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English Pages 462 [439] Year 2006
Alfred Holzbrecher · Ingelore Oomen-Welke Jan Schmolling (Hrsg.) Foto + Text
Alfred Holzbrecher Ingelore Oomen-Welke Jan Schmolling (Hrsg.)
Foto +Text Handbuch für die Bildungsarbeit
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage September 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Stefanie Laux Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Umschlagfoto: Christopher Pfeiffer Layout und Satz: Tilman Lothspeich, Köln Redaktion: Alfred Holzbrecher, Ingelore Oomen-Welke, Jan Schmolling Mitarbeit: Stefanie Loos Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN-10 3-531-14928-8 ISBN-13 978-3-531-14928-8
Inhalt
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Vorwort
1. Teil: Perspektiven einer Foto-Text-Theorie 15
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Alfred Holzbrecher Foto + Text: Didaktische Perspektiven Spannungsfelder zwischen Bild- und Textsemiotik, schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit, allgemeiner Didaktik und Fachdidaktiken – Didaktische Leitbegriffe Adalbert Wichert Der Text zum Foto. Zum Verstehen von Foto-Text-Beziehungen Rede vom Bild – Text oder Bild – Fotos als Texte – Text als Teil des Fotos – Erinnerungsbild Stefanie Grebe „Ohne Titel“, mit Kontext. Wieso es auf der ganzen Welt kein Foto ohne (Kon)Text gibt. Eine pragmatische, medienkompetente Bestimmung von Fotografien – Eigenarten des Fotos – Was ist der Index – Index braucht Kontext – Foto / Text Gebrauch – Kontext Jan Schmolling Fotografie als Lebenszeichen – Der Deutsche Jugendfotopreis als Forum für authentische Sichtweisen Die Basics des Fotowettbewerbs – Vom Eigenwert der Bildsprache – Foto-Text-Konstellationen – „Bilder brauchen keine Texte“ – Unterwegs in fotografischer Mission – „Ich und Fotografie“ – Fazit für die Bildungsarbeit Steve Geldhauser Di(gi)daktik – Didaktische Potenziale von Digitalfotografie und Text Foto-Di(gi)daktik – Medienkompetenz – unterstützende Techniken / Software – konkrete Anwendungen
2. Teil: Fachdidaktische Konzepte für die schulische Bildungsarbeit Elementar- und Primarstufe
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Gisela Larisch „Hallo, du im Nachbarhaus …“ Fotopädagogisches Projekt in einer multikulturell zusammengesetzten Kindergartengruppe
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Inhalt
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Christina Hornar Fotostories – Geschichten in Wort und Bild Theoretische Überlegungen – Zusammenspiel von Fotografie und Text – Elemente eines Fotostory-Projektes Holger Klose „Lebenswelten“ – ein fotopädagogisches Projekt an einer internationalen Grundschule Fotografie als Quelle wissenschaftlicher Forschung – Lebenswelten – Kommunikation durch Fotografie und Text – Projektdurchführung – Projektevaluation Sekundarstufen
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Klaus Maiwald Fotografie und Deutschunterricht Fotos in Sachtexten – als Schreibanstöße – in der Konkretisation literarischer Texte – in der (kritischen) Medienreflexion – Fotografie als Dokumentations- und Gestaltungsmedium Ingelore Oomen-Welke Werbetext und Werbefoto: Reklame im Deutschunterricht Werbung und Deutschunterricht – Text, Kontext, Ko-Text – Textsemiotik, Fotosemiotik und Körpersprachliches – Himmlische Werbeanzeigen – Didaktische Vorschläge analytisch und produktionsorientiert Oliver Piontek Foto und Text – Nutzungsmöglichkeiten für den handlungs- und kommunikationsorientierten Englischunterricht Einsatzmöglichkeiten – Voraussetzungen – Foto- und Interviewprojekt – Interkulturelles Lernen – Multicultural London Marie - Francoise Vignaud Pleins Feux sur la Carte Postale / Die Postkarte im Rampenlicht Postkarten früher und heute – Postkarte und Kultur – Postkarte und Persönlichkeit, Typologie – Postkarte im Französischunterricht – Visuelle, sprachliche und interkulturelle Kommunikation Kuno Rinke Politische Urteilsbildung im Kontext von Fotografieren und Schreiben – Unterrichtsbeispiele zum Bundestagswahlkampf 2005 Zur politischen Urteilsbildung – Fotografieren und Schreiben: produktiv, integrativ und als offener Lernprozess – Auf die Perspektive kommt es an: Der fragende Blick auf den Wahlkampf – Übungen zur Rezeption: Politische Fotografie und politische Urteilsbildung – Zur Wechselwirkung von produktiver und rezeptiver Fotoarbeit – Fotografietraining – Gestaltung, Wirkung, Deutung, Qualität
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Edwin Stiller Sich ein eigenes Bild machen – Über den dokumentarischen und magischen Umgang mit Fotografie im Pädagogikunterricht Eugen Sauter und Herbert List - zwei soziale Gebrauchsweisen der Fotografie – Die visuelle Aneignung einer anderen Zeit, aufgezeigt am Schulbuchkapitel „Als ich in Deinem Alter war - Erziehung in den 50er-Jahren“ – Fachdidaktische und fachmethodische Perspektiven der Fotoarbeit im Pädagogikunterricht Christian Heuer Der „gedehnte Blick“ und die Geschichtsdidaktik – Fotografie als Quelle und Medium historischen Lernens Historische Orientierung – Erinnerung und Ikonen – Kontext und Quelle – Geschichtskultur Gregor C. Falk So fern und doch so nah – Fotografische Weltansichten im Geographieunterricht Fotos in der Geschichte der Geographiedidaktik – geographische Fotos – didaktische Funktionen von Fotos – Kriterien zur Bildauswahl und Gestaltung – Bildquellen und Einsatzmöglichkeiten – Spurensuche durch Fotografieren Bernd Feininger „Du sollst Dir (k)ein Bild machen“ (Ex 20:4). Foto und Fotografie in der Religionspädagogik und im RU – Fotodidaktik und Religionsunterricht – religionspädagogische Fotoprojekte und Porträts Ulrike Spörhase-Eichmann Fotos lesen – Leben verstehen!? Fotos lesen als eine komplexe biologische Arbeitsweise – Verstehen von Organfunktionen mittels Originalabbildungen Wilfried Schlagenhauf / Daniel Bienia Fotografie als Inhalt und Medium des Technikunterrichts Teil I: Grundsätzliche Überlegungen zur Fotografie in Technik und Technikdidaktik Teil II: Das Foto als Präsentationsmedium Technikgeschichte – Arten von Abbildungen – Foto als Kommunikationsmittel – Technisierung – Foto als Medium im Technikunterricht Franziska Armbruster Fotografie und Text in Kunst und Schule Didaktische Reflexion – Foto-Text-Kunstwerke – Unterrichtsideen – Fachdidaktische Weiterführung Anne - Marie Grundmeier Modefotografie und Modejournalismus im Unterricht – warum nicht?! Frauenzeitschriftenmarkt – Modefotografie – Modejournalismus – Vestimentäre Ikonografie und Ikonologie
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Inhalt
Maud Hietzge Bewegungsbilder Bildkritik – Bewegungsbilder – Sportfotos – sportunterrichtliche Bilddidaktik Michael Schratz Mit der Kamera unterwegs: SchülerInnen (er)finden Schule neu Fotoevaluation – SchülerInnen ihre Stimme geben – Fotos als Evidenz für Entwicklung – Lern- vs. Lebenswelten in der Schule – Demokratisierung von Schule und Unterricht Ingelore Oomen-Welke / Studierende Kleine Projekte Studierender: Texte zu Fotos, Fotos zu Texten Fotos zu Sprichwörtern – Texte zu Fotos – Fotos zu literarischen Texten – Foto-Projekt-Didaktik – Bildbearbeitung als kreativer Prozess
3. Teil: Außerschulische Konzepte und Projektansätze 345
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Karlheinz Strötzel Interkulturelle Bildinterpretation – Bilddiskussionen im Rahmen des 12. deutsch-tschechischen Jugendfotoseminars Marl 2005 Barbara Tomforde / Peter Holzwarth Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar …? Kontexte interkultureller Medienarbeit – Potenziale der Fotografie – Begegnung in der Türkei zwischen Migrantenjugendlichen mit türkischem und kurdischem Hintergrund, Jugendlichen aus der Türkei und Jugendlichen aus Deutschland: Projektdarstellung und -evaluation Karin Eble X-pressive! – Digitalfotografie und Kreatives Schreiben: oder Fotoprojekte als Element der virtuellen Vernetzung Netzwerkarbeit mit MultiplikatorInnen – Fotoprojekte mit Mädchen – Fotografie und Schreiben als Grundlage für Filmarbeit – Lebenswelt-, Handlungs- und Ressourcenorientierung – Fotostories – Portraits Sandra Tell FamilienBilder. Foto-Text-Aktion im öffentlichen Raum Selbstdarstellung von Familien – Fotos und Kommentare von Passanten – themenbezogene interaktive Aktionen Carina Abt Daily Soap – Fotoroman Fotostory und Daily Soaps in der Jugendmedienarbeit
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Inhalt
4. Teil: Genres & Themenbereiche 407
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Benjamin Drechsel Bilderwelten = Weltbilder? Fotojournalismus als Herausforderung für die visuelle politische Bildung – Fotojournalismus – Fototheorie – Visuelle politische Bildung Dorottya Szaktilla Reporter ohne Grenzen – Fotos für die Pressefreiheit Die Arbeit von ROG – Die Bildbände: Fotografie und Text – Pressefreiheit im Unterricht: Eine Projektbeschreibung Tanja Schröder Die Macht der Bilder Die Anfänge der Sozialfotografie – Die Farm Security Administration – Fotografie als Augenzeuge – Sozialdokumentarische Fotografie in der Schule Rosaly Magg Die ganze Welt im Sucher: Einzoomen und Ausblenden. Der fotografische Blick auf Reisen – Tourismus – Fotografie – Blick auf die Fremde – Fremdheitsstereotype – 3. Welt Annette Krings „Von Schrecken bis Faszination“ – Fotografie(n) und die Erinnerung an den Nationalsozialismus Kollektives (Bild-)Gedächtnis – Herkunft und Funktionalisierung historischer Fotografien des Holocaust – pädagogische Überlegungen – Seminarkonzeption „Die Macht der Bilder!?“
Autorinnen und Autoren
Vorwort
Fotografie ist das visuelle Leitmedium unserer Zeit, der kompetente Umgang mit Bildern stellt eine Schlüsselqualifikation in unserer Gesellschaft dar. Trotz der ausgeprägten Verbreitung und Bedeutung fotografischer Praxis findet die pädagogische Arbeit mit Fotografie eher rudimentär statt; die Fotografie scheint innerhalb des medienpädagogischen Diskurses an den Rand gedrängt. Dies ist insofern unverständlich, weil die didaktischen Potenziale dieses Mediums noch lange nicht ausgeschöpft sind und angesichts der Entwicklungen (Digitalisierung, Multimedia) neu entdeckt werden könnten. Es gilt hierbei an erfolgreiche Arbeitsformen anzuknüpfen, die im schulischen Bereich – in der Bundesrepublik wie in der DDR – zum pädagogischen Alltag dazugehörten. Aber auch von den Projekten der Jugendarbeit kann profitiert werden, etwa vom Deutschen Jugendfotopreis, der, seit 1961 ausgeschrieben, zu den traditionsreichsten medienpädagogischen Angeboten überhaupt zählt. Angesichts des Stellenwerts der Fotografie als eines Mediums der global und interkulturell wirksamen künstlerischen Ausdrucksform versucht dieses Handbuch neue Impulse für eine zeitgemäße fotopädagogische Arbeit zu geben. Am Anfang unserer Beschäftigung mit dem Thema Fotografie + Text stand ein „doppeltes“ Seminarprojekt. Studierende eines Fotopädagogik- und eines Deutschdidaktik-Seminars an der Pädagogischen Hochschule Freiburg stellten sich gegenseitig die Aufgabe, Texte zu Fotos zu schreiben und Fotos zu Texten zu machen. Das Experiment motivierte zur Weiterarbeit, die zum Teil hier dargestellt ist. Wir vermuteten darüber hinaus, dass es zumindest in einigen schulischen Fachdidaktiken seit langem einen Diskurs zu einer Verknüpfung der Medien Foto und Text bzw. Sprache geben muss, vielleicht manchmal unterschwellig. Wir wussten, dass – wie so oft – die Praxis der Theorie vorauseilt und dass beispielweise in der außerschulischen Jugendmedienarbeit Seminare durchgeführt werden, in denen Fotografieren eng verknüpft wird mit Versprachlichung, sei es in mündlicher oder in schriftlicher Form. Der vorliegende Band ist zunächst das Ergebnis einer Kooperation von Lehrenden der Pädagogischen Hochschule Freiburg, zu deren Profilschwerpunkten seit Jahren die Medien gehören, und von Nachwuchskräften. Darüber hinaus konnten Studierende von Lehramts- und Diplomstudiengängen zur Mitarbeit gewonnen werden, die sich mit ihren Abschlussarbeiten entsprechend profilierten. Den Bereich der außerschulischen Bildungsarbeit vertreten in diesem Sammelband Medienpädagoginnen und Medienpädagogen, die – ausgehend von konkreten Projekten – die Chancen einer fotopädagogischen Arbeit mit Jugendlichen ausloten. Somit liegt erstmals ein Handbuch vor, in dem sowohl aus der Perspektive des schulischen Fächerspektrums (Teil II) als auch aus der Perspektive der außerschulischen Jugendmedienarbeit (Teil III) die Verknüpfung der beiden Medien Fotografie und Text auf die didaktischen Potenziale hin reflektiert wird. Eingeleitet werden diese beiden Teile des Handbuchs durch Beiträge, in denen – mit Blick auf die pädagogische Praxis – sowohl aus der bildwissenschaftlichen als auch der textwissenschaftlichen Position heraus eine Brücke zum jeweils anderen Medium geschlagen wird (Teil I). Abgeschlossen wird der Band mit einem Teil (IV), in dem – ausgehend von Genres der Fotografie – Themenbereiche vorgestellt werden, die es in besonderer Weise verdienen, in der schulischen wie außerschulischen Bildungsarbeit Beachtung zu finden und deren didaktische Potenziale noch zu entdecken sind. Fotojournalismus, Dokumentar- und Sozialfotografie, Reisefotografie und Fotografie und Erinnerungskultur stehen dabei exemplarisch für
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Vorwort
eine offene Liste, die etwa mit Familienfotografie oder Sportfotografie weiter geführt werden könnte. Überschneidungen und Affinitäten zu den beiden didaktischen Teilen (II und III) sind dabei unvermeidlich und beabsichtigt. Es gehört zu den wesentlichen Merkmalen pädagogischer Professionalität, Spannungsfelder zu reflektieren und zu gestalten. Mit diesem Band werden auf mehreren Ebenen Spannungsfelder begrifflich gefasst und didaktisch ausgelotet: 1 1 1 1
zwischen Bild- und Textsemiotik, zwischen der Allgemeinen Didaktik erziehungswissenschaftlicher Provenienz und den verschiedenen Fachdidaktiken, zwischen einzelnen Fachdidaktiken selbst sowie zwischen der schulischen und der außerschulischen Bildungsarbeit.
Dieses Handbuch für die Bildungsarbeit richtet sich gleichermaßen an Lehrende in Schulen und an medienpädagogisch Tätige, etwa in Jugend- und Kulturzentrenzentren, sowie an Studierende der beiden Bildungsbereiche. Es ist unser Anliegen, der fotopädagogischen Arbeit im Kontext fachdidaktischer und medienpädagogischer Konzepte eine stärkere Beachtung zukommen zu lassen und deutlich zu machen, welche didaktischen Potenziale für alle Alters- und Zielgruppen es dabei zu entdecken gibt. Alfred Holzbrecher Ingelore Oomen-Welke Jan Schmolling im Mai 2006
1. Teil: Perspektiven einer Foto-Text-Theorie
Foto + Text: Didaktische Perspektiven Alfred Holzbrecher
Die Brücke zwischen den Medien Fotografie und dem Text steht auf benachbarten Pfeilern und einem gemeinsamen theoretischen Fundament. Die Bestände der sprach- und kunstwissenschaftlichen Bibliotheken zeugen davon, dass die Brückenpfeiler auf solidem Grund stehen, denn sowohl „Bildsemiotik“ als auch „Textsemiotik“ sind anerkannte Theoriediskurse, die „Wissenschaft der Zeichen“ ist ihre gemeinsame Grundlage. Das Spannungsfeld zwischen einer Bildund Textsemiotik ist jedoch nur eines, das im Rahmen dieser Publikation ausgelotet wird. Von zentraler Bedeutung ist die Reflexion didaktischer Perspektiven, und hier lassen sich mindestens zwei weitere Spannungsfelder identifizieren: das zwischen der schulischen und der außerschulischen Bildungsarbeit sowie das zwischen den Fachdidaktiken und einer erziehungswissenschaftlich fundierten Allgemeinen Didaktik. Es gehört zu den zentralen Anliegen, mit dieser Publikation nicht nur solche Spannungsfelder zu identifizieren, sondern auch mit Hilfe didaktischer Konzepte Brücken zu bauen. Zielperspektive eines solchen Vorhabens ist eine lebendige Kommunikation zwischen den Fachdidaktiken und der Allgemeinen Didaktik, zwischen den Fachdidaktiken selbst sowie insbesondere zwischen der schulischen und der außerschulischen Bildungsarbeit. Die grundsätzliche Spannungsbeziehung zwischen Foto und Text kann dabei als didaktisches Potenzial verstanden werden, als ein Möglichkeitsraum, den es auszuloten gilt:
Zum Spannungsfeld zwischen „Bild- und Textsemiotik“ aus didaktischer Sicht Zu den grundlegenden Differenzen zwischen einem Foto und einem Text gehört auf den ersten Blick die größere Mehrdeutigkeit eines ikonischen Zeichens im Vergleich zu einem sprachlichen. Ein Text benennt und klassifiziert die Dinge, kann Konkretes und Abstraktes repräsentieren, Negationen, kausale und andere logische Beziehungen ausdrücken, präzise Bedeutungen ausdrücken oder sich auf sich selbst beziehen. Dagegen lebt das Medium Fotografie – etwa im Vergleich zum Film – „vom bewussten Aussparen bestimmter Zugänge (etwa der Sprache und der Bewegungswahrnehmung) und fordert die Intensivierung der verbleibenden Möglichkeiten“ (Schratz in diesem Band). Ein Foto wird synchron gelesen, die Wahrnehmung oszilliert unmittelbar und vorbegrifflich zwischen dem Ganzen und einzelnen Bildteilen, Gleichzeitigkeit ist ihr zentrales Kennzeichen. Textrezeption zwingt zu einer linearen Wahrnehmung der Wörter und kulturell codierten Sinnzusammenhänge, Textverstehen ist von Konzentration und Aufmerksamkeit abhängig, – typische Leistungen einer (vor 1965 geborenen) „Buchgeneration“, wie Franz Josef Röll vermerkt (Röll 2004: 10). Eine solche „symbolhaft-assoziative“ Form der Wahrnehmung kommt nach Röll der „Fernsehgeneration“ entgegen. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass es zu den primären Aufgaben der Bildungsarbeit gehöre, zum Umgang mit sprachlichen Codes zu qualifizieren. Ohne die spezifische Leistungsfähigkeit sprachlicher Codes schmälern zu wollen, wäre dies aus mehreren Gründen ein Fehlschluss. Unsere Bildungseinrichtungen widmen der Deutung der omnipräsenten Bilder nicht annähernd so große Aufmerksamkeit wie der Sprache, die visuelle Alphabetisierung steckt noch in Kinderschuhen. Dass die Fotografie und insbesondere deren Verknüpfung mit dem Medium Sprache dazu wesentlich beitragen
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kann, ist ein Grundanliegen dieses Buches. Vor dem Hintergrund offensichtlicher Veränderungen in der Form der Welt- und Selbstwahrnehmung von Jugendlichen stellt sich umso dringender die Frage nach einer Text-Bild-Relation, insbesondere mit Blick auf die medienpädagogische Bildungsarbeit in Schulen und Jugendeinrichtungen. Die Einbildungs- oder Vorstellungskraft ist der Motor des Wahrnehmungsprozesses, der erkenntnistheoretisch als „Konstruktion von Wirklichkeit“ zu verstehen ist. Es ist davon auszugehen, dass die durch einen Text oder durch ein Foto ausgelösten vorbewussten, a-logischen Vorstellungsbilder unterschiedlicher Qualität sind. Gegenständliche Darstellungen auf einem Foto finden unmittelbar Zugang zu „inneren Bildern“, zu (noch) nicht sprachlich fixierten und fixierbaren Bedeutungsgehalten, denen ein hoher Symbolwert zukommt. Dass ein solcher Verweischarakter die Attraktivität einer Bilddarstellung ausmacht, zeigt die Gegenprobe: „Oberflächlich“ wirken oft Fotos, denen eine solche Tiefendimension fehlt. Hat sich der Rezipient einen Text in seiner zeitlichen Linearität erschlossen, verdichtet sich sein Bedeutungsgehalt – insbesondere bei einem literarischen Text – ebenfalls zu einem „inneren“ oder „Vorstellungsbild“, dem eine atmosphärische, emotional besetzte Qualität zukommt. In beiden Fällen spielen also vorsprachliche, innere Bilder eine große Rolle bei der Bedeutungserschließung, der Zuschreibung von Sinn. Beim Versuch, die Beziehung beider medialen Ausdrucksformen zueinander zu charakterisieren, lassen sich in einer ersten Annäherung die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten der Kongruenz und des Kontrasts unterscheiden: Im Falle der Kongruenz stützt das Bild die Textaussage oder der Text die Bildaussage, etwa bei einer erläuternden Bildunterschrift in der Tagespresse bzw. wenn sich Bild und Text in ihren Grundaussagen ergänzen. Dagegen wird im Kontrast eine Reibung erzeugt, indem zwischen den zunächst – jeweils für sich offensichtlich eindeutigen – Bild- und Textaussagen ein Gegensatz geschaffen und etwa eine ironische Brechung, Verfremdung der Aussage bzw. ein Irritation bewirkt wird. Eine dritte Möglichkeit lässt sich erkennen, wenn beiden Medien die Qualität einer „Poetisierung“ zukommt, etwa indem ein literarisierender Text die Mehrdeutigkeit eines Bildes potenziert und „Leerstellen“ produziert. In allen Fällen handelt es sich um Ko-Texte (vgl. v.a. Oomen-Welke in diesem Band), weil Text und Bild sich aufeinender beziehen (lassen) und in dieser Relation bedeutungsmäßig ein Ganzes darstellen. Der Begriff des KonTextes macht deutlich, dass ein Einzelnes, prinzipiell Mehrdeutiges in seiner Bedeutung oft erst verstanden wird, wenn es in begrifflich klassifizierbare Zusammenhänge gestellt wird. Dies trifft in besonderer Weise auf Fotografien zu, die als „raumzeitliche Momentaufnahmen“ keine Zeitrelationen repräsentieren. Sie gilt es im Deutungsprozess zu rekonstruieren: Bezogen auf den historischen Zeitpunkt der Aufnahme des Fotos ist 1. der Kontext der Beziehungen der abgebildeten Personen zu identifizieren: Die in ihrer Handlungslogik „eingefrorene“ Situation und der sie bedingende raumzeitliche Kontext (a) lässt sich etwa mit dem Ziel betrachten, aus Körperhaltung, Mimik, Kleidung und der Anordnung der Objekte Aussagen über den sozioökonomischen Status der Personen zu gewinnen oder Erkenntnisse über historisch zurück liegende Umgangsformen (vgl. Berger 2003, Fuhs 2003, Pilarczik/Mietzner 2003, Stiller in diesem Band). Eine Rekonstruktion des situativen Kontextes (b) wäre beispielweise mit Hilfe der Erzählperspektive möglich, indem die Zeit vor und nach dem Aufnahmezeitpunkt in Handlung aufgelöst bzw. durch entsprechende Vorstellungsbilder ausgestaltet wird. Als weiterer Kontext zum Zeitpunkt der Aufnahme ist 2. die Beziehung der fotografierenden Person zu den abgebildeten Objekten/Personen zu rekonstruieren: Aus welcher Situation heraus könnte das Foto entstanden sein? In welcher Beziehung steht die fotografierende Person zu den Fotografierten? Welche Fotografierabsichten sind erkennbar? Inwiefern zeigen Zusammenhän-
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ge zwischen Themenwahl und Nutzung fotografischer Gestaltungsmittel? Welche (räumliche und psychologische) Nähe und Distanz zeigt sich im Bild? Welche fotografiesoziologischen Konstanten (z.B. Motive) sind erkennbar bzw. zu erschließen? Inwiefern beeinflusst der Verwendungskontext bzw. der Auftraggeber des Fotos dessen Gestaltung? etc. Traditionell ist der Prozess des Verstehens eines anderen Objekts als Versuch zu sehen, dessen Eigen-Sinn zu ergründen, d.h. aus der Beobachterperspektive heraus zu erschließen, in welcher Zeit ein Text- oder Bild-Produzent welche Kommunikationsabsicht damit verfolgte. Doch auch dieser Verstehens- bzw. Rezeptionsprozess erfolgt in einem Kontext. Dies wird besonders offensichtlich, wenn ein größerer zeitlicher Abstand deutlich macht, dass jede Deutung eine historische und gesellschaftliche Signatur trägt. Verstehen ist immer abhängig von konkreten Beobachtern. Bei einer Analyse des Wahrnehmungs-Kontextes rückt zunächst das wahrnehmende Subjekt ins Blickfeld. Im Anschluss an Bourdieus Konzept des „Habitus“ kann dieser Wahrnehmungskontext einerseits als „Erzeugnis“ biografischer und lebensweltlicher Erfahrungen verstanden werden, andererseits als „Erzeugungsprinzip“. D.h. er wirkt als „Filter“ für (Bild-)Wahrnehmung und etwa für „Geschmacks“-Urteile. Ob einem das Bild „gefällt“ bzw. in welcher Weise ein Bild wahrgenommen wird, resultiert demnach aus bisherigen Sozialisationserfahrungen, zugleich wirkt es als strukturierendes Prinzip für ästhetische (und soziale) Praxis, damit auch für die Imagination, die Produktion „innerer Bilder“. Eine medienpädagogische Reflexion eröffnet also die Perspektive eines Blicks auf die eigenen, biografisch und lebensweltlich eingefärbten Deutungsmuster.
Zum Spannungsfeld zwischen schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit Eine Ent-Täuschung gleich vorweg: Eine Verknüpfung didaktischer Konzepte schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit steht derzeit außerhalb schulpädagogischer Diskurse. In den gängigen Lehrwerken zur Allgemeinen Didaktik steht die Gestaltung von Unterricht in einem engeren Sinn im Mittelpunkt, unterstützt durch eine empirische Unterrichtsforschung. Eine erste Annäherung könnte im Kontext einer theoretischen Fundierung der Ganztagsschule gesehen werden, die in einem anspruchsvollen Konzept neuartige Formen der Gestaltung von Lernumgebungen notwendig macht und etwa über eine Didaktik des Projektunterrichts im Rahmen einer „Öffnung von Schule“ eine Brücke zur außerschulischen Pädagogik schlagen kann. Im schulischen Kontext dominiert derzeit ein Verständnis von Medien, das diese als Mittel zum Zweck, als „Instrumente“ zur Erreichung von Lehr-Lern-Zielen konzipiert. Auch wenn ihnen eine Motivierungsfunktion zugesprochen wird, bleibt die Bezugsgröße und der weitgehend unhinterfragte Ziel-Horizont eines solchen lerntheoretischen Medienverständnisses das schulische Curriculum und die „Optimierung“ von Lehr- und Lernprozessen. Die Qualität der Medien, hier der Fotografie und des Textes bzw. deren Verknüpfung, würde danach beurteilt werden, inwiefern sie eine solche instrumentelle Funktion erfüllen. Mit Blick auf die Erarbeitung von Fachinhalten erscheint eine solche „Instruktions-Perspektive“ auf den ersten Blick legitim: Im Mittelpunkt des Fachunterrichts stehen Lehr-Lern-Ziele, und es wird danach gefragt, mit welchen Mitteln (Methoden und Medien) diese am besten erreicht werden können. Doch aus der Perspektive der Allgemeinen Didaktik, insbesondere aber der außerschulischen Medienpädagogik, erscheint ein solches Verständnis erweiterungsbedürftig, zumal andere, für den Bildungsprozess bedeutsame Fragestellungen und didaktische Kategorien aus dem Blick geraten (vgl. Spanhel 2005). Dies wird besonders deutlich, wenn das Prinzip der Subjektorien-
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tierung zur Geltung gebracht wird, das im Bereich der außerschulischen Bildungsarbeit, in der Jugend- wie in der Erwachsenenbildung (vgl. Meueler 1993, Scherr 1997, Zacharias 2001, Hafeneger 2005 etc.) zu einer didaktischen Schlüsselkategorie geworden ist. Mit „Subjektorientierung“ ist gemeint, die Bildungsarbeit so zu gestalten, dass 1 1 1
die Interessen und Bedürfnisse der lernenden Subjekte im Mittelpunkt stehen, nicht von (zu kompensierenden) Defiziten ausgegangen wird, sondern von vorhandenen Kompetenzen und personalen Ressourcen, die es im Hinblick auf die Entwicklung eines selbstbestimmten und selbstbewussten Lebens herauszufordern und zu fördern gilt.
Subjektorientierung hat für den Kulturpädagogen Wolfgang Zacharias „die ‚Freisetzung von Intentionalität‘ zur Folge: Lernziele sind nicht mehr allein in der Entscheidungskompetenz der Pädagogen bzw. der Institutionen (wie in den traditionellen Schuldidaktiken) denkbar und handhabbar, sondern sind Gegenstand partizipativen Aushandelns – gerade auch in Form gemeinsamer kultureller Aktivität, Kommunikation und Interaktion.“ (Zacharias 2001:65). Für ihn heißt das „kulturpädagogische Apriori“: „Zum Subjekt kann nur gebildet werden, wer von vornherein als Subjekt behandelt wurde, wem die Kompetenz zur eigenen angemessenen Lebensgestaltung entsprechend Entwicklungsstufe, sozusagen bedingungslos zugesprochen wird“. (ebd.: 66) Die bildungspolitische Diskussion im Anschluss an die PISA-Studien zeigt einen großen Nachholbedarf der schulischen Pädagogik bezüglich des Umgangs mit der Heterogenität der Lerngruppen und einer Orientierung an den Ressourcen und Kompetenzen statt an den zu kompensierenden „Defiziten“ der Schüler/innen, verbunden mit einer entwicklungsförderlichen Wertschätzung der lernenden Subjekte. Der Blick nicht nur in skandinavische Schulen, sondern auch in die Pädagogik der Jugendarbeit und Erwachsenenbildung im eigenen Land macht deutlich, dass ein anderes Lernen möglich ist: Die institutionellen Rahmenbedingungen der Schule können nicht als Rechtfertigung für ein fragloses Festhalten am traditionellen Leistungsverständnis zur Geltung gebracht werden. Lässt man sich als Schulpädagoge allerdings auf die Provokation durch die außerschulische Bildungsarbeit (und etwa die skandinavische Lernkultur) ein, müsste (bzw. könnte) die Spannungsbeziehung zwischen einer Orientierung an Bildungszielen, -inhalten und Aufgaben einerseits und einer Orientierung an den lernenden Subjekten und ihren Entwicklungspotenzialen andererseits neu austariert werden. Im Blick auf die für schulisches Lernen meist dominante Instruktionsperspektive wird eine weitere, daraus ableitbare Spannungsbeziehung deutlich, nämlich die zwischen intentionalem pädagogischem Handeln einerseits und einer Beobachterhaltung andererseits, die sich darauf richtet, die Aufmerksamkeit zu schärfen für die Art und Weise, wie Jugendliche ihre eigenen Wege suchen. Während sich Lehrpersonen an einer Schule eher als „Macher“ verstehen, als aktive und zielgerichtete Gestalter von Lehr-Lernprozessen, besteht in der außerschulischen Jugendarbeit der Anspruch, sich weniger einzumischen, Prozesse „geschehen zu lassen“ und dabei die Wahrnehmung zu fokussieren auf die subjektiven Selbst-Aussagen, die Eigen-Wertigkeit von Lern- und Interaktionsprozessen. Eine solche „subjektorientierte“ Haltung öffnet den Blick für ein Konzept, das die Medien in die Hand der Jugendlichen gibt und den Blick darauf lenkt, in welcher Weise sie diese nutzen, um ihre Lebensgefühle auszudrücken und ihre Subjektentwicklung als Suchprozess zu gestalten. Die Arbeit mit dem Medium Fotografie wird etwa zur „Sozialraumerkundung (Röll 2004 a: 44) oder dient der Annäherung an fremde Lebenswelten (vgl. Tomforde/Holzwarth in diesem Band). Gelernt wird „genau hinzuschauen, sich mit dem Gese-
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henen kommunikativ auseinander zu setzen bzw. die Strukturen des scheinbar Unsichtbaren durch einen dialogischen Prozess zum Vorschein zu bringen“ (Röll 2004 a: 51). Dass ein solches Konzept, das über einen rein instrumentellen Gebrauch der Fotografie hinaus geht, auch im Fachunterricht der Schule möglich ist, zeigen mehrere Beiträge in diesem Band.
Zum Spannungsfeld zwischen Allgemeiner Didaktik und den Fachdidaktiken bezogen auf Medienarbeit Bezogen auf die Medienarbeit wurden, wie auch die Beiträge in diesem Buch zeigen, in einigen Fachdidaktiken „naturgemäß“ die Verknüpfung der Medien Foto und Text seit längerer Zeit reflektiert, allen voran die Deutsch- und die Kunstdidaktik. Im Rahmen dieser Publikation soll daher eine doppelte Perspektivenverschränkung zwischen den Fachdidaktiken und der Allgemeinen Didaktik unternommen werden: Einerseits wird versucht, aus den vielstimmigen Diskursen der Fachdidaktiken zu „Fotografie und Text“ Gemeinsames, Fachübergreifendes herauszuarbeiten. Andererseits soll die Perspektive der Allgemeinen Didaktik auch als Anwältin einer kultur- und medienpädagogischen Position profiliert werden, die mit Blick auf eine Öffnung von Schule und Kooperation mit außerschulischen Bildungseinrichtungen ihr konzeptionelles Grundverständnis weiter zu entwickeln bereit und in der Lage ist. Ihr geht es dann nicht nur um die Formulierung fachübergreifender unterrichtswissenschaftlicher Prinzipien, sondern auch um die Entwicklung didaktischer Begriffe im zuvor genannten Spannungsfeld zwischen schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit. Dabei kann auf Vorarbeiten einer medienpädagogisch ausgerichteten Projektdidaktik zurück gegriffen werden, die sich am Leitbegriff der Medienkompetenz orientiert (vgl. die Arbeiten von Dieter Baacke). Zu den Standards medienpädagogischer und projektdidaktischer Arbeit gehört, dass 1 1 1 1
der Einsatz der verschiedenen Medien inhaltlichen Zielen („Bildungszielen“) untergeordnet ist, also kein Selbstzweck darstellt, Soziales und erfahrungsorientiertes Lernen in Gruppen und das Erstellen eigener Produkte den Lernprozess charakterisiert, die Lernenden in möglichst allen Phasen des Arbeitsprozessen einbezogen werden sollen und (medien-)ästhetische und technische Standards eingehalten werden, wobei im Mittelpunkt die Frage steht, wie die vorhandene Medienkompetenz der Jugendlichen verbessert werden kann.
Vor diesem Hintergrund – und in Abgrenzung zu einem lerntheoretisch orientierten „mediendidaktischen“ Ansatz – wäre Medienbildung, hier: die Arbeit mit den Medien Fotografie und Text, als Suchprozess der Lernenden zu konzipieren, in dem diese sich an Aufgaben, Problemen bzw. an Herausforderungen abarbeiten und damit ihre (inhalts-/ fachbezogenen, technischen und sozialen/personbezogenen) Kompetenzen erweitern. Im Zentrum eines solchen – für schulische wie außerschulische Arbeit gleichermaßen realisierbaren – Konzepts steht nicht das Medium, z.B. die Fotografie oder ein Film, sondern das mit den Medien arbeitende Subjekt. Ein solches „integriertes Medienkonzept“ (vgl. Holzbrecher 2004) bezieht sich subjektbezogen auf den Prozess der Erfahrungsbildung, objektbezogen auf die sachbezogene Verknüpfung von kulturellen, medialen bzw. ästhetischen Arbeitsweisen im Kontext der zu bearbeitenden Aufgabe. In
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diesem Sinne „Bildung als Subjektentwicklung“ (Meueler 1993: 156 ff.) zu konzipieren, ermöglicht eine Verknüpfung gesellschaftlicher Kompetenz- und Qualifikationserwartungen mit subjektbezogenen Ansprüchen nach selbstbestimmtem Leben, Lernen und Arbeiten: Die Arbeit an inneren Widerständen, an Kompetenzgrenzen ebenso wie etwa an (entwicklungsbedingten) Ängsten, sowie die Arbeit an äußeren Widerständen, d.h. den von außen herangetragenen Erwartungen, Herausforderungen und Aufgaben, sind die Voraussetzung dafür, dass Erfahrungen von Selbstwirksamkeit gemacht werden können, die als Grundlage für die Entwicklung von Neugierverhalten und Lerninteressen gelten können (vgl. Fuchs 2005). Die subjektwissenschaftlich fundierte Lerntheorie fragt primär nach den „guten Gründen“, die ein Subjekt dazu veranlassen, sich eine Problematik lernend anzueignen, , nämlich mehr von der Welt verstehen zu wollen und sich handelnd mit ihr auseinandersetzen zu können (Holzkamp 1995: 243 ff.). Zu expansiven Lernaktivitäten gehört nach Holzkamp, „dass ich im Zuge des Lernfortschritts mir selbst eine dem Inhalt der Lernproblematik gemäße Struktur von Informationsmöglichkeiten und Quellen aufbaue, die im weiteren eine sinnvolle Nutzbarmachung des jeweils bereits Gelernten ermöglicht.“ (ebd.:479). Im Rahmen fotopädagogischer Arbeit ist es daher naheliegend, nach den Intentionen der Fotografierenden zu fragen. In unserer Fotoprojektarbeit an der Pädagogischen Hochschule Freiburg hat es sich als hilfreich erwiesen, in Anlehnung an das kommunikationspsychologische Modell von F. Schulz-von Thun folgende Ebenen zu unterscheiden (Holzbrecher 2004: 18 ff.): Ein/e Fotograf/in will 1 1 1 1 1 1
dokumentieren, informieren, darstellen, auf Sachverhalte/neue Sichtweisen … hinweisen (Sachebene) appellieren, aufrütteln, den Blick auf bestimmte Probleme, Missstände… lenken, zu Handlungen auffordern (Appellebene) ein bestimmtes Lebensgefühl, eine Situationswahrnehmung, ein Vorstellungsbild, ein Selbst-Bild, eine Welt-Sicht … zum Ausdruck bringen (Ebene der Selbstoffenbarung) Beziehungen darstellen bzw. deutlich machen zur fotografierten Person/zum Objekt (Ausdruck einer bestimmten Beziehungsqualität „Geschichten erzählen“, Gefühle darstellen …) zum (potenziellen/antizipierten) Rezipienten (zum Geschichtenerzählen/ Fantasieren animieren, Gefühle und Stimmungen wecken …).
Aus der Perspektive der Allgemeinen Didaktik lassen sich folgende zentrale didaktische Leitbegriffe formulieren, die sowohl für die schulische wie auch für die außerschulische Bildungsarbeit zentrale didaktische Funktionen integrieren und daher Bestandteile eines „integrierten Konzepts von Medienbildung“ sein können (vgl. Holzbrecher 2004: 27 ff., Holzbrecher 2004a: 135 ff.) 1 1 1
Wir informieren uns und andere Wir zeigen uns und kommunizieren Wir mischen uns ein
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Wir informieren uns und andere Jede Lernarbeit hat die Aneignung von Wissen zur Grundlage, etwa indem Experten befragt oder Sachmedien/das Internet als Mittel zur Informationsbeschaffung genutzt werden. Zu den medienpädagogisch bedeutsamen Lehr-Lern-Zielen gehört dabei, dass 1 1 1 1
sachangemessene Fragestellungen und erkenntnisleitende Interessen sowie Suchstrategien und -techniken entwickelt werden, um sich in der Flut von Informationen zurecht zu finden. Wichtig ist dabei zu erkennen, dass Informationen interessengebunden (vgl. politische Ausrichtung von Informationsquellen) bzw. kontextabhängig sind. Schließlich geht es um eine sachgerechte Verarbeitung sowie eine adressatengerechte Aufarbeitung und Präsentation der Informationen.
Fotografie in der Bildungsarbeit als Medium der Dokumentation und Darstellung zu nutzen, dürfte wohl zu dem am häufigsten genutzten Funktionen des Mediums gehören. Die Presse- und Dokumentarfotografie sowie die Sozialdokumentarische Fotografie sind die ihnen entsprechenden Genres (vgl. die Beiträge von Drechsel, Schröder, Szaktilla in diesem Band).
Wir zeigen uns und kommunizieren „Selbstausdruck durch Medien“ (Niesyto 2001) lautet der programmatische Titel eines Buches zur aktiven Medienarbeit mit Jugendlichen. Nichtsprachliche Medien ermöglichen im Rahmen kulturpädagogischer Zielsetzungen noch diffuse Vorstellungsbilder, Einstellungen oder Lebensgefühle mittels symbolisierender Medien (Foto, Film, Musik, Zeichnung/Plastik, Körpersprache/Theater…) zum Ausdruck zu bringen: Häufig gelingt es erst auf diese Weise, die damit verbundenen Erlebnisse „zur Sprache zu bringen“, d.h. kommunikativ und verstehend zu bearbeiten. Die Vorteile symbolisierender Medien liegen darin, dass sie gerade die noch nicht in Worte fassbaren Inhalte in ästhetischen Ausdrucksformen verdichten und zugleich emotionale Bedeutungsschichten, die „subjektive Semantik“, artikulierbar machen, – Voraussetzung dafür, dass diese in der Lerngruppe zu nachhaltig wirksamen Erfahrungen verarbeitet werden. Mit Blick auf die Projektdidaktik lässt sich nicht nur mit Fotografie allein, sondern v.a. in Kombination mit Text- und Tonmedien ein großes Spektrum an ästhetischen Ausdrucksmöglichkeiten entwickeln, die kommunikationspsychologisch den Ebenen „Selbstoffenbarung“ und „Beziehung“ zuzuordnen sind: Sich als Persönlichkeit zeigen, einem Lebensgefühl Ausdruck verleihen, sich symbolisierend einem begrifflich noch nicht fassbaren Vorstellungsbild tastend zu nähern etc., wird zur Bildungsarbeit, weil es eine Aktivität ist, bei der das Subjekt an seinen Kompetenzgrenzen arbeitet, sich mit Ängsten in gleicher Weise auseinander setzt wie mit gesellschaftlichen Erwartungen. Beziehungsaspekte kommen dabei in doppelter Weise zum Ausdruck: einmal als Beziehungsqualität zwischen dem Fotografen und seinem Objekt, dann aber auch als antizipierte Beziehung des Fotografen zum späteren Betrachter. Wie viele Beiträge in diesem Band zeigen, sind mögliche Projektformen, in denen diese didaktischen Funktionen im Mittelpunkt stehen, etwa
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Erkundungen in eigenen und in fremden Sozial-Räumen Selbst-Portraits (Einzelperson, Gruppe) mit Lieblingsmusik Fotos als Sprechanlass (nicht nur) im Fremdsprachenunterricht (Geschichten erzählen, Fantasien entwickeln…) Foto-Romane/-Geschichten, Gedichte/Essays zu Fotos schreiben…, d.h. Kombination mit fiktionalen Textsorten… Fotografische „Umsetzung“ eines Musikstücks; musikalische „Umsetzung“ eines Fotos… Szenisches „Weiterspielen“ einer fotografisch fixierten Situation…
Wir mischen uns ein „Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einmischen“, schreibt Max Frisch. Unsere Gesellschaft lebt davon, dass sich ihre Bürger/innen politische Problemlagen zu eigen macht, sie als eigene wahrnehmen und aus diesem Bewusstsein heraus politisch verantwortlich handeln. Die didaktisch entscheidende Frage, die sich an diese Feststellung anschließt, lautet: Wie kann eine solche Erkenntnis als Lernprozess erfahrbar gemacht werden? Wie kann sich die Einsicht entwickeln, dass und in welcher Weise globale Problemkonstellationen strukturell mit denen der eigenen Lebenswelt zusammen hängen? Aus pädagogischer Sicht kristallisieren sich Antworten auf diese Frage um Schlüsselbegriffe wie „Partizipation“ und „Selbstwirksamkeitserfahrung“, die als wichtigste „Gegenmittel“ angesehen werden, um Ohnmachtserfahrungen abzubauen (vgl. Holzbrecher 2001). Sich einmischen heißt, den Raum zu verlassen, der durch Apathie, Ängste und Hemmungen geschützt wird, beinhaltet das Risiko des Widerspruchs – und die Entwicklungschance durch die Arbeit an diesen Widerständen. Ob im Rahmen der außerschulischen Jugendarbeit oder eines „geöffneten“ Unterrichts, es gibt vielfältige Möglichkeiten Öffentlichkeit herzustellen bzw. zivilgesellschaftlich zu handeln. So kann man 1 1 1 1
durch Lobbyarbeit Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen versuchen, denjenigen eine Stimme geben und zu ihrem Recht verhelfen, die dies nicht – oder noch nicht – selbst können; für die Durchsetzung eigener politischer Ziele Öffentlichkeit herzustellen und den Prozess des Lernens in der Gruppe selbst zu organisieren bzw. als Teil des politischen Projekts zu begreifen.
Bildjournalismus oder Ausstellungen gehören sicherlich zu den traditionellen Formen medialer Öffentlichkeitsarbeit. Projektdidaktische Entwicklungsperspektiven lassen sich v.a. mit Blick auf multimediale Anwendungen bzw. das Internet erkennen, bei denen bereits existierende Erfahrungen mit E-Mail-Korrespondenz im Rahmen internationaler Schulpartnerschaften, grenzüberschreitenden Online-Schüler-/Jugendzeitschriften oder mit politischer Kampagnenarbeit (Greenpeace, amnesty international etc.) weiter entwickelt werden. Die Möglichkeiten einer Verknüpfung der Fotografie mit anderen Medien im Rahmen der neuen Technologien bieten für die Bildungsarbeit v.a. mit Jugendlichen ein großes didaktisches Entwicklungspotenzial (vgl. Eble in diesem Band). Trotz Faszination für die technischen Möglichkeiten sollte es aus didaktischer Perspektive darum gehen, im Sinne des skizzierten Konzepts einer „integrierten Medienbildung“ das lernende Subjekt immer wieder als den Kern der Bemü-
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hungen zu reklamieren. Ebenso wäre aus fotopädagogischer Sicht anzumerken, dass die Fotografie nicht vorschnell in Multimedia-Anwendungen eingebunden und instrumentalisiert werden soll, ohne die Eigenwertigkeit des Bildes zu reflektieren.
Literatur Berger, John (2003): Das Leben der Bilder oder die Kunst des Sehens, Berlin (9. Aufl. [1980]) Fuchs, Carina (2005): Selbstwirksam Lernen im schulischen Kontext. Kennzeichen – Bedingungen – Umsetzungsbeispiele, Bad Heilbrunn Fuhs, Burkhard (2003): Fotografie als Dokument qualitativer Forschung, in: Ehrenspeck, Yvonne; Schäffer, Burkhard (Hg.) Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswissenschaft. Ein Handbuch, Opladen, S. 37-54 Hafeneger, Benno (2005): Kulturelle Modernisierung in der jungen Generation, in: ders. (Hg.), Subjektdiagnosen. Subjekt, Modernisierung und Bildung, Bad Schwalbach, S. 158-192 Holzbrecher, Alfred (2001): AnEignung des Politischen: Subjektentwicklung durch Kompetenzerfahrung, in: Holzbrecher, Alfred (Hg.), Einmischen. Subjektorientierung als didaktisches Prinzip. Multiplikatorenpaket für die politische Bildungsarbeit (Landeszentrale für Politische Bildung Rheinland-Pfalz), Schwalbach, (Kap. 1) Holzbrecher, Alfred (2004): Den Bildern auf der Spur. Fotoprojektdidaktik als kommunikativer Prozess, in: Holzbrecher, Alfred; Schmolling, Jan (Hg.) Imaging. Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit, Wiesbaden, S. 11-31 Holzbrecher, Alfred (2004a): Interkulturelle Pädagogik, Berlin Holzkamp, Klaus (1995): Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung, Frankfurt/New York Meueler, Erhard (1993): Türen des Käfigs. Wege zum Subjekt in der Erwachsenenbildung, Stuttgart Niesyto, Horst (2001): Selbstausdruck mit Medien. Eigenproduktionen mit Medien als Gegenstand der Kindheitsund Jugendforschung, München Otto, Hans-Uwe; Coelen, Thomas (Hg.) (2004): Grundbegriffe der Ganztagsbildung. Beiträge zu einem neuen Bildungsverständnis in der Wissensgesellschaft, Wiesbaden Pilarczyk, Ulrike; Mietzner, Ulrike (2003: Methoden der Fotografieanalyse, in: Ehrenspeck, Yvonne; Schäffer, Burkhard (Hg.) Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswissenschaft. Ein Handbuch, Opladen, S. 19-36 Röll, Franz Josef (2004): Life is Xerox, you are just a copy, in: „Bildwelten – Welt bilden“, infodienst Kulturpädagogische Nachrichten (hg.v. Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen) H. 72 (Juli 2004), Unna, S. 10-12 Röll, Franz Josef (2004 a): Medenpädagogische Potentiale der Fotografie im digitalen Zeitalter, in: Holzbrecher, Alfred; Schmolling, Jan (Hg.) Imaging. Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit, Wiesbaden, S.33-55 Spanhel, Dieter (2005): Zehn Jahre schulische Medienpädagogik. Status quo, Aufgaben, Perspektiven, in: medien und erziehung (merz). Zeitschrift für Medienpädagogik 49 (2005) Nr. 2 (April), S.17-22. Scherr, Albert (1997): Subjektorientierte Jugendarbeit. Eine Einführung in die Grundlagen emanzipatorischer Jugendpädagogik, Weinheim, München Zacharias, Wolfgang (2001): Kulturpädagogik. Kulturelle Jugendbildung – Eine Einführung. Opladen
Der Text zum Foto Zum Verstehen von Foto-Text-Beziehungen Adalbert Wichert
Wer ein Buchgeschäft betritt, wird sehr häufig mit einem Büchertisch begrüßt, auf dem sich Bücher zum aktuellen Kino- und Fernsehprogramm stapeln. ‚Das Buch zum Film‘ ist inzwischen eine bedeutende Sparte auf dem Buchmarkt geworden – eines von vielen Indizien dafür, dass wir in einer Medienkultur leben, deren einzelne Medien multimedial (technisch), intermedial (konzeptuell und ästhetisch) und medienrezeptiv (pragmatisch) zu einem komplexen Mediensystem verflochten sind. Weitere Begriffe wie Medienkombination, Medienwechsel, Medientransformation, Medienverbund, Hypermedium, Leitmedium kennzeichnen die aktuelle medientheoretische Debatte, die sich meist an der Markt-Dynamik technisch-innovativer auf der Basis von Computerchips entwickelter sog. ‚neuer‘ Medien orientiert. Weniger beachtet, aber eher fruchtbarer hat sich im 20. Jahrhundert eine theoretisch, historisch und analytisch ausgerichtete Diskussion um die Grundlagen der Medienkultur entwickelt, die die Sprache als anthropologisches Ausgangsmedium ansieht und nach dem intermedialen Verhältnis von Sprache und Schrift, Sprache und Bild und zunehmend auch von Schrift und Bild fragt. Der vorliegende Beitrag schaltet sich in diese Diskussion ein. Er sieht das Foto als einen der Prototypen moderner Bildkommunikation. ‚Text zum Foto‘ zielt hier nicht auf Medienprodukte wie Bildbände oder bilddominierte Zeitschriftenformate, sondern wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie kann über Fotos gesprochen werden? Wie hilfreich sind semiotische Konzepte, die Text und Foto unter dem Begriff des Zeichenkomplexes subsumieren? Wie weit tragen Versuche, Fotos metaphorisch als Texte zu ‚lesen‘? Der ‚Text zum Foto‘ erscheint dabei nicht als Folgemedium des Ausgangsmediums Foto, sondern als Bestandteil des Kommunikationsmediums Foto, das ohne den Text prototypisch nicht denkbar ist.
1. Rede vom Bild Wer mit unklaren Mitteln Ungeklärtes klären will, kommt in ein Dilemma. Dilemma der Sprachwissenschaft ist es, mit der Sprache die Sprache, mit dem Text den Text erklären zu wollen. Und dennoch muss die Sprachwissenschaft so vorgehen. Das Dilemma der jungen Bildwissenschaft ist aber noch größer. Es gelingt noch viel weniger, mit Bildern Bilder erklären zu wollen. Fotos, die Fotos fotografieren, erhellen kaum, was Fotos sind oder sein können. Und wir bleiben im Dilemma, wenn wir uns über Fotos mit Texten verständigen wollen: Das beginnt schon mit der Suche nach sprachlichen Ausdrücken. Wie definieren wir, wie beschreiben wir, was ein Foto ist? Nun, wir gehen vor, wie man bei jeder Definition vorgeht: Wir suchen ein definiertes Hyperonym und nennen die Eigenschaften, die das Definiendum von seinen Kohyponymen unterscheidet. Der erste Schritt ist einfach: Fotos sind Bilder. Aber was sind Bilder? Wir sprechen von Abbildern, von Sprachbildern, von Vorbildern, von Urbildern, Traumbildern und befinden uns in den unterschiedlichsten Bereichen menschlicher Wahrnehmung, menschlichen Denkens und Empfindens und in einer unübersehbar komplexen Debatte der
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Philosophiegeschichte oder der unterschiedlichsten psychologischen Disziplinen. Der Begriff ‚Bild‘ ist offenbar noch unschärfer und für den wissenschaftlichen Diskurs noch problematischer als der Begriff ‚Sprache‘. Versuchen wir einen einfacheren Weg, indem wir etwa das Foto als einen extremen Bildtypus ansehen und sein Antonym aufsuchen, dann könnten wir etwa den Gegensatz Foto (materiell, realitätsnah, technisch) und Traumbild (virtuell, realitätsfern, psychisch) entwerfen. Es gibt ein Heine-Gedicht mit dem Titel „Traumbild Nr. 8“, das die Visionen (eng. vision wäre eine adäquate Übersetzung für „Traumbild“) eines verliebten Dichters besingt: Geistererscheinungen, auf dem nächtlichen Weg über den Kirchhof nach dem Besuch der Geliebten, Figuren, die aus den Gräbern aufstehen und vom tödlichen Leid erzählen, das ihnen die Liebe gebracht hat. Anders das von Mozart vertonte Gedicht „Traumbild“ von Ludwig Heinrich Christoph Hölty, 1748-1776, das beginnt: Wo bist du, Bild, das vor mir stand, Als ich im Garten träumte, In’s Haar den Rosmarin mir wand, Der um mein Lager keimte? Hier geht es um ein Bild, dem aber, so ist aus dem Fortgang des Gedichts zu schließen, die reale, nach dem Rendezvous nicht mehr präsente Geliebte entspricht. Traumbild bedeutet hier kognitive Imagination, mentale Repräsentation einer vorher Gesehenen. Im World-Wide-Web treffen wir auf URLs mit den Namen „www.traumbild.de, www.traumbild.de, www.traumbilder.at, www.traumbild.at. Jeweils geht es um Fotos (Ausstellungen, Verkauf, Wochenendkurse zum erfolgreichen Fotografieren). ‚Traumbild‘ ist hier also nicht als Antonym von Foto zu verstehen, sondern als Unterbegriff: zur Bezeichnung einer bestimmten Art von Foto: „Ich versuche mit der Fotografie vor allem, die Schönheit und Ästhetik, sowie meine Empfindungen und Gefühle, die ich beim Anblick eines Motivs erlebe, festzuhalten und den Betrachtern meiner Bilder zu vermitteln.“ (Watzinger 2006). Der Fotograf Max Watzinger erfasst mit diesem für den Kauf seiner Bilder werbenden Satz die zwei wesentlichen Bildhandlungen des Fotos: fotografieren und Fotos kommunizieren: festhalten und mitteilen. Definitionen von ‚Fotografie‘, wie wir sie in Konversationslexika finden, sind in der Regel technischer Natur. Sehen wir von den verwendeten und aktuell sich stark verändernden technischen Verfahren, Geräten und Trägermaterialien ab, so bleiben als grundsätzliche Merkmale die auf die Funktionen von Speicherung und Kommunikation ausgerichteten Techniken: „die Gesamtheit der Verfahren zum dauerhaften Festhalten und Sichtbarmachen“ von optisch Wahrnehmbarem(Meyers 1976), also das, was die Etymologie des Wortes ‚Fotografie‘ aussagt: Licht einritzen oder mit Hilfe von Licht einritzen, verallgemeinert formuliert und die doppelte Semantik von Herstellung und Rezeption ansprechend: Licht-Eindruck. Das Bedürfnis, Wahrnehmungen festzuhalten, ist ein grundlegender anthropologischer Wesenszug des Menschen, der sich damit zusätzlich zu der Welt, die ihn gegenwärtig real umgibt, eine ausgewählte, festgehaltene, erinnerbare und kommunizierbare Welt schafft, Erfahrungen speichert und weitergibt. Dieses mediale Vermögen des Menschen ist die Grundlage von Kultur. Solche Überlegungen sind der Ausgangspunkt der philosophischen Semiotik, die die Instrumente, mit welchen Menschen Sinn festhalten und kommunizieren können, Zeichen nennt (vgl. Eco 1972: 38 f.).
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Einer der folgenreichsten, frühen Semiotiker war Johann Gottfried Herder. In seiner „Abhandlung über den Ursprung der Sprache“ (1772) hat er als den Ursprung von Menschlichkeit den Willen des Menschen beschrieben, aus „dem ganzen Ozean“ der Wahrnehmungen, „der sie durch alle Sinnen durchrauschet, eine Welle […] absondern, sie anhalten, die Aufmerksamkeit auf sie richten“ zu können. Herder nennt die entsprechende menschliche Tätigkeit „Reflexion“. Und er beschreibt sie mit Formulierungen, die den geistigen Aktivitäten beim Fotografieren durchaus entsprechen: Er beweiset Reflexion, wenn er aus dem ganzen schwebenden Traum der Bilder, die seine Sinne vorbeistreichen, sich in ein Moment des Wachens sammlen, auf einem Bilde freiwillig verweilen, es in helle ruhigere Obacht nehmen und sich Merkmale absondern kann, dass dies der Gegenstand und kein andrer sei. (Herder 1966: 32) Das Auswählen, Absondern eines Einzelbildes aus dem zeitlichen und räumlichen Kontinuum ist also eine gedankliche Leistung. Und die Entscheidung, dass der Mensch sich „den Schall zum Erinnerungszeichen wählte“, bedeutete nach Herder: „die Sprache ist erfunden! ebenso natürlich und dem Menschen notwendig erfunden, als der Mensch ein Mensch war.“ (ebd.: 34)
2. Text oder Bild Herder stellt dann auch die für Semiotik, Sprachwissenschaft und Bildwissenschaft zentrale Frage nach den unterschiedlichen Möglichkeiten des Menschen, das gedanklich Isolierte medial zu fixieren. Die Entscheidung für die Sprache als primäres Reflexionsinstrument, also für die akustische Fixierung („Merkwörter“) und gegen eine visuelle Fixierung, begründet er mit einem auch für die moderne Bildwissenschaft noch gültigen Argument: mit der geistig kaum zu verarbeitenden derartigen „unerschöpflich[en]“, „unermesslich[en] „Menge von Merkmalen, [so] dass die Seele unter der Mannigfaltigkeit erliegt“ “(ebd.:38), während das begrenzte lautliche Repertoire der Verarbeitungsfähigkeit des Menschen eher entspreche. Die Geschichte der Auseinandersetzungen um die Vorzüge oder Spezifika von Sprache und Bild ist vielfältig und oft berichtet worden. Vier Stationen auf dem Weg zu einer semiotischen Reflexion des Fotos seien hier erwähnt: 2.1 Seit den 70er Jahren hat sich die Mediävistik mit Bild-Text-Beziehungen befasst und deutlich machen können, dass die semiotische Praxis des Mittelalters unzureichend beschrieben ist mit dem soziologisch begründeten Gegensatz von Bilderbibeln für die Ungebildeten und Bibeltext für die Gebildeten (Wenzel 1995). In den mittelalterlichen Schreibstuben, so der Kunstund Literaturhistoriker Norbert H. Ott, wirkten Bild, Schrift und Zahl im Dienste der Interpretation der Welt in einem komplexen, nichtlinearen Darstellungsmodell zusammen. Erst der Buchdruck habe dann diese Komplexität zunächst verdrängt zugunsten rein sprachlicher Darstellungen in monomedialen, linearen Texten (Ott 2003). 2.2 In der Zeit der Aufklärung befassen sich neben Herder auch Lessing und Goethe mit der Frage nach den Möglichkeiten bildlichen und sprachlichen Ausdrucks, und zwar in der Auseinandersetzung mit der mythologischen Figur Laokoon, dessen Schlangenbiss-Tod zunächst bei
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Vergil in der Aeneis sprachlich und in der Spätantike dann bildlich, als Statue dargestellt wurde. Lessing räsoniert anhand dieser medial unterschiedlichen Laokoon-Darstellungen über die Ausdrucksmöglichkeiten von Sprache und Bild: Wenn es wahr ist, dass die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Zeichen gebraucht als die Poesie, jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber articulirte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältniß zu dem Bezeichneten haben müssen: so können neben einander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die neben einander, oder deren Theile neben einander existiren, auf einander folgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die auch auf einander oder deren Theile auf einander folgen. Gegenstände, die neben einander oder deren Theile neben einander existiren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei. Gegenstände, die auf einander folgen und deren Theile auf einander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie. (Lessing 1982: 103f ) Für die Bildsemiotik von Bedeutung wurde Lessings (von Goethe in seinem Aufsatz „Über Laokoon“ (1798) erneut aufgegriffene) Feststellung, gelungene bildliche Darstellung müsse versuchen, den prägnanten Augenblick festzuhalten: Kann der Künstler von der immer veränderlichen Natur nie mehr als einen einzigen Augenblick, und der Maler insbesondere diesen einzigen Augenblick auch nur aus einem einzigen Gesichtspunkte, brauchen; sind aber ihre Werke gemacht, nicht bloß erblickt, sondern betrachtet zu werden, lange und wiederholter maßen betrachtet zu werden: so ist es gewiß, daß jener einzige Augenblick und einzige Gesichtspunkt dieses einzigen Augenblickes, nicht fruchtbar genug gewählet werden kann. (Lessing 1982: 26) Was aus der Sicht von Lessing für die bildende Kunst wichtig war, bleibt für die Fotografie zentral. Als wichtigste Funktionen für das Fotografieren galten, seitdem das Foto zum allgemeinen Kommunikationsmittel wurde, das Festhalten von Augenblicken im Sinne von prägnanten biografischen Situationen in gestellten Erinnerungsbildern, etwa von Hochzeit, Gruppentreffen, Jagdbildern u.ä1.), und die mit Erfindung von Schlitzverschluss und Blitzlicht möglichen, die Etymologie des „Augenblicks“ und die Wahrnehmungsfähigkeit des menschlichen Auges überbietende Hochgeschwindigkeitsfotografie sowie ihre Anwendung im „Schnappschuss“. 2.3 Etwa um 1900 wird, nicht zuletzt beeinflusst durch den Siegeszug der Fotografie, die von der realistischen und naturalistischen Literatur als nicht erreichbare Konkurrenz in der Darstellung genauen der äußeren Realität angesehen wurde, eine Umwertung des Verhältnisses von Sprache und Bild spürbar. Berühmt geworden für die sprachskeptische Haltung, die für die Literatur des 20. Jahrhunderts prägend wurde, ist Hugo von Hofmannsthals „Ein Brief“:
1 seit Mitte des 19. Jahrhunderts mit 20 Minuten Belichtungszeit möglich
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Mein Fall ist, in Kürze, dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen. Zuerst wurde es mir allmählich unmöglich, ein höheres oder allgemeineres Thema zu besprechen und dabei jene Worte in den Mund zu nehmen, deren sich doch alle Menschen ohne Bedenken geläufig zu bedienen pflegen. Ich empfand ein unerklärliches Unbehagen, die Worte „Geist“, „Seele“ oder „Körper“ nur auszusprechen. (…) die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muß, um irgendwelches Urtheil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze. (v. Hofmannsthal 1901) Interessant wird Hofmannsthals Kritik der Sprache dadurch, dass er für seine künftigen Versuche der Welterfassung an die Stelle der Sprache das Bild setzt, und zwar das mental festgehaltene und später erinnerte Bild, das allein in der Lage sei, Erfahrungen und Einsichten auszudrücken: Eine Gießkanne, eine auf dem Feld verlassene Egge, ein Hund in der Sonne, ein ärmlicher Kirchhof, ein Krüppel, ein kleines Bauernhaus, alles dies kann das Gefäß meiner Offenbarung werden. Jeder dieser Gegenstände und die tausend anderen ähnlichen, über die sonst ein Auge mit selbstverständlicher Gleichgültigkeit hinweggleitet, kann für mich plötzlich in irgendeinem Moment, den herbeizuführen auf keine Weise in meiner Gewalt steht, ein erhabenes und rührendes Gepräge annehmen, das auszudrücken mir alle Worte zu arm scheinen. (ebd.) Der andere bedeutende Sprachkritiker der Zeit um 1900, Fritz Mauthner, geht in seinem Hauptwerk „Wesen der Sprache Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Erster Band (1906) konkret auf die Fotografie ein. Im Kapitel Kap. IX, Denken und Wirklichkeit, stellt er die Fotografie zunächst in eine Reihe mit Sprache und Schrift: Die Lautsprache ist das Gedächtnis des menschlichen Tieres; die Schrift ist nicht nur die Dauerform der Gedächtniszeichen, die Schrift ist eine künstliche Verbesserung des Gedächtnisses, wie die Photographie eine Verbesserung des Sehorgans. (Mauthner 1906) Dann aber unterscheidet er Sprache und Zeichnung als relativ ungenaue Medien von der „mechanischen Photographie“ und deren Zuverlässigkeit: Die Sprache kann niemals zur Photographie der Welt werden, weil das Gehirn des Menschen keine ehrliche Camera obscura ist, weil im Gehirn des Menschen Zwecke wohnen und die Sprache nach Nützlichkeitsgründen geformt haben. (ebd.) 2.4 Ein Jahrhundert später hat das Foto die ihm von Mauthner zugeschriebene Authentizität, Realitätsnähe und Glaubwürdigkeit eingebüßt. Nicht erst mit der Digitalfotografie, sondern bereits mit der rhetorisch, ökonomisch und politisch verwendeten Fotografie sind uns Betrachtern die Relevanz subjektiver oder strategischer Bildauswahl, die Entscheidung für Ausschnitt, Perspektive und Brennweite, die Inszenierung, die eingreifende bis manipulative Bildbearbeitung und die Einflüsse der Bildpräsentation bewusst. Inzwischen ist das Foto zum alten Medium geworden. Es sind die neueren Medien, der Film, insbesondere die Tendenzen der Filme und Videoclips, mit immer höheren Schnittfrequenzen zu arbeiten, die Bildmengen der Hypermedia- und Internetangebote, die dem Foto veränderte mediale Bedeutung zukommen lassen und ihm auch gegenüber dem Text einen weiteren Mehr-
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wert zuschreiben, und zwar aus der Perspektive des Betrachters. Der Schriftsteller Wilhelm Genazino schreibt Texte zu Fotos. Er hat sich vielfach von Fotos zum Schreiben animieren lassen, so auch in seinem Essay „Der gedehnte Blick“. Angesichts der von ihm als bedrohlich empfundenen Bild-Reizüberflutung des medienkulturellen „iconic turn“ erscheint ihm die Fotografie als Medium der Ruhe, Meditation und Reflexion – und als Modell für seine schriftstellerische Praxis. Die Fotografie ist ihm das ideale zeitgenössische Medium, um intensive, zeitlich gedehnte optische Wahrnehmung zu pflegen, das lange Hinschauen und verzögerte, aktive Deuten, das Auffinden und Erdenken von Verweisungszusammenhängen im Wahrgenommenen und zwischen Wahrgenommenem und eigener Erfahrung. Wir wissen, daß wir die Dinge mit Bedeutungen anschauen, an denen die Dinge schuldlos sind. Wir können nicht schauen ohne den Drang nach Bedeutung […] Der gedehnte Blick nimmt alles, was er sieht, sorgfältig auseinander und setzt es wieder neu zusammen. Denn alles, was wir über die Zeit anschauen, beginnt eines Tages in uns zu sprechen. (Scholz 2001) Fotos anzuschauen und Texte zu lesen, sind für Genazino gleichermaßen „gedehnte“ Kommunikationsformen und damit Gegenmaßnahmen gegen die Reizüberflutungen moderner Massenmedien.
3. Fotos als Texte Text und Foto sind zu Beginn des 3. Jahrtausends keine Konkurrenten mehr. In der kulturellen Praxis sind sie ohnehin vielfach miteinander verquickt. Das digital herstellbare und übertragbare Foto und der digital herstellbare und übertragbare Text sind im hypermedialen Internet zu einer Einheit geworden, die im Fotohandy und in der medialen Form des SMS in den Alltag aller sozialen Schichten eingezogen ist. Der prototypische Text der Gegenwart hat sich von der Reduktion der Texte auf die Schrift, wie sie der Buchdruck mit sich gebracht hatte, verabschiedet und besteht zunehmend aus Texten und Bildern, vor allem Fotos.2 Die Textlinguistik sieht Bilder als Bestandteile von Texten an. Hartmut Stöckl (2004) hat ein Konzept entwickelt zur Beschreibung von Bildern als Texten und verwendet dabei aus der Linguistik adaptierte Kategorien wie Bildgrammatik, Bildsemantik, Bildpragmatik. 3.1 Seit ca. 20 Jahren versucht die Bildwissenschaft, sich an der Semiotik zu orientieren. Die der strukturalistischen Linguistik Ferdinand de Saussures zugrunde liegende Semiotik erweist sich aber für eine Semiotik der Fotografie, die möglichst auch Foto-Text-Beziehungen mit einschließt, als ungünstig. Zum einen ermöglicht sein Zeichenmodell keine klare Trennung von Bild und sprachlichen Zeichen, weil er sich eigentlich nur für die Sprache interessiert: Seine berühmte Definition des sprachlichen Zeichens in § 1 des 1. Kapitels im ersten Teil des „Cours de linguistique générale„ verwendet den Begriff Bild mehrfach metaphorisch, zum einen für die Lautung:
2 Stöckl 2004: 107: „Als prototypische Texte gelten verbale Texte und – bedingt durch den rasanten Vormarsch der Bilder in verschiedenste Textsorten – wohl auch der bimodale Text, also der Sprache-Bild-Text. Für die […] Kategorie des Bildes kann sicherlich das denotierende, fotografische Bild als Prototyp bezeichnet werden.
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Abb. 1: De Saussure: Zeichenmodell
„Ich nenne die Verbindung der Vorstellung mit dem Lautbild das Zeichen.“, zum andern für die Kognition: die Vorstellung wird im Diagramm als Bild dargestellt. „Bilder sind in diesem Zeichenmodell somit geradezu omnipräsent: Sie spielen bei der Definition des signifiant eine Rolle, bei der Veranschaulichung des signifié und bei der Darstellung der Korrelation von signifiant und signifié“ (Bogen 2000), die als diagrammatisches Schemabild konzipiert ist. Neben dem Verschwimmen der Unterschiede von Bild und Sprache ist es vor allem die Zweigliedrigkeit seines Zeichenmodells, die Saussures semiotisches Konzept für die Erklärung von Fotos oder Foto-Text-Verhältnissen untauglich macht. Es fehlt in seinem Modell jeder Bezug des Zeichens zur Realität. Der aber ist für einen Großteil der Bilder, insbesondere für den Bildtyp Foto von besonderer Wichtigkeit. Charles Sanders Peirce dagegen, der das Foto auch ausdrücklich in seine Überlegungen einbezieht, hat diesen Aspekt sehr wohl berücksichtigt. In seinem triadischen Modell nennt er den Realitätsbezug „object“. Peirce baut seine Zeichentheorie nicht auf die Sprache, sondern auf die philosophische Logik auf und verfolgt die Frage, wie unterschiedliche Denkprozesse als unterschiedliche Bezeichnungs- und Zeichenerkennungsprozesse gefasst werden können. Unterschiedliche materielle, sinnlich wahrnehmbare Zeichenträger („representamen“), ihre unterschiedliche Interpretation („interpretant“) und verschiedenartige Ausschnitte der (wirklichen und vorgestellten) Realität („object“) werden im Prozess der Bezeichnung bzw. Zeichenerkennung (Semiose) aufeinander bezogen. „interpretant“ meint nicht den Interpreten, sondern die Art der Interpretation und wird von Peirce je nach Art der Denkprozesse in drei Arten der Semiose differenziert. Symbolisch nennt er den Vorgang, wenn das als Zeichen Gedeutete gemäß einer Konvention auf Objekte bezogen wird. Ikonisch nennt er ihn, wenn Ähnlichkeit die Wahl des Zeichens bestimmt und bei der Zeichenwahrnehmung den geistigen Akt der Wiedererkennung auslöst. Indexikalisch nennt er die Semiose, wenn bei Zeichengebung bzw. Zeichendeutung kausale Beziehungen zur Bedeutung führen. 3.2 Mit und nach Peirce (vgl. 1986: 186) kann das Foto in seiner Spezifik erfasst werden: Diese besteht darin, dass im Kommunizieren mit Fotos zugleich oder alternativ ikonische und indexikalische Semiosen ablaufen. Ikonische Bedeutung entsteht, wenn das Foto als Abbildung aufgefasst wird, die etwas festhält, das beim Betrachten als dieses wiedererkannt wird. Gleichzeitig hat das Foto zumindest in der traditionellen, analogen Fotografie (vgl. Cohnen 2005) indexikalischen Charakter. Definiert man Indexikalität als kausalen logischen Schritt in dem Sinne, „dass x dann ein Bild von y ist, wenn y die Ursache für die Entstehung des Bildes gewesen ist“ (Stöckl 2004: 51), dann trifft diese Logik zunächst einmal in fototechnischer Weise zu, da die abgebildeten Gegenstände „quasi eine fotomechanische Spur“ auf dem Film hinterlassen. Bedeutend wird diese technische Kausalität immer dann, wenn das Foto als Indiz verwendet wird. Das Foto gilt dann als Zeugnis dafür, dass das fotografisch Aufgezeichnete im Moment der Aufnahme in
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realem räumlichem Zusammenhang mit dem Fotografierenden existent gewesen sein muss. Am deutlichsten geschieht das im medizinischen oder juristischen Kontext. „Jede Photographie ist eine Beglaubigung von Präsenz.“ (Barthes 1989: 97). Aus ihr heraus erhält das Foto in vielen Kulturen geradezu magische Bedeutung, wird zum Fetisch, zum Zeichen, das den Zeichencharakter verliert und an die Stelle des Dargestellten tritt. Between two fantasy alternatives, that Holbein the Younger had lived long enough to have painted Shakespeare or that a prototype of the camera had been invented early enough to have photographed him, most Bardolators would choose the photograph. This is not just because it would presumably show what Shakespeare really looked like, for even if the hypothetical photograph were faded, barely legible, a brownish shadow, we would probably still prefer it to another glorious Holbein. Having a photograph of Shakespeare would be like having a nail from the True Cross. (Sontag 1980:147) Die besondere Glaubwürdigkeit, die unabhängig von den technischen Möglichkeiten der Bildbearbeitung im Sinne der Grice’schen Konversationsmaximen bis heute mit Fotos verbunden wird, liegt also in der technisch begründeten Festhaltefunktion. Sie spielt in der Alltagskommunikation eine besondere Rolle bei der Kommunikation mit Erinnerungsfotos, die geradezu Prototypen des Bildtyps Foto sind, weil indexikalische und ikonische Bedeutung sich hier in besonderer Weise überlagern. Nehmen wir etwa eine der häufigsten Ausprägungen von Urlaubsfotos: das Urlaubsfoto vom Typ ‚Urlauber vor Sehenswürdigkeit‘. Die indexikalische Bedeutung lässt sich etwa so beschreiben: Hier ist der Beweis, dass der Abgebildete/die Abgebildete/n an diesem Ort war/en. Die ikonische Bedeutung könnte sein: So sieht die Sehenswürdigkeit aus, so sah ich aus, so stand, saß, lag ich (mit anderen abgebildeten Personen und in der sichtbaren Art der Beziehung zu anderen Personen vor Ort.
4. Text als Teil des Fotos Für die Erklärung von Foto-Text-Beziehungen besonders hilfreich ist, dass Peirce sich nicht (wie Saussure) mit Zeichen an sich befasst, sondern mit Semiose, also mit Zeichenprozessen. Was landläufig als Zeichen benannt wird, der Zeichenträger (representamen), hat (anders als im Saussureschen Zeichenmodell) keine ihm fest zugeordnete Bedeutung, sondern ein Potential von Bedeutungsmöglichkeiten. Je nach dessen Weltwissen, Zeichenwissen, Interesse, je nach Situation und Kommunikationskontext werden beim Rezipienten spezifische Interpretationen ausgelöst. Feststellbar ist die je aktualisierte Interpretation, in unserem Zusammenhang die Bedeutung eines Fotos, nur dann, wenn sie kommuniziert wird, also wiederum in Zeichen (representamen) wahrnehmbar gemacht wird. „Der Interpretant ist ein weiteres Zeichen, das sich auf die Differenz von Repräsentamen und Objekt bezieht. Es ist eine Deutung des Zeichens, nicht der Deuter. Das Repräsentamen kann sich auf das Objekt nur beziehen, indem es etwas von seiner eigenen Art hervorbringt – ein weiteres Zeichen, den Interpretanten. Ändert man den Blickwinkel, ist jedes Interpretantenzeichen wiederum ein Repräsentamen, nach dessen Bezugsobjekt und weiteren Interpretanten gefragt werden kann. Deshalb ist prinzipiell kein Ende der triadischen Zeichenrelation denkbar.“ (Bogen 2000) Dieses Konzept der „unbegrenzten Semiose“ (Eco 1995: 352) wurde nicht nur von konstruktivistischen Texttheorien aufgegriffen, es wurde zentral für moderne Fototheorien (vgl. Sontag
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2003: 36 f.) und ist vor allem Grundlage des Verständnisses von Bild-Text-Beziehungen (und wesentlich seltener Text-Bildbeziehungen). Der deutende Text ist als solcher semiotisch nicht vom Bild ablösbar, sondern konstitutiver Bestandteil seiner Semiose, Teil des Bildes. Zeichen erhalten also Bedeutung, indem sie benutzt werden. Und benutzt werden sie, indem sie in einen Kommunikationskontext gestellt und gedeutet werden. Der semiotische Zeichenaspekt des Interpretanten öffnet also die Perspektive der pragmatischen Zeichenreflexion. Bilder sind als Gegenstände der Kommunikation auf ihre Interpretanten angewiesen. Und die wichtigsten, effektivsten Interpretanten von Bildern sind sprachlicher Art. Bilder enthalten nicht an sich Aussagen, sondern erst im situativen Kontext, insbesondere in ihrem sprachlichen Ko-Text. Das wird sehr deutlich bei der Beschäftigung von Kleinkindern mit Bildern und Fotos. Sie werden für das Kind relevant, interessant und bedeutend durch das begleitende Gespräch. Auch in Zeiten vermehrter Bildkommunikation, so Roland Barthes, sind wir „weiterhin, und mehr als je zuvor, eine Schriftkultur, weil die Schrift und das Wort immer vollwertige Glieder der Informationsstruktur sind.“(Barthes 1990: 34) Roland Barthes hat sich wiederholt mit dem Bild, insbesondere mit dem Foto und der Angewiesenheit seiner Deutung auf Sprache und Text befasst (vgl. Barthes 1961, 1964 und 1989). Diese Angewiesenheit liegt in der Polysemie und entsteht nicht nur dadurch, dass das Foto selbst weder den Kontext seiner Entstehung noch den Kontext seiner Rezeption mit sich trägt. Das wäre eine Polysemie, die auch Eigenschaft von sprachlichen Texten sein kann. Beim Foto kommt wesentlich hinzu, dass es synchron und flächig ist und damit gleichzeitig eine Vielzahl von Bildelementen und eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten anbietet, die der Leser auswählen bzw. ignorieren könne. „In jeder Gesellschaft, führt Barthes weiter aus, entfalten sich diverse Techniken zur Fixierung jener fluktuierenden Kette der Signifikate, um gegen den ‚Schrecken der ungewissen Zeichen‘ anzukämpfen. Hierzu gehört die sprachliche Botschaft, die im Zuge der ‚Verankerung‘ in zweierlei Weise zu wirken vermag. Zum einen übernimmt sie die Interpretation des Sujets, hilft, die richtige ‚Wahrnehmungsebene‘ zu wählen: Angesichts nicht oder nur schwer identifizierbarer Gegenstände kann die Bildbeschriftung durch sprachliche Festlegung des im Bild vorgeblich Erkennbaren dazu beitragen, Blick und Intellekt der Photographie anzupassen. Zum anderen wirkt die Verankerung auf der ‚symbolischen‘ Ebene über die Interpretation. Diese bilde eine Art ‚Schraubstock‘, welcher die konnotierten Bedeutungen daran hindere, allzu weit auszuschwärmen.“ (Riedel 2003: 87)
5. Johannes R. Becher: Erinnerungsbild Im letzten Teil dieses Beitrags stellen wir die These der Textabhängigkeit des Fotos bzw. der prinzipiellen Textzugehörigkeit zum Foto experimentell auf den Prüfstand. Wir befassen uns mit einem Foto, das nicht vorhanden ist, dessen Text aber vorhanden ist. Dabei sollen die bis hierher angestellten Überlegungen zum Tragen kommen. Erinnerungsbild von Johannes R. Becher Der Galgen. Offiziere. Jeder drängt Sich in das Bild, damit man nicht vergißt: Er war dabei und er hat mitgehenkt. So zeigt im Bild sich an, was jeder ist.
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Die Arme stolz wie: „Das sind wir!“ verschränkt. Der Tote trägt auf seiner Brust ein Schild. Es ist, als würd er hin und her geschwenkt. Ein jeder findet seinen Platz im Bild. Und auf des Toten Schild die Schrift erscheint: „Ich hab die Mörder hier im Bild vereint. Sie lächeln um den Galgen rings im Kreis. Sie lächeln selbst sich zu den Schuldbeweis. Und damit keiner seinen Platz verläßt, Halt ich sie alle hier im Bilde fest!“ (Becher o.J.: 210 f.) Das Gedicht, das zwischen 1939 und 1943 entstanden war, also in einer Zeit, da der Ausgang des Krieges noch offen war, hat offenbar eines jener Fotos zum Gegenstand, die im Zusammenhang mit der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung zu sehen waren und Diskussionen um den Wert von Fotos für die Historiker ausgelöst hatten. Teilweise falsche Beschriftungen von Abbildungen hatten die Frage nach der Objektivität und Authentizität von Fotos aufgeworfen und die Textabhängigkeit ihrer Deutungen sichtbar gemacht. Das Foto, um das es hier geht, ist eines von vielen, die in Brieftaschen von gefallenen oder gefangenen deutschen Soldaten gefunden worden und von der Sowjetunion sichergestellt worden sind. Ihre erste, vordergründige Bedeutung hatten sie als indexikalische Zeichen, die Unglaubliches zur Dokumentation festhalten sollten, im Bewusstsein „wenn wir dann in Urlaub kommen, können wir was erzählen, was wir hier so erlebten in diesem Land.“ (Hoffmann-Curtius 2002: 1). Das Gedicht Bechers formuliert dazu „damit man nicht vergisst: Er war dabei …“ (V1f ) Ein Soldat, der ein offenbar ähnliches Fotos knipste, kommentierte seine Handlung als reines Festhalten: „Man hatte eigentlich nur das Gefühl, daß man das gesehen hat, sagen wir mal archiviert hat, und dann kam schon der nächste Eindruck. Also warum und wieso, das konnten wir ja gar nicht feststellen. Wir haben das ja nur auf der Tafel gelesen. Was die angeblich angestellt haben sollten, ob das stimmte, konnten wir ja gar nicht nachprüfen. Das sind reine Momentaufnahmen. Ich war damals Panzerspähtruppfunker. Wir haben da angehalten, wir haben das gesehen, und ich habe schnell meine Kamera gezückt, und damit war die Sache fertig.“ (ebd.) Das Foto, auf das Becher sich bezieht, gehört offenbar zu denjenigen, die, wie viele Erinnerungsfotos, neben der dokumentarischen eine weitere Qualität hatten: sie waren arrangiert und inszeniert. Zu dieser Inszenierung gehören die Gruppierung um den Erhängten, ferner das Lächeln, beides bildimmanente Interpretationsangebote, im Sinne von Roland Barthes’ ‚Verankerung‘ des Fotos. Dazu tritt häufig eine Bildunterschrift, die, wie in Fotoalben üblich, geistreiche Beziehungen herstellen soll oft mit Mitteln der Komik oder Ironie. (siehe dazu die Notiz zu einem vergleichbaren Bild in Abb. 1). Häufig gehört zum Arrangement auch ein Schild, das dem Gehenkten umgehängt wird, teils von den Henkern, die ihre Opfer als abschreckende Bilder inszeniert haben, teils eigens für die Fotos. Die Texte auf den Schildern benennen in der Regel den Grund der Hinrichtung, und zwar häufig wiederum ironisch in der „Ich“-Form formuliert „Ich habe …“.
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Abb. 2: (links): Unbekannter Fotograf: Unbekannter Ort in Serbien, Frühjahr 1941, handschriftliche Notiz auf der Vorderseite: „Baumblüte in Serbien“ Abb. 3: (rechts): Francisco Goya: Radierung Nr. 36 mit der Bildunterschrift „tampoco“ aus der Bildfolge „Los desastres de la guerra“ 1808-1814
Die Menge ähnlicher Bilder (vgl. auch Holzer 2000: 43-62) macht deutlich: das gestellte Foto: Soldat bzw. Soldatengruppe im Gruppenbild mit Erhängtem oder Erschossenem ist im Krieg ein Genrebild (eine typische Motivwahl bzw. Motiverstellung), das nicht erst im II. Weltkrieg entstanden ist, wie etwa Francisco Goyas Radierung Nr. 36 mit der Bildunterschrift „tampoco“ aus der Bildfolge „Los desastres de la guerra“ belegt. Textlinguistisch gesprochen haben wir es mit einer kulturell verbreiteten Textsorte (Bildsorte innerhalb des Bildtyps Erinnerungsfoto) zu tun.3 Nimmt man hinzu, dass die Ausstattung eines Hinrichtungsopfers mit einem ironisch formulierten Text zum Hinrichtungsgrund auf das INRI aus Joh 19,19-22 zurückgeht, dass dieses sowie die Darstellung des Gekreuzigten zusammen mit Umstehenden („stabat mater“ als Gegenbild zu den römischen Soldaten und pharisäischen Spöttern unter dem Kreuz) seit dem Mittelalter zur Ikonografie des Christentums gehört, dass ferner die im Gedicht Bechers beschriebene Pose „Die Arme stolz wie: ‚Das sind wir!‘ verschränkt“ ein weiteres ikonografisches Feld eröffnet: das des Großwildjägers oder generell des mit seiner Beute fotografierten Jägers, so hat man eine weitere Methode der ‚Verankerung‘ von Bildinterpretationen erfasst: ikonografische Muster.4 Neben textuellen Kommentaren fungieren sie als Interpretationsvorgaben, die die Zusammenhänge zwischen Bildinhalten, Bildaufbau und Bildbedeutung nicht verbalisieren müssen, weil sie im kulturellen Gedächtnis gespeichert sind als Bildherstellungs- wie als Deutungsmuster. Auf ihrem Hintergrund ist das von Becher dargestellte Wehrmachtsbild zu lesen als Trophäe, die die eigene Überlegenheit, das Siegen als Selbstbestätigung, das Töten als Erfolg vergegenwärtigt und zugleich den Reiz verrät, „den besiegten Toten im Schnappschuss noch einmal zu ‚erlegen‘“(Hoffmann-Curtius 2002), Bedürfnisse, die im Kontext des aktuellen Irak-Krieges auch zu
3 vgl. auch Sontag 2003: 106 zu Lynchbildern von rassistischen Übergriffen in den USA: „Die Schamlosigkeit, mit der sie fotografiert wurden, ist selbst noch Teil dieser Schandtaten. Die Bilder dienten als Souveniers, und manche von ihnen wurden als Postkarten verwendet; nicht wenige zeigen grinsende Zuschauer, brave Bürger, von denen die meisten den Gottesdienst am Sonntag nicht versäumt haben werden und die hier vor dem Hintergrund eines nackten, verkohlten, verstümmelten Leibes, der von einem Baum herunterhängt, für die Kamera posieren.“ 4 lexi-tv, Artikel „Löwen“ Julia Ziebell.
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den Skandalfotos aus dem Abu Ghraib-Gefängnis geführt haben dürften, die damit der gleichen Bildsorte zuzuordnen sind. Becher praktiziert in seinem Gedicht eine umfassende Bildlektüre, die Bildsyntaktik, Bildsemantik und Bildpragmatik erfasst: Bildsyntaktik (auch Bildgrammatik genannt) beschreibt Bildelemente und ihre (syntaktischen) Beziehungen zueinander. Benannt werden im Gedicht zum einen die Bildelemente: Galgen, Offiziere mit den Attributen ‚lächeln‘ und ‚verschränkte Arme‘, Toter mit Attribut ‚am Galgen hängend („geschwenkt“)‘ und Attribut ‚Schild‘, Schild mit Attribut ‚Schrift‘, zum andern ihre (raum-)syntaktische Anordnung: Offiziere „rings im Kreis“ um den Galgen. Die Bildsemantik fragt unter Berücksichtigung von vorhandenem Weltwissen nach der Sinnhaftigkeit der Anordnung. Sinnhaft sind Anordnungen, wenn sie auf entsprechende Konstellationen in der Realwelt oder Vorstellungswelt verweisen. Wenn wir einen Text, ein Bild, eine Situation als sinnhaft erleben, so gehen wir davon aus, dass gemeinsam Gezeigtes oder Wahrgenommenes auch etwas miteinander zu tun hat. Sinnhaftigkeit entsteht also, indem wir die einzelnen wahrgenommenen Elemente als verknüpft denken können und als einen Bedeutungszusammenhang begreifen. Bei Fotos und ihrer Qualität, einen prägnanten Augenblick festzuhalten, gehört über die Verknüpfung der abgebildeten Details hinaus immer auch das Mitverknüpfen des Vorher und/oder Nachher zu seiner Sinnhaftigkeit. (vgl. Roesler-Friedenthal/Nathan 2003). In Bechers Gedicht wird die Semantik des Fotos klar und in Vers 3 auch benannt. Dem Bild ging voraus die Hinrichtung eines Mannes, an der mehrere Personen, darunter Offiziere, beteiligt waren. Und (V.5) sie sind nun stolz auf ihr Tun. Das Bild zeigt die Situation nach der Hinrichtung. Die Bildpragmatik beschreibt die Verwendungskontexte und Verwendungsbedingungen von Bildern. Wenn man, vergleichbar mit der Sprechakttheorie, nach ihrer kommunikative Funktion fragt, so kann man für Bilder generell, für Fotos insbesondere „Bildhandeln als Zeigeakt“ charakterisieren. „Insbesondere das kommunikative Handeln mit Bildern würde dann nicht in einer Äußerung im engeren Sinne, sondern wesentlich in dem Vorzeigen eines Gegenstandes bestehen, um etwas von diesem Gegenstand Verschiedenes zu veranschaulichen.“ (Sachs-Hombach 2006). In Bechers Sonett wird das explizit benannt: „So zeigt im Bild sich an …“ (V. 4). Das Vorgezeigte ist die Situation bei der Aufnahme des Fotos, das Veranschaulichte der gesamte Vorgang der Hinrichtung bzw. eine Phase, ein Ereignis, ein Erlebnis des Krieges, an das man sich stolz erinnern will. Im engeren Sinn also ist die pragmatische Funktion des Fotos in der Gedichtüberschrift mit „Erinnerungsbild“ treffend benannt. Oben hatten wir festgestellt, dass Fotos indexikalisch und ikonisch interpretierbar sind, dass sie polysem sind, dass ihr Bedeutungspotential offener ist als das der Sprache. Das liegt genau daran, dass die Handlung des Zeigens, dass das indexikalische auf etwas Hindeuten noch kein vollständiger kommunikativer Akt ist. Das Hindeuten muss ergänzt werden durch das Bedeuten: das Mitteilen des Sinnzusammenhangs, der aus dem Gezeigten resultiert. Polysemie entsteht, indem das, worauf hingedeutet wird, unterschiedlichen Bedeutungen zugeordnet wird. In Bechers Gedicht wird diese Polysemie vorgeführt, indem der ersten eine zweite Deutung entgegengesetzt wird. Der logischen Struktur des Sonetts entsprechend geschieht die Umdeutung der Bedeutung der Quartette in den Terzetten: Der fiktive Betrachter des Fotos imaginiert einen veränderten Text auf dem Schild des Gehängten. Anstatt des (im Gedicht nicht genannten), von den Henkern formulierten Schuldspruchs (in der Art: „Ich habe mit dem Feind kollaboriert …“) liest er „Ich hab die Mörder hier im Bild vereint.“ (V. 10) Mit der Veränderung des Textes auf dem Schild wird der Gehenkte zum Ankläger; das gezeigte Bild wird zum „Schuldbeweis“ und
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zur Verhaftung der Mörder („Und damit keiner seinen Platz verlässt, Halt ich sie alle hier im Bilde fest.“ V. 13f ). Die Semantik der Situation verändert sich mit der Pragmatik der Bildverwendung: Das Foto ist nun zum Vorwurf des Mordes aus niederen Motiven der Täter geworden. Wir haben an diesem Beispiel noch einmal gesehen, was das Vermögen und was die Grenze der fotografischen Kommunikation ist. Fotos bringen das „Kunststück“ fertig, beides zugleich zu sein: „objektive Wiedergabe und persönliche Aussage, genaues Abbild oder getreue Transkription eines ganz bestimmten Augenblicks von Wirklichkeit und Interpretation dieser Wirklichkeit – etwas, worum die Literatur sich lange bemüht hat, ohne es je in diesem buchstäblichen Sinne zu erreichen.“ (Sontag 2003: 34). Wir haben aber auch gesehen, dass die Herstellung und Kommunikation der Bedeutung von Fotos abhängig ist von der Sinn analytisch aufbauenden Kraft der Sprache.
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Abbildungen Abb. 1: De Saussure: Zeichenmodell Abb. 2: Unbekannter Fotograf: ZDF Hamburger Katalog S.192, Nr. 49 Abb. 3: Francisco Goya: Radierung Nr. 36 aus der Bildfolge „Los desastres de la guerra“ 1808-1814
„Ohne Titel“, mit Kontext. Wieso es auf der ganzen Welt kein Foto ohne (Kon)Text gibt. Stefanie Grebe
Es gibt keine Fotografien ohne Texte bzw. Kontexte. Diese apodiktische Behauptung wage ich aufzustellen, da ich im Sinne eines mediengerechten und -kompetenten Umgangs mit Fotografien argumentiere. Es gibt gute Gründe zu überlegen, welche Qualitäten verloren gingen, wenn wir vergäßen, den (Kon)Text, der das fotografische Bild in seiner Rezeption steuert, angemessen zu beachten (zur Unterscheidung zwischen Kotext und Kontext vgl. Wichert und Oomen-Welke in diesem Band). Fast alles, was die Potenz des fotografischen Bildes ausmacht, ginge verloren und zurück bliebe eine Beliebigkeit, die keine Bildgeschichte und Bildzusammenhänge mehr kennt. Weil der Verlust der intersubjektiv kommunizierbaren Bildbedeutung so fatal wäre, widme ich meinen Text dem bedeutungsvollen, sinnstiftenden Gebrauch von fotografischen Bildern, der durch eine Analyse des (Kon)Textes ermöglicht wird. Die ikonografischen Wirkweisen werden wegen dieser Fokussierung zugunsten des Fotos als Index (Peirce 1986: 193) in diesem Text zurückgestellt. Der Index-Aspekt einer Fotografie bewirkt, dass diese unbestimmt, offen und vieldeutig in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis zu ihrer scheinbar (ursächlich) festgelegten und offensichtlichen Abbildbeziehung zur Realität ist. Wieso ist eine analoge Fotografie bzw. eine nach dem analogen Schema operierende digitale Fotografie in fotorealistischem Stil1, die doch so eindeutig auf eine vor der Kamera befindliche Sache deutet, sie so zuverlässig abbildet, nach meiner These nicht zu verstehen, wenn sie keinen Text mit sich führt, bzw. wenn man sich nicht die Mühe der kontextuellen Bestimmung macht? Die besondere Beschaffenheit des Index als Spur und Verweis ist die Ursache der Bedeutungslosigkeit, respektive -offenheit und hieraus resultierend Kommentarbedürftigkeit einer Fotografie. Nicht essentielle Bestimmungen der Fotografie im theoretischen Raum interessieren an dieser Stelle, sondern eine Bestimmung der Fotografie in der kommunikativen Praxis sozialer Strukturen. Mein Text argumentiert ausgehend vom Foto, das fast überall auf der Welt vorkommt, uns als Bild entgegentritt und durch Text, Kotext oder Kontext näher definiert wird. Die Allgegenwart der fotografischen Bilder erfordert eine Medienkompetenz (vgl. Posner 2003: 17-23), die mit Nachdruck in jedes Curriculum aufgenommen werden sollte: Lesen, Schreiben, Rechnen und technische Bilder Anschauen, Verstehen und Erzeugen gehören zu den Minimalanforderungen.
Zwei Titanen: Bild und Text Text und Bild belegen zwei dominante Felder unserer Lebenswelt, die sich gegenseitig ergänzen, überlagern, durchdringen und zeitweilig in Opposition zueinander treten: „Die einen denken, das Bild sei ein im Vergleich zur Sprache sehr rudimentäres System, und die anderen, die Bedeu1 Referenzlose digitale, nicht die Wirklichkeit vor der Kamera abbildende fotografische und selbstreferentielle fotografische Bilder sind in meinem Text nicht berücksichtigt, sie benötigten eine andere Argumentationsstruktur (vgl. Nöth 2005: 33-44).
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tung könne den unsäglichen Reichtum des Bildes nicht ausschöpfen.“ (Barthes 1990/1964: 28). Die Vorherrschaft des Bildes hat seit Mitte der 1980er Jahre vorbereitend (Flusser 1983) und seit Mitte der 1990er Jahre dann offiziell (Mitchell 1994, Boehm 1994) jene des Wortes abgelöst: „Die Termini […] pictorial turn, iconic turn, optical turn, visual turn […] beschwören allesamt jene Wende in den Geisteswissenschaften, die eine Abkehr von der mit dem linguistic turn einhergehenden Leitvorstellung der ‚Kultur als Text‘ zu derjenigen einer ‚Kultur als Bild‘ bezeichnet.“ (Hensel/ Köstler 2005: 9). Die wissenschaftliche Zeitschrift „Word & Image“ pflegt seit 1985 diese interdisziplinären Kontakte: „Word & Image concerns itself with the study of the encounters, dialogues and mutual collaboration (or hostility) between verbal and visual languages, one of the prime new areas of humanistic criticism.“ (www.tandf.co.uk/journals/titles/02666286.asp, 24.1.2006). Bei näherer bildwissenschaftlicher (d.h. kommunikationswissenschaftlicher, kunsthistorischer, medienwissenschaftlicher, sprachwissenschaftlicher und semiotischer) Beschäftigung mit dem Thema erscheint es absurd, auf eine Seite des Kosmos Text/ Bild – Bild / Text verzichten zu wollen. Tatsächlich mischen sich die beiden Medien zu „hybriden Medien“ (Nöth 2004: 9) und enthalten jeweils Eigenschaften des anderen Mediums. Sprache hat ihre Bildlichkeit (Korte 1999: 257-271) und Bilder sind narrativ. Texte verbalisieren Bilder (zu Ekphrasis vgl. Boehm / Pfotenhauer 1995) und Bilder illustrieren Texte. Sobald wir über Bilder sprechen, sind wir inmitten der Bild -Text Relation. Schweigen über Bilder ist keine dauerhafte Alternative. Obwohl beide Medien mit unterschiedlichen Gewichtungen ihre Autonomie behaupten können, ist eine größere Unabhängigkeit der Sprache vom Bild als umgekehrt festzustellen (Nöth 2004: 9 und Stöckel 2004: 245-249)2. „Semiotisch gesehen ist ein Bild (…) ein Kontinuum nicht eindeutig festgelegter Zeichen, das erst durch die Projektion möglicher Bedeutungen (in Form sprachlicher Aussagen) auf das Bild strukturiert wird.“ (Hapkemeyer 1996: 10). „Bei Einbettung des Bildes in den Text oder bei Gleichrangigkeit von Bild und Text dominiert die Textsemantik über die Bildsemantik und übernimmt eine bedeutungsstrukturierende Funktion: in Abhängigkeit von der Textbedeutung wird die Interpretation, die Fokalisierung, Hierarchisierung des Bedeutungspotentials des Bildes vorgenommen, soweit es dessen Merkmale erlauben. So steuert etwa ein Bildtitel die Bildinterpretation (…).“ (Titzmann 1988: 382). Diese hier nur beispielhaft vorgeführte Ungleichgewichtung und partielle Über- und Unterlegenheiten eines Mediums dürfen nicht als Argumente im Kampf um eine Vormachtstellung bewertet werden. Es gibt also sowohl Texte als auch Bilder, die einzeln und in zahlreichen und komplexen Wechselwirkungen sinnstiftend das menschliche Dasein bestimmen. Die umfangreiche Literatur (Nöth 2004, Stöckl 2004, Harms 1990, Muckenhaupt 1986, Sauerbier 1985) zu diesem Thema beklagt jedoch immer noch einen Mangel an gesicherten Erkenntnissen (Stöckl 2004: 387). Ich führe diese Kritik vor allem auf die noch unerschlossenen Dimensionen des Bildes zurück, sowie auf eine Diskussion, die als sprachlicher Diskurs den Text bevorzugt (Reulecke 2002: 23f ). „Können Bilder unmittelbar als visuelle Zeichen bedeutungshaft sein, oder entsteht bildhafte Bedeutung nur durch Vermittlung von Sprache?“ (Nöth 2000: 475, 4.). Dieses Dilemma wird in nächster Zukunft durch die neurophysiologische Kogni2 Wilfried Nöth schreibt komprimiert und übersichtlich „Zur Komplementarität von Sprache und Bild aus semiotischer Sicht“ (vgl. Nöth 2004: 9-21). Dieser Text ist eine notwendige Voraussetzung zur Beschäftigung mit dem Thema Foto/ Text. Mehr in Nöth (2000) unter IX. Mediensemiotik, 2. Bild, 3. Bild und Text, 6. Photographie. Stöckl (2004) untersucht in seiner Habilitationsschrift (entsprechend ausführlich) die Verknüpfungen von Sprache und Bild im massenmedialen Kontext.
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tionsforschung, wenn nicht beantwortet, so sicher weiter geklärt werden. Wird man verschiedene Aktivierungspotentiale für bildliche und sprachliche Zeichen feststellen und was würde das für Bild-Text Gebilde bedeuten? Wirken Fotografien anders als gemalte Bilder oder ist die Ähnlichkeit zur Wirklichkeit medienunabhängig ausschlaggebend? Im Folgenden werde ich mich mit Fotografien und ihren medialen Besonderheiten beschäftigen. Fehlen Kotexte, oder weisen sie nicht die notwendige Spezifizierung bzw. Determinierung des fotografischen Bildes auf, werde ich die Kontexte, vor allem die Verwertungskontexte, heranziehen. Wenn im folgenden von „Bild“ die Rede ist, ist eine Fotografie, die ihr Bezugsobjekt in der Wirklichkeit hat, gemeint.
Shifting into deep theory – Eigenarten des Fotos Die semiotische Besonderheit des Fotos ist, dass es als Ikon und Index gleichmaßen wirksam wird. Zurecht nannte Jean-Marie Schaeffer es indexikalischer Ikon oder ikonischer Index (Nöth 2000: 497f, 2.4). Eine längere Zitatpassage, in der Charles S. Peirce äusserst deutlich sein Zeichenmodell erläutert und die Fotografie gesondert erwähnt, schafft eine Basis für meine weitere Argumentation: „Es gibt drei Arten von Zeichen. Erstens gibt es Similes oder Ikons, die die Ideen der von ihnen dargestellten Dinge einfach dadurch vermitteln, daß sie sie nachahmen. Zweitens gibt es Indikatoren oder Indizes, die etwas über Dinge zeigen, weil sie physisch mit ihnen verbunden sind. Von dieser Art ist ein Wegweiser, der den einzuschlagenden Weg anzeigt, oder das Relativpronomen, das direkt hinter den Namen des Dinges gesetzt wird, das es benennen soll, oder ein Ausruf im Vokativ wie ‚Hallo! Sie dort‘, der auf die Nerven der angesprochenen Person einwirkt und deren Aufmerksamkeit erzwingt. Drittens gibt es Symbole oder allgemeine Zeichen, die mit ihren Bedeutungen durch ihre Verwendung verknüpft worden sind. (…) Photographien, besonders Momentaufnahmen, sind sehr lehrreich, denn wir wissen, daß sie in gewisser Hinsicht den von ihnen dargestellten Gegenständen genau gleichen. Aber diese Ähnlichkeit ist davon abhängig, daß Photographien unter Bedingungen entstehen, die sie physisch dazu zwingen, Punkt für Punkt dem Original zu entsprechen. In dieser Hinsicht gehören sie also zu der zweiten Zeichenklasse, die Zeichen aufgrund ihrer physischen Verbindung sind.“ (Peirce 1986: 193). Roland Barthes „fotografisches Paradox“ bezeichnet dieses Phänomen mit anderen Worten, wenn er von der Botschaft ohne Code spricht (Fotografie als Analogon der Wirklichkeit, also als uncodiertes Zeichen), die gleichzeitig als codiertes Zeichen durch die Rhetorik der Fotografie wirkt und Ideologien transportieren kann. (Sachs-Hombach 2003: 225 und Barthes 1990/1961:15 und vgl. Barthes 1990/1961/1964: 11-27, 28-46). Barthes nennt jedoch nicht den Index als Ursache des Paradoxons. Die verblüffende Ähnlichkeit eines Fotos mit der Wirklichkeit (der ikonische Aspekt) wird also durch seine Indexikalität hergestellt, welche zugleich Ursache der generellen Unbestimmtheit im Signifikationsprozess ist. „Obgleich von einer physischen Ursache erzeugt, ist die Spur, der Abdruck, die Indizie nur ein Relikt jener Ursache, die in dem jeweiligen Zeichen selbst nicht mehr anwesend ist.“ (Krauss 2000/1977: 272). Diese Unbestimmtheit ist in der Funktion des fotografischen Bildes als „leeres Zeichen“ begründet. Weil Fotografien wie deiktische Ausdrücke, also als leere Zeichen funktionieren, wie „hier“, „dort“ oder die Personalpronomen „ich“, „du“ auf etwas verweisen, das nur im kommunikativen Kontext situativ geklärt und spezifiziert werden kann, sind sie unterdeterminiert, offen, leer, unbestimmt und vieldeutig wie diese. Zwar sind sie in ihrer indexikalischen Beziehung zur Wirklichkeit natürliche Zeichen (wie Rauch ein
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natürliches Zeichen für Feuer ist), als Ganzes im Kommunikationsprozeß jedoch intentionale konventionelle (durch gesellschaftliche Übereinkunft getroffene) oder kulturelle Zeichen und sollten als solche rezipiert werden (vgl. Barthes 1990/1961/1964: 11-27, 28-46). „(…) das ‚leere‘ indexikalische Zeichen [wird] mit einer besonderen Präsenz ausgefüllt (…), mit der Implikation, daß es unabhängig oder abgesehen von dieser Präsenz keine Konvention in Bezug auf die Bedeutung gibt.“ (Krauss 2002/1976: 157). Fotografien brauchen deshalb den Kontext, der ihnen Sinn verleiht.3
Exkurs: Geheimnisvoller Index, einige Eigenschaften und wegführende Gedanken Der Index-Aspekt des fotografischen Zeichens nach dem Peirceschen Zeichenmodell ist sicher eines der interessantesten Modelle, das zu plausiblen und funktionierenden Erklärungen fotografischer Wirkweisen führt. Wenn der Index u.a. als Spur und Richtungsweiser definiert wird, ergeben sich daraus, bezogen auf Fotografien als indexikalische und ikonische Zeichen, aufregende Implikationen, die Rosalind Krauss (2000/1977 und 2002/1976) und Vanlier (vgl. Kritik von Sonesson 1989: 52ff ) zu einer vertiefenden Unterscheidung des fotografischen Index in Spur (Index) und Verweis (Indiz) geführt haben. Was Krauss, Vanlier, Weibel (1997: XXXII-XXXVI) ‚leeres Zeichen‘, ‚Shifter‘ oder ‚Verschieber‘ nach Roman Jakobson (und dieser nach Otto Jespersen) nennen, entspricht den Deiktika der deutschen Grammatik. Die Offenheit und Unbestimmtheit der deiktischen Ausdrücke bedarf immer einer situativen Rückbindung, die bei Fotografien nur über einen Text oder Kontext möglich ist. „Das Bedürfnis, Text und Bild zu verbinden, kommt in der Literatur zur Semiotik immer dann zur Sprache, wenn von der Fotografie die Rede ist.“ (Krauss 2000/1977: 274). Man braucht „das Hinzufügen eines artikulierten Diskurses oder Textes zum ansonsten stummen Index.“ (Krauss 2000/1977: 274). Wenn es sich auch bei Index und Ikon um semiotische Bestimmungen des fotografischen Zeichens handelt, kommt mit dem Ikon zwangsläufig die Kunstgeschichte mit all ihren Bezügen ins Spiel, wenn eine sinnhafte Interpretation stattfinden soll. Wenn es um die Interpretation des ganzen fotografischen Zeichens als komplexe visuelle Kommunikation in seinem physischen Erscheinen an einem Ort geht, kommt die Medienwissenschaft und Soziologie hinzu, um Bezüge und Funktionen von Bildern überhaupt verstehen zu können (Müller 2003, Dörfler 2000: 49f, Doelker 1997). Wenn die fotografischen Bilder nicht allein als Ikon, und damit falsch verstandenes Analogon der Wirklichkeit, konsumiert werden sollen, bedürfen sie besonders der
3 Normalerweise hilft der Kotext, die Bildunterschrift oder Bildbeschriftung zur näheren Bestimmung einer Fotografie. Fehlen diese sprachlichen Kontexte, hilft die Bestimmung des Herkunfts- und Verwertungskontextes. Die Konzepte der Visuellen Kommunikation reagieren besser auf die Eigenheiten der Fotografie als eine allgemeine Bildtheorie, weil sie (die visuelle Kommunikation) den Kontext immer berücksichtigen (vgl. Müller 2003). Rosalind Krauss, die in ihren „Anmerkungen zum Index: Teil 1“ (Krauss 2002/1976: 140-157) und ihren „Anmerkungen zum Index: Teil 2“ (Krauss 2000/1977: 265-276) als Antwort auf Benjamins Voraussage der Veränderungen der Kunst durch die Fotografie zu verstehen ist, behauptet, dass wesentliche Bereiche der Kunst des 20. Jahrhunderts sich der Logik des (fotografischen) Index angepasst haben. Dies hatte eine enorme Textproduktion der Künstlerinnen und Künstler zur Folge, da das künstlerische Bild zum „entleerten Zeichen“ geworden ist. Hier erklärt sich die Kommentarbedürftigkeit vieler moderner Kunstwerke über die Struktur des fotografischen Index. Ein Kontext muss durch Text geschaffen werden
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(durch ihre deiktische oder indexikalische Unbestimmtheit bedingten) näheren (kon)textuellen Bestimmung (s. hierzu Kontext 1: Gebrauchsfelder von Fotografien und (Kon)text 2, sowie Fußnote 3 in diesem Text). Der Index, immer wieder strapaziert und Garant der vermeintlichen fotografischen Authentizität, muss in einer umfassenderen kommunikationspraktischen Analyse differenziert werden zum Index eben dieses ganzen fotografischen Prozesses von der Aufnahme über die Bearbeitung des Abzuges bis zur Publikation und Rezeption. „Die Kamera lügt immer über das, was vor ihr ist, aber nie darüber, was hinter ihr ist. Bei der Fotografie wird also nur die Absicht, die hinter der Kamera steckt, wahrhaft abgebildet, was davor ist, ist immer nur eine Annäherung an die Wahrheit.“ (Wolfgang Tillmans 2003; vgl. dieselbe Stelle bei Stiller in diesem Band), (vgl. Pilarczyk / Mietzner 2003: 23f und Wirth 2002: 50). Fotografien sind nicht nur Abbild der Realität, sondern verweisen auch auf die die Realität strukturierenden Ideen und Ideologien (vgl. Bildanalyse nach Burke 2000), wären also der Verweis (Indiz) auf die die Fotografinnen und Fotografen prägenden Strukturen und ihr physischer Abdruck (Index als Spur). Fotografien zeigen realitätsbezogene, entkontextualisierte Abbilder, verweisen (durch die Glaubwürdigkeit und den Wahrheitsanspruch des Mediums) auf Realität und weiter auf das, was die Fotografin oder der Fotograf sah/meinte und in ein indexikalisch-ikonisches Zeichen verwandelte. Das bedeutet, dass die fotografische Realität immer deutungsbedürftig ist, dass man sozusagen einen Brocken Wirklichkeit vor die Augen geworfen bekommt – nur: dass das, was jede menschliche Kommunikation kennzeichnet, ein Kontext in Raum und Zeit und kodierte kommunikative Handlungen, in einer Fotografie fehlen. Die Rhetorik der Fotografie, die sich über die effektiv eingesetzte „Bildsprache“ und über einen klar definierten Ko- und Kontext vermitteln sollte, ist dringend erforderlich, um nicht einer Bedeutungsoffenheit, die sich zur Bedeutungslosigkeit wandelt, ausgeliefert zu sein.
Kontext 1: Gebrauchsfelder von Fotografien Es gibt fast keinen Ort, an dem wir nicht mit Fotografien auf jedwedem Trägermaterial konfrontiert werden. Versucht man eine fotofreie Zone im eigenen Lebensradius auszumachen, finden sich Orte ohne solche stillen Bilder in dörflichen Gegenden, Erholungs- und Nutzlandschaften, in Privaträumen, die der eigenen Gestaltung unterliegen und absurderweise beim Betrachten eines Films im Kino. Über den Ort, an dem man mit Fotografien in Kontakt tritt, oder treten könnte, erschließt sich die Verwertung von Bildern. Nach den notwendigen theoretischen Verortungen des ambivalenten Status der Fotografie werde ich nun den von mir geforderten kommunikativen Gebrauch von Bildern erläutern. Die Bereiche, in denen Fotografien in Erscheinung treten, ihre Funktionen ausüben und benutzt werden, sind vor allem: Werbung, Journalismus, Dokumentation, Wissenschaft, Kunst und privater Gebrauch (Familienbilder, Freundschaftsbilder) (vgl. Kategorien der Produktion und Rezeption, Schautafel 1 in Müller 2003: 22). Diese Bereiche lassen sich in Hinblick auf die Realitätsbehauptung, radikaler formuliert: ihr Realitätsversprechen in zwei Gruppen teilen. Der Journalismus, die Dokumentation und die Wissenschaften verlangen von Fotografien höchste Glaubwürdigkeit: Das Bild als Fakt wird zwingend verlangt. Werbung und Kunst operieren mit den fiktionalen Aspekten des Bildes: Auch wenn im System der Fiktionalität eine kontextbezogene Überzeugungskraft erwartet wird. Der private Gebrauch von Bildern unterliegt keinen ökonomischen Zwängen und ist deshalb in sei-
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ner Zuordnung ‚weicher‘: Durch das Wissen, selbst Produzent und Rezipient zu sein, ist Kontrolle über das Bild gewährleistet; man erinnert sich genau, ob es faktisch oder fiktional benutzt wurde4. Die Kunst bedarf zusätzlicher Anmerkungen. Im Feld der Kunst ist theoretisch alles möglich; es gab und gibt fotografische Dokumentationen mit höchstem Authentizitätsanspruch. Der ÜberKontext Kunst ist aber nicht massenkommunikativ wirksam, wie es Werbung und Journalismus sind. Erfährt man, dass es sich bei den vorliegenden fotografischen Arbeiten (nur) um Kunst handelt, kann die Rezipientenerwartung, es mit dem „echten Leben“ zu tun zu haben, enttäuscht werden. Es wird dann ein Abstand zu den dargestellten Themen eingenommen. Nichtsdestotrotz ist die Kunst ein hervorragender Indikator gesellschaftlicher Missstände und medialer Kritik. Ihr ist aber ein gesellschaftlich relativ eingeschränkter, elitärer Ort zugewiesen, auch wenn es ernsthafte Bemühungen gibt, dies zu ändern, wie es z.B. die Aktivitäten der Documenta Kuratoren und Kuratorinnen immer wieder zeigen oder auch jegliche Art der Kunstvermittlung versucht, neue gesellschaftliche Räume zu aktivieren. Die fotografischen Realitätsbehauptungen, bzw. -versprechen beantworten das Verlangen seitens der Rezipienten. Pressefotos und wissenschaftliche Bilder müssen wahr sein; künstlerische und werbliche Bilder sind „frei“, somit unterliegen sie eher den Gesetzen der Fiktion im Auftrag der künstlerischen Idee oder eines Verkaufskonzeptes, das immer textuelle Verankerungen schafft. Das bedeutet, dass sich die festgestellte Offenheit des fotografischen Bildes vor allem in der Kunst aufgrund der oft spärlichen textuellen Information weiter vergrößern, durch die kunstgeschichtliche ikonische Überdetermination aber gleichzeitig wieder verkleinern kann. Vor diesem Hintergrund der theoretischen Bestimmung der Offenheit des fotografischen Bildes und seiner Verankerung in gesellschaftlich-kulturelle Gebrauchsfelder muss jetzt das Bild-Text Verhältnis genauer untersucht werden. Ich beginne mit einem extremen Beispiel.
Foto /Text: „ohne Worte“, „…“, „o.T.“ „Ohne Worte“ oder noch schlimmer „…“, diese überflüssige und qualvoll humoristisch gemeinte Zeile ist unter einer Witzzeichnung oder einer Fotografie zu finden. Sie will zum Ausdruck bringen, dass ein Kommentar oder eine Erklärung überflüssig ist, da die Botschaft vollkommen eindeutig ist. Die so präsentierten Bilder geben durch ihr Umfeld, die Amtsstubenwand oder die Witzecke der Zeitung, immer schon die Richtung der Interpretation vor. Meist werden diese Bilder und Zeichnungen als eindimensional empfunden und es gibt auch tatsächlich „keine Worte“ über sie zu verlieren. Sie betätigen einen konventionalisierten Witzmechanismus. „Ohne Worte“ ist ein Paradox, weil es mit Worten die Bildunterschrift negiert und damit selbst zu ihr wird. Angesichts dieser sprachlogischen Verdrehungen und üblicherweise platten Bilder bleibt immer ein Unbehagen zurück. „Ohne Titel“, das steht auf vielen Schildern zu Kunstwerken und will neben den anderen Informationen (Künstler/Künstlerin, Lebensdaten, Entstehungsjahr, Technik, Herkunft) belegen, dass kein Titel vergeben wurde. Aus künstlerischer Sicht ein gängiges Verfahren, um die Interpretation offen zu halten (vgl. die kritischen Anmerkungen hierzu von Grasskamp 1980: 28). Orientierungslos ist man als Betrachtende trotzdem nicht ganz, gibt 4 Die Fotografie von Kindern und Jugendlichen fällt in gewisser Weise in diese Kategorie, da sie keinen ökonomischen Zwängen ausgesetzt ist und in der Regel mit Fakt und Fiktion spielerisch experimentiert. Der originär kindliche oder jugendliche Blick, der noch nicht vollkommen durchsozialisiert ist, ist hier von Interesse (vgl. Grebe 2004: 6-11).
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es doch den „white cube“ oder zumindest die Sicherheit, es mit Kunst zu tun zu haben. Unter diesen Voraussetzungen kann durchaus Bemerkenswertes und Grenzen Sprengendes passieren.
Foto/ Text Gruppen Ich gehe von vier Gruppen aus, die die Verhältnisse von Fotografien und Text beschreiben: 1. Fotos mit Text (mit Kotext): Bildunterschrift, Erläuterungen wie Ort und Zeit der Aufnahme etc. (Textfunktion: ergänzend, erläuternd, kontrastierend, etc.) 2. Fotos ohne Text, aber im Kontext, an einem konkreten Ort: in der Zeitschrift, auf dem Flohmarkt, in der Galerie etc. und dadurch einfach o.g. Gebrauchsfeldern zuzuordnen (Kontextfunktion: ergänzend, erläuternd, kontrastierend, etc.) 3. Mehrere Fotografien, die eine Folge, Serie, Reihe bilden (mit/ohne Text s. 1 oder 2) 4. Fotos, in denen Text auftaucht (gemeint ist nicht das Plakat, das ein eigenes Medium ist), sondern Text als Teil des Fotografierten (mit/ohne zusätzlichem Text s. 1 oder 2; vgl. die fotografische Arbeit von Max Regenberg, der Großflächenplakate im öffentlichen Raum dokumentierend fotografiert, www.f56.net, 20.4.2006)
Foto/ Text Gebrauch Bezogen auf o.g. Verwertungsbereiche der Fotografie geht aus den jeweiligen faktischen oder fiktionalen Intentionen der Bilder auch ihr Textbezug hervor. Journalistische und wissenschaftliche Bilder erfordern genaueste Beschriftung (Ort, Zeit, Parameter) und müssen aus glaubwürdiger Quelle stammen, sonst erfüllen sie nicht ihren Zweck und nicht die Anforderungen des Journalismus und der Wissenschaft, die Wahrhaftigkeit verlangen. Wenn Fotografien als historische Quellen benutzt werden sollen, müssen viele Fragen beantwortet werden, um das Bild nutzen zu können (produktions-, werk- und rezeptionsästhetische Perspektive bei Bilstein 2004: 120, vgl. die sorgfältige Recherche, die in den informativen Bildunterschriften der Ausstellung „Schwarzweiß und Farbe. Das Ruhrgebiet in der Fotografie“ sichtbar wird, Schneider 2000; in diesem Band: vgl. Heuer für das Fach Geschichte und Falk für Geografie). Das Herzstück der Werbung ist die Text/ Bild Kommunikation (Stöckl 2004: 301, 301-376; Nöth 2000: 510f; Barthes 1990/1964), auch wenn die Modefirma Benetton ihr Label klein auf Pressefotos druckt und diese plakatiert, als Versuch, ihren werblichen Verwertungskontext – den Mechanismen der Kunst abgeschaut – zu überschreiten. Kunst kann innerhalb ihres Systems alle möglichen Foto/Text Verbindungen eingehen und sich innerhalb ihres Rahmens als Wahrheit/Dokumentation oder Fiktion zu erkennen geben. Hier wird viel experimentiert und alle Varianten werden durchgespielt. (Grebe/Schneider 2004; Hapkemeyer/Weiermair 1996; Louis/Stooss 1993). Familienfotografien müssen nicht beschriftet sein, sind aber dennoch oft zeitlich markiert: sei es durch das Entwicklungsdatum auf der Rückseite der Abzüge, der Tüte mit Negativen oder durch die softwarebedingten Bildinformationen. Bekommt man unbeschriftete Familienbilder von Fremden in die Hände, spürt man vielleicht eine ästhetische Faszination, sicher aber den
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eigenen Mangel an Bezug zu den Abgebildeten. Genau das ist charakteristisch für Familienbilder, sie sind mit Gefühlen und Erinnerungen aufgeladen. Das Rätsel des gefundenen Bildes hat eine eigene Richtung innerhalb der Kunst ausgebildet und inspiriert nach wie vor zahlreiche Künstlerinnen und Künstler (Christian Boltanski, Hans Peter Feldmann, Ohio Magazin, Peter Piller, www.timetales.com, 31.1.2006, www.memoryprojects.at/burgland/photo.htm, 31.1.2006). Durch die rätselhaften Leerstellen dieser Bilder, die die Betrachter ratlos und orientierungslos hinterlassen können, lässt sich gezielt ihre poetische Kraft potenzieren (vgl. Borja-Villel 1994: 14, 13-21 über den poetischen Gebrauch der Fotografie im Surrealismus). Die Anordnung mehrerer Fotografien in Folge bildet eine Sondergruppe, die sich in allen Verwertungsbereichen wiederfindet. Die Fotografien entwickeln miteinander und untereinander narrative Strukturen, die denen einer sprachlichen Erläuterung nahekommen5. „Bildunterschriften oder zugeordnete Texte sorgen in Büchern für eine selektive Perzeption der fotografischen Botschaft, geben eine Interpretation vor und machen das, was auf der Abbildung vielleicht noch vieldeutig ist, eindeutiger. Dabei schwindet dieser Vorgang meist sofort aus unserem Bewußtsein. Der Text schreibt sich meist so ins Bild, dass eine bestimmte Lesart ‚natürlich’ und ‚selbstverständlich’ erscheint.“ (Menzel 2004: 18). Auch wenn der Text, das heißt erstens der Text, zweitens der Kontext anderer Fotografien und drittens der Herstellungs- und Verwertungskontext bzw. der kommunikative Kontext das Bild ‚festschreibt‘, bleibt das Bild nach wie vor offen für andere bewusste Lesarten, wie auch den subversiven Gebrauch, der ohnehin die übliche künstlerische Strategie im Umgang mit dem fotografischen Bild ist. Wenn man den Text ausschließt, hat man den Kontext. Der Kontext ist veränderbar.
Das Unbehagen in der Fotokultur: Mythos Bild allein Immer noch ist die unausgesprochene Überzeugung anzutreffen, es gäbe Fotografien, die keines Textes bedürften und aufgrund ihrer einzigartig deutlichen Bildaussage, die zusätzlich noch im indexikalischen Verhältnis des Mediums Fotografie zur Realität begründet sei, selbsterklärend seien und global verstanden werden könnten. Diese Meinung ist u.a. dann anzutreffen, wenn Fotografien appellativ eingesetzt werden (als Argument dient hier oft die Darstellung grausamer Szenen). Dann wird das Medium Fotografie vorschnell als universelle Sprache, eine gemeinsame Schrift- und Schreibsprache ersetzend, ohne die medienspezifischen Eigenheiten zu kennen, funktionalisiert6. Natürlich kann ein Foto ohne Text oder auch eine Fotografie, dessen Text entfernt wurde, zur Metapher oder zum Symbol (Kast 2002/1996: 7, 9, 21-43) persönlicher Befindlichkeiten
5 Vertiefende Analysen konkreter Bild/Text Einheiten, wo visuelle Argumentationen und das Entstehen von Bild/Text Kombinationen zur Schaffung neuartiger Rezeptionssituationen anhand von Fotomontagen der 1920er Jahre und von Fotobüchern entstehen, müssen hier entfallen (Otto 2004: 57-78 und Lange 2004). 6 Auch ich habe in meiner künstlerischen fotografischen Ausbildung an der Universität Essen, der Nachfolgeinstitution der renommierten Folkwanghochschule mit Otto Steinert als charismatischem Fotografie-Lehrer, immer wieder das Dogma zu hören bekommen, die Fotografie müsse sich ohne Text, allein als Bild, kraft ihrer ikonischen Autorität, vermitteln können. Der problematische Indexaspekt wurde uns vorenthalten .
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werden. In diesem Fall hat man das Bild neukontextualisiert. Jetzt ist es Symbol oder Metapher seelischer Prozesse, vielleicht im Rahmen einer Therapie oder persönlicher Erkenntnisgewinnung. Dieser Kontext ist aber individuell und in der Regel relativ uninteressant für soziale Prozesse, es sei denn, er tritt massenhaft auf. Sollen Fotografien mit eindeutigen politischen Aussagen versehen werden oder als Auslöser politischen Handelns eingesetzt werden, ist eine vertiefende Analyse der kommunikativen Strukturen politischer Handlungen erforderlich, aus der hervorgeht, wo, welche Bilder bzw. Foto/ Text Einheiten wie und wann platziert werden können. Die Fotografen, die einen dokumentarischen Stil zur politischen Aufklärung einsetzen und eingesetzt haben, haben zum Teil wortgewaltig (qualitativ und quantitativ) Text eingesetzt (Agee/Evans 1988/1941, Riis 1996/1890). Oft werden diese Fotografien jetzt (historisch verfälschend) ohne ihren Textteil präsentiert und rezipiert.
Endlich Bilder Zwei Jahre haben Dr. Sigrid Schneider vom Ruhrlandmuseum Essen und ich über das Realitätsversprechen von Fotografien geforscht. Für diese Fragestellungen haben sich die Kontextualisierung (und die Ent-, Re- und Neu-Kontextualisierung) der fotografischen Bilder und ihre textuellen Beigaben jeglicher Form als Schlüsselkategorie erwiesen. Unsere Ergebnisse haben wir in der Fotografie-Ausstellung „Wirklich wahr! Realitätsversprechen von Fotografien“ und im gleichnamigen Katalog 2004 vorgestellt. Der die Betrachter stimulierende Effekt entstand durch die Gleichbehandlung von Fotografien aus allen Verwertungsbereichen an der Museumswand (wie auch im Katalog). Eine ausführliche Bildlegende gab so umfassend wie möglich Auskunft, um die kontextuellen Parameter offenzulegen7. Abb. 1 Dieses Beispiel führt, auch an der Museumswand nebeneinander gehängt, vor Augen, wie sich ein journalistisch-dokumentarisches Foto von einem Ostermarsch in Essen 1969 zum Vorbild für eine Werbekampagne entwickelt hat. Zwar hat nicht genau dieses Bild Pate gestanden, sondern – wie unsere Nachforschungen ergaben – absolut vergleichbare Fotografien der Agentur Magnum, die Ende der 1960er Jahre entstanden sind. Im Pariser Archiv dieser Agentur recherchierten der Art Director und Fotograf, um genau diese Anmutung, den Stil und die Choreografie der Abgebildeten zu kopieren und auf die heutige Zeit und ihre Modemarke Diesel zu übertragen. Die Modeaufnahmen waren derartig glaubwürdig inszeniert, dass die Pariser Polizei die unangemeldete Demonstration mit Plakaten ungewöhnlichen, aber nicht sinnlosen Inhalts („Respect your Mom“) verbieten wollte. Hier wurde eine Bildsprache und bedingt auch ein motivischer Inhalt aus dem Journalismus in die Werbung übernommen. Mit genau der auf den Ursprungskontext konditionierten Wahrnehmung, im Kontrast zur Werbebotschaft, erregt die Mode-Werbung Aufmerksamkeit (vgl. Grundmeier in diesem Band).
7 Die von uns recherchierten Daten umfassten: Titel; Jahreszahl; falls die gezeigte Fotografie Teil einer Serie oder eines Projektes war, wurde es erwähnt; der Verwertungszusammenhang oder das Konzept wurde in einem Satz dargestellt; FotografInennname; Geburtsjahr; Berufsbezeichnung (nach Selbsteinschätzung, wenn möglich) und Wohnort.
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Abb. 1: Grebe/Schneider 2004: S. 74/75
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Abb. 2: Grebe/Schneider 2004: 107
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Abb. 3: Grebe/Schneider 2004: 173
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Abb. 2 Die sechs ausgestellten Fotografien zeigen zeitgenössische Familienbilder, die so in unseren oder uns bekannten Familienalben zu finden sind. Man ist zusammen und fixiert dieses Ereignis fotografisch. Beim Betrachten mehrerer 10 x 15 cm Farbabzüge fällt auf, dass sich immer dieselbe Frau in offensichtlich mehreren Beziehungen mit Männern und als Mutter und Schwester oder Tochter befindet und Zweifel an den vorliegenden Bildern kommen auf. Der Titel „Familienfotos 1997“ wiederholt nur nichtssagend, was man schon sieht. Erst die Zusatzinformation, dass Corinna Schnitt eine Künstlerin und Filmemacherin ist und zu der ganzen Serie 50 Fotografien gehören, verweist auf das Konzept dieser künstlerischen Arbeit. Corinna Schnitt hat die kulturelle Formel des Familienfotos der 1990er Jahre in Deutschland untersucht und kopiert. Die einzelnen Bilder sind alle überaus normal und glaubwürdig. Die Belanglosigkeit, die durchschnittliche Bilder von unauffälligen Fremden haben, erhöht subtil die Überzeugung, es mit Familienbildern („na und?“) zu tun zu haben.
Abb. 3 Zu sehen ist ein DIN A4 Karton mit zwei Fotografien, die jeweils eine Bildunterschrift mitführen. Die Bildunterschrift auf Karton bezeichnet, was zu sehen ist. Es handelt sich um eine Seite aus der Dokumentation eines Tatorts, 1968 von einem Polizeifotografen angefertigt. Hier dient die Fotografie dazu, absolut verlässlich die individuelle Gestalt der Gegenstände aufzuzeichnen. Der Text stellt sicher, dass es sich um die im Bericht erwähnten Gegenstände handelt. Diese drei Beispiele sollen einen Eindruck davon geben, welche Wissenshorizonte sich öffnen, wenn man sich auf die kontextuellen Verankerungen von Fotografien einlässt. Heute gibt es keine ehrliche Bildsprache mehr (es gab sie nie, aber man konnte sich früher der Illusion leichter hingeben, es gäbe sie), die einzig einem Verwertungskontext zugeordnet ist. Die fotografischen Stile und Konventionen (bezogen auf Motive, Bildunterschrift, Bildsprache, historischen Kontext) bewegen sich in andere, neue Verwertungsbereiche und sollen dort Verwirrung stiften. Deshalb ist die kontextuelle Rückführung immer wichtiger geworden. Es gibt keinen Grund zu glauben, was man sieht, es sei denn, der Ort des Erscheinens des Fotos ist vertrauenswürdig, der Fotograf ebenso und die dargestellte Szene nachprüfbar oder bekannt8. Aber wichtiger als die Enttäuschung über den Vertrauensverlust ist die genaue Wahrnehmung und Rückführung des Bildes und die Formulierung neuer Ideen: Welchem Muster folgen Familienbilder (vgl. Tell in diesem Band), wieso wirken Polizeifotos so platt, wieso nutzt Werbung journalistische Bildformeln? Der
8 Da der zuverlässige Bezug zum Referenten, dem Bezugsobjekt in der ausserfotografischen Wirklichkeit, als dem bestimmenden Wesensmerkmal analoger Fotografie in der digitalen Fotografie verloren gegangen ist, gibt es einige Medientheoretiker, die digitaler Fotografie ihren Status als Fotografie absprechen. Deshalb schlägt Siegfried J. Schmidt zur Bewertung von digitalen Bildern am Kontext orientierte Kriterien vor: „Das Problem der Authentizität und Referenz von Bildern, die aus elektronischer Bildver-/-bearbeitung hervorgehen, muß entsprechend umformuliert werden.(…) Reliabilität und Authentizität von elektronisch erzeugten Bildern müssen zunehmend über Indizien bewertet werden (Quelle, Kontext, Programmplatz, Inszenierungsdetails, Gattungskonventionen, Kompatibilität mit anderen Medien usw. ), da ihr referentieller Status technisch prekär geworden ist. Entsprechend verändern sich die Rezeptionsgewohnheiten der AV-Mediensozialisierten. An die Stelle der traditionellen wahr/falsch Dichotomie treten neue Kategoriensets – schließlich kann man auf die Wirklichkeit der raum- und zeitrelativen Bilder nun auch mit rein ästhetischen Einstellungen antworten, also Referenzindifferenz praktizieren.“ (Schmidt 1996:101)
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reale Ort, an dem ich eine Fotografie finde, und der Weg des Bildes zu diesem Ort verraten mir entscheidende Eckdaten über das Bild.
(Kon)Text 2 Ein Foto erscheint selten allein – weder in der Zeitung oder Zeitschrift, noch an der Wand eines Ausstellungsraums oder im privaten Album. Das Umfeld, in dem das Bild wahrgenommen wird, beeinflußt bewusst oder unbewusst seine Botschaft und ganz stark auch seine Glaubwürdigkeit. Neben den Orten der Veröffentlichung beziehungsweise Präsentation sind Kontexte (vgl. OomenWelke in diesem Band) vor allem Texte9 der unterschiedlichsten Art zum Beleg des Dargestellten. Das sind Artikel, Bildtitel und -erläuterungen, etwa Notizen der Abgebildeten selbst, die das Foto legitimieren, die oft auch in Worte fassen, was im Bild unsichtbar oder nicht darstellbar ist, und die es auf diese Weise erst mit Bedeutung aufladen. Der Kontext kann durch Zuordnung zu anderen Bildern entstehen oder durch eine Serie, in der die einzelnen Bilder sich zu einer facettenreichen Gesamtansicht ergänzen, einer Erzählung oder einem filmischen Ablauf (Grebe/Schneider 2004: 92) (vgl. Kontext 1: Gebrauchsfelder von Fotografien in diesem Text und vgl. Hapkemeyer/Weiermair 1996, dort nicht enthalten, aber sehr wichtig und interessant sind die künstlerischen Fotografie/Text-Arbeiten von: Sophie Calle, Robert Frank, Lorna Simpson). Aufgrund seiner Bedeutung möchte ich den Kontext durch Definitionen und Überlegungen mit handlungsinspirierenden Inhalten füllen: 1: Fehlt ein Kotext10, hat man immer noch den Kontext. 2: Eine Fotografie ist kontextualisierbar, aber auch ent-, neu - und rekontextualisierbar. 3: „Kontext [zu lat. contextus ‚Zusammenhang‘ (eigentlich ‚Zusammengewobenes‘)], Umgebung, in der eine sprachl. Einheit vorkommt, bzw. verwendet wird. Man unterscheidet sprachl. und außersprachl. K.; sprachl. K. kann z.B. die Stellung eines Wortes oder Satzes im Textzusammenhang sein; außersprachl. K. ist v.a. die Situation (situativer K.), in der Äußerungen gemacht und verstanden werden.“ (Meyers Großes Taschenlexikon 1981: Bd. 12, 128f ), (s.a. Glück 1993: 331 und s.a. kommunikationstheoretische Kontextmodelle, vgl. Kontextschema Eschbach 1980: 42) 4: In der semiotischen Bestimmung der syntagmatischen Relation von Zeichen und Symbol in der Tradition behavioristischer Semiotik ist das Zeichen eine kontextgebundene Einheit und das Symbol kontextfrei erschließbar (vgl. Nöth 2000: 142). Nach dieser Definition und o.g. Ausführungen zum Index wäre eine Fotografie als (fotografisches) Zeichen kontextgebunden. 5: Das fotografische Bild ist Teil eines Kommunikationsprozesses, dieser gibt ausreichende Kontextinformationen. „Eine fotografische Aufnahme ist also nicht bezogen auf die Situation authentisch, viel zu viele haben mitgewirkt und die technische Verwandlung ist zu
9 Dass diese Texte oder Kotexte ‚lügen‘ können, ist bekannt und steht nicht zur Debatte, wesentlich ist ihre Fähigkeit, eine eindeutige Bildbestimmung festzulegen. 10 Kotext: „In der Textlinguistik Bez. des textinternen sprachl. Kontextes, der einer Textstelle vorausgeht oder folgt, in Abgrenzung zum textexternen, situationalen Kontext.“ (Glück 1993: 344)
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groß, als dass noch auf die eigentliche Situation spiegelbildlich verwiesen würde. Eine fotografische Aufnahme ist vor allem als Bild (im Sinne von ‚imago‘) der Welt des Fotografen und seines Kontextes authentisch, als es selbst. Als Bild gehört es in einen Kommunikationsprozess, wird abgedruckt oder herumgezeigt oder wird auch in einem Archiv verwahrt.“ (Pilarczyk/Mietzner 2003: 23f ). Pilarczyk/Mietzner geben konkretes multiperspektivisches Handwerkszeug, um eine Fotografie als Ganzes erfassen zu können (Pilarczyk/Mietzner 2003: 21f ), auch in Verbindung mit externen und internen Klassifikationsfaktoren (Pilarczyk/Mietzner 2003: 29f ). 6: Kontext kann weiter differenziert werden in Kommunikationsumstand, Weltanschauung des Betrachters und das Wissen um den Entstehungsprozeß der Fotografie (Dörfler 2000: 49f und vgl. zum Betrachterinteresse Wortmann 2003: 224). 7: Die Produktions-, Produkt- und Wirkanalyse (Müller 2003: 15) kann eingesetzt werden, um visuelle Kommunikation angemessen kontextualisiert sehen und verstehen, nicht lesen(!), zu können (vgl. Doelker 1997 über Bildsprachen in der Multimediagesellschaft, Bedeutungsebenen des Bildes und Bildkompetenz). 8: Weil jede Fotografie an sprachliche oder kontextuelle Codes gekoppelt ist, ist der Begriff Visuelle Kommunikation mit all seinen Konzepten besser geeignet, das Phänomen Fotografie zu erfassen, als ein m.E. häufig falsch benutzter Bild-Begriff, der an eine alleinig kunsthistorische Tradition anschließt, die die fotografischen Spezifika, wie den Indexbezug, ignoriert (Müller 2003, Doelker 1997, vgl. Fußnote 3, in diesem Text).
Zusammenfassung Die Bedeutungsoffenheit und Kontextabhängigkeit von Fotografien erklärt sich theoretisch durch die Indexikalität des fotografischen Zeichens, das sich wie ein deiktischer Ausdruck verhält. Jede Fotografie ist durch einen oder mehrere Text(e) oder/und Kontext(e) in ihren intendierten und möglichen Bedeutungen definiert. Bei der Produktion und Rezeption von Fotografien ist dies in allen Zusammenhängen zu erinnern, um Bildbedeutungen möglichst nicht aus der Hand zu geben. Auch wenn sich Bilder nicht in Sprache auflösen lassen (das würde sie auch überflüssig machen), stehen beide in einem engen Verhältnis zueinander. Fotografien und Texte existieren einzeln und zusammen. Das eine Medium kann das andere nicht ersetzen, beide Medien verfügen über eine gewisse Autonomie, es gibt Asymmetrien und Unterschiede. Zusammen bilden beide Medien ein neues Bild/Text-Medium. Um sachgerecht mit beiden umgehen zu können, muss man die jeweiligen Spezifika kennen und einsetzen können. Um Fotografien, die sich generell durch Unbestimmtheit auszeichnen, sachgerecht beurteilen und benutzen zu können, braucht es textuelle Information und/oder kontextuelle Verankerungen. Es gibt keine Instanz und kein wissenschaftliches Denkmuster, welche/s die Authentizität oder Nicht-Authentizität von Fotografien legitimieren könnte. Es ist ein auf Sprache gestützter Kontext, der Bilder wesentlich in ihrem Wahrheitsgehalt bzw. fiktionalem Gehalt definiert. So ist mein provokativer Titel in Hinblick auf einen sachgerechten, medienspezifischen und -kompetenten Gebrauch ausgerichtet: nur Fotografien mit (Kon)Text lassen sich benutzen. Ohne (Kon)Text sind sie bedeutungslos. Der Kontext gibt eine Lesart von Fotografien vor, bzw. legt sie fest: Fakt oder Fiktion? Zwar ist die auf den Wahrheitsgehalt gerichtete Lesart einer Fotografie nur eine unter vielen Lesarten des vielschichtigen Phänomens „fotografisches Bild“, aber eine
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politisch und gesellschaftlich hoch brisante (auf das Machtgefüge und jene wirksamen Kräfte bezogen, die Definitionsgewalt über wahr und falsch haben), die – eine Minimalforderung der Medienkompetenz (vgl. Strötzel in diesem Band) – vor oder während oder nach jeder ikonischen Rezeption bewusst sein sollte. Ermittelt man beim ersten Kontakt mit einer Fotografie die Umstände und Intentionen der Aufnahme und die der eigenen Rezeption, hat man gute Chancen, neben dem nicht verbalisierbaren Geheimnis des Bildes (das getrost unangetastet bleiben kann), mehr über das vorliegende Bild, sich selbst, die kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Praktiken, die unser Leben prägen, zu erfahren. Ein verlockendes sinnstiftendes Angebot.
Literatur Agee, James und Evans, Walker (1988/1941): Let us now Praise Famous Men, Boston Barthes, Roland (1990/1961): Die Fotografie als Botschaft, in: Barthes, Roland (1990): Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Frankfurt a. M., S. 11-27 Barthes, Roland (1990/1964): Die Rhetorik des Bildes, in: Barthes, Roland (1990): Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Frankfurt a. M., S. 28-46 Bilstein, Johannes (2004): Nicht mehr ganz so fremdes Terrain: Bildinterpretation in der Erziehungswissenschaft Rezensionsaufsatz, in: ZBBS (Zeitschrift für Qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung), Heft 1/2004, S. 117-124 Boehm, Gottfried (Hrsg.) (1994): Was ist ein Bild?, München Boehm, Gottfried und Pfotenhauer, Helmut (Hrsg.) (1995): Beschreibungskunst / Kunstbeschreibung, München Borja-Villel, Manuel-J. (1994): Zwischen poetischer Aussage und dem Ausdruck des Wesentlichen, in: Brassai, Gilberte (Hrsg.) (1994): Brassai. Vom Surrealismus zum Informel, Salzburg, S. 13-21 Burke, Peter (2001): Eyewitnessing. The Uses of Images as Historical Evidence, London Doelker, Christian (1997): Ein Bild ist mehr als ein Bild. Visuelle Kompetenz in der Multimedia-Gesellschaft, Stuttgart Dörfler, Hans-Diether (2000): Das fotografische Zeichen, in : Schmitt, Julia u.a. (Hrsg.) (2000): Fotografie und Realität. Fallstudien zu einem ungeklärten Verhältnis, Opladen, S. 11- 52 Eschbach, Achim (1980): Semiotik, in: Althaus, Hans Peter; Henne, Helmut; Wiegand, Herbert Ernst (Hrsg.) (1980): Lexikon der Germanistischen Linguistik, 2. vollst. neu bearb. u. erw. Auflage, Tübingen, S. 41-57 Flusser, Vilém (1983): Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen Glück, Helmut (Hrsg.) (1993): Metzler-Lexikon Sprache, Stuttgart, Weimar Grasskamp, Walter (1980): Ohne Worte. Zur Ästhetik der Dokumentarfotografie, in: Kunstforum International, Bd. 41, 5/80, S. 14-31 Grebe, Stefanie (2004): Familienstand: Kind, Hobby: Fotografieren, Thema: Beziehung. Familienbilder 1961-2004, in: Deutscher Jugendfotopreis 2004, Dokumentation, Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland (Hrsg.), Remscheid, S. 6-17 Grebe, Stefanie und Schneider, Sigrid (2004): Wirklich wahr! Realitätsversprechen von Fotografien, Ruhrlandmuseum Essen, Essen, Ostfildern-Ruit Hapkemeyer, Andreas (1996): Bild und Schrift, Foto und Text, in: Hapkemeyer, Andreas und Weiermair, Peter (1996): 9-13 Hapkemeyer, Andreas und Weiermair, Peter (1996): Foto Text, Text Foto. Synthese von Fotografie und Text in der Gegenwartskunst, Kilchberg/Zürich Hensel, Thomas und Köstler, Andreas (2005): Kunstwissenschaft exemplarisch: Die Berliner Museumsinsel, in: Hensel, Thomas und Köstler, Andreas (Hrsg.) (2005): Einführung in die Kunstgeschichte, Berlin, S. 9-21 Kast, Verena (2002): Die Dynamik der Symbole. Grundlagen der Jungschen Psychotherapie, 4. Aufl., München Korte, Hermann (1999): Bildlichkeit, in: (Hrsg.) Arnold, Heinz Ludwig und Detering, Heinrich (1999/1996): Grundzüge der Literaturwissenschaft, München, S. 257-271 Krauss, Rosalind E. (2000/1976): Anmerkungen zum Index: Teil 1, in: Wolf, Herta (Hrsg.) (2002): Paradigma Fotografie, Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, Bd.1, S. 140-157
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Stefanie Grebe
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„Ohne Titel“, mit Kontext.
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Online-Quellen Gefundene Bilder (www.timetales.com, 31.01.2006; http://www.memoryprojects.at/burgland/photo.htm, 31.01.2006) Max Regenberg (www.f56.net, 20.4.2006) Word & Image (www.tandf.co.uk/journals/titles/02666286.asp, 24.1.2006).
Abbildungen Abbildungen als ganzseitige Zitate der Katalogseiten aus: Grebe, Stefanie und Schneider, Sigrid (2004): Wirklich wahr! Realitätsversprechen von Fotografien, Ruhrlandmuseum Essen, Essen, Ostfildern-Ruit Abb. 1: Grebe/Schneider 2004: 74/75 Wiedergabe der Katalogbetitelung (linke Seite): »Diesel Paris«, April 2002 Aus der Werbekampagne »Action! For Successful Living« für die Textilfirma Diesel Carl de Keyzer Geb. 1958, Bildjournalist, lebt in Gent, Belgien Wiedergabe der Katalogbetitelung (rechte Seite): Ostermarsch, Essen 1969 Anton Tripp 1911–1991, Pressefotograf, lebte und arbeitete in Essen und Düsseldorf Abb. 2: Grebe/Schneider 2004: 107 Wiedergabe der Katalogbetitelung: »Familienfotos, 1997« Corinna Schnitt fotografierte sich im Kreis von Fremden und Freunden in der Rolle der Schwester, Ehefrau, Mutter, Tochter, Enkelin und Tante. Die Serie umfasst 50 Aufnahmen. Corinna Schnitt Geb. 1964, Künstlerin und Filmemacherin, lebt in Köln und Berlin Abb. 3: Grebe/Schneider 2004: 173 Wiedergabe der Katalogbetitelung: Bildmappe »Einbruchwerkzeuge«, 1968 Polizeifotograf (vermutl. Horst Lang)
Fotografie als Lebenszeichen Der Deutsche Jugendfotopreis als Forum für authentische Sichtweisen Jan Schmolling
Dieser Beitrag bietet einen Überblick über die Bedeutung von Foto-Text-Konstellationen im Kontext des Deutschen Jugendfotopreises (DJF). Generell kann eine solche Darstellung aus unterschiedlichen Perspektiven erfolgen. Hier geht es speziell um zwei Bezugspunkte: um den DJF als medienpädagogisches Angebot und um die Nutzung dieses Angebots durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Das Ziel besteht darin, die primäre Motivation der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu verdeutlichen: die Fotografie als visuelle Ausdrucksform für subjektive Gedanken und Gefühle zu verwenden. Der Beitrag versteht sich als Plädoyer, dem Wert der Fotografie als eigenständiges Medium in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit eine größere Beachtung als bisher zu schenken.
Der Deutsche Jugendfotopreis – die Basics Vom damaligen für Jugendfragen zuständigen Bundesministerium 1961 erstmalig ausgeschrieben und 1962 auf der photokina verliehen, zählt der DJF zu den traditionsreichsten Veranstaltungen zur Förderung der Medienkompetenz in Deutschland. Seine Anliegen, breitenwirksam möglichst viele Kinder und Jugendliche zu einem bewussten Umgang mit dem Medium zu motivieren und zugleich den besonders interessierten eine vorberufliche Orientierung und Qualifizierung zu ermöglichen, haben bis heute Bestand. Über 50000 Kinder und Jugendliche haben am DJF seit 1961 teilgenommen1 und für viele Preisträgerinnen und Preisträger hatte und hat der Wettbewerb eine zentrale Bedeutung für die spätere professionelle Betätigung.2 Das Kinderund Jugendfilmzentrum in Deutschland (KJF), das seit 1978 für die Konzeption und Durchführung des Wettbewerbs verantwortlich zeichnet, hat die ursprüngliche starke Fokussierung auf den reinen Leistungsaspekt relativiert. Der Deutsche Jugendfotopreis zielt nicht auf einen fotografischen Leistungsvergleich, sondern versteht sich als ein bundesweites Forum für Fotografie. Die Aspekte der Begegnung und des Dialogs stehen dabei mit an vorderster Stelle – ob bei realen Veranstaltungsformen wie Workshops, Ausstellungen und Preisverleihungen, oder bei virtuellen Angeboten im Internet. Ebenso wichtig wie die kommunikationsstiftende Wirkung ist die Funktion des Wettbewerbs, den Preisträgerinnen und Preisträgern Anerkennung zu geben: durch die öffentliche Präsentation und die mit einem Geldpreis verbundene Würdigung ihrer Arbeit. Eigene Fotos ausgestellt zu sehen und als ihr Autor wahrgenommen zu werden bedeutet für viele eine neue und prägende Erfahrung.3
1 Die Jahresbeteiligung liegt derzeit bei ca. 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. 2 Die berufliche Laufbahn einiger Ex-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer wird vorgestellt auf: www.jugendfotopreis.de/bilderberg 3 Zur Konzeption und Durchführung vgl. auch: Schmolling 2004
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Aus diesen Leitsätzen resultiert die Durchführungspraxis des DJF, die aus den folgenden Teilen besteht: 1 1 1 1 1 1
Pädagogische Angebote für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Workshops, Seminare) Online-Präsentation und -Community Wanderausstellungen zu besonderen Themen Katalog mit den Preisträger-Arbeiten Preisverleihung und zentrale Ausstellung Fachberatung für Teilnehmer/innen, Fotoprojekte, Multiplikatoren, Jugendpolitik
Vom Eigenwert der Bildsprache Zu den zentralen Aufgaben des Kinder- und Jugendfilmzentrums gehört es, audiovisuelle und visuelle Medien für die Jugendarbeit verfügbar zu machen; dies impliziert auch die Herausstellung und Förderung der ästhetischen Besonderheiten dieser Medien. Fotografie und Film können bezüglich ihrer wissenschaftlichen Reflexion auf eine lange Tradition zurückblicken. Das KJF sieht sich hier in der Rolle, die kommunikationswissenschaftlichen Erkenntnisse mit den medialen Ausdrucksformen junger Menschen in Beziehung zu setzen. Im Alltagsgebrauch – dem Album mit persönlichen Bemerkungen und den massenmedialen Formen Reportage und Werbung – haben wir es überwiegend mit Fotos zu tun, die durch Texte ergänzt sind. Dies ist, verkürzt ausgedrückt, zunächst einmal praktisch, da es das Verständnis der intendierten Aussage erleichtert. Negativ formuliert könnte man jedoch die Frage stellen, ob diese kombinierte Verwendung nicht auf die Defizite bei den Produzenten und Rezipienten zurückzuführen ist. Fotografische Bilder ‚funktionieren‘ selbstverständlich auch ohne Text – nämlich durch den jeweiligen Kontext. Der Kontext kann u.a. durch innere freie Assoziationen des Rezipienten oder durch Vorgaben des Produzenten hergestellt werden. Am Beispiel der Bild-Montage im Film lässt sich der Induktionseffekt von Bilderreihen besonders anschaulich nachvollziehen.4 Der Zuschauer assoziiert durch die Verknüpfung unterschiedlicher Bildpaare jeweils unterschiedliche Bedeutungen. Um dieses Experiment (Abb. 1) ranken sich, was die tatsächliche Umsetzung betrifft, die unterschiedlichsten Legenden5, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Der Stellenwert des Induktionseffekts in der wissenschaftlichen Betrachtung macht jedoch deutlich, dass die gezielte Montage von Bildern zu eindeutigen Aussagen auch ohne einen begleitenden Text führen kann. Dies setzt beim Produzenten eine hohe Kompetenz beim kreativen Umgang mit Bildern und ihrer Montage voraus. 4 Gemeint ist hier das sog. Kuleschow-Experiment. Der sowjetische Regisseur und Filmtheoretiker Kuleschow hat z. B. drei unterschiedliche Einstellungen (ein Teller Suppe, ein Sarg mit einer Leiche und ein kleines Mädchen) mit dem Gesicht des Schauspielers Iwan Mosschuchin kombiniert. Diese kombinierten Einstellungen ließen die Zuschauer völlig unterschiedliche Ausdrücke im Gesicht des Darstellers erkennen – obwohl es sich dabei immer um die gleiche Aufnahme handelte. Das Publikum war beeindruckt von der Fähigkeit Mosschuchins, Emotionen wie Hunger, Trauer und Zuneigung auszudrücken. (Alfred Hitchcock hat in dem Film »Das Fenster zum Hof« James Stewart praktisch das Gleiche machen lassen). In Wickipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Lew_Wladimirowitsch_Kuleschow) 5 Eine umfassende Darstellung dieses Experiments und der diesbezüglichen Diskussion hat in umfassender Form Walter Dadek zusammengestellt. Das Filmmedium. S. 140ff
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Abb. 1: Der „Kuleschow-Effekt“
Die Bedeutung der Eigenständigkeit von (fotografischen) Bildern zu thematisieren ist seit zehn Jahren auch das Anliegen der Zeitschrift Ohio. Dieses Fotomagazin wird seit 1995 von Uschi Huber und Jörg Paul Janka herausgegeben. In Ohio wird ohne kommentierenden Text Bildmaterial (Privatfotos, Archivbilder, fotografische ‚Fundstücke‘) zusammengestellt und die unmittelbare Auseinandersetzung mit Bildern ermöglicht.
