208 22 89MB
German Pages 304 [312] Year 1991
Linguistische Arbeiten
257
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese
Fragesätze und Fragen Referate anläßlich der 12. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft, Saarbrücken 1990
Herausgegeben von Marga Reis und Inger Rosengren
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Fragesätze und Fragen : Saarbrücken 1990 / hrsg. von Marga Reis und Inger Rosengren. Tübingen : Niemeyer, 1991 (Linguistische Arbeiten ; 257) (Referate anlasslich der ... Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft filr Sprrchwissenschaft ; 12) NE: Reis, Marga [Hrsg.]: 1. GT; Deutsche Gesellschaft für Sprachwissenschaft: Referate anlässlich der ...GT ISBN 3-484-30257-7
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG. Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Heinr. Koch, Tübingen
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT l
Marga Reis, Inger Rosengren
Einleitung
Helmut Rehbock
Fragen stellen - Zur Interpretation des Interrogativsatzmodus
13
Marga Reis
Echo-w-Sätze und Echo-w-Fragen
49
Dietmar Zaeffercr
Weiß wer was? Wer weiß was? Wer was weiß... w-Interrogative und andere w-Konstruktionen im Deutschen
77
Anita Steube
w-Wörter als Konnektoren in den sog. weiterführenden Nebensätzen der deutschen Gegenwartssprache
95
Use Zimmennann
Die subordinierende Konjunktion wie
113
Susanne Trissler
Infinitivische w-Phrasen?
123
Jürgen Pafel
Zum relativen Skopus von w- und Q-Phrasen (w/Q-Interaktion)
145
Inger Rosengren
Zur Fokus-Hintergrund-Gliederung im Deklarativsatz und im w-Interrogativsatz
175
Joachim Jacobs
Implikaturen und 'alte Information' in w-Fragen
201
Jörg Meibauer
Existenzimplikaturen bei rhetorischen w-Fragen
223
Wilhelm Oppenrieder
Zur intonatorischen Form deutscher Fragesätze
243
Margret Selting
w-Fragen in konversationellen FrageAntwort-Sequenzen
263
Helga Dorn-Mahler, Joachim Grabowski
Fragen, Aufforderungen und Intonation
289
Anschriften der Autoren
303
VORWORT
Die hier versammelten Beiträge gehen größtenteils zurück auf Vorträge, die in der von uns geleiteten Arbeitsgruppe „Fragesätze und Fragen" anläßlich der 12. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft in Saarbrücken (28.2. bis 2.3. 1990) gehalten wurden. Zusätzlich aufgenommen wurden die Beiträge von J. Jacobs und I. Zimmermann, die wichtige Aspekte der Thematik abdecken. Einige der in Saarbrücken vorgetragenen Referate konnten aus unterschiedlichen Gründen für den Band nicht fertiggestellt werden (T.N. Höhle: Die w...wKonstruktion im Deutschen, F. IJedtke: Über 'Fahrschein'-Fragen, G. Öhlschläger: 'Indirekte' Verwendungsweisen von Fragesätzen); ein Beitrag war bereits vor Planungsabschluß dieses Bandes für eine Zeitschrift zugesagt (R. Pasch: Überlegungen zu den Regeln der Interpretation für w-Interrogativsätze; erscheint demnächst in: Deutsche Sprache). Allen, die zur Entstehung des vorliegenden Sammelbandes beigetragen haben, sei hiermit herzlich gedankt. Besonders herzlich danken wir denjenigen, die die Hauptlast der Arbeit und der Verantwortung für die Endredaktion der Beiträge sowie die technische Erstellung der Druckvorlage übernommen haben: Dirk \je Ciaire, Susanne Trissler, vor allem aber Ulrich Lutz und Frauke Peters.
Tübingen, Lund, im Dezember 1990 Marga Reis Inger Rosengren
Einleitung Marga Reis, Tübingen / Inger Rosengren, Lund
l. Fragen werden nicht immer mit Interrogativsätzen ausgedrückt, Interrogativsätze können auch andere Funktionen haben als Fragen zu realisieren. Zwischen Interrogativsatz und Frage gibt es aber einen systematischen Bezug, der letztendlich im Rahmen einer übergreifenden Theorie über die Beziehung zwischen Grammatik und Pragmatik expliziert werden muß. Mit dem Titel dieses Bandes 'Fragesätze und Fragen'1 wollen wir andeuten, daß die Beiträge sowohl der Grammatik der Interrogativsätze, d.h. ihrer Syntax, Semantik und Prosodie, als auch ihrer Pragmatik gewidmet sind, bzw. dem systematischen Bezug zwischen beiden, wie er in der traditionellen Gegenstandsbezeichnung 'Fragesatz' zum Ausdruck kommt. Im folgenden thematisieren wir einige der mit Fragesätzen und Fragen verbundenen Problemkomplexe, wobei wir von der Grammatik der Interrogativsätze ausgehen. 2 . Die Interrogativsätze lassen sich formal in Subtypen aufgliedern. Als zentrale Grundtypen sind der Entscheidungsinterrogativsatz ( -IS) und der Ergänzungsinterrogativsatz (w-IS) zu betrachten. Sie kommen selbständig und eingebettet vor: im ersteren Fall als Verb-erst- bzw. Verb-zweit-Satz, im letzteren Fall als Verb-letzt-S atz, eingeleitet durch die Konjunktion ob bzw. durch eine w-Phrase: (1) (2) (3) (4)
Wird Peter an unserem Fest teilnehmen? Wer wird an unserem Fest teilnehmen? Ich weiß nicht, ob Peter an unserem Fest teilnehmen wird. Ich weiß nicht, wer an unserem Fest teilnehmen wird.
Den selbständigen -IS bzw. w-IS entspricht der pragmatische Grundtyp der Informationsfrage in ihren beiden Hauptvarianten: Entscheidungs- und Konstituentenfrage. Neben diesen (selbständig und eingebettet vorkommenden) Grundtypen der Interrogativsätze gibt es auch selbständige Verb-letzt-Sätze mit entsprechender spezifischer Fragefunktion und selbständige infinite und verblose Randtypen: (5) Ob Peter wohl an unserem Fest teilnimmt? (6) Warum denn darauf bestehen? (7) Wohin mit dem Geld? Schließlich gibt es Typen, über deren Zuordnung zu den Interrogativsätzen man sich streiten kann, wie die Echo-w-Frage und die Assertionsfrage:
1
Der Titel ist von Wunderlichs gleichnamigem Aufsatz (1976d) übernommen, der der Frageforschung im übergreifenden Grammatik:Pragmatik-Zusammenhang wichtige Impulse gegeben hat
(8) An unserem Fest wird WER teilnehmen? (9) Peter nimmt an unserem Fest teil? Die beiden grundlegenden Interrogativsatztypen haben rein Oberflächenstrukturen-syntaktisch nicht viel gemeinsam. Als selbständiger Verb-erst-Satz zeigt der -IS eher eine Verwandtschaft mit dem selbständigen Verb-erst-Deklarativsatz, als eingebetteter Verb-letzt-Satz stimmt er eher mit dem daß-S&lz als mit dem jeweiligen durch eine w-Phrase eingeleiteten w-IS überein. Der w-IS seinerseits scheint durch die satzinitiale w-Phrase formal enger mit den durch w-Phrasen eingeleiteten Exklamativsätzen, Relativsätzen und Konditionalsätzen zusammenzugehören als mit dem -IS. Hinzu kommt, daß sich zwar beide Typen bei selbständigem Gebrauch mit steigendem Tonmuster verbinden lassen, dieses aber nur für den -IS als typisch gelten kann, während der w-IS öfter ein fallendes Tonmuster aufweist. Was die beiden Grundtypen auf den ersten Blick sichtbar vereinigt, scheint also eher semantisch-pragmatischer Natur zu sein: Beide werden bei selbständigem Vorkommen dazu verwendet, Fragen zu stellen. Beide haben bei Einbettung prinzipiell dieselbe Distribution: Die meisten Matrixprädikate, die für den einen Interrogativsatztyp subkategorisiert sind, lassen auch die Einbettung des anderen zu. Hinzu kommt, daß beide Grundtypen großteils dieselbe Modalpartikelselektion aufweisen. Die sich hier auftuende Diskrepanz zwischen formaler und funktionaler Verwandtschaft gibt zu der Frage Anlaß, ob es überhaupt eine syntaktische Gemeinsamkeit (z.B. in Form eines +wMerkmals) zwischen den beiden Interrogativsatztypen gibt oder ob sie vielleicht nur in semantischer und/oder pragmatischer Hinsicht eine natürliche Klasse bilden. Ein wichtiger Prüfstein bei der Entscheidung zwischen diesen beiden Alternativen ist ohne Zweifel die Einordnung der eingebetteten Interrogativsätze. Die gewählte Alternative muß den Zusammenhang zwischen den eingebetteten E- und w-Interrogativsätzen und damit auch den Zusammenhang zwischen diesen und den entsprechenden selbständigen Interrogativsätzen konsistent explizieren können. 3 . Die neuere Forschung hat sich extensiv mit Interrogativsätzen und Fragen beschäftigt. Richtung und Ziel dieser Forschung ist jedoch sehr unterschiedlich und teilweise davon abhängig, ob der Untersuchungsgegenstand primär die syntaktische Struktur des Interrogativsatzes oder aber seine Semantik und damit verbunden seine Pragmatik ist. Wir wollen im folgenden vor allem zwei Richtungen kurz ansprechen, die u.E. auf je unterschiedliche Weise für eine Erforschung der Beziehung zwischen Interrogativsätzen und Fragen von Bedeutung sind. 3. l Die gegebene und grundlegende gesetzmäßige Beziehung zwischen Interrogativsätzen und Fragen hat immer wieder dazu angeregt, die beiden Interrogativsatztypen auch grammatisch zusammenzuführen, wobei man den Zusammenhang vor allem in der Semantik sucht. Dies ist der gemeinsame Ausgangspunkt zweier sich oft überlappender Forschungstraditionen, einerseits einer logisch orientierten Interrogativsemantik-Forschung (für einen knappen Überblick über die verschiedenen Ansätze, s. Bäuerle/Zimmermann 1987), andererseits der in den letzten Jahren so regen Forschung zur Satzmodusproblematik (s. Meibauer 1987 und für einen Überblick Altmann 1990).
Bei der ersten Forschungsrichtung führt die Bemühung um eine WahrheitsbedingungenSemantik vor allem zu einem Vergleich zwischen Deklarativsatz und Interrogativsatz (fürs Deutsche s. etwa Conrad 1978; Bäuerle 1979; Zaefferer 1984). Das Interesse der zweiten Richtung hingegen gilt eher der Beziehung zwischen Satztyp und Sprechakttyp allgemein und der Rolle der Semantik als Vermittlungsinstanz zwischen beiden. Sie neigt deshalb auch dazu, Typologien aufzustellen, die alle Satztypen umfassen. Dabei wird die Verwandtschaft der Interrogativsatztypen oft auf einen gemeinsamen semantischen Nenner, entweder einen semantischen Einstellungstyp bzw. Einstellungsoperator (s. etwa Altmann 1987; Pasch 1989), oder einen einstellungsfreien Operator (s. Brandt/Rosengren/Zimmermann 1990), zurückgeführt, der die gesetzmäßige Zuordnung zum Fragehandlungstyp gewährleistet. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu intensiven Untersuchungen des Zusammenspiels mit Modalpartikeln (s. u.a. Wolski 1986; Thurmair 1989), mit Einstellungsausdrücken (s. u.a. Doherty 1987) und prosodischen Faktoren (s. vor allem Altmann 1988; Altmann/Batliner/Oppenrieder 1989). Es kann kein Zweifel bestehen, daß wir durch diese beiden Forschungstraditionen erheblich mehr über die Semantik und Pragmatik der Interrogativsätze wissen und auf dieser Basis auch mehr über die Regularitäten des Form-Funktions-Zusammenhangs allgemein. Die syntaktische Seite wird dabei aber meist - wenn überhaupt - rein taxonomisch beschrieben, indem die sichtbaren oberflächenstrukturellen Eigenschaften von Interrogativsätzen, die mit ihrer angenommenen Semantik und Pragmatik korrelieren, aufgezählt und gebündelt werden. Aufgrund der oberflächenstrukturellen Vorgehensweise wird von vornherein gar nicht nach einer tiefer liegenden strukturellen Gemeinsamkeit gesucht, die als verbindende Brücke zwischen syntaktischer Oberflächenstruktur und Semantik und damit auch Pragmatik dienen könnte. 3.2 Im wesentlichen genau umgekehrt verhält es sich bei der zweiten Forschungsrichtung, die wir hier kurz ansprechen wollen, nämlich der generativen Grammatiktheorie, die - insbesondere auf ihrer jüngsten Entwicklungsstufe, der sogenannten 'Government and Binding' [=GB] - Theorie (s. Chomsky 1981) - die syntaktische Struktur konsequent als das Ergebnis eines Zusammenspiels von (auch abstrakten) Einheiten, Regeln und Prinzipien auf verschiedenen Ebenen beschreibt. Aus theorieintemen Gründen spielt dabei seit jeher die syntaktische Struktur der w-IS eine große Rolle, vor allem die in w-IS manifeste sogenannte 'w-Bewegung' und der Skopus der w-Phrasen. (s. Ross 1967; Chomsky 1977; Pesetsky 1982; Aoun 1986; May 1985; Williams 1988 u.v.a.m.). Dem Zusammenhang zwischen Form und Funktion hingegen schenkt diese Theorie wenig oder gar keine Beachtung, ebensowenig kümmert sie sich um die Semantik als Anschlußstelle oder Vermittlungsinstanz hin zur Pragmatik, sondern wenn überhaupt - nur als Anschlußstelle hin zur Syntax. Entsprechend spielt auch der Begriff des Satztyps in der generativ orientierten Literatur keine Rolle (eine der wenigen Ausnahmen ist Akmajian 1984). 3.3 Uns scheint es nun notwendig, die beiden Forschungsstränge miteinander zu verbinden. Wir wollen deshalb an einigen Beispielen deutlich machen, daß sich w-IS nicht durch Rekurs auf bloße Oberflächenmerkmale definieren lassen, sondern die Ansetzung eines abstrakten syntaktischen Interrogativmerkmals verlangen, das auch -IS (und den anderen IS-Typen) zu-
kommt. Wir wollen weiter andeuten, wie der Ansatz eines solchen Merkmals für die Integration der verschiedenen Forschungsinteressen nutzbar gemacht werden kann. Für den w-IS ist konstitutiv, daß er (mindestens) eine w-Phrase enthält, die Skopus über die dem w-IS entsprechende Proposition hat, das heißt, die Proposition des w-IS ist diejenige, in der die w-Phrase eine Stelle als offen kennzeichnet. Zu den Definitionsmerkmalen des w-IS gehört also nicht nur die w-Phrase, sondern auch die Markierung der Skopusdomäne. In Standardfällen wie (2) und (4) ist diese im Deutschen (wie in vielen anderen, aber nicht allen Sprachen) durch die Initialstellung der betreffenden w-Phrase gegeben, und damit oberflächenstrukturell identifizierbar: Die w-Phrase hat Skopus über genau den Gesamtsatz, den sie einleitet Diese Gleichsetzung funktioniert aber nicht immer. Wir finden Fälle, wo die w-Phrase nicht in Initialstellung steht und trotzdem Skopus über den betreffenden Gesamtsatz hat, und umgekehrt auch Fälle, wo sie in Initialstellung steht und keinen oder engeren Skopus hat: In multiplen Fragen (in denen alle, außer einer w-Phrase, in situ bleiben müssen) haben auch die w-Phrasen in situ Skopus, und zwar den gleichen wie die initiale w-Phrase: (10) Wem hat Peter was wohin getragen? In der sogenannten -Konstruktion hat die initiale Phrase was selbst überhaupt keinen Skopus (sie stellt auch kein Frageziel dar), sondern markiert vielmehr den Skopus für die wPhrase im eingebetteten Satz, die das eigentliche Frageziel darstellt: (11) Was meinst du denn, wen Peter heute getroffen hat? Diese w-Phrase wiederum steht zwar im eingebetteten Satz notwendig satzinitial, kennzeichnet damit aber nicht ihren eigenen Skopus. (Der eingebettete Satz ist im übrigen auch kein w-IS, wie die entsprechenden Matrixprädikate zeigen.) Schließlich gibt es noch den Fall der sogenannten w-Imperative, bei denen eine w-Phrase satzinitial steht, die Skopus nur über den eingebetteten Satz hat: (12) Wieviel schätz mal, daß das Auto kostet. Der eingebettete Satz macht also hier allein den w-IS aus, obwohl er an der Oberfläche nur durch daß eingeleitet ist, s. Reis/Rosengren (1988). Vor allem an den letzten beiden Fällen dürfte klar werden, daß eine oberflächenbezogene Definition der Skopusdomäne interrogativer w-Phrasen durch ihre Position unmöglich ist. Bleibt die Frage, was dann für die Markierung der Skopusdomäne verantwortlich sein kann. Eine Tradition macht dafür w-Bewegung - inklusive w-Bewegung der in-situ-Phrasen auf der Ebene der Logischen Form [= LF] - in die entsprechende satzeinleitende Position verantwortlich, d.h. die w-Phrase gewinnt ihren Skopus durch Bewegung in die entsprechende satzeinleitende Position, wobei man sich den Landeplatz in der Regel als durch +w gekennzeichnet denkt. Daß das +w-Merkmal auf LF unverzichtbar ist, zeigen die gerade angeführten Daten: Es markiert den Anfang der Skopusdomäne, der sonst nicht auffindbar wäre, da die syntaktischen Bewegungen zwischen D-Struktur und S-Struktur keine eindeutige Zuordnung zwischen Position der Phrase und ihrem Skopus erlauben: So führt syntaktische w-
Bewegung bei den w-Imperativen aus der Skopusposition heraus und bei der wasKonstruktion, wo sie im eingebetteten Satz erfolgt, nicht in die Skopusposition hinein. Wenn das +w-Merkmal aber ohnehin zur Verfügung stehen muß, stellt sich die Frage, ob es nicht allein zur Markierung der Skopusdomäne ausreicht, was mit anderen Worten hieße, daß Bewegung auf LF überflüssig ist. Der einzige systematische Bezug, der zwischen initialer Position von w-Phrasen und Skopus im deutschen w-IS besteht, wäre dann der, daß das skopusdefinierende +w-Merkmal durch eine w-Phrase (oder deren Spur) im Verlauf der Ableitung 'sichtbar' gemacht werden muß. Daraus ergibt sich auch die natürliche Deutung des was in Fällen wie (11) als Skopusmarkierer. Es versteht sich von selbst, daß das aus Skopusgründen angesetzte +w-Merkmal dann auch zusammen mit der (den) w-Phrase(n) den Satztyp des w-IS definiert. Gibt es nun entsprechende Gründe, ein solches Merkmal auch für den -IS anzusetzen? Ein erster Grund sind die Subkategorisierungsverhältnisse: Daß Matrixprädikate im Regelfall sowohl w-IS wie -IS einbetten, erklärt sich am leichtesten daraus, daß sie für Sätze mit demselben Merkmal subkategorisiert sind. Einen zweiten Grund bieten ambige Strukturen wie (13), die zwischen Verb-erst-Deklarativsatz und -IS ambig sind (ohne daß für -IS konstitutiv mit steigendem Tonmuster gerechnet werden könnte), oder (14), wo der oö-Satz einem E-IS-Komplement, aber auch einem Adverbialsatz entsprechen kann: (13) Kam da ein Mann zur Tür herein. (14) Peter wird Fritz danach fragen, ob er es will oder nicht. Diese Strukturen können nicht anders als durch ein abstraktes Merkmal unterschieden sein. Weiter läßt sich auch anführen, daß eingebettete w-IS und -IS in gleicher Weise 'Inseln' für w-Bewegung sind: (15) * Wohin weiß Hans, ob Peter mit Paul geht? (16) *Wohin weiß Hans, wer mit Paul geht? All das spricht dafür, daß auch der -IS ein +w-Merkmal hat, das dann gleichzeitig, genau wie beim w-IS, deren engen vs. weiten Interrogativskopus markiert. Dieses unabhängig gerechtfertigte gemeinsame syntaktische Merkmal der beiden Interrogativsätze kann nun auch als Träger der gemeinsamen Satzmodusbedeutung dienen, die auf diese Weise in eine kompositioneile Herleitung der Satzbedeutung integriert werden kann (s. hierzu Brandt/Rosengren/Zimmermann 1990). Wir hätten mit anderen Worten die Brücke gefunden, die die beiden Typen syntaktisch und damit auch semantisch miteinander verbindet. Natürlich bleibt immer noch das Zusammenwirken zwischen +w-Merkmal und w-Phrasen in w-IS zu klären. Wesentliche Voraussetzung dazu ist, daß man den interrogativen Status der w-Phrasen relativ zu anderen w-Phrasen, die in anderer Funktion und anderen w-Konstruktionen auftauchen (als w-Indefinita, w-Relativa, w-Exklamativa und konjunktionale w-Wörter), syntaktisch und semantisch beschreiben kann. Ebenso ist es notwendig, komplexe interrogative w-Phrasen identifizieren zu können, d.h. es sind die Regeln anzugeben, nach denen eine komplexe w-Phrase das Operatormerkmal von dem in ihr enthaltenen interrogativen w-Lexem erbt. Die Struktur und Merkmalspezifizierung der w-Phrasen, wie auch ihre lexikalische Verwandt-
schaft, ist aber ein noch weitgehend unbearbeitetes und, wo Ansätze vorliegen (s. etwa Conrad 1976; von Bremen 1983; Cowper 1987; Pasch 1991), durchaus kontroverses Feld (s. auch Reis 1989). 4 . Die GB-Theorie liefert also ein syntaktisches Modell, das es ermöglicht, die manifesten Strukturgemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen w-IS, -IS und anderen Satztypen, die einer reinen Oberflächenanalyse nicht zugänglich sind, konsistent zu repräsentieren. Durch ihren modularen Grundansatz gibt sie darüber hinaus einen geeigneten allgemeinen Rahmen vor für die Explikation des über die Semantik vermittelten Zusammenhangs zwischen Form und Funktion, in dem der Eigengesetzlichkeit der verschiedenen Bereiche wie auch den Zusammenhängen zwischen ihnen Rechnung getragen werden kann. Ausgehend von einem solchen auf kommunikatives Sprachverhalten verallgemeinerten modularen Grundmodell (s. hierzu Bierwisch 1979, dazu Motsch/Reis/Rosengren 1990) werden die Strukturtypen - in unserem Fall also die Interrogativsatztypen - von der Grammatik beschrieben. Ihnen wird - vermittelt durch das Merkmal +w und seine semantische Interpretation - ein pragmatisches Verwendungspotential zugeordnet, das seinerseits im Rahmen eines pragmatischen Moduls definiert wird. Dies resultiert in unserem Fall in einer systematischen Zuordnung zwischen Interrogativsätzen und Fragen. Welche speziellen Fragehandlungen (Prüfungsfragen, problematisierende Fragen, Nachfragen, etc.) realisiert werden, ob es zu indirekten Verwendungen kommt, ergibt sich in Interaktion mit anderen in der Äußerungssituation wirksamen Faktoren und kommunikativ relevanten Kenntnissystemen. Damit ist auch ein systematischer und differenzierender Zugang zu einer Beschreibung der Verwendung von Interrogativsätzen im Diskurs geschaffen. 5. Bisher haben wir unser Untersuchungsobjekt aus der Perspektive der Grammatik skizziert, das heißt, wir sind von den Interrogativsätzen und ihrem Verwendungspotential ausgegangen. Zuletzt wollen wir es aus pragmatischer Perspektive betrachten, was das Problem der Frage als Sprechakttyp in den Vordergrund rückt, und zwar unabhängig von ihrer Realisierung: Fragen werden zwar meist durch Interrogativsätze realisiert, können aber auch durch andere Satztypen vollzogen werden. Was heißt also 'eine Frage stellen'? Es ist offensichtlich die allgemeine Aufgabe der Frage, auf eine Wissenslücke des Sprechers oder Hörers hinzuweisen, die im Normalfall mit einer sprachlichen Handlung geschlossen werden kann und soll (Wunderlich 1976d). Mit einer so allgemeinen Beschreibung hat man aber den illokutiven Status der Frage eigentlich nur problematisiert. Eine befriedigende Klärung setzt voraus, daß es uns gelingt, die Frage in ein konsistentes ülokutionssystem einzuordnen. Wie sähe aber ein solches Illokutionssystem aus? Die bisherigen Versuche, die Frage einzuordnen, sind wenig überzeugend: Die Frage wird entweder als Bitte um eine Antwort unter die Aufforderungen eingestuft (so Searle selbst 1971,1975; vgl. auch Searle/Vanderveken 1985), und viele hierin an Searle anschliessende Versuche, vgl. z.B. Beck (1980), oder aber sie erhält eine eigene Position in einem Sprechaktmodell auf derselben Ebene wie etwa die Aufforderung (so Wunderlich 1976b,1976c; Sökeland 1980; Zaefferer 1984; Conrad 1983; Meibauer 1986). Keine von diesen Lösungen
scheinen uns das Richtige zu treffen. Es ist u.E. eher so, daß der Sprechakttyp der Frage mit dem der Assertion zusammengehört, indem beide kognitiv relevante Sprechakttypen sind, wobei die Assertion im Standardfall eine kognitive Lücke beim Adressaten schließen und die Frage entsprechend auf eine kognitive Lücke beim Sprecher hinweisen will, die vom Adressaten zu schließen ist (vgl. hierzu u.a. Wunderlich 1976c; Rosengren 1986). Von der Assertion unterscheidet sich die Frage allerdings auch u.a. dadurch, daß sie mit der Antwort (die im Normalfall dem illokutiven Typ der Assertion angehört) ein (diskursorientiertes) Paar bildet. Die Frage kann somit als ülokution unabhängig von ihrem Bezug zu der erwarteten reaktiven sprachlichen Handlung, der Antwort, nicht befriedigend beschrieben werden (vgl. hierzu u.a. Conrad 1978; Grewendorf 1983; Meibauer 1986; Rehbock 1987). Dieser Sonderstellung der Frage - relativ vor allem zur Assertion - ist bei einer Einordnung in ein Illokutionssystem Rechnung zu tragen. 6 . Der oben kurz skizzierte Stand der Forschung im Bereich Tragesätze und Fragen' gibt zu einer Reihe von Fragestellungen Anlaß, die hier nur kurz, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aufgeführt werden, und denen die Beiträge zum vorliegenden Band zugeordnet werden sollen: 6. l Gibt es einen gemeinsamen syntaktischen Nenner der Interrogativsätze, z.B. in Form eines +w-Merkmals, der alle Interrogativsatztypen (bei eingebettetem wie selbständigem Vorkommen) umfaßt? Entspricht diesem gemeinsamen Merkmal gegebenenfalls ein einheitlicher interrogativer Satzmodus (d.h. eine einheitliche interrogative Semantik), und wie wäre dieser dann zu charakterisieren (u.a. einstellungsbezogen oder einstellungsfrei)? Wie sieht die entsprechende Zuordnung zwischen Interrogativsatztyp und Frage aus? Wo liegen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen 'normalen' Interrogativsätzen bzw. Fragen und sogenannten Echo- bzw. Assertionsfragen, auf syntaktischer und/oder semantischer und/oder nur auf pragmatischer Ebene? In welchem Sinn ist es gerechtfertigt, von 'Mischtypen' zu sprechen? - Diese auf den systematischen Zusammenhang von Grammatik und Pragmatik der Interrogativsätze zielenden Fragen werden im Beitrag von REHBOCK aufgegriffen, der hierfür ein Gesamtmodell vorschlägt. Für Echo-w-Fragen liegt ein vergleichbarer Versuch im Beitrag von REIS vor. Weitere Diskussion einzelner Aspekte (teilweise in Auseinandersetzung mit den o.a. Beiträgen) findet sich bei JACOBS und OPPENRffiDER, sowie, auf den Vergleich mit anderen w-Konstruktionen orientiert, im Beitrag von ZAEFFERER. 6.2 Wie verhalten sich w-IS zu den anderen (relativen, exklamativen, etc.) w-Konstruktionen im Hinblick auf die w-Phrase? Welches - kategoriale, funktionale, semantische, lexikalische Verhältnis besteht zwischen interrogativen w-Lexemen und den anderen w-Lexemen (insbesondere zu w-Indefinita), und welche Rolle wird entsprechend dem w-Ausdruck bei der Konstituierung des w-IS zugewiesen? Welche Struktur haben komplexe interrogative w-Phrasen, das heißt, wie kann sich gegebenenfalls das +w-Merkmal des w-Lexems auf die Gesamtphrase vererben? - Auf den ersten Teil dieser Fragen geht der Beitrag von ZAEFFERER in einem knappen Gesamtüberblick ein; in STEUBEs Beitrag werden sie mit besonderer Berücksichtigung des kategorialen Status der w-Elemente in weiterführenden Relativsätzen diskutiert Einzelne Aspekte
g dieses Fragenkomplexes werden exemplarisch aufgegriffen in den Beiträgen von ZIMMERMANN (kategorial-funktionale Vielfalt von w-Lexemen am Beispiel von wie) und TRISSLER (Vererbung des +w-Merkmals in Phrasen vs. Sätzen am Beispiel infinitivischer Konstruktionen). 6.3 Welche Faktoren sind für die Zuweisung bzw. Markierung von Interrogativskopus verantwortlich? In welchem Sinn sind w-Phrasen Quantoren, und in welchem Verhältnis steht der interrogative Skopus einer w-Phrase zu ihrem eventuellen Quantorenskopus? Müssen sie zusammenfallen? Wie interagieren w-Phrasen, insoweit sie Quantoren sind, skopusmäßig mit nicht-interrogativen Quantoren? Wie verhalten sie sich zu Indefinita? - Die ersteren Fragen werden in den hier vorliegenden Beiträgen nur am Rande behandelt. Die den Quantorenskopus von w-Phrasen betreffenden Fragen werden ausführlich behandelt im Beitrag von PAFEL, aufbauend auf einem Vergleich mit den relativen Skopusverhältnissen bei nicht-interrogativen Quantoren. 6.4 Welchen Status hat die sogenannte Existenzimplikatur von w-IS, handelt es sich um eine konventionelle oder eine konversationelle Implikatur? Welches Verhältnis besteht zwischen Fokus-Hintergrund-Gliederung (FHG) bzw. sog. 'alter Information' und der für w-IS typischen Existenzimplikatur? Wie sieht das Verhältnis zwischen Interrogativmodus und FHG aus? Welche Rolle spielt die FHG für die Charakterisierung des Verwendungspotentials und damit auch für die Verwendung eines Interrogativsatzes? - Diesen Fragen wird auf dem Hintergrund einer ausführlichen vergleichenden Diskussion der Fokusprojektionsverhältnisse im Deklarativsatz im Beitrag von ROSENGREN am Beispiel des w-Interrogativsatzes nachgegangen. Eine Explikation des Unterschieds 'alte Information' vs. 'Existenzimplikatur' findet sich im Beitrag von JACOBS, der auch die Frage des Status der Existenzimplikatur eingehend diskutiert. Ebenfalls auf diese Frage bezieht sich der Beitrag von MEIBAUER. 6.5 Welche Aufgabe kommt der Intonation und der Akzentuierung bei der Kennzeichnung des interrogativen Satzmodus und bei der Zuordnung eines funktionalen Potentials zu? - Diese Frage wird in den Beiträgen von OPPENRIEDER und von SELTING behandelt, die gegensätzliche Auffassungen vertreten. 6.6 Wie sieht eine Illokutionstypologie aus, in der die Frage relativ zu anderen Illokutionen systematisch untergebracht werden kann? Welche Frage-Untertypen gibt es, und in welcher Beziehung stehen sie untereinander und zu den einzelnen grammatischen Typen (inklusive Randtypen wie selbständigen finiten und infiniten Verb-letzt-Sätzen)? - Hierzu gibt es keinen eigenen Beitrag in diesem Band; wesentliche Aspekte werden jedoch von REHBOCK aufgegriffen. 6.7 Wie werden Fragen im Diskurs verwendet? Welche Rolle spielen dabei die einzelnen Formeigenschaften, welche interaktive Relevanz haben sie? Welche Faktoren der Äußerungssituation lassen Fragen zum Vollzug anderer Illokutionen geeignet erscheinen? Mit der ersteren Frage beschäftigt sich aus konversationsanalytischer Sicht der Beitrag von SELTING; im Vordergrund stehen die w-Fragen. Vor allem die letztere Frage wird, eher psychologisch-experi-
mentell orientiert, im Beitrag von DORN-MAHLER/GRABOWSKI am Beispiel der Aufforderungen in Frageform untersucht 7 . An Sammelbänden zum Thema Tragen' besteht kein Mangel (vgl. Hiz 1978; Kiefer 1983; Chisholm et al. 1984; Meyer 1988). Mit dem vorliegenden Band möchten wir einen u.E. zielgerechten, aber selten von Anfang an begangenen Weg verfolgen, nämlich den Weg von der Grammatik zur Pragmatik, um auf diese Weise neue Einsichten in das Zusammenspiel der sprachlichen Module zu gewinnen. Das Schwergewicht liegt - wie ersichtlich - auf der Grammatik. Da grammatisches Wissen u.E. eine Voraussetzung für pragmatisches Wissen ist, scheint uns dies kein allzu großer Mangel. Wir hoffen somit, daß dieser weitere Sammelband wesentliche Lücken in der Forschung zur Grammatik und Pragmatik der Interrogativsätze wenn nicht schließt, so doch sichtbar macht.
Literatur
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Fragen stellen - Zur Interpretation des Interrogativsatzmodus Helmut Rehbock, Braunschweig
Die Untersuchung stellt den Versuch dar, den Vorschlag von Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989), Satzmodi ohne Rekurs auf eine Sprechereinstellung zu beschreiben, im Hinblick auf den Interrogativsatzmodus zu explizieren. An die Stelle der Einstellung als Definiens tritt das, was allen I(nterrogativ)-Sätzen, abhängigen wie unabhängigen, gemeinsam ist: der offene Modus potentieller Referenz auf Weltgegebenheiten. I-Sätze denotieren eine als gegeben zu denkende, unspezifizierte 'Erfüllungsmenge' als Teilmenge eines 'Suchbereichs', die der 'Interrogativfunktion' genügen soll und aus den Möglichkeiten des Suchbereichs zu spezifizieren ist Aus dieser Charakterisierung lassen sich die Bedeutungen eingebetteter sowie selbständig geäußerter Interrogativsätze und bei den letzteren vor allem die mit dem 'rhetischen' Referenzakt zu verknüpfenden erotetischen Einstellungen formal stringent herleiten. Die Illokutionsklasse der EROTETIKA ist somit konstituiert durch den erotetischen Modus des rhetischen Aktes.
1.
Interrogativsatzmodus und Sprechereinstellung
Seitdem u.a. Grewendorf (1972,1978) und Wunderlich (1976) diejenigen Ansätze einer detaillierten Kritik unterzogen haben, in denen bestimmte Fragehandlungstypen, meistens die Informationsfrage, einer semantischen Beschreibung der Interrogativsätze zugrunde gelegt wurden, hat sich in der Linguistik allmählich ein Konsens durchgesetzt, den Kiefer (1981:159) folgendermaßen formuliert hat: "[...] the various types of questions [...] can be best accounted for by postulating a common semantic structure for all questions - [...] - and let pragmatics do the rest." Mit dieser zentralen pragmatischen 'Restaufgabe' möchte ich mich in diesem Aufsatz* nicht beschäftigen. Auch wenn in den Details noch manches zu tun bleibt, ist der Kern doch wohl unbestritten, daß Sätzen wie: (1)
Wie wird sich denn das Fehlen einer 5%-Klausel auswirken?
gleichrangige illokutive Lesarten als Informationsfrage, Prüfungsfrage, didaktische Frage etc. zuzuweisen sind und daß diese Interpretationen als jeweilige Konfiguration von SprechereinDer Saarbrückener Vortrag hat inzwischen mehrere Diskussions- und Überarbeitungsrunden im Rahmen des Lunder Projekts "Sprache und Pragmatik" durchlaufen. Ich danke allen Diskutanten für anregende Hinweise und speziell Ilse Zimmermann, Renate Pasch, Inger Rosengren, Marga Reis und Armin Burkhardt für Korrektur- und Verbesserungsvorschläge. Die in den Arbeitsberichten S&P 18 abgedruckte Fassung wurde für die vorliegende Publikation überarbeitet und gekürzt; ich verweise deshalb an einigen Stellen auf die ausführlichere Argumentation in S&P 18.
14
Stellungen systematisch beschrieben werden können (vgl. z.B. Kiefer 1981:162ff.). Unbestritten ist mittlerweile wohl auch, daß derartige Einstellungen nicht wie bei Aqvist in die semantische Beschreibung von Interrogativsätzen gehören. Weniger unstrittig ist demgegenüber schon, ob die erwähnten Hlokutionstypen eine gemeinsame pragmatische, als Einstellung beschreibbare Basis haben oder unmittelbar einem wie immer zu definierenden semantischen Interrogativsatzmodus zuzuordnen sind. Wunderlich (1976:183) hat den letzteren Weg mit dem Begriff des "Sprechaktkonzepts" beschritten, das er auf die beiden Säulen des "illokutiven Typs" und des "propositionalen Gehalts" gründet. Der illokutive Typ ist als "Teil der Bedeutung eines Fragesatzes"1 den speziellen Fragearten vorgeschaltet und wird nicht über eine Sprechereinstellung definiert, sondern im Hinblick auf den Zweck und die Erfolgsbedingungen von Fragehandlungen rekonstruiert. Konkret leitet Wunderlich diese "Resultatsfunktion" im wesentlichen aus der "offenen Struktur" des propositionalen Gehalts ab, während die Funktion des "formalen Merkmals" für den illokutiven Typ, des Interrogativmodus Int oder ERO, undeutlich bleibt. Jedenfalls denotiert dieser "Modus" keine Sprechereinstellung; und in der Äußerung selbständiger Interrogativsätze geht den speziellen illokutiven Einstellungen nur die generelle "Erwartung nach einem Abschluß" als einstellungsähnliche Komponente voraus. Anders verhält es sich bei Lyons (1977,1983) und Bierwisch (1980), die die Fragehandlungen auf eine genuin pragmatische Basis stellen. Lyons unterscheidet zwischen "posing" und "asking a question", also zwischen dem '(Sich) Stellen' oder 'Aufwerfen' einer Frage und dem Ausführen einer kommunikativen Fragehandlung. Das Aufwerfen einer Frage ist in erster Linie ein Akt des "wondering", ein "mental act": "Es ist so, als würde jemand eine Beziehung zwischen sich selbst und einer Proposition herstellen" (1983:359). Dem entspricht, daß Bierwisch die Äußerungsbedeutung m in die Komponenten "content" (m*) und "cognitive attitude" (att) aufgliedert und zu der letzteren bemerkt: "Notice, however, that att is neither the specification of an illocutionary force, nor an element of the semantic structure" (1980:21). Vielmehr handelt es sich um eine "prä-reflexive" (ebd:20) Einstellung gegenüber Sachverhalten, die in jedem interaktionalen, aber - wenn man Bierwischs Anknüpfung an Frege (vgl. ebd.:Anm.6) ernst nimmt - auch in jedem gedanklichen Stellen einer Frage zum Ausdruck kommt. Daß Bierwisch diese Einstellung Q mit "the utterer intends to know" zu spezifisch paraphrasiert, fällt weniger ins Gewicht, da er im selben Atemzug auf die prinzipielle Nicht-Formulierbarkeit prä-reflexiver Einstellungen verweist Geht man nun versuchsweise von einer solchen, wie immer zu paraphrasierenden Basiseinstellung aus, dann stellt sich sofort die Frage nach ihrer Zuordnung zum Interrogativsatzmodus. Muß man diesen als einen Einstellungsoperator auffassen, der die kognitive Einstellung "determiniert"? Bierwisch (1980) sowie - mit Unterschieden im Detail - Motsch/Pasch (1987) und Pasch (1989a) sind dieser Meinung; Bierwisch expliziert daher die semantische Struktur von Interrogativsätzen als: sem = < Qu, pc >, wobei "Qu determines the attitude Q" (1980:22). Be-
1 Sie wird als wörtliche Bedeutung in einem "neutralen Kontext" unmittelbar in die Realisierung einer Fragehandlung umgesetzt
15 merkenswerterweise bleibt hier der propositionale Gehalt pc unanalysiert; die Offenheit' des Interrogativen wird allein durch Qu erzeugt.2 Ein anderer Weg besteht darin, daß man im Verzicht auf einen Einstellungsoperator die Offene Struktur' der Proposition dergestalt expliziert, daß ihr Aktualisierungsergebnis der betreffenden kognitiven Einstellung ein-eindeutig zugeordnet werden kann. Der Interrogativsatzmodus ist dann entweder mit der Offenen' propositionalen Struktur zu identifizieren oder zu formalisieren als ein Operator, der kein zur Proposition von außen hinzutretender, sondern ein ihr zugeordneter Operator ist, mit dem formalen Status eines logiksprachlichen Funktors. Leider sind die wenigsten Autoren so explizit wie etwa Keenan/Hull (1975:444), die ihr which immerhin als "logical determiner (= quantifier)" definieren; zum Beispiel bleiben Status und Bedeutung von Conrads (1978) Frageoperator "?" ungeklärt. Diesbezüglich explizit sind dagegen Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989), die den Interrogativsatzmodus mit Hilfe eines propositionalen Operators OFFEN zu erfassen suchen, der keine Einstellung denotiert. In ihrem Aufsatz entwickeln sie die semantische Form von Deklarativ- und Interrogativsätzen auf der Basis einer GB-Analyse dieser Satztypen und gelangen dabei zu folgenden Formeln für Interrogativsätze: (2)
Schläft Peter? a.
OFFEN [3 e[e INST [SCHLAF PETER]]]
(annäherungsweise zu übersetzen als: Hinsichtlich der Faktizität offener Bezug des die Proposition 'daß Peter schläft' instantiiercnden3 Sachverhalts e auf die Diskurswelt.) (3)
Wer schläft? a.
[[OFFEN X [PERSON x]] [3e [e INST [SCHLAF x]]]]
Im Fall (2a) ( -Interrogativsatz) wird OFFEN charakterisiert als "einstelliger propositionaler Funktor wie NEG", im Fall (3a) (w-Interrogativsatz) als "Funktor desselben Typs wie der Alloperator" (1989:8f.). Damit sind aber Status und Erklärungskraft des Operators nicht hinreichend bestimmt. Die Plausibilität einer solchen Formalisierung hängt nicht nur von der maßgeschneiderten Anpassung an einen GB-Baum ab, sondern von der zureichenden Definition des Operators. Genau diese aber wird von den Autorinnen explizit ausgespart, abgesehen von einer zu Mißverständnissen einladenden Kurzparaphrase, auf die ich später eingehen werde. Wegen dieser Beschreibungslücke, die auch Pasch (1989b:6) anmerkt, bleibt undeutlich, worin der Vorteil des postulierten Operators liegt z.B. gegenüber dem Lambda-Operator, mit dem Wunderlich (1976) die Offenheit der Proposition symbolisiert, oder gegenüber dem von Zaefferer (1984) für w-Interrogativsätze verwendeten Alloperator. Insbesondere aber kann erst eine ge-
Kritisch hierzu Meibauer (1986:103ff.) innerhalb eines umfassenden Forschungsberichts zum Interrogativsatzmodus und zur "Semantik der Frage". Einstellungsbezogene "Frageoperatoren" definieren u.a. auch öhlschläger (1988) und Jacobs (1989). Nach Bierwisch (1988) verwenden die Autorinnen den zweistelligen Funktor INST: Ein Sachverhalt 'instantiiert' die Proposition, die "seine Struktur repräsentiert". Nur Sachverhalte können von Faktizitätsaussagen betroffen werden, nicht Propositionen.
16
nauere semantische Explikation ergeben, auf weiche Weise die pragmatischen Einstellungen anzubinden sind an einen Interrogativsatzmodus, der diese Einstellungen nicht schon denotiert
2.
Interrogativsatzmodus und rhetischer Akt
Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Formalisierung von Brandt/Rosengren/Zimmermann semantisch zu explizieren, um die Annahme eines nicht-einstellungsbezogenen Interrogativsatzmodus zu stützen. Damit setze ich eine Untersuchung fort, die ich bei den Deklarativsätzen begonnen habe, bei denen das Verhältnis von Satzmodus und Illokution komplexer ist als bei den Interrogativsätzen. Auf die Ergebnisse dieser Arbeit (Rehbock 1989) kann ich hier nicht näher eingehen, nur so viel sei gesagt: Ausgehend von der Strukturformel bei Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989:6): (I)
3e [e INST p]
fasse ich den Deklarativsatzmodus als ein spezifisches Mittel der Sachverhaltsreferenz auf: Indem ein Sprecher einen Satz mit diesem Modus äußert, referiert er auf eine Gegebenheit in der Diskurswelt als etwas, das den Sachverhalt e aktualisiert, welcher die Proposition instantiiert; umgekehrt gesagt: er projiziert diesen Sachverhalt e als Fakt in die Diskurswelt.4 Damit assertiert er ihn aber noch nicht; dies hängt vielmehr davon ab, ob der Sachverhalt im Äußerungskontext als unabhängig von der vollzogenen Sprachhandlung zu denken ist oder nicht, eine Unterscheidung, die ich Motsch/Pasch (1987:49) entnommen habe. Im Fall der Sprachhandlungsunabhängigkeit kann die Proposition im Äußerungszeitpunkt als wahr oder falsch beurteilt werden; eine derartige Referenz läßt dann auf eine entsprechende Einstellung des Sprechers schließen, und die Handlung kann als ASSERTION bzw. REPRÄSENTATIV gelten mit den entsprechenden Ansprüchen, Obligationen und Zielen. Im ändern Fall jedoch kann aus der Faktreferenz des Sprechers nur darauf geschlossen werden, daß er dieses Fakt mit seiner Äußerung konstituieren will; dieses Fakt ist dann entweder - im performativen Fall - die prepositional explizierte Illokution selbst oder aber- im 'resultativen' Fall - diejenige Illokution, deren Ergebnis der Deklarativsatz benennt Die Illokutioncn werden demnach dem Deklarativsatzmodus über zwei Modi der Äußerungsbedeutung zugeordnet, die ich konstativ (= sprachhandlungsunabhängig) und konstituliv (= sprachhandlungsabhängig) nenne. Der konstative Modus verweist auf die zugrundeliegenden Basiseinstellungen GLAUBEN oder WISSEN, die die Teilklassen der REPRÄSENTATIVA fundieren; der konsumtive Modus verweist auf die Basiseinstellung SETZEN, aus der sich unterschiedliche Illokutionen herleiten: in der performativen Spielart Dlokutionen aller Searleschen Klassen und in der resultativen Variante solche der DEKLARATIVA, KOMMISSIVA und DIREKTIVA. Sprechakttheoretisch lassen sich die genannten Modi dem rhetischen Akt zuordnen, jenem
e ist also nicht als faktisches 'event', sondern als außersprachlicher, konzeptueller 'Sachverhalt' zu verstehen, dessen virtueller Weltbezug durch den Satzmodusoperator als FAKTISCH indiziert wird.
17
Austinschen Teilakt also, in dem - aus Bierwischs terminologischer Perspektive interpretiert durch die Interaktion von grammatischer Bedeutung und Kontext die Äußerungsbedeutung erzeugt wird. Man könnte hier auch den Terminus von Lyons verwenden und von zwei Arten des 'posing a declarative' sprechen, eines konstadven und eines konsumtiven 'posing'. Insofern liegt es nahe, das 'posing a question' mitsamt der daran geknüpften nicht-illokutiven Einstellung ebenfalls als Modus des rhetischen Aktes aufzufassen, jenes Aktes übrigens, der auch in seiner konstativen Modalität nur-mental, als "Urteilsakt" vollzogen werden kann.5 In den folgenden Überlegungen soll deshalb versucht werden, den Interrogativmodus als Mittel der Referenz aus Propositionen in Weltgegebenheiten zu interpretieren, um ihn so auf das Kernstück des rhetischen Aktes hin zu orientieren. Zuvor ist jedoch einem naheliegenden Einwand zu begegnen: Wenn man einen nicht-einstellungsbezogenen Deklarativsatzmodus als gemeinsamen Nenner für all die unterschiedlichen Verwendungen dieses Satztyps konzediert, so muß dies noch lange nicht beim Interrogativsatz der Fall sein. Denn da für diesen wohl nur ein einziger rhetischer Modus, der 'erotetische', zur Verfügung steht, gibt es kein Kriterium zu entscheiden, ob die betreffende Einstellung nicht doch direkt durch eine entsprechende Satzmodusbedeutung determiniert wird. Das mag richtig sein; doch ist der Versuch einer nicht-einstellungsbezogenen Explikation des Interrogativsatzmodus deshalb nicht sinnlos. Dafür spricht nicht nur das Bedürfnis nach Einheitlichkeit der Satzmodustheorie, sondern - spezifischer - auch der Wunsch, eingebettete und nicht-eingebettete Interrogativsätze einheitlich beschreiben zu können, und zwar in ihrer Gänze, nicht nur in ihrem "propositionalen Gehalt". Sofern dies aber möglich sein soll, haben einstellungsdenotierende Operatoren keinen Platz in der Analyse, oder sie müßten aus w-Satz-Komplementen zu nicht negierten Verben des Wissens wie z.B. (4)
Ich weiß, auf welcher Seite das Zitat steht.
nachträglich herausinterpretiert werden. Mein Ziel ist es, die spezifische Differenz selbständiger und abhängiger Interrogativsätze aus ihrer einheitlichen semantischen Beschreibung abzuleiten und den Funktor Int oder ERO über die Ockhamsche Klinge springen zu lassen. Ich werde deswegen nicht wie Zaefferer terminologisch zwischen 'Sätzen' und 'Sententialen' unterscheiden, sondern kurz von I-Sätzen, wenn die Gattung, und von W-, Eund -Sätzen reden, wenn die Spezies gemeint ist. Allerdings werde ich mich vorwiegend mit den für Probleme der Referenz griffigeren w-Sätzen beschäftigen und nur einen Seitenblick auf die übrigen I-Satztypen werfen. Beispiele werden, solange es um die gemeinsame semantische Struktur eingebetteter und nicht-eingebetteter Sätze geht, in einer als 'neutral' gemeinten Verbletzt-Form zitiert Vgl. Frege (1918/1966:35f.), der "1. das Fassen des Gedankens - das Denken, 2. die Anerkennung der Wahrheit eines Gedankens - das Urteilen, 3. die Kundgebung dieses Urteils - das Behaupten" unterscheidet. Damit trennt er die Illokution ASSERTION (3) vom rhetisch-konstativen Akt (2), den er allerdings in allzu simpler (prä-Austinscher) Weise an die syntaktische Form des Behauptungssatzes bindet (immerhin unter der Äußerungsbedingung des "Ernstes"!).
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3. Interpretation des Interrogativsatzmodus 3.1 OFFEN ist kein Prädikat. Ich beginne mit einem naheliegenden Mißverständnis der einzigen Paraphrase, die Brandt/Rosengren/Zimmermann ihrem Operator im Zusammenhang der -Frage gegeben haben: "Wir nehmen aber an, daß mit OFFEN 3e [e INST p] ausgedrückt wird, daß es offen ist, ob (es ein) e (gibt, das)6 die Proposition p instantiiert." Jacobs (1989) hat dies in einer Erwiderung reformuliert: "Für alle in Frage kommenden X: es ist offen, ob p zutrifft." und folgendermaßen aufgefaßt: "'Es ist offen, ob p zutrifft' muß dabei im Sinne einer objektiven, d.h. nicht auf den Informationsstand einzelner Personen bezogenen Indeterminiertheit des Zutrcffens von p verstanden werden." Jacobs interpretiert den Operator also als Prädikat und unterstellt den Autorinnen damit eine Auffassung des Interrogativsatzmodus, die die Verwendung solcher Sätze für Fragehandlungen geradezu ausschließt. Die 'Offenheit' der I-Sätze zielt auf Entscheidbarkeit, und entscheidbar ist eine offene Proposition zum angezielten Zeitpunkt nur, wenn der Sachverhalt in der Bezugswirklichkeit als bereits entschieden gedacht werden kann. Zehn Minuten nach Beendigung einer Klausur kann ein Student seine Dozentin nicht sinnvoll fragen: (5)
Habe ich die Klausur bestanden? -,
und sie wird dies vermutlich auch nicht als Paraphrase der wahren, aber überflüssigen Aussage verstehen können: (5)
a.
Es ist objektiv offen, ob ich die Klausur bestanden habe.
Ebenso wenig sind (6) und (6a) sowie (7) und (7a) Paraphrasen voneinander: (6) a.
Ich weiß nicht, ob ich bestanden habe. *Ich weiß nicht, daß es offen ist, ob ich bestanden habe.
a.
?Ich weiß, ob ich bestanden habe. Ich weiß, daß es offen ist, ob ich bestanden habe.
(7)
Wenn aber der Sprecher in der genannten Situation einen der Sätze (6) oder (7) äußern sollte, so referiert er mit derartig unhypothetischen Formulierungen nicht auf das objektiv noch offene Korrekturergebnis der Dozentin, sondern auf die von ihr herauszufindende, aber schon vorliegende Qualität seiner Niederschrift. Und sollte er sagen:
(8) Ob ich wohl wenigstens 23 Punkte erreiche? so bezieht sich diese Frage auf den zukünftigen Zeitpunkt, an dem das Ergebnis bereits ermittelt ist. Die Wirklichkeit, und sei sie nur eine gedachte, muß der Frage immer eine Nasenlänge voraus sein, damit diese nicht ihren Sinn verliert.
6
In Klammem: Ergänzung im Sinne der Verfasserinnen (versehentlich nicht abgedruckte Korrektur).
19
3.2 w-Interrogativa und Referenz Das führt zu einem in vielen Analysen übersehenen oder verkannten, aber wesentlichen Merkmal der w-Sätze, das Vendler (1980) sehr instruktiv im Zusammenhang mit der Analyse faktiver Verben beschreibt. Mit 'wh-nominals' referiert der Sprecher auf Weltgegebenheiten: "Thus in saying 'He knows who killed her* one refers to a fact in rerum natura" (ebd.:282). Deutlich wird dies insbesondere bei den semifaktiven Verben, z.B. teil. Während ich der Äußerung des Satzes: (9)
Karl hat mir erzählt, daß er in Hamburg wohnt.
hinzufügen könnte: (9)
a. Aber er hat gelogen. -,
kann ich dies nicht ohne weiteres,? wenn ich zuvor gesagt habe: (9)
b. Karl hat mir erzählt, wo er wohnt.
"Telling that can be false telling what cannot." (ebd.:283) - und zwar ebenfalls, worauf Vendler nicht eingeht, wenn der Matrixsatz eine Nicht-Wissens-Situation zum Ausdruck bringt: (10) Ich habe von Karl nicht erfahren, wo er wohnt. (11) Karl weiß nicht, wo Sabine wohnt. Da durch die Bedeutung des Verbs wohnen der Nullfall ausgeschlossen ist, kann man sagen, daß der Sprecher in (10) und (11) mit wo auf den faktischen Wohnort oder die wechselnden faktischen Wohnorte referiert, seien sie nun ihm oder Karl bekannt oder unbekannt.8 w-Interrogativpronomina (im folgenden 'w-Interrogativa') bezeichnen also (abgesehen von ihrer kategorialen Komponente) nicht bloß eine gebundene Variable innerhalb eines intensionalen "Prädikatsbegriffs" (wie u.a. Wunderlich 1976:242ff. postuliert), sondern extensionalisieren die offene Proposition. Der Sprecher weist sozusagen aus den offenen Fenstern der Proposition in die Welt: auf Referenzobjekte, die als faktisch gedacht, aber nicht identifiziert werden.
7 Diese gegenüber Vendlers kategorischer "cannof-Behauptung abgeschwächte Formulierung nimmt die Einschätzung mehrerer deutscher Sprecher/innen auf, daß eine Sequenz (9b)-(9a) umgangssprachlich sehr wohl möglich sei. Sequenzen lassen ja stilistisch markierte Perspektivenwechsel zu, und einen solchen Wechsel von einer 'referentiell durchsichtigen' zu einer 'referentiell opaken' (vgl. Vendler 1980:281) Redewiedergabe wiid man der genannten Sequenz wohl mindestens zuschreiben müssen. Anden man die Reihenfolge der Aussagen, wird die Inakzeptabilität der w-Variante drastisch erhöht: (9) c. Karl hat mich gestern belegen: Er hat mir erzählt, *wo er wohnt. / daß er in Hamburg wohnt. 8
Man vergleiche auch: (10) a. Karl hat mir erzählt, daß er in Hamburg wohnt, aber nicht, WO er wohnt b. "'Karl hat mir erzählt, wo er wohnt, aber nicht WO er wohnt. c. Karl hat mir weisgemacht, daß er in Hamburg wohnt d. *Karl hat mir weisgemacht, wo er wohnt
20
3.3 w-Interrogativa und Erfüllungsmenge Im Gegensatz zu den Indefinitpronomina, mit denen Sprecher ja ebenfalls auf nicht identifizierte Referenzobjekte verweisen können, ist die Referenz mittels der w-Interrogativa nicht unbestimmt. Während man mit Indefinitpronomina die offenen Variablen via Existenzquantor gleichsam in ihrer Unbestimmtheit absegnet und nur die Nullmöglichkeit ausschließt, referiert man mit w-Interrogativa auf zwar noch nicht identifizierte, aber allemal identifizierbare Objekte; und wenn in vielen w-Sätzen und Kontexten die Referenz auf die Nullmenge nicht ausgeschlossen ist,9 wird doch immerhin die Ja/Nein-Entscheidbarkeit unterstellt. Sprecher legen sich also mit der Äußerung von Indefinite und w-Interrogativa in verschiedener Richtung fest: mit den ersteren auf Existenz, nicht aber auf Identifizierbarkeit, mit den letzteren nicht auf Existenz, sondern auf Entscheidbarkeit und (im positiven Fall) auf Identifizierbarkeit Definit könnte man andererseits auf den faktischen Wohnort Sabines mit: (11) a. der Ort, wo/an dem Sabine wohnt, oder auch spezifischer, z.B. mit: (11) b. die Kleinstadt, in der Sabine wohnt, referieren; dies wäre logiksprachlich zu notieren als: (11) a', ix [ORT (x) & WOHN (sabine, x)] b'. ix [KLEINSTADT (x) & WOHN (sabine, x)] Mit derartigen Kennzeichnungen wird nicht nur präsupponiert, daß das betreffende Argument (zumindest als bekannter Diskursgegenstand)10 existiert, sondern auch, daß es referentiell zureichend spezifiziert ist. Äußert ein Sprecher: (11) c.
Karl stammt aus der Kleinstadt, in der Sabine wohnt.,
so unterstellt er, daß der Adressat den Ort entweder durch die Konjunktion der Prädikationen eindeutig zu identifizieren vermag oder aber für den Zweck der Aussage nicht genauer zu kennen braucht. 9
Ich schließe mich in diesem Punkt (entgegen Keenan/Hull 1973) der Auffassung von Wunderlich (1976) und Zaefferer (1984) an: w-Sätze enthalten keine Existenzpräsupposition hinsichtlich der Antwortmenge. In den meisten Kontexten gehört es allerdings zu den "background assumptions" der Sprecher, daß die Antwortmenge nicht leer ist Vgl. auch u. S. 23f.
10 Dies ist das (der Bedeutung des bestimmten Artikels geschuldete) pragmatische Minimum, mit dem man auch den negativen Existenzsätzen beikommen kann: Der kahlköpfige König von Frankreich hat nie existiert. Dieser Satz wäre allerdings sinnlos und seine Referenz ginge ins Leere, wenn noch nie jemand über den 'kahlköpfigen König von Frankreich' ein Wort verloren hätte. In den meisten Kontexten wird jedoch aus leicht einsehbaren pragmatischen Gründen - mit der genannten Präsupposition auch faktische Existenz impliziert; nur in diesen Fällen darf streng genommen der Jota-Operator verwendet werden. Vgl. auch Reis (1977, Kap. 2.3).
21
Demgegenüber wird in einem entsprechenden w-Satz: (11) d.
wo/an welchem Ort/in welcher Kleinstadt Sabine wohnt
nicht einfach aus zwei Prädikationen eine fertige 'Schnittmenge' gebildet; vielmehr eröffnet die Interrogativmit ihrer impliziten (wo) oder expliziten (an welchem Ort/in welcher Kleinstadt) "Kategoriebedingung" (Wunderlich 1976:146) einen 'Suchbereich', aus dem heraus das Referenzobjekt, auf das die 'Interrogativfunktion' WOHN (sabine, x) zutreffen soll11, ohne deren Zuhilfenahme zu identifizieren ist: mittels ostensiver Deixis (z.B. auf der Landkarte: "Hier!"), Namensdeixis ("Einbeck") oder Kennzeichnung aus Merkmalen des Suchbereichs ("im Geburtsort Schotteis"). w-Interrogativa denotieren demnach die faktisch vorausgesetzte, aber noch unterbestimmte Schnittmenge zwischen dem Suchbereich und der Extension der Interrogativfunktion und konnotieren sie als 'Erfüllungsmenge'12 aus zugleich identifizierungsfähigen und -bedürftigen Elementen. Dabei sind hinsichtlich der anvisierten Spezifizierung zwei Detailliertheitsgrade zu unterscheiden, die sich in den kategoriefreien wInterrogativa welch und was für manifestieren und die Conrad (1978:90) "Identifikation" und "Spezifikation" nennt: (12) welchen Ball du möchtest (13) was für einen Ball du möchtest Welch 'verlangt' die Identifikation von Individuen oder Einzelobjekten des Suchbereichs, was für die Spezifikation von Teilmengen des Suchbereichs, innerhalb derer die Referenzobjekte aufzufinden sind. Ich gehe im folgenden auf diesen Unterschied nicht im einzelnen ein, wähle vielmehr im Anschluß an Öhlschläger (1988:24) den Terminus 'Spezifizierung' als Oberbegriff für 'Identifizierung' (w-Sätze) und 'Entscheidung' (E- und -Sätze, s. Kap. 4.3,4.4).
3.4 Mengenaspekte des w-Interrogativsatzes Wenn man die Referenzmenge der w-Interrogativa als Teilmenge des Suchbereichs bezeichnet, so impliziert dies, daß es sich auch bei diesem um eine Menge handelt. In der Tat präsentiert sich der Suchbereich in den landläufigen Beispielen als mehr oder minder begrenzte Menge aus räum-zeitlichen Objekten, ja ermangelt oft jeglicher Kategoriebedingung. Z.B. könnte man mit der Äußerung des w-Satzes: (14) was du davon am meisten magst 11 Den Begriffen 'Suchbereich' und 'Interrogativfunktion' entsprechen bei Keenan/Hull (1973) "domain of the question" und "question property", bei Conrad (1978) "Fragebereich" und "Antwortschema" bzw. "Aussagenfunktion"; Wunderlich (1976) verwendet dagegen den Terminus "Fragebereich" für die Extension der Interrogativfunktion. 12 Ich wähle die Termini 'Interrogativfunktion* und 'Erfiillungsmenge' - im Anschluß an Wunderlichs Begriff der "Erfüllung" (1976:238) - anstelle der vielleicht eingängigeren Ausdrücke 'Fragefunktion' und 'Antwortmenge', um alle illokutiven Assoziationen auszuschalten.
22
auf eine kontextuell bestimmte Kollektion aus einer Flasche Wein, dem Frageoperator und einer Partie Schach referieren. Andererseits zeigt dieses Beispiel, warum es ratsam erscheint, den Suchbereich vorsichtig als 'Bereich' zu titulieren: Er ist selten durch verbale Mittel eindeutig als Menge begrenzt In der Regel geben Sprecher gerade so viele deiktische oder prädikative Hinweise, daß die prospektiven Adressaten den intendierten Suchbereich aus ihrem Welt- und Kontextwissen zu rekonstruieren vermögen. Insofern kann der Suchbereich von (lld) (wo Sabine wohnt) in der Äußerungsbedeutung extrem variieren: z.B. 'die ganze Welt', 'alle Städte Deutschlands', 'alle deutschen Kleinstädte zwischen Hannover und Kassel', 'Wolfenbüttel oder Seesen'.l3 Zugleich erinnert die obige Interpretation von (14) daran, daß alle 'Welten' des Wahrnehmbaren und Denkbaren, des Konkreten und Abstrakten, der Tatsachen und Hypothesen, der Gegenstände, Prädikate und Sachverhalte als Suchbereich zu fungieren vermögen; die Beispiele (15>-(20) sollen dies ohne weitere Erläuterung illustrieren: (15) (16) (17) (18) (19) (20)
mit welchem Begriff Austin den bedeutungskonstituierenden Teilakt bezeichnet welche Farbe Svens neues Fahrrad hat wie sich dein neuer Pullover anfühlt was Ellen in Rom alles erlebt hat was gestern leicht hätte passieren können wovon Heinz heute nacht geträumt hat
Suchbereiche sind also unter Umständen recht abstrakte und in der Regel (semantisch oder auch pragmatisch) unscharfe Mengen; andererseits sind sie 'nach unten' scharf begrenzt durch Minimalbedingungen, die sich aus der Offenheit der Erfüllungsmenge herleiten: a. Suchbereiche von w-Sätzen müssen minimal 2 Elemente oder, falls für die Erfüllungsmenge eine Anzahl n angegeben ist (welche zwei von euch), minimal n+1 Elemente enthalten; andernfalls ist der Satz sinnlos (*wetche zwei von euch beiden studieren); b. mit w-Sätzen wird präsupponiert, (a) daß für mindestens ein Element des Suchbereichs die Möglichkeit besteht, daß es die Interrogativfunktion erfüllt, und (b) daß jedes Element des (pragmatisch begrenzten) Suchbereichs dafür als Kandidat in Frage kommt; c. ist für die Erfüllungsmenge eine Anzahl n vorgegeben, erhöht sich die präsupponierte Menge auf n Elemente. So wird in (21) präsupponiert, daß die Möglichkeit besteht, daß mindestens zwei der genannten Sportler die gleiche Sportart ausüben und insofern die Interrogativfunktion erfüllen können: (21) welche dieser Sportler gegeneinander antreten Bedingung b(a) umschreibt, was Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989:10) als "Implikatur" (besser als Implikation) von (3a) formalisieren: (II)
M [3x 3e [e INST [SCHLAF x]]]. (M = MÖGLICH)
13 Vgl. zu diesem Typ der "Antworterwartung": Conrad (1978:48ff.); Zaefferer (1984:33f.): Rehbock (1987:371ff.).
23
Man kann die Implikation auch negativ formulieren, wie dies Jacobs (1989:5) - allerdings unter Verwendung von Einstellungsprädikaten l4 - tut Wird mit (II) eine Minimalgröße der Erfüllungsmenge präjudiziert? Im Prinzip nein: Die Erfüllungsmenge kann grundsätzlich leer sein (vgl. Anm.9), insofern dies nicht durch qualifizierende Angaben (z.B. Numeralia, alles^) oder den Äußerungskontext ausgeschlossen wird. Andererseits ist aber ein starkes Rationalitätspostulat in Rechnung zu stellen: Referenz auf Spezifizierungsbedürftiges impliziert in gewissem Sinne, daß es da etwas gibt, das zu spezifizieren ist. Die OFFEN-Semantik der w-Sätze fundiert also die pragmatische Existenzimplikatur (3x P(x)) und macht sie zum Defaultfall, so daß es eher die Nullmengeninterpretation ist, die besonderer interaktionaler Bedingungen (z.B. der Abstimmungssituation) bedarf, nicht umgekehrt. Nicht nur durch quantifizierende Zusätze zur Interrogativkann die Existenzimplikatur unlöschbar werden, sondern auch durch die Bedeutung der Interrogativfunktion, die - ggf. im Zusammenspiel mit Adverbialangaben - der Erfüllungsmenge (EM) minimale, maximale oder exakte Größen vorgeben kann: (22) (23) (24) (11) e. (25) (26)
mit wem von euch Karla verheiratet ist mit wem von euch Karla verheiratet war wer Karls Schwiegereltern sind wo Sabine im vergangenen Jahr gewohnt hat wer Karls Vater ist mit wem Hanna immer noch Trio spielt
(EM: 0/1) (EM: O...n) (EM: 0/2) (EM: l...n) (EM: 1) (EM: 2)
Die Beispiele zeigen, daß die Erfüllungsmenge durch das Zusammenwirken von lexikalischer und 'enzyklopädischer' Information begrenzt wird und daß in der Regel ein Spielraum (n) bleibt für weitere kontextuelle Fesüegungen in der Äußerungsbedeutung, an deren Ergebnis sich schließüch bemißt, was in der Situation als 'vollständige Antwort' gilt und was nicht. Eine weitere Möglichkeit ergibt sich aus dem Umstand, daß die Interrogativfunktion nicht immer als intensionaler "Prädikatsbegriff' definiert werden kann, sondern in vielen Fällen eine näher zu bestimmende Individuen- oder Objektmenge deiktisch und ggf. (zusätzlich) prädikativ bezeichnet: (27) (28) (29) (30)
wer das ist / was das ist was das hier für Socken sind wer diese Leute hier auf dem Foto sind welche dieser Kinder Elisabeths Fünflinge sind
14 FRAGE8 X(p) -» -Bs (-3 X(p)) (-» "der Sprecher nimmt nicht an, daß es kein X gibt, das p erfüllt"). Im Rahmen des hier vertretenen ErkJärungsansatzes ist dies eine korrekte Implikation - auf der Ebene des rhetischen Aktes! 15 Reis (1990) zeigt, daß sich der Zusatz von alles auswirkt auf "a) Festigkeit der Existenzimplikatur, b) Auf treten einer pluralischen Existenzimplikatur, c) Exhaustivität der Antworterwartung", wobei c) die Basis für a) und b) ist Man kann b) aber noch verstärken: alles indiziert eine 'große' Erfüllungsmenge. Man setze in den w-Satz: wer alles zu deinem xxx gehört die musikalischen 'Formationen' Duo, Trio, Quartett,... Kammerorchester ein und beobachte die mit steigender Anzahl wachsende Akzeptabilität.
24
Hier wird nicht eine offene Proposition, sondern eine ungenügend identifizierte Individuenkollektion mit einem anderen Repräsentationsbereich konfrontiert, der vermutlich geeignet ist, die fehlende Identifizierung zu gewähren. Prototypisch dafür ist etwa die Identifizierungsaufgabe (30), die sich zuspitzen läßt zur Doppel-Suchbereich-Frage: Who is who? Diese letzte Beobachtung sowie die mit den Beispielen (15)-(20) angedeutete Ubiquität der Suchbereiche nötigen zur Revision der Metapher vom Blick aus den offenen Fenstern einer Proposition in die Welt; Fragefenster öffnen sich allerorten und vor allem: in jeder Blickrichtung.
3.5 Sind w-Interrogativsätze allquantifizierte E-Sätze? Es leuchtet nach dem bisher Gesagten wohl unmittelbar ein, daß keiner der vorhandenen logischen Quantoren geeignet ist, die Bedeutung der w-Interrogativa zu symbolisieren, insbesondere weder der Lambda-Operator, der die Offenheit der Interrogativfunktion bezeichnet, noch die Allquantifikation über den Suchbereich. Nach diesem Vorschlag Zaefferers (l984:3Iff.) sind w-Sätze wie (31) äquivalent mit einer Konjunktion von -Sätzen über alle Elemente der Suchmenge (31a) bzw. mit deren "üblicher Abkürzung" durch Allquantifikation (31b): (31)
Karl weiß, wer arbeitet. a. Karl weiß, ob Hans arbeitet, und er weiß, ob Mia arbeitet. b. Für alle in Frage kommenden Personen x: Karl weiß, ob arbeitet.
Eine Äquivalenz zwischen (31) und (31b) setzt jedoch - im Rahmen einer pragmatischen Beschränkung der "in Frage kommenden Personen", einer "kontextuell eingeschränkten Quantifikation" die Äquivalenz von (31) und (31c) voraus: (31) c.
Karl weiß, wer nicht arbeitet.
Wenn also (31b) eine "Paraphrase" von (31) sein soll, bedeutet das, daß der w-Satz (wer arbeitet) die Erfüllungsmenge und zugleich deren Komplementmenge denotiert. Dies ist aber allenfalls bei geschlossenen und überschaubaren Suchbereichen und Erfüllungsmengen plausibel. Zaefferers Analyseansatz versagt jedoch: a.
im Falle offener Suchbereiche:
(32) wo auf der Welt gerade jetzt ein Kind geboren wird b. bei Einbettungen unter Matrixprädikate, die keine semantische Geschlossenheit der Erfüllungsmenge und somit auch der Komplementmenge bewirken (vgl. Kap. 5.1). Zwischen (31d) und (31e)/(31ef) hätte Zaefferer nur schwer eine Äquivalenz behaupten können: (31) d. Karl weiß nicht, wer arbeitet e. Für alle in Frage kommenden Personen x: Karl weiß nicht, ob arbeitet (oder nicht). e1. Für keine der in Frage kommenden Personen x weiß Karl, ob x arbeitet (oder nicht).
25
c. wenn der an sich geschlossene Suchbereich unüberschaubar ist, wie z.B. für einen Gesamtschullehrer Karl die Menge seiner 180 Kollegen. Dennoch kann Karl genau wissen, daß er Fritz, Ruth, Liane und Konstanze Geld schuldet, und folglich zutreffend assertieren: (33) Ich weiß, welchen meiner Kollegen ich Geld schulde. Für die Genauigkeit der Referenz in (33) oder für die Wahrheit und Vollständigkeit einer eventuellen Antwort auf eine Rückfrage ist es aber vollkommen unerheblich, wie exakt Lehrer Karl sein großes Kollegium überblickt und ob ihm mit der Äußerung von (33a) und (33b) vielleicht ein referentieller Irrtum unterläuft: (33) a. Ich weiß, welchen meiner Kollegen ich kein Geld schulde. b. Für jeden meiner Kollegen weiß ich, ob ich ihm Geld schulde oder nicht. (33), (33a) und (33b) sind nicht paraphrastisch, sondern implikativ im Rahmen einer komplexeren Äquivalenz verknüpft, die der Beziehung der jeweils denotierten Mengen entspricht: (33) & (33a) 4-> (33b). Wenn Karl mit (33) andeutet, was er wirklich weiß, und sich mit (33b) nicht irrt, so formuliert er damit lediglich eine wahre Schlußfolgerung aus (33). Dieses Ergebnis läßt sich für alle Verwendungen von w-Sätzen generalisieren und folgendermaßen zusammenfassen: Mit w-Sätzen referieren Sprecher allein auf die unspezifizierte Erfüllungsmenge, und zwar im unmarkierten Fall mit dem Anspruch auf Vollständigkeit, so daß sich die Komplementmenge des Suchbereichs daraus gegebenenfalls durch Implikatur ergibt1^.
3.6 Die so dq/?-Struktur der w-Sätze Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß 'Kategoriebedingung' und 'Interrogativfunktion' eines w-Satzes nicht eine einfache Konjunktion bilden, so wie es etwa Wunderlichs Notation (1976:246) nahelegt: (34) *
[G(x) & F(x)],17
daß sie vielmehr als zwei Bereiche einander konfrontiert werden, vermittelt durch das Operatorglied, das eine Beschränkung der Suchmenge 'verlangt', so daß die Interrogativfunktion erfüllt werde. Diese strukturelle Komponente des w-Interrogativs kommt deutlich zum Ausdruck, wenn unterschiedliche Autoren im Zusammenhang ihrer Argumentation zu Paraphrasen greifen, die aus dem Pronomen eine Metaprädikation extrahieren:
16 Im Vorabdruck dieses Aufsatzes (S&P 18:16ff.) wird die Argumentation gegen Zaefferer detaillierter entfaltet 17 Allerdings hält Wunderlich Suchbereich und Interrogativfunktion kategorial auseinander ("Kategoriebedingung" vs. "Fragebereich"; vgl. 1976:246f.).
26 (35) "which NP are such that S" "what is it that you believe" "welches sind diejenigen x, die..."
(Keenan/Hull 1973) (Vendler 1980) (Conrad 1978)
Derartige Paraphrasen drängen sich vor allem dann auf, wenn man kontrastiv die semantische Differenz von w-Interrogativsätzen und w-Relativsätzen reflektiert, die Wunderlich (1976: 188f.,243f.) verwischt und Zaefferer (1984:55ff.) - übrigens sehr instruktiv auch Vendler (1980:278f.) - herausarbeitet. Ich möchte dies an einer Variation über Zaefferers Beispiel (1984:55) erläutern: l» (36) Monika liest, was Dieter mag. Die Differenz der beiden Lesarten geht aus der folgenden Ableitung hervor: (36) a.
relativ: Monika liest, was Dieter mag. Monika liest das Buch, das Dieter mag. Monika liest den "Butt".
b. interrogativ: Monika liest, was Dieter mag. Monika liest, was es ist, das Dieter mag. Monika liest, daß der "Butt" das Buch ist, das Dieter mag. Monika liest, daß Dieter den "BUTT" mag. Die Ableitung (36b) enthält ein Argument für die grundsätzliche Richtigkeit der Paraphrase: Sie nutzt die Tatsache, daß jede Antwort auf eine w-Frage, wenn sie als vollständiger Satz formuliert wird, die Antwortkonstituente fokussiert und damit in einen 'cleft sentence' transformiert werden kann. 19 Allerdings ist die genannte Paraphrase recht unspezifisch und müßte bei der Anwendung auf unterschiedliche w-Fragetypen jeweils modifiziert werden. Mir geht es hier jedoch nicht um Formulierungsnuancen, sondern um den wichtigeren Aspekt, daß diese Paraphrasen - wie auch immer formuliert (aber besonders klar bei Keenan/Hull 1973) - die im w-Interrogativ anvisierte gerichtete Spezifizierungsrelation zwischen Suchbereich und Interrogativfunktion extrapolieren und damit die semantische so dq/S-Struktur des w-Satzes offenlegen.
18 Wunderlichs Beispiel (96): Luise sieht, wer kommt (1976:242) würde sich ebenso eignen, wenn die von ihm postulierte Relativsatz-Interpretation (also = "Luise sieht den, der kommt") akzeptabel wäre. Sie ist es jedoch nicht, da relativisches wer nur als verallgemeinerndes Pronomen und mit besonderen Stellungs- und Korrelatbeschränkungen vorkommt 19 Damit ist nicht gesagt, daß auch die w-Interrogativa regulär fokussiert seien. Der Antworttcrm ist das Ergebnis einer Entscheidung und kontrastiert daher mit den ausgeschlossenen Elementen des Suchbereichs; das w-Interrogativ dagegen eröffnet den Entscheidungsraum mit dem - notwendigerweise nicht-kontrastiven Verweis auf die darin enthaltenen Antwortelemente. Wird dagegen das w-Interrogativ selbst fokussiert (WO bist du gestern gewesen?), so wird dadurch der an dieser Stelle weiter bestehende Spezifizierungsbedarf gegenüber der unzulänglichen Antwort kontrastiv hervorgehoben.
27
4.
Zur formalen Notation der Interrogativsatzbedeutung
4. l w-Interrogativsätze: Beschreibungsverfahren Eine zureichende Formalisierung der Bedeutung von w-Sätzen muß drei Anforderungen gerecht werden: a. Sie muß die in 3.6 erläuterte Spezifizierungsstruktur angemessen abbilden; b. sie muß die in 3.3 explizierte Besonderheit des w-Interrogativs erfassen, eine Offene' und zugleich in gewissem Sinne 'bestimmte', nämlich identifizierbare Referenzmenge zu denotieren: die prospektive Erfüllungsmenge innerhalb des Suchbereichs, die der Interrogativfunktion genügen soll; c. sie sollte es - entsprechend dem Ziel dieser Arbeit - gestatten, die Bedeutung eingebetteter und uneingebetteter w-Sätze aus derselben semantischen Gmndstruktur abzuleiten. Der erstgenannten Anforderung wird in unterschiedlichem Maße von den Autoren/innen entsprochen, die die drei Bereiche der w-Sätze in einer Dreigliedrigkeit der entsprechenden Formeln wiedergeben, z.B. Keenan/Hull (1973:444); Conrad (1978:30); Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989:10): (37) a. which, NPX S b. ?X[Kq](S(X))
(Keenan/Hull) (Conrad)
(3)
(B/R/Z)
a.
[[OFFEN X [PERSON x]] [3e [e INST [SCHLAF x]]]]
Allerdings wird die engere Zusammengehörigkeit der beiden ersten Glieder bei Keenan/Hull überhaupt nicht und bei Conrad durch das Mittel der Indizierung20 allzu stark zum Ausdruck gebracht, während die Klammerung in der Formel von Brandt/Rosengren/Zirnmermann die Zuordnungen klar abbildet. Noch deutlicher tritt die von mir postulierte so do/J-Struktur in einer "Analysevariante" von Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989:13) hervor: (3)
b.
[OFFEN X [[PERSON x] : [3e [e INST [SCHLAF x]]]]]
- und zwar durch Einführung eines durch den Doppelpunkt symbolisierten gerichteten "derart daß"-Konnektors in die Notation. Ich werde diesen Konnektor deshalb in meine Notationsversuche übernehmen (s. u. IV). Unzureichend oder überhaupt nicht wird dagegen in den mir bekannten Formeln der referentielle Bezug der Interrogariwariable auf die Erfüllungsmenge (s.o. b.) bezeichnet Da hierin eine wesentliche Funktion des zu definierenden OFFEN-Operators zu erblicken ist, scheint sich Anforderung b. sehr leicht auf definitorischem Wege erfüllen zu lassen, etwa durch die folgende Formulierung:
20 "[...] das gefragte Element "X", das mit einer Indizierung seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse "Kq" versehen ist, [...]" (Conrad 1978:83).
28 (III)
Der OFFEN-Operator - im folgenden (kleines Omega) geschrieben - bindet die Variable der Proposition und bezieht sie referentiell auf eine Teilmenge des durch die Kategoriebedingung umrissenen Suchbereichs: auf die unspezifizierte, als spezifizierbar unterstellte, aus den Möglichkeiten des Suchbereichs zu spezifizierende Erfüllungsmenge.
