakt zur Frau ihres Vetters Heinrich, Herzogin 76 

Ursula von Münsterberg

Abb. 6 Die ehemalige Nonne Ursula von Münsterberg verfasste eine Rechtfertigung über das Verlassen ihres Klosters

Katharina, gegeben zu haben. Laut Auskunft einer Mitschwester, die nach Ursulas Flucht aus dem Kloster vernommen wurde, war es die Herzogin selbst, die heimlich Schriften Martin Luthers in das Kloster schmuggeln ließ, so dass Ursula sie lesen konnte. Dahinter stand ein nicht unerheblicher Konflikt in der Herrscher­ familie. Georg von Sachsen, auch genannt Georg der Bärtige und älterer Bruder Heinrichs, war ein entschiedener Gegner M ­ artin Luthers. Bereits 1523 ließ Georg alle Luther-Bibeln in seinem Land beschlagnahmen und schloss sich mit katholischen Fürsten zu einem Bündnis gegen die Reformation zusammen. Doch er konnte nicht verhindern, dass die neue Lehre in seinem Herrschaftsgebiet immer mehr an Einfluss gewann. Sein Bruder Heinrich, genannt Heinrich der Fromme, war seit 1512 mit Katharina von Mecklenburg verheiratet und der Reformation gegenüber sehr aufgeschlossen. In Freiberg, wo Heinrich und Katharina residierten, setzten sie auch gegen den Willen Georgs luthe­rische Prediger in den Klöstern ein. Als Georg 1539 starb, folgte ihm Heinrich in der Regentschaft und setzte unmittelbar nach Machtantritt die Reformation in seinem gesamten Land um. So dürfte der Anteil Herzogin Katharinas an der Flucht Ursula von Münsterbergs aus dem Kloster nicht unerheblich gewesen sein, da sie zumindest geistlich den Weg dazu mit vorbereitet hatte. Ursula benennt in ihrer Rechtfertigungsschrift zum Verlassen ihres Klosters klar und unmissverständlich ihre GlaubenskonEine Nonne flieht aus dem Kloster

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flikte sowie ihre ernsthafte Auseinandersetzung mit den theologischen Gründen, die zu ihrer Flucht führten. So schreibt sie über die Klostergelübde von Gehorsam, Keuschheit und Armut: »Und eben die Gelübde, so sie sagen, unsere Seligkeit soll darinne stehen, die sind es, die uns von Gott reißen, und werfen uns in Ungewissheit und ewige Verdammnis; derhalben wir sie haben müssen verlassen.« Denn »eben in dem, da wir durch Annehmen des Ordens uns haben wollen seligen, Sünde tilgen, Heiligkeit über alle andere zu erlangen uns unterstanden. Und das nicht durch Christum, der zu solchem von Gott gesandt und verordnet ist, sondern durch dies unser Werk.« Nach allem, was sie im Kloster tagtäglich zu hören bekam, seien Klosterleute durch die Annahme der Gelübde von »Pein und Schuld« befreit, ja, die Gelübde seien sogar einer zweiten Taufe gleichzusetzen. Ursula tritt dieser Auffassung, die Klostergelübde seien wie eine zweite Taufe, empört entgegen. Dieweil wir Christo in der Taufe verbunden sind mit unauflöslichem Bande ehelicher Gemahlschaft durch den Glauben … sondern haben uns auch eine eigene und erdichtete Gemahlschaft zugerichtet, in welcher wir, des Teufels Hoffahrt vollkommen zu machen, mit Ehebrechers Büberei aus der keuschen Ehe Christi getreten sind, nämlich in dem, dass wir neben Gott, so unser vertrauter Bräutigam durch das Verbündnis des Glaubens, mit einem anderen die Ehe brechen, nämlich, mit unseren erdichteten Werken, in welche wir vertrauet haben; und haben uns dennoch wohl dürfen rühmen, wir sind Bräute Christi, haben uns noch wohl dazu dürfen überheben über andere Christen, welche wir des unwürdig geschätzt haben.

Eine ganz spezifisch weibliche Deutung der Verbundenheit mit Jesus Christus tritt hier zu Tage, indem Ursula sich als Braut Christi versteht und die Taufe als eine eheliche Gemeinschaft mit ihm auffasst. Demgegenüber stehen die Klostergelübde als selbst aus­ gedachte menschliche Werke, die diese eheliche Gemeinschaft in der Taufe wie eine Form von Ehebruch zerstören. Ursula bekennt freimütig, dass sie trotz aller Gelübde nie ihre Glaubenszweifel verlor. Denn sie habe stets das Gefühl gehabt, »dass wir unser Gebäude auf einen gefährlichen ungewissen Grund gesetzt haben, auf welchen wir alle Augenblick mit Furcht und Zittern gewärtig sein müssen eines großen und unwiederbringlichen Falls.« Sie beschreibt diesen Zustand sehr anschaulich. 78 

Ursula von Münsterberg

Wir werden wie ein Rohr vom Winde hin und her getrieben in unserem Glauben, und werden mächtig angestoßen mit starkem Platzregen des Erschreckens und Zweifels an Gott, und denn mit starken Winden menschlicher Lehren, und mit großem Gewässer der Anfechtung, dass wir fühlen, dass wir gar nicht länger bestehen können in unserem Glauben.

Der Zwang des Klosterlebens beschwert sie, so dass sie schreiben kann: »Derhalben bekennen wir öffentlich, dass dieser Stelle und Ortes kein frei Bekenntnis gewesen ist, sondern eitel Furcht und Angst, und die vor den Menschen und nicht vor Gott.« Sieben Gründe führt sie an für ihren Entschluss, nicht länger im Kloster zu bleiben. Da ist zum einen die grundsätzliche theo­ logische Überzeugung: Nur durch den Glauben sind Menschen vor Gott gerechtfertigt und eben nicht durch eigene Werke. Daher ist in Ursulas Augen der Weg, durch das Klosterleben selig zu werden, ein falscher Weg. Sie nennt darüber hinaus weitere Argumente. So widmet sie sich dem Zwang des Klosterlebens, der für sie u. a. darin bestand, am Abendmahl teilnehmen zu müssen, ohne wirklich »eine hungrige Seele« zu haben, sowie dem unnötigen Fasten, das ihren Körper schwächte. »Wir bezeugen aber vor Gott und aller Welt, dass in unserm Vermögen nicht gewesen ist, in der Nacht aufzustehen und über den Tag stets zu singen und lesen, und zugleich mit ihnen zu fasten, welches viel ist über Jahr, und gleicher Speise und Tranks mit ihnen zu gebrauchen, so wir fühlen unserer Gesundheit entgegen und unserm schwachen Leibe unträglich.« Der dauerhafte Streit unter den im Kloster lebenden 77  Nonnen war für sie ein weiterer Grund. »Solche Liebe und Friede können wir dieser Stelle und Ortes nicht spüren, sondern eben das Widerspiel, und dass diese Worte Christi in vollem Schwang gehen, Matth. 10,36: ›Des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein‹.« Ihr letztes Argument gilt der Nächstenliebe und der Seelsorge der christlichen Gemeinde. Durch das abgeschlossene Klosterleben seien weder tätige Nächstenliebe noch seelsorgerliche Arbeit möglich, obwohl Ursula die Not vieler außerhalb des Klosters gesehen habe. »Hätten auch oft gewußt, kranken Leuten Rettung zu tun mit Heimsuchung, Wartung und Handreichung; desgleichen auch sterbenden Leuten mit Gesellschaft zu leisten, sie zu trösten und stärken mit dem Wort Gottes, welches zu der Zeit auf höchste vonnöthen ist, … ist uns aber nicht gestattet.« Eine Nonne flieht aus dem Kloster

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Die Reformatoren hatten früh begonnen, gegen das Kloster­ leben zu argumentieren. So forderte Martin Luther bereits 1520 in seiner Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation«, die Klöster sollten in Schulen verwandelt werden. Seine Kritik machte sich u. a. an den Gelübden fest, die wie ein »ewiges Gefängnis« wirkten. Andreas Bodenstein, genannt »Karlstadt«, in den frühen Jahren der Reformation einer der Mitstreiter an Luthers Seite in Wittenberg, wurde in seiner 1521 erschienenen Flugschrift »Unterrichtung von den Gelübden« noch deutlicher. Die Klostergelübde seien nicht bindend, argumentiert er, daher könnten Klosterleute mit gutem Gewissen ihren Konvent verlassen und heiraten. Er kritisierte vehement die besonders in Klöstern praktizierte Heiligenverehrung. »Sankt Klara ist kein Gott, Franziskus ist nicht Gott! Ich glaube nur an einen Gott und gedenke der Heiligen Schrift, die sagt: ›Höre Israel, dein Gott ist einzig, und er ist allein ein Gott‹.« Ebenso setzte sich 1521 Philipp Melanchthon kritisch mit den klösterlichen Gelübden auseinander. In seinem theologischen Lehrbuch, den »Loci«, schreibt er: »Die Schrift gebietet weder, irgendein Gelübde abzulegen, noch rät sie es. Gott billigt aber nur das, was er gebietet oder anrät.« Ein Jahr später machte Martin Luther in seiner auf der Wartburg verfassten Schrift »Von den Mönchs­ gelübden« seine Position klar. Nach seiner Rückkehr von der Wartburg nach Wittenberg fand Luther sich zudem mit der Frage konfrontiert, ob er auch prak­ tische Hilfe beim Verlassen eines Klosters leisten wolle und könne. Neun Nonnen des Klosters Nimbschen bei Grimma wollten ihren Orden verlassen, bekamen aber in ihren eigenen Familien keine Unterstützung. Luther fand für die Entführung der Nonnen aus dem Kloster den angesehenen Torgauer Ratsherren und Kaufmann Leonhard Koppe, der Ostern 1523 den Klosterfrauen zur Flucht verhalf. Unter den neun Geflüchteten befand sich auch Katharina von Bora, die gemeinsam mit den anderen am 7. April in Wittenberg eintraf. 1525, im Jahr des Bauernkrieges, haben Martin Luther und Katharina von Bora geheiratet. In einem offenen Brief an Leonhard Koppe, verfasst direkt nach der Flucht der neun Nonnen, schreibt Luther über »Ursache und Antwort, dass Jungfrauen Klöster göttlich verlassen dürfen«. Er macht in dieser Schrift deutlich, dass ein Mensch vor der Welt wohl gezwungen werden kann zu Dingen, die er nicht gerne tue. »Aber vor Gott und in Gottes 80 

Ursula von Münsterberg

Dienst soll und kann kein Werk noch Dienst erzwungen und ungerne geschehen.« Schädliche und unchristliche Gelübde seien daher nicht zu halten, denn Gott werde die Gelübde verdammen, »die der Seele Schaden und Verderben sind.« Daher schlussfolgert er, »dass man aus Klöstern zu laufen helfen und raten soll, damit die Seelen herausgerissen, -geführt, gestohlen und geraubt werden, wie man kann, ohne Rücksicht darauf, ob tausend Eide und Gelübde abgelegt worden wären.« Manche Reformatoren nahmen dabei allerdings auch keine Rücksicht auf den Willen der im Kloster lebenden Frauen. Ein unrühmliches Beispiel ist aus der Reichsstadt Nürnberg überliefert, in der der Rat der Stadt – gemeinsam mit dem Reformator Andreas Osiander – einen nicht unbeträchtlichen Eifer an den Tag legte, um Nonnen aus den Klöstern durch Anwendung von Gewalt zu zwingen. Gut dokumentiert sind dabei die Geschehnisse um das Klarissenkloster, dem als gebildete, geistesgewandte und selbstbewusste Äbtissin Caritas Pirckheimer vorstand. Sie war die Schwester von Willibald Pirckheimer, einem weitgereisten und hochgebildeten Juristen, Diplomaten und Geschichtsschreiber, und entstammte einer angesehenen Nürnberger Patrizierfamilie. In ihren »Denkwürdigkeiten der Äbtissin Caritas Pirckheimer« schildert sie eindrücklich den Zwang, unter den sie zunehmend mit ihren Kloster­ schwestern geriet. Ihre franziskanischen Beichtväter wurden ihnen entzogen und sie mussten zwangsweise evangelischen Predigern zuhören, die sie beschimpften. Anwesenheitskontrollen wurden durchgeführt. Damit nicht genug, wurde auch kontrolliert, ob die Nonnen sich nicht mit Wolle die Ohren zugestopft hatten. Unter Zwang sollten die Klosterfrauen weltliche Kleidung tragen und ihre Nonnentracht ablegen. Bei den Stundengebeten flogen Steine über den Lettner auf die versammelten Klosterschwestern, auf dem Friedhof vor dem Kloster wurden von Anhängern der Reformation Spottlieder gesungen. Eltern holten ihre erwachsenen Töchter gegen deren Willen und unter Anwendung von körperlicher Gewalt aus dem Kloster. In einem Gutachten rechtfertigte Andreas Osiander dieses Verhalten ausdrücklich und empfahl, die widerspenstige Äbtissin Caritas Pirckheimer aus der Stadt zu weisen. Caritas Pirckheimer, die zeitlebens mit vielen angesehenen Humanisten und Gelehrten in brieflichem Austausch stand, wandte Eine Nonne flieht aus dem Kloster

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sich in ihrer Not an ihren Bruder Willibald, der wiederum einen regen Briefwechsel mit Philipp Melanchthon pflegte. Pirck­heimer schildert in diesem Brief, der nur noch fragmentarisch erhalten ist, die Bedrängnisse der Klarissen und äußert die Vermutung, dass Melanchthon, wenn er die Situation vor Ort genau kenne, erschüttert wäre. Bei einer Reise Melanchthons nach Nürnberg kam es 1525 zu einem langen Gespräch zwischen Caritas Pirckheimer und dem Wittenberger Reformator. Melanchthon erklärte dabei, dass niemand mit Gewalt gezwungen werden könne, ein Kloster zu verlassen. Denn im Kloster könne man ebenso selig werden wie in der Welt, sofern man die gegebenen Gelübde nicht als verdienstlich ansehe. Waren für Melanchthon die Kloster­gelübde jedoch nicht ewig bindend, so sah Äbtissin Caritas Pirckheimer dies anders und betonte, Gott gegebene Versprechen müsse man halten. Trotz dieser Meinungsverschiedenheit gab es in vielen Dingen eine große Übereinstimmung der Beiden, und Caritas Pirckheimer äußerte sich mehrfach nach der Begegnung positiv über Melanchthon und wünschte, alle Evangelischen mögen so weitherzig handeln wie er. Als Folge der Begegnung sprach sich Melanchthon dem Rat der Stadt Nürnberg gegenüber sehr deutlich gegen Gewaltmaßnahmen in Klöstern aus. Mit Androhung von Zwangsmaßnahmen hatte auch Ursula von Münsterberg nach ihrer Flucht aus dem Kloster zu kämpfen. Kaum hatte sie am 6. Oktober 1528 heimlich das Kloster verlassen, folgt am 10. Oktober der erste Brief ihrer Vettern Georg und Heinrich an den lutherischen Kurfürsten Johann, in dessen Gebiet ­Ursula geflohen war. Darin fordern die Brüder, dass die aus Freiberg entflohenen Nonnen aufzuspüren seien und »an den Ort möchten gebracht werden, dahin sie sich durch ihren Eid ergeben haben.« Unter Gewaltanwendung sollten die drei Geflüchteten also wieder zurückgebracht werden in ihr Kloster. Ein reger Briefwechsel der Regenten setzt daraufhin ein. Kurfürst Johann antwortet am 13.  Oktober, er werde in Erfahrung bringen, wo die drei seien, wolle sie und deren Gründe zur Flucht aber anhören, bevor er handle. Am 16. Oktober kommen die drei Frauen in Wittenberg an, zwei Tage später schreibt Ursula an ­Johann, dass sie nicht ohne sein Wissen seinen Herrschaftsbereich verlassen werde. »Bin der gewissen Zuversicht zu Euer Liebden und einem jeden, so des heiligen Evangeliums Bericht hat, sie wer82 

Ursula von Münsterberg

den aus meinem Bericht, so ich schon schriftlich verfasst, als ich noch in schwerer Angst und Gefängnis meiner Seele gelegen bin … erfahren, dass ich mich samt meinen zwei Jungfrauen aus keinem Vorwitz noch leichtfertigem Gemüt aus dem Kloster be­geben habe. Dafür nehme ich Gott und mein Gewissen zu Zeugen … Überdies begehre ich nichts auf dieser Welt, wenn ich sollte diese Stunde vor Gottes Gericht gehen. Darauf will ich frei und fröhlich sterben.« Daraufhin informiert am 8. November Johann die beiden Brüder Georg und Heinrich, dass Ursula sich in Wittenberg aufhalte. Sie könnten ihrerseits Gesandte nach Wittenberg schicken, er selbst werde auch Vertrauensleute dorthin beordern, damit sie sich von Ursula selber darlegen ließen, weshalb sie das Kloster verlassen habe. Die Absage auf dieses Angebot erfolgt prompt am 15. November, denn die beiden Herzöge befürchten, »dass sich die ganze lutherische Synagoga dieser Sache annehmen und unsere Ab­geordneten in eine weitläufige Disputation führen werde, woran uns denn gar nicht gelegen ist.« Sie erneuern vielmehr noch einmal ihre Forderung, Ursula per Zwangsmaßnahme in ihr Kloster zurückzubringen sowie alle »mit Ernst« zu bestrafen, die ihr behilflich gewesen seien. Da die Herzöge auf sein Gesprächsangebot nicht eingehen, will Johann die Sache nun auf sich beruhen lassen und legt seinem Antwortbrief eine Kopie der Rechtfertigungsschrift Ursulas bei. Er erwähnt noch, dass diese Schrift demnächst auch veröffentlicht werde. Georg versucht in einem weiteren Brief, die Veröffentlichung zu verhindern. Als Grund gibt er an: »Denn wenn sie das vorhat, würde es den frommen Geistlichen und fügsamen Kindern, die sich ihrer Pflicht gemäß im Kloster aufhalten, nicht wenig zum Ärgernis und zum Bösen gereichen und vor ihrer Verwandtschaft schwerlich zu verantworten sein. Dadurch würde auch weiter Geschimpfe erregt, dergleichen möchten viele arme unverständige Seelen aus Einfalt verursacht werden, von ihrem christlichen zu einem gottlosen Wesen abzufallen, wie man denn an vielen Orten jetzt hin und wieder findet.« Darauf wiederum antwortet Johann, Ursulas Rechtfertigungsschrift zum Verlassen ihres Klosters sei bereits veröffentlicht, und er habe nichts darin finden können, was ungebührlich und unbegründet sei. Diese Abhandlung Ursulas zu den Gründen ihrer Klosterflucht werde vielmehr ­denen, Eine Nonne flieht aus dem Kloster

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»so im gleichen Gefängnis der Gewissen verhaftet, zur Besserung und zum Trost gereichen.« So erscheint Ursulas Schrift im Druck, versehen mit einem Nachwort Martin Luthers. Darin schreibt Luther, es gebe zwar schon so viele Rechtfertigungsschriften zum Verlassen von Klöster, dass »bei den Unseren solche Büchlein schier ein Überdruß worden sind, und die Kinder allenthalben auf der Gasse genugsam davon singen«, aber er habe sich trotzdem dazu entschlossen, gerade diese Schrift in den Druck zu geben. Als ersten Grund dafür nennt er die adlige Herkunft der Verfasserin. Die vornehmste und erste (Ursache zur Veröffentlichung, S. D.) ist, Gott und sein heiliges Wort zu preisen und loben, welches durch seine Gnade so kräftig in der Welt wächst und zunimmt, dass es nicht allein gemein geringer Stände Volk zu Christo bringt, sondern auch aus den hohen, königlichen und fürstlichen Stämmen Gottes Auserwählte wunderbarlich gewinnt, ungeacht und unangesehen alle Mühe und Arbeit, Fleiß und Sorge, Kost und Zehrung des wütigen Satans, so er durch seine Glieder drauf wendet und übt, sonderlich solchen hohen Stämmen das Wort Gottes zu wehren und hindern.

Außerdem hegt Luther mit der neuerlichen Veröffentlichung einer Druckschrift, die zum Verlassen der Klöster gute Argumente bietet, die Hoffnung, doch noch möglichst viele von der Richtigkeit dieses Schrittes zu überzeugen. Er wolle die Gegner mit »solchen Schriften und Exempeln reichlich überschütten, damit sie ja keine Entschuldigung haben mögen und desto tiefer sich selbst verdammen.« Schlussendlich ist es für ihn ein »Wunderwerk Gottes«, dass eine Fürstin aus dem »fest und hart« verschlossenen Kloster in Freiberg fliehen konnte. Auch dies ist für ihn ein Grund, ihre Schrift zu veröffentlichen und in den Druck zu geben. Bis zum Ende des Jahres 1528 blieben die drei ehemaligen Nonnen Ursula von Münsterberg, Dorothea Tanberg und Marga­retha Volckmar in Wittenberg. Dann reiste Ursula gemeinsam mit Dorothea zu ihrer verheirateten Schwester nach Marienwerder, von wo aus sie weiter brieflich in Kontakt zu Luther blieb. 1530 lebte sie bei ihrem Vetter Herzog Friedrich II. in Liegnitz. An ihn ist auch ihr letztes bekanntes Lebenszeichen adressiert, ein Brief vom 2. Februar 1534. Wann und wo sie gestorben ist, wissen wir nicht. 84 

Ursula von Münsterberg

Über eine ihrer Vertrauten, die mit ihr geflohene Marga­retha Volckmar, ist weiter nichts bekannt. Von Dorothea Tanberg ist überliefert, dass sie einen Pfarrer in der Nähe von Dresden hei­ ratete. Dem Beispiel Ursula von Münsterbergs sollten noch weitere Nonnen des Klosters Freiberg folgen. Im Juni 1529 trafen bei ­Luther in Wittenberg drei weitere entflohene Klosterfrauen ein, im Januar 1532 folgten noch einmal mehrere Konventualinnen des Magda­ lenenklosters. So schritt die Auflösung der Klöster überall dort voran, wo die Reformation an Einfluss und Macht gewann. Sie brachte den Frauen, die nicht mehr im Kloster leben wollten, eine neue Freiheit. Außer dem Modell der Ehefrau, deren Status durch die reformatorische Lehre enorm aufgewertet wurde, bot sich den ehemaligen Nonnen aber keine neue Lebensform. Die Reformatoren schufen keine Ämter in der Kirche für Frauen. Hatte in der katholischen Kirche die Äbtissin eines Frauenklosters auch weiterhin ein kirchliches und geistliches Amt, so gab es über Jahrhunderte hinweg nichts Vergleichbares in der evangelischen Kirche. Zwar wurde ganz zu Beginn der Reformation in Straßburg darüber diskutiert, weibliche Diakone zu installieren, die Idee aber nie in die Wirklichkeit umgesetzt. Katharina Zell hatte in ihren Ausführungen zu Reformen im »Blatternhaus« ihrer Heimatstadt Straßburg 1557 als seelsorgerliche Begleitung der Kranken nicht nur einen »Hausvater«, sondern auch eine »Hausmutter« gefordert. Aber auch dieser Vorstoß fand keinen Widerhall. So öffneten sich für die Frauen, die die Klostermauern als Gefängnis empfanden, wie es Ursula von Münsterberg eindrucksvoll in ihrer Rechtfertigungsschrift darlegte, neue Möglichkeiten und Lebensperspektiven. Durch die Auflösung der Klöster wurde aber Frauen auch eine Perspektive versperrt, ihr Leben außerhalb der Ehe in einem autonomen, nicht von Männern dominierten Raum zu gestalten. Vornehmlich in Niedersachsen haben sich auch nach der Re­ formation Evangelische Damenstifte erhalten, in denen unverheiratete adelige Töchter ein evangelisches Klosterleben führten. Allein im Bereich der Klosterkammer Hannover gibt es bis heute 15 Klöster und Stifte, die sich als »Lern-, Begegnungs- und Erfahrungsorte für Frauen« verstehen. Eine Nonne flieht aus dem Kloster

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Unter dem Titel »Verbindlich leben – Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)« widmete sich in einem Votum der Rat der EKD im Jahr 2007 dem Leben in den mittlerweile etwa 120 geistlichen Gemeinschaften und rund 100 diakonischen Gemeinschaften auf evangelischer Seite. Darunter finden sich etwa ordensähnliche Kommunitäten und Klöster, Bruder- und Schwesternschaften sowie Familiengemeinschaften. Die Mitglieder leben nach bestimmten Regeln oder einer kommunitären Ordnung. Die Kommunitäten finanzieren sich überwiegend durch die gemeinsame Arbeit oder Einkünfte aus Berufstätigkeit. Zudem werden viele Kommunitäten von Freundes- und Förderkreisen finanziell unterstützt. In seinem Vorwort würdigte der damalige Ratsvorsitzende Bischof Dr. Wolfgang Huber die evangelischen Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften als »Schatz der evangelischen Kirche, den es zu fördern und zu festigen gilt«, weil »die evangelische Spiritualität auf Gemeinschaften angewiesen ist, die dem gemein­ samen geistlichen Leben gewidmet sind.« Dabei zeige sich, dass die evangelischen Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften eine zukunftsträchtige Form des geistlichen Lebens sind, insofern sie als Kraftorte des Glaubens und als Leuchttürme evangelischer Spiritualität nicht nur intensive geistliche Arbeit mit ökumenischer Weite verbinden, sondern in ihrer Mischung aus Autonomie und Alternative auch das Potenzial haben, »kommunitäre Profilgemeinden« zu bilden. So findet in der evangelischen Kirche momentan eine neue Würdigung des geistlichen Lebens in einer verbindlichen Gemeinschaft statt. Auch die Angebote eines »Klosters auf Zeit«, wie sie mittlerweile von vielen als Ruhezeiten geschätzt werden, deuten auf eine Neuentdeckung der Möglichkeiten des Klosterlebens hin, die sich in evangelischer Freiheit ergeben.

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Ursula von Münsterberg

Geboren

In den Jahren zwischen 1491 und 1495 als Enkelin des böhmischen Königs Georg Podiebrad

Gestorben

Nach 1543

Leben

Wuchs als Waise am herzoglichen Hof Albrecht von Sachsens und im Kloster des Ordens der heiligen Maria Magdalena von der Buße in Freiberg (Sachsen) auf. 1528 floh sie aus dem Kloster und rechtfertigte diesen Schritt in einer selbstverfassten Schrift

Werk

»Frau Ursulen, Herzogin zu Münsterberg, christliche Ursachen des verlassenen Klosters zu Freiberg, mit Luthers Nachschrift« aus dem Jahr 1528

Florentina von Oberweimar Gewalt im Kloster

Was für eine Beschwernis mir täglich in meinem Gewissen davon erwachsen ist, gebe ich einem jeglichen frommen Christen und Liebhaber evangelischer Wahrheit zu ermessen. Florentina von Oberweimar in ihrer Flugschrift von 1524

M

it sechs Jahren von den Eltern ins Kloster gegeben, mit elf als Braut Christi eingesegnet »in unwissender Kindlichkeit«, trotz innerem Widerstand das Noviziat durchlaufen und dann mit 16 Jahren aus Resignation die Gelübde einer Nonne abgelegt. Konnte das gut gehen? In die Geschichte eingegangen ist Florentina von Oberweimar als eine der Ersten, die als geflohene Nonne öffentlich darüber Rechenschaft ablegte, warum sie das Kloster verließ und was sie dort erlebt hatte. So ist ihr Bericht »Eine Geschichte, wie Gott einer ehrbaren Kloster-Jungfrau ausgeholfen hat« – so der Titel ihrer von Martin Luther herausgegebenen Flugschrift – ein beredtes Zeugnis über die Verhältnisse, die zu Beginn der Neuzeit in manchen Frauenklöstern herrschten. Geboren wurde Florentina um das Jahr 1506 in eine alte, adelige Familie hinein. Väterlicherseits in das Geschlecht derer von Oberweimar, mütterlicherseits in das der Familie von Watzdorf, die sich in der Region Mansfeld niedergelassen hatte. Durch ihre Tante Katharina von Watzdorf kam sie in das Kloster Neu-Helfta, das gut zwanzig Kilometer von Mansleben entfernt lag und dessen Äbtissin Katharina war. Florentina schreibt, ihre Eltern hätten sie auf »Bitte und Anreiz« der Tante dorthin gegeben, da sie den geistlichen Stand für »gut und selig« angesehen hätten. Damit handelten Florentinas Eltern so wie viele andere Adelige es auch taten, die ihre Töchter entweder aus eigener Frömmigkeit in ein Kloster Gewalt im Kloster

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gaben, oder aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus. Denn so sparte sich die Familie die Mitgift bei einer Heirat. Helfta war im Mittelalter eines der bekanntesten und angesehensten Frauenklöster, hatten in seinen Mauern doch drei berühmte Mystikerinnen gelebt und gewirkt: Mechthild von Magdeburg (1207–1282) hinterließ bedeutende Schriften, Mechthild von Hackeborn (1241–1299) leitete die Klosterschule und Gertrud von Helfta (1256–1302) wirkte ebenfalls durch ihre Schriften in die Nachwelt hinein. So war Helfta zu dieser Zeit bekannt als »Krone der deutschen Frauenklöster«, denn die wissenschaftliche Bildung der Ordensfrauen und ihre ausgeprägte Christusmystik und Marien-Frömmigkeit war berühmt. Davon zeugt zum Beispiel eine Ode, die Mechthild von Magdeburg in ihrem Werk »Fließendes Licht der Gottheit« hinterließ. Dort heißt es: Ich grüße dich, liebe Frau, Du bist eine Wonne der Heiligen Dreifaltigkeit. Ich grüße dich, liebe Frau, Du bist ein Beginn all unserer Seligkeit. Ich grüße dich, liebe Frau, Du bist eine Gefährtin der heiligen Engel, hier und in Gottes Reich. Ich grüße dich, liebe Frau, Du bist eine Blume der Patriarchen. Ich grüße dich, liebe Frau, Du bist eine Hoffnung der Propheten. Ich grüße dich, liebe Frau, Du bist eine weiße Lilie der demütigen Jungfrauen. Ich grüße dich, Frau Maria, und gedenke, wie der Gruß dir geschah aus Gabriels Munde, und grüße meine Seele in ihrer letzten Stunde, und führ mich in Freuden und selig aus dieser Verbannung in das freudenreiche Land deines lieben Kindes, in dem ich Ruhe finde.

Gertrud von Helfta wiederum konnte über ihre mystischen Erscheinungen, in denen sie sich als eine erlebte, die mit Gott aufs Tiefste vereint ist, schreiben: »Und siehe da! Meine Seele erkannte, dass ein zartes, gleichsam zur Stunde geborenes Kindlein wie einen Augenblick lang ihr gezeigt und dargereicht und wie in einem Teile des Herzen aufgenommen wurde. Traun! In diesem Kindlein barg sich das Geschenk der höchsten Vollkommenheit und die wahrhaft beste aller Gaben. Kaum fühlte meine Seele es in 90 

Florentina von Oberweimar

Abb. 7 »Eltern geben ihre Tochter in ein Kloster«, Geiler von Kaysersberg, Johannes

sich, da schien sie plötzlich ganz umgewandelt zu sein in dieselbe Farbe mit ihm, wenn man Farbe nennen kann, was durch kein sichtbares Bild sich bezeichnen lässt. Hierdurch empfing sie ein unaussprechliches Verständnis jener süßströmenden Worte: ›Gott wird alles in allem sein‹, da sie nämlich fühlte, wie sie den Geliebten, der ihr eingesenkt worden, umschließe, und der huldvollsten Gegenwart des holdseligsten Bräutigams sich erfreute. Darum trank sie mit unersättlicher Begierde aus dem von Gott ihr dargereichten Honigbecher folgende Worte: ›Wie ich das Gleichbild des Wesens Gottes des Vaters in der Gottheit bin, so wirst du ein Bild meines Wesens seitens der Menschheit sein, indem du in deine Seele die Ergüsse meiner Gottheit aufnimmst wie die Luft die Strahlen des Sonnenlichtes, damit du, von diesem einigenden Strahle innerlich durchdrungen, zur vertrauteren Vereinigung mit mir befähigt werdest‹«. (aus: Gesandter der gött­ lichen Liebe, II. Buch, Kapitel 6) Von dieser tiefen Frömmigkeit und der Weite des Herzens schien 300 Jahre später nicht mehr viel übrig zu sein, denn Florentina von Oberweimar erzählt in ihrem Bericht von Schlägen und Gewalt im Kloster

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Gewalt, von seelischer und körperlicher Misshandlung. Verantwortlich dafür ist niemand anderes als die Äbtissin der Klosters, ihre Tante Katharina von Watzdorf. Florentinas Leidensgeschichte beginnt als sie 14 Jahre alt ist. Sie erkennt, dass »der geistliche Stand aller meiner Geschicklichkeit und Natur entgegen und also dass meiner Seelen Seligkeit zu halten mir unmöglich« war. Sie vertraut sich in ihrer Seelennot einer Verwandten an, die ebenfalls im Kloster lebt, Katharina von Oberweimar, die als Novizenmeisterin die erste Ansprechpartnerin für sie ist. Diese wiederum berichtet es einer Schwester von Florentinas Mutter, Margarethe von Watzdorf, über die die Nachricht von den Glaubenszweifeln direkt an die Äbtissin geht. Katharina von Watzdorf lässt ihrer Nichte ausrichten: »Ich möchte mich von dem Sinne abwenden, ich soll und müsse eine Nonne sein, so nicht mit Gutem, sollt ich mit Bösem.« Denn, so Katharinas Argumentation: Florentina sei eingesegnet und habe Gott ewige »Reinigkeit« geschworen. Das könne sie nicht widerrufen. Weder Papst noch Bischof könne sie daher lossprechen. Sie sei alt genug gewesen, als sie eingesegnet worden sei. Dem widerspricht Florentina: »Ich antworte, warum sie mich nicht hätten vernünftig werden lassen, damit ich hätte erkennen können, was zu tun oder zu lassen sei.« Sie erhält keine Antwort auf ihren Widerspruch. So resigniert sie und fügt sich unter das »Gewaltregiment und das babylonische Gefängnis«. Sie legt mit 16 Jahren die Ordensgelübde ab, obwohl sie »kein Mal« richtig dazu befragt worden sei. »Was für eine Beschwernis mir täglich in meinem Gewissen davon erwachsen ist, gebe ich einem jeglichen frommen Christen und Liebhaber evangelischer Wahrheit zu ermessen.« Ostern 1523 fliehen aus dem Kloster Nimbschen neun Nonnen, unter ihnen auch Katharina von Bora, die spätere Ehefrau Martin Luthers. Der Torgauer Bürger Leonhard Koppe hatte den Klosterfrauen bei ihrer Flucht geholfen, kurze Zeit später rechtfertigt Martin Luther dieses Handeln in seiner Schrift »Ursache und Antwort, dass Jungfrauen Klöster göttlich verlassen können«. Darin argumentiert der Wittenberger Reformator, dass » man leider die Kinder, vor allem das schwache Weibervolk und junge Mädchen, in die Klöster stößt, sie anreizt und dahin gehen lässt, wo doch keine tägliche Übung des göttlichen Wortes ist, ja, wo selten oder nimmermehr das Evangelium einmal recht gehört wird. 92 

Florentina von Oberweimar

Und sie werden doch in den höchsten Kampf gestellt: nämlich um die Jungfrauschaft zu streiten, wobei schwerlich und gar selten sogar diejenigen bestehen, die mit Gottes Wort allenthalben gerüstet und mit hoher, seltener, wunderbarer Gnade herausgehoben sind. Es bedarf der Mühe, die eheliche Keuschheit zu halten, auch mit Beistand des göttlichen Wortes; und dies junge, törichte, unerfahrene Weibervolk wird dahin gestoßen, wo der Streit am härtesten und mächtigsten ist«. Deshalb, so folgert er, dürften Nonnen aus ihrem Kloster fliehen, gleich wenn sie »tausend Eide und Gelübde« abgelegt hätten. »Denn bekannt ist’s, dass in Klöstern, vor allem in Nonnenklöstern, Gottes Wort nicht täglich in Übung ist und an den meisten Orten niemals, sondern dass sie sich nur plagen und antreiben mit Menschengesetzen und -werken.« Gott wolle keinen Dienst, der nicht freiwillig und aus freiem Gemüt geschehe. In der Welt könne ein Mensch gezwungen werden, bei Gott aber nicht. »Weil denn Gott kein Dienst gefällt, es gehe denn willig von Herzen und mit Lust, so folgt, dass auch kein Gelübde weiter gelten oder abgelegt werden oder gehalten werden soll, als sofern die Liebe und Lust da ist, das ist, sofern der heilige Geist da ist. Darum, wenn nun solch Gelübde ohne Lust und Geist geschieht, achtet’s Gott nicht und nimmt’s nicht an. So dass dies auch eine ausreichende Ursache ist, Gelübde und Kloster zu lassen und jedermann herauszuhelfen in einen anderen Stand.« Die weiblichen Gliedmaßen, so Luther weiter, seien dafür geschaffen, Kinder zu bekommen. »Denn ein Weibsbild ist nicht geschaffen, Jungfrau zu sein, sondern Kinder zu tragen, wie Gott 1. Mose 1, 28 sprach nicht allein zu Adam, sondern auch zu Eva: »Seid fruchtbar und mehret euch.« Es sei eine sehr seltene Gottesgabe, keusch zu leben. Vielmehr gelte, dass Gott Mann und Frau dazu geschaffen habe zusammen zu leben und verantwortlich die eigene Sexualität zu leben. »Denn wer zwingt oder beruft mich, dass ich ohne Ehe bleibe? Was ist mir die Jungfrauschaft vonnöten, wenn ich fühle, dass ich sie nicht habe und Gott mich nicht besonders dazu beruft, und weiß auch, dass er mich zur Ehe geschaffen hat?« Dieses flammende Plädoyer, die Klöster zu verlassen, endet allerdings mit der Botschaft, wer freiwillig im Kloster bleiben wolle und gerne dort lebe, »die lasse man bleiben im Namen Gottes«. Gewalt im Kloster

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Wie Florentina von den Schriften Luthers erfahren hat, berichtet sie nicht, aber sie erzählt davon, dass ihr »als einem verschmachteten hungrigen Schaf« die Schriften der »rechten Hirten« gezeigt hätten, was sie selber schon seit geraumer Zeit fühlte: »Das mein vermeintlich geistliches Leben … ein strikter Weg in die Hölle sei.« So schreibt sie an Martin Luther, um von ihm Rat und Trost zu erlangen. Der Brief allerdings wird abgefangen, vier Wochen lang wird sie eingesperrt bei eisiger Kälte. Vor der ganzen Klosterversammlung muss sie danach bekennen, was sie in den letzten drei Jahren für Verfehlungen begangen habe. Der Bann wird über sie verhängt. Sie wird in ihrer Zelle eingeschlossen und während der Gebetszeiten kniet sie vor dem Chor. Wenn ihre Mitschwestern zum Chor treten, liegt sie davor und alle anderen müssen drei Tage lang über sie hinwegsteigen. »Wider mein Herz und Gemüt« schwört sie, weder mit Worten, Werken noch Briefen einen erneuten Versuch zu starten, aus dem Kloster zu entkommen. Daraufhin wird ihr die Buße erlassen, aber eine Klosterschwester wird abgestellt, »die musste Tag und Nacht Acht auf mich haben, bei mir gehen, stehen, sitzen und schlafen«. Die Äbtissin stellt vor dem gesamten Konvent noch einmal klar, dass Florentina nun wie eine Gefangene sei, die sich zu Füßen der anderen aufzuhalten habe und der man weder vertrauen noch glauben dürfe. Jeden ­Mittwoch und Freitag muss sie von zehn Personen auf einmal sich »disziplinieren« lassen. Das ist eine Umschreibung für nichts anderes als körperliche Züchtigung, also Schläge. Trotzdem versucht sie, einen Ausweg aus dieser Lage zu finden und schreibt erneut einen Brief. Diesmal an ihren Vetter Caspar von Watzdorf, Freund des Mansfelder Grafen und ein »Liebhaber evangelischer Wahrheit«. Auch dieser Brief gelangt in die Hände der Äbtissin, bevor er überhaupt die Klostermauern verlassen hat. Die Strafe fällt nun noch schrecklicher aus. »Ich wurde von ihr und anderen vier Personen so lange geschlagen, bis keine von ihnen mehr zu schlagen vermochte.« Wieder wird sie in den Kerker gesperrt, aber zusätzlich auch noch in eiserne Fesseln gelegt. Acht Tage lang hält diese Qual an, dann wird sie wieder unter Zellenarrest gestellt, eine Nonne weicht ihr wiederum als Bewacherin Tag und Nacht nicht von der Seite. »In solchem Gefängnis sollt ich mein Leben lang bleiben.« 94 

