Fichtes 'Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre' von 1794 3534166663, 9783534166664

Hier wird erstmals in einen der faszinierendsten und schwierigsten Texte des Deutschen Idealismus eingeführt. Zunächst a

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German Pages 272 [274] Year 2006

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Inhalt
Einleitung
I. Der erste Grundsatz (Form unbedingt; Gehalt unbedingt): Ich = Ich (11–21/FW I, 91–101)
1. Die Hinführung zum Ich-Prinzip und die Tathandlung (11–15/FW I, 91–95)
2. Die Struktur des Ich-Prinzips und die notwendige Unbestimmtheit des absoluten Ich als Tathandlung (15–18/FW I, 95–98)
3. Die Methode des doppelten Abstraktionsverfahrens zur Grundlegung von formaler Logik und Kategorienlehre (18–19/FW I, 98–99)
4. Historische Bezüge (19–21/FW I, 99–101)
a) Kant
b) Descartes
c) Reinhold
d) Spinoza
e) Leibniz
II. Der zweite Grundsatz (Form unbedingt; Gehalt bedingt): Nicht-Ich ≠ Ich (21–25/FW I, 101–105)
III. Der dritte Grundsatz (Form bedingt; Gehalt unbedingt): Dem teilbaren Ich ist ein teilbares Nicht-Ich entgegengesetzt (25–43/FW I, 105–123)
1. Die Deduktion des dritten Grundsatzes (26–43/FW I, 106–123)
2. Die Entwicklung des Widerspruchs (26–27/FW I, 106–107)
3. Die Lösung des Widerspruchs durch Limitation (27–29/FW I, 107–109)
4. Prüfung der Lösung (29–30/FW I, 109–110)
5. Begriffs- und urteilslogische Konsequenzen der Limitation. Synthetische und antithetische Urteile und der Satz vom Grund (30–35/FW I, 110–115)
6. Konsequenzen aus der Lehre vom antithetisch-synthetischen Urteil für die Methode der theoretischen Wissenschaftslehre (34–35/FW I, 114–115)
7. Thetische Urteile (35–40/FW I, 115–119)
8. Skeptizismus, Realismus und Idealismus (40–43/FW I, 119–123)
IV. Die Grundlage des theoretischen Wissens (44–164/FW I, 123–246)
1. Die Gegensätze des dritten Grundsatzes als Lehrsätze von Theorie und Praxis (46–48/FW I, 125–127)
2. Die Synthesis und Kategorialisierung der Wechselbestimmung (48–52/FW I, 127–131)
3. Die Synthesis und Kategorialisierung der Kausalität: Das Ich als Bewirktes und das Nicht-Ich als Ursache (52–58/FW I, 131–136)
4. Die Synthesis und Kategorialisierung der Substanz: Das Ich als Substanz (Totalität der Realitäten) und als Akzidenz (eine spezifische Realität) (58–66/FW I, 136–145)
5. Die Synthesis E (66–164/FW I, 145–246)
a) Einbildungskraft und grundlegende Handlungsstrukturen des Bewusstseins (66–137/FW I, 145–217)
b) Idealismus und Realismus in der Synthesis E – Subjekt, Objekt, mittelbares Setzen, Anstoß, Zeit und Einbildungskraft (66–137/FW I, 145–217)
c) Pragmatische Entwicklung des menschlichen Geistes und die Ebene der Faktizität des Bewusstseins (137–146/FW I, 217–227)
d) Deduktion der Vorstellung und das Ineinandergreifen der menschlichen Geistesfähigkeiten – Reflexion und Produktion der Erfahrung (146–164/FW I, 227–246)
V. Die Grundlage der Wissenschaft des Praktischen (165–244/FW I, 246–328)
1. Praktische Selbstverwirklichung und Gefühl (165–186/FW I, 246–269)
2. Die egologische Einheit von Reflexion und Streben im Sittengesetz (187–199/FW I, 270–282)
3. Wirklichkeit als Projektion innerer Empfindungen in den äußeren Raum. Die praktische Bedeutung des Dings an sich (199–201/FW I, 282–285)
4. Differenziertere Bestimmung von Streben und Gegenstreben, Trieb und Gefühl, Zwang und Sehnen (202–238/FW I, 285–322)
5. Die Einheit des Ich mittels des Wechseltriebs (236–238/FW I, 320–322)
6. Vollendung des Systems der Triebe im Gefühlsleben und der Harmonie des Ich. Kategorischer Imperativ und Spontaneitätstrieb (238–244/FW I, 322–328)
Resümee
Anmerkungen
Literatur
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Fichtes 'Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre' von 1794
 3534166663, 9783534166664

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Rainer Schäfer Johann Gottlieb Fichtes ›Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‹ von 1794

WERKINTERPRETATIONEN

Rainer Schäfer

Johann Gottlieb Fichtes ›Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‹ von 1794

Für Irene

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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ISBN-13: 978-3-534-16666-4 ISBN-10: 3-534-16666-3

Inhalt Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. Der erste Grundsatz (Form unbedingt; Gehalt unbedingt): Ich = Ich (11–21/FW I, 91–101) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Hinführung zum Ich-Prinzip und die Tathandlung (11–15/FW I, 91–95) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Struktur des Ich-Prinzips und die notwendige Unbestimmtheit des absoluten Ich als Tathandlung (15–18/FW I, 95–98) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Methode des doppelten Abstraktionsverfahrens zur Grundlegung von formaler Logik und Kategorienlehre (18–19/FW I, 98–99) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Historische Bezüge (19–21/FW I, 99–101) . . . . . . . . . . a) Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Descartes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reinhold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Spinoza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Leibniz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Der zweite Grundsatz (Form unbedingt; Gehalt bedingt): Nicht-Ich ≠ Ich (21–25/FW I, 101–105) . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Der dritte Grundsatz (Form bedingt; Gehalt unbedingt): Dem teilbaren Ich ist ein teilbares Nicht-Ich entgegengesetzt (25–43/FW I, 105–123) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Deduktion des dritten Grundsatzes (26–43/FW I, 106–123) 2. Die Entwicklung des Widerspruchs (26–27/FW I, 106–107) . . 3. Die Lösung des Widerspruchs durch Limitation (27–29/FW I, 107–109) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prüfung der Lösung (29–30/FW I, 109–110) . . . . . . . . . . . 5. Begriffs- und urteilslogische Konsequenzen der Limitation. Synthetische und antithetische Urteile und der Satz vom Grund (30–35/FW I, 110–115) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Konsequenzen aus der Lehre vom antithetisch-synthetischen Urteil für die Methode der theoretischen Wissenschaftslehre (34–35/FW I, 114–115) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

7. Thetische Urteile (35–40/FW I, 115–119) . . . . . . . . . . . . 8. Skeptizismus, Realismus und Idealismus (40–43/FW I, 119–123) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Grundlage des theoretischen Wissens (44–164/FW I, 123–246) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gegensätze des dritten Grundsatzes als Lehrsätze von Theorie und Praxis (46–48/FW I, 125–127) . . . . . . . . . 2. Die Synthesis und Kategorialisierung der Wechselbestimmung (48–52/FW I, 127–131) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Synthesis und Kategorialisierung der Kausalität: Das Ich als Bewirktes und das Nicht-Ich als Ursache (52–58/FW I, 131–136) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Synthesis und Kategorialisierung der Substanz: Das Ich als Substanz (Totalität der Realitäten) und als Akzidenz (eine spezifische Realität) (58–66/FW I, 136–145) . 5. Die Synthesis E (66–164/FW I, 145–246) . . . . . . . . . . . . a) Einbildungskraft und grundlegende Handlungsstrukturen des Bewusstseins (66–137/FW I, 145–217) . . . . . . . . . . b) Idealismus und Realismus in der Synthesis E – Subjekt, Objekt, mittelbares Setzen, Anstoß, Zeit und Einbildungskraft (66–137/FW I, 145–217) . . . . . . . . . . c) Pragmatische Entwicklung des menschlichen Geistes und die Ebene der Faktizität des Bewusstseins (137–146/FW I, 217–227) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Deduktion der Vorstellung und das Ineinandergreifen der menschlichen Geistesfähigkeiten – Reflexion und Produktion der Erfahrung (146–164/FW I, 227–246) . V. Die Grundlage der Wissenschaft des Praktischen (165–244/FW I, 246–328) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Praktische Selbstverwirklichung und Gefühl (165–186/FW I, 246–269) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die egologische Einheit von Reflexion und Streben im Sittengesetz (187–199/FW I, 270–282) . . . . . . . . . . . . 3. Wirklichkeit als Projektion innerer Empfindungen in den äußeren Raum. Die praktische Bedeutung des Dings an sich (199–201/FW I, 282–285) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Differenziertere Bestimmung von Streben und Gegenstreben, Trieb und Gefühl, Zwang und Sehnen (202–238/FW I, 285–322) 5. Die Einheit des Ich mittels des Wechseltriebs (236–238/FW I, 320–322) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Vollendung des Systems der Triebe im Gefühlsleben und der Harmonie des Ich. Kategorischer Imperativ und Spontaneitätstrieb (238–244/FW I, 322–328) . . . . . . . . . . 226 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

Einleitung Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre entsteht 1794/95;1 in ihr bildet das freie Ich das Prinzip, aus dem alle erkenntnis- und praxisrelevanten Bestimmungen abgeleitet werden sollen; durch diese Ableitung aller wesentlichen Bestimmungen aus der Freiheit des Ich erwirbt sich die Philosophie den Titel einer „Wissenschaftslehre“ – sie ist also nicht mehr eine bloße Liebe zur Weisheit, sondern ein systematisch gerechtfertigtes Wissen: „Das Wort Philosophie kann kaum beibehalten werden. Es wird unbrauchbar werden“.2 Fichte hielt sich im Winter 1793/94 in Zürich auf. Bis zu dieser Zeit hatte er in Reinholds Elementarphilosophie ein tragfähiges Konzept gesehen, das systematisch Kants kritisches Programm weiterführt. Mit der Transzendentalphilosophie der drei Kritiken Kants hatte sich Fichte im Sommer 1790 intensiv beschäftigt und in ihr „eine unüberwindliche Festung“3 gesehen. – In Leipzig hat Fichte in diesem Jahr als Hauslehrer einem Studenten Privatunterricht in der Philosophie Kants erteilt. – Reinhold entwirft als Basis aller menschlichen Vollzüge eine Theorie der Vorstellung, welche die allgemeinen Voraussetzungen von Kants Idealismus klären soll. Hatte Kant mit sinnlicher Anschauung, reinem Verstandesbegriff, transzendentalem Schema, praktischer Vernunftidee etc. zwar verschiedenartige Wissensquellen entworfen, so fehlt nach Reinhold die Ausarbeitung der gemeinsamen Wurzel dieser Verschiedenartigen, die gemeinsame Gattung. Das Gemeinsame aller menschlichen Vollzüge ist nach Reinhold die Vorstellung im Bewusstsein. Im Zentrum von Reinholds Elementarphilosophie steht daher der Satz des Bewusstseins; er besagt: „dass die Vorstellung im Bewusstseyn durch das Subject vom Object und Subject unterschieden und auf beyde bezogen werde“.4 Wohl seit Herbst 1792 beschäftigt sich Fichte dann mit Reinholds Elementarphilosophie. Noch Anfang 1794 schreibt er die Eignen Meditationen über Elementarphilosophie nieder, dabei handelt es sich um eigenständige Reflexionen, Skizzen und kritische Weiterführungen zu Reinholds Elementarphilosophie.5 Der Skeptiker Gottlob Ernst Schulze hatte allerdings in der anonym veröffentlichten Schrift Aenesidemus, oder über die Fundamente der von dem Hrn. Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skepticismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik (1792) sowohl Kants Transzendentalphilosophie als auch die Weiterführung des Kantischen Kritizismus durch die Elementarphilosophie

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Einleitung

Reinholds derart mit treffenden skeptischen Einwänden angegriffen, dass Fichte die Elementarphilosophie Reinholds hinsichtlich ihres fundamentalistischen Anspruchs als widerlegt ansah. Fichte hatte sich im November 1793 unmittelbar nach der Hochzeitsreise durch einige Schweizer Kantone intensiv mit Schulzes Aenesidemus-Schrift auseinandergesetzt, da er hierüber eine Rezension für die Allgemeine Literatur-Zeitung anfertigen wollte. Fichte hatte Schulze – der auch ein ehemaliger Mitschüler Fichtes in Pforta war – als Autor der anonymen Schrift erkannt. Die AenesidemusRezension Fichtes erscheint dann im Februar 1794. Hier akzeptiert Fichte die skeptische Kritik Schulzes an Reinhold und will sie produktiv für die Erschließung eines wirklich fundamentalen Prinzips des Wissens aufnehmen und umsetzen. Fichte entwirft daher eine neue Grundlegung der Philosophie, die in der Aenesidemus-Rezension allerdings nur andeutungsweise zur Sprache kommt. Diese durfte nicht mehr den Satz des Bewusstseins zur Basis haben, weil er zu voraussetzungsreich und nicht unmittelbar evident ist. Fichte kritisiert, dass im Satz des Bewusstseins nicht durch sich selbst unmittelbar klar ist, was „unterscheiden“, „beziehen“ und „vorstellen“ bedeuten; des weiteren ist er zwar für das theoretische Vorstellen von elementarer Bedeutung, aber hinsichtlich des praktischen Wollens ist er unbestimmt, denn der praktische Wille unterscheidet und bezieht nicht nur Subjekt und Objekt mittels der Vorstellung, sondern er greift aktiv handelnd auf das Objekt über und kann sich auch selbständig modifizieren; der Satz des Bewusstseins ist auch hinsichtlich einer gemeinsamen Wurzel von theoretischer und praktischer Vernunft unbestimmt. Fichte will als gemeinsame Wurzel beider Vernunftformen die Subjektivität geltend machen. An der Konzeption einer Grundsatzphilosophie hält er fest, denn nur durch einen Grundsatz, auf den alle weiteren Sätze und Bestimmungen zurückgeführt werden können, erlangt die Philosophie den Status einer systematischen Wissenschaft. Der Grundsatz bzw. die Grundsätze dürfen aber nicht mehr das in sich komplex und voraussetzungsreich strukturierte, bloß theoretische Bewusstsein als Fundament allen Wissens aufstellen. Fichte entwirft das Ich als Fundament des Bewusstseins, das in einem Grundsatz zum Ausdruck kommen soll. So berichtet Heinrich Steffens in Was ich erlebte über Fichtes Einsichten des Winters 1793/94: „Ich erinnere mich, wie Fichte in einem engen vertrauten Kreise uns die Entstehung seiner Philosophie erzählte, und wie ihn der Urgedanke derselben plötzlich überraschte und ergriff. Lange hatte ihm vorgeschwebt, wie ja die Wahrheit in der Einheit des Gedankens und des Gegenstandes läge; er hatte erkannt, dass diese Einheit innerhalb der Sinnlichkeit niemals gefunden werden konnte, und, wo sie hervortrat, wie in der Mathematik, erzeugte sie

Einleitung

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nur einen starren unlebendigen Formalismus, dem Leben, der Tat völlig entfremdet. Da überraschte ihn plötzlich der Gedanke, dass die Tat, mit welcher das Selbstbewusstsein sich selber ergreift und festhält, doch offenbar ein Erkennen sei. Das Ich erkennt sich als erzeugt durch sich selber, das denkende und das gedachte Ich, Erkennen und Gegenstand des Erkennens, sind eins, und von diesem Punkte der Einheit, nicht von einer zerstreuenden Betrachtung, die Zeit und Raum und Kategorien sich geben lässt, geht alles Erkennen aus. Wenn du nun, fragt er sich, diesen ersten Akt des Selbsterkennens, der in allem Denken und Tun der Menschen vorausgesetzt wird, der, in den zersplitterten Meinungen und Handlungen verborgen liegt, rein für sich heraushöbest, und in seiner Konsequenz verfolgtest, müsste nicht in ihm, aber lebendig tätig und erzeugend, dieselbe Gewissheit sich entdecken und darstellen lassen, die wir in der Mathematik besitzen? Dieser Gedanke ergriff ihn mit einer solchen Klarheit, Macht und Zuversicht, dass er den Versuch, das Ich als Prinzip der Philosophie aufzustellen, wie bezwungen von dem in ihm mächtig gewordenen Geiste, nicht aufgeben konnte. So entstand der Entwurf einer Wissenschaftslehre und diese selbst.“6 Mit der abzulehnenden „zerstreuenden Betrachtung, die Zeit und Raum und Kategorien sich geben lässt“, dürfte wohl Kant gemeint sein, der in der Kritik der reinen Vernunft die Anschauungsformen, Raum und Zeit, sowie die Kategorien nicht selbst aus der Einheit des Selbstbewusstseins herleitet, sondern als unhintergehbar gegeben voraussetzt. An dem Zitat wird auch deutlich, dass die Ursprungsfrage des Fichteschen Philosophierens die Bestimmung des Wesens der Wahrheit war. Wahrheit versteht er offensichtlich als die Einheit, d. h. die kohärente Einstimmigkeit von einerseits Gegenstand und andererseits Gedanke. Um wahr zu sein, muss der Gedanke in einem Urteil dem Gegenstand angemessen sein. Das Paradigma dieser Einstimmigkeit ist das Ich, weil in diesem auf ursprüngliche Weise Gegenstand (zu Erkennendes) und Gedanke (Erkennendes) identisch sind. Zwischen November und Dezember 1793 teilt Fichte aus Zürich dem Professor für Philosophie Johann Friedrich Flatt am Tübinger Stift in einem Brief mit, dass er nach der skeptischen Krise, in die ihn die Abhandlung Schulzes geworfen hatte und die die Grundfesten seines eigenen philosophischen Systems erschütterte, nun den Grundsatz gefunden habe, durch den die Philosophie Wissenschaft und System wird; dieser Grundsatz habe ebensoviel Evidenz wie die Sätze der Geometrie.7 Fichte hielt dann im Hause des Pfarrers Lavater in Zürich zwischen dem 24. Februar und 26. April 1794 annähernd täglich Vorlesungen vor einem ausgesuchten Kreis Gelehrter; diese Züricher-Vorlesung präsentierte erstmalig die Wissenschaftslehre und hat in skizzenhafter Weise denselben Aufbau, wie die nur einige Monate spätere Grundlage.8

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Einleitung

Fichte hatte bereits am 5. Januar 1794 eine Anfrage aus Jena erhalten, ob er dorthin eine Berufung als Professor ordinarius supernumerarius annehmen wolle. Die Stelle Reinholds war frei geworden, weil dieser einen Ruf nach Kiel angenommen hatte. Ende Februar schreibt Fichte nach Jena, dass er die Stelle annehme. In der Zeit zwischen Februar und April 1794 entstand noch in Zürich parallel zu den Vorlesungen im Hause Lavaters die Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, die Anfang Mai 1794 erschien und eine Programm- bzw. „Einladungsschrift“ zu den Vorlesungen über die Wissenschaftslehre in Jena bilden sollte. Die Studenten sollten die Gelegenheit haben, sich vorab mittels der Begriffsschrift zu informieren. Fichte überreicht diese Schrift in Jena Goethe und Schiller. Fichte und Schiller waren sich zuvor bereits in Stuttgart begegnet, als Fichte auf der Durchreise nach Jena war; beide freunden sich infolge dieser Begegnung miteinander an. Am 18. Mai 1794 kam Fichte aus Zürich in Jena an und begann am 26. Mai seine Privatvorlesungen über die Wissenschaftslehre zu halten. Die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre erscheint dann seit dem 14. Juni 1794 nach und nach;9 denn von Woche zu Woche werden parallel zu den Vorlesungen jeweils die einzelnen Bogen gedruckt und nur an vorgemerkte Studenten verkauft; die Grundlage ist ursprünglich eine „Handschrift“ bzw. ein Handbuch für die Vorlesungszuhörer. Abschließend erscheint dann im Juli/August 1795 der dritte und letzte Teil „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen“, zusammen mit dem „Vorwort“. Fichte verfolgte mit dieser Art der Veröffentlichung ein pädagogisch an den damaligen Universitäten neuartiges Programm, mit welchem er den Studenten eine bessere Konzentration auf den Stoff ermöglichen und das geistlose Mitschreiben während der Vorlesung ersparen wollte. Gegenüber Goethe betont Fichte, unter welchem Zeitdruck die Bogen jeweils wöchentlich zur Vorlesung entstehen mussten und entschuldigt damit einige Mängel in der Darstellungsform; Fichte bezeichnet Goethe auch als eine Art immanenten und impliziten Kritiker, dessen imaginäres Urteil er sich bei der Abfassung als Anregung immer wieder innerlich vor Augen führt; somit stellt sich Fichte Goethe als „impliziten Leser“ der Grundlage vor.10 Im Januar 1802 erschien eine unveränderte Neuauflage der Grundlage in Tübingen bei Johann Georg Cotta und ebenfalls 1802 eine zweite, verbesserte Auflage in Jena und Leipzig bei Christian Ernst Gabler. Bei diesem war auch schon die erste Auflage 1794/95 erschienen; Fichte wollte jedoch die zweite Auflage nicht wieder bei Gabler verlegen lassen, weil sich in die erste Auflage zahlreiche drucktechnische Fehler eingeschlichen hatten und finanzielle Engpässe die Bezahlung Fichtes herauszögerten. Ohne Erlaubnis des Autors hat Gabler dennoch 1802 eine Neuauflage des Werks erscheinen lassen; was zu jahrelangen juristischen Streitereien zwischen

Einleitung

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Fichte und Gabler führte. Diese Ausgabe enthält Zusätze und Erläuterungen, die Fichte bereits 1800 für eine Neuauflage erarbeitet hatte. Fichte konzipiert in der Grundlage einen transzendentalen Idealismus, dessen Prinzip die Subjektivität mit ihren Vollzugsformen bildet.11 Er strebt in der Nachfolge Descartes’ und Kants eine Sicherung und systematische, methodische Darstellung des möglichen Wissens an und zugleich eine Abgrenzung gegen unmögliches oder bloß angemaßtes Wissen, ebenso gegen den Skeptizismus. Diese Wissenssicherung ist die zentrale Aufgabe der Philosophie, die Fichte daher als „Wissenschaftslehre“ bezeichnet; d.h. als Wissen vom gesicherten Wissen. Wissen ist hier in einem umfassenden Sinn gemeint. Mit dem Wissen sind sowohl die selbstbezüglichen Bestimmungen des Subjekts bezeichnet als auch die für die Erkenntnis von Objekten begründenden gegenstandsgerichteten Vollzüge des Bewusstseins und zudem die das Objekt bestimmenden praktischen und intersubjektiven Handlungen des Subjekts. In dieser Hinsicht ist Fichtes Ansatz in der Grundlage als transzendentalphilosophisch zu bezeichnen: Die Bedingungen der Möglichkeit des Wissens sind einerseits in Bezug auf die theoretisch erfahrbare Wirklichkeit und andererseits in Bezug auf unser praktisches Sittenleben zu begründen. Diese Begründung erfolgt durch den Rückgang auf das Ich als das gleichermaßen konstitutive Fundament des theoretischen Wissens und der praktischen Sittlichkeit. Die Subjektivität ist das Prinzip, aus dem heraus die Wissens- und die Praxisbezüge methodisch gesichert ab- und herzuleiten sind. In Fichtes Schaffen kommt der Grundlage einerseits ein besonderer Stellenwert zu, denn sie expliziert, wie der Titel bereits sagt, die Fundamente der gesamten Wissenschaftslehre so, dass die zahlreichen nachfolgenden Darstellungen der Wissenschaftslehre auf dieser aufbauen; sie teilweise ergänzen und differenzieren, sie aber doch immer wieder voraussetzen; in dieser Hinsicht bildet die Grundlage Fichtes Hauptwerk. Andererseits steht sie noch relativ am Anfang von Fichtes Denkentwicklung und es folgen ihr zahlreiche, in zentralen Aspekten abweichende Umarbeitungen; es handelt sich also nicht um Fichtes letztes Wort zu Struktur, Methode und Inhalt der Philosophie. So wird Fichte z. B. ab 1796 mit der Grundlage des Naturrechts die zentrale Rolle der Intersubjektivität und des alter ego für den transzendental-kritischen Idealismus immer stärker betonen. In der Wissenschaftslehre von 1804 macht er die transzendentale und sittliche Wir-Gemeinschaft sogar zum höchsten Punkt des Systems, zu demjenigen des ursprünglich-einheitlichen Seins.12 Diese fundamentale Rolle der Intersubjektivität ist in der Grundlage so noch nicht ausgeführt, wenngleich sie mit deren Lehre kompatibel ist. Fichte entwirft in der Grundlage nämlich einen kritisch-praktischen Idealismus, der sich sowohl gegen Einseitigkeiten des Realismus als auch

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Einleitung

gegen solche eines naiven Idealismus richtet;13 vielmehr versucht Fichte die jeweiligen Stärken idealistischer und realistischer Konzeptionen systematisch positiv für die Erklärung des theoretischen und praktischen Bewusstseinslebens aufzunehmen und zu synthetisieren, indem er Widersprüchliches und Unzulängliches ausgliedert und nur das Sinnvolle und Kompatible beider Positionen zurückbehält. Fichte geht dabei – ähnlich wie zuvor bereits Kant in der Aufstellung und Auflösung der antithetischen Antinomien aus der Dialektik der Kritik der reinen Vernunft – systematisch und nicht historisch vor; d. h., er stellt nicht historische Positionen des Idealismus und des Realismus einander gegenüber, sondern er versucht deren Bedeutungskern rein für sich auszugliedern, losgelöst von historischen Positionen. In historischer Sicht ist bei der Position eines naiven Idealismus an frühneuzeitliche Konzeptionen wie jene von Descartes oder Berkeley zu denken. Bei dem Realismus lässt sich als historisches Vorbild wohl am ehesten Spinoza ausmachen. Fichte hat jedoch, wenn er sich gegen den Realismus – den er auch als Dogmatismus bezeichnet – wendet, nicht bloß einen dogmatischen Pantheismus vor Augen, sondern zugleich auch die systematische Position eines Materialismus, der das Bewusstsein aus materiell-dinglich vorliegenden Entitäten herleiten will. Wenn sich Fichte also gegen den Realismus richtet, dann ist dabei auch eine Wendung gegen eine naturalistisch-materialistische Position mitzudenken, wie sie auch heute gängig ist, wenn z.B. Geist und Gehirn miteinander identifiziert werden oder wenn Bewusstsein als ein Epiphänomen von bio-chemischen Reaktionen der Gehirnnerven gedeutet wird. Fichtes Argumente gegen den Realismus haben also durchaus aktuelle Bedeutung; zumal sich mehr und mehr ein naturalistisch-biologistischer Standpunkt durchsetzt. Fichte konzipiert nicht, dass einfach das Ich das Ding hervorbringt, was der naive Idealismus behauptet, und umgekehrt auch nicht, dass das Ding das Ich hervorbringt, was der Realismus/Dogmatismus bzw. Materialismus behauptet. Beides sieht Fichte als Einseitigkeit, die weder dem theoretischen noch dem praktischen Bewusstseinsleben gerecht wird. Wenn der naive Idealismus nämlich entwirft, dass das Ich das Ding hervorbringt, ist auch er dogmatisch, d. h., er behauptet einfach etwas, das sich nicht in der konkreten Erfahrung ausweisen lässt; in dieser dominiert vielmehr das ursprüngliche Gefühl der Determiniertheit der Vorstellung durch das Ding und dessen Eigenschaften. Dieses bei jeder theoretischen Vorstellung mitgegenwärtige Gefühl kann der naive Idealismus nicht erklären und er ist deswegen nicht erfahrungstreu. Darüber hinaus ist mit der Position des naiven Idealismus nicht mehr verifizierbar oder auch falsifizierbar, ob eine jeweilige Vorstellung ein bloßes Phantasieprodukt ist oder ob es sich um eine solche Vorstellung handelt, der eine Realität korrespondiert. Dieser naive Idealismus hätte daher konsequenterweise in einen Skeptizismus zu

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münden, wie ihn z. B. Fichtes Zeitgenosse Salomon Maimon, in Weiterführung von Kants Erkenntniskritik, konzipiert, wenn er sagt, dass alle Realität verstandesfundiert ist, es somit unerkennbar ist, ob es überhaupt eine den Vorstellungen verstandesunabhängig korrespondierende Realität gibt.14 – Dieser problematische Gedanke eines naiven Idealismus ist es auch, der im Hintergrund von Kleists Schein-Sein-Krise steht. – Aus der naiv idealistischen Position folgt aber auch, dass ein „Ding an sich“ geleugnet werden muss, das den Affektionen der Sinnlichkeit als Korrelat entspricht. In einer spezifischen Hinsicht hat der naive Idealismus mit dieser Behauptung auch Recht, nämlich dann, wenn sich seine Behauptung gegen ein metaphysisches „Ding an sich“ richtet, das vollständig unabhängig vom Ich existieren soll; eine vollständige Unabhängigkeit eines Dinges vom Ich widerspricht dem – von Kant ausgesprochenen – Gedanken, dass „das Ich denke alle meine Vorstellungen muss begleiten können“,15 weil sonst in mir etwas vorgestellt würde, was a) entweder für mich nichts wäre, was also für mich prinzipiell völlig unbewusst bleiben müsste und daher gar nichts für mich sein könnte, oder b) was sich in sich widerspricht, was also aufgrund seiner sich ausschließenden Merkmale unmöglich wäre. Gegen ein solches dogmatisch-metaphysisches Ding an sich wendet sich Fichte ausdrücklich. Allerdings entwirft er selbst ein mit kritisch-transzendentaler Bedeutung konzipiertes Ding an sich, nämlich ein solches, das dem Ich als bloße Begrenzung entgegenstehend gedacht wird. Ein solches Ding an sich ist nichts anderes als die gedanklich notwendige Konzeption eines inhaltlich völlig Unbestimmten, welches die Tätigkeit des Ich aufhebt. Das kritisch-transzendentale Ding an sich ist bloß aus seiner die Ichtätigkeit vernichtenden Wirkung in einem bloß gedanklichen Rückschluss anzunehmen. Allerdings ist diese realistische Annahme eines Dinges an sich notwendig, will man das endliche Ich nicht mit Gott verwechseln; denn der naive Idealismus kann zwischen Gott und Ich eigentlich nicht mehr unterscheiden: In beiden Fällen produziert das bloße Vorgestelltsein durch einen Vorstellungsakteur das Ding. Vor dieser absurden Konsequenz schützt den kritischen Idealismus die Annahme eines transzendentalen Dinges an sich. Transzendental ist dieses Ding an sich, weil es dazu dient, konkrete Gegenstandsvorstellungen des Erfahrungswissens erklärbar zu machen. Gleichermaßen ist dieses Ding an sich aber auch auf das Ich zurückbezogen, denn es ist inhaltlich völlig unbestimmt, und erst im Zusammenspiel mit dem es vorstellenden Ich ergeben sich im Rahmen spezifischer Affektionsformen und spezifischer Tätigkeitsformen des Ich auch spezifische Gegenstandsvorstellungen. Ohne Subjekt kein Objekt und ohne Objekt kein Subjekt. Damit ist auch deutlich geworden, inwiefern Fichtes kritisch-transzendental-praktischer Idealismus realistische Elemente positiv in sich auf-

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nimmt, nämlich in der These, dass es eine negative, nicht vom Ich selbst stammende Aufhebung bzw. Aufhaltung der Tätigkeit des Ich gibt. Nun kann auch gesagt werden, weshalb Fichtes Idealismus ein praktischer ist: Das Ich wird mit seiner Wesensverfassung der Tätigkeit nur erklärbar aus seinem es verendlichenden Bezug auf ein Nicht-Ich, das es begrenzend und aufhebend affiziert. Allerdings setzt das Ich wider diesen Widerstand seine Tätigkeit, indem es das es Aufhebende aufzuheben strebt. Die Aufhebungsbestrebung dessen, was das Ich mit dessen Tätigkeit zu vernichten droht, ist die praktische Tätigkeit. Die praktische Tätigkeit bildet insofern die Urbestimmung des Ich, als es sich selbst nur dadurch erhalten kann, indem es die es aufhebende ichunabhängige Begrenzung selbst aufhebt; das Ich strebt beständig danach, das Nicht-Ich zu modifizieren. Das Ich hebt damit sukzessive seine eigene Endlichkeit auf, die gerade in der Begrenzung durch ein Nicht-Ich besteht. Das endliche Ich strebt zum unendlichen Ich; dem „Ich = Ich“, das gar nicht durch anderes begrenzt ist, weil es reine Thesis, reine Setzung ohne Entgegensetzung ist. Mit dieser Tätigkeit des endlichen Ich in seiner Annäherung an das unendliche Ich liegt ein sich stets wieder selbst reproduzierender und sich selbst stets auch wieder auflösender Widerspruch vor: einerseits strebt das Ich in der Modifikation des Nicht-Ich nach der Annäherung an das unendliche Ich, andererseits geschieht diese Annäherung in einem sukzessiven Sollensakt; das Ich soll nach und nach seine Endlichkeit überwinden, um sich so zum unendlichen Ich zu entgrenzen; allerdings ist jede praktisch-tätige Überwindung der Grenze auch schon wieder die Festsetzung einer neuen Grenze, denn das, was das Ich soeben als Grenze überwunden hat, muss, damit es wiederum etwas Bestimmtes für das Ich ist, fixiert und verdinglicht werden (kein Subjekt ohne Objekt); daher stellt sich, nun allerdings auf höherer Ebene, ein Gegenständliches ein, welches es auch wieder dem Ich gemäß zu transformieren gilt. Das Sollen reproduziert sich unendlich, was dem Ich notwendig und kein beliebiges „Glasperlenspiel“ ist. Die Bestimmtheit impliziert Begrenzung und diese wiederum Endlichkeit. Daher kann es für das Ich keine Bestimmtheit ohne Endlichkeit geben, und gleichermaßen ist es auch die Bestrebung des Ich, seine Begrenzung durch anderes aufzuheben. Die sukzessive Modifikation der Gegenstandswelt ist also zugleich dasjenige, wodurch das endliche Ich erst zum Ich wird, d. h. zu einem Für-sich-Sein gelangt, sie ist aber auch dasjenige, was das Ich zu überwinden trachtet, aber nie überwinden kann, weil es dann nicht mehr das wäre, was es ist, ein endliches Für-sich-Sein in Abgrenzung zu einem Für-anderes-Sein (Ding). Somit vereint Fichte in seinem praktischen Idealismus des sich bestimmt und begrenzt selbst verwirklichenden Ich realistische und idealistische Elemente; ohne sie abstrakt oder einseitig zu nivellieren. Vielmehr stellt Fichtes Grundlage

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mit ihrem praktischen Idealismus eine konsequente Herleitung der Tätigkeitsweisen und der Bedeutung gebenden Akte des endlichen Ich dar. In dieser idealistischen Synthese wird der Spontaneität und der Bestimmtheit des endlichen Ich gleichermaßen Rechnung getragen, denn das eine wird nicht zugunsten des anderen geleugnet, sondern Spontaneität und Bestimmtheit bestimmen sich wechselseitig. Damit erreicht Fichte eine Position klassischer Ausgewogenheit. Dieses Buch wäre nicht entstanden ohne die geistige, liebevolle und moralische Unterstützung meiner Freunde und Kollegen: Dr. Dirk Fonfara, Dr. Markus Gabriel, Dr. Brankica Gagic, Dr. Christian Hanewald, Gretel und Dr. Heinrich Kleiner, Prof. Dr. Dieter Lohmar, Antonia und Dr. Barbara Mauersberg, Prof. Dr. Jan Opsomer, Irene Pelka, Dr. Jürgen Pelka, Dr. Klaus Pelka, Ute Pelka, Prof. Dr. Martin Pickavé, Prof. Dr. Ulrich Port, Ehepaar Corinna Pregla und Prof. Dr. Uwe Schnell, Dr. Danil Razeev und Prof. Dr. Shigeru Taguchi. Mein Dank gilt auch der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, für die freundliche Unterstützung.

I. Der erste Grundsatz (Form unbedingt; Gehalt unbedingt): Ich = Ich (11–21/FW I, 91–101) 1. Die Hinführung zum Ich-Prinzip und die Tathandlung (11–15/FW I, 91–95) Fichte beginnt die Grundlage mit der Suche nach einem ersten Grundsatz.16 Dieser erste Grundsatz muss als Basis allen möglichen Wissens völlig unbedingt sein; d. h., er darf keine Voraussetzungen machen, von denen er selbst abhängig wäre, denn dann wäre er nicht die tatsächlich erste Grundlage; vielmehr würden diejenigen Bestimmungen, von denen der Grundsatz abhängig ist, in einen dann wahrhaft ersten Grundsatz eingehen müssen. Aufgrund der völligen Unabhängigkeit von anderem bezeichnet Fichte den Grundsatz als „absolut ersten“ und als „schlechthin unbedingten“ (11/FW I, 91). Der Anfang der Philosophie zeichnet sich also durch eine radikale Unbedingtheit und Unabhängigkeit aus. Daher hat auch der Grundsatz, der diese Unmittelbarkeit des Anfangs artikuliert, unbedingt und unabhängig zu sein. In der Begriffs-Schrift führt Fichte über die Struktur des Grundsatzes Folgendes aus: „Kein Satz ist ohne Gehalt oder ohne Form möglich. Es muss etwas seyn, wovon man weiß, und etwas, das man davon weiß. Der erste Satz aller Wissenschaftslehre muss demnach beides, Gehalt und Form haben. Nun soll er unmittelbar und durch sich selbst gewiss seyn, und das kann nichts anders heißen, als dass der Gehalt desselben seine Form, und umgekehrt die Form desselben seinen Gehalt bestimme. Diese Form kann nur zu jenem Gehalte, und dieser Gehalt kann nur zu jener Form passen; jede andere Form zu diesem Gehalte hebt den Satz selbst und mit ihm alles Wissen, und jeder andere Gehalt zu dieser Form hebt gleichfalls den Satz selbst und mit ihm alles Wissen auf. Die Form des absoluten ersten Grundsatzes der Wissenschaftslehre ist also durch ihn, den Satz selbst nicht nur gegeben, sondern auch als schlechthin gültig für den Gehalt desselben aufgestellt.“17 Hier hebt Fichte die unmittelbare Selbstevidenz des Grundsatzes hervor; differenziert aber offensichtlich, dass jeder Satz einerseits Form und andererseits Inhalt hat, was auch für den absolut ersten Grundsatz gelten muss. Aber bei diesem liegt ein Sonderfall in der Relation von Form und Inhalt vor, denn Form und Inhalt müssen sich bei diesem wechselseitig bestimmen. Der Inhalt muss die Form bestimmen, weil vor dem Inhalt des ersten

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Grundsatzes nichts anderes als gültig akzeptiert werden darf als dieser selbst und weil damit als bestimmend für die Form nur der Inhalt dieses Satzes in Frage kommt. Dies gilt aber auch umgekehrt, denn vor dem Inhalt des absolut ersten Grundsatzes kann nichts anderes als die Form desselben als gültig akzeptiert werden; somit muss die Form es sein, die den Inhalt bestimmt. In gewisser Hinsicht müssen Form und Inhalt beim ersten Grundsatz somit identisch und gleichursprünglich sein. Wenn Fichte hier von Absolutheit und Schlechthinnigkeit spricht, dann bedeutet dies keine metaphysische Konzeption, sondern es bezeichnet lediglich eine schlichte Unabhängigkeit und Voraussetzungslosigkeit des Ausgangspunktes allen Wissens. Absolutheit meint eine uneingeschränkte Unabhängigkeit.18 Aus dieser Unabhängigkeit folgt notwendig, dass der erste Grundsatz sich weder „beweisen“ lässt – weil er sonst von höheren, fundamentaleren Beweisgründen abhängig wäre und ein unendlicher Regress drohen könnte – noch dass er sich „bestimmen“ lässt – weil sonst ein Zirkel drohen würde, denn der erste Grundsatz soll Ausgangspunkt für alles Bestimmen und für alles Bestimmte sein, wäre er selbst auch schon bestimmt, dann wäre bereits vorausgesetzt, was aus ihm hergeleitet werden soll, und somit läge ein fehlerhafter Zirkel vor. Wäre der erste Grundsatz etwas Bestimmtes, dann wäre er ebenfalls abhängig, nämlich von seinen Bestimmungsgründen und von seiner Relation zu ihnen. Aus dieser notwendigen Unbestimmtheit des Ersten ergibt sich weiterhin, dass es sich bei ihm um kein metaphysisches Ich handeln kann; denn ein solches wäre bereits gegen das empirische Ich abgegrenzt und damit gegen es bestimmt; ebenso wäre das metaphysische gegen das bloß logische Ich abzugrenzen. Eine solche Differenziertheit und Abgrenzung wäre aber für das Erste bereits ein zu weit gehender, unbegründeter Vorentscheid über seine innere Bestimmtheit: „Das absolute Ich des ersten Grundsatzes ist nicht etwas (es hat kein Prädikat, und kann keins haben), es ist schlechthin, was es ist, und dies lässt sich nicht weiter erklären“ (30/FW I, 109). Das vollständig Unbedingte stellt für die Philosophie daher ein fundamentales Problem dar; nämlich das Problem des richtigen Anfangs.19 Der Anfang ist für die Philosophie von entscheidender Bedeutung; insbesondere dann, wenn sie systematisch und deduktiv, d. h. ab- und herleitend vorgeht. Denn allein aus dem Anfang ergibt sich dann, was an späteren Herleitungen möglich ist. Daher liegt im Anfang der Wissenschaftslehre zugleich eine Vorentscheidung über ihre weiteren Möglichkeiten. Diese vorentscheidenden Möglichkeiten sind allerdings am Anfang der Wissenschaftslehre noch nicht explizit thematisch, sie sind noch verborgen, latent in der anfänglichursprünglichen (Un-)Bestimmtheit des ersten Prinzips enthalten. Das Bewusstsein ist als etwas zu betrachten, das ermöglicht wird und zugleich etwas in sich komplex Vermitteltes ist. Im Bewusstsein stehen sich Bewusstseiendes (Subjekt), Bewusstes (Objekt) und Bewusstseinsakt

Hinführung zum Ich-Prinzip und Tathandlung

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(Vorstellung) als voneinander Unterschiedene, aber doch aufeinander Bezogene gegenüber. Weil das Bewusstsein und damit zugleich die Tatsachen in ihm als ermöglicht, d. h. als bedingt anzusehen sind, kann das erste Prinzip, das im ersten Grundsatz artikuliert wird, kein Bewusstsein sein und auch keine Tatsache, die sich im Bewusstsein vorfinden lässt. Das erste Prinzip muss vielmehr die Möglichkeitsbedingung allen Bewusstseins sein; als eine solche Bedingung des Bewusstseins, kann das Prinzip nicht selbst Bewusstsein sein, denn sonst läge ein fehlerhafter Zirkel in der Argumentation vor und Bewusstsein würde aus Bewusstsein erklärt; denn der Grund hätte dieselbe Bestimmung wie das Begründete. Dasselbe Zirkelproblem gilt für die gesamte Empirie. Fichte versteht unter Empirie all dasjenige, was als Tatsache im Bewusstsein vorliegt. Dieser Empiriebegriff geht weit über denjenigen Kants hinaus, der unter dem Empirischen dasjenige versteht, was durch Empfindung als anschaulich Mannigfaltiges gegeben ist. Fichte begreift dagegen alle Tatsachen des Bewusstseins als empirisch. Das Prinzip darf jedoch keine Tatsache des Bewusstseins sein, weil diese bedingt sind: letztlich als Gegebenheiten im Bewusstsein durch die komplexe Struktur von Subjekt, Objekt, Vorstellung, Beziehung und Unterscheidung. Das erste Prinzip darf also generell keine Tatsache sein. Wie bereits in seiner Aenesidemus-Rezension vom Februar 1794 setzt Fichte auch in der Grundlage dem abkünftigen Begriff der Tatsache den Begriff der „Tathandlung“ (11/FW I, 91) als ursprünglicheren entgegen.20 Mit diesem Wort kommt zum Ausdruck, dass zwei Elemente einheitlich ein Ganzes sind, nämlich die Tätigkeit und die Handlung. Mit beidem wird eigentlich dasselbe ausgesagt, es soll nämlich die pure Aktuosität des Prinzips zum Ausdruck kommen.21 Diese Aktuosität ist eine genauere Bestimmung der Unbedingtheit. Nur eine unbegrenzte Aktuosität oder Spontaneität kann nicht durch anderes bedingt sein, muss also schlechthinnig und unabhängig sein. Daraus folgt, dass das erste Prinzip nie in der Erfahrung angetroffen werden kann, denn dort gibt es immer Bedingtheit und Faktizität. Daran wird deutlich, dass die Wissenschaftslehre, in ihrer Darstellungsart durch Grundsätze mit einem ersten Prinzip beginnend, eine Abstraktion und Konstruktion gegenüber der Erfahrungswelt vollzieht.22 Die Philosophie muss sich das erste Prinzip konstruieren, es liegt nicht als Faktum im Bewusstsein vor, es muss vielmehr zu jeder Tatsache des Bewusstseins als deren Voraussetzung hinzugedacht werden. Dieses Hinzudenken besteht in der Einsicht von uns Philosophen, dass jede Tatsache des Bewusstseins durch die Tathandlung bedingt und ermöglicht wird. Insofern partizipiert die Tatsache an der Tathandlung. Die Tathandlung konstituiert die Tatsache. Dies wird auch etymologisch daran sichtbar, dass in der „Tatsache“ noch die „Tat“ steckt; allerdings ist die Tat in der Tatsache mit einer Sache synthetisiert, d. h. mit etwas, das geradehin vorliegt und passiv vor-

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Erster Grundsatz: Ich = Ich

findlich ist. Diese Vorfindlichkeit der Tatsache ist der Tathandlung strikt entgegengesetzt, weil diese nicht passiv und damit bedingt vorliegen kann. Insofern ist Fichte auch nicht dadurch zu kritisieren, dass gegen seinen ersten Grundsatz eingewendet wird, er komme nicht unter den Tatsachen des Bewusstseins vor; gerade dieses Nichtvorkommen ist eine fundamentale Charakteristik der Unbedingtheit des ersten Prinzips; dies wendet sich gegen Reinhold, der seinen ersten Grundsatz als fundamentale Tatsache des Bewusstseins konzipierte.23 Zweierlei ist in Fichtes Darstellung des ersten Prinzips zu unterscheiden – was Fichte selbst nicht immer in der wünschenswerten Klarheit differenziert: 1. der erste Grundsatz bzw. das erste Prinzip selbst mit seinen immanenten Strukturen und 2. der Weg, auf dem der nachvollziehende Philosoph, also wir, zu diesem Prinzip gelangt. Der zweite Aspekt betrifft nur eine propädeutisch-pädagogische Hinsicht, nämlich die Methode, mit der wir uns nachvollziehend dem ersten Prinzip nähern. Der pädagogische Weg, den wir, die mitvollziehenden Leser, zu beschreiten haben, um zu dem ersten Prinzip hin zu gelangen, wird von Fichte als „Aufsuchung“ (11/FW I, 91) bezeichnet. D. h. für uns anfangende Philosophen gibt es noch keine methodischen Richtlinien, sondern wir haben das Bewusstsein zu durchforschen und werden darin bei einem unhintergehbaren Gedanken fündig. Dieser Gedanke wird das „Ich bin Ich“ sein. Auf diesen Gedanken werden wir durch eine hypothetisch anzunehmende Gewissheit geführt; dies wird der Satz der Identität „A = A“ sein. Wir nachvollziehenden Philosophen haben, in pädagogisch-propädeutischer Absicht, zum ersten Grundsatz vermittels einer „Reflexion“ und einer „Abstraktion“ vorzudringen (11/FW I, 91). Hier liegt mit Worten Husserls und Rickerts eine „eidetische Abstraktion“ vor. Für uns ist es notwendig, um zu dem ersten Prinzip zu gelangen, einen Anfangspunkt bei einer Tatsache des Bewusstseins zu nehmen und von dort ausgehend wird nun durch eine gedanklich-philosophische Re-Konstruktion dasjenige gewonnen, was wesentlich und fundierend der Tatsache zugrunde liegt. Dennoch bleibt die Tathandlung dem Bewusstsein unerreichbar: „Selbst vermittelst dieser abstrahierenden Reflexion nicht – kann Tatsache des Bewusstseins werden, was an sich keine ist; aber es wird durch sie erkannt, dass man jene Tathandlung, als Grundlage alles Bewusstseins, notwendig denken müsse“ (11/FW I, 91). Abstraktion liegt in diesem Verfahren insofern vor, als bei der Tatsache des Bewusstseins, die den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet, schrittweise von allen empirischen Bestimmungen abgesehen wird; dabei wird also all das weggelassen, was bloß kontingent ist. Durch diese Abstraktion bleibt dasjenige übrig, was prinzipiell nicht abstrahierbar ist, also das, was, würde man es wegdenken, zu einem inkohärenten Widerspruch führen würde (vgl. 12/FW I, 92).