Foto-Text-Konstellationen Beim Deutschen Jugendfotopreis wird der Umgang mit Texten von einem kontinuierlichen Diskussionsprozess beim Veranstalter, der Jury und anderen Fachleuten begleitet. Die Basis, von der diese Diskussionen aus geführt werden, bildet der Deutsche Jugendfotopreis als ein Fotowettbewerb. Seine Zielsetzung besteht darin, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zu motivieren, ihre Gedanken und Gefühle in Bildern festzuhalten6 und ihnen die Chance zu geben, sich non-verbal mitzuteilen. Die Fotografie wird als eine künstlerische Ausdrucksform propagiert, mit der sich persönliche Innenwelten visualisieren lassen und die Außenwelt dokumentiert oder inszeniert werden kann. Die Sprache der Bilder im Verständnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellt den Ausgangspunkt dar für die Aktivitäten des Deutschen Jugendfotopreises im Hinblick auf die pädagogische Auseinandersetzung und die soziokulturelle bzw. kulturhistorische Verortung (z.B. Analyse jugendkultureller Trends). Bei der Jurierung werden die Arbeiten bezüglich des fotografisch fixierten jugendkulturellen Ausdrucks und der Bildsprache beurteilt. Die den Fotos zugeordneten (textlichen) Hinweise bestehen aus der Information über das Alter (die Bilder sind in unterschiedliche Altersgruppen eingeordnet), in manchen Fällen zusätzlich aus dem Bildtitel und nur in seltenen Fällen aus einem beigelegten Text.
6 Diese Formulierung befindet sich seit langem in der Ausschreibung des Wettbewerbs.
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Beim Umgang mit den Fotos erzeugt der Rezipient – Juror, Kataloglayouter, Leser, Ausstellungsbesucher – (s)eine neue Kontextualisierung. Es handelt sich hierbei um einen Prozess, der ein intensives Bild-Verstehen nach sich ziehen kann; einen Prozess, in dem die Frage aufgeworfen wird, was ein Foto über den Produzenten und über die Person des Rezipienten mitteilt. „Die erzählerische Fotografie ist aus dem Fotojournalismus und der Fotoreportage der späten 70er Jahre entstanden. Aus der seriellen Arbeitsweise der Reportage entwickelte sich eine neue subjektive Herangehensweise, die sich mehr und mehr von der Verwertbarkeit, sei es journalistisch oder kommerziell, entfernte. Diese Autorenfotografie war selten von Auftraggebern bestimmt, sowohl in der Themenwahl als auch in der Veröffentlichung. Diese Projekte waren zumeist freie Projekte, Langzeitprojekte, die den eigenen Interessen oder Fähigkeiten der Fotografen entsprangen und nicht selten autobiographischen Charakter hatten. In den 80er Jahren nahm man eine dekonstruktive Haltung gegenüber dem Realismus und Dokumentarismus der Medien ein zugunsten von ‚unmittelbaren‘ Erfahrungen und dem Zeigen subjektiver Wirklichkeiten. (…)“ 7 Dieser in Wikipedia zum Stichwort „Erzählerische Fotografie und Autorenfotografie“ verfasste Text zur Deutung von Fotografien lässt sich gut in Einklang bringen mit der Art der (meisten) Einsendungen zum Deutschen Jugendfotopreis. Auch Kinder, Jugendliche und viele junge Erwachsene (etwa: Studierende) arbeiten als freie Autoren und unabhängig von einem kommerziellen Auftrag. Ihre Motivation besteht in erster Linie darin, von ihren Interessen und Fähigkeiten ausgehend unbewusst oder gezielt subjektive Herangehensweisen zu erproben und dadurch Fotografien mit autobiografischem Charakter herzustellen und ihre unmittelbaren Erfahrungen und subjektiven Wirklichkeiten umzusetzen. Diese Haltung mag ein Reflex auf den allgemeinen Bedeutungswandel der Fotografie in den 1980er Jahren sein, als die Funktion der Fotografie als Medium zur Dokumentation gesellschaftlicher Vorgänge zunehmend vom Dokumentarfilm (im Fernsehen) und von freien Videogruppen, die sich im Sinne der Gegenöffentlichkeit betätigten, abgelöst wurde. Befreit von dieser Aufgabe etablierte sich Fotografie verstärkt als ein Medium für subjektive Ausdrucksformen. Dieser Prozess scheint immer noch aktuell zu sein, zumal die Digitalisierung die Möglichkeiten für künstlerische Herangehensweisen zusätzlich erweitert. So machen beim Deutschen Jugendfotopreis der Jahre 2000 bis 2006 die subjektiven Sichtweisen weiterhin den Großteil der Einsendungen aus. Durch die Zusammenstellung und Rekonstruktion dieser fragmentarischen Motivwelten und Sichtweisen bei der Jurierung und Veröffentlichung entsteht aus den partitionierten Gedanken- und Gefühlswelten ein repräsentatives Panorama jugendkultureller Ausdrucksformen, wie es auch die Kataloge des Wettbewerbs dokumentieren.8 Die besondere Qualität dieser Dokumentation besteht darin, dass hier die sichtbar gemachten Gedanken und Gefühle der jugendlichen Fotografinnen und Fotografen ernst genommen werden und die visuelle Kraft der Bilder zur Entfaltung kommt. Bei der Auseinandersetzung mit den Fotos sowie bei der Zusammenstellung von Dokumentationen oder Retrospektiven können ergänzende Textinformationen durchaus hilfreich sein. So wurden in früheren Jahren die Wettbewerbsteilnehmer in der Ausschreibung explizit aufgefor-
7 de.wikipedia.org/wiki/Erzählerische_Fotografie 8 Die Kataloge sind jugendkulturhistorisch einzigartiges Ausgangsmaterial für Ausstellungsprojekte von Museen etc.
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dert, den eingesandten Fotos Texte beizulegen. In der Praxis führte das allerdings nur selten zu aufschlussreichen Resultaten, sondern warf neue Problemlagen auf: 1 1 1
‚Eloquente‘ Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Gymnasiasten, Studierende) waren hier zumeist im Vorteil. Die Texte hatten in der Regel additiven Charakter, indem sie sich auf die Beschreibung des Gezeigten beschränkten. Der Umfang und die Bedeutung der Texte war oftmals, ‚umgekehrt proportional‘ zur ästhetisch-inhaltlichen Qualität der Fotos.
Daher wurde von diesem ausdrücklichen Aufruf wieder Abstand genommen. Dennoch erreichen den Wettbewerb immer wieder Arbeiten, bei denen Bilder und Texte in einer produktiven Wechselbeziehung stehen. Folgende Varianten lassen sich festmachen: 1 1 1
Verwendung von Bildtiteln Einbeziehung von Texten in die Fotos Begleitschreiben / Projektbeschreibungen
Beispiele unterschiedlicher Foto-Text-Konstellationen Die nachfolgenden Arbeiten, bei denen es sich bereits rein fotografisch um ausdrucksstarke und ungewöhnliche Bilder handelt, demonstrieren den Mehrwert, den sie durch den zusätzlichen Text erfahren. Das Besondere an diesen Texten ist ihr komplementärer, die Bildinformation ergänzender Charakter, der die Gesamtwirkung der Arbeit steigert – insbesondere dann, wenn er Teil des visuellen Gesamtensembles wird.
Sinngebende Verwendung von Bildtiteln Abb. 2: „No Love, Tote Hose, no Job“ Rainer Engel, Deutscher Jugendfotopreis 1984
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Sinngebende Verwendung von Begleitinformationen Abb. 3: Bernd Schräder, Deutscher Jugendfotopreis 1982 „Dieses Foto habe ich bei einer Veranstaltung im Rahmen des Friedensmarsches 1981 von Kopenhagen nach Paris gemacht. (…) Coesfelder und Dülmener Jugendliche simulieren den Abwurf einer Atombombe: Nach einem lauen Knall fallen ca. 50 Jugendliche um und blockieren die Straße (…)“
Integration von Text und Bild zu einem Gesamtwerk / Analoge künstlerische Integration von Text in ein Foto (im Fotolabor) Abb. 4: Anke Niemeyer, Deutscher Jugendfotopreis 1990
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Analoge künstlerische Integration von Text in ein Foto (Klebemontage) Abb. 5: Harald Ehlers, Deutscher Jugendfotopreis 1972
Digitale Bild-Text-Kombination Abb. 6: Philip Conrath, Deutscher Jugendfotopreis 2004
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Text-Foto-Serie Abb. 7: Louis Volkmann, Deutscher Jugendfotopreis 2004 (Thema: Familien-Bilder)
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„Bilder brauchen keine Texte“: Fotos als Lebenszeichen Dieses Zitat aus der Community fotofieber.de verweist auf eine bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Deutschen Jugendfotopreis weit verbreitete Einstellung. Von den 10000 zum Wettbewerb 2006 eingereichten Arbeiten war nur ein geringer Prozentsatz mit zusätzlichen Texten versehen. Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern verlassen sich offenbar darauf, dass sich ihre Bilder auch ohne einen ergänzenden Text dem Betrachter erschließen. Die besten Arbeiten zeichnen sich durch ihre klare Bildsprache aus, manchmal aber auch – zugegebenermaßen – durch ein Geheimnis, das den Betrachter fasziniert. Was motiviert Kinder und Jugendliche zur Teilnahme am Deutschen Jugendfotopreis? Für viele sicherlich die Hoffnung auf die Auszeichnung des Fotos mit einem Geldpreis. Rückmeldungen und Umfragen lassen jedoch den Schluss zu, dass der Wettbewerb mit seinem Forumscharakter als eine Chance angesehen wird, eigene Fotos, in denen persönliche Lebensgefühle zum Ausdruck gebracht werden, anderen präsentieren zu können: dem Team des DJF, der Fachjury, dem Publikum. Fotografien haben hier die Funktion von Lebenszeichen. Das Absenden der Fotos und das Einstecken des Umschlags in den Briefkasten könnte an das Gefühl beim Verschicken einer Flaschenpost erinnern: Wer bekommt die Nachricht letztendlich zu sehen und was wird sie in ihm bewirken? Die Art und Qualität dieser Lebenszeichen ist bei den besagten 10000 Fotos breit gefächert. Allgemein lassen sich zwei Gruppen unterscheiden: 1
Selbstbezogene Lebenszeichen Die Bilder zeigen die eigene Lebenswelt, oftmals auch Selbstpotraits, persönlich relevante Details, Strandgut des eigenen Gefühls-Ozeans.
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Gesellschaftsbezogene Lebenszeichen Diese Fotos bringen die eigene Verortung in der Welt zum Ausdruck, sie zeigen Außenwelten und reflektieren gesellschaftliche Probleme.
Die nachfolgend vorgestellten Arbeiten zeigen das Potenzial fotografisch formulierter Lebenszeichen: Mit ihrer Serie thematisiert Andrea Elsper in Selbstportraits ihre Magersucht. Der Begriff Lebenszeichen bekommt hierbei neben der kommunikativen vor allem auch eine subjektivexistenzielle Bedeutung. Corinna Steinhoff präsentiert in ihren Fotos zwar das gleiche Themenfeld; durch die grafik-design-bestimmte Form der Umsetzung wird hier nicht auf die eigene Person fokussiert, sondern auf die von außen einwirkende Macht der Werbung und der Medien.
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Zusätzliche visuelle Elemente unterstreichen die Aussage, die auch ohne Text auskommt. Abb. 8: Corinna Steinhoff, Deutscher Jugendfotopreis 2004
Die eindeutige Bildsprache transportiert die Aussage. Ein Bildtitel „Magersucht“ wäre hier überflüssig. Abb. 9: Andrea Elsper, Deutscher Jugendfotopreis 1998
Unterwegs in fotografischer Mission Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist es prinzipiell freigestellt, ihre Fotos durch bestimmte Mittel in einen Kontext bzw. „Ko-Text“ (vgl. Oomen-Welke in diesem Band) zu stellen. Hierbei kann es sich um die Kombination der Fotos zu Serien oder Sequenzen handeln (und viele Einsendungen bestehen in der Tat aus Serien, was auf eine bewusste Kontextualisierung, bisweilen auch mit ‚filmischem Charakter‘, hindeutet), um ergänzende Texte, aber auch um Zeichnungen, Musik und andere Ausdrucksformen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben, zumin-
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dest in der Kategorie „Allgemeiner Wettbewerb“ die völlige Freiheit bezüglich der Themen und Umsetzungsformen.9 Nicht wenige fühlen sich vermutlich von der Formulierung in der Ausschreibung angesprochen, in der es heißt: „Der Wettbewerb richtet sich an alle, die in fotografischer Mission unterwegs sind.“ Was aber verbirgt sich hinter der bewusst unscharfen Formulierung „fotografische Mission“? Antworten auf diese Frage, die zugleich die Motivation benennen und das eigentliche Geheimnis vieler Fotos von Kindern und Jugendlichen umschreiben geben die Statements in der Community des Deutschen Jugendfotopreises fotofieber.de.10 Bei der Einsendung von Bildern können die jungen Fotografinnen und Fotografen das Feld „Ich und Fotografie“ ausfüllen. Das erste aufschlussreiche Ergebnis: Es gibt nur ganz Wenige, die auf dieses Statement verzichten. Neben der fotografischen Ausdrucksform, die in ihren Bildern sichtbar wird, ist den Jugendlichen die sprachliche Charakterisierung ihrer Einstellung zur Fotografie besonders wichtig. Die Haltung, die man daraus ableiten könnte, lautet: Das, was man sich bildlich vorstellt, soll man zeigen. Und das, was man sagen/schreiben will, soll man aufschreiben.
Ich + Fotografie = Die nachfolgenden Zitate stammen aus Einträgen der Community-Mitglieder bei fotofieber.de.
Themenfeld VISUELL ERZÄHLEN „Ich zeig' euch die Welt wie ich sie sehe …“ „sehen … festhalten … und ohne worte mitzuteilen …“ „Bilder sagen mehr als Worte …“ „bildersprache, für manche sachen braucht es keine worte …“ „Dass ich nicht mehr, mit saurem Schweiß, Zusagen brauche, was ich nicht weiß; Dass ich erkenne, was die Welt Im Innersten zusammenhält, Schau alle Wirkenskraft und Samen, Und tu nicht mehr in Worten kramen.“ (Goethes Faust) „Photography: writing with light“ „ Ich muss experimentieren, um zu wissen was ich eigentlich sagen will.“ „für mich ist fotografie mein leben in bildern festzuhalten … menschen, die mir wichtig sind, momente, ereignisse, dinge die mir auffallen, gedanken, die ich erzählen will“ „Fotografie ist meine Art magische Momente oder Ideen und Gedanken festzuhalten und evtl. anderen zu zeigen.“ „Man versteckt sich hinter der Kamera und gibt trotzdem so viel von sich preis, von den Gedanken und vom Blick auf die Welt …“ „Fotografie ist für mich eine Form der Kunst, die Möglichkeit Gefühle, Gedanken und Standpunkte darzustellen, aber genauso ist sie eine Form der Kommunikation, eine Art Botschaft.“
9 Zu diesem Allgemeinen Wettbewerb werden wechselnde Jahresthemen ausgeschrieben, die durch ihren Titel und die Erläuterung eine konkrete (sprachliche) Vorgabe liefern. 10 Die Community fotofieber.de wurde 2002 gestartet. Sie ‚konkurriert‘ keineswegs mit anderen internationalen Foren wie flickr.com, sondern richtet sich gezielt an diejenigen Jugendlichen (in Deutschland), die Gleichgesinnte in ihrer Nähe suchen. In dieser Funktion ist sie Teil der generellen Konzeption des Deutschen Jugendfotopreises, dessen Anliegen darin besteht, Jugendlichen ein Forum zu geben und Möglichkeiten zur Begegnung und zum Dialog zu schaffen.
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Themenfeld ERKENNTNIS DURCH FOTOGRAFIE „Für mich ist Fotografie die Erkenntnis der Bedeutung eines Ereignisses.“ „Während der Gegenwart in der Zukunft die Vergangenheit anschauen.“ „eine möglichkeit im leben, die pausentaste zu drücken“ „Fotografieren ist staunen.“ „Fotografie ist für mich das Auge meiner Seele“ „Fotografieren reinigt die Seele …“ „Ich habe zur Fotografie gefunden, da mich der Gedanke, die kleinen Dinge des Lebens, die das Leben so besonders machen, festzuhalten und den anderen Menschen so die Möglichkeit zu geben, ein Teil von mir zu erfahren, meine Sicht des Lebens kennenzulernen, faszinierte.“ „Ich liebe einfach die Fotografie. Sie stellt eine unheimlich intensive Möglichkeit bereit sich mit sich selbst und anderen Menschen zu befassen. Sie dient mir sozusagen als Fokus meiner selbst.“ „Mit der Fotografie (und der Bearbeitung der Bilder) kann ich die bestehende Wirklichkeit umformen, neu entwerfen oder so darstellen wie sie ist. Sie ist ein Mittel, meinen Gedanken, Gefühlen und meiner Kreativität Ausdruck zu verleihen.“ Themenfeld FOTOGRAFIE ALS LEBENSGEFÜHL „Fotografie + Ich = Liebe“ „Fotografie + Ich = Liebe und Leben“ „fotografie bedeutet für mich intensiver leben“ „Ich lebe für die Fotografie …“
Diese Statements aus der Online-Community mit der zielsuchenden Fragestellung nach der persönlichen Bedeutung der Fotografie bzw. des Fotografierens und spontan in die Datenbank eingetippt, verdeutlichen die Motivation und die inneren Einstellungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Deutschen Jugendfotopreis. Hier werden nicht Bilder beschrieben, sondern die eigene ‚Philosophie‘ in Bezug auf das Sehen und auf die Kommunikation durch Bilder formuliert. Die Themenbereiche, um die die Statements kreisen, sind Gedanken und Gefühle, Liebe und Leben, Erkenntnis und Selbsterfahrung, Monolog und Dialog. Die Statements zeigen, dass die Fotografie für Jugendliche ein ideales Medium ist, künstlerisches Handeln und Lebensgefühle zusammenzuführen. Fotografie hat für sie ganz eindeutig den Charakter von Lebenszeichen – von Signalen, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Die Sichtbarmachung eigener Innenwelten ist offenbar von zentralem Wert. Dieses „Sich-outen“ bezeugt Mut und Fantasie und wird von anderen, ähnlich denkenden Jugendlichen verstanden. Von anderen Rezipienten, wie etwa Pädagoginnen und Pädagogen, verlangt jene Subjektivität einen vorsichtigen und einfühlsamen Umgang, um die Eigenmotivation der Jugendlichen nicht zu behindern oder zu zerstören – etwa durch ‚traditionelle‘ Sichtweisen, funktionalisierende Intentionen oder die Einpassung in Lehrpläne und andere Kontexte der Bildungsarbeit. Damit die Beschäftigung mit den Sichtweisen von Kindern und Jugendlichen überhaupt stattfinden kann, ist die Rezeption der (visualisierten) Bildwelten und (inneren) Haltungen ‚auf Augenhöhe‘ erforderlich. ‚Jugendliche abzuholen, wo sie sind‘ lautet eine pädagogische Leitidee. Darauf aufbauend lässt sich eine ernsthafte und kreative Auseinadersetzung mit den Haltungen und Einstellungen führen und der Entwicklungsprozess der visuellen Ausdrucksfähigkeit von Kindern und Jugendlichen fördern. Ange-
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sichts der Tatsache, welchen Boom die Fotografie derzeit durch die Digitalisierung (z.B. Fotohandys) erlebt und immer mehr zur alltäglichen Ausdrucks- und Kommunikationsform wird, bestehen hier erhebliche Potenziale für jugendkulturelle Projekte.
Fazit für die Bildungsarbeit mit Fotografie und Texten Aus den vorgestellten Einstellungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Bezug auf die Bedeutung und Nutzung des Mediums Fotografie lassen sich folgende Schlussfolgerungen für die Bildungsarbeit ziehen: 1 1 1
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Fotografie ist für Kinder und Jugendliche ein wichtiges Ausdrucksmedium für die Kommunikation subjektiver Lebenszeichen. Kinder und Jugendliche benutzen die Bild-Sprache vielfach als bewusste Alternative zur Text-Sprache. Das große Interesse bei Kindern und Jugendlichen für fotografische/nonverbale Ausdrucksformen bedeutet nicht, dass sie sich dem textlichen Ausdruck verweigern. Deutlich wird dies z.B. bei Bild-Text-Konstellationen oder bei der Beschreibung der Bedeutung des Fotografierens. Fotos können als ideale Diskussionsanlässe dienen – nicht zuletzt deshalb, weil sie auch die inneren Einstellungen (Gedanken, Gefühle) transportieren. Die ‚Rekontextualisierung‘ von Bildern durch die Nutzer/Rezipienten ist zudem ein Prozess mit dialogstiftenden Qualitäten. Der Einsatz von Fotografie in der Bildungsarbeit hat sich daran zu orientieren, wie das Medium von Kindern und Jugendlichen genutzt wird. Die nonverbale Qualität von Fotografie ist dabei als spezifisches Charakteristikum zu behandeln. Das Misstrauen in Teilen der (Fach-)Öffentlichkeit – auch und gerade im Bereich der Pädagogik – gegenüber der Eigenständigkeit visueller Ausdrucksformen darf nicht die Entwertung des Mediums Fotografie zur Folge haben. Statt dessen sollte in der Bildungsarbeit die Kompetenz, sich mittels Fotografie zu artikulieren, stärker als bisher gefördert werden. Das Ziel sollte darin bestehen, die Bedeutung und den Nutzen des Mediums Fotografie als ein Medium der persönlichen und gesellschaftlichen Kommunikation zu erkennen und Kinder und Jugendliche gezielt zu befähigen, Fotografie kreativ einzusetzen und kritisch beurteilen zu können. Ein Fotografie-Kanon – vergleichbar dem „Film-Kanon“11 – könnte hilfreich sein, im schulischen und außerschulischen Bereich anhand klassischer, künstlerischer und kommerzieller Werke zur Vermittlung von Foto-Kompetenz beizutragen.
11 Der Filmkanon wurde im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung von einer Expertenkommission erarbeitet. Mit dem Ziel einer verbesserten schulischen Vermittlung von Filmkompetenz wurden 35 Spielfilme ausgewählt. Vor dem Hintergrund der in Deutschland bisher – etwa im Vergleich mit Frankreich – eher stiefmütterlichen Behandlung der Kunstform Film im Schulunterricht, entschloss sich die bpb im Jahre 2003 zur Erarbeitung des Filmkanons. „Obwohl das bewegte Bild das Leitmedium des 20. Jahrhunderts ist, findet es in den Schulen noch immer nicht die ihm angemessene Bedeutung im Gegensatz zur Literatur“ (Thomas Krüger, Präsident der bpb). Der Filmkanon soll als exemplarisches Angebot die Auseinandersetzung mit dem Film in Schulen ermöglichen. Zu allen Filmen wurden und werden von der bpb begleitende Filmhefte erarbeitet. Die Auswahl der Filme im Filmkanon wird durch Filmhefte ergänzt, die zu aktuellen Filmen erschienen sind. In: http://de.wikipedia.org/wiki/Filmkanon
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Literatur Dadek, Walter. (1968): Das Filmmedium. Zur Begründung einer allgemeinen Filmtheorie. München/Basel: Ernst Reinhard Verlag. Grebe, Stefanie u.a. (Hrsg.) (2002): Fotofieber – 40 Jahre Deutscher Jugendfotopreis. Remscheid : Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland Huber, Uschi/Janka, Jörg Paul. Ohio. Photomagazin. Köln. Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland (1998 – 2004): Dokumentationen Deutscher Jugendfotopreis. Remscheid. Lauffer, Jürgen/Röllecke, Renate (Hrsg.) (2006): Dieter Baacke Preis – Handbuch 1. Methoden und Konzepte medienpädagogischer Projekte. Bielefeld : Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur in der Bundesrepublik Deutschland e.V Monaco, James. Film verstehen. (2005) Reinbek : Rowohlt Schmolling, Jan (2004): Deutscher Jugendfotopreis – Ein Wettbewerb im Wandel, in: Holzbrecher, Alfred/Schmolling, Jan (Hrsg.): Imaging. Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften, S. 89-104.
Online-Quellen www.bpb.de: Website der Bundeszentrale für politische Bildung (Herausgeber des Filmkanons) www.wikipedia.org: Open-Source Enzyklopädie www.flickr.com: Größte freie Foto-Community www.fotofieber.de: Community des Deutschen Jugendfotopreises www.jugendfotopreis.de: Präsentation des Deutschen Jugendfotopreises und der Preisträger www.online-media.uni-marburg.de: Portal der Philipps-Universität Marburg (Beschreibung des „Kuleschow-Experiments“)
Abbildungen Abb.1: online-media.uni-marburg.de/kunstgeschichte/sds/secue/marburg/32-filmanalyse/01-Zeichen/zeichen14.html Abb. 2-9: Archiv Deutscher Jugendfotopreis (im Archiv der Deutschen Jugendbewegung/Burg Ludwigstein)
Di(gi)daktik Didaktische Potenziale von Digitalfotografie und Text Steve Geldhauser
Dieser Beitrag geht auf das Spezifische der Kombination aus digitaler Fotografie und Text ein. Im Rückblick auf bewährte (medien)pädagogische Zieldimensionen und ein zusammenfassendes Medienkompetenz-Konzept werden besondere Aspekte dieser Kombination beleuchtet. Hinweise auf unterstützende Techniken und Software sowie konkrete Ideen zur Anwendung von digitaler Fotografie und Text mit ergänzenden Konzepten und Projektanregungen schließen den Artikel ab.
Foto-Di(gi)daktik Die Medienpädagogik bietet für eine Betrachtung des Einsatzes von digitalen Bildern und Text verschiedene interessante Zieldimensionen an1. Für die Betrachtungen an dieser Stelle sind die verschiedenen Konzepte hervorzuheben, die unter dem medienpädagogischen Schlüsselbegriff der „Medienkompetenz“ zu finden sind. Diese können das didaktische Handeln auf eine breitere Basis stellen und eine Gewichtung pädagogischer Ziele erleichtern. Im Rahmen einer Art ‚Di(gi)daktik‘2 sollen an dieser Stelle verschiedene Aspekte zu einem aktuellen Konzept zusammengefasst3 und konkret auf Bild+Text angewendet werden. Zur besseren Orientierung und Differenzierung des pädagogischen Handelns kann für die einzelnen Zieldimensionen bzw. Medienkompetenz-Belange ein ‚Vierstufenmodell‘ verwendet werden. Dieses baut seine Schichten aufeinander auf und macht so deutlich, welche Bereiche sich eher als Grundlage eignen und welche eher für eine weiter reichende Vertiefung genutzt werden können. Folgende übergreifende und variable Schichten können zum Aufbau einer umfassenden Medienkompetenz beitragen:
1 Erste Ansätze eine Didaktik mit Digitalfotografie zu entwickeln, finden sich bei Geldhauser (2002 und 2004) bzw. im Buch Imaging (Holzbrecher/Schmolling 2004). 2 Für weitere Grundlagen siehe besonders Geldhauser (2004). 3 Auch wenn in der Literatur das ursprüngliche Konzept von Dieter Baacke bestimmend erscheint, wird es hier bewusst um persönliche Gesichtspunkte ergänzt und aus verschiedenen wichtigen Quellen zu einem aktuellen Konzept zusammengefasst. Als ausführlichere Betrachtung siehe Geldhauser (2002). Als Grundlageliteratur dienen (Baacke 1999a), (Moser 1999), (Aufenanger 1999), (Lange 1999), (Hüther/Schorb/Brehm-Klotz 1997), (Mikos 1999), (Thiele 1999), (Kubicek 1999), (Mettler-v. Meibom 1999), (Kübler 1994, 1999).
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MEDIENKOMPETENZ 4. aktiv/gestaltende Medienkompetenz 3. didaktisch/benutzende Medienkompetenz 2. rezeptiv u. interaktiv/nutzende Medienkompetenz 1. kritisch/kundige - Medienkompetenz Eine Überschneidung der einzelnen Bereiche ist dabei ebenso gewünscht wie eine mögliche Umgestaltung – je nach didaktischer Konzeption, Gewichtung und Ausrichtung sowie methodischer Ausgestaltung des Projektes. Diese Flexibilität ist aufgrund verschiedener praktischer wie theoretischer Herangehens- und Sichtweisen unerlässlich.
1. Grundlegende Ebene: kritisch / kundige Medienkompetenz Wird die Unterstützung einer kritisch/kundigen Medienkompetenz angestrebt, heißt dies vor allem die Fähigkeit auszuweiten, Medien fachlich fundiert kritisch hinterfragen zu können. Dazu zählt als ein erster Schritt die gezielte, selbstbewusste und verantwortliche Auswahl der passenden Medien und die Anwendung der dazu nötigen technischen Möglichkeiten. Anwendungs-Beispiel: Den Lernenden wird die Aufgabe gestellt, beliebige Materialien/Medien, die für sie eine bestimmte Bedeutung haben, mitzubringen, um daraus eine Kombination aus Bildern und Texten zu erstellen. Formale Vorgaben werden nicht gemacht, um einen Mix aus digitalen und anderen Medien zu ermöglichen (Poster, Handy-Fotos, Bücher, Kopien-Blätter, Internetseiten, usw.). In einem nächsten Schritt sollen diese unterschiedlich kombiniert und präsentiert werden. Es wird sich öfters die Frage stellen, wie etwa ein Handy-Foto mit einem Buchzitat verknüpft werden kann oder das Musik-CD-Cover zum digitalen Urlaubsbild auf CDROM. Verschiedene kreative Möglichkeiten können so erfahren und ausprobiert werden. Das Montieren bietet die Gelegenheit, die Mehrdeutigkeit einzelner Medien und deren Einschränkung für die Wirklichkeitsvermittlung auf eine durchaus lustvolle und lustige Weise erfahrbar zu machen – erscheinen uns doch gerade die Dinge als lustig, die überraschen bzw. ungewohnt sind. Eine andere Bildunterschrift kann die Assoziationen zu einem Bild ebenso ins Gegenteil verkehren wie ein Bild einen Text zu ironisieren vermag. Der Text zu einem Portrait kann aus einem Rockstar einen Bauer oder einen Versicherungsvertreter machen. Die Realität zeigt dabei vermutlich weder das Original-Bild noch der Text. Denn zu dieser Stufe der Medienkompetenz „gehört z.B. auch, daß wir auch bei Bildern, die einer vermeintlichen fotografischen Abbildrealität folgen, wie Fotos, Film- und Fernsehbilder, immer mitwissen, daß diese Bilder medial bearbeitet und gestaltet sind – oder anders ausgedrückt: daß ‚Bilder lügen‘ können.“ (Mikos 1999: 59 f.) An den mitgebrachten Materialien lässt sich auch die Frage nach dem Copyright, sowie den Rechten zur Bearbeitung, Verwertung und eigenen Nutzung behandeln4. Als sinnvolle und ungefährlichere Variante können hier Quellen für frei verwertbare Medien (z.B. Wikimedia Commons, GFDL5) und deren soziale, gesellschaftliche Vorzüge dargestellt werden. Evtl. lässt sich eine Einheit mit den dazugehörigen Bedingungen der Medienproduktion und -verarbeitung anschließen.
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2. Aufbauende Grundlage: rezeptiv und interaktiv/nutzende Medienkompetenz Als Übergang zur zweiten Ebene findet sich ein weiteres Ziel im Medienkompetenz-Konzept: das Vertrautsein mit Bildsprache, manipulativen Elementen und ästhetischen sowie gesellschaftlichen Ausdrucksformen. Angelehnt an das Anwendungsbeispiel könnte der Text zum Bild oder das Bild zum Text ein manipulatives Element werden. Aber auch nur ein anderer Bildausschnitt kann schon eine neue Assoziation wecken, einen künstlerischen Eindruck vermitteln oder den Inhalt bzw. die Wirkung völlig verändern. Hier bietet sich auch an, das stark assoziative Wesen von Bildern, die „mehr als tausend Worte sagen“, und das scheinbar „Formale“ und „Klare“ von Texten zu demonstrieren. Auf digitalem Wege lässt sich dies z.B. als Beamer-Präsentation schnell und anschaulich darstellen, wenn entsprechende Beispiele direkt nacheinander und nebeneinander gezeigt werden. Dabei lassen sich medienspezifische Potenziale kennen lernen bzw. hinterfragen. Als weiteres Kernziel dieser Ebene bietet sich die Möglichkeit an, das intensive Aufnehmen und Interpretieren sowie das sachadäquaten Verstehen dargebotener Bild-Text-Informationen zu lernen. Besonders wichtig innerhalb der Zieldimension der rezeptiv und interaktiv nutzenden Medienkompetenz ist die Handlungsfähigkeit bzw. die Möglichkeit zur Umsetzung in ein zielgerichtetes selbständiges und praktisches Handeln. Als ein Weg könnte das Beispiel der ersten Ebene gezielt um die Suche nach geeignetem (z.B. druckfähigem, frei verwertbarem) Material (z.B. im Internet) erweitert werden. Die Erfordernisse, Urheber- und Nutzungsrechte zu berücksichtigen, lassen sich hier gut vermitteln. Als weiterer Aspekt dieser Medienkompetenz-Dimension lassen sich z.B. Möglichkeiten zum Archivieren und Wiederfinden der benutzten Inhalte aufzeigen.
3. Pädagogisch erweiterte Ebene: didaktisch/benutzende Medienkompetenz Im Zusammenhang mit einer mediendidaktischen- bzw. medienpädagogischen-Kompetenz für den Lehrenden (aber auch für denjenigen, der im weitesten Sinne Wissen vermitteln möchte), kann in der Arbeit mit Bildern und Texten besonders die Kommunikationsfähigkeit geschult und die Kenntnis verschiedener Lebens- und Medienwelten vertieft werden. Dies wird z.B. mit den vielfältigen mitgebrachten Medien und deren Repräsentationen nachvollziehbar und kann dadurch zu einer hilfreichen Quelle für den Pädagogen und dessen didaktische Medienkompetenz werden. Die Fähigkeit zum bewussten Medieneinsatz passend zu den eigenen Motiven und zur Verortung der Informationen – bzw. der gezielte Einsatz des Ko- bzw. ‚Kon-Textes‘ (vgl. Oomen-Welke in diesem Band) – wird hier für die Leitmedien ‚Text‘ und ‚Bild‘ eingefordert. Über eine direkte und reflektierte Anwendung dieser Anforderung wird diese praktisch erfahr- und erlernbar.
4 Einen ersten Überblick über die Problematik können die Regeln für Wikipedia-Bilder liefern: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Bildrechte – generell empfiehlt sich jedoch nur Bilder zu verwenden, für die eine schriftliche Freigabe vorliegt, bzw. die ausdrücklich als Rechtefrei gekennzeichnet sind. Mehr zu Rechtsfragen bei den Internetquellen. 5 GNU Free Documentation License - http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html
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4. Krönende Schicht auf der Basis der vorangegangenen: aktiv und kreativ-/gestaltende Medienkompetenz Ein wichtiges Ziel dieser Ebene ist, die mediale Umwelt in authentischer Weise ansprechend mitzugestalten. Die Wahl der Medien und ihrer Kombination, der optimale Umgang mit deren Eigenschaften und Möglichkeiten, setzt die Bereitschaft voraus, eine Vielfalt medialer Gestaltungsweisen zu entwickeln und dabei auch bekannte Codes und ästhetische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Der kompetente Umgang mit digitalen Bild/Text-Kombinationen kann hier einen erheblichen Beitrag leisten. Durch die passende Kombination steigert sich die Attraktivität des ‚Produkts‘ und macht eine mediale Präsentation erst ‚marktreif‘ im Sinne von zielgruppengerechter Verständlichkeit. Im Rückgriff auf das Anwendungsbeispiel wäre es möglich, die eigenen Kombinationen in einem neuen Medium zu artikulieren (als Offline-Präsentation, im Internet, als Zeitung, Poster o.Ä.). Die digitalen Werkzeuge und Gestaltungsmöglichkeiten zielgerichtet und reflektiert einsetzen zu können führt zu einem Gewinn an Medienkompetenz und schafft die Akzeptanz für das persönliche Artikulationsinstrument. Dafür kann es darüber hinaus nützlich sein, von Beginn an auf offene Internettechnologien und internationale Standards zu setzen, um die eigenen Medienbeiträge in digitale Netzwerke einzuspeisen und die Netzwerke dadurch mitzugestalten. Beispiele für – kostenlose – Software mit den benötigten professionellen Features werden im Folgenden behandelt.
Unterstützende Techniken/Software Medienkompetent zu handeln heißt auch: politisch zu handeln. Die Nutzung und Förderung nichtgewerblicher sozialer Community-Projekte (wie z.B. OpenSource, GPL-Software, Wikis6 u.a.) verfügt über eine immer größer werdende gesellschaftliche Dimension, da es ein Gegengewicht zu der von kommerziellen Interessen geleiteten Software-Monopolisierung zu etablieren gilt. Diese Monopole schaffen Quasi-Standards, die andere etablierte unabhängige Standards ausschließen und damit die Kommunikationsfreiheit einschränken. Bezogen auf Fotografie und Text soll hier nur auf die wichtigsten pädagogischen Vorteile eingegangen werden. 1
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Kostenlos verfügbare Software ermöglicht auch weniger finanzkräftigen Schülern legal zu Hause an den erstellten Materialien arbeiten und das Erlernte vertiefen zu können. Mit dieser Alternative kann auch aktiv gegen Raubkopien und gegen eine zunehmende „Kriminalisierung der Schulhöfe“ vorgegangen werden. Diese kostenlose Software findet darüber hinaus immer mehr Verbreitung in der Geschäftswelt oder ähnelt dort benutzten Programmen und bietet dadurch eine gute Berufsvorbereitung. So genannte Community-Projekte und OpenSource Software ermöglichen die aktive Mitgestaltung der Software und damit nicht nur die Nutzung eines Programms, sondern eben auch dessen Verbesserung. Echtes „Mitmischen“ wird möglich – und eine berufliche Qualifizierung obendrein.
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Neben den grundsätzlichen Vorteilen kostenloser Programme bietet freie Software für die Arbeit mit Bildern und Texten als weiteren besonderen Nutzen: 1 1 1
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Texte und Bilder lassen sich einfach in weiteren Produkten oder für andere Projekte einsetzen. Texte und Bilder liegen weiterhin digital in freien Dateiformaten vor und sind leicht zu bearbeiten. Die Bearbeitung der Ergebnisse sowie das Zusammenspiel von Foto und Text klappt auf anderen als den Schulcomputern (z.B. auf älteren Windows-Versionen, Apple- oder LinuxRechnern) zuverlässiger, wenn mit programm- und plattformübergreifenden Standards gearbeitet wurde. Die Schüler können die Ergebnisse ihrer Arbeit mit nach Hause nehmen und dort für eigene Zwecke weiter verwenden bzw. verarbeiten (entsprechende Software kann ihnen legal zur Verfügung gestellt werden).
Gerade für die hier relevante Kombination aus Fotografie und Text bietet sich eine Fülle von kostenlosen und qualitativ hochwertigen Alternativen an, die oftmals einen medienpädagogischen Zusatznutzen bieten. Und: Der pädagogisch problematische Einsatz kommerzieller Software kann gerade in diesem Bereich auf einfache Weise vermieden werden. Im Folgenden soll gezielt nach Anwendungszweck bzw. didaktischem Vorhaben auf die entsprechenden Möglichkeiten eingegangen werden. So bietet sich z.B. als ein Ersatz für MicrosoftOffice die kostenlose Alternative OpenOffice.org an. Zu einer interessanten Anwendung könnte sich auch die Desktop Publishing (DTP)-Software Scribus.net entwickeln. Fertigkeiten in den „Internetsprachen“ HTML7 und CSS8 können ebenfalls die Medienkompetenz unterstützen. Entsprechende Editoren (z.B. der Composer im SeaMonkey-Projekt bei Mozilla.org) lassen diese Techniken einfach nutzen und online publizieren. Im Bildbearbeitungs- und Bildverwaltungsbereich bieten sich „The Gimp“ bzw. „IrfanView“ und z.B. „Exifer“ an. Zur Planung und didaktischer Textarbeit bzw. Textorganisation kann z.B. (statt MindManager) das freie Mind-Map-Programm FreeMind dienen. Empfehlenswert ist zudem das Portal des heise-Verlags9 und dessen Publikationen.
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siehe zur Erklärung dieser und ähnlicher Begriffe z.B. http://de.wikipedia.org/ Hypertext Markup Language als Grundlage für die Inhalte der Internetseiten Cascading Stylesheets, HTML-Ergänzungssprache zur Gestaltung von Internetseiten www.heise.de - weitere Links: http://steve.de/a/service/medialinks.shtml
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Ideen zur konkreten Anwendung von digitaler Fotografie und Text Metainformationen/‚technischer Text’ Fast jedes neu erstellte Digital-Foto bringt bereits einen „Kon-Text“ mit, wenn auch für die meisten auf den ersten Blick nicht erkennbar. Die Kamera bettet in die gespeicherten Bilder Informationen über die Erstellung des Bildes ein und sorgt so automatisch für eine erste Kombination aus Bild und Text. Dieses bereits vorhandene ergänzende Zusammenspiel lässt sich im pädagogischen Kontext unterstützend nutzen. Im Rahmen eigener Forschungsprojekte lassen sich Informationen über die Erstellung des Bildes (Uhrzeit, Datum, aber auch Belichtungszeit, Blende uvm.) abrufen. Eine Bildanalyse kann so ebenso unterstützt werden wie eine Einordnung des Fotos über Entstehungszusammenhänge. Entscheidend ist dabei, dass die Bilder in der von der Kamera bereitgestellten Form archiviert werden. Da manche Bildbearbeitungsprogramme diese Daten ignorieren, kann es sein, dass schon durch das Drehen eines Bildes diese verloren gehen. Es empfiehlt sich daher grundsätzlich, die Bilder immer in ihrer ursprünglichen Fassung zu sichern und Veränderungen nur an Kopien vorzunehmen. Die Kombination des Bildes mit diesem technischen Text (Metadaten) bietet noch eine Reihe weiterer Vorteile. So ist es z.B. möglich, die Bilder um eigene Informationen anzureichern und nicht nur mit Kommentaren, sondern auch mit Stichworten, Beschreibungen, Analysen, Ergebnissen oder Hinweisen auf weitere passende Medien o.Ä. zu versehen (besonders bei den IPTCDaten10). Über die Bildbeschreibung oder entsprechende Stichworte ist eine Archivierung und ein schneller Zugriff bzw. eine gezielte (Text-)Suche möglich. Für pädagogische Projekte wird damit jedoch nicht nur die Archivierungs- und Forschungsseite sowie die Produktion (schnelle, gezielte und passende Materialbeschaffung/Kommunikation) unterstützt, sondern auch weitere Projektmöglichkeiten eröffnet. Digitaler Text bietet am Computer neben der einfachen Suchmöglichkeit auch Unterstützung im sonderpädagogischen Bereich. Entsprechende Ausgabegeräte für Blinde, wie etwa für die Sprachausgabe, lassen diese am Mediengeschehen teilhaben und mit Sehenden kommunizieren. In der Kombination der entsprechenden Metadaten mit Fotos (oder mit Geräuschen) lassen sich kommunikative Grenzen überschreiten und für alle Beteiligten spannende, wahrnehmungserweiternde, integrative Projekte durchführen. Mit diesen Möglichkeiten hat sich gezeigt, dass z.B. Blinde die Fotografie als erweiterndes Kommunikationsmittel für sich entdecken und praktisch nutzen können. Die digitalen Medien bieten hier neue, bequeme und handhabbare Unterstützung (schnelles Vergrößern und fokussieren markierter/indizierter Bildausschnitte für Fehlsichtige). Hilfreich kann Metatext in Bilddateien auch für Projekte zur Bildkommunikation sein. Die verschiedenen (Be-)Deutungen lassen sich direkt mit den Bildern verknüpfen und bei Bedarf anzeigen. So ist es denkbar, Bilder mit mehr oder weniger klarer Aussage zu erstellen, bzw. erstellen zu lassen und (z.B. im Exifer) bei den IPTC-Daten oder im Kommentarfeld mit der eigenen Sichtweise zu versehen. Anschließend werden alle Bilder ohne diese Daten (z.B. in IrfanView) betrachtet, analysiert, gedeutet und deren möglicher Verwendungskontext besprochen.
10 Der IPTC-NAA-Standard dient zur Speicherung von Textinformationen in Bilddateien (z.B. JPEG-Dateien) und wird vor allem von Bildagenturen genutzt. (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/IPTC-NAA_Standard )
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Danach kann mit der Anzeige der Metainformationen (auch in IrfanView möglich) die ursprüngliche Sichtweise verglichen und diese mit den neuen Informationen erweitert werden. In einem nächsten Schritt kann versucht werden, anhand dieser Daten mit neuen Bildern die Klarheit der Bildaussage zu optimieren und diese Bilder anschließend z.B. für interkulturelle Projekte zu nutzen.
Druckprodukte (Poster, Flyer, …) In pädagogischen Zusammenhängen gibt es eine Vielzahl von Gelegenheiten, in denen gut gestaltete Druckprodukte erstellt werden können bzw. sollen. Neben der bekannten Schülerzeitung lassen sich Jugendliche auch gerne dazu motivieren, Plakate oder Flyer für ihre Band oder Jugendgruppe zu erstellen. In allen Fällen sollte eine Text-Bild -Kombination in Betracht gezogen werden. Auch Werbezettel/Plakate für den Schulbazar o.Ä. lassen sich schnell erstellen. Ein größeres medienpädagogisches Potenzial wird dabei nicht nur erreicht, wenn OpenOffice statt „Word“ eingesetzt wird, sondern vor allem, wenn die Software auch nach der Ausgabeart und der Gestaltungsform ausgewählt bzw. kombiniert wird. So bietet sich für Flyer oder Postkarten evtl. direkt der Einsatz eines Bildbearbeitungsprogramms an, oder für Plakate, etwa für die Schülerzeitung, der eines DTP-Programms. Diese erhöhen in der Regel die spezifischen Anwendungsmöglichkeiten und das kreative Potenzial. Hilfreich kann für die Text-Bild-Arbeit die Erstellung kombinierbarer Materialien sein. Eine assoziativ anregende Textstelle kann in verschiedenen Textgestaltungen gesetzt (z.B. als Zeitungsseite oder/und Bildunterschrift) und groß genug ausgedruckt werden, um etwa zu DIN A5-großen Bildern zu passen. Auf entsprechendem Papier selbstgemalte Bilder und ausgedruckte Fotos dazuzulegen und unterschiedlich zu kombinieren, wirft interessante Fragen auf: Welches Bild „passt“ am besten zu der intendierten Aussage für das gewählte Medium (z.B. Jugendzeitschrift)? Welches Element (Bild/Text) ist bestimmend? Welches ergänzend? Mit der passenden kostenlosen Software lassen sich die Bilder in der selben Größe erstellen (z.B. mit IrfanView) und der dazu passende Text professionell gestalten (z.B. mit OpenOffice).
Offline-Medien (CD-Rom, …) Die Grenzen zwischen Offline- und Online-Anwendungen verschwimmen immer mehr. Auch wenn es i.d.R. praktisch ist, wenn die Materialien bzw. Unterlagen des Referats direkt ins Internet eingestellt werden können, steht doch die wirkungsvolle (Beamer-)Präsentation im Vordergrund. Das klassische „Multimedia“ wird von vielen Pädagogen noch immer offline gedacht. Dies geht so weit, dass „PowerPoint“ synonym für „Rechnergestützte Präsentation“ gebraucht wird und die einzige existierende Wahl für (offline) Präsentationen zu sein scheint. Doch auch hier kann Internettechnologie wie die von s511 als eine Art PowerPoint-Ersatz nützlich sein, da sie Text-Folien z.B. in Kombination mit dem Firefox-Vollbildmodus nahezu beliebig an die Bildschirmauflösung, bzw. Fenstergröße anpasst, das Handout direkt mitberücksichtigt/integriert
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und von nahezu jedem internetfähigen Computer (auch Apple) genutzt und ohne teure Zusatzsoftware weiterverarbeitet werden kann. Auch weitreichendes „Multimedia“, einst eine reine „Offline-Spezialität“, ist, besonders in der Kombination aus Fotografie und Text, heute ebenso eine klassische Internetanwendung. Gleichermaßen lässt sich für die Präsentation und Erstellung von Foto-Stories bzw. Foto-Romanen (vgl. die Beiträge von Hornar und Abt in diesem Band) an Internetstandards (wie CSS) denken und diese somit leichter einem breiten Publikum zugänglich machen.
Online-Medien (WWW, …) Im Internet präsent zu sein und dort seine Ergebnisse vorzustellen, wird gerade im pädagogischen Umfeld immer wichtiger. Eine Kombination aus Fotografie und Text bringt dafür grundsätzlich die optimalen Bedingungen mit. Wird dieser Anwendungszweck von Anfang an mitbedacht, lassen sich im Netz professionelle und zielgruppengerechte Produkte veröffentlichen. Ursprünglich nicht für Netzwerke gedacht, aber heute immer öfter dort zu finden, ist das PDFFormat12. OpenOffice bietet standardmäßig den Export seiner Dokumente in PDF an. Auch andere Dateien, die von OpenOffice lesbar sind (z.B. Word-Dokumente), können so nach PDF gewandelt werden. Auch das DTP-Programm Scribus bietet einen PDF-Export an. So können für den Print-Bereich erzeugte Werke schnell und unkompliziert auch im Internet in ihrer ursprünglichen Form zur Verfügung stehen. Ist das eigentliche Ziel jedoch, eine Online-Publikation zu erstellen, wäre dies nicht der passende Weg. Hierfür ist sauberes HTML und CSS die professionelle, ansprechende und passende Wahl. (Sollen zusätzlich multimediale Aspekte integriert werden, bietet sich z.B. SMIL13/SVG14 bzw. Flash an.) HTML und CSS bringen für die Verbindung von Bild und Text im Internet bereits gute Voraussetzungen mit und können als plattform-unabhängige Umsetzung auch gut zur Unterstützung interkultureller Kommunikation dienen. Vom plakativen Einsatz als eine Art Sprachkurs bis zu weitreichenderem Verständnis (z.B. von Wahrnehmung, Werten, Einstellungen und Sichtweisen) lassen sich viele Projektideen mit dieser Technik realisieren. Eine Foto-Story kann man schnell und einfach „lokalisieren“, d.h. per Mausklick (oder automatisch) in die Sprache des Betrachters wechseln. Wird gezielt für das Internet produziert, können auch andere Online-Projekte einfach in den Entstehungsprozess integriert bzw. genutzt werden. Medienpädagogisch besonders interessant ist hier nicht nur die Nutzung von Materialien (z.B. von Wikimedia15 oder dem GutenbergProjekt16) sondern auch die Bereitschaft zur eigenen Mitgestaltung der Netzwelt (z.B. bei WikiProjekten17) zu stärken.
12 Portable Document Format - Druckerunabhängiges Dateiformat für druckbare Dokumente 13 Synchronized Multimedia Integration Language - ermöglicht die Einbindung und Steuerung von MultimediaElementen wie Audio und Video in Webseiten 14 Scalable Vector Graphics - zur Beschreibung zweidimensionaler Vektorgrafiken 15 Von Wikimedia finden sich rechtefreie Medienarchive für nahezu alle Medienarten. So bietet http://de.wikisource.org/ freie Texte oder http://de.wikibooks.org/ freie Lehrbücher bzw. Lehr-/Lernmaterialien. 16 Besonders das englischsprachige Projekt http://www.gutenberg.org/ bietet ein großes Textarchiv freien Materials. 17 Zur allgemein pädagogischen Nutzung von Wikis siehe auch: http://beat.doebe.li/bibliothek/w01331.html
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Hilfreich können die WWW-Techniken besonders für ein ‚KonText‘-Projekt sein, da sich hier schnell Inhalte auswechseln und in einer Bildschirmrepräsentation darstellen lassen. Zudem können die dadurch entstehenden Lernmodule weltweit von jedem internetfähigen Gerät aus genutzt werden. Mit verschiedenen Bildern und Texten können Webseiten erstellt, kombiniert, verlinkt und verglichen werden. Die verschiedenen Wirkungen (Unterstützung, Gegensatz, Poetisierung, …) können so eindrucksvoll erfahrbar und auch über Ländergrenzen hinweg nutzbar werden (vgl. Holzbrecher in diesem Band). Bei Verwendung von Open-Source-Anwendungen stehen, wie dieser Beitrag dargelegt hat, die inhaltlichen und pädagogischen Zieldimensionen im Vordergrund, und nicht ein Spezialistentum im Hinblick auf die Beherrschung kommerzieller Programme. Auf der Basis freier WebStandards können Projektideen mit hohem Kompetenzgewinn verwirklicht werden, die zusätzliche pädagogische Ziele sozusagen ‚nebenbei‘ unterstützen, oder eben medienpädagogischen Zusatzgewinn bringen. Von kleinen Unterrichtseinheiten im Fremdsprachenunterricht mit Partnerschulen im Ausland, bis hin zu interaktiven Lernmodulen für eine Blended-Learning Umgebung18 ist vieles denkbar.
Literatur Aufenanger, Stefan (1999): Medienpädagogische Projekte – Zielstellungen und Aufgaben; in: (Baacke/Kornblum/ Lauffer/Mikos/Thiele 1999: 94-97) Baacke, Dieter (1999a): Medienkompetenz als zentrales Operationsfeld von Projekten; in: (Baacke/Kornblum/Lauffer/Mikos/Thiele 1999: 31-35) Baacke, Dieter/Kornblum, Susanne/Lauffer, Jürgen/Mikos, Lothar/Thiele, Günter A. (Hrsg.) (1999): Handbuch Medien: Medienkompetenz, Modelle und Projekte; Bundeszentrale für politische Bildung; Bonn Geldhauser, Steve (2002): Medienpädagogische Aspekte interkultureller Bildung. Diplomarbeit an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. http://steve.de/privat/da-ph.html Geldhauser, Steve (2004): Fotopädagogik digital – Grundlagen/Möglichkeiten; in: (Holzbrecher/Schmolling 2004: 57-78) Hiegemann, Susanne/Swoboda, Wolfgang H. (Hrsg.) (1994): Handbuch der Medienpädagogik, Theorieansätze – Traditionen – Praxisfelder – Forschungsperspektiven; Leske + Budrich; Opladen Holzbrecher, Alfred/Schmolling, Jan (Hrsg.) (2004): Imaging. Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH Hüther, Jürgen/Schorb, Bernd/Brehm-Klotz, Christiane (Hrsg.) (1997): Grundbegriffe Medienpädagogik; KoPäd Verlag; München Kubicek, Herbert (1999): Was ist Medienkompetenz?; in: (Schell/Stolzenburg/Theunert 1999: 21-22) Kübler, Hans-Dieter (1994): Medienwissenschaft, Produktanalysen als Grundlage medienpädagogischen Urteilens und Handelns; in: (Hiegemann/Swoboda 1994: 59-99) Kübler, Hans-Dieter (1999): Medienkompetenz – Dimensionen eines Schlagwortes; in: (Schell/Stolzenburg/Theunert 1999: 25-47) Lange, Bernd-Peter (1999): Was ist Medienkompetenz?; in: (Schell/Stolzenburg/Theunert 1999: 22-23) Mettler-v. Meibom, Barbara (1999): Was ist Medienkompetenz?; in: (Schell/Stolzenburg/Theunert 1999: 23-24) Mikos, Lothar (1999): Medienkompetenz als präventiver Jugendschutz; in: (Baacke/Kornblum/Lauffer/Mikos/Thiele 1999: 56-61) Moser, Heinz (19992): Einführung in die Medienpädagogik, Aufwachsen im Medienzeitalter; Leske + Budrich; Opladen; [1995]
18 Eine Lernform, die versucht e-Learning mit den Vorteilen von Präsenzseminaren zu verbinden.
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Steve Geldhauser
Schell, Fred/Stolzenburg, Elke/Theunert, Helga (Hrsg.) (1999): Medienkompetenz: Grundlagen & pädagogisches Handeln; KoPäd-Verlag; München Thiele, Günter A. (1999): Produkive Medienarbeit in der Schule – heute; in: (Baacke/Kornblum/Lauffer/Mikos/ Thiele 1999: 62-69)
Online-Quellen Wikimedia Commons – Freie Datenbank für Bilder, Musik und andere Medien: http://commons.wikimedia.org/wiki/Hauptseite und eine Übersicht über weitere rechtefreie Bildarchive: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Public-Domain-Bilderquellen Gutenberg Projekte – Kostenlose Texte: http://gutenberg.spiegel.de/ (but free ebooks: http://www.gutenberg.org/ ) (Bewertete) Links für den Kunstunterricht: http://www.kunstlinks.de/ z.B. http://www.kunstlinks.de/cgi-bin/seiten.pl?Seite=6.9 Rechtsfragen von Multimedia und Internet in Schule und Hochschule: http://remus.jura.uni-sb.de/ OpenOffice.org – Kostenloser Ersatz für Word, Excel, PowerPoint …: http://www.openoffice.org/ Scribus.net – DTP-Programm auch für WindowsXP: http://windows.scribus.net/ SeaMonkey – Webbrowser, Mail und HTML-Editor von Mozilla: http://www.mozilla.org/projects/seamonkey/ Firefox – freier, schneller Webbrowser: http://www.mozilla.com/ Balthisar Cascade V2 – CSS Editor: http://www.balthisar.com/ s5 – Internet Präsentations-System: http://yatil.de/s5/ bzw. http://meyerweb.com/eric/tools/s5/ FreeMind – Mind-Maps in Java: http://freemind.sourceforge.net/ The Gimp – Bildbearbeitungsprogramm: http://www.gimp.org/windows/ IrfanView – Bildverarbeitungsprogramm mit vielen Funktionen: http://www.irfanview.com/ Exifer – Bearbeitung von Metadaten: http://www.friedemann-schmidt.com/software/exifer/ Picasa – Bildverwaltungsprogramm von Google: http://picasa.google.de/
2. Teil: Fachdidaktische Konzepte für die schulische Bildungsarbeit Elementar- und Primarstufe
„Hallo, du im Nachbarhaus …“ Gisela Larisch
Das Projekt stellt die bereichernde Verknüpfung der konzeptionell verankerten Schwerpunkte „Interkulturelle Erziehung und Medienpädagogik“ vor und zeigt eine Einsatzmöglichkeit des Mediums Fotografie im Elementarbereich: Das Kindernetz.
Das Kindernetz In sieben Sprachen können die Kinder mittlerweile im Kindergarten der Arbeiterwohlfahrt die Gäste der Einrichtung „Willkommen“ heißen. Denn von den 125 Kindern, die diese Kindertageseinrichtung besuchen, besitzen rund 54 Kinder eine andere Nationalität. Dass Chancengleichheit, Solidarität und Toleranz keine leeren Worthülsen aus dem Leitbild der AWO sind, beweisen die Erzieherinnen auf dem Tackenberg in ihrer täglichen Arbeit. Integration setzt kulturelle Offenheit voraus. Daher ist das Wissen um die persönliche Prägung durch Kultur, Tradition, Religion und Muttersprache unerlässlich für die Erziehungsarbeit mit deutschen und zugewanderten Kindern. So ist es selbstverständlich das Spiele und Lieder, Sitten und Gebräuche, Feste und Feiern, Speisen uvm. aus den verschiedenen Herkunftsländern der Kinder fest in den pädagogischen Alltag eingebettet sind. Anlässlich des Weltkindertages portraitierte der Medienpädagoge Jörg Briese mit seiner Digitalkamera alle Kinder und Erzieherinnen unserer Kindertageseinrichtung. In einem zweiten Schritt gingen wir mit den Kindern der Frage nach „Woher kommst du?“ und „Warum spielst du gerne mit … ?“.
„Zuhause spreche ich türkisch, im Kindergarten deutsch.“ „Ich lerne von Alessio auf Italienisch zu zählen.“ „Ich finde es gut Freunde aus einem anderen Land zu haben.“ „Ich singe und spiele gerne Yakup Usta.“
Abb. 1
… waren nur einige Aussagen, die von den Kindern zu unserem multikulturellen Alltag getroffen wurden.
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Gisela Larisch
Diese Vorgehensweise regte die Kinder zur Wahrnehmung ihrer Umwelt und Verständigung bzw. Auseinandersetzung mit anderen Kindern und Kulturen an. Dieser Ansatz bietet aus unserer Sicht, einen fruchtbaren Boden für eine Erziehung im interkulturellen Kontext. Die Aussagen der Kinder wurden mittels Computer in die Portraits der Kinder integriert. Aus den einzelnen Fotos mit ihren vielfältigen Aussagen, haben wir ein 2,5 m x 4,0 m großes Kindernetz geknüpft. Die dadurch entstandene ästhetische Dimension führte nicht nur bei den Kindern unserer Einrichtung zu einem intensiven Austausch untereinander. Eltern, Gäste und Interessierte hielten staunend vor dem Kindernetz inne und ließen die Aussagen der Kinder auf sich wirken. Dieser Projektteilschritt zeigt, dass das Spektrum Interkultureller Erziehung mit relativ einfachen Mitteln medienpädagogischer Arbeit verknüpft werden kann. Neue Formen medienpädagogischer Praxis (hier: Verknüpfung von Bild und Text) sind ein positives Beispiel dafür, welche Ergebnisse erzielt werden können, wenn man Medien dialogisch benutzt.
Abb. 2
Fotostories – Geschichten in Wort und Bild Überlegungen zum Medium der Fotostory, aufgezeigt anhand eines Fotoprojektes. Christina Hornar
1. Einleitung Die Möglichkeit, Fotostories1 selbst zu produzieren, erfreut sich bei Kindern und Jugendlichen großer Beliebtheit. In wenigen übersichtlichen Schritten können sie eigenständig eine Fotostory anfertigen. Bekannt sind Fotostories vor allem durch Foto-Love-Story’-Serien aus der Jugendzeitschrift Bravo oder anderen Kinder- und Jugendzeitschriften. Durch sequentiell angeordnete Fotos kann man Geschichten szenisch umsetzen und durch hinzugefügte Texte zum Leben erwecken. Im Rahmen der medienpädagogischen Arbeit an Schulen oder außerschulischen Einrichtungen bieten sich Projekte zu Fotostories an, da die technischen Voraussetzungen inzwischen keine unüberwindbaren Anforderungen für alle Beteiligten mit sich bringen. Für die Realisation eines Fotostory-Projektes benötigt man (Digital-)Kameras, einen PC für das Einfügen von Texten und Layout sowie Ideen und etwas Zeit. Ein kreativer Umgang mit Fotografie und Text sollte dabei im Vordergrund stehen, da die Fotostory von der Verbindung von Text und Bildern lebt. Der vorliegende Beitrag ist ein Versuch, das Thema ‚Fotostories‘ oder ‚Fotogeschichten‘ im Bereich der Grundschule näher zu betrachten. Im ersten Teil findet eine Auseinandersetzung mit dem Medium der Fotostory statt, dabei werden die Charakteristika von Fotografie und Text sowie ihr Zusammenhang erörtert. Im zweiten Teil der Arbeit geht es um die Vorgehensweise und um Erfahrungen bei der Umsetzung von Fotostories, dargestellt an Beispielen. Zusätzlich wird eine Checkliste angefügt, mit deren Hilfe Fotogeschichten geplant und durchgeführt werden können. In Fotostories haben Kinder die Möglichkeit, sich selbst darzustellen. Durch eine Fotostory können sie einen Teil ihrer Lebenswelt zeigen. Fotostories sind außerdem ein Ausdruck der Lebenswelt der Kinder. Durch Fotos können sie ihre Ideen, Wünsche, Phantasien und auch Befürchtungen ausdrücken. Mit Unterstützung von Texten werden die Geschichten für die Außenwelt begreifbar gemacht. Die dargestellten Geschichten können Aufschlüsse über die Wahrnehmung und Erlebniswelt der kindlichen Produzenten geben. Ein weiterer Vorteil des Einsatzes der Fotostory im Unterricht ist die Verbindung des Fabulierens mit der Fototechnik. Bloech begründet die Vorzüge einer Fotostory mit der Aussage: „Eine Fotostory verbindet harmonisch die Faszination für ein technisches Medium mit der Lust am Erzählen und am Rollenspiel.“(2001: 34). Die Fotostories können einen primär realen, und somit selbst erlebten, oder einen erfundenen Hintergrund haben. Der primär reale Hintergrund kann auf von den Kindern selbst erlebten Situationen basieren, während ein überwiegend erfundener Hintergrund sich oft auf Eindrücke aus Erzählungen, Büchern, Filmen bezieht. Eine Fotostory kann sowohl reale wie auch
1 Die Begriffe Fotostory, Fotogeschichte, Fotoroman und Fotocomic werden in der Fachliteratur teilweise synonym gebraucht.
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fiktionale Elemente enthalten, viele Fotostories basieren auf einer Mischform zwischen einem realen und fiktiven Hintergrund.
2. Charakteristische Eigenschaften der Fotostory Was unterscheidet nun die Fotostory von vielen anderen Fotografiearten, wie beispielsweise die Dokumentarfotografie, die Reisefotografie oder die künstlerische Fotografie? Die Fotostory besteht aus Fotos und Text, sie ist als eine Geschichte zu verstehen, die mithilfe von Fotografien und Text erzählt wird. Die Fotos vermitteln im Zusammenhang mit dem Text eine Botschaft. Um eine Fotostory herzustellen, wird eine inszenierte Situation fotografisch festgehalten und anschließend mit Text vervollständigt. Röll analysiert die medienpädagogischen Potenziale der digitalen Fotografie und gliedert deren Möglichkeiten in mehrere Konzepte auf. Im Konzept ‚Fotografie als Narration‘ sind die Formen der Fotogeschichten und -comics zu finden. Dabei unterscheidet er zwischen Fotocomics und Fotogeschichten. Für ein Fotocomic werden viele Fotos benötigt, um eine Handlung darzustellen. Die Fotos überwiegen quantitativ, der Text wird meist in Form von Sprechblasen integriert. Bei einer Fotogeschichte hingegen hält sich die Quantität an Text und Fotos die Waage. In einer Fotogeschichte nimmt der Text in etwa genauso viel Platz ein wie die Bilder (vgl. Röll 2002: 52). Eine Fotostory besteht aus einer Reihe von Zeichensystemen und Codes, die von dem Leser in einer bestimmten Form decodiert und gelesen werden. Dabei gehen die Fotos und der dazugehörige Text eine Symbiose ein, sie stellen die Grundelemente der Fotostory dar. Schimming (2002) beschreibt die Merkmale der Fotostory als ein Zusammenspiel von Bild und Text. Der Leser muss sowohl den Text als auch das Bild entschlüsseln. Im Folgenden wird auf die beiden wichtigen Elemente der Fotostory, auf die Fotografie und den Text, eingegangen.
Fotografie Fotografien machen die Story erst zur Fotostory. Doch wie werden Fotografien ‚gelesen‘? Eine Fotografie ist laut Schimming (2002) ein ikonisches Zeichen. Die Fotografie wird demnach als ein Zeichen verstanden, welches durch verschiedene Codes durch den Betrachter entschlüsselt wird. Schulz von Thun (1981) entwickelte ein kommunikationspsychologisches Modell zur Interpretation von Informationen beziehungsweise von Nachrichten. Nach Schulz von Thun beinhaltet jede Information vier Ebenen sowohl auf Sender- als auch auf Empfängerseite: 1 1 1 1
die Sachebene die Beziehungsebene die Appellebene die Selbstoffenbarungsebene
Die Sachebene stellt den sachlichen Inhalt dar, die Beziehungsebene weist auf eine Beziehung zwischen dem Sender und dem Empfänger hin, die Appellebene fordert den Empfänger der Nachricht zu einer Reaktion auf und schließlich zeigt die Selbstoffenbarungsebene Informationen über den Sender der Nachricht.
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Aufbauend auf dem kommunikationspsychologischen Modell entwickelte Holzbrecher (2004) ein Modell der Bildhermeneutik. Demnach ist eine Fotografie als Zeichen zu verstehen, das ebenfalls auf der Produktions- und auf der Rezeptionsseite die oben dargestellten vier Ebenen beinhaltet. Fotoprojekte gestalten sich als ein kommunikativer Prozess, da durch das Medium Fotografie Informationen vom Sender zum Empfänger übermittelt werden. Fotografien können in analoger oder, wie heutzutage meist üblich, in digitaler Form vorliegen. Digitale Bilder bieten viele Vorteile, wie eine einfache und schnelle Archivierung, eine Weiterbearbeitung mit Bildbearbeitungsprogrammen und sicherlich eine kostengünstigere Alternative zu analogen Fotos. Die Fotostory enthält in den Fotografien Codes und Hinweise, die dem Betrachter signalisieren, ob es einen Szenenwechsel gibt oder ob die Szene weitergeführt wird. Dieses wäre an Attributen wie Hintergrund, Personen, Kleidung zu erkennen (vgl. Schimming 2002). Wenn die genannten Attribute wechseln, so deutet das meist auch auf einen Szenen- oder Ortswechsel in der Geschichte hin. Gelegentlich zeigt ein Textband über dem Bild den Szenenwechsel verbal an: „Am nächsten Tag“, „Am anderen Ende der Stadt“.
Text Die Fotografie, für sich alleine stehend, lässt viele Deutungsmöglichkeiten zu. Der Text aber kann die Bilder kommentieren und in eine bestimmte Richtung lenken (vgl. Schimming 2002). Dabei entsteht eine Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Text und der Fotografie, die zu übermittelnde Nachricht des Bildes wird vom Inhalt des Textes bestimmt (vgl. ebd. S.12ff.). Die Verknüpfung von Bild und Text ist für die Aussage der Fotostory bezeichnend. Die Fotos werden in einer chronologischen Reihenfolge angeordnet, die dem Lauf der Geschichte entspricht und werden mit dem Text unterfüttert. Dabei kann es auch Rückblenden und Vorausschauen geben. Der Text kann die Bilder kommentieren, er kann in Form von Sprechblasen und Textbalken oder als Fließtext in oder neben den Fotos eingebaut sein. Dabei weisen die Sprech- oder Denkblasen durch ihre Pfeile den Text den abgebildeten Figuren zu. Die Form der Sprech- und Denkblasen sowie die Schriftgröße und -art beeinflussen jeweils auch den verbalen Inhalt. Ebenso können in den Sprechblasen Lautbildungen zum Unterstreichen und zum Darstellen beispielsweise von Emotionen verwendet werden. Die Struktur einer Fotostory zeigt Ähnlichkeit mit Strukturelementen der Comics auf. Fotostories werden nach einem ähnlichen Muster wie Comics gelesen und weisen in ihrer Aufbaustruktur Affinitäten mit diesen auf, wie die sequentielle Bildfolge und die Kombination von Schrift und Bild. Auch in einem Comic wird eine Geschichte mittels Bildern, Text und ausgeschriebenen Lautäußerungen dargestellt.2 Ausgehend von der narrativen Struktur der Fotostory zeigt sich, dass die Fotos oft beschreibende Elemente einer Geschichte beinhalten. Dazu gehören zum Beispiel die Kleidung, das Aussehen sowie die Räumlichkeiten. Die Handlung selbst und nicht sichtbare und somit nicht direkt nachvollziehbare Sinneseindrücke werden durch den Text hinzugefügt (vgl. Schimming 2002).
2 Zu den Charakteristika von Comics wird auf McCloud, Scott (2001): Comics richtig lesen.– Die unsichtbare Kunst. 5. Aufl. Carlsen, Hamburg, verwiesen.
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Der Text beschreibt, was nicht unmittelbar auf dem Bild zu sehen ist. Im unteren Bildbeispiel (Abb. 1) wäre es überflüssig zu erwähnen, dass es sich im Bild um ein Mädchen und einen Jungen handelt. Hingegen wird der Handlungsmoment und der Dialog in Form von Sprechblasen wiedergegeben.
Zusammenspiel von Fotografie und Text Der Text in einer Fotostory unterstützt die Aussage der Bilder und ergänzt sie so, dass eine Geschichte entsteht. Texte erwecken Bilder zum Leben, sie geben ihnen eine Handlung. Durch das Hinzufügen eines Textes zum einem Bild wird die Interpretation der Bildaussage erheblich beeinflusst. Die Leser als Rezipienten werden in ihrer Bildinterpretation durch den Text gelenkt. Durch das Lesen des Textes kann sich der Leser die abgebildete Handlung oder Situation vorstellen, die fehlenden Bilder können innerlich die Bilder ergänzt werden. Der Text kann die Bildaussage verändern. Dargestellte Situationen oder Elemente im Bild können durch das Hinzufügen von unterschiedlichen Texten auf mehrere Arten verstanden werden. Dieses wird am folgenden Bildbeispiel (Abb. 1) erläutert.
Abb. 1: Bildvorlage aus einer Fotostory
Das Bildbeispiel (Abb. 1) wurde einer Fotostory entnommen, die innerhalb eines Fotoprojektes in der Primarstufe entstanden ist. Während das Foto gleich ist, wurde der Text zu den Fotos verschieden gestaltet. Die Sprechblasen haben einen unterschiedlichen Inhalt und weisen auf verschiedene Situationen hin.3 Im Foto links machen sich die zwei Personen laut Dialog auf die Suche nach ‚Harry’, einer dritten Person in dieser Fotostory. Im Foto rechts fragt das Mädchen den Jungen, ob er bei einem ‚Zauberer-Spiel’ mitmacht, er zeigt kein Interesse. Dasselbe Bild kann demnach durch verschiedenen Textinhalt in einem anderen Kontext verstanden und gedeutet werden. Bilder ohne Text oder Überschriften ermöglichen dem Betrachter eine sehr große Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten, die, je nach Zielgruppe, die Betrachter auch überfordern kön-
3 Der oben dargestellte Text der Sprechblasen ist von der Autorin frei erfunden. Er ist nicht von Schülern.
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nen. Die Bildaussage kann verschieden verstanden und gedeutet werden. Durch den Text kann die Bildaussage bewusst gelenkt oder auch manipuliert werden. Peez geht der Frage nach, wie man die Simultaneität einer Fotografie und die Sequenzialität eines sprachlichen Textes aufeinander beziehen kann. Dabei stellt er folgenden Unterschied zwischen der Wort- und der Bildsprache fest: „Ein wortsprachlicher Text [ist] immer chronologisch in ein Vorher und Nachher geordnet (…) [und] ist somit linear, sequenziert, zeitlich nacheinander gegliedert“ (Peez 2004: 2). Ein Foto hingegen ist simultan, da es gleichzeitig mehrere Informationen präsentieren und vermitteln kann. In der Fotostory bleibt zwar das einzelne Foto simultan, die Aufeinanderfolge von mehreren Fotos dagegen wird ebenfalls sequenziell.
3. Elemente eines Fotostory-Projektes Fotostories eignen sich dazu, in der Grundschule narrative Strukturen über Bild und Text einzuführen. Insbesondere eignen sie sich zur eigenen Produktion, etwa in einem Projekt. Bei der Erarbeitung der Geschichten für die Fotostories ist es wichtig, den eigenen Erlebniswelten der Kinder freien Entfaltungsraum zu geben und sie zum kreativen Umgang mit der (Digital-) Kamera anzuregen. Im Folgenden werden ausgewählte Projektbereiche aufgezeigt. Projekte zu ‚Fotostories – Geschichten in Wort und Bild‘ können in allen Altersstufen durchgeführt werden. Hier werden bei den einzelnen Fotoprojektphasen Erfahrungen aus einem durchgeführten Fotoprojekt an einer Grundschule mit einer zweiten Klassenstufe reflektiert. Der zeitliche Umfang kann sich auf etwa vier aufeinanderfolgende Schulvormittage erstrecken. Im Folgenden wird eine Konzeption eines Fotoprojektes vorgestellt.
Vorbereitung und Verfassen der Geschichten Am ersten Schulvormittag kann die Einführung und die Vorbereitung des Fotoprojekts stattfinden. Die Schüler sollten zuerst mit den Eigenschaften von Fotostories vertraut gemacht werden. Den Schülern können als Impuls für den Einstieg in die Thematik Auszüge einer Fotostory aus einer Jugendzeitschrift verteilt werden. Als Einstieg in die Thematik eignet sich eine Phase der Auseinandersetzung mit einer oder mehreren Fotostories, woraus sich bei den Schülern die Motivation ergibt, mit Kameras zu arbeiten. In dieser Phase sollten auch Charakteristika der Fotogeschichten erkannt werden. Wegen der geringeren Textmenge wählt man in jüngeren Klassen die Variante mit den Sprechblasen. Der erste Schritt bei der Umsetzung der Idee der Fotostory ist es, Geschichten zu sammeln, die anschließend von den Schülern fotografisch umgesetzt werden können. Als Hilfestellungen können Fantasiegeschichten oder real erlebte Situationen von den Schülern behilflich sein. Die Schüler sollten bei der Vorbereitung der Fotostories ihre Geschichte in Form eines Storyboards zeichnen. Eine wichtige Bedingung ist, dass die jeweilige Geschichte auch in Szenen nachgespielt und fotografiert werden kann. Das (Er-)finden der Geschichten für die Fotostories kann in Gruppenarbeit erfolgen.
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Themen der Fotostories Betrachtet man die Themen der Fotostories aus dem durchgeführten Projekt, so fällt es auf, dass die Schüler sich Themen aus ihrer Erlebniswelt für die Fotostories ausgesucht haben. Einige Schüler orientierten sich an real erlebten Situationen und griffen diese auf. Andere Schüler ließen ihrer Fantasie freien Lauf und dachten sich eigene Phantasiegeschichten aus. Wieder andere überlegten sich Geschichten, die sich an Büchern oder Filmen orientierten: „Da ich viele Pferdebücher lese, habe ich mir eine Geschichte ausgedacht, in der ich Pferde spielen konnte“, so eine Schülerin. Die Fotostory-Gruppe ‚Harry Potter‘ orientierte sich an der populären Figur Harry Potter und seinen Abenteuern. Den Schülern war die Geschichte bekannt. Die medialen Eindrücke, sei es durch Printmedien oder Filme, verarbeiteten die Schüler, indem sie in verschiedene Rollen schlüpften und eine Szene aus dem Harry Potter Band ‚Der Stein der Weisen‘ nachstellten. Das Annehmen einer anderen Rolle bedeutete das Verändern des eigenen Verhaltens und das Übernehmen einer anderen Denkweise für die Dauer des Rollenspiels. Die Schüler versuchten, die typischen Eigenschaften der gespielten Charaktere herauszuarbeiten und in Bild und Text darzustellen. Durch das Rollenspiel haben die Schüler neue Verhaltensweisen eingeübt und ausprobiert. Die Fotostory ‚Die wählerische Prinzessin‘ behandelte ein Thema aus der Märchenwelt. Dabei wird eine Prinzessin von mehreren Prinzen mit Geschenken wie Blumen, Kleider und Torten umworben, sie aber will keinen von ihnen heiraten. Erst als der letzte Prinz ihr einen Liebesbrief überreicht, ist sie glücklich und „hat Tränen in den Augen.“4 In dieser Geschichte stellen die Kinder die Thematik der Liebe in den Vordergrund und übermitteln mit der Fotostory die Botschaft, dass sich Liebe nicht mit materiellen Werten erkaufen lässt. Das Thema der Fotostory ‚Sonjas Unfall‘ (Abb. 2) hingegen entstammt aus dem unmittelbaren Alltag der Schüler: Sonja, eine Schülerin, verletzt sich beim Spielen auf dem Schulhof am Arm. Die Lehrerin benachrichtigt Sonjas Eltern, während die Schulkrankenschwester Sonja verarztet. Sonja wird von ihrer Mutter ins Krankenhaus gefahren und der Arm wird eingegipst. Die Schüler inszenieren eine Geschichte, die real passiert ist oder passieren könnte. Sie übernehmen verschiedene Rollen und versetzen sich in die dargestellte Person. Die Handlung und der Text werden danach ausgerichtet. Die entstandene Fotostory überträgt eine größtmögliche Dynamik in ihren Bildern, indem sie versucht, die Handlungen konkret darzustellen. Unterstützt werden die Bilder durch Dialoge, die der Handlung Lebendigkeit verleihen. Es ist nicht notwendig, das Foto genau zu beschreiben, da der Leser beim Betrachten von Bild und Text den Zusammenhang erstellt und so die Information decodiert. Abbildung 2 zeigt einen Auszug aus der Fotostory ‚Sonjas Unfall‘. Der Text erklärt, warum Sonja gestolpert ist und verdeutlicht durch den ‚Aua, aua!‘ Ausruf, dass der Arm sehr schmerzt. Verstärkt wird die Glaubwürdigkeit des Schmerzes durch den leidvollen Blick der Schauspielerin. Dass Melanie zur Lehrerin ‚rennt’, wird auch nicht in den Bildern gezeigt. Das nächste Bild zeigt schon Melanie und die Lehrerin, die bei Sonja sind. Auch an diesem Beispiel wird deutlich, wie sich Text und Bild ergänzen. Würde man die Geschichte nur mit Bildern oder nur mit Text erzählen müssen, bräuchte man jeweils mehr Platz.
4 Textauszug aus der Fotostory ‚Die wählerische Prinzessin‘.
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Und da ist es passiert. Sonja ist über den Besen gestolpert. Sie liegt auf dem Boden und weint. Melanie rennt zur Lehrerin und die Lehrerin kommt und schaut sich den Arm an. Melanie, Sonja und die Lehrerin gehen ins Lehrerzimmer rein. Abb. 2: Auszug aus der Fotostory ‚Sonjas Unfall‘
Storyboards als Grundgerüst bei der Erstellung einer Fotostory Die Möglichkeit, die Schüler die Geschichte in Form eines Storyboards zeichnen zu lassen, bietet sich an, da Fotostories auf einer Bilderfolge beruhen. Ein Storyboard ist eine Zeichnung oder Skizzenfolge, die den Ablaufplan eines Filmes, oder in diesem Falle einer Fotostory, visualisiert. Das Storyboard stellt das Grundgerüst für die weiteren Arbeitsschritte dar. Bei der Erstellung der Storyboards können die Schüler innerhalb ihrer Gruppe in Partnerarbeit arbeiten. Bei dieser Form des Arbeitens können sich die Schüler austauschen und sich gegenseitig Impulse geben. Dabei sollten die Zweiergruppen verschiedene Szenen des Storyboards der Geschichte gestalten. Im Storyboard werden Dialoge, Handlungen und auch etwaige Hinweise in Bezug auf Requisiten festgehalten. Zur besseren Verständlichkeit wird nachfolgend als Beispiel ein Auszug (Abb. 3) aus dem Storyboard der Fotostory ‚Die wählerische Prinzessin‘ abgebildet5. Die dazugehörigen Szenen aus der Fotostory folgen weiter unten (Abb. 4).
Abb. 3: Auszug aus dem Storyboard der Fotostory ‚Die wählerische Prinzessin‘
5 Der zum Teil unleserliche Text in den Sprechblasen der Abb. 3 wird in Abb. 4 lesbarer präsentiert.
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Das Storyboard zeigt sich als eines der wichtigsten Elemente bei der Planung, Vorbereitung und Durchführung der Fotoaufnahmen. Durch das Erstellen eines detaillierten Storyboards müssen sich die Teilnehmer schon vor dem Fotografieren genau überlegen, was und wie fotografiert werden muss. Es wird herausgearbeitet, wie etwas dargestellt wird und welche Requisiten man dafür benötigt. Ebenfalls wichtig ist das Festlegen einer Anzahl von Bildern, die aufgenommen werden sollten. Dadurch müssen die Bilder gezielt konstruiert werden. Die Storyboards versetzen die Kinder in die Lage, selbstständig die aufgezeichneten Szenen nachzustellen und sie fotografisch festzuhalten. Mit einer derartigen Vorlage können alle Kinder der Gruppen verfolgen, welche Bilder als nächstes aufgenommen werden, welche Bilder noch fehlen und welche Requisiten benötigt werden. Eine Schülerin beschreibt die Arbeit mit dem Storyboard folgendermaßen: „Ich hab auf meinen Zettel gekuckt, was als nächstes passiert in der Geschichte. Wir haben passende Gegenstände besorgt und die Situation dann nachgemacht und fotografiert. Es hat mir viel Spaß gemacht mit meinen Freundinnen die Geschichte nachzuspielen.“ Der Einfluss des ‚Rollenspiels‘ übernimmt bei der Umsetzung der Fotogeschichten eine wichtige Rolle. Im Rollenspiel stellen die Schüler die aufgezeichnete Szene nach. Sie sollten versuchen, sich möglichst an die aufgezeichneten Szenen im Storyboard zu halten. Manchmal kann eine Szene nicht genau so realisiert werden wie geplant, dann gilt es nach Alternativen und Ausweichmöglichkeiten zu suchen.
Eines Tages kam ein Prinz mit Blumen, gab sie ihr und fragte sie: „Willst du mich heiraten?“ Prinzessin Anna nahm die Blumen und guckte sie genau an. Drei Wochen später kam ein anderer Prinz mit Kuchen. Anna sah den Kuchen und sagte zum Prinzen: „Willst du dass ich dick werde?“ Abb. 4: Auszug aus der Fotostory ‚Die wählerische Prinzessin‘
Die Schüler in diesem Beispiel fotografierten die Szene in verschiedenen Ausführungen und entschieden sich dann für die obigen Aufnahmen. Vergleicht man die Aufnahme mit der Zeichnung im Storyboard (Abb. 3), stellt man fest, dass das erste Bild fast wie im Storyboard vorgesehen aufgenommen wurde. Die Idee zum zweiten Bild entstand während des Rollenspiels, daraufhin wurde auch der Text etwas geändert. Im Storyboard war nicht vorgesehen, dass der Prinz den Kuchen ins Gesicht gedrückt bekommt. Dies war ein spontaner Einfall eines Schülers der Gruppe. Diese Form der Projektarbeit lässt einen flexiblen und veränderlichen Arbeitsrhyth-
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mus zu, da im Laufe des Projektes neue Ideen entstehen können und möglicherweise alte verworfen oder modifiziert werden. Es kann aber auch sein, dass der Fotografierende den Moment verpasst hat, der im Storyboard vorgesehen ist, und dass deshalb zu früh oder zu spät abgedrückt wird. Ebenfalls fehlen in der fertigen Fotostory die Sprechblasen, die im Storyboard vorgesehen waren.
Das Schreiben der Texte Das kreative Schreiben als Methode kann sich als eine hilfreiche und geeignete Methode zum Verfassen der Texte für die Fotostories erweisen. Bei dem Verfassen der Texte für die Fotostories sollten die Schüler versuchen, durch den Text das auszudrücken und zu beschreiben, was auf dem Bild nicht direkt darzustellen ist. Dazu gehört es vor allem, Dialoge zu entwickeln oder Handlungen zu beschreiben, die ‚zwischen‘ den Bildern liegen. Mit dem Text sollten die Bilder in einer sinnvollen Weise verknüpft werden. Diese dienen dazu, dem Leser die Geschichte verständlich zu präsentieren. Die Texte können in Form von Sprechblasen, Textbalken oder Fließtext zunächst in das Storyboard und später in die Fotos eingefügt werden.
Durchführung der Fotoaufnahmen Am zweiten Vormittag können die Szenen für die Fotostories in Rollenspiele eingeübt, szenisch nachgestellt und anschließend von den Schülern fotografiert werden. Jede Gruppe sollte während der Fotografierphase von einer Betreuungsperson begleitet werden, die bei auftretenden Problemen gegebenenfalls helfen kann. Die Schüler sollten dabei möglichst selbstständig arbeiten können. Zunächst sollten die Kinder von den Betreuern der Gruppen in das Fotografieren mit einer Digitalkamera eingewiesen werden. Einige haben damit sicherlich schon Erfahrung, andere sollten die Grundfunktionen der Digitalkamera kennen lernen, wie den Auslöser und den Zoom. Besonderer Wert sollte auf die mögliche Kontrollfunktion des Displays gelegt werden. Die Schüler können so unmittelbar nach dem Aufnehmen der Bilder das Ergebnis auf dem Display betrachten. Ist das Foto nicht zufriedenstellend, können sie die jeweilige Szene noch einmal fotografieren. Ein Löschen der Bilder muss nicht eingeführt werden, zum einen bieten die Speicherkarten genug Platz und zum anderen können unzufriedenstellende Aufnahmen in der Reflexionsphase einen Lerneffekt bieten. Es empfiehlt sich, eine Szene aus dem Storyboard zwei bis dreimal aufzunehmen, um anschließend die Möglichkeit zu haben, das passendste Foto auszusuchen. Vor allem in der Fotografierphase sind die Vorteile des Storyboards eindeutig. Während dieser Projektphase ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Storyboard wichtig. Es dient den Kindern als Drehbuch für die jeweiligen Szenen. Die gezeichneten Szenen des Storyboards müssen noch eingeübt und fotografisch umgesetzt werden. Bei dem durchgeführten Projekt erwies sich eine nicht gezeichnete Szene im Storyboard der ‚Harry Potter’-Fotostory aus der Sicht eines Schülers ein wenig problematisch: „Am Schluss wussten wir nicht mehr, was wir machen sollten, weil uns ein Bild gefehlt hat, das wir nicht gezeichnet hatten. Das Bild wo Voldemort besiegt worden ist. Frau Schmidt (Name geändert) hat uns dann geholfen.“
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Gruppenprozesse Die Schüler können sich eigenständig die Rollen innerhalb der Gruppe aufteilen. Die Rollen müssen nicht für jeden Schüler fest sein, sie können rotieren. So sollte möglichst darauf geachtet werden, dass jeder Regie führen darf und fotografieren kann oder in der Fotostory einen Charakter nachspielt. Einige stellen sich selbst gerne dar, andere müssen mitmachen, obwohl sie das nicht oder so nicht wollen. Die Rollenaufteilung verläuft nicht immer reibungslos, eine Schülerin bemängelte die Aufteilung der Rollen: „Ich fand die Fotostory sehr gut. Gemein war aber, dass ich und Markus nur am Anfang mitspielen durften.“ Schon bei der Themenwahl sollte auf die Art der Rollenverteilung geachtet werden. Eine Geschichte sollte genügend Charaktere bieten, so dass keine Schüler benachteiligt werden. Die Schüler sollten in der Lage sein, die gezeichneten Szenen eigenverantwortlich als Rollenspiel in Bilder umzusetzen. Dabei ist es von großem Vorteil, wenn die Szenen vorher eingeübt wurden. Wie es sich im durchgeführten Projekt gezeigt hat, kann es innerhalb der Gruppen Kinder geben, die den Produktionsablauf stärker steuern und die Rolle eines Regisseurs lieber annehmen, andere hingegen bevorzugen es eher, hinter der Kamera zu sein, und wieder andere stehen gerne vor der Kamera und lassen sich fotografieren. Bei den Rollenzuweisungen gibt es Geschlechterunterschiede, die Mädchen bevorzugen eher ‚schöne’ und emotionale Rollen, wie beispielsweise die schön gekleidete Prinzessin. In der Fotostory ‚Sonjas Unfall’ zeigte die Protagonistin durch ihre Mimik Gefühle wie Schmerz, Angst, und schließlich Freude. Die Jungen übernahmen gerne ‚männliche‘ Rollen, in denen sie Stärke und Mut zeigen konnten, so in der Fotostory ‚Der Stein der Weisen‘ (Abb. 5). Emotionale Gefühle darzustellen war ihnen eher unangenehm: Der Prinz, der schließlich die Prinzessin heiraten durfte, scheute sich, sie für das letzte Foto zu umarmen. Solche Probleme sind für Rollenspiele typisch. Insbesondere können sie in interkulturellen Kontexten auftreten. Eine Umarmung kann je nach Kultur eine Begrüßungsform darstellen oder schon einen Ausdruck eines tieferen Gefühls. Dieser Problematik sollte man sich als Lehrperson bzw. Projektleitung bewusst sein und bei deren Auftreten nach Alternativen suchen. Zwang zu einer Rolle oder Handlung wäre kontraproduktiv.
Plötzlich erscheint Voldemort aus einem Gebüsch und kämpft mit Harry. Harry und Voldemort kämpfen nun um ihr Leben. Harry besiegt Voldemort. Abb. 5: Auszug aus der Fotostory ‚Der Stein der Weisen‘
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Das Bildbeispiel aus ‚Der Stein der Weisen‘ (Abb. 5) zeigt im ersten Bild den Beginn einer Kampfszene, das zweite Bild hingegen ist etwas undeutlich. Ohne Text würde es dem Betrachter schwer fallen, das Bild zu verstehen. Doch der hinzugefügte Text erzählt, dass die beiden Figuren ‚um ihr Leben kämpfen‘ und schließlich einer besiegt wird. Durch diese Erklärung wird das Bild deutlicher, man erkennt eine am Boden liegende Person, die sich die Hand schützend vor das Gesicht hält, um nicht verletzt zu werden.
Zusammenfügen von Bild und Text sowie Präsentation der Ergebnisse Am dritten Projektvormittag können von den Schülern aus den aufgenommenen Fotos jene ausgewählt werden, die für die Fotogeschichten am passendsten sind. Dabei ist es von Vorteil, wenn die Fotos ausgedruckt vorliegen. Auch in dieser Phase ist die Zusammenarbeit mit dem Storyboard wichtig. Nach der Auswahl der Fotos werden die Texte in einem Textverarbeitungsprogramm von den Kindern mit Unterstützung der Betreuungs- und Lehrpersonen mit den Bilderfolgen verknüpft. Dabei können Sprechblasen oder auch Fließtexte eingefügt werden. Die Details der Verarbeitung werden an anderer Stelle beschrieben, z.B. im Artikel Kleine Projekte Studierender. Nachdem die Texte den Bildern zugeordnet werden, können sich die Schüler dem Layout der Fotostories widmen, sie können die Schriftart, -größe und -farbe bestimmen. Am letzten Projektvormittag können die fertigen Fotostories gezeigt werden, dafür bieten sich verschiedene Präsentationsformen an. Sie können als Wandzeitung, als Ausstellung im Schulgebäude oder Klassenraum präsentiert werden. Um die Ergebnisse auch in der Familie und im Freundeskreis zu zeigen, bietet es sich an, die Fotostories zu kopieren und sie zu einem kleinen Heft zu binden.
Ausblick Die Ergebnisse des Projektes ermutigen, weitere fotopädagogische Projekte anzuregen. Das Erstellen von Fotostories birgt ein reiches didaktisches Potenzial. Durch die einfache Handhabung und Vorbereitung eignet es sich hervorragend für medienpädagogische Projekte in Primarstufen. Der klare Aufbau der Fotostories durch Bild und Text lässt eine feste Struktur während der Projekte erkennen. Bei den Fotoprojekten steht nicht die Technik im Vordergrund, sondern vor allem die Entfaltung eines Gruppenprozesses durch verschiedene Methoden und Medien. Die Kinder können durch das Medium der Fotografie Ausschnitte ihrer realen und fiktiven Lebenswelt einfangen.
4. Checkliste für die Durchführung von Fotoprojekten am Beispiel von Fotostories Die folgende Checkliste kann als Hilfestellung für ähnliche Projekte oder als Anregung dienen. Sie hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
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Christina Hornar
Checkliste für die Durchführung einer Fotostory Einführung und Vorbereitung der Fotostory 1 Beispiele von Fotostories mit der Klasse besprechen 1 Projektidee 1 Gruppenorganisation 1 Zeichnen von Storyboards zu den Geschichten 1 Planung der Textteile je Foto 1 Auswahl der Geschichten, sie müssen fotografisch umsetzbar sein 1 Vorbereitung der Fotoaufnahmen (Requisiten) Durchführung der Fotoaufnahmen Einüben der Szenen im Rollenspiel Einführung in das Fotografieren mit Digitalkameras (Grundfunktionen). Schüler fotografieren selbstständig, orientieren sich am Storyboard 1 Eine Begleitperson gibt, wenn notwendig, Hilfestellungen 1 Bildauswahl (z.B. in Gruppenarbeit) 1 Hinzufügen (mit Hilfe der Betreuungsperson) der dazugehörigen Texte zu den Fotos 1 1
Präsentation der Fotostories und Evaluation des Projektes Fotostories im Printformat (Klassen-, Schul- oder Wandzeitung) Fotostories im digitalen Format (Internet, CD-ROM o.ä.) Die Evaluation und Reflexion des Projektes im Klassenverband
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Literatur Bloech, Michael (2001): Die Fotostory neu entdecken. In: Günther Anfang/ Kathrin Demmler/Klaus Lutz (Hrsg.): Erlebniswelt Multimedia. Computerprojekte mit Kindern und Jugendlichen. Materialien zur Medienpädagogik Band 2. kopaed verlags gmbh, München. S. 34-37. Bräuer, Gerd (Hrsg.) (2004): Schreiben(d) lernen. Ideen und Projekte für die Schule. Edition Körber-Stiftung, Hamburg. Holzbrecher, Alfred (2004): Den Bildern auf der Spur. Fotoprojektdidaktik als kommunikativer Prozess. In: Holzbrecher, Alfred/ Schmolling, Jan (Hrsg.): Imaging. Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften., Wiesbaden. S.11-31. McCloud, Scott (2001): Comics richtig lesen.– Die unsichtbare Kunst. 5. Aufl. Carlsen, Hamburg. Peez, Georg (2004): Im Foto ist alles gleichzeitig. Sechs Verfahren, wie sich die Simultaneität von Fotografien und die Sequenzialität von schriftsprachlichen Texten in qualitativer Empirie aufeinander beziehen lassen. In: MedienPädagogik, Online-Magazin, 1/ 2004. http://www.medienpaed.com (Zugriff vom 05.01.2006) Röll, Franz Josef (2004): Medienpädagogische Potenziale der Fotografie im digitalen Zeitalter. In: Holzbrecher, Alfred/ Schmolling, Jan (Hrsg.): Imaging. Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. S.33- 55. Schimming, Ulrike (2002): Fotoromane. Analyse eines Massenmediums, Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M. Schulz von Thun, Friedemann (1981): Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Rowohlt-TB, Reinbek bei Hamburg, 43 Aufl. 2003. Schumacher, Irene/ Eble, Karin (2004): Fotostyling mit Digicam & Co. Fotografie in der außerschulischen Medienarbeit mit Mädchen. In: Holzbrecher, Alfred/ Schmolling, Jan (Hrsg.): Imaging. Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. S.175- 190.
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Abbildungen Die abgedruckten Fotografien und Zeichnungen stammen aus einem Fotoprojekt zu Fotostories an einer Grundschule. Sie sind zur Veröffentlichung vom Klassenlehrer, den Schülern und deren Erziehungsberechtigten freigegeben.
„Lebenswelten“ – ein fotopädagogisches Projekt an einer internationalen Grundschule Holger Klose
1. Die Fotografie als Quelle für wissenschaftliche Forschung Die Fotografie als visuelle Methode gewinnt in der qualitativen Forschung zunehmend an Bedeutung. Niesyto und Holzwarth haben den Bereich der qualitativen Forschung auf der Basis von Eigenproduktionen mit Medien untersucht. „In einer Zeit, in der Wahrnehmung und Welterleben von Kindern und Jugendlichen stark von Medienerfahrungen geprägt sind, eröffnet Forschung auf der Grundlage von Eigenproduktionen einen ergänzenden bzw. alternativen Zugang zu deren Lebenswelt.“ (Niesyto/Holzwarth 2003: 1) Die Chancen der qualitativen Forschung auf der Basis von Fotoaufnahmen liegen vor allem in der Möglichkeit, nonverbal zu kommunizieren. Da besonders Kinder sich durch Bilder oft besser ausdrücken können als mit Worten, können deren Beiträge aus den Bereichen des Zeichnens und Malens oder der Fotografie stammen. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ – dieses Sprichwort hat gerade im Primarbereich eine besondere Bedeutung. Niesyto und Holzwarth konstatieren, dass in der pädagogischen sowie in der medienpädagogischen Forschung eine systematische Reflexion über die Möglichkeit fehle, Eigenproduktionen von Kindern und Jugendlichen in Forschungsdesigns zu integrieren und als spezifische Quelle für wissenschaftliche Forschung zu nutzen. In diesem Artikel möchte ich deshalb darzustellen versuchen, ob und inwieweit die qualitative Forschung bezüglich der Lebenswelt von Kindern über die Fotografie möglich ist. In der Kinder- und Jugendforschung verlangt der subjektorientierte Forschungsansatz nach subjektadäquaten Methoden der Repräsentation. „Wer in der heutigen Mediengesellschaft etwas über die Vorstellungen, die Lebensgefühle, das Welterleben von Kindern und Jugendlichen erfahren möchte, sollte ihnen die Chance bieten, sich, ergänzend zu wort- und schriftsprachlichen Formen, auch mittels selbst produzierter Medien und damit verbundener präsentativ-symbolischer Formen auszudrücken.“ (Niesyto/Holzwarth 2003: 3) Um die Lebenswelt von Kindern besser abbilden zu können, habe ich deshalb in dem Projekt versucht, die Fotografie und das Schreiben miteinander zu verbinden. Die Bildaussage sollte durch begleitende Texte vertieft und ergänzt werden. Ziel war es, „Lebenswelten“ umfassender und kindgerecht darzustellen.
2. Der Begriff der Lebenswelt Der Begriff der ‚Lebenswelt‘ ist im allgemeinen Sprachgebrauch geläufig, er scheint selbstverständlich zu sein. Da ein einheitliches Verständnis des Begriffes aber nicht sicher gestellt ist, scheint mir eine Präzisierung des Begriffes geboten. Laut Kraus (2004: 3) liegen die phänomenologischen Wurzeln des Begriffs der Lebenswelt bei Edmund Husserl, der damit die Welt der reinen Erfahrung bezeichnet. Husserl geht davon aus, dass Erfahrungen aller Art vor dem Hintergrund eines persönlichen Erfahrungshorizontes gemacht werden. Das Ergebnis einer Wahr-
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nehmung sieht er in Abhängigkeit von dem Wahrnehmenden. Ihm zufolge ist alle Betrachtung subjektiv. Kraus versucht, von Husserls phänomenologischem Ansatz zu einer systemisch-konstruktivistischen Begriffskonstruktion zu kommen. Er stellt bei seiner Begriffskonkretisierung zwei Begriffe einander gegenüber: die Begriffe „Lebenswelt“ und „Lebenslage“. Deren Bedeutung konzentriere sich auf entgegengesetzte Schwerpunkte. Mit Lebenswelt soll nach seiner Ansicht die subjektiv wahrgenommene Welt eines Menschen bezeichnet werden, hingegen mit Lebenslage dessen ‚tatsächliche‘ Lebensbedingungen. Der Mensch konstruiert seine Lebenswelt unter den jeweiligen Bedingungen seiner Lebenslage. Die Lebenslage umfasst die materiellen und immateriellen Lebensbedingungen, wie beispielsweise die Arbeitssituation, die materiellen Ressourcen, den Wohnraum, das soziale Umfeld oder die eigene körperliche Konstitution. Die Lebenswelt ist seiner Meinung nach indes das Ergebnis der subjektiven Wahrnehmung der zur Verfügung stehenden Lebenslage. Nach Kraus gehört der Körper eines Menschen oder der genutzte Wohnraum zu seiner Lebenslage, die subjektive Wahrnehmung dieses Körpers und Wohnraums jedoch zur Lebenswelt. Er bestimmt aus systemisch-konstruktivistischem Verständnis die Begriffe Lebenswelt und Lebenslage folgendermaßen: „Als Lebenslage gelten die materiellen und immateriellen Lebensbedingungen eines Menschen. Als Lebenswelt gilt das unhintergehbar subjektive Wirklichkeitskonstrukt eines Menschen, welches dieser unter den Bedingungen seiner Lebenslage bildet.“ (Kraus 2004: 11)
3. Kommunikation durch Fotografie und Text Die Fotografie ist ein zentrales Element bei der Darstellung der eigenen Lebenswelt. Die Kinder können sich durch die Fotos mitteilen. Sie können dadurch auf mehreren Ebenen kommunizieren. Holzbrecher hat das kommunikationspsychologische Modell von Schulz von Thun auf den Bereich der Fotografie übertragen. Ihm zufolge kann ein Fotograf auf der Sachebene dokumentieren und informieren, auf der Appellebene provozieren und aufrütteln, auf der Ebene der Selbstoffenbarung sein Lebensgefühl und seine Wirklichkeit sowie auf der Beziehungsebene seine Beziehung zur fotografierten Person oder zum fotografierten Objekt zum Ausdruck bringen (vgl. Holzbrecher 2004). Auch in der Bildhermeneutik ist dieses Kommunikationsmodell verwendbar. Bildhermeneutik ist die Kunst der Auslegung und Deutung von Bildern. Sie verfolgt einerseits die Frage, was der Fotograf mit den Bildern sagen will. Andererseits geht sie der Frage nach, was durch die Bilder über den Fotografen und dessen Selbst- und Weltsicht gesagt werden kann. Holzbrecher geht davon aus, dass Bildhermeneutik ebenfalls auf den genannten vier Ebenen erfolgen kann. Er sieht in diesem Ansatz der Bildbetrachtung ein großes Potenzial, um die Intentionen der Fotografen verstehen und um deren subjektiven ‚Wirklichkeit‘ näher kommen zu können. Damit sollen lebensweltliche Erfahrungen der Fotografen leichter erschließbar werden. Trotz dieses Ansatzes der Bilderschließung kann ein Foto ohne weitere Erklärungen in Form eines begleitenden Textes den Betrachter darüber im Unklaren lassen, was genau der Fotograf damit aussagen möchte. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden: Fotografiert ein Schüler seinen Bruder, ist es dem Betrachter ohne zusätzlichen Informationen zunächst nicht möglich, diesen Jungen als den Bruder des Fotografen zu identifizieren. Es könnte ebenso gut ein Freund sein. Darüber hinaus ist es schwer möglich abzuschätzen, in welcher emotionalen Beziehung der Fotograf zu diesem Jungen steht. Eigene ergänzende Bildaussage in Form eines Textes
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kann dem Betrachter weiterhelfen. Diese Problematik wird in der Projektauswertung noch deutlicher werden. Die Texte helfen nun, Bildaussagen zu konkretisieren und zu unterstützen. Damit ist das Verfassen von Texten neben der Fotografie ein weiteres zentrales Element des Projekts. Die Textproduktion ist darüber hinaus ein fester Bestandteil des Deutschunterrichts. Die Kinder sollen ein Angebot an interessanten Schreibanregungen bekommen, das sie zum selbstständigen Schreiben motiviert. Dadurch ist das fotopädagogische Projekt „Lebenswelten“ in die Bildungspläne der Grundschulen eingebettet. Eine Textproduktion zu Fotos, wie es in diesem Projekt erfolgte, wird zum „Schreiben zu Stimuli“ gezählt (vgl. Böttcher 1999: 21ff ). Unter Stimuli versteht man Reizmittel, die als Anregung zum Schreiben dienen. Stimuli, die einen kreativen Schreibprozess in Gang setzen, können sein: 1 1 1 1 1
Musik, Bilder oder Musik und Bild Landschaften, Orte, Gegenstände Fantasiereisen Textzeilen, Wörter Fotos
Fotos können für Schüler sehr motivierend sein. Sie dienen als Ansporn, Texte zu verfassen. Sie führen zu spontanen Assoziationen, wecken die Fantasie und regen zum Schreiben an. Die Tatsache, dass die Schüler zu eigenen, selbst aufgenommenen Fotos schreiben können, steigert das Interesse der Kinder zusätzlich. Diese Möglichkeit der Selbstdarstellung wirkt stimulierend. Die Schüler können zu den Fotos viel erzählen, da ihre emotionale Verbindung zu den aufgenommenen Bildern groß ist.
4. Durchführung des Projektes „Lebenswelten“ Das Projekt „Lebenswelten“ wurde mit einer dritten und vierten Klasse der deutschen Abteilung des Lycée International1 in St. Germain-en-Laye bei Paris durchgeführt. Das Projekt umfasste drei wesentliche Projektschritte, die folgendermaßen aussahen: Fotografische Erfassung der eigenen Lebenswelt In dieser Projektphase sollten die Kinder herangeführt werden, ihre eigene Lebenswelt fotografisch festhalten zu können. Erfahrungen in der Darstellung der eigenen Lebenswelt haben die meisten Schüler bereits in Form von Freundschaftsbüchern gemacht, in denen sie Hobbys, Lieblingsfilme, Lieblingsessen, Berufswünsche und vieles mehr eintragen können. In diesem Fotoprojekt hatten die Schüler auch die Gelegenheit, jene Personen, Dinge oder Aktivitäten festzuhalten, die sie langweilen, die ihnen Angst machen oder die sie nicht mögen. Damit sollte der Schwerpunkt der eigenen Lebenswelt nicht nur auf die Darstellung der positiven Aspekte beschränkt bleiben. 1 Das Lycée International (www.lycee-international.com) ist eine internationale Schule, die sich aus 12 nationalen Abteilungen zusammensetzt. In der Schule erhalten diese Kinder Unterricht in ihrer Muttersprache. Alle anderen Fächer jedoch werden auf Französisch unterrichtet. Die Kinder wachsen zweisprachig auf. Muttersprachliche Lehrer bilden die Grundlage für eine authentische interkulturelle Begegnung am Schulort.
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Gemeinsam entwickelte Leitfragen sollten die Kinder zum Nachdenken über die eigene Lebenswelt anregen und ihnen dabei eine Hilfestellung bieten, diese besser erfassen zu können. Die Leitfragen stellten keinen Kriterienkatalog dar, dessen Bereiche alle erfasst werden sollten. Die Schüler konnten sich aber an ihnen orientieren, eigene, ihnen wichtige Bereiche hinzufügen oder andere Bereiche weglassen.
r Wen oder was habt ihr gern? Bei was geht es euch gut? Worauf freut ihr euch? Was ist interessant?
t Wen oder was mögt ihr nicht? Wovor habt ihr Angst? Worüber ärgert ihr euch? Was ist langweilig?
Nach einer Phase der eigenen Reflexion tauschten sich die Kinder mit einem Partner ihrer Wahl aus. Die Kinder überlegten anschließend, wie sie dies fotografisch umsetzen und festhalten können. Als Hausaufgabe sollten die Schüler dann ihre Lebenswelt fotografisch festhalten. Ein begleitender Brief an die Eltern sollte diesen die Wichtigkeit verdeutlichen, dass die Kinder die Motive selbst aussuchen und auch selbst fotografieren. Sollten die Kinder Schwierigkeiten im Umgang mit der Fotokamera haben, konnten die Eltern gerne helfen. Dieser begleitende Brief war wichtig, um den Kindern eine eigene, authentische Darstellung der eigenen Lebenswelt zu ermöglichen. Textproduktion, Überarbeitung und Veröffentlichung der Fotosteckbriefe In diesem zweiten Projektschritt stand die Textproduktion zu den Fotos an. Die Kinder hatten die Vorgabe, die Fotos so zu erklären, dass jeder Betrachter verstehen kann, weshalb die Fotos aufgenommen wurden. Weitere Vorgaben wurden nicht gemacht, die Fotos stellten Bildimpulse für ein freies Schreiben dar. Die Schüler tippten anschließend ihre korrigierten Texte am PC, um so die Veröffentlichung im Internet zu erleichtern. Die fertigen Fotosteckbriefe wurden von der Lehrperson im Internet unter der Adresse www.fotoprojekt-lebenswelten.de veröffentlicht. Präsentation der Projektergebnisse Bei der Präsentation der Projektarbeiten lag der Schwerpunkt zunächst bei der ausschließlichen Betrachtung der Fotoaufnahmen, ohne dass man den Text dazu lesen konnte. Die Schüler wurden dazu angehalten, sich Fotos genau anzuschauen, um die Bildaussage der Fotos zu erschließen. Es ging dabei um eine Sensibilisierung der Wahrnehmung. Die Schüler sollten erfahren, dass es möglich ist, mit Fotos zu kommunizieren. In einem zweiten Schritt konnten die Schüler dann die Texte der Fotosteckbriefe lesen. Sie verglichen, ob sich die vermutete Bildaussage bestätigt oder durch die Texte verändert. Die Kinder betrachteten zunächst aufmerksam die Fotosteckbriefe, auf denen die Texte abgedeckt waren. Sie sahen sie sich unter folgenden Gesichtspunkten an: 1 1
„Schaut euch die Bilder der Steckbriefe an. Was seht ihr darauf?“ „Warum hat euer Mitschüler / eure Mitschülerin diese Bilder gemacht?“
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Nach einer kurzen Zeit der Reflexion konnten die Kinder dann die Texte der Fotosteckbriefe aufdecken. Sie betrachteten nun die kompletten Steckbriefe unter folgender Fragestellung: 1
„Lest euch nun die Texte zu den Fotos durch. Hattet ihr mit euren Einschätzungen Recht?“
Die Schüler notierten auf einem Rückmeldezettel kurz ihre Ergebnisse, um die Auswertung zu den Fotoaussagen zu erleichtern. Anschließend konnten die Schüler in einer Reflexionsrunde ihre Eindrücke zu beiden Formen der Präsentation der Fotosteckbriefe äußern. Die Rückmeldungen der Schüler zu diesen beiden Schritten sind in der folgenden Evaluation festgehalten. Nachfolgend wird ein Schülersteckbrief exemplarisch dargestellt.
5. Fotosteckbrief einer Schülerin der Klasse 3
Mein Clown ist ein Jahr älter als ich. Er ist sehr, sehr wichtig für mich, er ist nämlich mein allererstes Kuscheltier. Ich habe ihn nämlich schon gehört, als ich im Bauch meiner Mutter war. Mein Kuschelhase ist so alt wie mein kleiner Bruder, also 4 Jahre. Ich habe ihn auf dem Schulfest von meiner Oma bekommen. Meine Alexa: Sie ist meine einzige Puppe, die ich so mag. Was ich bei ihr gut finde: Sie kann sprechen. Meinen Elefanten habe ich schon seit zwei Jahren. Ich habe ihn von meiner Oma bekommen.
Dieses Wesen ist mein kleiner Bruder. Er ist 4 Jahre jünger als ich. Manchmal ist er nett. Aber er kann ganz böse werden. Monster kann man dann zu ihm sagen.
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Dieses verrückte Huhn ist meine Mutter. Sie hat mir gesagt, dass sie auf allen Bildern sehr komisch aussieht. Wir machen immer viele Sachen zusammen, und sie kümmert sich um alles. Manchmal nervt sie mich, aber meistens ist sie lieb.
Das ist mein Diddlina-Bett. Seit ich es habe, habe ich keine Albträume mehr. Ich habe es schon seit ich aus den Ferien kam.
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Das sind meine Planeten. Ich habe sie am Ende des Schuljahres bekommen. Meine Planeten leuchten so schön in der Nacht, nur Mars nicht.
6. Reflexion und Evaluation der Fotoprojektarbeit Das Fotografieren: Das Projekt stand unter dem Anspruch, die Schüler selbstständig die Fotos aufnehmen zu lassen. Alle Kinder gaben im Unterricht an, bereits zuvor schon fotografiert zu haben. Die Kinder hatten deshalb die Aufgabe, eigenständig zu fotografieren und sich nur bei Bedarf Hilfe einzuholen. Die Aufnahmen für das Projekt waren aber nicht in allen Fällen ein Kinderspiel. So berichtete eine Schülerin, dass sie erst dachte, viele schöne Fotos aufgenommen zu haben, aber dann feststellte, nicht richtig auf den Auslöser gedrückt zu haben, so dass sie die Fotoaufnahmen wiederholen musste. Die überwiegende Anzahl der Schüler hatte kein Problem mit den Fotoaufnahmen. In beiden Klassen gaben aber jeweils zwei Kinder an, Hilfe von den Eltern verlangt zu haben. Die restlichen Kinder erledigten die Aufgabe selbstständig. Eine andere Schülerin beschrieb das folgendermaßen: „Das Fotografieren war für mich leicht, da ich die Kamera schon kannte. Hilfe brauchte ich nur bei dem Foto, wo ich den Tisch decke, da musste meine Mama fotografieren.“ Etwas schwieriger war nach Angaben der Kinder die Motivwahl. Da schilderten die Kinder die Vorgehensweise unterschiedlich. Ein Schüler gab an, dass er am Anfang nicht so recht wusste, was er fotografieren wollte. Mit seiner Mutter zusammen seien ihm dann die Motive für die Fotos eingefallen. Anderen Mitschülern fiel die Motivwahl leichter. So sagte eine Schülerin, ihr sei sofort klar gewesen, was sie fotografieren wolle. Sie habe sich erst eine Liste mit Dingen gemacht, die sie fotografieren wolle. Erst dann sei sie an das Fotografieren gegangen. Als hilfreich führten die Schüler an, zuvor die Gesprächsrunde über die Bereiche der eigenen Lebenswelt durchgeführt zu haben. Dennoch hatten drei Schülerinnen und Schüler aus der Klasse 3 Schwierigkeiten mit der erwünschten Umsetzung des Projektauftrags. Statt emotional bedeutsame Dinge aus der eigenen Lebenswelt in Frankreich fotografierten sie jene aus dem Urlaub, da die Fotos in den Herbstferien aufgenommen werden sollten. Die Aussagekraft dieser Fotosteckbriefe ist so leider nur auf die Lebenswelt des Urlaubs bezogen. Die wissenschaftliche Auswertung der Lebenswelten ist bei den drei Schülern nicht möglich. Diese Fotosteckbriefe wurden bei der Analyse auch nicht berücksichtigt, sie sind aber bei den Projektergebnissen im Internet veröffentlicht.
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Das Schreiben, das Überarbeiten und die Veröffentlichung: Die Textproduktion, die als Schreiben zu visuellen Stimuli offen angelegt war, zählte für die Schüler zu den schwierigeren Teilen des Projektes. Zahlreiche Schüler gaben auf die Frage, wie für sie das Schreiben der Texte war, kleinere Hindernisse an. „Es war ein bisschen schwer. Meine Mama hat mir deshalb auch ein wenig geholfen“, so eine Schülerin der Klasse 4. Neben dem Problem, dass das Schreiben der Texte manchen Schülern nicht leicht fiel, wurden noch weitere Kritikpunkte angeführt. Einige Schüler beklagten, dass das Schreiben der Texte viel Zeit in Anspruch genommen habe. Andere notierten, dass dieser Teil nicht so interessant war. Zwei Kinder bezeichneten diesen Teil gar als „langweilig“. Andere Kinder wiederum zeigten auch in dieser Phase des Projektes eine große Motivation. „Für mich war das Schreiben der Texte interessant und leicht, weil ich gern etwas über mich schreiben wollte“, so eine Viertklässlerin. Zwischen der Motivation für diese Aufgabe und den Fähigkeiten der Schüler im Bereich der Textproduktion konnte ein direkter Zusammenhang ausgemacht werden. Das Überarbeiten der korrigierten Texte am PC war für einen Teil der Kinder hoch motivierend. Allerdings machten sie die Erfahrung, dass dies auch deutlich zeitaufwändiger ist als das Abschreiben des korrigierten Entwurfes. Einige Kinder gaben an, dieser Schritt sei ihnen leicht gefallen, da sie schon andere Texte oder e-mails am PC geschrieben hätten. Andere taten sich damit schwerer. Die Schwierigkeit bestand oft im langen Suchen nach den Buchstaben. Diese Suche verringerte sich aber mit zunehmender Übung. So gab eine Viertklässlerin an: „Am Anfang fand ich es nicht so toll, denn ich war das Tippen noch nicht gewohnt. Ich wusste nicht genau, wo die Buchstaben sind. Aber zum Schluss war es sogar toll, denn ich habe die Buchstaben dann schnell gefunden. Beim letzten Text hat Mama mir geholfen, weil ich müde war.“ Die Veröffentlichung der Fotosteckbriefe im Internet war teilweise ein Problem, da nicht alle Eltern ihre Einverständniserklärung gaben. Von den insgesamt 28 Schülerinnen und Schülern zeigten sich die Eltern von 26 Kindern einverstanden, dass deren Fotosteckbriefe veröffentlicht werden. Bei zwei Schülern aus der Klasse 4 gaben die Eltern keine Zusage. Deshalb sind auf der Internetseite diese beiden Steckbriefe auch nicht vorhanden.
Evaluation der Lebenswelten: Persönlich bedeutsame Objekte Bei der Auswertung der Fotosteckbriefe2 wurde versucht, die Fotos zu Gruppen zusammenzufassen, um so die Lebenswelt der Kinder in Bereiche fassen zu können. In der folgenden kleinen Tabelle ist zusammengestellt, zu welchen Bereichen die Kinder Fotoaufnahmen gemacht haben:
Anzahl Fotos
Familie
Tiere
Hobbys
Freunde
Schule
Natur
Essen
Sonstige
34
24
20
6
3
3
6
9
2 In die Analyse der Lebenswelten gingen 25 Fotosteckbriefe ein.
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Die Familie hat bei den Kindern mit 34 Bildern den größten Stellenwert in ihrer Lebenswelt. Danach kommt der große Bereich der Tiere mit 24 Fotos. 20 Fotos beziehen sich auf die Freizeit und nur drei Fotos auf die Schule. Den Bereich der Familie möchte ich nun genauer betrachten. Eine genauere Auswertung dieses Bereiches ergibt folgende Situation: Bereich Familie
Eltern
Eltern+Geschwister
Geschwister
Verwandte
Oma + Opa
Sich selbst
Anzahl Fotos
11
3
14
4
1
1
Die Kinder haben elf Fotos gemacht, auf denen entweder die Mutter, der Vater oder beide zusammen zu sehen sind.3 Darüber hinaus ist auf drei Fotos die Familie der Kinder festgehalten. Eltern und Geschwister sind gemeinsam zu sehen. Die emotionale Beziehung zu den Eltern wird von den Kindern dabei als positiv hervorgehoben. Sie haben zu ihnen ein liebevolles Verhältnis. 14 Fotos haben die Kinder auch von ihren Geschwistern gemacht. Ebenso wie die Eltern scheinen sie den Kindern in ihrer Lebenswelt sehr wichtig zu sein. Wobei anzumerken ist, dass das Verhältnis zu den Geschwistern bei den Kindern nicht nur positiv ist. Drei Kinder zeigten ihren Geschwistern gegenüber ambivalente Gefühle. Zuneigung und Verärgerung wechseln sich bei ihnen ab. Dazu aus dem Fotosteckbrief einer Drittklässlerin: „Dieses Wesen ist mein kleiner Bruder. Er ist 4 Jahre jünger als ich. Manchmal ist er nett. Aber er kann ganz böse werden. Monster kann man dann zu ihm sagen.“ Die Verwandten spielen kaum eine Rolle. Lediglich bei einem Schüler haben die Cousins eine hervorgehobene Position im eigenen Leben, ein Schüler schreibt von seinem Onkel. Die geringe Anzahl an Fotos von den Großeltern überrascht, was aber auch daran liegen kann, dass bei manchen Kindern die Großeltern in Deutschland leben und sie diese in den Herbstferien nicht fotografieren konnten. Bemerkenswert ist, dass sich ein Schüler selbst fotografiert hat, weil er sich so mag. Der nächste große Bereich, der die Lebenswelt der Kinder widerspiegelt, ist jener der Tiere. Aufgeschlüsselt ergibt sich folgendes Bild: Bereich Tiere
Pferde
Katzen
Spinnen
Kuscheltiere
Sonstige
Anzahl an Fotos
5
4
2
3
10
Pferde sind bei den Kindern mit fünf Fotos die beliebteste und am häufigsten fotografierte Tierart. Danach kommen Katzen und Kuscheltiere, die ich in diesen Bereich dazu gezählt habe. Hunde sind anscheinend in der Lebenswelt der Kinder kaum vorhanden, was an der nicht unbe-
3 Eine genauere Aufschlüsselung ergibt dazu, dass auf 3 Fotos alleine der Vater, auf 4 Fotos alleine die Mutter zu sehen ist. Auf 4 Fotos sind beide gemeinsam zu sehen. Aus Gründen der geringen Aussagekraft habe ich darauf verzichtet, dies in der Tabelle oben separat aufzuschlüsseln.
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dingt hundefreundlichen Stadt Paris liegen kann. Spinnen gegenüber zeigen sich drei Schülerinnen sehr abgeneigt, zwei haben diese auch fotografiert, eine schreibt davon. Eine Schülerin zeigt Angst Wildschweinen gegenüber. Die Freizeit mit den Hobbys ist der dritte große Bereich in der Lebenswelt der Kinder. Die Aufteilung sieht folgendermaßen aus:
Bereich Hobbys
Rad fahren Spielzeug
Fußball
Musikinstrument
Filme
Lesen
PC
Anzahl an Fotos
1
4
3
1
3
1
7
Spielzeug wurde mit sieben Mal am häufigsten fotografiert. Es folgen vier Fußballfotos, drei Fotos zum Lesen und ebenso drei zu Musikinstrumenten. Die Kinder gaben diese Freizeitbeschäftigungen als Hobbys an, von unangenehmen Verpflichtungen erwähnten sie nichts. Wie erwartet, konnte man sehen, dass Fußball bei den Kindern nur von den Jungs als besonderes Hobby genannt wurde, nicht von den Mädchen. Überraschend ist aber der geringe Stellenwert von Fernsehen und Filmen. Mit nur einem Foto hat diese Freizeitbeschäftigung für meine Schüler eine erstaunlich geringe Bedeutung. Der Bereich der Schule wurde nur in drei Fotos hervorgehoben. Das ist verwunderlich, prägt die Schule durch den Ganztagesunterricht das Leben der Kinder in entscheidendem Maße. Doch scheinbar ist die Schule für die Kinder von geringerer emotionaler Bedeutung als andere Bereiche in ihrer Lebenswelt. Auffällig bei den Fotosteckbriefen ist die Tatsache, dass die meisten Fotos Lebensbereiche zeigen, zu denen die Kinder eine positive emotionale Beziehung besitzen. Langeweile, Angst oder Ärger kommen in den Fotos wenig zum Ausdruck. Lediglich einzelne Fotos werden dazu von Kindern eingebracht. Darunter sind aber sehr vielsagende, wie beispielsweise ein Foto von der Dunkelheit im Wald oder von Bettwäsche gegen Albträume. Andere Schüler fotografierten für sie unangenehme Bereiche wie Spinnen oder Lebensmittel, die ihnen nicht schmecken, wie Käse oder Austern. Diese unangenehmen Dinge in der eigenen Lebenswelt bleiben aber klein, verglichen mit dem großen Bereich, der die positiven Dinge aus der Lebenswelt der Kinder umfasst. Es kann als Zeichen gesehen werden, dass die Kinder die emotional positiven Seiten in ihrer Lebenswelt als dominierend betrachten.
Prozess der Bildhermeneutik Bei dem Projekt ging es neben der Darstellung der eigenen Lebenswelt auch um die Möglichkeiten und Grenzen der Erfassung von Bildaussagen. Die Schüler haben in der Präsentationsphase die Fotos der Steckbriefe zunächst ohne ergänzende Texte betrachtet. Ob die Bildaussage für die Schüler verständlich war, wurde mit Fragen ermittelt. Die 13 Schülerinnen und Schüler der dritten Klasse und die 15 Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse gaben zu diesen Fragen schriftlich kurze Rückmeldungen. Die Ergebnisse sehen folgendermaßen aus:
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Bei knapp mehr als der Hälfte der Fotos konnten die Kinder auch ohne begleitenden Text treffend angeben, weshalb der Mitschüler oder die Mitschülerin dieses Foto aufgenommen hat. Bei fast der Hälfte der Fotos war das den Kindern jedoch nicht möglich. Dies war aus zwei Gründen schwierig: Entweder erkannten sie nicht genau, was auf dem Foto zu sehen war, wie beispielsweise auf einem Foto, auf dem ein Kalender abgebildet war, oder aber die Kinder konnten nicht einordnen, weshalb das Foto aufgenommen wurde, wie beispielsweise bei einem Selbstportrait eines Schülers. Fotos von Menschen waren für die Kinder schwieriger zu deuten als Fotos, auf denen Gegenstände abgebildet waren. Das ist nicht verwunderlich, denn ob der Junge auf dem Foto der Bruder, Cousin oder ein Freund ist, ist meist nicht über ein Bild erkennbar. Dazu eine Viertklässlerin: „Manchmal glaubt man, die Person ist aus der Familie, und dann ist es doch der Freund.“ Fotos aus der Lebenswelt von Freunden konnten die Schüler leichter bestimmen als Fotos von Mitschülern, zu denen wenig Kontakt bestand. Eine Viertklässlerin sagte: „Wenn man sich gut kennt, ist es einfach, aber wenn nicht, braucht man den Text. Ich hab mich beim Steckbrief von Céline nicht geirrt, ich kenn sie ja sehr gut. Dann hab ich den Steckbrief von Hélène gelesen, da hab ich ganz viel Fehler gemacht. Bei dem Foto mit der Spinne dachte ich, sie mag Spinnen gern. Dann hab ich auch den Steckbrief von Elsa gelesen, da hab ich mich mit dem Kaugummi geirrt. Ich hab gedacht, sie mag Kaugummi sehr gern, aber sie hasst ihn.“ Eine andere Schülerin berichtete: „Beim Steckbrief von Alexander dachte ich, er mag Paris nicht, weil es immer so schmutzig ist. Bei Céline habe ich mich nicht geirrt, da ich die kenne.“ Ein Viertklässler fügte hinzu: „Bei Alexander habe ich mich nicht geirrt. Bei Nicolas dachte ich, es ist sein großer Bruder, aber es war der Freund seiner Schwester.“ Mitunter war es für die Kinder auch mit Text schwer, richtig einordnen zu können, weshalb ein Mitschüler ein Foto gemacht hat. So schreibt eine Drittklässlerin: „Ich habe dieses Pferd fotografiert. Es heißt Phara. Das ist noch ein Fohlen. Dieses Fohlen ist das Baby von Jasmin und Donald. Die Jasmin ist die Mutter und Donald der Vater. Dieses Pferd kann man noch nicht reiten. Es frisst Gras und Körner und trinkt Wasser.“ In diesem Text wird nicht zweifelsfrei klar, welche emotionale Beziehung sie zu dem Pferd hat und welchen Stellenwert es in ihrem Leben einnimmt. Dies wurde mir erst in der Präsentationsphase deutlich. Aus diesem Grund sollten Schüler beim Verfassen zukünftiger Steckbriefe niederschreiben, weshalb sie etwas fotografiert haben. Die Fotosteckbriefe werden so klarer und in ihrer Aussage deutlicher. In der Evaluationsphase wurde der Frage nachgegangen, ob die Fotosteckbriefe auch ohne Texte die gleichen Botschaften übermittelt hätten. Die Antworten der Schüler waren in dieser Frage recht einheitlich. Sie sahen zwar die Möglichkeit, es ohne Text zu versuchen, betrachteten die Texte aber als sinnvolle Unterstützung zu den Steckbriefen. So meint beispielsweise ein Schüler der Klasse 4: „Ich glaube, dass es funktioniert hätte, aber es ist besser mit dem Text. Da sind dann mehr Details und man versteht alles besser. Wenn man nur etwas sieht, dann weiß man nicht, ob er das mag oder das nicht mag oder wer das auf dem Foto ist.“ So wurde den Kindern klar, dass Bilder je nach Kontext und abgebildeten Motiven unterschiedlich leicht zu erschließen sind. Sie haben erfahren, in welcher Weise ein Text hilfreich für die Bildinterpretation sein kann. Ebenso wurde ihnen deutlich, dass zusätzliche Informationen für eine gelingende Bilderschließung mitunter unerlässlich sind.
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Holger Klose
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Sekundarstufen
Fotografie und Deutschunterricht Klaus Maiwald
1. Einleitung Als visuelles Medium steht die Fotografie einem Fach naturgemäß fern, dessen Gegenstände Sprache und Literatur sind. Nach landläufigen Vorurteilen sind Bilder vergröbernd und verkürzend, anstrengungs- oder gar gedankenlos aufnehmbar, oberflächlich, emotionalisierend und manipulierend. So gesehen steht Bildrezeption dem philologischen Anliegen der Durchdringung diskursiv verfasster symbolischer Ordnungen, wie sie Schrifttexte darstellen, diametral entgegen – und damit zumindest latent unter Verdacht. Anders als Comics, Spielfilme und neuerdings Bildschirmspiele erzeugte die Fotografie in der Deutschdidaktik jedoch wenig Resonanz. Zwar trug sie im 19. Jahrhundert nicht unwesentlich zur Expansion visueller Illusionsbildung und damit zur Entprivilegierung der Literatur bei. Fotografie suggerierte eine magische Einheit des Zeigens mit dem Gezeigten, einen Schein von Anwesenheit und Präsenz (vgl. Hickethier 2001:43). Sie erforderte kein genialisches Künstlersubjekt, produzierte analoge Realitätsabbilder und läutete das Zeitalter massenhafter Reproduzierbarkeit ein (vgl. Hörisch 2004:233ff.). Andererseits erlangte sie alsbald selbst den Status einer hochkulturellen Kunstform und hatte, von Werbung und Propaganda vielleicht abgesehen, kaum Anteil an vermeintlich Kultur gefährdenden Verwerfungen, wie sie etwa das Fernsehen produziert(e). Im Gegenteil: In einer kommunikativ überhitzten Medienkultur wie der unseren erscheinen Fotos fast wie „befremdliche zenbuddhistische Verheißungen der Stille“ (Hörisch 2004:243). Möglicherweise haben diese Ambivalenzen dazu beigetragen, dass die Fotografie im deutschdidaktischen Diskurs wenig Aufmerksamkeit erfährt. Ein druckfrisches „Lexikon Deutschdidaktik“ (Kliewer/Pohl 2006) erwähnt sie im Zusammenhang mit anderen Stichwörtern, widmet ihr aber keinen eigenen Eintrag. In diesem Beitrag erfolgt zunächst eine knappe Bilanzierung bestehender Verbindungen zwischen Deutschunterricht und Fotografie. Etwas ausführlicher werden daraufhin weitergehende Möglichkeiten einer didaktischen Verzahnung aufgezeigt.
2. Bestehende Verbindungen zwischen Fotografie und Deutschunterricht Fotografie und Deutschunterricht sehe ich in drei Bereichen verbunden: Erstens fungiert sie als Illustrationsmittel. Sichtbar wird dies v.a. in Lehrwerken, was ein Blick in Kennwort 8 (Hannover: Schroedel 1993), ein Sprachbuch mit einem besonders hohen Bildanteil, verdeutlichen kann. Fotografien erscheinen darin 1) als Beiwerk zu literarischen Texten (z.B. vom Autor) und zu Sachtexten (z.B. von einem Müllberg); 2) als Darstellungen verschiedener Kommunikationssituationen bzw. Sprachhandlungen (z.B. Protokollieren, Diskutieren, Interviewen); und 3) als Bestandteile genuiner Sachtexte. Letzteres, das Foto in Sachtexten, ist eine eigene und wichtige Schnittstelle zwischen Fotografie und Deutschunterricht. Die Veröffentlichung der PISA-Studie (2001) hat Sachtexte nicht nur neu ins deutschdidaktische Bewusstsein gebracht (vgl. Hummelsberger 2003, Paule 2003),
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sie hat mit so genannten nicht-kontinuierlichen Texten (Tabellen, Bilder, Grafiken) auch daran erinnert, dass Sachtexte bildhafte Darstellungen enthalten bzw. selbst sein können. Neben fotografischen Abbildungen in Sachtexten gibt es weitgehend eigenständige Bild-Texte, etwa Karikaturen, Werbeplakate, „Pressefotos des Jahres“ oder Fotoromane in Jugendzeitschriften. Eine Reihe von Verbindungen gibt es, drittens, zwischen Fotografie und Schreiben. Zu denken ist hier an die Bildbeschreibung i.e.S., aber auch an Fotografien als Vorlagen etwa für die Beschreibung eines Fahrrads, die Schilderung eines Rummelplatzes oder die Erzählung zu einer nächtlichen Tankstellenszene. Bilder können neben dem herkömmlichen „Aufsatzunterricht“ auch für kreatives Schreiben (vgl. im Überblick Spinner 2001) funktional werden, und zwar für gestalterisches/poetisches/literarisches Schreiben ebenso wie für ein stärker auf Selbsterfahrung zielendes, „personal-kreatives Schreiben“ (vgl. Schuster 1997:103f., 158; Beisbart 2000:102; zum Schreiben zu Bildern Maiwald 2005:142-150; zu Bildern im Deutschunterricht allgemein Blei-Hoch 2006). Ich gebe ein Beispiel:
Abb. 1: Fotografie als Anregung für das Schreiben
Diese Fotografie könnte sowohl stärker gebundene Texte bzw. Schreibaufträge (Schilderung, Beschreibung) als auch freieres Schreiben anstoßen: Das Pferd erzählt seine Geschichte / Das Märchen vom Holzpferd/Ein „Holzpferd“– Elfchen/Was eines Nachts auf dem Dachboden geschah/Ein Schaukelpferd – zwei Leben(släufe) / Kindheit. Als Illustrationen, als Bestandteile von Sachtexten und als Schreibanstöße verbinden sich Fotografien also mit dem Deutschunterricht. Geht man davon aus, dass Illustrationen in der Regel Beiwerk bleiben, dass der Deutschunterricht visuelle Anteile von Sachtexten immer noch gerne ausklammert und dass kreatives Schreiben in der schulischen Praxis wenig vorkommt, ergibt sich eine eher bescheidene Bilanz. Wie könnte das Ineinandergreifen von Fotografie und Text aus der Deutschdidaktik heraus weiter entwickelt werden? Die im Folgenden aufgezeigten Perspektiven sind nicht originär neu. Vielmehr soll deutlich werden, dass und wie bislang randständige bzw. rudimentäre Einbindungen der Fotografie in den Deutschunterricht auszubauen wären.
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3. Perspektiven didaktischer Weiterentwicklung 3.1 Fotografien in der Konkretisation literarischer Texte Um der Bedeutungsoffenheit und der Ästhetik literarischer Sinnmodelle gerecht zu werden, plädiert die Deutschdidaktik weithin gegen eine Verengung des Umgangs mit poetischen Texten auf deren diskursive Analyse. Vorgeschlagen werden affektorientierte „Lesarten“ (Abraham 1994), der Anschluss auch kreativen Schreibens an literarische Texte (z.B. Paefgen 1996, Waldmann 1999, Maiwald 2001) oder akustische, visuelle und szenische Gestaltungen (z.B. Haas 1997, Spinner 2002). Harald Frommer hat als literaturdidaktisches Prinzip den Gang „Von der Konkretisation zur Interpretation“ (1988) vorgeschlagen. Das heißt: Die Auseinandersetzung mit einem Text beginnt mit imaginativen Verstrickungen und vorläufigen, möglicherweise auch „bornierten“ Deutungen. Aus solchen subjektiven Konkretisationen heraus (und nicht über sie hinweg!) werden dann intersubjektive Interpretationen entwickelt. Für konkretisierende Annäherungen und Verstrickungen können auch Fotografien fruchtbar gemacht werden – zumal auch manche Künstler Kombinationen von Bild und Text vorführen. Denken lässt sich an Sophie Calle oder Jochen Gerz (vgl. Kreuzer 2005), an Ralf Schmerbergs Gedichtverfilmungen in „Poem“ (2003) (vgl. Hesse/Krommer/Müller 2005) oder an Fotografie-/Gedichtkombinationen, in denen Andreas Riedel (vgl. Abb. 1) und Helmut Haberkamm verschwindendes Dorfleben dokumentieren (1999). Gemeint ist aber primär, dass Leser Fotografien als Kontexte hinzuziehen. Georg Haarmann etwa ließ SchülerInnen in PowerPoint Kriegsgedichte mit Fotografien verbinden und so „eigenwillige Synästhesieeffekte [und] neue Interpretationswege“ erzeugen (2002:52). Hier ein weiteres Beispiel: Kombiniert man Hugo Balls „Karawane“ mit dem Foto einer Karawane, so lässt dies auf eine literale Lesart des Textes schließen:
Abb. 2: Fotografie als konkretisierender Kontext eines lyrischen Textes
Der Schüler wollte in dem Gedicht die Stimmen und Rufe der Antreiber hören. In der Software Texte.Medien (Bekes/Frederking 2001), lässt sich „Karawane“ auch anders, quasi metaphorisch konkretisieren (Abb. 3).
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Abb. 3: Fotografie als konkretisierender Kontext eines lyrischen Textes in Texte. Medien (1)
Texte.Medien ist ein interaktiver Assoziations- und Interpretationsraum (vgl. Berghoff 1997 und Schneider / Berghoff 2000), der es u.a. gestattet, Texte und Fotografien zu collagieren. So kann man Ernst Jandls „wien : heldenplatz“ auf eine historische Fotografie von 1938, aber auch auf einen völlig konträren Hintergrund legen:
Abb. 4: Fotografie als konkretisierender Kontext eines literarischen Textes in Texte.Medien (2)
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Besonders im Zusammenspiel mit digitalen Gestaltungsmedien können Fotografien als visuelle Kontexte im Umgang mit Literatur also funktional werden. (Selbstverständlich kann Literaturunterricht dabei nicht stehen bleiben, sondern muss weiterführen zu intersubjektiver Reflexion und Interpretation.)
3.2 Fotografien als Bildanteile von Sachtexten bzw. als „Bildtexte“ Mit der so genannten kommunikativen Wende vollzog der Deutschunterricht bereits in den frühen 1970er Jahren auch eine (meist medien- und ideologiekritische) Hinwendung zu massenund multimedialen Texten wie Comics, Zeitschriften, Werbeanzeigen. Heute wäre insbesondere im Umgang mit Sachtexten ein stärkeres Augenmerk auf deren visuelle Anteile zu richten. Ein von Martin Fix und Roland Jost 2005 herausgegebener Band führt die Vielfalt der Texte und der didaktischen Ansätze vor und leistet somit eine wichtige (Neu-)Positionierung im deutschdidaktischen Diskurs. Visuelle Elemente werden dabei aber nur in Ansätzen thematisiert (etwa in den Beiträgen von Vogt und Thielking, ebd.). Nun würde eine auf lineare Schriftlichkeit verengte Sachtext-Didaktik gewiss zu kurz greifen. Was es heißen kann, eine Bildergänzung mit zu dekodieren, ihr Verhältnis zum Text zu bestimmen und eine Bewertung der Rhetorik und Pragmatik der entstehenden Bild/Text-Kombination vorzunehmen, zeigt das folgende Beispiel:
Abb. 5: Fotografie und Sachtext
Im Januar 2006 erschien in der Süddeutschen Zeitung dieser Artikel über die brutale Misshandlung eines dunkelhäutigen Jungen durch Jugendliche in einem Dorf in Sachsen-Anhalt. Die eingebettete Fotografie zeigt ein breitbeinig dastehendes Paar schwarzer Springerstiefel. Ihr Träger steht auf Asphalt, vereinzelt liegen Blätter (?) oder Zigarettenkippen (?) herum. Seine schwarze Hose ist militärisch in die Stiefel gestopft, die Farbe der Schnürsenkel markiert ihn als mindestens rechtsgerichtet. Der emotionale Konnotationswert geht über das Abgebildete weit hinaus. In George Orwells Roman 1984 wird ein boot stamping on a human face als Schreckbild der Zukunft propagiert. In der Tat verbinden wir mit Stiefeln der gezeigten Art SS- und KZ-Gräuel, Diktatur, Folter, glatzköpfige Neonazis. Somit weist die Fotografie die beschriebene Tat als besonders abscheulich aus und die Täter einem rechtsradikalen Hintergrund zu. Diese Bildbotschaft wird durch den Text freilich nicht vollständig gedeckt. Die Bildunterschrift sagt, dass
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das Opfer die Stiefel seiner Peiniger lecken musste; sie führt aber insofern in die Irre, als es sich dabei natürlich weder um die gezeigten Stiefel noch um den Träger handelte. Auch räumt der Text ein, dass ein rechtsradikaler Hintergrund nicht gesichert ist. (Die rechtsextreme Gruppe der Nachbarstadt wird damit zitiert, dass sie sich von den Tätern distanziert hat.) Somit wäre diese Text-/Bildkombination differenziert zu bewerten: kritisch, weil das Foto den Sachverhalt nicht dokumentiert, sondern interpretiert. Auf der anderen Seite sind die klobigen Stiefel ein wirkungsvoller Blickfang und Leseanreiz. Vor allem aber sind sie eine weit eindringlichere Vergegenwärtigung der Leiden des Opfers als die bloße Rede davon. Überdies kontrastiert die abscheuliche Tat so scharf mit der beschriebenen Dorfidylle, dass das suggestive Bild angebracht scheint. Wie der fotografische Anteil in die Arbeit mit einem Sachtext einbezogen werden kann, soll ein Beispiel (aus einer Lehrerfortbildung 2005) zeigen. Hierbei wurde ein Feuilleton-Text über den verschwenderischen Umgang mit Energieressourcen in den USA für den Abdruck in der Zeitung aufbereitet, u.a. durch Hinzufügung von Schlagzeile und Zwischenüberschriften. Überdies war aus zwei angebotenen Fotografien eine auszuwählen, mit einer Bildunterschrift zu versehen und die Entscheidung zu begründen. Zur Wahl stand ein Motiv aus einem Postkartenkalender, das einen neonerleuchteten Diner an der Route 66 mit davor geparktem Straßenkreuzer im Stil der 1960er Jahre zeigte. Die in der Zeitung tatsächlich verwendete Fotografie war die einer unberührt wirkenden Landschaft im US-Bundesstaat Idaho:
Abb. 6: Fotografie zur Auswahl für die Illustration eines Sachtextes
Für beide Bildmotive gab es schlüssige Argumente. Insgesamt erforderte der Arbeitsauftrag eine genaue Lektüre des Textes, eine aufmerksame Betrachtung der Bilder und eine intensive Reflexion von Text-Bild-Bezügen. (Erweiterbar wäre das Verfahren, indem man Bilder selbst suchen und die Texte am PC gestalten lässt.) Auch der Werbung kommt man mit einem auf Schrift verengten Textbegriff nicht bei. Werbung hat sich in den letzten 20 Jahren auffällig von einer (eher verbalen) Kaufrhetorik zu einer (stark visuellen) Erlebnisästhetik gewandelt (vgl. Maiwald 1999, Hurrelmann 2000, MarciBoehncke 2006). Berücksichtigung findet dies z.B. in den mediendidaktischen Analysen verschiedener Jeans-Kampagnen von Wolfgang Gast (1994) oder in der ikonographischen Rekonstruktion des Werbemotivs der „verzückten Nonne“ durch Thomas Bickelhaupt und Gerd Buschmann (2001).
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Wie sehr Verbalsprache reduziert und Bildsprache aufgeladen sein kann, zeigt eine auf den ersten Blick wenig spektakuläre Werbeanzeige:
Abb. 7: Fotografie als Werbetext
Über die Eigenschaften der hier beworbenen Schuhe und Tasche (z.B. Preis, Material, Erhältlichkeit) sagt die Anzeige nichts, der verbale Anteil ist auf den Markennamen reduziert. Dagegen wird der Prestige- und Erlebniswert der Nobelmarke Hogan visuell überaus effektiv inszeniert. Das im Original farbige Bild zeigt attraktive (lange, schlanke, braune) Beine einer Frau – auf dem Weg nach oben. Die mit Blüten bestreute Marmortreppe, der Fechter links und die Tempelsäule rechts wirken edel, mondän, kultiviert. Über ihren weißen Rock ist die Hogan-Trägerin farblich mit den visuellen Hochwert-Elementen verbunden. Der Mann im Hintergrund impliziert erotische Möglichkeiten, über allem lacht ein blauer Himmel, die Bewegungen gehen stimmig mit unseren Wahrnehmungspräferenzen nach rechts. Beschreibung und Interpretation der Elemente und ihres Zusammenwirkens ergäben eine analytische Arbeit an diesem Bild; denkbar wären aber auch imaginative Fragestellungen: Welches Personenprofil geben wir der Frau? Was befindet sich am Ende der Treppe, wo streben die beiden hin, welche „Geschichte“ erzählt das Bild? Was wäre ein passender oder ironischer Slogan? Wie ließe sich Hogan per Bildbearbeitung zu einer Billigmarke umgestalten? Die Beispiele zeigen, dass Fotografien als Bestandteile von Sachtexten bzw. als eigenständige Texte gesteigerte Aufmerksamkeit verdienen. Sie zeigen auch, dass dies nicht rezeptiv-analytisch bleiben muss, sondern produktiv-kreative Elemente integrieren kann.
3.3 Fotografien in der (kritischen) Medienreflexion Stärker heranzuziehen wären Fotografien auch für Medienreflexion und -kritik. Gegen die fotorealistische Euphorie standen früh bereits auch Sorgen über derealisierende Effekte des Mediums: Fotografie bannte Augenblicke, die in der Realität flohen, und sie machte fassbar, was mit
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bloßem Auge nicht zu fassen war. (Das klassische Beispiel sind Muybridges Serienaufnahmen eines galoppierenden Pferdes 1873/74; vgl. Hörisch 2004:232f.). Überdies erschloss sie – seit Röntgens Strahlen (1905) – vorher gänzlich ungesehene Wirklichkeiten. Nun ist bereits der fotografische Normalfall qua Motiv und Perspektive stets ein Selektions- und Konstruktionsakt. Weil man Fotos obendrein retuschieren und mit Legenden versehen kann, öffnen sich weite Felder der Entwirklichung. Mit der Verbreitung digitaler Fotografie und Bildbearbeitung sind die Möglichkeiten der Verfälschung bzw. Virtualisierung fotografischer Realität enorm gestiegen. Denken lässt sich an Angela Merkels verschwundene Mundwinkel auf Wahlkampfplakaten oder an photoshop-gestylte Schönheiten in Illustrierten. Denken lässt sich auch an die Bilder, auf denen der so genannte tourist guy in alle möglichen Star-, Film- und Katastrophenszenen hineinmontiert war – und so zu einer kleinen Legende des Internet wurde. (Noch heute ergibt eine Bildsuche zu tourist guy über 600 Treffer.) Eines der Fotos war vom 11.09.2001 datiert und zeigte ihn auf der Aussichtsplattform des World Trade Center – samt anfliegender Verkehrsmaschine (vgl. http://urbanlegends.about.com /library/blphoto-wtc-g1.htm, 20.01.2006). Man mag in der Bewertung solcher fakes geteilter Meinung sein, sollte aber nicht verkennen, dass sie nicht nur manipulatives und täuschendes, sondern auch subversives und kritisches Potenzial bergen. Nach dem Hurrikan „Katrina“ wurde 2005 – ebenfalls im Netz – folgende Fotomontage verbreitet:
Abb. 8: Fotografie/Fotomontage als subversive Kritik
Sohn und Vater Bush als Angler im überfluteten New Orleans waren eine beißende Kritik am unzulänglichen Krisenmanagement des U.S. Präsidenten und wiesen ihn (einmal mehr) als infantile Witzfigur aus. Im Deutschunterricht ließe sich mit diesem Bild arbeiten, indem man passende Legenden, Sprech- oder Gedankenblasen hinzufügt. (Der Originaltitel war Bush on vacation.) Weiter könnten Fotos dieser Art Reflexionen anstoßen über die Grenzen von Satire, die mediale Konstruiertheit von Wirklichkeit und die Medialität aller Wahrnehmung.
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3.4 Fotografie als Dokumentations- und Gestaltungsmedium Die genannten Verzahnungen von Fotografie und Text stehen in einem engen Zusammenhang mit den Ideen eines medienintegrativen (Wermke 1997) oder „symmedialen“ (Berghoff 1998:283) Deutschunterrichts. Medienintegration und Symmedialität bedeuten aber nicht nur eine Erweiterung des printmedialen Gegenstandsfeldes, sondern auch eine Veränderung des Lehrens und Lernens. Nicht nur erweitert sich also das Textkorpus, es verändern sich auch die Textumgangsformen: Sachtexte werden am PC gestaltet, Gedichte und Fotos in PowerPoint oder in Texte.Medien collagiert, Werbefotografien durch Bildbearbeitung ironisiert usw. Die kostengünstige und kinderleichte Digitaltechnik hat der Fotografie die Aura des Elitären für Liebhaber und Experten genommen, sie hat dem Deutschunterricht aber ein ausgezeichnetes Lernmedium gegeben. Digitalfotografie unterstützt die Eigenproduktion von Medienangeboten wie Klassenzeitungen, Fotoromanen (vgl. Reuen 2005) oder Webseiten; sie öffnet der Veranschaulichung von Lerngegenständen neue Optionen, auch durch Stand- bzw. Bildschirmbilder von Spielfilmen, Videos, Computerspielen; und sie begünstigt die Dokumentation von Lernprozessen und –ergebnissen. Diese vielfachen Einsatzmöglichkeiten des Fotografierens im Deutschunterricht zeigen z.B. die von Mechthild Dehn u.a. (2004) vorgestellten Unterrichtseinheiten und die Netzdokumentationen von mir selbst durchgeführter Unterrichts- und Lehrprojekte (vgl. http://www.uni-wuerzburg.de/germanistik/did/materialien/maiwald_webdokus/dokumentationen.html, 24.01.2006).
