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German Pages 32 Year 1851
Fliegende Matter für
deutsche Politik.
I.
A-elsbüchlein oder
ungehaltene Reden eines Abgeordneten über die Pairie. A. 1. Kann eine Pairie in Deutschland geschaffen werden? Der kleine Adel. A. 2. Kann eine Pairie in Deutschland geschaffen werden? Der hohe Adel.
Berlin, 1850. T. Trantwein'sche Buch- und Musikalienhandlung.
(A. Guttentag.) Separat-Conto.
Adelsbüchlein oder
ungehaltene Reden eines Abgeordneten über
die Paine.
A. 1. Kann eine Paine in Deutschland geschalten werden? Der kleine Adel.
A. 2. Kann eine Pairie in Deutschland geschaffen werden? Der hohe Adel.
Berlin, 1850. T. Trantwein'sche Buch- und Musikalienhandlung. (I. Guttentag.) Separat-Conto.
A. 1.
Kann eine Pairie in Deutschlan geschaffen werden? Der kleine Adel. Mehrere Kabinette Deutschlands beschäftigen sich jetzt mit dieser Frage, von der es wiederum die Frage ist, ob sie nicht zu spät aufgeworfen wird, um beantwortet zu werden. Die Fürsten und Regierungen möchten jetzt gern eine Pairie haben, um dem Alles überfluthenden Strome der Demokratie einen Damm entgegenzusetzen, der doch wenigstens einige der eonservativen Ansichten und Grundsätze im Staate noch retten und wahren könnte, um zugleich das nun einmal nicht mehr zu vermeidende constitutionelle Gebäude nach dem bewährten eng lischen Muster auhubauen. Aber wie handeln unsere Fürsten und Regierungen bei diesem Versuche? Wir wollen ihnen nicht den Vorwurf machen, der mit dem Sprichworte beginnt: „Wenn die Rathsherrn vom Rathhause kommen, sind sie al lemal klüger, als wenn sie hinaufgehen," dieser Vorwurf trifft nicht einmal unsere Regierungen m dieser Frage, sondern sie trifft ein anderer, den ich so fassen möchte: Sie wollen ein neues Staatsgebäude auf den zerfallenen Ruinen des alten in die Luft bauen; sie wollen einen festen Grund für ihren Leuch thurm der Zukunft gewinnen, und haben die Kraft nicht, den Schutt und Flugsand des alten Gebäudes, der den Platz ver unreinigt, hinwegzuräumen. — Diese Theoretiker der Zukunft verfahren wie jene Astronomen der Fabel, die während sie ihre 1*
6 himmlischen Berechnungen mit anstellen,
aufwärts gewendeten Blicken
in die Grube auf der Erde stürzen,
die zu ihren
Fußen liegt. Jedem vernünftigen Menschen, der nicht durch eignes per
sönliches Interesse verblendet ist, muß es, auch wenn er nicht weiter als auf die Lehren der Geschichte seit den letzten zwan
zig Jahren zurückschant, klar geworden sein: „Das Haupt
hinderniß einer Pairie ist der Adel, der
Adel wie
er gegenwärtig noch in seinen Resten besteht, und
der Schutt
vorzüglich
und
die morschen
Ruinen
deS Adels in Deutschland."
Erschreckt nicht poetische Jünger des Ritterthums aus den al
ten Tagen des Ruhms der Troubadoure und Miestrelö! Ich will Euch Eure Ideale nicht nehmen; ich will Euch Euren alleiu-
stligmachenden Glauben nicht rauben, ich will Eure süßen Traum bilder nicht stören.
und
dell
Hohn
Es ist nicht meine Absicht, mit Spott
vielgeschwächtell,
den
vielberaubten
Adel,
diesen alterschwachen Greis, der auf dem Todtenbette liegt und
nicht leben und sterbe»: kalln, auch noch zu kränken.
Glaubt
mir, ich bin ein Anhänger des Herrn von Gerlach, wenigstens in dem einer: Punkte, daß es
keirre größere Servilität der
Gesinnung giebt, als die, wenn man keine Ueberordnung im
Staatsleben ertragen karrn, und sich an den Höhergestellten
durch Haß und Neid rächt.
Allch will ich Euch nicht über
zeugen, nicht belehren, solche Anmaßung ist ferne von mir; ich werde nicht weiter auf die Lehren der zweischneidigen Ge
schichte zurückgehen, als es nothwendig ist, nicht blos um zu beweisen was Jeder weiß, daß der Adel der Gegenwart ein überflüssiges Glied der menschlichen Gesellschaft ist^ (superflua
non nocent!) nein ich werde mich darartf beschränken zu sagen und auszusührer:, daß dieser Adel die Grundlagen der wahren
Aristokratie zerstört hat und noch zerstört, daß er der Haupt
reiz der jugendlich aufwachsenden Demokratie ist, der Dünger, mit
welchem
Schwamm
sie
deS
ihre
alten
wuchernden
Wurzeln
beftuchtet, der
Staatsgebäudes, der die
Grundsteine
7 längst zerfressen hat,
so daß auch die Spitze desselben, der
Monarchie, der Einsturz droht.
Tretet hervor ihr Titular-
Edle, Ritter, Freiherrn u. s. w., und besonders ihr Hofjnnker,
Kammerjunker und Kammerherrn der deutschen Höfe, die ihr euch so gerne für die wahren Stützen des Königthums anSgebt; weist das Diplom Eurer politischen Berechtigung mtf, zeigt, daß ihr wahre Aristokraten seid und sein könnt, und hört mich an!
Nicht daß ich glaubte, diese Worte hier wür
den einen besonderen Eindruck hervorbringen, ich weiß, daß alles Sprechen mit vergeblich ist, ich schreibe des Genusses we gen, der Kunst wegen, vielleicht mt8 sanitätöpolizeilicher Rück
sicht, denn es handelt sich gegenwärtig um die Frage, ob alle Elemente des Deutschen Adels Leichen sind, bei denen es
nur daranf ankommt, sie auf eine anständige Weise zu bestat ten, oder — ob einige darunter sind, die eine Auferstehung
feiern können und die Ulan nicht lebendig begraben soll. Jede wahre Aristokratie, man mag sie suchen, wo man will, in ältester oder neuester Zeit, beucht auf politischen
Grulldlagen, nicht
auf persönlichen.
Diese sönnen nur als
Consequenzen der ersteren hinzukommen, sonst sind sie unhalt
bar
und schädlich.
Wer von dieser Grundwahrheit
llicht
überzeugt ist, geräth immer ans falsche Abwege, entweder er wird
ein Hasser der Aristokratie als absoluter Demokrat oder ein Hof junker anstatt eines Aristokraten.
Auch ist es nicht so leicht,
diesen Satz sich stets gegenwärtig zu haltell, weil die Geschichte ebenso viele Beispiele falscher Aristokratieen, mißülngener Ver suche eorrumpirter Prillcipien aufstettt, als wahrer.
Es ist für
manche Leute langweilig, für viele verletzend, auf die Ge
schichte
zurückzugehen;
politische Berechtigung
Herr von
Müller filldet darin
für sich heraus
und
keine
Barorr Baruch
will nur von Gegenwart und Zukunft hören, am allerwenig
sten auf feine Abstammung werden.
unangenehmer Weise
verwiesen
Aber zu ihrem Troste sei es gesagt, hier ist von
etwas ganz Anderem die Rede.
Höhere politische Rechte,
Theilnahme an einer bestimmten Staatsgewalt, werden den
8 hervorragenden
Elementen
eines Volkes zugestanden,
weil diese hervorragenden Elemente größere Interessen vertre
ten als andere, weil sie größere Lasten tragen imb größere Dienste leisten. Also die hervorragenden Interessen des Staats, die der Gemeinschaft eines politischen Volks sind es, welche den Begriff der Aristokratie schaffen und erhalten; die Grund lagen dieser Interessen finb verschieden, treffen aber immer in
dem Besitze des größer« Eigenthums wenigstens ursprünglich zusammen.
Nicht blos größeres Grundeigcnthum allein, ob
wohl dieses vorzüglich, sondern auch größeres Vermögen, durch Handel und Gewerbe errungen, sind es, welche von jeher
Aristokraten geschaffen haben.
Hierin
treffen Sparta, das
Ideal der Aristokratie, Rom, Venedig, alle Städterepnbliken
des Italienischen Mittelalters, Deutschland, Frankreich und England zusammen.