Hinführung zum Ich-Prinzip und Tathandlung

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Was mit dem ersten Grundsatz für den Philosophen vorliegt, ist also eine gedankliche Konstruktion eines Ersten, Begründenden für alles Bewusstsein und Wissen. Daran wird auch der eigentliche Status der Transzendentalphilosophie und der Wissenschaftslehre deutlich, deren Aufgabe es ist, die Ursprünge und fundamentalen Voraussetzungen allen möglichen Wissens zu klären; sie ist nämlich eine philosophisch-gedankliche Konstruktion einer Fundamentalebene für das Bewusstsein, die selbst nicht mehr auf der Ebene des Fakten wissenden Bewusstseins liegt. Um die Fundamentalebene der Transzendentalphilosophie zu erreichen, ist es notwendig, von einer solchen Tatsache des Bewusstseins auszugehen, die jedes Bewusstsein als sinnvoll und gültig zugesteht. Eine solche Tatsache sind die Gesetze der Logik und hier genauer das für die Logik fundamentale Gesetz der Identität: „A = A“. Fichte versucht nun in didaktisch-pädagogischer Absicht eine Hinführung zu den transzendentalen Grundlagen und zum ersten Prinzip im Ausgang von der Gültigkeit dieses fundamentalen logischen Gesetzes „A = A“. Mit diesem Anfang liegt also noch nicht die Herleitung des Satzes der Identität („A = A“) aus dem ersten Grundsatz („Ich = Ich“) vor, sondern umgekehrt führt der Satz der Identität das Bewusstsein zum Ich-Prinzip hin. Daran wird die pädagogisch-propädeutische Absicht deutlich, die für diese ersten Abschnitte der Grundlage gilt. Die umgekehrte Richtung der transzendentalphilosophisch und sachlich notwendigen Ableitung des Satzes der Identität aus dem Ich-Prinzip wird erst später geleistet. – Fichte geht auch damit über den elementarphilosophischen Ansatz Reinholds hinaus, der die Philosophie im Ausgang von fundamentalen Tatsachen beginnen läßt;24 Fichte zeigt dagegen, dass Tatsachen auf eine Tathandlung zurückgeführt werden müssen und dass die Tatsachen somit nicht den wirklichen Anfang der Philosophie bilden können. Fichte verweist in diesem Kontext auf die Schwierigkeit eines Zirkels (vgl. 12/FW I, 92): Die Reflexion und Abstraktion, die wir nachvollziehenden Philosophen ausüben, um zum ersten Prinzip zu gelangen, gehorcht bereits den Gesetzen der Logik, und auch die Erkenntnis der ersten Fundamente allen Wissens muss logisch korrekt sein. Die Transzendentalphilosophie darf den Gesetzen der Logik nicht widersprechen, sonst wäre sie ein sinnloses und nicht zu explizierendes Unterfangen; zugleich besteht aber auch der Anspruch der Transzendentalphilosophie, die Gesetze der Logik allererst zu rechtfertigen; d. h., die Begründungsebene der Transzendentalphilosophie soll fundamentaler als die Gesetze der Logik sein.25 Nach Fichte ist dies ein notwendiger Zirkel und kein fehlerhafter. Aus methodischer Sicht fragt sich daher – mit einem Wort Heideggers – nicht, wie der Zirkel zu vermeiden ist, sondern „wie man auf rechtmäßige Weise in ihn hineinkommt“. Diese rechtmäßige Methode, in den Zirkel von Logik

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und Transzendentalphilosophie hineinzukommen, ist eben der propädeutische Weg zum Ich-Prinzip, zunächst durch die Anerkennung der Gesetze der Logik, insbesondere des Satzes der Identität, und davon ausgehend dann die Rekonstruktion der Bedingungen der Möglichkeit von dessen Gültigkeit, d. h. der Rückgang auf die Handlungen des Ich, die diesen Satz in seiner Gültigkeit vollziehen. Aus diesen Handlungen des Ich ist dann nach Fichte wiederum in der umgekehrten Argumentationsrichtung die Möglichkeit des Satzes der Identität und infolgedessen die gesamte Logik herzuleiten. Somit sind der Satz der Identität und die Logik in propädeutisch-einführender Hinsicht zwar ratio cognoscendi der Ich-Handlungen, aber umgekehrt sind in sachlich-geltungsbegründender Hinsicht die Handlungen des Ich ratio essendi der Logik und des Satzes der Identität. Der Zirkel ist daher notwendig, aber nicht fehlerhaft. Der Satz der Identität „A ist A“ wird nach Fichte allgemein von jedem zugestanden; er bietet sich daher als Ausgangspunkt der Argumentation an. Hier zeigt sich bereits eine rudimentäre Form von Schlechthinnigkeit und Unbedingtheit, denn der Satz „A ist A“ wird „zunächst und zumeist“ anerkannt, ohne dass nach einer Begründung gefragt wird (vgl. 12 f./FW I, 93); eine Begründungsangabe wäre in gewissem Sinne sogar paradox, da ja auch die Begründung des Satzes der Identität bereits für die Begründungsargumente wiederum Identität voraussetzen müsste; denn wenn diese Begründungsargumente nicht mit sich identisch wären, wären sie von sich selbst verschieden; etwas, das von sich selbst verschieden ist, lässt sich aber nicht sinnvoll denken. Daher hat der Satz der Identität eine zumindest relativ schlechthinnige Gültigkeit. Der Satz der Identität besteht nach Fichte aus einem ersten A, welches das Satzsubjekt bildet, einem zweiten A, welches das Satzobjekt bzw. Prädikat bildet, und der Kopula „ist“, die beide A miteinander verbindet. Die Kopula „ist“ bringt die Selbigkeit oder Identität der beiden A zum Ausdruck, nicht ein Sein oder eine Existenz des A (vgl. 12 f./FW I, 92 f.). Mit moderner Logik formuliert: Der Junktor „ist“, ist kein Existenzquantor, der eigentlich den Umfang des Urteils beträfe; nämlich die Frage, ob es wenigstens ein x gibt, für das f(x) gilt. Fichte drückt dasselbe so aus: „Der Satz: A ist A ist gar nicht gleichgeltend dem: A ist, oder es ist ein A. (Sein, ohne Prädikat gesetzt, drückt etwas ganz anders aus, als Sein mit einem Prädikate; […])“ (13/FW I, 93). Dies wird durch das Beispiel eines in zwei gerade Linien eingeschlossenen Raumes verdeutlicht. Ein solcher Raum existiert zwar nicht, aber es ist logisch korrekt, wenn man aussagt, dass ein in zwei gerade Linien eingeschlossener Raum identisch ist mit einem in zwei gerade Linien eingeschlossenen Raum. Um zu verhindern, dass man das kategorische Urteil „A ist A“ als Existenzaussage missversteht, formuliert Fichte es in ein

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hypothetisches Urteil um: Wenn A ist, dann ist es A (vgl. 13/FW I, 93). Die Identität lässt sich in allen drei Urteilsfunktionen der Relation – kategorisch, hypothetisch und disjunktiv – ohne Bedeutungsveränderung aussagen.26 Aus logischer Sicht wird also nicht die Existenz des A ausgesagt, sondern nur, dass, wenn es überhaupt ein A gäbe, dieses mit sich selbst notwendigerweise identisch sein müsste; denn ein A, das nicht A ist, kann nicht gedacht werden. Es wird deutlich, dass nach Fichte das logische Gesetz der Identität nur die Form von etwas betrifft, nicht den Inhalt (vgl. 13/FW I, 93). Über den Inhalt einer Aussage wird mit der Identität nichts spezifisches ausgesagt, sondern nur darüber, wie dieser Inhalt überhaupt strukturiert, geordnet sein muss, damit er denkbar ist. Die Existenzfrage, ob das A ist, betrifft dagegen den Inhalt (bzw. nach moderner extensionaler Logik den Umfang) der Aussage, nicht deren bloße Form; nämlich, ob ein solches Exemplar, für das die Form der Identität logisch aussagbar ist, auch existiert.27 Insofern ist im Satz der Identität nicht die Existenz des A logisch notwendig, sondern nur der Konnex zwischen dem ersten und dem zweiten A; wenn überhaupt ein A sein sollte, dann muss es mit sich selbig sein. Allein dieser Zusammenhang von Subjekt-A und Objekt-A, der im kategorischen Urteil durch die Kopula zum Ausdruck kommt – und im hypothetischen Urteil durch das „Wenn-dann“ – ist gewiss. Fichte bezeichnet diese Verknüpfung – der Kürze halber – als „X“ (13/FW I, 93). Nun kann also eingesehen werden, dass der Zusammenhang „X“ zwischen Antezedens (Subjekt-A) und Konsequenz (Objekt-A) notwendig gilt: Mit diesen liegen eigentlich drei Elemente des Identitätsgedankens vor. Es bedarf aber, um sie zu dem einheitlich-einfachen Gedanken der Identität zu verknüpfen, darüber hinaus eines Verknüpfenden, nämlich eines Etwas, das alle drei Elemente gleichermaßen vollzieht und sich nicht mit dem Haben eines jeden der drei Elemente mitverändert. Das sich nicht Mitverändernde ist die verknüpfende Einheit der drei Gedankenelemente zu dem einen Gedanken der Identität. Die noematische Identität – also die gedachte Identität – setzt eine noetische Identität – also eine denkende Identität – voraus. Wenn das Vorstellende in allen drei Gedankenelementen nicht mit sich selbst identisch wäre, dann gäbe es den Zusammenhang „X“ gar nicht. Die drei Gedankenelemente dürfen nicht einfach nebeneinander liegen in einem Verknüpfenden, das sich mit ihnen jeweils mitwandelt vom Subjekt-A zur Kopula und dann zum Objekt-A bzw. Prädikat-A; sondern das (noetisch) Verknüpfende muss jeweils mit sich selbst gleich sein, soll es gelingen, einen einheitlichen Gedanken hervorzubringen. In dieser Hinsicht ist das „X“ im einem, durch ein und für ein Ich gesetzt (vgl. 13/FW I, 93f.); denn das in den mannigfaltigen Gedankenelementen und -phasen mit sich identisch Bleibende und die Gedan-

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ken einheitlich Verknüpfende ist das Ich. Damit ist nicht gesagt, dass es in ontologischer Hinsicht ein Ich geben muss, sondern nur, dass es aus transzendentaler Sicht notwendig ist, ein Ich zu konzipieren, wenn es den einheitlichen, notwendigen noematischen Gedanken der Identität geben soll. Es handelt sich also nicht um eine Ontologie des Ich; sondern um eine transzendentale Unterscheidung von noematischer und noetischer Ebene im Denken des Gedankens der Identität. Das Gesetztsein von „X“ im Ich impliziert bei tiefer gehender Analyse weiterhin nicht nur, dass es ein vollziehendes Ich geben muss, sondern auch, dass es ein A geben muss: „X“ ist eine Relation zwischen Zweien (die eigentlich Eines sind), eine Relation ohne Relata wäre jedoch ein undenkbarer Gedanke; wenn es also das „X“ als Vollzug im Ich gibt, dann muss es auch die Relata, insbesondere das Subjekt-A geben (vgl. 14/FW I, 94). Denn nur wenn es die Relata gibt, kann es auch die Relation geben. Nun gibt es mit Gewissheit die notwendige Relation „X“ im Ich, also muss es auch das A geben. A ist im Ich gesetzt; auch hier liegt daher nicht eine ontologische Voraussetzung vor, sondern A als Relatum und „X“ als Relation des A mit sich sind jeweils im Ich gesetzt. Dieses Im-Ich-gesetzt-Sein bedeutet aber nicht, dass A oder „X“ wirklich existieren; es bedeutet lediglich, dass sie im Bewusstsein als Tatsache vollzogen werden. Daraus lässt sich nicht folgern, dass sie z. B. in Raum und Zeit wirklich existieren, sondern nur, dass sie im Bewusstsein erlebt werden. Ebenso kann ein Engel, Gott, ein Tisch, 3 + 2 = 5 oder 3 + 2 = 6 im Ich gesetzt werden; die Setzung von etwas im Ich bedeutet nicht, dass es durch dieses Setzen des Ich wirklich oder richtig wäre, sondern nur, dass es überhaupt vollzogen wird, unangesehen seiner konkreten modalen Bestimmung oder Korrektheit. Die Modalitätsbestimmungen (im Sinne von Möglichkeit-Unmöglichkeit, Dasein-Nichtsein, Notwendigkeit-Zufälligkeit) sind an diesem Ort der Wissenschaftslehre noch nicht abgeleitet und können daher hier noch keine systematische Geltung beanspruchen. Wenn Fichte hier also vom Gesetztsein im Ich spricht, dann meint er, dass etwas vom Bewusstsein vollzogen wird, in ihm auftritt. Das Ich, von dem Fichte an unserer Stelle spricht, ist auch noch nicht das Ich der Tathandlung, denn dass das A und das „X“ und auch das Ich selbst als faktisch und als gegeben erlebt werden, zeigt bereits, dass es sich noch um Tatsachen des empirischen Bewusstseins handelt und noch nicht um die Tathandlung (vgl. 14/FW I, 94). Das Ich, in dem A und „X“ gesetzt sind, lässt sich noch weiter bestimmen: In gewisser Hinsicht ist das Ich nämlich mit dem „X“ identisch. Im „X“ kommt der notwendige Zusammenhang zum Ausdruck, dass „A = A“ ist; zugleich ist darin aber impliziert, dass es ein mit sich durchgängig identisches Ich geben muss, das sich wiederum als „Ich = Ich“ ausdrücken

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lässt. „A = A“ bringt die noematische Identität zum Ausdruck und „Ich = Ich“ dagegen die noetische Identität; da die noetische Identität „Ich = Ich“ es ist, die die noematische Identität „A = A“ konstituiert, ist die noematische Identität mit der noetischen Identität in einer bestimmten Hinsicht identisch, denn die noetische Identität des Ich drückt sich in der noematischen Identität aus. Dies wird z. B. daran deutlich, dass wir dieselbe Gleichungsform gebrauchen, um die noetische und die noematische Identität zu artikulieren. Jeweils gibt es einen Subjekt-, einen Objektausdruck und eine Kopula, welche die Selbigkeit darstellt: „es wird gesetzt, dass im Ich […] etwas sei, das sich stets gleich, stets Ein und ebendasselbe sei; und das schlechthin gesetzte X lässt sich auch so ausdrücken: Ich = Ich; Ich bin Ich“ (14/FW I, 94). Wenn auch in gewisser Hinsicht noetische Identität des Ich und noematische Identität identisch sind, so gilt doch auch, dass sich ein Unterschied zwischen beiden nicht nivellieren lässt, die noematische Identität ist das Vorgestellte, das Vollzogene und die noetische Identität des Ich ist das Vorstellende, das Vollziehende. Daraus folgt, dass es eine asymmetrische Abhängigkeit der noematischen Identität von der noetischen Identität des Ich gibt. Das Ich konstituiert das „A = A“, nicht umgekehrt. Daher ist die Abhängigkeit asymmetrisch: Sie lässt sich nicht umkehren; es ist für Fichte ein absurder Gedanke, dass der Gedanke den Denkenden konstituiert, es ist vielmehr umgekehrt. Trotz dieser Nichtumkehrbarkeit gilt aber auch, dass sich das „Ich = Ich“, die noetische Identität immer in einer noematischen Identität artikuliert; also gilt, dass das Ich von seiner noetischen Identität auch nicht ohne die noematische Identität weiß; die noematische Identität ist also ratio cognoscendi der noetischen Identität und die noetische Identität ist ratio essendi der noematischen Identität. Dieser zentrale Unterschied von „A = A“ und „Ich = Ich“ lässt sich auch folgendermaßen beschreiben: Das „A = A“ ist in gewisser Hinsicht bedingt, auch wenn das „geradehin“ gerichtete empirische Bewusstsein „zunächst und zumeist“ dies nicht bemerkt, weil es diesen Satz „schlechthin“, d. h. unhinterfragt akzeptiert. Aber wie die bisherige Analyse des „A = A“ zeigt, sind sowohl das A als auch das „X“ nur dadurch gesetzt, dass sie im Ich gesetzt sind, daher ist der Satz der Identität bedingt, durch das Ich. In dem Satz „Ich = Ich“ – hier nimmt Fichte eigentlich einen Aspekt des „Ich = Ich“ als Tathandlung vorweg – ist das Ich aber nicht unter einer höheren Bedingung gesetzt, sondern nur dadurch, dass es mit sich selbst identisch ist (vgl. 14f/FW I, 95). Nur sofern das Ich überhaupt gesetzt ist, kann es den Zusammenhang des „X“ geben. Insofern ist der Satz „A = A“ seiner Form nach zwar unbedingt gültig, aber seinem Gehalt nach, d. h., dass es überhaupt mit dem A ein Worüber gibt, von dem der Satz der Identität gilt, ist er bedingt; nämlich durch das Ich.

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Erster Grundsatz: Ich = Ich

Daraus folgt nach Fichte: Der Satz „Ich = Ich“ besagt eigentlich dasselbe wie der Satz „Ich bin“. Im Falle des „Ich bin“ wird nämlich eigentlich ausgesagt, dass es ein Ich dadurch gibt, dass es sich als mit sich selbig vollzieht. Das Sich-mit-sich-als-identisch-Vollziehen geschieht nicht unter einer höheren Bedingung, es geschieht einfach und wird einfach erlebt. Das „Ich = Ich“ oder das „Ich bin“ ist insofern als schlechthinnig einzusehen, als es die Voraussetzung für den zunächst schlechthinnig erscheinenden Satz „A = A“ ist; das „Ich = Ich“ oder „Ich bin“ ist also nicht einmal durch den Satz der Identität bedingt. Dennoch ist das hier gesetzte Ich noch immer nicht das absolute Ich der Tathandlung: „Dieser Satz: Ich bin, ist bis jetzt nur auf eine Tatsache gegründet, und hat keine andere Gültigkeit, als die einer Tatsache“ (15/FW I, 95). Daran wird deutlich, dass wir uns noch immer auf dem propädeutischen, aufsteigenden Weg zum Prinzip der Tathandlung befinden und noch nicht bei diesem selbst angelangt sind. Parallel zu dem Verhältnis von „X“ zum gesetzten A bei dem Satz der Identität ist das Verhältnis von „Ich = Ich“ zum gesetzten Ich: Das Ich muss gesetzt sein, wenn die Relation „Ich = Ich“ vollzogen werden kann, denn eine Relation ohne Relata wäre ein Ungedanke. Bei dem Ich besteht die Besonderheit, dass die Relation „Ich = Ich“ gleichermaßen auch die Setzung der Relata ist. Das Ich ist nichts anderes als eine sich mit sich als selbig setzende Relation. Alle Gedanken des empirischen Bewusstseins setzen den Gedanken der Identität und der darin enthaltenen notwendigen Verknüpfung („X“) voraus; alles, was sich das Bewusstsein vorstellen kann, muss mit sich identisch sein. Da nun das „Ich = Ich“ oder auch das „Ich bin“ die Voraussetzung für die Identität ist, muss das „Ich = Ich“ die fundamentalste Tatsache des Bewusstseins sein; weil durchgängig alles Bewusstsein dies voraussetzt. Ohne dass sich das Ich selbst gesetzt hat, kann keine Setzung von etwas im Bewusstsein vollzogen werden. Alles Vollziehen von etwas setzt den Selbstvollzug des Ich voraus. „Es ist demnach Erklärungsgrund aller Tatsachen des empirischen Bewusstseins, dass vor allem Setzen im Ich vorher das Ich selbst gesetzt sei.“ (15/FW I, 95) Dieses „vorher“ ist nicht zeitlich, sondern konditional zu verstehen: Das Ich ist die Bedingung der Möglichkeit der noematischen Setzungen. Nur dann, wenn das Ich sich mit sich selbst identisch setzt, kann etwas in ihm als mit sich identisch gesetzt werden. Die Identität „A = A“ ist in allen anderen Gedanken mitenthalten, sie existiert nicht jenseits der Gedanken, sondern ist transnoematisch, d. h., in jedem beliebigen Noema ist „X“ mitanwesend; ohne dass es jeweils explizit thematisch gemacht werden müsste. Dieses Sich-mit-sich-identisch-Setzen des Ich muss es nicht aktuell selbst wissen, es reicht aus, wenn es dieses vollzieht, d. h., wenn es mit sich selbig ist. Das Ich hat sich nicht beständig thematisch im aufmerksamen Bewusstsein seiner selbst; es muss nur durchgängig mit sich selbig sein,

Struktur des Ich-Begriffs

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wenn verschiedene Gedanken von ihm zu einer Einheit verbunden werden. Sonst wäre sich das Ich beständig thematisch seiner selbst inne; was aber gerade bei dem faktischen Ich nicht der Fall ist; und es wäre auch ein Problem, zu verstehen, wie das Ich dann überhaupt anderes als sich selbst vorstellen könnte, wenn es immer nur sich selbst thematisierte. Dass das Ich sich nicht beständig in allen Vorstellungen selbst thematisch gegenwärtig ist, kritisiert bereits Leibniz an Descartes’ Annahme, das ego sei sich in den cogitationes als Denkendes bewusst. Leibniz konzipiert dagegen insbesondere mit den petites perceptions auch die Möglichkeit von unbewussten Vorstellungen.28 Wegen der Möglichkeit unbewusster Vorstellungen entwirft auch Kant, dass es bei allen Vorstellungen dem Ich nur möglich sein können muss, sich thematisch als Akteur der Vorstellungen zu erfassen, dass dies aber keinesfalls immer aktuell thematisch der Fall ist.29 Dem steht widersprüchlicherweise entgegen, was Fichte in einem Zusatz zur zweiten Auflage der Grundlage von 1802 (vgl. 15/in FW I, 95 nicht mitgeteilt) andeutet: Er sagt dort, dass das Ich sich selbst anschaut, sofern es im Identitätssatz „A = A“ die Setzung des Prädikat-A vollzieht und dieses mit dem Satzsubjekt-A identifiziert; danach muss das Identifizierende, d. h. das Ich, im Akt der Identifikation von etwas, sich selbst als das Identifizierende wissen. Dies ist jedoch kontraintuitiv und kontrafaktisch: Das Ich weiß sich nicht jeweils selbst thematisch, wenn etwas mit sich selbst vom Ich identifiziert wird. Zwar ist ein durchgängig mit sich identisches Ich als Verbindendes zweier Gedankenelemente notwendig, soll die Verbindung einheitlich sein; aber es ist nicht notwendig, dass sich das Identisch-Verbindende selbst auch noch weiß; dies kann der Fall sein, es muss aber nicht so sein. Diese Ergänzung Fichtes zur Ausgabe von 1802 ist also nicht konsistent. Es ist nur notwendig, dass sich das Identifizierende irgendwann einmal auch mit sich selbst thematisch identifizieren kann.

2. Die Struktur des Ich-Prinzips und die notwendige Unbestimmtheit des absoluten Ich als Tathandlung (15–18/FW I, 95–98) Um das Ich als Tathandlung explizieren zu können, legt Fichte dar, dass die Identitätssetzung ein Urteil ist. Nach Fichte gesteht bereits das gewöhnliche Bewusstsein zu, dass ein Urteil eine Handlung ist.30 – Dieses Zugeständnis macht allerdings weder das gewöhnliche Bewusstsein noch jedes ausgebildete philosophische Bewusstsein immer. So deutet z. B. Frege das Urteil nicht als Handlung, sondern als Geltungseinheit, in der vom Sinn (der Gegebenheitsweise von Gedanken) zur Bedeutung (dem Gegenstand selbst) übergegangen wird.31 Dass dazu auch eine Handlung, ein aktiver Vollzug des Übergehens notwendig ist, berücksichtigt Frege

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Erster Grundsatz: Ich = Ich

nicht. Dies ist in seiner Sicht eine Frage der Psychologie, die aber nicht für die Gültigkeit des Urteils selbst relevant ist; die Urteilsgeltung ist vielmehr nach Frege ausschließlich von Sinn und Bedeutung abhängig. – Fichte hinterfragt den bestehenden Sachverhalt des Urteils auf seine Möglichkeit hin: Möglich wird jedes Urteil durch eine Handlung; denn ein Urteil stellt eine Verbindung dar; Verbindungen liegen aber nicht einfach dinglich vor, sondern sie werden gemacht. Das heißt nicht, dass der verbundene Sachverhalt selbst gemacht wird, sondern dass die Erkenntnis des Gegenstandes als gesetzmäßige und regelhafte Verbindung dieser oder jener Aspekte von Gegebenem gemacht wird, sofern darin dessen spezifische Eigenschaften prädiziert und verknüpft werden (bzw. im verneinenden Urteil auseinander gehalten werden). Eine Handlung setzt wiederum denjenigen voraus, der handelt, ein Handlungssubjekt; ein Akt ohne Akteur wäre absurd. Bezüglich der obersten Tatsache des Bewusstseins, also bezüglich des Satzes der Identität, gilt dies ebenfalls, auch für die Verknüpfung von A mit A ist ein verknüpfendes Handlungssubjekt anzunehmen. Von diesem Ich, das in allen Urteilen vorausgesetzt werden muss, ist mit dieser notwendigen Voraussetzung jedoch kein wirkliches Dasein erkannt, sondern bloß, dass es ein logisches Subjekt geben muss, wenn es logische Urteile gibt. Dieses ist eine gedanklich-ideale Geltungseinheit und kein ontologisch existierendes Subjekt, auch nicht das empirisch-reale (individuelle) Subjekt; sondern ein allgemeines Selbstbewusstsein. Das Ich als reines Handlungssubjekt ist in sich selbst begründet, nicht in einem anderen. Alles, was mit sich identisch ist, wird hinsichtlich seiner Identität im Ich und durch es gesetzt; alles, was bewusst sein kann, muss mit sich identisch sein, also ist alles durch das Ich, zumindest seiner identischen Form nach, bedingt. Es kann keine höherliegende Bedingung für das Ich selbst geben, weil es selbst alles (seiner formalen Identität nach) bedingt. Sofern das reine Ich alles bedingt, kann es selbst nichts Bedingtes und damit auch nichts Bestimmtes sein. Daran zeigt sich, dass das absolute Ich zwar reine Handlung ist, aber als solche noch keine Spezifikationen oder Differenzierungen aufweist. Das absolute Ich ist nur Handlung überhaupt. Das Ich ist „der reine Charakter der Tätigkeit an sich: abgesehen von den besondern empirischen Bedingungen derselben“ (16/FW I, 96). Das absolute Ich als reine Handlung, zu dem in konsequenter Analyse der Satz der Identität führt, ist also inhaltlich völlig unbestimmt und leer. Es erhält Bestimmtheit allererst durch eine konkrete Spezifikation der Handlung. Die ausschließliche Selbstgleichheit des Ich mit sich impliziert dessen Unbestimmtheit. Bestimmtheit ergibt sich daraus, dass etwas gegen etwas anderes abgegrenzt wird. Dies geschieht bei der Selbstsetzung des „Ich = Ich“ nicht, da sich das Ich nur auf sich als mit sich Identisches bezieht. Ge-

Struktur des Ich-Begriffs

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rade durch die Reinheit der Selbstbezüglichkeit ist das absolute Ich unbestimmt. Innerhalb der praktischen Philosophie, die das Streben des Ich nach Selbstbestimmung darstellt, wird im Rückblick die Unbestimmtheit des absoluten Ich, mit dem die Grundlage beginnt, deutlicher: „Das absolute Ich ist schlechthin sich selbst gleich: alles in ihm ist Ein und ebendasselbe Ich, und gehört (wenn es erlaubt ist, sich so uneigentlich auszudrücken) zu Einem und ebendemselben Ich; es ist da nichts zu unterscheiden, kein Mannigfaltiges; das Ich ist Alles, und ist Nichts, weil es für sich nichts ist, kein Setzendes und kein Gesetztes in sich selbst unterscheiden kann. – Es strebt (welches gleichfalls nur uneigentlich in Rücksicht auf eine künftige Beziehung gesagt wird), kraft seines Wesens sich in diesem Zustande zu behaupten. – Es tut in ihm sich eine Ungleichheit, und darum etwas Fremdartiges hervor. (Dass das geschehe, lässt sich a priori gar nicht erweisen, sondern jeder kann es sich nur in seiner eigenen Erfahrung dartun. Ferner können wir bis jetzt von diesem Fremdartigen weiter auch gar nichts sagen, als dass es nicht aus dem inneren Wesen des Ich abzuleiten ist, denn in diesem Falle wäre es überhaupt nichts zu Unterscheidendes.)“ (182/FW I, 264 f.) Dieses Fremdartige ist das Entgegensetzen des NichtIch, und dieses bildet eine Unterscheidung im Ich, die es in sich findet, ohne aber das Nicht-Ich selbst hervorgebracht zu haben. Das Dass-Sein des Nicht-Ich, also die pure Existenz des Nicht-Ich ist nur für das innere Erleben eines jeden Selbstbewusstseins gegeben, insofern ist die Existenz des Nicht-Ich ein kontingentes Faktum, das nicht apriori deduziert werden kann. Wenn ein Skeptiker also das Nicht-Ich leugnet, kann ihm dieses nicht apriori bewiesen werden. Allerdings ist die Struktur und die Form, in der Ich und Nicht-Ich interagieren sehr wohl apriori zu demonstrieren; aus dem Begriff eines endlichen Ich ist nämlich die Interaktionsform von Ich und Nicht-Ich zu deduzieren, aber eben nicht die bloße Existenz des Nicht-Ich. Erst in dieser Interaktionsform von Ich und Nicht-Ich bekommt das Ich Bestimmtheit, unabhängig von dieser Interaktion ist das absolute Ich und dieses ist notwendigerweise unbestimmt. Bezüglich des Ich als Tathandlung zeigt sich die Methode der eidetischen isolierenden Abstraktion besonders deutlich: Von allen Spezifikationen und Differenzierungen des konkreten und „tatsächlichen“ Ich wird abgesehen, und es bleibt die bloße Handlung überhaupt zurück. Die Handlung überhaupt ist das, was zur Bestimmtheit fähig ist, was also bestimmbar ist, ohne selbst bestimmt zu sein. Dieser allgemeine Charakter der bloßen Bestimmbarkeit ohne Bestimmtheit eignet allen drei ursprünglichen Tätigkeiten des Ich (also sowohl dem Setzen [1. Grundsatz] als auch dem Entgegensetzen [2. Grundsatz] als auch dem Beziehen [3. Grundsatz]): „Jenes ursprüngliche Setzen nun, und Gegensetzen, und Teilen ist

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Erster Grundsatz: Ich = Ich

NB. kein Denken, kein Anschauen, kein Empfinden, kein Begehren, kein Fühlen, u.s.f. sondern es ist die gesamte Tätigkeit des menschlichen Geistes, die keinen Namen hat, die im Bewusstsein nie vorkommt, die unbegreiflich ist; weil sie das durch alle besondere (u. lediglich insofern ein Bewusstsein bildende) Akte des Gemüths bestimmbare, keineswegs aber ein bestimmtes ist“.32 Das Ich als bloße Handlung ist also dasjenige, was in allen spezifischeren Handlungen immer mitvorhanden und mitvollzogen ist, aber nicht vollständig in diesen aufgeht, weil es selbst die Undifferenziertheit dessen ist, was nur die Möglichkeit hat, sich zu differenzieren. Gleichwohl kann man von diesem undifferenzierten, reinen HandlungsIch nur durch seine Differenzierungen in einzelnen, spezifischen Handlungen wissen, die seine Konkretionen sind. Die reine, bloße Handlung ist nicht ohne ihre Konkretionen wissbar; sie bliebe sonst völlig „namenlos“ und unbewusst; zwischen absolutem Ich und spezifischem Ich liegt eine „egologische Differenz“. Diese Leere und Undifferenziertheit unterscheidet das Ich als reine Handlung auch grundsätzlich von Gott und dessen Bewusstsein, das im Gegensatz zu der Leere des absoluten Ich die vollständige Erfülltheit mit aller positiven Vollkommenheit ist. Fichte fängt daher sein System nicht mit dem Absoluten (Gott) an. Bereits Schiller verwechselt das absolute Ich bei Fichte mit Gott, wenn er ironisch an Goethe über diesen schreibt: „Die Welt ist ihm nur ein Ball, den das Ich geworfen hat, und den es bey der Reflexion wieder fängt!! Sonach hätte er seine Gottheit wirklich declariert, wie wir neulich erwarteten“.33 – Erst Schelling entwirft mit seinem Identitätssystem seit 1801 einen Systemanfang mit dem Absoluten, das eine reine Identität ist, die, nach Spinozas Vorbild, als metaphysische Substanz zu denken ist. Dieses Absolute ist nach Schelling die eine, sich selbst setzende Substanz, die causa sui. – Nach Fichte setzt sich das Ich zwar auch selbst, aber es erschafft sich nicht aus dem Nichts und hat als anfängliche Tathandlung keine objektive Erfüllung. Das tathandelnde Ich kann diesen Anfang seiner selbst gar nicht mehr einholen, das Ich war immer schon Ich, es entsteht nicht aus dem Nichts, wie dies bei der causa sui der Fall ist.34 Sofern dem Ich der Tathandlung in seinem Akt der Selbstsetzung Sein zukommt, ist dies noch kein wirkliches Dasein: „Die Wissenschaftslehre unterscheidet sorgfältig absolutes Sein und wirkliches Dasein, und legt das erstere bloß zum Grunde, um das letztere erklären zu können“ (195 Anm./FW I, 278 Anm.). Das Ich der Tathandlung wird also von der Wissenschaftslehre nur begründungstheoretisch konzipiert und konstruiert, um das wirkliche Dasein und Erfahrung als Tatsachen des Bewusstseins zu erklären, d.h., es handelt sich um eine notwendige Hypothese.35 Im Gegensatz zu dieser bloßen Erklärungskonstruktion des reinen, absoluten Ich als Tathandlung ist es aber auch zumindest horizonthaft mit-

Struktur des Ich-Begriffs

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erlebbar, und zwar in der intellektuellen Anschauung. Diese erwähnt Fichte in der Grundlage jedoch nicht. Wohl weil es sich um eine Darstellung der Prinzipien des Wissens handelt, die das Ich als Fundament allen Wissens durch den methodisch vermittelnden Weg über die Logik erreicht und darüber hinaus immer rückbezogen auf die Tatsachen des Bewusstseins argumentiert. Die Berufung auf die intellektuelle Anschauung bildet dagegen ein intuitionistisches Postulat an den mitvollziehenden Philosophen, ein spontanes Wissen um die bloße Handlungstätigkeit aus Freiheit selbst zu erleben.36 Die intellektuelle Anschauung entwirft Fichte in der kurze Zeit vor der Grundlage erschienenen Aenesidemus-Rezension vom Februar 1794 (vgl. FW I, 16), wo er die intellektuelle Anschauung als die Realisation des sich selbst schlechthin setzenden „Ich bin“ bestimmt. Das reine, noumenale, unsinnliche Ich (der Tathandlung) ist dort eine „transzendentale Idee“ (a. a. O.); diese wird offensichtlich – was hinsichtlich einer Idee für das endliche Ich im kantisch-fichteschen, transzendental-kritischen Sinn eigentlich ein Widerspruch ist – in intellektueller Anschauung „realisiert“; es ist eigentlich Kennzeichen der reinen Vernünftigkeit von Ideen, dass sie sich gerade nicht realisieren lassen. Wohl um diese Schwierigkeit, dass die intellektuelle Anschauung die Realisation einer Idee ist, zu vermeiden, unterlässt es Fichte, in der Grundlage dem einzuführenden Philosophen diese unmögliche Aufgabe zuzumuten.37 In der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre (1797), sagt Fichte von der reinen in sich zurückgehenden Tätigkeit des Ich, dass sie gar kein Bewusstsein und auch kein Selbstbewusstsein sei (vgl. FW I, 458 f.) und dass sie aufgrund der Unmittelbarkeit des Wissens um sich, als Anschauung zu bezeichnen ist. Gleichermaßen ist es ein Wissen von bloßer Handlung ohne eine gegenständlich-dingliche Fixierung. Die intellektuelle Anschauung als Wissensvollzug reiner Handlung lässt sich nur als Gegenbestimmung zum „Sein“ bzw. zum Seienden, d. h. zu den dinglichen Fixierungen erleben. Wechselseitig einander negativ ab- und ausgrenzend bestimmen sich reine, bloße Handlung (intellektuelle Anschauung) und Sein/Seiendes (vgl. FW I, 461). Üblicherweise wird das Fehlen der intellektuellen Anschauung in der Grundlage dadurch erklärt, dass Fichte sich angesichts des Verdikts Kants, intellektuelle Anschauung sei für uns Menschen unmöglich, nicht getraut habe, diese dort namhaft zu machen. Dies wäre aber nur ein unphilosophisch-äußerlicher Grund, der durch andere, ebenfalls veröffentlichte Schriften Fichtes, in denen er sie an zentral beleuchteter Stelle erwähnt, widerlegt wird. Grund für die Nichterwähnung ist wohl eher die sachliche Problematik der intellektuellen Anschauung als einer realisierten Idee. Eine sachliche Begründung für das Fehlen der Erwähnung der intellek-

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Erster Grundsatz: Ich = Ich

tuellen Anschauung in der Grundlage besteht wohl eher in Folgendem: Da der Weg zu dem reinen Ich in der Grundlage durch die Logik und den Satz der Identität „A = A“ vermittelt ist, und dieser Weg eine intersubjektiv darstellbare Methode ist, die begrifflich allgemein nachvollziehbar ist, kann in diesem Kontext auf die Berufung auf die Intuition der intellektuellen Anschauung verzichtet werden. Das Ich als Tathandlung ist die uneingeschränkte Tätigkeit der selbstanfänglichen Selbstsetzung. Der Terminus „Selbstsetzung“ bezeichnet eine schrankenlose, d. h. eine nicht durch anderes begrenzte Position. Darin ist aus der Sicht des endlich-begrenzten Ich der Widerspruch enthalten, dass hier das setzende Ich in gleicher Hinsicht auch als gesetztes Ich zu verstehen ist. Der Produzent der Handlung ist gleichermaßen das Produkt der Handlung. Umgekehrt kann auch gesagt werden: Das Produkt der Handlung ist auch deren Produzent. Das Ich ist in der Tathandlung mit sich völlig identisch, d.h., zwischen dem Setzenden und dem Gesetzten gibt es keinen Unterschied. Insofern bildet die Identität des absoluten Ich den Ausgangspunkt und das Prinzip der Wissenschaftslehre: Es kann prinzipiell gar kein Wissen ohne identisches Ich geben. Diese Identität besteht in der Untrennbarkeit und Ununterscheidbarkeit der beiden Relata in der Aussage „Ich bin Ich“. Diese Relation hat eigentlich nur ein Relatum, nämlich die Beziehung zu sich selbst; diese Selbstrelation ist ungetrübt und durch anderes nicht beschränkt und besteht in einem einfachen Akt. In dem Urteil „Ich bin Ich“ kann das erste Ich, also dasjenige an der Subjektstelle, als das Setzende und das zweite Ich, an der Prädikatstelle, kann als das Gesetzte betrachtet werden. In dieser Hinsicht ist das Prädikat-Ich das Seiende, das Hervorgebrachte. Die Tathandlung wird aber erst völlig eingesehen und mitvollzogen, wenn begriffen ist, dass umgekehrt auch das Prädikat-Ich, also das Gesetzte, das Setzende ist und dass daher auch das Subjekt-Ich das Gesetzte ist (vgl. 16 f./FW I, 96 f.). Setzendes und gesetztes Ich stehen also in einer völlig symmetrischen Relation; das tathandelnde Ich ist deswegen „absolutes Subjekt“. Absolut ist es, weil keine Heteronomie in ihm gesetzt ist, es ist ausschließlich es selbst. Der Terminus „absolutes Subjekt“ kommt dem Ich zu, sofern es hinsichtlich aller bestimmteren Urteile unbedingt setzend ist und in diesem Setzungsakt nicht durch anderes bedingt ist, das es zur Setzung zwingen könnte (vgl. hierzu 16 Anm./FW I, 96 Anm.): Ob das Ich überhaupt etwas setzt oder nicht setzt, ist nur von ihm selbst abhängig und macht seine radikale Form der Freiheit aus; diese Setzungstätigkeit des vollziehenden Subjekt-Ich ist der Grund, weshalb auch in der Identitätsaussage, wie in jeder Aussage, das, worüber die Aussage ergeht, als (grammatisches) Subjekt bezeichnet wird. Dagegen wird in Aussagen dasjenige als (grammatisches) Prädikat bezeichnet, was das Ich in sich als am vorgängig bereits

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gesetzten Aussagesubjekt Vorgefundenes findet; also dessen Eigenschaften. Wenn das Ich daher in Aussagen etwas über etwas aussagt, sagt es eigentlich etwas über sich selbst aus, nämlich über das, was es in sich setzt und was es als dem Gesetzten Zukommendes gesetzt hat. Die Kopula bildet daher „den Übergang des Ich vom Setzen zur Reflexion über das Gesetzte“ (16 Anm./FW I, 96 Anm.). Zu differenzieren ist, dass das ursprüngliche Ich selbst nicht als vermitteltes Reflexions-Ich verstanden werden darf; es gibt also nicht zunächst einen Akteur, dann einen Akt und anschließend ein auf diesen Akt zurückkommendes Ich. Beim absoluten Ich der Tathandlung bilden Akteur, Aktstruktur und Vollzug des Aktes – mit einem Wort Heideggers – eine „gleichursprüngliche Strukturganzheit“. Nur das Urteil, welches das Ich vollzieht, wenn es etwas als etwas bestimmt, hat die diskursive Reflexionsstruktur des Setzens und des reflexiven Übergehens zu einer an diesem Gesetzten gesetzten Eigenschaft vermittels der Kopula. Das Urteil ist also eine spezifische (reflexive) Setzung und als solche vom Setzen überhaupt, welches das absolute Ich selbst ist, zu unterscheiden; hier findet kein reflexiver Akt zwischen zwei Unterschiedenen statt; sondern unmittelbare Identität. Fichte hat also im Rahmen des ersten Grundsatzes der Grundlage kein Reflexionsmodell des Ich vor Augen, sondern ein Modell der unmittelbaren und vollständigen Selbstidentität, denn „das sich setzende Ich, und das seiende Ich sind völlig gleich, Ein und ebendasselbe. Das Ich ist dasjenige, als was es sich setzt, und es setzt sich als dasjenige, was es ist“ (18/FW I, 98). Reflexive Akte setzen diese absolute Selbstidentität des Ich immer schon voraus und können sie nicht erklären; weil in jedem Reflexionsakt bereits Verbindung und Trennung vorliegen, die ein durchgängig mit sich identisches Ich zur Voraussetzung haben. Ohne die durchgängige absolute Identität des Ich könnte eine Verknüpfung von Verschiedenem nicht vollzogen werden.38 Sofern dem Ich im Akt der Selbstsetzung ein Gesetztsein zukommt, ist es „für sich“, d. h., es ist kein Ding, das bloß „für anderes“ ist, sondern das Ich ist für das Ich da. Dieses Ich als ursprüngliches Für-sich-Sein ist daher auch kein Ding an sich; das absolute Ich ist nicht als ein Zugrundeliegendes bzw. eine Substanz und tritt dann nachträglich in eine Relation zu sich (wobei die Relation eine Eigenschaft des Zugrundeliegenden wäre). Vielmehr ist das Ich, was es ist, immer schon für ein Ich. Mit dieser Bestimmung vermeidet Fichte die Schwierigkeiten der rationalen Psychologie, wie sie in der Metaphysik vor Kant auftraten und von diesem auch schon im „Paralogismuskapitel“ der Kritik der reinen Vernunft als unzulässige Hypostasierung kritisiert wurden.39 In der rationalen Psychologie wurde bereits z.B. bei Descartes, Leibniz, Wolff und Baumgarten die Seele als ein Ding an sich verstanden, dem ontologische Existenz als Substanz im Reich

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Erster Grundsatz: Ich = Ich

der Intelligibilia zukommt. Die Bestimmung der Substanz, der Eigenschaften inhärieren, wird in dieser Tradition abstrakt als gültig vorausgesetzt. Die Eigenschaften, die der Ich-Substanz zukommen, sind deren Gedanken. Die Relation von Substanz und Akzidenz ist nach dieser Tradition asymmetrisch, d. h., die Substanz ist nicht mit ihren Akzidenzien identisch, d. h., wenn aufgeschlüsselt ist, was Gedanken oder Vollzüge sind, ist damit noch nicht vollständig bestimmt, was die Ich-Substanz selbst ist, denn die Substanz ist das Zugrundeliegende der Eigenschaften und nicht selbst eine ihrer Eigenschaften, insofern ist die Substanz nicht mit ihren Akzidenzien identisch und somit auch nicht vollständig durch sie bestimmbar; dies gilt auch dann, wenn es sich um Wesenseigenschaften handelt, bei diesen liegt auch ein asymmetrisches Verhältnis zur Substanz vor. Diese Unklarheit wird bei Fichte vermieden: Hinsichtlich des Aktes der Setzung ist das Ich keine zugrundeliegende Substanz oder ein Ding an sich, das auch unabhängig von der Vollzugssetzung sein könnte, sondern das Ich ist mit seiner Setzung identisch; es ist reines Für-sich-Sein ohne ein Zugrundeliegendes jenseits dieser Eigenschaft. Insofern trifft auf das Ich der Tathandlung die Bestimmung der Substanz wegen der reinen Selbstsetzung und des Für-sich-Seins nicht zu. „Dasjenige, dessen Sein (Wesen) bloß darin besteht, dass es sich selbst als seiend, setzt ist das Ich, als absolutes Subjekt. So wie es sich setzt, ist es; und so wie es ist, setzt es sich; und das Ich ist demnach für das Ich schlechthin, und notwendig. Was für sich selbst nicht ist, ist kein Ich“ (17/FW I, 97; vgl. auch 17 f./FW I, 98). Mit dieser fundamentalen Bestimmung des Ich als Für-sich-Sein und Selbstsetzung vermeidet Fichte also eine dogmatische, metaphysische, rationale Psychologie. Dieser Zusammenhang, dass das Ich reines und ausschließliches Fürsich-Sein ist und kein existierendes „Ding an sich“, wird auch in der „Erläuterung“ deutlich (vgl. 17/FW I, 97). Dort expliziert Fichte, dass die Frage: „Was war das Ich bevor es zu sich in ein Selbstverhältnis der Identität trat?“, völlig sinnlos ist; denn das Ich war gar nicht; das Ich ist überhaupt erst, wenn es das ursprüngliche Selbstverhältnis mit der Identitätssetzung vollzogen hat. Dem Subjekt-Ich, das sich mit sich als dem Objekt-Ich vollständig identifiziert, wird vom Alltagsbewusstsein (fälschlicherweise) ein Zugrundeliegendes untergeschoben, das dem Identifikationsakt als Basis vorausliegen soll. Dies ist aber bei dem sich selbst erfassenden Ich völlig unzulässig, da es der Identifikationsakt selbst ist. Ein Zugrundeliegendes würde auch die Identifikation unvollständig werden lassen, denn das Zugrundeliegende des Aktes ist mit diesem nicht identisch. Auch das Zugrundeliegende müsste nach dieser Vorstellung wiederum ein mit sich identisches sein, damit wird aber das sich identifizierende Ich bereits für die (fälschliche) Annahme eines Substrats des

Struktur des Ich-Begriffs

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Aktes vorausgesetzt. Daran zeigt sich die Unhintergehbarkeit des Ich; von ihm lässt sich selbst in einer Substrattheorie nicht abstrahieren. Wollte man von seinem Ich abstrahieren, dann hätte man das Ich im Akt der Abstraktion bereits wieder mitvorgestellt, als das den Akt der Abstraktion vollziehende. Die Bezweiflung des Ich setzt dieses bereits als unhintergehbar, unabstrahierbar und unbezweifelbar immer schon voraus. Mit dem radikalen Verständnis der Spontaneität des Ich als ursprünglicher, unableitbarer Selbstanfänglichkeit werden von Fichte aber nicht nur einerseits die Widersprüche der Tradition der metaphysisch dogmatischen, rationalen Psychologie vermieden, sondern zugleich wird ein biologistisch-evolutionäres Erklärungsmodell des Ich ausgeschlossen. Ein evolutionärer (naturalistisch-biologistischer) Ansatz stellt sich die Frage, wie das selbstbezügliche Ich aus nichtselbstbezüglicher Biomasse hat entstehen können; wobei es sich genau um die Frage handelt, was das Ich war, bevor es sich auf sich selbst bezog, d. h., woraus die Selbstbezüglichkeit entstanden ist. Eine Frage, die nach Fichte sinnlos ist; oder die – mit einem Wort Carnaps – ein „Scheinproblem“ des Naturalismus darstellt. Fichte kannte natürlich die Evolutionstheorie und auch die biologistisch-neurologischen Ansätze der späteren und heutigen Zeit nicht; aber dennoch sagt er pointiert gegen eine solche bereits zu seiner Zeit aufkommende Tendenz in den mannigfaltigen, teils exotistischen Reisebeschreibungen und in der Populärphilosophie: „Vor nichts aber hüte – sowohl die Geschichte, als eine gewisse Halbphilosophie, – sich mehr, als vor der völlig unvernünftigen, und allemal vergeblichen Mühe, die Unvernunft, durch allmähliche Verringerung ihres Grades, zur Vernunft hinaufzusteigern; und, wenn man ihnen nur die hinlängliche Reihe von Jahrtausenden gibt, von einem Orang-Utang zuletzt einen Leibniz, oder Kant, abstammen zu lassen!“40 Aus heutiger Sicht lässt sich zwar absehen, dass die evolutionäre Entwicklung biochemischer Reiz-Reaktionsmuster des Gehirns im sich komplexer entwickelnden Durchgang durch verschiedene Species die notwendige Bedingung für die Selbstbezüglichkeit des menschlichen Ich ist, aber damit ist die biologische Evolution des Gehirns noch nicht als zureichender Grund für die Selbstbezüglichkeit eines Ich bewiesen. Ein biologistischnaturalistischer Ansatz muss notwendigerweise die radikale Selbstanfänglichkeit des Ich bestreiten; nach ihm kann nur eine graduelle Steigerung bio-chemischer Prozesse des Gehirns für den Übergang von der Nichtselbstbezüglichkeit einfacher Neuronenverbindungen zu der Selbstbezüglichkeit komplexerer Neuronenverbindungen konsequent konzipiert werden; was allerdings nach Fichte die Freiheit als das Andere der Naturdetermination und den Gedanken der Selbstanfänglichkeit aufhebt. Das Ich bildet nach einer solchen Konzeption nur eine besonders komplex determinierte Biomasse.41

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Erster Grundsatz: Ich = Ich

Das Ich als Tathandlung ist Subjekt-Objekt-Identität; dies, so fügt Fichte in einer Anmerkung zur zweiten Auflage der Grundlage von 1802 ein, sei die Terminologie, derer er sich nach der Grundlage bedient hat (vgl. 18/FW I, 98). Allerdings konzipiert er dies bereits 1795/96 in der Vergleichung des von Herrn Prof. Schmid aufgestellten Systems mit der Wissenschaftslehre. Dort führt Fichte über das Ich-Prinzip als Tathandlung aus: „In dieser absoluten Identität des Subjects und Objects besteht die Ichheit: Ich ist dasjenige, was nicht Subject seyn kann, ohne in demselben ungetheilten Acte Object, und nicht Object seyn kann, ohne in demselben ungetheilten Acte Subject zu seyn; und umgekehrt, was so ist, ist Ich: beide Ausdrücke sagen bestimmt dasselbe. Aus dieser Identität nun, und aus ihr allein, so dass man nicht das mindeste weiter hinzuzusetzen braucht, geht die ganze Philosophie hervor; durch sie wird die Frage vom Bande des Subjects und Objects auf einmal für immer beantwortet, indem sich zeigt, dass sie gleich ursprünglich in der Ichheit verbunden sind. Durch sie wird der kritische Idealismus gleich zu Anfange aufgestellt, die Identität der Idealität und Realität; der kein Idealismus ist, nach welchem das Ich nur als Subject, und kein Dogmatismus, nach welchem es nur als Object betrachtet wird“ (FW II, 442). Fichte nimmt hier den später für Heidegger so zentralen Terminus der „Gleichursprünglichkeit“ vorweg und bestimmt mit seiner Hilfe die völlig symmetrische Relation von Subjekt-Ich und ObjektIch in der Tathandlung. – Kritisch gegen Fichte ist einzuwenden, dass die Objektivität, die dem Ich im „Ich = Ich“ zukommt, eine ganz andere ist, als diejenige, die, auch nach Fichte selbst, den Gegenständen der Erkenntnis und den Dingen der Welt zukommt. Daher ist mit der Subjekt-Objekt-Einheit nicht zugleich die Problematik der Objektkonstitution vollständig lösbar, denn mit der Selbstverobjektivierung des Ich in der Tathandlung ist – auch nach Fichte selbst – noch keine bestimmte Objektivität gesetzt, sondern die Selbstverobjektivierung des absoluten Ich ist gleichermaßen auch Selbstversubjektivierung, „im selben Akt“. In der Vergleichung entwirft Fichte, dass die einseitige Betrachtung des Ich als Objekt zur Anschauung, die einseitige Betrachtung des Ich als Subjekt zum Begriff führe. Allerdings darf man ein Objekt nicht mit einer bloßen Anschauung identifizieren, ebensowenig das Subjekt mit dem Begriff. Derartige Grobheiten unterlaufen Fichte sonst nicht und sind wohl der verkürzten Darstellung der Vergleichung zuzuschreiben. – Von zentraler Bedeutung für das tathandelnde Ich ist die „Gleichursprünglichkeit“ von Subjekt und Objekt. Fichte betont in der zitierten Vergleichung auch, dass die Tathandlung bzw. das Ich als Subjekt-ObjektEinheit der Verlebendigung durch die (intellektuelle) Anschauung bedarf, weil es sonst nur eine philosophische Konstruktion ist; wird sie jedoch vom

Methode des doppelten Abstraktionsverfahrens

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Philosophierenden auch in der Anschauung erlebt, dann kommt ihr noch größere Evidenz zu (vgl. FW II, 442). Das absolute Ich als Subjekt-Objekt-Einheit entwirft Fichte später auch in der Bestimmung des Menschen von 1800 (vgl. FW II, 225 f.). Dort wird eine im Bewusstsein nicht mehr vollziehbare Besonderheit des ursprünglichen Ich deutlich: Die Subjekt-Objekt-Einheit des absoluten Ich besagt, dass es einerseits sowohl Subjekt als auch Objekt ist, und andererseits besagt sie gleichfalls, dass das absolute Ich weder Subjekt noch Objekt ist. Einerseits ist das absolute Ich Subjekt, weil es Wissendes ist; es ist aber auch Objekt, weil es Gewusstes ist. Andererseits gilt, dass beim absoluten Ich das wissende Subjekt unmittelbar auch gewusstes Objekt ist, weil es mit diesem identisch ist, denn das Wissende ist das Gewusste. Das Subjekt kann also hier nicht dem Objekt gegenübergestellt werden, daher ist das absolute Ich kein Subjekt, dessen man sich dadurch bewusst werden könnte, dass es dem Objekt entgegengesetzt ist. Gleichermaßen ist das absolute Ich aber auch kein Objekt, das einem Subjekt entgegengesetzt werden könnte, da im absoluten Ich das gewusste Ich (Objekt) unmittelbar mit dem wissenden Ich (Subjekt) identisch ist. Das Objekt-Ich kann also nicht als ein dem Subjekt-Ich (Wissendes) Entgegengesetztes bewusst werden. Nach Fichte folgt aus dieser Subjekt-Objekt-Struktur, die ein Sowohl-alsauch-und-weder-noch bildet, dass das absolute Ich notwendigerweise nicht bewusst werden kann (vgl. FW II, 225 f.), weil das Bewusstsein eine einsinnig unterscheidende Relation mit klar voneinander abgrenzbaren Polen ist; dies fehlt in der Subjekt-Objekt-Einheit. Dieses Fehlen ist aber nicht einfach ein Mangel, sondern eine Notwendigkeit, wenn die in sich differente Einheit des Bewusstseins nicht grundlos sein soll; wie dies z. B. in dem Bewusstseinsentwurf Reinholds der Fall war. Das absolute Ich als gleichermaßen Wissendes und Gewusstes ist nach Fichtes Ausführungen in der Bestimmung des Menschen „allgegenwärtig“ (FW II, 250). Dies bedeutet, dass die Subjekt-Objekt-Einheit kein abstrakt jenseits aller spezifischen Bewusstseinsakte liegendes Absolutes ist, sondern permanent und konstant in allen Bewusstseinsakten mitanwesend ist; allerdings selbst unthematisch und unbewusst.42

3. Die Methode des doppelten Abstraktionsverfahrens zur Grundlegung von formaler Logik und Kategorienlehre (18–19/FW I, 98–99) Wenn man in philosophischer Analyse von dem Inhalt der Tathandlung des „Ich = Ich“ abstrahiert, dann sieht man von dem Ich in einer künstlichen Weise ab, denn dieses bildet den Inhalt der Tathandlung. Was nach

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Erster Grundsatz: Ich = Ich

diesem Absehen noch übrig bleibt, ist bloß die Form des Aktes, die darin besteht, etwas notwendigerweise mit sich selbst gleich zu setzen; was sich als „A = A“ formalisieren lässt. Diese Formalisierung bietet die Möglichkeit einer Einsetzung von allem für die Variable „A“. Wegen dieser Formalisierung, Notwendigkeit und Allgemeinheit ist der Satz der Identität ein formallogisches Gesetz, das keinen spezifischen Inhalt hat. Hier wird das Verhältnis von Transzendentalphilosophie und Logik bei Fichte deutlich: Die Logik ist eine von den konstitutiven Vollzügen der Subjektivität abstrahierende Disziplin, die jene voraussetzt, wenngleich die Logik als eigene Disziplin diese ihre Voraussetzung nicht selbst hinterfragt. Insofern ist die Logik eine unselbständige und unvollständige Disziplin um die Strukturen des Denkens zu erfassen. Die Logik sieht nach Fichte nur die Formen der noematischen Produkte des Denkens, aber weder die noetische Aktivität noch das Denkende, d.h. das Ich. Dabei erweist sich die Unselbständigkeit und Unvollständigkeit der Logik hinsichtlich einer vollständigen Beschreibung des Denkens besonders dadurch, dass sie vom Ich abstrahiert, wo doch eigentlich gar nicht von ihm abstrahiert werden kann; sofern es unhintergehbar in jedem Denkakt mitgegenwärtig ist. Die Logik ist daher für Fichte eine künstliche Wissenschaft, die ihren Blick hinsichtlich der Form des Denkens verengt, indem sie von wesentlichen Elementen absieht und nur die noematische Strukturform von Denkverbindungen thematisiert. „A = A“ ist eine logische Grundbestimmung, die jedes Ding erfüllt, sofern es vom Ich gedacht wird. Alles Denkbare muss mit sich selbst identisch sein und diese logische Identität hängt von der Ich-Identität ab; daher kann es nichts Denkbares geben, was nicht der Ich-Identität gemäß ist. Alles, was denkbar ist, muss auch vom Ich vollziehbar sein; dies gilt in dem Sinne, dass nur etwas identisch mit sich sein kann, sofern es auch im Ich setzbar ist. Damit kann es keine Dinge an sich im trivialen Sinn geben. Dinge an sich im trivialen Sinn wären solche, die prinzipiell nicht in eine Relation zum Ich und zur Identität treten könnten; derartige Dinge an sich dürften nicht mit sich selbst identisch sein; denn wären sie mit sich selbst identisch, dann wären sie einem Gesetz des Ich gemäß und wären auch im Ich setzbar; dann wären sie aber nicht mehr absolut an sich, sondern für das Ich. Somit bilden Dinge an sich im trivialen Sinn einen Selbstwiderspruch, der vom Denken des Ich nicht nachvollziehbar ist: „Kein mögliches A im obigen Satze (kein Ding) kann etwas anderes sein, als ein im Ich Gesetztes“ (19/FW I, 99). – Allerdings konzipiert Fichte auf komplexerer Ebene auch ein Ding an sich im nichttrivialen Sinn; an späterer Stelle der Grundlage nimmt dieses, wie noch zu sehen sein wird, sogar eine zentrale Rolle ein. – Ein zweiter Abstraktionsschritt, der auf diesem ersten aufbaut, kann nun vorgenommen werden. Aus diesem zweiten Abstraktionsschritt erge-

Methode des doppelten Abstraktionsverfahrens

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ben sich die Kategorien.43 In diesem zweiten Abstraktionsschritt wird nach Fichte davon abgesehen, dass das Urteil „A = A“ eine strukturelle Handlungsverknüpfung ist; es wird nur noch im Blick behalten, dass es sich um eine Thesis, eine Setzung handelt, also dass überhaupt etwas gesetzt wird. Das Setzen ist die „Handlungsart“, nicht der Handlungsinhalt, sondern die Art und Weise des Handelns. Etwas hat durch das Setzen des Ich Realität. Setzen ist Realität. Realität ist also in einem weiten Sinn zu verstehen: Das, was als mit sich identisch im Ich gesetzt ist, hat Realität. In diesem Sinne hat ein Engel ebensoviel Realität, wie eine mathematische Formel oder ein Haus. Alle bilden für das Ich eine Sachhaltigkeit, die es vollziehen kann, ohne die Gegenstandsidentität und ohne die Ichidentität aufzuheben. Wenn also gesagt werden kann, dass das Ich die Realität setzt, ist dies davon zu unterscheiden, dass das Ich den Dingen Wirklichkeit gebe. Dies ist mit Realität offensichtlich nicht gemeint; wirkliche Existenz kommt einem Ding nicht bloß dadurch zu, dass das Ich es setzt. Gleichwohl ist die vom Ich gesetzte Realität die notwendige Voraussetzung dafür, dass etwas auch als wirklich von ihm vollzogen werden kann; wobei aus der bloßen Realität noch nicht die Wirklichkeit folgt; sonst wäre jeder Gedanke des Ich wirklich. Aus der Kategorie der Realität, d. h. aus dem Gesetztsein, sind alle anderen Kategorien herzuleiten (vgl. 19/FW I, 99). Diese Herleitung leistet Fichte an dieser Stelle nicht; aber man kann sie sich wohl mit dem Argument klar machen, dass sowohl die Kategorie der Negation als auch die Kategorie der Limitation – welche die anderen Kategorien der Relation und der Quantität enthält – jeweils das Gesetztsein voraussetzen und ohne es nicht denkbar sind. Damit erweist sich, dass die Kategorie der Realität eine ursprüngliche und transzendentale Bestimmung ist, denn sie ermöglicht andere Bestimmungen, die wiederum zur Bestimmung und zur Erkenntnis eines Gegenstandes notwendig sind. An diesem doppelten Abstraktionsverfahren wird deutlich, dass die Kategorien die logischen Urteilsformen voraussetzen; was auch Kant so entwarf. Wobei für das geradehin gerichtete, lebensweltliche Bewusstsein in seiner Welt der Umgang mit Dingen grundsätzlich kategorial bestimmt ist und es sich die logischen Gesetze erst als Abstraktionen aus den Kategorien vorstellt. Das für das lebensweltliche Bewusstsein Bekanntere sind die Dinge selbst und darin eingehüllt die kategorialen Bestimmungen. Die Kategorien werden – mit einer Wendung Heideggers – „zunächst und zumeist“ nicht abgesondert thematisch explizit gemacht, sondern sind für das gewöhnliche, lebensweltliche Bewusstsein unthematische, selbstverständliche Vollzüge, die durchgängig praktiziert werden. Nur der Transzendentalphilosoph der Wissenschaftslehre hebt diese kategorialen Bestimmungen und die darin vorausgesetzten logischen Urteilsformen und

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Erster Grundsatz: Ich = Ich

die wiederum in den Urteilsformen vorausgesetzten Handlungen des Ich thematisch explizit hervor. Dieses doppelte Abstraktionsverfahren Fichtes zur Ableitung von Grundbegriffen des Bewusstseins, die ihm dazu dienen, etwas zu bestimmen, unterscheidet sich fundamental von der transzendentalen Deduktion der Kategorien Kants in der 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft. Zwar sind auch nach Kant die Kategorien die begrifflichen Bestimmungen, die strukturieren, dass und wie uns Seiendes bzw. Gegenstände begegnen können. Aber dort stehen von vornherein die beiden Erkenntnisstämme: intuitive Anschauung und diskursiver Verstand fest, wie auch die zwölf Kategorien des Verstandes, die dieselben Einheitsfunktionen sind, wie diejenigen der zwölf Urteilsfunktionen, aber mit spezifischer Anwendbarkeit und Beziehung auf sinnliche Anschauungen. Kategorien „sind Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu Urteilen als bestimmt angesehen wird“.44 Die transzendentale Deduktion der Kategorien hat bei Kant die Aufgabe, zu zeigen, dass trotz der Heterogenität der beiden Erkenntnisstämme die Verstandesbegriffe dennoch rechtmäßigerweise auf die gegebenen Anschauungen anzuwenden sind. Hier handelt es sich also um ein Vermittlungsproblem in der Dualität von Begriff und Anschauung im Rahmen einer gesetzmäßigen und regelhaften Erkenntnis von Gegenständen. In der Erkenntnis von Gegenständen sind nach Kant Begriff und Anschauung miteinander regelhaft verknüpft. Fichte hebt dagegen mit seiner Methode der doppelten Abstraktion hervor, dass die Kategorien ichimmanente Bestimmungen sind; diesem hätte auch Kant zugestimmt, er hätte jedoch eher betont, dass die Kategorien für uns nur dann einen inhaltlich erfüllten Sinn haben, wenn sie auf raum-zeitliche Anschauungen bezogen sind. Eine Anwendung der Kategorien auf die spezifischen menschlichen Anschauungsformen Raum und Zeit leistet Fichte in der Grundlage nicht, wenngleich er es in Aussicht stellt (vgl. 145/FW I, 225). Die Deduktion Kants als Aufweis der Rechtmäßigkeit der Anwendung von Kategorien auf Anschauungen ist für Fichte ein Spezialproblem, das eigentlich erst im Rahmen der „Deduktion der Vorstellung“ auftreten kann, denn dort werden die Vermögen Anschauung und Verstand abgeleitet. So wie Kant die Kategorien als regelhaft-spontane Ordnungsfunktionen für das gegebene Mannigfaltige versteht, kann sie Fichte im Rahmen der drei Grundsätze nicht deuten, da die sinnliche Anschauung an diesem Ort noch gar nicht abgeleitet wurde. Kants Verständnis von Kategorien als Ordnungsfunktionen in der Erfahrung betrifft in Fichtes Sicht nur die interne Struktur des sinnlich-endlichen Nicht-Ich, kann aber aufgrund des sinnlichen Anschauungsbezugs nicht auch auf das reine Ich selbst angewendet werden.