Die referentielle Restriktion der Variable auf die Erfüllungsmenge könnte also im Operator mitgedacht und müßte nicht explizit notiert werden. Jedoch ergäbe sich daraus der Nachteil, daß ein wichtiger Aspekt der Anforderung c. schwer zu erfüllen wäre: Eine Formalisierung der Bedeutung eingebetteter w-Interrogativa muß abbilden können, daß diese unter positiven Wissens-Prädikaten ihre "Wertoffenheit" (Pasch 1990) einbüßen, ihre referentielle Offenheit jedoch behalten (genauer dazu unten Kap. 5.1). Mit der Äußerung des Satzes: (11) f.
Karl weiß, wo Sabine wohnt.
referiert der Sprecher auf eine Offene' (einelementige) Erfüllungsmenge, von der er zugleich sagt, daß sie für Karl 'geschlossen' ist, daß dieser sie nämlich innerhalb der Suchmenge der möglichen Wohnorte zu identifizieren imstande ist. Der ungenannte, aber Karl bekannte 'Wert' der Interrogatiwariablen bildet das eigentliche Argument des Matrixprädikats und muß als solches notiert werden können. Es liegt nahe, einen spezifizierten (Antwort- )Wert mit einem Identitäts-index zu kennzeichnen; insofern empfiehlt es sich, den unspezifizierten Wert der w-Interrogativa durch eine Indexvariable zu symbolisieren, die im Falle der Einbettung zum Argument des Matrixprädikats werden kann: (IV)
[[{xv} c
( )] : [3e INST (e, F(xv))]]
Ein Beispiel möge zur Erläuterung dieser Formel dienen: (38) a.
welche der Sinfonien Beethovens in F-Dur geschrieben sind [[{xv} c [SINFONIE (x) & SCHREIB (beethoven, x)] : [3e INST (e, FDUR
Die Kategoriebedingung innerhalb der w-Phrase ergibt die Suchmenge: [SINFONIE (x) & SCHREIB (beethoven, x)], innerhalb derer das w-Interrogativ eine unspezifizierte unechte Teilmenge21{xv} denotiert, auf deren Elemente die Interrogativfunktion: [3e INST (e, FDUR(x))] zutreffen soll. Die identifizierten Elemente der Erfüllungsmenge {xv} sind als xg und xg ("die Sechste und die Achte") zu benennen; {xv} und {x6,xs) sind referenzidentisch. Daß die Indexvariable hier Zahlenwerte vertritt, ist eine durch das Beispiel gewährte Notationserleichterung, aber keineswegs von tieferer Bedeutung; die Indizes bezeichnen Identitätswerte, die je nach den pragmatischen Antwortbedingungen auch ganz anders benannt werden können, im Falle der Sinfonien Beethovens z.B. mit einem Epitheton wie 'die Pastorale' oder durch das Singen 2l Es handelt sich nicht um eine "echte Teilmenge", da (x v ) mit der Suchmenge identisch sein kann. Die Relation muß also mit dem "Subsumptor" ; bezeichnet werden.
29
eines Hauptthemas. Wichtig für den Zweck unserer Formalisierung ist jedoch - anstelle der üblichen Individuenkonstante (z.B. pa für 'Pastorale') - die Schreibweise der Variablenausprägung (z.B. Xpa oder xö),22 damit der unspezifizierte Individualwert selbst als Indexvariable erfaßt werden kann. Da der Omega-Operator das Argument der Interrogativfunktion bindet,23 ist es formal notwendig, die Indexvariable auch in den zweiten Teil der Formel einzuführen. Inhaltlich erscheint dies zunächst als unplausibel, da man die Interrogativfunktion 'sind in F-Dur geschrieben für sich genommen auf alle in F-Dur geschriebenen Musikstücke bezieht Betrachtet man jedoch die Interrogativfunktion im Zusammenhang des ganzen w-Satzes, erweist sich das Koindizierungsgebot auch inhaltlich als wohl begründet: Es wird nicht die offene Menge aller F-Dur-Stücke durch die Kategoriebedingung auf die Schnittmenge der beiden Sinfonien beschränkt, sondern umgekehrt: Die durch die Kategoriebedingung begrenzte Suchmenge wird auf diejenige Teilmenge restringiert, die auch der Interrogativfunktion genügen soll; diese bezieht sich also referentiell nur auf die gemeinte Erfüllungsmenge.
4.2 w-Interrogativsätze: Beispiele der Notation Die im vorigen Abschnitt entwickelte Grundformel (IV) kann partiell modifiziert werden, je nach der Art der Interrogativfunktionen, Suchbereiche oder der vom Operator gebundenen Variablen (Individuen- oder Prädikatvariablen). Ich möchte dies an einigen Formalisierungsbeispielen demonstrieren, die ohne weitere Erläuterungen verständlich sein dürften. Um der Übersichtlichkeit willen lasse ich in ihnen die Instantiierungsrelation fort (vgl. 3b-3c). (3)
wer schläft a. b. C.
(29) a.
[[OFFEN x [PERSON x]][3e [e INST [SCHLAF x]]]] [[{xv) c PERSON (x)]: [3e INST (e, SCHLAF (xv)]] [[{xv) c
PERSON (x)] : SCHLAF (xv)]
wer diese Leute sind
b. coxv [[{xv} c
PERSON (x)]: [xv = 9y [PERSON (y)]]
(22) a. mit wem von euch Karla verheiratet ist b. mit wem (alles) von euch Karla verheiratet war c. o>xv [[ {xv} c {ad i. ..n} ]: VERHEIRATET (karla, xv)] 24
22 Entsprechend könnte man das Individuum Paul Müller alias Nummer 2137 als *2137 notieren: ENTFLIEH [X2137 l *2137 * GEFÄNGNISINSASSE(x)]. 23 Dabei handelt es sich nicht etwa um einen Funktor des Typs (1/0)/1 (wie der Jota-Operator), sondern aufgrund der syntaktischen Position um einen Operator des Typs (0/0)/0)/1 (wie der Alloperator); vgl. Brandt/ Rosengren/Zimmermann (1989:9). 24 adi„.n = Adressaten l...n ; die redundante Prädikation PERSON (x) ist hier fortgelassen.
30 (39)
welcher starke Mann unter euch meinen Koffer trägt
a.
[[{ } c
[MANN (x) & STARK (x)] & e{adi...n)] : TRAG [xv, ly
[KOFFER (y) & GEHÖR (y, sp)]]] ( 1 2) a.
welchen Ball du möchtest coxv [[{xv} c BALL (x)] : MÖCHT (ad, xv)]
a.
was für einen Ball du möchtest (oEv [[ [BALL ( ) & ( )]] : MÖCHT (ad, )]
a.
welche Farben Svens Fahrrad hat (OEV [[{Ev} c FARBE (E)] : Ev [ly [FAHRRAD (y) & GEHÖR (y, sven)]]]
(13)
(16)
Die von den w-Sätzen denotierten Mengen, speziell die Variablen, sind in den obigen Formeln mit Bedacht nicht quantifiziert; denn das ist auf der semantischen Ebene nur möglich, wenn die Anzahl der Elemente im Satz explizit genannt wird. Dagegen erfolgen quantitative Spezifizierungen (z.B. (22a) vs. (22b)) gegebenenfalls in der Äußerungsbedeutung, desgleichen Beschränkungen der Suchmenge (z.B. in (16) auf die fahrradüblichen Farben) (vgl. oben Kap. 3.4). Die Verwendung nicht-quantifizierter Variablen erlaubt eine einheitliche Notation multipler w-Sätze mit "einwertigen" oder "mehrwertigen" (Klumpp 1990:2) Suchmengen. Im Regelfall mehrwertiger Mengen geht es nicht (nur) um die Identifizierung der Variablen, sondern primär um die Identifizierung der richtigen Zuordnungen innerhalb der Suchmenge der möglichen Kombinationen. Dies läßt sich am besten durch eine Tupel-Schreibweise formalisieren: (40) a.
welcher Koffer welchem Fahrgast gehört to(xv,yw)u [[{(xv,yw)u} c ( , y)v w [KOFFER (x) & FAHRGAST (y)]] : GEHÖR
Angenommen, die Äußerung von (40) bezöge sich auf 12 Koffer und 20 Fahrgäste, und zwei Koffer würden sich als herrenlos herausstellen: so ergäben sich als Erfüllungsmenge 10 geordnete Dupel (xi,yj)n, die eine (in diesem Fall immer) echte Teilmenge der vXw = 201/10! = über 600 Milliarden möglichen Dupel bilden. Im Falle einwertiger Suchmengen dagegen (z.B. in Klumpps (1990:17:(26)): Wer trifft im Endspiel des Herren-Einzel Tennisturniers auf wen?) reduzieren sich u und vXw quantitativ auf l , und die Tupel-Notation wird in der oben angegebenen Form25 redundant.
25 Es geht dann um das eine Dupel aus den möglichen Kombinationen des durch x und y abgesteckten GesamtSuchbereichs, eine Größe, die in der Formel nicht erscheint
31
4.3 Entscheidungs-interrogativsätze Von hier aus möchte ich einen Blick auf die -Sätze werfen, die sich ja dadurch auszeichnen, daß mit ihnen mangels positiver Alternativen systematisch auf eine negative Alternative verwiesen wird. Handelt es sich dabei um die Disjunktion p v -p, wie immer wieder behauptet wurde? Dem hat Bolinger (1978) mit guten Argumenten entgegengehalten, daß mit der positiven Frage: (2)
Schläft Peter?
nur diese positive Formulierung der Beurteilung anheim gestellt wird, daß also die Bedeutung dieses Satzes eben nicht bedeutungsgleich ist mit: (2)
b. Schläft Peter oder nicht?
Wunderlich (1976:231) muß dies behaupten, weil er im Einklang mit dem "propositional approach" (Bäuerle 1979) annimmt, daß der E-Satz (2)
c.
ob Peter schlaf t
mit dem darin bezeichneten Propositionsbegriff die Propositionsklasse M = {p, -p} thematisiert (1986:230). Damit wird aber die negative Alternative auf der falschen Ebene angesiedelt; in Frage steht nicht das Zutreffen des Schlafens/Nicht-Schlafens, sondern das Zutreffen/NichtZutreffen des Schlafens (was trotz logischer Äquivalenz nicht das Gleiche ist). Nicht um eine Disjunktion von Propositionen geht es im -Satz; die Interrogativfunktion besteht aus der einen ausgedrückten Proposition. Deren Faktizität oder Nicht-Faktizität bildet den Such- oder besser: den Entscheidungsbereich; denn um einen referentiellen Suchbereich wie bei den w-Sätzen kann es sich mangels positiver Alternativen nicht handeln. Bezogen auf die grundlegende Formel des Deklarativsatzmodus: 3e [e INST p] (s.o. (I)) bedeutet dies, daß im -Satz nicht die Alternative p / —p, sondern 3 / -3 zur Entscheidung gestellt ist. Somit muß der OFFEN-Operator in -Sätzen entsprechend der Definition von Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989:8f.) ein andersartiger Funktor sein als in w-Sätzen, nämlich ein "Funktor des Typs 0/0 [...], d.h. ein einstelliger propositionaler Funktor wie NEG": (2)
a.
OFFEN [3e [e INST [SCHLAF PETER]]]
Der Nachteil dieser formal untadeligen Notation ist, daß sie den Eindruck erweckt, als nehme der OFFEN-Operator die Formel (I) in seinen Skopus, die als solche die Nicht-Offenheit des Deklarativmodus, die entschiedene Faktizität zum Ausdruck bringt. Dieser scheinbare Widersinn entsteht dadurch, daß (I) eigentlich im Skopus eines Operators POS (ebenfalls vom Typ 0/0) steht, eines 'positiven Vorzeichens' des Existenzquantors, das nach den Gepflogenheiten der Logik nicht notiert wird. Der OFFEN-Operator tritt somit an die Stelle dieses nicht notierten
32
'POS', denn er bringt die Disjunktion, genauer: die "Exklusion" (d.h. die 'aut'-Relation)26 von POS/NEG zum Ausdruck. Offen ist, ob der Sachverhalt e durch ein oder -3 zu binden sei; offen ist das 'Vorzeichen' des 3-Operators, das letztlich über Faktizität oder Nicht-Faktizität entscheidet. Es ist deshalb angebracht, den OFFEN-Operator des -Satzes als Operatorvariable aufzufassen, die die beiden Werte 'POS' und 'NEG' bzw.'+' und '-' annehmen kann; ich schreibe ihn künftig als (großes Omega). faßt also die für den -Satz entscheidende Exklusion 3/ -3 zusammen und drückt zugleich (entsprechend dem kleinen Omega) die Entscheidbarkeit und Entscheidungsbedürftigkeit dieser Exklusion aus. Auch hier wird es für die formale Beschreibung eingebetteter Sätze wichtig sein, den offenen 'Wert' der Operatorvariable als Argument des Matrixsatzes notieren zu können (vgl. die Abschn. 4.1, 5.1). Ich füge deshalb dem einen Index hinzu, der die Wertemenge {+/-} bezeichnet. Somit ergibt sich die folgende Formel für die Bedeutung des E-Satzes: (V)
3
5 [ , ];
oder angewendet auf (2) Schläft Peter? bzw. (2c) ob Peter schläft (vgl. die Formel von Brandt/ Rosengren/Zimmermann oben (2a)): (2)
d.
3e INST [e, SCHLAF (peter)]
Es scheint mir ganz unerläßlich, das -3 zur Explikation dessen, was in diesem Zusammenhang 'OFFEN' heißt, einzuführen. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß dem -3 im Gegensatz zu seinem positiven Gegenspieler kein selbständiger semantischer Wert zukommt; denn es gibt kein nicht-propositionales Mittel, um -3 auszudrücken, keinen Anti-Deklarativsatzmodus. Will man das Nicht-Zutreffen des Sachverhalts, daß Peter schläft, deklarativ formulieren, so entsteht daraus eine Aussage über das Zutreffen des Sachverhalts, daß Peter nicht schläft, mit einem positiven 3 als Satzmodusoperator. Im -Satz sind deshalb die beiden Elemente des Suchbereichs (3/—3) nicht gleichberechtigt: Das -3 ist nur die hypothetische negative Folie für das zur Disposition gestellte 3. Dieser prinzipiell positive 'bias'27 des -Satzes hat zur Folge, daß man -Fragen (uneingebettet geäußerte -Sätze) mit Ja und Nein, also mit Zustimmungs- und Ablehnungspartikeln, zu beantworten pflegt.
26 Der Terminus 'Disjunktion' wird in der Logik (vgl. z.B. Menne 1973) für die durch den Funktor 'v' ausgedrückte 'veF-Relation reserviert. Hier dagegen geht es um die Entscheidung zwischen entweder POS oder NEC, also um den 'kontraren Gegensatz', das 'exklusive Oder', in der Terminologie Mennes: die 'Exklusion', die durch den Funktor'/' symbolisiert wird. 27 Vgl. dazu Pope (1976); Rehbock (1987). Spezielle 'Antworterwartungen' und 'Hintergrundannahmen' lasse ich aber in dieser Arbeit bewußt außer Betracht
33
4.4 Alternativ-Interrogativsätze Die Beschreibung der -Sätze läßt sich auf Alternativ-Interrogativsätze ( -Sätze) ausweiten. Ich schließe mich also nicht der Auffassung derjenigen (z.B. Conrad 1978; Bäuerle 1979) an, die die -Sätze als verkappte w-Sätze analysieren, in welchen der Suchbereich nicht pauschal durch eine Kategoriebedingung, sondern durch Aufzählung seiner Elemente bestimmt sei. Das ist zwar für bestimmte Beispiele durchaus plausibel: (41) a. welchen der Oistrachs du am liebsten magst b. welchen der Oistrachs du am liebsten magst, David, Igor oder Valerij c. ob du David, Igor oder Valerij Oistrach am liebsten magst Diese Sätze sind äquivalent, da durch die Interrogativfunktion die Erfüllungsmenge auf ein Element beschränkt ist, also auch (41 a) eine exklusive Entscheidung verlangt. Man tilge aber in den drei Sätzen das Adverbial am liebsten oder ersetze auch das Prädikat, etwa durch gestern gehört hast: Das Ergebnis ist, daß der -Satz (41c) und der 'gemischte' w-A-Satz (41b) nach wie vor die Notwendigkeit einer Entscheidung präsupponieren, der w-Satz (41a) dagegen nicht. Das oder in -Sätzen ist grundsätzlich 'exklusiv'; man kann mit der Frage: Möchtest du Pudding/ oder Eis\?l& nicht zum Ausdruck bringen: oder beides?, es sei denn man setze es explizit hinzu. Die Beziehung von Erfüllungs- und Suchmenge in w-Sätzen ist dagegen nur unter bestimmten Kontextbedingungen exklusiv, während kontextfrei ein wer als wer alles zu verstehen ist: eine schlechte Basis für die semantische Beschreibung von A-Sätzen. Ich fasse also -Sätze als Exklusion von -Sätzen auf, auch im häufigeren Fall der Satzglied-Alternative: Möchtest du Pudding oder Eis? = Möchtest du Pudding oder möchtest du Eis? Damit scheine ich jedoch in Schwierigkeiten mit dem oben definierten -Operator zu geraten, da es in -Sätzen nicht um die Exklusion 'POS/NEG', also 3e/-3e geht, sondern um die positiven Alternativen des Zutreffens unterschiedlicher Sachverhalte, also um 3ei/3e2/3e3... Muß dafür eine weitere Variante des OFFEN-Operators postuliert werden? Daß es auch mit dem -Operator geht, zeigt sich, wenn man die negativen Aspekte der Exklusion expliziert: 3e!/3e2 = (3ei & -3e2) v (-Bei & 3e2) = (3ei & -3e2) / (-3ei & 3e2) Dieser Vorzeichenlage ist mit einem einfachen POS/NEG-Operator sicherlich schwer beizukommen, wohl aber mit einer komplexeren Operatorvariable (für den gesamten -Satz), deren Werte aus Vorzeichensequenzen (für alle vorhandenen Existenzquantoren) bestehen: + - / + bei zwei Gliedern, + — /- + -/ — + bei drei Gliedern und so fort. Zur weiteren Vereinfachung der Notation führe ich folgende Schreibkonvention ein: (VI)
={+/-}
28 Die Intonationshinweise (/,\) sollen die Frage als -Satz disambiguieren. In einer nicht-alternativen Lesart handelt es sich um einen -Satz mit disjunktivem Objekt, für den das hier Gesagte natürlich nicht gilt.
34
Auf diese Weise bekommt man einheitliche Beschreibungen für E- und -Sätze, die sich nur durch die Anzahl der vom Operator gebundenen Satzformeln und die zugehörige Indexvariable unterscheiden: (42) a. (43)
a.
ob Karl liest oder schläft [3ei INST [ei, LES (karl)], 3e2 INST [e2, SCHLAF (karl)]] ob du David, Igor oder Valerij gehört hast
[Bei INST [ei, HÖR (ad, david)], 3e2 INST [e2, HÖR (ad, igor)], 3es INST [63, HÖR (ad, valerij)]]
Ein gewisser Nachteil dieser Notation besteht allenfalls darin, daß das explizite oder der ASätze ebenso wie das implizite oder der -Sätze in der Operatorvariable 'versteckt' ist.
4.5 Schlußbemerkung Was ist der Sinn all dieser Formeln? Sie sind dazu gedacht, eine Auffassung des Interrogativmodus zu präzisieren, die das Konzept der Sprechereinstellung durch das der (potentiellen) Referenz ersetzt. Bei den w-Sätzen leuchtet es vielleicht unmittelbar ein, daß der den Offenen' Satzmodus symbolisierende -Operator etwas mit Referenz zu tun hat, da er die Funktion besitzt, ein nominales Argument zu binden. Der -Operator in den E- und -Sätzen dagegen bindet keine Variable, sondern ist selbst eine Variable, dies allerdings als 'Vorzeichen' zu eben jenem Funktor, der die für den Deklarativmodus typische faktische Sachverhaltsreferenz symbolisiert (vgl. oben Kap. 2 und Rehbock 1989). Akzeptiert man die in Rehbock (1989) gegebene Beschreibung, sind auch die E- und -Sätze für ein referentielles Satzmodusmodell gesichert.
5.
Interrogativsatzmodus im Einbettungs- und Äußerungskontext
5.1 Die Bedeutung eingebetteter Interrogativsätze Wunderlich (1976:231) nimmt an, daß I-Sätze durch die Einbettung in "bestimmte Matrixsätze" - z.B. Luise weiß, ob Paul schläft- extensionalisiert werden, "ähnlich wie definite Antworten den propositionalen Gehalt der Frage extensionalisieren". Entsprechend sagt Kiefer (1981: 166f.): Die eine Situation des Wissens bezeichnenden (z.B. know, see, realize) oder präsupponierenden (z.B. explain, consider) Prädikate "can turn logically open structures into closed structures." Danach wären also die w-Komplementsätze von (44a) und (44b) Offen', die von (44c) und (44d) dagegen 'geschlossen' bzw. 'extensionalisiert':
35 (44) a. b. c. d.
Luise Luise Luise Luise
weiß nicht, möchte wissen, weiß, erzählt Karl,
l wer den Kuchen gebacken hat ° J
Dies ist jedoch - wie schon oben in Kap. 4. l angedeutet - allenfalls die halbe Wahrheit. Nicht genügend bedacht wild dabei, daß es keinen Einfluß auf die referentielle Qualität des w-Satzes hat, ob "in allen mit Luisens Wissen verträglichen Welten [...] die Frage entschieden, also extensionalisiert" (Wunderlich 1976:231) ist oder nicht, daß vielmehr die gemeinte Erfüllungsmenge in (44c) und (44d) ebenso Offen' oder "reticent" (Vendler 1980:283) apostrophiert wird wie in (44a) und (44b) oder in dem entsprechenden uneingebetteten w-Satz (Wer hat den Kuchen gebacken?). Für den Hörer oder Leser all dieser Sätze bleibt die mit wer bezeichnete Person unidentifizieit, ganz gleich, was ihm darin über Luisens Wissen oder Nicht-Wissen mitgeteilt wird.29 Andererseits kann der Sprecher mit dem in (44a)-(44d) eingebetteten w-Satz kein Spezifizierungsbedürfnis zum Ausdruck bringen oder gar den Hörer zu einer Spezifizierungsleistung auffordern - auch dies wiederum unabhängig von Luisens Wissensstand. In einem eingebetteten I-Satz dient die offene Referenz allein dem Zweck, daß der damit eingeführte unspezifizierte Wert der Erfüllungsmenge als Argument des Matrixverbs fungieren kann: Luise weiß oder weiß nicht diesen 'Wert', d. h. die Identität derjenigen Personen, auf die der Sprecher mit wer referiert. Auf der Ebene des Matrixsatzes entscheidet sich, ob für dessen Subjekt die Proposition des Komplementsatzes Offen' oder 'geschlossen' ist Um diese semantische Beziehung formalisieren zu können, habe ich (wie in Kap. 4.1 erläutert) die Indexvariable eingeführt, die aus dem Omega-Glied des eingebetteten Satzes extrahiert und im Matrixsatz durch einen Operator gebunden wird, den das Matrixprädikat bereitstellt Im Fall von WISSENS-Prädikaten handelt es sich um einen Definitheitsoperator, der semantisch, aber nicht hinsichtlich des Typs3° dem Jota-Operator entspricht und bei d^/ß-Satz-Komplementen die Sachverhaltsvariable e bindet. Ich notiere ihn als T: (45) a.
Luise weiß, daß der Kuchen fertig ist.
b. 3e [INST [e, WEISS [luise, Je' INST [e1, FERTIG (ly KUCHEN (y))]]]] Entsprechend der Definition des Jota-Operators präsupponiert (45b) die Faktizität des Sachverhalts e', d.h. einen Satz des folgenden Inhalts: (45) c.
3e' [INST [e1, FERTIG (ly KUCHEN (y))] & FAKT (e')] ;
29 Wunderlich merkt zwar an: "Wer diesen Sau äußert, mag vielleicht wissen, ob Paul schläft, aber es nicht verraten wollen, oder er mag es nicht wissen und auf Luise als Gewährsperson verweisen" (231); er zieht jedoch aus dieser Beobachtung keine Konsequenzen. 30 Er muß ein Argument der Kategorie 'S' binden und ist vom Typ (0/0)/ö (bei dqß-Sätzen) oder (0/ö)/l (bei wSätzen), zusammengefaßt: (0/0)/o.
36
und diese Präsupposition (45b) -» (45c) entspricht der Faktivität von daß-Sätzen nach WissensPrädikaten.31 Soll nun im eingebetteten I-Satz die Indexvariable vom Definitheitsoperator gebunden werden, so setzt dies eine ähnliche Faktizitätspräsupposition voraus, allerdings nicht hinsichtlich des Sachverhalts - es handelt sich nicht um faktive Sätze -, sondern eben hinsichtlich der Indexvariablen. Daß die Annahme einer derartigen Präsupposition wohlbegründet ist und zur Definition des Omega-Operators herangezogen werden kann, geht aus den Ausführungen des Kap. 3 hervor: Jeder I-Satz präsupponiert prinzipielle Beantwortbarkeit32, d.h. die Existenz identifizierbarer/entscheidbarer Werte der Interrogatiwariablen. Für den w-Satz läßt sich dies in folgender Formel verdeutlichen:
(46)
[Pi (x v ): ?2 (xv)l -> 3v [((3x (Pi (x): v=||x||)) / v=0) & FAKT(V)] (P l, 2: Prädikate der Kategoriebedingung und Interrogativfunktion; v=||x|| /v=0 : v ist entweder 'Wert von x'33 oder Null. Das Konsequens der Implikation besagt also, es gebe ein faktisches, als Null oder als Wert von identifizierbares v.)
Nach der Jota-Präsupposition (45b) -> (45c) folgt aber das Konsequens von (46) ebensogut aus einem Jv-Antezedens, und insofern ist es nicht nur intuitiv einleuchtend, sondern auch formal korrekt, den w-Satz durch 'Extraktion' der Indexvariablen in den Matrixsatz einzubetten: (44) a./c. Luise weiß, wer den Kuchen gebacken hat e. WEISS [luise, Jv [coxv [[{xv} c PERSON (x)]: BACK (xv, ly KUCHEN
(y))]]]34
(übersetzt: Luise weiß den/die Identitätswert(e) v der Person(en) {xv}, für die gilt, daß sie den Kuchen gebacken hat/haben.) Da der J-Operator die auf der Entscheidbarkeitspräsupposition beruhende Definitheit des Identitätswertes symbolisiert, wird er von der Negierung des Matrixverbs nicht betroffen: (44) a./c. Luise weiß nicht, wer den Kuchen gebacken hat. e. - WEISS [luise, Jv [ [[{xv} c PERSON (x)]: BACK (xv, ly KUCHEN
31 Zu den kontextuell möglichen Verhinderungen der Faktivivtät nach wissen vgl. Reis (1977). 32 Dies gilt auch für pragmatisch unbeantwortbare Fragen wie: Gibt es ein Leben nach dem Tode? Sinnlos wird eine Frage erst dann, wenn sie als objektiv unbeantwortbar gedacht werden muß. Z.B. wäre es nach den Erkenntnissen Heisenbergs sinnlos, nach dem exakten On eines Elektrons zu fragen. 33 Die senkrechten Doppelstriche entstammen einem mündlichen Vorschlag von I. Zimmermann. 34 Auch hier habe ich die Instantiierungsrelation der Übersichtlichkeit halber fortgelassen; vollständig muß die Formel lauten: (44) e1. INST [e, WEISS [luise, Jv [ [[{xv) C PERSON (x)]: 3e' INST [e1, BACK (xv, ly KUCHEN
37
Der J-Operator drückt also keineswegs die Geschlossenheit der Erfüllungsmenge nach positiven WISSENS-Prädikaten aus (s.o. S. 34f.). Die Charakterisierung der Erfüllungsmenge als Offen' oder 'geschlossen' relativ zum Matrixsubjekt ist kein unmittelbares Bedeutungselement des w-Satzes, sondern eine Implikation der Gesamtsatzbedeutung35: Luise weiß (nicht), wer ... impliziert: Luise kann die Elemente der Erfüllungsmenge (nicht) identifizieren. Die semantische Notation des w-Satzgefüges bleibt davon unberührt. Insofern bieten auch diejenigen Matrixprädikate, die keine daß-Satz (= Je-) Einbettung erlauben, wie z.B. FRAGEN kein Problem für die Notation: (47) a.
Luise fragt, wer den Kuchen gebacken hat. FRAG [luise, Jv [ [[{xv} c PERSON (x)] : BACK (xv, ly KUCHEN (y))]]]
Für den eingebetteten E- (und A-)Satz kann die Bindung der Indexvariable ganz analog begründet werden. Mit der Äußerung eines -Satzes wird präsupponiert, daß einer der beiden analytisch gegebenen Werte von (+/-) bezogen auf den formulierten Sachverhalt faktisch vorliegt, daß mithin der -Satz prinzipiell entscheidbar ist; 3 impliziert also: FAKT (a). Insofern ist die 'Extraktion' von berechtigt: (48)
Luise weiß (nicht), ob der Kuchen fertig ist.
a.
(-)WEISS [luise, Ja [
3e INST [e, FERTIG (ly KUCHEN (y))]]]
(übersetzt: Luise weiß (nicht) den Fakt-/Nicht-Fakt-Wert a für den Sachverhalt, daß 'der Kuchen fertig ist'.) Die hier vorgeschlagene Notation - so unorthodox sie zugegebenermaßen sein mag - hat den Vorzug, ein wesentliches Moment der I-Satz-Bedeutung abzubilden, das ich hier noch einmal unterstreichen möchte. Die Strukturbedeutung eingebetteter I-Sätze setzt sich zusammen aus zwei Komponenten: aus der für alle I-Sätze identischen Satzmodusbedeutung der offenen Referenz, die der Omega-Operator symbolisiert, sowie aus dem, was sie an Definitheit und Geschlossenheit von außen, nämlich aus der Matrixprädikation erhält. Daß diese letztere Komponente in der Tat an die konkrete Einbettung und nicht an die Nebensatzstruktur (Verb-letztStellung, ob im -Satz) gebunden ist, erhellt aus der Existenz der nicht-elliptischen selbständigen I-Sätze mit Verb-letzt-Stellung wie z.B.: (49) (50) (51) (52)
Ob Renate heute pünktlich war? Ob du mir mal die Dose öffnen könntest? Wo Arne wohl gestern gewesen ist? Wer mir wohl heute über den Weg laufen wird?
35 Dies übersieht auch Heibig, wenn er "4 Klassen [...] eingeleiteter Nebensätze mit w-Fragewort" (1974:155f.) unterscheidet und sie "indirekte Fragesätze" (Erfragt sie, wann sie kommt.), "indirekte Pseudo-Fragesätze" (Er weiß nicht, wann sie kommt.), "indirekte Nicht-Fragen" (Er weiß, wann sie kommt.) und "indirekte Mitteilungen" (Er teilt ihm mit, wann sie kommt.) nennt. Dies erweckt den Eindruck, als repräsentiere der wSatz 'wann sie kommt' vier Satztypen und sei insofern ambig. In Wirklichkeit klassifiziert Heibig jedoch mit Sicherheit nicht exhaustiv - kontextuelle Funktionen des w-Satzes, die sich über unterschiedliche Implikationen nachweisen lassen.
38
Reis (1985:282f.) hat gezeigt, daß Sätze wie (49)-(52) in der Regel nicht als Nebensätze, d.h. als Ellipsen von Satzkonstruktionen,36 sondern als "Hauptsätze im satzgrammatischen Sinn" aufzufassen sind (anders Winkler 1989). Insofern gibt es keinerlei Anlaß, bei den selbständigen Verb-letzt-Sätzen ein Glied anzusetzen; ihre semantische Beschreibung ist vielmehr identisch mit derjenigen der selbständigen Verb-erst-/Verb-zweit-Sätze, und sie unterliegen im Falle der Äußerung der gleichen, im nächsten Abschnitt beschriebenen rhetischen Einstellungsinterpretation. Daß sie allerdings 'deliberativer' sind als die übrigen I-Satztypen, stilistisch näher dem 'posing a question' als dem 'asking' (vgl. die typische Modalpartikel wohl; dazu: Meibauer 1988) und insofern zwar geeignet für interaktive, aber kaum für 'zupackende' Fragen: all dies mag ein Reflex der nebensatztypischen Verb-letztStellung sein, rechtfertigt jedoch nicht die Annahme eines spezifischen Satzmodus. Die illokutive Spezialisierung ist somit auf einer Ebene anzusetzen, auf der generell einstellungsbezogene Satzmodusinterpretationen durch lexikalische, stilistische und intonatorische Mittel modifiziert oder gar überrundet (wie bei den Echofragen, s. Kap. 5.4) werden können. Ein Nachtrag zu den Matrixprädikaten soll diesen Abschnitt beschließen: Die Mehrzahl der Verben, die ein I-Satz-Komplement zu sich nehmen können, ist durch den oben verwendeten Ausdruck 'Wissens-Prädikat' zutreffend charakterisiert, insofern sie nämlich einen Zustand des Wissens oder Nicht-Wissens, einen Zwischenzustand oder eine Änderung dieses Zustande bezeichnen oder präsupponieren (s. die Beispiele bei Kiefer 1981:165ff.). I. Zimmermann (1983:230 und mündlich) weist jedoch auch auf faktive Lexeme ohne "personales Subjekt" oder Objekt hin, die I-Satz-Komplemente haben können wie z.B. beeinflussen oder abhängen von; die spezifizierungsbedürftigen Sachverhalte können hier ohne Bezug auf mentale Prozesse thematisiert werden. An der oben gegebenen Beschreibung ändert sich dadurch nichts. (Für eine zweite Korrektur an Kiefer hinsichtlich der Dichotomic "knowledge - non-knowledge" vgl. S&P 18:36.)
5.2 Selbständige Interrogativsätze: Satzmodus, rhetischer Akt, Illokution Während die Wertoffenheit des eingebetteten I-Satzes an das Matrixprädikat gebunden und (in der Regel) dem Wissensskopus von dessen personalem Subjekt (oder Objekt) zugewiesen ist, präsentiert sie der Sprecher eines nicht-eingebetteten I-Satzes sozusagen in eigener Regie: Indem er in der oben beschriebenen Weise auf Objekte, Prädikate oder Sachverhalte referiert, 'wirft* er deren Spezifizierungsbedürftigkeit für seine eigene Kognition und in der Regel auch für die Kommunikation 'auf ("poses the question") und "zerlegt die Zukünfte" - so wie dies Wunderlich beschrieben hat - in die beiden Teilmengen der die Spezifizierung gewährenden und nicht gewährenden Zukünfte. Damit vollzieht er - ggf. nur-mental (vgl. Anm.5) - einen 36 Unter besonderen kontextuellen Bedingungen kann es sich dagegen bei diesen Sätzen sehr wohl um "selbständige Nebensätze" (Reis 1985:283) handeln. Vgl. S&P 18:34, Anm.37.
39
rhetischen Akt im erotetischen Modus, der sowohl über die "Resultatsfunktion" Wunderlichs als auch durch die Annahme einer entsprechenden Einstellung definiert werden kann. Eine Basiseinstellung, die den gemeinsamen Nenner für jede Aktualisierung eines uneingebetteten ISatzes bildet und noch keine spezifische Illokution präjudiziert, kann nicht viel mehr sein als eine Art 'Aufrichtigkeitsbedingung' für den erotetischen Modus des rhetischen Aktes: (
) 'Der Sprecher hält - im rhetischen Akt der Offenen' Referenz - die Faktizität des Sachverhalts für entscheidungs- oder bestimmte Sachverhaltselemente für identifizierungsbedürftig. '
Diese Formulierung fügt dem erotetischen Akt kein inhaltliches Element hinzu, sondern transponiert ihn lediglich auf die Ebene der Sprechereinstellungen, auf der erst - im Falle der interaktiven Äußerung - eine illokutive Interpretation des Aktes ansetzen kann. Das geschieht durch Konkretisierung: Relativ zum Frageinhalt und zum Interaktionskontext werden die offenen Stellen der rhetischen Basiseinstellung vom Hörer (oder interpretierenden Linguisten) durch zusätzliche Einstellungskomponenten ergänzt^7
-
spezifizierbar (in der Situation beantwortbar) oder nicht? spezifizierungsbedürftig für wen (Sprecher und/oder Adressat und/oder Zuhörer) und in welcher Hinsicht (kognitive Lücke und/oder kommunikatives Erfordernis)? zu spezifizieren von wem (Sprecher oder Adressat) und auf welche Weise (mental und/oder verbal)?
Die Kombinatorik dieser und zumeist weiterer Konkretisierungen der Sprechereinstellung (u.a. durch lexikalische - Modalverben, Satzadverbiale, Modalpartikeln -, intonatorische und mimisch-gestische Mittel) ergibt mitsamt den jeweils daran geknüpften Handlungszielen und Obligationen die Vielfalt der Frage-Illokutionen, deren systematische Beschreibung38 _ in Auseinandersetzung z.B. mit Kiefer (1981); Hindelang (1981); Burkhardt (1986) - den thematischen Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde. Zur Illustration sei lediglich ein Beispiel genannt: Die typische 'Lehrerfrage' im Unterrichtsgespräch wird durch folgende Einstellungs parameter definiert: Der Sprecher - hält die Frage für [+beantwortbar]; - sieht sie als spezifizierungsbedürftig für: [-Sprecher/+Adressaten (+kognitiv/+kom munikativ)]; - wünscht eine Spezifizierungsleistung durch: [-Sprecher/+Adressaten (+mental/ +verbal)]. 37 Indirekte (im sprcchakttheoretischen Sinne) Fragehandlungen - z.B. mit Hilfe der Äußerung von: Ich weiß nicht mehr, was ich Dir mitbringen sollte. - sind diesbezüglich stärker restringiert, insofern in ihren Matrixsätzen eine konkrete 'Sprechereinstellung' denotiert wird. Der Sprecher ASSERTIERT diese, und daraus ergibt sich die Illokution FRAGE 'indirekt', d.h. durch Hinzuinterpretaüon auf der illokutiven Ebene. 38 Für die Feingliederung der Fragetypen sind vor allem auch 'Hinlergrundannahmen' und 'Antworterwartungen' heranzuziehen, die dem Sprecher aufgrund verschiedener Indizien, u.a. aufgrund der nicht-offenen Teile des I-Satzes, attribuiert werden können.
40 In diesen Merkmalen wird das Ziel der 'Lehrerfrage' (vgl. Ehlich 1981; Ehlich/Rehbein 1986) zum Ausdruck gebracht, die Schüler zur Schließung einer kognitiven Lücke (durch Erinnerung, Beobachtung, Schlußfolgerung, Hypothesenbildung) zu animieren, das Ergebnis ihrer mentalen Spezifizierungsleistung verbal mitzuteilen und dadurch eine kommunikative Spezifizierungslücke zu schließen; denn die richtige und als solche vom Lehrer ratifizierte Antwort bildet einen Teil des von allen Schülern zu rezipierenden Stoffes. Halten wir fest: Die gemeinsame Grundlage aller illokutionsdefinierenden erotetischen Sprechereinstellungen ist eine rhetische Basiseinstellung, die den Vollzug der beschriebenen Offenen' Referenz durch den Sprecher motiviert. Die Dlokutionsklasse der EROTETIKA ist demnach wie die der REPRÄSENTATIVA rhetisch konstituiert: In beiden Fällen führt von den rhetischen Modi ('konstativ' und 'erotetisch') eine eindeutige Ableitung zu den entsprechenden Illokutionsklassen.39 Eine formale Beschreibung der Zuordnung des uneingebetteten I-Satzes zur rhetischen Basiseinstellung kann sich an der Formalisierung der eingebetteten I-Sätze orientieren. Eine ungebundene Variable wie die den Offenen Wert' symbolisierende Indexvariable bedarf eines Operators, der sie bindet; wenn diesen nicht ein explizites Matrixprädikat bereitstellt, wird die Äußerungsbedeutung durch ein entsprechendes nicht-explizites Prädikat (mit dem Sprecher als Subjekt) pragmatisch ergänzt, hier also ein Einstellungsprädikat 'HÄLT FÜR SPEZIFIZIERUNGSBEDÜRFTIG' (abgekürzt: HFSB): (12) b. Welchen Ball möchtest du? c. HESfi [ , Jy [ . [[{ } c
BALL (x)] : MÖCHT (ad, x^]]]
In dieser Notation der Äußerungsbedeutung, in der unterstrichene Elemente 'Weltgegebenheiten', nämlich Interaktanten, Einstellungen und Referenzobjekte bezeichnen, kann das Prädikat 'HFSB' je nach den interaktionalen Bedingungen durch spezifischere illokutive Einstellungsprädikate (z.B. 'WEISS NICHT', 'MÖCHTE WISSEN') und komplexere Konfigurationen (z.B. 'MÖCHTE DASS Adressat MENTAL IDENTIFIZIERT UND MITTEILT') substituiert werden. Von diesen Modifikationen wird der Rest der Formel, der die Bedeutung des I-Satzes, den erotetischen Kern aller Frage-ülokutionen, wiedergibt, nicht berührt.
39 In umgekehiter Richtung ist diese Zuordnung nicht eindeutig: REPRÄSENTATIVA und EROTETIKA können wie alle anderen Illokutionen auch mittels 'performativer' rhetischer Akte vollzogen werden. Des weiteren ist anzumerken, daß im Rahmen der hier vertretenen Auffassung rhetorische Fragen und indirekte (Frage-)Aufforderungen als EROTETIKA zu beschreiben sind, die sekundär eine andere oder zusätzliche illokutive Lesart zugewiesen bekommen. Will man ihre spezifische Funktion nicht verfehlen, darf man sie weder aus dieser Dlokutionsklasse ausschließen noch sie auf gleicher Ebene unter die anderen Fragetypen einreihen, wie dies etwa Kiefer (1981) vorschlägt.
41
5.3 Echofragen Der Satzmodus ist bekanntlich nicht das einzige und auch nicht das stärkste Mittel, um Sprechereinstellungen zum Ausdruck zu bringen; er kann durch intonatorische (z.B. in der Deklararivsatzfirage, s.u. Kap. 5.4) und lexikalische Mittel überrundet werden. Von dieser Möglichkeit machen Sprecher in Echofragen Gebrauch. In ihnen steht das Omega-Glied nicht in der für den Satzmodus relevanten syntaktischen Position ganz 'links' (innerhalb eines GBBautns: in der SpecC- oder C°-Position); vielmehr sind Echofragen durch minimal fokussierte w-Konstituenten in situ gekennzeichnet, die weder den Satzmodus beeinflussen noch im Falle eingebetteter I-Sätze an das Matrixverb gebunden sind. Man kann - wie Reis (1989) einleuchtend gezeigt hat - davon ausgehen, daß Echofragen den Satzmodus des geechoten Satzes aufweisen ;40 (53) a. Du hast WEN gesehen? b. Du glaubst, du hast WEN gesehen? (54)
(A: Wer hat dich gestern in der Hütte besucht?) B: Wer hat mich gestern WO besucht?
(55)
Ob ich dich WAS?
Obwohl es sich trotz des w-Interrogativs bei (53a) um einen selbständigen und bei (53b) um einen unselbständigen Deklarativsatz handelt, tritt das fokussierte w-Interrogativ pragmatisch in den Vordergrund, so daß die Äußerung als Fragehandlung zu interpretieren ist. Entsprechend wird mit (54) und (55) ausschließlich nach 'wo' oder 'was' gefragt; es handelt sich um Echofragen im Rahmen einfacher I-Sätze, nicht etwa um multiple Fragen. Die fokussierten w-Interrogativa in Echofragen konstituieren also den Satzmodus weder, noch modifizieren sie ihn; sie verhindern jedoch seinen pragmatischen Anschluß an die Sprechereinstellung, indem sie diese an sich selber binden. Dadurch wird der erhaltene Satzmodus zusammen mit dem nicht erfragten Rest des Satzes auf eine 'quotative' Ebene transponiert, auf die sich die aktuelle erotetische Einstellung metakommunikativ bezieht.4l
5.4 Verbstellung und Intonation Wenn die hier vorgetragene Beschreibung der I-Sätze zutreffend ist, bedarf es keines zusätzlichen Modusfunktors, um I-Sätze in selbständige Fragesätze zu transformieren, mit denen man 40 Ich verzichte hier auf den Versuch einer Formalisierung. 41 Dies gilt natürlich nur für diejenigen Echofragen, denen diese Bezeichnung auch im pragmatischen Sinne zukommt, in denen also eine (ggf. auch fingierte) Vorgängeräußerung mehr oder weniger getreu gespiegelt wird. Dann ist auch deren Satzmodus 'zitiert', und nur die dem Echo-w-Element zuzuordnende Einstellung kommt dem Sprecher zu. Anders liegt der Fall z.B. in den syntaktisch gleichartigen (auf den Deklarativsatzmodus beschränkten) 'Quizfragen' (Und dieses Gerät erfand Edison WANN?); hier muß man wohl zwei - zuweilen parallel, zuweilen sukzessiv formulierte - Sprechereinstellungen annehmen.
42
eine Fragehandlung ausführen kann. So verwundert es nicht, daß etwa dem Funktor Int in Wunderlich (1976:233ff.) kein erkennbarer Stellenwert innerhalb der Ableitung der "Resultatsfunktion" zukommt. Diese wird zureichend aus zwei Quellen erklärt: aus der "Erfüllungsrelation" der offenen Proposition und aus der Äußerung einer nicht-extensionalisierten "offenen Struktur" in einer Interaktionssituation. Doch postulieren Wunderlich und viele andere Linguist/inn/en die Existenz eines solchen Funktors nicht ohne Grund; seine formalen Korrelate sind ja zu sehen und zu hören: Verbstellung und Intonation unterscheiden selbständige und eingebettete I-Sätze. Wenn dieser Unterschied tatsächlich funktional distinktiv wäre, dann hätte ich meine Darlegungen mindestens zu revidieren. Ich möchte meine Gegenargumente hier nur noch in aller Kürze andeuten. Die Verbstellung halte ich aus drei Gründen für nicht-distinktiv:42 1. wegen der Existenz der selbständigen Verb-letzt-Fragen, trotz ihrer formalen und semantischen Restriktionen (vgl. oben S. 37f.); 2. wegen der Komplementarität von 0+Verb-erst-Stellung und ofc+Verb-letzt-Stellung, die es gestattet, mit Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989:8) die Verb-erst-Stellung als Realisation des -Operators aufzufassen; 3. wegen der kombinatorischen Koppelung der Verbstellung in w-Sätzen an deren Einbettung oder Nicht-Einbettung (in allen Fällen, die nicht unter 1. zu subsumieren sind), so daß der Verbstellung hier kein eigener distinktiver Wert zugemessen weiden kann. Die Intonation halte ich zwar für distinktiv, aber nicht auf der grammatisch-semantischen Ebene. Ich teile auch diese Annahme mit Brandt/Rosengren/ Zimmermann (1989:33) und zwar aus folgenden Gründen: 1. Die steigende Frageintonation ist bei der Äußerung selbständiger Fragesätze im Falle der wFragen fakultativ verwendbar, im Falle der -Fragen fakultativ fortlaßbar und im Falle von -Fragen nicht vorhanden. Die letzteren unterscheiden sich weder von den eingebetteten ISätzen noch von den entsprechenden Deklarativsätzen in der Intonation: (56) a. Ich weiß noch nicht: b, c.
Ich fahre Mon/tag oder FreiNiag. Fährst du Mon/tag oder FreiNtag? (...), ob du Mon/tag oder FreiNtag fährst.
2. Die steigende Frageintonation vermag nicht nur -Fragen zu stützen und w-Fragen zu intensivieren, sondern jedem sprachlichen Ausdruck vom Deklarativsatz bis zur einzelnen Silbe 42 Eine zusätzliche Stutzung erfährt diese Argumentation durch den Hinweis auf andere indoeuropäische und nicht-indoeuropäische Sprachen, die die eingebetteten und nicht-eingebetteten Interrogativsätze in der Wortstellung nicht unterscheiden, sowohl weil sie der obligatorischen Verb-letzt-Stellung im Nebensatz ermangeln als auch weil sie den selbständigen -Satz ohne Veränderung der Wortstellung mit Hilfe von Partikeln bilden wie etwa das Chinesische, Japanische, Pinnische, Lateinische und Slawische (Serbokroatische; Polnische, Russische: Hinweis von I. Zimmermann).
43 eine erotetische Bedeutung zu verleihen und auch allein als vokale Kontur bei Kleinkindern wie Erwachsenen zur Ausführung von Fragehandlungen zu dienen: (57) (58) (59) (60)
Du hörst Peter MAFfel? Hhh?FEL? Wenn Sie vielleicht mal nachsehen könnten?43 _ Warum ich? JUST: Wie war's, wenn wir ihm des Abends, wenn er aus der Tabagie kömmt, aufpaßten, und ihn brav durchprügelten? WERNER: Des Abends? - aufpaßten? - ihre zwei, einem? - Das ist nichts.(Lessing, Minna von Barnhelm 1/12)
Im Falle der Deklarativsatzfrage (57) vermischen sich die durch den Satzmodus und die mittels der Intonation ausgedrückte Einstellung zu einer komplexen, konstativ eingefarbten erotetischen Einstellung44. Es handelt sich hier also um einen pragmatischen Mischtyp, nicht um einen speziellen Satzmodus "assertive Frage" (vgl. Altmann 1987:49). Nach den Ergebnissen neuerer, text- oder gesprächsanalytisch orientierter Untersuchungen (Klein 1982; Stempel/Fischer 1983; Ward/Hirschberg 1985; Selling [in diesem Band]) darf die Frageintonation in der Vielfalt ihrer konkreten Konturen als ein prinzipiell unabhängiges nonverbales Ausdrucksmittel gelten, das relativ zum Interaktionskontext auf kognitiv-thematische, emotive und konversationeile Einstellungen und Intentionen verweist und nur partiell über nicht unbedingt bindende Aktualisierungskonventionen mit dem grammatisch-semantischen Mittel des Satzmodus verknüpft ist. Auf dieser Ebene von Aktualisierungskonventionen ist vermutlich die beobachtbare einzelsprachliche Variation (z.B. die relativ zum Deutschen größere Häufigkeit der 'Intonationsfrage' im gesprochenen Französisch) zu erklären, während die Satzmodustheorie davon unberührt bleibt. 3. Ein weiterer Gedanke mag diese Argumentation abrunden: Wenn es richtig ist, daß sich rhetische Akte auch nur-mental vollziehen lassen, dann ist es kaum plausibel, für deren semantische Analyse ein Ausdrucksmittel heranzuziehen, das nachweisbar allein in der Interaktion realisiert wird. Verbstellung und Intonation sind also - das ist das Fazit aus diesen Argumenten - sicherlich wichtige Mittel, die im Verbund mit lexikalischen Einstellungsindikatoren und mit den Realisierungen des OFFEN-Operators die illokutive Interpretation des Hörers steuern; ihre Existenz zwingt jedoch nicht zu der Annahme eines nicht-propositionalen Funktors, der nur den selbständigen I-Sätzen zukäme und - ob einstellungsdenotierend oder nicht - die erotetische Verwendung determinierte. Diese ergibt sich allein aus der spezifisch offenen Referenz im rhetischen Akt. 43 Beispiel von Winkler (1989:119). 44 Darin liegt der Unterschied zur Echo-(und Quiz-)Frage, in der eine solche Vermischung nicht begegnet (s.o. Anm.41). Hört man (57) als Echo-E-Frage - also als Reaktion auf eine Vorgängeräußerung: Ich höre gerade Peter Maffay -, so liegt der Bedeutungsunterschied zur Deklarativfrage eben darin, daß hier die an den Deklarativmodus geknüpfte konstative Einstellung des Vorredners zum metakommunikativen Gegenstand der intonatorisch angedeuteten erotetischen Einstellung gemacht wird; nur diese allein ist dem Sprecher zuzuschreiben.
44
6. Zusammenfassung Die hier vorgetragenen Überlegungen und Analysen zeigen: Es ist möglich, den Interrogativsatzmodus ohne Rückgriff auf eine 'fragende1 Sprechereinstellung bzw. einen entsprechenden Einstellungsoperator zu beschreiben und dennoch die erotetischen fllokutionen daraus herzuleiten. Der Interrogativsatzmodus wird vielmehr definiert durch das, was allen I-Sätzen, abhängigen wie unabhängigen, gemeinsam ist: den offenen Modus der potentiellen Referenz auf Weltgegebenheiten. I-Sätze denotieren eine als gegeben zu denkende, noch unspezifizierte 'Erfüllungsmenge' als Teilmenge eines 'Suchbereichs', die der 'Interrogativfunktion' genügen soll und aus den Möglichkeiten des Suchbereichs zu spezifizieren ist Diese aus der Analyse der wInterrogativa gewonnene Charakterisierung läßt sich auch auf die Entscheidungs-interrogativsätze übertragen: Die Interrogativfunktion wird durch die gesamte Proposition gesetzt, der Suchbereich besteht aus der Zweiermenge von Fakt und Nicht-Fakt; der Suchbereich von Alternativ-Interrogativsätzen kann als Menge von Fakt-/Nicht-Fakt-Mengen verstanden werden. Der Unterschiedlichkeit der Referenz- offene N-Referenz im w-Satz, offener Modus der S-Referenz im E- und A-Satz - wird durch die Differenzierung des den Satzmodus symbolisierenden OFFEN-Operators ( vs. ) Rechnung getragen. Aus der referentiell geprägten Beschreibung des Interrogativsatzmodus lassen sich die nichterotetische Bedeutung der eingebetteten I-Sätze und die erotetische Bedeutung der selbständigen I-Sätze unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes ableiten. Alle in diesem Beitrag entwickelten und diskutierten Formalisierungen dienen im Grunde dem Zweck, den Ableitungen Stringenz zu verleihen. Im Falle der Einbettung des I-Satzes wird dessen offene Referenz für den Gesamtsatz semantisch funktionalisiert: Der unspezifizierte 'Wert' des Omega-Gliedes wird, gebunden durch einen Definitheitsoperator, zum Argument des Matrixprädikats und ist somit nicht mehr unmittelbar einer Sprechereinstellung zuzuordnen; je nach der Matrixprädikation mag es dann eine Implikation des Gesamtsatzes sein, daß die Referenz des Omega-Gliedes für dessen Subjekt 'geschlossen' ist. Wird dagegen ein I-Satz selbständig aktualisiert, so steht er unmittelbar im pragmatischen Kontext des rhetischen Aktes: Der Sprecher vollzieht die offene Referenz sozusagen auf eigene Rechnung, und das heißt auch: auf Grund einer entsprechenden Einstellung. Die - möglichst allgemein gehaltene - Paraphrase dieser rhetischen Einstellung: 'Sprecher hält... für spezifizierungsbedürftig' deutet an, wie aus ihr die Frage-Illokutionen hervorgehen: durch Konkretisierung und Detaillierung der Einstellungsparameter, relativ zum Interaktionskontext und unter Berücksichtigung zusätzlicher einstellungsdefinierender Äußerungskomponenten. Die solchermaßen ausdifferenzierte Illokutionsklasse der EROTETIKA ist aber als ganze konstituiert durch den erotetischen Modus des rhetischen Aktes. Erotetische Einstellungen können im rhetischen Akt nicht nur durch das syntaktische Mittel 'Interrogativsatzmodus + Selbständigkeit' (so auch im selbständigen I-Satz mit Verb-letzt-Stellung), sondern auch durch lexikalische, intonatorische und mimisch-gestische Mittel ausgedrückt werden. Diese können entweder nicht-satzmäßigen Ausdrücken eine erotetische Funktion verleihen, den Satzmodus von I-Sätzen unterstützen (mit unterschiedlichen Konventionalisierungsgraden der Kookkurrenz) oder aber andere Satzmodi überlagern. Derartige pragmati-
45 sehe Mischtypen unterscheiden sich u.a. durch die Art der Überlagerung: Einstellungsmischung (z.B. Deklarativsatzfrage), Einstellungswechsel (z.B. Quizfrage), Einstellungsschichtung (z.B. in allen Metafragen: Echofragen, Formulierungsangebote). In der vorliegenden Arbeit war es nicht möglich, all diese und womöglich weitere Mischtypen detailliert und systematisch im Rahmen meiner Satzmoduskonzeption zu behandeln; dies muß einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben.
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Echo-w-Sätze und Echo-w-Fragen' Marga Reis, Tübingen
In diesem Beitrag soll gezeigt werden, daß Echo-w-Sätze (EwS) weder dem w-Interrogativsatztyp, noch einem eigenen Satztyp, noch einem strukturellen 'Mischtyp' angehören, sondern reguläre Vertreter beliebiger Satztypen sind. Dies erzwingt die Annahme, daß sich ihre grammatischen wie die damit korrelierenden pragmatischen Besonderheiten aus den Eigenschaften der beteiligten grammatischen Mittel und deren regulärer Interaktion ergeben. Für diese Annahme wird ausführlich argumentiert; im Mittelpunkt steht die Beobachtung, daß die in EwS auftretenden interrogativen +w-Lexeme sich grammatisch wie nichtinterrogative -w-Phrasen verhalten.
1.
Gegenstand und Fragestellung
Im folgenden geht es um die Grammatik und Pragmatik von Sätzen wie (l)-(2), den von mir sogenannten 'Echo-w-Sätzen' (EwS): 1l)
a. b. c. d.
Karl hat bei WEM über Hamann gearbeitet? Karl hat über Hamann bei WEM gearbeitet? worüber hat Karl bei Meier gearbeitet? Peter ist egal, bei wem WER gearbeitet hat?
(2)
a. b. c. d.
Der und WAS wählen? Hilf mal einer WEM? Ob er WEM geholfen hat? Wer ist wohin gegangen?
Grammatisch ist für EwS konstitutiv - und zugleich gegenüber w-Interrogativsätzen (w-IS) distinktiv -, daß (i) der obligatorische w-Ausdruck stellungsfrei ist, (ii) er stets den Hauptakzent trägt, und zwar immer auf dem w-Teil, (iii) er sich nicht nur mit Verbzweitstrukturen, sondern mit Satzstrukturen verschiedenster Art verbindet. Darüber hinaus (iv) kommen EwS nicht eingebettet vor. l *
Dies ist die erheblich gekürzte und veränderte Fassung des in S &P veröffentlichten Arbeitsberichts (= Reis 1990b). Den Teilnehmern der verschiedenen Tagungen und Arbeitskreise, bei denen ich meine Überlegungen zu Echo-w-Fragen diskutieren konnte, danke ich für viele wertvolle Hinweise, Ilse Zimmermann darüber hinaus für hilfreiche Diskussionen der semantischen Probleme und Inger Rosengren für viele weiterführende Kommentare zu den verschiedenen Fassungen dieses Papiers, einschließlich der vorliegenden.
l
(iv) besagt, daß die mit EwS gestellte w-Frage sich stets auf den Gesamtsatz bezieht, auch wenn sich der EwS-spezifische w-Ausdruck im eingebetteten Satz befindet (s. auch u. 2.1). - Entgegen üblichen Annahmen (s. auch Oppenrieder [in diesem Band]) ist steigendes Tonmuster für EwS nicht konstitutiv, da es mit den Strukturmerkmalen ( )-0 ) nicht durchgängig korreliert, ebensowenig mit spezifischen EwS-Verwendungen (s. Reis 1990b:7f.; Bolinger 1987).
50 Pragmatisch ist für EwS konstitutiv, daß mit EwS w-Fragen gestellt werden, die - im Unterschied zu mit w-IS gestellten Fragen - stets einen zusätzlichen 'Echo'-Effekt haben: Bei EwS-Verwendungen als 'Echo-w-Fragen' i.e.S. wird die Proposition einer Vorgängeräußerung wiederaufgenommen und dabei eine bereits geschlossene Stelle als noch offen thematisiert; bei initiativen EwS-Verwendungen wie Quizfragen, Vergewisserungsfragen, Abfragen, u.a.m. wird unterstellt, daß die offene Proposition eigentlich geschlossen ist bzw. als solche den Gesprächsbeteiligten bekannt sein müßte. Offensichtlich haben diese Echo-Effekte einen gemeinsamen Nenner, der in den einzelnen Verwendungen kontextuell spezifiziert wird: Mit der Äußerung eines EwS gibt der Sprecher zu verstehen, daß die als offen thematisierte Stelle in der Proposition für die Gesprächsbeteiligten als vorher geschlossen gilt. In diesem Sinn haben EwS ein einheitliches Verwendungspotential als 'Echo-w-Fragehandlungen' i.w.S., so daß von einer l:l-Korrelation zwischen den Form-Merkmalen (i)-(iv) und dieser Funktion die Rede sein kann. Das Hauptziel jeder Untersuchung der Grammatik und Pragmatik von EwS muß es sein, diesen gesetzmäßigen Form-Funktions-Zusammenhang zu erfassen. Es geht mir also im folgenden nicht darum, die grammatischen und die pragmatischen Besonderheiten der EwS je für sich zu beschreiben, sondern zu zeigen, daß und wie letztere auf der Basis der ersteren erklärbar sind. Mein Erklärungsansatz für diesen Zusammenhang ist durch folgende Hypothesen gekennzeichnet (Hl) EwS sind keine w-Interrogativsätze. (H2) EwS bilden keinen (mit w-IS systematisch verwandten) eigenständigen Satztyp bzw. Satzmodus. (H3) EwS sind keine quotationellen Strukturen, die sich mit konsumtiven w-IS-Merkmalen zu einem eigenständigen 'Mischtyp' verbinden. (H4) EwS sind reguläre Vertreter des Satztyps bzw. Satzmodus der jeweiligen Struktur, mit der sich die EwS-typischen Merkmale verbinden. (H5) Die Strukturbesonderheiten von EwS ergeben sich aus den Eigenschaften der beteiligten grammatischen Mittel und deren regulärer Interaktion. (H6) Die semantischen bzw. pragmatischen Korrelate der an EwS beteiligten grammatischen Mittel (vor allem des w-Ausdrucks und der durch die Akzentuierung angezeigten FokusHintergrund-Gliederung (FHG)) gestatten die Ableitung der konstitutiven Bedingungen der Echo-w-Fragehandlung i.w.S. (w-Fragecharakter, fehlende Existenzimplikatur, 'Echo'-Charakteristik). (H7) EwS sind nur in pragmatischer Hinsicht 'Fragesätze'. (H1)-(H3) richtet sich gegen die Annahme einer Satztypverwandtschaft zwischen EwS und wIS in den drei üblichen Varianten. Damit bleibt für die grammatische Deutung der EwS nur (H4)/(H5) übrig, und für die Deutung des Grammatik-Pragmatik-Zusammenhangs nur (H6): Da nach (H1)-(H3) zu EwS 1:1 korrespondierende Satzmodusmerkmale nicht zur Verfügung stehen, können für deren grammatische wie pragmatische Eigenschaften nur die Eigenschaften der beteiligten grammatischen Mittel selber verantwortlich sein. Die wohl am stärksten von üblichen Vorstellungen abweichende Konsequenz aus (H1)-(H6) ist ausbuchstabiert in (H7).
51
In Reis (1990b) habe ich ausführlich für diese Hypothesen argumentiert. Im folgenden rekapituliere ich die Argumentation in Grundzügen und versuche, einige mir damals noch offene oder ändern besonders strittig scheinende Punkte weiter zu klären.
2. 2.1
Zur Grammatik der Echo-w-Sätze Sind EwS w-Interrogativsätze?
Wären EwS eine bloße Unterklasse von w-IS, dann müßten sie die konstitutiven Struktureigenschaften deutscher w-IS haben, und ihre o.a. Strukturbesonderheiten (i)-(iv) damit verträglich sein. Das aber ist nicht der Fall: Für w-IS ist konsumtiv, a) daß sie eine interrogative w-Phrase (+w-Phrase) enthalten, b) der Bereich sind, über den diese +w-Phrase Interrogativskopus hat, d.h. w-IS sind die strukturellen Entsprechungen der Frageproposition, innerhalb derer die w-Variable zu spezifizieren ist. Oberflächenbezogene Definitionen deutscher w-IS heben gewöhnlich nur auf die Anwesenheit einer +w-Phrase ab, die obligatorisch in Erstposition steht; daß damit zugleich der Skopus dieser -i-w-Phrase definiert ist, wird stillschweigend unterstellt. Dies trifft aber lediglich bei Standardfällen wie (3) zu. Berücksichtigt man auch Fälle langer Extraktionen wie (4), sowie die Skopusverhältnisse bei wos-Konstruktionen wie (5), ist klar, daß weder 'Satz, dem die +w-Phrase ihrer grammatischen und propositionalen Funktion nach unmittelbar angehört', noch die strukturelle Oberflächenposition der +w-Phrase zur Definition der für Skopus ausschlaggebenden satzeinleitenden Position notwendig oder hinreichend ist. Damit bleibt nur Rekurs auf ein besonderes strukturelles Merkmal dieser Position - etwa +w - übrig, das der +w-Phrase (und bei multiplen Fragen wie (6) auch den weiteren von diesem Merkmal ckommandierten +w-Phrasen) Skopus zuweist.2 (3) (4) (5) (6)
a. b. a. b. a. b. a. b. c. d.
Wieviel hat das Auto gekostet? Peter ist egal, wieviel das Auto gekostet hat. Wieviel glaubst du, daß das Auto gekostet hat? Peter ist egal, wieviel du glaubst, daß das Auto gekostet hat. Was glaubt sie, wieviel das Auto gekostet hat? Peter ist egal, was sie glaubt, wieviel das Auto gekostet hat. Wohin ist Lisa mit wem gegangen? Peter sagt, wohin Lisa mit wem gegangen ist. Wohin glaubt Peter eigentlich, daß Lisa mit wem gegangen ist? Was glaubt Peter eigentlich, wohin Lisa mit wem gegangen ist?
Zu den konstitutiven strukturellen Eigenschaften von w-IS gehört also nicht nur a) die Anwesenheit einer +w-Phrase, sondern auch b) eines -t-w-Merkmals in der satzeinleitenden Position (SpecC-Position), wobei c) dieses +w den von ihm minimal c-kommandierten -t-w-Phrasen 2 Zur ausführlicheren Begrürdung des +w-Merkmals s. Reis/Rosengren [in diesem Band] und Reis (1990a).
52
Skopus zuweist, und d) in der S-Struktur durch eine +w-Phrase sichtbar gemacht werden muß (das heißt, das Deutsche verlangt sichtbare Skopusmarkierung). Die Erstpositionsbedingung (d) erzwingt in allen Fällen, in denen nicht das basisgenerierte was vorliegt (das man als Lexikalisierung des skopusmarkierenden +w auffassen könnte), syntaktische w-Bewegung genau einer +w-Phrase in die relevante initiale -t-w-Position. +w-Phrasen in situ kommen also in deutschen w-IS nur vor, wenn gleichzeitig deren Erstposition durch eine +w-Phrase besetzt ist, genauer gesagt nur in multiplen w-IS. Betrachten wir nun EwS: Von den konsumtiven Bedingungen für deutsche w-IS erfüllen sie klar (a), und auf Grund ihrer Strukturbesonderheit (i) ebenso klar nicht (d). Das läßt zwei Erklärungsmöglichkeiten zu, die an (b) hängen: Entweder fehlt den EwS das für w-IS mitkonstitutive +w-Merkmal, dann entfallt für sie (c) und (d) und damit auch der Zwang zur w-Bewegung automatisch, womit die Stellungsfreiheit der +w-Phrasen in EwS erklärt wäre. Dann sind aber EwS auch keine w-IS. Oder EwS haben das mitkonstitutive +w-Merkmal, und die Nichterfüllung von (d) ist durch die sonstigen spezifischen Besonderheiten der EwS motiviert; dann sind die EwS zu den w-IS zu rechnen. Daß EwS kein strukturell begründetes +w-Merkmal aufweisen, zeigt sich an den beiden wichtigsten syntaktischen Zusammenhängen, in denen es sich bei w-IS manifestiert: Der erste ist Subkategorisierung der Matrixprädikate für IS- vs. Deklarativsatzkomplemente, die auf ±w in deren linksperipheren Positionen Bezug nimmt. Wie (7)-(8) zeigen, können EwS nicht unter Prädikaten eingebettet sein, die für +w-Komplemente subkategorisiert sind: (7) (8)
*Sie erkundigt sich, das dicke Buch über WEN er ihr schenkt. *Dim ist egal, WOzu man soviel Geld braucht.
Daß Fälle wie (9) akzeptable EwS sind, widerspricht dem nicht, denn sie beziehen sich dann auf den Gesamtsatz als 'Echo-w-Fragebereich'. Bei vergleichbaren w-IS-Komplementen bleibt der Skopus der w-Phrase in situ hingegen auf den Komplementsatz beschränkt3 (9)
Ihm ist egal, wann er WEN in Berlin getroffen hat.
Dieser Befund entspricht natürlich der EwS-Besonderheit (iv), ein Indiz dafür, daß diese keine unabhängige Ursache hat, sondern Teil des +w-Syndroms ist. Der zweite wichtige Zusammenhang ist Skopusbindung zwischen +w und den von ihm ckommandierten +w-Phrasen (s.o. (c)). Diese ist testbar darüber, daß sie charakteristischen Beschränkungen - in etwa den gleichen wie syntaktische w-Bewegung - unterliegt. So ist in 'wh-Island'-Konfigurationen wie (10) weder syntaktische w-Bewegung möglich, noch die entsprechende Skopusbindung einer +w-Phrase in situ (daß tatsächlich w-IS-Strukturen im Spiel sind, wird dabei durch Unbetontheit der +w-Phrase gesichert): Ebensowenig zählen Fälle wie Sie erkundigt sich, WO Karl kochen gelernt hat, die sowohl mit fallendem wie mit steigendem Tonmuster grammatisch sind: Bei fallendem Tonmuster liegt ein normales w-ISKomplement mit minimalem Kontrastfokus auf der +w-Phrase vor (s.u. 2.5.1), bei steigendem Tonmuster zwar ein Echo-Satz, aber ein Echo-Entscheidungs-Satz (wie die ausschließliche Zulässigkeit einer Ja/NeinAntwort zeigt), der zudem wiederum den Matrixsatz miteinbegreift. Eine auf den eingebetteten Satz beschränkte Echo-w-Lesart ergibt sich nie.
53 (10) a. *Weni würde Paul nicht vergessen, ob/warum Karl Susanne t; ANvertrauen wollte? b. *Wemi würde Paul nicht vergessen, ob/warum Karl ti wen ANvertrauen wollte? Im Gegensatz dazu gehorchen EwS keiner der charakteristischen Beschränkungen für Skopusbindung, vgl. etwa den Kontrastfall zu (10), wo sich die Echo-w-Phrase wie immer auf den Gesamtsatz bezieht (der in der Literatur sogenannte 'weite Skopus' von Echo-w-Phrasen): (11) Paul würde nicht vergessen, ob/warum Karl Susanne WEN anvertrauen wollte? Der einfachste Reim darauf ist der, daß EwS kein +w-Merkmal aufweisen, denn dann gibt es auch kein strukturelles Bindungsverhältnis, das Beschränkungen unterliegen könnte (s. auch Reis/Rosengren 1988). Das würde gleichzeitig bedeuten, daß der sogenannte '(weite) Skopus' der Echo-w-Phrasen keine strukturelle Basis hat Für diese Schlußfolgerungen gibt es weitere Argumente, z.B. die Beobachtung, daß es zu langen Bewegungs-Konstruktionen mit Echo-w-Phrasen4 keine EwS-Varianten der skopusmarkierenden was-Konstruktion gibt, vgl. (12) vs. (13), denn das hat genau dann seine Richtigkeit, wenn in EwS kein zu lexikalisierender Skopusmarkierer +w existiert: (12)
Salat mit WAS glaubst du, daß er nicht vertragen wird?
(13) a. *Was glaubst du, Salat mit WAS er nicht vertragen wird? b. *WAS glaubst du, Salat mit was er nicht vertragen wird? Da andererseits leicht ersichtlich ist, daß sich die EwS-Besonderheiten (i) und (iv) nicht aus (ii) erklären lassen, führt kein Weg an der Annahme vorbei, daß den EwS das für w-IS konstitutive Satztypmerkmal +w fehlt: Nur sie liefert eine Erklärung für (i) und (iv), und schafft den Raum dafür, daß (iii) möglich ist. Damit aber ist (Hl) gesichert: Echo-w-Sätze sind keine w-Interrogativsätze.
2.2
Haben EwS einen eigenen Satzmodus?
Trotz der in 2. l festgestellten Formunterschiede teilen natürlich w-IS und EwS ein konstitutives Formmerkmal: die +w-Phrase. Ebenso teilen sie trotz gewisser Verwendungsunterschiede das wesentliche Funktionsmerkmal: den Vollzug von w-Fragehandlungen. Es liegt nahe, beides in Parallele zu setzen, also Form und Funktion in gesetzmäßiger Kovariation zu sehen. Für Satztypen wird nun im allgemeinen angenommen, daß die gesetzmäßigen Form-Funktionszuordnungen über die Semantik des Satztypmerkmals vermittelt sind, den sogenannten Satzmodus (s. hierzu Altmann 1990). Damit scheint eine Lösung auf der Hand zu liegen, die sowohl den formalen und funktionalen Gemeinsamkeiten wie auch den Unterschieden Rechnung trägt: die Annahme zweier verwandter, aber letztlich verschiedener Satzmodi: 'w-Interro-
4 Dazu daß die Beispiele in (43) nicht Fälle von w-Bewegung i.e.S. sind, sondern von Topikalisierung, s.u. 2.4.2
54 gativsatzmodus' und 'Echo-w-Interrogativsatzmodus', die entsprechend aufeinander bezogenen syntaktischen Satztypmerkmalen - etwa +w und +Echo-w - zugeordnet sind.5 Diese Lösung hat von vornherein gegen sich, daß sie notwendig auf die Annahme eines Implikationsverhältnisses zwischen w-IS- und EwS-Merkmalen auf allen Ebenen hinausläuft. Mindestens syntaktisch liegt ein solches aber keinesfalls vor: Selbst wenn man sich nur auf den Verbzweitfall von EwS beschränkt, haben diese nicht die syntaktischen Eigenschaften von normalen w-IS und einige darüber hinaus, wie man bei einem Implikationsverhältnis zwischen Echo-+w und +w erwarten sollte, sondern beide teilen eine IS-spezifische formale Eigenschaft, den -»-w-Ausdruck, und divergieren darüber hinaus - s.o. 2.1, sowie u. 2.4 - völlig. Von daher scheint der 'Doppelmodus'-Ansatz undurchführbar. Andererseits wäre es aber auch ad hoc, die formalen und funktionalen Besonderheiten der EwS und deren gesetzmäßigen Zusammenhang auf ein total eigenständiges Echo-w-Satztypmerkmal zurückzuführen. Da jeder Satz vermutlich einen (und nur einen) Satzmodus hat (s. dazu Brandt/Rosengren/ Zimmermann 1990), stellt sich damit die Frage, welchen Satzmodus EwS dann noch haben können. Die einzige verbleibende Möglichkeit ist die folgende: (14) Es gibt keinen Echo-w-Satztyp bzw. -modus als solchen, sondern nur Echo-wCharakteristika, die sich mit beliebigen Satztypen bzw. -modi verbinden. Anders ausgedrückt: EwS sind je nachdem Deklarativsätze, Interrogativsätze, Imperativsätze, etc., die eine +w-Phrase mit EwS-spezifischen Eigenschaften enthalten. Als solche haben sie stets das Satztypmerkmal des 'geechoten' Satzes, also -w bei geechotem Deklarativsatz, +w bei geechotem IS, und das je Entsprechende bei geechotem Imperativsatz, geechotem Infinitsatz, geechoten Satzfragmenten, was auch immer das sein mag. Da Satztypmerkmale den entsprechenden semantischen Satzmodus tragen, folgt damit aus (14), daß EwS auch semantisch keine Fragesätze sind, außer wenn sie zufällig in der Form von IS auftreten. Für (14) sprechen vor allem zwei Faktenklassen: - zum einen, daß es tatsächlich EwS zu Satztypen jeder Form gibt, vgl. die Beispiele in (2) und (15):6 (15) a. b. c. d.
Hans geht zu WEM? Kennt Karl WEN? Wer hat WEN vorgeschlagen? Ob Karl WEN kennt?
5 Eine solche Position wird vertreten in Wunderlich (1986) (hier ist der Echo-Satzmodus ein sekundärer, nichtsdestotrotz eigenständiger Modus) und in modifizierter Form in Wunderlich (1988). 6 Von den in (15) aufgeführten Fällen werden zumindest (b) und (f) nur teilweise akzeptiert. Jedoch können auch diese zumindest strikt quotalionell (s. 2.3) verwendet werden, und außerdem scheinen unabhängige Erklärungen für ihre ansonsten mangelnde Akzeptabilität möglich: Im Fall von (0 ist der Adressatenbezug morphologisch festgelegt, so daß der übliche Übergang zum Sprecherbezug in EwS (ich-du-Wechsel) nicht möglich ist (I. Rosengren, mdl. Mitt). Im Fall von (b) spielt sicher eine Rolle, daß eine satzmodusmäßig gleichwertige Entsprechung, nämlich (c), zur Verfügung steht. (Zu den Besonderheiten der sie tragenden VerbletztStmktur, die m.E. strukturell nichts mit EwS gemein hat, s. Reis 1990b:Abschn. l, sowie Oppenrieder 1989).
55 e. f. g. h. i.
wohin mit diesem Zeug? Schick ihn wohin /zu WEM? Nieder mit WEM? Hans und WAS wählen? Ich WAS?
- zum ändern die Selektion von satzmodussensitiven Elementen (Modalpartikeln, gewisse Typen von Satzadverbien, Polarity Items), die durchgängig auf das der jeweiligen 'Grundstruktur' entsprechende Satzmodusmerkmal verweist, so bei (16) auf Deklarativ, bei (17)/(18) auf Interrogativ, bei (19) auf Imperativ bzw. eine Abart davon:? (16) a. Karl gehorcht gefalligst/eigentlich ausschließlich WEM? b. Karl hat halt/doch/ja/*denn/*jä WAS gemacht? c. Karl hat *jemals WAS zustandegebracht? (17) a. Wer gehorcht ??gefälligst/eigentlich ausschließlich WEM? b. Wer hat *halt/*doch/*ja/denn/*jä mit WEM gestritten? c. Wann hat er jemals WAS zustandegebracht? (18) a. b. c. (19) a. b. c.
Ob Karl *gefälligst/eigentlich ausschließlich WEM gehorcht? Ob Karl *halt/*doch/*ja/denn/*jä mit WEM gestritten hat? Ob er jemals WAS zustandegebracht hat? Gefälligsl/*eigentlichwegmitWEM? *Halt/*doch/*ja/*denn/jä weg mit WEM? * Jemals weg mit WEM?
Der Witz ist dabei nicht nur, daß man mit Bezug auf das zugrundeliegende Satzmoduselement genau diese Selektion erwartet, sondern, daß kein einziges Element dieser Art sich bezüglich EwS einheitlich verhält. Insbesondere erlauben EwS nicht durchgängig fragespezifische Elemente wie die Modalpartikel denn oder das Polaritätselement jemals, vgl. die jeweiligen b- und c-Varianten von (16)-(19). Damit scheint zum einen die Annahme eines einheitlichen Satztypmerkmals für EwS statt (14) unplausibel. Zum ändern gibt es aber auch keine Stütze dafür, ein einheitliches Satztypmerkmal zusätzlich zu (14) zu postulieren. Weiter spricht auf den ersten Blick auch nichts dafür, daß EwS auf semantischer Ebene ein zusätzliches Fragemodusmerkmal besitzen (also semantisch zum Interrogativmodus gehören). Wenn überhaupt, ist die dennSelektion, die semantisch gesteuert ist (alle und nur Sätze, mit denen auf Grund ihrer Strukturbedeutung Fragehandlungen vollzogen werden, lassen denn zu), ein Argument dafür daß EwS erst auf pragmatischer Ebene Fragen sind (s. hierzu u. 4.3). Damit scheint auch (H2) gerechtfertigt.
7 Nach Thurmair (1989:72f.) können in EwS überhaupt keine Modalpartikeln auftreten. Quotationelle Verwendungen gibt es jedoch m.E. sehr wohl. Daß manche Partikeln dabei schlechter sind als (14) voraussagt, vgl. etwa;a in (16b), könnte wieder unabhängiger Erklärung zugänglich sein, (ja hat als konsenskonstituierende Partikel wieder den Adressatenbezug, der in EwS nach Möglichkeit als Sprecherbezug wiedergegeben wird.)
56 2.3
Sind EwS quotationeile Strukturen?