Das erbliche Eigenthum schuf die
Erblichkeit der Aristokratischen Vorrechte; so kam ein
persönliches Element in die Aristokratieen hinein; nur ver
gaß man häufig, wenn das Eigenthum einem Ge^ schlechte verloren ging, auch die persönlichen Kon sequenzen des Eigenthums und der Erblichkeit des
selben zu streichen und den Adel diesen Geschlechtern zu nehmen. Dies war ein sehr großer Uebelstand; denn er schuf nicht nur eine hablose, sondern auch eine grundlose Ari
stokratie, Prätensionen allein blieben iibrig und wurden mit
gerechtem Haffe und Verachtung gestraft, jedoch ost ohne Er folg. — Bei der Aufzählung der Grundlagen der Aristokratie
übersehe man aber nicht, was so häufig geschieht, daß dadurch noch keineswegs der Begriff der politischen Ausbildung der selben gegeben ist. Dieser entsteht erst durch die Theilnahme an der Staatsgewalt, durch politische Rechte.
Nicht, weil sie
große Grundbesitzer waren, waren die Spartiaten schon Aristo kraten, nicht weil sie Großhandeltreibende waren, waren die Venetianischen Edlen das Muster einer Art von Aristokratie,
nicht aus jenem Grunde sind die großen englischen Grundbe sitzer Peers des Reichs, sondern sie wurden und blieben nur
9 eine Aristokratie, weil sie diese hervorragenden Interessen des Staats und Volks innerhalb einer politischen Gemeinschaft, ent
weder im Senat oder in einer Abtheilung des Parlaments, dauernd durch ihren Staatsdienst") repräsentirten. es in Sparta, Rom und Venedig.
So war
So drückt es das engli-
sche Recht am Präeisesten aus: „Zum Adel gehört allein, wer ein
Recht
auf persönliche Standschaft im Oberhanse hat."
So war es im Deutschen Reiche mit dem jetzt fcgeimnnten
hohen Adel (einer neuen Unterscheidung), der feinen Standes begriff erst durch die Reichsstandschaft erhielt d. h. durch
die Theilnahme an der Berathung der gemeinsamen Deutschen Angelegenheiten.
Viele Geschlechter haben übrigens bei uns
diesen ihren Reichsadel früher wieder verloren und sind in die
bloße landsässige Ritterschaft hinabgestiegen, wenn sie nämlich
ihre Reichsstandschaft und ihre reichsunnlittelbaren Territorien einbüßten.
Dies hatte Sinn und Verstand und war nur die
nothwendige Rückseite des politischen Adels; ein großes Un
glück für den Stand des Adels selbst war es aber in Deutsch land, daß schon sicherlich seit dem sechzehnten Jahrhundert, gerade
da wo sie ihre Bedeutung verlor, auch die Ritterschaft anfing
sich zum Adel zu rechnen und gerechnet zu werden.
Dadurch
entstand ein wahres Herr von Adlichen ohne politische Grundlage, weil der alte Ritterdienst durch die ste
henden Heere ersetzt und unbrauchbar wurde.
Wir
wollen nicht läugnen, daß auch die Ritterschaft in den Einzeln territorien, um so mehr aber die Reichsritterschaft, dereinst bis zum Anfänge des sechzehnten Jahrhunderts eine gewisse poli tische Berechtigung gehabt habe, sich als einen eignen Stand,
als einen Uebergang in das Aristokratische Element anzusehen.
Sie ging doch wesentlich aus den Grundbesitzenden freien Ge
schlechtern hervor und hatte Landstandschaft; aber daß sie die persönlichen Rechte des Adels in unzähligen Massen und gan-
*) oder Volksdienst, wie man es nehmen will.
10 zett Geschlechtern von Prätendenten fortpftanzte, auch wenn
Grundbesitz
der
Söhne
und
verloren
späteren
litische Dienste
war,
auch
Generationen
vertreten
und Rechte
ner die knechtischen Elemente
gar
wenn
die
niemals
konnten,
jüngeren
mehr -po
daß
sie
fer
der Ministerialen in sich auf-
genommcn hatte (knight d. i. Knecht,
heißt im Englischen
noch heute Ritter, aber nicht Adlicher,) daß sie endlich den
bloßen Waffendienst zu einem erblichen Vorrecht der Ge
schlechter machen nnb ihn
als Adelözeichcn hinstellen wollte,
darin lag der Keim des Todes für den ganzen Adel als Stand, denn
dieser Dienst
war unbrauchbar und blieb
bloße Prä
tension ohne alle Berechtigung als die des Mißbrauchs. — Nun tretet abermals hervor
ihr zahllosen Schaaren der
Herren von Meier und Mütter, Edle, Ritter und Barone, Hofjunker, Kammerjunker
itnb Kammerherrn und
Diplom Eurer politischen Berechtigung auf.
weist das
Wo ist Euer
Staatsdienst, wo ist Eller größeres Eigenthum, sei es nun durch Landbau oder Halldelschaft errungen, (nnr nicht durch Handel schaft mit Principien!) wo ist Eure Standschaft? Ihr seht, ich
bin ein Anhänger der wahren Aristokratie; ich lasse sogar die
Erinnerung cm den Leichengeruch oder die Geistererscheinung unserer längst entschlafenen Ritterschaft gelten; das süßeste der Traumbilder ist die Eillbiiduilg sogenannter Erinnerllng; aber
weist lnir eure politische Berechtigung llach!
Rur kommt mir
llicht nlit dern Alter des Mißbrauchs und versteckt euch hinter
den heiligen Rost der Vergangenheit. den Schleier
der Nacht
als ihr träumt.
entfernt,
Wer ihn abkratzt und
sieht etwas ganz anderes,
Er sieht neben den lebensvollen Bildern eines
Ulrich vor: Hutterl, Götz von Berlichingen, eines Arco nnb
Fröben auch den Keim des Todes, dell nnr Ahnenbilder ein schließen, selbst wellll ihr dergleichen allfweisen könnt; er sieht der: Keim des Todes, der in ellren und enrer Altvordern Prä tensionen lag, sobald sie sich aufblähen und erheben wollterr
zu einem Stande des Reichsadels, dem sie nicht angehörten ulld niemals allgehören konnten, weil sie weder dessen Dienste
11 leisten, noch dessen Lasten tragen, noch dessen Standschaft er Seht, ich ein Plebejer, erkenne sogar mit
ringen konnten.
ganzem Herzen tmb init ganzer Seele an, daß das Alter be rühmter Geschlechter, die Ueberlieferung ehrenwerther Gesin
nungen von Vater mtf Sohn und Enkel, die Fortpflanzung einer gewissen Unabhängigkeit und Freiheit, ja sogar der da durch begründete Stolz (nicht Uebermuth) auf aristokratische
Vorzüge ganzer Familien, auch eine Grundlage des Stam
mes der Aristokratie sein können, aber wohlverstanden nur
wenn sie sich vereint finden mit jenen höheren po litischen Diensten,
Lasten
und Rechten,
deren erste
Bedingung das größere Eigenthum rind die Vertretung der hö
heren Interessen des Staates uiib Volkes ist. Mit dem
bloßen Alter eines
Adels, mit den
mißbräuchlich
sogenannten
blos persönlichen Verdiensten irgend welcher
Vorfahren verhält es sich so tu der menschlichen Natur, daß sich Verdientste Anderer nicht wie Eigenthum übertragen Taffen,
daß Tugenden wie Laster sich fortpftanzen oder verschwinden, je nachdem der jedesmalige Sohn
der Gegenwart sie durch
seine persönliche Freiheit erhöht oder überwindet.
abstrakten Adel gilt,
geschätzt wie der Käse.