Historische Bezüge

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Das wird noch deutlicher, wenn man Kants Lehre vom Schematismus mitberücksichtigt, denn die Kategorien werden, sofern sie für uns sinnvolle Einheitsbezüge in der Erfahrung herstellen, als solche Urteilsfunktionen verwendet, die spezifisch raum-zeitliche Einheitsstrukturen aufweisen. Die spezifischen Raum-Zeit-Ordnungsstrukturen sind die transzendentalen Schemata. Die produktive Einbildungskraft erschafft nach Kant figürliche Synthesen, die einerseits mit den Begriffssynthesen der Kategorien und andererseits mit den Mannigfaltigkeitsstrukturen von Raum und Zeit kompatibel und gleichartig sind.45 Damit erfahren aus Fichtes Sicht die Kategorien eine weitere Spezifikation auf die Anschauungsformen von Raum und Zeit hin. Fichte kann auch der seit Reinhold gängigen Kant-Kritik zustimmen, dass die Kategorien bei Kant nicht aus dem Ich selbst abgeleitet werden. Genau mit diesem Problemzusammenhang einer genetischen Ableitung von Kategorien aus dem Ich selbst haben es die ersten drei Grundsätze aus Fichtes Grundlage aber zu tun. Kategorien sind nach Fichte nichts anderes als begriffliche Fixierungen von Handlungstypen des Ich, wobei einerseits in einem ersten Abstraktionsschritt vom Ich als dem Akteur abgesehen wird und andererseits in einem zweiten Abstraktionsschritt vom Akt bzw. von der Agilität. Nur das noematische Produkt wird in der Analyse des Philosophen zurückbehalten und dieses ist die Kategorie. Daher folgt als Kategorie aus dem ursprünglichen „Ich = Ich“, der Identitätssetzung des Ich, unter Abstraktion vom Akteur einerseits und vom Akt andererseits nur dass etwas mit sich selbst gleich gesetzt wird. Dass etwas mit sich selbst gleich gesetzt wird, verleiht ihm Realität in dem Sinne, dass es eine mögliche, d. h. identische und widerspruchsfreie und damit sachhaltige Vorstellung bildet. Das, was nicht mit sich selbst gleich ist, hat keine Sachhaltigkeit für uns, denn es widerspricht sich selbst. Daher ist die Kategorie der Realität die zugleich allgemeinste und inhaltsunbestimmteste Kategorie, sie gilt für alles, was überhaupt für uns etwas sein kann und bestimmt doch den Inhalt dieses Etwas nicht näher, sondern sagt nur aus, dass es mit sich selbst gleich ist.

4. Historische Bezüge (19–21/FW I, 99–101) Fichte beschließt den ersten Grundsatz der Grundlage mit einem historischen Rückblick, in dem er darauf verweist, dass bereits Denker wie Descartes, Spinoza, Leibniz, Kant und Reinhold ähnliche Grundgedanken entwarfen wie er selbst, diese jedoch nicht mit derselben Konsequenz verfolgten wie er.

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a) Kant Fichte deutet, dass Kants „transzendentale Deduktion der Kategorien“ aus der Kritik der reinen Vernunft zwar bereits das „Ich = Ich“ als Tathandlung enthalten habe, allerdings nur in latenter Form, nicht explizit. Denn bei Kant gibt es hinsichtlich der Ausformulierung des Ich-Prinzips in einem Grundsatz nur vage Andeutungen.46 Das „Ich = Ich“ ist nach Fichte eigentlich die Voraussetzung dafür, dass die transzendentale Deduktion wie Kant sie als Ausweis der Rechtmäßigkeit der Anwendung von spontanen, diskursiven Begriffen auf rezeptive, intuitive Anschauungen konzipiert, gelingen kann. Die Deduktion Kants soll zeigen, dass die synthetische Einheit des Ich die Anschauungen rechtmäßigerweise zu einem Objekt der Erkenntnis verknüpfen kann (1. Beweisschritt) und wie sie dies leistet (2. Beweisschritt).47 Allerdings hat Kant nicht aufgewiesen, inwiefern das Ich zunächst sich selbst als Tätigkeit überhaupt setzen muss, um die spezifischere Tätigkeit der Synthesis (von Anschauungen) vollziehen zu können. Dies genau ist die Leistung des ersten Grundsatzes aus Fichtes Grundlage: Die Beziehung eines Vorstellungsgehalts zu einem anderen setzt ein Beziehendes voraus, das sich selbst zunächst gesetzt haben muss. Die Ich = Ich-Einheit des Subjekts bleibt bei Kant unexplizierte Voraussetzung für die von ihm zu Recht als fundamental erkannte Synthesisleistung des Subjekts. Dabei unterscheidet Kant bereits zwischen analytischer und synthetischer Einheit der transzendentalen Apperzeption;48 beide sind verschiedene Einheitsaspekte der reinen, spontanen Subjektivität. Die analytische Einheit der transzendentalen Apperzeption bezeichnet die durchgängige Identität des Selbstbewusstseins, also dass das Subjekt sich in den verschiedenen Akten und Aktphasen seiner Vorstellungsvollzüge als numerisch das selbe weiß; die synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption bezeichnet dagegen bei Kant den spontanen und regelhaft Verknüpfung leistenden Aspekt des Ich. Die beiden Einheitsaspekte des Ich bestehen also einerseits in der durchgängigen Identität und andererseits in der regelhaften Verknüpfungstätigkeit. Insbesondere die synthetische Einheit der Apperzeption zeigt, dass Kant das reine Selbstbewusstsein in seiner Einheit als unhintergehbar auf Mannigfaltigkeit bezogen konzipiert: Eine einheitliche Verknüpfung kann es nur bezüglich eines Mannigfaltigen geben, welches das zu Verknüpfende bildet; „Gedanken ohne Inhalt sind leer“,49 d. h., Begriffe werden letztlich von Anschauungen inhaltlich erfüllt und somit ist die theoretische Spontaneität des Subjekts auf die anschauliche Rezeptivität und auf die Pluralität verschiedener Vorstellungen angewiesen. Ist die Einheit der Apperzeption nicht auf sinnliche Anschauungen bezogen, sondern beschäftigt sich ausschließlich mit reinen

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Begriffen, dann treibt sie entweder formale Logik oder sie droht in die Scheinlogik der Dialektik zu verfallen und hypostasiert dann reine Gedanken zu wirklichen Dingen. Kant entwirft, dass die synthetische Einheit der Apperzeption der analytischen sachlich vorhergeht bzw. von dieser vorauszusetzen ist, weil die durchgängige Identität der analytischen Einheit der Apperzeption die explizit-thematische Vorstellung der Selbigkeit des Subjekts in seinen verschiedenen, regelhaft verknüpften Vorstellungsakten ist; damit wird nach Kant von der analytischen Einheit die synthetische Einheit vorausgesetzt; sofern die verschiedenen, regelhaft verknüpften Akte bereits vom Subjekt vollzogen sein müssen, damit es sich darin als mit sich identisch thematisch machen kann. Fichte kehrt das Verhältnis genau um und sagt, dass die analytische Einheit der Apperzeption der synthetischen vorangeht, weil es zunächst eines mit sich identischen Selbst bedarf, damit verschiedene Vorstellungen einheitlich verknüpft werden können; ganz deutlich sagt dies der späte Fichte, wenn er die synthetische Einheit der Apperzeption bloß als „Nachbild“ der analytischen bezeichnet.50 Die analytische Einheitsidentität der Apperzeption setzt nach dem späten Fichte mit der synthetischen Einheit der Apperzeption ihre eigene Diversifikation und Spezifikation in den verschiedenen Formen von Einheit;51 die verschiedenen Urteilsfunktionen sind als synthetische Einheiten differenzierende Selbstsetzungen und Aktualisierungen der einen identischen Subjektivität. Unverbunden und nicht zurückführend zwei Arten von Einheit des Subjekts nebeneinander koordiniert stehen zu lassen, wie Kant dies mit seinem Entwurf von synthetischer und analytischer Einheit der Apperzeption tat, würde in Fichtes Sicht zur Auflösung von Einheit und Prinzipienstatus der Subjektivität führen. – Wo der späte Fichte von der analytischen Einheit der Apperzeption als dem Vorbild der synthetischen spricht, darf das „analytisch“ nicht in dem Sinne verstanden werden, wie es Fichte im zweiten Grundsatz der Grundlage herleitet, nämlich dort als Antithesis, d. h. Entgegensetzung. Die analytische Einheit der Apperzeption als Vorbild der synthetischen ist gerade keine Entgegensetzung, sondern vom späten Fichte als durchgängige Selbigkeit des Ich gedeutet; und diese Analytizität als durchgängige Selbigkeit ist wiederum mit der reinen Identität der sich mit sich gleichsetzenden Tathandlung des absoluten Ich aus dem ersten Grundsatz der Grundlage zu identifizieren. – Hinsichtlich des fundamentalen Einheitscharakters der Subjektivität ist Heideggers Deutungsalternative von Kants Konzeption der Apperzeption, die analytische und die synthetische Einheit der Apperzeption als gleichursprünglich anzusehen, problematisch; nach Heidegger ist im intentionalen Bezug der Synthesis die analytische Einheit des Selbst immer schon „mitenthüllt“.52 Eine Gleichursprünglichkeit zweier Einheitstypen der

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Subjektivität zieht das systematische Problem nach sich, dass das Prinzip in sich eine unableitbar bipolare Struktur und Duplizität hat. Gegen diesen Einwand würde Heidegger wohl entgegnen, dass diese Duplizität allerdings bloß zu konstatieren ist und in ihrer Unrückführbarkeit auf eine noch höhere Form von Einheit, die beide aus sich entlässt, die Endlichkeit und Beschränktheit der transzendentalen Subjektivität bildet. Dagegen ist die späte Äußerung Fichtes, dass die synthetische Einheit „Nachbild“ der analytischen ist, nicht so zu denken, dass es eine ursprünglichere Einheit gegenüber der analytischen und synthetischen gäbe, die dann bereits der dritte Einheitstypus wäre, sondern die analytische Apperzeptionseinheit selbst ist es, die sich in der synthetischen differenziert, es gibt dann also nach Fichte nur genau eine Einheitsform mit verschiedenen Selbstmodifikationen.53 b) Descartes Descartes hat im Discours de la Méthode das cogito, ergo sum als Grundsatz der Ersten Philosophie geprägt. Dabei interpretiert Fichte völlig zutreffend, dass Descartes diesen Grundsatz nicht als Konklusion eines Syllogismus konzipierte, weil dann die Regeln der Syllogistik und die Prämisse des Schlusses („Alles, was denkt, existiert“) vor dem cogito, ergo sum bereits Gültigkeit haben müssten, was wiederum das cogito als erstes Fundament widerlegen würde. Daher deutet Fichte, dass das Cartesische cogito eine „unmittelbare Tatsache des Bewusstseins“ (20/FW I, 100) und kein vermitteltes Schlusswissen ist. Fichte kritisiert allerdings an Descartes, dass das cogito, ergo sum insofern nicht erste Gewissheit sein kann, als cogitare/Denken eine spezifische Tätigkeit des Subjekts ist und nicht dessen basalste und rudimentärste Seinsweise bildet. Denken als begriffliche Tätigkeit setzt Tätigkeit überhaupt voraus. Unter Tätigkeit überhaupt versteht Fichte die unbeschränkte und daher unbestimmte Selbstsetzung des Ich; also das „Ich = Ich“. Bis zu dieser basalen Form von Tätigkeit ist Descartes nach Fichtes Deutung nicht vorgedrungen, sondern er sah in einseitig intellektualistischer und rationalistischer Weise nur das Denken als unbezweifelbar an. Fichte sieht dagegen in fundamentalerer, voraussetzungsfreierer Weise selbstsetzende Tätigkeit überhaupt als unbezweifelbar an. Es kann daran gezweifelt werden, ob Fichtes Kritik Descartes in Hinsicht auf das cogito, ergo sum tatsächlich trifft, denn Descartes hat einen viel weiteren Begriff von cogitare bzw. Denken als Fichte. Descartes meint mit dem cogitare des cogito, ergo sum nicht spezifisch begrifflich fixierendes Verstandesdenken, wie Fichte dies in seiner Kritik offensichtlich vor Augen hat, sondern Descartes meint mit dem cogitare alle Arten von intentionalen Bewusstseinsvollzügen, darunter fallen also auch Wahrneh-

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mungen, Gefühle, Zweifeln, Imaginieren etc. Eventuell wollte Descartes genau dieses intellektualistische Missverständnis – wie es sich in Fichtes Deutung zeigt – mit seiner Alternativformulierung des cogito, ergo sum in den Meditationen vermeiden, denn dort sagt er nur noch: Ego sum, ego existo.54 Dies entspricht der Forderung Fichtes, als Anfangsgrund der Philosophie die selbstbezügliche Seinssetzung des Ich aufzustellen und nicht eine voraussetzungsreiche Spezifikation.

c) Reinhold Ähnliches wie an Descartes kritisiert Fichte auch an Reinhold. Dieser hatte zwar mit dem „Satz des Bewusstseins“ auf eine allgemeine Weise die Struktur des Bewusstseinslebens dahin gehend beschrieben, „dass die Vorstellung im Bewusstseyn durch das Subject vom Object und Subject unterschieden und auf beyde bezogen werde“,55 aber indem Reinhold das Subjekt in ursprünglicher Weise als vorstellend bestimmt, hat er es nach Fichte auch auf eine spezifische Tätigkeit hin fixierend verengt. Das Spezifische zeigt sich daran, dass Vorstellen nur eine theoretische, aber keine praktische Tätigkeit ist. Reinhold geht nach Fichte zwar weiter als Descartes, weil er nicht mehr intellektualistisch einen hochvermittelten Denkbegriff zum Ersten macht, sondern die unspezifischere Vorstellung, aber auch dies geht nicht radikal genug bis zum ursprünglichen Wesen des Ich, der Tathandlung; „denn auch das Vorstellen ist nicht das Wesen des Seins, sondern eine besondere Bestimmung desselben; und es gibt außer dieser noch andere Bestimmungen unseres Seins, ob sie gleich durch das Medium der Vorstellung hindurch gehen müssen, um zum empirischen Bewusstsein zu gelangen“ (20/FW I, 100). Mit dem letzteren wird Entscheidendes deutlich: Offensichtlich ist nach Fichte das „Ich = Ich“ der Tathandlung selbst gar nicht repräsentativ in einer Vorstellung zu fixieren, sondern es ist prärepräsentativ. Das reine Ich ist noch völlig ohne Spezifikation und unbestimmt. Nur das konkrete Bewusstsein, das immer etwas im Sinne einer Entgegenstellung repräsentiert, macht sich das, was primär nicht Vorgestelltes ist, im Rahmen einer Vorstellung deutlich. Ohne die (nur in dieser Hinsicht) verfälschende theoretisch bewusste Vorstellung wäre die Tathandlung des „Ich = Ich“ für das empirische, d. h. für das konkrete Bewusstsein nicht zu thematisieren; eigentlich ist die Tathandlung aber die unvorstellbare Voraussetzung für alles Thematisieren. Die theoretische Vorstellung ist das Medium der Subjektivität, aber noch nicht deren ursprünglich umfassende Seinsweise. Mit der Seinsweise ist in diesem Kontext nicht eine ontologische Bestimmung des Ich gemeint, sondern nur die Selbstsetzungstätigkeit des Subjekts.

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Daher ist in Fichtes Sicht Reinholds Satz des Bewusstseins kein erster Grundsatz. Der Satz des Bewusstseins ist aber nicht völlig ungültig, sondern nur in seinem Geltungsbereich zu relativieren und zu präzisieren; er ist ein Folgesatz, der tatsächliche Strukturelemente des theoretischen Bewusstseins rechtmäßig beschreibt, nämlich die wechselseitige Bezogenheit und Unterschiedenheit der Vorstellung in Relation auf Subjekt und Objekt. Dabei ist die Relation von Subjekt und Objekt zwar wechselseitig, aber doch asymmetrisch, denn es ist das Subjekt, durch welches die Vorstellung von Subjekt und Objekt unterschieden und bezogen wird. Das Subjekt ist also konstitutiver Grund hinsichtlich einer vorstellenden Vergegenwärtigung einer Objektivität. Das absolute Ich, wie Fichte es konzipiert, ist dagegen ursprünglicher als jeder theoretische Objektivierungsakt; das absolute Ich kann nicht in adäquater Weise zum bloßen Objekt einer Vorstellung werden: „Es ist sehr nötig, den Begriff der Tätigkeit sich hier ganz rein zu denken. Es kann durch denselben nichts bezeichnet werden, was nicht in dem absoluten Setzen des Ich durch sich selbst enthalten ist; nichts, was nicht unmittelbar im Satze: Ich bin, liegt. Es ist demnach klar, dass nicht nur von allen Zeitbedingungen, sondern auch von allem Objekte der Tätigkeit völlig zu abstrahieren ist. Die Tathandlung des Ich, indem es sein eignes Sein setzt, geht gar nicht auf ein Objekt, sondern sie geht in sich selbst zurück. Erst dann, wenn das Ich sich selbst vorstellt, wird es Objekt. – Die Einbildungskraft kann sich schwerlich enthalten, das letztere Merkmal, das des Objekts, worauf die Tätigkeit gehe, in den reinen Begriff der Tätigkeit mit einzumischen: es ist aber genug, dass man vor der Täuschung derselben gewarnt ist, damit man wenigstens in den Folgerungen von allem, was von einer solchen Einmischung herstammen könnte, abstrahiere“ (55f./FW I, 134). Die Tathandlung darf also eigentlich nicht verzeitlicht, verobjektiviert oder verdinglicht werden, weil man dann abkünftige Bestimmungsstrukturen der Einbildungskraft auf eine eigentlich rein dynamische Handlungsform anwendet. Die Unzeitlichkeit der Tathandlung bedeutet nicht, dass sie eine ewige und damit metaphysische Handlung wäre. Dies bildet eine Überinterpretation, denn aus der bloßen Invarianz gegenüber der Zeit und den Bedingungen der Zeit – d. h. für Fichte Produkt der Einbildungskraft zu sein, die zwischen Entgegengesetzten vermittelnd schwebt –, folgt nicht eine metaphysische Ewigkeit. Die Zeitlichkeit kann für das absolute Ich deswegen nicht gelten, weil die produktive Einbildungskraft, indem sie zwischen Entgegengesetzten schwebt, die Zeit allererst hervorbringt. Ein solches Schweben zwischen Entgegengesetzten kann es bei der Tathandlung aber nicht geben, weil es keine Entgegensetzung gibt, sondern nur Selbstbezüglichkeit und Selbstgleichheit. Ebenso wie in der Sicht der

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Transzendentalphilosophie logische Gesetze unzeitlich gelten, (weil sie zu jeder Zeit gelten) so gilt auch die Tathandlung unzeitlich als Bedingung der Möglichkeit für die Verzeitlichung der Einbildungskraft. Denn die Tathandlung bildet die Voraussetzung für den einen Pol, auf den hin die Einbildungskraft wird schwebend vermitteln können. Gegen die Elementarphilosophie Reinholds und dessen Satz des Bewusstseins als das Fundament der Philosophie wendet sich Fichte bereits in seiner im Februar 1794 – also nur vier Monate vor der Grundlage – erschienenen Aenesidemus-Rezension. Eines der wesentlichen Argumente gegen Reinholds Satz des Bewusstseins besagt, dass dieser eine Tatsache ist, die dazu dient, das für jedes Wissen fundamentale Vorkommnis der Vorstellung, in selbst wieder vorstellender Weise zu verdeutlichen. Eine Tatsache ist jedoch als empirisch-faktisches Vorkommnis auf ihr vorgängige Bedingungen der Möglichkeit angewiesen. Diese Bedingungen der Möglichkeit sind die eigentlichen Voraussetzungen bzw. Fundamente für die Tatsachenvorstellung, die selbst nicht mehr vorliegende Vorstellungen sind. Dieses Selbst-nicht-einfach-als-Vorstellung-Vorliegen gilt nach Fichte insbesondere für die beiden Tätigkeiten, die in Reinholds Satz des Bewusstseins vorkommen: Unterscheiden und Beziehen. Beide sind Handlungen, die eine Vorstellung allererst ermöglichen.56 Unterscheiden und Beziehen können zwar auch zu Vorstellungen fixiert werden, aber dies ist nicht ihre ursprüngliche „Seinsweise“; primär sind sie vielmehr Handlungen, die aktiv erlebt und vollzogen werden; die auch nicht vom tätigen Erleben selbst abzutrennen sind. Somit ist die „Tathandlung“ ursprünglicher als der Begriff der Vorstellung, und die Philosophie hat nach Fichte in der Tathandlung ihr Fundament, nicht aber in der Vorstellung, die ein abkünftiges Phänomen ist, welches ursprüngliches Handeln voraussetzt.

d) Spinoza Spinoza überschreitet nach Fichte die Grenzen des transzendentalen Idealismus. Er hat ein dogmatisches System aufgestellt, in dem ein Ding das prinzipiell Erste ist. Dogmatisch ist dieses System, weil hier nicht das Ich das Prinzip ist, sondern es wird vorausgesetzt, dass es einen vom Ich unabhängigen Grund des Ich und seiner Vollzüge gebe, und dieser Grund ist das Absolute. Dieses wird monistisch als Eines verstanden und liegt gleichermaßen seinen unendlich vielen Zuständen zugrunde.57 Fichte deutet Spinoza dahin gehend, dass nach ihm das empirische Ich, also der Mensch mit der Reihe seiner wirklichen Vorstellungen, eine einzelne Vorstellung, d. h. ein einzelnes Element in der Gesamtreihe der Vorstellungen ist, die Gott immanent sind.58 Gott ist die alles umfassende Substanz, die

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damit auch die Vielzahl der wirklichen Subjekte und deren Vorstellungsreihen umfasst. Die wirkliche Subjektivität und deren gesamtes Bewusstseinsleben bilden nach Fichtes Spinoza-Deutung nur eine innere Modifikation, einen vorübergehenden, unselbständigen (augenblickshaften) Zustand der sie umfassenden Substanz. Die vollständige Immanenz der empirisch-konkreten Subjekte in Gott ist eine notwendige pantheistische Konsequenz aus dem Substanzbegriff Spinozas. Nach ihm kann Substanz im strengen Sinne nur das sein, was völlig selbständig und unbedingt existiert. Substanz ist nach Spinoza dasjenige, dessen Essenz die Existenz unmittelbar miteinschließt; was ausschließlich bei Gott der Fall ist.59 Das wirkliche, von uns konkret erlebte Ich ist, laut Fichtes Spinoza-Deutung, nur ein Modus der absoluten Substanz. Das konkret gesetzte Ich ist unselbständig und somit eine vorübergehende, immanente Eigenschaft des Absoluten. Damit wird von Spinoza ein ichhaft selbstsetzender Grund im konkreten Ich bestritten und ein dem wirklichen Ich transzendenter Grund postuliert. Diese Transzendenz ergibt sich allerdings nur aus der Perspektive des endlichen Ich; aus der metaphysischen Perspektive des Absoluten ist es eine Gewissheit, dass das Ich eine Modifikation in dem Absoluten ist, ihm also immanent und gerade nicht transzendent ist. Gleichwohl kann nach Spinoza aus der Perspektive des Absoluten gesagt werden, dass es zwar der notwendige Grund des Einzelnen ist, ohne den das Einzelne nicht existieren würde, aber das Absolute ist nicht das Wesen des Einzeln-Endlichen. Dieses ist vielmehr kontingent, denn zu dem Wesen des Endlichen gehört nicht notwendig die Existenz. Das Absolute ist die umfassende Realität, die omnitudo realitatis, zu deren Wesen die Existenz immanent hinzugehört und das wirkliche Ich ist als dessen Modifikation ein vorübergehendes, kontingentes Epiphänomen. Fichte wirft Spinoza vor, dass er das reine Ich, das sowohl vom Absoluten als auch vom konkreten Ich als eine selbständige Struktur zu unterscheiden ist, nicht gesehen hat. Nach Spinoza gibt es nur das Absolute und das konkret endliche Ich – die von Spinoza ebenfalls konzipierte ausgedehnte physikalische Welt vernachlässigt Fichte in diesem Kontext. Nach Fichtes eigener Konzeption partizipiert dagegen das konkrete Ich am absoluten Ich; nicht am Absoluten als einer Ding-Substanz. Diese Partizipation ist die freie Selbstsetzung des endlichen Ich. Im Unterschied dazu ist es nach Spinoza eine bloße Selbsttäuschung, wenn sich das endliche Ich als freie Selbstsetzung begreift; in eigentlicher und d. h. metaphysischer Perspektive gibt es nach Spinoza nur das Absolute; und alles, was sich von ihm unterscheidet, sind kontingente, sich selbst aufhebende Übergangserscheinungen ohne substantiellen Bestand und ohne die Freiheit der Selbstsetzung.

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Nach Fichte kann die Vernunft gegen diese für sich gesehen konsequenten Behauptungen Spinozas nicht argumentieren, weil der Dogmatismus Annahmen macht, die nicht weiter von der Vernunft überprüfbar sind. Die Nichtüberprüfbarkeit dieser Behauptungen liegt daran, dass mit dem Absoluten als transzendentem Grund das Ich überhaupt und das empirischwirkliche Ich insbesondere überschritten werden; die Sphäre der ich- und vernunftbezogenen Argumentationsebene wird übergangen. Ein transzendenter Grund des Ich, der von ihm unabhängig und vorgegeben ist, kann vom Ich nicht mehr argumentativ eingeholt werden. Daher sagt Fichte über Spinoza: „So aufgestellt ist sein System völlig konsequent, und unwiderlegbar, weil er in einem Felde sich befindet, auf welches die Vernunft ihm nicht weiter folgen kann; aber es ist grundlos; denn was berechtigte ihn denn, über das im empirischen Bewusstsein gegebene reine Bewusstsein hinaus zu gehen?“ (20 f./FW I, 101) Die Frage ist natürlich rein rhetorisch gemeint; nichts berechtigt dazu, eine dogmatische Transzendierung über das empirische Bewusstsein zu vollziehen. Das, was vom empirischen Bewusstsein nicht erlebt werden kann, ist gar kein Erlebnis, es ist gar nichts für uns. An diesem Zitat wird deutlich, dass Fichte das reine Bewusstsein an das empirische zurückbindet. Damit vermeidet er eine vom Faktischen losgelöste Schwärmerei: Auch die Bestimmungen des reinen Bewusstseins müssen sich in den Tatsachen des empirischen Bewusstseins bekunden und mit dem empirischen Bewusstsein gegeben und kompatibel sein. Der scheinbar konsequente Dogmatismus ist daher trotzdem inkonsequent, denn er macht seinen transzendierenden Schritt über das Ich in unbegründeter Weise. Ein Grund des Ich, der prinzipiell nicht mehr ein im konkreten Bewusstsein Gegebenes werden und also von ihm generell nicht mehr erlebt werden kann, ist ein leerer Abgrund. Spinoza hat zwar mit einer richtigen Tendenz versucht, „die höchste Einheit in der menschlichen Erkenntnis“ (21/FW I, 101) anzustreben, doch beging er den Fehler, diese Einheit zu verdinglichen. Wie sich im Laufe der Wissenschaftslehre herausstellen wird, ist die höchste Einheit nicht transzendent als existierendes Ding zu fixieren, sondern die höchste Einheit (aller Ichhandlungen) bildet ein „Ideal“ (21/FW I, 101). Ein Ideal ist ein immanent im Ich gegebenes Ziel, das aktuell niemals vollständig erreichbar ist, nur die Regel, ihm nachzustreben, ist formal dem endlichen Ich gegeben und auch die Einsicht in die Notwendigkeit, sich diesem Ziel approximativ ins Unendliche anzunähern. Das Ideal ist etwas, „das durch uns hervorgebracht werden soll, aber nicht kann“ (21/FW I, 101). Insofern bleibt der kritische Idealismus ichimmanent und damit nachvollziehbar und begründbar; der Dogmatismus ist aber ichtranszendent und aufgrund der Transzendenz unbegründet (vgl. 40/FW I, 120).

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Erster Grundsatz: Ich = Ich

Die höchste Einheit des Ich, nach der die Wissenschaftslehre als Ideal strebt, ist aber nicht mit dem absoluten Ich am Anfang der Wissenschaftslehre zu verwechseln: Das eine Ich bildet die Arché, den einfachen Anfang, das andere jedoch ihr Telos, das komplex-erfüllte Ziel. Das erfüllte, gleichermaßen höchsteinheitliche und höchstvielfältige, anzustrebende Ich-Ideal ist nicht das absolute Ich vom Anfang der Wissenschaftslehre, weil dieses nach einer inhaltlich spezifizierten und vielfältigen Erfüllung strebt, das absolute Ich ist aber „nur“ reine, sich selbst setzende Form ohne die Vielfalt verschiedener Ichhandlungen; das absolute Ich des Anfangs hat seine Erfüllung nur in sich selbst, also in seiner Tätigkeit und ohne weitere spezifiziert vielfältige Inhalte. Von daher zeigt sich noch ein weiterer Fehler bzw. eine weitere Inkonsequenz von Spinozas höchster Einheit: Sofern das Ich nach dieser Einheit zu streben hat, ist diese Einheit für das Ich ein praktisches Ziel, also ein Gesolltes, das theoretisch nicht als etwas Wirkliches vorzustellen ist. Spinoza übersieht den freiheitlich-gesollten Charakter der höchsten Einheitlichkeit. Die Disjunktion, dass der Grund des Ich nur entweder ichimmanent oder ichtranszendent sein kann, ist nach Fichte vollständig, d. h., es kann keine dritte Position geben: Der Grund des Ich ist entweder im Ich oder jenseits desselben. Aufgrund der Vollständigkeit dieser Disjunktion zwischen Transzendenz und Immanenz kann es nur genau zwei philosophische Systeme geben, nämlich ichimmanenten Kritizismus bzw. Idealismus oder ichtranszendenten Dogmatismus. Der Dogmatismus führt, sofern er einen ichunabhängigen Grund hat und damit ein nichtichliches Prinzip annimmt, zu einem Realismus, also zu der Position, dass es ein vorhandenes Ding vorgängig zum Ich gibt, das dieses begründet und determiniert. Diese Argumentation hebt sich auf, denn es wird ein Grund postuliert, der prinzipiell vom Ich nicht eingesehen werden kann. Durch die Einsicht des Ich in den Grund wäre dieser ja nicht mehr dem Ich transzendent, sondern immanent; ein rein transzendenter Grund des Ich ist für Fichte ein Widerspruch in sich. Der Dogmatismus führt nach Fichte darüber hinaus notwendig zu einem Fatalismus, denn wenn es einen Grund des Ich gibt, der sowohl dessen Existenz als auch dessen Essenz erschafft und (zeitlich gesehen) in der Existenz erhält, dann ist ein solches Ich – wie es sich ja auch nach Spinozas Entwurf konsequenterweise verhält – vollständig determiniert, d.h., es kann für das endliche Ich keine Freiheit geben.

Historische Bezüge

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e) Leibniz Den ersten Paragraphen der Grundlage abschließend, stellt Fichte undifferenziert fest, Leibniz habe mit seinem Monadensystem eigentlich dasselbe System aufgestellt wie Spinoza (21/FW I, 101). Fichte schließt sich mit dieser seinerzeit gängigen Identifikation der Leibniz-Deutung von Salomon Maimon60 und Friedrich Heinrich Jacobi61 an. Diese Deutung ist allerdings nicht gerechtfertigt und wird der Komplexität des Leibnizschen Gedankengebäudes nicht gerecht. Nach Leibniz gibt es unendlich viele Monaden, die selbständige Substanzen sind (was z. B. durch die berühmte „Fensterlosigkeit“ ausgedrückt wird); wenngleich Gott natürlich die Zentralmonade ist. Nach Spinoza sind dagegen die endlichen Wesen nur unselbständige Modi der einen, göttlichen Substanz. Auch der reife Schelling sieht die Monadenlehre von Leibniz als immanente Weiterentwicklung des pantheistischen Systems Spinozas.62 Fichtes Kritik an Leibniz bezieht sich vor allem auf dessen Konzeption der prästabilierten Harmonie, die Fichte so deutet, dass es unabhängig vom Ich bzw. der Monade eine Dingwelt gibt, die Gott zu den Vorstellungen/Perzeptionen der Monade als parallel existierend geschaffen hat. Diese Konzeption unabhängiger Parallelexistenz von idealer Vorstellungswelt und ausgedehnter physikalischer Körperwelt bezeichnet Fichte als „transzendenten Idealismus“ (68/FW I, 147). Ein solcher ist widersprüchlich, weil er zwar einerseits in idealistischer Weise entwirft, dass das innere Leben der Monade nur aus Perzeptionen besteht, gleichermaßen andererseits aber auch voraussetzt, dass Gott existiert und vermittelt über diesen auch eine unabhängige Welt, was das transzendente Element ausmacht. Beides lässt sich nach Fichte nicht vereinigen und führt zu einer inkonsistenten Position. Allerdings scheint sich die Leibniz-Sicht Fichtes geändert zu haben, denn in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre 1797 (FW I, 514f.) unterscheidet er die Positionen von Spinoza und Leibniz, indem er behauptet, Spinoza hätte nicht wirklich von seiner eigenen Philosophie überzeugt sein können, denn sie sei lediglich ein lebensfernes Gedankenkonstrukt; im Unterschied dazu habe Leibniz von der seinen sehr wohl überzeugt sein können. Mit Überzeugung meint Fichte in diesem Kontext ein unbeirrbares, unveränderliches, zugleich aber auch undogmatisches Fürwahr-Halten; für das wohl Leibniz das bislang einzige Beispiel sei.

II. Der zweite Grundsatz (Form unbedingt; Gehalt bedingt): Nicht-Ich ≠ Ich (21–25/FW I, 101–105) Der zweite Grundsatz von Fichtes Grundlage geht mit seiner spezifischen Form über den ersten hinaus; er lautet: „dem Ich [ist] schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich“ (24/FW I, 104); Ich ≠ Nicht-Ich. Es wird bereits an dieser Formulierung des zweiten Grundsatzes deutlich, dass mit ihm eine fundamental neuartige Leistung des Ich vorliegt: nämlich das Entgegensetzen. Die Leistung des Setzens ist bereits im ersten Grundsatz expliziert worden, dass es aber eine Tätigkeit gibt, die vom Setzen verschieden ist und die sogar eine zum Setzen entgegengesetzte Tätigkeit ist, folgt nicht vollständig aus dem ersten Grundsatz; daher sagt der zweite Grundsatz tatsächlich etwas radikal, d.h. wurzelhaft Neuartiges aus und ist nicht bloß eine weiterführende Explikation dessen, was ohnehin schon im ersten Grundsatz gesetzt war. Deshalb ist es konsequent, wenn Fichte hinsichtlich der Tätigkeit des Entgegensetzens von einem „zweiten Grundsatz“ spricht; die dort zu bestimmende Tätigkeit ist in gewisser Hinsicht unabhängig von der Tätigkeit des ersten Grundsatzes. Da jedoch dem Inhalt nach Entgegensetzen Setzen voraussetzt, hat der zweite Grundsatz auch bedingte Aspekte, nämlich sein Inhalt ist bedingt (vgl. 23/FW I, 103). Inhaltlich ist ein Entgegensetzen nur dann möglich, wenn ein Setzen – der Sache nach, nicht der Zeit nach – vorangegangen ist. Das Entgegensetzen ist nur relativ zu einem Setzen zu vollziehen. Deshalb ist der zweite Grundsatz nur zweiter und hat nicht dieselbe Fundamentalposition wie der erste. Es kann also nach Fichte zwei Grundsätze geben – wie sich noch zeigen wird gibt es drei –, ohne dass der Status eines Grundsatzes paradox wird. Der erste Grundsatz ist Grundsatz im vollen Sinne, nämlich als ein Satz, der absolut unbedingt durch anderes gilt; ein solcher Satz gilt kategorisch notwendig. Der zweite Grundsatz ist nur hinsichtlich seiner unbedingten Form Grundsatz im strengen Sinne unbedingter Gültigkeit, hinsichtlich seines Gehaltes ist er jedoch bedingt. Bedingt heißt hier, er gilt hypothetisch notwendig: Wenn ein Setzen erfolgt, dann kann auch ein Entgegensetzen erfolgen. – Auch der dritte Grundsatz gilt in verschiedenen Hinsichten jeweils bedingt und unbedingt, daher ist auch er hypothetisch notwendig. – Bei der Hinführung des alltäglichen, weltbezogenen Bewusstseins zu seinen transzendentalen Vorbedingungen des zweiten Grundsatzes ver-

Zweiter Grundsatz (Form unbedingt; Gehalt bedingt): Nicht-Ich ≠ Ich

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fährt Fichte methodisch genau parallel zum ersten Grundsatz: Auch bei dem zweiten Grundsatz geht er von einer gewöhnlicherweise nicht sinnvoll bezweifelbaren Tatsache des Bewusstseins aus und führt diese auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit zurück. Diese zweite Tatsache ist der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch. Er besagt, dass etwas nicht zugleich es selbst und nicht es selbst sein kann: ¬A ≠ A. – Aristoteles hat den Satz bereits im 4. Buch seiner Metaphysik formuliert: „Dass nämlich dasselbe demselben in derselben Beziehung […] unmöglich zugleich zukommen und nicht zukommen kann, das ist das sicherste unter allen Prinzipien“.63 Nach Aristoteles ist der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch das Prinzip aller anderen Axiome und als solches unbegründbar, weil es der Prüfstein für alle Begründungen ist, woher auch seine Sicherheit rührt. Deutlich wird hier die Unhinterfragbarkeit des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch. Aristoteles meint das „zugleich“ wohl nicht in einer zeitlichen, sondern eher in der sachlichen Bedeutung, nämlich dass einem Ding nicht in derselben Hinsicht Entgegengesetztes zukommen kann. Auch Leibniz64 sieht den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch – neben dem Satz vom zureichenden Grund – als Fundament rationalen Argumentierens und Denkens; nach Leibniz handelt es sich um eine ewige Wahrheit, an deren Einhaltung selbst das Denken Gottes gebunden ist. Wie bei Aristoteles ist es also auch bei Leibniz nicht bloß ein logisches, sondern gleichfalls ein ontologisches Prinzip. – Fichte versucht aufzuzeigen, dass es durchaus möglich ist, den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch noch weiter zu hinterfragen, nämlich auf seine durch die Vollzüge der Subjektivität konstituierte Handlungsebene. Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch ist zwar auch ein Satz, aber nach Fichte ist er kein Grundsatz. Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch ist zwar für die Logik ein fundamentaler Satz/Gesetz, er lässt sich aber auf Handlungen und Leistungen des Ich zurückführen und erst wenn diese in einem Satz fixiert werden, erhält man einen Grundsatz. Diese Hinterfragung ist allerdings kein Beweis des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch in dem Sinne, dass die Gültigkeit von „¬A ≠ A“ aus „A = A“ logisch abgeleitet werden könnte (vgl. 22/FW I, 102). Wenn dies der Fall wäre, dann wäre der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch bloß ein unselbständiger Folgesatz des Satzes der Identität; was seinen Grundlegungscharakter für die Logik aufheben würde. Fichte verweist zunächst darauf, dass der Satz: „¬A ≠ A“ den Satz „A = A“ voraussetzt (22/FW I, 102). Dennoch kann der Satz „¬A ≠ A“ nicht in den Satz „A = A“ umgewandelt werden, ohne seine Bedeutung, die Entgegensetzung von „¬A“ zu „A“ zu verlieren. Höchstens lässt sich mit „A = A“ begründen, dass „¬A = ¬A“ ist, aber in dieser Gleichung fällt gerade die Entgegensetzung (≠) weg und es wird nur wieder die Identität gesetzt.

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Zweiter Grundsatz: Nicht-Ich ≠ Ich

Man hätte dann nicht einen weiteren Satz aufgewiesen, der neben dem Satz der Identität gilt, sondern nur wieder den Satz der Identität. Die Entgegensetzung im formalisierten Satz vom zu vermeidenden Widerspruch „¬A ≠ A“ kommt gerade dadurch zum Ausdruck, dass auf der einen Seite der (Un-)Gleichung etwas anderes steht als auf der anderen, nämlich einerseits ein verneintes Subjekt („¬A“) und andererseits ein gesetztes Prädikat („A“) und dass beide durch eine verneinende Kopula miteinander verbunden sind. Das negative Urteil lässt sich nicht vollständig als logische Verbindungsfunktion von Urteilsgliedern aus dem setzenden Urteil der Identität herleiten (vgl. 22/FW I, 102). Daher muss die Nichtidentität gegenüber der Identität eine selbständige logische Bedeutung haben; nämlich das Entgegensetzen, d.h. das Nichtidentifizieren. Identität und Nichtidentität sind nicht identisch. Nichtidentität und Identität müssten in einem gemeinsamen Dritten identisch sein, wenn es möglich sein sollte, das eine aus dem anderen herzuleiten; weder kann die Identität aus der Nichtidentität noch die Nichtidentität aus der Identität hergeleitet werden. Eine solche Herleitung würde voraussetzen, dass es ein tertium comparationis beider gäbe, ein allgemeineres Drittes, in dem beide vergleichbar wären; sie sind aber prinzipiell ungleich: Die Selbigkeit/Identität von Identität und Nichtidentität verstößt nicht nur gegen den Satz der Identität, sondern auch gegen den des zu vermeidenden Widerspruchs, und damit offensichtlich auch gegen den Satz vom ausgeschlossenen Dritten, der im Satz vom zu vermeidenden Widerspruch impliziert ist. Etwas kann in ein und derselben Hinsicht nur entweder „A“ oder „¬A“ sein bzw. „A“ oder „¬A“ als Eigenschaft haben, eine dritte Möglichkeit gibt es nicht, denn ein solches müsste sowohl „A“ als auch „¬A“ vereinen, was wiederum ein logisch kontradiktorischer Widerspruch wäre, der sich nicht sinnvoll denken lässt. Es wird deutlich, dass der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch unhintergehbar ist; es kann in dem Sinne nicht hinter ihn zurückgegangen werden, als es unmöglich ist, ihn aus dem Satz der Identität herzuleiten; daher hat der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch eine eigenständige Bedeutung: Die Form der Entgegensetzung ist nicht aus der Setzung herleitbar; obgleich die Entgegensetzung inhaltlich die Setzung voraussetzt. Denn wenn nicht vorgängig überhaupt etwas gesetzt wurde, kann diesem auch nichts entgegengesetzt werden. Das Entgegensetzen ist daher der Form nach unbedingt, d. h. hinsichtlich der Art und Weise, wie gesetzt wird, nämlich entgegen. Die Setzung, welche die Entgegensetzung auch enthält, ist allerdings bedingt, nämlich dadurch, dass überhaupt ein Setzen stattfindet; daher ist die Entgegensetzung dem Inhalt (bzw. der Materie) nach bedingt (vgl. 23/FW I, 103). Eine Bemerkung Fichtes wirkt zunächst kryptisch: „Und so steht denn auch wirklich die Form dieses Satzes, insofern er bloßer logischer Satz ist,

Zweiter Grundsatz (Form unbedingt; Gehalt bedingt): Nicht-Ich ≠ Ich

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unter der höchsten Form, der Förmlichkeit überhaupt, der Einheit des Bewusstseins.“ (22/FW I, 102) Dies bedeutet wohl, dass der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch bzw. der Satz der Entgegensetzung „¬A ≠ A“ die Identität voraussetzt, da ja einerseits „¬A“ mit „¬A“ und andererseits „A“ mit „A“ identisch sein muss und die Identität als gedachte Selbigkeit nur unter der Voraussetzung der durchgängigen Einheit bzw. Identität des Ich möglich ist. Diese durchgängige Einheit des Bewusstseins bildet die Bedingung aller Vorstellungsinhalte, und diese in allen Vorstellungsinhalten mitpräsente Bedingung ist als Form der Vorstellungsinhalte zu bezeichnen, weshalb Fichte die „Einheit des Bewusstseins“ hier als „Förmlichkeit überhaupt“ bezeichnet. Die noetische Einheit des Bewusstseins ist die durchgängig mit sich selbst identische Vollzugsform der noematischen Identität von Vorstellungsinhalten. – Etwas Ähnliches entwirft bereits Kant: „Die analytische Einheit des Bewusstseins hängt allen gemeinsamen Begriffen, als solchen, an, z. B. wenn ich mir rot überhaupt denke, so stelle ich mir dadurch eine Beschaffenheit vor, die (als Merkmal) irgendworan angetroffen, oder mit anderen Vorstellungen verbunden sein kann“.65 Damit meint Kant, dass das durchgängig mit sich identische Selbstbewusstsein die Voraussetzung dafür ist, dass wir diskursive Begriffsallgemeinheiten bilden können, denn nur wenn es ein in den verschiedenen Vorstellungen mit sich durchgängig identisches Ich gibt, kann es auch die aus verschiedenen Vorstellungen das Gemeinsame herausabstrahierende Leistung eines Allgemeinen geben; in diesem Allgemeinen sind individuelle Unterschiede nivelliert und die wesentliche Gemeinsamkeit wird komparativ und reflektiert festgehalten. Ein solcher Durchgang durch verschiedene Vorstellungen setzt nach Kant ein durchgängig mit sich identisches Selbstbewusstsein (analytische Einheit der transzendentalen Apperzeption) voraus, weil sonst nie das Gemeinsame im Verschiedenen festgehalten werden könnte. – Aus dem bloßen Setzen der Identität ist Entgegensetzung nicht herzuleiten (vgl. 22/FW I, 102). Ebenso ursprünglich wie ein „A“ gesetzt sein muss, muss ein diesem entgegengesetztes „¬A“ gesetzt sein. Der Akt des Entgegensetzens ist selbst dem Akt des Setzens entgegengesetzt, er ist nämlich dessen Gegenteil; was wiederum zeigt, dass der Entgegensetzungsakt nicht aus dem Setzungsakt abgeleitet werden kann. Für den Akt der Entgegensetzung ist allerdings aus transzendentalphilosophischer Sicht eine Voraussetzung zu machen, nämlich eine Handlung des Ich. Erst die Entgegensetzungshandlung des Ich macht erklärbar, dass es so etwas wie ein Entgegengesetztes („¬A“ gegenüber „A“) geben kann (vgl. 23/FW I, 103). Ohne die noetische Ichleistung kann es keine noematische Entsprechung geben. Der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch ist nur eine Tatsache des Bewusstseins, d. h., es handelt sich um ein vorgefun-

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Zweiter Grundsatz: Nicht-Ich ≠ Ich

denes Faktum. Bei einer bloßen Gegebenheit darf die Wissenschaftslehre nicht stehen bleiben; der Akt des Entgegensetzens impliziert einen Akteur, das Ich, welches die Entgegensetzung vornimmt. Tatsachen sind auf Handlungen zurückzuführen. Fichte führt genau aus, welchen Handlungsablauf das Ich vollziehen muss, damit die Entgegensetzung zustande kommen kann (22 f./102 f.; in der Klammeranmerkung): Den Ausgangspunkt für das Entgegensetzen bildet das Setzen im Satz der Identität mit „A = A“; dem Subjekt-A wird ein Objekt-A gleichgesetzt. Das zweite A ist ein Objekt, weil es nicht das schlechthin gesetzte ist – dieses ist das erste A, das Subjekt-A –, sondern es wird als objektiv prädizierbare Eigenschaft des ersten A gesetzt und ist somit ein Objekt der Reflexion. Nun folgt ein Schritt über den Satz der Identität hinaus: Dem zweiten A, dem Objekt der Reflexion wird zunächst durch den ursprünglichen Akt der Entgegensetzung ein „¬A“ entgegengesetzt. Ein weiterer Schritt besteht darin, dass hinsichtlich des Satzes der Identität die Identität des zweiten „A“ mit dem ersten „A“ zu konstatieren ist, was dazu führt, dass, weil das „¬A“ dem zweiten „A“ entgegengesetzt ist, geschlossen werden kann, dass es auch dem ersten „A“ entgegengesetzt sein muss, weil dieses mit dem zweiten „A“ identisch ist. Für den ersten Grundsatz war von zentraler Bedeutung, dass im Vollzug des Satzes der Identität „A = A“ das Ich mit sich selbst identisch sein musste, damit der Identifikationsakt des ersten mit dem zweiten „A“ gelingen kann; weil zwei verschiedene Ich nicht zwei „A“ miteinander als identisch vereinigen könnten. Offensichtlich ist die Setzung von „A = A“ und „Ich = Ich“ eine notwendige Vorbedingung für das Entgegensetzen; daher ist dann auch die durchgängige Identität des Ich mit sich eine notwendige Vorbedingung für das Entgegensetzen. Dies gilt auf mehreren Ebenen: Das Ich muss durchgängig mit sich selbig sein, wenn zunächst im Satz der Identität das Subjekt-A gleich dem Objekt-A gesetzt werden soll, dann muss es aber auch ein und dasselbe Ich sein, das dem Objekt-A ein „¬A“ entgegensetzt und dann muss es wiederum ein und dasselbe Ich sein, das die Entgegensetzung nicht nur hinsichtlich des Objekt-A, sondern auch hinsichtlich des Subjekt-A aus dem Satz der Identität vollzieht. Wenn es nicht jeweils dasselbe Ich wäre, das Setzungen und Entgegensetzungen leistet, dann bestünde weder bei der Identität noch der Nichtidentität die Einheit eines Gedankens, vielmehr könnte es ohne einheitlich durchgängiges Ich nur verschiedene Gedankenphasen geben, aber nicht die Einheit des oben beschriebenen Gedankenzusammenhangs. „Mithin ist auch der Übergang vom Setzen zum Entgegensetzen nur durch die Identität des Ich möglich“ (23/FW I, 103). Wenn man Setzen und Entgegensetzen als zwei verschiedene Bewusstseinsleistungen differenziert, dann ist es dennoch notwendig, dass beides

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vom selben Bewusstsein geleistet wird, weil sonst nicht die Entgegensetzung von Setzen und Entgegensetzen als ein Gedankenzusammenhang erklärbar wäre: „Das Entgegensetzen ist nur möglich unter Bedingung der Einheit des Bewusstseins des Setzenden, und des Entgegensetzenden. Hinge das Bewusstsein der ersten Handlung nicht mit dem Bewusstsein der zweiten zusammen; so wäre das zweite Setzen kein Gegensetzen, sondern ein Setzen schlechthin.“ (23f./FW I, 103) Fichte untersucht das durch den Satz „¬A ≠ A“ gesetzte Resultat der Handlung genauer (vgl. 24/FW I, 104), also das noematische Produkt der noetischen Handlung des Entgegensetzens. Dieses noematische Produkt ist das Entgegengesetzte, das „¬A“. Hierin liegt ein Abstraktionsschritt, denn nun wird das Entgegengesetzte vom Bewusstseinsakt des Entgegensetzens abgetrennt bzw. abgezogen. Auch hinsichtlich des Entgegengesetzten als Resultat unterscheidet Fichte Form und Materie/Inhalt und konstatiert, dass das „¬A“ bezüglich seines Inhalts bedingt ist, weil ein „¬A“ ein A voraussetzt, das es nicht ist, und wenn etwas seine Bestimmung dadurch erlangt, dass es etwas anderes nicht ist, dann setzt es dieses andere voraus, von dem es sich abgrenzt. „¬A“ ist das, was „A“ nicht ist; „und sein ganzes Wesen besteht darin, dass es nicht ist, was A ist“ (24/FW I, 104). Die Negation einer Setzung setzt die Setzung voraus. Die Form des „¬A“ als Handlungsresultat besteht in der „Art und Weise“, in dem „Wie“ der Setzung und diese ist das „Entgegensein“ des „¬A“. Hiermit zeigt sich, dass das Verhältnis von Inhalt und Form völlig parallel ist zwischen dem gesamten Satz „¬A ≠ A“ zu dem gesamten Satz „A = A“ und zwischen dem jeweiligen (noematischen) Resultat dieser Sätze „¬A“ zu „A“; jeweils ist der Inhalt bedingt und die Form ist unbedingt. Nachdem die Bestimmung der Bewusstseinstatsache des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch geklärt ist, geht Fichte auf die egologische Basis dieses logischen Gesetzes zurück: Nachdem aufgewiesen ist, dass es, damit der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch denkbar ist, ein Entgegensetzen und ein Entgegengesetztes als Resultat des Entgegensetzungsaktes geben muss, dann muss es auch als transzendentale Bedingung der Möglichkeit dieses logischen Satzes eine Entgegensetzung zum Ich geben. Nur wenn es in ursprünglicher Weise einen Akt der Entgegensetzung zum Ich gibt, kann es eine logische Entgegensetzung geben, und damit es den Akt der Entgegensetzung geben kann, den das Ich leistet, muss es auch ein dem Ich selbst Entgegengesetztes geben. Nachdem im ersten Grundsatz nur das bloße Ich gesetzt wurde, kann das diesem entgegengesetzte Produkt der Handlung des Ich nur ein „Nicht-Ich“ sein (24/FW I, 104); es ist „streng erweislich, dass das Entgegengesetzte = NichtIch sein müsste“ (26/FW I, 105). Die strenge Beweisbarkeit, dass das Entgegengesetzte des Ich ein Nicht-Ich sein muss, folgt daraus, dass im ersten

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Zweiter Grundsatz: Nicht-Ich ≠ Ich

Grundsatz ausschließlich ein Ich gesetzt ist, und wenn nun etwas anderes gesetzt werden soll, dann kann dies nur dessen logische Negation sein, welche ein Nicht-Ich ist. Vorgängig zu allen spezifischeren Entgegensetzungen und Unterscheidungen zwischen zwei Verschiedenen muss mit dem transzendentalen Entgegensetzungsakt eine ursprüngliche Leistung des Ich vorausgesetzt werden. Entgegensetzung setzt eine vom Ich geleistete Handlung des Entgegensetzens voraus; wiederum gilt, dass es keinen Akt und kein Aktergebnis ohne Akteur geben kann. Der zweite Grundsatz: „Nicht-Ich ≠ Ich“ kann dieselbe unbezweifelbare Gewissheit beanspruchen, wie der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch „¬A ≠ A“, weil er sogar dessen Voraussetzung ist. So wie vom Satz „¬A ≠ A“ und vom Produkt der Entgegensetzung „¬A“ gilt, dass sie der Form nach unbedingt, dem Inhalt nach aber bedingt sind, so gilt dasselbe auch vom zweiten Grundsatz „Nicht-Ich ≠ Ich“. Er ist auch dem Inhalt nach davon abhängig, dass überhaupt ein Ich gesetzt ist. Der Form nach ist er unabhängig vom „Ich = Ich“ des ersten Grundsatzes, weil darin nicht die spezifische Handlungsweise (d. i. Form) des Entgegensetzens eines Nicht-Ich enthalten ist; das NichtIch in seiner Entgegensetzung zum Ich ist eine spezifisch neuartige Leistung. „Und so wäre denn auch der zweite Grundsatz alles menschlichen Wissens gefunden“ (24/FW I, 104). Das Entgegensetzen des Nicht-Ich ist die Urbestimmung von Entgegensetzung; sie ist der grundlegende Fall von Entgegensetzung und kann somit auch kein Abstraktionsprodukt sein, das wir aus der Erfahrung mit konkreten Gegenständen gewonnen hätten. Es kann also nicht sein, dass wir uns in der Erfahrung ein ums andere Mal etwas entgegensetzen (den Stuhl, den Tisch, das Buch etc.) und dann das all diesen verschiedenen Entgegensetzungen Gemeinsame festhalten und daraus erst den allgemeinen und diskursiven Begriff von „Entgegensetzung überhaupt“ als Abstraktion bilden. Wenn dem so wäre, dann wäre das Nicht-Ich und mit ihm der Entgegensetzungsakt keine transzendentale, d. h. Erfahrung erklärende Bestimmung, sondern das Nicht-Ich würde Erfahrung und Gegenstände bereits voraussetzen. Jede Art von Gegenständlichkeit in der Erfahrung setzt aber bereits eine Entgegensetzung zum Ich voraus und kann sie nicht erklärend begründen. Würde man entwerfen, dass wir die Ichaktivität der Entgegensetzung aus der Erfahrung erlernen, hätte man einen fehlerhaften Zirkel in der Erklärung begangen, denn Erfahrung von Gegenständen setzt Entgegensetzung bereits voraus und hat sie nicht zur Folge. Daran wird auch deutlich, weshalb der vom Ich geleistete Entgegensetzungsakt nach Fichte kein abstrakt-diskursiver Begriff ist, sondern eine transzendentale Bestimmung, er muss für die Erfahrung immer schon vorausgesetzt werden und kann nicht aus ihr erklärt werden; wenn-

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gleich es empirisch gesehen so sein mag, dass wir uns der ursprünglichen Handlung des Entgegensetzens anlässlich von konkreten Gegenstandsentgegensetzungen bewusst werden, muss aber, um überhaupt Erfahrung machen zu können, die Entgegensetzung des Nicht-Ich gegenüber dem Ich immer schon erfolgt sein (vgl. 24 f./FW I, 104 f.). Gerade in diesem Verständnis des Akts der Entgegensetzung als gegenstands- und erfahrungsbegründend liegt nach Fichte ein besonders klares Argument für den „transzendentalen Idealismus“ (25/FW I, 105), denn einerseits zeigt sich, dass mittels der Bestimmung der Entgegensetzung Erfahrung überhaupt erst erklärbar wird (transzendental), und andererseits zeigt sich, dass es sich bei der Entgegensetzung um eine Handlung, die einen Handelnden voraussetzt, also um eine freie Leistung des Ich handelt (Idealismus). Analog zum ersten Grundsatz, bei dem aus der Tathandlung vermittels einer zweifach durchgeführten Abstraktion zunächst eine logische Grundlage des Bewusstseins und dann die Kategorie gefolgert wurde, wendet Fichte nun auch beim zweiten Grundsatz das doppelte Abstraktionsverfahren an. Wird bei dem Grundsatz „Nicht-Ich ≠ Ich“ vom Ich und NichtIch als Inhalt abgesehen, abstrahiert, dann erhält man durch Einsetzung abstrakter Variablen den Satz „¬A ≠ A“. Dies bezeichnet Fichte als „den Satz des Gegensetzens“, es ist der oben bereits als Tatsache des Bewusstseins und als eine Grundlage der Logik untersuchte Satz vom zu vermeidenden Widerspruch. Hier zeigt sich, dass die transzendentale Entgegensetzungshandlung „Nicht-Ich ≠ Ich“ fundamentaler ist als der logische Satz „¬A ≠ A“; weil dieser der Sache nach aus der Ichhandlung abzuleiten ist und nicht umgekehrt, wenngleich das methodisch-propädeutische Verfahren Fichtes im zweiten Grundsatz analog zum methodisch-propädeutischen Verfahren des ersten Grundsatzes war, und aus dem logischen Satz als einer Tatsache des Bewusstseins auf die transzendentale Handlungsebene der reinen Subjektivität zurückgegangen wurde. Dieser Rückgang von der Logik zur Transzendentalebene ist aber nur eine propädeutische Hinführung des Bewusstseins, die sachliche Ordnung ist genau umgekehrt, die Transzendentalebene ist die Voraussetzung der logischen Ebene. Bestand diese erste Abstraktion, die zur Logik und dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch führt, in einem Absehen vom Inhalt des zweiten Grundsatzes, so sieht die zweite Abstraktion davon ab, dass es sich bei „¬A ≠ A“ um ein Urteil handelt. Nur noch das noematische Produkt, das Resultat des Urteils wird gesehen. Dieses Resultat ist das Entgegengesetzte, das bloße Etwas-anderes-nicht-Sein, „die Kategorie der Negation“ (25/FW I, 105); damit ist nach der Realität die zweite Kategorie, die der Negation aus der Einheit des Ich hergeleitet.