Eine naheliegende Deutung für These (14) ist, daß EwS quotationeile Strukturen sind, d.h. zitierte Äußerungsstmkturen, dabei 'Mischtypen' in dem Sinn, daß die +w-Phrase ein Stück der zitierten Struktur ersetzte Für diese Deutung spricht auf den ersten Blick manches: Sie erklärt zwanglos die in (15)(19) angeführten Fakten, sie macht nicht nur die EwS-Besonderheit (iii), sondern auch (i) und (iv) im Ansatz verständlich, und sie deckt die EwS-Strukturen ab, die nur quotationeil auftreten. Dazu gehören einerseits Fälle wie (20), bei denen das EwS-Strukturmuster grammatisch nicht zulässig ist, die Analyse also notwendig auf Vorliegen eines Äußerungszitats rekurrieren muß, (20) [A: Ärr nix von Säle verstehn] - B: Ärr nix von WAS verstehn? andererseits praktisch alle EwS nichtdeklarativer Satzstruktur, so vor allem EwS-Imperative und EwS-Entscheidungsinterrogative. Selbst für EwS-Deklarative gilt, daß diejenigen, die deklarativmodusspezifisch markiert sind (etwa durch Modalpartikeln und Adverbien), dem quotationeilen Typ zuneigen. Gegen diese Deutung sprechen jedoch die unmarkierten EwS-Deklarative. Diese werden nicht nur zur quotationeilen Wiederaufnahme von Vorgängeräußerungen, sondern auch zur inhaltlichen Wiederaufnahme verwendet, vgl. den EwS (21), der in allen in (2 ) aufgeführten Fällen eine mögliche Echo-Reaktion darstellt, (s. auch Bolinger 1987). (2 1 ) Petra hat WEN zum Freund? (2 ) a. A: Also Petra hat doch einen Bullen zum Freund, der ... b. A: Ich hab mir dann überlegt: Peter ist mit Susanne befreundet, Petra mit Max, also ... c. A: Da war ich in der Mensa, und hab Petra da mit ihrem Heini, dem Max, sitzen sehen, ... Darüber hinaus gibt es die o.a. initiativen Verwendungen als Quizfragen, etc. Will man die quotationelle Strukturanalyse der anderen EwS nicht aufgeben, muß man also annehmen, daß unmarkierte EwS-Deklarative strukturell ambig sind. Das heißt, daß man de facto einen quotationellen und einen nichtquotationellen Strukturtyp von EwS ansetzt, die sich je bei quotationeller vs. nichtquotationeller EwS-Verwendung manifestieren. Diese Konsequenz scheint gegenintuitiv. Richtiger ist wohl, die 'ambigen' EwS von vornherein als eine einheitliche Struktur zu betrachten, die verschiedene, ±quotationelle Verwendungen hat Da das Potential zur inhaltlichen Wiederaufnahme den Zitatfall automatisch mitumfaßt, und nicht umgekehrt, heißt das auch, daß die Strukturanalyse der EwS von den Fällen nichtquotationeller Verwendung ausgehen sollte. 8
So Altmann (1987), vgl. auch die Argumentation von Oppenrieder [in diesem Band].
57
Daß dies eine einschneidende Umorientierung ist, zeigt sich daran, daß nur unmarkierte EwS-Deklarative, die einer D-Struktur-Konfiguration entsprechen, nichtquotationell verwendet werden können. Ein EwS wie (22), den die Spur in der dem Echo-w-Lexem entsprechenden Konstituente als Pendant einer S-Struktur ausweist, ist nur quotationeil zu verwenden, nicht aber zur inhaltlichen Wiederaufnahme oder als Quizfrage, vgl. etwa (23) vs. (24): (22) a. Auf den Ball glaubt er, daß WAS? b. Auf den Ballj glaubt er, daß [der Meteor eingewirkt tj hat ]& (23)
[A:... Paul hat immer ganz phantastische Ideen. Jetzt die mit dem Meteor und dem Fußball. Der Meteor soll auf den kosmisch eingewirkt haben, und das soll erklären ... ] B: *Auf den Ball glaubt er daß WAS??
(24)
[A: Auf den Ball glaubt er, daß der Meteor eingewirkt hat!] B: Auf den Ball glaubt er daß WAS??
Das heißt aber nichts anderes, als daß diese EwS durch Basis-Einsetzung der Echo-w-Lexeme, nicht erst durch Ersetzung von Konstituenten in S-Strukturen entstehen. Eine einheitliche Strukturbeschreibung der EwS kann also nicht darauf hinauslaufen, daß alle EwS Oberflächenstrukturen ('quasi-quotationell') sind. Umgekehrt scheint es jedoch möglich, die teilweise nötige Analyse als D-Strukturen auf die quotationellen Fälle zu verallgemeinern. Jedenfalls zeigen die einschlägigen Fakten (25) aus dem Bereich der Rede wiedergäbe, a) daß Zitate Subkategorisierungsbedingungen erfüllen können; das spricht dafür, daß sie als solche schon auf D-Struktur-Ebene eingesetzt werden, b) daß Zitatkomplemente nicht ausschließlich als Redeerwähnung behandelt, sondern inhaltüch verarbeitet werden, das heißt, ihre interne syntaktisch-lexikalische Strukturierung muß an der relevanten Syntax-Semantik-Schnittstelle zugänglich sein, also spätestens beim Übergang von der S-Struktur zur Logischen Form. (25) a. Da hat er gesagt "Wenn das nützt ..."/"Komm" hat er gesagt, b. Er sagt, das geht. / Er sagt nein. Wenn wir (a) und (b) so verallgemeinern, daß, durch welchen Mechanismus auch immer, die Klasse möglicher Zitate (zu der insbesondere sämtliche grammatischen Oberflächenstrukturen gehören) bereits auf D-Struktur-Ebene und zwar samt Strukturbeschreibungen zur Verfügung steht, können wir den Vorgang der Echo-w-Phrasen-Einsetzung in alle, auch ausschließlich quotationell verwendbare EwS-Strukturen auf D-Struktur-Ebene lokalisieren. Wenn wir uns zusätzlich davon lösen, daß die auf D-Struktur-Ebene relevanten Zitatstrukturen in Form vollständig lexikalisch spezifizierter Äußerungsstrukturen verfügbar sind - Abwandlungen, wie sie bei selbständiger indirekter Rede und bei Korrekturäußerungen an beliebiger Stelle zu beobachten sind, legen diese Lösung nahe - können wir diesen Vorgang auch in gleicher Weise als "Einsetzung" (statt als "Ersetzung") interpretieren, wobei nur die Domäne der Einsetzung verschieden ist: hie 'normale' D-Strukturen, da auf D-Struktur-Ebene verfügbare S-Strukturen. Diese Argumentation läuft darauf hinaus, daß EwS weder insgesamt, noch teilweise quotationeile Strukturen sind, sondern grammatisch reguläre Strukturen, die teilweise Zitate grammatisch verarbeiten. Sie läßt sich durch folgende Beobachtungen weiter stützen: Echo-w-
58 Phrasen stehen in allen Typen von EwS und bei jeder Verwendung, a) nur für Konstituenten, nie für bloße Konstituentenfolgen oder -fragmente, vgl. (26), b) für XP-Konstituenten, nicht (bzw. weit schlechter) für nichtmaximale Projektionen oder Köpfe, vgl. (27), c) nur an XPStellen, zu denen sie kategorial passen, vgl. (28).9 (26) (27) a. b. (28)
*Gestem WAS er? /*Es WAS gegeben? /*Er bekämpft die WASflation? ??Er WAS?/??Der jüngste WAS durch Peter mißfällt dir? *Ihm WAS vor dir? *Ergeht sich Peter WAS? (vs. Ergeht sich Peter in WAS?)
Offenbar respektiert also die Einsetzung der Echo-w-Lexeme durchgängig sowohl deren kategoriale Bedingungen, als auch die Regularitäten der den EwS zugrundeliegenden grammatischen Strukturen. Dieses regelkonforme Verhalten spricht für die o.a. reguläre und gegen die quotationeile Auffassung der EwS-Struktur, denn diese ließe anderes erwarten. Damit ist auch (H3) gerechtfertigt.
2.4
EwS als reguläre grammatische Strukturen I: Ausgangsfeststellungen
2.4.1 Damit zu dem Versuch, EwS im Sinne von (H4)/(H5) als grammatisch reguläre Strukturen herzuleiten. Für die EwS-Besonderheiten heißt das, daß sie sich gewissermaßen gegenseitig, aus regulärer Interaktion der beteiligten grammatischen Mittel, erklären müssen. Ich gehe davon aus, daß die in Echo-w-Phrasen und interrogativen w-Phrasen auftretenden w-Lexeme dieselben sind (Gl), ferner, daß zu deren lexikalischen Eigenschaften ein +w-Merkmal mit 'Interrogativbedeutung' gehört (G2):J0 (Gl) Die Echo-w-Phrasen zugrundeliegenden Lexeme sind interrogative w-Lexeme. (G2) Interrogative w-Lexeme haben (u.a.) a. ein -f w-Merkmal b. eine über Indefinitheit hinausgehende fragerelevante Bedeutung (Operatorbedeutung OFFEN(x) o.a.) c. eine je spezifische Bedeutung (wo:'Ort(x)', wer: 'Person(x)', etc.). Ferner wissen wir bereits, daß für deren Einsetzung in EwS (G3) gilt: (G3) Die Echo-w-Phrasen zugrundeliegenden interrogativen w-Lexeme werden in der Basis eingesetzt. 9
Hinsichtlich (a) behauptet Janda (1985) Gegenteiliges fürs Englische, aber offenbar zu Unrecht, vgl. McCawley (1987). Oppenrieder [in diesem BandrAbschn. 3] wendet sich gegen (b), aber seine Beispiele sind m.E. nicht überzeugend: In (22) entspricht unter der DP-Analyse was einer XP; (23)/(24) sind allenfalls marginal akzeptabel. Darüber hinaus bleibt zu fragen, wie unter Oppenrieders Analyse ganz unakzeptable Fälle wie er hat ein knallrotes Bade-WAS gekauft? auszuschließen wären.
10 Zur ausführlichen Diskussion und Begründung s. Reis (1990b:3.4), sowie die aufeinander bezogenen Beiträge von Pasch (1990) und Reis (1990a).
59 Allerdings werden sie nicht nur in den XP-Positionen DP, AP, PP eingesetzt,11 auf die interrogative w-Phrasen beschränkt sind, sondern in XP-Positionen jeden Typs: was und teilweise wer fungieren als Echo-w-Phrasen vom Typ NP (als Teil einer DP) (29), was darüber hinaus als VP, IP/CP (30), was ihm vermutlich durch XP-Kategorisierung im Lexikon erlaubt ist: (29) Ein WAS hat Peter gekauft? /Peter WER will mich sprechen? (30) Ihm hat Peter WAS? /(Ihm ist egal), daß WAS? /WAS? Echo-w-Phrasen haben aber auch darüber hinaus eine bemerkenswert andere Distribution als interrogative w-Phrasen, die (G4) auf einen Nenner bringt: (G4) Echo-w-Phrasen verhalten sich syntaktisch nicht wie - -w-Phrasen, sondern wie -w-Phrasen gleichen XP-Typs. (G4) bestätigt sich in allen Hinsichten, in denen normale +w- und -w-Phrasen - unter letzteren sind Ausdrücke ohne Operatormerkmal wie der Mann, Peter, er zu verstehen - unterschiedlich distribuiert sind: - In der Erstposition eingebetteter Verbletztsätze können +w-Phrasen stehen, nicht aber -wPhrasen. Echo-w-Phrasen verhalten sich wie letztere (s.o. (8)). - In der Erstposition eingebetteter Verbzweitsätze können keine +w-Phrasen stehen, wohl aber -w-Phrasen. Wieder verhalten sich EwS wie letztere: (31) a. b.
Er sagte, WER wäre in Rom? *Er sagte, wer wäre in ROM?
- w-Bewegung ist für interrogative +w-Phrasen obligatorisch (s. die obige Erstpositionsbedingung für +w-Phrasen in w-IS), Echo-w-Phrasen hingegen stehen nur fakultativ in der Erstposition (und haben dort -w-Eigenschaften), was genau dem Muster der w-Bewegung von -w-Phrasen, der sogen. Topikalisierung, entspricht (s. hierzu Reis/Rosengren 1988,1990). - Als weiteres Indiz können wir nehmen, daß es keine +w-VP-Phrasen gibt (weder einfache noch komplexe), wohl aber VP-Echo-w-Phrasen (s.o.(29)): VP-Phrasen sind -w-Phrasen, da sie topikalisierbar sind. - Darüber hinaus treten Echo-w-Phrasen phrasenintern in XP-Positionen auf, die für normale -w-Phrasen zugänglich sind, nicht aber für +w-Phrasen (d.h. die Gesamtphrase ist, aus welchen Gründen auch immer, keine mögliche interrogative +w-Phrase), vgl. einerseits Fälle wie (29), andererseits Fälle wie (32H33): (32)
Den Zug wohin (nimmt er?)
11 Echo-w-Lexeme bilden einerseits für sich Phrasen (wie alle Pronomina, vgl. zu deren Darstellung im Rahmen der X-Bar-Syntax Olsen 1989), andererseits kommen sie als Bestandteil größerer Phrasen vor. Unter dem Stichwort 'Echo-w-Phrase* geht es mir im folgenden nur um den ersten Fall. Fälle, in denen Echo-wLexeme Bestandteil größerer Phrasen sind, sind nicht als 'komplexe Echo-w-Phrasen', sondern einfach als Teil der Echo-w-Phrasen-Distribution zu betrachten, vgl. u. die Diskussion zu (04).
60
(33) a. b.
Welches WAS (hat ihn beschäftigt?) (du verachtest jeden,) dessen Fotos von WEM (du verkaufen mußt?)
(G4) scheint also in jeder Hinsicht gut gesichert. Es paßt zu (G4), daß auch (G5) zu gelten scheint: (G5) Zu jedem grammatischen Satz S gibt es soviele grammatische EwS-Pendants, wie S für normale basiseingesetzte -w-Phrasen zugängliche XP-Positionen enthält Scheinbare Ausnahmen wie (34) erklären sich daraus, daß die grammatischen Eigenschaften des Echo-w-Ausdrucks (hier: pronominaler Status) regulär interferieren: Pronomina lassen sich in aller Regel weder ausklammem, noch linksversetzen. (34) a. *Hans hat Fritz gegeben W AS? b. * WEN, die mag Hans nicht? 2.4.2 (G l MG5) sind die empirischen Generalisierungen, die den Rahmen für die folgende grammatische Herleitung von EwS bilden. Dabei spielen (G1)-(G3) mehr oder minder die Rolle von Standard- bzw. Ausgangsannahmen, (G4) hingegen wird zum zentralen Problem: Wie sieht eine Ableitung aus, die Echo-w-Phrasen ihr -w-Verhalten erlaubt? Daß dieses Problem für die Beschreibung der EwS zentral ist, ergibt sich daraus, daß (G4) die EwS-Besonderheiten (i), (iii) und (iv) subsumierL Anders gesagt: Wenn (G4) erklärt ist, ist auch (i), (iii) und (iv) erklärt, denn -w-Phrasen sind grundsätzlich stellungsfrei, insbesondere w-Bewegung nur fakultativ unterworfen (nach dem Muster von Topikalisierung), sie kommen in Satztypen jeder Art vor, und sie haben auch von Haus aus keinen Skopus, was man in gewissem Sinn als Default-Skopus über den Gesamtsatz ('weiten Skopus') interpretieren kann (s. Fodor/Sag 1982). Das Problem muß also (mindestens als Ableitungsproblem) im folgenden gelöst werden. Die Hauptschwierigkeit dabei ergibt sich aus der gleichzeitigen Geltung von (G1)/(G2): Wie läßt sich die -»-w-Charakteristik der Echo-w-Lexeme mit dem -w-Verhalten der Echo-wPhrasen vereinbaren? Da Phrasen die +w- bzw. -w-Eigenschaft von den Lexemen in ihrer Kopfposition erben, kann die Antwort nur im Nachweis von Umständen liegen, auf Grund deren die +w-Eigenschaft in Echo-w-Phrasen nicht zum Tragen kommt. Es ist dabei klar, daß wir dieses Problem im minimalen Kontrast zu interrogativen +w-Phrasen zu lösen haben, in denen das lexikalisch ererbte +w-Merkmal grammatisch wirksam ist, also z.B. Skopusbindung auslöst, vgl. nochmals (35) vs. (36), (35) Karl weiß, wen Peter wann besucht. (36) Karl weiß, wen Peter WANN besucht? oder perkolieren kann (d.h. zu komplexen interrogativen +w-Phrasen führt), die Bewegung in einleitende +w-Positionen erzwingt bzw. in einleitende -w-Positionen ausschließt, etc. Ferner machen Minimalkontraste wie (35)-(36) klar, daß der Faktor, der das +w-Merkmal in Echo-wPhrasen blockiert, mit der EwS-spezifischen Eigenschaft (ii), der obligatorischen Akzentuierung, zu tun haben muß.
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2.5
EwS als grammatisch reguläre Strukturen II: Die Rolle der Fokussierung
2.5.0 Die Idee, der ich nachgehen will, ist folgende: Die Semantik der -f-w-Lexeme umfaßt mindestens zwei Teile, vgl. (G2): den Operatorteil (= die fragerelevante Bedeutung) und den Nichtoperatorteil (= die spezifische Bedeutung), so daß die Hauptakzentuierung der +w-Phrase ambig ist: Entweder wird der Nichtoperatorteil (NO-Teil) oder der Operatorteil (O-Teil) fokussiert, wobei im letzten Fall der NO-Teil notwendig in den Hintergrund tritt (d.h. es liegt minimaler Fokus vor). Wenn wir nun zeigen könnten, erstens daß bei Echo-w-Phrasen konsistent der O-Teil fokussiert wird, und zweitens, daß die damit gegebene Vordergrund-HintergrundBildung zusammen mit den sonst gegebenen Unterschieden zu Interrogativ-w-Phrasen ausreicht, ihr -w-Verhalten zu erklären, dann wäre (G4) in Einklang gebracht damit, daß Echound Interrogativ-w-Phrasen auf den gleichen +w-Lexemen aufbauen. Gleichzeitig wäre die letzte EwS-Besonderheit (ii) erklärt. 2.5.1 Das suggestivste Indiz dafür, daß in Echo-w-Phrasen stets der O-Teil fokussiert ist, stellt die Betonung mehrsilbiger w-Lexeme dar, die in Echo-w-Phrasen stets den +w-Bestandteil trifft: WOmit, worüber, inWIEfern, WARum, WEShalb, etc. Als nichtnormale Betonung (s. Höhle 1982) führt sie zu minimalem Fokus der dem +w-Teil des Wortes entsprechenden Bedeutung. Daß diese der O-Teil ist, liegt morphologisch auf der Hand. Für einsilbige wLexeme nehmen wir entsprechend an, daß ihre Betonung in Echo-w-Phrasen ebenfalls O-TeilFokussierung entspricht. Ein weiteres Indiz liefert die (Un)möglichkeit kontrastiver Interpretation betonter wPhrasen. Normale w-IS erlauben sie, vgl. die Fälle expliziter und impliziter Kontrastierung (37>-(39) und den kontrastiven Paarungseffekt bei multiplen Fragen (40). In diesen Fällen muß der je verschiedene NO-Teil der +w-Phrasen fokussiert sein, anders wären die auftretenden Kontrasteffekte (Ort vs. Zeit, etc.) nicht zu erklären. Typischerweise werden in diesen Fällen die mehrsilbigen w-Lexeme auch auf dem Nicht-w-Bestandteil betont. (37) (38) a. b. (39) a. b. (40)
WIE konnte es dazu kommen und waRUM? Mir ist zwar egal, WANN er kommt, aber nicht, wieLANGe er kommt, Ich möchte nicht nur wissen, OB, sondern auch WANN er kommt. Hans möchte nur wissen, WER kommt. Hans hätte sicher gefragt, woRAUF du schreibst. WER betrügt denn hier WEN?
Bei Echo-w-Phrasen kommen solche Effekte nicht vor: Weder gibt es explizit kontrastive EwSKonstruktionen, noch multiple EwS mit entsprechenden Effekten, noch sind EwS je implizit kontrastiv zu interpretieren. Auch das spricht für die Annahme, daß bei ihnen konsistent OTeil-Fokussierung vorliegt, denn diese ist ja bei allen +w-Phrasen dieselbe, also nicht kontrastfähig. Zusätzlich läßt sich für diese Annahme anführen, daß sie zu den bei Verwendung von EwS vorliegenden 'Echo'-Verhältnissen paßt: Bei diesen ist die Spezifik der Ortsangabe, Zeitangabe,
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Person-Identität etc. als bereits bekannt Hintergrund; fokussiert ist, daß die bereits gegebene Spezifizierung (aus welchen Gründen auch immer) offen ist, also der O-Teil. Bei Echo-w-Phrasen liegt also immer O-Teil-Fokussierung vor. Liegt umgekehrt bei betonten Interrogativ-w-Phrasen immer NO-Teil-Fokussierung vor, so wie in (37)-(40) demonstriert? Das hängt vor allem von der Interpretation folgender uneingebetteten Fälle ab: - In Fällen wie (41), die formal eindeutig dem w-IS-Muster angehören, und sich auch in der Interpretation klar von ihren EwS-Pendants unterscheiden, (41) a. WaRUM bist du weggegangen (\) b. WEN hast du getroffen. (\) führt der Hauptakzent auf der +w-Phrase nicht zu implizit kontrastiver Interpretation, sondern zu einem besonderen streitbaren Effekt für die damit vollzogenen Fragehandlungen, dem bei Culicover/Rochemont (1983) sogen, 'disputationeilen' Effekt. Daß dieser an den Handlungscharakter uneingebetteter Sätze geknüpft ist, macht der Vergleich mit den eingebetteten Fällen klar. Da aber damit komplementäre Verteilung von kontrastivem und disputationellem Effekt vorliegt, läßt sich letzterer intuitiv plausibel wie folgt erklären: Wir nehmen Kontrastivität einheitlich als den primären Effekt der Fokussierung an und leiten daraus in Fällen wie (41), in Interaktion mit der gegebenen illokutiven Geltung, den disputationellen Effekt pragmatisch ab. Damit sind Fälle wie (41) auf NO-Teil-Fokussierung zurückgeführt. - Das scheint nicht möglich für Fälle wie (42), in denen die Betonung zweisilbiger w-Lexeme von vornherein für O-Teil-Fokussierung spricht: (42) a. WARum hast du mich verlassen? (\) b. WEN habt ihr getroffen? (\) Diese Fälle haben neben der eindeutigen Echo-Verwendung (wobei bei Quiz- und Abfrage-Verwendung ebenfalls fallende Intonation vorliegen kann) auch eine Verwendung, die keine unmittelbare Diskursgebundenheit aufweist und insofern normalen Fragen nahesteht. Da die Möglichkeit, sie dennoch als weitere Variante der Echo-w-Fragehandlung einzustufen, wohl auf Grund der Verhältnisse in eingebetteten Sätzen ausscheidet, 12 bleiben nur zwei unterschiedlich radikale Annahmen: Die eine ist, daß bei Interrogativ-w-Phrasen nicht nur NO-, sondern ganz generell auch O-Teil-Fokussierung vorliegen kann. Die andere ist, daß O-Teil-Fokussierung von Interrrogativ-w-Phrasen nur realisiert wird, wenn das Satztypmerkmal +w beteiligt ist, das
12 In Reis (1990b:Abschn. 3.5) war ich in Übereinstimmung mit der Literatur davon ausgegangen, daß auf dem w-Teil betonte w-Lexeme in der Spec.C-Position von Verbletzt-Sätzen generell nicht vorkommen. Es gibt jedoch recht klare Gegenbeispiele (darauf hat mich I. Rosengren aufmerksam gemacht), vgl. (i), deren Interpretation nicht kontrastiv ist, aber auch keinesfalls den sonstigen Echo-Verwendungen entspricht (d.h. es bleibt bei der o.a. Restriktion, daß Echo-w-Phrasen in der Spec.C-Position von Verbletzt-Sätzen nicht stehen können). Die naheliegende Möglichkeit ist, sie als eingebettete Pendants von Fällen wie (42) aufzufassen, wobei die mit dem w-Teil verbundene Information eher neue als i.e.S. kontrastive Information ist. Wenn sie aber keine EwS sein können, können entsprechend auch Fälle wie (42) keine sein, (i) [A: Es ist doch egal, ob Paul nach Berlin oder Oslo oder Bangkok oder sonstwohin zur Erholung fährt. B:] Sicher ist egal, WOhin er fährt. [Aber was es jeweils kostet, ist mir nicht egal.]
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zusammen mit der deckenden +w-Phrase den interrogativen Satzmodus trägt. Wenn das so ist, läge Satzmodus-, also Operator-Fokussierung vor, die nicht die +w-Phrase als solche, sondern das durch sie gedeckte +w-Merkmal betrifft. Unter dieser Interpretation ergäbe sich je eine 1:1Zuordnung von O-Teil-Fokussierung zu Echo-w-Phrasen und NO-Teil-Fokussierung zu interrogativen +w-Phrasen in situ, mit Anerkennung von Fällen wie (42) als drittem Fall. 2.5.2 Um Klarheit einerseits über diese Frage zu gewinnen, andererseits darüber, was es überhaupt in puncto EwS herzuleiten gibt, betrachten wir nun die möglichen Konstellationen von Echo-w-Phrasen und Interrogativ-w-Phrasen in w-IS und Nicht-w-IS. Zunächst zu w-IS: (43) a. b. c. d.
Warum hat er mit dieser Sache so schrecklich ANgegeben. Warum hat er womit so schrecklich ANgegeben. * Warum hat er woMIT so schrecklich angegeben. *Warum hat er WOmit so schrecklich angegeben
(44) a. b. c. d.
WaRUM hat er mit dieser Sache so schrecklich angegeben. *WaRUM hat er womit so schrecklich angegeben. WaRUM hat er woMIT so schrecklich angegeben. *WaRUM hat er WOmit so schrecklich angegeben.
(45) a. b. c. d.
WARum hat er mit dieser Sache so schrecklich angegeben. *WARum hat er womit so schrecklich angegeben. * WARum hat er WOMIT so schrecklich angegeben. * WARum hat er WOmit so schrecklich angegeben.
(43)-(45) sind, wie gerade gezeigt, von der Besetzung der Initialposition her mögliche w-IS. Wenn wir versuchen, die w-Phrasen in situ als Interrogativ-w-Phrasen zu interpretieren (dem entsprechen die Grammatikalitätsbewertungen), zeigen die d-Varianten deutlich, daß sie O-TeilFokussierung in situ nicht zulassen. 13 Damit kann nur noch die zweite Annahme richtig sein, die auf komplementäre Verteilung von nichtinitialen Echo-w-Phrasen vs. nichtinitialen Interrogativ-w-Phrasen bzgl. O- vs. NO-Teil-Fokussierung hinausläuft. Dies läßt uns drei zu klärende Fragen: a) Wieso sind die Fälle, wo nur NO-Teil-Fokussierung (und eine zweite unbetonte +w-Phrase) vorliegt, ungrammatisch? b) Wieso ist überhaupt O-Teil-Fokussierung von Interrogativ-w-Phrasen ungrammatisch? c) Wie sind die sich ergebenden Grammatikalitätsurteile bzgl. der o.a. Fälle zu erklären, wenn man (immer vorausgesetzt, die erste w-Phrase ist interrogativ) die O-fokussierte - -w-Phrase in situ als Echo-w-Phrase auffaßt? Des Rätsels Lösung liegt größtenteils in den FHG-Verhältnissen: - zu (a): Im Fall (43c) ist klar, daß alles im Satz außer woMIT im Hintergrund liegt, denn Betonung eines Pronomens führt immer zu minimalem Fokus. Damit liegt auch warum, und dessen O-Teil im Hintergrund. Bei woMIT selbst aber, das normal betont ist, liegt der gleiche O-Teil mit im Fokus. Gleiche Inhaltselemente können aber nicht Vorder- und Hintergrund zugleich angehören. Deshalb ist (43c) schlecht. - Die gleiche FHG-Konstellation liegt bei (44b) vor (der positionelle Unterschied spielt keine Rolle). Noch einfacher liegt der Fall (45b), wo
13 Soweit (45d) akzeptabler erscheint, könnte das an Hauptbetonung von ANgegeben liegen, so daß bei entsprechender Phrasierung die + w-Phrasen gleichmäßig betont erscheinen.
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die nichtnormale Betonung bei WARum dazu führt, daß alles außer dem O-Teil im Hintergrund liegt, also auch der O-Teil von womit, womit wieder der gleiche Konflikt gegeben ist. - zu (b): Auch hier sind die FHG- Verhältnisse maßgeblich: In (43d) liegt der gleiche Konflikt vor wie in (45b). In (44d) und (45d) verlangt der doppelte Fokus eine kontrastive Interpretation, die in beiden Fällen nicht erfüllt ist: In (45d) werden Inhaltselemente unvergleichbarer Sorte in Kontrast gesetzt, in (44d) identische Elemente, was unmöglich ist. - zu (c): Es ist klar, daß (43d) als EwS gut ist. Daß (44d) und (45d) nicht gut sein können, liegt an der doppelten Fokussierung, die auch in EwS unmöglich ist (selbst im Fall, daß WARwn in (45d) als Echo-w-Phrase interpretiert würde, denn multiple Echo-w-Fragen gibt es so gut wie nicht, s.o.), weil sich keine konsistente kontrastive Interpretation ergeben kann. Betrachten wir nun +w-Phrasen in Deklarativsätzen (stellvertretend für nicht-w-interrogative Sätze): (46) a. b. c. d.
*Er hat warum mit dieser Sache so schrecklich angegeben. *Er hat waRUM mit dieser Sache so schrecklich angegeben. Er hat WARum mit dieser Sache so schrecklich angegeben. WARum hat er (ja) mit dieser Sache so schrecklich angegeben.
Weshalb (46a,b) ausscheiden, ist klar: Es gibt kein +w-Merkmal, das sie c-kommandiert und skopusbindet. (46c) ist nur als EwS denkbar, (46d) ebenfalls (wobei ja die Disambiguierung gegenüber Fall (45a) leistet). Ganz offenbar gilt also, daß +w-Phrasen mit fokussiertem O-Teil mit einem nicht-w-interrogativem Satzmodusmerkmal koexistieren können (nicht einmal Bewegung in die bei (46) entsprechend mit -w ausgezeichnete NonA-Position ist unmöglich). Weiterhin gilt auch, das zeigen komplexe Fälle wie (47) besonders deutlich, (47) Ihm ist klar, womit er WARum so schrecklich angegeben hat. daß eine O-fokussierte w-Phrase in situ nicht von einem c- kommandierenden -f-w-Merkmal skopusgebunden sein kann (vgl. auch die entsprechenden Fälle bei den w-IS, die ja keineswegs als multiple EwS in irgendeinem Sinn interpretiert werden), das heißt, O-Teil-Fokussierung schirmt eine +w-Phrase in situ gegenüber dem Einfluß dieses Merkmals ab (womit man auch annehmen kann, daß sie auf LF nicht in die +w-Position w-bewegt wird). Zu erinnern ist schließlich noch daran, daß Echo-w-Phrasen nicht zusammen mit dem +wMerkmal in NonA-Positionen vorkommen: O-fokussierte Fälle der Struktur (48) sind also ungrammatisch, außer wenn - nachweisbar an der fehlenden Echo-Interpretation - die O-TeilFokussierung der +w-Phrase das +w-Merkmal (mit)betrifft. Umgekehrt müssen EwS mit initialer Echo-w-Phrase stets auf die Struktur (49) zurückgehen; es verwundert daher nicht, daß sie normale Interrogativ-w-Phrasen in situ nicht skopusbinden können. (48)
[CP+W [ XP +W ] [c ................ ]] a. *(Mir ist egal,) WARum ihr gelacht habt. b. * worüber er wohl gelacht hat. c . * WARum hat er gelacht.
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(49)
[CP-W [ XP+w ] [c U a. WARum hat er damit so schrecklich angegeben. b. *WARum hat er womit so schrecklich angegeben.
Wie sind diese Konstellationen zu erklären? Gehen wir davon aus, a) daß syntaktische w-Bewegung im Deutschen grundsätzlich fakultativ ist und XPs jeder Art in jede Art von NonAPosition bewegt, b) daß das Fokusmerkmal +F (dem ein Prominenz- bzw. Akzentmerkmal +P zuzuordnen ist) frei zugewiesen wird (s. auch Rosengren [in diesem Band]), wobei es bei +wPhrasen auf jede der wortinternen Inhaltskonstituenten - O- vs. NO-Teil - fallen kann. Aus diesen beiden Annahmen folgt, daß alle Konstellationen (43)-(49) syntaktisch ableitbar sind, so daß kein Problem der Untergenerierung besteht, sondern nur eines der Übergenerierung, das auf semantischer und/oder pragmatischer Ebene bewältigt werden muß. Betrachten wir zunächst die einleitende +w-Position von w-IS. Alle +w-Phrasen, die dorthin syntaktisch w-bewegt wurden, fungieren als Interrogativ-w-Phrasen, auch im o.a. 'dritten Fall' O-fokussierter initialer Interrogativ-w-Phrasen. Diesen interpretieren wir so, daß +F dem Satztypmerkmal +w zugewiesen wurde bzw., annehmend daß +F-Zuweisung nach syntaktischer w-Bewegung erfolgt, primär auf dieses bezogen wird. Dafür, daß das möglich ist, ist die Parallele zum Verum-Fokus (s. Höhle 1988) zumindest suggestiv. Dies vorausgesetzt, kann man in den sonstigen Fällen der O-Teil-Fokussierung eine entscheidende Rolle einräumen: Sie macht aus +w-Phrasen Größen, die sich auf der Ebene der Logischen Form und/oder der Semantischen Form nicht wie Operatorphrasen, sondern wie normale -w-XPs verhalten, also wie Namen. Das erfaßt das gesamte -w-Verhalten der Echow-Phrasen, insbesondere ihr Verhalten gegenüber +w-Merkmal und +w-Position, vgl. o. (46)-(49). Seinen Niederschlag findet das auf der Ebene der Logischen Form: Einerseits werden syntaktisch in situ befindliche Echo-w-Phrasen auf LF nicht w-bewegt, denn das ist nur für Operatoren notwendig; andererseits werden syntaktisch w-bewegte Echo-w-Phrasen auf LF so behandelt, als stünden sie in ihrer Ausgangsposition (genau wie andere topikalisierte Phrasen, s. Reis/Rosengren 1988). Letzteres erklärt insbesondere, warum Echo-w-Phrasen, die syntaktisch in der initialen -w-Position stehen, grammatisch überleben, während Echo-wPhrasen, die syntaktisch in der initialen +w-Position stehen, letztlich out sind. Bleiben die anderen Konstellationen von Interrogativ-w-Phrasen in (43)-(45). Die grammatischen Fälle darunter erklären sich natürlich aus der notwendigen Kooperation von +w-Merkmal und Interrogativ-w-Phrase. Die ungrammatischen unterscheiden sich, wie schon gesagt, dadurch, daß ein Fokussierungskonflikt bzgl. des O-Teils besteht oder sie die Kontrastivitätsbedingung bei Doppelfokussierung nicht erfüllen; das filtert sie spätestens pragmatisch aus. Daraus ergibt sich, daß nur solche +w-Phrasen-Konstellationen überleben können, die entweder mit einem +w-Merkmal kooperieren oder, falls sie das nicht tun, wenigstens O-fokussiert sind, also alles außer der Fragebedeutung in den Hintergrund schieben, was sie dann pragmatisch als Fragen interpretierbar macht (s.u. 3.4). Daraus erklärt sich letztlich auch der Unterschied zwischen (46a,b) vs. (46c). Daß die betonten +w-Phrasen in Fällen wie (43d) keine Interrogativ-, aber eine Echo-Interpretation zulassen, erklärt sich ebenfalls pragmatisch: Der bei normaler 'wörtlicher' Lesart bestehende Fokussierungskonflikt wird dadurch gelöst,
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daß man die bei Interrogativ-Interpretation als gleich anzunehmenden O-Teile eben nicht als gleich auffaßt, und geleitet von der gegebenen FHG-Gliederung, eine entsprechende Interpretation unterstellt, die Echo-Interpretation (s.u. 3.4.2). 2.5.3 Wir kommen damit zum letzten Problem: Wie läßt sich herleiten, daß O-fokussierte +w-Phrasen in situ auf der Ebene der Logischen Form bzw. Semantischen Form keine Operatoren sind? Da Operator sein heißt, eine Variable zu binden, bietet sich folgende Lösung als die natürlichste an: O-fokussierte +w-Phrasen in situ fungieren deshalb nicht als Operatoren, weil der im Lexem fokussierte OFF(x)-Operator eine Variable an Ort und Stelle - innerhalb des gleichen Lexems - bindet. Damit wäre erklärt, warum sich Echo-w-Phrasen wie Namen verhalten (sie wären völlig abgesättigte Ausdrücke), und insbesondere, warum sie sich zu dem Skopuszuweiser +w verhalten, wie sie es tun: Wenn +w mit einem OFF(x)-Operator assoziiert werden muß, dann muß es in seiner Domäne eine Variable geben, die er binden kann, und einem solchen Variablenausdruck entsprechen Echo-w-Phrasen als abgesättigte Ausdrücke nicht mehr. Andererseits haben abgesättigte Ausdrücke auch keinen Bedarf für einen Operator, der sie bindet; deshalb treten auch keine Skopuseffekte auf. Von daher ist also genau genommen die Rede vom 'weiten Skopus' der Echo-w-Phrasen Unsinn: Echo-w-Phrasen haben ebensowenig Skopus, wie es sonstige Namen haben. Daß immer der ganze Satz Bereich der Echo-wFrage ist, ist nicht mehr oder weniger verwunderlich als bei anderen erst pragmatisch zustandekommenden illokutiven Frage-Geltungen auch. Ich halte diesen Lösungsweg - der darauf hinausläuft, daß der OFF(x)-Operator in EwS nur lexikalischen Skopus hat - für intuitiv so weit überzeugend, daß er auch formal machbar sein sollte.14 Ganz am Ziel wären wir damit noch nicht: Zu klären bleibt immer noch, wieso ±OFokussierung die beschriebene differenzierende Wirkung haben kann, das heißt, wie sich diese Wirkung aus den semantischen Eigenschaften von Fokussierung in Interaktion mit den Eigenschaften der +w-Phrasen errechnet. Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang an die metalinguistischen Funktionen der Fokussierung zu appellieren, 15 da aber EwS nicht nur in metalinguistischer Funktion verwendet werden, reicht das nicht aus. Bevor hier jedoch eine definitive Antwort gegeben werden kann, sind weitere Untersuchungen nötig, und auch aussichtsreich: O-Fokussierung ist ein verbreitetes Phänomen, wobei, etwa bei fokussiertem alle, auf den ersten Blick ähnlich 'lokale' Effekte wie bei Echo-w-Phrasen auftreten, die nicht metalinguistischer Natur sind.
14 Gespräche vor allem mit I. Zimmermann haben mir allerdings die Schwierigkeiten recht deutlich vor Augen geführt. - Trotzdem möchte ich mich nicht mit dem direkt gangbaren Weg - die spezifische Minimalfokussierung des O-Teils erhält eine semantische Umkategorisierungsfunktion zugewiesen, die aus den interrogativen Operatorphrasen semantisch interrogative NPs macht - zufriedengeben, weil damit stipuliert wird, daß Fokussierung hier eine besondere Wirkung hat. 15 Vgl. etwa die Ausführungen über Fokus-Funktionen in Culicover/Rochemont (1983). - Hinweise darauf, daß Echo-w-Fragen metalinguistische Funktionen haben, sind in der Literatur gängig, und Parallelen zur metalinguistischen Negation durchaus gegeben, s. Hörn (1985). Eine deskriptive oder gar erklärende Ausnutzung dieses Zusammenhangs findet sich jedoch, auch ansatzweise, nirgends.
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3. 3.1
Zur Pragmatik der Echo-w-Sätze: Der Form-Funktions-Zusammenhang Eigenschaften der 'Echo-w-Fragehandlung'
3.1.0 Die Granunatik der EwS stellt uns für die Ableitung ihrer Verwendungseigenschaften sehr wenig zur Verfügung: a) die +w-Phrase, die 'OFF (x)' als Teil ihrer lexikalischen Bedeutung enthält und eine beliebige XP-Stelle in einem Satz beliebigen Typs markiert, b) eine spezielle Fokus-Hintergrund-Gliederung, in der diese 'Frage'-Bedeutung minimal fokussiert ist. Im folgenden ist zu zeigen, daß das zur Ableitung der konsumtiven Merkmale der Echo-wFragehandlung i.w.S. im Sinne von (H6) tatsächlich ausreicht. Als konsumtive Merkmale der mit EwS vollzogenen Echo-w-Fragehandlung i.w.S. wurden bisher (i) und (ii) herausgestellt, die die Gemeinsamkeit (i) und den Unterschied (ii) zu den konsumtiven Merkmalen der mit w-IS vollzogenen 'normalen' w-Fragehandlung markieren. (i)
w-Frage-Charakteristik: w-Frage-Inhalt (OFFxP[x]) w-Antwort-Erwartung bzgl.
(ii)
'Echo'-Charakteristik: Gegebenheit der Frageproposition P[x] als für die Gesprächsbeteiligten eigentlich/vorher geschlossen (s. Abschn. 1)
Es scheint aber auch ein Unterschied bzgl. der Existenzimplikatur zu bestehen, die bei mit w-IS vollzogenen w-Fragehandlungen zwar nicht konsumtiv, aber typischerweise auftritt: (50) Karl hat bei WEM kochen gelernt? (51)
[A: Stell dir vor, Karl hat gerade bei Schnapperling KOCHen gelernt. -] B: (50) ?[A: Bei SCHNAPPerling, dem Freund von iLSe, weißt du. -] [Fortsetzung:] a. B: Ah so. Na das finde ich aber toll. b. B: Hm, daß er auch noch kochen gelernt hat, kann ich gar nicht glauben. ...
Ein Sprecher legt sich mit der Äußerung von (50) nicht auf die Existenz eines Kochlehrmeisters von Karl fest; ob er unabhängig davon daran glaubt oder nicht, ist in der Regel erst aus der Äußerung nach Abschluß der Echo-w-Frage/Antwort- Sequenz erschließbar, vgl. (50) im Kontext der entsprechenden Diskurse (51a,b): Hier läßt der Äußerer der Echo-w-Frage nach deren Beantwortung die betreffende Existenzproposition, die in der Vorgängeräußerung der Echo-wFrage mitbehauptet wurde, einmal stehen (a), womit sie erst zur Diskurspräsupposition wird, einmal greift er sie an (b). In anderen Worten: Nach Abschluß der Echo-w-Frage/AntwortSequenz liegen genau die gleichen Diskurspräsuppositionen vor, wie unmittelbar zuvor, was heißt, EwS haben bzw. induzieren qua sprachliche Form keine eigenen präsuppositionalen
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Voraussetzungen bzw. Implikaturen.16 Als weitere charakteristische Eigenschaft von Echo-wFragehandlungen setze ich deshalb (iii) an: (in) Fehlen der Existenzimplikatur (3xP[x]). Damit zur Frage, inwiefern die grammatischen Eigenschaften von EwS genau die Eigenschaften (i)-(iii) der 'Echo-w-Fragehandlung' projizieren:
3.2
Zur Herleitung der 'Echo'-Charakteristik
Ganz offensichtlich folgt die Echo-Charakteristik (ii) exakt aus den grammatischen Fokussierungsgegebenheiten von EwS: Das w-Lexem in EwS ist akzentuiert; da es sich um ein Pronomen handelt, muß immer Minimalfokus vorliegen, ergo ist die gesamte Frageproposition im Hintergrund. Da, wie gezeigt, bei EwS notwendig Fokussierung des Operatorteils der w-Information vorliegt, liegt auch der spezifische Teil der w-Information im Hintergrund. EwS projizieren also auf den Äußerungskontext, daß alles außer der OFF(x)-Bedeutung im Hintergrund liegende, das heißt bekannte Information ist. Damit spezifizieren EwS in puncto Informationsgliederung genau die Echo-Verwendungsbedingung, die allen Echo-w-Fragen gemeinsam ist; das macht sie zu ihrem direkten Vollzug geeignet. (Die weiteren Differenzierungen einzelner Verwendungstypen ergeben sich aus Unterschieden des Äußerungskontextes). Umgekehrt ergibt sich bei keiner anderen Konstellation grammatischer Eigenschaften als bei EwS diese spezielle Informationsgliederung. Deshalb sind EwS zum direkten Vollzug von Echo-wFragen auch allein geeignet.
3.3
Zur Abwesenheit der Existenzimplikatur
Daß w-IS typischerweise entsprechende Existenzimplikaturen induzieren, EwS aber nicht,!7 wird in Reis/Rosengren (1988) damit in Zusammenhang gebracht, daß nur w-IS das Satztypmerkmal +w in linksperipherer Position aufweisen. Dieses Merkmal markiert nicht nur den Skopus der von ihm minimal c-kommandierten +w-Phrasen, sondern auch den Bereich, über den die für diese charakteristische Existenzimplikatur definiert ist. Wenn man nun unterstellt, daß dieses +w an der Entstehung nicht nur der charakteristischen Skopuseffekte, sondern 16 In Pasch (1990) wird mit Recht darauf verwiesen, daß es lediglich um das Fehlen der typischerweise auch sprecherbezogenen Implikatur geht 17 Fälle wie (i) Wer hat WEN verprügelt?, in denen eine Existenzimplikatur für die Ecno-w-Stelle besteht (nämlich 3x (3y (verprügel- y,x))) sind dazu keine Gegenbeispiele, denn sie erhalten diese nicht qua Echo-wCharakteristik, sondern via den Satztyp w-IS, mit dem diese sich zum EwS verbindet, in folgender Weise: Der w-IS bringt von Haus aus seine Existenzimplikatur für wer mit (3y (verprügel- y,k)). Indern der Sprecher von (i) WEN gebraucht, bringt er zusätzlich zum Ausdruck, daß er eine definite Kennzeichnung an der Stelle k erwartet Damit ist aber die Lücke zur Existenzimplikatur, die normale multiple Gegenstücke zu (i) haben, praktisch geschlossen.
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auch der Existenzimplikaturen wesentlich beteiligt ist, dann liegt die Erklärung für den Implikatur-Unterschied schon vor, da EwS über dieses Merkmal nicht verfügen (s.o. 2.1). Ich halte diesen Erklärungsvorschlag im Ansatz nach wie vor für richtig. Wenn aber die Herleitung der Existenzimplikatur wesentlich auf +w bzw. die Bedeutung des mit +w assoziierten Frage-Operators (also auf OFFx(... )) Bezug nimmt,^ hat das eine Konsequenz, die bei der Ableitung der Fragecharakteristik von EwS im Auge zu behalten ist: EwS können im Endeffekt auch nicht die gleiche semantische Repräsentation OFFxP[x] wie normale w-IS haben, denn dann wäre die Ableitung entsprechender Existenzimplikaturen nicht zu verhindern. Vielmehr müßten EwS auch semantisch primär das sein, was ihre Grundstrukturen sind: Deklarative, Imperative, -Interrogative, etc. Jacobs hat nun (1989:11, Anm.l6)19 eine Bedeutungsrepräsentation für Echo-w-Fragen vorgeschlagen, die diese bereits semantisch zu Fragen macht: (52)
Carmen hat WO geschlafen?
(M52) FRAGE Xpp (#
[ASSERT (CARMEN HAT
GESCHLAFEN], X#)
Der Unterschied zwischen EwS und entsprechenden w-IS wird darin gesehen, daß bei EwS der Frage-Operator die Proposition samt Satzmodusoperator des Grundtyps in den Skopus nimmt. Die Konsequenz ist, a) daß, wie schon gesagt, EwS schon semantisch primär Fragesätze sind, b) daß der Implikatur-Unterschied zwischen EwS und w-IS sich zwangsläufig nicht als einer in der Existenz, sondern in der Art der Implikaturen darstellt: Die Implikatur von (52) ist nicht 3x (p [x]), sondern 3x (ASSERT [p (x)]). Meines Erachtens ist (a) nichts, worüber man bei EwS isoliert argumentieren kann; vielmehr hängt a oder nicht a von der Gesamtdeutung ab. (Wären etwa EwS nachweislich w-IS, oder ihr Fragecharakter nicht pragmatisch ableitbar, wäre (a) unvermeidlich.) Bleibt also (b): Daß Jacobs' Vorschlag dazu wirklich genau das trifft, was Echo-w-Fragen von normalen w-Fragen unterscheidet, bezweifle ich, aus folgenden Gründen: - Nach Jacobs besagen Echo-w-Fragen in etwa: "Bezüglich X ist unklar (offen), was assortiert wurde". Das kann man auf Echo-w-Imperative etc. verallgemeinern, aber es verabsolutiert trotzdem einen, den quotationellen Verwendungsfall. Das wird weder EwS-Verwendungen zur inhaltlichen Wiederaufnahme gerecht, noch initiativen Verwendungen, wo es um die geschlossene Proposition als solche geht, nicht um ihre Assertion. Und noch krasser ist deutlich, daß in diesen Fällen die nach Jacobs anzunehmende entsprechende Existenzimplikatur von Echo-wFragen nicht zutreffen kann.
18 Das tut sie ganz unabhängig davon, ob man die betreffende Implikatur als generalisierte oder partikuläre konversationelle Implikatur auffaßt (s. Jacobs [in diesem Band]; Meibauer [in diesem Band], sowie Reis 1990b: 5.2.1 (bei Jacobs knapp referiert)), oder mit einer konventionellen Möglichkeitsimplikatur rechnet, die konversationell zur Existenzimplikatur verstärkt werden kann (s. Brandt/Rosengren/Zimmermann 1990). 19 Vgl. den Abschn. 4.1.5 der überarbeiteten Version [in diesem Band]. Die Änderungen in (Ml 1) (ebd.) gegenüber oben (M52) berühren die Argumentation nicht.
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- Vor allem aber ist bei Jacobs' Deutung der Echo-w-Fragen nicht zu verstehen, wieso es nur EwS mit minimaler Fokussierung auf der w-Phrase gibt. Warum sollten nicht Echo-w-Fälle möglich sein wie (53), da die entsprechende Bedeutungsrepräsentation (M53) wohlgeformt ist? (53)
CARMen hat wo geschlafen?
(M53) FRAGE Xpp (#
[ASSERT (
HAT X GESCHLAGEN), CARMEN*)
Von daher mag Jacobs1 Vorschlag zwar formal korrekt sein, zur Lösung des entscheidenden empirischen Problems, vor das die gesetzmäßige Zuordnung von EwS-Strukturen zu Echo-wInterpretationen stellt, trägt er nichts bei. Ich ziehe es deshalb vor, meinen obengemachten Vorschlag weiterzuverfolgen, der von diesen Problemen frei ist, und außerdem den Effekt, der Jacobs' Bedeutungsrepräsentation der EwS zugrundeliegt, auf der Basis der speziellen Fokus-Hintergrund-Gliederung pragmatisch abzuleiten gestattet (s. Reis 1990b, Kap. 4.2). Wie die für meinen Vorschlag anzustrebende Bedeutungsrepräsentation genau auszusehen hätte, überlasse ich den Semantikern zur Ausbuchstabierung, jedenfalls bliebe die Frage-Bedeutung als Teil der +w-Phrasen-Bedeutung fokussiert in situ und damit im Skopus von ASSERT und anderen zugrundeliegenden Satzmodusoperatoren.
3.4
Zur Ableitung der Fragecharakteristik
3.4.1 Wie ist nach diesen Vorgaben nun der einheitlich pragmatische Fragecharakter von EwS zu erklären? Damit sind im Grunde zwei Fragen gestellt: Es geht nicht nur darum, was EwS ihre durchgängige Geltung als w-Fragen verschafft, sondern auch darum, was ihre dem jeweiligen Satzmodus entsprechende Geltung als Assertive, Direktive, -Fragen etc. verhindert. Ich versuche, diese Fragen im Rahmen eines Modells zu beantworten, das grundsätzlich einstellungsfreie Satzmodusoperatoren annimmt (s. Brandt/Rosengren/Zimmermann 1990). Dabei schließe ich mich Rehbock (1989,1990) an, der die diesen entsprechenden Illokutionen vermittelt über Modi des rhetischen Aktes herleitet, das sind Äußerungsbedeutungsmodi, die durch Basiseinstellungen zur Sachverhaltsreferenz gekennzeichnet sind. Für Fragen nehme ich entsprechend an, daß der mit dem Satztypmerkmal +w assoziierte interrogative Satzmodus ein einstellungsfreier Operator OFFEN (x) ist, und daß die Zuordnung zu den Frage-Illokutionen über einen rhetischen Akt im erotetischen Modus führt, den folgende sprachhandlungsunabhängige Basiseinstellung zur Sachverhaltsreferenz (formuliert für E- und w-Fragen) kennzeichnet: (54) "Der Sprecher hält die Faktizität des Sachverhalts für entscheidungs- oder bestimmte Sachverhaltselemente für identifizierungsbedürftig" (Rehbock 1990:24) Was das Verhältnis dieser Satzmodusbedeutung zu der von der +w-Phrase getragenen "Frage1Bedeutung angeht, betrachte ich beide als mindestens teilidentisch. Damit können wir im weiteren davon ausgehen, daß die semantischen Repräsentationen sowohl der w-IS als auch der
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EwS eine OFFEN-Bedeutung enthalten, die jedoch entsprechend meiner bisherigen Argumentation unterschiedlich positioniert ist: In w-IS hat der OFFEN-Operator Skopus über die gesamte Proposition, steht also vor ihr; in EwS steht der OFFEN-Operator (abgebunden, s.o. Abschn. 2.5) in situ, dabei im Skopus eines anderen Satzmodus-Operators (SM), vgl. die schematische Darstellung in (55)/(56): (55) w-IS: (56) EwS:
OFFx ( ... ... ) SM (... OFF(x)...)
Für die Beantwortung der beiden anstehenden Fragen spielt offensichtlich die Semantik der +w-Phrase die ausschlaggebende Rolle. Zu bestimmen ist nun, wie sie es tut und vor allem, wo sie es tut, denn dafür gibt es nach dem o.a. Modell grundsätzlich zwei Optionen: EwS könnten sich bereits auf der rhetischen Ebene den Fragen anschließen oder erst auf der illokutiven Ebene. Rehbock, der sich im übrigen der hier vorgelegten Analyse von EwS anschließt, hat eine der ersten Option entsprechende Ableitung ihres Fragecharakters vorgeschlagen (1990:26f.): Die fokussierten +w-Phrasen in EwS verhindern nach ihm den pragmatischen Anschluß des eigentlichen Satzmodus an die Sprechereinstellung, "indem sie diese an sich selber binden. Dadurch wird der erhaltene [= eigentliche] Satzmodus auf eine 'quotative' Ebene transponiert, auf die sich die aktuelle erotetische Einstellung metakommunikativ bezieht." Daß die -t-w-Phrasen zu dieser Verhinderung fähig sind, wird dabei direkt und ausschließlich ihrer Fokussierung zugeschrieben: "Das fokussierte W-Interrogativ tritt pragmatisch in den Vordergrund, so daß die Äußerung als Fragehandlung zu interpretieren ist" (ebd.). Ich habe keine zwingenden Einwände gegen diese 'Direktmethode' der Ableitung, jedoch ein Unbehagen. Es setzt an der Formulierung des rhetischen Aktes für EwS an: Nach Rehbock ist der rhetische Akt bei EwS der gleiche wie bei normalen w-IS, also in etwa zu formulieren als "Für den Sprecher ist die Proposition spezifizierungsbedürftig in einem bestimmten Element". Meiner Analyse der EwS (vgl. bes. 2.5) und m.E. auch der Intuition entspricht jedoch eher eine davon verschiedene Formulierung, etwa: Für den Sprecher ist die Referenz eines bestimmten Elements in der Proposition spezifizierungsbedürftig. Der Unterschied mag klein wirken, ist aber - und das ist entscheidend - mit anderen als erotetischen Fixierungen des mit EwS verbundenen rhetischen Aktes verträglich. Hinzu kommt ein konkreteres Problem:20 Wie erklärt sich der teilweise fehlende und, wenn vorhanden, unterschiedlich starke 'quotationelle' Charakter der EwS (s.o. 2.3, sowie Anm.6, 7)? Da Rehbocks Ableitung ausschließlich auf den überall gleichen Faktor Fokussierung Bezug nimmt, d.h. die Unterdrückung des semantisch gegebenen Satzmodus überall auf die gleiche Weise funktioniert, ist dies nach seiner Ableitung nicht zu erwarten.
20 Ein anderes, auf das ich leider hier nicht näher eingehen kann, ist folgendes: Wenn bei normalen und Echo-wFragen der rhetische Akt der gleiche ist, wie kommt es dann, daß EwS nicht die gleichen (zugegeben begrenzten) Möglichkeiten zur illokutiven Variation und zur indirekten Verwendung haben, die w-IS aufweisen?
72 3.4.2 Dies scheint mir genügend Anlaß, die zweite Möglichkeit zu erwägen, daß EwS erst auf illokutiver Ebene Fragen sind. Die dann notwendige Ableitung ihres Fragecharakters wäre auf zwei Grundgedanken aufzubauen: Der eine ist, daß in EwS via die Semantik des +w-Ausdrucks eine Stelle in der Proposition als offen gekennzeichnet ist, und Offenheit via die Griceschen und die unabhängig gerechtfertigten21 Schlußmaximen (57)/(58) mit der Unterstellung einer w-Frage-Intention verknüpft werden kann. (57) Wer X als Mangel empfindet, wünscht, daß nicht-X. (58) Wünsche soll man erfüllen, wenn dem nichts entgegensteht. Die Ableitung funktioniert so (Ä-EwS = Äußerung des EwS): a)
Teil der Proposition ist ein +w-Ausdruck, via dessen Semantik die betreffende Stelle der Proposition als offen gekennzeichnet wird;
b)
Offene Propositionen stellen keine maximale Information dar; es ist aber anzunehmen, daß S mit Ä-EwS einen relevanten Gesprächsbeitrag machen wollte;
c)
Also gibt S, indem er mit Ä-EwS eine Proposition als offen in w zum Ausdruck bringt, wohl zu verstehen, daß die offene Stelle w einen Informationsmangel darstellt;
d)
Also [via (57)/(58) und (b)] wünscht S - und gibt dies mit Ä-EwS zu verstehen -, daß dieser Mangel beseitigt wird: [via (b)/(c)/(d)] Die Beseitigung des Mangels besteht in der Schließung der Proposition in w;
e) f)
Also [via (a)-(e)] will S mit Ä-EwS zu verstehen geben, daß er die Schließung der Proposition in w wünscht.
Mit (f) ist die w-Frage-Intention gegeben; sie hat (via (58)) als Kehrseite die der Fragecharakteristik zugehörige Antworterwartung. Daß diese Ableitung nicht ad hoc ist, zeigen Fälle wie (59)/(60), die (kontextabhängig) als w-Fragen wie (59')/(60') interpretiert werden können, und ebenfalls (evtl. erst abzuleitende) Offenheit der Proposition und die o.a. Schlußmaximen involvieren. (59)
Ich vermisse/suche Herrn Meier.
(60) a. Es ist m.E. noch offen, welchen Grund Sie für Ihre Annahme haben, b. Der Grund für Ihre Annahme ist noch offengeblieben. (59') (60')
Wo ist Herr Meier? Welchen Grund haben Sie für Ihre Annahme?
2l (58) ist bereits bei Searle (1975), Fräser (1975) einschlägig diskutiert und benutzt. Zusammen mit (57) führt sie zu einer Schlußmaxime "Gegebenheiten, die als Mangel empfunden werden, ist abzuhelfen, wenn dem nichts entgegensteht", die eine wichtige Rolle in der Erschließung des häufigen Aufforderungssinns von Äusserungen wie mir fehlt X, ich brauche X, etc., spielt; auch der notorische Aufforderungssinn von Es zieht wäre ohne sie nicht ableitbar. Daß die rein einstellungsbezogene Maxime (57) auch für sich genommen relevant ist, zeigen u.a. Bedeutungsübergänge, wie wir sie in engl. / want ('Mir fehlt x' > 'Ich wünsche x') vorliegen haben.
73 Was nun noch zu erklären bleibt, ist vor allem, warum EwS - anders als (59)/(60) - immer als w-Fragen interpretiert werden, darüber hinaus, wieso es zu den o.a. quotationellen Unterschieden kommt. Hier ist als zweiter Grundgedanke wesentlich, daß in EwS die Offenheit der w-Stelle in so besonderer Weise angezeigt wird - nämlich durch einen (via Fokussierung auf lokale Wirksamkeit eingeschränkten) Operator, nicht als Prädikat22 -, daß sie nie prepositional integriert werden kann. Anders ausgedrückt: Das besondere Offenheitsmoment der EwS macht die (Arten der) Bezugnahme auf Sachverhalte, die mit den zu den jeweiligen deklarativen, imperativen, etc. Satzmodus passenden rhetischen Einstellungen verknüpft wäre(n), durchgängig unmöglich. Der putative Konflikt wird (im Sinne der Griceschen Maximen) dadurch zu einem nur scheinbaren, daß die nicht zu integrierende Offenheitskomponente den Vorrang erhält (dabei spielt die Fokussierung eine Rolle: Hervorgehobenes ist wichtiger als nicht Hervorgehobenes), was dann auf o.a. Weg zur Unterstellung einer w-Frageintention führen muß. Das erklärt, warum EwS immer als w-Fragen interpretiert werden. Andererseits müssen auch die den EwS zugrundeliegenden Strukturen (inklusive Satztypmerkmale) so interpretiert werden, daß ihre Interpretation mit der von der +w-Phrase ausgehenden Frage-Interpretation verträglich ist. Das ist beim deklarativen Satztypmerkmal auf Grund der in jedem Fall schwachen Eigensemantik von vornherein gegeben (s. auch Brandt/Rosengren/Zimmermann 1990), nicht hingegen bei Satztypmerkmalen mit starker Eigensemantik (seien sie stark von Haus aus, wie beim Imperativ, oder stark durch das Vorhandensein entsprechender Modalpartikeln): Hier ist Verträglichkeit nur gegeben, wenn man ihren Zitatcharakter (in mehr oder minder starkem Umfang) unterstellt, also implikatiert. Damit wäre dann auch die o.a. quotationeile Variablität der EwS erklärt. Es ist evident, daß auch diese Herleitung der Fragecharakteristik der Fokussierung in Interaktion mit der OFF(x)-Bedeutung eine maßgebliche Rolle einräumt. Der Witz ist, daß sie im Unterschied zu Rehbocks Herleitung darüber hinaus systematisch Raum läßt dafür, daß auch die Eigensemantik der EwS-Grundstrukturen mit interagieren kann. Da das den tatsächlichen Verhältnissen entspricht (die unterschiedlichen Strukturen unterscheiden sich ja nicht nur in quotationeller Hinsicht, sondern auch in der sonstigen Verwendungsbreite (hierzu s. Reis 1990b, 2.2), halte ich das für einen guten Grund, diese Alternative weiter zu verfolgen. Ich muß hier darauf verzichten, diese Gedankengänge in Form einer präzisen Rekonstruktion zusammenzubringen. Dem kritischen Leser wird auch so nicht entgangen sein, wieviel noch im einzelnen der Klärung harrt. Trotzdem dürfte deutlich geworden sein, daß die Idee, die EwS erst illokutiv als Fragen gelten zu lassen, einiges für sich hat. 3.4.3 Wie auch immer, eines scheint klar: Jede dieser beiden Formen der EwS-Ableitung führt zu dem Schluß (H7): EwS sind nur in pragmatischer Hinsicht 'Fragesätze'. Dies gibt einstellungsbezogenen Auffassungen der Satzmodi einiges zu knacken auf: Wenn wir als gesichert annehmen, daß Sätze von Haus aus nur einen Satzmodus haben (also nach Vertretern einstel22 Das teilen sie mit anderen lexikalischen Elementen wie Modalpartikeln oder Zusätzen wie bitte, gefälligst. Es ist sicher kein Zufall, daß auch sie über das Satzmodusmerkmal dominieren können. Daß sie es anders als die Echo-w-Phrase nicht notwendig tun, hängt an deren spezifischer OFFEN-Semantik.
74
lungsbezogener Auffassungen nur Indikatoren für eine einzige Einstellung mitbringen), und weiter plausiblerweise annehmen, daß +w als (von einer +w-Phrase gedecktes) Satztypmerkmal wie als bloßer Teil der +w-Phrase von Haus aus das gleiche bedeutet, dann dürfte es EwS eigentlich gar nicht geben, jedenfalls nicht so, wie ich sie grammatisch beschreibe, denn hier läge die einmalige Konstellation divergierender Satzmodusmerkmale vor. Es gibt EwS aber, und ich halte meine grammatische Beschreibung für vergleichsweise gut begründet Das legt es nahe, die Assoziation von Satzmodi mit Einstellungen von vornherein auf die Ebene der Äusserungsbedeutung zu verlegen.
4. Schlußbemerkungen Ich möchte mit der Nennung einiger Fragen schließen, die im Hinblick auf die Analyse der EwS im allgemeinen und die hier vorgeschlagene im besonderen weiter klärungsbedürftig sind: - Die Frage des semantischen Typs der Echo-w-Phrasen und ihres Verhaltens auf der Ebene der Logischen Form und der Semantischen Form ist weiter zu klären. Daß meine grammatische Analyse der EwS hier unorthodoxe Repräsentationsvorschläge erzwingt, spricht dabei nicht notwendig von vornherein gegen sie. - Die Frage, ob EwS - wie hier angenommen - sowohl grammatisch wie pragmatisch ein einheitliches Phänomen bilden, oder ob nur formal-funktionale Verwandtschaft zwischen Echo-wFragen i.e.S., Quizfragen, etc. vorliegt (so Jacobs [in diesem Band]; Oppenrieder [in diesem Band]), ist weiter zu klären. Dazu gehört auch eine Detailanalyse aller EwS-Verwendungen, die bisher allenfalls in Ansätzen geleistet ist (vgl. Reis 1990b, 2.2). Zwingende Einwände gegen die hier zugrundegelegte Annahme kenne ich bisher nicht. - Vor allem aber ist die hier vorgelegte Analyse auf die in vieler Hinsicht zu EwS parallelen Echo-Entscheidungs-Sätze (bzw.'Assertionsfragen') zu erweitern. Es gehört mit zu den Erfolgsbedingungen meiner Analyse der EwS, daß das möglich ist, insbesondere daß die Ableitung der Fragegeltung auch in diesem Fall ohne Annahme eines Satzmodustriggers oder einer grammatisch konstitutiven Rolle der Intonation auskommt. Auch hier lassen meine bisherigen Untersuchungen darauf hoffen, daß sich die oben vorgeschlagene Verbindung der grammatischen mit der pragmatischen Analyse für EwS in den Grundzügen bestätigt
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76 — (1990): What Do wh-Imperatives Tell Us about wh-Movement? - Ms. Lund/Tiibingen. [rev. u. erw. Fassung von 1988; unveröff.] — [in diesem Band]: Einleitung. Rosengren, I. (1990): w-Interrogativsatz, Skopus und Fokus. - In: S&P 16,29-71. — [in diesem Band]: Zur Fokus-Hintergrund-Gliederung im Deklarativsatz und im w-Interrogativsatz. Searle, J.R. (1975): Indirect Speech Acts. - In: P. Cole, J.L. Morgan (eds.) 59-82. S&P Iff., Sprache und Pragmatik. Arbeitsberichte des Forschungsprogramms 'Sprache und Pragmatik' hrsg. v. I. Rosengren. - Lund 1988ff. Thurmair, M. (1989): Modalpartikeln und ihre Kombinationen. - Tübingen: Niemeyer (= Linguistische Arbeiten 223) Wunderlich, D. (1986): Echofragen. - In: Studium Linguistik 20,44-62. — (1988): Der Ton macht die Melodie - Zur Phonologic der Intonation des Deutschen. - In: H. Altmann (Hg.): Intonationsforschungen (Tübingen: Niemeyer) (= Linguistische Arbeiten 200) 1-40.
Weiß wer was? Wer weiß was? Wer was weiß ... w-Interrogative und andere w-Konstruktionen im Deutschen Dietmar Zaefferer, München
Es wird der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert die Familie der w-Interrogative im Clan der deutschen w-Konstruktionen einnimmt. Dazu werden neben den Interrogativkonstruktionen auch solche mit indefiniten und anaphorischen w-Formen, w-Exklamative, w-Konditionale, w-Unkonditionale und w-Relative sowie w-Teile von Identifikationskonstruktionen gezählt. Zunächst wird zwischen w-Element, w-Konstituente und w-Konstruktion unterschieden. Es zeigt sich, daß die anaphorisch/absolut-Unterscheidung der Proform-Sorte und nicht dem Konstruktionstyp zuzuordnen ist, daß die wKonditionale den w-Relativen zugeschlagen werden können und daß der Unterschied zwischen den w-Teilen von Identifikationskonstruktionen und w-Relativen kein konstruktionsinterner ist. Es verbleiben drei irreduzible Genera, lexikalische, phrasale und sententiale w-Konstruktionen, die letzteren mit drei irreduziblen Spezies, für die jeweils eine situationssemantische Analyse skizziert wird.
0. Einleitung Ziel dieses Beitrags ist es, die Diskussion um die Familie der deutschen w-Interrogative in den zugehörigen Rahmen einzubetten, indem er ihre Stelle in der Großfamilie derjenigen Konstruktionen zu bestimmen versucht, die durch das Vorkommen eines w-Worts, d.h einer mit w anlautenden Proform, definiert sind. Leitfrage ist dabei die nach dem Verhältnis von Familienähnlichkeiten einerseits und individuellen Unterschieden andererseits. Dabei werden zum Teil Resultate aus einer ausführlicheren Arbeit zusammengefaßt (Zaefferer 1991), deren Schwerpunkt auf der semantischen Analyse liegt.
1. Der Zoo der deutschen w-Wörter und w-Konstruktionen (1) (2) (3)
Weiß wer was? Wer weiß was? Wer was weiß, möge sich melden.
Drei Sätze, drei Vorkommnisse des Wörtchens wer, drei Vorkommnisse des Wörtchens was, aber was sind das für Wörter, was sind das für Konstruktionen, die hier exemplifiziert werden? (I) ist offenbar ein Verb-Erst-Interrogativsatz, auch Ja-Nein-Fragesatz oder Polaritätsinterrogativ genannt, die darin vorkommenden w-Wörter sind beide Indefinitpronomina, (l1) und (l") sind daher grobe Paraphrasen: (I I ) Weiß jemand etwas? ( ) Weiß irgendjemandirgendetwas?
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(2) ist offenbar ein Verb-Zweit-Interrogativsatz, auch Ergänzungs-Fragesatz oder Konstituenteninterrogativ genannt, das darin präverbal vorkommende wer ist ein Interrogativpronomen, das darin postverbal vorkommende was jedoch wieder ein Indefinitpronomen, (21) und (2") sind daher wieder grobe Paraphrasen: (21) Wer weiß etwas? (2") Wer weiß irgendetwas? (3) ist offenbar ein Verb-Zweit-Deklarativsatz, auch selbständiger Aussagesatz genannt, der darin präverbal vorkommende Verb-Letzt-Satz ist ein Relativsatz, das in diesem vorkommende wer folglich ein Relativpronomen, das darauf folgende was jedoch abermals ein Indefinitpronomen, (3') und (3") sind daher wieder grobe Paraphrasen: (3') Wer etwas weiß, möge sich melden. (3") Wer irgendwas weiß, möge sich melden. Damit ist aber das Potential der drei Beispielkonstruktionen aus dem Titel dieses Beitrags noch nicht erschöpft. (2) hat noch eine weitere Lesart, der eine andere phonologische Gestalt entspricht und die hier mit (4) wiedergegeben sei: (4)
Wer weiß was?
Hier liegt ein doppelter Konstituenteninterrogativsatz1 vor mit zwei Interrogativpronomina, einem präverbalen und einem postverbalen, wobei sich das postverbale was von seinem Indefinitbruder durch die Akzentuierung unterscheidet: Die w-Indefinita sind immer akzentlos und nie in Spitzenstellung,2 die w-Interrogativa sind entweder in Spitzenstellung (direkt oder im Rahmen einer PP) oder akzentuiert; wir können hinzufügen, daß w-Relativa immer in Spitzenstellung (allenfalls nach einer Präposition) stehen und ebenfalls unakzentuiert sind. Wegen ihrer Nicht-Akzentuierbarkeit sollen w-Indefinitpronomina wie was auch schwache Indefinita genannt werden, im Gegensatz zu ihren 'stärkeren' Verwandten wie etwas, jemand, irgendwas, irgendjemand, irgendwo. Mit diesen drei Gruppen von Proformen, interrogativen, relativen und indefiniten, scheint der Zoo deutscher w-Wörter aber noch keineswegs erschöpft. Schon auf einem kurzen Streifgang durch das Gehege lassen sich die folgenden Spielarten von mit w anlautenden Proformen beobachten: 1. Schwache Indefinita: wer, was, wo, wohin, woher (5) (6)
Da klappert was. Ich muß mal schnell wohin.
1 (4) könnte auch in einer oder beiden w-Stelten als Echo-w-Konstmktion interpretiert werden, aber ich möchte die Interpretation dieses sehr speziellen Konstruktionstyps hier ausklammern. 2 Eine Ausnahme ist der Korrekturkontrast (Was ist denn los? Ich dachte, du seist zum Chef gegangen. - Nein, wohin hob' ich gehen müssen.), aber auch hier kann der Akzent nur auf die zweite Silbe feilen, im Gegensatz zu den Interrogativen.
79
2. Indefinitanaphern: welche (7)
Hier sind Streichhölzer. - Hier sind auch welche.
3. Relativproformen: wer, was, womit, wo, ... (8)
Wer anderen eine Grube gräbt, fallt selbst hinein.
4. Proformen in Identifikationssubjekten:^ wer, was, wo (9) Wer protestierte, war der Bürgermeister. (10) Es war hier, wo ich den Ring verloren habe. 5. Protasissubjunktion:4 wenn (11) Max ist unglücklich, wenn er im Spiel gewinnt. 6. Interrogativproformen: wer, wann, wo, wodurch, welche ... (12) Wo sind die Streichhölzer? (13) Nur Eva weiß, wo die Streichhölzer sind. 7. Exklamativproformen: welch (ein), was (alles),... (14) Welch (ein) guter Mensch Max doch ist! (15) Ich bin stolz darauf, welchen Erfolg wir gehabt haben. 8. Unkonditionalproformen: wer immer, was auch,... (16) Wer immer da meine Nummer gewählt hat, ich hebe nicht ab. Es sieht also so aus, als seien im Zoo der deutschen w-Wörter wenigstens acht Arten zu unterscheiden, m.a.W. als seien womöglich zumindest einige dieser Wörter achtfach ambig. Nun ist aber bekannt, daß hier keine Homonymie vorliegt, sondern Polysemie, zumindest im historischen Sinn: Hier sind nicht die phonologischen Gestalten von Wörtern verschiedener Herkunft durch Lautwandel ununterscheidbar geworden, vielmehr sind alle diese Wörter in allen ihren Lesarten historisch miteinander verwandt.5 Meine These ist nun die, daß die Spuren dieser Verwandtschaft im heutigen Sprachsystem durchaus noch wirksam sind, mit anderen Worten, daß neben der Polysemie im diachronen Sinn eine solche im synchronen Sinn vorliegt, was bekanntlich nicht sein muß, denn historische Polysemie ist mit synchroner Homonymie, bei der die Gestaltgleichheit zufällig erscheint, durchaus verträglich. Ist diese These richtig, so ergibt sich daraus die Forderung an jede Grammatik mit einer gewissen internen, also auf Querverbindungen bezogenen ErkläAls Identifikationssätze fasse ich die Speir- (pseudo-cleft) und die Spaltsatze (cteft sentences) zusammen, als ihre Subjekte bezeichne ich die thematischen Komplemente der Kopula. Hier erhebt sich natürlich die Frage, ob diese subordinierende Konjunktion überhaupt unter die Proformen zu rechnen ist Darauf wird gleich zurückzukommen sein. Wenn auch zum Teil auf komplexe Weise, man vergleiche Univerbierungen wie: ahd. so hwer so -> nhd. werr&\, ahd. so hwenne so -> nhd. \vennK\.
80 rungsadäquatheit, daß sie die sich daraus ergebenden Generalisierungen erfaßt, insbesondere, daß der gemeinsame grammatische Nenner aller w-Wörter und der damit gebildeten w-Konstruktionen ebenso deutlich wird wie die jeweiligen differentiae specificae. Eine besonders interessante, in Saarbrücken von Renate Pasch vertretene Hypothese in diesem Zusammenhang ist die, daß der gemeinsame Nenner in der lexikalischen Identität liegt, und die Unterschiede sich ausschließlich aus der Interaktion der lexikalischen Eigenschaften des Worts mit den strukturellen Eigenschaften der Umgebung ergeben. Auf die Plausibilität dieser These wird am Schluß zurückzukommen sein. In einem ersten Schritt in Richtung auf eine Vereinfachung der erscheinungsmäßigen Vielfalt soll nun zunächst versucht werden, die acht beobachteten Arten auf sechs Spezies zu reduzieren, die auf drei Genera verteilt sind.
2.
Eine erste Taxonomie der Artenvielfalt
Woher die drei Genera zu beziehen sind, ist leicht erklärt: Sie lassen sich aus der Beziehung ableiten, in der die fraglichen w-Wörter zu den w-Konstruktionen stehen, die sie definieren. Bevor ich die verschiedenen Möglichkeiten vorstelle, möchte ich terminologisch ein wenig präzisieren. Es ist nützlich, zwischen den folgenden drei Klassen von Einheiten zu unterscheiden: 1. ^-Elemente, d.h. Wörter oder Wortteile (Morpheme), die mit w anlauten wie was, wo, oder wo(mit), wo(hin). (Die Gestaltgleichheit in den letzten beiden Fällen täuscht bekanntlich: das erste wo ist ein Allomorph von was, das zweite nicht.) 2. ^/-Konstituenten^ d.h. die gegebenenfalls insgesamt verschiebbaren Einheiten, in denen das w-Element vorkommt, also mindestens die w-Wörter wie was, wo, womit, wohin, aber auch ganze Phrasen wie seit wann, mit welcher erschreckenden Rücksichtslosigkeit, oder was für eine Pflanze. (Im letzteren Fall ist das w-Wort allein auch schon eine w-Konstituente, denn neben Was für eine Pflanze ist das? ist auch die Variante Was ist das für eine Pflanze? zulässig.) 3. ^-Konstruktionen, d.h. diejenigen Einheiten, für die das Vorkommen von w-Elementen konsumtiv ist, wie zum Beispiel w-Interrogativsätze. Für die Beziehung zwischen w-Element und w-Konstruktion gibt es drei Möglichkeiten: 1. IDENTITÄT: Wenn das w-Element mit der w-Konstruktion zusammenfällt, haben wir eine lexikalische w-Konstruktion vor uns. Dies trifft bei den Arten 1. und 2. oben zu, also bei den schwachen Indefinita und bei den Indefinitanaphern. 2. KOPF EINER DESENTENTIALEN PHRASE: Wenn die von dem w-Element bestimmte w-Konstituente kategorienbestimmender Bestandteil einer aus einem Satz gebildeten w-Konstruktion gleicher Kategorie ist, also ihr Kopf im strengen Sinn, dann haben wir eine phrasale w-Konstruktion vor uns. Dies trifft bei den Arten 3. und 4. oben zu, also bei den Relativproformen und bei den Proformen, mit deren Hilfe die Subjekte von Sperr- und Spaltsätzen gebildet werden: wer ist eine NP, wer anderen eine Grube gräbt und wer protestierte desgleichen; wo ist ein Lokaladverbiale, wo ich den Ring verloren habe ebenso; worauf ist eine PP, worauf sonst keiner achtet ebenso.
81
3. KONSTITUENTE EINER SPEZIFISCHEN SATZART: Wenn die von dem w-Element bestimmte w-Konstituente Bestandteil eines Satzes ist, wobei die spezifische Subkategorie der Oberkategorie Satz eben durch dieses Vorkommen mitbestimmt wird,6 die Kategorie der w-Konstruktion aber keine Rolle spielt, so liegt eine sententiale w-Konstruktion vor. Dies trifft bei den Arten 6. bis 8. oben zu, also bei den Interrogativ-, Exklamativ- und den Unkonditionalproformen. Wie lassen sich nun die beobachteten acht Spezies zu sechs zusammenfassen? Der erste Reduktionsschritt ist sehr einfach: Die Unterscheidung von absoluten und anaphorischen, also antezedensbedürftigen Proformen, die bei den Indefmita aufgefallen war, ist keineswegs nur auf diese beschränkt, sondern tritt zum Beispiel auch bei den Interrogativa auf, wie (17) belegt: (17) Zwei von diesen fünf Büchern kannst du mitnehmen. Welche nimmst du? Der Unterschied zwischen absolut und anaphorisch liegt also quer zur angestrebten Artenunterscheidung und sollte daher analog zur Unterscheidung zwischen Pronomina und Proadverbien behandelt werden. Damit fallen die ersten beiden Arten in eins. Einen Unterschied zwischen indefiniten und interrogativen anaphorischen Proformen muß man freilich beachten: Die indefiniten sind selbst Proanaphern, in (7) kann man nicht wählen zwischen welche und welche Streichhölzer, während die interrogativen Proformen Proadnomina sind, die Nullanaphem spezifizieren können: In (17) kann man auch fragen: Welche Bücher nimmst du? Für den zweiten Reduktionsschritt, die fünfte Art (das konditionale wenn) betreffend, gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist höchst einfach: Wir fassen wenn als echte Konjunktion auf und werfen es aus der Liste der w-Proformen heraus. Wir verschenken damit aber gewisse Generalisierungen. Die andere Möglichkeit ist eigentlich auch sehr einfach, allerdings etwas unkonventionell. Die konventionelle Auffassung ist die folgende: Nebensätze, die das Antezedens, also die Bedingung, von Konditionalkonstruktionen ausdrücken, die sogenannten Protasis, können im Deutschen uneingeleitet sein (dann muß das Finitum voranstehen), oder durch eine subordinierende Konjunktion (kurz Subjunktion) eingeleitet, wobei zu den letzteren im allgemeinen wenn und falls gerechnet werden. Der Reduktionsschritt besteht nun darin, wenn nicht den Subjunktionen, sondern den Relativproformen, genauer Relativproadverbien, zuzuschlagen und somit Sätze wie (18) und (19) als völlig parallel strukturiert aufzufassen: (18) Wo gehobelt wird, (da) fallen Späne. (19) Wenn gehobelt wird, (dann) fallen Späne. Argumente gegen eine solche Auffassung sind mir, außer der Unkonventionalität, keine bekannt, dafür sprechen hingegen mehrere Indizien. Da ist zunächst die Herkunft aus dem gleichlautenden temporalen Relativproadverbial. Dann ist da die semantische Transnumeralität, die wenn von falls unterscheidet: Letzteres ist singularisch, während ersteres quantitätsmäßig unspezifisch ist, wie alle anderen Relativproformen, vgl. (20)-(21). (Das Beispiel ist so gewählt, daß die temporale Lesart von wenn ausgeschlossen ist.)