Florentina von Oberweimar

Abb. 8 Titelblatt der Flugschrift: Florentina von Oberweimar, »Eyn Geschicht wie Got eyner Erbarn kloster Jungfrawe ausgeholfen hat«

Aber dann geschieht es: Aus Unachtsamkeit oder auch aus Vorsatz lässt die sie bewachende Mitschwester die Zellentür Florentinas offen stehen. Sofort nutzt die Gequälte die Gelegenheit, denn sie erkennt darin Gottes Hilfe, endlich dem Kloster zu entkommen. Wohin ihr Weg sie nach der Flucht führte, ist nicht eindeutig überliefert. Vielleicht zog sie zu ihrem Vetter Caspar von Watzdorf, der ja bereits der evangelischen Lehre anhing, vielleicht ging sie Gewalt im Kloster

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auch direkt nach Wittenberg. Dorthin also, wo auch schon manch andere entflohene Nonne Zuflucht gefunden hatte, wie wir aus den Biographien von Katharina von Bora oder auch von Elisabeth Cruciger, der ersten protestantischen Lieddichterin, wissen. An eine Veröffentlichung ihrer Klostererfahrungen mag die geschundene Florentina zunächst einmal nicht gedacht haben. Als aber ihre Tante Katharina von Watzdorf, deren grausamer Leitung sie gerade erst entronnen war, über die Geflohene mit Worten und Briefen Gerüchte verbreiten ließ, sie habe ein ganz und gar unehrenhaftes Leben im Kloster geführt, entschloss sich Florentina, ihre Erlebnisse aufzuschreiben. »Gott zu Lobe und Ehren, auch um meiner Ehren und meines gutes Namens willen, habe ich mich entschlossen zu dieser Schrift. Denn wie wohl ich Schmach und Schande zu leiden schuldig bin, so bin ich doch auch wiederum schuldig dieselbige, wenn sie unrecht ist, nicht zu billigen und durch stillschweigen zu bestätigen und mich fremder Sünden teilhaftig zu machen. Und will die Wahrheit reden vor Gott und aller Welt.« Kein geringerer als Martin Luther selbst gab dann diese Flugschrift im März 1524 heraus. Mit einem Vorwort und einem Schlusswort von ihm versehen, erregte dieses Werk großes Aufsehen und wurde innerhalb eines Jahres sechsmal aufgelegt. Luther adressiert die Flugschrift an die fünf Grafen zu Mansfeld, die als Landesherren für Neu-Helfta zuständig sind. Er konstatiert: »Denn nicht allein aus dieser Geschichte der Florentina, sondern auch aus vielen anderen Zeugnissen, sieht man wohl, welch ein teuflisch Ding die Nonnerei und Möncherei ist.« Er argumentiert  – wie schon in seiner Schrift ein Jahr zuvor  –, dass Gott das Klosterwesen ablehne, da es auf Zwang beruhe. »Ich sag’s zum dritten Mal, ich sag’s hunderttausend Mal: Gott will keinen erzwungenen Dienst haben.« Damit alle Welt davon erfahre, wie es in Klöstern zugeht, wolle er diesen Bericht der Nonne Florentina von Oberweimar veröffentlichen. Gleichzeitig forderte er die Grafen dazu auf, für Gewissensfreiheit zu sorgen, damit Nonnen und Mönche frei entscheiden könnten, ob sie in ihrem Kloster bleiben oder es verlassen wollen. Sein Nachwort ist allerdings eindeutig in dem, was er vom Leben im Kloster hält: »Siehe, lieber Mensch, welch giftiges, böses, bitterfalsches, lügenhaftiges Volk die Nonnen sind, wo sie doch eigentlich die allerheiligsten und zarten Bräute Christi sein sollen.« 96 

Florentina von Oberweimar

Florentinas Flugschrift wurde wegen der von Luther stammen­ den Textteile in die kritische Weimarer Lutherausgabe aufgenommen. Zudem fand die Schrift als evangelisches Glaubenszeugnis Eingang in die Märtyrerhistorien von Ludwig Rabus und den Jungfrauenspiegel des Conrad Portas. Auch im »Pantheon berühmter und merkwürdiger Frauen« aus dem Jahr 1812 ist sie zu finden. Nach dem Erscheinen ihrer Flugschrift verliert sich die Spur Florentinas von Oberweimar, so ist auch ihr Todesdatum unbekannt. Das Kloster, aus dem sie floh, wurde nur ein Jahr nach dem Erscheinen ihres erschütternden Berichtes im Bauernkrieg 1525 verwüstet. Die Aufständischen, die sich gegen Adel und Klerus erhoben, fielen an vielen Orten auch über die Klöster her, plünderten, raubten und zwangen die Ordensschwestern, ihr Kloster aufzugeben und zu fliehen. Zwar kehrte Katharina von Watzdorf als Äbtissin mit einigen Nonnen 1529 in das wieder hergerichtete Kloster zurück, aber nach dem Tod der letzten Äbtissin Walburg Reuben wurde Helfta 1542 säkularisiert. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte wurde es u. a. preußische Staatsdomäne, bevor es nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR in ein »Volkseigenes Gut« mit Massentierhaltung verwandelt wurde. Die Klostergebäude verfielen und sollten 1988 gesprengt werden, was durch den Einsatz vor Ort verhindert werden konnte. 1994 kaufte das Bistum Magdeburg das Klosterareal, am 13. August 1999 wurde Helfta wieder von Zisterzienserinnen bezogen, die seitdem das Kloster mit neuem Leben füllen. So macht die Geschichte des Zisterzienserinnen-Klosters St. Marien zu Helfta deutlich, wie umstritten die Lebensform der Klosterfrauen in der Reformationszeit war. Im Mittelalter gehörten Klöster ganz selbstverständlich in Städte und Dörfer, denn es war gerade nach 1200 zu einer großen geistigen Frauenbewegung gekommen, so dass allein in Deutschland mehr als eintausend Zisterzienserinnenklöster entstanden. Ein Kloster bot Frauen aus Adel und wohlhabenden Bürgersfamilien ein geistliches Leben, sie fanden hier eine lebenslang gesicherte Versorgung sowie Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten. Zudem bekleidete eine Äbtissin ein hohes geistliches Amt und verfügte über Macht. Die Reformation stellte diese Art weiblicher Lebensgestaltung radikal in Frage. Denn Luther und seine Mitstreiter wurden nicht Gewalt im Kloster

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müde zu betonen, dass die Ehe eine von Gott gestiftete Institution sei, während dagegen Mönche und Nonnen in einem von Menschen erdachten Stand lebten. Das neue Idealbild der Reformatoren war das der Ehefrau und Mutter. Dazu kamen die grundsätzlichen theologischen Überzeugungen, dass Menschen allein durch Gottes Gnade selig werden können und nicht durch eigene Werke, wozu Luther ja die Ordensgelübde zählte. Vehement kritisiert wurde von ihm zudem die übliche Praxis, Mädchen bereits im Kindesalter in ein Kloster zu geben. So hielt er es allein für angemessen, dass in den Klöstern Bildung stattfand. Lesen und Schreiben können sollten auch Mädchen. Denn ein selbstverantworteter Glaube setzt die individuelle Beschäftigung und Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift voraus. Daher musste es auch Bildung für Mädchen geben; das hatte Luther bereits 1524 in einem Sendschreiben zur Eröffnung christlicher Schulen gefordert. Für Nonnen, die ihr Kloster verließen, boten sich als neues Lebensmodell die Heirat oder die Versorgung durch Verwandte an. Nur wenige von ihnen schafften es, auf eigenen Füßen zu stehen. So wie Magdalena von Staupitz (1485–1548), eine der Nonnen, die Ostern 1523 mit Katharina von Bora aus dem Kloster Nimbschen geflohen war. Sie leitete eine der ersten Mädchenschulen und konnte ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, auch wenn dies nicht immer einfach war. Mit der Reformation wurden viele Frauenklöster aufgelöst. So öffneten sich für Frauen, die die Klostermauern als Gefängnis empfanden, wie Florentina es eindrücklich in ihrer Flugschrift schilderte, neue Lebensperspektiven. Durch die Auflösung der Klöster wurde aber Frauen auch eine Lebensform außerhalb der Ehe versperrt und damit eine Chance genommen, in einem autonomen, nicht von Männern dominierten Raum zu leben.

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Florentina von Oberweimar

Geboren

Um das Jahr 1506

Gestorben

Unbekannt, nach 1524

Leben

Wurde bereits als Kind in ein Kloster gegeben. Mehrere Versuche, als Heranwachsende aus dem Kloster zu fliehen, scheiterten. Erst 1523 gelingt die Flucht. Als eine der ersten ehemaligen Nonnen berichtet sie über das Leben im Kloster.

Werk

»Eyn Geschicht wie Got eyner Erbarn kloster Jungfrawe ausgeholfen hat«, herausgegeben 1524 von Martin Luther

Caritas Pirckheimer Eine Äbtissin im Widerstand Von etlichen wird uns beigelegt, als verlassen wir uns auf unsere eigenen Werke, hoffen allein durch sie selig zu werden, so ist uns doch durch Gottes Gnade unverborgen … dass durch die Werke allein kein Mensch, wie der heilige Paulus sagt, gerechtfertigt werden kann, sondern durch den Glauben unseres Herrn Jesu Christi. Caritas Pirckheimer in ihren »Denkwürdigkeiten«

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etauft wurde sie auf den Namen der heiligen Barbara, gestorben ist sie unter ihrem Ordensnamen Caritas. Von ihr schwärmten etliche Gelehrte ihrer Zeit als »aller Frauen seltener Stern und Krone«, sie widmeten ihr Bücher und Briefe und korrespondierten mit der gebildeten Äbtissin des Klarissenklosters der Reichsstadt Nürnberg. Caritas Pirckheimer, geboren im März 1467 in Eichstätt, wuchs in einer Familie auf, die Wert auf Bildung legte. Ihre Eltern, J­ ohann Pirckheimer und seine Frau Barbara, ließen auch ihre Töchter im Geiste des Humanismus unterrichten. Dazu gehörte vor allem, des Lateinischen mächtig zu sein, um die antiken Schriften, die Werke der Kirchenväter, ja, überhaupt die biblischen Schriften lesen zu können. Johann Pirckheimer war ein gebildeter Mann, der als Jurist und Diplomat tätig war, und seine Kinder zeitweise selbst unterrichtete. Dreizehn Kinder brachte seine Frau Barbara zur Welt, bevor sie 1488 bei der Geburt des letzten Sohnes starb. Acht Töchter erreichten das Erwachsenenalter, von den Söhnen nur einer: Willibald. Nicht nur Caritas wurde Nonne, auch sechs ihrer Schwestern wählten dieses Lebensmodell für sich und traten in ein Kloster ein. Ihr drei Jahre jüngerer Bruder Willibald setzte die Familientradition fort und machte sich einen Namen als Jurist und Berater, aber auch als Freund Albrecht Dürers und Brief­ partner vieler humanistischer Gelehrter wurde er bekannt. Eine Äbtissin im Widerstand

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Bereits als Kind wurde die kleine Barbara in das Klarissenkloster in Nürnberg gegeben und kam als 12-Jährige in die dortige Klosterschule. Der Orden der Klarissen geht zurück auf Klara von Assisi (1193–1253), einer Vertrauten und geistlichen Weggefährtin des Franz von Assisi, nach dem sich der heutige Papst Franziskus I. benannt hat. Klara war die erste Frau, die eine Ordensregel verfasste. Sie kämpfte bis kurz vor ihrem Tod darum, dass die Regeln dieser Lebensform auch kirchlich anerkannt wurden. So sehen die Regeln der Klara-Klöster u. a. vor: »Die Lebensweise des Ordens der Armen Schwestern (…) ist: Unseres Herrn Jesu Christi heiliges Evangelium zu beobachten durch ein Leben in Gehorsam, ohne Eigentum und in Keuschheit.« (Regel der Heiligen Klara, Kapitel I, 1–2) In der Klosterschule wurden die Mädchen unterrichtet und schon bald galt die hellwache Barbara als vorzügliche Kennerin des Lateinischen. Mit 16 Jahren wurde sie als Novizin in die Kloster­ gemeinschaft aufgenommen und erhielt ihren Ordensnamen Caritas, lateinisch für Nächstenliebe. Ab 1490 wurde ihr das Amt der Kindsmeisterin übertragen und Caritas war nun als Lehrerin der Klosterschule für die ihr anvertrauten Mädchen verantwortlich. Elf Jahre später wird sie schlagartig – obwohl sie hinter Klostermauern lebt – einer größeren Öffentlichkeit bekannt. 1493 hatte der Humanist und Dichter Konrad Celtis die Werke der R ­ oswitha von Gandersheim (935–973), die als erste Dichterin Deutschlands gilt, wiederentdeckt und gab sie 1501 versehen mit einer Widmungsrede heraus. In diesem Vorwort stellt er Caritas, die sein Freund Willibald in den höchsten Tönen gerühmt hatte, in eine Reihe mit gelehrten Frauen. So vergleicht er sie mit der antiken griechischen Dichterin Sappho, aber auch mit den biblischen Frauengestalten Ruth und Esther. Caritas antwortet Celtis in elegantem Latein und schreibt: Ich erhielt voriger Tage von Eurer Herrlichkeit die lieblichen Schriften der hochgelehrten Jungfrau Roswitha, die ihr mir, der unbedeutenden Frau, ohne irgendein Verdienst von meiner Seite, gewidmet habt. Ich sage und bewahre auch dafür ewigen Dank. Denn ich freue mich, dass der, der den Verstand verleiht, nicht nur Gesetzeskundigen und Gelehrten tiefe Weisheit mitzuteilen pflegt, sondern auch dem schwachen Geschlecht und Geringgeachteten einige Brosamen nicht versagt, die vom Tische reicher Gelehrter fallen. An jener höchst klugen Jungfrau hat sich bewahrheitet, was

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Caritas Pirckheimer

der Apostel sagt: ›Was schwach ist vor der Welt, hat Gott erwählt, um das Starke zu beschämen.‹ Alles Lobes und Preises wert ist auch Euer demütiger Eifer, mit dem Ihr die Schriften und Gedichte einer schwachen Frau studiertet, ans Licht brachtet und drucken ließet. Ihr verachtet also nicht das schwache Geschlecht noch den niederen Stand einer armen Nonne. Ich kann es nicht verschweigen: Ihr habt hier gegen die Gewohnheit vieler Gelehrter, vielmehr Hochmütiger gehandelt, die sich fälschlich erheben und alle Worte, Handlungen und Darstellungen der Frauen so sehr gering schätzen, als hätten nicht beide Geschlechter einen Schöpfer, Erlöser und Seligmacher, und die nicht wahrnehmen, dass die Hand des höchsten Künstlers bisher noch nicht verkürzt ist. Er hat den Schlüssel der Wissenschaft, teilt den Einzelnen mit, wie Er will, denn Er sieht nicht auf die Person. Oh, wie weise habt Ihr den weisesten heiligen Hieronymus nachgeahmt, der auch unser Geschlecht keineswegs verachtete und sich nicht scheute, gottgeweihten Jungfrauen auf ihre Bitten heilige Schriften auszulegen, was unfähige und träge Männer ganz vernachlässigt haben.

Dieser Brief machte auf Celtis solch außerordentlichen Eindruck, dass er mit einer Ode antwortete und schwärmte: Jungfrau, wohlgeübt in der Sprache der Römer, Aller Frauen seltener Stern und Krone … Jungfrau, größte Zierde der deutschen Erde, Caritas, mir immer von Herzen teure, herrliche Jungfrau.

Celtis veröffentlichte diese Ode 1502 zusammen mit seinem Briefwechsel und machte so die Kindsmeisterin des Klara-Klosters in Nürnberg berühmt. Ein Jahr später wird Caritas mit 36 Jahren einstimmig zur Äbtissin ihres Klosters gewählt. In den Jahren danach schließen sich der Schwärmerei Celtis’ für die gelehrte Geistliche weitere Männer an, denn es galt als Zeichen besonderer Fortschrittlichkeit, mit einer gebildeten Frau wie Caritas in Kontakt zu stehen. Albrecht Dürer, Freund und Vertrauter ihres Bruders Willibald, gab gemeinsam mit dem Benediktinermönch Benedictus Chelidonius 1511 das Buch »Marienleben« heraus. Dürer hatte die Bilder geschaffen, Chelidonius den Text verfasst. Am Ende des Marienbuches heißt es: Caritas Pirckheimer, o wackere Vorsteherin der wachsamen Jungfrauen … dich machen die lateinischen Briefe, die du eifrig liest, teuer und berühmt. Also, o Jungfrau Caritas, widme ich dir dieses Werk der Muse, das mit leichtem Lied die Jungfrau Maria, die Herrin der Jungfrauen besingt. Eine Äbtissin im Widerstand

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Wieder ein Anderer veröffentlichte Briefe von Caritas Pirckheimer und schrieb »diese Frau ist eine Zierde ihres Geschlechtes und unserer Stadt, der unser Erlöser mehr an Bildung verliehen hat als vielen anderen Frauen unserer Zeit … und man sich an dieser Frau ein Beispiel nehme, dass es das Nutzbringendste sei, den schönen Wissenschaften zu obliegen und Gott zu dienen«. 1511 ist auch das Bild Albrecht Dürers entstanden, auf dem er die damals 44-jährige Äbtissin von St. Klara porträtiert. Er hat sie in ihrem Nonnenhabit gemalt, einem schlichten braunen Gewand mit weißem Unterkleid. Der Blick der Geistlichen drückt Würde und Ernsthaftigkeit, aber auch Klugheit und Selbstsicherheit aus. Seit acht Jahren leitet Caritas mit Umsicht und Gelehrsamkeit ihr Kloster, sie hat an den Papst nach Rom geschrieben und einen Ablass bewilligt bekommen, mit dem sie 1505 die Finanzen des Klosters konsolidierte. Und sie ist weit über Nürnberg hinaus berühmt und bekannt für ihren Intellekt. Als 1517 ein betuchter Nürnberger Bürger dem Kloster eine Orgel stiftet, befindet sich die geistliche Gemeinschaft auf dem Höhepunkt sowohl seines geistigen wie auch seines klösterlichen Lebens. Und so geben immer mehr Einwohner der Stadt ihre Töchter in die Obhut der Äbtissin Caritas und ihrer Klosterschwestern. Auch Willibald vertraut seine Töchter Crescentia und Katharina dem Klarissenkonvent an, in dem nun neben Caritas und ihrer Schwester Klara vier Frauen der Familie Pirckheimer leben. Im Jahr 1517 veröffentlicht aber auch der Augustinermönch Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablass in Wittenberg. Seitdem gilt der 31. Oktober 1517 als die Geburtsstunde der Reformation. In seinen Thesen heißt es in Auszügen: These 1: Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: ›Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen‹, wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei. These 21: Es irren daher diejenigen Ablassprediger, die da sagen, dass ein Mensch durch Ablässe des Papstes von jeder Strafe gelöst und errettet wird. These 36: Jeder wahrhaft reumütige Christ erlangt vollkommenen Erlass von Strafe und Schuld, der ihm auch ohne Ablassbrief zukommt. These 62: Der wahre Schatz der Kirche ist das heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.

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Caritas Pirckheimer

Abb. 9 Portrait einer Frau, vermutlich Caritas Pirckheimer (1467–1532), ­Albrecht Dürer

Auf dem Rückweg von Augsburg, wo er von Kardinal Cajetan verhört wurde, besucht Luther zwar 1518 in Nürnberg Willibald Pirckheimer, aber Caritas erklärt schon wenige Jahre später ihren entschiedenen Widerstand gegen die reformatorischen Ideen. Zur öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Rat der Stadt Nürnberg kommt es in den Jahren nach 1524, denn Nürnberg sollte eine der ersten Städte sein, deren Ratsversammlung die Einführung der Reformation beschloss. So wird im März des Jahres 1525 allen Mönchen untersagt, in den Nonnenklöstern der Stadt zu predigen Eine Äbtissin im Widerstand

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und die Beichte abzunehmen. Vielmehr sollen die Nonnen – also auch die Klarissen – evangelische Prediger bekommen, die ihnen reformatorisch predigen. Über einhundert Predigten müssen sich die Ordensschwestern bis zum Herbst gegen ihren Willen anhören, darunter eine vierstündige Belehrung des Nürnberger Reformators Andreas Osiander. Das Kloster St. Klara unter seiner Äbtissin aber leistet Widerstand gegen die Neuerungen. So läutet weit und breit allein in der Kirche der Klarissen noch die Glocke zu den Stundengebeten, denn Caritas und ihre Schwestern beten weiterhin – trotz des Verbotes durch den Rat – die Stundengebete und die Messe. Von diesen konfliktträchtigen Ereignissen, ihren eigenen theologischen Überzeugungen, ihrem diplomatischen Agieren und dem seelsorgerlichen Handeln berichtet Caritas Pirckheimer in ihren »Denkwürdigkeiten«, einem äußerst spannend zu lesendem Zeitdokument. Die »Denkwürdigkeiten« sind aber auch noch aus einem anderen Grund ein ganz besonderes Werk, denn sie sind eine der ersten deutschen autobiographischen Schriften. In ihnen berichtet die Äbtissin über den Alltag in ihrem Kloster unter den Repressalien des Nürnberger Rates. Die Aufzeichnungen beginnen im Jahr 1524 mit den Auseinandersetzungen zwischen Rat und Klarissen wegen der »neuen Lehre der Lutherey«, wie Caritas schreibt. Vier Jahre lang hält sie in dieser Chronik fest, welche Bittschriften sie verfasste, mit wem sie verhandelte, wie sie kämpfte, ihr Netzwerk aktivierte, die Klosterschwestern immer wieder tröstete und selbst mit Philipp Melanchthon ein langes Gespräch über die Konflikte rund um das St. Klara-Kloster führte. Aber dazu später mehr. Beginnen wir mit dem Schicksalsjahr 1524, in dem Caritas Pirckheimer davon spricht, dass es Prophezeiungen von Unglück für dieses Jahr gegeben hätte und sie diese Voraussagungen auf die Umwälzungen durch die reformatorische Lehre bezieht. Denn es habe sich »viel Zwiespalt im christlichen Glauben« entwickelt, »die Zeremonien der Kirche sind abgetan worden und besonders der Stand der Geistlichen an vielen Orten schier ganz zu Grunde gegangen, denn man predigt die christliche Freiheit, dass das Gesetz der Kirche und auch die Gelübde der Geistlichen nichts gelten sollen und niemand schuldig sei, sie zu halten. Deshalb sind viele Nonnen und Mönche … aus den Klöstern gelaufen, ihren Or106 

Caritas Pirckheimer

den und ihren Habit hingeworfen, sich verheiratet und tun, was sie wollen. Deshalb geschieht uns viel Widerwärtigkeit und Anfechtung, denn viele Leute unter den gewaltigen und schlichten kommen zu ihren Verwandten, die sie bei uns im Kloster haben, den predigen sie und sagen ihnen von der neuen Lehre und disputieren unaufhörlich, wie der Klosterstand doch verdammenswürdig und verführerisch sei und es nicht möglich sei, darin selig zu werden, denn wir wären alle des Teufels … Dieses Fechten und Streiten währte lange Zeit, oft mit großem Zorn und Schimpfwörtern. Da aber durch die Gnade Gottes sich keine Schwester dazu bewegen ließ, so gab man den Barfüßern die Schuld«. Den Nonnen droht damit das Verbot, dass die Barfüßer, also die Franziskaner, weiter als Beichtväter im Kloster tätig sind. Darauf entschließt sich die Äbtissin, eine Bittschrift an den Rat der Stadt Nürnberg zu schreiben und weitere Unterstützer zu suchen. So wendet sie sich an Kaspar Nützel, den Klosterpfleger und Ratsherrn, der für die Angelegenheiten zwischen Kloster und Rat zuständig ist. Sie schreibt ihm: »Ich habe in 45 Jahren den Konvent nie betrübter gesehen, denn in dieser Sache« und bittet ihn, sich für den Verbleib der Franziskaner als Beichtväter des Klosters ein­ zusetzen. Doch obwohl die Klarissen die Barfüßer behalten wollen, werden sie ihnen vom Rat als Beichtväter entzogen. Vielmehr werden ihnen Anhänger der neuen Lehre als Beichtväter und Prediger zugewiesen, worauf neue Bittschriften von Caritas formuliert werden. Darin schreibt sie: Von etlichen wird uns beigelegt, als verlassen wir uns auf unsere eigenen Werke, hoffen allein durch sie selig zu werden, so ist uns doch durch Gottes Gnade unverborgen … dass durch die Werke allein kein Mensch, wie der heilige Paulus sagt, gerechtfertigt werden kann, sondern durch den Glauben unseres Herrn Jesu Christi; zu dem, dass uns der Herr Jesus Christus selbst lehrt, wenn wir die Werke alle getan haben, dass wir uns dennoch als unnütze Diener ansehen sollen. Wir wissen aber herwiederum auch, dass ein rechter wahrer Glaube nicht ohne gute Werke sein kann, als wenig als ein guter Baum ohne gute Frucht, dass auch Gott einem jeglichen Menschen nach seinem Verdienst lohnen wird und, so wir vor dem Gericht Christi erscheinen werden, dass jeder nach seinen Werken, sie seien gut oder böse empfangen wird.

Und sie fährt fort: Eine Äbtissin im Widerstand

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Wir verachten auch den ehelichen Stand nicht, denn wir wissen, wer seine Jungfrauen verheiratet, dass derselbige wohl tut, aber nach Sankt Paulus Lehre wissen wir auch, wer sein Jungfrauen nicht verheiratet, das derselbe noch besser tut. Ob wir nun Gott in der Jungfrauenschaft zu dienen uns unterstehen, kann uns wahrlich von niemandem Verständigen verboten werden, wer aber zu solchem nicht geneigt oder nicht gern bei uns ist, der soll uns wahrlich auch egal sein, denn wir gedenken keine Schwester bei uns mit Gewalt oder ihren Eltern vorzuenthalten.

Wenige Zeit später verlangt die erste Mutter, dass ihre Tochter das Kloster verlassen möge. Ursula Tetzel will ihre Tochter Margaret selber zu Hause im Evangelium unterrichten und ihr dann die Wahl lassen, ob sie wieder ins Kloster zurückgehen oder bei ihr bleiben wolle. Daher wendet sie sich an den Rat mit der Bitte um Hilfe, falls die Äbtissin oder ihre Tochter dem nicht zustimmen sollten. Daraufhin legt Caritas in einer erneuten Bittschrift dar, dass Margret Tetzel aus freien Stücken im Kloster bleiben wolle und in der Heiligen Schrift das Klosterleben nirgends ver­ urteilt werde, sondern die ersten Christen im Gegenteil auch wie in einem Kloster lebten. Aber auch die Konflikte mit dem Rat nehmen an Schärfe zu: Die Franziskaner werden ihnen als Beichtväter entzogen und die letzte heilige Messe im Klarakloster gefeiert. Im Rat findet ein Religionsgespräch statt, über dessen Ausgang die Klarissen und ihre Äbtissin unterrichtet werden. Kaspar Nützel, der Kloster­pfleger, ist enttäuscht über den Widerstand der Schwestern, die sich nicht auf die neue Linie des Rates bringen lassen wollen und weiter an ihrem praktizierten Glaubensleben im Konvent festhalten. Denn die Schwestern weigern sich, die Prediger der neuen Lehre als Beichtväter zu nehmen. Lieber beichten sie unmittelbar und leben ohne Beichtväter. So folgen weitere Bittschriften an den Rat aus der Feder der versierten Äbtissin. In ihnen schreibt sie u. a., dass alle Schwestern einmütig beschlossen hätten, weiterhin im Kloster zu bleiben, was jede mit ihrer Unterschrift besiegele. Sie beschwert sich über das Gebaren der neuen Prediger ihnen gegenüber, da diese sie »un­brüderlich auf offener Kanzel ausschreien, auch sagen etliche, sie wollten erst Ruh geben, bis sie alle Nonnen und Mönche aus der Stadt predigen und eine Kegelbahn aus unserem Kloster gemacht hätten«. Sie und ihre Schwestern wollen sich nicht in die 108 

Caritas Pirckheimer

»neue Sekte« begeben, sondern »wir wollen bleiben in dem Glauben der heiligen christliche Kirche und uns weder Tod noch Leben von dem bringen soll, so lange bis diese Zwietracht von der heiligen christlichen Kirche in Einigkeit gebracht wird«. Darum bitte sie, Geduld zu haben mit den Klarissen und sie nicht in Glaubensdingen zu zwingen »lässt doch der Türke jedermann in seinem Glauben und zwingt niemanden«. Gott wolle vielmehr die Gewissen frei haben, daher stehe es niemanden zu, andere im Glauben zu »binden und gefangen zu nehmen«. An Ostern des Jahres 1525 halten die Schwestern des St. KlaraKlosters  – gegen das Verbot des Rates  – weiterhin ihr Chorgebet und läuten dazu die Glocken. Daraufhin wird ihnen ein FünfPunkte-Beschluss des Rates vorgelegt: 1. Die Äbtissin soll die Schwestern von ihren Gelübden entbinden 2. Jeder Schwester soll es freistehen, aus dem Kloster auszutreten, bzw. sollen ihre Eltern das Recht haben, sie aus dem Kloster zu nehmen, der Rat werde für ihren Lebensunterhalt sorgen 3. Die Schwestern sollen weltliche Kleider anziehen 4. Es sollen Gesichtsfenster angelegt werden, damit die Verwandten bei Besuchen die Schwestern sehen können und so überprüfen könne, ob sie bei der Unterredung allein seien 5. Die Schwestern sollen ein Inventar ihres gesamten Besitzes anlegen. Zur Umsetzung all dessen wird den Nonnen eine Frist von vier Wochen eingeräumt. Die Äbtissin hält mit ihrem Konvent – wie bereits in der Vergangenheit des Öfteren geschehen  – eine Beratung ab und hört jede Schwester einzeln zu den fünf Punkten an. Einmütig treten alle dafür ein, weiter an ihren Gelübden festzuhalten und der Äbtissin gehorsam zu sein. Es solle aber ein Gesichtsfenster angelegt werden, allerdings möchten die Schwestern nicht allein mit ihrer Familie sprechen, da sie befürchten, dass ihnen Äußerungen untergeschoben würden, die sie nicht gemacht hätten. Zum öffentlichen Eklat kommt es, als drei Klarissen gewaltsam von ihren Müttern an Fronleichnam aus dem Kloster geholt werden. Die Nonnen Margaret Tetzel, Katharina Ebner und Klara Nützel wehren sich mit Händen und Füßen gegen diesen elterlichen Übergriff und so beschreibt Caritas Pirckheimer die Szene: »Da Eine Äbtissin im Widerstand

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fielen sie all 3 auf das Erdreich und schrien, weinten und heulten und hatten solch klägliche Gebärden, es möchte Gott im Himmel erbarmen. Sie wären gern geflohen und hätten sich verborgen, aber das wollte ich ihnen nicht gestatten, denn wir hatten Sorge, man würde mit Gewalt ins Kloster hereinlaufen und sie an allen Orten suchen und das Unglück noch größer werden … Dieweil war das ganze Geschrei unter das gemeine Volk gekommen; die sammelten sich in großer Menge als wenn man einen armen Menschen zur Hinrichtung führen wolle, stand die ganze Gasse und Kirchhof voll.« In der Kapelle des Klosters treffen die Mütter auf die Töchter. »Schrien die Kinder, sie wollten sich von dem frommen heiligen Konvent nicht scheiden«, denn sie wären nicht in der Hölle, so wie es ihnen zuvor die Mütter unterstellt hatten. Katharina Ebner sagt zu ihrer Mutter: »Du bist eine Mutter meines Fleisches, aber nicht meines Geistes, denn du hast mir meine Seele nicht gegeben, darum bin ich dir keinen Gehorsam schuldig in den Dingen, die wider meine Seele sind.« Da die Töchter sich weiter weigern, ihren Müttern Gehorsam zu leisten und das Kloster zu verlassen, wird ihnen angedroht, sie an Händen und Füßen zusammenzubinden und sie wie Hunde aus dem Kloster zu tragen. Caritas schaltet sich ein: »Liebe Kinder, ihr seht, dass ich euch leider nicht helfen kann, denn die Gewalt ist zu groß; sollte dem Konvent daraus weiteres Unglück entspringen, würdet ihr es auch nicht gerne sehen; ich hoffe, wir werden deshalb nicht geschieden sein, sondern wieder zusammenkommen und ewiglich bei unserem treuen Hirten bleiben, dem befiehl ich euch, der euch mit seinem teuren Blut erlöst hat. Sprach Katharina Ebner: Da stehe ich und will nicht weichen, ein Mensch soll es vermögen mich hinausziehen, zieht man mich aber mit Gewalt hinaus, soll es doch mein Wille nimmer ewiglich sein, will es Gott im Himmel und aller Welt auf Erden klagen.« Jede der drei Nonnen packen daraufhin vier Männer, zwei ziehen vorne, zwei schieben von hinten. Vor dem Kloster werden die jungen Frauen auf einen Wagen gesetzt, während sie weiter rufen und schreien ihnen werde Gewalt und Unrecht angetan. Hunderte Schaulustige haben sich eingefunden. Da die lauten Schreie der drei nicht verstummen, schlägt die Mutter von Katharina ­Ebner 110 

Caritas Pirckheimer

ihrer Tochter auf den Mund, »dass es angefangen hat zu bluten den ganzen Weg aus und aus«. Von Klara Nützel berichtet Caritas, sie sei tagelang in den Hungerstreik getreten, nachdem sie ihr Elternhaus betreten habe. In ihrer Not wandte Caritas Pirckheimer sich daraufhin an ihren Bruder Willibald. Dieser unterhielt einen regen Briefwechsel mit Philipp Melanchthon, Mitstreiter Martin Luthers und Professor in Wittenberg. Willibald Pirckheimer schildert in diesem Brief, der nur noch fragmentarisch erhalten ist, die Bedrängnisse der Klarissen und äußert die Vermutung, dass Melanchthon, wenn er die Situation vor Ort genau kenne, erschüttert wäre. Auf einer Reise Melanchthons nach Nürnberg kommt es zu einem langen Gespräch zwischen Caritas Pirckheimer und dem Wittenberger Reformator. Die Äbtissin berichtet, Melanchthon habe viele Dinge über die neue Lehre gesagt, »aber da er höret, dass wir unseren Grund auf die Gnade Gottes und nicht auf unser eigenes Werk setzen, sprach er, wir möchten eben als wohl im Kloster selig werden als in der Welt, wenn wir allein nicht hielten auf unsere Gelübde. Wir concordirten zu beiden Seiten in allen Punkten, nur allein der Gelübde halber konnten wir nicht eins werden; er meinet ja, sie binden nicht, man wäre sie nicht schuldig zu halten, so meinte ich, was man Gott gelobt habe, wäre man schuldig zu halten mit seiner Hilfe. Er war bescheidener mit seiner Rede wie ich noch keinen lutherischen gehört habe; er war ihm zuwider, dass man die Leute mit Gewalt zwingt. Er schied mit guter Freundschaft von uns. Danach hat er dem Pfleger und den anderen Herren in vielen Stücken heftiglich eingeredt, sonders, dass man den Barfüßern den Gottesdienst also verboten habe und die Kinder also mit Gewalt aus dem Kloster gezogen hab; sagt ihnen offen ins Gesicht, wie sie große Sünde daran getan hätten«. Melanchthon interveniert beim Rat und macht deutlich, dass auch die Eltern es nicht verantworten könnten, wenn sie gegen deren Willen ihre Töchter aus den Klöstern nähmen. Auf die Frage, ob man die Klöster zerstören solle, antwortet er: »Nein, man soll sie in ihrem Wesen lassen bleiben, wollte man ihnen nicht viel geben, sollte man ihnen auch nichts nehmen, man habe in Wittenberg und an anderen lutherischen Orten auch noch kein Kloster zerstört.« Eine Äbtissin im Widerstand

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Nach dem Besuch Melanchthons in Nürnberg fand sich der Rat zu einem Kompromiss bereit. So konnten die Nonnen in ihrem Kloster bleiben, aber es durften keine altgläubigen Priester die Kirche betreten und keine Novizinnen mehr ins Kloster auf­ genommen werden. Das Kloster sollte so langsam aufhören zu existieren. Was geschah mit den drei jungen Frauen, die gegen ihren ­Willen aus dem Kloster gezerrt worden waren? Katharina Ebner und Klara Nützel heirateten Jahre später zwei ehemalige Mönche, ­Margaret Tetzel kehrte wieder in ein Kloster zurück, allerdings in ein anderes. Caritas Pirckheimer starb im August 1532. Im Totenkalender des Klosters heißt es: »Unsere getreue, würdige, liebe Mutter war eine Liebhaberin des göttlichen Dienstes und Handhaberin aller geistlichen Ordnung.« An der Kapellentür wurde sie in ihrem Kloster von ihren Schwestern begraben. Als Äbtissin folgte ihr ihre Schwester Klara. Als diese nach nur einem Jahr starb, wurde Katharina Pirckheimer, die Tochter Willi­ balds, zum geistlichen Oberhaupt des Klosters gewählt. 1574 verfügte der Rat der Stadt Nürnberg, dass die Klarakirche für evangelische Gottesdienste zu öffnen sei. Die Nonnen weigerten sich allerdings, an diesen Feiern teilzunehmen und begingen weiterhin ihre Mitternachtsmessen. Im Winter 1591 starb die letzte Nonne, die noch zu Lebzeiten Caritas ihre Gelübde abgelegt hatte. Danach lebten noch drei Augustinerinnen, deren Kloster zerstört worden war, in den Mauern von St. Klara, bis am 29. September 1596 die letzte von ihnen starb. So hatte das Klarissenkloster noch 70 Jahre Bestand, nachdem Nürnberg evangelisch geworden war. 20 Jahre lang stand das Kloster leer, bis der Rat beschloss, das Gebäude nicht weiter verfallen zu lassen. So diente St. Klara von 1618 bis 1896 als Leihhaus. Die Klostergebäude wurden abgerissen, nur die Kirche blieb stehen und wurde zwischenzeitlich als Lager benutzt. Erst als die katholische Gemeinde in Nürnberg wieder wuchs, wurde die Klarakirche 1857 erneut geweiht und ist seitdem wieder ein Gotteshaus. Heute ist St. Klara zu einer offenen Citykirche umgestaltet, die 2007 generalsaniert wurde. Wie die Gemeinde auf ihrer InternetSeite schreibt, wird die Kirche als Andachtsraum von Vielen geschätzt. 112 

Caritas Pirckheimer

Seit der Sanierung kommen noch mehr Menschen zum Beten, Stillwerden, Besichtigen, Feiern und um Gemeinschaft zu erleben. St. Klara ist keine Kirche für einen fest umrissenen Pfarrbezirk, sondern Citykirche – offen für alle. Unabhängig von Religion, Kirchenzugehörigkeit oder so­ zialem Status ist hier jeder willkommen. Mit zeitgemäßen Gottesdienstformen spricht die ›Offene Kirche St. Klara‹ Menschen in ihrer Sehnsucht nach Spiritualität an. Mehr als einhundert spirituelle und kulturelle Veranstaltungen stehen pro Jahr im Programm.