III. Der dritte Grundsatz (Form bedingt; Gehalt unbedingt): Dem teilbaren Ich ist ein teilbares Nicht-Ich entgegengesetzt (25–43/FW I, 105–123) Da der dritte Grundsatz die beiden ersten bereits als geltend voraussetzen darf, kann für ihn auf vermittelnde Vorbedingungen verwiesen werden, die ihn erklärbar machen. Aber dennoch ist er nicht vollständig aus den ersten beiden zu folgern, sonst hätte er nicht den Status eines Grundsatzes. Es muss also auch im dritten Grundsatz einen unableitbaren, aber notwendigen Rest geben, der ihn als ein irreduzibles Fundament des menschlichen Wissens auszeichnet. Genau umgekehrt zum zweiten Grundsatz, ist nach Fichte beim dritten die Form bedingt und vorherbestimmt, und der Inhalt bzw. die Materie ist unbedingt. Die Form des dritten Grundsatzes ergibt sich aus den ersten beiden Grundsätzen. Die beiden ersten Grundsätze enthalten eine Schwierigkeit, die bislang zwar noch verborgen blieb, die aber doch vorhanden war. Aus dieser Schwierigkeit wird formal vorgezeichnet, was der dritte Grundsatz zu leisten hat und wie er strukturiert sein muss. Daher ist die Form des dritten Grundsatzes bedingt, d. h. aus den ersten beiden als „Aufgabe“ (26/FW I, 105) vorgegeben. Wie die weitere Untersuchung zeigen wird, besteht die zu lösende Schwierigkeit und „Aufgabe“ darin, dass erster und zweiter Grundsatz einander widersprechen. Der Widerspruch besteht darin, dass der erste Grundsatz ein absolutes Ich setzt, das eigentlich für ein ihm entgegengesetztes Nicht-Ich keinen Platz mehr lässt. Wie kann es angesichts eines absoluten Ich gleichermaßen und neben ihm auch noch ein Nicht-Ich geben? Und umgekehrt ergibt sich das Problem, wodurch eigentlich das Nicht-Ich begrenzt wird; der zweite Grundsatz gibt darüber keine Auskunft, er sagt nur, dass das Nicht-Ich dem Ich entgegengesetzt ist, aber wie kann eine solche Entgegensetzung überhaupt geschehen? Aufgrund dieser Probleme bedürfen die ersten beiden Grundsätze einer genauen Zuweisung ihres jeweiligen Geltungsbereichs. Diese Zuweisung verschiedener Geltungsbereiche können die ersten beiden Grundsätze offensichtlich nicht selbst leisten; denn die Setzung des Ich im ersten und des Nicht-Ich im zweiten Grundsatz erfolgen unbedingt; d. h. schlechthin und ohne jede Einschränkung, eine Zuweisung von verschiedenen Geltungsbereichen

Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

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setzt dagegen eine Einschränkung der beiden Gesetzten Ich und Nicht-Ich voraus. Erst der dritte Grundsatz ist zu dieser einschränkenden Vermittlungsleistung zwischen den beiden ersten Grundsätzen in der Lage. Die Lösung der durch den Widerspruch gestellten Aufgabe skizzenhaft vorwegnehmend sagt Fichte: „Die letztere [die Lösung; Einf. R. S.] geschieht unbedingt und schlechthin durch einen Machtspruch der Vernunft“. (26/FW I, 106) Damit verweist Fichte auf den Fundamentalcharakter der spezifischen Handlung, die dem dritten Grundsatz zugrunde liegt. Ein unbedingter „Machtspruch der Vernunft“ hat Autonomie, also den Charakter der Selbständigkeit, es gibt keinen äußeren Grund für ihn. Daher ist dann das Vermittelnde zwischen erstem und zweitem Grundsatz, d. h. zwischen Ich und Nicht-Ich, als ebenfalls grundsätzlich geltend zu verstehen. Der „Machtspruch der Vernunft“ ist ein Vorverweis Fichtes auf den dritten Teil der Wissenschaftslehre, auf die praktische Philosophie, denn der „Machtspruch“ erfolgt, weil sich im Rahmen der theoretischen Wissenschaftslehre, die den zweiten Teil der Wissenschaftslehre bildet, die gleichermaßen geltende unüberbrückbare Differenz und die dennoch notwendige einheitliche Vermittlung zwischen Ich und Nicht-Ich als unmöglich herausstellen wird. Es ist weder denkbar, dass nur ein Ich ist, noch dass nur ein Nicht-Ich ist. Beides ist in Absolutsetzung dem tatsächlichen Bewusstsein auch nicht angemessen, denn damit überhaupt etwas bewusst sein kann, muss es einerseits subjektive und andererseits objektive Aspekte haben. Dafür ist aber ein Vermittlungspunkt beider notwendig, der darin bestehen wird, dass das Nicht-Ich im absoluten Ich selbst gesetzt sein soll; nicht ist, denn dies würde, wie gesehen, einen Widerspruch beinhalten. Notwendigerweise ist die Vereinigung von Ich und Nicht-Ich also ein bloß Gesolltes, etwas, das zwar stets als Aufgabe vorschwebt und gefordert wird, aber faktisch nie vollständig zu verwirklichen ist; sofern das Sollen die Grundbestimmung der praktischen Wissenschaftslehre ist, weist Fichte hier also auf diese voraus (vgl. auch 65/FW I, 144; wo Fichte den „Machtspruch der Vernunft“ ausdrücklich auf das Sollen bezieht). Bis der Widerspruch in seiner klarsten und reinsten d. h., auch unüberbrückbarsten Form vor unseren Augen steht, können allerdings noch zahlreiche Differenzierungen hergeleitet werden, die daraus folgen, dass der erste und der zweite Grundsatz gelten müssen. Mit dem dritten Grundsatz und der ihm folgenden theoretischen Wissenschaftslehre, die den zweiten Teil des Gesamtsystems bildet, wird also der Widerspruch zwischen Ich und Nicht-Ich nicht geleugnet oder gelöst, sondern es werden stufenweise immer genauere Differenzierungen des Widerspruchs aufgestellt. Die Differenzierung des notwendigen und nicht einfach falschen Widerspruchs führt zu immer komplexeren Vermittlungsgliedern zwischen den beiden

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

einander ausschließenden Bestimmungen Ich und Nicht-Ich.66 Die Vermittlungsglieder enthalten aber auf immer spezifischerer Ebene auch wieder eine Modifikation des Grundwiderspruchs und treiben somit über sich selbst hinaus, eben bis hin zum Sollen der praktischen Wissenschaftslehre. Weil die beiden ersten Grundsätze und mit ihnen Ich und Nicht-Ich bereits aufgestellt sind und sich auch eine spezifische Aufgabe mit besonderer Lösungsstrategie vorzeichnet, ist es nun im dritten Grundsatz möglich, herleitende und beweisende Argumentationsfolgen zu liefern; daher kommt nun zum ersten Mal in der Wissenschaftslehre eine Deduktion vor.

1. Die Deduktion des dritten Grundsatzes (26–43/FW I, 106–123) Fichte stellt im dritten Paragraphen der Grundlage eine „Deduktion“ (26/FW I, 106) auf, die sich in die Punkte A bis D gliedert (vgl. 26–43/FW I, 106–123). Die Deduktionsabschnitte A bis D untergliedern sich wiederum in Unterpunkte (arabisch beziffert). „Deduktion“ bedeutet eine konsequente Her- und Ableitung von Aspekten bzw. Bestimmungen und Handlungen des Ich, die bislang verborgen in den ersten beiden Grundsätzen lagen und die nun thematisch hervorgehoben werden.67 Diese bislang verborgenen Bestimmungen sind notwendige Aspekte dafür, dass die beiden ersten Grundsätze für unser Bewusstsein eine sinnvolle Bedeutung haben können. Nun wird also aus der Perspektive des endlichen Bewusstseins gefolgert, welches die notwendigen Bestimmungen sind, die in den ersten beiden Grundsätzen mitenthalten waren. Wenn also die beiden ersten Grundsätze gelten sollen – und es ist gewiss, dass sie dies tun –, dann müssen auch die nun thematisch zu machenden Bestimmungen notwendigerweise gelten, weil sonst die Geltung und Bedeutung der ersten beiden Grundsätze für uns und unser endliches Bewusstsein nicht sinnvoll wäre. Die Deduktion besteht zunächst in Abschnitt A in der Differenzierung des Widerspruchs, bzw. des Ausschlussverhältnisses zwischen Ich und Nicht-Ich. Nachdem der Widerspruch entfaltet wurde, erfolgt in Abschnitt B dessen (vorläufige) Auflösung, durch eine neuartige bislang verborgene Bestimmung. Daher kann gesagt werden, dass es sich bei Fichtes Deduktion um eine transzendental-egologische Argumentationsfolge handelt, die darin besteht, Antithesen aufzustellen und aufzulösen, wodurch der Widerspruch immer weiter differenziert wird. Abschnitt C bildet eine Überprüfung der Ergebnisse aus B. Der abschließende Abschnitt D ist eine Explikation von begriffs- und urteilstheoretischen Konsequenzen, die sich aus der Widerspruchsauflösung ergeben. Hier entfaltet Fichte erste Ansätze zu einer Begriffs- und Urteilstheorie, die im Ausgang von der endlichen

Entwicklung des Widerspruchs

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Subjektivität gewonnen werden. Im Rückblick wird auch die Urteilsstruktur des ersten Grundsatzes geklärt.

2. Die Entwicklung des Widerspruchs (26–27/FW I, 106–107) Sofern ein Nicht-Ich gesetzt ist, wird das Ich nicht gesetzt, d. h. aufgehoben, weil das Nicht-Ich das zum Ich Entgegengesetzte ist. Wo Nicht-Ich ist, kann nicht Ich sein und wo Ich ist, kann nicht Nicht-Ich sein. Allerdings setzt das Entgegensetzen des Nicht-Ich das Setzen des Ich voraus; damit es ein Entgegensetzen geben kann, muss es vorgängig ein Setzen und damit auch ein Sich-Setzen des Ich geben. Nur ein durchgängig mit sich identisches Ich kann sich etwas entgegensetzen, sonst wäre das Entgegengesetzte ohne Bezug; ohne etwas, wogegen es wäre. Sofern das Nicht-Ich das dem Setzen des Ich Entgegengesetzte ist, hat es die Bedeutung, dass sich das Ich nicht setzt. „Mithin ist das Ich im Ich nicht gesetzt, insofern das Nicht-Ich darin gesetzt wird.“ (26/FW I, 106) Diese Aussage kann man sich dahin gehend weiter verständlich machen, dass im Rahmen des theoretischen Wissens ein Subjekt ein Objekt auffasst und in diesem Auffassen das Subjekt auf das Objekt gerichtet ist und sich selbst über dieser intentionalen Ausrichtung vergisst; im Akt des Selbstvergessens ist das Subjekt zugunsten der Thematisierung eines Objekts sich nicht selbst thematisch; in Fichtes Worten: das Ich ist nicht gesetzt, sondern das Nicht-Ich. Die erste Prämisse dieser Argumentation besagt: Um das Nicht-Ich setzen zu können, muss das Ich nicht gesetzt sein; die zweite Prämisse sagt dagegen: Das Nicht-Ich kann nur gesetzt werden, wenn vorgängig und beständig in Geltung bleibend sich ein Ich immer schon gesetzt hat. Darin besteht der offenkundige Widerspruch: Gleichermaßen muss das Ich gesetzt und nicht gesetzt sein, um ein Nicht-Ich zu setzen. Diese antithetische Argumentationsfolge ist lediglich eine Entwicklung dessen, was im zweiten Grundsatz bereits gesagt war; und so handelt es sich um eine bloße „Analyse“, eine Entfaltung dessen, was zuvor noch verborgen im zweiten Grundsatz schon vorhanden war. Die konsequente Drohung Fichtes lautet: „Also ist der zweite Grundsatz sich selbst entgegengesetzt, und hebt sich auf. […] Aber er hebt sich selbst nur insofern auf, inwiefern das Gesetzte durch das Entgegengesetzte aufgehoben wird, mithin, inwiefern er selbst Gültigkeit hat. Nun soll er durch sich selbst aufgehoben sein, und keine Gültigkeit haben. Mithin hebt er sich nicht auf.“ (27/FW I, 106) Gleichermaßen hebt sich auf diese Weise der zweite Grundsatz auf und nicht auf. Weshalb er sich aufhebt, ist aus dem Vorangehenden klar; aber weshalb er sich nicht aufhebt, hat noch Unklarheiten in Fichtes Argumentation, die nun zu beseitigen sind.

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

Das Sich-nicht-Aufheben des zweiten Grundsatzes folgt daraus: Vorausgesetzt, der zweite Grundsatz würde sich aufheben, dann bestünde diese Aufhebung darin, dass er in sich einen Widerspruch bzw. eine Entgegensetzung enthielte, die nicht denkbar ist. Der zweite Grundsatz formuliert aber doch genau die Bedingungen dafür, dass überhaupt etwas entgegengesetzt sein kann. Um sich also selbst aufzuheben, muss der zweite Grundsatz bereits in Geltung sein, weil es sonst das Phänomen der Aufhebung, der Selbstentgegensetzung nicht gäbe. Bezogen auf Ich und entgegengesetztes Nicht-Ich bedeutet dies: Damit die Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich aufgehoben werden könnte – was der Fall wäre, wenn der zweite Grundsatz nicht gelten würde –, müsste eine Identität von Ich und NichtIch gesetzt werden, die selbst der Nichtidentität von Ich und Nicht-Ich entgegengesetzt wäre; diese zweite Entgegensetzung könnte es aber nicht geben, wenn sich der zweite Grundsatz aufheben würde, weil es dann keine Entgegensetzung gäbe. Eine Aufhebung der Gültigkeit der Entgegensetzung würde bedeuten, dass Ich und Nicht-Ich identisch wären; damit wäre das Ich, weil es mit dem Nicht-Ich identisch ist, mit sich selbst nicht mehr identisch, denn „Ich = Ich“ kann nicht in der selben Hinsicht sinnvoll denkbar sein wie „Ich = Nicht-Ich“; das Ich wäre in diesem Fall nicht mehr sich selbst gleich, und dieses ist kein sinnvoller Gedanke. Aufhebung (auch Selbstaufhebung) durch Widersprüchlichkeit setzt Entgegensetzung daher immer schon voraus, und damit würde eine Aufhebung des zweiten Grundsatzes diesen bereits als gültig voraussetzen. Deswegen hebt sich der zweite Grundsatz als das Prinzip der Entgegensetzung auch nicht auf. Der Widerspruch, dass im Ich auch das Nicht-Ich gesetzt ist, der das Ich aufhebt, ist bislang aus der Perspektive des zweiten Grundsatzes entfaltet worden; derselbe Widerspruch lässt sich aber gleichermaßen auch aus der Perspektive des ersten Grundsatzes entfalten: Dieser besagt, dass ausschließlich das Ich gesetzt ist. Dagegen besagt der zweite Grundsatz, dass dem Ich das Nicht-Ich entgegengesetzt ist. Wenn nun ausschließlich das Ich gesetzt ist (erster Grundsatz), dann ist mit dem Nicht-Ich (des zweiten Grundsatzes) die eigene Setzung des Ich aufgehoben. Auch in diesem Fall wird deutlich, dass die Aufhebung des ersten Grundsatzes durch den Widerspruch dessen Gültigkeit bereits voraussetzt; denn nur wenn ein Ich gesetzt ist, kann ein dieses aufhebendes Nicht-Ich gesetzt werden. Analog zum zweiten Grundsatz gilt daher auch für den ersten Grundsatz, dass dessen Aufhebung seine Gültigkeit bereits voraussetzt. Damit ist der Widerspruch, der eine Folge aus der gleichermaßen notwendigen Geltung von erstem und zweitem Grundsatz ist, vollständig entwickelt. Beide Grundsätze gelten nicht und gelten. Weil sie notwendigerweise gelten, darf man sie nicht schlicht als falsch verwerfen; da sie einander aber auch

Lösung des Widerspruchs durch Limitation

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widersprechen und ausschließen muss man nach einer Lösung suchen, die beide Sätze ohne eine wechselseitige Aufhebung bestehen lässt.

3. Die Lösung des Widerspruchs durch Limitation (27–29/FW I, 107–109) Zunächst betont Fichte die Korrektheit der aufgestellten Paradoxien, denn sie halten sich streng an die „Reflexionsgesetze“ (27/FW I, 107), d. h. an die beiden Grundgesetze der formalen Logik, den Satz der Identität und den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch, der sich daraus ergibt, dass etwas nicht mit seiner Negation identisch sein kann, sondern dieser entgegengesetzt ist. Die widersprüchlichen Konsequenzen heben aber die durchgängige Identität des Bewusstseins und Selbstbewusstseins auf, denn scheinbar lässt sich sowohl Setzung als auch Entgegensetzung nicht konsistent vollziehen, was aber Grundtatsachen sind, ohne die es keine durchgängige Identität des Bewusstseins und damit keine sinnvolle Erkenntnis geben würde. Die oben beschriebene Aufgabe konkretisiert sich also dahin gehend ein bislang noch Unbekanntes (X) aufzufinden, welches es gestattet, die beiden Grundsätze des Ich mit Selbstsetzung und Entgegensetzung und auch die beiden Grundgesetze des logischen Denkens aufrecht zu erhalten. Alle Paradoxien und Setzungen sind im Bewusstsein enthalten; sie sind also ein Problem im Bewusstsein. Aus dieser Immanenz der Widersprüche im Bewusstsein folgert Fichte, dass auch die Lösung (X) im Bewusstsein enthalten sein muss (vgl. 27 f./FW I, 107). Sonst fände ein unbegründeter Schritt aus dem Bewusstsein heraus statt. Das die Lösung erbringen sollende X muss, weil es die im Bewusstsein befindliche Handlung der Entgegensetzung ermöglichen soll, auch im Bewusstsein enthalten sein. Fichte folgert streng transzendentalphilosophisch argumentierend: Wenn 1. das Produkt einer Handlung des Subjekts die Entgegensetzung ist und wenn 2. dieses Produkt der Handlung im Bewusstsein enthalten sein soll und wenn 3. weiterhin eine uns noch unbekannte Handlung diese Handlung und ihr Produkt, das Entgegengesetzte allererst ermöglichen soll, dann müssen 4. (Folgerung) auch diese Handlung und deren Produkt eine Handlung und ein Produkt im Bewusstsein sein. Diese Argumentation ist streng transzendentalphilosophisch, weil ausgehend von den Handlungen der Subjektivität nach den Bedingungen der Möglichkeit von Gegenstandserkenntnis gefragt wird. Bedingungen der Möglichkeit besagt hier: allgemeiner und notwendiger Grund dafür, dass etwas anderes zustande kommt, nämlich Gegenstandserkenntnis. Voraussetzung und Grund für die Gegenstandserkenntnis ist die Entgegensetzung eines Objekts gegen ein Subjekt. Sofern hier mit X die Voraussetzung für eine gelingende Ent-

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

gegensetzung gefunden wird, ist also ein bestimmendes und fundamentales Ingrediens der Gegenstandserkenntnis gefunden. Fichte führt nun mit „Y“ eine neue Variable in seine (mathematisierende) transzendentalphilosophische Argumentation ein (vgl. 28/FW I, 107). X war das – bislang noch unbekannte – Handlungsresultat, das Produkt, vermittels dessen Ich und Nicht-Ich gleichermaßen gesetzt werden können; Y bezeichnet die Handlung selbst, die zwischen der Setzung als erster Ichhandlung und der Entgegensetzung als zweiter Ichhandlung vermitteln soll. Fichte unterscheidet hier also klar zwischen der noematischen Ebene des Vorgestellten (= Gesetztes, Entgegengesetztes, X) und der noetischen Ebene des Vorstellungsaktes (= Setzung, Entgegensetzung, Y). Worin X und Y bestehen lässt sich nicht analytisch aus der Aufgabe folgern, es liegt nicht unmittelbar in ihr (vgl. 28/FW I, 108); die Aufgabe selbst lag zwar analytisch in den ersten beiden Grundsätzen, aber nicht deren Lösung. Fichte versucht nun die Unbedingtheit des Gehalts bzw. der Materie des dritten Grundsatzes herauszustellen: „Wie dies aber geschehen könne, und auf welche Art es möglich sein werde, ist dadurch noch gar nicht bestimmt“ (28/I,108). Allerdings hatte Fichte zuvor beim zweiten Grundsatz (vgl. 23/FW I, 103) noch gesagt, dass das „Wie“, bzw. die „Art und Weise“ einer Handlung auf deren Form und das „Dass“, also die Existenzvoraussetzung, dafür dass etwas überhaupt vorhanden ist, auf die Materie, den Gehalt einer Handlung zu beziehen ist. Nun scheint sich dies beim dritten Grundsatz aber genau umzukehren, hier bezeichnet er die Materie bzw. den Gehalt als ein „Wie“ und eine „Art“. Das ist eine Unstimmigkeit, die auf eine fundamentalere Schwierigkeit hindeutet, nämlich dass beim dritten Grundsatz genau umgekehrt zum zweiten der Gehalt bedingt und die Form unbedingt sein soll. Vielmehr scheint es – genau Fichtes Darstellung umkehrend und ganz parallel zum zweiten Grundsatz – auch beim dritten Grundsatz so zu sein, dass der Gehalt bedingt und die Form unbedingt ist: Dass im dritten Grundsatz gehandelt werden muss und dass diese Handlung ein Resultat haben muss, ist bedingt; nämlich durch die beiden vorhergehenden Grundsätze, die für unser Bewusstsein sonst nicht denkmöglich sind, und dies bildet (auch nach Fichtes sonstigem Sprachgebrauch) den Gehalt, die Materie des dritten Grundsatzes; wie allerdings zu handeln ist, die Art und Weise, ist damit aber noch nicht analytisch gesetzt; und das Wie bildet die Form der Handlung und des Handlungsprodukts (auch nach Fichtes sonstigem Sprachgebrauch). Fichte argumentiert beim dritten Grundsatz allerdings genau umgekehrt; wie es scheint, unterliegt er hier einem Systemzwang, dass es in symmetrischer Form einen völlig unbedingten, einen nur der Form nach unbedingten und einen nur dem Gehalt nach unbedingten Grundsatz geben darf und nicht einen völlig unbedingten und zwei nur der Form nach unbedingte Grundsätze.

Lösung des Widerspruchs durch Limitation

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Jedenfalls liegt nach Fichte in den beiden ersten Grundsätzen und in der Aufstellung ihres Widerspruchs nicht auch schon die Art und Weise, wie er zu lösen ist. Dies lässt sich nur durch ein „Experiment“ (28/FW I, 108) feststellen.68 Dieses Experiment besteht darin, dass das Bewusstsein sich selbst betrachtet und in sich nach einer ursprünglichen Handlung sucht, die es selbst zwar beständig vollzieht, sich aber bislang noch nicht thematisch und aufmerksam bewusst gemacht hat. Nun sind also alle Mitphilosophierenden gefordert, auf sich selbst aufmerksam zu sein. Diese experimentelle Methode erwähnt Fichte auch später im praktischen Teil der Wissenschaftslehre wieder (vgl. 207/FW I, 291). Auch dort fordert er zur Selbstbetrachtung des mitphilosophierenden Subjekts auf, das eine grundlegende Bestimmung in sich selbst feststellen soll. An einer anderen Stelle bezeichnet Fichte die Methode, mittels derer der Philosoph sich die Handlungen des Bewusstseins bewusst macht, als eine „heuristische Methode“ (83/FW I, 162), d. h. als ein geregeltes Verfahren, bei dem vorläufige und noch ungesicherte Arbeitshypothesen aufgestellt werden, die dann diskursiv und sukzessiv auf ihre Standfestigkeit zu überprüfen sind. Diese experimentelle Methode weist allerdings die Schwierigkeit auf, dass sie eigentlich nur zur Bestätigung herangezogen werden kann, sie ist sicherlich kein strenger Beweis. Intuitionistisch muss vorausgesetzt werden, dass im Prozess des Philosophierens der Mitdenkende sich auch genau dasselbe vergegenwärtigt, was Fichte von ihm verlangt. Diese Identität des zu Vergegenwärtigenden ist sicherlich nicht einfach intersubjektiv vorauszusetzen. Die experimentelle Methode kann nur zur Bestätigung der intersubjektiven, diskursiven, transzendentalen Argumentation herangezogen werden, die nicht bloß intuitionistisch ist. Das Experiment darf nur dazu dienen, sich die transzendentale Handlung, die gesucht wird, bewusst zu machen. Die Argumentation, weshalb sie notwendig anzunehmen ist – die oben bereits geschildert wurde –, kann dadurch nicht ersetzt werden. Fichte deutet diese reduzierte Funktion der experimentellen Methode zumindest an: „Aber die Art, wie sie vereinigt werden können, liegt in ihnen gar nicht, sondern sie wird durch ein besonderes Gesetz unseres Geistes bestimmt, das durch jenes Experiment zum Bewusstsein hervorgerufen werden sollte.“ (28/FW I, 108) Ein radikaler Skeptiker der Egologie würde dagegen stets argumentieren können, dass er, wenn er in sich schaut, nichts sieht; das Gegenteil ist ihm nicht zu beweisen, denn dann müsste jemand in seine private Betrachterrolle schlüpfen können; was jedoch durch die Unvertretbarkeit der Innenperspektive unmöglich ist. Die von Fichte geforderte Innenbetrachtung bei dem Experiment des Ich ist dadurch ausgezeichnet, dass die Rolle des Betrachters und des Betrachteten identisch sind und diese Aufgabe somit nicht von einem alter ego für ein jeweiliges Ich übernommen werden kann, da hier die Identität von Be-

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

trachterrolle und der Rolle des Betrachteten nicht mehr gewahrt ist. Bei der Betrachtung durch ein alter ego ist der Betrachtende nicht derselbe, wie der Betrachtete. In diesem unüberbrückbaren Unterschied zwischen dem Sinn von erster und dritter Person Singular ist auch die Unmöglichkeit begründet sämtliche Aussagen, die das Ich über sich macht, durch Aussagen in der dritten Person Singular zu ersetzen. Im Rahmen des Experiments wird dem Mitphilosophierenden in seiner Selbstbetrachtung die die Lösung bringende Bestimmung und Handlung des Subjekts bewusst. Das Problem war es, Ich und Nicht-Ich in ihrer Entgegensetzung als vereinbar zu setzen. Die Lösung ist: Ich und Nicht-Ich schränken sich wechselseitig ein. Wo Ich gesetzt ist, ist nicht Nicht-Ich gesetzt und wo Nicht-Ich gesetzt ist, ist nicht Ich gesetzt. Beide sind wechselseitig durcheinander beschränkt. Die Handlung des Subjekts ist der Akt des „Einschränkens“ (= Y) der Entgegengesetzten und das Produkt der Handlung ist die „Schranke“ (= X) (vgl. 28/FW I, 108). Mit der nun gefundenen Bestimmung der Schranke werden genau die von Fichte gestellten Anforderungen erfüllt. Dass Ich und Nicht-Ich gleichermaßen als zu setzende denkbar sein müssen, liegt in der Notwendigkeit der ersten beiden Grundsätze begründet, aber die Art und Weise, wie dies geschieht, liegt nicht in ihnen. Die Art und Weise – die Fichte hier als den unbedingten Gehalt versteht – ist eine neue Bestimmung, nämlich die „Limitation“, die Teilbarkeit. In der Klammeranmerkung: „(Man verstehe mich nicht so […] hervorgerufen werden sollte.)“ (28/FW I, 108) nimmt Fichte eine Ausführung Kants zu dessen Kategorientafel auf.69 Kant entwirft, dass bei seiner Dreierordnung der Kategorien – z. B. in der Kategorienklasse der Qualität: Realität, Negation und Limitation –, jeweils die dritte Kategorie aus der Verknüpfung der ersten beiden Kategorien hervorgeht; die Limitation ist in unserem Beispiel also eine Verknüpfung von Realität und Negation, weshalb Limitation nach Kant als eine mit Negation versehene Realität zu verstehen ist. Gleichwohl betont Kant aber auch, dass die jeweils dritte Kategorie einer Kategoriengruppe ein ursprünglicher, d. h. nicht einfach analytisch ableitbarer Begriff ist, der in den beiden zu verknüpfenden Begriffen schon vollständig mitenthalten wäre. Denn wenn ein Begriff aus anderen vollständig herleitbar wäre, dann würde es sich nicht mehr um eine Kategorie, d. h. um einen „Stammbegriff des Verstandes“ handeln können; denn die Kategorien bilden nach Kant als ursprüngliche Begriffe in gewisser Hinsicht unableitbare, selbständige und eigentümliche Bestimmungen. Diese Ausführungen Kants entsprechen genau den Bestimmungen Fichtes bezüglich des Grundsatzcharakters, der dem dritten Grundsatz zukommt: Weil nicht bereits in den ersten beiden Grundsätzen enthalten ist, dass sie mittels einer Beschränkung beide widerspruchsfrei zu setzen

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sind, muss es sich auch bei der dritten Handlung der „Einschränkung“ um eine fundamentale, d. h. in gewisser Hinsicht unableitbare Tat handeln, die die Kriterien eines Grundsatzes erfüllt. Was Kant hier hinsichtlich der Kategorienordnung entwirft, gilt also mit den notwendigen Änderungen auch hinsichtlich von Fichtes transzendentalen Handlungen und Grundsätzen. Fichte betont auch, weshalb überhaupt die Forderung im Raume steht, dass beide Grundsätze miteinander zu vereinigen sind: „Zwar sind die entgegengesetzten Begriffe durch die zwei ersten Grundsätze gegeben, die Forderung aber, dass sie vereinigt werden sollen, im ersten enthalten.“ (28/FW I, 108) D. h., es ist im ersten Grundsatz bereits enthalten, dass das Ich mit sich durchgängig identisch ist („Ich = Ich“), wenn nun ein NichtIch gesetzt wird, dann ergibt sich aus der Selbstidentität des Ich mit sich, dass ein Nicht-Ich nur als mit jener Identität vereinbar gesetzt werden darf und kann. Die Harmonisierungsforderung zwischen Ich und Nicht-Ich folgt also schon aus der durchgängigen Selbstidentität des Ich. Natürlich ist darin nicht enthalten, wie Ich und Nicht-Ich zu harmonisieren sind; nämlich durch die jetzt aufgefundene Handlung der Einschränkung bzw. durch deren noematisches Produkt die Schranke. Fichte differenziert die Bedeutung der Schranke weiter: Im Gedanken der Schranke ist enthalten, dass es eine eingegrenzte Realität gibt. Diese Eingrenzung geschieht durch Ausschluss. Der Ausschluss ist eine Negation. Die Beschränkung besteht in folgendem Sachverhalt: Etwas ist dadurch real, dass es etwas anderes, ebenfalls Reales, nicht ist. Hiermit wird der Begriff der Schranke durch die Begriffe Realität und Negation definiert. Es kann auch noch von diesen beiden Begriffen abgesehen werden, woraus sich das X in Reinheit ergibt: „Etwas einschränken, heißt: die Realität desselben durch Negation nicht gänzlich, sondern nur zum Teil aufheben. Mithin liegt im Begriffe der Schranken, außer dem der Realität und der Negation, noch der der Teilbarkeit (der Quantitätsfähigkeit überhaupt, nicht eben einer bestimmten Quantität). Dieser Begriff ist das gesuchte X und durch die Handlung Y wird demnach schlechthin das Ich sowohl als das Nicht-Ich teilbar gesetzt.“ (29/FW I, 108 f.) Die Quantität ist also im Begriff der Schranke spezifisch vorausgesetzt. Negation grenzt Realität ein, indem sie diese teilweise in Hinsicht auf etwas anderes aufhebt. Eine vollständige, „gänzliche“ Aufhebung der Realität wäre keine Beschränkung mehr, sondern eine völlige Vernichtung, deren Resultat bloße Negation wäre. Damit nicht das leere, unbestimmte Nichts Resultat der Beschränkung ist, darf nur ein Teil der Realität aufgehoben werden. Eine beschränke Realität ist ein Etwas. Das Nicht-Ich darf das Ich nicht vollständig aufheben, sondern nur zum Teil und umgekehrt darf das Ich das Nicht-Ich auch nicht vollständig, sondern nur zum Teil aufheben. Sowohl

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

Ich als auch Nicht-Ich müssen dem je anderen noch ein Quantum an Realität übriglassen, sonst vernichten sie es einfach, aber beschränken es nicht und damit auch sich selbst nicht. „Dem absoluten Ich entgegengesetzt […], ist das Nicht-Ich schlechthin Nichts; dem einschränkbaren Ich entgegengesetzt ist es eine negative Größe.“ (30/FW I, 110) Die Teilung ist das Handlungsresultat (= X) und der Teilungsakt ist die Handlung, welche die Subjektivität vollzieht (= Y). Auf ganz allgemeiner Ebene ist damit noch nicht ein bestimmtes Quantum gesetzt, denn dazu wäre allererst notwendig, konkretere, einzelne Quanten herzuleiten. Mit der Teilbarkeit ist eine noch relativ unbestimmte Möglichkeit zur Quantität bzw. die bloße Fähigkeit zur Teilbarkeit überhaupt gesetzt. Nun ergibt sich der dritte Grundsatz, den Fichte an dieser Stelle der Grundlage nur zwischen den Zeilen angedeutet, aber rekonstruiert lautet er: „Das entgegensetzende Ich und das entgegengesetzte Nicht-Ich sind als teilbar gesetzt“ (vgl. 29/FW I, 109). Die Teilbarkeit ist nicht ohne Entgegensetzung zu denken und umgekehrt ist die Entgegensetzung nicht ohne Teilbarkeit zu denken. Beide Bestimmungen implizieren sich wechselseitig: Die Teilbarkeit wird aus dem einzigen Grunde vollzogen, dass Entgegensetzung möglich ist und umgekehrt ist Entgegensetzung – wie oben gesehen – nur dann widerspruchsfrei möglich, wenn Teilbarkeit vorausgesetzt wird. Jeweils kann Teilbarkeit als Grund und Entgegensetzung als Folge und auch Entgegensetzung als Grund und Teilbarkeit als Folge gesehen werden. Dies ist offensichtlich möglich, ohne dass ein in sich widersprüchlicher Zirkel vorliegt; vielmehr wird im Gegenteil durch diese wechselseitige Implikation von Teilbarkeit und Entgegensetzung ein Widerspruch vermieden. Teilbarkeit und Entgegensetzung setzen sich wechselseitig voraus und ermöglichen sich wechselseitig. Mit einer Bezeichnung Heideggers kann man sagen, dass Entgegensetzung und Teilbarkeit eine „gleichursprüngliche Strukturganzheit“ bilden. Fichte drückt diese Strukturganzheit dadurch aus, dass Entgegensetzung und Teilbarkeit nur durch die diskursiv-endliche Reflexion als getrennte Bestimmungen erscheinen, dass sie es an sich aber nicht sind: „Also geht sie unmittelbar in und mit ihr vor; beide sind Eins, und ebendasselbe, und werden nur in der Reflexion unterschieden.“ (29/FW I, 109)

4. Prüfung der Lösung (29–30/FW I, 109–110) Der dritte Grundsatz, dass sowohl das entgegensetzende Ich als auch das entgegengesetzte Nicht-Ich als teilbar gesetzt sind, besagt: Sofern im Ich ein Teil Realität gesetzt wird, ist dieser Realitätsteil nicht im Nicht-Ich gesetzt. Wenn nämlich im Ich Realität gesetzt wird, wird entsprechend Ne-

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gation (Nichtrealität) im Nicht-Ich gesetzt. Der Realitätssetzung im Ich korrespondiert die Nichtsetzung eines parallelen Teils an Negation im Nicht-Ich. Umgekehrt gilt auch: Sofern in das Nicht-Ich ein Teil Realität gesetzt ist, wird in das Ich in dieser Hinsicht keine Realität gesetzt, d. h. ein Teil Negation. Erst diese wechselseitige Relation von Realität und Negation in Ich und Nicht-Ich ermöglicht den Gedanken eines „Etwas“ und eines Anderen, das ihm entgegensteht. Somit kann das absolute Ich des ersten Grundsatzes gar kein Etwas sein und muss bestimmungslos („kein Prädikat“) sein; denn im „Ich = Ich“ wird ausschließlich gesetzt, dass das Ich sich selbst gleicht, es wird damit nicht entgegengesetzt und nichts teilbar gesetzt und das Ich wird nicht differenzierend auf anderes bezogen; es wird nur mit sich selbst gleich gesetzt und daraus folgt keine differenzierte Bestimmung, weil dazu Unterscheidung notwendig ist (vgl. 30/FW I, 109f.). Es folgt ein schwieriger Gedanke Fichtes: „Das Ich soll sich selbst gleich und dennoch sich selbst entgegengesetzt sein. Aber es ist sich gleich in Absicht des Bewusstseins, das Bewusstsein ist einig: aber in diesem Bewusstsein ist gesetzt das absolute Ich, als unteilbar; das Ich hingegen, welchem das Nicht-Ich entgegengesetzt wird, als teilbar. Mithin ist das Ich, insofern ihm ein Nicht-Ich entgegengesetzt wird, selbst entgegengesetzt dem absoluten Ich.“ (30/FW I, 110) Die Gleichheit des Ich mit sich folgt aus dem ersten Grundsatz; die Ungleichheit des Ich mit sich folgt aus dem zweiten Grundsatz, weil das Ich nicht nur das Ich, sondern auch das Nicht-Ich (entgegen)setzen soll, denn das Nicht-Ich ist dem Ich ungleich. Sofern also das Ich selbst das Nicht-Ich setzt, ist es sich selbst ungleich. Gleichheit des Ich mit sich und Ungleichheit lassen sich widerspruchsfrei denken, wenn man zwei verschiedene Arten von Ich unterscheidet, nämlich das absolute Ich und das endliche Ich, dem das Nicht-Ich entgegengesetzt ist. Das absolute Ich unterscheidet sich vom endlich-entgegengesetzten Ich dadurch, dass das eine teilbar und das andere ohne Relation auf die Teilbarkeit gesetzt ist; was Fichte hier als Unteilbarkeit bezeichnet. Präzisierend kann also die Ungleichheit des Ich mit sich dahin gehend bestimmt werden, dass sie auf einem Unterschied des Ich selbst beruht: nämlich darauf, dass es ein limitiertes und ein absolutes Ich gibt; diese sind einander entgegengesetzt und daraus ergibt sich die „egologische Differenz“. Dabei ist das absolute Ich allerdings nur eine transzendentale Konstruktion, um das limitierte Ich zu erklären; es ist also keine real existierende Entität, denn dazu würde gehören, dass es Etwas ist, was es aber nur in Unterscheidung und Entgegensetzung gegen anderes sein könnte, wodurch das absolute Ich aber seinen Absolutheitsstatus verlieren würde, der in der Ausschließlichkeit der Selbstbeziehung besteht, die auf anderes keinerlei Bezug nimmt. Eine Entgegensetzung von absolutem und limitiertem Ich kann hier höchstens in der Sicht des Transzendentalphilosophen konstatiert werden, sofern

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

dieser versucht, sich in reflexiven Einzelschritten den Geist und dessen konstitutive Schichten im einzelnen zu vergegenwärtigen, denn eigentlich ist das absolute Ich gegen gar nichts entgegengesetzt, also auch nicht gegen das limitierte Ich. Fichte schließt daher: „Und so sind denn alle Gegensätze vereinigt, unbeschadet der Einheit des Bewusstseins; und dies ist gleichsam die Probe, dass der aufgestellte Begriff der richtige war.“ (30/FW I, 110) Somit sind nun Exposition des Problems, Experiment, Lösung und Probe erfolgreich abgeschlossen. Nun folgt eine differenzierende Explikation der neu aufgefundenen Bestimmung der Limitation.

5. Begriffs- und urteilslogische Konsequenzen der Limitation. Synthetische und antithetische Urteile und der Satz vom Grund (30–35/FW I, 110–115) Fichte fasst die bislang gefundenen Grundsätze in der folgenden Aussage zusammen: „Ich setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares NichtIch entgegen“. (30/FW I, 110) In dieser Aussage sind alle drei Grundsätze enthalten; es handelt sich dabei also nicht nur um den dritten Grundsatz, denn Fichte sagt ausdrücklich: „Die Masse dessen, was unbedingt, und schlechthin gewiss ist, ist nunmehr erschöpft; und ich würde sie etwa in folgender Formel zusammenfassen […]“ (30/FW I, 110). Diese Formel ist kein vierter Grundsatz, sondern eine unselbständige Zusammenfassung der drei Grundsätze. Der erste Grundsatz ist in dieser Formel enthalten, denn sie sagt, dass „Ich im Ich setze“; der zweite ebenso, denn „dem Ich wird ein Nicht-Ich entgegengesetzt“ und der dritte ebenfalls, denn „Ich und Nicht-Ich gleichen sich darin, dass beide teilbar sind“. Die Teilbarkeit ist daher das tertium comparationis, worin endliches Ich und Nicht-Ich einander gleichen, obwohl sie sich schlechthin entgegengesetzt sind. Alle weiteren Bestimmungen der Wissenschaftslehre sind auf der Basis dieser Formel zu entwickeln (vgl. 31/FW I, 110). Fichte wendet wieder das doppelte Abstraktionsverfahren an, um aus dem dritten Grundsatz im ersten Abstraktionsschritt ein Grundgesetz der Logik (vgl. D. 1–8) und im zweiten Abstraktionsschritt eine Kategorie (vgl. D. 9) abzuleiten. Aus dem dritten Grundsatz, dass dem teilbaren Ich ein teilbares NichtIch entgegengesetzt ist, lässt sich durch das Absehen von Ich und NichtIch zunächst abstrahieren, dass etwas einem anderen in einer Hinsicht zwar entgegengesetzt ist, in anderer Hinsicht aber auch ihm gleich sein muss. Gleich sind sich die Entgegengesetzten darin, dass beide teilbar sind, ungleich darin, dass sie einander auch ausschließen. Die Teilbarkeit ist das

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tertium comparationis, in dem sich Ich und Nicht-Ich gleichen und durch das sie beide aufeinander zu beziehen sind. Abstrakt gesehen werden hier also zwei Bestimmungen einerseits voneinander unterschieden und andererseits aufeinander bezogen. Dies macht auf einer ganz rudimentären Stufe die Struktur jedes bestimmten Urteils aus; denn in jedem bestimmten Urteil – gleichviel ob es ein bejahendes oder verneinendes Urteil ist – sind Subjekt und Prädikat zwar voneinander unterschieden aber doch auch aufeinander bezogen.70 Aus dem dritten Grundsatz ergibt sich auch die transzendentalphilosophische Einordnung des Satzes vom Grunde; er ist nach Fichte ein Grundgesetz der Logik – nicht der Ontologie. Eine Ontologie als Lehre vom Seienden als solchem kann an dieser Stelle noch gar nicht abgeleitet werden, weil zunächst mit den spezifischen Relationen von Ich und NichtIch der Bedeutungsrahmen darzulegen ist, innerhalb dessen Seiendes und Mannigfaltiges dem Bewusstsein erscheinen kann. Der Grund hat zunächst eine ausschließlich egologische Funktion, und diese besteht darin, dass für das Ich etwas bestimmt wird. „Bestimmung aber geschieht durch Aufzeigung des Grundes. Sowie der Grund der Anwendung dieses Satzes angegeben wird, wird dieselbe zugleich beschränkt.“ (72/FW I, 151) Eine jede Bestimmung erhält ihre Beschränkung, d. h. ihren begrenzten Geltungsbereich, durch die Anwendung des Satzes vom Grunde, d.h. dadurch, dass ihr Grund angegeben wird, der ihren Geltungsrahmen vorgibt. Der Grund ist ein tertium comparationis gegenüber zwei voneinander Verschiedenen. Jeder Grund hat nach Fichte zwei verschiedene Aspekte, die sich als verschiedene Merkmale der zu beurteilenden Sache ausdrücken: Der Grund ist einerseits Beziehungsgrund, in dieser Hinsicht sind die zu vergleichenden Entitäten einander in einem Merkmal gleich; andererseits ist der Grund aber auch Unterscheidungsgrund, in dieser zweiten Hinsicht sind die zu vergleichenden Entitäten einander in einem anderen Merkmal ungleich. „Nämlich die Richtigkeit der beiden ersten Arten [die Art, antithetisch oder synthetisch zu urteilen, ist gemeint; Einf. R. S.] setzt einen Grund, und zwar einen doppelten Grund, einen der Beziehung und einen der Unterscheidung, voraus, welche beide aufgezeigt werden können, und wenn das Urteil bewiesen werden soll, aufgezeigt werden müssen.“ (36/FW I, 116) Verneinende Urteile kommen dadurch zustande, dass der Unterscheidungsgrund prädiziert wird; bei bejahenden Urteilen wird dagegen der Beziehungsgrund angegeben. Zum Beispiel sind zweidimensionale, gradlinige geometrische Figuren dadurch zu bestimmen, dass sie ein räumliches Gebilde sind, das mindestens drei Seiten hat; dies ist das allgemeine Merkmal dieser geometrischen Figuren. Das Dreieck und das Viereck sind sich darin gleich, dass sie zweidimensional, geradlinig und mindestens drei Seiten haben, daher gehören

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

beide zur selben Klasse geometrischer Figuren. Da sie aber auch jeweils eine spezifische Anzahl von Seiten haben, sind sie auch voneinander unterschieden. Die spezifische Seitenanzahl ist der Unterscheidungsgrund; dass sie überhaupt gradlinige Seiten im zweidimensionalen Raum haben, der Beziehungsgrund. Dreiecke und Vierecke sind einander teilweise gleich, d. h. sie haben Gemeinsamkeiten, sofern sie in einigen allgemeinen Merkmalen übereinstimmen. Dreiecke und Vierecke sind einander aber teilweise auch nicht gleich, d. h., es gibt Spezifikationen, die zu den allgemeinen Merkmalen noch hinzukommen und die sie voneinander unterscheiden. Ein Grund teilt nach Fichte die Sphäre eines Begriffes in solche Bereiche ein, in denen es eine Deckung gibt und in solche Bereiche, wo es keine Gemeinsamkeiten gibt. Der Beziehungsgrund zweier Bestimmungen ist das genus proximum und der Unterscheidungsgrund ist die differentia specifica (vgl. 38 f./FW I, 118). Damit setzt Fichtes Urteilstheorie die an Aristoteles orientierte Begriffspyramide des Porphyrius voraus, dass spezifischere Begriffe unter allgemeineren subsumiert sind und die allgemeineren einen größeren Umfang haben, indem in deren Inhalt die spezifischeren Merkmale eliminiert sind; „z. B. Gold und Silber sind als gleich enthalten in dem Begriffe der Metalle, welcher den Begriff, worin beide sich entgegengesetzt werden, als etwa hier die bestimmte Farbe, nicht enthält“ (38/FW I, 118). Weil die spezifischeren Merkmale aus den allgemeineren Begriffen eliminiert sind, haben diese zwar einen größeren Umfang, aber einen geringeren Inhalt. Inhalt und Umfang eines Begriffs verhalten sich daher zueinander reziprok: Je allgemeiner ein Begriff, desto inhaltsärmer ist er und je inhaltsreicher, desto spezifischer ist der Begriff. In dieser Hinsicht ist die Realität der „höchste“ Begriff (vgl. 39/FW I, 118 f.); „höchste“ ist im Sinne von allgemeinstem Begriff zu verstehen. Die Realität ist die begrifflich fixierte, kategoriale Entsprechung zur Selbstsetzungshandlung des Ich aus dem ersten Grundsatz. Der Begriff Realität hat daher den größten Umfang, aber auch den geringsten Inhalt. Was inhaltlich bestimmt Realität bedeutet, muss offen bleiben, da jede Abgrenzung gegen anderes unmöglich ist. Denn wenn man versucht, der Realität anderes entgegenzusetzen, um sie durch dieses andere zu umgrenzen, dann muss auch dieses andere schon wieder eine Realität sein, d.h., es muss sich selbst gleich sein. Daher lässt sich in dieser Hinsicht die Realität als eine Gleichheit von etwas mit sich selbst nicht durch anderes umgrenzen oder bestimmen, denn das andere bzw. Entgegengesetzte zur Gleichheit mit sich wäre die Ungleichheit mit sich. Der Sinn von Realität ist durch Sachhaltigkeit, d. h. durch etwas, das mit sich selbst identisch ist und keinen Widerspruch enthält, zu klären. Die Teilbarkeitssetzung und die Beziehung von zu Unterscheidenden

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aufeinander vermittels eines allgemeineren Dritten ist nach Fichte eine Handlung eines Subjekts. Das „X“, von dem Fichte hier spricht (vgl. 31/FW I, 111), meint nun das tertium comparationis, in dem sich zwei Unterschiedene gleichen bzw. durch dessen Spezifikation (d. h. Hinzunahme von weiteren Merkmalen) auch voneinander unterscheiden. Wenn z. B. ein Lebewesen als belebte Konfiguration aus organischer Materie verstanden wird, ist dies ein tertium comparationis für Tier und Pflanze, in dem sie einander gleichen. Ohne die Bestimmung dieses tertium comparationis wäre weder das Tier ein Tier noch die Pflanze eine Pflanze. Sofern das tertium comparationis das Ermöglichende angibt, ist es der Grund von etwas. Werden aber spezifischere Bestimmungen zu dem tertium comparationis hinzugenommen, wie z. B. die selbständige Ortsveränderung, dann erhält man einen Unterscheidungsgrund, der Tiere und Pflanzen einander entgegensetzt.71 Es gilt daher: „A zum Teil = ¬A“ und „A zum Teil ≠ ¬A“. Fichtes Verständnis des Grundes lässt sich weiter erhellen, durch seine Theorie der Begriffsbildung. In seiner Logik und Metaphysik Vorlesung von 1794/95 ff. erklärt er, dass jede Begriffsbildung grundsätzlich durch eine Definition zustande kommt.72 Die Definition ist die Angabe einer Handlungsregel, die ein Subjekt befolgen muss, um einen Begriff allererst zu erzeugen. Die Definition gibt einerseits mit dem Gattungsbegriff/genus proximum einen Beziehungsgrund und mit der spezifischen Differenz/ differencia specifica den Unterscheidungsgrund an, mittels derer der Begriff gebildet wird. Es ist kein Einwand gegen diese Erklärung Fichtes, dass die Begriffsbildung hier offensichtlich bereits Begriffe und Urteile voraussetzt, da die Definition schon mit Begriffen und Urteilen operiert. Dagegen würde Fichte wohl sagen, dass sich daran zeigt, dass Begriffe immer schon andere Begriffe und Urteile voraussetzen und es gar nicht denkbar ist, dass Begriffe und Urteile aus Nicht-Begriffen entstehen, weil es ein Denken ohne Begriffe und Urteile nicht geben kann; ein unbegrifflicher Gedanke ohne Urteilsstruktur wäre ein Widerspruch in sich. Die Definition gibt nach Fichte die Grenzen des Begriffes an.73 Diese Bestimmung der Definition zeigt den Zusammenhang mit dem dritten Grundsatz aus der Grundlage, denn dieser stellt die transzendentalen Handlungsbedingungen dar, die ein Subjekt überhaupt erfüllen muss, wenn es etwas als begrenzt und damit als bestimmt setzt. Mit dem dritten Grundsatz, wird eine „ursprüngliche Handlung“ des Ich fixiert, die darin besteht, dass Entgegengesetzte vermittels eines Dritten miteinander verbunden werden (vgl. 33/FW I, 113). A = B, weil A = X und weil B = X. Vollständig identisch sind aber weder A mit B noch A mit X noch B mit X; sondern nur zum Teil ergibt sich jeweils eine begrenzte Gleichheit und eine begrenzte Ungleichheit. – Dies ist ein Sachverhalt, den man mit Husserl als partielle „Deckungssynthe-

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

sis“, im Unterschied zu einer vollständigen, die bei „A = A“ vorliegt, bezeichnen kann. – Mit dem X, dem tertium comparationis, sind A und B nur hinsichtlich (mindestens) eines Merkmals identisch; Tier und Pflanze sind Lebewesen, weil beide belebte und organisierte Materie sind. Tier und Pflanze sind aber hinsichtlich einer weiteren Spezifikation nicht identisch, weil die Pflanze z. B. nicht das spezifischere Merkmal der selbständigen Ortsveränderung aufweist. Das absolute Ich des ersten Grundsatzes steht nicht unter dem logischen Satz vom Grund (vgl. 32/FW I, 112). Der Satz vom Grund besagt, dass zu jeder Bestimmung eine vorgängige, allgemeinere zu finden ist, unter der diese auf ein anderes bezogen oder ihm entgegengesetzt werden kann. Das „Ich = Ich“ setzt aber weder das Ich in Beziehung zu etwas anderem noch unterscheidet es das Ich von etwas anderem; es setzt das Ich nur in Bezug zu sich selbst und ist daher weder eine verbindende noch eine trennende Beziehung von etwas zu etwas anderem. Daher gilt der Satz vom Grund nicht grenzenlos, sondern er hat seine Grenze im absoluten Ich: „Ein Urteil über dasjenige, dem nichts gleich, und nichts entgegengesetzt werden kann, steht gar nicht unter dem Satze des Grundes, denn es steht nicht unter der Bedingung seiner Gültigkeit; es wird nicht begründet, sondern es begründet selbst alle möglichen Urteile; es hat keinen Grund, sondern es gibt selbst den Grund alles Begründeten an. Der Gegenstand solcher Urteile ist das absolute Ich, und alle Urteile, deren Subjekt dasselbe ist, gelten schlechthin und ohne allen Grund“ (32/FW I, 112). – Durch dieses Zitat wird auch unsere Interpretation des absoluten Ich aus dem ersten Grundsatz als eines unbedingten und dadurch völlig unbestimmten Ich bestätigt. – Aufgrund dieser Begrenzung der Gültigkeit des Satzes vom Grunde ergibt sich auch kein fehlerhafter Zirkel zwischen dem ersten und dem dritten Grundsatz: Für den ersten Grundsatz gibt es keinen Grund, er ist selbstbegründend. Zwischen dem ersten und dem dritten Grundsatz liegt eine asymmetrische Relation vor, denn der dritte Grundsatz setzt zwar den ersten voraus, aber der erste nicht den dritten; daher liegt kein Zirkelschluss vor. Fichte entgeht damit auch dem skeptischen Einwand gegen den Satz vom Grund, dass dieser selbst auch wieder begründet werden müsse, welche Begründung auch wieder begründet werden müsse etc. ins Unendliche, woraus sich in skeptischer Hinsicht der unendliche Regress ergibt, der dazu führt, dass der Skeptiker den Satz vom Grund nicht anerkennt.74 Da der Satz vom Grund nach Fichte jedoch nur einen endlichen Geltungsbereich hat, der durch den ersten Grundsatz begrenzt wird, und da der Satz vom Grund im ersten Grundsatz nicht weiterführbar fundiert ist, treffen die skeptischen Einwände eines unendlichen Regresses Fichtes Entwurf nicht.