Von diesem
was Jean Paul gesagt hat, er wird
So wie dieser ein gewisses Alter nö-
thig hat, um genießbar zu fein und als wahrer Käse ztt gel ten, so wie er für den echten Kentter durch Maden gewinnt, so hat der Adel das Alter und Ahnen nöthig, um Adel ztt werden. — Seht, ich lasse sogar Vorurtheile gelten, wentt sie
im Volksglauben wurzeln und sich mit verständigen anderen Gründen verbinden, aber nicht, wertn ihr behauptet, daß ihr
blos aus Maden besteht. —
Diese Sprache wird vielleicht Manchem zu scharf erschei nen, aber ich muß bemerkett, daß es durchaus nicht meine Ab
sicht ist, witzig zu sein; tmr ist es schwer bei einem Gegenstände, der so viel des Komischen in sich trägt, das Lachen zu unter
drücken. — Wohl kamt man auch zugeben, daß die Erinne rung an tüchtige und ausgezeichnete Vorfahren einen mächtigen
12 Antrieb enthalten kann, ihnen nachzucifern und ihre guten Na-
men auch bei den Nachkommen zu erhalten, aber um: nicht,
daß solche bloße Erinnerung ein ®nmb ist zu dem Aristokraten, zu dem Adel des Landes nti politischen Sinne des Wortes ge
rechnet zu werden. *)**) Dies aber wird gewöhnlich bei unserem kleinen Adel als eine ausgemachte Sache angenommen, daß
man sich wegen einiger guten und ehrenwehrten Erirmeruugen
innerhalb
der Familie
schon für
berechtigt
zur Aristokratie,
zu Vorzügen innerhalb des Staates halten dürfe.
Dieser Jrr-
thum und diese Anmaßung aber sind offenbar die Hauptgründe
der Entstehung eines rein persönlichen Adels, der in der Lust schwebt, gewesen.
War diese abstrakte Idee eme§ persönlichen
Geschlechtsadels einmal vorhanden, so war es auch leicht mög lich, den Adel darauf hin ünmer mehr zu corrumpiren.
Und
das geschah im vollsten Maaße, wie rnit keinem Stande durch die Fürsten, welche das absolute Regierungsprineip in ein Sy
stem brachten und es mit einem Hoftakeiendienste verbanden. Der Virtuose dieser Corruption war Ludwig XIV. und was
der Franzose erfunden hatte, wurde damals von unseren Für sten, wie heute von unserm Volke, mit jenem blinden Instinkte der Nachahmung ausgenommen, der nur zu sehr an ein ge
wisses Thier erinnert, das dem Menschen zwar ähnlich sieht,
aber ihn niemals erreicht.
Als man in Frankreich, dann in
Oesterreich, dann in Preußen und in einigen anderen kleineren deutschen Staaten, dann in Dänemark und Spanien") die po
litischen Rechte der Stände, ihre Landstandschaft, vernichtet oder werthlos gemacht hatte, begann man das abstrakte Phan tom einer bloß persönlichen Ehre, eines persönlichen Dienstes,
eines persönlichen Ranges an die Stelle der politischen Rechte,
*) Die Ritterschaft gehörte in England nie zum Adel. **) England und Schweden machen die einzigen Ausnahmen von den größeren Staaten Germanischer oder Romanischer Bevölkerung, weil in ihnen das absolute Regierungsprincip des Königthums nie mals siegte. Dort ist der Adel nie so korrumpirt worden, wie bei uns.
13 deS Dienstes
und der Leistungen
für den Staat zu setzen.
Die Ehre des freien Mannes ging verloren, die Ehre des Bedienten und Sklaven kam auf oder blieb übrig.
stab des nun Alles
Der Maß
verschlingenden Hofadels wurde an alle
Rangverhältnisse gelegt.
Ludwig XIV. reihte sogar die Statt
halter der Provinzen (die höchsten Staatsbeamten) in die
Hofchargen ein, eine Menge von Hofstellen oder Aemtern ohne Amt mit glänzenden Titeln und großen Gehalten wurden für den Adel geschaffen, um ihn gänzlich zu unterwerfen.
Die
Staatsämter wurden an diesen Adel vertheilt, ebenso die höhe
ren Stellen in der Kirche,
die Osfieiersstellen
im Militair.
Nur des Königs Dienst, gleichviel ob persönlicher oder politi
scher Dienst, nur des Königs Wille allein sollte Rang, Würde und Ehre verleihen; die Unabhängigkeit des Adels ganz ver
nichtet werden.
Deshalb wurde die Pairie gedemüthigt; selbst
ihr Recht in den Gerichtshöfen zuerst zu stimmen aus den Fall beschränkt,
wenn
der König gegenwärtig sei. — Das
Recht den König aus seinen Lustreisen, aus seinen Schlössern zu begleiten, bei den Jagden eingeladen zu sein, in das könig
liche Audienz- oder Schlafzimmer eintreten zu dürfen, für die Gemahlin ein Tabouret, oder für sich den bloßen Titel eines Herzogs, Marquis, Grasen u. s. w. zu erhalten, endlich über
haupt nur für hoffähig erklärt zu werden, diese schönen Rechte
treten an die Stelle politischer Rechte der Steuerbewilligung,
der Theilnahme an der Gesetzgebung und freiem und ehrenwerthen Staatsdienstes.
Bald stritt sich dieser Hofadel darum,
wer die Ehre haben sollte, den goldnen Leuchter zu halten, wenn der König zu Bette stieg, oder sich nach dem Befinden der königlichen Maitresse zu erkundigen.
So wurde im absoluten
Staate die Schande zum Verdienst erhoben, die Corruption aller ständischen Begriffe eingesührt, das Volk von
der Person des Königs ausgeschlossen, der wahre Adel vernichtet und das Hosjunkerthum geschaffen.
Dies war der
letzte große Schlag, den der Adel erhielt, und an welchem er noch dantederliegt.
Er ist nichts mehr, als eine gesellschaftliche
14 Prätension.
Denn auch die Deutschen Fürsten beeiferten sich
diesen Wahnsinn nachzuahmen — weil der Glanz des König
thums die Knechtschaft des Adels erfordere.
Ging mall doch
sogar in einigeil Staaten des Deutschen Reichs so weit, selbst die französische Maitressenwirthschaft mtt Hofe nachzuahmen, ohne
llllr die schwache El^schnldigung einer wirklichen Leidellschaft
für die Maitressell zll haben. schnlählicher Handlungen.
Was war aber der Erfolg so
Der Adel wurde der Gegcnstalld
des Gelächters seiner Feinde lNld des Bedauenis stiller Freunde; der ehrenwerthe Bürger oder Staatödieller fragte sich:
„Wie
hoch muß die Ntegierullg ihre Diellste anschtagell, da die Belohnnngen, die sie ihncll giebt, ihnen nur zur Schande gerei
chen?"
Sah lllan nun gar ans die Reihe der von jetzt an
nett ereilten oder im Range erhöhten ^ldelssamilien, so war der Sinn dieser VerleihiNigell der, daß all die Stelle der al ten Rechte eines gräftichell oder freiherrlichen Geschlechts erb
liche Titel traten, welche nichts besagten als die Prätellsion
ans bestimmte persönliche oder privatrechtliche Vorzüge gallzer Geschlechter ohne Grund.
Mall sah fernes noch eine ganze
Reihe voll hohell unehelichen Söhllell ulld Töchterrl in diestll sogenanllten Stand eintreten, mein sah einen Hofadel, einen
Militairadel, einen Gelehrtenadcl, einen Kaufadel sich zu einem
Mischmasch
gesellschaftlicher Prätendentell verbinden;
ja man
mußte ill späterer Zeit sogar mit Bedauerll bemerkell, daß es «lehr ein Zeichen eines guten Herzens als eines guten Ver-
stalldes bei den Fürftell war, als sie auch eitlen Adel des per-
sönlichell Verdienstes durch Ordcll schllfen, weil sie dadurch lmr
zeigten, daß ihnen aller Begriff eitler wahrell Aristokratie abhalldell gekomlnen sei nnb sie vergessen hätten, daß das persön-
liche Verdienst allein sich nicht erblich machen lasse. *) habere malorum! — Hat
die neueste Zeit mm
Socios sehr viel
*) Ich weiß wohl, das ein solcher persönlicher Adel noch nicht ein erblicher ist, aber in den meisten Süddeutschen Staaten kann er sogleich nach Erlegung eine Ta.rsumme erblich gemacht werden.
15 hieran geändert? Keineswegens.
Die französischen wie die dcut-
schen National- und Stände-Versammlungen haben sich eben
so unfähig für neue politische Schöpfungen in dieser Beziehung gezeigt, wie die absolut regierenden Fürsten.
Der Absolutis
mus vernichtete den Adel durch Corruption des Begriffs, die Volksvertreter erklärten, er ist aufgehoben, unb nahmen ihm die letzten Ueberreste seiner Privatrechte.