4. Fazit und Ausblick Sehen lernt der Mensch von selbst, naturwüchsig ist das Verstehen von Bildern aber keineswegs. Vielmehr wird in einer zusehends visuell geprägten Kultur das „Lesen“ von Bildern eine Erziehungsaufgabe. Bekräftigt wird diese These auch durch deutschdidaktische Veröffentlichungen: über „Bilderwelten. Vom Bildzeichen zur CD-ROM“ (Franz/Lange 1999), zum „Hören und Sehen“ (Wermke 2001) oder zu „Filmdidaktik und Filmästhetik“ (Frederking 2006). Das Augenmerk liegt dabei jedoch meist auf AV- und Computermedien. Der vorliegende Beitrag bilanzierte hingegen Brückenschläge zwischen Fotografie und Text und entwarf Perspektiven didaktischer Weiterentwicklung: Fotografie(n) in der Konkretisation literarischer Texte, als Bestandteile von Sachtexten, als Gegenstände (kritischer) Medienreflexion, als Gestaltungs- und Dokumentationsmedium für Lernprozesse und –produkte. Keine dieser Perspektiven enthält originär Neues, sehr wohl aber wichtige und fruchtbare Akzentuierungen für den Deutschunterricht. Weil in Medienangeboten Bilder häufig mit Sprache kombiniert sind, vor allem aber, weil Verstehen ein sozialer und damit sprachlicher Prozess ist, kommt dem Deutschunterricht für den Erwerb visueller Kompetenz eine Leitfunktion zu. Andererseits sind „Bilderwelten“ mit philologischen Begriffen, Kategorien und Wahrnehmungsgewohnheiten nicht zu fassen. Sie erfordern Offenheit für und Neugier auf das, was sich in unserer Kultur an Visualität vollzieht. Sie erfordern aber auch bildästhetische Kompetenzen. Nun lassen sich DeutschlehrerInnen nicht nebenbei noch zu Bildwissenschaftlern oder Kunstpädagogen ausbilden. Angesichts des iconic turn sollten sie eine visuelle Grundbildung gleichwohl erwerben. Material dafür gibt es: Herrman K. Ehmers (1971) immer noch lesenswerter Aufriss „visueller Kommunikation“; Christian Doelkers (1997) Instrumentarium für die Beschreibung und Klassifikation von Bildern; Franz-Josef
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Rölls (1998) Nachweis von (ur-)symbolischen und mythischen Sedimenten in populären Medien; Ralf Schnells (2000) „Geschichte und Theorie visueller Wahrnehmungsformen“; die Rubrik „Filmische Sehschule“ in der Zeitschrift Der Deutschunterricht (z.B. Fehr 2001); Klaus Maiwalds (2005) auf kultursemiotischer Grundlage konzipierte Deutschdidaktik bilddominierter Medienangebote. Vielleicht hat aber auch dieser Beitrag bereits zeigen können, dass das Bild kein Teufelszeug und das Bildverstehen kein Hexenwerk ist.
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Abbildungen Abb. 1: Andreas Riedel, in: Haberkamm/Riedel 1999: 4 Abb. 2: Quelle: Zulassungsarbeit von Ute Schlegelmilch (Universität Bamberg. 2004) Abb. 3: in Texte. Medien (1) Abb. 4: in Texte.Medien (2) Abb. 5: Quelle: Süddeutsche Zeitung, 13.01.2006 Abb. 6: Quelle: Süddeutsche Zeitung, 06.10.2005, S. 13 Abb. 7: Quelle nicht bekannt Abb. 8: Quelle: http://www.donkeyontheedge.com/i/BushVaca.jpg, 20.01.2006
Werbetext und Werbefoto: Reklame im Deutschunterricht Ingelore Oomen-Welke
Konsumwerbung ist – wie politische Werbung – geeignet als ein Fächer verbindendes Unterrichtsthema. Das Thema „Werbung / Werbesprache“ erlebte in der Deutschdidaktik der 70er Jahre eine Blütezeit, verlor aber dann weitgehend die Aufmerksamkeit von Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik. Neuere Publikationen zu Deutschunterricht und Medienkompetenz beziehen sich selten auf Werbung.1 In der Praxis des Deutschunterrichts dagegen hat „Werbung“ ihren Platz behauptet, vor allem in der Grundschule, zumal Kinder und Jugendliche heute eine intensiv umworbene Zielgruppe sind und über Kaufkraft verfügen. Der in diesem Handbuch interessante Gegenstandsbereich des Deutschunterrichts wäre umrissen mit „Foto und Text in der Werbung“, daher geht es hier vor allem um die Textsorten „Anzeigen- und Plakatwerbung“. In diesem Artikel interessiert deren Botschaft. Der Deutschunterricht findet darin ein handliches Feld zum Einstieg die Medienanalyse, aber auch für kreative Versuche, Werbebotschaften zu produzieren.
1. Grundlagen In einem ersten Kapitel sollen unterschiedliche Grundlagen geklärt werden, die spezifisch für Werbung sind und daher in den Artikeln des Teils 1 nicht zur Sprache kommen. Sie selbst können durchaus auch Gegenstand der Arbeit im Klassenzimmer sein, die ja möglicherweise über den Foto-Text-Bezug hinausgehen will. Für diese Grundlagen gibt es m.E. keine systematische Reihenfolge.
1.1 Wortgeschichte „Werbung“ Wortgeschichten in etymologischen Wörterbüchern nachzuschlagen ist eine leider etwas aus der Mode gekommene Methode im Deutschunterricht. Wortgeschichten erhellen den Sprachgebrauch zu verschiedenen Zeiten und weisen gelegentlich auf Mentalitäten hin. Schlagen wir in einem etymologischen Wörterbuch (Wasserzieher 1952; Paul 1992; Kluge 1995; Mackensen 1977) unter „Werbung“ nach: werben heißt ursprünglich „drehen“ und hat mit Wirbel und mit Werft zu tun, aber auch mit Gewerbe, da es außerdem „Handel treiben“ meint. Vom 10. Jh. an bis ins Neuhochdeutsche kommen die Bedeutungen „sich um etwas bemühen; jem. / etw. zu gewinnen suchen“ hinzu (Liebe, Ehre, Anhänger, Soldaten, letztere mit der Werbetrommel, das macht der Werber). Seit Ende des 19. Jh. wird werben im Sinne von „Reklame machen, Propaganda treiben“ gebraucht. Von
1 Beispiele wären Dehn (2004); Groeben & Hurrelmann (2002): Jahrbuch Medien/Frederking (2005). Vgl. die Übersicht von Janshoff im Themenheft „Werbung“ ide 3 (1998).
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Werbesprache wird erst nach dem Zweiten Weltkrieg gesprochen; gemeint ist damit die Sprache der Wirtschaftswerbung, die vorher Reklamesprache genannt wurde, während die politische Werbung Propagandasprache hieß. Reklame kommt als Entlehnung aus dem Französischen ins Deutsche, seine heutige Bedeutung ist im 19. Jh. belegt. Immer noch ist es Synonym zu Werbung, Propaganda. Reklame klingt im heutigen Deutsch leicht veraltet oder leicht pejorativ: „Alles nur Reklame!“ Propaganda schließlich ist Lehnwort aus dem Kirchenlatein und führt sich auf die katholische Glaubensverbreitung namentlich in der Gegenreformation zurück (1622 De propaganda fide). Es verbreitete sich und säkularisierte sich seit der Französischen Revolution, wurde später politisch benutzt und lud sich dabei, zuletzt und besonders durch den nationalsozialistischen Sprachgebrauch, stark mit negativen Konnotationen auf, von denen Werbung und Reklame verschont blieben. Mit dem in einer früheren Phase entlehnten Wort pfropfen (von propago – Setzling, ich pflanze fort) hat Propaganda im heutigen Sprachbewusstsein nichts mehr gemein.
1.2 Werbung im Deutschunterricht Pragmatische Texte, zu denen Werbeanzeigen gehören, waren auch schon vor der Entstehung der Deutschdidaktik und der Neuorientierung des Deutschunterrichts als Folge der 68er Umbrüche ein Unterrichtsgegenstand. Der ideologiekritische Ansatz fand in der Werbung allerdings ein hervorragendes Thema, an dem er seine Mächtigkeit demonstrieren konnte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in den 70er Jahren gerade zur Konsumwerbung zahlreiche Publikationen erschienen, von denen ein großer Teil didaktische oder unterrichtspraktische Konsequenzen enthielt. Dabei überwog in der Deutschdidaktik die ideologiekritische Analyse der sprachlichen Anteile, namentlich waren die oft poetisch gestalteten Slogans der Aufmerksamkeit wert, weil sie als „Ohrwürmer“ insbesondere „ins Gehirn der Masse kriechen“ (von Gries, Ilgen & Schindelbeck 1995). Der ideologiekritische Elan verebbte in den 80er Jahren, vielleicht weil das Vorhandensein von Ideologie als trivial empfunden wurde. Ein Bedarf an Aufklärung erübrigte sich bei einem Publikum, das sich als aufgeklärt oder gelangweilt ansah (Janich 2003, bes. S. 37f.; ide 3/1998). Die Didaktik der Werbesprache kam aus der Mode. Für den Deutschunterricht wurden allenfalls im Kontext der Jugendsprache werbesprachliche Konstituenten ausgemacht, die ironisch im Zitatenpatchwork der Collage auftauchten. Die 90er Jahre sind geprägt von einer amüsierten Distanz zur Werbung, deren Texte und Bilder Spaß machen, aber nicht ernst bzw. wörtlich genommen werden. Meinte Mackensen (1973, 169f.), die Werbung verkaufe (uneinlösbare) Wirkungsversprechungen, so macht Bettina Hurrelmann (2000) das Versprechen eines neuen Lifestyles aus. Hurrrelmann erinnert zwar am Ende des Jahrzehnts an die systemischen Zusammenhänge und Interessen, innerhalb deren Werbung steht, fragt aber provokativ – und offensichtlich nicht in Erwartung einer eindeutigen Antwort: „Ist Werbung ‚Lug und Trug’, ‚heimliche Verführung‘, ‚Ausplünderung der Dummheit, wie es ideologiekritisch in den 70er Jahren hieß? Ist sie unersetzliche ‚Hilfe zur Identitätsbildung‘ auf dem Markt der Lebensstile, wie es in der Erfolgsphase der Medienexpansion in den 80er Jahren erschien? Oder ist sie heute vor allem Unterhaltung und ästhetisch interessantes ironisches Spiel, Produkt eines mit der Wirtschaft zwar eng verbundenen, aber doch relativ eigenständigen Handlungssystems, das selbst unsicher geworden ist, wie Aufmerksamkeit und Reak-
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tionsbereitschaft bei einem großen Publikum noch zu erreichen sind?… Angesichts eines werbegewohnten Publikums scheint der Manipulationsvorwurf nicht mehr zeitgemäß. … “ Hurrelmann in Praxis Deutsch 163 (2000, S. 16f.) Die Fragen, so scheint mir, bleiben offen und werden jeweils neu beantwortet. Gegenwärtig scheint gültig, dass – wie die Soziologie vor geraumer Zeit feststellte – über den Konsum die soziale Zugehörigkeit gesichert wird, und dafür übernimmt Werbung eine orientierende Rolle (Schulze 1992; Rastner 1998).
1.3 AIDA und ihre Freunde An den Anfang ihres Buchs zu Werbung und Mentalitätsgeschichte stellen Gries, Ilgen & Schindelbeck (1995) ein Zitat des deutschen Werbeberaters Hans Domizlaff, der 1956 vor Kollegen referierte: „Wir haben doch einen sehr merkwürdigen Beruf, wir sollen von unserem persönlichen Geschmack, von unseren privaten Absichten, Neigungen und Interessen erst einmal ganz und gar absehen. Wir sollen auch den persönlichen Geschmack unserer Auftraggeber missachten, damit wir ganz vorurteilslos in das Gehirn der Masse kriechen können, auf die wir Einfluß gewinnen möchten!“ Domizlaff nach Gries, Ilgen & Schindelbeck (1995, S. 1) Die hier formulierte Philosophie, wie man ins Gehirn der Masse kriecht, ist schon in der alt bekannten und mehrfach modifizierten AIDA-Formel enthalten, hier zitiert nach Wikipedia (20. 3. 2006); vgl. auch Oberhuber (1998, S. 78), der diese Formel keineswegs für überholt hält. AIDA ist ein Werbewirkungs-Modell. Es wurde 1898 von E. St. Elmo Lewis beschrieben. AIDA steht als Stufenmodell für vier Phasen, die der Kunde durchläuft und die letztlich zur Kaufentscheidung beim Kunden führen. Attention - Die Aufmerksamkeit des Kunden wird erregt. Interest - Er interessiert sich für das Produkt. Desire - Der Wunsch nach dem Produkt wird geweckt. Action - Der Kunde kauft das Produkt. Alle vier Phasen sind gleichermaßen wichtig und teilweise in Werbestrategien zu erkennen. Das Stufenmodell AIDA steht in der Kritik. Insbesondere wird die strenge Abfolge der einzelnen Stufen angezweifelt. In der Praxis eignet sich das AIDA-Modell jedoch sehr gut, um checklisten-mäßig den psychologischen Aufbau einer Werbemaßnahme zu überprüfen. So können einzelne Aspekte der Werbemaßnahme verbessert werden: ist die Werbung nur aufmerksamkeitsstark (Attention), interessant, aber es fehlt der Wunsch-Aspekt, kann hier gezielt optimiert werden. AIDA+C: Das „C“ bedeutet „conviction“ (Überzeugung). Der Kunde muss erst vom Produkt oder der Dienstleistung überzeugt sein, um den Kauf einzugehen. Dieses Modell ist alternativ auch unter AIDA+S für „satisfaction“ mit gleicher Bedeutung bekannt.
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Heute weiß man, dass in der Werbung wirtschafts- und sozialgeschichtliche, kunst- und kulturgeschichtliche, gesellschaftliche, kommunikative und mentalitätsgeschichtliche Faktoren zusammenspielen (Gries, Ilgen & Schindelbeck 1995, S. 3ff.). Hurrelmann (2000) betont, wie viele andere, darüber hinaus das Zusammenwirken der Akteure auf der Produzenten-, Medien- und Konsumentenseite. Werbung bleibt auch deswegen mit anderen Faktoren bzw. Institutionen verbunden, weil diese z.T. nur existieren können, wenn sie aus der Werbung Einnahmen erzielen. Sie nehmen Einfluss auf die Werbeplätze, und die Werbungen passen sich dem intendierten Publikum an, das sie sehen will. In diesem Zusammenhang weist Janich (2003) darauf hin, dass Werbung erst wirksam werden kann, wenn sie wahrgenommen wird. Wahrgenommen zu werden ist also, immer noch entsprechend AIDA, das vorrangige Ziel der Werbung. Die Werber nutzen dafür viele mediale Wege im Systemverbund: Plakate, Zeitschriften, Kino, Fernsehen, Internet… Die Mediendidaktik findet hier ein weites Feld zur semiotischen Analyse, da das Wahrnehmen mit semiotischen Mitteln sichergestellt werden muss. Ich behandle in diesem Artikel Foto und Text als gestalterische Mittel.
2. Foto und Text in Werbeanzeigen 2.1 Text, Kontext, Ko-Text in Werbeanzeigen Der Terminus Text hat eine engere und eine weitere Bedeutung. Seine engere Bedeutung meint den Verbaltext in gesprochener und geschriebener Form, und so wird Text in diesem Handbuch gebraucht (vgl. den Titel des Handbuchs). Der populäre Sprachgebrauch verbindet demgegenüber mit Text eine stark reduzierte Vorstellung, nämlich etwas zusammenhängend Geschriebenes; darauf gehe ich hier nicht weiter ein, weil die Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache im Kontext der Anzeigenwerbung keine Rolle spielt. Die weitere Bedeutung von Text umfasst auch diejenigen Elemente einer Botschaft, die nicht verbal sind. In Gesprächen können das Mimik und Gestik sein; in den Werbeanzeigen sind das die Schriftgrafik und die Bilder bzw. Fotos. Bild und Text verbinden sich im besten Falle zu einer Gesamtaussage, sie sind zusammen der Text, und jeder von ihnen ist Ko-Text zum andern. Ko-Text bedeutet, dass sie die Gesamtaussage des Textes, also hier der Anzeige gemeinsam, kooperativ, konstituieren, dass also jeder seinen Teil beiträgt. Der Gesamttext der Anzeige (aus Bild und Text) steht im Kontext des Werbe- und Marketing-Geschehens. Wir verstehen in diesem Zusammenhang Kontext als allgemeine Umgebung, sei sie textlich oder bildlich oder prozessual. Die einzelne Werbeanzeige steht im engeren Kontext anderer Werbeanzeigen und der redaktionellen Beiträge einer Zeitschrift und im weiteren Kontext der Produktions- und Lesegewohnheiten sowie der Wirtschaft. Für die Analyse von Werbung ist diese begriffliche Klärung wichtig, wie wir am Beispiel sehen werden. Wir fragen nämlich, welche Elemente die Situation bzw. den Hintergrund abbilden und welche die Aussage konstituieren.
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2.2 Fotos Werbeanzeigen tragen heute bei zur Bilderflut, namentlich zur Fotoflut. Das war nicht immer so. Fotos, zuerst schwarzweiß und dann farbig, kamen erst spät in die Werbeanzeigen, wie u.a. in der Dokumentation von Schindelbeck (2003) nachzuvollziehen ist. In der Auswahl der Werbeanzeigen einer französischen Publikation (Weill 1983) machten sie in den 50er Jahren nur drei Prozent aus. Da Fotos als – angeblich – authentische Dokumentationen des Nutzens der beworbenen Produkte eingesetzt wurden (vgl. die vielfachen Vorher-Nachher-Foto-Beispiele), traten sie, entsprechend den technischen Entwicklungen, immer häufiger als rhetorische Mittel der Überzeugung in der Werbung auf. Anfangs wurde die technische Manipulation der Fotos vom Publikum ignoriert, z.B. dass Wäsche bzw. eine Bluse, die im Bild weiß erscheinen sollte, als reales Fotoobjekt hellblau sein musste, um weiß zu wirken. Mittlerweile löst jedoch die digitale Fotobearbeitung solche Probleme, wie die immer weißen Zähne der Werbeakteure beweisen. Heute weiß jeder, der von digitaler Fotografie gehört hat, dass Fotos nicht die Realität abbilden, sondern dass Fotos konstruiert und bearbeitet werden. Werbefotos sind strukturiert, sie montieren Objekte ineinander und wiederholen dabei Muster. Ein Beispiel: Die Joker-Werbung (Abb.1) wiederholt die Cordstruktur der Hose durch die Sandwellen in der Wüste, die sie, rückbezogen, in der Faltung der Hose noch ein weiteres Mal aufnimmt. Sie wiederholt die Farbe(n) der Hose als Licht und Schatten in der Landschaft. Der große Schatten könnte ein Flugzeugflügel sein und die Verbindung zur zivilisierten Welt symbolisieren, denn aus dieser Welt kommt wohl die Hose. Die Form des Flügels ähnelt teils der Form der Hose.
Abb. 1
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Fotos in Werbungen können dominant oder komplementär zum Text sein oder nur den situativen Hintergrund bilden. Sie können montiert sein, also entweder einen Rahmen abgeben oder Detail einer nicht fotografischen Ganzheit sein, die grafisch oder grafemisch dargestellt ist usw. Es kommt dabei auf die intendierte Wirkung an: Illustriert das Foto, soll es dokumentieren, soll es einen Teil der Aussage übernehmen, soll es überzeugen, soll es zu Assoziationen (ver-)führen, soll es Groteskes zusammenstellen, soll es fiktive Welten herbeizaubern, soll es den Kontext verwitzeln oder ironisieren…? Fotos in Werbeanzeigen können als Ganze präsentiert werden, sie können in andere Fotos oder in Grafiken oder auch in den Text montiert sein, sie können Totale oder Detail sein, sie können das Produkt, seine Nutzen, seine Herkunft, seine Wirkung oder etwas ganz anderes zeigen, etwa das private Glück, das angeblich von einem Bausparvertrag ausgeht. Fotos dominieren oft in solchen Werbeanzeigen, in denen ein beworbener Gegenstand abgebildet werden kann (vgl. Modefotografie oder Autowerbung). In der Werbung, die sich an Kinder richtet, kommen Fotos dagegen weniger häufig vor; allenfalls gibt es glückliche Kinder als Sekundärsender, die mit einem beworbenen Spielzeug spielen oder beworbene Lebensmittel essen. Falls in Werbeanzeigen nur das Foto, aber kein Text vorhanden ist, wirkt das sehr irritierend, da zumindest das Produkt oder das Produktlogo erwartet wird. Die Autowerbung hat diese Irritation in jüngster Zeit herbeigeführt, indem sie in Zeitschriften ganzseitige Bilderfolgen z.B. von Traumlandschaften inserierte, bei denen erst am Schluss, auf der letzten Seite, der Werbecharakter für das Produkt klar wurde. Solche Anzeigen beleben die ungemein wichtige Aufmerksamkeit in einer Zeit der Bilder- und Werbeflut (s. oben 1.3,). Das (zunächst) unkommentierte Bild sagt nichts und macht ratlos; vgl. Grebe in diesem Band. Umso mehr Interesse findet das Produkt als Auflösung eines Rätselspiels; der erste Schritt ist damit gelungen. Ähnlich operieren sequentielle Anzeigen (und im Fernsehen die Wiederholung von Spots in kurzen Abständen), die im Sinne der Lerntheorie die (unerwartete) Wiederholung nach einigen Seiten bzw. nach kurzer Zeit als lernende Erinnerung nutzen.
2.3 Sprachmittel und Textmuster In den Textteilen von Werbeanzeigen wurden verschiedene „Bausteine“ (Janich 2003; Sowinski 1998; Zielke 1991) ausgemacht, die alle oder zum Teil vorhanden sein können: Schlagzeile, Fließtext, Slogan, Produktname sowie weitere Textelemente (Adds, Einschübe, Coupons und Aufkleber etc., von denen hier nicht die Rede sein soll). Die Schlagzeile (oder Headline), fett gedruckt, ist ein Blickfang, der das Interesse der Betrachter weckt. Sie versucht, das beworbene Produkt unverwechselbar zu machen durch Produkteigenschaften oder Verwendungsweisen oder Nutzensversprechungen oder Wertzuschreibungen. Der Fließtext (oder Copy oder Body) entfaltet das von der Schlagzeile angekündigte Thema oder sagt etwas über das Produkt. Seine Länge kann variieren (bis gegen null), er ist kleiner gedruckt und erweckt schon durch sein pures Vorhandensein den Eindruck von Glaubwürdigkeit. Der Slogan kann in kurzer und prägnanter Form das Vorige zusammenfassen; seine eigentliche Funktion ist es jedoch, imagebildend zu wirken und gleichzeitig den Erinnerungswert der Produktwerbung zu sichern. Deswegen wird auf ihn besonderer Wert gelegt, sowohl von der Produzentenseite durch besondere Gestaltung als auch von der Rezipientenseite, wie an deren Sekundärnutzung von Slogans deutlich wird: durch ironisches Zitieren außerhalb der Werbesituation („Nicht immer, aber immer öfter!“, „dann klappt’s
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auch mit dem Nachbarn!“) oder Parodieren („Katzen würden Whisky saufen.“). Nicht immer können diese Bausteine klar von einander unterschieden werden, z.B. Schlagzeile und Slogan. Produktnamen schließlich haben eine Zwischenstellung zwischen Eigennamen und Gattungsnamen; sie sollen das einzelne Produktobjekt (d.h. aber gleichzeitig die ganze Serie dieses Produkts) identifizieren; manchmal wird ihr Produktname zum Prototyp der ganzen Gattung (dt. „Tesa“, vgl. frz. „scotch“ für transparente Klebestreifen; „Uhu“ für flüssigen Papierklebstoff; „Tempo“ für Papiertaschentücher, „Spüli“ für Handspülmittel, „Edding“ für dicke Filzschreiber usw.). Produktnamen unterscheiden sich von den Firmen- und Markennamen, die aber zum Produktnamen hinzutreten können: „Hengstenberg Altmeister“. Neben der Identifikation des Produkts, ihrer Hauptaufgabe, können sie Hinweise auf Art, Wirkung und Nutzung des Produkts enthalten („Rama“, „Softies“, „Spüli“, „Glänzer“, „Nimm zwei“, „Du darfst“, „Kinderschokolade“, „Doppelherz“) oder metaphorische Überhöhungen nahe legen („Ariel“, „Mars“, „Red Bull“, „Krönung“, „Premium“, „Rama Gold“; vgl. Springmann 1975, 1978; Patocka 1998). In alten Werbeanzeigen von Zeitungen überwog oft der Text im engeren Sinne. Ein typisch schlichter, vielleicht nach heutigem Empfinden sogar plumper Werbetext enthielt eine kurze Produkt- oder Funktionsbeschreibung und eine Aufforderungsformel wie: „Kauft X!, Nehmen auch Sie Y!“ Für die rhetorische Absicht erwiesen sich jedoch indirekte und poetischere Sprachmittel als wirkungsvoller, weil sie durch Reim, Rhythmus, Metaphorik usw. besser in Erinnerung blieben und weil der implizite Appell im Sinne der AIDA-Formel beim Rezipienten weniger Abwehr erzeugte als der explizite. Legendär wurde der m.W. schon in der ersten Hälfte des 20. Jh. kreierte Slogan „Persil bleibt Persil“, der in seiner sprachlich simplen Gleichsetzungs- und Wiederholungsstruktur nur argumentativ und ohne direkte Aufforderung die gleich bleibend hohe Qualität des Produkts versicherte, worin er immer noch schwer zu überbieten ist; er wurde sogar witzfähig. Nötig ist auf Seiten des Rezipienten, dass er die poetisch oder spielerisch verpackten Botschaften bzw. das Sprachspiel in seinen Bedeutungsdimensionen erfasst. Die Indirektheit von Aufforderungshandlungen in Schlagzeile und Slogan ist mittlerweile zum Standard geworden, ohne dass sanftere Imperative, bei denen die Kaufaufforderung metaphorisch verbrämt wird („Bleiben Sie in Verbindung!“, „Tanken Sie Gelassenheit!“ Sowinski 1998, 39) aber ganz verschwunden wären. In diesem Kontext allerdings erregen neuerdings wieder klare Du-Imperative Aufmerksamkeit, zumal sie mit Jugendlichkeit, Frechheit und Nähe spielen: „Hol dir die neue…!“ oder „Hast du keine, kauf dir eine!“ oder auch appellative Infinitive: „Klüger einkaufen!“ Werbesprache kann sich im Prinzip aller Sprachmittel, -stile, -repertoires bedienen. Sie kann, besonders im Slogan oder in der Schlagzeile, poetisch gestylt sein durch Stabreim, Reim und Rhythmus, Wortwiederholung, Gegensatzpaare, Metaphern, semantische Differenzierungen …, also durch alle poetischen Figuren („Mars macht mobil bei Arbeit, Sport und Spiel“; „Hast du keinen – hol dir einen!“, „Club bleibt Club“, „Mini-Slip Maxi-Form“, „Pack den Tiger in den Tank“, „Ariel wäscht nicht nur sauber, sondern rein.“ usw.). Sie kann alltagssprachlich daherkommen, und zwar appellativ per Imperativ („Kauft X!“, „Nehmen auch Sie Y!“) oder per Deskription („gesund - erfrischt Dr. Hillers Pfefferminz“) oder durch Zuschreibung von Werteigenschaften des Käufers, auch auf sehr saloppem Sprachniveau („Geiz ist geil!“, „Ich bin doch nicht blöd!“). Feststellen lässt sich eine besondere Dichte poetischer Slogans in den 60er und 70er Jahren gegenüber gekonnt und innovativ alltagssprachlichen Slogans um die Jahrtausendwende. Offenbar werden manche neueren Wortspiele von vielen Konsumenten nicht erkannt oder nicht voll durchblickt, z.B. „Durchs wilde Cordistan“ für Joker-Cordhosen (Abb.1), weil das Referenzwissen des Wortspiels fehlt. Bei fehlendem Vorwissen werden die phonetische und literarische
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Zitation („Durchs wilde Kurdistan“ von Karl May, 1892), also die Intertextualität, und die Parodie nicht voll goutiert.
2.4 Körpersprache auf Fotos Zwischen Text und Foto gibt es Verbindungen, die die Ko-Textualität beider in besonderer Weise herstellen. Es handelt sich um die Körpersprache der als Sekundärsender fotografierten Personen des Werbefotos, die nonverbale Kommunikation transportieren. Ihr soll nun ein Stückchen Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die ko-textuelle Bedeutung der Körpersprache für die Kommunikation ist unbestritten. Es gibt es eine Fülle von populären Werken dazu (Asher 1999; Bruno & Adamczyk 2004; Kresse & Feldmann 1999; Morris 1994 usw.), weniger häufig sind pädagogisch-didaktische Werke (Rosenbusch & Schober 2004; Schober 2004). Körpersprache ist Teil der nonverbalen Kommunikation, die neben der verbalen Kommunikation steht und sie ergänzt oder konterkariert. Nach Rosenbusch & Schober (2004) besteht die Körpersprache aus gestischen, mimischen, taktilen, proxemischen, olfaktorischen Formen und Blickverhalten, Körperhaltung und -bewegung. Während olfaktorische Formen in Werbeanzeigen nur ausnahmsweise als Add vorkommen (mitgelieferte Gerüche, z.B. Parfüms in Probetütchen), werden die fotografierten Personen immer mit Mimik und Gestik sowie mit ihrem Blickverhalten und ihrer Körperhaltung dargestellt. Die körpersprachlichen Botschaften erreichen die Rezipienten vielfach unterhalb der Bewusstseinsschwelle und kriechen daher ungefilterter und als angenehm oder unangenehm empfunden „ins Gehirn der Masse“. Träger der Körpersprache sind dem Zeitideal entsprechend schöne Personen (Models; vgl. in diesem Handbuch Maiwald Kap. 3.2; Grundmeier) oder sympathische und unsympathische Personen sowie Mitleid erweckende Personen, die im Foto herausgehoben werden. Sie nehmen entweder Blickkontakt mit dem Betrachter auf, oder sie blicken auf anderes bzw. ins Unbestimmte. Ins Unbestimmte zu blicken ist oft verbunden mit ernster bis gleichgültiger, arroganter Mimik (Modewerbung, besonders Pelz, Unterwäsche, Schmuck usw.), sinnlich geöffnetem Mund und provokanter oder naher, intimer Körperhaltung. Erotik wird auch gestisch symbolisiert, etwa durch Ziehen am Hemdchen oder durch die Fingerspitzen einer schönen Hand im eigenen oder fremden, aber immer schicken Slip. Solche Körpersprache kann verbalen Text ersetzen, z.B. bei Calvin Klein (Pro-Text, anstelle eines Versprechens des Verbaltextes: „Mit diesem Produkt, also dem Schmuck oder der Unterwäsche, erwirbst du, sehr junger oder dich jung fühlender Mensch, das sinnliche Liebesglück.“) oder den Anzeigentext bzw. Slogan expandieren („Für die Sinne“). Ins Bild zu lachen und lächeln mit Blickkontakt, wendet sich direkt an die Rezipienten; die Anzeige spricht so zu ihnen. Die Senioren der ARD-Anzeige „Ein Platz an der Sonne“ lachen die Betrachter an oder richten den Kussmund auf sie (Blickkontakt, Mimik). Damit wird direkt die Zielgruppe angesprochen. Das geht ebenso auf Umwegen: Mutter und Kind rühren in der Küche im Kuchenteig (Gestik), dessen Fertigpackung gut sichtbar auf der Arbeitsplatte liegt. Mutter blickt liebevoll auf Kind, Kind strahlt den Betrachter an (Blickkontakt). Damit verbunden sind zwei Kaufappelle, einer an das Kind und einer an die Mutter. Modifikationen des Musters mit dem Vater habe ich im Fernsehen gesehen. Der extraverbale Kontext wird durch helles, großräumiges Interieur als modern und offen dargestellt, der Familienesstisch symbolisiert die private Harmonie.
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Anzeigen für karitative Organisationen wählen für ihre Fotos Personen, die dem Hilfsschema entsprechen: oft Kinder, deren Herkunft aus Drittweltländern durch Hautfarbe oder Gesichtsschnitt nahe liegt und deren extraverbale Signale (ärmliche Kleidung, Wohnung in Hütten oder Zelten usw.) den Eindruck von Hilfsbedürftigkeit verstärken. Es ist hier von großer Bedeutung, dass diese Personen den direkten Blickkontakt mit dem Betrachter aufnehmen, damit dieser sich angesprochen fühlt und aufmerksam wird. Hinzu kommen Gesten oder Attribute der Hilflosigkeit (Stacheldraht, in den die Hände gestisch greifen; ausgemergelter Körper in nicht aufrechter Haltung usw.) oder die direkte Beschreibung der Mangelsituation als Ko-Text: „Wie schön wäre es, wenn dieses Lächeln nicht hinter Stacheldraht wäre!“, „Ein Euro pro Woche, damit sie in die Schule gehen kann.“ Wenn jedoch europäische Personen durch Körperhaltung oder Mimik unattraktiv oder unsympathisch dargestellt werden, symbolisieren sie meist eine Mangelsituation, die durch das beworbene Produkt behoben wird: Kopfschmerzen, Pickel, Übergewicht usw. Oft ist das nur der erste Teil einer zweiteiligen Anzeige. Es gibt aber auch eine Kultur des Hässlichen, die in Werbeanzeigen z.B. als Kräuterhexe mit verzogenem Gesicht für Magenbitter auftritt und werbend wirkt. Analog hat eine neue Lächerlichkeit in der Werbung Konjunktur, weil sie den informellen Zeitgeschmack trifft. Die Vielfalt der mimischen, gestischen, proxemischen Formen ist groß und kann aus den Anzeigen herausgelesen werden. Einmal auf der Spur, werden wir zu Entdeckern.
3. Himmlische Beispiele Nur wenige Werbeanzeigen oder –plakate vertrauen allein auf Text wie die Easyjet-Werbung aus dem Jahr 2005: „Heute Abend Paëlla? Ja, aber in Barcelona.“ usw. Immerhin, um das Auge aufmerksam und die Werbung wahrnehmbar zu machen, waren die Plakate grafisch gestaltet, und die weiße Schrift leuchtete aus dem orangefarbenen Hintergrund. Nur wenige Werbeanzeigen oder -plakate vertrauen allein auf das Foto, wenn nicht zumindest der Produktname klar zu sehen ist: Die Trinkflasche wird immer mit sichtbarem Markenetikett zur Linse gedreht, der Herd zeigt an einer Stelle das Markenlogo, ebenso die Zigarettenschachtel. Ein Verbalteil oder mindestens ein Logo ist nötig, damit das Foto etwas aussagt, also um das per Foto abgebildete Objekt eindeutig identifizierbar zu machen. Braucht es mehr, brauchen Foto und Text einander als Ko-Texte, oder gibt eines für das andere nur den situativen Kontext ab? Da mögliche Foto-Text-Beziehungen eben sehr vielfältig sind, sollen einige Beispiele vorgestellt werden, die sie exemplarisch erläutern. In der Wohnzeitschrift Das Haus aus dem Burda Verlag, die sich an ein wohnbewusstes Zielpublikum richtet und die u.a. als Beigabe zu Bausparverträgen versandt wird, Heft 3 (2006), findet sich auf S. 5 eine ganzseitige Parador-Werbeanzeige (Abb. 2). Sie besteht aus dem fast ganzseitigen Foto eines großen, spärlichst möblierten, aber elegant arrangierten Innenraums, dessen vierteilige Glastür und dessen weiße Wände sich im staubfreien, makellos glänzenden Fischgrätparkett spiegeln. Direkt unter dem Foto steht „P|A|R|A|D|O|R“, der Name der Firma und gleichzeitig das Logo des Produkts. Die Grafie des Logos wiederholt durch die Trennstriche
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ikonisch die Lamellen- oder Paneelform des Parketts, die auch auf dem Foto und am rechten Rand sichtbar sind. Am Außenrand rechts und unten sind Informationen und weitere Hinweise abgedruckt, die Werbebroschüren, Mailadressen und Produktfarben nennen. Beide zusammen bilden den Textbody, der das Foto wie ein halber Rahmen umgibt. In das Foto sind drei Kurztexte hineinkopiert, nämlich die Schlagzeile, der Slogan und Mailadresse der Firma. Die Schlagzeile umfasst drei Zeilen, die von links mit wieder an Lamellen erinnernden Strichen eingeführt werden. Sie lautet: „Von manchen Orten / lässt man sich nicht mehr / so leicht vertreiben.“ In jeder Zeile gibt es etwa hälftig Fettdruck, so dass dadurch nichts Besonders hervorgehoben wird. Weder das Fettgedruckte noch der Rest bildet zusammen einen Satz oder eine Aussage, die Hervorhebung erscheint willkürlich und nicht semiotisch erklärbar. Am unteren Rand des Fotos, etwa auf gleicher Höhe mit dem Slogan, doch in unterschiedlicher Schriftgröße, liest man links „www.parador.de“, also den Produktnamen in der Mailadresse, die im Body nochmals kommt. Rechts dagegen den Slogan „Ein Traum von Raum“. Poetisches Mittel des Slogans ist nicht nur der Binnenreim dieser kurzen elliptischen Phrase, sondern der zweimal vorkommende, gedehnte Diphtong [au:]. Durch seine Länge, die durch „Traum“ und „Raum“ sogar gedoppelt ist, wiederholt er die Ausdehnung des Raumes quasi onomatopoetisch. Die Aussage des Slogans ist zunächst, dass dieser Raum sehr grooooß und traumhaft schön ist, dass man – hoffentlich jeder Rezipient! – von einem solchen Raum mit solchem Fußboden träumt.
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Erst bei näherem Hinsehen fallen zwei Ahorn(?)blätter auf dem Parkett auf. Wenn man ihren Ursprung sucht, sieht man links den Teil einer großen Zimmerpflanze, von der die Blätter auf den Boden gefallen und verweht sein könnten. Aber – weiter dranbleibend erst – entdeckt man zwei blasse Silhouetten, die von rechts unten diagonal ins Bild fallen. (Im farbigen Foto erfolgt das Entdecken allmählicher als in der schwarzweißen Reproduktion hier!) Bei näherem Hinsehen erweisen sie sich als Schatten zweier schlanker Gestalten, Mann und Frau, die sich an der Hand halten (gestisch und proxemisch) und unbekleidet sind. Die beiden grünen Blätter liegen im Prinzip dort, wo sich jeweils die Scham befinden müsste, wenn es nicht Schatten wären. Stehen zwei Menschen in der Tür und blicken in den Raum? Sollte es sich um Feigenblätter handeln, obwohl die Ausfingerung schwach ist? Stehen sie symbolisch für diejenigen, die im Paradies waren, für Adam und Eva im entsprechenden Kostüm? Diese Spur führt noch zu weiteren Anzeichen der Vertreibung aus dem Paradies. Die Schlagzeile, s.o., enthält die Anspielung darauf, nennt das Wort „Paradies“ jedoch nicht und negiert die Vertreibung. Daher ist die folgende Interpretation nicht sofort offensichtlich, dennoch: Der Raum ist das (bessere) Paradies, das Traumparadies für ein liebendes Paar. In diese Richtung weist auch der Name des Parketts, „Parador“, der die Mehrheit seiner Laute mit „Paradies“ gemein hat und evtl. durch sein Suffix „or“, lautend wie französisch , das Paradies noch überbietet. Ein Raum mit einem Parador-Fußboden ist traumhaft schön wie das Paradies und öffnet einem Paar ein solches! Und hinter der Trennwand des Raums wird – halb verdeckt – ein edles Bett sichtbar. Dazu passend lautet die Botschaft der Internetseite: „Wer die wahren Sehnsüchte der Menschen kennt, ist näher am Markt.“ Damit hoffe ich gezeigt zu haben, dass Foto und Text dieser Anzeige bei dem Betrachter, der sich darauf einlässt, als Ko-Texte eine enge Verbindung eingehen, sich gegenseitig wiederholen und erläutern. Textsemiotik und Fotosemiotik spielen zusammen, verstärken sich im Wechsel zu einer starken Aussage. Insofern darf man behaupten, dass die Anzeige überaus gelungen ist und ästhetisch anspricht. Sie ist aber bildlich m.E. nicht perfekt, ich muss eine kleine Einschränkung vornehmen. Irritierend unlogisch sind die Lichtverhältnisse. Der am hellsten erleuchtete, vor Licht gleißende Teil des Raums liegt hinten bei der Glastür. Nach vorn und nach rechts wird das Licht dunkler, damit der Parkettboden besser zur Geltung kommt. Wieso fallen vom dunkelsten Teil des Fotos, aus der rechten unteren Ecke, die Schatten, ohne dass eine Lichtquelle als Ursache auszumachen ist? Blicken die Personen, die den Schatten werfen, ins Zimmer? Es wäre ja logisch, dass sie in ihr Paradies blicken. Warum aber dann die Feigenblätter, die würden ja die beiden Hinterteile der Schatten verdecken, statt des üblicherweise zu Verdeckenden? Zufall? So genau darf man Werbung vermutlich nicht ansehen; die Feigenblätter inszenieren hier das Paradies symbolisch, sie sind als Indikatoren wichtig, sind hingegen nicht wörtlich bzw. perspektivisch genau zu nehmen. Zum Vergleich kurz eine Anzeige, die ebenfalls himmlisch-mythologische Assoziationen hervorrufen soll: ADAC (Abb. 3). Hier bildet der verbale Text den oberen und unteren Rahmen, oben mit Logo und Schlagzeile, unten Fließtext bzw. Body mit Slogan und Infoadresse. Bekannter Kontext: Die Farbe gelb ist die Signalfarbe des Dienstleistungsclubs ADAC, der über gelbe Serviceautos verfügt und dessen Personal als „gelbe Engel“ bezeichnet werden – das ist Vorwissen des Adressaten. Der Schriftzug ADAC taucht sechsmal auf. Als blassgelber Hintergrund oben, in der Schlagzeile, im Body, im Slogan, im Logo, auf der Clubkarte im Foto sowie auch noch in Kleinschrift in der Mailadresse. „Himmlisch“ ist Teil der Schlagzeile.
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Blickfänger ist das Foto, das als Streifen das mittlere Drittel der Anzeige ausmacht. Es zeigt eine mit weißen Zähnen ins Bild lächelnde, Blickkontakt herstellende, makellos schöne Frau im weißen, leicht löchrig-transparenten Häkelkleid auf einer weißen, gewirkten Tagesdecke locker auf dem Bauch liegend (Körperhaltung), die linke Wange sanft in die linke Hand gestützt (Gestik). Ihre langen braunen Haare, die von Licht beschienene, helle Partien zeigen, wellen sich über Schultern und Rücken. So könnte ein moderner Engel aussehen. In der rechten Hand hält sie eine ADAC-Clubkarte so, dass diese deutlich lesbar ist. Die Anzeige strahlt Schönheit, Helligkeit, Gemütlichkeit und Sicherheit aus, und der Slogan „ADAC – Wir sind da.“ unterstützt diese Aussage. Man hat verstanden, mit der Sicherheit des ADAC lebt man himmlisch und in Gesellschaft von Engeln. Die Verbindung des mittleren mit dem unteren Drittel leistet ein roter Stern, auf dem ein gelbes Sparschwein prangt als Symbol für die Sparvorteile, die auch verbal als „Club-Vorteile“ und grafisch durch das %-Zeichen genannt werden. Dem entspricht das Wort „sparen“ in der Schlagzeile, und durch „Vorteil, Vorteile, ProCent“ wird es mehrfach expandiert. Offenbar lässt sich das Sparen aber nicht attraktiv im Bild oder Foto darstellen, denn dort erscheint es nicht.
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Bei genauerem Hinsehen entdeckt man auch im Foto noch etwas Weiteres, nämlich die fedrigen Flügel auf dem Rücken des Mädchens bzw. der Frau. Sie sind nicht sofort wahrzunehmen, weil sie dieselbe weiße Farbe wie Decke und Kleid sowie eine ähnliche Struktur wie die Decke haben. In der Tat handelt es sich bei der Schönen wohl um einen Engel! Wer will, kann die
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gebauschte Decke nun noch als Wolke ansehen; eine neue Interpretation ergibt sich nicht mehr: Eben himmlisch in Text und Foto, wobei der semantische Zug des Himmlischen mit den KoTexten Foto und Text arbeitet, nicht jedoch der semantische Zug des schnöden Geld- und Sparvorteils, der verbaltextlich bleibt. Eine gute, aber keine geniale Anzeige. Genannt sei noch eine Werbung, die Rentnern quasi himmlisch-paradiesische Versprechungen macht, die ARD-Fernsehlotterie. Darin finden sich oben und unten blaue Streifen mit gelber Schrift, die Logos, Slogan und Fließtext enthalten. Wenn die aufgeklebte Doppelkarte abgelöst ist, blicken im etwa drei Fünftel einnehmenden Mittelfeldfoto drei Rentner, zwei Männer mit tadellosen Gebissen und eine Frau mit Kussmund, in die Fotokamera. Einer hält mit der rechten Hand (Gestik) eine Karte ins Fotozentrum, auf der – wiederum als montierte Fotos – die paradiesischen Lotteriegewinne Mercedes, Traumhaus, Reisen durch vier Fotos abgebildet sind. Die sympathischen Personen selbst erscheinen im Foto strahlend als Personifizierungen des Rentnerglücks, das durch die Gewinne über das ARD-Los erreicht wird. Ausdruck des Glücks auf der Textebene ist der metaphorische Slogan „Ein Platz an der Sonne“, die Sonne selbst kommt jedoch nicht vor, auch nicht auf den Reisebildern. Durch diese lockeren Beziehungen erscheint mir die Anzeige weniger verdichtet und von der Bauart weniger interessant.
4. Unterrichtspraktische Vorschläge Dieser Artikel sollte zeigen, dass die Verbindung von Foto und Text in Werbeanzeigen vom Deutschunterricht gut geleistet werden kann. Durch das Foto (oder Bild) wird der Text nicht entwertet, im Gegenteil, er erhält neues Gewicht und neue Aufmerksamkeit. Ein paar Unterrichtsvorschläge für die Verbindung von Foto und Text in Werbeanzeigen, analytisch und produktiv, seien herausgestellt. Für Kinder: 1
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Übersicht gewinnen und Werbemittel erkennen: Sammeln von Werbeanzeigen, die sich nach Meinung der Kinder an Kinder richten, in Zeitschriften (Kinderzeitschriften, Fernsehzeitschriften usw.). Erkundung des Zusammenhangs von Text und Bild im Klassengespräch. In Gruppen: Gegenüberstellen von Anzeigen mit Fotos und solchen mit Zeichnungen; Vergleich von Fotos und anderen Bildern, Wirkung. Ergebnissammlung, gemeinsam Hypothesen zu Werbeanzeigen aufstellen. Evtl. eine Materialund Ergebnismappe für die Klasse anlegen. Slogan, Produkt und Foto: Slogans, bei denen der Produktname ausgelassen ist, werden den Kindern vorgestellt („… macht Kinder froh und Erwachsne ebenso!“); das geht auch mündlich als Ratewettspiel mit zwei Gruppen. In der Folge parodieren die Kinder die Anzeigen, indem sie Fotos (oder Bilder), Produkte und Texte bzw. Slogans anders kombinieren. Es sollen möglichst stimmige Anzeigen entstehen, die evtl. prämiert werden können. Foto und Text einer Werbung herstellen: Für ein existierendes oder neu einzuführendes Produkt gestalten die Kinder eine Fotowerbung, das Bild mit der Digitalkamera, den Text mit Papier und Stift oder mit Tafel und Kreide usw., was abfotografiert wird. Je nach den Möglichkeiten der Schule erfolgt die Montage. Dazu mehr in anderen Artikeln.
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Erforschung der Elemente und des Baus von Anzeigen: Schülerinnen und Schüler betrachten in Kleingruppen eine Anzeige, erkunden gemeinsam die Elemente und regen sich dabei gegenseitig an, so dass sie die Zusammenhänge herausfinden. Altersgemäß komplexere Anzeigen sind herausfordernder als zu einfache. Am Ende wird die Interpretation präsentiert; vgl. die Parador-Anzeige. Gruppen können ihre Ergebnisse vergleichend vorstellen, vgl. Parador vs. ADAC. Empirische Erkundung von Anzeigen in Zeitschriften und auf Plakaten: Bildliche oder textliche Motive (z.B. Traumlandschaften) werden gemeinsam ausgewählt; Schüler und Schülerinnen suchen in Zeitschriftenwerbung und auf Plakaten (auch außerhalb der Schule), in welchen Kontexten und für welche Produkte solche Elemente vorkommen, was sie aussagen und was den sprachlichen Ko-Text bildet. Sie fertigen eine Übersicht über die gefundenen Typen an. Semiotische Struktur erkennen: Die Anteile von Text und Foto an den Aussagen und ihr Zusammenspiel werden an Werbeanzeigen zu einem bestimmten Bereich oder Produkt untersucht, das Ergebnis wird ästhetisch bewertet. S. auch die zwei nächsten Punkte: Körpersprache in Werbefotos: Personen auf Werbefotos als Sekundärsender erkennen. Auffinden der extraverbalen Signale (Räume, Accessoires …) und der körpersprachlichen Botschaften (Mimik, Gestik, Proxemik …). Beziehung zu Schlagzeile, Slogan, Produktnamen: analog oder kontradiktorisch oder unverbunden? Dies kann Teilaspekt einer größeren Fragestellung sein. Poetische Mittel in Text und Foto finden und beurteilen: Poetische Mittel in den Textteilen werden untersucht, vor allem in Slogan, Produktnamen und Schlagzeile. Gibt es dazu ästhetische Entsprechungen im Bild? (Weichzeichnung, Kontrast, Natur, …) Angeleitete Analyse einer Anzeige nach einer auf Arbeitsblatt vorgegebener Struktur: Kommunikative Situation (Wer spricht wie zu wem? Mit welchen Mitteln? Was sagt er/sie? usw.) Übliche Textelemente (Schlagzeile, Fließtext, Slogan, Adds, Logos) und Bildelemente (Räume, Objekte, Personen, Details, Farben, Perspektiven, Montagen) werden aufgelistet; Schülerinnen und Schüler finden vorhandene Entsprechungen dazu und stellen fest, dass nicht jede Anzeige alle Möglichkeiten ausschöpft bzw. von den Standardmöglichkeiten individuellen Gebrauch macht. Analyse und Wissen durch Produktion: Herstellen von Werbeanzeigen für bestimmte Gruppen (Kinder, Jugendliche, bestimmte Erwachsene) in Gruppen. Eine Auswahl zu bewerbender Produkte (Schokolade, Zeitschrift, Schafanzug?) sollte vor Beginn der Arbeit feststehen, um die Schülerinnen und Schüler nicht zu überfordern. Erarbeitung der Produktnamen, Schlagzeilen und Slogans und der Bildanteile, evtl. mit eigenen Fotos oder mit in Zeitschriften ausgeschnittenen Fotos.
In diesen Vorschlägen dominieren analytische Methoden. Damit ist nicht gemeint, dass Werbung im Deutschunterricht vor allem analytisch sein soll. Es ist sicherlich für SchülerInnen motivierender, produktionsorientiert bzw. produktiv vorzugehen, und, soweit ich sehe, entspricht dem auch die verbreitete Unterrichtspraxis. Nur darf Produktion nicht blind sein. Wenn allerdings im Produzieren die (kommunikativen, ästhetischen, marktorientierten) Bedingungen und Mechanismen der Werbung sowie ihr witziger oder seriöser Rückgriff auf Foto und Text erkannt und reflektiert werden, ist das gut. Unse-
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re Arbeitsvorschläge sollen Möglichkeiten dieser Reflexion eröffnen, deren Weg über das Zusammenspiel von Text und Bild geht: von der Produktion zur Reflexion oder von der Reflexion zur Produktion.
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Foto und Text – Nutzungsmöglichkeiten für den handlungsund kommunikationsorientierten Englischunterricht Oliver Piontek
Sind Foto und Text in Kombination für den Englischunterricht nutzbar? Zur Klärung dieser Frage soll zunächst der bisherige fachliche Diskurs betrachtet werden. Dabei wird zuerst auf die Eignung von vorliegenden Fotos für die Textproduktion im Englischunterricht eingegangen, um dann die interessantesten Anwendungsvorschläge vorzustellen und schließlich Voraussetzungen für den Einsatz sowie mögliche Probleme und Kritik zu nennen. In einem zweiten Teil wird umgekehrt verfahren: Anhand ausgewählter Teilaufgaben wird ein Foto- und Interviewprojekt in der oberen Sekundarstufe I vorgestellt, bei dem die Schüler während einer Praxisphase in London Landeskunde hautnah erleben und beim eigenen Fotografieren und Interviewen vielseitige authentische fremdsprachliche und interkulturelle Erfahrungen machen.
1.1 Fotos – für den Einsatz im Englischunterricht besonders geeignet? In der Fremdsprachendidaktik herrscht Einigkeit über die vielseitigen positiven Aspekte der Verwendung von Fotos im Englischunterricht (und im Fremdsprachenunterricht anderer moderner Sprachen). Die wichtigsten sollen nun wiedergegeben werden. Universelle Einsetzbarkeit: Fotos bergen, wie Hilger anführt, ein gewaltiges Potenzial für den schulischen Fremdsprachenerwerb in sich, da sie sich – in Verbindung mit entsprechenden Aufgabenstellungen – sowohl hervorragend dazu eignen, freies Sprechen zu trainieren, als auch gezielt grammatikalische Strukturen oder Vokabular zu erwerben. Außerdem sind sie auf allen Sprachniveaus, in fast allen Unterrichtsphasen und – durch die unbegrenzte Motivvielfalt – thematisch universell einsetzbar (vgl. 1999: 8). Bedeutungsoffen und persönliche Reaktionen fördernd: Fotos wecken das Interesse der Schüler, ohne schon – wie Texte durch Erzählperspektive und Wortwahl – die Deutung in eine Richtung zu lenken (vgl. Hilger 1999: 8). Diese „Offenheit bei der Deutung“ (Rampillon 1999: 21) regt ihre Fantasie an und lässt ihnen Raum für individuelle Assoziationen und Reaktionen, die durch eigene Interessen, Meinungen und Vorwissen geprägt werden. „Der Englischunterricht gewinnt dadurch an lebensgeschichtlicher Bedeutung für die Lernenden, die nun mehr sind als passive Rezipienten“ (Rampillon 1999: 21). So wird ein natürliches Mitteilungsbedürfnis geweckt, durch das „echte Kommunikationssituationen [entstehen], in denen sie als sie selbst, und nicht mehr in der Schülerrolle [sprechen und handeln]“ (Rampillon 1999: 21). Die Schüler erfahren dabei etwas über ihre Mitschüler und deren Ansichten und lernen andere Sichtweisen zu akzeptieren. So entstehen Vertrautheit und auch Vertrauen, was sich positiv auf das Sozialklima auswirkt (vgl. Bergmann 1999: 12).
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Förderung der Sprechfertigkeit und Sprechbereitschaft: Gleichzeitig fördern fotobasierte Aufgaben sowohl die Sprechfertigkeit – da die Schüler „ihre praktische Handlungsfähigkeit in der Zielsprache von Situation zu Situation (…) neu trainieren und (…) weiterentwickeln“ (Rampillon 1999: 21) – als auch die Sprechbereitschaft (vgl. Bergmann 1999: 12). Letzteres lässt sich auf verschiedene Gründe zurückführen, die sich insgesamt in größerer Motivation und positiverer Einstellung zum Englischlernen auswirken: Sehr wichtig ist die Möglichkeit zur freien Wahl eines Fotos (Bergmann, 1999: 12). Weiter hebt Rampillon (vgl. 1999: 21) in Bezug auf die Verwendung von Zeitschriften- und Katalogfotos Authentizität als stark motivationsfördernden Faktor hervor – besonders im Gegensatz zu den didaktisierten und zudem häufig veralteten Fotos der Englischlehrwerke. Amüsante Fotos lockern laut Bergmann (vgl. 1999: 13) den Unterricht auf und sorgen so für angenehme Kommunikationsbedingungen. Wie sie weiter ausführt, bieten Fotos die Möglichkeit zu einer dem persönlichen Sprachniveau entsprechenden Reaktion: die Schüler können sich ausführlich oder kurz äußern, komplizierte oder eher einfache Konstruktionen verwenden. Laut Hilger (vgl. 1999: 7) wird so gleichzeitig die Gefahr einer Überforderung verringert und auch schwächere Schüler haben Erfolgserlebnisse. Außerdem gibt es durch den inhaltlichen Deutungsspielraum praktisch keine falsche Antwort, was die Schüler besonders zur Sprachproduktion ermutigt (Rampillon 1999: 21). Insgesamt bewirken diese Faktoren, dass die „Anwendung der fremden Sprache (…) in einem Schonraum [stattfindet], da der Leistungsdruck, der häufig in Lehr- und Lernsituationen entsteht, deutlich gemindert werden kann.“ (Rampillon 1999: 21) Bessere Festigung des Wortschatzes: Bei der Interpretation eines Fotos wird der verwendete Wortschatz mit eigenen Erfahrungen in Verbindung gebracht und deshalb besser behalten (vgl. Bergmann 1999: 12). Zusätzlich wird die Behaltensleistung durch mehrkanaliges Lernen verbessert, indem Fotos durch „Kontextualisierung der fremdsprachlichen Redemittel“ (Hilger 1999: 7) den situativen Gebrauch von Vokabeln verdeutlichen. Schüler- und Handlungsorientierung: Aufgaben mit Fotos ermutigen die Schüler meist zu persönlichen Deutungen und fordern sie als aktiv Handelnde. So tragen sie zur Schüler- sowie Handlungsorientierung des Unterrichts bei (vgl. Hilger 1999: 8). Gleichzeitig wird der Unterricht v.a. durch diese Freiräume bei der Deutung ergebnisoffener und somit spannender (vgl. Segna 1999: 31). Abschließend lässt sich festhalten, dass Aufgaben mit Fotos vielfältige positive Auswirkungen im Englischunterricht haben und deshalb verstärkt in den Unterricht integriert werden sollten.
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1.2 Fotos und Text: Einsatzmöglichkeiten im Englischunterricht Es gibt viele Einsatzmöglichkeiten für Fotos im Englischunterricht. Mit jeder ist immer auch eine schriftliche oder mündliche Textproduktion verbunden.
Fotos als Sprechanlass Viele Aufgabenstellungen mit mündlicher Sprachleistung benötigen zuvor eine schriftliche Ausarbeitung und sind daher unter 2.2 beschrieben. Die Folgenden haben hingegen die mündliche Sprachproduktion als primäres Ziel: Bergmann nutzt Fotos zum Kennen lernen der Schüler (vgl. 1999: 14): jeder sucht sich ein Foto aus, von dem er glaubt, das es in irgendeiner Weise etwas über ihn selbst aussagt. Im Plenum berichten anschließend alle, warum sie ihres gewählt haben. In einem weiteren Aufgabenvorschlag zum freien Sprechen lässt Bergmann (vgl. 1999: 15) wieder jeden Schüler ein Foto aussuchen, das dieser dann in einer Kleingruppe nicht beschreibt, sondern seine Assoziationen dazu mitteilt. Die Rededauer wird dabei natürlich dem Können der Schüler angepasst. Mischkowski schlägt Fotos als Initialzünder für ein freies Unterrichtsgespräch zur Einleitung in eine Unterrichtseinheit vor oder als pre-reading activity zur „inhaltlichen Einstimmung (…) bei der Literaturbehandlung“(1996: 104). Interessant, aber weniger sprach-kreativ ist die in Form einer ‚information gap‘-Aufgabe – z.B. zum Wortschatzüben – durchgeführte Bildbeschreibung (vgl. Rampillon 1999: 23), bei der ein Schüler ein – seinem Partner unbekanntes – Foto beschreibt, das dieser dann den Angaben gemäß nachzuzeichnen hat.
Fotos als Anlass zur schriftlichen Textproduktion Die Aufgabenbeispiele lassen sich nach verschiedenen Aspekten ordnen: 1
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Fotobasierte Aufgaben können der gezielten Übung des Wortschatzes bzw. grammatikaischer Strukturen – wie hier zum Zeitengebrauch – dienen: Bergmann (vgl.1999: 16) lässt die Schüler in Kleingruppen drei beliebige Fotos auswählen, um die sie eine Geschichte erfinden sollen, und zwar so, dass ein Foto Grundlage ist für einen Teil der Geschichte, der in der Vergangenheit spielen soll, die beiden anderen jeweils für zwei in der Gegenwart bzw. in der Zukunft anzusiedelnden Geschichtenanteile. Fotoaufgaben können der Fantasie und Sprachkreativität unterschiedlich viel Raum lassen, wie der Vergleich der obigen Aufgabe mit den nachfolgenden zeigt: Rampillon (1999: 23) stellt bei einem interessanten Vorschlag zum creative writing jeweils aus zwei Fotos mit Gegenständen, die nichts miteinander zu tun haben, Collagen her. Die Schüler haben die Aufgabe, einen Zusammenhang der abgebildeten Objekte zu erfinden. Dabei gelten auch die verrücktesten Erklärungen, solange sie diese nur plausibel darlegen können. Eine weitere spannende, oft amüsante und daher die Lernsituation auflockernde Übung ist das Erfinden von Lügengeschichten zu Fotos. Dabei sind der Fantasie der Schüler keine Grenzen gesetzt.
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Für höhere Klassen schlägt Mischkowski das Verfassen einer kurzen Geschichte zu einem frei gewählten Foto vor. Speziell für Fotos mit Personen bietet sich das Verfassen eines Inneren Monologs bzw. eines Dialogs zwischen Personen auf dem Foto an (vgl. 1996: 104). Die Schüler können hier – was natürlich ein großer Anreiz ist – in andere Rollen schlüpfen, versuchen sich mit den Charakteren zu identifizieren und so deren mögliche Gedankengänge zu Papier zu bringen (vgl. im Deutschunterricht den Einsatz von Rollenspielkarten mit Personenfotos, z.B. Pabst-Weinschenk 1994). Fotos können auch in Verbindung mit der Behandlung literarischer Texte zur schriftlichen Textproduktion anregen: beispielsweise ist die Aufgabe, Fotos zu suchen, die nach Meinung der Schüler eine Verbindung zum Romangeschehen aufweisen, und diese assoziierten Zusammenhänge dann zu beschreiben, „an jeder Stelle im Lern- und Leseprozess einsetzbar“ (Segna 1999: 30; vgl. hier, wenn auch außerhalb des Fremdsprachenunterrichts, den Beitrag Kleine Projekte Studierender). Ähnlich verläuft eine ‚post-reading activity‘, bei der sich jeder ein Foto sucht, dass er in irgendeiner Weise mit einem der Charaktere verbindet, und diese Assoziationen zu Papier bringt (vgl. Segna 1999: 30). So unterstützen Fotos die Textanalyse. Margitta Kuty (vgl. 1992: 355) zeigt, wie Fotos zur Produktion verschiedener Textsorten verwendet werden können: z.B. könnte ein Foto, das ein trotz Gegenverkehrs überholendes Motorrad zeigt, Anlass dazu bieten, dass die Schüler über den Unfallhergang einen Bericht für Polizei oder Zeitung, einen Brief nach Hause oder einen Tagebucheintrag schreiben. Auch könnte ein Fragebogen entworfen und ausgefüllt, ein Dialog zwischen Unfallverursacher und Leidtragenden ausgedacht oder eine Kurznachricht an die Eltern geschrieben werden, warum das Auto in Reparatur ist. Allerdings kommt man hier an eine Grenze, weil so dramatische Inhalte im Unterricht sensibel bzw. nicht (nur) als Sprachübung zu verhandeln sind. Bei Bergmann (vgl. 1999: 16) wählen die Schüler in Kleingruppen ein Foto, zu welchem sie sich eine fesselnde Schlagzeile ausdenken. Foto und Schlagzeile werden dann der Klasse präsentiert. Als nächstes wählt nun jede Gruppe Schlagzeile und Foto einer anderen Gruppe und schreibt dazu einen Zeitungsartikel, der später vorgetragen wird.
Diese Aufgabenvorschläge zeigen, wie abwechslungsreich Fotos zur schriftlichen und mündlichen Textproduktion eingesetzt werden können.
1.3 Voraussetzungen für den Einsatz von Fotos Essentielle Bedingung für alle kreativen Aufgaben mit Fotos ist die Möglichkeit zur Auswahl eines die Schüler persönlich ansprechenden Fotos aus einem großen Reservoir. Nie versiegender Quell dieser Fotosammlung sind Zeitschriften, Kataloge, Kalender, Postkarten, das Internet (vgl. Bergmann 1999: 13), aber auch eigene Fotos. Fotos aus Zeitschriften oder Katalogen werden durch das Ausschneiden dekontextualisiert und sind fortan für neue Kontextualisierungen durch die Schüler und Schülerinnen frei. Für Rampillon sollten die Fotos (vgl. 1999: 20) 1. genügend Anlass zur freien Sprachproduktion bieten, 2. motivationsfördernd, 3. vervielfältigbar und 4. für Einzel- oder Gruppenarbeit geeignet sein.
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Damit sie besser verwendet werden können, sollten sie möglichst großformatig und zur besseren Haltbarkeit auf Karton geklebt oder laminiert sein (vgl. Bergmann 1999: 13). Eine Vorsortierung und Kategorisierung macht die Fotosammlung gezielter einsetzbar. Dabei könnte z.B. nach Einzelfotos und solchen, die eher in einer Serie Sinn machen, unterschieden werden (vgl. Rampillon 1999: 20) oder nach „Einzelpersonen, Personengruppen, Orte, Natur, Tiere, Gegenstände“ (Bergmann 1999: 13). Als Hilfe für das Arbeiten mit Fotos gibt Mischkowski (vgl. 1996: 105) den Schülern außerdem geeignetes Vokabular zur Fotobeschreibung an die Hand.
1.4 Digitalfotografie Bei Aufgaben, die die Aufnahme eigener Fotos vorsehen, bietet die Digitalfotografie einige Vorteile: kostenfreies Üben, spontaner Einsatz, da man schlechte Fotos löschen kann, und sofort anschau- bzw. verarbeitbare Fotos. Überdies sind die Fotos natürlich viel geschickter für (Multimedia-) Produktionen zu verwenden, wie z.B. für die in Teil 2 dieses Beitrags vorgeschlagene Beamer-Präsentation oder eine durch eigene Fotos ausgestaltete schulische Website.
1.5 Mögliche Probleme und Kritik Einige kritische Aspekte der Fotoarbeit im Fremdsprachen- bzw. Englischunterricht seien festgehalten: Zu kritisieren ist insgesamt, dass es zum Thema Fotos im Englischunterricht nur wenig Literatur gibt, die zudem häufig nur auf Bildmedien im Allgemeinen Bezug nimmt. Dies ist besonders beklagenswert, wenn man sich das gewaltige Potenzial von Fotos für den Englischunterricht vor Augen führt. Die Bedeutung von Fotos ist zwar von einigen Autoren erkannt worden, im Großen und Ganzen jedoch hat sich die Englischdidaktik noch nicht gründlich genug mit dem Thema auseinander gesetzt. Hier besteht dringend Handlungsbedarf! Die Englischdidaktik muss sich des Wertes von Fotos für den Unterricht bewusst werden, damit der Unterricht und somit letztendlich die Schüler in ihrem Spracherwerb von der vielseitigen Verwendbarkeit von Fotos profitieren können. Des Weiteren wird die Fotokritik, die z.B. bei Holzbrecher in der Reflexion der ‚Ko-Texte und Kontexte‘ und Rezeptionsprozesse enthalten ist (vgl. Kap. 1 in diesem Band), im fachdidaktischen Diskurs nicht ausreichend thematisiert. Diese ist aber als Ausgangsbedingung für ein reflektiertes Arbeiten mit Fotos im Englischunterricht unerlässlich. Zwar kann ein (foto- bzw. medien) kritisches Bewusstsein nicht allein von den didaktischen bzw. pädagogischen Bemühungen in einem Fach in den Schülern geweckt und gefördert werden, sondern muss als übergeordnetes Bildungsziel im Sinne von „Bildung als Subjektentwicklung“ (Meueler 1993: 156ff zit. n.: Holzbrecher in diesem Band) eines mündigen Menschen fächerübergreifend in Angriff genommen werden. Jedoch sollte der Englischunterricht hier zumindest seinen Teil durch eine gründliche fachdidaktische Auseinandersetzung beitragen, die für eine entsprechende Änderung der unterrichtlichen Praxis die theoretische Basis bildet. Lediglich Segna nennt einige potentielle Schwierigkeiten der produktionsorientierten Arbeit mit Fotos, wie z.B. anfängliche „Irritationen und ein Unbehagen ob der Arbeit mit Bildern“ (1999: 31). Dies gilt für Schüler wie Lehrperson, denn da Aufgaben mit Fotos oft keine eindeu-
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tige Lösung besitzen, sind die „Kriterien für eine gute Leistung (…) auf Anhieb nicht erkennbar“ (ebd. 1999: 31). Die Lehrperson muss sich an den „geringere[n] Grad der Lenkung“ (vgl. ebd. 1999: 29) gewöhnen, der durch die größere Handlungsfreiheit der Schüler entsteht. Deshalb ist sorgfältige Planung nötig, was vor allem anfangs zeitlichen Mehraufwand bedeutet. Mit zunehmender Übung jedoch fällt die Arbeit mit Fotos leichter. Man sieht, dass der Weg zum autonomeren Lernen den Lehrpersonen schwer fällt. Zu bemängeln ist beim Fachdiskurs, dass die Beiträge zum Thema sich leider nur auf Anwendung und Nutzen beschränken und dabei eine nötige kritische Hinterfragung sowohl möglicher Probleme als auch bestehender Verwendungsweisen von Fotos weitgehend nicht stattfindet. Beispielsweise wäre der Sinn von Fotos in Lehrwerken zu hinterfragen, welche die Schüler eigentlich durch Identifikation motivieren sollen, jedoch allzu oft veraltet sind und somit diese Funktion eher untergraben, als sie zu erfüllen. Diese wichtigen Aspekte wären im Diskurs dringend zu erörtern.
2. Teil: Multicultural London seen through a photographer’s eye – Interkulturelles Lernen im Rahmen eines Foto- und Interviewprojektes Das in diesem zweiten Teil vorgestellte Foto- und Interviewprojekt für die 8. bis 10. Klasse der Realschule verbindet Fotos nicht nur direkt mit Textproduktion – nämlich beim Verfassen der Texte für die beiden Projektprodukte – sondern mündliche und schriftliche Textproduktion findet natürlich auch während des gesamten Projekts statt, sei es beim Zusammenstellen der Merkblätter, bei den Interviews, bei der Herstellung der Projektprodukte und allen anderen Aufgaben. Zunächst sollen kurz fachliche und technische Aspekte (2.1- 2.3) dargelegt, dann das Projekt anhand des tabellarisch umrissenen Verlaufs (2.4) und ausgewählter Teilaufgaben (2.5 - 2.8) vorgestellt werden.
2.1 Technische Vorraussetzungen der Schule für die Projektdurchführung 1 1 1 1 1 1
Einige Computer mit Internetzugang. ein Scanner ein Beamer Pro Themengruppe (siehe Tabelle auf der übernächsten Seite, 2. Topic orientation) mindestens ein kleiner Kassettenrekorder oder ein Diktiergerät (optional:) Ein paar einfache Digitalkameras nicht schuleigene Materialien: Eine Einweg-Kamera pro Schüler (bei Aldi, Media Markt etc. für ca. 5 Euro manchmal im Angebot)
2.2 Multicultural London – für Schüler besonders interessant (alle Angaben: vgl. National Statistics Online) Die ethnischen Minderheiten Großbritanniens konzentrieren sich im Ballungsraum Londons, wo sie erstaunliche 28,8% ausmachen – in den Bezirken Inner Londons sogar 34,3%. Beispielsweise wohnen 81% der in Großbritannien lebenden Black-Africans in London!
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Fast 880 000 Inder, Pakistaner und andere so genannte ‚Asians‘ leben in London. In Stadtbezirken wie Southall gibt es alles, was es auch in Indien gibt: indische Restaurants und Läden, Kinos, die indische Filme zeigen, sogar Hindu-Tempel. Von den ca. 782 000 Schwarzen in London leben besonders viele im Stadtteil Brixton, der für seine lebhafte Atmosphäre, seine kleinen afrikanischen und karibischen Restaurants, sowie den Brixton Market bekannt ist. Londons Chinatown spiegelt durch den besonderen Stil seiner Läden und Restaurants die Ursprungskultur der dort lebenden chinesisch-stämmigen Bevölkerung wieder. Diese spannende multikulturelle Mischung Londons weckt das Interesse der Schüler für die ethnischen Minderheiten dort. Sie sind neugierig, wie sich diese von ihnen als Deutschen unterscheiden bzw. was sie gemeinsam haben, ob und wie sie sich angepasst haben. Die Antworten auf diese Fragen durch Interviews selbst herauszufinden bzw. sie auf Fotos zu „einzufangen“, ist eine persönliche Herausforderung, die sie zusätzlich motiviert. Die Möglichkeit, hier vielen ethnischen Minderheiten begegnen zu können, mit denen man in Deutschland kaum in Kontakt kommt, ist für die Schüler sehr reizvoll. Besonders wichtig ist dabei, dass sie aus den Erfahrungen wertvolle Rückschlüsse auf die eigene multikulturelle Gesellschaft in Deutschland ziehen können. Die genannten Stadtbezirke mit ihren jeweiligen Minderheiten bieten dazu gute Gelegenheit. Deshalb soll sich die zentrale Aufgabe des Fotografierens und Interviewens, die während eines Londonaufenthaltes der Klasse vor Ort durchgeführt wird, auf diese drei konzentrieren.
2.3 Das Fotoprojekt Das Projekt wird hier in seiner anspruchsvollsten Durchführung beschrieben. Es kann durch mehr Input und Eingreifen der Lehrperson sowie Verändern oder Weglassen von Aufgaben vereinfacht und verkürzt werden, um dem Niveau jüngerer Schüler oder einem engeren Zeitplan gerecht zu werden. Es orientiert sich an den von Legutke & Thomas (vgl. 1991: 169) vorgeschlagenen sechs Phasen eines Fremdsprachenprojekts. Die Schüler können ein oder mehrere Produkte hervorbringen, z.B. – wie hier angenommen – ein Foto-Büchlein und eine Beamer-Präsentation. Zur Sicherung der Zwischenergebnisse erstellen sie Merkblätter (‚information sheets‘), die sie in ihrem persönlichen Ordner, dem ‚reference-folder‘, zum schnellen Nachschlagen der wichtigsten Projekt-bezogenen Informationen und Sprachhilfen, sammeln. Die folgende Tabelle stellt den Ablauf des Fotoprojektes mit seinen Teilaufgaben‚ den sogenannten ‚sub-tasks‘ dar, welche die sechs Phasen weiter untergliedern und das Erarbeiten und Aneignen essentieller Projekt-bezogener Fähigkeiten zum Ziel haben. Dabei sind die in der Schule in Deutschland stattfindenden Phasen 1 3.5 bzw. 4 - 6 die Vorbereitungen bzw. die Nachbereitung der im Rahmen eines Londonaufenthaltes vor Ort durchzuführenden Kernaufgabe des Fotografierens und Interviewens. Im Anschluss an den in der Tabelle knapp umrissenen Projektverlauf sollen ausgewählte Teilaufgaben daraus detaillierter vorgestellt werden (2.5 - 2.8).
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1.
Opening: Hinführen auf das Projekt; Einführen der research question „How can multicultural London be seen through a photographer’s eye?“ durch Fotos; geografische Sicherung
2.
Topic orientation: Wie kann die research question umgesetzt werden? Entscheidung für Projektprodukte und Erstellen des Projektplans zur Umsetzung der research question Brainstorming => viele Produktvorschläge (P/G); Wahl eines /mehrerer Produkte (K) Sammeln und Einigen auf Themenaspekte (z.B. food, architecture, fashion etc.) (K) => Bildung verschiedener Themengruppen benötigte Fähigkeiten auflisten, in sub-tasks gliedern (TG/K) => (vorläufigen) Projektplan erstellen
1 1 1 3.
Research and data presentation: Teil 1: Vorbereitung der target task (= Zielaufgabe: Fotografieren und Interviewen von Angehörigen der Minderheiten in London) 3.1 sub-task ethnic minorities: 1 Informationen sammeln (E/EG) => Experten für jede ethnische Minderheit => Merkblätter entwerfen 1 zurück in ihrer Themengruppe: die verschiedenen Experten berichten (TG) => Alle sind über jede ethnische Minderheit gut informiert 3.2 sub-task interviewing: 1 Jeder wählt eine berühmte Persönlichkeit (z.B. Nena, Michael Schumacher etc.) und denkt sich Interviewfragen aus, mit denen man möglichst viel über eine Person herausfinden kann (HA) => Sensibilisierung für Fragemöglichkeiten 1 Gegenseitiges Interviewen um die jeweilige bekannte Persönlichkeit des Partners zu erraten => Spielerische Sensibilisierung für Interviewführung u. Sprachgebrauch 1 Sammeln von wichtigen Interview-Sprachmitteln (K) => Merkblatt polite and flexible interviewing 1 Transfer: Aufstellen von Projekt-bezogenen Interviewfragen, dann themenspezifische Ergänzungen (K/ TG) => Interview-Fragenkatalog Interview guide 1 Einführung in den Gebrauch der Diktiergeräte durch Interviewen (P) => Sicherer Umgang mit Diktiergerät/Rekorder und Gebrauch des interview guide 1 Interviewen von Lehrern und guten Schülern höherer Klassen; weiteres Verfeinern der interviewing skills (TG) (vgl. Legutke & Thiel 1983: 20) 3.3 sub-task photo-taking: 1 1. Sammeln (HA), 2. gegenseitiger Austausch und Erklären (P) und 3. Überprüfen (Rechtschreibung, etc.) (K) von Vokabeln und Phrasen rund ums Fotografieren => Mind-map: My phototaking vocabulary 1 Einführung in Tricks der Fotografie ehrenamtlich durch Fotografen => Merkblatt tips on photo-taking (K + Fotograf oder. Kunstlehrer) 1 (falls Digicams vorhanden): Fotografieren mit Digitalkameras, anschließende Besprechung der Fotos => Gezieltes Üben der Fototipps durch Anwendung 3.4 sub-task general language practice: 1 2 Situationen in London (z.B. Ticketkauf ) und 2 Fragen dazu überlegen (HA) => vorhandenes Wissen aktivieren 1 Sammeln und Sichern der situationsbezogenen Fragen als Merkblätter (K) 1 Rollenspiel: Situationen simulieren (P) => Sprach- u. Handlungssicherheit 3.5 sub-task prejudices, stereotypes, personal expectations (siehe Abs. 2.4 im Artikel)
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Teil 2: Durchführung der target task in London (Stadtteilerkundung mit Durchführen der Interviews und Fotografieren) (siehe Abschnitt 2.5 in diesem Artikel)
4.
Preparing data presentation: (zurück in Dtld.; siehe Abschnitt 2.6 in diesem Artikel)
5.
Presentation: Durchführen der Beamer-Präsentation und Vorstellen des Foto-Büchleins (PG1 + PG2)
6. 1 1 1
Evaluation: Ausfüllen der anonymen Fragebögen zum Projekt und zum interkulturellen Lernen (HA); Auswertung durch den Lehrer Gezieltes Bewusstwerden über (interkulturellen) Lernerfolg, Probleme etc, auch als Vorbereitung für die folgende Diskussion Diskussion über Projekt und interkulturelles Lernen (K) => Ansprechen von Problemen
1
Verwendete Abkürzungen in der Tabelle: Hausaufgabe (HA), Einzelarbeit (E), Partnerarbeit (P), Kleingruppenarbeit (G), Themengruppe (TG), Expertengruppenarbeit (EG), Produktgruppe (PG1 bzw. PG2), Klasse (K).
In den folgenden Abschnitten 2.4 - 2.6 sollen nun ausgewählte Teilaufgaben des Projektverlaufs (siehe 3.5, Teil 2 sowie 4. in Tabelle oben) detaillierter beschrieben werden:
2.4 Interkulturelles Lernen im Rahmen des Fotoprojekts Byram nennt 3 Faktoren von „Intercultural Communicative Competence“ (Byram 1997: 31), nämlich knowledge, attitudes und skills. Knowledge: die Schüler müssen sich der fremden britischen Kultur bzw. den fremdkulturellen Strömungen in dieser, aber auch ihrer eigenen Kultur bewusst sein. Dies ist bereits größtenteils durch die Expertenrecherche über die Minderheiten in der Teilaufgabe ethnic minorities erfüllt (siehe 3.1 sub task ethnic minorities in Tabelle oben). Eine weitere Teilaufgabe (siehe 3.5 in Tabelle oben) zielt nun auf die ‚attitudes‘ ab: als Hausaufgabe notieren die Schüler per Brainstorming Vorurteile, Stereotypen und Meinungen bezüglich der fremden Kulturen - auch der britischen. In der Klasse werden diese verglichen und diskutiert, wobei gemeinsam analysiert wird, wie und weshalb sie möglicherweise entstehen. Ziel ist, die Vorurteile bewusst zu machen und das Interesse der Schüler zu wecken, selbst herauszufinden, wie die fremden Kulturen wirklich sind und welche Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten sie mit der eigenen haben. So wird ihre Bereitschaft erhöht, die eigene Weltsicht zu relativieren und bestimmte Aspekte davon in Frage zu stellen. (vgl. Byram 1997). Die ‚skills‘ als dritter Faktor werden dann bei der Durchführung der target task in London umfangreich gefördert und erweitert.
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2.5 Durchführung der target task in London (siehe Teil 2 oben) An mehreren Tagen fahren die Lehrpersonen und Schüler zusammen in die Stadtteile Southall und Brixton und nach Chinatown. Die Schüler erhalten Kopien des Stadtteilplans, auf der der Treffpunkt sowie der Ort, an dem die Lehrkräfte in dieser Zeit zu finden sind, und deren HandyNummern vermerkt sind. Dann ziehen die Themengruppen mit Kameras, Diktiergerät/en und interview guide los und machen zu ihrem Thema Fotos und Interviews. Dabei erkunden und erleben sie das multikulturelle Leben hautnah. Jeder Schüler führt ein photo diary, in dem er jedes Foto mit date/time, location, description und personal feelings der Situation festhält (siehe Anleitung hinten). Später dient es als Hilfe zum Erstellen der Projektprodukte und ist eine schöne persönliche Erinnerung – besonders, wenn man die zugehörigen Fotos einklebt. Abends berichten die Gruppen im Plenum über Fortschritte, aber auch Probleme bei der Durchführung der target task. So können Probleme früh gelöst werden, und die Gruppen profitieren gegenseitig von ihren Erfahrungen. Mit Hilfe des Fragebogens ‚What have you learnt and experienced today?’ halten die Schüler ihre täglichen Erlebnisse sowie ihren geschätzten Lernerfolg fest. Dazu vergleichen sie ihre daheim notierten Vorurteile und prüfen, welche sich durch die direkten Erfahrungen bestätigt bzw. als falsch erwiesen und was sie Neues erlebt haben. Diese bewusste Auseinandersetzung ermöglicht ihnen eine „conscious control of biased interpretation“ (Byram 1997: 34/35) und bewirkt so interkulturelles Lernen bezüglich ihrer ‚attitudes‘. Während der Stadtteilerkundungen und der Interviews gewinnen sie authentisches ‚knowledge‘ „of the processes of interaction at individual and societal levels“ (Byram 1997: 35). Besonders durch die Interviews findet bei den skills of interpreting and relating und v.a. den skills of discovery and interaction ein verstärkter Lernprozess statt.
2.6 Die Herstellung der beiden Projektprodukte (siehe oben, 4. Preparing data presentation) Wieder in der Schule, machen sich die Schüler an die Herstellung des Fotobüchleins bzw. der Beamer-Präsentation. Dazu werten die Themengruppen ihre Interviewaufnahmen aus und tippen verwertbare Passagen am PC ab. Jeder wählt seine zwei besten eigenen Fotos aus, von denen die Themengruppe gemeinsam jeweils eines für das Produkt aussucht, so dass jeder mit einem Foto vertreten ist. Die Sub-task ‚text production‘ ist die eigentliche Verknüpfung von Foto und Text: Am PC verfasst jeder zu seinem Foto einen Text. Dabei stützen sie sich auf ihre Notizen aus dem photo diary. Falls passend, bauen sie interessante Interviewmitschriebe und persönliche Erfahrungen, z.B. zu widerlegten Vorurteilen, ein. Durch gegenseitiges Korrekturlesen und danach durch den Lehrer gelangen die Texte schließlich zur Druckreife. Zur Herstellung der Projektprodukte werden zwei neue große Gruppen gebildet, von denen die eine das Büchlein herstellt, die andere parallel die Beamer-Präsentation vorbereitet. Die Buch-Gruppe bestellt die ausgewählten Fotos in entsprechender Anzahl nach. Zwei Freiwillige gestalten die Titelseite und das Vorwort, der Rest der Gruppe kümmert sich ums Layout der übrigen Seiten, wobei sie jeweils genug Platz für das zum Text gehörige Foto freihalten müs-
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sen. Dann werden die fertigen Seiten ausgedruckt, in entsprechender Anzahl kopiert, die Fotos eingeklebt und mit einer Ringbindung zum Foto-Büchlein gebunden. Die Präsentations-Gruppe scannt die ausgewählten Fotos ein und stellt nach einer Einführung in MS Powerpoint o.ä. die Präsentation zusammen. Zwei Freiwillige verfassen die Begrüßung und Einleitung. Der Rest bringt die Texte zur Präsentationsreife und überlegt, wann die gewählten Interviewausschnitte eingespielt werden sollen. Anschließend übt die Gruppe die Durchführung und gewinnt so sprachliche und organisatorische Sicherheit für die öffentliche Präsentation.
2.7 Der besondere Wert für den Englischunterricht Die Schüler erfahren Englisch als echtes Kommunikationsmittel - sowohl beim zielsprachlichen Kommunizieren bei allen Aufgaben des Projektprozesses, als auch in den fremdsprachlichen Realsituationen. Die Authentizität der Sprechanlässe wirkt dabei besonders motivierend. Durch das stete Kommunizieren erlangen sie zunehmend Sicherheit im richtigen und flüssigen Sprechen und so Vertrauen in ihr Sprachkönnen. Das Projekt verbindet die intensive Schulung der vier language skills mit interkulturellem Lernen sowie Handlungs- und Schülerorientierung, wobei das schulische Lernen insgesamt deutlich in den außerschulischen Bereich ausgedehnt wird.
Schlussbemerkung Das Foto- und Interviewprojekt stellt eine interessante Möglichkeit dar, Foto und Text handlungs-, schüler- und kommunikations-orientiert im Englischunterricht einzusetzen. Es eignet sich hervorragend für die gezielte Integration interkulturellen Lernens in den Englischunterricht. Die Medien Foto und Text finden dabei ganz im Sinne des von Holzbrecher beschriebenen ‚integrierten Medienkonzepts‘ (vgl. Vorwort dieses Bandes) Verwendung Wie schon beim Projektprozess, haben die Schüler auch bezüglich der Benotung ein Mitspracherecht, z.B. durch das gemeinsame Festlegen der Bewertungskriterien und deren Gewichtung sowie durch Schülernoten, die mit der Lehrernote in einem zuvor festgelegten Verhältnis verrechnet werden. Somit bieten also das Projekt und auch die in Teil 1 beschriebenen Vorschläge zur Arbeit mit Fotos viele gute Möglichkeiten zur Verwirklichung der von Holzbrecher im Vorwort dieses Bandes erläuterten ‚Subjektorientierung‘. Sie demonstrieren zudem eindrücklich, wie vielseitig und bereichernd Fotos in Verbindung mit Textproduktion im Englischunterricht verwendet werden können. Ihr verstärkter Einsatz ist aus diesen Gründen empfehlens- und wünschenswert. Von Seiten der Fachdidaktik wäre jedoch eine tief gehende Auseinandersetzung dringend nötig.
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So könnte eine Seite im photo diary aussehen: ausführliche Notizen mit dem nachträglich eingeklebten dazugehörigen Foto. Ähnlich könnte auch das Fotobüchlein (Projektprodukt) gestaltet sein.
My photo diary Arabian butcher’s shop, Brixton Date: 12th June 2003 Location: Brixton markets Description: Arabian butcher’s shop in Brixton. Some signs in this shop were written in English as well as in Arabic. The market consisted of numerous Arabian, African and West Indian shops and many special goods from these regions. Personal impression: Seeing dead chickens and other pieces of meat dangling from the ceiling while the shop assistants work just centimetres beneath them was a really unfamiliar sight … impossible to find something like that in Germany … , but this is what it looks like in a butcher’s shop in Arabia. I wondered if this meat should be cooled and protected from flies, since it was a hot day and the butcher’s shop was open to the street. Another interesting fact was that the shop owners especially emphasize that they carry ‘halal meat’, which is meat that has been butchered in a way that is approved by Muslim law. A lot of Muslims from Arabia or Northern Africa live in Brixton, and thus the shops have special offers like ‘halal meat’ that you wouldn’t find in other areas of London.
(photo by Oliver Piontek)
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Literatur Bergmann, Brigitte (1999): Der Einsatz von Bildern im Fremdsprachenunterricht. In: Zielsprache Englisch 29. 2. 12-16 Byram, Michael (ed.) (1997): Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence. Clevedon: Multilingual Matters Hilger, Sabine (1999): Lernen mit Bildern. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 33. 2. 4-9 Kuty, Margitta (1992): Für mehr Freude am Fremdsprachenunterricht. Teil 4: Writing practice based on pictures. In: Fremdsprachenunterricht 45. 6. 353-355 Legutke, Michael & Wolfgang Thiel (1983): Airport: ein Projekt für den Englischunterricht in Jahrgangsstufe 6. Frankfurt a. M.: Diesterweg Legutke, Michael & Howard Thomas (1991): Process and experience in the language classroom. London: Longman National Statistics Online, Population and Migration, Focus on London 2003 – Excel table 2.12, Stand: 15.02.2005 http://www.statistics.gov.uk/STATBASE/Product.asp?vlnk=10527 Mischkowski, Hans Günter (1996): Vom Bild zum Text. (Kunst-)Bilder, Fotos und Filmauszüge als Sprech- und Schreibanlässe im Englischunterricht der Sekundarstufe II. In: Neusprachliche Mitteilungen aus Wissenschaft und Praxis 49. 2. 102-107 Pabst-Weinschenk, Marita (1994): Klassendiskussionen mit Rollenspielkarten – ein Beitrag zur besseren Verständigung mit Andersdenkenden. In: I. Oomen-Welke Hrsg.: Brückenschlag. Deutsch im Gespräch. Stuttgart: Klettverlag 123-139. Rampillon, Ute (1999): Lernen mit Bildern aus Zeitschriften. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 33. 2. 20-25 Segna, Hilde (1999): Pictures, perception and personality. Bilder im Kontext von Literatur und Erfahrungswelt. In: Der Fremdsprachliche Unterricht Englisch 33. 2. 28-31
Die Postkarte im Rampenlicht Marie-Françoise Vignaud
Bemerkung der Herausgeber: Der folgende Beitrag wurde von Marie-Françoise Vignaud auf Französisch geschrieben und von Tina-Olivia Maywald ins Deutsche übersetzt. Wir publizieren beide Versionen: die deutsche Version als thematischen Beitrag zu unserem Buch, aber auch die französische Version wegen ihrer Authentizität, die ja im Fremdsprachenunterricht eine Rolle spielt. Lehrpersonen können im Französischunterricht den Schülerinnen und Schülern die französische Version als Text vorlegen und damit die landeskundliche Fotoarbeit initiieren; Internetadressen liefern viele Fundstellen für französische Fotodokumente. In anderen Fremdsprachen und in Deutsch kann – auf der Basis der deutschen Version – analog verfahren werden.
16.30h in Paris, Place Beaubourg, in einem Kartenladen gegenüber dem Centre Pompidou. Maud: „Hast du die Postkarten gesehen? Schau mal … Ich nehm’ den Eiffelturm, den Louvre, Notre Dame, Mona Lisa, für meine Eltern und meine Familie. Die Karte mit der Katze bekommt meine Freundin, du weißt doch, Elsa liebt Katzen….“ Chloé: „He, schau, das ist ja zu stark,…. Schau’ die Karte mit (…Name eines bekannten Sängers), das ist ja zu cool… Lassen wir Maud und Chloé an einem Tisch im Café ihre Karten schreiben und die Briefmarken aufkleben … Postkarten gehören zu unserem visuellen Alltag. Sie ziehen unsere Blicke auf sich, wenn wir zu Hause durch die Stadt bummeln oder anderswo auf der Welt unterwegs sind und eine kurze Nachricht über unsere momentanen Eindrücke von der Gegend, in der wir uns gerade aufhalten, verschicken wollen. Und manchmal fügen sich die Postkarten in unser alltägliches Leben ein: an den mit Karten tapezierten Bürowänden, aufgehoben und im Fotoalbum eingeklebt, an einer Kordel aufgehängt, in einer Fotobox, in einem Buch, das wir gerade lesen. Wir verwenden unsere Lieblingskarte als Lesezeichen oder stellen sie im Regal auf. Dort bleibt sie einige Zeit, bevor sie ihren Platz für eine andere Karte frei machen muss … Ja, dieses kleine, meist banale Bild ist ein Zeichen unserer Verbindungen mit anderen Menschen und mehr noch: Die Postkarte ist heute auf verschiedenen Ebenen in den großen Bereich der Kommunikation eingebunden. Sie verdient es daher, dass wir sie hinsichtlich ihrer Geschichte und ihrer außergewöhnlichen Anpassungsfähigkeit an unsere Gesellschaft des 21. Jahrhunderts näher betrachten. Dieser Beitrag soll daher eine kurze Bestandsaufnahme des Phänomens ‚Postkarte‘ darstellen: Ursprung und Besonderheiten, Typologie, Funktion und Gebrauch. Außerdem lädt die ‚Postkarte‘ zum Nachdenken darüber ein, wie man Bilder im fremdsprachlichen Französischunterricht zum Thema machen kann. Der Einsatz von Bildern nimmt in allen Klassenstufen eine zentrale Rolle beim Lehren und Lernen ein. Abschließend folgt eine allgemeine Reflexion über die Rolle der Bilder in der heutigen Weltund Selbstentdeckung, über die Analyse und das Lesen eines Bildes und über die Öffnung hin zur Kreativität und persönlichen Erforschung (Nachfrage, Untersuchung). Diese didaktische Vorgehensweise, basierend auf soziologischen und psychologischen Grundlagen, setzt bildliche und verbale Sprache in Beziehung. Je nach Niveau wird dabei die Anwen-
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dung von Sprachwissen erforderlich – ebenso wie ein soziokultureller Bezug zur Zielsprache und -kultur gefördert wird: Ein Bezug, den die Schüler selbst mitbringen oder durch Anleitung in der Schule erwerben. Angesichts der Vielfalt der Bilderwelt – diese zeigt schon ein kurzer Blick in Wörterbücher und Lexika – haben wir uns entschlossen, eine kleine Entdeckungsreise ins Reich der Postkarte zu unternehmen.
Die kleinen Eigenheiten der Postkarte Definition des Begriffs ‚Postkarte‘ „Die Postkarte ist ein Dokument, bei dem eine der Seiten der Korrespondenz dient, die andere meist mit einem Bild oder Foto illustriert ist.“ (Le Nouveau Petit Robert, 2003, Paris) Die Geschichte der Postkarte Die Idee der Postkarte entstand im Jahre 1865 in Preußen. Zum ersten Mal versandt wurde die Postkarte 1869 in Österreich. In Frankreich warf man der Postkarte fehlende Intimität vor, da sie ohne Briefumschlag verschickt wurde. In einem Gesetz vom 20. Dezember 1872 wird die Existenz der nicht illustrierten Postkarte erstmals offiziell erlaubt. Dieses Datum wird von Experten als Beginn des ‚Goldenen Zeitalters der Postkarte‘ bezeichnet. Die Postkarte setzt sich schließlich durch während des Deutsch-Französischen Krieges (1870/1871) und des Ersten Weltkrieges, während des Baus des Eiffelturms und der Weltausstellung 1900 in Paris. Die Postkarte wird erst zur Modeerscheinung und dann zur soziokulturellen Gewohnheit, die eng mit der von Jules Ferry initiierten Schulentwicklung zusammenhängt. Sie befriedigt das Bedürfnis, zu kommunizieren, Nachrichten zu schicken, Gefühle auszudrücken, Landschaften und Bauwerke zu zeigen, handwerkliche und ländliche Tätigkeiten und Berufe darzustellen – unterstützt durch die Fortschritte bei der Reproduktionstechnik und die Entwicklung der Post. Kartensammler dieser Epoche organisieren sich in Club; die Postkarte hält Einzug in die Kunstund Volkskundemuseen. Heutzutage schaffen sich private Sammler Websites im Internet. Das ‚Leben‘ der Postkarte Von ihrer Erfindung und Kommerzialisierung bis hin zu ihrem Gebrauch geht die Postkarte ihren eigenen Weg. Sie wird verkauft und gekauft, ausgesucht und verschickt, empfangen, gelesen, angeschaut und dann behalten oder weggeworfen. So beginnt sie in einen Kommunikationskreislauf einzutreten, verbreitet sich, schafft Beziehungen, hilft dem Erinnern und erlaubt das Vergessen, was ihr zugleich eine reale und eine symbolische Funktion zukommen lässt. Unter diesem Gesichtspunkt erklärt Emmanuelle Peyret, Autorin von „Die Postkarte. Zeugin unserer persönlichen Geschichte“: „Postkarten werden von ihren Besitzern meist wie Fotos, ohne sie jedoch häufig zu betrachten, aufgehoben. Das Wissen um die Karten beruhigt uns. Sie dokumentieren die Gesamtheit unserer sozialen Kontakte, unserer familiären und freundschaftlichen Verbindungen, die wir pflegen. (…) Das Geschriebene hinterlässt eine konkrete Spur unserer Beziehungen.“ (…) „Die aufgehobene Postkarte ist ein Stück Erinnerung (…), das Bild der eigenen Fotografien, bezeugt unsere individuelle Geschichte. – Der schlimmste Feind der Postkarte ist der Umzug: Er ist tatsächlich der häufigste Schicksalsschlag für die aufgehobenen Postkarten, die dann letztendlich doch von ihrem Besitzer getrennt werden. Sie gehören zu dem Erbe, das an die nächsten Generationen weitergegeben wird.“ (Libération, 16.06.2005, Interview mit Nicolas Hossard und Emmanuelle Peyret).
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Die Gegenwart der Postkarte Die Postkarte konnte sich im Laufe der Jahre dank der anspruchsvollen Gestaltungstechniken und Vervielfältigungsmethoden und dank der ‚Geburt‘ der elektronischen Postkarte, die ihre Fans im Internet hat, anpassen und weiterentwickeln. Ihre Verbindung mit dem Foto tat der Postkarte gut, denn heute gibt es Fotopostkarten und virtuelle Fotopostkarten. Für Netzsurfer und Postkartenliebhaber bieten verschiedene Internetseiten Kataloge mit Fotokarten an. Ein schönes Beispiel ist die Seite www.madagascarte.com mit mehreren Rubriken: Natur, Menschen, Kunst und Tradition, Strand und Sonne, Sport und Freizeit sowie der Möglichkeit, die gewählte Karte an jemand Beliebigen zu versenden. Die Postkarte wird zur Online-Postkarte! Es soll sogar einen jungen australischen Forscher geben, der an der Erfindung eines Postkarten-Fotoapparats arbeitet. Heute sind der Vielfalt der Postkarte keine Grenzen mehr gesetzt: Sie bietet unterschiedliche Motive und Formate (quadratisch, rechteckig, rund, in Herzform, nach Formen eines Gegenstandes …) und die verschiedenen Farben, Bilder und Aufschriften passen zu den jeweiligen Anlässen. Sie spricht ein immer breiteres Publikum an, inklusive derer, die aus geschäftlichen Anlässen Karten kaufen und versenden. So deckt die Postkarte ein überraschend breites Spektrum ab und beweist ihre Dynamik und Fähigkeit, sich an ein vielfältiges Publikum und an aktuelle Kommunikationstrends anzupassen. Die Postkarte trägt dazu bei, unsere Fantasie auszubilden, unsere Beziehung zur Welt besser zu verstehen und die bildliche Vorstellungskraft zu schulen. Sie ist ein medialer und vielfältiger Gegenstand, der sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich unserer Teilhabe im weitesten Sinne Ausdruck verleiht. Dabei hält sie räumlich getrennte Verbindungen in gleicher Weise am Leben, wie dies Telefon, SMS, und E-Mail tun. Bei all dem nimmt sie eher eine ergänzende und keine mit den modernen Kommunikationstechniken konkurrierende Funktion ein. Hochrechnungen zufolge beläuft sich der Postkartenmarkt in Frankreich auf rund 700 Millionen verkaufte Karten pro Jahr. Das Kartenmotiv kann eigens für den Adressaten und seine Vorlieben ausgewählt werden, was unsere Beziehung zu dessen Person enthüllt: nah oder distanziert, persönlich oder beruflich usw.. Das alles transportiert die Postkarte.
Kleine Typologie der winzigen Freuden der Postkarte Sehen wir uns die Bildseite an. Zeichnungen, Fotos, Reproduktionen von Bildern und Skulpturen, Rezepte, aber auch Personen, Werbung, Collagen und vieles mehr: Der Motivwahl sind keine Grenzen gesetzt. Das, was auf der Karte abgebildet ist, soll anziehend wirken. Die Postkarte ist in erster Linie ein Verkaufsprodukt, welches ein breites, internationales Publikum mit den verschiedensten Geschmäckern anziehen soll. Touristen jeglichen Alters, Sammler, Kunstliebhaber, Lehrer finden mit einer Postkarte ihr Glück! Die Postkarte – eine Kulturbotschafterin? Ja, von Anfang an erweist sich die Postkarte als zwischenmenschliche Kommunikationsform, und schnell spielt sie eine bedeutende Rolle in der Kulturvermittlung. Man könnte unzählige Bereiche auflisten, die auf ihr Ausdruck finden und in denen sie An-Sichten bietet, die über alle natürlichen und menschlichen Grenzen hinaus. In diesem Artikel kann zwar keine erschöpfende Studie dieses Phänomens erfolgen, das sich entlang des technischen Fortschritts entwickelt. Insofern ist die Postkarte mit der Fotografie untrennbar verbunden. Gemeinsam revolutionieren sie unseren Blick auf die Welt, auf die Menschen (im Originaltext: „Wesen“), auf die Dinge, die Natur. Man denke beispielsweise nur an alte Postkarten von Monumenten oder Landschaften, von Berufen auf dem Land und in der Stadt, von regionalen Spezialitäten und Traditionen. Dank der Stadt- oder Kreisarchive ist es manchmal
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möglich, die Entwicklung eines Dorfes oder die Veränderungen von Stadtvierteln zu verfolgen. Nehmen wir etwa das alte Paris auf Postkarten: Auf den Internetseiten erwartet uns eine soziokulturelle Reise, die es Liebhabern dieser Thematik aber auch Forschern gestattet, die Kulturdimension von Zeit und Raum zu ermessen. Die Touristenpostkarte ist der Klassiker der Postkarte. Sie führt ihr langes Leben gemächlich – wozu bemerkt sei, dass es Varianten in der Aufmachung gibt, die auch zu Preisvarianten führen. Dabei kann es sich um wahrhaftige Inszenierungen handeln: Je nach Aufnahmewinkel, Großaufnahme von Details usw. wird die Postkarte zum kreativen Ausdrucksmittel, das als kulturelles Werk die Vorstellungen eines bestimmten Augenblicks abbildet. Sehr vertraut sind uns Urlaubskarten mit Sehenswürdigkeiten, Landschaften und Panoramaansichten sowie Kunstkarten mit der Reproduktion von Bildern, Aquarellen, Zeichnungen und Skulpturen. Postkarten mit historischen Motiven, Personen, Gegenständen oder Symbolen, wie beispielsweise anlässlich des zweihundertjährigen Jahrestages der Französischen Revolution, oder literarische Karten mit Zitaten aus Der kleine Prinz von Saint-Exupéry, mit Auszügen aus Werken, Autorendarstellungen und Darstellungen von Schauspielern und Sängern sind genauso beliebt wie humoristische Karten, kreative Geburtstagskarten oder Karten mit Sprichwörtern und Wortspielen über bestimmte Begriffe. Die Liste der verschiedenen Kartentypen ist lang und ziemlich faszinierend. Beeindruckend dabei ist die Themenvielfalt, aber auch die kreative Entwicklung, die die Postkarte bezeugt. Zu nennen wären beispielsweise Kunstkarten, mit denen Künstler ihre Werke verbreiten, aber denken wir auch an die Geburtstagskarten auf den Kartenständern mit den immergleichen Motiven, also mit Serien von Blumen, Landschaften, Tieren oder auch von Bauwerken: der Eiffelturm in jedem Zuschnitt, die Etappen seines Baus, als majestätischer Star, mit anderen Pariser Bauwerken, mit anderen Türmen der Welt. „La tour FL“ regt schöpferische Geister an, die ihn verhüllen wollen oder seinen ‚Kopf ’ verändern; „La tour FL“ mit humoristischem oder onirischem1 Text … Schlussendlich, wenn die Karte einmal gelesen ist, bleibt immer noch das Bild. So wird die Postkarte zum Mini-Archiv, zum kulturellen Gedächtnis. Folglich könnte man fragen: Ist es vorstellbar, die geografische oder historische Entwicklung eines Ortes oder Landes mittels Fotopostkarten darzustellen? Ist es möglich, die Kunstgeschichte eines Landes oder einer Stadt mit Kunstreproduktionen auf Postkarten zu präsentieren? Kann man soziale Tendenzen unserer Gesellschaft über das Dokument von Postkarten neueren Datums festhalten? Viele Wege stehen offen …
Die Postkarte in der Schule Da die Postkarte zum Bereich des Bildnerischen gehört, hat sie „Stadtrecht“ in der visuellen Kommunikation (Marie-Françoise Vignaud) und in der bildlichen Information. In der Kategorie der unbewegten Bilder wird sie generell wenig oder nicht zitiert, da sie ein Träger ist, der andere Bilder wie Malerei, Zeichnungen, Gravuren, Fotos, Plakate, Werbungen, Comics durch Reproduktion aufnimmt. Wenn man aber die Postkarte in ihrer kreativen, Menschen verbindenden und professionellen Dimension betrachtet, dann findet sie ihren festen Platz in der Typologie der stehenden Bilder. 1 Anm. der Übersetzerin: /onirique/ ist Anagramm von /ironisch/ (Verlan). – Verlan ist eine (jugend- oder sondersprachliche) Sprachvariante des Französischen, in der die Vokale der Wörter oder die Silben vertauscht werden oder andere Anagramme gebildet werden.
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In diesem Sinne schreibt François Brunet: „Es ist nicht zu fassen, wie wenig Aufhebens bisher die Kritiker und Historiker von diesem Medium (der verehrungswürdigen Postkarte) machen, das heute fast veraltet ist und dennoch weiterhin lebendig, von diesem Überbringer einer visuellen Kultur, diesem Garten einer reichen und lehrreichen Erinnerung.“ (in: Critique de la Revue Etudes photographique, n° 17- November 2005) Die Postkarte, ein authentisches Fotodokument Die Postkarte zählt zu der großen Gruppe der authentischen Materialien, die in Bezug auf ihren Einsatz im schulischen Kontext unter einer Didaktik und Pädagogik des Entdeckens, der Kreativität und der Handlungsorientierung stehen. Die Postkarte als Bildträger findet ihren Platz bei der Sensibilisierung im Umgang mit und durch Bilder und im Kontext der Interaktion zwischen Lehren und Lernen. Bild und Text der Karte gilt es zu entdecken, zu lesen, interpretieren und zu kommentieren. Dies setzt in unserem Fall die Beherrschung der französischen Sprache voraus sowie, je nach Bezugspunkt und Einsatz der Postkarte, das Wissen über die soziokulturellen und landeskundlichen Hintergründe des Ziellandes. Dies gilt für Postkarten aus Martinique oder Afrika ebenso wie für Kunstpostkarten mit italienischen oder deutschen Gemälden. Auch bieten Postkarten für fortgeschrittene Schüler die Möglichkeit, selbst zu recherchieren. Unter organisatorischen Gesichtspunkten, ist der Einsatz der Postkarten relativ unkompliziert: Sie sind handlich, günstig und ermöglichen zudem, je nach Einsatzart, ganze Serien zu einem Thema zu erstellen: Picasso auf Postkarten, oder Objekte auf Postkarten… im Klassenzimmer lassen sich Kartensammlungen, bestehend aus Karten, die die Schüler mitgebracht haben, anlegen. Diese Karten bieten einen guten Ausgangspunkt, um über Erlebtes zu erzählen oder zu schreiben. Die Postkarte im Unterricht Die Postkarte ist für Schüler (und auch Erwachsene) ein vertrautes Medium der sozialen Kommunikation. Sie kann daher motivieren und unterstützend eingesetzt werden, um sprachliche Prozesse und künstlerische Verfahren besser zu verstehen. Damit lädt sie ein zu genauem Hinschauen und zur Reflexion, zu Analyseverfahren und zur Entwicklung der kritischen Ausdrucksfähigkeit. Sie ist somit ein Trumpf für den Lehrer, der damit den Sprachunterricht bereichern und variieren und den Schülern kleine Bildanstöße anbieten kann (Postkarten mit Sprichwörtern, Postkarten mit Konjugationen …). Postkarten ermöglichen kulturelles Lernen im weitesten Sinne. Die Postkarte ist somit ein kognitives, affektives und pädagogisches Hilfsmittel beim Lernen. Die Postkarte und das Internet Ein Rendez-vous mit der Postkarte im Internet? Tatsächlich: Das Arbeiten mit der Postkarte im Internet ist ebenfalls möglich, da viele Webseiten sowohl zeitgenössische als auch historische Postkarten zeigen oder anbieten. Eine Gelegenheit, Schüler zu motivieren und sie in die OnlineRecherche und die anschließende Verarbeitung der Ergebnisse einzuführen. Dies erfordert allerdings klare und zielgerichtete Aufgabenblätter. Die Postkarte und ihre kommunikative Funktion Ist es hier angebracht, die Definition, das Schema und die Funktion der Kommunikation von Roman Jakobson nochmals zu erläutern? Die Postkarte besteht aus einer Nachricht, die an eine andere Person adressiert ist. Gemäß den Vorstellungen der Beteiligten vermittelt sie Informationen (Referenzfunktion), Gefühle und Emotionen (Ausdrucksfunktion), sie stellt Kontakt her
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(phatische Funktion), kann Reaktionen hervorrufen bei dem Käufer oder Empfänger (konative Funktion), kann Erklärungen (metalinguistische Funktion) oder eine ästhetische Dimension enthalten (poetische Funktion). Die Postkarte und das Lesen des Bildes Die Postkarte erscheint generell als ein nützliches Hilfsmittel, um das Lesen von Bildern zu lernen. Sie führt in die Lektüre ikonischer Darstellungen ein, wenn man sich mit Komposition, Linienführung, Farben, Standpunkte, Haltungen der Personen usw. beschäftigt. Die Postkarte ist eine materielle, organisierte Wirklichkeit, die Ansicht eines Malers, Fotografen oder Zeichners. Das, was die Postkarte abbildet, fällt in den Bereich der Denotation, ruft aber je nach Betrachter andere Konnotationen hervor. Die Postkarte als Redeanlass Die Postkarte regt den mündlichen Ausdruck an (expression orale), indem sie alle sprachlichen Fähigkeiten in der Fremdsprache mobilisiert: Nicht nur das bloße Beschreiben, Erzählen und Kritisieren, sondern, etwa bei Kunstpostkarten, die Formulierung der Absichten des Künstlers. Eine auf der Karte abgebildete Person zu Wort kommen zu lassen; oder darzulegen, warum jemand diese Karte gekauft hat, ob er sie behalten oder versenden möchte... Der Wortschatz und die grammatikalischen Strukturen werden aktiviert und dabei bietet sich die Möglichkeit, eigene Kompetenzen zu entwickeln und zu perfektionieren, beispielsweise durch das Erstellen eines persönliches (Themen-)Wörterbuchs. Die Übungen zur mündlichen Ausdrucksfähigkeit sind vielfältig: Sie gehen von der einfachen Beschreibung bis zur Argumentation, vom Erfinden eines Dialogs bis zum Interview. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der „klingenden Postkarte“, womit ein Tondokument bezeichnet wird, das die Schüler – etwa nach dem Besuch einer Stadt oder eines Museums – herstellen. Hier wird das Wort „Postkarte“ im übertragenen Sinne gebraucht: Es ist ein kurzes Dokument mit Eindrücken, wie man sie auch auf eine Postkarte im eigentlichen Sinne schreiben würde – ein Text. Die Postkarte als Schreibanlass Der Übergang zur Schriftlichkeit bedeutet einen qualitativen Fortschritt beim Sprachgebrauch, da die Schrift im Allgemeinen eine vollendetere Nutzung von Syntax und Wortschatz verlangt. Die Variation der möglichen Schreibanlässe ist so groß, dass es unmöglich ist, sie alle hier zu nennen. Erwähnen wir hier nur den Tagebucheintrag, den Brief, das Gedicht, ein Lied … Die Postkarte und die Kreativität Postkarte und Kreativität: Das heißt, man stelle sich vor, was alles es vor und nach der Postkarte gibt. Die Postkarte kann einen Beitrag leisten im Zusammenhang mit der Bildung und Entwicklung der Persönlichkeit. Sowohl Gruppenarbeit als auch Projektarbeit sind möglich. Der kreative Umgang mit Postkarten mobilisiert nicht nur individuelle Kompetenzen, sondern auch den individuellen Ausdruck, und nutzt andere Ausdrucksformen wie Musik, literarische Texte, andere Materialien wie Holz, Stoff, Papier, technische Hilfsmittel wie Fotoapparat und Filmkamera. Fordern wir die Schüler auf, ein Plakat und einen Slogan für eine Postkarte zu kreieren! Ermutigen wir sie, die Möglichkeiten zu erkunden und ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen! Die kleine Postkarte? Nein, die großartige! Sie ist das volle Leben und Kunst per Post.
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16.30, Place Beaubourg à Paris. En face du Centre Pompidou, un grand magasin de cartes. Maud : T’as vu les cartes, regarde …. J’prends la Tour Eiffel, le Louvre, Notre-Dame, la Joconde… pour les parents et la famille, celle avec le chat pour ma copine, tu sais Elsa, elle adore les cats comme elle dit …. Chloé : Non regarde, ça c’est trop fort…. Regarde la carte avec (nom d’un chanteur connu) c’est trop… Laissons Maud et Chloé écrire leur carte et coller les timbres, à la table d’un café. Les cartes (postales) font partie de notre environnement visuel. Elles attirent notre regard quand nous flânons dans nos villes ou quand nous sommes ailleurs dans le monde et que nous voulons envoyer un message rapide plein d’impressions du moment à notre entourage. Et puis parfois, elles s’installent dans notre quotidien: ce sont les murs d’un bureau tapissé de cartes, ce sont les cartes que l’on garde collées dans un album, suspendues à un fil, dans une boîte, c’est la carte que nous aimons le plus pour marquer la page d’un livre que nous lisons ou que nous installons sur une étagère : elle restera là quelque temps, puis cédera sa place à une autre carte… Oui, cette petite image, a priori banale, témoigne des relations que nous avons avec les autres et bien plus encore. Aujourd’hui, la carte postale est entrée dans le vaste domaine de la communication à différents niveaux, elle mérite donc que nous nous penchions sur son histoire et sur son extraordinaire capacité d’adaptation à notre société du XXI°siècle. Cette contribution propose un bref état des lieux sur le phénomène « carte postale » : origine et spécificités, typologie, fonctions et emplois. En outre, elle s’inscrit dans une réflexion et une démarche centrées sur l’utilisation des images dans l’enseignement et l’apprentissage en classe de français langue étrangère à tous les niveaux. Une réflexion générale sur le rôle des images aujourd’hui dans la découverte du monde et de soi, sur l’analyse et la lecture des images et sur l’ouverture vers la créativité et la recherche personnelle. Une démarche didactique sur la base de quelques données sociologiques et psychologiques, d’une mise en relation entre langage visuel et langage verbal qui nécessite l’emploi des acquis linguistiques selon les niveaux ainsi que d’un référentiel socioculturel personnel et acquis en milieu scolaire. Le domaine de l’image étant très vaste, il suffit de consulter les dictionnaires et encyclopédies pour s’en rendre compte, nous avons choisi de faire un petit tour du côté de la carte postale.
Petites spécificités de la carte postale Définition de la carte postale: Document dont « l’une des faces sert à la correspondance et l’autre étant souvent illustrée par une image, une photo » (Le Nouveau Petit Robert, 2003, Paris). Histoire de la carte postale : L’idée de la carte postale vient de Prusse, nous sommes en 1865, et c’est en Autriche que commence sa vie postale en 1869. En France, on reproche à la carte postale son manque de réserve puisqu’elle est envoyée sans enveloppe, mais la loi du 20 décembre 1872 officialise l’existence de la carte postale non illustrée et c’est le début de ce que les spécia-
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listes appellent l’âge d’or de la carte postale. En effet de la guerre de 1870 à la Première guerre mondiale de 1914, en passant par l’Exposition Universelle de 1900 avec la Tour Eiffel, la carte postale s’impose. Elle devient une mode puis une habitude socioculturelle liée au développement de l’école sous l’impulsion de Jules Ferry et plus simplement à un besoin de communiquer, de donner des nouvelles, d’exprimer des sentiments, de montrer des paysages, des monuments, de représenter les activités rurales et artisanales, les métiers grâce au progrès techniques de la reproduction et grâce au développement de la Poste. Les collectionneurs des cartes de cette époque s’organisent en clubs, la carte postale entre au Musée des arts et traditions populaires, les collectionneurs à titre privé créent leur site sur le Net. Vie de la carte postale: De sa création, à la commercialisation et à son utilisation, la carte postale vit sa vie. Elle est vendue donc achetée. Elle est choisie et envoyée. Elle est reçue , lue, regardée puis gardée ou jetée. Elle entre ainsi dans un circuit de communication, de diffusion, de relation, de mémoire et d’oubli, ce qui lui confère une dimension à la fois réelle et symbolique. Dans cette perspective, Emmanuelle Peyret , auteure de La carte postale, témoin de notre histoire personnelle, a déclaré que « Le plus souvent, les cartes sont conservées par le destinataire, comme des photos que l’on garde sans les sortir souvent. Savoir que ces cartes sont là…nous rassure. Elles attestent en somme de notre existence sociale, de tous ces liens familiaux et amicaux que nous avons su développer…. Les écrits laissent une trace concrète de la relation » et encore « La carte postale conservée est un objet de mémoire… A l’image des photographies personnelles, elles témoignent de notre histoire individuelle…C’est le déménagement qui est le pire ennemi de la carte postale…En fait le destin le plus fréquent des cartes postales conservées échappe finalement à son propriétaire. Elles font partie d’un héritage légué aux générations suivantes. » (Libération, 16/06/2005, Interview Nicolas Hossard et Emmanuelle Peyret). Le présent de la carte postale: la carte postale a su évoluer avec le temps et avec les techniques les plus sophistiquées concernant le graphisme, les méthodes de reproduction, et la naissance de la carte électronique et numérique qui a ses fans sur le Net. De son alliance avec la photo, la carte postale garde de très bons souvenirs puisqu’on parle de carte postale-photo ou carte postale numérique et de photo en carte postale virtuelle. Pour les internautes connaisseurs et amateurs de cartes postales, plusieurs sites proposent des catalogues de photos-cartes à envoyer : un très bel exemple, le site wwwmadagascarte.com, avec différentes rubriques : Nature, Gens, Arts et Traditions, Plages et soleil, Sports et loisirs, et la possibilité d’envoyer la carte choisie à qui l’on veut. La carte postale devient « carte en ligne » ! Et il y aurait même un jeune chercheur australien qui travaille sur la mise au point d’un « appareil-photo-carte postale ». Aujourd’hui, la carte postale s’inscrit sous le signe de la diversité. Côté recto : diversité dans les sujets de l’illustration, diversité dans les formats (carré, rectangulaire, rond, en forme de cœur, d’objets…), diversité dans les couleurs, images et textes se mêlent volontiers, diversité dans les usages. Elle répond de plus en plus et rapidement à une clientèle variée y compris celle de la communication d’affaires. La carte (postale) occupe donc des espaces de représentations inattendus peut-être, mais qui témoignent de son dynamisme et de sa capacité à répondre à la demande de publics très diversifiés et aux tendances actuelles de la communication. Elle participe à la construction de notre imaginaire, à notre relation au monde et à notre relation avec les représentations visuelles. Elle est un objet médiatique et transactionnel qui permet l’expression et le partage tant sur le plan personnel que sur celui professionnel,
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elle crée un lien au-delà des distances au même titre que le téléphone, les SMS, les courriels, dans une perspective de complémentarité plutôt que de concurrence. Le marché de la carte postale est évalué à 700 millions de cartes par an en France ! Cette image peut être choisie en fonction du destinataire et de ses goûts et de ce fait ce choix suggèrera nos relations avec cette personne d’où cette dimension relationnelle, proche ou distante, affective ou professionnelle, que la carte porte et transporte.
Petite typologie des menus plaisirs de la carte postale Intéressons-nous au côté de l’illustration. Dessins, photos, reproductions de peintures, de sculptures, recettes de cuisine, mais aussi personnages, publicités, collages…. Rien ne l’arrête. Ce qu’elle présente ou représente doit attirer, la carte postale se vend, c’est un produit commercial qui doit conquérir une vaste clientèle nationale et internationale aux goûts variés. Touristes de tous âges, collectionneurs, amateurs d’art , enseignants peuvent trouver leur bonheur avec la carte postale ! La carte postale, petite ambassadrice de la culture ? Si, dès ses débuts, la carte postale s’affirme comme un moyen de communication entre les personnes, très vite elle va jouer un rôle fondamental dans la transmission des cultures. Il suffit d’essayer de faire la liste de tous les domaines qu’elle exprime et qu’elle contribue à faire connaître au-delà de toutes les frontières naturelles et humaines. Il est impossible ici de faire une étude exhaustive du phénomène mais il est réel et il se développe en suivant les avancées techniques et technologiques de nos sociétés. Ainsi la carte postale est-elle indissociable de la photographie. Ensemble elles vont révolutionner le regard que nous avons sur le monde, sur les êtres, sur les objets, sur la nature. Que l’on songe, par exemple, aux cartes postales anciennes de monuments et paysages, des métiers à la campagne et à la ville, de spécialités régionales et de traditions. Grâce aux archives municipales, il est parfois possible de suivre l’évolution d’un village ou les transformations de quartiers de villes : citons , par exemple, le vieux Paris en cartes postales. En consultant les sitographies de l’Internet, (adresse internet !!) un voyage socioculturel est garanti qui permet aux amateurs mais aussi aux chercheurs de mesurer la dimension culturelle du temps et de l’espace. (voir illustrations). La carte postale touristique est désormais un classique de la carte postale. Elle continue sa longue vie tranquille tout en remarquant qu’il y a des variantes dans la présentation qui justifient des prix différents aussi. Il peut s’agir d’une véritable mise en scène : selon l’angle de prise de vue photographique ou l’utilisation d’un gros plan sur un détail, la carte postale deviendra alors un support créatif et pourra exprimer une tendance culturelle de la représentation à un moment donné. Les cartes artistiques ont conquis leur place dans les présentoirs et dans l’imaginaire des gens. Il en existe de toutes sortes selon la nature de l’image : peintures, aquarelles, dessins, sculpture et encore, les cartes historiques avec scènes de l’histoire, personnages, objets, symboles. Ce fut le cas par exemple lors du Bicentenaire de la Révolution française ou cartes littéraires : citations, extraits d’œuvres célèbres comme le Petit prince de Saint-Exupéry, portraits d’auteur((e)s, cartes humoristiques, cartes d’acteurs et d’actrices, de chanteurs, cartes créatives pour anniversaire, sur des expressions du français telles que les proverbes ou l’emploi de mots comme « bisous ». Une liste longue et plutôt fascinante. Ce qui est fascinant c’est ce foisonnement de thèmes mais aussi, semble-t- il, le développement créatif que génère la carte. Cartes d’artistes qui ainsi diffusent leurs créations, à titre d’exemples, regardons les cartes d’anniversaires sur les tourniquets, déclinaison d’un motif, ce sont les séries de fleurs, de paysages ou d’animaux, mais aussi décli-
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naison d’un monument : c’est la Tour Eiffel sous toutes les coutures : étapes de sa construction, star en majesté, avec d’autres monuments de Paris, avec d’autres tours dans le monde, c’est la Tour FL qui stimulent les créateurs qui veulent l’habiller ou changer sa « tête », c’est la Tour FL humoristique, onirique… En conclusion, une fois le texte lu, ce qui reste c’est l’image. La carte postale devient une mini-archive, un « lieu de mémoire » des cultures. Et les questions de conclusion pourraient être : est-il possible d’imaginer de pouvoir décrire l’évolution géographique et historique de tel ou tel endroit ou pays avec la carte postale-photo ? Est-il possible de raconter l’histoire artistique de tel pays, de telle ville avec la carte postale reproduction artistique ? Est-il possible de faire le point sur les tendances sociales de notre société avec les témoignages des cartes postales de production récente ? Autant de pistes à suivre…
La carte postale en contexte scolaire Puisqu’elle appartient au domaine des images, la carte postale a droit de cité dans la communication visuelle et dans l’information par l’image. Or dans la typologie des images fixes, elle n’est généralement peu ou pas citée, parce qu’en fait c’est un support qui utilise les images que sont la peinture, le dessin, la gravure, la photographie, les affiches, la publicité, la bande dessinée par la reproduction . Mais si on prend en compte la carte postale dans sa dimension créative, relationnelle et professionnelle, alors elle trouve sa place dans la typologie des images fixes. C’est dans cette acceptation que François Brunet écrit : « Il est déconcertant de constater le peu de cas qu’ont fait jusqu’ici les critiques et les historiens de ce médium (la carte postale) vénérable, aujourd’hui presque désuet, et cependant toujours vivant, porteur d’une culture visuelle et surtout d’une mémoire paysagères riches et instructives…. »(in Critique de la Revue Etudes photographiques, n°17 – novembre 2005) à propos du livre de Christian Malaurie intitulé La carte postale, une œuvre. Ethnographie d’une collection. La carte postale, un document - photo authentique : elle appartient à la grande famille des documents authentiques qui, désormais, ont intégré les supports d’activités orientés sur une pédagogie et une didactique placées sous le signe de la découverte, de la pédagogie actionnelle et de la créativité. Puisque la carte postale est une image, et souvent une photo, elle trouve sa place dans une initiation à l’éducation à et par l’image, dans un contexte de formation et dans les interactions de l’ apprentissage et de l’enseignement. Images et écrits des cartes postales sont des textes à découvrir, lire, interpréter et commenter. Cela nécessite, dans notre cas, des acquis linguistiques en français et des savoirs socioculturels sur la/les réalités françaises ou sur d’autres réalités, selon les cartes proposée à l’étude. Ce sera le cas pour des cartes postales de la Martinique ou d’Afrique ou des cartes de tableaux italiens ou allemands par exemple. L’occasion de lancer des recherches en particulier à un niveau plus avancé. D’un point de vue organisationnel, la carte postale est facile à manipuler étant donné ses formats, peu coûteuse ce qui permet de faire des « séries » en fonction de thématiques prédéfinies et/ou de représentations : par exemple, Picasso en cartes postales ou les objets en cartes postales… sans oublier qu’il est toujours possible de créer un fonds de cartes postales, dans la classe, avec les cartes que les élèves apporteront euxmêmes et qui seront un bon point de départ pour parler, écrire à partir de leur vécu. La carte postale mise en situation: elle est un support et un média familier aux élèves et aux adultes aussi d’ailleurs et elle appartient à la communication sociale. En conséquence, elle peut les motiver et les aider à compren-
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dre les mécanismes linguistiques et les procédés artistiques en les invitant à un travail basé sur l’observation, la réflexion, l’organisation de l’analyse et le développement de l’expression critique. La carte postale est un atout pour le professeur qui peut varier, enrichir le cours de langue proprement dit avec des pauses-images soit en les intégrant dans son enseignement de la langue (cartes postales des proverbes, cartes postales des conjugaisons) soit dans une approche culturelle au sens très large. La carte postale est un outil affectif, cognitif et pédagogique au service de l’apprentissage. La carte postale et l’Internet : c’est le rendez-vous avec la carte postale sur l’Internet. En effet il est possible de travailler à partir de nombreux sites qui s’intéressent aux cartes postales du passé mais aussi à celles d’aujourd’hui. Une occasion pour motiver les élèves et les initier à la recherche puis à la synthèse de leurs résultats. Cela nécessite des feuilles de travail précises et ciblées. La carte postale dans les fonctions de la communication: est-il nécessaire de rappeler la définition, le schéma et les fonctions de la communication de Roman Jakobson ? La carte postale constitue un message destiné à autrui. Selon ses représentations, la carte postale véhicule des informations (fonction référentielle), des sentiments et émotions (fonction expressive), elle établit un contact (fonction phatique), peut provoquer les réactions de celui ou de celle qui reçoit ou achète la carte (fonction conative), donner des explications (fonction métalinguistique) ou avoir une dimension esthétique (fonction poétique). La carte postale et la lecture de l’image: elle sera un support efficace pour une initiation à la lecture des images en général, une initiation à la lecture des représentations iconiques en permettant de travailler sur la composition, sur les lignes, les couleurs, sur les points de vue, sur les attitudes des personnages… La carte postale est une réalité matérielle organisée, le point de vue du peintre, du photographe, du dessinateur. Ce que la carte postale montre est du domaine de la dénotation, mais ce qu’elle suggère dans celui ou celle qui la regarde est de l’ordre des connotations. La carte postale pour parler: elle va stimuler l’expression orale avec la mobilisation de tous les acquis linguistiques en français pour réussir à dire le plus possible, non seulement pour décrire, raconter, critiquer mais aussi pour exprimer les intentions du peintre si c’est une carte postale qui reproduit un tableau, pour faire parler les personnages d’une carte, pour dire pourquoi cette carte a été achetée et envoyée ou gardée pour soi… Mobilisation du lexique, des structures grammaticales de base avec possibilité de développer et d’enrichir ses compétences par la constitution d’un mémo-dico personnalisé par exemple. La typologie des exercices d’expression orale est large : elle va de la simple description, à l’argumentation, de la simulation d’un dialogue à une interview. Dans ce contexte, on parle aussi de « carte postale sonore » pour indiquer un document sonore, élaboré par les élèves après la visite d’une ville ou d’un musée par exemple. Le mot « carte postale » a ici un emploi figuré : c’est un document bref, centré sur des impressions un peu comme ce que l’on écrit, au sens propre, sur une carte postale. On retrouve cet emploi dans le contexte de la télévision pour certaines émissions sur la gastronomie par exemple. La carte postale pour écrire: le passage à l’écriture s’inscrit dans une progression qualitative de l’emploi de la langue puisque l’écriture, d’une manière générale, implique des emplois plus accomplis du côté du lexique et du
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côté de la syntaxe. La variété des écritures possibles est si vaste qu’il est impossible ici de toutes les énoncer. Citons un texte pour un journal intime, une lettre, un poème, une chanson, un article pour un journal…. La carte postale et la créativité: c’est imaginer ce qu’il y a avant et après la carte postale. Elle s’inscrit alors dans un processus de développement et de construction de la personnalité. Ceci peut se faire dans le cadre d’un travail de groupes, d’un travail sur projet et mobiliser non seulement les capacités individuelles mais aussi les expressions individuelles en utilisant d’autres expressions comme la musique, les textes littéraires, d’autres matériaux comme le bois, les tissus, le papier, des moyens techniques tels que la caméscope ou l’appareil photo. Demandons aux groupes de créer une affiche et un slogan pour la carte postale. Laissons les élèves choisir et donner libre cours à leurs fantaisies ! Petite la carte postale ? Non, grande. C’est toute la vie et l’art par correspondance. Petite bibliographie Armand P. N. (1987) Historique de la carte postale française illustrée, Carte postale et Collection, spécial hors série Cadet C., Charles R., Galus J. L. (1990) La communication par l’image. Editions Nathan, Paris Cossette C. (1983) Encyclopédie de la communication par l’image. Editions Riguil, Québec Derrida J. (2004) La carte postale : de Socrate et au-delà. Flammarion, coll. La philosophie en effet, Paris Deschamps F. (2004) Lire l’image au collège et au lycée en cours de français. Images fixes et images mobiles Hatier, coll. Pédagogie, Paris Gervereau L. (2004) Voir, comprendre, analyser les images. Editions La Découverte, Paris Hossard N. (2005) Recto-verso, les faces cachées de la carte postale .Editions Arcadia Joannès A. (2005) Communiquer par l’image. Dunod, Paris Joly M. (1993) Introduction à l’analyse de l’image. Editions Nathan, Paris Kyrou A. (1966) L’âge d’or de la carte postale. Ed.Balland, Paris Malaurie Ch. (2003) La carte postale, une œuvre. Ethnographie d’une collection, L’Harmattan, Paris Ripert A, Frère C. (1983) La Carte postale, son histoire, sa fonction sociale. Presses universitaires de Lyon, Ed. du CNRS, Lyon Schapiro M. (2000) Les Mots et les Images. Macula, Paris Viallon V. (2002) Images et apprentissages, le discours de l’image en didactique des langues L’Harmattan, Paris Revue Espaces n°199 (2002) Cartes postales et tourisme. Editions Espaces Revue Les langues modernes n°2 (2002) Dossier: l’image. Nathan Dictionnaire de la cartophilie francophone, sous la direction de Paul Noël Armand, achevé par Paul Yvon Armand, sl Ed. P. Armand, 1990
Sites Internet www.cpapassion.com www.artcard.free.fr www.cartolis.org www.cartopole.org www.page perso.aol/carte postalemuse/umindex.html www.france5.fr/cpostale/ www.ebay.fr www.cartespostales.de
Pleins Feux sur la Carte Postale
www.crdp.ac-grenoble.fr/medias/index.htm www.imagesmag.net www.crdp-montpellier.fr www.clemi.org/ www.ac-orléans-tours.fr www.muséedelaposte.fr www.cartophilia.free.fr www.photos.linternaute.com www.culture.fr/culture/atp/cdrom/ www.paris-pittoresque.com www.cpazz.chez-alice.fr www.orgevalscope.com
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Politische Urteilsbildung im Kontext von Fotografieren und Schreiben – Unterrichtsbeispiele zum Bundestagswahlkampf 2005 Kuno Rinke
1. Didaktisch-methodische Grundfragen 1.1 Zur politischen Urteilsbildung Dass politische Urteilsfähigkeit zu den Kernkompetenzen Politischer Bildung zählt, ist Konsens unter den Politischen Bildnerinnen und Bildnern1. Konsens besteht auch darüber, dass das politische Urteil mehr ist als nur eine Meinungsäußerung (Detjen 2005: 63). Allerdings besteht bis heute kein Konsens in der Operationalisierung dieser Kompetenz, wie die aktuelle Diskussion über Bildungsstandards im Fachunterricht Politische Bildung an Schulen belegt2. Diese Diskussion kann und soll hier auch nicht entschieden werden. Im Hinblick auf das Thema dieses Beitrages, Fotografieren und Schreiben zum Thema Wahlkampf unter dem Schwerpunkt Politische Urteilsbildung zu erörtern, erscheinen folgende Aspekte sinnvoll. Politische Urteilsbildung ist als angestrebte Kompetenz politischen Lernens dem konzeptuellen politischen Deutungswissen über die Dimensionen des Politischen oder dem Politikzyklus zuzuordnen (GPJE 2004: 14; Henkenborg 2005: 301, 315). Dieses Deutungswissen besteht aus den Dimensionen kennen, verstehen, analysieren, beurteilen sowie anwenden und übertragen (Henkenborg 2005: 315f ). Als politisches Urteil werden die Urteile bezeichnet, die im Kontext zu den Dimensionen des Politischen (polity=Form, politics=Willensbildungs- und Entscheidungsprozess, policy=Inhalt) oder zum Politikzyklus (Problem, Auseinandersetzung, Bewertung und Reaktionen, Entscheidung) stehen3. Dabei können unter Bezug auf Henkenborg (2005: 302, 315f ) systematisch fünf Argumentationsformen bzw. Rationalitätstypen mit einer jeweils spezifischen Urteilskategorie unterschieden werden: Sachurteile (Urteilskategorie Wahrheit), Zweckrationale Urteile (Urteilskategorie Effizienz), Moralische Urteile (Urteilskategorie Legitimität), Ethische Urteile (Urteils-
1 Sander 2005: 48; Henkenborg 2005: 302; vgl. weiterhin zur politischen Urteilsbildung grundlegend: Bundeszentrale für Politische Bildung 1997; Kuhn 2003; Detjen 2005; Massing 1999; Massing/Weißeno (Hrsg.) 1997;Breit/Weber 2005: 15f. 2 Vgl. den Entwurf der GPJE (2004), Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung, und die damit verbundenen Diskussionen in: Redaktion Politische Bildung & kursiv – Journal für politische Bildung (Hrsg.) unter anderem mit Detjen 2005: 55ff. Vgl. zur Debatte weiterhin Jung 2005. 3 Vgl. Scherb 2005: 270; Henkenborg 2005: 315. Zu den „Dimensionen des Politischen“: Kuhn 1999a: 53f; zum „Politikzyklus“ Kuhn 1999b: 184f. - Der Vorschlag von Detjen, „echtes politisches Urteilen“ nur „auf politische Entscheidungen“ zu beziehen, ist eine für den vorliegenden Kontext als auch im Hinblick auf die größere Reichweite der Politikdimensionen und des Politikzyklus wenig hilfreiche Einengung. Sie rührt daher, dass Detjen die „domänenspezifische Kompetenz“ Politischer Bildung herausmodelliert (2005: 69). Detjen selbst scheint von dieser engen Abgrenzung des politischen Urteils abzugehen. So listet er in Abgrenzung und unter Erweiterung des GPJE-Entwurfes (2004) eine differenzierte „Struktur der Gegenstände politischen Urteilens“ auf. Er unterscheidet „die Gegebenheiten des realen politischen Geschehens“, „Widerspiegelungen der Politik im Bewußtsein der Menschen“, die „Sache der Politik“ und „politische Akteure“ (Detjen 2005: 65).
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kategorie Wohlergehen), Ästhetische Urteile (Urteilskategorie Wahrhaftigkeit)4. Ein Vorteil dieser Systematik besteht darin, dass die ästhetische Perspektive explizit ins Blickfeld politischer Bildung rückt (Besand 2004; Rinke 2004a; Rinke2004b; Schelle 2005).
Didaktische Leitfrage /Problemformulierung
Konzeptuelles politisches Deutungswissen zu Politikdimensionen bzw. zum Politikzyklus Dimensionen des Wissens kennen, verstehen, analysieren, beurteilen, anwenden, übertragen
Politische Urteilsbildung 1 Sachurteile (Urteilskategorie Wahrheit), 1 Zweckrationale Urteile (Urteilskategorie Effizienz), 1 Moralische Urteile (Urteilskategorie Legitimität), 1 Ethische Urteile (Urteilskategorie Wohlergehen), 1 Ästhetische Urteile (Urteilskategorie Wahrhaftigkeit) Die Übersicht wurde auf der Grundlage von Henkenborg 2005 zusammengestellt. Ausgehend von dieser Systematik der Rationalitätstypen und Urteilskategorien könnte eine weitere Analyse in mehrere Richtungen verlaufen. Zunächst sprengt den Rahmen dieses Beitrags die erforderliche Auseinandersetzung mit allen fünf Urteilskategorien. Der ideen- und sozialgeschichtlich geprägte kontroverse und konsensuale Diskurs über jede dieser Kategorien ist in ihnen aufgehoben. Beispielhaft zeigt sich dies an der Frage, was Wahrheit und Wahrhaftigkeit sei und in welchem Verhältnis sie zueinander stünden5. Weiterhin wäre die Beziehung für jede der Urteilskategorien zum Politikzyklus bzw. zu den Politikdimensionen zu untersuchen. Drittens wäre die Bedeutung von Fotos und ihre Beziehung zum Text für die Kategorien zu bestimmen. Und zuletzt wären diese auf der fachwissenschaftlichen Ebene diskutierten Gesichtspunkte auf die Fachdidaktik zu beziehen. Die produktive Fotoarbeit der Schüler kann im Kontext aller fünf Typen politischer Urteile und Urteilskategorien erfolgen.
4 Henkenborg bezieht sich auf die Typologie von Martin Seel, Ethisch-ästhetische Studien, Frankfurt a. Main 1996. 5 Vgl. Künne 1994: 117ff; Hügli/Lübcke 2000: 658ff; Williams 2003.
Politische Urteilsbildung im Kontext von Fotografieren und Schreiben
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1.2 Fotografieren und Schreiben: produktiv und integrativ Bei den vorgestellten Unterrichtsbeispielen sind die Schüler Autoren und Fotografen. In den Fächern Sozialwissenschaften und Politik6 ist es eher der Normalfall, dass Schüler Texte verfassen, als dass sie fotografieren. Wünschenswert ist daher, neben die Textproduktion auch die produktive Fotoarbeit in den Unterricht zu integrieren. Mit produktiver Fotoarbeit ist das gemeint, was Dieckmann (1997: 171) als „aktive Fotoarbeit“ und Stiller (2004) als „produktive Nutzung des Mediums Fotografie“ bezeichnen. Bei der didaktisch-methodischen Einbindung des Fotografierens in den Unterricht geht es darum, die Spannung zwischen der Freiheit des Lernsubjektes und dem didaktisch-methodischen Rahmen als Lernraum zu gestalten. Die Spannung zwischen fotografischer Freiheit und Begrenzung durch den Bildrahmen dupliziert sich gleichsam durch die didaktisch-methodische Fokussierung eines subjektorientierten Lernprozesses. Weiterhin ist das Fotografieren und sind Fotos nicht Thema des Unterrichts, sondern Thema ist eine Problemfrage, die sich auf den Wahlkampf bezieht und die ein politisches Urteil von den Schülern erfordert. Die Fotoarbeit ist in diesem Sinne integrativ und demnach zweckbezogen auf eine bestimmte Fragestellung. Anzustreben wäre weiterhin, diese Integration als ebensolche Normalität von Politik- und Sowiunterricht zu entwickeln wie das Schreiben. Das heißt, das didaktisch formulierte Thema kreist nicht um Fotografie, Fotos oder Bilder, sondern Fotografie und Schreiben werden innerhalb eines spezifischen Themas als didaktisch-methodisches Element berücksichtigt (vgl. Besand 2004: 270). Diese anzustrebende Normalität produktiver Fotoarbeit bedeutet ein Doppeltes. Angestrebt werden sollte erstens eine Einbindung der produktiven Fotoarbeit in den ‚normalen‘ Unterricht, das heißt nicht ihre ausschließliche ‚Auslagerung‘ in fächerübergreifende oder fächeraussetzende Projektarbeit oder in Arbeitsgemeinschaften (vgl. Gramatzki 1994: 35ff ). Sicherlich ist bei umfangreichen Aufgaben der Zeitaufwand unter Umständen erheblich; doch ist auch eine weniger aufwendige Fotoproduktion möglich. Dies fördert vermutlich sogar eher den Weg zur Normalität der Fotoproduktion als sehr umfangreiche, einzelne Projekte. Aber auch bei großem Zeitaufwand ist der Lerneffekt nicht zu vergessen, der bei der eigentätigen Produktion vermutlich höher ist als bei der bloßen Rezeption von Fotos. Normalität bedeutet zweitens, dass die Produktion von Fotos von den Schülern in einer Qualität wahrgenommen wird, die über die bloße ‚Motivation‘ und eine ‚Abwechselung‘ vom sog. ‚normalen‘ Unterricht hinausgeht. Nicht ‚Verschönerung‘, sondern Impuls zur Reflexion, Offenheit zur Interpretation, Irritation und Kontroversität sollten im besten Fall die produzierten Fotos ermöglichen (vgl. Besand 2004: 268). Diese Orientierung an Normalität ermöglicht auch den Aufbau einer Lernspirale, die in Klasse fünf oder schon in der Grundschule ansetzt und sich bis zur letzten Jahrgangsstufe fortsetzt und durch die Teilnahme an Fotowettbewerben begleitet werden kann. Je kontinuierlicher die Schüler mit der Fotoarbeit vertraut sind, umso seltener werden sie dann vermutlich darin nur eine interessante Abwechselung vom ‚normalen‘ Unterricht sehen.
6 Diese Fächerbezeichnungen für die Sekundarstufe II bzw. I sind für NRW gültig und finden nicht in allen Bundesländern Anwendung. Die Aussagen zur produktiven Fotoarbeit bleiben davon unberührt.
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1.3 Fotografieren und Schreiben als offener Lernprozess Fachdidaktiker räumen dem ästhetischen Arbeiten und der Produktion von Medien allgemein sowie dem rezeptiven und produktiven Umgang mit Fotografie vielfach ein Potenzial ein, bei den Schülern das zu ermöglichen, was um die Wortfelder „Kreativität“ und „Selbstständigkeit“ kreist 7 Die Begriffe werden nicht einheitlich verwendet und sind nicht immer eindeutig (vgl. von Hentig; Rinke 2003b: 73ff ). Insgesamt sind diese Versprechungen, die mit Fotografieren verbunden werden, sehr hoch. Worin liegen sie begründet? Ungeachtet der begrifflichen Verschiedenheiten oder Unklarheiten im Hinblick auf die Folgen des Fotografierens im Unterricht ruhen die zugeschriebenen Wirkungen auf zwei Säulen: zum einen auf der Verknüpfung von Produktion, Kognition, Assoziation und Bildhaftigkeit, und zum anderen auf der Offenheit des Lernprozesses (vgl. Röll 2003: 238, 240; Schiele 1999: 163). Die produzierten Fotos und die mit ihnen in Beziehung gesetzten Texte sind für die Schüler das Mobilar ihrer Produktions-, Reflexions-, Deutungs- und Wahrnehmungsfreiräume.
2. Didaktisch-methodische Entscheidungen zum Unterricht 2.1 Auf die Perspektive kommt es an: Der fragende Blick auf den Wahlkampf Das Thema, das hier exemplarisch für die politische Urteilsbildung im Kontext von Fotografieren und Schreiben dargestellt wird, ist nicht „Wahlkampf 2004/05“, sondern die Untersuchung des Wahlkampfes unter einer bestimmten Perspektive in Form einer Fragestellung. Es ist diese Leitfrage, an der sich die Schüler beim Fotografieren und Schreiben orientieren und die von ihnen am Ende eine begründete Beurteilung einfordert. Diese Leitfrage hat für das politische Lernen der Schüler eine doppelte Funktion. Zum einen legt die Fragestellung die didaktische Perspektive fest, unter der die Schüler den Wahlkampf untersuchen und ihn ins Auge nehmen. Der Typ der Urteilsbildung nach der Systematik von Henkenborg hängt dabei von der Fragestellung ab. Für die Schüler hat es sich als hilfreich erwiesen, ihnen Vorschläge für mögliche Frageperspektiven zu machen, wie es im Arbeitsblatt deutlich wird. Sie können diese Fragen übernehmen, sie verändern oder neue Fragen formulieren. Die Absprache mit der Lehrperson sollte beachtet werden. Die Erfahrung zeigt, dass vor allem bei den Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I, aber auch der Sekundarstufe II, die Entwicklung einer spezifischen Fragestellung, lösbar und eingrenzend, besonderer Übung bedarf. Häufig sind die von den Schülern formulierten Aufgaben zu allgemein, zu umfassend und vor allem als Sachthema formuliert, nicht als Frage, auf die sie in der Lage sein sollten eine Antwort zu geben. Im Unterrichtsverlauf zeigt sich, dass das Interesse der Schüler in allen betroffenen Stufen (8, 10 und 12) Schwerpunkte hatte und dass die Schüler weiterhin Themen formulierten, die in den Vorschlägen des Lehrers nicht vorgesehen waren. Dieser zuletzt genannten Gruppe gehörten Fragen an nach der Glaubwürdigkeit von Politikern bzw. der Parteien und nach der Bedeu-
7 Weißeno 1997, S. 441; Schelle 1997: 473-476, 483; George 1998: 40f ; Dieckmann 1997: 150; Klant 1994: 53; Röll 2003: 240, 371f, 377.
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tung einer Frau als Kandidatin für das höchste Amt der Regierung. Weitere Schwerpunkte der Schülerwahlen waren die Fragen, die sich auf die Wahlkampfkosten, auf die Fairness im Wahlkampf und auf Jugendliche und junge Erwachsene als Adressaten des Wahlkampfes und als Wähler richteten. Weniger häufig gewählt wurden Fragen nach der Motivation der Politiker für ihre Kandidatur und nach der Bedeutung der Bundestagswahlen für Ausländer, die eben wegen ihrer fehlenden deutschen Staatsangehörigkeit nicht wahlberechtigt sind.8 Die zweite Funktion der Leitfrage für politisches Lernen ist die Schulung in der Wahrnehmung des Wahlkampfes. Die Fokussierung der Schüler auf eine bestimmte Frage hat Konsequenzen für ihre Arbeit. Der Wahlkampf wird bewusster wahrgenommen; Bilder, an denen die Schüler sonst vorbeigehen, sie sehen und wieder beseitigen, werden so auf die Fragestellung bezogen, sortiert, geordnet, bewertet. Die Schüler werden in ihrer Wahrnehmung sensibilisiert. So kommt es im Idealfall zu der Pendelbewegung zwischen Wahrnehmung, Reflexion und Ausdruck (Holzbrecher 2004:8). Dies bestätigen die Arbeitsprotokolle der Schüler aller Jahrgangsstufen. Es geht darum, den Wahlkampf zu beobachten, Beobachtungen der Fragestellung zuzuordnen und das Foto zu machen, in dem diese Perspektive deutlich wird. „Keine Angebote für Jugendliche? Was bieten die Kandidaten und Parteien?“ war das Thema von Marian aus der Stufe 12. „Ich habe aus persönlichem Interesse diese Perspektive ausgesucht“, begründet er seine Auswahl und fährt dann fort: „Gefallen hat mir der Part wo man rausgehen sollte und Fotos machen von den Parteiständen. Es war eine neue Erfahrung so nah an den Kandidaten und am Wahlkampf zu sein. Schwierig war es zu versuchen in einer Perspektive zu bleiben und nicht abzuschweifen und Informationen so zu verarbeiten, dass sie zum Artikel einigermaßen passten. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass es viele Punkte gibt, die indirekt passten, manche nur den Anschein hatten zu passen, andere gar nicht passten, sodass ein Mangel an Informationen die Schreibarbeit erschwerte“. Ein weiterer Aspekt zeigt sich im Protokoll von Lea aus der Stufe 12. Sie hat bei der Wahl ihres Themas in Anlehnung an die Diskussion um das Zitat von Edmund Stoiber zu den ‚Frustrierten im Osten‘, „Legen sich Politiker selbst Steine in den Weg?“ noch nicht ihre Fotos im Auge gehabt, sondern nur ihr Interesse an der Fragestellung. Dies führte dann zu Problemen für sie. „Es hat Spaß gemacht hat, sich genauer mit diesem Thema zu beschäftigen. Mir ist jedoch erst nach Festlegung des Thema bewusst geworden, wie schwer es war, Fotos zu finden. Wo ich leider absolut keine Idee hatte, war wie ich selbstfotografierte Bilder mit in die Arbeit sinnvoll einfügen sollte, die sich auf das Thema beziehen.“ Hier wäre es sicherlich erforderlich gewesen, schon in der Beratung während der Themenfindung deutlicher auf derartige mögliche Schwierigkeiten hinzuweisen.
8 Die Tatsache, dass sich letztlich nur eine Schülerin für diese letzte Perspektive („Ausländer“) entschieden hat, mag Fragen nach möglichen Erklärungen nahe legen, war der Anteil von Schülerinnen und Schüler mit einem Migrationshintergrund in allen Klassen doch recht hoch. Zur Problematik der Zuweisung des Merkmals „Migrationshintergrund“ und zu den Möglichkeiten von Unterricht „Jenseits von Ethnie und Kultur“ vgl. Elrick 2005, Rinke 2003a; Rinke 2006.
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Abb. 1: Marian – Parteistand „Die Linke“ in der Troisdorfer Fußgängerzone am 17.09.2005
2.2 Vorübungen Die Verknüpfung von Text und Foto, von Schreiben und Fotografieren im Politik- und Sowiunterricht sollte in der Unterrichtspraxis und im Idealfall eine didaktisch-methodische Qualität haben, die jedes Medium für sich alleine nicht erzielt. Dazu sind Vorübungen sinnvoll, die sich zunächst auf die Rezeption von Fotos beziehen im Sinne einer Schulung der Wahrnehmung und Analyse und in einem weiteren Schritt auf die Produktion von Fotos und dem Schreiben eines Textes. Übungen zur Rezeption: Politische Fotografie und politische Urteilsbildung Ein erster Schritt der Vorübungen könnte zunächst ohne Textbezug die Analyse von Fotografien als Quelle sein. Es bietet sich die Methode an, die von Ulrike Pilarczyk und Ulrike Mietzner vor allem unter Bezug auf Erwin Panowsky ausgearbeitet wurde (Mietzner/Pilarczyk 2003: 19ff; Pilarczyk PL; Pilarczyk/ Mietzner 2005). So können an ausgewählten Fotos inhaltliche, mediale, technische und ästhetische Qualitäten untersucht werden. Fotos können als eine multiperspektivische Quelle analysiert werden aus der Perspektive des Fotografen, des Abgebildeten, des Betrachters, der Nutzer und des möglichen Auftraggebers (Mietzner/Pilarczyk 2003: 19f ). Die Analyse von Fotografien kann auf vier Ebenen eingeübt werden: der prä- oder vorikonografischen Beschreibung, der ikonografischen Beschreibung, der ikonografischen Interpretation, der ikonologischen Interpretation und der vierten Ebene des Verwendungszwecks und der Wirkungen der Fotografie (Mietzner/Pilarczyk 2003: 29; Pilarczyk 2004: 30ff ). Umfang und Intensität dieser Übungsphase hängt von der Altersstufe, von der zur Verfügung stehenden Zeit und von der Intention der Lehrperson ab. Wie solche Analysen gemacht werden, könnte modellartig an Fotos von Michael Jackson (Pilarczyk 2004: 28ff ) oder von Blickbeziehungen zwischen Menschen (Pilarczyk 2003: 309ff ) gezeigt werden. Die Kenntnis eines solchen Analysemodells – sei
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sie nun den Schülern in dieser Ausführlichkeit zur Verfügung gestellt oder nur für die Lehrperson als Grundlage zur Planung des Unterrichts – erleichtert die übende Analyse politischer Fotos. Eine reichhaltige Quelle sind die politischen Fotografien zum bundesweiten Wettbewerb für Bildjournalisten „Rückblende“, der seit 1996 von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz ausgeschrieben wird. Für 2003 werden 91 Fotos zur Verfügung gestellt, für 2004 sogar 110. Die eingereichten Arbeiten sind im Internet unter www.rueckblende.rpl.de zugänglich. Die Fotos ermöglichen zum Beispiel die Bearbeitung von Fragen nach der Wirkung der Fotos und den Mitteln, die sie erzeugt haben. Auf dem Siegerinnenfoto von Nicole Maskus für den Wettbewerb 2003 schwebt Angela Merkel einem Engel gleich auf der Projektionsfläche der Multimediawand über der Männerriege der für sie applaudierenden Parteiführung auf dem CDUBundesparteitag am 1. Dezember 2003. Wie privat sind die Fotos von Cornelia Pieper im Garten ihres Hauses, von Jürgen Rüttgers bei Reparaturarbeiten an seinem Ferienhaus oder von Sigmar Gabriel am Gartenzaun seines Hauses? Welche Wirkung wird oder soll erzielt werden? Welche Assoziationen werden durch das Foto vom russischen Präsidenten Putin in einer Limousine mit verdunkelten Scheiben beim Verlassen des Flughafens Berlin-Tegel im Februar 2003 hervorgerufen? Können die Fotos von der politischen Elite mehr offen legen, als ihre Inszenierungen für die Öffentlichkeit intendiert haben? (Rückblende 2003). Ein zweiter Schritt der Vorübungen zur produktiven Foto- und Schreibarbeit könnte sich auf die Verknüpfung von Fotografie und Frageperspektive beziehen. Ob zunächst ein Foto oder eine Problemfrage diese Phase der Vorübungen einleitet, hängt vom Unterrichtskontext ab. Im Hinblick auf die Kompetenz „Politische Urteilsbildung“ sollten solche Beispiele gewählt werden, die ein Problem aufwerfen und die ein Urteil herausfordern. Hier sind nun prinzipiell mehrere Möglichkeiten denkbar. Den Schülerinnen und Schülern könnten zum einen einige Problemfragen vorgeschlagen werden, aus denen sie dann auswählen und danach entscheiden, ob und inwieweit der Text und/oder das Foto zu einer bestimmten Fragestellung passt. Zum anderen wäre aber auch der umgekehrte, vielleicht für Schüler schwierigere Weg denkbar, auf Grundlage des Fotos/des Textes, Fragestellungen zu entwickeln, die ein späteres Urteil erfordern. Beispielhafte Fotos können von der Lehrperson aus den Tageszeitungen oder aus dem Internet bezogen werden. Auch Fotos aus dem bereits erwähnten Wettbewerb für politische Fotografie bieten sich für diesen Zweck an. Als gezielte Vorbereitung der Schüler für ‚ihre‘ Arbeit zur politischen Urteilsbildung könnten diese Fotos mit zwei Impulsvarianten eingesetzt werden: 1 1
Formuliere eine oder mehrere Fragestellungen, auf die das vorliegende Foto bezogen werden könnte. Welchen der vorgegebenen Fragestellungen könnten das vorliegende Foto zugeordnet werden?