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Der Beziehungsgrund stellt eine Gemeinsamkeit zwischen zwei Bestimmungen heraus, dies lässt sich nach Fichte in einem synthetischen oder bejahenden Urteil ausdrücken, und der Unterscheidungsgrund ist analog dazu in einem antithetischen oder verneinenden Urteil auszudrücken (vgl. 33/FW I, 113). Nach Fichte ist eine Antithesis zwischen zwei Begriffen bzw. Bestimmungen nur dann möglich, wenn beide zuvor in anderer Hinsicht miteinander in Beziehung gesetzt wurden. Völlig ohne Beziehung würden die beiden einander ausschließenden Begriffe keine Verneinung bilden, sondern ein bloß unzusammenhängendes, kollageartiges Nebeneinander sein; ohne Beziehung wären die Begriffe nicht einmal koordiniert, sondern schlicht unverbunden, und damit läge gar kein Gedanke vor. Ein bloß Mannigfaltiges, das nur kollageartig unverbunden bleibt, wäre nicht einmal ein loses Bündel, weil bereits eine Bündelung Beziehung voraussetzt. Zur Antithesis ist ein geregeltes Gegenüber der Relata notwendig, welches schon ein Beziehen ist. Die Antithesis setzt also die Synthesis voraus (vgl. 33/FW I, 113). Wenn einfach nur eine bloße Entgegensetzung völlig ohne Beziehung gesetzt würde, dann stünden nur zwei unzusammenhängende Bestimmungen da, aber sie stünden nicht einander entgegen. Auch ein sinnvoll verneinendes Urteil ist eine einheitliche Relation zwischen zwei Bestimmungen. Es wird verneint, dass etwas auf etwas anderes bezogen ist; daher muss zunächst überhaupt eine Beziehung gesetzt worden sein. Umgekehrt gilt aber auch, dass eine Synthesis nur unter der Voraussetzung einer Antithesis möglich ist, denn die Synthesis soll Zwei aufeinander beziehen, dazu ist es aber notwendig, zunächst Zwei, d. h. überhaupt voneinander Unterschiedene gesetzt zu haben, was wiederum eine Antithesis impliziert. Synthesis und Antithesis implizieren sich somit nach Fichte wechselseitig (vgl. 33 f./FW I, 113 f.). Die Synthesis setzt die Antithesis auch deswegen schon voraus, da, würde zwischen den beiden Bestimmungen keine Entgegensetzung gesetzt, beide Bestimmungen miteinander identisch wären, d. h., man könnte nicht etwas auf etwas anderes beziehen, da es nicht zwei aufeinander Beziehbare gäbe, sondern nur Eines. Somit setzt Antithesis Synthesis und Synthesis Antithesis in je verschiedenen Hinsichten wechselseitig voraus. „Keine Antithesis ist möglich ohne eine Synthesis; denn die Antithesis besteht ja darin, dass in Gleichen das entgegengesetzte Merkmal aufgesucht wird; aber die Gleichen wären nicht gleich, wenn sie nicht erst durch eine synthetische Handlung gleichgesetzt wären. In der bloßen Antithesis wird davon abstrahiert, dass sie erst durch eine solche Handlung gleichgesetzt worden: sie werden schlechthin als gleich, ununtersucht woher, angenommen; bloß auf das Entgegengesetzte in ihnen wird die Reflexion gerichtet, und dieses dadurch zum deutlichen

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und klaren Bewusstsein erhoben. – So ist auch umgekehrt keine Synthesis möglich ohne eine Antithesis. Entgegengesetzte sollen vereinigt werden: sie wären aber nicht entgegengesetzt, wenn sie es nicht durch eine Handlung des Ich wären, von welcher in der Synthesis abstrahiert wird, um bloß den Beziehungsgrund durch Reflexion zum Bewusstsein zu erheben.“ (33 f./FW I, 113f.) – In dieser Hinsicht ist Fichtes Bestimmung des Urteils in seiner Logik und Metaphysik Vorlesung von 1794/95 ff. interessant: „Urtheilen, ursprünglich theilen; u., es ist wahr: es liegt ein ursprüngl. Theilen ihm zum Grunde. Es gehören dazu 2 Begriffe. Ein drittes „vorab gleich gewähltes“ [muss] auf sie bezogen werden: d.i. an welches beide gehalten werden.“75 Hier betont Fichte zwar das trennende Moment des Urteils, sieht aber auch, dass es nur vor dem Hintergrund einer vorgängigen Beziehung vollzogen werden kann. Darin liegen Parallelen zur berühmten Etymologisierung des Wortes „Ur-theil“ in Hölderlins Gedankenskizze Urtheil und Seyn. Hölderlin hörte seit November 1794 Vorlesungen bei Fichte in Jena.76 Nach Hölderlin ist das „Ich bin Ich“ das „Urtheil“ „im höchsten und strengsten Sinne“;77 welches nach Fichte noch gar kein Urteil im antithetisch-synthetischen Sinn ist, weil hier weder Antithesis noch Synthesis vorliegen; was nach Hölderlin allerdings der Fall ist. Hölderlin bezieht die Antithesis, bei ihm die Trennung, im Urteil auf eine vorgängige Einheit, die nicht mit Fichtes Synthesis verwechselt werden darf, da die Synthesis bei Fichte bereits wieder eine Antithesis/Trennung voraussetzt. Nach Hölderlin verweist die Antithesis jedoch auf eine vorgängige Einheit, die absolut untrennbar ist, die also auch nicht synthetische Beziehung sein kann, sondern eine reine Ganzheit ist, die Hölderlin „Sein“ nennt. Wenn Hölderlin das „Ich = Ich“ als eine Selbstentgegensetzung des Ich gegen sich deutet, worin das Ich von sich Selbstbewusstsein erlangt, weil es sich als Subjekt-Ich zum Objekt-Ich vergegenständlicht,78 dann trifft dies nicht Fichtes Theorie des absoluten Ich aus dem ersten Grundsatz der Grundlage, weil dort gar keine Entgegensetzung/Antithesis vollzogen wird. Auch nach Sartre sind im Bewusstsein Trennung und Beziehung bei Urteilen wechselseitig aufeinander bezogen: „Und wenn das Urteil das Ich von seinem Zustand trennt (wie in dem Satz: Ich bin verliebt), dann kann das nur sein, um beide sofort zu verbinden; die Bewegung der Trennung würde zu einer leeren und falschen Bedeutung führen, falls sie sich nicht selber als unvollständig erweisen und durch eine Bewegung der Synthese vervollständigen würde.“79 Dabei kehrt Sartre in dem frühen Entwurf Die Transzendenz des Ego im Vergleich zu Fichte das Verhältnis von Ego und Bewusstsein um, nicht das Ego hat ein Bewusstsein, sondern das Bewusstsein ist nach Sartre die das Ego umfassende und hervorbringende Einheit, die – im Anschluss an Husserl – grundlegend als Intentionalität entworfen

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wird. Sartre bestimmt die Bewusstseinsintentionalität als reine Spontaneität und absolute Freiheit, die keinesfalls von außen als determiniert zu denken ist; womit er in entscheidendem Maße über Husserl hinausgeht und doch auch wieder einige Ähnlichkeit zu Fichtes Bestimmung der Autonomie des Ich aufweist. Sartre differenziert zwischen dem Ich (Je) und dem ICH (Moi).80 Das letztere ist das konkrete psychophysische Selbst und das erste nur eine „transzendentalphilosophische Kontraktion“ des ICH, die nur vermittels eines reflektierten Bewusstseins erscheint. Dem ICH kommen Qualitäten, Zustände und Handlungen zu. Als „transzendentalphilosophische Kontraktion“ würde Sartre wohl auch Fichtes Entwurf des absoluten Ich aus dem ersten Grundsatz der Grundlage kritisieren. Wogegen Fichte sich damit rechtfertigen könnte, dass er diese „Abstraktheit“ gegenüber dem konkreten psychophysischen ICH (Moi) zugeben und darauf verweisen könnte, dass er auch nur beabsichtigt, die reinen, unhinterfragt vorausgesetzten und meist vorbewussten Strukturallgemeinheiten des konkreten Ich mit dem absoluten Ich herauszuarbeiten und dass – sehr ähnlich wie bei Sartres nichtsetzendem Bewusstsein, dem präreflexiven cogito – das absolute Ich bei Fichte keinen Gegenstand setzt und in diesem Sinne ganz analog zu Sartres nicht-thetischem Bewusstsein nicht objektivierend ist; Fichte würde gegen Sartre wohl zu Recht herausstellen, dass das absolute Ich bzw. Sartres nicht-thetisches Bewusstsein/ präreflexives cogito zumindest sich selbst setzt, also zwar nicht objektivierend setzend ist, aber doch selbstsetzend, wohingegen Sartre hervorhebt, dass das nicht-thetische Bewusstsein/präreflexives cogito gar nicht setzend ist, weil alle Setzungen aus ihm heraus zu erklären sind, und man, um einen Zirkel in der Erklärung von Setzung zu vermeiden, nicht annehmen darf, dass bereits die Quelle allen Setzens selbst auch schon eine Setzung ist. Dieses präreflexive cogito ist daher selbst nicht mehr als Setzung zu bezeichnen, weil es Quelle allen Setzens ist und das verweist nach Sartre auf die rein ontologische Ebene der Existenz, weshalb Sartre die Schlussfolgerung zieht, dass die Existenz der Essenz vorangeht.81 – In der Bestimmung von Antithesis und Synthesis wird von Fichte vorausgesetzt, dass es zu jedem bestimmten Begriff ein Entgegengesetztes gibt und dass das Entgegengesetzte die Bedeutung des zunächst gesetzten Begriffs umgrenzt und mitbestimmt; dies ist die Vorbedingung, wegen der er sagen kann, dass in der Synthesis Entgegengesetzte vereinigt werden sollen. Man kann sich allerdings auch eine Vereinigung von solchen Begriffen vorstellen, die einander gar nicht entgegengesetzt sind, sondern die eigentlich dieselbe Bedeutung haben, was bei analytischen Urteilen – jetzt im Sinne Kants – der Fall ist: „Junggesellen sind unverheiratete Männer“. Dies wäre für Fichte wohl kein bestimmtes und bedingtes Urteil, weil es insofern keinen Informationsgehalt hat, als etwas nicht durch etwas ande-

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res bestimmt wird. Im Prädikat wird nur entfaltet bzw. wiederholt, was ohnehin bereits im Subjekt des Urteils gesetzt ist. Die jeweilige Intension und Extension von Satzsubjekt und Prädikat sind hier identisch. Es wird in Fichtes Sinn nicht synthetisch ein spezifischer Begriff unter einen allgemeineren subsumiert. Fichte sagt daher: „Es gibt demnach überhaupt dem Gehalte nach gar keine bloß analytischen Urteile; und man kommt bloß durch sie nicht nur nicht weit, wie Kant sagt, sondern man kommt gar nicht von der Stelle.“82 (34/FW I, 114) An dieser Stelle hat Fichte eine Bedeutung von „analytisch“ vor Augen, die von Kant beeinflusst ist und die nicht mit seiner eigenen Deutung des Analytischen als „antithetisch-entgegengesetzt“ verwechselt werden darf. Meint bei Kant das analytische Verhältnis von Begriffen im Urteil, dass der Prädikatsbegriff vollständig im Umfang und Inhalt des Subjektbegriffs mitenthalten ist, so hat Fichte mit dem Antithetischen-Entgegengesetzten eigentlich eine zu Kants Deutung konträre Auffassung des Analytischen. Fichtes Vergleich des Analytischen bei Kant mit seinem Konzept des Antithetischen ist daher schief. Den Titel analytisches Urteil für das antithetische lehnt Fichte daher ab (vgl. 33/FW I, 112), weil diese Bezeichnung den Eindruck erweckt, als könne eine (analytische) Begriffszergliederung selbständig, ohne eine vorgängige Synthesis geschehen. Die Synthesis ist aber eine beziehende Einsetzung von Bestimmungen in einen allgemeineren (Gattungs-)Begriff, und ohne eine solche kann keine Entfaltung der spezifischeren (Art-)Begriffsbestimmungen stattfinden; was eine analytische Begriffszergliederung im traditionellen, auch kantischen Sinn wäre. Daher bevorzugt Fichte den Titel des „antithetischen“ Verfahrens, weil die Bezeichnung Antithesis den Gegensatz zur Synthesis deutlicher macht. Wenn Fichte vom antithetischen und synthetischen „Verfahren“ (33/ FW I, 112 f.) spricht, dann meint er damit zwei verschiedene Geisteshandlungen, die gleichermaßen für die transzendentale wie für die formale Logik von zentraler Bedeutung sind; nämlich einerseits das entgegensetzende und beziehende Verfahren des Geistes bei der Bildung eines Begriffs und andererseits das entgegensetzende und beziehende Verfahren des Geistes bei der Bildung von Urteilen. Die Bildung von Begriffen geschieht vermittels antithetischer und synthetischer Urteilsakte und die Urteile werden durch antithetische und synthetische Begriffsbeziehungen gebildet. Begriffe und Urteile setzen sich daher wechselseitig voraus.83 In Fichtes Konzeption von Antithesis und Synthesis scheint auch eine Schwierigkeit dieser Urteilstheorie zu liegen, nämlich dass es sich letztlich um einen Psychologismus handelt; d. h., psychische Leistungen des empirischen Subjekts werden mit Geltungsproblemen der logischen Urteilstheorie verwechselt oder zu deren Erklärung herangezogen. – Das berühmte

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Problem des Psychologismus ist natürlich erst seit Husserls Logischen Untersuchungen deutlicher als fundamentale und notwendigerweise zu überwindende Schwierigkeit für die Grundlegung der Logik hervorgetreten. Es lässt sich allerdings auch schon mit den Mitteln der Transzendentalphilosophie bzw. der transzendentalen Logik Kants und Fichtes lösen. – Ob eine durch Verbindung konstituierte Bedeutung in einem Urteil gilt oder nicht gilt, darf allerdings nicht von der Willkür des psychisch-empirischen Subjekts abhängen, das dieses Urteil fällt; dies wäre der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit logischer Urteile verhindernde Psychologismus. Immerhin hob Fichte in scheinbar psychologistischer Art selbst hervor, dass es die Reflexion ist, die ihr Bewusstsein jeweils der Beziehung oder dem Entgegensetzen von Begriffen zuwendet; aus dieser „Handlung des Ich“ ergibt sich dann jeweils, ob es ein antithetisch-verneinendes oder ein synthetisch-bejahendes Urteil ist; des weiteren beschreibt Fichte Antithesis und Synthesis als Verfahrensweisen des Geistes; so gesehen scheint es, als sei die willkürliche Richtung der Aufmerksamkeit dafür verantwortlich, ob ein Urteil verneinend oder bejahend ist. Allerdings ist Fichte gegen den Vorwurf des Psychologismus in Schutz zu nehmen, denn mit den ersten Grundsätzen und der daraus folgenden transzendentallogischen und logischen Begriffs- und Urteilstheorie, bewegt er sich nicht auf der Ebene eines konkreten, psychischen Subjekts; vielmehr handelt es sich mit Antithesis, Synthesis und den Reflexionsakten um allgemeingültige Fundamentalhandlungen, die jedes Bewusstsein vollziehen muss, damit überhaupt ein Urteil zustande kommen kann. Das Subjekt ist natürlich konstitutiv für das Fällen von Urteilen, aber es ist nicht die empirisch-konkrete Psyche eines individuellen Subjekts, sondern eine von diesem notwendig vorauszusetzende, zu unterscheidende, allgemeingültige, notwendige und reine Subjektivitätsstruktur, die bedingt, dass jedes Urteil immer eine antithetische und eine synthetische Hinsicht hat. Es muss zwischen den psychischen Akten eines empirischen Subjekts, mittels derer es sich konkret ein Urteil bewusst macht, und der tatsächlichen Geltung der Urteilsbestimmungen selbst unterschieden werden. Leistungen der reinen und allgemeinen Subjektivität sind allerdings vorauszusetzen, damit überhaupt Urteile vollzogen werden, dies ist aber nicht mehr als Psychologismus zu bezeichnen, sondern vielmehr der Versuch einer allgemeingültigen Fundierung logischer Geltungen in den reinen und notwendigen Akten der Subjektivität überhaupt. Auch weil es sich bei Fichtes Urteilstheorie, zumindest soweit deren fundamentale Strukturen in den ersten drei Paragraphen der Grundlage entworfen werden, nicht um einen Psychologismus, sondern um eine subjektivitätstheoretisch und transzendental legitimierte Konzeption handelt, kann Fichte für sich in Anspruch nehmen, Kants grundlegende Frage der

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Kritik der reinen Vernunft: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ beantwortet zu haben. Denn auf der allgemeinsten und grundsätzlichsten Ebene sind die folgenden Probleme geklärt: Was ist eine Synthesis? Sie ist die Setzung einer Beziehung zwischen endlichen, d. h. limitiertbegrenzten Entitäten, die voneinander auch unterschieden sind. Wie kann eine solche Synthesis a priori sein; d. h. der Erfahrung begründungsmäßig vorangehen? Weil begrenztes Beziehen die Erkenntnis von Gegenständen allererst ermöglicht und diese nicht schon voraussetzt. Wer vollzieht eine solche Synthesis a priori? Das endliche Ich. Wie vollzieht das Ich eine solche Synthesis a priori? Durch den limitativen Akt einer Bezugssetzung von teilbarem Ich und teilbarem Nicht-Ich. Damit gibt Fichte ganz andere Antworten auf dieselbe Frage, die sich Kant bereits in der Kritik der reinen Vernunft stellte. Bei Kant ist dies die Fundamentalfrage der Erkenntnistheorie, weil nach ihm nur dort tatsächlich eine Erkenntnis vorliegt, wo mittels einer Synthesis von reinen Begriffen (Kategorien) und sinnlichen Anschauungen ein Gegenstand regelhaft konstituiert wird. Bei Fichte ist dagegen die sinnliche Anschauung im gegenwärtigen Stand der Argumentation noch gar nicht hergeleitet. Seine Antwort muss daher eine andere sein als jene Kants. In Fichtes Sicht ist seine Antwort die „allgemeinste und befriedigendste“ (34/FW I, 114) – hinter diesen Worten steckt auch eine Spitze gegen Kant, denn wenn erst jetzt eine „allgemeinste und befriedigendste“ Antwort gegeben worden ist, hatte Kant diese eben noch nicht. Kants Antwort zielt bereits auf eine spezifischere, vermitteltere Phase des Erkenntnisprozesses, nämlich auf die regelhafte Verbindung des Gegebenen der sinnlichen Anschauung mit dem Verstandesbegriff. Das setzt aber zunächst überhaupt Teilbarkeit voraus, und wie es zu dieser hat kommen können, bleibt bei Kant ungeklärt, daher ist der Erklärungsansatz Fichtes fundamentaler als jener Kants. Bei Kant wird einerseits vorausgesetzt, dass es etwas Gegebenes gegenüber einem Subjekt geben kann, dies ist eine erste Form von Teilung, und andererseits wird vorausgesetzt, dass das Subjekt in sich geteilt ist, nämlich in einen rezeptiven (Sinnlichkeit) und einen spontanen (Verstand) Aspekt, was eine zweite Form von Teilung ist. Wie es zur Differenzierung des Subjekts in einen rezeptiv-sinnlichen und in einen spontanen Teil kommen kann, hat Fichte allerdings in den ersten drei Grundsätzen noch nicht hergeleitet (dies wird zumindest teilweise im vierten Paragraphen, Deduktion der Vorstellung, 146–164/FW I, 227–246 geleistet); aber er hat doch das Phänomen der Teilung überhaupt erklärt.

Konsequenzen des antithetisch-synthetischen Urteils

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6. Konsequenzen aus der Lehre vom antithetisch-synthetischen Urteil für die Methode der theoretischen Wissenschaftslehre (34–35/FW I, 114–115) Aus dem Anspruch, die Synthesis im dritten Paragraphen auf fundamentalster Ebene erklärt zu haben, folgt nach Fichte, dass alle weiteren Synthesen keimhaft in dieser obersten Synthesis enthalten sind, weil sie deren Prinzip ist. Woraus wiederum methodische und methodologische Konsequenzen zu ziehen sind; also solche Konsequenzen, die die Methode selbst betreffen und diese regeln (vgl. 34 f./FW I, 114 f.). Die Methode der Wissenschaftslehre nach dem zweiten und dritten Grundsatz wird nicht einfach wie zufällig befolgt, sondern deren Vorgehen lässt sich in seiner Notwendigkeit legitimieren und selbst reflektieren; nämlich aus den bisher gewonnenen Ergebnissen zum Verhältnis von Antithesis und Synthesis.84 Auch die Methode der Wissenschaftslehre ist seit dem zweiten und dritten Grundsatz zugleich antithetisch und synthetisch: jeweils werden einander entgegengesetzte Aspekte einer gefundenen Bestimmung aufgesucht, für diese Antithese ist aber eine Synthese von anderen Bestimmungen schon wieder vorauszusetzen, für die wiederum eine Antithese anderer Bestimmungen vorauszusetzen ist, welches wiederum eine Synthese anderer Bestimmungen voraussetzt etc. Daher ist in der höchsten Synthese, derjenigen des dritten Paragraphen, der gesamte methodische Fortschritt der weiteren Wissenschaftslehre schon latent enthalten (vgl. auch 44 f./FW I, 123 f., 64/FW I, 143). Das antithetisch-synthetische Bestimmungsgeflecht bildet das Gerüst für das idealistische Systemgebäude Fichtes. Im Gedankengebäude der Wissenschaftslehre sind die verschiedenen Bestimmungen organisch ineinander enthalten und stehen einander nicht äußerlich gegenüber oder bloß nebeneinander; sie sind vielmehr streng auseinander herzuleiten und keine Bestimmung kann ohne die andere/anderen gedacht werden. Erst eine solche Ganzheit und Vollendung, innerhalb der sich die verschiedenen Bestimmungen wechselseitig erfordern, hat in Fichtes Sicht den Titel „System“ und „Wissenschaft“ verdient. „Alle aufgestellten Synthesen sollen in der höchsten Synthesis, die wir eben vorgenommen haben, liegen, und sich aus ihr entwickeln lassen.“ (35/FW I, 114) Aus der Beziehung von teilbarem Ich und teilbarem Nicht-Ich (und deren Unterschied) folgen somit alle anderen Synthesen, die latent in dieser ersten enthalten sind und durch die Wissenschaftslehre in einem ableitenden und reflektierenden Verfahren nur noch explizit und thematisch gemacht werden müssen (vgl. 44 f./FW I, 123 f.). Diese Methode setzt voraus, dass es in der höchsten Synthesis und dann auch in jeder folgenden Synthesis widersprüchliche Aspekte bzw. weitere

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

widersprüchliche Bestimmungen gibt, die bislang nur latent sind, die also als solche widersprüchliche Aspekte unter der Oberfläche schlummern und nach der klaren und deutlichen Erkenntnis der Synthese als noch ungelöste Probleme in den Vordergrund drängen. Die jeweils neu auftretende Antithese ist also eine Aktualisierung eines zuvor bloß potentiellen/ latenten Widerspruchs. „Die Reflexion hat diese antithetische Handlung aufzustellen: und diese Reflexion ist insofern zuvörderst analytisch. Nämlich entgegengesetzte Merkmale, die in einem bestimmten Begriffe = A enthalten sind, als entgegengesetzt durch Reflexion zum deutlichen Bewusstsein erheben, heißt, den Begriff A analysieren. Hier aber ist insbesondere zu bemerken, dass unsere Reflexion einen Begriff analysiert, der ihr noch gar nicht gegeben ist, sondern erst durch die Analyse gefunden werden soll; der analysierte Begriff ist bis zur Vollendung der Analyse = X.“ (45/FW I, 124) Der neue Widerspruch kann erst durch die jeweils neue und spezifischere Synthese in den Vordergrund drängen und fordert eine neue synthetische Lösung, also eine spezifischere Vereinigung; die allerdings auch wieder ihre latenten Aspekte hat, die wiederum in einem neuen Schritt eine synthetische Vereinigung fordern. Der Transzendentalphilosoph lässt sich von diesem antithetisch-synthetischen Fortgang leiten; er komponiert nicht künstlich, sondern lässt sich „durch die Sache selbst“ (35/FW I, 115) führen; damit wird eine unmethodische Willkür ausgeschlossen; nur die Sache selbst gibt die Maßstäbe für ihre Darstellung vor. In diesem Sinne hat die Wissenschaftslehre mit dem Geflecht von Antithesis und Synthesis eine sachliche Methode: „Sie wird immer fortfahren, Mittelglieder zwischen die Entgegengesetzten einzuschieben; dadurch aber wird der Widerspruch nicht vollkommen gelöst, sondern nur weiter hinausgesetzt. Wird zwischen die vereinigten Glieder, von denen sich bei näherer Untersuchung findet, dass sie dennoch nicht vollkommen vereinigt sind, ein neues Mittelglied eingeschoben, so fällt freilich der zuletzt aufgezeigte Widerspruch weg; aber um ihn zu lösen, musste man neue Endpunkte annehmen, welche abermals entgegengesetzt sind, und von neuem vereinigt werden müssen.“ (64/FW I, 143) Dabei entsteht der Widerspruch immer wieder daraus neu, dass die eigentliche Vereinigung von Ich und Nicht-Ich nie unmittelbar erreicht werden kann, sondern immer nur in einem vermittelnden Dritten, das aber auch wieder in sich das Problem enthält, dass auch für diese vermittelte Vereinigung wieder eine unmittelbare Vereinigung von Nicht-Ich und Ich vorausgesetzt werden muss. Die unmittelbare Einheit ist aber unmöglich, weil sie Ich und Nicht-Ich gleichermaßen setzen müsste, wenngleich sie denknotwendig ist. Die Lösung des Problems der unmittelbaren Einheit erfolgt dann „durch einen absoluten Machtspruch der Vernunft, den nicht etwa der

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Philosoph tut, sondern den er nur aufzeigt – durch den: es soll, da das Nicht-Ich mit dem Ich auf keine Art sich vereinigen lässt, überhaupt kein Nicht-Ich sein, der Knoten zwar nicht gelöst, aber zerschnitten würde“ (65/FW I, 144). Die Methode der Wissenschaftslehre besteht deswegen in einem kontinuierlichen und geregelten Wechsel von Setzung und Auflösung des Widerspruchs, der letztlich nur durch das Sollen, sprich durch den kategorischen Imperativ der praktischen Vernunft durchbrochen werden kann, der uns die Aufgabe auferlegt, das Nicht-Ich kontinuierlich aufzuheben; „alle Schranken müssen verschwinden, das unendliche Ich muss als Eins und als Alles allein übrig bleiben“ (65/FW I, 144). Damit wird von Fichte ein egologischer Pantheismus als unerreichbares aber notwendig aufgegebenes Ziel der Menschheit entworfen, bei dem die im absoluten Ich gesetzte Unendlichkeit absoluter Handlungsfreiheit synthetisiert werden muss mit der ebenfalls im Ich gesetzten Endlichkeit, die ihm unwiderlegbar vom Nicht-Ich her vorgegeben ist. – Diese, den Widerspruch positiv einsetzende Methode ist sicherlich eine Inspiration für Hegels Dialektik gewesen, deren Unterschied zur Methode Fichtes darin besteht, den Anspruch zu erheben, den Widerspruch nicht unendlich zu vermeiden, sondern jeweils zwischen zwei Entgegengesetzten den Widerspruch positiv denken zu können, um daraus eine neue Bestimmung herzuleiten. So ergibt sich für Hegel am Anfang der Wissenschaft der Logik z. B. aus dem Widerspruch von Sein und Nichts die spekulative Synthese des Werdens; in dem ein reines Übergehen von Sein in Nichts und von Nichts in Sein zu denken ist. – Es stellt sich bei Fichte allerdings die kritische und skeptische Frage, ob dieses methodische Wechselspiel von Antithese und Synthese nicht in einen unendlichen Progress führt? Und ob damit die Wissenschaftslehre nicht doch unsystematisch ist, nämlich aufgrund einer unabschließbaren Offenheit? Nach Fichte kommt die antithetisch-synthetische Wissensuntersuchung an ein Ende, das die unsystematische Offenheit des unendlichen Progresses immer neuer Bestimmungen verhindert. Denn es finden sich solche Entgegengesetzte, die prinzipiell nicht mehr vereinigt werden können, da sie durch einen Abgrund unversöhnlich einander gegenüberstehen; hier liegt ein unvermittelbarer Antagonismus vor. Und an diesem Punkt, wo eine Synthesis prinzipiell auszuschließen ist, endet der theoretische Teil der Wissenschaftslehre und es muss ein grundsätzlich neuer Teil der Wissenschaftslehre einsetzen, nämlich der praktische Teil der Wissenschaftslehre. Dieser stellt nicht neue Antithesen und Synthesen auf, sondern klärt diejenigen des theoretischen Teils aus anderer Perspektive. Er hält die Antithese fest und durchklärt diese. In diesem Sinne verhalten sich theoretischer und praktischer Teil der Wissenschaftslehre genau umgekehrt zueinander, in der theoretischen Wissenschaftslehre werden

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

immer höhere und spezifischere Synthesen aufgestellt und im praktischen Teil wird eine Antithese immer fundamentaler zergliedert; wenngleich sich also Antithese und Synthese wechselseitig fordern, dominiert im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre die Synthese und im praktischen genau „umgekehrt“ (34/FW I, 114) die Antithese. Die soeben explizierte Vollendung und Ganzheit ergibt sich aber nicht nur hinsichtlich des Endes des Systems, sondern auch von dessen Anfang her. Gegen den Skeptiker ist nämlich nicht nur hinsichtlich des Systemendes ein unendlicher Progress auszuschließen, sondern ebenso hinsichtlich des Systemanfangs ein unendlicher Regress. Das absolute Ich, die Tathandlung als ein unbedingter Selbstanfang hat genau den methodisch erforderten Charakterzug von etwas, dem nichts mehr vorhergehen kann, das also den unendlichen Regress hinsichtlich des Systemanfangs verhindert, weil es intrinsisch evident ist. Für den Systemanfang ergibt sich, dass das absolute Ich des ersten Grundsatzes in seinem Bezug auf den zweiten und dritten Grundsatz nicht mit einem höheren Begriff synthetisiert werden kann, denn es gibt keinen Begriff, der noch über das Ich als dessen Grundlage hinausgehen könnte; es gibt nur Begriffe die unter dem absoluten Ich untergeordnet sind; eine Vorordnung zum absoluten Ich ist undenkbar und würde die Aufhebung des Satzes der Identität und des zu vermeidenden Widerspruchs implizieren. Das absolute Ich wird also, wenn es im zweiten Grundsatz mit dem Nicht-Ich konfrontiert wird, eigentlich mittels eines niedrigeren Begriffs auf das Nicht-Ich bezogen. Dies ist ein Spezifikum, denn wie gesehen, ist Beziehung nur durch einen höheren allgemeineren Begriff möglich, der als ein tertium comparationis den Beziehungsgrund abgibt. Da es keinen höheren Begriff als das absolute Ich geben kann, wird die Synthesis von Ich und Nicht-Ich durch einen „niedern Begriff, den der Teilbarkeit“ (39/FW I, 119) erreicht. Fichte verweist in diesem Kontext bereits voraus auf seinen später (vgl. 58 ff./FW I, 136 ff.) noch zu entfaltenden Begriff der Substanz, wenn er ausführt: „Ich und Nicht-Ich, sowie sie durch den Begriff der gegenseitigen Einschränkbarkeit gleich- und entgegengesetzt werden, sind selbst beide etwas (Akzidenzen) im Ich, als teilbarer Substanz; gesetzt durch das Ich, als absolutes unbeschränkbares Subjekt, dem nichts gleich ist, und nichts entgegengesetzt ist“ (39/FW I, 119). Damit fällt Fichte nicht in ein ontologisch-metaphysisches Verständnis des Ich als einer Substanz hinter die kritische Philosophie zurück. In dem ontologisch-metaphysischen Sinn würde Substanz das real Existierende bedeuten, das als Träger den Eigenschaften zugrunde liegt; so entwerfen die Substanzkategorie z. B. Aristoteles, Descartes und Spinoza. Fichte meint dagegen ausdrücklich, dass das absolute Ich gerade Subjekt und nicht Substanz ist; Subjekt bedeutet, dass das Ich

Konsequenzen des antithetisch-synthetischen Urteils

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ein Handlungsakteur ist und nicht ein Zugrundeliegendes. Das absolute Ich als Subjekt konstituiert allererst die Kategorie der Substanz und findet sie nicht als ontologische Ordnungsstruktur einfach vor. In Fichtes Sinn bedeutet die Substanz eine spezifische Selbstbezüglichkeit des endlichen Ich, das sich setzt, indem es in sich selbst einen Unterschied macht zwischen denjenigen Aspekten, in denen es sich selbst als nur partiell tätig erfährt, und solchen Aspekten, in denen es sich als partiell untätig bzw. leidend erfährt. Dabei führt es die eigene spezifische Untätigkeit darauf zurück, dass es etwas gibt, das eine aktive Ursache dieser Untätigkeit im Ich ist. Und diese aktive Ursache einer Untätigkeit des Ich schreibt das Ich dem Nicht-Ich zu. Damit sind in der Substantialitätsbestimmung Ich und Nicht-Ich zwei Aspekte im Ich selbst, die es in den verschiedensten Arten von Tätigkeit und Untätigkeit in sich selbst erfährt (z. B. als wahrnehmendes, empfindendes, erinnerndes, einbildendes, begrifflich kombinierendes, sehnsüchtiges Ich etc.). Das Ich erscheint sich als diesen vielfältigen Arten von Tätigkeit und Untätigkeit gleichermaßen zugrundeliegend und aufgrund dieses Zugrundeliegens erfährt sich das Ich als die Einheit der verschiedenen Zustände, die es sich als seine Akzidenzien zuschreibt und erlebt. Das Ich ist tragender Akteur der vielfältigen Unterscheidungen und Schattierungen von Tätigkeit und Untätigkeit im Ich; mit dieser Bestimmung ist das Ich Substanz, nämlich das den verschiedenen akzidentellen Zuständen Zugrundeliegende und zugleich Subjekt, nämlich der sich einheitlich identisch wissende Akteur der Erlebnisse. Sofern die Substanzbestimmung auf das Ich angewendet wird, handelt es sich um eine abgeleitete Bestimmung und nicht mehr um die erste unmittelbare Selbstsetzung des absoluten Ich im ersten Grundsatz. Dem absoluten Ich kommt die Spezifikation der Substanzbestimmtheit nicht zu: „Darum müssen alle Urteile, deren logisches Subjekt das einschränkbare oder bestimmbare Ich, oder etwas das Ich Bestimmendes ist, durch etwas Höheres beschränkt oder bestimmt sein: aber alle Urteile, deren logisches Subjekt das absolut unbestimmbare Ich ist, können durch nichts Höheres bestimmt werden, weil das absolute Ich durch nichts Höheres bestimmt wird, sondern sie sind schlechthin durch sich selbst begründet und bestimmt.“ (39 f./FW I, 119) – Hiermit wird wieder die Deutung des absoluten Ich als eines Unbestimmten bestätigt. – Hinsichtlich des Systemendes ist die Abgeschlossenheit durch die zuvor beschriebene prinzipielle Nichtsynthetisierbarkeit zweier Entgegengesetzter gekennzeichnet, die sich am Ende der theoretischen Wissenschaftslehre gegenüberstehen und in der praktischen Wissenschaftslehre nur noch differenziert werden können. Diese Abgeschlossenheit am Systemende ist noch zu spezifizieren, denn auch dort soll einerseits ein offener Fortgang ins unbestimmt Unendliche

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

verhindert werden, andererseits ist aber auch ein unbestimmter Dualismus zu verhindern, denn auch ein Dualismus bietet keine systematische Geschlossenheit und widerspricht der Einzigkeit, die im Gedanken einer prinzipbegründeten Philosophie enthalten ist. Die Vollendung und den Abschluss hinsichtlich des Systemendes bezeichnet Fichte als „eine geendete Annäherung zum Unendlichen […], welche an sich unmöglich ist“ (35/FW I, 115). Eine „geendete Annäherung an das Unendliche“ ist offensichtlich eine paradoxe Formulierung. Sie ist nicht so zu begreifen, dass ein Unendliches de facto aktuell erreicht wird, sondern als ein approximativer Prozess, der zwar nicht abgeschlossen werden kann, der aber jeweils die Regel zu seiner Fortführung festgelegt hat. Der Annäherungsprozess ist also in inhaltlicher Hinsicht zwar unendlich fortführbar, aber in formaler, d. h. regelhafter Hinsicht ist er sehr wohl abgeschlossen. Es handelt sich daher nicht um einen schlechten unendlichen Progress, der in das Unbestimmte geht, sondern um eine in sich selbst bestimmte, sich selbst weiter differenzierende Unendlichkeit, die durchaus ihre Grenzen hat. Die Grenzen sind festgelegt durch den anzuerkennenden Satz vom zu vermeidenden Widerspruch. Die Frage ist nun, woran soll diese unendliche Annäherung geschehen? Fichte sagt: „es muss ein System und Ein System sein; das Entgegengesetzte muss verbunden werden, so lange noch etwas Entgegengesetztes ist, bis die absolute Einheit hervorgebracht sei“ (35/FW I, 115). Die unendliche Annäherung geschieht also an die „absolute Einheit“. Eine solche wird bereits im ersten Grundsatz der Wissenschaftslehre mit dem „Ich bin Ich“ aufgestellt. Nachdem jedoch der zweite und der dritte Grundsatz in ihrer jeweiligen Notwendigkeit expliziert wurden, stehen diese der anfänglichen, absoluten Einheit des ersten Grundsatzes unversöhnlich, aber doch auch notwendig entgegen. Die absolute Einheit kann also nicht in einer platten Rückkehr zum ersten Grundsatz bestehen, sondern in dem Problem, den Gehalt der ersten, unmittelbaren absoluten Einheit des „Ich bin Ich“ mit der vermittelten, antithetisch-synthetischen, nur noch relativen Einheit der Grundsätze zwei und drei zu vereinen. Mit Fichte lassen sich also drei Formen von Einheit differenzieren: 1. eine unmittelbare absolute Einheit (Ich = Ich); 2. eine relative Einheit (teilbares Ich = und ≠ teilbares Nicht-Ich) und 3. eine vermittelte absolute Einheit ((Ich = Ich) + (teilbares Ich = und ≠ teilbares Nicht-Ich)). Die vermittelte absolute Einheit ist letztlich in der Sittlichkeit der praktischen Vernunft mit dem kategorischen Imperativ gegeben. Erst so erhält man eine höher vermittelte, wirklich absolute Einheit: Die anfängliche absolute Selbsteinheit ist mit der relativen antithetisch-synthetischen Einheit in eine beide umfassende Einheit zu bringen. Diese höhere Einheit kann nur das Produkt der Vermittlung aller Widersprüche

Thetische Urteile

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sein, welches eine unendliche aber bestimmte Aufgabe für das endlich relative Subjekt bildet. Diese Aufgabe hat ihre Richtung als Handlungs- und Regelanweisung vorgegeben und hat damit eine feststehende Form, wie auch immer die einander Widersprechenden inhaltlich bestimmt sein mögen. Somit ist auch das Systemende nicht in einem schlechten unendlichen Progress unbestimmt, es ist die vermittelte absolute Einheit, diese kann aber nicht faktisch realisiert vorliegen, weil es für das Denken des endlichen Subjekts immer noch zu versöhnende Gegensätze bei jeder seiner von ihm gesetzten Bestimmungen gibt. Eine Bestimmung hat für das endliche Subjekt überhaupt nur Bestimmtheit, wenn sie gegen anderes, das sie nicht ist, abgegrenzt ist. Die absolute Einheit wäre als eine tatsächlich realisierte Entität aber etwas, dem gar nichts mehr entgegengesetzt wäre, weil eine solche Einheit wahrhaft total und universell wäre. Das ist für ein endliches Subjekt aber nicht sinnvoll denkbar, da es seine eigene Endlichkeit übersteigen müsste, die ihm aber wesentlich ist und der es daher nicht entgehen kann. Das Systemende „absoluter Einheit“ erweist sich damit als eine „Idee“ im transzendentalen und praktischen Sinne Kants wie auch Fichtes; nämlich als eine regelhafte Handlungsanweisung, mit regulativ-vereinheitlichendem Charakter, die prinzipiell nicht empirisch real werden kann. Die Methode der Wissenschaftslehre besteht somit in einem antithetisch-synthetischen Entwicklungsprozess von Bestimmungen. Indem Fichte die Möglichkeiten von Antithese und Synthese aus ursprünglichen Handlungen des Ich als dem Prinzip herleitet, hat er damit zugleich die Methode der Wissenschaftslehre aus deren Prinzip, dem Ich, hergeleitet. Damit wird die Methode der Philosophie in Fichtes Wissenschaftslehre nicht einfach vorgefunden oder als ein unbegründetes rationalistisches Postulat vorausgesetzt, sondern die Methode der Wissenschaft wird aus dem Prinzip der Wissenschaft hergeleitet. Damit stellt Fichte einen Maßstab für wissenschaftlich-methodisches Vorgehen auf: Aus dem Prinzip ist die Methode der Philosophie abzuleiten. Prinzip und Methode stehen daher nicht einfach unverbunden nebeneinander, sondern sie sind systematisch miteinander verbunden.

7. Thetische Urteile (35–40/FW I, 115–119) Nach den antithetischen und den synthetischen Urteilen behandelt Fichte eine weitere Urteilsart, die thetischen oder setzenden Urteile (vgl. 35 ff./FW I, 115 ff.). Das thetische Urteil wird – Kants Urteilstheorie mit Modifikationen aufnehmend – als „unendliches Urteil“ bestimmt (vgl. 36/FW I, 117 f.). Dessen Besonderheit besteht darin, dass weder eine Ent-

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

gegensetzung noch eine Beziehung vollzogen wird, sondern nur eine einfache Setzung; d. h., es wird nur die Identität von etwas mit sich selbst gesetzt, wodurch es nicht von anderem unterschieden oder mit ihm überhaupt auch nur verglichen wird. Das setzende bzw. unendliche Urteil basiert nach Fichte auf der ersten Ichtätigkeit, der des Selbstsetzens mit dem „Ich bin“ bzw. dem „Ich bin Ich“ (vgl. 38/FW I, 118).85 Das thetische oder unendliche Urteil hat daher seinen paradigmatischen Fall im „Ich bin Ich“. Dem Ich wird hier nichts entgegengesetzt und nichts anderes wird auf es bezogen, vielmehr wird einfache Gleichheit mit sich ausgesagt. Daher ist das thetische Urteil eine Sonderform des Urteils. Gilt sonst für jedes Urteil, dass es einen Beziehungs- und einen Unterscheidungsgrund geben muss, so ist dies bei dem thetischen Urteil nicht der Fall, weil gar keine Relation von etwas zu etwas anderem vorliegt, sondern nur eine Selbstrelation ausgesagt wird, die in der Gleichheit mit sich besteht. „Das ursprüngliche höchste Urteil dieser Art ist das: Ich bin, in welchem vom Ich gar nichts ausgesagt wird, sondern die Stelle des Prädikats für die mögliche Bestimmung des Ich ins Unendliche leer gelassen wird. Alle Urteile, die in diesem, das ist, unter dem absoluten Setzen des Ich enthalten sind, sind von dieser Art; […] z. B. der Mensch ist frei.“ (36 f./FW I, 116) Hiermit wird wieder die Interpretation des absoluten Ich als eines Unbestimmten bestätigt. Dies kann nun weiter präzisiert werden: Gerade weil das „Ich bin“ bzw. das „Ich bin Ich“ eine ausschließliche, reine Selbstbestimmung ist, ist es unbestimmt. Denn in der bloßen Selbstbezüglichkeit ist die Unbestimmtheit (gegen anderes) notwendig enthalten, in dieser Unbestimmtheit ist wiederum die Unendlichkeit notwendig enthalten; denn das Ich hat die Strebung zur Bestimmtheit und damit den Willen, die Unbestimmtheit in der reinen Selbstbezüglichkeit aufzuheben. Das Ich kann also nicht einfach bei der Unbestimmtheit der einfachen Selbstbezüglichkeit stehen bleiben; denn Unbestimmtheit ist nicht das Ziel, sondern bloß der Anfang der Ichentwicklung. Diese Aufhebung der Unbestimmtheit kann aber nur stufenweise geschehen, weshalb die vollständige Selbstbestimmung – also eine solche, die nicht mehr nur reine Selbstgleichheit in Unbestimmtheit, sondern Selbstgleichheit in Bestimmtheit ist – zur unendlichen, d. h. zur unabschließbaren Aufgabe wird. Die absolute Selbstbestimmung mit Bestimmtheit ist eine regulative „Idee“; d. h. eine Unendlichkeit vorzeichnende Handlungsanweisung. Die bestimmte Selbstbestimmung des Ich wird damit zu einem Gesollten, zu etwas, das faktisch nicht einfach vorhanden sein kann, sondern immer programmatischer Vorentwurf ist. Bestimmte Selbstbestimmtheit, die also auch das Nicht-Ich in die Selbstbeziehung des Ich zu sich integriert und es nicht nur abstrakt unbezogen noch gar nicht berücksichtigt – wie die anfängliche

Thetische Urteile

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Selbstidentität des absoluten Ich aus dem ersten Paragraphen –, ist für das endliche Ich eine zwar notwendige, aber unerfüllbare Aufgabe. Eine AufGabe im dreifachen Wortsinn, von etwas zu Erarbeitendem, etwas Vorgegebenem und etwas Unerreichbarem. Das aus dem Bereich der Sittlichkeit stammende thetische Urteil „Der Mensch ist frei“ hat daher gleichermaßen beflügelnde wie niederdrückende Konsequenzen: „Dennoch sollen, laut der logischen Form des Urteils, welche positiv ist, beide Begriffe vereinigt werden; sie sind aber in gar keinem Begriffe zu vereinigen, sondern bloß in der Idee eines Ich, dessen Bewusstsein durch gar nichts außer ihm bestimmt würde, sondern vielmehr selbst alles außer ihm durch sein bloßes Bewußtsein bestimmte: welche Idee aber selbst nicht denkbar ist, indem sie für uns einen Widerspruch enthält. Dennoch aber ist sie uns zum höchsten praktischen Ziele aufgestellt. Der Mensch soll sich der an sich unerreichbaren Freiheit ins Unendliche immer mehr nähern“ (37/FW I, 117). Fichte spricht hier das Wesen seines kritisch-transzendentalen, endlich-praktischen Idealismus der Freiheit ganz direkt aus. Ein Ich, durch dessen bloßes Bewusstsein das NichtIch bestimmt wird, ist, in radikaler Konsequenz gedacht, ein wahrhaft unendliches, absolutes Ich; das nicht mit dem anfänglichen absoluten Ich des ersten Grundsatzes verwechselt werden darf. – Kurz nach der Grundlage präzisiert Fichte diesen Gedanken ethikotheologisch weiter: Das wahrhaft absolute Ich ist letztlich Gott, der mit der moralischen Weltordnung identisch ist, sofern diese in aller Radikalität und Reinheit von sämtlichen der Sittlichkeit fähigen Geistern vollzogen werden würde. In dieser Hinsicht ist das wahrhaft absolute Ich (Gott) ein regulatives-ethikotheologisches Ideal.86 – Eine Setzung/Thesis bildet die Voraussetzung für Entgegensetzung und Beziehungssetzung und damit auch für Unterscheidungs- und Beziehungsgrund und kann deswegen selbst keinen Unterscheidungs- oder Beziehungsgrund mehr haben. Sonst wäre ein fehlerhafter Zirkel begangen worden, denn die Voraussetzung für sowohl Unterscheidungs- als auch Beziehungsgrund kann nicht selbst auch wieder entweder einen Unterscheidungs- oder einen Beziehungsgrund haben; denn sonst wäre in der Voraussetzung schon enthalten, was sie allererst ermöglichen soll. Auch daraus folgt Unbestimmtheit in der Thesis. Bei der Bezeichnung des thetischen Urteils als „unendliches Urteil“ bezieht sich Fichte, wie gesagt, auf Kant und dessen Anhänger (vgl. 38/FW I, 117 f.). Dies stellt eine Schwierigkeit dar, denn Fichtes Konzeption des thetischen Urteils weist gegenüber dem unendlichen Urteil, wie es Kant entwirft, wesentliche Unterschiede auf; der Bezug Fichtes ist daher schief: Nach Kant bildet das unendliche Urteil hinsichtlich der Urteilsqualität laut der Urteilstafel aus der Kritik der reinen Vernunft nach dem bejahen-

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den und dem verneinenden Urteil die dritte Urteilsart.87 Die Urteilsqualität des unendlichen Urteils setzt bereits das bejahende und das verneinende Urteil voraus. Das ist bei Fichte umgekehrt: das thetische Urteil ist die Voraussetzung für das verneinende und das bejahende Urteil. Nach Kant ist ein unendliches Urteil ein bejahendes Urteil mit einem verneinenden Prädikat. Z. B.: „Die Seele ist nicht sterblich (bzw. deutlicher: nichtsterblich)“. Hier wird bejaht, dass die Seele ein Element der unendlich großen Klasse all desjenigen ist, was nicht sterblich ist. Damit wird also offen gelassen, was die Seele nun genauer ist, es wird nur gesagt, was sie nicht ist, nämlich sterblich. Was aber Nichtsterblichsein bedeutet, bleibt einer durch das Urteil offengelassenen, unbegrenzten Anzahl möglicher weiterer Prädikate überlassen. Es handelt sich nach Kant um ein unendliches Urteil, weil die Sphäre möglicher weiterer Prädikate, die eigentlich ein bestimmtes Urteil ausmacht, hier fehlt, vielmehr wird durch ein solches Urteil das zu bestimmende Aussagesubjekt in die unbegrenzte Sphäre weiterer Prädikationen gesetzt, die aber vom Urteil selbst nicht angegeben werden. Dies bildet eine entfernte Parallele zu Fichtes thetischem Urteil, weil auch dieses eine unendliche Aufgabe zu einem stets weiterzuführenden Bestimmungsprozess ist. Wenn Fichte allerdings „Der Mensch ist frei“ als unendliches Urteil bezeichnet, dann ist dies in Kants Sinn kein solches, sondern ein bejahendes Urteil, es enthält nämlich kein verneinendes Prädikat; wie auch „Ich bin“ kein solches enthält. Fichte hat mit dem Beispiel „Der Mensch ist frei“ offensichtlich vor Augen, dass in diesem Urteil die Freiheit eine konstitutive Bestimmung des Menschen ist, der Mensch also erst durch die Freiheit zum Menschen wird und es insofern zur Identität des Menschen gehört, dass er frei ist. Mit dem Prädikat „frei“ wird also eine Wesensbestimmung des Menschen thetisch gesetzt. Zugleich gibt es für die Verwirklichung dieses Wesensprädikats des Menschen einen unendlichen Spielraum bzw. durch dieses Prädikat wird ein solcher unendlicher Spielraum eröffnet, denn durch dieses Urteil wird nicht determiniert, wie der Mensch seine Freiheit umzusetzen hat. Nach den eben genannten Beispielen für ein thetisches Urteil nennt Fichte noch ein drittes; das hinsichtlich einer transzendental-kritischen Ästhetik interessant ist: „A ist schön“ (37/FW I, 117). Dieses Urteil ist im Sinne Fichtes ein unendliches, weil das Prädikat des Urteils ein „Ideal“ ist, also wiederum ein zur unendlich-unabschließbaren Annäherung Aufforderndes. Die Schönheit als Idee ist in der Erfahrungswelt aktuell unerreichbar; in diesem Sinne kann der empirisch existierende Mensch „das Ideal nicht kenne[n]“ (38/FW I, 117).88 Aber wir sind nach Fichte dennoch genötigt, der Schönheit nachzustreben, weil es sich um eine Aufgabe handelt, die unser Geist uns selbst auferlegt, und wir können dabei doch

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immer nur partikuläre Realisationen erreichen. In den partikulären Realisationen der Schönheit ist das Urbild des Ideals der Schönheit mitpräsent; es ist also weder vollständig anwesend noch vollständig abwesend. Die Mitanwesenheit des Ideals der Schönheit in einem konkreten Kunstwerk verweist daher über das Kunstwerk hinaus auf ein es transzendierendes Ideal. Das Ideal der Schönheit ist nach Fichte ein „absolutes Setzen“, d. h., es gibt keine aus der empirischen Welt stammenden Einschränkungen für das Schöne selbst, es handelt sich vielmehr um ein Produkt der reinen Tätigkeit des Geistes. Ganz ähnlich konzipiert auch Schiller das Schöne als ein Ideal, das Annäherung ins Unendliche regelhaft fordert: „Das Schöne ist kein Erfahrungsbegriff, sondern vielmehr ein Imperatif. Es ist gewiss objektiv, aber bloß eine nothwendige Aufgabe für die sinnliche vernünftige Natur; in der wirklichen Erfahrung aber bleibt sie gewöhnlich unerfüllt, und ein Objekt mag noch so schön seyn, so macht es entweder der vorgreifende Verstand augenblicklich zu einem vollkommenen oder der vorgreifende Sinn zu einem bloß angenehmen. Es ist etwas völlig Subjektives, ob wir das Schöne als schön empfinden, aber objektiv sollte es so seyn.“89 Schillers Formulierung „allerdings bleibt sie gewöhnlich unerfüllt“ lässt jedoch Raum für Spekulationen, denn danach scheint in einigen Ausnahmen eine Erfüllung des Ideals in der erfahrbaren Wirklichkeit möglich. Dem würde Fichte wohl widersprechen; denn nach ihm ist ein Ideal prinzipiell nie als vollständig in der Erfahrungswirklichkeit erfüllbar zu denken, denn ein wirkliches Ideal enthält für das endliche Subjekt einen notwendigen Widerspruch, der sich gerade in dessen Unerfüllbarkeit und Unerfülltheit manifestiert.90 – Diesen Gedanken mit den Mitteln der aktuellen Rezeptionsästhetik weiterführend, kann man deuten, dass sich die Unerfülltheit des Ideals im realisierten Kunstwerk z. B. in dessen Leerstellen manifestiert, wobei natürlich nicht jede Leerstelle auf ein Ideal hinweisen muss.