6 Weitere Faktoren, die eine Rolle spielen, sind Selbständigkeitsgrad, Akzent, Verbstellung und gewisse Partikeln.
82 (20) Wenn/Falls diese Formel gültig ist, dann ist sie erfüllbar. (21) Wenn/*Falls eine Formel gültig ist, dann ist sie erfüllbar. Dieser Befund wird schließlich bestätigt durch die Verträglichkeit mit Quantifikationsadverbien, die bei wenn (wie bei allen Relativproformen) gegeben ist, nicht aber bei/a//i: (22) Wenn/*Falls Max unglücklich ist, dann trinkt er meistens. Das gleiche gilt für die Verträglichkeit mit Gradpartikeln: (23) Selbst wenn/*falls Eva unglücklich ist, trinkt sie selten. Ich fasse also das konditionale wenn als Relativproadverb auf und nehme entsprechend auch ein konditionales wann als Interrogativproadverb an. Das Resultat dieser ersten beiden Reduktionen ist in der Tabelle auf Seite 83f. zusammengefaßt. In der ersten Spalte stehen die w-Elemente, zum Teil durch Subskripte disambiguiert, in der zweiten Spalte Beispiele für daraus zu bildende w-Konstituenten - die in manchen Fällen mit den w-Elementen zusammenfallen müssen -, in den Spalten vier bis neun die daraus bildbaren w-Konstruktionen, wobei IS für Interrogativsatz steht, UK für Unkonditional, ES für Exklamativsatz, FR für freien Relativsatz, IdS für Identifikationssubjekt und SI für schwache Indefinitproform. Die Zeilen sind zu sieben Gruppen zusammengefaßt, wobei die ersten beiden Gruppen in selbständig und anaphorisch unterteilt sind und die restlichen fünf zu einer dritten Gruppe, Proadverbien, zusammengefaßt werden könnten. Man sieht gleich, daß die sententialen w-Konstruktionen eine fast völlig homogene Gruppe bilden, aus der nur das antiquierte, nur exklamativ zu verwendende welch (Welch Unglück ist mir widerfahren!) heraussticht. Phrasale und lexikalische w-Konstruktionen haben eine stark eingeschränkte Formenvielfalt, wobei innerhalb der phrasalen die Identifikationssubjekte schwächer vertreten sind als die freien Relativsätze. Die schwachen Indefinita schließlich spielen eine Sonderrolle insofern, als sie als einzige ein anaphorisches w-Element enthalten. Bei den temporalen und konditionalen Proadverbien ist der bekannte Gestaltwechsel von wann in den sententialen Konstruktionen zu wenn in den freien Relativsätzen festgehalten. Die Tabelle spiegelt bereits die ersten beiden Reduktionsschritte, die die zweite Art in der ersten Aufstellung (anaphorische Indefinita) umdefiniert haben (durch Aufnahme in die Gruppen A.ü. und B.ii.) von einem Konstruktionstyp in eine Proformensorte und die das entsprechende mit der fünften Art (Protasissubjunktion) gemacht haben, indem sie als Sorte von Relativproform aufgefaßt wurde. Die Frage erhebt sich nun, ob noch weitere Reduktionen möglich sind. Angesichts der Daten in der Tabelle scheint dies am ehesten bei den drei sententialen w-Konstruktionen der Fall zu sein, vielleicht auch bei den beiden phrasalen, in welchem Fall die drei Genera mit den sechs Spezies auf drei Genera mit je einer Spezies reduziert wären. Eine weitere Reduktion läßt sich jetzt schon ausschließen. Der gemeinsame Nenner wird durch das zugrundeliegende w-Element bestimmt: Es handelt sich immer um Proformen bestimmter Sorten. Doch nun zu den weiteren Reduktionsversuchen.
83 Tabelle: w-Konstruktionen: Eine erste Taxonomie der Artenvielfalt w-Element
w-Konstruktion
w-Konstituente
sentential IS UK ES a. b. c.
A. Pronomina
i. Selbständige Pronominal-NPs/PPs
1. wer 2. wö%p 3. wasOS 4. waiis 5. wasip
wer/mit wem was/woran was/woran was/woran was/woran
phrasal FR IdS d. e.
lexikalisch SI f.
+ + + + +
+ + + + +
+ + + + +
+ + + + +
+ + + + +
+ + + + +
-
-
-
—
-
+
+ — + +
+ + + •f
+ + + +
+ — — +
— — — —
— — — —
+ + +
+ + +
+ + +
? — +
— — —
—
+
+
+
+
+
+
ii. Anaphorische PronominalNPs/PPs 6. welche(n)
mit welche(n)
B. Proadnomina
i. Selbständige Pronominal-NPs/PPs
7. was 8. we/cA 9. welche (...) 10. wieviel (...)
was für (...) N welch N welche (...) N wieviele (...) N
ii. Null-anaphorische Pronominal-NPs/PPs 1 1 . was 12. welche (...) 13. wieviel (...)
was für (...) 0 welche (...) 0 wieviel (...) 0
C. Lokalproadverbien
Lokalproadverbiale
14. wo
wol woher1 wohin
— —
84 w-Element
w-Konstruktion
w-Konstituente
sentential
IS a. D. Temporalproadveibien
Temporalproadverbiale
15. wann/ wenn 16. wann
wann/wenn seit wann
phrasal
UK
ES
b.
c.
FR d.
wann wann wann wenn
+
+
—
+
IdS
e.
lexikalisch
SI f.
— —
— —
—
-
E. Konditionalpro- Konditionaladverbien proadverbiale 17. wann/ wenn
wann/wenn
F. Modalproadverbien
Modalproadverbiale
18. wu?Instr 19. W/CMO* 20. wies«*
w
^Instr
wie
Mode
w
^Süec
G. "Kausal"Proadverbien
"Kausal"-Proadverbiale
21. warum 22. weswegen 23. wieso 24. wozu
warum weswegen wieso wozu
wann wann wann wenn
+ + +
+ + +
+ + +
+ + +
— — —
— — —
+ + + +
+ + + +
+ + + +
— — — -
—
— — — -
9 — -
3. Sind weitere Reduktionen möglich? 3.1
Sind die Identifikationssubjekte freie Relativsätze?
Als erstes soll die Möglichkeit einer Kollabierung der beiden phrasalen w-Konstruktionstypen untersucht werden. Was steht eigentlich einer Analyse der Identifikationssubjekte als freie Relativsätze entgegen? Nun, z. B. die Tatsache, daß Sätze wie (24) zwei Lesarten haben: (24) Wer uns diese Frage beantworten kann, ist der Sieger.
85
In der einen Lesart, der sogenannten Sperrsatzlesart (pseudo-cleft construction), die wir die identifizierende Lesart nennen wollen, ist (24) eine Paraphrase von (25), wo die Fokussierung nicht durch eine spezielle Konstruktion, sondern durch den Akzent (durch Kapitälchen markiert) ausgedrückt wird: (25) Der SIEger kann uns diese Frage beantworten. Die identifizierende Lesart präsupponiert eine unabhängige Identifizierbarkeit des Siegers, m.a.W. in ihr ist die NP der Sieger referentiell. Dagegen ist es mit der normalen Relativsatzlesart, die wir die prädizierende nennen wollen, verträglich, daß der Sieger erst als derjenige definiert wird, der die Antwort geben kann. Beispiel (26) kann den Unterschied vielleicht noch etwas verdeutlichen. (26)
Was Max am meisten liebt, ist Unsinn. a. Max liebt Unsinn am meisten. b. Max liebt etwas am meisten, z.B. Drachenfliegen, und das (Drachenfliegen) ist Unsinn. a.' Der Gegenstand von Maxens Liebe ist der Unsinn. b.' Der Gegenstand von Maxens Liebe ist etwas Unsinniges.
Die a.-Paraphrasen verdeutlichen jeweils die identifizierende Lesart, die b.-Paraphrasen die prädizierende. Da liegt der Verdacht natürlich nahe, daß die Ambiguität nicht in der w-Phrase, sondern im Prädikat liegt Eine Ambiguität der Kopula anzunehmen (Identifikation versus Prädikation) wäre eine Möglichkeit, mir scheint eher, daß es verschiedene Weisen gibt, auf die die Kopula mit dem Prädikatsnomen in eine Prädizierungskonstruktion eingeht. Die Details sollen weiter unten ausgeführt werden, an dieser Stelle soll nur festgehalten werden, daß der Unterschied zwischen Identifikationssubjekten und freien Relativsätzen kein konstruktionsinterner ist, sondern einfach darauf beruht, daß erstere Relativsätze in einer besonderen Rolle sind. Zwei - m.E. lösbare - Probleme, die eine solche Analyse aufwirft, sollen hier nur erwähnt, aber nicht diskutiert weiter werden: l. Warum finden sich nicht alle Sorten von Relativproformen, die in normalen freien Relativsätzen möglich sind, auch in Identifikationssubjekten (Spalte d. vs. Spalte e. der Tabelle)? 2. Warum verlangen Spaltsätze für die nominalen Relativproformen die mit d und nicht die mit w anlautende Variante?
3.2
Sind die w-Unkonditionale frei thematische generalisierende w-Interrogative?
Die nächste Reduzierbarkeitshypothese geht von der Beobachtung aus, daß Unkonditionale das syntaktische Verhalten von freien Themen aufweisen ((27) und (28) sind noch einmal zwei Beispiele), und versucht, ihre spezifische Funktion aus der Interaktion dieser Rolle mit einer Interrogativstruktur abzuleiten. (27) Welch guter Mensch Max auch ist, er wird uns nicht alles durchgehen lassen. (28) Wozu der Blinddarm auch immer gedient hat, wir brauchen ihn nicht mehr.
86
Um die Plausibilität dieser Hypothese einschätzen zu können, bedarf es aber zunächst einer genaueren Funktionsanalyse.7 deren Resultate weiter unten, wenn das Analyseinstrumentarium eingeführt worden ist, zusammengefaßt werden sollen.
3.3
Sind die w-Exklamative eine Kreuzung aus w-Interrogativen und Deklarativsätzen?
Die letzte Reduzierbarkeitshypothese nimmt an, daß w-Exklamative eine Mischform sind, die Eigenschaften von w-Interrogativen und Polaritätsexklamativen und damit von Deklarativsätzen kombiniert. Die Beispiele (29) (Polaritätsexklamativ) und (30) (ein parallel konstruierter w-Exklamativ) scheinen die Plausibilität einer solchen Annahme zu stützen. (29) Daß die Eva eine Punkfrisur trägt! (30) Was die Eva für eine Frisur trägt! Wiederum soll vor einer Bewertung dieser Hypothese das Ergebnis einer genaueren Analyse dieser Konstruktionen dargestellt werden.
4. Der gemeinsame Nenner, die kleinen Unterschiede und ihre großen Folgen 4.0
Grundannahmen
Für die folgende Analyseskizze möchte ich einige Grundannahmen machen, die der Situationssemantik (z.B. Barwise/Etchemendy 1990) entlehnt sind, und die hier nur informell charakterisiert werden sollen.8 Die erste Annahme ist die, daß alles, worüber man sprechen kann, also die Welt und ihre Teile, konkrete wie abstrakte, reale wie fiktive, als etwas aufgefaßt werden kann, das durch einen (einfachen oder komplexen) Begriff charakterisierbar ist, m.a.W. unter einen Begriff fällt, und ich nenne daher alle solchen Entitäten Fälle. Die Fälle können Unterfälle als Teile enthalten oder als Teile in Oberfällen enthalten sein, sie sind also halbgeordnet. Die intuitive Enthaltensrelation wird durch die Unterfallrelation < modelliert. Fälle können Summen bilden oder Gemeinsames enthalten. Die Summe einer Menge von Fällen ist ihr kleinster gemeinsamer Oberfall, das Gemeinsame einer Menge von Fällen ist ihr größter gemeinsamer Unterfall. Sind c, c', c",... Fälle, so wird ihre Summe durch V [c, c', c" , ...}, bei Paarsummen auch durch c V c' mitgeteilt. (Eine Notation für Gemeinsames benötigen wir hier nicht.) Der zweite Grundbaustein der Theorie sind die Begriffe, unter die solche Fälle fallen können, und diese Begriffe, so nehme ich an, bilden mit Hilfe der Unterbegriffsrelation sub (für 'subsumiert') einen distributiven Verband mit relativem Pseudokomplement sowie Null- und
7
Vgl.Zaefferer(1990).
8
Eine ausführlichere Darstellung findet sich in Zaefferer (l 990).
87 Eins-Element, also eine Heyting-Algebra. Das Nullelement OB heiße der totale, das Einselement IB der leere Begriff. OB ist Unterbegriff, IB Oberbegriff eines jeden Begriffs. Begriffe werden im folgenden zwischen Doppelspitzklämmerchen geschrieben und bestehen im einfachsten Fall nur aus einer nullstelligen Relation, notiert als «r», sonst aus einer Relation zusammen mit entsprechend vielen Argumenten, notiert z.B. als «a,b,r». Die Konjunktion zweier oder mehrer Begriffe, notiert als «a,b,r,» «a,s» bzw. A(«a,b,r», «a,s», «r»}, ist ihr größter (d.h. stärkster) gemeinsamer Unterbegriff, ihre Disjunktion, notiert als «a,b,r,» v «a,s» bzw. v{«a,fe,r», «a,s», «t»}, ihr kleinster (d.h. schwächster) gemeinsamer Unterbegriff. Existenzquantifizierte Begriffe wie 3x«ajc,r» sind definiert als generalisierte Disjunktionen, im Beispiel also v {«ajc,r» l ist ein Fall}. Negierte Begriffe schließlich wie -,«r» sind definiert als «r» =» OB, das Pseudokomplement von «r» relativ zum totalen (und daher widersprüchlichen) Begriff. Da das Pseudokomplement b => V für zwei Begriffe b und b' als der größte Begriff definiert ist, dessen Konjunktion mit b Unterbegriff von b' ist, folgt, daß «r» -.«r» = OB, daß also die Konjunktion eines Begriffes mit seiner Negation widersprüchlich ist, aber noch nicht, daß «r» v -,«r» = IB, d.h. daß die Disjunktion eines Begriffes mit seiner Negation leer, also tautologisch ist. Die dritte Komponente, die benötigt wird, ist eine Menge von Relationen zwischen den Fällen und den Begriffen, die Charakterisierungs- oder umgekehrt Instanliierungsrelationen. Jede solche Instantiierungsrelation ins genügt den folgenden vier Bedingungen: (i) Jeder Fall instantiiert mit einem Begriff b alle Oberbegriffe von £>, (ii) kein Fall instantiiert den totalen, aber jeder den leeren Begriff, (iii) ein Fall instantiiert eine Konjunktion von Begriffen genau dann, wenn er jedes Konjunkt instantiiert, und (iv) ein Fall instantiiert eine Disjunktion von Begriffen genau dann, wenn er wenigstens ein Disjunkt instantiiert. Wir können also eine Begriffsalgebra mit strukturierten Fällen definieren als ein Tripel ((F, , OB, IB), ins), bestehend aus einer Menge von Fällen mit einer Unterfallrelation darauf, einer Menge von Begriffen mit Konjunktion und Disjunktion (und damit einer Unterbegriffsrelation darauf), die zusammen mit Null- und Einselement und relativem Pseudokomplement eine Heyting-Algebra bildet, und einer Instantiierungsrelation zwischen den beiden strukturierten Mengen. Was jetzt noch fehlt, sind die Propositionen. Nach der relativistischen Auffassung Austins, die von Barwise und Etchemendy und auch von mir übernommen wird, sind atomare Propositionen charakterisierbar durch den Ausschnitt der Welt, von dem sie handeln, ihren Themafall, wie ich auch sagen werde, und den (Satz-)Begriff, der auf diesen Fall zutreffen soll. Trifft er in der Tat zu, so sind sie wahr, ansonsten falsch. Atomare Propositionen werden modelliert mit Hilfe der Instantiierungsrelationen, und zwar als Mengen von Instantiierungsrelationen, so daß man für eine gegebene Begriffsalgebra mit strukturierten Fällen B die zugehörige Algebra der atomaren Propositionen über B einfach definieren kann als die Boolesche Algebra < /, n, u, -i >, wobei / die Potenzmenge der Instantiierungsrelationen für B ist, wie sie oben definiert wurden, und die Operationen die üblichen mengentheoretischen der Durchschnitts-, Vereinigungs- und Komplementbildung sind. Ist also c ein Fall und b ein Begriff, so ist die Menge aller Instantiierungsrelationen, in denen ein Element ist, eine atomare Proposition, und
88
diese soll fortan durch (c : b) mitgeteilt werden. Eine solche Proposition ist genau dann wahr, wenn die ausgezeichnete Instantiierungsrelation ins^ der betreffenden Begriffsalgebra B eines ihrer Elemente ist, anders ausgedrückt, wenn Element von insß ist. Nun können wir aber über alles Mögliche sprechen, auch über Begriffe und Propositionen, diese sollten also auch zu den Fällen gehören. Was geschieht mit der Unterfallrelation in diesen Fällen? Es scheint sinnvoll, hier folgendes anzunehmen: 1. b sub b' genau dann, wenn b' -Jj. (Die Begriffe bilden keine Boolesche, sondern eine Heyting-Algebra.) Außerdem ist (c : -b) etwas anderes als -.(c : b), so daß Fragen durchaus auch falsch sein können. Wir wollen sie in diesem Fall aber passender unentschieden nennen, sonst entschieden. Nun müssen wir das Bild leider dadurch noch ein wenig komplizieren, daß wir neben den echten Fällen auch Platzhalter für solche zulassen, sogenannte Parameter, und damit auch Fälle, die Platzhalter enthalten. Solche Fälle heißen parametrisch. Um herauszubekommen, ob eine parametrische Proposition wahr ist, muß man diese Platzhalter erst durch echte Fälle ersetzen, was die Aufgabe einer sogenannten Ankerfunktion ist. Die Wertzuordnung einer solchen Ankerfunktion kann nun dadurch eingeschränkt werden, daß man Parameter mit bestimmten Bedingungen verknüpft. So erhält man beschränkte Parameter; notiert wird die Bedingung in eckigen Klammern nach dem Parameter, z.B. so: [«*, Zahl»], d.h. der Parameter darf nur in Zahlen verankert werden. Durch Beschränkung läßt sich also ein Sortierungseffekt erzielen. Und damit haben wir nun die wichtigsten Bausteine für die folgenden Analysevorschläge zusammengestellt.
4.1
Beschränkte Parameter
Gemeinsam ist allen w-Konstruktionen, daß sie w-Elemente enthalten, wir sollten also auf der Suche nach einem gemeinsamen inhaltlichen Nenner hier ansetzen. w-Elemente sind Proformen, also syntaktische Platzhalter, und was läge näher, als diesen semantische Platzhalter, also Parameter, als Denotate zuzuordnen. Nun sind Proformen im allgemeinen und w-Elemente
89 im besonderen immer sortenbeschränkt, wir brauchen also für die zu leistende Analyse beschränkte Parameter, und die sehen z.B. wie folgt aus: wer. vffliNp: wasps'·
4.2
[«x, Person»], [«x, Ding»], x [«x, Proposition»], x [«x, Frage»], x [«x, Begriff»],
Kürzel: x-pers Kürzel: x-ding Kürzel: x-prop Kürzel: x-frag Kürzel: x-begr
Lexikalische w-Konstruktionen: E-Bindung
Damit können wir uns gleich an die Analyse der einfachsten Art von w-Konstruktionen machen, nämlich der lexikalischen, also der Indefinita. Kopfzerbrechen könnte allenfalls das anaphorische Indefmitum welche bereiten, aber auch dafür ist unser Apparat gerüstet: Was wir brauchen, ist ein parametrisch beschränkter Parameter, d.h. einen Parameter mit einer Bedingung, die in einem (wiederum beschränkten) Parameter, nämlich der beschränkenden Relation, parametrisch ist: welch-:
x [«x, y [ «y, einstellige-Relation» «y, pluralisch»]»], Kürzel: x-y-lrel-plur
Das einzige, was jetzt noch fehlt, ist die Bindung der beschränkten Parameter durch einen Existenzquantor.9 Als Beispiel soll ein daß-Satz dienen, denn es geht hier nur um den propositionalen Gehalt und nicht um die Interpretation der Illokutionstypindikatoren: (31) a.
daß wer singt (c : 3x «x-pers, sing»)
a.
daß welche singen (c :3x «x-y-lrel-plur, sing»)
(32)
Die Proposition (32a) ist (außer in c) parametrisch in y, was bedeutet, daß vor einer Wahrheitsbewertung auch y verankert werden muß.
4.3
Phrasale w-Konstruktionen: Summen der Fälle, die eine parametrische Proposition wahrmachen
4.3.1 Freie Relativsätze Als Hauptmerkmal der phrasalen w-Konstruktionen läßt sich die transnumerale Bildung von Entitäten ansehen, die eine gegebene Bedingung erfüllen. Für die Analyse wird daher der Summenbildungsoperator eingesetzt: 9 Dieser sollte wegen des bekannten Bindungspotentials dynamisch sein, aber darauf soll hier nicht weiter eingegangen werden.
90 (33) a.
daß wer wagt, gewinnt (c : «V{ \ (c : «x-pers, wag»)}, gewinn»)
Dies wird man normalerweise distributiv verstehen, so daß die Atome der Summe der Wagemutigen einzeln gewinnen, aber eine kollektive Lesart ist auch denkbar. Die Summenbüdungsbedingung ist wiederum eine Proposition, da der Relativsatz eine finite Verbform enthält, die auf einen möglicherweise verschiedenen Themafall verweist. Bei unterschiedlichen Tempora im Relativ- und im Matrixsatz ist eine Verschiebung des Themafalls unumgänglich (Wer heute wagt, wird morgen gewinnen). Beim folgenden Beispiel gehen beide Themafälle Standardthemafall, nämlich der Äußerungssituation zeitlich voran (c'-vor-c sei Kürzel für c' [ c' geht zeitlich voran ]): (34) a.
daß wer durchhielt, der Sieger war (c'-vor-c: «V{ l (c"-vor-c : «jr-pers, durchhalt»)}, [y | «y= v!{ z l «z-pers, Sieger»}»]»)
Hier mußte bei der Relation von der Möglichkeit der Relationsabstraktion Gebrauch gemacht werden; 'V!' ist der Einersummenbildungsoperator, der nur denotiert, wenn ein atomarer Fall die Summenbildungsbedingung erfüllt. (34a) besagt, daß der Fall c', der dem Themafall c zeitlich vorangeht, durch einen Begriff charakterisierbar ist, der aus der Relation des Mit-demSieger-identisch-Seins besteht, sowie, als deren Argument, der Summe derjenigen Personen, die in dem ebenfalls vergangenen Fall c" durchhielten. Die Nominalphrase der Sieger hat keine eigenständige Referenz, sondern ist Teil des Prädikats, was sich auch in der Weglaßbarkeit des Artikels spiegelt. Daher 'prädizierende Lesart': Es wird vom Durchhalter prädiziert, daß er der Sieger war. (34) hat aber noch eine zweite Lesart, nämlich als Sperrsatz.
4.3.2 Sperrsätze In seiner Sperrsatzlesart ist (34) durch (35) paraphrasierbar und verträglich damit, daß über einen jetzigen Sieger eine Vergangenheitsaussage gemacht wird. Dem trägt die Analyse (34b) Rechnung. (35) daß der Sieger durchhielt (34) b. (c'-vor-c: «V{ l (c"-vor-c : «x-pers, durchhalt»)}, [y | «y= v!{ z l (c'": «z-pers, Sieger»)}»]») Hier sind vier Themafälle involviert: Der zeitüch dem Referenzfall c vorangehende Themafall c' für die Bewertung der Prädikation (war), der ebenfalls zurückliegende Fall c" für die Ermittlung der Durchhalter und der unbeschränkte Themafall c'" (die Rekurssituation) für die Bestimmung des Siegers. (34b) besagt, daß der Fall c', der dem Themafall c zeitlich vorangeht, durch einen Begriff charakterisierbar ist, der aus der Relation des Mit-dem-Sieger-in-c'"-identisch-Seins besteht, sowie, als deren Argument, der Summe derjenigen Personen, die an c" durchhielten. Die Nominalphrase der Sieger hat hier eigenständige Referenz, der Artikel ist
91
nicht weglaßbar. Daher 'identifizierende Lesart': Es wird vom Sieger prädiziert, daß er mit dem Durchhalter identisch war.
4.3.3 Spaltsätze Spaltsätze haben keine Normallesart Die Analyse (34b) kann daher mutatis mutandis übernommen werden. (36) a.
daß es in Kaliningrad ist, wo Kant lebte (c : «V{ l (c'-vor-c : «Kant, Jt-loc, leb»)}, [ y \ « y= v{ z l (c" «Kaliningrad, z, in»)}»]»)
(36a) besagt, daß der Themafall c durch einen Begriff charakterisierbar ist, der aus der Relation des Mit-der-Summe-der-in-c"-in-Kaliningrad-liegenden-Orte-identisch-Seins besteht, sowie, als deren Argument, der Summe derjenigen Orte, an denen Kant in einem vergangenen c' lebte. Setzt man c" als mit c identisch und c als eine Gegenwartssituation an, so ist hier von einem gegenwärtig in Kaliningrad angesiedelten Gebiet die Rede, das natürlich früher durchaus einmal in Königsberg gelegen sein kann.
4.4
Sententiale w-Konstruktionen
4.4.1 w-Interrogative: Summe der Fragen, die aus der Auffüllung einer parametrischen Proposition entstehen Polaritätsinterrogative thematisieren mit einer Proposition immer auch ihr duales Gegenstück und zeichnen sich dadurch aus, daß man sie schlecht als wahr oder falsch, eher als entschieden oder unentschieden bezeichnen kann, was dadurch modellierbar ist, daß man sie einfache Fragen, also Paarsummen aus einer Proposition und ihrem dualen Gegenstück, denotieren läßt. w-Interrogative generalisieren dies einfach. (37a) und (37a') sind Notationsvarianten; (38a) und (38a') sind lokal äquivalent, wenn Max und Eva die einzigen Personen in c sind: (37)
ob wer singt a. ((c : 3x «x-pers, sing»)) a.' V{(c: ix «x-pers, sing»), (c: -3x «jc-pers, sing»)} (38) wer singt a. V{ ((c : «x-pers, sing»))l *-pers < c } a.' V{(c : «Max, sing»), (c : -i«Max, sing»), (c : «Eva, sing»), (c : -.«Eva, sing»)}
4.4.2 w-Exklamative: Summe der Propositionen, die aus der Auffüllung einer parametrischen Proposition entstehen Eingebettete Polaritätsexklamative sind im Verbletztstellungsfall, also als iiajS-Sätze, identisch mit den entsprechenden Deklarativsätzen, w-Exklamative unterscheiden sich von ihren interrogativen Brüdern erstens dadurch, daß sie nicht Summen von Fragen, sondern Summen von
92
Propositionen denotieren, und zweitens dadurch, daß die Summenbildung nicht einfach über passende Füllungen der w-Stelle geschieht, sondern nur über solche, bei denen der fragliche Parameter auf eine Weise beschränkt ist, die die Propositionssumme automatisch vollständig wahr macht: (39) a. (40)
daß wer singt (c : 3x «x-pers, sing»)
wer singt a. V{(c : «x-pers, sing»)l x-pers-sing < c } a.' V{(c: «Pavarotti, sing»), (c : «Madonna, sing»)}
(40a') ist lokal äquivalent mit (40a) in einem Kontext, in dem klar ist, daß Pavarotti und Madonna die einzigen Sänger im Themafall sind. Wenn man annimmt, daß weder Pavarottis noch Madonnas Auftritt für sich sensationell wäre, wird deutlich, daß für die Wahrheit von Aussagen wie Es ist sensationell, wer singt die Wahrheit der eingebetteten Propositionssumme, d.h. aller atomaren Bestandteile, ausschlaggebend ist. 10 Ob man damit die Mischtypenhypothese als bestätigt erachten will oder nicht, ist wohl Geschmackssache; ich neige eher dem letzteren zu. Gemeinsamer Nenner mit den Interrogativen ist die Summenbildung, mit den Deklarativen verbindet die Eigenschaft, daß es nicht um Fragen, sondern um Propositionen geht. Doch es kommt ein Spezifikum hinzu, das bei beiden Verwandten fehlt: Die Bedingung der Summenbildung ist genau der Begriff, um den es geht, so daß hier eine Art Selbstverifikation eingebaut ist, die die bekannte geringe Informativität der w-Exklamative ausmacht.
4.4.3 w-Unkonditionale: Modalisierende Allquantiflkation über die Themafälle einer parametrischen Proposition Unkonditionale sind, obwohl syntaktisch (wenn auch peripher) subordiniert, semantisch modal subordinierende Konstruktionen,11 d.h. hier wird über Themafälle beschränkt quantifiziert, und die Beschränkung geschieht zum Teil durch den propositionalen Gehalt der Unkonditionale, zum Teil durch einen pragmatisch festgelegten Rahmen von Themafällen, der meist den aktuellen Themafall einschließt. Im nicht generalisierenden Fall, also bei den AlternativUnkonditionalen sieht das dann so aus: (41)
Ob Pavarotti singt oder Madonna, Max singt mit. a. Vc' [c' e frame(c) & (c': «Pavarotti, sing») u (c': «Madonna, sing»)] (c': «Max, mitsing»)
Im generalisierten Fall, bei den w-Unkonditionalen also, muß auch noch über die w-Stelle quantifiziert werden: (42) a.
wer auch singt, Max singt mit Vc' [c' e frame(c) & (c': «x-pers, sing»)] (c': «Max, mitsing»)
10 Ich danke John Nerbonne für das schöne (von mir leicht abgeänderte) Beispiel. 11 Für den Begriff der modalen Subordination vgl. Roberts (1989).
93
(42a) kann lokal äquivalent sein mit (41 a) in einem Kontext wie oben spezifiziert. Die vermutete enge Verwandtschaft der Unkonditionale mit den Interrogativen läßt sich also nicht bestätigen, da es hier gar nicht um Fragen, sondern um atomare Propositionen geht, eher zeichnet sich eine Ähnlichkeit mit den Exklamativen ab, nur daß der dortigen Summenbildung hier eine Allquantifikation gegenübersteht, die ja auch durch generalisierende Partikeln wie auch, immer, oder eine Kombination der beiden zum Ausdruck gebracht werden muß. Unsere Reduktionsversuche sind hier also an eine Grenze gestoßen: Es bleibt bei drei Genera, wovon eines drei Spezies enthält. Damit ist freilich eine andere Frage noch nicht beantwortet, nämlich die, ob die Unterschiede nicht kompositional aus der Interaktion verschiedener Konstruktionsfaktoren mit der parametrischen Grundbedeutung der w-Elemente hergeleitet werden kann. Angesichts der Beträchtlichkeit der Unterschiede darf man jedoch auch hier wohl skeptisch sein.
Literatur Barwise, JVEtchemendy, J. (1990): Information, Infons, and Inference. - In: R. Cooper, K. Mukai, J. Perry (eds.): Proceedings of the Conference on Situation Theory and its Applications, Asilomar, CA, March 2326,1989 (Stanford: CSLI) 33-78. Roberts, C. (1989): Modal Subordination and Pronominal Anaphora in Discourse. - In: Linguistics and Philosophy 12, 683-721. Zacfferer, D. (1990): Conditionals and Unconditionals in Universal Grammar and Situation Semantics. - In: R. Cooper, K. Mukai, J. Perry (eds.): Situation Theory and its Applications, Vol. 1. (Stanford: CSLI) 471492. — (1991): Bare Plurals, Naked Relatives, and Their Kin. German w-Constructions in a Unified Semantic View. - In: J. Nerbonne (ed.): Proceedings of the 1985 German Grammar Workshop at Stanford University. (Stanford: CSLI).
w-Wörter als Konnektoren in den sog. weiterführenden Nebensätzen der deutschen Gegenwartssprache Anita Steube, Leipzig
Als Fragewörter (alle w-Wörter) und Relativpronomen (die w-Wörter außer warum, weshalb, weswegen) und nach der Aussage dieses Beitrages auch als Konnektoren (die w-Wörter außer wann, denn die temporale Relation wird durch da, als hergestellt) funktionieren w-Wörter in semantischen Repräsentationen wie Operatpren. Der Analyse liegt eine erweiterte GB-Theorie zugrunde. Die Konnektoren sind aus ihrer D-Struktur-Position im sog. weiterführenden Nebensatz in dessen SpecC-Position bewegt und tragen die grammatische Funktion, -Rolle und Kasus der D-Struktur-Position. Gleichzeitig beziehen sie sich anaphorisch auf den Einführungssatz und ordnen diesem die grammatische Funktion und -Rolle ihrer D-Struktur-Position zu, was beide Teilsätze in Beziehung setzt. Der Gesamtsatz steht zwischen Parataxe und Hypotaxe.
1. 1.1
w-Wörter als Fragewörter und Relativpronomen Einführung in den Untersuchungsgegenstand
Zaefferer hat in diesem Band vorgeführt, in wie vielen unterschiedlichen Funktionen w-Wörter in Sätzen vorkommen. Die Art der Klassifikation hängt immer wesentlich von der zugrundeliegenden Theorie ab. Der theoretische Rahmen dieses Beitrags ist die Government-Binding Theorie von Chomsky in der von Bierwisch um eine semantische Komponente erweiterten Fassung. In dieser Theorie sind einige w-Wörter semantisch am besten als Operatoren zu beschreiben: Fragewörter in selbständigen Ergänzungsfragen (1)
Wer kommt?
sowie in abhängigen Ergänzungsfragen (2)
Peter fragte, wer käme,
und Relativpronomen. (3)
Die Antwort, welche er mir gab, war äußerst peinlich.
In (3) handelt es sich um einen restriktiven Nebensatz. Auf den Unterschied zwischen restriktiven und nicht-restriktiven Nebensätzen können wir hier nicht eingehen, da noch keine Aussage über die Unterscheidung der semantischen Repräsentationen gemacht werden kann, was aber u.E. den Untersuchungsgegenstand nicht berührt.
96
Als Relativpronomen haben die w-Wörter Konkurrenten vorrangig in den d-Wörtern. Die Verteilung von w- und d-Wörtern in dieser Funktion ist komplementär: d-Wörter brauchen nominale oder pronominale (und zwar solche mit Entitätsbezug) Bezugswörter, (4)
Die Frau, die zu ihm paßt,...
während die w-Wörter (außer welch-) nur nach phonetisch nicht realisierten Bezugsnomen vorkommen oder nach dem Pronomen das mit Sachverhaltsbezug. (5) (6) (7)
Vieles, was ich dir gezeigt habe, ... Das letzte, was ich in dieser Sache gehört habe,... Das, was ich definitiv weiß, ...
Bleiben der Artikel und das Bezugsnomen phonetisch auch unrealisiert, haben wir es mit den freien Relativsätzen zu tun. (8)
Was du gerade gesagt hast, leuchtet mir nicht ein.
Freie Relativsätze lassen sich als restriktive Relativsätze mit phonetisch leerem Bezugswort beschreiben. Sie sind von Fragesätzen dadurch klar abgrenzbar, daß nur sie ein Bezugswort modifizieren können: (9) Das, was du gesagt hast, leuchtet mir nicht ein. (10) Peter fragte, was ich von der Angelegenheit hielte. (11) *Peter fragte das, was ich von der Angelegenheit hielte. Daß die w-Wörter in den sog. weiterführenden Nebensätzen den Relativpronomen näher stehen als den Fragewörtern, ist intuitiv plausibel. (12) Hans studiert Computerlinguistik, was ich begrüße. Das w-Wort scheint auf den ersten Blick ein Relativpronomen mit Sachverhaltsbezug zu sein. Im Abschnitt 2 werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Relativpronomen und Konnektoren herausgearbeitet.
1.2
Einführung in die theoretischen Grundlagen
In der hier zugrundegelegten erweiterten Fassung der Government-Binding Theorie sind die LF-Repräsentationen Input in die S(emantische) F(orm)-Komponente (vgl. Bierwisch 1987, 1988). Da im Deutschen - einer Sprache mit reicher Morphologie - zur Ableitung der S-Struktur-Repräsentationen viele Bewegungen durchlaufen werden, deren Einfluß auf die SF-Repräsentationen der Sätze noch nicht beschrieben ist, und da auch die Bewegungen zur Ableitung der LF-Repräsentationen des Deutschen noch nicht gut genug beschrieben sind, können LFRepräsentationen nur hypothetisch angesetzt werden. Wir gehen davon aus, daß die Stellung des finiten Verbs keinen Einfluß auf die Beziehung zu seinen Komplementen oder Modifikatoren haben darf, sich aber semantisch in dem manifestiert, was den Satzmodus ausmacht (wobei
97
die Intonationsstruktur entsprechend zu berücksichtigen ist). Mit Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989) gehen wir davon aus, daß die CO-Position die SF-Repräsentation des Satzmodus beherbergt. Aus beiden Gründen sollte das finite Verb in der LF-Repräsentation die Ursprungsposition innehaben. Fragewörter und Relativpronomen nehmen im Deutschen schon in der SStruktur-Repräsentation die SpecC-Position ein, die ihnen in der LF-Repräsentation als Operatoren die gesamte rechtsstehende Kette richtig als Operanden zuordnet. Die Bedeutungsrepräsentationen der Lexikoneintragungen werden mit Hilfe einer Lambdakategoriengrammatik aus konzeptuell definierten semantischen Primes strukturiert. In der SFRepräsentation der Verben wird mittels des zweistelligen Prädikats INST (ANZ VON), das mit einem Argument s (aus der Domäne der S achverhalte) und einer Proposition als internem Argument eine neue Proposition bildet (vgl. unten (s INST (p))), die Referenz auf Sachverhalte ermöglicht, deren Existenz der Sprecher durch den Aussagemodus behauptet, durch den Fragemodus aber als epistemisch offen bewertet Die SF-Repräsentationen der Lexikoneintragungen werden auf der Grundlage der Strukturierung in LF schrittweise zu größeren Bedeutungskomplexen amalgamiert Dazu werden zwei Amalgamierungsregeln gebraucht: (13) Funktionale Applikation: x(...x...)(a) = (...a...) (14) Modifikation: x(...x...); x(...x...) =* x((...x.„) : (...x...)) Bei Modifikation werden die beiden identischen -Rollen unifiziert und die Operanden koordiniert. Das Funktionieren der Amalgamierungsregeln wird an dem semantisch vereinfachten Beispielsatz (15) Peter sieht Hans. dargestellt. In die LF-Repräsentation sind die SF-Repräsentationen der Lexikoneintragungen eingetragen. Hier wie in den folgenden Sätzen wird auf die Analyse des Tempus verzichtet. Alle Repräsentationen tragen die Nummer der entsprechenden Phrasen oder Sätze. (15)
CP
DP
Hans yxs[s INST [SEH-, x, y]] HANS der Wert von V ist nach funkt. Appl.: xs[s INST [SEH-, x, HANS]] der Wert von VP ist nach funkt. Appl.: s[s INST [SEH-, PETER, HANS]] der Wert von CP ist nach funkt. Appl.: 3s[s [INST [SEH-, PETER, HANS]] Die SF-Repräsentation des Satzes ist vereinfacht zu lesen als: Es gibt einen Sachverhalt s, so
98 daß s die Proposition PETER SIEHT HANS instantiiert. Die Richtigkeit der Ableitung der SF-Repräsentation läßt sich kategorialgrammatisch überprüfen.
(15)
3 (S/S)/N
Operator-Operand-Beziehungen setzen das Vorhandensein von drei Bestandteilen voraus: Neben dem Operator selbst sind das der zugrundegelegte Individuenbereich und der Wirkungsbereich des Operators. Der Operator (oben der Existenzoperator) bindet alle Variablen, die in seinem Wirkungsbereich innerhalb von Aussagefunktionen auftreten (oben die Sachverhaltsvariable). Sprachliche Operatoren legen den Individuenbereich oft auch genauer fest Für wer ist es der Bereich der Personen, für was der Bereich der Nichtpersonen (Sachverhalte eingeschlossen). Folgen mehrere Operatoren aufeinander, so gilt für unseren Untersuchungsgegenstand, daß der Operator unmittelbar rechts vom ersten mit zu dessen Wirkungsbereich gehört. Eine Vertauschung der Operatoren ist nicht möglich. Operatoren, die Einleitungswörter von selbständigen Sätzen (selbständigen Ergänzungsfragen) sind, unterscheiden sich von solchen, die Einleitungswörter von Nebensätzen (abhängigen Ergänzungsfragen, Relativsätzen) sind dadurch, daß erstere den Satz als selbständigen Satz und letztere als spezifischen Teil des Gesamtsatzes ausweisen müssen. Das wird durch die kategorialgrammatische Kategorisierung erreicht: Hat 3s die Kategorie S/S, so gibt es dazu ein nominales Pendant es mit der Kategorie N/S, so daß aus dem Nebensatz das kategorialgrammatische Äquivalent einer DP wird, das wie ein Satzglied fungieren kann.l Diese Doppelung wird auch für Frageoperatoren gebraucht.2 Relativpronomen dagegen leiten nur Nebensätze ein. Die Relativpronomen müssen aber solche Operatoren sein, die zusammen mit ihrem Operanden zur Modifikation eines Bezugswortes taugen.3 Konnektoren müssen wieder anderen syntagmatischen Beziehungen Rechnung tragen können,4 denn obwohl beide Lambdaoperatoren sind, stehen sie in den LP-Repräsentationen in unterschiedlichen Positionen, so daß unterschiedliche Vorschriften für die Amalgamierung zu befolgen sind. Das sind Zusatzannahmen, die für eine linguistische, nicht aber für eine logische Theorie relevant sind. 1
Vgl. Bierwisch (1987:95).
2
Vgl. die Repräsentation von (1) und von (2).
3 Vgl. die Repräsentation von (16). 4
Vgl. die Repräsentation von (12).
99
1.3
Die Semantische Form von Fragewörtern und Relativpronomen
1.3.1 w-Wörter als Fragewörter in selbständigen Ergänzungsfragen: LF-Repräsentation von (1), in die die Semantische Form der Lexikoneintragungen eingesetzt ist: (D
CP wer] p OFFEN X (PERSON, x) [p ...S...]5
— C*
P3S[P,S]
/\
v vo kommxs[s INST [KOMM-, x]]
SF von (1): OFFEN x (PERSON, x) 3s[s INST [KOMM, x]], vereinfacht zu lesen als: Es ist epistemisch offen, ob es ein x, das eine Person ist, gibt, so daß ein Sachverhalt s existiert, der die Proposition x KOMMT instantiiert 1.3.2 w-Wörter als Fragewörter in abhängigen Ergänzungsfragen: LF-Repräsentation von (2), in die die Semantische Form der Lexikoneintragungen eingesetzt ist:
VO fragyxli[si INST [FRAG-, x, y]]
p offen z (PERSON, z) [p ...S2·..]6
VP
0> P 3s2[P, s2] DP ti z
V i VO komm2§2[S2 INST [KOMM-, z]]
5 p ist eine Propositionsvariable. Die einzusetzende Proposition soll selbst s enthalten. In unserem Fall wird für p der Wert von C* eingesetzt. 6 "offen x" verhält sich zu "OFFEN x" wie zu 3x. "offen x" bindet die Variable x in einem Satz, der durch die Kategorisierung der Proposition "offen x (PERSON, x) 3s[s INST [p]]" als N als indirekter Fragesatz ausgewiesen ist und folglich die Themaposition von FRAG- besetzen kann.
100 SF von (2): 3si[si INST [FRAG-, PETER, offen z (PERSON, z) 3s2[s2 INST [KOMM-, z]]]], vereinfacht zu lesen als: PETER FRAGT, ob es ein z gibt, das eine Person ist, so daß es einen Sachverhalt $2 gibt, der die Proposition z KOMMT instantiiert. 1.3.3 w-Wörter als Relativpronomen am Beispiel restriktiver Relativsätze: LF-Repräsentation von (16), in die die Semantische Form der Lexikoneintragungen eingesetzt ist: (16) Das Ziel, welches ich erstrebe,...
(16)
DP
DO
NP
PDEFy[P,y] N' NO
Ziel y[ZffiL, y, z]
welchesi py[p...y...]
C /" CO
P3S2[P S2l
'
DP ich
VP
-V / \
x[SPRECHER, x] DP
ti y
VO
erstrebyxS2[S2 INST [ERSTREB-, x, y]
SF von (16): DBF y[[ZIEL, y, z] : 3s2[s2 FNST [ERSTREB-, SPRECHER, y]]], vereinfacht zu lesen als: ein definites y, so daß y das Ziel für z ist und es eine Situation $2 derart gibt, daß S2 die Proposition SPRECHER ERSTREBT y instantiiert Der Relativsatz allein hat den Wert y 3S2[S2 INST [ERSTREB-, SPRECHER, y]]. Er steht syntaktisch in einer Modifikationsposition von N° und erfüllt auch die semantischen Bedingungen an Modifikation. 1.3.4 w-Wörter als Relativpronomen am Beispiel freier Relativsätze. Alle freien Relativsätze sind Modifikatoren phonetisch nicht realisierter Bezugswörter, denen aber eine SF-Repräsentation zukommt, vgl. Steube (im Druck). Die SF entspricht der des Demonstrativpronomens das. (17) Wer wagt, gewinnt.
101
LF-Repräsentation von (17), in die die Semantische Form der Lexikoneintragungen eingesetzt ist:
gewinnZWSi[Si INST [GEWINN-, W, z]]
CO P 3S2[P, S2]
DP ti DP e
y
vo wagyxS2[S2 INST [WAG-, x, y]]
Die SF der Relativsatz-CP ist: (PERSON, x) 3S2[S2 INST [WAG-, x, y]]. Sie wird mit der SF des phonetisch leeren Bezugspronomens durch Modifikation7 verknüpft zu: DEF x[[PERSON, x] :3s2[s2 INST [WAG-, x, y]]]. Danach wird dieser Wert der Subjekts-DP durch funktionale Applikation für die Variable w in der SF des Matrixverbs GEWINN- eingesetzt, y und z bleiben Parameter. SF von (17): 3si[si INST [GEWINN-, DEF x[[PERSON, x] : 3S2[S2 INST [WAG-, x, y]]], z]], sehr vereinfacht zu lesen als: das definite x, das eine Person ist und y wagt, gewinnt z.
Das phonetisch leere Bezugswort hat dieselbe SF wie das Demonstrativpronomen das. Da Demonstrativpronomen aber die SF des Artikels schon inhärent haben, liegt hier eine Modifikation vor, die die Defmitheit des zu modifizierenden Bezugs wortes auf den modifizierenden Ausdruck überträgt· DEF x[...x...]; x[...x...] => DEF x[[...x...] : [...x...]] Vgl. Steube (1987).
102
2.
w-Wörter als Konnektoren
2.1
Die Liste der w-Wort-Konnektoren
Die Grammatiken äußern sich bisher nicht explizit darüber, welche semantische Funktion den w-Wörtern in den sog. weiterführenden Nebensätzen zukommt, geben aber meist eine quasikoordinative Verknüpfung als Interpretation der Relation zwischen beiden Teilsätzen an, was der Relation zwischen Relativsatz und Bezugswort ähnelt. Die w-Wörter wären demzufolge so etwas wie Relativanschlüsse an Sätze. Bevor wir auf die Relation näher eingehen, soll erst wieder festgestellt werden, welche w-Wörter in diesem grammatischen Kontext vorkommen. (18) Hans will Computerlinguistik studieren, was ich begrüße. (19) Robert hat immer das letzte Wort, was seine Kumpel ganz schön aufregt. (20) Vor einem Jahr wurden an dieser Stelle 2 Schulkinder aus Unachtsamkeit überfahren, wessen die Bürgerinitiative 'Radwege' heute mit einer Aktion gedenkt.8 (21) Mein Sohn ist noch nicht nach Hause gekommen, weshalb ich mich sorge. (22) Egon Sachse ist Marathonstadtsieger geworden, wie wir es erwartet hatten. (23) Fritz richtet einen Gebrauchtwagenhandel ein, wovon seine Frau schon überall herumschwatzt. Alle w-Wörter nehmen anaphorisch Bezug auf den Einführungssatz, der der Verbstellung nach ein Hauptsatz ist. Darüber hinaus gibt jedes w-Wort eine eigene 'Interpretation' für den Zusammenhang zwischen beiden Teilsätzen, den wir noch näher zu untersuchen haben. Der einschlägige temporale Zusammenhang wird nicht durch w-Wörter hergestellt, sondern durch da und als. (24) Der Erntewagen war kaum in der Scheune, da prasselte der Gewitterregen auch schon herunter. (25) Der Erntewagen war kaum in der Scheune, als der Gewitterregen auch schon herunterprasselte. Als ist nur mit Bezug auf Zeitabschnitte vor der Sprech-/Referenzzeit möglich. Da erlegt solche Beschränkungen nicht auf. Wenn ist in der Verbindung zweier Teilsätze nur als Konjunktion möglich (in (26) wäre dafür lediglich auch schon zu eliminieren; die Gründe sind aber nicht ganz klar, warum dann die Interpretation eines Satzgefüges mit der Temporalkonjunktion wenn eher möglich ist). (26) ?Der Erntewagen wird kaum in der Scheune sein, wenn der Gewitterregen auch schon herunterprasseln wird. Die anderen w-Wörter haben sich nicht zur Konjunktion entwickelt und sehen sich deshalb dieser Konkurrenz in der Syntagmatik nicht ausgesetzt Da und als(o) sind historische Relativanschlüsse, sie können in der deutschen Gegenwartssprache aber keinen anaphorischen Bezug auf BezugsnomeiV-pronomen mehr herstellen, nur noch auf Sätze.
8
Die Intuition bezüglich der Grammatikalitat der seltenen genitivischen Konnektoren ist nicht übereinstimmend.
103 (27) ... im Meer, da es am tiefsten ist. (Luther) (28) ... durch die Erlösung, so durch Christus geschehen ist. (Luther) Wer, welcher und ihre Flexionsvarianten, die das semantische Primitivum [PERSON, x] inhärent haben, können keinen anaphorischen Bezug auf Sätze, die über Sachverhalte reden, herstellen, sondern nur auf entsprechende Bezugsnomen/-pronomen. Damit wäre die Liste der Einleitungswörter für die sog. weiterführenden Nebensätze abgeschlossen, es gibt aber noch die Einleitungsphrasen (DP oder PP), auf die mich Marga Reis aufmerksam gemacht hat: (29) ..., welcher Bitte ich gerne nachkomme. (30) ..., mit welchem Anliegen er dich aber nicht belästigen wollte. (31) ..., bei welcher Gelegenheit ich ihren Freund kennengelernt habe. Das in der Einleitungsphrase enthaltene Nomen interpretiert den Einführungssatz gleichzeitig als 'Gelegenheit', als 'Bitte' usw., was im Einführungssatz selbst nicht explizit ausgedrückt wird: (30') Anläßlich seiner Vermählung sucht Horst Quartier für seine auswärtigen Verwandten, mit welchem Anliegen er dich aber nicht belästigen wollte. Auf die Beziehung zwischen beiden Teilsätzen kann erst kurz eingegangen werden, wenn die syntaktische Funktion und Semantische Form der w-Wort-Konnektoren erörtert worden ist. Das soll im Vergleich hauptsächlich zu den einfacheren d-Wort-Konnektoren geschehen, die sowohl bei Topikalisierungen als auch in freien Relativsätzen im Hauptsatz stehen und anaphorischen Bezug über die Satzgrenze hinaus herstellen.
2.2
Syntaktische Funktion und Semantische Form der Konnektoren
2.2.1 d-Wörter und da als Konnektoren Wir beginnen mit den Topikalisierungen. (32) (33) (34) (35)
Diese Typen, die trinken heimlich Wein und predigen öffentlich Wasser. Diesen Typen, denen geht es nur um eigene Vorteile. Auf diese Typen, da muß man aufpassen. Im Prater, da blühen die Bäume.
Da bezieht sich anaphorisch auf PP und Adverbialphrasen. Die aus der maximalen Projektion des Satzes hinausbewegten DP und PP können ihre Spur in der Ursprungsposition nicht regieren. Das besorgt das d-Wort bzw. da, die erst in der S-Struktur-Repräsentation in die Spezifiziererposition eingefügt werden und als escape hatch dienen. Der Kasus der d-Wörter zeigt die grammatische Funktion der topikalisierten Phrase im Satz noch einmal an. Da ist nicht flektierbar, es ist aber auch nicht mit einer Kasusposition koindiziert.
104
S-Struktur-Repräsentation von (32):
(32)
CP
diese Typen^
Der Konnektor die* regiert (ersatzweise) die Spur der über die Satzgrenze hinausbewegten topikalisierten DP diese Typen und ist mit der Spur koindiziert. Gleichzeitig ist er durch seinen anaphorischen Bezug auf die topikalisierte DP mit dieser koindiziert. So kann der Konnektor zwischen der topikalisierten Konstituente und ihrer Spur die Beziehung herstellen, die sonst unterbrochen wäre. Dasselbe leistet da. S-Struktur-Repräsentation von (35):
(35)
CP
Gleichen anaphorischen Bezug weisen die d-Wörter im Hauptsatz von Gefügen mit freien Relativsätzen auf. Freie Relativsätze sind restriktive Modifikatoren von phonetisch nicht realisierten Bezugs-DP. Das Invisible Category Principle^ erklärt die Möglichkeit des leeren Kopfes durch das ersatzweise Sichtbarmachen seiner grammatischen Merkmale am w-Wort. Das Relativpronomen muß aber nur im Genus, Numerus und in der Person mit dem Kopf kongruent sein, 9
Vgl. Emonds (1987) und Bhatt (1990).
105
weil es seinen Kasus aus seiner Ursprungsposition im Nebensatz mitbringt. Es folgen zunächst Beispiele, in denen zufällig auch Kasuskongruenz besteht. r 3.Pers. (36) [DP |_ n£ m
J [CP Welche der Geist Gottes treibt]], die sind Gottes Kinder. (Luther)
0'
In der deutschen Sprache der Gegenwart muß das pluralische Relativpronomen ein d-Wort sein: (36') Die der Geist Gottes treibt, (die) sind Gottes Kinder. (37) Wer zuletzt lacht, (der) lacht am besten. In der semantischen Interpretation ist wer allerdings nicht auf Singular festgelegt, nur in den grammatischen Merkmalen, wie es semantisch auch nicht als [MÄNNLICH, x] spezifiziert ist. Wer ist semantisch lediglich als [PERSON, x] spezifiziert, alles andere ist offen. Soll [MÄNNLICH, x] explizit ausgedrückt werden, muß wieder das d-Wort eingesetzt werden. Freie Relativsätze mit leeren Bezugs-DP, die das grammatische Merkmal [l.Pers.] oder [2.Pers.] aufweisen, sind aber nicht sprachgerecht. (38) *Die du mir das angetan hast, (du) bist verachtungswürdig. Stimmen die Kasusmerkmale von leerer Bezugs-DP und Relativpronomen nicht überein, ist das d-Wort im Hauptsatz obligatorisch, sonst fakultativ. Das Sprichwort Wer hat, der hat ist nur eine scheinbare Ausnahme: das d-Wort steht aus rhythmischen, nicht aus grammatischen Gründen. Es folgen Beispiele, in denen der d-Wort-Konnektor obligatorisch ist: (39) (39') (40) (40') (40") (41) (42)
Wer hat, dem wird gegeben. *Wer hat, wird gegeben. Die haben, denen wird gegeben. Denen, die haben, wird gegeben. *Die haben, wird gegeben. Worauf wir hoffen, das ist die schnelle Lösung unserer Probleme. Was zu bevorzugen ist, darüber muß erst noch eingehend debattiert werden.
Die Beispiele (40ff.) sind aufgenommen worden, weil sie zeigen, daß die Kasusmerkmale entweder an der Bezugs-DP (vgl. (40')) oder am Konnektor (vgl. (40)) realisiert werden müssen. Bei freien Relativsätzen steht allerdings nur der Konnektor zur Verfügung. Die d-Wort-Konnektoren zeigen durch den Kasus oder durch die Präposition, mit der sie verschmolzen sind, ersatzweise die Position mit ihrer -Rolle und grammatischen Funktion an, aus der die phonetisch leere Bezugs-DP plus Relativsatz herausbewegt worden ist. Der durch das w-Wort eingeleitete Relativsatz ist Modifikator des phonetisch leeren Bezugswortes, das aber semantisch nicht leer ist, sondern die SF des Demonstrativpronomens das hat Das kann ja auch fakultativ realisiert sein, vgl. (7). Das verkörpert die gesamte DP, der Modifikator muß also ein D-Modifikator sein, nicht wie bei restriktiven Relativsätzen mit Bezugsnomen ein N-
106 Modifikator (vgl. (16)). Zwischen d-Wort-Konnektor und phonetisch leerer Bezugs-DP besteht Kongruenz; vgl. die S-Struktur-Repräsentation von (39):
r3.Pers. -pi. .dat. J dem k N-
CP
^C'
/^
co
wirdm
/·
VP DP
"V
e DP
DP
VO
yo vo gegeben tm
Die bei Topikalisierungen und in Gefügen mit freiem Relativsatz in der Spezifiziererposition des Hauptsatzes stehenden d-Wörter wollen wir Konnektoren nennen. Sie nehmen die Referenz und alle grammatischen Merkmale sowie die -Rolle des aus dem Satz hinausbewegten Satzgliedes wieder auf und verbinden es durch Rektion seiner Spur mit der Ursprungsposition. Das ist teilidentisch mit dem, was Relativpronomen leisten: Relativpronomen übernehmen die Referenz des Bezugswortes und die grammatischen Merkmale bis auf Kasus; aber sie übernehmen nicht die -Rolle; und die Relativpronomen haben ihre eigene Spur zu regieren. Zwischen Bezugswort und Relativsatz stellt das Relativpronomen eine Modifikationsrelation her. Der Konnektor dagegen identifiziert das aus der maximalen Projektion hinausbewegte Satzglied als funktional in die Position gehörig, die er regiert. Diese Teilidentität muß in der Semantischen Form der Konnektoren sichtbar werden. Als Beispiel dient eine Vereinfachung von (32); auf das Modaladverbial, auf Tempus und die SF des Massenomens wird verzichtet.
107
LF-Repräsentation von (32), Diese Typen, die trinken Wein. Die Semantische Form der Lexikoneintragungen ist wieder eingesetzt:
(32)
diese Typen* DEF x[[TYP, ]: QUANT > 2]]
die* *[ CO P3s[P,s]
S
^
v
DP Wein WEIN
yo trinkyxs [s INST [TRINK-, x, y]]
Der Wert von CP wird durch funktionale Applikation als x 3s[s INST [TRINK-, x, WEIN]] ermittelt. Würde CP als Relativsatz behandelt, wäre er modifikatorisch mit dem Wen der Bezugs-DP diese Typen zu verknüpfen. Der Konnektor dagegen, der dieselbe SF wie das Relativpronomen hat, steht nicht in Modifikatorposition: der Lambdaoperator x zeigt an, daß die SF von diese Typen Agens von TRINK- ist. In der nicht-topikalisierten Konstruktion Diese Typen trinken Wein erfolgt auch die Einsetzung von DEF x[[TYP, x]: [QUANT x > 2]] für die Variable x in der SF des Verbs. Bei Topikalisierung haben wir es - wie auch in den Gefügen mit freiem Relativsatz, wenn sie einen Konnektor enthalten - mit analytischer aufgebauten Konstruktionen zu tun, deren Wert ein Vollausdruck der Art x[ ...x... ](a) ist. Die SF von (32) lautet: x 3s[s INST [TRINK-, x, WEIN]] (DEF x[[TYP, x]: [QUANT x > 2]]), sehr vereinfacht zu lesen als: DIESE TYPEN gehören zur Menge x, für die gilt, daß es einen Sachverhalt s gibt, der die Proposition x TRINKT WEIN instantiiert. 2.2.2
w-Wörter als Konnektoren
Die Parallele zwischen den d-Wort-Konnektoren und den w-Wörtern in den sog. weiterführenden Nebensätzen ist nicht zu übersehen: Diese w-Wörter beziehen sich anaphorisch auf den Einführungssatz und signalisieren durch ihren Kasus bzw. durch die Präposition, mit der sie verschmolzen sind, und durch ihre -Rolle, welche Position der Einführungssatz mit Bezug auf den sog. weiterführenden Nebensatz innehat. Sie sind obligatorisch, weil es im komplexen Satz kein anderes Mittel gibt, das dies anzeigen könnte; denn an Sätzen werden im Deutschen keine derartigen grammatischen Merkmale realisiert. Diesen Bezug müssen w-Wörter herstellen, denn d-Wörter sind objektbezogen, schon das sachverhaltsbezogene Pronomen das
108
wird anaphorisch von einem w-Wort aufgenommen. Als und da sind diesen w-Wörtern vergleichbare Konnektoren (vgl. Steube 1990): (43) Hans war kaum zu Hause, da saß er auch schon vor der Röhre. (44) Kaum war Hans zu Hause, da saß er auch schon vor der Röhre. (45) Ein Gewitter war gerade vorüber, als auch schon das nächste begann. Als Beispiel für die syntaktische und semantische Analyse der sog. weiterführenden Nebensätze dient eine Vereinfachung von (12). S-Struktur-Repräsentation von (12):
(12)
DP Computerlinguistik
tt
ti
begrüße
CP2 wird als Adjunkt an CPi bereits basisgenerien. Das w-Wort bzw. als oder da kommen durch Bewegung in die Spezifiziererposition von CPi und regieren ihre Spur. Darin unterscheiden sich die oben erläuterten d-Wort-Konnektoren von den w-Wort-Konnektoren in den sog. weiterführenden Nebensätzen. Die topikalisierten Konstituenten und die freien Relativsätze waren aus dem Hauptsatz herausbewegte Konstituenten des Hauptsatzes (letztere deshalb, weil ihre phonetisch leere Bezugs-DP Konstituente des Hauptsatzes ist). Vom Einführungssatz der Konstruktionen mit den sog. weiterführenden Nebensätzen kann man aber nicht annehmen, daß er Konstituente des sog. weiterführenden Nebensatzes sei, denn er hat alle Charakteristika von Hauptsätzen. Ist keine Konstituente aus dem sog. weiterführenden Nebensatz herausbewegt, kann der w-Wort-Konnektor bereits in der D-Struktur-Repräsentation anwesend und auf dem Weg zur S-Struktur-Repräsentation in die Spezifizierelposition bewegt sein. Aus diesen Gründen ist in der S-Struktur-Repräsentation von (12) der Einführungssatz CP2 nicht mit der Spur ti koindiziert Die Beziehung des Einführungssatzes zu dieser Position im sog. weiterführenden Nebensatz wird einzig durch den Konnektor was\ hergestellt, der einerseits anaphorisch auf CP^ bezogen ist und andererseits seine Spur ti regiert.
109 LF-Repräsentation von (12), in die die Semantische Form der hier relevanten Lexikoneintragungen eingesetzt ist:
(12)
CP
DP V HANS /
DP COMPUTERLINGUISTIK
DP
V
SPRECHER
• studieryxS2[S2 INST [STUDIER-, X, y]]
DP tj x
begrüßxwsi[siINST [BEGRÜSS-, W, x]]
Der Wert von CPi ist: BSI[SI INST [BEGRÜSS-, SPRECHER DER ÄUSSERUNG, x]]. Um für die Variable x einsetzbar zu sein, muß der Wert von CP2 ein Ausdruck der Kategorie N sein, was der Operator ES2 leistet. Als Wert des Vollausdrucks, den CP darstellt, erhalten wir x 3Sl[si INST [BEGRÜSS-, SPRECHER DER ÄUSSERUNG, x]] (ES2[S2 INST [STUDIER-, HANS, COMPUTERLINGUISTIK]]), vereinfacht zu lesen als: der existierende Sachverhalt 82, der die Proposition HANS STUDIERT COMPUTERLINGUISTIK instantiiert, gehört zur Menge x, so daß es einen Sachverhalt si gibt, der die Proposition SPRECHER DER ÄUSSERUNG BEGRÜSST x instantiiert. Wenn 1. unsere Intuition bestätigt, daß die w-Wörter, als und da in den sog. weiterführenden Nebensätzen dieselbe Funktion haben, obwohl nach da die Hauptsatz- und nach als und den w-Wörtern die Nebensatzstellung des finiten Verbs festgestellt wird; wenn 2. weiterhin der Einführungssatz der Stellung seines finiten Verbs nach ein Hauptsatz ist, dem die Konnektoren aber eine Funktionsposition im sog. weiterführenden Nebensatz zuweisen, zeigt sich, daß die Verbstellung allein nicht darüber Auskunft geben kann, von welcher Art die Teilsätze und das Gefüge sind. In der deutschen Gegenwartssprache bedingen die w-Wörter als Fragewörter in abhängigen Ergänzungsfragen und als Relativpronomen die Verbendstellung; als fordert als Konjunktion dasselbe. Da dagegen ist in der deutschen Gegenwartssprache Kausalkonjunktion, die in die Interpretation unserer Gefüge nicht paßt; aber es ist auch Proadverb und hauptsatzeinleitende Partikel mit der für diese Gefüge passenden Interpretation. Dem Einfluß dieser vorherrschenden Verwendungsweisen der w-Wörter, von als und da scheinen sich die Konnektoren bezüglich ihres Einflusses auf die Verbendstellung angeglichen zu haben. Die Konnektoren in den sog. weiterführenden Nebensätzen können auch nicht als Konjunktionen angesehen werden. Sie gehören zu einem Satz, der - weil er die Funktionsposition für die Einführungssätze eröffnet - wie ein Hauptsatz in Satzgefügen der deutschen Sprache der Gegenwart wirkt. Konjunktionen aber nehmen einen Satz und werden zusammen mit ihm zum
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Gliedsatz. Konnektoren gleichen den Konjunktionen jedoch darin, daß sie anzeigen, in welcher Relation der Einführungssatz zum sog. weiterführenden Nebensatz steht. Das läßt mich darauf schließen, daß die Konnektoren auf einer Entwicklungsstufe zwischen Parataxis und Hypotaxis stehen. Sie erinnern etwas an das althochdeutsche Pronomen das, das irn Hauptsatz die Position anzeigte, die der nachfolgende Satz (heute ein daß-Satz, nachdem das Pronomen an die Spitze des Nebensatzes gewechselt hat und zur Konjunktion daß geworden ist) funktionell einnahm: (46) Ich weiß das. Du bist ein Narr. => (46') Ich weiß, daß du ein Narr bist.10 Die w-Wörter als und da haben also eine zusätzliche Funktion, die ich als Konnektor bezeichnet habe, um den m. E. unlösbaren Streit, ob es sich bei den Gefügen mit den sog. weiterführenden Nebensätzen um Satzverbindungen oder um Satzgefüge handelt, aus dem Weg zu gehen. Die Bezeichnung 'weiterführender Nebensatz' ist auf jeden Fall vom Motiv für die Namensgebung her ohne erklärende Kraft. Wir wollen nun noch versuchen, diese Ergebnisse auf Konstruktionen mit weiterführenden Nebensätzen anzuwenden, die von Einleitungsphrasen eingeführt werden. Wenn der w-WortKonnektor durch seine grammatische Funktion und -Rolle stellvertretend anzeigt, welche Funktionsposition der Einführungssatz im sog. weiterführenden Nebensatz einnimmt, so trifft das auch hier zu: In Bezug auf (30') z.B. wird - ganz unformal ausgedrückt - in der DP, die das Nomen Anliegen enthält, durch welches ein Strukturplatz markiert, den der Einführungssatz funktional einnimmt. Das 'Anliegen' wird damit in unserem Beispiel als ein derartiges spezifiziert, daß 'Horst anläßlich seiner Vermählung Quartier für seine auswärtigen Verwandten sucht.' Genauere Analysen stehen noch aus. Abschließend sei auf das Buch "Weiterführende Nebensätze - zu ihrer Syntax, Semantik und Pragmatik" verwiesen, in dem Margareta Brandt mit einer Reihe von Tests die syntaktische Selbständigkeit der Teilsätze in den Konstruktionen mit den sog. weiterführenden Nebensätzen beleuchtet, ihren Haupt- oder Nebensatzcharakter und die Aufgliederung in selbständige Informationseinheiten. Die Tests erhärten, daß die in diesem Beitrag vorgeführte Analyse der Konstruktionen mit den sog. weiterführenden Nebensätzen nur eine der Interpretationsmöglichkeiten erfaßt. Man kann die Konstruktionen auch so lesen, daß beide Teilsätze die Intonationsstruktur selbständiger Aussagesätze haben. Ich will das durch folgende Interpunktion andeuten: "Peter will Computerlinguistik studieren. Was ich schon wußte." Der sog. weiterführende Nebensatz ist dann eine Art nachgetragener Kommentar oder eine zusätzliche Aussage über das im Einführungssatz Gesagte. Das w-Wort hat dann keine Konnektorfunktion. Seine Funktion könnte hypothetisch in Zusammenhang gebracht werden mit der nichtrestriktiver Relativpronomen, wozu die eigentlichen Analysen aber noch ausstehen.
10 Dieses Beispiel und alle Lutherzitate sind dem Deutschen Wörterbuch von Hermann Paul entnommen.
Ill
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Die subordinierende Konjunktion wie* use Zimmermann, Berlin
In diesem Beitrag wird die Konjunktion wie in Komplementsätzen behandelt und zur adverbiellen Konjunktion wie ins Verhältnis gesetzt. Sie wird in ihrer syntaktischen Kategorisierung und in ihrer Bedeutung charakterisiert
1.
Gegenstand und Aufgabenstellung
Hauptgegenstand des Beitrags ist die subordinierende Konjunktion wie in Komplementsätzen von "Verben des Berichts oder der Wahrnehmung" (Behaghel 1928:§ 1030). Sie wird als Instanz der funktionalen Kategorie C(omplementizer) charakterisiert und in ihrem Verhältnis zu daß, zur temporalen Konjunktion wie und zum Satzglied wie in satzeinleitender Position untersucht. Es wird abgewogen, ob wie als Complementizer auf "die Modalität eines Vorgangs" (ebd.) oder auf eine Betrachtelperspektive, die sich auf den Verlauf des bezeichneten Geschehens richtet, hindeutet.
2.
Der Rahmen
Das hier betrachtete w-Wort hat mit Fragen und Fragesätzen nichts zu tun. Es kennzeichnet einen besonderen Typ von Komplementsätzen, der in der Subkategorisierung von Matrixverben Berücksichtigung finden muß. Dabei zeigt sich eine auffällige Verbindung mit Komplementsätzen, die durch ein in der Spezifikatorposition von C, SpecC, befindliches w-Wort (oder - genereller - durch eine w-Phrase) eingeleitet sind, das nicht in interrogativer Funktion auftritt. Insofern gehört der Complementizer wie in die Untersuchung der Syntax und Semantik von wWort-haltigen Ausdrücken, wie sich zeigen wird. Die folgenden Überlegungen bewegen sich im Rahmen neuerer Entwicklungen der Syntaxtheorie mit ihrer Unterscheidung lexikalischer und funktionaler Kategorien (s. Chomsky 1986) und artikulierter Vorstellungen über die Semantische Form (SF) als Repräsentationsebene der grammatisch determinierten Bedeutung sprachlicher Ausdrücke (s. Bierwisch 1987,1988, 1989). Bezüglich der verschiedenen syntaktischen Satztypen und ihres spezifischen Satzmodus gehe ich von folgenden Positionen aus (s. Brandt/Rosengren/Zimmermann 1989):
*
Für Ermutigung und hilfreiche Diskussion danke ich Inger Rosengren und Marga Reis.
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1 . Es ist zu unterscheiden zwischen Sätzen in adverbieller Funktion und Sätzen in nichtadverbieller Funktion. Erstere sind PPs (s. Jackendoff 1977), letztere sind CPs. 2 . Für CPs ergeben sich die verschiedenen Satztypen aus charakteristischen Konfigurationen syntaktischer Merkmale in C und gegebenenfalls in SpecC. Satztypcharakterisierende Kennzeichnungen sind die syntaktischen Merkmale ±w, ±def(init), ±rel(ativ), ±pros(pektiv), ±deskr(iptiv) mit der in (1) angegebenen Verteilung auf die satzeinleitenden Positionen SpecC und C.l (1)
[CP XP r±w ±def L±rel J
[c· C r±w ±def iprosp Lldeskr J
VP]]
3. Typische C-Einheiten, darunter phonetisch stumme, sind;2 (2) daß/0
ftoby/0 ob/0 wie
w -
+ -
def
+
prosp -
+ -
deskr
+
4. Die hier interessierende Konjunktion wie ist im Gegensatz zu daß als -(-deskriptiv charakterisiert, womit bestimmte Bedeutungsunterschiede korrespondieren, wie noch zu zeigen sein wird. Daß wie außerdem als -Hiermit spezifiziert ist, hängt mit seiner Verwandtschaft mit anderen w-Wörtern zusammen, die nicht-interrogative Sätze einleiten können und definit aufweitgehend unspezifiziert gelassene Entitäten referieren. Vgl.: (3)
a. Hans hone, wie die Nachbarn stritten, b. Hans hörte, wer nebenan stritt.
Ich nehme an, daß wie in C und w-Phrasen wie wer in solchen Kontexten mit -Kiefinit gekennzeichnet sind und entsprechend keine interrogative Funktion haben. 5. Die in SpecC und C vorgesehenen Satztypkennzeichnungen sind den Kasusmerkmalen von Substantivgruppen vergleichbare syntaktische Differenzierungen. Sie bedürfen bei Satzeinbettungen der Legitimierung durch ein Regens unter den konfigurationeilen Gegebenheiten der 1 Mit Haider (1987) nehme ich fürs Deutsche das in (1) unterstellte allgemeine Satzstrukturschema an, dem zufolge VP das funktionale Komplement von C ist Eine IP-Etage zwischen C und VP halte ich für entbehrlich (s. Zimmermann 1987,1988). 2 Inwieweit es angemessen ist, definites und indefinites daß und entsprechendes 0 in C zu unterscheiden, lasse ich dahingestellt Die Frage ist von Belang für die Behandlung faktiver Komplementsatze. Ich verzichte hier auf Spekulationen über ihre Repräsentation auf den Ebenen LF und SF. Die russische Konjunktion Ctoby, prospektives daß, leitet Komplementsätze ein, die Sachverhalte bezeichnen, deren Existenz in der jeweiligen zeitlichen Perspektive noch nicht gegeben, aber in Aussicht genommen ist Das trifft u.a. für Einbettungen in Matrixsätze mit Verben des Wünschens, Fordems, Bittens usw. zu.
115
Rektion. Dabei ist wesentlich, daß nur CP, sein funktionaler Kopf C und die SpecC-Position für Rektion von außen zugängig sind. Für die Satztypselektion durch ein Regens gelten folgende Prinzipien: (4) (5)
Markierte Merkmale in SpecC haben den Vorrang gegenüber Merkmalen in C. Markierte Merkmale in SpecC sind immer von unmarkierten Merkmalen in C begleitet.
6. Jeder Komplementsatz ist in der Argumentstruktur des ihn regierenden Prädikatworts bezüglich seiner Satztypmerkmale adressiert. Negative Spezifizierung aller Satztypmerkmale ist der Defaultfall, bei dem sich die Adresse bei der betreffenden Argumentstelle des Regens erübrigt. Das ist bei allen Prädikatwörtern, die er [NP den Entschluß t/] faßte] [CP, PRO tj zu verlassen ]] c. wen zu verlassen er den Entschluß faßte. (35a) zeigt den klassischen Fall eines Verstoßes gegen den Complex-NP-Constraint (vgl. Abschn. 1.3). Die Ungrammatikalität von (35b) läßt aber darauf schließen, daß nicht allein die Einbettung der infinitivischen CP in die NP, wie in (35a), dafür verantwortlich sein kann, daß Extraktion aus einem (CP-)Komplement einer NP nicht möglich ist, sondern daß es das (CP-) Komplement selbst sein muß, das die Extraktion blockiert.28 Demnach wäre das Komplement der NP - und nicht die komplexe NP, die das Komplement enthält, - ähnlich wie Subjekte und Adjunkte als Insel für Bewegungen aufzufassen. Die Grammatikalität der Rattenfängerkonstruktion in (35c) wäre bei dieser Betrachtung nicht überraschend, sondern zu erwarten: Hier kann angenommen werden, daß keine Extraktion vorliegt, sondern daß das ganze Komplement bewegt worden ist.29 27 [B4]: A. Andersch, Efraim, S.266; Zürich: Diogenes Taschenbuch Bd.20285. 28 Mit der klassischen Subjazenzbedingung läßt sich nur (35a) als SubjazenzVerletzung ableiten (vgl. Anm.6 u. 17). Die Subjazenzbedingung, wie sie im Rahmen der Barrierentheorie formuliert ist, sollte es gestatten auch für (35b) eine Subjazenzverletzung abzuleiten. Zu diesbezüglichen Problemen vgl. Sternefeld (1990:43). 29 Eine Analyse von (35c) als Voranstellung des satzwertigen Infinitivs mit anschließender Extraktion der wPhrase, wie bei den normalen Komplementtypen, ist nicht nur aufgrund von (35a,b) ausgeschlossen, sondern auch aufgrund des Faktums, daß bei NP-Komplementen die Voranstellung nicht möglich ist (vgl. (28a,b)). Daß der o.g. Schluß aus den Daten (35a,b) nicht ganz richtig sein kann, zeigt der Grammatikalitätsunter-
134 2.3 Aufgrund der empirischen Evidenz, daß aus satzwertigen Infinitiven des Subjekt- und des um-losen Adjunkttyps die w-Phrase nicht extrahiert sein kann, ist für die Rattenfängerkonstruktionen in (33) (und (34)) eine Analyse ä la v.Riemsdijk anzunehmen (vgl. Abschn. 1.2). Da komplexe (finite) Verb-End-Sätze wie in (33) (und (34)) als w-Interrogativsätze von Matrixverben wie interessier- oder wiss- eingebettet sind, muß sich in der satzeinleitenden Position dieser Sätze eine Phrase befinden, die die Subkategorisierungsanforderung [+w] erfüllen kann. Wenn die w-Phrase wie in (33) (und (34)) aus der infinitivischen CP nicht extrahiert und in diese Position bewegt werden kann, ist die gesamte infinitivische CP in diese [+w] spezifizierte Position des eingebetteten Satzes zu bewegen. Für die interrogative Rattenfängerkonstruktion in (33a) kann demnach eine Struktur wie (36) angenommen werden: (36) Ich weiß wirklich nicht,... [CP[+w] [CP/ wem blindlings vertraut zu haben] [n> t, den Jungunternehmer ruiniert hat]] Über die interne Struktur der w-bewegten infinitivischen w-CP gibt nach v.Riemsdijk (1985: 78f.) der Grammatikalitätsunterschied in den folgenden Beispielen Aufschluß. (37) a. Stefan will es mit Boris aufnehmen, b. *Stefan will mit Boris es aufnehmen. (38) Ich frage mich,... a. *[CP es mit wem aufnehmen zu wollen] auch für Stefan riskant sein dürfte. b. [CP mit wem es aufnehmen zu wollen] auch für Stefan riskant sein dürfte. Der Abfolgekontrast in (37a,b) illustriert die bekannte Tatsache, daß unbetonte Pronomina bevorzugt eine Position an der Spitze des Mittelfeldes einnehmen, d.h. sie besetzen die Position, die unmittelbar auf die (satzeinleitende(n)) C-Position(en) folgt. Die umgekehrte Grammatikalitätsverteilung in (38a,b) zeigt dann, daß die w-Phrase innerhalb ihrer CP in die satzeinleitende Spec.CP-Position bewegt werden muß.30 Demnach ist davon auszugehen, daß der infinitivischen CP in (38b) die Struktur in (39) zuzuschreiben ist. (39) [CP mit wemi [c1· [n? PRO es ti aufnehmen zu wollen]]] schied bei den folgenden Rattenfängerkonstruktionen: (i) Es ist egal, ...
a. b.
wen zu küssen er den Versuch machte. ??wen zu küssen ihm der Versuch eine Ohrfeige einbrachte.
c. ??wen zu küssen er den Versuch tadelte. Wie die Daten in (i) zu erklären sind, muß hier offen bleiben; für einen Erklärungsversuch vgl. Staudacher (1990). 30 Der Abfolgekontrast in (38a,b) als Evidenz für interne w-Bewegung hält natürlich nur in den Fällen stand, wo es sich bei der infiniüvischen CP, wie hier, um ein Subjekt oder Adjunkt handelt. Ist die CP ein Komplement, zeigt der Kontrast zwischen (i) und (ii): (i) *es mit wem aufnehmen zu wollen er versucht hat (ü) mit wem es aufnehmen zu wollen er versucht hat nur, daß w-Bewegung erfolgen muß, nicht aber, ob die Bewegung in die satzeinleitende Position des finiten Matrixsatzes, oder in die der infinitivischen CP erfolgt ist, wie Grewendorf (1986) und Haider (1985) bemerken.