Aber die persönlichen
Prätensionen blieben mit dem Titel und Namen des Adels
und selbst noch in constitutionellen Staaten Deutsch lands besteht der Unsinn, daß man einen solchen Unglückli
chen, der den, Titel Kannnerjunker trägt, im Hoftange einem
Major nnb einen Kammerherrn einem Generalmajor gleichstellt,
ja es besteht wirklich (risum teneatis amici!) die feine Ein richtung, daß ein, selbst persönlich adlicher Gesandte des Staats,
ein Ministerialrats), ein Negierungsdirektor, kurz einer der höch
sten Staatsbeamten nicht hoffähig ist, d. h. von der gesell schaftlichen Ehre, die der König verleiht, ausgeschlossen ist *)
Nur die Minister und Staatsräthe können sich Glück wün schen, daß sie die gleiche Ehre mit den Kammerjunkern thei
aber
von königlichen
len!
Was
und
dem Offieierökorpö
ist
zu
Staatsdienern
erwarten, daß sich ans
diese Weise vom Königthum geschätzt sieht? — Es
ist lächerlich, wenn mmi die Menschen nicht nimmt, wie sie sind, und sich selbst belügt, indem man sagt, es käme nur auf die
wesentlichen politischen Rechte, nicht auf die gleichgültigen gesellschaftlichen Vorzüge an.
Wer so spricht, zeigt, daß er we
der Menschen- noch Geschichtskenntniß hat.
Gerade daß die
bloße gesellschaftliche, äußere Ehre benutzt werden konnte um die politische zu unterdrücken,
beweist die
welche in dem menschlichen Ehrgeize liegt.
ungeheure Macht, Das unleugbare
*) In Norddeutschland ist fteilich der Mißbrauch nicht so weit getrieben, daß das Königthum seine eigenen Staatsdiener auf solche Weise herabgewürdigt hätte, aber wohl ist dies in Oestreich und Bai
ern und andern Süddeutschen Staaten der Fall.
16 Resultat ist, daß nicht blos der Neid des Volks oder der un-
gebildeten Volksklassen den Adel verfolgt, sondern daß auch die Lächerlichkeit wegen seiner Nichtigkeit und die Verachtung der
Besseren wegen Sohlen heften.
seiner
luftleeren Prätensionen
sich an
seine
Dieser bodenlose Adel ist der Grund des fort-
dauernden Hasses, der ewigen Animosität der Stände gegen
einander; er ist der Grund, weshalb und Deutschland
Frankreich
trotz
keine wahre Pairie in
aller Versuche
aufkomme»
konnte, weil mmi jede Aristokratie mit diesem Adel in Verbin dung bringt oder zusammenwirft, weil man glaubt und glauben
muß, die Erschaffung einer Pairie sei nichts, als der
Anfang zur Wiederherstellung der grundlosen Vor
züge des todt kranken Adels und der endlich zum Theil wenigstens beseitigten Mißbräuche; er ist endlich der Grund,
weshalb
eine Menge
der
tüchtigsten
Staatsbürger
das Herz für das Königthum verloren haben, das sie noch immer sich mit solcher Mauer gespenstischer Prätendenten umgeben sehen.
Soviel aber sollte jedem Gesetzgeber einleuchten, der ein
Gesetz
über
die Erschaffung einer
Pairie
durchführen
will,
wenn er anders die Richtung und den Geist unserer Zeit nur
irgend versteht und zu leiten unternimnü, daß ein solcher Plan nie gelingen wird, wenn man nicht den ganzen gründ- und
haltlosen Adel bis auf seine Titel gleichzeitig aufhebt, und die übrig bleibenden aristokratischen Elemente auf ihre wahre poli tische Berechtigung beschränkt.
Fällt nicht das eigentliche blasse
Hof- und Kamnierjunkerwesen, fallen nicht die Plunder und Lumpen des jetzt noch so genannten Adels, so hat auch die Pairie keine Zukunft, so werden sich
die Versuche der
Demokraten auch mit Hülfe der wahrhaft eonstitutionellen Li
beralen stets erneuern, das Kind mit dem Bade auszu
schütten und jede Aristokratie unter dem mit Recht verhaßten Titel des Adels zu beseitigen. — Es ist nicht unsere Meinung, hier die Grausamkeit zu begehen, unserer Creme de la societe,
unseren Männern comme il saut Alles, was sie noch sind
17 oder zu haben vermeinen, bis auf ihren Namen zu nehmen.
Nein, es giebt manche ehrenwerthe Familiennamen unter ihnen;
auch Herr von Meier oder Schulz samt ein ehrenwerther, ein sehr ehrenwerther Mann sein, wenn auch kein Brutus; es ist nur meine bescheidene Meinung, das sie sich endlich der un passenden und das Volk verletzenden und aufstachelnden Titel,
die feinen Sinn mehr haben, sobald sie keine Rechte mehr dar
stellen, entäußern, ehe sie ihnen entäußert werden, als da sind Freiherrn, Grasen, Hofjunker, Kammerjnnker, Kammerherrn u.
s. w.
Dies paßt in den heutigen coustitutiouelleu Staat nicht;
es bringt immer eine Verfälschung in jeden Staats
dienst hinein, wo man so leicht Titel für Verdienst nimmt. Die süße Erinnerung an die Familie der Vergangenheit lassen
wir ihnen nut dem Namen vollkommen.
Wo sie eine Ge
schichte guter Thaten haben, bleibt ihnen diese gesichert; wo das Gegentheil der Fall ist, ist der Verlust einiger nichtigen
Titel und üblen Merkmale mehr ein Gewinn. Es tritt da bisweilen der Fall ein, den ein Engländer, Junius, classisch
ausgedrückt hat:
„Der Charakter der befannten Vorfahren
mancher Leute macht es ihrer! Nachkommen möglich, auf'ö Aeußerste lasterhaft zu sein,* ohne zu entarten. Solche Vorfahren hinterließen keine niederschlagenden Proben von Tugend selbst
nicht für ihre rechtmäßige Nachkommenschaft, und die Nachkommen können mit Vergnügen aus einen berühmten Stamm
baum zurückblicken, in welchem die Heraldik keine einzige gute Eigenschaft angezeichnct hat, um ihnen Schimpf oder Schande zu machen.
Sie haben bessere Zeugnisse ihrer Abkunft als das
Heirathsregistcr
oder irgend eine lästige Erbschaft von gu
tem Ruf." —
L
A.
2.
Kann eine Pairie in Deutschland geschaffen werden? Der hohe Ades. Mit unserer Gedächtnißrede auf den ftemei; deutschen Adel
sind wir so ziemlich fertig; was noch nachzuholen wäre, be halten wir einigen freundliche!; Nebenbemerkungen zukünftiger Skizzen vor.
Jetzt aber Wender; wir uns zu einem ernsterer;
und erhaberrererr Gegerrstande, den; hoher; Adel Deutschlands, und wünschen nur, daß wir seiner würdig sprecherr, daß wir
den Ton finde;; mögen, der ihn; geziemt.
Ein so nobles Ob
ject verdient offenbar arrch einer; angemessenen Weihrauch der
Sprache, um so mehr als diese Kaste es stets verstander; hat,
sich vor; dem niederen Volke Deutschlands vollkornnrer; abzu schließen und sich vor; jeder Berührung oder gar Verrnischurrg
mit der; Familien der Gemeinen,
Bürger wie
Bauern, in
Aegyptischer oder Indischer Exklusivität ferne zr; hätten.
Dieser
reine Urstarnm altgermanischer; Bülts, der sich nur durch sich
selbst und in sich selbst, gleichsam wie geschlechtslose Pflanzen und andere Wunder der Schöpfung fortpftarrzte, von dem nur
noch grade 100 Familien übrig geblieben sind, die nur den Gattungsbegriff darstellen, reizt offerrbar der; Naturforscher wie
den Geschichtsschreiber
gleichrnäßig an, ihn zum Gegenstand
eurioser Forschung zu machen. — Wem; mar; sich die Frage aufwirft, wie kommt es beim, daß dieser Starnrn der Aristo
kratie, trotz dem daß er von Anfang an, einige Elemente einer
19 wahren Aristokratie in sich trug, iii'ciimld eine wirkliche und
allgemeine Anhällglichkeit
imb Achtullg
im Volke
erringen
konnte, daß die gemeine Freiheit in Deutschland von den Ge
bildeten stets höher geschätzt wurde als die aristokratische Ehre, so giebt es keine andere Alltwort als die, welche in der Ge
schichte der Mißbildung dieser Pflanze liegt.