Die Orgel, die der wohlhabende Anton Tucher 1517 dem Kloster und seiner Äbtissin Caritas Pirckheimer schenkte, ist noch heute in der Kirche zu finden. Geboren

21. März 1467 in Eichstätt

Gestorben

19. August 1532 in Nürnberg

Leben

Kämpfte als Äbtissin des St. Klara-Klosters in Nürnberg erfolgreich gegen die Auflösung des Konventes durch den evangelischen Rat der Stadt Nürnberg. Verfasste mit ihren »Denkwürdigkeiten« nicht nur eine Chronik der Ereignisse der Jahre 1524–1528 in der Reichsstadt, sondern schuf damit auch eine der ersten deutschen Autobiographien. Gesprächspartnerin vieler Gelehrter, u. a. ­Philipp Melanchthons.

Werk

»Die Denkwürdigkeiten der Äbtissin Caritas Pirckheimer«

Jeanne de Jussie Chronistin des Kampfes um Genf

Es folgt eine kleine Chronik, die einen kleinen Teil von dem enthält, was in Genf geschehen ist, sowohl wegen der Eidgenossenschaft als auch wegen der Häretiker und der lutherischen Sekte. Jeanne de Jussie in ihrer »Kleinen Chronik«

Viel ist über die Lebensgeschichte dieser Zeitzeugin der bürger-

kriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Genf der Jahre 1526 bis 1535 nicht überliefert. Dafür tritt uns Jeanne de Jussie umso lebhafter in ihrer »Kleinen Chronik – Bericht einer Nonne über die Anfänge der Reformation in Genf« entgegen. Als jüngstes von sechs Kindern wird sie im Jahr 1503 in eine adlige Familie hineingeboren. Sie besucht in Genf eine Mädchenschule und tritt mit 17 Jahren in das einzige Frauenkloster der Stadt ein, den Konvent Sainte-Claire, das Kloster der Klarissen. Ein Jahr später legt sie ihre Gelübde ab. Die Klarissen gehen zurück auf die Ordensgründerin Klara von Assisi (1194–1253), Gefährtin und Vertraute des Franz von ­Assisi. Sie war eine der herausragenden Frauengestalten des 13. Jahrhunderts mit einer bewegten Biographie. Gegen den Willen der Eltern, die eine standesgemäße Heirat innerhalb des Adels erwarteten, wurde Klara eine Anhängerin des Franziskus. Als unmissverständliches Symbol ihres Bruches mit dem bisherigen Lebensstil ließ sie sich 1212 von ihm die Haare abschneiden und kleidete sich in ein grobes Bußgewand. Ihr Gefährte nahm ihr auch die Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam ab. Drei Jahre später stand Klara der durch sie gegründeten Gemeinschaft von Nonnen als Äbtissin vor. Durch Papst Innozenz IV. ließ sie sich ausdrücklich bestätigen, dass sie und ihr Konvent nach der franziskanischen Regel mit dem Grundsatz höchster Armut leben konnten. Chronistin des Kampfes um Genf

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Sie formulierte eine eigene Ordensregel und legte in ihrem Testament fest, dass sie und ihr Kloster nach der franziskanischen Christusnachfolge leben sollten. Rasch bildeten sich Klarissengemeinschaften in ganz Europa. Als die Ordensgründerin starb, gab es bereits 111 Konvente. Am Ende des 15. Jahrhunderts – also kurz bevor Jeanne de Jussie ihre Chronik verfasste – waren es vierhundert Klöster, die nach der Regel Klaras lebten. Dem Prolog ihrer Chronik stellt Jeanne vier Namen voran: Jesus – Maria – Franziskus – Klara. In dieser Tradition versteht sich die Nonne, deren Werk die einzige weibliche Quelle der Geschehnisse in ihrer Heimatstadt ist. Ihr Text ist in zwei Handschriften erhalten, eine davon das handschriftliche Exemplar der Autorin. In der Ich-Form berichtet die Erzählerin von den großen welt­ politischen Umwälzungen ihrer Zeit, die sich bis in ihr Kloster hinein auswirken. So ist ihre Chronik einerseits als ein Selbstzeugnis verfasst, erfüllt aber andererseits auch die Funktion eines Wissensspeichers für ihren Konvent. Die Seestadt liegt zu dieser Zeit an der Grenze der beiden europäischen Großmächte Frankreich und Habsburg. Mit dem Jahr 1526 lässt Jeanne ihre Aufzeichnungen beginnen. »Es folgt eine kleine Chronik, die einen kleinen Teil von dem enthält, was in Genf geschehen ist, sowohl wegen der Eidgenossenschaft als auch wegen der Häretiker und der luthe­rischen Sekte.« Damit spannt die Autorin einen großen Bogen der politischen Veränderungen. Im Jahr 1526 regieren noch der Bischof von Genf, Pierre de la Baume, sowie Herzog Karl III. von Savoyen über Genf und die Region. Am Ende ihres Geschichtswerkes steht mit dem Jahr 1535 der Auszug der Nonnen aus Genf und die Einführung der Reformation in der Stadt, die wenige Jahre später durch das Wirken von Johannes Calvin zum »protestantischen Rom« aufsteigen soll. Folgen wir der Autorin nun durch die revolutionären Vorgänge ihres Heimatortes, von denen sie spannend und anschaulich berichtet. Sie beginnt ihre Schilderungen mit Notizen darüber, wie mehr als fünfzig Anhänger des Herzogs von Savoyen – und damit der Altgläubigen – die Stadt verlassen. Der Bischof von Genf folgt 1528: »In der Nacht … ergriff Monseigneur von Genf, der die nahe bevorstehenden Wirrnisse erkannte, die Flucht über den See und zog sich in seine Abtei Saint-Claude zurück.« 116 

Jeanne de Jussie

Abb. 10 Deutschland, ca. 1979, Briefmarke mit Hildegard von Bingen mit ­Manuskript

Jeanne beschreibt nun lebhaft, welchen Belagerungen die Stadt ausgesetzt ist und spricht dabei ihre Leserinnen und Leser immer wieder direkt an: »Aber ach«, schreibt sie über das Jahr 1530 und die kriegerischen Auseinandersetzungen rund um ihre Heimat, »das war zum großen Schaden des Landes, wie Sie noch sehen werden«. Schweizerische Truppen beginnen im Herbst desselben Jahres, Klöster im Umland von Genf zu zerstören und niederzubrennen. Die Nonne berichtet davon, wie die Armee aus Bern und Fribourg in ein Kloster eindrang und in der Mitte des Kirchenschiffs ein großes Feuer entzündete. Dann nahmen sie wie treulose, wütende, sinnlose Hunde das Ciborium (Tabernakel), in dem das hochwürdige Sakrament des kostbaren Leibes Jesu Christi, unseres Erlösers, ruhte, und warfen alles in dieses große Feuer, und so zertraten sie auf schimpfliche Weise den Kaufpreis unserer Erlösung, wie es die Gefolgsleute des Kaiphas taten, als sie Jesus in sein kostbares Angesicht spuckten, und die teuflischen Schergen des Pilatus, die ihn so schändlich geißelten und kreuzigten. Chronistin des Kampfes um Genf

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Jeanne zieht hier also eine Parallele von der Passionsgeschichte Christi hin zu den Zerstörungen, die in den Abteien durch die Schweizer angerichtet werden. Der Furor der Soldaten machte auch vor den Geistlichen nicht halt: »Des Weiteren nahmen sie allen Priestern, die lange Kleider trugen, dieselben weg, zogen sie aus und verprügelten sie. An allen auf Tafeln und Wänden gemalten Bildern, die sie nicht verbrennen konnten, stachen sie mit der Spitze ihrer Piken und Schwerter die Augen aus und spuckten dagegen, um sie auszuwischen und zu entstellen.« Diese Bilderstürmerei, die sich in zahlreichen Orten ereignete, war keineswegs im Sinne Martin Luthers. In seinen Invokavit-Predigten hatte er schon 1522 als harsche Reaktion auf die Bilderstürmer in Wittenberg vehement dagegen argumentiert. Seine Botschaft lautete: Allein Christus und die Gnade Gottes machen den Menschen selig. Deshalb ein »Ja« zu Reformen in evangelischer Freiheit. Aber ebenso ein deutliches »Nein« zu neuer Gesetzlichkeit im Blick auf den Gottesdienst und die Ausstattung einer Kirche, ohne die Menschen mitzunehmen. In einem Brief aus dem März 1522 an Nikolaus Hausmann schreibt er: Der Satan hat hier in meinen Hürden viel Schaden anzurichten versucht. … Allein mit dem Wort muss das bekämpft werden. Ich verwerfe, dass die Messen für Opfer und gute Werke gehalten werden. Aber ich will nicht mit Hand anlegen oder … mit Gewalt daran hindern. Ich verwerfe allein mit dem Wort. Wer glaubt, der glaubt und folge; wer nicht glaubt, der glaube nicht, und man lasse ihn fahren. Denn zum Glauben und zu dem, was den Glauben angeht, darf niemand gezwungen werden, sondern vom Wort muss er gezogen werden, so dass er willig glaubt und aus freien Stücken kommt. Ich verwerfe die Bilder, aber mit dem Wort, nicht dass sie verbrannt werden sollen, sondern dass man kein Vertrauen in sie setzen soll, wie es bisher geschehen ist und noch geschieht … Ebenso verwerfe ich das Gesetz des Papstes von Beichte, Kommunion, Gebet und Fasten, aber mit dem Wort, um die Gewissen zu befreien. Sobald sie frei sind, können sie dann davon Gebrauch machen um der anderen, Schwachen willen.

Und doch brennen landauf, landab Klöster. Und so sehen auch die Klarissen in ihrem Genfer Konvent den Feuerschein eines brennenden Stiftes und sie fühlen »ein Schwert des Schmerzes« bei diesem Anblick. In einer Bittschrift wenden sie sich an den Bürgermeister und die Stadträte, denn sie sind sehr verängstigt. 118 

Jeanne de Jussie

»Wir bitten euch in großer Demut auf der Erde niedergestreckt, auf den Knien, mit gefalteten Händen zu Ehren unseres Herrn und seines schmerzhaften Leidens, seiner jungfräulichen Mutter, des heiligen Herrn Petrus, des heiligen Herrn Franziskus, der heiligen Frau Klara und aller Heiligen des Paradieses, daß es Euch gefallen möge, uns in Eurer Obhut und Protektion zu erhalten, damit diese Feinde Gottes uns keine Gewalt und Belästigung antun können. Denn auf gar keine Weise wollen wir irgend eine Neuerung des Glaubens oder der Lebensordnung, auch wollen wir nicht vom Gottesdienst abweichen, sondern wir sind entschlossen, in unserer heiligen Berufung zu leben und zu sterben hier in Eurem Konvent, in dem wir unseren Herrgott für den Frieden und die Erhaltung Eurer edlen Stadt bitten, wenn es Eurer Herrschaft gefällt, uns dort zu erhalten und in unserer Gesamtheit zu beschützen, wie es Eure Vorfahren getan haben; oder wenn nicht, dann möge es Euer Wohlgefallen sein, uns zu erlauben, aus unserem Konvent und Eurer Stadt hinauszuziehen, unter Wahrung unserer persönlichen Unversehrtheit, um uns andernorts zurückzuziehen und dort den Gottesdienst auszuüben, an dem wir Euch teilhaben lassen werden als unsere Väter, indem wir um Euer gnädiges Wohlgefallen und Eure Antwort bitten.«

Bereits in diesem ersten Brief an die Stadtoberen machen die Nonnen deutlich, dass es nur zwei Möglichkeiten für sie gibt: Entweder sie können ungehindert ihr Klosterleben fortführen und werden nicht gezwungen, eine der Glaubensneuerungen anzunehmen. Oder sie dürfen unter dem Schutz der Obrigkeit die Stadt verlassen, um ins Exil eines anderen Klosters zu gehen. Die Entschlossenheit der Frauen wird kurz darauf deutlich. Nachdem die Truppen der Schweizer die Stadt besetzt haben, darf in keiner der Kirchen mehr die katholische Messe gelesen werden. Mit einer Ausnahme: dem Konvent der Klarissen, zu dessen Kirche niemandem der Zutritt verweigert wird. Und so schreibt Jeanne nicht ohne Stolz: Es ist nicht verwunderlich, wenn die heilige Kirche gestattet, das man auf dem Bild der heiligen Frau Klara ihr ein Ciborium in die Hand gibt, denn aufs neue hatte sie diesen Ruhm, daß in keiner einzigen Kirche weder Messe noch Offizium gefeiert wurde, auch nicht in dem gesamten Freibezirk Genf, außer in ihrem Konvent, und das geschah ohne jeden Widerspruch.

Auch wenn die Klarissen weiterhin den Gottesdienst nach römischkatholischem Ritus feiern dürfen, müssen sie trotzdem hinnehChronistin des Kampfes um Genf

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men, dass fünfunddreißig Soldaten in ihrem Kloster einquartiert werden. Diese militärische Präsenz bietet aber keinen ausreichenden Schutz vor Betrunkenen, die nachts in das Kloster eindringen und die Frauen vergewaltigen wollen. Die im Gebäude einquartierten Söldner sehen sich nicht in der Lage, die Frauen zu schützen. Als sie von den Nonnen, die in strenger Klausur leben und nur durch ein Sprechgitter mit den Männern reden wollen, an dieses Gitter gebeten werden, antworten sie dem versammelten Konvent auf der anderen Seite: »Liebe Damen, möge Gott Euch stärken und bewahren als seine Mägde, denn wir können Euch nicht beschützen, wenn sie Euch schaden wollen. Wir haben ein Treue­gelöbnis abgelegt, einander keinen Schaden zuzufügen. Selbst wenn wir es tun wollten, sie sind mächtiger als wir, und glaubt uns, daß sie große Lust haben, Euch aufzusuchen, und wir haben sie schon mehrere Male davon abgehalten.« Zu dieser Zeit trifft auch der lutherische Prediger Guillaume Farel in Genf ein, von Jeanne tituliert als »verfluchter Prädikant«. Farel ist Franzose und hatte sich schon in den 1520er Jahren der evangelischen Lehre zugewandt. Nachdem er Frankreich auf Grund seines Glaubens verlassen musste, lebte er in Straßburg, Zürich, Bern und Basel, bevor er 1530 nach Genf kommt. Dort predigt er erstmals in der Kathedrale Saint-Pierre – und zwar auf Deutsch. »Seine Zuhörer sprangen über die Altäre wie Geißen und wilde Tiere«, notiert Jeanne. Immer unversöhnlicher stehen sich die evangelische und die katholische Seite gegenüber. Als die Pest in der Stadt ausbricht, macht die Chronistin die evangelisch gesonnenen Genfer dafür verantwortlich. Denn die Ursache der Pest sei »daß einige Bürger schon Anhänger der Häresie waren, und sie hatten ein Komplott geschmiedet, alle führenden Leute in der Stadt umzubringen und dann die Herrschaft über die gesamte Stadt an sich zu bringen«. So zögert die schreibende Nonne auch nicht, ihre Widersacher als »Drecksäcke« zu bezeichnen, die Lutheraner sind für sie eine »fluchwürdige Sekte«. Der Wittenberger Reformator Martin Luther ist in ihren Augen ein »treuloser Hund«, der seinen Geist »allen Bosheiten und Irrtümern« übergeben habe und mit seinem »pestbringenden Gift« alle Reiche und Länder der katholischen Kirche verderbe. Lutheraner seien wie eine »ansteckende Krank120 

Jeanne de Jussie

heit« und »schlimmer als die Türken«. Das will schon Einiges heißen, denn immerhin hatten die Türken nur wenige Jahre zuvor für einige Wochen Wien belagert, die Hauptstadt der Habsburger. Und im gesamten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ging die Angst vor den Osmanen um. Trotz dieser üblen Polemik gegenüber der Reformation sieht aber auch Jeanne mit klarem Blick die Verfehlungen der katholischen Geistlichen: »Es ist wohl wahr, daß die Prälaten und die Geistlichkeit zu dieser Zeit sich nicht an ihre Gelübde und ihren Stand hielten, sondern sich zügellos an den Gütern der Kirche belustigten, indem sie sich Frauen und Kinder in Wollust und Ehebruch hielten.« Die Auseinandersetzungen zwischen den Reformgesinnten und den Altgläubigen nehmen in der Stadt bald bürgerkriegsähnliche Ausmaße an, so dass die Geschichtsschreiberin festhält: »Bei diesem Durcheinander herrschte eine so große Feindseligkeit zwischen den beiden Parteien, daß das Kind gegen den Vater und die Mutter gegen die Tochter losging. Eine Frau, deren Vater Luthe­ raner war, sah ihren christlichen Gatten in Waffen und begann bitterlich zu weinen. Ihr Mann sagte zu ihr: ›Frau, weine, so viel du willst! Denn wenn wir uns schlagen und ich bekomme deinen Vater zu Gesicht, denn wird er der erste sein, an dem ich mich erproben werde, um ihn zu Tode zu bringen, oder er mich. Denn er ist ein böser, abtrünniger Christ und von den Bösen der Schlimmste‹.« Um Ostern 1534 verzeichnet die Ordensschwester die erste evan­ gelische Trauung in Genf, vollzogen von Guillaume Farel, den sie als »Drecksack« bezeichnet. Zur gleichen Zeit beginnen Genfer Bürgersfrauen Verwandte von ihnen, die zum Klarissenkonvent gehören, zu bedrängen: Diese sollen das Kloster doch endlich verlassen. Und so sehen sich die Nonnen immer mehr Repressalien ausgesetzt und befürchten, ausgeplündert und vergewaltigt zu werden. Aber auch von versöhnlichen Szenen weiß Jeanne zu berichten, denn es ist ihr Anspruch, wahrheitsgemäß die Geschehnisse in ihrer Umgebung festzuhalten. Und so schildert sie, wie der Berner Hauptmann Tribollet, »ein großer Lutheraner«, in die Klausur der Nonnen eindringt, »wütend wie ein Löwe mit den Genossen seiner Sekte«. Die Schwestern flüchten sich gemeinsam in die Chronistin des Kampfes um Genf

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Kirche, werfen sich mit dem Gesicht zu Boden und beten zu Gott. Als T ­ ribollet dies sieht, tritt ein Sinneswandel bei ihm ein und sein Herz wird »nach dem Wohlgefallen Gottes ganz umgewandelt vor Mitleid.« Er verspricht den Nonnen, sie zu beschützen und gegenüber allen zu verteidigen, die ihnen Übles wollen. Im April 1535 spitzt sich die Lage rund um das Kloster SainteClaire dramatisch zu. Farel predigt von der Kanzel herab, die Klarissen müssten zu ihrer eigenen Seelen-Rettung aus dem Kloster gebracht werden, denn sie würden nichts als Hurerei und Heuchelei betreiben. Deshalb sollten die Nonnen – auch gegen ihren Widerstand  – aus dem Konvent geholt und alle verheiratet werden. Dies sei das Gebot Gottes. In der Folge fliegen die ersten Steine über die Klostermauern und einige Schwestern werden verletzt. Als der Bürgermeister eine Disputation über die strittigen Glaubensartikel ansetzt und auch die Klarrissen verpflichtet, ihren Standpunkt darzulegen, weigern sich diese daran teilzunehmen. Ihre Begründung liest sich von heute aus gesehen wenig emanzipatorisch, denn sie argumentieren: »Es ist nicht die Aufgabe von Frauen, zu disputieren, denn das Studium ist nicht für die Frauen angeordnet.« Daher sei es weiblichen Wesen auch nicht erlaubt, sich in die »Auslegung der Heiligen Schrift einzumischen«. Im Juli verschafft sich Farel Zugang in das Kloster, um den Ordensfrauen direkt zu predigen, wie falsch seiner Überzeugung nach ihr Lebensmodell sei. »Er führte aus, die Jungfrau Maria habe kein Einsiedlerleben geführt, sondern sei darum besorgt gewesen, ihrer alten Base zu Hilfe zu kommen und zu dienen. Und anhand dieser Stelle machte er in verwerflicher Weise die heilige Klausur und das Ordensleben herunter, ebenso den Stand der heiligen Keuschheit und Jungfräulichkeit. Für das Herz der Schwestern war das ein durchbohrender Schmerz.« Und so kommt es während der evangelischen Predigt zu Tumulten in der Kirche, denn die Nonnen verschließen ihre Ohren mit Wachs, um Farel nicht zuhören zu müssen, sie spucken vor ihm aus und versuchen, ihn niederzuschreien. Wenige Wochen später wird die Klausur der Klarissen gewaltsam geöffnet. Jeanne schreibt über diese dramatischen Stunden: »Sie begannen mit einer großen eisernen Brechstange, die sie mit sich führten, um alle Schlösser aufzubrechen, und einer großen Axt, mit der sie die Türen einschlugen, den Drehschalter zu de122 

Jeanne de Jussie

molieren, der schön und fest aus gutem Nußbaumholz gefertigt war. Als die Pförtnerin den Drehschalter in Stücken zu Boden fallen sah, verrammelte sie die Tür und stemmte sich mit ihrem Rücken dagegen, um das Öffnen zu verhindern. Aber einer von ihnen schlug mit seiner Axt so fest hinein, daß er weit damit vordrang, und es fehlte nur wenig, daß er die Pförtnerin in den ­Rücken geschlagen hätte. Aber Gott der Schöpfer hielt sie auf wunderbare Weise zurück, und die Schwestern verließen das Zimmer des Drehschalters und verschlossen dessen Tür, die sich hinter der ersten Tür befand, und alle waren fest und gut gearbeitet. Dann liefen sie in die Kirche, und alle, Gesunde und Kranke, legten sich fest zusammengeballt in einem Haufen auf den Boden inmitten des Chores, mit verhüllten Gesichtern, in jämmerlichen Schmerzen und mit beispiellosen Seufzern, und erwarteten den leiblichen Tod oder die Gefahr für die Seele, hoffnungslos und ohne Zuspruch eines Menschen.« Die Kirche und das Kloster mit seiner Ausstattung werden vor den Augen der Frauen demoliert, eine der Schwestern verlässt das Kloster – freiwillig. Die anderen 23 Nonnen bleiben und wehren sich mit allen Mitteln. Eine von ihnen, die Vikarin des Konvents, zitiert Jeanne mit folgenden Worten: »Meine Herren, wenn Sie an uns rühren, dann überlegen Sie sich gut, was Sie tun! Denn ich schwöre bei Gott: sollte jemand an mich herankommen, um mir Gewalt anzutun, so werde entweder ich an der Stelle liegen­bleiben oder er!« Einige Tage später kommt es im Konvent zu einem Streit­ gespräch zwischen den Stadtoberen sowie der Äbtissin und der Vikarin. Dieser Disput entbehrt nicht eines gewissen Witzes. Deshalb sei er hier ausführlich wiedergegeben. Der Dialog beginnt mit einem Einwurf der Honoratioren: »Alle diese Dinge sind nur Heuchelei, und man muß zur Einheit des Glaubens kommen!« »Das ist leicht gesagt«, sagte Mutter Vikarin. »Was uns betrifft, so wollen wir keinerlei Neuerungen, sondern leben und sterben wie unsere Vorfahren.« »Das ist leicht gesagt«, antworteten sie, »aber die hatten niemanden, der ihnen die Wahrheit zeigte, und sie waren nicht erleuchtet, wie wir es sind.« »Gewiß, meine Herren! Sie sind doch blind, aber nicht erleuchtet!« Chronistin des Kampfes um Genf

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»Aber Ihr armen einfältigen Frauen, die Ihr unter dem Anschein, die Keuschheit zu bewahren, was für die Natur unmöglich ist, alle in Eurem Denken verdorben seid, wo findet Ihr denn, daß Gott so ein Leben ge­ boten hat?« »Er hat es nicht geboten«, sagten Mutter Äbtissin und Mutter Vikarin, »sondern er hat es uns durch sein Beispiel gezeigt.« »Aber wieso haben sich denn Gott und seine Mutter nicht eingeschlossen gehalten, sondern sind predigend und lehrend durch die Welt gezogen, und haben auch nicht solche Kleider wie Ihr getragen? Warum tragt Ihr überhaupt solche einfach geschnittenen und gefärbten Kleider?« »Weil es uns gefällt«, sagte Mutter Vikarin. »Und Sie, warum sind Sie so prächtig gekleidet mit diesem Anzug?« Er antwortete: »Das ist nicht aus Stolz, sondern zu meinem Vergnügen.« »Und so mache ich es auch«, sagte Mutter Vikarin, »denn diese Farbe gefällt mir besser als alle anderen, und ebenso gefällt mir der Schnitt, wie Ihnen der Ihrige. Und deshalb, weil jeder seine Freiheit hat, behalten Sie die Ihrige und lassen Sie uns die unsrige, denn zu allen Dingen, die wir tun, sind wir in keiner Weise gezwungen, sondern eine jede ist freiwillig hier, ohne Zwang und Überredung. Und wenn Sie uns nicht gestatten wollen, in Ihrer Stadt auf die gleiche Art zu leben wie unsere guten verstorbenen Mütter, dann erlauben Sie uns, zusammen und ohne Gefahr hinauszugehen!«

Bevor es den Nonnen erlaubt wird, die Stadt zu verlassen, versucht der Rat der Stadt jede Ordensfrau einzeln davon zu überzeugen, ihrem bisherigen Leben abzuschwören und sich der reformatorischen Glaubensrichtung anzuschließen. Den jungen Schwestern wird ein Angebot gemacht: Für jede von ihnen stehe ein Ehemann bereit! So wird auch Jeanne nahegelegt, doch einen Austritt aus dem Kloster zu erwägen, denn für eine zufriedenstellende Partie könne gesorgt werden. Unmissverständlich macht diese allerdings klar, sich noch nie nach einem Ehemann gesehnt zu haben, denn sie sei mit Gott vermählt und wolle es auch bleiben. Das Streit­ gespräch gipfelt in einem Satz, der an Deutlichkeit nicht mehr zu überbieten ist, als die Klosterfrau ihrem Gegenüber bescheidet: »Sie bringen mit Ihrer Predigt an mich eben so viel zustande, als wenn Sie Scheiße schlagen würden, um daraus Butter zu machen.« Schneid hat sie, diese Jeanne! Ebenso entschlossen und standhaft gegenüber den Argumenten der evangelischen Seite zeigen sich die anderen Konventualinnen, so dass die Ratsmitglieder die Sache aufgeben. »Man könnte eher 124 

Jeanne de Jussie

einen Goldschmiedeamboß weichklopfen als eine von ihnen«, sind sich die Ratsmitglieder einig. Und so verlassen die Klarissen kurz nach Mitternacht am 29. August 1535 unter dem Schutz der Genfer Obrigkeit ihr Kloster. Die Nonnen stellen sich zu zweit auf, fassen einander fest an den Händen und erhalten die Order, nahe beieinander zu bleiben und absolutes Stillschweigen einzuhalten. Mehrere hundert Bogenschützen begleiten die Frauen bei ihrem Auszug aus der Stadt, denn es haben sich ganze Rotten ihrer Gegner in einen Hinterhalt gelegt, um – wie Jeanne schreibt – »die Schwestern in der Nacht auszuplündern und zu vergewaltigen«. Doch der Bürgermeister droht allen, die den Ordensschwestern Übles wollen: »Wenn einer sich rührt, dann wird ihm sofort auf der Stelle ohne Gnade der Kopf abgeschlagen!« So gelangen die Klarissen aus der Stadt und mit ihrem Auszug endet die Geschichte des Klosters Sainte-Claire in Genf. Die Nonnen brauchen einige Wochen, um im September in Annecy ein Kloster zu beziehen, welches ihnen der Herzog von Savoyen zu Verfügung gestellt hat. Dort wird Jeanne de Jussie 1548 die 17.  Äbtissin des Konvents und leitet diesen bis zu ihrem Tod im Jahr 1561. Als Frau übernahm sie damit ein hohes geistliches Leitungsamt. Ihren Geschlechtsgenossinnen gegenüber, die sich für den neuen reformatorischen Glauben einsetzten und sich als Frau zu behaupten versuchten, bringt sie allerdings keinerlei Verständnis entgegen und hat nur Hohn und Spott für sie übrig. Über zwei in Genf predigende Frauen berichtet Jeanne de Jussie in ihrer Chronik. Die eine ist Claudine Levet, Frau eines Apothekers, die andere Marie Dentière, die heute als feministische Historikerin und Theologin gilt. Im Herbst 2002 wurde ihr Name den bereits bestehenden Inschriften des Genfer Reformationsdenkmahls hinzugefügt. Damit ist sie die einzige Frau, der diese Ehre bislang zuteilwurde. Kurz bevor die Klosterfrauen ins Exil gehen, predigt ihnen Claudine Levet Ende August 1535. In ihrer Auslegung lobt sie den Stand der Ehe und verweist darauf, dass die Apostel, die Jesus begleiteten, alle verheiratet gewesen seien. Als die Nonnen ihre Predigt nicht mehr hören wollen, werden sie von anwesenden Ratsmitgliedern angewiesen, Claudine Levet nicht zu beleidigen. Die Chronistin des Kampfes um Genf

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Argumentation der Honoratioren lautet: »Denn sie ist ein hei­ liges Geschöpf, das vom einzig wahren Gott erleuchtet und reiche Ernte einbringt durch ihre heiligen Predigten und ihre göttliche Lehre, indem sie die armen Unwissenden bekehrt. Und wegen ihres Begehrens, die Seelen zu retten, nimmt sie große Unannehmlichkeiten auf sich, und sie möchte gern, daß Ihr zu den Geretteten gehört.« Predigende Frauen scheinen in Genf also für keinen Aufruhr gesorgt zu haben, sondern wurden von den Stadtoberen protegiert. Sie galten als vom Heiligen Geist erfüllt und ihnen wurde zugetraut, Gläubige zu gewinnen und sie von den reformatorischen Einsichten zu überzeugen. Und so war einige Tage vor Claudine Levet bereits Marie Dentière in das Kloster Sainte-Claire gekommen, um die Nonnen dazu zu bringen dem Klosterleben abzuschwören. Über sie schreibt Jeanne: »In dieser Gesellschaft befand sich eine Nonne, eine Äbtissin, eine falsche, hutzelige Teufelszunge, die Ehemann und Kinder hatte, namens Marie Dentière aus der Picardie, die sich in das Predigtamt eindrängte und fromme Leute zum Abfall brachte.« Dieser Disput unter Frauen verläuft dann auch wenig erquicklich. Marie versucht, die Nonnen davon zu überzeugen, dass sie in »Finsternis und Heuchelei« leben. Laut Jeanne spricht sie davon, dass Gott sie die Sinnlosigkeit ihres »schäbigen« Lebens hinter Klostermauern habe erkennen lassen. »Denn in diesen Orden gibt es ja nichts anderes als Scheinheiligkeit, geistige Verderbnis und Müßiggang.« Nun lebe sie auf heilsame Art und habe bereits fünf schöne Kinder. Die Schwestern quittieren diese Rede der ehemaligen Nonne, indem sie vor ihr voller Verachtung ausspucken. So wird in dieser Szene noch einmal deutlich, wie scharf sich das Rollenmodell der Ehefrau und Mutter auf der Seite der evangelisch Gesonnenen und das Rollenmodell der Nonne auf katho­ lischer Seite gegenüber standen.

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Jeanne de Jussie

Geboren

1503 in der Nähe von Genf

Gestorben

1561 in Annecy

Leben

Als Chronistin ihres Klosters Sainte-Claire in Genf wird sie Augenzeugin der Kämpfe zwischen der altgläubigen Seite und der Anhängerschaft der reformatorischen Bewegung. Sie hält die Ereignisse fest, die letztendlich zum Auszug der Klarissen aus der Stadt führten und leitet in Annecy als spätere Äbtissin ihren Konvent. Aus ihrer Quelle stammen die Informationen über predigende evangelische Frauen.

Werk

»Kleine Chronik, Bericht einer Nonne über die Anfänge der Reformation in Genf«

Wibrandis Rosenblatt Die Frau an der Seite der oberrheinischen Reformatoren

Ihr Musen weint, Rosen gebt traurige Zeichen; denn die herrliche Rose liegt darnieder, die segenspendende Muse liegt da! … Lieblich war diese Rose, und kaum eine schönere trugen je die Gefilde der Schweiz oder das elsäss’sche Land. Strophen aus einem Gedicht von Paul Cherler über Wibrandis Rosenblatt

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ie Frau, die kurz nach ihrem Tod am 1. November 1564 so gefühlvoll vom Theologiestudenten und späteren Pfarrer in Binzen, Paul Cherler, beschrieben wird, trägt den schönen Namen ­Wibrandis Rosenblatt. Viermal war sie verheiratet, elf Kinder hat sie zur Welt gebracht, in Basel, Straßburg und Cambridge hat sie gelebt, drei der bedeutendsten oberrheinischen Reformatoren waren nacheinander ihre Ehemänner. Mit ihr begegnen wir einer Frau der beginnenden Neuzeit, die nicht durch ein eigenes publizistisches Werk für die Reformation eingetreten ist, sondern eine neue Lebensform gelebt hat: Frau eines ehemaligen Priesters zu sein und damit eine der ersten Pfarrfrauen. Auch wenn Wibrandis Rosenblatt kein eigenes Werk hinterlassen hat, so war sie doch als eine der ersten Frauen durch ihr Leben aktiv an der Gestaltung großer Veränderungen beteiligt. Wie andere Frauen dieser Zeit musste sie das Rollenbild der evangelischen Pfarrfrau und damit auch das des evangelischen Pfarrhauses für sich neu erfinden. So erging es auch Katharina von Bora, die mit Martin ­Luther verheiratet war. Aber auch Anna Reinhart, die Gattin von ­Ulrich Zwingli, musste sich dieser Aufgabe stellen. So wie Idelette de ­Bure, Ehefrau Johannes Calvins oder auch Elisabeth Silbereisen, Die Frau an der Seite der oberrheinischen Reformatoren

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die erste Frau Martin ­Bucers. An den Auseinandersetzungen und Debatten ihrer Zeit, die nicht nur religiöser Natur waren, sondern zwangsläufig zu politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen führten, hat Wibrandis Rosenblatt durch ihren gelebten Alltag aktiv teilgenommen. Sie kam 1504 in Säckingen auf die Welt als Tochter des kaiser­ lichen Feldhauptmanns Hans Rosenblatt und seiner Ehefrau Magdalena Strub, die aus einer angesehenen Bürgerfamilie in Basel stammte. Die Tochter bekam den Namen einer damals sehr populären Heiligen: Wibrandis. Der Vater war auf zahlreichen Kriegsschauplätzen zu finden und stand eine Zeitlang im Dienst Kaiser Maximilians I., der ihn für seine Tapferkeit im bayrischen Erbfolgekrieg sogar zum Ritter schlug. Da die Mutter das unstete Leben an der Seite ihres Mannes immer weniger mochte, zog sie mit ihrer Tochter Wibrandis und ihrem Sohn Adelberg zurück in ihre Heimatstadt Basel. Sie war auch nicht mehr bereit, ihrem Mann auf ein österreichisches Gut zu folgen, welches er als Ablösung für un­erledigte Soldansprüche 1521 von Kaiser Karl V. erhalten hatte. ­Wibrandis wuchs somit ohne Vater auf. Im Alter von 20 Jahren heiratete sie 1524 den Basler Ludwig ­Keller, einen Magister der Freien Künste. Das junge Paar bekam eine Tochter und taufte sie auf den Namen der Mutter: W ­ ibrandis. So gab es nun zwei weibliche Wesen mit dem gleichen Namen in der Familie. Das Eheglück währte allerdings nicht lange, denn schon im Sommer 1526 – nach nur knapp zwei gemeinsamen Jahren – starb Ludwig Keller und Wibrandis wurde zum ersten Mal Witwe. Gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter zog sie in das Haus ihrer Mutter zurück. Basel, Zürich und Straßburg waren zu dieser Zeit die großen Mittelpunkte der reformatorischen Erneuerung im Gebiet des Oberrheins. Die bedeutendsten Reformatoren dieser Städte, Johannes Oekolampad (Basel), Ulrich Zwingli (Zürich) und Martin Bucer, Wolfgang Capito sowie Matthäus Zell (alle Straßburg) waren in regem freundschaftlichem Austausch miteinander. Zwingli und Oekolampad hatten sogar einen Bund geschlossen, über den Oekolampad 1522 an den Freund in Zürich schrieb: »Du kennst ja den Spruch: ›Ein Jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, das des Andern ist‹; also siege für uns, siege für Christus; lieber Zwingli, lass durch dies Brieflein unsere enge Verbundenheit in 130 

Wibrandis Rosenblatt

Christo gegründet sein.« Gemeinsam kämpften die beiden nun für die Erneuerung der Kirche in der schweizerischen Eidgenossen­ schaft, gemeinsam setzten sie sich später auch mit Luther über das richtige Verständnis des Abendmahls auseinander. Martin Luther hatte 1522 in seiner Schrift »Vom ehelichen Leben« erklärt, dass die Geschlechtlichkeit des Menschen zur göttlichen Schöpfung gehöre. War bis dahin in der Kirche des Mittelalters dem Mönch, bzw. der Nonne, der höchste religiöse Status beschieden gewesen, da sie keusch zu leben gelobt hatten, behauptete Luther nun das Gegenteil. Gottes Werke könnten nicht durch menschliche Keuschheitsgelübde außer Kraft gesetzt werden, argumentierte er. Denn die Geschlechtlichkeit und damit die Sexualität gehörten für ihn wesensmäßig zur menschlichen Existenz. Anschaulich brachte er dies in seinem Kommentar zum biblischen Auftrag »Seid fruchtbar und mehret euch« (1. Mose 1,28) zu Papier: Aus dem Spruch sind wir gewiss, das Mann und Weib sollen und müssen zusammen, dass sie sich mehren … Darum also wenig als in meiner Macht steht, dass ich kein Mannsbild sei, also wenig steht es auch bei mir, dass ich ohne Weib sei. Wiederum auch, also wenig als in deiner Macht steht, dass du keins Weibsbild seist, also wenig steht es auch bei dir, dass du ohne Mann seist. Denn es ist nicht eine freie Willkür oder Rat, sondern ein nötig natürlich Ding, dass alles, was ein Mann ist, muss ein Weib haben, und was ein Weib ist, muss ein Mann haben.