Ein anderes Beispiel aus dem Inhaltsfeld internationale Beziehungen und vielleicht eher für die Oberstufe geeignet, ist die Thematisierung der Massaker in Ruanda. Hatten die Massaker in Ruanda den Charakter eines Völkermordes? Hat die internationale Staatengemeinschaft versagt? könnten mögliche Problemfragen in einem Oberstufenkurs sein. Eine Annäherung könnte mit Hilfe von Lebensberichten Jugendlicher und Fotos aus dem Band von Jean Hatzfeld „Nur das nackte Leben. Berichte aus den Sümpfen Ruandas“ erfolgen. Die Fotos von Raymond Depardon, die er auf Bitten des Autors für die Agentur Magnum im August 1999 aufgenommen hat,
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sind schwarz-weiß und mit einer hohen Tiefenschärfe versehen. Ihre Wirkung auf den Betrachter ist untrennbar mit dem Text verbunden. Die Fotos bewirken Assoziationen zu den Lebensberichten der Erzähler und umgekehrt. Der Betrachter sollte die Fotos auf sich wirken lassen, in ihnen Spuren suchen, sie lesen. Umgekehrt bewirken die Erzählungen bildhafte Verknüpfungen zu den Fotos. Gelernt werden kann in dieser Phase also dass die Verknüpfung beider Medien eine neue Qualität erzielt. Die Deutung der Fotos wird durch den Text fokussiert und der Text wird durch die Fotos visualisiert. Anders ausgedrückt: Wir betrachten Foto und Text nicht nur als Kontexte füreinander, sondern als gegenseitige Ko-Texte (vgl. Kap. 1 in diesem Band). Zur Wechselwirkung von produktiver und rezeptiver Fotoarbeit Die Produktion eigener Fotos steht dem unreflektierten Konsum, der ‚Nebenbei-Rezeption‘9 von Fotos entgegen. Sie bildet mit der reflektierten Rezeption eine Einheit. Produktive Fotoarbeit wirkt auf die Rezeption von Fotos zurück bzw. sie kann anregen, Fotos „bewusst wahrzunehmen und auf sich wirken zu lassen“ (Dieckmann 1997: 171). Produktive Fotoarbeit kann den Blick bewusst machen, ihn erweitern und entwickeln. Diese Wechselwirkung ist kein Automatismus, sondern kann als didaktisch-methodische Chance verstanden werden, die in der produktiven Fotoarbeit liegt. Fotografietraining – Gestaltung, Wirkung, Deutung, Qualität Das Fotografieren kann vorbereitend oder begleitend eingeübt werden. Auch Mischformen sind denkbar. Inhalt dieser Übungen können zum Beispiel sein die Gestaltungselemente von Fotos, ihre Wirkung und Deutung sowie die Maßstäbe für Qualität. Zeitungen und Zeitschriften bieten auch im Internet ein reichhaltiges Fotomaterial aus dem Politikfeld, das für solche Übungszwecke geeignet ist. Umfang, Schwerpunkte und Intensität hängen von der Aufgabenstellung und von den Vorkenntnissen der Lerngruppe ab, die in höheren Klassen vielleicht schon auf die Orientierungsstufe zurückgehen. Denkbar ist auch, innerhalb einer Lerngruppe arbeitsteilig vorzugehen und verschiedene Übungen durchzuführen, von deren Ergebnissen dann alle profitieren können. Weiterhin ist zu entscheiden, ob die Übungen an vorgegebenen beispielhaften Fotos aus einer eigenen Bildkartei, aus Zeitungen und Zeitschriften oder an den Eigenproduktionen der Schüler erfolgt. Dieckmann stellt ein großes Spektrum vorbereitender Übungen vor. Sie beziehen sich vor allem auf die Deutung von Fotos durch ihren Betrachter: auf ihre Ambivalenz, Mehrdeutigkeit und Kontextabhängigkeit (unbekannte Fotos werden von Schülern ausgewählt und gedeutet), auf Eingrenzungen des Deutungsspielraumes (Kontrastfotos, Bildfolgen), auf Beeinflussung der Deutung durch Musik und Texte (dieselben Fotos ergänzen durch verschiedene Musikeinspielungen, Unterschriften oder Kommentare) sowie auf Manipulationsmöglichkeiten . Desweiteren gibt es Übungen zum Ausschnittcharakter von Fotos sowie zum Schreiben von Reportagen und Geschichten (Dieckmann 1997:155, 159-161; Stiller 2004). Diese Übungen erscheinen vor allem dann sinnvoll, wenn sie auf Fotoarbeiten vorbereiten, die nicht oder nur mit erheblichen individuellen Aufwand durch Lehrer oder Schüler wiederholbar sind. Dies kann z.B. die Fotoreportage oder die Fotodokumentation von einmaligen Ereignissen sein 9 Die „Konzentration auf die Augenwahrnehmung“ und die „Verkümmerung der übrigen Sinne“ führe nach H. Hengst zu einer „Nebenbei-Rezeption“ (zit. in: Stoppa-Sehlbach 1988: 6).
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Übungen zur Bildgestaltung und Bildwirkung können aber auch an den selbst produzierten Fotos durchgeführt werden. Vielfach lässt sich an ‚nicht-perfekten‘ Fotos leichter und eindringlicher lernen. Außerdem lässt vor allem die digitale Bildbearbeitung die Möglichkeit zu auch ‚misslungene‘ Fotos weiterzuverwenden. Die Reportage Den Schülerinnen und Schülern wurde die Reportage als Textform nahegelegt. Wenn sie sich für eine andere Textsorte entscheiden wollten, stand dem nach Rücksprache nichts entgegen. Von dieser Möglichkeit haben nur wenige Gebrauch gemacht. Der Vorteil der Reportage besteht im Hinblick auf die Aufgabenstellung und das Arbeitsfeld Wahlkampf auf verschiedenen Gebieten. Die Reportage bietet sehr große Freiheiten in der Wahl und Kombination verschiedener Gestaltungselemente (z.B. Bericht, Interview, Statement, Gespräch, Portrait oder Kommentar), sie ermöglicht auf dieser Basis die variantenreiche Kombination von Text und Bild, sie ermöglicht den Einsatz eines breiten Spektrums subjektiver Ausdrucksformen, reichend von den eigenen Empfindungen und Gefühlen bis zur Meinungsäußerung, zu Beurteilungen und zur politischen Urteilsbildung (vgl. Schill 2000: 153). In diesem Sinne ist die Reportage „ein tatsachenbetonter oder tatsachenorientierter, aber persönlich gefärbter Erlebnisbericht, besonders über Handlungen und Ereignisse“10. Weiterhin kommt die Reportage dem Arbeitsstil der Schüler entgegen. Die Schüler sollen ‚raus‘ ins Wahlkampfgeschehen, sie sollen ‚vor Ort‘ sein, beobachten, befragen, beschreiben, analysieren, beurteilen. „Der Reporter muss selbst am Ort des Geschehens gewesen sein oder sich selbst unmittelbar aufhalten, um einen ‚augenblicklichen‘ Zustand zu beschreiben.“ (Schill 2000: 153). Zu guter Letzt ist die Reportage auch für den Leser und die Leserin eine Textform, die – ist sie gut gemacht – eine anregende Lektüre ermöglicht. Gut geeignet, um die Merkmale einer Reportage herauszuarbeiten, sind Beispiele aus aktuellen Tageszeitungen. Auch die Kooperation mit den Kolleginnen und Kollegen des Faches Deutsch ist hilfreich. Dies ist vor allem für die Klassen 8 erforderlich, ist doch die Reportage oftmals erst für die Klasse 9 vorgesehen. Im Verlauf des Projektes wurden die Unterrichtsstunden von den Schülern gerne zur Beratung bei der Ausarbeitung ihrer Reportage und die Verknüpfung von Text und Foto genutzt.
2.3 Projektarbeit – Schülerorientierung, Beratung und Wissensaneignung Das Inhaltsfeld Wahlkampf, das von den Schülerinnen und Schülern gewählte (und gegebenenfalls selbst formulierte) Thema, die methodische Verknüpfung des Fotografierens mit der Textform Reportage legt eine Zuordnung zur Makromethode „Projekt“ nahe. Die Planung, die Durchführung und das Produkt haben die Schülerinnen und Schüler erstellt (Subjektorientierung), die Schüler haben sich an der politischen Wirklichkeit orientiert (Wirklichkeitsorientierung) und sie haben ein gemeinsames Produkt erstellt (Produktorientierung) (Reinhardt 2005: 164f ). Damit ist das forschende Lernen ermöglicht. Der aktive, reflexive und erfahrungsorientierter Zugang zur Politik mündet in eine politische Urteilsfindung (Sander 2001: 95f ).
10 Breit/Weber 2005: 22 zitieren hier Claudia Mast, ABC des Journalismus. 7. Auflage, Konstanz 1998, S. 240-242.
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Dies ist nicht notwendigerweise mit einem fächeraussetzenden Unterricht verbunden11. Die vorgestellten Beispiele fanden allesamt im Rahmen des normalen Stundenrasters und der normalen Fächerverteilung statt. Aber es war für die Schülerinnen und Schüler unerlässlich, den Lernraum Schule zu verlassen und den Nahraum des Schul- und Wohngebietes zu ‚betreten‘, unter Umständen Wahlkampfveranstaltungen zu besuchen, Menschen zu befragen, Wahlkampfmaterialien zu sammeln, eben die erforderlichen Aktivitäten außerhalb des Schulraumes durchzuführen, um ihr Thema zu bearbeiten. Was im Klassenraum stattfand, war zum einen die fachliche Beratung der Schüler. Häufig bezogen sich die Fragen auf mögliche Fotos, die zu ihrem Thema passten, auf die Bestätigung ihrer Ideen, auf die Strukturierung ihrer Arbeit, auf die Orientierung ihres Textes und ihrer Fotos an der gewählten Fragestellung, auf die korrekte Positionierung der Fotos in den Text und auf die zusammenfassende Urteilsbildung. Zum anderen erfolgte in den Unterrichtsstunden die Aneignung des Fachwissens, das für alle Gruppen zum Themenfeld Wahlen (Parteiprogramme, Wahlrecht, Stimmenauszählung, Regierungsbildung) Bedeutung hatte. Im Kontext der vorgezogenen Bundestagswahlen erfolgte dies stärker parallel zu der Projektarbeit der Schüler; ein längerer Vorlauf vor Beginn der Projektarbeit wäre sicherlich günstiger gewesen, was sich aber wegen des geringen zeitlichen Abstandes zwischen dem Beginn des Schuljahres und dem Neuwahltermin am 18. September 2005 nicht einrichten ließ. Die Aneignung des spezifischen Fachwissens, das zur Bearbeitung der jeweiligen Themen erforderlich war, erfolgte im Verlauf der Recherchearbeit durch die Schüler selbst. Dies galt zum Beispiel für Fairnessabkommen, für Fragen der Parteienfinanzierung, der Wahlkampfkosten.
2.4 Das Arbeitsprotokoll als Reflexionsmittel Die Schüler sind gebeten, neben ihrer Arbeit am Thema zusätzlich ihren Arbeitsprozess zu protokollieren. Dies bleibt zunächst eine chronologische Auflistung ihrer Tätigkeiten und eine Darstellung ihrer Arbeitsaufteilung. Darüber hinaus aber ist eine selbstreflexive Darlegung ihrer Arbeitsprozesse gemeint. Vor allem Letzteres erfordert eher helfende Anregungen durch die Lehrperson als die eher formal orientierten, zuerst angeführten Aspekte. Diese helfenden Impulse, die auch Teil der Beratung in der Schule während des Projektverlaufes sind, können beispielsweise sein: Beschreibe den Weg von der Aufgabenstellung bis zur fertigen Arbeit! Gab es besondere Schwierigkeiten, Hindernisse oder Herausforderungen? Die Ausarbeitungen der Schüler können zugleich als Feedback für die Lehrperson dienen. Mit zunehmender Routine, die die Schüler durch wiederholtes Einüben dieser Selbstreflexion erwerben, kann auch die Ernsthaftigkeit und Offenheit zunehmen. Dies steht auch in Zusammenhang mit der nötigen von Abwertung freien Ernsthaftigkeit der Lehrperson gegenüber dieser Selbstreflexion.
3. Die Aufgabenstellung für die Schüler Das folgende Arbeitsblatt enthält die Aufgabenstellungen für die Schüler der Stufe 10 einschließlich der technischen Vorgaben zur Anfertigung ihrer Arbeit12. Letzteres ist von Bedeutung für
11 Zu den verschiedenen Formen fächerübergreifenden Arbeitens in der Schule Effe-Stumpf/Huber 1996: 30f. 12 Einige Ideen dieses Arbeitsblattes verdanke ich dem Kollegen Andreas Wüste
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die Gleichbehandlung der Schüler, aber auch zur Einübung bestimmter formeller Anforderungen an schriftlichte Arbeiten. Auch der Hinweis, dass zu den Fotos kurze Texthinweise gehören, zählt dazu, und diese bedürfen der Einübung, auch bei Oberstufenschülern. Das Arbeitsblatt wird hier in einer ausführlichen Form wiedergegeben und sollte selbstverständlich in Abhängigkeit vom Unterrichtskontext und dem methodischen und inhaltlichen Wissen der Schüler variiert und gekürzt werden.
Arbeitsblatt 1 zum Bundestagswahlkampf 2005 für die Klassen 10 Der Bundestagswahlkampf 2005 im Blick – Wir fotografieren und schreiben. Dem Wahlkampf auf der Spur … Sicher habt ihr in Zeitschriften und Zeitungen schon einmal Artikel gelesen, in denen Text und Fotos miteinander auf spannende und informative Weise miteinander verknüpft waren. Sie haben euch deshalb in ihren Bann gezogen. Durch die geschickte Kombination von Fotos und Texten ist es möglich, Personen, Gegenstände und Situationen in den Bereich der bewussten Wahrnehmung zu rücken. Durch entsprechende Auswahl und Perspektive kann man eine neue Wirklichkeit schaffen, durch die die Dinge genau betrachtet und ausgewertet werden können. Um herauszufinden, wie sich der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2005 in eurer Stadt und in der Region bemerkbar macht, sollt ihr nun zu dem Thema „Der Wahlkampf zum Bundestag 2005“ einen Artikel schreiben und dazu auch selbst Fotos aufnehmen. Auf die Perspektive kommt es an! – Der fragende Blick auf den Wahlkampf Eure Arbeit hat zwei Überschriften: die Hauptüberschrift und den Untertitel. Die Hauptüberschrift ist für alle dieselbe: „Der Wahlkampf zum Bundestag 2005“. Der Untertitel gibt euren besonderen Blick, eure Perspektive an, mit der ihr den Wahlkampf betrachtet und untersucht. Diese Perspektive, euer Blick, drückt eine Fragehaltung aus. Das heißt, überlegt euch, mit welchem fragenden Blick ihr an den Wahlkampf herangeht. Der Untertitel ist daher als Frage zu formulieren. Die folgenden Vorschläge sind Beispiele für solche Perspektiven. Ihr könnt eine davon als eure eigene Fragestellung übernehmen, ihr könnt sie verändern oder auch eine andere, selbstentwickelte Fragestellung für eure Arbeit formulieren. 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Fairness im Wahlkampf – wünschenswert oder langweilig? Fairness im Wahlkampf – gibt es das überhaupt? Die Wahl eine Qual? Erstwähler – abgeschreckt oder motiviert? Wir müssen draußen bleiben – Sind Kinder und Jugendliche nicht gefragt? Keine Angebote für Jugendliche? Was bieten die Kandidaten und Parteien? Warum tun sie sich das an? Die Kandidaten zum deutschen Bundestag. Sie dürfen sowieso nicht wählen – Für Ausländer uninteressant? Die Werbeschlacht – Geld zum Fenster hinausgeworfen? Versprechen kann man viel – Sind Parteien glaubwürdig bei den Wählern?
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Ihr habt sicher noch viele weitere Ideen. Auf jeden Fall müsst ihr vorher eure Fragestellung mit dem Lehrer absprechen. Schreibt dazu eure Frage auf und legt sie dem Lehrer vor. Fotografieren und Schreiben – beides ist erforderlich Eure Fotos und der Text müssen sich an eurer Fragestellung orientieren. Und eure Fotos und eurer Text müssen aufeinander bezogen sein. Sie dürfen also nicht nebeneinander stehen. Jedes Foto ist mit einem kurzen Text zu versehen, der angibt, was auf dem Foto zu sehen ist. Schaut einmal in Tageszeitungen oder in Bücher. Da seht ihr, wie so etwas gemacht wird. Auf jeden Fall müsst ihr euch von eurer Frage leiten lassen und auch eine Antwort darauf geben. Welche Textsorten sind möglich? Ihr wisst aus dem Deutschunterricht, dass es verschiedene Textsorten gibt. Informiert euch darüber noch einmal bei eurem Lehrer oder eurer Lehrerin. Ihr solltet auch noch einmal in euren Büchern und Unterlagen nachschlagen. So ist es zum Beispiel möglich, eine Reportage zu schreiben oder eine Erörterung oder eine andere Textform. Wenn ihr euch für eine Textform entscheidet, müsst ihr euch auch in die erforderlichen Merkmale halten. Wer fotografiert und schreibt? Teamarbeit ist erlaubt, aber nicht mehr als zwei Schülerinnen oder Schüler arbeiten zusammen. Sie sprechen sich ab, verteilen die Arbeit, entwickeln die Fragestellung, verfassen die gemeinsame Arbeit und geben sie als gemeinsame Mappe ab. Sie erhalten eine Note für die Arbeit. Wie umfangreich soll die Arbeit sein? In welcher Form ist sie anzulegen? Die Arbeit wird in einer Mappe abgegeben. Sie enthält eine Titelseite, den Text mit Fotos und einen Anhang (mit einem Arbeitsprotokoll und weiterem Material). Auf der Titelseite stehen folgende Angaben: der Haupttitel, der Untertitel, der Name der Verfasser, die Klasse, die Schule, das Fach und der Fachlehrer. Ein oder mehrere Fotos können auch auf der Titelseite sein. Im Arbeitsprotokoll steht der Verlauf eurer Arbeit, eure Vorgehensweise mit Arbeitsschritten und Zeitangaben; wie entstand die Fragestellung, und warum habt ihr euch für das Thema entschieden; wer hat was, wann und wo gemacht. Gab es Schwierigkeiten, was war erfreulich, was hat Spaßgemacht, warum? Was weniger? Die gesamte Arbeit soll bei Teams mindestens 3 bis 4 Seiten lang sein (bei Einzelarbeit 2), ohne Titelseite. Sie soll 3 bis 4 Fotos enthalten (bei Einzelarbeit 2) im Format 9x13 und der Text soll in Times New Roman mit 12 Punkt Größe geschrieben werden und einem Rand von 2 cm. Wenn ihr keine digitalen Fotos macht, dann lasst entsprechenden Platz in eurem Text und klebt die Papierfotos ein. Die Fotos müssen von euch aufgenommen worden sein. Fotos, heruntergeladen aus dem Internet oder aus anderen Quellen sind nicht erlaubt.
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4. Schülerarbeiten Einige Gesichtspunkte zu den fertiggestellten Schülerarbeiten und Arbeitsprotokollen sind bereits angeführt worden. Darüber hinaus lassen sich folgende Überlegungen anschließen.
Abb. 2 (links): Frederic – Wahllokal in Troisdorf Abb. 3 (rechts): Markus und Julius – Wahlplakat der NPD am Busbahnhof in Troisdorf
4.1 Den Blick schulen durch den perspektivischen Kontext Die perspektivische Verknüpfung von Foto und Text hat bei vielen Schülern zu einer Schulung der Wahrnehmung geführt. Dies zeigen die Arbeitsprotokolle und die Arbeitsergebnisse Diese Schulung der Wahrnehmung ist abhängig von dem Stadium der Wahrnehmung im Prozesses der fotografischen Produktion und Reflexion, und sie kann in doppelter Weise erfolgen. Zum einen wird der Blick auf die Umwelt geschult, da dieser Blick vom Kontext der Fragestellung gelenkt wird, die ein Urteil erfordert. Von der Vielzahl der Objekte und von den vielen Elementen einzelner wahrgenommener Objekte werden die herausgefiltert, die sich auf die Fragestellung beziehen lassen. Diese Auswahl und Zuordnung ist zugleich mit Wissen verknüpft zu den in der Fragestellung implizierten Sachverhalten. Am Ende steht das Foto. Allerdings: das Foto bedarf immer noch der Kontextualisierung, der Versprachlichung bzw. der Verschriftlichung. Das Foto, aus der Perspektive der Fragestellung aufgenommen, ist trotzdem nicht selbsterklärend. Nicht jeder Betrachter des Fotos verknüpft mit der Wahrnehmung dieses Fotos denselben Kontext, nicht jeder sieht dasselbe in diesem Foto. Daher bezieht der Schüler seine Urteilsperspektive auf den Text und das Foto.
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Zum anderen wird der Blick auf Fotos als Teil dieser Umweltobjekte geschult. Dies sind vor allem Wahlplakate, die auch mit Text verknüpft sind. Schüler haben häufig Wahlplakate fotografiert. Diese sind dann gleichsam ein Foto im Foto. Auch diese von Schülern produzierten Fotos sind nicht selbsterklärend. Ebenso sehen die Betrachter in den Wahlplakaten auch nicht dasselbe. Der Betrachter muss in den Fotos und in den Wahlplakaten nicht dasselbe sehen wie der Fotograf. Von daher ist die Perspektive zu kontextualisieren, unter der dieses Foto Bedeutung hat. Ob der Wahlkampf fair verläuft, ob es sich bei den Wahlkampfparolen auf den Wahlplakaten um leere Versprechungen handelt usw. ist nicht den Fotos per se zu entnehmen. Diese Fragehaltung initiiert die Suche nach dem Ausschnitt, der dazu ‚passt‘ und sie initiiert ebenso auch den Blick auf das Foto und die Verknüpfung des Fotos und seiner Elemente mit der Fragestellung im Kopf des Betrachters. So kann das Foto eines NPD Plakates (Abb. 3) unterschiedlichen Urteilskontexten dienen. Markus und Julius aus der Stufe 10 verwenden dieses Foto im Kontext ihrer Frage „Fairness im Wahlkampf – wünschenswert oder langweilig?“. Sie kommen zu folgendem Urteil: „Die NPD ist keine vorbildliche und ‚gute‚ Partei, aber es ist unfair, solche Zettel über das Plakat zu kleben. Die NPD ist eine Partei, die man respektieren muss. Es ist jedem selbst zu überlassen wie man sie beurteilt, aber es ist unfair Beleidigungen gegenüber dieser Partei auf die Plakate zu kleben. Die Fairness im Wahlkampf lässt hier zu wünschen übrig.“ André aus der Klasse 10 verknüpft sein Foto von Wahlkampfplakaten mit seiner Analyse der Wahlkampfkosten, der Parteienfinanzierung und einer nicht repräsentativen Umfrage unter Wählern. Seine Fotografie und die Analyse münden dann in das Urteil Wahlplakate abzuschaffen.
Abb. 4: André – Plakate an der Laarstr. Ecke Kofferstr. in Sieglar; von links: CDU; SPD; Grüne; FDP. Zu viele auf einem Fleck?
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Frederic aus der Stufe 8 hat sich auf eine Wahlkampfveranstaltung der SPD auf dem Bonner Münsterplatz begeben.
Abb. 5: Frederic – Bundeskanzler Schröder auf einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Bonner Münsterplatz am 10.09.2005.
Frederics Foto steht in folgendem Beurteilungskontext zur Frage „Der Wahlkampf 2005. Wissen wir, was wir wählen?“: „Man kann auch zu Wahlveranstaltungen gehen und sich vor Ort die Reden der Politiker anhören. Aber wenn man eingeengt zwischen vielen Leuten steht und die Bühne nur schlecht sehen kann, ist es mehr die Stimmung und weniger der Inhalt der Reden, der bei einem ankommen. Oft sind diese Veranstaltungen sehr gut besucht. So waren auf der Wahlveranstaltung von Bundeskanzler Schröder am 10. September auf dem Bonner Münsterplatz fast 8000 Teilnehmer. Im Verhältnis zur Zahl der Wähler in Bonn und Umgebung ist dies aber dann doch nur eine sehr geringe Zahl. Wenn man als Wähler eine gut überlegte Wahlentscheidung treffen will, muss man genügend Informationen besitzen. Um an diese Informationen zu kommen, muss man Zeit und Arbeit investieren, was nicht unbedingt Spaß macht. Deshalb stellt sich die Frage, ob wirklich alle Wähler diesen Aufwand betreiben und wirklich wissen was sie wählen.“ Diskussionen mit Schülern während ihrer Arbeit und über ihre fertigen Produkte zeigen, dass der Weg von der Nebenbei-Wahrnehmung13 zur einordnenden und urteilenden Wahrnehmung geschult werden kann. Dies bestätigen einige Arbeitsprotokolle.
13 Dieser Begriff ist angelehnt an H. Hengst (zit. in: Stoppa-Sehlbach 1988: 6); Vgl. Anm. 7 oben.
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„Das Fotografieren hat am meisten Spaß gemacht. Man konnte sich die Plakate mal in aller Ruhe angucken und man konnte sehen, dass manche bemalt und halb abgerissen waren“ schreiben Marina und Rebecca aus der 8 zum Thema „Die Werbschlacht – Geld zum Fenster hinausgeworfen?“ Auffällig ist hier, dass das aufmerksame Betrachten der Wahlplakate mit der Aufgabenstellung verbunden war und dass eine solche bewusste Wahrnehmung nicht als Teil ihres ‚normalen‘ Alltags angesehen wurde. Häufig bedauerten Schüler auch, dass sie nicht immer ihre Kamera zur Hand hatte, um ein auf ihr Thema passendes Foto zu ‚schießen‘. Dies deutet auch auf die Schulung und Anwendung einer bewussten Wahrnehmung hin. „Als wir über ein Wahlplakat von Angela Merkel schrieben, fiel uns ein, dass ganz in der Nähe dieses Plakat hing. Also zog Lisa mit der Digitalkamera los und fotografierte das Plakat.“ (Stefanie und Lisa, 8, zum Thema: „Sind Wahlversprechen und Wahlaussagen sinnvoll?“) Zur Kontextualisierung der Fotos gehört auch, die Schüler dahingehend zu schulen, die Zeit, den Ort und gegebenenfalls das Ereignis offenzulegen, zu dem das Foto aufgenommen wurde. Hier bildet die Verschriftlichung eine Einübung quellenkritischen Umgangs mit Fotografie. Auch diese Angaben sind keine Selbstverständlichkeit bei Schülern, sondern bedürfen der Explizierung in der Aufgabenstellung und der Erläuterung.
4.2 Die Textlastigkeit Im Idealfall hätten bei den Reportagen Fotos und Texte im Gleichgewicht gestanden. Darunter verstehe ich die inhaltliche Verknüpfung von beiden Medien zu einer neuen Qualität, die jedes Medium für sich nicht hat. Dieses so verstandene Gleichgewicht zwischen Text und Fotos sowie die Verknüpfung beider Medien unter der gemeinsamen Frageperspektive ist einer Reihe von Schülern nicht optimal gelungen. Viele Arbeiten waren sehr textlastig. Dies hing vielfach auch mit den gewählten Themen zusammen. Die Schüler sind bei der Auswahl der Themen primär von ihrem Interesse an der Fragestellung ausgegangen. Wie dies dann mit den Medien Text und Foto gleichgewichtig bearbeitet werden sollte und welche Schwierigkeiten damit verbunden sein würden, stellte sich für sie dann erst im Verlauf der Arbeit heraus.
4.3 Die Auswahl des passenden Fotos Dies führt dann bei einer Reihe von Schülern dazu, dass zwar Fotos eingearbeitet wurden, dass aber die Beziehung zur Problemfrage gar nicht oder nur am Rande gegeben war. Auf der anderen Seite haben einige Schüler ihre Fotos nicht hinreichend ‚ausgeschöpft‘. Obgleich sie Fotos in ihre Reportage eingefügt hatten, sahen sie vieles nicht in ihnen, was zu ihrer Fragestellung gepasst hätte.
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4.4 Die Verführung durch das Internet Die Erlaubnis, auch im Internet recherchieren zu dürfen, führte bei einigen Schülern dazu, dass diese Recherchen Überhand nahmen und weniger die direkte Erkundung vor Ort. Sie gerieten dann unter Zeitdruck und haben sich ihr Text – und Fotomaterial aus dem Internet beschafft.
4.5. „…dass schaffen wir nie!“ – Kompetenzerweiterung Ruth und Katharina aus einer achten Klasse hatten sich folgende Fragestellung für ihre Arbeit überlegt: „Kann man Politikern noch trauen? – Was denken die Menschen darüber?“. Sie schreiben in ihr Arbeitprotokoll: „Zuerst dachten wir, dass wir die Reportage nie schaffen könnten, doch als wir einmal bei der Arbeit waren, ging es eigentlich ganz gut. Wir wollten nie anfangen, weil wir wussten wie viel noch auf uns zukommen würde. Später hat es uns dann auch Spaß gemacht. Für uns war es etwas schwierig immer bei einer Reportage zu bleiben und nicht auf eine Erzählung umzuschweifen. Aber auch das haben wir am Schluss besser geschafft als am Anfang. Die Befragung war eigentlich ganz leicht, da uns der Großteil der Befragten ausführliche Antworten gegeben hat. Wir wussten zuerst nicht, welche Art von Fotos wir für unsere Reportage verwenden sollten. Wir entschieden uns schließlich für Wahlplakate, die wir in Massen in den Straßen fanden. Uns fiel es schwer, ein Foto auszuwählen, da wir so viele Fotos hatten und nicht alle in die Reportage mit einbeziehen konnten.“ Diese Aussage ist Ausdruck des Bewusstseins über die Grenzen eigener Kompetenz und des Gefühls, diese nicht erweitern zu können. Sie ist im Hinblick auf die Anforderung an die Textform Reportage und an das Fotografieren im Hinblick auf die ausgewählte Frage- und Urteilsperspektive formuliert. Sie ist auch Ausdruck des Ungewohntseins und der Erstmaligkeit einer solchen Aufgabe. Zu erwarten ist, dass zwar nicht immer dieses Gefühl des ‚Nicht-Schaffen-könnens‘ verschwindet, wohl aber dass eben die Grenzen hinausgeschoben werden, durch Wiederholung, durch Einübung, durch eben die Normalität einer integrativen Fotoarbeit in den Politik- und Sowi-Unterricht.
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Kuno Rinke
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Sich ein eigenes Bild machen – Über den dokumentarischen und magischen Umgang mit Fotografie im Pädagogikunterricht Edwin Stiller
„Die Kamera lügt immer über das, was vor ihr ist, aber nie darüber, was hinter ihr ist. Bei der Fotografie wird also nur die Absicht, die hinter der Kamera steckt, wahrhaftig abgebildet, was davor ist, ist immer nur eine Annäherung an die Wahrheit.“ (Wolfgang Tillmans, Fotograf )
Einleitung Der massenhafte Gebrauch der Fotografie im digitalen Zeitalter hat die alte Debatte um Objektivität und Manipulation, die die Fotografie in ihrer Geschichte immer begleitet hat, erneut auf die Tagesordnung gebracht. Am Ende dieses Beitrages werde ich darauf zu sprechen kommen. Eine grundsätzliche Einordnung des Mediums und ihrer Nutzung durch Erziehungs- und Sozialwissenschaften habe ich an anderer Stelle vorgenommen (vgl. Stiller 2001 und 2004). Daher möchte ich in diesem Beitrag unmittelbar zum Thema kommen, es grundlegen, am Beispiel illustrieren und dann verallgemeinernde fachdidaktische und fachmethodische Perspektiven aufzeigen. Wenn man die Aussage von Tillmanns, einem der erfolgreichsten deutschen Fotografen der Gegenwart, ernst nimmt, ist es entscheidend, sich mit den Menschen hinter der Kamera zu befassen, um einordnen zu können, welche Botschaften in ihren Fotografien enthalten sind. Daher stehen am Anfang zwei exemplarische Kurzportraits.
1. Eugen Sauter und Herbert List – zwei soziale Gebrauchsweisen der Fotografie Eugen Sauter, von Beruf Lehrer in einem Dorf auf der schwäbischen Alb, Amateurfotograf mit dokumentarischem Anspruch, hat das dörfliche Leben in den 50er Jahren als Chronist festgehalten. Seine Fotos wurden erst Mitte der 90er Jahre entdeckt, u.a. von der Zeitschrift GEO. Er veröffentlichte sieben Fotobände, u.a. über das Schulleben in dieser Zeit. „Der Lehrer beginnt zu fotografieren, ohne jede professionelle Ambition, ohne große technische Raffinesse, aber mit einem klaren Motiv: Er will etwas lernen. Eugen Sauter möchte die Dorfjugend, die da vor ihm sitzt, die er ausbildet und auf das Leben vorbereitet, besser verstehen. ‚Ich musste die Erfahrungswelt meiner Kinder doch kennen!‘, sagte er. Er wird zum Chronisten des Dorflebens und, im Nachhinein betrachtet, zum Soziologen mit der Kamera, dem im Laufe der Jahre die akribische Inventur einer bäuerlichen Welt gelingt, die keine Zukunft hat.“ (Wenderoth 2003: 129) Sauter repräsentiert so eine sozialdokumentarisch-forschende Gebrauchsweise der Fotografie, die verstehen, aufzeigen und unterstützen will.
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Edwin Stiller
Herbert List1, in einem großbürgerlichen Hamburger Kaufmannsmilieu sozialisiert, macht seine bekanntesten Fotos in den 40er, aber auch in den 50er Jahren, verfolgt völlig andere Absichten. Inspiriert durch die surrealistische Bewegung, ist er den Aussagen hinter der Oberfläche der Dinge auf der Spur. „Es ist möglich, dass das Photo von einem rauchenden Dunghaufen besser den Eindruck von einem dunklen Berge, über den Nebelschwaden dahinziehen, vermittelt als das Bild vom Berge selber. Der neue Sinn kann an die Stelle des eigentlichen treten, indem er das Ding seiner ursprünglichen Bedeutung beraubt, oder kann als zweiter Sinn, als Symbol für eine Vision, die gar nichts mit dem ersten zu tun haben braucht, hinzukommen. … Wer ein Organ für das Übersinnliche hat, wird zugeben, dass der Photographie bei aller Technik eine tiefe Magie innewohnt.“ (List 1943) List gilt als Vertreter des Magischen Realismus in der Fotografie, dem es primär um symbolhafte Aussagen über den „Sinn hinter den Dingen“ geht. In seiner „Fotografia Metafisica“ (Metken) gesteht er jedem Fotografen und jedem Betrachter seine jeweils eigene Wirklichkeit zu (vgl. Pohlmann 1999). Diese beiden Fotografen repräsentieren mit ihren klaren Selbstkonzepten Gegenpole der sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie, so wie sie auch im digitalen Zeitalter zu finden sind. Diese Gegenpole schließen sich aber nicht gegenseitig aus, vielmehr ergänzen sie sich und vermischen sich auf den Ebenen der Produktion und Rezeption. So ist das Aufmacherbild des 50er Jahre Kapitels in Phoenix (Dorlöchter/Stiller 2005: 181, s. Anhang) von Robert Doisneau ein gutes Beispiel dafür, wie ein „poetischer Realist“, ein Chronist des großstädtischen Lebens in Paris, Momente in dokumentarischer Absicht festhält, die von tiefer Symbolkraft sind und deren symbolhafte Aussage die abgebildeten Fakten völlig überlagern. Von Doisneau wissen wir inzwischen auch, dass er der Symbolkraft durch Inszenierung nachgeholfen hat, so ist sein berühmtes Kussbild kein Zufallsprodukt sondern sorgfältig inszeniert und komponiert (vgl. Gautrand 2003).
2. Die visuelle Aneignung einer anderen Zeit, aufgezeigt am Schulbuchkapitel „Als ich in Deinem Alter war – Erziehung in den 50er-Jahren“ Nicht zuletzt die „Neuen Medien“ haben in den letzten Jahren dem Visuellen in der erziehungsund sozialwissenschaftlichen Forschung einen Bedeutungszuwachs (vgl. Moser 2005) verschafft, der unter der Überschrift „Iconic-Turn“ auch im Internet dokumentiert wird: „Bilder prägen zunehmend unsere Sicht der Welt. Längst sind sie nicht mehr allein Reflex kulturellen Handelns. Mit der Erfindung der Fotografie, ihrer Verbreitung durch die Massenmedien und der Entwicklung der Computertechnologie hat sich zugleich der Stellenwert des Bildlichen in Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft gewandelt.“2 Dazu kommt, dass die Fortschritte der digitale Technik es erlauben, die Fotografie und die Videotechnik immer problemloser zur Datenerhebung einzusetzen und mit Programmen der quantiativen und qualitativen Datenanalyse auszuwerten.
1 Aus urheberrechtlichen und Kostengründen können hier keine Fotos von List abgedruckt werden. Sie sind in vielen Bänden verfügbar und auch über die Google-Bilddatenbank einzusehen. 2 In meinen Beiträgen aus den Jahren 2001 und 2004 habe ich dies beispielhaft für die Erziehungs- und Sozialwissenschaften aufgezeigt
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Der Quellenwert der Fotografie „…resultiert aus der Vielfalt ihrer bildlichen und medialen Eigenschaften, und damit ist auch das pädagogische Wissen in Fotografien auf ganz verschiedenen Ebenen verborgen: im medialen Bereich dort, wo sich der Einfluss des Auftraggebers bzw. des Produzenten, also des bzw. der Fotograf/in, ausdrückt, dann in der Art der Verwendung der Aufnahme. Auf der bildlichen Ebene finden sich Hinweise dort, wo die bzw. der Abgebildete selbst Spuren im Körperausdruck, im Blick oder in der Mimik und Gestik hinterlässt, in den konventionellen oder subjektiven Codierungen der Fotografie genauso wie in den materialen Informationen. Darüber hinaus in der Art der Verwendung oder kontextuellen Einbindung und nicht zuletzt auf der rezeptiven Ebene bei den Reaktionen der Betrachterin oder des Betrachters.“ (Mietzner/Pilarczyk 2005: 95 f ). Fotografie bieten also vielseitige Anknüpfungspunkte zur curricular-inhaltlich eingebetteten Analyse3 von pädagogischen Problemstellungen. Im Schulbuchkapitel zur „Erziehung in den 50er-Jahren“ eröffnet die Aufmacherseite mit dem schon angesprochenen Foto „Die Schuluhr“ die Möglichkeit, die Symbolkraft der Fotografie für die individuelle Assoziationsarbeit mit den Schülerinnen und Schülern zu nutzen, um Thesen und Fragen zu entwickeln, die auch das Vorwissen und die Vor-Einstellungen der Lerngruppe zu dem Zeitkontext der 50er-Jahre einbezieht. In Verbindung mit der Folgeseite, deren Aussagekraft auch mehr vom Symbolgehalt der Bilder als von der Faktizität des abgebildeten Vorgangs abhängt, lassen sich so die „Wirklichkeiten“ der Schülerinnen und Schüler, ihre Sichtweise auf die 50er-Jahre erschließen und für die Entwicklung leitender Problemstellungen nutzen. Das Thema „Kind sein in den 50er-Jahren“ wird in den folgenden 14 Schulbuchseiten mit Hilfe von Originalquellen, Sekundärtexten, erziehungswissenschaftlichen Analysen zum Wandel von Erziehungszielen und Erziehungsstilen grundgelegt. Vor diesem Hintergrund kann dann eine tiefer gehende analytische Arbeit mit den Fotoseiten 196 – 199 (s. Anhang) stattfinden. Die Lebenswelt und die Schulkultur der 50er werden anschaulich greifbar, in ihrem Kontrast zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler heute erfahrbar und in vielfältiger Dimensionierung (Lebensstandard, Konsum, Geschlechtsrollen, Medienwelt…) analysierbar. Die Beschreibung des medienspezifischen Charakters der Fotografie erlaubt es, auf der Metaebene die Perspektivität von Wahrnehmung und medialer Darstellung zu thematisieren. Abgerundet wird die Auseinandersetzung mit dem Bildmaterial durch die methodische Aufforderung, im Kurs eigene Fotos als Repräsentation der Gegenwart herzustellen und so die vergleichende Betrachtung visuell zu bereichern.
3. Fachdidaktische und fachmethodische Perspektiven der Fotoarbeit im Pädagogikunterricht In der Dialogischen Fachdidaktik Pädagogik (DFD) habe ich, angelehnt an das Bildungsverständnis des UNESCO-Lernberichts für das 21. Jahrhundert, vier fachdidaktisch begründete Zielfelder beschrieben (vgl. Stiller 1997 und 1999). Daran orientiert lassen sich folgende fachdidaktische und fachmethodische Nutzungsmöglichkeiten des Mediums Fotografie aufzeigen
3 zum methodischen Verfahren im Pädagogikunterricht und in der politischen Bildung siehe Stiller 1999 und 2004
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Edwin Stiller
Säulen der Bildung
Zielfelder der DFD
Learning to be
Biografie
Learning to live together
Interaktion
Learning to handle
Erziehungspraxis
Learning to know
Erziehungstheorie
Fachdidaktische Zielperspektiven der Arbeit mit Fotografie
Fachmethodische Möglichkeiten der Arbeit mit Fotografie
Identitätsarbeit, Vergewisserung der eigenen Wahrnehmungsmuster
Selbst- und Fremdportrait Assoziative Arbeit Dokumentation der eigenen Entwicklung
Austausch von Wahrnehmungen Bewusstmachung von Perspektivität Perspektivwechsel
Selbst- und Fremdportrait Dokumentierte und inszenierte Wirklichkeit Auseinandersetzung mit Eigenem und Fremden
Dokumentation von realer und simulierter, eigener und fremder Erziehungspraxis
Eigene Fotoproduktion „Fotoevaluation“ (Schratz) Analyse von Fotomaterial aus pädagogischen Kontexten
Chancen und Probleme der Nutzung visueller Quellen
Analyse von Fotos Medienspezifischer Charakter / Fotosprache Qualitative Methoden
Sich ein eigenes Bild machen
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Ausblick: Digitale Perspektiven Die digitale Technik erlaubt es, sich die Welt am Rechner aus vielen Einzelbildern zusammenzupuzzlen, sie so neu zu erfinden und zu gestalten – und dies in einer solchen Perfektion, dass das Synthetische verborgen bleibt. In der klassisch-analogen Fotografie gab es grundsätzlich vergleichbare Manipulationsmöglichkeiten. Die Zahl der technischen Entscheidungen, die man auf allen Stufen des Produktionsvorganges treffen kann sind aber wesentlich größer geworden (vgl. Hagen 2005). Da im Kern diese Manipulationsmöglichkeiten auch dem einfachen Amateur zur Verfügung stehen, kann man davon ausgehen, dass sich die medienpädagogische Kompetenz – hier als Fähigkeit, die Möglichkeiten des Mediums einschätzen und nutzen zu können, stark verbessert hat. Diese Form der aufgeklärten Nutzung hat auf der ästhetischen Seite die Konsequenz, dass ambitionierte und professionelle Fotografen heute weniger das dokumentarische Abbild suchen, als vielmehr den symbolischen Sinn (vgl.ebd.), im Listschen Sinne, die Wahrheit hinter den Dingen abzubilden versuchen – vergleichbar mit dem Pianisten, der den Synthesizer anders nutzt als den Konzertflügel. Eine politisch-gesellschaftliche Perspektive des digitalen Zeitalters ist die Tatsache, dass durch massenhaften Gebrauch der digitalen Technik, einschließlich ihrer neuen Distributionsmöglichkeiten über Handy, Internet und hier vor allem Weblogs, die Idee von Brecht und Enzensberger, die Empfänger zu Sendern zu machen und somit das Medium und die politische Kommunikation zu demokratisieren, neue Chancen erhält.
Anhang:
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Edwin Stiller
Sich ein eigenes Bild machen
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Edwin Stiller
Sich ein eigenes Bild machen
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Edwin Stiller
Sich ein eigenes Bild machen
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Edwin Stiller
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Der „gedehnte Blick“ und die Geschichtsdidaktik – Fotografie als Quelle und Medium historischen Lernens – Christian Heuer
Abb. 1: (Privatbesitz)
„Wir alle sind trainiert im schnellen Anschauen von Bildern, weil wir anders mit der Bilderflut um uns herum nicht fertig werden können. Wenn wir dagegen ein Bild vor unseren Augen sozusagen anhalten und es über die vorab zugebilligte Zeit betrachten, kommt das zustande, was wir den gedehnten Blick nennen können.“ (Genazino 2005: 42)
1. Historische Orientierung und Fotografie Das „schnelle Anschauen“ der durch Internet, Printmedien, Fernsehen und Werbung massenhaft verbreiteten Bildern und Fotografien hat auch das Funktionssystem Schule und hier den Kernbereich der geschichtsdidaktischen Forschung, den schulischen Geschichtsunterricht, erreicht. Gerade die Schülergenerationen der achtziger und neunziger Jahre leben in einer Zeit der „Renaissance des historischen Interesses“ und des „Geschichts- und Memory-Booms“ (vgl. Rüsen 1994: 3; Winter 2001), der sich in zahlreichen geschichtskulturellen Objektivationen äußert. Sei es in Filmen wie „Der Untergang“, „Troja“ oder „Sophie Scholl“; in den Dokutainments Knopp’scher Prägung oder in der Verbreitung unzähliger Bilder und Fotografien mit historischem Inhalt. Die dabei vermittelten Bilder der Vergangenheit, die „Vergegenwärtigung von Vergangenheit“ (Hamann 2006: 4) sind dabei immer medial vermittelt, für die deutsche Zeitgeschichte im besonderen durch die Fotografie. So bedient sich dabei nicht nur die außerschulische Geschichtskultur der Suggestionskraft dieser unbewegten Bilder, sondern auch die Schulgeschichtsbücher sind voll von Fotografien. Mit
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Christian Heuer
ihrer Verwendung geschichtsträchtiger Ikonen, wie jenes des „Rosinenbombers“ über den wartenden Berlinern von Henry Ries (vgl. Bickel 2002) scheinen sie meist einem rein illustrativen Zweck genügen, ohne dass die spezifischen Lernpotenziale der Fotografie als Quelle und Medium historischen Lernens eigens thematisiert werden. Die Spannweite der eingesetzten Fotografien reicht hier von der Verwendung der Fotografie als historische Quelle (Abbild) bis hin zur reinen Illustration bereits - angeblich - bekannter Inhalte. Aber nicht nur im Schulgeschichtsbuch wurde auf die modernen Sehgewohnheiten der Schülerinnen und Schüler reagiert. Auch in den unterschiedlichen Phasen des Unterrichts werden aussagekräftige Fotografien zur Motivation, Erarbeitung und besonders zur Ergebnissicherung von den Lehrkräften eingesetzt (vgl. Schneider 2004: 72). Dabei spielt die ikonographische und ikonologische Analyse anhand von transparenten Kriterien, die sich an der historischen Methode der Quellenkritik orientieren, eine untergeordnete – eher wohl jedoch überhaupt keine – Rolle. Dass aber Fotografien mehr sind als reine Ausschnitte vergangener Wirklichkeit, sondern vielmehr wichtige Bestandteile gesellschaftlicher Kommunikation und damit nur in ihren Kontexten aussagekräftige Quellen und Medien für das historische Lernen darstellen, wurde bis weit in die achtziger Jahre hinein in der geschichtswissenschaftlichen Diskussion nicht näher beachtet (vgl. Fritzsche 1996; Wilharm 1995). Und das obwohl es die Geschichtsdidaktik seit Mitte der siebziger Jahre gerade mit der Annahme des Begriffes „Geschichtsbewusstsein“ als fundamentaler Kategorie „zu tun [hat] mit dem Geschichtsbewusstsein sowohl in seiner Zuständlichkeit, den vorhandenen Inhalten und Denkfiguren, wie in seinem Wandel, dem ständigen Um- und Aufbau historischer Vorstellungen, der sich stets erneuernden und verändernden Rekonstruktion des Wissens von der Vergangenheit.“ (Jeismann 1977: 12). Die Geschichtsdidaktik fragte und fragt, ob, wie und was man bei der Auseinandersetzung mit Vergangenheit(en) und den Ergebnissen der empirischen Forschung lernt, lernen kann, aber auch was man lernen sollte, demnach was der Orientierung in Gegenwart und Zukunft sowie der Entwicklung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins dienlich ist. Ebenso wie sich die Geschichtsdidaktik seit Ende der 70er Jahre nicht mehr ausschließlich mit Begründungs- und Vermittlungsfragen verbindlicher Inhalte im Geschichtsunterricht beschäftigt, sondern sich unter Bezug auf die Kategorie Geschichtsbewusstsein mit den Voraussetzungen, Bedingungen, Medien und Auswirkungen der Rezeption von Geschichte im Bewusstsein von Individuen und Kollektiven auseinandersetzt, genauso ist auch und gerade das historische Lernen spätestens seit Mitte der achtziger Jahre und der „Demokratisierung des Schulwissens“ (Oelkers 2003: 43) keine alleinige Aufgabe des schulischen Geschichtsunterrichts mehr. Denn nicht nur die empirische Forschung, sondern auch und besonders der Geschichtsunterricht hat es mit einem ganzen Ensemble von geschichtsvermittelnden Instanzen und Institutionen zu tun, die die „Deutungshoheit“ der Geschichtswissenschaftler in Zweifel ziehen und sich dabei solcher Wissensbeständen bedienen, die oftmals der wissenschaftlichen Rationalität nicht standhalten. Gerade in diesen Diskursen der Geschichtskultur feiert die suggestive und unreflektierte Verwendung der Fotografie fröhliche Urständ. Bei der Fotografie handelt es sich um ein spezifisch und genuin geschichtsdidaktisches Medium, denn „der Um- und Aufbau historischer Vorstellung“ und die sich ständig erneuernde „Rekonstruktion der Vergangenheit“ (Jeismann 1977: 12), also unsere „Bilder der Vergangenheit“, stellen in erster Linie Fotografien dar und orientieren sich an solchen. Fotografien sind aber nur Artefakte, die erst durch die Offenlegung der verschiedenen Kontexte (Einstellung, Produktion, Zeit, Absicht, Technik etc.) und ihrer Verwendung (Bildgedächtnis, Ikonen, Erinnerung etc.) zu Quellen historischer Erkenntnis werden können. Da sich aber historisches Lernen ungeachtet der jeweiligen Kontexte anhand von Fotografien vollzieht, ist es gerade die Aufgabe einer Geschichtsdidaktik, diese Kontexte und Funktionen des kollektiven Bild-
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gedächtnisses und der außerschulischen Geschichtskultur transparent zu machen. Folgerichtig muss es das Ziel eines modernen Geschichtsunterrichts sein, die Schülerinnen und Schüler über ihre Schulzeit hinaus dazu zu befähigen, sich am und im geschichtskulturellen Diskurs ihrer Gegenwart, der in erster Linie ein Diskurs der Bilder ist, zu orientieren (vgl. Krings in diesem Band).1
2. Fotografie, Geschichte, Erinnerung – Je technischer ein Medium, desto glaubhafter sein Inhalt? „Zeigen Fotografien Geschichte?“, so lautete der Titel des Tagungsbandes, der die Vorträge einer gleichnamigen Tagung im Sommersemester 2004 an der Universität Freiburg zusammenfasst (vgl. Fotogeschichte 2005). Obschon die Frage nicht eindeutig zu beantworten ist und sich dabei unterschiedliche theoretische Konzeptionen gegenüberstehen (vgl. Stiegler 2005), so wird doch auch der Laie kaum bezweifeln können, dass es zwischen dem Medium der Fotografie und der Kategorie Geschichte enge und zahlreiche Verbindungen und Überschneidungen gibt. Warum aber stellte sich das Verhältnis zwischen der Fotografie und der Kategorie Geschichte als ein solch diskussions-, ja, regelrecht streitmächtiges Thema dar? Denn dass wir uns Geschichte in Bildern, für das zwanzigste Jahrhundert in der Regel in Fotografien oder mit Hilfe derer vorstellen, dass sich unsere Erinnerung an historische Ereignisse in und mit Fotografien als „Fixpunkte“ und „materielle Aufhänger“ vollzieht, scheint eine banale und triviale Erkenntnis zu sein (vgl. Korff 1999: 319f ). Mehr noch: Fotografie und Geschichte schienen seit jeher eng aufeinander bezogen zu sein. Denn durch die scheinbare Simultaneität von fotografiertem Geschehen und fotografischer Aufzeichnung wurde der Fotografie von Beginn an die Funktion zugesprochen, einen präzisen Augenblick „einzufangen“, der bereits im Zuge des Fotografierens ein vergangener war. „Ein Augenblick nur, dann ist alles Vergangenheit.“ (Langer 2004). Verbunden mit der abschließenden Fixierung auf einen chemischen Träger und der zeitlichen Konservierung wurde der Fotografie die Authentizität des faktisch Gewesenen zugesprochen: „Dem Historismus geht es um die Photographie der Zeit“, nannte dies Siegfried Kracauer (Kracauer 1990: 85). Auch die Nationalsozialisten waren sich der Macht der Fotografie und des Technizismus des Mediums bewusst: je technischer ein Medium, desto glaubhafter sein Inhalt. „Wir glauben an die Objektivität der Kamera und sind skeptisch gegen das, was uns durch Gehör oder durch Lettern vermittelt wird“.2 So äußerte sich der spätere Propagandaminister zum Stellenwert der Fotografie. Die Hoffmannsche Inszenierung des Führers spiegelt diese Ansicht in nuce wieder (vgl. Herz 1994).
3. (Historischer) Kontext und Quelle Um zu zeigen, wie es denn gewesen ist, bediente und bedient man sich seit deren Erfindung des Mediums Fotografie. Keine Urlaubsfotografien, keine Hochzeitsbilder, keine fotografischen Heimatgrüße aus dem Schützengraben und kein fotografierender „Homo Faber“ ohne diese der
1 Vgl. zum Zusammenhang von Zeitgeschichte und Geschichtsdidaktik Voit 2004 und Heuer 2005. 2 Joseph Goebbels im Ausstellungskatalog Druck und Reproduktion. Betreibsausstellung auf der „Kamera“. Berlin 1933. Heft 2, S. 3ff.
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Fotografie inhärente Vorstellung.3 Trotz dieser „virtuellen“ dokumentarischen Authentizität bleibt die Fotografie als künstliche Objektivation „sprachlos“, bleibt ein stummer „Ausschnitt“ der Wirklichkeit, dem erst durch die Einbettung in andere Medien „Sinn“ und Bedeutung zugesprochen wird. Die Rekonstruktion der Vergangenheit durch das Medium der Fotografie ist demnach gebunden an den jeweiligen Kommunikationskontext. Das einzelne Foto als solches erzählt noch keine Geschichte. Erst die Re- und Dekontextualisierung durch Sprache und Text macht aus dem medialen Artefakt ein „historisches Foto“, das seinerseits Vergangenheit evoziert und Geschichte(n) erzählt. So stellt die Beziehung zwischen Fotografie und Text eine sie konstituierende dar: Fotografien entfalten ihre „Geschichte“ im sprachlichen Kontext und werden erst durch sprachliche Kontextualisierungen zu Medien und Quellen der Erinnerung und Vergegenwärtigung (vgl. Jäger 2005: 189) und letztendlich zu Quellen und Medien historischen Lernens.4 Letztlich können Fotografien mehr sein als alltagsgeschichtliche Quellen und historische Dokumente für ein stattgefundenes Ereignis, wie z. B. für den Händedruck von Potsdam. Gerade durch die Einbeziehung der unterschiedlichen Subtexte und deren Analyse lassen sich Fotografien als historische Quellen interpretieren und reichen somit über die dokumentarische Aussagekraft der Fotografie als Abbild hinaus: „Der Reichtum der Photographie ist tatsächlich alles das, was nicht in ihr enthalten ist, was wir vielmehr in sie hineinprojizieren oder mit ihr verbinden.“ schrieb Edgar Morin bereits Ende der fünfziger Jahre (Morin 1958: 28).
4. „Ikonen der Erinnerung“ Für einzelne Fotografien zur Zeitgeschichte gilt diese Einsicht in verstärktem Maße. Diese „Ikonen der Erinnerung“5 füllen das kollektive Bildgedächtnis und sind zu „Erinnerungsorten“ geworden, die fest im kulturellen Gedächtnis der Deutschen verankert sind. So können Fotografien, wie z. B. der kniende Willy Brandt (vgl. Hein-Mooren 2004), die schreiende Kim Phùc (vgl. Paul 2005), der erschossene Benno Ohnesorg oder die Fotografien mit den schockierenden Szenen aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern (vgl. Knoch 2001), identitätsstiftende Funktionen übernehmen und werden in unterschiedlichsten Diskursen – und nicht zuletzt im Schulgeschichtsbuch (vgl. Heuer 2006) – streng rekonstruktiv verwendet.6 Da aber auch und besonders die Rezeption der Fotografien als eine soziale Praxis anzusehen ist, die wiederum gebunden ist
3 Umso größer die Bestürzung der Betrachter, wenn sich herausstellt, dass es sich bei dem „Dagewesenen“ um eine arrangierte, gesteuerte oder manipulativ verwendete Fotografie handelt. So erregte die Nachricht, dass es sich bei der berühmten Fotografie von Robert Doisenau, auf dem sich zwei Liebende in der Nähe des Pariser Rathauses küssen, und das seit seiner Veröffentlichung in den fünfziger Jahren als das Bild der romantischen Liebe rezipiert und zitiert wird, um ein gestelltes Foto handelte, heftige Anfeindungen und Aufgeregtheiten. Vgl. Sontag 2003. 4 Michael Sauer unterscheidet bezüglich des Quellenwerts der Fotografie vier verschiedene Aspekte: Realienkunde (Aussagen über das historische Erscheinungsbild), Ereignisgeschichte (Fotografie als „Beweis“), Kultur- und Mentalitätsgeschichte (Hinweise auf Haltungen, Einstellungen etc.), Rezeption und Wirkung („Schlüsselbilder“, Rezeptionsgeschichte). Vgl. Sauer 2002: 10f. 5 Seit mehreren Jahren wird häufig der diskussionswürdige Begriff der Ikone in Zusammenhang mit Fotografien verwendet, denen ihrerseits eine hohe Symbolkraft zugesprochen wird. Manche gehen soweit, den Begriff für das ganze Medium der Fotografie zu verwenden. Vgl. Maynard 1983. Für eine Definition des Begriffes siehe bei Brink 1998: 231-241; Sauer 2000: 163f; Uhl 1994. 6 Vgl. Reiche 1998: 8-17; Welzer 1995; Ruchatz 2001.
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an die unterschiedlichen Rezeptionskontexte, sind Fotografien demnach in erster Linie nicht dazu in der Lage, Beweismaterial für die Authentizität des dargestellten Ereignisses zu liefern, sind nicht unmittelbar Dokumente von Realität, können nicht rein illustrativ eingesetzt werden und sind demnach „Überrest und Tradition, Quelle und Darstellung zugleich“ (Treml 1997: 289). Fotografien sind als Artefakte und Erinnerungsikonen selbst Deutungen von historischen Ereignissen, die ihrerseits „Geschichte machen“, indem sie die Einstellungen und Verhaltensweisen von Personen nachhaltig beeinflussen. Solcherlei „Fotoikonen“ schaffen eine neue „Wirklichkeit“, die sich durch ihre symbolische Aufgeladenheit vom reinen Abbild eines historischen Moments unterscheiden (vgl. Hamann 2002; Popp 2004: 23ff; Bühl-Kramer 2006: 15). „Bilder,“, so schreibt der Schriftsteller Uwe Timm über das Foto des erschossenen Freundes Benno Ohnesorg, „die sich ins Bewusstsein einsenken, eine hochverdichtete, aus sich heraus sprechende Situation zeigen und so rationale Einsichten emotional aufladen und an die eigene Handlungsfähigkeit appellieren. Ein Kraftstoß, der nicht durch Einsicht immer wieder erneuert werden muß, sondern langanhaltend wirkt: Du musst dich ändern. Du musst etwas tun.“ (Timm 2005: 117). Solcherlei Fotografien prägen durch ihre zum Teil hoch rhetorische, ästhetische und moralische Gestaltung das individuelle und öffentliche Geschichtsbewusstsein und sind Teil des kulturellen Gedächtnisses und der Geschichtskultur. Fotografien wie die der schreienden Kim Phuc von Nick Uts, die Erschießung eines Vietcong auf offener Straße, der zerstörten Twin Towers oder die der Eingangspforte von Auschwitz-Birkenau, sind mehr als nur technisch fixierte Ausschnitte vergangener Wirklichkeit, sondern gleichzeitig Fix- und Brennpunkte öffentlicher Geschichts- und Erinnerungspolitik (vgl. Bühl-Kramer 2006; Hamann 2005).
5. Fotografie und historische Sinnbildung – Visual und iconic turn Trotz der zahlreichen Analogien zwischen Fotografie, Geschichte und historischem Lernen hat es sich sowohl die Geschichtswissenschaft mit der Fotografie als Quelle als auch ihre „Schwester“, die Geschichtsdidaktik (vgl. Weymar 1982), mit der Fotografie als Medium historischen Lernens bis weit in die achtziger Jahre hinein schwer getan (vgl. Jäger 2000: 17-40). Genuin geschichtswissenschaftliche bzw. geschichtsdidaktische Ansätze fristeten weitestgehend ein Schattendasein.7 Erst mit der kulturgeschichtlichen und geschichtskulturellen Wende innerhalb der Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik zu Beginn der 90er Jahre und in der jüngsten Zeit durch den Paradigmenwechsel innerhalb den Kultur- und Sozialwissenschaften hin zu „Erinnerung und Gedächtnis“ wurde und wird der Fotografie als Medium und Quelle eine größere Aufmerksamkeit zuteil. So liegen mittlerweile zahlreiche Sammelwerke und Monografien vor, die sich mit der Fotografie als Quelle und Medium in unterschiedlichen historischen Kontexten auseinandersetzen.8 Auch in der Ausschreibung der Sektionen für den im September 2006 in Konstanz unter dem Thema „GeschichtsBilder“ stattfindenden Historikertag wird der veränderten Stellung Rechnung getragen: „Bilder werden eine immer wichtigere Quelle für die historische Forschung und zugleich auch als Darstellungsmittel historischen Wissens immer zentraler.“9
7 Vgl. Neifeind 1986; Borries 1988; Ruppert 1986; Hanning 1988; Pandel 1988. 8 Vgl. in Auswahl Hartewig/ Lüdtke 2004; Hartewig 2004; Holzer 2003; Paul 2004. 9 www.uni-konstanz.de/historikertag/programm-ausschreibungsektionen.php?print
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Dabei nahm die gegen Ende der neunziger Jahre geführte Diskussion um den „Quellenwert“ des Mediums Fotografie anlässlich der ersten Wehrmachtsausstellung10 die Funktion einer Initialzündung ein. Ausgehend von falschen Bildunterschriften diskutierte man innerhalb der Geschichtswissenschaft die Rolle und Funktion der Fotografie als Quelle und Medium historischen Lernens und verwies dabei besonders auf die starke Suggestivkraft der Fotografie, die bis dato nicht – in Abgrenzung zu Quellen, Zeugenaussagen etc. – zum klassischen „Handwerkszeug des Historikers“ zählte, wie der Freiburger Zeithistoriker Ulrich Herbert in einem Zeitungsinterview noch 1999 hervorhob. 11 Gerade durch die Auseinandersetzung mit Fotografien zu den Verbrechen des Nationalsozialismus hat sich eine kritische und sensible Auseinandersetzung mit den Fotografien und deren Gebrauch entwickelt, besonders was die Darstellbarkeit des „Unfassbaren“ und die Frage nach der Täter- und Opferperspektive beinhaltet.12 Aber auch innerhalb der Geschichtsdidaktik macht sich der zu Beginn der neunziger Jahre vollzogene „iconic oder visual turn“13 bemerkbar. Auch hier liegen mittlerweile zahlreiche Aufsätze zum historischen Lernen mit und an Fotografien vor.14 Dabei weiten neuere geschichtsdidaktische Ansätze, die sich an diskursanalytischen und kulturgeschichtlichen Fragestellungen orientieren, das weit verbreitete Analyseschema Erwin Panofskys auf die Verwendung der Fotografien in unterschiedlichen Diskursen und auf den unmittelbaren und den weiteren historischen Kontext aus (vgl. Panofsky 1975; Buntz 2006: 12). So sollte die vorikonographische Beschreibung der Fotografie (Bildbetrachtung, Ersteindruck etc.), die ikonographische Analyse (Bildbeschreibung, Frage nach Intention, Kontext etc.) und die klassiche ikonologische Beschreibung (Bildinterpretation, Kontextualisierung, Symbolgehalt etc.), also die immanente Analyse der vorliegenden Fotografie, ergänzt werden und einhergehen mit einer exmanenten Analyse, bei der besonders die weitere gesellschaftliche, politische oder ästhetische Verwendung der Fotografie von Interesse ist (s. Abbildung 1).15 Stichworte hierzu wären: die Verankerung der Fotografie im kollektiven Bildgedächtnis, die im Laufe der Zeit möglichen Überschreibungen und Bildfälschungen (Retusche, Veränderung des Bildausschnittes etc.)16, die Frage nach der Orginalität des Dargestellten (Abbild oder Inszenierung), die Frage nach den womöglich später angebrachten Bildunterschriften, die weitere Kontextualisierung und die Generierung neuer „Wirklichkeiten“ und Rezeptionszusammenhänge in den unterschiedlichen historischen Bilddiskursen (vgl. Hanning 1997). Aber nicht nur auf einer eher theoretischen Ebene wurde der Fotografie als Medium und Quelle eine größere Aufmerksamkeit zuteil. Mittlerweile liegen auch Beispiele für methodische Lernarrangements vor, die sich den neueren Fragestellungen verpflichtet fühlen, und die versuchen
10 Diese wurde am 5. März 1995 in der Kampnagelfabrik in Hamburg eröffnet. Vgl. Vernichtungskrieg 1996; Prantl 1997; Voit 2000; Schmidt-Neuhaus 1999. 11 Fotos sind eine schwierige Quelle. BZ-Gespräch mit dem Freiburger Historiker Ulrich Herbert über die jüngste Kontroverse um die Wehrmachtsausstellung. In: Badische Zeitung vom 22. Oktober 1999. 12 Vgl. Brink 2004; Brink 2003; Brink 1998; Knoch 2001. 13 Boehm 1994; Roeck 2003; Pandel 1998: 157. 14 Vgl. in Auswahl Sauer 2002; Sauer 2000; Schönemann 2002; Wunderer 2000. 15 Bodo von Borries unterscheidet im Zusammenhang einer Bildanalyse folgende Ebenen der Betrachtung: Entstehungszusammenhang, Verwendungszusammenhang, Bedeutungszusammenhang, Erhaltungszusammenhang. Vgl. Borries 2005. Beispiele für den Geschichtsunterricht siehe bei Henke-Bockschatz 2002; Dobmeier-Feigl 2002. 16 Vgl. die zahlreichen Beispiele in: Bilder, die lügen 1998; Will 2006; King 1997.
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diese unterrichtspragmatisch umzusetzen und anzuwenden.17 Dabei schließt sich eine theoretisch fundierte Fotografieanalyse und eine handlungs- und schülerorientierte Erschließung keineswegs gegenseitig aus (vgl. Sauer 2003). Gerade lernpsychologische und neurowissenschaftliche Erkenntnisse machen deutlich, dass eine rein rezeptive Aneignung von Bildern und Fotografien (Betrachtung, Beschreibung, Interpretation) die vielfältigen Lernpotenziale der Quelle nicht wahrnimmt.18
6. Geschichtskulturelle Kompetenz (durch und anhand von Fotografien) als Orientierungswissen Nimmt man die Rolle der Schülerinnen und Schüler in ihrer Lebenswelt und ihrer spezifischen Gegenwart ernst, muss die Antwort auf die Frage nach Sinn und Funktion gegenwärtigen und zukünftigen historischen Lernens lauten, die Lernenden auf die sie umgebende Geschichts- und Erinnerungskultur vorzubereiten und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich mittels Vermittlung von Gattungs- und geschichtskultureller Kompetenz, an dem außerschulischen Diskurs über Geschichte als kritische und aufgeklärte Zeitgenossen teilzunehmen und sich in diesem orientieren zu können. Dass es sich bei diesem außerschulischen Diskurs um einen der Bilder und insbesondere um einen von der Fotografie dominierten handelt, muss hier als Marginalie genügen. Gerade aus diesen Gründen (Rolle der Fotografie, kollektives Bildgedächtnis, Orientierung) reicht es nicht aus, die Fotografie als rein illustratives Medium im Unterricht zu verwenden. Ein Unterricht, der eine Fotografie rein zur Illustration oder zur Ergebnissicherung einsetzt, steht einer modernen Geschichtsdidaktik und einem „guten“ Geschichtsunterricht (vgl. Barricelli/ Sauer 2006) diametral gegenüber und redet einem visuellen Analphabetentum der Schülerinnen und Schüler das Wort. Fotografien sind keine Abbilder vergangener Wirklichkeiten, spiegeln nicht die „historische Wirklichkeit“ wieder, sondern sind kulturell geformte Artefakte, die einer spezifischen Analyse und Interpretation bedürfen. Für den Geschichtsunterricht muss dies bedeuten, nicht allein bloßes Faktenwissen anzuhäufen und zu vermitteln oder geschichtskulturelle Objektivationen rein illustrativ und affirmativ zu verwenden, sondern vielmehr, Deutungswissen und gegenstandskonstitutive Methoden zu vermitteln und bereitzustellen (fachspezifische Methoden der Erkenntnisgewinnung; wissenschaftspropädeutisches Arbeiten), mit deren Hilfe sich die Schülerinnen und Schüler – auch über ihre individuelle Schulzeit hinaus – an und in diesem symbolträchtigen außerschulischen Bilderdiskurs beteiligen und orientieren können. Gerade vor dem Hintergrund der raschen Verbreitung digitaler Fotografien und digitaler Bildbearbeitung und der damit verbunden Möglichkeiten der Fälschung, Manipulation und Retusche, scheint auch hier die aufklärerische Intention historischen Lernens (Quellen- und Ideologiekritik) in Gestalt einer fachspezifischen Medienkompetenz zu ihrem Recht zu kommen (vgl. Bilderwelten und Weltbilder 2005), denn gerade in diesem außerschulischen Geschichtsdiskurs
17 Vgl. Pandel 2004; Pandel 2006; Werner 2006; Lagatz 2006; Brandt/ Weber 2006. 18 Vgl. hierzu die unterschiedlichen Inszenierungsformen und handlungsorientierten Verfahren bei Hamann 2006: 7. Diese reichen von der klassischen Rasterzeichnung, dem Overhead-Puzzle, dem Vergleich oder der Bildfälschung, bis hin zum sogenannten „Gallery Walk“, bei dem die Schülerinnen und Schüler an der Wand befestigte Fotografien mit Kommentaren und Bildunterschriften unterlegen oder die Handlung, bei der die Schüler aufgefordert werden, die in der Fotografie Dargestellten handeln zu lassen (Tagebucheinträge, Briefe etc.).
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steht nicht mehr die wissenschaftliche oder historische Authentizität der Argumente im Vordergrund, sondern vielmehr die moralischen, politischen und ästhetischen Intentionen. Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass das bislang im Geschichtsunterricht vermittelte Wissen anhand und über die Fotografie als Quelle und Medium dafür ausreicht, diese Intentionen kritisch zu durchdringen: Die Fähigkeit, Fotografien zu lesen, ist mehr als das alltagsweltliche „schnelle Anschauen“ der trivialen Geschichtskultur. Den „gedehnten Blick“ zu erlernen, bedeutet im und durch den Geschichtsunterricht die kulturelle Kompetenz zu entwickeln, die inhärent enthaltenen Intentionen der Fotografien zu erkennen, ihre Rolle und Funktion für die Identitätsbildung transparent zu machen, bedeutet von den Lehrkräften ein Wissen über Motive, Symbolisierungen, Bildtraditionen und Verwendungsweisen bereitzustellen, heißt aber auch, den Lernenden Einblicke in die technische Seite des Mediums zu verschaffen, muss demnach ebenso heißen, diese zentralen Elemente der geschichtskulturellen Kompetenz auch im Studium der angehenden Lehrkräfte stärker als bislang geschehen zu verankern. Es reicht längst nicht mehr aus, im Geschichtsunterricht zu zeigen „wie es eigentlich gewesen ist“ (Leopold von Ranke). Das Wissen über vergangene Wirklichkeiten muss auch das Wissen über die unterschiedlichen Erfahrungs-, Rezeptions- und Erinnerungsweisen dieser Wirklichkeiten umfassen (vgl. Voit 2005: 34). Hier kann der lang geforderte Brückenschlag zwischen Geschichte und Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler gelingen;19 kann den Schülerinnen und Schülern transparent gemacht werden, was das schulische Nachdenken über Vergangenes mit ihrer spezifischen Gegenwart und zukünftigen Lebenswelt zu tun hat (Gegenwarts- und Zukunftsbezug). In diesem Sinne und mit dem Ziel der Förderung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins muss es darum gehen, Möglichkeiten bereit zu stellen, Geschichte nicht als reinen „Stoff“ zu konsumieren, sondern sich vielmehr Geschichte als Vorstellung, als Fähigkeit zur historischen Sinnbildung zu erarbeiten, um dadurch zur Einsicht zu gelangen, dass sich Orientierung in der und durch die Geschichte immer unter dem Einfluss von Gegenwart und Zukunft vollzieht. Dafür bietet sich die Fotografie als Quelle und Medium exemplarisch an.
19 Vgl. Kuss 2001; Reeken 2004; Schönemann 2000; Schreiber 2001
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Der „gedehnte Blick“ und die Geschichtsdidaktik
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So fern und doch so nah – Fotografische Weltansichten im Geografieunterricht Gregor C. Falk
Im Idealfall lernen die Schülerinnen und Schüler Phänomene des Systems Erde-Mensch durch die unmittelbare Begegnung mit den Gegebenheiten vor Ort kennen. Da dies jedoch in den seltensten Fällen möglich ist, stellen Bilder, insbesondere Fotografien das wohl unverzichtbare Medium des Geografieunterrichts dar. Mit ihnen lassen sich quasi alle geowissenschaftlichen Aspekte selbst aus den entlegensten Weltgegenden auf unterschiedlichen Maßstabsebenen im Klassenzimmer abbilden. Das Spektrum reicht dabei von Detailaufnahmen, die zumeist Einzelphänomene auf der Mikroebene visualisieren (z.B. Personen, Alltagssituationen, Bodenprofile uvm.), über mesoskalige Abbildungen von Stadtstrukturen oder Geländeausschnitten bis hin zu großmaßstäbigen Darstellungen ganzer Erdteile, wie sie moderne Luft- und Satellitenbilder liefern. Aufgrund der zwingenden Notwendigkeit, auch unzugängliche Objekte und Sachverhalte im Unterricht zu veranschaulichen, zählen Bilder und Fotografien neben Karten zu den Urmedien des Faches. So reichen auch die mit dem Bildeinsatz verbundenen didaktischen Überlegungen weit in die Geschichte der Schulerdkunde hinein. Das alles geht nicht ohne sprachliche Erläuterungen. Bereits 1915 formuliert Fiege eine bislang unumstrittene Maxime der Bildbetrachtung im Geografieunterricht: „Erst spricht das Bild, dann das Kind und dann der Lehrer“ (Fiege 1915: 113). Seither haben sich die Einsatzpotenziale und methodischen Möglichkeiten vervielfacht, so dass der Geografieunterricht der Gegenwart über ein schier unerschöpfliches Reservoir an Bildquellen und technisch-methodischen Umsetzungsvarianten verfügt, die teils verbal kommuniziert werden müssen. Nicht zuletzt die digitale Revolution ermöglicht nunmehr eine eigenständige Weiterbearbeitung, vertiefte inhaltliche Durchdringung und Präsentation vorhandener oder selbst aufgenommener Fotos. Fotosafaries durch soziale Brennpunkte urbaner Siedlungsräume oder die Auswertung hochauflösender Satellitenaufnahmen mit Geografischen Informationssystemen kennzeichnen zunehmend die zeitgemäße und innovativ gestaltete Erschließung geografisch relevanter Sachverhalte. Je nach didaktischer Intention werden Fotos entweder um der bloßen Veranschaulichung willen oder aber auch aufgrund ihres ästhetischen Wertes eingesetzt. Sie dienen der Motivation, können Interesse wecken, Fragen aufwerfen und gleichsam auch zu deren Klärung und Deutung beitragen. Nicht selten spiegeln von den Schülern formulierte Texte zur Bildbeschreibung und Analyse den Grad der kognitiven Durchdringung des zu vermittelnden Inhalts wider. Wie der Blick in die gängigen Schulbücher zeigt, werden Bilder und (erläuternde) Texte nicht selten im Verbund eingesetzt, wobei es oft zu Informationsdopplungen kommt. Vielfach werden die Fähigkeiten des eigenen Entdeckens durch die Schüler offenbar unterschätzt, denn schließlich sieht man ja nur das, was man zu sehen gelernt hat, respektive das, worauf der Informationstext hinweist. Es ist jedoch gerade der Reiz, Unbekanntes und Neues selbst zu entdecken, der Schüler und Lehrer gleichermaßen in den Bann fixierter Ausschnitte der Realität ziehen kann. Die fotographischen Weltansichten, von denen später die Rede sein wird, vermögen eben dies zu leisten, sofern ihr Einsatz auf der Basis einer gründlichen didaktischen Reflektion erfolgt. Sie umfasst eine kritische Auswahl des Bildmaterials und eine sorgsame Abwägung des methodischen Vorgehens, zu dem das Besprechen und Beschreiben gehören.
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Fotos im Geografieunterricht – Historisch-didaktische Streiflichter Harms fordert „das Bild gleichberechtigt neben die Karte treten (zu) lassen und der auf Karte und Bild gegründeten Schilderung mehr Raum (zu) gewähren“ (Harms 1895). Anlass für diese bereits im vorvorigen Jahrhundert formulierte Forderung war ein Geografieunterricht, der methodisch bis dato überwiegend verkopft und frontalunterrichtlich aufbereitet war und somit kaum die ureigenen Schülerinstinkte, insbesondere das entdeckende Lernen, anzusprechen vermochte. Die Lernpsychologie beschreibt dies heute gemeinhin als (vermeintlich) intrinsisch motiviertes Lernen. Als ein probates Mittel, die „Einseitigkeit der Methode“ (Harms 1895) aufzubrechen, gewannen zunächst Bilder und später Fotos mehr und mehr an Bedeutung. Den Fotos fiel im stofforientierten Geografieunterricht des 20. Jahrhunderts insbesondere die Funktion der ergänzenden Veranschaulichung landschafts- und länderkundlicher Informationen zu. In allen Unterrichtswerken dieser Zeit (bis etwa 1970) dominieren allerdings Sachtexte, deren Inhalte durch Fotos lediglich unterstrichen, kaum allerdings ergänzt wurden. Ein grundlegender Wandel setzte mit den durch Robinsohn angeregten inhaltlichen Veränderungen zur Revision des Curriculums ein, die auch methodisch ihren Niederschlag fanden. Zunehmend avancierten die Schüler von passiv rezipierenden Lernsubjekten zu aktiven Teilhabern am Unterrichtsgeschehen. Auch „das Bild wurde mehr und mehr zum Arbeitsmittel in der Hand oder vor den Augen des Schülers“ (Schrand 1986: 31). Diesen neuen Stellenwert unterstreicht auch Theo Rolle, der konstatiert, dass das Bild im Erdkundebuch „vom bloßen Anhang […] zu einem der Wortdarstellung gleichwertigen Bestandteil aufgerückt“ sei, denn „dem öden Verbalismus blutleerer Abstraktionen, der Wortklauberei und Begriffshuberei ward der Kampf angesagt, und die Hauptwaffe, deren sich dabei ein fortschrittsbewußter Unterricht bediente, war das Bild“ (Rolle 1964: 568f ). Das Foto wurde vom Kontext zum Ko-Text oder sogar zum dominanten Textteil. Interessanterweise pausen sich die nunmehr dominierenden Unterrichtsprinzipien auch auf die dargestellten Inhalte der Fotos durch. Mit der Ablösung des länderkundlichen Prinzips, das die Gesamtheit bestimmter Regionen und ihre prägenden geografischen Besonderheiten in den Vordergrund stellte, durch die eher selektive Stoffauswahl des Exemplarischen Prinzips traten beispielsweise Landschaftsaufnahmen zugunsten von konkreteren Fallbeispielen in den Hintergrund. Vor allem der wirtschaftende Mensch in seinem unmittelbaren Lebensumfeld, aber auch lokale Umweltprobleme rückten in den Fokus bildhafter Darstellungen. „So ist das Bild im schüler- und lernzielorientierten Geografieunterricht […] als Träger geografischer Inhalte in erster Linie Arbeitsmittel, mit dem und an dem die Schüler möglichst selbständig Kenntnisse und Einsichten in räumliche Erscheinungen und Ordnungsmuster erwerben sollen.“ (Schrand 1986: 31) An diesen grundlegenden Überlegungen orientiert sich die Geografiedidaktik im Großen und Ganzen noch heute, wenngleich eine Erweiterung des methodischen Spektrums und der Möglichkeiten der Fotorecherche (Bildquelle Internet) zu Ergänzungen der Gedanken Anlass geben. Genannt sei hier nur die zunehmende Notwendigkeit, gezeigte Inhalte hinsichtlich möglicher Manipulationen kritisch zu hinterfragen.
Mehr als nur ein spannender Einstieg – Didaktische Funktion und die Verortung im Lernprozess Das Foto, das immer nur einen ausgewählten Realitätsausschnitt zeigen kann, konfrontiert die Schüler mit einem optischen Reiz, der den Lernprozess stimulieren und tragen soll. Dies vermö-
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gen bedingt auch Bildsequenzen oder Filme zu leisten, doch ergeben sich aus dem Einsatz von Fotos einige wesentliche Vorteile gegenüber bewegten Bildern. Zunächst laufen Lehrende und Lernende weniger Gefahr, das Gezeigte nicht gründlich genug studieren zu können, da die Betrachtungsdauer vom Betrachter selbst festgelegt wird. Ebenso wie Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit vermieden werden können, gelingt es, geeignetes Bildmaterial vorausgesetzt, das Augenmerk der Schüler auf „das geografisch Wesentliche“ zu lenken. Dies wird nicht zuletzt auch durch eine gezielte Selektion der Inhalte möglich. So kann es sinnvoll sein, nicht sofort das vollständige Foto zu zeigen, sondern einzelne Bildteile zunächst abzudecken. Gerade die Darstellung räumlicher Strukturen (z.B. Stadtviertel) erfordert vor der synoptischen Gesamtschau mitunter eine Einzelbetrachtung lokaler Segmente. Werden Fotos in Form von Tageslichttransparenten präsentiert, bietet es sich an, gemeinsam mit den Schülern Einzelaspekte, funktionale Bezüge oder räumliche Einheiten per Folienstift hervorzuheben. Zunächst gilt es jedoch, die gezeigten Eindrücke ausreichend lange wirken zu lassen. Erst wenn im Zuge einer Stillephase der Beobachtung ausreichend Raum gewährt wurde, folgt die Verbalisierung der Eindrücke. Je nach Vorwissen und Bildaussage kann die Folgephase entweder als Brainstorming oder bereits systematisiert als sachlogisch geordnete Auswertung erfolgen. Der Deskriptionsphase und einer möglichen Verortung schließt sich die Bildanalyse an, die mitunter durch flankierende Zusatzinformationen angereichert werden muss. Am Ende können die Schüler, ausgehend vom Foto, funktionale Bezüge verstehen oder gar aufgeworfene Problemstellungen bewerten. Die umrissene konsekutive Abfolge der Bildinterpretionsschritte folgt „einem logischen Handlungsablauf vom Beschreiben, Erklären zum Bewerten, doch sollte diese Abfolge nicht zum Schema erstarren“ (Haubrich 1998: 179). Der Lehrende kann immer darauf gefasst sein, dass die Schüler nicht reflexartig diesen erdachten Idealschritten folgen, sondern spontan sachlogisch exakte Bildanalysen und Bewertungen äußern und derart zu einer fruchtbaren Bereicherung des Unterrichts beitragen. Besonders bewährt haben sich Fotos, um zu Beginn des Unterrichts eine Problemstellung aufzuzeigen, doch sollten die Lehrenden immer darauf achten, nur solche Bilder auszuwählen, die weder diskriminieren noch Gefühle bestimmter Gruppen verletzen. Gerade im Bereich der Anthropogeografie besteht nicht selten die Gefahr, Klischees zu verfestigen oder Vorurteile zu bestärken, man denke nur an Bilder, die den wirtschaftenden Menschen in Entwicklungsländern zeigen. Ohne dass dies bislang empirisch belegt wurde, scheinen Fotos, die Personen darstellen, besser geeignet, die Schüler auch auf affektiv-emotionaler Ebene zu berühren. Gelangen Fotos zum Einsatz, die bewusst provozieren sollen oder Inhalte gar verfälscht wiedergeben, gilt es gerade diesen Aspekt gezielt herauszuarbeiten, so dass ausgehend vom gezeigten Sachverhalt auch die Kritikfähigkeit im Umgang mit dem Bildmedium geschult wird. Der Beschreibung des Inhaltes könnten sich dann Fragen nach der Intention des Fotografen anschließen. In Abhängigkeit von der kognitiv-intellektuellen Kompetenz der Lernenden (Niveau, Vorwissen, Alter etc.) gelingt über den gezielten Bildeinsatz eine Steigerung der Medienkompetenz und die Schulung der Wahrnehmung. Neben Bilder Dritter treten zunehmend auch solche, die von den Schülern selbst aufgenommen und bearbeitet werden, denn „der Einsatz von Digitalkameras im Unterricht eignet sich zur geografischen Wahrnehmungsschulung und ist gleichzeitig ein wirksamer Beitrag zur Entwicklung von Medienkompetenz“ (Wolf/Sauerborn 2000: 38). Wahrnehmung ist immer subjektiv, und jeder Schüler fixiert ihm relevant erscheinende Sachverhalte aus seiner individuellen Perspektive. Daraus ergeben sich für den Fortgang des Unterrichts einige Leitfragen, die Anlass zu Aussprache und vertiefenden Bearbeitung bieten: Warum wurde was fotografiert? Wo bestehen Unterschiede, wo liegen erkennbare Gemeinsamkeiten. Im Kopf konstruierte
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Ausschnitte der realen Welt spiegeln sich auch in dem wider, was Schüler fotografieren, so dass es tatsächlich gelingen kann, die Schüler dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Schüler aller Alterstufen erkennen die Verschiedenheit in der Wahrnehmung der (ihrer) Realität und lernen diese als bloßes individuelles Konstrukt kennen. Im Unterrichtsgespräch können diese Konstrukte reflektiert, diskutiert, revidiert, ergänzt oder bestätigt werden. Dabei muss deutlich werden, dass es hierbei nicht um ein bewertendes Urteil über richtig oder falsch geht. Die zu erlangende Medienkompetenz bleibt nicht „bei Medieneinsätzen mit stark demonstrierendem Charakter“ stehen, vielmehr führt sie „weg von einer Reduzierung des Internets zur gigantischen Informationsbeschaffungsmaschine“ (Wolf/ Sauerborn 2000: 39) und weg von einer Deklassierung der Lernenden zu kritiklosen Rezipienten. Mit Hilfe selbst erstellter Fotos und deren nachfolgender Bearbeitung werden Schüler zu kritisch reflektierenden Mediengestaltern. Das Wissen um die Subjektivität der Inhalte, aber auch die Fotoqualität schaffen vielfältige Kommunikationsanlässe und zwar unabhängig davon, ob das eingesetzte Bildmaterial selbst erstellt wurde oder Fremdquellen entspringt.
Abb. 1: Fotos zur Problemstellung
Fotos lassen sich in allen Phasen des Geografieunterrichts einsetzen. In der Einstiegsphase sollen sie in Sachverhalte einführen oder gegebenenfalls Probleme und Fragen aufwerfen. Von entscheidender Bedeutung sind dabei die Aussagekraft und die Qualität der Fotos. Letztendlich soll mit ihrer Hilfe ein Lernprozess initiiert werden, was wiederum nur gelingen kann, wenn die Bilder Neugierde und Interesse wecken, also motivierend wirken. Gerade die Geografie bietet zur Beantwortung der Kernfrage „Warum gerade hier so?“ genügend Raum für den Einsatz von Fotos unterschiedlichster Kategorien und Genres. Dazu zählen Landschafts- und Geländeaufnahmen fremder Welten (Polargebiete, Sahelzone, Regenwald etc.), die den Schüler auf eine fiktive Forschungsreise in die entlegensten Winkel unseres Planeten einladen, ebenso wie Fotos scheinbar skurriler Lebensgewohnheiten (Häuser in Baumwipfeln, Erdhöhlen, Iglus, Zelte, Aquasiedlungen etc.). Neugierde wecken überdies auch Aufnahmen von Personen unterschiedlichster Kulturkreise. Es sei in diesem Zusammenhang nochmals darauf hingewiesen, dass es mitnichten um Wertungen aus einer zuweilen eurozentristisch-überheblichen Perspektive geht, sondern gerade
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das Gegenteil ein wesentliches Lernziel im Kontext interkultureller Erziehung darstellt! Zur Fokussierung auf zentrale inhaltliche Fragen sollten die eingesetzten Fotos weder informationsüberfrachtet noch irreführend, sondern prägnant und in ihrer Aussage (zumindest auf den ersten Blick) unmissverständlich sein, denn „der geringe Informationsgehalt eines Bildes, gemeinhin als Mangel deklariert, kann sich in einer ganz bestimmten Unterrichtssituation […] als didaktische Qualität erweisen“ (Schrand 1986: 32). Daraus resultiert auch die didaktische Notwendigkeit, nicht ganze Bildserien an den Anfang des Unterrichts zu stellen.
Abb. 2: Landschaften erfassen und Reliefgenese deuten
In der Erarbeitungsphase eingesetzte Photos erlauben eine größere Tiefe inhaltlicher Erschließung, da gegebenenfalls ergänzende Materialien, insbesondere Texte und Karten, dargeboten werden können. Gleichsam kann es sich anbieten, mehrer Bilder aus unterschiedlichstem Blickwinkel oder in verschiedenen Maßstäben einzusetzen. Ebenso wie in der Einstiegsphase erlauben kontrastierende Bildpaare die Erarbeitung räumlicher Strukturen sowie funktional-systemarer Abhängigkeitsgefüge. Die Fotos müssen geeignet sein, inhaltlich relevante und vertiefende Sachinformationen zu entnehmen, was es mitunter erfordert, Interpretations- und Erschließungshilfen zu liefern (z.B. eine Farblegende bei Satellitenbildern). Das besondere geografisches Augenmerk richtet sich in der Erarbeitungsphase auf die Erfassung erkennbarer Strukturen (z.B. unterschiedliche Flurformen, Reliefmerkmale etc.), eine trotz vielfach gegebener Mannigfaltigkeit von Aspekten auswertbare Informationsfülle, die Darstellung und Erfassung von Physiognomien (z.B. Aufriss und Grundriss einer Stadt wie Karlsruhe), markante Bildaussagen (z.B. Kreuzschichtung im Sediment eines Fließgewässers), die Analyse funktionaler Beziehungen (z.B. unangepasste Landnutzung und Desertifikationserscheinungen), die Beschreibung räumlicher Ordnungsmuster (z.B. Verkehrserschließung im Alpenraum) oder das Aufgreifen eines prozessualen
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Geschehens (z.B. Visualisieren der Kerbtalbildung durch einen entsprechenden Geländeausschnitt). Oft liegt die besondere didaktische Herausforderung für den Lehrer weniger im Auffinden als vielmehr in der Auswahl geeigneter geeigneter Fotos. Alleine die Internetbildsuche per Mausklick liefert oft mehrere hundert scheinbar geeignete Photos!
Abb. 3: Lebensgewohnheiten anderer Kulturkreise entdecken
Abb. 4: Fotos decken Strukturen auf
Noch viel zu selten wird die Erarbeitungsphase im Gelände, vor Ort, in Form von Exkursionen realisiert, obgleich die reale Begegnung gemeinhin als bestmögliche Methodik zur Wissensaneignung erachtet wird. Fotos fällt im Zuge der Erfassung lokaler Gegebenheiten auf Exkursio-
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nen eine herausragende Bedeutung zu, wenn es darum geht, die beobachteten Gegebenheiten in ihren genetischen oder in einen gesamträumlichen Zusammenhang zu setzen. Wahre „AhaErlebnisse“ löst es aus, den Schülern in situ Bilder „von früher“ zu zeigen. Als Exempel sei hier eine Exkursionserfahrung vom Berliner Potsdamer Platz geschildert: Es ist Freitagmorgen, 09:00 Uhr. Die Exkursionsgruppe verlässt, zugegebenermaßen noch etwas müde, den gleichnamigen S-Bahnhof, um an der rekonstruierten Verkehrsampel einen Überblick über die Gebäudestrukturen und -funktionen im Einzugsbereich des Potsdamer und Leipziger Platzes zu gewinnen. Nach einer rund zehnminütigen Einführung zeigt der Lehrer ein Foto der gleichen Lokalität aus dem Jahr 1975 (Schrägluftbild, DIN A3, in Folie eingeschweißt), das den Mauerstreifen und weite brachliegende Ruderalflächen zeigt. Eine wahre Frageflut war die Folge und größtes Interesse an der Siedlungsgenese war geweckt! Überdies erlauben selbstgemachte Exkursionsfotos die Dokumentation von Phänomenen (festhalten des Moments) zur nachträglichen Ansprache oder zur Rekonstruktion des Routenverlaufs im Unterricht. Die entsprechenden Arbeitsergebnisse lassen sich hervorragend zu einer bild- und textbasierten Posterausstellung zusammenfassen.
Abb. 5: Im Gelände unterwegs – Schüler erkunden ihre Stadt
Sofern der zeitliche Rahmen dies erlaubt können eigene Bilder auch unterrichtsbegleitend zum Aufzeigen von Prozessen eingesetzt werden. Beispielhaft seien hier die Dokumentation von Wettersituationen im Jahreszyklus an einem bestimmten Ort oder die fotographische Fixierung von Verkehrsströmen im Tagesgang genannt. In der Sicherungs-, Auswertungs-, Transfer-, oder Bewertungsphase am Ende einer Stunde respektive einer Unterrichtssequenz dienen Photos der Anwendung beziehungsweise Dokumentation der erworbenen Kenntnisse. So können von den Schülern Arbeitsergebnisse bildbasiert präsentiert oder vom Lehrer Transferleistungen angeregt werden. Werden am Ende des Unterrichts nach einer vertiefenden Erarbeitungsphase die Einstiegsbilder erneut gezeigt, ermöglichen die Schüleräußerungen dem Lehrer nicht zuletzt auch eine Kontrolle des Lernerfolgs.
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Das „typisch“ geografische Foto – Kriterien zur Bildauswahl und Gestaltung Die resümierenden Ausführungen zu den Einsatzpotentialen von Fotographien im Geografieunterricht haben deutlich gemacht, dass das einsetzbare Bildmaterial ganz besonderen Erfordernissen entsprechen muss. Daran anknüpfend stellt sich die Frage nach möglichen Auswahlkriterien und einer typisch fachspezifischen Prägung des Bildmaterials. Auf die Subjektivität der gezeigten geografischen Inhalte, der gewählten Perspektiven und der Darstellungsformen ist dabei bereits verwiesen worden. Trotz der angedeuteten inhaltlichen Vielfalt gibt es Fotos, die jeder Geograph sofort als „typisch geografisch“ identifizieren würde. Diese Fotos zeigen neben dem Inhalt in der Regel Familienangehörige, Taschenmesser, Münzen, Hämmer, einen Schlüsselbund oder Ähnliches und geben so nicht selten Anlass zum Schmunzeln. Der Möglichkeit einer Maßstabszuordnung des gewählten Bildausschnitts ist, wie das Beispiel zeigt, eine wesentliche Bedeutung zur Veranschaulichung geografisch relevanter Sachverhalte beizumessen. Wenn ohnehin im Gelände vorhandene Größenmerkmale (Personen, Fahrzeuge o.Ä.) fehlen, erlaubt nur die künstliche Beigabe einer Bezugsgröße die korrekte maßstäbliche Einordnung und somit letztendlich die Erfassung der räumlichen Dimension des gezeigten Ausschnitts. Dies gilt auch für Aufnahmen größerer Erdregionen, wie sie Luft- oder Satellitenbilder zeigen, die zumeist um nachträglich eingefügte Maßstabszahlen oder – leisten ergänzt werden. Als besonders wichtiges Auswahlkriterium sei auf die Prägnanz der Fotos verwiesen, die Sachverhalte möglichst anschaulich und eindeutig wiedergeben sollten. Gerade wenn es sich um naturräumliche Phänomene und Teilaspekte des komplexen Prozessgefüges des Systems Erde-Mensch handelt, muss die Beobachtung auf das Wesentliche fokussiert werden können. „Hier zeigt sich, dass informierende Bilder funktionalisiert sind; sie sollen bestimmte Informationen effektiv kommunizieren“ (Neuman-Mayer 2000: 4). Mitunter entsprechen professionelle Landschaftsaufnahmen nicht nur inhaltlichen Kriterien, sondern sie sind aufgrund ihres Anmutungscharakter durch einen hohen künstlerischen Wert gekennzeichnet. Man denke diesbezüglich nur an die ästhetisch äußerst ansprechenden Aufnahmen aus der Vogelperspektive, die ganze Bildbände füllen. Der geografische Wert dürfte kaum strittig sein, selbst wenn die Bildautoren wohl nicht primär den geografieunterrichtlichen Einsatz ihres Bildmaterials intendiert haben dürften. Um die Fotos effektiv in den Lernprozess einzubinden, dürfen die Komplexität und der Grad der Abstraktheit die Lernenden nicht überfordern. So haben Drittklässler erfahrungsgemäß kaum eine Chance, ein hoch auflösendes und komplexes Satellitenbild inhaltlich ad hoc zu durchdringen, da die Informationsaufnahme durch eine Vielzahl von Hürden behindert wird. Erst wenn die Schülerinnen und Schüler durch eine einführende Vorentlastung mit dem Handwerkszeug zur Bildinterpretation vertraut gemacht wurden (insbesondere die oft wenig eindeutige Farbzuordnung), gelingt eine inhaltliche Auswertung. Trotz zu erwartender Anfangsschwierigkeiten üben gerade zunächst kryptisch anmutende Fotos eine besondere Faszination aus. So vermögen Satellitenaufnahmen wie kaum ein anderes Bildmedium den Forschungs- und Entdeckungsdrang der Lernenden zu wecken. Auch naturwissenschaftlich zunächst weniger konkret erscheinende Fotos haben je nach didaktischer Intention einen festen Platz im Medienarsenal der Geografielehrer, da sie neben der Hinführung zu inhaltlichen Fragestellungen in der Lage sein können, Emotionen anzusprechen respektive Empathie zu wecken. Allerdings darf der Einsatz besonders drastischer Darstellungen nicht zu einer mentalen Überforderung beitragen. Bloße Effekthascherei durch spektakuläre Pressefotos, zum Beispiel Bilder verhungernder Kinder in der Sahelzone, erscheint in jeder Hinsicht gänzlich unangebracht.
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Abb. 6: Zwei „typisch“ geografische Fotos
Von der Bildtafel zur hochaufgelösten multispektralen Satellitenaufnahme – Verfügbare Bildquellen und ihre Einsatzpotenziale Die Fundstellen und Zugriffsmöglichkeiten auf „gute“ geografische Fotos haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten enorm erweitert. Neben die eher klassischen Bildquellen Schulbuch und Diasammlung sind nunmehr CDs, DVDs, ein ständig wachsendes Angebot an Foliensammlungen und das Internet getreten, die den Lehrer mit einem nicht mehr überschaubaren Angebot
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konfrontieren, dem nur durch eine weitgehende Professionalisierung der Suchmethoden begegnet werden kann. Gerade ob der exponentiell wachsenden Mannigfaltigkeit nutzbarer Fotos fällt die letztendliche Auswahl selten leicht. Lässt man zum Beispiel Google Bilder unter dem Stichwort „Vulkan“ suchen, kann man zwischen 33 900 Darstellungen wählen. Fast alle von der Suchmaschine gefundenen Vulkanfotos faszinieren, die meisten erfüllen durchaus viele der didaktischen Relevanzkriterien. Wird der Begriff „Vulkan“ durch den englischen Terminus „volcano“ ersetzt, kann der Lehrer weitere 34 100 spektakuläre Aufnahmen durchforsten. Um neue technische Potentiale erweitert sind auch die nachträglichen Bearbeitungsmöglichkeiten der Photos durch Bildbearbeitungsprogramme und geografische Informationssysteme, die die traditionelle Overlaytechnik auf dem Tageslichtprojektor ergänzen. Technisch unproblematisch ist das Einfügen von Pfeilen, Punkten, Beschriftungen, Linien, Schraffuren etc. in digitale Bilder. Da Geografielehrende keine reinen Urlaubsreisen antreten, sondern diese von ihnen immer auch (oft zum Leitwesen mitreisender Familien) als eine Art Exkursion betrachtet werden, wachsen in den heimischen Arbeitszimmern im Laufe eines Lehrerlebens zum Teil beachtliche Fotosammlungen heran, die ebenfalls gewinnbringend in den Unterricht eingebracht werden können. Der Vorteil derartiger Bilder liegt nicht immer in der fototechnischen Professionalität, als vielmehr in ihrer Authentizität. Ich denke nur daran, mit welcher Freude und Aufmerksamkeit meine Schüler die Ausführungen (meine mündlichen Texte!) über den Suk von Marakesch verfolgt haben, die mit nur drei Bildern (Markttreiben, Gewürzangebot und zum Verzehr vorbereitete Ziegenhirne) illustriert wurden. Obgleich gegen eine zentrale didaktischen Grundregel verstoßen worden ist (viel zu langer Lehrervortrag), wirkte die durch Bild und Vortrag spürbar vermittelte Begeisterung des Lehrers für das erlebte Geschehen vor Ort motivierend und lud die Schüler zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit den wirtschaftlich-kulturellen Gegebenheiten Marokkos ein. Dennoch müssen auch diese „Urlaubsbilder“ ein Mindestmaß an formalen Gestaltungselementen erfüllen. Dazu zählen unter anderem die Beleuchtung, die Bildeinteilung, die Maßstäblichkeit und nicht zuletzt auch die Bildschärfe. Sinnvoll und im Zeitalter der Digitalfotographie kostengünstig möglich ist die Aufnahme ganzer Bildsequenzen, aus denen später die besten Aufnahmen ausgewählt werden können. Nicht minder wertvoll sind von den Schülerinnen und Schülern im Gelände angefertigte Fotos. Insbesondere wenn das Fotografieren in einen größeren Projektkontext zu fachübergreifenden Fragestellungen eingebunden ist, entstehen fast immer hochwertige und multiperspektivische Dokumentationen. Dabei liegt der Wert der Arbeit nicht zuletzt in der unzensierten Selbsttätigkeit der Schüler, die die sich untereinander verständigen unmittelbar anschauliche Produkte hervorbringen. Die Arbeitsergebnisse vermögen Fragen aufzuwerfen und eventuell auch diskussionswürdig erscheinen, sie stellen aber in jedem Fall Unikate dar, mit denen sich die Produzenten, zumeist mit einem gewissen Stolz auf die geleistete Arbeit, identifizieren können. In diesem Zusammenhang sei auf eine weitergehende Unterrichtseinbindung eigener oder recherchierter Bilder verwiesen, die neben der Vermittlung geografischen Wissens auch auf die Erweiterung der Medienkompetenz abzielt: die Anfertigung und Verwendung von veränderten und manipulierten Bildern. Selbst erstellte Fotomontagen fördern eine intensive kognitive Durchdringung, denn „wer sich ein Bild macht, denkt sich auch seinen Teil. Er entschlüsselt und verschlüsselt Informationen, reduziert Realität, abstrahiert und kombiniert neu“ (Neumann-Mayer 2000: 36). Die Veränderung der Fotos, also ihre bildliche Umgestaltung und Manipulation setzt einen sicheren Umgang mit dem Computer voraus. Diese Medienkompetenz, die nicht bei allen Schülern gleichermaßen vorausgesetzt werden kann, zu vermitteln, stellt ein wichtiges instru-
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mentelles Lernziel des Geografieunterrichts dar. „Die Fähigkeit Bildmanipulationen zu erkennen, die dahinter steckenden Ziele zu verstehen und kritisch damit umzugehen, ist ein Aspekt von Medienkompetenz. […] Das geht am besten, indem sie selbst […] Bilder verändern und damit neue Bildaussagen schaffen (Neumann-Mayer 2000: 36).
Spuren suchen und Landschaften entdecken – Mit der Kamera im Feld Fotos wieder das Vergessen. Unter diesem didaktischen Motto stehen kameragestützte Entdeckungstouren außerhalb des Schulgebäudes, auf denen die Schüler von ihnen ausgewählte Fakten fixieren sollen. Die Aussage, dass nur das gesehen wird, was man zu sehen gelernt hat, gilt quasi uneingeschränkt auch für das Anfertigen von Fotos vor Ort und weist auf die Notwendigkeit einer inhaltlichen Vorentlastung hin. Gemeinsam mit den Schülern kann vorab im Unterricht geklärt werden, welche Aspekte erfasst werden sollen (ggf. arbeitsteilig) und welche Arbeitstechniken eine bestmögliche Visualisierung räumlicher und funktionaler Bezüge erlauben. Insgesamt „spricht viel für die Annahme, dass ein handlungsorientiertes Arbeiten mit selbstgemachten Fotos nachhaltigere Wirkungen hat als unzählige Arbeiten an vorliegenden Bildern im Buch“ (Braun 2004: 258). Nur was die Schüler inhaltlich verstanden haben, können sie auch fotografisch festhalten. Dies wiederum setzt „die Erziehung zum bewussten Überlegen [voraus] (was möchte ich veranschaulichen, welche Vorgänge gehören zu dem Phänomen, das ich aufzeigen möchte? etc.) [und] beinhaltet eine große kognitive Leistung“ (Braun 2004: 253). Egal ob die Fotos in Eigenverantwortung und Eigenregie oder lediglich als exkursionsbegleitende „Schnappschüsse“ entstanden sind, sie liefern einen reichhaltigen Fundus zur Nachbearbeitung und Auswertung im Unterricht. Die Nachbearbeitung, zum Beispiel die Formulierung von beschreibenden oder analysierenden Begleittexten, mündet in die Präsentation der Ergebnisse vor der Klasse oder sogar in Form einer Fotoausstellung. Bestens geeignet sind von Schülern selbst gefertigte Fotos, um starre Sichtweisen aufzuheben und einen Perspektivenwechsel anzuregen. „Ein Raum, ein Thema oder ein Problem im Geografieunterricht nur aus einer Perspektive zu betrachten – und damit meist aus unserer gewohnten – wäre eine unzulässige Verengung des Blickfelds“ (Kirchberg 1997: 54). Erfahrungsgemäß münden derartige Dokumentationsexperimente in lebhafte und teilweise kontrovers geführte Diskussionen. Denkbar erscheinen neben vielen anderen folgende Leitfragen für eine Fotodokumentation: Wie sehe ich meine Stadt, was ist mir besonders wichtig? Was würde mein türkischer Mitschüler hervorheben, was würde mein dreijähriger Bruder sehen? Wie erscheint die Stadt aus der Perspektive eines LKW- Fahrers, was sieht ein Tourist, ein Hund, ein Vogel? etc…
Die Maßstabsebenen Fotos zeigen nicht nur einen bestimmten Momentzustand der Realität, sondern auch einen begrenzten Bildausschnitt, der sich geografisch gesprochen im gezeigten Maßstab ausdrückt. Insofern ähneln die didaktischen Schritte bei der Analyse von Fotos denen der Karteninterpretation, die ebenfalls nicht ohne eine möglichst genaue Zuordnung der Größenverhältnisse auskommt. Soll der Frage nachgegangen werden „Was liegt wo warum?“ ist zum Erkennen der Lagerelationen die Kenntnis über den Maßstab von grundlegender Wichtigkeit. Unabhängig davon, ob es sich um selbst erstellte oder vom Lehrer vorbereitete Bilder handelt, erfordert die Auswer-
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tung der Fotos eine Anleitung zur geografischen Betrachtung (räumliche Kontextualisierung), deren Kernelement die regionale Zuordnung bildet. Insofern ist zur Klärung geografisch relevanter Fragen immer eine Einbettung in einen übergeordneten Gesamtzusammenhang erforderlich. Dies gilt insbesondere dann, wenn die gezeigten Fotos „nur“ Einzeldetails zeigen. Obgleich diverse Mischformen existieren, lassen sich geografische Bilder grob in zwei Kategorien einteilen, die die angeführten Maßstabsebenen und Perspektiven aufgreifen: 1. Vom Boden aufgenommene „Erdbilder“, die Landschaftsdetails oder größere Geländeausschnitte zeigen, 2. aus der Höhe aufgenommene Luft- und Satellitenbilder, die zumeist größere Gebiete (Städte, Kontinente, Gebirgszüge o.Ä.) abdecken. Das Variieren mit unterschiedlichen Perspektiven erfüllt in den unteren Klassenstufen eine wichtige Rolle bei der Anbahnung der Kartenlesekompetenz. In allen einschlägigen Grundschulatlanten werden die Schüler über Erdaufnahmen in die Arbeit mit Karten eingeführt. Zunächst wird ihnen hierfür ein Foto eines ausgewählten Geländeausschnitts, zumeist des Heimatraums, zur Betrachtung vorgelegt. In einem ersten Perspektivenwechsel sehen sie anschließend ein aus geringer Höhe aufgenommenes Schrägluftbild (Foto) desselben Gebietes. Schritt drei bildet die Betrachtung eines Senkrechtbildes. Haben die Schüler die Veränderung des Blickwinkels nachvollzogen, erfolgt der Transfer vom Senkrechtluftbild auf die Karte, die gewissermaßen eine abstrahierte und zeichnerische Umsetzung des senkrechten Fotos darstellt.
Abb. 7: zur Spurensuche – Geowissen im Detail erkunden
Geovisualisierung im Detail – Sandwächten, Büßerschnee und andere Phänomene (Erdbilder oder Erdaufnahmen) Wie der Name bereits andeutet, kennzeichnet diese Fotos die Erdgebundenheit des Aufnahmestandortes. Aus dieser auf eine bestimmte Lokalität begrenzten Perspektive lassen sich sowohl
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Einzelphänomene, Typuslokalitäten oder Geländeausschnitte visualisieren. Die überwiegende Mehrheit der im Geografieunterricht eingesetzten Fotos dürfte aus dieser Perspektive aufgenommen sein. Nicht selten sind Erdbilder geeignet, in unbekannte Sachverhalte einzuführen und einen forschend-entdeckenden Lernprozess zu initiieren. Überdies können sie aber auch rein deskriptiven Charakter haben, indem konkrete Ausschnitte der Realität zur reinen Inhaltspräsentation gezeigt werden. In diesem Fall stehen sie als Ersatz für die Begegnung vor Ort. Viele Fotos in Schulbüchern entsprechen diesem Typus und flankieren die vertiefende Weiterbearbeitung implizierter geografischer Fragestellungen. Grundsätzlich sollten alle eingesetzten Erdbilder in einen räumlichen und inhaltlichen Gesamtkontext eingebettet werden.
Abb. 8: Was ist hier los? Zusammenhänge entwickeln
Die Faszination des Weltganzen – Luft- und Satellitenbilder Luft- und Satellitenbilder bieten ein hohes Potential, Unterricht motivierend und innovativ zu gestalten. Dabei ist es für den Lehrer kaum zu leisten, die komplexen Fragestellungen der Aufnahmetechnik zu durchdringen. Es genügt die Kenntnis einiger grundlegender Aspekte, wie sie beispielsweise von Jürgens (2003: 4-7) oder Strahler (2003: 74-82) erörtert werden. Bereits seit einigen Dekaden avanciert die Geo-Fernerkundung zu einem zentralen Werkzeug geowissenschaftlicher Forschung, mit dem die Erdoberfläche, die Weltmeere oder atmosphärische Phänomene aufgezeichnet werden können. Der wesentliche Vorzug von Luft- und Satellitenaufnahmen gegenüber anderen Fotos liegt in der Möglichkeit, größere Geländeausschnitte in ihrem Gesamtkontext originalgetreu und aussagekräftig abzubilden und überdies durch den Vergleich zeitlich versetzter Aufnahmen großräumigen prozessualen Veränderungen auf die Spur zu kommen. Verschiebungen im Bereich der Landnutzung, städtische Entwicklungsprozesse, Klimavariationen, Wetterbeobachtungen oder auch Vegetationsanalysen gehören zu einigen der typischen Anwendungsfelder moderner Fernerkundungsmethoden. Insofern eignen sie sich auch, die geomorphologischen Strukturen eines Raumes aufzuzeigen, um darauf fußend entsprechende Problemstellungen zu erörtern. Die zeitaktuellen Momentaufnahmen spezifischer Aspekte
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erlauben die vertiefende Behandlung weiterer thematischer Sachverhalte auch im Unterricht, da Satellitenaufnahmen zu nahezu allen Themenfeldern über das Internet in hoher Auflösung abrufbar vorliegen. Der besondere didaktische Wert liegt nicht zuletzt im hohen Aufforderungscharakter der Fotos. Unterschieden werden muss zwischen Luftbildfotos, die im militärischen Bereich zu Aufklärungszwecken schon seit dem ersten Weltkrieg eingesetzt werden, inzwischen aber auch zivile Zwecke erfüllen, und Satellitenbildern, die aus dem Weltraum, also aus weit größerer Höhe aufgenommen werden. Erstgenannte Bilder entstehen durch eine Überfliegung mit Flugzeugen, Heißluftballonen, Hubschraubern oder anderen konventionellen Fluggeräten, bei der Fotoserien, sogenannte Bildkampagnen, meist in Form von Schrägaufnahmen, gefertigt werden. Weitaus größere Ausschnitte der Erdoberfläche sind hingegen durch Satelliten erfassbar, deren Sensoren reflektierte elektromagnetische Strahlung aufzeichnen, die jede Oberfläche und jedes Objekt in charakteristischer Weise (unterschiedliche Wellenlängen) abstrahlt. Letztendlich werden die in unterschiedlichen Kanälen aufgezeichneten Wellen unterschiedlicher Länge zu einem nahezu beliebig variierbaren digitalen, farblich kodierten Bild zusammengesetzt. Auf diese Weise können selbst für das menschliche Auge unsichtbare Wellenlängen visualisiert werden (z.B. das gesamte Infrarotspektrum). Satellitenbilder bilden ein elementares geografisches Werkzeug, so dass sie ihre didaktische Legitimation, neben den innovativ gestaltbaren Erschließungsoptionen, aus ihrer hohen Funktionalität, ihrem hohen ästhetischen Wert, ihrem immensen Informationsgehalts und letztendlich auch aus ihrer fachlichen Repräsentanzeigenschaft beziehen. Da die Aussagen oftmals sehr detailliert erfasst sein können, erscheint es ratsam, den Schülern das Bildmaterial zur Bearbeitung unmittelbar an die Hand zu geben. Ein Satz laminierter Bilder ist beliebig oft einsetzbar und besprechbar.
Abb. 9: Die Welt von oben – Das Satellitenbild
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Mögliche unterrichtliche Einbindung von Satellitenbildern: 1 1 1 1 1 1 1 1 1
als stummer Impuls mit oder ohne Zusatzinformationen als Grundlage eines einführenden Kurzvortrags präsentiert mit einer Legende zur eigenen Erarbeitung darbieten von Satellitenbild und Karte erst inhaltliche und technische Vorentlastung, nachfolgend Satellitenbildbearbeitung durch die Schüler vergleichende Bearbeitung einer Atlaskarte mit dem Satellitenbild, Sachinformationen werden ggf. im Bild ergänzt Diskussion wesentlicher Aspekte (z.B. Bedrohungspotenziale), Satellitenbilder durch Zusatzmaterialien ergänzt (Texte etc.) bildbasiertes Entwickeln verschiedener Szenarios Erschließung des Bildinhalts im Unterrichtsgespräch
Fazit Fotos aller Maßstäbe, Darstellungsformen und Perspektiven sind wesentliche Informationsträger im Prozess geowissenschaftlicher Bildung. Mit ihnen werden reale Phänomene ins Klassenzimmer geholt, die andernfalls einer Betrachtung verschlossen blieben. Sie helfen, Horizonte zu erweitern, neue Perspektiven zu schaffen und ganzheitliche Betrachtungsdimensionen der vernetzten Welt aufzuzeigen. Dort wo Unterricht aufgrund organisatorischer Grenzen nicht zum Lokaltermin werden kann, bilden sie ein unverzichtbares Medium, die Ausschnitte der Realität als konstituierende Elemente des Weltganzen nachzuzeichnen. Zur Kommunikation darüber sind Gespräche und schriftliche Texte die natürlichen Mitttel.
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„Du sollst Dir (k)ein Bild machen“ (Ex 20:4) Foto und Fotografie in der Religionspädagogik und im Religionsunterricht Bernd Feininger
Ausgangspunkt Bilderverbot? „Gesicht zeigen!“ „Ein freundliches Gesicht aufsetzen.“ „Das Gesicht abwenden oder verbergen.“ Diese und andere Redewendungen signalisieren die Spannbreite in der Auffassung vom Menschen- und Gottesbild am Beispiel des Gesichtes: der verletzlichste Teil unserer Körperlichkeit, der sich verbergende und der zugewandte, der wesentliche Eindruck unserer Erscheinung. Das Antlitz repräsentiert das Wesen des Bildes als ein Zentrum des Religiösen (Religion „ansichtig“ werden zu lassen): Wenn in den Religionen von Bildern geredet wird, kommen Gott und Mensch zur Sprache, ist diese Spannung von „offenbar-werden“ und „im Geheimnis bleiben“, die Religion überhaupt charakterisiert, aufgebrochen, zeigt sich Widerspruch oder Begeisterung: Bilderverbot oder Bilderverehrung, Bilder im Dienst der Religion oder ganz bilderloser Gottesdienst in schmucklosen Räumen: „Du sollst dir kein Bild machen!“ heißt es in 2 Mose 20:4 (Dekalog). Bilder = Götzen = Konkurrenz zum einzigen Gott und dessen Schöpferkraft? Judentum, Christentum und Islam gelten als Wort- bzw. Buchreligion und alles, was Bilder betrifft, sollte im interkulturellen Gespräch dieser Religionen in der je unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklung berücksichtigt werden (Bildersturm, Bildermagie, kulturelle Konflikte und Empfindlichkeiten). Foto und Fotografie als Bildermedium der Neuzeit sind ein wichtiges interkulturelles Thema, besonders aktuell zwischen Islam und Christentum bzw. westlicher Welt (wobei das kein geographischer Gegensatz zu bleiben braucht, denn gerade das Christentum des Ostens zeigt sich nach den Bilderstürmen der ausgehenden Antike besonders Bilder-freundlich). Der Islam, der sich oft „belagert“ fühlt von westlicher Bilderflut, kann uns an die positiven Elemente eines kritischen Umganges mit Bildern im Raum der Religion erinnern und den grundsätzlichen Vorbehalt wach halten, Gott den je Größeren sein zu lassen, ihn nicht künstlich zu imitieren. Das Gesicht nicht verletzen- weder das des Menschen noch das Antlitz Gottes: darum geht es in einer theologisch begründeten Bilddidaktik, auch im Religionsunterricht. Günter Lange fasst ausgezeichnet zusammen, worin diese bleibende Bedeutung eines konstruktiv verstandenen Bilderverbotes besteht: „Wenn auch das Bilderverbot in einem inkarnatorischen Glauben nicht mehr konstitutiv sein kann, bleibt es doch als regulatives Kriterium in Kraft: Wird der lebendige Gott durch sein Bild fixiert (als Mann; Patriarch; Herrscher z.B.)? Ist ein magisch-manipulativer Umgang mit Bildern ausgeschlossen? Wird durch das Bild die Unruhe des Suchens und Fragens nach Gott stillgestellt oder der Blick frei gemacht zur größeren Einsicht in das Lebensgeheimnis Gottes? (…) Löst die Darstellung die jeweilige Glaubensvorstellung von ihrer Gebundenheit an ein überholtes Weltbild oder verstärkt es diese?“ (Lange, LexRP I, 2001: 189). Gerade diese Linien lassen sich am Beispiel der Fotografie im Religionsunterricht weiter ausziehen, und auch die anthropologische Dimension erfährt dabei ihre Vertiefung (es geht nämlich in gleicher Weise auch um das Lebensgeheimnis des Menschen!). Ein richtig verstandenes
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Bilderverbot bietet die kritische Ausgangsbasis für den Bilderreichtum der Religion- und in der religiösen Unterweisung.
„Dieses wird oft als reizlos empfunden …“ – Plädoyer für das „un-bewegte Bild“ Konzentration auf das Medium Fotografie heißt heute, einen anderen, vielleicht „altmodischen“ Schwerpunkt gegenüber den „bewegten Bildern“ der modernen Medienlandschaft zu setzen, von denen die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler in erster Linie geprägt ist.(Pirner 2004). Dies trifft besonders auf die Musik- und Video-Szene zu, deren Konsummedien das Lebensgefühl der Jugendkultur stark ausdrücken und in manchen Bereichen eine „profane Religiosität“ oder ersatzreligiöse Haltungen generieren.(Beuscher /Zilleßen, 1998; Kunstmann 2004: 243296). Entsprechend ist auch das „bewegte Bild“ als religionspädagogisches Arbeitsmittel auf dem Vormarsch, und seine interaktiven Möglichkeiten, mittels PC via Internet oder CD ROM selbständig auf Entdeckungsreisen zu gehen, kommen dem Schüler-orientierten Religionsunterricht in Lernzirkeln und Freiarbeit entgegen. Hat in diesem aktuellen Kontext das un-bewegte Bild überhaupt noch die Chance, mehr zu sein als ein (nostalgischer) Gegen-Akzent zum Mainstream? G. Lange: „Bilderflut und Bild-Relativierung durch raschen Bildwechsel in den neuen Medien führen zunehmend zu Sehgewohnheiten, die den Zugang zum einzelnen, stehenden, aber vielschichtigen Bild erschweren. Dieses wird leicht als reizlos empfunden. Alles was die Sehgeduld fördern kann, ist deshalb methodisch-didaktisch willkommen.“(LexRP I, 2001: 191;Hilger/Leimgruber/Ziebertz 2001: 315-318). Vielleicht so: Das un- bewegte Bild schlägt vor allem dort eine Brücke, wo es zur symbolischen Verdichtung tendiert, einen selbstdeutenden, hermeneutischen Charakter annimmt, affektiv anspricht, zur Auseinandersetzung provoziert (Einstellungen, Wertevorstellungen), wo sein Inhalt Lebenswirklichkeit der Jugendlichen transportiert und aufschließt und schlaglichtartig Identifikation anbietet, wie bei Tatoos oder bestimmten Gegenständen der Jugendkultur (z.B. Turnschuhe). Bei allen durchaus möglichen Übergängen und Zwischenformen im Verhältnis bewegter und unbewegter Bilder bleibt das spezifische Wesen des unbewegten Bildes die Ikone, deren Aussagedichte davon abhängt, wie intensiv unterschiedliche Inhalte des kulturellen Codes Jugendlicher sich in ihr konzentrieren und sinnstiftend aussprechen. Ich will damit nicht behaupten, dass im Gegensatz dazu das „bewegte Bild“ und seine jüngsten Entwicklungen keine metaphorische Kraft zur Weltaneignung und Selbstfindung Jugendlicher entfalten könnten und sich vorrangig „nur konsumtiv“ anbieten würden. Man kann zwischen der Welt der „bewegten“ und „unbewegten“ Bilder keinen normativen Gegensatz im Sinne eines „Mehrwertes“ konstruieren (er wäre kommunikationstheoretisch wie didaktisch nicht vertretbar), aber dennoch: Gerade im Hinblick auf die uns umgebenden inflationären Bildreize trainiert das unbewegte Bild in seiner Vereinzelung die didaktische Kompetenz der Entscheidung, der Auswahl auf Seiten der Lehrerin und der bewussten, momentanen Konfrontation auf Seiten der Schüler. Es stellt damit m. E. eine stärkere qualitative Herausforderung an sich (an das Bild) und an den Kommunikationsprozess. Die punktuelle Konzentration, die es verlangt, muss sich auch als Qualitätsmerkmal, als Kriterium der Auswahl, im vorgestellten Bild finden lassen: Das Einzelbild muss mindestens genau so viel Botschaft transportieren können wie die Bildsequenz inklusive Ton oder Musik. Nur so, durch seine erstaunliche „Transportleistung“, kann es sich gegenüber dem bewegten Bild heute noch profilieren. Es muss mit mehreren Dimensionen, Sinnschichten, Aspekten überzeu-
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gend aufgeladen sein, unterschiedliche Anschlussmöglichkeiten bieten, offen und mehrdeutig zur Annäherung verlocken, Eigendynamik entwickeln … Aber können solche Ansprüche im Umgang mit diesem Medium im Religionsunterricht eingelöst werden? Sicher nicht alle. Die ideale Vorgabe will hier Anreiz sein, den Einsatz des Bildes als bewussten, qualitätssteigernden Vorgang im Unterricht zu betrachten. Sie steht im Kontext der „Entschleunigung“ von Unterricht und der Erziehung zum verstehenden, „lesenden“ Sehen, und kann über diese „Rückbesinnung“ zum kreativen Umgang mit dem Medium Fotografie und zur eigenen Bildproduktion anregen.
Foto und Fotografie: Im RU vernachlässigt Welche Art Fotos im Religionsunterricht begegnen und wie mit ihnen umgegangen wird, zeigt sich am besten in Religionsbüchern und Arbeitsmappen. Dort stößt man von den 70er Jahren an bis Mitte der 90er auf ein oft wenig geglücktes (weil nicht genug reflektiertes und zielprogrammiertes) Sammelsurium von aktuell gemeinten dokumentarischen Fotos, Bild-Leisten, künstlerischen Fotos (vor allem Porträts und Menschen in Begegnung) zusammen mit Kunstbildern, Skizzen, Zeichnungen und Werken spezifisch religiöser Künstler (W. Habdank, R. P. Litzenburger, Sieger Köder, Relindis Agethen …). Einerseits hat man in diesen Jahren das Foto für den RU „entdeckt“, andererseits blieben aber die Präsentation der und Umgang mit den Fotos lange verbesserungsbedürftig, besonders, was die Religionsbücher betrifft. Die Fotos sind meistens s/w gedruckt und im Gegensatz zu den Kunstbildern (die auf eigenen Seiten angeordnet sind oder mehr für sich stehen), eher mit dem Text verbunden (den sie aber inhaltlich nicht immer gut interpretieren) und in diesen eingearbeitet, aber leider oft so, dass in den Büchern für die Sek I aufwärts schnell der Eindruck der „Bleiwüste“ entsteht. (Wahn, Diss.Päd. 1989; Brockmann 1980: 82-93; Schmidt 1980: 59-82). Ist die Präsentation achtloser, sind gerade die Fotos oft veraltet oder belanglos, fordern sie die Schüler nicht heraus, bringen sie höchstens zum Lachen (womit sie wenigstens eine Reaktion ausgelöst hätten). Diaserien und Folien finden sich als Medien und somit eigene Publikationen neben den Religionsbüchern und legitimieren geradezu deren anspruchslose bildnerische Ausgestaltung. Als Beispiel unter anderen lassen sich Seiten aus dem Schulbuch „religion 9/10“ im Diesterweg-Verlag anführen (1982). Die sachliche „Härte“ der s/w-Fotos galt damals als fortschrittlich für ein Religionsbuch (vgl. auch „Den Glauben leben“ 9. Klasse, Herder-Verlag 1990, weiteres Beispiel im Diesterweg-Buch S. 53 u. S. 93 und im Herder-Buch S. 48 u. S. 93). Diese Sachlichkeit schlug sich auch in Fotomappen nieder, die die Welt von heute mit dem Glauben korrelieren sollten (Zielfelder-Vorstellung, Korrelationsdidaktik. Beispiele: „Hoffnung für Heute und Morgen“: 31 Themen aus der Welt, in der wir leben mit Fotos, Bibeltexten und Worten von Menschen unserer Zeit. Und in derselben Reihe: „Wir suchen das Leben“(Kiefel 1970 u. 1973). So lassen auch die oben erwähnten Religionsbücher mit den Fotos die Welt ins Klassenzimmer (Abbildung 3 im Anhang), aber eben noch nicht überzeugend genug, weil zu wenig auf die Eigenständigkeit dieser Welt geachtet wird. Bei vielen dieser Fotos springt sofort deren Abzweckung ins Auge, es sind für Religionsbücher „typische“ Fotos, die die Rezeption einseitig lenken und festlegen. Die Bedeutung der Fotos wird meist auf ihren Informationsgehalt eingeengt, sie sollen sehr deutlich „sprechen“ und damit gut erklärt werden können. Immerhin ist „Aktualität“ gefordert: „Fotosprache. Das aktuelle Foto in Religionspädagogischen Praxisfeldern“: so der Titel eines Aufsatzes in der Zeitschrift „Der evangelische Erzieher“ (Failing 1976: 38-49). Positiv ist ferner anzumerken,
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dass in den 70er Jahren die Sachlichkeit der Fotos auch durch engagierte Inhalte begleitet wurde, die den „problemorientierten Unterricht“ unterstützen sollten. (Jost 1977; Ruddat 1976: 2531). Bei anspruchvolleren Schulbuchprojekten dominiert aber die Bildsymbolik und das Bild aus der Kunstgeschichte, nicht etwa das Foto, z.B. im Unterrichtswerk „Schulbuch“ Sek. I. von H. Halbfas (das jetzt neu bearbeitet wird, siehe im Folgenden). Wenn auch im besser gestalteten Unterrichtswerk das Foto hinter Malerei und Kunstbild zurückbleibt, ist das wohl ein Hinweis darauf, dass hier dem Foto nicht der gleiche künstlerische Rang zugebilligt wird, eine nach heutiger Kunstauffassung überholte Vorstellung. Der Nachholbedarf im Bereich Fotografie für die Religionspädagogik wird auch darin sichtbar, dass Foto und Fotografie im Lexikon der Religionspädagogik (LexRP) von Mette / Rickers nicht unter dem Stichwort „Bild(didaktik)“, sondern (großzügig ausgelegt) unter „Mediendidaktik“ vorkommen (2001: 186 ff; Bd.2: 1307ff ). Die eigentlichen Stichworte tauchen selbst hier nicht auf! Das gilt auch für das „Neue Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe“ (Bitter u.a. 2002). Die grundständige „Religionsdidaktik“ von Hilger, Leimgruber und Ziebertz widmet der „Fotographie“ sieben Zeilen (2001), stellt aber im Zusammenhang der Arbeit mit Fotos immerhin die Autonomie des Bildes heraus: „Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler wollen ihre Bilder nicht verzwecken oder in den Dienst einer zuvor bestehenden Aussage stellen, sondern das Werk wirken lassen … Deshalb ist RU elementare Wahrnehmungsschule … Auch Fotos können eine Tiefenschärfe aufweisen, die zu diskutieren gibt. Sie sind oft mehrdeutig und unterschiedlich deutbar. (Hilger 2001: 224) Drei Tendenzen zeichnen sich (erst!) seit etwa 2000 und heute im Einsatz der unbewegten Bilder im Religionsunterricht ab: Einmal die Optimierung der illustrativen Funktion des Einzelbildes und professionelles Layout, vor allem im Bereich von Bibeldidaktik und Weltreligionen oder was Informationen zur eigenen christlichen Religion betrifft (Beispiele hierfür sind: Die Neuausgabe des Unterrichtswerkes für die Sek. I „Religionsbuch für das 5.- 10. Schuljahr“ von H. Halbfas, Patmos-Verlag, Düsseldorf 2005; Das Religionsbuch „Kursbuch Religion“ 5/6 ff des Calwer Verlages, Stuttgart 2005; „Lebenswege. Religion in der Grundschule“, Patmos-Verlag Düsseldorf ). Die Erschließung der Kunstgeschichte christlicher Thematik für den Unterricht (Goecke-Seischab 2004; Degen/Hansen 1998). Bildmeditationen zu existenziellen Situationen („Lebensbilder 2004/05). Die Bücher werden jetzt durchgängig farbig gedruckt. Besonders die Neuauflage des Religionsbuches von H. Halbfas fällt durch die geglückte Verbindung von Text und Foto auf, und löst die in der Verlagsankündigung versprochene bessere Bildpräsentation voll ein. Das Foto ist deutlich mehr als bloße Text-Illustration (Abbildung 2 im Anhang). Diese Entwicklung hatte sich z.B. in den beiden Unterrichtswerken für Haupt- und Realschule aus dem Kath. Bibelwerk Stuttgart vorbereitet, die der ehemalige Schulreferent der Diözese RottenburgStuttgart, G. Jerger, innovativ auf den Weg gebracht hatte: Lebenslinien (HS) und Jahresringe (RS), besonders in ihrer Gestaltung seit Ende der 90er Jahre (z.B. Lebenslinien Kl. 7/ 8 u. 9: 2001; Jahresringe Kl. 8 u. 10: 1999; Kl. 7: Klasse 9: 2000/2001). Das anspruchsvolle Einzelfoto, das ausdrucksstarke künstlerische Foto, begegnet aber weiterhin eher in religiösen Bildbänden und Zeitschriften (z.B. ferment, Ch 4410 Liestal) außerhalb des Religionsbuches. Fotobände religiösen Inhalts (meditativ; heilige Orte und große Persönlichkeiten, Lebens -Phasen, -Kunst und Hilfe) besetzen zwar ein großes Segment der Buchproduktion religiöser Verlage, aber das schlägt sich kaum in der Produktion für Unterricht und Bildung nieder, gehört zum Privatbereich, wird gerne gekauft und verschenkt oder gerät in den Umkreis eines „Coffee-table-books“. Foto und
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Fotokunst fristen anscheinend in der Religionspädagogik noch eine Randexistenz. Jedenfalls im Alltags-RU vor Ort. Das gilt zuerst für die Lichtfotografie, aber heute erst recht für das digitale Fotografieren, bei dem sich die intensive Wirkung des Einzelbildes mit erweiterten kreativen Möglichkeiten und der oben angesprochenen Interaktivität der bewegten Bilder verbinden lässt. Wo in Lerngruppen des RU digital fotografiert wird, macht sich allerdings die Sogkraft der bewegten Bilder bemerkbar, entstehen Projekte mit Drehbuch, Fotogeschichten und Filmsequenzen. Die Konzentration auf das Experiment mit dem Einzelbild, also die Möglichkeit, diese neue Technik für den kreativen Umgang mit dem Einzelbild zu nutzen, wird zu wenig beachtet, ist von der Faszination der bewegten Bilder überlagert. Ähnlich verhält es sich mit der Rezeption von (Digital-)Fotografie an den Ausbildungseinrichtungen („Digitale Fotographie im RU“ Päd. Tage des Studienseminares GHRF Frankfurt/M. Juni/Juli 2005). Dagegen boomt im RU die Beschäftigung mit dem Internet und zur religionspädagogischen Filmdidaktik gibt es eigene Monographien (Tiemann 1995 u. 2002).
Vom mediendidaktischen Arbeits-Instrument zum Fenster auf Welt und Mensch Zu Recht konstatiert G. Adam: „Es gibt bisher wenig Veröffentlichungen darüber, was es für die Gestaltung eines Schulbuches für den RU bedeutet, wenn man die didaktische Leistung von Fotos und Fotomontagen in der angesprochenen Weise ernst nimmt“(Adam/Lachmann 1993:272, vgl. NA 4-2002). Das Zitat ist dem weit verbreiteten Kompendium von Adam / Lachmann entnommen, das die Fotografie zu den bildorientierten Unterrichtsmethoden zählt und in den Zusammenhang folgender sechs Dimensionen stellt: Bildnerisches Gestalten (=Malen, Entwickeln von Bildern) – Sprechzeichnen – Umgang mit Kunst – Arbeiten mit Karikaturen – Arbeiten mit Fotos, Folien, Comics – Audiovisuelle Medien in RU und Gemeindearbeit. Bezeichnenderweise handelt es sich um ein methodisches Kompendium, das hier in den Umgang mit Fotos einführt, und nicht etwa ein Lehrbuch zur Bilddidaktik (Adam/Lachmann 1993: 211-296 u. 269-276). Auch in dieser Einführung wird das kreative Zentrum beim Bildnerischen Gestalten (als Alternative zur Textarbeit) gesehen: Die „freie, individuelle Bild-Gestaltung als bildnerische Eigentätigkeit“, (Eva Müller bei Adam/Lachmann 1993: 223) und das Malen (als beliebtes Ausdrucksmittel des RU von der Grundschule an), spielen dabei eine große Rolle. Die Fotografie kommt in diesem Abschnitt nicht vor, sondern wird dem Kapitel „Arbeiten mit Fotos, Folien, Comics“ zugewiesen und von Gottfried Adam als „Arbeitsmittel“ bezeichnet – Arbeitsmittel sekundärer Art. Wenn Fotokünstler ihr Medium ebenfalls als Arbeitsmittel betrachten, sehen sie in ihm ein primäres Ausdrucksmitttel ihrer Gestaltungskraft. Anders im RU: Das Foto ist wenig oder gar nicht „Primärquelle“ zur religionspädagogischen Erschließung der SchülerInnen-Welt, sondern Arbeitsmittel „wie die Folie“ und wird „in Dienst genommen“. In dieser Hinsicht wird sein Originalitätscharakter immer noch verkannt oder minimalisiert: „Sieht man sich die Fotos unter dem Gesichtspunkt ihrer didaktischen Leistung an, so ist zum einen wichtig, dass Fotos eine Informationsleistung vollbringen können, die primär nicht darauf abzielt, emotional berühren zu wollen … ich erinnere mich an ein eindrückliches Foto einer Luftaufnahme von der JordanEbene, um den Schülerinnen und Schülern einen Eindruck davon zu vermitteln, wie vor den Augen der Israeliten das Gelobte Land lag und auf sie wirken musste.“ (Adam in Adam/Lachmann 1993: 271 unter Hinweis auf Wahn 1989). Dieser Typus der dokumentarischen Fotografie, „sachlich informierende Aufnahmen, in denen über geographische, kulturelle, politische,
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historische, bibel-, kirchen- und religionskundliche Fakten visuell informiert wird“ (Adam in Adam/Lachmann 1993: 270), steht heute mehr denn je im Vordergrund. Allerdings findet sich in dieser Linie auch ein differenzierter pädagogischer Akzent, exemplarisch dann, wenn das Foto im Zusammenhang der Phänomenologie der Weltreligionen steht, und in diesem Kontext eine besondere Aufgabe zwischen emotionaler und objektiver Wahrnehmung zu erfüllen hat. Dann geschieht mehr als Dokumentation. Dann bildet das Foto eine Brücke zwischen Neugier, Staunen, Verwunderung, auch Ablehnung (und Angst) und Gelten- Lassen, Distanz, Akzeptanz des „Merkwürdig Anderen“. Dies betont Christian Grethlein in seiner „Fachdidaktik Religion“: „In der Spannung zwischen dem Wahrnehmen des religiösen Gegenstands und dem existenziellen Bezug hat sich die Arbeit mit Fotos als eine sehr gute Methode herausgestellt … Methodisch tritt hier die besondere Möglichkeit eines Fotos gegenüber anderen Medien zu Tage. Gegenüber dem Film, der vom schnellen Ablauf der Szenen geprägt ist und durch gute Schauspieler zu direkter Identifikation einlädt, zwingt das Foto zu langsamer Betrachtung und verschafft gleichzeitig mehr Distanz. Gegenüber einem mündlich vorgetragenen Text ist es beständiger, gegenüber einem schriftlich vorliegenden Text anschaulicher“ (Grethlein 2005: 315). Man darf hinzufügen: Hier kommt eine besondere Verantwortung im Umgang mit Fotos zur Sprache, wie sie auch für die Printmedien der Informationsgesellschaft gelten sollte und wie sie im öffentlichen Raum Schule eingeübt werden kann. Bestes Beispiel sind „Kopftuch-Fotos“ muslimischer Frauen oder Fotos orthodoxer Juden. Wo wird die Information zum Klischee oder zur Provokation? Wo gibt sie andere Lebensformen der Lächerlichkeit preis oder bietet sie ungeschützt dar, besonders, wenn ihr ursprünglicher kultureller Zusammenhang nicht mehr sichtbar ist? Fotos mit religiösem Inhalt oder Bezug sind besonders intensiv nach ihrer Herkunft und Aussage-Absicht zu befragen – und laden auch zu dieser Befragung exemplarisch ein! Dies entspricht der aktuellen religionspädagogischen Debatte, in der es darum geht, „Religionspädagogik nach dem so genannten Traditionsabbruch im Zeichen von Pluralität und einer „Wiederkehr“ der Religion zu konzipieren. In dieser Perspektive haben die Frage nach „gelebter“ Religion und die Begegnung mit „authentischer“ Religion einen neuen Stellenwert bekommen. Mit anderen Worten: Die konkrete Erfahrung mit Religion soll den RU bestimmen, Religion soll „gezeigt“ und – zumindest „probeweise“– mit allen Sinnen erfasst und erlebt werden.“ (Kraft: www.rpi-loccum.de) Daraus wird auch klar, dass man mit Fotos, die vorrangig nur der Auflockerung des Unterrichtes oder der Ausschmückung des Vortrags dienen, die also einfach-illustrativen Charakter haben, vorsichtig sein sollte. Die Absicht lockerer Unterhaltung kann schnell zum Problemfall mutieren. Gleiches gilt, wenn ich Fotos „nur“ als Einstieg zu einem problemorientierten Thema verwende, wie das manchmal bei der „Photolangage“ der Fall ist (s.u.). Adam geht in seiner Einführung aber auch auf den interpretativ-hermeneutischen Charakter als besondere didaktische Leistung von Fotos ein. Didaktisch hoch bedeutsam schätzt er vor allem die „anthropologische Fotografie“, die sich direkt oder indirekt auf den Menschen bezieht. Dies führt den informativen, illustrativen und methodisch-instrumentellen Charakter des Fotos entscheidend weiter und liegt auf der Linie der vom Menschenbild geprägten Fotomappen seit den 70er Jahren (s.o. G. Jost). Menschliche Dimensionen und Situationen, Lebensfragen, Handlungsweisen (z.B. Streit und Versöhnung), Mensch in Welt und Umwelt, gesellschaftliche Prozesse (Arbeit und Beruf ), werden durch Visualisierung konkret. Hier zeigt sich, dass der Rahmen originaler Welterschließung durch Fotos und Fotografie weiter ausgezogen werden kann, auch weiter als etwa die Motiv-Fotografie, also z.B. die bewusste Wahrnehmung von Natur und (religiös formuliert) Schöpfung. Das Foto als Meditationsbild nimmt hier eine Zwischenstellung ein, während die Porträtfotografie ins Zentrum des anthropologischen Ansatzes führt.
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Die „anthropologische Fotografie“ bietet sich in besonderer Weise als Ausgangspunkt kreativen Gestaltens an, wenn das Bild die Bezüge zur Wirklichkeit übersteigert oder verfremdet. Gleiches gilt für Fotomontage und Collage. Durch die preiswerte Vervielfältigung von Fotos ist dies heute sowohl in der Lichtfotografie als auch erst recht mit der Digitalfotografie möglich und im Unterricht machbar. Hier geht es noch viel intensiver um das Bild-Experiment bei der Entstehung des Fotos oder seiner nachträglichen Bearbeitung. Wieder eher instrumentell wirkt heute dagegen die von Adam breit vorgestellte Methode der Fotosprache, bei der es darum geht, aus einer Vielzahl vorgelegter Fotos das jeweilige Lieblingsbild auszuwählen und in der Gruppe vorzustellen. Es entsteht eine Bild-Text-Kommunikation via Bild und Bild-Inhalt, die sehr aktivierend und aufschließend werden kann, aber vom meinerseits herausgestellten Eigencharakter des Fotos und seiner Möglichkeiten ablenkt. (Adam in Adam/Lachmann 1993: 273 f; Bücken 1985). Darauf weist schon die Verbindung zum „Sprachcharakter“ des Bildes hin. G. Adam bringt abschließend Vorschläge zur gestalterischen Arbeit mit (fertigen) Fotos, die ich im Anhang als Tabelle zitiere. Allerdings sind diese Methoden nicht spezifisch für die religionspädagogische Arbeit mit Fotos. Und viele dieser Verfahren können auch mit anderen Bildern, die nicht primär Fotos sind, durchgeführt werden. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur kreativen Arbeit mit genuinen Fotos und deren ursprünglicher Verbindung zum (Akt des) Fotografieren(s): Für mich ein wesentliches Element des Originalitätsbegriffes im Hinblick auf das Foto im RU und seinen Durchblick auf Welt und Mensch!
Forderungen an eine zeitgemäße Fotodidaktik im Religionsunterricht Aus dem bislang Gesagten ergeben sich u.a. und noch unsystematisch folgende Forderungen an eine zeitgemäße Fotodidaktik im Religionsunterricht oder in religionspädagogischen Arbeitsmitteln: 1
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Keine künstlerische Abwertung der Fotografie zugunsten des Kunstbildes, auch nicht im Hinblick auf das reiche christliche Kunsterbe. Stattdessen: gleichrangige Aufnahme der künstlerischen Fotografie Das Foto ist bestens geeignet, Religion selbst zu erschließen, Religion „ansichtig werden zu lassen“: dokumentarisch und existenziell Wahrnehmung des Fotos als Primärquelle von Religion, nicht nur als Arbeitsmittel Rücknahme einfach erzählender oder illustrierender Fotos; sehr bewusster, kritischer Einsatz von Fotos als Informationsquelle Bei aktuellen Fotos deren „Halbwertzeit“ beachten: sie altern rasch! Professionelle Präsentation der Fotos im Layout der Religionsbücher Vorsicht vor dem „absichtlich religiösen“ Foto! Verstärkter Einsatz künstlerischer Fotografie, die sich nicht auf den ersten Blick entschlüsselt. Der geschlechterspezifische Blickwinkel verdient mehr Aufmerksamkeit; viele Bilder (von Mädchen) sind aus der Männer-Perspektive fotografiert: Gefahr der „Verniedlichung“!
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Aufarbeitung des Theorie-Defizites zwischen einer religiös verantworteten Bildtheorie (vorhanden: Meyer 2002) und einer religionspädagogischen Fotodidaktik. (Pirner/Breuer 2004). Altersspezifische Fotodidaktik: Untersuchungen zur Rezeption von und zum Umgang mit Fotos z. B. im Primarbereich des RU fehlen. Erarbeitung einer Fotodidaktik RU im Zusammenhang der Bildungspläne ist noch Desiderat Foto und Fotografieren sollten mehr zusammen gesehen werden und als Arbeitsweise im RU Verwendung finden. Durch die Möglichkeiten der Digitalfotografie lassen sich einfacher und preiswerter Bilder produzieren und kreativ weiter bearbeiten als früher. Einsatz von Foto und Fotografie als „Schule des Sehens“ (Hildesheimer 2-1997). Aufnahme, Aufbereitung und Verarbeitung der Fotokunst seit den 60er Jahren (Frizot 1998) ist nachzuholen: Pop-Art, Konzeptkunst, Fluxus-Happenings, Land-Art und Body-Art: Namen wie Yves Klein („Anthropométrie“), Hermann Nitsch („Sühneaktion“), Urs Lüthi (Körperstudien), Bruce Naumann, Dennis Oppenheim, Christian Boltanski, Joseph Beuys kommen in der RP kaum vor. Künstler, die mit Übermalungen von Fotos arbeiten, sind ebenfalls kaum rezipiert: Andy Warhol (Porträts!), Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Sigmar Polke, Friedemann Hahn, Arnulf Rainer. Letzterer wird wohl am intensivsten wahrgenommen. (Ladleif 2004; Hoeps 2005) Berührungsängste vor der aktuellen Kunstszene schlagen gerade im Bereich künstlerischer Fotografie zu Buche und führen zu unnötigen Fehlstellen im Gespräch zwischen Gegenwartskultur, Religion und Religionspädagogik.
Zum Beispiel religionspädagogische Fotoprojekte: Eine Auswahl Folgende Arbeitsfelder oder Erschließungsdimensionen bieten m. E. besondere, induktive religionspädagogische Zugänge für Foto und Fotografieren (teils als Projekt, teils als Unterrichtssequenz): 1
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Projektunterricht Kirchenbau / Kirchenraum – Pädagogik (in Verbindung mit christlicher Kunst: Rupp 2006): Wir fotografieren eine/unsere Kirche (oder eine historische Kirche/Kathedrale anlässlich einer Exkursion): Als Freiaufgabe vor Ort, teils in Arbeitsgruppen. Detail- und Gesamtaufnahmen des Gebäudes und seiner Ausstattung, unterschiedliche Blickwinkel … Projektunterricht „Christen in unserer Stadt“ I (allgemein: „Religion(en) in unserer Stadt“: ru Heft 2/2002). Wir erkunden Zeichen religiöser Gegenwärtigkeit: Gebäude, Denkmäler, Hinweisschilder, Symbole … (Pirner in Adam/Lachmann Aufbaukurs 2002: 309 bis 321; Röll 1998: 324 ff ) Vernetzung mit Geschichtsunterricht, Gemeinschaftskunde. In interreligiöser Umgebung: interkulturell-integrativer Ansatz. Projektunterricht „Christen in unserer Stadt“ II Religiöse Berufe und Menschen (auch die Religionslehrerin !), Pfarrer, Gemeinderäte, ehrenamtliche Helfer, soziales Engagement und Dienste, auch anderer Religionen – integrativer Ansatz.
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Erweiterung: Heilige wie wir – local heroes besondere Menschen unserer Region, Lernen an fremden Biografien. (ru Heft 4/2004) – Vernetzung zum pragmatischen RU, z.B. Dokumentation eines Compassion-Projektes o.ä. (Kuld 2004) Projektunterricht Schul- und Städte-Partnerschaften Beteiligung der Religionsklassen mit Fotos und Foto-Postern Projektunterricht Fotografie, Geschichte und Religion I Erinnern und Lernen. Zeitzeugenschaft in unserer Stadt. Menschen und Objekte erzählen von jüdischer Vergangenheit, Verfolgung und Gegenwart. – Vernetzung mit Geschichtsunterricht, Gemeinschaftskunde, Deutsch (Texte). Fotografie, Geschichte und Religion II: Unsere eigene Gedächtnisspur zeichnen. Fotos als Familiendokumente und ErinnerungsHilfe (vorhandene Fotos suchen, sammeln, in einen Zusammenhang bringen, evtl. kopieren, bearbeiten: Scannen, digitale Verarbeitungsmethoden, vgl. Schibler 1997: 18-19). – Suche nach Heimat: In interkultureller Umgebung integrativer Ansatz. Fächerverbund Biologie/Religion unter Beteiligung der Kunst „Vom Auge zum Herzen und umgekehrt“. Zum Thema „Sehen-Lernen“ biologisch, religiös und im Fach Kunst. Meine neuen Augen Fotografie als religiöse Seh-Hilfe. Neue Perspektiven des Schauens. In meiner Welt sprechende Bilder finden zu Leitthemen der Biblischen Botschaft (Motiv- und Naturfotografie, Schöpfung, Geschenk, Befreiung, Freude, Gemeinschaft…). Mit vorhandenen und neu produzierten Fotos. Sehen lernen und Gesicht zeigen Fotoprojekt und ethische Grundeinstellung: Richtig hin-schauen, Verantwortung übernehmen: Im Zusammenhang des Aktionsbündnisses weltoffenes Deutschland e.V., „Gesicht Zeigen“ (seit 2000: www.gesichtzeigen.de).
Auf dem Weg zum Porträt-Projekt Inhaltliche Leitlinie: Nicht nur mein Spiegelbild sehen: Ich finde zu mir aus der Blickrichtung der Anderen oder: „Ich sehe Dich mit neuen (anderen) Augen.“ Ich lasse mich von Dir entdecken. Im Zentrum anthropologischer Fotografie steht gewiss das Porträt; und das Angesicht, das Antlitz (biblisch: das „Zugewandte“) ist auch eine Mitte der drei untereinander verwandten monotheistischen Religionen Judentum, Christentum, Islam: Nämlich im Hinblick auf ihren personalen Grundzug im Menschen- und Gottesbild, in ihrem Begegnungs-Charakter als Dialog und in der Gemeinschaft. Angesprochen-Sein und -Werden trifft (trotz des Bilderverbotes im Judentum und Islam) auf ein Gesicht, ein Gegenüber, das aus aller übrigen Schöpfungswirklichkeit herausgehoben ist, wie es Klopstock unvergleichlich zusammenfasst: „Schön ist Mutter Natur deiner Erfindung Pracht / auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht, / das den großen Gedanken / Deiner Schöpfung noch einmal denkt“ (Der Zürchersee, Eingangsstrophe).