135 Daß es sich bei den Rattenfängerkonstruktionen mit satzwertigen Infinitiven des Subjekt- und des um-losen Adjunkttyps um Fälle von CP-Pied-Piping handelt, bleibt nicht ohne Folgen für die Annahmen bezüglich (i) der Restriktionen, denen die w-Bewegung unterliegt, und (ii) der Struktur satzwertiger Infinitive. Aus der Existenz infinitivischer CPs mit einer w-Phrase in satzeinleitender Position folgt erstens, daß die in (1) formulierte Beschränkung, eine w-Phrase könne nur in die satzeinleitende Position eines finiten Satzes bewegt werden, zu revidieren ist.3l Zweitens sind die Annahmen, die zu der Generalisierung (4) führten, infrage zu stellen, denn nach diesen Annahmen müßte die Struktur (39) aufgrund des DFC-Filters ausgeschlossen sein. Die Grammatikalität dieser Struktur bei der Rattenfängerkonstruktion widerlegt jedoch die Annahme, daß bei infinitivischen CPs die C-Position mit einem leeren Komplementierer besetzt sei. Und drittens verlangt ein altes Problem nach einer neuen Erklärung: (40) *Ich weiß nicht, was zu tun. Damit nicht genug: Die empirische Evidenz, daß infinitivische w-CPs zur Bildung eines w-Interrogativsatzes via w-Bewegung in die satzeinleitende Position ihres jeweiligen Matrixsatzes bewegt werden können, läßt erwarten, daß auch die w-Bewegung solcher CPs in die satzeinleitende Position eines Verb-Zweit-Matrixsatzes zu einem grammatischen Interrogativsatz führt. Diese Konsequenz der CP-Pied-Piping-Analyse führt jedoch zu einem weiteren Problem: VerbZweit-Sätze mit einer infinitivischen w-CP in satzeinleitender Position werden von Sprechern im Vergleich zur eingebetteten Rattenfängervariante als wesentlich weniger akzeptabel beurteilt, wenn sie als w-Interrogativsätze verstanden werden sollen, vgl. (41).32 (41) a. ??Wem vertraut zu haben hat Hans finanziell ruiniert? b. ??Wen zu treffen muß Max morgen nach Paris fahren? Der deutliche Grammatikalitätsunterschied zwischen den w-interrogativen Verb-Zweit-Sätzen in (41) und den Verb-End-Sätzen wie z.B. in (38b) legt die Vermutung nahe, daß (i) die satzeinleitenden Positionen, in die die w-CPs zu bewegen sind, bei Verb-End- und Verb-Zweit-Sätzen von unterschiedlicher Natur sind, und daß (ii) darin die Ursache für die Beschränkungen zu sehen ist, denen w-Phrasen, die von einem satzwertigen Infinitiv abhängig sind, unterliegen. Nebenbei bemerkt: Daß die Sätze in (41) als Echo-w-Sätze akzeptabel sind, tut hier nichts zur Sache. Insbesondere ist die akzeptable Echo-Lesart irrelevant für den Vergleich Verb-Endvs. Verb-Zweit-Sätze (bei interrogativer Lesart), da Echo-w-Phrasen sich dadurch auszeichnen, daß sie nicht in der satzeinleitenden Position von (finiten) Verb-End-Sätzen auftreten können; 31 An die Existenz der w-CPs knüpfen sich zwei weitere Konsequenzen, die hier nicht erörtert werden können: Wie v.Riemsdijk (1985:80f.) bemerkt, sollte zum einen die w-Phrase bei (komplexen) infinitivischen CPs extrahiert sein können (i), und zum anderen sollte CP-Pied-Piping iterativ auftreten können (ii):
(i) Ich frage mich, wem sich zu getrauen, die Meinung zu sagen Hans einfach der Mut fehlt (ii)
Es würde mich interessieren, wem zu helfen dir Mühe zu geben dir überhaupt keinen Spaß macht
32 Diese Konsequenz der CP-Pied-Piping-Analyse wird auch in Grewendorf (1986) und Haider (1985) als problematisch angesehen. Beispiele wie in (41) werden von Grewendorf und Haider besternt
136
d.h. bei den hier infrage stehenden Rattenfängerkonstruktionen kann es sich grundsätzlich nicht um Echo-w-Sätze handeln.33
3.
w-Phrasen in C: eine Lösung?
3. l Die Annahme, daß sich w-Phrasen in eingebetteten w-Interrogativsätzen in einer anderen Position befinden als in Verb-Zweit-Sätzen, ist nicht neu. Wie Reis (1985) gezeigt hat, weisen w-Phrasen in Verb-End-Sätzen spezielle Eigenschaften auf, die auch lexikalischen Komplementierern eigen sind, und die adäquat beschrieben werden können, wenn man annimmt, daß (i) w-Phrasen in Verb-End-Sätzen in der S-Struktur dieselbe Position einnehmen wie lexikalische Komplementierer und daß (ii) diese Position bei Verb-End-Sätzen identisch ist mit der Finitumsposition in Verb-Zweit-Sätzen. Die folgenden aus Reis (1985) entnommenen Beispiele illustrieren die relevanten Eigenschaften. (42) a. Weiß der Himmel, wie man diese Fakten erklären kann, b. * Weiß der Himmel, wie kann man diese Fakten erklären. (43) a. weilste/obste/daßte endlich kommst; b. warumste/ wärmste kommst; Aus dem Faktum, daß eingebettete w-Interrogativsätze nur als Verb-End-Sätze grammatisch sind (42), kann geschlossen werden, daß w-Phrasen, wenn sie einen (finiten) Verb-End-Satz einleiten, ebenso wie Komplementierer die Verb-Zweit-Bewegung des Finitums deshalb verhindern, weil sie die Position, in die das Finitum zu bewegen wäre, bereits besetzen. Die Beispiele in (43) bestätigen ebenfalls die oben angeführten Annahmen, da sie zeigen, daß w-Phrasen und Komplementierer z.T. Flexionsmorpheme aufweisen, und zwar in der 2.Pers.Sg. bei gleichzeitig enklitisch verschmelzendem Personalpronomen du; d.h. sie weisen ein Merkmal auf, das die finiten Verbformen auszeichnet. Im Zusammenhang mit der Untersuchung von ECP-Phänomenen im Englischen und Deutschen im Rahmen der Barrierentheorie vertritt Bayer (1989) ebenfalls diese Auffassung. Für die Erklärung von Unterschieden bei w-Insel-Beschränkungen nimmt er an, daß im Deutschen Komplementierer und w-Phrasen I(NFL)-Merkmale realisieren und die C-Position, die für die-
33 Daß der Abfolgekontrast der Rattenfängerkonstruktionen in (38) in der Echo-Verb-Zweit-Variante nicht auftritt, vgl.: (0 [CPtC'flP m·1 wem aufnehmen zu wollen]]] dürfte auch für Stefan zu riskant sein? (ü) [CP mit w6m [c'tip es aufnehmen zu wollen]]] dürfte auch für Stefan zu riskant sein? erklärt sich aus den Eigenschaften der w-Phrasen in Echo-w-Sätzen. Nach Reis (1990) verhalten sich diese syntaktisch wie [-w]-Phrasen; insbesondere müssen sie nicht w-bewegt werden, wie in (i), sie können jedoch in allen für [-w]-Phrasen in der S-Struktur zugänglichen XP-Positionen aller Satztypen auftreten. Daß die Echo-w-Phrase in (ii) in einer für XPs zugänglichen S-Struktur-Position steht, zeigt ja die grammatische Struktur in (39).
137
se Merkmale spezifiziert ist, in (finiten) Verb-End-Sätzen besetzen.34 Er führt zusätzlich zu den von Reis (1985) gemachten Beobachtungen als weitere Evidenz an, daß im Bairischen, das obligatorische Flexion von Komplementierern in der 2.Pers.Sg. und Pl. ohne Klitisierung des pronominalen Subjektes aufweist, nicht nur pronominale, sondern auch komplexe w-Phrasen (in Verb-End-Sätzen) Flexionsmorpheme aufweisen; vgl. das aus Bayer (1989) entnommene Beispiel in (44): (44) a. Ea hot g'frogt [[wos fia Schuach]-st [du o:ziag-st]] b. Ea hot g'frogt [[wos fia Schuachj-ts [e:s o:ziag-ts]] Konsequenterweise wird eingebetteten w-Interrogativsätzen eine S-Struktur zugeschrieben, bei der sich die w-Phrase in der C-Position befindet und die nicht über eine Spec.CP-Position verfügt, wie in (45).35 (45) Ich weiß nicht [c" in wenj [n> er sich tj verliebt hat]] Bayer muß allerdings zusätzliche Bedingungen einführen, die es ihm gestatten, bei eingebetteten w-Interrogativsätzen von S-Strukturen wie in (45) auszugehen. Er muß zunächst eine Bedingung angeben, die es ermöglicht, maximale Projektionen, wie die w-Phrase, in eine für Elemente der Kategorie XO vorgesehene Position zu bewegen, unter Berücksichtigung des für diese Bewegung geltenden "Head-Movement-Constraint" (HMQ.36 Bayer (1989:30) führt dazu die "Bedingung der C-Realisierung" ein: (46) (i) Wenn die C-Position nicht von einem lexikalischen Komplementierer auf der DStruktur besetzt wird, ist C derivationell durch ein [+1] markiertes Verb oder durch eine [+w] markierte Phrase zu besetzen. (ii) [+w] markierte Elemente gelten aufgrund ihres w-Merkmals als Kopf-Kategorien hinsichtlich des HMC. Teil (i) der Bedingung (46) gewährleistet die Bewegung der w-Phrase in die C-Position in finiten Verb-End-Interrogativsätzen, Teil (ii) der Bedingung besagt im Prinzip, daß die Kopf-Position nur sensitiv ist für das erforderliche Merkmal und nicht für die Kategorie des Elementes, das dieses Merkmal trägt. Eine weitere zusätzliche Bedingung ist nötig, um zu ermöglichen, daß w-Interrogativsätze mit einer S-Struktur wie in (45) auch als solche interpretiert werden können. Die Voraussetzung für die Interpretation von eingebetteten w-Interrogativsätzen ist - im Gegensatz zu interrogativen Verb-Zweit-Sätzen - auf der S-Struktur nicht gegeben, da sich die w-Phrase auf dieser Ebene der Ableitung nicht in der für die Interpretation erforderlichen Operatoren34 Daß die C-Position in finiten CPs für I-Merkmale spezifiziert ist, ist Voraussetzung dafür, daß das Finitum in Verb-Zweit-Sätzen von V über I in die C-Position bewegt werden kann. 35 Die Annahme einer S-Struktur wie in (45) setzt voraus, daß ein subkategorisiertes CP-Komplement mit einer Projektion der Stufe C'' identifiziert werden kann; vgl. hierzu Haider (1988). 36 Der HMC besagt im wesentlichen, daß ein Element der Kategorie XO nur dann in eine Kopf-Position bewegt werden darf, wenn YO die maximale Projektion von XO regiert (vgl. Chomsky 1986:4,71). Der typische Fall von Kopf-zu-Kopf-Bewegung ist die Verb-Zweit-Bewegung des Finitums.
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Position befindet.37 Bayer nimmt deshalb an, daß die w-Phrase in der C-Position auf der LF aus dieser Position heraus in eine Operatoren-Position bewegt werden kann, und führt die folgende "Bedingung der w-Interpretation" ein (Bayer 1989:31), die diese LF-Bewegung ermöglicht.3^ (47) Eine w-Phrase, die die C-Position aufgrund der Bedingung (46) realisiert, realisiert eine Operatoren-Position auf LF. 3.2 Die Annahme von Bayer, daß w-Phrasen I-Merkmale realisieren, und die damit verbundenen Bedingungen der C-Realisierung und der w-Interpretation eignen sich als Voraussetzung, um die fraglichen Fälle von w-Interrogativsätzen mit w-Phrasen in satzwertigen Infinitiven in (48) zu erklären. (48) a. *Ich weiß nicht, [ was zu tun] b. Ich frage mich, [ wem vertraut zu haben ] Hans finanziell ruiniert hat c. ??[Wem vertraut zu haben ] hat Hans finanziell ruiniert? Daß es im Deutschen keine infinitivischen w-Interrogativsätze wie in (48a) gibt, ist darauf zurückzuführen, daß die C-Position von infinitivischen CPs nicht für I-Merkmale spezifiziert ist Ergo können w-Phrasen (und Komplementierer), die I-Merkmale realisieren, diese Position nicht besetzen.39 Das bedeutet, daß sich die Merkmale [+w] für Interrogativsätze und [-fin] für satzwertige Infinitive bezüglich der Merkmalszuweisung, die an den Kopf einer maximalen Projektion erfolgt, gegenseitig ausschließen. M.a.W.: Eine infinitivische CP kann per se kein interrogativer Komplementsatz sein. Diese Konsequenz ist für die komplexen w-Interrogativsätze in (48b,c) insofern von Bedeutung, als die infinitivische w-CP, die in beiden Fällen die satzeinleitende Position des Matrixsatzes besetzt, auf der Repräsentationsebene der S-Struktur eine interne Struktur aufweist, bei der der (C-)Kopf mit dem Merkmal [-fin] spezifiziert ist, während die Spec.CP-Position mit einer w-Phrase besetzt ist. Kopf und Spec (-Position) einer maximalen Projektion müssen jedoch, entsprechend der Anforderung des "Spec-Head-Agreement" nach Chomsky (1986), bezüglich der dem Kopf via Subkategorisierung zugewiesenen Merkmale übereinstimmen. Diese Übereinstimmung der Merkmale muß auf LF gegeben sein, da Subkategorisierungsmerkmale auf dieser Repräsentationsebene überprüft werden. Unter Berücksichtigung dieses Spec-Head-Agreement erklärt sich die unterschiedliche Grammatikalität der (finiten) w-Interrogativsätze in (48b,c) unter der Voraussetzung der 37 w-Phrasen in der Spec.CP-Position in interrogativen Verb-Zweit-Sätzen befinden sich bereits in der S-Struktur in der (LF-) relevanten Operatorenposition. Wenn der Verb-Zweit-Satz nur eine w-Phrase (in der Spec.CPPosition) aufweist, ist die S-Struktur mit der LF identisch. 38 Für die Annahme, daß w-Bewegung in eine Operatoren-Position auf LF unabhängig von einer s-strukturellen Spec.CP-Position applizieren kann, führt Bayer (1989:30) die LF-Bewegung von w-Phrasen an, die in multiplen w-Fragen auf der S-Struktur in situ stehen. 39 Bayer (1989:29) nimmt fürs Englische an, daß weder Komplementierer noch w-Phrasen I-Merkmale realisieren und die C-Position in dieser Hinsicht neutral ist
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Annahmen von Bayer folgendermaßen. Der Rattenfängerkonstruktion in (48b) ist eine S-Struktur wie in (49) zuzuschreiben. (49) Ich frage mich, tC' tCP, wemi tc'Irp PRO tj vertraut zu haben]]] [n> t/Hans finanziell ruiniert hat]] In (49) befindet sich die infinitivische w-CP in der C-Position des (via Subkategorisierung durch frag- [+w] spezifizierten) finiten Komplementsatzes. Aufgrund der I-Merkmalsrealisierung von w-Phrasen muß angenommen werden, daß es sich bei der infinitivischen w-CP nicht um eine komplexe w-Phrase handeln kann.40 Damit ist (49) mit Bayers Bedingung der CRealisierung in (46) nicht mehr kompatibel: Die C-Position wird in (49) nicht durch eine (komplexe) w-Phrase (= CP/) realisiert, sondern durch eine w-Phrase, die sich in der Spec.CPPosition der infinitivischen CPy befindet, die die C-Position besetzt. Dabei wird die interne Struktur der infinitivischen CP/ durch die Bedingung (46) nicht tangiert, da die CPy vom Matrixverb ruinier- abhängig ist, das der C-Position das Merkmal [-fin] zuweist. Dieses Merkmal schließt die Besetzung der Spec.CP-Position durch die w-Phrase auf der Ebene der SStruktur nicht aus. Die interne w-Bewegung wird, wie jede w-Bewegung, durch das [+w] Merkmal in der C-Position des finiten Komplementsatzes ausgelöst, das die w-Phrase attrahiert.41 Das Besondere der w-Bewegung in (49) ist der Pied-Piping-Effekt, aufgrund dessen die gesamte infinitivische CPy als Konstituente ausgewiesen ist, die zur Besetzung der C-Position des (finiten) Verb-End-Satzes zur Verfügung steht. Das Problem, das (49) für die Analyse unter Bayers Annahmen aufwirft, nämlich daß die CPosition realisiert wird durch eine w-Phrase, die sich in der Spec,CP-Position der infinitivischen CPj befindet, die die C-Position besetzt, läßt sich unter einer geeigneten Interpretation des Teils (ii) der Bedingung (46) beseitigen: Teil (ii) der Bedingung (46) ist dahingehend zu interpretieren, daß ein [+w] Merkmal, das aufgrund seiner Eigenschaft als Kopfmerkmal eine Phrase zur Bewegung in die C-Position qualifiziert, für den HMC auch sichtbar sein muß. Wird in einer engeren Auslegung von (46)(ii) davon ausgegangen, daß das relevante w-Merkmal dann sichtbar ist, wenn es sich am Kopf der (in die C-Position) zu bewegenden Phrase befindet, so ist nun zu fordern, daß die Sichtbarkeit des w-Merkmals bezüglich des HMC auch dann gegeben ist, wenn sich das w-Merkmal in der Spec-Position dieser Phrase befindet D.h. sichtbar im Sinne des HMC muß ein w-Merkmal sowohl am Kopf als auch in der Spec-Position der in die C-Position zu bewegenden maximalen Projektion sein. Läßt man diese Interpretation der Sichtbarkeit eines w-Merkmals bezüglich des HMC zu, so reicht die Modifikation (46') der Bedingung (46) von Bayer aus, um die Besetzung der C-Position durch die infinitivische w-CP in (49) abzuleiten:
40 Auf diese Konsequenz der I-Merkmalsrealisierung von w-Phrasen wird in Abschn. 3.3 ausführlicher eingegangen. 41 Es ist zu beachten, daß die interne w-Bewegung der w-Phrase auch deshalb in die Spec.CP-Posiüon erfolgen muß, weil aufgrund der I-Merkmalsrealisierung von w-Phrasen die Bewegung an den (C-)Kopf der infinitivischen CP ausgeschlossen ist.
140
(46') (i) Wenn die C-Position nicht von einem lexikalischen Komplementierer auf der DStruktur besetzt wird, ist C derivationell durch ein [+1] markiertes Verb oder durch eine Phrase, die ein bezüglich des HMC sichtbares w-Merkmal aufweist, zu besetzen. (ii) [+w] markierte Elemente gelten aufgrund ihres w-Merkmals als Kopf-Kategorien hinsichtlich des HMC. Maximale Projektionen, die ein w-Merkmal an ihrem Kopf aufweisen, erfüllen (46')(i) trivialerweise. Die infinitivische w-CP in (49) erfüllt die Bedingung (46')(i) dadurch, daß die relevante w-Phrase in der Spec-Position der infinitivischen C-Projektion ein für den HMC sichtbares w-Merkmal aufweisL42 Die Voraussetzung für die Wirksamkeit der Bedingung der w-Interpretation (47) ist - mit der Modifikation (46') - in der S-Struktur (49) gegeben: Eine w-Phrase realisiert aufgrund der Bedingung (46') die C-Position des finiten Verb-End-Satzes. Diese w-Phrase muß gemäß (47) auf LF eine Operatoren-Position realisieren, d.h. daß auf LF der finite Matrixsatz über eine Spec, CP-Position verfugt, und die w-Phrase in diese Position bewegt werden kann.43 Damit ist die Voraussetzung für die korrekte Interpretation des Satzes gegeben. Die Rattenfängerkonstruktion in (49) hat auf LF die Struktur (50):44 (50) Ich frage mich, [CP wem} [ctcPy *i' fc'tlP PRO *i vertraut zu haben]]] [n? ty Hans finanziell ruiniert hat]]] Hinsichtlich des Erfordernisses, daß die jeweiligen Spec.CP- und C-Positionen in ihren Merkmalen übereinstimmen müssen, ist der Satz, wie die LF-Struktur in (50) zeigt, ebenfalls wohlgeformt. Die infinitivische CP/ erfüllt dieses Erfordernis, da auf LF die w-Phrase sich nicht in der Spec,CP-Position befindet, und die finite CP weist ebenfalls Merkmalsübereinstimmung auf, da die w-Phrase in die Spec.CP-Position des (finiten) Verb-End-Satzes bewegt wurde. Für die Ableitung des Verb-Zweit-Satzes mit der w-CP in satzeinleitender Position in (48c) sind die Bedingungen (46') und (47) natürlich irrelevant. Der Satz hat die folgende S-Struktur, die mit der LF-Struktur identisch ist:45 (51) [CP [CP, Wem, [c'tip PRO t; vertraut zu haben]]] [c* hatk [n» t/ Hans finanziell ruiniert Für den deutlichen Grarnmatikalitätsunterschied zwischen der Rattenfänger- und der Verb42 Dies bedeutet zumindest für infinitivische C-Projektionen, daß nur intern (in die Spec.CP-Position) bewegte w-Phrasen für den HMC sichtbar sein können. Ob Spec-Positionen anderer maximaler Projektionen in dieser Hinsicht relevant sein können, muß hier offenbleiben. 43 Die infinitivische w-CP, die in (49) die C-Position besetzt, ist nicht die w-Phrase, die die C-Position aufgrund ihres w-Merkmals realisiert, und damit gemäß (47) auf LF der Bewegung in eine Operatorenposiüon unterworfen ist Damit ist sichergestellt, daß die Bewegung in eine Operatorenposiüon auf LF nicht die gesamte infinitivische w-CP betrifft. 44 Die w-Bewegung der w-Phrase auf LF unterliegt nicht der Subjazenzbedingung bzw. dem CED, und steht daher nicht im Widerspruch zu der Extraktionsbedingung (15). 45 Vgl. Anm.37.
141 Zweit-Variante kann nicht die w-Bewegung verantwortlich sein, denn die w-Bewegung ist in beiden Fällen gleich: Das [+w] Merkmal in der jeweiligen satzeinleitenden Position (des finiten Matrixsatzes) attrahiert die w-Phrase in der infinitivischen CP und erzwingt die interne w-Bewegung und die w-Bewegung der infinitivischen CP. Der Grammatikalitätsverlust der Verb-Zweit-Variante ist dadurch bedingt, daß der Satz auf LF nicht wohlgeformt ist: Wie (51) zeigt, stimmen bei der infinitivischen CP/ bezüglich des relevanten (Subkategorisierungs-)Merkmals Spec,CP- und C-Position nicht überein. Die wPhrase kann in diesem Fall auf LF nicht aus der Spec,CP-Position (der infinitivischen CP/) herausbewegt werden, da (i) auf LF nur die Spec.CP-Position des finiten Matrixsatzes als relevante Operatorenposition zur Verfügung steht, und (ii) diese bereits mit der infinitivischen CP/ besetzt ist.4« Für die Erklärung der w-Bewegungsphänomene bei satzwertigen Infinitiven bewährt sich die von Bayer gemachte Annahme, daß w-Phrasen (ebenso wie Komplementierer) I-Merkmale realisieren. Bleibt noch die Konsequenzen zu erörtern, die sich darüberhinaus hinsichtlich (i) der Eigenschaften infinitivischer w-CPs und (ii) der für w-Bewegung geltenden Restriktionen ergeben. 3.3 Vorauszuschicken ist, daß sich die hier zugrundegelegte Annahme von Bayer nur unter den Voraussetzungen aufrecht erhalten läßt, daß (i) Verb-Zweit- und (finite) Verb-End-Sätze ebenso wie satzwertige Infinitive Projektionen der funktionalen Kategorie C(OMP) sind, und daß (ii) die C-Position in finiten C-Projektionen, im Gegensatz zu infinitivischen CPs, für IMerkmale spezifiziert ist.47 Die Realisierung von I-Merkmalen bei w-Phrasen hat zur Folge, daß die grammatischen infinitivischen w-CPs in der Rattenfängerkonstruktion grundsätzlich nicht als komplexe w-Phrasen der Kategorie CP aufzufassen sind. Für komplexe w-Phrasen ist konstitutiv, daß sich das [+w] Merkmal des jeweiligen w-Lexems auf die maximale (n) Projektion(en) überträgt, in die das w-Lexem eingebettet ist, wie z.B. in (52) illustriert. (52) [pp[+w] mit [DP[+W] wessen [NP Freundin]]] Merkmale von "Nicht-Köpfen", d.h. von Konstituenten in Spec- oder KomplementPositionen, können sich jedoch nur dann auf die maximale Projektion übertragen bzw. an diese perkolieren, wenn der Kopf der maximalen Projektion für diese Merkmale unspezifiziert ist.4** Da der (C-)Kopf einer infinitivischen CP das Merkmal [-fin] aufweist und dadurch hinsichtlich der von w-Phrasen realisierten I-Merkmale nicht unspezifiziert, sondern vielmehr negativ spezifiziert ist, kann ein [+w] Merkmal eines w-Lexems nicht auf eine infinitivische CP 46 Der finite Matrixsatz unterliegt nicht dem Erfordernis der Merkmalsübereinstimmung, da davon auszugehen ist, daß uneingebettete Verb-Zweit-Sätze syntaktisch nicht subkategorisiert sind. 47 Geht man z.B. davon aus, daß im Deutschen Verb-Zweit-Sätze Projektionen der funktionalen Kategorie I(NFL) sind, ist es fraglich, ob die C-Position in finiten Verb-End-Sätzen für I-Merkmale spezifiziert sein muß. 48 Vgl. Cowper (1987).
142 übertragen werden;49 d.h., im Deutschen ist eine komplexe w-Phrase mit einer Struktur wie in (53) unzulässig. (53) *[CF[+w] [XPj[+w] ...[+w] ...][c'[-fin] [iP -«..·]]] Wenn infinitivische w-CPs wie in (48 b) im Deutschen als komplexe w-Phrasen zulässig wären, dürfte zum einen der Grammatikalitätsunterschied zwischen Verb-End- und VerbZweit-Sätzen (auch bei unterschiedlicher satzeinleitender Position) nicht auftreten, und zum anderen wäre zu erklären, warum nur infinitivische w-CPs und nicht auch finite w-CPs als komplexe w-Phrasen auftreten können; vgl. (54). (54) *Ich frage mich, [wem du vertraut hast] dich ruiniert hat. Dieser Konsequenz der I-Merkmalsrealisierung von w-Phrasen wird bei der Ableitung der grammatischen Rattenfängerkonstruktion, wie im vorhergehenden Abschnitt dargelegt, Rechnung getragen.50 Als eine weitere Konsequenz ist anzuführen, daß es sich nach den hier vorausgesetzten Annahmen bei Rattenfängerkonstruktionen wie in (48b) um ein ähnliches Phänomen handelt, wie bei Konstruktionen mit skopusindizierendem was; vgl. (55).51 (55) Was glaubst du, in wen sich Hans verliebt hat? Bei dieser Konstruktion ist auf der S-Struktur ebenfalls die w-Phrase in wen in einer (satzeinleitenden) Position, die aufgrund der Subkategorisierung durch glaub- nicht für das Merkmal [+w] spezifiziert ist. Die Grammatikalität des Satzes erklärt sich - ebenso wie bei der Rattenfängerkonstruktion in (49b) - dadurch, daß die w-Phrase des eingebetteten Satzes auf LF in die relevante (Spec.CP-) Operatorenposition des übergeordneten Matrixsatzes bewegt wird und somit die Subkategorisierungsanforderung [-w] an den eingebetteten Satz auf LF wieder erfüllt ist.52 Abschließend sind die Restriktionen zu formulieren, denen w-Phrasen bezüglich der syntaktischen w-Bewegung zur Bildung eines w-Interrogativsatzes unterliegen, die von satzwertigen Infinitiven (des Subjekt- und des um-losen Adjunkttyps) abhängig sind: Eine w-Phrase kann via interne w-Bewegung auf der S-Struktur die Spec,CP-Position der infinitivischen CP besetzen, wenn (i) die infinitivische (w-)CP selbst die [+w] spezifizierte satzein49 In dieser Hinsicht ist die Analyse der Rattenfängerkonstruktion von v.Riemsdijk zu kritisieren: Für die Herleitung der erforderlichen Operatoren-Variablen-Struktur auf LF nimmt er an, daß das [+w] Merkmal der wPhrase, die sich (auf der S-Struktur) in der Spec.CP-Position der infinitivischen CP befindet, an die maximale (C-)Projektion perkolieren kann; vgl. v.Riemsdijk (1985:88f.). 50 Ob bei dieser Ableitung der Rattenfängerkonstruktion der Verbleib der infinitivischen CP auf LF in der CPosition des fmiten Matrixsatzes (vgl. (50)) ein Problem darstellen könnte, muß hier offen gelassen werden. 51 Auf diese Ähnlichkeit hat bereits v.Riemsdijk (1985:89f.) hingewiesen. 52 Bei skopusindizierender vvos-Konstruktion wird angenommen, daß der Skopusmarkierer was, der keine eigenständige lexikalische Bedeutung hat, auf der S-Struktur den Skopus der w-Phrase im eingebetteten Satz markiert.
143
leitende Position des finiten Matrixsatzes (via w-Bewegung) einnimmt, und (ii) dieser Matrixsatz auf LF über eine (Spec,CP-)Operatorenposition verfügt, und (üi) diese Operatorenposition von der w-Phrase via LF-(w-)Bewegung besetzt werden kann. Bezüglich der Eigenschaften der Struktur satzwertiger Infinitive ist demnach davon auszugehen, daß satzwertige Infinitive über eine Spec,CP-Position verfügen, die auf der S-Struktur grundsätzlich besetzbar ist, und insbesondere von einer w-Phrase besetzt werden kann, wenn die oben formulierten Bedingungen (i}-(iii) erfüllt sind.
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Zum relativen Skopus von w- und Q-Phrasen (w/Q-Interaktion) Jürgen Pafel, Tübingen
Untersucht werden die Bedingungen, unter denen Sätze mit einer w- und einer Q-Phrase skopuseindeutig bzw. skopusambig sind. Es zeigt sich, daß es von einer Reihe von Faktoren, nicht alleine von den K-Kommandoverhältnissen abhängt, ob die Sätze eindeutig oder ambig sind. Dabei scheint es sich um dieselben Faktoren zu handeln, durch die der relative Skopus von Q-Phrasen untereinander determiniert wird. Es ergibt sich, daß wPhrasen nicht generell als indefinite NPs behandelt werden können.
1. Ist die w/Q-Interaktion ein Fall von Quantoreninteraktion? Den Satz 1l)
Welche Aufgabe hat jeder gelöst?
kann man als Aufforderung verstehen, die Aufgabe zu nennen, von der gilt, daß jeder sie gelöst hat Die Antwort könnte beispielsweise lauten: "Die Aufgabe, in der nach den De Morganschen Gesetzen gefragt wurde".* Neben dieser NICHT-DISTRIBUTIVEN Lesart hat der Satz (1) die weniger dominante DISTRIBUTIVE Lesart, die man folgendermaßen paraphrasieren kann: "Sag mir von jedem, welche Aufgabe er gelöst hat!" Darauf könnte man zum Beispiel antworten: "Maria hat die erste, Peter die zweite und Johanna die dritte Aufgabe gelöst". Aber es ist auch eine Antwort möglich der Art: "Die Aufgabe, die ihm am leichtesten gefallen ist". Bei dem Satz (2)
Welche Note hat jeder bekommen?
scheint es die distributive Lesart zu sein "Sag mir von jedem, welche Note er bekommen hat!", die näher liegt als die nicht-distributive "Von welcher Note gilt, daß jeder sie bekommen hat?". Auch eingebettete w-Interrogativsätze weisen diese Ambiguität auf: (3)
a. Ich möchte wissen, welche Aufgabe jeder gelöst hat. b. Ich möchte wissen, welche Note jeder bekommen hat.
Diese Ambiguität, die besonders anhand englischer Sätze wie Which language does everyone * Ich bedanke mich für Diskussion bei Marga Reis und den Mitarbeiter/innen am SFB-Projekt "w-Interrogativsaizbildung" sowie bei Tilman N. Höhle und den Teilnehmer/innen an der DGfS-Arbeitsgruppe "Fragen und Fragesätze" und am SFB-Kolloquium Stuttgart/Tübingen. Besonderen Dank an alle, die mir mit ihrem Sprachgefühl geholfen haben, im Reich der möglichen Skopuslesarten nicht völlig die Orientierung zu verlieren.
146 here know, Who did everyone see, Which grade does every student deserve und Which professor recommends each candidate diskutiert wurde, wird oft als Skopusambiguität beschrieben:! Da mit der Q(uantorcn)-Phrase und der w-Phrase zwei Ausdrücke mit Skopus vorkommen, ergeben sich zwei mögliche relative Skopusbeziehungen - bei der nicht-distributiven Lesart hat die w-Phrase Skopus über die Q-Phrase, bei der distributiven Lesart hat die Q-Phrase Skopus über die w-Phrase. Für diese Sicht der Ambiguität als einer Skopusambiguität scheint das Faktum zu sprechen, daß sowohl die w-Phrase wie die Q-Phrase ein Pronomen binden kann, das Teil des anderen Ausdrucks ist: (4)
a. Welche Aufgabe hat jeder, der sie gestellt bekam, gelöst. b. Welche von den Aufgaben, die er gestellt bekam, hat jeder gelöst
In (4a) bindet welche Aufgabe das Pronomen sie, in (4b) bindet jeder das Pronomen er. Doch eine der interessanten Fragen, die die w/Q-Interaktion aufwirft, ist die Frage, ob es sich wirklich um eine Skopusambiguität handelt. Engdahl (1986:IV.4.2) schlägt ein Verfahren vor, das distributive Lesarten bei weitem Skopus der w-Phrase möglich macht, das in Fällen wie (4b) die Bindung des Pronomens durch jeder erlaubt, obwohl jeder im Skopus der w-Phrase steht. Für Groenendijk/Stokhof (1982:6.1) handelt es sich bei der w/Q-Interaktion nicht um eine Quantoreninteraktion, da w-Phrasen ihrer Meinung nach keine quantifikationellen Ausdrücke sind (1982:205). Ich werde mich der Frage, ob es sich bei der w/Q-Interaktion um einen Fall von Quantoreninteraktion handelt, nähern über die Untersuchung der Bedingungen, unter welchen w-Interrogativsätze mit einer w- und einer Q-Phrase (im Deutschen) beide zur Debatte stehenden Lesarten aufweisen und unter welchen nur eine der beiden Lesarten auftritt.^ Es werden dabei in einem ersten Schritt sieben Größen benannt, die auf die Lesartenmöglichkeiten Einfluß nehmen (Teil 2). Es werden Theorien der w/Q-Interaktion (insb. May 1985) darauf hin geprüft, wie gut sie den in Teil 2 eruierten Fakten gerecht werden (Teil 3). In einem zweiten Schritt wird gezeigt, daß - bis auf eine triviale Ausnahme - die Größen, die auf die w/Q-Interaktion Einfluß ausüben, auch auf den relativen Skopus von Q-Phrasen untereinander (Q/Q-Interaktion) Einfluß ausüben (Teil 4). Damit ist der Punkt erreicht, wo sich die Folgerung aufdrängt, daß wir es bei der w/Q-Interaktion mit einem Spezialfall von Quantoreninteraktion zu tun haben. In einem dritten Schritt werden die Faktoren dargestellt, die sich hinter den auf die Quantoreninteraktion Einfluß nehmenden Größen verbergen könnten (Teil 5). Dabei zeigt sich, daß einiges dafür spricht, die w/Q-Interaktion als einen trivialen Spezialfall von Quantoreninteraktion zu betrachten, und vieles dagegen, w-Phrasen generell als indefinite NPs zu behandeln (Abschnitt 5.3). 1
S.: Keenan/Hull (1973:445f.); Karttunen (1977:2.12); May (1977:2.4); Hirschbühler (1978:11.2.2.1); Bennett (1979); Karttunen/Peters (1980:2); Belnap (1982); Haik (1984); May (1985:11); Hoji (1986); May (1988); Williams (1988).
2 May (1977,1985) scheint sich als einer der ersten mit dem Phänomen auseinandergesetzt zu haben, daß nicht immer beide Lesarten möglich sind.
147
2. Sieben die w/Q-Interaktion beeinflussende Größen Die folgenden sieben Größen haben einen Einfluß auf die w/Q-Interaktion: Die Betonung, die grammatische Funktion von w- und Q-Phrase, die Art des Q-Elements der Q-Phrase, die Art des w-Elements der w-Phrase, die "Struktur" der w-Phrase, die Art des Prädikats sowie das Vorkommen von Fragmenten der satzinitialen w-Phrase im Mittelfeld. Eine negative Größe ist die Einbettung: Ob ein w-Interrogativsatz eingebettet ist oder nicht, hat keine Auswirkung auf die Möglichkeit der uns interessierenden Lesarten.
2.1
Betonung
Die Sätze (1) und (2), so haben wir gesagt, sind ambig. Dies gilt es nun zu präzisieren. Wenn kein Wort besonders betont wird, ist die distributive Lesart sehr dominant. Ganz anders ist dies, wenn wir das w-Element und das Q-Element betonen. Dann sind die Sätze eindeutig nicht-distributiv (auch bei steigender Intonation auf welche und fallender auf jeder): (5)
a. WELCHE Aufgabe hat JEDER gelöst, (nicht-distributiv)! b. WELCHE Note hat JEDER bekommen, (nicht-distributiv)
Wie man an (6) sieht, ist es die Betonung von jeder, die für die Eindeutigkeit verantwortlich ist: (6)
a. Welche Aufgabe hat JEDER gelöst, (nicht-distributiv) b. Welche Note hat JEDER bekommen, (nicht-distributiv)
Wenn man das infinite Verb am Satzende betont, dann ist die distributive Lesart wieder sehr dominant, aber vielleicht nicht als einzige möglich. (7)
a. Welche Aufgabe hat jeder GELÖST, b. Welche Note hat jeder BEKOMMEN.
Auch der Satz (8) ist ambig: (8)
Wer hat jedem geholfen? (ambig)
Wenn kein Wort besonders betont wird, sind beide Lesarten in etwa gleich gut zu bekommen. An diesem Umstand ändert sich nichts, wenn man das infinite Verb betont Betont man jedoch das Q-Element, so verschwindet die distributive Lesart. (9)
Wer hat JEDEM geholfen, (nicht-distributiv)
Der Zusatz n(nicht-)distributiv" bedeutet, daß der Satz eindeutig (nicht-)distributiv ist."-» (nicht-)distributiv" bedeutet, daß die (nicht-)distributive Lesart sehr dominant ist.
148
2.2
Grammatische Funktion
Betrachten wir das Satzpaar (10). Während (a) ambig ist, ist (b) eindeutig nicht-distributiv. (10) a. Welche Note hat jeder Schüler bekommen? (ambig) b. Welcher Schüler hat jede Note bekommen? (nicht-distributiv) Das gleiche gilt für (l 1): (11) a. Wen hat jeder geheiratet? (ambig) b. Wer hat jeden geheiratet? (nicht-distributiv) Der Kontrast, der sich in (10) und (11) zeigt, scheint darauf hinzuweisen, daß der funktionale Status von w- und Q-Phrase in der w/Q-Interaktion von Belang ist. In den (a)-Sätzen folgt das Subjekt auf das Objekt, während in den (b)-Sätzen umgekehrt das Objekt auf das Subjekt folgt Das Satzpaar (12) zeigt, daß es wirklich der funktionale Status der Ausdrücke ist, der hier zum Tragen kommt, und nicht deren thematische Rolle. (12) a. Wem gehört jedes dieser Bücher? (ambig) b. Wer besitzt jedes dieser Bücher? (nicht-distributiv) Wieder ist (a) ambig und (b) eindeutig nicht-distributiv. Eine thematische Hierarchie kann keine Rolle spielen, da in beiden Sätzen der Ausdruck mit der Thema-Rolle auf den Ausdruck mit der Possessor-Rolle folgt. Auch der Unterschied direktes vs. indirektes Objekt spielt eine gewisse Rolle. Es gibt eine große Gruppe von Verben mit direktem Objekt (DO), bei denen ein Satz vom Typ
(13)
ßWelch-X]nom\ Wer - Vfm - \jedl Was }
] ^ - (VM)
skopuseindeutig ist (z.B. l Ob und lib). Es scheint jedoch kein Verb mit indirektem Objekt (IO) zu geben, bei dem ein Satz des Typs
fcWelch-X]nom\ Wer / - Vfin - \jed(14) l Was I nicht ambig wäre. Beispiele: (15) a. b. c. d. e. f. g. h.
Wer hat jedem geholfen? [= Beispielsatz 8] Wer ist jedem Diplomaten gefolgt? Wer hat jedem gratuliert? Welche Lösung ist jedem zuerst eingefallen? Welcher Fehler ist jedem unterlaufen? Welche Möglichkeit ist jedem entgangen? Welches Hindernis ist jedem umgekippt? Welcher römischer Gott ähnelt jedem griechischen Gott?
Der Unterschied
/DO zeigt sich auch in der gegenseitigen Interaktion. Während in den fol-
149
genden (a)-Sätze die beiden Lesarten in etwa gleich gut möglich sind, dominiert in den (b)-Sätzen die nicht-distributive Lesart sehr stark: (16) a. Welches Märchen hat sie jedem Kind vorgelesen? b. Welchem Kind hat sie jedes Märchen vorgelesen? (17) a. Welches Buch hat er jedem seiner Freunde geliehen? b. Welchem Freund hat er jedes seiner Bücher geliehen? (18) a. Welches Bild hat sie jedem Besucher gezeigt? b. Welchem Besucher hat sie jedes Bild gezeigt?
2.3
Art des Q-Elements
Während der Satz (19a) ambig ist, sind die Sätze in (19b) eindeutig und zwar eindeutig nichtdistributiv. (19) a. Welche Aufgabe hat jeder gelöst? (ambig) [=1] b. Welche Aufgabe haben die meisten (alle/viele/einige) gelöst? (nicht-distributiv) Die distributive Lesart kann man wohl auch nicht erzwingen, indem man ein jeweils einführt.4 (20) Welche Aufgabe haben die meisten (alle/viele/einige) jeweils gelöst? Ebensowenig durch eine drohende Inkohärenz: (21) Ich möchte nicht wissen, welche Aufgabe es ist, die von allen gelöst wurde, sondern ich möchte wissen, welche Aufgabe alle gelöst haben, (inkohärent) Derselbe Kontrast zeigt sich in (22): (22) a. Ich möchte wissen, welches Pferd jeder Finalist geritten hat. (ambig) b. Ich möchte wissen, welches Pferd alle Finalisten geritten haben, (nicht-distributiv) Ganz Ähnliches zeigt sich in (23). (a) ist ambig. Doch in den Sätzen in (b) ist die distributive Lesart höchstens marginal möglich. (23) a. Wer hat jedem geholfen? (ambig) [=8;15a] b. Wer hat den meisten (allen/vielen/einigen) geholfen? (-* nicht-distributiv) Nun ist es aber nicht so, daß nur w/Q-Konstellationen ambig sind, wo Q=jeder. In (24) haben wir Sätze mit Q=alle, die auch die distributive Lesart zuzulassen scheinen. (24) a. b.
Ich möchte wissen, welche Bücher alle im letzten Jahr gelesen haben, (ambig) Welche Note haben alle bekommen? (ambig)
Die aus (19) bekannte Verteilung zeigt sich wieder in (25): 4 Die distributive Lesart scheint aber möglich in Ich möchte wissen, welche Aufgabe alle jeweils so gelöst haben und Welche Aufgabe haben alle jeweils so gelöst. Zu dem Einfluß von so s. Abschnitt 2.7 und 5.4.
150 (25) a. Wem hat jeder geholfen? (ambig) b. Wem haben die meisten (alle/viele/einige) geholfen? (nicht-distributiv)
2.4
Art des w-Elements
w/Q-relevant ist die Art des w-Elements der w-Phrase. In (26) sind die Sätze (a) und (b) eindeutig nicht-distributiv. Für (26c) bekommen manche, jedoch nicht alle Sprecher eine distributive Lesart. (26d) schließlich wird fast ausnahmslos als ambig eingestuft. (26) a. b. c. d.
Welche Schüler haben jede Aufgabe gelöst? Wer hat jede Aufgabe gelöst? Was für Leute haben jede Aufgabe gelöst? Wieviele Leute haben jede Aufgabe gelöst?
(nicht-distributiv) (nicht-distributiv) (%ambig) (ambig)
Ganz ähnlich in (27): (27) a. Welche Besucher haben an jeder Tür geklopft? (-»nicht-distributiv) b. Wer hat an jeder Tür geklopft? (-> nicht-distributiv) c. Was für Leute haben an jeder Tür geklopft? (%ambig) d. Wieviele Leute haben an jeder Tür geklopft? (ambig) Etwa die gleiche Beobachtung läßt sich an der etwas anderen Konstellation in (28) machen: (28) a. b. c. d.
2.5
Welche Kritiker hat jedes Bildes beeindruckt? Wen hat jedes Bild beeindruckt? Was für Kritiker hat jedes Bild beeindruckt? Wieviele Kritiker hat jedes Bild beeindruckt?
(-»nicht-distributiv) (-> nicht-distributiv) (%ambig) (ambig)
"Struktur" der w-Phrase
Der Einfluß der "Struktur" der w-Phrase zeigt sich in (29) und (30): (29) a. Welches Buch hat jeder im letzten Jahr gelesen? (ambig) b. Welches dieser Bücher hat jeder im letzten Jahr gelesen? (-»nicht-distributiv) (30) a. Wer hat jedem geholfen? (ambig) [=8;15a;23a] b. Wer von uns hat jedem geholfen? (-» nicht-distributiv) Neben der Partitivität spielt der Numerus eine gewisse Rolle. Während (31 a) nur die nicht besonders sinnvolle nicht-distributive Lesart aufweist, ist in (b) die distributive Lesart merklich besser zu bekommen und (c) ist, wie nun zu erwarten, klar ambig. (31) a.
Welcher bekannte Dirigent wohnt in jeder Großstadt zwischen HH und M? (nicht-distributiv) b. Welche bekannten Dirigenten wohnen in jeder Großstadt zwischen HH und M? (distributiv besser möglich) c. Wieviele bekannte Dirigenten wohnen in jeder Großstadt zwischen HH und M? (ambig)
151
2.6
Art des Prädikats
Um vorerst nur zwei Verben zu nennen, so verhalten sich beeindrucken und gefallen etwas anders als andere Verben mit DO bzw. IO: (32) a. Wen hat jeder gesehen? (ambig) b. Wen hat jede Kandidatin beeindruckt? (nicht-distributiv) (33) a. Wem hat jeder geholfen? (ambig) [=25a] b. Wem hat jeder Kandidat gefallen? (nicht-distributiv) Mit beeindrucken sind anders als mit heiraten, bekommen oder sehen Sätze der Struktur (13) nicht eindeutig nicht-distributiv: (34) Wer hat jeden beeindruckt? (ambig)
2.7
Fragmente im Mittelfeld
Der Satz Welche Erklärung hat jeder vorgeschlagen ist klar ambig. Fügt man jedoch ein unbetontes so ein, so weist der Satz plötzlich nur noch die distributive Lesart auf. (35) Welche Erklärung hat jeder so vorgeschlagen? (distributiv) Daß dieses leichtgewichtige so solchermaßen in den Skopushaushalt eines Satzes eingreifen kann, ist ein recht erstaunliches Phänomen. Denselben Effekt können wir beobachten, wenn wir wie in (36) alles oder so alles anstelle von so einfügen. (36) a. Wen hat jeder gestern alles in der Kneipe getroffen? (distributiv) b. Wen hat jeder gestern so alles in der Kneipe getroffen? (distributiv) Einen ganz ähnlichen Effekt beobachtet man bei verschiedenen Typen von NP-Spaltungen: (37) a. Was für Leute hat jeder gestern in der Kneipe getroffen? (ambig) b. Was hat jeder gestern in der Kneipe für Leute getroffen? (distributiv) (38) a. Was an Aufgaben hat jeder gelöst? (ambig) b. Was hat jeder an Aufgaben gelöst? (distributiv) (39) Was hat jeder gestern Neues erlebt? (distributiv) (40) a. Welche Erklärung für dieses Phänomen stellen einige der gängigen Theorien bereit? (distributiv unmöglich) b. Welche Erklärung stellen einige der gängigen Theorien für dieses Phänomen bereit? (distributiv möglich)
152
2.8
Einbettung
Diese Größe scheint keinen Einfluß auf die uns interessierenden Lesarten zu nehmen. Das Lesartenpotential eines eingebetteten w-Interrogativsatzes scheint dasselbe zu sein wie das des entsprechenden uneingebetteten Satzes. Wir haben dies schon an (1) im Vergleich mit (3a) gesehen. Es zeigt sich auch an (8), (27d), (35) oder an dem nicht-distributiven Welche Aufgabe haben alle gelöst, wenn sie eingebettet sind. (41) a. b. c. d.
3.
Ich möchte wissen, wer jedem geholfen hat. (ambig) Ich möchte wissen, wieviele Leute an jeder Tür geklopft haben, (ambig) Ich möchte wissen, welche Erklärung jeder so vorgeschlagen hat. (distributiv) Ich möchte wissen, welche Aufgabe alle gelöst haben, (nicht-distributiv)
Theorien der w/Q-Interaktion
Für die meisten Theorien, die sich mit der w/Q-Interaktion befassen, steht das Bemühen um eine adäquate Semantik für w-Interrogativsätze im Vordergrund. Sie sind durchweg so angelegt, daß in einfachen w/Q-Sätzen, wie wir sie betrachtet haben, immer beide Lesarten möglich sind. Mit der Frage, wann beide Lesarten möglich sind, wann nur eine, beschäftigen sich einige neuere, stark syntaktisch orientierte Theorien (vor allem May 1985,1988 und Williams 1988). An ihnen läßt sich demonstrieren, daß, wenn es sich bei der w/Q-Interaktion um einen Fall von Quantoreninteraktion handeln sollte, Skopustheorien inadäquat sind, wenn sie sich alleine auf die K-Kommandoverhältnisse (auf irgendeiner Repräsentationsebene) stützen. Beginnen wir mit der Theorie von May (1985).5 Diese Theorie sagt - wie wir gleich sehen werden - zuviel und gleichzeitig zu wenig Lesarten voraus. Der Satz Welche Aufgabe hat jeder gelöst hat in May's Theorie die Logische Form (LF) (42) Welche Aufgäbet hat [n> jederi [n> 62 ei gelöst ]]. Der Quantor ist beim Übergang von der S-Struktur zur LF an IP adjungiert worden. So wie May seine Begriffe definiert, k-kommandieren sich in (42) die w-Phrase und die Q-Phrase gegenseitig. May's Skopusprinzip sagt für einen solchen Fall voraus, daß es zwei relative Skopuslesarten gibt. Es macht für den Satz Welche Aufgabe hat jeder gelöst mithin die richtige Voraussage. Es sagt jedoch für Sätze wie in (43), deren LF strukturell mit (42) identisch ist, zuviel Lesarten voraus. (43) a. Welche Aufgabe haben die meisten/alle/... gelöst? (nicht-distributiv) [=19b] b. Welche Erklärung hat jeder so vorgeschlagen? (distributiv) [=35] c. Welche Aufgabe hat JEDER gelöst? (nicht-distributiv) [=6a]
5 May (1977:47) hatte angenommen, daß der w-Quantor im unmarkierten Fall weitesten Skopus hat (vgl. Aoun/Homstein/Sportiche 1980:72; 89n6). Die distributive Lesart von What did each senator say betrachtete May als markiert (1977:79f.).
153
In einer Anmerkung erwähnt May, daß der Satz (44) nur eine Lesart hat. Sein Skopusprinzip scheint also auch im Englischen zuviel Lesarten vorauszusagen. (44) Which professor do two students admire? (nicht-distributiv) (May 1985:161n8) Betrachten wir nun die LF des Satzes Wer hat jede Aufgabe gelöst in (45). (45) Weri hat [p et [yp jede Aufgabe2 [\p &2 gelöst ]]] Das Objekt ist an VP adjungiert worden. Dies ist nach May die einzige wohlgeformte LF, die der Satz haben kann (bei Adjunktion des Objekts an IP ist ej nicht "properly governed"). In dieser Struktur k-kommandiert die w-Phrase die Q-Phrase, aber die Q-Phrase k-kommandiert nicht die w-Phrase. Nach May's Skopusprinzip ist nur die Lesart mit weitem Skopus der wPhrase möglich. Dies sagt für den Satz Wer hat jede Aufgabe gelöst in der Tat das richtige Ergebnis voraus. Doch für Sätze wie (46a) und (b) sagt es zuwenig Lesarten voraus. (46) a. Wieviele Leute haben jede Aufgabe gelöst? (ambig) [=26d] b. Wer hat jedem geholfen? (ambig) [=8;15a;23a;30a] Es ist offensichtlich, daß May's Theorie deshalb nicht die richtigen Resultate erbringt, weil sie sich bei der Skopusbestimmung ausschließlich auf die K-Kommandoverhältnisse stützt. Und beispielsweise nicht die Art des Q- oder des w-Elements berücksichtigt. Dies ist ein charakteristisches Merkmal der Theorie.6 Bei each jedoch sieht sich May gezwungen anzunehmen, daß es eine inhärente skopusrelevante Eigenschaft besitzt, die es von den anderen quantifizierenden Partikeln unterscheidet. Denn nicht nur (47a), sondern auch (47b) ist ambig. (47) a. What did each person buy for Max? b. Who bought each thing for Max? Die Ambiguität von (b) erklärt er damit, daß each inhärent fokussiert ist und wie alle fokussierten Phrasen an S' (CP) adjungiert wird (May 1988:127). Damit entsteht eine LF-Konfiguration, in der sich who und each wechselseitig k-kommandieren und die damit in (b) zu zwei Lesarten führt.7 Dieser angenommene Zusammenhang von Fokussierung und weitem Skopus scheint durch die Beobachtungen, die wir anhand des Deutschen gemacht haben, nicht gestützt zu werden. Wir haben in Abschnitt 2.1 gesehen, daß die ambigen Sätze Welche Aufgabe hat jeder gelöst und Wer hat jedem geholfen eindeutig werden, wenn jeder bzw. jedem betont wird. Und zwar ist es gerade die Lesart mit weitem Skopus der Q-Phrase, die entfällt. Wenn es sich hier, wie man vermuten darf, um einen Fokusakzent handelt, dann sind dies Gegenbeispiele gegen den vermeintlichen Zusammenhang von Fokussierung und weitem Skopus. 6
"... syntactic rules - and in particular transformational mappings, including those onto LF - are context-free and hence blind to lexical governance. [...] the theory sharply distinguishes the general grammatical properties of quantifiers - their scope - from their lexical properties ..." (May 1985:9).
7
Die inhärente Fokussiertheit von each kann wie in dem Satz Which of you has read each of DICKENS'S books "getilgt" sein, der eindeutig ist, nur die nicht-distributive Lesart aufweist (May 1988:127).
154 Dies läßt es fraglich erscheinen, daß inhärente Fokussiertheit von each der Grund für die Existenz der distributiven Lesart in (47b) oder in (48) ist (48) Which of you has read each of Dickens's books? Nehmen wir an, each sei nicht inhärent fokussiert. Dann entspricht der Kontrast zwischen dem ambigen (48) und dem eindeutigen (49) Which of you has read each of DICKENS'S books 8 ziemlich genau dem Verhältnis von Welche Aufgabe hat jeder gelöst zu Welche Aufgabe hat JEDER gelöst. Die Ambiguität von (48) und die Nicht- Ambiguität von Which of you has read all of Dickens's books muß dann mit einer anderen lexikalischen Eigenschaft von each zusammenhängen (s.u. Abschnitt 5.2.3). Der kritische Punkt bei der Theorie von May ist nicht die Annahme von LF und Quantorenanhebung. Die explizit gegen diese Annahmen gerichtete Theorie von Williams (1988) macht fast genau dieselben Voraussagen, was unseren Phänomenbereich angeht. Williams' Bedingung der "Q-Superiorität"9 sagt immer dann eine distributive Lesart voraus, wenn die Q-Phrase auf der S-Struktur die Spur der w-Phrase k-kommandiert. Für Welche Aufgabe hat jeder gelöst mit der S-Struktur (50) Welche Aufgabei hat [ jeder ti gelöst ] werden zwei Lesarten vorausgesagt und für Wer hat jede Aufgabe gelöst mit der S-Struktur (51) Weri hat [ t] jede Aufgabe gelöst ] nur eine - die nicht-distributive. Es ergeben sich damit dieselben Probleme wie bei May.
4. Parallelitäten der w/Q- und der Q/Q-Interaktion Wenn es sich bei der w/Q-Interaktion um die Skopusinteraktion zwischen Quantoren handelt, so sollten die Faktoren, die diese Interaktion steuern, mehr oder weniger mit den Faktoren übereinstimmen, die den Skopus von nicht-interrogativen Quantoren steuern. In diesem Teil sehen wir, daß die Größen, die die w/Q-Interaktion beeinflussen, mit einer trivialen Ausnahme (Art des w-Elements), auch die Q/Q-Interaktion beeinflussen. Mit der syntaktischen Konstellation, in der die Quantoren zueinander stehen, beobachten wir eine weitere auch für die w/Q-Interaktion relevante Größe.
8
S. vorangehende Anmerkung.
9
"If the scape of Q includes die scope of wh, then Q c-commands the trace of wA " Williams (1988:139).
155
4.1
Betonung
Wenn in Ein Mann liebt jede Frau der Akzent auf jede liegt, so hat der Satz nur die Skopuslesart mit weitem Skopus des "Existenzquantors" (=die STARKE Lesart). Es ist ein besonderes Intonationsmuster notwendig, steigende Intonation auf ein und fallende Intonation auf jede, damit die Lesart mit weitem Skopus des "Allquantors" (=die SCHWACHE Lesart) möglich wird: (52) EIN/Mann liebt JEDE\Frau Bei diesem Intonationsmuster wird der Satz ambig, doch die schwache Lesart ist immer noch deutlich schwieriger zu bekommen als die starke. Dies ist also ein Fall, wo eine Lesart erst durch geeignete Betonung möglich wird. So etwas haben wir bei der w/Q-Interaktion in dieser Ausgeprägtheit nicht beobachtet Wenn in Ein Buch hat jeder gelesen auf ein und jeder jeweils ein Akzent liegt, so ist der Satz ambig. Die beiden Lesarten sind gut zu bekommen, wobei die schwache Lesart etwas dominanter zu sein scheint. Dies ist ein Unterschied zu dem Satz WELCHES Buch hat JEDER gelesen, der bei dieser Intonation eindeutig nicht-distributiv ist. Wenn der Akzent auf dem infiniten Verb am Satzende liegt (Ein Buch hat jeder GELESEN), so ist die schwache Lesart recht dominant, aber nicht als einzige möglich. Auch der Satz Ein Agent ist jedem Diplomaten gefolgt ist bei der Akzentuierung von ein und jedem ambig, er bleibt es, wenn der Akzent nur auf jedem liegt. Dies kontrastiert mit den Sätzen WER ist JEDEM Diplomaten gefolgt und Wer ist JEDEM Diplomaten gefolgt, die eindeutig nicht-distributiv sind. Diese Unterschiede - wir werden auf sie in Abschnitt 5.3.2 zurückkommen - ändern nichts daran, daß die Betonung auch in der Q/Q-Interaktion von Belang ist.
4.2
Syntaktische Konstellation
Einen großen Einfluß auf die Q/Q-Interaktion hat die relative Stellung der Quantoren. (53a) beispielsweise hat die starke Lesart, (53b) jedoch nicht (53) a. Irgendjemand hat jedes Buch von Chomsky gelesen, b. Jedes Buch von Chomsky hat irgendjemand gelesen. Bei w/Q-Sätzen ist die Relevanz der Stellung nicht ganz so einfach zu überprüfen, da wir nicht so ohne weiteres beide Phrasen einfach umstellen können. Betrachten wir aber den Einfluß der Stellung in multiplen Fragen. Auf die Frage (54) Wann hat jeder Schüler welche Aufgabe gelöst? kann man folgendermaßen antworten:
156 (55) Maria hat gestern die erste, heute die zweite, Peter hat heute die erste und gestern die zweite und Johanna hat heute beide Aufgabe gelöst Gibt man diese Anwort, so versteht man (54) so, daß das Subjekt Skopus über die beiden wPhrasen hat. Ist nun eine Lesart möglich, derzufolge die beiden w-Phrasen Skopus über das Subjekt haben? Wenn ja, so sollte eine Antwort wie in (56) möglich sein: (56) Gestern war es die erste Aufgabe, die jeder Schüler gelöst hat, heute die zweite. Wenn in (54) der Akzent aaS Aufgabe liegt, so ist diese Lesart nicht möglich. Liegt der Akzent auf jeder, so scheint der Satz ungrammatisch zu sein. Bei zusätzlicher Betonung von welche ist der Satz schwer zu interpretieren. Akzeptabel ist der Satz, wenn der Akzent auf welche liegt, aber auch dann scheint das Objekt im Skopus des Subjekts zu liegen (Wann hat jeder Schüler WELCHE Aufgabe gelöst). Es ist für unsere Überlegung nicht entscheidend, ob die Lesart mit weitem Skopus der w-Phrasen nun möglich ist oder nicht. Wichtig ist nur, daß sie, wenn überhaupt, sehr schwer zu bekommen ist. Denn das ist anders, wenn Subjekt und Objekt ihre Stellung zueinander verändern. (57) Welche Aufgabe hat wann jeder Schüler gelöst? Hier ist nun eine Lesart leicht möglich, zu der die Antwort (56) paßt. Die Lesart mit weitem Skopus von jeder Schäler ist, wenn überhaupt, nur schwer möglich. Der Kontrast zwischen (54) und (57) ist somit ein Beleg für die Relevanz der Stellung. 10 Es gibt bei der Q/Q-Interaktion Anzeichen dafür, daß die syntaktische Relation, die sich hinter der syntaktischen Konstellation der Quantoren verbirgt, weder mit der linearen Abfolge noch mit dem K-Kommando identisch ist. Die folgenden Daten zeigen, daß es einen skopusmäßigen Unterschied macht, ob ein Quantor einem anderen vorausgeht und im Vorfeld steht oder ob er im Mittelfeld dem anderen vorausgeht. (58) a. b.
Ein Mann liebt jede Frau. Es liebt ein Mann jede Frau.
(59) a. Ein Agent ist jedem Diplomaten gefolgt. b. Es ist ein Agent jedem Diplomaten gefolgt. (60) a. Ein Buch hat jeder gelesen. b. Es hat ein Buch jeder gelesen. (61) a. Einer von seinen Brüdern hat jedem dabei geholfen. b. ?Ich weiß, daß einer von seinen Brüdern jedem dabei geholfen hat.
10 /n-iüw-Fragen scheinen mir im Deutschen nicht unmöglich zu sein. So kann man (Und) jeder hat welche Aufgabe gelöst durchaus als echte w-Frage gebrauchen. Wenn der Akzent auf gelöst liegt, so ist die Frage eindeutig distributiv. Bei der Akzentuierung von jeder und welche ist der Satz schwer zu interpretieren, die nicht-distributive Lesart ist wohl nicht möglich. Wenn diese Beobachtung korrekt ist, so ist der Kontrast zwischen diesem Satz und Welche Aufgabe hat jeder gelöst ein weiterer Beleg für die Relevanz der Stellung von w- und Q-Phrase zueinander.
157 Während, wie oben erwähnt, bei einem bestimmten Intonationsmuster in (58a) die schwache Lesart möglich ist, ist sie in (58b) wohl unmöglich. In (59a) ist die schwache Lesart gut zu bekommen, in (b) jedoch deutlich schwieriger. Während in (60a) beide Lesarten gut möglich sind, wobei die schwache etwas dominanter zu sein scheint, ist in (b) die starke Lesart die klar dominante. In (61 a) ist die Bindung des Possessivpronomens durch jedem möglich, in (b) ist es zumindest fraglich, ob sie möglich ist Diese Daten deuten darauf hin, daß ein Quantor im Mittelfeld skopusmäßig höher bewertet ist als im Vorfeld. Ähnliches können wir bei der w/Q-Interaktion beobachten. Während der Satz Wer hat jedem geholfen klar ambig ist, ist in Wann hat wer jedem geholfen wohl keine Lesart möglich, oder nur sehr schlecht, in der das indirekte Objekt Skopus über das Subjekt hat. Wann ist nicht die Ursache dafür. Der Satz Wann hat sie jedem geholfen ist klar ambig. Ein anderes Beispiel. Während in Wieviele Leute haben jede Aufgabe gelöst die Q-Phrase Skopus über wieviele Leute haben kann, ist dies in Wann haben wieviele Leute jede Aufgabe gelöst nicht möglich (Wann hat sie jede Aufgabe gelöst ist ambig).
4.3
Grammatische Funktion
Auch bei der Q/Q-Interaktion ist die grammatische Funktion der Q-Phrasen von Belang. Während (62a) eindeutig nur weiten Skopus des Subjekts hat, ist (62b) ambig. (62) a. Einige Schüler haben jede Aufgabe gelöst b. Einige Aufgaben hat jeder Schüler gelöst. Auch der Unterschied direktes vs. indirektes Objekt ist skopusrelevant. So haben die folgenden Sätze eindeutig die starke Lesart: (63) a. Einer von den Schülern hat jede Aufgabe gelöst b. Eines der Produkte hat jeden Test bestanden. Im Unterschied zu folgenden Sätzen mit IO: (64) a. Einer von uns hat jedem von euch bei der Prüfung geholfen, (ambig) b. Eine der verschiedenen Lösungen ist jedem eingefallen, (ambig)
4.4
Art des Q-Elements
Der Einfluß des Q-Elements zeigt sich beispielsweise bei dem Kontrast zwischen dem eindeutigen (65a) und dem ambigen (65b): (65) a. Jedes Buch von Chomsky hat irgendjemand gelesen, (schwach) [=53b] b. Ein Buch von Chomsky hat jeder gelesen, (ambig)
158 Ein weiteres Beispiel. Während (66a) ambig ist (s. Abschnitt 4.1), sind (b) und (c) eindeutig: (66) a. b. c.
4.5
Ein Mann liebt jede Frau, (ambig) [=58a] Ein Mann liebt alle Frauen, (stark) Einige Männer lieben jede Frau, (stark)
"Struktur" der Q-Phrase
Ihr Einfluß zeigt sich im Kontrast zwischen dem ambigen (67a) und dem eindeutigen (67b): (67) a. Ein Produkt hat jeden Test bestanden, (ambig) b. Eines der Produkte hat jeden Test bestanden, (stark) [=63b] Der Grund für diesen Kontrast ist nicht darin zu sehen, daß die partitive Q-Phrase nur referentiell interpretiert werden könnte. Den Satz Jeden Test hat eines der Produkte bestanden versteht man ganz natürlich mit dem Subjekt im Skopus des Objekts.
4.6
Art des Prädikats
Es sind dieselben Verben wie bei der w/Q-Interaktion, die bei gleicher Konstellation Skopusunterschiede induzieren: (68) a. Einer von den Besuchern hat jedes Bild gesehen, (stark) b. Eines von den Bildern hat jeden Besucher beeindruckt (ambig) (69) a. Einem von euch hat jeder von uns geholfen, (ambig) b. Einem von uns hat jeder Kandidat gefallen, (stark)
4.7
Fragmente im Mittelfeld
Diese Größe läßt sich bei der Q/Q-Interaktion nicht so schön demonstrieren. Doch gibt es einige mehr oder weniger gute Beispiele, die den Skopuseffekt von Fragmenten von satzinitalen QPhrasen bezeugen: (70) a. Ein Buch hat jeder von Chomsky gelesen, (schwach) b. Eines hat jeder von den Büchern gelesen, (schwach) Bei steigender Intonation auf ein(es) und fallender Intonation auf jeder scheinen sie mir halbwegs akzeptabel zu sein. Sie haben dann eindeutig nur die Lesart mit weitem Skopus von jeder, n 11 Das spezifische Intonationsmuster kann nicht der Grund für die Eindeutigkeit sein - Ein Mann liebt jede Frau oder Ein Buch hat jeder gelesen sind bei dieser Intonation ambig (s. Abschnitt 4.1).
159 5. Die Faktoren der Quantoreninteraktion Die Beobachtungen, die wir an der w/Q- und an der Q/Q-Interaktion gemacht haben, scheinen deutlich zu zeigen, daß sich das Skopuspotential 12 eines Satzes aus der Interaktion mehrerer Faktoren ergibt. Welches sind die Faktoren, die sich hinter den in Teil 2 und 4 betrachteten "Größen" verbergen? Wir werden uns an einem Modell (Pafel 1990) orientieren, das zur Beschreibung der Q/Q-Interaktion vorgeschlagen wurde und als Skopusfaktoren die folgenden Skalen ansetzt: (i) eine Skala von syntaktischen Konstellationen, in denen Quantoren zueinander stehen können (ii) eine Skala von grammatischen Funktionen (iii) eine Distributivitätsskala und (iv) eine Spezifizitätsskala. Die Rolle dieser Skalen ergibt sich aus den folgenden Annahmen, die in dem Modell gemacht werden: (i) die Skopusfaktoren sind Skalen von Eigenschaften bzw. Relationen; (ii) ein Quantor bekommt von jeder Skala einen numerischen Wen je nach der Eigenschaft bzw. Relation, die der Quantor erfüllt; (iii) aus diesen Werten ergibt sich nach einer bestimmten Formel der "Skopuswert" eines Quantors; (iv) das Skopuspotential eines Satzes errechnet sich aus dem paarweisen Vergleich der Skopuswerte der Quantoren des Satzes. Im folgenden wird es vor allem um die erste Annahme gehen. Bevor wir uns genau ansehen, wie sich diese Faktoren bei der w/Q-Interaktion bewähren, gehen wir auf die möglicherweise hinter den beiden Größen Betonung und Art des Prädikats liegenden Faktoren ein.
5.1
Betonung und Art des Prädikats
Bei der Betonung haben wir bisher keine ins Auge springenden Parallelitäten zwischen w/Qund Q/Q-Interaktion festgestellt. Obgleich offensichtlich ist, daß sie bei beiden eine gewisse Rolle spielt. Einen systematischen Effekt haben wir bei der w/Q-Interaktion beobachtet (Abschnitt 2.1), wo ambige Sätze durch die Akzentuierung des Q-Elements der Q-Phrase eindeutig nicht-distributiv werden. Wenn es sich hierbei um einen Fokusakzent handelt, so stellt sich die Frage - der wir aber nicht weiter nachgehen -, warum die Fokussierung (eines Teils) einer QPhrase verhindert, daß die Q-Phrase weiten Skopus bekommen kann. Kommen wir nun zu dem Einfluß der Art der Prädikate. Wir haben oben gesagt, daß es eine große Gruppe von Verben mit DO gibt, bei denen Sätze der Struktur (13) mehr oder weniger eindeutig nicht-distributiv sind. Zu dieser Gruppe gehören wohl zumindest die folgenden Verben:
12 Das SKOPUSPOTENTIAL eines Satzes ist die nach Präferenz geordnete Menge seiner Skopuslesarten.
160
(71) Gruppe I: a. abmessen, abzählen, ansehen, ausmalen, austrinken, auszählen, backen, beachten, bebauen, bedienen, befreien, begehren, begutachten, belügen, bereisen, berühren, besiegen, besitzen, besuchen, erlernen, erwischen, heiraten, legen, lösen, verstärken, verzeichnen. b bekommen, bestehen, erhalten, benötigen, brauchen, besitzen, finden, verlieren, versäumen, c. einsehen, erkennen, glauben, hören, kapieren, kennen, mögen, sehen, vergessen, verstehen, wissen, wollen. Einige (weitere) Beispiele: (72) a. b. c. d. e.
Wer hat sich jedes Bild angesehen? Wer hat jeden Befehl nicht beachtet? Wer besitzt jedes der Loire-S chlösser? Wer mag jedes Buch von Grass? Wer hat jedes Problem kapiert?
Die folgende Gruppe von psychischen Verben jedoch verhält sich anders. Sätze der Struktur (13) scheinen klar ambig: (73) Gruppe II: ärgern, beeindrucken, bedrängen, belustigen, beunruhigen, ekeln, entmutigen, erfreuen, ergötzen, erschüttern, freuen, quälen, überraschen, verärgern, verblüffen, verschüchtern, verwirren. (74) a. Wer hat jeden der Anwesenden belustigt? b. Was hat jeden von euch dabei geärgert? Der Unterschied der beiden Gruppen zeigt sich auch in der Struktur: (75)
([.Welch- X]akk\ Wen - Vfm - \jed- Y] nom - < l Was t
)
Sätze mit Verben der Gruppe I sind ambig, Sätze mit Verben der Gruppe II sind (relativ) eindeutig nicht-distributiv. (76) a. Wen hat jeder gesehen? (ambig) [=32a] b. Wen hat jede Kandidatin beeindruckt? (nicht-distributiv) [=32b] Diese beiden Gruppen unterscheiden sich auch bei der Q/Q-Interaktion. Verben der Gruppe I führen in der Konstellation (77) zu Sätzen mit eindeutig starker Lesart (78), Verben der Gruppe II zu ambigen Sätzen bzw. zu Sätzen mit weitem Skopus des Objekts (79). (77) (Ein- von X]nom - Vfm - \jed- Y]akk - (
)
(78) a. Einer von den Grünen hat jeden von den Roten besiegt. b. Einer von uns hat jedes mittelamerikanische Land bereist. (79) a. Eines der Bilder hat jeden erschüttert. b. Einer von seinen Narren hat jeden König besonders erfreut.
161 Diese Fakten werden verständlich, wenn man annimmt, daß die DO der Gruppe II in allen drei Konstellationen skopusmäßig stärker sind als die DO der Gruppe I: Sätze der Struktur (13) und (77) - wo das DO eine Q-Phrase ist - mit Verben aus Gruppe II sind ambig, nicht eindeutig nicht-distributiv wie mit Verben aus Gruppe I; Sätze der Struktur (75) - wo die w-Phrase das DO ist - sind mit Verben der Gruppe II eindeutig nicht-distributiv, mit Verben aus Gruppe I ambig. Eine ähnliche Gruppierung läßt sich bei den Verben mit IO vornehmen. Eine Gruppe ( ) macht wie helfen Sätze der Struktur (80) Wem-Vr m -[/^-X]„om-(Vinf) zu ambigen Sätzen, eine andere Gruppe (IV) macht sie wie gefallen zu eindeutig nicht-distributiven Sätzen. (81) Gruppe : a. absagen, assistieren, auflauern, ausweichen, Besuch abstatten, danken, dienen, drohen, folgen, fluchen, gehorchen, gratulieren, helfen, hinterherkommen, nachbücken, nachfahren, nachfolgen, sekundieren, unter die Arme greifen, zürnen, zuraten, zuwinken. b. gebühren, gehören, liegen, obliegen, zustehen. c. ähneln, ähnlich sein, begegnen, entsprechen, gleichen, gleich sein. (82) Gruppe IV: a. geschehen, passieren, unterlaufen, zustoßen. b. entgehen, gelingen, glücken, mißlingen, nützen. c. auffallen, behagen, bekommen, einfallen, gefallen, mißfallen, schmecken, vorschweben, wohltun. d. schmilzen, umkippen, verbrennen, zerreißen, zerbrechen. Einige weitere Beispiele mit Verben aus Gruppe IV: (83) a. b. c. d.
Wem ist jede Lösung eingefallen? Wem ist jeder Fehler unterlaufen? Wem ist jedes Hindernis umgekippt? Wem hat jeder Protest genützt?
Bei der Q/Q-Interaktion zeigt sich der Unterschied dieser beiden Gruppen in der folgenden Struktur: (84) [Em-X]dM-Vr m -üe^Y]nom-(Vinf) Sätze mit Verben aus Gruppe sind klar ambig, bei Sätzen mit Verben aus Gruppe IV ist die schwache Lesart schlecht bis überhaupt nicht möglich. Auch hier werden die Fakten verständlich(er), wenn man annimmt, daß in beiden Strukturen die IO der Gruppe IV skopusmäßig höher bewertet sind als die IO der Gruppe . Ich will annehmen, daß das DO bzw. IO der Gruppen I und der "Normalfall" ist und die Objekte der Gruppen II und IV ein besonderes Merkmal aufweisen. Die Objekte der Verben dieser Gruppen scheinen sich dadurch auszuzeichnen, daß die Person, die das Objekt spezifiziert, über den Vorgang bzw. Zustand keine willentliche Kontrolle hat, daß sie ihn "erleidet".
162
Man könnte demnach sagen, daß die Objekte dieser beiden besonderen Gruppen einen "Patiens-Bonus" erhalten, der sich im Skopuspotential der Sätze merklich auswirkt (dies heißt nicht, daß es sich bei diesen Objekten immer um ein Fattens im strikten Sinne handeln würde "experiencer" sind auch sehr stark vertreten).
5.2
Skopusrelevante Skalen
Schauen wir uns nun die oben erwähnten Faktoren genauer an, die alle die Form von Skalen haben. Wir werden sehen, daß diese Skalen nicht nur für die Q/Q-, sondern auch für die w/QInteraktion von Bedeutung sind. 5.2.1 Konstellationsskala. Sowohl bei der Q/Q- wie bei der w/Q-Interaktion spielt die relative Stellung der Quantoren eine wichtige Rolle. Zusätzlich ist es von Bedeutung, ob der vorangehende Quantor im Vorfeld oder im Mittelfeld steht (Abschnitt 4.2). Wenn sich dahinter ein syntaktischer Faktor verbirgt, so kann dieser weder mit der linearen Abfolge noch mit dem KKommando identisch sein. Denn diese Relationen sind nicht sensitiv für den Unterschied "Position im Vorfeld" vs. "Position im Mittelfeld". Man benötigt vielmehr einen Typ von syntaktischer Relation, der mehrere eng verwandte Relationen umfaßt, so daß eine andere Relation vorliegt, wenn der vorangehende Quantor im Vorfeld steht, als wenn er im Mittelfeld steht. Einen solchen Typ von Relation erhält man, wenn man sich auf den folgenden Begriff eines Pfades stützt In der Struktur
(85)
führt von nach der Pfad (X,Y), von nach der Pfad ( , , ) und von (Y,Z). Weder von noch von führt ein Pfad zu a. Dl
nach der Pfad
P ist ein Pfad in G =Df P ist eine geordnete Menge von Knoten (Ki, K2,..., Kn) des Graphen G, wobei Kj+i von K; (i < i DEB (H)
Dabei bedeutet DA(ot): 'die Äußerung eines Satzes mit der Bedeutung ist der gegebenen Diskursposition angemessen'. Die Bedeutung von DEB (H) ist so festzulegen, daß sie der Paraphrase (P-DEB) entspricht: (P-DEB)
Es steht in der gegebenen Gesprächssituation zur Debatte, auf welche der möglichen alternativen Besetzungen seiner Argumentstelle H zutrifft.7
(Bl) besagt also in traditioneller Sprechweise, daß die gegebene Gliederung des Materials im Skopus von FRAGE zur Folge hat, daß bei angemessenen Äußerungen entsprechender Sätze der -Teil 'alte Information' beinhaltet - was allerdings aus der Sicht unserer Explikation eine irreführende Formulierung ist, da H ja ein Prädikat mit mindestens einer offenen Stelle und damit eigentlich keine 'Information' ist. Die Festlegung der Bedeutung von DEB (H) im Sinne von (P-DEB) kann durch weitere Bedeutungspostulate geleistet werden, die einen Zusammenhang zu anderen pragmatischen (d.h. Eigenschaften der Sprechsituation charakterisierenden) Prädikaten herstellen.8 Ein zentrales Postulat dieser Art wäre etwa so zu formulieren: (B2)
Vxäuss [[AB (x) =* 3X [a (H(ß))]] -> NACH (DEB (H), 3y[y = x])]
s" ist eine Variable für Äußerungen, "ÄB(x)" heißt 'Äußerungsbedeutung von x', "=*" ist die logische Folgerung, " " bindet eventuelle freie Variablenvorkommen in H, und sind Meta- Variablen für Illokutions- oder Satzmodusfunktoren bzw. die möglichen alternativen Besetzungen der Argumentstelle von H, und "NACH" denotiert eine zweistellige Relation zwischen
Man erinnere sich: H ist ein Ausdruck, der durch Lambda-Bindung von Variablen in einer Aussage entsteht H ist also vom logischen Typ eines Prädikats und hat deswegen freie Argumentstellen. (Zur Vereinfachung gehe ich im folgenden davon aus, daß es nur eine solche Argumentstelle gibt, daß also keine multiple Fokussierung vorliegt.) Dies setzt natürlich eine Modellstruktur voraus, innerhalb deren alle relevanten Aspekte von Sprechsituationen formal rekonstruiert werden können. Hierzu könnte man z.B. auf eine geeignete Variante der Diskursrepräsentationstheorie Kamps zurückgreifen.
209 Aussagen, die Diskursereignisse oder -zust nde beschreiben, und auf genau dann zutrifft, wenn das von pi beschriebene Ereignis in jenem Zeitraum nach dem von p2 beschriebenen eintritt, in dem das p2-Ereignis noch im Aufmerksamkeitsbereich der Diskursteilnehmer ist. (B2) besagt also: Falls eine u erung vollzogen wird, aus deren Bedeutung 3X [a (H ( ))] folgt, dann gilt DEB (H) in dem Zeitraum nach dieser u erung, in dem diese noch im Aufmerksamkeitsbereich der Diskursteilnehmer steht. Angewandt auf unser Beispiel (2) ergeben (B l) und (B2) das Folgende: (B 1/2)
DA(FRAGE(XXNP [# λΥρρ [X HAT Υ BROTZEIT GEMACHT], IM WOHNZIMMER #]) ) -» DEB (λΥρρ [X HAT Υ BROTZEIT GEMACHT])
(B2/2)
Vxauss [[AB (x) => 3 XNP [α (λΥρρ [X HAT Υ BROTZEIT GEMACHT] ( ))]] -> NACH (DEB (λΥρρ [X HAT Υ BROTZEIT GEMACHT] ), 3y[y = x] )]
Aus (B2/2) folgt, da z.B. eine u erung mit der Bedeutung (6) (vgl. (K2) in 1.1) (6)
MITTEIL(CARMEN HAT IM BAD BROTZEIT GEMACHT)
zur Folge hat, da einige Zeit danach - n mlich solange diese u erung noch im Aufmerksamkeitsbereich liegt - (7) gilt, also die u erung eines Satzes mit der Bedeutung (M2) in Bezug auf seine FHG 'lizensiert' ist: (7)
DEB (λΥρρ [X HAT Υ BROTZEIT GEMACHT] )
Begr ndung: (6) ist quivalent mit (6'): (6') ΜΠΤΕηΧλΥρρ [CARMEN HAT Υ BROTZEIT GEMACHT] (IM BAD))
Aus (6') folgt nun (6") (unter Absehung vom Problem des 'Herausquantifizierens' aus einem opaken Kontext)?:
(6") 3 XNP [ΜΓΠΈηχλΥρρ [X HAT Υ BROTZEIT GEMACHT] (IM BAD))] Damit ist aber die in (B2/2) formulierte hinreichende Bedingung f r die Geltung von (7) in der jeweiligen Diskursumgebung und damit die in (B 1/2) formulierte notwendige Bedingung f r die Angemessenheit der in (2) gew hlten FHG erf llt. Es ist also erkl rt, warum die u erung eines Satzes mit der Bedeutung (M2) in eine Diskursumgebung pa t, in der kurz vorher eine u erung mit der Bedeutung (6) vollzogen wurde (vorausgesetzt nat rlich, da die (M2)- u erung nicht andere Restriktionen verletzt). Andererseits ist erkl rt, wieso - falls es keine anderen Faktoren in der Gespr chssituation gibt, die (7) herbeif hren - eine u erung mit der Bedeutung (8) (8)
MITTEIL(CARMEN HAT IM BAD GESCHLAFEN)
keinen geeigneten 'Redehintergrund' f r die Frage (2) darstellt Aus (8) folgt ja nicht (6"). Dagegen w re in dieser Umgebung eine u erung von (1) in der 'all-new'-Lesart (Ml) 9 Das man durch eine passende 'Anhebung' des Typs der Variablen l sen kann.