Die chemischen
Stoffe mld die Lebenskraft derselben warell doch Anfangs gut;
es blühte dieses Edelreis mif eigenem Grund und Boden frei und unabhängig in mattester Zeit
geschützt voll der Mauer
der Jttllnunitätörechte empor; kein Stunnwilld königlicher Un-
gllade kollllte cs elltwurzeln; die allderell Blumen des Feldes, selbst die, welche vom Hallche der
erzogen waren, bellgteil sich ihin.
bloßen gemeinell Freiheit Das Königthunl mib Kai-
serthum goß reiche Giladen über diese Edlen auS; nicht nur fügte cs viele untc Grüllde, Wälder, Felder und Markell zu ihrem ftischcn Wachöthmll hiuzll, fmibmi es sanllllette sie auch llln sich als die schöllstell Zierden des Staats mif dell allge-
meillell Herbst- Ulld Maitagcn des Reiches.
Auch kallll man
nicht sagell, daß die Erblichkeit der Reichöämter, der Graf
schaften ulld Herzogthümcr, der Lehllgrüllde imb Einkünfte, die damit verknüpft waren, dicselll Adel grade in den Augen des
Volks geschadet hätte, wenn sie allch die höchstell Gewalten
des Staates zum Eigenthum der Geschlechter machte und den alten Staat des mächtigell Königthums ulld der Volkssreiheit vernichtete; nein, dasselbe ist allch m allderen Lälldcrn geschehen,
die doch eille wahre, Ullabhällgige, llatioilale Aristokratie be
halten haben.
Noch immer samnleltelr sich um das Panier
dieser gräflichen und firrstlichen Geschlechter Ulld
reihten sich
hinter ihren Heerschildell die freien Ritter, Bürger und Bauern
des Mittelalters;
ja als es sich scholl unter deil
herrlichen
Hohellstaufen gezeigt hatte, daß jene Adlichen die eigentlichen
Feillde der kölliglichen Eülheitsgelvalt Deutschlands waren, daß
in ihrer Landeshoheit der Tod des gemeinsamen Vaterlandes
lag, so blieb das Volk, so Blieben die Stämme Deutschlands doch immer ben nächsten Herrew zu treu, und waren stets zu
2*
20 zerrissen als daß sie sich zu ihrer Vernichtung oder Beschrän
kung hcrbeigclassen hätten, denn das Vaterland war vielleicht zu groß, um Eine Nation, Ein wahres Reich zu bilde»:.
Als
aber dam» die Neichsstandschast als tut sicheres Palladium für
die Bewahrung der einmal so oder so erworbenen Rechte in ihre Hände fast ausschließlich übergcganger» war,
hütete»» sie
obwohl »»ur ei»» Stand wie die hohe Aristokratie
sich wohl,
die Ritterschaft des Reichs
Frankreichs und Engla»»dö,
imb
den Bürgerstand zu Hitciit wahrhafte»» Parlamente wie in an dere»»
Ländern mit sich zu vereinigen u»»d das eigentliche
Volk ü» allgemeiner Vertretung neben sich zu stellen. Dies sollten ja ihre Unterthanen werde»», die Territoriei» sollte»» geschlossert,
aror»dirt »verden;
die Schweizer u»»d Friesländer
Bauern, die Reichsstädte, Alles was noch vor» alter Reichs
freiheit übrig war, galt cs zu unterdrücken, zu erwerbe»», u»»d dazu halfen die Könige »»»»d Kaiser tu ihre»» eigene»» wie »»icht
e»'gc»»er» Gebieter» getrerrlich mit. — Der
deutsche Adel
schloß
das Volk von politi
scher» Rechte»» aus, dies ist sei»» ältester Charakter zug. — Heutigen Tages sieht der Rest des deutscher» hoher» Adels
mit einigen» Neid und frommen Wünschen für sich mtf das Ansehr» und die altbewährte Macht des Eitglischerr Adels hin; damals in» 13. und 14 Jahrhundert würde sich er'»» deutscher
Graf oder Fürst bedankt Haber» mit einem Periy
vor» Nor-
thumbcrland zu tausche»», der mit bloßer» Ritter»» und Gemein ner» des Landes in Einern Parlarirente saß.
Derr» Derttsthc»»
Adel war es gelungen das Königthum des Reiches zr» einem bloße»» Titel zr» machen, der mir noch grrt genug »var, das
Reich für die Heeresirracht a»lszr»bcuten; es »oar ih»r» gelrmger», eine eigne Territorialherrlichkcit zu erwerbe»» r»nd das Reich zu zerreißen — in denselben Jahre»», »vo der Englische Adel vereint mit der Ritterschaft r»r»d den Gemeirrer» die Magna chartä
erföchte»» hatte, in welcher die gemeine Volköfreiheit und Stan desfreiheit für Lords wie für Freisassen aller Grafschaften fest-
21 gestellt wurde — ohne das Königthum zu verruchter:. — DaS
war der Fluch des deutschen Adels, daß er das Königthum
besiegte und sich ganz
vom Volke politisch
Dieser
trennte.
Fluch wirkt bis auf den heutigen Tag und ist schwer, viel
In der Politik rächen sich die
leicht unnlöglich zu sühnen.
Sünden der Vorfahrer: bis tnö tausendste Glied und treffen selbst die — höchst unschuldigen Nachkommen. —
Wir
wollen
schreiben — es
kein wäre
Sündenregister
eine
zu
unsers
hoher:
Adels
leichte Arbeit mrd selbst der
Mühe nicht werth; aber aus den Mangel an politischem Takt
w:b Verstand muß man doch aufmerksarr: rnachen, der darin lag, daß bald nach der errungenen Erblichkeit der Reichsämter und Lehen,
alle Söhne und Töchter, tinb wiederum die Söhne der Söhne
u. sofort, kurz das ganze Geschlecht nut der Annahme von Ge schlechtsnamen den freiherrlicher:, gräflichen urrd fürstlicher: Titel führten, so daß bald eine Menge vor: Graser: ohrre Grafschaf
ten, Freiherrr: ohne Barorüen, ja Fürster: ohrre Fürstenthürner entstanden.
Man
hat neulich
die Frage aufgeworferr,
was
man in Englanb dazu sagen würde, Wern: der Herzog von
Wellington zehr: Söhne urrd diese zehrr wiederum zehr: Söhne
hätten, urrd alle 100 der: Herzogtitel führten?
Wenn man
den Sirrn von Principierr verstehen will, so braucht man sie nur thatsächlich irr ihren Extremen hirrzrrstellen.
Irr Deutsch
land vernichtete sich die Aristokratie selbst, irrdcm sie die Titel so ungeheuer vervielfältigte, daß alle Achtrurg vor derrselben ver
Da konnten es denn die Kaiser urrd Könige, ja die
schwand.
Churfürsten urrd späteren kleinen Souveräne schor: wagen, ohne
alle Rücksicht auf Grafschaften rrnd gräfliche Rechte bloße Ti-
tulargrafen und Titularfürster: u. s. w. nach Gutdürrken zr: ernennen.
Bald fand
mar:
für zwanzig Graser: kaum Eir:e
Grafschaft und nach Besitzern vor: bloßen Stücker: und Split tern einer solchen mit gräflichen Rechter: suchte mar:
häufig
vergebens.
Aristokratie, bei
Wo blieb da der Begriff einer der man doch
ebenso wahrer:
an politische Rechte denken
sollte? Mußte das deutsche Volk nicht in die totalste Verwir-
22 rung mit allem feinen guten Willen für den hohen Adel ge
rathen, wenn es solches Heer von Grafen iinb Gräfinnen, Ba
ronen und Baronessen u. s. w. ohne alle politische Berechti
gung mit bloß
persönlichen Ansprüchen
einander schwirren sah?
bunt durch
In England wußte und weiß man
was man unter einem Lord zu verstehen hat.
Das war und
ist wenigstens der Besitzer einer Baronie oder eines Reichsamles der zugleich das Recht der Vertretung im Oberhause hat. Und wenn man sich auch
mi3 Artigkeit — denn selbst die
Engländer waren Männer comme 11 saut — herbeiließ, dem
ältesten Sohne, d. h. dem präsumtiven Erben des lebenden Vaters den zweiten Titel, der von den Besitzungen des Hauses hergenommen war, zu verleihen, sja sogar die nachgeborenen
Söhne der Herzoge, Markgrafen tmb Grafen aus Kömgö-Courtoisie Lords zu nennen, so bequemte man sich doch niemals,
weiter in dieser höflichen Verwirrungsform herabzusteigen; und selbst die ältesten Söhne, die Erben, um wie viel mehr aber
die nachgeborenen der Viscounts und Barone blieben titellos.