Diese Neubewertung von Sexualität und Keuschheit führte zu einer enormen Aufwertung der Ehe. Für Luther lagen die Funktionen einer christlichen Ehe in der Vermeidung von Unzucht und Hurerei, der Geburt von Kindern sowie deren christlicher Erziehung. Das Elternamt war die zentrale Aufgabe einer im Glauben gelebten Ehe. Die erste von Gott geschaffene, gesellschaftliche Ordnung war die Ehe. Unter den Reformatoren setzte daher alsbald eine regelrechte Heiratswelle ein. 1522 heiratete Martin Bucer die ehemalige Nonne Elisabeth Silbereisen, ebenfalls in Straßburg vermählte sich Matthäus Zell ein Jahr später mit Katharina Schütz, Wolfgang Capito ehelichte 1523 Agnes Roettel, Katharina von Bora und Martin ­Luther feierten 1525 Hochzeit. Bereits 1522 war auch Ulrich Zwingli heimlich mit seiner Frau Anna Reinhart in den Stand der Ehe Die Frau an der Seite der oberrheinischen Reformatoren

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getreten, hatte sich jedoch erst zwei Jahre später öffentlich dazu bekannt. Auch Johannes Oekolampad begann über eine Ehe nachzudenken, aber erst nachdem seine Mutter Anfang Februar 1528 gestorben war, entschloss er sich wirklich zur Heirat. Mit 46 Jahren war er nicht mehr der Jüngste und im Haushalt lebte noch sein greiser Vater. Seine Wahl fiel auf die 22 Jahre jüngere Wibrandis Rosenblatt, die mittlerweile eine eifrige Anhängerin des evangelischen Glaubens geworden war. Am 15. März 1528 heirateten die Beiden und mussten zu Anfang viel Spott über sich ergehen lassen. So schrieb Bonifatius Amerbach, einer der führenden Humanisten der Stadt und weiter dem katholischen Glauben treu: »Unlängst hat Oekolampad eine Ehefrau heimgeführt. Ein Mann in schon vorgerücktem Alter, mit zitterndem Haupt, mager und erschöpft am ganzen Körper wie ein lebender Leichnam – soll man das nicht töricht nennen?« Und auch Erasmus von Rotterdam, einer der brillantesten Köpfe unter den Humanisten, selbst Priestersohn und zu dieser Zeit gerade in Basel sesshaft, schrieb anzüglich über diese Ehe: »Vor wenigen Tagen heiratete Oekolampad eine Frau, ein Mädchen nicht ohne Geschmack, er ist begierig, in der Fastenzeit das Fleisch mürbe zu machen.« Was Wibrandis über ihre Ehe dachte und empfand, ist uns nicht überliefert, aber von Johannes Oekolampad gibt es aus dieser Zeit einen Brief an den späteren Genfer Reformator Guillaume Farel, in dem es heißt: »Du sollst wissen, dass Gott mir an Stelle meiner verstorbenen Mutter eine christliche Schwester zur Frau geschenkt hat, in bescheidenen Verhältnissen lebend, aber aus einem ehrenwerten Geschlecht stammend, und als Witwe seit einigen Jahren im Kreuztragen geübt. Ich möchte zwar, dass sie ein wenig älter wäre, aber ich habe bis heute nichts von jugendlicher Unreife an ihr gefunden. Ich bitte Gott, dass diese Ehe glücklich sei und lange währe.« Johannes Oekolampad war der bedeutendste Reformator Basels. Er war tätig als Professor an der Universität und als Prediger am Basler Münster. Aus beiden Ämtern bestritt er das Einkommen der Familie, welches Wibrandis Rosenblatt durch die Aufnahme von Studenten noch ergänzte. Die Familie konnte im Laufe der Jahre sogar Immobilien erstehen, bei denen Wibrandis jeweils als Mitkäuferin und Miteigentümerin urkundlich genannt wird. 132 

Wibrandis Rosenblatt

Abb. 11 Wibrandis Rosenblatt war mit drei Reformatoren verheiratet und brachte elf Kinder zur Welt

Bereits am Heiligabend 1528, also noch im Jahr ihrer Hochzeit, bekam das Paar sein erstes gemeinsames Kind, den Sohn E ­ usebius. Im März 1530 kam das zweite Kind, die Tochter Irene, zur Welt. Wiederum ein Jahr später wurde die Tochter Aletheia geboren. Wibrandis Rosenblatt, die 1529 mit ihrem Mann in das Pfarrhaus am Basler Münster eingezogen war, stand nun als Hausfrau einem großen Haushalt vor, in dem nicht nur ihre Kinder zu erziehen waren, sondern in dem auch immer wieder Platz geschaffen wurde für Glaubensflüchtlinge und Hilfesuchende. Besonders Pfarrer, die wegen ihres Eintretens für die Reformation abgesetzt worden waren, bevölkerten das Haus der Familie. Die zur Miete wohnenden Studenten mussten versorgt werden, und immer wieder kamen Freunde ihres rastlos arbeitenden Mannes zu Gast. So besuchte sie im Sommer 1529 Ulrich Zwingli auf seiner Reise nach Marburg. Gemeinsam mit Oekolampad machte er sich auf den Die Frau an der Seite der oberrheinischen Reformatoren

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Weg nach Straßburg, wo sie Martin Bucer trafen, der sie ebenfalls nach Marburg zu den Religionsgesprächen mit Martin ­Luther über die Abendmahlslehre begleitete. Nach den missglückten Gesprächen kehrte Zwingli auf seiner Rückreise nochmals in Basel ein. Auch die Straßburger Freunde Oekolampads, Wolfgang ­Capito und Martin Bucer, kamen 1530 zu Besuch in das Pfarrhaus am Hasengäßlein. Doch bereits nach nur drei Jahren Ehe, in denen sie drei Kindern das Leben geschenkt hatte, wurde Wibrandis Rosenblatt mit 27  Jahren zum zweiten Mal Witwe. Johannes Oekolampad hatte sich eine eitrige Entzündung zugezogen und starb am 23. November 1531, nur wenige Wochen nach seinem Freund Ulrich Zwingli, der in der Schlacht von Kappel getötet worden war. Unter großer Anteilnahme der Bevölkerung wurde Oekolampad im Kreuzgang des Basler Münsters bestattet. Wieder stand die junge Witwe vor der Aufgabe, sich und ihre nun mittlerweile vier Kinder zu versorgen. Während O ­ ekolampad noch mit dem Tod kämpfte, war in Straßburg auch die Frau seines Freundes und Mitstreiters Wolfgang Capito, Agnes Roettel, gestorben. Die Freunde machten sich umgehend auf die Suche nach einer neuen Frau für Capito. Denn der als unpraktisch veranlagt geltende Theologe litt zudem oft an Depressionen, so dass eine schnelle Wiederverheiratung, die zu dieser Zeit als nicht anstößig galt, die beste Lösung zu sein schien. Die Wahl fiel auf W ­ ibrandis Rosenblatt, die einen Ruf als tatkräftige und nervenstarke Frau hatte. Beide kannten sich bereits von einem Besuch Capitos im Pfarrhaus in Basel und nahmen den Kontakt zueinander wieder auf. Nur fünf Monate nach dem Tod Oekolampads heiratete Wibrandis Rosenblatt am 11. April 1532 Wolfgang Capito. Sie verließ ihre Heimatstadt, um mit Capito in das Pfarrhaus von Jung-St. Peter in Straßburg zu ziehen. Mit ihr zogen nicht nur ihre vier Kinder, sondern auch ihre Mutter, Magdalena Strub, in die Reichsstadt am Rhein. Ihr dritter Ehemann, ein bedeutender Kenner der hebräischen Sprache, veröffentlichte zahlreiche biblische Kommentare unter Einbeziehung auch jüdisch-rabbinischer Werke und verfasste hebräische Sprachlehren. Er hielt theolo­ gische Vorlesungen und war als Prediger sehr gefragt. Der Altersunterschied zwischen den beiden Eheleuten von 26 Jahren war nicht unerheblich. So war Capito oft krank, litt unter Schlaflosig134 

Wibrandis Rosenblatt

keit und neigte zur Schwermut. Durch Gutgläubigkeit hatte er sich zudem zu geplatzten Bürgschaften hinreißen lassen und war in erdrückende Schulden geraten. Für seine Frau bedeutete dies, den großen Haushalt äußerst sparsam zu führen. Wie in Basel, so war auch das Pfarrhaus in Straßburg ein gastfreies Haus, in dem Wibrandis Rosenblatt wie gewohnt Gäste, Hilfesuchende und Flüchtlinge aufnahm. Ein Jahr nach ihrer dritten Hochzeit wurde zudem die Tochter Agnes geboren, die Capito nach seiner verstorbenen ersten Frau nannte. Es folgten in neun Jahren Ehe die Kinder Dorothea, Johann Simon, Wolfgang Christoph und zuletzt Irene, die den Namen ihrer früh verstorbenen Halbschwester aus Wibrandis’ Ehe mit Oekolampad erhielt. Unter den Patinnen und Paten der Kinder finden sich u. a. Martin Bucer und Katharina Zell, Frau des Straßburger Reformators Matthäus Zell und ebenfalls eine herausragende Frauengestalt der Reformationszeit. Das Jahr 1541 war für Wibrandis Rosenblatt eines, das sie vom Glück in das tiefste Leid stürzte. Sie brachte in diesem Jahr ihr neuntes Kind, die kleine Irene, zur Welt und ihre älteste Tochter Wibrandis Keller heiratete den Straßburger Bürger Hans ­Jeliger. Im Sommer des Jahres brach jedoch eine Pestepidemie aus, die fürchterlich in den Straßburger Familien wüten sollte. Ein Basler Chronist berichtet darüber: »Im Sommer Anno 1541 erhub sich am Rheinstrom und anderen Orten pestilentzische Sucht, deren man schon vor einem Jahr empfunden, etwas strenger, also dass viele Leute darauf gingen; zu Straßburg sturben dreitausendzweihundert Menschen, nicht minder zu Colmar, zu Rheinfelden siebenhundert, zu Basel auch eine ziemliche Anzahl.« In Straßburg wurden auch die evangelischen Pfarrhäuser schrecklich heimgesucht. So starben im Hause Bucer nicht nur seine Ehefrau Elisabeth Silber­eisen, sondern auch fünf Kinder, nur der geistig und körperlich behinderte Sohn Nathanael überlebte die Epidemie. Wibrandis Rosenblatt verlor innerhalb weniger Wochen durch die Pest drei ihrer Kinder: Der 13-jährige Eusebius Oekolampad sowie Dorothea und Wolfgang Christoph Capito starben. Aber auch Wolfgang Capito selber überlebte die Pest nicht. Er starb einen Tag vor Elisabeth Silbereisen, der Frau seines Freundes Martin Bucer. Elisabeth Silbereisen muss eine bemerkenswerte Frau gewesen sein. Martin Bucer schrieb über sie in Liebe und Anerkennung: Die Frau an der Seite der oberrheinischen Reformatoren

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Der liebe Gott hat mir zuvor ein Gemahl gegeben bis ins 20.  Jahr, die mit solcher Zucht, Ehrbarkeit, Gottseligkeit, auch Arbeitsseligkeit in aller Haussorg und Arbeit begabt gewesen, wie das viel frommer Christen wissen, dass ich durch sie zu meinem Dienst merklich bin gefördert worden, nicht allein in dem, dass sie mich aller Haussorg und zeitlicher Geschäfte enthoben, sondern auch in dem, dass sie durch ihren Fleiß und Mühe die leibliche Versorgung, so uns bisweilen nicht so reichlich zukommen, also ratlich angelegt und ausgeteilt hat, dass wir hier in Straßburg vielen Pilgern und Dienern Christi viel mehr Dienst erwiesen haben, als ich, wo ich allein gewesen wäre, nimmer vermocht hätte.

An ihrem letzten Lebenstag erfuhr sie von Katharina Zell, die sich aufopfernd um sie kümmerte, vom Tod Wolfgang Capitos. Sie bat daraufhin Wibrandis Rosenblatt an ihr Krankenbett und flehte sie an, nach ihrem Tod für ihren Mann Martin sowie den einzig überlebenden Sohn Nathanael zu sorgen. Und Elisabeth sprach auch mit ihrem Mann. »Unter Tränen«, berichtete Martin Bucer an einen Freund »hörte ich sie an, antwortete aber nichts.« Seine Frau hatte ihn auf dem Totenbett dringend gebeten, Wibrandis Rosen­blatt zu heiraten, damit beide wieder versorgt seien. Ein Jahr nach der verheerenden Pestepidemie heirateten Martin Bucer, der ehemalige Dominikanermönch, und Wibrandis Rosen­ blatt, die dreifache Witwe, am 16. April 1542. Der 50-Jährige schreibt über seine Ehe mit der 13 Jahre Jüngeren an seinen Freund Am­ brosius Blarer: Obwohl ich über das zum Heiraten geeignete Alter hinaus bin, habe ich mich unter allseitiger Berücksichtigung meiner Verhältnisse und meines Amtes entschlossen, den Brüdern zu folgen und mich mit Capitos Witwe zu verbinden … Sie hat noch vier Kinder, eine Tochter von O ­ ekolampad und einen Knaben und zwei kleine Mädchen von Capito. Dieser hat ihnen, wie Du weißt, infolge seines Missgeschicks mit Bürgschaften, nicht viel hinterlassen. Doch ist … ein wenig zu ihrer Unterstützung vor­ handen. Das werden wir, solange mir Gott mein Leben und mein Einkommen lässt, den Waisen bewahren und sie wie meine Kinder halten. Die Gründe, die mich vornehmlich zu diesem Schritt bewegen, sind die Einsamkeit, die ich nicht gewohnt bin und nicht ertragen kann, dazu die Gefahr, mit fremden Leuten einen Haushalt zu führen, endlich die Vortrefflichkeit der Witwe und die Liebe, die ich den Waisen eines um mich so sehr verdienten Mannes schulde. Bittet für uns, dass unser Vorhaben Christo gefalle und der Kirche zum Nutzen sei!

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Wibrandis Rosenblatt

Wibrandis zog nun mit ihren Kindern Aletheia (11), Agnes  (9), Johann (5), Irene (1) sowie ihrer Mutter in das Pfarrhaus von St. Thomas, der Predigtkirche Bucers. Dort lebten bereits der Sohn Nathanael sowie Bucers Vater. Wenige Monate nach der Eheschließung schrieb Bucer wiederum an seinen Freund Blarer: Meine Hochzeit ist vollzogen und ich fürchte für mich nur die allzu große Dienstwilligkeit der besten Frau. Meine erste Frau war freier mich zu ermahnen und zurechtzuweisen und nun spüre ich, dass diese Freimütigkeit nicht nur nützlich, sondern notwendig war. Nichts bliebe mir bei meiner jetzigen Frau zu wünschen übrig, als ihre allzu große Besorgtheit und Nachgiebigkeit gegen mich. Und doch, wie groß ist doch die Sehnsucht nach der verlorenen; so tief ist die erste pietätvoll gepflegte Ver­ bindung im Herzen verwurzelt.

Einen Eindruck aus dem damaligen Leben im Haus der Familie Bucer vermittelt ein Bericht eines italienischen Glaubensflüchtlings, der Aufnahme bei Wibrandis und Martin Bucer fand. Er schrieb über seine Erlebnisse: Gleich bei unserer Ankunft wurden wir von Bucer aufs freundlichste in sein Haus aufgenommen. Siebzehn Tage durfte ich bei ihm bleiben; während dieser Zeit sah ich in seiner Verkündigung wie in seiner Lebensführung wunderbare Äußerungen evangelischen Glaubens. Sein Haus gleicht einer Herberge, so sehr ist er gegen alle Fremden, die um Christi und des Evangeliums willen in die Fremde gehen müssen, gastfreundlich. Seiner Familie steht er so trefflich vor, dass ich während der ganzen Zeit, die ich bei ihm zubrachte, nie eine Störung bemerkte, sondern immer nur Stoff zur Erbauung. Sein Tisch ist weder glänzend noch gemein, es herrscht die einem Frommen geziemende Mäßigkeit, …, vor und nach der Mahlzeit wird eine Stelle aus der Heiligen Schrift gelesen; dies gibt dann zu frommen und heiligen Gesprächen Anlass; ich darf wohl sagen, dass ich stets unterrichteter von diesem Tisch weggegangen bin; denn jedes Mal hörte ich etwas, das ich früher nicht so klar erkannt hatte, oder über das mir noch Zweifel geblieben waren.

Martin Bucer, der als heiter, aufgeschlossen und kinderlieb galt, nahm sich auch der Kinder aus den vorhergehenden Ehen seiner Frau an. Wibrandis tat es ihm gleich und kümmerte sich um seinen in die Ehe mitgebrachten Sohn Nathanael wie eine leib­liche Mutter. Das Eheleben der Beiden gestaltete sich harmonisch und Die Frau an der Seite der oberrheinischen Reformatoren

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bereits 1543 wurde dem Paar ein gemeinsames Kind geboren, welches auf den Namen des Vaters, Martin, getauft wurde. Martin ­Bucer war zur Zeit der Geburt aber für längere Zeit nach Köln verreist. Er versuchte dort die Reformation voranzutreiben, was ihm aus unterschiedlichsten Gründen aber nicht gelang. Als er im September nach längerer Abwesenheit nach Hause zurückkehrte, konnte er erstmals sein neugeborenes Kind in den Armen halten. 1545 brachte Wibrandis Rosenblatt ihr elftes und letztes Kind zur Welt. Die kleine Elisabeth wurde nach der verstorbenen ersten Ehefrau Bucers benannt. Außerdem nahm sich Wibrandis noch ihrer verwaisten Nichte Margarethe Rosenblatt an und holte sie nach dem Tod ihres Bruders Adelberg, der als Münzmeister in Colmar gelebt hatte, in das Pfarrhaus nach Straßburg. Mit acht Kindern, ihrer kränkelnden Mutter sowie immer wieder schutzsuchenden Flüchtlingen stand Wibrandis als Pfarrfrau einem großen Haushalt vor. Zudem scheint der kleine Martin bereits als Kleinkind gestorben zu sein. 1546, im Todesjahr Martin Luthers, hatten sich die durch die Reformation ausgelösten Spannungen im Reich zwischen der katholischen und der evangelischen Seite zugespitzt, und es war zum Schmalkaldischen Krieg gekommen, in dem 1547 die evangelische Seite unterlag. Kaiser Karl V. und seine Truppen hatten in diesem Religionskrieg den Sieg davon getragen und konnten nun die Bedingungen für die Protestanten diktieren. Auf dem Reichstag in Augsburg, der 1548 tagte, setzte der Kaiser ein Religionsgesetz durch, das den Evangelischen katholisches Brauchtum und katholische Lehre vorschrieb. Allein das Abendmahl in Wein und Brot sowie die Beibehaltung der Priesterehe wurden ihnen zuge­ standen. Das sogenannte »Augsburger Interim«, vom Kaiser als Zwischenlösung gedacht bis zu einer endgültigen Lösung des Konflikts durch ein Konzil, wurde überall im Reich unter Androhung von Gewalt und vor allem im süddeutschen Raum mit Hilfe von Gewehrläufen durchgesetzt. Viele evangelische Geistliche flohen daraufhin oder gingen in den Untergrund. So auch Martin Bucer. Vom Rat der Stadt Straßburg, der an das Gesetz des Kaisers gebunden war, wurde er als einer der einflussreichsten evangelischen Prediger entlassen und aus der Stadt gewiesen. Von der mutigen und unerschrockenen Katharina Zell wurden er und sein Mitstreiter Paul Fagius noch vier Wochen 138 

Wibrandis Rosenblatt

heimlich in ihrem Haus beherbergt, bevor beide ins Exil nach England aufbrachen. Schon vorher waren die zwei Straßburger Theologen vom Erzbischof von Canterbury, Thomas Cranmer, mehrmals eingeladen worden, um die englische Kirche mit aufzubauen. Der junge englische König Eduard VI. betrieb eifrig den Fortgang der Reformation in seinem Land und erfahrene Theologen, die bereits wussten, wie eine Kirche zu strukturieren und zu leiten war, suchte er besonders. Am 6. April 1549 verließen daher Bucer und Fagius ihr geliebtes Straßburg und schifften sich über Calais nach England ein. Den Sommer über sollten sie im Lambethpalast beim Erzbischof bleiben, bevor dann im Herbst ihre theologischen Vorlesungen an der Universität von Cambridge begannen. Dort lebte bereits ein Sohn von Paul Fagius, der für die beiden Straßburger Reformatoren die Übersetzung ins Englische leistete. All dies traf natürlich auch Wibrandis und ihre Familie auf das Schwerste. Bucer, die großen Umstürze der Zeit vor Augen, hatte bereits 1548 ein Testament verfasst. In diesem setzte er Wibrandis, die ihm und seinen Kindern eine so große Hilfe und Unterstützung war, zur Erbin ein. Was das Zeitliche betrifft, so ist mein Wille, dass meine Frau Wibrand unser Töchterlein Elisabeth alle Tage ihres Lebens bei sich behalte und es mit allem Fleiß in Frömmigkeit und Gottesfurcht erziehe. Damit meine Frau das um so leichter tun kann und weil sie mir und meinen Kindern bisher aufs treulichste gedient hat und ohne Zweifel noch weiter dienen wird, solange ihre Kräfte ausreichen, so will ich, dass das Witwengut, das ich von Anfang an, als wir unseren Bund geschlossen haben, zugesagt habe, um hundert Gulden vermehrt werde; auch die Zinsen von Basel, die sie mir zugebracht, sollen ihr bleiben.

Auch ihre Töchter Aletheia Oekolampad und Agnes Capito versah er mit einem finanziellen Erbe. Etwas beruhigt haben mag Bucer bei seiner Abreise nach England, dass sich zuvor noch Aletheia mit einem seiner vertrautesten Helfer, dem Pfarrer Christoph Söll, verheiratet hatte. »Ich könnte keinen anderen Beschützer zurück­ lassen, der so treu und in Allem eines Sinnes mit uns wäre« urteilte er über ihn, »nach Fagius ist hier keiner, der das Reich Christi so glühend und zugleich so volkstümlich verkündet.« Vor der Überfahrt aus Calais schrieb Bucer noch einen sehr anrührenden Brief an seinen Sohn Nathanel, dem einzig verbliebenen Kind aus seiner Ehe mit Elisabeth Silbereisen. Die Frau an der Seite der oberrheinischen Reformatoren

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Kein Kräutlein ist so klein, es hat seine Wirkung, dem Menschen zu gut; wie viel mehr soll dann der Mensch, geschaffen nach dem Bild Gottes, allwegen auch seine nützliche Wirkung haben und üben, Gott zu Ehren und zu Nutz den Nächsten … Ich weiß leider Deine Schwachheit an Leib und Gemüt wohl und habe wahrlich ein väterlich Mitleiden mit Dir; und dennoch hat Dir der Herr Dein Maß seiner Gnaden, etwas zu lernen und zu tun, gegeben … auch weißt Du, wie treulich es mit Dir meinet meine liebe Hausfrau, dass sie wahrlich begehrt, Dir keine Stiefmutter, sondern eine wahre Mutter zu sein und Dir alle mütterliche Treue zu beweisen … Gibt der Herr, dass ich irgend wieder angestellt werde und Dich bei mir haben kann, sollst Du sehen und erfahren, dass ich Dich als meinen Sohn, den ich noch einzig von meiner herzlieben Frau selig habe, erkenne und liebe.

Den beiden Männern gefiel in England aber weder das höfische Leben noch das Essen. Bucer wurde krank, ebenso Fagius. Bischof Cranmer forderte daher beide auf, ihre Familien nachkommen zu lassen. Im Sommer 1549 machte sich Wibrandis, begleitet von ihrer Tochter Agnes Capito sowie der kleinen Elisabeth, gemeinsam mit der Frau von Paul Fagius und deren Tochter auf den Weg nach England. Der Plan sah vor, Straßburg heimlich zu verlassen, sich auf dem Rhein einzuschiffen, um bis Antwerpen zu reisen und von dort nach England überzusetzen. Acht Tage sollte die Reise dauern. Paul Fagius starb jedoch schon wenige Monate später im November 1549 in Cambridge. Im Frühjahr 1550 kehrten die Frauen daher zurück nach Straßburg. Die Witwe des Paul Fagius blieb in Straßburg, Wibrandis Rosenblatt dagegen war nur erneut an den Rhein gereist, um die restliche Familie nach England zu ­holen. Nur Agnes Capito war bei Bucer in Cambridge geblieben. In Straßburg hatte Wibrandis mit allerlei Bedrängnissen zu kämpfen, die sie aber unerschrocken meisterte. In einem der wenigen Briefe, die von ihr erhalten sind, schreibt sie an Bucer: Wie ich gen Straßburg gekommen bin, da hat jedermann gesagt, Ihr seid auch gekommen. Da sind die Papisten zusammen gelaufen und haben Rat gehalten, wie sie Euch einen Schrecken machen wollten, und haben ausgehen lassen, sie wollten mir meine Habe beschlagnahmen. Da sind viele Leute gekommen und haben mich gewarnt. Ich habe mich aber des Handels nicht beladen wollen und habe geantwortet, sie sollten nur kommen,

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Wibrandis Rosenblatt

ich fürchte sie nicht. … Weiter hat sich zugetragen, dass man mich am Tage vor St. Johannis in des Velsius Namen zum nächsten Donnerstag vor das geistliche Gericht aufgeboten hat. Der Bote hat die Meldung Christoph (Söll) ausgerichtet; Christoph hat geantwortet, wir werden nicht kommen, wir seien Bürger; wenn Velsius eine Forderung an uns habe, so sei gutes staatliches Gericht hier. Also hat er ihn zurückgeschickt und mir erst davon gesagt, als er schon weg war; er hatte nämlich Sorge, ich könnte böse Worte geben, wie auch hätte geschehen können.

Im Spätsommer 1550 brach Wibrandis Rosenblatt mit ihrer alten Mutter Magdalena sowie den Kindern Elisabeth Bucer und ­Margarethe Rosenblatt erneut nach England auf. Mitte Februar 1551 erkrankte Bucer erneut schwer und starb in der Nacht zum 1.  März. Die Universität Cambridge bereitete ihm ein feierliches Begräbnis. Wibrandis Rosenblatt war nun mit 47 Jahren zum vierten Mal Witwe geworden und verließ wenige Wochen später England, um nach Straßburg zurückzukehren. Dort lebte sie die nächsten zwei Jahre. Als jedoch 1553 wiederum eine Pestepidemie über die Stadt hereinbrach, der diesmal ihr Schwiegersohn Christoph Söll zum Opfer fiel, traf sie den Entschluss, in ihre Heimatstadt Basel zurückzukehren. Im Juli 1553 siedelte sie mit ihrer greisen Mutter sowie den Kindern Agnes, Johann Simon, Irene und Elisabeth und wohl auch ihrer Nichte Margarethe nach Basel um. Dort verheiratete sich ihre Tochter Agnes mit Jakob Meyer, einem Enkel des ehemaligen Bürgermeisters der Stadt. An ihrem Sohn Johann Simon scheint Wibrandis dagegen wenig Freude gehabt zu haben. Der letzte Brief aus ihrer Feder, datiert auf das Jahr 1557, ist an ihn gerichtet. Darin heißt es: »Ich weiß wohl, wenn ich Botschaft von dir hätte, so würde sie mich nicht erfreuen; denn es ist Dein alter Brauch, dass ich nichts denn Kreuz von Dir habe. O, dass ich den Tag erleben sollte, wo ich etwas Gutes von Dir hörte; darnach wollte ich mit Freuden sterben.« 1564 tobte erneut die Pest am Oberrhein. In Straßburg starben 5.000, in Basel 7.000 Menschen. Die meisten von ihnen wurden in Massengräbern bestattet. Ein Chronist berichtet über die Geschehnisse: »Unglaublich ist’s, wie nach Mittagszeit um zwey und vier Uhren, da man die Abgestorbenen sonderlich zu bestatten pflegte, die Leichen aus allen Gassen daher getragen wurden.« Am 1.  November 1564 starb auch Wibrandis Rosenblatt an der Pest. Die Frau an der Seite der oberrheinischen Reformatoren

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Aus Achtung vor ihr begruben die Basler sie aber nicht in einem der Massengräber, sondern bestatteten sie  – mehr als 30  Jahre nach seinem Tod  – an der Seite ihres zweiten Mannes Johannes ­Oekolampad im Kreuzgang des Basler Münsters. Geboren

1504 in Säckingen

Gestorben

1564 in Basel

Leben

Sie war viermal verheiratet, brachte insgesamt 11 Kinder zur Welt und musste für sich das Rollenbild der evangelischen Pfarrfrau neu prägen. Nach dem Tod ihres zweiten Mannes Johannes Oekolampad, dem bedeutendsten Reformator Basels, heiratete sie die Reformatoren Wolfgang Capito und nach dessen Tod Martin Bucer. Sie lebte in Basel, Straßburg und Cambridge.

Elisabeth von Calenberg-Göttingen, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg Regentin und Säugamme der Kirche

Gottes Wort tat ich lieben und brachte es ins Land. Viel taten sie mir zuschieben, Unglück in meine Hand. Dennoch nach Gottes Gefallen klinget hier noch Gottes Wort. Und geht hierin mit Schalle und ist allein mein treuer Hort Elisabeth von Calenberg-Göttingen in einem ihrer Kirchenlieder

Sie war eine der bemerkenswertesten Frauen der Frühen Neuzeit,

denn nicht nur als Reformationsfürstin ist sie in die Geschichts­ bücher eingegangen, sondern auch als Schriftstellerin und gelehrte Laientheologin. Sowohl Martin Luther als auch Philipp ­Melanchthon sprachen mit großer Hochachtung von ihr, denn wie Melanchthon betont, hat Elisabeth »diese Kirchen aus mütter­ lichem Herzen sanft und lieblich mit dem Evangelium gespeiset, genähret und regiert«. In der Tat: Sie besaß als Frau die politische Macht, die Reformation einzuführen, und legte damit einen der Grundsteine zur Entstehung der späteren hannoverschen Landeskirche, heute die zahlenmäßig größte evangelische Landeskirche in Deutschland. Sie gilt aber auch als Wegbereiterin der heutigen Klosterkammer Hannover, einer staatlichen Behörde, die für mehr als 800 unter Denkmalschutz stehende Gebäude zuständig ist. Wer war diese Regentin, die sich als »Säugamme der Kirche« bezeichnete, ihr Amt zeitlebens als ein bischöflich-geistliches verstand und deren Familie durch die konfessionellen Spaltungen immer wieder auf die Zerreißprobe gestellt wurde? Geboren wurde Elisabeth 1510 in Cölln, dem heutigen Berlin, als eines von fünf Kindern. Ihre Eltern, Kurfürst Joachim I. von Brandenburg und seine Frau Elisabeth von Dänemark, sorgten daRegentin und Säugamme der Kirche

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für, dass die Tochter eine für Mädchen damals ungewöhnliche Schulbildung erhielt. Zusammen mit ihren beiden Brüdern und den zwei Schwestern genoss sie in der Cöllner Residenz etwa vom 10.  Lebensjahr an einen fundierten Unterricht. Damit war die Grundlage gelegt für eine der produktivsten deutschsprachigen Schriftstellerinnen der Frühen Neuzeit. Bereits als 15-Jährige musste die junge Adlige ihr Elternhaus verlassen, um den 40 Jahre älteren Erich I. von Calenberg-Göttingen zu heiraten, der verwitwet und kinderlos war. Erich I. regierte sein Fürstentum als eines der Teilfürstentümer des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg. Dieses war im Mittelalter durch Erb­teilungen der verschiedenen welfischen Linien stark aufgesplittert worden. Angrenzend an Calenberg-Göttingen herrschte ein Neffe Erichs I., Heinrich mit Namen, in Braunschweig-Wolfenbüttel, der eine nicht geringe Rolle im Leben Elisabeths spielen sollte. Denn er war immer wieder darauf bedacht, die beiden Teilfürstentümer unter seiner alleinigen Herrschaft zu vereinen. Davon ahnte die junge Elisabeth allerdings noch nichts. Auf einem Bild aus den frühen 1520er Jahren ist sie mit ernstem Gesicht zu sehen. In kostbare Kleidung gehüllt, sieht sie aus wie eine Erwachsene, deren kindliches Gesicht mit den traurigen Augen die vorenthaltene Jugend zu spiegeln scheint. Das wohl kurz darauf entstandene Brautbild von 1525 zeigt eine schlanke, ganz in schwarz gekleidete Mädchengestalt mit einer weißen Lilie in der Rechten als Symbol ihrer Jungfräulichkeit. E ­ lisabeths Mann, Erich I., war zum Zeitpunkt der Hochzeit mit seinen 55 Jahren älter als ihr eigener Vater. Die ihr zugedachte Aufgabe: Möglichst schnell Mutter eines Erbfolgers zu werden. Bis zu ihrem 25. Lebensjahr hatte sie vier Kinder geboren: Die Töchter Elisabeth (1526), Anna Maria (1532) und Katharina (1534) sowie 1528 den ersehnten Stammhalter Erich II. Ihre Ehe wird als harmonisch beschrieben, auch wenn sie nicht von ernsten Krisen verschont blieb. So hatte sich ihr Mann nach einigen Jahren wieder seiner früheren Geliebten Anna R ­ umschottel zugewandt. Daraus erwuchs 1533 ein ernsthafter Konflikt. Elisabeth, im Wochenbett nach der Geburt ihrer Tochter Anna Maria schwer erkrankt, bezichtigte die Nebenbuhlerin der Zauberei und ließ sie als Hexe verfolgen. Die so Verfemte konnte sich zwar durch Flucht retten, aber einige ihrer vermeintlichen Helferinnen 144 

Elisabeth von Calenberg-Göttingen

starben auf dem Scheiterhaufen. Elisabeth ging aus dieser Krise gestärkt hervor. Hatte ihr bislang durch ihren Ehevertrag nur das Amt Calenberg als Leibzucht und damit als eigene Einkunftsquelle zugestanden, so gab ihr der reumütige Ehemann nun fast das gesamte Fürstentum Göttingen als eigenes Herrschaftsgebiet dazu. Damit nahm sie eine annähernd selbständige Herrschaftsstellung neben ihrem Mann ein. Nicht nur die Hexenverbrennung von Frauen, die ihr als Landesherrin untergeben waren, wirft einen Schatten auf diese ansonsten so bemerkenswerte Frau. Da Elisabeth letztendlich ihre religiöse Überzeugung über ihr politisches Handeln stellte, wurde ihr eigenes Leben und das ihrer Familie zu einem einzigen Gradmesser der großen religiösen Umbrüche ihrer Zeit. So ist wohl auch die Denunziation ihrer eigenen Mutter zu bewerten, die hier kurz geschildert werden soll. Elisabeth von Brandenburg, die Mutter der Herzogin Elisabeth von Calenberg-Göttingen, war eine dänische Prinzessin, deren Bruder C ­ hristian II. den lutherischen Glauben in Dänemark einführte. Seine Frau Isabella, eine Schwester Kaiser Karls V., des großen Herrschers im katholischen Europa, war eine treue Anhängerin des lutherischen Glaubens. Sie könnte also diejenige gewesen sein, die ihre Schwägerin Elisabeth von Brandenburg mit den reformatorischen Überzeugungen vertraut machte. Ostern 1527 jedenfalls nahm Elisabeth von Brandenburg in Abwesenheit ihres Mannes Joachim I. das Abendmahl in beiderlei Gestalt – also in Brot und Wein – zu sich. Nach der Rückkehr Joachims I. war es seine 17-jährige Tochter Elisabeth, zu dieser Zeit noch fest im katholischen Glauben verwurzelt, die dieses Handeln der Mutter dem Vater verriet. Da Joachim I. von Brandenburg gemeinsam mit seinem Bruder, Kardinal Albrecht von Mainz, zu einem der führenden Männer der römisch-katholischen Seite gehörte, zögerte er nicht lange. Er stellte seiner Frau ein Ultimatum: Sie musste sich innerhalb weniger Monate dem Willen ihres Mannes unterwerfen und zum alten Glauben zurückkehren. Im März des Jahres 1528, Joachim I. war gerade außer Landes zu Besuch bei seiner Tochter Elisabeth von Calenberg-Göttingen und seinem Schwiegersohn Erich I., gelang Elisabeth von Brandenburg die Flucht aus der Cöllner Residenz. Denn sie war nicht gewillt, dem Ultimatum ihres Mannes nachzugeben, sondern bestand auf ihrer freien GlauRegentin und Säugamme der Kirche

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bensüberzeugung. Der Preis für diese Glaubensfreiheit war hoch: Über 20 Jahre verbrachte sie im Exil, oft in Armut und Einsamkeit. Mal lebte sie in Torgau, dann wieder in Weimar und auch in Wittenberg, wo sie einige Zeit im Hause Luthers verbrachte. Durch die dortigen Besuche bei ihrer Mutter, mit der sie sich wieder versöhnte, lernte Elisabeth von Calenberg-Göttingen Martin Luther kennen. Ein reger Briefwechsel folgte. Auf Anregungen ihres Bruders Johann von Küstrin, der sich öffentlich als Anhänger der evangelischen Bewegung zu erkennen gegeben hatte, holte Elisabeth den lutherischen Pastor Antonius Corvinus in ihre Residenz nach Münden. Er beeindruckte sie derart, dass sie kurz vor Ostern 1538 den entscheidenden Schritt machte: So wie ihre Mutter es elf Jahre zuvor getan hatte, nahm sie ebenfalls in Abwesenheit ihres eigenen Ehemannes in ihrer Residenz das Abendmahl in Brot und Wein zu sich und bekannte sich damit öffentlich zum evangelischen Glauben. Der katholisch gebliebene Erich I. reagierte darauf aber gänzlich anders als ein Jahrzehnt zuvor sein Schwieger­vater. Hatte dieser durch sein Verhalten noch seine Frau zur Flucht gezwungen und sich nie wieder mit ihr ausgesöhnt, so handelte Erich nun sehr tolerant und ließ seine Ehefrau gewähren. »Weil uns unsere Frau in unserem Glauben nicht hindert, so wollen auch wir sie in ihrem Glauben ungehindert und ungetrübet lassen«, so kommentierte laut Überlieferung Erich den Richtungswechsel seiner Frau. Und so lebten Erich I. und Elisabeth von Calenberg-Göttingen als Ehepaar in ihren beiden letzten gemeinsamen Jahren in einer gemischt konfessionellen Ehe: Sie evangelisch, er katholisch. Erst nach dem Tod ihres Mannes 1540 machte sich Elisabeth daran, die Reformation in ihrem Territorium einzuführen. Schon seit längerem stand sie mit Philipp von Hessen, einem der führenden Köpfe des evangelischen Schmalkaldischen Bundes, in regem Kontakt. Der Schmalkaldische Bund hatte sich 1531 in der thüringischen Stadt Schmalkalden als ein Zusammenschluss evange­lischer Städte und Territorien gegründet, um gemeinsam gegen den katholischen Kaiser Karl V. agieren und auftreten zu können. Elisabeths Neffe, Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, erhoffte sich nun nach dem Tod seines Onkels einen stärkeren Einfluss auf das Gebiet Calenberg-Göttingen. Heinrich war nämlich nicht nur dem katholischen Glauben treu geblieben, sondern galt 146 

Elisabeth von Calenberg-Göttingen

auch als einer der entschiedensten Verfechter des Katholizismus. Als nun sein Onkel Erich I. starb, wurde Heinrich per Testament einer der Vormünder des 12-jährigen Erich II. Natürlich erhoffte er sich durch diese Vormundschaft eine große Einflussmöglichkeit im benachbarten welfischen Fürstentum Calenberg-Göttingen. Elisabeth nahm dies aber nicht kampflos hin, sondern konnte sich in diesem Kräftemessen erfolgreich durchsetzen, indem sie die alleinige Regentschaft für ihren noch unmündigen Sohn erhielt. Nachdem die Machtverhältnisse geklärt waren, führte sie 1542 die Reformation in ihrem Gebiet ein. Beraten wurde sie dabei von Antonius Corvinus, der als erster Landes­superintendent unter ihrer Herrschaft fungierte. Sie erließ mit seiner Hilfe eine Kirchenordnung und legte damit einen der Grundsteine für die Entstehung der späteren hannoverschen Landeskirche. Mit der im selben Jahr erlassenen Klosterordnung regelte sie die gesonderte Verwaltung des an die Landesherrin gefallenen Kirchenguts für kirchliche, schulische und mildtätige Zwecke. Daraus resultiert bis heute die Klosterkammer Hannover. Der Kirchenordnung hatte Elisabeth ein von ihr selbst verfasstes Vorwort vorangestellt. Nicht aus Neuerungssucht führe sie in ihrem Herrschaftsbereich die Reformation ein, sondern damit »Gottes Wort rein und lauter« gepredigt werde, betont sie. Sie beklagt die vorherrschenden Missstände, denn keiner habe etwas gewusst vom rechten Gebrauch des Abendmahls, der Taufe oder dem Verständnis der Rechtfertigung vor Gott. Die Geist­lichen seien »mit lauter Fabeln umgegangen«, und die Vergebung der Sünden wäre »um Geld« verkauft worden. Da Kaiser Karl V. bislang noch keine Einigung in den Religionsfragen erzielt habe und sie als Fürstin für ihre Untertanen vor Gott Rechenschaft ablegen müsse, wolle sie dem Beispiel ihres Bruders Joachim II. von Brandenburg folgen und befehlen, dass »Gottes Wort rein und lauter zu predigen« sei. Bis zur Entscheidung eines freien Konzils über die religiös drängenden Fragen gelte die von ihr herausgegebene Kirchenordnung. Nicht aus Neuerungssucht geschehe dies, so ­Elisabeth, sondern aus wahrer Liebe zu Gottes Wort. Die Kirchenordnung ziert ein Portrait der 32-jährigen Regentin, selbstbewusst und gebieterisch ist sie mit Amtskette und federgeschmücktem Hut zu sehen. Sie steht auf dem Höhepunkt ihrer politischen Macht und schreibt sich durch ihren Erlass als »ReRegentin und Säugamme der Kirche