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Wer sich für einen bildnerischen Ansatz entscheidet, entscheidet sich für den Vorrang eines ganzheitlichen RU gegenüber einer bloßen „Worttheologie“. Auch die biblische Überlieferung sieht, richtig verstanden, Wort und Bild miteinander verschränkt, z.B. in der Einleitung zum AmosBuch: „Die Worte, die Amos, ein Schafzüchter aus Tekoa, in Visionen über Israel gehört hat…(Amos 1:1). Die Verbindung von primärer Kommunikation (mein Leib als Medium, Gestik, Mimik, eigene Sinne, vgl. Liechti Diss. 2000) mit dem in dieser Hinsicht abgeleiteten Medium (digitale) Fotografie, hat hier ihre große Chance. Unterstützung für solche Didaktik kommt seitens des kritisch-kommunikativen Ansatzes, „der eine offene Unterrichtsplanung zulässt und die Schüler intensiv und freier mit der Möglichkeit eines dialogischen Unterrichtsverfahrens in den Unterricht einbezieht“ (Eva Müller in Adam/Lachmann 1993: 226) Und: „In einem entsprechend gestalteten Unterricht erhalten die Schüler die Möglichkeit, ihre vielseitige Menschlichkeit zu erleben; sie lernen ihre individuell geprägten Fähigkeiten im kreativen Handeln einzusetzen“ (Eva Müller in Adam/Lachmann 1993: 211) Das Foto-Porträt setzt der Beschäftigung mit dem nur virtuellen Bild die personale Wirklichkeit entgegen oder verbindet sie damit. Das Foto-Projekt wird zur Arbeit an meiner eigenen Wirklichkeit mit virtuellen Mitteln! (Müller in Bitter u.a., NHrpG 2002: 165-168). Bekannte deutsche Porträtkünstler (vgl. das Feature in der Zeitschrift „Elle“ vom März 2006): Loretta Lux (macht auch Selbstporträts, geht wie eine Malerin vor); Oliver Mark (porträtiert berühmte Künstler auf ungewohnte Weise); Martin Schoeller (macht extreme Nahaufnahmen): „In der Nahaufnahme kann sich der Porträtierte nicht verstellen. Das erfordert Mut“. Jens Umbach: fotografiert am liebsten im Gegenlicht; Christian Schoppe: „Das beste Foto entsteht immer dann, wenn die Atmosphäre von Offenheit und Ehrlichkeit geprägt ist. Dann nämlich lässt der Mensch die Maske fallen – mit 15 habe ich angefangen, Menschen zu fotografieren. Verwandte und Freunde“: „Das Gesicht, das aus der Wärme eines Blickes wächst“ (Picard 1961: 58 f ). Die kreativste Veröffentlichung dazu war ein kleiner Sammelband von Hajo Bücken aus dem Jahre 1985. (Bücken 1985: 37-66).
Die folgenden Anregungen sind für die Sekundarstufen ausgelegt. Annäherung und Hinführung: 1
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“Porträt“ von Türen: Sich öffnen und sich verschließen. Die Erlebniswelt von Türen, die mir etwas bedeuten (Höfler 2001: 16-19) Fotoarbeit mit Symbolwert und Rückbezug auf mich selbst. Wir fotografieren Familienmitglieder: Im Betrachten solcher Bilder tasten wir uns zu unserem eigenen Bild vor (Höfler 1999: 31) Alterssequenzen meiner eigenen Fotos aus dem Familienalbum sind möglich (siehe oben zur „Gedächtnisspur“). Der ganze Mensch: Gott liebt uns auch körperlich: Wir entdecken fotografierend unsere Leiblichkeit: unsere Füße, unsere Hände, unsere Nasen, unsere Augenpartie (Nahaufnahmen). Lässt sich mit Wiedererkennungs-Spielen verbinden. Als Vor-Übung kann man Hände und Füße auf Papier umrisshaft nachzeichnen oder mit Fingerfarben abdrucken. Körperbemalung (Hände, Gesicht).
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Die Poetik des entscheidenden Augenblickes: Momentaufnahmen, Schnappschüsse: Schülerinnen fotografieren sich in Bewegung, bei Aktionen oder (einfacher) in Bewegungs-Gesten und Pantomimen (Buck in Adam/ Lachmann, Aufbaukurs 2002: 209-222). Ein Bild drückt meine Stimmung aus: Ich inszeniere mich in einer Haltung, einer Geste (gefrorenes Bild, Standbild vgl. Szagun in Adam/Lachmann Aufbaukurs 2002: 259-266). Mein Gesicht ist eine Maske: Ich drücke meine Stimmung („nur“) mit meinem Gesicht aus. Beide Vorschläge (Stimmungen, Maske) lassen sich wieder mit Vorübungen verbinden, die noch nicht fotografiert werden. Ich kann mein Gesicht manipulieren: Ich kann mich schauspielernd verstellen oder mein Foto verändern, indem ich es papiertechnisch oder digital bearbeite (verschönern, verfremden). Papiertechnisch: Alle möglichen Methoden der Arbeit mit Papierbildern, siehe Tabelle im Anhang. Automaten-Porträt: Pass- und Ausweis-Foto, serielles, mechanisches Foto: Wer fotografiert mich da?
Mögliche nicht-fotografische Zwischenschritte (aber mit Bildern/Fotos): 1 1 1 1 1 1
Mensch und Maske, Gesichts- und Körperbemalung, Karnevals- und Ethnomasken, Totenmasken … „Gesichts-Transplantation“ als ethisch-medizinisches Problem Schönheits-Chirurgie, „Face-Lifting“ Werbung, Mode und das schöne Gesicht: Mit Gesichtern aus Zeitschriften arbeiten (vgl. Tabelle im Anhang) Auseinandersetzung mit A. Warhols Porträt-Serien oder Arnulf Rainers Übermalungen. Auseinandersetzung mit Kunstfiguren der Computerwelt („Cyber-Space“).
Wir entdecken unser wahres Gesicht: Wie der/die andere und wie wir uns sehen wollen. Porträtfotografie in Partnerarbeit (Schwerpunkt). Das Gesicht: ungeschützt und unverhüllt (wichtige Ausnahme, die interkulturell zu berücksichtigen ist: die Verhüllung der Frau im Islam!), ist es der Brennspiegel der Persönlichkeit, das wichtigste Medium der Zuwendung, aber auch des Sich-Verbergens, der Abwendung. Alain Fienkelkraut im Anschluss an Emmanuel Lévinas: „Vor dem verwirrenden Geflecht von Körper und Seele liegt die Nacktheit des Antlitzes. Das Antlitz des Andern ist nackt, bevor es gekünstelt oder authentisch ist, malerisch oder banal, verführerisch oder abstoßend, vertraulich wie ein zuletzt doch ausgeplaudertes Geheimnis oder undurchsichtig wie eine nicht zu entziffernde Hieroglyphe“ (Themenheft 2006: 33).
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Die Partner (vielleicht sind Partner aus unterschiedlichen Kulturkreisen dabei?) verständigen sich darüber, wer „wie“ fotografiert werden will: Haare, Frisur, mit/ohne Kopfbedeckung, evtl. geschminkt, seitlich oder frontal, im Licht oder Gegenlicht, mit wechselndem Hintergrund, mit Filter und Weichzeichner oder mit harten Kontrasten, s/w oder farbig… die Partner tauschen ihre Porträts aus und schreiben jede(r) für sich Eigenschaften auf, die sie in diesem Gesicht entdecken (Arbeitsblatt vorbereiten). Austausch und Gespräch darüber. Änderung der Texte mit den Eigenschaften, Endform erstellen. Veränderungen der Porträts nach den eigenen Vorstellungen und Wünschen, entweder digital oder in Papierarbeit (Tabelle im Anhang). Austausch darüber, Endform erstellen. strukturierte Vorstellungsrunde im Plenum.
Das von D. Zilleßen herausgegebene Schulbuch von 1982 enthält S. 105ff Fotos, Texte und Aufgaben zum Thema „Liebe, Partnerschaft, Aggression“ mit dem Abschnitt: „Wie ich mir meinen Partner vorstelle“. Dieses Beispiel zeigt, wie das Fotoprojekt „Porträt“ sich weiterführen lässt als Gestaltungsbereich des partnerschaftlichen „Du“ Jugendlicher. Dies erfordert eine Lerngruppe, die sich gut kennt und Vertrauen zueinander entwickelt hat.
Anhang
Abb. 1: Beispiel Foto und Text im Schulbuch: „religion 9/10“ aus dem Diesterweg-Verlag (D. Zilleßen), Frankfurt/M. 1982, S. 107. Fotos Hennes Maier.
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Methodische Verfahren zur Arbeit mit Fotos 1. (Gemeinsame) Betrachtung eines Fotos, dann - Assoziationen nennen - Beschreibung des Fotos (Motiv? Elemente des Fotos? Bildaussage? ...) und Formulierung eines Bildtextes - Bildtitel finden 2. Erfindung von möglichen Handlungsabläufen: Was geschah vor und nach dem Moment der Aufnahme des Fotos? 3. Dargestellte Personen ‚zu Wort kommen lassen‘ Sprech- oder Gedankenblasen auf Folie/Transparentpapier 4. Wesentliche(n) Ausschnitte des Fotos kennzeichnen. Ausschnitt verändern. 5. Kombinationen von zwei oder mehreren Fotos: - einander ergänzend, fortführend, verdoppelnd - gegensätzlich, kontrastierend - Detail eines Fotos akzentuierend 6. Auswahl eines Fotos aus mehreren vorgegebenen Fotos: - Foto zu einem bestimmten Thema - Foto mit einem starken emotionalen Eindruck 7. Kombination von Fotos und Texten: Dabei sollte das Foto nicht nur zur Illustration der Textausgabe verwendet werden. 8. Veränderung eines Fotos mit dem Ziel der Verfremdung, Kontrastierung, Verstärkung oder Abschwächung eines Aspektes des Fotos: - Zusätze aus Illustrierten oder vom Schüler gesammelten Fotos - Übermalen mit Wachs- oder Filzstiften - Hintergrundklebearbeiten - ‚Weitererzählen‘ (situative Ergänzung, Auflösung des fotografierten Moments in Prozesse) - Sprechblasen - Austauschen von Fotoelementen 9. Zerschneiden eines Fotos (Ziele wie unter 8): - in Längs- oder Querstreifen - nach Gliederungsgesichtspunkten (Vorder- und Hintergrund, Figuren usw.) Beim Aufkleben der Streifen kann ein Bild, eine Zeichnung untergelegt werden oder der Zwischenraum ausgemalt werden. 10. Mehrere Fotos mit gleichem oder kontrastierendem Motiv zu einem neuen Bild kleben. 11. Aus mehreren Fotos eine Bildergeschichte entwerfen.
Tabelle 1: Aus: Lüpke, F.: Bilder-Vorbilder-Gegenbilder. In: Informationen. Evangelischer RU in Berlin 11/1981, S. 26, abgedruckt bei Adam, G./Lachmann, R. (Hrsg.): Methodisches Kompendium für den RU, Göttingen 1993, S. 274/75.
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Abb. 2: Beispielseite Foto und Text im Schulbuch: Das Leben der christlichen Familie. Aus: „Den Glauben leben 9“, Herder-Verlag Freiburg/Br. 1990, S. 93. Fotos: o.l. H.W. Schmidt; o.r. und u.r.: KNA; u.l. Christophorus.
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Abb. 3: Beispielseite Foto und Text im Schulbuch: aktueller Standard: Lebenswege 3 (Grundschule). Patmos – Verlag, Düsseldorf 2005
Literatur Adam,G./Lachmann,R.(Hrsg.) (1997): Religionspädagogisches Kompendium. Göttingen Adam,G./Lachmann, R.(Hrsg.) (1993): Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht 1 (Basisband). Göttingen, NA 4-2002 Adam, G. (1993): Arbeiten mit Fotos, Folien, Comics. In: Adam,G./Lachmann,R.(Hrsg.): Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht (Basisband). Göttingen, S. 269-283 Adam, G./Lachmann, R.(Hrsg) (2002): Methodisches Kompendium für den Religionsunterricht 2 (Aufbaukurs). Göttingen Beuscher, B./Zilleßen, D. (1998): Religion und Profanität. Entwurf einer profanen RP, Weinheim Biel, P. (1991):Der biographische Ansatz in der Religionspädagogik. In: Ders.: Erfahrung, Glaube und Bildung. Gütersloh, S. 224-246 Bitter,G. u.a. (2002): Neues Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe (NHrpG), München Brockmann, G. (1980): Bilder reden mit. Anmerkungen zu einem neuen Religionsbuch. In: EvErz (=Der evangelische erzieher) 32/1980, S. 82-93 Buck, E. (2002): Bewegter RU: Bewegung/Pantomime/Tanz/Symbolspiel. In: Adam,G./Lachmann, R. (Hrsg.): Methodisches Kompendium für den RU 2 (Aufbaukurs) Göttingen NA 4-2002, S. 209-222 Bücken, H. (Hrsg.)(1985): Bilder und was man damit machen kann. Offenbach/M. u. Freiburg/Br. Degen, R./Hansen, I. (Hrsg.)(1998): Lernort Kirchenraum. Münster Eisele, M. (Hrsg.) (2001): Internet Guide Religion. Gütersloh (GTB Bd. 936) Failing, W.-E. (1976) Fotosprache. Das aktuelle Foto in religionspädagogischen Praxisfeldern. in: Der evangelische erzieher 28/1976, S. 38-49 Frizot, M. (Hrsg.) (1998): Neue Geschichte der Fotografie. Köln Goecke-Seischab, M.L. (2004): Christliche Bilder verstehen. München Görg,M. (1998): Erinnere Dich! Ein biblischer Weg zum Lernen und Leben des Glaubens. In: MThZ (=Münchener Theologische Zeitschrift) 49/1998 S. 23-32 Grethlein, Ch. (2005): Fachdidaktik Religion, Göttingen Hänzi, E. (1974): Photolangage – Fotosprache. In: Zeitschrift für RU und Lebenskunde (=RL) Zürich/Köln, 2/1974, S. 14 f Hildesheimer, W. (1997. 2.Aufl.)): Schule des Sehens. Frankfurt/M.
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Fotos lesen – Leben verstehen!? Ulrike Spörhase-Eichmann
Fotografischen Abbildungen kommt eine vielfältige und bedeutende Rolle bei der Vermittlung biologischen Wissens und Könnens zu. Eine Behauptung, die schon durch eine oberflächliche Durchsicht aktueller Schulbücher eine Bestätigung erfährt. Diesen prominenten Stellenwert als Medium haben Fotografien jedoch nicht erst seit kurzem. Jede biologische Sammlung in der Schule verfügt über eine heute meist etwas verstaubte Diasammlung, und auch ältere Schulbücher beinhalten eine beträchtliche Anzahl von Fotos. Ein Grund hierfür ist, dass Fotos wie kein anderes Medium die Vielfalt des Lebendigen im Klassenraum präsent werden lassen können. Auch dem bloßen Auge verborgene Strukturen oder Prozesse können so dargestellt werden. Fotos haben seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die naturalistisch gestalteten Schulwandbilder nahezu vollständig ersetzt (Landschaftsverband Westfalen-Lippe 1994). Und die heutigen Entwicklungen in der digitalen Fotografie ermöglichen einen immer umfassenden Einsatz insbesondere durch die Schülerhand im Unterricht.
Fotos sind nicht gleich Fotos Ein zweiter Blick in Biologieschulbücher zeigt, Fotos können mit Blick auf den Vermittlungsprozess unterschieden werden. Zunächst können Fotos direkte Dokumente des Lebendigen sein, indem sie biologische Strukturen, Individuen, Lebensgemeinschaften und ganze Ökosysteme möglichst originalgetreu abbilden. Diese Fotos enthalten biologische Daten. Aus fachdidaktischer Perspektive können sie als Medien mit einem geringen Abstraktionsgrad eingeordnet werden und dienen dem Erschließen biologischen Wissens (Abb. 1). Im Unterricht können sie dem direkten Erkenntnisgewinn und damit der Vermittlung biologischer Inhalte dienen. Dem stehen Fotos gegenüber, die keine naturgetreuen Aufnahmen darstellen und somit zu Medien mit einem höheren Abstraktionsgrad gezählt werden (Köhler 2004). Je nach Abstraktionsgrad kann es sich hier um z.B. um verzerrte Naturaufnahmen, fotografische Abbildungen von Modellen und Fotocollagen handeln. Diese Fotos thematisieren verschiedenartige Perspektiven auf das Lebendige und/oder unser Verstehen des Lebendigen. Sie können Perspektiven und Verstehen akzentuieren, zu Diskussionen provozieren und beinhalten mehr als biologische Daten. Die Verschiedenartigkeit von Intentionen und Perspektiven bringt eine Vielfalt von Abbildungen hervor. Um die Bandbreite zu verdeutlichen, können z. B. Fotos von Werbeplakaten für eine gesunde Ernährung oder gegen Aids, Fotomontagen von Tieren in einem ihnen fremden Lebensraum und Fotos von einem Herzmodell gezählt werden. Die Vielfalt dieser fotografischen Abbildungen legt nahe, dass diese Fotos für die Vermittlung verschiedenartiger Ziele wie z. B. der Fokussierung, Kontrastierung und Provokation im Unterricht genutzt werden können. Vielfach sind Einsatz und das didaktische Potential derartiger Fotos nicht auf Vermittlungsprozesse biologischer Inhalte beschränkt, sondern eher von fächerübergreifender Natur und damit ebenso typisch für andere Fächer. Deshalb werden im Weiteren nur der Einsatz und die Möglichkeiten naturgetreuer Fotos, so genannter Originalabbildungen, bei der Vermittlung biologischen Wissens und Könnens thematisiert.
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Abb.1: Originalabbildungen dokumentieren die Vielfalt, Komplexität und Funktionalität des Lebens
Charakteristika der Biologie bestimmen einen adäquaten Einsatz von Fotos Bei einer Bestimmung des fachdidaktischen Einsatzes von naturgetreuen Fotos bei der Vermittlung biologischer Inhalte ist es zunächst wichtig, über wesentliche Charakteristika des Faches Biologie und anschließend über den Einsatz von Fotos in den Biowissenschaften nachzudenken. Bei den Inhalten, die im Biologieunterricht behandelt werden, handelt es sich um Fakten, Theorien, Arbeitstechniken und Arbeitsmethoden aus den Biowissenschaften bzw. Lebenswissenschaften. Diese Inhalte beziehen sich auf alles Lebendige, sie sind deshalb vor allem gekennzeichnet durch Vielfalt, Komplexität und Funktionalität und unterscheiden sich damit von denen anderer Unterrichtsfächer gravierend. Vielfalt ergibt sich vor allem durch vier Aspekte. Erstens existiert eine organismische Vielfalt, d.h. es gibt eine große Anzahl verschiedenartiger Lebewesen. Diese Lebewesen unterscheiden sich voneinander, hieraus ergibt sich eine große Diversität. Man denke nur an die unterschiedliche Gestalt verschiedener Arten wie z. B. die eines Elefanten, einer Maus, eines Vogels, eines Krokodils, eines Apfelbaumes und einer einzelligen Alge. Die Unterschiede zwischen den Arten führen gleich zum zweiten Aspekt: der Vielfalt der Organisationsebenen. Schaut man auf die einzellige Alge, so sind hier drei Ebenen zu unterscheiden: die der Moleküle, die der Zelle und die des Ökosystems, in dem sie lebt. Betrachtet man das Krokodil, werden gleich weitere Ebenen deutlich: die Ebenen der Zellverbände, der Gewebe, der Organe, der Organsysteme, das Zusammenspiel der Organsysteme und die Gesamtheit des Organismus. Vielfalt findet sich viertens auch auf den Ebenen der räumlichen Strukturen. Hier kann der Bogen von der räumlichen Struktur und Größe (Mikrometer bis Meter) der Zellen, über den Organismus bis hin zum Ökosystem (z. B. Regenwald) gespannt werden. Zusätzlich besteht eine Vielfalt in der zeitlichen Dimension. So liegen z.B. Stoffwechselvorgänge und neuronale Kommunikation im Millisekundenbereich, Zellteilungen können sich über Sekunden, Minuten, Stunden oder gar Jahre erstrecken, und die Evolution von Organismen kann Jahrmillionen dauern. Fotografische Abbildungen eignen sich hervorragend, um viele Aspekte biologischer Vielfalt und Diversität abzubilden. So zeigen Fotos die Gestalt, den Bau und in Teilen die Funktion von biologischen Strukturen auf den verschiednen Organisationsebenen und holen damit Facetten des Lebendigen direkt in den Unterricht. Sie machen damit Verborgenes bildlich zugänglich. Dieses Verborgene können die Lernenden in ihrer eigenen Erfahrungswelt oft leider nicht überprüfen, dies erschwert den Umgang mit diesen Fotos für Lernende.
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Biologische Vielfalt und Diversität an sich erschwert zudem die Orientierung für Lernende und erfordert daher eine Lernprozessgestaltung, die die Orientierungsarbeit der Lernenden unterstützt. Dieser Aspekt muss bei dem Einsatz von Fotos berücksichtigt werden. So muss stets klar sein, was auf dem Bild wo, wie und auf welcher Organisationsebene gezeigt wird und wie die einzelnen Organisationsebenen in Beziehung stehen. Komplexität erwächst zum einen aus biologischer Vielfalt und Diversität, ist jedoch zum anderen schon auf zellulärer Ebene durch differenzierte Strukturen (z. B. Zellorganellen) und Stoffwechselvorgänge vorhanden. So wird Leistungsvermögen und Angepasstheit eines Organismus erst durch ein komplexes Zusammenspiel vieler komplexer Teilprozesse möglich. Was nützen uns zum Beispiel hochsensitive Sinnesorgane, wenn unser Nervensystem deren Information nicht aufnehmen, verarbeiten und in Handlungen umsetzen könnte. Diese Komplexität ist nicht direkt abbildbar. Systemisches Denken, welches durch Vernetzungen von Teilprozessen entstehen kann, muss bei den Lernern auf einer Metaebene durch Verknüpfung von übergeordneten Phänomen und Konzepten gefördert werden. Funktionalität von Strukturen und Mechanismen ist das dritte wichtige Charakteristikum der Biologie. Sie ist Vorraussetzung für die Lebensfähigkeit biologischer Organismen und Systeme und entsteht durch den Mechanismus der Selektion, der eine Angepasstheit biologischer Organismen und Systeme hervorbringt. So kann die Frage, warum das menschliche Herz so gebaut ist, und funktioniert, auf zwei Ebenen beantwortet werden: Auf der anatomisch-physiologischen Ebene kann das Zusammenwirken von Strukturen und Mechanismen bei der Herzaktion erklärt werden, und in Hinblick auf den Selektionsvorteil kann der „Nutzen“ für den Organismus erörtert werden. Hierbei kann man sich die Vorteile überlegen, die der Organismus von dem jeweiligen Bau und von der Gestalt haben kann. Gerade Originalabbildungen sind besonders geeignet, um viele Aspekte der Beziehung von Struktur und Funktion biologischer Strukturen und Systeme zu dokumentieren und thematisieren.
Biologisches Wissen kann aus Fotos generiert werden In den Biowissenschaften werden Fotos insbesondere zur Dokumentation und Datenerfassung herangezogen. Sie werden genutzt, um den Aufbau und die Gestalt von Ökosystemen, von Lebewesen und biologischen Strukturen zu erforschen. Sie bilden dabei jeweils einzelne Aspekte biologischer Strukturen auf einer Organisationsebene aus einer Perspektive in zwei Ebenen ab und haben damit Ausschnittscharakter. Verschiedenenartige Untersuchungsmethoden, bei denen Teile oder ganze Lebewesen besonders behandelt und in dünne Schnitte zerlegt werden, sind dabei erforderlich, um biologische Strukturen auf den verschieden Organisationsebenen abzubilden, die dem menschlichen Auge allein verborgen sind. Lichtmikroskopische Aufnahmen geben Informationen über Bau und Gestalt von Zellen, Geweben, Organen und kleinen Organismen. Elektronenmikroskopische Aufnahmen eröffnen Einblicke in die Welt der Mikroorganismen und die Ultrastruktur von Zellen. Neue bildgebende Verfahren und die computergestützte digitale Bildverarbeitung haben in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl neuer Möglichkeiten eröffnet. So werden bei der konfokalen Mikroskopie optische Schnitte durch lebende oder tote Organismen gelegt und digital abgebildet. Hierbei entstehen ganze Stapel von Fotos, die mithilfe von Bildverarbeitungspro-
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grammen zusammengesetzt werden und in den Raumebenen gedreht werden können. Die Möglichkeiten der computergestützten Bildverarbeitung sind immens. So können z. B. Innansichten von lebenden Strukturen konstruiert werden und Wachstumsprozesse wie z. B. Veränderungen beim Lernen im Gehirn können beobachtet werden. Klassische mikroskopische Analysen erfordern demgegenüber oft besondere Präparationstechniken, die biologische Strukturen verändern, ja so verfälschen können, dass so genannte Artefakte entstehen. Immer scheinen nicht zuletzt aufgrund der Komplexität und der Dreidimensionalität der Strukturen unzählige Fotos vonnöten zu sein, um eine Struktur zu beschreiben. Alle Fotos enthalten nur Daten. Das biologische Wissen, das aus diesen Daten generiert werden kann, entsteht erst durch die Interpretation der Fotos. Fotos benötigen also erklärende Texte. Diese Interpretation ist ein Erkenntnisprozess. Dieser Prozess ist getrieben von dem steten Wissenwollen und dem steten Wissen um die Vorläufigkeit der Erkenntnisse, und er geht davon aus, dass den Strukturen ein uns verborgener Bauplan der Natur zugrunde liegt, den es zu entschlüsseln gilt. Interpretationsinstrumente sind dabei das Sehen und das Zweifeln auf der Basis des Vorwissens. Forscher sind, in Bezug auf das zu Entdeckende, Unwissende in diesem Verstehensprozess. Der Neurobiologe Braitenberg (1987) sieht diesen Prozess immer gleichermaßen ablaufen, weil seine Stufen wahrscheinlich allgemeine Gesetze der Informationsaufnahme widerspiegeln, und beschreibt ihn wie folgt. Beim Blick auf ein ihm unbekanntes Stück Gehirn durch ein Mikroskop oder eine Mikrofotografie entsteht der Eindruck, es handele sich hier um eine wirre „Ansammlung von Abfällen verschiedener Sorten von exotischem Gemüse (Braitenberg 1987: 80).“ Für den Betrachter, den Forscher, offenbart sich zunächst kein Sinn. Ein Anblick, der Verzweiflung auslösen würde, wüsste der Forscher nicht aus Erfahrung, dass eine Betrachtung der Strukturen Klärung bringen kann. Der Erkenntnisprozess scheint dabei immer gleichartig abzulaufen. Zunächst werden Bilder durch das visuelle Gedächtnis aufgenommen, dann werden Einzelheiten gesehen und vielleicht schon benannt. Die Betrachtung der Strukturen wird an diesem und anderen Beispielen viele Male wiederholt. Insbesondere durch die mehrfache Betrachtung z. B. von Fotoserien drängen sich durch das Vergleichen Elemente auf, die wieder erkannt und benannt werden wollen. Der Betrachter merkt, je nachdem welche Geschichte er erzählen möchte, dass es verschiedene Elemente sind, die er zusammenbauen möchte. Die Geschichte gewinnt eine Form, wenn einzelne Elemente aus dem Durcheinander auftauchen. „So bedingt der Sinn die Zeichen, und das Ensemble der Zeichen ergibt den Sinn (Braitenberg 1987: 80).“ Aus dieser Perspektive ist die Bedeutungs- und Sinnkonstruktion aus biologischen Daten, vergleichbar mit dem Lesen eines Textes, dessen Leerstellen vom jeweiligen Leser eine Sinngebung erfordern. Am Ende des Erkenntnisprozesses steht dann ein Konstrukt aus Foto und Text, dessen Konstitutenten zueinander passen müssen und sich nicht widersprechen dürfen. Treten Dissonanzen zwischen beiden auf, ist das Foto nicht sachgerecht verstanden, und der Text muss revidiert werden. Die Vorläufigkeiten des Textes und auch der gesamten Geschichte scheint dabei Prinzip zu sein. Man weiß immer etwas mehr, aber nie alles, und versteht deshalb immer nur in Teilen, denn die Natur ist uns immer ein Stück voraus, gilt es doch, deren Bauplan und die in ihm enthaltene Weisheit zu entdecken. Hinzu kommt, dass die Güte der Interpretation abhängig ist vom geschulten, scharfen und zweifelnden Blick des Beobachters.
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Fotos lesen als eine komplexe biologische Arbeitsweise Das oben beschriebene Lesen von Fotos ist eine komplexe biologische Arbeitsweise, die von Biologen eingesetzt wird, um das Leben zu verstehen. Biologische Arbeitsweisen stellen Inhalte und Methoden des zeitgemäßen Biologieunterrichts dar. Denn Sie ermöglichen es, dass Schüler selbst biologisches Wissen und Können erwerben. Zudem fördern sie die Entwicklung einer sachkundigen Vorstellung davon, wie biologisches Wissen und Können entsteht und in die Schulbücher kommt. Alle drei Aspekte ermöglichen erst eine Beurteilung biologischen Wissens und Könnens. Mit Blick auf den Unterricht stellt sich die Frage, wie diese Arbeitsweise für den Unterricht fruchtbar genutzt werden kann? Ein Weg, diese Frage zu beantworten, kann darin liegen, zunächst über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Wissenschaftlern und Schülern nachzudenken und daraus didaktische Konsequenzen für die Konstruktion von Unterricht abzuleiten. Zunächst zu den Gemeinsamkeiten. Sowohl Wissenschaftler als auch Schüler sehen ein Originalfoto zum ersten Mal, sie sind Unwissende und Interpretieren die Strukturen auf der Basis ihres Vorwissens. Der dabei ablaufende, oben beschriebene Erkenntnisprozess scheint von allgemeiner Natur zu sein und damit ebenfalls für Schüler zu gelten, denn er spiegelt allgemeine Gesetze der Informationsaufnahme wider. Wesentlich hierbei erscheint, dass eine Klärung immer zeitintensiv ist und ein mehrmaliges Betrachten und Zweifeln erfordert. Hieraus lassen sich direkt folgende Konsequenzen für den Vermittlungsprozess ableiten. Eine Interpretation erfordert eine mehrmalige Betrachtung und einen Austausch über das Gesehene bzw. Erkannte in Kleingruppen und der Gesamtgruppe. Dann zu den Unterschieden. Wissenschaftler sind Spezialisten auf ihrem Gebiet, sie sind in der Interpretation geschult, verfügen über ein umfangreiches Vorwissen, sind professionelle Zweifler, haben das Foto meist selbst mit einer Intention angefertigt und verfolgen ihre eigenen Forschungsfragen. Deshalb fällt es ihnen leicht, das Foto innerhalb der Vielfalt des Lebendigen und seiner Komplexitätsebenen zu verorten und ihm eine Bedeutung zuzuweisen. Auch haben sie meist das Original parat, haben gar meist ganze Fotoserien davon angefertigt. Darüber hinaus haben sie erfahren, dass die wiederholte Betrachtung eine Klärung bringt und der Klärungsprozess oft mühsam ist. Für Schüler gilt dies alles nicht, und zudem birgt schulischer Unterricht die Gefahr der Fremdbestimmung. Geringe Erfahrungen im Interpretationsprozess und ein geringes Vorwissen lassen eine Einordnung des Fotos in Hinblick auf die biologische Vielfalt und Komplexität unmöglich erscheinen. Das biologische Original, von dem das Foto angefertigt wurde, fehlt meist. Auch ist die Intention, mit der das Foto angefertigt wurde, nicht offensichtlich, zudem besteht meist keine Beziehung zum realen biologischen Objekt, das abgebildet wird. Diese Umstände machen es nahezu unmöglich, dass Schüler von sich aus eine Bedeutungszuweisung vornehmen und das Foto fachgerecht interpretieren können. Vielmehr bedarf es einer didaktisch konstruierten Herangehensweise an die Originalabbildungen, die Schüler anleitet und unterstützt, Fotos eigenständig zu interpretieren. Eine Beachtung der Unterschiede zwischen Wissenschaftlern und Schülern erscheint dabei sehr hilfreich. Das folgende Beispiel soll dies anschaulich illustrieren.
Das Herz anhand von Fotos verstehen Ich gebe zu, ich habe ein einfaches Beispiel gewählt. Es geht darum, Einblicke in den Aufbau des Herzens anhand von Fotos zu gewinnen. Noch dazu werde ich mit den ausgewählten Fotos
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die makroskopische Ebene nicht verlassen und die LeserInnen nicht mit der Interpretation zellulärer Strukturen oder gar der Ultrastruktur der Zellen konfrontieren. Das Herz ist in einfaches Beispiel, das zeigen soll, welche Bedeutung das Vorwissen bei der Interpretation und beim wiederholten Befragen des Bildes hat. Dabei wird deutlich werden, dass das Interpretieren von Originalabbildungen schwierig ist, wenn man das Original nicht zur Hand hat oder keine Beziehung zu ihm hat. Denn Fotos haben immer Ausschnittscharakter. Deshalb ist es wichtig, bei der Bearbeitung im Vermittlungsprozess diese Beziehung herzustellen. Beim Herzen kann dies leicht dadurch realisiert werden, dass man anschließend eine Herzpräparation durchführt. Hierbei könnten die Schüler ihren offenen Fragen nachgehen und abschließend ihre Beobachtungen fotografisch dokumentieren und kommentieren. Hier eröffnet die digitale Fotografie für die Schule, nicht zuletzt aufgrund ihrer einfachen Handhabung und Kostenneutralität, neue Welten der Dokumentation. Anstelle von zeichnerischen Dokumentationen, die vielfach den eigenen ästhetischen Anforderungen nicht genügen, können Schüler eine fotografische Dokumentation anfertigen. Diese von Schülerhand angefertigte Dokumentation macht Schüler wirklich selbst zum Forscher. Sie können ihren eigenen Herzatlas zusammenstellen, ihre Geschichte des Herzens erzählen und erwerben so eine erfahrungsbasierte Vorstellung von der Bedeutung der fotografischen Dokumentation in der Biologie. In dem Atlas dokumentieren Fotos und Text zusammen das gewonnene Wissen über Bau und Funktion des Herzens. Darüber hinaus erfahren Schüler, worauf man bei der fotografischen Dokumentation achten muss. Zu nennen ist hier die Erstellung eines Protokolls über die Fotos. Für jedes Foto sollte der fotografierte Gegenstand, die Intention der Aufnahme, die Vergrößerung und ggf. das mikroskopische Verfahren oder andere verwendete Hilfsmittel genannt werden. Hilfreich für die Interpretation sind auch weitere Aspekte, die das zu untersuchende Präparat betreffen, wie z. B. eine spezielle Präparationsmethode. Fertigt man makroskopische Aufnahmen in der Schule an, so kann ganz einfach bei jedem Foto ein Lineal als Maß neben das Original gelegt werden, um die Vergrößerung zu dokumentieren. Falls dieses dem ästhesichen Empfinden zuwider läuft, kann man einfach zwei Fotos von jeder Einstellung machen, eine Skalierung für das jeweilige Foto anfertigen und in das entsprechende Bild einfügen (s. Abb. 2-5). Ungenauigkeiten bei dieser Protokollierung rächen sich. Durch die eigene Hand angefertigte Fotos können durch ungenaue Protokollierungen schwierig oder gar nicht interpretiert werden. Oft ist dann nur mit Anstrengung zu beschreiben, was abgebildet wurde, insbesondere wenn es sich um Detailaufnahmen handelt. Die Beschriftung der selbst angefertigten Fotos und das Verfassen eines ausführlichen Textes zu den Fotos kann Schüler zu einer intensiven Beschäftigung einladen und in eine Auseinandersetzung mit biologischen Strukturen verwickeln. So können Schüler sich selbst schulen, Fotos sachgerecht zu interpretieren und ihr biologisches Wissen und Können weiter zu entwickeln. Die digitale Fotografie wird auch in naher Zukunft für die Schule computergestützte Bildverarbeitungen für Schüler höherer Klassenstufen eröffnen. Forschendes Lernen mit derartigen Methoden stellt neue Möglichkeiten für interdisziplinäre Projekte dar. Das Herz, das fotografisch dargestellt wird, ist ein Schweineherz. Schweineherzen sind dem menschlichen Herzen so ähnlich, dass sogar diskutiert wird, diese als Transplantatersatz für Menschen zu verwenden. An ihnen kann man etwas über den Aufbau des eigenen Herzens lernen. Die Interpretation der Fotos setzt eine Vorstellung von dem schematischen Aufbau des Herzens voraus und soll das grundsätzliche Vorgehen verdeutlichen (Abb. 2-5). Die Fragen sollten von den Schülern selbst formuliert werden. Ein paar allgemeine Fragen, die die Interpretation jedes Bildes vorantreiben sind: Wie liegt das Herz im Körper? Welche Strukturen sind erkenn-
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bar? Welche Informationen können mir helfen, das Bild besser zu verstehen? Wie lang, breit, dick ist das Herz? Mit ihnen kann man sich das biologische Wissen, das man anhand der Fotos gewinnen kann, erschließen. Der Lehrer sollte selbst in der Lage sein, eine fragende Haltung gegenüber den Fotos einzunehmen und die Schüler bei Nachfrage mit Zusatzinformationen für die Interpretation so unterstützen, so dass Schüler ihren Kompetenzzuwachs erfahren können, indem das Unklare langsam klar wird.
Abb. 2: Herz im Herzbeutel, Aufsicht von der Brust (ventral)
Interpretation: - Das Foto zeigt eine Aufsicht von vorn (ventral) auf das Herz, so liegt es im Körper. - Das Herz befindet sich im Herzbeutel, der eng anliegt. - Der Herzbeutel ist in Teilen transparent, Strukturen des Herzens (Herzkranzgefäße) sind erkennbar. - An dem Herzbeutel befinden sich Fett und Bindegewebsreste. - Der Herzbeutel scheint oben angerissen zu sein, ein Herzteil (rechtes Herzohr) hängt heraus. - Gefäße treten zum Kopf hin (anterior) aus dem Herzbeutel heraus.
Bei der Interpretation entstehen zugleich Fragen, die nicht mit dem Foto beantwortbar sind, aber für eine Vertiefung des Themas genutzt werden können. Beispiele hierfür wären: Wie weit ist der Spalt zwischen Herz und Herzbeutel? Was befindet sich im Spalt? Wie reißfest ist der Herzbeutel? Gibt es Öffnungen am Herzbeutel, durch die die Gefäße ziehen, oder ist er an den Gefäßen festgewachsen? Abb. 3: Schweineherz ohne Herzbeutel, Aufsicht von der Brust (ventral) Interpretation: - Strukturen des rechten Herzens sehen wir in der Aufsicht links, vice versa. - Die Vorkammern sind sehr klein im Verhältnis zu den Kammern. - Große Herzkranzgefäße scheinen zwischen der linken und rechten Kammer zu verlaufen. - Die Herzspitze scheint nur von der linken Kammer gebildet zu werden. - Bei dem von der rechten Kammer abgehenden Gefäß scheint es sich um die Lungenarterie zu handeln. - Der Abgang des anderen großen Gefäßes ist nicht direkt auszumachen, aufgrund der Größe ist es wahrscheinlich die Aorta. - Venen sind nicht sichtbar.
Darüber hinaus tauchen weitere Fragen auf: Befinden sich die Venen auf der Rückseite des Herzens? Wie sieht das Herz von innen aus? Wie erstrecken sich die Kammern?
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Abb. 4: Schnitt durch den Rand des linken Herzens, Aufsicht von der Seite (lateral) Interpretation: - Vorkammer und Kammer unterscheiden sich in der Art der Innenauskleidung. - Die Innenfläche der Vorkammer erscheint heller und sehr glatt. - Die Innenwand der Vorkammer scheint in die Segelklappe überzugehen. - Die Zipfel der Segelklappen sind an Bändern (Sehnen?) aufgehängt, die an Muskeln ansetzten. - Die Kammerwand ist sehr muskulös und gefurcht.
Nicht zu klären sind z. B. folgende Fragen: Wo treten die Venen in die Vorkammer ein? Wo verlässt die Aorta die linke Kammer? Welche Bedeutung haben die muskulären Furchen in der Kammerwand? Abb. 5: Schnitt durch die Herzspitze, Aufsicht von unten (posterior). Interpretation: - Die rechte Kammer besitzt eine dünnere Wand als die linke Kammer. - Die linke Kammerwand besteht aus einer dicken Muskelschicht. - Rechte und linke Kammer erscheinen durch eine Muskelschicht getrennt. Herzscheidewand? - Die rechte Kammer erstreckt sich über einen kleinen Teil des Anschnittes. - Bei den Fäden, die im inneren der Kammern jeweils zu sehen sind, könnte es sich um die Sehnenfäden handeln, an denen die Segelklappen aufgehängt sind.
Wie groß das Lumen der rechten bzw. linken Kammer ist, ist nicht auszumachen. Auch die Anordnung und zelluläre Struktur der Muskelschichten bleibt im Verborgenen. Ist z.B. die Scheidewand zwischen den Kammern anders aufgebaut als die Kammerwand? Diese und andere Fragen erfordern weitere mikroskopische Abbildungen und/oder eine Untersuchungen eines Herzens im Original. Die Fotos demonstrieren die unterschiedliche Gestaltung von Vorkammern und Kammern und dem rechten und linken Herzens und werfen damit die Frage nach der Funktionalität der Strukturen auf. Erinnern wir uns, das Herz treibt durch den Wechsel von Kontraktion und Entspannung den Blutkreislauf an. Das rechte Herz pumpt das Blut durch die Lunge, das linke durch den gesamten Körper. Eine große Muskelmasse ermöglicht die Erzeugung größerer Drücke bei der Kontraktion. Die dicke Muskelwand der linken Kammer ermöglicht so hohe Drücke zu erzeugen, dass diese das Blut durch den ganzen Körper befördern. In der rechten Kammer wären derartige Drücke lebensgefährlich, die Kapillaren der Lunge würden platzen und
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zudem ist nur eine geringe Strecke bei gleicher Zeit zu überwinden. Am Herzen wird deutlich, wie gut Bau und Funktion aufeinander abgestimmt sind.
Schlussfolgerungen zum Einsatz von Originalabbildungen für den Unterricht Vor dem Hintergrund dieses Beitrages lassen sich wesentliche Aspekte für einen fruchtbaren Einsatz von Originalfotots im Unterricht formulieren: 1 1 1 1
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Die Interpretation von Fotos muss gelernt werden. Sie braucht Zeit, Rituale des mehrmaligen Hinschauens und einen Austausch über das Gesehene. Fotos müssen vor der Interpretation einordnbar sein, z. B. was ist wie auf welcher Komplexitätsebene abgebildet? Die Lehrperson sollte durch gezielte Interpretationshilfen die Einordnbarkeit des Fotos fördern und eine Beziehung zum Original herstellen. Vergleiche von Original und Originalabbildungen ermöglichen, Charakteristika der fotografischen Dokumentation zu erfahren und eine produktive Fragehaltung zu entwikkeln. Für Größenvorstellungen kann man z. B. ein Lineal neben das fotografierte Objekt legen. Selbst erstellte Atlanten zur Dokumentation von Ökosystemen, Lebewesen und biologischen Strukturen ermöglichen Schülern, eigene Erfahrungen bei der fotografischen Dokumentation zu erwerben und sich selbst gesteuert biologisches Wissen zu erarbeiten. Eine Fragehaltung gegenüber Originalabbildungen sollte gezielt entwickelt und eingeübt werden. Dem Schüler sollte stets klar sein, welchen Sinn die Interpretation hat und welche Bedeutung dem Foto zukommt.
Literatur Braitenberg, Valentin (1987): Tentakel des Geistes. In: Braitenberg, V. (Hrsg.): Gescheit sein. Zürich: Haffmans Verlag. 75-90. Köhler, Karlheinz (2004): Welche Medien werden im Biologieunterricht genutzt? In: Spörhase-Eichmann, U. & Ruppert, W. (Hrsg. 2003) Biologie-Didaktik. Berlin: Cornelsen Scriptor.160-182. Landschaftsverband Westfalen-Lippe (1994): Von Tieren und Pflanzen. Schulwandbilder für die Naturkunde. Münster.
Abbildungen Abb. 2-5: Ulrike Spöhrhase-Eichmann
Fotografie als Inhalt und Medium des Technikunterrichts Wilfried Schlagenhauf & Daniel Bienia
Teil I: Grundsätzliche Überlegungen zur Fotografie in Technik und Technikdidaktik (Wilfried Schlagenhauf ) 1. Fotografische Abbildungen in der Technik – eine Übersicht Bildgebenden Verfahren kommt in verschiedenen technischen Disziplinen und in vielfältigen technikgeprägten Lebenszusammenhängen große Bedeutung zu. Ich beziehe in die hier vorgestellten Überlegungen solche technischen Systeme und Verfahren ein, mittels derer Gegebenheiten materieller Objekte sensorisch erfasst und – nach einem mehr oder weniger aufwendigen und differenzierten Prozess der Datenverarbeitung – abbildhaft dargestellt werden. Unberücksichtigt sollen einerseits solche Systeme und Verfahren bleiben, in denen zwar Bilder erzeugt werden, die jedoch nicht auf ein reales materielles Objekt referieren (etwa Computeranimationen) oder andererseits solche, die zwar gegebene Objekteigenschaften erfassen, die aber die erfassten Daten nicht in abbildhafter Form ausgeben, sondern etwa als Steuerungsimpulse, Zahlenwerte oder Diagramme (z.B. Temperaturerfassung an einer Solaranlage mit Ausgabe eines Temperatur-Zeit-Diagramms). Systeme solcher Art unterscheiden sich von den hier behandelten nicht nur technikstrukturell, sondern besonders auch bezüglich technikdidaktischer Aspekte und bleiben deshalb außer Betracht. Die Produkte der ganzen Bandbreite der hier herangezogenen bildgebenden Verfahren fasse ich im folgenden in dem Begriff der ‚fototechnischen Abbildung‘.
Arten fototechnischer Abbildungen Nach den für die technische Erzeugung von Abbildungen herangezogenen naturalen Effekten und physikalischen Größen lassen sich unterscheiden: 1. Technische Abbildung reflektierter elektromagnetischer Strahlen im Bereich des für das menschliche Auge sichtbaren Lichts. Hier ist zunächst zu denken an optisch-chemische oder -elektronische Foto- und Filmtechnik, aber auch an Schrift-, Bild-, Mustererkennungssysteme, also solche, die die aufgenommenen Daten einer meist umfangreichen Datenverarbeitung unterziehen und damit weitergehende Möglichkeiten erschließen (etwa Weiterbearbeitung des Textes einer eingescannten Vorlage). 2. Sichtbares Licht stellt einen nur sehr kleinen Ausschnitt aus dem gesamten technisch genutzten Frequenzspektrum elektromagnetischer Wellen dar:
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Elektromagnetisches Spektrum (Auszug)
Gammastrahlung Röntgenstrahlung Ultraviolettstrahlung Sichtbares Licht Infrarotstrahlung Mikrowellen
Größenordnung Wellenlänge (m) 10-15 - 10-12 10-11 - 10-8 10-8 - 10-7 10-7 - 10-6 (ca. 400-750 Nanometer) 10-6 - 10-5 10-3 - 10-1
In den unserer unmittelbaren visuellen Wahrnehmung verschlossenen Bereichen findet sich eine Vielzahl von technischen Verfahren; diese reichen von zerstörungsfreier Materialprüfung und medizinischer Diagnostik mittels Röntgenstrahlen, über Ultraviolett- (z.B. zur Wiedersichtbarmachung alter/ beschädigter Schriften) und Infrarotfotografie (z.B. zur Erfassung von Wärmelecks an Gebäuden oder bei Nachtsichtgeräten) bis hin zu bildlichen Darstellungen im Mikrowellenbereich (z.B. Wetterradaraufnahmen). 3. Auch andere als elektromagnetische physikalische Phänomene sind für Abbildverfahren nutzbar. Die besonders im medizinischen Bereich weitverbreitete Sonographie (UltraschallUntersuchung) soll hier als Beispiel gelten.
Allgemeintechnologische Einordnung All diese (unter 1.-3.) aufgeführten Verfahren lassen sich mit den Kategorien der Allgemeinen Technologie klassifizieren. Der Typus des energieumformenden Trägerformänderns liegt dann vor, wenn zwar die Form der informationstragenden Energie geändert wird, nicht aber die Art der Energie. Dies wäre etwa der Fall im Röhrenfernsehgerät, wo die Bildinformation zunächst einem Elektronenstrahl mitgegeben wird, der dann, nach dem Auftreffen auf die Leuchtstoffschicht der Röhre, seine Frequenz ändert und dadurch sichtbar wird. Strahlung als Trägerenergieart bleibt erhalten, es ändert sich lediglich ein Parameter, die Strahlungsfrequenz. Anders sieht es bezüglich des hier behandelten Bereichs der Fotografie aus. Hier handelt es sich um verschiedene Varianten des energiewandelnden Trägerformänderns. Im Falle der konventionellen Fotografie, bei der Fotomaterial belichtet wird, liegt eine strahlungs-chemische Trägerformänderung vor; im Falle etwa des Restlichtverstärkers/ Nachtsichtgeräts wird Strahlungsenergie in elektrische Energie gewandelt. Allerdings kommt hier eine elektrische Trägerleistungsverstärkung hinzu; erst diese gewährleistet den gewünschten Effekt der Verbesserung der Sichtmöglichkeiten bei weitgehender Dunkelheit. Wiederum anders verhält es sich im Falle eines Ultraschalldiagnosegerätes: Dieses sendet hochfrequente Schallwellen aus (Trägerform: akustisch), nimmt die reflektierten Echos auf und wandelt sie elektronisch in ein Monitorbild um. Auch hier handelt es sich um ein energiewandelndes Trägerformändern, allerdings aus der akusto-elektrischen Verfahrensgruppe (vgl. Wolffgramm 1994: 217 ff ). Es ist zu beachten, dass in allen hier aufgeführten Fällen die Information (um die es ja letztlich geht) wohl den Träger wechselt, als solche aber möglichst wenig verändert werden soll.
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Unterschiedliche Technisierungstypen Eine Betrachtung der soziotechnischen Arbeitsteilung zwischen menschlichen und sachtechnischen Funktionsträgern (vgl. Ropohl 1994: 20 ff ) deckt bezüglich fototechnischer Abbildungen unterschiedliche Technisierungstypen auf. Die visuelle Wahrnehmung im Bereich des sichtbaren Lichts ist auch ohne jede Technik möglich. Die Analyse des technikgeschichtlichen (phylogenetischen) Verlaufes macht deutlich, dass Funktionen menschlicher Handlungssubjekte zunächst zwar ersetzt und erweitert wurden (etwa durch Fernrohr oder Fotokamera: Substitution), dass aber keine grundsätzlich neuen Funktionen hinzukamen. Erst historisch später kommt es zum Technisierungstypus der Komplementation: Systeme und Verfahren wurden entwickelt, deren Funktionen vom Menschen ohne Technik überhaupt nicht realisierbar sind (z.B. Röntgenbild). Übersicht: Fotografie und Technisierungstypus: Beispiele Elektromagnetische Strahlung im für Menschen sichtbaren Bereich Elektromagnetische Strahlung im für Menschen nicht sichtbaren Bereich Andere physikalische Wirkzusammenhänge
Technisierungstyp
konventionelle, digitale Foto-, Filmtechnik; Texterkennung; optische Zei- Substitution menschlicher chenerkennung (OCR); BilderkenFähigkeiten nung; Objekterkennung Röntgenaufnahmen; Ultraviolettfotografie; Infrarotfotografie; Radarbilder
Komplementation menschlicher Fähigkeiten
Ultraschallaufnahmen
Fototechnische Abbildungen als Kommunikationsmittel im Rahmen technischen Handelns Der Einsatz fototechnischer Mittel im Rahmen technisch geprägter Problemsituationen dient Zwecken, die als kommunikative beschreibbar sind. Sie lassen sich wie folgt gliedern: 1. Das fototechnische Abbild als Datenträger für die Kommunikation zwischen (vorwiegend) menschlichem Sender und Empfänger (‚Heterokommunikation‚) 2. Das fototechnische Abbild als Datenträger für ‚autokommunikative‚ Zwecke, also für den informationellen Eigenbedarf (Identität von Sender und Empfänger) zu 1.: Interpersonale Kommunikation mit technischen Inhalten verläuft nicht nur mit Hilfe gesprochener oder geschriebener Sprache, sondern bedient sich typischerweise zeichnerischer Dar-
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stellungen oder eben auch lichtbildnerisch erzeugter Abbildungen. Strukturiert man technisches Handeln entlang der Lebenszyklusphasen technischer Produkte, etwa in der Gliederung Konstruktion - Produktion - Distribution - Konsumtion - Destruktion, dann treten vielfache Bezugnahmen auf solche bildhaften Kommunikationsmedien sowohl innerhalb der Lebenszyklusphasen wie auch an deren Schnittstellen hervor: Diese Kommunikationsakte können entweder in Echtzeit ablaufen oder sie bedienen sich der Datenspeicherung in Form von Dokumentationen, Konstruktionsunterlagen, Gebrauchsmuster- / Patentschriften, Technischen Anleitungen, Gebrauchsanweisungen, die zu einem späteren Zeitpunkt vom Adressaten wieder in Informationen umgewandelt, d.h. mit Bedeutung beaufschlagt und in Handlungskontexte integriert werden. Beispiele: An der Schnittstelle zwischen Hersteller/ Vertreiber und potenziellem Käufer werden häufig Werbeprospekte mit Fotografien des Produkts eingesetzt; dies vor allem dann, wenn der Käufer als Laie nicht in der Lage wäre, Informationen in Form von Konstruktionszeichnungen, Kennlinien, Diagrammen oder mathematischer Formelsprache zu rekonstruieren. Im Gegensatz dazu sind Fotografien als analog-abbildende Kommunikationsmittel weitgehend intuitiv erfassbar und sollen, der propagandistischen Absicht entsprechend, suggestive Wirkung entfalten. Ist der Käufer zum Benutzer geworden, so wird er mittels einer Gebrauchsanleitung (die in aller Regel Abbildungen des Produkts enthält) über Eigenschaften und Besonderheiten des Produkts informiert und zu dessen zweckdienlichem Einsatz angeleitet. Abbildungen in Reparaturund Wartungsanleitungen unterstützen Instandsetzung und Instandhaltung innerhalb der Nutzungsphase. Eine Sonderform der heterokommunikativen Nutzung von Abbildungen tritt dann auf, wenn Objektinformationen in bildlicher Form von technischen Systemen erzeugt und an menschliche Adressaten gesandt werden. Dabei kann das abbildende System in seinen ‚Entscheidungen‘‚ bezüglich der Objektauswahl, des Zeitpunkts der Aufnahme oder der Anzahl der Abbildungen u.a. unterschiedliche Freiheitsgrade besitzen. Beispiele: 1 1 1
Webcam (z.B. einer Skiliftanlage): Fest eingestellter Bildausschnitt, feststehende Aufnahme-Intervalle Überwachungskamera (etwa als Teil eines Einbruchsschutzes): Fest eingestellter Bildausschnitt, Auslösung einer Aufnahme durch Objektbewegung Erkundungsroboter (z.B. für den Einsatz auf fernen Planeten, in unbekanntem Gelände oder schwer zugänglichen Rohrleitungsnetzen): Teilautonome Bewegung und Bildaufnahme
zu 2.: Über diesen, auf Vermehrung der Informationsmenge des Adressaten gerichteten Datentransfer hinaus tritt in technischen Handlungszusammenhängen häufig ein vom Sender auf diesen selbst rückgekoppelt angelegter (‚autokommunikativer‘) Informationsprozess auf: Hier erscheinen technikbezogene Informationen, seien sie Texte oder technographische Darstellungen (Lichtbilder, Videoaufnahmen, Zeichnungen, Illustrationen usw.) als Mittel des Denk- und Handlungsprozesses, so etwa zur Klärung einer Problemlösungsidee oder zur Vergegenwärtigung und Sicherung von Denk- und Handlungsergebnissen als Voraussetzung für weitere Problemlösung. Dies
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ist insbesondere dann unabdingbar, wenn Systemkomplexität oder -kompliziertheit es verunmöglicht, das Gesamt aller Systemelemente und Relationen gleichzeitig kognitiv zu erfassen und zu bearbeiten. Anzumerken ist, dass die im Folgenden aufgeführten Beispiele durchaus auch heterokommunikativ eingesetzt werden können. Beispiele: Abbildungen als Hilfe zur Ideenproduktion und -bewertung: Fotomontagen, Collagen erlauben die visuelle Antizipation geplanter Bauvorhaben, etwa eines Brückenbaus oder einer Straßenführung. Abbildungen als visuelle ‚Notiz‘ und Sachstandsdokumentation: Verkehrsunfallaufnahmen, Fotografien von Baufortschritten und Bauschäden, Dokumentation der Lage von Elektroleitungen, bevor sie unter Putz verschwinden u.a. Ebenfalls für Eigenbedarfszwecke, aber über die Funktion als ‚Denkzeug‘ und Dokumentationsmittel hinausgehend, werden Abbilder zur Erkenntnisgewinnung eingesetzt, wenn die betreffenden Gegebenheiten unseren Sinnesorganen nicht unmittelbar zugänglich sind. Dies entspricht dem oben dargestellten komplementären Technisierungstypus. Beispiel: Infrarot- oder Röntgenfotografie.
2. Zur Bedeutung der Fotografie in der Technikdidaktik Für die Klärung der Frage, welche Stellung und Bedeutung Fotografien im Rahmen der Technikdidaktik zukommt, ist zunächst der Gegenstandsbereich Technik zu bestimmen. Der hier herangezogene Technikbegriff umfasst nicht nur technische, d.h. künstliche, konkrete und nutzenorientierte Gegenstände (Sachtechnik), sondern auch das auf die Herstellung, Verwendung, Außerbetriebnahme usw. dieser Artefakte bezogene Denken, Handeln, Bewerten (Soziotechnik) (vgl. Ropohl 1999: 31). Ergänzend und erläuternd ist hinzuzufügen: Technik entspringt menschlichen Problemlagen, Bedürfnissen, Interessen, kann einerseits nur auf der Basis naturaler Wirkzusammenhänge und Ressourcen in Gang gebracht werden, ist aber andererseits in soziale Beziehungen verstrickt und etabliert oder beeinflusst solche. Vorfindliche Deutungen der Technik als bloße Praxis, als wertfreies System von Mitteln, als Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse blenden wesentliche Zusammenhänge aus der Betrachtung aus und werden damit der Komplexität des Kulturbereichs der Technik nicht gerecht. Den folgenden Ausführungen lege ich dieses umfassende Technikverständnis zugrunde. Für einen dieses Gegenstandsfeld erschließenden Technikunterricht erscheinen fototechnische Abbildungen in zweierlei Hinsicht interessant: als Unterrichtsinhalt und als Unterrichtsmedium. Fototechnik wird dann zum Unterrichtsinhalt gemacht, wenn man sich von ihr einen wesentlichen inhaltlichen Beitrag zur Anbahnung und Erreichung wichtiger Lehr-Lern- oder Bildungsziele verspricht. Abbildungen können – objektbezogen – die Erschließung unterschiedlicher Dimensionen und Aspektbereiche der Technik (z.B. konstruktiv-funktionale, humane, soziale, ästhetische usw.) und dabei auch – subjektbezogen – die Entfaltung unterschiedlicher menschlicher Interessens- und Fähigkeitsdimensionen (z.B. personale Dimension, intellektuelle Dimension usw.) unterstützen. Als Zielperspektiven unterscheidet der mehrperspektivische Ansatz der Technikdidaktik (auf den wir uns hier beziehen) Kenntnis- und Strukturperspektive (kognitiv), Handlungsperspektive (aktional), Beurteilungs- und Bewertungsperspektive (evaluativ) und vorberufliche Orientierungsperspektive.
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Für die Bestimmung der Inhaltsbereiche einer allgemeinen technischen Bildung wird ein Ordnungs- und Orientierungsrahmen benötigt: Diesbezüglich hat sich die von Sachs (1979) entworfene Gliederung soziotechnischer Problem- und Handlungsfelder seit geraumer Zeit bewährt. Das dieser Strukturierung zugrundeliegende Denkmodell sieht problemlösendes technisches Handelns als Schnittstelle zwischen (Lern-)Subjekt und (technischem) Objekt an. Ein Problem, als Wahrnehmung einer Differenz zwischen einem unerwünschten Anfangszustand und einem erwünschten Endzustand stellt zunächst eine höchst subjektive kognitive Leistung dar; sie zielt allerdings darauf ab, eigene Handlungsziele mit einer widerständigen äußeren (‚objektiven‘) Wirklichkeit in Einklang zu bringen, insbesondere dadurch, dass man die letztere verändert. Insofern eignet sich der Problembegriff in besonderer Weise dafür, eine bildungsbezogene Relation zwischen Subjekt und Objekt zu bezeichnen. Die Problem- und Handlungsfelder sind dementsprechend als Verschränkungszusammenhang individueller und sozialer Momente einerseits und sachstruktureller Momente andererseits konzipiert und zu verstehen. Es werden (unter Ausblendung neuerer Ergänzungsvorschläge) folgende Problem- und Handlungsfelder unterschieden: 1. 2. 3. 4. 5.
Arbeit und Produktion Bauen und Wohnen Transport und Verkehr Versorgung und Entsorgung Information und Kommunikation
Fotografische Abbildungstechnik lässt sich – indem es dabei vorwiegend um Informationsspeicherung, Informationstransport und Informationsumformung geht – in erster Linie dem Feld ‚Information und Kommunikation‘ zuordnen. Selbstverständlicherweise kommt dieser Technik aber auch innerhalb der anderen Felder häufig große Bedeutung zu. Die unterrichtliche Konkretisierung und Entfaltung dieses Bereiches erfordert die anhand von Kriterien geprüfte und auf diese Weise didaktisch legitimierte Bestimmung spezifischer Unterrichtsinhalte. Insbesondere ist zu klären, auf welche allgemeinen Struktur- und Sinnzusammenhänge das am konkreten Lerninhalt Erworbene übertragbar sein könnte. Es seien im Folgenden beispielhaft einzelne Unterrichtsinhalte aus dem Bereich der fototechnischen Abbildungen genannt und stichwortartig Übertragungs- und Verallgemeinerungsbeispiele zugeordnet (siehe S. 263). Fototechnische Abbildungen und Gegenstände sind dann Medien, und nicht bloße Hilfsmittel des Technikunterrichts, wenn sie den (an sich abstrakten, geistigen) Unterrichtsgegenstand stofflich-konkret repräsentieren. Dem Technikunterricht steht ein breites Spektrum an Unterrichtsmedien zu Verfügung: Es reicht – nach dem Kriterium der Repräsentanz angeordnet – von Realsituationen über Realobjekte/ Materialien und Realmodelle bis hin zu technischen Darstellungen. Hilfreich erscheint ein zweites Klassifikationskriterium (vgl. Schmayl 1994: 11): Es hebt drei Aneignungsmodi voneinander ab und bezeichnet damit unterschiedliche Formen des Lernens, nämlich a) rezeptives Lernen mit Präsentationsmedien b) reproduktives Lernen mit Reproduktionsmedien c) produktives Lernen mit Produktionsmedien
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Beispiele für Unterrichtsinhalte
Beispiele für Transfer und Verallgemeinerung
Konventionelle Fotografie: Zusammenhang wichtiger fotografitechnischer Faktoren: Auflösung, Empfindlichkeit, Blende, Belichtungszeit, Schärfentiefe Belichtung des Films als ‚Zeichnen mit Licht‘ Veränderung des Filmmaterials durch Licht
Zwischen Empfindlichkeit einerseits und Auflösung/ Farbtreue/ Kontrastumfang des Filmmaterials andererseits besteht ein antagonistisches Verhältnis, das auf den Zielkonflikt als zentrales Merkmal technischen Handelns verweist Irreversible Speicherung von Daten in stofflichen Strukturen (so etwa auch bei einer Vielfalt grafischer Druckverfahren) Stoffformung durch Licht (insbes. durch fotolithografische Verfahren in Halbleiter- und Mikrosystemtechnik)
Digitale Fotografie: Aufnahme auf CCD-Chip, Bildverarbeitung und Speicherung, Bildausdruck, Speicherbedarf hochauflösender Bilder ist groß (quadratische Zunahme der Datenmenge bei steigender Auflösung)
Grundstruktur : Datenerfassung, -verarbeitung, -speicherung, -ausgabe Digitale Datenverarbeitung: Verlustfreie Speicherung und Vervielfältigung Technisch relevante Faktoren hängen nicht selten nicht-linear zusammen (so etwa auch Fahrgeschwindigkeit und Luftwiderstand)
Lichtempfindliches Filmmaterial elektronischer Bildwandler / Halbleiterdetektor
Erfassung von Größen/ Prozesszuständen durch Sensoren in allen Bereichen der Technik
Thermografische Aufnahmen eines Wohnhauses machen Wärmebrücken sichtbar
Nutzung nicht-sichtbarer Frequenzbereiche: Erkenntnis der Begrenztheit des menschlichen Wahrnehmungsapparates.
Fotografische Darstellungen in technischen Unterlagen, z.B. Bedienungs-, Montage-, Wartungs-, Entsorgungs-anleitungen
Technografie allgemein – Mittel der Information über Sachverhalte und Mittel zur Anleitung technischen Handelns
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zu a) Fototechnische Abbildungen als Präsentationsmedien des Technikunterrichts Für Abbildungen sachtechnischer oder soziotechnischer Objekte und Zusammenhänge gibt es weite technikdidaktische Anwendungsbereiche. Fototechnische Abbildungen erweisen sich vor allem dann als wichtiges oder gar unverzichtbares Medium, wenn die Realität (technische Sachsysteme oder Handlungen) zu weit weg (Vergleich von Brückenbauwerken), zu groß (Schiffsmotor), zu klein (Mikrochipstrukturen), zu gefährlich (Kernreaktor), zu teuer oder schwer erhältlich (Brennstoffzellenfahrzeug), nicht mehr vorhanden (Fabrikarbeit um 1900), verborgen (Verbrennungsvorgang im Viertakt-Motor) oder für menschliche Sinne grundsätzlich nicht zugänglich ist (siehe etwa Spannungsoptik Abb. 1).
Abb. 1
Die genannten Beispiele machen deutlich, dass gerade die besonders außergewöhnliche, faszinierende, beeindruckende Technik häufig nur mit Hilfe von Fotografien zugänglich ist. Insofern wird ihnen besonders auch unter motivationalen Gesichtspunkten Bedeutung einzuräumen sein. Abbildungen als Präsentationsmedien bringen ein methodisches Vorgehen des instruierendanalytischen Typus mit sich (vgl. Schmayl 1999: 10 ff ). Das Objekt wird in einer immer auch spezifischen und damit wahrnehmungslenkenden Weise präsentiert; als Wahrnehmungsobjekt lässt es vor allem innere Operationen zu (analysieren, interpretieren, vermuten…); das Spektrum der möglichen abbildbezogenen (äußeren) Handlungen ist dagegen weitgehend auf sprachlich-diskursive Auslegung und Diskussion der Abbildinhalte beschränkt. Unverkürztes, d.h. problemlösendes technikbezogenes Handeln ist – aus lehr-lerntheoretischen, bildungstheoretischen aber auch techniktheoretischen Gründen – der Königsweg zur technischen Bildung. Da durch Einsatz einer Abbildung an Stelle einer Realsituation oder eines Realobjekts wesentliche Wahrnehmungsqualitäten (insbesondere auditive, taktile, kinästhetische und olfaktorische) verloren gehen, und technikbezogene Handlungsmöglichkeiten wenn nicht ausgeschaltet, so doch drastisch eingeschränkt werden, ist die positive didaktische Entscheidung für Abbildungsmedien, insbesondere vom Typus des Präsentationsmediums stets auf sorgfältige didaktisch-methodische Abwägung und verlässliche Begründung angewiesen.
Fotografie als Inhalt und Medium des Technikunterrichts
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zu b) Fototechnische Abbildungen als Reproduktionsmedien des Technikunterrichts Im Gegensatz dazu erfordert die Arbeit mit Reproduktionsmedien die objektbezogene physische Aktivität. Bezogen auf das Medium der Fotografie wird der Unterrichtsinhalt durch Abbildungen technischer Objekte und Verfahren zwar in einer vorab festgelegten Form präsentiert, die aber Raum für Ausarbeitungen, Ergänzungen, Änderungen durch den Schüler zulässt und erfordert. Es wäre etwa an den Einsatz dieses Mediums im Rahmen einer Demontage-Analyse-Aufgabe zu denken: Nachdem sich die Schüler etwa an einem Elektrowerkzeug Aufschluss über konstruktive und funktionale Zusammenhänge verschafft haben, bietet sich ein Transfer der erworbenen Struktureinsichten auf ein bisher nicht thematisiertes Objekt an. Es bietet sich etwa an, Funktionselemente oder -organe in der Abbildung zu benennen, Energie-(oder auch Stoff-/ Informations-)-ströme zeichnerisch herauszuheben oder auch Abbildungen in einer sinnvollen Reihenfolge entsprechend der Montage- oder Demontageschritte anzuordnen.
zu c) Fototechnische Abbildungen als Produktions- (oder ‚Genesemedien‘) des Technikunterrichts Zum Produktionsmedium kann Fotografie nur unter der Bedingung reduzierter Lenkung durch die Lehrperson und eines (quantitativ und qualitativ) erhöhten Maßes an Aktivität auf Seiten der Schüler werden. Nun geht es nicht mehr nur darum, vorhandene Abbildungen zu analysieren oder auch zu bearbeiten; vielmehr sollen jetzt Abbildungen selbstständig geplant, entworfen und hergestellt werden. Es ist also gefordert, ein Darstellungsproblem mit fototechnischen Mitteln selbst zu lösen. Erst auf der Ebene des Produktionsmediums wird die Abbildung ganz in den Kontext des problemlösenden Handelns der Schüler integriert. Beispiele: Es wurden im Rahmen einer Serienfertigung im Technikunterricht Produkte hergestellt, z.B. photovoltaisch gespeiste Taschenlampen. Die Artikel sollen nun der schulischen Öffentlichkeit präsentiert und etwa auf einem Schulfest auch verkauft werden und müssen dazu mittels möglichst vorteilhafter Werbeabbildungen präsentiert werden. Für ein selbst entworfenes Produkt (z.B. ein Messgerät) soll eine geeignete Betriebsanleitung erstellt werden, so dass auch andere Personen das Gerät möglichst problemlos in Betrieb nehmen können. In diesem Rahmen werden Merkmale, Besonderheiten, Zugriffsmöglichkeiten usw. auch mittels Abbildungen dargestellt. Für ein industriell hergestelltes Produkt (z.B. ein Fahrrad) soll eine Wartungs- und Reparaturanleitung erstellt werden. Denkt man etwa an eine 21-Gang-Kettenschaltung, so wird deutlich, dass es darum geht, das jeweils wichtige Detail trotz einer verwirrenden Vielfalt benachbarter Teile präzise erkennbar abzubilden, Kennzeichnungen oder Bewegungsrichtungen einzufügen, Werkzeuge an den passenden Stellen demonstrativ anzusetzen, um auch dem Nicht-Fachmann die Einzelschritte der zunächst diffizil erscheinenden Einstellungsarbeit verständlich und nachvollziehbar zu machen. Die Erstellung einer guten Anleitung für andere ist nur auf der Grundlage wirklich fundierten eigenen Verstehens und Könnens möglich. Auf diese Weise stellt die erreichte Qualität einer solchen Problemlösung auch einen Indikator für das erreichte Kompetenzniveau in einem bestimmten fachlichen Teilbereich dar.
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Schlussbemerkungen zum ersten Teil Die Betrachtung techniktheoretischer Aspekte fototechnischer Abbildungen macht zum einen deutlich, dass es sich zwar um ein sehr großes Spektrum unterschiedlicher technisch verfügbarer Systeme und Verfahren handelt, die jedoch bei näherem Blick strukturelle Verwandtschaft offenbaren. Dabei handelt es sich nicht nur um die Tatsache gemeinsamer naturaler Effekte (insbesondere elektromagnetische Wellen unterschiedlicher Frequenz und Wellenlänge); vielmehr lassen sich auch durch allgemeintechnologische und soziotechnische Analyse Gemeinsamkeiten aufdecken. Im Lichte technikdidaktischer Betrachtung wurde zumindest in Ansätzen erkennbar, welche didaktischen Möglichkeiten von dieser Thematik umfasst sind. Insbesondere die Differenzierung der Thematik mittels des Kriteriums des Aneignungsmodus macht deutlich, auf welche Weise unterschiedliche Lernaktivitäten der Schüler herausgefordert werden und spannt damit auch den Rahmen unterschiedlicher Lernziele und Lernerträge auf. Im zweiten Teil wird ein spezifischer technikdidaktischer Teilbereich, nämlich das Foto als Präsentationsmedium näher untersucht.
Teil II: Das Foto als Präsentationsmedium (Daniel Bienia) Im zweiten Teil dieses Aufsatzes soll eine Auseinandersetzung mit dem Foto als Präsentationsmedium stattfinden. In einem weiterführenden Aufsatz zum Umriss eines Medienkonzepts für den Technikunterricht kennzeichnet Winfried Schmayl Bilddarstellungen als Medientypen, die vorrangig dazu dienen eine bestehende technische Wirklichkeit zu präsentieren. Entsprechend ordnet er sie in seinem Methodensystem den Präsentationsmedien zu.
Abb. 1
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Nach seinem Verständnis unterstützen derartige Medien rezeptive Lernformen: „Rezeptives Lernen findet dort statt, wo ein technischer Sachverhalt vorgestellt wird … und die Schüler ihn zur Kenntnis nehmen und zu verstehen suchen. Die entsprechenden Medien sollen Präsentationsmedien genannt werden. Ihre Aufgabe ist es, den Unterrichtsgegenstand anschaulich und ggf. vereinfacht vor die Schüler zu bringen. Dieser Lernmodus mit seinen Medien stellt in erster Linie auf den internen Nachvollzug vorfindlicher Denkprodukte ab.“ (Schmayl 1996: 297). Folgt man dieser Auffassung, dann dient das Medium Fotografie überwiegend dazu, Lernvorgänge zu initiieren, bei denen Vorgedachtes, Fertiges, d.h. eine technische Wirklichkeit – so wie sie ist – nachvollzogen und in bildender Absicht angeeignet werden soll. Nun ist diese Lernrichtung von außen nach innen sicher ein wichtiges Moment des Technikunterrichts. Eine bildende Auseinandersetzung mit der technischen Wirklichkeit beinhaltet das Moment des inneren Nachvollzugs und der Aufnahme des Vorfindlichen. Daher erfüllen Bildmedien den Zweck der Verinnerlichung kultureller Bestände, aber eben nicht nur. Das Bildungspotential der Bilddarstellung erschöpft sich für die technische Bildung keinesfalls in rezeptiven Lernformen.
Technische Bildung muss Distanz zur Technik schaffen Technische Bildung zielt nicht ausschließlich auf eine Verinnerlichung bestehender Formen bzw. Denk- und Handlungsmuster. Es geht nicht nur darum, dass die Schüler lernen, wie die moderne Technik beschaffen ist, wie sie funktioniert, wie man sie bedient und mit welchen Verfahren sie hergestellt wird. Dies wäre eine Verkürzung des allgemeinen Bildungsauftrags. Eine technische Bildung, die allgemein bildend wirksam sein soll, muss auch Hintergründe, Ursachen, Bedingungen und Folgen von Technik in den Begreifenshorizont der Lernenden bringen. Technik ist kein naturgesetzliches Geschehen. Sie ist materieller Ausdruck von Werten und Normen, von ökonomischen Bedingungen, von juristischen Vorgaben, ökologischen Einsichten usw. Daher sind technische Lösungen nie eindeutig bestimmbar, sondern sie existieren stets als Kompromiss zwischen dem was möglich, gewollt oder wünschenswert ist. Diese Eigenart der Technik muss in bildender Absicht erkenn- und nachvollziehbar gemacht werden. Daher kann eine technische Bildung nicht ausschließlich das Vorfindliche zum Gegenstand machen, sondern auch das Andere bzw. das anders Mögliche ist zu bedenken. Technische Bildung muss, um ihrem Allgemeinbildungsanspruch gerecht zu werden, sich von der Technik und dem damit verbundenen Absolutheitsanspruch des Faktischen lösen. Dies bedeutet eine Entfernung von der durch ihre Konkretheit gegebene Nähe zur Technik – ein Vorgehen, das der Philosoph Klaus Tuchel fordert: „Die Nähe wird dadurch gekennzeichnet, daß wir uns in unserer Arbeits-, besonders aber auch der übrigen Lebensumwelt wie selbstverständlich und natürlich mit Technischem umgeben … Gerade die ungebrochene Selbstverständlichkeit des Gebrauchs muß uns dazu herausfordern, die technische Entwicklung kritisch und distanziert zu durchdenken. … In der Erziehung des jungen Menschen muß seine Nähe zur Technik aufgeschlossen und ergänzt werden durch die Schaffung einer Distanz zu ihr. … Erst die in der Erziehung vorbereitete Erschließung von Nähe und Distanz zur Technik schafft die Möglichkeit ihrer vernünftigen Einbeziehung in unser Leben“ (Tuchel 1967: 78 f.). Eine Distanzierung ist zunächst eine räumliche. Dies bedeutet eine Auseinandersetzung mit anderen Kulturen und mit einer anderen Technik als deren materiellem Ausdruck – mit anderen Wohn, Arbeits- und Lebensverhältnissen,
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Abb. 2: mit anderer architektonischer Formensprache
Wilfried Schlagenhauf & Daniel Bienia
Abb. 3: mit anderen Formen der Mobilität
Die historischen Distanzierung als Form der Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur Distanz von der unmittelbaren Technik schafft nicht nur der räumliche Aspekt, eine weitere Möglichkeit ist die zeitliche Distanzierung. Auch in der Auseinandersetzung mit der Technik der Vergangenheit können alternative kulturelle und soziale Bedingungen erkennbar werden, alternative Denkmuster, Erwartungen. Das historisch orientierte Vorgehen ist ein für die technische Bildung Gewinn bringendes Verfahren. Denn die historische Distanzierung ermöglicht eine vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur, mit deren Vorläufern und Ursachen, mit Alternativen und strukturellen Mustern. So wird eine zentrale geschichts- und technikdidaktische Kategorie bedacht, nämlich die Kategorie der Veränderung bzw. der Veränderbarkeit. Derart bedacht, löst sich die Technik vom Anspruch einer fix bzw. naturgesetzlich zu denkenden Erscheinung. Sie wird als spezifischer materieller Ausdruck im zeitgebundenen Kontext der jeweiligen Bedingungen und Erkenntnissen, Möglichkeiten und Erwartungen erkennbar. Die Auseinandersetzung mit der anderen, mit der historischen Technik macht die Technik der Jetztzeit in ihrer Eigenart erkennbar „… was ‚modern‘ ist, kann eben nur durch Einsicht in ‚vormoderne‘ Phänomene erfasst werden …“ (Rohlfes /Jeismann 1976: 120). Geschichtliches Lernen dient so der differenzierten Wahrnehmung von Gegenwart – wie sie ist und wie sie nicht (mehr) ist.
Abb. 4 und 5: Die selbe Straße 1910 und 1998
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Abb. 6: Fabrikarbeit zu Beginn des 20. Jh
Abb. 7: Fabrikarbeit am Ende des 20. Jh
Das methodische Mittel ist der Vergleich. Die Hintergründe, die Werte und Normen, deren materiellen Ausdruck die jeweilige Technik darstellt, werden erst im Vergleich erkennbar. Über die Vorgehensweise des Vergleichens werden vertiefte Einsichten in die jeweilige Eigenart möglich. Erkennbar wird nicht nur, was ist, sondern der Vergleich schafft insbesondere die Einsicht, was nicht ist „… jede Identifikation, jede Abgrenzung des Objekts erfolgt im Vergleich zu dem, was es nicht ist. Jede genauere Bestimmung seiner Attribute erfolgt im Vergleich zu anderen Attributen – die ihm und nicht anderen Objekten oder ihm nicht, aber anderen Objekten eigen sind. Der Vergleich kann explizit oder implizit, beabsichtigt oder unbewußt sein: Wo Analyse ist, ist auch Vergleich.“ (Grosser, zit. n. Westermann 1980: 44).
Abb. 8 (links): Funktionalität der Moderne im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Abb. 9 (rechts): Postmoderne als Rückkehr zur Symbolik in den 80er und 90er Jahren
Hintergründe, Denkmuster, Werte und Normen ergeben sich aus dem Bildmedium nicht von selbst. Eine bildende Auseinandersetzung bedarf der narrativen Rekonstruktion, die sich auf das Bildmedium stützt. Das geschichtliche Lernen steht in einem eigentümlichen Verhältnis zu den Medien, die den Zugang zu einer anderen Technik einer anderen Zeit schaffen. Den besonderen Bezug zwischen der Vergangenheit und deren Rekonstruktion beschreibt der Geschichtsdidaktiker H.-J. Pandel: „Geschichte als eine rückblickend vorgenommene narrative Konstruktion läßt sich nicht direkt erfahren und wahrnehmen. Sie ist unserem Gedächtnis und Bewusstsein nur sprachlich verfügbar. … Die meisten Ereignisse sowie die unsere eigene Lebensgeschichte
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umgreifende Geschichte ist uns … nirgends direkt, sondern nur über Medien zugänglich.“ (Pandel 1997: 461). Diese stellen zwar Überreste vergangener technischer Wirklichkeit dar, sie sind mit dieser Wirklichkeit jedoch nicht gleichzusetzen. Abbildungen sind Zeugnisse der Vergangenheit und als solche Hilfsmittel für eine Annäherung an diese. Unmittelbare Rückschlüsse auf den Gebrauch einer bestimmten Technik sind aber ebenso wenig möglich wie deren Nutzen oder deren Bedeutung in einer bestimmten Zeit. Das Besondere der Situation, das Erleben und Empfinden des vergangenen Geschehens ist aus Bildzeugnissen nicht direkt ableitbar. Daher müssen diese in einen sprachlich vermittelten Zeit-, Kultur- oder Gesellschaftskontext eingebunden werden, innerhalb dessen Technik verständlich wird. Umgekehrt spiegeln sich diese Zeit, die Gesellschaft und die Kultur in dieser Technik als deren materieller Ausdruck. Es ist ein Ziel des Unterrichts „… aus den Zeugnissen der Vergangenheit narratives Wissen nach den gegenwärtigen Kommunikationsinteressen zu konstruieren und dadurch die Ereignisse der Vergangenheit in der Sprache zu rekonstruieren.“ (Pandel 1997: 41)
Die Fotografie als Medium der Distanznahme Über das Medium Bild kann eine sowohl räumlich wie auch zeitlich andere Technik in die Reichweite der Schüler gebracht werden. Die Fotografie informiert eingängig und erleichtert die Vorstellungsbildung. So wird ohne viel Aufwand ein Zugang zu einer Technik möglich, die außerhalb der Alltagsbezüge, Denkmuster und Handlungsnormen liegt. Das Bild ist hierbei ein, wenn nicht das Veranschaulichungsmedium. Dieses Medium liefert eine Basis dafür, dass andere, ähnliche oder gar gegensätzliche Denkmuster, die in einer anderen Technik zum Ausdruck kommen, narrativ rekonstruiert werden können. Zum inhaltlichen Begründungsaspekt d.h. zum Aspekt der räumlichen und zeitlichen Distanz kommt ein lerntheoretischer. Die Fotografie als medialer Träger der Distanzierung kann den Lernenden dabei helfen, dass sie sich von der ihnen bekannten und von der sie alltäglich umgebenden Technik lösen. Medial vermittelt verliert die Technik ihre durch die dingliche Präsenz gegebene Konkretheit und Nähe. Dies erleichtert die vergleichende Gegenüberstellung und die kommunikative Auseinandersetzung. Die über das Bild vermittelte Distanzierung ist Grundlage für eine differenzierte Wahrnehmung der Technik als Phänomen in seiner gesellschaftlichen und kulturellen Gebundenheit. Eine Konfrontation mit anderen Formen und Bedingungen nimmt der Technik ihre normative Kraft des Faktischen, Technik erscheint anders denkbar. Dadurch dient das Bild als mediale Grundlage der Förderung technischer Innovationsprozesse. Die Loslösung schafft die Basis für kreative Zugänge. Es ist ein Ziel technischer Bildung, dass Technik nicht lediglich konventionellen Mustern folgend, sondern auch immer wieder neu gedacht wird.
Literatur Bienia, D.: (2004) Technikgeschichte als Gegenstand technischer Bildung, Hamburg Kerth, K, Timm, C.: (1998) Fotografien von gestern und heute – eine Gegenüberstellung, Gudensberg- Gleichen, Pforzheim. Pandel, H.-J.: (1997) Medien historischen Lernens, in: Handbuch der Geschichtsdidaktik (Bergmann u.a. Hrsg.), Seelze- Velber S. 416 - 421 Rohlfes J., Jeismann, K.: (1976) Geschichtsunterricht, Inhalte und Ziele, 2. Auflage Stuttgart
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Ropohl, G.: (1994) Von Aristoteles zum VDI - Wie begreifen wir Technik? In: Deutsches Institut für Fernstudienforschung an der Univ. Tübingen (Hrsg.): Funkkolleg Technik. Studienbrief 1, Studieneinheit 3. Tübingen Ropohl, Günter: (1999) Allgemeine Technologie. Eine Systemtheorie der Technik, 2. Auflage Sachs, Burkhard: (1979) Skizzen und Anmerkungen zur Didaktik eines mehrperspektivischen Technikunterrichts. In: Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen (Hrsg.): Technik - Ansätze für eine Didaktik des Lernbereichs Technik. Fernstudienlehrgang Arbeitslehre. Studienbrief zum Fachgebiet Technik, S. 41-80, Tübingen, Schmayl, W.: (1994 ) Medien des Technikunterrichts - Begriff und Ordnung. In: tu - Zeitschrift für Technik im Unterricht, Heft 72 Schmayl, W.: (1997) „Ein Medienkonzept für den Technikunterricht“ in: Fast/ Seifert: technische Bildung, Tagungsband Heidelberg Schmayl, W.: (1999) Methodik des Technikunterrichts - begriffliche, historische und systematische Betrachtungen. In: tu - Zeitschrift für Technik im Unterricht, Heft 93 Tuchel, K.: (1967) Herausforderung der Technik, Bremen Westermann, E.: (1980) Zum Gegenwartsbezug einer Beschäftigung mit Geschichte; in: Karlsruher pädagogische Beiträge, Heft 3, S.43- 55. Karlsruhe Wolffgramm, H.: (1994) Allgemeine Techniklehre. Elemente, Strukturen und Gesetzmäßigkeiten technologischer Systeme. Bd.1, Bd. 2: Allgemeine Technologie, Hildesheim
Abbildungen Teil I: Schlagenhauf Abb. 1: Spannungsoptische Aufnahme: Materialbeanspruchung eines belasteten Schraubenschlüssels (http://www.tu-chemnitz.de/mb/ExpMech/Forschung/bildschluessel.html)
Teil II: Bienia Abb. 1: eigene Aufnahme Abb. 2: eigene Aufnahme Abb. 3: Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Ludger Fast, Pädagogische Hochschule Heidelberg Abb. 4: Mit freundlicher Genehmigung von Klaus Kerth, Pforzheim Abb. 5: Mit freundlicher Genehmigung vom „Haus der Geschichte Baden-Württemberg“ Sammlung Metz Abb. 6: Mit freundlicher Genehmigung durch den SV-Bilderdienst, München Abb. 7: Mit freundlicher Genehmigung der IWKA AG, Public Relations, Karlsruhe Abb. 8: Mit freundlicher Genehmigung von Robert C. Krüger, Berlin Abb. 9: Mit freundlicher Genehmigung von Professor Dr. Albert Meier, Uni Kiel
Fotografie und Text in Kunst und Schule Franziska Armbruster
Thema dieses Beitrags ist die Kombination der Medien Fotografie und Text in der Fachdidaktik Kunst. Im Kunstunterricht ist es sinnvoll und lohnend, mit Schülern und Schülerinnen das Zusammengehen dieser beiden Medien beobachtend und reflektierend, aber auch praktisch erprobend zu verstehen. Immer mehr Künstler bedienen sich einer Kombination der Medien Fotografie und Text. Exemplarisch werden hier die zwei Künstler Klaus Staeck und Duane Michals mit ihren Werken „Deutscher Mischwald (regenfest)“ von 1984 und „Necessary Things for Writing Fairy Tunes“ von 1989 vorgestellt. Ausgehend von der Gegenwartskunst wird hier in zwei Unterrichtsskizzen für die Sekundarstufe I gezeigt, wie sich Kunstunterricht mit dieser Medienkombination von Fotografie und Text gestalten lässt.1
1 Didaktische Reflexion Die Kunst selbst befasst sich mit der Kombination der beiden Medien erst seit Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, während die Werbung diese Kombination schon mindestens 100 Jahre länger nutzt. Seit ca. 30 Jahren wählen immer mehr Künstler die Foto-Text-Kombination – offenbar um neue Aussageformen zu finden. Die neuerdings verbreitete Digitalfotografie ermöglicht auch Anfängern, mit diesem Verfahren zu experimentieren, evtl. unter Anleitung und ggf. in der Schule, wie wir hier vorschlagen. Schon 1978 brachte der Friedrich Verlag Seelze ein gemeinsames Sonderheft von Kunst+Unterricht und Praxis Deutsch zum Thema „Text und Bild – Bild und Text“ heraus. Die Überlegungen der Kunstdidaktiker darin lassen erkennen, dass alle beim Vorwissen der Schüler der jeweiligen Jahrgangsstufe ansetzen: Inwieweit sind die Schüler schon mit der Kombination von Fotografie und Text in Berührung gekommen, und was wissen sie schon über diese Kombination? Sowohl Sauerbier (1978: 18-25), Kleinschmidt (1978: 26-48) als auch Grünewald und Hinkel (1978: 62-74) sind der Auffassung, dass es sich bei der Kombination um ein Alltagsphänomen der Schüler handelt, mit welchem sie im täglichen Leben ständig konfrontiert werden. Gerade deshalb sind sie auch der Meinung, dass den Schülern die grundlegenden Zusammenhänge der Foto-Text-Kombination dem Alter der Schüler entsprechend vermittelt werden müssen. Die Schülern erkennen, wie die Medien miteinander verknüpft werden können, wie sie zusammenhängen und welche Funktionen dahinter stehen. Sauerbier erachtet es als besonders wichtig, den Schülern Beispiele aus der Kunst zu zeigen. Alle Autoren versuchen, für den Unterricht auf lernmotivierende Projekte zurückzugreifen. Bei den Beispielen handelt es sich meist um Fotoromane oder Foto-Love-Stories.2 Dehn u.a. vertreten in ihrem Buch „Zwischen Text und Bild“ von 2004 die Auffassung, dass der Einsatz von digitalen Medien neue Erfahrungsräume für den Kunstunterricht eröffnet. Gera1 Leider war es nicht möglich, das Copyright für die in diesem Beitrag besprochenen Werke zu bekommen 2 vgl. Sauerbier (1978: 18-25), Kleineberg (1978: 83-85) und Spies und Schroeter (1980: 50-53) sowie Neuhaus (1996:44-45) und Grünewald (1987:22-25)
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de der Einsatz des Computers und der digitalen Bildbearbeitung ermöglicht eine multimediale Gestaltung im Kunstunterricht. Hierbei kommt es jedoch auf einen sinnvollen Einsatz der Medien an, d.h. die Schüler müssen eine bildnerische und inhaltliche Fragestellung erhalten, welche sie durch den Einsatz der digitalen Medien ausdrücken können. So können die Schüler durch die eigene Produktion von Text-Bild-Kombinationen und die digitale Bildbearbeitung einen ästhetischen, kritischen und kompetenten Umgang mit neuen Medien erlangen. Hierbei sollte, wie auch schon bei Sauerbier, die Kunst einbezogen werden. Speziell die im Internet vorhandene Netzkunst sowie virtuelle Ausstellungspräsentationen und Bilddatenbanken werden dabei mit berücksichtigt (Dehn u.a. 2004: 23). Es sollte allerdings nicht nur beim Kennen lernen solcher Kunst bleiben. Die Schüler werden außerdem dazu angeregt, sich selbst kreativ mit dieser Art der Medienkombination auseinander zu setzen, denn nur so können die künstlerischen Verfahren mit ihren jeweils dahinterstehenden Konzeptionen erfahren werden. Die Schüler werden dann nämlich befähigt, den Gestaltungsprozess nachzuvollziehen und ihn zu reflektieren. Gleichzeitig lernen sie bestimmte Stil- und Gestaltungsmerkmale kennen sowie eine künstlerische Arbeit zu interpretieren (Dehn u.a. 2004: 126f.). Dehn u.a. legen großen Wert auf die Präsentation des digitalen Materials. Denn durch diese können die Schüler „Schritte in die Öffentlichkeit erproben und die Selbstständigkeit eigener Forschungs- und Gestaltungswege sichtbar machen“ (Dehn u.a. 2004: 24). Das Besondere an der Arbeit mit dem Computer und der digitalen Bildbearbeitung ist, dass es sich hierbei um einen „prozessorientierten und oftmals auch zufallsgeleiteten Umgang“ mit den neuen Medien handelt (Dehn u.a. 2004: 24), da die Arbeitsweise am Computer ein ausprobierendes, neu zusammenstellendes sowie serielles Arbeiten ermöglicht. Folge hiervon ist, dass durch dieses künstlerische Handeln der Problemlösungsprozess bei den Schülern weiter ausgebildet wird (Dehn u.a. 2004: 24f.). Gerade Kunstlehrer machen sich Gedanken über die Kombination von Foto und Text, denn sie hat Einfluss im täglichen Leben jedes einzelnen Schülers. Deshalb ist es wichtig, sie dafür zu sensibilisieren, wie die beiden Medien zusammenwirken und was die Funktion davon sein kann. Die Schüler werden dazu befähigt, mit der Kombination aus Fotografie und Text in ihrem täglichen Leben umzugehen und die Aussage, die dadurch mitgeteilt bzw. vorgespielt werden soll, zu erkennen. Sie lernen dabei, diese Medienkombination kritisch zu hinterfragen. Speziell im Kunstunterricht sollte der Fokus auf der Entwicklung visueller Kompetenzen liegen. Es sollten Künstler vorgestellt werden, die genau mit dieser Kombination der beiden Medien Fotografie und Text arbeiten. Mit Hilfe ihrer Kunstwerke werden dann die Fragen behandelt, wie und zu welchem Zweck die beiden Medien miteinander kombiniert werden. Schließlich sollen die Schüler dazu befähigt werden, sich dieses Ausdrucksmittel der Kombination von Fotografie und Text zu Eigen zu machen, um selbst kreativ tätig zu werden.
2 Die Foto-Text-Collagen 2.1 „Deutscher Mischwald (regenfest)“, 1984 von Klaus Staeck Beschreibung Das Plakat „Deutscher Mischwald (regenfest)“ von 1984 hat die Maße 84x59 cm und zeigt die Fotografie einer Heidelandschaft als Offsetdruck. Im Vordergrund, auf etwa einem Drittel des Plakats, die Heidesträucher in einem Gemisch aus Grün-, Gelb- und Brauntönen, dahinter eine kleine, jedoch nicht wirklich erkennbare Hügel-
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landschaft. Im oberen, größeren Teil ein leicht blauer, mit dezenten Wolkenschwaden durchzogener Himmel, rechts oben schwach erkennbar ein Regenbogen. Über diese Fotografie ist in der unteren Bildhälfte ein schwarzer Strichcode gelegt, wie man ihn sonst auf Lebensmittelverpackungen findet. Oberhalb steht der Text „Deutscher Mischwald (regenfest)“ wie eine Überschrift. Interpretationsansatz mit Blick auf die Foto-Text-Kombination Als Erstes fällt die scheinbare Unvereinbarkeit des Fotos und des Textes auf. Zusammen provozieren sie hier eine Spannung, die zur intensiveren Beschäftigung einlädt. Staeck sagt selbst, dass fast alle seine Text-Foto-Montagen durch einen solchen dialektischen Widerspruch leben. Sie „machen auf den ersten Blick neugierig und sind angewiesen auf die Chance des zweiten Blicks: auf das Bild hinter dem Bild“ (Hapkemeyer 1996: 142), welches sich der Betrachter selbst macht. Auch weist seine Arbeit Parallelen zu einem „offiziellen“ Werbeplakat einer Litfasssäule auf, erst wenn die Betrachter den Störfaktor bemerken, kann es diesen gelingen, hinter sein Wort-BildRätsel zu kommen (uni-bonn 2000). Der Strichcode, Symbol für Käuflichkeit und Preis, stellt das Bild in den Kontext des Handels und macht damit aus der abgebildeten Landschaft eine Ware. Wer diesen Interpretationsansatz vertiefen will, kann das hier leicht tun; der Text ergänzt diesen Aspekt, da er wie eine Produktbezeichnung formuliert ist. Bei seinen Arbeiten beginnt Staeck meist zuerst mit der Suche nach dem Text. Hierfür benutzt er oft bekannte Slogans, Redensarten, Schlagwörter, etwas, vieles was dem Betrachter vertraut ist (Hapkemeyer 1996:142). Der betrachtende Leser misstraue aber dem vordergründig Vertrauten und beachte die Zusammenstellung! Im vorliegenden Plakat besteht der Ausdruck „Deutscher Mischwald (regenfest)“ aus dem Kompositum Mischwald und zwei Adjektiven. Das attributive Adjektiv deutscher ist frequent im Zusammenhang mit Wald. Das in Klammern nachgestellte (und daher nicht deklinierte) Adjektiv regenfest dagegen ist unüblich bei Wald; man würde es eher bei Zelt oder Jacke erwarten. Warum sollte ein Wald regenfest sein? Hier setzt die Überlegung ein, die vermutlich schnell zum sauren Regen führt. Ko-Text des verbalen Textes ist das Foto der Heidelandschaft ohne „echte“ Bäume und ohne „echten“ Wald, vielmehr sehen wir nur einen Strichcode, der evtl. an Baumstämme erinnert, an einzelne Baumstämme ohne Äste und Blätter, also an abgestorbene Bäume. Der Strichcode könnte aber auch für Holzlatten stehen, gemacht aus den ehemaligen Bäumen. Oder er erinnert wieder an Lebensmittelverpackungen aus Papier und Kartonage aus Bäumen, s.o.. Staeck verarbeitet das Waldsterben und den Wald als Ware mit einem einfachen Symbol, einem einfachen Foto und einem einfachen Text zu einem künstlerischen Plakat. Hoffnung lässt er durch den Regenbogen rechts oben, wieder ein einfaches Symbol, ahnen. Ob man die Interpretation moralisch weiterführen möchte wie Pütz, bleibe dahingestellt: „Staeck gelingt es, den Betrachter an seinem (häufig schlechten) Gewissen zu packen: es ist das geistige An-den-Schultern-Rütteln, was wir bei einiger Sensibilität unmittelbar als Erschütterung zu spüren meinen, wenn wir sein Plakat betrachten“ (Pütz 2001:10). Staeck modifiziert zum Zweck des besseren Verständnisses künstlerische Methoden, er „verquickt sie mit den Präsentationsmitteln der Werbung, wählt provozierende und aufrüttelnde Motive, schafft eine ironische und dadurch Nachdenken evozierende Distanz durch das scheinbare Auseinandertriften von Statement und bildlicher Darstellung“ (Pütz 2001:10).
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Wäre die Fotoaussage ohne den Text dieselbe? Im Prinzip schon, weil die Bildsymbolik unmittelbar zu verstehen ist. Der Text rückt das Bild allerdings aus dem Globalen und Allgemeinen in einen konkreten Kontext: nach Deutschland, in den ökologischen Bereich des Waldsterbens und, wenn man will, auch in den literarischen der Baum-Gedichte.3 Das ironische Attribut (regenfest) hebt das Plakat aus dem moralischen Bereich in die Groteske. Die semiotischen Systeme von Text und Foto überlagern sich teils, ergänzen sich auch und sind für einander gleichzeitig Kontext und Ko-Text: Kontext, indem sie Geltungsbereiche abstecken und Ko-Text, indem sie sich ergänzen und gegenseitig verstärken. Das Plakat als Kombination beider Medien, Foto und Text, erreicht eine Wechselwirkung zwischen Unerwartetem und Vertrautem, die die Neugier des Betrachters weckt. „Diese Form der Bild-Text-Collage ist eine aufdeckende Methode, keine verrätselnde, verschleiernde“, meint Hapkemeyer (1996:142). Ja, wenn man sich auf die Widersprüche einlässt und ihnen nachgeht! Wir würden sonst eher mit Ute Andresen sagen: „Versteh mich nicht so schnell!“
2.2 „Necessary Things for Writing Fairy Tunes“ 1989 von Duane Michals Beschreibung Das Bild „Necessary Things for Writing Fairy Tunes“ von 1989 zeigt eine Fotografie auf einem schwarzen Passepartout mit den Maßen 16x20 cm. Die verwendeten Materialien sind Cibachrome und weiße Tusche. Die Fotografie zeigt mehrere Gegenstände vor einem weißen Hintergrund. Die Gegenstände selbst stehen auf einer weißen Platte, hierbei könnte es sich um einen Tisch handeln. Von dieser weißen Platte ist in der vorderen rechten Bildhälfte ein kleiner Teil der Kante zu sehen. Nun zu den einzelnen Gegenständen. An die Wand lehnend und auf dem hinteren Plattenrand stehend ist aus Ästen eines Baumes das Wort Fairy (= Fee) gelegt, davor ein aufgeschlagenes Notenheft. Unsere Betrachtrichtung geht nach rechts, im Sinne der lateinischen Schrift. Rechts auf dem Heft, nahe der Kante sitzt ein bienenähnliches Insekt mit gelbbraunem Körper. Vor dem Notenheft rechts eine Kristallkugel, darin spiegelt sich etwas Braunes. Neben dieser Kugel zwei Champignons, einer leicht schräg liegend, ein Zweiter daneben stehend, und davor zwei rote Würfel mit Ziffern, außerdem ein braunes Vogelnest aus Weide. Neben dem Vogelnest liegen wieder rechts drei Kirschen, zwei sind durch ihre Stiele miteinander verbunden und bilden so ein Pärchen, dessen eine hellrot ist, die andere dunkelrot. Die dritte, dunkelrote Kirsche direkt vor dem Notenheft hat einen grünen Stiel, der senkrecht in die Höhe zeigt. Davor ein grünes vierblättriges Kleeblatt mit einem Stiel, der in die Richtung des vorderen Tischrandes weist. Rechts neben dem Kleeblatt liegt ein getrockneter Blütenzweig. Hinter diesem Blütenzweig und rechts vom aufgeschlagenen Notenheft der letzte Gegenstand, eine Muschel aus dem Meer.
3 Erwähnt seien, weil hier passend, B. Brecht: An die Nachgeborenen mit den Zeilen: „Was sind das für Zeiten, wo /Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt“? und intertextuelle Gedichte mit Bezug darauf, z.B. von P. Celan, H. M. Enzensberger oder H. Fritz: Bäume mit den Zeilen: „Inzwischen ist es fast / zu einem Verbrechen geworden, / nicht über Bäume zu sprechen, / …“ Möglicherweise schließt Staeck auch an diesen Faden an.
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Unterhalb der Fotografie, auf dem schwarzen Passepartout zentriert, lesen wir den handgeschriebenen Schriftzug „Necessary Things for Writing Fairy Tunes“ (= „Notwendige Gegenstände, um eine Feenmelodie zu schreiben“), und darunter neun in weißer Handschrift geschriebene Sätze; immer drei untereinander. Die drei Gruppen bilden drei Säulen unter dem Schriftzug des Titels auf dem schwarzen Passepartout. Die Sätze lauten: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
The hum from a humming birds nest. (= Das Summen von einem Kolibrivogelnest.) The silence of mushrooms. (= Die Stille der Pilze.) The sound of wild columbines growing. (= Der Ton des wilden Wachsens der Akeleien.) The roan of the ocean in a sea shell. (= Das Rauschen des Ozeans in einer Muschel.) The buzz of a yellow jacket. (= Das Summen einer gelben Jacke.) Dice for chance. (= Würfel für eine günstige Gelegenheit.) A four leaf cloven for good luck. (= Ein vierblättriges Kleeblatt fürs Glück.) Cherry juice for writing the notes. (= Kirschsaft, um die Noten zu schreiben.) A crystal ball to see the notes. (= Eine Kristallkugel, um die Noten zu sehen.)
Unterhalb dieser englischen Sätze befindet sich zentriert die Signatur von Duane Michals und die Angabe 8/25. Interpretationsansatz mit Blick auf die Foto-Text-Kombination Das Foto selbst erinnert vom Aufbau her an ein klassisches Stillleben. Die Mitte des Fotos bilden das aus Ästen gelegte Wort „Fairy“ und das aufgeschlagene Notenbuch; beides zusammen ergibt den Titel: „Fairy-tunes“. Um diese beiden Gegenstände herum hat Duane Michals all die anderen Gegenstände angeordnet, die laut Text notwendig sind, um das Endprodukt, eine Feenmelodie, entstehen zu lassen. Sie beschreibt er metaphorisch-symbolisch auch im Text auf dem Passepartout, quasi als poetologisches Rezept: das Summen eines Kolibrivogelnestes, visualisiert durch das Vogelnest; die Stille der Pilze, symbolisiert durch die zwei Champignons usw. Für Glück bedarf es des vierblättrigen Kleeblatts. Den Kirschsaft zum Schreiben der Noten liefern die Kirschen. Und die Kristallkugel trägt dazu bei, dass die Noten für die Feenmelodie gesehen werden können. So geht das also. Allerdings stimmt die Leserichtung des Fotos von links nach rechts nicht mit der Reihenfolge der Zutaten im Text überein. Könnte es mehrere Möglichkeiten geben, Feenmelodien zu komponieren? Kombiniert man die Reihenfolge nach eigenem Belieben, erhält man vielleicht seine ganz eigene individuelle Feenmelodie! Durch die Kombination von Fotografie und Text gibt uns Duane Michals also eine Hilfe an die Hand, wie man sein Kunstwerk verstehen kann. Gleichzeitig lenkt er dadurch sehr die Interpretation des Betrachters in eine Richtung. Die Art, wie er die beiden Medien Fotografie und Text miteinander verbindet, ist dem Betrachter wahrscheinlich durch das tägliche Leben nicht ganz unbekannt. So kommt diese Art der Kombination unter anderem bei der Anleitung zum Aufbau eines Möbelstückes oder bei der Beschreibung eins Backrezeptes vor. Bei Michals sind jedoch die Sätze gar keine wirklichen Anleitungen, sondern Bezeichnungen der Ingredienzien, und diese sind teils eher unfasslich (die Stille der Pilze). Die Textfassung geht nämlich über die fotografische Darstellung der Objekte hinaus, sie liefert verbale Zeichen für Akustisches oder Abstraktes, das nicht ohne Weiteres bildlich dargestellt werden kann (Summen, Rauschen, Glück, Wachsen, günstige Gelegenheit). Intendiert ist also offensichtlich ein synästhetisches Kunstwerk,
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dessen Endprodukt laut Titel ja sogar musikalisch sein soll: eine Melodie. Dazu hat Duane Michals ironischerweise aber gerade nicht die Laute selbst, die Töne als Zutaten gewählt. Das Foto bliebe ohne den Text ein Stilleben; der Text ohne das Foto wäre ein märchenhafter Anriss der Zutaten zu einem Rezept und in sich schlüssig, auch wenn er unvollständig bleibt. Der Text gewinnt Farbe, das Foto einen anderen Sinn. Der Klang, die Feenmelodie, ist von lesenden Betrachter hinzuzuerfinden. Gäbe es sie schon, wären Foto und Text überflüssig.
3. Unterrichtsskizzen 3.1 Das Plakat von Klaus Staeck Bildungsziele und Kompetenzen Die Schülerinnen und Schüler sollen fähig werden, „Objekte und Situationen zunehmend geschult und sensibilisiert ästhetisch wahrnehmen, ästhetische Objekte genussvoll betrachten und mit den Kenntnissen über Interpretation und Analyse von Bildwerken aus Kunst und Alltag die visuelle und multimediale Reizüberflutung unserer Tage bewältigen.“ (Bildungsplan Baden-Württemberg Realschule 2004: 135). Sie erwerben die Kompetenz, Zeichen bzw. Symbole zu erkennen und Zusammenhänge in Fotografien und Texten zu suchen; Aussagen in Kunstwerken zu finden und deutend darüber zu sprechen, ästhetische Wertungen vorzunehmen sowie selbst kreativ mit Materialien umzugehen usw. Dazu gehören auch der Umgang mit der Digitalfotografie sowie die digitale Bildbearbeitung. Der Unterricht gliedert sich in drei Phasen. Die erste Phase bildet die Analyse, Interpretation und Reflektion des Kunstwerks „Deutscher Mischwald (regenfest)“ von Klaus Staeck in Bezug auf die Fotografie-Text-Kombination sowie das Kennenlernen des Künstlers und seiner Arbeitsweise. Die zweite Phase gestalten die Schüler aktiv selbst. Hier bringen sie ihr Vorwissen aus der ersten Phase gezielt ein, indem sie selbst eine Fotografie-Text-Kombination produzieren. Die Lehrperson stellt das technische Material (Digitalkamera und Computer mit Zubehör) zur Verfügung. Die dritte Phase bildet die Reflexion, d.h. die einzelnen Kunstwerke der Schüler werden gemeinsam besprochen und auf ihre Fotografie-Text-Beziehung hin untersucht. Diese Phase dient gleichzeitig der Ergebnissicherung. Zu den einzelnen Arbeitsphasen des Unterrichts Nach einer ersten Betrachtung des Plakats innerhalb der Klasse versuchen die Schüler in ihrer Kleingruppe herauszufinden, was durch die Kombination der beiden Medien Text und Foto wohl erreicht werden soll, wie diese auf den Betrachter wirken und was sie in ihm auslösen. Bei der folgenden gemeinsamen Besprechung ist für die Schüler besonders interessant, ob alle Gruppen zu ähnlichen Interpretation gefunden haben und warum bzw. warum nicht. Dieses Gespräch kann durch Impulse der Lehrperson gefüttert werden. Anschließend wird der Künstler Staeck vorgestellt. Abschließend werden die möglichen Bildaussagen schriftlich fixiert. Die beiden Medien Fotografie und Text werden dabei unter der Fragestellung betrachtet, ob ein Medium
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über das andere dominiert und dadurch die Bildaussage stärker bestimmt sowie die Interpretation des Betrachters leitet oder ob beide gleichgewichtig und komplementär sind. In der zweiten Phase geht es darum, dass die Schüler selbst ein Plakat mit der Medienkombination Fotografie und Text entwerfen, das evtl. auf ein spezielles Problem hinweist. Auch diese Arbeit kann in Kleingruppen stattfinden. Zu überlegen sind ein Thema, eine Zielgruppe und ein Konzept für die Vorgehensweise und Umsetzung. Sind alle Kleingruppen mit dieser Arbeit fertig, dann stellen sie sich jeweils ihre Themen, Konzepte und Vorgehensweisen gegenseitig vor. Dieser Schritt dient gleichzeitig als Kontrolle, ob das jeweilige Projekt so durchführbar ist oder ob etwas ergänzt oder geändert werden muss. Es folgt die kreative Umsetzung der Plakate in Kleingruppenarbeit. Nach dem Fotografieren und Texten nimmt die Bearbeitung am PC einige Zeit in Anspruch, zumal wenn Bildbearbeitung für manche noch neu ist. Es muss allerdings nicht unbedingt erwartet werden, dass die Schüler (vermeintlich) unvereinbare Fotos über einander kopieren wie Staeck. Haben die einzelnen Kleingruppen ihre Plakate fertig gestellt, werden sie zusammen mit der Klasse angeschaut, entweder ausgedruckt auf OHP-Folie, per Beamer oder, falls das möglich sein sollte, als Plotterausdruck auf Plakatpapier. Hier beginnt die dritte Phase, nämlich eine gemeinsame Betrachtung, Reflexion und ggf. Überarbeitung der Plakate. Mit Blick auf das von den Schülern ausgewählte Problem und die ausgesuchte Zielgruppe schätzen die Mitschüler und Mitschülerinnen die Vorlage ein und geben konkrete, realisierbare Tipps. Die fertigen Plakate werden so groß wie möglich gedruckt bzw. auf DIN-A 3 kopiert und dann an Stellwänden in der Schule oder an (öffentlichen) Orten aufgehängt. Genehmigungen einholen!
3.2 Das Werk von Duane Michals Bildungsziele und Kompetenzen Dieser Unterrichtsvorschlag ist für eine 5. oder 6. Klasse konzipiert als fächerverbindendes Projekt der Unterrichtsfächer Deutsch und Kunst. Die Schüler kennen Märchen- und Fantasy-Welten und typische Elemente darin, sie kennen sie sowohl sprachlich als auch bildlich und wissen, dass darin Vergangenes bildhaft überliefert wird. Sicher haben sie mediale Erfahrungen mit Märchen und Fantasy, einige haben sich vielleicht rezeptiv oder produktiv mit Dramatisierungen von Märchen beschäftigt. Auf diesen Kenntnissen kann der Unterricht aufbauen, wenn das Werk von Michals vorgestellt wird. Sie lernen zu sehen und Text und Bild im Zusammenhang zu verstehen. Neue Kompetenzen erwerben viele Kinder im Umgang mit der Digitalkamera und der Bildbearbeitung am Computer. Kreativ werden sie durch das Ersinnen von Foto-Text-Zusammenhängen, durch das inhaltliche Durchdringen und durch die konkrete Gestaltung. In jedem Falle erwerben die Kinder Methodenkompetenz in Planung, Teamarbeit, digitaler Mediennutzung und ästhetischer Wertung. Realisierung Märchen haben ihren festen Platz im Fach Deutsch, vor allem in der Grundschule. In den Klassen 5 und 6 setzen sich die Schüler mit den Texten auseinander, indem sie diese auf ihren Inhalt und ihre Form hin untersuchen. Sie lernen die typischen Merkmale der Gattung Märchen kennen und erfahren, welche einzelnen Motive im Märchen eine Rolle spielen. Dies bildet die Voraussetzung für die kreative Arbeit der Foto-Text-Kombination im Kunstunterricht, denn dort liegt der Schwerpunkt im bildgestaltenden Umgang mit den Märchentexten.
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Den Ausgangspunkt bildet das hier vorgestellte Kunstwerk „Necessary Things for Writing Fairy Tunes“, 1989 von Duane Michals, das von den Schülern mit besonderem Blick auf die FotoText-Kombination betrachtet wird. Die Sinnsuche wird durch den Text erleichtert, sofern er übersetzt ist. Für die Gestaltungsaufgabe suchen die Gruppen sich ein Märchen aus und besprechen die Motive. Sie besorgen sich nun einige typische Gegenstände aus ihrem Märchen und richten sie zu einem Stillleben auf ihrem Tisch an. Sind alle Märchen durch die Anordnung der Gegenstände zu erkennen, geht es an das Fotografieren der Stillleben mit der Digitalkamera. Die nächste Arbeitsphase besteht darin, jedem einzelnen Gegenstand der Fotografie einen erklärenden Text, je Gegenstand einen Satz, zur Seite zu stellen, so dass – wenigstens auf den ersten Blick – eine Art Gebrauchsanweisung zum Schreiben ihres gewählten Märchens entsteht. Lehrpersonen sollten groteske Vorschläge nicht sofort ausscheiden (einen Jenaer Glastopf als Sarg für Schneewittchen); sensibel achten müsste man allerdings auf Blut und Gewalt in einigen Vorschlägen. Anschließend folgt das Zusammenfügen der beiden Medien Fotografie und Text am Computer. Zum Schluss wird jedes Kunstwerk ausgedruckt, evtl. durch Schwarzweißkopie vergrößert auf DIN A3 und vor der Klasse präsentiert. Auch hier empfiehlt sich eine Ausstellung im Schulhaus und evtl. anderswo. Vielleicht ist es möglich, die Kunstwerke an eine andere Klasse weiter zu geben und diese darum zu bitten, zu den jeweiligen Kunstwerken ein Märchen zu verfassen.
3.3 Fachdidaktische Weiterführung Ein Vorteil der digitalen Kamera besteht darin, dass alle Bilder auch allen Schülern auf dem Computer zugänglich gemacht und sie dort auch von ihnen bearbeitet werden können. So lernen die Schüler den Umgang mit den neuen Medien, wobei der Materialaufwand recht gering ist, da lediglich Kamera und Computer gebraucht werden und diese an den meisten Schulen vorhanden sein dürften. Gerade bei der zunehmenden Bilderflut von außen ist es wichtig, die Kinder im Produzieren von Fotos deren Gemachtheit und Machbarkeit erfahren zu lassen, ihnen aber auch das Medium Schrift zur Gestaltung anzubieten. Sie erfahren, dass sie sich durch Bilder ausdrücken können und auch durch Schrift. Die Medienkombination von Foto und Text im Unterricht bietet die Chance, die Aussagekraft von Bildern und Texten neu zu erkennen und für den eigenen Ausdruck zu nutzen; vgl. in diesem Handbuch die Kleinen Projekte Studierender. Medienerfahrungen sind für Schüler virulent. Dehn u.a. (2004: 16) haben gezeigt, „dass die Etablierung eines schulfernen Themas und Mediums als Unterrichtsgegenstand unerhörte Motivationen freisetzt und Zugänge zur Schrift eröffnet“. An manchen Beispielen aus der Kunst lernen Kinder nach Sauerbier 1978, dass die Interpretation eines Bildes erst durch den dazugehörigen Text des Künstlers eine Aussage ergibt. Unerlässlich ist, dass die Kunstlehrer selbst Kenntnisse im Umgang mit der digitalen Fotografie, dem Computer und Bildbearbeitungsprogrammen besitzen und Erfahrungen für den konkreten Gebrauch im Unterricht sammeln, um ihrerseits zu sehen, wo die Chancen und Grenzen der Medienkombination von Fotografie und Text im Kunstunterricht liegen. So findet eine Erweiterung des traditionellen Kunstunterrichts mit seinen ästhetischen Gestaltungsmöglichkeiten statt.
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Literatur Andresen, Ute (1992): Versteh mich nicht so schnell: Gedichte lesen mit Kindern. Weinheim: Beltz (21993). Dehn, Mechthild u.a. (2004): Zwischen Text und Bild. Schreiben und Gestalten mit neuen Medien. Freiburg: Fillibach. Grünewald, Dietrich/Hinkel, Hermann: (1978): Mit Bild und Text erzählen. In: Kunst +Unterricht, Praxis Deutsch Sonderheft Text und Bild – Bild und Text. Seelze: Friedrich. S.62-74 Grünewald, Dietrich (1987): Fotobildgeschichte In: Kunst + Unterricht 111. S.22-25. Hapkmeyer, Andreas/Weiermair, Peter (1996): foto text text foto. Synthese von Fotografie und Text in der Gegenwart. Frankfurt a.M.: Edition Stemmle. Kleineberg, Herbert (1978): Die Geschichte mit dem Schwamm zur Entstehung einer Wandzeitung (6. Schuljahr). In: Kunst + Unterricht, Praxis Deutsch Sonderheft Text und Bild – Bild und Text. Seelze: Friedrich. S.83-85 Kleinschmidt, Gert (1978): Hinweise für Lehrer zum Arbeitsheft „Bilder und Text“. In: Kunst + Unterricht, Praxis Deutsch Sonderheft Text und Bild – Bild und Text. S.46-48 Neuhaus, Stefan (1996): Bildromane aus Fotoabfall. In: Kunst + Unterricht 208. S.44-45 Pütz, Jean (2001): Klaus Staeck Umwelt auf dem Prüfstand. Plakate 1971 bis 2001. Heidelberg: Verlag Jürgen Schweinebraden Sauerbier, S. D. (1978): Wie Text und Bild zusammenhängen und was man daran lernen kann. Ein Unterrichtsmodell zur Kohärenz von Text und Bild in der Fotoerzählung. In: Kunst + Unterricht, Praxis Deutsch Sonderheft Text und Bild – Bild und Text. Seelze: Friedrich. S.18-25 Spies, Jutta/Schroeter, Michael: Photographische Textillustration. In: Kunst + Unterricht 1980. 59. S.50-53
Modefotografie und Modejournalismus im Unterricht – warum nicht?! Anne - Marie Grundmeier
Mode kann unbestritten als gesellschaftliches Phänomen unter soziologischer und psychologischer, gar theologischer Perspektive im Unterricht thematisiert werden. Auf welcher Grundlage aber wird über die Bekleidungsmode gesprochen? In den meisten Fällen wird man sich nicht auf die unmittelbaren Unterrichtsmedien beschränken wollen, die Bekleidung der anwesenden Lehrkräfte und Schüler, sondern man wird Fotos, Illustrationen und Texte einbeziehen, welche modische Botschaften transportieren. Damit wird im Unterricht eine sehr komplexe mediale Verflechtung thematisiert; denn Mode und Medien stehen in vielfältiger Interdependenz zueinander (Mann 2005: 407-409). Mode kann als ein Phänomen der extremen Medialisierung aufgefasst werden, denn ohne ihre permanente Präsenz in den Medien würde es nicht zu Entwicklungen kommen, die als modische Trends oder Stile wahrnehmbar sind. Erst durch ihre Verbreitung in der Gesellschaft werden Bekleidung und Accessoires zur Mode. Historisch betrachtet bedingt die technische Entwicklung der Medien die Ausbreitung der Mode. Modefotografie und Modejournalismus sind Zeitzeugen nicht nur der Mode, sondern auch des Entwicklungsstandes der Fotografie und des Textjournalismus. Wurden Modeabbildungen seit dem vierzehnten Jahrhundert als Holzschnitte, Radierungen und Gravuren bzw. Kupferstiche und bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein auch mittels Zeichnungen vermittelt, so trat doch mit dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert das Modefoto seinen Siegeszug an und aus der Portrait- und Kunstfotografie entwickelte sich die Modefotografie. Dienen heute Modezeichnungen eher der Darstellung von Kleidentwürfen und der internen Kommunikation in der Modeindustrie, hat das Foto die Aufgabe übernommen, die Bekleidungsmode in die Öffentlichkeit zu transportieren. Allein die bildliche Darstellung steht kaum isoliert da, sondern die Übermittlung der modischen Botschaft bedarf zumindest der textlichen Ergänzung beispielsweise zur Erklärung der stofflichen Materialqualität. Aber Modetexte beschränken sich nicht nur auf wenige ergänzende Bildangaben, sondern umfassen verschiedene journalistische Textgattungen wie Essays, Reportagen usw. Die bedeutendsten Medien zur Verbreitung der Mode sind heute Mode- und Frauenzeitschriften, die eine eigene Art der Fotografie – die Modefotografie – ins Leben gerufen haben. Sie schaffen am konsequentesten die Verknüpfung von Foto und Text. Natürlich liegt diese auch in anderen Printmedien wie zum Beispiel Zeitungen, Kulturmagazinen etc. vor, aber die Mode- und Frauenzeitschriften widmen aufgrund ihres redaktionellen Aufbaus in jeder Ausgabe einen hohen prozentualen Anteil der Modeberichterstattung.
Zur Geschichte der medialen Modeverbreitung Ein historischer Rückblick auf die Verbreitung der Mode lässt erkennen, dass die Entstehung der Bekleidungsmode unabdingbar an einen internationalen Austausch geknüpft ist. Vor dem achtzehnten Jahrhundert erfuhren Adelige auf ihrer Grand Tour durch Europa, was an anderen Höfen Mode war, oder sie beauftragten ihre Botschafter, sich über die aktuelle Mode in fremden Ländern zu informieren. Eine anschauliche Art, die Mode des französischen Königshofes
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international bekannt zu machen, waren seit Ende des 14. Jahrhunderts die Pariser Modepuppen. Es gab deren zwei, die „große Pandora“, bekleidet mit der neuesten Staatstoilette, und die „kleine Pandora“, die die französischen Hauskleider, die „negligées“, präsentierte. Die Puppen waren anfangs aus Holz, später aus Porzellan oder Wachs. Oft staffierten die Hofdamen die Puppen selbst aus und schickten sie sich gegenseitig zu. Später kümmerten sich die Modehändlerinnen darum, die teilweise lebensgroßen Puppen mit der neuesten Hofmode innerhalb Europas zu verschicken und andere in Tageskleidung in ihren Schaufenstern auszustellen. Zu den ersten Modenachrichten zählen die Kleiderordnungen, die bis ins Detail die Kleidung und die Accessoires für die einzelnen Stände festlegten. Zwar dienten sie eigentlich dem Zweck, die Prunksucht des Bürgertums einzuschränken, doch wurde durch die detailgenauen Informationen oft das Gegenteil erreicht. Dazu gehören auch die moralisch begründeten Modesatiren und -karikaturen, die zwischen dem fünfzehnten und siebzehnten Jahrhundert vor allem von Geistlichen verfasst wurden, um gegen den Luxus anzukämpfen, und die meist in Form von Flugblättern verteilt wurden. Die ersten schriftlichen Medien zur Verbreitung von Modenachrichten dienten somit nicht der Popularisierung der Mode, sondern ihre Verfasser versuchten auf diesem Weg, dem sich ausbreitenden Kleiderluxus Einhalt zu gebieten (Kleinert 1980: 33). Eine Besonderheit der bildlichen Modeverbreitung stellen Porträts dar, die die Damen der feudalistischen Adelsgesellschaft von sich in mehrfacher Ausfertigung malen ließen. Die Gemälde beispielsweise, die François Boucher von Madame de Pompadour anfertigte, zeigen die typische höfische Rokokomode des achtzehnten Jahrhunderts. Besonders auffällig an der portraitierten Kleidung der Madame Pompadour sind die zahlreichen Rosen, die in den Stoff eingewebt waren, die sie in den Händen hielt oder die in ihre Frisur gesteckt waren. Durch dieses Bildmotiv entwickelte sich die Kunstblume zu einem wichtigen Bestandteil der Rokokomode. Die zahlreichen Gemälde Bouchers trugen dazu bei, dass sich Madame de Pompadours Modestil verbreitete. Für eine bildliche Wiedergabe der aktuellen Mode sorgten weiterhin die Modegravuren, denen die Erfindung des Kupferstichs als Voraussetzung für eine schnelle und billige Vervielfältigung vorausging. Sie wurden im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert vorwiegend als Flugblätter an ein zahlungskräftiges und modeinteressiertes Publikum verteilt und schließlich auch in gebundener Form verbreitet. In den Trachtenbüchern des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts erschienen die Modegravuren als Bilderfolgen. Eine erste Vereinigung von schriftlicher und bildlicher Dokumentation fand sich Ende des siebzehnten Jahrhunderts in den Almanachen, erweiterten Kalendarien, und den „galanten“ Zeitschriften, wobei diese vornehmlich über das kulturelle Gesellschaftsleben berichteten. Aus der Zeit des deutschen Kaisers Maximilian I. (1493 - 1519) stammen eine Vielzahl von Trachten- und Kleiderbüchern sowie Kostümgrafiken, die durchaus als Prototypen späterer Modejournale angesehen werden können (Loschek 1999: 359). Neben der Wiederentdeckung des Portraits, das den individuellen Menschen verstärkt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken ließ, bekam nun auch seine Kleidung eine derart hohe Bedeutung zugeschrieben, dass sie als Wert erachtet wurde, um ihrer selbst willen betrachtet zu werden. Auffälligerweise beschränkte sich dieses Interesse nicht auf nationale Errungenschaften. Der Wissensdrang, wie man sich an anderen Orten kleidete, trug zur Verbreitung der deutschen, italienischen sowie französischen Kostümdrucke von Sammlern wie Siegmund von Herberstein oder Künstlern wie dem Radierer Enea Vico bei (Boehn 1996: 172-174). In den Trachtenbüchern wurden mit mehr oder minder großer darstellerischer Treue fremde Trachten abgebildet. Die Modealmanachen gelten als direkte Vorläufer der Modezeitschriften, da sie eine ähnliche Merkmalkombination, und zwar schwerpunktmäßig schriftliche und bildliche Modeberichter-
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stattung neben der Periodizität, als zeitschriftenspezifisches Kriterium aufwiesen (Kleinert 1980: 43-48). Ab 1672 wurden zum ersten Mal in einer periodisch erscheinenden Zeitschrift, dem in Lyon verlegten „Mercure Galant“, Modenachrichten als reine Texte verbreitet, zusätzlich zu Kriegsberichterstattung, Theaterkritiken oder philosophischen Aufsätzen. Diese Reportagen wandten sich jedoch eher an ein Publikum, das über die Mode bereits informiert war und sich vielmehr für die Art des Tragens sowie des Auftretens interessierte. Daher waren Illustrationen offensichtlich überflüssig. Eigene Modejournale und Magazine verbreiteten sich erst ab den 1780er Jahren verstärkt in Frankreich. Der Vorteil lag vor allem darin, dass sie schneller auf die Wandlungen innerhalb der Mode reagieren konnten. Die Modezeitschriften trugen dazu bei, dass sich immer breitere Schichten nach der neuesten Mode kleiden konnten. Die Blütezeit der Modezeitschriften begann aber erst kurz nach der französischen Revolution. In Frankreich erschien ab 1797 das sehr erfolgreiche „Journal des dames et des modes“. In Deutschland war es das 1786 gegründete „Journal des Luxus und der Moden“, das auf Anregung Johann Wolfgang Goethes von dem Schriftsteller und Unternehmer Friedrich Justin Bertuch und Gregor Melchior Kraus, dem Direktor der „Fürstlich freien Zeichenschule“, herausgegeben wurde. Mit dem Anwachsen des bürgerlichen Mittelstandes ab der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts versuchten die Zeitschriftenverleger, dieses breite Publikum durch ein auf praktische Lebenshilfe und Unterhaltung abgestimmtes Themenangebot zu erreichen. Der sich entwickelnde Typus der allgemein-unterhaltenden Frauenzeitschriften beschränkte sich mit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts auf die Interessensgebiete der Frau als Hausfrau. Große Popularität genossen zum anderen die Modeblätter, die sich entweder als Gesellschaftszeitschriften an einen exklusiven Leserkreis wandten oder die Frau der mittleren Schichten als Leserin entdeckten. Bis zum Ende des Jahres 1886 waren in Deutschland und Österreich insgesamt 140 Modezeitschriften gegründet worden, von denen viele nicht lange erschienen (Lott-Almstadt 1986: 31). Zusammenlegungen und Neugründungen hielten auch damals den Zeitschriftenmarkt in Bewegung. Die Ausbreitung der Modezeitschriften profitierte von der Expansion der Textilindustrie, die sich von der handwerklichen Fertigung zur Massenproduktion entwickelte. Dabei vollzog sich eine inhaltliche Wandlung. Die zentrale Problemstellung hieß nicht mehr französische, englische oder deutsche Mode, sondern entweder Luxus-Journal für eine exklusive Oberschicht zu sein oder ein praktisch-nutzungsorientiertes Konzept zur Bedarfsdeckung des Mittelstandes zu bieten. Das Interesse breiter Bevölkerungsschichten an der Mode und das Verlangen nach modischen Informationen und Anregungen wuchsen mit dem steigenden Wohlstand des Bürgertums. Neben das überlieferte „Journal“ für die Dame der oberen Stände trat nunmehr die Modezeitschrift für die den bürgerlichen Schichten angehörenden Frauen. Sie zeigten durch einfache Modellzeichnungen und die Beilage von Schnittmusterbogen weiten Kreisen der weiblichen Bevölkerung Mittel und Wege zur modischen Kleidung auf.
Einblicke in die Modefotografie des zwanzigsten Jahrhunderts Modefotografie ist gewerbliche Fotografie, die ästhetischen und kommerziellen Vorgaben folgt. Sie beruht auf der Entwicklung der Fotografie, der Drucktechnik und der Printmedien. Nach der Erfindung des technischen Bildes wird die Fotografie bald als Medium zur Darstellung von Bekleidungsmode genutzt, indem sich zunächst Frauen der Gesellschaft in ihrer Mode von Fotografen ablichten lassen. Obwohl diese Fotos nicht in Zeitschriften veröffentlicht werden, finden sie als Bildreihen in kleinen Auflagen ihren Weg in die Öffentlichkeit. Es handelt sich damit um
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Fotos, die bereits zur Modefotografie gezählt werden können und die als Beispiel für den Übergang von gesellschaftlicher Portraitfotografie zur Modefotografie betrachtet werden können (Mann 2005: 411). Die Ursprünge der Modefotografie werden in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts datiert, als Modeschöpfer wie der Haute Couturier Charles Frederick Worth ihre Kleider durch lebende Modelle vorführen ließen und dies fotografisch festhielten (Ducros 1998: 535). Die erste Fotoagentur, die sich auf Modeaufnahmen im wirklichen Leben und im Freien spezialisierte, war die Agentur der Brüder Seeberger. Bis 1909 wurde Haute Couture ausschließlich im Hause des Modeschöpfers von einem „Kunstfotografen“ aufgenommen (Charles-Roux 2005: 92-94). Die drei Brüder Jules, Louis und Henri Seeberger, genannt „les Frères Seeberger“, portraitierten schon in den 1910er Jahren die Damen der guten Gesellschaft in ihren Kleidern und mit ihren extravaganten Hüten bei Pferderennen, womit die Rennbahn ein eingeführtes Motiv in den Mode- und Gesellschaftsreportagefotografien der Illustrierten und Magazine wurde (Ruelfs 2005: S. 11). Die Brüder Félix und Manuel Reutlinger machten die Modelle der Schwestern Callot, von Jean Paquin oder aus dem Hause Worth unsterblich. Das 1850 gegründete Studio Reutlinger entwickelte sich zu einem der bekanntesten Fotoateliers in Paris. Man nahm dort Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Politiker, Diplomaten, hochrangige Militärs, Künstler, Schriftsteller usw. auf. Die Studiokulissen verfügten über Palmen, Säulen, Tapisserien, Teppiche, Stufen und Treppen, um die langen Roben der Damen repräsentativ in Szene zu setzen. In Paris etablierte sich die Modefotografie seit Mitte der 1920er Jahre fest als eigenes Metier. Sie fußt somit auf der Portrait- und Kunstfotografie und erhebt schon allein wegen ihres Ursprungs häufig den Anspruch auf künstlerische Darstellung, obwohl sie überwiegend im Dienste der Produktwerbung steht. Lange galten Modebilder im Bereich der Fotografie – schon allein wegen ihrer kommerziellen Bindung – als künstlerisch minderwertig. Die Zwiespältigkeit in der Anerkennung als Kunst oder Kommerz wird zu einem stilbildenden Element der Modefotografie des zwanzigsten Jahrhunderts. Obwohl sie zum größten Teil als Auftragsarbeit für große Modemagazine oder auch für Modehäuser entstanden, ist sie häufig im Nachhinein als Kunst anerkannt worden. Heute widmen Museen und Galerien der Modefotografie eigene Ausstellungen. Die Aufnahme des Modefotografen Irving Penn von dem amerikanischen Model Jean Patchett erzielte als anerkanntes Kunstwerk am 22. Oktober 2002 im Aktionshaus Christie’s, New York 57.360 $1 (siehe Abb. 1). Die Werke der bedeutenden Modefotografen haben dazu beigetragen, die Mode und ihre Schöpfer unsterblich zu machen. Die Fotografien zeugen vom Zeitgeist, sie sind Zeitzeugen nicht nur der Mode, sondern auch des Entwicklungsstandes der Fotografie und der Drucktechnik. Meilensteine in der Modefotografie haben Richard Avedon (1923-2004) und Helmut Newton (1920-2004) gesetzt. Vor ihren Kameras posierten die Großen, Schönen und Reichen. Zum Markenzeichen des in New York geborenen Richard Avedon gehört der weiße, leere Hintergrund seiner großformatigen Bilder, bei denen nichts vom Motiv ablenkt. Von 1945 bis 1965 wurde Avedon durch die Förderung von Alexey Brodovitch, dem damaligen künstlerischen Direktor des Modemagazins Harper’s Bazaar zu einem der berühmtesten Modefotografen der Welt. Später ging er als erster Cheffotograf zum konkurrierenden Modemagazin Vogue und arbeitete als einer der ersten mit Fotomodellen nicht im Studio, sondern auf der Straße. Er forderte von ihnen schauspielerische Leistungen, um Momentaufnahmen zu inszenieren.
1 Vgl. Lorenz, Rachel: Art Market Guide 2002, http://www.artnet.com/Magazine/features/lorenz/lorenz11-11-02.asp
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Abb. 1: Black and White, Vogue Titelblatt (USA) mit Jean Patchett, Fotograf: Irving Penn, 1. April 1950
Die Arbeit mit verschiedenen Hintergründen spielte eine wichtige Rolle in der Modefotografie der fünfziger und sechziger Jahre, angefangen vom Stadtraum als Kulisse bis zum Fotostudio. Der urbane Aufnahmeort kann eine Geschichte erzählen oder einen neutralen Hintergrund darstellen; im kontextlosen Studio dagegen wird das Augenmerk des Betrachtenden gänzlich auf Accessoires, Bekleidung und die Pose der Modelle gelenkt: „Selbstverständlich nehmen die Gesten und Posen der Modelle auch im narrativen Modebild, das vorgibt mitten im Leben zu spielen, einen wichtigen Teil der Bildkomposition ein. Der Grad der Inszenierung beeinflusst jedoch die Deutlichkeit, mit der die Pose ausgestellt wird. Während eine Geste im Außenraum als ‚natürlich‘ verstanden werden kann, lässt die Studiobühne an deren Inszenierung keinen Zweifel.“ (Ruelfs 2005: 27) Das Ausstellen von Künstlichkeit wird zu einer Grundbedingung der Gattung Modefotografie in den sechziger Jahren (Owens 2003: 92-114). Neben Schwarzweißaufnahmen gewinnt die farbige Modefotografie in dieser Zeit immer mehr an Bedeutung. Trotz ihrer zahlreichen lukrativen Aufträge für Mode und Werbung haben Avedon und Newton stets auch künstlerisch gearbeitet. Auch wenn sich der in Berlin geborene Helmut Newton selbst nicht als Künstler, sondern als „Auftragskiller“ bezeichnete, so gilt er doch als einer der größten Fotokünstler des zwanzigsten Jahrhunderts. Newton wurde als Sohn eines jüdischen Knopffabrikanten geboren und flüchtete 1938 vor den Nationalsozialisten nach Singapur und anschließend nach Australien. Nach unsteten Jahren und vielen Reisen kehrte er 1957 nach Europa zurück. Als Newton sich mit Anfang vierzig in Paris niederließ, begann seine Karriere als Modefotograf. Die französische Vogue druckte seine Bilder, großformatige Mode-(Akt-)Fotos, mit denen er Weltruhm erlangt. Seine eigenwilligen und manchmal auch schockierenden erotischen Frauenbilder wie die Fotoserie Big Nudes von 1981 werden von Museen in aller Welt gezeigt. Die Geschichte der deutschen Modefotografie wird maßgeblich durch die in Stuttgart geborene Modefotografin Regina Relang beeinflusst. In den fünfziger und sechziger Jahren avancierte sie zur stilbildenden und führenden Modefotografin in Deutschland. Sie arbeitete als Designerin, Kostümbildnerin, Kunsterzieherin und Malerin, bevor sie sich das Fotografieren autodidak-
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tisch beibrachte. Ihre Karriere als Fotografin begann 1936 mit der Veröffentlichung von Reisereportagen. Nur zwei Jahre später schloss sie Verträge mit dem Modemagazin Vogue ab und wurde durch ihre Aufnahmen in diesem Modemagazin frühzeitig international bekannt. Nach mehrjährigem Aufenthalt in Paris kehrte sie kurz nach dem zweiten Weltkrieg nach Deutschland zurück und profilierte sich von Berlin und Wien aus. Sie produzierte Modestrecken für diverse deutsche Modemagazine, darunter Die Dame, Constanze, Film und Frau sowie Madame, erhielt mehrere Fotopreise und wurde mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Im Jahr 2005 widmete ihr erstmals ein Museum, das Fotomuseum des Stadtmuseums München, eine umfassende Retrospektive: „Ihr Markenzeichen als Fotografin war die Inszenierung kultivierter Eleganz, die aus heutiger Perspektive wie ein Blick in eine andere, längst vergangene Welt erscheinen mag.“ (Pohlmann, Ruelfs 2005: 7) Zum Spannungsfeld der Modefotografie zwischen Kunst und Kommerz äußerte sich Regina Relang wie folgt: „Meine Meinung ist ganz klar. Fotografie ist kreativ und man muss sie – Kunst hin oder her – als Ausdruck schöpferischer Gestaltung bewerten.“ (Pohlmann, Ruelfs 2005: S. 7) Die nachfolgende Modeaufnahme von Regina Relang zeigt eine modebewusste junge Frau auf einer Baustelle, freundlich bestaunt von zwei Straßenarbeitern. Zwar stilisiert diese Aufnahme die Mode, gleichzeitig aber wird sie durch die Straßenszene in Verbindung zum alltäglichen Leben gebracht.
Abb. 2: Sylvia Dakis „auf einer Baustelle“, Fotografin: Regina Relang, um 1959
Als international stilprägende Modemagazine gelten bei Modehistorikern seit den 1930er Jahren Harper’s Bazaar und Vogue, die beide amerikanischen Ursprungs sind. In den vierziger und fünfziger Jahren verfügten sie über die künstlerischen Direktoren Alexey Brodowich und Alexander Liberman, die die herausragendsten fotografischen Talente heranzogen und engagierten (Libermann 1980: 23). Auf diese Weise kreierten sie damit letztendlich die Modefotografie als ein eigenes fotografisches Genre. Beide hatten aber nicht nur ein Auge für herausragende Talente, sondern gaben diesen Aufnahmen auch den entsprechen Raum in der Layoutgestaltung ihrer Magazine. Indem sie die Modeaufnahmen in großzügig aufgemachten Modestrecken präsentierten, erschufen sie eine exotische, ferne Welt, in die die meist weibliche Leserschaft eintauchen und ihren Alltag vergessen konnte. Heutzutage ist diese Großzügigkeit des Layouts selbst in den
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maßgeblichen Modemagazinen nicht unbedingt zu finden. Bild und Text drängen sich nicht nur enger aneinander, sondern sogar auf Titelbildern auch übereinander wie bei der deutschen Ausgabe der Vogue vom Oktober 2005 mit Linda Evangelista als Titelmodell.
Abb. 3: Vogue Titelblatt (Deutschland) mit Linda Evangelista, Oktober 2005
Nach wie vor vertrauen die großen Modemagazine auf namhafte Fotografen. Aber um Bekanntheit zu erlangen, zählt heute nicht nur die Wiedererkennbarkeit des ästhetischen Blickwinkels eines Modefotografen, sondern auch die Präsenz seiner Aufnahmen in den Magazinen (Lehnen 2004: 115). Es gilt, sich von anderen abzuheben und Fotos mit Wiedererkennungswert zu schaffen. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass wir heute in der Modefotografie Fotostile finden, die die Darstellung von Mode nicht mehr unbedingt in den Mittelpunkt rücken, sondern dazu führen, dass sie eventuell gar zur Nebensächlichkeit wird. Einer dieser sehr bekannten Stile ist der Helmut Newtons, der in den 1980er Jahren schlagartig berühmt wurde: Newton entdeckte die Nacktheit oder besser gesagt die Erotik in der Modefotografie. Nach Newton entstanden weitere Trends in der Modefotografie, bei denen die Produktwerbung als Ziel in den Hintergrund rückt und Modeaufnahmen in die Nähe des Fotojournalismus rücken. Ein Beispiel dafür sind die Werbekampagnen des italienischen Modeimperiums Benetton. Der Strickwarenkonzern wurde durch seine umstrittenen Werbeaufnahmen, beginnend in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, weltweit bekannt, nachdem der italienische Fotograf Oliviero Toscani unter dem Motto „United Colors of Benetton“ zunächst Kinder verschiedener Nationen und ethnischer Gruppen fotografierte, dann aber weiter ging und Umweltverschmutzung, gesellschaftliche und politische Missstände als Motive für Benetton-Kampagnen ablichtete. Für diese Fotos ist das Unternehmen kritisiert worden, weil die Absicht, Produktwerbung zu machen, mit dieser Art von fotojournalistischen Aufnahmen – nicht zuletzt für die Kunden – unvereinbar war. Nach Meinung einiger Fotografen kann es bei der Modefotografie nicht darum gehen, die Realität fotografisch festzuhalten, zumal die Künstlichkeit dieser fotografischen Arrangements allein durch ihre Platzierung in einem werblichen Umfeld evident ist. In „The Decline of Fashion Photography – An Argument in Pictures“ schreibt die Autorin Karen Lehrman: „Great fashion
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photography — like great art in general — doesn’t just ‘tell about today’; it speaks truths about yesterday and tomorrow. As Nick Knight puts it, ‘If you want reality, why don’t you look out of the window?’” (www.slate.com/features/010510_fashion-slide-show/18.htm ). Sie zitiert an dieser Stelle den 1958 geborenen Engländer Nick Knight, der zu den einflussreichsten (Mode-)Fotografen weltweit zählt und dessen Fotostrecken für die britische Vogue und die Magazine Dazed & Confused und The Face mehrfach ausgezeichnet wurden. Mediale Inszenierungen von Mode, sei es durch die Fotografie, digitale Medien, Modenschauen, sind überwiegend dem Zeitgeist angepasst. Mode und Lifestyle sind schnelllebig und flüchtig. Modefotografie wie auch andere Inszenierungsformen können Mode in ein zeitloses Phänomen verwandeln. Die besten Modefotografien tauchen heute auch nicht nur in den renommiertesten Modemagazinen auf, sondern ebenso in den großen Werbekampagnen und Katalogen der Modeindustrie. Für die künstlerische Modefotografie gibt es in Hamburg die „Viaux Gallery For Fashion Photography“ mit einer Dependance in Berlin.2 Gegründet wurde die Galerie von Nathalie Viaux zusammen mit der Journalistin Nadine Barth im Juni 2003, die Dependance in Berlin wurde im November 2004 eröffnet. Es werden nur Modefotografien ausgestellt, oft in Kooperation mit Magazinen.
Modeberichterstattung in Frauenzeitschriften Bei Frauenzeitschriften liegt der Schwerpunkt des redaktionellen Angebots bei der praktischen Beratung und den Sachinformationen in den Bereichen, die vor allem die Frau betreffen. Sie ist Zielperson dieser Beiträge. Schon allein wegen der unterschiedlichen redaktionellen Schwerpunkte bilden die Frauenzeitschriften keine homogene Gruppe, zudem unterscheiden sie sich noch in der Vielfalt der Erscheinungsformen. Die Arbeitsgemeinschaft der Media-Analyse (MA) beschloss 1976: „alle Titel, deren Leserschaft einen überproportionalen Frauenanteil hat und deren redaktionelles Konzept sich an die weibliche Bevölkerung richtet, der Kategorie Frauenzeitschriften zuzuordnen, wobei die Titel in den Berichtsbänden nach ihrer Erscheinungsweise gegliedert sind.“ (Schwan-Stürtz 1982: 13) Hinter dieser Definition verbirgt sich eine Palette unterschiedlichster Typen von Frauenzeitschriften. Um über die Vergleichbarkeit von Zeitschriften aussagen zu können, benötigt man Parameter wie die Zusammensetzung der Leserschaft, Zielgruppenbestimmung und die Zuordnung der Titel bezogen auf qualitative Gesichtspunkte des redaktionellen Teils. Im zwanzigsten Jahrhundert gab es immer wieder Klassifizierungen zum Beispiel nach der Erscheinungsweise, durchgeführt von der Media-Analyse (MA) und der Allensbacher Werbeträger-Analyse (AWA). Daneben kamen die Marktforschungsabteilungen der großen Frauenzeitschriftenverlage zu ihren eigenen Auswertungen. Heute wird im Medienlexikon der Begriff „Modezeitschrift“ nicht mehr geführt, sondern man spricht von Publikumszeitschriften, die sich mit ihrem redaktionellen Inhalt vorwiegend an Frauen richten:3 Frauenzeitschriften behandeln vorwiegend Themenkreise, die dem Kommunikationsbedürfnis weiblicher Leser entsprechen. Die Berichterstattung dreht sich vor allem um Mode, Kosmetik, das Leben in der
2 Bislang ist es europaweit die einzige Galerie dieser Art in Deutschland, die nächste ist Staley-Wise in New York. http://www.viaux.de/index_hamburg.htm 3 Vgl. nachfolgend MediaLine.FAKTEN.Medialexikon unter: http://medialine.focus.de/PM1D/PM1DB/PM1DBF/pm1dbf.htm?s…
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Familie, Bildung und Beruf der Frau sowie Ernährung etc. Ergänzt werden diese Themen durch Romane, Serien sowie Abhandlungen spezieller kultureller Gebiete. Ähnlich wie bei den aktuellen Illustrierten dominiert auch in Frauenzeitschriften die bildhafte Darstellung als publizistisches Mittel, während dem Text oft komplementär erläuternde Funktion zukommt. Deutschland besitzt den weltweit am dichtesten besetzten Frauenzeitschriftenmarkt. Von den in Deutschland etwa 33,59 Millionen Frauen ab 14 Jahren lasen im Jahr 2004 etwa 33,17 Millionen Zeitschriften und 29,14 Millionen lasen Frauenzeitschriften (Brigitte Anzeigenabteilung (Hrsg.) 2004: 5). Im Juni 2006 sind laut dem Verband Deutscher Zeitungsverleger e.V. 78 Frauenzeitschriftentitel der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW) gemeldet: 37 wöchentliche Titel, neun 14-tägliche und 44 monatliche (www.pz-online.de). Das Thema Mode bildet einen redaktionellen Schwerpunkt bei nahezu allen Frauenzeitschriften. Dies wird deutlich, wenn man sich die Funktions-Analyse (FA) des Jahreszeiten Verlages anschaut, welche die redaktionelle Zusammensetzung einer durchschnittlichen Zeitschriftenausgabe in Prozent darstellt (Funktions-Analyse 2005: 6):4 Monatlich erscheinende Hochglanzmagazine wie die deutschen Ausgaben der Elle und Vogue sowie Madame räumen dem Thema Mode zum Kaufen traditionell pro Ausgabe mit nahezu 48 % (Vogue) bis etwa 40 % (Elle und Madame) des Heftinhaltes den größten Platz ein. Weitaus geringer sind die Anteile bei den Frauenzeitschriften mit 14-täglicher und wöchentlicher Erscheinungsweise. So reservieren Frauenzeitschriftentitel wie Brigitte und Freundin laut FA 2005 nur gute 20 % ihrer Seiten für das Thema Mode zum Kaufen und bei den wöchentlich erscheinenden Titeln rangiert es zwischen 9 und 11 % (Funktions-Analyse 2005: 14-16). Die Darbietungsform der Mode in den Frauenzeitschriften hat sich mit dem Interessenswandel ihrer Leserinnen verändert. Zur Gründungszeit von Burda Moden 1950 und Brigitte 1954 war Deutschland stark durch Nachkriegs-, Aufbau- und Wirtschaftswunderjahre geprägt, und so wollte die „mittelständische Hausfrau“ vor allem modisch tragbare Modelle zum Selbstschneidern. Aufgrund der bestehenden Basisversorgung aller Bevölkerungsschichten mit einem vielfältigen modischen Angebot in allen Preislagen steht das Selbstschneidern nicht mehr als notwendige Maßnahme vor dem Kleiderwunsch. Trendgerechte Bekleidung und Accessoires zu niedrigen Preisen von vertikal organisierten Modeanbietern wie Hennes & Mauritz, Orsay, Zara usw. bilden die größte Konkurrenz zum Selbstschneidern. Welche Rolle übernehmen dann heute die Frauenzeitschriften bei der Modeberichterstattung? Sie bieten vor allem Orientierungshilfe in einem Konsumgütermarkt, der durch große Produktvielfalt – von luxuriöser Prêt-à-porter bis zu preiswerten No-Name-Artikeln – und sehr schnellen Wandel geprägt ist. Aus diesem Grund werden „die Modestrecken“ mit Stylingideen kombiniert, so dass die Leserschaft Orientierung bei der Kombination von Bekleidung und Accessoires erhält. Das Magazin Vogue der Condé Nast Publications mit Sitz in New York steht unter den Frauenzeitschriften international für die höchste Modekompetenz dank einer herausragenden Modeberichterstattung. Vogue erscheint monatlich und wird weltweit in 14 Ländern vertrieben: USA (1882), Australien, Brasilien, Großbritannien (1916), Frankreich (1920), Deutschland (1979), Italien (1966), Spanien (1988), Taiwan, Korea, Russland (1998), Japan (1999), Portugal und Griechenland. Im Dezember 1882 erschien die erste Ausgabe, die sich sehr schnell als Wochen-
4 Die Funktions-Analyse dient der Planungspraxis bei der Anzeigenwerbung. Es werden Themenangebote als Indikator für die Werbewirkungsbedingungen in den einzelnen Zeitschriften bereitstellt. Der Grad der thematischen Ausprägungen soll den Bezug zu einzelnen Produktbereichen erkennbar machen.
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journal für Neuigkeiten aus Mode und Gesellschaft etablierte und zum Spiegel der Lebensart der amerikanischen High Society avancierte. Nach mehrfachem Wechsel der Herausgeber wurde Condé Montrose Nast 1909 Eigner des bereits etablierten Modemagazins und baute es zu dem auf, was es heute ist: das international renommierteste Magazin für Mode, Schönheit und Lebensstil. Dafür stehen nicht nur meistens langjährig wirkende Modechefredakteurinnen, die in der Modewelt die Funktion von Stilikonen innehaben, und ihre vorwiegend weiblich besetzten Redaktionsteams, sondern auch die besten Modefotografen der Welt. Seit 1988 leitet Anna Wintour die amerikanische Vogue und gilt als eine der mächtigsten und gefürchtetesten Frauen der Modebranche (Schütte 2005: 166-200). „Ein Wort von der berühmt-berüchtigten FashionQueen und ein Trend wird zum Megaerfolg oder verschwindet für immer in den Archiven der Modewelt.“ (www.vogue.de/vogue/5/1/content/04104/index.php ). Frauenzeitschriftentitel werden heute zu internationalen Marken aufgebaut, deren Bekanntheit genutzt wird, um so genannte Extension-Lines aufzubauen. Beispielsweise sind zur Zeitschrift Brigitte die Titel: Brigitte Woman, Brigitte Young Miss und Brigitte Balance hinzugekommen. Indem Teilrubriken der Brigitte redaktionell zum eigenen Titel ausbaut worden sind, wird die Bekanntheit der Marke genutzt. Die internationale Vermarktung von Frauentiteln gilt auch für den Auftritt im World Wide Web. Die Frauenmagazine empfangen ihre Nutzerinnen mit hochwertigen Modefotografien und Animationen auf der Homepage. Die Themen Fashion, Beauty und Lifestyle bilden das Herzstück des redaktionellen Bereichs, informiert wird über internationale Trends. Vogue zeigt seine herausragende Modekompetenz, indem aktuell zu den Modenschauen in New York, Paris, Mailand und London berichtet wird. Die Datenbank Fashion Shows umfasst über 55.000 Laufstegfotos, sortiert nach Saisons, beginnend mit der Haute Couture Kollektion Herbst/Winter 2001/02, Lokationen, Designern und Trends. In der Model Area wird über international gefragte Models, Agenturen, Modefotografen usw. informiert. Das Who is Who listet und charakterisiert renommierte Modedesigner und Modefirmen (Website Profil VOGUE.com, http://www.vogue.de). In dieser Weise wird das Medium Modefoto nicht mehr allein auf Printmedien beschränkt, sondern eine höhere Bildaktualität und immer größer werdende Bildermenge wird über das Internet geboten. Es hat sich zu einem herausragenden Medienträger für die Modeverbreitung entwickelt. Nick Knight hat diesen Trend erkannt und neben seiner fotografischen Arbeit eine eigene innovative Website namens SHOWstudio ins Leben gerufen, ein Online Modemagazin, das den Webbie Award 2003 gewonnen hat (www.showstudio.com).