Schon dadurch war ein leichter Uebergaug der Adelsgeschlech ter in das Volk für ihre überflüssigen Sprössen gegeben.
Auch
der französische Adel bewies in der sehr ähnlichen Abstufung
der Titel größern Takt als der Deutsche.
Wobei aber einem
deutschen Adelichen ganz der politische Begriff abhanden kom
men mochte, ivenn er anders ein solches Objekt zu verlieren
hatte, war und ist die Satzung des
englischen Rechts, daß
selbst der älteste Sohn eines Herzogs, ehe er sein volles Erbe
angetreten hat, nm wie viel mehr aber die ältesten und nach geborenen Söhne aller andern Lords yt den
gerechnet werden. wohl noch heute
Auch mögen sich
unsere
— Gemeinen
hohen Familien
mit edler Entrüstung von der plebejischen
Erscheinung kreuzigen, daß der Begriff der Mißheirath und Ebenbürtigkeit niemals von den englischen Gelehrten oder von
der englischen Aristokratie oder vom englischen Volke, oder vom englischen Staate ausgenommen und zu einem Netze ausge
sponnen wurde, womit man arme Vettern,
welche die Liebe
23 zu ihres Ungleichen erzeugte, umgarnte Hub von der Sueces-
ftoii in die Stammeslande und Güter des Geschlechts schloß.
aus
Ja, denkt es Euch, Reichsedle und Mediatisirte, selbst
der englische König, obwohl princeps nobilitatis, konnte der
einst, ehe das Haus Hannover den deutschen Adelsbegriff zu
seinem königlichen Hausgesetze erhob, eine Gemeine Heiratherr und aus solcher Mißheirath konnte — es ist unglaublich rind
doch steht es urkundlich fest ein so königlicher König hervor
Dieser beneidete eng
gehen — als die große Elisabeth war.
lische Adel schämt sich nicht, sich mit deur Volke zu vermischen/ dessen Rechte er mich
neben den seinigen zu vertreten hatte,
er schämt sich nicht, sich durch reiche Heirathen mit den Töch tern des Volks zu recreiren, einigen plebejischen Dünger ans seine entkräfteten Wurzeln zu legen mit frisch ans dem Volke
wieder emporzublühen, zu dem seine Geschlechter stets, nur mit der Einzigen Ausnahme immer Eines Er
ben, alle hinab steigen.
Er kümmert sich wenig darum,
daß nur sehr wenige Geschlechter ein hohes Alter, deren Reihe von Ahnen
bis zum Mittelalter
hinauf nachweisen können,
wenn nur die Substitution der wahren Aristokratie
sich ewig
erhält; selbst der Begriff der Ahnen von der Mutterseite ist ihm abhanden gekommen uud er tröstet sich damit, daß Macht und Adel zugleich erblich von der Vaterseite blieben,
Uner
hört in Deutschland ist es vollends, solche Zeugnisse der Er
niedrigung
zu
finden,
wie wir
sie
in
England
schon
im
15. Jahrhundert haben, daß Häupter von herzoglichen Fami-lien es an die Wähler der Grafschaften und Städte nieder schreiben, wie sie es sich zur Ehre schätzten, wenn ihre Söhne
And.Vettern in das Haus der Gemeinen erwählt würden, wo
sie doch mit Rittern und Bürgern auf Einer Bank saßen. —
Die Idee der Ebenbürtigkeit hat den deutschen Adel zu Grunde gerichtet, sie hat ihn vom Volke getrennt, sie hat ihn unpo
pulär gemacht, sie hat ihm den politischen Begriff eines Volks standes entzogen und mit Recht den Haß einer Kaste erwor
ben, sie hat zuletzt fast den ganzen Begriff unseres Adels auf
24 persönliche Vorzüge imb Rechte gestellt. Aber ihr werbet sagen: Wir waren bereinst regierenbe Falllilien unb bauials hatte es einen Sinn, baß nmn Heiratheil mit unterthänigen Töchtern bcs Lallbes nicht miffcumicii taffen lvollte, imt bas Larlb nicht burch solche lliebrige Verwallbschasten ausbeuten zu fassen. — Abgesehen bavon, baß llicht Alles einen Sinn hat, was einmal einen Sinn hatte unb abgesehen bavon, baß Ihr gerabe bieseö verrufellste aller Farnitiellrechte bis ans ben Heus tigen Tag wie einen Alralm großgezogell imb ausgebilbet habt, erlaubt ihr mir wohl Euch ans Eure vermeintliche Regenten schaft mit ben Worten voll Einenr von Eures Gleichen, wie Ihr ihr: so gcrll nennen würbet, zu antworten imb zwar ftanzösisch, was Ihr ja boch meist lieber mtb besser sprecht als beutsch. Friebrich ber Große sagt: „11s ne jouent le röle de Souverain que sur un trop peilt iheatre! Grands Seigneurs qu’avec leurs domestiques: ce q’uon pourroit leur conseiller de meilleur , seroit, ce me semble, de diminuer en quelque chose l’opinion infinie qu’ils ont de leut grandeur, de la Veneration extreme qu’ils ont pour leur ancienne et illustre Race et du zele inviolable qu’ils ont pour leurs Armoiries, — La plupart des petits Princes, et nommement ceux d’Allemagne, se ruinent par la depense excessive, ä proportion de leurs revenus que leur fait faire Fivresse de leur vaine grandeur; ils s’abiment pour l’honneur de leur Maison et ils prennent par vanite le chemin de la misere et de l’höpital; il n’y a pas jusqu’au Cadet du Cadet d’une Ligne appanagee , qui ne s’imagine d’etre quelque chose de semblable ä Louis XIV., il bätit son Versailles, il a ses maitresses, il entretient ses armees (un soldat et demi!) Aus Eitelkeit gingen sie ben Weg bes Elenbes unb ber Tobeskranken! Unb als enblich bas gnäbige Schicksal sie von ihrer Quasi - Souverainetät befteit unb bie beutsche Bunbesakte sie zu einem wirklichen hohen Lanbes-Abel für alle ein zelnen Staaten Deutschlanbs gemacht hatte — ba gewiß, ba
25 hätte mein doch ginnten sollen, sie würden gelernt haben, sich
mm anch zu einem Volksadel nmzngestalten, die nichtsnutzige und zweischneidige Ebenbürtigkeit, durch ihre Familienstatuten
beseitigen, die Prätendententitel der jüngeren Söhne und Töch ter wegschneiden
und endlich zu begreifen,
daß jede
wahre
Aristokratie nur aus der Zahl von Wenigen hervorragenden politischen Personen bestehen kann
—
aber Nichts von Alle
dem — kein Versuch, sich mit den deutschen Volksklassen zu verbinden, sich den Bedürfnissen der Zeit gemäß umzubilden,
wohl aber viel heimlicher Neid (die Faust in der Tasche!)
gegen die glücklicheren ihrer ehemaligen Standesgenossen, die regierenden Fürsten/)
und
bisweilen selbst, ein schadenfrohes
Liebäugeln mit den radikalsten Parteien des Tages.
Niemals
hat auch nur Einer von ihnen die Initiative ergriffen, um es auf dem Wege der Gesetzgebung zu der Bildung einer wahr haften Patrie zu bringen, deren Häupter sie hätten sein kön
nen.
Aber freilich^, wir wissen nicht, ob sie sich jemals die
Mühe
genommen
haben,
auch
nur
über
die
wesentlichen
Grundlagen einer solchen Institution, wenn sie sich halten soll, und
ihre
nothwendigen
Bedingungen
nachzudenken.
Denn
fteilich ist es nicht genug, einen Stamm von erblichen großen Grundbesitzern zu haben, sondern alle großen und hervorragen
den Elemente des Volks und Staates müssen in dieser Aristo kratie vertreten sein, damit, sie einen sich fortlaufend verjün
genden Charakter und Bestand gewinne.