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Abb. 12 Holzschnitt mit dem Portrait der Regentin Elisabeth von CalenbergGöttingen

formationsfürstin« in die Geschichtsbücher ein. Dieses bischöflich-geistliche Amt, durch das sie sich direkt für das Seelenheil ihrer Untertanen vor Gott verpflichtet sah, nahm sie überaus ernst. So begleitete sie ihren Landessuperintendenten Corvinus bei seinen Visitationen und achtete selber auf die theologische Bildung der Geistlichen in ihrem Territorium. In einem »Sendbrief an die Untertanen« wandte sie sich zwei Jahre später direkt an die Bürger 148 

Elisabeth von Calenberg-Göttingen

ihres Fürstentums und formulierte eine evangelische Ethik. Sie spricht in diesem Sendbrief alle Gesellschaftsgruppen ihres Fürstentums an, um sie in diesen bedrohlichen Jahren darauf einzuschwören: Das Vertrauen zu Gott steht über allem anderen. Sie weist ihre Untertanen auf die Zehn Gebote hin, damit diese sich in ihrem Lebenswandel selber prüfen mögen. Denn, so Elisabeth, der erste Teil der Besserung sei die Erkenntnis der eigenen Sünde, der dann der Glaube und das Gebet folgen müssten. An den Adel gerichtet heißt es in ihrem Sendbrief: »Es gilt vor Gott wenig, dass man vor der Welt edel geboren, wenn man nicht gottselig und fromm dabei ist.« Die Pfarrer wiederum ermahnte sie, »bei ihren Pfarrkindern mit ernster Bußpredigt« fortzufahren. Schon ein Jahr später folgt aus ihrer Feder ein neues Werk, denn Elisabeth gilt nicht umsonst als eine der produktivsten Schriftstellerinnen der Frühen Neuzeit. In ihrem sowohl politischen wie auch mütterlichen Testament zum Regierungsantritt ihres Sohnes Erich II., für den sie sechs Jahre lang die Regierungsgeschäfte geführt hatte, reflektiert sie im Jahr 1545 die besondere Verantwortung eines Fürsten. 196 Seiten umfasst dieses Buch, von Elisabeth selber per Hand geschrieben und in silberbeschlagene Deckel gefasst. Selbstbewusst reiht sie sich im Einband in die Tradition der biblischen Frauengestalten Sarah und Ester ein. Zwei biblische Zitate sind auf dem Deckel zu finden. Die Vorderseite schmückt ein Wort aus 1. Mose 21,12: »Gott sprach zu Abraham: Alles was Sara dir gesagt hat, dem folge.« Auf der Rückseite ist ein Satz aus dem Buch Ester zu lesen: »Mordechai ging hin und tat alles, was ihm Ester geboten hatte.« So wie Abraham und Mordechai den beiden Frauen gefolgt seien, so solle auch ihr Sohn den Worten einer Frau folgen, nämlich denen seiner Mutter. Ihm, den sie genau wie seine drei Schwestern evangelisch erzogen hatte, legte sie noch einmal die Zehn Gebote aus. Ergänzt wird diese Aufstellung durch neun Gebote für einen rechten Fürsten. In ihnen hält Elisabeth fest: Gott steht über allem, das Evangelium soll richtig gepredigt werden, die Geistlichen sind zu achten und die Zehn Gebote zu unterrichten. Außerdem soll sich ein rechter Fürst der Witwen, Waisen und armen Fremdlinge annehmen sowie sich um Siechenhäuser und Spitäler kümmern. Erich solle keine geistlichen Abwege betreten, dem Kaiser gegenüber sei er als seiner Obrigkeit zum Gehorsam verpflichtet. Allerdings mit der entscheidenden Regentin und Säugamme der Kirche

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Einschränkung: Solange diese Obrigkeit nicht gegen Gottes Wort handle. Damit formulierte die Welfenfürstin die erste protestantische Staatsethik überhaupt, die sie nicht nur ihrem Sohn zugedachte, sondern »­a llen jungen Herrn ein Anfang zu christlicher Regierung« sein sollte. Gerade bei ihrem Sohn verfehlte dieses Handbuch aber vollkommen seine Wirkung. Erich II. hatte kurz vor seinem Regierungsantritt Sidonie von Sachsen geheiratet. Es war eine für diese Zeit eher unübliche Neigungsheirat, löste der Bräutigam doch für diese Eheschließung ältere Verlöbnisverträge auf. Der 17-jährige Erich, in der Zeit des Erwachsenwerdens ohne Vater und in der fast übermächtigen Nähe seiner Mutter groß geworden, mag in der zehn Jahre älteren ­Sidonie eine Partnerin zum Anlehnen gesucht haben. Die Nähe, die auch die gemeinsame evangelische Erziehung in beiden Eheleuten anfänglich wachsen ließ, wich allerdings schon bald einer immer größeren Entfremdung. Bald schlug diese Entfremdung sogar in blanken Hass um, so dass diese Ehe eine der unglücklichsten und tragischsten des ganzen 16. Jahrhunderts wurde. Zwar verließ Erich II. auf dem Weg zum Fürstentag in Regensburg kurz nach seinem Regierungsantritt 1546 die Heimat mit dem der Ehefrau und der Mutter gegebenen Versprechen, alles, was er »zwischen Wams und Busen habe für die Wahrheit der evange­ lischen Lehre« dran setzen zu wollen. Doch schon im Schmalkal­ dischen Krieg (1546–1547), in dem sich die evangelischen Städte und Territorien mit den katholischen kriegerisch auseinandersetz­ ten, kämpfte er auf kaiserlicher und damit katholischer Seite. Nach Aufenthalten in Spanien und in den Niederlanden, die ihn sehr beeindruckten, kehrte er 1549 als erklärter Katholik in sein Land zurück. Nachdem er seine Frau nicht zum alten Glauben bekehren konnte, Sidonie nach einer frühen Fehlgeburt kinderlos blieb und das Herrscherhaus damit auszusterben drohte, sagte Erich II. sich von seiner Frau los. Es folgte eine jahrzehntelange Auseinandersetzung der Beiden, denn Sidonie hielt an ihrer Ehe fest, so dass Erich keine Scheidung erwirken konnte. Dies hielt Erich, der viele Jahre fernab seines Territoriums in anderen Ländern verbrachte, nicht davon ab, bei Besuchen in Calenberg-Göttingen seine niederländische Geliebte und ihre gemeinsamen Kinder mitzubringen. Erst nach Sidonies Tod 1575 konnte ihr Mann ein zweites Mal heiraten. Zuvor hatte Erich II. mehrmals versucht, Sidonie nach 150 

Elisabeth von Calenberg-Göttingen

dem Leben zu trachten. Doch auch seine 1576 geschlossene Ehe mit der katholischen Dorothea von Lothringen blieb kinderlos. 1550 hatte der chronisch überschuldete Erich zur Lösung seiner finanziellen Probleme sogar versucht, kurzerhand sein Land dem sowohl Elisabeth wie auch Sidonie verhassten Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel zu verkaufen. So gilt Erich II. vor allem wegen seiner politischen Verantwortungslosigkeit, seiner Verschwendungssucht und der menschlichen Schwächen als einer der schwierigsten Fürsten seiner Zeit. Seine Mutter schrieb ihm in einem Brief: Wie kommen Deine Liebden in den Jammer, Unsinn, Toben und Wüten gegen Gott, seine Diener und Kirchen, gegen uns, Deiner Liebden Gemahl, gemeine Landschaft und arme ausgesogene betrübte Unter­tanen? Des erbarm sich Gott! Wollen Deine Liebden sich aber hierin nicht kehren, so strafe es Gott, wie er sich je und allewege an allen denen, die Christus, seinen Sohn von seinem Stuhl stürzen wollten, gerächt hat … Ach weh und immer weh über dich, wenn du dich nicht besserst und ablässt. Wie hast du uns so hart betrübt, dass wir gar hart darnieder liegen in großer Ohnmacht und Schmerzen. Noch, wiewohl wir sehr krank und von großem Heulen und Weinen so matt und schwach sind, dass wir den Brief nicht schreiben können, haben wir doch dem Schreiber vor unserem Bette dies alles in die Feder geredet, welcher es aus unserem Munde geschrieben. Wir müssen dir solches schreiben oder unser Herz müsste brechen; und so wir nicht riefen, so würden die Steine sprechen!

1551 beschwerte sie sich über ihn: »Gott sei’s geklagt, dass ich ein solch übel geratenes Kind je geboren habe. Gott bekehr ihn. … Wenn nicht, so erlöse mich der liebe Gott von seiner Tyrannei.« In weiser Voraussicht hatte sich Elisabeth 1546 bei der Amtsübernahme Erichs II. ihre Leibzucht erneut durch ihren Sohn bestätigen lassen. Das erwies sich als ein kluger Schritt, denn Erich nahm nur zwei Jahre später das Augsburger Interim von 1548 an, das den Protestanten zwar einige Zugeständnisse wie die Aus­ teilung des Abendmahls in Brot und Wein an alle Gläubigen und die Duldung der Priesterehe zugestand, ansonsten aber die Rückkehr zum römisch-katholischen Glauben vorschrieb. Die Gebiete der Leibzucht Elisabeths blieben auf Grund ihrer eigenen Machtstellung von der Rekatholisierung größtenteils verschont. Doch ihr Vertrauter Antonius Corvinus wurde 1549 auf Geheiß ihres Sohnes gefangen genommen, seine Bibliothek verbrannt und er Regentin und Säugamme der Kirche

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blieb für mehrere Jahre in Haft, in der ihn nicht einmal seine Ehefrau be­suchen durfte. Elisabeth gelang es nicht, ihn in dieser Zeit wieder frei zu bekommen. Ihr Sohn hatte, bevor er für längere Zeit nach Spanien abgereist war, ausdrücklich Order gegeben, C ­ orvinus nicht zu entlassen. Erst 1552, nachdem Erich wieder zurückgekehrt war und sich mit seiner Mutter aussöhnte, kam ­Corvinus frei, starb allerdings nur wenige Monate danach an den Folgen der harten Gefangenschaft. Elisabeth selber hatte sich 1546 erneut vermählt mit dem Grafen Poppo zu Henneberg, einem Schwager ihrer ältesten Tochter Elisabeth. In ihrer Residenz in Münden wurde Hochzeit gehalten. Elisabeth beschenkte ihren Mann Poppo, der über kein sonderlich großes Vermögen verfügte, mit wertvollen Pretiosen. Für ihre Tochter Anna Maria, die 1550 Herzog Albrecht von Preußen heiratete, verfasste sie drei Tage nach der Hochzeit ein Ehestandsbuch. In dieser – wiederum per Hand verfassten – Schrift zeigt sich die ansonsten so selbstbewusste Fürstin als Kind ihrer Zeit. Ganz den einschlägigen Bibelstellen aus dem 1.  Korinther- und dem Epheserbrief verpflichtet, schreibt sie zum Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe: »Da wird der Frauen alle ihr Wille genommen und unter des Mannes Gehorsam gelegt, also das sie keinen freien Willen haben soll als allein des Mannes Willen.« Sie kennt allerdings auch hier eine Einschränkung: Richtet sich der Wille des Mannes gegen Gottes Gebot, so ist die Frau ihm ihrer Meinung nach nicht mehr zum Gehorsam verpflichtet. Gestiftet sei die Ehe von Gott, so Elisabeth, damit der Mensch nicht allein lebe, sondern »bequemlich und wohl sein Leben« mit einem Gegenüber verbringe, die Menschen sich vermehren und »böse Lüste« vermieden werden. Die Verheißungen der Ehe gelten Frau und Mann: Die Frau wird selig werden, wenn sie Kinder gebärt und im Glauben bleibt, dem gottesfürchtigen Mann wird verheißen, dass Gott für seine Nachkommen sorgen wird. Hatte die zum Zeitpunkt ihrer zweiten Eheschließung 36-jährige Elisabeth auf ruhige Jahre gehofft, so setzten ihr die konfliktbeladenen Auseinandersetzungen mit ihrem Sohn zu, aber auch ihr eigenes politisches Handeln war nicht glücklich. So ergriff sie durch Geldzahlungen heimlich Partei für den in die Gefangenschaft Philipp von Hessens gelangten Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, der von den Protestanten gehasst und gefürchtet wurde. 152 

Elisabeth von Calenberg-Göttingen

Abb. 13 Elisabeths Unterschrift: »Elisabeth etc. mit eigenen Händen«

Als noch fataler sollte sich allerdings ihre Verstrickung in die Schlacht von Sievershausen bei Lehrte im Jahr 1553 erweisen. Ihr Neffe, Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, dem sie gerade noch beigestanden hatte, bereitete ihr zunehmend Schwierigkeiten in ihrer Herrschaft Münden. Sie sah ihr Werk durch seine Übergriffe und seinen Einfluss gefährdet und entschloss sich zum Gegenangriff. Nachdem weder Philipp von Hessen noch Moritz von Sachsen gewillt waren, sich in ein Bündnis gegen Heinrich hineinziehen zu lassen, fiel Elisabeths Wahl auf Albrecht A ­ lcibiades von Brandenburg-Kulmbach. Dieser hatte allerdings einen sehr zweifelhaften Ruf, galt als Mann ohne Prinzipien, der gegen Geld für ein Abenteuer immer zu haben war. Sie versetzte beinahe all ihren Schmuck, um diesen Feldzug finanzieren zu können, allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass auch Heinrich sich nach Bündnispartnern umgesehen hatte. An seiner Seite standen zur Überraschung Elisabeths nicht nur Moritz von Sachsen, also Erichs Schwager, sondern auch Philipp von Hessen, in dessen Gefangenschaft Heinrich gesessen hatte. So kam es zur Schlacht von Sievershausen. In diesem Kampf, einer der blutigsten Auseinandersetzungen der gesamten Reformationszeit mit mehr als 4.000 Toten, unterlag ihr Bündnispartner Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach. An der Seite von Erich II., der sich zwischenzeitlich wieder seiner Mutter angenähert hatte, kämpfte Albrecht gegen Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel und Moritz von Sachsen. Die beiden ältesten Söhne Heinrichs starben in dieser Schlacht. Moritz von Sachsen, gerade 32 Jahre alt, erlitt tödliche Verletzungen. Regentin und Säugamme der Kirche

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Elisabeth selber verlor all ihre Besitztümer und Rechte, so hatte es Heinrich im Friedensvertrag verfügt. Sie musste ihre Residenz verlassen und zog mit ihrer jüngsten Tochter Katharina nach Hannover. Ihr Ehemann Poppo zog es vor, nicht nach Hannover zu kommen, wohl wegen der Drohungen Heinrichs, aber sicherlich auch aus Sorge um seine eigene Grafschaft Henneberg, die er aus dem Konflikt heraushalten wollte. In Hannover lebte Elisabeth – trotz des Verkaufs ihres verbliebenen persönlichen Schmucks – in hoher Verschuldung gegenüber den Bürgern der Stadt. In Briefen an ihren Schwiegersohn Herzog Albrecht von Preußen, mit dem sie ein tiefes Vertrauensverhältnis verband, schrieb sie in dieser Zeit: »Ich kann nicht ärmer werden als ich bin, auch nicht in größere Not kommen  – sie nehmen mir denn das Leben, so haben sie alles wohl«. Es gab Tage, da hatten Elisabeth und ihre Tochter nicht einmal Brot zu essen und Katharina musste betteln gehen. Für eine Fürstin, die es gewohnt war, zeit ihres Lebens an überreich gedeckten Tischen von einer Dienerschar umsorgt zu werden, war dies ein tiefer Fall. Ein Lichtblick war für Elisabeth die Unterstützung durch ihre Tochter Katharina. Über sie schreibt sie in einem ihrer Lieder: Allein Gott in der Höh sei Ehr Und Dank für seine Gnade, Der mir das Fräulein Katharina zart Zum Töchterlein hat begnadet. In seiner Furcht sie lebet gar, Gezieret mit Gottseligkeit, ist wahr, Zu seinem Lob und Ehren. Das dank ich Gott in Ewigkeit Und preise seine Gnade, Die groß’ Wohltat mir erzeiget hat. Lobet ihn ohn’ alle Maße. Die hilft mir tragen das Kreuze schwer, Lässt die Welt nicht abwenden sich. Das wolle ihr der Herr bezahlen.

Nach zwei Jahren demütigender Beschränkungen verließ Elisabeth im Frühjahr 1555 für immer ihr Land, um auf dem thüringischen Besitz ihres Mannes in Ilmenau noch drei Jahre lang ein bescheidenes Leben zu führen. Sie verfasste in dieser Zeit ein Wit154 

Elisabeth von Calenberg-Göttingen

wentrostbuch, das bis 1609 in insgesamt fünf Auflagen erschien. Mit dieser Schrift wollte die 46-Jährige andere Frauen in ihrem Witwentum trösten, indem sie von ihren eigenen Erfahrungen berichtete. Wie sie schreibt, habe es in allen Zeiten ihres Lebens nichts Tröstlicheres gegeben als das feste Vertrauen zu Gott und seinem Wort. »So habe ich doch nichtsdestoweniger mein Ergötzlichkeit in der Schrift, und dem Heilig-seligmachenden Wort, damit geh ich um, suche darin meines Herzens Freud und Trost.« Wie auch in ihren früheren Schriften reflektiert sie ihr Thema ausführlich auf dem Hintergrund der Heiligen Schrift. Sie zeigt auf, wie Gott für Witwen und Waisen sorgt und sie beschützt, wie er Menschen straft, die diese schwächsten Glieder einer Gesellschaft bedrängen und sie erläutert das rechte Verhalten einer Witwe. Die Ethik spielt also auch im letzten ihrer Werke eine große Rolle. Erfahrungsgesättigt beendete sie diese letzte Schrift mit den Worten: »Sünde vermeiden – ist ein Schrein; Geduld im Leiden – lege drein; Gut für Arges – tu dazu; Freude in Armut – Nun schließ zu.« Elisabeth musste noch erleben, wie sie sich von ihren Kindern mehr und mehr entfremdete. Erich II. arrangierte gegen den mütterlichen Willen eine Ehe für ihre jüngste Tochter Katharina mit dem katholischen Burggrafen Wilhelm von Rosenberg, der Besitzungen in Böhmen hatte. Erich traf die Absprachen mit seinen Schwestern und informierte die Mutter erst, als alles entschieden war. Selbst zur Eheschließung kam die Mutter wegen eines falsch übermittelten Termins zu spät, so dass die Hochzeit von ­Katharina in Münden ohne Elisabeth stattfand. »O das sei dir, lieber Gott im Himmel, geklagt! Ist doch kein Bauer, kein Sauoder Kuhhirt, der nicht Mutter und Vater zu seiner Hochzeit lüde! O lieber Herr Gott und Vater, womit habe ich das versündigt! Was habe ich nur für eine Sünde begangen, dass man mich so be­ handelt«, so bitter klagte sie über diese neuerliche Kränkung. Ihre körperlichen und geistigen Kräfte nahmen stetig ab, Zeichen des Verfalls wurden immer deutlicher. Tobsuchtartige Anfälle ließen zunehmend an ihrer seelischen und geistigen Gesundheit zweifeln. Umsorgt von ihrem Ehemann Poppo starb sie am 25.  Mai 1558 mit 48 Jahren nach einem Leben, in dem die Um­ brüche der Reformationszeit tiefe Spuren hinterlassen hatten. Sie war eine ungewöhnliche Frau und bischöfliche Regentin im Sinne des von Martin Luther geforderten Priestertums aller Regentin und Säugamme der Kirche

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Gläubigen. In zahlreichen Schriften hat sie mit großem laientheologischen Sachverstand für die Reformation gestritten. Ihre kirchenreformerischen Maßnahmen haben sich dauerhafter erwiesen, als sie selber in ihrem Leben wohl zu hoffen wagte. Denn trotz der katholischen Kirchenpolitik ihres Sohnes blieb vor allem in den größeren Städten ihres Territoriums der evangelische Einfluss unumkehrbar. Und so konnte Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel, der nach dem Tod Erichs II. das Fürstentum Calen­bergGöttingen erbte und auf diese Weise die beiden Teilfürstentümer wieder vereinte, das begonnene Werk seiner Großtante Elisabeth vollenden. Unter seiner Herrschaft festigte sich der evangelische Glaube in seinem gesamten Herzogtum. Geboren

1510 in Cölln (heute Berlin) als Elisabeth von Brandenburg

Gestorben

1558 in Ilmenau

Leben

Als Regentin führte sie in ihrem Herrschaftsgebiet 1542 die Reformation ein und legte mit der von ihr erlassenen Kirchenordnung sowie der Klosterordnung wichtige Bausteine für spätere Entwicklungen. Als gebildete Laientheologin schrieb sie u. a. ein Regierungshandbuch und ein Ehestandsbuch. Darüber hinaus gab sie Kirchenlieder heraus.

Werke

Das Regierungshandbuch für ihren Sohn Erich II., 1545. Das Ehestandsbuch für ihre Tochter Anna-Maria, 1550. Das Trostbuch für Witwen, 1556 sowie eine Reihe geistlicher Lieder

Olympia Fulvia Morata Gelehrte und weibliches Wunderkind

Ich, zwar Frau von Geburt, verließ doch die Werke der Frauen: Körbe und Spulen im Garn, Fäden vom Zettel gespannt. Mir schenken Freude die blühenden Auen der Musen, die Chöre auf dem hohen Parnaß, der sich zweifach erhebt. Andere Frauen mögen an anderen Dingen sich freuen: Dies allein bringt mir Ruhm, dies allein ist mein Glück. Olympia Fulvia Morata in einem Gedicht aus dem Jahr 1540/41

Eine Gelehrte will sie werden! Ihre Liebe gilt der Literatur, der

Welt der Antike, der alten Sprachen der Griechen und Römer. Für Körbe und Spulen, Garn und Fäden hat sie nicht viel übrig. Andere Frauen mögen sich an diesen Dingen erfreuen, ihre Sache ist dies alles nicht. Nach Ruhm strebt ihr Sinn, nach Glück und Erfüllung in gelehrten Gesprächen und wissenschaftlichem Austausch. Olympia Fulvia Morata ist ein junges Mädchen, 14 oder 15 Jahre alt, als sie ihr Lebensprogramm in Verse fasst. Selbstbewusst reklamiert sie für sich das Recht, den als Frau ihr vorgeschriebenen Weg zu verlassen. Weg von der typisch weiblichen Betätigung drängt es sie in die Welt der Musen, der Dichtung, der schönen Künste. Für eine junge Frau des 16. Jahrhunderts ist dies ein sehr ungewöhnlicher Lebensplan. Und Olympia Fulvia Morata wird ein sehr ungewöhnliches Leben führen. Woher rührt dieses Vertrauen, auch als Frau die Welt erobern zu können und die engen Fesseln des als schicklich Angesehenen abzulegen? In einer profunden Bildung von Kindesbeinen an und einem Vater, der die Talente der Tochter erkennt und systematisch fördert. Als Olympia Fulvia Morata ihr Lebensprogramm formuliert, beherrscht sie bereits perfekt die antiken Sprachen und dichtet in formvollendetem Griechisch und in lateinischer Sprache. Sie hält Gelehrte und weibliches Wunderkind

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mit 15 Jahren öffentliche Vorlesungen über den berühmtesten römischen Redner, den antiken Politiker, Schriftsteller und Philosophen Cicero. Griechische Lobreden über antike Helden sowie Anmerkungen zu Homer und Cicero verfasst sie. Ein Trauer­ gedicht anlässlich des Todes eines angesehenen italienischen Kardinals stammt aus ihrer Feder. Kurzum: Sie wird von ihren Zeitgenossen als ein weibliches Wunderkind verehrt. Denn nicht nur die lateinische und griechische Sprache beherrscht sie perfekt, sondern sie ist genauso bewandert in allen Disziplinen der sieben Freien Künste: Grammatik, Rhetorik, Logik, Astronomie, Musik, Arithmetik und Geometrie. Diese Freien Künste umfassen zur Zeit Olympias den klassischen Bildungskanon eines gelehrten Mannes und sind die Vorstufe zum Studium der Theologie, der Juris­prudenz oder der Medizin. Das weibliche Wunderkind, das schon in so jungen Jahren für Aufsehen sorgt, kommt im Jahr 1526 im italienischen Herzogtum Ferrara als Tochter des Humanisten Peregrinus Fulvius Moratus und seiner Frau Lucrezia Gozi zur Welt. Sie ist das erste Kind. Drei Schwestern, von denen eine den Namen Vittoria trägt, sowie ihr Bruder Emilio, geboren 1542, werden noch folgen. Olympias Vater Peregrinus ist bei ihrer Geburt bereits 43 Jahre alt, ein gelehrter und weltoffener Mann. Schon früh erkennt er die Be­gabung seiner Ältesten und übernimmt ihren Unterricht. Denn Peregrinus Moratus ist ein gefragter und geachteter Lehrer. Er unterrichtet sogar am Hof. Die Söhne des Herrschers sind seine Schüler, seit 1522 lehrt er am Hof von Ferrara, im Haus des Herzogs Alfonso I. d’Este, Latein und Griechisch. Er verfasst poetische und philologische Werke. Aus unbekanntem Grund muss er jedoch für einige Jahre Ferrara verlassen und lebt mit seiner Familie in verschiedenen italienischen Städten. Während dieser Zeit lernt er seinen engsten Freund kennen, einen Mann, der auch im Leben seiner Tochter Olympia eine wichtige Rolle spielen wird. Der neue Freund der Familie heißt Coelio Secundo Curione. Dieser Curione ist einer der ersten Italiener, der mit den Glaubensüberzeugungen der deutschen Reformatoren in Berührung gekommen ist und sich für die evangelische Lehre begeistert. Natürlich macht er auch seinen Freund Peregrinus Moratus vertraut mit den Überzeugungen der Wittenberger Reformatoren, gemeinsam lesen sie die latei­ nischen Schriften Luthers und führen lange Gespräche darüber. 158 

Olympia Fulvia Morata

1539, Olympia ist nun 13 Jahre alt, kehrt die Familie Moratus an den Hof von Ferrara zurück. Der Freund Coelio Secundo C ­ urione besucht die Zurückgekehrten dort und wohnt einige Zeit bei ihnen. Auch hier wieder lesen beide Männer intensiv reformato­ rische Werke, so auch die Schriften Philipp Melanchthons. Peregrinus Moratus schreibt später über diese Zeit an seinen Freund Curione: Als ich mich überaus verlassen, kälter als der Frost selbst und in großer Gefahr sah, siehe, da wandtest du dich, von Gott gesandt, zu uns … Einst las ich oder besser leckte ich etwas von Johannes und Paulus und von anderen Heiligen Schriften, aber deine lebendige Stimme und dein feuriger Geist, von dem du ganz leuchtest und andere bestrahlst, erweckte, erwärmte mich, so dass ich jetzt meine Verfinsterung erkenne und nun erst recht lebe, nicht ich, sondern Christus in mir und ich in Christus. Aus einem Hungerleider hast du mich zu einem Übersättigten gemacht, aus der Kälte Feuer. Jetzt … fühle ich, kann ich auch viele andere an dem Reichtum, mit dem du mich erfüllt hast, teilnehmen lassen.

Das reformatorische Feuer, das nun in ihrem Vater entfacht war, wird auch Olympia Fulvia Morata in ihrem Elternhaus gespürt haben. Sie wird aber auch mit den Konsequenzen konfrontiert, die die Hinwendung zum evangelischen Glauben für viele mit sich bringt. Der Freund der Familie, Curione, muss bald wegen seiner Glaubensüberzeugungen Italien verlassen. Ab 1542 lebt er zuerst in Lausanne, bevor er 1546 in Basel eine neue Heimat findet. Fortan arbeitet er dort als Professor, noch heute erinnert sein Grabstein im Kreuzgang des Basler Münsters an diesen Gelehrten. Kehren wir aber wieder nach Italien zurück, in die Stadt Ferrara. Sie ist im 16. Jahrhundert eine der glanzvollsten Städte Italiens, das Herrscherhaus der d’Estes gehört zu den reichsten des Landes und ist den Wissenschaften gegenüber sehr aufgeschlossen. »Die Stadt«, so ein Chronist, »liegt am Po, vornehm, mächtig und breit, ein Warenumschlagplatz, umgeben von Sümpfen und also weniger mit Obst und Wein gesegnet.« Was die Stadt auszeichnet, sind ihre weiten und langen Gassen, die gesäumt sind von herrschaftlichen Palazzi. Auf einer kleinen Insel liegt ein gewaltiger Palast samt Gärten, »eine phantastische und in ganz Italien hochgerühmte Anlage, mit dem Namen Belveder, d. h. Schönblick.« Gelehrte und weibliches Wunderkind

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Olympia Fulvia Morata verbringt einen großen Teil  ihrer Jugend in diesem Palast. Denn nachdem ihre Familie 1539 nach Ferrara zurückgekehrt ist, wird ihr Vater wiederum Prinzenerzieher. Nun allerdings unter dem neuen Herrscherpaar Herzog Ercole II. und seiner Frau Renata d’Este. Zurück als Lehrer unterrichtet er jetzt die beiden jüngeren Halbbrüder des Herzogs. Die 13-jährige Olympia wird ebenfalls an den Hof berufen. Ihre Aufgabe ist es nun, Studiengefährtin der ältesten Herzogstochter, Anna mit Namen, zu sein. Die Mädchen erhalten eine vorzügliche Ausbildung. Ihre Lehrer sind die Brüder und deutschen Humanisten Johannes und Kilian Sinapius. Johannes Sinapius, der seinen deutschen Namen »Senf« nach humanistischer Art ins Lateinische übersetzt hat, ist Arzt am Hof von Ferrara und ein profunder Kenner der griechischen Literatur. Am Hof schließt Olympia nicht nur Freundschaft mit ihrer Studiengenossin Anna, sondern lernt auch deren Mutter Renata d’Este kennen, eine der interessantesten Frauen der Reformationszeit. Seit 1528 ist Renata, Tochter des französischen Königs ­Ludwig  XII. und seiner Frau Anna von Bretagne, mit dem italienischen Herzog Ercole II. verheiratet. Sie ist den Wissenschaften sehr zugeneigt und hat sich einen Ruf als gebildete Herzogin erworben. So legt sie großen Wert auf eine grundlegende humanistische Erziehung und Bildung ihrer drei Töchter und der zwei Söhne. Bereits vor ihrer Heirat war Renata in ihrer französischen Heimat mit der reformatorischen Lehre in Kontakt gekommen und hatte sich dieser zugewandt. Als Herzogin von Ferrara nimmt Renata d’Este zahlreiche französische Glaubensflüchtlinge, die dem evangelischen Glauben anhängen, an ihrem Hof freundlich auf. So lebt beispielsweise 1536 Johannes Calvin, der spätere berühmte Genfer Reformator, unter dem Decknamen Charles d’Espeville für einige Wochen in Ferrara. Er hat sein Heimatland Frankreich verlassen müssen und wird nun am Hof von Renata empfangen. Wenn die Begegnung der Beiden auch nur kurz ist, so muss sie doch einen tiefen Eindruck bei der Herzogin hinterlassen haben. Bis zu Calvins Tod im Jahr 1564 bleibt Renata mit ihm in Kontakt. In einem regen Briefwechsel spricht der Reformator ihr immer wieder Mut und Trost zu, als ihre eigene Lage unter dem Druck der Inquisition immer schwieriger wird. Denn Renatas Mann, 160 

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­ rcole II., ist dem katholischen Glauben treu geblieben und die E Glaubensüberzeugungen seiner Frau missfallen ihm von Jahr zu Jahr mehr. Nachdem Herzogin Renata sich für den evangelischen Laienprediger Fanino eingesetzt hat, wird sie selber der Häresie und damit der Ketzerei verdächtigt. Die Folge: Ihr Mann stellt sie unter Hausarrest. Aus Frankreich wird zudem ein Inquisitor gesandt, der Renata unter Druck setzt, so dass sie nach schweren Drangsalen 1554 wieder eine katholische Messe besucht. Als Olympia 1539 an den Hof kommt, ist von diesen späteren Auseinandersetzungen und Glaubenskämpfen allerdings noch nichts zu spüren, sondern eine liberale und weltoffene Atmosphäre prägt ihre Studienzeit. Ein Freund ihres Vaters kann in diesen Jahren über das Glück Olympias jubeln, das sie »zu solch günstiger Zeit an den königlichen Hof der guten, vortrefflichen Herzogin Renata und in das Gefolge der Prinzessin Anna emporge­ hoben« habe. Olympia beindruckt in dieser Zeit den Hof mit ihrer Gelehrtheit. Ihre Vorlesungen datieren aus dieser Zeit, ebenso wie ihre Gedichte und Anmerkungen zu Homer und Cicero, die verschollen sind. Es ist die Zeit, in der sie als weibliches Wunderkind die volle Aufmerksamkeit des Hofes und der Gelehrten erhält. Der erste tiefe Einschnitt in dieses bis dahin ganz von Studien und dem höfischen Treiben geprägten Leben ist die Krankheit des Vaters. 1548 verlässt Olympia Fulvia Morata den Hof, um zu ihrer Familie zurückzukehren und sich der Pflege ihres tod­k ranken Vaters zu widmen. Noch im selben Jahr stirbt Peregrinus Moratus. Olympia bittet Curione, den Freund ihres Vaters, nun, ihr eigener väterlicher Freund zu werden, und so an die Stelle des Verstorbenen zu treten. Curione nimmt diese neue Aufgabe dankbar an und wird einer der wichtigsten Begleiter Olympias und der spätere Herausgeber ihrer Werke. Ihm ist es zu ver­danken, dass ihr Werk der Nachwelt überliefert worden ist und wir es heute kennen. Als die 22-Jährige nach dem Tod des Vaters an den Hof zurückkehren will, hat sich die Lage für sie jedoch grundlegend ver­ändert. Ihre Freundin, Prinzessin Anna, ist in der Zwischenzeit nach Frankreich verheiratet worden und nun die Gattin des Herzogs von Lothringen, Franz von Guise. Durch Intrigen und Verleumdungen, deren Zusammenhang sich nicht mehr aufkläGelehrte und weibliches Wunderkind

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ren lässt, ist die einst so bewunderte Olympia Fulvia Morata in Ungnade gefallen. Zwei Jahre nach diesen Vorkommnissen kann Olympia dieser neuerlichen Wendung ihres Lebens sogar Positives abgewinnen. Mit dem gebührenden Abstand gegenüber dieser Zeit ihrer Demütigung und Leiden durch den Hof teilt sie ihrem väterlichen Freund Curione mit: Dies alles wollte ich dir schreiben, nicht damit du über unsere Leiden betrübt bist, sondern damit du uns dazu beglückwünscht. Gott hat sich nämlich in unserem Unglück gnädig gezeigt, ja, ich bin sogar froh, dass mir das alles widerfahren ist; denn wenn ich länger am Hof geblieben wäre, wäre es um mich und mein Heil geschehen gewesen. Niemals nämlich konnte ich, solange ich dort lebte, etwas Hohem oder Göttlichem Verehrung entgegenbringen noch die Bücher des Alten und Neuen Testaments lesen. Aber nachdem die Fürstin sich durch die Missgunst und die Anfeindungen gewisser schlechter Leute unserer Familie hatte entfremden lassen, haben diese kurzlebigen, flüchtigen und hinfälligen Dinge kein so großes Verlangen mehr in mir geweckt, sondern Gott hat in mir die Sehnsucht entzündet, in jenem himmlischen Hause zu wohnen, in dem nur einen einzigen Tag zu verweilen köstlicher ist als tausend Jahre an diesen Fürstenhöfen. Und so habe ich mich ganz theologischen Studien zugewendet; ein Zeugnis dafür sind die Gedichte, die ich im letzten Jahr gemacht habe.

So führt in Olympias Rückschau ihr tiefer Fall am Hof für sie zu der großen Zäsur ihres Lebens: Sie gibt sich ganz den theo­ logischen Studien hin. Weitere wichtige Entscheidungen fallen in diesen zwei Jahren nach dem Tod des Vaters. Nachdem sie nicht an den Hof zurückkehren kann, studiert sie nicht nur leidenschaftlich, sondern widmet sich auch der Erziehung ihrer jüngeren Geschwister. Sie lernt in dieser Zeit aber auch den deutschen Arzt Andreas Grundler kennen. Grundler stammt wie die Brüder Sinapius, die einst Olympia und Anna am Hof unterrichteten, aus Schweinfurt. Nach Studien in Heidelberg und Paris ist Andreas Grundler an die Universität von Ferrara gekommen, wo er 1549 zum Doktor der Medizin promoviert wird. Nur wenige Zeit später heiraten er und Olympia. Es muss eine sehr glückliche und erfüllte Ehe gewesen sein. Davon zeugen Briefe, die Olympia ihrem Mann nach Deutschland schickt, als dieser auf der Suche nach einer Anstellung in seine Heimat reist. Getrennt von ihm für einige Monate, schreibt ihm 162 

Olympia Fulvia Morata

Abb. 14 Olympia Fulvia Morata: Gebildete Humanistin und gläubige Protestantin

seine Frau: »Verliebt, getrennt und auch noch ungewiss zu sein, wo der Geliebte lebt, ist rechte Seelen-Pein.« In einem anderen ihrer Briefe heißt es: »Gott hat mich auch diesem Mann zur Ehe gegeben, der so große Freude an meinen Studien hat.« Andreas Grundler fördert die Fähigkeiten seiner Frau auf die ihm eigene Weise. Er ist musikalisch begabt, und so vertont er nicht nur Olympias Psalmdichtungen, sondern veröffentlicht sie auch als Liedersammlung. Zu ihrer Hochzeit verfasst Olympia ein griechisches Gedicht, in dem sie Gott um Segen für ihre Ehe bittet. In diese Zeit fällt auch die Abfassung eines ersten lateinischen Dialogs, in dem sie sich selbst und ihre Freundin Lavinia della Rovere als GesprächspartGelehrte und weibliches Wunderkind

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nerinnen auftreten lässt. In einer Rückschau auf ihr bisheriges Leben setzt sie sich in diesem Dialog auch kritisch mit ihrem Bildungsweg auseinander, der sie von der Liebe zur Antike hin zu einem tief fundierten Glauben geführt hat. Das war die große Finsternis, die meinen Geist umhüllte, bis Gott selber sie gnädig zerriss und über mir das Licht seiner göttlichen Weisheit aufleuchten ließ. An mir selber habe ich es erfahren dürfen, wie er die menschlichen Geschicke lenkt. Du weißt ja, wie verlassen und verstoßen ich war; da hat er es an mir erwiesen, dass er der Vater und Schutzherr der Waisen ist. Glaube mir, keine Elternliebe gleicht der Freundlichkeit und Nachsicht, die Gott an mir geübt hat. Ach, erst da habe ich meine ganze Torheit erkannt.