8. Skeptizismus, Realismus und Idealismus (40–43/FW I, 119–123) Fichte konfrontiert die beiden, nach ihm einzig möglichen verschiedenen philosophischen Systeme miteinander; dies sind der kritische Idealismus und der Dogmatismus.91 Hat der Idealismus das Ich zum Prinzip, so nimmt der Dogmatismus den „Begriff des Dinges (Ens)“ (vgl. 40/FW I, 119) als Prinzip an. Das Ding soll reale Existenz haben. Daher kann Fichte in diesem Kontext den Dogmatismus auch als Realismus bezeichnen. – Dies auch, weil er im Folgenden den konsequenten Dogmatismus mit dem System Spinozas identifiziert und im weiteren Verlauf der Grundlage die Philosophie Spinozas als Realismus deutet. –

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

In beiden Systemen geht es grundsätzlich darum, zu klären, wie Erkenntnis möglich ist. Der Idealismus leitet die Möglichkeit zur Erkenntnis aus dem Ich, der Dogmatismus aus dem Ding ab. Der Idealismus verbleibt innerhalb der Grenzen, die ihm durch die an das Ich gebundenen Denkmöglichkeiten gegeben sind und ist daher „immanent“, d. h. in einem weiteren Sinne bewusstseinsimmanent. Der Idealismus entfaltet damit – wie der reife Husserl dies nennen würde – eine apriorische Egologie. Dagegen überschreitet der Dogmatismus mit seinem Prinzip des Dinges die Grenzen des Ich bzw. des Bewusstseins und wird daher „transzendent“. Das Ding ist nach dem Dogmatismus dasjenige, welches das Ich allererst möglich macht. Nach diesem philosophischen Konzept ist das Ich entweder selbst nur ein Ding oder nur eine Eigenschaft des Dinges (das Ding ist „dasjenige, worin das Ich selbst gesetzt ist“; 40/FW I, 120). Diese verdinglichende Annahme sieht Fichte als eine willkürliche Voraussetzung an; daher der Titel „Dogmatismus“: Ohne eine explizierbare Begründung wird lehrhaft eine Voraussetzung gemacht. Das „Ding an sich“ ist hier im Kontext des Dogmatismus offensichtlich nicht im berühmten Sinne Kants als ein bloßer „Grenzbegriff“ zu verstehen, der als „Noumenon“ konzipiert werden muss, um Erfahrung erklären zu können; vielmehr ordnet Fichte den Begriff des „Dings an sich“ in unserem Kontext in die dogmatische Philosophie Spinozas ein; Spinoza gilt Fichte als „konsequentester“ (vgl. 40/FW I, 120) Dogmatiker. In Bezug auf diesen hat Fichte mit dem „Ding an sich“ dessen Entwurf der sich selbst setzenden Substanz (vgl. 41/FW I, 121) vor Augen. Nach Spinoza ist die Substanz eine causa sui, also ein sich selbst setzendes und im emphatischen Sinn erstes Ding. Die Substanz als causa sui hebt nach Fichte die Einheit des Bewusstseins des Ich auf, weil diese als ein dem Bewusstsein gegenüber transzendenter Grund zu gelten hat. Im weiteren Verlauf der Grundlage wird Fichte immer wieder die beiden philosophischen Positionen Idealismus und Dogmatismus bzw. Realismus miteinander konfrontieren. Es handelt sich dabei um eine sachlich-systematische Auseinandersetzung, die in Analogie zu dem thetischantithetischen Verfahren aus Kants transzendentaler Dialektik der Antinomien zu sehen ist; auch dort findet zwischen These und Antithese keine historische, sondern eine sachliche Auseinandersetzung zwischen einander ausschließenden Positionen in einer Reduktion auf die wesentlichen Argumente statt. Fichte wird durch die fortlaufende Konfrontation beider Systeme verschiedene Typen von Idealismus und Dogmatismus bzw. Realismus differenzieren (vgl. hierzu 68/FW I, 147; 76ff./FW I, 154ff.; 93/FW I, 172 f.; 98/FW I, 178, 104 ff./FW I, 184 ff.; 110/FW I, 190; 130 f./FW I, 210 f.). Es werden beim Idealismus ein dogmatischer, transzendenter, transzendental-kritischer, der qualitative, der quantitative und der praktische

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unterschieden. In historischer Hinsicht ordnet Fichte Berkeley dem dogmatischen und auch dem qualitativen Idealismus, Leibniz dem transzendenten und Kant dem transzendental-kritischen Idealismus zu; Fichte selbst sieht sich als praktischen Idealisten, der den transzendental-kritischen Idealismus konsequent weiterführt. Bei dem Realismus bzw. Dogmatismus werden der dogmatische, transzendente, qualitative, der quantitative und der abstrakte unterschieden; die ersten drei Formen des Realismus macht Fichte in historischer Hinsicht bei Spinoza aus. Im Zuge dieser – mit dem berühmten Wort Platons aus dem Sophistes gesagt – „Gigantomachie um das wahrhaft Seiende“ erfahren Idealismus und Realismus Bedeutungsdifferenzierungen, die dazu führen, dass gerechtfertigte Aspekte des (insbesondere quantitativen) Realismus vom Idealismus anerkannt und umgekehrt berechtigte Aspekte des Idealismus vom Realismus anerkannt werden. Teilweise können verschiedene Formen von Realismus sich auch untereinander widerlegen; so widerlegt der quantitative Realismus den qualitativen (vgl. 107/FW I, 187). Eine Verknüpfung beider Systeme sieht Fichte darin, dass er mit dem praktischen Idealismus einen eigenständigen „Mittelweg“ zwischen dogmatischem Idealismus und dogmatischem Realismus (vgl. 93/FW I, 173) geht, der allein zu einem einheitlichen Konzept von Wissen führt; darin liegt auch, dass sowohl der einseitige dogmatische Idealismus als auch der einseitige dogmatische Realismus falsch sind. Gegen den Dogmatismus macht Fichte am Ende des dritten Grundsatzes vor allem geltend, dass er ein „Ding an sich“ (40/FW I, 120) als Prinzip annehmen muss und dass ein solcher Begriff mittels skeptischer Argumente zu widerlegen ist. Die skeptischen Argumente, die Fichte gegen den Dogmatiker/Realisten geltend macht, besagen dass bei einer Begründung des Wissens durch ein Ding entweder ein unendlicher Regress oder eine unbegründete Voraussetzung die Konsequenz sind, mit der das philosophische Erklärungskonzept scheitert. Für jedes Ding ist wiederum als dessen Grund ein anderes Ding anzugeben. Die Kette der jeweils vorausliegenden Gründe reißt nicht ab, und weil sie unendlich ist, wird eigentlich gar keine Begründung geliefert, weil es nur eine in sich völlig relative Reihe von Gründen und Folgen gibt, bei der jeder Grund selbst nur als Folge anzusehen ist. Es gibt also in dieser Argumentation des konsequenten Dogmatismus keinen wirklichen Grund. Die unendliche Kette von Gründen ist die eine mögliche Konsequenz des Dogmatismus. Die andere besteht darin, dass der Dogmatiker von einem bestimmten Ding einfach behauptet, dass es für dieses keinen weiteren, vorangehenden Grund gibt. Dagegen kann der Skeptiker geltend machen, dass es sich hierbei um eine unbewiesene Voraussetzung handelt. Damit ist der Dogmatiker in einer entscheidenden argumentativen Aporie, denn entweder entwirft er einen

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

unendlichen Regress oder er macht eine unbewiesene Voraussetzung. Beides ist philosophisch gleich unbefriedigend und mündet selbst in einen Skeptizismus. Über dem (erfolglosen) Versuch, sich gegen den Skeptiker zur Wehr zu setzen, wird der Dogmatiker daher selbst zum Skeptiker: „Durchgeführter Dogmatism ist ein Skeptizism“ (40/FW I, 120). Nach Fichte folgt aus den beiden skeptischen Argumenten, dass dieser zum Skeptizismus gewordene Dogmatismus selbst „bezweifelt, dass er zweifelt; denn er muss die Einheit des Bewusstseins und mit ihr die ganze Logik aufheben; er ist mithin kein Dogmatism, und widerspricht sich selbst, indem er einer zu sein vorgibt“ (40 f./FW I, 120). Genau so argumentiert der antike pyrrhonische Skeptizismus, wenn er die Möglichkeit der Bezweiflung der skeptischen Argumente/Tropen selbst zugibt und somit einen konsequenten, auch selbstreferentiellen Zweifel ausdrücklich fordert. Die skeptischen Einwände wie z. B. der Einwand des unendlichen Regresses und der der unbewiesenen Voraussetzung führen nicht dazu, dass man mit Sicherheit weiß, dass man nichts weiß, denn auch das durch skeptische Argumente herbeigeführte Nichtwissen ist wieder bezweifelbar, und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Nichtwissen des Skeptikers evtl. falsifiziert wird, aber es ist deswegen noch nicht zu gesichertem Wissen umgewandelt oder durch solches ersetzt, vielmehr kann auch dieses wieder mit anderen Argumenten/Tropen bezweifelt werden.92 Fichte beschreibt eigentlich einen Metazweifel, denn nach ihm wird der Zweifel selbst in seiner Sinnhaftigkeit bezweifelt. Dies folgt daraus, dass das Denken, wenn es konsequent verfährt, bei jeder Bestimmung nach einem Grund fragen muss – den Satz vom zureichenden Grund akzeptiert auch der Dogmatismus und in der Ontologie von Leibniz ist er sogar neben dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch eines der beiden Grundgesetze der metaphysischen Vernunft93 –, gleichfalls aber auch ein Erstes im emphatischen Sinn braucht, von dem es ausgeht, ein solches wird im Dogmatismus aber zu einer unbewiesenen Voraussetzung. Das bildet in Fichtes Sicht einen logischen Widerspruch bzw. eine Aporie, die das dogmatische Denken nicht auflösen kann, sofern es aber in einem logischen Widerspruch verbleibt, hebt sich die Einheit des Bewusstseins auf, denn dieses ist eben nicht in der Lage einen Widerspruch zu denken – was sich auch daran zeigt, dass Leibniz den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch als Grundgesetz der Ontologie und Logik aufstellt. Die Einheit des Bewusstseins wird nach Fichte gerade durch dessen Widerspruchsfreiheit bzw. durch den konsequenten Versuch, alle sich entwickelnden Widersprüche aufzulösen, gebildet. Der Dogmatismus gelangt aber mit seiner Aporie einer kontinuierlich unendlich regressiven Suche nach Gründen und dem unbegründeten Postulat eines Ersten in einen solchen Widerspruch, den er nicht auflösen kann. Der Dogmatismus wird daher gezwungen, an der

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Sinnhaftigkeit der von ihm selbst aufgestellten Denk- und Seinsgesetze zu zweifeln, und „widerspricht sich selbst“. Diesen Gedanken eines sich selbst aufhebenden Skeptizismus, der seinen eigenen Zweifel in einem Metazweifel bezweifeln muss, führt Fichte in der Fußnote (41/FW I, 120) weiter aus, denn ein solcher Skeptizismus ist selbstvernichtend und ihn kann man nach Fichte nicht ernsthaft vertreten. Die Argumentation, die den Skeptizismus selbst in die Aporie brachte, dass einerseits immer nach einem Grund zu fragen ist, andererseits aber auch ein Erstes gesetzt werden muss, welches sich gegenseitig ausschließt, ist selbst eine sinnhafte Argumentation, und setzt damit die Gesetze der Sinnhaftigkeit, d. h. die Logik und die Einheit des Bewusstseins voraus. Dann wird aber, um den skeptischen Zweifel verstehen zu können, vorausgesetzt, was schließlich doch vom Skeptiker bezweifelt wird. Damit beweist der Skeptizismus sogar in seiner Art des Zweifels die Gesetze der Logik und die Einheit des Bewusstseins, denn er muss sie voraussetzen, um sie destruieren zu können. Dies meint Fichte, wenn er sagt: „Es gibt nur zwei Systeme, das kritische und das dogmatische. Der Skeptizism, so wie er oben bestimmt wird, würde gar kein System sein: denn er leugnet ja die Möglichkeit eines Systems überhaupt. Aber diese kann er doch nur systematisch leugnen, mithin widerspricht er sich selbst und ist ganz vernunftwidrig“ (41/FW I, 120).94 Das systematische Leugnen besteht darin, dass mittels der logischen und rationalen Grundsätze und mittels der Einheit des Bewusstseins diese Grundvoraussetzungen des Denkens selbst aufgehoben werden sollen. Dass noch „nie […] jemand im Ernste ein solcher Skeptiker“ (a. a. O.) war, ist sicherlich nicht korrekt, denn sowohl die pyrrhonischen Skeptiker (Pyrrhon von Elis, Ainesidemos, Agrippa, Menodot und Sextus Empiricus) als auch die Mittlere und Neue Platonische Akademie (Arkesilaos von Pitane, Karneades von Kyrene) behaupten genau einen solchen Typus der Skepsis. Und auch in der Gegenwart finden sich Skeptiker wie Robert Nozick, Barry Stroud, teilweise auch Michael Williams, Richard Fumerton95 und Robert Fogelin, wobei letzterer die Wissens- und Wahrheitskonzepte analytischer Denker der Prüfung eines (neo-)pyrrhonischen Skeptizismus, bzw. eines „updated Pyrrhonism“ unterzieht und zu skeptischen Resultaten kommt.96 Von dem sich selbst zersetzenden Skeptizismus unterscheidet Fichte den kritischen Skeptizismus, der keine eigenständige Position in Anspruch nehmen kann, sondern als ein in den Kritizismus integrierter Bestandteil anzusehen ist. Die „kritische Skepsis“ bildet ein unselbständiges Korrektiv auf dem Boden des Kritizismus. Fichte nennt hier Hume, Salomon Maimon und den unter dem Pseudonym Aenesidemus veröffentlichenden Skeptiker Schulze. Dieser Typus des Skeptizismus weist den kritischen Denker auf jene Schwierigkeiten hin, die im Rahmen einer konsistenten

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Philosophie dann notwendigerweise zu überwinden sind. Der kritische Skeptizismus hat damit eine dienende Funktion; überhebt er sich aber zu einer eigenen Position, verfällt auch er den selbstzersetzenden Aporien des radikalen Skeptizismus. So wie Kant durch Hume aus seinem „dogmatischen Schlummer“97 gerissen wurde und er daraufhin die Kritik als neue Form des Philosophierens entwarf, so haben auch Maimon und Aenesidemus/Schulze Fichte aus dessen „elementarphilosophischen Schlummer“ gerissen und zur Ausbildung des kritischen Systems der Wissenschaftslehre beigetragen. In der dienenden Funktion ist dem kritischen Skeptizismus seine korrektive Funktion hoch anzurechnen, denn er führt zur Differenzierung des Kritizismus. Gegen den transzendentalen Kritizismus, der nach Fichte mit dem absoluten Ich anfängt, lassen sich die Einwände eines unendlichen Regresses von Gründen und der unbeweisbaren Voraussetzung nicht erheben, denn der Kritizismus hat im absoluten Ich einen ersten Anfang, der nicht unbegrenzt weiter auf vorausliegende Gründe hinterfragt werden kann, weil er sich selbst setzt und intrinsisch evident ist. Auch gegen das Ende des Systems hat der Kritizismus einen Abschluss, der mittels der Idee umfassender Selbstbestimmung des Ich durch den kategorischen Imperativ einen unendlichen Progress ins Unbestimmte verhindert. Auch der skeptische Vorwurf einer unbegründeten Voraussetzung ist dem Kritizismus vom Skeptiker nicht zu machen, denn das absolute Ich der Tathandlung des Anfangs erhält seine Berechtigung aus der Konsistenz des aus ihm folgenden Gesamtsystems. Weil das Gesamtsystem in der Lage ist, Erfahrung, Erkenntnis, theoretische Objekte und praktische Handlungen zu erklären, muss auch sein grundlegender Anfang mit dem absoluten Ich richtig gewesen sein. Durch diese transzendentale Argumentation bewährt sich nach Fichte die Anfangssetzung einer Tathandlung, die nicht Erfahrungstatsache ist.98 Über die zuvor genannten Gründe hinaus besteht hinsichtlich eines dogmatischen bzw. realistischen „Dings an sich“ ein Widerspruch darin, dass damit entworfen wird, dass ein Ding vollständig unabhängig existieren können soll. Die vom Bewusstsein vollständig unabhängige Existenz ist nämlich in dem „an sich“ zu sehen. Ein An-sich-Sein kann aus der Perspektive des kritisch-praktischen Idealismus einem Ding nicht zukommen, weil jedes Ding seiner gedanklichen und formalen Struktur nach bereits eine Identität mit sich selbst impliziert, eine solche Selbstidentität aber die Selbstidentität des Ich mit sich voraussetzt; wie dies der erste Grundsatz der Grundlage lehrt. Darüber hinaus ist ein Ding gerade das, was das Ich nicht ist, es ist dem Ich also entgegengesetzt, Entgegensetzung impliziert aber wiederum die setzende, die entgegensetzende und die beziehende Tätigkeit des Ich. Auch von daher enthält ein „Ding an

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sich“ im Sinne eines vollständig selbständig existierenden Etwas einen Selbstwiderspruch. Es stellt sich aber nach der skeptischen Kritik am Dogmatismus die berechtigte Frage, warum der Dogmatiker überhaupt über das Ich hinausgeht und bei einem Ding die Begründungsreihe für die Erkenntnis und das Wissen anfangen lässt. In gewissem abgeschwächtem und relativiertem Sinne macht diesen realistischen Schritt nach Fichte sogar der Idealismus; denn auch der Idealist glaubt in seinem unmittelbaren Alltagsleben an eine von ihm unabhängige Welt und an unabhängig von ihm in dieser Welt lebende andere Subjekte. Der Dogmatiker gibt theoretische Gründe dafür an, dass ein solches Hinausgehen über das Ich vollzogen werden muss, z.B. dass der Begriff des Dinges allgemeiner sei als derjenige des Ich, da auch das Ich ein Ding sei. Weil der Idealismus aber ganz grundsätzlich gezeigt hat, dass das Ich kein Ding ist, kann dieser theoretische Erklärungsansatz des Dogmatismus ausgeschlossen werden. Daher muss es einen anderen Grund sowohl für den Dogmatiker als auch für den Idealisten hinsichtlich der alltagsevidenten „Erscheinung“ (42/FW I, 121) einer ichunabhängigen Realität geben. „Ein praktisches Datum war es, nicht aber ein theoretisches, wie man zu glauben schien, das den Dogmatiker über das Ich hinaustrieb; nämlich das Gefühl der Abhängigkeit unseres Ich, insofern es praktisch ist, von einem schlechterdings nicht unter unserer Gesetzgebung stehenden und insofern freien Nicht-Ich: ein praktisches Datum nötigte ihn aber wiederum, irgendwo stille zu stehen; nämlich das Gefühl einer notwendigen Unterordnung und Einheit alles Nicht-Ich unter die praktischen Gesetze des Ich; welche aber gar nicht etwa als Gegenstand eines Begriffes etwas ist, das da ist, sondern als Gegenstand einer Idee, etwas, das da sein soll und durch uns hervorgebracht werden soll“ (42/FW I, 121). Mit dem „Datum“ meint Fichte ganz allgemein eine Gegebenheit; eine solche bedeutet, dass sich dem Ich etwas zeigt, das ihm vorgegeben ist und nicht von ihm produziert wird. Ein solches Erlebnis von Gegebenheit kann auch der Idealist nicht sinnvoll abstreiten. Aber die Gegebenheit erscheint dem Ich nicht aus theoretischen Gründen, sondern sie ist für das Ich erst dann erlebbar, wenn es sich praktisch und konkret tätig verhält. Erst wenn das Ich tätig etwas modifizieren will, erkennt es, dass es für die Modifikationstätigkeit etwas zu Modifizierendes voraussetzen muss. Dieses macht dann erst für das Ich ein Ding aus. Das zu modifizierende Ding muss aber auch wieder seinen Grund in etwas haben, das es hervorgebracht hat. Dasjenige, welches sämtliche modifizierbaren Dinge hervorgebracht hat, ist letztendlich der praktische Grund für deren Existenz. Diesen letzten und hervorbringenden Grund bezeichnet Fichte an der angeführten Stelle mit dem aus Sicht des Idealisten paradoxen Ausdruck

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eines „freien Nicht-Ich“. Damit ist Gott als causa sui und absolute Substanz bei Spinoza gemeint und idealistisch uminterpretiert. Es handelt sich aus der idealistischen Sicht dabei eigentlich nicht um ein Nicht-Ich, sondern vielmehr um ein Du, d. h., es handelt sich bei dem dem Ich vorgegebenen gesetzmäßig produktiven Wesen um ein alter ego. Einem Nicht-Ich kann nach Fichtes Lehre aus dem zweiten Grundsatz keine Freiheit zukommen, denn das Wesen des Nicht-Ich besteht ausschließlich darin, dass es dem Ich entgegengesetzt ist; Freiheit im Sinne einer gesetzmäßigen und selbstanfänglichen Handlung kann ausschließlich einem Ich zukommen. Ohne es im einzelnen auszuführen steht hier Fichtes Ansatz einer transzendentalphilosophischen Bestimmung der Intersubjektivität im Hintergrund seiner Spinoza- und Realismus-Kritik. In der Perspektive des Dogmatikers werden die Relationen des Ich zu der es umgebenden Welt und zu deren Grund verdinglicht; aus der verkürzten Sicht des Dogmatikers verhalten sich daher hier eigentlich nur Dinge zueinander. Erst die Sicht des Idealisten ermöglicht es, in der Erfahrung der Gegebenheit die praktisch-tätige Relation freier Wesen zueinander zu sehen. Spinoza hat zwar – nach Fichtes Deutung – auch versucht, die Gegebenheit von Dingen in der Erfahrung und unser praktisches Tätigsein in der Wirklichkeit zu erklären, und hat dies mittels des Dinges erreichen wollen, das er als das Substrat der beiden sich aufteilenden Seinsweisen Ausdehnung und Denken ansah; nach Spinoza teilt sich das substantielle Sein in diese beiden Akzidenzien ein – die unendlichen anderen Akzidenzien erkennt der Mensch nicht, da er nur zu Denken und Ausdehnung einen Zugang hat. Damit hat Spinoza eigentlich ein ähnliches Programm wie Fichte, der zwar auch das Wirklich- und Praktischsein des Menschen in der Welt aus einem Teilbaren erklären will, aber Spinoza hat dieses Teilbare nicht als Bewusstsein erfasst, sondern er hat dieses „Substrat der Teilbarkeit“ (42/FW I, 122) zur Substanz verdinglicht. Spinoza übersieht mit seinem dogmatischen Realismus nach Fichte auch, dass, wenn die Teilbarkeit als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrungserklärung entworfen wird, man auch noch weiter zurückfragen muss und deren Grund noch durchleuchten muss. Diese Hinterfragung erfüllt Fichte, indem er das absolute Ich als den Grund der Teilbarkeit und des Bewusstseins entwirft. Der Dogmatismus geht daher eigentlich nicht über den kritischen Idealismus hinaus, sondern er greift kürzer als dieser, indem er das absolute Ich der Tathandlung als obersten Grund der Erfahrung gar nicht in den Blick nimmt (vgl. 42/FW I, 122). Damit, „dass eines jeden Ich selbst die einzige höchste Substanz ist“ (42/FW I, 122) meint Fichte, dass die Substanz als Subjekt zu denken ist – was später auch Hegel, aber mit dem Anspruch des absoluten Idealismus, fordern wird. Dass die höchste Substanz eines jeden Ich ist, bedeutet nicht, dass Fichte das individuelle Ich mit Gott

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identifiziert; dieses Missverständnis würde unmittelbar zu einer vergöttlichenden Selbstüberschätzung des individuellen Ich führen, die auch Fichte ablehnt; vielmehr ist wohl gemeint, dass in jedem einzelnen Ich eine reine Struktur zu finden ist, die überindividuell ist, und dieses Überindividuelle ist das der Teilbarkeit fähige Bewusstsein, dem das absolute Ich ermöglichend voraus liegt. An die drei Grundsätze schließt sich zunächst der theoretische, dann der praktische Teil der Wissenschaftslehre an. Der erste Grundsatz „Ich = Ich“ hat bezüglich des theoretischen Teils der Wissenschaftslehre allerdings nur „regulative Gültigkeit“ (42/FW I, 122). Damit meint Fichte, dass innerhalb des theoretischen Wissens das Ich nicht in das Verhältnis absoluter, völliger wissender Identität mit sich treten kann, denn das Ich kann im Rahmen des theoretischen Wissens nur eine Vielzahl von relativen Selbstidentitäten entfalten. Die absolute Selbstidentität reguliert die relativen Selbstidentitäten des theoretischen Ich, indem sie deren Ausrichtung und die ideale Zielvorgabe aufgibt, ohne welche die relativen Identitäten nicht möglich wären, aber sie wird durch bloße Theorie nicht erreicht. Im eigentlichen Sinne geht insbesondere der praktische Teil über den Spinozismus und Dogmatismus hinaus, denn ein theoretisches Bewusstsein gibt auch der Dogmatismus Spinozas noch zu; jedoch als Eigenschaft, die einem Ding inhärent ist. Der dogmatische Determinismus Spinozas muss aber die Freiheit des einzelnen Subjekts völlig leugnen, denn als ein Ding steht es als ein Glied in einer kausal determinierten Reihenfolge dinglicher Prozesse. So ist denn auch die Freiheit innerhalb des Seinsbereichs der Endlichkeit nach Spinoza bloß eine Einbildung, eine falsche Imagination, die ein Schein im Bewusstsein ist. Nach Fichte wird dagegen die theoretische Entgegensetzung des Ich/Bewusstseins gegen eine Welt der Dinge erst durch die praktische Freiheit des Menschen sinnvoll. Denn die Dingwirklichkeit erhält ihre Funktion als das durch praktische Tätigkeit zu Modifizierende, erst im Rahmen des approximativen Prozesses der anzustrebenden absoluten und erfüllten Selbstidentität des Ich. Die bloß theoretische Erklärung des Verhältnisses von Ich und Nicht-Ich muss also bei einem Hiatus zwischen beiden stehen bleiben und kann nie die Einheit und Geschlossenheit eines Systems erreichen; die Vereinigung von Ich und Nicht-Ich bleibt der praktischen Wissenschaftslehre vorbehalten, indem sie die Relation von Ich und Nicht-Ich durch die Freiheit des Ich entwirft. Daran wird deutlich, dass die praktische Wissenschaftslehre und die praktische Freiheit der eigentliche Kern der Wissenschaftslehre sind. Den dritten Grundsatz abschließend deutet Fichte wiederum die Deduktion einer Kategorie an. Wie auch bezüglich der anderen beiden Grundsätze wird die Kategorie durch zwei Abstraktionsschritte gegenüber der ursprünglichen Ichhandlung gewonnen. Der erste Abstraktionsschritt

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Dritter Grundsatz: Teilbares Ich – teilbares Nicht-Ich

besteht darin, bloß die Form der Verbindung zu fixieren und von den Verbundenen (Ich und Nicht-Ich) abzusehen; daraus folgt die logische Urteilsfunktion des synthetischen Urteils. Wird nun eine zweite Abstraktion vorgenommen und die spezifische Handlung, die dem synthetischen Urteil zugrunde liegt, abstrahiert, dann gewinnt man die Kategorie der Limitation. Hier wird von der urteilshaften Handlung abgesehen und nur fixiert, dass etwas durch Bezug auf etwas anderes begrenzt wird. Dies ist die Kategorie der Bestimmung bzw. – in Kants Terminologie – der Limitation. Die Kategorie der Limitation bedeutet also, daß hier eine Realität dadurch gesetzt wird, dass sie mittels einer Negation gegen andere Realität abgrenzt wird. Die Limitation bedarf sowohl der Realität, als auch der Negation, sie setzt beide voraus. Die gesetzte Realität ist abgegrenzt gegen Negation und die Negation ist abgegrenzt gegen Realität. Bestimmung besteht nicht bloß einseitig aus einer gesetzten Realität, sondern diese Realitätssetzung impliziert immer auch eine Negation, denn sonst wäre die Realität unbegrenzt und damit unbestimmt. Bestimmtheit entsteht also erst in der Wechselseitigkeit von Realität und Negation. Dieses Nebeneinander von Realität und Negation ist die Quantifizierbarkeit der Qualität. Qualität bleibt unbestimmt, sofern sie nicht quantitativ bestimmt wird, denn nur aufgrund der Teilung von Realität und Negation kann es Bestimmtheit geben. Daher impliziert die Kategorie der Limitation die Kategorien der Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit). Da die Limitation, die Bestimmung, nicht ohne Teilbarkeit möglich ist, und Teilbarkeit nicht ohne Quantität, sind die Kategorien der Quantität zugleich mit der Notwendigkeit der Limitation abgeleitet. Wer die Kategorie der Limitation zugesteht, muss auch jene Kategorienklasse der Quantität zugeben. Dies ist der Grund, weshalb bei Fichte im Rahmen der Beschreibung der Limitationskategorie der Terminus der Kategorienklasse der Quantität auftaucht: „Nämlich ein Setzen der Quantität überhaupt, sei es nun Quantität der Realität, oder der Negation, heißt Bestimmung.“ (43/FW I, 122 f.) Die Kategoriendeduktion Fichtes folgert also in einem immanent ableitenden Argumentationsgang, aus der Kategorienklasse der Qualität diejenige der Quantität. Damit werden diese beiden wesentlichen Kategorienklassen in ein immanentes Verhältnis zueinander gebracht und stehen nicht mehr einfach nebeneinander, wie dies noch in Kants Kategorientafel der Fall war. – Wenngleich natürlich nicht vergessen werden darf, dass Kategorien für Fichte und Kant jeweils eine ganz andere Bedeutung haben, wie dies zuvor bereits expliziert wurde.

IV. Die Grundlage des theoretischen Wissens (44–164/FW I, 123–246) Den theoretischen Teil der Wissenschaftslehre beginnt Fichte mit Überlegungen zur Methode, die hier im Vorangehenden bereits berücksichtigt wurden. Fichte stellt nochmals heraus (vgl. 44 ff./FW I, 123 ff.), dass die Methode der Wissenschaftslehre sich aus dem Zusammenspiel der drei ersten Grundsätze ergibt. Die Folge ist eine antithetisch-synthetische Methode, die in einer gegebenen Bestimmung die noch latenten Widersprüche auffindet und sie in einer neuen Bestimmung als vereinigt und miteinander versöhnt denkt. Diese Methode kann als „auffindende Reflexion“ bezeichnet werden. Das Auffinden bedeutet, dass die Methode der Wissenschaftslehre keine willkürliche Konstruktion ist, sondern eine sachliche Orientierung hat, denn sie findet nur solche Bestimmungen, die ohnehin schon da sind und gelten. Die Reflexion bedeutet, dass nachdem die Handlungen des Ich kontinuierlich am Werk sind, der Philosoph es sich zur Aufgabe macht, sie eigens klar und deutlich zu thematisieren. Reflexion bedeutet hier das Herausheben einer Ich-Handlung in den Lichtkegel der Aufmerksamkeit. Die Reflexion des Philosophen ist notwendig, da die meisten der Ich-Handlungen un- oder vorbewusst sind, obgleich sie für das Bewusstsein und die Erkenntnis der Welt notwendig sind (vgl. 45/FW I, 124).

1. Die Gegensätze des dritten Grundsatzes als Lehrsätze von Theorie und Praxis (46–48/FW I, 125–127) Der dritte Grundsatz besagt, dass teilbares Ich und teilbares Nicht-Ich einander einschränken. Darin liegen latent zwei weitere Sätze. Denn einerseits besagt die Einschränkung eine Limitation, die als vom Ich ausgehend gedacht werden kann, und andererseits eine Einschränkung, die als vom Nicht-Ich ausgehend gedacht werden kann. Diese beiden verschiedenen Richtungen, von denen die Einschränkung ausgehen kann, ergeben die beiden Sätze: „Das Ich setzt das Nicht-Ich, als beschränkt durch das Ich“ und „Das Ich setzt sich selbst, als beschränkt durch das NichtIch“. Der erste Satz bildet das Grundgesetz der praktischen Wissenschaftslehre. Hier wird die Beschränkung von Seiten des Ich durchgeführt. Das Ich bestimmt, was das Nicht-Ich für es sein soll. Dieser Gedanke bein-

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haltet, dass das Nicht-Ich bereits irgend etwas ist, also eine Realität enthält, die dann vom Ich zu bestimmen ist. Hier liegt ein Problem, denn dass das Nicht-Ich überhaupt eine Realität zugesprochen bekommt, die dann zu modifizieren wäre, ist bislang in der Wissenschaftslehre noch nicht hergeleitet. Nach den ersten drei Grundsätzen ist das Nicht-Ich nur als Negation, als Verneinung bestimmt, die noch gar keine eigene Realität hat. Daher muss zunächst bestimmt werden, wie dem Nicht-Ich Realität zugesprochen werden kann. Dies ist mittels der zweiten Einschränkungsrichtung zu klären, die auch in der Synthesis des dritten Grundsatzes enthalten ist. Dies ist die Richtung, die vom Nicht-Ich ausgeht und das Ich als beschränkt setzt. Dass das Nicht-Ich Realität zugesprochen bekommen soll, bedeutet also, dass das Ich sich als durch das Nicht-Ich eingeschränkt erlebt. Fichte entwirft also eine durch das Erleben des Ich vermittelte Zuschreibung von Realität an das Nicht-Ich. „Das Ich ist gesetzt zuvörderst als absolute, und dann als einschränkbare einer Quantität fähige Realität, und zwar als einschränkbar durch das Nicht-Ich. Alles dies aber ist gesetzt durch das Ich“ (47/FW I, 126). Die zweite Einschränkungsrichtung, die vom Nicht-Ich ausgeht, ist also trotzdem aus der Perspektive des Ich zu formulieren: „Das Ich setzt sich selbst, als beschränkt durch das Nicht-Ich“ (47/FW I, 126). Dies ist das Grundgesetz der theoretischen Wissenschaftslehre, diese erklärt die Realität des Nicht-Ich und zwar dadurch, dass sie zeigt, wie sich das Ich durch ein Nicht-Ich eingeschränkt erlebt. Theoretische Wahrheit besteht nach Fichte darin, dass das Ich die ihm vom NichtIch vorgegebene Realität angemessen erkennt.99 Die Theorie hat zu erklären, wie das Ich in der Lage sein kann, die ihm vorgegebene und somit von ihm bloß aufzunehmende Realität des Nicht-Ich angemessen zu erkennen. Fichte entwirft damit ein komplexes Begründungsgefüge für das Verhältnis und die Reihenfolge von praktischer und theoretischer Wissenschaftslehre: Zwar liegen in der Synthesis des dritten Grundsatzes die beiden Sätze „Das Ich bestimmt das Nicht-Ich“ und „Das Nicht-Ich bestimmt das Ich“ in gleichem Maße, in dieser Hinsicht gibt es keine Rangfolge. Fichte argumentiert, dass für die erste Bestimmungsrichtung, bei der das Ich das Bestimmende und das Nicht-Ich das Bestimmte ist, zuvor geklärt sein muss, wie überhaupt dem Ich etwas Bestimmtes gegenübertreten kann. Dies ist Aufgabe der theoretischenWissenschaftslehre. Somit tritt der Reihenfolge nach zwar die theoretische Wissenschaftslehre bzw. die Theorie vor der Praxis auf, aber die Theorie dient nur dazu, die Praxis erklären zu können. Nur weil noch nicht erklärbar ist, wie überhaupt dem Nicht-Ich Realität zukommen kann, ist die Theorie vor der Praxis abzuhandeln. Eigentlich ist mit der praktischen Bestimmungsrichtung, die vom Ich zum Nicht-Ich geht, auch die umgekehrte mitgesetzt, denn sie ist in ihr enthalten. Deswegen ist die Bestimmungsrichtung der Praxis dasjenige, welches die

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theoretische Bestimmungsrichtung vom Nicht-Ich zum Ich umfasst. Der Sache nach ist somit die praktische Bestimmungsrichtung umfassender und die theoretische ist in ihr als ein Element enthalten. Die theoretische Synthesis von Ich und Nicht-Ich ermöglicht zugleich die Erkenntnis der praktischen Synthesis von Ich und Nicht-Ich, aber aus sachlicher Perspektive ermöglicht die praktische Synthesis die theoretische. Nach Fichte ist die Theorie ratio cognoscendi der Praxis und die Praxis ist ratio essendi der Theorie. Daraus ergibt sich ein Primat der Praxis in der Wissenschaftslehre: Denn nur um der Praxis willen gibt es überhaupt die Theorie. Die Theorie hat gegenüber der Praxis eine eindeutig dienende Funktion. Trotz dieses Primats des Praktischen bleibt Fichte methodisch konsequent und schränkt ein, dass die Erkennbarkeit der praktischen Wissenschaftslehre voraussetzt, dass dem Nicht-Ich Realität zukommt. Solange dies noch nicht dargelegt ist, bleibt die praktische Wissenschaftslehre eine bloße Möglichkeit, „problematisch“. Dies zeigt, dass die Theorie der Praxis zwar dient, für sie aber ein wesentlicher Diener ist, denn ohne ihn lässt sich die Wirklichkeit der Praxis nicht erkennen. Theorie und Praxis werden von Fichte also auf eine komplexe Weise miteinander verknüpft.

2. Die Synthesis und Kategorialisierung der Wechselbestimmung (48–52/FW I, 127–131) Zunächst erfolgt eine Aufstellung eines Widerspruchs: Das Grundgesetz der Theorie: „Das Ich setzt sich selbst als beschränkt durch das Nicht-Ich“ bedeutet, dass sich „das Ich als durch das Nicht-Ich bestimmt und eingeschränkt setzt“; darin sind aber auch wieder zwei einander entgegengesetzte Sätze enthalten: a) zum einen, dass „das Nicht-Ich das Ich bestimmt“ – hier ist das Ich passiv und das Nicht-Ich aktiv – und zum anderen b) dass „das Ich sich bestimmt“ – danach ist das Ich aktiv. In diesen beiden Aussagen liegt ein Widerspruch, eine Antithese, die durch eine höhere Synthese zu versöhnen ist. Wie sich später herausstellen wird, besteht diese Synthese in der Kategorie der Wechselbestimmung; die eine Spezifikation der Kategorie bzw. der Ichhandlung der Limitation/ Einschränkung ist. Gleichermaßen gilt für die Einheit des Bewusstseins, dass die beiden Sätze a) und b) einerseits gelten müssen, denn sie sind notwendige und korrekte Folgerungen aus dem dritten Grundsatz und sie sind daher für die Einheit des Bewusstseins konstitutiv, andererseits schließen sie sich auch aus, denn wenn das Ich durch das Nicht-Ich bestimmt wird, ist es passiv und das Nicht-Ich ist aktiv; dann bestimmt das Ich sich aber nicht selbst; die Selbstbestimmung ist aber nicht nur durch das Grundgesetz der Theorie gefordert, sondern auch und vor allem schon

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durch den ersten Grundsatz aufgewiesen, der lehrt, dass das Ich ausschließlich durch sich selbst gesetzt wird und daher nicht durch anderes determiniert werden kann. Fichte entfaltet diesen Widerspruch als notwendige Folgerung aus dem ebenfalls notwendigen Grundgesetz der Theorie, das wiederum eine notwendige Folgerung aus dem dritten Grundsatz ist; der wieder – zumindest hinsichtlich seiner Form – notwendig aus dem zweiten Grundsatz folgte. Somit darf der jetzt aufgedeckte Widerspruch, dass das Ich einerseits bestimmt wird und andererseits bestimmend ist, nicht bestehen bleiben, denn wenn dieser Widerspruch gilt, muss alles Vorangegangene auch schon widersprüchlich und falsch gewesen sein. Die einzelnen Glieder des Widerspruchs – „Das Ich ist bestimmt“ und „Das Ich bestimmt sich“ – sind im Bewusstsein enthalten, denn sie ergeben sich aus dessen fundamentaler Synthesis, ebenso ist auch der Widerspruch als ganzer im Bewusstsein enthalten, denn wir sind in der Lage, ihn sukzessive nachzuvollziehen, daher folgert Fichte, dass eigentlich auch das den Widerspruch versöhnende bereits im Bewusstsein vorhanden sein muss (vgl. 49/FW I, 128), denn eigentlich ist ein Widerspruch für uns nicht denkbar, nur ein scheinbarer Widerspruch ist für uns denkbar; denn ein scheinbarer Widerspruch ist ein solcher, der zwar lösbar ist, aber für uns bei dem derzeitigen Erkenntnisstand noch nicht aufklärbar scheint. Ein wirklicher Widerspruch ist dagegen ein solcher, der prinzipiell unauflösbar und für das Ich undenkbar ist. Es zeigt sich die methodische Besonderheit der Wissenschaftslehre, die darin besteht, Widersprüche aufzulösen und gleichfalls nach synthetischen Begriffen zu suchen, die zwar schon latent im Bewusstsein vorhanden sind, aber allererst durch die Wissenschaftslehre klar und deutlich expliziert werden. Die Methode der Wissenschaftslehre hat die Aufgabe, dem Ich noch unbewusste und latent konstitutive Prinzipien bewusst zu machen. Nachdem der Widerspruch zwischen Ich als bestimmtem und bestimmendem vollständig expliziert wurde, folgt nun dessen Lösung (vgl. 49 f./ FW I, 128 f.): Die Lösung besteht in der Wechselbestimmung, also darin, dass sich Ich und Nicht-Ich in ihrer Realitäts- und Negationshaltigkeit gegenseitig in zu unterscheidenden Hinsichten bestimmen. Diese Lösung kann nicht darin bestehen, dass der erste Grundsatz eingeschränkt würde, denn dass sich das Ich selbst setzt, ist eine Grundlage des Ganzen, daher betont Fichte nochmals, dass dem Ich „absolute Totalität der Realität zugeschrieben“ (50/FW I, 129) wird; die Negation wird dagegen dem Nicht-Ich durch einen Akt der Entgegensetzung zugeschrieben. Das war im dritten Grundsatz auch ausgesagt, denn dort wurde die Totalität, d. h. die Gesamtsumme der Realität in das Ich und die Gesamtsumme der Negation in das Nicht-Ich gesetzt. „Beides, die absolute Tota-

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lität der Realität im Ich, und die absolute Totalität der Negation im NichtIch sollen vereinigt werden durch Bestimmung. Demnach bestimmt sich das Ich zum Teil, und es wird bestimmt zum Teil – mit anderen Worten: der Satz ist zu nehmen in doppelter Bedeutung, die jedoch nebeneinander müssen bestehen können. Aber beides soll gedacht werden als Eins und ebendasselbe, d. h. in eben der Rücksicht, in der das Ich bestimmt wird, soll es sich bestimmen, und in eben der Rücksicht, in der es sich bestimmt, soll es bestimmt werden“ (50/FW I, 129). Wie bereits die philosophische Tradition seit Aristoteles Widersprüche durch Hinsichtenunterscheidungen und durch die genaue Bedeutungsunterscheidung des Wortgebrauchs vermeidet, so versucht dies Fichte hier offensichtlich auch zu leisten, denn mit den jeweiligen „Rücksichten“ sind Hinsichten gemeint, und in diesem Sinne ist eine Doppelbedeutung des Terminus „Bestimmung“ zu beachten. Bestimmung kann aktivisch oder passivisch verstanden werden und beides ist in verschiedenen Hinsichten zu differenzieren. Gleichwohl ist aber zu beachten, dass hier ein Sonderfall einer Widerspruchsauflösung vorliegt, denn die eine Hinsicht, in der das Ich das Bestimmende ist, soll nicht von der anderen Hinsicht getrennt werden, in der das Ich das Bestimmte ist. Diese Ungetrenntheit der beiden Hinsichten folgt daraus, dass eine Synthesis erreicht werden soll, in der der Widerspruch vereint ist. Bestimmtwerden des Ich und Bestimmen des Ich sind zwar voneinander zu unterscheiden, trotzdem dürfen beide Aspekte auch nicht auseinanderfallen, sie müssen vielmehr vereint werden in einer höheren Bestimmung. Fichte beschreibt nun die Struktur, dieser höheren Bestimmung: „Das Ich wird bestimmt, heißt: es wird Realität in ihm aufgehoben.“ (50/FW I, 129) Dies ist die erste Hinsicht. Wenn das Ich im Sinne von Passiv-Sein als bestimmt verstanden wird, dann kann das nur so gedacht werden, dass in ihm Realität fehlt. Wie kann aber ein Teil der Realität im Ich fehlen? „Wenn demnach das Ich nur einen Teil von der absoluten Totalität der Realität in sich setzt, so hebt es dadurch den Rest jener Totalität in sich auf: und setzt den der aufgehobenen Realität gleichen Teil der Realität, vermöge des Gegensetzens (§ 2) und der Gleichheit der Quantität mit sich selbst, in das Nicht-Ich (§ 3)“ (50f./FW I, 129). Dies ist eine zugleich dichte und zentrale Argumentation Fichtes; denn hier erklärt er, wie es möglich ist, dass im Ich Realität fehlt, obgleich es doch alle Realität in sich enthält. Nämlich durch eine vom Ich selbst geleistete Übertragung der Realität auf das Nicht-Ich. Weil das Ich ein Quantum der Realität in das Nicht-Ich setzt, ist es gezwungen einen entsprechenden Teil an Negation in sich zu setzen. Dies kann man auch umgekehrt sehen: Weil das Ich ein Quantum Negation in sich setzt, ist es gezwungen einen entsprechenden Teil an Realität in das Nicht-Ich zu setzen. Der vom Ich in sich selbst gesetzte Teil an Negation ist die von ihm erlebte

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Passivität, das Bestimmt-Werden. Die Aktivität des Bestimmens geht darüber nicht verloren, denn das Ich bestimmt auch aktiv, dass ein Teil der Realität in ihm aufgehoben und in das Nicht-Ich gesetzt wird. Das Ich ist in einer gewissen Gleichsinnigkeit sowohl aktiv als auch passiv in dieser zweiseitigen Bestimmung. Weil das Ich Realität in das Nicht-Ich setzt, ist es gezwungen, sich selbst Negativität beizulegen und damit auch sich passiv zu erleben. Man kann hier zwei Perspektiven mit gleicher Berechtigung geltend machen: Weil das Ich Negativität in sich setzt, muss es dem Nicht-Ich Realität und damit Aktivität zusprechen, ebenso gilt aber auch dies: Weil das Ich Realität des Nicht-Ich erlebt und damit dessen Aktivität, muss es in sich Negativität und damit Passivität setzen. Die Bestimmung vollzieht sich also in einer wechselseitigen Relation von seitenverkehrter, reziproker Realitäts- und Negationszuschreibung bzw. Aktivitäts- und Passivitätszuschreibung zwischen Ich und Nicht-Ich. „So viele Teile der Negation das Ich in sich setzt, so viele Teile der Realität setzt es in das Nicht-Ich; welche Realität in dem entgegengesetzten die Realität in ihm eben aufhebt. […] Demnach setzt das Ich Negation in sich, insofern es Realität in das Nicht-Ich setzt, und Realität in sich, insofern es Negation in das Nicht-Ich setzt; es setzt sich demnach sich bestimmend, insofern es bestimmt wird; und bestimmt werdend, insofern es sich bestimmt: und die Aufgabe ist, insofern sie oben aufgegeben war, gelöst“ (51/FW I, 130). Neuartig ist bei dieser wechselseitigen Bestimmung von Ich und NichtIch, dass nun die beiden Blöcke absoluter Realität und absoluter Negation aufgebrochen sind, und es auf beiden Seiten von Ich und Nicht-Ich verschiedene, separierbare Teile bzw. Quanta von Realität und Negation gibt, die sich auf das Ich und das Nicht-Ich verteilen können. Einem Realitätsgrad von Realität im Ich korrespondiert ein umgekehrt proportionaler Negationsgrad im Ich. Wie auch auf der anderen Seite bei dem Nicht-Ich einem Realitätsgrad ein umgekehrt proportionaler Negationsgrad entspricht. Umgekehrt proportional verhalten sich auch Realitätsgrad im Ich und Realitätsgrad im Nicht-Ich zueinander, wie auch Negationsgrad im Ich und im Nicht-Ich. Mit dieser komplexen Struktur des Bestimmens und des Bestimmtwerdens des Ich ist es Fichte gelungen, den Sachverhalt, der von Kant als Selbstaffektion bezeichnet wird, auf einer fundamentalen Ebene der Subjektivitätstheorie zu begründen. Nach Kant besteht eine Selbstaffektion in einer Einwirkung des aktiven Subjekts auf das passive. Das aktive Subjekt ist das intelligibel-spontane Ich, die synthetische Einheit der Apperzeption, und das passive Subjekt ist das sensibel-rezeptive Ich, d.i. der innere Sinn. Nach Kant ist diese Einwirkung eine Leistung der transzendentalen Einbildungskraft, die darin insbesondere ihre Zeitschemata als figürliche

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Synthesen hervorbringt.100 Diese Leistungen der produktiven Einbildungskraft führt Fichte mit der doppelsinnigen und reziproken Relation von Bestimmung und Bestimmtwerden des Ich auf reine Handlungen des Ich zurück, die noch den konkreteren Leistungen der transzendentalen Einbildungskraft zugrunde liegen, denn diese operiert nach Kant mit einer spezifischeren Anwendung von Kategorien auf Raum und Zeit als Formen der menschlichen Sinnlichkeit. Dies versucht Fichte offensichtlich in einer noch allgemeineren Struktur von Bestimmen und Bestimmtwerden zu begründen. Kant gibt nämlich keine Antwort auf die Frage, wie es denn überhaupt möglich sein kann, dass die spontane Apperzeption zum empirisch determinierten Ich in eine Relation treten kann. Fichtes Doppelstruktur von Bestimmen und Bestimmtwerden des Ich ist genau darauf eine Antwort; wobei das Bestimmtwerden letztlich auf eine Projektion von Aktivität des Ich auf das Nicht-Ich zurückgeht, die das Ich notwendigerweise dann machen muss, wenn es Negation, d. h. passives Bestimmtwerden in sich vorfindet. Damit ist eine komplexe Struktur der Relation von Ich und Nicht-Ich beschrieben. Diese Struktur gegensinniger Bestimmung bildet die angestrebte Synthesis und ist nun in einem Begriff zu fixieren; dies ist der Begriff der „Wechselbestimmung“ (vgl. 52/FW I, 131). Zwar ist die neue Synthesis auch eine „Bestimmung“, denn es wird eine Quantität gesetzt, da diese Setzung aber durch eine spezifische Art geschieht, bildet diese Synthesis etwas Neuartiges gegenüber jener Synthesis des dritten Grundsatzes. Hier wird nicht mehr unspezifisch überhaupt Quantität gesetzt, sondern „die Quantität des Einen [wird; Einf. R. S.] durch die seines Entgegengesetzten gesetzt, und umgekehrt“ (51/FW I, 130). Damit wird auf spezifische Art die Verteilung von Realität und Negation in Ich und NichtIch geregelt, nämlich durch ein reziprokes Verhältnis; wobei ein Charakteristikum dieser Synthesis darin besteht, dass der Ausgangspunkt für die Verteilung von Realität und Negation gleichermaßen im Ich oder im Nicht-Ich gesehen werden kann; es gibt für diese Synthesis keine dominierende Vektorrichtung der Handlung des Ich oder des Leidens im NichtIch. Für die folgenden Bestimmungen „Kausalität“ und „Substantialität“ spielt es eine entscheidende Rolle, ob die Handlung jeweils vom Ich oder vom Nicht-Ich ausgeht. So wird bei der Kausalität die Bestimmungsrelation vom Nicht-Ich als dem Bestimmenden ausgehen und das Ich wird das Bestimmte sein. Hinsichtlich des Bezugs zu Kants Kategorientafel äußert Fichte über die Kategorie der Wechselbestimmung: „Diese bestimmtere Bestimmung könnte man füglich Wechselbestimmung (nach der Analogie von Wechselwirkung) nennen. Es ist das gleiche, was bei Kant Relation heißt“ (52/FW I, 131). Aus Kants Sicht nimmt Fichte eine fehlerhafte Identifikation von

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„Relation“ und „Wechselbestimmung/-wirkung“ vor. Bei Kant ist die „Relation“ der Titel für die dritte Kategorienklasse, unter der die Verhältnisbestimmungen Substanz-Akzidenz, Ursache-Wirkung und Wechselwirkung subsumiert sind.101 Bei Kant tritt also auch die Bestimmung „Wechselbestimmung“ gar nicht auf, sondern die „Wechselwirkung“; wenngleich bei Kant mit der „Wechselwirkung“ dasselbe gemeint ist wie bei Fichte mit der „Wechselbestimmung“. Bei Kant sind „Relation“ und „Wechselwirkung“ nicht miteinander zu identifizieren; das erstere ist eine Kategorienklasse, das letztere die dritte, darunter subsumierte Kategorie. Fichte hat allerdings nicht vor Augen, die nun von ihm abgeleitete Kategorie der „Wechselbestimmung“ mit der Kantischen Kategorienklasse der „Relation“ zu identifizieren, denn dazu hat die „Wechselbestimmung“ zu spezifische Eigenschaften, wie die reziproke und gleichursprüngliche Relation der Bestimmungsglieder. Daher ist zu folgern, dass Fichte mit der „Wechselbestimmung“ die „Wechselwirkung“ bei Kant identifiziert und nicht die Kategorienklasse der „Relation“ gemeint ist. Die „Relation“ ist nach Kant als Kategorienklasse nur ein unspezifischerer, allgemeinerer Begriff, der aus den spezifischeren Relationen Substanz-Akzidenz, Ursache-Wirkung und Wechselwirkung als das diesen drei spezifischen Relationen Gemeinsame zu folgern ist, nämlich der unbestimmtere Begriff eines dynamischen Verhältnisses zweier unterschiedener, aber doch notwendig nur miteinander auftretender Bestimmungen. Die spezifischeren Verhältnisse von Inhärenz, Dependenz und Gemeinschaft haben ihr Gemeinsames in dem abstrakteren Begriff des dynamischen Verhältnisses. Bei Fichte hat die Wechselbestimmung aber die spezifischen Charakteristika desjenigen, was Kant als „Gemeinschaft“ oder auch als „Wechselwirkung“ bezeichnet, denn Fichtes Bestimmung der Wechselbestimmung lautet, dass in ihr „die Quantität des Einen durch sein Entgegengesetztes bestimmt werden solle, und umgekehrt“ (52f./FW I, 131).