Sieht man wieder
aus England, sy haben wir dort in der Zusammensetzung und fortlaufenden Ergänzung des Oberhauses, wenn auch nicht gerade
in allen seinen persönlichen Bestandtheilen doch gewiß in den
Principien seiner Bildung und Fortentwicklung das Muster einer
Aristokratie, wirklichen
die sich
als ein politischer Gesammtbegriff von
volksthümlichen
Interessen
und
Größen
erhalten
*) Wir wissen sehr wohl, daß es ehrenwerthe Ausnahmen giebt, aber in Bezug auf die Mehrzahl und den Stand ist dieser Vorwurf ebenso begründet wie erklärlich.
25 Wir haben' zuerst in demselben aller
kann und erhalten hat.
dings etwa 200 weltliche Lords/) welche den eigentlichen erb
lichen
Adel
des
Landes
bilden
die
und
man znm großen
Theile als Repräsentanten des großen Grundeigenthums an sehen samt.
Ihre Bedeutung liegt darin,
daß sie zwar ur-
sprünglich vom Königthum ernannt, doch kraft ihres Vermö gens uni) der Erblichkeit ihrer Standschaft eine solche Unab
hängigkeit und Freiheit der Gesinnung erwerben können, daß
häufig das Talent, (das man in Deutschland gewöhnlich in politischen Dingen zu einseitig anschlägt) wo es nicht vorhan den ist, durch Charakter ersetzt wird.
Aber gerade diese
erbliche Pairie wird ergänzt and den großen Talenten,
Staatsmännern des Landes, meinen oder
den
welche and dem Hause der Ge
anderem Staatsdienste in das Oberhaus durch
die Ernennung des Königthluns übergehen.
Es giebt wohl
feine irgend bedeutende Regierung eines englischen Königs seit der Reformation, die nicht für die Auffrischung der Aristokratie
durch bedeutende Talente, Staatsmänner, Richter und große
Generale gesorgt hätte.
Aber eben weil diese Aristokratie ganz
auf ihre Kosten ihr Leben den Staatsgeschäften widmen muß,
so war das Königthum gezwungen, bei seiner Auswahl aus deil Staatsmällnerrr zur Peerscreirung stets darauf Rücksicht zu nehmen oder dafür zu sorgen, daß wenigstens ein hinreichen des Verrnögen
ihre Unabhängigkeit
sichere.
Dies
war eine
genügende Bürgschaft gegen den Mißbrauch des könig
lichen Ernennungsrechtes, das
Mld ist.
sonst unbeschränkt
war
Uebrigens bestand lloch unter dell Stuarts eine ganz
bestimmte Tradition von einem Census d. h. von reinen Ein
künften aus Grundeigenthum (nach Abzug aller Schulden), der
von den Peers wenigstens erreicht werden müsse, wenn
dieselben zu Mitgliedern des Oberhauses ernannt werden oder darin bleiben sollten; und es ist vorgekommen, daß einzelne
*) Etwa 200 wirklich Adliche auf circa 30 Millionen der Be völkerung; das mag sich unser Adel vorzüglich merken.
27 Peers wegen Armuth oder Schulden vom Sitze im Oberhause
ausgeschlossen wurden.
Auch hat man üi England bis eins den
heutigen Tag in den Darstellungen des öffentlichen Rechts die
Frage wiederholt, ob es nicht nützlich! wäre, ein eignes Cen-
soramt übe^ die Pairie zu gründen, welches unwürdige oder unqualificirte Personen auszuschließen hätte, wie
ein solches
Institut in Rom, in den Aristokratien von Venedig und Genua bestand/) — Haben wir aber so schon in den bisher erwähnten Grundlagen dieser Aristokratie theils durch das In
stitut des Englischen Adels selbst, theils durch die königliche
Ernennung
eine fortlaufende Ergänzung
derselben aus
dem
Volke und ein fortlaufendes Herabsteigen und Verbin den seiner Geschlechter mit dem Volke, so kommt noch
hinzu, daß das Princip der Erblichkeit keineswegs das Einzige
ist, welches den politischen Begriff der englischen Pairie aus macht. Bekanntlich sind außer den höchsten Würdenträgern der Kirche auch die höchsten Richter des Landes kraft ihres
Amtes Mitglieder des Oberhauses und die Schottischen und Irischen Adelsfamilien sind nur durch Wahl aus ihrer Mitte in bestimmter Zahl darin vertreten.
So wird der Begriff
des Adels allein durch den Begriff des Oberhauses gegeben; er wird ein rein politischer Begriff, kein persönlicher, und im Oberhause sind königliche Ernennung,
Geburt, Wahl und Amt die verjüngenden Kräfte, während freier und unabhängiger Staatsdienst, Tradition senatorischer Würde und Gesinnung, Vertretung hervorragender Interessen And Elemente des Staats die Grundlagen sind. —
Kann man nun eine solche Institution in einem anderen Staate nachahmen? Kann man sie verpflanzen? Das ist eine
sehr zweifelhafte Frage. Alle bisherigen Versuche in Frank reich wie in Deutschland sind gescheitert, aber offenbar daran
*) Was würde unser Adel dazu sagen, wenn er durch ein sol ches Amt auch seine persönlichen Rechte mit den politischenverlieren sollte?
28 gescheitert, d aß man immer nur etwas Halbes schuf
und
in
Deutschland
namentlich
nicht
hatte, die Art an die Wurzel zu legen.
den
Muth
Wir sind kein
Bekenner eines alleinseligmachenden Glaubens an die Englische Verfassung
und
verlangen, daß
nach unseren Vedürfnissen,
aber wohlverstanden Bedürfnissen — nicht nach Einbildungen
und Vorurtheilen, die erstell Kammern reformirt werden müs sen ; nlit andern Worten, wir werden in Deutschland auch noch
einige andere Elemente einer wahren Aristokratie, namentlich die unseres höheren Staatsdienstes, der großen Ge werbe ulld des
großen Handels, in die Pairie aufnehmen
müssen, aber damit ist immer nnr sehr wenig gethan, wenn man die Operation
ilicht vollständig dllrchführt, das faule
Fleisch gänzlich herausschneidet, den gallze Krebs beseitigt und
das gesunde Leben alleill übrig läßt.
Der König von Preußen
meinte es offenbar gut, als er bald llach dem Antritte seiner Regierullg einen Majoratsadel gründen wollte, aber der Ver such mißlallg gäilzlich, weil er des politischen Begriffs ermangelte, weil dabei übersehen war, daß inan politische Institute
mit auf dem Boden politischer Rechte imb Interessen gründet, und eine wahre Aristokratie niemals
aus
persönlichen Vor
rechten entstehen kanrl. Es war daher jener preußische Ma joratsadel mehr eill politisches Abschreckungsmittel als eine Lock speise für die ehrenwerthesten bürgerlichen großell Grundbesitzer in
Preußerl, und wenn wir nicht sehr irren, ist fehl einziges Ma
jorat in Folge davon gegründet worden. — Unsere meisten ersten Kammern in Deutschland ftnb entweder schon ihrer
ehemaligen Elemente entkleidet oder haben ihren Halt in der öffentlichen Meinung verloren und dennoch ist es gerade we gen der nach rein demokratischen Principien zusam mengesetzten zweiten Kammern nothwendig, ein wahr
haft aristokratisches Element in die ersten Kammern zu bringen.
Diese Nothwendigkeit macht sich für das Königthum d.
h.
fi'ir die eigentliche Regierungs- und Exekutivgewalt am mei sten fi'ihlbar, weil dieses sonst gar keinen Theil, gar keine
29 Verbindung, gar keinen
eonstituirten Einfluß
innerhalb
der
Volksrepräsentation haben würde, wenn alles von den Wahlen
des Volkes allein ausginge.
Es ist jetzt in der That die Frage,
ob künftighin Königthum und Deniokratie allein sich gegen überstehen, .mit einander kämpfen iNid sich zeitweise auf dem
Bodeii der Gesetzgebiing vertragen sollen, oder ob es noch mög
lich ist iind ob man die Kraft habeii wird, ein Mittelglied,
eine Verbindung in wahrhaft aristokratischen Elementen,
die
zugleich volköthümlich
und eine Stütze des König
thums sind, zu schaffen.
Ist das Letztere nicht der Fall,
so hat die Stunde des Königsthums geschlageii, früher oder
später wird cs fallen und
der Versuch eirier Republik ivird
stets wiederkehreli — bis mich er sich versaufen hat und sein
natürlicher Zwillingsbruder nt den größeren Europäischen Staa ten, irgend ein Despot ihn ablöst.