210 (Ml)
FRAGE(
[#
[ ] X HAT IM WOHNZIMMER BROTZEIT GEMACHT #])
nach (10) nicht ausgeschlossen, da hier der 'leere' Hintergrund dem Stand des Diskurses keinerlei Beschränkungen auferlegt !0
3.2
Weiterführende Überlegungen
Prima facie ist (B l) als Beschreibung der durch die FHG von w-Fragen induzierten Verwendungsrestriktionen noch zu liberal. So schließt (Bl) nicht aus, daß (2) unmittelbar nach (9) geäußert wird, eine Möglichkeit, die intuitiv nicht gegeben ist: (9)
Jemand hat im Wohnzimmer Brotzeit gemacht.
Der Grund dafür, daß (2) nach (9) durch (Bl) nicht ausgeschlossen wird, ist, daß aus der Bedeutung einer (als Mitteilung fungierenden) Äußerung von (9) die Aussage (10) folgt: (10) B XNP [MITTEIL (XYpp [X HAT
BROTZEIT GEMACHT] (IM WOHNZIMMER))]
(10) hat nach (B2) aber die Erfüllung der in (Bl) formulierten Bedingung für die Angemessenheit einer Äußerung von (2) zur Folge. Das Problem ist hier offensichtlich, daß (Bl) zwar fordert, daß der -Teil 'alte Information' ist, aber nicht, daß der F-Teil 'neue Information' ist. (Bl) ließe sich zweifellos so verschärfen, daß dies berücksichtigt wird,11 aber ich habe den Verdacht, daß man damit die fragliche Restriktion nicht am richtigen Ort explizieren würde. Daß das, was nicht im Hintergrund ist, nicht denselben informationellen Status hat wie dieser, scheint mir vielmehr aus einer speziellen Anwendung der Griceschen Maximen zu folgen. Wenn jemand den Formulierungsaufwand einer engen Fokussierung auf sich nimmt, d.h. durch spezielle Intonationen und/oder Konstruktionen einen F-Teil kreiert, der nur einen echten Teil der Satzproposition umfaßt, würde er gegen diese Maximen verstoßen, wenn dieser F-Teil sich bezüglich der Unterscheidung von 'alter Information* und 'neuer Information' nicht vom -Teil unterscheiden würde. (Denn dann könnte man in der Regel auch eine weniger 'markierte' Intonation/Konstruktion wählen.) Also darf ein solcher F-Teil bei Einhaltung der Prinzipien keine 'alte Information' beinhalten. (Das müßte natürlich genauer ausgearbeitet werden.) Ein weiteres vielleicht überraschendes Charakteristikum der oben skizzierten Explikation des Effekts der FHG in w-Interrogativsätzen ist, daß keinerlei Vorkehrungen getroffen werden, sicherzustellen, daß die Entsprechung des Interrogativpronomens in der semantischen Repräsentation - nämlich die von dem auf FRAGE folgenden Lambda-Operator gebundene Variable (z.B. "X" in (M2)) - ausschließlich im F-Teil dieser Repräsentation vorkommt. Tatsächlich liegt dieses Element z.B. in (M2) im -Teil. Dies widerspricht der weit verbreiteten Auffas10 Ich gehe davon aus, daß DEB ( 11 Vgl. z.B. Jacobs (1988:95f.).
[ ]) in jeder Diskursposition erfüllt ist.
211 sung, daß Interrogativpronomina (allgemeiner: w-Phrasen) immer 'im Fokus' sind. Nach den obigen Überlegungen besteht kein Grund zu dieser Annahme. Richtig ist nach diesen Überlegungen allerdings, daß das die 'Interrogativität' der fraglichen Pronomina ausmachende semantische Element, nämlich der sie bindende Satzmodusfunktor, normalerweise weder im H-Teil noch im F-Teil vorkommen kann. Das wäre nach der RFA (vgl. 1.2) nur dann möglich, wenn der Satzmodusfunktor selbst im Skopus eines fokussensitiven Funktors läge, und das ist in der Regel nicht der Fall. Die Ausnahme zu dieser Regel sind m.E. Echo-Fragen. Eine nicht unplausible Repräsentation für eine Echo-Frage wie (11) (11) Carmen hat wo geschlafen? wäre (Mil): (Mil) FRAGE(XXpp [#
[ASSERT(CARMEN HAT GESCHLAFEN)], X #])
Als propositionaler Gehalt der Frage fungiert danach die - an der Stelle des Interrogativpronomens Offene' - Bedeutung (einschließlich Satzmodus) des zum Vollzug der Echo-Frage geäußerten Deklarativsatzes. (Ml 1) entspricht der Paraphrase (vgl. 2.3.1): 'Für ein durch die Situation festzulegendes gilt, daß die anzunehmenden Kenntnisse von nicht so sind, daß die Extension von XXpp[#ASSERT(CARMEN HAT X GESCHLAFEN)] in einem für s relevanten Umfang spezifizieren kann' - m.a.W.: weiß nicht, bezüglich welches Orts X assertiert wurde, daß Carmen an X geschlafen hat. Außerdem expliziert (Mil) den Satz als einen, der - qua HInformation (vgl. 3.1) - nur in Kontexten geäußert werden kann, in denen eine Assertion über den Ort, an dem Carmen geschlafen hat, im Aufmerksamkeitsbereich der Diskursteilnehmer ist12 und in denen es zudem nach dem in 2.3 erläuterten Mechanismus zu einer sprecherbezogenen Implikatur kommen kann, die beinhaltet, daß es einen Ort gibt, von dem assertiert wurde, daß Carmen an ihm geschlafen hat. All dies entspricht m.E. recht gut den intuitiven Verwendungsbedingungen von (11). Vgl. dazu auch 4.1.5.
4. 4.1
Einwände und Alternativen Die Kritik von Marga Reis
Marga Reis hat detaillierte Einwände gegen eine frühere Version (im folgenden VI) der eben dargestellten Theorie (im folgenden V2) formuliert, vgl. Reis (1990:5.2.1). Da sich V2 und VI in den meisten Punkten, auf die sich Reis' Kritik bezieht, nicht unterscheiden,^ möchte ich zu 12 Genauer gesagt ergibt sich dies unter Voraussetzung einer - technisch unproblematischen - Liberalisierung von (B2), die es zuläßt, daß der Satzmodusoperator (repräsentiert durch a) auch innerhalb von H liegen kann. 13 VI unterscheidet sich von V2 durch eine andere logische Typisierung des FRAGE-Operators und eine entsprechende andere Formulierung von (P-FRAGE). Diese Änderungen tragen Überlegungen zur Bedeutungskomposition in Fragesätzen Rechnung. Sie sind insbesondere mit Blick auf eine Explikation des gemeinsamen Bedeutungskems von selbständigen und unselbständigen Fragesätzen formuliert, vgl. dazu 4.1.3.
212 ihren Einwänden hier Stellung zu nehmen, was mir auch Gelegenheit zur weiteren Erläuterung meiner Vorschläge gibt.
4.1.1 Rhetorische w-Fragen Reis' erster Einwand ist, daß die bei rhetorischen w-Fragen auftauchenden inhaltlichen Effekte durch meine Vorschläge nicht erfaßt werden können, da "für keine der in der Gesprächssituation figurierenden Personen unterstellt wird, daß die Frage offen ist" (ebd.:62). Das legt nach Reis nahe, "daß der in (l 16) [= (P-FRAGE)] angenommene Einstellungsbezug mindestens insofern viel lockerer ist, als gewöhnlich unterstellt, als er nicht notwendig mit den Sprecher/ Hörer-Einstellungen zu tun hat" (ebd.). Hier sind m.E. vor allem Zweifel an Reis' Behauptung anzumelden, daß bei rhetorischen Fragen "für keine der in der Gesprächssituation figurierenden Personen unterstellt wird, daß die Frage offen ist" (s.o.). Zumindest in typischen Fällen rhetorischer Fragen fungiert ganz klar der jeweilige Adressat als derjenige, dessen in der Gesprächssituation etablierte Kenntnisse nicht zu einer ausreichenden Extensionsspezfikation hinreichen (vgl. 2.3.1). Rhetorische Fragen dienen üblicherweise dazu, den Adressaten an etwas zu erinnern oder ihn zur Schlußfolgerung einer ihm offensichtlich nicht präsenten Tatsache zu veranlassen,14 verweisen also tatsächlich darauf, daß für eine der beteiligten Personen die Frage momentan Offen ist'. Dies erklärt auch bestimmte Beschränkungen für die möglichen Dialogpositionen von rhetorischen Fragen: (12) A: Niemand mag Peter. B: Ja, niemand mag ihn. /??Ja, wer mag ihn schon. Im übrigen kann man natürlich nicht davon ausgehen, daß die im Sinne von (P-FRAGE) fixierte Bedeutung von FRAGE in sämtlichen Interrogativsatzverwendungen unverändert bleibt Wie bei allen Funktoren, die Bestandteil der grammatisch determinierten Bedeutungsstruktur eines Satzes sind, muß man auch hier mit der Möglichkeit von 'nicht-wörtlichem' Gebrauch rechnen, wenn die kontextuellen Bedingungen vorliegen, die entsprechende Uminterpretationen auslösen. Schließlich ist anzumerken, daß dieser erste Reissche Einwand, wenn man ihn uneingeschränkt akzeptieren müßte (was, wie eben gezeigt wurde, nicht der Fall ist), zwar gegen meine Vorschläge, nicht aber für die von Reis übernommene 'einstellungsfreie' Analyse des Interrogativsatzmodus aus Brandt et al. (1989) spräche, denn deren Voraussagen für rhetorische Fragen sind infolge von Explizitheitsmängeln unklar. 15 Entsprechendes gilt auch für die im folgenden zu diskutierenden Einwände.
14 Vgl. Hermann Pauls schöne Charakterisierung: "Man nötigt dadurch [durch eine rhetorische Frage, J.J.] den Angeredeten eine Wahrheit aus eigener Überlegung heraus anzuerkennen, wodurch sie ihm energischer zu Gemüte geführt wird, als wenn sie ihm bloss von aussen mitgeteilt würde." (Paul 1920:138) 15 Vgl. Anm.6. Zur ganzen Problematik der Implikaturen von rhetorischen Fragen vgl. Meibauer (1990), der zu dem von mir völlig geteilten Schluß kommt, "daß es gar nicht Sinn des Satztypoperators sein kann, auf alle Verwendungsfälle gleichermaßen gemünzt zu sein." (ebd.:43)
213
4.1.2 Eingebettete w-Interrogativsätze Reis' zweiter Einwand zielt wieder darauf ab, zu zeigen, daß der Einstellungsbezug von Interrogativsatzverwendungen lockerer ist, als es die um FRAGE zentrierte Analyse erwarten läßt. Sie verweist darauf, daß bei eingebetteten w-Interrogativsätzen Existenzimplikaturen nicht nur auf den Sprecher oder den Adressaten, sondern auch auf im Matrixsatz erwähnte Personen relativiert sein können, und daß es dabei außerdem viele Fälle gibt, wo eine sprecherbezogene Existenzimplikatur vorliegt, ohne daß das in (P-FRAGE) durch den Sprecher instantiiert wird. Diese Beobachtungen sind zweifellos richtig, doch sind sie für die Diskussion von FRAGE irrelevant, da dieser Funktor kein Bestandteil der Bedeutungsrepräsentation eingebetteter Interrogativsätze ist. 16 Andernfalls würden semantisch absurde Analysen resultieren, etwa eine, die Satz (13) (13) Peter weiß, wen Luise heiratet, als mit (P-13*) paraphrasierbar expliziert: (P-13*)
Peter weiß, daß für einen Gesprächsteilnehmer gilt: die Kenntnisse von reichen nicht aus, um die Extension von XX[LUISE HEIRATET] in ausreichendem Umfang zu spezifizieren.
Eingebettete Interrogativsätze repräsentiere ich vielmehr grundsätzlich mit [ ( [ ])], wobei Op eine Variable vom Typ der Prädikate über offene Propositionen ist. bindet, wenn es sich um w-Interrogativsätze handelt, die durch die w-Phrase induzierte Variable in p. (13) hätte danach (unter Absehung von der hier irrelevanten FHG) die semantische Struktur ( 13), (M13) Ky[ XOp[Op(XX[LUlSE X HEIRATET])] (Xx[XP[WEIß(P)(x)]](y))] (PETER) bzw. nach Lambda-Konversion: (Ml3') WEIß (XX[LUISE X HEIRATET]) (PETER)
Die Interpretation von WElß(XX[p])(x) ist die folgende: (P-WElß) Die Kenntnisse von Person sind derart, daß in der Lage ist, die Extension von [ ] in einem für die beschriebene Situation ausreichenden Umfang zu spezifizieren. (13) bedeutet nach dieser Analyse also:
16 Ich habe allerdings das Problem der semantischen Repräsentation eingebetteter Interrogativsätze in VI offen gelassen und dadurch möglicherweise zu Fehlinterpretationen eingeladen. 17 Der Teilausdmck Xx[XP[WEIß(P)(x)]] ist die Repräsentation von "weiß" in der hier einschlägigen Lesart, PETER die Repräsentation von "Peter". Die anderen Teile von (M13) (wie Xy) werden durch ein typgesteuertes System von Übersetzungsregeln eingeführt, das in Jacobs (1990) spezifiziert wird.
214
(P-13)
Peters Kenntnisse sind derart, daß er in der Lage ist, die Extension von XX[LUISE X HEIRATET] in einem für die beschriebene Situation ausreichenden Umfang zu spezifizieren.
Auf der Basis von (P-13) läßt sich leicht ableiten, daß Äußerungen von (13) mit bestimmten Implikaturen verbunden sind, z.B. mit der Sprecherimplikatur, daß jemand kommt. Wenn der Sprecher wüßte, daß Luise niemanden heiratet, und außerdem davon ausgehen müßte, daß der Adressat das nicht weiß, wäre die Äußerung von (13) im Sinne von (P-13) in vielen Situationen ein Verstoß gegen die Gricesche Maxime der Quantität (nämlich in all jenen, in denen es um die Frage geht, wen Luise geheiratet hat). Entsprechend lassen sich auch viele andere Implikaturen aus eingebetteten Interrogativsätzen ableiten, wobei insbesondere der von Reis beobachteten Variation des Personenbezugs dieser Implikaturen Rechnung getragen werden kann, erstens dadurch, daß das Subjekt und gegebenenfalls das Objekt des Matrixprädikats verschiedene Referenz haben können, und zweitens natürlich dadurch, daß die Matrixprädikate selbst variieren können. All diese Informationen gehen ja in die Kalkulation der Implikaturen mit ein: (14) Peter sagte mir, wen Luise heiratet. (15) Ich habe vergessen, wen Luise heiratet. (16) Er hat uns verheimlicht, wen Luise heiratet Daß z.B. Äußerungen von (14) normalerweise implikatieren, daß Peter glaubt, daß es jemand gibt, den Luise heiratet, ergibt sich in zwei Schritten: a) Wenn Peter dem Sprecher gesagt hätte, daß Luise niemanden heiratet, wäre (14) ein Verstoß gegen die Maxime der Quantität. Also hat Peter dem Sprecher etwas gesagt, aus dem folgt, daß Luise jemand geheiratet hat. b) Wenn die Äußerung von Peter, über die in (14) berichtet wird, aufrichtig war - und davon geht man normalerweise aus - muß Peter wegen a) glauben, daß Luise jemanden geheiratet hat. Q.e.d. Ich nehme im übrigen an, daß für alle Matrixprädikate, die w-Interrogativsätze einbetten können, zu (P-WEIß) analoge Bedeutungsanalysen gegeben werden können, also solche, die sie als (jeweils unterschiedliche) Relationen zwischen Individuen und offenen Propositionen explizieren.
4.1.3 Exkurs: Zur Bedeutungskomposition in Interrogativsätzen Die Möglichkeit der Ableitung verschiedener Arten von Implikaturen ist allerdings nur ein vergleichsweise marginaler Vorteil der eben angedeuteten Analyse eingebetteter Interrogativsätze. Wichtiger ist, daß sie es erlaubt, einige der notorischen Probleme der Analyse der Bedeutungskomposition in Interrogativsätzen auf einfache Weise und ohne Rekurs auf Ad-hoc-Mittel zu lösen. So ergibt sich auf der Basis von (P-WEIß) sofort eine intuitiv adäquate Analyse der Negation von (13), (17) Peter weiß nicht, wen Luise heiratet, nämlich (P-17):
215 (P-17)
Peters Kenntnisse sind nicht derart, daß er in der Lage ist, die Extension von XX[LUISE X HEIRATET] in einem für die beschriebene Situation ausreichenden Umfang zu spezifizieren.
(P-17) vermeidet insbesondere die sich aus der u.a. von Zaefferer (1984) vorgeschlagenen Allquantor-Repräsentation von w-Interrogativsätzen ergebenden Skopusprobleme.18 Der wichtigste Vorteil der vorgeschlagenen Analyse ist jedoch, daß sie einen Weg zu einer einheitlichen Bedeutungsanalyse aller Interrogativsätze weist. So unterscheiden sich eingebettete w- und Oö-Interrogativsätze nur dadurch, daß bei letzteren die Variable X vom speziellen Typ der Gültigkeitsprädikate ist - genau analog zum schon in 2.3.1 umrissenen Unterschied zwischen selbständigen w- und Entscheidungsinterrogativsätzen. Die Ableitung der semantischen Repräsentationen von wen Luise heiratet und ob Luise Peter heiratet geht also etwa so vor sich: (BK18)
weni [Luise eiheiratet] XOp[Op(XX[LUISE X HEIRATET])] l Luise wen heiratet LUISE X HEIRATET
(BK19)
ob [Luise Peter heiratet]
XC>P[C>P(XXG[XG(LUISE PETER HEIRATET)])]
l
Luise Peter heiratet LUISE PETER HEIRATET
Ich deute also die Umwandlung des zunächst erzeugten Verbendstellungssatzes in einen einbettbaren Satz (in GB-Sprechweise: in eine CP) in beiden Fällen als Erweiterung der semantischen Repräsentation des Verbendstellungssatzes um eine Argumentstelle für ein Prädikat über offene Propositionen sowie ein passendes 'propositionsöffnendes' Lambdapräfix. Im zweiten Fall kann dies als Applikation einer entsprechenden lexikalischen Repräsentation von ob (nämlich [ [ ( [ ( )1)]]) auf die Repräsentation des Verbendstellungssatzes beschrieben werden (die dann durch Lambda-Konversion in die in (BK19) angegebene Repräsentation des Oö-Satzes umgeformt werden kann). Für den ersten Fall ist vorauszusetzen, daß wPronomina durch Variablen vom entsprechenden logischen Typ repräsentiert werden (für die zudem sortale Restriktionen gelten, die z.B. sicherstellen, daß die Repräsentation von wer nur durch eine Person instantiiert werden kann). Nach diesen Bemerkungen kann man schon ahnen, wie das semantische Verhältnis von eingebetteten zu selbständigen Interrogativsätzen expliziert wird. Wie bei ersteren ist bei letzteren 18 Die man deutlicher erkennt, wenn die Extension von [ ] wahrscheinlich mehr als ein Element hat. So müßte Peter weiß nicht, wer fehlt nach der fraglichen Analyse (i) oder (U) bedeuten: (i) Es ist nicht der Fall, daß Peter für alle X weiß, ob X fehlt. (ii) Für alle X ist es nicht der Fall, daß Peter weiß, ob X fehlt. Gemessen an der Intuition ist aber (i) zu schwach, (ii) zu stark (s. auch Rehbock 1990:3.5). Vgl. dagegen unsere Paraphrase 'Peters Kenntnisse sind nicht derart, daß er die Extension von [ FEHLT] ausreichend spezifizieren kann'.
216 der Funktor, der die jeweilige offene Proposition als Argument nimmt, spezifiziert, nur hier nicht durch das Matrixprädikat, sondern durch die den jeweiligen Satzmodus charakterisierenden Formeigenschaften. Und genauso wie bei eingebetteten Sätzen wird diese Funktorspezifikation auch bei selbständigen Interrogativsätzen durch die mit der Festsetzung der Erstposition (in GB-Sicht: der C-Position) des zugrundeliegenden Verbletztstellungssatzes verbundene Eröffnung einer entsprechenden Argumentstelle vorbereitet. In den Sätzen Wen heiratet Luise? und Heiratet Luise Peter? läuft also in etwa die folgende Bedeutungskomposition ab (T ist eine Variable für Prädikate über Propositionen): (BK20)
Wen2[heirateti [Luise 62 ei]]? XT [T(LUISE X HEIRATET)] (Xp[FRAGE(XX[p])]) l heirateti [Luise wen ei] XT [T(LUISE X HEIRATET)] l
Luise wen heiratet LUISE X HEIRATET (BK21)
Heirateti [Luise Peter ei]? XT [T(LUISE PETER HEIRATET)](Xp[FRAGE(XXc[XG(p)])]) l
heirateti [Luise Peter ei] XT [T(LUISE PETER HEIRATET)] l Luise Peter heiratet LUISE PETER HEIRATET Durch Lambda-Konversion können die hier erzeugten Formeln als äquivalent mit (M20) bzw. (M21) erwiesen werden: (M20) FRAGE(XX[LUISE X HEIRATET])
(M2l) FRAGE(XXG[XG(LUISE PETER HEIRATET)]) Diese Analyse zeigt nicht nur klar die semantischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede eingebetteter und selbständiger Interrogativsätze auf, sondern stellt auch Beziehungen zu anderen Satzarten her, etwa zu Verbzweitsätzen mit Nicht-w-Phrasen im Vorfeld. Deren Analyse beruht auf der Annahme, daß die durch Verbvoranstellung induzierte Satzfunktorstelle bei Topikalisierung einer Nicht-w-Phrase durch den Funktor gesättigt wird, der den assertiven Modus repräsentiert (die hier erzeugte Formel ist äquivalent mit ASSERT(LUISE PETER HEIRATET)): (BK22)
Luise2[heirateti [C2 Peter ei]] XT [T(LUISE PETER HEIRATET)] (Xp[ASSERT(p)]) l
heirateti [Luise Peter ei] XT [T(LUISE PETER HEIRATET)] l Luise Peter heiratet LUISE PETER HEIRATET Damit wird auch sofort klar, warum eine w-Phrase im Vorfeld niemals eine nicht-interrogative
217 Interpretation erhält, während dies bei Mittelfeld-w-Phrasen immer dann der Fall ist, wenn die ihnen entsprechende Variable in der semantischen Struktur nicht durch einen Lambda-Operator gebunden wird, z.B. grundsätzlich bei (nicht als Echo-Fragen verwendeten, vgl. 4.1.5) ObSätzen wie (23), (23) ob Luise wen heiratet da ja ob mit dem Lambda-Operator gleichzeitig die durch ihn zu bindende Variable induziert und deshalb die durch w-Pronomina induzierten Variablen 'übersieht', vgl. (BK 19). Zu den Problemen dieser Analyse - wie jeder anderen mir bekannten kompositionalen Satzmodusanalyse - gehören VERUM-Fokus-Effekte (vgl. Höhle 1988) und der Bedeutungsbeitrag von Modalpartikeln (vgl. Jacobs 1991). Die syntaktischen Mittelfeldpositionen der letzeren sind schwer in Einklang zu bringen mit ihrer Position in der semantischen Struktur - sie modifizieren Satzmodusfunktoren. Beim VERUM-Fokus ist u.a. die Natur des fokussierten Inhaltselements und seine Position in der semantischen Struktur unklar. Für beide Probleme gibt es im Rahmen der eben skizzierten Analyse durchaus Lösungsperspektiven. Diese hier zu diskutieren, würde mich jedoch viel zu weit vom Weg abbringen.
4.1.4 Normalitätsunterschiede Reis' dritter Einwand geht davon aus, daß die Existenzimplikatur von w-Fragen "stark nach generalisierter konversationeller Implikatur aussieht" (Reis 1990:63) - also nach einer, die den Normalfall kennzeichnet - und moniert, daß dies durch die quasi gleichberechtigte Gegenüberstellung der Kontexttypen a) und b) in 2.3.2 nicht zum Ausdruck gebracht wird. (Der zweite Typ, aber nicht der erste, wird ja als Auslöser der Implikatur beschrieben.) Das ist tatsächlich richtig, jedoch kein gravierender Einwand: Man kann die in 2.3.2 dargestellte Ableitung der Implikatur leicht durch Überlegungen über die Normalität der beiden Kontexttypen ergänzen, die dann tatsächlich den implikaturblockierenden Kontext a) als 'markiert' erweisen. Wer eine w-Frage in einer Situation stellt, in der -, Bsp (-, 3 X [p]) & -, Bsp (3 X[p]) gilt, gerät in Konflikt mit anderen pragmatischen Prinzipien, denn es wäre, wie Reis selbst a.a.O. feststellt, "im allgemeinen merkwürdig die Spezifizierung der P [bei mir: p] erfüllenden [bei mir: X] zu thematisieren, wenn man nicht gleichzeitig unterstellte, daß P ein Sachverhalt entspricht, also 3xP(x) [bei mir: 3 X[p]] wahr ist".
4.1.5 Echo-Fragen Auch gegen die mit der Formel (Mil) (hier wiederholt) (Mil) FRAGE(XXpp [#
[ASSERT(CARMEN HAT
GESCHLAFEN)], X #])
verbundene Analyse von Echo-Fragen hat Reis mehrere Einwände erhoben - interessanterweise einen davon nur eingeschränkt, nämlich daß durch diese Repräsentation Echo-w-Fragen "schon semantisch primär als Fragesätze eingestuft werden", was nach Reis aber nichts ist, "worüber man bei dem Mischcharakter von EwS [Echo-w-Sätzen] isoliert argumentieren kann"
218
(ebd.:63f.). Genau dieser Einwand scheint mir aber tatsächlich auf einen gravierenden Mangel des diesbezüglichen Vorschlags in VI hinzudeuten (dem in V2 durch eine geänderte Formulierung Rechnung getragen wurde). Die von Reis (1990) herausgearbeiteten Evidenzen dafür, daß "EwS [...] nur in pragmatischer Hinsicht Fragen" sind (ebd.:70), sprechen eindeutig gegen jede Analyse, die, wie VI, die Fragequalität von Echo-Fragen als schon grammatisch determiniert beschreibt. Ich gehe nun vielmehr mit Reis davon aus, daß die 'Aufstockung' der grammatisch determinierten Bedeutung eines zum Vollzug einer Echo-Frage geäußerten Satzes - das wäre in unserem Beispiel die Bedeutung ASSERT(CARMEN HAT GESCHLAFEN) - zur Bedeutung dieser Echo-Frage (hier: zu (Ml 1)) Resultat einer durch die enge Fokussierung des w-Pronomens initiierten pragmatischen Schlußkette ist. Zu den deutlichsten Hinweisen darauf, daß dabei die Grammatik ausgeschaltet ist, gehört die Tatsache, daß w-Pronomina bei Echo-Fragen, im Gegensatz zu solchen in situ verbleibenden w-Pronomina, deren Fragequalität grammatisch festgelegt wird,19 keinen 'Inselbeschränkungen' unterliegen (vgl. Reis 1990:15f.): (24) Daß w6r nicht gehorchen wollte, ärgerte ihn über alle Maßen? (25) Um die Frau wissen zu treffen, reiste er nach Berlin? Die verbleibenden Einwände von Reis bleiben allerdings von dieser gegenüber VI hier vorgenommenen Änderung unberührt.20 Das gilt insbesondere für ihre Kritik, der Vorschlag verabsolutiere "den einen Verwendungsfall, in dem tatsächliche Vorgängeräußerungen vorliegen" (ebd.:64). Reis bezieht sich hier auf die von ihr aufgezeigten Möglichkeiten, mit Äußerungen von Sätzen wie (11) auch in Situationen Fragen zu vollziehen, in denen es keine 'Vorgängeräußerungen' gibt, etwa in Quiz- oder Prüfungssituationen. Tatsächlich habe ich weder in VI noch in V2 vorgeschlagen, die Bedeutung solcher Äußerungen durch Formeln wie (Mil) darzustellen. Ich gehe hierfür vielmehr von Repräsentionen aus, die identisch sind mit denen für entsprechende Sätze mit eng fokussiertem w-Pronomen im Vorfeld: (Ml l') FRAGE(XXpp [#
[CARMEN HAT
GESCHLAFEN], X #])
Offen lassen möchte ich dabei, ob auch hier eine rein pragmatische Interpretationsfestlegung vorliegt oder ob es sich hier nicht vielmehr um eine schon grammatisch vorgesehene (aber im Deutschen wohl 'markierte') Bedeutungsmöglichkeit von Sätzen mit w-Pronomina in situ handelt. Für letzteres scheint mir einiges zu sprechen, u.a. daß man bei diesen Interpretationen nicht die oben erwähnte völlige Ausschaltung von Inselbeschränkungen beobachten kann. So wären (24) und (25) als Quizfragen wohl weit weniger wohlgeformt denn als Fragen, die eine vorangehende Äußerung wiederaufnehmen. (Hier wäre die Sichtung einschlägiger Textkorpora hilfreich.) Hiermit gibt man natürlich die von Reis angestrebte einheitliche Repräsentation der Satzver19 Vgl. z.B. Huang (1982). 20 Ich berücksichtige dabei nicht Reis' Behauptung, Repräsentationen wie (Ml 1) stünden im Widerspruch zur RFA, die sachlich falsch ist (vgl. die Erläuterungen zu (Mil) in 3.2), aber wohl auf eine ungenaue Formulierung in VI zurückgeht.
219
Wendungen auf, die sie dem Begriff 'Echo-Frage' subsumiert (nicht jedoch die Möglichkeit, viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen zu erfassen). Ob man damit zuviel aufgibt, ließe sich allerdings erst dann entscheiden, wenn ein plausibler Vorschlag für eine solche einheitliche Repräsentation zum Vergleich vorläge. Reis' eigener Vorschlag - der allerdings deutlich tentativ ist - kann hierzu nicht dienen, denn er erfaßt, so weit man das beurteilen kann, keine der fraglichen Satzverwendungen. Er beruht auf der Idee, daß in den einschlägigen Fällen der den Fragesatzmodus kennzeichnende OFFEN-Operator in der Position des w-Pronomens im Skopus des den Restsatzmodus kennzeichnenden Operators steht, daß also eine Inhaltsstruktur der Form SM(...OFFEN(x)...) vorliegt (vgl. ebd.:65). Abgesehen davon, daß hierfür eine Ad-hocUmtypisierung des OFFEN-Operators nötig wäre (der in jedem anderen Fall ein einfacher oder variablenbindender Satzoperator sein soll), würde dies eine kaum nachvollziehbare Bedeutung suggerieren, nämlich, daß in den fraglichen Satzverwendungen der Operator SM den OFFENOperator 'betrifft', daß also z.B. in (l 1) eine Aussage über die - wie auch immer zu explizierende - Offenheit des Orts, an dem Carmen geschlafen hat, gemacht wird, oder in Bring mir was? eine Aufforderung, etwas 'Offenes' zu bringen. Das widerspricht klar den Bedeutungsintuitionen über solche Sätze/Äußerungen.2l
4.2
Existenzimplikaturen ohne grammatischen Einstellungsbezug
Einer der Mängel von VI, die Reis nicht - oder nicht direkt - diskutiert hat, ist, daß dort nicht ausreichend deutlich gemacht wurde, daß sich aus der Ableitbarkeit der Existenzimplikaturen von w-Interrogativsätzen kein Pro- oder Contra-Argument in der vieldiskutierten Frage 'einstellungsfreier' Satzmodusanalysen ergibt.22 Daß die Implikaturen für die Diskussion dieser Frage tatsächlich ganz irrelevant sind, kann man sich durch ein kleines Gedankenexperiment klar machen: Nehmen wir an, wir hätten Anlaß, von einer 'einstellungsfreien' Analyse des w-Satzmodus auszugehen, die sich von der oben vorgeschlagenen 'einstellungshaltigen' Theorie dadurch unterscheidet, daß wir die Repräsentation eines Satzes wie (2) (2)
Wer hat im Wohnzimmer Brotzeit gemacht?
durch einen einstellungsbezogenen Funktor (M2)
FRAGE(XXNP [# XYpP [X HAT
BROTZEIT GEMACHT], IM WOHNZIMMER #])
als pragmatisch determiniert betrachten, nämlich als das Resultat einer kontextuelles Wissen und pragmatische Prinzipien anwendenden Kalkulation, deren 'input' eine grammatisch deter21 Man kann diese kritischen Bemerkungen auch als eine Anregung dazu interpretieren, die intendierte Bedeutung des OFFEN-Operators soweit explizit zu machen, daß zweifelsfrei festgestellt werden kann, ob sie gerechtfertigt sind. Vgl. Anm.6 und den folgenden Abschnitt 22 Ich habe dort vielmehr zu zeigen versucht, daß es unwahrscheinlich ist, daß sich aus Repräsentationen mit dem OFFEN-Operators aus Brandt et al. (1989) bei einer naheliegenden Interpretation desselben die fraglichen Implikaturen ableiten lassen, habe es aber unterlassen, die Ableitbarkeit der Implikaturen bei anderen 'einstellungsfreien' Analysen zu überprüfen.
220
minierte Satzrepräsentation ist, in der nicht auf Einstellungen Bezug genommen wird, z.B. (M2l), (M22), (M23) oder (M24): (M21) (M22) (M23) (M24)
[
( (
[# XYpp [X HAT BROTZEIT GEMACHT], IM WOHNZIMMER #])] [# XYpp [X HAT BROTZEIT GEMACHT], IM WOHNZIMMER #]) [# [X HAT BROTZEIT GEMACHT], IM WOHNZIMMER #] # XYpp [X HAT BROTZEIT GEMACHT], IM WOHNZIMMER #
(Bei der ersten dieser Repräsentationen käme FRAGE durch Füllung einer offenen Argumentstelle hinzu, bei der zweiten durch Instanzüerung einer freien Variable, bei der dritten und vierten durch eine in der logischen Syntax noch nicht vorbereitete Erweiterung, die bei der vierten außerdem noch einen 'propositionsöffnenden' Lambda-Operator einführen müßte.) Auf jede dieser Varianten läßt sich nun die in 2.3.2 vorgenommene Ableitung der Existenzimplikatur wortwörtlich übertragen, wobei jeweils als Eingabe das nun pragmatisch determinierte (M2) dient - vorausgesetzt, daß die Bedingungen dieser pragmatischen Determination die implikaturauslösende Einstellungskonstellation ßsp (3 X [p]) weder ausschließen noch erzwingen. Da man von letzterem wohl ausgehen kann, ist damit gezeigt, daß die Frage der Existenzimplikaturen und die des grammatisch determinierten Einstellungsbezugs unabhängig voneinander sind. Die Entscheidung zwischen einer einstellungsbezogenen und einer nicht-einstellungsbezogenen Satzmodusrepräsentation muß also auf andere Evidenzen gegründet werden. Z.B. muß wenn wir im Rahmen der gerade vorgestellten Repräsentationsvarianten bleiben - überprüft werden, ob die jeweils angenommenen pragmatischen Kalkulationen nur zum erwünschten Ergebnis (M2) führen (dies ist bei Annahme von (M2) als grammatischer Repräsentation trivialerweise der Fall) oder ob sie nicht auch die Hinzufügung typmäßig passender, aber inhaltlich unerwünschter Funktoren (wie etwa WElßsp oder SAGTSP) zulassen. Auch Aspekte der Kompositionalität sind zu bedenken, so etwa, ob dem Verhältnis zwischen eingebetteten und selbständigen Interrogativsätzen Rechnung getragen werden kann. (Dies wurde für grammatisch determiniertes (M2) oben gezeigt. Bei den Varianten (M21), (M23) und (M24) ergäbe sich u.a. das Problem, den intuitiven Bedeutungsunterschied zwischen selbständigen und eingebetteten Interrogativsätzen zu erfassen.2^ Schließlich muß auch in Betracht gezogen werden, inwieweit die verschiedenen Vorschläge im Einklang mit unabhängig gerechtfertigten Annahmen stehen (z.B. mit der RFA, der (M23) und (M24) widersprechen.) Bezüglich eines Bewertungskriteriums unterscheiden sich die eben gegenübergestellten Repräsentationsvarianten allerdings nicht: Ihre logischen Eigenschaften sind klar, so daß man bei ihrer Abwägung auf unfruchtbare Auseinandersetzungen über mögliche Interpretationen der in ihnen verwendeten Symbole verzichten kann. Ich halte das für einen nicht unerheblichen Vorteil jedes dieser Lösungsvorschläge gegenüber anderen, die derzeit diskutiert werden.
23 Der sich u.a. darin manifestiert, daß sich in eingebetteten w-Sätzen nicht die für selbständige w-Sätze charakteristischen Modalpartikeln finden können, es sei denn, das Matrixprädikat laßt sich als Beschreibung eines Sprechakts und/oder der eingebettete Satz als quotationeil interpretieren, vgl. Wer möchte denn noch was?. Er fragte, wer denn noch was möchte, *Ich weiß nicht, wer denn noch was möchte.
221
Literatur Brandt, M./Rosengren, I./Zimmennann, I. (1989): Satzmodus, Modalität und PerformativitäL - In: S&P 13, 1-42. Höhle, T.N. (1988): VERUM-Fokus. - In: S&P 5, 1-7. Huang, C.-T. J. (1982): Logical Relations in Chinese and the Theoiy of Grammar. - Ph.D. Dissertation, MIT, Cambridge/Mass. Jacobs, J. (1988): Fokus-Hintergrund-Gliederung und Grammatik. - In: H. Altmann (Hg.): Intonationsforschungen (Tübingen: Niemeyer) 89-134. — (1990): Zur Syntax und Semantik der Statusrektion. - Typoskript, Wuppertal. — (1991): On the Semantics of Modal Particles. - In: W. Abraham (Hg.): Discourse Particles (Amsterdam: Benjamins). Meibauer, J. (1990): Existenzimplikaturen bei rhetorischen w-Fragen. - In: S&P 19,27-45. [In Überarbeiteter Fassung in diesem Band.] Paul, H. (1920): Prinzipien der Sprachgeschichte. - Halle: Niemeyer (Zitiert nach der Ausgabe Tübingen: Niemeyer 1970). Rehbock, H. (1990): Fragen stellen - Zur Interpretation des Interrogativsatzmodus. - In: S&P 18,1-48. Reis, M. (1990): Zur Grammatik und Pragmatik von Echo-w-Fragen. - In: S&P 20.1-72. Rosengren, I. [in diesem Band]: Zur Fokus-Hintergrund-Gliederung im Deklarativsatz und im w-Interrogativsatz. S&P (Iff.), Sprache und Pragmatik. Arbeitsberichte des Forschungsprogramms "Sprache und Pragmatik" hrsg. v. I. Rosengren. - Lund: 1988ff. von Stechow, A. (1989): Focusing and backgrounding operators. - Fachgruppe Sprachwissenschaft, Univ. Konstanz (= Arbeitspapier Nr. 6). Zaefferer, D. (1984): Fragen und Frageausdrücke im Deutschen. Zu ihrer Syntax, Semantik und Pragmatik. München: Fink.
Existenzimplikaturen bei rhetorischen w-Fragen Jörg Meibauer, Tübingen
Ausgangspunkt des Beitrags ist die Frage, ob der Satzmodus von w-Interrogativsätzen einstellungsbezogen zu formalisieren ist oder nicht. Jacobs (1990) vertritt gegen Rosengren (1990) die Auffassung, daß sein einstellungsbezogener Ansatz im Gegensatz zum einstellungsunabhängigen Ansatz von Rosengren die Deduktion der sog. Existenzimplikatur von w-Interrogativsätzen gestatte. Reis (1990) hat den Jacobsschen Ansatz u.a. am Fall rhetorischer w-Fragen kritisiert. Im vorliegenden Beitrag wird untersucht, welche Evidenz rhetorische w-Fragen und ihre charakteristischen Implikaturen für diese Kontroverse bieten, wobei besonders den Griceschen Testverfahren für Implikaturen Aufmerksamkeit geschenkt wird.
1. Einleitung Über sogenannte Existenzimplikaturen von w-Interrogativsätzen ist immer wieder gehandelt worden, und ich möchte es hier einmal mehr tun, und zwar unter folgenden Aspekten: Dem des Vergleichs mit Implikaturen von rhetorischen w-Fragen, und dem des Bezugs auf die Problematik der Repräsentation der wörtlichen Bedeutung von Interrogativsatztypen. Ausgangspunkt ist die w-Frage (la), bei der in normaler Verwendung die Existenzimplikatur (Ib) entsteht: (l)
a. Wer ist für die Wiedervereinigung? b. ' Jemand ist für die Wiedervereinigung.'
Die Bedeutungsentität (Ib) ist wiederholt als Presupposition analysiert worden, so in jüngster Zeit von Kiefer (1988) und Pasch (1989a). Die Mehrheit scheint aber für die Analyse als Implikatur zu plädieren, wobei man von der Griceschen Theorie der Implikaturen ausgeht.1 Dabei entzündet sich Streit insbesondere an der Frage, ob es sich um eine konventionelle oder konversationelle Implikatur handelt. Rhetorische w-Fragen, bei denen andere Implikaturen eine Rolle spielen, werden als Beleg für die Gültigkeit der letztgenannten Annahme genannt. Mehrfach wurde versucht, die Semantik des Interrogativsatztyps mit Hilfe eines Einstellungsoperators zu symbolisieren (vgl. Altmann 1987; Motsch/Pasch 1987; Öhlschläger 1988; Pasch 1989a), wobei es im einzelnen große Unterschiede in der Deutung dieses Operators gibt. Solchen einstellungsbezogenen Ansätzen stehen Ansätze gegenüber, die grundsätzlich Einstellungen als asemantisch betrachten und daher Satztypoperatoren einstellungsunabhängig formulieren (vgl. Brandt/Rosengren/Zimmermann 1989; Rosengren 1990). Aber auch hier stellt sich l Der wesentliche Grund hierfür ist, daß das Standardkriterium für die Präsupposition, Konstanz unter Negation, in diesem Fall nicht greift.
224
die Frage nach der Interpretation, die man diesem Operate«· gibt. Nun hat Jacobs (1989) kürzlich argumentiert, daß der nicht-einstellungsbezogene Ansatz von Rosengren (1990) es nicht gestatte, die Existenzimplikatur von w-Fragen abzuleiten - im Gegensatz zu seiner eigenen, einstellungsbezogenen Theorie. Da bestimmte Verwendungen von w-Interrogativsätzen, insbesondere rhetorische w-Fragen, als problematisch für Jacobs' Ansatz angesehen worden sind (so bei Reis 1990), liegt es nahe, an diesem Fall dem Beziehungsgeflecht zwischen Satztypenbedeutung und Implikaturen im Detail nachzugehen. Ich konzentriere mich im folgenden auf wer-eingeleitete Fragen; die Verhältnisse bei anderen w-Wörtern bedürfen der gesonderten Untersuchung.
2. 2.1
Existenzimplikaturen bei (Informations-)w-Fragen Die Ansätze von Jacobs (1989,1990)
Jacobs sieht die Bedeutungsentität (Ib) als konversationeile Implikatur an, die sprecherbezogen ist. Er geht von einem Einstellungsoperator FRAGE aus, der wie folgt gedeutet werden soll: (2)
FRAGE Für mindestens eine durch die Gesprächssituation festzulegende Person gilt: Für alle in Frage kommenden X gehört weder p noch -ip zu den Annahmen dieser Person.
Auf der Basis von (2) wird die sprecherbezogene Existenzimplikatur von w-Fragen abgeleitet: (3)
a.
Wenn ein Sprecher eine w-Frage stellt, folgt daraus, daß er nicht annimmt, daß p nicht existiert. FRAGES X(p) -» ^BS (-£ X(p))
Das Konsequens in (3a) ist genau in den Fällen (3b) und (3c) erfüllt: b. Wenn der Sprecher nicht annimmt, daß p nicht existiert, und nicht annimmt, daß p existiert, dann liegt eine Situation vor, in der der Sprecher in bezug auf das Zutreffen von 3 X(p) keinerlei Informationen hat. -,BS (-a X(p)) & -,BS (3 X(p)) c.
Wenn die Gesprächssituation den Fall (b) ausschließt, bleibt nur übrig, daß der Sprecher annimmt, daß p existiert (Existenzimplikatur). BS (3 X(p))
Das Konsequens in (3a) ist dadurch begründet, daß sich die mögliche alternative Formulierung BS (-,3 X(p)), d.h. der Sprecher nimmt an, daß p nicht existiert, mit der Festlegung des FRAGE-Operators ausschließt, da dieser ja Ignoranz bezüglich p und - verlangt. Daß dies eine einstellungsbezogene Analyse ist, erhellt aus der Festlegung des FRAGE-Operators in (2) auf Annahmen des Sprechers. Die Art der Einstellung (man könnte an eine Glaubens- oder Wissenseinstellung denken) wird aber nicht konkretisiert (s.u., 4.2.3).
225
Die vorgesehene Interaktion zwischen Semantik und Pragmatik ist denkbar einfach: Implikaturen werden aus der Operatorbedeutung plus Informationen über die Gesprächssituation deduziert. Diese Analyse wird in Jacobs (1990) in ihren Grundzügen beibehalten. Jedoch ist hier der FRAGE-Operator vom logischen Typ eines Prädikats. Die Bedeutung einer Formel FRAGE (XX(p)) entspricht also der folgenden Paraphrase: (2') P-FRAGE
In der gegenwärtigen Gesprächssituation s gilt für mindestens eine durch s festzulegende Person x: Die Kenntnisse von x, von denen man in s ausgehen kann, sind nicht derart, daß in der Lage ist, die Extension von ( ) in einem für s relevanten Umfang zu spezifizieren. Die Motivation für diese Änderung liegt darin, die "Explikation des gemeinsamen Bedeutungskerns von selbständigen und unselbständigen Fragesätzen" (vgl. Jacobs 1990:Anm.l3) zu erleichtern. Allerdings ist FRAGE nach Jacobs (1990) kein Bedeutungsbestandteil eingebetteter Interrogativsätze; vielmehr wird für diese eine Variable Op (im Sinne eines Prädikats über offene Propositionen) angenommen, vgl. Jacobs (1990:4.1.2). Da es hier nicht primär darum geht, das semantische Verhältnis selbständiger vs. eingebetteter w-Interrogativsätze zu reflektieren, kann im folgenden die Untersuchung, ob (2') der oben genannten Motivation gerecht wird, weitgehend vernachlässigt werden. Für den Ansatz von Jacobs (1990) gilt weiterhin, daß er (a) einstellungsbezogen ist, (b) daß die Ableitung der Existenzimplikatur wie oben beschrieben funktioniert, und (c), daß dieser Mechanismus selbst bei einer einstellungsunabhängigen Deutung des Satztypoperators prinzipiell anwendbar ist (vgl. Jacobs 1990:4.2). Auf den Punkt (a) komme ich in Abschnitt 4.2.3 zurück.
2.2
Der Ansatz von Rosengren (1990)
Rosengren (1990) sieht die Bedeutungsentität (Ib) als ableitbar aus einer konventionellen Möglichkeitsimplikatur.2 In Rosengren (1990) und Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989) wird ein Frageoperator OFFEN angenommen, der der Präzisierung von Jacobs (1989:7) zufolge so paraphrasiert werden müßtet (4)
OFFEN
Für alle in Frage kommenden X: es ist offen, ob p zutrifft. Vgl. auch schon Brandt/Rosengren/Zimmennann (1989:10), wo aber einfach von einer "Implikatur" die Rede ist, ohne daß der Operator M (s.u. (6b)) weiter motiviert oder expliziert wird. Welche anderen Deutungsmöglichkeilen für OFFEN prinzipiell in Betracht kommen, soll hier nicht weiter erörtert werden, zumal Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989) keine Definition anbieten. Vgl. die kritische Stellungnahme von Pasch (1989b), die darauf hinweist, daß eine Interpretation von OFFEN im Sinne einer objektiven Eigenschaft eines Sachverhalts die betreffende Frage unbeantwortbar machen würde, und Rehbock (1990), der 'Offenheit' im Sinne von 'Entscheidbarkeit' deutet
226 Dies muß nach Jacobs "im Sinne einer objektiven, d.h. nicht auf den Informationsstand einzelner Personen bezogenen Indeterminiertheit des Zutreffens von p verstanden werden", sonst handele es sich um eine bloße Notationsvariante des Frageoperators in (2). Rosengren (1990) nimmt an, daß die konventionelle Implikatur (6) sich im Falle von (5) "aus der Kombination des OFFEN und der Existenzaussage" ergibt: (5) (6)
a.
Wer schläft?
b.
OFFEN X (3e (e INST (SCHLAF (x:(PERSON x)))))
a. 'Es ist möglich, daß es ein X gibt, das schläft.' b. M (3x 3e (e INST (SCHLAF (x: (PERSON x)))))
Auf Überlegungen Bierwischs (1988) aufbauend, geht Rosengren davon aus, daß Sachverhalte (e) Propositionen instantiieren (INST). Die semantische Form des Deklarativsatzes ist 3e (e INST (SCHLAF (x:(PERSON x)))). Die Proposition ist (e INST (SCHLAF (x:(PERSON x)))). Demnach enthält die semantische Form des w-Interrogativsatztyps die semantische Form des Deklarativsatztyps, eine im Rahmen dieser Analyse erwünschte, aber nicht unproblematische Annahme. Diese Analyse besagt, daß es auch möglich sein muß, daß p, wenn es offen ist, ob p. Es ist wichtig, daß sie nicht auf Einstellungen Bezug nehmen soll.
2.3
Evidenz durch w-Fragen ohne oder mit anderer Existenzimplikatur?
Evidenz wird bei w-Fragen ohne oder mit andersgearteter Existenzimplikatur gesucht. Dies in verschiedener Weise: So kritisiert Jacobs an Rosengren, daß mit der Analyse der Existenzimplikatur als konventioneller Implikatur diejenigen Fälle - wie z.B. Wer möchte noch etwas von dieser wunderbaren Spätlese? - bei denen diese Implikaturen gar nicht aufzutauchen brauchen, nicht erfaßt werden. Demgegenüber wird durch seine Analyse die Existenzimplikatur ausgeschlossen, weil in der betreffenden Äußerungssituation offenbar der Fall vorliegt, daß der Sprecher keinerlei Informationen über das Vorliegen von 3 X(p) hat. Reis (1990) führt den Fall der rhetorischen w-Fragen als Argument gegen Jacobs' einstellungsbezogene Analyse des Frageoperators an. Bei der Äußerung einer rhetorischen Frage werde nämlich für keine der in der Fragesituation figurierenden Personen unterstellt, daß die Frageproposition offen sei. Ergo habe der von Jacobs angenommene Einstellungsbezug nicht notwendig mit Sprecher/Hörer-Einstellungen zu tun.
227
3. 3.1
Existenzimplikaturen bei rhetorischen w-Fragen Ohne Qualifikation durch Modalpartikeln
Die wichtigsten Typen von Implikaturen bei rhetorischen w-Fragen sind die negativen und die referentiell spezifizierten.* Wird (la) rhetorisch verstanden, ergeben sich in den durch den Kontext angedeuteten Situationen die folgenden Implikaturen: 5 (7)
a.
Ich habe in den letzten Wochen mit sämtlichen Oberkommandierenden der Alliierten gesprochen. Und wer ist für die Wiedervereinigung? b. ' Niemand ist für die Wiedervereinigung.'
(8)
a.
Seit Jahren hat Erich den Gedanken an Wiedervereinigung empört abgelehnt. Und wer ist (jetzt) für die Wiedervereinigung? b. 'Erich ist für die Wiedervereinigung.'
Positive Umdeutung wird normalerweise durch Einsetzung der Negationspartikel nicht erreicht (vgl. Meibauer 1990), aber es lassen sich auch bei unnegierten w-Interrogativsätzen positive Umdeutungen nachweisend (9)
a. Es ist ganz klar, wie unser Programm auszusehen hat. Wer ist NICHT für die Wiedervereinigung? b. 'Alle sind für die Wiedervereinigung.'
(10) a. Seit kurzem ist die Wiedervereinigung endlich kein Tabu mehr. Früher war nur Herbert dafür und wer ist (jetzt) für die Wiedervereinigung? b. ' Alle sind für die Wiedervereinigung.' Der springende Punkt ist, daß in all diesen Fällen die Implikaturen unter (b) nicht identisch mit der Existenzimplikatur vom Typ (Ib) sind - am frappierendsten ist dies bei der negativen Implikatur (7b), wo man eher von einer "Nonexistenz"-Implikatur sprechen müßte.
3.2
Mit Qualifikation durch Modalpartikeln
Modalpartikellose w-Interrogativsätze können kontextabhängig Informationsfragen oder rhetorische Fragen sein. Setzt man aber die Modalpartikel schon, bzw. bei warumiweshalblwiesoFragen auch ein, ändert sich die Sachlage: (11) a. Wer ist schon für die Wiedervereinigung? b. Wer schon ist für die Wiedervereinigung? c. ' Niemand ist für die Wiedervereinigung.' 4 Vgl. Zaefferer (1984:88), der nur die negative Implikatur (bei ihm: Implikation) zuläßt 5 In der mir bekannten Literatur finden sich so gut wie keine Überlegungen zu dem Problem, wie Paraphrasen für Implikaturen zu formulieren sind, z.B. ob es in (Tb) auch keiner heißen könnte, oder ob in Paraphrasen auch Einstellungsausdrücke vorkommen dürfen. Vgl. auch die Diskussion in Abschnitt 5.
6 Betontes nicht läßt hier sowohl die Lesart als rhetorische Frage als auch die Lesart als Informationsfrage zu.
228
In (1 la/b) erzwingt die Modalpartikel die rhetorische Interpretation. Man beachte, daß in (l lb) die Modalpartikel im Vorfeld steht; dies ist ein erstaunliches, noch nicht vollständig gedeutetes Faktum, denn in anderen Satztypen sind Modalpartikeln bekanntlich von der Vorfeldposition ausgeschlossen. 7 In meinem Korpus rhetorischer Fragen (vgl. Meibauer 1986) fanden sich folgende Modalpartikeln bzw. Kombinationen davon (meistens mit denn als erstem Glied): schon, auch, denn, überhaupt, eigentlich, nur, wohl, bloß. Als w-Interrogativsatz-typische Modalpartikel nennt Thurmair (1989:117) noch doch; überhaupt erwähnt sie, im Gegensatz zu Heibig (1988), nicht Alle diese Modalpartikeln kommen in der Vorfeldposition vor.8 Zu fragen ist, ob in allen Fällen eine rhetorische Interpretation zwingend erforderlich ist, und ob die entsprechende Implikatur negativ und/oder referentiell spezifiziert sein kann/muß. (12) a. b. c. d. e. f. g. h. i.
Wer schon will das? ?Wer auch will das? Wer denn will das? Wer überhaupt will das? Wer eigentlich will das? Wer nur will das? Wer wohl will das? Wer bloß will das? ??Wer doch will das?
rh (rh) rh rh rh, if rh, if rh, if rh, if
neg, ref (neg) neg neg neg, ref neg, ref neg, ref neg, ref
Am stärksten wirkt die Modalpartikel schon, gefolgt von auch, das allerdings auf die Gruppe der "offenen" w-Wörter spezialisiert ist. Denn ist meines Erachtens in dieser Position rhetorisch, in der Normalposition im Mittelfeld jedoch nicht unbedingt. Anders bei überhaupt, das auch in der Normalposition rhetorisch wirkt. Bei den restlichen Modalpartikeln ist sowohl eine rhetorische als auch eine Informationsfragen-Lesart denkbar. Wenn ersteres der Fall ist, können sowohl negative als auch referentiell spezifizierte Implikaturen abgeleitet werden. Auch die konkrete lexikalische Füllung spielt eine Rolle, wie man sich an den folgenden Beispielen klarmachen kann;9 (13) a. Wer schon wird das gewollt haben? b. Wer schon kann das gewollt haben? Bei (13a) wird die referentiell spezifizierte Implikatur präferiert, bei (13b) die negative. In gewissem Umfang kommen auch rhetorische Nebensätze vor:
Man kann an einen Fall von Klitisierung an das w-Wort denken bzw. an eine Übertragung aus Ellipsen (H. Altmann). Gegen ersteres spricht, daß Modalpartikeln und andere in dieser Position mögliche Elemente Worte sind, keine Klitika im engeren Sinne (vgl. Zwicky 1985). - Man beachte, daß in (lib) die Lesart als Tempoialadverb ausgeschlossen ist Mit der Ausnahme von doch, das allenfalls in Kombination mit gleich - bei gleichzeitiger Distanzstellung im Vorfeld stehen kann, z.B. in Wer doch war das gleich? Dieses Beispiel verdanke ich Uli Lutz. Vgl. aber Heibig (1988:203), der Fragen wie Wer kann das schon geschrieben haben? referentiell spezifiziert umdeutet, was offensichtlich durch die Verbsemantik mitbedingt ist
229 (14) Ich möchte wissen/Ich frage Sie (mich)/Können Sie mir sagen/ Sagen sie mir, wer schon/ ?auch/denn/überhaupt/eigentlich/?nur/ ?wohl/?bloß/*doch für die Wiedervereinigung ist. Modalpartikeln können in eingebetteten w-Sätzen genau dann vorkommen, wenn im Matrixsatz nicht-faktive Verben stehen, die für w-Sätze subkategorisiert sind. Damit die Gesamtsätze rhetorisch sind, muß im Matrixsatz ein lexikalischer Ausdruck stehen, der das Wissensbedürfnis des Sprechers denotiert.10 Daß auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen, zeigt die Nichtzulässigkeit von ansonsten w-Interrogativsatz-typischen Modalpartikeln.
3.3
Ableitung der negativen Implikatur ä la Grice
Levinson (1983:110) geht davon aus, daß die negative Implikatur bei rhetorischen Fragen durch den offensichtlichen Verstoß (flouting) gegen die Maxime der Qualität zustande komme, d.h. durch die offensichtliche Verletzung der Aufrichtigkeitsbedingung für Fragen. 11 Da sich kein entsprechender Schlußprozeß bei Levinson findet, stelle ich hier einen zu Demonstrationszwecken auf: (15) Schlußprozeß für die Ableitung einer negativen Implikatur bei rhetorischen w-Fragen 1. Sp hat gefragt, für welches X p gilt 2. Die Aufrichtigkeitsbedingung für w-Fragen besagt, daß Sp wissen will, für welches X p gilt 3. In diesem Kontext gibt es aber Anzeichen dafür, daß die Aufrichtigkeitsbedingung für w-Fragen nicht erfüllt ist. 4. Daher sieht es so aus, als verstoße Sp gegen die erste Maxime der Qualität ("Do not say what you believe to be false"). 5. Es ist nicht anzunehmen, daß Sp gegen das Kooperationsprinzip verstoßen will. 6. Sp weiß also schon, für welches X p gilt. 7. Sp nimmt an, daß es kein X gibt, für das p gilt, und will, daß ich merke, daß er das annimmt. Dieser Schlußprozeß weist einige Ungereimtheiten auf, die ich im einzelnen bezeichnen will: (a)
Es wird Bezug genommen auf illokutionäre Konzepte wie "Frage", "Aufrichtigkeitsbedingung", die sich auf die Einstellungen von Sprechern beziehen. Dabei bleibt aber der systematische Ort dieser Einstellungen im Dunkeln.
(b)
Die Qualitätsmaxime bezieht sich auf propositionale Information bzw. auf Assertionen. Es sollte daher im Fall rhetorischer w-Fragen nicht von "Falschheit", sondern eher von "Unaufrichtigkeit" gesprochen werden (vgl. van der Sandt 1988:58f.).
10 Es handelt sich dabei natürlich nicht immer um rhetorische Fragen, sondern je nach Satztyp um rhetorische Behauptungen oder Aufforderungen (vgl. Meibauer 1986). 11 Vgl. seine Formulierung (bezüglich einer rhetorischen Entscheidungsfrage): "Here, by overtly violating the sincerity of a question, once again an implicature is generated by a flouting of the maxim of Quantity." Levinson selbst legt sich hier nicht darauf fest, daß Aufrichtigkeit von Fragen durch die Aufrichtigkeitsbedingung bzw. -regel festgeschrieben wird. Ich halte dies aber für eine plausible Rekonstruktion.
230 (c)
Die größte Schwierigkeit besteht aber darin, daß gar nicht ersichtlich wird, warum ausgerechnet die negative Interpretation (und nicht etwa die referentiell spezifizierte oder gar die positive) gewählt wird.
Versuche, triftigere Schlußprozesse aufzustellen, könnten von folgenden Überlegungen ausgehen. Bezüglich (a) ist zu beachten, daß der Begriff der Einstellung nicht nur auf der Ebene des Sprechakttyps eine Rolle spielt, sondern auch - zumindest Bierwisch (1980) zufolge - auf der Ebene der Satzbedeutung und der Äußerungsbedeutung. Ob man den Einstellungsbegriff tatsächlich auf allen diesen Ebenen braucht bzw. wie diese Einstellungstypen untereinander zusammenhängen, darüber gibt es noch zu wenig systematische Untersuchungen. 12 Bei (b) ist zunächst zu überlegen, welcher Aspekt der Qualitätsmaxime veranschlagt wird. Nach Levinson (1983:101) umfaßt die Qualitätsmaxime folgendes: "Try to make your contribution one that is true, specifically: (i) do not say what you believe to be false (ii) do not say that for which you lack adequate evidence." Eine plausiblere Ableitung ergibt sich, wenn man die Qualitätsmaxime nicht in Zusammenhang mit der Aufrichtigkeitsbedingung, sondern mit der Einleitungsbedingung bringt und die (Super- )Maxime hinsichtlich der "Wahrheit" eines Gesprächsbeitrags so deutet, daß man nicht Widersprüchliches äußern soll; (i) und (ii) beziehen sich wegen des technisch zu verstehenden Ausdrucks say klar auf propositionale Information, die einer Wahrheitsbewertung unterliegt. Daraus ergibt sich folgende Variante: (15') 1. (wie oben) 2. Die Einleitungsbedingung für w-Fragen besagt, daß der Sprecher nicht weiß, für welches X p gilt. 3. In diesem Kontext gibt es aber Anzeichen dafür, daß die Einleitungsbedingung für w-Fragen nicht erfüllt ist, d.h. daß Sp weiß, für welches X p gilt. 4. Daher sieht es so aus, daß Sp gegen die Maxime der Qualität verstößt Seine Äußerung scheint widersprüchlich, weil Sp weiß, für welches X p gilt, aber zu verstehen gibt, daß er nicht weiß, für welches X p gilt. 5. (wie oben) 6. Die Äußerung von Sp ist nur dann nicht widersprüchlich, wenn ich annehme, daß Sp davon ausgeht, daß ich in der Lage bin, zu erschließen, für welches X p nach seiner Meinung gilt. 7. (wie oben) Zu bedenken ist darüber hinaus, ob nicht andere Maximen eingreifen (Relevanzmaxime, Maxime der Art und Weise), bzw. ob Maximeninteraktion eine Rolle spielt. Diese Überlegungen kann ich hier nicht weiter verfolgen.13 12 Dies tangiert unmittelbar die in der Einleitung erwähnte Auseinandersetzung um den sog. Einstellungsoperator. Vgl. die Einstellungssemantik von Doherty (1987), die ohne einen Bezug zur Pragmatik bleibt (dazu Meibauer 1987), aber auch die Ansätze von Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989), Rehbock (1990) und Reis (1990), die Einstellungen als semantische Größen ablehnen. 13 Vgl. die Diskussion zur Reduktion und Präzisierung der Maximen in Levinson (1987).
231
Zu Punkt (c) läßt sich nur soviel sagen, daß beim Übergang von Schritt 6. zu Schritt 7. die Wissensbasis der Diskursteilnehmer angezapft wird, so daß eine begründete Option für einen der Umdeutungstypen getroffen werden kann. Man kann annehmen, daß die referentiell spezifizierte Umdeutung die Vorerwähntheit oder Bekanntheit des Referenten verlangt, andernfalls würde negative oder positive Umdeutung bevorzugt Dies ließe sich in das Prinzip fassen, eine negative oder positive Umdeutung sei immer vorzunehmen, falls nichts im Kontext die referentiell spezifizierte Umdeutung adäquater erscheinen läßt
3.4
Resümee
Wir haben daher folgende Fragen zu vertiefen: Erstens, welche Rolle spielen Modalpartikeln bei der Implikarur? Zweitens, wie steht es mit den verschiedenen Typen von Implikaturen (negativ, referentiell spezifiziert, positiv)? Drittens, welcher Einstellungsbegriff ist bei rhetorischen vs. Informations-w-Fragen anzusetzen? Und viertens, was folgt daraus für den Frageoperator? Die damit angeschnittenen Probleme sind relevant für jede Theorie der Existenzimplikatur von w-Fragen. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich mich aber der Diskussion der vorgestellten Ansätze zuwenden.
4.
Konventionelle oder konversationelle Implikatur?
4.1
Zur konventionellen Möglichkeitsimplikatur (Rosengren)
Konventionelle Implikaturen sind solche Folgerungen, die sich aus nicht wahrheitsfunktionalen Bedeutungseigenschaften von Lexemen (bzw. bestimmten Konstruktionen) ergeben. Konventionelle Implikaturen sind daher nicht streichbar (cancellable), aber abtrennbar (detachable).14
14 Zu Implikaturentests vgl. Sadock (1978), van der Sandt (1988). Ich teste im weiteren nur die Griceschen Kriterien Rekonstruierbarkeit (calculability), Streichbarkeit (cancellabüity). Abtrennbarkeit (detachability). - Zusätzlich könnte das von Sadock vorgeschlagene Kriterium der Verstärkbarkeit (reinforceabüity) getestet werden. Es ergibt sich folgende Verteilung der Eigenschaften auf konventionelle (=A) vs. konversationelle (=B) Implikaturen: A B I. Rekonstruierbarkeit + II. Streichbarkeit + . Abtrennbarkeit + IV. Verstärkbarkeit +
232
Die Überprüfung der Strcichbarkeit der Möglichkeitsimplikatur ergibt folgendes: (16) Wer ist für die Wiedervereinigung? Es ist nicht möglich, daß es ein X gibt, das für die Wiedervereinigung ist. Wenn die w-Frage als Informationsfrage verstanden wird, wirkt (16) widersprüchlich. Die Möglichkeitsimplikatur scheint daher nicht streichbar zu sein. Allerdings entsteht ein Problem im Zusammenhang mit der Formulierung des Streichungszusatzes.1^ Die Sequenz (16) wird nämlich akzeptabel, wenn die unpersönliche Konstruktion durch eine sprecherbezogene wie etwa ich halte es nicht für möglich ersetzt wird. Daraus schließe ich, daß der Sprecher qua Äußerung zwar davon ausgehen muß, daß es ein X geben kann, für das p gilt, daß er aber durchaus im selben Kontext davon abweichende subjektive Annahmen bezüglich der Existenz von X (p) äußern kann. Die Überprüfung der Abtrennbarkeit trifft auf eine Schwierigkeit:^ Es nicht klar, ob die Möglichkeitsimplikatur durch den ganzen Satz ausgelöst wird, oder durch das w-Wort. Im ersten Fall kann der Test nicht angewendet werden, weil konventionelle Implikaturen in der Regel an Lexeme gebunden sind. Im zweiten Fall könnte man sich eine Ersetzung durch ein anderes w-Wort vorstellen, bei dem dann aber die für das Ausgangs-w-Wort charakteristische Itnplikatur nicht auftreten würde. Prüfen wir dies am Beispiel (5a/b), hier als (17a/b) wiederholt: (17) a. Wer schläft? b. 'Es ist möglich, daß es ein X gibt, das schläft.' Als erstes testen wir die Ersetzung durch was, wobei uns eventuelle semantische Inkompatibilitäten mit dem Prädikat nicht stören sollen. Man sieht gleich, daß (17b) nicht spezifisch genug für das w-Wort formuliert wurde, denn auch mit was macht (17b) durchaus Sinn - allerdings gegen unsere Erwartung der Abtrennbarkeit Präziser wären also folgende Implikaturen: (18) a. Wer schläft? b. 'Es ist möglich, daß es ein Lebewesen X gibt, das schläft.' (19) a. Was schläft? b. 'Es ist möglich, daß es einen Gegenstand X gibt, der schläft' Das Ergebnis ist, daß die Möglichkeitsimplikatur (17b) abtrennbar ist, was für ihren konventionellen Status sprechen würde. Man beachte aber, daß wir hier strenggenommen nicht das Mög15 Darauf hat mich Marga Reis aufmerksam gemacht. - Probleme des Streichbaikeitstests betreffen u.a.: (a) Streichung durch Äußerungszusätze vs. Streichung durch Kontextveränderung (vgl. Annullierbarkeit bei Jacobs 1990), (b) Streichbarkeit vs. Aufhebbarkeit (vgl. Sadock 1978), (c) Formulierung des Streichungszusatzes, (d) Streichung durch Sprecher und/oder Hörer. 16 Ich beziehe mich auf die Definition von Sadock (1978:287): "If X is an expression with meaning M and CK is a conversational implicature based on an utterance of X in context K, then it should not be possible to find an expression X* that shares meaning M with X but is not associated with the conversational implicature CK·" Z.B. sollte nüchtern vs. nicht betrunken in Der Kapitän ist heute nüchtern/nicht betrunken die gleiche konversationelle Implikatur 'Der Kapitän ist sonst immer betrunken' ergeben (vgl. Posner 1979).
233
lichkeitspräfix getestet haben, sondern die auf das w-Wort bezogene Information im Nebensatz. Wenn es sich um eine konversationeile Implikatur handeln würde, müßte bei Ersetzung durch ein synonymes w-Wort die gleiche Implikatur auftauchen (Nicht-Abtrennbarkeit). Nehmen wir einmal an, daß wer mit welches Lebewesen synonym ist.17 (20) a. Welches Lebewesen schläft? b. 'Es ist möglich, daß es ein X gibt, das schläft.' c. 'Es ist möglich, daß es ein Lebewesen X gibt, das schläft.'
(vgl. (17b)) (vgl. (18b))
Das Ergebnis ist, daß (17b/18b) mehr oder minder plausible Implikaturen abgeben, was für ihren konversationeilen Status sprechen würde. Der Widerspruch der beiden Proben läßt sich (abgesehen von der inhärenten Zirkularität des Abtrennbarkeitstests, vgl. Anm.16) m.E. auch so deuten, daß die sog. Möglichkeitsimplikatur weder eine konventionelle noch eine konversationeile Implikatur ist, sondern etwas Drittes. Darauf, daß der Abtrennbarkeitstest nicht zwischen logischen Folgerungen (entailments) und konventionellen Implikaturen unterscheiden kann, hat Sadock (1978:288) hingewiesen. Damit koinzidiert der Verdacht von Jacobs (1990:Anm.6), daß es sich bei der Möglichkeitsimplikatur um eine logische Folgerung handelt: "Man kann sich ja kaum vorstellen, daß die Instantiierung einer Satzproposition in irgendeinem Sinne [...] Offen' ist, wenn gleichzeitig gilt, daß es nicht möglich ist, daß die Satzproposition instantiiert wird." Mir scheint es auch möglich zu sein, den Inhalt der Möglichkeitsimplikatur als pragmatische Bedingung für das Stellen einer w-Frage zu deuten. Man kann nicht zugleich eine aufrichtige w-Informationsfrage stellen und davon ausgehen, daß es unmöglich ist, daß ein X existiert, das p erfüllt Die entscheidende Kritik von Jacobs (1989) am Ansatz von Brandt/Rosengrcn/Zimmermann (1989) und Rosengren (1990) ist, daß mit der Analyse der Existenzimplikatur als konventioneller Implikatur die Fälle, wo diese Implikaturen gar nicht aufzutauchen brauchen, nicht erfaßt werden können. Allerdings muß hier berücksichtigt werden, daß die konventionelle Möglichkeitsimplikatur nur die Möglichkeit der Existenz von X besagt, und dies ist offensichtlich zu unterscheiden von der Aussage der Existenz von X.18 ich sehe hier ein weiteres Problem, denn man braucht offenbar ein zusätzliches Verfahren, das darüber entscheidet, wann 3 X(p) nun auftaucht und wann nicht. Die Möglichkeitsimplikatur müßte ja aufgrund ihrer Konventionalität auch dann zustande kommen, wenn die Existenzimplikatur nicht zustande kommt. Über ein solches zusätzliches Verfahren findet sich aber bei den Autorinnen keine weitere Anmerkung. 17 Sadock (1978:289) weist darauf hin, daß es (a) nicht-paraphrasierbare Lexeme geben mag, (b) im strengen Sinne keine Synonymic zwischen zwei Lexemen geben mag; beides sind Schwierigkeiten für den Test. Er kommt letztlich zu dem Schluß, daß der Test zirkulär ist und seine Anwendung (außer in Extremfallen) keinen Sinn ergibt. 18 Ich stimme also Jacobs (1990: Anm.6) zu, wenn er schreibt, die durch die Vorschaltung von "M" vorgeschlagene Repräsentation der Implikatur sei "intuitiv zu schwach", "als daß man annehmen könnte, es handle sich um die [...] Existenzfolgerung." Auch Rehbock (1990:14) nimmt an, daß es sich um eine "Implikation" handelt. - Darüber hinaus sollte diskutiert werden, inwiefern konventionelle Implikaturen überhaupt SF-Reprasentationen vom Typ (6b) erhalten können.
234
4.2
Zur konversationeilen Existenzimplikatur (Jacobs)
4.2.1 Bei rhetorischen w-Fragen, so die Feststellung von Reis (1990), werde "für keine der in der Gesprächssituation figurierenden Personen unterstellt, daß die Frageproposition offen ist." Daher habe der unter anderem von Jacobs angenommene Einstellungsbezug bei Interrogativsätzen nicht notwendig mit Sprecher- und Hörereinstellungen zu tun. Nun unterscheidet Jacobs (1989) zwischen sprechet- und adressatenbezogener Implikatur von w-Fragen. So sei (21b) eine sprecherbezogene, und (21c) eine adressatenbezogene Implikatur der Äußerung (21 a): (21) a. Wer hat im Wohnzimmer Brotzeit gemacht? b. ' Sprecher nimmt an: Jemand hat im Wohnzimmer Brotzeit gemacht' c. ' Sprecher nimmt an, daß Adressat annimmt: Jemand hat im Wohnzimmer Brotzeit gemacht.' Es könne nun der Fall sein, daß beide Implikaturen abgeleitet werden, oder nur eine der beiden. Z.B. werde nur die sprecherbezogene Implikatur bei Prüfungsfragen oder Fragen, die keine Aufforderung zur Antwort enthalten, abgeleitet. Ernsthafte Fragen, bei denen nur die adressatenbezogene Implikatur entsteht, sind in der Tat schwer auszumachen; dies scheint zu bestätigen, daß die sprecherbezogene Implikatur in gewissem Sinne primärer ist als die adressatenbezogene. Prüfen wir nun die Verhältnisse bei rhetorischen Fragen. Wie steht es hier mit sprecherbezogenen Implikaturen? Am deutlichsten ist zunächst im Fall der referentiell spezifizierten Implikatur, daß diese sprecherbezogen ist. Der Witz dieses Gebrauchtstyps ist ja gerade, daß der Hörer darauf kommt, daß X gemeint ist, nur dieser nach gemeinsamem Wissen gemeint sein kann. Aber auch die positive Implikatur ist sprecherbezogen. Adressatenbezogene Implikaturen können ebenfalls bei rhetorischen w-Fragen vorkommen: 19 (22) a. Wer will das? (+> 'Niemand will das.') b. ' Sprecher nimmt an, daß Adressat annimmt: Jemand will das.' c. 'Sprecher nimmt an, daß Adressat annimmt: Niemand will das.' Im Fall (22a) will der Sprecher den Adressaten überzeugen, daß niemand das will (prospektive Funktion); im Fall (22c) will der Sprecher den Adressaten daran erinnern, daß niemand das will (retrospektive Funktion). Dieser argumentative Wert rhetorischer Fragen gibt einen Anhaltspunkt für den Grund ihrer Existenz. Warum äußert der Sprecher nicht gleich und direkt die Implikatur? Öhlschläger (1988:24) spricht zu Recht davon, daß der Hörer bei rhetorischen Fragen gegenüber einer bloßen Verwendung eines Deklarativsatzes mit gleichem Inhalt durch den Sprecher "anders beteiligt" werde, da der Hörer sich die Antwort selbst gebe. Wenn diese Analyse richtig ist, kann man nicht davon ausgehen, daß bei rhetorischen wFragen generell Nicht-Offenheit der Frageproposition unterstellt werde. Gerade gegenläufige 19 Das Zeichen "+>" steht für "implikatiert".
235
Einstellungen von Sprecher und Hörer können ein Grund sein, rhetorische Fragen zu stellen, wobei es vor dem jeweiligen Wissenshintergrund darauf ankommt, die adäquaten sprecherbzw. hörerseitigen Implikaturen herauszuarbeiten. Die Unterscheidung zwischen Sprecher- und hörerseitiger Implikatur bei Jacobs erlaubt im Prinzip, dem Rechnung zu tragen. 4.2.2 Reis (1990) fuhrt Fälle an, (a) wo eine Implikatur auf eine im Matrixsatz erwähnte Person zu relativieren ist, vgl. (23), und (b) wo die Implikatur zwar sprecherbezogen ist, aber die Jacobssche Deutung des Frageoperators (vgl. Jacobs 1989) unplausibel ist (d.h. es gilt nicht, daß der Sprecher weder p noch -ip annimmt), vgl. (24): (23) Meyer behauptet, jemand unserer Angestellten sei Agent, sagt aber nicht, wer es ist. (24) a.
Ich weiß ja, wer den Fehler gemacht hat, aber weiß auch der Chef/wer sonst weiß, wer den Fehler gemacht hat. b. Mir ist ganz egal/Erkundige dich mal bei Hans, wer den Fehler gemacht hat.
In (23) ist es Meyer, der weiß, für welches X p gilt, nicht der Sprecher von (23). In (24a) kennt der Sprecher X(p), bestreitet aber, daß dies für andere Beteiligte gilt. In (24b) kennt der Sprecher X(p) nicht, nimmt aber an, daß das fragliche X existiert. Das Problem ist klar: Wenn generell der Frageoperator FRAGE für w-Interrogativsätze angenommen wird, dann müssen auch eingebettete w-Sätze die FRAGE-Charakteristik aufweisen. Dies ist aber, wie (23) und (24) zeigen, nicht der Fall, da die entsprechenden Existenzimplikaturen hier nicht oder in anderer Weise auftreten. Wie kann die Blockade in diesen Fällen unter der Annahme eines Einstellungsoperators erklärt werden? Ich sehe zwei Möglichkeiten: Die erste hängt mit der Annahme zusammen, daß der FRAGE-Operator auch für eingebettete Sätze gilt. Wenn man dagegen annimmt, daß nur selbständige Sätze einstellungsbezogene Satztypoperatoren (im Sinne von "Satzmodus") haben, ist es plausibel, den FRAGE-Operator auch auf selbständige Sätze zu beschränken. Tatsächlich lehnt Jacobs (1990:4.1.2) die Anwendung des FRAGE-Operators auf eingebettete Interrogativsätze ab (s.o., 2.1). (Wohingegen Brandt/Rosengren/Zimmermann 1989 den OFFEN-Operator auch bei eingebetteten w-Interrogativsätzen annehmen.) Die zweite Möglichkeit liegt auf der Hand: Durch die lexikalische Bedeutung des Matrixsatzes in (23), (24) werden die relevanten Sprecherannahmen jeweils explizit eingeführt Dadurch entstehen Implikaturen, die die an sich durch den FRAGE-Operator ausgedrückten Annahmen in charakteristischer Weise modifizieren. Fälle der lexikalischen oder intonatorischen Modifikation bzw. Dominanz von/über Satzmodusoperatoren finden sich ja auch in anderer Gestalt bei explizit performativen Verben, bei Modalpartikeln (sog. "Konversionspartikeln" bei H. Altmann) und bei assertiven Fragen, wobei die Annahme von Implikaturen im allgemeinen ein probates theoretisches Mittel darstellt, den Modifikations- bzw. Dominanzaspekt zu erklären. Das heißt aber nicht notwendigerweise, daß der FRAGE-Operator als solcher anders gedeutet werden müßte. Ich kann diesen Gedanken hier nicht weiter verfolgen, sondern ich möchte vielmehr überlegen, ob der Jacobssche FRAGE-Operator auch auf selbständige w-Interrogativsätze mit Endstel-
236
lung des finiten Verbs anwendbar ist.20 Nimmt man mit Reis (1985) an, daß es sich dabei um Hauptsätze handelt, liegt es nahe, ihnen den gleichen Satzmodusoperator zuzuordnen wie ihren eingebetteten Gegenstücken, vgl. Brandt/Rosengren/Zimmermann (1989). Winkler (1989) vertritt dagegen die Auffassung, daß diese Sätze aufgrund ihrer Nebensatzstruktur keinen Satzmodus haben, sondern eine "Sprechereinstellungsinterpretation" erfahren.21 Betrachten wir nun die folgenden Beispiele deliberativer w-Fragen, vgl. (25b), (26b): (25) a. Woher weiß sie das? b. Woher sie das weiß? (26) a. Wer hat das nun wieder angezettelt? b. Wer das nun wieder angezettelt hat? In (25b), (26b) scheint mir die Existenzimplikatur deutlich schwächer auszufallen als bei ihren Verbzweit-Gegenstücken. Man beachte in diesem Zusammenhang, daß (a) (25), (26) modalpartikellos sind (um den naheliegenden Einwand zu entkräften, daß z.B. wohl diese Schwächung forciert, vgl. aber auch bloß, nur), daß (b) das Tempus eine Rolle spielt (Perfekt schwächt stärker ab), daß (c) hier die deliberative Verwendungsweise gemeint ist, die zwar nicht die einzige, aber jedenfalls bei initiativem Gebrauch die typische ist Falls man nun annimmt, daß diese Schwäche der Existenzimplikatur - Sp zweifelt, ob ein X existiert, das p erfüllt - auf die Verbletztstellung zurückzuführen ist, vgl. (25), (26), könnte durch die Ansetzung des Jacobsschen FRAGE-Operators für selbständige w-Interrogativsätze mit Endstellung des finiten Verbs und einer entsprechenden Ableitung der Existenzimplikatur nicht erklärt werden, warum bei den w-Verbletzt-Interrogativsätzen die Existenzimplikatur schwächer ausfällt als bei den w-Verbzweit-Gegenstücken. Ein vergleichbares Problem ergibt sich, wenn sich diese Skizze als empirisch haltbar erweist, auch für nicht-einstellungsbezogene Ansätze, was aber hier nicht zu prüfen ist 4.2.3 Für Jacobs sind Existenzimplikaturen konversationell. Für konversationelle Implikaturen gilt, daß sie nicht-abtrennbar und streichbar sind. Da die fragliche Implikatur aber gerade an das spezifische w-Wort gebunden ist, scheint der Abtrennbarkeitstest nicht anwendbar zu sein (s.o.). Die Anwendung des Streichbarkeitstests bietet dagegen keine Probleme:
20 Vgl. Meibauer (1989), Oppenrieder (1989) und Winkler (1989). - Lohnenswert wäre auch die vergleichende Untersuchung der spezifischen Existenzimplikaturen von w-Exklamativsätzen (mit Verbzweit- und Verbletztstellung), der Echo-w-Fragen und der mehrzieligen w-Interrogativsätze. 21 Als solche werden Urteil, Aufforderung, Frage etc. genannt, was m.E. den Unterschied zur illokutiven Interpretation verwischt - Selbständige w-Verbletzt-Interrogativsätze sind in mancher Hinsicht dilemmatisch: Wenn man für sie den Satzmodus der eingebetteten Gegenstücke ansetzt (vgl. Brandt/Rosengren/Zimmermann 1989), kann der modale Unterschied zu den w-Verbzweit-Interrogativsätzen nicht erklärt werden, da man nur über das +w-Merkmal als Träger des Satzmodus verfügt (d.h. die Verbstellung ist für den Satzmodus irrelevant). Nimmt man aber denselben Satzmodus wie für w-Verbzweit-Interrogadvsätze an (z.B. den FRAGEOperator bei Jacobs 1990, der nicht für eingebettete w-Interrogativsätze gilt), hat man nicht nur dieses Problem, sondern man begibt sich auch der Möglichkeit, das Bedeutungsgemeinsame mit den eingebetteten wVerbletzt-Intenogativsätzen wiederzugeben.