Vestimentäre Ikonografie und Ikonologie als fachdidaktischer Ansatz zur Analyse von Modefotos und -texten Wie kann Modeberichterstattung in Foto und Text der Frauen- und Modezeitschriften im Unterricht genutzt werden? Dafür gilt es, die Darstellung der Mode, die in Printmedien und im Internet heute primär mittels Fotos und an zweiter Stelle durch Texte erfolgt, zu entschlüsseln. Die Analyse und Interpretation von Bildgegenständen wird in der Regel als „ikonografische Methode“ bezeichnet und findet auch in den Mode- und Textilwissenschaften Anwendung: Bilder als Abbilder gesellschaftlicher Wirklichkeit sind in dieser Fachdisziplin eine häufig verwendete Quelle. Insbesondere wenn es um vergangene Epochen der Kulturgeschichte der Mode geht, treten Bildquellen in das Zentrum des Interesses, aber auch aktuelle Themen zu Kleidung und Mode sind zu einem großen Teil durch Bilder vermittelt: Ob in Zeitschriften, im Fernsehen, im Internet, immer ist eine visuelle Vermittlung, allenfalls ergänzt durch Textbotschaften,
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zu verzeichnen. Die Modeberichterstattung von Frauen- und Modezeitschriften besteht primär aus Fotografien in Kombination mit kurzen Texten. Sehr viel seltener, zum Beispiel zu Anfang einer neuen Frühjahr-Sommer- oder einer Herbst-Winter-Saison sind die Texte länger und informieren ggf. auch Modezeichnungen und -illustrationen über die neuesten Trends. Die Wissenschaftsdisziplin, welche sich traditionell am intensivsten mit Bildgegenständen auseinandersetzt, ist die Kunstgeschichte. Die Kunstgeschichtsforschung liefert sowohl eine Explizierung als auch eine Definition der Ikonografie und Ikonologie. Zunächst beschränkte sie sich darauf, künstlerische Bilder formal zu beschreiben und durch die Deskription der Inhalte eine Stilgeschichte aufzustellen, um Kunstwerke ihrer entsprechenden Epoche zuzuordnen. Als weiterer Schritt hat sich die Ikonografie entwickelt. Die Formen eines Bildes werden mit Begrifflichkeiten belegt und in den historischen Kontext eingeordnet, um so das Thema des Kunstwerkes, auch lange Zeit nach seinem Entstehen, zu begreifen. Aus den Zweifeln an der Reichweite der Ikonografie entwickelte sich der Zweig der Ikonologie, der theoretisch am fundiertesten von Erwin Panofsky dargestellt und angewandt wurde. Bei der Ikonologie tritt der interpretatorische Anteil der Bildbetrachtung in den Vordergrund bzw. wird der Ikonografie angeschlossen (Panofsky 1974: 95). Vestimentäre Ikonografie und Ikonologie (von lat. Vestimentum = Kleidungsstück) ist die speziell auf die Darstellung von Kleidermode bezogene Bildanalyse und –interpretation. Es handelt sich also um die fachspezifische Anwendung dieser Methode mit der Zielsetzung, vestimentäre Zeichen zu entschlüsseln. Voraussetzung für eine vestimentäre Ikonografie und Ikonologie ist die visuelle Vermittlung der Mode auf Bildern. Die in ihrer Dissertation beschriebene Vorgehensweise zur vestimentären Bildanalyse und –interpretation von Karin Mann wird im Folgenden beispielhaft vorgestellt. Es handelt sich um ein dreistufiges leitfadenorientiertes Analyse- und Interpretationsschema für Modeabbildungen in Anlehnung an Panowsky. Sein Schema und die Arbeiten von Roland Barthes zur Semiologie sind zu einem dreistufigen Schema der Werbeanalyse umgearbeitet worden.5 Ihr dreiphasiger Analyseprozess besteht aus den Schritten: Deskription, Bedeutungsanalyse und Interpretation (Jung, Müller-Dohm 1995: 252-254). Mann entwickelt, unmittelbar daran anlehnend, ein dreistufiges Analyse- und Interpretationsschema für Modeabbildungen und ihre Texte (Mann 2002: 70-77). Die erste Stufe ist ähnlich der (vor-)ikonografischen Beschreibung Panofskys eine genaue Deskription der Bildinhalte, die eine verbale Paraphrasierung mit Hilfe eines Leitfadens darstellt. Die Deskription erfolgt an wesentlichen Bildelementen wie den Bekleidungsartikeln und Accessoires und deren spezifischer Gestaltgebung durch Schnitt und Passform, Farben, Muster und Material. Aussagen über die Materialzusammensetzung können allerdings in der Regel nur aufgrund der Textinformationen gemacht werden. Ebenfalls dazu gehören die Figuren der Modelle, ihre Haltung, Gestik, Mimik, Frisur und ihr Make-up: Mittels Frisur und Make-up kann ein Modell zu einem spezifischen Frauentyp generiert werden, an jedem Typ kann dieselbe Mode anders aussehen. Hintergrund und Requisiten geben Aufschluss über Themenschwerpunkte und intendierte Assoziationsketten. Die Analyse bildräumlicher Komponenten und Relationen und bildästhetischer Elemente ergänzt diesen Teilbereich. Auch die Textelemente mit Textinhalt und Textstruktur, das heißt der verbalen Struktur des Modetextes, werden im Hinblick auf sprachliche Auffälligkeiten und Aus-
5 Barthes entwickelte als Vertreter des Strukturalismus eine analytische Untersuchung des Zeichensystems Mode als exemplarisches Beispiel für Kulturphänomene.
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drucksformen sowie bestimmte Kommunikationsformen untersucht. Der Text wird darüber hinaus mit der ikonischen Struktur der Bildinhalte in Verbindung gebracht. Die grafische Gestaltung der einzelnen Textelemente wird beschrieben, unter anderem da sie diesen bestimmte Bedeutungen zuweist (z.B. Überschrift oder erläuternder Text). Die Textgestaltung bildet in der Regel mit dem gesamten Layout und der Mode eine stilistische Einheit. Die erste Stufe schließt mit dem Bildtotalitätseindruck ab als Überleitung zur vestimentären Ikonografie, denn hier findet eine Zusammenfassung der als besonders prägnant empfundenen Inhalte statt. Der Bildtotalitätseindruck ist durch Wahrnehmungspräferenzen subjektiv gefärbt. Die zweite Stufe ist die vestimentäre Ikonografie. Hier wird das Bild entlang der Inhalte der Deskription einer Analyse unterzogen. Zum einen handelt es sich dabei um eine Reduktion, da nicht alle Details der Deskription erfasst werden. Zum anderen werden die Inhalte des Bildes einem Vergleich mit Inhalten der Kulturgeschichte der Mode unterzogen. Die vestimentäre Ikonografie orientiert sich in ihrem Aufbau am Leitfaden der Deskription. Bei der dritten Stufe, der vestimentären Ikonologie, wird eine tiefere Bedeutungsebene des Bildes zu Tage gefördert, die je nach Interpretationsparametern variiert. Hier wird eine Synthetisierung der Inhalte der vestimentären Ikonografie unter besonderer Berücksichtigung des erkenntnisleitenden Interesses vorgenommen. Es geht um die Interpretation der Analyseergebnisse im Hinblick auf das Beziehungsgefüge von Mode und Körper. In ihrem Buchbeitrag „Stark und Soft“ stellt Mann die hier umrissene Methode am Beispiel eines Modefotos aus der Vogue vor (Mann 2005: 416-423). Inwieweit diese bild- und textanalytische Vorgehensweise auch nur in Ansätzen in den Schulen vorgenommen wird, ist in der empirischen Bildungsforschung nicht untersucht worden. Es ist davon auszugehen, dass Frauen- und Jugendzeitschriften nicht unbedingt gängige Schullektüre sind, obwohl die Auflagenhöhe und Reichweite dieser Printmedien einen wichtigen Faktor in der Frauensozialisation darstellen. Auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der deutschen Modefotografie hat bislang nur marginal stattgefunden. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass Modefotografien und Modetexte als unterrichtliche Medien im allgemein bildenden Schulwesen herangezogen werden, um beispielsweise über Zeitgeist und Trends zu informieren, ohne jedoch eine nähere Analyse dieser Medien vorzunehmen. Auch die handlungsorientierte Herangehensweise, selbst Mode zu fotografieren, wird wahrscheinlich nur selten realisiert. Dabei bieten sich im Umgang mit Modefotografie und Modejournalismus vielfältige unterrichtliche Aspekte an: 1 1 1 1 1
Mode und Medien Kulturgeschichte der Mode (Jugend-)Mode und (Jugend-)Körper Werbung Schönheitskult und Schönheitsideale
Weitere Themen können sein: Frauensozialisation, Landeskunde, historische Entwicklung der Frauenzeitschriften und ihres Marktes usw. Im Hinblick auf die Vermittlung landeskundlicher Aspekte sollte internationalen Modemagazinen vor Landesausgaben deutscher Zeitschriften der Vorzug gegeben werden. Denn Mode als Spiegelbild des Zeitgeistes hat bei aller internationalen Ausrichtung der Modebranche immer noch nationale Ausprägungen, die auch in die Modeberichterstattung einfließen. Auch journalistische Stilformen von der Reportage über den Kommentar, den Bericht, das Interview, die Kolumne usw. können exemplarisch an Modetexten untersucht werden.
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Für Modefotografen und Modejournalisten gibt es in Deutschland bislang keine rechtlich geregelte Ausbildung bzw. ein Studium. Modefotografen sind in erster Linie ausgebildete Fotografen, die sich auf Modeaufnahmen spezialisieren, oder auch Autodidakten. Im Modetextjournalismus sind viele Redakteure mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund oder auch Modedesigner tätig. Die AMD Akademie Mode & Design, eine private Fachhochschule, bietet für beide beruflichen Richtungen seit einigen Jahren als erste Institution in Deutschland eine einschlägige Ausbildung an. Vermittelt werden fotografisches und journalistisches Handwerk, aber auch Fakten über die Modeentstehung, Modeindustrie und Textiltechnologie. Die Modebranche ist Berufsziel vieler Jugendlicher – wir könnten uns im schulischen Vorfeld mit diesen „Traumberufen“ auseinandersetzen. So liegt der Schwerpunkt der Arbeit einer Modejournalistin / eines Modejournalisten nicht auf dem Verfassen von Modetexten, sondern besteht in der Koordination und Auswahl von Modefotografen, Models und Mode für die Zielgruppe eines Modemagazins (Lehnen 2004: 123-125). Zum Thema „Modejournalismus in der Schule“ verwandelt sich die Lerngruppe in eine Moderedaktion und produziert einen Modebeitrag zur Schülerzeitung oder gar eine Schülermodezeitschrift nach einer Einführung in die Besonderheiten dieser Printmedien, angefangen von der Recherche bis zu den druckfertigen Seiten. Die Schüler könnten beispielsweise vor Ort zum Thema „Markenkleidung versus Schuluniform“ recherchieren, Eindrücke notieren, fotografieren, Interviews führen, einen Modetext mit Überschrift formulieren und ein passendes Layout entwerfen. Stellt man sich abschließend die Frage, warum Modefotografie und Modejournalismus im Schulunterricht bislang nur geringe Bedeutung haben, sollte man sich vor Augen führen, dass die Bekleidungsmode als Teil der materiellen Kultur in Deutschland wenig anerkannt wird. Peter Bäldle, ehemaliger Absolvent der Deutschen Meisterschule für Mode in München und heute einer der renommiertesten deutschen Modejournalisten, beklagt genau diesen Umstand, wenn er schreibt: „Vielleicht verübeln wir der Mode, dass sie vordergründig stets Geschäft bleibt. Aber sind das nicht Kunst oder Kino auch? Werden sie nicht ebenso geschaffen, um verkauft zu werden? Und trotzdem gelten sie als Ausdruck von Zeitgeist, Kreativität und Kultur. Genau das ist Mode auch.“ (Bäldle 2004: 134)
Literatur AMD Mode & Design (Hrsg.) (2004): Absolut Mode. Branche mit Visionen. Berufe mit Zukunft. Hamburg: AMD Projects Bäldle, Peter (2004): Wir tragen, was wir sind. In: Cicero 9. 2004: 130-139 Boehn, Max von (1996): Die Mode. Eine Kulturgeschichte vom Mittelalter bis zum Barock. Bearb. von Ingrid Loschek. 5. aktualisierte Aufl. München: Bruckmann Brigitte Anzeigenabteilung (Hrsg.) (2004): Brigitte. Erfolg bei Frauen. MA 2004/1 Pressemedien. Hamburg: Gruner + Jahr Charles-Roux, Edmonde (2005): Chanel. Ihr Leben in Bildern. Aus dem Französischen von Eva Plorin. Deutsche Erstausgabe. München: Knesebeck Ducros, Françoise (1998): Die Welt des Schönen Scheins. Mode und Verführung. In: Frizot, Michel (Hrsg.) 1998: 535-553 Frizot, Michel (Hrsg.) (1998): Neue Geschichte der Fotografie. Köln: Könemann Jahreszeiten Verlag Marktforschung (Hrsg.) (2005): Funktions-Analyse 2005. Inhalte und Funktionen von Zeitschriften. Hamburg: Jahreszeiten Verlag „Journal des Luxus und der Moden“ (1786-1813), Friedrich Justin Bertuch und Georg Melchior Kraus (Hrsg.), Verlag Bertuch, Weimar; „Journal für Luxus, Mode und Gegenstände der Kunst, Luxus und Mode“ (1814-1827); „Journal für Literatur, Kunst und geselliges Leben“ (1827), Teilnachdruck: Müller & Kiepenheuer, Hanau/Main
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Abbildungen Abb. 1: Irving Penn, 1. April 1950, Bildquelle: Libermann 1980: 91 Abb. 2: Regina Relang, um 1959, Bildquelle: Ruelfs, Pohlmann 2005: 175. Original im Besitz des Münchner Stadtmuseums Abb. 3: Vogue Titelblatt (Deutschland) mit Linda Evangelista, Oktober 2005
Bewegungsbilder Maud C. Hietzge
Abb. 1: Der Rahmen entscheidet
Der folgende Beitrag möchte Ikonizität als Grundlage von Foto und Bewegung klären, Beispielanalysen vorstellen und auf diesem Weg zu spezifischen didaktischen Schlussfolgerungen kommen. Zu Beginn wird versucht, im Anschluss an allgemeine Mediendiskussionen einen ersten Anstoß für einen sportwissenschaftlichen Standpunkt zu entwickeln und dem Einfluss von Bildern auf Bewegungen auf die Spur zu kommen.
1. Foto, Bild und Abbild – Auseinandersetzung mit Bildkritik Fotos im Klassenunterricht scheinen als stiller Impuls didaktisch näher zu liegen als im Sportunterricht der Schule. Fasst man letzteren aber als Beitrag zu kultureller und ästhetischer Bildung auf, kann die spezifische Situation des Bewegungsunterrichts eine zentrale Reflexion des Zusammenhangs von Bild, Text und (Bewegungs-)Handlung ermöglichen. Aus dieser Reflexion lassen sich Maßstäbe entwickeln, wie mit Bildern im Unterricht aktiv umgegangen werden kann. Die bildungstheoretische Sichtweise hat in der neueren Sportpädagogik bei Beckers, Laging, Franke, Prohl u.a. nach den pragmatischen Phasen der Curriculumtheorie und der Mehrperspektivität wieder an Gewicht gewonnen. Allerdings ist die Bedeutung der Abbildung von Bewegung bisher wenig in den Blick genommen worden. Nirgendwo wird die Leiblichkeit der Bildrezeption so deutlich wie bei Bewegungsbildern (Michel 2004: 73), nirgendwo sind Prozesse der Habitualisierung so direkt greifbar zu machen wie im Sport- und Bewegungsunterricht. Körper
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und Bewegung sind kulturell überformt, insofern zwar biologisch, aber nicht „natürlich“. Die Performanzen körperlichen Bewegens stellen immer kulturell spezifisch geformte (Re)-Präsentationen gesellschaftlicher Artikulationsmuster dar, sind – wenn auch flüchtige – Materialisierungen geteilter Erfahrung in subjektiver Verarbeitung und insofern Bestandteil des Diskurses, nicht unbescholten von „Jargons“.Die Schule ist an dieser Körpersozialisation maßgeblich beteiligt, Ästhetik und Einsatz von Bewegungsbildern spielen dabei eine bemerkenswerte Rolle. Auch Abbildungskonventionen folgen kulturellen Mustern. So steht der Mainstream der sportbezogenen Werbefotografie augenfällig in der Tradition der Heroisierung und versteckten Erotisierung des gestählten Körpers, wie Leni Riefenstahl es anhand der Olympiafilme und ihrer genialen Nuba-Fotografien maßgeblich zum Bild-Jargon gemacht hat (vgl. Abb. 8). Die besondere Affinität zwischen Bewegung und Bildlichkeit liegt in der Verwandtschaft dieser beiden Felder, die auf Repräsentation vor jeder Versprachlichung beruhen, auf Ikonizität. Eine breite Aufarbeitung des Themas durch die Sportwissenschaft über sportartspezifische Anwendungen hinaus existiert bisher ebensowenig wie eine disziplinspezifische Reflexion des medialen „iconic turn“. In den 80iger Jahren hatte sich die Arbeitsgruppe Motorikforschung von Reinhard Daugs mit Visualisierung von Bewegungsabläufen aus informationstheoretischer Perspektive beschäftigt. Unter mediendidaktischer Sicht ging es hier vor allem um die Beschreibung bestimmter Parameter (Informationsdichte, graphische Aspekte etc.). Monika Fikus, die diese Lücke zu schließen versucht hat (1989; 2001), formuliert diese Problematik: „Handlungsraum und Handlungszeit sind vernachlässigte Themen in der Sportdidaktik: Über die Bedeutung von Raum und Zeit ist im Zusammenhang mit motorischem Lernen bisher wenig gesagt (…) An vielen Darstellungen (…) fällt auf, dass Räume im Prinzip nicht vorhanden sind (…) Durch die Vermeidung von Adverbien in Instruktionen werden Zeitund Rauminformationen bewusst ausgeblendet. Jedoch ist die Transformation von einer externen Perspektive in eine Handlungsperspektive, die beim Einsatz von Bildern vom Lernenden verlangt wird, häufig nicht trivial“ (Fikus 2001: 115). Die Aufgliederung in Momentaufnahmen und Teilaspekte trägt hier das schwerwiegende Manko, in realen Situationen unter Druck des Gegners, auf anderem Boden, in Abstimmung mit Störfaktoren etc. nicht mehr einsatzfähig zu sein, weil nur das abstrakte Idealbild verstanden, gelernt und geübt wurde, der entscheidende Transfer aber nicht. Hier ergibt sich für ein pädagogisches Setting eine Bilderkritik, die nicht das Bild attackiert, sondern seinen mechanistischen Einsatz, also eine kritische Bildverwendungsdidaktik einfordert. Hier erhält die normative Kritik an der Dominanz des Visuellen eine unerwartete Dimension, nämlich den Aspekt der zu großen Abstraktion (statt der fehlender Begrifflichkeit!). Diese Mahnung ist nicht bildspezifisch, sondern betrifft eine Isolationstendenz, die dem herkömmlichen staatlichen Schulsystem institutionell und historisch bedingt noch immer innewohnt, neu ist die Sicht, dass der Sportunterricht dem ebenfalls unterliegt. Die Kritik am Bilderkult der Moderne, vielfach beklagt in medienkritischen Texten bezieht sich demgegenüber auf den Verdacht des Anti-Aufklärerischen gegenüber bewegten TV-Imagines1, mahnt also im Gegenteil zu einem distanzierteren Umgang mit Bildlichkeit. Auch Susan
1 Die Generation der 68er war übrigens die erste, die mit der Verfügbarkeit der Bilder im TV aufgewachsen war, woraus sich unterschiedlichste Folgerungen ziehen lassen.
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Sontag erwähnt das stereotype Lamento: „Bilder lähmen, Bilder betäuben“ (Sontag 1984: 26). In keiner Weise aber ist das Medium Fotografie genuin nur „Message“ – genauso wenig wie es die Garantie dokumentarischer Wahrhaftigkeit liefert. Die Ausschnitthaftigkeit der Ablichtung bedingt (eingeschränkte) Perspektivität, dokumentarische Wahrhaftigkeit kann das Ergebnis sorgfältiger bildlicher Inszenierung sein. Die subtile Stimme Susan Sontags bringt beide Pole möglicher Betrachtungsweisen, die das Spektrum der Fotografie zwischen Ästhetisierung (z.B Edward Weston) und demokratisch-dokumentarischem Anspruch (z.B. Robert Frank) spiegeln, auf den Punkt und formuliert das konstitutive Paradox der Fotografie: Ihre Authentizität realisiert sich erst in der Kenntnis der Herstellungskontexte: „Die Fotografie impliziert, daß wir über die Welt Bescheid wissen, wenn wir sie so hinnehmen, wie die Kamera aufzeichnet. Dies aber ist das Gegenteil von Verstehen, das damit beginnt, daß die Welt nicht so hingenommen wird, wie sie sich dem Betrachter darbietet. Jede mögliche Form des Verstehens wurzelt in der Fähigkeit, nein zu sagen. Genau genommen läßt sich aus einem Foto nie etwas verstehen“ (Sontag 1984: 28). Damit könnten wir enden und auf weitere didaktische Überlegungen verzichten, jedoch sind Bilder im Alltag allgegenwärtig, und es bleibt zu klären, ob und wie sich mit Bildern verstehen lässt. Die Kritik an der Vorliebe für Abbild und Simulation ist nicht neu, aktuelle mediale Auseinandersetzungen um Medien gemahnen an den Bilderstreit im Christentum. Die handwerkliche Beherrschung digitaler Bildbearbeitung kann eine wesentliche Hilfe bei der Desillusionierung der Bildmedien sein und ist somit auch konstitutiv für sportspezifische Medienkompetenz (vgl. Schlagenhauf & Bienia in diesem Handbuch). Auf der einen Seite der Argumentationen steht als besonderes Kennzeichen ein materielles Abbildungsverhältnis, auf der anderen die unterschiedlichen darauf beruhenden Widerstände. Diese lassen sich hinsichtlich ihrer Gründe systematisieren: erstens die Verwechslung der Materialität des Bildes mit realem Bezug (Überschätzung der Wirkung auf die Realität: die Angst, das Foto stehle die Seele), zweitens die Identifikation der Abbildung mit Profanisierung (Überschätzung der Wirkung auf Spiritualität: die Angst, das Abbild Gottes sei gleichbedeutend mit Götzendienst), drittens die Sorge vor dem Verlust der Information über die Differenz zur Realität (z.B. bei Baudrillard). Die Ängste gegenüber neuen Medien verdanken sich teilweise dem fehlenden Spielsinn der älteren Generationen im Vergleich mit dem selbstverständlichen und schnellen Umgang der Jungen – es gibt keinen „Verblödungsautomatismus“ durch Bilder (Huizing 1999). „In den meisten zeitgenössischen Klagen darüber, daß eine Bilder-Welt an die Stelle der wirklichen Welt tritt, schwingt wie bei Feuerbach nach wie vor die platonische Mißbilligung des Bildes mit – des Bildes, das wahr ist, sofern es etwas Wirklichem ähnelt, und das zugleich Täuschung ist, weil es nichts bietet, was über Ähnlichkeit hinausgeht“ (Sontag 1984: 147). Es soll im Folgenden um die Ausarbeitung von fachspezifischen Leitlinien gehen, die dieser Einsicht Rechnung tragen, einem demokratischen Umgang mit Fotografie förderlich sind und den Aufbau von medienkritischen – nicht: medienfeindlichen – Kompetenzen zum Ziel haben. Die Einsicht in die Gemachtheit der analogen und digitalen fotografischen Inszenierung lässt sich unmittelbar über das eigene Tun erreichen. Ein handlungs- und produktionsorientierter Ansatz bietet sich hier also doppelt an, denn Bewegungen tragen diesen Charakter immer an sich.
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Die Verbindung dieser zwei unterschiedlichen Handlungsmodi ist das besondere Phänomen des Bewegungsbildes.
2. Grundsätzliches zum Zusammenhang von Bildlichkeit und Bewegung im Bildungskontext Fotos frieren Bewegungen ein, dennoch können eingefrorene Bewegungsbilder Körperbewegung anregen und körperliche Bewegungsbilder schaffen: mentale Repräsentanzen, die für verbesserte Bewegungsausführungen genutzt werden können und Modelllernen und fiktionales Probehandeln ermöglichen – zumindest beruht auf diesem Prinzip der Schaffung von Idealbildern grundsätzlich die Antizipation von Bewegung, übrigens im Einklang mit neurologischen Gegebenheiten. Der Sportlehrer, der eine Abbildung vom Flop oder Schrittweitsprung zeigt, um die Technik einzuführen, die anschließend geübt werden soll, hofft intuitiv auf diesen Mechanismus. Foto und Bewegung scheinen somit selbstverständlich verbunden, Abbildungen könnten quasi-natürliche Hilfen zum Bewegungslernen und reflexionslos didaktisch einsetzbar sein – dass dem nicht zwangsweise so ist, führt folgende Anmerkung anschaulich vor Augen: „Körperwahrnehmung und Bildwahrnehmung sind in allen historischen Kulturen eng und zuweilen gegensätzlich miteinander verbunden, so daß eine Bildgeschichte auch eine Kulturgeschichte des Körpers impliziert und umgekehrt. Auch die Trägermedien, in denen sich Bilder verkörpern, tragen diesen Körperbezug in sich und stellen damit einen noch weitgehend ungenutzten Zugang zu Bild und Bildlichkeit dar“ (Belting 2000).2 Die Beziehung zwischen Bild/Foto und abgebildeter Bewegung beruht auf kulturspezifischen Konventionen, was als ähnlich gilt und welche Ansichten vernachlässigbar sind. Das Foto impliziert eine entsprechende Sehschule, über deren Sinn nachzudenken ist. Es stellt sich also für eine demokratieförderliche und subjektorientierte Sportdidaktik weniger die Frage nach dem technologisch geschicktesten Einsatz als vielmehr die grundsätzlichere, welche Handlungsmuster mit welchem Einsatz von Bildern eingeübt und in diesem Falle sehr unmittelbar in den ausgebildeten Bewegungsgewohnheiten verkörpert werden. Bilder konstituieren körperliche Wirklichkeit (vgl. Bohnsack/Krüger 2004: 3) und sind mitnichten als bloße Präsentation (Langer 1984: 103) außerhalb geschichtlich und politisch determinierter Diskurse angesiedelt. Nicht die Furcht vor der profanen Aneignungsmacht und diktatorischen Bewusstseinsprägung durch Bilder kann hier leitend sein, sondern die Untersuchung der Prozesse und ihrer Implikationen. Umgekehrt lassen sich anhand der Analyse von Abbildungskonventionen Einblicke in Körperkonventionen gewinnen. „Somit ist diese Bildhaftigkeit oder Ikonizität des Wissens also auch von genereller handlungstheoretischer Bedeutung. Veranschaulichen lässt sich die Ikonizität dieses handlungsleitenden Wissens nicht nur im Bereich komplexer interaktiver Beziehungen, sondern im Bereich der Praxis operativer Fertigkeiten - so z.B. an der Praxis der Herstellung eines Knotens“ (Bohnsack 2001: 74). 2 „Bild, Körper und Medium“, Forschungsprogramm zum gleichnamigen Graduiertenkolleg, www.hfg-karlsruhe.de/~kw/kolleg, Zugriff am 20.6.2000. Man denke etwa an die Pionierarbeit von Gaulhofer zur Entwicklung der Fußhaltung.
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Eine Vielzahl von Themen für ikonologische Analysen wären hier denkbar, z.B. der kulturelle Hintergrund der Akzeptanz der sportwissenschaftlichen Konvention, Bewegungen in drei Funktionsphasen zu unterteilen (Meinel 1975, verbessert von Göhner 1983; vgl. auch Grundmeier in diesem Handbuch) und in Standbildern still gestellt, jenseits von Zeitlichkeit und Rhythmus zu vergegenwärtigen (ziemlich absurd für die meisten afrikanischen Kulturen), oder die nach dem – noch so liebevoll gemachten – Einübungscharakter von Stationenkärtchen für die Durchführung eines Zirkeltrainings etc. Der zergliedernde und abstrakte Charakter bzw. die Reibungslosigkeit und Selbstläufigkeit des unterrichtlichen Prozesses bieten sich hier schnell als Kontextualisierungsmöglichkeiten an, weiterreichende didaktische Handhabe wird daraus kaum zu entwickeln sein. Es soll hier vielmehr interessieren, wie im Bewegungsunterricht und in assoziierten Fächerverbünden Bild bzw. Foto mit einem echten Erkenntnisgewinn für die SchülerInnen Einsatz finden kann. Die Art der Visualisierung ist neben der Formulierung verbaler Instruktionen wesentliches Steuerungs- und Lehrmedium. Stand- und Reihenbilder als bevorzugte Formen sollen Bewegungsanweisungen veranschaulichen, müssen aber decodiert werden, d.h. in diesem Falle müssen auch die Betrachter/Rezipienten in der Lage und gewillt sein, die Vernachlässigung räumlicher und zeitlicher Strukturen als nicht weiter wesentlich hinzunehmen. Aus folgenden Bildern Bewegungsgefühl zu entwickeln erscheint schwer möglich (Abb. 2 und 3).
Abb. 2: Meinel (1977)
Die u.a. von Imdahl (1996) hervorgehobene Simultanität der Bildinformationen trifft so für Bildreihen nicht zu. Ohnehin wird hier der sukzessive Abtastvorgang des menschlichen Auges und die Sequenzialität der Wahrnehmungsverarbeitung nicht genügend für die Bildung von Bewegungsvorstellungen berücksichtigt. Hier bestehen Desiderate für Bewegungsfotos, die Einsatz beim Bewegungslernen finden sollten. Das Prinzip der Illustration schafft illusionäre unkörperliche Anschaulichkeit im buchstäblichen Sinne: unerfahrene symbolische Verfügbarkeit, eher Stillleben und memento mori als Bewegung eines lebendigen Organismus. Der Informationsdichte, Simultanität und Ganzheitlichkeit des Bildmediums generell ist hingegen seine Widerständigkeit gegenüber begrifflicher Reflexion zu entlocken, und genau dieses sprachliche Ver-
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fügbarmachen ist ein Zugewinn für die SchülerInnen, die sich passende Texte ersprechen bzw. erarbeiten müssen! Wesentliche Fragen an das Bewegungsbild sind folglich z.B.: Worauf beruht der Wirklichkeitsbezug dieses Bildes, was zeigt es, was verschweigt es, wie lässt es sich kontextualisieren etc? Was muss man ergänzen, um von diesem Bild zu einer inkorporierten Bewegungsvorstellung zu kommen? Bilder erzeugen Gesprächsbedarf, wenn man sie gegen den Strich bürstet: Was ist nicht gezeigt, was kann man nicht aus diesem Bild entnehmen, was fehlt? Insbesondere Fotos tragen den Charakter von Zitaten der flüchtigen Kontinuität der Ereignisse, sie können aus dem Zusammenhang gerissen sein. Bildrezeption ist auch im Falle der Bewegung ein (re)konstruktiver Prozess und sollte als solcher auch offenbar gemacht werden, zumindest wäre dies ein konstruktives Vorgehen, dass es Schülern erlauben würde, Bewegungsfotos bewusst zu decodieren und dem Dialog zu öffnen.
Abb. 3: Göhner (1983)
Die Art und Weise, wie Abbildungen in unterrichtlichen Arrangements eingesetzt werden, inszeniert nicht nur die Lernsituation, sondern übt einen bestimmten Umgang mit Abbildungen und Bewegungen ein – als mehr oder weniger dem Vorbild entsprechenden. Dass dieser Glaube an die Messung der Differenz von Soll- und Ist-Wert und an die instruierende Kraft von Bild und Wort auch Probleme zeitigen kann, zeigt die Rezeption der Programmierten Instruktion (PI) für den Sportunterricht (vgl. Daugs 1979, Ungerer 1977). Studierende, die mittels der PI an ihrem Schwimmstil gearbeitet haben, berichten von Problemen der Umsetzung, die bei einigen durch die fehlende aktive Korrektur zu neuen Bewegungsfehlern (Schere beim Brustschwimmen) geführt hatten. Der Lehrer als Meister der Bewegung wird mit seiner persönlichen Intervention auch bei bestens geplantem Zusammenwirken von Bild und Text nicht überflüssig, und er sollte seine Korrekturexpertise weiter geben. Der Respekt vor der individuellen Variante bzw. Lösung für Bewegungsprobleme im Rahmen eines Ziels sollte den abstrakten idealtypischen Lösungsweg in
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Abb. 4: Schema der Programmierten Instruktion (nach Fikus 2005)
seiner Bedeutung relativieren (Wolters 2001). Auch Stationenlernen verliert den Zauber selbstständigen Arbeitens, wenn seine Organisation fliesbandartig wird als Wechsel von Stimulus und Response, also der Einsatzkontext verloren geht, auf den transferiert werden soll – und was die SchülerInnen dann zur Enttäuschung des eifrig bastelnden Pädagogen strukturell bedingt nur bedingt leisten können. Das zentrale Problem bundesdeutscher Schüler nach Maßgabe der PISAErgebnisse, die Fähigkeit Transfer zu leisten, gilt also auch für den Bereich der Bewegungskompetenzen. Der Sinn des Tuns muss immer transparent sein. Der Einsatz von Fotos sollte also aktiv transferierend geschehen, der Einsatz der Sprache ebensowenig abstrakt, sondern z.B. in Form von direkt ins Herzstück der Bewegung (Groeben 2002) zielenden Metaphern, die weit mehr sind als Stilfiguren, nämlich Vorstellungsbilder zu schaffen vermögen. „Dort, wo im Zuge der Common-Sense-Kommunikation wie auch der (künstlerisch) poetischen Verständigung die Akteure vor die Aufgabe der Versprachlichung atheoretischer Wissensbestände und der für diese konstitutiven Ikonizität gestellt sind, bedienen sie sich der Metapher“ (Bohnsack 2001: 75). Die Abbildungs- und Präsentationskonventionen selbst lassen sich also als Botschaft in der Lehr-Lern-Situation auffassen, getreu der Polemik Marshall McLuhans „the medium is the message“. Der Abbildungsmodus hat selbst immer zumindest auch Einfluss auf Konzeptualisierungen, habituiert Wahrnehmung, legt bestimmte Fragen näher, andere ferner. Bewegungslernen innerhalb der strengen Logik der Programmierten Instruktion entspricht einer weder aktiven noch interaktiven Aneignung isolierter sequenzialisierter Bewegungsteiltechniken. Die Methode der Instruktion lässt die Wahrnehmungs- und Bewegungsergebnisse nicht unberührt. Die
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Faszination vieler jugendkultureller Bewegungsstile liegt darin, dass agierend im persönlichen Austausch Grundfertigkeiten vermittelt werden, deren weitere Perfektion dem subjektiven Umgang des einzelnen überlassen wird. Lernen und Anwendung stehen in unmittelbarem Zusammenhang, die Instruktion als normative Anwendungsvorschrift spielt eine untergeordnete Rolle. Wie wäre es, nicht die Abbildung zu interpretieren, sondern den Blick selbst zu thematisieren? – Bilder sind also auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Auswirkung auf Bewegungsdispositionen zu betrachten.
Abb. 5: Skater-Moves
Bilder von swingenden, über Asphalt-Hindernisse schwerelos hinweg irrlichternden Skatern haben ihre eigene Bildmagie. Das coole Outfit, die szenische Selbstorganisation, HipHop-Bezüge, Resistenz gegenüber Pädagogisierungen (Ehni 1996; Schwier 1998), passende Läden und MTV erzeugen eine auch konsumkulturell institutionalisierte, internationale szenische Totalität im Niemandsland staatlicher Bildungsapparate auf der Basis temporärer Gemeinschaften. Die auf allen Ebenen transportierten und inkorporierten Werte sind u.a. Flexibilität, Perfektibilität, respect, „chillen“. Es wäre naiv zu glauben, diese Bilder blieben ohne engrammatische Wirkung – sie erreichen sie im Verbund mit ihrer motorischen Ausführung als umfassende kongruente Lebensstilprägung. Wenn man die Bewegung auf folgendem Bild mit vollzieht, wie fühlt sich das an? Die typische Untersicht wird noch ergänzt durch die machtvolle Dynamik der Bewegung und der Bildkomposition. Die Wahrnehmung eines Bildes verbleibt nicht auf der rein visuellen Ebene, sondern geht vielfältige assoziative Verknüpfungen ein. Die Vorstellungswelt eines Menschen ist damit der eigentliche Ort der Bildkonstitution (Belting 1997). Beispielsweise transportiert der Skater (Abb. 5) ein von Leichtigkeit und flexiblem Impulserhalt unter schwierigsten Umständen gekennzeichnetes Bewegungs- und Lebensgefühl: Es lässt sich mit Schülern im Gespräch rekonstruieren. Die Umsetzung von Bildinhalten und Gestaltungsmerkmalen ins verbale Medium Text ist unverzichtbarer Bestandteil reflektierender Auseinandersetzung, da nur auf diesem Weg bewusste und intersubjektiv verhandelbare Repräsentationen und Ergebnisse erzielbar sind. Aber nicht die Verbalisierbarkeit von Visuellem, sondern die des Rezeptionsprozesses ist hier vorrangiges Ziel (Michel 2004: 4). Verfremdungstechniken, die seit Brechts Epischem Theater zum Topos der Bühneninszenierung geworden sind, können als pädagogisches Prinzip nutzbar gemacht werden. Die unaufgelösten Widersprüche mancher Bilder drängen sich dem Betrachter als Rätsel
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auf. Dies ist prinzipiell ein interessanter Anlass für Unterrichtsgespräche und Bearbeitungen, z.B. als Collage von Szenefotos, Werbung, Alltag. Auch im Sportunterricht muss die Abbildung nicht der Aufforderung zur genauen Imitation im Prozess des Bewegungslernens entsprechen, sondern ermöglicht intellektuelle Auseinandersetzung über Bewegung, Stile, Abbildungsweisen, körperliche Wirkung. Die körperliche Imitation lässt sich gedanklich aufarbeiten und Hilfen zum Aufbau subjektiv angeeigneter Bewegungsschemata geben. „Der nur Nachahmende, der nichts zu sagen hat / Zu dem, was er da nachahmt, gleicht / Einem armen Schimpansen, der das Rauchen seines / Bändigers nachahmt / Und dabei nicht raucht. Niemals nämlich / Wird die gedankenlose Nachahmung / Eine wirkliche Nachahmung sein.“ B. Brecht3 Der mimetische Möglichkeitsraum der SchülerInnen ist im Feld der Bewegung durch Auseinandersetzung an und mit Bildern erweiterbar. Dafür braucht man manchmal eine Stunde extra, sehr oft sind solche Reflexionen aber ohne größere zeitliche Auswirkung in den Unterricht integrierbar. Für beide Vorgehensweisen sollen im Folgenden Beispiele aufgezeigt werden.
3. Medienbilder von Sportlerinnen Die Darstellung insbesondere von SportlerInnen durch die Medien ist ein in der Sportwissenschaft durch gendertheoretisch fundierte Arbeiten gut bestelltes Feld (Klein 1989; Klein & Pfister 1985). Offensichtlich ist die eklatante quantitative Unterrepräsentiertheit von Sportlerinnen in der medialen Aufmerksamkeit (z.B. der Damen-Nationalelf im Fußball, die erfolgreicher sind als die Männer, aber nur einen Bruchteil der Sendezeit erhalten). Weiterhin ist der Darstellungsmodus der Frauen üblicherweise weniger kampfbetont, stattdessen tendenziell sexualisiert, besonders eklatant bei Tennisspielerinnen (die Söckchen von Chris Evert), im Falle von van Almsick unverblümt körperkritisch und beleidigend (Abb 6). Insofern sind die Weltmeisterschaftsbilder der Freiburger Speerwerferin Christina Obergföll 2005 einigermaßen revolutionär, da sie die Sportlerin angespannt und kämpferisch zeigen – passend zur Disziplin eine nicht verniedlichende Bildkonvention verwendend und im öffentlichen Sehen etablierend, aber mit Texten, die ins gängige Muster passen. Beispiele für werbepsychologischen Ge- bzw. Missbrauch durch die gezielte Nutzung von Konnotationen und Assoziationsketten sind endlos beibringbar, ein besonders eindrückliches Exemplar soll hier der Illustration dienen (Hietzge 2001). Wofür steht hier die Athletin? Die Werbeanzeige baut gezielt auf der Assoziationskette Merlene Ottey – Weltmeisterin – Erfolg – Puma-Schuhe auf, wogegen nicht viel zu sagen wäre. Wir finden aber zwei mögliche Lesarten: (1) Hinter dem manifesten Bildinhalt findet sich ein latenter, der weniger erfreulich ist, nicht sofort ins Bewusstsein tritt, nicht bloß in der Kaufentscheidung kulminiert, sondern im Zusammenwirken mit dem Text charakteristische Blicke auf eine schwarze Frau enthüllt: Die Personalunion von Schöne und Biest - typisch Frau, untypisch erfolgreich, deshalb Biest, und erklärbar durch die Physis der Blackness (Maho-Awes 1983), ein weiterer Topos in der Sportberichterstat-
3 Vgl. zur Nachahmung nach Maßgabe des epischen Theaters Brecht (1929).
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Abb. 6: Franziska van Almsick: Rache am Ex-Idol?
Abb 7: Christina Obergföll: Bild und Text komplementär
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Abb 8: Merlene Ottey oder die verkaufte Braut
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tung, die Essentialisierung der außerordentlichen Leistung im Fall von Schwarzen und bei Frauen, hier beides. Das komplexe Bild der Merlene Ottey, des Pumas auf dem Sprung zum Sieg, beruht hier auf der Koinzidenz ikonographischer Momente (Froschperspektive), dem Spiegelbezug von Frau und Schuh in den beiden Bildhälften, der kreisförmigen Dynamik des abtastenden Blicks vom Schoß der Frau im Zentrum zum Schuh auf das Label und schließlich erneut laufend auf den Text, sowie verfügbaren kulturellen Konnotationsmustern (schwarz-physisch stark-tierisch, weiblich-schön-erotisch). Der erklärende Text unten rechts hilft dem von Wettkampfergebnissen nicht beleckten Zeitgenossen auf den Sprung, wird aber kaum gelesen, der flankierende Großtext verbleibt in diesem konkreten Zusammenwirken mit dem dominanten Bild auf dem Niveau der Tautologiesetzung. Grammatisch wird zwar von Nutzung des Schuhs durch die Athletin in verallgemeinernder Form gesprochen, letztlich dominiert aber in Verbund mit den montierten Fotos die gesetzte Assoziation von Beauty und Biest! Diese Werbeanzeige ist als Beispiel geeignet, um exemplarisch mit SchülerInnen das Funktionieren von körperbezogenen Assoziationen in Werbebildern in seiner Komplexität zu untersuchen. Die bildliche Präsentation entwickelt die weit größere Macht und intensiven Körperbezug beim Betrachter, der flankierende Text fungiert als Kollaborateur. Es bedarf bewusster Anstrengung, um die Wirkung dieser Anzeige in ihrer vollen Ungeheuerlichkeit offen zu legen. Bildungs- und Erkenntnisziel für Unterricht ist es, die Wirksamkeit der Bilder auf eigene Körperpraxen bewusst zu machen. (2) Die dreigeteilte Anzeige besteht aus einem oberen Balken mit Signet bzw. Firmenlogo und Slogan sowie zwei gleich großen, länglichen Textfeldern. Das linke Feld zeigt eine nach unseren Maßstäben perfekt aussehende schwarze Frau, die Sportlerin Merlene Ottey, aufgenommen aus einer angenäherten Froschperspektive, die gemeinhin für heldenhafte Überhöhung des oder der Dargestellten gewählt wird; vgl. weiter unten in diesem Kap. Die Sicht von unten nimmt die Körperproportionen durch Dehnung vorteilhafter auf, als es etwa die Vogelperspektive täte. Der Schatten verhindert, dass dabei die Sexualität betont würde. Rechts ist ein Turnschuh groß abgebildet mit der argumentativen Schlagzeile „Jede Beauty braucht ein Biest.“ Diese mythologische Anspielung auf Märchen (Tierbräutigam, Die Schöne und das Biest) stellt Intertextualität zwischen dem Slogan und literarischen Traditionen her und lässt assoziieren, dass der Turnschuh das Biest im Dienste der Schönen sei, die ja Läuferin ist. Diese Deutung unterstützt der Firmenname Puma. Ob man zwischen Ottey und dem Puma Referenzidentität herstellen möchte, ist dem Interpreten überlassen.. Unzweideutig positiv stellt der rechts unten kleiner gedruckte kurze Fließtext, der nur bei genauerem Hinsehen gelesen wird, die Schöne mit Namen und Leistung heraus. Die Anzeige ist eine geschickte Verbindung von Foto, Textelementen, Grafik und kulturellem Gehalt aus verschiedenen Bereichen, die ihre Wirkung aus der Ästhetik, aus dem Idol, der Marke und aus der Argumentation bezieht, ohne dass die Läuferin als Frau oder als Schwarze in ihrer Würde negativ tangiert würde: Die schöne Läuferin adelt das „biestige“ Schuhwerk. (Ingelore Oomen-Welke). Bilder von Tanz, Bewegung und Pantomime bringen dynamische Prozesse in Raum und Zeit auf statische, stationäre Flächen. Interessant ist, wie sich dies produktiv wenden und als Medium der geistigen oder körperlichen Bewegungsanregung bzw. zur Auseinandersetzung mit Bildkonventionen nutzen lässt, die Erfahrung als Inkorporation von Neuem ermöglicht und dem Individuum verfügbar wird. Es stellt sich weiterhin die Frage, wie sich über Bildverstehen Distanz zum Abgebildeten und zu den Abbildungskonventionen herstellen lässt. Wie kann diese körperliche Ansprache und motorische Aktivierung über den bloßen Anreiz als Einstiegsimpuls hinaus Qualitäten entwickeln, die Kreativität, Reflexion, Emergenz (Krohn & Küppers 1992)
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ermöglichen? Vielleicht ist es hier doch eher noch das Video, das als bewegtes Bild den Anspruch einzulösen vermag; ein gelungenes Beispiel ist z.B. Sylvia de Rosas Tanzstück „Mista“, entstanden an der Sporthochschule Köln, das Kulturkonflikt und kulturelle Angleichung auf körperlicher Ebene in getanzte Bilder gießt. Die Abbildungskonventionen der Fotografie sind gerade beim Thema interkultureller Begegnung mit schlechten Beispielen vorangegangen. Die Fotografien des ausgehenden 19. Jhs. lassen fremde Ethnien in europäischen Fantasien von Exotik erstarren (Theye 1989); losgelöst aus ihrem kulturellen Kontext offenbaren sie mehr über eurozentrische Bildkonstruktionen als über die abgebildeten Menschen, so wie George Catlins Zeichnungen der Indian Gallery4 von 1844 eine Ansammlung von ethnografischen Missgriffen darstellten, die durch Maskerade und Stilistik verzerrend und ethnozentrisch erscheinen.5 So aufgeklärt wir bei diesem Thema reagieren, so wenig reflektiert ist der Umgang mit aktuellem Material. Dennoch gilt das Foto im Alltagsleben als authentisches Medium, dem man geneigt ist, wider besseres Wissen den Wirklichkeitscharakter abzunehmen. Die Fotografie hat in der Tat die Eigenschaft, Dynamik erst einmal still zu stellen, und so ist die legendäre Angst der „Wilden“, mit dem Foto die Seele zu verlieren, als metaphorische Formulierung für die Bedrohung durch Stillstellen ein Stück weit nachvollziehbar, denn lebendig bleibt nur, was sich wandeln kann. Die Frage nach den latenten Körperidealen stellt sich hier wie dort. Die Fotos nackter Athleten inszenieren „Natürlichkeit“ auf eine Weise, die sie anfällig macht für Fantasien gestählter Körper. Die Entwicklung einer modernen Ästhetik vollzog sich von dort aus schnell. Die Darstellungskonventionen von Leni Riefenstahl in ihren Olympiafilmen gelten noch heute für Sportund Bewegungsaufnahmen, z.B. dient die Froschperspektive dazu, den dargestellten Sportler zu idealisieren. Diese Perspektive ist mittlerweile eine Konvention der Werbefotografie geworden – filmgeschichtlich durchaus ein erwähnenswertes Phänomen, da die Ästhetik eine konzeptionelle Nähe zu den steinernen Heroen-Athleten eines Arno Breker aufweist. Diese Konventionen spiegeln aufschlussreiche kulturelle Muster und dienen gleichzeitig dazu meta-aktionale Repräsentationen auszubilden (vgl. Hietzge 2002), d.h. der Sinn wird nicht textlich, sondern körperlich handelnd vermittelt, z.B. schlanke Körper am Strand auf dem Weg ins Wasser in vielfältigen Bezügen (im Hinblick auf Diätpraktiken, Lebensvorstellungen, Konsumbereitschaft). Der Sinn entsteht beim Betrachter auf der Basis der Strukturen von Szene und Arrangement, die Stories des Diskurses liegen vorkonfektioniert bereit. Leni Riefenstahls überhöhenden Filmaufnahmen der Olympiade 1936, des „Festspiels für die Jugend“ mit seinen Massenornamenten und des ziemlich eindeutig von Flaggscheinwerfern hergestellten Lichtdoms über dem Stadion trieben von der Produktionsseite die Sakralisierung auf die Spitze. Seitdem bedient sich Werbung dieser ikonographischen Mittel, ohne dass uns das im gleichen Maße auffiele wie bei historisch distanzierten und fix und fertig analysierten Darstellungen. Neues Material für Ideologieanalyse ist täglich erhältlich. Bewusst makaber in Szene gesetzt, verhandelt auch diese Werbeanzeige (Abb. 9) ein Sportlichkeitsideal, wobei der betont unverkrampfte Umgang mit Disabilities exhibitioniert wird. Die Werbebotschaft schleicht sich nicht durch die Hintertür ein, sondern geht klar und offensiv durch’s Hauptportal. (Vgl. auch die Benetton-Werbung; Grundmeier in diesem Handbuch.)
4 Unterschiedliche Stammesinsignien vermischt, verkehrte Accessoires, Szenenbildung nach Art bürgerlicher Familienbilder ohne kulturelle Authentizität usw. Vgl. Vennum (1996). 5 Vgl. z. B. die Dokumente in Theye (1989) und Fabian (1983).
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Intelligente Werbung ist Werbung, die nicht passive Konsumräusche, sondern aktive, denkende Stilformation einfordert. Inzwischen ist selbstreferentielle und pointiert-ironische Werbung eine Selbstverständlichkeit. Das Medium ist hier nicht nur selbst die message (oder „Massage“), sondern lässt sich auch verfremdend benutzen, in obiger Anzeige (Abb. 9) effektvoll eingesetzt.
Abb. 9: Besondere Sportgeräte: Paralympics von der spaßigen Seite
4. Didaktische Reflexion, Folgerung und Zusammenfassung In Kapitel 2 war die Determinierung durch Bewegungsanregung Thema, in Kapitel 3 die Analyse werbewirksamen Einsatzes von Sportfotos. Aber nicht nur Inhalt und Bildkompositionen unterliegen der Analyse. Über Techniken bildgebender Verfahren zu verfügen, ist Element von Bildungszielen. Verstehen und handwerkliche Verfügbarkeit sind hier Teil der Medienmündigkeit, durchaus auch als Ziel für Sport und Bewegung im Fächerverbund. Der Umgang mit Fotografie von etwas prinzipiell in der Zweidimensionalität nicht direkt Darstellbarem, der Bewegung – da sowohl Räumlichkeit als auch Zeitlichkeit fehlen – stellt hohe Ansprüche an Bildkompetenz. Wie lassen sich in Bildungskontexten Bilder in Bewegungen und Bewegungen in Bilder transformieren ohne hinter das Level an Impulssetzung zurückzufallen, das die Werbung Toscanis oder die Fotografien Sebastiao Salgados von den Arbeitern an den brennenden Ölquellen Kuwaits während des Golfkriegs gesetzt haben, indem sie niemanden unbeteiligt lassen, den Betrachter in die Auseinandersetzung ziehen? Die Bedingung wäre demnach, dass Reflexion nicht nur sprachlich/textuell, sondern bereits medial einsetzt, in der Bildlichkeit und in der Bewegung. Für Sportphilosophen ist es mittlerweile ein vertrauter Gedanke, dass Bewegung selbst reflexive Qualitäten haben kann (Franke 2002; Gebauer & Wulf 1998). Wie Metaphern zum Bewegungslernen als direkte Trigger eingesetzt werden können („Der Bock ist heiß“ statt: „Stütze nur ganz kurz und explosiv unter momentweise höchster Kraftkonzentration“), so kann Bewegung selbst MetaQualitäten aufweisen. Z.B. ist die Vertigo-Orientierung von Fun-Sportarten wie Snowboarden, Wellenreiten, Skaten, Raften, Bunjee-Jumping etc. als eine bewegte Metapher aufzufassen, eben
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eine Meta-Aktion, ein kultureller Kommentar6 auf eine urbane Umwelt, die Bewegung als Fortbewegung immer unwahrscheinlicher werden lässt und bestimmte Anpassungsbedürfnisse an Flexibilität, Wendigkeit, Schnelligkeit in den benötigten Skills dieser Sportarten thematisiert, präsentiert, agiert, dadurch den sportiven Stilen der älteren Generationen den Kampf ansagt und Selbstinitiation in ein anderes Lebensgefühl ermöglicht, was der herkömmliche Sportunterricht versagt hatte. In den Jugendszenen entstehen so neue Bewegungsbilder, neuer praktischer Spielsinn für körperliche Inszenierung. Dies in Fotos festzuhalten, macht die Mechanismen verfügbarer. Selbst in der scheinbar völligen Ruhe befindet sich unser Körper in feinsten Bewegungen. Im Körper speichert sich ein Schatz stummer Erfahrungen handelnder Vollzüge mit der Welt. Gebauer formuliert (in Anlehnung an Gehlen, Mead, Leontjew, Holzkamp): „Eine solche praktische Erkenntnis ist an die Ausführung von Handlungen gebunden und bildet eine Schicht unterhalb der Sprache, vor-reflexiv und ontogenetisch früher als jene, so daß das Sprechenlernen durch sie begünstigt, vermutlich sogar ermöglicht wird. Neben der Phantasie entsteht auf der Ebene von Bewegungen auch Kommunikation, Bedeutungen, Sprachmäßigkeit, Wahrnehmungen…“ (Gebauer 1997: 503) – die Motorik selbst verfügt über eine Art Intelligenz. „Dem Körper wird mit Hilfe der von ihm verlangten Bewegungen von außen eine Form gegeben, die sich dieser im Noch-einmal-Machen der Übungen aneignet. Er wird fähig, die Dinganforderungen und -reaktionen antizipativ vorwegzunehmen“ (1997: 506). Auf dieser körperlich-motorischen Ebene ist die Basis der Kopplung von Wirklichkeitsbezug und fiktionaler Vorwegnahme zu suchen. Dem überzeugten Körper muss man weniger predigen, er versteht von sich aus vorkonfektionierte Angebote, z.B. Fotos, auf eine bestimmte Weise. Soziale Ordnung und körperliche Repräsentation stehen in einem Wechselverhältnis7, das weniger widerspiegelnd als mimetisch herstellend ist.8 Mündige Kinder brauchen deshalb reflektierte Körper- und Bewegungserfahrungen, damit sie nicht Puppen werden, die man tanzen lassen kann, sondern innerhalb der Prozesse der Einverleibung des Sozialen (Bourdieu) ansatzweise Verfügung über ihren Habitus erlangen. Demokratiepädagogik setzt zu spät an, wenn sie den Körper vergisst, wobei der Umkehrschluss nicht zutrifft. Zwischen körperlicher Aktion und mentaler Repräsentation steht ein noch relativ unerforschter Bereich bildlicher bzw. gestischer (Re)Präsentation, der deshalb so interessant auch in Bildungsdiskussionen ist, weil die Welt uns ansteigend in Bildern gegeben ist: „Früher hatte es Bilder in der Welt gegeben, heute gibt es die Welt in Bildern“ (Günter Anders) oder – wie Dietmar Kamper es 1997 im Potsdamer Einsteinforum formulierte, Freiheit (der Darstellung) kann sich als ein Gefängnis (der Kreation) auswirken, weil in der Beliebigkeit auf vorkonfektionierte Muster zurück gegriffen wird. (Dementsprechend lässt sich das Mainzelmännchen des ZDFs, das sich selbst ausradiert, bereits als ein früher Fall kritischer medialer Selbstreferenz sehen: Ihr seht etwas, was es gar nicht gibt, und jetzt löscht es sich – darüber kann man mit Zweitklässlern
6 Vgl. den Begriff des "metasocial commentary": Geertz (1987; engl. Original 1973). 7 Vgl. hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/projekte/id=134, Zugriff am 22.7.2005 8 Mimesis bedeutet nicht einfach Imitation, sondern beinhaltet die Vorstellung von nicht Existentem (vgl. z.B. Wulf 1994: 78).
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bereits auf hohem Niveau spannend ins Gespräch kommen). Unser Körper ist uns in Bildern gegeben. Der präverbale habituelle Sinnüberschuss in der Bildrezeption ist oft am Metapherngebrauch ersichtlich, die dann als treffender angesehen wird als eine Umschreibung mit Fachvokabular. Damit ist für fotografische Abbilder ein Bereich benannt, der durch Imagination von Fiktionalem einen Raum der Möglichkeiten auch für Identitätsarbeit eröffnet, die über Distanzierungsmöglichkeiten bereits auf gestischer Ebene verfügt. Insofern hier Wissensbestände „subkutan“ vermittelt werden, können mimetische Prozesse zum Bildungsthema werden (Bohnsack 200: 243; Michel 2004: 83). Das Besondere des Einsatzes von Fotografie im Sportunterricht liegt also in der unmittelbaren Wirkung auf Bewegung: Polaroid-Fotografie stellt ein probates Mittel dar, dies zu ermöglichen und direkt mit bewusster Verarbeitung zu verbinden. Dies erkennbar zu machen und andere „Bewegungen“ zu ermöglichen ist ein wesentliches aktuelles Bildungsziel. Der „Text“ ist nicht der der schriftlichen Form, sondern derjenige, der sich im Gespräch mit den SchülerInnen herstellt im Sinne eines kongruenten Erfahrungsraums9, das andere Medium, in das übersetzt wird, das Komparation und Austausch ermöglicht. Nicht die Nutzung von Bildern an sich schafft Unmittelbarkeit oder ist ein authentischerer Vorgang, sondern dies muss die Unmittelbarkeit der Umsetzung garantieren: Auch Bilder können „mitgebrachter Vorrat“ (Uwe Johnson, Mutmaßungen über Jakob) sein, erstarrt, unkörperlich, auch Text kann tanzbare Vorstellungsbilder schaffen, wesentlich bleibt der Bezug zu lebendigen mimetischen Prozessen, die zwar üben, aber nicht blind einüben. Das übergreifende Bildungsziel „visual literacy“ kann im Bewegungsunterricht auf besonders nachhaltige und handelnde Weise angestrebt werden. Eine bildungstheoretisch reflektierte Didaktik des Einsatzes von Foto und Bild im Bewegungsunterricht sollte nicht hinter diesen Reflexionsstand zurückfallen. Abschließend sollen noch einmal bereits argumentativ hergeleitete Aspekte und Prinzipien zusammengefasst werden, möchten aber nicht als Rezept missverstanden werden. Es empfiehlt sich folglich insgesamt: 1. Fotos und Bilder als Vorbilder hinsichtlich ihrer Abbildungskonvention zu thematisieren und die fehlenden Dimensionen von Raum und Zeit zu entwickeln 2. Abbildungsweisen zu vergleichen und zu rekontextualisieren 3. nicht am Abbild zu kleben, sondern Vorstellungsbilder anzustreben 4. bevorzugt Bilder zu wählen, die meta-aktionale Impulse darstellen können, Zugang zu zentralen Metaphern geben 5. über Bilder zu sprechen, die Gestaltung zu reflektieren, kontroverse Diskursivität zu fördern 6. individuelle Varianz in Interpretation und Umsetzung zuzulassen 7. Inkorporation und Transfer in der Unmittelbarkeit der Situation zu fördern 8. Gewahrwerden persönlicher Konstruktionsprozesse anzuregen 9. Eigenproduktion als Erfahrungsraum zu eröffnen 10. Reflexion der eigene Habitualisierungen und Handlungsschemata anzuregen 11. Bedingungen der Möglichkeit der Sinnkonstruktion ideologiekritisch hinzuziehen (z.B. Heroisierung u.a.).
9 vgl. Marcel Jousse zit. in Gebauer/Wulf 1998: 85: "Wir verwirklichen uns nicht im Raum des Textes, sondern in der zeitlichen Dauer der Geste."
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Die Verbindung von Sport und Bewegung mit Fotografie als aktive Auseinandersetzung mit einem wesentlichen Bereich der Lebenswelt kann in unterschiedlichen fächerverbindenden Settings fruchtbar gemacht werden. Trotz alles Skepsis und Kritik dem Sportunterricht gegenüber ist es für SchülerInnen nach wie vor das beliebteste Fach, diese Energie sollte nicht nur im „Spielen wir heute mal was“ verpuffen. Bewegung hat ihren Sinn in sich, aber sie trägt mehr als das mit sich: die Fähigkeit zur Aktivierung! Der Kern der Verbindung von Bewegung und Foto gehört aber in den bewegten Unterricht selbst. Der Körper ist privilegierter Träger sozialen Sinns, Fotografie birgt eine Möglichkeit dies überhaupt ins Bewusstsein zu rücken und damit an zentraler Stelle Vergesellschaftung verfügbar zu machen. Der Körper wird in postmodernen Gesellschaften immer weniger instrumentell benötigt, wird freigesetzt als kulturelles Distinktionsmedium: präsentativ, symbolisch, mimetisch. Die Sportdidaktik kann dem Rechnung tragen, indem sie Wege aufzeigt, die Gestaltung von Körper und Bewegung – statt latent – in diskursiver Verfügbarkeit anzustreben. Das Medium der Fotografie (und das des Videos) ist ein Weg, Feedback herzustellen und die Kriterienabhängigkeit und handwerkliche Bestimmtheit dieses Feedbacks erkennbar zu machen. Fotografieren sich Schüler in Bewegung, wird auch die Angemessenheit der Bildinszenierung Thema. Als Realisation im Sportunterricht ist eine Integration in bewegte Abläufe einer rein kognitiven Bearbeitung bei weitem vorzuziehen. So könnten Schüler den Unterricht mit einer Digitalkamera begleiten, Lernfortschritte auf diese Weise dokumentieren, Inhalte sichern (z.B. die komplexen Figuren akrobatischer Pyramiden), die sonst schnell vergessen werden, aber auch parodistische Bildbearbeitung ermöglichen. Bewegungsabläufe in ihrer Typik und individuellen Unterschiedlichkeit lassen sich thematisieren. Kaum ein Medium, das so viele Konsequenzen der Zeigedidaktik Horst Ehnis (1977) hinsichtlich einer reflexiven – und dabei nicht nur verbalen – Unterrichtsführung erlaubt! Sportfotografie als Thema des Sportunterrichts darf nicht nur Idealbilder vermitteln oder Gegenstand rein analytischen Zugangs werden, sondern sollte in der Praxis des Fotografierens bestehen. Sinnvolle Verbindungen zu Fächern wie Informatik und Kunst (Bildbearbeitung) stellen sicher, dass nicht die geringen Bewegungszeiten des Sportunterrichts zweckentfremdet werden. Im Gesamtkonzept einer Bewegten Schule gedacht, könnte Schülerfotografie hier auch Schulentwicklung im Bezug auf Bewegung dokumentieren. Fotografieren wird hier also insgesamt als konstruktive Technik verstanden, die der Entwicklung von reflektiertem Körperbewusstsein genauso dienlich ist wie dem Erwerb allgemeiner wie sportspezifischer Medienkompetenzen. The medium is the message.
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Abbildungen Abb. 1: aus Narr, Wolf-Dietrich u.a. (Red.): Medien, Menschenrechte und Demokratie (2003). Köln: Komitee für Grundrechte und Demokratie, S. 69 Abb. 2: aus Meinel 1977, S. 119 Abb. 3: Göhner 1983: Download www.sportunterricht.de/lksport/fuphasen.html Zugriff am 30.3.2006.3.06, S. 2 Abb. 4: aus Fikus, Monika: PPP „Bewegung als Form“: Download von www.sport.unibremen.de/fikus/SoSe_2005/Grundlagen_der_Bewegungswissen/Lernen1.pdf Abb. 5: 50 Jahre Shell Jugendstudie. Von Fräuleinwundern bis zu neuen Machern. (Hrsg.) Shell Deutschland. Ullstein-Verlag 2002, S. 59 (Foto Wolf Schöne) Abb. 6: Ausriss aus der BZ (Berliner Tageszeitung) vom 19.9.2000 Abb. 7: Download von der Homepage der Badischen Zeitung: http://bz.berlin1.de/aktuell/sport/050816/silber.html, Zugriff am 30.3.2006 Abb. 8: Reproduktion aus Hietzge 2001, Ausriss-Abbildung in „Die Zeit“ 20.5.1994 (Dr. Pausers Werbebewußtsein: „Schwarze Sieger“), S. 21 Abb. 9: Werbeanzeige der Firma Activa im Magazin Outrun 2/2000 zum Artikel „Rollivision“ (www.outrun.de)
Mit der Kamera unterwegs: SchülerInnen (er)finden Schule neu Michael Schratz
1. Schule als Lern- und Lebensort Schule ist für die Schülerinnen und Schüler jener Lebensraum, in dem sie einen Großteil ihrer schulpflichtigen Zeit verbringen (müssen), und an der Relevanz des Raums als „drittem Pädagogen“ (vgl. Kahl 1992) besteht längst kein Zweifel mehr. Die erwartete (Schul-)Leistung hängt stark vom physischen und psychischen Wohlbefinden ab (vgl. etwa die Studien zum Flow-Erleben bei Csikszentmihalyi 1997). Dabei spielt neben den baulichen Voraussetzungen auch die soziale Architektur eine wichtige Rolle. Die äußeren Rahmenbedingungen und das Klima einer Schule stellen zusammen eine nicht zu vernachlässigende Größe für die Schülerleistungen dar, da sie sich auf das Verhalten und die Aneignung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auswirken. Von Schule ist meist nur als Lernort die Rede, sehr selten aber als Lebensort. Daher ist der Unterrichtsdiskurs im Unterricht meist von Lernfragen geprägt, selten aber von Lebensfragen (vgl. Schratz 1996). Brücken zwischen der Lernwelt von Schülern und Schülerinnen und ihrer Lebenswelt sind selten, pädagogisch-didaktische Theorie und Schul- und Unterrichtsalltag klaffen weit auseinander. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, die heutigen SchülerInnen passen nicht mehr zur Schule von heute – oder umgekehrt, die Schule passt nicht mehr für die SchülerInnen von heute (vgl. Schratz/Thurn 2002). Es bestätigt sich noch immer, was Horst Rumpf (1986a: 20) über die „künstliche Welt“ der Schule behauptet, nämlich dass sie „organisatorisch als Zivilisierungsinstrument gebaut“ sei und auch so verwaltet und beherrscht werde. Dagegen anzukämpfen sei „aus Sorge um die humane Substanz“ (19-20) unbedingt notwendig. Dieser Beitrag stellt einen Versuch vor, die „Mauern zwischen Schulkünstlichkeit und Lebensernst“ (Rumpf ) über das Medium Fotografie abzubauen. Dazu erhalten die SchülerInnen eine Kamera, um jene Orte bildlich festzuhalten, die für sie aus ihrer Lebensperspektive für das (Über-)Leben in der Schule bedeutsam sind. Der Ort Schule kann über Fotos begreiflich gemacht werden. Mit der hier vorgestellten Methode der Foto-Evaluation wird – zumindest - zweierlei beabsichtigt: Einerseits auszuloten, wie SchülerInnen unter den derzeitigen Bedingungen Schule erleben, andererseits den SchülerInnen eine Möglichkeit zu bieten, selbst als AgentInnen des Wandels aktiv zu sein, indem sie mit der Kamera für sie relevante Erkenntnisse am Arbeits- und Lernort Schule gewinnen, der üblicherweise wenig zur Sprache kommt.
2. Fotografische Erkundungen. Der Projektansatz Eine Gruppe von Schülern schlendert durch das Schulgebäude und achtet auf verschiedene Objekte, erörtert verschiedene Positionen, argumentiert, wechselt Positionen, geht zurück und nach vor, als ob sie von einem unsichtbaren Dirigenten geführt würde, bis sie eine zufrieden stellende Stelle gefunden hat: Silke platziert eine Kamera vor ihrem Auge, nimmt sie wieder runter, streicht ihr Haar zurück und stellt wieder scharf; dann sagt sie ’cheese’ und macht ein Foto von ihren Kollegen vor den Toiletten – die Türen offen. Dann gehen sie weg und begin-
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nen mit dem selben Verfahren von vorne: Stellen suchen, passende Positionen finden, den richtigen Blickwinkel erörtern und den Knopf drücken … Insgesamt sind zahlreiche Schülergruppen im Schulgebäude unterwegs, die jeden Winkel durchleuchten, um passende Motive für ihre Fotos zu finden. Manchmal klopfen sie sogar an Klassenzimmertüren und fragen den anwesenden Lehrer, ob sie schnell ein Foto schießen dürften – und lassen einen verdutzten Lehrer zurück, der sich manchmal über die unerwartete Störung beschwert.
Abb. 1
Die Aktivitäten, die in dieser Szene beschrieben werden, sind Teil der Selbstevaluation, über die mehrere Schulen versuchten, die SchülerInnen am Prozess der Evaluierung von Schule als sozialem Ort teilhaben zu lassen. Für diesen Zweck wählten sie die Methode der Fotoevaluation (vgl. Schratz/Löffler-Anzböck 2000, Schratz/Steiner-Löffler 1998, Schratz u.a. 2002), da es – besonders jüngere – SchülerInnen schwierig finden, mit schriftlichen Formen der Rückmeldung umzugehen. Dazu erhalten die SchülerInnen als Evaluationsinstrument eine Kamera, mit der sie die Kultur ihrer Schule über entsprechende Fragestellungen erkunden. Die Fotos der SchülerInnen vermitteln eine andere Botschaft, als sie diese verbal oder in Beantwortung eines Fragebogens zum Ausdruck bringen könnten. Darüber hinaus sind die SchülerInnen angehalten zu kooperieren und auf einen Konsens hinzuarbeiten, indem sie selbst entscheiden, was sich zu fotografieren lohnt. Dafür bilden sie kleine Evaluationsteams, in denen sie ihren Schulalltag von einem anderen Blickwinkel mittels Objektiv erkunden. Es gibt mehrere Gründe eine Kamera für die Evaluation von Schule und Unterricht zu benützen (zum Beispiel zur Fragestellung‚Wieweit ist unsere Schule ein Ort des sozialen Miteinanders?’): 1 1 1
Die SchülerInnen sind nicht mit einem vorgefertigten Instrument konfrontiert, das ihnen lediglich die Möglichkeit zur Meinungsäußerung nach bestimmten Vorgaben gibt. Die Macht des Visuellen durchbricht die sprachlichen Barrieren. Die Evaluation befasst sich mit unterschiedlichen Schichten von Schulrealitäten: Es kann der Vordergrund oder der Hintergrund im Zentrum des Bildes stehen, es können unscharfe Fotos geschossen und mittels Zoom einzelne Aspekte besonders hervorgehoben
Mit der Kamera unterwegs: SchülerInnen (er)finden Schule neu
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oder sonstige fotografische Techniken angewendet werden. Die emotionalen Bedürfnisse der SchülerInnen werden nicht ausgespart, sondern haben einen besonderen Stellenwert in der sinnlichen Wahrnehmung. Durch fotografische Belege können die SchülerInnen ‚harte‘ Tatsachen zur Untermauerung ihrer Ansichten vorweisen, mit denen sich die Erwachsenen befassen müssen. Demgegenüber lassen sich mündliche Äußerungen der SchülerInnen leichter marginalisieren.
Die Umsetzung der Selbstevaluation sieht vor, dass sich die SchülerInnen in der Schule frei bewegen können, weshalb eine klare Vorgehensweise ratsam ist. Umso mehr, als eine ‚Kontrolle‘ der SchülerInnen nur eingeschränkt möglich ist. Zur Strukturierung hat sich folgende Ablauffolge (nach Schratz/Löffler-Anzböck 2003) bewährt: 1 Vier oder fünf SchülerInnen bilden ein Evaluationsteam; auch Paare und Dreiergruppen sind möglich, wenn genügend Kameras zur Verfügung stehen. 2 Jedes Team bespricht im Hinblick auf die vorgegebene Fragestellung (z.B. Was fördert bzw. behindert das Lernen der SchülerInnen?), an welchen vier Orten an der Schule sie mit der Kamera Positives und an welchen vier Orten sie Negatives festhalten werden. 3 Die Teams entscheiden, welche Bildkomposition ihr Anliegen am besten vermitteln kann – etwa nur die Örtlichkeit selbst oder eine (gestellte) Szene mit Personen. 4 Die Teammitglieder machen ihre Fotos gemäß den in 3 gefassten Entscheidungen. 5 Wenn die Bilder entwickelt bzw. – heute zunehmend – digital bearbeitet sind, erstellt jedes Team ein Poster, auf dem die Schnappschüsse angeordnet und mit Kommentaren versehen werden. Diese sollen erläutern, ob und aus welchem Grund die präsentierten Fotos für positive bzw. negative Einschätzungen stehen. 6 Jedes Team stellt sein Poster bzw. seine Präsentation dem Rest der Klasse vor, worauf eine Diskussion erfolgt. 7 Je nach Anlass und Fragestellung (z.B. als Teil einer Evaluation der Schule als Ganzes) wird abschließend eine Präsentation für eine größere Adressatengruppe vorbereitet und durchgeführt, damit entsprechende Maßnahmen für die Schul- bzw. Unterrichtsentwicklung abgeleitet werden können. Die von den SchülerInnen gemachten Fotos bauen eine Brücke zum täglichen Leben der jungen Menschen, besonders zu ihren Gefühlen, da sie oft eine Kluft zwischen ihren eigenen Prioritäten und jenen der Erwachsenen wahrnehmen: eine Diskrepanz zwischen dem, was sie selbst schätzen, und dem, was die Schule als wichtig erachtet. Die Fotoevaluation kann sich als wertvolle Methode erweisen, diese Kluft zu überbrücken, da durch das Fotografieren von relevanten hot spots in der Schule viele Bereiche eine neue Bedeutung erhalten, wenn sie aus der Sicht eines Schülerauges auf der Kamera eingefangen und gesehen werden. Caleb Gattegno führt dazu aus: „Wenn wir die Kultur im Medium mitberücksichtigen, eröffnen wir zwei Sichtweisen: Eine, die uns hilft, die Übereinstimmungen zwischen unseren kultivierten Sensibilitäten und dem, was durch das Medium sichtbar wird, zu sehen, und eine, die unsere Vorannahmen in die Irre führt und unsere Vorurteile, die durch den Schock des Zusammentreffens mit dem wirklichen Bild und dem möglicherweise wahren Glauben ausgelöst werden, ans Tageslicht bringt.“ (Gattegno 1969: 18, Übers. M.S.).
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Abb. 2 und 3
Die Methode der Fotoevaluation versteht sich als ein bewusster Schritt in Richtung Ernstnehmen der Welt der SchülerInnen. Dadurch soll auch die SchülerInnenperspektive in der Selbstevaluation den ihr zustehenden Stellenwert bei der Evaluation der Schule erhalten. Die Fotoevaluation hat den großen Vorteil, dass zunächst das Bild und nicht die Sprache primärer Informationsträger ist. Damit können sich auch jene SchülerInnen machtvoll ausdrücken, die sich des Mediums Sprache (noch) nicht so gewandt bedienen können. Werden SchülerInnen dagegen mit der am häufigsten angewandten Evaluationsmethode, dem Fragebogen, zu einem bestimmten Aspekt von Schule befragt (etwa zum Schulklima), dann können sie nur mehr innerhalb der vorgegebenen logischen Strukturen des (von Erwachsenen ausgearbeiteten und entsprechend formulierten) Fragebogens antworten, vieles von dem, was ihnen wichtig ist, fällt dabei unter den Tisch.
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Die Situation entspricht der alten Organisationsentwicklerweisheit „Wer fragt, der führt.“ Das gilt selbst dann, wenn der Fragebogen das Item „Was ich noch sagen wollte“ enthält, denn unserer Erfahrung nach wollen SchülerInnen in einen solchen Fragebogen vieles gar nicht schreiben. Warum? Nicht weil es für sie nicht wichtig wäre, sondern weil sie nicht auf die Idee kommen, ‚das‘ sei nun gefragt bzw. weil sie schon ihre Erfahrungen gemacht haben, was geschieht, wenn sie ihre Sicht der Dinge frei aussprechen. Anders ausgedrückt: wehe dem Schüler, der Schülerin, der bzw. die zur „falschen Zeit“ emotional statt rational reagiert oder die SchülerInnenlogik über die (herrschende) Schullogik stellt.
Abb. 4 und 5
Die Fotoevaluation durch SchülerInnen wurde bisher zu unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten eingesetzt. Hier einige Beispiele für Fotos als Belege 1 1 1 1 1 1 1 1 1
darüber, wo sich die SchülerInnen an ihrer Schule (nicht) wohlfühlen; über unterstützende oder hinderliche Faktoren beim Lernen; über die Qualität der Kommunikation unter SchülerInnen, zwischen SchülerInnen und LehrerInnen und zwischen Schule und Gemeinde; für Indikatoren über den Grad der Ausprägung von Demokratie an der Schule; über den Unterrichtsstil, der den Lernprozess der Schüler unterstützt oder behindert; für die Akzeptanz einer neuen Kultur der Neugier und des Lernens unter den Lehrkräften; über das häusliche Leseverhalten der SchülerInnen; für die baulichen Bedingungen der Schule; für die Umgebung der Schule.
Das folgende Beispiel aus einer englischen Schule zeigt auf, wie die Evaluation der Schule als Lernort durch die Linse der Kamera aus der Schülerperspektive zur Schul- und Unterrichtsentwicklung beizutragen vermag.
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Abb. 6 und 7
Die 14jährigen SchülerInnen einer englischen Schule, die am Carpe Vitam-Projekt „Leadership for Learning“ unter Leitung der Cambridge University mitmachte, sammelte in unterschiedlichen Unterrichtssituationen Daten darüber, wie die SchülerInnen besser lernen könnten. Sie haben über zwei Wochen hinweg Fotos mit einer Digitalkamera aufgenommen und diese, mit einem Kommentar versehen, in einer Powerpoint-Präsentation zusammengestellt. Die Ergebnisse wurden dem ganzen Kollegium präsentiert, um daraus Schritte für die Verbesserung der Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler abzuleiten. Als Ergebnis hatte sich die Schule geeinigt, dass in jeder Fachgruppe der LehrerInnen zwei RepräsentantInnen für Lernen, ein Mädchen und ein Junge, aus unterschiedlichen Leistungsgruppen an den Sitzungen teilnehmen, um die Sichtweise der Lernenden zu vertreten.
3. Fotografische Annäherung an Schulrealität Neben dem praktischen Wert für die Betroffenen (SchülerInnen und LehrerIn) hat der Einsatz der Fotografie in dem hier vorgestellten Ansatz auch eine Bedeutung für die Theoriebildung. Einerseits bringen die Erfahrungen neue Anregungen für die Unterrichtsforschung, zumal hier unterschiedliche Bereiche interdisziplinär in der Fotografie zusammenlaufen (etwa die Verknüpfung der Bereiche Medienpädagogik, pädagogische Soziologie, Deutsch und Ästhetische Bildung sowie Evaluation als Teil der Unterrichtslehre). Fotos lassen sich nicht von einem einzelnen Fach vereinnahmen, da sie die Realität in ihrer ganzen Komplexität als Momentaufnahme festhalten. Fotografien sind nach Susan Sontag (1979: 88) nicht nur die Evidenz dessen, was ein Individuum sieht, nicht nur Dokumente, sondern eine Evaluation der Welt(sicht). Damit stellen sie eine „Vision“ der Beziehung zwischen Subjekten und Objekten dar, die sich in der Momentaufnahme manifestiert. Die Zusammenhänge zwischen Orten, Räumen, Plätzen und Befindlichkeiten, Gefühlen, Assoziationen werden in der Pädagogik meist viel zuwenig beachtet und reflektiert, schon gar nicht, wenn es um die ohnehin kognitiv überbestimmte, kopflastige Umwelt Schule geht (vgl. Hierdeis/Schratz 1992). Das Medium Fotografie lebt – auch im Vergleich zu Film oder Video – vom bewussten Aussparen bestimmter Zugänge (etwa der Sprache und der Bewegungswahrnehmung) und fordert die Intensivierung der verbleibenden Möglichkeiten, also z. B. die Schärfung der Gestaltwahrnehmung, die Anregung zur Auseinandersetzung mit „vertrauten“ Bildern aus einer „fremden“, durch die Kameralinse vorgegebenen Perspektive. Das (gedanklich) Ferne wird durch die Fokussierung plötzlich nahe und thematisierbar. „Sich dieses Fernliegende – die Irritation durch eine
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Ungereimtheit beispielsweise – wirklich nahe kommen zu lassen, wo soll man das eigentlich noch lernen, wenn nicht in der Schule und in der Universität? Man hat den Eindruck, beide Einrichtungen tun alles, um diese Irritationen abzuwehren oder aber zum Griff nach rettenden Planken auszumünzen – denn so erreicht man die Mitgliedschaft in der community der Spezialisten.“ (Rumpf 1986b: 135) Damit ist auch die weitere Bedeutung für die Theoriebildung angesprochen: der Stellenwert der Fotografie als Forschungsinstrument. In der sozialwissenschaftlichen Forschungsdiskussion ist die visuelle Komponente interessanterweise großteils ausgespart worden, obwohl die Sozialwissenschaften geradezu prädestiniert dafür wären. Durch ihre starke empirische Ausrichtung haben sie vielfach mehr nach der Erfüllung der testtheoretischen Gütekriterien wie Objektivität, Reliabilität und Validität geschielt, als sich um das (Er-)Finden eigenständiger Methoden zur Auseinandersetzung mit der sozialen Welt zu kümmern. SozialwissenschafterInnen sehen Fotos mit einer gewissen Skepsis, da sie vielfältige Bedeutungen tragen und daher leicht manipulieren können. Sie eignen sich aus diesem Grund aber gerade aus diesem Grund dazu, die Komplexität sozialer Beziehungen verstehen zu lernen. Die Fotos der SchülerInnen sagen eine Menge über den menschlichen Aspekt im Schulleben aus, wie sie mit anderen Forschungsmethoden kaum festgehalten werden könnten. Sie tragen in gewisser Weise dazu bei, das Unsichtbare sichtbar zu machen (vgl. Schratz/Walker 1995). Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren hat starken Aufforderungscharakter: Fotos bringen Menschen zum Sprechen und fordern dazu auf, sich mit deren Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Denn alle fotografischen Ereignisse sind mehrdeutig, außer für jene, deren persönliche Beziehung zum Ereignis die nicht vorhandene Kontinuität herstellt (Berger/Mohr 1982: 128). Somit tragen sie auf der ersten Ebene dazu bei, dass SchülerInnen gegenseitig über ihre persönliche Beziehung zu den abgebildeten Szenen bzw. Orten ins Gespräch kommen. Auf einer zweiten Ebene sind es die LehrerInnen, die mit den festgehaltenen Motiven und deren gefühlsmäßiger Besetzung konfrontiert werden. Sie erhalten damit einen neuen Zugang zur Wahrnehmung schulischer Wirklichkeiten ihrer SchülerInnen.
4. Methodologische Anmerkungen zu einer visuellen Schulforschung Visuelle Forschungsmethoden kommen vorwiegend in der Anthropologie und den historischen Wissenschaften zum Einsatz, da Bilder eine wichtige Möglichkeit der Datengewinnung darstellen (vgl. etwa Banks 2001). In pädagogischen Forschungsarbeiten dienen Bilder und Darstellungen meist nur zur Dokumentation bzw. Illustration, in manchen Fällen tragen sie auch nur dazu bei, um die Langeweile eines formalen Textes zu unterbrechen (vgl. Prosser 1992: 2). Dem gegenüber wird die Wirklichkeit zu einem Großteil über Bilder wahrgenommen: „Bilder sind ‚allgegenwärtig‘. Sie durchdringen unsere akademische Arbeit, das Alltagsleben, Gespräche und Träume. Sie sind untrennbar mit unseren persönlichen Identitäten, Geschichten, Lebensstilen, Kulturen und Gesellschaften verbunden, wie auch mit den Definitionen von Geschichte, Raum und Wahrheit.“ (Pink 2001: 17, Übers. M.S.). In der Pädagogik dienten Bilder vorwiegend als Quellen zur Kultur- und Bildungsgeschichte. Seit Beginn der 80er Jahre dienen aber auch in der Geschichtswissenschaft Bilder nicht nur als Illustrationen für Geschehnisse und Fakten der Vergangenheit, sondern auch als Quellen eige-
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ner Art neben dem Lesen aus Texten (vgl. Keck/Kirk/Schröder 2004: 7). In der Schul- und Unterrichtsforschung werden visuelle Zugänge eher selten gewählt, da die klassische Forschung stark auf Worte und Zahlen baut. Ein möglicher Grund für die geringe Verwendung von Fotos könnte darin liegen, dass „üblicherweise in Einführungstexten zu Forschungsmethoden ein Enthusiasmus vorzufinden ist, mit dem die Nachteile und Grenzen des Einsatzes von Bildern in der qualitativen Forschung beschrieben werden, anstatt deren Stärken zu wertzuschätzen.“ (Prosser 1998: 98, Übers. M.S.). Die Stärke visueller Zugänge im Forschungsprozess liegt vor allem in der ganzheitlichen Erfassung von Komplexität (3.1) und in der Machtbalance (3.2).
4.1 Ganzheitliche Erfassung von Komplexität Der Satz „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ gilt auch hier: Wer einen Blick in Schule und Unterricht wirft, ist mit einer Fülle von Eindrücken konfrontiert, die sich mit klassischen Forschungsmethoden schwer ‚einfangen‘ lassen. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn man das Ethos einer Schule beschreiben möchte oder das Klassenklima zu erfassen versucht. Aus systemtheoretischer Sicht lässt sich menschliches Verhalten nicht über einfache Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge erklären. Vielmehr ist es in einer Ganzheit zu sehen, deren „Elemente in einem Netzwerk von Wechselbeziehungen miteinander verbunden sind, in dem jedes die Bedingungen aller anderen bestimmt. Untersuchungsgegenstand sind dementsprechend Strukturen und Funktionen, die Beziehungen von Elementen innerhalb eines Gesamtgefüges, die Regeln der Interaktion, die Umwandlungen und Veränderungen von Systemzuständen und -strukturen.“ (Simon 1993: 26) Das Fotografieren bietet eine Möglichkeit, die unterschiedlichen (Wirklichkeits-)Ebenen des Schülerlebens in der Organisation Schule herauszuarbeiten. Der Fotoapparat bietet eine spezielle Linse, welche auf die einzelnen Elemente des Schullebens fokussiert werden kann, indem sie Teile des Ganzen heraushebt, mit Vordergrund und Hintergrund arbeitet und somit Nebensächlichkeiten zum Brennpunkt werden lassen kann. Für Berger und Mohr (1982) dienen Bilder als „another way of telling“ – als Medium, das über den Text hinausgehen kann (vgl. auch Raggl/Schratz 2004). Unsere Studien zeigen vielfach auf, dass im Schulalltag für Lernende andere Dinge in den Vordergrund rücken als für Lehrpersonen oder ForscherInnen (vgl. Raggl/Schratz 2006). Die von Schülern gemachten Fotos geben einen tiefen Einblick in die Verwobenheit von Orten, Gefühlen und Assoziationen des Erlebens von Schule und Unterricht, die üblicherweise nicht zur Sprache kommen (etwa am Beispiel ihrer Lieblings- und Antiräume in der Schule). Im experimentellen Umgang mit der Kamera ergeben sich Spielräume, in denen eine neue Beziehung zu den Lernenden aufgebaut werden und unmittelbare Gesprächsanlässe zwischen ForscherInnen und SchülerInnen geschaffen werden können. Visuelle Formen der Datenerhebung können auf diese Weise zu einer Neugestaltung des Austauschprozesses in der Schul- und Unterrichtsforschung führen.
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4.2 Augenhöhe als Machtausgleich Konventionelle Forschungsmethoden, die sich einzig über die Sprache mit der Welt der Heranwachsenden auseinandersetzen, vernachlässigen meist die Bedeutung von Machtverhältnissen, die sich aus den unterschiedlichen Positionen ergeben. Werden SchülerInnen in Schulen über ihr Lernen gefragt, lässt sich ein Näheverhältnis zwischen Forschenden und Lehrpersonen vermuten: die Befragten werden in ihrer Rolle als SchülerInnen positioniert, ForscherInnen in ihrem Näheverhältnis zu Lehrenden. Dieses Machtverhältnis wird durch die akademische Tradition der Verwendung des Geschriebenen weiter verstärkt. Besonders in der Arbeit mit GrundschülerInnen zeigen sich die Grenzen des Einsatzes von Fragebögen. Aber auch bei der Verwendung von mündlichen Interviews zeigen sich die Grenzen, um mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen. Wiewohl immer eine Differenz zwischen Erwachsenen und Kindern besteht, sollten Kinder gerade nicht als „die ganz Anderen“ dargestellt werden, da auch das Erwachsenenleben aus der Kindheit kommt (vgl. van de Loo 1993). Zur Auseinanderstzung mit den eigenen Bildern ist es notwendig, dass sich Forschende selbstreflexiv mit der Perspektive von Kindern auseinandersetzen und Methoden einsetzen, die sich am Alter der Lernenden, ihren Alltagsstrukturen und ihren Interessen orientieren (vgl. Mey 2000). Die Erfahrungen der Begrenztheit herkömmlicher Forschungsmethoden in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sollten dazu anregen, über die Welt der gesprochenen und geschriebenen Sprache hinauszugehen und den Stellenwert des Visuellen in der herrschenden Forschungstraditionen zu rehabilitieren. Dann könnte es gelingen, weiter in die „innere“ Welt von SchülerInnen vorzudringen und nicht in den Fallen, die uns Sprache stellen kann, stecken zu bleiben (vgl. Walker 1993: 72). Aus diesem Grund kommt der Bedeutung von Fotos eine besondere Rolle zu, die nach dem pictorial turn in den Kulturwissenschaften (vgl. Mitchell 1994) auch zu einer visuellen Wende in der Schul- und Unterrichtsforschung führen kann.
5. Herausforderungen und Grenzen des Einsatzes von Kamera bzw. Fotos In diesem Beitrag versuchte ich aufzuzeigen, welche Möglichkeiten sich ergeben, wenn SchülerInnen eine Kamera erhalten, um ihre Position in der Machtbalance struktureller Bedingungen von Schule und Unterricht neu zu bestimmen. Durch das Festhalten relevanter Szenen oder Situationen auf Fotos verlassen sie die Begrenzung der Zeit in der Handlung des Fotografierens. So gerinnen Themen der Schul- und Unterrichtsentwicklung zu jenem „fruchtbaren Moment“ (vgl. Copei 1955, Gombrich 1984), der für Entwicklungsprozesse zentral ist. „Die Entscheidung und die Formfindung ist ein Akt der Selbstbildung, der sich tarnt als Augenblick, dem aber eigentlich Prozesse langer Dauer vorausgehen, in denen die augenblickliche Entscheidung vorbereitet wurde und der Formwille reifte. So ist dieser Augenblick der Aufnahme hochkomplex und geprägt durch historische, regionale, anthropologische, persönliche Geschichten, Symbole, Bedingungen. Er formt zwar keine genau umrissene Zukunft, aber der Fotograf hat in diesem Moment die Gegenwart mit dem Wissen um die Vergangenheit zu neuer Möglichkeit verdichtet.“ (Pilyrczyk/Mietzner 2005: 245) Die SchülerInnen erhalten zum einen durch die Evidenz der bildhaften Reproduktion einen bedeutsamen „historischen“ Beleg für ihre Sicht der Dinge, was ihnen in der Triangulation der Daten beispielsweise zwischen denen von LehrerInnen und Eltern ein stärkeres Gewicht verleiht
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(vgl. Schratz 2005). Zum anderen eröffnen die Fotos der SchülerInnen viele Möglichkeiten, sich mit den unterschiedlichen Realitäten im Spannungsfeld zwischen Lern- und Lebensfragen auseinander zu setzen. Diese Auseinandersetzung stellt im Diskurs über die Entwicklung von Schule und Unterricht jenseits des üblichen OE-Jargons (z.B. Change Management, Benchmarks, 360-Grad-Evaluation) eine Möglichkeit dar, Schule neu zu denken – und nicht nur zu verbessern oder zu verändern (vgl. Hentig 1993). Bei der Darstellung des visuellen Ansatzes einer fotografischen Methode in der Schul- und Unterrichtsforschung geht es mir nicht darum, der Sprache die Kraft ihrer Ausdrucksfähigkeit abzusprechen, sondern um die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der ihnen jeweils innewohnenden Potenziale. In diesem Beitrag habe ich aufzuzeigen versucht, welche zusätzlichen Perspektiven die Visualisierung vor einer Versprachlichung eröffnet, die Komplexität der Sinnschichten erkennbar macht, was ohne bildhafte Darstellung verloren gehen würde. Die Besonderheit der fotografischen Quelle, ihre verdichtete Komplexität sowie die Vielschichtigkeit des fotografischen Bildes könnte auf breiterer Basis dazu beitragen, dass die Debatten um die Qualität von Schule und Unterricht nicht so sehr auf der Basis ideologischer Vorstellungen geführt werden, sondern die tatsächlichen Hoffnungen, Nöte und Ängste, repräsentiert durch die Betroffenen und Beteiligten, die Entwicklungsdynamik bestimmen würden. Die fotografischen Bilder bieten dazu die subjektiven Eindrücke als visuelle Repräsentanz individueller und institutioneller Ausdrücke für mögliche Zukünfte: Ihre ästhetische Komponente verleiht dem fruchtbaren Moment für Entwicklungsprozesse die erforderliche energetische Kraft. Anmerkung: Teile dieser Arbeit wurden in früheren Versionen gemeinsam mit Ulrike Löffler-Anzböck bzw. Andrea Raggl erstellt.
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Kleine Projekte Studierender: Texte zu Fotos, Fotos zu Texten Ingelore Oomen-Welke, Studierende
Kleine Foto&Text-Projekte eigenen sich für studentische Projektarbeiten, die von verschiedenen Prüfungs- und Studienordnungen z.B. der Lehramtsausbildung vorgeschrieben werden. „Die Projektarbeit stellt eine besondere Situation des Unterrichtens dar,“ schreiben Michaela Betting und Angelina Mirabello in ihrem Projektbericht, „und muss daher auch während der Lehrerausbildung, neben den sonstigen Möglichkeiten, die die Fachdidaktiken bieten, von den Lehramtsstudierenden erlernt, erprobt und trainiert werden.“ Die Studierenden erarbeiten sich im Rahmen von Seminaren die Projektdidaktik sowie das technische Können der Digitalfotografie. Sie nehmen eine bestimmte Gruppe in den Blick, überlegen für diese Kinder oder Jugendlichen ein Thema und planen die Organisation und den Ablauf vor, die dann mit der Adressatengruppe gemeinsam modifiziert werden. Hier werden, in Form gekürzter Projektberichte, exemplarisch Beispiele kleiner Projekte vorgestellt, die den Ideenreichtum der Studierenden dokumentieren. Allen ist die Begeisterung für ihr Projekt anzumerken, und meines Erachtens vermitteln die Projekte auch einen Eindruck vom Potenzial der Foto-Text-Kombination.
1 Das Foto zum Zitat Michaela Betting & Angelina Mirabello Das Fotoprojekt „Digitale Fotografie und Bildbearbeitung in Schule und Jugendarbeit“1 war für uns das erste Projekt, das wir völlig selbstständig geplant und durchgeführt haben. Wir haben dabei die Erfahrung gemacht, dass ein Zweierteam besonders effizient ist, weil die Verantwortungsbereiche klarer und Absprachen leichter möglich sind als in größeren Gruppen. Wir mussten uns vor allem technisch vorbereiten, denn in unserem Studienfach Kunst hatten wir bisher hauptsächlich Erfahrungen mit analoger Fotografie gemacht. Wir lernten die Grundfunktionen einer Digitalkamera, Gestaltungsmöglichkeiten der Digitalfotografie, Bildtransfer zum Computer, Weiterbearbeitung mit einem Bildbearbeitungsprogramm und die Wahl des geeigneten Speicherformats. Unsere Schüler/innen gewannen wir aus der 9. Klasse einer Realschule in der Umgebung. Die Kontaktaufnahme und die Terminplanungen waren ein bisschen aufwändig. Die Jugendlichen kamen zu uns in die Pädagogische Hochschule, was sich wegen der mit Technik ausgestatteten Räumlichkeiten und der naturnahen Gestaltung des PH-Campus als günstig herausstellte. Einige brachten selbst eine Digitalkamera und gute Vorkenntnisse mit.
1 Sommersemester 2005, Seminarleitung Steve Geldhauser & Sandra Tell, Pädagogische Hochschule Freiburg.
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Ingelore Oomen-Welke, Studierende
Projektziele: 1 1 1 1
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Die SchülerInnen sollen Kriterien für das Fotografieren kennen lernen, um diese beim eigenen Fotografieren berücksichtigen zu können. Die SchülerInnen sollen im Rahmen des projektorientierten Lernens mit den neuen Medien, wie z.B. mit der Digitalfotografie, in Berührung kommen. Die TeilnehmerInnen sollen in der Lage, sein sich innerhalb einer Gruppe zu engagieren und gemeinsam produktiv zu arbeiten. Die SchülerInnen sollen erkennen, welche Möglichkeiten die Digitalfotografie und die digitale Bildbearbeitung bieten und dazu fähig sein, diese auch im späteren Schulalltag oder in ihrer Freizeit wieder einzusetzen. Die SchülerInnen sollen mit den Funktionen und den Möglichkeiten der Verbindung von Text und Bild vertraut gemacht werden und erste Schritte selbst erproben.
Die Aufnahmen machten wir zum großen Teil im Freien. Alles Übrige fand in einem Computerraum statt, der über eine Großleinwand für die Demonstration verfügte. Das ZIK2 half uns, unseren Fotoprojektordner „fotototal“ auf dem Public Server einzurichten, damit wir unsere Beispielbilder für die Jugendlichen einkopieren konnten. Auch einige gute Kameras konnten wir dort ausleihen. Wir arbeiteten mit den Jugendlichen an den zwei Tagen eines Wochenendes. Da die Jugendlichen sich kannten, konnten wir gleich zu einer Gesprächsrunde über Erfahrungen mit Fotografie übergehen und danach die Erwartungen an das Projekt aufschreiben lassen: „Schnelleres Arbeiten am Computer und mehr Tricks“, „Dass ich besser Fotos machen kann bzw. besser bearbeiten kann“, „Spaß!“, „Schöne Bilder“, „dass ich viel dazu lerne“ usw. Es ging allerdings nicht ohne Kameraregeln: 1 Kamera immer umhängen 1 Kamera wird immer nur von einer Person bedient 1 Es werden keine Bilder gelöscht und Sozialregeln: 1 Zusammenarbeit 1 kein Bilderklau 1 im Computerraum wird nicht gegessen und getrunken sowie Verfahrensregeln: 1 ohne Display fotografieren 1 zwischendurch den Akku aufladen 1 den Bildschirm ausschalten, wenn nicht fotografiert wird 1 nicht verwackeln 1 eigene Finger nicht vor die Linse 1 Fremde Köpfe nicht abschneiden
2 Zentrum für Information und Kommunikation der PH Freiburg
Kleine Projekte Studierender: Texte zu Fotos, Fotos zu Texten
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Zur Übung des Fotografenblicks hatten wir Werbefotos mitgebracht, die die Jugendlichen durch weiße Papierrahmen verschiedener Größe betrachten sollten. Dadurch wählten sie Fotoausschnitte aus, und die Partner mussten erraten, um welche Werbung es sich handelte. Die Schülerinnen erkannten, dass durch die Wahl des Ausschnitts und die Rahmung der Ausdruck des Fotos sich verändert. Das ist eine erste wichtige Erkenntnis der Fotodidaktik. Unser eigentliches Projektthema war aber, mit den Jugendlichen sprachliche Aussagen bildlich werden zu lassen und zu erkennen, dass Bilder bzw. Fotos ergänzend, deutend und sogar verändernd auf die Textaussage einwirken können. In einer kleinen Vorübung suchten wir Bilder zu den folgenden Abstrakta: groß – klein, Elend, Einsamkeit, Chaos – Ordnung, Ruhe – Bewegung, in den Perspektiven von oben – von unten. Die Reflexion der Belichtungszeit und der Perspektiven Makro, Vogelperspektive, Froschperspektive ergänzten diese Vorübung. Wir hatten jedoch schon zuvor, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern, eine Zitatensammlung zusammengestellt, aus der ausgewählt werden konnte, was illustriert oder gar gedeutet wurde. Im Gegensatz zu unseren Befürchtungen, dass dies die Jugendlichen nicht besonders interessiere, wurde der Vorschlag sehr positiv aufgenommen. 27 Aphorismen und Sprichwörter in unserem „Zitatenbuch“ (Beispiele) Wir leben alle unter demselben Himmel, aber wir haben nicht alle denselben Horizont. (Konrad Adenauer, Bundeskanzler, 1876-1967) Es ist ganz leicht, sich das Rauchen abzugewöhnen; ich habe es schon hundert Mal geschafft. (Mark Twain, amerikanischer Schriftsteller, 1835-1903) Der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen ist ein Lächeln. (Chinesisches Sprichwort) Arbeitsauftrag: 1
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Wähle ein Zitat aus, welches Du bildnerisch umsetzen möchtest. Du kannst zu Deinem Zitat mehrere digital bearbeitete Bilder erstellen oder Dir weitere Zitate aussuchen und dazu Deine Ideen in Bildern umsetzen. Am Ende unseres Projektes sollte jeder mindestens drei erstellte Bilder in einer gemeinsamen Präsentation vorstellen.
Auf dem PH-Campus wurden die Aufnahmen gemacht. Die Jugendlichen zeigten ein ausgeprägtes ästhetisches Bewusstsein und holten diesbezüglich unseren Rat ein. Das gewählte Zitat blieb die Richtschnur für die Auswahl der Motive, der Text erhielt durch die Bilder teils eine Verstärkung (Abb. 2: steil und schmal zusätzlich zu lang), teils eine neue Dimension (Bild 1a,b: Perspektive durch die Rückenlehne [Kerkergitter] eines Liegestuhls auf die Palme [Freiheit] im Foyer der PH; Spiegelung bewirkt den phantastischen Eindruck 1b). Am Computer bearbeiteten sie ihre Bilder überraschend wenig, denn sie fürchteten, die schönen Aufnahmen könnten sich dadurch negativ verändern.
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Ingelore Oomen-Welke, Studierende
Den Abschluss bildete die sehnlich erwartete Präsentation aller Produkte, die auf die große Leinwand des Computerraums projiziert wurden. Es gab wenig Kritik und sehr viel Lob untereinander. Auch wir schätzen das Projekt als gelungen ein, hätten beim nächsten Mal aber gern viel mehr Zeit!
Abb. 1a und 1b
Abb. 2
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Kleine Projekte Studierender: Texte zu Fotos, Fotos zu Texten
2 Kandern mal anders! Der Text zum Foto Katja Fehrenbach & Susanne Teicher Am Ende des letzten Schuljahres 2004/ 2005 wurde in der A-M.-Hauptschule eine Projektwoche angeboten. Projektwochen finden dort in unregelmäßigen Abständen statt; diese bot einen perfekten Rahmen für unser Projekt. Wir setzten uns mit den verantwortlichen Lehrern in Verbindung, die auch sofort zustimmten, dass wir das Projekt innerhalb dieser Projektwoche anbieten könnten. Die Schüler/innen konnten sich bei uns, wie zu allen anderen Projekten, anmelden, und der Andrang war riesig. Wir brauchten für unser Projekt Anmeldungen, später auch das Einverständnis von Schülern und Eltern, die Fotos zu verwenden. Dadurch dass wir das Thema vorgaben, ging uns keine wertvolle Zeit verloren, und für die Schüler/innen war es auch eine Hilfestellung. Wir befürchteten, die Schüler/innen würden sich auf ein gemeinsames selbst gewähltes Thema nur schwer einigen und sich mit ihren Ideen und Vorschlägen zu sehr auseinander bewegen. Auch konnten die Schüler/innen durch die Themenvorgabe gezielt fotografieren, und langwierigen Entscheidungsprozessen war vorgebeugt. Wir wählten unser Thema „Kandern mal anders“, weil wir fanden, dass damit Schüler/innen jeder Altersstufe etwas anfangen können. Auch wollten wir sie dazu bringen, sich mit den örtlichen Gegebenheiten auseinander zu setzen, schließlich verbringen sie fünf Tage in der Woche in Kandern, und eine Beschäftigung mit diesem Ort erschien uns sinnvoll. Wir waren dadurch auch frei, die Schüler/innen erneut auf Motivsuche zu schicken, wenn ihnen klar werden sollte, dass sie noch kein ausreichendes Material zur Verfügung hatten. Natürlich spielten auch finanzielle Aspekte eine Rolle, da wir unsere Investitionen und die der Schüler so gering wie möglich halten wollten. Jasc Paint Shop – Sowohl für die Schüler/innen, als auch für uns war die Arbeit mit diesem Programm neu. Es war bereits auf den schuleigenen Rechnern installiert. Es war unsere Aufgabe, uns die Funktionen des Programms zu erarbeiten, um es den Teilnehmer/innen kompetent vermitteln zu können. Für das Projekt selbst erstellten wir eine kleine Einführung, wobei ich die einzelnen Schritte am Lehrer-Computer vormachte. Dies wurde mit Hilfe des Beamers an die Projektionsfläche geworfen, und die Schüler/innen konnten so jede Veränderung mitverfolgen. Wir begannen mit einem Bilderrätsel aus Fotos und Texten, dessen Lösung Kandern mal anders lautete – unser Thema: ein anderer Blick auf den eigenen Ort und Kommentare dazu. … Die gestalterischen Mittel erklärten wir über Beispielbilder. Die Schülerinnen und Schüler wählten sie aus einer Sammlung aus und suchten sich korrespondierende Begriffe dazu aus unseren Kärtchen:
Abb. 3: Detail
Abb. 4: Grafische Linien
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Ingelore Oomen-Welke, Studierende
Ich bin damit einverstanden, dass alle im Projekt entstehenden Fotos und bearbeitete Bilder im Rahmen des Fotoprojekts an der Pädagogischen Hochschule bearbeitet und veröffentlicht werden dürfen. Bilder, die ich nicht freigeben möchte, habe ich gekennzeichnet. Datum :________________ Unterschrift:_______________________________ Für eure Eltern: Ich bin damit einverstanden, dass alle im Projekt entstehenden Fotos und bearbeitete Bilder meines Sohnes/meiner Tochter im Rahmen des Fotoprojekts der Pädagogischen Hochschule verwendet und veröffentlicht werden dürfen. Datum :________________ Unterschrift:_______________________________
Abb. 5
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Den Spaziergang durch Kandern machten wir in der ganzen Gruppe. Dabei verweilten wir immer einige Minuten an jeder Station, damit Zeit zum Fotografieren war. Obwohl immer alle Schüler/innen an jedem Ort waren, gab es nie Streit über einen eventuellen Ideenklau, wie wir dies in unserer PH-Projektgruppe miterlebt hatten. Somit war der Spaziergang sehr harmonisch und bildete den Höhepunkt des ersten Projekttages. Wieder zurück in der Schule, luden wir noch die gemachten Fotos in die Ordner der Schüler/innen, klärten einige organisatorischen Dinge und entließen die Gruppe. Wir waren positiv überrascht, als alle Schüler/innen am Dienstag pünktlich vor dem Computerraum auf uns warteten. Als Einstieg wurden die Bilder von Montag angeschaut, indem wir sie mit dem Beamer an die Wand projizierten. Besonders gut gelungene Bilder wurden mit Lob von der Gruppe kommentiert. Wir hatten an dieser Stelle auch ein Feedback, inwieweit die Funktionen der Kamera und die gestalterischen Mittel verstanden worden waren, und gingen auch noch einmal an Hand der gezeigten Bilder darauf ein. Unser Hauptprogrammpunkt für diesen Tag war die Einführung in das Bildbearbeitungsprogramm Jasc Paint Shop. Dazu hatten wir einen Ablauf zur Einübung der einzelnen Werkzeuge und Funktionen entwickelt, den wir am Lehrercomputer vorführten und den die Schüler an ihren Rechnern parallel nachvollziehen und selbst ausprobieren konnten. Wir erklärten den Schülern u.a. den Umgang mit den Maskenwerkzeugen, ließen die Auswahl mit den Füllwerkzeugen farbig machen, erklärten Funktionen wie Klonen und Verzerren und führten Effektfilter und Rahmenmakros ein. Schwierig war es während der Bearbeitungsphase der eigenen Bilder, die Jugendlichen in die Pause zu schicken, so besessen arbeiteten sie, wohl wissend, dass sie ihr Produkt zum Abschluss der gesamten Schule würden präsentieren dürfen. Eine weitere Phase sah vor, Plakate mit je drei Bildern und mit Titeln bzw. Kommentaren zu gestalten – was ist hier an Kandern anders? Es war deutlich, dass die Sprachproduktion den Jugendlichen viel schwerer fällt, als Bilder mit der Kamera einzufangen…. Abschließend geben wir einige Beispiele der Plakate und Foto-Text-Produktionen wieder sowie das Feedback aus unserer Abschlussbesprechung.
Abb. 6: Plakatbeispiel
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Abb. 7 (oben): Jenny; Kandertalbahngeist Abb. 8 (unten): Manuel; Crazy
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Abb. 9: Marcel; Was ist denn das?
3 Texte zu Bildern – Bilder zu Texten Ingelore Oomen-Welke Die Projekte der Studentinnen oben arbeiten u.a. mit der Zuordnung von Foto und Text; am zweiten Beispiel wird die Mühe der Jugendlichen mit dem Textverfassen hervorgehoben, und die Texte fallen sehr kurz aus, sind nur benennende Titel oder kleine Fragen ohne weiteren Inhalt. Nicht nur das Foto, auch der Text will erarbeitet sein! Studierende üben Projekte mit SchülerInnen, das ist die eine Möglichkeit. Die andere besteht darin, dass die Studierenden selbst miteinander an einem Kleinprojekt arbeiten und Kooperati-
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onserfahrungen machen, die sie nicht selbst anleiten. Kein ganzes Projekt, aber ein paar Schritte dazu werden im Folgenden dargestellt. In zwei parallelen Seminaren Foto & Text bzw. Text und Foto3 stellten die Studierendengruppen sich gegenseitig Aufgaben zur Foto-Text- Kombination: Eine Gruppe suchte Fotos aus, zu denen die andere Gruppe Texte finden sollte; diese wählte Texte aus, zu denen die erste Gruppe Fotos stellte. Um den Text in diesem Artikel nicht zu kurz kommen zu lassen, stelle ich die zweite Aufgabe hier kurz vor. Die Frage, was für und welche Texte (Textsorten und Inhalte) sich überhaupt zur Kombination mit Fotos eignen, stellte die Studierenden vor ein großes Problem, zwischen Ratlosigkeit und Beliebigkeit. Erst die Idee, dass manche Texte sogar verfilmt werden, brachte sie auf die Spur von Romanen und Biografien. Ich wählte ein paar Romane, Biografien und eine Sage aus, kopierte aus den Anfangskapiteln je zwei Seiten, ohne die Titel zu verraten: 1 Malika Oufkir & Michèle Fitoussi 1999: La prisonnière. Le livre de poche 14884. dt. Die Gefangene. 2 E. Annie Proulx 1993: The Shipping News. dt. Schiffsmeldungen. Fischer Tb 13041. 3 Michael Ondaatje 1992: The English Patient. dt. Der englische Patient. dtv Tb 12131. 4 Thomas L. 1975: Ich bin 12. Ein Schüler berichtet. Aufgeschrieben von Uta Woldt. Rororo-rotfuchs 86. 5 Max Frisch 1964: Mein Name sei Gantenbein. Fischer Tb 1000. 6 sowie die lokale Sage von Titisee in einer von Studierenden formulierten Version (wurde nicht zur Illustration gewählt). Keine der Studierenden erkannte einen der Texte. Als sie die Autoren und Titel erfuhren, hatten sie von einigen schon gehört (Frisch, Ondaatje), aber keinen gelesen. Das hinderte sie nicht, sich in größter Intensität mit den Textkopien auseinander zu setzen. Zwei bis drei Zeilen oder Sätze sollten als Vorgabe reichen – aber welche? In Zweier- bis Dreiergruppen versuchten sie, die – wie sie es nannten – schönsten Sätze zu finden. Ihr Blick wandte sich von der erzählten Geschichte auf die Details der sprachlichen Formulierung. Gleichzeitig wuchs die Anforderung, die ausgewählte Passage möge mehr sagen, als sie es eingepasst in den Romantext tut. Und darüber wurde produktiv gestritten. Ich selbst war verblüfft, wie die simple Aufgabe, ein Stückchen Text zu wählen, zu dieser vertieften Arbeit des Vergleichens, Deutens und Bewertens führte und fand so nebenbei eine produktive Methode des Umgangs mit Texten. Im Ergebnis wollten sie sich aber doch nicht von längeren Textstücken trennen, markierten mehrere Sätze und setzen dann zwischen Satzgrenzen einen Schnitt: So blieb ein ihnen lieb gewordenes Textstück erhalten, verteilt auf zwei oder mehrere Aufgabenblätter. Interessanterweise wurde das längste Stück aus dem Jugendbuch 4 gewählt, weil die Studierenden den sprachlichen Duktus der Mündlichkeit und die Mischung aus Detailtreue und Reflexion verblüffend fanden.
3 Sommersemester 2003, Seminarleitung Alfred Holzbrecher bzw. Ingelore Oomen-Welke. Im einen Seminar lag der Schwerpunkt auf der Fotografie, im andern auf dem Text, wobei jeweils eine Brücke zum anderen Medium geschlagen wurde.
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Textbeispiele: 1a Meine Mutter und mich verbindet ein ähnliches Schicksal, geprägt von Verlassenheit und Einsamkeit. 1b Als ihr Vater sie nach Hause holen kam, machte sie das Kreuzzeichen und verehrte die Jungfrau Maria, Jesus und alle Heiligen. Vor Zorn hätte dieser praktizierende Moslem, der schon nach Mekka gepilgert war, fast seine Orden verschluckt… 1c Es war nicht gut, wenn ein Berufssoldat ein so junges Mädchen allein aufzog. 1d Von dieser Großmutter, die mit neunzehn Jahren starb, weiß ich nur, dass sie eine energische, aufgeweckte und moderne Frau war, die Spaß an hübscher Kleidung, am Reisen und am Autofahren hatte. 1e Es gab während dieser Zeit kaum einen Ort für sie, an dem sie die Wärme fand, die sie so vermisste. 2 Eine Flämische Scheibe ist eine spiralige Rolle in einer einzigen Ebene. Sie wird in dieser Art auf Deck gemacht, so dass man, wenn nötig, drüber gehen kann. (Das Ashley-Buch der Knoten) 3a Sie richtet sich auf, im Garten, wo sie gerade gearbeitet hat, und schaut in die Ferne. Sie spürt einen Wetterumschwung. Wieder ein Windstoß, ein Beben in der Luft, und die hohen Zypressen schwanken. 3b Sie dreht sich um und geht hinauf zum Haus, klettert über eine niedrige Mauer und fühlt die ersten Regentropfen auf den bloßen Armen. 3c Alle vier Tage wäscht sie seinen schwarzen Körper, angefangen bei den kaputten Füßen. 3d Er liegt flach auf dem Rücken, ohne Kopfkissen, und blickt hinauf zum gemalten Blattwerk an der Decke. Sie liebt die Mulde unterhalb der letzten Rippe, diese Klippe aus Haut. 4a Wenn ich aufstehe, überlege ich, wie es wär, wenn ich weiterschlafen könnte. Einen hohen Posten hätte oder Gammler wär. 4b Oder ich denk an meine Mutter. Wie es wär, wenn wir jetzt schön gemütlich frühstücken könnten. Oder’s uns überhaupt so richtig gemütlich machen könnten zuhause. 4c Um Viertel nach sieben bin ich dann doch endlich aus’m Bett. Meistens jedenfalls. Noch ganz beduselt geh ich dann in die Küche. Ich trink Kakao und sitz einfach da. 4d Dann muss ich mich anziehen, und ich ärgere mich weiter, weil ich denke, ich habe nichts anzuziehen. 4e Die meisten Sachen passen mir nicht. Die sind überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Der ist nämlich ziemlich verworren. Die Sachen, die ich gut finde, gibt es gar nicht. Oder nicht für meine Größe. 4f Aber ich darf mich nicht so bunt anziehen. Leider nicht. Ich krieg dann immer zu hören: Das sieht nicht aus! 4g Meine Mutter hat auch immer sonst dolle Ausreden, wenn sie bestimmte Sachen nicht will, dass ich sie anziehe. Dann müssen die Klamotten entweder gewaschen werden, oder sie sind für sonntags reserviert. 4h Oder sie sagt, das passt farblich nicht zusammen. Und dann kann ich nichts dagegen machen. Leider hab ich gar kein Farbempfinden.
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5a Man speiste reizvoll, aber nicht üppig; geredet wurde viel, Palaver mit Niveau, wobei er wenigstens zu Anfang, scheint es, nicht stiller war als die andern. 5b Er bestellte nur noch Kaffee. 5c Als er später aus der Toilette zurückkam, sagen sie, war er bleich. 5d So warte doch, wir werden hier auch nicht alt! 5e Er saß aufrecht, Kopf nach hinten, beide Hände am aufgerissenen Kragen, als ein Polizist kam, um nachzusehen, warum der Wagen mit dem angelassenen Motor nicht ausfuhr. 6 Als Strafe Gottes für diesen Übermut wurde die Stadt mit Mann und Maus überschwemmt, und anstelle der Stadt entstand der ______________see. Diese Textfragmente wurden (ohne die Kennziffern) unten auf querformatige DIN A4-Seiten gedruckt und an die andere Seminargruppe weitergegeben, die ich hier Fotogruppe nenne, weil sie dazu Fotos machen oder aussuchen sollte. Überraschenderweise war es der Fotogruppe wichtig, die Herkunft einiger Textfragmente zu erfahren, und sie brachten sie heraus. Die Reihenfolge der Textstücke geschah trotzdem nicht romangetreu, sondern als Eigenkonstruktion, die sich an einer plausiblen Chronologie orientierte (Text 1 Großmutter-Mutter-ich). Die Zusammenfügung der Textstücke zog dann auch Objekt- und Motiv-Kohärenz in den Fotos nach sich, und zur Verdeutlichung des Ablaufs wurden die Blätter manchmal zu einem Leporelloalbum zusammengeklebt.
Abb. 10: Schildkröten im Gras
Man speiste reizvoll, aber nicht üppig; geredet wurde viel, Palaver mit Niveau, wobei er wenigstens zu Anfang, scheint es, nicht stiller war als die andern.
Abb. 11: Eine zertretene Nussschnecke
Eine Flämische Scheibe ist eine spiralige Rolle in einer einzigen Ebene. Sie wird in dieser Art auf Deck gemacht, so dass man, wenn nötig, drüber gehen kann.
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Kleine Projekte Studierender: Texte zu Fotos, Fotos zu Texten
Die hinzugefügten Fotos sind teils Illustrationen mit Verengung auf einen Aspekt, oder es werden Elemente des Textes zusammengestellt, die üblicherweise nicht kombiniert vorkommen, teils verfremden die Illustrationen die Figuren oder Gegenstände des Textes. Letzteres kann bis zur kreativen Verblödelung gehen. An Beispielen:
Abb. 12a
Abb. 12b
Von dieser Großmutter, die mit neunzehn Jahren starb, weiß ich nur, dass sie eine energische, aufgeweckte und moderne Frau war, die Spaß an hübscher Kleidung, am Reisen und am Autofahren hatte.
Es gab während dieser Zeit kaum einen Ort für sie, an dem sie die Wärme fand, die sie so vermisste
Bild Dr. Hubert Burda
Werbebild Muttter und Kind beim Kochen
Abb. 13a: wegen rechtlicher Bedenken nicht reproduziert
Abb. 13b: wegen rechtlicher Bedenken nicht reproduziert
Wenn ich aufstehe, überlege ich, wie es wär, wenn ich weiterschlafen könnte. Einen hohen Posten hätte oder Gammler wär.
Oder ich denk an meine Mutter. Wie es wär, wenn wir jetzt schön gemütlich frühstücken könnten. Oder’s uns überhaupt so richtig gemütlich machen könnten zuhause.
Text 2: Im Roman Schiffsmeldungen ist jedem Kapitel ein Zitat aus dem Ashley-Buch der Knoten vorangestellt. Ob Textstück 2 ohne den Kontext Schiff zu verstehen wäre, bleibt fraglich. Im Text konstituiert Deck den Bereich der Schifffahrt. Die Studierenden, die ein eigenes Foto produzieren, wählen einen Holzboden aus, der dem Schiffsboden nicht allzu unähnlich ist. Anstelle des flach aufgerollten Taus, der Flämischen Scheibe, legen sie eine Nussschnecke auf den Boden, die eine spiralige Rolle darstellt, mit dem Schiffskontext jedoch nichts gemein hat. Dadurch wird auch die Funktion der Flämischen Scheibe, das Gehen an Deck nicht zu behindern, ins Gegen-
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teil verkehrt: Im Foto bleibt der Boden völlig leer, so dass gar keine Notwendigkeit besteht, auf die Rolle zu treten. Im Gegenteil, was im Text ein besonderer Vorteil ist, erscheint im Foto als provokante Verletzung einer Norm, dass man nämlich Speisen nicht schmutzig und unbrauchbar macht. Text und Foto liegen trotz der Korrespondenzen beim Boden (Material Holz), bei der spiraligen Rolle (Form, nicht Material) und beim Drübergehen konträr zueinander, die Ähnlichkeit ist nur eine scheinbare. Der Text wird nämlich nicht illustriert (= aufgeklärt, verschönert), sondern verdunkelt. Ich bin geneigt, die Intentionen der Fotogruppe nicht allzu ernsthaft einzuschätzen, sondern mehr als kreative Veblödelung. Text 5a: Der Gantenbein-Text transportiert eine gesellige Szene; dass sie in einem Restaurant angesiedelt ist und dass es sich bei den Akteuren um Menschen handelt, kommt im Ausschnitt nicht wörtlich zum Ausdruck. Einige Elemente des Textes sind nicht ohne weiteres bildlich darstellbar, das viele Reden, das Niveau desselben… Die Fotogruppe stellt die Akteure als Schildkröten dar, in der Runde um das Futter – geschnittene Gräser – angeordnet, und eine Schildkröte in der Mitte. Wir können die Schildkröten als Tiermetapher für man und er nehmen, die Anordnung im Kreis als Abbild der Geselligkeit und die frischen Gräser als reizvolles, aber nicht üppiges Mal. Obwohl die Symbolisierung durch Tiere zuerst überrascht, kann dieses Foto als typisch illustrativ gelten, weil es viele Elemente des Textes in ihrer Funktionalität aufgreift und evtl. intertextuell, aber harmlos an Kafkas Verwandlung erinnert. Text 1a-e: Dazu ist ein Leporelloalbum aus drei Fotos und den Textteilen 1d, a, e entstanden. Die Reihenfolge des Romans, der mit der Ich-Erzählerin beginnt und über die Mutter zur Großmutter geht, wurde aufgegeben zugunsten der chronologischen Reihenfolge der Generationen bis zur Gegenwart. Dass Mutter und Großmutter tot sind, wird durch einen Grabstein mit Jahreszahlen (aber ohne Namen) auf einer Wiese symbolisiert; Foto 1a (Abb. 12b) zeigt (einmontiert?) die Zahlen 1947–1966 und 1965–1990 sowie welke Blätter verweht am Boden. Neben dem Grabstein sitzt hier ein sehr junges Mädchen mit melancholischem Blick im Gras. Die Verlassenheit und Einsamkeit der beiden Verstorbenen (im Text aber nur der Mutter) und des Mädchens sind in Foto und Text völlig parallel dargestellt, die Funktion des Fotos ist also rein illustrativ. – Dasselbe versucht die Fotogruppe bei Text 1d, der die Großmutter charakterisiert. Hier zeigt der Grabstein auf der Wiese nur die Zahlen 1947–1966 (Abb. 12a). Eine trauernde oder verlassene Person ist nicht anwesend. Um die Großmutter als moderne Frau mit Spaß an hübscher Kleidung ins Bild zu holen, ist der Grabstein oben mit einem braunen, breitrandigen Hut dekoriert und mit pinkfarbenen Dessous. Für das Reisen stehen als Symbole ein Reiseführer (England), Sonnenmilch, Badeschlappen und ein Strandlaken, alle in gemusterten Pinkfarben. Die Verbindung von Kleidung und Reisen stellt sich semiotisch über die Farbe her. Die Zusammenstellung von Grabstein und teils intimen Accessoires der Person ist ein bisschen provokant, in der Realität ungewöhnlich, im Rahmen der Aufgabe jedoch nahe liegend. Auch dieses Foto illustriert den Textteil,4 geht aber nicht über ihn hinaus, selbst nicht durch seine Auffälligkeit. – Im dritten Teil des Leporellos 1e sehen wir einen Teil des Grabsteins, der offenbar auf die nächste Belegung des Grabes wartet, da unter die zwei Lebensdaten aus 1a (Abb. 12b) nun 1985- (ohne weitere Zahl) geschrieben ist. Der hier in der Zahl kodifizierte Lebensanfang mit dem bis bedeutenden Strich evoziert auf dem Grabstein, dass ein Ende folgen wird, da ja das Leben endlich ist. Dekoriert ist der Grabstein mit einem orangefarbenen leichten Tuch, davor eine brennende gelben Kerze, an der sich jemand die Hände wärmt. Die eingemeißelten Lebens-
4 nicht den Roman, zu dem es nicht passen würde!
Kleine Projekte Studierender: Texte zu Fotos, Fotos zu Textenj
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daten symbolisieren die drei Frauen, von denen in den Textstücken 1 die Rede ist. Es ist aus Text und Foto nicht ersichtlich, welche von ihnen hier mit sie gemeint ist: die noch Lebende Enkelin, die am kalten Grab mittels einer Kerze Wärme findet oder die zwei anderen. Farblich wird Wärme durch das Tuch assoziiert, mehr als durch die Kerze, während der graue Granitstein kalt und das grüne Gras frisch wirken. Im Gesamten bewegt sich das Leporelloalbum durch die Kombination der fotografierten Elemente vom gewagten ersten Foto über das melancholische zweite zu einem klischeehaften dritten. Vielleicht werden das zweite und dritte Foto auch deswegen als weniger interessant wahrgenommen, weil die starke Kohärenz der Bilderfolge die Symbolkraft des Grabsteins überstrapaziert und weil die dazu gestellten Elemente den Betrachter nicht herausfordern. Text 4a-h: Dazu hat eine Fotogruppe ein Leporello aus sieben Blättern gemacht, von denen jedoch zwei keine Fotos enthalten. Die fünf Fotos sind nicht selbst produziert, sondern aus Illustrierten ausgeschnitten. Dabei hat man es mit der Passgenauigkeit der Elemente in Foto und Text nicht so ernst genommen, sondern nur einen Hauptgedanken aufgegriffen. In 4a ist der hohe Posten, den sich das Kind vorstellt (Abb. 13a), durch den Verleger Dr. Hubert Burda personifiziert. Der ist aber weder bei der Arbeit noch beim Aufstehen, sondern hat es sich auf dem Sofa „gemütlich“ gemacht und sieht die Tagesschau, wie der Kommentar im Bild mitteilt. Das Ich, in dessen Vorstellung wir den hohen Posten sehen, fehlt im Bild – 4b dagegen (Abb. 13b) nimmt Mutter und Kind auf, aber nicht beim gemütlichen Frühstück wie im Text, sondern beim gemeinsamen Kochen, offenbar aus einer Kochreklame. Entsprechend strahlt das Kind lächelnd aus dem Bild auf den Betrachter, während Kopfhaltung und Lächeln der Mutter auf das Kind gerichtet sind. Die heile Welt, wie der Ich-Erzähler des Textstücks 4b sie sich vorstellt, wird so transportiert, auch durch die gleichfarbigen Hemdblusen von Mutter und Kind, die blanken Töpfe und die Kelle sowie die weiße Küche mit Schnittblumendekoration. – In diesem Leporelloalbum entsteht keine Kohärenz der Bilder. Dafür gibt es den technischen Grund, dass identische Personen und Sachen nicht in denselben Situationen zu finden waren. Das stört deswegen nicht, da der Ich-Erzähler sich am Anfang verschiedenes vorstellt, was episodisch bleibt. Oder weil 4d ich habe nichts anzuziehen durch einen leeren Rahmen symbolisiert wird. An diesem Beispiel wird sehr deutlich, dass die Fotos keine Kontexte schaffen und in ihrer Reihung auch keinen Sinn machen. Sie sind Ko-Texte zu den Textteilen, mit denen gemeinsam sie den Sinn konstituieren. Der Text allein, wie bei einem Roman selbstverständlich, enthält Sinn und natürlich auch Kohärenz. Die zahlreichen Text-Foto-Kombinationen wurden in einer Ausstellung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg präsentiert, wo eine vor allem studentische Öffentlichkeit das Gelingen der Verbindung bewertete, durchaus nach unterschiedlichen Kriterien. Die Studierenden unserer Seminare beschäftigte noch eine Weile die Frage, was schwieriger sei: Texte zu Fotos zu finden oder Fotos zu Texten.
3. Teil: Außerschulische Konzepte und Projektansätze
Interkulturelle Bildinterpretation Bilddiskussionen im Rahmen des 12. deutsch-tschechischen Jugendfotoseminars Marl 2005 Karlheinz Strötzel
Historie Seit 1996 finden regelmäßig deutsch-tschechische Fotoseminare wechselweise in Deutschland und der tschechischen Republik statt. Idealtypisch nehmen an ihnen je zehn Jugendliche aus den beiden Ländern teil. Die Organisation lag in den letzten Jahren bei NIPOS/ARTAMA Prag sowie der Landesarbeitsgemeinschaft Kunst und Medien NRW e.V. und dem Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland (KJF), Veranstalter des Deutschen Jugendfotopreises. Das Projekt wird unterstützt durch die Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, Tandem Regensburg, durch den deutsch-tschechischen Zukunftsfonds und mit Materialspenden von Fotofirmen. Die Jugendlichen (Altersbereich ca. 18 - 23 Jahre) bewerben sich für die Teilnahme am Seminar beim Deutschen Jugendfotopreis bzw. beim tschechischen Kooperationspartner NIPOS/ ARTAMA. In den vergangenen Jahren hat sich das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Jugendlichen von 50 zu 50 auf 30 zu 70 Prozent verändert. Dies gilt besonders für die deutschen Teilnehmer. In den Seminaren wurde thematisch, umgesetzt in analog Schwarzweiß, gearbeitet. Es entstanden eine Reihe von Ausstellungen, die in vielen Städten gezeigt wurden.1 Die Fotos vergrößerten in der Regel die Teilnehmer während der Seminare selbst und stellten sie zu Ausstellungen zusammen. Ab 2000 wurden die Seminare auch digital dokumentiert. Der Auswahl der Fotografien und dem Layout für die jeweiligen Ausstellungen gingen jeweils intensive Diskussionen voraus. Ein wesentlicher Aspekt bei den Veranstaltungen war stets die Betrachtung der Fotografie im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext. Dabei stellte sich auch 2005 die Frage, ob die jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Erfahrungen die Betrachtungsweise der Fotografie beeinflussen. Besonders in einem binationalen Workshop zeigt sich die Schwierigkeit, das, was im Foto dargestellt wird, in einen beschreibenden wortsprachlichen Text zu formulieren, zumal Differenzierungen sehr schnell auch bei der Übersetzung verloren gehen können. Von besonderem Interesse sind die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie ein Foto wahrgenommen und in seiner Bedeutung verstanden wird. Dieser Frage nachzugehen führte bei jedem der vergangenen Fotoworkshop zu aufschlussreichen Ergebnissen. Ein zentraler Punkt war dabei immer – zunächst unabhängig von Worten – sich über die Bildsprache anderen mitzuteilen.
ˇ 1 Die Seminare fanden in Policka 1998, Auerbach 1999, Augsburg 1999, ˇ 1996, Bechyneˇ 1997 und 1998, Decín ˇ Ostrava 2000, Remscheid 2001, Sumperk 2002, Marl 2003, Prag 2004 und Marl 2005 statt, die Fotoausstellungen wurden in vielen Städten gezeigt: u.a. in Augsburg, Remscheid, Leipzig, München, Raesfeld, Regensburg, Marl, Weiˇ Prag, Svitavy, Trutnov. ˇ Hradec Králové, Policka, ˇ Plzen, mar, Graz, Bechyne,
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Abb. 1: Bildbesprechung mitgebrachter Teilnehmerfotos
Karlheinz Strötzel
Abb. 2: Bildbesprechung im Labor
Präsentation eigener Fotografien Die Jugendlichen brachten zu den Workshops eigene Bilder mit, um den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ihre Vorstellungen von Fotografie darzustellen und sich darüber auszutauschen. Die Präsentation hilft dabei, Verhaltens- und Sprachbarrieren zu überwinden. In der Vorstellung eigener Bildideen erleben Jugendliche Fotografie als kreatives Kommunikationsmittel. Die Fotografien waren zu einem Drittel farbig und zu zwei Dritteln schwarzweiß. Ab 2005 wurden erstmals auch Digitalfotografien mit Laptop und Beamer vorgestellt. Eine besondere Schwierigkeit zeigt sich dabei durch die Vielzahl der Bilder und die Gebundenheit an technische Medien. Sie können nicht ‚einfach zwischendurch‘ diskutiert und gezeigt werden. Da der Umfang der mitgebrachten Fotografien zumeist sehr groß war (mehr als 300 Fotos), erstreckte sich diese Vorstellung in mehrere Sitzungen. Eine Schwierigkeit des Betrachtens von Teilnehmerfotografien lag aber gerade in der sich darüber entwickelnden intensiven Diskussion, in die alle Beteiligten ihre eigenen Erfahrungen einbrachten. Sie führte auch zu völlig gegensätzlichen Bildinterpretationen von Bildproduzenten und Betrachtern (inhaltlich/ästhetisch). Besonders zu Beginn des Workshops konnten die wenig in der Fotografie erfahrenen Teilnehmer Kritik und Zustimmung an den Fotografien für sich nicht richtig einschätzen. So kam es für sie in der eigenen Empfindung häufiger zu Irritationen und Verunsicherungen.
Präsentation von „Lieblingsfotos“ Bei dem Workshop 2005 wurde bei der Bildinterpretation ein zusätzlicher Weg beschritten, indem auf Fotos fremder Fotografen zurückgegriffen wurde. Die Jugendlichen brachten von ihnen ausgewählten Fotografien bereits zum Workshop mit. Es galt die These zu erhärten, dass Jugendliche über Bilder fremder Fotografen ihre Meinung über Bildinhalte freier äußern. (Diejenigen, die ihr Foto vergessen hatten, suchten sich ‚ihr Bild‘ aus einer großen Auswahl von Bildbänden deutscher und tschechischer oder anderer internationaler, Fotografen aus.) Die Vorstellung der Fotografien erfolgte mit ganz unterschiedlichen Intentionen, z.B. aus einem Gefühl heraus: „Find ich super, kann es aber nicht beschreiben“, aus formalen-ästhetischen oder aus inhaltlichen Gründen.
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Interkulturelle Bildinterpretation
„Die Interpretation eines Bildes bereitet uns andersartige Schwierigkeiten als die Interpretation eines sprachlichen Textes. Diese Unterschiede sind trivial, aber mir scheint es dennoch nützlich, an sie zu erinnern: Das Bild präsentiert, gleichsam in einem Augenblick, was der sprachliche Text nur zeitlich gestreckt mitteilen kann.“ (Mollenhauer 1983, S 173). Bei der Vorstellung der Fotografien geht es um das aktive, aufmerksame und intensive Sehen von auf den ersten Blick hin eindeutigen Bildaussagen. Angesichts der Komplexität der Farben, Formen und ikonischen Pfade versuchen wir in unserer Wahrnehmung ganz automatisch Anhaltspunkte aus der eigenen Erfahrung einzubeziehen. In Farben, Grauwerten und Kontrasten wird oft ein ganz neuer individuell unterschiedlicher Zusammenhang gesehen. Die Bildinterpretationen „beginnen wie der Leseprozess mit dem Abtasten der Bildtextseite. Die tastende Bewegung des Auges ist der Anfang der Beschreibung des Bildes, die Augen bewegen sich über die Fläche nach bestimmten Regeln, so dass das perzeptuelle Bild entsteht. Parallel zum Lesevorgang folgen Fixierungen und Identifizierungen, Dekodierungen und deren Überprüfung mit Hilfe von Korrektiven, bis die bewußte Bedeutung der gewußten Bedeutungen vorläufig abgeschlossen ist.“ (Mollenhauer 1997, S. 255) Im mehreren Sitzungen wurden von den Jugendlichen Fotos ihrer Wahl vorgestellt und die Diskussionen aufgezeichnet. Eine Auswahl von Bildern aus dieser Diskussion soll hier beispielhaft vorgestellt werden. Je nach Größe der Fotos waren die Bilder aus einem größeren Abstand schwieriger zu beurteilen. Wurde das Bild schließlich selbst in die Hand genommen, ergaben sich aus der Nähe andere Beurteilungen und Ansichten. Die Komplexität der Bildelemente erschloss sich erst bei genauerem Hinsehen.
Radek M. (CZ) betont den inhaltlichen Aspekt seiner Auswahl: „Ich habe ein Foto von meiner Freundin Hanka mitgebracht. Es ist 1995 entstanden. An dem Foto interessiert mich die Kombination verschiedener Dinge. Also, erstens ist das Licht für mich interessant, dann die Tiefe, der Raum und auch der Gedanke, der dahinter sichtbar wird. Man hat den Eindruck, dass man in eine andere Welt hinein treten kann, die aber nur über einen anderen Raum erreichbar ist. Es eröffnet sich ein Fenster in eine andere Welt.“
Abb. 3
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Karlheinz Strötzel
Den deutschen Teilnehmern gefällt besonders die einfache Formensprache und der hohe Bildkontrast. Dies mache das Foto ästhetisch interessant und ansprechend. Während für die tschechischen Teilnehmer der Gedanke des Lichtes wichtig ist, betonen die deutschen Teilnehmer besonders das bedrohliche Schwarz im Vordergrund. Caroline (D): „Das Dunkel, das wirkt so bedrohend. Ich kann es nicht beschreiben: Es ist ungewöhnlich, in ein Bild zu gucken und unbedingt wissen zu wollen, was im vorderen Bildteil passiert. Man schaut nach vorne und will wissen, was man im schwarzen Raum sehen kann.“ Und Anna (D) betont: „Na, ich finde das irgendwie zu schwarz. Das Schwarz nimmt so viel Raum ein, irgendwie ist das unangenehm, dass man nicht weiß, was man dort sieht.“ Anna stellt ebenfalls ein Schwarzweißbild vor, das ähnliche Bildelemente aufweist und einen klassischen Bildaufbau zeigt.2
Abb. 4
Anna (D): „Also, mir gefällt bei meinem ausgewählten Bild von Gordon Parks die Aufteilung, dass in der rechten Hälfte dieses Fenster zu sehen ist und links der Mann. Die Augen des Mannes sind nicht in der Mitte des Bildes platziert, sondern eher im oberen Drittel. Dann gefällt mir besonders gut das Licht und die Atmosphäre, die in dem Bild rüberkommt. Der Mann schaut aus dem Fenster und man kann leicht erahnen, dass er irgendwie auf eine Stadt schaut. Die ist aber nur unscharf zu sehen. Deshalb bleibt das, was er sieht, verborgen. So muss man eine eigene Vorstellung entwickeln, was wirklich zu sehen ist und was ihn so fasziniert, wenn er aus dem Fenster schaut. Ich finde auch, dass der Mann sehr in sich gekehrt ist. Wenn man ihn beobachtet, bleibt er einfach so bei sich und ist doch Teil von diesem Bild. Gut gefällt mir auch die formale Gestaltung. Das Bild wirkt in den verschiedenen Ebenen, es ist sehr vielschichtig.“
2 Foto von Gordon Parks, Titel: „Red Jackson“ in „The Harlem Gang Story“ 1948, veröffentlicht in: Photograpie des 20. Jahrhunderts, Museum Ludwig, Benedikt Taschen Verlag, Köln
Interkulturelle Bildinterpretation
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Auch bei diesem Bild spielt die Symbolik eine wichtige Rolle. Deutsche und tschechische Teilnehmer sehen das Bild ist seiner Bedeutung wieder unterschiedlich. Für die deutschen ist eher der dunkle Vordergrund der eigentlich interessante Teil des Bildes, der zu Assoziationen einlädt. Der dunkle Raum ist nicht durch weitergehende Informationen definiert und lädt zu Interpretationen ein. Julia (D): „Bei diesem Bild finde ich’s viel spannender zu überlegen, in was für einem Raum der Mann steht. Ich kann zu viele Verbindungen erkennen. Das Bild hat etwas sehr eigenartiges. Es erinnert mich an Alfred Hitchcock. Irgendwie wirkt es mystisch, deshalb ist der Raum im Vordergrund interessanter, als der Teil des Bildes, wo er hinschaut.“ Die tschechischen Teilnehmer sehen in dem Foto mehrere Bilder und Themen. Das Wichtigste ist für sie das beleuchtete Gesicht, das nach außen schaut. Blickt der Mann in eine imaginäre Zukunft, hat er Ängste oder Träume? Das Foto hat für Radek eine eher pessimistische Bildaussage. Radek S. (CZ): „Das Licht ist nur auf dem Gesicht, und das Fenster könnte schon etwas anderes abbilden. Für mich ist spannend, wo der Mann hinguckt. Ich fand das erste Bild optimistischer, weil der Hintergrund heller war.“
Abb. 5
Anja (D): „Ich habe ein Bild von dem deutschen Fotografen Helmut Newton ausgewählt. Es zeigt eine Situation in einem Speiselokal. Ich konnte mich eigentlich gar nicht entscheiden, welches Bild ich von ihm nehmen sollte. Der Fotograf ist bekannt dafür, dass er viele Aktaufnahmen gemacht und für Modezeitschriften fotografiert hat. Seine Bilder werden häufig als sehr pornografisch und sexistisch bezeichnet. Ich war in Berlin und habe mir seine Ausstellung angesehen. Da waren auch einige private Fotografien von ihm zu sehen, also mit seiner
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Frau Alice Springs. Das ist ihr Künstlername. Es war interessant zu beobachten, wie die Kamera eigentlich der ständige Begleiter der beiden war und sie sich gegenseitig fotografiert haben. Das von mir ausgewählte Bild ist dann auch ein Aktfoto von seiner Frau. Der private Umgang mit der Fotografie ging dann so weit, dass seine Frau ihren Mann auch noch auf dem Sterbebett fotografiert hat. Ich finde die Newton-Ausstellung sehr interessant. Die Bilder sind alle sehr überzeugend und spannend. Ich kann gar nicht verstehen, warum viele ihn nicht so toll finden. Eine Freundin von mir ist fast an die Decke gegangen, als ich ihr erzählte, dass ich die Bilder von Helmut Newton gut finde. Die Frauen, die er fotografiert hat, sind aus meiner Sicht nicht abwertend dargestellt. Sie wirken in seinen Bildern sehr dominant. Das finde ich sehr positiv. Ich habe dieses Foto ausgewählt, weil er seine Frau sehr charakteristisch für seine Bilder aufgenommen hat.“ Milan (CZ): „In der tschechischen Republik werden andere Aktfotografien gemacht, die nicht so erotisch sind wie bei Newton. Die Fotos sind eher romantischer.“ Radek S. (CZ) bestätigt diese Ansicht. Seiner Meinung nach sind die Fotografien von Helmut Newton so „eindeutig“ darstellt, dass das Objekt zu erotisch, zu provokativ ist und dass er das Foto nicht mehr als ein Foto ansehen kann. Auch Martin (CZ) ist es zu eindeutig in der Bildaussage. Der Blick wird zu sehr auf den Busen gezogen. Luise (D): „Wenn ich mir jetzt ringsum alles wegdenke, würde ich nur sehen, wie sich die Frau eine Zigarette anzündet. Man sieht das Besteck und das Essen und die ganze Situation. Jetzt würde sich das Foto von anderen Fotos nicht so unterscheiden. Also ich finde, dass das eigentlich nach dem Essen eine typische Situation ist. Das macht irgendwie die Nacktheit auf dem Foto auch so provokativ.“ Martin (CZ) stellt sich die Frage, was wir in einem Foto sehen wollen. Wenn man die Geschichte zu einem Foto ‚nachliest‘, dann wird auch das Foto im Nachhinein sehr schön. Aber eigentlich handelt es sich ohne diese Geschichte nicht um ein besonderes Foto. Den deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmern erscheinen die Bilder von Helmut Newton nicht mehr so sehr provokativ. Sie sehen sie eher zeitbezogen, während bei den tschechischen Teilnehmern die Wirkung noch so eindeutig erscheint, wie bei der Erstveröffentlichung der Fotos. Es folgt eine Diskussion über Fotos und Zeitgeist. An diese Diskussion knüpft auch die Vorstellung des folgenden Bildes an: Radek S. (CZ): „Ich habe ein Foto vom tschechischen Fotografen Hucek gewählt, der 2004 auch das deutsch-tschechische Fotoseminar in Prag mit leitete. Also, wenn ich dieses Foto betrachte, dann ist meine erste Assoziation die Erinnerung an einen Gaststättenbesuch, wo man sich vollsäuft, Die Gäste sind auch interessant. Wenn man die Hände hoch hebt, dann hebt sich auch die Laune und die Stimmung. Es ist ein 40 Jahre altes Foto, aber der Inhalt und die Gesten und die Bildsituation sind in der heutigen Zeit immer noch ähnlich. Ich habe auch einen besonderen Zugang zu diesem Foto, da ich daran viel über Fotografie gelernt habe. Ich habe es selbst vergrößert und so eine besondere Beziehung zum Bild gewonnen.“ (Radek arbeitet im Museum für tschechische Fotografie).
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Claudio (D): „Ich kann den Text nicht lesen. Das Schild vor diesem Lokal erscheint wie ein politisches Plakat. Auf den kommunistischen Bildern aus den 30er, 60er und 70er Jahren, sind immer große Volksversammlungen, Menschen am Fahnenmast und irgendwelche Schriften zu sehen. Die Ästhetik dieser Bilder wirkt für mich immer gleich.“ Silke (D): „Das find ich sehr spannend, weil ich auch gedacht habe, dass das so ein Foto ist, dessen ganze Bildsprache dem entspricht, was Claudio gerade gesagt hat. Die hochgereckten Hände, die starken Anschnitte, die Diagonalen waren ja sehr typisch für die Fotografie jener Zeit, um möglichst viel Dynamik auszudrücken. Wenn man dann nicht lesen kann, was auf dem Schild steht, könnte das auch ein Blick von der Ehrentribüne sein.“ Jan (CZ): „Das Bild wirkt wie eine Stimme hinter dem eisernen Vorhang. Die meisten Menschen auf dem Foto schauen nicht in die Kamera. Sie konnten nicht reisen, und deswegen hatten sie Zuflucht im Alkohol und in Kneipen gesucht. An diesen Orten haben sie ihre Trauer darüber ausgelebt.“ Milan (CZ): „Es ist ja interessant, dass alle das Foto als dynamisch empfinden, aber jeder deutet diese Dynamik auf andere Weise. Es könnte die Dynamik eines Konzertes oder auch eines Besuchs einer kommunistischen Versammlung darstellen.“ Die Diskussion zeigt, dass jeder Betrachter das Foto aus seinem zeitlichen Bezug sieht. Dabei sind auch Unterschiede zu westdeutschen und ostdeutschen Teilnehmern festzustellen. Somit stellt sich die Frage, ob man ein Foto so anschaut, wie es in der jeweiligen Zeit gemacht wurde oder ob man mit dem Wissen aus der Jetzt-Zeit auf das Foto zurückblickt. In der unterschiedlichen Betrachtungsweise und geschichtlichen Vorerfahrung kommen sehr unterschiedliche Assoziationen zustande. Auch bei diesem Foto sind die bildeigene Ästhetik und der Inhalt wichtig.