Im fiktiven Gespräch mit ihrer Freundin Lavinia bekennt sie sich zu ihrem Wissensdurst und sieht auch darin eine göttliche Fügung. »Gott hat es so gewollt, er gab mir diese Neigung, diese brennende Liebe zum Studium; er tut nichts von ungefähr, sondern ordnet alles nach seiner unendlichen Weisheit. Und vielleicht darf mein Wissen einmal zu seinem Ruhme und mir dadurch zum schönsten Lohn gereichen.« 1550 bricht das Ehepaar Grundler/Morata nach Deutschland auf, einer noch ungewissen Zukunft entgegen. Denn das Klima für evangelisch Gesinnte hat sich in Ferrara merklich verschlechtert. Die Brüder Sinapius sind bereits in die deutsche Heimat zurück­ gekehrt. Vorangegangen war diesem Entschluss die Festnahme des evangelischen Laienpredigers Fannio Fanini. Er wurde ins Gefängnis geworfen und im August 1550 auf dem Scheiterhaufen in Ferrara verbrannt. Olympia, mittlerweile 24 Jahre alt, fällt es schwer, ihre Mutter und ihre drei unversorgten Schwestern in ihrer Heimatstadt zurückzulassen. Ihren 8-jährigen Bruder Emilio, dessen Erziehung und Unterricht in ihren Händen liegt, nimmt sie mit nach Deutschland. Die Reiseroute der kleinen Familie führt von Ferrara nach Verona, das Tal der Etsch aufwärts nach Trient und weiter über den Brenner Pass, den schwierigsten Abschnitt der Reise. Von Innsbruck geht es das Inntal abwärts bis nach Kaufbeuren und Augsburg. Diese insgesamt 580 km lange Reise bringt für alle große Strapazen mit sich. Bei reibungslosem Verlauf und sechsstündiger Fahrt können am Tag 30 bis 40 km zurückgelegt wer164 

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den. Bei schlechtem Wetter und vor allem im Gebirge entsprechend weniger. Eine erste längere Rast legen die Reisenden nach dem Über­ queren der Alpen in Kaufbeuren ein. Sie sind Gäste von Georg Hermann, der als Leiter der Fuggerschen Faktorei im Bergwerksgebiet von Schwaz und als Finanzberater der österreichischen Regierung eine einflussreiche Stellung hat. Der Gastgeber lässt sich von Andreas Grundler medizinisch betreuen, während Olympia sich ungestört in der reich ausgestatteten Bibliothek des Hauses aufhalten kann. »Ich bin hier sehr gern«, schreibt sie einem Freund in Ferrara, »den ganzen Tag ergötze ich mich mit den Musen und werde durch keine äußere Sorge davon abgelenkt. Am meisten aber zieht es mich zu den göttlichen Studien, aus denen ich mehr Frucht und Genuss gewinne als aus jenen.« Sie liest das Neue Testament im griechischen Urtext und die in lateinischer Sprache erschienen theologischen Schriften der Reformatoren. Über Würzburg, wo Olympia mit ihrer Familie gastfreundliche Aufnahme bei ihrem einstigen Lehrer Johann Sinapius und dessen Familie findet, führt die Reise schließlich nach Schweinfurt, der Geburtsstadt Andreas Grundlers. Andreas Grundler erhält vom Rat der Stadt Schweinfurt so­fort ein Angebot, sich hier als Arzt niederzulassen. Denn die Stadt­ väter sehen sich mit einer nicht ganz leichten Aufgabe konfrontiert. Kaiser Karl V. will für den Winter 1550/51 mehr als 200 spanische Söldner in der nur 700 Einwohner zählenden Stadt einquartieren. Da der Ausbruch von Krankheiten befürchtet wird, ist ein kompetenter Arzt wie Grundler sehr gefragt. Die kleine Familie bezieht das Elternhaus von Andreas Grundler und richtet sich in der neuen Heimat ein. Für Olympia, der Deutschland gänzlich fremd ist, bietet die Bibliothek ihres Vaters ein Stück Heimat in der Fremde. Trotz beträchtlicher Kosten hat sie seine Bücher über die Alpen bringen lassen und baut sich nun eine eigene Bibliothek auf. Sie nimmt den Unterricht für ihren Bruder Emilio auf und hat sogar noch eine weitere Schülerin. Ihr ehemaliger Lehrer J­ohann Sinapius hat ihr seine Tochter Theodora anvertraut, die von nun an mit im Haus der Familie Grundler/Morata wohnt und von Olympia unterrichtet wird. Es dauert nicht lange, bis das gelehrte Ehepaar Kontakte zu anderen Gleichgesinnten knüpft. So treffen sie sich zu Austausch und Gelehrte und weibliches Wunderkind

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Gespräch mit dem Prediger an der Stadtkirche, Johannes Lindemann, einem Verwandten Martin Luthers. Aber auch zu Johannes Cremer, der als angesehener Humanist gilt und der örtlichen Lateinschule vorsteht und zudem noch mit Andreas Grundler verwandt ist, besteht reger Kontakt. Mit dem Erlernen der deutschen Sprache tut sich Olympia allerdings schwer. So kann sie ihren ursprünglich gefassten Plan, Luthers Schriften ins Italienische zu übersetzen, nicht in die Tat umsetzen und bittet einen befreundeten Theologen darum, es an ihrer statt zu tun. Denn sie möchte, dass auch ihre italienischen Landsleute an den göttlichen Gaben teilhaben können, die ihrer Meinung nach in Deutschland so reichlich vorhanden sind. In den Schweinfurter Jahren bereitet Olympia Fulvia Morata die Sorge um die Mutter und die zurückgebliebenen Schwestern den größten Kummer. In 10 von insgesamt 16 ihrer Briefe aus dieser Zeit ist von der Sehnsucht nach ihrer Familie im fernen Land die Rede. »Wahrlich, wenn Deutschland mir nicht diesen Trost gäbe, dass ich hier die theologischen Bücher lesen darf, auf die ich in Italien hätte verzichten müssen, dann könnte ich die Sehnsucht nach den Meinen nicht ertragen.« Den Briefverkehr durch Boten zu organisieren, ist überaus schwierig. Über ein Jahr nach ihrer Abreise aus Ferrara hört die junge Frau nichts von ihrer Mutter und den Schwestern. Nachdem der erste Kontakt hergestellt ist, dauert es wiederum mehr als zwölf Monate, bis sie erneut eine Nachricht aus Ferrara erhält. Zeugnisse ihrer dichterischen Tätigkeit in Schweinfurt sind die Psalmenbearbeitungen aus Olympias Feder. In der Ausgabe ihrer Werke finden sich die Psalmen 1, 2, 13, 34, 46, 70, 125 und 151. Der biblische Stoff wird dabei bewusst von ihr in die Bilderund Formenwelt der griechischen Lyrik übersetzt, so dass ganz eigene Sprachschöpfungen entstehen. Übersetzt Martin Luther den 23. Psalm mit den Worten »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln«, so klingen diese Verse in der griechischen Übersetzung Olympia Moratas folgendermaßen: »Des hohen Olympos König und der nahrungsspendenden Erde weidet mich. Was wird mir mangeln?« Ihre geistige Freiheit in Deutschland bedeutet dem Ehepaar Grundler/Morata sehr viel. So lehnen sie ein lukratives Angebot für einen Lehrstuhl im österreichischen Linz ab, das Andreas 166 

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Grundler unterbreitet wird. Sie befürchten beide, in dem katho­ lischen Linz in ihrem Bekenntnis zum evangelischen Glauben eingeschränkt zu werden. Olympia in einem Brief aus dieser Zeit: »Es ist euch gewiss nicht entgangen, dass wir in Christi Sold stehen und seinem Kriegsdienst durch einen heiligen Eid verpflichtet sind, so dass wir, wenn wir davon weichen wollten, einer ewigen Strafe gegenwärtig sein müssten. Darum muss es uns zur größten Sorge gereichen, dass wir nicht aus Furcht vor den Feinden den Schild des Glaubens wegwerfen und uns vermessen der Gefahr aussetzen, wider ihn zu sündigen.« Über ihren Glaubensernst berichtet sie 1554 ebenfalls in einem Brief an Anna d’Este, der Gefährtin ihrer Studienjahre in Ferrara. Anna ist in Frankreich verheiratet mit einem der schärfsten Gegner der evangelischen Lehre, Franz von Guise. In ihrem Brief bittet Olympia die Freundin um Unterstützung für die aus Glaubensgründen Verfolgten. Anna möge sich doch nach ihren Möglichkeiten für sie einsetzen. Über ihren eigenen Glaubensweg schreibt Olympia: »Früher verabscheute ich sehr lange die theo­ logische Literatur, jetzt möchte ich mich allein damit erfreuen, ich möchte meinen ganzen Eifer, meinen Fleiß, meine Sorge, ja, mein ganzes Denken auf dieses Studium verlegen, damit ich dies alles verachte: Reichtum, Ehren, Vergnügungen, die ich sonst zu bewundern pflegte.« Ihrer italienischen Freundin Lavinia wagt sie es, einige kleine lateinische Schriften Martin Luthers zu schicken, damit diese darin lesen, sich »ansprechen und erquicken« könne. Über die Lage in Italien macht sich Olympia keine Illusionen. An Curione in Basel berichtet sie: »Du weißt ja selbst nur zu gut, wie gefährlich es dort ist, sich als Christen zu bekennen … Deswegen möchte ich trotz aller Sehnsucht nach den Meinen doch lieber in die entferntesten Länder reisen, als dorthin zurückkehren, wo der Antichrist so große Gewalt hat, gegen die Gläubigen zu wüten.« Aber auch in Deutschland toben immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen zwischen der evangelischen und der katholischen Seite, die nicht nur aus religiösen, sondern oftmals auch aus politischen Gründen geführt werden. Dabei wechselt mancher der Protagonisten öfter die Seiten, so dass die politische Lage verworren und unübersichtlich ist. Eine der schillerndsten Ge­stalten in diesem Wechselspiel von politischen und religiösen Gelehrte und weibliches Wunderkind

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Beweggründen ist Moritz von Sachsen. Eigentlich steht Moritz als Herrscher des protestantischen Sachsens auf der Seite der Evangelischen. Doch sein protestantisches Bekenntnis hindert ihn nicht daran, sich im Schmalkaldischen Krieg, in dem Katholiken gegen Protestanten kämpfen, auf die Seite des katholischen Kaisers zu schlagen. In der Schlacht von Mühlhausen siegt Moritz von Sachsen an der Seite Kaiser Karls V. 1547 über die evangelische Streitmacht und wird von nun an von seinen früheren Glaubensgenossen nur noch als »Judas von Meißen« bezeichnet. Der Kaiser enttäuscht Moritz von Sachsen allerdings schwer in der Folgezeit, da er seine ihm ge­gebenen Versprechen nicht einhält. Eines dieser gebrochenen Versprechen bezieht sich auf Moritz’ Schwiegervater, Philipp von Hessen, einen der wichtigsten Fürsten auf evangelischer Seite. Hatte der Kaiser ursprünglich zugesichert, nach dem Sieg über die Protestanten Philipp von Hessen zu schonen, so lässt er ihn nach der Niederlage von Mühlhausen dennoch verhaften und kerkert ihn für mehrere Jahre ein. Moritz von Sachsen wandelt wiederum seinen Sinn und wendet sich im Jahr 1552 in einem überraschenden Feldzug gegen den Kaiser. Dieses Manöver ist so gelungen, dass Kaiser Karl V. zur Flucht aus Deutschland gezwungen ist. Moritz, der nun wieder als Retter der evangelischen Sache auftreten kann, ist rehabilitiert. Es kommt durch den Sieg Moritz von Sachsens über das Heer des katholischen Kaisers Karl V. im Juli 1552 zum Abschluss des Passauer Vertrages, einem der Vorläufer des Augsburger Religionsfriedens von 1555, mit dem die Protestanten rechtlich anerkannt werden. Einer der Kampfgenossen Moritz von Sachsens in dieser wirren Zeit ist Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach, der im Schmalkaldischen Krieg ebenso wie im Feldzug gegen den Kaiser auf Seiten von Moritz gekämpft hat. Nach dem Abschluss des Passauer Vertrages zieht Markgraf Albrecht A ­ lcibiades allerdings weiter marodierend durch die Gegend und zettelt auf eigene Faust einen Krieg gegen Nürnberg, Würzburg und Bamberg an. Als Standort für sein Heer hat sich Albrecht Alcibiades die bis dahin um ihre Neutralität bemühte evangelische Reichsstadt Schweinfurt ausgesucht. Mit seinem Heer bevölkert er die Stadt, seine ehemaligen Freunde Moritz von Sachsen, Wilhelm von Hessen und Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel verbünden sich 168 

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gegen ihn und erwirken ein kaiserliches Verbot seiner Räubereien. Schweinfurt wird daraufhin erstmals von bischöflichen Truppen aus Würzburg und Bamberg belagert. Für die Schweinfurter Bevölkerung ist diese neuerliche kriegerische Auseinandersetzung rund um ihre Stadt eine äußerst qualvolle Zeit. Auch für Olympia und ihre Familie brechen schwere Zeiten an. So schreibt sie in einem Brief an ihre Freundin Lavinia della Rovere in Italien: Ich freue mich, dass mir in unsrer großen Trübsal Gelegenheit gegeben ist, an dich zu schreiben, die mir unter allen Frauen die liebste ist, meine Mutter ausgenommen. Wir waren belagert von einem großen Heer der beiden Bischöfe von Würzburg und Bamberg und den Truppen des Kurfürsten Moritz und der Nürnberger, weil der Markgraf von Brandenburg sein Heer in unsere Stadt gelegt hatte. Durch Ansteckung von den Soldaten, von denen die Stadt überfüllt war, ist eine so schwere Krankheit über alle Bürger gekommen, dass fast die Hälfte der Bürger gestorben ist. Von dieser Krankheit ist auch mein liebster Mann ergriffen worden und zwar so schwer und gefährlich, dass keine Hoffnung auf sein Leben mehr vorhanden war. Aber der Herr, der ins Totenreich hinabzuführen pflegt, hat ihn durch meine und der ganzen Gemeinde dringliche und unaufhörliche Bitten wieder herausgeführt und hat sich meiner erbarmt, die ich einen so großen Schmerz nicht hätte ertragen können. Unter all diesen Drangsalen haben wir einen Trost gehabt, das Wort Gottes, durch das wir uns aufrecht erhalten haben, und deshalb habe ich auch nie zurückgeschaut nach den Fleischtöpfen Ägyptens und möchte lieber hier den Tod finden als anderswo alle Freuden der Welt genießen. Und obwohl wir noch nicht von diesen Übeln befreit sind, haben wir dennoch, weil wir einen so gegenwärtigen Gott haben, die Hoffnung, dass er uns, wenn es ihm gefällt, befreien werde. Wir zweifeln nicht, dass das alles um der Geringachtung des göttlichen Wortes willen über uns gekommen ist, weswegen auch Jerusalem von Grund auf zerstört worden ist.

War die ausgestandene Todesangst um ihren Mann eigentlich schon genug, so sollte es doch noch schlimmer für Olympia kommen. Ostern 1554 setzt eine erneute Belagerung der Stadt ein, Albrecht Alcibiades kann unbemerkt die Stadt verlassen, was seine Gegner jedoch nicht daran hindert, im Juni 1554 in die Stadt einzudringen und beim großen »Stadtverderben« die Stadt zu plündern und in Brand zu stecken. Nur knapp entgehen Olympia und ihr Mann Andreas gemeinsam mit ihrem Bruder Emilio dem Tod. Theodora, die ebenfalls im Haushalt lebte, war schon vor der ersten Gelehrte und weibliches Wunderkind

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Belagerung der Stadt wieder zu ihrem mittlerweile verwitweten Vater zurückgekehrt. Barfuß, nur mit einem dünnen Hemd bekleidet, ohne jegliche Habe, muss Olympia mit ihrer Familie aus der Stadt fliehen. Vor den Toren droht ihr Mann in Gefangenschaft zu geraten. Nur die inständigen Bitten seiner Frau um Gnade für ihn bewegen die Soldaten dazu, ihn wieder frei zu lassen. Es beginnt ein mühsamer, für Olympia kaum erträglicher Fluchtweg. Gerade der drohenden Gefangennahme entronnen, wird ihr Mann wenig später von bischöflichen Truppen beinahe hingerichtet. Olympia empfindet sich unter den »ärmlichen Frauen als Bettlerkönigin«, da ihr, außer einem zerfetzten Leinenhemd am Leib, nichts geblieben ist. Über Hammelburg a.d. Saale führt ihr Weg schließlich zuerst in die Stadt Lohr zum evangelisch gesinnten Grafen Philipp von Rieneck, von dort zum Schloss Fürstenau zum ebenfalls protestantischen Grafen Georg von Erbach. Hier wird die mittlerweile schwer erkrankte Olympia durch die Frau des Grafen, Elisabeth, gepflegt. Bereits wenige Wochen später, im Juli 1554, findet Andreas Grundler jedoch eine neue Anstellung in Heidelberg. Diesmal ist es endlich die ersehnte Professur für Medizin. Auf Vermittlung des Grafen von Erbach erhält er den dritten medizinischen Lehrstuhl in der Universitätsstadt. Auch seine Frau Olympia Fulvia Morata soll hier zur »Zierde der Universität« tätig werden und Griechisch lehren. So schreibt der Chronist und kurfürstliche Sekretär Hubert Thomas Leodius: Beide wurden sie von unserem Fürsten hierher aufgenommen zur Zierde für unsere Universität, er, um sich der Medizin zu widmen, sie, damit sie den Umgang mit griechischen Texten lehre. Dies hat sie bis jetzt hinausgeschoben, da sie von Krankheit befallen ist. Ich hoffe dennoch, dass im Verlauf der Zeit der Verlust wieder aufzuholen ist.

Olympia wird laut dieser Notiz demnach ebenfalls eine Lehrtätigkeit an der Universität angeboten. Dieser ungewöhnliche Umstand hat in der historischen Forschung immer wieder für Diskussionen gesorgt. Ein Lehrstuhl für eine Frau! Das erschien der Nachwelt als gänzlich unwahrscheinlich. Warum diese Notiz des kurfürst­ lichen Sekretärs, der mit allen Universitätsangelegenheiten betraut war, jedoch nicht den Tatsachen entsprechen soll, konnte bislang 170 

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nicht belegt werden. Vielmehr scheint Olympia bereits in ihrem Haus wieder den Unterricht in Griechisch-Lektionen nicht nur für ihren heranwachsenden Bruder, sondern auch für andere Schüler aufgenommen zu haben. So bedankt sich ein Hieronymus ­Angenosius brieflich bei ihr für die »Früchte«, die er dank ihrer Unterweisung im Griechischen empfangen und in den »colloquia« bei ihr täglich Fortschritte gemacht habe. Daher schreibt ein späterer Chronist in seiner Geschichte der rheinischen Pfalz über die Humanistin Olympia Fulvia Morata: »Ihr Tod … hat Heidelberg um den Ruhm gebracht, mit der Emancipation der Frauen späteren Jahrhunderten vorangegangen zu seyn.« Tatsächlich erholt sich Olympia nicht mehr von der fiebrigen Erkrankung, die sie sich bei der Flucht aus Schweinfurt zugezogen hat. Die Monate in Heidelberg sind geprägt von immer neuen Schwächeanfällen. Dazu kommt die Sorge um die alltäglichen Dinge, denn die Familie Grundler/Morata hat nichts aus Schweinfurt retten können. Auch die kostbare Bibliothek Olympias ist verloren, auch wenn sie all ihre Energie in den Aufbau einer neuen legt. Im Sommer 1555 wird Olympia Fulvia Morata erneut schwer krank. In ihrem letzten Brief an ihren väterlichen Freund Curione in Basel schreibt sie: Du sollst wissen, mein lieber Caelius, dass mir alle Hoffnung auf ein längeres Leben genommen ist. Alle die Medikamente, die ich gebraucht habe, helfen mir nicht mehr. Von Tag zu Tag, ja von Stunde zu Stunde erwarten die unseren nichts anderes, als dass ich von hier abscheide, und ich weiß wohl, dass dies der letzte Brief ist, den du von mir erhalten wirst. Ich habe alle Kraft verloren, ich habe keinen Geschmack an Speisen. Der Husten ist heftig und anhaltend. Schmerzen im ganzen Körper rauben mir den Schlaf. So bleibt mir nichts anderes, als dass ich den Atem aushauche.

Sie dankt Curione noch einmal für seine Bücher, die er ihr mit Hilfe anderer gelehrter Männer zum Aufbau einer neuen B ­ ibliothek geschickt hatte und bittet ihn, allen dafür tausend Dank zu sagen. Ich hätte diesen Dank so gerne selber abgestattet, wenn das Geschick es so gewollt hätte. Lebe wohl, mein bester Caelius, und wenn man dir meinen Heimgang meldet, dann sei nicht traurig; denn ich weiß, dass ich dann erst recht leben werde, und ich wünsche abzuscheiden und bei Christo Gelehrte und weibliches Wunderkind

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zu sein. Heidelberg ist ganz verlassen, teils durch die Flucht so vieler wegen der Pest, teils durch den Tod nicht weniger. Mein Emilio, nach dem du fragst, bedürfte bei seinem Lernen mehr des Ansporns als der Zügel. Ich schicke dir auf deine Bitte die Gedichte, die ich nach der Zerstörung von Schweinfurt aus dem Gedächtnis wiederherstellen konnte; meine anderen Schriften sind verloren gegangen. Sei Du mein Aristarch (­Aristarch aus Samosata gab die Werke Homers heraus, S. D.) und lege die letzte Hand daran. Noch einmal, lebe wohl!

Andreas Grundler schickt diesen Brief erst nach dem Tod seiner Frau im Oktober ab und legt ihm eine Schilderung ihrer letzten Stunden bei: Wenige Stunden vor ihrem Ende erwachte sie aus einem kurzen Schlummer und schien mir, von einer unbekannten Seligkeit erfüllt, ein wenig zu lächeln. Ich näherte mich ihr und fragte, warum sie so süß gelächelt habe: ›Ich sah‹, antwortete sie, ›noch im Schlafe einen Ort, der vom schönsten klarsten Licht erfüllt war.‹ Da sie vor Schwäche nicht weiter sprechen konnte, sagte ich: ›Wohlan, mein Weib, sei getrost, in jenem wunder­ schönen Lichte wirst du leben‹. Da lächelte sie noch einmal, nickte ein wenig mit dem Kopf und sagte bald darnach: ›Ich bin glücklich, ganz glücklich‹. Weiter sprach sie nichts mehr bis zu dem Augenblick, da ihr Augenlicht schon verschwommen war: ›Ich kann euch kaum mehr recht erkennen, es scheint mir aber alles rings umher voll der schönsten Blumen zu sein‹. Das waren ihre letzten Worte, bald darauf hauchte sie wie in süßem Schlaf ihren Geist aus.

Ihrer letzten Bitte entsprechend, gibt Curione bereits 1558 in Basel ihre Werke und Briefe heraus, aus denen wir das meiste von dieser ungewöhnlichen Frau wissen. In diesem Buch finden sich 3 Reden, 16 Gedichte und 30 Briefe. Gewidmet ist diese erste Ausgabe der Schriften Olympia Moratas einer anderen Frau, die ebenfalls aus religiöser Überzeugung Italien verlassen musste und in die Schweiz geflohen war. Ihr Name: Isabella Bresegna. Die späteren Auflagen widmet Curione dagegen Königin Elisabeth I. von England. Die zweite Auflage von 1562 wird durch die Hilfe von Freunden Moratas um weitere Werke aus ihrer Feder ergänzt, so dass einige Prosawerke sowie 42 weitere Briefe darin zu finden sind. 1570 erscheint eine dritte Auflage, die um weitere 10 Briefe ergänzt worden war. Den Ausgaben ihrer Werke stellt der Humanist Johann Herold ein Gedenkblatt an die Verstorbene voran, in dem es heißt: »Der 172 

Olympia Fulvia Morata

Olympia Fulvia Morata Gruntlera, die einst, von Gestalt ein Weib, an Geist aber größer als ein Mann, mit einem Herzen, das allein Christus fassen wollte, die ganze Welt verschmähte.« Olympia Fulvia Morata ist gemeinsam mit ihrem Mann A ­ ndreas Grundler und ihrem Bruder Emilio, die beide nur wenige Wochen nach ihr der Pestepidemie zum Opfer fielen, in der Heidelberger Peterskirche bestattet. In seinem Kondolenzbrief an Olympias Mutter schreibt Coelio Secundo Curione: Deine Tochter lebt auch noch in dieser Welt … in dem Gedächtnis aller hervorragenden Geister. Denn das ist nicht allein für Leben zu halten, das von Körper und Geist umfasst wird, sondern viel stärker das, was in der Geschichte aller Jahrhunderte seine Kraft zeigen, dass die Nachwelt weiter­hegen, ja, auf welches die Ewigkeit selbst immer blicken wird.

Geboren

1526 in der italienischen Stadt Ferrara

Gestorben

1555 in Heidelberg

Leben

In ihrer Jugend sorgte sie als Wunderkind am Hof von Ferrara für Furore. Als Glaubensflüchtling kam sie in das Römisch-Deutsche Reich. Auf Grund ihrer exzellenten Kenntnisse der lateinischen und griechischen Sprache wurde ihr in Heidelberg eine Lehrtätigkeit an der Universität angeboten, die sie wegen ihres frühen Todes nicht antreten konnte.

Werk

Vorlesungen über Cicero, Briefe und Gedichte, Übersetzungen, Dialoge »Lavinia della Rovere Orsini und Olympia Morata« sowie »Theophila und Philotima«

Erasmus von Rotterdam Humanist, Wegbereiter der Reformation und Förderer gelehrter Frauen

A

ls uneheliches Kind eines Priesters und der Tochter eines Arztes kam er in den Niederlanden um das Jahr 1466 auf die Welt, als einer der berühmtesten Gelehrten seiner Epoche wurde er im Basler Münster 70 Jahre später in der Schweiz beigesetzt. Er gilt als erster moderner Europäer und ist Namensgeber des europäischen Erasmus-Programms, dem weltweit größten Förderprogramm von Auslandsaufenthalten für Studierende. Als Wegbereiter der Reformation wird er bezeichnet sowie als »Fürst«, »König«, gar »Papst der Humanisten«. Erasmus von Rotterdam war ein überaus produktiver Schriftsteller, der 150 Bücher verfasste, von seinen Briefen sind mehr als 2.000 erhalten. Er schrieb auf Latein oder Griechisch und bereiste halb Europa. In Paris hatte er studiert, in England lange Jahre gelebt, in Italien wurde er promoviert, in Basel gab er viele seiner Schriften heraus. Er war Humanist mit Leib und Seele und wollte durch sein Werk das »humanum«, also das für den Menschen Wesentliche zur Entfaltung bringen. Im Rückgriff auf die christliche und vorchristliche Antike sollte dies geschehen. Deshalb galt für Erasmus wie für die Humanisten allgemein die Losung »Ad fontes«, zurück zu den Quellen. Konkret bedeutete dies, die antiken Schriften im Originaltext zu lesen, um auf diese Weise den Ursprüngen und der Wahrheit nahe zu kommen. So gehört eine Sammlung von antiken Sprichwörtern und Weisheiten zu den erfolgreichsten Büchern des Erasmus. Sie erschien erstmals 1500 unter dem Titel »Adagia« und wurde noch Jahrhunderte später gelesen. Das bedeutendste und für die Reformation in Deutschland prägendste Werk aus seiner Feder war eine griechische Ausgabe des Förderer gelehrter Frauen

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Neuen Testaments, die 1516 veröffentlicht wurde. Waren es Theologen und andere Gelehrte bisher gewohnt, das Neue Testament in einer lateinischen Übersetzung – der sogenannten »Vulgata« – zu lesen, wollte Erasmus nun auf den griechischen Urtext zurück­greifen. Er machte sich also auf die Suche, sammelte alte Handschriften des griechischen Neuen Testaments, verglich sie textkritisch miteinander und erstellte so einen griechischen Text, den er der lateinischen Übersetzungen gegenüberstellte. In ausführlichen Kommentaren begründete er, warum der Text seiner griechischen Ausgabe vom bisher gewohnten der Vulgata abwich. In einem Brief an Willibald Pirckheimer, Bruder der Nürnberger Äbtissin Caritas Pirckheimer, schrieb er: »Meine Lebensleistung bestand darin, dass ich eine begrabene und vergessene Literatur zu neuem Leben erweckt und dass ich die Theologen von ihren philosophischen Haarspaltereien zur Kenntnis des Neuen Testaments zurückgeführt habe.« Als »Novum Instrumentum« regte dieses Buch nicht nur zahlreiche Gelehrte in ganz Europa an, sondern auch Martin Luther im fernen Wittenberg inspirierte es zu seiner Übersetzungsarbeit der Heiligen Schrift. Aber Luther wollte nicht nur die humanistischen Intellektuellen erreichen, sondern das Volk. Deshalb übersetzte er die Bibel in die deutsche Volkssprache. Erasmus, der drei Jahre nach dem Tod seiner Eltern 1487 Mönch geworden und sich fünf Jahre später zum Priester hatte weihen lassen, ließ sich 1517 vom Papst wieder von seinen Ordensgelübden entbinden. Denn er war zu der Auffassung gelangt, dass ein Mönch kein besserer Christ und das Mönchtum keine höhere Form des Glaubens sei. Er übte vielmehr beißende Kritik am Klerus und dem Zustand der katholischen Kirche. Er wollte mit seinen oft satirischen Schriften gerade gegenüber der Geistlichkeit innere Reformen in Gang setzen. Selbst ehelos lebend, hielt er das Zölibat doch für falsch und kritisierte immer wieder den sittlichen Zustand des Klerus. Da er selbst Sohn eines Priesters war, kannte er den allgemein üblichen Umgang mit der Verpflichtung zur Ehe­ losigkeit unter den Geistlichen, denn seine uneheliche Geburt war keine Ausnahme. Viele Priester bis hin zu Bischöfen und Päpsten hatten Kinder, manchmal sogar von unterschiedlichen Frauen. Harsch kritisierte Erasmus zudem, dass viele leitende Geistliche ungebildet waren und verspottete sie öffentlich. Auch der Ablasshandel war ihm ein Dorn im Auge. 176 

Erasmus von Rotterdam

Abb. 15 Portrait des Erasmus von Rotterdam, Albrecht Dürer, 1526

Und so konnte Erasmus 1524 an einen Freund schreiben: »Ich habe das Ei gelegt und Luther hat es geöffnet.« Beide sind sich persönlich nie begegnet, pflegten aber einen mehr oder weniger öffent­ lichen Briefwechsel. So schrieb Erasmus zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Luthers 95 Thesen gegen den Ablasshandel an den Wittenberger Reformator: »So viel wie möglich halte ich mich neutral, um desto mehr dem Wiederaufblühen der Wissenschaft nützlich zu sein. Meines Erachtens kommt man mit bescheidenem Anstand weiter als mit Sturm und Drang.« Er geißelte zwar scharf Förderer gelehrter Frauen

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die Missstände in der katholischen Kirche, verteidigte aber wiederum das Papsttum und schloss sich den reformatorischen Neuerungen nicht an. Denn ihm war es wichtig, die Einheit der Kirche zu wahren. Er verstand sich als Reformer, aber nicht als Revo­ lutionär. So charakterisiert ihn Stefan Zweig in seinem Buch »Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam« folgendermaßen: Denn des Erasmus Sendung und Lebenssinn war die harmonische Zusammenfassung der Gegensätze im Geiste der Humanität. Er war geboren als eine bindende oder, um mit Goethe zu sprechen, der ihm ähnlich war in der Ablehnung alles Extremen, eine ›kommunikative Natur‹. Jede gewaltsame Umwälzung, jeder ›tumultus‹, jeder trübe Massenzank widerstrebte für sein Gefühl dem klaren Wesen der Weltvernunft, der er als treuer und stiller Bote sich verpflichtet fühlte, und insbesondere der Krieg schien ihm, weil die größte und gewalttätigste Form der Austragung inneren Gegensatzes, unvereinbar mit einer moralisch denkenden Menschheit. Die seltene Kunst, Konflikte abzuschwächen durch gütiges Begreifen, Dumpfes zu klären, Verworrenes zu schlichten, Zerrissenes neu zu verweben und dem Abgesonderten höheren gemeinsamen Bezug zu geben, war die eigentliche Kraft seines geduldigen Genies, und mit Dankbarkeit nannten die Zeitgenossen diesen vielfach wirkenden Willen zur Verständigung schlechthin: ›das Erasmische‹!

Im umfangreichen Werk des Erasmus von Rotterdam bilden die »Gespräche« eine besonders lebendige Sammlung von Texten. In Form des Dialogs, des Zwiegesprächs, treten hier unterschiedliche Akteure auf, wobei eine der Personen stets die Stimme der Vernunft vertritt. Unschwer ist hier Erasmus selbst zu erkennen, der gleichsam in unterschiedlichen Masken seiner Leserschaft gegenübertritt. Schlagfertig und witzig sind diese Gespräche, von denen der Dialog »Der Abt und die gelehrte Frau« ein besonders schönes Beispiel ist, weshalb es hier in Gänze wiedergegeben werden soll.

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Der Abt und die gelehrte Frau

Ein Gespräch zwischen Abt Antronius und der gebildeten Magdala Antronius: Was seh’ ich denn da für ein Möbel? Magdala: Ist es nicht hübsch? Antronius: Ob hübsch oder nicht, weiß ich nicht, jedenfalls aber eins, das sich für ein Mädchen wie für eine Matrone wenig schickt. Magdala: Weshalb das? Antronius: Weil es ganz voller Bücher ist. Magdala: Ihr seid nun schon so alt, seid Abt und Höfling und habt noch nie in den Zimmern der großen Damen Bücher gesehen? Antronius: Ich sah freilich solche, aber in französischer Sprache; hier dagegen sehe ich griechische und lateinische Bücher. Magdala: Ja, lehren denn bloß die französisch geschriebenen Bücher Weisheit? Antronius: Jedenfalls schicken sich diese allein für die vornehmen Damen, damit sie etwas für die Unterhaltung in den Mußestunden haben. Magdala: Ist denn einzig den Damen vom Stande gestattet, den Geist zu bilden und angenehm zu leben? Antronius: Ihr verbindet in falscher Weise Geistesbildung und angenehmes Leben: Die Weisheit ist nicht Weibersache; Sache der großen Damen ist ein anmutiges Dasein. Magdala: Soll aber nicht jedermann recht leben? Antronius: Ja freilich. Magdala: Wie kann man aber angenehm leben, wenn man nicht zugleich richtig lebt? Antronius: Im Gegenteil: wie kann der angenehm leben, der recht lebt? Magdala: Ihr billigt also die, welche zwar schlecht, aber angenehm leben? Antronius: Meine Ansicht ist, dass die gut leben, welche angenehm leben. Magdala: Ja, aber woher stammt denn diese Annehmlichkeit? Aus äußerlichen Dingen oder aus dem Geist? Antronius: Aus äußerlichen Dingen. Magdala: Ihr seid fürwahr ein scharfsinniger Abt, aber ein grobgeschnitzter Philosoph! Sagt mir doch, wonach bemesst Ihr das Angenehme? Antronius: Nach Schlaf, Essen, der Freiheit zu tun, was einem beliebt, nach Geld und Ehren. Magdala: Wenn aber Gott zu alledem noch die Weisheit hinzufügt, lebt Ihr dann nicht angenehm? Antronius: Was versteht Ihr unter Weisheit? Magdala: Die Einsicht, dass ein Mensch nur durch geistige Güter glücklich ist. Reichtum, Ehre, Geschlecht machen weder glücklicher noch besser. Förderer gelehrter Frauen

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Antronius: Eure Weisheit kann mir gestohlen bleiben. Magdala: Wenn mir nun aber die Lektüre eines guten Autors eben so angenehm ist wie Euch die Jagd, der Trunk, das Würfelspiel: glaubt Ihr dann nicht, dass auch ich angenehm lebe? Antronius: Für meine Person möchte ich nicht so leben. Magdala: Danach frage ich nicht, was Euch angenehm ist, sondern was angenehm sein sollte. Antronius: Ich möchte nicht, dass meine Mönche sich viel mit Büchern abgeben. Magdala: Mein Mann heißt gerade das besonders gut. Aber weshalb passt Euch das nicht bei Euren Mönchen? Antronius: Weil sie dann erfahrungsgemäß weniger gehorsam sind: Sie kommen dann mit Antworten aus den Dekreten, den Dekretalen, dem Petrus und Paulus. Magdala: Ja, befehlt Ihr ihnen denn Dinge, die Petrus und Paulus widerstreiten? Antronius: Was die lehren, weiß ich nicht; aber ich mag nun einmal den antwortenden Mönch nicht; ich hab’ auch nicht gern, dass einer der Meinigen mehr wisse als ich selbst. Magdala: Das könnte vermieden werden, wenn Ihr Euch Mühe geben würdet, so viel als möglich zu wissen. Antronius: Dazu fehlt mir die Zeit. Magdala: Wieso? Antronius: Weil sie mir nun einmal fehlt. Magdala: Ihr habt keine Zeit, Euch zu bilden? Antronius: Nein. Magdala: Was steht dem im Wege? Antronius: Die langen Gebete, die Sorge für den Haushalt, die Jagd, die Pferde, der Hofdienst. Magdala: Diese Dinge sind Euch also wichtiger als die Weisheit? Antronius: Das ist nun einmal unser Los. Magdala: Aber sagt mir noch eins: Wenn Gott Euch die Macht verliehe, Euch und Eure Mönche in irgendein Tier zu verwandeln, würdet Ihr diese in Schweine, Euch aber in ein Pferd verwandeln? Antronius: Durchaus nicht. Magdala: Und doch würdet Ihr damit verhindern, dass einer mehr wüsste als Ihr. Antronius: Mich kümmert nicht sowohl, was für Geschöpfe die Mönche sind, als dass ich selbst ein Mensch bin. Magdala: Scheint Euch aber der ein Mensch zu sein, der nicht weise ist und nicht weise werden will? Antronius: Ich bin mir weise genug. Magdala: Das können auch die Schweine von sich behaupten.