Das Bedürfniß der Be
nutzung vorhandener aristokratischer Elemente und der Ausbil
dung derselben ist aber ein allgemein deutsches, namentlich in den größeren Staaten wird es gefühlt; mir sie können etwas Tüchtiges und Dauerndes
schaffen, den
wenn
Anlaß
handeln.
da den
mediatisirten
kerrechtlich
verbürgt
schaffen,
und
sie können es nur
übereinstimmend
sie
dazu
ist
ihre
Familien
sind
und
unter
um
und so
mehr
entschie
gegeben,
Standschastörechte
völ
ihnen — wegen
ihrer
allerdings noch großen Besitzungen und Einkünfte — wahr
hafte
Elemente
eines
allgemein
deutschen
Adels
eristiren.
Es giebt noch Familien unter ihnen, auf deren Besitzungen mehrere tausend, ja 30,000 50,000 bis 100,000 Einwohner
leben, von denen doch ein großer Theil auf sie schaut und von ihnen abhängig ist. zu leugnen,
Da wäre es doch wahrhaftig lächerlich
daß wir noch eine deutsche Aristokratie haben.
Nur das unglückliche Verhältniß ihrer Vertheilung, nament
lich in den kleineren Staaten, wo ein paar solcher politisch be
rechtigter Personen oft ganzen Volkskammern entgegengestellt werden müßten, ohne daß sich an sie eine Regeneration
der Landesaristokratie im politischen Sinne anschloß.
30 hat sie zu Grunde gerichtet oder sie
nur dieser Mangel
dort in ihrer jetzigen Form als bloße Spitze eineö verrotteten
Adels unmöglich gemacht. Warum sollten
sich aber
nicht au
diesen
aristokratischen
Namen nachdem man die Schmarotzerpflanzen, die sich an ihn anktammern, entfernt, und die dürren unb überflüssigen Zweige abgebrochen hat, die größten Grundbesitzer, die Eigenthümer
der größten Gewerbe unb vielleicht auch die der größten Han-
delshäuser
anschließen
können,
weiln matt einen bestimmten
Census des Einkommens oder schuldenfreien Vermögens für sie
festsetzt
die kölligliche ErllcllNlNlg wie die Wahl solcher
und
Corporationen danach beschränkt.
Von: Hasse gegen das große
Eigenthum wird urnit doch bei und in Deutschland lücht mehr ernstlich reden; diese Phrase der Abgeschmacktheit, die nie eine
Berechtigung bei und gehabt hat, hat allch bereits die Bcdeutung Valoren, welche der Unsinn bisweilen in Zeiten der po litischen ©türme gewinnt.
Das große Eigenthlllll ist berech
tigt, weil es belastet ist;
weil es größere Unabhängigkeit der
Gesillnung, höhere Bildung, Einsicht imb größeres Interesse
an der Bewahrung der Grundlagen des Staats ulöglich, ja wahrscheinlich
macht.
Geht
dieses
Eigenthmll
verloren,
so
müssen auch die politischen Rechte verloren gehen; nur dadurch erhält sich eine Pairie,
erhält sich ein politischer Adel.
Das
Königthum hat an ihm eine lvahre Stiitze, weil es eine dritte
unabhängige, frei eonstituirte Macht des Staates zlvischcn ihm und der reinen Demokratie ist.
Kann sich aber das König
thum, kann sich der kleine Rest des wahren Adels in Deutsch land nicht entschließen in ganz gleiche Rangverhältnisse (we
nigstens kategorisch) mit diesen neuen aristokratischen Elementen,
den homines novi einzutreten und mit ihnen Einen politischen Stand zu
bilden,
kann
man
sich
nicht
entschließen (etwa
ähnlich wie dies in Norwegen geschehen ist,
wo man indeß
noch weiter ging*) alle schädlichen und überflüssigen Glieder
*) Wir würden nur Vorschlägen die bedeutungslosen und ver wirrenden Adelstitel zu nehmen, den Geschlechtsnahmen stehen zu
31 und Zweige unsers verrotteten kleinen Adels ab sterben zu las
sen, mit den gegewärtigen Besitzern mich alle Prätendenten
titel der Bedeutungslosigkeit aus immer, ohne Hoffnung der Wiederauferstehung im christlich-germanischen Staat, untergchen
zu lassen, kann man sich nicht entschließen, das Hofjuukerwe-
sen und was daran für Volk und Staatödiener wie für das Königthum Schädliches hängt, aufzngeben, so fange man die
Bildung einer Pairie lieber gar nicht an.
darin nur den.Hafi und Reid, gegen ein
solches Institut
wenn
aufregen,
Deutschland nun einmal gewohnt ist,
Man wird
nicht die Verachtung,
das
mau bei uns
in
als die bloße Spitze
eines gänzlich verkommenen Adels anzusehen.
Die gesellschaft
liche Exclusivität der Herrn Pairö von altem Blut wird ihnen deshalb unbenommen bleiben.
Niemand wird ihnen das Recht
bestreiten, sich unter sich allein zu ennuyiren oder zu amüsiren, wenn dies möglich ist.
Auch mancher Englische Lord hat sich
schon zu Tode gelangweilt, ohne daß deshalb die Grundfesten
des Englischen Staats erschüttert wurden.
Nur das König
thum darf sich in dieser Art nicht von den verschiedenen Volks klassen abschließen, am wenigsten in einer Zeit, wo man offen
bar nach der Gestaltung neuer politischer Stände strebt, wo man Associations- und Vereinsrecht als die Grundlage neuer
gesellschaftlicher Bildungen überall einführt; Traurigeres als einen König, der
es
giebt nichts
nicht König
über seinem
ganzen Volk, sondern nur Aristokrat ist.
Das Beispiel Karls X.
ist hier eine Warnungs-Tafel der neueren Geschichte, die deut
lich genug geschrieben wurde.
Wären bei ihm nicht die Vor
züge eines Aristokraten nach dem Genie des alten Regime zu
Fehlern des Königs geworden, seine Familie säße
dem Throne von Frankreich.
noch auf
Die Person deö Königs und
sein persönliches Benehmen läßt sich nun einmal in der Wirk lichkeit nicht vom politischen Königthum trennen; eine solche
lassen und den größten Theil des Adels aussterben zu lassen; in Norwegen schaffte man ihn , ganz und gar ab.
32 Trennung sann mir von der Theorie abstrakter Stubengelehr-
sainkeit gemacht, von der Rhetorik der Dummheit vertheidigt und im Schllmnner gedankenloser Betrachtung geglaubt wer
den. — Ein altes Sprichwort sagt, üble Gewohnheiten und Sitten sind schwer auSzurotten;
Kraft,
als
bloße
gesetzliche
gewiß gehört
Mißbräuche
dazu
größere
abzuschaffen.
Wer
mag vor: Vorurtheilen gern sich befreieil? Aber wir wiederholerr es, es ist dies eine Eristenzfrage des wahren constitu-
tiotlellell Staats, eine Existenzfrage wahrscheinlich
allch
des
des
Kölligthnnls.
lvahreil Adels lUld
Der
Verfasser
dieser
^lrtikel ist sich bewußt alls keiner niedern Leidenschaft, Haß oder Neid geschrieben zu haben; er zählt viele Mitglieder des
sogerlanlltell Adels zu seinen besten Freunden und hat sie von Jllgend mtf dazil gezählt; er würde diese Artikel nicht geschrie
ben haben, wein: er nicht voil der Nothwendigkeit überzeugt wäre,
die volle Wahrheit rücksichtslos zu sagen lind sie als
die lulerschütterliche Ueberzeugung unabhängiger Mällller aus allen Gegenden Deutschlands,
die für Königthunl
Staatsformen Sinn haben, hinzustcllen.
mld freie
Das Glockengeläute
der neuen Zeit wird llicht eher vtrflumnictt als das Begräbuiß abgeschiederler lUld verwesender Ileberliefernngcn vollzegell ist.
Soll
es
aber
zugleich
die Auferstehung
noch
wirklich
lebender Geister Ulld Körper des Staats verkünden, so müssell wir allch die Todten lvirklich begraben Mld für die Lebendell
Platz
lllld
gestlndell
Siaitin der
Erhaltllllg
schaffen.
Ob
Sterbetag oder Auferstehungötag, ist die Frage, aber das ist
feilte Frage, daß man die Axt radieal all dcil Stanlnl legen
muß, wo für nette Saateil eilt ttcueö Feld gerodet werden soll. —
Druck von Trowitzsch und Sohn in Berlin.