237 (27) Wer ist für die Wiedervereinigung? Ich nehme nicht an, daß jemand für die Wiedervereinigung ist. Die in normaler Verwendung von (27) entstehende Existenzimplikatur 'Jemand ist für die Wiedervereinigung.' kann problemlos durch einen entsprechenden Zusatz gestrichen werden. Schließlich müssen konversationelle Implikaturen rekonstruierbar sein. Eine solche Rekonstruktion hat Jacobs jedoch nicht vorgeführt.22 Bei ihm findet sich nur eine formal-pragmatische Analyse der einschlägigen Wissensoptionen. Nun läßt sich sicherlich eine Gricesche Rekonstruktion der Existenzimplikatur entwickeln, die wiederum auf die Qualitätsmaxime (bzw. die Aufrichtigkeits- oder Einleitungsbedingung) zurückgreift. Man handelt sich hier aber nur ein neues Problem ein: Wenn die Schlußprozesse für die negative Existenzimplikatur bei rhetorischen w-Fragen und für die Existenzimplikatur bei Informations-w-Fragen aufgrund derselben Mechanismen einander entgegengesetzte Implikaturen entstehen lassen, ist zu fragen, welche Erklärungskapazität das Kriterium der Rekonstruierbarkeit überhaupt besitzt Wie ist nun innerhalb des Jacobsschen Ansatzes (Jacobs 1989) die Ableitung der Implikaturen bei rhetorischen w-Fragen zu gewährleisten? Da der FRAGE-Operator im Zusammenspiel mit Informationen aus der Gesprächssituation die Existenzimplikatur bei Informations-w-Fragen ergeben soll, ist es nur plausibel, auch die Ableitung der Implikaturen rhetorischer w-Fragen aus denselben Quellen zu speisen. Dies trifft aber auf ein gravierendes Problem: Bei Beibehaltung des FRAGE-Operators ist nur die Annahme -ißS (-a X(p)) zulässig, wie wir oben gesehen haben, da der Sprecher nicht gleichzeitig annehmen kann, daß weder p noch -ip gilt, und daß er annimmt, daß —'Niemand will das.')*Ich nehme nicht an, daß niemand das will, b. Wer schon will das? (+> 'Fritz will das.') *Ich nehme nicht an, daß Fritz das will.
Schon verhält sich in dieser Hinsicht wie solche Lexeme, die konventionelle Implikaturen induzieren. Es ergibt sich also die theoretische Möglichkeit, die Implikaturen von rhetorischen wie auch von Informations-w-Fragen als konversationell zu klassifizieren, diejenigen von rhetorischen w-Fragen mit rhetorischen Modalpartikeln dagegen als konventionell. Selbst wenn dies plausibel durchgeführt werden könnte (man könnte an eine Steuerung über den Lexikoneintrag von Modalpartikeln denken), ergibt sich aber immer noch das Problem, wie man zwischen der referentiell spezifizierten und der negativen Implikatur unterscheiden kann. Beides müßte ja qua konventioneller Implikatur zugänglich sein. Ein weiteres Problem ist, wie man erklären kann, daß durch die JcAon-Einsetzung die normalerweise ableitbare konversationelle Existenzimplikatur nicht mehr auftritt. Soll man ein Prinzip annehmen, demzufolge konventionelle Implikaturen 23 Ich stimme jedoch Jacobs (1990:4.1.1) zu, wenn er schreibt: "Wie bei allen Funktoren, die Bestandteil der grammatisch determinierten Bedeutungsstruktur eines Satzes sind, muß man auch hier mit der Möglichkeit von 'nicht-wörtlichem' Gebrauch rechnen, wenn die kontextuellen Bedingungen vorliegen, die entsprechende Uminterpretationen auslösen." Vgl. zu einschlägigen Überlegungen bezüglich rhetorischer Fragen Meibauer (1986).
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konversationelle auslöschen, wenn sie sich auf den gleichen (möglichen) Sachverhalt richten?24 Die zweite Frage ging nach dem Status der verschiedenen Typen von Existenzimplikaturen bei rhetorischen w-Fragen. Zwar sind die negative, referentiell spezifizierte und die positive Implikatur die markantesten Typen, bei näherer Betrachtung authentischer Texte stellt sich jedoch heraus, daß man eher von einer Skala von Implikaturen ausgehen muß, deren Pole die negative und die positive Umdeutung bilden, wobei die referentiell spezifizierte Umdeutung zwischen diesen Polen rangiert (vgl. Meibauer 1986), z.B. im Falle von wer-Fragen: (29) alle/jeder - die meisten - viele - einige - unsere Gruppe - Fritz und Karin - Fritz - kaum einer - keiner/niemand Kann bei der positiven rhetorischen w-Frage die negative Implikatur als in irgendeinem Sinne primär gegenüber der referentiell spezifizierten angesehen werden? Zweifellos erfordert letztere speziellere Kenntnisse seitens des Rekonstruierenden, so daß das Risiko der Fehlrekonstruktion gegenüber der negativen Implikatur größer ist (hat man sich erst einmal auf eine rhetorische Interpretation festgelegt). Mit der Annahme einer negativen Implikatur kann man in den meisten Situationen, in denen man eher wenig Hintergrundwissen hat, weniger falsch machen, und es ist leichter, dies im Sinne einer referentiell spezifizierten Implikatur zu korrigieren als umgekehrt. Dennoch ist auch die negative Implikatur vom Wissen der Gesprächsteilnehmer abhängig, was nach meiner Auffassung die Skala (29) rechtfertigt. Daß in der Tat oft recht spezielle Implikaturen abgeleitet werden, mag folgendes Beispiel demonstrieren: (30) Und da bringt Helmut Kohl einmal selber seine deutschland-politische Standfestigkeit ins Spiel: "Wer hat denn, während andere spotteten, an der Einheit festgehalten?" Da schallt es wieder über den Domplatz: "Helmut, Helmut." (Südwestpresse, 22.2.1990) Daß das Auditorium sich hier für die referentiell spezifizierte Implikatur 'Helmut, Helmut', die in der Erwiderung auf Kohls rhetorische Frage verbalisiert wind, entschieden hat, ist aufgrund der Frageform und -semantik nicht voraussagbar: Prinzipiell wären auch 'Helmut Kohl', 'die CDU', 'alle Patrioten' usw. denkbar gewesen.25 Alle diese etwa in (30) veranschaulichten Möglichkeiten durch generelle konversationeile Implikaturen erfassen zu wollen, scheint verfehlt. Wenn es tatsächlich auf den Einzelfall ankommt, wäre wohl die Annahme partikulärer konversationeller Implikaturen angemessener. Die dritte Frage lautete, welcher Einstellungsbegrifffür rhetorische vs. Informations-w-Fragen anzusetzen ist. Während Jacobs Einstellungen als semantische Größen betrachtet, sind es für Rosengren pragmatische Größen. Für jede Überzeugung spielen generelle Überlegungen eine Rolle: Ich nenne nur die Möglichkeit einer Einstellungssemantik, die Regularitäten der Bedeutung von Einstellungsverben, Modalpartikeln, Satzadverbien in Abhängigkeit vom Satztyp erfassen sollte (vgl. Doherty 1987), sowie die Rolle, die Einstellungen bei der Definition illo-
24 Sich gegenseitig auslöschende ("cancel out") Implikaturen nimmt z.B. Leech (1983) an. 25 Hier greifen natürlich noch andere pragmatische Konventionen wie die Sprecher-Auditoriums-Beziehung in der Redesituation, der Skandiertaikeit, der einfachsten gemeinsamen Implikatur, etc.
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kutionärer Akte, vermittelt über die Aufrichtigkeitsbedingung, spielen. Es sollte noch eine dritte Möglichkeit in Betracht gezogen werden, nämlich daß man zwischen ausgedrückten Einstellungen (auf der semantischen Ebene) und gehegten Einstellungen (auf der pragmatischen Ebene) unterscheidet (vgl. Lang 1983; Pasch 1989a). Eine ausgedrückte Einstellung ist eine Einstellung, an die der Sprecher durch die Wahl des Satztyps und/oder bestimmter Lexeme gebunden ist, ob er die entsprechende Einstellung nun hegt oder nicht. Eine gehegte Einstellung ist diejenige Einstellung, die ein Sprecher tatsächlich hat, ob er sie nun ausdrückt oder nicht. Im Falle rhetorischer Fragen könnte man dann sagen, daß es hier um eine Dissoziation zwischen ausgedrückter und gehegter Einstellung geht, die der Hörer aufdecken muß. Abschließend möchte ich kurz auf die vierte Frage eingehen, welche Beschränkungen die Existenz rhetorischer w-Fragen der Formulierung des interrogativen Satztypoperators auferlegt Öhlschläger (1988) wie auch Pasch (1989a) möchten diejenige Bedeutung eines Satztyps, die in allen Verwendungen invariant ist, durch den Frageoperator erfassen. Öhlschläger (1988) wendet sich explizit gegen alle Ansätze, die bei indirekter Verwendung eine "Uminterpretation des Frageoperators aufgrund bestimmter Schlußverfahren" annehmen. Sein eigener einstellungsbezogener Vorschlag: "Der Sprecher wünscht, daß der Hörer den beim Äußern des Satzes als offene Struktur ausgedrückten propositionalen Gehalt spezifiziert" - wobei "spezifizieren" im Sinne einer wenigstens "mentalen Reaktion" zu verstehen sei -, ist aber hinsichtlich des Einstellungsprädikats "wünschen" so allgemein gehalten, daß es schwerfallen dürfte, den Frageoperator in dieser Hinsicht von anderen Satztypoperatoren (z.B. des Imperativsatzmodus, des Optativsatzmodus) abzugrenzen; eine explizite Bezugnahme auf ein Wissensdefizit (Bierwisch 1980; Jacobs 1990) scheint plausibler. Pasch (1989a:40) zufolge soll der Satzmodus eine "Invariante aus allen möglichen Interpretationen der Verwendung" sein. Demgegenüber wirkt es widersprüchlich, wenn sie zugleich fordert (ebd.:35), daß der Modus einer rhetorischen Frage aus dem Frageoperator als Urteilsoperator abgeleitet werden könne (ebd.:31). Wenn aber der Satzmodus wirklich die Invariante wäre, wäre gar keine Ableitung eines Operators aus dem anderen (wie immer man sich das semantisch-logisch vorstellen soll) nötig. Mit Öhlschläger bin ich also gegen die Uminterpretation von Operatoren, mit Pasch für die Analyse von rhetorischen Fragen als in Verwendungskontexten abgeleitete Elokutionen.26 Der Punkt ist nicht, wie man den Frageoperator so liberal interpretieren kann, daß er auf sämtliche Verwendungsweisen paßt, sondern wie das sprachliche Wissen von Hörern über die wörtliche Bedeutung von Satztypen mit der inferentiellen Anpassung an konkrete Fragesituationen in Einklang zu bringen ist. Ich bin daher der Auffassung, daß es gar nicht Sinn des Satztypoperators sein kann, auf alle Verwendungsfälle gleichermaßen gemünzt zu sein. Alles was man verlangen kann und sollte, ist, daß er die Bedeutung eines Satztyps in einer normalen Verwendungssituation (alias "neutraler Kontext") wiedergibt. Alle Implikaturen von w-Fragen, rhetorische oder nicht-rhetorische, sind dann durch kontextabhängige Schlußprozeduren zu er26 Dies wird im einzelnen in Meibauer (1986) gezeigt. Der Implikaturenansatz macht den Ansatz einer Theorie der indirekten Sprechakte nicht obsolet, wenn auch das Verhältnis beider Theorien zueinander nach wie vor klarungsbedürftig ist. Vgl. die Diskussion in Meibauer (1986:160-163). Der Hauptunterschied liegt darin, daß Implikaturen als Bedeutungsentitäten unspezifiziert hinsichtlich der Illokution sind.
241
fassen. Dies entspricht der traditionellen Auffassung, daß der Satzmodus in die Semantik gehört, konversationelle Implikaturen dagegen pragmatische Größen sind.
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Zur intonatorischen Form deutscher Fragesätze Wilhelm Oppenrieder, München
Im folgenden wird erstens dafür argumentiert, daß die Intonation als grammatisches Mittel zur Kennzeichnung von Satztypen eingesetzt wird. Insbesondere wird dabei zu zeigen versucht, daß Rückfragen und andere 'Mischtypen' einen eigenen Satztyp bilden, für dessen Kennzeichnung eine spezielle intonatorische Form unabdingbar ist. Intonation kann also keine rein pragmatische Funktion haben. Zweitens werden die auf der Grundlage eines umfangreichen Korpus von Äußerungen verschiedener Satztypen ermittelten fragesatzspezifischen intonatorischen Formen vorgestellt. Am Ende wird erläutert, daß die vorgefundenen Konturen als besondere Markierungen des rechten Randes der Lautkette und der Kette der Akzentsüben aufgefaßt werden können.
1. Satzmodusoperatoren und ihre Identifizierung Ich nehme an, wie dies in der neueren Satzmodusforschung üblich ist, daß den verschiedenen formalen Satztypen jeweils eine bestimmte Grundbedeutung zugeordnet ist (vgl. Altmann 1987), die sich durch einen abstrakten Operator repräsentieren läßt, der eine Proposition in seinem Skopus hat (vgl. dazu Zaefferer 1984; Jacobs 1984,1988). Die semantischen Eigenschaften der jeweiligen Operatoren sind durch geeignete Regeln, z.B. durch Bedeutungspostulate zu explizieren. Insbesondere ist umstritten, ob die Operatoren generell einstellungsbezogen (vgl. z.B. Altmann 1987; Pasch 1990) oder einstellungsfrei (vgl. z.B. Brandt et al. 1990) analysiert werden müssen. Die weitere Alternative, daß manche der Operatoren als einstellungsfrei (z.B. der unmarkierte Assertionsoperator), andere als einstellungsbezogen (z.B. der Frageoperator) aufzufassen sind, wird dagegen zur Zeit anscheinend nicht weiter untersucht. Hier soll als Ausgangsbasis für die folgenden Argumentationen lediglich festgehalten werden, daß den einzelnen Formtypen jeweils eine Grundbedeutung zugeordnet ist, die sich durch einen abstrakten Satzmodusoperator bzw. Funktionstypoperator repräsentieren läßt. Die Formtypen dienen dazu, diesen Operator auf der Ausdrucksseite zu kennzeichnen, d.h. ihn an der 'Satzoberfläche' identifizierbar zu machen. Während denotative Bedeutungen typischerweise durch ganz bestimmte Lexeme ausgedrückt und identifizierbar gemacht werden, erfolgt die Kennzeichnung des 'aktuellen' Satzmodus bzw. der Funktionstypbedeutung typischerweise durch nicht-lexikalische Mittel: durch das Vorhandensein von Ausdrücken einer bestimmten syntaktischen Kategorie (Finitum, w-Ausdrücke, Satzeinleiter), durch die Stellungsbesonderheiten dieser Ausdrücke, durch die spezifische morphologische Form eines Teils dieser Ausdrücke und - dafür soll hier argumentiert werden - durch bestimmte intonatorische Muster (vgl. Altmann 1987). Unkontrovers ist, daß die Stellung des Finitums (das im prototypischen Fall vorhanden ist, aber nicht sein muß; vgl. zu den infiniten Satztypen Fries 1983) für die Identifizierung des Satz-
244 modusoperators und damit für die Satzmoduskennzeichnung genutzt wird: Fehlt ein Satzeinleiter, dann kann die Opposition zwischen der Erst-Position und der Zweit-Position satzmodusdifferenzierend eingesetzt werden. Ein weiteres Markierungsmittel im Bereich des Finitums ist der Verbmodus, zumindest was die 'eindeutigen' Imperativformen der 2.Ps.Sg. und PL betrifft. Die 'w-Charakteristik' bestimmter Ausdrücke wird ebenfalls bei der Satzmoduskennzeichnung - des Fragemodus oder des Exklamativmodus - eingesetzt. Für die entsprechenden wAusdrücke gilt allerdings, daß sie zusätzlich 'prominent' gemacht werden müssen, um diese Funktion zu erfüllen - der Satzmodusoperator steuert zu diesem Zweck ihre Stellung und ihre Akzentuierungseigenschaften. Im Standardfall muß die Position vor dem Finitum besetzt werden, um den Frage- oder Exklamativmodus anzuzeigen; an der Oberfläche' formgleiche Strukturen ohne eine solche Interpretation - Indefinitpronomina wie was, wer usw. im Vorfeld sind dagegen blockiert. Andererseits sind satzinterne w-Ausdrücke durch akzentuelle Hervorhebung von den formgleichen Indefinitpronomina geschieden. Die akzentuelle Hervorhebung gehört schon mit zum Bereich der Intonation. Was deren Beitrag zur Formtypbestimmung betrifft, so stellt sich zunächst die Frage, ob man neben den anderen Markierungsmitteln, die einen Satzmodusoperator identifizierbar machen, die intonatorische Kennzeichnung überhaupt braucht, oder ob diese der Satzmodusfestlegung nachgeordnet ist und eine rein pragmatische Funktion hat. Für die nicht durch einen w-Ausdruck gekennzeichneten Verb-Erst- oder Verb-Zweit-Exklamativsätze jedenfalls scheint der Exklamativakzent, eine prototypische intonatorische Form (vgl. Batliner 1988), das einzig eindeutige Merkmal zu sein; allerdings ist zumindest die Ansetzung eines eigenen Formtyps Verb-Zweit-Exklamativsatz nicht unumstritten (vgl. Näf 1987). Die Rolle der Intonation ist jedoch besonders im Zusammenhang mit Fragesätzen interessant, da diese traditionellerweise mit bestimmten (markierten) intonatorischen Kennzeichnungen in Verbindung gebracht werden.
2.
Formale Eigenschaften von Fragesätzen
Fragesätze sind semantisch durch eine spezifische Unterbestimmtheit ausgezeichnet. Im einen Fall bleibt unbestimmt, welche Polarität einer Proposition zutrifft; im anderen Fall ist die Proposition in einem bestimmten Aspekt unterspezifiziert. Diese Offen'-Charakteristik kennzeichnet den Fragemodus insgesamt und damit den Funktionstypoperator (vgl. Brandt et al. 1990). Ob es 'an sich offene' Sätze gibt oder ob sie immer als Offen für jemanden' aufzufassen sind, soll nicht weiter untersucht werden. Wichtig ist nur, daß die verschiedenen Formtypen alle diesem einen Operator zugeordnet werden können. Zu diesen gehören als erster Standardtyp die Polaritäts- oder Entscheidungsfragesätze, die durch die Erst-Stellung des (nicht-imperativischen) Finitums ausgezeichnet sind. Der zweite Standardtyp, die Ergänzungsfragesätze, sind durch die Zweit-Stellung des (nicht-imperativischen) Finitums und einen wAusdruck im Vorfeld gekennzeichnet.
Der als fragesatztypisch angesehene steigende Tonhöhenverlauf (genaueres dazu im Abschn. 5) tritt bei den Ergänzungsfragesätzen relativ selten auf, bei den Entscheidungsfragesätzen fin-
245
det er sich dagegen häufiger (das von Hang (1976) untersuchte Korpus bestätigt dies, der steigende Tonhöhenverlauf wird dort aber insgesamt ziemlich selten eingesetzt - möglicherweise spielt dabei die Textsorte Interview eine Rolle; in noch nicht genauer ausgewerteten spontansprachlichen Korpora, die vom Münchner Intonationsprojekt erstellt wurden, scheint die steigende Intonation - auch bei w-Fragesätzen - dagegen relativ häufig vorzukommen). Eine Wahlmöglichkeit zwischen der markierten steigenden und der unmarkierten fallenden Tonhöhenkontur scheint also zunächst einmal immer gegeben zu sein, so daß die intonatorische Form bestenfalls ein fakultatives Zusatzmerkmal zu sein scheint. Allerdings muß die unterschiedliche Auftretenshäufigkeit bei den beiden Standardtypen erklärt werden: Die beiden formtypbestimmenden Mittel unterscheiden sich offensichtlich in ihrer 'Markierungsstärke' - ein wAusdruck im Vorfeld ist eindeutiger als die Verb-Erst-Stellung. Eindeutigkeit bezieht sich hier auf die möglichen Überschneidungen mit anderen satzmodusbestimmenden Formtypen, d.h. auf die Vermeidung von Satzmodusambiguitäten (hier scheint mir eine sehr Oberflächennahe' Analyse geboten zu sein; vgl. auch das Vorfeldverbot der Indefinitpronomina, die mit w-Ausdrücken formgleich sind). Ergänzungsfragesätze überschneiden sich aufgrund des w-Ausdrucks im Vorfeld nur mit wVerb-Zweit-Exklamativsätzen. Nun scheint es im Gegenwartsdeutschen eine starke Tendenz zu geben, w-Exklamative durch Verb-Letzt-Sätze zu realisieren und so den 'Merkmalsabstand' zu den w-Fragen und ihrer typischen Verb-Zweit-Satz-Realisierung zu vergrößern. In den verbleibenden Fällen kann zudem ein spezieller Exklamativakzent für die eindeutige Kennzeichnung sorgen. Ein w-Ausdruck im Vorfeld legt die Interpretation daher ziemlich eindeutig fest. Bei den Verb-Erst-Strukturen gibt es dagegen eine größere Zahl an Überschneidungsmöglichkeiten mit anderen Formtypen: Dies sind Verb-Erst-Exklamative, Verb-Erst-Wunschsätze, die bevorzugt als Verb-Erst-Strukturen realisierten Aufforderungssätze, sowie die emphatischen VerbErst-Varianten von Aussagesätzen. Spezialakzente oder die morphologische Verbmarkierung können zwar die eben genannten Formtypen zusätzlich vereindeutigen, aber der Merkmalsabstand wird noch einmal vergrößert, wenn bei den Entscheidungsfragesätzen eine steigende Tonhöhenkontur verwendet wird. Obligatorisch scheint die Verwendung dieser Kontur bei den mit S/e-Imperativsätzen und Adhortativsätzen ansonsten völlig formgleichen Entscheidungsfragesätzen zu sein: Nur die Intonation kann hier die eindeutige Markierung des Satzmodus garantieren. (1) (2)
Essen Sie Spinat?/! Gehen wir ins Kino?/!
Eine größere Rolle spielt die Intonation bei den Alternativfragesätzen, deren Interpretation durch den realisierten Tonhöhenverlauf gesteuert wird. Für die geschlossenen Alternativfragesätze ist bekanntlich charakteristisch, daß nur die letzte Alternative mit einer fallenden Tonhöhenkontur gesprochen wird, während alle anderen eine steigende Kontur aufweisen. (3)
Gehst du gleich oder möchtest du noch einen Espresso trinken?
Die steigende Kontur gleicht dabei eher der typischen Kontur, wie sie in den intonatorisch markierten Entscheidungsfragesätzen verwendet wird, als einer typischen 'Fortsetzungskon-
246
tur': Dafür spricht der ausgeschöpfte große Tonumfang (vgl. Luukko-Vinchenzo 1988:169ff.), vielleicht auch das Timing' des Tonhöhenanstiegs, das für die Unterscheidung von 'Fortsetzungs'- und 'Frageintonation' relevant zu sein scheint (vgl. dazu IsaCenko/Schädlich 1971). Auf der anderen Seite werden offene Alternativen durch eine Folge von steigenden Tonhöhenverläufen markiert. Eine Realisation der Altemativfragesätze ausschließlich mit fallenden Verläufen ist dagegen nicht möglich (wogegen z.B. eine reine Tortsetzungsintonation' zwischen Teilsätzen nicht obligatorisch ist). In beiden Fällen besteht keine Wahlfreiheit zwischen den beiden alternativen Tonmustern steigend und fallend, d.h. die intonatorische Form ist ein wesentliches Kennzeichen des (Sub-)Satzmodus. Zentral ist die intonatorische Form bei der Markierung der verschiedenen sogenannten 'Echofragen', d.h. bei den Rückfragen, den Vergewisserungsfragen und den assertiven Fragen im System von Altmann (1987). Gerade in diesem Bereich scheinen sich also die stärksten Argumente für die Relevanz der Intonation bei der Bestimmung der grammatischen Formtypen als ausdrucksseitiges Pendant zu den abstrakten Funktionstypen finden zu lassen. Von Reis (1990) wird jedoch dafür argumentiert, daß erstens die Intonation generell und damit auch hier eine rein pragmatische Funktion hat (vgl. auch Brandt et al. 1990:143) und daß es zweitens gar keinen eigenständigen Formtyp 'Echofragesatz' oder 'Echo-w-Fragesatz' gibt
3. Bilden 'Mischtypen' einen eigenen Formtyp? Die Theorie der "Mischtypen" (vgl. Altmann 1987:48f.), d.h. der verschiedenen Echofragen, die im folgenden kurz entwickelt wird, kann als 'quotationelle' Theorie oder 'Zitattheorie' der Mischtypen bezeichnet werden (vgl. Oppenrieder 1989a:183ff.). Die Grundannahme ist nämlich, daß ein für die Frageindizierung hinreichendes Merkmal 'über' eine Struktur gelegt wird, die als 'Zitat' einer Proposition bzw. generell eines propositionalen Gehalts und eines dazugehörigen Funktionstyps verstanden werden kann, die beide für den Sprecher zum Zeitpunkt der Äußerung des Mischtypsatzes in der Diskurssituation gerade als 'relevant' gelten können. Das zentrale Faktum ist, daß aufgrund des Zitatcharakters der ursprüngliche Funktionstyp deaktiviert wird, d.h., es ist von dieser Seite her kein aktueller Satzmodus vorhanden. Der aktuelle Satzmodus wird vielmehr durch das zusätzliche Fragemerkmal beigesteuert Das als offen thematisierte Frageziel kann sowohl der zitierte Funktionstyp als auch ein Aspekt der Proposition sein. Bei den Mischtypen handelt es sich also um Zitierstrukturen, deren Fragecharakteristik durch die steigende Intonation und/oder die Anwesenheit eines spezifisch betonten w-Ausdrucks markiert wird. Der klarste Fall der erwähnten 'Relevanz' besteht, wenn eine Äußerung direkt vorausgeht, deren propositionaler Gehalt - typischerweise in ähnlicher Form wie in der Vorgängeräußerung - und Funktionstyp zitierend wieder aufgenommen wird. Am deutlichsten zeigt sich der Zitatcharakter, was den Vorgänger-Satzmodus betrifft, bei Rückfragen auf Fragesätze und Imperativsätze (vgl. dazu Wunderlich 1986; Meibauer 1987b). Eine Rückfrage kann die Vorgängeräußerung in vielerlei Form wieder aufnehmen. Es kann sich im propositionalen Bereich wie auch im Bereich der Satzmodusindikatoren das reine 'Echo' finden. Dieser nachäffende Typ tritt allerdings relativ selten auf, zumal die Intonation des Vorgängersatzes nicht zitiert weiden kann.
247 (4)
A: Sei ein bißchen mutig! B: Sei ein bißchen mutig? Du hast leicht reden, du mußt ja keinen Vortrag halten.
Üblicher ist es, die Vorgängeräußerung in charakteristischer Weise abzuändern, so daß die Deaktivierung des Satzmodus dieser Äußerung klarer gekennzeichnet wird. Bei Rückfragen auf Fragesätze hat dies die Umwandlung der Vorgängerfragen in Verb-Letzt-Sätze zur Folge, d.h. in die typische Form der Redeerwähnung. Der Satzmodus des Vorgängersatzes wird durch den entsprechenden Komplementiererausdruck angezeigt. (5)
A: Kannst du mir einen Zehner leihen? B: Ob ich dir einen Zehner leihen kann?
(6)
A: Wann gibst du mir meinen Zehner zurück? B: Wann ich dir deinen Zehner zurückgebe?
'Über' diese Zitatstrukturen wird die steigende Intonation gelegt, die die Fragefunktion festlegt. Die anderen möglichen Satzmoduskennzeichner fallen aus; insbesondere gehört der Komplementierer zum zitierten Satzmodus. Ein auffälliges Charakteristikum derartiger Frage-Rückfragen ist, daß sich die fragetypischen Modalpartikeln aus der Vorgängeräußerung nicht zitieren lassen; andererseits erlaubt auch der Rückfragemodus keinerlei Modalpartikelgebrauch. Obwohl zitierter wie aktueller Satzmodus die Verwendung fragesatztypischer Modalpartikeln eigentlich zulassen sollten, können keine solchen vorkommen: (7)
A: Hast du denn/eigentlich/etwa Geld dabei? B: Ob ich *denn/*eigentlich/*etwa Geld dabei habe?
Dagegen dürfen derartige Modalpartikeln im klassischen Zitatkontext - dem der indirekten Rede - auftauchen. (8)
Er wurde gefragt, ob er denn/eigentlich/etwa Geld dabei habe.
Die beiden Fälle unterscheiden sich darin, daß bei der indirekten Rede der Zitatteil - damit auch der zitierte Satzmodus - und der das Zitat einordnende Teil - damit auch der aktuell gültige Satzmodus - klar geschieden werden können; infolgedessen lassen sich die Modalpartikeln eindeutig dem Zitatteil oder dem für die aktuelle Verwendung entscheidenden einbettenden Teil zuordnen. Die einzelnen Modalpartikeln beeinflussen in jeweils charakteristischer Weise die Verwendung sprachlicher Ausdrücke (vgl. die Tabelle mit den verschiedenen Modalpartikelfunktionen in Thurmair 1989:200) und hängen daher eng mit dem Satzmodus als der wörtlichen Basis für spezifische illokutive Akte zusammen - laut Jacobs (1986) modifizieren sie den jeweiligen Satzmodusoperator. In den Rückfragen bleibt jedoch aufgrund des Fehlens irgendwelcher zitateinleitender Ausdrücke (was auch das Fehlen des Indirektheitszeichens Konjunktiv erklären dürfte) notwendigerweise unklar, ob Modalpartikeln auf die ehemalige oder auf die aktuelle Verwendung zu beziehen sind bzw. welchen der beiden Operatoren - den zitierten oder den aktuellen - sie modifizieren. Diese Zuordnungsproblematik ist wohl der Grund dafür, daß weder zitierte noch aktuelle Modalpartikeln auftreten können. Diese Resistenz gegen Modalpartikeln gilt generell. Lediglich im nachäffenden Typ (keinesfalls also in den strukturveränderten Verb-
248
Letzt-Sätzen) können auch die Modalpartikeln übernommen werden. Generell scheinen (gegen Reis 1990:21f.) solche Formulierungen von Rückfragen deutlich präferiert zu werden, bei denen Ausdrücke nicht zitiert werden, die sich auf die ehemalige Verwendungssituation bzw. auf den ehemaligen Sprecher als Träger bestimmter Einstellungen beziehen. (9)
A: Wann ist er denn endlich fertig? B: Wann er (*denn) (?endlich) fertig ist?
(10) A: Wann zum Teufel ist er denn fertig? B: Wann (*zum Teufel) er fertig ist? (11) A: Wie um alles in der Welt soll ich das Geld zusammenbekommen? B: Wie (??um alles in der Welt) du das Geld zusammenbekommen sollst? Rückfragen auf Imperativsätze verwenden typischerweise ebenfalls eine Zitatform, nur ist es in diesem Fall kein Verb-Letzt-Satz, sondern ein Verb-Zweit-Satz, in dem der Aufforderungsaspekt durch ein Modalverb - typischerweise sollen - gekennzeichnet wird. (12) A: Leih mir bitte zehn Mark! B: Ich soll dir (*bitte) zehn Mark leihen? (13) A: Erzählen Sie um Gottes willen niemandem etwas davon! B: Ich soll (*um Gottes willen) niemandem etwas davon erzählen? Da es keinen Imperativisch interpretierbaren Komplementierer gibt, wird der Aufforderungsaspekt durch ein passendes Modalverb verdeutlicht; der Vorgängerausdruck wird so aufgefaßt, daß er das Bestehen einer spezifischen Obligation für einen Adressaten (bzw. eine Adressatengruppe) ausdrückt. Der zitierte Satzmodus ist dementsprechend der des Aussagesatzes. Man vergleiche die parallelen Fälle der Redeerwähnung: (14) Er sagte, sie solle ihm zehn Mark leihen/daß sie ihm zehn Mark leihen solle. Auffälligerweise läßt sich in den Rückfragen - anders als in den Redeerwähnungen - der Aussagesatzmodus nicht durch einen daß-Satz zitieren. Die 'Zitatform' von Imperativsätzen wirft aber gleichzeitig auch Licht auf die Rückfragen bei Aussagesatz-Vorgängern, die generell VerbZweit-Form haben, während doß-Sätzc völlig ausgeschlossen sind: (15) A: Max hat sich übrigens/ja eine Villa gekauft B: Max hat sich (*übrigens/*ja) eine Villa gekauft?/*Daß sich Max eine Villa gekauft hat? Die Vermutung liegt nahe, daß es sich auch in diesem Fall bei den Verb-Zweit-Strukturen um Zitatformen handelt - mit der Besonderheit, daß der Satzmodus der Vorgängeräußerung nicht durch strukturelle Änderungen als deaktiviert gekennzeichnet wird. Als Indiz für die Zitierung läßt sich jedoch werten, daß als 'DistanzierungssignaT ein epistemisch interpretiertes sollen eingefügt werden kann: (16) Max soll eine Villa gekauft haben? Ganz generell kann einem uneingebetteten doß-Satz (ausgenommen sind natürlich klar elliptische Fälle wie z.B. Antworten auf w-Fragen) nicht der unmarkierte Aussagesatzmodus zugeordnet werden. Auch selbständig verwendete ifo/S-Sätze mit (aktueller) Assertionsfunktion sind
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daher nicht zulässig, sondern es ist nur die spezifischere Exklamativ-, Aufforderungs- oder Wunschinterpretation zulässig. Der Grund für diese Beschränkung ist nicht ganz klar: Es könnte sein, daß Komplementierer, die nicht wie in eingebetteten Sätzen schon aus rein strukturellen Gründen eingesetzt werden müssen, markierte semantische Merkmale aufweisen müssen (vgl. auch die möglichen Erklärungen in Brandt et al. 1990:141; Oppenrieder 1987:181). Auch Rückfragen auf Imperativsätze und Aussagesätze 'zitieren' also den vorausgehenden Satzmodus, allerdings nicht in der Form eines Verb-Letzt-Satzes. Daneben kennzeichnet die steigende Intonationskontur den aktuellen Satzmodus. Auch die Vergewisserungsfragesätze bzw. Echo-w-Fragesätze werden als eine Art Rückfragen, d.h. zitierend, verwendet. Nur wird in diesem Fall eine spezifische, durch einen wAusdruck gekennzeichnete 'Lücke* erfragt. Der w-Ausdruck ist notwendigerweise betont und nicht auf die Vorfeldposition festgelegt. Wieder bieten die 'Echos' auf vorausgehende Fragesätze und Imperativsätze den eindeutigsten Hinweis für den Zitatcharakter. (17) A: Kennen Sie eigentlich Baron Rembremerding? B: Ob ich (*eigentlich) WEN kenne? (18) A: Schenk mir doch einen schönen lodotropheus! B: Ich soll dir (*doch) WAS schenken? In Reis (1990) wird die These vertreten, daß es sich bei den Echo-w-Fragen nicht um einen eigenständigen Satztyp handelt. Insbesondere verhielten sich die w-Ausdrücke syntaktisch wie normale XP-Phrasen, die generell als -w-Phrasen analysiert werden (vgl. Reis/Rosengren 1988:32; die Interpretation der +/-w-Merkmale - auch ihre zum Teil unterschiedliche Behandlung, wenn es sich um Phrasen- oder um Satztypmerkmale handelt, vgl. Reis 1990:38:Anm.38 - halte ich zumindest für verwirrend). D.h. das lexikalische +w-Merkmal wird auf irgendeine Weise 'deaktiviert', so daß es "syntaktisch nicht zum Tragen kommt" (Reis 1990:38) - daher die Bezeichnung "-w-Theorie" der Echo-w-Fragesätze (Reis 1990:4). Reis nimmt an, daß die Fokussierung des +w-Operatorteils, die durch akzentuelle Hervorhebung des 'w-Teils' angezeigt wird, für diese Deaktivierung sorgt (Reis 1990:41 ff.), da der für die Frage charakteristische Offenheitsoperator in diesem Fall nur "lexikalischen Skopus" (Reis 1990:49) über den Echo-w-Ausdruck hat, so daß der Echo-w-Ausdruck 'von außen' wie ein -w-Ausdruck ohne Operatorcharakteristik wirkt. Als Resultat ergibt sich, daß ein Frageoperator mit engem 'lexikalischen Skopus' im Bereich eines Satzmodusoperators steht. Daß die Fragecharakteristik bei der aktuellen Verwendung dominiert, muß über pragmatische Regeln abgeleitet werden (Reis 1990:64ff.). Hier wird demgegenüber angenommen, daß ein 'deaktivierter' Satzmodusoperator im Bereich des Frageoperators steht - die Frageverwendung ergibt sich also auf direktem Wege (und nicht über die 'weicheren' pragmatischen Regeln). Der zentrale Punkt der Reisschen Argumentation ist, daß die +w-Charakteristik von w-Ausdrücken in Echo-w-Fragen zumindest syntaktisch unterdrückt wird, so daß es sich bei den entsprechenden Strukturen formal nicht mehr um einen w-Fragesatz handelt. Alle Erscheinungen, die sie zur Unterstützung dieser Behauptung anführt, sind jedoch auch mit einer 'quotationellen' Theorie vereinbar, bei der der aktuelle Satzmodus durch die +wCharakteristik des betonten w-Ausdrucks bestimmt wird. Dessen Stellungsfreiheit ergibt sich daraus, daß auch der zitierte Satzmodus gekennzeichnet werden muß. Dies geschieht entweder
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einen passenden Satzeinleiter oder durch das Zitat der (nicht-intonatorischen) formalen Merkmale des Vorgängersatzes. Die strukturellen Satzspitzenpositionen können also aufgrund ihrer 'Zitatverwendung' nicht wie sonst üblich privilegierte Positionen für aktuelle Satzmodusmerkmale sein. Da keine Position vorhanden ist, an der das +w-Merkmal notwendigerweise realisiert werden muß, kann der w-Ausdruck seiner Kategorie gemäß Mittelfeldpositionen besetzen - wie das auch bei Mehrfachfragen geschieht. Der 'weite Skopus' erklärt sich daraus, daß das aktuelle -t-w-Merkmal nicht zum zitierten Vorgänger gehört, also auch nicht mit dem Skopus der zitierten Skopusträger interagieren kann. Wenn aufgrund der spezifischen Form des Vorgängersatzes eine Vorfeldposition zur Verfügung steht, kann der betonte w-Ausdruck sie selbstverständlich ebenfalls besetzen. Extraktionsbeschränkungen, wie sie für die normalen Fälle von Vorfeldbesetzung gelten, bleiben auch hier in Kraft (vgl. Wunderlich 1986:49f.). Die Realisierung des +w-Merkmals muß ja außerdem gerade nicht an einer spezifischen Strukturposition erfolgen: Insofern sind weder Extraktionen von eingebetteten w-Ausdrücken aus umfangreicheren Konstituenten notwendig, noch müssen die Bedingungen für Pied-Piping beachtet werden. Infolgedessen können w-Ausdrücke zahlreiche ansonsten für sie verbotene Strukturpositionen besetzen; d.h. als Effekt ergibt sich so etwas wie eine Art 'Super-Pied-Piping', bei dem die strukturelle Position des +w-Trägers unwichtig ist (schon beim echten Pied-Piping hält sich das +w-Merkmal nicht immer an die strukturell vorgegebene Projektionslinie: mit der wievielten Straßenbahn), vgl.: (19) *der Mann auf was?
vs.
der Mann auf WAS?
Dieser Effekt erklärt sich ebenso wie der des 'freien Skopus': Das aktuelle -fw-Merkmal interagiert nicht mit den strukturellen Beschränkungen, die für die 'zitierten' Ausdrücke gelten. Als Indiz, das für den nichtinterrogativen Charakter der 'Echo-w-Phrasen' sprechen soll, führt Reis (1990:23) an, daß es w-Echos für alle Phrasentypen gibt, während normale w-Ausdrücke eingeschränkter verwendbar sind; vgl. die folgenden Beispiele aus Reis (1990:23f.): (20) Ein WAS hat Peter gekauft? (21) (Ihm ist egal), daß WAS? Sie vermutet, daß was im Lexikon als XP kategorisiert ist, d.h. alle phrasalen Typen ersetzen kann (Reis 1990:23). Tatsächlich kann was (entgegen der Reisschen Einschätzung) zum Teil auch unterhalb der Phrasengrenze (22) bzw. sogar als Bestandteil eines komplexen Wortes verwendet werden (23)/(24): (22) Eine gelbe WAS hat er getragen? (23) Er hat ein knallrotes WAS-Boot gekauft? (24) Vierhundert-WAS-tausend? Das spricht dafür, daß WAS als Realisation des nackten +w-Merkmals aufgefaßt werden kann, wobei nur gilt, daß die angezeigte Lücke eine Konstituente auf der Satz- oder Wortebene sein muß. Ebenso kann ja was bei Extraktion aus einem eingebetteten daß-Satz allein das +w-Merkmal im Vorfeld realisieren: (25) Was bildet er sich eigentlich ein, wer er ist?
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Entgegen der Einschätzung von Reis (1990:16) kann für mich ein derartiges was (bzw. die dazu parallele 'w-Verdopplung') auch in 'Echofunktion' auftreten: (26) A: Er meint, daß wir uns bei Philippi wiedersehen werden. B: WAS meint er, wo wir uns wiedersehen werden? B': WO meint er, wo wir uns wiedersehen werden? Im Prinzip handelt es sich wie bei den normalen gespaltenen Extraktionen z.B. in (25) darum, das +w-Merkmal gesondert vom bedeutungsspezifischen Teil zu realisieren; dessen zurückbleibende Merkmale erscheinen in der völlig unspezifizierten eingebetteten Komplementiererposition, während der +w-Träger topikalisiert wird. Die Komplementiererposition selbst ist für (ungespaltene) 'Echo-w-Ausdrücke* verboten (vgl. Reis 1990:47) (27) A: Er hat gefragt, warum du kommen willst. B: Er hat gefragt, *WArum ich kommen will? Die Erklärung liegt einfach darin, daß es für Komplementiererausdrücke im Deutschen keinen zugeordneten w-Ausdruck gibt, daß sie also nicht normal erfragt werden können (metasprachliche Fragen sind natürlich erlaubt). Diese beklagenswerte Eigenschaft teilen sie z.B. mit Modalpartikeln oder Satzadverbialen, also mit anderen Ausdrücken, die sich nicht ausschließlich auf den denotativen Aspekt einer Äußerung beziehen. Auf der anderen Seite sind Echo-w-Fragen wie in (27) natürlich völlig sinnlos, da keine bedeutungsspezifizierende Antwort möglich ist: Erfragt werden könnte ja höchstens der bedeutungsdifferenzierende Teil des w-Ausdrucks und der wird schon in der Frage selbst deutlich. Möglich ist also nur eine normale Rückfrage ohne 'Echo-Akzentuierung' des w-Ausdrucks. Als weitere Besonderheit der Echo-w-Fragen weist Reis (1990:59ff.) darauf hin, daß die ansonsten bei der Verwendung von w-Fragesätzen auftretenden Existenzimplikaturen ausbleiben. Auch dieses Faktum spricht für die quotationelle Analyse. Die existentielle Abbindung der Lücke, die durch den w-Ausdruck (bzw. durch dessen bedeutungsspezifischen Teil, der ja in etwa einem Indefinitpronomen entspricht) nahegelegt wird, wird auf den Sprecher der zitierten Vorgängeräußerung bezogen. Die Existenzimplikatur tritt also durchaus auf, nur handelt es sich - wie zu erwarten ist - um keine 'aktuelle' Implikatur. Reis (l 990:41 ff.) zeigt, daß bei mehrsilbigen w-Wörtern in der Echofunktion der Teil betont werden muß, der das +w-Merkmal realisiert, während bei der normalen Fokussierung von w-Wörtern nur der Träger der spezifischen Bedeutung akzentuell hervorgehoben werden kann; vgl. den Unterschied zwischen einer 'Fortsetzungsfrage' und einer 'Echo-w-Frage': (28) A: Ich weiß jetzt endlich, was ich machen werde. B: Und woZU/??WOzu hast du dich entschieden? (29) A: Ich habe mich entschieden, Linguist zu werden. B: *WoZU/WOzu hast du dich entschieden? Während im ersten Fall das satzmoduskennzeichnende +w-Merkmal durch die Besetzung der speziellen Vorfeldposition mit einem w-Ausdruck realisiert wird, ist diese Möglichkeit bei den 'Echos' verbaut; als verbleibende Ersatzstrategie wird die akzentuelle Hervorhebung des +w-
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Trägers gewählt: In beiden Fällen wird also der für die Satzmoduskennzeichnung entscheidende +w-Träger in spezifischer Weise hervorgehoben. (Es handelt sich wohl nicht um eine fokussierende Akzentuierung - allenfalls könnte die +w-Charakteristik vor einem Hintergrund alternativer Satzmodi ausgezeichnet werden.) Fazit: Auch im Bereich der Vergewisserungsfragen, der sogenannten 'Echo-w-Fragen', halte ich eine quotationelle Analyse für gerechtfertigt Der aktuelle Fragemodus wird durch den betonten +w-Träger gekennzeichnet. Im prototypischen Fall wird er auch noch durch einen steigenden Tonhöhenverlauf markiert. Bei den bisher besprochenen 'Mischtypen' werden der zitierte propositionale Gehalt und Funktionstyp durch Vorgängeräußerungen realisiert. Daneben gibt es aber auch z.B. assertive Fragen, die formal wie Rückfragen auf Aussagesätze aussehen, ohne daß es eine passende Vorgängeräußerung gibt, die zitiert werden könnte. Der Anlaß für die Frage stammt in diesem Fall aus dem sprachlichen oder nichtsprachlichen Kontext, aufgrund dessen das Zutreffen einer Proposition erschlossen werden kann. Für den Äußernden muß dies zum Zeitpunkt der Äußerung gerade 'aktuell' oder 'relevant' sein. Zum einen kann dabei auf irgendwelche Folgerungen, Implikaturen oder Präsuppositionen Bezug genommen werden, die sich aus einer sprachlichen Äußerung einer anderen Person ergeben. (30) A: B: (31) A: B:
Ich habs jetzt endlich geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören. Du hast geraucht? Gib mir doch mal zwei Zwickel für den Automaten dort. Du rauchst?
Auf der anderen Seite kann die Proposition auch aus dem nichtsprachlichen Kontext erschlossen werden: (32) [A bekreuzigt sich.] B: Du bist katholisch? (33) [A beginnt, sich eine Zigarette zu drehen.] B: Ich soll gehen? Marginale Parallelen existieren auch zu den Rückfragen auf Imperativ- und auf Fragesätze: (34) [A öffnet nach einem Streit mit B demonstrativ die Tür.] B: Ich soll gehen? (35) [A sucht auf B's Schreibtisch herum und hält anschließend B einen Zettel hin.] B: Ob du den haben kannst? Auch in diesen Fällen ist der aktuelle Satzmodus der der Frage; er wird durch die steigende Intonationskontur markiert, während durch die anderen formalen Mittel ein deaktivierter Funktionstyp angezeigt wird. Wie bei den Rückfragen erscheinen dem Sprecher der propositionale Gehalt und/oder der deaktivierte Funktionstyp klärungsbedürftig. Als entsprechende Parallele im Bereich der Vergewisserungsfragen, d.h. der Rückfragen mit w-Lücke, kann man vor allem die Examens- oder Quizfragen werten. Hier nimmt der Fragende aufgrund der spezifischen Prüfungssituation an, daß die assertierten geschlossenen Propositionen bereits als verfügbar gelten, so daß er sich auf sie als während der Prüfungssituation
253
'aktuell' oder 'relevant' jederzeit mit einem 'Zitat' beziehen kann. Allerdings sind sie im Normalfall gerade nicht in einer spezifischen sprachlichen Form verfügbar. Die bei w-Rückfragen möglichen HYw-Pronominalisierungen sind dementsprechend höchstens möglich, wenn sich der Fragende auf einen 'kanonischen' Text bezieht: (36) Faust hat mit vielem Bemüh'n WAS? (37) TGott hat die Ägypter WAS? (38) ??Ludwig der XIV. war der WAS-König? Der Bezug auf situationeil verfügbare assertierte Propositionen ist natürlich nicht nur in Prüfungssituationen möglich. Die verschiedenen Mischtypen sind also alle dadurch charakterisiert, daß ein für den Sprecher relevanter propositionaler Gehalt mit einem zugeordneten Funktionstyp 'zitiert' wird, so daß der entsprechende Funktionstypoperator 'deaktiviert' ist. Der aktuelle Satzmodus ist der der Frage. Als fragetypische formale Indikatoren stehen nur spezifisch betonte, stellungsungebundene w-Ausdrücke und der steigende Tonhöhenverlauf zur Verfügung, da andere Merkmale für die Kennzeichnung des deaktivierten Funktionstyps eingesetzt werden. Wird ein w-Ausdruck verwendet, dann kann im Prinzip auf die zusätzliche Kennzeichnung durch die steigende Intonation verzichtet werden, im Normalfall wird sie jedoch auch dann gebraucht. Die fragetypische Intonation ist also zumindest beim Fehlen eines w-Ausdrucks ein satzmoduskonstitutives Merkmal. Die Zitatstrategie der Mischtypen sollte nicht nur eine Eigenart des Deutschen sein. Insbesondere in Sprachen, die quotative Partikeln aufweisen, wäre zu untersuchen, inwieweit diese tatsächlich in Echofragen auftauchen. Im Japanischen zumindest enthalten Rückfragen ein Äquivalent einer derartigen Partikel (vgl. Wunderlich 1986:57ff.; Hinds 1984:165). Zitatähnliche Strukturen finden sich übrigens nicht nur im Bereich der Satzmodus-Mischtypen, sondern nach Hörn (1985; 1989:Kap. 6) u.a. auch bei der bestreitenden 'metalinguistischen' Negation. Allerdings stehen dort nicht so eindeutige Mittel wie ein betonter w-Ausdruck oder die steigende Intonation zur Verfügung, die die Interpretation durch eine spezifische Form steuern.
4.
Die Intonation zwischen grammatischer und pragmatischer Funktion
Die Verwendung des steigenden Tonhöhenverlaufs hat nach Brandt et al. (1990:143) und Reis (1989:52ff.; die folgenden Bemerkungen müssen sich auf Reis 1989 als Vorfassung von Reis 1990 beziehen, da in der letzteren Version die Bemerkungen zur Intonation fast vollständig weggefallen sind) einen rein pragmatischen Effekt. Laut Reis fordert der Sprecher mit der Verwendung einer steigenden Intonation zu einer Reaktion von Seiten des/der Angesprochenen auf, d.h. das "steigende Tonmuster obligiert eine Reaktion des Hörers" (Reis 1989:53). Daß es sich bei der gewünschten Reaktion im Fall der Echo-w-Sätze um eine Füllung der angezeigten 'Lücke' handelt, wird von Reis aus bestimmten zusätzlichen Annahmen abgeleitet.
254 Die Bindung der Effekte der Intonation an die Pragmatik läßt aber für bestimmte Verwendungen der steigenden Intonation keinen Platz. Während der semantische Frageoperator so beschrieben werden kann (und muß), daß aus ihm nicht notwendigerweise eine Reaktionsobligation für einen Hörer abgeleitet werden kann, kann die steigende Intonation nach dem Reisschen Vorschlag nicht 'reaktionsneutral' verwendet werden. Fragesätze ohne Reaktionsverpflichtung sollten also nicht mit steigender Intonation realisiert werden dürfen. Dies läßt sich jedoch leicht widerlegen. Ein Problemfall, der von Reis (1989:57) selbst schon angesprochen wird, sind monologische Fragen. Auch diese können nämlich durchaus mit steigender Kontur realisiert werden. Gerade Rückfragen sind monologisch verwendbar, ohne daß die steigende Intonation fehlen dürfte. (39) A: Die Schimmelpfennigs waren auch ganz begeistert von Teneriffa. B: [leise zu sich]: Die waren begeistert von Teneriffa? Na, da erzählt er auch wieder einen rechten Schmarrn. Auch die typischerweise monologisch (bzw. ohne Reaktionsobligation) verwendete deliberative Frage muß in ihren Verb-Letzt-Versionen mit steigendem Tonmuster realisiert werden (vgl. Luukko-Vinchenzo 1988:66ff.,160f.): (40) Wo die alte Weißenbeckin wohl das Geld versteckt hat? (41) Ob ich wohl jemals fertig werde? Als weitere Möglichkeit der rein pragmatischen Interpretation müßte demnach zugelassen werden, daß der Sprecher (vielleicht gerade für potentielle Mit-Hörer) lediglich sein besonderes Interesse an der Behebung seines Informationsmangels anzeigt, ohne daß er tatsächlich zu einer Reaktion (nämlich einer informierenden Handlung) durch einen Angesprochenen auffordert. In diesem Fall ist der steigende Tonhöhenverlauf noch mit einer Fragefunktion verbunden. Wenn ein Fragesatz nicht mehr reaktionsfordemd und auch nicht mehr in einer typischen Fragehandlung verwendet wird, dann sollte dieses Tonmuster nicht mehr verwendet werden können, da es sich um ein zusätzliches Hemmnis für die eigentlich intendierte Interpretation handeln würde. Eine derartige Einschränkung existiert jedoch nicht: Rhetorische Fragen, die mit VerbErst-Sätzen vollzogen werden, können ohne weiteres eine steigende Intonationskontur aufweisen: (42) Bin ich Krösus? (43) Sollen wir uns von diesem Catilina noch lange auf der Nase herumtanzen lassen? Wenn die steigende Intonation hier lediglich zur Kennzeichnung des Satztyps dient, dann ist sie selbstverständlich genauso mit einer nicht-interrogativen Verwendung (z.B. in Argumentationen) verträglich wie die Verb-Erst-Stellung. Fazit dieser Überlegungen ist, daß die steigende Intonation in Frageäußerungen zur formalen Kennzeichnung des Satzmodus dient, also an den Frageoperator gebunden ist. Wenn keine anderen (eindeutigen) Kennzeichnungsmittel zur Verfügung stehen, muß die steigende Intonation verwendet werden. Dies gilt insbesondere bei den Mischtypen, die keinen w-Ausdruck enthalten, sowie in elliptischen Strukturen ohne Finitum:
255 (44) Einen Kaffee die Dame? (45) Nichts Passendes gefunden? Wenn der Fragesatzmodus dagegen bereits durch andere Mittel hinreichend deutlich gekennzeichnet ist, kann die steigende Intonation zur Erzielung pragmatischer Effekte eingesetzt werden (sie muß es aber nicht). Daß der Tonhöhenverlauf nicht nur eine rein linguistische Funktion hat, ist offensichtlich. Nach Ohala (1983,1984) kann auch die in vielen Sprachen anzutreffende Korrelation des steigenden Tonhöhenverlaufs mit der Fragefunktion und des fallenden Verlaufs mit der Aussagefunktion auf eine 'ethologische Basis', auf den 'Frequenzkode' zurückgeführt werden: Tiefe Tonhöhe ist ein natürlicher Anzeiger für (verhältnismäßige) Größe (des tonerzeugenden Organismus) und symbolisiert gewissermaßen die Sicherheit der Aussage, während die hohe Tonhöhe (verhältnismäßige) Kleinheit anzeigt und die Abhängigkeit von demjenigen symbolisiert, der die benötigte Information zur Schließung der Informationslücke bereitstellt Ohne Zweifel liegt es nahe, bei der Zuordnung der Tonmuster zu Funktionen von einer natürlichen Basis auszugehen. Wahrscheinlich hat auch die Tatsache, daß im allgemeinen die Tonhöhe am Ende bzw. ein später Tonhöhenanstieg für die Fragekennzeichnung bevorzugt wird, eine natürliche Basis (z.B. in der Form, daß keine nachfolgenden Tonhöhenveränderungen den Gehörseindruck durch Überlagerung abschwächen können). Aber die natürliche Basis wird normalerweise in ein funktionierendes Sprachsystem eingebaut, interagiert also mit anderen sprachlichen Mitteln, zumal wenn es sich um so eine zentrale Funktionsunterscheidung wie die zwischen Frage und Nicht-Frage handelt. Dementsprechend gibt es auch Ausnahmen zu der Regel: Im Finnischen etwa - einer Sprache, die Fragen durch Äquivalente der w-Ausdrücke oder durch eine enklitische Partikel kennzeichnet - fehlt das steigende Tonmuster (vgl. LuukkoVinchenzo 1988). Laut Ultan (1978:220) ist im Chitimacha die natürliche Korrelation sogar umgedreht. Da intonatorische Phänomene einerseits eine 'ethologische Basis* haben können, andererseits in das Sprachsystem eingebaut sind, ist die genaue Abgrenzung der Systemeigenschaften von den restlichen Eigenschaften natürlich nicht ganz einfach. Ein Effekt dieser natürlichen Basis ist auch die Tatsache, daß sich die für die Funktionsbestimmung relevanten Tonhöhenveränderungen vor allem am rechten Rand eines Satzes abspielen, während im Deutschen die sonstigen Satzmodusmarkierer am linken Satzrand auftreten; dieser Unterschied zwischen intonatorischen und nicht-intonatorischen Kennzeichnungsmitteln beweist an sich jedoch nichts für die grammatische Relevanz der Intonation. Kein Einwand gegen die grammatische Relevanz der Intonation im Bereich der Satzmoduskennzeichnung ist auch die Tatsache, daß das steigende Tonmuster nicht zur Fragesatzkennzeichnung verwendet zu werden braucht, wenn bereits andere klare Indikatoren vorhanden sind. Auch die Verbstellung ist nur in manchen Fällen satzmodusunterscheidend. In den anderen Fällen kann sie variieren, z.B. beim Exklamativsatz zwischen Erst- und Zweit-Position: (46) DER hat vielleicht geflucht!/Hat DER vielleicht geflucht! Beim w-Exklamativsatz zwischen Zweit- und Letzt-Position (d.h. der w-Ausdruck wird als Vorfeldbesetzung oder als Komplementierer verwendet):
256
(47) Wie groß bist du geworden!/Wie groß du geworden bist! Bei den morphologisch und durch Ersparung des Subjektpronomens eindeutig gekennzeichneten Imperativsätzen kann die Position vor dem Verb besetzt werden: (48) Laßt mir nicht den Wolf ins Haus!/Den Wolf laßt mir nicht ins Haus! Die Markierung ist in diesem Fall so eindeutig, daß sogar w-Phrasen aus einem eingebetteten Satz mit einigermaßen akzeptablen Resultaten topikalisiert werden können, ohne daß sie die Satzmoduszuweisung stören (vgl. Reis/Rosengren 1988): (49) Wie lange rate docl^denn mal, daß ich gebraucht habe! Nicht-imperativische Verbformen sind dagegen keine (positiven) Satzmodusmarkierer; ein extrahierter w-Ausdruck im Vorfeld entspricht dem Muster der w-Fragesätze und infolgedessen wird eine derartige Struktur auch als w-Verb-Zweit-Fragesatz interpretiert (in Reis/Rosengren 1988:38 wird dagegen der Unterschied mit der schon oben erwähnten -w-Charakteristik des Aussagesatz-Vorfelds erklärt): (50) Wer glaubt er denn/*ja, daß er ist? Die intonatorischen Kennzeichnungsmittel unterscheiden sich also auch darin, daß sie nicht immer satzmodusdistinktiv sind, nicht von den anderen grammatischen Mitteln, die an der Formtypkonstituierung beteiligt sind.
5.
Mögliche Formen der 'Frageintonation'
Wie sieht die intonatorische Form (von Fragesätzen und anderen Satztypen) aus? In einem Münchner DFG-Forschungsprojekt wurde die intonatorische Kennzeichnung von Satzmodi des Deutschen an einem umfangreichen Korpus untersucht (Ergebnisse finden sich ausgebreitet in den Aufsätzen von Batliner und Oppenrieder in Altmann 1988, in Altmann et al. 1989, sowie speziell zur intonatorischen Form von Fragesätzen in Luukko-Vinchenzo 1988). Allerdings bedienten wir uns bei der Korpuserstellung ausschließlich der sogenannten Minimalpaarmethode, d.h. es wurden solche Fälle untersucht, in denen die Intonation funktional hoch belastet ist, während in dieser Hinsicht 'neutrale' Fragesätze fehlen. Die Sätze wurden von naiven Versuchspersonen (aus dem süddeutschen Raum) gesprochen, Satzmodus und Fokussierung wurden implizit über geeignete Kontexte gesteuert. Die entsprechenden Realisationen wurden auf der einen Seite in Hörtests weiter untersucht (insbesondere daraufhin, inwieweit sie kontextfrei dem intendierten Satzmodus zugeordnet werden konnten), andererseits wurden schematisch akustische Parameterwerte, z.B. bestimmte Fo-Werte, extrahiert (vgl. zur Methodik Oppenrieder 1988). Die erhaltenen Einzeldaten wurden statistisch ausgewertet, zum Teil mit Hilfe einfacher beschreibender Statistiken, zum Teil mit Hilfe aufwendigerer Verfahren, z.B. der Diskriminanzanalyse. Auf diese Weise wurde ermittelt, welche der akustischen Werte bei der Satzmoduskennzeichnung besonders relevant sind.
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Für die Realisationen der Fragesätze ergab sich, daß sie häufig durch einen spezifischen FoVerlauf (bzw. einen spezifischen Tonhöhenverlauf als perzeptives Äquivalent) gekennzeichnet sind. Ausnahmen sind manche w-Verb-Zweit-Fragesätze, wie das ja auch zu erwarten ist, und einige zusätzlich getestete Fragesätze, die nicht in Satzmodus-Minimalpaaren auftreten. Typischerweise enden die spezifisch markierten Fragesatz-Realisationen mit einem relativ zum Gesamtumfang der Fo der Äußerung hohen Fo-Wert, die Hauptakzentsilbe (die mit Hilfe von Hörtests bestimmt wurde) ist durch einen konkaven, d.h. fallend-steigenden (oder einen einfach steigenden) Fo-Verlauf gekennzeichnet. Wir bezeichnen diesen Verlauf als prototypisch für intonatorisch markierte Fragesätze. In diesen beiden Bestandstücken unterscheidet sich die typische Trageintonation' deutlich von der Intonation der Nicht-Fragesätze bzw. der oben erwähnten Ausnahmen, die durch einen relativ gesehen tiefen Fo-Wert am Ende der Äußerung und durch einen konvexen, d.h. steigend-fallenden (oder einen einfach fallenden) Fo-Verlauf im Bereich der Hauptakzentsilbe ausgezeichnet ist. Allerdings kommen auch Fälle vor, bei denen die erwähnte typische 'Frageintonation' trotz einer starken funktionalen Belastung (z.B. bei manchen Realisationen von assertiven Fragesätzen) nicht auftritt. Stattdessen ist nur jeweils eines der beiden charakteristischen Bestandstücke vorhanden. Im einen Fall findet sich nur die hohe Fo am Äußerungsende, die aber mit einer konvexen Hauptakzent-Kontur verbunden ist, so daß die Fo vor dem Äußerungsende noch einmal ansteigt, ohne daß dieser Anstieg sich als akzentuierungsrelevant erweist (nach Ausweis unserer Akzenttests). Im anderen Fall zeigt zwar die Hauptakzentsilbe einen konkaven (oder einfach steigenden) Fo-Verlauf, die Höhe der Fo am Äußerungsende sinkt aber auf ein tiefes (oder doch nur mittelhohes) Niveau ab. Diese peripheren, nicht-prototypischen Realisierungen treten nur vereinzelt auf (bei zwei Sprechern) und sind zudem in ihrer Verwendung offensichtlich dadurch eingeschränkt, daß sich die Hauptakzentsilbe nicht zu weit hinten in der jeweiligen Äußerung befindet - es müssen noch weitere Silben mit nicht-reduziertem Vokal folgen, auf denen das komplexe Tonmuster realisiert wird. Die nicht-prototypischen Realisationen wurden im Hörtest richtig als Fragen erkannt. Das bedeutet, daß sich für die 'Frageintonation' keines der beiden Bestandstücke als notwendig erweist, dafür aber jedes allein schon hinreichend ist, um eine Äußerung als Frageäußerung zu kennzeichnen (zur Frage, ab welchem Umfang des Fo-Anstiegs eine Äußerung als Frage klassifiziert wird bzw. welche Effekte mit einer Änderung des Umfangs verbunden sind, vgl. Batliner 1989). Eine in Studdert-Kennedy/Hadding (1973) untersuchte weitere frageindizierende Kontur, nämlich ein präfinaler sehr hoher Fo-Wert verbunden mit tiefem Fo-Wert am Äußerungsende, taucht in unserem Korpus nur sporadisch auf (vgl. Batiiner 1989:150ff.). Ein anderes für die intonatorische Satzmodusmarkierung möglicherweise relevantes Merkmal, das aber gegenüber dem Konturverlauf im Bereich der Hauptakzentsilbe und dem Fo-Wert am Äußerungsende weit weniger wichtig zu sein scheint, zumal es nicht konsistent eingesetzt wird, ist der globale Fo-Verlauf einer Äußerung, die Fo-Deklination. Während der Standardfall ein gegen Äußerungsende hin abfallender globaler Fo-Verlauf ist, findet sich bei
258
Fragesätzen in unserem Korpus eine im Durchschnitt gleichbleibende oder sogar leicht steigende Tendenz des globalen Fo-Verlaufs (vgl. Oppenrieder 1989b).
6.
Intonatorische Satzmoduskennzeichnung durch 'Randmarkierung'
Die präferierten Möglichkeiten der intonatorischen Satzmoduskennzeichnung lassen sich am einfachsten beschreiben, wenn man annimmt, daß diese Kennzeichung auf zwei Ebenen oder Schichten (im Sinn der 'tiers' der autosegmentalen Repräsentation, vgl. z.B. Goldsmith 1990) stattfindet, die für die Formtypsteuerung durch den Satzmodusoperator erreichbar sind: - a) Zunächst ist dies der kontinuierliche Lautstrom, der die Segmentkette des entsprechenden Satzes realisiert. - b) Als zweites hat der Operator offensichtlich Zugriff auf die von der Fokusstruktur abgeleitete Kette der potentiellen Akzentsilben eines Satzes, d.h. der Silben, die bei 'isolierender' Akzentuierung jeweils hervorgehoben werden können. Die Stellen, die vom Operator vorzüglich für die Markierung genutzt werden, sind die rechten Ränder dieser beiden Schichten. Die Präferenz für den rechten Rand bei der Satzmoduskennzeichnung ist wohl auch dafür verantwortlich, daß im Deutschen (und in anderen Sprachen) der letzte Akzent im Fokusbereich als Nukleusakzent metrisch besonders hevorgehoben ist und eventuell auch als einziger Akzent verbleibt, bzw. daß auf den stärksten Fokusakzent kein weiterer Akzent folgen darf. Die tatsächliche Hervorhebung muß dabei nicht automatisch mit dem größten artikulatorischen Aufwand zusammenfallen; im Bereich der Fo denke man dabei an das Phänomen des 'downstep', der Katathese (vgl. Beckman/Pierrehumbert 1986). Daß die Kennzeichnung entweder am Rand oder global erfolgt, läßt sich sicherlich auf ein zugrundeliegendes 'AufmerksamkeitsprofiT zurückführen, wonach eine Kennzeichnung in der Mitte weniger günstig ist Dies dürfte mindestens für die segmentale Ebene gelten. Die intonatorische Satzmodusmarkierung über einen Funktionstypoperator greift also auf zwei separate intonatorisch beeinflußbare Ebenen zu, die auch völlig unabhängig von den Effekten dieses Operators angesetzt werden müssen (nicht-fokussierende Akzente wie der satzmoduskennzeichnende Exklamativakzent sind allerdings auszunehmen): die Ebene des Lautkontinuums, d.h. die segmenteile oder S-Ebene, und die Ebene der Hervorhebungssilben oder H-Ebene. Die für die Satzmoduskennzeichnung relevanten Stellen liegen aufgrund der Bestimmung, daß der rechte Rand spezifisch zu markieren ist, fest. Die Eigenschaften der beiden Ebenen legen aber auch fest, welche Arten von Markierung möglich sind. Betrachtet man nämlich das bei weitem wichtigste Markierungsmittel, die Fo, so ist klar, daß die einfachste Markierung auf der S-Ebene darin besteht, für den Rand eine bestimmte (relative) Höhe der Fo festzulegen, d.h. sich bei der Markierungsangabe auf einen einzigen 'Ton', den 'Grenzton' zu beschränken. Bei den -Silben umfaßt dagegen der markierbare Bereich tatsächlich eine ganze Silbe. Die Markierung durch 'kinetische Töne' ist daher hier der Normalfall. Während die spezifische Randmar-
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kierung auf der S-Ebene durch einen einzigen Fo-Wert möglich ist, der allerdings je nach Umgebung von verschiedenem Fo-Niveau aus erreicht werden muß, ist für die Fokussilbe wesentlich, daß sie sich von der tonalen Umgebung abhebt, so daß hier eine komplexe Fo-Bewegung für die Kennzeichnung erforderlich ist (eine Hervorhebung nur durch Längung oder Lautstärke tritt ja nicht auf). Welche spezifischen Fo-Punkte auf der S-Ebene angesteuert werden können und welche spezifischen Fo-Konturen im Bereich der letzten Fokussilbe zulässig sind, wurde in dem erwähnten Projekt untersucht. Für die S-Ebene kommt man voraussichtlich mit zwei abstrakten Punkten aus: einem hohen und einem tiefen 'Grenzton'. Die tatsächlich realisierte Höhe ergibt sich aus der Relation zum Fo-Umfang, der in der zu markierenden Äußerung ausgeschöpft wird: Teilt man diesen in einen unteren und einen oberen Bereich, so wird ein hoher Grenzton im oberen Bereich (an dessen hohem Ende) und ein tiefer Grenzton im unteren Bereich (an dessen unterem Ende) realisiert. Der unmarkierte Fall ist hier der tiefe Grenzton, d.h. das Absinken der Tonhöhe bis zur 'Lösungstiefe', während der mit größerem artikulatorischem Aufwand zu realisierende hohe Grenzton den markierten Fall darstellt Für die Kennzeichnung der letzten Fokussilbe (der Nukleussilbe) werden typischerweise vier 'Konturtypen' verwendet, die in zwei Gruppen zerfallen. Die erste besteht aus einem fallenden oder steigend-fallenden Verlauf, die zweite aus einem steigenden oder fallend-steigenden Verlauf (wobei bei den komplexen Verläufen der 'Auftaktteü' jeweils als Betonung eines Kulminationspunktes zu werten ist). Bei komplexen Verläufen ist also jeweils im zweiten Teil die eigentlich relevante Tonhöhenveränderung zu finden. Der fallende Tonverlauf ist hier unmarkiert (wohl wieder aufgrund des geringeren artikulatorischen Aufwandes). Der unmarkierte Tonhöhenverlauf eines Satzes ist also ein global fallendes Tonmuster. Auch bei vielen Fragesätzen ist dieses Muster möglich, nämlich bei denen, die bereits durch andere formale Merkmale hinreichend als Fragesätze gekennzeichnet sind. Durch einen spezifischen Tonhöllenverlauf gekennzeichnete Fragesätze sind dagegen intonatorisch gesehen markiert. Sie haben ein Tonmuster, das sich aus den beiden markierten Arten der Randkennzeichnung zusammensetzt - einem Steigton und einem hohen Grenzton. Bei der Kennzeichnung der Fragen in unserem Korpus erweist sich nun, daß die tonalen Markierungen auf der S- und der H-Ebene im Prinzip unabhängig voneinander sind. Allerdings ist eine 'Doppelmarkierung' der bei weitem präferierte Fall. Die intonatorische Form von Fragesätzen kann also - u.a. abhängig von den sonstigen Markierungsmöglichkeiten - aus verschiedenen 'Tonmustern' (mit 'Tonmustern' als dem wichtigsten intonatorischen Kennzeichnungsmittel) gewählt werden: einem fallenden und einem steigenden (mit zwei peripheren Varianten). Die satzmoduskennzeichnenden tonalen Merkmale werden dabei jeweils am rechten Rand der Äußerung realisiert, einmal am rechten Rand des Lautkontinuums durch einen Grenzton, zum zweiten auf der letzten der (möglichen) Akzentsilben im Fokusbereich durch eine spezifische Tonhöhenveränderung.
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w-Fragen in konversationeilen Frage-Antwort-Sequenzen* Margret Selting, Oldenburg
Meine empirische Analyse von w-Fragen im Kontext von Frage-Antwort-Sequenzen aus natürlichen informellen Alltagsgesprächen resultiert in der Dekomponierung der konversationellen Frage in ihre für die Produktion und Interpretation der damit vollzogenen Aktivität konsumtiven Merkmale. Diese stammen aus vier autonomen Signalisierungssystemen: (1) syntaktische Struktur, (2) semantische Beziehung zum Vorgängerturn, (3) prosodische Struktur und (4) die Antwort im Folgeturn. Aktivitätstyp-unterscheidende Strukturen aus diesen vier Systemen werden in Kookkurrenz miteinander verwendet zur Herstellung und Signalisierung jeweils spezifischer Aktivitätstypen mit jeweils unterschiedlichen sequentiellen Implikationen im Hinblick auf die spezifische konditionell relevante Antwort im Folgeturn. Meine Analyse zeigt, daß einige in der Linguistik bisher i.d.R. unhinterfragt vorausgesetzte Annahmen zum Zusammenhang von Grammatik und Prosodie bzw. Intonation nicht haltbar sind. Intonation steht nicht in einer systematischen Beziehung zu Satztypen bzw. Satzmodi und auch nicht zu bisher oft herangezogenen pragmatischen "Verlegenheitskategorien" wie 'Höflichkeit' o.a. Vielmehr muß Prosodie als unabhängiges Signalisierungssystem betrachtet werden, aus dem Interaktionspartner Strukturen frei auswählen, um diese auf interaktiver Ebene in Kookkurrenz mit anderen Signalen als aktivitätstyp-unterscheidende Merkmale zur Herstellung interaktiv unterschiedlicher Fragetypen zu verwenden.
1. Einleitung Mein Interesse gilt im folgenden der Beschreibung der syntaktischen, semantischen, prosodischen und sequentiellen Eigenschaften von Fragen in konversationeilen Frage-Antwort-Sequenzen.1 Grundlage meiner Analyse ist ein empirisch erhobenes Korpus von Frage-AntwortSequenzen aus natürlichen informellen Alltagsgesprächen; mein Vorgehen ist konversationsanalytisch. Meine Analyse erzwingt eine Revision bisheriger Annahmen zum Zusammenhang von Grammatik und Intonation bei diesen Aktivitäten bzw. bei den damit assoziierten grammatischen Satztypen. Für kritische Kommentare und Verbesserungsvorschläge zu einer früheren Version dieses Papers danke ich Thomas Berg, Dafydd Gibbon, Elisabeth Gülich, Volker Hinnenkamp und Klaus Munsberg. Eine Diskussion mit Inger Rosengren hat mich auf zahlreiche neue Gedanken zur Beziehung von Grammatik und Konversation gebracht Die bisherigen Forschungsergebnisse zur Typologie von Fragesätzen sind nach meiner Überzeugung zu sehr das Ergebnis der Analyse sehr eingeschränkter Beispiel- bzw. Textsorten: nämlich größtenteils immer noch einzelne kontextfreie Sätze oder aber letztendlich introspektiv basierte erfundene Kurzdialoge (vgl. etwa z.B. v. Essen 1956, der immer noch als Basis der Darstellung der Intonation von Fragesätzen in deutschen Grammatiken herangezogen wird, Pheby 1980, Klein 1982, die Beiträge in Altmann 1988 u.a.).
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Im Rahmen konversationsanalytischer Arbeiten wird gemeinhin davon ausgegangen, daß Frage-Antwort-Sequenzen eine Art "Grundbaustein" konversationeller Interaktion schlechthin sind. 'Fragen' bilden den Ersten Teil eines Nachbarpaares, als dessen Zweiter Teil eine 'Antwort' konditioneil relevant wird. Da beide Strukturteile dieses Paares von unterschiedlichen Sprechern geleistet werden, kann man Frage-Antwort-Sequenzen als ein paradigmatisches Modell ftir sequentielle Organisation überhaupt ansehen (Sacks/Schegloff/Jefferson 1974). Eine 'konversationelle Frage' ist also eine konversationeile Aktivität einer Sprecherin bzw. eines Sprechers, die eine 'Antwort'reaktion des Rezipienten konditioneil relevant macht. Eine 'Frage' legt einer möglichen 'Antwort'reaktion Restriktionen auf: Sie schließt kohärent an und liefert z.B. die 'erfragte', fokussierte Information; andernfalls gibt der Rezipient einen Hinweis/ Account über seine Verletzung der konditionellen Relevanz, um eine mögliche weitergehende Interpretation dieser offiziellen Verletzung einer konditioneilen Relevanz zu verhindern. Wie Schegloff (1984) betont, weisen jedoch konversationelle Aktivitäten, die von Rezipienten als Fragen behandelt werden, eine Vielzahl unterschiedliche sprachliche und nichtsprachliche formale Eigenschaften auf. Denn immerhin behandeln wir häufig ganz normale Aussagesätze, als seien sie wie Fragen gemeint, und andererseits behandeln wir Fragesätze, als seien sie wie ganz normale Aussagen oder Mitteilungen gemeint Darüber hinaus können solche Äußerungstypen je nach spezifischem außersprachlichen und sequentiellen Kontext für sehr unterschiedliche interaktive Aktivitäten verwendet werden, z.B. Fragen als Einladungen oder Prä-Einladungen. Schegloff (1984), der den sequentiellen Charakter der Frage-Antwort-Sequenz hervorhebt, mutmaßt, ob nicht letztlich Frage-Antwort-Sequenzen auf Paarsequenzen und die hierin bestehende Beziehung konditioneller Relevanz zurückgeführt werden können. Dann läge seiner Meinung nach kein Erkenntnisgewinn am Ende der spezielleren Untersuchung von Fragen bzw. Frage-Antwort-Sequenzen in Gesprächen. Demgegenüber möchte ich im folgenden zeigen, daß durchaus mit Gewinn danach gefragt werden kann, wozu unterschiedliche syntaktische und prosodische Strukturen und semantische Beziehungen von Turns interaktiv verwendet werden können, im spezielleren eben auch "Fragesatzstrukturen". Ich möchte den Zusammenhang genauer analysieren zwischen folgenden Eigenschaften der Frage: (1) ihrer empirisch vorgefundenen syntaktischen Struktur, (2) der hergestellten semantischen Beziehung zum Vorgängerturn, (3) ihrer empirisch vorgefundenen Prosodie und (4) den Eigenschaften der folgenden Antwort des Rezipienten. Damit geht es mir also um die systematische Untersuchung der Rolle der strukturellen Eigenschaften der Frage für die Konstitution einer Äußerung als konversationelle Frage bzw. als spezifischer Fragetyp, der eine spezifische Antwort verlangt Dabei analysiere ich die Frage in ihrem Kontext, d.h. in ihrer Beziehung zum voraufgegangenen und nachfolgenden Turn.