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Erasmus von Rotterdam

Antronius: Ihr scheint mir mit Euren Argumenten eine Sophistin zu sein. Magdala: Als was Ihr mir vorkommt, will ich lieber nicht sagen. Aber warum missfällt Euch eigentlich mein Möbel mit den Büchern? Antronius: Weil Rocken und Spindel die Waffen der Frau sind. Magdala: Ist es aber nicht die Aufgabe einer Mutter, das Haus zu leiten und die Kinder zu erziehen? Antronius: Freilich. Magdala: Meint Ihr denn, das lasse sich ohne Weisheit machen? Antronius: Nein, das glaub’ ich nicht. Magdala: Nun, eben diese Weisheit lehren mich die Bücher. Antronius: Ich hab’ zu Haus zweiundsechzig Mönche, aber irgendein Buch findet Ihr deswegen doch nicht in meinem Schlafzimmer. Magdala: Da ist also für die Mönche trefflich gesorgt. Antronius: Ich will Bücher noch gelten lassen, nur keine lateinischen. Magdala: Weshalb denn? Antronius: Weil diese Sprache sich für Frauen nicht ziemt. Magdala: Ich warte auf die Begründung. Antronius: Weil sie zu wenig angetan ist, die Keuschheit der Frauen zu beschützen. Magdala: Da dienen also die französischen Bücher, die voll leichtfertiger Geschichten sind, der Keuschheit? Antronius: Ich meine es anders. Magdala: So sprecht Euch denn offen aus! Antronius: Die Frauen sind vor den Priestern sicherer, wenn sie kein Latein können. Magdala: Diese Gefahr ist mit eurer Hilfe recht klein; denn ihr seid ja eifrig bestrebt, kein Latein zu verstehen. Antronius: Der gemeine Mann empfindet es als etwas Seltsames und Ungewohntes, dass eine Frau Latein könne. Magdala: Was zitiert Ihr den gemeinen Mann, die Menge, diesen geborenen Feind alles Guten? Was die Gewohnheit, die Lehrmeisterin aller schlimmen Dinge? Man muss sich an das Beste gewöhnen; dann wird zur Gewohnheit, was ungewohnt war, angenehm, was unangenehm war, geziemend, was für unziemlich galt. Antronius: Ich höre staunend zu. Magdala: Geziemt es sich, dass eine deutsche Frau französisch lerne? Antronius: Ganz gewiss. Magdala: Weshalb? Antronius: Damit sie mit denen sich unterhalten kann, die französisch reden. Magdala: Und für mich soll es unpassend sein, dass ich Latein lerne, um täglich mit so manchem Autor, so beredten, gelehrten, weisen, treuen Beratern Zwiesprache zu halten? Förderer gelehrter Frauen

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Antronius: Die Bücher nehmen den Frauen viel von ihrem Verstand, von dem sie ohnehin zu wenig haben. Magdala: Wie viel Ihr davon besitzt, weiß ich nicht; jedenfalls will ich das, was mir beschert ist, lieber bei guten Studien aufbrauchen als bei sinnlos hergesagten Gebeten, nächtlichen Schmausereien und dem Leeren tüchtiger Humpen. Antronius: Der Verkehr mit den Büchern macht stumpfsinnig. Magdala: Und die Unterhaltungen der Zechgenossen, der Possenreißer und Hansnarren sollen nicht stumpfsinnig machen? Antronius: O nein, die vertreiben die Langeweile. Magdala: Wie kommt es denn, dass so anmutige Gesellschafter wie die Meinen stumpfsinnig machen sollen? Antronius: Das ist so die Meinung. Magdala: Aber in Tat und Wahrheit ist es ganz anders. Wie viele sehen wir nicht im Gegenteil, denen unmäßiges Trinken, unzeitige Schmausereien, ungezügelte Leidenschaften den Verstand rauben! Antronius: Ich für meine Person möchte nun einmal keine gelehrte Frau. Magdala: Und ich gratuliere mir, dass ich einen Euch so unähnlichen Mann mein eigen nenne. Denn die Bildung hat ihn mir und mich ihm nur umso lieber gemacht. Antronius: Die Bildung muss man sich mit ungezählten Mühen erwerben, und dann heisst’s: sterben. Magdala: Ja, aber sagt mir, vortrefflicher Mann, wenn Ihr morgen sterben müsstet, möchtet Ihr lieber als Tor oder als Weiser sterben? Antronius: Wenn man nur die Weisheit mühelos haben könnte! Magdala: In diesem Leben hat nun eben der Mensch nichts mühelos. Da man aber alles, was man erreicht hat, und wär’s mit noch so viel Anstrengung, hier zurücklassen muss, sollte es uns dann reuen, auf das Kostbarste von allem Mühe zu verwenden, auf das, dessen Frucht uns noch ins künftige Leben begleitet? Antronius: Ich habe oft die Leute sagen hören, eine weise Frau sei doppelt töricht. Magdala: Das kann man so hören aus dem Munde von Toren. Eine wahrhaft gescheite Frau zeigt das gar nicht; will aber eine, die dumm ist, weise scheinen, dann ist sie allerdings doppelt dumm. Antronius: Ich weiß nicht wie’s kommt; aber, wie ein Sattel sich nicht für einen Ochsen schickt, so schicken sich die Wissenschaften nicht für eine Frau. Magdala: Immerhin werdet Ihr nicht leugnen können, dass der Sattel dem Ochsen immer noch besser anstände als die Mitra einem Esel oder einem Schwein. Was denkt Ihr eigentlich von der jungfräulichen Mutter? Antronius: Das allerbeste. Magdala:. Sah sie nie ein Buch an?

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Antronius: Doch, aber kein solches. Magdala: Was las sie denn? Antronius: Das Horenbüchlein. Magdala: Zu welchem Zweck? Antronius: Für den Benediktinerorden. Magdala: Sei’s drum! Und die Frauen Paula und Eustochium: Gaben sie sich nicht mit den heiligen Büchern ab? Antronius: Das ist aber heutzutage eine Seltenheit. Magdala: Einstmals war ein ungelehrter Abt ein seltenes Ding, heute gibt es nichts Alltäglicheres; vor Zeiten ragten Fürsten und Kaiser nicht weniger durch ihre Gelehrsamkeit hervor als durch ihre Herrschaft. Übrigens ist die Sache auch heute nicht gar so selten, wie Ihr meint: in Spanien und Italien gibt es nicht wenige Frauen, namentlich unter den vornehmen, die es mit jedem Manne aufnehmen könnten; in England nenne ich die Frauen aus dem Hause des Morus, in Deutschland die Pirkheimerschen und Blaurerschen. Seht ihr euch nicht vor, so wird’s noch so weit kommen, dass wir in den Theologenschulen das Präsidium führen, wir in den Kirchen predigen und eure Mitren in Beschlag nehmen. Antronius: Da sei Gott vor! Magdala: An euch wird es sein, das fern zu halten. Macht ihr so weiter, wie ihr begonnen habt, so werden die Gänse eher zu predigen anfangen, als euch stumme Hirten zu ertragen. Ihr seht: Die Schaubühne der Welt verändert sich, entweder muss man abtreten oder es muss jeder die ihm zukommende Rolle spielen. Antronius: Warum musste ich auf diese Frau stoßen? Wenn Ihr mich einmal besucht, so will ich Euch freundlicher aufnehmen. Magdala: Auf welche Art? Antronius: Wir wollen tanzen, tüchtig trinken, auf die Jagd gehen, spielen und lachen. Magdala: Ich bin in der Lage, schon heute zu lachen.

Was für eine scharfzüngige und selbstbewusste Frau begegnet uns hier in der Gestalt der Magdala! Sie leitet das Gespräch, sie argumentiert, ja, sie treibt den Abt, der sich so viel auf sein Amt einbildet, immer wieder in die Enge. Borniert, ignorant und dumm, so zeichnet Erasmus den geistlichen Würdenträger. Dieser Dialog ist ein beredtes Beispiel dafür, mit welch beißender Kritik und spöttischer Ironie Erasmus immer wieder Kirche und Mönchtum bloßstellte. Kein Wunder also, dass die römisch-katholische Kirche seine Werke auf den Index setzte, auf die Liste der verbotenen Bücher. Förderer gelehrter Frauen

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Gleich zu Beginn der Unterhaltung wird deutlich, mit welch missbilligendem Blick der Abt seine Blicke durch das Zimmer Magdalas schweifen lässt. Er entdeckt ein Möbelstück voller Bücher, ein Regal, gefüllt mit griechischen und lateinischen Schriften. Magdala tritt uns als eine humanistisch gebildete Frau entgegen. Sie liest die antiken Denker und Dichter im Original. Das erinnert an eine andere Humanistin der Epoche: Olympia Fulvia Morata. Die Italienerin, von ihrem Vater in antiken Sprachen und Philosophie unterrichtet, hielt bereits mit 14 Jahren am Hof von Ferrara Vorlesungen, baute sich mit den Jahren eine umfängliche Bibliothek auf und sollte sogar in Heidelberg einen Lehrstuhl für Griechisch und Latein erhalten, was ihr früher Tod aber verhinderte. Antronius sieht dagegen bei den Frauen nur gerne Bücher in französischer Sprache und dies auch nur bei den »vornehmen Damen«. Magdala kontert: »Ist denn einzig den Damen vom Stande gestattet, den Geist zu bilden und angenehm zu leben?« Sie hebt damit darauf ab, wie wichtig Bildung für alle Frauen ist, nicht nur diejenigen des »vornehmen« Standes. Der Abt versteigt sich nun zu der Behauptung: »Weisheit ist nicht Weibersache!« Darin weiß er sich einig mit einem der einflussreichsten Theologen des Mittelalters: Thomas von Aquin. Hatte dieser doch den Mann als Ausgangspunkt und Ziel der Frau dargestellt und sie ihm untergeordnet, da er ihr intellektuell weit überlegen sei. Daher komme der Frau auch kein Recht zu, öffentlich zu lehren, denn dies stehe allein den Vorgesetzten, also den Männern, zu. Als Untergeordnete wären Frauen daher auch unfähig, höhere Weihen zu empfangen. Was Erasmus von diesen Thesen des Thomas von Aquin hält, macht er in seinem Dialog mehr als deutlich: Nichts. Denn der Abt ist ja geradezu ein Paradebeispiel für Denkfaulheit und Tumbheit. Er schätzt Schlaf, Essen, Geld und Ehren. Als Magdala einwendet, das könne doch nicht der Inbegriff eines erfüllten Lebens sein, da doch nur »geistige Güter« wahrhaft glücklich machten, entgegnet er: »Eure Weisheit kann mir gestohlen bleiben.« Auch für sein Kloster möchte er keine Bildung. Die Mönche sollen sich nicht mit Büchern abgeben, weil sie dann »weniger gehorsam sind«. Grotesk wird es, als der Geistliche ohne Scham eingesteht, er wisse nicht einmal was Paulus und Petrus überhaupt lehren. In der 184 

Erasmus von Rotterdam

Bibel kennt er sich somit nicht aus. Seine Mönche wohl auch nicht, denn er gibt ja unumwunden zu: »Ich habe es auch nicht gern, wenn einer der Meinigen mehr weiß als ich selbst.« Für Bildung fehle ihm grundsätzlich die Zeit. Die Jagd, die langen Gebete, der Hofdienst, die Pferde, all das stehe der Bildung im Weg. Nun kommt das Gespräch zu einem seiner spöttischen Höhepunkte: Magdala argumentiert, dass doch zum Menschsein die Weisheit wesensmäßig dazugehöre. »Ich bin mir weise genug«, antwortet Antronius, worauf Magdala messerscharf und kühn formuliert: »Das können auch die Schweine von sich behaupten.« Abt Antronius darauf: »Ihr scheint mir eine Sophistin zu sein.« Sie: »Als was ihr mir vorkommt, will ich lieber nicht sagen.« So intellektuell und argumentativ in die Enge getrieben, fällt dem Theologen nicht mehr viel ein, als chauvinistische Vorurteile ins Feld zu führen: Frauen sind für die Hausarbeit geschaffen, die Sprache der Gelehrten ziemt sich nicht für sie, sie haben von Natur aus wenig Verstand. Magdala dagegen argumentiert immer wieder schlagfertig und gewitzt für Bildung und das Streben nach Weisheit. »Sollte es uns gereuen, auf das Kostbarste von allem Mühe zu verwenden, auf das, dessen Frucht uns noch ins künftige Leben begleitet?« Sie attestiert dem Abt, dass er ungebildet sei (»einstmals war ein ungelehrter Abt ein seltenes Ding, heute gibt es nichts Alltäglicheres«) und verweist auf viele gebildete Frauen in ganz Europa. Namentlich genannt werden Paula und Eustochium, zwei Frauen der frühen Christenheit. Paula und ihre Tochter Eustochium grün­ deten mehrere Klöster im Heiligen Land und studierten unter der Anleitung des Kirchenvaters Hieronymus geistliche Schriften. Eust­chium sprach nicht nur fließend Latein und Griechisch, sondern las auch hebräische Texte. Hieronymus widmete ihr einige seiner Schriften, die dank ihrer Überlieferung erhalten sind. Außerdem erwähnt Magdala die Frauen aus dem Haus des ­Thomas Morus, der mit Erasmus eng befreundet war. Der Engländer Thomas Morus, Lordkanzler und Humanist, legte viel Wert auf die Bildung nicht nur seines Sohnes, sondern auch seiner Töchter. So ist ein Gemälde überliefert, das die Töchter Margret und C ­ ecily bei ihren Studien zeigt. Margret galt zudem als eine der gebildetsten Frauen Europas und stand in regelmäßigem Briefkontakt mit Erasmus von Rotterdam. Sie übersetzte eines seiner Förderer gelehrter Frauen

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Werke ins englische und arbeitete nach der Hinrichtung ihres Vaters unter Heinrich VIII. an der Veröffentlichung seiner Werke. Zu den »Pirckheimerschen« war bereits Näheres im Kapitel über Caritas Pirckheimer zu lesen. Nachdem Magdala sich so auf andere gebildete Frauen der Geschichte und Gegenwart bezogen hat, resümiert sie: »Seht ihr euch nicht vor, so wird es noch so weit kommen, dass wir in den Theologenschulen das Präsidium führen, in den Kirchen predigen und eure Mitren in Beschlag nehmen.« Neben diesem Gespräch zwischen Magdala und Abt Antronius gibt es ein weiteres Werk aus der Feder des Erasmus, mit dem er sich weit vorwagt in Richtung Frauen-Emanzipation – wie wir es heute nennen. »Der Frauensenat« führt Leserinnen und Leser in die konstituierende Sitzung eines fiktiven Kongresses, der von der rhetorisch gewandten Cornelia geleitet wird. Sie eröffnet den Kongress mit folgenden Worten: Segen und Glück möge es für diese Vereinigung und für die ganze Republik der Frauen bedeuten, dass ihr so zahlreich und eifrig heute euch eingestellt habt. Ich schöpfe daraus die Hoffnung, dass ein gütiger Gott einer jeden das eingeben werde, was zur Würde und zum Nutzen von uns allen dient. Ihr alle wisst, wie ich annehme, welche Einbuße wir dadurch erlitten haben, dass wir, während die Männer in täglichen Zusammenkünften ihre Angelegenheiten behandeln, bei Spinnrocken und Webstuhl sitzend unsere Sache im Stich lassen. So ist es dahin gekommen, dass zwischen uns kein Band der Disziplin besteht und die Männer uns sozusagen als ihr Amüsement betrachten und uns kaum des Namens Mensch für würdig erachten.

Cornelia spricht hier also, modern gesprochen, die Frauensolidarität an und appelliert an ihre Mitstreiterinnen, nicht nachzulassen im Eintreten für die Anliegen ihrer Geschlechtsgenossinnen. »Dafür müssen wir alle sorgen, dass wir mit Ernsthaftigkeit unsere Sache behandeln, damit die Männer nicht wieder von einem Senätlein sprechen können oder gar noch einen schimpflicheren Nebennamen aushecken, spottsüchtig wie sie gegen uns nun einmal sind.« Die Kongressleiterin wird noch deutlicher, wenn sie mit Blick auf die allgemeinen Missstände in der Politik erklärt: »Wären uns die Zügel der Regierung anvertraut, die menschlichen Angelegenheiten würden sich – ich müsste mich denn sehr täuschen – weit erträglicher gestalten.« 186 

Erasmus von Rotterdam

So, wie Magdala in ihrem Gespräch mit dem ungebildeten Abt davon spricht, dass Frauen den Vorsitz in den theologischen Schulen führen, in Kirchen predigen und geistliche Ämter übernehmen, so legt Erasmus auch Cornelia utopische Worte in den Mund. Wir haben freilich auch einige Punkte mit den Männern in Ordnung zu bringen, die uns von jeder Ehrenstelle entfernen und uns nur für Wäscherinnen und Köchinnen halten und alle Angelegenheiten völlig nach ihrem Kopf besorgen. Wir wollen ihnen die Magistratsstellen und die militärischen Dinge überlassen … Vielleicht werden wir auch dahin gelangen, dass wir abwechselnd öffentliche Ämter versehen, nämlich die, welche innerhalb der Mauern und ohne Waffen besorgt werden können.

Das Ziel, auf das alle Frauenschriften des Erasmus hinausliefen, wird in diesen Passagen deutlich: Eine selbstbewusste Frau, die in der Gesellschaft für ein Leben nach dem Vorbild Christi warb. Denn der Humanist war sich sicher: »Auch wenn man sich schämt es auszusprechen, aber die Tatsache ist zu offensichtlich, um sie zu verbergen: Viel mehr Beispiele für Gottesfurcht und Frömmigkeit finden sich in den Reihen der Frauen als in denen der Männer.«

Martin Luther und seine Sicht der Frau

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artin Luther ist die prägende und wirkungsmächtigste Gestalt der Reformation. Daher kommt seinen Äußerungen über die Stellung der Frau eine besondere Bedeutung zu. Zur Rolle der Frau hat er in seinen Werken in verschiedener Form Stellung genommen. So ist in seinen Schriften Aufschlussreiches zu diesem Thema zu lesen. Er hat seine Meinung bei Gesprächen am häuslichen Tisch kundgetan, und aus seinem Briefwechsel mit Frauen ist ebenfalls Interessantes zu schließen. In seinen Schriften formulierte er seine Gedanken aus und machte sie der Öffentlichkeit zugänglich. Wir haben es hier also mit Traditionsquellen zu tun, demgegenüber seine Äußerungen, wie sie in den Tischreden überliefert sind, eher spontane Über­ legungen sind. Oft sind diese Worte wohl auch der lockeren Atmo­ sphäre beim heimischen Essen geschuldet und von daher als Überrestquellen zu charakterisieren. In seinem Briefwechsel mit Frauen ist sein praktisches Verhalten dokumentiert. Was ist nun in den Schriften Luthers über sein Frauenbild zu lesen? Ihm waren prinzipiell neue Einsichten möglich, da er die Werte und Normen seiner Zeit kritisch am biblischen Zeugnis prüfte und althergebrachte Überlieferungen ablehnte, wenn sie der Heiligen Schrift widersprachen. Sein Prinzip des »sola s­ criptura« wurde hier wirksam. Dieses Prinzip besagt: Allein, was in der Schrift steht, hat Gültigkeit und ist Maßstab für das eigene Urteil und Handeln. Dieses Schriftprinzip Luthers gilt auch in Bezug auf seine Sicht der Frau, denn so gelangte er teilweise zu neuen Wertungen. Aus seinem großen Werk sind drei Schriften besonders aufschlussreich, da sie sich ausdrücklich mit der Beziehung zwischen Frau und Mann beschäftigen. Zum einen ist dies seine Schrift »Vom ehelichen Leben« aus dem Jahr 1522, zum anderen sein »Traubüchlein« von 1529. Da für Luther die Stiftung Martin Luther und seine Sicht der Frau

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der Ehe aus dem Schöpfungsbericht abzuleiten ist, soll drittens sein »Genesis­kommentar« aus den Jahren 1535 bis 1545 näher unter­ sucht werden. In seinem Buch »Vom ehelichen Leben« betont Luther gleich zu Beginn die Gleichwertigkeit von Mann und Frau. »Gott schuf den Menschen, dass es ein Männlein und ein Fräulein sein sollte.« Beide werden als gute Geschöpfe bezeichnet. In der Gestalt von Frau und Mann ist der Mensch zum Bilde Gottes geschaffen. Deshalb, so Luther weiter, soll »der Mann das Weibsbild nicht verachten noch ihrer spotten, umgekehrt verachte das Weib den Mann nicht, sondern ein jeder ehre des andern Bild und Leib als ein göttliches, gutes Werk, das Gott selbst wohl gefällt.« So gelten für beide auch die gleichen Rechte und Pflichten in der Ehe. Und er gesteht auch der Frau das Recht auf eine Ehescheidung zu, wenn ihr Mann die Ehe gebrochen hat. Zur Verachtung der Frau und der Ehe in der mittelalterlichen, katholischen Frömmigkeit schreibt er: »So haben sie beschlossen, dass ein Weib sei ein nötiges Übel und kein Haus ohne solches Übel. Das sind nun blinder Heiden Worte, die nicht wissen, dass Mann und Weib Gottes Schöpfung ist, und lästern ihm sein Werk, gerade, als kämen Mann und Weib unversehens dafür.« Gemeinsame Aufgabe von Frau und Mann ist es, gemäß dem Schöpfungsauftrag (»Seid fruchtbar und mehret euch«, 1.  Mose 1,28) Kinder zu bekommen und sie im Glauben an Gott zu erziehen. Weil dies für Luther das allerkostbarste und teuerste Werk auf Erden ist, scheut er sich auch nicht, Vater und Mutter der Kinder Apostel und Bischof zu nennen. »Denn ganz gewiss sind Vater und Mutter ihrer Kinder Apostel, Bischöfe, Pfarrer, indem sie das Evangelium ihnen kundmachen. … Wer den andern das Evangelium lehrt, der ist wahrhaftig sein Apostel und Bischof.« Weil Frau und Kind ebenso wie der Mann eine Kreatur Gottes ist, kommt Luther auch zu recht ungewöhnlichen und für uns heutige Leserinnen und Leser modern klingenden Vorschlägen. Der Mann soll sich nicht zu schade sein, das Kind in den Armen zu wiegen, die Windeln zu waschen und für die Mutter zu sorgen. Nun sage mir: Wenn ein Mann hinginge und wüsche die Windeln und täte sonst am Kind ein verächtliches Werk und jedermann spottete seiner und hielte ihn für einen Maulaffen und Frauenmann, sofern er’s täte

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Martin Luther und seine Sicht der Frau

in solchem obgesagten Sinn und christlichen Glauben: Lieber, sage, wer spottet hier des anderen am feinsten? Gott lacht und freut sich mit allen Engeln und Kreaturen, nicht darüber, dass er die Windeln wäscht, sondern darüber, dass er’s im Glauben tut.

Luther bedenkt auch die für die Frau nicht ungefährliche Situation der Geburt eines Kindes. Gerade der Tod im Kindbett war zu seiner Zeit für Frauen eine häufige Todesursache. Drohe einer Frau bei der Geburt der Tod, dann solle sie sich nach den Worten des Reformators daran trösten, dass sie durch das Gebären Gottes Willen erfülle. Als Frau sei sie ja geschaffen, Kinder zur Welt zu bringen. Mag Luther zu seiner Zeit damit auch eine seelsorgerliche Aufgabe erfüllt haben, da eben viele Frauen bei Geburten starben, so klingen manche seiner Worte doch roh, wenn nicht sogar zynisch. So kann er schreiben: »Daher man auch siehet, wie schwach und ungesund die unfruchtbaren Weiber sind; die aber fruchtbar sind, sind gesünder, reiner und vergnügter. Auch wenn sie sich müde und zuletzt tot tragen, das schadet nicht. Lass sie nur sich zu Tode tragen; dazu sind sie da. Es ist besser, kurz und gesund als lange und ungesund zu leben.« Da Frauen um die Gefahr für ihr Leben durch häufige Schwangerschaften wussten, ist aus weiblicher Sicht der Passus in Luthers Schrift noch einmal kritisch zu beleuchten, in dem es um die Weigerung der Frau geht, mit ihrem Ehemann zu schlafen. »Wie man gewiss findet so ein halsstarriges Weib, das einen Kopf aufsetzt; und sollte der Mann zehnmal in Unkeuschheit fallen, so fragt sie nicht danach.« In diesem Fall, so Luther, habe der Mann alles Recht zu sagen: »Willst du nicht, so will eine andere; will die Frau nicht, so komme die Magd.« Die Verhütung einer Schwangerschaft zum gesundheitlichen Wohl der Frau ist bei Luther nicht im Blick. Seine Argumentation folgt allein den Linien der fruchtbaren Vermehrung und der Vermeidung von Unkeuschheit durch die Ehe, aber auch der leiblichen Freude aneinander durch eine bewusst gelebte Sexualität. 1529 verfasst Luther ein »Traubüchlein für die einfältigen Pfarrherrn«. Er selber ist zu diesem Zeitpunkt seit vier Jahren mit Katharina von Bora verheiratet. Das Traubüchlein erscheint zunächst als Einzeldruck in Wittenberg, noch im gleichen Jahr aber wird es zusammen mit dem Taufbüchlein dem Anhang des Kleinen Martin Luther und seine Sicht der Frau

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Katechismus beigegeben. So hat es weite Verbreitung erlangt und große Wirkung entfaltet. Diesem Buch zufolge ist die Ehe für den Wittenberger Reformator eigentlich ein »weltlich Geschäft«, in dem kirchliche Würdenträger nichts zu ordnen und zu regieren haben. Käme aber ein Paar und erbitte den kirchlichen Segen, so solle dies nach der Ordnung geschehen, die Luther in seinem Traubüchlein formuliert. Da um die Einsegnung von Mönchen und Nonnen ein »gros Geprenge« getrieben werde, obwohl ihr Stand doch gänzlich von Menschen erdacht sei, müsse der Stand der Ehe, der doch von Gott eingesetzt sei, viel eher mit Segen und Gebet begleitet werden. »Denn obs wohl ein weltlicher Stand ist, so hat er dennoch Gotts Wort für sich und ist nicht von Menschen erdichtet oder ge­stiftet«. Luthers Schrift ist unterteilt in einen Abschnitt über die Trauung, die vor der Kirche stattfindet, und einen weiteren Abschnitt über die Traubelehrung in der Kirche. Neu formuliert gegenüber der katholischen Praxis ist vor allem die Traubelehrung, die sich in Stiftung, Ordnung und Segen der Ehe gliedert. Die Stiftung der Ehe leitet Luther aus dem sogenannten zweiten Schöpfungsbericht ab, also aus 1.  Mose 2,18.21–24. Hier wird erzählt, wie Gott aus der Rippe des Menschen die Frau schuf, der Mensch so zum Mann wurde und die Frau als »Bein von meinem Bein« und »Fleisch von meinem Fleisch« erkannte. Die Ordnung der Ehe ist unterteilt in das Gebot über die Ehe und das Kreuz, das auf diesem Stand liegt. Für das Gebot der Ehe bezieht sich der Reformator auf Paulus und seine Aussagen im Epheserbrief (Epheser 5,22–29). Danach sollen die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Leib. Die Frauen dagegen »seyen unterthan ihren Männern als dem HERRN, denn der Mann ist des Weibes Haupt gleich wie auch Christus das Haupt der Gemeinde … Aber wie nu die Gemeinde Christo ist unterthan also auch die Weiber ihren Männern in allen Dingen.« Diese Unterordnung der Frau unter den Mann dokumentiert Luther auch noch einmal in einer Textumstellung. Denn er setzt die Verse Epheser 5,25–29, in denen es um die Beziehung des Mannes zu seiner Frau geht, vor die Verse Epheser 5,22–24, in denen es um die Stellung der Frau geht. Dies mag als marginaler Eingriff gelten, unterstreicht doch aber noch einmal die übergeordnete Position des Mannes. Das Kreuz in der Ehe ist gemäß der Schöpfungsgeschichte (1.  Mose 3,16–19) für die Frau das Kindergebären und für den Mann die 192 

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Arbeit. Damit hat Luther die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als Ordnung Gottes festgeschrieben, in der dem Mann mit der Arbeit die Produktion zugeschrieben wird und der Frau mit dem Gebären von Kindern die Re-Produktion. Den Segen der Ehe beschreibt das Traubüchlein mit dem sogenannten ersten Schöpfungsbericht, demgemäß Frau und Mann gleichermaßen zum Ebenbild Gottes geschaffen sind. Abschließend zitiert Luther ein Wort aus den Sprüchen Salomos, in denen es im 18. Kapitel im Vers 22 heißt: »Wer ein Weib kriegt, der krieget ein gut Ding und wird Wohlgefallen vom HERRN schöpfen.« Sieht das Trauformular Luthers bei den Traufragen noch eine identische Frage an Mann und Frau vor, so schreibt Johannes ­Calvin, der Genfer Reformator und einer der Gründerväter der Evangelisch-Reformierten Kirche, in seinem 1542 erschienenen Trauformular für den Mann und die Frau unterschiedliche Trau­ fragen fest. Dieses Trauformular wurde dem Anhang der französisch-sprachigen Genfer Bibel beigegeben und fand in reformierten Gebieten große Verbreitung. Luthers Trauformular sieht schlicht die Frage vor: »Hans, willst du Greta zum ehelichen Gemahl haben? Er soll antworten: Ja.« Analog dazu heißt es identisch für die Frau: »Greta, willst du Hans zum ehelichen Gemahl haben? Sie soll antworten: Ja.« Dreizehn Jahre später heißt es beim Genfer Reformator Calvin in der Traufrage für den Mann: N., bekennt ihr hier vor Gott und seiner heiligen Gemeinde, dass ihr genommen habt und nehmt zu eurer Frau und Braut die hier anwesende N., und versprecht ihr, sie zu bewahren, indem ihr sie liebt und sie treulich haltet, so wie es die Pflicht eines rechten und treuen Ehemannes gegenüber seiner Frau ist, heilig mit ihr lebt, ihr Treue und Gerechtigkeit in allen Dingen bewahrt, nach dem heiligen Wort Gottes und seinem hei­ ligen Evangelium? Antwort: Ja.

Für die Frau dagegen heißt es: N., bekennt ihr hier vor Gott und seiner heiligen Versammlung, dass ihr genommen habt und nehmt N. als euren legitimen Ehemann, versprecht ihr, ihm zu gehorchen, ihm zu dienen und ihm untertan zu sein, indem ihr heilig lebt, ihm Treue und Gerechtigkeit in allen Dingen bewahrt, so wie es eine treue und gerechte Braut ihrem Ehemann tun soll, nach dem Wort Gottes und seinem heiligen Evangelium? Antwort: Ja. Martin Luther und seine Sicht der Frau

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Wird der Ehemann hier zu Liebe und Treue verpflichtet, verspricht die Ehefrau vor dem Altar Gehorsam, Dienst und ein untertäniges Leben gegenüber ihrem Mann. Soll er mit ihr heilig leben, also in Monogamie, so soll sie insgesamt »heilig leben«. Hintergrund dürfte hier wohl die theologische Meinung sein, dass mit der Frau die Sünde in die Welt gekommen sei, da Eva laut Paradiesgeschichte als Erste vom Baum der Erkenntnis aß, bevor sie Adam von der Frucht gab (1. Mose 3,1–24). Daher muss ihr ganzes Leben heilig sein, während es beim Mann anscheinend genügt, wenn er mit seiner Frau heilig lebt. Die Unterwerfung der Frau unter ihren Ehemann wird im Trauformular Calvins an anderer Stelle noch einmal ausdrücklich ausformuliert, wenn es heißt: »Und so soll die Frau ihrem Ehemann dienen und ihm gehorchen (Kolosser 3,18) in aller Heiligkeit und Ehrbarkeit. Denn sie ist unterworfen (1. Timotheus 2,12; 1. Petrus 3,1) und unter der Macht des Ehemannes in allem, was sie mit ihm lebt.« Mutige Autorinnen wie Argula von Grumbach, Ursula Weyda oder Katharina Zell hatten gerade gegen diese biblischen Aus­sagen mit der Bibel selber argumentiert, indem sie diesen für Frauen repressiven Worten andere biblische Traditionen entgegenstellten, wie z. B. die Sätze aus der Joel-Prophezeiung, die im Neuen Testa­ ment am Beginn der Apostelgeschichte noch einmal ausdrücklich aufgenommen werden. »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weis­sagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen« (Joel 3,1–2; Apostelgeschichte 2,17–18). Kehren wir zurück zu Martin Luther und seiner Genesisvorlesung von 1535 bis 1545, so finden wir hier noch einmal einen Gedanken, den der Wittenberger Theologieprofessor bereits in seinem Buch »Vom ehelichen Leben« dargelegt hatte. Auch in seiner Vorlesung betont Luther wiederum, dass die Frau ebenfalls als Geschöpf Gottes anerkannt werden muss und es deshalb »heidnisch« sei, sie nicht in ihrer Würde zu ehren. Hier setzt er sich mit den Äußerungen des antiken Philosophen Aristoteles auseinander. Dessen Meinung war: Frauen sind nichts anderes als unvollständige Männer. Ein kurzes Zitat mag als Illustration reichen: »Ein 194 

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Weibchen ist wie ein verkrüppeltes Männchen, und der Monatsfluss ist Same, nur nicht reiner Same. Denn nur eines fehlt ihm, die Lebensquelle … denn diese Lebensquelle bringt erst der männ­liche Same mit.« Laut Aristoteles ist die Frau nur der »Acker«, in den der Mann seinen Samen hineinlegt, in dem bereits der gesamte künftige Mensch in nuce vorgeformt ist. Mit dieser Auffassung der Frau als unvollständigem Mann und daher mit ihm in keiner Weise gleichzusetzen, die einen Großteil der mittelalterlichen Frömmigkeit und Theologie im Blick auf die Frau beherrscht hatte, brach Luther und setzte dem die Gleichwertigkeit von Frau und Mann entgegen. »Daher hat sich auch gefunden, dass man das weibliche Geschlecht mit Schmähungen und Lästerworten angegriffen hat, welches sonderlich der gottlose uneheliche Stand der Priester viel getrieben hat.« Dagegen setzt Luther: Die Frau hat wie der Mann Hoffnung auf das ewige Leben und ist mit ihm zusammen Mit­ erbin der Gnade Gottes. Der Mann bedarf der Frau, um Nachkommen zu zeugen und seine Sexualität verantwortlich zu leben. Luther kann die Frau als »Nest« und »Haus« bezeichnen. »Darum sollen wir dem Gebote Gottes gehorsam sein, und unsere Weiber erkennen als Gottes Gebäude, …, dass auch die Männer durch sie erbaut werden, welchen die Weiber gleich wie ein Nest Wohnung sind, dazu sie sich halten und mit Lust wohnen.« Diese Linie der weiblichen Wertschätzung ist jedoch bei ihm gebrochen durch eine höhere Bewertung des Mannes. Dieses deutliche Hierarchie-Gefälle, demnach der Mann eindeutig über der Frau steht, ist in Luthers Augen schon vor dem Sündenfall offensichtlich. Denn bereits Eva habe einen »schwächeren Sinn und Verstand« als Adam gehabt. Und wiewohl Eva eine vortreffliche Creatur und Adam gleich gewesen ist, was da belanget das Bild Gottes, das ist die Gerechtigkeit, Weisheit und Seligkeit: so ist sie dennoch ein Weib gewesen. Denn gleichwie die Sonne ein herrlicher und edler Geschöpf ist, denn der Mond (wiewohl der Mond auch sehr trefflich und herrlich ist): so war das Weib an der Ehre und Würde dem Mann auch nicht gleich, ob es gleich ein sehr schönes Werk Gottes war.

Darum ist Gott, Luthers Meinung nach, auch vornehmlich in Adam zu erkennen. Luthers Logik zufolge wäre hier zu sagen: Alle sind gleich, aber manche sind gleicher. Martin Luther und seine Sicht der Frau

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Weil die Frau das schwächere Geschlecht ist, hat der Teufel in Form der Schlange sie angegriffen und seine Verführung war erfolgreich, während das gleiche Ansinnen beim Manne hätte scheitern müssen. »Darnach wird diese Listigkeit auch an dem gemerkt, dass der Satan die menschliche Natur allda angreift, da sie am schwächsten ist, nämlich die weib­liche Person, Eva, und nicht den Mann, Adam. … Denn gleichwie sonst in der ganzen Natur die männliche Kraft die weibliche übertrifft: so ist auch in der vollkommenen Natur der Mann etwas über dem Weibe gewesen… Und ich glaube auch, dass der Teufel Adam erstlich hätte versucht und angegriffen, würde Adam gewonnen haben.« Waren Mann und Frau, laut Luther, schon vor dem Sündenfall in ihrer Würde unterschieden, so hatte die Frau zumindest die gleiche Machtstellung wie der Mann und war ihm gegenüber frei. Nach dem Sündenfall wird sie als Strafe für ihre Sünde der Macht des Mannes unterworfen und ihr Einflussbereich bezieht sich jetzt ausschließlich auf das Haus, während außerhäusliche Herrschaft und Regierung allein dem Mann zusteht. Schon in Luthers Schriften ist also eine gewisse Ambivalenz in seinen Äußerungen zu Frauen festzustellen. Diese Widersprüchlichkeit tritt in den Tischreden noch stärker hervor. Neben Lob und Achtung für Frauen finden sich ebenso frauenfeindliche Aussprüche des Wittenberger Theologieprofessors, die seine eigenen Worte Lügen strafen, dass man über Frauen nicht schlecht reden solle, da sie Geschöpfe Gottes seien. Diese starke Diskrepanz in der Bewertung von Frauen mag in der besonderen Situation bei Tisch begründet sein, da er sich hier in geselliger Runde bei Bier und gutem Essen wohl eher spontan äußerte und seine Worte an manchen Stellen nicht allzu kritisch wählte. So kann Luther einerseits die Frau loben als Quelle allen Lebens und sie den »höchsten Schatz« nennen, denn sie sei ein Geschenk Gottes und ihre Liebe für den Mann das Schönste auf Erden. Er gesteht den Frauen sogar zu, dass sie in Glaubensdingen eifriger seien als Männer und fester glaubten. »Magdalena war hertzenhafftiger denn Petrus«, lautet z. B. eines seiner Urteile über die beiden wichtigen Gefährten Jesu, Maria Magdalena und Simon Petrus. Andererseits zieht Luther auch in seinen Tischreden eindeutige Grenzen für Frauen. So soll die Frau im Haushalt regieren und über Angelegenheiten, die den häuslichen Bereich betreffen, ver196 

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mag sie auch mit Verstand zu reden. Alles, was jedoch über den Haushalt hinausgehe, sei nicht ihr Bereich, sondern das Terrain des Mannes, da die Frau auf diesem Gebiet nur unordentlich und kindisch rede. Überhaupt stehe es einer Frau nicht an, klug zu reden, denn »es ist kein Rock, der einer Frauen oder Jungfrauen so übel ansteht, denn wenn sie klug will sein.« Der vermeintlich geringere Verstand der Frau und ihre Aufgabe, ausschließlich im Haus zu wirken, ist seiner Meinung nach auch schon am Körperbau abzulesen. Männer hätten eine breite Brust, was von großem Verstand zeuge, Frauen dagegen eine enge Brust, was gemäß seiner Logik auf wenig Verstand hinweise. Demgegenüber hätten Frauen breite Hüften, weshalb sie dafür prädestiniert seien, zu Hause zu sitzen und Kinder aufzuziehen. Die breiten Hüften zeugten darüber hinaus auch davon, dass aus Frauen mehr Unflat hervorgehe als aus Männern, die ja enge Hüften hätten. Bei dieser Sicht der Frau nimmt es nicht Wunder, dass in den Augen des Wittenberger Reformators eine Frau nicht regieren könne. Wo Frauen regiert hätten, so sein Argument, sei es selten gut ausgegangen. Dies sei schon beim Sündenfall zu erkennen, denn als Adam allein regiert habe, wäre alles gut gewesen, mit der Frau dagegen sei das Übel gekommen, da sie habe mitregieren wollen. Daher, so seine Schlussfolgerung: Die Frau ist ausgeschlossen von der Leitung im politischen Regiment und in der Kirche, ihr kommt die Leitung allein im dritten Stand, dem Hausstand, zu. In seinem Briefwechsel wiederum begegnen wir einem Luther, der oftmals anders handelte, als er dachte. Denn wir finden in seiner erhaltenen Korrespondenz mit Frauen nicht selten ein dokumentiertes Verhalten, das von den bislang skizzierten Äußerun­ gen und Argumenten deutlich abweicht. So findet sich z. B. in den Briefen an seine eigene Frau Katharina von Bora nichts, was die ihr zukommende Würde und Achtung schmälert. Im Gegenteil. Er betraut sie mit wichtigen Aufgaben. Die erhaltenen ins­gesamt 21 Briefe, die Luther seiner Ehefrau schrieb, geben einen Einblick in ihr Verhältnis. Leider ist keiner von Katharina von Boras Briefen an ihren Mann erhalten geblieben. In der Korrespondenz ­Luthers an seine Frau geht es neben familiären Angelegenheiten auch um kirchenpolitische Ereignisse. So berichtet Luther vom Marburger Religionsgespräch 1529 mit Zwingli, Oekolampad und Bucer und Martin Luther und seine Sicht der Frau