3. Die Synthesis und Kategorialisierung der Kausalität: Das Ich als Bewirktes und das Nicht-Ich als Ursache (52–58/FW I, 131–136) „Es wird sich bald zeigen, dass durch die Synthesis, vermittelst der Wechselbestimmung für die Lösung der Hauptschwierigkeit an sich nichts Beträchtliches gewonnen ist.“ Zu dieser enttäuschenden Einsicht fügt Fichte ermunternd hinzu: „Aber für die Methode haben wir festen Fuß gewonnen“ (52/FW I, 131). Die Hauptschwierigkeit besteht darin, zu erklären, warum das Ich Realität in das Nicht-Ich setzen kann, so dass das Nicht-Ich eine bestimmende Tätigkeit auf das Ich ausüben kann. Durch

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die Kategorie der Wechselbestimmung ist zu ihrer Aufklärung deswegen noch nichts gewonnen, weil die Wechselbestimmung eigentlich die Einwirkung des Nicht-Ich auf das Ich schon voraussetzt und somit nicht weitgehend genug erklärt. Die Wechselbestimmung ist eigentlich eine zutreffende Strukturbeschreibung, wie diese Einwirkung geschieht, aber sie kann nicht erklären, dass und warum sie geschehen kann. Die Frage bleibt: Warum kann das Ich dem Nicht-Ich rechtmäßigerweise Realität zusprechen; was Fichte auch so formuliert: „Aber wie kommen wir denn dazu, Teile von der Realität des Ich abzuziehen?“ (54/FW I, 132). Die Wechselbestimmung zwischen Ich und Nicht-Ich als Bestimmung der Quantität des einen Relatums durch sein entgegengesetztes Relatum, und umgekehrt, enthält selbst also noch Unklarheiten und Antithesen, d. h. weitere Widersprüche. Eine mögliche Konsequenz der Wechselbestimmung ist z. B. darin zu sehen, dass nach dieser Synthesis sowohl das Ich als auch das Nicht-Ich Realität haben; woraus gefolgert werden könnte, dass beide eigentlich dann nicht mehr entgegengesetzt, sondern gleich sind (vgl. 55/FW I, 133 f.). Der Begriff der Realität wird hiermit zweideutig, denn nach der Wechselwirkung wird sie sowohl dem Ich als auch dem Nicht-Ich zugesprochen. Ebenso könnte die Gleichheit von Ich und NichtIch daraus gefolgert werden, dass beide Negation enthalten. Die Begriffe Realität und Negation sind tiefergehend zu bestimmen, um derartige widersprüchliche, absurde und unmögliche Gleichsetzungen von Ich und Nicht-Ich zu vermeiden. Diese antithetischen Schwierigkeiten sind durch spezifischere Synthesen aufzuheben. Unter der allgemeineren Synthese der Wechselbestimmung sind deswegen spezifischere Synthesen subsumiert. Dies sind zunächst die beiden Synthesen von Ich und Nicht-Ich in der Kausalität und in der Substantialität. Die Synthesis der Kausalität ergibt sich aus der folgenden Antithese: a) Wenn das Nicht-Ich das Ich bestimmen können soll, dann muss das Nicht-Ich in sich Realität haben; denn das Ich weiß sich dadurch als bestimmt, dass etwas Realität in ihm aufhebt, was es wiederum nur dadurch erklären kann, dass etwas außer ihm Realität hat. Dagegen gilt aber auch der Gedankengang b) alle Realität ist in das Ich gesetzt und alle Negation in das Nicht-Ich, welches somit gar keine Realität in sich enthalten kann. Darin besteht der neue Widerspruch (vgl. 53/FW I, 132). Nachdem Fichte in 1. (53–55/FW I, 132–134) den Widerspruch entwickelt hat, geht er nun in 2. bis 5. (55–58/FW I, 134–136) an die Auflösung des Widerspruchs. Zunächst versucht er, die Begriffe Realität und Negation zu differenzieren. „Aller Realität Quelle ist das Ich“ (55/FW I, 134) dies ist auf den ersten Grundsatz zu beziehen, was auch dadurch deutlich wird, dass Fichte im Anschluss expliziert, dass das Ich eine ausschließlich sich setzende Tätig-

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keit ist: „Aber das Ich ist, weil es sich setzt, und setzt sich, weil es ist. Demnach sind Sich-Setzen, und Sein Eins und ebendasselbe. Aber der Begriff des Sich-Setzens, und der Tätigkeit überhaupt sind wieder Eins und ebendasselbe. Also – alle Realität ist tätig; und alles Tätige ist Realität. Tätigkeit ist positive, absolute (im Gegensatz gegen bloß relative) Realität.“ (55/FW I, 134) Der Terminus „absolut“ vor der Klammer ist eine Ergänzung der zweiten Auflage. Die von Fichte in der Klammer vorgenommene Differenzierung ist zentral. Tätigkeit und Realität sind nur bei der absoluten, völlig unbegrenzten Aktivität des absoluten Ich zu identifizieren. Nur das absolute Ich der Tathandlung schafft durch seine Selbstsetzung seine eigene Realität. Es gibt aber auch noch einen zweiten Typus von Realität und dies ist eine relative Realität. Relative und absolute Realität sind nicht zu verwechseln, sie stehen vielmehr zueinander im „Gegensatz“. Dabei hat relative Realität offensichtlich nicht den Charakter unumschränkter Positivität; vielmehr ist diese Realität in Kontrast zur Negativität abgegrenzt und dies relativiert sie. Nur bezüglich einer Negation hat die relative Realität ihre Realität. Darin liegt ein fundamentaler Unterschied zwischen dem absoluten Ich der Tathandlung und dem endlichen Ich. Das endliche Ich schafft sich seine Realität nicht ausschließlich in einem Selbstsetzungsakt, sondern immer nur relativ, bezüglich einer ihm vorgegebenen Negation. – Daher liegt mit dem Idealismus Fichtes auch kein Solipsismus oder Egoismus vor, der das Individuum, das einzelne Ich absolut setzt; absolut und selbstschöpferisch ist nur das Ich der Tathandlung, das endliche Ich ist dagegen ein bloß relativ schöpferisches, das auf ihm vorgegebene Negativität angewiesen ist, die es zu überwinden gilt. Fichte bestimmt nun die Gegenbegriffe zu Position und Tätigkeit, nämlich die Negation und das Leiden genauer. Leiden ist das der Tätigkeit Entgegengesetzte. „Dass hier nicht an schmerzhafte Empfindung zu denken sei, braucht wohl nicht erinnert zu werden.“ (56/FW I, 134) So wie zwischen absoluter und relativer Position (bzw. zwischen absoluter und relativer Tätigkeit und zwischen absoluter und relativer Realität) zu unterscheiden ist, so ist auch zwischen absoluter und relativer Negation zu differenzieren. Das reine Leiden darf nicht als verursacht begriffen werden, denn sonst würde für die Synthesis der Kausalität bereits vorausgesetzt, was allererst durch sie bewiesen werden soll, nämlich das Ursache-Wirkungs-Verhältnis. Das Leiden darf also nicht von vornherein als durch Tätigkeit verursacht betrachtet werden, denn erst auf der Grundlage des Leidens ist eine Relation von Ursache und Wirkung zu verstehen. Deswegen ist das Leiden zunächst noch kausalitätsfrei zu bestimmen, nämlich – da vom Ich ausgegangen werden muss – als dasjenige im Ich, was dieses als nicht durch es selbst gesetzt erlebt. „Alles im Ich, was nicht unmittelbar im Ich bin liegt, nicht unmittelbar durch das Setzen des Ich durch sich selbst,

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gesetzt ist, ist für dasselbe Leiden (Affektion überhaupt).“ (56/FW I, 135) Dies ist der umfassendste Begriff der Affektion: Überall dort, wo sich das Ich – ob bewusst oder unbewusst – passiv erlebt, ist es affiziert, d. h. durch anderes seiner selbst betroffen und bestimmt. Dabei handelt es sich um eine quantitative Negation bzw. quantitatives Leiden, denn das Leiden wird von einem teilbaren Ich erlebt, das eine bereits limitative und quantitative Tätigkeit ist; und eine solche quantitative Tätigkeit kann auch nur quantitative Negation erleben. Obgleich das Leiden im Ich nicht von vornherein als durch das NichtIch verursacht zu betrachten ist, muss gesehen werden, dass das limitierte Ich dem Gesetz der Wechselwirkung unterliegt, d. h., es muss, um das Gesamtquantum an Realität aufrecht zu erhalten, Realität in das Nicht-Ich übertragen, wenn es in sich ein Leiden verspürt; denn sonst würde ein Quantum Realität ohne Grund verschwinden. Das Ich überträgt daher Realität in das Nicht-Ich, weil es Negation/Leiden in sich verspürt. „Und so ist denn der obige Widerspruch gelöst. Das Nicht-Ich hat als solches, an sich keine Realität; aber es hat Realität, insofern das Ich leidet; vermöge des Gesetzes der Wechselbestimmung. Dieser Satz: das Nicht-Ich hat, […] für das Ich nur insofern Realität, insofern das Ich affiziert ist, und außer der Bedingung einer Affektion des Ich hat es gar keine, ist um der Folgen willen sehr wichtig.“ (56f./FW I, 135) Damit ist eine Bestimmung abgeleitet, die synthetisch ist. Synthetisch ist sie zum einen, weil sie von der ebenfalls synthetischen Wechselbestimmung abhängt, und zum anderen, weil hier zwei ursprünglich Entgegengesetzte – begrenztes Ich und begrenztes Nicht-Ich – auf eine spezifische Weise miteinander verbunden werden, nämlich: Weil das Ich leidet, ist vorauszusetzen, dass das Nicht-Ich tätig ist. Damit liegt eine Wenn-dann-Verknüpfung zweier verschiedener Bestimmungen vor, bei der das eine die Bedingung und das andere das einseitig abhängig Folgende ist. Zuvor lag mit der Wechselbestimmung eine symmetrische Relation beider Momente vor, jetzt liegt eine asymmetrische Relation zweier Momente vor, bei der die Tätigkeit im Nicht-Ich der Ausgangspunkt ist, von dem her sich entscheidet, dem Entgegengesetzten, dem Ich Leiden zuzuschreiben. „Diese Synthesis wird genannt die Synthesis der Wirksamkeit (Kausalität).“ (57/FW I, 136) Für uns reflektierende Philosophen stellt sich zwar die Situation so dar, dass wir wissen, dass das vom Ich erlebte Leiden der Ausgangspunkt dafür ist, dass wir darauf zurückschließen, dass das Nicht-Ich tätig sein muss; aber dem begrenzten Ich selbst stellt sich der Sachverhalt umgekehrt dar: Weil das Nicht-Ich aktiv ist, ist das Ich passiv, d. h. affiziert. Das Nicht-Ich ist Ursache, die Affektion des Ich das Bewirkte. Die „UrSache“ versteht Fichte als „Ur-Realität“, d.h. als unabhängige Setzung von Tätigkeit. Wenn Fichte bezüglich der Ursache sagt, sie sei „positive

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schlechthin gesetzte Realität“ (57/FW I, 136), dann ist die „Schlechthinnigkeit“ sicherlich nicht überzubewerten, denn es handelt sich eigentlich um eine relative Setzung von Tätigkeit, die auf ein Leiden im Entgegengesetzten bezogen werden muss. Diese Setzung von Tätigkeit ist also nicht von einem relativen, auf sie bezogenen Leiden abzutrennen. Deswegen kann es sich nicht um eine völlig „schlechthinnige“ Tätigkeitssetzung handeln, sondern nur um eine relative. Das „Bewirkte“ ist abhängig und daher „Effekt“. Weil Fichte die gesamte Relation „Wirksamkeit“ nennt und die Verknüpfung ihrer beiden Momente als „eine Wirkung“ bezeichnet, ist die alltägliche Bezeichnung „Wirkung“ ausschließlich für das Bewirkte ein wenig schief; Fichte will terminologische Verwirrungen vermeiden und die Einheit des Ursache-Wirkungs-Gedankens hervorheben. Wenn bei der Kategorie der Kausalität davon die Rede ist, dass die Ursache dem Bewirkten vorhergeht, dann ist dies nicht als ein zeitliches Verhältnis der Sukzession misszuverstehen, denn es handelt sich um ein konditionales Verhältnis, bei dem auf einen Grund eine Folge eintritt, und es handelt sich nicht um ein temporales Gefüge des Nacheinanderseins. Kausalität kann auch finalkausale Prozesse beinhalten; bei diesen werden Handlungen um eines Zieles willen ausgeführt, das vor diesen Handlungen noch gar nicht wirklich vorhanden ist, sondern erst als deren Folge; bei solchen finalkausalen Prozessen ist dann aber das zeitlich spätere Ziel die Ursache für die ihm vorangehenden Handlungen, die es allererst bewirken sollen. Daher ist die Ursache-Bewirktes-Relation nicht darauf festzulegen, dass die Ursache immer (zeitlich) vor dem Bewirkten liegt; sondern es ist bloß notwendig, dass ein konditionales Gefälle vorliegt, ein Wenn-Dann, das sich aus dem Zusammenhang eines Grundes mit einer Folge ergibt. Darüber hinaus macht Fichte darauf aufmerksam, dass die Kausalität nicht von vornherein und auch nicht primär als zeitliches Verhältnis zu fassen ist, weil bei dem bisherigen Argumentationsstand der Grundlage die Zeit, die Einbildungskraft und der Schematismus (bei dem Grundbestimmungen des Ich verzeitlicht werden) noch gar nicht hergeleitet sind und aufgrund dessen nicht für die Begründung der Kausalität herangezogen werden können (vgl. 57f./FW I, 136).

4. Die Synthesis und Kategorialisierung der Substanz: Das Ich als Substanz (Totalität der Realitäten) und als Akzidenz (eine spezifische Realität) (58–66/FW I, 136–145) Die zweite Grundbestimmung neben der Kausalität, die Fichte aus der Wechselbestimmung ableitet, ist die Bestimmung der Substantialität; diese wird in „D. Synthesis durch Wechselbestimmung der in dem zweiten der

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entgegengesetzten Sätze enthaltenen Gegensätze“ entwickelt.102 Die Wechselbestimmung war in dem Satz zu formulieren: „Das Ich setzt sich als bestimmt, durch das Nicht-Ich“. Die Synthesis der Kausalität hatte vorläufig geklärt, wie das Ich durch das Nicht-Ich bestimmt wird; dies bildete die Untersuchung des ersten der entgegengesetzten Sätze aus der Wechselbestimmung. In dem Satz der Wechselwirkung steckt aber auch noch, dass das Ich sich selbst als etwas Bestimmtes, d. h. als etwas Begrenztes setzt. Nun geht es also nicht mehr wie bei der Kausalität darum, dass das Ich eine äußere Grenze durch das Nicht-Ich erfährt, sondern darum, dass das Ich die Leistung erbringt, sich selbst als etwas Begrenztes zu setzen. Dies ist auch nach der Synthesis der Kausalität eine offene Frage, denn bei der Kausalität war ein wichtiges Ergebnis, dass das Ich sich selbst als affiziert, d. h. leidend setzt. Das ist nicht nur ein Akt des passiven Bestimmtwerdens, sondern auch eine aktive Wahl, und wie dies möglich ist, wird bloß durch Kausalität noch nicht beantwortet. Die Synthesis der Substantialität soll darauf eine Antwort liefern. Bei der Substantialität handelt es sich um eine rein subjektimmanente Selbstbeziehung des endlich-limitierten Ich zu sich. Daran wird deutlich, dass, wenn Fichte hier Kategorien bzw. Grundbestimmungen entwickelt, diese nicht primär als Bestimmungen zu verstehen sind, die Gegenstände ermöglichen – das ist Kants Verständnis –, vielmehr handelt es sich im Rahmen der Grundlage zunächst um subjektimmanente oder egologische Grundbestimmungen, die dann in einem späteren Verfahren mittels der Einbildungskraft allererst auf konkrete Gegenstände in Raum und Zeit übertragen werden. In diesem Sinne kommen Kategorien bei Fichte eigentlich mit zwei verschiedenen Bedeutungen vor, nämlich einmal als objektimmanente Grundbestimmungen und einmal als subjektimmanente Grundbestimmungen. Dabei ist allerdings das objektimmanente Vorkommen von Kategorien als begründungsbedürftig zu verstehen, es ist nämlich auf das primäre und ursprünglichere subjektimmanente Vorkommen der Kategorien zurückzuführen. Wenn wir also z. B. einen Gegenstand als eine Substanz bestimmen, der verschiedene gegenständliche Eigenschaften zukommen, dann ist dies eine bereits abkünftige, objektimmanente kategoriale Bestimmung, die auf eine subjektimmanente kategoriale Grundbestimmung zurückverweist, nämlich auf das Ich, das sich selbst als Substanz für verschiedene Eigenschaften versteht. Klärungsbedürftig ist das Satzelement der Wechselbestimmung: Das „Ich setzt sich als bestimmt, d.i. es bestimmt sich“ (58/FW I, 137). Darin ist der Widerspruch enthalten, dass das Ich einerseits aktiv, d. h. bestimmend und andererseits passiv, d. h. bestimmt werdend ist. Diesen Widerspruch stellt Fichte in a und b auf und wird ihn in 1 bis 14 auflösen; wobei sich die eigentliche Auflösung des Widerspruchs von 1–11 erstreckt und ab 12–14

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eine nähere Begriffsanalyse der neuen synthetischen Bestimmung – Substantialität – erfolgt. Der Widerspruch von Aktivität und Passivität des Ich ist zu synthetisieren in einem Begriff, der beide Aspekte in einer verknüpfenden und doch einheitlichen Handlung zulässt. „Bestimmtheit zeigt seiner inneren Bedeutung nach immer ein Leiden, einen Abbruch der Realität an.“ (58/FW I, 137) Auch aus diesem Satz lässt sich die Unbestimmtheit des ersten Grundsatzes „Ich bin Ich“ ersehen, denn dort kommt kein Leiden vor, sondern nur Tathandlung, reine, nicht durch anderes ihrer selbst begrenzte Aktivität. Bestimmtheit ist für Fichte mit Negation in der Weise notwendig verknüpft, als es bei einer bestimmten Entität eine Begrenzung vermittels einer Negation gibt, die daraus folgt, dass die Sachhaltigkeit von etwas durch etwas anderes einen Abbruch erfährt, das ebenfalls eine Sachhaltigkeit bildet. Damit ist Bestimmtheit durch eine Negation zu definieren. – Wie bereits Spinozas berühmter Satz lehrt: „Omnis determinatio est negatio“. – Es geht Fichte also mit der Klärung des Satzes, dass sich das Ich selbst bestimmt, darum, den Ursprung der Bestimmtheit aufzuklären, der eben in der Selbstbestimmung des Ich zu sehen ist. „Für die Möglichkeit aller Bestimmung überhaupt (alles Messens) muss ein Maßstab festgesetzt sein. Dieser Maßstab aber könnte kein anderer sein, als das Ich selbst, weil ursprünglich nur das Ich schlechthin gesetzt ist.“ (59/FW I, 137) Der Maßstab für die Bestimmtheit ist nicht in einem platonischen oder realistischen Sinne zu verstehen, als eine an sich bestehende Idee; sondern in einem subjektivitätstheoretisch-idealistischen Sinne bildet das tätige Ich den Maßstab für das Bestimmen. Dass das Ich Maßstab für alle Bestimmtheit sein kann, ist in einer neuartigen Handlung zu begründen, die notwendigerweise angenommen werden muss, wenn es überhaupt Bestimmtheit geben können soll. Die neuartige Handlung besteht darin, dass das Ich alle Realität in sich setzt – das ist ein Akt, der nicht neu ist, denn er wird bereits im ersten Grundsatz vollzogen –, aber diese Realität wird nun als umfassendes Quantum begriffen, als das „absolute Maximum der Realität“ (59/FW I, 137) und darin liegt das Neuartige, nämlich darin, dass eine in sich geteilte Realität komplett dem Ich zugesprochen wird. Im ersten Grundsatz war das Ich alle Realität im Sinne einer radikalen Einfachheit, denn dort ist das absolute Ich als numerisch einfach zu setzen, dort war die Realität ungeteilt, nun setzt das Ich alle geteilte Realität in sich im Sinne einer umfassenden Allheit; sämtliche einzelnen Elemente der teilbaren Wirklichkeit setzt das Ich in sich. Das ist eine neue Art von Setzung der Realität in das Ich. Beim ersten Grundsatz „Ich bin Ich“ gab es keine teilbare Realität, sondern nur die einfach ungeteilte Selbstsetzungsrealität. Nun wird dagegen die umfassende Allheit sämtlicher Teile von Realität in das Ich gesetzt. – Daran wird deutlich, dass

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implizit in den Kategorien der Qualität (Realität, Negation, Limitation) und Quantität überhaupt die spezifischeren Quantitätskategorien (Einheit, Vielheit, Allheit) mitenthalten sein müssen; obgleich Fichte dies nicht ausführt. Die Einheit ist beim absoluten Ich zu verorten, die Vielheit bei dem limitierten Ich und dem limitierten Nicht-Ich und die Allheit bei dem sich als Substanz setzenden Ich. Durch die Setzung der Allheit der Realitätsteile in das Ich kann das Ich als Maßstab fungieren, denn wenn ein bloßer Teil von Realität gesetzt wird – und damit auch ein Teil von Negation – dann kann dieser in einem Akt des Vergleichens als ein „Weniger“ festgestellt werden. Mit dem Nebeneinanderhalten von dem All der Realität und einem Teil der Realität wird von Fichte ein neuartiger Akt bzw. eine neue Leistung des Ich eingeführt, nämlich der Vergleichsakt. Zur Bestimmtheit gehört das Messen, zum Messen der Maßstab und zum Maßstab der Vergleich. Wie kann das Ich im Vergleichsakt ein „Weniger“ konstatieren? Das kann nur indirekt geschehen, denn ein Weniger besteht darin, dass etwas nicht da ist, also in dem Mangel, in einem Nichtsein. Ein solches Nichtsein kann nicht inhaltlich erfüllt erlebt werden, denn das Weniger ist gerade die mangelhafte Abwesenheit von Realität. Eine nicht vorhandene Realität kann aber nicht direkt erlebt werden. Also kann der Mangel nur indirekt dadurch erlebt werden, dass das Ich sich mit sich selbst auf die folgende Weise vergleicht: Das Ich ist einerseits das All der geteilten Realität, andererseits ist es auch nur ein Teil der Realität – denn es erlebt sich als durch das Nicht-Ich begrenzt; dies hat es in der Kausalität erlebt, wo es sich als affiziert und durch das als Ursache aktive Nicht-Ich leidend Bewirktes erfuhr. Der Vergleich geschieht zwischen dem Ich als All der Realität und dem bewirkten, begrenzten Ich, das zwar auch Realität enthält, aber weniger, weil es einige Realität dem Nicht-Ich zuschreibt. Nicht der fehlende Realitätsgrad des eingeschränkten Ich wird verglichen, sondern der noch vorhandene Realitätsgrad. Somit vergleicht sich eigentlich das Ich mit sich selbst, einmal als All der Realität (Maßstab) und einmal als Restquantum von Realität im bewirkten Ich (zu Messendes). Das Restquantum an Realität im affizierten und bewirkten Ich ist notwendigerweise kleiner als das All der Realität. Bestimmtheit kommt in diesen Vergleichsakt durch die Negation hinein. Da die Negation nur in einem Nichtsein besteht, ist auch hier wieder nur ein indirekter Weg zur Feststellung der Negation über den verringerten Grad an Realität im Ich möglich. Eigentlich setzt sich das Ich im Vergleichsakt sich selbst entgegen und negiert sich in gewisser Weise selbst: Das Ich als All der geteilten Realität ist etwas anderes, Entgegengesetztes zu dem Ich mit eingeschränktem Realitätsgrad. Letzteres Ich negiert das erstere. Der Negationsakt von eingeschränktem und umfassendem Ich ist nach den Gesetzen

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von Antithesis und Synthesis bestimmt; denn einerseits liegt mit den unterschiedlichen Realitätsquantitäten ein Unterscheidungsgrund vor, zugleich liegt aber auch zwischen beiden ein Beziehungsgrund vor, denn beide bestehen gleichermaßen aus teilbarerer Realität. Der von Fichte neu eingeführte Akt des Vergleichs erweist sich als eine Weiterführung der aus Thesis, Antithesis und Synthesis hergeleiteten Methode der ersten drei Grundsätze, denn auch im Vergleichsakt sind nötig: a) ein thetisches Setzen (das Ich setzt sich als All der geteilten Realität), b) eine Antithesis (das Ich setzt sich als All der Realität sich selbst als kleinerer Realität entgegen) und c) eine Synthesis (das Ich bezieht die beiden einander entgegengesetzten Ich(e) aufeinander, weil beide aus teilbarer Realität bestehen). Tätigkeit und Leiden sind einander entgegengesetzt und ausschließlich dadurch aufeinander zu beziehen, dass beide in dem Beziehungsgrund übereinstimmen, Quantitäten zu sein. Indirekt lässt sich daher durch die Tätigkeit bestimmen, was das Leiden ist: Leiden ist ein vermindertes Quantum an Tätigkeit. Der Bestimmungsgrund für das Leiden ist die Tätigkeit, und das, was diese Tätigkeit zum Leiden spezifiziert, ist die verminderte Quantität an Tätigkeit. „Alle Realität ist in das Ich gesetzt heißt: alle Tätigkeit ist in dasselbe gesetzt, und umgekehrt; alles im Ich ist Realität, heißt: das Ich ist nur tätig; es ist bloß Ich, inwiefern es tätig ist; und inwiefern es nicht tätig ist, ist es Nicht-Ich. Alles Leiden ist Nicht-Tätigkeit. Das Leiden lässt demnach gar nicht anders sich bestimmen, als dadurch, dass es auf die Tätigkeit bezogen wird.“ (60/FW I, 138 f.) – Wenn Fichte in diesem Zitat sagt, dass das Ich Nicht-Ich sei, dann ist dies offensichtlich nicht streng zu verstehen, denn das ist auf keinen Fall möglich, weil es ein direkter unversöhnlicher Widerspruch wäre. Fichte meint wohl vielmehr, dass in dem Fall, wo das Ich, das eigentlich reine Tätigkeit ist, in sich ein Leiden setzt, es an dem grundlegenden Charakterzug des Nicht-Ich teilhat, nämlich am Leiden. – Das Leiden ist nur eine herabgesetzte und verminderte Form der Tätigkeit. Eigentlich gibt es nur Tätigkeit; „an sich“ (61/FW I, 139) ist Leiden Tätigkeit. Diese kann aber in verringerter Form auftreten und durch diese Verringerung modifiziert sich die Tätigkeit zu einer Tätigkeit von geringerer Intensität und wird dadurch am Maßstab der Totalität der Tätigkeit zum Leiden. Das stellt das Ich von sich selbst fest, wenn es den Vergleichsakt an sich selbst zwischen sich als All der Realitäten und sich als Teil der Realität durchführt. Das Setzen eines besonderen Quantums der Tätigkeit des Ich im Ich ist einerseits eine spontan hervorgebrachte Leistung und es ist, in Bezug auf die Totalität der Tätigkeit gesehen, eine Negation, ein Leiden. Mit dem bestimmten Quantum Tätigkeit ist etwas – wie Fichte sagt: ein „X“ (61/FW I, 139 f.) – aufgewiesen, das gleichermaßen in sich synthetisch Leiden und Tätigkeit vereint.

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Fichte verdeutlicht die Konzeption einer sich selbst als bestimmt und begrenzt, d.h. sich selbst leidend setzenden verminderten Tätigkeit des Ich durch das Beispiel des „Ich denke“ (62/FW I, 140). Das Beispiel ist natürlich alles andere als zufällig gewählt, sondern gerade im Hinblick auf Descartes und Kant – dies führt Fichte zwar nicht aus, dennoch bilden diese beiden Denker den Hintergrund, da sie dem „Ich denke“ prinzipiellen Status zuordnen, während Fichte dem „Ich bin Ich“ diesen Status zuerkennt. Denken ist schon eine besondere Tätigkeit, ein „Ausdruck der Tätigkeit“ (62/FW I, 140) und nicht mehr Tätigkeit überhaupt, das Denken ist z. B. der Anschauung, dem Gefühl, dem sinnlichen Trieb usw. entgegengesetzt, die auch spezifische Tätigkeiten sind, denen allen gleichermaßen Tätigkeit überhaupt zugrunde liegt und die auch wieder untereinander zu unterscheiden sind, sich also auch untereinander entgegengesetzt sind. Denken ist spezifizierte Tätigkeit, die verschiedenen anderen Tätigkeitsformen entgegengesetzt ist; somit gibt es ausgegrenzte Tätigkeiten, welche die Tätigkeit des Denkens nicht umfasst und sie kann daher keine Fundamentaltätigkeit sein, die einem ersten Grundsatz zugeordnet werden müsste, denn um sie zu bestimmen, muss vorher schon feststehen, was Tätigkeit überhaupt ist und was das All, die Totalität der Tätigkeiten ist, damit ein bestimmter Ausschnitt aus dieser Totalität sich zum Denken spezifizieren kann. Das All des „Seins“ (vgl. 62/FW I, 140 f.), d. h. der tätigen Realität, muss eingeschränkt werden, um den speziellen Ausschnitt des gedachten Seins zu erhalten: „Jedes mögliche Prädikat des Ich bezeichnet eine Einschränkung desselben. Das Subjekt: Ich, ist das schlechthin Tätige, oder Seiende. Durch das Prädikat (z. B. ich stelle vor, ich strebe usf.) wird diese Tätigkeit in eine begrenzte Sphäre eingeschlossen. (Wie und wodurch dies geschehe, davon ist hier noch nicht die Frage.)“ (62/FW I, 140 f.) Fichte gibt damit selbst noch bestehenden Klärungsbedarf zu: Welche spezifischen Formen von Einschränkung der Ichtätigkeit nötig sind, um zu beantworten, wie einbilden, vorstellen, wollen, urteilen etc. entstehen, ist aus dem gegenwärtigen Argumentationsstand heraus noch nicht zu sagen. Fichte kann aber bereits jetzt in Anspruch nehmen, gezeigt zu haben, was sich im Ich ereignen muss, damit es sich überhaupt als eingeschränkte und spezifizierte Ichtätigkeit wissen kann: das Ich muss mit sich selbst in ein vergleichendes Selbstverhältnis treten und sich als All der Realitäten mit sich als einer spezifischen Realität messen, um festzustellen, dass es selbst eine Verminderung an Realität erlitten hat. Fichte verdeutlicht am Beispiel des „Ich denke“, dass jeder Akt einer Prädikation eine Bestimmung ist, die dadurch erfolgt, dass aus der Totalität möglicher Eigenschaften eine herausgenommen und zugesprochen (oder abgesprochen) wird. Dieser Auswahlakt gegenüber der Totalität aller Prädikate erfordert die Tätigkeit eines

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Ich, und somit kann ein spezifizierender Akt der Prädikation nur durch vorhergehende Ichtätigkeit erklärt werden. Daraus lässt sich Fichtes kritische Sicht bezüglich Kants berühmter Äußerung „Das: Ich denke, muss alle meine Vorstellungen begleiten können“103 rekonstruieren. Bei Kant ist dies eine für die Erkenntnis fundamentale Aussage. Fichte würde wohl, das „Denken“ vermeidend umformulieren: „Das: Ich handle, muss alle meine Vollzüge begleiten können“. In Fichtes Augen ist die Äußerung Kants nur für eine spezifische epistemische Situation zutreffend, nämlich für diejenige, in der ein abstrakt, verständig denkendes Ich sich etwas vorstellt. Vorstellen und Denken sind aber für Fichte voraussetzungsreiche, spezifische Tätigkeiten, denen Tätigkeit und Selbstbezüglichkeit vorhergehen. Der Widerspruch eines gleichfalls handelnden und leidenden, bestimmenden und bestimmten Ich ist gelöst, denn: „Es ist bestimmend, insofern es durch absolute Spontaneität sich unter allen in der absoluten Totalität seiner Realitäten enthaltenen Sphären in eine bestimmte setzt; und insofern bloß auf dieses absolute Setzen reflektiert, von der Grenze der Sphäre aber abstrahiert wird. Es ist bestimmt, insofern es als in dieser bestimmten Sphäre gesetzt, betrachtet, und von der Spontaneität des Setzens abstrahiert wird.“ (62/FW I, 141) Ob das Ich bestimmend oder bestimmt ist, hängt also bloß von der Betrachterperspektive ab und davon worauf sie ihre Aufmerksamkeit lenkt. Das Selbstsetzen des Ich ist eigentlich eine unbeschränkt spontane Tätigkeit, die keine äußeren Grenzen hat, es gibt für sie nur die Grenzen, die sie sich selbst setzt, und diese selbst gesetzten Grenzen können ihr dann als vorgegeben erscheinen, sofern das Ich selbstvergessen vom spontanen Setzungsakt absieht und nur das Handlungsprodukt einer limitierten Realität betrachtet. Damit liegt eine Synthesis von bestimmend und bestimmt, von Aktivität und Passivität vor. Diese ist noch auf einen Begriff zu bringen, was dann ab den Unterpunkten 12 bis 14 in der Synthesis D des vierten Paragraphen der Grundlage geschieht. Fichte stellt zunächst heraus, dass die neu gefundene synthetische Bestimmung – wie noch zu sehen sein wird: die Substantialität – ein Teilaspekt der Wechselbestimmung ist; die Substantialität folgt also, wie bereits die Kausalität, als Konsequenz aus der Wechselbestimmung (vgl. 62/FW I, 141). In Absatz 12 führt Fichte einen Vergleich von Wechselwirkung, Kausalität und Substantialität durch, der in Folgendem besteht: Zunächst (a) sind Substantialität und Kausalität mit der Wechselbestimmung gleich, weil jeweils in einer relationalen Weise Tätigkeit und Leiden aufeinander bezogen bestimmt werden und für alle drei Bestimmungsformen gilt, kein Leiden ohne Tätigkeit und keine Tätigkeit ohne Leiden. Dann sind (b) Kausalität und Substantialität einerseits der Wechselbestimmung

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und andererseits auch einander entgegengesetzt; weil in den ersten beiden eine spezifische Richtung der Relation von Tätigkeit und Leiden vorgegeben ist (bei der Kausalität von der Tätigkeit des Nicht-Ich zum Leiden des Ich und bei der Substantialität von der Tätigkeit des Ich als umfassender Realität zu dem Leiden des Ich als einer bloß begrenzten Tätigkeit), dagegen ist bei der Wechselbestimmung gar keine spezifische Richtung von Tätigkeit zu Leiden gesetzt; es handelt sich bei der Wechselbestimmung um reinen Wechsel ohne spezifische Richtungseigenschaften, da die Relata sich symmetrisch gegenüberstehen und nicht wie bei Kausalität oder Substantialität ein bestimmter Ausgangspunkt der Bestimmungsrelation ausgemacht werden kann. Ferner sind (c) Kausalität und Substantialität untereinander gleich in genau diesem Aspekt, der sie beide der Wechselbestimmung entgegensetzt, denn sie gleichen sich darin, dass in ihnen eine hierarchische Ordnung und Gerichtetheit zwischen Tätigkeit und Leiden vorliegt. (d) Kausalität und Substantialität unterscheiden sich jedoch auch darin, dass in ihnen die Richtungen von Tätigkeit zu Leiden genau umgekehrt sind, denn bei der Kausalität stellt das Ich im Ausgang vom bei sich selbst verspürten Leiden die Tätigkeit als vorauszusetzende Ursache fest und bei der Substantialität stellt das Ich im Ausgang von seiner eigenen Tätigkeit (Totalität der Realitäten als Maßstab) sein eigenes Leiden (spezifische Realität als Gemessenes) fest. Damit ist der Vergleich von Wechselwirkung, Kausalität und Substantialität vollständig, denn die drei sind in allen möglichen Hinsichten miteinander verglichen worden. Nun führt Fichte für die synthetische Handlung des Ich die passenden Begriffe ein, was eine Art „Taufsituation“ bildet: „Insofern das Ich betrachtet wird, als den ganzen, schlechthin bestimmten Umkreis aller Realitäten umfassend, ist es Substanz. Inwiefern es in eine nicht schlechthin bestimmte Sphäre […] dieses Umkreises gesetzt wird, insofern ist es akzidentell; oder es ist in ihm ein Akzidens. Die Grenze, welche diese besondere Sphäre von dem ganzen Umfange abschneidet, ist es, welche das Akzidens zum Akzidens macht.“ (63/FW I, 142) Damit vollzieht Fichte im Anschluss an Kant ein Revolution in der Philosophie, denn in der Antike, im Mittelalter und in der frühen Neuzeit wird die Ousia, das Hypokeimenon bzw. die Substanz als ontologische Grundbestimmung verstanden; nach Denkern wie Aristoteles,104 Thomas, Descartes hat das Seiende als solches die Struktur eines Zugrundeliegenden, dem Eigenschaften zukommen. Fichte versteht die Substantialität und deren Relation zu den Akzidenzien bzw. den Eigenschaften aber nicht als eine ontologisch vorliegende Struktur, sondern als einen Prozess der Selbstidentifikation des endlichen Ich mit sich, das ist ein konsequenter Entwurf, weil die Subjektivität nach Fichte das ursprüngliche Prinzip ist, von dem her alles zu verstehen ist, so auch die Substanz-Akzidenz-Relation. Die Substanz-Akzidenz-Relation

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als identifikatorischer Handlungsprozess des endlichen Ich geht nicht von einem individuellen Einzelding aus – wie dies bei Aristoteles der Fall war und wie es sich in gewisser Weise in der Philosophiegeschichte sogar noch bis in unsere Zeit z.B. bei Strawson durchhält;105 primär ist nach Fichte die Substanz – wie auch die Kausalität und die Wechselbestimmung, die Negation und auch die Realität – ein (subjektimmanenter) Prozess, eine Handlung. An dem Zitat ist auch hervorzuheben, dass das Ich als Substanz nicht mit dem absoluten Ich des ersten Grundsatzes verwechselt werden darf, denn das Substanz-Ich umfasst den bestimmten Kreis sämtlicher Realitäten, das absolute Ich ist dagegen in unbestimmter Weise alle Realität, d. h., in ihm sind die Realitäten noch nicht gegeneinander bestimmt und abgrenzbar, das muss aber bei dem Substanz-Ich der Fall sein, wenn es aus sich eine bestimmte Realität herausgreift und sich diese entgegensetzt. Das Substanz-Ich ist also nicht die reine Tathandlung, dies kann auch deswegen nicht sein, weil die Substantialität die Wechselbestimmung voraussetzt, was bei der Tathandlung nicht der Fall ist, da sie vielmehr die Voraussetzung für die Wechselbestimmung ist. Das Substanz-Ich ist selbst auch keine spezifische Realität, sondern bildet die umfassende Möglichkeit dazu, es ist also der Möglichkeit nach bestimmbar und enthält potentielle Bestimmtheit. Das bestimmbare Substanz-Ich geht der Bestimmtheit selbst ermöglichend voran und die Bestimmtheit findet sich auf der Ebene des Akzidenz-Ich. Erst dieses ist tatsächlich bestimmt, weil es den Vergleichsakt durchlaufen hat und gemessen worden ist. Für die Substanz ist es wesentlich, dass sie auf das Akzidenz bezogen ist, weil das bloß Bestimmbare ohne den Bezug auf das Bestimmte unbestimmt bleiben würde, und umgekehrt ist natürlich auch dem bestimmten Akzidenz der Bezug auf die Sphäre aus der es ein Ausschnitt ist, d. h. auf die Substanz, wesentlich. Substanz und Akzidenz sind daher streng relationale Bestimmungen, die beide voneinander abhängig sind. Vermittels des Akzidenz realisiert sich die Substanz – auch dies spricht gegen eine Identifikation des Substanz-Ich mit dem absoluten Ich der Tathandlung. Die IchAkzidenzien geben dem Substanz-Ich spezifischere Realitäten. Das Ich spaltet sich in verschiedene gegeneinander abgrenzbare und daher auch untereinander bestimmte Modifikationen seiner selbst auf. Das Ich dimensioniert und modifiziert sich in sich selbst zu verschiedenen Sachhaltigkeiten: „Die Realitäten des Ich sind seine Handlungsweisen: es ist Substanz, inwiefern alle möglichen Handlungsweisen (Arten zu sein) darin gesetzt werden.“ (64/FW I, 142) Ausschließlich das Ich ist Substanz, und wenn uns in der raum-zeitlichen Wirklichkeit auch Dinge als Substanzen mit Eigenschaften erscheinen, dann ist dies eine Übertragung einer Struktur, die ursprünglich dem Ich

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zukommt, auf Mannigfaltiges der Sinnlichkeit; das meint Fichte wohl wenn er sagt: „Es ist ursprünglich nur Eine Substanz, das Ich: In dieser Einen Substanz sind alle möglichen Realitäten gesetzt.“ (64/FW I, 142) Dass es nur „Eine“ Ich-Substanz gibt, wendet sich wohl insbesondere gegen den frühneuzeitlichen Rationalismus von Descartes, Leibniz und Spinoza. Nach Descartes gibt es zwei Substanzen, die denkende und die ausgedehnte; beiden liegt gleichermaßen der Gedanke eines Dinges/res mit Eigenschaften zugrunde und aus der Lehre von den beiden Substanzen folgt das Problem eines Dualismus, welcher der Einheit der Wirklichkeit nicht gerecht zu werden scheint. Nach Spinoza gibt es nur Eine Substanz, nämlich Gott, dem wir aus unserer eingeschränkten Erkenntnisperspektive nur die beiden Eigenschaften Ausdehnung und Denken zuschreiben können; woraus – zumindest aus cartesianischer Perspektive – der Widerspruch folgt, dass die Eine Substanz einander ausschließende Prädikate (z. B. Teilbarkeit und Unteilbarkeit) zugesprochen bekommt; wobei die Ausdehnung nach cartesianischer Auffassung weniger Perfektion hat und deswegen Gott als dem vollkommensten Wesen nicht zukommen kann. Den Dualismus Descartes’ kritisierte Leibniz mit dem Argument, eine ausgedehnte Substanz sei ein Widerspruch in sich, denn wenn Ausdehnung durch unendliche Teilbarkeit definiert wird, dann ist dem Ausgedehnten kein beharrlich Zugrundeligendes zuzurechnen und damit fehlt ihm nach Leibniz das wesentliche Kriterium der Substanz; Leibniz folgert daraus, dass es nur intelligible Substanzen gibt, weil allein diesen die Eigenschaft der unteilbaren Einfachheit zukommt.106 Allerdings gibt es nach Leibniz unendlich viele Substanzen und Gott ist nur eine unter ihnen – wenngleich er natürlich die Zentralmonade ist. All dem widerspricht Fichte mit seinem Entwurf, dass man die Substanz in ursprünglicher Weise nicht nach dem Schema eines starren Dinges mit Eigenschaften verstehen darf, sondern dass sie als ein handelndes Ich zu verstehen ist – dem kommt Leibniz’ Panlogismus des Monadensystems107 natürlich schon sehr viel näher als die Entwürfe Descartes’ und Spinozas. Außerordentlich interpretationsbedürftig und gleichwohl von zentraler Bedeutung für das Verständnis der Substanzbestimmung ist folgende Äußerung Fichtes: „Die Substanz ist aller Wechsel im allgemeinen gedacht: das Akzidens ist ein Bestimmtes, das mit einem anderen Wechselnden wechselt.“ (64/FW I, 142) Auch in diesem Zitat spiegelt sich wider, dass die Substanz nicht als vorliegendes Ding gedeutet werden darf. Fichte sagt nämlich gerade nicht, dass der Wechsel den Eigenschaften zukommt und die Substanz beharrlich zugrunde liegt und damit etwas Statisches, Beharrliches wäre; vielmehr ist die Substanz aller Wechsel. Das Ich als Substanz ist reine Handlungsdynamik und reine Agilität. Weil das Ich auch als Akzidenz nach wie vor Handlungsdynamik ist, nur in spezifizierter Form, ist

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auch dieses eine wechselnde und keine statische Bestimmung. Aber im Unterschied zu der Substanzhandlungsdynamik ist die Akzidenzhandlungsdynamik austauschbar, denn sie wechselt mit anderen spezifischen Handlungstypen. So wechseln z. B. die einzelnen Gefühle von Angst über Verzweiflung hin zu Zorn, der sich in einem – scheinbar – befriedigenden Racheakt zur Genugtuung entlädt; diese spezifischen Gefühle aus aktuellen Empfindungen können mit einzelnen Erinnerungen an Empfindungen aus früherer Zeit wechseln oder sie wechseln mit sorgenvollen Erwartungen für die Zukunft und so wird das aktuelle Gefühlsleben durch Inaktuelles eingefärbt. Darin ist ein Wechsel von Wechselndem erlebt, der aber doch einheitlich einem Ich zukommt, das daher dieser „Wechsel im allgemeinen“ ist, weil es sich in diesem Wechsel durchhält und insofern als durchgängiges Ich eine Substanz bildet. Das Ich als Substanz steht nicht jenseits des Wechsels, sondern ist das Prinzip dieses Wechsels. Fichte deutet an, dass später noch zu klären sein wird, wie sich verschiedene wechselnde Zustände synthetisieren können und dann selbst als Substanz gedacht werden (vgl. 64/FW I, 142f.). Das bezieht sich darauf, dass wechselnde Akzidenzien in häufiger Wiederholung zu Habitualitäten ausgebildet werden können und dann bleibendere Eigenschaften bilden, die selbst verschiedenen wechselnden Zuständen zugrunde liegen können. So kann der oben angedeutete Wechsel von Angst, Verzweiflung, Zorn und Genugtuung im Racheakt in häufiger Wiederholung zu der bleibenden und das Subjekt substantiell bestimmenden Eigenschaft der Rachsucht werden. Fichte weist damit auf die später in der praktischen Wissenschaftslehre zu verortende Trieblehre voraus. Wichtig ist auch Fichtes Verweis darauf, dass eigentlich ein wesentlicher Aspekt noch nicht aufgeklärt wurde, nämlich wie es überhaupt dazu kommt, dass sich das Substanz-Ich selbst dazu affiziert, im Sinne von selbst dazu begrenzt und bestimmt, sich als Akzidens-Ich zu setzen und sich mit sich als einer begrenzten Tätigkeit zu messen? Fichte deutet die Lösung hier nur an (vgl. 64/FW I, 143), sie ist später im Laufe der nun folgenden Synthesis E genauer zu beschreiben. Die Lösung besteht darin, dass die Substanzsynthesis mit der Kausalitätssynthesis zu synthetisieren ist: Die Kausalitätssynthesis, bei der sich das Ich als durch das Nicht-Ich begrenzt, affiziert setzt, ist der Grund dafür, dass sich das Ich als Substanz in sich selbst als Akzidenz als leidend und affiziert setzt. In dieser Hinsicht wird die Selbstaffektion des Substanz-Ich zum Akzidenz-Ich durch die Fremdaffektion der Kausalität vermittelt; die beiden Synthesen greifen ineinander und bestätigen damit in ihrer wechselseitigen Implikation die Korrektheit beider Synthesen in einer neuen Synthese.