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Tina (D): „Ich habe ein Foto von Horst P. Horst mitgebracht. Ich finde es sehr spannend, weil es viel Ruhe ausdrückt. Es ist ein Schwarzweißfoto im Hochformat aufgenommen, was normalerweise eigentlich für Dynamik steht. Besonders interessant ist für mich das Schattenspiel im Bild. Das Foto wurde 1939 gemacht, was schon sehr lange zurückliegt. Trotzdem finde ich es noch für die heutige Zeit sehr passend.“
Abb. 7
Alexander (D): „Ich habe den Eindruck, dass sich die Frau im Bild irgendwie von einem abwendet. Sie beugt den Kopf herunter. Ich habe aber nicht erkannt, warum sie das macht. Die Botschaft kann lauten: ‚Ich schäme mich oder ich gehe in mich, lass mich in Ruhe oder so.‘“ Tina (D): „Also, ich glaube Horst P. Horst hat sich einfach viel mit Kunst und ‚psychischen Skulpturen‘ auseinandergesetzt. Er hat diese griechische Pose konstruiert und dabei die Personen so provokant hingestellt. Ich nehme an, dass die Provokation darin liegt, dass 1939 niemand die Frauen in Deutschland so fotografiert hat. Das war für die damalige Zeit sicherlich ungewöhnlich.“ Milan (CZ): „Meiner Meinung nach ist das Foto in der Zeit entstanden ist, als die Frauen eine neue Freiheit gewannen. Der Fotograf wollte zeigen, dass sich die Frau emanzipiert hat. Sie legt die einengenden Korsetts ab, darin liegt die provokante Bildaussage.“ Silke (D): „Ich weiß es nicht, ob in den Bildern von Horst P. Horst – oder in Bildern dieser Art – so viel Provokantes liegen soll. Möglicherweise ist es ein formales Spiel, ein Spiel mit ‚architektonischen‘ Elementen. Das Foto ist eine sehr gelungene, relativ klassische Komposition, wo natürlich nicht zufällig eine Frau da sitzt. Das sollte auch nicht zu inhaltsschwanger betrachtet werden.“ Milan (CZ): „Wir sprechen über Gefühle, die die Fotos in uns wecken. Ich meine aber, wenn das Foto „architektonisch“ aufgebaut ist, handelt es sich doch nicht um ein Gefühl.“ Luise (D): „Ich habe den Eindruck, dass das Bild für die damaligen Jahre irgendwie etwas besonderes war und Symbole darstellt. Den Inhalt kann ich nicht deuten, bevor ich nicht
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Information über den Fotografen habe. Ich finde aber, dass das Foto eine interessante Atmosphäre darstellt.“ Caroline (D): „Das Foto vermittelt für mich sehr Leidenschaft und Hingabe. Die Frau, die sich aus ihren Fesseln befreit… Sie scheint nicht auf einen Mann zu warten… Aber ob die Frau ohne den Fotografen selber diese Pose eingenommen hätte?“ Auch dieses Foto wird von den Teilnehmern wieder im zeitlichen Bezug gesehen und aus ihm heraus interpretiert. Es wird gemeinsam festgestellt, dass sich alle bisher von den Jugendlichen ausgewählten Fotografien durch eine besondere Lichtführung auszeichnen, die das Bild zunächst unabhängig vom Inhalt für alle interessant macht. Jan (CZ): „Ich habe aus der Zeitschrift ‚Cocktail‘ das Foto von diesem Palästinenser mitgebracht. Leider kenne ich den Autor nicht. Der Mann hält in der Hand einen Passierschein und will nach Israel gehen. Es erinnert mich an Berlin mit der Berliner Mauer oder an den Eisernen Vorhang. Das Foto ist für mich deshalb interessant. In Israel und in Palästina gibt es große Probleme mit der Kulturtoleranz. Ich habe in Prag im Goetheinstitut einen Text zum Thema Kulturtoleranz geschrieben. Kulturtoleranz ist selten in einem Land, das mit dem Terrorismus lebt.“
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Claudio (D): „Also, ich finde das Bild verdeutlicht den Konflikt eigentlich sehr gut. Die Öffnung, durch die der Mann das Papier durchreicht, ist für einen Erwachsenen viel zu schmal, um durch diesen Schutzwall zu kommen. Auf der Mauer sieht man auch Grafittis mit der jüdischen Flagge darauf.“ Alexander (D): „Mich interessiert eigentlich, wie die Geschichte so weitergegangen ist. Der Inhalt des Bildes ist ja so quasi ziemlich aktuell. Es kann auch sein, dass es ein Ereignis der letzten Woche war. Haben sie ihn durchgelassen? Sind da noch Soldaten?“ Jan (CZ): „Das Foto habe ich vor zwei Jahren in der Zeitschrift gefunden.“ Milan (CZ): „Es würde mich interessieren, wer von uns in dem Foto eher Hoffnung und wer mehr die Spannung und Angst sieht.“ Radek S. (CZ): „Ich sehe in dem Bild beides: die Angst und die Hoffnung, dargestellt durch die enge Lücke in der Wand, die große Fläche und dieses Papier mit der Einreiseerlaubnis in seiner Hand.“
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Silke(D): „Von der farblichen Gestaltung wirkt es meiner Meinung nach eher optimistisch. Das kann täuschen und vielleicht auch nicht beabsichtigt sein. Die hellblauen Flächen drücken keine tiefe Schwere aus, sondern erinnern eher an das Blau des Himmels. Man kann dabei schon was Kühles, aber Freies assoziieren. Ich glaube, die Graffitis auf den gesamten Flächen spielen auch eine Rolle bei der Darstellung.“ Martin (CZ): „Ich meine, es ist interessant, dass er die Papiere so weit aus der Lücke heraushält. Es sieht aus, als ob er Angst hat. Er hat vielleicht Angst beschissen zu werden. In welchen Raum wird er eintreten? Obwohl er die Erlaubnis hat, ist in seinen Gesichtszügen Angst zu sehen.“ Das Foto ist eines der wenigen Farbbilder in der Auswahl. Die Unterschiede in der Betrachtung des Bildes liegen nicht so weit auseinander, wie bei den künstlerischen Schwarzweißfotografien, da hier der gemeinsam erlebte Aktualitätsaspekt eine wesentliche Rolle spielt. Der Palästinenser-Konflikt ist allen präsent. Bilder dieser Problems sind aus Nachrichtensendungen und Zeitschriften bekannt. Julia(D): „Dieses Foto ist von Charles Petersen. Das ist ein amerikanischer Fotograf, der bekannt wurde durch seine Bilder aus Seattle. Das Bild ist total simpel und das ist ja das Schöne daran. Ich glaube, das wird euch vielleicht ein bisschen schwer fallen, das so nachzuvollziehen. Ich habe mich viel mit dieser Zeitströmung in Seattle auseinandergesetzt. Die ganze Atmosphäre, die geherrscht hat, finde ich sehr interessant. Das Foto ist wie gesagt total simpel. Darauf ist Eddie Feller, ein ganz bekannter Sänger, dargestellt. Er sitzt im Bus. Das Foto spiegelt sympathisch die ganze Seattleszene wider. Es ist für mich schwer zu erklären, aber der Fotograf hat auch immer super bei den ganzen Bands und Konzerten fotografiert. Dabei hat er aber nie die Musiker künstlich in Szene gesetzt. Er hat aber immer einfach drauf losgeknipst, mehr oder weniger. Ja, alle seine Bilder enthalten total viel Atmosphäre. Die Atmosphäre, die er immer in seinen Bildern widerspiegelt. Er hat sich in seinen Fotos auf diese 90er Jahre-Szenezeit beschränkt.“
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Kathrin (D): „Ja, erstmal wirkt das Foto im Vergleich zu den anderen Fotografien sehr normal, weniger wie von einem Profifotografen. Es ist eine ganz andere Art, weil das Sujet irgendwie so alltäglich ist. Alltägliches zu fotografieren ist schon so ein ganz anderer Ansatzpunkt.“ Das Foto von H.P. Horst war eher durchgestylt. Hier ist eher eine Situation eingefangen worden. Das Fotografieren ist dabei viel mehr situationsabhängig als bei den anderen Bildern, die im Ergebnis viel schwieriger zu beurteilen und teilweise sehr abstrakt sind.“ Silke (D): „Ja ich finde auch, dass es hier einen deutlichen Unterschied zu den bisher gesehenen Fotos gibt. Das Foto scheint nicht so offensichtlich konstruiert. Ich habe aber auch das gleiche Gefühl, dass das Foto kein Zufall ist oder kein Schnappschuss. Es scheint mir trotzdem konstruiert, aber so inszeniert, dass es nicht danach aussieht.“ Martin (CZ): „Also, der Raum hinter der Person kann andeuten, dass da noch etwas anderes ist. Die Person demonstriert, wie sie sich von den anderen trennen will. Aber wenn ich mir das Foto anschaue, dann habe ich nicht das Gefühl, dass es für mich Kälte ausstrahlt.“ Julia (D): „Das ist eine tolle Fotografie, die aber für dich nicht von vorne bis hinten durchgestylt ist, das ist einfach wie ein Kunstwerk und ich finde wirklich nicht, dass die Bilder wie Kunstwerke sein müssen. Hier ist einfach eine besondere Atmosphäre eingefangen. Für mich könnte das Bild von H.P. Horst auch ein Ölgemälde sein. Es ist für mich nicht aus dem Leben rausgeholt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand so natürlich irgendwie in seinem Schlafzimmer aufhält. Wenn ich das Foto angucke, dann habe ich direkt einen ganzen Film vor Augen. Das ist halt die Szene. Also, ich weiß, ich behaupte zu wissen, was der Fotograf darüber gedacht hat, einfach weil der Fotograf eine ganz bestimmte Kultur, die da einfach in den 90er Jahren stattgefunden hat, darstellen will. Wenn man sich mit der Kultur nicht auseinandergesetzt hat und nicht wirklich weiß, was da passiert ist, dann sieht man das einfach ganz anders.“ Silke(D): „Es ist ganz erstaunlich, was man in manchen Bildern sieht. Es gibt einfach einen Zeitbezug, den man hier auch ganz deutlich sieht. Auch wenn du betonst, dass einige Bilder nur auf eine bestimmte Zeit verweisen und andere Bilder nahezu etwas Zeitloses bekommen. Einige Fotos funktionieren auch in verschiedenen Epochen unter unterschiedlichen Betrachtungswinkeln. Andere sind dagegen so zeittypisch, wie das Foto von Hucek, in dem geradezu kommunistische Aufmärsche assoziiert werden.“
Resümee Während aufgrund der Erfahrung aus vielen Workshops der vergangenen Jahre festzustellen ist, dass bei eigenen Fotos oft Hemmschwellen bei der Diskussion über Bildgestaltung und Bildinhalte zu überwinden sind, kann man anhand der Beispiele der vorangegangenen Diskussion nachvollziehen, dass Bilder eines ‚fremden Fotografen‘ eine ganz andere Herausforderung für die Teilnehmer bedeuten. Durch das Vorstellen dieser Arbeiten erläutern die Jugendlichen ihre eigenen Standpunkte und lernen die Sichtweisen der anderen kennen. Der persönliche Bezug ist trotzdem gegeben, da das Bild bewusst und subjektiv ausgewählt wurde. Es ist aber darauf zu achten, dass die Auswahl frühzeitig in Ruhe erfolgt und nicht eher beiläufig während des Seminars. Die Sorgfalt bei der Auswahl hat einen positiven Einfluss auf die Intensität der Diskussion und die Zahl der vorgebrachten Argumente. Auch wenn nicht in jedem Fall eine umfangreiche Darstellung der eigenen Auswahlkriterien möglich ist und zunächst nur Aussagen kommen
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wie „fand ich super, hat mir echt toll gefallen“, führt die anschließende Diskussion zu zahlreichen Assoziationen und Interpretationen, die anregend für alle Beteiligten sind. Bringen uns diese Bilddiskussionen weiter, wenn es um das gegenseitige Sich-Verstehen handelt? Wozu sollen Theorien zur Bildkommunikation überhaupt angesprochen werden? Fotos kann doch jeder verstehen, könnte man meinen. Es zeigt sich aber, dass mittels der Fotografie das Verständnis für die Aussagen der anderen Beteiligten wesentlich schneller gelingt und man im Verlauf des Seminars mit viel weniger Worten auskommt. Dabei zeigen die Bespiele der unterschiedlichen Bildinterpretationen, wie viel man über und von dem anderen erfahren kann. Bildsprache ist auch eine Textsprache. Der zunehmende Gebrauch von Bildern erfordert einen offensiven Umgang mit visueller Sprachgrammatik. Dies kann uns in die Lage versetzen, die Bildercodes der anderen zu entschlüsseln. Manchen Bildbetrachtern fehlen oft die Worte, wenn sie erklären sollen, wie sie ein Bild verstehen. Anderen Bildbetrachtern kommen viele Worte in den Sinn, die sie ohne diese Bilder nicht formulieren könnten. Hier zeigt sich eine notwendige Fähigkeit, um zu beurteilen, worauf sich Gesellschaften einlassen, sobald sie ihre Kommunikation, ihr Wissen und Gedächtnis nicht nur verbal, sondern auch über Bilder vermitteln. In der Diskussion um die Analyse der Fotografien liegt die Frage, wie Bilder ein kulturelles und soziales Gedächtnis darstellen, wie sie Wissen vermitteln und worin dieses Wissen besteht. Ob und wann Bilder einer ästhetischen Betrachtung, Tradition und Konvention nachkommen, ob gemeinsame Beurteilungen aus dem jeweiligen Kulturkreis oder übergreifend für sie entwickelt werden und schließlich, welche Bedeutung sie für die Kultur ihrer Gesellschaften erhalten. Dies ist besonders bei einem binationalen Seminar interessant, wenn sprachliche Kommunikationsprobleme auftreten, und zeigt sich auch sehr handfest im gemeinsamen fotografischen Projekt. Es ist einfacher, ein Bild ‚nur schön‘ zu finden und ungleich schwieriger, dies auch detailliert sprachlich zu begründen. Erschwerend kommt bei einem binationalen Seminar noch der Gebrauch einer oder mehrerer Fremdsprachen bzw. eines Sprachmittlers hinzu. Die Übersetzung verlangt vom Sprachmittler nicht notwendigerweise fotografische Kenntnisse, aber einen großen Wortschatz. Dies um so mehr, da auch die Jugendlichen ihre Aussagen nicht immer eindeutig definieren können und um sprachliche Ausdrucksformen in ihrer Muttersprache ringen. Die Diskussion hat gezeigt, dass die Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Bildbeispielen, Hilfestellung geben kann, um die Sichtweisen der Anderen intensiver kennen zu lernen, leichter Standpunkte zu finden und zu formulieren und sich toleranter bei gegensätzlichen Aussagen zu verhalten. Die intensiven Gespräche und die praktische Arbeit im Seminar machte durchaus deutlich, dass es 15 Jahre nach der Wende immer noch Unterschiede in der Bildgestaltung und Bildinterpretation zwischen deutschen und tschechischen Jugendlichen gibt, die sich aber weiter angleichen. „Die Bedeutung fotografischer Bilder setzt sich aus komplexen Überlagerungen zusammen, die in den externen Entstehungsbedingungen und den internen, unmittelbar auf der Bildoberfläche fixierten formalen und inhaltlichen Zeichen begründet liegt.“ (Pilarczyk/Mietzner 2005). Dabei sind die Interpretationsmuster und Codierungen den kulturellen und gesellschaftspolischen Rahmenbedingungen zuzuordnen. Wir alle sehen täglich mehr Bilder, als wir Worte wechseln, lesen oder schreiben. Vorstellungen der Jugendlichen anhand von Fotos kennen zu lernen, bereichert jedes interkulturelle Seminar. Es ist ungleich leichter, sich über ein Bild einzubringen, als seine eigene Person in den Vordergrund zu stellen. Auch eigene Ansichten, die vielleicht in der Gruppe nicht unbedingt allgemein konsensfähig sind, lassen sich leichter einbringen, da man ja ein Foto eines ‚Gleichgesinnten‘ dabei hat. Auch in der Auswahl unterschiedlicher Bilder werden Gemeinsamkeiten in der Grup-
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pe deutlich, die auf anderem Wege schwieriger oder gar nicht herauszuarbeiten wären. Die Bildbetrachtungen machen neugierig auf die Ansichten und Arbeitsweisen der Anderen. Dabei sollte der Zeitrahmen dieser Bildbesprechung nicht zu groß sein, da sonst leicht die Sorge aufkommen kann, für andere, kreative Dinge nicht mehr genug Zeit zu haben. Es sollte nicht der Eindruck eines ‚schulischen Pflichtprogramms‘ entstehen. Notwendigerweise wird auch eine kompetente Diskussionsleitung benötigt, die Anregungen und Fragen, aber auch provokante Ansichten in den Raum stellen kann, wenn der sprachliche Ausdruck zu versiegen droht. Dies wurde in diesem Seminar beispielhaft durch meine Koreferentin Silke Krüger geleistet. Jeder kennt schließlich die Diskussionsrunden, in denen sich immer den Aussagen des Vorredners angeschlossen wird. Eine intensive Diskussion über Bildinterpretationen kann nur gelingen, wenn das Interesse von allen Seiten groß ist und die eigene Begeisterung für das ausgewählte Bild deutlich wird. Das ist zu berücksichtigen, um nicht durch eine zu lange und fordernde Diskussion die Jugendlichen zu verunsichern. Wer sprachlich seine Ansichten zu seinen eigenen Bildideen formulieren kann, hat es auch leichter, seine eigenen Vorstellungen in den größeren Kontext einer Ausstellung einzubringen. Die intensive Beschäftigung mit der Bilderwelt der Anderen wirkt nachhaltig in vielen Kontakten über das Seminar hinaus weiter.
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Literatur Mollenhauer, Klaus (1983): Streifzug durch fremdes Terrain. Interpretation eines Bildes aus dem Quattrocento in bildungstheoretischer Absicht. Zeitschrift für Pädagogik 2 (1983): S 173–194. Mollenhauer, Klaus (1997): Methoden erziehungswissenschaftlicher Bildinterpretation. In: Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Hrsg. v. Barbara Friebertshäuser u. Annedore Prengel. Weinheim/München: Juventa, S. 247–264. Moser, Heinz (2005): Visuelle Forschung – Plädoyer für das Medium „Fotografie“, In: www.medienpaed.com (25.3.2005) Oswald, Anne von; Schulz, Andrea (2003): Einblicke, Interkulturelle Fotoprojekte mit Jugendlichen, Hrsg.: Netzwerk Migration in Europa, Unna: LKD Verlag Peez, Georg (2004): Im Foto ist alles gleichzeitig, www.medienpaed.com (16.11.2004) Pilarcyk, Ulrike; Mietzner, Ulrike (2005): Das reflektierte Bild. Die seriell-ikonografischer Fotoanalyse in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften, Bad Heilbrunn: Verlag Klinkhard Forschung Strötzel, Karlheinz (2004): Ich sehe was, was du nicht siehst. Interkulturelles Lernen am Beispiel deutsch-tschechischer Fotoseminare. In: A.Holzbrecher, J. Schmolling:Imaging, Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften, S.161-174
Abbildungen Die Abbildugen stammen aus dem workshop. (Fotos: Karlheinz Strötzel, Silke Krüger) Abb. 6: Foto Miroslav Hucek, in: Miroslav Hucek „Red Book“, Fotografie 1954 - 2000
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar … ? Fotografie im interkulturellen Jugendaustausch Barbara Tomforde / Peter Holzwarth
Kontexte interkultureller Medienarbeit im Überblick Interkulturelle Kommunikation und Medienarbeit können in verschiedenen Kontexten und Konstellationen stattfinden. Diese sollen hier im Überblick dargestellt werden, um das in diesem Beitrag diskutierte Jugendprojekt verorten zu können: 1
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Eine gemischtkulturelle Gruppe (Migranten und Nicht-Migranten oder Migranten mit verschiedenen kulturellen Hintergründen) arbeitet vor Ort mit Fotografie (vgl. Zientek/ Schenk/Holzwarth 2006). Zwei Gruppen von Jugendlichen aus Land A und Land B besuchen sich gegenseitig und produzieren (parallel oder gemeinsam) mit Medien (vgl. Holzwarth 2001). Jugendliche aus verschiedenen Ländern treffen sich im Rahmen einer Jugendbegegnung an einem dritten Ort und arbeiten mit Medien (vgl. Leiprecht/Riegel/Held 1999). Zwei (oder mehr) Gruppen von Jugendlichen aus verschiedenen Ländern (Migranten und Nicht-Migranten oder Migranten mit verschiedenen kulturellen Hintergründen) lassen sich gegenseitig Fotos zukommen (per E-Mail-Attachment oder in eine Website eingebunden) und kommunizieren per Internet (E-Mail, Chat, Message-Board, Internet-Telefon) (vgl. Holzwarth/Maurer/Niesyto 2002; Maurer 2004). Eine relativ homogene Gruppe (ohne kulturelle Überschneidungssituationen im engen Sinn) bearbeiten interkulturelle Themen mit Fotografie (z.B. „Migration und Fremdheit in meinem Viertel bzw. in meiner Stadt“ oder „Typisch Deutsch“). Jugendliche mit Migrationshintergrund besuchen Jugendliche ohne Migrationserfahrung aus ihrem Ursprungsland bzw. aus dem Ursprungsland ihrer Eltern und umgekehrt. (z.B. Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund aus Deutschland besuchen Jugendliche in der Türkei).
Oft ist es sinnvoll virtuelle Kommunikation mit Face-to-Face Kommunikation zu verbinden. Bei Begegnungsprojekten können verschiedene Perspektiven verglichen werden: Der Blick auf das Eigene (Gruppe aus A sieht und fotografiert Land A; Gruppe aus B sieht und fotografiert Land B), der Blick auf das Fremde (Gruppe aus Land A sieht und fotografiert Land B; Gruppe aus Land B sieht und fotografiert Land A) und der gemeinsame Blick (A und B sehen und fotografieren Gemeinsam A bzw. B).
Potenziale von Fotografie im interkulturellen Kontext Interkulturelle Situationen zeichnen sich dadurch aus, dass Menschen mit unterschiedlichen Sprachen, Deutungsmustern oder Werten in Interaktion treten. Häufig werden in diesem Zusammenhang Differenz- und Fremdheitserfahrungen gemacht.
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Aus folgenden Gründen ist das Medium Fotografie im Kontext interkultureller Kommunikation besonders geeignet: 1 1 1
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Wenn Sprachbarrieren vorhanden sind, kann man sich über Bilder leichter mitteilen als über Sprache. Oft sind visuelle Symbole universell verständlich. Fotografie bietet die Möglichkeit, sich selbst und die eigene Lebenswelt von außen aus der Perspektive des Fremden zu sehen. Fotografie erlaubt spielerische und selbstreflexive Formen des identitätsbezogenen Probehandelns (Wie wirke ich in dieser Pose? Wie wirke ich in diesem Outfit?). Selbstdarstellung, Selbstinszenierung und Selbstfindung sind wichtige Bedürfnisse im Jugendalter (vgl. Netzwerk Migration in Europa 2003: 9). Differenzen zwischen Deutungen und Ideen der Fotografierenden einerseits (Selbstbild) und Interpretationen und Assoziationen der Betrachtenden andererseits (Fremdbild) können vor allem in interkulturellen Kontexten bereichernd sein. Bilder lassen sich leicht über E-Mail-Attachments oder das Internet austauschen. Dies ist wichtig bei Projekten, die Kommunikation zwischen Kindern und Jugendlichen an verschiedenen Orten beinhalten. So kann beispielsweise vor oder nach einer Jugendbegegnung virtuell kommuniziert werden. Reflexive Prozesse wie Nachdenken, Erzählen, Diskutieren und Schreiben lassen sich insbesondere bei sprachlichen Begrenzungen leichter anstoßen, wenn von konkreten Aspekten wie Fotos ausgegangen wird. Durch Fotos wird die emotionale Ebene angesprochen. Bilder sagen oft mehr als 1000 Worte. Die Mehrdeutigkeit von Bildern ermöglicht auch spielerische Formen der Deutung und Bedeutungsproduktion. Wirklichkeit über die Produktion von Bildern anzueignen ist eine aktive kreative Form der Auseinandersetzung. Fotografieren und der Umgang mit Bildern ist niedrigschwellig, motivierend und macht Kinder und Jugendlichen Spaß. Durch Fotografie manifestieren sich Lernprozesse in Form von Produkten, die Kinder und Jugendliche mit nach Hause nehmen und anderen zeigen können. Über die Präsentation von fertigen Medienprodukten könne die Macher Anerkennung und positives Feedback erfahren. Fotos lassen sich ohne großen finanziellen, zeitlichen und logistischen Aufwand im Rahmen einer Ausstellung präsentieren.
Medienpädagogische Prinzipien Die folgenden medienpädagogischen Prinzipien sind vor allem dann von großer Bedeutung, wenn nicht alle Projektteilnehmer die gleiche Sprache sprechen bzw. das gleiche Sprachniveau besitzen (vgl. Maurer 2004; Sefton-Green et. al. 2004; Holzwarth/Maurer/Niesyto 2004). Subjektorientierung kann bedeuten, 1 Impulse und Ideen der Beteiligten aufzugreifen. Die Formulierung der Arbeitsaufträge muss offen genug sein, um Kreativität und Individualität der Jugendlichen zu fördern
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und gleichzeitig konkret genug, um ihre Motivauswahl zu spezifizieren (vgl. auch Holzbrecher in diesem Band). Anschaulichkeit / Visualisierung kann bedeuten, 1 sprachzentrierte Phasen relativ kurz zu halten; langsam, einfach, anschaulich und deutlich zu sprechen 1 den Umgang mit Fotografie nicht nur verbal zu erklären, sondern auch anschauliche Lernmaterialien anzubieten, die für sich sprechen. 1 Strukturierung bzw. dem Bedürfniss nach Strukturierung entgegenkommen; kann bedeuten, Aufgabenstellungen für konkrete Kameraübungen auf einem Arbeitsblatt genau zu erklären und zu visualisieren. Minimierung von Frustrationserfahrungen kann bedeuten, 1 vor allem in der ersten Phase stärker auf Medienproduktionen setzen, die relativ schnell Erfolgserlebnisse und positive Feedbacks möglich machen. Maximierung von Erfolgserlebnissen / Stärkung des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeit kann bedeuten, 1 den Kindern/Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, an ungewöhnlichen und interessanten Orten zu fotografieren; 1 dafür zu sorgen, dass die Produzierenden auch Rückmeldungen zu ihrer Arbeit von einem Publikum (Eltern, Freude, Lehrer) bekommen können (Buckingham & Harvey 2003; Holzwarth 2004). In manchen Kontexten kann es sinnvoll sein, die Kinder/Jugendlichen durch eine Wettbewerbssituation zu motivieren. Medienpädagogische Angebote, sollten auch die körperliche Dimension (Bewegung) berücksichtigten. Kinder und Jugendliche bringen auch immer Bedürfnisse mit, die sich nicht primär auf Medienarbeit beziehen, wie z.B. Spaß haben, andere Leute (bzw. Partner) kennen lernen, sich austoben, Kontrasterfahrungen zur Schulwelt ausleben. Arbeitsformen sollten je nach Kontext und Bedürfnislage variieren. Bestimmte Vorhaben lassen sich gut in Gruppenarbeit umsetzen während andere eine intensive Einzelbetreuung voraussetzen.
Das Projekt: Jugendbegegnung zwischen der Türkei und Deutschland Für jeweils eine Woche fand im Jahr 2005 ein Austausch statt, der es den 15- bis 18-jährigen Jugendlichen ermöglichte, die Türkei und Deutschland aus der Perspektive von Gleichaltrigen zu erleben. Die Teilnehmenden aus Deutschland waren Einheimische, die noch nie in der Türkei waren und Migranten. Diese kamen aus Familien mit kurdischem, türkischem und spanischem Migrationshintergrund, die Teilnehmenden mit türkischem bzw. kurdischem Migrationshintergrund besuchten regelmäßig ihre Verwandten in der Türkei. Die Jugendlichen aus der Türkei waren alle türkische Staatsbürger, die größtenteils noch nie im Ausland waren. Träger des Austauschs war das interkulturelle Büro der Stadt, in der der Austausch stattfand – in Kooperation mit junik (Jugendliche im internationalen Kontext), einem Projekt der Landesstiftung Baden-Württemberg.
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Das Projekt fand im Bürgerzentrum eines sozial benachteiligten Stadtteils statt, wo sich die Teilnehmenden mit der Projektleitung mindestens einmal pro Woche für zwei Stunden trafen. Das Projekt begann Anfang Februar 2005 und umfasste einen Zeitraum von sechs Monaten. Die Autorin nahm daran als wissenschaftliche Begleitung teil. Die Fotos entstanden als Eigenproduktionen der Jugendlichen in der Auseinandersetzung mit Fremdem und Vertrautem in beiden Ländern. In der Türkei sollte die Gruppe aus Deutschland das festhalten, was ihnen als Kontrast zu Deutschland auffiel, die Teilnehmenden hatten dafür die gesamte Woche des Austauschs Zeit. Derselbe Auftrag wurde der Gruppe aus der Türkei für die Zeit in Deutschland gegeben, die gesammelten Bilder der Jugendlichen wurden in einer abschließenden Gruppendiskussion gemeinsam gedeutet und für die Stellwände ausgewählt. Ziel des Jugendaustauschs war, die teilnehmenden Jugendlichen zu einer Auseinandersetzung mit ihrer kulturellen Identität anzuregen und sich mit der politischen Kultur beider Länder auseinander zusetzen. Es sollte außerdem versucht werden, die Ressourcen der Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund in der Gruppe aus Deutschland zu stärken. Um den Rahmen des Artikels nicht zu sprengen, fokussiert dieser Beitrag die Perspektive der Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund aus Deutschland. Für alle Teilnehmenden aus Deutschland war es eine neue Erfahrung, Jugendliche aus der Türkei zu treffen, ungeachtet der vorhandenen Vorkenntnisse und Erfahrungen wollten die Jugendlichen mehr über die türkische Kultur in Interaktion mit Teenagern von dort erfahren. Obwohl die Teilnehmenden aus Deutschland durchschnittlich zwei bis drei Jahre älter waren als ihre Austauschpartner, entwickelte sich sehr schnell eine freundschaftliche Basis zwischen den Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund und den Jugendlichen aus der Türkei. Die Jugendlichen bauten ihre Freundschaften auch während des Gegenbesuchs in Deutschland aus. Dies war für die Teilnehmenden aus der Türkei die erste Reise ins Ausland und sie präsentierten ihre Erlebnisse und Eindrücke bei einem gemeinsamen Abschiedsfest auf Foto-Wänden. Die Fotos entstanden als Eigenproduktionen der Jugendlichen in der Auseinandersetzung mit Fremdem und Vertrautem in beiden Ländern. In der Türkei sollte die Gruppe aus Deutschland das festhalten, was ihnen in der Türkei als Kontrast zu Deutschland auffiel, die Teilnehmenden hatten dafür die gesamte Woche des Austauschs Zeit. Derselbe Auftrag wurde der Gruppe aus der Türkei für die Zeit in Deutschland gegeben, die gesammelten Bilder der Jugendlichen wurden in einer abschließenden Gruppendiskussion gemeinsam gedeutet und für die Stellwände ausgewählt. Die Teilnehmenden mit türkischem Migrationshintergrund erlebten die Türkei während des Austauschs als ihre Heimat und fühlten sich durch die Warmherzigkeit ihrer Austauschpartner vom ersten Tag an willkommen und geschätzt. Dies zeigt sich auch in ihren Bildern, die oft Nahaufnahmen von Personengruppen sind oder Aktivitäten und Lokalitäten detailliert zeigen. ‚Touristische‘ Perspektiven stehen im Hintergrund, es überwiegt die Innenperspektive, gerade auch bei sozialen Ereignissen wie beispielsweise einer türkischen Hochzeit. Hier zeigen die meisten Aufnahmen die Jugendlichen und Gäste beim Tanzen, nachdem der eindrucksvollere ‚offizielle‘ Teil der Hochzeit vorbei war.
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Abb. 1: Tanzende auf der türkischen Hochzeit
Die jugendlichen Teilnehmenden mit Migrationshintergrund empfanden den Austausch als Stärkung ihres Selbstwertgefühls, da sie ihre Ressourcen als sprachliche Vermittler/-innen und Orientierungslotsen in einer türkischen Kleinstadt immer wieder einsetzen konnten. Damit erfüllten sie eine zentrale Funktion für den interkulturellen Austausch zwischen den Jugendlichen und fühlten sich in ihren sozialen, sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen aufgewertet. Es entwickelte sich schnell ein positives Gruppengefühl, das sich auf vielen Fotos widerspiegelt, denn viele Klein- und Großgruppenfotos an den verschiedenen Ausflugszielen wurden von den Jugendlichen für die Präsentation ausgewählt. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit entstand dadurch, dass die Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund sich in der Türkei sehr gut anerkannt fühlten. Dies stand im Gegensatz zu Fremdheitserfahrungen in Deutschland, wo die Jugendlichen türkischer Herkunft zwar einige deutsche Freunde hatten, aber die deutsche Gesellschaft als kalt und geldorientiert wahrnahmen. Auch die deutschen Erziehungsstile wurden von den Jugendlichen sehr kritisch bewertet, vor allem der fehlende Familienzusammenhalt und die Möglichkeit, Beziehungen ohne Heiratsabsicht zu führen wurden von den Jugendlichen abgelehnt. Traditionelle Werte wie Respekt vor Älteren, Disziplin und differenzierte, geschlechtsspezifische Verhaltenserwartungen (Toprak 2004: 73 ff.) waren wichtige Bestandteile ihrer Erziehung. Ihre türkischen Austauschpartner/-innen waren nach ähnlichen Regeln erzogen, so dass sich die Jugendlichen türkischer Herkunft in ihren Werten und Verhaltensnormen bestätigt fühlten. Die Zeit in der türkischen Kleinstadt wurde also eher als „nach Hause kommen“ empfunden, als problematisch empfanden die Jugendlichen mit türkischem Hintergrund daher die Fremdheit der deutschen Teilnehmerinnen, die keine(n) Freund oder Freundin als direkten Vermittler in der Gruppe hatten.
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Abb. 2: Jugendliche am Strand
Diese waren in der Projektgruppe in der Minderheit und wussten wenig über die türkische Gesellschaft, verfügten also über die schwächste Position in der Gruppe. Damit zeigt sich, dass interkultureller Kompetenzerwerb nicht unabhängig vom sozialen oder institutionellen Kontext der Lernenden ablaufen kann. Das heißt auch, dass interkulturelle Lernprozesse Prozesse von Mehrheits- und Minderheitenkonstruktion genauso miteinbeziehen wie die kollektiven Migrations- oder Sozialisationserfahrungen der Teilnehmenden. Wie Auernheimer zeigt, hängen diese Erfahrungen eng mit der Entwicklung von kulturellen Deutungen zusammen (Auernheimer 2005: 16). Im Projekt zeigte sich, dass die Auseinandersetzung mit dem, was als ‚fremd‘ an der eigenen Person oder Gruppe abgespalten und auf die ‚Anderen‘ übertragen wird, zentral für interkulturelle Prozesse ist (Thimmel & Friesenhahn 2003: 23). Im Folgenden soll es darum gehen, welche Selbstpräsentationen die Jugendlichen auswählten und in welchem Zusammenhang diese Fotos mit dem interkulturellen Prozess in der Gruppe stehen. Zwei Dinge sollen dabei deutlich werden: Erstens ist die fotografische Aneignung von kulturellen Differenzen nicht gleichzusetzen mit der Entwicklung interkultureller Kompetenzen, sondern kann auch der Festlegung der anerkannten Perspektive dienen, und zweitens kann das, was auf einem Foto abgebildet ist, im Widerspruch zu seinem Entstehungskontext stehen. Dies kann dann nicht deutlich werden, wenn die Perspektive der Mehrheit als einzig gültige Deutungsperspektive anerkannt bleibt, daher ist eine medienpädagogische Auseinandersetzung mit Selbstund Fremdbildern sehr wichtig. Die selbst produzierten Fotos können dann als konkretes Medium für reflexive Prozesse genutzt werden. Im Folgenden werden einige Ansätze für diese Prozesse genannt, die in den Eigenproduktionen der Jugendlichen zum Ausdruck kommen.
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Geschlechterverhältnisse Blicken wir noch mal auf die tanzenden Jugendlichen auf der türkischen Hochzeit: Die männlichen Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund tanzen einen traditionellen Kreistanz, der auf den ersten Blick nicht zu ihrem jugendkulturellen Kleidungsstil (HipHop) passt. Diese aktive Aneignung von Stil- und Verhaltensarten aus sowohl dem deutschen als auch dem türkischen Kontext stellte für die männlichen Jugendlichen eine wichtige Ressource für Anerkennung und Handlungsfähigkeit während der Jugendbegegnung dar. Dieser Prozess folgt aus Perspektive der Jugendlichen der Weiterentwicklung ihrer individuellen Identität als türkische Jugendliche, die sich in ihren Werten und Handlungsweisen klar von ihren deutschen Peers differenzieren wollen. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen heißt das nicht, dass die islamische Perspektive unkritisch übernommen wird, sondern dass die männlichen Jugendlichen die klaren Regeln für den Umgang zwischen den Geschlechtern als Befreiung von Unklarheiten und Ambivalenzen erlebten. Ein Jugendlicher mit türkischem Migrationshintergrund formulierte es als Bereicherung, seine türkischen Austauschpartnerinnen „ohne Hintergedanken“ umarmen zu können. Für die männlichen Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund war es ebenfalls eine wichtige Erfahrung, dass ihr Auftreten und ihr Kleidungsstil von ihren türkischen Austauschpartnern als sehr modisch und „cool“ empfunden wurden. Dies stand im Kontrast zu Erfahrungen, die einige der Jugendlichen während ihrer Ferienaufenthalte in der Türkei bisher gemacht hatten. Ein Jugendlicher mit türkischem Migrationshintergrund erzählte, dass Türken, die in Deutschland leben, in den türkischen Großstädten nicht als Türken, sondern als Touristen wahrgenommen und behandelt würden. Ein Interviewpartner Tertilts beschreibt die Zuschreibung dieser Nichtzugehörigkeit mit dem türkischen Begriff „Almanci- Deutschländer“ (vgl. Tertilt 1996: 98). Diese Wertschätzung der bikulturellen Ressourcen war für die betroffenen Jugendlichen auch im Hinblick auf ihre Sozialisation in Deutschland eine positive und neue Erfahrung. Andererseits kultivierten die männlichen Jugendlichen auch ihren „cooleren“ Umgangs- und Kleidungsstil, der von ihren Austauschpartnern als sehr beeindruckend empfunden wurde. Für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund war dies überraschend, da sie aus türkischen Großstädten wie Istanbul erzählten, dass Händler die Türken aus Deutschland „verarschten“. Die männlichen Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund konnten aus ihrem bikulturellen Kontext also eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten entwickeln. Dies schloss auch die partielle Übernahme von traditionell weiblich konnotierten Verhaltensmustern ein, da sie für einen Abend Arbeiten in der Küche übernahmen. Dies war für ihre türkischen Austauschpartner so außergewöhnlich, dass diese Situation zu den meistfotografierten zählt. Für die Teilnehmerin kurdischer Herkunft war der Aufenthalt in der Türkei ebenfalls wichtige Bestätigung ihrer Individualität, allerdings leitete sich dies primär aus der Ablehnung deutscher Werte und Handlungsweisen und eine Orientierung an traditionellen türkischen Standards ab. Auf den Bildern von Strandbesuchen der Jugendlichen ist sie die einzige Teilnehmerin, die weder einen Badeanzug/Bikini trägt noch schwimmen geht. Da sie die einzige Teilnehmerin mit türkischen und deutschen Sprachkenntnissen war, exponierte sie ihre Perspektive und wurde darin von den männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund unterstützt.
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Abb. 3: Jungs in der Küche
Für die jungen Frauen gestaltete sich die Auseinandersetzung mit Aspekten des türkischen und deutschen Kontexts ungleich schwerer als für die männlichen Jugendlichen, denn es schien wenig Spielraum zu geben. Wie eingangs geschildert, wurden die geschlechtsspezifischen Normen der türkischen Erziehung als ein grundlegend verbindendes Element zwischen den Jugendlichen erlebt, die türkisch sozialisiert waren. Davon abweichendes Verhalten wurde als fremd und unerwünscht abgespalten, da sich die Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund als Türken und nicht als Deutsche oder Deutsch-Türken fühlen wollten. Daher gab es für die weiblichen Gruppenmitglieder nur die Option, sich entweder anzupassen oder als unehrenhafte und schlampige Frau mit deutschem Verhalten und Werten ausgegrenzt zu werden. Beim Besuch einer Pilgerstätte trugen alle Teilnehmerinnen, auch die nicht-türkischer Herkunft, selbstverständlich ein Kopftuch. Während des Austauschs wurde aufgrund von subtileren Kriterien wie ihrer Körpersprache und Alltagskleidung ausgegrenzt. Die männlichen Jugendlichen aus der Türkei verhielten sich diesen jungen Frauen gegenüber sehr ambivalent; einerseits bemühten sie sich viel länger als die Teilnehmerinnen um Freundschaften, andererseits signalisierten sie gleichzeitig, dass diese Frauen kein Teil der Gemeinschaft waren. Denn die einzige Frau, mit der ein Jugendlicher auf der türkischen Hochzeit Stehblues tanzt, gehört nicht ‚dazu‘: Stehblues ein Tanz, der die Grenzen des Umgangs mit den Geschlechtern überschreitet und daher Konflikte und Ambivalenzen auslösen kann. Zentrales Thema war der Umgang mit weiblicher Autonomie. Dies wird deutlich an den Aufnahmen, die die Jugendlichen aus der Türkei während ihrer Zeit in Deutschland machten. Besonders deutlich wird dies beim Foto einer Frau im Minirock, das ‚im vorbei Gehen‘ wie mit versteckter Kamera aufgenommen wurde – das Bild ist verschwommen und die Frau verschwindet schon wieder fast aus dem Bild. Dem gegenüber steht das Bild eines sich auf der Straße küssenden Pärchens: dies ist in türkischen Kleinstädten, aus denen die Teilnehmenden kommen, ebenfalls eher ungewöhnlich. Das Bild ist eine Nahaufnahme, die mit Einverständnis des Pärchens entstand und zum Ausdruck bringt, dass dieses Pärchen den Jugendlichen weniger fremd ist. Die junge Frau im Bild ist nicht ‚aufreizend‘ angezogen und in Begleitung ihres Freundes. Damit hat sie aus der Perspektive der Jugendlichen in der Öffentlichkeit einen respektableren und ver-
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trauteren Status als eine Frau, die ohne männliche Begleitung und in ‚aufreizender‘ Kleidung auf der Straße unterwegs ist. Für die männlichen Jugendlichen aus deutschen Familien boten sich hier klare Regeln und Normen an, die Sicherheit und Klarheit in der Interaktion mit jungen Frauen boten. Traditionelle türkische Geschlechterkonstruktionen sind für Jugendliche mit türkischer Migrationserfahrung nicht aufgrund ihrer kulturellen Herkunft wichtig, sondern weil sie einen Ansatz für die Entwicklung eigener Handlungsnormen im Hinblick auf zwischengeschlechtliche Beziehungen sind. Es versteht sich von selbst, dass die Bedeutung und Bewertung dieser Traditionen von den Jugendlichen je nach Situation und Bedürfnissen wandelbar ist. Um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema zu fördern, können die Eigenproduktionen von Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund unter dem Aspekt analysiert werden, wie Differenzen in weiblichen und männlichen Handlungsweisen und Selbstpräsentationen fotografisch festgehalten werden. Während des Aufenthalts in der Türkei fand eine Gruppendiskussion zum Thema Geschlechterrollen statt. Hier vertraten primär die Jugendlichen mit türkischem Migrations- oder Sozialisationshintergrund die Meinung, dass die traditionellen türkischen Geschlechterrollen sinnvoll und wichtig sind. Es zeigte sich, dass die Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund sich stärker an traditionellen Perspektiven orientieren als ihre Austauschpartner/-innen aus der Türkei. Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen wurden von den Jugendlichen prinzipiell positiv bewertet und betont, dass vor allem Frauen sich daran halten sollten, um ihre Ehre und die der Familie nicht zu gefährden. Hier werden zwei wichtige Aspekte interkultureller Jugendarbeit mit Fotografien deutlich: Fotos eignen sich dafür, auch die Themen greifbar zu machen, die während interkultureller Kontakte unausgesprochen bleiben. Die Eigenproduktionen der Jugendlichen können gemeinsam auf diese Themen hin analysiert werden. Hier ist der Vorteil, dass sowohl die Perspektive und Motivation derjeniger, die die Fotos machten, in die Auswertung eingehen kann, also auch die Wahrnehmung derer, die auf dem Foto zu sehen sind. Damit können die Entwicklung von Mehrperspektivität und Empathie in interkulturellen Prozessen unterstützt werden (zu deren Bedeutung in interkulturellen Prozessen siehe Thimmel & Friesenhahn 2003: 25). Ein Foto bietet auch konkrete Bezugspunkte für die Artikulation von individuellen Wahrnehmungen. Dies kann eine wichtige Hilfe sein für Jugendliche, für die diskursive Auseinandersetzungen ungewohnt oder unangenehm sind.
Vielfalt der Kulturen und Lebensstile in der politischen Kultur der Türkei und Deutschlands Die Jugendgruppen sammelten in beiden Ländern Erfahrungen mit der politischen Kultur des öffentlichen Raums, die allerdings in beiden Gruppen sehr unterschiedlich bewertet wurden. Laut Aussagen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund erlebten sie sich in der Türkei nicht als Fremde, daher fotografierten sie, was ihnen vertraut war. Hier kommt der Wunsch der Jugendlichen nach einer eindeutig spürbaren Heimat als Gegenpol zu ihren Erfahrungen in Deutschland deutlich zum Ausdruck. Die Jugendlichen aus der Türkei waren sehr aufmerksam für neue Aspekte der politischen Kultur in Deutschland und hielten diese auf differenzierte Weise in ihren Fotos fest. Am wichtigsten war ihnen ein Foto, das aus größerer Distanz aufgenommen war und eine Gruppe Punks zeigte. Hier beeindruckte die Jugendlichen aus der Türkei erstens, dass die
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Punks überhaupt eingewilligt hatten, sich fotografieren zu lassen und zweitens, dass der deutsche Sozialstaat diesen Lebensstil ermöglichte. Ähnlich außergewöhnlich war für die Jugendlichen, einen deutschen Soldat in Uniform alleine in einem Fastfood-Restaurant zu treffen. Dies wäre aufgrund der öffentlichen und politischen Bedeutung des türkischen Militärs in der Türkei nicht möglich. Die Jugendlichen werteten das Verhalten des Soldaten als positives Zeichen seiner individuellen Freiheit und des damit einher gehenden Verantwortungsbewusstseins. Hier zeigen sich die positiven Potenziale von Fotografie in Annährung an Fremdes, denn die fotografierten Personen blicken alle direkt und aus kurzer Distanz in die Kamera, den Jugendlichen gelang es also, persönlichen Kontakt zu diesen Personen aufzubauen und sehr unterschiedliche Aspekte der öffentlichen Kultur festzuhalten. Dies ist allerdings nicht gleichzusetzen mit einer tatsächlichen Auseinandersetzung mit dem Fremden, denn das fotografische ‚Festhalten‘ von Fremdheit kann diese als Zustand festschreiben, der auch der Abwehr einer Auseinandersetzung als Ausdruck einer klaren Grenzen dienen kann. Es ist möglich, dass der Bildkontext dem Bildmotiv widerspricht, und hier bietet sich die Möglichkeit, über die Thematisierung dieser Widersprüche die persönliche Auseinandersetzung der Jugendlichen mit fremden und vertrauten Aspekten zu erreichen. Die Jugendlichen fotografierten während ihres Aufenthalts in Deutschland zweimal Schwarze als Ausdruck einer liberalen und kulturell vielfältigen politischen Kultur und bewerteten diese Vielfalt positiv. Gleichzeitig vertrat ein Großteil der Gruppe die Meinung, dass es menschliche Fähigkeiten gibt, die durch die Hautfarbe bestimmt werden, dass also Afrikaner beispielsweise musikalischer seien als Europäer. Auch das Foto der Punks (Abb. 4) bekommt durch die Verortung im Entstehungskontext eine weitere Bedeutung, denn obwohl die Jugendlichen aus der Türkei die individuelle Freiheit der Punks als faszinierend und etwas bedrohlich empfanden, konnten sie keinen Bezug zu ihren eigenen Haltungen individueller Autonomie und alternativen Lebensstilen gegenüber entwickeln. Während des Austauschs verlief der Gruppenprozess konsensorientiert und individuelle Abweichungen wurden von den Teilnehmenden eher als Störung empfunden. Die traditionellen Werte der türkischen Community in der deutschen Kleinstadt beinhalteten eine Abkehr von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Bereich der interkulturellen Verständigung zugunsten einer Orientierung an religiös homogenen islamischen Vereinen. Diese große Bedeutung religiöser Werte und Handlungsweisen war für einige der Jugendlichen aus der Türkei eher irritierend, hier kam es zu Konflikten innerhalb der Gruppe während der Zeit in Deutschland. Die strikte Einhaltung religiöser und traditioneller Standards innerhalb der türkischen Migranten-Community wurde von den Jugendlichen aus der Türkei zeitweise als rückschrittlich und dogmatisch wahrgenommen. Für die Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund wurde die Orientierung an Religion und Kultur während des Austauschs wichtiger, denn sie setzten sich intensiv mit ihrer Identität als Türken in Deutschland auseinander. Die Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund erlebten nationalistische Elemente der türkischen politischen Kultur als positiv, als die Gruppe aus Deutschland die Parade zum „Tag der Jugend“ in der türkischen Kleinstadt am 19. Mai als Zuschauer mitverfolgten und diese Veranstaltung fotografisch dokumentierten. Die Jugendlichen wählten Fotos von auftretenden Folklore-Gruppen aus, denn diese bestanden laut der Wahrnehmung der Jugendlichen aus türkischen und kurdischen Tänzerinnen und Tänzern. Besonders für die kurdische Teilnehmerin war dies ein wichtiges Signal für das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl der Bevölkerung in der Türkei.
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Abb. 4: Punks
Im Zusammenhang von Fotografien und Kontext ist hier von besonderer Bedeutung, was nicht fotografisch festgehalten werden konnte. Die Reden während der Parade waren stark nationalistisch auf die Verteidigung der Türkei im Falle externer Anfeindungen bezogen, dies wurde von keinem der türkischsprachigen Jugendlichen in der Gruppe aus Deutschland in den Gruppendiskussionen als problematisch wahrgenommen. Der türkische Nationalismus wurde als Stärke interpretiert, aus Sicht der befragten Jugendlichen entsteht auf diese Weise ein Zusammengehörigkeitsgefühl aller Bürger, das in Deutschland fehlt. Seitens der Jugendlichen mit Migrationshintergrund war der Wunsch nach Homogenität und Zusammenhalt aufgrund des gemeinsamen Türkischseins auch begründet in Ausgrenzungs- und Fremdheitserfahrungen in Deutschland. Diese Jugendlichen teilten ein kritisches Verhältnis zu Deutschland, da sie sich nicht als gleichberechtigte Bürger anerkannt fühlten und während des Austauschs die Anerkennung erhielten, die ihnen bisher fehlte. Daher war es ihnen besonders wichtig zu zeigen, dass sie während der Parade als Ehrengäste auf derselben Tribüne wie die städtischen Funktionsträger sitzen durften. Eine Wertschätzung, die sie laut eigenen Aussagen während ihren bisherigen Sozialisationserfahrungen noch nie gemacht hatten. Für die Jugendlichen war ihre Integrationsleistung in Deutschland allein abhängig von ihrer Anpassungsfähigkeit, sie erlebten den interkulturellen Alltag in der Kleinstadt nicht als ein gleichberechtigtes Miteinander verschiedener Lebensstile und Kulturen, sondern geprägt von der deutschen ‚Leitkultur‘, die wenig Gelegenheiten zur Entwicklung interkultureller Kompetenzen bot. Dementsprechend gering war auch die Ambiguitätstoleranz und Empathie für abweichende Lebensstile und Einstellungen während des Austauschs seitens der Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund.
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Weiterführende pädagogische Überlegungen Im Folgenden sollen weitere Anregungen und Projektbeispiele für medienpädagogisches Arbeiten mit Bild und Text in interkulturellen Kontexten gegeben werden: In Abhängigkeit von Zeitbudget, Finanzbudget, Technik und Bedürfnislage, Motivation und Kompetenz der Beteiligten können Projekte mit unterschiedlichen Komplexitätsgraden initiiert werden. Fotografien können als einzelne Bilder für sich stehen und ausgestellt werden, es bestehen aber auch vielfältige Möglichkeiten der Weiterbearbeitung. Fotos können mit am Computer digital verändert werden oder zusammen mit Musik, Ton oder verbalem Kommentar zu einer Ton-Dia-Show verarbeitet werden. Fotos können digital oder analog zu Collagen arrangiert werden. Sie können mit kurzen Bildunterschriften oder längeren Texten versehen werden oder zu Flyern, Visitenkarten oder Plakaten erweitert werden.
Vom Bild zum gesprochenen Text: Polaroid-Fotocollage Polaroid-Fotocollagen eignen sich besonders für den Anfang eines Projekts, für das gegenseitige Kennenlernen und die Vorstellung eines Medienprojekts. Die Teilnehmenden fotografieren sich gegenseitig mit einer Polaroid-Kamera und produzieren mit den entstandenen Fotos und anderen Bildern aus unterschiedlichen Zeitschriften eine Collage. Die Fotos aus den Zeitschriften sollen zeigen, was ihnen gefällt und was ihnen wichtig ist. Die fertigen Bildcollagen werden nacheinander vor der Gruppe vorgestellt und es können Fragen gestellt werden. Die Collage als visuelle Grundlage erleichtert das Sprechen über sich selbst. Polaroid-Fotocollagen eignen sich nicht nur für ein niedrigschwelliges gegenseitiges Kennenlernen. Sie können auch gut den Charakter eines Medienprojekts oder von Medienarbeit allgemein verdeutlichen. Sie sind handlungsorientiert, ermöglichen ein ästhetisches Feedback in kurzer Zeit und bilden eine Brücke zwischen Bild und Sprache. Die Collagen geben oft Hinweise auf spezielle Kompetenzen, Interessen und Bedürfnisse. Dies sind wichtige Informationen für die lebensweltbezogene teilnehmerorientierte Gestaltung von Medienprojekten. Beispielsweise zeigte ein junger unbegleiteter Flüchtling aus Vietnam im Rahmen eines Fotoprojekts anhand einer Collage sein Interesse an Zeichnen im Manga - Stil. Diese Information konnte später für ein Teilprojekt aufgegriffen werden, bei dem Fotoportraits gezeichneten Portraits gegenübergestellt wurden (vgl. Zientek /Schenk/Holzwarth 2006). Eine Alternative für die teure Polaroid-Fotografie sind kleine Fotodrucker, mit denen sehr schnell Ausdrucke von Digitalfotos erstellt werden können. Mit diesen Quasi-Sofortbildern kann dann wie mit Polaroidfotos weitergearbeitet werden.
Vom Bild zum gesprochenen Text: Picture-Shows bzw. Bildergeschichten Picture-Shows bzw. Bildergeschichten sind eine gute Methode, um einzelne Fotos zu einem komplexeren audio-visuellen Produkt weiterzuentwickeln. Fotos werden nacheinander abgefilmt und vom Produzenten kommentiert. Kameras, die mit Audio-Dub -Funktion ausgestattet sind, erlauben auch das nachträgliche Kommentieren der bereits abgefilmten Bilder. Im Migrationskontext eignet sich dieses Format auch besonders für das Arbeiten mit mitgebrachten Fotos aus dem Ursprungsland (Familienfotos). Das Kommentieren der Zeichnungen fördert Reflexionsprozes-
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se. Bei sprachlichen Schwierigkeiten oder Hemmungen ist auch eine Unterlegung mit Musik im Sinne einer Ton-Dia-Show oder eines Videoclips möglich. Das Format Picture-Shows bzw. Bildergeschichten wurde im Kontext des internationalen EUPraxisforschungsprojekts CHICAM - Children in Communication about Migration vor allem in Zusammenhang mit Familienfotos genutzt. Beispiele finden sich unter www.chicam.net („Sharmake’s Family“ und „Family_Picture Show“ (NL)1).
Vom Bild zum geschriebenen Text: Foto(Love)Stories Foto-Love-Stories sind ein bekanntes media-model (Bravo) und lassen sich im Rahmen medienpädagogischer Projekte ohne großen Aufwand umsetzten. Sprechblasen können mit Hilfe eines Bildbearbeitungsprogramms in die Fotos eingesetzt werden. Eine einfache Möglichkeit ist das Aufkleben von Papiersprechblasen auf das Original. Das Format eignet sich für verschiedene Themen. Lovestory ist nur eine Möglichkeit von vielen. (vgl. den Beitrag von C. Abt in diesem Band)
Vom Bild zum geschriebenen Text: Einwegfotografie mit Bildunterschriften Selbstfotografierte Fotos oder bereits vorliegende Bilder aus Illustrierten oder anderen Printmedien werden auf einem Tisch ausgebreitet und betrachtet. Jeder darf sich ein Foto auswählen, das ihm am besten gefällt. Nacheinander stellt jeder sein Lieblingsfoto vor und der Produzent kann nachfragen oder Fragen beantworten. Am Ende wird er gebeten, für ein oder mehrere Fotos Bildunterschriften zu formulieren. Dies kann er selbst tun oder bei Sprachbarrieren seine mündlichen Äußerungen von anderen niederschreiben lassen. Beispiele für Fotos mit Bildunterschriften sind in dem ästhetisch ansprechend gestalteten Band „Fotosprache“ zu finden (Borgnini & Crivelli 2003)2.
Vom schriftlichen Text zum Bild: Fotosafari Die Gruppe wird in zwei Kleingruppen aufgeteilt, die um die Wette fotografieren. Jede Gruppe bekommt ein Blatt Papier, auf dem verschiedene Fotoaufgaben stehen (Fotografiert einen Polizisten; ein Werbeplakat mit einer Frau; oder ‚etwas Blaues‘). Die Gruppe, die am Ende mehr Fotoaufgaben gelöst hat, bekommt einen Preis (vgl. Zientek/Schenk/Holzwarth 2006). Diese Arbeitsform fördert die fotografische Aneignung von öffentlichem Raum. Über die Auswahl der Fotoaufgaben können gezielt verschiedene Lerndimensionen angeregt werden (z.B. Perspektive, Farbe, Themen etc.).
1 http://www.chicam.net/videos/media/netherlands/sharmakes_family.html und http://www.chicam.net/videos/media/netherlands/family_picture_show.html 2 http://www.ph-ludwigsburg.de/fileadmin/subsites/1b-mpxx-t-01/user_files/OnlineMagazin/Ausgabe8/Ausstellung8.pdf [Zugriff: 6.6.2006]
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Hinweise zur Präsentation Das Präsentieren und Ausstellen von Fotos sollte fester Bestandteil von Fotoprojekten sein. Ist den Jugendlichen bewusst, dass ihre Fotos ausgestellt werden, kann dies die Reflexionsprozesse während der Produktion verstärken (Buckingham & Harvey 2003). Auch für die Stärkung des Selbstwertgefühls der Produzenten ist eine Präsentationssituation wichtig, in der sie Anerkennung und Feedback bekommen können. Über Fotoausstellungen kann auch Öffentlichkeit für bestimmte Themen geschaffen werden. Folgende Fragen sind bei der Ausstellungsplanung von Bedeutung: 1 1 1 1
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In welcher Form können die Produzenten einbezogen werden? In welchem finanziellen Rahmen soll die Ausstellung realisiert werden? (Eine Ausstellung muss nicht teuer sein) Welche Zielgruppe soll erreicht werden (z.B. Eltern, Verwandte und Freunde der Produzenten, Lehrer, Sozialarbeiter, Politiker, unspezifisches Publikum)? Welchen Grad von Öffentlichkeit soll die Ausstellung haben (z.B. öffentlicher Raum, öffentliche Gebäude (z.B. Ämter oder Rathäuser), semi-öffentliche Räume (z.B. Schule, Jugendhäuser)? In welchem sozialen und kommunikativen Rahmen soll die Ausstellung stattfinden (Vernissage mit Ansprachen und Statements der Produzenten)? Wie kann für die Ausstellung geworben werden (Plakate, Flyer, Rundmails etc.)? Welche zusätzlichen Informationen über den Projektkontext sollen gegeben werden (z.B. Informationstafel neben den Bildern oder Infozettel)?
Das Praxisheft „EinBlicke. Interkulturelle Fotoprojekte von Jugendlichen. Konzepte und Materialien für die Projektarbeit“ enthält neben Konzepten, Materialien und Beispielen wichtige Hinweise für die Präsentation von Fotos im Kontext medienpädagogischer Projekte (Netzwerk Migration in Europa 2003). Auch Shaw & Robertson (1997) geben wichtige praktische Hinweise. Es geht darum zu erarbeiten, warum verschiedene Perspektiven gleichberechtigte Geltung beanspruchen können und daraus für die Mitglieder in interkulturellen Gruppen eine Bereicherung entwickelt werden kann. Es ist auch empfehlenswert, interkulturelle Verständigung nicht nur im Kontext eines anderen Landes fotografisch festzuhalten, da Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund ihre Erfahrungen mit Zugehörigkeit und Ausgrenzung nicht nur entlang nationaler Kriterien sammeln. Die Konstruktionen von Heimat und Fremdheit sind bewusste Aneignungs- und Auseinandersetzungsprozesse, die im Kontext einer multikulturellen Gesellschaft stattfinden. Für die Arbeit mit selbstproduzierten Fotos muss auch darauf geachtet werden, wo sich Widersprüche zwischen Kontext und Bildern zeigen, denn oft werden die Themen von Jugendlichen bewusst ignoriert, die sie als problematisch oder unerwünscht in internationalen Begegnungen empfinden. Die Entwicklung und Vertiefung von interkulturellen Lernprozessen erfordert Zeit. Auf der strukturellen Ebene ist es daher wichtig, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen langfristig medienpädagogisch gearbeitet werden kann und Medienprojekte keine ‚Eintagsfliegen‘ bleiben.
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Literatur Auernheimer, Georg (2005): Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz, in: Migration und Soziale Arbeit, 1/2005, S. 15- 22 Borgnini, Mariapia & Crivelli, Giosanna (2003): Fotosprache. Casagrande Buckingham, David & Harvey; Issy (2003): Imagining the Audience – Reflections on the pilot phase of VideoCulture. In: Niesyto, Horst (Hg.): VideoCulture. Video und interkulturelle Kommunikation. Grundlagen, Methoden und Ergebnisse eines internationalen Forschungsprojekts: München: kopaed, S. 111-138 Holzwarth, Peter (2001): Die Begegnung mit dem Fremden. VideoCulture - Jugendbegegnung in Prag. In: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden Württemberg (Hg.): VideoCulture. Interkulturelle Kommunikation, Schule, Videoarbeit. Auer-Verlag , S. 62-64 Holzwarth, Peter/Maurer, Björn/Niesyto, Horst (2004): Kinder, Medien und Migration. Das EU-Praxisforschungsprojekt CHICAM - Children in Communication about Migration. In: PH Akzente 1/2005 http://www.phzh.ch/webautor-data/208/pho_phakzente05-1.pdf [Zugriff: 6.6.2006] Holzwarth, Peter / Maurer, Björn / Niesyto, Horst: CHICAM - CHILDREN IN COMMUNICATION ABOUT MIGRATION. In: Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V.: .nexum das Netzwerk. Heft 8/2002, S. 19-21 http://www.mediageneration.net/nexum/nexum8/blick5.htm [Zugriffsdatum: 9.2.2005] Holzwarth, Peter (2004): Symbolkompetenz im Kontext interkultureller Kommunikation mit Video. In: Bonfadelli, Heinz / Bucher. Priska/Paus-Hasebrink, Ingrid/Süss, Daniel (Hg.): Medienkompetenz und Medienleistungen in der Informationsgesellschaft. Beiträge einer internationalen Tagung. Zürich: Verlag Pestalozzianum, S. 153-165 Leiprecht, Rudolf/Riegel, Christine/Held, Josef (1999): Abschlußbericht zum internationalen Jugendbegegnungsprojekt „Über das Zusammenleben und Ausgrenzen in unseren Stadtteilen“. Berichte aus der Abteilung Pädagogische Psychologie Universität Tübingen Nr. 41 Maurer, Björn (2004): Medienarbeit mit Kindern aus Migrationskontexten. Grundlagen und Praxisbausteine. München: kopaed Netzwerk Migration in Europa e.V. (Hg.) (2003): EinBlicke. Interkulturelle Fotoprojekte von Jugendlichen. Konzepte und Materialien für die Projektarbeit. Unna: LKD-Verlag Sefton-Green, Julian/Aeppli, Simon/de Block, Liesbeth/Ganino, Giuseppe/Leonida, Maria/von Lokven, Frans/Maurer, Björn/Olsson, Birgitta (2004): Picture Me In: Digital Media Making with Socially Excluded Children. Advice to teachers and other media educators. Children in Communication about Migration (CHICAM). (Deliverable 13. May 2004) http://www.chicam.net/reports/download/picture_me_in.pdf [Zugriffsdatum: 6.6.2006] Shaw, Jackie & Robertson, Clive (1997): Participatory video: a practical approach to using video creatively in group development work. London (u.a.): Routledge Thimmel, Andreas & Friesenhahn, Günter (2003): Interkulturelle Handlungskompetenz in der internationalen Jugendarbeit: Begriffe – Konzepte - Anwendungsbereiche. In: Internationaler Jugendaustausch und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland (IJAB) e.V. (Hg.): Interkulturelle Kompetenz und EU-Erweiterung- Forum Jugendarbeit International. Bonn: IJAB Toprak, Ahmet (2004): „Wer sein Kind nicht schlägt, hat später das Nachsehen“– Elterliche Gewaltanwendung in türkischen Migrantenfamilien und Konsequenzen für die Elternarbeit. Herbolzheim: Centaurus Zientek, Thomas/Nadine Schenk/Peter Holzwarth (2006): Fotografie im Kontext von Flucht und Migration. Ein interkulturelles Fotoprojekt mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus Asien und Afrika. In: Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik 2006 http://www.ph-ludwigsburg.de/fileadmin/subsites/1b-mpxx-t-01/user_files/Online-Magazin/Ausgabe8/ Projekte8.pdf [Zugriff: 6.6.2006] (Fotoausstellung auf: http://www.ph-ludwigsburg.de/fileadmin/subsites/1b-mpxx-t01/user_files/Online-Magazin/Ausgabe8/Ausstellung8.pdf )
X-pressive! – Digitalfotografie und Kreatives Schreiben: oder Fotoprojekte als Element der virtuellen Vernetzung Karin Eble
Die Fotografie ist seit ihrer Erfindung immer mehr zu einem Massen-Medium geworden, fast jeder Haushalt besitzt heutzutage einen Fotoapparat. In der Erziehung und Bildung wird angesichts der sich durchsetzenden Digitalfotografie nach neuen didaktischen Konzepten und methodischen Möglichkeiten einer aktiven Fotoarbeit mit Jugendlichen gesucht (vgl. Fiege 2002, Holzbrecher/Schmolling 2004). Während diverser Workshops beim Wissenschaftlichen Institut des Jugendhilfswerks Freiburg (WI-JHW) wurde die Erfahrung gemacht, dass es zur Arbeit mit dem bewegten Bild einer Vorarbeit bedarf, die einerseits auf das Erfinden von Geschichten und Figuren sowie andererseits auf das Gestalten von Bildern und Bildausschnitten eingeht. Das beim WI-JHW angesiedelte Netzwerk Multiline hat in einer Ausschreibung zur Qualifizierung für Jugendeinrichtungen diesen Gedanken aufgenommen und mit „X-pressive! – Digitalfotografie und Kreatives Schreiben“ ein Workshopkonzept entwickelt, das an drei verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Gruppen in Baden-Württemberg durchgeführt wurde.1 Mit X-pressive! entstand ein Konzept zur Schulung der visuellen Wahrnehmung mit dem Ziel, die digitale Fotografie als kreativ ästhetisches Mittel und als Kommunikationsmittel kennen zu lernen und den Selbstausdruck mit Texten zu erweitern. Die Idee bei X-pressive! ist, Fotografie und kreatives Schreiben als „vorbereitende Schritte“ zur Filmarbeit einzusetzen. Das Finden von Bildern und das Erfinden von Geschichten sollte in einer Weise vermittelt werden, die an die kreative Filmarbeit heranführt. Das Geschichtenerfinden, der Selbstausdruck, das Erforschen der eigenen Phantasie, die Darstellung ganz persönlicher Erlebnisse in Worten und Bildern werden bei X-pressive! in den Vordergrund gerückt. Für das Projekt konnten wir Julia Willmann, Redakteurin bei Arte, gewinnen, die als durchführende Person gleichzeitig Vorbild für die weiblichen Teilnehmerinnen wurde und Bezüge zur Filmarbeit vermitteln konnte. Julia Daiber, Grafikerin und Praktikantin bei Multiline, begleitete das Vorhaben. Das Konzept von X-pressive! ist theoretisch zwischen der Sozialfotografie nach Fiege und dem wahrnehmungstheoretischen Ansatz von Röll einzuordnen. Die unmittelbare Lebenswelt der teilnehmenden jungen Frauen steht bei allen Projekten von Multiline im Blickfeld der Betrachtung. Bei X-pressive! bietet die Fotografie sinnliche Erfahrung und die aktive Auseinandersetzung mit der jeweiligen sozialen Umgebung. Dabei hat das Fotografieren eine besondere Bedeutung im Rahmen der Identitätsentwicklung. (Vgl. Röll 1998: 355f ) Die Sozialfotografie (vgl. Fiege 2002: 7f ) wiederum ist an der genauen und umfassenden Information interessiert, appelliert an
1 Das Projekt Multiline dient dem fördernden Ministerium für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg und dem Europäischen Sozialfonds als strukturverbessernde Maßnahme zur Förderung der Medienkompetenz von weiblichen Multiplikatorinnen, da diese durch den aktiven Einsatz von Medien eine Schlüsselstellung einnehmen können, um die Medienkompetenz von Mädchen und jungen Frauen zu fördern und damit zu deren Erweiterung des Berufswahlspektrums beitragen können. vgl. www.multiline-net.de
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die Vernunft und vermittelt einen ausgewiesenen Inhalt. Neue ästhetische Kategorien und bildgestalterische Mittel werden angewendet. Beim Projekt X-pressive! ist die kulturelle Ausdrucksform von Mädchen von Bedeutung. Die Ziele im Einzelnen: 1 1 1 1 1 1 1 1 1
Fotografische Gestaltungsmittel kennen lernen Kameratechnologie / technische Gestaltung Kreative ästhetische Ausdrucksmöglichkeiten bei den Aufnahmen Bildhermeneutik verstehen / entschlüsseln Einordnen der Bilder im Entstehungskontext Motive und Absichten der Fotografin erkennen Kombination der Fotos mit Text Foto- und Text-Ausstellung als subjektiver / künstlerischer Ausdruck Virtuelle Vernetzung – Nutzung neuer Medientechnologien
Im Folgenden wird die handlungs- und ressourcenorientierte Vorgehensweise bei X-pressive! exemplarisch veranschaulicht.
Einstieg in die Welt der Bilder an drei verschiedenen Orten: In Weilheim/Teck, einem kleinen Ort im Schwäbischen, fand der zweitägige Workshop in einem klassischen Jugendzentrum statt. Die 10 Teilnehmerinnen waren zwischen 12 und 16 Jahre alt und regelmäßige Besucherinnen des Jugendtreffs. Fast alle Mädchen waren zweisprachig aufgewachsen und besuchten die Hauptschule oder befanden sich im Berufsvorbereitungsjahr (BVJ)2. Pädagogisch betreut werden sie seit mehreren Jahren von der Pädagogin Evelyn Schmidt. Ihr privates Interesse an Fotografie war eine ausgezeichnete Basis für die Zusammenarbeit während des Workshops. Beim zweiten Workshop im Wissenschaftlichen Institut des Jugendhilfswerks in Freiburg bestand die Gruppe aus 7 jungen Frauen, die sich zum Teil vorher schon gut kannten. Sie waren alle zwischen 16 und 17 Jahre alt und hatten gerade die 10. Klasse an Realschule oder Gymnasium beendet. Die dritte Gruppe war die kleinste, es waren 6 Mädchen, von denen an beiden Tagen nur 5 kamen. Sie alle waren aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Sigmaringen und gingen in der Kreisstadt in die 7. und 8. Klasse des Gymnasiums. Sie kannten das Jugendmedienzentrum jumax und auch Anni Kramer, eine von den Möglichkeiten der neuen Medien begeisterte Pädagogin.
2 Das BVJ ist eine schulische Form der Berufsvorbereitung und wird überwiegend an Berufsschulen angeboten. Zielgruppen sind vor allem Schüler und Schülerinnen ohne Hauptschulabschluss oder Abgänger der Förderschulen/Schulen für Lernbehinderte.
X-pressive! – Digitalfotografie und Kreatives Schreiben
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Die Aufgabenstellungen – 3 x 2 volle Tage Die Aufgaben wurden je nach Alter und Gruppengröße variiert. Eine Nachbearbeitung am Rechner war im Konzept nicht vorgesehen. Der Einstieg in die zweitägigen Workshops erfolgte über Bilder berühmter Autoren- und Reportage-FotografInnen. Dieser sollte den Teilnehmerinnen verdeutlichen, dass in der Fotografie (fast) alles möglich ist und es in der künstlerischen Fotografie, im Unterschied zur Werbefotografie, vor allem auf Idee, Blick und Intention der jeweiligen Fotografierenden ankommt, nicht auf glatte Nullachtfünfzehn-Perfektion, sondern auf Kreativität und Mut zum Experiment. Knipsen kann doch jede? Eine technische Einführung in die Digitalkameras wurde bei jedem Workshop zu anfangs gegeben. Die Kamera wird oft als ein einfach zu handhabendes Medium betrachtet, da es doch in nahezu jeder Familie einen kleineren oder größeren Apparat gibt und überall zu allen erdenklichen Anlässen fotografiert wird.
„So hab ich das noch nie gesehen“ – Nahaufnahmen Den Weilheimer Mädels wurde eine Aufgabe gestellt, die für sie etwas absolut Neues war: Nahaufnahmen von Alltagsgegenständen, drinnen und draußen. Sie sollten einfach mal ihren Blick schweifen lassen und Bildausschnitte suchen. Am Anfang waren sie etwas irritiert, ihnen fiel wenig auf, sie „sahen nichts“. Nachdem sie einige Hilfestellungen bekommen hatten, legten sie plötzlich los und zauberten im Handumdrehen einiges an interessanten Bildern hervor. Bei dieser Aufgabe ging es darum, den Blick vom Ganzen auf Details zu lenken und das Sehen zu schärfen. Außerdem sollte den Mädchen, deren Bezug zur Fotografie eher in der Selbstinszenierung vor der Kamera lag, ein relativ einfacher Zugang zum künstlerischen Schaffen gezeigt werden. Obwohl sich die Begeisterung für diese Aufgabe anfangs in Grenzen hielt, äußerten sich die Mädchen hinterher doch positiv darüber, wie „voll kunstmäßig“ (O-Ton) die Fotos geworden sind.
Abb. 1
Wolke7 oder „Alles nur geträumt“ – Die Fotostory Fotostorys entstanden bei den Wochenenden mehrere, in Sigmaringen eine sehr aufwändige, in Weilheim drei kurze und in Freiburg zwei Musikdiashows zu Musikstücken der Ärzte und der Band Klee. Bei dieser Art von inszenierter Fotografie waren die Teilnehmenden dem bewegten Bild am nächsten. Das Erfinden einer Geschichte, die Umsetzung in ein gezeichnetes Storyboard sowie die folgende Inszenierung mit einer Rollenaufteilung in Schauspielerinnen, Maskenbildnerinnen, Requisiteurinnen und Fotografinnen konnte als direkte Vorstufe zu einem Filmprojekt wert-
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volle Kompetenzen vermitteln. Auf hinzuzufügende Sprechblasen, die aus Fotoromanen in Zeitschriften bekannt sind, wurde bewusst verzichtet, um alles Gewicht auf die Bilder zu legen: Jedes Bild sollte hier so gut sein, dass es ohne Worte die Geschichte weitererzählen kann. Zuerst musste sich jede Gruppe eine vollständige Geschichte überlegen. Dann sollten drei Fotos mit unterschiedlicher Aussagekraft zu dieser Geschichte gemacht werden. Dazu musste ein Storyboard gezeichnet werden. Da die Bilder getauscht werden sollten, damit eine jeweils andere Gruppe eine Geschichte dazu schreiben konnte, war den Mädchen schnell klar, dass die Fotos wirklich deutlich und aussagekräftig werden mussten, damit die anderen auch etwas dazu erzählen konnten. Für die Fotostorys wurden Themen gewählt, zu denen alle Mädchen einen Bezug herstellen konnten. Dabei wurden schnell Ideen für die Bildabfolge gefunden. Es war für die Teilnehmerinnen sehr ungewohnt, jede Szene mehrmals zu fotografieren, bis sie wirklich aussagekräftig genug war, um in die Fotostory aufgenommen werden zu können. Die Mädchen bauten ein richtiges Set mit einer Ausstattung wie beim Film. Zuerst sollten die Szenen richtig gespielt und die Ränder „gecheckt“ werden bevor abgedrückt wurde. Das Beharren auf der (natürlich relativen) Perfektion hat den Mädchen ein Stück der Medienwelt gezeigt, wie sie in der Berufswelt der Redakteurin und der Grafikerin erforderlich ist, frei nach dem Motto „Ein gutes inszeniertes Bild kann eben immer noch ein bisschen besser werden.“
Abb. 2
„Tonight’s the Night“ – Experimente mit dem Nachtmodus Diese zur Fotostory völlig konträre Aufgabenstellung war ein Experiment, das sich einen technischen Modus der Digitalkamera zunutze machte, eine Doppelbelichtung mit Blitz, die bei einer Bewegung der Kamera verschwommene Lichtspuren mit eindeutigen Formkonturen kombiniert. Was für einen Profi vielleicht eher als Effekthascherei gelten könnte, war für die Mädchen aufgrund der von aller zuvor hergestellten Diskoatmosphäre ein großes Vergnügen. Es entstanden Bilder, auf denen die Mädchen trotz Hyper-Styling absolut „sie selbst“ waren. Die Fotografinnen tanzten mit, stellten sich auf Stühle, legten sich auf den Boden. Ein Bild folgte aufs andere und schon waren die Speicherchips wieder voll. Im Unterschied zu der sehr durchdachten Herangehensweise bei der Fotostory stand hier das freie Experiment im Vordergrund. Grund für die interessanten Ergebnisse ist natürlich auch die Digitaltechnik, die via Display ein direktes Feedback auf eine bestimmte Licht- und Geschwindigkeitssituation gibt, so dass beim nächsten Versuch immer sofort auf das letzte Ergebnis Bezug genommen werden kann. Sowohl die kontrollierte Herangehensweise, bei der die Szenen komponiert und inszeniert werden, als auch die experimentelle, die bei dieser Fototanzaktion zum Einsatz kam, haben eine
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ähnliche Berechtigung in der medienpädagogischen Arbeit, führen jedoch gestalterisch zu unterschiedlichen Ergebnissen und können für unterschiedliche Ziele eingesetzt werden. Bei einem zwei- oder mehrtägigen Workshop ist eine Kombination aus beiden pädagogischen Methoden sicher anzuraten, um Abwechslung in den Ablauf hineinzubringen sowie den verschiedenen Vorlieben der Teilnehmerinnen gerecht zu werden.
Abb. 3
Straßenportraits – Innere Monologe (und ein Gespräch unter Frauen) Diese kombinierte Aufgabe stellte die Mädchen in Freiburg und Sigmaringen auf mehrere Proben. Zuerst erforderte es einigen Mut und/oder Geschick, fremde Menschen auf der Straße zu fotografieren, ohne dass diese sich abwenden. Als die Bilder dann ausgedruckt waren, durfte sich jedes der Mädchen ihre Lieblingsfigur aussuchen und einen inneren Monolog über diese schreiben. Auch hier ging es hauptsächlich darum, eine Nähe zur Filmarbeit herzustellen, da auch DrehbuchautorInnen ihren Figuren zum Teil ganze Lebensgeschichten andichten, um sie in dem kurzen Lebensabschnitt der Filmerzählung möglichst realistisch erscheinen zu lassen. Das Sich-Hineinversetzen in eine fremde Figur schien einigen Mädchen großen Spaß zu machen, sie arbeiteten eine ganze Stunde an ihren Texten und präsentierten sie anschließend bereitwillig, anderen fiel es schwerer, sich auf den Schreibprozess einzulassen… Da das Schreiben eine äußerst persönliche Kunstform ist, haben sich hier die unterschiedlichen Charaktere und Erfahrungswelten der Mädchen am deutlichsten gezeigt. Interessant war auch das gehäufte Auftauchen eines Themas in Sigmaringen: die Schönheitsoperation. Bei dem anschließenden Gespräch über die Texte hat sich besonders deutlich der Vorteil einer gleichgeschlechtlichen Gruppe gezeigt, da es bezweifelt werden muss, ob sonst in einer gemischten Gruppe gleichermaßen offen über Schönheit, die Macht der Medienbilder auf das eigene Frauenbild und darüber, was außer Schönheit noch Stärken einer Frau sein könnten, gesprochen worden wäre.
Abb. 4
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Mein größter Traum – Mit Usher tanzen oder Bürokauffrau bei Daimler Auch in Weilheim gab es eine Aufgabe, in der es in erster Linie ums Schreiben ging, jedoch haben sich hier die Mädchen mit ihren eigenen Wünschen beschäftigt. Inwieweit diese eine bestimmte Richtung bekommen haben, beeinflusst durch das Über-dieSchulter-Blicken der Erwachsenen, ist im Nachhinein schwer zu sagen. Für die geplante Ausstellung haben die Mädchen die Möglichkeit erhalten, mit ihren handgeschriebenen Texten eine ganz andere Seite von sich selbst mit einzubringen. Portraits – Gesichter pur, eine Geduldsprobe Obwohl manche Mädchen sich gerne so aufregend und sexy wie möglich präsentierten und an diesem Wochenende zwischen den vom Team gestellten Aufgaben zusätzlich noch 160 weitere Fotos in allen erdenklichen Starposen knipsten, sollte ihnen der Reiz eines einfachen Portraits gezeigt werden. Minutenlang vor dem immer gleichen Hintergrund stehen sowie das eigene Gesicht einfach mal Gesicht sein lassen, ohne besondere Blicke oder Grimassen, erforderte einiges an Geduld von allen Beteiligten. Bei dieser Aufgabe war die Kreativität der Mädchen nicht so sehr gefragt, jedoch haben sie stattdessen einiges über professionelle Fotografie gelernt, die oft für das Model kein pures Vergnügen ist, sondern anstrengende Arbeit. Auch die Teilnehmerinnen selbst äußerten sich dazu in der Abschluss-Feedbackrunde, sie hätten die Sache mit den Portraits sehr anstrengend gefunden.
Abb. 5
Alle drei X-Pressive!-Workshops sind auf www.multiline-net.de aus verschiedenen Perspektiven dokumentiert. Wie ist diese Arbeit im Rückblick zu bewerten?
Drei Wochenenden, drei Welten Die einzelnen Gruppen von X-pressive! hätten verschiedener nicht sein können. Die wilden Kirchheimerinnen unterschieden sich völlig von der eher ruhigen, wesentlich reiferen, selbstreflektierten Freiburger Gruppe, die wiederum vollkommen anders war, als die zahmen, verspielten Mädels aus Sigmaringen. Zugleich – und das ist ein Erfolgserlebnis – war die Idee von X-pressive! für alle drei Gruppen kompatibel. X-pressive! war a priori als offenerer, kreativer Workshop angelegt und bot sich als solcher genau dafür an, auf die verschiedensten Bedürfnisse und Mentalitäten der Teilnehmerinnen einzugehen.
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Von vielen kleinen Schritten und einem weiten Weg Julia Willmann zu ihrer Arbeit mit den Gruppen: Ich stand einer Schar liebenswerter und darüber hinaus ausgesprochen wilder, kaum zu bändigender und ziemlich voreiliger Mädchen gegenüber – zehn an der Zahl, zwischen zwölf und sechzehn Jahre alt. Es war zu Anfang schwierig, inhaltlich überhaupt einen Fuß auf den Boden zu kriegen. Im Vergleich zur technischen Arbeit mit einer Videokamera, die automatisch bestimmte Vorgehensweisen verlangt, gestaltet sich kreatives Arbeiten freier, unorthodoxer – und stellt so von pädagogischer Seite her ganz andere Anforderungen. Vonseiten der Teilnehmerinnen verlangt wurde neben Kreativität, Nachhaltigkeit auch die Bereitschaft, sich auf ein Thema einzulassen, ihm zumindest ein gewisses Maß an Raum und Zeit zuzugestehen – eine Haltung, die vor allem den Mädchen in Weilheim hauptsächlich zu Beginn unseres Workshops eher fremd zu sein schien und dementsprechend schwer fiel. Es war echte Basisarbeit nötig, um die Teilnehmerinnen inhaltlich ein- und umzustimmen und ihnen eine (neue) Vorstellung davon zu geben, was Fotografie und kreatives Schreiben überhaupt bedeuten kann. Alles fing damit an, die Aufmerksamkeit der Mädchen vom Posieren vor der Kamera, das offenbar ein sehr starkes Bedürfnis darstellte, auf das Arbeiten hinter der Kamera zu lenken. Dann: Bilder finden! Nicht einfach drauflos knipsen. Die Dinge zweimal, dreimal, viermal anschauen – sie von einer neuen Seite entdecken. Die Teilnehmerinnen in Freiburg waren zwischen 17 und 18 Jahre alt, wodurch sich automatisch eine andere Arbeitsatmosphäre ergab: Konzentrierter, strukturierter, inhaltlich dichter. Hier waren ein klar strukturierter theoretischer Einstieg und eine Einführung in bestimmte Hintergründe der Fotografie, wie Themen, Herangehensweisen und Darstellungsformen möglich (vgl. Willmann 2005).
Umdenken Digitalfotografie birgt noch viel mehr als das Arbeiten mit der Videokamera die Gefahr einer trägen Konsumhaltung. Wieso hartnäckig auf den richtigen Moment warten, bevor man abdrückt, wieso Ausdauer beweisen, wenn man sowieso Hunderte von Fotos schießen kann? – Weil ein Zufallstreffer nicht dasselbe ist wie ein knackiges eigenes Bild, das man sich erobert hat (vgl. Willmann 2005). Nach Willmann haben sich die Mädchen auf neue Blickwinkel und fotografische Ausdrucksformen eingelassen. Sie haben sich auf neuen Wegen ihrer Umwelt angenähert und versucht sie visuell zu begreifen. Dadurch kamen schon bei der ersten Aufgabenstellung aus dem Bereich der Reportagefotografie sehr persönliche und damit sehr unterschiedliche Ergebnisse zustande.
Schreibenschreibenschreibenschreiben Ein weiteres Erfolgserlebnis von X-pressive! war, dass die Mädchen selbst geschrieben haben. In der Tat zeigte sich, dass Aufgabenstellungen aus dem Bereich des Kreativen Schreibens in der
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außerschulischen Arbeit schwer zu verwirklichen sind. Die meisten Mädchen hatten eher Widerstände, sich auf eine Arbeit einzulassen, bei der sie ganz und gar „auf sich selbst gestellt“ waren. Während des Schreibens findet ja kein direkter Bezug zur Außenwelt statt. Schreiben ist a priori nicht dialogisch und extrovertiert wie Fotografieren oder Filmen, sondern eine Arbeit, bei der man in Kontakt mit der inneren Vorstellungswelt und ganz persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen tritt. Statt mit seiner Umwelt muss man lernen, mit den Formen und Figuren der eigenen Phantasie zu kommunizieren. Schon beim ersten Wochenende in Weilheim fiel auf, wie schwer dies den meisten Teilnehmerinnen fiel. Und auch in Freiburg wurde die Schreibaufgabe zuerst eher leidenschaftslos aufgenommen. Die meisten Mädchen drückten sich. Noch schnell was trinken, noch schnell was essen, noch schnell aufs Klo, noch schnell telefonieren, noch mal schnell was trinken und dann vielleicht noch mal schnell aufs Klo. Julia Willmann: „… Ich saß im Hof vom Jugendhilfswerk in der Sonne und sah mir alle Noch-Schnell‘s an, die vorbeikamen, und mir fiel wieder ein, was mein aller erster Dozent Dick Ross an der Filmhochschule zu uns gesagt hatte: Versucht mal, euch selbst dabei zu beobachten, was euch alles einfällt, um nicht schreiben zu müssen.“ Beim Schreiben ist man auf sich selbst zurückgeworfen, auf das Material, das man aus seinem Inneren generiert. Das verlangt oft Überwindung und bewirkt eine diffuse Unruhe und eine Situationswahrnehmung, die die Mädchen verkürzt gern „langweilig“ nennen. Es kommt einem manchmal so vor, als stünde dahinter auch die unbewusste Angst vor dem, auf was man bei dieser Reise nach Innen stoßen könnte. Oder auf was man alles nicht stoßen könnte… Schreiben hat viel mit Selbsterkenntnis und Selbstausdruck zu tun. Ein eigenes Statement verfassen – das verlangt Selbstreflexion, das Eintauchen in eine Vorstellung oder in eine Träumerei. Dem Großteil der Mädchen war diese Arbeit fremd. Beim Thema „Mein größter Traum“ war spürbar, wie schwer es manchen fiel, durch die Oberfläche ihrer eigenen Wünsche zu stoßen und sich überhaupt mit dem auseinander zu setzen, was sie sich erträumten und wünschten. Ganz wichtig war da, von pädagogischer Seite her Anregungen zu geben, immer und immer wieder nachzuhaken, den Mädchen zu helfen, sich auf eine Vorstellung tiefer als nur einen Halbsatz lang einzulassen. Wo also anfangen? Am Anfang. Wirklich ganz am Anfang. X-pressive! erforderte gerade aufgrund seines offenen und individuell künstlerischen Ansatzes eine sehr minutiöse Vorbereitung und Koordination: Um die Mädchen durch einen flüssigen Ablauf der Aufgaben bei der Stange zu halten, war eine genau durchdachte Struktur notwendig, die sich gut ergab, wenn Schreiben und Fotografieren sich abwechselten. Interessanterweise waren es gerade die anfangs unbeteiligten und zögerlichen Teilnehmerinnen, die sehr authentische und persönliche Texte schrieben. Am Ende des Wochenendes bei der Feedbackrunde waren sich alle Mädchen einig, dass die Schreibaufgabe „dann doch echt Spaß gemacht“ hatte (vgl. Willmann 2005).
Auffällig war … In Freiburg vermieden es zunächst alle Teilnehmerinnen, sich gegenseitig zu fotografieren, während es für die jüngeren Mädchen in Weilheim das Bedürfnis war, sich selbst und einander in Szene zu setzen, sich darzustellen und spielerisch in Posen festzuhalten, die sie lustig, schön, cool, sexy fanden. Die Freiburger Mädchen machten kaum Fotos von sich und waren komplett darauf konzentriert, ihre Umwelt festzuhalten. Anders als die Weilheimerinnen, die erst lernen mussten, ihren Blick über sich selbst hinaus nach draußen zu öffnen, brauchten die älteren Mädchen
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Ermutigung, um sich (wieder) selbst darzustellen und darstellen zu lassen. Die Weilheimer Gruppe hatte noch eine sehr homogene Vorstellung davon, wie sie sich gerne zeigen wollte: In Posen, die sie aus Videoclips, aus der Werbung, aus Magazinen kannte. Diese „Vor-Bilder“ waren für die Mädchen der zweiten Gruppe nicht mehr aktuell. Losgelöst von solchen einheitlichen ästhetischen Idealen hatten sie offenbar noch keine klare neue Vorstellung davon, wie sie sich selbst darstellen wollten; sie waren unsicherer und verlorener auf diesem Gebiet. Einige haben es gewagt, sich von diesem „Nullpunkt“ aus neuen „Selbstbildnissen“ anzunähern. Solche Prozesse sind spannend – nicht nur für die Mädels (vgl. Erfahrungsbericht Julia Willmann, www.multilinenet.de, 2005). Um zu verhindern, dass die Wochenenden ins Ziellose abglitten und die Arbeitsatmosphäre sich in einem schwammigen, laschen “Alles-was-wir-tun-ist-Kunst”-Gehabe auflösten, war von pädagogischer Seite ein hohes Maß an Wachsamkeit, Flexibilität und Improvisationsvermögen bei gleichzeitiger “Konzept-Treue” gefragt.
Abb. 6
Kommentare von Teilnehmerinnen „Mir hat das Wochenende sehr, sehr gut gefallen. Ich habe schon einige Workshops gemacht und ich muss sagen, das war einer der besten. Ich fand erst einmal sehr gut, dass es eine lockere, entspannte Atmosphäre war. Was ich außerdem einzigartig fand, war die Verpflegung. Es war klasse, dass immer Essen zur Verfügung stand und das gemeinsame Kochen war auch gut. Das Fotografieren hat mir sehr viel Spaß gemacht, vor allem die Idee mit dem Personen fotografieren und das darauf folgende Schreiben eines inneren Monologs – eine geniale Idee!“ Janina, 15 Jahre „Das Fotografieren für die Musik fand ich auch richtig gut. Leider waren wir zu sehr unter Zeitdruck, dann wurden alle zickig. Trotzdem hat es Spaß gemacht! Ich habe von Julia viel gelernt und es hat Spaß gemacht etwas von ihrer Lebenseinstellung und Erfahrung zu lernen. Alles in allem war es echt ein klasse Kurs!“ Jule, 17 Jahre „Ich fand die zwei Tage eigentlich voll interessant, besonders gefallen hat mir die Musik-LiedBildgeschichte. Einfach so Leute fotografieren war anfangs bisschen schwer, weil ich erst nicht so mutig war. Aber dann nach einigen Bildern ging’s. Aber im Großen und Ganzen hat es Spaß gemacht und war ne tolle Sache!“ Linda, 16 Jahre
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„Ich fand die zwei Tage sehr interessant, hauptsächlich aber auch spaßig, da eine total gute Atmosphäre zwischen den Kursmitgliedern war. Es war interessant die einzelnen Bezeichnungen der verschiedenen Fotografier-Möglichkeiten kennen zu lernen. Die Fotogeschichte war sehr lustig, nachdem wir unsere Hemmungen verloren hatten. Insgesamt hat es sehr viel Spaß gemacht.“ Xenia, 16 Jahre „Das Wochenende war genial! Ihr habt echt alles gut vorbereitet und vor allem ihr habt nicht irgendwas auswendig gelernt, sondern ihr wusstet was ihr sagt und sagen wolltet. Außerdem habt ihr nicht gesagt so wollen wir das, so ist das, so wird das gemacht, fertig, darüber wird nicht diskutiert, sondern ihr habt uns das Wesentliche entscheiden lassen. Ihr wusstet, was ihr vorgeben musstet und was wir selber entscheiden können. Es war voll chillig und überhaupt nicht stressig. Alles in allem einfach lustig, geil und super…! So war das Wochenende mit was Sinnvollem gerettet!“ Daniela, 16 und Sarah, 17 Jahre „Wir konnten zwar vorher auch schon Fotos machen, aber nun sind wir Profis! Wir haben schnell gemerkt, dass Fotos schießen nicht sehr einfach ist und fast schon Sport, doch gerade das ist der Kick an der Sache! Das geilste an der Sache war die Fotogeschichte, wir konnten dort nämlich in total andere Rollen schlüpfen … es hat sich auf jeden Fall gelohnt das Wochenende zu opfern, da es sehr geil, interessant und spaßig war!“ Anita, 16 Jahre
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„Das Wochenende war echt interessant. Man konnte fast alles mit den Kameras machen, das war voll cool. Die beiden haben uns immer erklärt was wir machen müssen, dann haben wir das auch immer gemacht. Wir mussten immer in Dreiergruppen zusammen arbeiten. Hat auf jeden Fall voll Spaß gemacht.“ Lisa, 13 Jahre „Ich würde gerne die Zeit bis zu dem Wochenende zurückdrehen, damit wir das immer machen können.“ Gjuli, 14 Jahre „Ich fand das Wochenende richtig cool, es hat auch viel Spaß gemacht. Julia war auch richtig nett, man konnte sie alles fragen, auch wenn man es beim ersten Mal nicht ganz verstan-
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den hat. Ich habe jetzt auch gelernt, wie man Fotos mit dem Goldenen Schnitt macht und ich muss sagen, dann sind die Fotos doppelt so schön. Ich würde es jeder empfehlen, die sich für das Fotografieren interessiert, das einmal mitzumachen. Ich bin froh, dass ich daran teilgenommen habe und habe es auch gleich selber zu Hause ausprobiert –- das Fotografieren mit dem Goldenen Schnitt –- und es war klasse.“ Melanie, 16 Jahre
Pädagogische Einschätzung von Evelyn Schmidt, Pädagogin in Weilheim Im Jugendhausalltag beschäftigt man sich mit dem Thema „Fotografie“ normalerweise nicht sehr professionell (zumindest bei uns bisher nicht). Man macht zwar relativ schöne Fotos für die Monatsprogramme, die Internetseite oder einen Bericht im Mitteilungsblatt, jedoch inszeniert man sie kaum so überlegt und gewissenhaft, wie wir es an diesem Wochenende getan haben. Obwohl die Mädchen schnell und ziemlich ungeduldig arbeiteten, so dass teilweise der Eindruck entstand, sie würden die einzelnen Themen nicht richtig aufnehmen und in die Materie einsteigen, haben sie an diesem Wochenende sehr viel gelernt. Durch das regelmäßige Besprechen der Bilder wurde der Lerneffekt erhöht, da es die einzelnen Grundregeln und Anregungen immer wieder veranschaulichte und verdeutlichte. Während des Workshops konnte man eine deutliche Verbesserung der Ergebnisse erkennen. Auch die nicht enden wollende Lust zu fotografieren und alles auszutesten zeigt, wie viel Spaß den Mädchen das Wochenende gemacht hat. Noch immer fallen im Jugendtreff Begriffe, die zwar nicht immer richtig benannt werden, die aber richtig erklärt und auf Fotos richtig zugeordnet werden. Auch erzählen mir die Mädchen, dass sie noch immer verschiedene Perspektiven und Einstellungen zu Hause austesten und ausprobieren. Die von den Mädchen fotografierten Bildergeschichten hängen im Jugendtreff aus, dadurch kommt es immer wieder vor, dass sie anderen Besuchern die Fotos erklären und warum sie welche Einstellung gewählt haben usw. Das stärkt vor allem das Selbstwertgefühl der Mädchen. Was wirklich erstaunlich ist, ist die Erkenntnis der Mädels, dass es tatsächlich „cooler“ ist, hinter der Kamera zu stehen als davor. Schließlich kann man hier sagen, was gemacht werden muss. Diese klare Rollenverteilung (die Fotografin bestimmt!!!) machte deutlich, dass gute Fotos nicht nur von einem tollen Model oder Objekt abhängen, sondern vor allem von einer tollen Fotografin und dass man hinter einer Kamera genauso wichtig ist wie davor. Auch ich konnte viel über meine eigene Kamera lernen. Es ist erstaunlich, wie viele Möglichkeiten die Digitalfotografie bieten kann, wenn man sich ernsthaft mit ihr beschäftigt und auseinandersetzt. Dieser Workshop bietet einen optimalen Einstieg für unser in Kürze geplantes Videoprojekt. Schon im letzten Jahr haben wir einen „kleinen“ Kurzfilm gedreht, wobei unsere Vorgehensweise recht unstrukturiert war. Für einen Film wurde z.B. viel zu viel geredet um etwas auszudrücken. Bei X-pressive! haben die Mädchen ja nun erfahren, wie man durch Mimik, Gestik und Körpersprache Gefühle ausdrücken kann, und was man fotografieren muss, um etwas Bestimmtes zu vermitteln. Dies wird uns sicherlich beim Filmen eine große Hilfe sein und langweilige Dialoge überflüssig machen. Ich baue fest darauf, dass es dieses Jahr nicht nur Schauspielerinnen bei unserem Filmprojekt gibt, sondern eine gute Rollenverteilung möglich ist, die Gruppenprozesse fördert und die Wichtigkeit jedes einzelnen Mädchens im Projekt unterstreicht (vgl. Schmidt 2005).
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Bilder verstehen – eine Schlüsselkompetenz der Bilderwelt des 21. Jahrhunderts Wer ist sich schon bewusst, dass hinter jedem Bild der täglichen Bilderflut viel mehr steckt als ein einfaches „Klick“ eines Auslösers? Beim ersten Workshop fiel auf, dass die Mädchen mit Fotos, auf denen keine Menschen abgebildet sind, zu Beginn recht wenig anfangen konnten. Die jüngeren Mädchen schienen vor allem über die zeitgenössische deutsche Fotografie der neunziger Jahre leicht irritiert, da sie sich doch sehr von der täglichen Bilderflut in den Printmedien unterscheidet, wo wir es entweder mit Reportagefotografie zu tun haben oder mit einer Art Perfektionsfotografie, in der es hauptsächlich darum geht, Idealmaßkörper so glänzend wie möglich in Szene zu setzen. Jugendliche zu einem bewussten Blick auf die Medien zu ermutigen, ist heute besonders wichtig, da dieser ihnen verdeutlichen kann, dass es sich bei den Bildern in den Medien um Produkte einer Industrie handelt und nicht um eine heile Parallelwelt, in die auch wir gelangen können, wenn wir nur freudig konsumieren. Vor allem Mädchen und junge Frauen sind heute mehr denn je von den Machbarkeitspostulaten der Schönheits- und der Medienindustrie unter Beschuss genommen. Eine aktive Fotoarbeit bietet die Chance, sich handelnd mit der Inszenierung von Wirklichkeit auseinander zu setzen. Wir können uns nicht abschotten von Bilderflut, Schönheitswahn und Manipulation, aber wenn wir eigene Bilder, bewegte oder unbewegte schaffen, können wir die Bilder, mit denen wir tagtäglich konfrontiert sind, besser verstehen und uns gegen ihren Einfluss auf unser Selbstbild auch besser schützen. Eine Teilnehmerin im Kurs sagte dazu: „… jede von uns ist ein Model mit der richtigen Belichtung…und außerdem ist der Platz hinter der Kamera ja vielleicht tatsächlich interessanter als der davor.“ Nun stellt sich die Frage, wie die Ergebnisse, die während der Aktion entstanden sind – Digitalfotos verschiedenster Motive und Stilrichtungen und literarische Texte – am besten präsentiert wurden könnten. Angedacht ist eine Ausstellung, die eine sinnvolle Auswahl der Ergebnisse zugänglich macht. Welche, wie, wo, wann und vor allem: mit welchem Geld?, das sind Fragen, die als nächstes beantwortet werden müssen. Bleibt zu hoffen, dass wir das mittelfristig hinkriegen. Wie sagt Julia Willmann: „Ich brauch‘ mir nur die Gesichter der Mädels vorzustellen, wenn sie vor ihren Werken stehen.“ Als Projektleiterin der Vernetzungsplattform Multiline freue ich mich über die gelungene Kooperation mit den engagierten Pädagoginnen Evelyn Schmidt und Anni Kramer und der guten Zusammenarbeit mit Julia Willmann und Julia Daiber und hoffe auf eine Vernissage mit allen Teilnehmerinnen und auf weitere Kontakte mit spannenden Projekten über www.multiline-net.de.
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Literatur Eble, Karin/Schumacher, Irene (Hrsg.) (2003): medi@girls. Medienprojekte für Mädchen. München: Kopaed Verlag Fiege, Jürgen (2002): Die Dauer des Augenblicks. Ein foto-pädagogisches Handbuch. München: Kopaed Verlag Holzbrecher, Alfred/Schmolling, Jan (Hrsg.) (2004): Imaging – Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Röll, Franz Josef (1998): Mythen und Symbole in populären Medien. Der wahrnehmungsorientierte Ansatz in der Medienpädagogik. Frankfurt a.M.: GEP
Online-Quellen http://www.multiline-net.de/index.html?inhalt=4925&ParentInhalt=570 (Stand: 09.01.2006) http://www.multiline-net.de/DB-FILE/Weilheim_Erfahrungsbericht_JuliaW.pdf?id=7089&project= atl_Multiline (Stand: 09.01.2006) http://www.multiline-net.de/DB-FILE/bericht_weilheim.pdf?id=6928&project=atl_Multiline (Stand: 09.01.2006)
FamilienBilder. Foto - Text - Aktion im öffentlichen Raum Sandra Tell
1 Projekt „FreiburgerFamilienFotos“ 1.1 Vorüberlegungen und Konzeption Im Zusammenhang mit der Ausstellung „FamilienBilder“ des Deutschen Jugendfotopreises führte die Fotoprojektgruppe der Pädagogischen Hochschule in Freiburg im Sommer 2005 eine Fotoaktion in der Freiburger Innenstadt durch. An einem Samstag im Juli wurden auf dem Freiburger Rathausplatz Familienfotos gemacht und die fotografierten Familien konnten sich dazu äußern, was Familie für sie bedeutet. Für die Planung der Aktion standen der Gruppe keine Erfahrungen zur Verfügung, die Durchführung hatte daher experimentellen Charakter. Die Darstellung und Auswertung dieser Aktion soll es ermöglichen, verallgemeinernde Aussagen zu treffen bzw. die Potenziale einer Fotoaktion im öffentlichen Raum auszuloten. Als Ziele für die Aktion wurden formuliert: 1 1 1 1
Hinweis auf die Ausstellung zum Thema „FamilienBilder“ in der in der Nähe des Aktionsorts gelegenen Filiale der Volksbank Öffentlichkeitsarbeit/Werbung für die fotopädagogische Arbeit der Projektgruppe (vgl. Freiburger Jugendfotopreis: www.fjfp.de) Anregung zum Nachdenken über den Begriff ‚Familie‘ Erforschung der Fragestellung: „Was verstehen die Teilnehmenden unter Familie und wie inszenieren sie sich als Familie in den Fotos?“ Unser Interesse lag dabei auch im Bereich der fotografischen Gestaltungsmittel.
In der Vorbereitungsphase waren folgende Vorüberlegungen für die Planung relevant: 1 1 1 1
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Die Kameras sollen aus versicherungstechnischen Gründen nicht aus der Hand gegeben werden. Deshalb sollen die StudentInnen die Rolle des Fotografen übernehmen. Die Passanten übernehmen die Regie für die Fotos selbst, inszenieren sich (Ort, Hintergrund, Aufstellung…) und dirigieren den Fotografen. Als Zeitpunkt für die Aktion wird ein Samstag gewählt, da an diesem Wochentag nicht nur Freiburger Bürger, sondern auch viele Touristen in der Stadt unterwegs sind. Der zentral gelegene Rathausplatz wird als Ort gewählt, da dort eine einladende Atmosphäre herrscht, viele Menschen eine Pause machen, z.B. um die Hochzeitsgesellschaften zu sehen, die aus dem Standesamt kommen. Außerdem bietet der Platz viele Möglichkeiten für abwechslungsreiche Inszenierungen. Auf einer Karte sollen die Passanten eine kurze Aussage treffen, was Familie für sie bedeutet. Außerdem werden sie um die Freigabeunterschriften für eine Veröffentlichung der Bilder im Rahmen der Ausstellung und der Begleitforschung gebeten. Auf einer vorbereiteten Pinnwand werden die Karten dann mit der Themenseite nach vorn aufgehängt.
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Die Stellwände werden mit Plakaten und Jugendfotos aus unseren Projekten und den Karten gestaltet. Als Eyecatcher wählen wir Plakate mit dem Motto „ Freiburger Familienfotos – Sie inszenieren, wir fotografieren“. Auf einem Infotisch wird Bild- und Textmaterial zum Deutschen Jugendfotopreis, zu unserer Projektgruppe und zur Ausstellung ausgelegt. Die bei der Aktion entstehenden Fotos und Texte werden zur Ausstellung in der Volksbank („FamilienBilder“ des Deutschen Jugendfotopreises) hinzugefügt.
1.2 Durchführung und Evaluation Die Wirksamkeit einer solchen Aktion zu untersuchen stellt wegen der vielen, schwer ‚messbaren‘ und sich wechselseitig bedingenden Variablen naturgemäß eine große Schwierigkeit dar. In einer ersten Annäherung können folgende Leitfragen dazu dienen, dieses Wirkungsgeflecht transparenter zu machen: 1. Inwiefern waren Raum (Ort) und Zeit (Wochentag, Tageszeit) für die Durchführung der Aktion und die Realisierung der inhaltlichen Zielperspektiven geeignet? 2. Wie ist das Setting der Aktion (Stellwände mit Fotos und Plakaten, Informationsstand, Laptop für die Fotos, große Leinwand als Fotohintergrund, mit Digitalkameras ausgestattete Studierende, die Passanten ansprechen…) zu beurteilen? 3. Wie ist die Bereitschaft der PassantInnen, sich auf die Aktion einzulassen (fotografieren, schreiben von Kurztexten, Gespräche z.B. am Infotisch), unter den Kontextbedingungen des Raums und der Zeit einzuschätzen? Gibt es bestimmte Bevölkerungsgruppen, die dazu eher bereit sind? 4. In welcher Weise gestalten die Passanten die fotografische Inszenierung sowie die Kurztexte zu ihren Familien-Bildern unter den Kontextbedingungen des Raumes und der Zeit?
1.2.1 Raum / Zeit und Setting der Aktion Der gewählte Rathausplatz erweist sich wegen des großen Publikumsverkehrs, nicht zuletzt wegen der vielen Hochzeitsgesellschaften vor dem Standesamt, als sehr günstig für eine solche Aktion, der Platz wirkt sehr einladend, es gibt mehrere Sitzmöglichkeiten, ein nahe gelegenes Eiscafé… Der vom Amt für öffentliche Ordnung genehmigte Stand durfte den Passantenstrom nicht behindern, andererseits wollten wir durch die Stellwände und vor allem den großen, im rechten Winkel dazu an einer Wäscheleine aufgehängten Vorhang (‚Leinwand‘) einen relativ ‚ruhigen‘ Fotografier- und Gesprächs-Raum schaffen. Es hat sich gezeigt, dass die Bereitschaft zur Teilnahme im Laufe des Tages zunahm (Aktionszeitraum von ca. 11.00 bis 15.30 Uhr), vermutlich hatten die Passanten dann Zeit, da ihre Erledigungen in der Stadt abgearbeitet waren. Am Stand wurden neben verschiedenen Veröffentlichungen des Projekts auch verschiedene Preisträger-Bildbände des Deutschen Jugendfotopreises ausgelegt. Dazu kamen Kontaktadressen für interessierte Pädagogen und Informationsmaterial zur Einordnung des Projekts. Um auf die Ausstellung hinzuweisen, zu der die Familienbilder-Aktion begleitend durchgeführt wurde, waren aus verschiedenen Richtungen einsehbare Plakate angebracht worden. Der Laptop kam nicht zum Einsatz, da das Verschicken der Bilder per E-Mail mittels des öffentlichen W-Lan zu
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lange gedauert hätte bzw. die Datentransferrate sehr gering war. Ein regelmäßiges Herunterladen der Fotos von den Kameras erwies sich ebenfalls als zu zeitaufwändig und nicht praktikabel. Aus diesem Grund wurden die Fotos zu einem späteren Zeitpunkt versendet. Die Aufgabe der FotografInnen, Studierenden der Pädagogischen Hochschule, bestand darin, Passanten anzusprechen und Familienfotos zu machen und dabei die Familien selbst entscheiden lassen, wie sie sich in Szene setzen bzw. das Bild gestalten wollen. Fotografiert wurde mit digitalen 4-Megapixel-Kameras mit dreifachem optischem Zoom.
1.2.2 Bereitschaft der PassantInnen, sich auf die Aktion einzulassen Bei vielen derartigen Aktionen hält sich die Zahl derjenigen in Grenzen, die aktiv auf einen Infotisch zugehen, sich informieren bzw. das ausgelegte (Bild-)Material ansehen wollen. Auch bei unserer Aktion gab es viele, die ‚im Vorübergehen‘ einen Blick auf die Bildkataloge des Deutschen Jugendfotopreises warfen, und einige davon konnten in ein Gespräch verwickelt werden, wenn man sie ansprach und ihnen etwa ein Informationsblatt zu den Aktivitäten der FotoProjektGruppe an der PH Freiburg gab. Bei anderen musste man den Eindruck gewinnen, dass sie das Gespräch scheuen. Es ist schwer abzuschätzen, wie viele der Angesprochenen wirklich keine Zeit hatten und in Eile waren und wie viele sich nicht auf die Situation einlassen wollten. Da man gerade in Städten sehr häufig angesprochen wird (Werbung, Bettler…) ist eine generelles Misstrauen gegenüber solchen Situationen vermutlich eine Ursache für vereinzelt unfreundliche Reaktionen. Aufgabe der Fotografierenden war es, aktiv auf – möglicherweise – an der Fotoaktion interessierte Personen, z.B. Familien mit Kindern, zuzugehen, sie zu bitten, sich fotografieren zu lassen, dabei zu fragen, welche Pose ‚die richtige‘ sei. Dann wurden sie gebeten, zu ihrem Foto einen kleinen Text („Familie bedeutet für mich…“) zu schreiben sowie eine Einwilligung zu geben zu einer möglichen Veröffentlichung mit dem Kurztext im Rahmen der FamilienBilder-Ausstellung in der Volksbank-Filiale. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die Bereitschaft, sich an solch einer Aktion in dieser Form aktiv zu beteiligen, ein hohes Maß an Selbstbewusstsein voraussetzt, ist es sehr erfreulich, dass so viele Passanten, hier besonders auch die Frauen, bereit waren, sich zu diesem sehr persönlichen Thema im öffentlichen Raum zu präsentieren und zu äußern. Es erwies sich als schwierig, andere Familienkonstellationen außer Eltern mit jüngeren Kindern vor die Kamera zu bekommen. Denn als die Fotografinnen gezielt die Auswahl der anzusprechenden Personen erweiterten, bekamen sie oft die Rückmeldung, dass sie sich nicht als Familie fühlten und deshalb nicht teilnehmen wollten. Daraus könnte man schlussfolgern, dass das Familienbild (in Deutschland?) immer noch stark von der Konstellation der klassischen Kernfamilie (Vater/Mutter/Kind) geprägt ist, – oder wir zumindest nicht in der Lage waren, andere Modelle in unseren Bildern darzustellen. Es fehlen auch Bilder mit Jugendlichen; diese gehen eher nicht mit der Familie einkaufen oder sie waren gegebenenfalls nicht bereit, sich an der Aktion zu beteiligen. Einzige Ausnahme war eine Pfadfindergruppe, die sich intensiv auf die Aktion eingelassen hat. Familien, die auf dem Platz saßen, waren viel eher bereit, an der Aktion teilzunehmen, als Personen, die im Vorbeigehen angesprochen wurden. Dabei könnte es eine Rolle spielen, dass sie das Geschehen in Ruhe beobachten und einschätzen konnten. Ein wichtiger Anreiz für die Teilnahme war sicherlich, dass die Familienbilder per E-Mail verschickt werden sollten.
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1.2.3 Selbst - Inszenierung als Familie Unsere Ziel war es, die Familien ihr Foto selbst gestalten zu lassen. Dieses Vorhaben konnte in den meisten Fällen nicht oder nur sehr oberflächlich umgesetzt werden. Offensichtlich wurden die Studierenden/FotografInnen unseres Fotoprojekts als ‚Experten‘ wahrgenommen – und ihnen die Gestaltung „ anvertraut“. Das wichtigste Kriterium war häufig, dass alle als Familie gemeinsam im Bild sind. Zu Beginn der Aktion fiel die Wahl des Hintergrunds hauptsächlich auf das Naheliegende – den Vorhang neben dem Stand. Auch der Impuls, andere Möglichkeiten zu nutzen, brachte hier nur die Reaktion, dass der Vorhang doch gut sei. Doch da der Vorhang durch aufkommende Windböen nach kurzer Zeit nicht mehr zu gebrauchen war, war diese Vorgabe aus dem Spiel. Diejenigen Familien, die an ihrem Sitzplatz angesprochen wurden, wählten öfter diesen als Aufnahmeort. Insgesamt wurden die Familien damit kreativer. Gemessen an unseren Ansprüchen war ein Mangel an Gestaltungsideen zu beobachten. Dass „alle gemeinsam auf dem Bild sind“ (s.o.), zeigt, dass viele der an der Aktion beteiligten Familien ihre Zusammengehörigkeit demonstrieren wollen. Es muss offen bleiben, ob und inwiefern dies ein beschworenes Wunschbild ist oder ihrer Wirklichkeit entspricht. Sicherlich ist derzeit nicht davon auszugehen, dass jemand bei einer solchen Aktion im öffentlichen Raum in differenzierter Weise etwa Kritik am Modell der Kleinfamilie übt oder deren Beengtheit aus der Erfahrung als Kind hervorhebt. Die beteiligten Familien zeichneten, wie die Fotos und die Texte zeigen, ein durchgängig positives und harmonisches Bild der Familie. Es erstaunt wenig, dass sie dabei auf die klassischen fotografischen Inszenierungsmuster zurückgriffen. Ist doch vermutlich davon auszugehen, dass dieses ‚innere Bild‘ als Vorlage für die eigene Inszenierung diente. Die Möglichkeit von Spiel-Varianten, in denen ein solches In-SzeneSetzen kreativ mit entsprechenden Gesten oder mit Hilfe fotografischer Mittel ausgestaltet wurde, haben die meisten nicht entdeckt. Vielleicht lag dies an den raum-zeitlichen Rahmenbedingungen, vielleicht auch daran, dass man sich als Alltags-Knipser – und das sind wohl die meisten Menschen – nur wenig Gedanken darüber macht, wie ein Bild auch anders inszeniert werden könnte. Eigeninitiative und Regieanweisungen kamen vorwiegend von Seiten der Frauen. Auch beim Ausfüllen der Textkärtchen war zu beobachten, dass eher die Frauen diese Aufgabe übernahmen und oft die Kinder gefragt wurden, was für sie Familie sei…
1.2.4 Plakate für die Ausstellung der Bilder mit vollständigen Originalzitaten der Familien1 Abb. 1-4 (folgende Seiten)
1 Die Aufnahmen wurden gemacht von Ute Gröger, Holger Klose und Lin Xue; Zusammenstellung Sandra Tell.
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2 Fotoaktionen im öffentlichen Raum 2.1 Erkenntnisse aus der Familienbilderaktion Aus der dargestellten Aktion im Sommer 2005 lassen sich aus unserer Sicht folgende Schlussforderungen ziehen: 1
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Fotografieren und sich-fotografieren-lassen im Rahmen einer solchen Aktion ist vor allem dann reizvoll, wenn dabei Produkte entstehen, die sonst nicht oder nur schwer entstehen würden. Ein Anreiz ist auch, dass die Fotos per E-Mail digital an die betreffenden Personen verschickt werden. Von großer Bedeutung ist eine entspannte Atmosphäre, d.h. ein Ort in der Fußgängerzone zur Rushhour ist wenig geeignet. Fotografieren als soziale Alltagspraxis ist geprägt durch ‚Knipsen‚ mit der Absicht, etwas zu Erinnerungszwecken und zur Beglaubigung der eigenen Anwesenheit am fremden Ort („ich war da“) abzulichten. Von hier aus ist es ein großer Schritt „zum Amateur“, der ausgehend von einer klareren Fotografierabsicht auch mit unterschiedlichen Perspektiven und Bildaussagen spielt. Zu berücksichtigen ist der „Intimitätsgehalt“ des Themas, der zu Zurückhaltung führen kann, sich auf die Aktion einzulassen. Andererseits zeigt die Erfahrung, dass viele Passanten sich gerne in ein Gespräch verwickeln lassen, wenn sie auf interessante Dinge hingewiesen werden (z.B. LehrerInnen auf unsere fotopädagogische Arbeit). Texte schreiben zu lassen ist eher schwierig im Rahmen einer solchen Aktion; dies stellt eine Hürde dar, die für viele recht hoch ist. Möglicherweise eignen sich Gespräche ausgehend von Fotos eher, diese Hemmschwelle zu umgehen. Notwendig scheint in jedem Fall, sich über die Ziele und Prioritäten einer solchen Aktion im Klaren zu sein: Möchte man Aufmerksamkeit erregen? Hinweisen auf bestimmte Sachverhalte? Anklagen/appellieren? Ein Thema inszenieren? Geht es in erster Linie um einen Arbeitsprozess oder ein Ergebnis? Ist die Öffentlichkeit aktiv beteiligt oder werden Passanten nur indirekt in den Prozess der Fotografie einbezogen, z.B. durch Kommentare zu einer Ausstellung? Von größter Bedeutung scheinen die Ramenbedingungen zu sein, die der raumzeitliche Kontext vorgibt. Sie determinieren nicht nur, ob und in welcher Weise ein Thema ‚zur Sprache‘ gebracht werden kann, sondern auch das eigene Verhalten: Wo und wie greift man ein und wird aktiv? In welchen Situationen lässt man einen Prozess geschehen und rückt in eine Beobachterperspektive? Mit welcher Offenheit lässt man sich auf experimentelle Situationen ein?
2.2 Ideen für Aktionen Fotoaktionen im öffentlichen Raum sind in vielerlei Form und mit ganz unterschiedlichen Zielsetzungen denkbar. Wenn die Rahmenbedingungen und die gewählten Ziele der Aktion passend gewählt werden, bieten sie eine spannende Möglichkeit zum Kontakt mit der Öffentlichkeit. Hier nun als Anregung einige Ideen für Aktionen:
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Sozialräume wahrnehmen Die fotografische Darstellung der eigenen Umgebung, beispielsweise durch das Entdecken von Spuren der Geschichte oder anderer Kulturen in der eigenen Lebenswelt, kann Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Thema wecken. Durch eine Art visuelles Protokoll wird die Wahrnehmung auf ein Thema gerichtet (und für die Zukunft auch verändert), das dann auch weiteren Menschen zugänglich gemacht werden kann. Visuelle kommentierte Stadtpläne Vorstellbar wäre hier ein Projekt in zwei Stufen: Eine Arbeitsgruppe (Beispielsweise eine Schulklasse) fotografiert in der Stadt subjektiv bedeutsame Orte und erstellt einen visuellen Stadtplan (z.B. durch Verknüpfung von Karte und Fotos). In einem zweiten Schritt wird im öffentlichen Raum Gelegenheit geschaffen, zu den Fotos eigene Kommentare, Geschichten und Vorschläge für weitere Fotos zu sammeln. Dabei kann auch mit Interviews (Fotos als Erzählanlass) gearbeitet werden und so beispielsweise ein subjektives historisches Bild der Stadt erstellt werden. Ergänzt werden könnte diese Aktion auch durch eine interaktive Online - Plattform zum Austausch von Tipps als „alternativer Reiseführer“ im Internet. Problemwand Ebenso denkbar wäre in dieser Form eine Sammlung von veränderungswürdigen Orten, eventuell mit Aktionen verbunden, die dann in einer Gegenüberstellung (vorher/nachher) präsentiert werden. Das Ganze kann auch mit Hilfe der Bildbearbeitung in Form einer Zukunftsvision umgesetzt werden. Portraitaktionen gegen Vorurteile Es wäre denkbar, in Form eines Quiz Vorlieben und Interessen zu Portraitfotos verschiedener Menschen (Passanten oder vorher fotografierte Freiwillige) zuordnen zu lassen, um klar zu machen, welche Zuschreibungen wir ‚auf den ersten Blick‘ machen, und diese Vorurteile aktiv zu durchbrechen. Sozial(dokumentarische) Fotografie mit Lebensgeschichten Die fotografische Dokumentation des Alltags oder besonderer Lebensereignisse einzelner Individuen (als Angehörige bestimmter gesellschaftlicher Gruppen) in Verbindung mit den Lebensgeschichten der portraitierten Menschen kann die Öffentlichkeit auf Lebensumstände hinweisen und zur Veränderung aufrufen, aber auch unbekannte Seiten aufzeigen und Interesse wecken. Das sonst nicht Sichtbare wird wahrnehmbar, der Blick hinter die Kulissen kann die Vorstellungen über den Anderen, unsere Bilder im Kopf, verändern. Die visuellen Medien haben ein großes Potential, Aufmerksamkeit zu erregen; Fotografien und der Akt des Fotografierens wecken Interesse und bieten teilweise durch ihre Mehrdeutigkeit Raum zu eigenen Gedanken. Die Verbindung von Fotografie mit Text bietet die Chance einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit den Inhalten. Das Potential dieser Verbindung im Dialog mit der Öffentlichkeit zu nutzen – darin besteht die spannende Aufgabe für die Konzeption von Projekten dieser Art.
Daily Soap – Fotoroman Carina Abt
1. Warum Daily Soaps interessant erscheinen Medien nehmen im Alltag heutiger Jugendlicher einen hohen Stellenwert ein. Nicht umsonst wird die Jugend der letzten beiden Jahrzehnte als Multimedia-Generation bezeichnet. Sie sieht es als eine Selbstverständlichkeit an, dass ihr Medien wie Fernsehen, Handy, Digitalkamera und Computer zur Verfügung stehen und nutzt diese größtenteils automatisiert und habituell. Selbst in der Schule oder am Ausbildungsplatz kann man der Mediennutzung inzwischen nicht mehr entgehen, ja sie wird sogar vorausgesetzt. Unter den genannten Medien nimmt jedoch das eigentlich alte Medium, der Fernseher, noch immer eine dominante Stellung ein. So besagt die 14.Shell Jugendstudie (vgl. Simon 2004: 86) aus dem Jahre 2002, dass über die Hälfte aller Mädchen und Jungen ihre Freizeit am zweitliebsten mit Fernsehunterhaltung füllen und dieser Beschäftigung lediglich das Treffen mit Freunden voranstellen, welches wiederum durch verschiedene Medien versüßt wird. Daraus lässt sich logisch folgern, dass die heutigen Jugendlichen täglich bzw. mehrmals wöchentlich vor dem Fernseher sitzen. Maßgebliche Gründe für das häufige Einschalten sehen die Jugendlichen selbst in ihrer Langeweile, der Suche nach Spaß und Unterhaltung sowie dem daraus resultierenden Gesprächsstoff (vgl. Simon 2004: 78ff ). Innerhalb der Fernsehangebote bevorzugen Jugendliche Unterhaltungsformate. „Die beliebtesten Fernsehformate sind Serien, Daily Soaps und Sitcoms/Comedy, gefolgt von Krimis/Mystery (…). Serien und Daily Soaps sowie Krimis/Mystery sind von Mädchen bevorzugte Formate. Die Vorlieben der Jungen liegen bei Sitcoms/Comedy, Comics/Zeichentrick, Info/Nachrichten, Musik und Sportsendungen.“ (MPFS 2005: 25). Aber was genau kennzeichnet eigentlich eine Daily Soap? Sie wird werktäglich stets zum selben Zeitpunkt im Vorabendprogramm ausgestrahlt und trägt eine zukunftsorientierte fiktive Geschichte zur Schau, die Realitätsnähe vortäuscht und auf diese Weise den Betrachter emotional einbindet, was auch durch den dramatischen Höhepunkt (Cliffhanger) einer jeden Folge unterstützt wird. Daily Soaps übernehmen also im Alltag Jugendlicher verschiedene Funktionen, befriedigen daher unterschiedliche Bedürfnisse, die individuell verschieden sind: Emotionale Bedürfnisse Ganz oben auf der Liste stehen emotionale Bedürfnisse wie die Lust an Neugier und Spannung sowie die Unterhaltung. Raffinierterweise wird bei der Daily Soap die Neugier befriedigt und gleichzeitig wieder erzeugt, was durch die stilistischen Elemente wie den Cliffhanger und die Endlosigkeit der Handlung möglich ist. Die Serie wird dauerhaft rezipiert. Ferner bietet die Soap Opera einen emotionalen Resonanzboden für die Jugend, indem sie mitlachen, mitfühlen, ja sogar mitweinen kann und darf. Denn vornehmlich werden jugendbezogene Gefühle wie die erste Liebe, Ärger mit den Eltern oder Schulstress behandelt, so dass sie sich gut in die jeweiligen Personen hineinversetzen können.
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Kognitive Bedürfnisse Soaps liefern zahlreiche Informationen über mögliche Problemsituationen, Freizeitgestaltungen oder Trends. Indem unterschiedliche Konfliktarten vorgeführt werden, können die Jugendlichen sich in die jeweilige Situation hineindenken, sie auf sich selbst übertragen und generell reflektieren, wie soziale Probleme entstehen und gelöst werden können. Außerdem wollen Jugendliche möglichst viel über die aktuellen Trends in Mode, Design, Musik oder Freizeitgestaltung erfahren, die meist durch jüngere Protagonisten verkörpert werden. Da Jugendliche zudem auf der Suche nach Identifikationsmodellen sind, was eng mit der Suche nach Ratschlägen und Lösungsvorschlägen für ihre Probleme zusammenhängt, gewinnen Vorbilder und Identifikationsfiguren vor allem in Daily Soaps immer mehr an Bedeutung. Sie unterstützen die Jugendlichen bei der Orientierung in der Gesellschaft (vgl. Götz 2002: 365ff ). Sozial-interaktive Bedürfnisse Eine wichtige Eigenschaft einer Daily Soap ist, dass sie selbst nach ihrer Ausstrahlung im Leben der Jugendlichen präsent bleibt. Sie bietet im Freundeskreis reichlich Gesprächs- und Diskussionsstoff, man kann mit ihrer Hilfe Gemeinsamkeiten und Anknüpfungsmöglichkeiten finden, was für die Einbindung in die Peer-Group und die Entwicklung sozialer Identität von großer Bedeutung ist. Denn der eigene Standpunkt kann dafür entscheidend sein, ob man unter den Gleichaltrigen an Ansehen gewinnt oder eher eine Außenseiterposition einnimmt. Das Mitreden können spielt demzufolge neben der so genannten Folgekommunikation eine große Rolle. Zudem werden die interaktiven Bedürfnisse der Jugendlichen durch andere Medien wie Zeitschriften, CDs, Kalender, Chaträume im Internet, etc. befriedigt, wo sich die Fans über ihre Serie austauschen können. Eine jahrelange Soap-Rezeption hilft selbst das Selbstvertrauen aufzubauen, da man irgendwann ein Fachmann auf diesem Gebiet ist, sich gegenüber anderen beweisen kann und Bestätigung erhält (vgl. Simon 2004: 187ff ). Zeitbezogene Bedürfnisse Jede Art von Konsum kann zu Gewöhnung und Habitualisierung bis hin zur Sucht führen – ebenso die Daily Soaps Rezeption. Die tägliche Wiederkehr zum selben Zeitpunkt ruft ein Gefühl der Vertrautheit und Sicherheit hervor, weshalb sich viele Jugendlichen nur aus Gewohnheit täglich die Soaps ansehen, ein Großteil unter ihnen bezeichnet sich sogar als Soaps-süchtig. Dies führt soweit, dass der Tagesablauf nach der Daily Soap ausgerichtet wird, was Jugendliche durchaus unter Druck setzen kann und andere, wichtige Aufgaben vernachlässigen lässt. Unter den sporadischen Soaps-Sehern ist meist die Bekämpfung von Langeweile der Grund für das Einschalten (vgl. Götz 2002: 371ff ). Linderung sozialer Spannungen und Probleme Für Jugendliche mit wenigen sozialen Kontakten werden Daily Soaps aus Gründen der Ablenkung von den eigenen Problemen oder der Verdrängung von Einsamkeit rezipiert. Sie sehen die Figuren mit der Zeit als wirklich existierende Personen und mehr oder weniger als Freundersatz an (vgl. Simon 204: 180ff ). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Vielzahl von Bedürfnissen durch die Soap-Rezeption befriedigt werden können und diese deshalb eine bedeutende Rolle im Leben Jugendlicher spielen. Das Ausmaß der möglichen Wirkungsweisen ist jedoch stark von Geschlecht, Alter sowie Bildung abhängig.
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2. Daily Soaps in der Fotopädagogik Für die Bildungsarbeit stellt sich damit die Aufgabe, zum einen diese Bedürfnisse aufzugreifen, ohne sie zu denunzieren, zum anderen muss es im Sinne einer reflexiven Medienbildung darum gehen, ideologische Muster und Geschlechtsrollenklischees aufzubrechen und weiter zu entwickeln. An dieser Stelle setzt nun das Medienprojekt Foto-Soap an, bei dem mit Hilfe der Digitaltechnik in besonderer Weise für das Zusammenspiel zwischen Bild und Text sensibilisiert werden kann. Mit Blick auf das medienpädagogische Schlüsselkonzept der Medienkompetenz sind folgende Kompetenzbereiche (vgl. Holzbrecher 2004: 11 ff.) zu unterscheiden, die beim FotoSoap-Projekt zum Tragen kommen: Technische Kompetenz bildet die Basis jeden Handelns mit Medien und lässt sich in einer handlungsorientierten Medienarbeit leicht aneignen. Sie beinhaltet z.B. den Umgang mit der Kamera sowie die Beherrschung eines Bildbearbeitungsprogramms. Während sie dafür sorgt, dass Bilder überhaupt erst entstehen können, fördert die semantische Kompetenz, diese zu deuten und zu bewerten, den Bedeutungsgehalt eines Fotos also vorab mit Hilfe ästhetiktheoretischer Kategorien zu erschließen. Eine gewisse Kenntnis über die Elemente der Bildgestaltung ist hierbei unabdingbar. Die Jugendlichen sollen erfahren, wie mit verschiedenen Perspektiven und Einstellungsgrößen gespielt werden kann und wie gezielt Wirkungen hervorgerufen werden können. Durch Bildunterschriften und Sprechblasen kann die Wirkung eines Fotos beliebig verändert, demnach auch bewusst manipuliert werden. Neben diesen ‚objektiven‘ Regeln gilt es jedoch die subjektiven Deutungsmuster des Betrachters zu berücksichtigen. So nimmt jeder Jugendliche aufgrund seines Geschlechts, seiner Herkunft, seiner Lebensumstände etc. dasselbe Foto unterschiedlich wahr (vgl. auch Strötzel in diesem Band). Den Jugendlichen sollte diese Tatsache verständlich gemacht werden. Mit der semantischen Kompetenz hängt sehr eng die analytisch-reflexive Kompetenz zusammen, wobei letztere v.a. gesellschaftliche Kontexte der Bildproduktion und -rezeption fokussiert. Die Manipulierbarkeit der Medien ist wohl für Jugendliche am besten durch eigene Medienproduktionen wie z.B. das Erstellen einer Foto-Soap zu erkennen: Wer einmal selbst eine Foto-Story kreativ gestaltet hat, dürfte weniger dem Mythos erliegen, es handele ich hier um bloße Abbilder der Realität. Zugleich gilt es, sich über die Aussageabsicht klar zu werden und die bei den Betrachtern hervorzurufende Wirkung bei der Wahl der Gestaltungsmittel zu berücksichtigen (Gestaltungskompetenz).
3. Darstellung und Reflexion des eigenen Projekts Erste Phase: Theoretische Grundlagen und Entwicklung einer Geschichte Unterhält man sich mit Schülerinnen und Schülern über deren Fernsehgewohnheiten, wird der empirische Befund bestätigt (vgl. MPFS 2005: 25), dass fast ausschließlich Mädchen Daily Soaps täglich rezipieren und sich deshalb sehr gut mit deren Eigenheiten und Merkmalen auskennen. Gleichzeitig ist der Unterschied zu einer Serie, z.B. einer Ärzte-, Familienserie oder einer RealLife-Soap wie Big Brother hervorzuheben. In einem weiteren Schritt vergleichen die Schüler/innen eine Foto-Story bezüglich Aufbau und Inhalt mit einer Daily Soap und arbeiten deren Gestaltungsmittel sowie ihren Bildaufbau heraus. Eine Bildergeschichte behandelt so dieselben Inhal-
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te wie eine Soap (Freundschaft/Liebe und Spannung), wobei in einer Fotostory nur einer dieser Handlungsstränge thematisiert wird. An der Geschichte sind nur wenige Personen beteiligt. Die Einführung in die Bildgestaltung (Gestaltungsmittel, Bildaufbau etc.) einer Foto-Story kann über die Erarbeitung folgender Fragen gestaltet werden: 1 1 1
Wie viele Personen sind auf den Bildern zu sehen? Wie viel sieht man von ihnen? Woher weiß man, was in den Bildern geschieht?
Gleichzeitig erarbeiten die Schüler, mit welchen Einstellungsgrößen und Perspektiven der Fotograf gearbeitet hat. Im Hinblick auf die eigene Foto-Story kann der Hinweis hilfreich sein, vor allem auf die Nah-, Groß- und Detailaufnahme zurückzugreifen und Gruppenaufnahmen eher zu vermeiden. Dies zu verstehen, ist insofern wichtig, als Kinder und Jugendliche – wie auch viele ‚Knipser‘ – dazu neigen, mit großem Abstand zum Motiv zu fotografieren. Zeile bitte so: Bei den im hier beschriebenen Projekt entstandenen spannenden Bildkompositionen und -perspektiven ist zu erkennen, dass diese Vorarbeit fruchtbar ist und deutlich macht, dass sich die Jugendlichen Gedanken über die geplante Aussage des Bildes gemacht haben. Um diese erste, analytisch geprägte Phase abzuschließen, sollen sich die einzelnen Gruppen ein Thema für die eigene Foto-Soap überlegen und ein Storyboard anfertigen, das die spätere praktische Arbeit erleichtern wird. Die dargestellten Personen, Schauplätze, Requisiten sowie der vorläufige Text werden hier notiert.
Zweite Phase: Das Fotografieren Nachdem die einzelnen Storys theoretisch geplant sind, wird in der praktischen Phase die technische Kompetenz geschult. Beim Fotografieren sollen die Jugendlichen ihre erworbenen Kenntnisse in der Bildgestaltung verwirklichen und lernen, mit der digitalen Kamera umzugehen. Dies wird von den Jugendlichen häufig schon beherrscht. Andererseits ist es gewiss förderlich, wenn die einzelnen Gruppen selbst herausfinden, welche Funktionen die jeweilige Kamera zu bieten hat und eigenständig arbeiten. Der große Vorteil liegt natürlich in der sofortigen Verfügbarkeit der Fotos, weshalb die gemachten Bilder gleich überprüft werden können. Für das Fotografieren erwies sich die Erstellung von Storyboards als sehr hilfreich. Die Schüler wussten genau, was sie nacheinander fotografieren sollten, welche Plätze sie dafür ausgesucht haben und welche Requisiten sie bei welcher Szene benötigten. Dies beschleunigte den gestalterischen Prozess immens und ließ das Fotografieren zu einer beliebten und kommunikativen Aufgabe werden.
Dritte Phase: Die Bildbearbeitung Die eigentliche Erstellung der Foto-Soap findet am Computer statt. Nach dem Einlesen der Fotos werden die Schüler/innen in den Umgang mit einem einfachen Bildbearbeitungsprogramm (z.B. Paint Shop Pro) eingeführt und mit den wichtigsten Ausschneide- und Filterwerkzeugen vertraut gemacht (vgl. auch „Kleine Projekte“ in diesem Band). Das Projekt wird mit einer Präsentation der entstandenen Foto-Soaps abgerundet, die jeder auch auf CD erhält.
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Aus unserer fotopädagogischen Praxis wissen wir, dass nicht alle Bildbearbeitungsprogramme ‚geeignet‘ sind. Professionelle Programme bieten mehr technische Gestaltungsmöglichkeiten, erfordern aber eine intensivere Einarbeitung. Für die Arbeit mit Foto-Soaps muss es möglich sein, die bearbeiteten Bilder mit Sprech- und Denkblasen separat zu speichern, um Flexibilität bei der Gestaltung des Endprodukts zu behalten, d.h. sie jederzeit noch verändern zu können.
4. Weiterführende Reflexion Zunächst gilt es die Grenzen und Möglichkeiten der fotopädagogischen Projektarbeit zwischen Schule und außerschulischen Jugendmedienarbeit zu betrachten. Kann die außerschulische Projektarbeit als eher bedürfnis- und spaßorientiert bezeichnet werden, so ist und bleibt die Schule an Bildungspläne und institutionell vorgegebene Regeln gebunden. Schüler werden sich in der Umgebung Schule selten frei von Druck und Zwängen fühlen, demnach immer an vorgegebenen Aufgaben orientiert sein. Dies schließt natürlich nicht aus, dass auch Schüler Spaß in der Projektarbeit finden, es macht sie vielleicht gerade deshalb notwendig. Für die praktische Umsetzung in der Schule gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen können Projekte in den Unterricht eines Fachs, eines Fächerverbunds bzw. in den fächerübergreifenden Unterricht eingebunden werden, was die Zusammenarbeit im Lehrerkollegium verstärkt. Zum anderen ist im Rahmen von Projekttagen oder Arbeitsgemeinschaften eine effektive Projektarbeit möglich. Dies hat den Vorteil, dass die Schüler sich intensiver in das jeweilige Thema hineindenken und damit beschäftigen können, d.h. erfahrungsgemäß auch motivierter sind. Im Setting der Institution Schule, so meine These, dürfte es einfacher sein, ziel- und aufgabenorientiert zu arbeiten, als in der außerschulischen Jugend- und Projektarbeit, in der die aktuellen Bedürfnisse der Jugendlichen (vgl. das Freiwilligkeitsprinzip) zu den wichtigsten didaktischen Entscheidungskriterien gehören. Daily Soaps befriedigen die unterschiedlichsten Bedürfnisse junger Leute, legen ihnen jedoch ein gewisses Schema vor, das gerne ohne nachzudenken übernommen wird. So besteht die Gefahr, dass z.B. milieu- oder geschlechtsspezifische Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster unkritisch reproduziert werden, wenn nicht explizit danach gefragt wird, was die Jugendlichen eigentlich mit ihrer Foto-Story aussagen wollen, welche Wirkungen sie mit welchen Stilmitteln erzeugen wollen. Dazu bedarf es gezielter Impulse seitens der Lehrperson. Die Schüler müssen angeregt werden, mit Stilmitteln wie der Verfremdung und Übertreibung zu einem eigenen Stil, einer persönlichen Aussage zu kommen und auf diesem Wege die Machart der Daily Soaps zu durchschauen. Eine Eigenproduktion ist im Vergleich zu einer Reproduktion immer auch ein Stück Selbstinszenierung, die es ermöglicht, auf kreative Weise die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen, mit Rollenentwürfen zu spielen und damit zu sich selbst zu finden. Die Gestaltung des Spannungsverhältnisses zwischen Fotografie und Text bietet hier ein großes Experimentierfeld für unterschiedliche Aussagen: Trivial wäre es, einfach zu benennen, was auf dem Foto zu sehen ist. Spannender ist es, etwa mit der Textgestaltung eine Bildaussage zu ironisieren oder ‚Leerstellen‘ – und damit Spannung – zu erzeugen. Bereits durch das Vertauschen der Bildreihenfolge, das Verändern oder Weglassen der Sprechblasentexte lässt sich eine ursprüngliche Wirkung ins Gegenteil umdrehen. Neben der technischen und der Gestaltungskompetenz kommt in der Projektarbeit auch die soziale Komponente zum Tragen. Meist wird in Gruppen gearbeitet, wobei jeder seine Ideen einbringt und gemeinsam nach Gestaltungsmöglichkeiten gesucht wird. Gemeinsam muss über die fiktive Geschichte Einigkeit erzielt, die beabsichtigte Wirkung von Fotos und Texten spielerisch
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ausprobiert und ausdiskutiert, gruppendynamische Probleme müssen mit den Arbeitsaufgaben vereinbart werden. Kreative Ideen werden schnell ausgeschlagen, wenn der Rest der Gruppe dagegen ist.
5. Schlussbemerkungen Daily Soaps haben unbestreitbar eine starke Wirkung auf ihre jugendlichen Rezipienten. Dabei werden bei jedem – abhängig von Geschlecht, Typ und Alter – jeweils unterschiedliche Bedürfnisse befriedigt, so dass jede Soap jedem Jugendlichen etwas zu bieten hat und ihm, in welcher Weise auch immer, beim Erwachsenwerden behilflich sein kann. Medienpädagogische Projektarbeit mit Foto-Soaps kann diese Bedürfnislagen der Jugendlichen aufgreifen, die eigene Lebenswelt zum Thema zu machen und die Jugendlichen zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Medien, also auch mit sich selbst, anregen. Indem eine Foto-Soap selbstständig produziert und mit unterschiedlichen Aussagemöglichkeiten gespielt wird, bekommen die Jugendlichen die Chance, die ihnen vorgesetzten Wahrnehmungsmuster einer Daily Soap und die Manipulationsmöglichkeiten der Medien zu erkennen. Mit technisch relativ einfachen Mitteln kann Gestaltungskompetenz und damit die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Stärkung des Selbstbewusstseins entwickelt werden. Ein kreativer Umgang mit dem hier vorrangigen Bild-Text-Verhältnis veranlasst genauer hinzusehen und mit unterschiedlichen Aussagemöglichkeiten und Wirkungen einer Foto-Story zu spielen. Damit erweisen sich Foto-Soaps als einzigartiges Medium, mit dem in der schulischen wie in der außerschulischen Bildungsarbeit nicht nur die alters-, geschlechtsoder milieuspezifischen Bedürfnisse der Jugendlichen aufgegriffen werden können, sondern in spielerischer und vielfältiger Form, spaß- und aufgabenorientiert, derartige Wahrnehmungsmuster verändert werden können.
Literatur Götz, M.(Hrsg.)(2002): Alles Seifenblasen? Die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen. München: KoPäd.-Verlag Holzbrecher, A. (2004): Fotoprojektdidaktik als kommunikativer Prozess, in: Holzbrecher A./ Schmolling, J. (Hg.): Imaging. Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit. Wiesbaden (VS Verlag), S. 11-31 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.)(2000): Medienzeit Mh (Praxisbaustein): Große Gefühle: Bilder, Musik und Sprache im Film. Donauwörth: Auer Verlag Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.): Bildungsplan 2004 Realschule MPFS (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) (2005): JIM 2005. Jugend, Information, (Multi)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland, Stuttgart Simon, J. (2004): Wirkungen von Daily Soaps auf Jugendliche. Schriftenreihe des Medien Instituts Ludwigshafen, Band 30. München: Verlag Reinhard Fischer
4. Teil: Genres & Themenbereiche
Bilderwelten = Weltbilder? Fotojournalismus als Herausforderung für die visuelle politische Bildung Benjamin Drechsel
Einleitung Mit der Fotografie waren seit ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert ebenso große Hoffnungen verbunden wie kulturkritische Ängste und Abneigungen. Während die einen auf die fotografische Demokratisierung des Bilderschaffens hofften, fürchteten andere einen kollektiven Wirklichkeitsverlust in hyperrealen Scheinwelten. Die Digitalisierung der Fotografie hat diese Ängste sowie Heilserwartungen zum Ende des 20. Jahrhunderts erneut provoziert und zugleich die Anschlussfähigkeit der Lichtbilder an die Bildschirmmedien des frühen 21. Jahrhunderts sichergestellt. Im Gefolge der Fotografie ist seit über 100 Jahren auch der Fotojournalismus immer wieder Gegenstand theoretischer wie auch praxisbezogener Kritik gewesen. Dies ist kaum verwunderlich: Bildern jeglicher Art wird seit der Antike bis in die Postmoderne hinein stets vorgeworfen, sie seien oberflächlich und verlogen. Der vorliegende Aufsatz erläutert die auf den Fotojournalismus gemünzte Variante dieser Kritik am Beispiel einiger berühmter fototheoretischer Thesen (insbesondere aus dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts) und versucht zugleich, sie zu entkräften. Der erste Teil skizziert einleitend in aller Kürze die historische Entwicklung der fotografischen Bildberichterstattung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Im zweiten Teil werden dann wichtige Topoi der theoretischen Kritik am Fotojournalismus aufgeführt und diskutiert. Weil wir in einer Gesellschaft leben, deren öffentliche und private Kommunikation von Bildmedien dominiert wird, ist es eine soziale bzw. politische Notwendigkeit, sich reflektiert mit diesen Faktoren der allgemeinen Bewusstseinsbildung zu befassen. Bilder „lesen“ zu lernen bzw. zu lehren ist deshalb eine zentrale Herausforderung für die politische Bildung, wie der dritte und letzte Teil des vorliegenden Aufsatzes argumentiert. Einseitig-überbordende Bildkritik könnte so ebenso vermieden werden wie ein allzu naiver Blick auf die Produkte des Fotojournalismus.
1. Zur Geschichte des Fotojournalismus – ein kurzer Überblick Als Geburtsjahr der Fotografie gilt allgemein das Jahr 1839, in dem die französische Akademie der Wissenschaften das neue Medium öffentlich vorstellte. Doch weil es die Fotografie nicht gibt, ist dieses Datum eine (aus praktischen Gründen durchaus zulässige) Vereinfachung. Schon lange vorher wurden nämlich diverse Verfahren entwickelt, die Bilder mittels Belichtung chemisch präparierter Trägermaterialien erzeugten (vgl. Brauchitsch 2002: 22-28). So produzierte etwa der Brite Thomas Wedgwood bereits um 1800 mit Hilfe von Silbernitrat Lichtbilder, die allerdings nicht sehr stabil waren. Mit dem Jahr 1839 ist insbesondere die Leistung des Franzosen Louis Jacques Mandé Daguerre (sowie seines damals bereits verstorbenen Kollegen Nicéphore Niepce) verbunden, der bereits sehr differenzierte Bilder erzeugte und deshalb vom Institut de France als Erfinder des neuen Mediums gerühmt wurde. Reproduktionsfähige Fotografien allerdings gehen insbesondere auf das etwa zeitgleich entwickelte Positiv-Negativ-Verfahren eines
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weiteren Briten, William Henry Fox Talbot, zurück. Kurz und gut: Die Erfindung der Fotografie war eine komplexe Angelegenheit und verlief in mehreren Etappen. Ganz ähnlich verhielt es sich auch mit dem journalistischen Einsatz des neuen Mediums. Denn es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis abbildungsschärfere Filme, lichtstärkere Objektive und verbesserte Kameraverschluss-Systeme schnelle Aufnahmen ermöglichten. Erst mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstand die tagesaktuelle Bildberichterstattung heutiger Prägung: Bis dahin waren Holzstiche das bevorzugte visuelle Medium der Zeitungen gewesen (vgl. Macias 1990: 25-27). Das politische Zeitgeschehen wurde dann etwa seit 1910 systematisch durch die fotografische Bildberichterstattung der Presse dokumentiert. Beispielsweise reisten Fotografien von der Unterzeichnung des Versailler Vertrags im Jahr 1918 mit dem ersten Luftschiff, das je den Atlantik überquerte, nach New York (vgl. Blecher 2001: 16). In der Folge wurden die Bilder mit Hilfe telegrafischer Übertragungstechniken wesentlich mobiler als zuvor. Der Fotojournalismus des frühen 20. Jahrhunderts hat eine Hauptwurzel in den Illustriertenredaktionen der Weimarer Republik (1918/19-1933). Deren Erfolg und ihr ständiger Bedarf an neuem Bildmaterial führten zu einer Aufwertung der Bildberichterstattung. In der Folge tauchten nicht nur zunehmend Bildredakteure in den Redaktionen auf, sondern einzelne Fotografen wurden auch berühmt: Einer, den man bis heute kennt, war Erich Salomon. Mit seiner berüchtigten Ermanox-Kamera, die über einen eigens entwickelten geräuschlosen Auslöser verfügte, konnte er den Politikern seiner Zeit (nahezu) unbemerkt auf den Leib rücken. Schnappschüsse wurden nun also möglich, denn die Foto-Apparate waren viel handlicher geworden als in früheren Jahrzehnten. So gelangte auch eine weitere Kleinbildkamera zu Weltruhm, die 1924 in Produktion ging: die Leica. Mit ihr war die „Monokultur des gestellten Fotos“ (Macias 1990: 12) endgültig gebrochen. Doch mit der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ im Jahr 1933 endete diese Blütezeit des Fotojournalismus in Deutschland. Das NS-Regime betrieb eine Gleichschaltung der öffentlichen Bildpolitik, blutige Unterdrückung bzw. Emigration der fotojournalistischen Avantgarde waren die Folge. Erich Salomon etwa starb 1944 in Auschwitz. Die USA wurden nun mehr und mehr zum dominanten Spielfeld der fotografischen Bildberichterstattung. Dafür exemplarisch ist insbesondere die 1936 durch den Verleger Henry Luce gegründete Zeitschrift „Life“. Sie war in der Folge über etwa vier Jahrzehnte hinweg die weltweit dominierende Fotoillustrierte. Berühmt wurden damals aber auch Konkurrenzblätter wie die britische „Picture Post“ oder „Paris Match“. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in westdeutschen Städten wie Hamburg oder Offenburg ebenfalls große Illustrierte. Seit Mitte der 1960er Jahre galten insbesondere die Foto-Essays des „Stern“ von Fotografen wie Robert Lebeck als innovativ und wegweisend. Als mit dem Fernsehen ein neues visuelles Medium etabliert war, das dem Massenpublikum Tausende Kilometer entfernte Ereignisse in authentischen Bildern tagesaktuell nach Hause lieferte, verloren die seitenlangen Foto-Essays in der „Life“ und in anderen Illustrierten jedoch zunehmend an Popularität. Zum Ende des 20. Jahrhunderts setzte sich dann gemeinsam mit der digitalen Fotografie zunehmend ein „Häppchen-Journalismus“ (Blecher 2001: 49) durch, der sowohl Schrift als auch Bild betraf. Idealtypisch lässt sich diese Entwicklung an der Neugründung des Nachrichtenmagazins „Focus“ im Jahr 1993 als Konkurrenz zum etablierten „Spiegel“ erkennen; die „Tendenz zu immer kürzeren, einfacheren Nachrichten mit visuellen Elementen“ (Krüger 1995: 223) war hier wie auch in anderen printjournalistischen Bereichen während der 1990er Jahre nicht mehr zu übersehen. Die „Life“ war bereits seit 1978 nur noch monatlich erschienen; ihre Produktion wurde im Jahr 2000 eingestellt, später allerdings wieder aufgenommen (www.life.com).
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Eine zweite legendäre fotojournalistische Institution aus den USA ist neben „Life“ die 1947 in New York gegründete Agentur „Magnum Photos“. Stars wie Henri Cartier-Bresson oder der Kriegsreporter Robert Capa begründeten ihren Ruhm, von dem die Agentur im Konkurrenzkampf auf dem internationalen Fotomarkt mit ihren Konkurrentinnen wie der Associated Press, Agence France-Press oder der Deutschen Presse-Agentur bis heute zehrt (www.magnumphotos.com). Fotojournalismus war in vielerlei Hinsicht – und ganz besonders im Bereich der großen Agenturen – stets auch „Bildwirtschaft“ (Bruhn 2003). An diesem ökonomischen Wettbewerb lässt sich zugleich die bis heute extrem hohe Bedeutung technischer Innovationen für den Bildjournalismus klar erkennen: Von der Telegrafie über den Funk bis hin zur seit den 1990er Jahren zunehmend dominanten Digitalisierung haben die Agenturen bisher noch jede Möglichkeit zur weltweiten Mobilisierung und Vernetzung ihre fotografischen Produkte genutzt. Lässt man die Inhalte der Bilder außer acht (wie es hier der Einfachheit halber geschehen ist), so ist also die beständig wachsende Bedeutung von Technologie, Mobilität und Ökonomie die große Konstante der fotojournalistischen Bilderwelten im 20. Jahrhundert gewesen. Was aber hat die Dominanz dieser Medien für die Weltbilder ihrer BetrachterInnen bedeutet?
2. Zur theoretischen Kritik des Fotojournalismus 2.1 Klassische Kritikpunkte Insbesondere in ihrer Frühphase galt die Fotografie vielen Menschen auf Grund ihrer automatischen Erzeugung als Inbegriff von Objektivität. Diese Annahme war jedoch falsch; beispielsweise verwandeln Fotografien Räume stets in Flächen und zeigen spezifische, an technische Möglichkeiten und Perspektivierungen gebundene Ausschnitte von „Welt“ – niemals zeigen sie „Welt als solche“. Zu Recht bemerkte Hans Windisch (1990: 221) im Jahr 1930, dass „ein Objektiv keineswegs ‚objektiv‘“ sei. Dem naiven Objektivitäts-Glauben gesellte sich als antagonistischer Partner deshalb schnell der Manipulations-Vorwurf an die Lichtbilder hinzu. Mit der Fotografie ist auch der Fotojournalismus seit jeher das Ziel dieser (teilweise recht heftigen) Kritik gewesen. War sie im Kern auch häufig berechtigt, so wurde sie bisweilen doch allzu schwarz-weißmalerisch vorgetragen – vielleicht als (Über-)Reaktion auf den ihr entgegengesetzten Objektivitätsglauben. Auch die Fototheorie der berühmten US-amerikanischen Kulturkritikerin Susan Sontag aus den 1970er Jahren setzte an der Schnittstelle zwischen Wahrheit und Manipulation an. Sontag glaubte, dass (journalistische) Fotografien die Wirklichkeit in beziehungslose Einzelteile zerlegten: „Zerstörte Hoffnungen, jugendliche Mätzchen, Kolonialkriege und Wintersport werden über einen Kamm geschoren – von der Kamera einander gleichgesetzt. Das Fotografieren hat eine chronisch voyeuristische Beziehung zur Welt geschaffen, die die Bedeutung aller Ereignisse einebnet.“ (Sontag 2003b: 17) Die Bilder schieben sich – in diesem Modell – also zwischen die Welt und ihre BetrachterInnen, die dadurch in eine passive Rolle gedrängt werden. Entscheidend dafür ist die Authentizitätswirkung der Fotografie: „In der Tat können sich solche Bilder der Realität bemächtigen, weil eine Fotografie nicht nur ein Bild ist (so wie ein Gemälde ein Bild ist), eine Interpretation des Wirklichen, sondern zugleich eine Spur, etwas wie eine Schablone des Wirklichen, wie ein Fußabdruck oder eine Totenmaske.“ (ebd.: 147) Fotografien – so lassen sich Sontags Argumente wohl zusammenfassen – ersetzen die reale Welt durch bloßen Schein. Die „Realität“ geht verloren und wird durch eine Bilder-Welt aus zweiter Hand ersetzt. Genau
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darin sah auch der französische Kulturphilosoph Jean Baudrillard (1978: 9) zu jener Zeit das große Problem der (Bild-)Mediengesellschaft. „Es geht um die Substituierung des Realen durch Zeichen des Realen“. Sein Landsmann Guy Debord (1996: 15) hatte bereits einige Jahre zuvor analog geschrieben: „Die Trennung selbst gehört zur Einheit der Welt, zur globalen gesellschaftlichen Praxis, die sich in Realität und Bild aufgespalten hat.“ Immer und immer wieder taucht dieses Argument in unterschiedlichen Variationen als Kritik an Film und Fernsehen wie auch an der journalistischen Fotografie auf: Der schöne Schein der Lichtbilder verdecke die wahre Welt und mache die Menschen sehend blind. Diesen Mechanismus beschrieb Siegfried Kracauer (1963b: 34) schon 1927 in direktem Bezug auf den Weimarer Bildjournalismus: „Noch niemals hat eine Zeit so wenig über sich Bescheid gewußt. Die Einrichtung der Illustrierten ist in der Hand der herrschenden Gesellschaft eines der mächtigsten Streikmittel gegen die Erkenntnis. Der erfolgreichen Durchführung des Streiks dient nicht zuletzt das bunte Arrangement der Bilder.“ Ganz ähnlich wie Sontag oder Kracauer argumentierte Neil Postman Mitte der 1980er Jahre. Dieser Medienwissenschaftler behauptete, „daß die Photographie die Welt als Gegenstand repräsentiert, während die Sprache sie als Idee präsentiert.“ (Postman 1985: 91) Auf fast schon paradoxe Weise koppelt Postman hier also den alten Glauben an die Objektivität der Lichtbilder mit einem Manipulationsvorwurf: Gerade weil die Bilder die „Realität“ so abbilden wie sie (an ihrer Oberfläche) erscheint, verheimlichen sie ihren BetrachterInnen, wie sie (unter ihrer Oberfläche) wirklich ist. Fotografien atomisieren die Welt – nur Sprache kann durch ihre kontextualisierende Funktion die Zusammenhänge dieser Atome klarlegen. Journalistische Bilderwelten führen dieser These zu Folge also zu einem magischen Denken; das lineare System der Sprache hingegen führt zu einer logisch-kausalen Weltsicht. Postman stand mit seiner logozentrischen Sicht der Dinge keineswegs alleine. So schrieb der Philosoph Vilém Flusser (1999: 27) ganz analog: „In dem Maße […] in dem Bilder alphabetische Texte ersetzen, hört die Zeiterfahrung auf, die mit den Kategorien der Geschichte, also irreversibel, fortschreitend und dramatisch erfaßt wird.“ Damit war auch der positive Gegenspieler der Fotografie klar benannt: die Sprache. Weiteren Auftrieb erhielt die Kritik der fotojournalistischen Weltvermittlung mit der zunehmenden Dominanz digitaler Fotografien insbesondere im Laufe der 1990er Jahre. Fotografien galten zu dieser Zeit zwar schon lange nicht mehr als objektiv, sie hatten aber zumindest noch ihren Status als Spuren der „Wirklichkeit“ aufrecht erhalten können. Digitale Fotografien erheben diesen Anspruch zwar grundsätzlich auch – ihre Veränderung per Computer ist jedoch nicht nachweisbar. Jedes digitale Foto unterliegt damit dem Verdacht der Lüge: „Computerbilder sind also […] die Fälschbarkeit schlechthin.“ (Kittler 2002: 179) Die alten Argumente zur Abwertung der Weltvermittlung per Bild wurden nun von der konventionellen auf die digitale Fotografie übertragen: „An interlude of false innocence has passed. Today, as we enter the post-photographic era, we must face once again the ineradicable fragility of our ontological distinctions between the imaginary and the real […]“ (Mitchell 1998: 225) Stark vereinfachend kann die Kritik am Fotojournalismus auf zwei wesentliche Punkte reduziert werden: Da ist zum einen der Vorwurf kompletter Verlogenheit. „Fotos, die lügen“ (Jaubert 1989) gelten diesbezüglich nicht als Ausnahme, sondern als Regel. Am anderen Ende des Spektrums stehen angstbesetzte Allmachtsphantasien: In diesem Zusammenhang wird stets die „Macht der fotografischen Bilder“ (Sontag 2003b: 172) beschworen. Fasst man auch diese Pole noch zusammen, so erscheint die fotojournalistische Bildberichterstattung insgesamt als ein mächtiger Lügenkomplex bzw. als ein bösartiges Propaganda-Instrument. Und weil dies tatsächlich der Sicht vieler KulturkritikerInnen entspricht, ist es der Hang zur „Manipulation“, welcher
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den fotografischen Bildern aus verschiedenen Perspektiven immer wieder vorgeworfen wird. Die manipulierte Bilderwelt des Journalismus verdichtet sich aus dieser Sicht in den völlig verzerrten Weltbildern der ihm schutzlos ausgelieferten BildkonsumentInnen. Dieses Argument sollte trotz seiner Holzschnittartigkeit nicht unterschätzt werden: Das US-amerikanische System der „embedded reporters“ im Irakkrieg 2003 – JournalistInnen nahmen im Rahmen kleiner militärischer Einheiten direkt am Krieg teil und wurden so in ihrer Arbeit gelenkt – ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass es berechtigte Anhaltspunkte für massive Kritik an fotografischer Bildberichterstattung gibt (vgl. Elter 2005: 272-333). In ihrer extremen Form ist sie jedoch übertrieben, wie im Folgenden dargelegt wird.