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informiert sie über lateinisch verfasste, unterschiedliche theologische Stellungnahmen. Von der Feste Koburg schreibt er ihr, sie solle sich Briefe Bugenhagens vorlesen lassen. War Luther nicht in Wittenberg, hatte Katharina von Bora unterschiedliche Funktionen wahrzunehmen. Sie vermittelte zwischen ihm und den in der Stadt gebliebenen Kollegen die neuesten Nachrichten, verhandelte mit seinen Druckern und beaufsichtigte den Umbau des Schwarzen Klosters, in dem die Familie lebte. Luther fand für seine Frau viele Bezeichnungen, angefangen von »Herrn Katharina« über »Frauen auf dem Saumarkt«, in Anspielung auf ihren Grundbesitz, und »Richterin« bis hin zu »tief­ gelehrter Frau«. In seinen Briefen an Katharina ist keine der Adressen identisch mit einer anderen. Katharina von Bora wirtschaftete selbständig und erwarb eigene Besitzungen. Mit dem Verkauf von selbstgebrautem Bier machte sie manchen Gewinn und trug damit zum Lebensunterhalt der Familie bei. Luther erbat ihren Rat sogar bei der Auswahl eines rechten Kandidaten für das Predigtamt. »Da magstu auch als eine kluge Frau und Doctorin … helfen und raten, welcher unter den Dreyen sich wolle be­reden lassen«, schrieb er ihr. In seinen veröffentlichten Schriften verwies Luther Frauen auf ihr Dasein als Ehefrau und Mutter. Allein auf dem Gebiet der Haushaltung seien sie kompetent, außerhäusliche Bereiche sollten sie dem Mann und seiner Herrschaft überlassen. In seiner privaten Korrespondenz zeigt sich dagegen ein sehr viel differenzierteres Bild. So findet sich in keinem der erhaltenen Schriftstücke über den Briefwechsel mit Argula von Grumbach ein Wort des Tadels über deren Verhalten. Er kannte die Veröffentlichungen dieser Frau, die mit ihren Flugschriften Neuland für ihre Geschlechtsgenossinnen betrat und nicht daran dachte, sich auf Haushalt und Kindererziehung zu beschränken. Aktiv griff sie in die Auseinandersetzungen der frühen Reformationszeit ein, forderte eine ganze männliche Universität zum Disput heraus und kämpfte mit spitzer Feder für ihre durch eigenes Bibelstudium gewonnenen Erkenntnisse. Luther erkannte dies durch seine Äußerungen über sie auch sehr wohl an, denn er nannte sie eine »Jüngerin Christi« und ein »besonderes Werkzeug Christi«. Katharina Zell in Straßburg bat er brieflich, nachdem es 1530 auf dem Augsburger Reichstag zu einer Annäherung der unterschiedlichen reformatorischen Lehr198 

Martin Luther und seine Sicht der Frau

meinungen gekommen war, sie solle doch eine heikle kirchen­ politische Aufgabe übernehmen und dabei helfen, die Einigung der Wittenberger und Straßburger Theologen dauerhaft zu festigen. Sehr widersprüchlich ist auch Luthers Verhalten in Bezug auf regierende Frauen. Obwohl er sie – laut Aussagen in den Tisch­ reden – nicht für fähig hält zu regieren, fordert er doch regierende Frauen dazu auf, in ihren Herrschaftsgebieten sich der Reformation anzunehmen. So bittet er Katharina von Sachsen um die regierungsamtliche Weiterführung der Visitation in ihrem Land, da ihr Mann »alt und schwach« sei. Maria von Ungarn, der Luther vier Psalmen mit Auslegung sandte, schrieb er: »E. K.M sollte frisch und fröhlich anhalten, das heilige Gotts Wort in Ungarnland zu fordern.« So sind Luthers Äußerungen zu Frauen widersprüchlich und von einer starken Ambivalenz geprägt. Es finden sich zum einen Gedanken, die die Gleichwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann hervorheben, da beide Gottes Geschöpfe und sein Ebenbild sind. Mann und Frau werden in seiner Schrift »Vom ehelichen Leben« die gleichen Rechte und Pflichten zugestanden. Die Ehe ist für ­Luther eine Stiftung Gottes. Damit erfährt sie und mit ihr die verheiratete Frau eine ganz neue Wertschätzung, denn in der mittel­ alterlichen Kirche überwiegen die ehefeindlichen Auffassungen. Da die Kindererziehung für Luther »auf Erden das aller edelste, teuerste Werk« ist, wird die Frau, als deren Aufgabe es der Re­ formator ansah, Kinder zu bekommen und großzuziehen, in so hohem Maße gewürdigt, dass er sie sogar Apostel und Bischof nennen kann. Zudem hat sich Luther von Anfang an auch für die Bildung von Mädchen eingesetzt, wie er bereits 1524 in seiner Schrift »An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen« deutlich macht. Diesen positiven Ansätzen Luthers zu einer Würdigung von Frauen stehen jedoch zum anderen Äußerungen des Wittenbergers gegenüber, die deutlich machen, dass er den Gedanken der Gleichwertigkeit der Geschlechter vor Gott nicht konsequent durchgehalten hat. So ist der Mann »gottgleicher« als die Frau und mit dem von ihm gebrauchten Bild von Sonne und Mond für Mann und Frau formuliert Luther Gedanken, die exegetisch nicht zu halten sind, da sie keinerlei Anhalt am biblischen Text haben. Vielmehr Martin Luther und seine Sicht der Frau

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scheinen seine eigenen Vorurteile und die gängige Meinung seiner Zeitgenossen über Frauen und deren Inferiorität über sein von ihm so hoch gehaltenes Prinzip »sola scriptura« die Oberhand gewonnen zu haben. Hatte Luther in seiner frühen Reformationsschrift »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« aus dem Jahr 1520 zwar für das Priestertum aller Gläubigen wortgewaltig plädiert, so hat er die in dieser Schrift grundsätzlich angelegte Linie eines Priestertums auch für Frauen nicht weiter verfolgt. Er argumentiert in dieser Schrift: Da alle Christen gleichermaßen getauft sind, können sich auch alle rühmen Priester zu sein. »Alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes, und es ist zwischen ihnen kein Unterschied als allein des Amts halber«, schreibt er und folgert daraus: »Demnach also werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht.« Noch pointierter kann er sogar formulieren: »Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht jedem ziemt, solches Amt auszuüben.« Alle Christen sind also nach Luthers Auffassung gleichberechtigt in der Wahrnehmung ihres geistlichen Standes. Sie sollen Verantwortung für die Kirche übernehmen, selber in der Heiligen Schrift lesen und sie auslegen. Auch sollen sie dabei helfen, die offenkundigen gesellschaftlichen Missstände zu beseitigen. Mit dieser ersten großen reformatorischen Schrift wirkte Luther am stärksten in die Öffentlichkeit hinein, und es ist kein Wunder, dass sich unter den Vielen, die nun für die Reformation öffentlich ihre Stimme erhoben, auch etliche Frauen finden. Denn sie fühlten sich von Luthers Postulat des Priestertums der Gläubigen dazu er­ mutigt, als Laien und als Frauen ihre theologischen Erkenntnisse öffentlich zu machen.

Auswirkungen der Reformation auf Leben und Stellung der Frau

Die Haltung der mittelalterlichen Kirche Frauen gegenüber war

von einem deutlichen Dualismus geprägt. Auf der einen Seite gab es die jungfräulich lebende Nonne, deren Stand als höchster und vollkommenster galt. Auf der anderen Seite stand die Ehefrau, welche gleichsam ein Wesen zweiter Ordnung war. So bildeten verheiratete Frauen in einer mittelalterlichen Prozession die letzte Gruppe. Mit einem Tabu waren menstruierende, schwangere und stillende Frauen belegt, da sie in dieser Zeit vom Kirchenbesuch und der Teilnahme an der Kommunion ausgeschlossen waren. Nach der Geburt eines Mädchens wurde die Mutter zudem mit einem doppelt so langen Ausschluss vom Besuch der Kirche belegt wie bei der eines Jungen. Hier markiert die Reformation eine deutliche Zäsur. Denn ­Luther und seine Mitstreiter wurden nicht müde zu betonen, dass die Ehe eine von Gott gestiftete Institution sei, während dagegen Mönche und Nonnen in einem von Menschen erdachten Status lebten. So erfuhr die Ehefrau eine ganz neuartige Achtung und Schätzung. Um ihre in der Heiligen Schrift neu gewonnenen Erkenntnisse auch durch den eigenen Lebenswandel deutlich zu machen, heirateten die Reformatoren und werteten damit die Ehe und die in ihr lebenden Frauen deutlich auf. Die Liste der verheirateten Reformatoren reicht dabei von Luther über Zwingli und Calvin bis zu Oekolampad, Zell, Bucer und Capito. Die meisten von ihnen waren früher Mönche gewesen und heirateten nicht selten eine ehemalige Nonne. Diese Frauen hatten für sich das gänzlich neue Rollenbild der »Pfarrfrau« zu prägen und mit Leben zu erfüllen. Auch die Sexualität in der Ehe verlor den Ruch des Sündhaften, lautete doch Luthers These, dass Mann und Frau in der Ehe an ihren Körpern Freude haben sollten und die Sexualität daher in der Ehe keine Sünde sei. »Will man die Keuschheit der Ehe bewahren, Auswirkungen der Reformation auf Leben und Stellung der Frau

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so sollen Mann und Weib vor allem liebend und einmütig beieinander wohnen, so dass sie einander von Herzen und wahrhaft redlich lieben«, so seine Meinung. Mit dieser besonderen Betonung der gegenseitigen Liebe, der Zuneigung und Achtung bekommt auch die Familie eine neue Wertung. Frau und Mann sollen nicht allein um der Fortpflanzung willen eine Ehe schließen, sondern weil sie in Liebe einander zugetan sind. Die Frau als Ehefrau und Mutter war das neue reformatorische Ideal und so bemühten sich auch die Reformatoren selbst um ein beispielhaftes Familienleben. Kindererziehung und Hausarbeit waren dabei die Bereiche, in denen die Frau wirken sollte. Die Aufwertung der Ehe, ja, das neue Ideal der Eheschließung bedeutete auch eine ganz neue soziale Stellung für die sogenannten »Priestermetzen«. Dies waren Frauen, die illegitim, also unverheiratet und ohne kirchlichen Segen, mit einem Priester zusammenlebten und deren Anzahl beträchtlich war. So stammte z. B. der führendste Humanist seiner Zeit und weltgewandte Gelehrte Erasmus von Rotterdam aus solch einer Verbindung, war sein Vater doch Priester und seine Mutter die Tochter eines Arztes gewesen. Seit dem 11. Jahrhundert hatte die katholische Kirche ihren Priestern die Ehelosigkeit, das Zölibat, auferlegt. Sie duldete aber mehr oder weniger offen das Priesterkonkubinat. Für ihre unerlaubten Beziehungen zu Frauen mussten Geistliche vielerorts an ihre hierarisch Vorgesetzten eine vereinbarte finanzielle Entschädigung zahlen, von der Reformation als »Hurenzins« angeprangert. Durch die von den Reformatoren propagierte Priesterehe erlangten die bisher sozial niedrig stehenden »Priestermetzen« und ihre Kinder einen ganz neuen sozialen Status, denn ihre Beziehungen wurden nun legalisiert und die Ehe auch für Geistliche zum evangelischen Lebensmodell. Dieses Ideal der verheirateten Frau hatte aber auch seine Schattenseiten. Denn neben dem neu aufgewerteten Rollenmodell der Ehefrau und Mutter hatte die Reformation für Frauen nicht viel zu bieten, schon gar nicht für unverheiratete Frauen. Dabei bestand auch am Beginn der Neuzeit nach wie vor das Problem eines Frauenüberhangs, so dass es in den Städten mindestens 10 Prozent mehr Frauen als Männer gab. Waren die Klöster für unverheiratete Frauen eine Alternative gewesen, in der sie in einer weiblichen Gemeinschaft religiösen 202 

Auswirkungen der Reformation auf Leben und Stellung der Frau

Halt, Bildung und Sicherheit fanden, so fiel in den reformierten Gebieten mit der Schließung der Klöster diese Möglichkeit weg, ohne dass in nennenswerter Form etwas Adäquates für Frauen geschaffen wurde. Auch ein geistliches Leitungsamt für Frauen, wie es beispielsweise die Äbtissin eines Klosters innehatte, gab es auf evangelischer Seite nicht mehr. Über weibliche Diakone wurde zwar im Laufe der Straßburger Reformation diskutiert, aber verwirklicht wurde die Idee nicht. Die Reformation hat für Frauen keine Ämter in der Kirche geschaffen, und es sollte Jahrhunderte dauern, bis sich dieses änderte. Durch die Fixierung der Frau auf den familiären Bereich wurde der Wirkungskreis von Frauen eingeschränkt, denn zumindest in den Städten des Hochmittelalters sind Frauen in der Stellung selbständiger Zunftmitglieder nachzuweisen. So fand nach der Einführung der Reformation das Modell der selbständigen weiblichen Existenz, einer Handwerkerswitwe beispielsweise, keine Akzeptanz mehr, vielmehr sollten Frauen sich schnell wieder verheiraten. Nach der Eheauffassung der Reformatoren hieß dies: Sich wieder einem Mann unterordnen. Dabei gab es im reformatorischen Gedankengut prinzipiell viele Motive, die zu einer größeren Emanzipation der Frauen hätten führen können. Einer der zentralen reformatorischen Überzeugungen, das »Priestertum aller Gläubigen«, bot das Potential auch für ein Priestertum von Frauen. Luther wollte eine Predigttätigkeit von Frauen aber nur im äußersten Notfall anerkennen, wie z. B. eine Predigttätigkeit in einem Nonnenkloster. Mit der Taufe verhielt es sich ähnlich. In den Kirchenordnungen, die Johannes Bugenhagen verfasste, findet sich die Nottaufe, beispielsweise durch Hebammen. Es mag auch praktische Erwägungen gegeben haben, das Priestertum von Frauen gar nicht erst in Betracht zu ziehen. Die vielen Mönche, die zu Beginn der Reformation ihre Klöster verließen, hatten es schon schwer genug, eine geeignete Anstellung als Pastor zu finden. Innerhalb weniger Jahre war auf einmal ein beträchtlicher Überschuss an Geistlichen entstanden. Da war es gesellschaftlich gesehen einfacher, die ehemaligen Nonnen zu einer Eheschließung zu motivieren. Es mag auch sein, dass ein weib­liches Priesteramt bei der allgemeinen Geringschätzung von Frauen für manche Reformatoren zu viel Sprengkraft in sich barg und die Auswirkungen der Reformation auf Leben und Stellung der Frau

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Furcht bestand, solch eine Neuerung würde der evangelischen Sache insgesamt mehr schaden als nutzen. Jedenfalls wurde dieser Gleichheitsgedanke in Bezug auf ein geistliches Amt für Frauen von den Reformatoren nicht weiter aufgenommen. Auch einer der weiteren Grundsätze der Reformation, das Schriftprinzip, bot Emanzipationsmöglichkeiten für Frauen. Denn jede Christin, jeder Christ sollte selber in der Bibel lesen und sich ein Urteil bilden. Damit dies nicht erst nach einem langwierigen Studium des Hebräischen, Griechischen oder Lateinischen möglich war, übersetzte Luther bekanntlich die Bibel in die deutsche Sprache. Damit war ein Medium geschaffen für eine breite theologische Diskussion auch unter Laien. Gerade zu Beginn der Reformation ließen sich von diesem Schriftprinzip nicht wenige Frauen dazu ermutigen, ihre theologischen Erkenntnisse selbstbewusst und wortgewandt in die Auseinandersetzungen ihrer Zeit einzubringen. Die Flugschriften einer Argula von Grumbach, die Streitschrift einer Ursula Weyda, aber auch die theologischen Schriften einer Katharina Zell waren nun möglich geworden. So ist festzuhalten: In den theologischen Grundsätzen der Reformation lag von Beginn an auch das Potential einer wirklichen Emanzipation und Partizipation von Frauen innerhalb der evangelischen Kirche. Nach den Aufbrüchen der frühen Reformations­ zeit folgten aber Jahrhunderte der Stagnation. Erst durch die Frauen­bewegung des 20. Jahrhunderts, zu der auch Frauen in der Kirche ihren Beitrag leisteten, verwirklichte die evangelische Kirche in Deutschland diese Möglichkeiten einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern am Leben und Wirken der Kirche.

Zeittafel

um 1466 Erasmus von Rotterdam in den Niederlanden geboren 21. März 1467 Caritas Pirckheimer als Barbara Pirckheimer in Eichstätt geboren 1479

Caritas Pirckheimer wird in Nürnberg in das Klarissenkloster gegeben

10.11.1483 Martin Luther in Eisleben geboren zwischen 1491 u. 1495

Ursula von Münsterberg als Enkelin des böhmi‑ schen Königs Georg Podiebrad geboren

1492

Argula von Grumbach auf der Burg Ehrenfels in Franken als Argula von Stauff geboren

um 1497

Katharina Zell in Straßburg als Katharina Schütz geboren

um 1500

Elisabeth Cruciger im Grenzgebiet zwischen Pommern und Polen als Elisabeth von Meseritz geboren

1501

Martin Luther beginnt sein Studium an der Universität Erfurt

1502

Eintritt Martin Luthers in das Augustiner-Eremiten-Kloster in Erfurt

1510/11

1503

Caritas Pirckheimer wird zur Äbtissin des St. Klara-Klosters in Nürnberg gewählt

1503

Jeanne de Jussie in der Nähe von Genf geboren

um 1504

Ursula Weyda in Altenburg als Ursula von Zschöpperitz geboren

1504

Wibrandis Rosenblatt in Säckingen geboren

um 1506

Florentina von Oberweimar geboren

Reise Luthers nach Rom

Zeittafel

205 

24.8.1510

Elisabeth von Calenberg-Göttingen in Cölln als Elisabeth von Brandenburg geboren

1511

Beginn der Vorlesungen Luthers an der Universität in Wittenberg

1514

Luther wird Prediger an der Stadtkirche in Wittenberg

1517

Martin Luther veröffentlicht in Wittenberg seine 95 Thesen; Ablassstreit; Anzeige in Rom

1518

Einleitung des Ketzerprozesses gegen Luther; Verhör in Augsburg und Entlassung Luthers aus der Gehorsamspflicht des Augustinerordens; Berufung Philipp Melanchthons an die Universität Wittenberg

1519

Ulrich Zwingli Pfarrer am Großmünster in Zürich; Tod Kaiser Maximilians I. und Wahl Karls V. zum neuen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation

1520

Luther schreibt seine reformatorischen Hauptschriften; Bannandrohungsbulle und Verbrennungen von Luthers Schriften; Verbrennung der Bulle und des kanonischen Rechts durch ­Luther

1521

Verhängung des Bannes über Luther; Vorladung vor den Reichstag zu Worms; Wormser Edikt: Verhängung der Reichsacht gegen Luther und Verbot seiner Lehre und Schriften

1521/22

Luther hält sich auf der Wartburg auf und übersetzt das Neue Testament; Unruhen in Wittenberg

1522

Rückkehr Luthers von der Wartburg

1523

Einführung der Reformation in Zürich; Verbrennung der ersten evangelischen Märtyrer in Brüssel

206 

1523/24

Florentina von Oberweimar flieht aus dem Kloster Neu-Helfta

1523/24

Veröffentlichung von insgesamt sieben Flugschriften Argulas von Grumbach, darunter u. a. ihr Sendbrief an die Universität in Ingolstadt

1524

Katharina Zell veröffentlicht ihre »Entschuldigung für Matthäus Zell« sowie einen Trostbrief an die Frauen in Kenzingen

1524

Ursula Weyda veröffentlicht ihre Streitschrift gegen einen katholischen Abt

Zeittafel

1524

1524

Martin Luther gibt die Flugschrift »Eyn Geschicht wie Got eyner Erbarn kloster Jungfrawe ausgeholfen hat« heraus, in der Florentina von Oberweimar als eine der ersten geflohenen Nonnen ihr Schicksal schildert

1524

Beginn der Aufzeichnungen »Denkwürdigkeiten« der Äbtissin Caritas Pirckheimer

Beginn der Auseinandersetzungen mit den Schwärmern 1524

1525

Bauernkrieg; Tod Thomas Müntzers; Hochzeit des ehemaligen Mönchs Martin Luther mit der ehemaligen Nonne Katharina von Bora 1525

1526

Elisabeth Cruciger schreibt ihr Kirchenlied: »Herr Christ, der einig Gotts Sohn«

Caritas Pirckheimer und Philipp Melanchthon treffen sich zu einem Gespräch in Nürnberg

1. Reichstag zu Speyer mit Aussetzung des Wormser Edikts: Reichsstände verantworten vor Gott und Kaiser die Religionszugehörigkeit 1526

Die Klarissin Jeanne de Jussie lässt mit diesem Jahr ihre »Kleine Chronik« der Geschehnisse in Genf beginnen

1526

Olympia Fulvia Morata in der italienischen Stadt Ferrara geboren

1528

Ursula von Münsterbergs Rechtfertigung zum Verlassen ihres Klosters erscheint mit einem Nachwort von Martin Luther

1529

2. Reichstag zu Speyer: Protest der evangelischen Minderheit (»Protestanten«) gegen die Absicht Kaiser Karls V., das Wormser Edikt wieder einzusetzen, wodurch die evangelische Seite durch Mehrheitsbeschluss zur katholischen Konfession hätte zurückkehren müssen; Marburger Religionsgespräche: Auf Einladung Philipps von Hessen treffen sich u. a. Martin ­Luther, Philipp Melanchthon, Ulrich Zwingli, Martin Bucer und ­Johannes Oekolampad

1530

Reichstag zu Augsburg; Die lutherische Seite hält im Augsburger Bekenntnis (»Confessio Augustana«) gegenüber Kaiser Karl V. ihre grundlegenden Überzeugungen fest, die einen Teil der lutherischen Bekenntnisschriften bilden; Luther auf der Feste Coburg Zeittafel

207 

1531

Tod Ulrich Zwinglis und Johannes Oekolampads

1534/35

Reich der Wiedertäufer in Münster

19. 8.1532

Caritas Pirckheimer in Nürnberg gestorben

1534

Katharina Zell gibt ein Liederbuch heraus

2.5.1535

Elisabeth Cruciger in Wittenberg gestorben

29.8.1535

Die Nonnen des Genfer Klosters Sainte-Claire verlassen unter Schutz ihr Kloster und gehen ins Exil nach Annecy

12.7.1536 Erasmus von Rotterdam in Basel gestorben 1541

Einführung der Reformation in Genf durch Johannes Calvin; Tod von Wolfgang Capito in Straßburg 1542

Elisabeth von Calenberg-Göttingen führt in ihrem Gebiet die Reformation ein und erlässt eine Kirchenordnung, für die sie selber ein Vorwort schreibt

1545

Elisabeth von Calenberg-Göttingen verfasst zu dessen Regierungsantritt ein Buch für ihren Sohn Erich II.

1546

18. Februar Tod Luthers in Eisleben; Beginn des Schmalkal­ dischen Krieges: Kaiser Karl V. kämpft gegen den Schmalkaldischen Bund, ein Bündnis protestantischer Landesfürsten und Städte, um die Anerkennung des Protestantismus zu verhindern

1547

Niederlage der Protestanten gegen Kaiser Karl V. im Schmalkaldischen Krieg

1548

Reichstag in Augsburg mit Annahme des Augsburger Interims: Bis auf das Zugeständnis des Laienkelchs und der Priesterehe an die Protestanten Wiedereinführung der katholischen Auffassung in Lehre und Brauch 1550

Elisabeth von Calenberg-Göttingen verfasst für ihre Tochter Anna Maria eine Ehestandsbuch

1550

Olympia Fulvia Morata reist von Italien nach Deutschland

1551

Tod von Martin Bucer in Cambridge

1552

Fürstenverschwörung gegen den Kaiser und Sieg über Karl V.; im Passauer Vertrag wurde den Protestanten ein Stillstand gewährt

208 

Zeittafel

1553

Schlacht von Sievershausen 1554

1555

Augsburger Religionsfrieden: besiegelt die konfessionelle Spaltung des Deutschen Reiches 26.10.1555

1556

Argula von Grumbach auf Schloss Zeilitzheim bei Schweinfurt gestorben

Olympia Fulvia Morata in Heidelberg gestorben

Kaiser Karl V. dankt ab 1557

Katharina Zell veröffentlicht ihren Briefwechsel mit Ludwig Rabus

25.5.1558

Elisabeth von Calenberg-Göttingen in Ilmenau gestorben

1558

Katharina Zell veröffentlicht eine Auslegung des Vaterunser sowie des 51. Psalms

1558

Die Werke und Briefe Olympia Fulvia Moratas erscheinen in Basel

1561

Jeanne de Jussie in Annecy gestorben

5.9.1562

Katharina Zell in Straßburg gestorben

1.11.1564

Wibrandis Rosenblatt in Basel gestorben

um 1570

Ursula Weyda in Altenburg gestorben

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen, 91982 Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg: Der Durchleuchtigen / Hochgebornen Fürstin un Frawen / Frawen Elizabeth geborne Marckgräffin zu Brandenburg etc. Hertzogin zu Braunßweig und Leunenberg beschlossen und verwilligtes Mandat / in jrem fürstenthumb gottes wort auffzurichten / und irrige / verfürte leer außzurotten / belanget, 1542 Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg: Unterrichtung und ordnung, unser, von gots gnaden, Elisabeth, geborne marggrefin zu Brandenburg etc., hertzogin zu Braunschweick und Lüneburck etc., witwe, so wir aus gantz mutterlicher wolmeinung und getreuem hertzen dem hochgebornen fursten, herrn Erich, hertzogen zu Braunschweick und Luneburg, unserm freuntlichen, hertzlieben son, zu kunftiger und angehender regierung, in seinem regiment, wie er scih in dasselbige gegen got seliglich und in weltlichen regiment gegen jdermeniglich richten und schicken sol, zu freuntlicher / und nutzlicher underrichtung und gefallen gestalt haben, 1545 Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg: Ein freuntlicher und mutterlicher underricht, unser von gottes gnaden Elisabet, geporne marggrefin zu Brandenburg, grefin und frauen zu Hennenberg, so wir aus gantz mutterlicher liebe und wohl meinendem hertzen der hochgebornen furstin und frauen Anna Maria, geporne hertzogin zu Braunschweick und Lunenburg, marggrefin zu Brandenburg, in Preussen / hertzogin etc. unser hertzgelibten tochter, zu irem angefangenen ehestande zu ehren und besten gestalt haben, 1550 Argula von Grumbach: Ain Christenliche schrifft ainer Erbarn frawen /  vom Adeln darin sy alle Christliche stendt und obrikayten ermant /  Bey der warhait / un dem wort Gottes zu bleyben / und solchs auß Christlicher pflicht zu ernstlichsten zu handthaben, 1523 Argula von Grumbach: An ain Ersamen Weysen Radt der stat Ingolstat /  ain sandtbrieff / von Fraw Argula von grunbach geborne von Stauffen, 1523

210 

Quellen- und Literaturverzeichnis

Argula von Grumbach: An den Edlen und gestrengen herren / Adam von Therin der Pfaltzgrauen stathalter zu Newburg. Ain sandtbrieff von fraw Argula von Grunbach geborne von Stauffen, 1523 Argula von Grumbach: Dem Durchleüchtigisten Hochgebornen Fürsten und herren / Herrn Friderichen / Herzogen zu Sachssen / des hayligen Römischen Reychs Ertmarschalck und Churfürsten / Landtgrauen in Düringen / unnd Marggrauen zu Meyssen / meynem Gnedigisten herren, 1523 Argula von Grumbach: Dem Durchleüchtigen hochgebornen Fürsten und herren / Herrn Johansen / Pfaltzgrauen bey Reyn / Hertzoge zu Beyern /  Grafen zu Spanhaym, 1523 Argula von Grumbach: Eyn Antwort in gedichtß weiß / ainem  d hohen Schul zu Ingolstadt / auff ainen spruch / newlich von jm außgangen /  welcher hynden dabei getruckt steet, 1524 Argula von Grumbach: Wye ein Christliche fraw des adels / in Beyern durch iren / in Gotlicher schrifft / wolgegrundtenn Sendtbrieffe / die hohenschul zu Ingolstat / umb das sie eynen Euangelischen Jungling /  zu widersprechung des wort Gottes / betrangt haben / straffet, 1523 Martin Luther: Ein Traubüchlein für die einfältigen Pfarrherr, 1529, Werke, Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe, WA), 1910 Martin Luther: Briefwechsel, WA Br 1–18, Weimar 1930–1985 Martin Luther: Genesisvorlesung, 1535–1545, WA 42–44, Weimar 1911–1915 Martin Luther: Tischreden, WA Ti1–6, Weimar 1912–1921 Martin Luther: Vom ehelichen Leben, 1522, WA 10, II, 267–304, Weimar 1907 Martin Luther: Wider das blind und toll Verdammniß der siebenzehn Artikel von der elenden schändlichen Universität zu Ingolstadt ausgangen, 1524, WA 15, 95–125, Weimar 1899 Martin Luther Studienausgabe: 6 Bände, hg. von Hans-Ulrich Delius, Berlin und Leipzig 1979–1999 Ursula von Münsterberg: Frau Ursulen, Herzogin zu Münsterberg, christliche Ursachen des verlassenen Klosters zu Freiberg, 1528 Florentina von Oberweimar: Eyn geschicht wie Got eyner Erbarn kloster Jungfrawen ausgeholffen hat, 1524 Ursula Weyda: Wyder das unchristlich schreyben un Lesterbuch / des Apts Simon zu Pegaw unnd seyner Brüder. Durch Ursula Weydin Schösserin zu Eyssenberg / Eyn gegründe Christlich schrifft Götlich wort und Ehelich leben belangende, 1524 Katharina Zell: Briefwechsel Frauen Catharina Zellin von Straßburg, und Herrn Ludwig Rabus, Superintendenten zu Ulm, in: Beyträge zur Erläuterung des Kirchen-Reformations-Geschichten des Schweitzerlandes, V. Teil, hg. von J. C. Füsslin, Zürich 1753, S. 191–354 Katharina Zell: Den leydenden Christglaubigen weybern der gemain zu Kentzingen meinen mitschwestern in Christo Jhesu zu handen, 1524 Quellen- und Literaturverzeichnis

211 

Katharina Zell: Den Psalmen Miserere / mit dem Khünig David bedacht /  gebettet / und paraphrasiert von Katharina Zellin M. Matthei Zellen seligen nachgelassne Ehefraw / sampt dem Vater unser mit seiner erklärung / zugeschickt dem Christlichen mann Juncker Felix Armbruster /  Zum trost in seiner kranckheit / und andern angefochtenen hertzen und Concientzen / der sünd halbe betrübt. In truck lassen kommen, 1558 Katharina Zell: Entschuldigung Katharina Schützinn, 1524 Katharina Zell: Ein Brieff an die gantze Burgerschafft der Statt Straßburg, 1557 Katharina Zell: Klag red und ermahnung Catharina Zellin zum volk bey dem grab m: Matheus Zellen pfarer zum münster zu Straßburg, 1548

Literatur Roland Bainton: Frauen der Reformation: Von Katharina von Bora bis Anna Zwingli, Gütersloh 1996 Gisela Brandt: Ursula Weyda – prolutherische Flugschriftenautorin (1524): soziolinguistische Studien zur Geschichte des Neuhochdeutschen, Stuttgart 1998 Gisela Brinder-Gabler (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 1. München 1988, S. 113–148; 481–483; 521–523 Susanna Burghartz: Wibrandis Rosenblatt – Die Frau der Reformatoren, in: Johannes Oekolampad, Wibrandis Rosenblatt und die Reformation in Stadt und Landschaft Basel, Basel 2005, S. 30–42 Christine Christ-von Wedel: Erasmus als Promoter neuer Frauenrollen, in: Rebecca A. Giselbrecht, Sabine Scheuter (Hg.), »Hör nicht auf zu singen«, Zeuginnen der Schweizer Reformation, Zürich 2016, S. 29–58 Reinhard Düchting u. a. (Redaktion): Olympia Fulvia Morata. Stationen ihres Lebens: Ferrara  – Schweinfurt  – Heidelberg. Katalog zur Ausstellung im Universitätsmuseum Heidelberg 1998. Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 1998 Evangelische Frauen in Mitteldeutschland (Hg.): Frauen der Reformation in der Region, Katalog zur Wanderausstellung, Halle³ 2014 Helmut Feld (Hg.): Jeanne de Jussie, Kleine Chronik, Bericht einer Nonne über die Anfänge der Reformation in Genf, Mainz 1996 Silke Halbach: Argula von Grumbach als Verfasserin reformatorischer Flugschriften, in: Europäische Hochschulschriften 468, Frankfurt / Main 1992 Maria Heinsius: Das unüberwindliche Wort – Frauen der Reformationszeit, München 1951 Niklas Holzberg: Olympia Morata, in: Fränkische Lebensbilder, Bd.  10, Würzburg 1982, S. 141–156

212 

Quellen- und Literaturverzeichnis

ders: Olympia Morata und die Anfänge des Griechischen an der Universität Heidelberg, in: Heidelberger Jahrbücher 31, 1987, S. 77–93 Martin H. Jung: Die Reformation – Theologen, Politiker, Künstler, Göttingen 2008 ders: Nonnen, Prophetinnen, Kirchenmütter: Kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliche Studien zu Frauen der Reformationszeit, Leipzig 2002 Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation, Frankfurt / Main und Leipzig 2009 Margaret L. King: Frauen in der Renaissance, München 1993 Klosterkammer Hannover (Hg.): Poesie und Stille. Schriftstellerinnen schreiben in Klöstern, Göttingen 2009 Marion Kobelt-Groch: Aufsässige Töchter Gottes: Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen. Frankfurt / Main 1993 Diarmaid MacCulloch: Die Reformation 1490–1700, München 2008 Inge Mager: Elisabeth von Brandenburg  – Sidonie von Sachsen. Zwei Frauenschicksale im Kontext der Reformation von Calenberg-Göttingen, in: 450 Jahre Reformation im Calenberger Land, Festschrift des Ev.-luth. Kirchenkreises Laatzen-Pattensen 1992 Elsie A. McKee (Hg.): Katharina Schütz Zell, Leiden 1998 Josef Pfanner (Hg.): Die Denkwürdigkeiten der Äbtissin Caritas Pirckheimer, Caritas Pirckheimer – Quellensammlung, 2. Heft, Landshut 1962 Babette Reichert: Zwischen Sprechgitter und Pforte, Räumliche Zuord­ nungen und die Produktion von Gemeinschaft in den Klausurbeschrei­ bungen der Genfer Klarissenchronik (1534–46), in: Silke Förscher, Rebekka Habermas, Nikola Roßbach (Hg.), Verorten – Verhandeln – Verkörpern, Interdisziplinäre Analysen von Raum und Geschlecht, Bielefeld 2014, S. 17–40 Georg Schwaiger: Mönchtum, Orden, Klöster. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München² 1994 Elisabeth Schneider-Böklen: Elisabeth Cruciger, die erste Dichterin des Protestantismus, in: Gottesdienst und Kirchenmusik, Heft 2 / 1994, S. 32 ff Elisabeth Schneider-Böklen: Der Herr hat Großes mir getan – Frauen im Gesangbuch, Stuttgart 1995, S. 11–26 Ernst Staehelin: Frau Wibrandis, Leipzig, Berlin 1934 Katharina Talkner, Sr. Katharina Schridde (Hg.): Mit Lust und Liebe. Das Elisabeth-Brevier, Hannover 2009 Maike Vogt-Lüerssen: Frauen in der Renaissance, 30 Einzelschicksale, Norderstedt 2006 Julia von Grünberg: Caritas Pirckheimer und das Zeitalter der Reformation, Weinheim / Basel 2001 Dorothea Vorländer: Olympia Fulvia Morata – eine evangelischen Humanistin in Schweinfurt, in: Zeitschrift für bayrische Kirchengeschichte 39, 1970, S. 95–113 Quellen- und Literaturverzeichnis

213 

Sylvia Weigelt: »Der Männer Lust und Freude sein«, Weimar und Eisenach 2011 Gertrud Weiß-Hählin: Olympia Fulvia Morata in Schweinfurt, in: Zeitschrift für bayrische Kirchengeschichte 30, 1961, S. 175–183 Alice Zimmerli-Witschi: Frauen in der Reformationszeit, Zürich 1981 Stefan Zweig: Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam, Köln 2016

Bildnachweise

Abb. 1: Titelblatt der Flugschrift »Wye ein Christliche fraw des adels / in Beyern durch iren / in Gotlicher schrifft / wolgegrundtenn Sendtbrieffe / die hohenschul zu Ingolstat / umb das sie eynen Euangelischen Jungling / zu widersprechung des wort Gottes / betrangt haben / straffet«, 1523, © Her­zog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: Yv 2714.8° Helmst. (4) Abb. 2: Schaumünze »Argula von Grumbach«, © Stadtarchiv Ingolstadt Abb. 3: Titelblatt der Flugschrift: »Wyder das unchristlich schreyben un Lesterbuch / des Apts Simon zu Pegaw unnd seyner Brüder. Durch Ursula Weydin Schösserin zu Eyssenberg / Eyn gegründe Christlich schrifft Götlich wort und Ehelich leben belangende«, 1524, © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: 104.16 Quod. (10) Abb. 4: Titelblatt der Schrift: »Den Psalmen Miserere / mit dem Khünig David bedacht / gebettet / und paraphrasiert von Katharina Zellin M. Matthei Zellen seligen nachgelassne Ehefraw / sampt dem Vater unser mit seiner erklärung / zugeschickt dem Christlichen mann Juncker Felix Armbruster / Zum trost in seiner kranckheit / und andern angefochtenen hertzen und Concientzen / der sünd halbe betrübt. In truck lassen kommen 1558«, © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: 1133 Theol. (3) Abb. 5: Holzschnitt aus »Ayn bezwungene antwort vber eynen Sendtbrieff / eyner Closter nunnen / an jr schwester imm Eelichen standt zuogeschickt / darinn sy jr vil vergebner vnnützer sorg fürhelt / vnn jre gaistliche weißheit vnn gemalte hayligkait zuo menschlichem gesicht aff mutzet«, 1524, Privatsammlung Martin H. Jung Abb. 6: Titelblatt der Schrift: »Frau Ursulen, Herzogin zu Münsterberg, christliche Ursachen des verlassenen Klosters zu Freiberg«, 1528, © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: Li 5530 (53/1023) Abb. 7: »Eltern geben ihre Tochter in ein Kloster«, Geiler von Kaysersberg, Johannes in: Pauli, Johannes: Die brösamlin doct. keiserspergs: Vn[d] sagt vo[n] de[n] funfftzehen Hymelschen staffelen Bildnachweise

215 

die Maria vff gestigen ist vn[d] ga[n]tz von de[n] vier Leuwengeschrei …; nutzlich vnd gut den mensche[n], die … dardurch gebesseret werde[n], Bildnr. 236, © Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Res / 2.P.lat. 843 und 2 P.lat. 844, in: http:// daten.digitale-sammlungen.de/bsb00009582/image_236 Abb. 8: Titelblatt der Flugschrift: Florentina von Oberweimar, »Eyn Geschicht wie Got eyner Erbarn kloster Jungfrawe ausgeholfen hat«. © Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: Res /  H.mon. 734 w., in: http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb000 27618/image_5 Abb. 9: Portrait of a Woman, said to be Caritas Pirckheimer (1467–1532), Albrecht Dürer, © bpk | Metropolitan Museum of Art, New York Abb. 10: Deutschland, ca. 1979, Briefmarke mit Hildegard von Bingen mit Manuskript, Benediktiner-Nonne,© shutterstock Abb. 11: Portrait Wibrandis Rosenblatt, © Universitätsbibliothek Basel Abb. 12: Holzschnitt aus »Der Durchleuchtigen / Hochgebornen Fürstin un Frawen / Frawen Elizabeth geborne Marckgräffin zu Brandenburg etc. Hertzogin zu Braunßweig und Leunenberg beschlossen und verwilligtes Mandat / in jrem fürstenthumb gottes wort auffzurichten / und irrige / verfürte leer außzurotten /  belanget«, 1542, © Klosterkammer Hannover Abb. 13: Autograph Elisabeth von Calenberg-Göttingens, © Klosterkammer Hannover Abb. 14: Portrait Olympia Fulvia Morata, © Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Abb. 15: Portrait des Erasmus von Rotterdam, Albrecht Dürer, 1526, © shutterstock