265
Meine Hypothese ist, daß die unterschiedlichen syntaktischen und prosodischen Möglichkeiten und die explizit hergestellten semantischen Beziehungen zum Vorgängerturn bei der Formulierung konversationeller Fragen systematisch und 'regelhaft' verwendet werden, um damit auch unterschiedliche Aktivitäten herzustellen: Denn so unterschiedene 'Fragen' leiten je unterschiedliche Frage-Antwort-Sequenzen ein, in denen auch je unterschiedliche 'Antworten' erwartbar sind. 2 Meine Analyse soll also zeigen, daß die strukturellen Eigenschaften der 'Frage' zumindest einige strukturelle Eigenschaften der 'Antwort' erwartbar machen. M.a.W.: Die Struktur der Frage erlegt der Struktur der Antwort offenbar Restriktionen auf. Aus der Konversationsanalyse von Frage-Antwort-Sequenzen aus natürlichen Gesprächen ergibt sich eine neue Typologie von Fragen, die für eine "konversationsgrammatische" Beschreibung des Deutschen grundlegend wäre. Im Rückblick auf die Analyse der Beziehung zwischen den syntaktischen, semantischen, prosodischen und intonatorischen Eigenschaften von Fragen wird sich zeigen, daß die allseits übliche Annahme, Intonation stünde in einer systematischen Beziehung zu den grammatischen Satztypen bzw. Satzmodi3 sich zumindest für empirisch erhobene Daten aus echten Gesprächen nicht halten läßt. Meine Analyse erzwingt vielmehr die Annahme, daß zwar die Plazierung der Akzente für die (semantische) Fokussierung unter Rückgriff auf die Grammatik erklärt werden kann,4 daß jedoch Intonation als autonomes Signalisierungssystem.5 unabhängig von der Grammatik, als konsumtives Element auf interaktiver Ebene zur Konstitution von interaktiv je spezifischen Fragetypen verwendet wird. Es resultiert die Notwendigkeit, zwischen der Analyse des Beitrags der syntaktischen Struktur (v.a. Wortstellung und Fragewörter), der semantischen Beziehung zum Vorgängerturn (des 'Fokus' einer Äußerung als Resultat seiner Akzentuierung und ggf. Wortstellung in Relation zum Vorgängertum) und der Intonation bzw. weiterer prosodischer Parameter zur Konstitution von Fragen zu differenzieren.
2
Hierbei werden dann in einem ersten Schritt Frage-Antwort-Sequenzen und sogenannte Reparatursequenzen noch nicht unterschieden; Reparatursequenzen sind eben eine spezielle An von Frage-Antwort-Sequenz mit einer spezifischen Art der Beziehung und Einbettung in das es umgebende übergeordnete Gesprach.
3
So angenommen von sämtlichen älteren Intonationstheorien (siehe besonders von Essen 1964, Pheby 1980) und von den gängigen Grammatiken, sofern sie auf Intonation Bezug nehmen, femer gelegentlich in neueren generativen Arbeiten zur Phonologic und Intonation (s. fürs Deutsche z.B. Wunderlich 1988); vorausgesetzt wird diese Beziehung auch z.B. bei Oppenrieder (1988).
4
Vgl. hierzu auch in ähnliche Richtung weisende Arbeiten für Fragesätze: Rosengren [in diesem Band], Jacobs (1988), Reis [in diesem Band], Pasch (1990), Uhmann (1988), die jedoch z.T. unterschiedliche Positionen vertreten.
5 Zu einer solchen Hypothese vgl. auch Gibbon (1984).
266
2. Taxonomie konversationeller w-Fragen Ich muß meine Darstellung im Rahmen dieses Beitrags sehr einschränken: Ich werde mich auf die Behandlung von w-Fragen beschränken und für jeden w-Fragen-Typ nur wenige Beispiele zitieren.6 Der Präsentation liegt folgende Analyse zugrunde, die ich nur in Ansätzen hier wiedergeben kann. Zunächst habe ich eine Klassifikation der Fragen vorgenommen anhand der folgenden Kriterien: - Wie werden sie vom Rezipienten im Folgeturn behandelt? - Welche semantische Beziehung besteht zum Vorgängertum? Und: - Welche syntaktischen und prosodischen Strukturen kommen vor? Die unterschiedliche Behandlung von "Oberflächenstrukturen" unterschiedlichen Fragen im Folgeturn gilt als Evidenz für die sogenannte 'interpretative Relevanz' der unterschiedlichen Frageformen für Interaktionspartner. Das Resultat ist eine Taxonomie konversationeller w-Fragen im Hinblick auf die mit ihnen vollzogenen konversationellen Aktivitäten. Bei der Präsentation meiner Ergebnisse gehe ich schon von dieser ursprünglich natürlich induktiv gewonnenen Taxonomie aus, die ich als Überblick und Strukturierungshilfe auch den Beispielanalysen vorangestellt habe (s. folgende Seite). Im Anschluß an eine überblicksartige Besprechung der dort aufgeführten Fragetypen analysiere ich dann exemplarische Beispiele aus meinem Korpus. Die Klassifikation und Analyse zielt auf eine Dekomponierung der holistischen konversationellen Aktivität 'Frage' bis in die kleinsten interpretativ relevanten Signale, die eine Äußerung als eine spezifische konversationeile 'Frage' konstituieren/kontextualisieren (Gumperz 1982; Auer 1986) und als solche interpretierbar machen. Diese konstitutiven Signale können den drei autonomen Systemen 'Syntaktischer Strukturtyp', der hier mit der Beschränkung auf w-Fragen konstant gehalten wurde, 'Semantische Beziehung bzw. Fokussierung in Relation zum Vorgängerturn' und 'Prosodie' zugeordnet werden. In der folgenden Darstellung gehe ich aus von den Aktivitäten, die mit syntaktischen w-Fragen konstituiert werden. Diesen ordne ich dann die weiteren konstitutiven Signalisierungssysteme als autonome Systeme zu, aus denen Interaktionspartner Signale wählen und in Kookkurrenz miteinander verwenden, um den intendierten Aktivitätstyp zu signalisieren und zu konstituieren. Vom Aktivitätstyp her gesehen, geben die Linien zu den autonomen Systemen konstitutiver Merkmale die zu kombinierenden konstitutiven Merkmale an; umgekehrt läßt sich von den Merkmalen her rekonstruieren, für die Konstitution welcher Aktivitätstypen sie notwendig und typ-unterscheidend sind. Mehr als eine Verbindung zwischen einem autonomen Signalisierungssystem und einem Aktivitätstyp verweist
Durch die Beschränkung auf w-Fragen ergeben sich (für w-Fragen nicht belegte) Leerstellen in der Gesamttaxonomie, die ggf. aber mit anderen Fragetypen (komplementär?) belegt sind. Darauf gehe ich hier nicht weiter ein.
267
268
darauf, daß mehrere Merkmale verwendet werden können, sowohl alternativ als auch in Kombination. Die Linientypen variieren nach System.7 Wie aus der schematischen Darstellung ersichtlich, gehe ich von der grundlegenden Unterscheidung zwischen (1) konversationeil weiterführenden, "echten" Fragen, und (2) konversationell innehaltenden, explizit verständigungsbearbeitenden Fragen aus. Der Unterschied zwischen diesen beiden Typen ergibt sich aus der semantischen Beziehung zum Vorgängerturn, die ich als Beziehung der Fokussierung aufeinanderfolgender Aktivitäten fassen möchte: v.a. als Neufokussierung versus Refokussierung. Neufokussierung meint eine thematische Weiterentwicklung, bei der gegenüber dem vorherigen Turn der Fokus verschoben wird; Refokussierung meint dagegen, daß die thematische Entwicklung innehält und ein bereits zuvor fokussierter Sachverhalt noch einmal erneut fokussiert wird bzw. der Fokus auf einem wiederaufgenommenen Element/Sachverhalt liegt.8 Während bei "echten" Fragen eine thematisch weiterführende Neufokussierung vorgenommen wird, wird bei den explizit verständigungsbearbeitenden Fragen ein bereits thematischer und ggf. schon einmal fokussierter Sachverhalt refokussiert. Die Art dieser Refokussierung unterscheidet weiter zwischen den explizit verständigungssichernden und den problemmanifestierenden Fragetypen. Bei den expüzit verständigungssichernden Fragen wird zu einem bereits thematischen - und ggf. auch unakzentuiert/nicht-fokussierend anaphorisch wiederaufgenommenen - Sachverhalt zusätzliche Information fokussiert und angefordert, um ein bisheriges Verstehen bzw. eine Inferenz des Fragers zu überprüfen. In diesem Sinne sind dann explizit verständigungssichernde Fragen sowohl refokussierend als auch konversationell weiterführend; sie nehmen eine 7 Bei der Dekomponierung der konstituüven Merkmale von konversationellen w-Fragen werden in Anlehnung an komponentenanalytische Darstellungsweisen die einander entgegengesetzten Pole von Komponentenausprägungen manchmal in Ausdrücken wie [± prosodisch markiert] notiert. Dabei stellen [+ prosodisch markiert] und [- prosodisch markiert] Ausprägungen einer Dimension dar, die von gegensätzlichen Polen eines Kontinuums strukturiert sind, deren interne Grenzen aber ggf. unklar und fließend sein können. Im konkreten Einzelfall kann also hinsichtlich der Dimension [± prosodisch markiert] durchaus eine Äußerung nicht klar einem Pol zuneigen; in diesem Falle wäre die Interpretation dieser prosodischen Komponente wie auch entsprechend die Interpretation der Äußerung in besonders deutlichem Maße interaktiv aushandelbar. - In den meisten Fällen habe ich jedoch bei der Formulierung der Merkmale eine Notation im Sinne derartiger binärer Oppositionen vermieden, um nicht ohne Rechtfertigung einem Mitglied dieses Paars den Status des markierten und dem anderen den des unmarkierten Merkmals zuzuweisen. Eine Notation als [+ x] impliziert damit zunächst also nur per Redundanzregel, daß nicht [+ y], [+ z] usw. 8 Zum ethnomethodologischcn Fokussierungsbegriff, der Fokussierungen als Aktivitäten beschreibt, vgl. auch Kallmeyer (1978), der allerdings v.a. elaboriertere Fokussierungssequenzen beschreibt. Diese Analyse der semantischen Beziehung zum Vorgängerturn setzt eine zumindest intuitive Interpretation und Analyse der semantischen Struktur bzw. der Fokus-Struktur der je einzelnen aufeinanderfolgenden Äußerungen voraus. Diese kann ggf. unter Rückgriff auf Fokuskonzepte der neueren (generativen) Grammatikforschung linguistisch expliziert werden. Nach dort gängiger Auffassung bedingen v.a. die Akzentuierung (i.S.v. Hervorhebung, Prominenz, nicht Tonhöhenbewegung!), die Satzgliedstellung und andere grammatische Prinzipien die Interpretation der Fokus-Hintergrund-Gliederung von Sätzen bzw. der Fokuszuweisung und Fokusprojektion (vgl. Jacobs 1988; Pasch 1990; Rosengren [in diesem Band]; Uhmann 1988). Solche allgemeinen grammatischen Regeln und Prinzipien schränken natürlich (als "kognitives Referenzsystem/Orientierungssystem'') mögliche Formulierungen und Interpretationen konversationeller Äußerungen ein und gehören somit zu den Voraussetzungen der Analyse von Fokussierungen als konversationellen Aktivitäten. Diese Analyse kann hier jedoch nicht expliziert werden.
269
Zwischenstellung ein zwischen der unproblematischen Fortsetzung des Gesprächs und der expliziten Manifestation eines Verständigungsproblems. Dagegen ist die Refokussierung bei den problemmanifestierenden Fragetypen immer eine explizite und fokussierte Wiederaufnahme eines problematischen Elements aus dem Vorgängertum, die eine Problembearbeitung durch den Rezipienten verlangt. Diese explizite Problembehandlung hat immer das Format einer Reparatur(neben)sequenz, konkreter einer fremdinitiierten Selbstreparatur (Jefferson 1972; Schegloff/Jefferson/Sacks 1977; Selting 1987a). Das genaue Format der Wiederaufnahme und die prosodische Struktur der Frage unterscheiden hier unterschiedliche Problemtypen.9 In prosodischer Hinsicht unterscheidet auch das Merkmal [± prosodisch markiert] zwischen Frage- und Problemtypen. Prosodische Markierungsformen sind v.a. stärkere Akzente und größere lokale Tonhöhensprünge als in den umliegenden Äußerungen, meist auch bei global hoher Tonhöhe. Bei w-Fragen ist prosodische Markierung offenbar nur eingeschränkt möglich: Solche Fragen werden automatisch als Manifestationen eines Erwartungsproblems interpretiert: als "erstaunte", "zweifelnde" Fragen, in denen der Frager einen Widerspruch zu seinen Erwartungen manifestiert.
3. Beispiele und Analysen Im folgenden analysiere ich nun einige Beispiele, um die genannten Unterschiede deutlicher zu machen. Diese Beispiele präsentiere ich in Form von auditiv transkribierten Gesprächsausschnitten, aus denen ich v.a. die Fragen in den gesternten Zeilen und deren Antworten behandeln werde. Die genaueren Transkriptionskonventionen sind im Anhang 2 aufgeführt. Die verwendete Notation soll die Prosodie, hier v.a. die Intonation echter mündlicher Äußerungen, genauer und adäquater erfassen als dies die üblichere Tongruppennotation zuläßt, und soweit auditiv möglich auch in ihre einzelnen konsumtiven Parameter dekomponieren. Sie notiert und berücksichtigt deshalb mehr bzw. einige Phänomene anders als in der Tongruppennotation und -analyse, die für meine Zwecke eine zu stark allein auf die Satztyp/-modusunterscheidung hin orientierte Analyse reflektiert (vgl. hierzu auch Selting 1987b,1988).
Insofern problemmanifestierende Fragetypen durch das Merkmal der Wiederaufnahme eines Bezugselements aus dem Vorgängerturn konstituiert und definiert werden, decken sie sich weitgehend mit den Satztypen, die üblicherweise als "Echofragen", hier speziell "Echo-w-Fragen", beschrieben werden (vgl. hierzu z.B. Wunderlich 1986, v.a. aber Reis [in diesem Band]). Allerdings zeigen sich m.E. gerade hier die Grenzen introspektiver Daten als Analysegrundlage, z.B. an der häufig unmotivierten Einschränkung dieses Fragetyps auf Fragesätze mit steigender Intonation, wie auch daran, daß z.T. aufgrund der unexplizierten Zuschreibung einmal prosodisch markierter und ein andermal prosodisch unmarkierter Eigenschaften manche Fragen m.E. unmotiviert als "erstaunte", andere aber als "nicht-erstaunte" interpretiert werden. (Als neuere Analyse, die genau solche Fehler vermeidet, s. Reis [in diesem Band].) Weiterhin werden bei der introspektiven Datensuche oft konversationell häufige Fragetypen wie z.B. einzelne Fragewörter wie was mit steigender versus fallender Intonation (s.u.) gerne vergessen oder aus unexplizierten Gründen ausgeklammert.
270 Vielleicht nur einige kurze Hinweise zu den für die Präsentation meiner auditiven Analyse relevantesten Parametern: In der Textzeile der Transkripte bezeichnet '||' den Beginn einer neuen Äußerungs- oder Turnkonstruktionseinheit und Großbuchstaben kennzeichnen primär akzentuierte Silben einer solchen Einheit. Weitere prosodische Parameter sind in der Prosodiezeile unter der Textzeile notiert: Dort ist durch die runden Klammern die Länge der für eine Einheit konstituierten Akzentsequenz mit dem davor notierten globalen Tonhöhenverlauf angegeben; die Silben vor und nach dieser Akzentsequenz sind unakzentuierte Vor- bzw. Nachlaufsilben. Relevant für die vorgestellte Analyse ist zunächst nur die letzte Tonhöhenbewegung einer Einheit: Entweder ist das eine steigende oder fallende letzte Tonhöhenbewegung auf einer primär oder sekundär akzentuierten Silbe noch innerhalb der runden Klammer, oder aber eine fallende letzte Akzenttonhöhenbewegung innerhalb der Klammer mit einem steigenden Nachlauf nach der Klammer. Alle weiteren Notationen werde ich außer acht lassen.
3.1 "Echte" weiterführende w-Fragen Zunächst zwei Beispiele: (l) Kl:
((Nachdem N erzählt hat, daß sie viel gearbeitet hat:))
513 N:
||undäh: ich war kaPUTT=
514 N: i-=||das: das ging überhaupt nich ne (\ ) /
ja hmm 515 I:
\
V
... hja
516 N: 517 I: *
||wie lange GEHT das da . H(\ / )
518 N:
||bisum:äh: .. HALB zwölf ZWÖLF \ \ )
519 I:
||naja ... ((trinkt Schluck Kaffee))
520 N:
521 I:
r
||was machs DU: H(\ I) das GEHT ja noch ..
271
522 I:
|]ä ich bin in som: .. äh
Bistro: . restorong:= \ \ )
((Es folgt eine genauere Beschreibung dieses Bistros durch I.)) (2)K5: 285 L:
||also ich ich muß mich DE:R:maßn ärgern über die ne T,F( \ \ ) /
286 C:
||un wieSO:
287 L:
....||weil die: äh . ((räuspert sich)) M(\ )
288 L:
die macht innerhalb der: ähf M( \
289 L:
literaturwissenschaftlerin in der fraunforschung \ \
290 L: r ne DERmaßn MIEse: . poliTDC ne \ \ 291 C:
mhm \/
((L setzt mit einer Situationsschilderung weiter fort.)) (3) Kl: 466 I:
||na dazu gehört ja au noch F(\
467 I:
das GE:LD=was ich nich (h)HAB
öh
468 R: p . mhm= \/ 469 I: =||weil ich kein BAfög krich: .. \ (/ ) < all > 470 I:
||oa so gut wie NICHTS . F(\ / )
471 N: *
11 un WIE finanziere du dein: Studium F(\ / )
472 I:
|lja ich geh ebm abms ARbeitn ... \ (\ ) ((Nach einer kurzen Nachfrage N's setzt I fort.))
272
In den Beispielen (l)-(3) kommen jeweils in den gesternten Zeilen "echte" weiterführende wFragen vor, allesamt mit steigenden letzten Tonhöhenbewegungen. In (1) und (3) haben diese die Form finiter w-Fragesätze, in (2) kommt die w-Frage-Ellipse un wieSO: vor. In allen Fällen führt die Frage das Gespräch weiter, indem eine Neufokussierung vorgenommen wird. In (1):517 von der Menge der Arbeit zu den Zeiten der Arbeit; in (1):520 tauschen N und I ihre bisherigen reziproken Rollen als Fragerin und Informantin hinsichtlich ihres weitergeführten Fokus Jobs; mithin ein Fokuswechsel von meinem Job zu deinem Job. In (2):286 teilt zunächst L das Faktum ihres sich ärgerns mit, und C fokussiert dann die Gründe oder Motive dafür. In (3):471 geht der Fokus von kein BAfög kriegen zur Studienfinanzierung generell. In allen Fällen beantwortet dann im Folgetum die Rezipientin die gestellte Frage; in (1):522 allerdings erst nach einer verspäteten Beendigung ihres vorherigen Turns aus 519. Oft ist diese Antwort der Rezipientin auch nur der Beginn einer längeren Ausführung; insofern scheinen die Rezipienten solche Fragen nicht als Einschränkung, wohl aber als Fokussierung der von ihnen nun erwarteten Reaktion zu interpretieren. Im Beispiel (l):517ff., wo N nur mit einer kurzen Antwort reagiert, verbleibt dennoch das Rederecht bei ihr und sie selbst stellt in Zeile 520 die nächste Frage. In (3) setzt I nach einer kurzen weiteren Nachfrage der Gesprächspartnerin ihre Antwort fort.
3.2 Explizit verständigungssichernde w-Fragen Wiederum zunächst einige Gesprächsausschnitte zum Vergleich: (4) Kl: 99 I:
((Thema: die Überzahl von Frauen in Lehrveranstaltungen)) ||also ICH fin das immer FÜRCHterlich wenn: . n da F(\ \ )
101 N:
IJfind ich auch M(/ \ )
102 R:
||das is ja sowieSO: . ||grundSÄTZlich ne M(\) M( \ )/
103 I:
jaa . ||aberin: . in vieln veranstaltungn is das so (M F(/ masSl:V da so ---- *mh \ )
104 I:
105 N: *
....
((holt hörbar Luft)) ||wastuDffiRS du denn . H(\ )
273 106 N: r ||ich mein das kommt ja auch immer M( \ ... )
107 R: ||ich: mach auch DEUTSCH: und: muSlK M(/ \)
108 N: r ||achso:= M(\) 109 R: L =||also für mich is musik das erste M( ... \ ) ((Hiernach setzt N fort über die Situation in Germanistik.)) (5) K5:
((Thema: Schwierigkeiten mit einem Leistungsschein))
581 C: r ||und . ja: ||und . dann harn wir versucht das zu erklärn (\) F(\ \ ) mhm 582 L: V 583 C:
HSTUNDENLANG F(\ \ \ )
584 C: r llun also ... also
hmm: \
585 L:
||bei WEM warn das \ )
586 E:
587 C:
llvorname EKSzet )
588 E: r ||ahja . ja (\
)
589 L:
lljaja . (\ )
||ach (\ )
590 E: - ||die kenn ich
| [kenn ich auch F(\ \ )
HÜPfte doch auf unsrer fete auch rum
(6) K2:
12 N:
11 was has du denn da für NARbm ... S( / \ W
274
13 I:
HACK sod* . |lja das: .. ||die sieht nur so: H(\ ) M(\)F(\
14 I:
schrecklich aus weil die nicht geNÄHT woidn is . / \ )
15 N: *
||was has enn da gemacht M(\ \ )
16 I:
||da hab ich mich mal geSCHNTTTn inner schule .. < all > F( \ \y
17 I:
||also quasi n SCHUL*unfall sach ich da immer zu T,F(\ \ ) ((I lacht nun 2 Sekunden lang, danach erzählt sie dann das Ereignis.))
Die w-Fragen in den gesternten Zeilen der Gesprächsausschnitte (4)-(6) haben eine fallende letzte Tonhöhenbewegung. Sie refokussieren einen bereits thematischen Sachverhalt erneut oder fokussieren einen bisher unhinterfragt unterstellten Sachverhalt, um offenbar für die Sicherung oder Überprüfung des eigenen Verständnisses oder der eigenen Erwartungen mehr und zusätzliche Informationen anzufordern. In 20 Fällen dieser Art im Korpus kommt insgesamt 16 mal die Partikel denn vor, in den übrigen 4 Fällen wird kookkurrierend die Partikel eigentlich verwendet. Die Akzente liegen fast immer auf finiten Verbteilen, gelegentlich auch auf dem w-Wort. Es wird häufig durch expüziten anaphorischen Rückbezug (z.B. mit das) an den Vorgängerturn angeknüpft, dieses anaphorische Element aber nicht durch Akzentuierung als Fokus der Frage signalisiert. In (4): 105 vergewissert sich N mit einer w-Frage mit fallender Intonation, ob R's Sicht, eine Überrepräsentation von Frauen in Seminaren sei normal, mit seinem Studienfach zusammenhängt; das läßt auch ihre abgebrochene Äußerung in Zeile 106 vermuten. R nennt kurz seine Fächer, und N beschließt mit ach so in Zeile 108 die Nebensequenz. Nach einem weiteren kurzen Zusatz von R setzt N das Gespräch dann fön. In (5):586 fragt E offenbar zur eigenen Verständnissicherung nach, bei wem denn die erzählten Schwierigkeiten aufgetreten seien. Auch hier antwortet C kurz durch Nennung des Namens, und E und dann auch L bestätigen explizit ihr Verstehen und behandeln damit die Sequenz als Nebensequenz, knüpfen aber sofort thematisch weiter daran an. In (6): 15 wird eine w-Frage mit fallender letzter Tonhöhenbewegung nach einer voraufgegangenen ("echten") w-Frage mit steigender letzter Tonhöhenbewegung gebraucht Die erste wFrage in Zeile 12 hat zwar einen fallenden letzten Akzenttypen, aber eine global steigende und auch eine nach dem letzten Akzent noch einmal steigende letzte Tonhöhenbewegung. Sie ist neufokussierend und gehört damit in unsere erste Kategorie der "echten" weiterführenden wFragen. In der Antwort verschiebt I aber den Fokus von den Narben selbst (und ggf. deren Geschichte) zum Aussehen dieser Narben. Die zweite w-Frage in Zeile 15 refokussiert das Gespräch erneut auf die schon gestellte Frage nach den Narben selbst. Gegenüber der ersten wFrage erscheint die zweite mit der fallenden letzten Tonhöhenbewegung nun enger fokussierend
275
und läßt eine entsprechend fokussierte Antwort erwarten. Und diese wird von I dann auch gegeben. Nach der kurzen Antwort von I in Zeile 16 läßt sie zunächst eine Pause, in der im Prinzip N das Rederecht erneut übernehmen könnte, bevor I das zugrundeliegende Ereignis beginnend mit Zeile 17 und nach weiteren "Zwischenaktivitäten" dann noch genauer schildert. Gegenüber den "echten" neufokussierenden w-Fragen mit steigenden letzten Tonhöhenbewegungen refokussieren also die w-Fragen mit letzten fallenden Tonhöhenbewegungen einen bereits fokussierten oder bislang unterstellten Sachverhalt. Sie erfragen weitere Informationen, um eine Inferenz, ein implizites Verstehensproblem des Fragenden zu überprüfen bzw. zu klären. Insofern als dabei zwar ein bereits fokussierter Sachverhalt erneut refokussiert wird, dennoch aber weitere neue Zusatzinformation zu diesem Fokus verlangt wird, ist dieser Fragetyp zugleich refokussierend und weiterführend. Eine solche w-Frage mit fallender letzter Tonhöhenbewegung wird von den Rezipienten offenbar als enger fokussiert und als Aufforderung zu einer kurzen fokussierten Antwort verstanden, kaum als Einladung zur unmittelbaren Elaboration des Themas. 10 Zumindest läßt der Antworter in der Regel eine Pause, bevor dann zu einer Elaboration des Themas übergegangen wird. 11 Als Fazit der bisherigen vergleichenden Analyse ergibt sich damit, daß bei w-Fragen - wie bei anderen "echten" Fragetypen auch - tatsächlich z.T. eine steigende letzte Tonhöhenbewegung darüber entscheidet, ob sie als "echte" konversationell weiterführende Frage interpretiert wird oder als eingeschränktere explizit verständigungsbearbeitende Frage, die ggf. einen bislang unterstellten oder inferierten Sachverhalt fokussiert und überprüft. Damit bestätigt sich das alte stereotype und intuitive Alltagswissen, Fragen hätten steigende Intonation, aber nun mit einem viel genauer definierten und differenzierteren Fragebegriff, der sich nur auf eine ganz bestimmte konversationelle Aktivität bezieht und nicht auf einen Satztyp oder einen Satzmodus. Den beiden bisher besprochenen Fragetypen war gemeinsam, daß sie keine akzentuierte bzw. fokussierte explizite Wiederaufnahme eines Elements des Vorgängertums als problematisches Element enthielten.
3.3 Problemmanifestierende w-Fragen Von den bisherigen Fragetypen unterscheiden sich die problemmanifestierenden w-Fragetypen, die problembehandelnde Reparatursequenzen einleiten. Bei diesen Fragetypen und Sequenzen unterscheide ich zwischen der Manifestation von Verstehensproblemen und der Manifestation von Erwartungsproblemen, bei ersteren weiterhin zwischen Bedeutungsverstehensproblemen,
10 Eine letzte Tonhöhenbewegung kann - wie das Beispiel (6): 12 andeutet - allerdings bis in den Nachlauf der Äußerung nach hinten verschoben werden. Dadurch werden natürlich die anderen Tonhöhenbewegungen innerhalb der Einheit frei für die Signalisierung anderer Bedeutungskomponenten, z.B. stilistischen. 11 Der sequentielle Status der Frage, d.h. ob sie wie ein "echtes" Verständigungsproblem in einer Nebensequenz behandelt weiden soll oder nicht, kann damit interaktiv ausgehandelt werden.
276
Referenzverstehensproblemen und akustischen Verstehensproblemen (vgl. Selting 1987a).12 Allen problemmanifestierenden Fragetypen ist gemeinsam, daß sie eine fokussierte Wiederaufnahme des problematischen Elements aus dem Vorgängerturn enthalten. 13 Die Art dieser Wiederaufnahme und die prosodische Struktur der Frage sind dann hinsichtlich des signalisierten Typs von Verständigungsproblem typunterscheidend. Die Intonation zeigt "Verwandtschaften" zu den anderen Fragetypen an.
3.3.1
Manifestation von Verstehensproblemen
Bei der Manifestation von Bedeutungsverstehensproblemen wird das problematische Bezugselement des Vorgängerturns in akzentuierter Form zitiert oder anaphorisch wiederaufgenommen, z.B. in w-Fragen der Struktur was ist/heißt mit fallender letzter Tonhöhenbewegung; s. dazu (7) und (8): (7) K4: 268
:
269 L:
||un das ERste mal in einer SALzadisko \ )
270 C:
||was is DAS denn F(\ ) mhm \/
271 E:
||dassis irgnwie ne ne bestimmte an von
272 E:
HTANZ öh ... den die da offensichtlich tanzn \
273
mhm V
?:
(8) K4:
44 L:
||dann komms du aus der feministischen \
12 Alle nun zu besprechenden Problemtypen werden auch durch andere Formen der Problemmanifestation angezeigt (vgl. hierzu genauer Selting 1987a); ich berücksichtige hier nur die mit w-Fragen und w-Wörtern manifestierten Formen. 13 Eine fokussierte Wiederaufnahme eines Elements aus dem Vorgängerturn wird sehr oft durch eine Akzentuierung signalisiert. Da allerdings bei Referenzverstehensproblemen und akustischen Verstehensproblemen (s.u.) oft keine Akzentuierung, dafür aber eine Ersetzung allein des problematischen Bezugselements durch z.T. ein einzelnes, und damit alleinstehendes und qua dieser herausgehobenen Position fokussiertes wWort erfolgt, das lediglich ggf. lokalisiert wird, müssen Fokussierung und Akzentuierung als unabhängig voneinander angesehen werden.
277
L· r theoloGlE oder was ... jetz von münster ne .. \ ) M(\ mmhm nhn 46 C: V V 47 L: 48 C: 49 C:
||weil da sitzen doch die (?????)rotfraun ne M( \ \ )/
obwohl* ( \ ) jajamhm F(\ \) V
theologie 50 E: r ||was is denn femiNIstische* .. * F( \ theologie 51 C: ((alle lachen ca. 4 Sekunden)) 52 L:
53 C:
54 E:
||das muß man DIE fragn H,F( / \ )
HhasnoNlCHgehört H,F( \ /) ((NEIN hab ich no nich geHÖRT H,F( \ \ )
55 C: r*m: 56 E: ||KENN ich WIRKh'ch nich L F(\ \ )
57 C:
m: ...
58 C:
ja:
||also es is EIgndlich:
. . ä so im zusammnhang mit de w . äh: ne:
(/
)
59 C:
im zusammnhang mit der FRAUNbewegung entstandene F( / \
60 C:
((pustet)) ... art theoloGIE zu treibm \ )
61 C:
||wohalt
.....
((schnalzt und zieht Luft ein))
In beiden Fällen reagiert die Rezipientin mit einer Erklärung der Bedeutung des problematischen Elements. Während bei diesem Problemtyp das problematische Bezugselement in akzentuierter Form zitiert oder anaphorisch wiederaufgenommen wird, wird es bei den nun folgenden Problemtypen durch ein w-Wort ersetzt.
278
Das Bezugselement von Referenzverstehensproblemen ist meist ein einziger referierender Ausdruck des Vorg ngerturns. Entsprechend scheinen Referenzverstehensprobleme, quasi in ikonischer Beziehung zu ihrem Bezugselement, auch oft nur mit einzelnen w-Fragew rtern oder einer w-Phrase mit fallender Tonh henbewegung signalisiert zu werden. Das zeigen die Fragen in (9) und (10): (9) K2: 253 Ν:
||oah ich glaub pr siDENT hat auch kein F(\
254 Ν:
intressedaran .... \ )
255 Ν:
so musi:k oder .. welche f cher M[ ( \ ) (\ )
256 Ν:
P dagogik war das noch russisch .. (\ )(\ ) nee slavistik BERhaupt glaubich ne .. F( \ \ ) /
257 Ν: 258 Ν: 259 R:
so aufrechtzuerhalten (N \ )1 na das IS ja dasselbe ne F(\ \ )/
260 Ν: 261 R:
||HMhm .. ||denke schon ne T(\)/ M(/ \) /
262 Ι: * 263 Ν:
||was T(\)
264 Ν:
... ||doch . stimmt T(- ) T( \ )
Ijslavistik un Russisch F(\ \ ) ||slaVIstik un Russisch F(\ \ )
(10) Kl: 245 N: 246 R: *
||has DU denn schon mal solche Sachen gemacht . H,S(/ / ) ||WAS f r Sachen M,F(\ \ )
247 N:
||so . FRAUNsachen oder so .. ||speziell H,S( / )
248 R:
hm: .. ||ach SO ||ich mu te grade als: . \ (\) M(\
279 249 R: 250 R:
du so erzählt has an .. ((holt hörbar Luft)) \ ) ahn pädaGOgikseminar n denken wo ich mitgemacht hab M(\ \ )
In (9) ersetzt das Fragewort was in Zeile 262 das referierende das aus Zeile 259. Hier fügt die Fragerin I selbst sofort eine Lösungshypothese an, die durch die gleichzeitige identische Problembearbeitung durch N bestätigt wird: eine Ersetzung des problematischen referierenden Bezugsausdrucks durch einen anderen referierenden Ausdruck. In (10) ersetzt dasselbe Fragewort was in Zeile 246 die referierende Kennzeichnung solche aus Zeile 245 und lokalisiert es zugleich durch die Zitierung des zugehörigen Nomens Sachen. Auch hier wird der problematische Bezugsausdruck solche durch den anderen referierenden Ausdruck FRAUN ersetzt. Auch hier reagiert die Rezipientin also mit einer Ersetzung des problematischen referierenden Ausdrucks durch einen anderen, aber weiterhin referierenden Ausdruck. Ebenfalls durch eine prosodisch unmarkierte Ersetzung des problematischen Bezugselements durch ein w-Wort, diesmal jedoch mit steigender Tonhöhenbewegung, werden akustische Verstehensprobleme angezeigt Das zeigen (11) und (12): (11) BB12/1B: 42 S:
||dann müssn se inne SENnestadt gehn . (\ )
43 S:
||äh dort zum dort wo sie sich auch angemeldet habm ( ... ) (\ )
44 K:
||ja die KINdergeld s geKOMVI F(\ \ )
45 S: *
||was /
46 K:
||ds KINdergeld is geKOMty F(\ \ )
47 S:
|lja \
(12) BB3/6B: 6
S:
HichKANN ANrufn F(\ \ )
7
S:
||wenn sie das möchtn (
8
S:
...
)
||weil das is DRÜbm in dem gebäude der ravensberger Spinnerei < all > M(\ \ \)
280
9
S:
||wenn sie s BESCHRElbm könn is das ja kein probLEM M( ... / \)
10 K: *
||we(nn) ich was M( ... /)
11 S:
||wenn sie s BESCHRElbm könn ( \ ) < f >
12 K:
||JAA . (\ )
Ujaa kann ich F(\ \ )
In (11):45 ersetzt das unakzentuierte was mit steigender Tonhöhenbewegung den gesamten vorausgegangenen Tum. Der Rezipient reagiert mit einer Wiederholung des Bezugsturns. In (12):10 wird die Ersetzung lokalisiert durch die Zitierung der vorausgehenden Elemente der Bezugsäußerung.
3.3.2
Manifestation von Erwartungsproblemen
Erwartungsprobleme mit Bezug auf den letzten Tum werden entweder mit WIESO/WESHALB-/ WARUM-Nachfragen mit Wiederaufnahme des problematischen Bezugselements oder Bezugssachverhalts manifestiert oder aber mit einer prosodisch markierten anderen "erstaunten" Frageform. Zunächst zwei Beispiele für WIESO-Nachfragen, (13) und (14):
(13) K5: 101 E:
||ich finde diese URlaubsregelung an der uni F(\ \ \
102 E:
VÖLlich unsinnich ne . \ \ )/
103 E:
||ich HAB nichts von meinem urlaub ne .. F(1\ )/
104 L: r HichAUnich 105 E
||man arbeitet ja sowieSO ne T\) /
106 L:
107 C: * 108 E:
||wieso gibts da ne offizielle URlaubsregelung M(\ )M(\ / ) lljaes
281
109 E:
GIBT eine Urlaubsregelung
110 E:
||aber es ist eben nicht SO . (\ \ \ /)
111 E:
||wie in jedm: SCHULbetrieb ( T)
112 E:
| (oder an jedm ANderem betrieb . (T)
113 E:
||wo du WKKlich mal fü:r fünf wochn im jähr
114 E:
alles stehn und UEgn lassen kannst \ / )
115 E: p ||und wirklich URlaub machn kannst ne= F(/ T\ )/ =mhm 116 C: =mhm 117 L:
(14) Kl: 993 N: * 1002 N: 1003
||aber wieso FÄHRS du denn dann wenn: . H( \ )IJkanns du nich mal n Wochenende HERbleibm (0.8) H/F(\ / )
N: r ||ich mein wenn du
1004 R
||jaa=ich hab . ahm: . feste beZEhungn da ne= H(\) F(\ \ ) / mhm \/
In (l3): 107 formuliert C das Fragewort wieso in einer eigenen Einheit mit fallender Tonhöhenbewegung und fügt in einer zweiten Einheit eine V-Erst-Frage mit der akzentuierten und etwas modifizierten Zitierung des Bezugselements aus Zeile 101 an. Hierbei ersetzt sie die Spezifikation des Nomens: Der ursprüngliche definite Artikel diese wird ersetzt durch einen indefiniten Artikel ne plus ein spezifizierendes Adjektiv offizielle. Damit wird zugleich Cs eigene andere Erwartung expliziert, daß es an der Uni wohl keine offizielle Urlaubsregelung gebe. E's Behandlung des durch diese Frage manifestierten Erwartungsproblems besteht in einer Absetzung der Urlaubsregelung an der Uni von Urlaubsregelungen in anderen Arbeitsbereichen.
282
In (14):993 wird das Fragewort wieso in den finiten Fragesatz eingebunden, auch hier ist die Tonhöhenbewegung fallend, und auch hier expliziert N den Widerspruch zu ihren eigenen Erwartungen noch einmal deutlich in der Folgezeile 1002. Darauf will ich nicht genauer eingehen. In (15):218 wird ein Erwartungsproblem mit einer "erstaunten Nachfrage" manifestiert. In solchen "erstaunten Nachfragen" werden Fragen bzw. Problemmanifestationen in prosodisch markierter Form, vor allem mit stärkeren Akzenten oder größeren lokalen Tonhöhenbewegungen als in den umliegenden Akzenten konstituiert, meist in Verbindung mit global hoher Tonhöhe. Die Fragen werden dadurch prosodisch auffällig gemacht.
(15) K5: 210 E:
||HAS du denn an deiner diss geARbeitet in letzter zeit M,S(/ / )
212 L:
||nee ||NUR als ich wußte dann is der doktoRANdntermin .. \ )/
213 L:
||hab ich mich mal kurz n abend HINgesez ((lacht ca. 3 Sek.)) M(\ \ )
214 L: p ||ja un dann hab ich erst n s'pökes gemacht ne ((lacht)) T,S(\ / ) / < all > 215 E: mhm . . L V 216 E: rm||genau ||ja (\) \ 217 L: L(( lacht )) 218 C: *
HAAS has du gemacht H,S(/ )
219 L: so ZETtelchen geschriebm - p ((irgendwie iFi F(\ / l: L L Ilsie 220 E: ||sie hat ne ganz nette ElNladung geschriebm (N ) 221 L: ((lacht ca. 2 Sek.)) 223 C:
... ||hmhm V
221 E:
||mit BlLDchen und ziTAT F(\ \)
Hier wird mit der Frage WAS hos du gemacht eine fokussierte anaphorische Wiederaufnahme des zwischen Lachen als witzig und selbstironisch formulierten Bezugssachverhalts n spökes gemacht aus Zeile 214 geleistet. Das Fragewort selbst wird stark akzentuiert und die ganze Einheit liegt auf hoher globaler und steigender Tonhöhe und wird dadurch prosodisch markiert.
283
Diese Frage ist keine Manifestation eines akustischen Verstehensproblems,14 aber auch mehr als nur die Manifestation eines Bedeutungsverstehensproblems mit Bezug auf den Ausdruck spökes : C ist offenbar verwundert über L's Art der selbstironischen Charakterisierung ihres Sich-Drückens vor der Arbeit an ihrer Dissertation, hat zumindest eine Charakterisierung als n spökes gemacht an dieser Stelle nicht erwartet und ist nun offenbar um so neugieriger, auf welche Tätigkeit sich diese Charakterisierung wohl bezieht. Die Frage wird mit einer Hintergrunddarstellung bearbeitet: L und E erläutern die beiden bekannte Tätigkeit, auf die mit n spökes gemacht referiert wurde. Dabei bleibt L in Zeile 219 mit der Hintergrunddarstellung ZETtelchen geschriebm und dem anschließenden Lachen (Zeile 221) im Rahmen der mit dem Lachen in Zeile 214 und dann weiter mit n spökes gemacht angeschlagenen selbstironischen Modalität, ohne das Problem ernsthaft zu bearbeiten. Jedoch bleibt auch E in ihrer Modalität und antwortet in Zeile 220 ernsthaft mit einer Benennung der wirklichen Tätigkeit der L, die sie nach L's weiterem Lachen und Cs verzögertem "continuer"-Rezeptionssignal hmhm in Zeile 221 auch noch fortsetzt. Damit behandeln L und E das manifestierte Problem weder als akustisches Verstehensproblem, noch als reines Bedeutungsverstehensproblem mit Bezug auf den Ausdruck spökes, sondern als Erwartungsproblem mit Bezug auf Tätigkeiten, die L n spökes machen nennt und mit denen sie sich vor der Arbeit an ihrer Dissertation drückt. Für die Signalisierung der Frage als eine solche "erstaunte", "verwunderte" Frage, mit der ein Erwartungsproblem manifestiert wird, ist allein die Prosodie konstitutiv. Obwohl eine derartige Markierungsweise bei w-Fragen nur zur Manifestation lokaler Erwartungsprobleme verwendet wird, kommen derartige prosodisch markierte Formen durchaus bei anderen Fragetypen unabhängig von Problemmanifestationen vor, z.B. in prosodisch markierten "echten", weiterführenden V-Erst-Fragen. Die gemeinsame Interpretation des Merkmals [+ prosodisch markiert] scheint ein Widerspruch zu den Erwartungen des Fragers zu sein; darauf heben auch die üblichen Alltagsinterpretationen dieser Äußerungen als "erstaunte, ungläubige, zweifelnde Nachfragen" ab.
4. Fazit Wenn ich nun die Frage- und damit Aktivitätstyp-unterscheidenden konsumtiven Komponenten der konversationellen Frage, auf die ich bisher Bezug genommen habe, in eine knappe, quasi "komponentenanalytische" Form bringe und den einzelnen Fragetypen zuordne, so ergibt sich folgendes Bild: Jedem der behandelten Fragetypen kann ein Bündel von konstitutiven Komponenten zugeordnet werden. Die Komponenten selbst können den drei konstitutiven Systemen zugeordnet werden, die in der obigen Taxonomie bereits als autonome Systeme dargestellt wurden; die konstitutiven Merkmale aus den drei Systemen bedingen die Interpretation der Äußerung als Aktivitätstyp, der eine Reaktion im Sinne des vierten Systems als präferierte Re14 Dieselbe Frage ohne die prosodische Markierung würde als Manifestation eines spezifischen akustischen Verstehensproblems gehört und bei präferierter Reaktion mit einer Wiederholung des ersetzten Elements aus dem Bezugstum bearbeitet
284
aktion erwartbar macht. (Zur Beziehung der Merkmale innerhalb der Systeme zueinander vgl. die schematische Darstellung in der Taxonomie.) (1) Syntaktischer Strukturtyp der Frageäußerung, hier eingeschränkt auf: [+w-Interrogativsatz, w-Phrase oder w-Wort] (2) Semantische Beziehung zum Vorgängerturn: Analyse der Fokussierung und deren Beziehung zum Vorgängerturn; v.a. ob und welche Art der Wiederaufnahme eines (problematischen) Bezugselements: [± Neufokussierung] [± REfokussierung] [± Wiederaufnahme des problematischen Bezugselements durch anaphorische Wiederaufnahme/Zitierung oder w-Wort-Ersetzung des Bezugselements] (3) Prosodie der Frageäußerung: ob steigende oder fallende letzte Tonhöhenbewegung und ob prosodisch gegenüber den umliegenden Äußerungen markiert oder nicht: [4-Intonation: fallende versus steigende letzte Tonhöhenbewegung] [± prosodisch markiert] (4) Die mit den Komponenten aus (1M3) konstituierte Frage impliziert eine ganz spezifische "Aufforderung" an den Rezipienten, eine je spezifische erwartete Reaktion zu liefern: [± Einladung zur Elaboration des Themas] [± Erwartung eingeschränkter, fokussierter 'Antwort'] [± Nebensequenzauslösung] Den einzelnen Fragetypen können dann die nachstehend im Anhang l aufgeführten Merkmalbündel zugeordnet werden. Aus dieser Analyse folgt, daß sich die üblicherweise in Grammatiken, wie auch oft in der Satztyp- bzw. Satzmodusforschung und in der Intonationsforschung vorausgesetzte enge Verbindung von Grammatik und Intonation zumindest mit Bezug auf konversationeile Daten (und damit angesichts empirischer Evidenz aus "echter" Verwendung von Fragen) nicht halten läßt. Vielmehr muß unterschieden werden zwischen unterschiedlichen prosodischen Parametern, die unterschiedliche Funktionen auf unterschiedlichen Strukturebenen erfüllen: (a) Die Akzentuierung - allein im Sinne der Zuweisung, Wahl oder Verteilung prominenter Silben in der Äußerung: Sie ist relevant für die Konstitution und Interpretation des semantischen Fokus der betreffenden Äußerung und ist Voraussetzung der Analyse der semantischen Beziehung zum Vorgängerturn. 15
15 Das Thema "Fokus" liegt mithin genau im Schnittpunkt zwischen Grammatik und Interaktion.Hier wird deutlich, daß Interaktionspanner für ihr interaktives Handeln und ihr Interpretieren der Bedeutung von Äußerungen in Interaktionen auf grammatisches Wissen zurückgreifen (müssen). Fraglich ist jedoch, ob dieses in Interaktionen relevante Wissen dasselbe Wissen ist wie das, was Grarnmatikthcoretikcr/innen anhand der introspektiven Analyse isolierter Sätze rekonstruieren, oder ob das in Gesprächssequenzen relevante Wissen nicht deutlicher auf den thematischen Zusammenhang der Äußerungen in ihren Gesprächskontexten Bezug nehmen muß.
285
(b) Die Wahl des Akzenttypen bzw. der Tonhöhenbewegung auf der akzentuierten Silbe und danach und ggf. zusätzlicher prosodischer Markierung: Diese erfüllt Funktionen im Hinblick auf die Konstitution und Unterscheidung interaktiv relevanter Aktivitätstypen, die unterschiedliche sequentielle Implikationen für die Rezipienten haben. Damit ist gezeigt, daß es notwendig und sinnvoll ist, die holistische konversationelle Aktivität Trage' zu dekomponieren in ihre einzelnen konsumtiven Komponenten und genauer ihren jeweiligen Beitrag zur Konstitution konversationeller Fragen zu analysieren. Als Fazit meiner Analyse ergibt sich: Eine Analyse von Fragen als konversationelle Aktivitäten muß die empirische Analyse der syntaktischen und semantischen und prosodischen Struktur der Frageäußerung, der Beziehungen der Frage zu ihren Vorgängerturns und der sequentiellen Implikationen für die Rezipienten umfassen. Anhand dieser Dimensionen können Fragetypen unterschieden werden, die je unterschiedliche Antworten verlangen.
ANHANG 1: Typen konversationeller Fragen und deren Merkmalbündel 16 Konversationelle w-Fragen allgemein [+ Tumexit mit Rederechtvergabe an den Rezipienten/die Rezipientin für fokussierte Reaktion] (1.) konversationell weiterführende "echte" w-Fragen [+ Neufokussiemng] [+ Intonation: (... /), (... \ ) / ] [- prosodisch markiert] [+ Einladung zur Elaboration des Themas] (2.) explizit verständigungsbearbeitende w-Fragen [+ Refokussierung] [+ eingeschränkte, fokussierte 'Antwort'erwarumg] (2.1) explizit verständigungssichemde w-Fragen [+ Neufokussiemng zusätzlicher Informationen] [+ Refokussierung eines bereits thematischen oder bislang unterstellten Sachverhalts] [- fokussierte Wiederaufnahme eines problematischen Elements aus dem Vorgängertum] [+ Intonation: fallende letzte Tonhöhenbewegung: (... \)] [- prosodisch markiert] (2.2) problemmanifestierende w-Fragen [+ fokussierte Wiederaufnahme eines problematischen Elements aus dem Vorgängerturn] [+ eingeschränkte, fokussierte 'Antwort'erwaitung] [+ Nebensequenzauslösung]
16 Zur Verdeutlichung gemeinsamer Merkmale sind diese Merkmalbündel nicht immer redundanzfrei formuliert. Zur Bedeutung der +/- Zeichen s. Anm.7.
286 (2.2.1) Manifestation von lokalen Verstehensproblemen [- prosodisch markiert] (2.2.1.1) Manifestation eines Bedeutungsverstehensproblems [+ w-Fragewort, außer wieso, weshalb, warum o.a.] [+ akzentuierte Zitierung/anaphorische Wiederaufnahme des Bezugselements] [+ Intonation: (... \)] (2.2.1.2) Manifestation eines Referenzverstehensproblems [+ w-Wort-Ersetzung des Bezugselements] [+Intonation: (..A)] (2.2.1.3) Manifestation eines akustischen Verstehensproblems [+ w-Wort-Ersetzung des Bezugselements] [+ Intonation: (... / )] (2.2.2) Manifestation von Erwartungsproblemen [± prosodisch markiert] [4- akzentuierte Zitierung/anaphorische Wiederaufnahme des Bezugselements/Bezugssachverhalts] (2.2.2.1) Mcso/wcsAa/fr/warum-Nachfrage [- prosodisch markiert] [+Intonation: (\)] (2.2.2.2) "Erstaunte Nachfrage" [+ prosodisch markiert]
ANHANG 2:
Transkriptionskonventionen Transkriptionszeichen in der Textzeile der Transkripte:
| [ja so is gut aber DA kam Sicher sixher s:i:ch:er:
(0.8) ((lacht)) (? er kommt ?) a(l)so * n; m = pich gehe L jaha
Beginn einer neuen Tumkonstruktionseinheit primär akzentuierte Silben einer Einheit auffällig starker Akzent Längung/Dehnung eines Lautes Dehnung eines ganzen Wortes kurzes Absetzen, kurze Pause bis ca. 0.5 Sek. je Punkt ca. 0.5 Sek. Pause, hier also ca. l Sek. Pause mit Längenangabe in Sek. para- und/oder außersprachliche Vorgänge vermuteter Wortlaut nicht mit Sicherheit identifizierter Laut deutlicher Gloualverschluß silbische Laute wegen Sonorität und Länge schneller Anschluß simultanes Sprechen
287 Intonationsnotaacm in der Intonationszeile: Globaltonhöhenverläufe: (vor der"(" Klammer notiert) F,S ,H,M,T(
)
H,F( ) [( )( )]
Angabe des globalen Tonhöhenverlaufs vor der durch die Klammer angegebenen Akzentsequenz: F=fallend, S=steigend, H=hoch, M=mittel. T=tief (Klammern stehen i.d.R. vor dem ersten Akzent und am Ende der kohäsiven Einheit, bei Veränderungen zu global tiefen oder hohen Einheiten, wo auch der Vorlauf einbezogen ist, steht die erste Klammer am Anfang der gesamten Einheit.) Kombination von globalen Angaben zusammengesetzte Kontur mit nur schwachen oder keinen internen Grenzen zwischen unterschiedlichen Globalverläufen
Akzent(proto)typen: (immer innerhalb der"()" Klammern stehend) \
fallender Akzent: FO Gipfel im Silbenkem bzw. kurz davor und Rest der Silbe bzw. des Wortes und danach fallend: ^ steigender Akzent: FO Tal im Silbenkern bzw. kurz davor und Rest der Silbe bzw. kurz danach steigend: \^/ gleichbleibender Akzent: wird v.a. durch Lautheit und/oder Dauer konstituiert und wirkt ggf. wie etwas gegen den Globaltonhöhenverlauf gehalten: » · -
/
Akzentmodifikationen: T \, 4 / , t -
lokale Tonhöhensprünge nach oben bzw. unten bei einem Akzent, höherer Gipfel und/oder größere Bandbreite als bei den umliegenden Akzenten Folge von schwachen Akzenten bzw. unakzentuierten Silben
Nachläse: (immer außerhalb der"()" Klammer stehend) \ , /, -
unakzentuierte Silben nach der Akzentsequenz: fallend, steigend, gleichbleibend (nur notiert, wenn sich nach der Akzentsequenz die Richtung des Tonhöhenverlaufs noch ändert)
Prosodische Parameter^ die lokal oder global vorkommen und deren Länge durch die Position der "< >" angegeben wird:
< all > < dim >
forte, laut lento, langsam piano, leise allegro, schnell diminuendo, leiser werdend
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Fragen, Aufforderungen und Intonation * Helga Dom-Mahler/Joachim Grabowski, Mannheim
Der Artikel handelt von der syntaktischen und intonatorischen Ausgestaltung von Aufforderungen und dem spezifischen Auftreten von Fragesyntax und Frageintonation. Am Beispiel einer betrieblichen Situation wurden die in einem Rollenspiel frei produzierten Aufforderungen untersucht. Den Versuchspersonen wurden zwei Situationstypen vorgegeben, die sich im Grade der Bereitschaft des Aufgeforderten, die gewünschte Handlung auszuführen, unterscheiden. Es zeigte sich, daß Sprecher bei hoher Bereitschaft des Hörers Aufforderungen mit der pragmatischen Funktion von Fragen produzieren. Geht der Sprecher von einer geringen Bereitschaft des Hörers aus, reagiert der Sprecher mit Aufforderungen mit der pragmatischen Funktion von Befehlen. Die pragmatische Funktion wird über die syntaktische Struktur einer Äußerung und den Intonationsendverlauf definiert.
1. Einleitung Dieser Beitrag beschäftigt sich mit pragmatischen Aspekten von Äußerungen. Anhand von Daten aus einer experimentellen Untersuchung wird dabei das Zusammenspiel von (verbalen) Aufforderungstypen und Intonationsverläufen zu Äußerungen, die Sprecher in einer gegebenen Situation für zielführend (instrumenteil) erachten, analysiert. Teil der hier zugrundegelegten Untersuchung waren auch Analysen weiterer nonverbaler Äußerungsteile wie Gestik, Körperhaltung, Lächeln etc.; diese werden im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht berichtet (vgl. Grabowski-Gellert/Winterhoff-Spurk 1988). Für unsere Zwecke genügt es, Aufforderungen als pragmatische Einheiten zu verstehen, die eine bestimmte kommunikative Funktion erfüllen: Ein Sprecher produziert eine Aufforderung mit der Intention, den angesprochenen Hörer zu einer von ihm gewünschten Handlung zu bringen. (Zur spezifischen Bedingungs- und Implikationsstruktur von Aufforderungshandlungen vgl. Motsch/Pasch 1987.) Im Rahmen eines psychologischen Forschungsprogrammes (vgl. Herrmann 1982; Grabowski-Gellert 1988) hatte sich gezeigt, daß es situationsspezifisch variiert, welche (verbal und nonverbal kombinierten) Äußerungen Sprecher als funktional erachten. Relevante Determinanten von Aufforderungssituationen sind dabei vor allem die Ausprägungen der sprecherseitigen Legitimation und der hörerseitigen Bereitschaft. Wir erörtern unter 2. einige theoretische Voraussetzungen für die Beschreibung der intonatorischen und verbalen (hier vor allem: syntaktischen) Bestandteile von AufforderungsDiese Untersuchung wurde innerhalb des Forschungsprojekts "Aufforderungsreaktionen und reaktives Auffordern" durchgeführt. Dieses Forschungsprojekt ist ein Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 245 "Sprechen und Sprachverstehen im sozialen Kontext" der Universitäten Heidelberg und Mannheim sowie des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim.
290
äußerungen sowie deren mögliches Zusammenspiel. In Abschnitt 3. wird die experimentelle Untersuchung skizziert, aus der die hier analysierten Aufforderungsäußerungen gewonnen wurden. Besonders die Analyse der Intonationsverläufe erforderte dabei besondere datentechnische Aufbereitung. An die Darstellung der Ergebnisse (4.), welche Äußerungen Sprecher in Abhängigkeit der je präsenten Aufforderungssituation wählen, schließt sich (5.) eine Diskussion an, in der besonders die Verwendung der Fragemodalität im Rahmen instrumenteilen Aufforderns erörtert wird.
2.
Theoretische Voraussetzungen
Aufforderungen sind ein Untersuchungsgegenstand, der Linguisten und Psychologen gleichermaßen beschäftigt. Dabei unterscheiden sich die jeweiligen Herangehensweisen an den Untersuchungsgegenstand. Linguisten beschäftigen sich vorwiegend mit verschiedenen sprachlichen Realisationsformen von Aufforderungen (z.B. der grammatikalischen Determination des "Illokutionspotentials" von Äußerungen; vgl. Motsch/Reis/Rosengren 1989), während Sprachpsychologen mehr die Sprecher- und hörerinternen Vorgänge und die situativen Bedingungen, die eine Aufforderung begleiten, insgesamt also eher Aspekte nichtsprachlicher Kenntnissysteme (z.B. sprechhandlungsspezifische konzeptuelle Schemata; vgl. Winterhoff-Spurk 1986) und die zugehörigen Prozeßverläufe untersuchen. Im Rahmen unserer interdisziplinär angelegten Forschungsgruppe wurden unsere Überlegungen und Hypothesen sowohl durch linguistische Untersuchungen zum Problem der Intonation und zum Satzmodus geleitet als auch durch ein psychologisches Modell zur Sprachproduktion theoretisch begründet Diese beiden Voraussetzungsgefüge werden im folgenden näher erläutert
2.1
Intonatorische Prototypen
Wir wollen unter "Aufforderung" einen Satzmodus im Sinne von Altmann (1984) verstehen. Dieser versteht unter dem Satzmodus eine eindeutige Zuordnung zwischen einem Funktionstyp und einem Formtyp. Funktionstypen sind Äußerungen, die die gleiche propositionale Grundeinstellung ausdrücken, wie etwa auffordern. Die grammatischen, syntaktischen und intonatorischen Merkmale der Funktionstypen bestimmen den Formtyp einer Äußerung. Verschiedene Formtypen, die gleiche oder ähnliche propositionale Grundeinstellungen ausdrücken, können zu Gruppen zusammengefaßt werden. Diese Gruppen sind für Altmann (1987) Satzmodi.
291 Für den Satzmodus "Aufforderung" kommen hauptsächlich drei Formtypen in Frage: Aussagesatz (etwa Du läßt (bitte) das Buch da.), V-1-Fragesatz (z.B. Läßt Du das Buch (aber) da?) und V-l-/V-2-Imperativsatz (wie Lassen Sie (bloß) das Buch da! bzw. Sie lassen das Buch (aber) da!). Wie die Beispiele zeigen, können durch Einfügen einer entsprechenden Modalpartikel (s. Altmann 1987:48), aber auch durch die Markierung mit Hilfe des Intonationsverlaufs, mit diesen drei Formtypen die entsprechenden propositionalen Einstellungen ausgedrückt werden; es resultiert der Satzmodus der "Aufforderung". Auf der Basis dieser Annahmen hat Oppenrieder (1988a,b) aus gelesenem Sprachmaterial Satztyp-Prototypen zusammengestellt und Hörern zur Beurteilung vorgelegt. Dabei ist interessant, welche Satztypen als "Aufforderung" klassifiziert wurden und welche prototypischen Intonationsverläufe diese aufweisen. Satztyp/Beispielsatz
prototypischer Verlauf
Aufforderung(%)
Sie-Imperativsatz (Schlafen Sie!)
92.2
Adhortativsatz (Gehen wir!)
83.4
Imperativsatz mit "Kontrast1 (Stellt ihr Euch an!)
67.7
Aussagesalz Du kommst.
60.0
Entscheidungsfragesatz (Gehst du nun bald nach Hause?)
48.8
/V„ '
^
£^
/v. \ /
Tab. 1: Intonatorische Prototypen von Aufforderungen Auch hier zeigt sich, daß die Formtypen "Aussagesatz", "Imperativsatz" und "Entscheidungsfragesatz" mögliche Varianten sind, um eine Aufforderung auszudrücken. Der Intonationsverlauf kann sowohl mit hohem, als auch mit tiefem Off set enden. Wie den relativen Zuordnungshäufigkeiten zur Realisation einer Aufforderung (mittlere Spalte) zu entnehmen ist, reicht die Bestimmung des Satztyps offenbar nicht hin, um die pragmatische Funktion der Gesamtäußerung zu vereindeutigen.
2.2
Aufforderungen im "Mannheimer Modell"
Herrmann (1985:228ff.) geht im Rahmen eines Informationsverarbeitungsansatzes davon aus, daß es bei der Produktion von sprachlichen Äußerungen um die Minimierung einer vorliegenden Ist-Soll-Differenz geht. Ein allgemeinpsychologisches Spezifikum dieses Ansatzes liegt in
292
der Angabe von Bedingungen, unter denen überhaupt sprachliches Verhalten zur Zielerreichung gewählt wird. (In linguistischen Arbeiten ist diese Weichenstellung zwischen alternativen (auch nicht-sprachlichen) Verhaltensweisen, der Natur ihres Gegenstandes gemäß, nur schwer begründbar.) Sprachliches (initiatives) Auffordern erfolgt dann, wenn bestimmte Bedingungen im Arbeitsspeicher des Sprechers dominant aktiviert vorliegen. Diese Bedingungen sind die Ziele des Sprechers, kognizierte Partnerzustände und -merkmale und auf soziale Konventionen bezogene deontische Merkmale. (Das Bedingungsgefüge ist, der theoretischen Verankerung des Ansatzes gemäß, nicht eineindeutig in das Illokutionstypen definierende Bedingungsquadrupel sensu Motsch/Pasch 1987 überführbar.) Welche kognitiven Einträge - bei erfüllter Bedingungsstruktur - zur Versprachlichung (Enkodienmg) ausgewählt werden (und ggf. welche Linearisierung für die Produktion eines Satzkomplexes erfolgt), hängt davon ab, wie die Sprecherziele, die sprecherseitige Repräsentation von Partnereigenschaften und die relevanten Merkmale des situativen Aufforderungskontextes beschaffen sind. Entsprechend kann die Wahl einer Aufforderungsäußerung mehr von der Informativität (d.h. der Partner muß die Äußerung als Aufforderung verstehen) oder mehr von der Instrumentalität (d.h. der Hörer muß die gewünschte Handlung ausführen) geprägt sein. Bei der Produktion einer Aufforderung muß der Sprecher die richtige Balance zwischen Informativität und Instrumentalität finden, um sein Handlungsziel (und die damit evtl. verbundenen neben- und nachgeordneten Ziele) zu erreichen. Entsprechend wählt der Sprecher Aufforderungen unterschiedlicher Direktheit. Herrmann (1982) unterscheidet folgende Gruppen von einfachen verbalen Aufforderungen: (1) E-Aufforderungen, in denen ein Sprecher sein primäres Handlungsziel thematisiert (z.B. Jetzt würde ich gern einen Kaffee trinken) (2) -Aufforderungen, in denen der Sprecher sein sekundäres Handlungsziel, d.h. die Ausführung der gewünschten Handlung durch den Partner oder dessen Bereitschaft oder Fähigkeit dazu thematisiert (z.B. Können Sie mir jetzt einen Kaffee kochen?) (3) V+I-Aufforderungen, in denen der Sprecher den Hörer entweder direkt durch Imperativ oder Performativkonstruktionen (z.B. Kochen Sie mir einen Kaffee!) oder durch einen Verweis auf seine Legitimation zur Aufforderung (z.B. Ich kann von Ihnen verlangen, daß Sie mir einen Kaffee kochen!) auffordert. Diese Aufforderungsklassen sind nicht durch grammatische Satzmodi, sondern durch propositionale Thematisierungen definiert! Beispielsweise werden in dieser Klassifikation sowohl Können Sie mir einen Kaffee kochen als auch Sie könnten mir einen Kaffee kochen als A-Aufforderungen angesehen. -Aufforderungen werden als indirekt eingeschätzt, V+I-Aufforderungen als sehr direkt und wenig mißverständlich, während A-Aufforderungen in dieser Hinsicht eine Mittelstellung einnehmen. Direkte I-Aufforderungen wie Imperative haben dabei eine hohe Informativität, denn das Ziel des Sprechers kann vom Hörer nicht mißverstanden werden. Sie bergen jedoch die Gefahr, daß sich der Hörer zu sehr in seinem Handlungsfreiraum eingeschränkt sieht (und demzufolge ablehnt). Verhaltensweisen, die darauf gerichtet sind, eingeschränkten Handlungsspielraum "zurückzuerobern", werden in der Sozialpsychologie als "Reaktanz-
293
verhalten" bezeichnet (vgl. Brehm 1966). Zur Gewährleistung der instmmentellen Funktion einer Aufforderungsäußerung erscheinen also bevorzugt indirekte -Aufforderungen geeignet. Infolge ihrer geringen Informativität können Aufforderungen dieser Art jedoch als bloße Mitteilung rezipiert werden - bei ausbleibender Reaktionsverpflichtung des Hörers. (Wir glauben allerdings, daß Hörer indirekte Äußerungen in der Regel allenfalls vorgeblich mißverstehen, der ihnen vollständig erschlossenen Implikationsstruktur lediglich die Akzeptanz verweigern.) -Aufforderungen, oft als Aufforderungsfragen realisiert, bewegen sich im Hinblick auf Direktheit, Informativität und Instrumentalität auf einem mittleren Niveau. Es stellt sich nun die Frage, warum Sprecher nicht - als Mittel der Wahl - immer den Kompromiß zwischen Informativität und Instrumentalität, also die Produktion von A-Aufforderungen wählen. (Vice versa lautet diese Frage, warum eine Sprache verschiedene Mittel zur Realisierung einer Aufforderung bereitstellt.) Hier zeigt sich, daß die Wahl eines konkreten Aufforderungstyps systematisch durch Merkmale der Aufforderungssituation determiniert wird. Unter bestimmten situativen Bedingungen kann die Berücksichtigung entweder des Informativitäts- oder des Instrumentalitätscharakters mehr oder weniger wichtig und zielführend sein. Wir werden in Abschnitt 3. darauf zurückkommen. Die Unterscheidung der genannten drei Aufforderungsvarianten bezieht sich nur auf die verbale Basis. In einer realen Interaktionssituation sind Äußerungen aus verbalen und nonverbalen Komponenten zusammengesetzt. So stehen dem Sprecher zur Erreichung seines Handlungszieles und in diesem Zusammenhang ggf. zur Überwindung der mangelnden Bereitschaft des Hörers komplexe Strategiemittel zur Verfügung, die allein aus einer Analyse der verbalen Basis nicht hinreichend erschlossen werden können. Zumindest die Intonation als ein wichtiges pragmatisches Mittel muß, den Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt folgend, berücksichtigt werden.
2.3
Syntaktische und intonatorische Kombinationsmöglichkeiten
Wie Oppenrieder (1988b) zeigen konnte, werden Äußerungen, die syntaktische und intonatorische Unterschiede aufweisen, gleichermaßen als Aufforderungen beurteilt. Die syntaktische Gestaltung kann die Form einer Frage, eines Befehls oder einer Aussage haben und der pragmatisch relevante Intonationsendverlauf kann steigend oder fallend sein, auch ein auf mittlerem Niveau endender Verlauf ist möglich. Im folgenden weiden wir uns auf die Kombination von syntaktischer Frage und Befehl und steigendem oder fallendem Intonationsendverlauf (IEV) beschränken. Unter einer syntaktischen Frage sind Fragen mit Inversion zu verstehen, wie Könnten/Würden Sie mir einen Kaffee kochen. Syntaktische Befehle sind in unserem Fall V-1-Sfe-Imperative, etwa Machen/Kochen Sie mir bitte einen Kaffee. Einen steigenden Intonationsendverlauf bezeichnen wir als Frageintonation, unter einem abfallenden IEV verstehen wir die Befehlsintonation. Tab.2 zeigt die Kombinationsmöglichkeiten im Überblick:
294 Funktion pragmatische Frage
pragmatischer Befehl
Benennung syntaktische Frage intonatorische Frage intonatorischer Befehl
Form Frage mit Inversion + steigender EV V-1-Imperauv •f steigendem IEV Frage mit Inversion + abfallender IEV
syntaktischer Befehl
V-1-Imperativ + abfallender IEV
Definition indirekte Auff., Frage im eigentlichen Sinne, geringe Informativität indirekter, abgemilderter Befehl, hohe Informativität. mittlere Instrumentalität direkte Frage: die geringe Informativität wird durch den Ton modifiziert: mittlere Instrumentalität direkter Befehl: hohe Informativität, geringe Instrumentalität
Tab. 2: Ausprägungen von Syntax und Intonation Wir sprechen von Doppelmarkierung, wenn die syntaktische Struktur einer Aufforderung mit dem jeweiligen Intonationsendverlauf übereinstimmt. Entsprechend ist eine syntaktische Frage mit einem ansteigenden IEV eine pragmatische Frage mit Doppelmarkierung. Der Unterschied zwischen pragmatischem Befehl und pragmatischer Frage besteht in der jeweiligen Ausprägung der Direktheit dieser Äußerungen. Eine Frage mit Doppelmarkierung wird als indirekte Aufforderung verstanden, während der entsprechende Befehl als sehr direkt empfunden wird. Eine Integration der theoretischen Überlegungen ist wie folgt möglich: Betrachtet man die von Oppenrieder (1988a,b) zusammengestellten intonatorischen Prototypen, so könnten diese als eine Art "Grammatik der Töne" aufgefaßt werden, die das Wissen des Sprechers repräsentieren, wie beispielsweise der typische S/e-Imperativsatz zu lesen ist. Dieses Wissen ist eine Voraussetzung für den konkreten und spontanen Sprachgebrauch, der von der "Grammatik" abweichen kann. Auf der Grundlage seines grammatischen (syntaktischen und intonatorischen) Wissens kann der jeweilige Sprecher, entsprechend seinem kommunikativen Ziel, syntaktische und intonatorische Varianten auswählen und miteinander verknüpfen. Bedenkt er dabei die situativen Komponenten, die Partnerbedingungen, und schafft er die richtige Kombination von Syntax, Intonation und nonverbalen Elementen und dadurch das richtige Verhältnis von Informativität und Instrumentalität, so hat der Sprecher gute Chancen, daß der Aufgeforderte die gewünschte Handlung auch ausführt. Unter psychologisch-pragmatischer Betrachtungsweise erscheint eine Gewährleistung der Verstehensbedingungen qua Wahl eines verbalen Äußerungstyps den Akzeptierens- und Ausführungsbedingungen nachgeordnet. Aspekte der "wörtlichen" Äußerungsbedeutung werden von uns deshalb nicht näher behandelt
3.
Ein Rollenspiel
Das Rollenspiel als Untersuchungsmethode bietet für die Erforschung gesprochener Sprache zwei wichtige Vorteile: Die produzierte Sprache ist der Sprache in natürlichen Kommunikationssituationen sehr nahe und der Kontext, in dem diese Sprache produziert wird, kann genau definiert und willkürlich variiert werden. Wir konnten also Versuchsbedingungen vorgeben und damit bestimmte Variablen einer
295
Kommunikationssituation ausschließen. Die Intentionen der Sprecher und die Propositionen der Aufforderungen sowie die situativen Gegebenheiten waren stabil, weil vorgegeben. Die Möglichkeit der Modulationen für die einzelnen Sprecher lagen somit in der syntaktischen und intonatorischen Gestaltung der Aufforderung sowie verschiedener nonverbaler Verhaltensweisen. Infolge der experimentellen Vorgehensweise kann - ceteris paribus - angenommen werden, daß auftretende Unterschiede zwischen Bedingungsvorgaben ausschließlich auf dieser Variation beruhen.
3.1
Situationsdefinition
Ein Ausgangspunkt für die Setzung und Unterscheidung aufforderungsrelevanter Situationen ist die Einteilung in Standardsituationen (SS) und Reaktanzgefährdete Standardsituationen (RS). Eine Aufforderung ist eine Sprachhandlung, mit der der Sprecher erreichen will, daß der Angesprochene etwas tut, was der Sprecher will. Der Sprecher weiß, daß er aufgrund der situativen Bedingungen, z.B. weil er ein Vorgesetzter ist, dazu legitimiert ist Des weiteren geht der Sprecher davon aus, daß der Hörer prinzipiell in der Lage ist, die gewünschte Handlung auszuführen. Diese Maßgaben gelten für beide Situationstypen. Was den Unterschied ausmacht, ist das Wissen des Sprechers darüber, ob der Hörer die gewünschte Handlung gerne oder eben nicht gerne ausführt. In Standardsituationen weiß der Sprecher um die generelle Bereitschaft des Hörers (beispielsweise aufgrund schematisierter Vorgänge wie dem Kauf einer Zeitung an einem Kiosk oder aufgrund zeitlich früherer Verhaltensweisen oder Bekundungen des Hörers), in der Reaktanzgefährdeten Standardsituation weiß der Sprecher, daß der Hörer nicht gerne bereit ist (beispielsweise bei Polizeikontrollen). Es ist zu beachten, daß sich der Sprecher in beiden genannten Fällen subjektiv über die Ausprägung der hörerseitigen Bereitschaft sicher ist; Situationen, in denen der Sprecher keine stabile Einschätzung über die Ausprägung aufforderungsrelevanter Situationsparameter hat (fragliche Legitimation; fragliche Bereitschaft), nennen wir Nichtstandard-Situationen. Diese werden an anderer Stelle erörtert (s. Winterhoff-Spurk/GrabowskiGellert 1987). Betrachtet man eine Aufforderung als pragmatische Einheit, so hängt ihr Gelingen, d.h. hörerseitige Akzeptanz und Ausführung entscheidend von der Bereitschaft des Aufgeforderten ab; der Sprecher muß entsprechend auf mangelnde Bereitschaft reagieren oder ggf. die gewünschte Handlung selbst ausführen. In diesem Extremfall würde der Sprecher natürlich nicht auffordern. Wir wollten nun herausfinden, welche Auswirkungen das Wissen um den Grad der Bereitschaft auf die Produktion von verbalen Aufforderungen und deren Intonation hat Dazu führten wir das im folgenden beschriebene Rollenspiel-Experiment durch.
296
3.2
Das Rollenspiel-Experiment
In dem Rollenspiel sollten N=63 männliche Studenten der Betriebswirtschaft an der Universität Mannheim einen Abteilungsleiter spielen. Er hat eine eigene Sekretärin, die von einer Konfidentin (einer Projektmitarbeiterin) gespielt wurde. (Dadurch konnte die Hörerreaktion möglichst konstant gehalten werden.) Das Spiel bestand darin, daß der Abteilungsleiter seiner Sekretärin zunächst ein Rundschreiben an die Mitarbeiter des Betriebes diktierte. Diese Aufgabe sollte es den Teilnehmern erleichtern, in ihre Rolle als Abteilungsleiter zu finden. (Den Studenten der Betriebswirtschaft gelang dies bemerkenswert gut.) Die so entstandenen Rundschreiben wurden nicht ausgewertet. Anschließend sollte der Abteilungsleiter seine Sekretärin dazu auffordern, ihm einen Kaffee zu kochen. Die Rollenspiele wurden in einem bürogemäß eingerichteten Raum durchgeführt und mit Videokameras aufgezeichnet Entsprechend der Versuchsanweisung gestalteten die meisten Versuchspersonen die Aufforderung in einem Satz. So erhielten wir 63 Aufforderungen, davon 30 unter der Bedingung einer Standardsituation und 33 aus der Reaktanzgefährdeten Standardsituation. Die so erhaltenen Aufforderungen bzw. deren Grundfrequenzverläufe sind Gegenstand der nachfolgend berichteten Auswertungen.
3.3
Aufbereitung der Daten
Zur Untersuchung der Intonation haben wir Grundfrequenzanalysen durchgeführt. Die Grundfrequenz ist das physiologische Substrat, das sich aus der Frequenz der Stimmlippenbewegungen beim Sprechen errechnet. Wir verwenden hier "Intonation" synonym mit dem Begriff "Grundfrequenzverlauf' über der sprachlichen Äußerung. Der Grundfrequenzverlauf ist ein akustischer Parameter, der dem Schallereignis auf der Ebene der Artikulation entspricht Mit Hilfe eines bestimmten Algorithmus über die Fourier-Transformation werden die Grundfrequenz aus dem glottalen Signal herausgerechnet und die Werte für die stimmhaften Sprachsignale bestimmt (vgl. Helfrich 1985). Diese werden dann in einem Verlaufsdiagramm festgehalten, wobei stimmlose Sprachsignale keine Werte bilden. Aufgrund der unterschiedlichen verbalen Daten erhielten wir Grundfrequenzverläufe unterschiedlicher Länge. Erinnerlich bestand das Untersuchungsziel darin, die Intonation in Abhängigkeit von der jeweiligen situativen Vorgabe zu untersuchen; d.h. diejenigen Anteile zu bestimmen, die unabhängig von der je spezifischen verbalen Ausprägung der Aufforderungen für die beiden Situationstypen charakteristisch sind. Um die Intonationsverläufe über verschiedene Satzformulierungen und -längen hinweg vergleichbar zu machen, wurden in einem weiteren Schritt die Grundfrequenzwerte jeder Einzeläußerung auf 100 Datenpunkte normiert. Diese standardisierte Länge wurde durch lineare Transformation der vorhandenen Grundfrequenzwerte der Originalverläufe erreicht. Die durchschnittliche Anzahl der Werte liegt bei 72,4 pro Äußerung in bezug auf 100 Datenpunkte. Entstehende Lücken in den Grundfrequenzverläufen
297 (hier: fehlende Werte) sind auf stimmlose Laute zurückzuführen, für die - wie erwähnt - keine Grundfrequenzwerte errechnet werden können. Die satztypunabhängigen, "rein pragmatischen" Intonationsverläufe der beiden Situationstypen ergeben sich durch Mittelung der 30 bzw. 33 normierten Intonationsverläufe der einzelnen Äußerungen. Die Größe der empirischen Fallzahlen erlaubt einen Ausgleich der fehlenden Werte (s. dazu auch Dom-Mahler/GrabowskiGellert/Funk-Müldner/Winterhoff-Spurkl989a,b). Hz
Hz 16
Reaktanz
Standard
/
140
140 1 1
1 8 6
8
und uürden sie nir noch'n Kaffee bringen
konnten sie eventuell noch n Kaffee Nachen
Abb. 1: Zwei exemplarische Grundfrequenzverläufe Verlauf l zeigt eine Aufforderung in der Standardsituation: Diese wurde mit einer syntaktischen Frage und einem ansteigenden Intonationsverlauf am Ende der Äußerung produziert. Verlauf 2 ist eine Aufforderung, die mit dem Wissen um die mangelnde Bereitschaft des Hörers produziert wurde. Auch hier finden wir eine syntaktische Frage, die allerdings durch abfallenden Intonationsendverlauf modifiziert ist
4.
Situationsabhängige Produktion von (Aufforderungs-)Fragen
Um herauszufinden, wie sich unsere situativen Vorgaben auf die Produktion der Aufforderungen ausgewirkt haben, wurden u.a. die beiden nachfolgend vorgestellten Auswertungen durchgeführt (für weitere Ergebnisse s. Dom-Mahler et al. 1989b). Zum einen haben wir Mittelwertskurven pro Situation errechnet, die uns einen allgemeinen Eindruck von der Art der Sprachproduktion vermitteln sollten. In einem zweiten Schritt haben wir die syntaktischen und intonatorischen Details ausgewertet
4.1
"Typische" Intonationsverläufe
Die Methode des Rollenspiels erlaubt es, durch die Versuchsanordnung die situativen Gegeben-
298 heilen soweit zu kontrollieren, daß bei der Untersuchung der Intonation durch die Standardisierung der Grundfrequenzverläufe eine Vergleichbarkeit über mehrere Aufforderungen von unterschiedlichen Versuchspersonen (Vpn) möglich wird. Wir haben also alle Intonationsverläufe einer Situation übereinander gelegt, um zu sehen, wie der "typische" Gesamtäußerungsverlauf der Standardsituation bzw. Reaktanzgefährdeten Standardsituation aussieht
Mitteluerte Standard
Mittelkierte Reaktanz
Mittelwerte SS/RS (1
Datenpunkte)
Abb. 2: Mittelwertsverläufe von SS und RS Die vorliegenden Mittelwertsverläufe ergeben sich also aus den Mittelwerten über alle Vpn der jeweiligen Situation (SS: N = 25; RS: N = 29) an den jeweiligen Datenpunkten. Dabei sind nur Vpn in die Mittelwertsberechnung eingegangen, die an mehr als 50 Datenpunkten bestimmbare Werte aufweisen. Vergleicht man die Mittelwertskurven der beiden Situationen, so ergibt sich vor allem am Endverlauf ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Situationen, wobei sich die Grundfrequenzwerte an den letzten vier Datenpunkten statistisch signifikant unterscheiden (p