2.2 Erweiterte Perspektiven Eine ganze Reihe klassischer Kritikpunkte am Fotojournalismus lässt sich durch den schlichten Hinweis entkräften, dass Fotografien in der Bildberichterstattung so gut wie niemals isoliert auftauchen. Vielmehr werden sie stets mit Schrifttexten kombiniert – sei es in Form von Bildunterschriften oder von Artikeln, welche die jeweiligen Fotografien kontextualisieren bzw. durch die jeweiligen Fotografien kontextualisiert werden. Der in der Fototheorie immer wieder angeführte Gegensatz zwischen Bild und Schrift ist in Bezug auf den Fotojournalismus also künstlich, weil wirklichkeitsfern: Fotografie und Schrift bilden in journalistischen Publikationen üblicherweise einen „Gesamttext“ (Doelker 1999: 61; bezüglich Zeitungen vgl. etwa auch Wilking 1990: 63f ). Interessant ist diesbezüglich eine Aussage im „ai Journal“ von amnesty international im Oktober 2005: „Bilder haben Macht. Und ohne Foto ist heute keine Nachricht mehr zu publizieren. Deshalb ist die Freiheit des Bildes nicht von der Freiheit der Presse zu trennen.“ Die übliche Kritik an der „Macht der Bilder“ wird hier ins Pragmatisch-Positive gewendet: Da Fotojournalismus ganz offensichtlich mit Macht (d.h. mit Politik) verknüpft ist, muss er im Rahmen demokratischer Regeln funktionalisiert werden (vgl. Günter 1977). So kann er zum Vehikel der schriftlichen „Nachricht“ werden, die für Organisationen wie amnesty offensichtlich von zentraler Bedeutung ist. Susan Sontag (2003b: 107) hat diese Verbindung von Fotografie und Text in ihrem fototheoretischen Klassiker „Über Fotografie“ durchaus angesprochen, zugleich aber die Dominanz des Bildes über jeglichen Schriftzusatz behauptet. Die fotografische Ästhetik setze sich letztlich über jede schriftvermittelte Ratio hinweg, meinte sie. Dem steht die wissenschaftliche Einsicht gegenüber, dass schriftliche „Steuerungscodes“ (Weidenmann: 248) die Lektüre von Bildern sehr wohl zu lenken vermögen. Umgekehrt beeinflussen die Bilder aber auch die Rezeption ihrer Kon-Texte. Kurz vor ihrem Tod hat Susan Sontag (2003a: 126) ihre „konservative Kritik“ am Fotojournalismus revidiert und erklärt, dass der abstumpfende Realitätsverlust durch die Bilder sich nur auf eine privilegierte Informationselite in den westlichen Mediengesellschaften beziehe. Sie kritisierte in diesem Zusammenhang auch die oben beschriebenen Hyperrealitäts-Thesen, wie Debord oder Baudrillard sie entwickelt haben. Deren Kulturkritik trifft zwar einen wichtigen Punkt: Tatsächlich wird die menschliche Weltsicht durch Zeichen geprägt und ist mithin immer konstruiert. Dieser Konstruktcharakter eignet Fotos aber genauso wie jeglicher Textsorte. Und man muss aus der Dominanz visueller Massenmedien nicht zwangsläufig einen völligen Realitätsverlust der (post-)modernen Menschheit ableiten, wie dies bei Baudrillard bisweilen anklingt. Die Wirklichkeit sieht weniger spektakulär aus: „Unsere Weltsicht ist konstruiert, aber dies
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geschieht in permanenter Überprüfung der Angemessenheit der jeweils vorgegebenen, mentalen Orientierungsmodelle mit der Objektwelt außerhalb unseres Selbst.“ (Bredekamp 1997: 230) Mit anderen Worten: Wie jede Form des Journalismus, so konstruiert auch Fotojournalismus eine eigene „Realität“. Fotografien sind nicht objektiv. Vielmehr überschneiden und verdichten sich in ihnen die bildschöpferischen Möglichkeiten ihrer apparatischen sowie menschlichen ErzeugerInnen. Fotografien filtern die Unübersichtlichkeit der Welt, reduzieren deren Komplexität auf ein anschauliches Maß und erzeugen solchermaßen ihre eigene Wirklichkeit. Man muss deshalb jedoch nicht in Zynismus verfallen und behaupten, dass Bildberichterstattung per se lügnerisch sei. Viel zutreffender ist die folgende Bemerkung des Sozialfotografen Lewis Hine aus der Frühzeit des Fotojournalismus (1999: 271): „[W]enn Fotografien auch nicht lügen, so können doch Lügner fotografieren.“ Aus diesem Grund ist es entscheidend, die Regeln der (De-) Konstruktion journalistischer Fotografien öffentlich transparent zu machen. Fotografien sind immer auch Inszenierungen – zur fotografischen Inszenierung von Authentizität gibt es ganz spezifische Konstruktionsmechanismen, die in den journalistischen Bildredaktionen durchgängig Verwendung finden (vgl. Grittmann 2003). Aber es lassen sich doch verbindliche Kriterien für einen „ehrlichen“ Fotojournalismus finden (beispielsweise das Verbot des nachträglichen Hinzufügens oder Entfernens abgebildeter Objekte). In diese Richtung zielt etwa das „Memorandum zur Kennzeichnungspflicht manipulierter Fotos“. Darauf hatten sich im Oktober 1997 unter anderem der Bund Freischaffender Foto-Designer (BFF), der Bundesverband der Pressebild-Agenturen und Bildarchive (BVPA), der Centralverband Deutscher Berufsphotographen (CV) und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) geeinigt. Kurz und gut: Wenn „Medienbilder mit Täuschungsabsicht“ (Knieper 2005: 41) veröffentlicht werden, sollte dies in einer Demokratie stets Anlass für öffentliche Debatten werden. Fotografien können aber auch Lügen aufdecken bzw. die Öffentlichkeit für bestimmte „Wahrheiten“ überhaupt erst sensibilisieren. Man denke etwa an die fotografierten Folterungen im US-Gefängnis Abu Ghraib im Irak, welche das Ansehen der militärischen Supermacht im Jahr 2004 nachhaltig erschüttert haben. Wer sich mit fotojournalistischer Bildberichterstattung ernsthaft auseinander setzt, wird sich nicht mehr mit Schwarz-weiß-Malerei à la „Alle Bilder lügen“ oder „Fotografien sind objektiv“ zufrieden geben können.
3. Fazit: Die Notwendigkeit visueller politischer Bildung Aus den bisherigen Überlegungen lassen sich drei weiterführende Thesen ableiten: 1 1 1
Journalistische Fotografien sind – wie alle Texte – Konstrukte. Journalistische Fotografien werden nach sozialen, technologischen, ökonomischen und ikonographischen Regeln konstruiert. Auf der Rezeptionsseite wird eine Emanzipation von der „Macht der Bilder“ insbesondere dann stattfinden, wenn diese Konstruktionsregeln bekannt sind.
An dieser Stelle kann denn auch der Umschlag von der Fototheorie in die Bildungspraxis gelingen. Wiederholt ist in der Vergangenheit die gesellschaftliche Bedeutung visueller Medienkompetenz angemahnt worden (vgl. Sachs-Hombach 2005b; Faßler 2001). Und das zu Recht: Wir alle informieren uns „mittels kultureller Einheiten, die das Universum der Kommunikation anstelle der Dinge in Umlauf gebracht hat.“ (Eco 1987: 98) Diese „kulturellen Einheiten“ sind
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sehr häufig nichts anderes als journalistische Fotografien. Deshalb benötigen mündige BürgerInnen in der (Bild-)Mediendemokratie visuelle Kompetenzen, die ihnen bei der reflektierten Lektüre dieser Fotografien helfen. Diese Kompetenzen können aber nur mit hohem Aufwand – sowohl von Seiten der Lehrenden wie auch der Lernenden – vermittelt und erworben werden. Ganz analog zum Umgang mit schriftlich codierten Medien ist hier ein lebenslanger Lernprozess vonnöten. Leider hat das kulturkritische Oberflächlichkeits-Verdikt gegen die Bilder bis weit in die 1980er und 1990er Jahre hinein dazu geführt, dass visuell-ästhetisches Lernen an unseren Schulen und Universitäten einen eher exotischen Status hatte. Auch die politische Bildung hat sich lange Zeit rigoros der Erkenntnis verweigert, dass Theorie und Praxis visueller Kommunikation für sie zentrale Themenfelder sein müssten (vgl. Besand 2004). In jüngster Zeit findet hier jedoch ein Prozess des Umdenkens statt (vgl. dazu auch den Beitrag von Kuno Rinke in diesem Band); so bezieht etwa die Bundeszentrale für politische Bildung zunehmend visuelle Quellen, Materialien und Themen in ihre Arbeit mit ein und auch die traditionell logozentrische Politikwissenschaft beschäftigt sich seit einigen Jahren verstärkt mit ihrem Verhältnis zur Bildlichkeit (vgl. Drechsel 2005; Müller 2003; Hofmann 1999). Sinn und Bedeutung des Bildjournalismus für die visuelle politische Kommunikation der postmodernen Mediengesellschaften werden also vermutlich in der näheren Zukunft sehr viel genauer analysiert werden (müssen), als dies bisher geschehen ist.
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Reporter ohne Grenzen – Fotos für die Pressefreiheit Dorottya Szaktilla
Das Thema des vorliegenden Bandes ist die Verbindung zweier Medien: Fotografie und Text. Exemplarisch hierzu befasst sich dieser Beitrag mit der Organisation Reporter ohne Grenzen. Ausgehend von einem Eigenverständnis, dass ein zentrales Thema der Pädagogik die Unterstützung von Menschen bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und der individuellen Lebensbewältigung ist, gilt es gleichzeitig zu berücksichtigen, dass dies in einem sozialen Kontext stattfindet und von gesellschaftlichen Gegebenheiten umrahmt wird. Die Arbeit mit den Medien Fotografie und Text eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, zu einer kreativen Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis eines Menschen anzustiften und darüber hinaus Chancen zur Bearbeitung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu bieten. Die Beschäftigung mit Reporter ohne Grenzen eignet sich für die schulische wie für die außerschulische Bildungsarbeit in hervorragender Weise, zu einer solchen identitätsstiftenden Arbeit anzuregen und erweitert somit den Bereich des Politikunterrichts (vgl. Rinke und Drechsel in diesem Band). Unterschiedliche Themenbereiche lassen sich anhand dieser „Nichtregierungsorganisation“ (NGO) aufnehmen: die Erklärung der Menschenrechte, Pressefreiheit vs. Persönlichkeitsschutz, die Rolle der Presse in verschiedenen politischen Systemen, um nur einige zu nennen. Nach einem Portrait von Reporter ohne Grenzen möchte ich einige der von der Organisation publizierten Bildbände darstellen und hierbei den Blick auf das Verhältnis von Bild und Text richten. Abschließend stelle ich eine Möglichkeit vor, wie die oben genannten Themen im Unterricht bearbeitet werden können.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) wurde 1985 in Frankreich gegründet, ist international als Nichtregierungsorganisation anerkannt und hat Beraterstatus beim Europaparat, bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen sowie bei der UNESCO. ROG versteht sich als Menschenrechtsorganisation, die sich weltweit für Medien und Meinungsfreiheit einsetzt. In ihrer Arbeit beruft sich ROG auf Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 und zitiert: „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten zu vertreten sowie Informationen und Ideen mit allen Kommunikationsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verarbeiten.“ (ROG. 2005, Respekt. S.3) Als Aufgaben der Medien benennt Reporter ohne Grenzen auf der eigenen Homepage die Information der Weltöffentlichkeit, die Ermöglichung einer freien Meinungsbildung und die Unterstützung eines Interessenausgleichs (www.reporter-ohne-grenzen.de). Die Medienfreiheit wird als Basis einer demokratischen Gesellschaft verstanden. ROG geht davon aus, dass Verstöße gegen
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die Pressefreiheit (auch der Begriff Medienfreiheit wird in Veröffentlichungen benutzt) ein Indikator dafür sind, dass in einem Land gegen weitere Menschenrechte verstoßen wird. Dieser Leitlinie folgend, sieht die Organisation ihre Hauptaufgaben zum einen darin, Missachtungen der Medienfreiheit öffentlich zu machen, was durch Pressemitteilungen, Veranstaltungen, Ausstellungen, Vorträge und Interviews geschieht. Zum anderen sollen verfolgte und bedrohte Journalistinnen und Journalisten unterstützt werden, indem Rechtsanwälte organisiert, Kautionen bezahlt, Prozessbeobachter versandt oder Reporterinnen und Reporter außer Landes gebracht werden. Unabhängige Medien werden dem eigenen Bekunden nach gefördert, beispielsweise durch Spendenaufrufe. Des Weiteren hat sich ROG zum Ziel gesetzt, „öffentlichen Druck auf Regime auszuüben, welche die Medien- und Meinungsfreiheit unterdrücken und mutige Journalistinnen und Journalisten, die sich diesem Menschenrecht in ihrer Arbeit verpflichtet haben, verfolgen, misshandeln und töten“ (a.a.O., S. 9). Die Situation der Medienfreiheit wird beobachtet, dokumentiert und der Öffentlichkeit durch die jährliche Veröffentlichung des Berichts „The Pressfreedom World Tour“ zugänglich gemacht.
Die Bildbände Seit 1994 gibt es die deutsche Sektion von ROG mit Hauptsitz in Berlin. Auch hier stellt die Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren, Aufmerksamkeit zu schaffen und in Notfällen humanitäre Hilfe zu leisten, das Hauptanliegen dar. Jedoch wird hier als besondere Möglichkeit, sich in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, der Bildband „Fotos für die Pressefreiheit“ genutzt. Der Band wurde erstmals 1994 veröffentlicht und setzte, nach Aussage von Elke Schäfter, Geschäftsführerin der deutschen Sektion von ROG, einen Startschuss für die damalige Gründung der neuen Sektion und sollte die Öffentlichkeit für die Organisation und deren Anliegen sensibilisieren. Zwei weitere Ideen ziehen sich bis heute durch: Zum einen ist der Bildband eine Hommage an Journalistinnen und Journalisten, die sich durch ihre Arbeit hohen Risiken aussetzen und bei der Ausübung ihrer journalistischen Arbeit getötet wurden, zum anderen dient der Verkauf der Finanzierung der Organisation, die sich nach Eigenaussagen (www.reporterohne-grenzen.de) zu 95% aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und dem Verkauf der Bildbände finanziert. Der Öffentlichkeit wird der jeweils aktuelle Band am Internationalen Tag der Pressefreiheit, dem 3. Mai, präsentiert. Die Bände beleuchten unterschiedliche Themen, wobei die Konzeption einen Wandel vollzogen hat: So waren die ersten Bände dem jeweiligen Jahresgeschehen gewidmet, beispielsweise durch die Darstellung der Situation der Pressefreiheit in bestimmten Ländern, die die Medienfreiheit drastisch missachteten. Andere Ausgaben sind einzelnen Fotografen gewidmet: Die Ausgabe 2000 beispielsweise zeigt unter anderem Arbeiten von Stern-Reporter Volker Krämer, der zusammen mit Gabriel Grüner 1999 im Kosovo erschossen wurde. Einige Bände zeigen die Werke einzelner Fotografen, die das Anliegen von Reporter ohne Grenzen unterstützen: 1996 bot Sebastiao Salgado 100 der besten Fotos aus seinen Reportagen zur Veröffentlichung an. Zwei Jahre später stellte der ehemalige „Magnum“-Fotograf Marc Riboud seine Werke aus der Zeit von 1969 bis 1997 zur Verfügung, im Folgejahr hat Henri Cartier-Bresson, Bildjournalist und Mitbegründer von „Magnum“, seine Fotos für das Anliegen von ROG freigegeben. 2003 zeigte auch Helmut Newton seine Werke. Seit 2001 hat sich der Fokus der Bildbände verändert: Hier stellen die Sammelbände ein bestimmtes, von ROG als beachtenswert eingeschätztes Thema dar, das sich auf politische, gesell-
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schaftliche oder soziale Konflikte bezieht und sich vielfältig auffächern lässt. Mit diesem Thema geht das Herausgeberteam auf Fotografinnen und Fotografen zu, die dann die jeweils passenden Bilder unentgeltlich für die Veröffentlichung zur Verfügung stellen. Die Bilder sollen thematisch passend sein, sich in das Gesamtkonzept einfügen und die Betrachter zum Nachdenken anregen. Nach Ansicht von Elke Schäfter findet hier auch die Entwicklung in der Fotografie eine stärkere Beachtung, in dem Sinne, dass sich die vormals scharfe Trennlinie zwischen künstlerischer und dokumentarischer Fotografie ein Stück weit aufgehoben hat. Deutlich wird dies beispielsweise in der Ausgabe von 2004 mit dem Titel „Grenzgänge“: Die hier veröffentlichten Bilder von Michael Najjar regen nicht nur bezogen auf das Thema zu Diskussionen an, sondern auch bezogen auf die Verknüpfung von analoger und digitaler Fotografie zu sogenannten Hybridarbeiten. Als außergewöhnlich und irritierend kann seine Arbeit „out of focus“ bezeichnet werden: eine in kleinen Buchstaben geschriebene Zeile inmitten eines abstrakten, unscharfen Bildes. Najjar greift gesellschaftliche Entwicklungen in seinen Bildserien auf, die er jedoch künstlerisch auf eine spezielle Art interpretiert und darstellt. So kann gerade durch ungewöhnliche Bilder ein Nachdenken oder eine Diskussion in Gang gesetzt werden. Wie facettenreich sich ein Begriff auffächern lässt, kann exemplarisch an dem 2005 herausgegebenem Band verdeutlicht werden: Dieser Sammelband enthält verschiedene Bildserien, die den Begriff „Respekt“ auf höchst unterschiedliche Weise thematisieren: In ethymologischem Sinne als „einer Welt in unserem Rücken“, also stellvertretend für etwas, was nicht sichtbar ist, die fehlenden Körper verschwundener Töchter, durch das Projekt „Justice For Our Doughters“ (2004) von Maya Godels dargestellt. Fotografischer Respekt in dem Sinne, dass Fotografie auch Ohnmacht demonstriere, so Thomas Macho im Vorwort der Bildbandes „Respekt“ über die Arbeit von John Vinks, der die Reparaturarbeiten an einer Statue in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh fotografierte, wobei die Vorgeschichte der Reparaturarbeiten ausgeblendet bleibt. Des Weiteren ist hier Martha Coopers mit „Hip Hop Files“ vertreten. Ihre Fotos entstanden zwischen 1997 und 1984 und verweisen auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung. Das Thema Respekt wird auch von den Fotografien von Jörg Böthling aufgenommen: Dokumentiert wird hier die Protestbewegung indischer Ureinwohner gegen den Bau von Staudämmen. Auf andere Weise respektvoll begleitet Sanna Miericke ihre Großmutter in deren letzten Lebensmonaten.
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Abb. 1: Buchcover „Grenzgänge“ Abb. 2: Buchcover „Respekt“
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Fotografie und Text Um die Entstehung der Bildbände und das Verhältnis von Bild und Text näher zu beleuchten, folgt ein Auszug aus einem Interview, das ich im November 2005 mit Elke Schäfter von Reporter ohne Grenzen führte: D. Szaktilla: „Bei der Beschäftigung mit den Bildbänden ist mir aufgefallen, dass einige Fotos sehr ausführlich kommentiert werden, zum Beispiel die Bilder „Transgender Teenager“ von Lauren Greenfield aus dem Band „Grenzgänge“ (2004). Bei der Arbeit „Gertrud“ von Sanna Miericke findet sich lediglich ein einleitender Text. Kann man sagen, dass manche Bilder mehr für sich selbst sprechen als andere?“ E. Schäfter: „Die Bildbände haben diesbezüglich einen Wandel durchlaufen: Bei einigen Bänden haben wir mit Artikeln zu dem jeweiligen Land oder Missstand gearbeitet und weniger zu der Fotoserie. Seit 2001 arbeiten wir stärker mit Text und Bild im Sinne einer Einführung in die Fotoarbeit. Wir fragen die Fotografinnen und Fotografen, ob sie jemanden kennen, den sie empfehlen können, um etwas über ihre Bilder schreiben zu können: einen einleitenden Text. Wir übermitteln dieser Texterin bzw. dem Texter dann das Gesamtkonzept des Bildbandes. Natürlich kommt es bei dieser Aufgabe darauf an, wie der Zugang der schreibenden Person zu dem jeweiligen Fotografen, der Fotografin oder der Bildserie ist. Da die Autorinnen und Autoren sehr unterschiedlich sind, gehen diese auch wieder auf jeweils eigene Weise an die Texte heran. Wir versuchen unsererseits nicht, die Texte anzugleichen und machen – abgesehen von der Textlänge und dem Thema, das der Bildband behandelt – möglichst wenige Vorgaben bezüglich des Textformate. Somit ist es der Autorin oder dem Autor überlassen, welchen Zugang er oder sie wählt. In manchen Fällen erlauben wir uns, Formulierungsvorschläge zu machen und Hinweise bezüglich der Zielgruppe des Bildbandes zu geben. Kommen von der Fotografin oder dem Fotografen keine Vorschläge dazu, wer Texte zu den Fotos machen könnte, vermitteln wir uns bekannte Autorinnen und Autoren. Im Fall von „Transgender Teenagers“ wurden die Bilder in einer Zeitung veröffentlicht und dementsprechend war der Text ausgerichtet. Hingegen sprechen die Bilder bei Sanna Miericke sehr für sich und benötigen keine Bildunterschrift.“ D. Sz.: „Wieso verfassen die Fotografinnen und Fotografen den Text zu ihren Bildern nicht selbst?“ E. S.: „Es ist oft so, dass manche Fotografinnen und Fotografen nicht gerne schreiben – oder auch nicht schreiben können – in dem Sinne, dass sie zwar hervorragende Bilder machen, aber nicht in Worte fassen können, was sie da machen. Zudem sind wir bislang einfach von dieser Arbeitsteilung ausgegangen. Bis jetzt hat auch noch keine Fotografin oder kein Fotograf vorgeschlagen, den Text lieber selbst zu schreiben.“ D. Sz.: „Was sollen die Bilder bewirken?“ E. S.: „Unser Hauptanliegen ist, dass die Bilder auf unser Thema aufmerksam machen. Die Bildbände sollen Menschen erreichen, die wir über unsere Arbeit aufklären und unser Anliegen näher bringen wollen. Was die Bilder darüber hinaus beim Betrachter oder der Betrach-
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terin auslösen, hierüber haben wir keine Kriterien. Natürlich möchten wir, dass die Bildbände, die verstorbenen Journalistinnen und Journalisten gewidmet sind, auch die Erinnerung an sie wach halten. Wir möchten die Betrachter zum nachhaltigen Nachdenken über das Thema Menschenrechtsverletzung anregen und verdeutlichen, dass man sich für Menschenrechte einsetzen muss. Andere Bände sollen eher auf ein gesellschaftliches Thema, soziale Missstände hinweisen.“
Hinweis für den Einsatz der Bildbände im schulischen Rahmen Während eines Praktikums in der Schule (Bereich Schulsozialarbeit) führte ich zwei Projekteinheiten zum Thema Pressefreiheit durch. Zunächst möchte ich die Rahmenbedingungen erläutern, um anschließend die inhaltliche Umsetzung darzustellen.
Äußere Bedingungen Die Einheiten fanden an einer Haupt- und Werkrealschule statt. Die „Kapriole Freiburg“ versteht sich als eine freie, reformpädagogische Schule. Das Konzept beruft sich auf Maria Montessori sowie Mauricio und Rebecca Wild. Als „Grundelemente einer solchen modernen Pädagogik zum selbständigen, ganzheitlichen und entdeckenden Lernen“ wie sie laut Konzeption in dieser Schule praktiziert wird, seien die Freiwilligkeit und Selbsttätigkeit des Schülers, die gestaltete Umgebung mit Lernmaterialien und die Aufgabe des Lehrers als Begleiter und Förderer von Lernprozessen genannt. (Konzeption der Kapriole 2003: 1) Für den Schulalltag bedeutet dies, dass es den Schülerinnen und Schülern weitestgehend freigestellt ist, an welchen Kursen sie teilnehmen. Der Unterricht findet in altersgemischten Gruppen statt. Die Angebote richten sich neben dem, was für einen offiziell anerkannten Abschluss nötig ist, nach den jeweiligen Interessen der Kinder. Es finden zeitlich befristete Projekte sowie spezielle Ergänzungen zu regulären Kursen statt, so auch die von mir angebotenen Unterrichtseinheiten, die im Rahmen des Gesellschaftslehre-Unterrichtes stattfanden. Beworben wurde die Veranstaltung durch die Ankündigung der regulären Lehrkraft und mir selbst sowie mit einem Aushang am „Schwarzen Brett“. Die Schülerinnen, die das Angebot wahrnahmen, waren 11-13 Jahre alt, was etwa den Jahrgängen 5.- 7. Klasse entspricht; männliche Jugendliche nahmen nicht teil.
Inhalt Ziel meines Angebotes war es, den Schülerinnen verschiedene Dimensionen des Begriffes „Pressefreiheit“ aufzuzeigen und ihnen die Möglichkeit zu geben, eigene Verknüpfungen herzustellen sowie Denkprozesse anzuregen, die über das von mir als „Input“ Gegebene hinausgehen. Die erste Einheit diente dazu, unterschiedliche Aspekte des Themas zu beleuchten: Pressefreiheit als Grundrecht, Aufgaben der Presse, Spannungsfeld Informationsrecht vs. Persönlichkeitsschutz, Medienwirkung. Die Unterrichtsmaterialien bestanden aus Zeitungsausschnitten lokaler sowie überregionaler Zeitungen, der eigenen Schülerzeitung sowie Beiträgen aus der Fachliteratur. Um dann zur Situation in anderen Ländern für die kommende Sitzung überzuleiten, hatten die Teilnehmerinnen zwei Bildbände von ROG zur Verfügung: „Überleben im All-
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tag“ – 10 Fotografinnen für die Pressefreiheit, ein Sammelband von 2002 und „Grenzgänge“ von 2004. Thematisch knüpfte der erstgenannte Band an den vorausgegangenen Gesellschaftslehre-Unterricht an; hier war das Thema „Flüchtlinge“ behandelt worden. Die hier veröffentlichten Bilder verdeutlichen mögliche Auswirkungen von Krieg, Vertreibung, Abschiebung: So zeigt die Auswahl der Fotos von Susan Meiselas das Überleben im kurdischen Flüchtlingsgebiet. Die Gesichter sind deutlich zu erkennen; sie vermitteln einen direkten Eindruck davon, was diese Menschen empfinden und legt es nahe, sich mit Einzelschicksalen zu beschäftigen. Die Fotos sind durch kurze Bildunterschriften ergänzt, die teilweise lediglich den Ort bezeichnet, der auf dem Foto zu sehen ist. Ähnlich knapp betitelt sind die Aufnahmen von Jodi Biber.
Abb. 3: Buchcover „ÜberLeben im Alltag“
Die in diesem Sammelband veröffentlichten Bilder der Dokumentarfotografin entstanden unter anderem bei einer Zugfahrt, auf der Flüchtlinge aus Südafrika nach Mosambik abgeschoben wurden sowie in einem Abschiebelager. Anders als bei Meiselas sind hier keine Gesichter zu erkennen: Entstanden ist dies durch die Unschärfe bei der Aufnahme, bei anderen Bildern durch die Haltung, die die Flüchtlinge bei ihrer Abschiebung einzunehmen haben. Bei dieser Darstellungsweise kann die Anonymisierung, die bei der Abschiebungsprozedur entsteht und diese möglicherweise erleichtert, thematisiert werden. Diese Bildbände wurden interessiert angenommen und weckten die Neugier auf die kommende Unterrichtseinheit. Weniger Anklang fand der Band „Grenzgänge“ von 2004. Die Fotoserien trafen sowohl thematisch als auch von der Darstellungsweise weit weniger das Interesse der Schülerinnen. So standen die Schülerinnen der Arbeit von Michael Najjar eher ablehnend gegenüber. Auch die Fotoserie „Transgender Teenager“ von Laureen Greenfield löste Befremden aus, wobei hier zu berücksichtigen ist, dass in der entsprechenden Altersstufe vieles, was das Thema Geschlechteridentität betrifft, verunsichernd wirkt. Aufmerksamkeit weckten jedoch die im Anhang dar-
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gestellten „10 Beispiele“ von inhaftierten Journalisten: Hier konnten die Jugendlichen anhand von konkreten Fällen nachvollziehen, welche Aktualität und Brisanz das Thema Pressefreiheit hat. In der zweiten Sitzung konnten die Schülerinnen anhand eines Arbeitsleitfadens die Internetseite von Reporter ohne Grenzen kennen lernen und sich über die Situation der Pressefreiheit in anderen Ländern informieren. Da China derzeit bezüglich der Einführung von google.cn in der Kritik von ROG stand und die Schülerinnen und Schüler häufig Google als Suchmaschine nutzten, bot sich das Thema als Beispiel an. Während dieser Internetrecherche ergaben sich spontan weiterführende Fragen bezüglich der Einflussmöglichkeit der Bürger in unterschiedlichen politischen Systemen und nach dem Sinn des Rechtes auf Meinungsfreiheit, wenn diese doch so leicht einzuschränken sei.
Fazit Reporter ohne Grenzen ist ein „generatives Thema“, d.h. es regt dazu an, sich selbstständig eine breite Pallette von gesellschaftlich relevanten Themen zu erschließen. So wurde das Thema Pressefreiheit im Unterrichtsablauf in verschiedene Richtungen erweitert: Aufgenommen wurde die Frage nach Widerstand und Partizipation in demokratischen und nicht-demokratischen Ländern, es ergaben sich aufgrund der aktuellen Diskussion um den „Karikaturenstreit“ Fragen zum Thema Islam und es gelang, Begriffe wie Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz einzuführen. Die Bildbände selbst halfen dabei – zusammen mit dem Internet als Informationsquelle –, auf die Frage neugierig zu machen, wie es in anderen Ländern mit Pressefreiheit aussehe. Darüber hinaus verdeutlichten die im Anhang der Bände dargestellten Einzelschicksale inhaftierter Journalistinnen und Journalisten das für diese Altersgruppe recht abstrakte Thema Pressefreiheit. Über die Verwendung der Bildbände hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass sich weitere Möglichkeiten für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit bieten könnten, wenn man das Medium „Ausstellung“ mit einbezieht (zu bestellen über ROG, vgl. www.reporter-ohnegrenzen.de).
Literatur Kapriole (2003): Eine Schule mitten im Leben, Freiburg (Konzeptionspapier) Reporter ohne Grenzen (Hg.) 2002: ÜberLeben im Alltag. 10 FotografInnen für die Pressefreiheit, Belin (Titelbild: Nan Goldin, Tamika, New York (1994) Reporter ohne Grenzen (Hg.) 2004: Grenzgänge. Fotos für die Pressefreiheit. 10 Jahre Reporter ohne Grenzen, Berlin (Titelbild: Ulrike Myrzik/Manfred Jarisch, Cultural Center Hongkong (2002) Reporter ohne Grenzen (Hg.) 2005: Respekt. Fotos für die Pressefreiheit (Titelbild: Kyoko Hamada, Lika/USA (2001))
Abbildungen Abb. 1-3: Abdruckerlaubnis der Buchcover mit freundlicher Genehmigung von Reporter ohne Grenzen
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Einleitung Sozialdokumentarische Fotografie erhebt den Anspruch, die soziale Realität fotografisch zu erfassen. Aber was bedeutet soziale Realität (vgl. Günter 1977: 17)? Ist soziale Realität für jeden Menschen gleich? Kann man soziale Realität auf einem Foto festhalten? Sozialdokumentarische Fotografie, im Folgenden: Sozialfotografie, ist am einfachsten zu definieren, wenn man sich mit ihren Zielsetzungen auseinandersetzt: Die Sozialfotografie verfolgt im Allgemeinen das Konzept 1 1 1 1
Missstände in der Gesellschaft aufzuzeigen, Lebensumstände bestimmter Gruppen abzubilden, politisch eingreifend tätig zu werden (vgl. Fiege 2002: 2) und soziale Ereignisse zu dokumentieren.
Um dem gerecht zu werden, muss in diesem Zusammenhang die Glaubwürdigkeit des Fotografen garantiert sein, da die Gefahr der Manipulation stets gegeben ist. Der Fotograf fungiert schließlich als eine Art Autor, dessen Ziel es ist, die soziale Wirklichkeit „wiederzugeben“ und zu vermitteln. Jedoch repräsentiert ein Foto immer auch den subjektiven Eindruck des Fotografen. Dass dieser Aspekt Gefahren mit sich bringt, liegt auf der Hand. Fotografie kann aufgrund ihres Ausschnittverhaltens, ihrer Zweidimensionalität und ihrer Manipulierbarkeit nie wirklich objektiv sein. Die Dokumentarfotografie, genauso wie die sozialdokumentarische Fotografie, soll im Allgemeinen dem Anspruch der Authentizität gerecht werden. Die visuelle Kraft des Bildes steht dabei im Vordergrund, da Dokumentarfotografie etwas vermitteln soll, was Worte nicht vermögen. Aber erst die Verknüpfung von Bild und Text macht es möglich, Inhalte zu deuten und Informationen über die dargestellten (sozialen) Situationen zu sammeln.
Die vier Dimensionen der Sozialfotografie (nach Roland Günter) Der Bereich Sozialfotografie ist sehr umfangreich. Die Grenzen zwischen ihren unterschiedlichen Anwendungsgebieten sind fließend. Roland Günter hat in seinem Buch „Fotografie als Waffe“ (1982: 16) den Versuch unternommen, im Bereich der Sozialfotografie Verstreutes zusammenzufassen. Er gliedert die Sozialfotografie in vier Dimensionen: 1. Fotografie als einfache soziale Erfahrung Jedes Foto ist ein Fragment der Wirklichkeit und beinhaltet dadurch soziale Erfahrungen. Selbst unscheinbare Fotografien geben uns Informationen über die Ansicht und die Herangehensweise des Fotografen.
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2. Fotografie als Dokument für die Sozialwissenschaft und Sozialgeschichte In der Sozialwissenschaft und in der Sozialgeschichte kann jedes Foto auch als Dokument einer nichtverbalen Information eingesetzt werden. 3. Sozialdokumentarische Fotografie Ob ein Fotograf aus purer Neugierde, einfach nur nebenbei oder aber gezielt als geschulter Dokumentarist fotografiert, spielt eigentlich keine Rolle. Es kommt in der Praxis auf den Entwicklungsgrad der Neugier an, auf die Genauigkeit und auf die Komplexität des Resultates. 4. Sozialengagierte Fotografie Diese vierte Dimension der Sozialfotografie wird als Instrument zur Entwicklung sozialer Ziele in der Gesellschaft eingesetzt. Roland Günter weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei diesen Dimensionen nicht um Unterscheidungen handelt, da es ihm wichtiger ist, herauszufinden, was in der Fotografie geschieht. Er hält Abgrenzungs-Diskussionen für unfruchtbar und beschäftigt sich aus diesem Grunde lieber mit allen Ebenen des sozialen Gehalts der Fotografie. Um nachzuvollziehen, wie sich die sozialdokumentarische Fotografie entwickelte und etablierte, erscheint es sinnvoll, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen. Im Folgenden werde ich anhand von drei ausgewählten Beispielen die Entwicklung der Sozialfotografie darstellen.
Die Pioniere der Sozialfotografie Die wohl wichtigsten Vertreter der Sozialdokumentarfotografie um die Jahrhundertwende in Amerika sind Jacob A. Riis und Lewis W. Hine. Sie waren die ersten, die die Fotografie bewusst als sozialkritisches Instrument benutzten. Jacob A. Riis (1849-1914), ein Zimmermann der 1870 aus Dänemark in die USA emigrierte, war zunächst in seiner neuen Heimat arbeitslos und ohne festen Wohnsitz. Er lebte in den Slums von New York. Einige Jahre später wurde er Journalist und stellte bald fest, dass das gedruckte Wort in seinen sozialkritischen Artikeln nur wenig Überzeugungskraft besaß. Also griff er zur Kamera. 1890 wurde er mit seinem Bildband „How the Other Half Lives“ (Wie die andere Hälfte lebt) berühmt (vgl. Baatz 1997: 76). In diesem Bildband dokumentierte Riis die Elendsviertel von New York. Obwohl er ein Fotoamateur war und seine Bilder nicht von bester Qualität waren, schaffte er es, die Öffentlichkeit zu erregen. Diese für die damalige Zeit neue Gebrauchsweise der Fotografie im Sinne reformistischer oder verbessernder Intentionen wird nach dem Modell des Dokumentarischen definiert (vgl. Solomon-Godeau 2003: 61). Jacob Riis’ Fotografien sind stets ambivalent. In seinen Aufnahmen werden nicht nur Missstände angeprangert. „Riis dokumentiert aber auch die Hoffnung auf Entwicklung, wenn er einen abgekämpften italienischen Arbeiter in der Jersey Street fotografiert, der seinem Sohn Pietro das Schreiben beibringt. Riis macht eine unvergleichliche Bestandsaufnahme des Elends, aber auch der unerschütterlichen Würde des Menschen.“(Günter 1982: 141) Durch seine fotografische Arbeit konnte Riis nicht nur der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten, sondern auch direkt politisch etwas bewirken. Bedingt durch seine Bilder konnte er den New Yorker Polizeipräsidenten dazu bewegen, die berüchtigten Nachtasyle der Polizei zu schlie-
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ßen (vgl. Günter 1982: 141). Unter anderem erreichte er die Einrichtung einer Schule für Schulverweigerer, die Vorschrift, dass in der Schule genügend Pulte vorhanden sind und die Verbesserung der Kinderschutzgesetzgebung. Die engagierte soziale Fotodokumentation, die Riis in seinen Bildern zum Ausdruck brachte, wurde in gewisser Weise später von Lewis W. Hine (1874-1940) fortgesetzt. Auch er erkannte, dass man mit dokumentarischer Fotografie soziale Ungerechtigkeiten aufdecken konnte. Hine, der genauso wie Riis kein ausgebildeter Fotograf war, studierte Soziologie und Pädagogik und arbeitete als Lehrer in einer Grundschule für Arbeiterkinder, wo er der Aufforderung nachkam, Fotografie zu lehren. Auf diesem Wege entdeckte er das neue Medium für sich. Er wollte die Dinge zeigen, die abgeschafft werden mussten und die Dinge, die anerkannt werden sollten (vgl. Fabian 1976: 228). Ab 1905 fotografierte er im Rahmen eines Schulprojektes die Immigranten auf Ellis Island, in den Minen von Pittsburgh und den wuchernden Slums von Chicago. Seine Bilder wurden in sozialreformerischen Zeitschriften veröffentlicht. Er gab nun seinen Beruf als Lehrer auf, um sich der Fotografie vollkommen widmen zu können. Hine erhält 1907 seinen ersten Vertrag als Fotograf des amerikanischen Bundesausschusses für Kinderarbeit (NCLC). Er wurde beauftragt, die noch vorherrschende Kinderarbeit zu dokumentieren, um die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, dass Kinderarbeit noch immer weit verbreitet war. Der Gesetzgeber sollte dazu gezwungen werden, Kinderarbeit zu verbieten. „Mit seinen Fotos wollte Hine dem Gericht der öffentlichen Meinung unwiderlegbares Beweismaterial vorlegen. Dies bedeutete, er musste bei jeder Aufnahme sicherstellen, dass nicht der Vorwurf der Fälschung gemacht wurde.“(Boerkey 2004: 156) Hines soziologische Herangehensweise kam ihm zugute. Er sprach mit den Kindern, die als Achtjährige schon Schwerstarbeit in Spinnereien, unter Tage oder als Zeitungsverkäufer verrichten mussten. Er versuchte, so viel wie möglich über ihre Lebensverhältnisse herauszubekommen, um der Gesellschaft ein reales Bild der Lebensumstände der Kinder liefern zu können. Hine benutzte die Fotografie als Waffe, um die Ausbeutung der Kinder in Fabriken und Bergwerken bekämpfen zu können. Und er hatte Erfolg. Ein Kinderarbeitschutzgesetz wurde verabschiedet, als sich die Öffentlichkeit im Angesicht der Fotos empörte. Die Regierung geriet so unter Zugzwang und musste handeln. Das Werk von Lewis W. Hine war vorbildhaft. Er beeinflusste zahlreiche Fotografen, die sich dem Genre Sozialfotografie widmeten. Sein Stil prägte vor allem sehr stark die Arbeiten der FSAFotografen, die ab 1935 die Situation der amerikanischen Saisonarbeiter fotografisch dokumentierten (Baatz 1997: 76).
Die Farm Security Administration (FSA) Als F. D. Roosevelt 1932 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde, bekam die Landbevölkerung in extremer Weise die Folgen der damaligen Wirtschaftskrise zu spüren. Besonders betroffen waren die Pachtbauern und die Saisonwanderarbeiter des Mittleren Westens. Die anhaltende Dürre und die große Depression der dreißiger Jahre bedeutete für viele Bauern den Bankrott. Die Menschen verloren alles und zogen mit ihren Familien auf der Suche nach Arbeit in Richtung Kalifornien. Roosevelt versuchte, um seine zahlreiche Wählerschaft auf dem Land nicht gegen sich aufzubringen, dem entgegenzutreten, indem er ein Netz von Regierungseinrichtungen etablierte. Er
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gründet unter anderem eine Landwirtschaftsversorgungsbehörde, die „Resettlement Administration“, die später als „Farm Security Administration“ (FSA) in die Geschichte eingehen wird. Um den Menschen in den Städten vor Augen zu führen, wie die Verhältnisse und Bedürfnisse der Menschen auf dem Land aussehen, setzte die FSA-Behörde Fotografen ein, die den Auftrag hatten, die Auswirkungen der großen Rezession zu dokumentieren. Die Leitung dieses Projektes übernahm Roy Stryker, ein Schüler von Lewis W. Hine, der Soziologie und Wirtschaftswissenschaften an der Columbia-Universität lehrte. Stryker hatte zwar keine fotografische Ausbildung, nutzte aber in seinen Vorlesungen häufig Fotos als didaktisches Material (vgl. Günter 1982: 156). Er setzte für sein Vorhaben erstklassige Fotografen ein wie z. B. Walker Evans, Ben Shan, Dorothea Lange, Jack Delano, Russell Lee und Arthur Rothstein. Das Projekt der FSA-Fotografen wurde zu einem Meilenstein der amerikanischen Fotografiegeschichte, obwohl es auch als Werbekampagne der Regierung gesehen werden kann.
Die Bildkampagne der FSA-Fotografen Die beteiligten Fotografenpersönlichkeiten waren von Roy Stryker sehr überlegt ausgesucht. Walker Evans, bekannt für seine klaren Objekt- und Personenbilder, Dorothea Lange, geschätzt für ihre einfühlsamen Porträts und Arthur Rothstein, berühmt für seine symbolträchtigen Fotografien, bildeten mit anderen geschätzten Fotografen das Team, welches dem Auftrag nachkam, ein aufschlussreiches Bild über die amerikanische Landbevölkerung zu liefern. Die FSA beauftragte mehrere Fotografen, die in die von Armut betroffenen Gebiete gesandt wurden. In der Zeit von 1935 bis 1942 arbeiteten insgesamt dreizehn Fotografen für die Organisation. Es entstanden schätzungsweise in diesem Abschnitt 75 000 existierende Abzüge bzw. 130 000 bis 270 000 Aufnahmen (vgl. Baatz 1997: 127). Stryker, der Leiter des Regierungsauftrages, hatte genaue Vorstellungen, wie seine Fotografen arbeiten sollten. Er entwickelte genaue Foto-Drehbücher, auch als „Shooting Scripts“ bezeichnet, die unter anderem die Region, das Milieu oder die Tätigkeit vorschrieben. Aber auch das, was die Bilder ausdrücken sollten, war dirigiert, wie z. B. die Art der Stimmung oder das Gefühl welches im Rezipienten ausgelöst werden sollte (vgl. Solomon-Godeau 2002: 65). Die meisten seiner Mitarbeiter hielten sich an die im Sinne der Propaganda diktierten Direktiven: „Die hochbegabten Mitglieder […] machten Dutzende von Porträtaufnahmen eines Kleinpächters, bevor sie überzeugt waren, genau das getroffen zu haben, was sie auf dem Film festhalten wollten – jenen Gesichtsausdruck, der ihren eigenen Vorstellungen von Armut, Würde und Ausbeutung, von Licht, Struktur und geometrischem Mass entsprach.“(Sontag, zit. n. Billeter 1980: 172) Die Aufnahmen der Bildberichterstatter wurden direkt nach der Belichtung des Films weggeschickt, ohne dass der Fotograf sie zu Gesicht bekam. Die Fotografen waren also nicht an der Auswahl der zu veröffentlichenden Bilder beteiligt, sondern mussten hinnehmen, dass ihre Fotos von Roy Stryker ausgesucht und zusammengestellt wurden. Die Eigenkontrolle des Fotografen wurde so massiv beeinträchtigt. Im Sinne der Roosevelt-Politik filterte Roy Stryker die Bilder heraus, die an die Öffentlichkeit gelangen sollten (vgl. Günter 1982: 156). Die publizierten Bilder zeigen Amerikaner, die trotz der dominierenden, elenden Situation den Anschein machen, an ihr Land zu glauben und somit meines Erachtens den Patriotismus und den Glauben an die Regierung im Land stärken sollten. Diese Sozialdokumentarfotografie diente in diesem Fall also vorwiegend propagandistischen
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Zwecken: „Sie versteht es, dem Präsidenten charismatische Züge zu verleihen und Mythen zu bilden. Propaganda als Ersatz für reale Sozialpolitik.“(Günter 1982: 156) Aber nicht alle Fotografen der FSA passten sich vollends den Auflagen Strykers an. Walker Evans, Theo Jung und Ben Shan sahen durch die „Shooting Scripts“ ihren Berufsethos in Gefahr (vgl. von Brauchitsch 2002: 134). Walker Evans, der es vorzog, eigenständig zu arbeiten, geriet schon nach einem halben Jahr der Zusammenarbeit mit Roy Stryker in Konflikt. Die Aufforderung Strykers, propagandistischer zu arbeiten, missfiel Walker Evans. Für Evans kam das gar nicht in Frage und er verließ 1935 das FSA-Team.
Die FSA-Fotografin Dorothea Lange Dorothea Lange war von 1935–1940 bei der FSA tätig. Sie hat wohl das berühmteste Bild der FSA-Kampagne gemacht: „Migrant Mother“. Zuvor war sie als Schreibkraft bei der „San Francisco News“ angestellt, da für Fotografen im Allgemeinen das Budget fehlte. Lange veröffentlichte aber auch schon zu dieser Zeit mehrere Aufnahmen mit sozial-dokumentarischem Anspruch. Stryker wurde so auf sie aufmerksam. Ihre sensible Auffassungsgabe zeichnete ihre Arbeiten aus (vgl. Billeter 1980: 175). Aufgrund ihrer emotionalen Herangehensweise passten ihre Fotografien besser in das Konzept von Stryker, der den Propaganda-Aspekt nie aus den Augen verlor. Lange versuchte mit den Menschen direkten Kontakt aufzunehmen, um ihnen zu vermitteln, dass ihre Sympathie für sie arbeitete. Genauso wie Lewis Hine sprach sie mit den zu fotografierenden Menschen, um ihre charakteristischen Eigenschaften zu erfassen. Ihr ging es allerdings nicht darum, den Menschen ihre Ideen aufzuzwängen, sondern eher darum, eine Kommunikation zwischen den Farmarbeitern und dem Bildrezipienten aufzubauen (vgl. Günter 1982: 160). Ihre Fotografien zeichnen sich durch ihre Einfachheit aus. Lange verzichtete auf übersteigerte Bildkompositionen. „Sie gestaltet die Realität nicht um, sondern vermittelt sie so direkt wie möglich.“ (Günter 1982: 161) In Dorothea Langes überragenden Gruppen- und Einzelporträts werden zum Teil Menschen als Opfer dargestellt, die aber scheinbar Widerstand zu leisten vermögen, wenn auch nur durch ihre Hartnäckigkeit. Dies wird besonders in dem wohl bedeutsamsten Bild in Langes Karriere deutlich, die Fotografie der Emigrantenmutter aus Kalifornien. Das Foto „Migrant Mother“, welches mehr als 10 000 mal veröffentlicht wurde, zeigt eine von der Armut gebrandmarkte Mutter mit ihren Kindern auf dem Weg nach Westen. Das Motiv wurde aus mehreren Blickwinkeln aufgenommen, um später dann das aussagkräftigste auszuwählen. Gerade die Ikonografie lässt einen emotionalen Zugang zu dem Sujet zu. Die Bildsprache lässt Vermutungen zu, dass eine Assoziation mit dem Motiv der Mutter Gottes gewollt ist (vgl. Günter 1982: 161). Dieser dadurch entstehende Effekt unterstützt die Bildwirkung enorm. Dorothea Lange ging mit Respekt auf die fotografierte Frau ein, ohne in Mitleid zu versinken. Sie kannte noch nicht mal ihren Namen, aber schaffte es, der Mutter ihre Würde zu erhalten (vgl. Kulessa 1989: 209). Häufig wurde kritisiert, dass das Foto inszeniert wäre. Ich bin aber genauso wie Roland Günter (1982: 161) der Meinung, dass in der Dokumentarfotografie eine Situation arrangiert werden kann, solange sie immer noch die Wahrheit widerspiegelt.
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Die Entwicklung der FSA bis zum Ende Als die ersten Bilder der FSA-Fotografen veröffentlicht wurden, löste dies eine Welle von öffentlichen und privaten Hilfeleistungen aus. In der Gesellschaft verbreitete sich das „Bild“ der würdigen Opfer der Depressionszeit. „(…) Ihr Anspruch auf Hilfeleistung wurde also mit individuellem Unglück begründet und nicht mit einem systematischen politischen, ökonomischen oder sozialen Versagen.“ (Solomon-Godeau 2002: 67) 1938 änderte sich die Aufgabenstellung der FSA-Fotografen: Sie sollten nun nicht mehr nur die Krisengebiete fotografisch dokumentieren, sondern ausschließlich die positiven Aspekte des Farmerlebens festhalten. Die Unternehmung FSA entpuppte sich nun vollends als Propagandamaschine der Roosevelt-Regierung, die Erfolge vorweisen musste. Es wurden von nun an Bilder von idyllischen Landschaften veröffentlicht, in denen zufriedene, glückliche Menschen lebten. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich immens, als auf Drängen der konservativen Berater alle Regierungshilfsgelder gekürzt wurden. Erst der Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939 und der Kriegseintritt der USA 1942 sanierte die Wirtschaft der Vereinigten Staaten (vgl. Heß 1990: 18). Sozialengagierte Fotografie verlor ihren Stellenwert. Es ging hauptsächlich um die Darstellung eines gesunden und aufstrebenden Landes, welches gestärkt in den Krieg ziehen sollte. Roy Stryker machte dies in seinem Appell an Jack Delano 1940 deutlich: „…Betone die Vorstellung von Überfluß – „das Füllhorn“, und gieß Ahornsirup drüber – mische das Ganze reichlich mit weißen Wolken und blauem Himmel. Ich weiß, deine verdammte Photographenseele krümmt sich, aber zum Teufel damit. Glaubst du, ich schere mich um eine Photografenseele, wenn Hitler vor der Tür steht?“ (zit. n. Heß 1990: 18) Trotz der Agitation des Regierungsauftrages schrieben die FSA-Fotografen dennoch Geschichte, die Bilder sind Dokumente ihrer Zeit. Durch Kürzung aller Gelder für die FSA, bzw. Umleitung aller Geldmittel an das „Office of War Information“ endete 1942 die Arbeit dieser Organisation.
Von der Arbeiterfotografie zu den Sozialen Bewegungen Wie die Fotografiegeschichte zeigt, ist sozialdokumentarische Fotografie in vielen Facetten und in vielen Genres zu finden. Ein wichtiger Bereich der Sozialfotografie wurde hier bisher noch nicht erwähnt: die Arbeiterfotografie. Auch sie kann mittlerweile auf eine beachtliche Geschichte zurückblicken. Nach dem Ersten Weltkrieg formierten sich in Deutschland die ersten Fotografen, um den Arbeitsalltag des Proletariats zu dokumentieren. Anfänglich wurde die Arbeiterfotografie als Propagandainstrument der kommunistischen Parteien genutzt. Kurz darauf aber griffen die Arbeiter selbst zur Kamera, um authentischer über ihre Lebensumstände zu informieren. 1925 entsteht die sozialistische „Arbeiter-Illustrierten-Zeitung“ (AIZ), die parteien-unabhängig arbeitete. Arbeiter aus allen Bereichen wurden aufgefordert, ihre Fotos einzusenden. „Die AIZ will für die Arbeiter, aber auch für nahe stehende Intellektuelle ein Gegengewicht gegen die politische Gehirnverkleisterung der bürgerlichen Illustrierten bilden.“ (Günter 1982: 62) In Deutschland wurden immer mehr Arbeiterfotografen-Gruppen gegründet, die gemeinschaftlich die Arbeiterbewegung mit ihren Bilddokumenten vorantrieben. Kurz darauf entstand die Zeitschrift „Der Arbeiterfotograf“. 1931 gibt es 2412 eingetragene Mitglieder und 100 Ortsgrup-
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pen. Der Fotoapparat wird als Instrument zur kritisch-analytischen Reflektion der Realität verstanden. Aber diese Ansicht stieß nicht nur auf Gegenliebe. Die „Deutsche Arbeitgeberzeitung“ warf den Arbeiterfotografen Betriebsspionage vor. In den Fabriken und Firmen wurde das Fotografieren verboten, was heute noch größtenteils der Fall ist (vgl. Günter 1982: 65). Nach der Machtergreifung der Nazis und dem dadurch bedingten Untergang der Arbeiterbewegung wurde auch die Arbeiterfotografie verboten, abgesehen natürlich von propagandistischen Darstellungen von deutschen Arbeitern. Erst 1972 fand die Arbeiterfotografie in der Bundesrepublik ihre neuen Anhänger. Verschiedene soziale Bewegungen zeigten Interesse an diesen Zeitdokumenten und wollten an dieser Tradition wieder anknüpfen. Die „neuen“ Arbeiterfotografen griffen nun auch Themenbereiche, wie z. B. Kinderfeindlichkeit, Jugendarbeitslosigkeit, Gastarbeiter und andere aktuelle Themen auf. (vgl. Günter 1982: 85). Dokumentationen wie die von den Arbeitern unter Tage haben gezeigt, wie hart viele Menschen in unserer Wohlstandsgesellschaft arbeiten müssen. Günther Wallraffs Reportagen wurden von Bildern der Arbeiterfotografie unterstützt. In vielen Industriestädten existieren immer noch zahlreiche Gruppen, die sich der Arbeiterfotografie verschrieben haben. Aber nicht nur die Arbeiterbewegung nahm sich des Mediums Fotografie an, um ihre Anliegen und Meinungen einer breiten Öffentlichkeit kund zu tun. Ab den siebziger Jahren nutzten beispielsweise Atomkraftgegner (siehe Abb. 1), Friedensaktivisten, Hausbesetzer und Umweltschützer die Sozialfotografie, um politisch eingreifend tätig zu werden (vgl. Fiege 2002: 4).
Der Kämpfer mit der Kamera – Günter Zint Günter Zint, ein Fotoreporter, der häufig in körperliche Auseinandersetzungen mit der Polizei verwickelt war, dokumentierte in den siebziger und achtziger Jahren mit seiner Kamera die Zerstörung deutscher Landschaften durch Bauvorhaben und Aktionen, die sich gegen Atomkraft richteten. Er kämpfte mit seinen Bildern um politische Aufmerksamkeit. Folgende Abbildung dokumentiert den Polizeieinsatz im Wendland, wo Atomkraftgegner gegen die Errichtung eines atomaren Zwischenlager demonstrieren.
Abb. 1: Günter Zint, Kampf um den Baum, 1979
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Abb. 1 veranschaulicht den Protest „wie in einem Brennglas.“ (Boström 1989: 50) Das Foto visualisiert intensiv das Engagement der Demonstranten, die gegen die Macht des Staates hilflos sind. Der Ausdruck des zu Boden geworfenen Mannes bildet einen Kontrast zu den teilnahmslosen Gesichtern der Polizei. Das Foto stellt nicht nur das Eingreifen der Polizei dar, sondern verdeutlicht für mich auch die Notwendigkeit von Bildjournalisten auf Demonstrationen. In ihrer Funktion als „Augenzeugen“ können sie Repressionen dokumentieren und der Öffentlichkeit zugänglich machen. „Zint entwirft in seiner Fotografie einen Staat, dessen Idylle des Wohlstandes auf Gewalt gegen Menschen und Lebensräume gründet.“ (Boström 1989: 50) Doch um die in Abb. 1 dargestellte Situation zu verstehen und zu deuten, benötigt der Rezipient Hintergrundwissen über die Sprache und über die Bedeutung dessen, was in dieser Fotografie dargestellt wird. In diesem Fall über den sozialhistorischen Kontext, der sich aus dem Wissen über die Politik zur Durchsetzung der Atomprogramme sowie über die Begründungen für den Widerstand der Antiatomkraftbewegung der siebziger Jahre zusammensetzt. Diese Kontext-Abhängigkeit wird in diesem Band in dem Aufsatz „Bilderwelten = Weltbilder? Fotojournalismus als Herausforderung für die visuelle politische Bildung“ von Drechsler im Kapitel 2 näher diskutiert. Heute sieht man Sozialfotografie vermehrt nur noch in Zeitschriften oder auf Plakatwänden von Hilfsorganisationen, wie z. B. vom Roten Kreuz oder anderen karitativen Vereinigungen. Fotografien werden dort bewusst eingesetzt, um an das Mitgefühl der Rezipienten zu appellieren. Die Spendenbereitschaft soll mit emotionalen Bildern erhöht werden. (vgl. Gugel/Jäger 1999: 131)
Sozialdokumentarische Fotografie in der Schule „Fotografie in der Schule bedeutet einerseits Nutzung des Mediums, aber gleichzeitig auch die Lehre von ihm.“ (Gramatzki 1994: 36) Der Einsatz sozialdokumentarischer Fotografien in der Schule kann sehr vielseitig sein. Sie kann fachbezogen und fächerübergreifend im Unterricht eingesetzt werden, beispielsweise als Zeitdokument im Geschichtsunterricht, als Sprechanlass im Deutschunterricht oder als kreatives Ausdrucksmittel im Kunstunterricht. Doch für mich steht im Rahmen dieses Aufsatzes die Auseinandersetzung mit den Funktionen der Sozialfotografie im Vordergrund: Sozialdokumentarische Fotografie hat zum Ziel, wie die vorangegangenen Beispiele gezeigt haben, mehr als andere journalistische Bildgattungen (vgl. Drechsel in diesem Band), den Betrachter auf Missstände hinzuweisen, zu kritisieren, aufzurütteln, zu einer aktiven Veränderung aufzufordern. Eine Thematisierung sozialdokumentarischer Fotografie in der Bildungsarbeit hätte zum Ziel, diese Fotografierintention in den Bildgestaltungsmitteln wiederzufinden, sie im historischen Entstehungskontext zu verorten – auch im biografischen Kontext der fotografierenden Person. Der Bildband „40 Jahre Deutscher Jugendfotopreis“ (Grebe u.a. 2002) bietet vielfältige Beispiele nicht nur für Formen der Inszenierung von Jugendwelten, sondern auch dafür, wie Jugendliche in den zurückliegenden Jahren ihre (Um-)Welt wahrnehmen. Interessant wäre aus kommunikationspsychologischer Sicht (vgl. Holzbrecher 2004: 16 ff.) zu untersuchen, in welchen Zeiten Fotos mit einer eindeutigen Appellperspektive dominieren, welche Themen dabei aufgegriffen werden und in welcher Weise sich die Jugendlichen damit auseinander setzen.
Die Macht der Bilder
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Projektbeispiele für die schulische wie auch für die außerschulische Bildungsarbeit liegen „vor der Haustür“. Ob im nahe gelegenen Flüchtlingsheim, der Obdachlosensiedlung oder den Punks in der Fußgängerzone: Sozialdokumentarische Fotografie lädt dazu ein, sich gesellschaftlichen Realitäten aktiv anzunähern. Eine Verknüpfung von Fotografie und Text bietet sich in jedem Falle an, um entweder – als „Außenstehender“ – die eigene Wahrnehmung der „fremden Realität“ zum Ausdruck zu bringen oder die fotografierten Personen „zum Sprechen“ zu bringen. Möglicherweise lässt sich diese Projektidee dahingehend weiter entwickeln, dass den Flüchtlingen oder Wohnungslosen selbst das Instrument Foto in die Hand gegeben wird und sie für ihre Anliegen eine Öffentlichkeit herstellen.
Literatur Baatz, Wilfried (1997): Geschichte der Fotografie. Schnellkurs. Köln Billeter Erika (1980): Amerika Fotografie 1920-1940. Zwischen Hollywood und Harlem. Hannover Boerkey, Jeanne (2004): Fotorhetorik. Schlüssel zur Botschaft des fotografischen Bildes. Düsseldorf Boström, Jörg (1989): Günter Zint. Deutsche Landschaften 1979-1988, in: Jörg Boström (Hrsg): Dokument und Erfindung. Fotografien aus der Bundesrepublik Deutschland 1945 bis heute. Berlin Fabian, Rainer(1976): Die Fotografie als Dokument und Fälschung. München Fiege, Jürgen (2002): Die Dauer des Augenblicks. Ein fotopädagogisches Handbuch, München Gramatzki, Rolf (1994): Von der „Schulphotographie“ zur Fotografie an der Schule, in: Kunst+Unterricht, Heft 187/November Grebe, Stefanie, Peter Holtfreter, Anita Kloten, Tilman Lothspeich, Jan Schmolling, Ulrich Timmermann (Hrsg.) (Kinder- und Jugendfilmzentrum) (2002): Fotofieber – 40 Jahre Deutscher Jugendfotopreis, Remscheid Gugel, Günter, Jäger, Ulli (1999): Welt-Sichten. Die Vielfalt des Globalen Lernens. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hrsg.). Tübingen Günter, Roland (1982): Fotografie als Waffe. Zur Geschichte und Ästhetik der Sozialfotografie. Reinbeck bei Hamburg Heß, Christine (1990): Amerika in der Depressionszeit, in: Michael Brix, Birgit Mayer (Hrsg.): Walker Evans. Amerika. Bilder aus den Jahren der Depression. München Holzbrecher, Alfred (2004): Den Bildern auf der Spur. Fotoprojektdidaktik als kommunikativer Prozess, in: Holzbrecher/Schmolling (Hrsg.) Imaging. Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit, Wiesbaden (VS Verlag) Kulessa, Detlef (1989): Vision und Dokumentation. Sozial-dokumentarische Fotografie der 30er Jahre in den USA: eine ikonologische Betrachtung. Frankfurt am Main Solomon-Godeau, Abigail (2003): Wer spricht so? Einige Fragen zur Dokumentarfotografie, in: Herta Wolf (Hrsg.): Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters. Frankfurt am Main Zitat von Susan Sontag in: Kestner Gesellschaft e.V. : 1920 Amerika Fotografie 1940, Benteli AG, 1980, S. 172 Von Brauchitsch, Boris (2002): Kleine Geschichte der Fotografie. Stuttgart
Abbildung Abb. 1: Günter Zint, Kampf um den Baum, 1979. In: Dokument und Erfindung. Fotografien aus der Bundesrepublik Deutschland 1945 bis heute. Fotografische Akademie, Berlin 1989 (Abdruck mit freundlicher Genehmigung von G. Zint)
Die ganze Welt im Sucher: Einzoomen und Ausblenden. Der fotografische Blick auf Reisen Rosaly Magg
„Den verstehenden Blick des Ethnologen, mit dem ich Algerien betrachtet habe, konnte ich auch auf mich selbst anwenden, auf die Menschen aus meiner Heimat, auf meine Eltern, die Aussprache meines Vaters und meiner Mutter, und mir das alles so auf eine völlig undramatische Weise wiederaneignen. (…) Die Fotografie, die ich zunächst in Algerien und dann im Béarn betrieb, hat als Begleiterin auf diesem Weg zweifellos viel zu dieser Konversion des Blicks beigetragen, die eine wahre – und ich glaube, das Wort ist nicht zu stark – Sinnesänderung voraussetze. Denn die Fotografie ist Ausdruck der Distanz des Beobachters, der Daten erfasst und sich dabei immer bewusst bleibt, dass er Daten erfasst, aber zugleich setzt die Fotografie auch Vertrautheit, eine Aufmerksamkeit und Sensibilität selbst für kaum wahrnehmbare Details voraus, Details, die der Beobachter nur durch eben diese Vertrautheit unmittelbar zu verstehen und zu interpretieren vermag, eine Sensibilität für das unendlich kleine Detail einer Situation, das selbst dem aufmerksamen Ethnologen zumeist entgeht. Die Fotografie ist aber auch eng verwoben mit dem Verhältnis, das ich zu jedem Zeitpunkt zu meinem Gegenstand unterhalten habe, und ich habe keinen einzigen Augenblick lang vergessen, dass es sich dabei um Menschen handelte, Menschen denen ich mit einem Blick begegnet bin, den ich – auch wenn ich befürchte, mich dadurch lächerlich zu machen – als liebevoll, ja als oft gerührt bezeichnen möchte.“ (Bourdieu 2003:11) Der Soziologe Pierre Bourdieu macht in seinem Zitat das Spannungsfeld auf, in dem sich die Reisefotografie befindet – zwischen Distanz, Inszenierung und Sensibilität für die Details einer Situation. Seine „Konversion des Blicks“ führt dazu, dass das Fotografieren auf Reisen einen Dialog hervorrufen kann, der die abgelichteten Objekte zu agierenden Subjekten werden lässt. Die Kamera kann Hierarchien schaffen oder zu deren Auflösung beitragen. Die Inszenierungen, die durch touristisches Fotografieren erschaffen werden, können zu einer eingeschränkten Begegnung mit dem Fremden führen oder aber als Chance begriffen werden, Menschen durch einen „liebevollen“ Blick zu berühren. Die Gratwanderung zwischen Fotografieren als wahllosem „Knipsen“ von möglichst vielen fremden Gesichtern oder Lebenswelten ohne Sensibilität für die jeweilige Situation und einer möglichen Chance, dem bereisten Land durch Fotografieren wirklich näher zu kommen, ist immer präsent. Keine Touristin, kein Tourist kann sich diesem Dilemma entziehen und gerade bei Fernreisen und dem Blick auf die so genannte Dritte Welt, um den es in diesem Artikel vorrangig gehen soll, ist dieser Widerspruch allgegenwärtig. Zwei Extrembeispiele des achtlosen Fotografierens sind sicherlich auf der einen Seite die „Bilderjagd“ mit der Kamera, auf der anderen Seite das heimliche Fotografieren aus Scham. Denn diese „negativen“ Aneignungsweisen der Welt führen zu einer Hierarchiebildung – die Fotografierenden machen die Fremde(n) zum Objekt ihres Begehrens. Mögliche Wege dazwischen erfordern ein besonderes Gespür für Situationen, in denen fotografiert werden kann – oder eben nicht. Das touristische Fotografieren birgt viele weitere Fallstricke, letztendlich kann man ihnen kaum entkommen. Aber es eröffnet sich immer auch eine Chance, trotz allen stattfindenden Aneig-
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nungsprozessen genügend Sensibilität für Situationen und Details mitzubringen, um mit der Fremde oder dem Fremden in Kontakt zu kommen. Hierfür müssen jedoch die selektiven Handlungsweisen, die das Fotografieren mit sich bringt, genauer unter die Lupe genommen und von verschiedenen Seiten aus beleuchtet werden – angefangen von der Einordnung der Fotografie im touristischen Kontext über die Bedeutung des Urlaubsfotos als Souvenir für die Rückkehr und des touristischen Blicks als Vorbedingung des Sehens sowie der Distanzierung bis hin zur alles entscheidenden Frage „Wem gehört die Fotografie?“.
1. Auf Fotosafari – Die Macht der „geschossenen“ Bilder Zu Recht wird der Fotografie nicht mehr bloßes Abbilden der Wirklichkeit oder gar reine Objektivität zugesprochen. Fotos sagen meist mehr über die Haltung und Einstellung des Fotografierenden aus als über die abgelichtete Situation. Die Auswahl der Details unterliegt einer subjektiven Betrachtung und den Chancen bzw. Verlockungen technischer Möglichkeiten, Bilder zu verändern oder zu manipulieren. Spätestens seit dem massenhaften Gebrauch der Digitalfotografie ist Wirklichkeitsinterpretation durch die Linse eine relative geworden. Digitales Fotografieren ist billig und schnell, das Verwerfen der gemachten Bilder jederzeit möglich. So wird unweigerlich immer mehr fotografiert und die Auswahlkriterien werden zunehmend bedeutungslos. Hinzu kommt, dass sich seit Einführung der Digitalkamera die Urlaubserinnerungen schon vor Ort oder spätestens zu Hause gleich wieder in die Welt hinaus drängen, denn sie lassen sich ja so leicht verschicken und vervielfältigen. Digitale Bilder sind niemals fertig, Fotografie als Abbild der Wirklichkeit verwischt sich mit den Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung immer mehr. Das Bild wird zunehmend zur Projektionsfläche, auf der die Summe der gesammelten Erfahrungen sichtbar wird. Deshalb lohnt es sich zu fragen, was Fotos im Zeitalter der Digitalfotografie insbesondere in Bezug auf die Reisefotografie noch für Geschichten erzählen. Die Fotografie speichert den Augenblick, bevor er sich entfaltet – denn die abgelichtete Wirklichkeit ist weitaus komplexer, als sie es im Moment des Fotografierens sein kann. Die Zeit davor und danach ist im Bild anschließend nicht sichtbar. Bei der Digitalfotografie ist das Bild zusätzlich auf dem Chip gebannt und somit sofort einsehbar. Das hat sicherlich seine Vorzüge. Aber es verändert das Fotografieren auch hin zum schnellen, beliebigen „Schuss“. Der Begriff „Schnappschuss“ wurde 1808 zum ersten Mal erwähnt. Er bezeichnete einen hastig abgefeuerten Schuss und wurde ursprünglich im Jagdjargon verwendet. Heute ist er nicht minder eine Trophäe: Auf Reisen wird der Schnappschuss vor allem für das schnelle und spontane Fotografieren in einer Menge – sei es auf bunten Märkten oder überfüllten Straßen – benutzt, um möglichst authentische Bilder von der Fremde einzufangen. Der Schnappschuss hat durch das digitale Fotografieren eine neue Dimension bekommen. Er kann besser inszeniert und – wenn nötig – so lange wiederholt werden, bis das „perfekte Bild“ entstanden ist.
2. Fotos als Souvenirs für die Rückkehr Der touristische fotografische Blick ordnet die Welt nach seinem Wohlgefallen – nicht erst seit dem Zeitalter der Digitalfotografie. In der Vielzahl von Diashow-Werbeplakaten, die sich durch die Republik ziehen, wird die Willkürlichkeit der Wirklichkeitsinterpretation von touristischen (Fern-)Reisezielen sichtbar. Seien es Touren mit dem Kanu durch die Wildnis des Amazonas oder
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ein lächelnder, „typisch“ kubanischer Bauernjunge für den Multimediavortrag „Cuba Real“ – die Fremdheitsbilder und Sehnsuchtsprojektionen von TouristInnen werden durch Diashows, Reisekataloge oder Werbefilme schon vor der tatsächlichen Reise entworfen.
Abb. 1: Diashows
Abb. 2: Postkartenidylle
Diese Bilder scheinen verlockend wie austauschbar, zeigen Sonne, Strand und Palmen ohne Makel oder die lokale arme-aber-glückliche Bevölkerung. Sie inszenieren eine Scheinwelt und reproduzieren touristische Klischees. Sobald diese vorgefertigten Bilder mit auf Reisen genommen werden, prägen sie den Blick zwar unbewusst, aber dennoch nachhaltig. Denn die Fotografie bewegt sich auf Reisen – mehr noch als im fotografischen Alltag zu Hause – zwischen Fakt und Fiktion. Reisende in die so genannte Dritte Welt stecken mehr noch als TouristInnen in Erste-Welt-Destinationen in dem Dilemma, Klischees über die bereisten Ländern zu reproduzieren. Beim Fotografieren werden Stereotype „abgelichtet“ und für die Welt zuhause in Szene gesetzt. Denn die Bilder wirken als Zeichensysteme, die wir zuerst dekonstruieren und danach wieder rekonstruieren müssen.
Abb. 3: Faszination Elend
Abb. 4: Die Eroberer
Auch wenn in den letzten Jahrzehnten Fernreisedestinationen zu immer beliebteren Reisezielen geworden sind, und das Fremde und Exotische gar nicht mehr so fremd und exotisch erscheinen, da Werbung und Fernsehen das Paradies ins Wohnzimmer geholt haben, haben sich die
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Stereotype nicht maßgeblich verändert: Das Exotische hat immer auch den Ruf des Gefährlichen, des Wilden und die Faszination am Elend hat immer auch den Beigeschmack des Ekels. Dritte-Welt-Fotografie hat sich demzufolge im Laufe der Jahrzehnte nicht großartig geändert. Zwar werden mehr Bilder als früher aufgenommen und gezeigt, aber immer noch stehen neben dem Paradiesischen die Themen Leid, Armut, Verfall und Elend im Vordergrund – beispielsweise das „Zerrbild Afrika“. Doch es ist auch möglich, diese Zerrbilder und Klischees zu durchbrechen, indem Fotografie versucht, gewohnte Blicke zu irritieren und neue Fragen aufzuwerfen. Auf diese Weise kann die fotografierte Armut nicht mehr nur elend wirken. Die abgebildete Wirklichkeit hat dann nicht mehr nur Voyeuristisches, nicht mehr nur Überhebliches. Fotografie kann somit zur Erinnerungsarbeit werden. Wesentlich dabei ist, dass Bilder Fragen an die BetrachterInnen richten – Fragen, die mit unserer Gegenwart zu tun haben. Somit können Reisebilder zu Zeitdokumenten werden. Unsere Vorstellungen vom Fremden bilden die Leinwand, auf die all das projiziert werden kann, was in der eigenen kulturellen Gegenwart vermisst wird. Im Reisegepäck befinden sich Stereotype und Vor-Bilder, mit denen sich TouristInnen selbst definieren. Die Macht der wieder nach Hause zurückgebrachten Bilder ist kraftvoll, weil sie den Maßstab für die Erinnerung setzen. Denn in der Rückblende werden die Bilder ohne Kontext präsentiert und können so für touristische Projektionen herangenommen werden. Die Enttäuschung ist groß, wenn die konkreten Reiseerfahrungen nicht mit den vorgefertigten Bildern über die Fremde(n) in Einklang gebracht werden können. Viele reagieren auf dieses „Ent-täuschen“ damit, idealistische Konstruktionen völlig zu überlagern oder das Paradies zu (re-)inszenieren, wie dies bereits Künstler wie Gaugin oder Nolde taten. In der Rückspiegelung der Bilder nach Hause wird das Mitgenommene ästhetisiert. Bilder sind Souvenirs für die Rückkehr, das Weggehen und das Wiederkehren lässt sich in ihnen festschreiben. Ein touristisches Foto erhält seinen Wert schlussendlich erst durch die Rückkehr; so kann die Erinnerung gebändigt und gelenkt werden. Denn Fotografie ist subjektiv und selektiv, sie steht weit mehr für menschliche Hoffnungen, Ängste, Erinnerungen, Träume, Vorlieben und Aktivitäten als für die Wirklichkeit. Sie ist ein Zufallsprodukt, das unzusammenhängende Erinnerungen zusammenbringt. Damit verweist sie immer nur auf einen ganz speziellen Moment, das Bestimmte, das Zusammentreffen – „auf das eine, genau das, das da“ (Barthes 1985: 12).
3. Visueller Konsum – Die Fremde im Sucher Genauso, wie die Bilder im Kopf schon vor der Reise wirken, ist der touristische Blick auf Reisen zentral für die Bildproduktion. Der britische Soziologe John Urry versuchte als erster, diesen „tourist gaze“ zu untersuchen. Für ihn geschieht eine Eroberung und Aneignung des Fremden durch deren Visualisierung. Aber der touristische Blick geht über eine reine Aneignung durch Sehen hinaus. Er ist eine Art Leitbild, an dem sich Wahrnehmungsmuster und Verhaltensrituale orientieren. Sightseeing wird zum Symbolkonsum, Urlaubsfotos zum hoch gehandelten Souvenir für Zuhause.
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Abb. 5-9: Souvenirs
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Mehr als zwei Drittel aller Deutschen fotografieren oder filmen auf Reisen. Die Fremde wird in den Sucher genommen und fixiert – festgehalten als Gedächtnisstütze. Fotos sind die Indizien des eigenen Begehrens und produzieren weiteres Begehren bei Anderen, sei es durch Werbung oder Diashows, die vor oder nach der Reise auf uns einrieseln. Auf der Fotoreise sehen die Fotografierenden die ganze Welt durch den Sucher. Der kleine Ausschnitt spiegelt den touristischen Blick wider; der Rest der Welt, der vielleicht nur ein paar Meter daneben liegt, kann ausgeblendet werden. Die Wahl des Ausschnitts strukturiert die Wirklichkeit – es ist ein gravierender Unterschied, ob die Lehmhütten mit unterernährten Kindern davor abgelichtet werden, oder die Panoramalandschaft dahinter. Auf der Suche nach dem richtigen Blickwinkel, unter dem ein Objekt seine Schönheit oder seine Schrecklichkeit entfalten kann, schaffen die Fotografierenden ihr ganz persönliches Abbild der Welt – sie zoomen sie ein und/oder blenden sie aus. Selbst bei einer „harmlosen“ Landschaftsaufnahme wird ein spezieller Teil der Wirklichkeit ausgeschnitten. Oft wird die Szenerie romantisch inszeniert im Morgen- oder Abendlicht und somit zum Symbol für Reinheit, Schönheit und menschenleere Weite. Das In-Szene-Setzen kann so dazu führen, dass die Wirklichkeit jenseits dieser Inszenierung unwichtig wird. Die Fotografierenden tauschen beim selektiven Blick durch die Linse den Wert des gegenwärtigen Erlebens für ein präziseres künftiges Erinnern ein. Dieser Blick wirkt wie ein Filter der Wirklichkeit. Doch die Kamera kann auch ganz anders benutzt werden, nämlich als Schutzschild gegen das Unbekannte und Fremde. Sie kann zwischen die Fotografierenden und das Ungewöhnliche geschoben werden und verhilft somit zur Distanzierung. Hinzu kommt, dass TouristInnen durch ihre privilegierte Situation des Reisens Teil der Vorderbühne der Inszenierung, d.h. der eigens für sie hergestellten Traumwelt, sind. Sie können demzufolge nur erschwert die verschiedenen Hinterbühnen, die jenseits der paradiesischen Inszenierung liegen, betreten, geschweige denn adäquat bildlich darstellen. Man kann den touristischen Vorhang zwar zum Teil zur Seite schieben, aber schwerlich eine Gegenüberstellung von Vorder- und Hinterbühnen auf einem Foto zusammenbringen. Bilder, die so genannte „Backstage-Realitäten“1 wirklich einfangen, sind deshalb selten. Die Vorstellung, es handle sich bei Vorder- und Hinterbühne um feste, undurchlässige Kategorien, ist falsch; vielmehr sind die Grenzen zwischen den einzelnen Bühnen fließend. Manche inszenierte (Vorder-)Bühnen wie ein Cluburlaub oder aber die „ausgetretenen“ Pfade der im Lonely Planet beschriebenen Routen der IndividualtouristInnen sind mehr „Fassade“ als andere touristische Bühnen. In diesem Sinne sind nicht nur Urlaubsbilder selektive Souvenirs für die Erinnerung, sondern auch eine inszenierte (Vorder-)Bühne funktioniert selektiv – es werden hierbei auch nur die Erfahrungen mit der Fremde gemacht, die erwünscht sind.
1 Der Begriff „Backstage“ wurde bereits Ende der 1950er Jahre von Erving Goffman geprägt und Ende der 1970er Jahre von Dean MacCannell für den Tourismus weiterentwickelt. MacCannell unterscheidet zwischen „Fassade“ und „intimer Realität“. In einem mehrstufigen Bühnenmodell werden verschiedene Realitäten voneinander getrennt. Der Großteil touristischer Aktivitäten finde allerdings, so MacCannell, zwischen zwei Bereichen statt: Vorderbühnen, die als Backstage-Bereiche dekoriert würden, und tatsächliche Backstage-Bereiche, in die TouristInnen hineinschauen dürfen. Bei der klaren Trennung von Vorder- und Rückseite liegt der Schluss nahe, der Tourismus sei eine einzige Inszenierung, hinter der es eine authentische Wahrheit gäbe. Dies lässt aber außer Acht, dass TouristInnen die Inszenierung nicht durchschauen würden oder aber sie sich diese ganz ausdrücklich wünschen (vgl. Club-Tourismus oder Kreuzfahrt). Zum Backstage-Begriff vgl. Schülein 2004.
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Abb.10: No hazzle, fixed prize
Viele touristische Inszenierungen versprechen weiterhin die Hinterbühnen abzuschirmen. Sich Zugang zu ihnen zu verschaffen, hieße gleichzeitig auch eine Grenze zu überschreiten, die fotografisch nicht sichtbar gemacht werden kann. Entweder man befindet sich „backstage“ oder „frontstage“. Der Übergang ist nicht auf den selektiven und situativen Ausschnitt eines Fotos zu bannen, nur mit Hilfe des Zusammenstellens verschiedener Bedeutungsebenen bei Stilmitteln wie beispielsweise der Collage. Hier werden das zusammengesetzte Bild an die intendierte Aussage angepasst und Interpretationen mitgeliefert.
4. Exkurs: Reisen als Privileg
Abb.11 und 12: Tourist Business
Fotografie und Urlaub ergänzen sich perfekt: Die Konsumhaltung des Urlaubs entspricht der des Fotografierens. Für John Urry erschließt sich diese Überlappung dadurch, dass die Geschichte der Fotografie und die des Reisens eng miteinander verbunden sind. Fotografie zählt für ihn zu den Erfindungen des 19. Jahrhunderts, die stark mit der „Industrialisierung des BilderMachens“ zusammenhängt. 1839 wurde die Daguerrotypie in Frankreich erfunden, 1841 organisierte Thomas Cook seine erste Gruppenreise.
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Abb. 13-17: Balneario
Die massenhafte Verbreitung des Fotografierens begann erst Mitte der 1950er Jahre – durch eine Verkürzung der Arbeitszeit, Anspruch auf bezahlten Urlaub und eine Aufwertung der Freizeit sowie damit einhergehend die Bereitschaft, für deren Gestaltung Geld auszugeben; sicherlich aber auch durch die technologische Entwicklung: handhabbare Kleinbildkameras, die auch kürzere Belichtungszeiten ermöglichten. Im Urlaub wurde vor allem fotografiert, um sich selbst und die Kinder an den Orten der Erholung zu zeigen und dies der Erinnerung für den drögen Alltag zugänglich zu machen. Die Verbindungen zwischen modernem Tourismus und Fotografie helfen zu verstehen, wie visueller Konsum die Wahrnehmung der Wirklichkeit dominiert (vgl. Rojek/Urry 1997: 194). Der visuelle Konsum ist auf den nichtinszenierten Hinterbühnen nur bedingt möglich, denn er sprengt die mitgebrachten Vorstellungen über das Andere. So sind touristische (Fern-) Reiseziele außerhalb der Hochsaison deshalb so unattraktiv, weil deren touristische Inszenierung bröckelt,
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wenn die Restaurants oder Vergnügungszentren verlassen wirken oder wenn Regenzeiten den Strandurlaub zunichte machen. Für Urry entspricht somit das Etikett „Out-of-Season“ dem für TouristInnen unattraktiven Teil der Inszenierung; dieser befindet sich „Out-of-sight-of-the-eyeand-the-lens“.
Abb. 18: Souvenirverkäufer
Abb. 19: Schmuckhändlerin
Urry hat „The Tourist Gaze“ und die visuelle Natur der touristischen Erfahrung sowie die Veränderungen im touristischen Verhalten durch den vorgefertigten touristischen Blick bereits 1990 festgehalten. Der Konsum von Bildern orientiert sich für ihn meistens an einem visuellen Verlangen, das wir bereits mit im Reisegepäck führen und unsere Erinnerung schon von Anfang an – von zu Hause aus – strukturieren. Diese Bilder folgen vor allem der Suche nach der Wiederholung des Paradieses oder des exotischen Fremden. Selbst wenn tourismuskritische Gegenbilder zu dieser Paradiessehnsucht entworfen werden, indem sie das genaue Gegenteil der schillernden Reisewelt präsentieren und die Schattenseiten oder die Armut im jeweiligen Reiseland zum Thema machen, folgen sie der Logik der Fremdheitsprojektion.
5. Das Reale auf Distanz halten Fotos können einen Zugang zur vorgefundenen Wirklichkeit ermöglichen, auch wenn die Interpretationen des Fremden schon vorgefertigt scheinen. Allerdings reicht die alleinige Umkehrung von Klischees und Stereotypen nicht aus, um sich von ihnen zu lösen. Die Aussage „heute haben wir wieder viel fotografiert und wenig gesehen“ zeigt zum einen die Austauschbarkeit der erlebbaren Urlaubsmomente, die allein für die Erinnerung gebannt werden sollen. Zum anderen kann das Vielfotografieren aber auch eine Annäherung an das Erlebte schaffen, die versucht, das Gesehene erklärbarer zu machen. „Es gibt diese kleinbürgerliche Spontansoziologie, die sich über die Leute lustig macht, die sich mit dem Fotoapparat über die Schulter gehängt auf den Weg zu ihren touristischen Ausflügen machen und schließlich vor lauter Fotografieren die Landschaft gar nicht mehr wirklich betrachten. Ich habe das schon immer für Klassenrassismus gehalten. In meinem Fall zumindest war das eine Art und Weise, meinen Blick zu schärfen, genauer hinzusehen, einen Zugang zum Thema zu erhalten.“ (Bourdieu 2003: 25-26) Der fotografische Blickwinkel setzt einen Ausschnitt der Wirklichkeit, indem er das jeweilige Objekt „einzoomt“. Hinter der Kamera verschanzt, können TouristInnen das Fremde eingrenzen, auswählen, verwerfen, ausblenden, auslassen – eben ihre gewünschte Imagination herstel-
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len und somit auch in Besitz nehmen. Das Reale wird auf Distanz gehalten, sozusagen „negiert“. Im Zuge der Digitalfotografie kann zudem nicht nur durch die Wahl des Bildausschnittes eine subjektive Selektion getroffen, sondern beliebig viele Umkehrungen des abgebildeten Settings entworfen werden. Gleichzeitig ist die Distanz zum gewählten „Objekt“ nicht nur erlaubt, sondern darüber hinaus bedingt sie die Fähigkeit zur Reflexion. Distanz ermöglicht, die Differenz zwischen Eigenem und Fremdem wahrzunehmen. In jeder Situation – auch im Alltag zu Hause – hilft die Distanz, der so genannte Schritt zurück, aus dem heraus etwas betrachtet werden kann, die Welt zu analysieren und zu verstehen. Der Fotoapparat kann dabei zum Hilfsmittel herangezogen werden, um die Distanz zu begreifen. Schlussendlich geht es beim (touristischen) Fotografieren um die Frage, was man mit der gegebenen Distanz macht, wie man sie gebraucht oder missbraucht. Der Blickwinkel ist Ausdruck der Distanz und er kann eingegrenzt oder ausgeweitet werden. Doch gerade in dieser Offenheit liegt die Problematik bezüglich der Fotografie: Da die Fotografie nur einen ganz bestimmten Aspekt der Wirklichkeit zu einem ganz bestimmten Augenblick festhält, kann die Distanz zur Chance oder zur Falle werden. Im letzteren Fall wird die Distanz zur Distanzierung. Somit ist sie gleichzeitig Bearbeitung der Wirklichkeit als auch Illusion, die die Flüchtigkeit eines Moments beschreibt. Die Fotografie deutet an oder lässt aus. Sie hält keine Abläufe fest, sondern lediglich einen Aspekt davon, der vor dem Vergessenwerden geschützt werden soll. Die Fotografie „entwirklicht“ sozusagen, was sie festhält (vgl. Castel, in Bourdieu 1983: 240). Ihr eine neue Wirklichkeit zu verleihen ist Ziel einer jeden kritischen Fotografie auf Reisen. FotografInnen, die sich dieses Dilemmas bewusst sind, kommen beim Ablichten der Urlaubswelt unweigerlich an ihre Grenzen. Doch im Ausloten dieser Begrenzungen liegt die Herausforderung des Fotografierens in der Fremde – sei es „frontstage“ oder „backstage“. Die eigenen Wahrnehmungsmuster während des Fotografierens zu hinterfragen führt zu einem bewussteren Umgang mit (Urlaubs-)Fotografie.
6. Wem gehört die Fotografie? An dieser Stelle lohnt es sich, noch einmal einen Schritt zurückzugehen: zur Hierarchiebildung durch Fotografie. Der romantisierte Blick auf das Andere schafft ein Machtgefälle zwischen dem fotografierenden Subjekt und dem fotografierten „Objekt“. Das eklatanteste der Probleme, die das Fotografieren mit sich bringt, ist das Fotografiert-Werden. Das Dilemma hierbei ist: Die Fotografie hat das Subjekt zum Objekt gemacht. Am deutlichsten zeigt sich die Problematik an touristischen Bildern. Warum? Der Objektcharakter ist hier im Sinne von „Völkerschauen“ und „ich erkläre (mir und anderen) die Welt“ besonders auffällig. Die FotografInnen besehen, begrenzen und bringen ihre Objekte ins Bild. Diesen Objekten wird von den Fotografierenden nur eine vorübergehende „metaphorische“ Existenz verliehen. Die fotografierten Objekte sind dazu verurteilt, für immer einen Ausdruck zur Schau zu stellen. Nicht umsonst heißt die Linse der Kamera „Objektiv“ – als Gegenteil zu „subjektiv“ suggeriert der Begriff eine sachliche, unvoreingenommene Sicht auf die Welt. Mit dem Objektiv werden jedoch rein subjektive, d.h. von persönlichen Gefühlen, Interessen und Vorurteilen bestimmte Bilder aufgenommen. Bei heimlichen Fotografien kommt erschwerend hinzu, dass die Fotografierten nicht einmal ein scheinbares Einverständnis geben können. Insbesondere im touristischen Kontext gibt es somit eine sehr eindeutige Antwort auf die Frage: Wem gehört die Fotografie? Indem sie mit
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nach Hause gebracht und in den seltensten Fällen den zum Objekt gemachten Fotografierten zugesandt wird, verbleibt sie einzig und allein in den Händen und Köpfen der TouristInnen. Fotografie kann jedoch auch als Kommunikationsmittel mit anderen eingesetzt werden (vgl. Tomforde/Holzwarth in diesem Band). Diese Kommunikation ist im eigenen gesellschaftlichen Kontext durchaus gewollt – sei es beim Fotografieren von (Familien-)Festen oder wichtigen öffentlichen Anlässen. Hier geben die Fotografierten automatisch ihr Einverständnis, abgelichtet zu werden, um sich später in Fotoalben wiederzufinden (vgl. Bourdieu 1983: 26). Doch in einem touristischen Kontext – und besonders eklatant im Ferntourismus – ist diese Kommunikation fast immer einseitig. Die Fotos werden mehr und mehr zu einem Mittel der Selbstverwirklichung des Fotografierenden. Das Ergebnis des Fotografierens, also dieses scheinbaren Kommunikationsprozesses zwischen fotografierendem Subjekt und fotografiertem Objekt, ist in der Fremde dominant, reflektiert nicht und leugnet vor allem die Möglichkeiten des Dialogs. Die Linse trennt buchstäblich Fotografierende und Fotografierte. In der touristischen Begegnung kann diese fotografische Inbesitznahme fatale Auswirkungen haben und jedwede Möglichkeit zur Kommunikation im Keim ersticken. Man denke nur an das heimliche Fotografieren von Menschen, die jedoch sehr wohl bemerken, dass sie in diesem Moment auf ein Foto gebannt werden, das irgendwann völlig außerhalb des Kontextes benutzt wird.
Abb. 20: No Foto
Auch das Sich-in-Szene-Setzen mit der „einheimischen Bevölkerung“ suggeriert Dialog für die Erinnerung zu Hause, denn diese Bilder folgen der Ich-war-da-Logik des touristischen Fotografierens: Ob mit Eiffelturm oder traditionell gekleideten Massai auf einem Foto, die Settings sind austauschbar; hier geht es nur um Fotografie als Beweismaterial und Souvenir – also moderne Trophäe. Bei einigen dieser inszenierten oder heimlichen Fotos kommt das schlechte Gewissen der fotografierenden TouristInnen zum Vorschein. Dieses schlechte Gewissen steht für das Machtgefälle im (Fern-)Tourismus und die Schwierigkeit von Begegnungen durch die / trotz der Linse. Die Bandbreite dieser Begegnungen und Nichtbegegnungen durch die Kamera ist groß: Neben dem heimlichen Fotografieren gibt es das erfragte, das bezahlte oder auch das von den Fotogra-
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fierten selbst verlangte Fotografieren, das mit dem fast aufdringlichen „one photo please“ geradezu eingefordert werden kann. Die Fotografierten sind dabei nicht nur Objekte, sondern auch Akteure, die sich selbst gerne so für ein Foto in Szene setzen wollen, wie es ihnen gefällt. Hierzu ein Beispiel: Bei der Ausstellung „Tourisms“ in Barcelona 2004 wurde eine Installation gezeigt, die den Prozess der Entstehung eines Familienfotos irgendwo in Lateinamerika filmisch nachzeichnet. Die Europäerin, die dieses Foto machen wollte, suchte sich zuerst die spielenden Kinder vor einem Lehmverhau als Motiv aus, diese jedoch wollten so nicht fotografiert werden und holten die anderen Familienmitglieder hinzu. Als die Eltern schlussendlich auch dabei waren, wischten sie einen Kind noch Krümel von der Backe, dem anderen zogen sie das Hemd zurecht, wählten einen neuen Hintergrund (ihr Wohnhaus) und änderten die Positionen aller Familienmitglieder mehrmals, bis sie letztendlich bereit für das Familienporträt waren. Die Filmsequenz von der Entstehung dieses Fotos dauert rund fünf Minuten; sie endet mit dem lächelnden Standbild des Fotos. Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie die Fotografierten aktiv ihr Bild in Szene setzen und wie unterschiedlich dieses Bild zu dem von der Fotografin intendierten Motiv ist, denn ursprünglich sollte es ein nicht gestelltes Bild von spielenden Kindern vor ärmlicher Hütte werden. Was mit dem Film und dem dazugehörigen Bild schlussendlich geschehen ist, verrät der Begleittext zur Ausstellung nicht. Ob die Familie sich das „Kunstprodukt“ ansehen konnte oder nicht, bleibt unklar. Doch höchstwahrscheinlich wurde nicht nur der Prozess der Inszenierung, sondern auch das Produkt am Ende transparent gemacht. In anderen Situationen ist das Machtgefälle oft eindeutiger: Denn das Foto verbleibt im Apparat der Fotografierenden und die Fotografierten haben in den meisten Fällen keinen Zugriff auf das Produkt.
7. Bilder von Hinterbühnen Das Dilemma scheint perfekt: Die fotografierenden TouristInnen wiederholen entweder Stereotype und Klischees oder legen den Fokus auf die Schattenseiten des Erlebten, indem das Elend abgelichtet wird. Hier wähnen sich die fotografierenden TouristInnen in der Nähe der „Backstage“. Doch durch Grenzüberschreitungen und dem Eindringen in die Privatsphäre der abgelichteten Personen reproduzieren sie die Hierarchien im Tourismus. Denn für TouristInnen ist es nicht nur problematisch, nichtinszenierte Hinterbühnen zu betreten, sondern auch Bilder von den Hinterbühnen zu entwerfen, die mehr als nur moralisierend oder voyeuristisch sind – und die beispielsweise eine Geschichte erzählen. Dennoch gibt es viele Versuche, sich diesem Verhältnis Vorderbühne/Hinterbühne kritisch durch Fotografie zu nähern – sei es in Bildern von der Fremde, die sich einem Detail oder einer Situation widmen oder in Bilderserien zu Auswirkungen der Tourismusindustrie für die lokale Bevölkerung oder die Umwelt. Ob diese kritische Annäherung gelingt, bleibt in den meisten Fällen dahingestellt. Aber um gelingen zu können, braucht es zuallererst kritische BeobachterInnen und Bilder, die zu ihnen sprechen und sie zum Denken anregen. Denn letzten Endes ist „die Photographie nicht dann subversiv, wenn sie erschreckt, aufreizt oder gar stigmatisiert, sondern wenn sie nachdenklich macht.“ (Barthes 1985: 49) Zudem braucht es genügend Zeit, um das Flüchtige des Moments festzuhalten. Je mehr wir uns mit einer Situation intensiv befassen, desto mehr können wir uns auf sie einlassen und sie als Chance für neue Bilder von der Welt begreifen.
Die ganze Welt im Sucher: Einzoomen und Ausblenden.
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Die Vorbedingung des Bildes ist das Sehen. Um dieses dem Fotografieren vorangegangene Sehen transparent zu machen, brauchen die BetrachterInnen2 Details, die ein Bild vielschichtig werden lassen, an die erinnert werden kann. Fotografie kann Erstaunen mit sich bringen, denn sie setzt mehr als andere visuelle Künste eine unmittelbare Präsenz in die Welt. Sie ist Erinnerungsstütze, um sich die Welt erklärbar zu machen. Im Foto gibt sich ein einzelner Gegenstand oder ein Ausschnitt zu erkennen, die Interpretation dieser Teilrealität bleibt einzig und allein den BetrachterInnen überlassen. Darin liegt sowohl die Gefahr als auch die Mächtigkeit der „zufälligen“ Kunstform Fotografie. Cees Nooteboom beschreibt dieses Dilemma, das sich allen fotografierenden TouristInnen darstellt – die Faszination am Fremden, die festgehalten werden will, und die Unmöglichkeit einer wahrheitsgemäßen Abbildung des Gesehenen: „… alles verschwindet in ihren surrenden Kästen, die es später wieder surrend an die Wand ihrer fernen Wohnzimmer projizieren werden: das unberührbare Andere, auf das man zeigen kann, aber nicht anfassen, dem man lauschen kann, ohne je dazuzugehören.“ (Nooteboom 2004: 42) So fragt man sich unweigerlich: Was geschieht mit den vielen Urlaubsfotos? Werden sie zu Hause angesammelt und bilden ein Archiv des Vergessens oder bieten sie wirklichen Anlass zur Erinnerung? Die Urlaubserinnerungen prägen unsere kulturalistische Brille ungemein, denn mit ihr sehen wir sowohl das Fremde als auch den Alltag von MigrantInnen hier zu Hause. Für die Beschäftigung mit Reisefotografie ist deshalb die interkulturelle Kompetenz unerlässlich. Fremdverstehen bedeutet nicht, das Fremde in Besitz zu nehmen, sondern eine Annäherung durch einen veränderten Blick und das Brechen gängiger Klischees von Farbenfrohheit, Armutsidylle und verklärter Landschaftsromantik. Wenn sowohl Fotografierende als auch Fotografierte eine ideologiekritische Perspektive auf Bilder aus der Fremde einnehmen, lassen sich diese Bilder besser verstehen und in den jeweiligen Kontext stellen, in dem sie entstanden sind – sei es im Urlaub oder während eines Arbeitsaufenthaltes in der Fremde. Medienpädagogisch sinnvoll wäre sicherlich auch eine explizite Reflexion der sozialen Gebrauchsweisen der Reisefotografie: Für wen und für welche (sozialen) Situationen werden Fotos gemacht und warum sind wir immer wieder so fasziniert von den so „fremd“ und „exotisch“ anmutenden Bildern aus der so genannten Dritten Welt?3 Ein Aspekt des touristischen Fotografierens wurde bislang noch nicht angesprochen: Der des Nicht-Fotografierens. Es ist immer eine Entscheidung, auf Reisen in bestimmten Momenten zu fotografieren oder eben gerade nicht. Ein Gespür für die (richtige) Situation hilft den Reisenden abzuwägen, wann es angebracht ist, nicht zu fotografieren. „Ich lasse stets ein Bild hinter mir: das Bild, das ich gesehen, aber nicht aufgenommen habe. Ich erinnere mich genauestens an die Fotografien, die ich nicht gemacht habe“ (Fouad Elkoury).
2 Die ersten BetrachterInnen der gemachten Urlaubsbilder sind immer auch die FotografInnen selbst. Sie können sich ihren Bildern ebenso kritisch nähern und sich fragen: „Was wollte ich mit diesem Bild aussagen? Warum habe ich dieses Bild zu diesem Zeitpunkt gemacht? Welches Detail erzählt welche Geschichte?“ 3 Hierzu siehe auch die tourismuskritische Homepage www.trouble-in-paradise.de von FernWeh – Forum Tourismus & Kritik im „iz3w“.
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Literatur Barthes, Roland (1985): Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt: Suhrkamp 1995 Boström, Jörg/Jäger, Gottfried (Hg.)(2004): Kann Fotografie unsere Zeit in Bilder fassen? Eine zeitkritische Bilanz, Bielefeld: Kerber Verlag Bourdieu, Pierre (1983): Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie, Frankfurt: Suhrkamp 1983 Bourdieu, Pierre (2003): In Algerien. Zeugnisse der Entwurzelung, hg. Von F. Shultheis / C. Frisinghelli, Graz: Camera Austria Schülein, Steffen (2004): The Making of… Hinterbühnen des globalen Tourismus, in: iz3w 281(Nov./Dez. 2004): Visit Backstage! – Auf den Hinterbühnen des Tourismus. Freiburg: 18-23) Nooteboom, Cees (2004): Der Laut seines Namens, Suhrkamp: Frankfurt Rojek, Chris/Urry John (1997): Touring Cultures. Transformations of Travel and Theory, New York: Routledge Sartre, Jean-Paul (1971): Das Imaginäre, Reinbek: Rowohlt Urry, John (1990): The Tourist Gaze, Lancaster: Sage Publications
Abbildungen Abb. 1: Diashows (Martina Backes/FernWeh) Abb. 2: Postkartenidylle (Martina Backes/FernWeh) Abb. 3: Faszination Elend (Steffen Schülein/FernWeh) Abb. 4: Die Eroberer (Rosaly Magg) Abb. 5-9: Souvenirs (Rosaly Magg) Abb. 10: No hazzle, fixed prize (Martina Backes/FernWeh) Abb. 11-12: Tourist Business (Rosaly Magg) Abb. 13-17: Balneario, Palma de Mallorca (Rosaly Magg) Abb. 18: Souvenirverkäufer (Steffen Schülein/FernWeh) Abb. 19: Schmuckhändlerin (Steffen Schülein/FernWeh) Abb. 20: No foto (Martina Backes/FernWeh)
„Von Schrecken bis Faszination“ – Fotografie(n) und die Erinnerung an den Nationalsozialismus Annette Krings
Ein kleiner Junge mit erhobenen Händen und ängstlichem Blick. Ein Opfer: hilflos, ohnmächtig und ausgeliefert. Es gibt wohl kaum jemanden, der oder die das Foto des Jungen aus dem Warschauer Ghetto aus dem Jahr 1943 nicht kennt1. In Ausstellungen, Filmen und Broschüren zum Holocaust sowie in Schul- und Sachbüchern wurde es vielfach reproduziert, es steht gleichsam symbolhaft für die Grausamkeit der nationalsozialistischen Verbrechen. Warum diese Fotografie? Warum diese Fixierung? Welche Auswirkungen hätte es auf einen Umgang der bundesdeutschen Gesellschaft mit dem Nationalsozialismus, wenn statt dessen das Bild einer kämpfenden, jüdischen PartisanInnengruppe im sozialen und kollektiven Bildgedächtnis repräsentiert wäre? Warum besitzt die Aufnahme einer zustimmend dreinblickenden deutschen Dorfbevölkerung, die die Deportation ihrer jüdischen Nachbarn beobachtet, nicht die gleiche Bekanntheit?2 Betrachtet man die Anzahl der Bildmotive, die uns im Zusammenhang mit der Verfolgungsund Vernichtungspolitik des nationalsozialistischen Deutschland spontan in den Sinn kommen, so gewinnt man schnell den Eindruck, es seien stets die gleichen Fotografien verwendet worden. Bilder von Leichenbergen und halbverhungerten Menschen in Baracken oder hinter Stacheldraht, Fotos von Selektionen an der Rampe in Auschwitz-Birkenau sowie von Wachtürmen und Lagertoren erscheinen vor dem inneren Auge. „Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten“ (Benjamin 1983: 596), schreibt Walter Benjamin. Es ist davon auszugehen, dass Geschichtsbilder in erheblichem Maße durch die historischen Fotografien geformt sind, die den Holocaust und den Nationalsozialismus visualisieren. Fotografien, denen wie kaum einem anderen Medium der Ruf der Authentizität anhängig ist, werden meist unmittelbar für die Wirklichkeit genommen. Hinsichtlich der Bilder des Holocaust kommt diese dem Medium Fotografie zugeschriebene Eigenschaft besonders zum Tragen. Die Bilder stehen für die Realität in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, sie stehen für die NS-Verbrechen. Als dokumentarische Aufnahmen dienen sie dem Beweis der Grausamkeiten, als symbolische Verdichtungen frieren sie das Unbegreifliche gleichsam ein. Die Schreckensbilder sollen veranschaulichen und aufrütteln. Im Allgemeinen wird ihr Inhalt nicht hinterfragt, ihre Aussage scheint eindeutig. Gegen diese Form der Kanonisierung gibt es mittlerweile vermehrt Stimmen, die die vermeintliche Eindeutigkeit der Aussage der Fotografien thematisieren und gegen solcherlei schematisierende Wahrnehmung des Holocaust eintreten. Fotografien des Holocaust stellen demnach eine ausschnitthafte Sicht auf die damalige Wirklichkeit dar, die ihnen innewohnenden Codierungen sind teilweise bis heute wirksam. Ihre Verwendung verweist auf spezifische Funktionen des
1 Vgl. Abb. 1 in diesem Artikel. Auf die herausragende Bedeutung des Bildes verweisen auch andere AutorInnen: vgl. u.a. Hannig 1989: 10 ff.; Hamann 2003: 28 ff.; Hirsch 2002: 203; Zetsche 1999: 51 f.. 2 Teile dieses Artikels wurden bereits veröffentlicht in Krings, Annette (2006): Die Macht der Bilder!? Zur Bedeutung der Fotografien des Holocaust in der politischen Bildungsarbeit. Münster.
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Einsatzes, die es zu untersuchen gilt. „Die ‚Realität‘ der Welt liegt nicht in ihren Abbildern, sondern in ihren Funktionen“ (Sontag 1978: 27 f.), formulierte die US-amerikanische Kulturkritikerin Susan Sontag bereits am Ende der 1970er Jahren und umzeichnete damit treffend den für heutige postmoderne TheoretikerInnen kennzeichnenden dekonstruktiven Ansatz. Dieser Perspektivwechsel hin zu Fragen der Funktionalisierung des Einsatzes historischer Fotografien des Holocaust – wie und mit welcher Absicht wurde und wird was gezeigt? – will einer vereinfachenden, zu Stereotypen erstarrenden Sicht auf den Holocaust vorbeugen. Der Wechsel korreliert mit aktuellen Diskussionen um historisch-politische Erinnerungsarbeit zum Nationalsozialismus. Anknüpfend an theoretische Überlegungen zu den grundsätzlichen kulturtheoretischen Bedeutungen von Vergangenheitsbezügen, Erinnerung und Tradierung, steht einerseits die identitätsstiftende Funktion von Vergangenheitsbezügen zur Disposition, andererseits gilt es die Konstruiertheit dieser Bezugssysteme zur Kenntnis zu nehmen (vgl. Lenz 2002: 9 ff.). Die diesen Positionen zugrundeliegende Annahmen gehen davon aus, dass Erinnerung und Gedenken immer eine vermittelte und nachträglich konstruierte Sicht auf Vergangenheit entwirft und solcherlei Vergangenheitsbezüge eine unverzichtbare Voraussetzung für die kulturelle und politische Identität eines Gemeinwesens darstellen. Anders ausgedrückt: Jede Geschichtsschreibung und kollektive Erinnerung, also auch die Erinnerung an den Nationalsozialismus, basiert somit auf einer politischen Ver- und Aushandlung (vgl. ebd.). Im Spannungsfeld dieser Fragen verorte ich den Diskurs um den Einsatz von historischen Fotografien des Holocaust. Deren Bedeutung wird zunehmend wichtig für ein öffentliches Bild der NS-Verbrechen im Übergang von einem kommunikativ mitgetragenen Gedächtnis der Überlebenden zu einer allein medial produzierten Erinnerung. Die Schreckensbilder stellen eine – scheinbar – direkte Verbindung zur Vergangenheit dar. Dass es sich hierbei auch um eine konstruierte Sicht handelt, die auf der Herkunft, der Auswahl und der Verwendungsweise bestimmter Fotografien beruht, wird Gegenstand der anschließenden Überlegungen sein. Im Folgenden werde ich in einem ersten Schritt auf die Herkunft sowie die Wirkungsweisen der Fotografien des Holocaust eingehen, um dann im Anschluss pädagogische Überlegungen und ein Projekt mit Jugendlichen verschiedener Schultypen zum Thema „Die Macht der Bilder!? – Fotografie(e)n und die Erinnerung an den Nationalsozialismus“ vorzustellen.
Die Herkunft der Fotografien des Holocaust „I wonder who photographed it? (Fink 1987: 135). Diese Frage – im Rahmen einer Kurzgeschichte von einer Überlebenden bei der Betrachtung der Fotografie des ihr bekannten Ghettos gestellt – betrifft einen zentralen Sachverhalt im Umgang mit Fotografien der nationalsozialistischen Verbrechen. Historische Fotografien des Holocaust wurden bislang zumeist in unkritischer Art und Weise verwendet, ihre Herkunft scheint angesichts der ihnen innewohnenden, scheinbar eindeutigen Aussage nicht wesentlich. Sybil Milton, die bereits Ende der 1980er Jahre auf die Bedeutung von Bildmedien für eine Historiografie hingewiesen hat, sieht als Ursache für die fehlende Sorgfalt, dass „fotografische Belege […] als bloße Illustration missbraucht“ (Milton 1988: 61) wurden und werden3. Fotografien wurden ohne Angabe des Autors/der Autorin oder dem Ort der Aufnahme, ohne Angaben zu eventuell vorhandenen Bildtexten, ohne Verweise auf den Auftraggeber oder Verwendungszweck veröffentlicht. Das Medium Fotografie stellt jedoch immer nur eine Sicht auf das Geschehene dar und ist infolgedessen gekennzeichnet durch die Perspektive und
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Selektivität der Repräsentation durch eine spezifische Fotografin bzw. einen Fotografen. In gleichem Maße spielen immer auch zeitgenössische Darstellungsprinzipien und Verwendungszwecke eine Rolle in der Herstellung von Fotografien. Ausgehend von der Annahme, dass jeder Fotografie Codierungsleistungen innewohnen und im Interesse einer Historisierung der Fotografien stellt sich demnach die Frage nach der Herkunft der überlieferten Fotografien bzw. nach deren Produzent/innen. Wer hat aus welcher Perspektive fotografiert und für welchen Gebrauch waren diese Bilder bestimmt? Welche Bedeutung hatte das Fotografieren zu welchem Zeitpunkt, aus welcher Perspektive? (vgl. Pilarczyk/ Mietzner 2003: 29 ff.) Stellt man sich diesen Fragen, so wird deutlich, dass die Fotografien, die den heutigen Bildhaushalt prägen, im Wesentlichen der offiziellen nationalsozialistischen Dokumentation der sog. ‚Endlösung‘, den inoffiziellen Amateuraufnahmen von SS-Männern und Wehrmachtssoldaten und den von den Alliierten erstellten Bildern bei der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager entstammen (vgl. Knoch 2001: 950 ff.). Darüber hinaus gibt es einige wenige Fotografien der Verfolgten selbst, die im Rahmen von Widerstandshandlungen bzw. der Dokumentation der Verbrechen für spätere Zeiten aufgenommen wurden (vgl. Swiebocka/Boguslawska-Swiebocka 1993: 35 ff.).
Von Schrecken bis Faszination – Pädagogische Arbeit mit historischen Fotografien des Holocaust Während Fotografien des Holocaust in den ersten Jahren nach Kriegsende zur politischen Konfrontation und später auch als juristische Beweise eingesetzt wurden, veränderte sich ihre Funktion durch den Einsatz im pädagogischen Lernprozess. Im Vordergrund standen nun ihre didaktischen Möglichkeiten der Annäherung an ein historisches Geschehen durch ein ‚authentisches‘ Medium. „Geschichtsbewußtsein, Vergegenwärtigung und Anschaulichkeit, Lernbereitschaft und Lernziel wurden zu zentralen Begriffen“ (Brink 1998: 181), das Medium Fotografie schien für deren Umsetzung besonders geeignet. Während Fotografien sowohl in Publikationen und Ausstellungen zum Thema als auch im Schulunterricht inzwischen stark vertreten sind, gibt es mittlerweile gegensätzliche Ansichten über den Nutzen von dokumentarischen Fotografien des Holocaust. Die Einen betonen die heftigen Abwehrreaktionen, die durch die Bilder hervorgerufen werden4 sowie die Stereotypisierung, die durch die Konfrontation mit den immer gleichen Bildern entsteht. Zudem – so die Stimmen von PädagogInnen in der Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit – ist gerade in den letzten Jahren eine Faszination an der abgebildeten Gewalt zu
3 Auch innerhalb der 1992 eröffneten Dauerausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannseekonferenz“ wurden die Fotos der Ausstellung weiterhin unkommentiert abgebildet und standen zum Großteil als Illustration des Geschehenen ohne Zusammenhang zum Text. Es ist anzunehmen, dass die Diskussionen der letzten Jahre mit zu der Entscheidung beigetragen haben, die Dauerausstellung zum Januar 2006 neu zu konzipieren und die Fotografien mit Bildunterschriften im Zusammenhang abzubilden. 4 Während eines Gedenkstättentreffens in Neuengamme wurde 1988 erstmalig über die Wirkung von Fotos diskutiert, die physische Gewalt zeigen. Unter den Teilnehmenden bestand ein Konsens darüber, dass die Aufnahmen häufig die Flucht in distanzierende Verweigerung oder pauschale Ablehnung provozieren (Protokoll des bundesweiten Gedenkstättenseminars vom 26.-29. Mai 1988 zum Thema „Gedenkstätten – Verklärung oder Aufklärung. Überlegungen zu den Besonderheiten der Gedenkstättenpädagogik“, in: Brink 1998: 203, Anm. 105).
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beobachten, die nicht allein durch moralische Intervention aufzulösen sei. Unter Rekurs auf die der Fotografie zugesprochenen besonderen Referenz zur Wirklichkeit verweisen die Anderen auf das Potential der Bildmedien, Anschaulichkeit und Unmittelbarkeit in der politischen Bildungsarbeit zu ermöglichen. Beide Positionen können eine der Fotografie immanente eindeutige Aussage und Wirkung voraussetzen, ohne zu thematisieren, inwieweit die dargestellte Wirklichkeit selbst als Gegenstand einer Konstruktion zu betrachten ist. Im Gegensatz dazu gehe ich von der besonderen Relevanz aus, die der Entstehungsgeschichte und dem Verwendungszusammenhang der Fotografien zukommt. Nicht die Wirklichkeit wird in ihnen abgebildet, sondern eine bestimmte Sicht auf die Welt. Die Historisierung der Fotografien schafft demnach Möglichkeiten für eine nicht an Stereotypen orientierte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Gerade hinsichtlich einer „Leichenbergpädagogik“ (von Borries 1994: 30)5 gibt es mittlerweile erhebliche Kritik. Stellvertretend für diese Richtung seien hier die Worte einer Mitarbeiterin der Gedenkstätte ‚Anne-Frank-Stiftung‘ in Amsterdam zitiert: „Wir sehen hier vieles, das gut gemeint ist, aber letztendlich nicht produktiv oder sogar kontraproduktiv funktioniert. Ich meine zum Beispiel die Benutzung der grausamsten Fotos von Konzentrationslagern in Ausstellungen und Schulmaterialien. Vor allem Material, das in den sechziger und siebziger Jahren erstellt wurde, zeigt die grausamsten Aspekte des Lagerlebens, um die Besucher zu schockieren. […] Kinder und Erwachsene [fühlen] nicht automatisch Mitleid mit Opfern. Darüber hinaus wird es immer schwieriger, angesichts täglicher grausamer Fernsehbilder, etwas zu finden, das die Menschen schockiert“ (Hondius zit. n. Brink 1998: 204). Folgt man diesen Gedanken, werden die zentralen didaktischen Möglichkeiten des Mediums nicht erfüllt: Die Bilder motivieren äußerst selten zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema, weder veranschaulichen noch vergegenwärtigen sie das Geschehene. Im Gegenteil: Sie schrecken ab, schockieren, faszinieren, lassen verstummen. Die berechtigte Forderung nach einem kritischen Umgang mit Bildquellen, erscheint wenig umsetzbar angesichts von Bildern, die eine Vielzahl von Emotionen auslösen und nicht zum genaueren Hinschauen und Fragen nach der Entstehungsgeschichte anregen (vgl. Brink 1998: 208). Entsprechend der in den Fotografien enthaltenen Codierungen und ihrer Veröffentlichungsund Rezeptionsgeschichte6 kommt „erschwerend – möglicherweise entscheidend –“ (ebd.: 208) hinzu, dass auch fast sechzig Jahre nach Kriegsende die Bilder bei der Betrachterin / beim Betrachter die Schuldfrage bzw. den Schuldvorwurf evozieren (können). Letzterer gilt in der gegenwärtigen Gedenkstättenpädagogik als wenig konstruktiv. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Festschreibung der Abgebildeten auf ihren Opferstatus. Vermutlich ist auch heute noch die Vorstellung über Juden / Jüdinnen in den Nachfolgegenera-
5 Der Begriff bezieht sich insbesondere auf Bilder: Leichenberge kennen wir hauptsächlich von Foto- und Filmaufnahmen. 6 Die Fotografien des Holocaust wurden im Rahmen der Redemokratisierung („Re-education“) der Deutschen durch die westlichen Alliierten ab 1945 eingesetzt. Um „das Gewissen des deutschen Volkes angesichts der Ungeheuerlichkeit der in seinem Namen und unter Bedingungen organisierter Komplizenschaft begangenen Verbrechen wachzurütteln“ (Arendt 1993: 48) waren auf Anschlagtafeln, Litfasssäulen und Mauern überall in Deutschland Bilder der Verbrechen zu finden. Die von den Alliierten im Rahmen dieser Aktion erwartete Reaktion des Schocks und der Einsicht der deutschen Bevölkerung in die mörderische Logik des NS-Systems traf jedoch nicht ein. Allzu oft wurden beim Betrachten der Bilder die eigenen Leidenserfahrungen der Deutschen angeführt, die Konkurrenz um den Opferstatus, um die Frage, wer mehr gelitten habe, hatte begonnen (vgl. Brink 1998: 88).
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tionen der deutsch-christlichen TäterInnen und MitläuferInnen nicht unwesentlich bestimmt durch die Bilder der Leichenberge und somit durch einen hilflosen, passiven Objektstatus. Die Teilhabe von Juden und Jüdinnen am gesellschaftlich-kulturellen Leben vor 1933 sowie der jüdische Widerstand gegen den NS-Faschismus bleiben in diesem Zusammenhang oft unerwähnt. Während die vorigen Überlegungen von der Position der BetrachterInnen ausgehen und insofern den Einsatz der Leichenbilder ablehnen, gibt es andere, die die Bilder vor den Betrachterblicken schützen wollen. Beispielsweise werden Fotografien angeführt, die nackte Frauen kurz vor der Exekution oder der Vergasung zeigen. Diese Fotografien der Täter, die in einer demütigenden, machtdemonstrierenden Absicht gegen den Willen der Abgebildeten aufgenommen wurden, müssten gleichsam, so die KritikerInnen, vor den gelangweilten, voyeuristischen, eifrigen, faszinierten Blicken geschützt werden (vgl. Strobl 1994: 81). Cornelia Brink weist darauf hin, dass bei den beiden vorigen Positionen „einmal die Abgebildeten […], das andere Mal die Betrachter“ (Brink 1998: 210) aus dem Blick geraten und setzt dieses Entweder-Oder der Herangehensweise in Verbindung zum Doppelcharakter der Fotografie. Insbesondere bei der Wahrnehmung der Fotografien des Holocaust wird dieser Doppelcharakter zum pädagogischen Dilemma: „Es scheint, als könne der Betrachter dieser Bilder sich nur für eine Seite entscheiden. Vielleicht liegt in dieser Bearbeitung des historischen Geschehens, in der die Grenzen der Vermittlung zwischen Lernenden und ‚der Sache‘ sichtbar werden, eine Spur des Geschehens selbst“ (ebd.: 210). Vor dem Hintergrund der vorigen Überlegungen halte ich den unkommentierten, unbegleiteten Einsatz von Bildern von Leichen oder fast verhungerten Menschen für nicht sinnvoll. Angesichts der zentralen Bedeutung der Bilder in den Ausstellungen ehemaliger Konzentrationslager, im Fernsehen oder in Sachbüchern als Mittel historischer Überlieferung lässt sich ein vollständiger Verzicht oder Ersatz durch andere Fotografien wohl kaum realisieren. Deshalb geht es neben einem Verzicht auf diese Fotografien auch um einen gezielteren Einsatz bzw. eine Reflexion der bisher genannten Aspekte. In diesem Zusammenhang ist ein Perspektivenwechsel vonnöten: „Was diese Fragmente der Vergangenheit vor allem nicht widerspiegeln können, ist die Lagerrealität der Häftlinge. Wozu sie aber sehr wohl in der Lage sind […], ist den Weg zu dokumentieren, der zu dieser Lagerrealität geführt hat. […] so sind die Fotos und Dokumente vor allem als Selbstzeugnisse der SS anzusehen“ (Lüttgenau 1995: 8). Die „‚normale‘ Perspektive“ (Hannig 1989: 15), aus der heraus das Geschehene festgehalten wurde, war die der TäterInnen. Sich mit dieser letztlich einfachen, aber nicht einfach zu verarbeitenden Tatsache zu konfrontieren, stellt ein schwieriges pädagogisches Unterfangen dar. Diese „Historisierung und Entbannung“ (Knoch 2001: 47) der Fotografien des Holocaust bezieht die Sichtweisen der heutigen BetrachterInnen mit ein, insofern arbeitet das in der Folge dargestellte pädagogische Konzept auf zwei Ebenen. Dem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass für eine profunde Auseinandersetzung mit den historischen Fotografien des Holocaust die Reflexion des eigenen Standpunkts vonnöten ist.
Das Projekt „Die Macht der Bilder!?“ „Die Macht der Bilder !?- Fotografie(n) und die Erinnerung an den Nationalsozialismus“ ist ein pädagogisches Projekt, das zum einen die Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Holocaust für die eigene Gegenwart von Jugendlichen fördern will und zum anderen die fotografische Erinnerung an die nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik thematisiert. Das Pro-
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jekt umfasst fünf zweitägige Seminare7, die außerhalb des Unterrichts auf freiwilliger Basis an verschiedenen Freiburger Schulen angesiedelt sind – in Zusammenarbeit mit dem Freiburger Verein „Erinnern und Lernen e.V.“8 und finanziert durch das Förderprogramm „5000X Zukunft“ von AktionMensch. Durch den Einsatz und Gebrauch des Mediums Fotografie wird in einem ersten Schritt eine aktive Beschäftigung mit dem eigenen Standpunkt der Teilnehmenden unterstützt. Fotografien sollen innerhalb des Seminars erstellt werden, die die Bedeutung des Nationalsozialismus für das heutige Leben in Form eines Sinnbildes widerspiegeln. Die Reflexion der Bilder (Bildgegenstand, Perspektive, Stilmittel etc.) geht der Frage nach, ob bzw. inwieweit der Holocaust sich weiterhin auf das Leben der Teilnehmenden auswirkt. Von dieser Standortbestimmung ausgehend wird in einem zweiten Schritt die Relevanz der Fotografien der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik für die heutige Wahrnehmung des Nationalsozialismus thematisiert und dadurch die Ver- und Aushandlung jeder Geschichtsschreibung und kollektiven Erinnerung verdeutlicht. Woher stammen die Fotografien, die den Holocaust visualisieren? Wie und mit welcher Absicht wurde und wird was veröffentlicht? Weshalb gibt es eine bestimmte Anzahl von Bildern, die sehr oft gezeigt werden, während viele andere unbekannt bleiben? Die Beschäftigung mit diesen Fragen führt zu einer differenzierteren Sicht auf die damalige Zeit, die die heutigen individuellen und gesellschaftlichen Interessen in einer Erinnerung an den Nationalsozialismus mit ein bezieht. Fragen nach der Beschaffenheit der hiesigen Kultur und Demokratie werden berücksichtigt. Die Funktionalisierung des Einsatzes historischer Bilder des Holocaust wird sowohl entlang sehr bekannter Bilder – sog. „Ikonen der Vernichtung“ (vgl. Abb.1 u. Brink 1998: 231 ff.) – als auch entlang bisher selten veröffentlichter Fotografien aufgezeigt (vgl. Abb.2 u. Hesse/Springer 2002)9.
Abb. 1: Warschau 1943, Fotograf unbekannt, aus dem sog. ‚Stroop-Bericht‘10, Bundesarchiv Koblenz
7 Zwei dieser Seminare wurden bereits an einer Freiburger Realschule und einem Gymnasium durchgeführt. Die folgende Reflexion bezieht diese Erfahrungen mit ein. 8 Siehe auch www.erinnern-und-lernen.de 9 Das von der Berliner Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ in Auftrag gegebene Forschungsprojekt zeigt in der Buchveröffentlichung „Vor aller Augen. Fotodokumente des nationalsozialistischen Terrors in der Provinz“ (Hesse/Springer 2002) eine Vielzahl von Fotografien, die bis dahin selten bis gar nicht veröffentlicht wurden.
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Abb. 2: Unter dem Motto „Die letzten Libanontiroler hauen ab“ marschieren als Juden verkleidete Schüler und Lehrer der Singener Ekkehard-Schule im Fassnachtszug 1938. Stadtarchiv Singen, Archiv der „Poppele“-Zunft, Fotograf unbekannt (aus Hesse 2002:85).
Seminarkonzeption Nach einer Kennenlernphase und einer Hinführung zum Thema – wir sammelten Begriffe zum Thema „Erinnerung an den Nationalsozialismus“ – wurden diese in Form von Standbildern in Szene gesetzt. Unsere ursprüngliche Absicht, die Bedeutung der Erinnerung an den Nationalsozialismus in Form eines Sinnbildes zu visualisieren, ließ sich in der konkreten pädagogischen Arbeit schwer umsetzen. Die verschiedenen Sachverhalte, einerseits die eigene Haltung zur Erinnerung an den Nationalsozialismus darzustellen und andererseits die eigene Meinung zum Holocaust in ein Bild umzusetzen, war für die Jugendlichen schwer zu trennen. Statt dessen stellten die SchülerInnen ihre Sicht, ihre Perspektiven auf den Nationalsozialismus in Form von Statuen dar und hielten sie fotografisch fest. Sehr engagiert kamen in kurzer Zeit verschiedene BildhauerInnen zum Zuge. Daran schloss eine weitere Fotografierphase an, dieses Mal mit erweitertem Radius – auch außerhalb der Schule konnten nun Motive fotografiert werden – und folgender Fragestellung: „Was und wie soll erinnert werden?“. Hier zwei der entstandenen Fotografien (vgl. Abb. 3 und 4). Nach der Präsentation aller entstandenen Fotografien und zum Zwecke einer intensiveren Beschäftigung mit diesen Bildern erfolgte im Anschluss eine Einführung in die Bildanalyse. Die verschiedenen Schritte der Denotation und Konnotation wurden an zwei der Fotografien, die die Jugendlichen erstellt hatten, angewandt und gegenseitig in der Gruppe vorgestellt. Daran anknüpfend ging es in der Folge um eine Analyse zweier historischer Fotografien des Holocaust (vgl. Abb. 1 u. 2). Durch verschiedene methodische Herangehensweisen – Arbeit mit Bildausschnitten, Rollenspiele, soziometrische Übungen, Gruppendiskussion – sollte eine intensive
10 Das Bild des Jungen aus dem Warschauer Ghetto (Originalbildunterschrift: „Mit Gewalt aus Bunkern hervorgeholt“) entstammt dem von SS-Generalmajors Jürgen Stroop in Auftrag gegebenen Bericht über die Vernichtung des Warschauer Ghettos im Jahre 1943. Der Originaltitel des sog. Stroop-Berichts lautete „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr“ und sollte den Erfolg der Niederschlagung des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto aus der Perspektive der SS dokumentieren. Letztlich ist ungeklärt, ob diese Fotografie tatsächlich während der Niederschlagung des Aufstands aufgenommen wurde, wie es die Anordnung im Album Stroops nahe legt. Bei dem Jungen im Vordergrund könnte es sich um Tsvi Nussbaum (geb. 1935) handeln, der 1939 mit seinen Eltern aus Palästina wieder nach Polen zurückgekehrt war (vgl. Hamann 2000: 735).
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Beschäftigung mit dem Inhalt der Bilder und deren Funktion im Kollektiven (Bild-)Gedächtnis ermöglicht werden. Um diese Funktionen zu verdeutlichen, wurden weitere Fotografien, sehr bekannte und eher unbekannte, mit einbezogen.
Abb. 3: „Die Gaskammer“
Abb. 4
Wahrnehmung – Ausdruck – Reflexion Das Konzept der Erfahrungsbildung basiert im Wesentlichen auf drei Schritten: Erstens im Ausdrücken oft sehr diffuser Vorstellungsbilder mittels eines symbolisierenden Mediums – in unserem Falle der digitalen Fotografie. Zweitens in der Kommunikation über diese Produkte und drittens im verstehenden Durcharbeiten (vgl. Holzbrecher 2004: 28). Vor dem Hintergrund dieses Konzepts sind in den bisherigen Seminaren wesentliche Ziele erreicht worden. Trotz des schwierigen Themas wurden die Fotografien mit sehr viel Spaß und Engagement erstellt, es schien den Jugendlichen wichtig zu sein, ihren Blickpunkt, ihre Perspektive auf den Nationalsozialismus darzustellen. In den Fotografien zeigen sich unterschiedliche Motive wie nationalsozialistische Macht, Gehorsamkeit, Obrigkeitsdenken, Widerstand, Gewalt, Trauer, Wegschauen, Brutalität, Ohnmacht und Tod. „Die Vorteile symbolisierender Medien liegen darin, dass sie gerade die noch nicht in Worte fassbaren Inhalte in ästhetische Ausdrucksformen verdichten und zugleich emotionale Bedeutungsschichten, die ‚subjektive Semantik‘, artikulierbar machen“ (ebd.). So konstatierten die Jugendlichen beispielsweise in einer Auswertungsrunde, dass die von den Mädchen produzierten Fotografien mehrheitlich die Opferperspektive visualisierten, während die Jungen die Täter in den Mittelpunkt des Bildes rückten11. Auf den Fotografien der Mädchen waren in der Tat kaum Täter sichtbar (vgl. Abb. 5), während bei den Jungen in der Bildanordnung die Perspektive der Täter zentral war (vgl. Abb. 6).
11 Die Jugendlichen hatten sich innerhalb des Seminars geschlechtsspezifisch in Gruppen aufgeteilt.
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Abb. 5
Abb. 6
Betrachtet man die Auswahl von Fotografien, die den bundesdeutschen Bildhaushalt in Bezug auf die Erinnerung an den Nationalsozialismus bestimmen, so lassen sich daraus Schlüsse für einen gesellschaftlich gewollten Blick auf die nationalsozialistische Verfolgungs- und Vernichtungspolitik erkennen: Mehrheitlich stehen die Opfer im Moment der Niederlage im Zentrum der Bilder, die TäterInnen sind zumeist nicht sichtbar, dennoch bleibt ihre Macht und Unbesiegbarkeit in den Fotografien codiert. Werden Täter abgebildet, so meist konzentriert auf die Figur Hitler oder auf eine von der deutsch-christlichen Mehrheitsbevölkerung klar abgrenzbare Gruppierung wie die SS. Der Nationalsozialismus erscheint losgelöst von einer konkreten Gesellschaft und zeitlichen Epoche (vgl. Knoch 2001: 950 ff.). Diese Tendenzen und die in den Fotografien des Holocaust codierten Botschaften – Schrecken, Faszination, Macht der TäterInnen sowie die Ohnmacht der Verfolgten – zeigen sich auch in den von den Jugendlichen produzierten Fotografien. Gleichzeitig lassen sich andere Facetten in den Bildern erkennen. In Abb. 4 zeigen sich sehr unterschiedliche Umgangsweisen mit der Zeit des Nationalsozialismus: Der Baumstamm als Symbol für das kaputte Deutschland, das eine Mädchen, das traurig und niedergeschlagen zum Boden schaut, während das andere fröhlich und gutgelaunt zum Himmel blickt, veranschaulicht sehr plastisch sowohl die polarisierten Strömungen in der Erinnerung an den Nationalsozialismus als auch Reaktionsweisen auf das aktuellen Zeitgeschehen. Bei der Analyse von Abb. 6 gaben die Jugendlichen dem Foto den Titel „Damals.Heute“ und thematisierten Verbindungen und Unterschiede zwischen damaligen und gegenwärtigen Formen von Gewalt. Aus der Sicht der Jugendlichen überlappten sich des öfteren Vergangenheit und Gegenwart. Die nach außen projizierten „inneren Bilder“ visualisierten einen Nationalsozialismus, der angesichts der in den Fotografien festgehaltenen Nähe zu Heute nicht außerhalb von Raum und Zeit zu sein scheint. Das „Unvorstellbare“, dass die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik zu Anfang der Seminare begleitete, konkretisierte sich in der Beschäftigung mit den erstellten Fotografien. Kehrt man zurück zum Konzept der Erfahrungsbildung, zeigt sich, dass der symbolisierende Ausdruck eine Reflexion ermöglicht, die durch die Transformation innerer Bilder zu einer nicht stereotypen Sicht auf den Nationalsozialismus beitragen kann. Die bisherigen Ergebnisse des Projektes machen deutlich, dass es sinnvoll ist, das Medium Fotografie zu nutzen, um die Perspektiven der Jugendlichen mit einzubeziehen in den gesellschaftlichen Diskurs über die Erinnerung an den Nationalsozialismus. Mit der hier vorgestell-
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Annette Krings
ten Doppelstrategie (1.) einer handlungsorientierten Didaktik – die Jugendlichen fotografieren selbst – und (2.) einer Bildanalyse, die die Produktionskontexte erkennen lässt, können neue Sichtweisen auf den Nationalsozialismus erarbeitet und Strukturen erkennbar werden, die den Blick auf den Nationalsozialismus bestimmt haben und bis heute bestimmen. Der Prozess, wie aus Vergangenheit Geschichte entsteht, wird somit konkret erfahrbar.
Literatur Ahrendt, Hannah (1993): Besuch in Deutschland, Berlin. Benjamin, Walter (1983): Das Passagenwerk, Frankfurt/Main. Boories, Bodo von (1994): Wer sich des Vergangenen nicht erinnert, ist verurteilt, es noch einmal zu erleben. Zu Möglichkeiten und Grenzen historischen Lernens, Hannover. Brink, Cornelia 1998: Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin. Fink, Ida (1987): „Traces“, in: Levine, Madeleine/ Prose, Francine, 1987: A scrap of Time, New York, S. 135-137. Hamann, Christoph (2003): Geschichtsaneignung durch Fotografie, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik. Zeitschrift für historische Bildung, Heft ?, 31.Jg. 2003, S. 28-37. Hamann, Christoph (2000): Die Wendung auf´s Subjekt. Zum Foto des Jungen aus dem Warschauer Ghetto 1943, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Heft 51, Berlin 2000, S. 727-741. Hannig, Jürgen (1989): Bilder, die Geschichte machen. Anmerkungen zum Umgang mit ‚Dokumentarfotos‘ in Geschichtslehrbüchern, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1, 1989, S. 10-32. Hesse, Klaus/Springer, Philipp (2002): Vor aller Augen. Fotodokumente des nationalsozialistischen Terrors in der Provinz, im Auftrag der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin, Essen. Hirsch, Marianne (2002): Täter-Fotografien in der Kunst nach dem Holocaust. Geschlecht als Idiom der Erinnerung, in: Eschebach, Insa u.a. (Hg.) 2002: Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids, Frankfurt/Main, S. 203-226. Holzbrecher, Alfred (2004): Den Bildern auf der Spur. Fotoprojektdidaktik als kommunikativer Prozess, in: Holzbrecher, Alfred/Schmolling, Jan (Hg.) 2004: Imaging. Digitale Fotografie in Schule und Jugendarbeit, Wiesbaden, S.11-32. Knoch, Habbo (2001): Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg. Krings, Annette (2006): Die Macht der Bilder!? Zur Bedeutung der Fotografien des Holocaust in der politischen Bildungsarbeit, Münster. Lenz, Claudia/Schmidt, Jens et al. (Hg.) (2002): Erinnerungskulturen im Dialog. Europäische Perspektiven auf die NS-Vergangenheit, Münster. Lüttgenau, Rikola-Gunnar (1995): Konzentrationslager Buchenwald 1937-1945. Eine neue Dauerausstellung der Gedenkstätte Buchenwald, in: Gedenkstätten-Rundbrief 69, 1995, S. 3-11. Milton, Sybil (1988): Die Bedeutung von Fotodokumenten als Quelle, in: Fotogeschichte 28, 8. Jg. 1988, S. 60-90. Pilarczyk, Ulrike/Mietzner, Ulrike (2003): Methoden der Fotografieanalyse, in: Ehrenspeck, Yvonne /Schäffer, Burkhard (Hg.): Film- und Fotoanalyse in der Erziehungswissenschaft. Ein Handbuch, Opladen, S. 19-36. Sontag, Susan (1978): Über Fotografie, München, /Wien. Strobl, Ingrid (1994): Vernichtung ohne Vernichter. Ausstellung im Haus der Wannseekonferenz, in dies., 1994: Das Feld des Vergessens, 1994, Berlin, S. 79-87. Swiebocka, T.S./Boguslawska-Swiebocka, T. (1993): Auschwitz in Documentary-Photographs, in: Swiebocka ,T. 1993: Auschwitz. A History in Photographs, Oswiecim u.a., S. 33-45. Zetsche, Jürgen, (1991): Beweisstücke aus der Vergangenheit. Fotografien des Holocaust und ihre Spuren in der Literatur, in: Fotogeschichte, Heft 39, 1991, S. 47-59.
„Von Schrecken bis Faszination“
Abbildungen Abb. 1: Bildrechte bei Bundesarchiv Koblenz, Bild 183/41636/2. Abb. 2: Bildrechte bei Stadtarchiv Singen, Archiv der „Poppele“-Zunft. Abb. 3: mit freundlicher Genehmigung von J. Benkert, N. Kotterer. Abb. 4: mit freundlicher Genehmigung von K. Rösch, V. Schulze, F. Naurich. Abb. 5: mit freundlicher Genehmigung von J. Fiedler, S.L. Markus. Abb. 6: mit freundlicher Genehmigung von T. Ashauer, M. Nachbauer, M. Willmann, M. Gutwin.
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Autorinnen und Autoren Carina Abt Referendarin an der Realschule Winterlingen, ehem. Studentin an der PH Freiburg, Lehramt Realschule (Mathematik, Kunst, Medienpädagogik) E-Mail: [email protected] Franziska Armbruster Studentin für das Lehramt an Realschulen mit den Fächern Deutsch und Kunst an der Pädagogischen Hochschule Freiburg E-Mail: [email protected] Daniel Bienia Dr. paed., Lehramtsstudium PH Karlsruhe, Lehrtätigkeit an Hauptschulen, Promotion 2004. Seit 2003 Fachschulrat an der PH Heidelberg im Fach Technik E-Mail: [email protected] Benjamin Drechsel Dr., Wiss. Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit (Gießen/Wien); Forschungsschwerpunkt: Visuelle Politik; aktuelle Publikation: Politik im Bild. Wie politische Bilder entstehen und wie digitale Bildarchive arbeiten. Frankfurt/Main: Campus, 2005 E-Mail : [email protected] Karin Eble Diplom Pädagogin, Medienpraktikerin, Diplom Sozialarbeiterin/ Sozialpädagogin, Leitung des Fachbereichs Fortbildung beim Wissenschaftlichen Institut des Jugendhilfswerks Freiburg e.V. an der Universität Freiburg; Arbeitsschwerpunkte Medienpädagogik, Gender Studies (Frauen- und Geschlechterforschung) und Projekt- und Netzwerkmanagement. Regionalgruppensprecherin der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK) E-Mail: [email protected]; www.multiline-net.de, www.jugendhilfswerk.de Gregor Falk Prof. für Physische Geographie und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, Arbeitsschwerpunkte: Geomorphologie, Computereinsatz im Unterricht, Geographische Informationssysteme Bernd Feininger Prof. für Kath. Theologie und Religionspädagogik an der Päd. Hochschule Freiburg, Arbeitsschwerpunkte: Bibel und Weltreligionen E-Mail: [email protected] Steve Geldhauser Diplom Informatiker (FH), Diplom Pädagoge (Medienpädagogik), hält bevorzugt Seminare und Weiterbildungen im pädagogischen (digitalen) Medienbereich für Multiplikatoren. Arbeitsschwerpunkte: professioneller Einsatz digitaler Medien im pädagogischen Kontext: ‚Di(gi)daktik‘, Medienkompetenz, neue Medien, Bildgestaltung, Wahrnehmung, Kommunikation, Erwachsenenbildung und Gender http://steve.de/ Stefanie Grebe Freiberufliche Bildwissenschaftlerin und Fotografin. Lehraufträge und wissenschaftliche Tätigkeiten an verschiedenen Universitäten, Gastkuratorin am Ruhrlandmuseum Essen, Mitarbeit beim Deutschen Jugendfotopreis. Arbeitsschwerpunkte: freie künstlerische Arbeiten, Lehrtätigkeit: Inszenierte Fotografie und Geschichte und Theorie der technischen Bilder, Ausstellungskonzeptionen Fotografie, bildwissenschaftliche Publikationen: Dokumentarfotografie, Porträt in Malerei und Fotografie, Surrealismus und Fotografie E-Mail: [email protected]
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Autorinnen und Autoren
Anne-Marie Grundmeier Dr. rer. pol.; Dipl.-Berufspäd.; Professorin an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, Institut für Technik, Haushalt und Textil mit dem Arbeitsgebiet Mode und Textil. Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: Mode und Bekleidungstechnologie, Textiltechnologie und Textilökologie mit textildidaktischen Konzeptionen E-Mail: [email protected] Christian Heuer Lehrer an der Hebelschule Neustadt (GHWRS) und Lehrbeauftragter für die Geschichtsdidaktik an der PH Freiburg. Veröffentlichungen zu Bereichen der Geschichtskultur, zur historischen Projektarbeit, zum Geschichtsunterricht an Hauptschulen und zur badischen Regionalgeschichte E-Mail: [email protected] Maud Corinna Hietzge Dr., Studium Philosophie, Germanistik, Sport, Erziehungswissenschaften an der FU Berlin, Abschluss mit Staatsexamen, Aufbaustudium mit Magister in Linguistik, Stipendiatin der FU Berlin, Promotion bei Gebauer/Wulf zu Sport und Ritual; fünfjährige Tätigkeit als Lehrerin an verschiedenen Schultypen, Preis der Stiftung Brandenburger Tor für das Schüler-Videoprojekt „Bildung in Schräglage“; Akad. Rätin an der PH Freiburg für Sportpädagogik, Projekt „Bewegung im Ganztag“ / Universität Marburg (StuBBS) E-Mail: [email protected] Alfred Holzbrecher Dr. phil., Professor an der Pädagogischen Hochschule Freiburg für Schulpädagogik/ Allgemeine Didaktik; Arbeitsschwerpunkte: Interkulturelle Pädagogik, Subjektorientierung in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit, Fotopädagogik / Leiter des Fotoprojekts an der PH Freiburg und des Freiburger Jugendfotopreises www.ph-freiburg.de/ew1/holzbrecher.html; www.fjfp.de; E-Mail: [email protected] Peter Holzwarth (Diplompädagoge), Doktorand und Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Arbeitsschwerpunkte und Interessensgebiete: Medienpädagogik/ interkulturelle Medienarbeit, Aktive Medienarbeit in der Schule, Migrationsforschung, Interkulturelle Pädagogik, visuelle Forschungsmethoden, Fotografie/visuelle Kommunikation EU-Projekt CHICAM: http://www.chicam.net/ http://www.ph-ludwigsburg.de/html/1b-mpxx-s-01/Holzwarth5.html E-Mail: [email protected] Christina Hornar Diplom-Pädagogin, 1. Staatsexamen für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen (PH Freiburg). Arbeitsschwerpunkte: Erwachsenenbildung, Kunst- und Medienpädagogik, Deutsch als Fremdsprache E-Mail: [email protected] Holger Klose Diplom-Pädagoge, Grundschullehrer, ADLK am Lycée International in St.Germain-en-Laye/ Paris E-Mail [email protected]; www.fotoprojekt-lebenswelten.de Annette Krings Dipl. Sozialarbeiterin und Dipl.-Pädagogin, Referentin und Seminarleiterin in den Bereichen feministische Bildung, Formen der Erinnerung an den Nationalsozialismus, Fotopädagogik, Demokratieentwicklung und Antidiskriminierungsarbeit E-Mail: [email protected] Gisela Larisch Erzieherin, Leiterin einer 5-gruppigen Kindertageseinrichtung der Arbeiterwohlfahrt Oberhausen e.V.; Arbeitsschwerpunkte: Innovative Arbeit im Elementarbereich mit dem Focus Interkulturelle Erziehung, Einsatz Neuer Medien, Gender Mainstreaming u.v.m. E-Mail: [email protected]
Autorinnen und Autoren
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Rosaly Magg Germanistin und Ethnologin und arbeitet seit 1997 als freie Journalistin und Redakteurin. Sie ist Mitarbeiterin des Projektes FernWeh – Forum Tourismus & Kritik im informationszentrum 3.welt - iz3w - in Freiburg, www.iz3w.org, www.trouble-in-paradise.de E-Mail: [email protected] Klaus Maiwald Prof. Dr. phil., Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Augsburg, Veröffentlichungen zur Literatur- und Schreibdidaktik, Arbeitsschwerpunkt neue Medien im Deutschunterricht/virtuelle Lehre E-Mail: Klaus [email protected] Ingelore Oomen-Welke Dr. phil., Professorin für deutsche Sprache und Deutschdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Arbeitsschwerpunkte Sprachdidaktik, Deutsch als Zweitsprache http://home.ph-freiburg.de/oomen/, E-Mail: [email protected] Oliver Piontek Referendar an der Realschule im Längenfeld, Balingen, Studium an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, Lehramt Realschule, Fächer: Kunst und Englisch E-Mail: [email protected] Kuno Rinke Dr. phil., Lehrer am Gymnasium in Troisdorf bei Bonn (Sozialwissenschaften und Geografie); Mitglied im Landesvorstand der DVPB-NW (Deutsche Vereinigung für Politische Bildung); Verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift „Politisches Lernen“, der Zeitschrift der DVPB-NW.; Arbeitsschwerpunkte: Internationale Schülerbegegnungen und Bildungsprojekte; Interkulturelles und antirassistisches Lernen; Schulbuchanalysen; Politische Bildung und Gedenkstätten; Fotografie in der Schule E-Mail: [email protected] Wilfried Schlagenhauf Dr. paed, Dipl.-Päd., Lehramtsstudium PH Freiburg, Lehrtätigkeit an Realschulen, Abschluss Diplompädagogik 1988, Promotion 1997, 2001-2004 Professor an der PH Heidelberg, seit 2004 Professor für Technik und ihre Didaktik an der PH Freiburg E-Mail: [email protected] Jan Schmolling Wissenschaftlich-pädagogischer Mitarbeiter beim Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland (KJF). Arbeitsschwerpunkte: Konzeption und Durchführung bundesweiter Medienwettbewerbe und Modellprojekte; Publikationen zur Jugendmedienarbeit; Fotoausstellungen zur Jugendkultur www.kjf.de, www.jugendfotopreis.de; E-Mail: [email protected] Michael Schratz Prof. Dr., Leiter des Instituts für LehrerInnenbildung und Schulforschung an der Universität Innsbruck. Tätigkeit in der Lehreraus- und -fortbildung in den Bereichen Didaktik und Curriculum, Schulmanagement, Qualitätssicherung und Schulentwicklung. Internationale Vortragstätigkeit und Zusammenarbeit (Europarat, OECD, EU). Zahlreiche Veröffentlichungen zu Bildung, Gesellschaft und Lernen, Schulmanagement und Qualitätssicherung. Mitherausgeber mehrerer pädagogischer Zeitschriften E-Mail: [email protected] Tanja Schröder Studierende der Pädagogischen Hochschule für Realschullehramt (Fächer: Kunst und Deutsch), Kauffrau für Bürokommunikation E-Mail: [email protected]
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Autorinnen und Autoren
Ulrike Spörhase-Eichmann Prof. Dr. - Studium des Lehramtes an Gymnasien in Göttingen, Promotion 1992 an der Universität Göttingen. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zoologie und Anthropologie der Universität Göttingen. Unterrichtstätigkeit an Realschulen und Gymnasien. Studienrätin am Institut für Didaktik der Biologie an der Universität Frankfurt/M., seit 2003 Professorin für Biologie und ihre Didaktik an der PH Freiburg E-Mail: [email protected] Edwin Stiller Wissenschaftlicher Referent für Lehrerausbildung am Landesinstitut für Schule/Qualitätsagentur, Soest. Autor der Dialogischen Fachdidaktik Pädagogik, Autor der Schulbuchwerke Phoenix (Erziehungswissenschaft) und Dialog SoWi E-Mail: [email protected] Karlheinz Strötzel Dipl. Designer Visuelle Kommunikation, Studium der Visuellen Kommunikation an der Fachhochschule Dortmund (1973) und Diplomstudium an der HbK Braunschweig, Experimentelle Umweltgestaltung (1976), Lehraufträge an verschiedenen Fachhochschulen (1977-1998), Künstlerische Projekte in der Kinder- Jugend- und Erwachsenenbildung, Arbeit als freier Künstler und Fotograf, Bildungsreferent bei der Landesarbeitsgemeinschaft Kunst und Medien NRW e.V. (seit 1999) E-Mail: [email protected] Dorottya Szaktilla Studentin für Diplom-Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, Fachrichtung Sozialpädagogik und Medienpädagogik; Mitarbeit beim Freiburger Jugendfotopreis; Freiberufliche Tätigkeit im Bereich Grafik. E-Mail: [email protected] Sandra Tell Diplom Sozialpädagogin (FH), Doktorandin und Lehrbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Arbeitsbereiche: Medienpädagogik/ Fotopädagogik, visuelle Forschungsmethoden, visuelle Kommunikation, Fotografie. Mitarbeiterin im Fotoprojekt an der PH Freiburg und beim Freiburger Jugendfotopreis. E-Mail: [email protected] Barbara Tomforde Interkulturelle Pädagogin E-Mail: [email protected] Marie-Francoise Vignaud M.A.Licence ès lettres, Maîtrise d’anglais, La Sorbonne, Paris. Dott.ssa, Laurea in Lingue e Lett. Straniere Moderne (Francese-Italiano), Uni.di Genova, Italia. Wiss. Mitarbeiterin für Fachdidaktik Französisch und Italienisch, Rom. Literaturwiss. TU Chemnitz. Lehrbeauftragte für Französisch an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, verantwortlich für die Lehrer/innenfortbildung. Mitherausgeberin in der Zeitschrift „Der fremdsprachliche Unterricht Französisch“, Friedrich Verlag, Hannover. Adalbert Wichert Prof. Dr., Studium Germanistik, Geschichte, Politikwissenschaft: Promotion (1976), 1. und 2. Staatsexamen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Habilitation (1987), Privatdozent am Institut für deutsche Philologie der Universität München. Gymnasiallehrer, Mitarbeiter der Zentralstelle für Computer im Unterricht (Augsburg). Seit 1994 Professor für deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Schwerpunkte Sprachdidaktik, Rhetorik, Sprache und Medien, Literaturgeschichte E-Mail: [email protected]