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5. Die Synthesis E (66–164/FW I, 145–246) a) Einbildungskraft und grundlegende Handlungsstrukturen des Bewusstseins (66–137/FW I, 145–217) Um die hoch komplexe „Synthesis E“ verständlich machen zu können, ist es notwendig, Fichtes in diesem Rahmen teilweise opaken Äußerungen auf ihre wesentlichen Zusammenhänge zu fokussieren und zu reduzieren.108 Der Anfang der Synthesis E und einige zentrale Stellen sollen daher genauer beleuchtet werden, weil diese die Basis für die weiteren Ableitungen bilden und einen Einblick in die Struktur des Bewusstseinslebens ermöglichen. Zunächst fasst Fichte die vorangegangene Argumentation der Synthesis D zusammen, um herauszustellen, dass ein grundlegender Widerspruch bzw. unaufgehobener Zirkel in der Argumentation trotz aller Synthesen bei Wechselbestimmung, Kausalität und Substantialität bestehen bleibt (vgl. 66 f./FW I, 145 f.), nämlich: Wie kann das an sich doch rein tätige Ich in sich ein Leiden setzen? Eigentlich ist das nur dadurch möglich, dass dem Nicht-Ich Tätigkeit zugeschrieben wird, das setzt aber ebenfalls schon voraus, dass das Ich in sich Leiden setzt, weil es sonst nicht die Tätigkeit eines anderen feststellen könnte und damit das Ich in sich dieses Leiden setzen kann, muss es sich als verminderte Tätigkeit und damit leidend erleben. Grundlegend bleibt also noch offen, wie das Ich überhaupt in sich Leiden setzen kann. Der aufzulösende Zirkel besagt: Das Ich setzt Leiden in sich, weil es Tätigkeit in das Nicht-Ich setzt und das Ich setzt Tätigkeit in das Nicht-Ich, weil es Leiden in sich setzt (vgl. 69/FW I, 148). Beide Seiten setzen sich gegenseitig voraus und bilden somit einen Zirkel. Dieser Zirkel enthält ein weiteres, ebenfalls fundamentales Problem, das auch gelöst werden muss: Was ist überhaupt die Motivation dafür, dass sich das Ich leidend setzt? Fichte kritisiert zunächst an dem „transzendenten Idealismus“ (Leibniz) und am „dogmatischen Idealismus“ (Berkeley) (vgl. 68/FW I, 147), dass diese Formen des Idealismus die selbstbeschränkende Setzung des Ich als teilweise passives Subjekt eigentlich nicht auf etwas außerhalb des Ich Befindliches zurückführen können, da es ihnen prinzipiell unmöglich ist, eine Einwirkung auf das Subjekt von außen überhaupt in den Blick zu bekommen, es sei denn, es handelt sich um eine Einwirkung Gottes. Diese Kritik am dogmatischen Idealismus führt Fichte noch weiter aus, indem er präzisiert, dass diese Form des Idealismus nur das Ich als Substanz und die ihm zukommenden Vorstellungen als Akzidenzien setzten kann; das Nicht-Ich hat nach diesem dogmatischen Idealismus nur innerhalb der Vorstellungen Realität (vgl. 77 f./FW I, 155 f.). Das drückt sich z. B. an der berühmten

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„Fensterlosigkeit“ der Monade bei Leibniz aus. Eigentlich sind der transzendente und der dogmatische Idealist gezwungen, zu konzipieren, dass jede Art von Einschränkung des Subjekts ein Akt der Autosuggestion ist. Aus Willkür schränkt sich das Ich dann selbst ein, und weiter kann es nach diesen Theorien keinen subjektunabhängigen Grund für die Einschränkung des Ich geben. Der dogmatische Idealist ist insofern konsequenter als der transzendente, als er ganz offen das Vorhandensein einer Beziehung des Ich zu einem Nicht-Ich leugnet; aber er kann nicht leugnen, dass es im konkreten Erleben des Subjekts ständig vorkommt, dass es sich als begrenzt und passiv erfährt; warum das so ist, muss der dogmatische Idealist offenlassen, er schafft es nicht, mittels seiner ihm zur Verfügung stehenden Erklärungsmittel den Erklärungsbedarf abzudecken. Letztlich muss der dogmatische Idealist entwerfen, dass es in der Natur des Ich liegt, sich selbst zu begrenzen; später bezeichnet Fichte diesen Idealismus daher als „intelligiblen Fatalismus“ (vgl. 181 Anm./FW I, 263 Anm.), denn das Ich des dogmatischen Idealismus kann nicht wirklich einsehen, weshalb es begrenzt ist, aber es ist dennoch gezwungen sich als begrenzt zu verstehen; es unterliegt einem für es unbegreifbaren Zwang.109 Nach Fichtes eigenem Entwurf ist es ein freier Akt des Ich, eine limitierte Handlung zu vollziehen, die sich auf ein Objekt richtet. Die Freiheit sich zu begrenzen, ergreift das Ich um sich Bestimmtheit zu geben, und befolgt damit nur die in ihm selbst liegenden Strebungen. Das Ich ist im Akt der von ihm selbst gewollten Bestimmung autonom und unterliegt nicht heteronomen Zwängen, wie ihm das bei dem dogmatischen Idealisten erscheinen muss. In der weiteren Folge der Synthesis E kommt Fichte auch wieder auf den dogmatischen Idealismus zurück und kontrastiert ihn mit dem dogmatischen Realismus (vgl. 93 ff./FW I, 172 ff.). Fichte will mit seinem eigenen kritisch-praktischen Idealismus einen synthetischen „Mittelweg“ (a. a. O.) zwischen beiden Systemen entwerfen. Dieser Mittelweg besteht darin, dass erkannt wird, dass die Tätigkeit des Nicht-Ich mit einem Leiden im Ich identisch ist; wenn also gesagt wird, das Nicht-Ich ist tätig, dann kann dies ersetzt werden durch die Aussage, dass das Ich leidet. Umgekehrt lässt sich auch sagen, dass wenn das Ich leidet, diese Feststellung durch die Aussage ersetzt werden kann, dass das Nicht-Ich tätig ist. In gewissem Sinne wird das Ich sogar selbst zum Nicht-Ich: „Die Handlung läuft in sich selbst zurück; insofern das Ich etwas in sich nicht setzen soll, ist es selbst Nicht-Ich.“ (93/FW I, 173) Das gilt nur insofern, als der Grundcharakter des Nicht-Ich Passivität und derjenige des Ich Aktivität ist, wenn das Ich in sich selbst Passivität setzt – auch wenn dies durch eine Aktivität erfolgt – nimmt es den Grundcharakter des Nicht-Ich an. Insofern es eigentlich ein Widerspruch für das an sich rein tätige Ich ist, sich passiv zu setzen, kann es diesen Widerspruch nur dadurch vermeiden, dass es die Ursache für die

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eigene Passivität nicht in sich, sondern in das andere seiner selbst setzt, nämlich in das Nicht-Ich. Dem Nicht-Ich wird daher die tätige Ursächlichkeit für das Leiden im Ich zugesprochen, damit das Ich nicht in sich selbst den Widerspruch setzen muss, passiv zu sein, obgleich es reines Setzen, reine freie Tätigkeit ist. Der Charakter der Tätigkeit des Nicht-Ich ist differenzierter zu bestimmen. Diese Tätigkeit ist offensichtlich nicht von derselben Art wie die Tätigkeit des Ich, die dieses als unmittelbare Spontaneität und Selbstanfänglichkeit erlebt. Fichte erklärt, dass die spezifische Tätigkeit des Nicht-Ich in einer „Aufhebung“ besteht (vgl. 94/FW I, 174). Die Tätigkeit des NichtIch ist kein kreatives oder produktives Affirmieren, sondern ein Abbruch von Tätigkeit des Ich; das Nicht-Ich ist in dieser Hinsicht nur negativ. Die Aufhebung als Tätigkeitsweise des Nicht-Ich hat bei Fichte keinesfalls den Dreifachsinn, den die Aufhebung bei Hegel hat (Zerstörung, Aufbewahrung und Erhebung). Fichtes Aufhebung meint einen Abbruch an Tätigkeit, Realität und Affirmation. Die Aufhebungstätigkeit des Nicht-Ich stellt das Ich wieder vor neue Aufgaben, die dieses dann produktiv umzuwandeln hat. Das bloß destruktive Negieren der Aufhebung ist ein qualitativ anderer Tätigkeitscharakter als derjenige des Ich. Insofern kann der Idealismus Fichtes das Nicht-Ich als Realgrund für ein Leiden im Ich in den Blick bekommen und erhält mit dem Nicht-Ich eine zum Ich grundsätzlich unterschiedliche Qualität. Der kritisch praktische Idealismus nivelliert nicht den Unterschied zwischen Ich und Nicht-Ich, wie dies im dogmatischen Idealismus der Fall ist. Allerdings ist der Idealgrund dafür, dass die Aufhebung als spezifische Tätigkeit des Nicht-Ich das Ich überhaupt affizieren kann, dadurch gesetzt, dass das Ich sich für eine Aufhebung empfänglich setzt; insofern ist das Ich der Idealgrund für die Tätigkeit des Nicht-Ich. Die Synthesis der Kausalität lehrt, dass sich beides wechselseitig impliziert: Tätigkeit des Nicht-Ich impliziert Leiden des Ich und Leiden des Ich impliziert Tätigkeit des Nicht-Ich. „Danach ist der tiefere Sinn der obigen Synthesis folgender: Ideal- und Real-Grund sind im Begriffe der Wirksamkeit (mithin überall, denn nur im Begriffe der Wirksamkeit kommt ein Real-Grund vor) Ein und Ebendasselbe. Dieser Satz, der den kritischen Idealismus begründet, und durch ihn Idealismus und Realismus vereinigt will den Menschen nicht eingehen; und dass er ihnen nicht eingehen will, liegt am Mangel der Abstraktion.“ (95/FW I, 175) Die oben abgeleitete Bestimmung der Kausalität ist also in ihrer Integration in die Wechselbestimmung von Tätigkeit und Leiden eine Zentralkategorie für Fichtes gesamten Idealismus: „Und so ist denn der kritische Idealismus, der in unserer Theorie herrscht, bestimmt aufgestellt. Er ist dogmatisch gegen den dogmatischen Idealismus und Realismus, indem er beweist, dass weder die bloße Tätigkeit des Ich

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der Grund der Realität des Nicht-Ich, noch die bloße Tätigkeit des NichtIch der Grund des Leidens im Ich sei; in Absicht der Frage aber, deren Beantwortung ihm aufgelegt wird, welches denn der Grund des zwischen beiden angenommenen Wechsels sei, bescheidet er sich mit seiner Unwissenheit, und zeigt, dass die Untersuchung hierüber außerhalb der Grenzen der Theorie liege. Er geht in seiner Erklärung der Vorstellung weder von einer absoluten Tätigkeit des Ich, noch des Nicht-Ich, sondern von einem Bestimmtsein aus, das zugleich ein Bestimmen ist, weil im Bewusstsein unmittelbar nichts anderes enthalten ist, noch enthalten sein kann. Was diese Bestimmung wieder bestimmen möge, bleibt in der Theorie gänzlich unentschieden; und durch diese Unvollständigkeit werden wir denn auch über die Theorie hinaus in den praktischen Teil der Wissenschaftslehre getrieben.“ (98/FW I, 178) Dass Fichtes Idealismus kritisch ist, bedeutet also, dass er eine Grenze des theoretisch Wissbaren in der Frage nach dem Grund des Nicht-Ich einräumt, die nicht mehr theoretisch hinterfragt werden kann; die nur noch praktisch erlebt und praktisch begründet werden kann. Fichte will den Erklärungsbedarf für das vom Ich als qualitativ anders erlebte Nicht-Ich innerhalb seines transzendentalen bzw. kritischen Idealismus abdecken – soweit das theoretisch möglich ist –, indem er am Beginn der Synthesis E (vgl. 69 f./FW I, 148 f.) zunächst nochmals den Widerspruch bzw. Zirkel ganz klar vor Augen führt (I; 69/FW I, 148) und nach der synthetischen Methode eine von der Tätigkeit des Ich „unabhängige Tätigkeit“ einführt (II; 69f./FW I, 148f.). Die Lösung des Widerspruchs geschieht also mittels einer neuartigen Synthese (diese führt Fichte differenzierter in III–IV aus; 70–72/FW I, 149–151) und sie besteht letztlich darin, die „unabhängige Tätigkeit“ als grundlegende Struktur darzustellen, die, wenn man sie auf den Begriff bringt, „Einbildungskraft“ heißt (vgl. 81/FW I, 160).110 Bisher gilt bezüglich der Wechselbestimmung: Das Ich setzt in sich ein Leiden (Bedingtes), weil es Tätigkeit in das Nicht-Ich setzt (Bedingung), und das Ich setzt Tätigkeit in das Nicht-Ich (Bedingtes), weil es Leiden in sich setzt (Bedingung). Zirkulär ist im einen Teil der beiden Satzgefüge jeweils das Leiden im Ich als Bedingtes und im anderen als Bedingung und reziprok ist die Tätigkeit im Nicht-Ich, im einen Teil der Satzgefüge als Bedingung und im anderen als Bedingtes gesetzt. Um diesen Zirkel und Widerspruch zu vermeiden, ist genau das Gegenteil einer wechselseitig korrelierten und reziproken Beziehung von Tätigkeit und Leiden in Ich und Nicht-Ich vorauszusetzen: Es muss eine Tätigkeit im Ich geben, die parallel zu der Tätigkeit des Nicht-Ich ist und es muss eine Tätigkeit des Nicht-Ich geben, die parallel zu der Tätigkeit des Ich ist (vgl. 69 f./FW I, 149). Diese neuartige Tätigkeit ist gegenüber dem Wechselbezug von Tä-

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tigkeit im Ich mit daraus folgendem Leiden im Nicht-Ich und der Tätigkeit im Nicht-Ich, der ein Leiden im Ich folgt, unabhängig. Wenn es nur so wäre, wie die reine Wechselwirkung lehrt, dass Leiden im einen reziprok Tätigkeit im anderen voraussetzt, gäbe es nur den Zirkel der Abhängigkeit, in dem beide Elemente in einem unablässigen Oszillieren ihrer Abhängigkeit befangen wären, aber sie wären nicht in der Lage jeweils eine erste, ursprüngliche Motivation für die Bewegung zu etablieren. Das Sichselbst-leidend-Setzen setzt eine Tätigkeit voraus, welche die erste Motivation dafür bildet, sich durch ein anderes bestimmen zu lassen. Es muss also sowohl im Ich als auch im Nicht-Ich eine Tätigkeit geben, die nicht dem Leiden oder der Tätigkeit des je Entgegengesetzten korreliert ist. Man kann dies nur als eine „unabhängige Tätigkeit“ bezeichnen. Mit dieser „unabhängigen Tätigkeit“ kann Fichte dem skeptischen Einwand einer Diallele, also eines Zirkelschlusses in der Begründung der Erfahrung entgehen. Fichte analysiert drei Sätze, die sich aus dem bisher Gesagten bei genauerer Analyse der unabhängigen Tätigkeit ergeben. „1. Durch WechselTun und Leiden wird eine unabhängige Tätigkeit bestimmt. 2. Durch eine unabhängige Tätigkeit wird ein Wechsel-Tun und Leiden bestimmt. 3. Beide werden gegenseitig durcheinander bestimmt“ (72/FW I, 151). Die ersten beiden Sätze bilden eine Antithese und der dritte Satz deren Synthese. Der erste Satz besagt, dass aus der Wechselwirkung die unabhängige Tätigkeit folgt (die Analyse geschieht in Fichtes Einteilung in I; vgl. 72–81/FW I, 151–160). Genauer wird hier gefolgert, dass aus derjenigen Wechselwirkung, die sich in Kausalität und Substantialität zeigt (Bedingung), eine unabhängige Tätigkeit folgt (Bedingtes). Der zweite Satz besagt, genau umgekehrt zum ersten Satz, dass aus der unabhängigen Tätigkeit allererst die Wechselbestimmung folgt (die Analyse ist in Fichtes Einteilung in II zu finden; vgl. 81–86/FW I, 161–165). Das ist dahin gehend zu präzisieren, dass aus der unabhängigen Tätigkeit (Bedingung) die speziellen Wechselwirkungsformen in Kausalität und Substantialität folgen (Bedingtes). Der dritte Satz bildet schließlich die Synthese der beiden ersten und besagt, dass sich unabhängige Tätigkeit und Wechselbestimmung gegenseitig voraussetzen und man sowohl von der unabhängigen Tätigkeit als auch von der Wechselwirkung ausgehen kann, um die Relation von Ich und Nicht-Ich zu bestimmen (die genauere Analyse dessen findet sich in III; vgl. 86–164/FW I, 166–246). Die unabhängige Tätigkeit widerspricht offensichtlich der Wechselbestimmung. Dieser Widerspruch hat zwei Konsequenzen: Zum einen begrenzt er die Gültigkeit der Wechselbestimmung und damit bestimmt er diese genauer, weil er deren Geltungsbereich präzisierend auf spezifische Fälle genauer eingrenzt; zum zweiten macht der Widerspruch von unab-

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hängiger Tätigkeit und Wechselbestimmung als eine Antithese, die die Einheit des Bewusstseins sprengt, eine neue, komplexere Synthese notwendig, nämlich eine Wechselbestimmung zweiter Ordnung, in der die Wechselbestimmung erster Ordnung und die unabhängige Tätigkeit sich gegenseitig bestimmen. Fichte konzipiert (vgl. 71/FW I, 150) daher, dass unabhängige Tätigkeit und Wechselbestimmung miteinander auch in einer wechselseitigen Relation stehen, denn die unabhängige Tätigkeit ist das, was die Wechselbestimmung nicht ist, und die Wechselbestimmung ist das, was die unabhängige Tätigkeit nicht ist. Somit gibt es eine Wechselbestimmung höheren Typs, eine Wechselbestimmung zweiter Ordnung, die die Relation der Wechselbestimmung erster Ordnung mit der unabhängigen Tätigkeit bestimmt. Die unabhängige Tätigkeit gibt es in symmetrischer Verteilung, d. h., es gibt sie sowohl beim Ich als auch beim Nicht-Ich (vgl. 70/FW I, 149). Bei dem Nicht-Ich besteht die unabhängige Tätigkeit darin, dass das Ich dem Nicht-Ich eine solche Tätigkeit zuordnet, der kein Leiden im Ich korreliert ist. Bei dem Ich dagegen besteht die unabhängige Tätigkeit darin, dass das Ich sich eine Tätigkeit zuschreibt, der kein Leiden im Nicht-Ich korreliert ist. Die unabhängige Tätigkeit ist also in gewissem Sinne unkorreliert, beziehungslos. Diese Beziehungslosigkeit ist notwendig, weil sonst in der reinen Korrelation der Wechselwirkung keine erste Motivation für die reziproke Tätigkeits- und Leidenszuschreibung gegeben wäre: Ein unproduktiver Zirkel wäre ohne unabhängige Tätigkeit die notwendige Konsequenz der Wechselwirkung. Insbesondere daran, dass Fichte eine von der Tätigkeit des Ich unabhängige Tätigkeit des Nicht-Ich entwirft, zeigt sich ein realistisches Moment in seinem Idealismus, denn offensichtlich hängt diese Tätigkeit des Nicht-Ich nicht von einer idealen Tätigkeit des Subjekts ab, sondern sie ist als eine parallele und reelle Tätigkeit des Nicht-Ich zu verstehen, die dessen zumindest relative Selbständigkeit zum Ausdruck bringt. Dennoch ist die unabhängige Tätigkeit des Nicht-Ich kein Schritt in den „dogmatischen Realismus“ – als dessen Vertreter Fichte hier Spinoza nennt (vgl. 76/FW I, 155). Denn das Ich ist die Voraussetzung dafür, dass dem Nicht-Ich eine unabhängige Tätigkeit überhaupt zugeschrieben wird, das Ich ist insofern „Idealgrund“ (74/FW I, 153). Da die unabhängige Tätigkeit vom Ich aber als eine eigenständige Qualität erlebt wird, liegt der „Realgrund“ (75/FW I, 154) für die unabhängige Tätigkeit des Nicht-Ich in diesem selbst und nicht im Ich. Es stellt sich die Frage, worin der Unterschied zwischen der unabhängigen Tätigkeit im Ich und derjenigen im Nicht-Ich besteht. Bislang gilt für beide gleichfalls, dass sie nicht einem Leiden im Entgegengesetzten korre-

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liert sind, und ebenso gilt für beide, dass sie begrenzte Tätigkeiten sind, denn die unabhängige Tätigkeit ist der Wechselwirkung entgegengesetzt, damit wird sie von dieser begrenzt und muss eine beschränkte Tätigkeit sein. Die unabhängige Tätigkeit kann aber nicht genau dieselbe Tätigkeitsform sein, weil Ich und Nicht-Ich sich radikal entgegengesetzt sind. Im Ich zeichnet sich die unabhängige und zugleich beschränkte Tätigkeit durch „Spontaneität“, „Absolutheit“ und eine gewisse „Grundlosigkeit“ aus; das Ich weiß sich selbstbezüglich als setzend, wenn in ihm eine unabhängige Tätigkeit gesetzt wird. Dagegen ist die beschränkte und zugleich unabhängige Tätigkeit im Nicht-Ich in gewissem Sinne „vermittelter“, denn das Ich ist der Idealgrund dafür, dass dem Nicht-Ich eine Tätigkeit zugeschrieben werden kann. Die unabhängige Tätigkeit im Ich steht außerdem in einem Wechsel mit abhängigen Tätigkeiten im Ich, und sie steht in einem Wechsel mit anderen synthetischen Tätigkeiten des Ich, wie der Kausalität und der Substantialität. Deswegen kann diese unabhängige Tätigkeit im Ich als „absolute Tätigkeit, die einen Wechsel bestimmt“ (81/FW I, 160) spezifiziert werden. Bringt man diese Tätigkeitsstruktur, die aus einem in den Wechsel von Zuständen des Ich integrierten autonomen Handeln folgt, auf einen Begriff, dann ist dies die „Einbildungskraft“ (a.a.O.). Gegen den dogmatischen Idealismus und den dogmatischen Realismus stellt Fichte in der Nachfolge Kants seinen kritisch-praktischen Idealismus (vgl. 77/FW I, 156), der eine Synthese beider Systeme ist, die die sinnvollen Aspekte beider Denkwege kombiniert und das Widersprüchliche ausklammert. Rein theoretisch lässt sich nämlich der Streit um die Vorherrschaft von Ding oder Subjekt in der Frage nach der Entstehung der Erfahrung nicht klären. Dieses Problem löst sich erst im praktischen Verhalten; daher führt Fichte aus, „dass unser Idealismus nicht dogmatisch, sondern praktisch ist, nicht bestimmt, was ist, sondern was sein solle […]. Die verminderte Tätigkeit des Ich muss aus dem Ich selbst erklärt werden; der letzte Grund derselben muss in das Ich gesetzt werden. Das geschieht dadurch, dass das Ich, welches in dieser Rücksicht praktisch ist, gesetzt wird als ein solches, welches den Grund der Existenz des Nicht-Ich, das die Tätigkeit des intelligenten Ich vermindert, in sich selbst enthalten solle; eine unendliche Idee, die selbst nicht gedacht werden kann, durch welche demnach das zu Erklärende nicht sowohl erklärt, als vielmehr gezeigt wird, dass und warum es nicht zu erklären sei; der Knoten nicht sowohl gelöst, als in die Unendlichkeit hinaus gesetzt wird“ (77/FW I, 156). Das wirft ein klärendes Licht auf Fichtes Gesamtkonzeption: Sein Idealismus ist kritisch, weil er nicht ontologisch erklärt, was ist, und er ist praktisch, weil er die Lösung der Widersprüche des Ich letztlich aus dessen konkreten Handlungen herleitet. Die konkreten Handlungen sind immer endliche, begrenzte und daher solche, die eine Verminderung der Tätigkeit

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bereits voraussetzen, daher entsteht das Postulat, dass sich das Ich alle Handlungen selbst zuschreiben können soll. Das Ich ist daher nicht der Grund für die Existenz des Nicht-Ich, aber es soll der Grund für die Existenz des Nicht-Ich und es soll der Grund für seine eigene Tätigkeitsverminderung sein. Das heißt, das Ich soll nicht fremdbestimmt, sondern autonom sein. Das von Fichte selbst eingeräumte Erklärungsdefizit ist kein Fehler seiner Theorie, sondern eine notwendige Grenze des Erklärbaren, die eben die „kritische Position“ auszeichnet. Die Anmaßung, aus menschlicher Perspektive absolut erklären zu können, was ist, fällt weg bzw. sie wird als Hypostasierung eingeklammert. Der oben genannte zweite Satz besagte: „Durch eine unabhängige Tätigkeit wird ein Wechsel-Tun und Leiden bestimmt“. (81–86/FW I, 160–165) In dem Kontext der Untersuchung dieses Satzes versucht Fichte, die Bedeutung und die Struktur der unabhängigen Tätigkeit weiter zu verdeutlichen. Es ist zu untersuchen, was bei der Wechselwirkung den Wechsel bzw. den Übergang von Tätigkeit zu Leiden zwischen Ich und NichtIch ermöglicht. Dies wird hinsichtlich der beiden spezifischen Formen der Wechselbestimmung – Kausalität und Substantialität – untersucht. Nun konstatiert Fichte, dass der Wechsel zwischen Tätigkeit und Leiden in Kausalität und Substantialität bereits eine unabhängige Tätigkeit voraussetzt, es ist in dieser Perspektive also die unabhängige Tätigkeit, die den Wechsel/Übergang ermöglicht. Es ist daher zu klären „wie“ der Wechsel vermittels der unabhängigen Tätigkeit jeweils motiviert wird. Der Wechsel von Tätigkeit und Leiden bei der Kausalität besteht – wie gesehen – darin, dass das Ich in sich ein Leiden setzt, aufgrund dessen es eine Tätigkeit in das Nicht-Ich setzt. Reduziert man diesen Sachverhalt auf seine wesentliche Struktur, dann zeigt sich, dass es sich um ein „Setzen durch ein NichtSetzen“ (83/FW I, 162) handelt: Weil das Ich sich Tätigkeit abspricht, ist es in der Lage, sie dem Nicht-Ich zuzusprechen; d.h., das Ich überträgt Handlungsquanten. Es ist eine vom Nicht-Ich unabhängige Leistung des Ich, Tätigkeitsquanten zu übertragen. Es kann nicht so sein, dass die Übertragung dieser Handlungsquantitäten schon durch das Nicht-Ich kausal bestimmt wäre, denn dann würde Kausalität durch Kausalität entstehen und man hätte einen fehlerhaften Zirkel vorliegen. Daher muss die Leistung der Übertragung eine der Kausalität vorgängige und insofern vom Nicht-Ich unabhängige Tätigkeit sein (vgl. 83/FW I, 162 f.). Diese „Übertragung“ (a.a.O.) ist nicht nur einerseits eine selbständige Leistung des Ich, sondern auch die Voraussetzung dafür, dass das Nicht-Ich und das Ich überhaupt zueinander in die Relation der Kausalität treten können. Die Übertragung ist die für die Kausalität spezifizierte unabhängige Tätigkeit: ihre reine (und abstrakte) Struktur besteht in einem Setzen vermittels eines NichtSetzens. Das ist eine Struktur, die sich in jedem bestimmten Wissensvoll-

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zug des menschlichen Geistes findet und die somit ganz fundamentale Bedeutung hat. Sie findet sich z. B. in jeder Affektion und in jeder Sinnesempfindung, bei der wir uns als durch Äußeres bestimmt und begrenzt betrachten. Es ist eine aktive Leistung des Ich sich als leidend zu setzen und diese Aktivität besteht in der Übertragung. Hinsichtlich der Substantialität führt Fichte einen strukturell gleichen Gedankengang durch. Bei der Substantialität ist die Frage offen, wie das Unbegrenzte (absolute Totalität aller Realität/Tätigkeit) mit dem Begrenzten (begrenztes Handlungsquantum im Ich, das damit zum Akzidenz wird) wechseln kann. In der Substantialität wird – wie gesehen – vermittels des als Totalität aller Realität/Tätigkeit gesetzten Ich (Substanz) ein begrenzt tätiges Ich (Akzidenz) gesetzt. Dadurch, dass sich das Ich als Totalität (Unbegrenztes) setzt, erfolgt eine Begrenzung, d. h., dass sich das Ich als etwas Eingeschränktes setzen kann, als etwas, das etwas anderes nicht ist. Wenn man dies auf seine reine Struktur hin reduziert, dann handelt es sich – in struktureller Umkehrung zur Kausalität – um „ein Nicht-Setzen [Ich als begrenztes Akzidens; Einf. R. S.] vermittels eines Setzens [Ich als Substanz; Einf. R. S.]“ (84/FW I, 164). Das Setzen ist die Bedingung dafür, dass ein Nicht-Setzen stattfinden kann. Bringt man diese Tätigkeitsstruktur auf einen Begriff, dann kann man sie als „Entäußerung“ (85/FW I, 165) bezeichnen. Es handelt sich insofern um eine Entäußerung, als das Ich aus sich selbst als der Totalität aller Realität eine besondere, eingeschränkte Realität heraussetzt, herausstellt. Bei der Entäußerung wird ein Teil aus dem Totum ausgeschlossen, das verglichen mit dem Totum den Mangel aufweist, weniger als das Ganze zu sein, weil es bloß ein Teil von ihm ist. Diese Tätigkeit des Heraussetzens bzw. Herausstellens ist die Voraussetzung dafür, dass die Bestimmung der Substantialität geschehen kann, denn der sich in der Substantialität ereignende Wechsel zwischen Tätigkeit und Leiden, kann sich nur vollziehen, wenn überhaupt ein Leiden aus der Tätigkeit herausgesetzt, herausgestellt wird. Die Tätigkeit muss sich selbst transzendieren, um den Wechsel von Tätigkeit und Leiden zwischen Substanz und Akzidenz zu ermöglichen. Daher ist die Tätigkeit der Entäußerung vorgängig zur Substantialität und von dieser unabhängig. In diesem Kontext der Entäußerung taucht erstmalig in der Grundlage die Bestimmung des „Objekts“ mit einer terminologischen Bedeutung auf: „Der aufgezeigten Tätigkeit des Entäußerns muss ein Leiden entgegengesetzt sein; und so ist es allerdings, nämlich ein Teil der absoluten Totalität wird entäußert; wird gesetzt, als nicht gesetzt. Die Tätigkeit hat ein Objekt; ein Teil der Totalität ist dieses Objekt.“ (86/FW I, 165) Das „Objekt“ besteht auf dieser noch rudimentären Ebene in einem der tätigen Entäußerung korrelierten Leiden. In der Heraussetzung, Entäußerung geschieht es dem Ich, dass ein Teil von seiner Handlungstotalität abgeteilt

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und der Totalität damit entgegengesetzt wird. In diesem entäußernden und heraussetzenden Geschehen erlebt sich das Ich als passiv; in diesem Sinne einer vom Ich erlebten Passivität ist wohl Fichtes zweimalige Hervorhebung des „wird“ durch Kursivierung zu deuten. Das „Objekt“ ist ein vom Ich als Totum getrennter, entgegengesetzter und entäußerter Teil der Handlung. Dieser Handlungsteil kann sowohl als im Ich selbst befindlich angesehen werden oder auch als im Nicht-Ich befindlich. Beides ist möglich. Ist der entäußerte Handlungsteil ichimmanent, dann verobjektiviert sich das Ich selbst; das geschieht z. B. in jeder Selbstreflexion, bei der sich das Ich selbst betrachtet und somit selbst verobjektiviert. Umgekehrt kann der entäußerte Handlungsteil aber auch dem Nicht-Ich zugeschrieben werden und dann handelt es sich um ein externes Objekt. Welche der beiden Verobjektivierungsarten im Einzelfall zu erfolgen hat, kann auf dieser rudimentären Ebene zwar noch nicht entschieden werden, aber der für jeden Objekttypus grundlegende Akt der Entäußerung ist abgeleitet. Daraus folgt noch keine inhaltliche Bestimmung dessen, was das Objekt ist, denn es ist nur im wechselseitigen Bezug auf das Subjekt bestimmt. Objekt ist zunächst nur als das zu bestimmen, was nicht Subjekt ist, weil dieses etwas aus sich herausgesetzt hat: „Also Subjekt ist das, was nicht Objekt ist und weiter hat es bis jetzt kein Prädikat; und Objekt ist das, was nicht Subjekt ist, und weiter hat es bis jetzt auch kein Prädikat.“ (109/FW I, 189) Sofern man von einem Ich oder Nicht-Ich als solchen Entitäten spricht, die nicht im Bezug aufeinander stehen, sind diese nicht als „Subjekt“ oder „Objekt“ zu bezeichnen. Das Nicht-Ich des zweiten Grundsatzes ist also kein Objekt; das Ich des ersten Grundsatzes kein Subjekt. Aufgrund dieser Äußerung Fichtes lässt sich zwischen dem Ich und dem Subjekt unterscheiden: Subjekt ist diejenige spezifische Form von Selbstbewusstsein, die sich ausschließlich in Abgrenzung von einem Objekt gegenüber bestimmt und das Ich ist ein Oberbegriff von Selbstbezüglichkeit, der auch solche Formen umfasst, die nur in Bezug auf sich gesetzt sind (z.B. das absolute Ich der Tathandlung). „Übertragung“ und „Entäußerung“ sind die beiden unabhängigen Tätigkeiten des Ich, die Kausalität und Substantialität ermöglichen. Im Gefüge der Synthesis E, leitet Fichte im Zuge der Vereinigung von unabhängiger Tätigkeit mit der Wechselbestimmung (bzw. mit den spezifischen Wechselbestimmungen Kausalität und Substantialität) noch weitere Tätigkeiten des Bewusstseins ab, die in einem Wechselspiel zwischen Tätigkeit und Leiden bestehen. Dies sind: a) das „Übergehen“ (vgl. 81 u. 87/FW I, 160f. u. 167), b) das „Eingreifen“ (dies bezeichnet eine Art von Entschluss des Bewusstseins, in dem Wechsel von Tätigkeit und Leiden einen Einschnitt zu machen; vgl. 89f./FW I, 168f.),

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c) ein „Entstehen durch Vergehen“ bzw. wie Fichte diese Bewusstseinstätigkeit auch nennt: „Werden durch Verschwinden“ (hiermit wird die Verdrängung von einer Bewusstseinstätigkeit durch eine andere beschrieben; vgl. 99/FW I, 179; dies hat wohl auch auf Hölderlin sehr inspirierend gewirkt, wie seine in den Umkreis der Empedokles-Tragödie gehörende Abhandlung Das Werden im Vergehen zeigt),111 d) ein „wesentliches Entgegensein“ (dieses erfolgt aus einer qualitativen, nicht bloß quantitativen Inkompatibilität von tätigem und leidendem Bewusstsein, Fichte bezeichnet es auch als Handlung zwischen „essentialiter opposita“. Hierbei besteht das Wesen eines Relatums ausschließlich in der Negation des Entgegengesetzten A = ¬B und B = ¬A, dabei haben die Wechselglieder kein anderes Sein außerhalb des Wechsels und diese ausschließliche Bezogenheit auf das je andere ist es, das ihnen beiden gemeinsam ist; vgl. 100/FW I, 179f.) und e) ein „mittelbares Setzen“ bzw. „vermitteltes Beilegen“ (dies ist eine rein synthetische Einheit, d. h., jedes Relatum wird nur durch das zuvor genannte „wesentliche Entgegensein“ gesetzt, d. h., A ist genau nur dann gesetzt, wenn es als ¬B und B ist genau nur dann gesetzt, wenn es als ¬A gesetzt wird. Keines der beiden Relata wird mehr direkt gesetzt, sondern nur noch über die Negation des konträr Opponierten; d.h., das A wird als eine Negation, als ein Nicht-Setzen gesetzt und umgekehrt gilt dasselbe für das B; das Setzen einer Realität geschieht genau dadurch, dass diese Realität eigentlich nicht gesetzt wird, denn eigentlich liegt zwischen den beiden Relata ein Oszillieren von gesetzter NichtRealität vor; in der Gleichung A = ¬B liegt nun also die Betonung nicht mehr auf dem Gesetztsein des A, sondern auf dem Gesetztsein des ¬B (vgl. 101 f./FW I, 181 f.). Diese Konzeption reiner Relationalität weist bereits auf die Relationsbestimmungen von Identität-Nichtidentität, Positivem-Negativem, Unterschied, Gegensatz und Widerspruch am Anfang von Hegels Wesenslogik aus der Wissenschaft der Logik voraus.112 Dieser entwirft ebenfalls, dass die Bestimmungen des Wesens reine Relationen sind, die eigentlich nicht einmal ein Relatum enthalten), f) ein „Ausschließen“ (dies ist eine Handlungsstruktur, die sich bei der Kategorie der Substantialität zeigt, dort wird das Akzidenz von der Totalität der Substanz ausgeschlossen; vgl. 110 ff./FW I, 191 ff.). D. h., es gibt ein Ausgeschlossenes, welches dadurch eine Negation bildet, dass das Akzidenz eine Nichtsetzung ist, die durch eine Affirmation erreicht wird. Die Affirmation bezeichnet die für die Substanz als eine umfassende Totalität charakteristische Setzung; diese Totalität oder Affirmation ist die Substanz; die Substanz ist also das Ausschließende. Der Akt der Ausschließung besteht dann darin, dass ein Teil als außerhalb der

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Sphäre der zunächst gesetzten Totalität gesetzt wird. Das impliziert wiederum, dass es eine Totalität und Ausgeschlossenes umfassende höhere Totalität geben muss, da es sonst kein Gegenüber von Ausschließendem und Ausgeschlossenem geben könnte. Wird die Wechselbestimmung unter dem Gesichtspunkt des Wechselverhältnisses von Substanz und Akzidenz betrachtet, dann ist eine Ausschließung zu vollziehen, um das Akzidenz setzen zu können. Das Ausschließen bildet auch eine konstitutive Handlungsweise für die Entstehung von Subjekt und Objekt, denn das Objekt ist das vom Subjekt vermittels einer Affektion aktiv Ausgeschlossene; so argumentiert der quantitative Idealismus. Diese Argumentation kann auch umgekehrt werden: Das Subjekt ist das vom Objekt Ausgeschlossene, denn wo das Objekt eine Affektion des Subjekts setzt, ist das Subjekt nicht in der Lage, sich als Ausgangspunkt der Affektion zu setzen, sondern es bedarf dazu eines Objekts; so würde ein qualitativer Realismus argumentieren (vgl. 113 f./FW I, 193 f.). Da es sich bei der Substantialität um eine Wechselbestimmung handelt, ist wesentlich, dass die Totalität durch ihren Bezug zum Ausgeschlossenen konstituiert wird, denn ohne Ausgeschlossenes wäre das Ausschließende kein solches und umgekehrt ist auch das Ausgeschlossene auf das Ausschließende angewiesen, weil es sonst nicht ein von etwas Ausgeschlossenes wäre; beide Relata sind einander wesentlich; daher äußert Fichte den Hegels Wesenslogik vorwegnehmenden Satz: „absoluter und relativer Grund der Totalitätsbestimmung sollen Eins und ebendasselbe sein; die Relation soll absolut, und das Absolute soll nichts weiter sein, als eine Relation“ (118/FW I, 199). Die ausschließende Substanz ist das „Bestimmbare“, weil in dieser umfassenden Totalität alle Bestimmungen enthalten sind und daraus eine gewisse Potentialität folgt, die sich daraus ergibt, dass in dieser umfassenden Einheit noch keine aktuelle Ausschließung eines einzelnen Akzidenz stattgefunden hat. Wären die einzelnen Bestimmungen schon in ihrer substantiellen Einheit vollständig aktuell, wie sie es in der Vereinzelung ihrer akzidentellen Verwirklichung sind, dann müssten in der substantiellen Einheit aller Bestimmungen auch einander ausschließende Bestimmungen aktuell vorhanden sein, was einen undenkbaren Widerspruch bildete. Dagegen ist das ausgeschlossene Akzidenz das „Bestimmte“, denn es ist das durch Bestimmungsund Ausschließungsakt der Substanz Eingegrenzte. Die Wechselbestimmung der Substantialität als ganzer besteht darin, Bestimmtes und Bestimmbares zu synthetisieren, und diese höhere Einheit ist dann eine Substanz zweiter, umfassenderer Ordnung. Durch das Setzen dieser höheren Totalität wird der Status der zuvor auf erster Stufe als Substanz gesetzten Totalität als ein bloß „Bestimmbares“ wieder bestätigt, denn

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nun ist die höhere Totalität das Bestimmte und die zuerst gesetzte Totalität erweist sich als ein bloß potentiell Bestimmbares; die höhere Einheit ist bestimmt, da sie eine Synthesis aus Bestimmbarem und Bestimmtem darstellt (vgl. 120f./FW I, 200f.)), g) ein „Zusammenfassen und Festhalten/Zusammentreffen Entgegengesetzter“ (aus den beiden Handlungsweisen „Zusammenfassen“ und „Festhalten“ ergibt sich im Rahmen der Substanz-Kategorie die „Bestimmbarkeit“ also ein der Möglichkeit nach Bestimmtes: „Die Tätigkeit, als synthetische Einheit, wird am kürzesten beschrieben durch ein absolutes Zusammenfassen und Festhalten Entgegengesetzter, eines Subjektiven und Objektiven, in dem Begriffe der Bestimmbarkeit, in welchem sie doch auch entgegengesetzt sind.“ (124/FW I, 205) Das Zusammenfassen und Festhalten sind Tätigkeiten der „Einbildungskraft“, diese tritt dann in Tätigkeit, wenn Subjekt und Objekt nicht nur als einander ausschließende gesetzt werden – wie durch die Tätigkeiten zuvor –, sondern wenn sie trotz ihrer Entgegensetzung auch nebeneinander bestehen sollen. In den vorangehenden Tätigkeiten ist gesetzt, dass immer, wenn Subjektivität gesetzt ist, die Objektivität aufgehoben ist, und umgekehrt, wenn Objektivität gesetzt wird, die Subjektivität aufgehoben wird. Darin ist aber impliziert, dass beide auch aufeinander angewiesen sind (kein Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt). Subjekt und Objekt müssen auch gemeinsam gesetzt sein, denn eine Antithesis ist ohne Synthesis undenkbar. Deswegen muss es die spezifische Tätigkeit des „Zusammenfassens und Festhaltens Entgegengesetzter“ geben (vgl. 126/FW I, 206 f.). Die Einbildungskraft ist daher notwendigerweise als das Vermögen anzunehmen, absolut Entgegengesetzte gemeinsam zu setzen. Die Einbildungskraft hat im Zentrum des Widerspruchs ihren Wirkungskreis. Wenn Entgegengesetzte, die sich zwar einerseits ausschließen, andererseits aber auch, um gesetzt werden zu können, einander bedürfen, als nebeneinander bestehend gesetzt werden, dann muss es auch einen Punkt geben, an dem die Entgegengesetzten sich treffen; ein „Zusammentreffen“ der Entgegengesetzten ist also zu denken. Damit ist das „Eingreifen/Zusammentreffen“ (vgl. 127/FW I, 207) Entgegengesetzter abgeleitet). Daraus folgt ein vertieftes Verständnis der Grenze: Der Punkt (Z), an dem zwei völlig Entgegengesetzte (A und B) zusammentreffen und ineinander eingreifen, kann auf zwei Weisen vorgestellt werden, entweder wird gedacht, dass er weder das eine noch das andere ist (weder A noch B), dann wird er als Leere oder als „Lücke“ gedacht; oder er wird gedacht, als sowohl das eine wie auch das andere (A und B) enthaltend; sozusagen als ein „erfülltes Und“. Über den Eingriffspunkt des Zusammenfassens als Leistung der Einbildungskraft sagt Fichte deswegen: „Aber ich kann

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ebensowohl sagen: es ist in ihm beides, denn wenn zwischen A und B keine Lücke ist, so ist auch zwischen Licht und Finsternis [dies ist Fichtes Beispiel für absolut Entgegengesetzte; Einf. R. S.] keine Lücke, mithin berühren sie sich beide in Z unmittelbar. – Man könnte sagen, ich dehne in der letztern Folgerungsart Z, das nur Grenze sein sollte, durch die Einbildungskraft selbst zu einem Momente aus; und so ist es allerdings. (Die Momente A und B sind selbst auf keine andere Art entstanden, als durch eine solche Ausdehnung vermittels der Einbildungskraft.) Ich kann demnach Z durch die bloße Einbildungskraft ausdehnen; und muss es, wenn ich mir die unmittelbare Begrenzung der Momente A und B denken will – und es ist hier zugleich ein Experiment mit dem wunderbaren Vermögen der produktiven Einbildungskraft in uns angestellt worden […] ohne welches gar nichts im menschlichen Geiste sich erklären lässt – und auf welches gar leicht der ganze Mechanismus des menschlichen Geistes sich gründen dürfte.“ (127/FW I, 208) Das Wort „Mechanismus“ ist nicht überzubewerten, denn Fichte hat sicherlich keine mechanistische Sicht des menschlichen Geistes, sondern eher eine organische. Die Einbildungskraft als Fundamentalvermögen des Menschen ist produktiv, weil sie Ausdehnung (auch als Grundlage für Zeitlichkeit und Räumlichkeit) hervorbringt. Das geschieht offensichtlich, indem einander absolut Entgegengesetztes in einem Punkt vereinigt wird, der sich durch die Vereinigung von einander Abstoßendem ausdehnt und sich damit zunächst zum Moment macht. Dann stellt sich heraus, dass auch die zuvor gesetzten A und B für sich bereits einander wesentlich Entgegengesetzte sind, also auch schon jeweils des anderen zu ihrer Setzung bedurften und deswegen auch immer schon zugleich mit dem jeweils Entgegengesetzten gesetzt gewesen sein mussten, woraus folgt, dass eigentlich auch in ihnen das Eingreifen schon statthatte und auch sie nur deswegen als erfüllte Momente zu denken waren, weil die Ausdehnung vom Punkt zum Moment durch das Zusammenfassen der Einbildungskraft auch dort schon erfolgt war. Daraus ergibt sich die Kontinuität des Bewusstseinsstroms. Dass es sich überhaupt beim Bewusstsein um einen Strom handelt und nicht um einzelne hintereinander angefügte für sich vereinzelte, nivellierte Punkte, ist eine Leistung der den Punkt des Aufeinandertreffens von einander Widersprechenden dehnenden Einbildungskraft. – Die Entgegengesetzte zusammenfassende Tätigkeit der Einbildungskraft ist die transzendentalphilosophische Erklärung für das, was Husserl später als das innere Zeitbewusstsein mittels der strukturellen Einheit von Impression, Protention und Retention als Kontinuum des Zeitablaufs beschreiben wird.113 – Ein „mittelbares Setzen“ (in der hier vorgenommenen Untergliederung e) liegt nach Fichte z. B. in der Relation von Ich und Nicht-Ich in der Kausalität vor: „Das Ich … kann auf das Nicht-Ich bloß dadurch Realität über-

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tragen, als es dieselbe in sich nicht setzt; und umgekehrt in sich nur dadurch Realität übertragen, dass es dieselbe in das Nicht-Ich nicht setzt.“ (103/FW I, 183) Bei der Kausalität ist es also das Besondere, dass auch diejenige Realität, die sich das Ich selbst zuschreibt, bloß eine mittelbar gesetzte ist. Um sich selbst Realität in der Kausalität zuzuschreiben, bedarf das Ich des Nicht-Ich. Die kausale Realität, die sich das Ich zuschreibt, ist deswegen bloß eine indirekte und keine einfache oder unmittelbare Selbstbezüglichkeit. Bei dem mittelbaren Setzen der Kausalität wird von dem absoluten Setzen, das die Voraussetzung für das mittelbare Setzen ist, künstlich abstrahiert, um spezifisch das Sich-ins-Verhältnis-Setzen von Ich und Nicht-Ich hervorzuheben (vgl. 108/FW I, 188). Diese Typologie von a) bis g) resultiert aus auf den Begriff gebrachten Strukturen der Bewusstseinstätigkeit, die von Fichte im Rahmen der Synthesis E aus einer hochkomplexen und wahrscheinlich nicht zu entwirrenden Verbindung von Tätigkeit und Leiden gefolgert werden. Fichte erschließt jeweils neue Tätigkeiten als Voraussetzungen für das Gelingen einer Synthesis von unabhängiger Tätigkeit und Wechselbestimmung in entweder formaler oder materialer Hinsicht. Dies geschieht nach demselben Verfahren von formaler und materiell/inhaltlicher Hinsichtenunterscheidung, wie es bereits bei den ersten drei Grundsätzen in Anwendung war, die auch jeweils als entweder der Form oder dem Gehalt nach bedingt oder als unbedingt untersucht worden sind, nur dass innerhalb der Synthesis E jeweils neue Synthesen aufgedeckt werden, die in der Synthese der Wechselbestimmung enthalten sind; so dass es sich um Synthesen in einer Synthese handelt.

b) Idealismus und Realismus in der Synthesis E – Subjekt, Objekt, mittelbares Setzen, Anstoß, Zeit und Einbildungskraft (66–137/FW I, 145–217) Insbesondere das „mittelbare Setzen“, das aus dem „wesentlichen Entgegensein“ als ein charakteristisches Strukturmerkmal des Bewusstseinslebens folgt, lässt Fichte „einen neuen, noch abstraktern Idealismus“ (104/FW I, 184) in den Blick fassen. Aus dem mittelbaren Setzen von Tätigkeit und Leiden folgt in der Übertragung auf Ich und Nicht-Ich bzw. in der Übertragung auf Subjekt und Objekt das „Gesetz des Bewusstseins“: „Die Mittelbarkeit des Setzens (wie sich inskünftige zeigen wird, das Gesetz des Bewusstseins: kein Subjekt, kein Objekt, kein Objekt, kein Subjekt), und sie allein begründet das wesentliche Entgegensein des Ich und Nicht-Ich, und dadurch alle Realität des Nicht-Ich sowohl, als des Ich – inwiefern die letztere eine bloß als gesetzt gesetzte, ideale sein soll; denn die absolute bleibt

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dabei unverloren; sie ist im Setzenden.“ (103/FW I, 183) Mit dem letzteren ist gemeint, dass die Tathandlung des „Ich bin Ich“ aus dem ersten Paragraphen durch das indirekte Setzen nicht betroffen ist, denn das Ich im ersten Grundsatz ist ein unmittelbar gesetztes, das nicht mit dem Maßstab der Kausalität bewertet werden darf. Das mittelbar gesetzte Ich ist ein völlig anderer Typus von Selbstbeziehung als das Ich der Tathandlung. An dem Zitat wird deutlich, dass innerhalb des von Fichte entworfenen Idealismus der Elementarsatz des Bewusstseins, wie ihn Reinhold formuliert hatte, eigentlich erst im Gefüge der vertieften Kausalitätsuntersuchung seinen eigentümlichen Ort zugesprochen bekommt. Subjekt und Objekt sind in ihrer strengen terminologischen Bedeutung für Fichte reine Relationsbegriffe. Dabei wird die mittelbare Realität, die dem Subjekt nur aufgrund einer Realitätsverminderung des Objekts zuzusprechen ist, als eine „Als-ob-Setzung“ gedeutet, weil das kausal bestimmte, endliche Ich nur als der Idealgrund für die Tätigkeit des Nicht-Ich gesehen wird und das Nicht-Ich als Realgrund der Tätigkeitsverminderung im Ich. Der daraus folgende „neue und abstraktere Idealismus“ ist also ein Idealismus des „als ob“. Der früher schon betrachtete Idealismus (Berkeley, Leibniz), war ein dogmatischer und qualitativer, denn er leitete alle Vorstellungen ausschließlich aus der Qualität des Geistes bzw. des Ich her. Der neue, abstraktere Idealismus leitet sie sowohl aus dem Ich als auch aus dem NichtIch in Bezug auf jeweils durch das Entgegengesetzte vermittelte Bestimmungen ab. Daher ist dieser Idealismus auch abstrakter: Er setzt hinsichtlich der Entstehung von Bewusstsein und Erfahrung nicht mehr die unmittelbare Realität eines Prinzips an, sondern er beschränkt sich auf eine oszillierende Vermittlung. Es handelt sich um einen „quantitativen Idealismus“ (vgl. 105/FW I, 185), weil sein Zentrum in der mittelbaren und quantitativen Wechselwirkung von Ich und Nicht-Ich besteht; also darin, dass sowohl Ich als auch Nicht-Ich teilbar, d.h. quantifizierbar sind. Ein interessantes Phänomen ist zu beobachten, denn verschiedene Typen von Idealismus widerlegen sich gegenseitig: Der quantitative Idealismus widerlegt den dogmatischen Idealismus, der von einer Ausschließlichkeit und einfachen Unmittelbarkeit der Realität des Ich ausging (vgl. 104/FW I, 184f.). Nach dem quantitativen Idealismus gibt es ausschließlich ein teilbares, endliches Ich. Diese Ausschließlichkeit des quantifizierbaren und mittelbar gesetzten Ich im quantitativen Idealismus deutet Fichte als eine Verabsolutierung und Hypostasierung der Endlichkeit. Daraus folgert Fichte zugleich eine wesentliche Kritik am quantitativen Idealismus, der zwar zu Recht darauf insistiert, dass das absolute Ich nicht allein die Wirklichkeit konstituieren kann, dazu ist auch noch ein Nicht-Ich notwendig; der aber dennoch den Fehler macht, die Vorgängigkeit eines absoluten

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Ich vor dem endlichen Ich zu übersehen, dieses ausstreicht und statt dessen das endliche Ich zum Ersten, zum Prinzip und damit zum Absoluten macht. Der quantitative Idealismus hat deswegen „absolute Endlichkeit“ zu seinem Prinzip und diese „ist ein sich selbst widersprechender Begriff“ (105/FW I, 185), weil die Endlichkeit gerade ihr Wesen darin hat, eine Pluralität von miteinander in Beziehung stehenden und begrenzten Elementen zu bilden. Diese Begrenztheit setzt aber ein Unbegrenztes voraus, das diese Begrenzungen setzt; eine sich selbst setzende Begrenztheit führt zu einem Widerspruch, weil sie einen fehlerhaften Zirkel impliziert, denn wenn sich ein abhängiges Setzendes selbst setzt, dann ist es doch nur von sich selbst abhängig und nicht mehr von etwas ihm gegenüber anderem, zu dem es in Relation treten könnte. Damit nimmt Fichte eine Kritik am endlichen Idealismus vorweg, die später von Hegel prominent vertreten wird. Hegel wendet sich mit seiner Kritik jedoch gerade gegen den kritisch-praktischen Idealismus Fichtes, der in Hegels Sicht ein bloß subjektiv bleibender Idealismus im Fahrwasser Kants ist und nicht zum subjektiv-objektiven Idealismus durchdringe. So brandmarkt Hegel schon in seinen kritischen Schriften aus der frühen Jenaer Zeit und ebenfalls später Fichte als bloßen Reflexionsphilosophen, der die Absurdität begeht, die Endlichkeit absolut zu setzen.114 Fichte selbst wirft dem quantitativen Idealismus ein widersprüchliches Prinzip vor, wenn dieser das Endliche absolut setzt. Dem entgeht Fichte jedoch in seinem eigenen Entwurf, indem er mit dem absoluten Ich des ersten Grundsatzes die reine Selbstbezüglichkeit als ein Prinzip aufstellt, dem nichts entgegengesetzt ist; das daher konsequenterweise aber auch inhaltlich unbestimmt bleiben muss. Dies kritisiert Hegel allerdings auch, nämlich als eine abstrakte Leere, die eines Prinzips nicht würdig ist. Analog zum quantitativen Idealismus muss es auch einen quantitativen Realismus geben, der wiederum den qualitativen Realismus aufhebt (vgl. 107/FW I, 187). Hier zeigt sich also analog zu den verschiedenen Idealismustypen, dass sich auch die verschiedenen Realismustypen gegenseitig aufheben. Betonte der quantitative Idealismus das Ich als Idealgrund für Vorstellungen und das Nicht-Ich als Realgrund, der aber vom Ich gesetzt werden muss, so betont umgekehrt der quantitative Realismus das NichtIch als Realgrund und erkennt an, dass es, um eine Vorstellung entwickeln zu können, eines Ich als des Idealgrundes bedarf. Damit sagen quantitativer Realismus und quantitativer Idealismus eigentlich genau dasselbe, nur aus verschiedenen Perspektiven und mit verschiedenen Prävalenzen. Der quantitative Realist nimmt ein externalistisch vorhandenes Nicht-Ich an, das einen Eindruck auf das Ich ausübt und damit dessen Tätigkeit einschränkt (vgl. 105/FW I, 185). Insofern ist der quantitative Realist der Überzeugung, dass sich der Eindruck des Nicht-Ich auf das Ich gemäß der

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Kausalität und gemäß dem Satz vom Grund ereignet, der wiederum als Leistung des Ich (insofern ist es Idealgrund für die Vorstellung) anzusehen ist. Das klärt auf, wie die Einschränkung des Ich geschieht, aber dass die Einschränkung geschieht, ist nach Annahme des quantitativen Realisten ein pures Faktum, welches das Ich nur konstatieren aber nicht mehr konstruieren kann. Hier ist also die in der aktuellen analytischen Philosophie noch bei Sellars, Davidson, Brandom und McDowell so umstrittene und bekämpfte These vom „Mythos des Gegebenen“ innerhalb der Philosophie Fichtes zu verorten. Ein quantitativer Realist entwirft eine unhinterfragbare Gegebenheit: „Es ist eine Bestimmung im Ich da, deren Grund nicht in das Ich zu setzen ist; das ist ihm [dem quantitativen Realisten; Einf. R. S.] Faktum: über den Grund derselben an sich ist ihm die Untersuchung abgeschnitten, d.i. sie ist für ihn schlechthin und ohne allen Grund da. Er muss allerdings nach dem in ihm selbst liegenden Gesetze des Grundes dieselbe auf etwas im Nicht-Ich, als Realgrund, beziehen; aber er weiß, dass dieses Gesetz bloß in ihm liegt, und wird dadurch nicht getäuscht. Es fällt sogleich jedem in die Augen, dass dieser Realismus kein anderer ist, als der oben unter dem Namen des kritischen Idealismus aufgestellte Idealismus, wie denn auch Kant keinen anderen aufgestellt hat“ (105/FW I, 185). Der quantitative Realist und der quantitative Idealist unterscheiden sich nur hinsichtlich einer Betonungsnuance innerhalb des Gesamtzusammenhangs der mittelbaren Setzung: der quantitative Idealist geht von der begrenzten, aber aktiven Setzung des Ich aus und der quantitative Realist geht von dem Leiden im Ich aus (vgl. 110/FW I, 190). Der quantitative Idealismus ist identisch mit dem quantitativen Realismus, es sind die zwei Seiten derselben Münze. In diesem Sinne vertritt Kant in der Kritik der reinen Vernunft hinsichtlich der synthetischen Erkenntnis eine doppelte Strategie, die darin besteht, dass er gleichermaßen einen empirischen Realismus vertritt (es muss das gegebene Mannigfaltige der Sinnlichkeit als Inhalt der Erkenntnis vermittelt durch die Empfindung vorhanden sein, in dieser Hinsicht ist von einer Affektion durch ein „Ding an sich“ auszugehen, wobei dieses „Ding an sich“ nur einen rein gedachten Grenzbegriff markiert, der also eine erkenntnistheoretische Konstruktion ist, damit die Affektion des sinnlichen Subjekts nicht grundlos geschieht) und einen transzendentalen Idealismus geltend macht (es gibt die idealiter im Subjekt konstituierten Formen der Erkenntnis; die beiden Anschauungsformen – Raum und Zeit –, die zwölf Kategorien, die Schemata und die Grundsätze). Dabei geht Kant in seinem Hauptwerk von der transzendentalen Ästhetik aus, in der er zunächst die Idealität von Raum und Zeit als erkenntnisermöglichende, subjektimmanente Formen aufweist, um daraus zu folgern,

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dass die Objekte nicht ausschließlich durch empirische Elemente (sinnliche Empfindungen) konstituiert sein können, sondern, dass es auch ideelle Aspekte in der Konstitution von Objekten gibt, die z. B. darin bestehen, dass Objekte in Raum und Zeit gegeben sind und dass Raum und Zeit von den Objekten möglicher Erkenntnis unabstrahierbar sind. Diese können auch nicht selbst aus der Erfahrung herkommen, weil diese Elemente die Erfahrung allererst möglich machen; diese Elemente müssen also apriori sein. Das meint Fichte, wenn er sagt: „Kant erweist die Idealität der Objekte aus der vorausgesetzten Idealität der Zeit und des Raumes: wir werden umgekehrt die Idealität der Zeit und des Raumes aus der erwiesenen Idealität der Objekte erweisen.“ (106 Anm./FW I, 186 Anm.)115 Damit macht Fichte deutlich, dass sein eigener Idealismus zwar mit demjenigen Kants darin übereinstimmt, dass die Ermöglichung des Objekts in der idealen Konstitutionsleistung des Subjekts begründet ist, aber Fichte schlägt genau den entgegengesetzten Weg zu Kant ein, um dies zu beweisen: Zunächst zeigt er, dass die Bestimmung „Objekt“ eine ideale Leistung des Subjekts ist, und daraus wird dann gefolgert, dass dies impliziert, dass auch das Medium, in dem sich das ideal konstituierte Objekt zeigt, etwas Ideales sein muss, weil Objekt und Erscheinungsmedium homogen zusammenstimmen müssen. Wenn das Objekt eine vom endlichen Ich konstituierte Setzung ist, die ausschließlich in Wechselbestimmung mit dem Subjekt auftreten kann, dann muss auch das Medium, in dem diese ideale Entität erscheint, ideal sein. Somit vermeidet Fichte hinsichtlich von Raum und Zeit, dass diese einfach unabgeleitete Voraussetzungen sind – was bei Kant durchaus der Fall ist, denn nach diesem lässt sich zwar eine apriorische Begriffsanalyse und Strukturbeschreibung von Raum und Zeit geben, aber es lässt sich nicht begründen, weshalb wir ausgerechnet Raum und Zeit als ideale Anschauungsformen der Erscheinungen haben. Fichte will offensichtlich diese Leerstelle der Theorie Kants dadurch ausfüllen, dass er aus der Idealität des Objekts die Idealität von Raum und Zeit ableitet und damit diese beiden in den reinen Formen und Handlungen des Subjekts begründet. „Es bedarf idealer Objekte, um Zeit und Raum zu füllen; wir bedürfen der Zeit und des Raumes, um die idealen Objekte stellen zu können. Daher geht unser Idealismus, der gar kein dogmatischer, sondern ein kritischer ist, um einige Schritte weiter, als der seinige.“ (106 Anm./FW I, 186 Anm.) So wie Fichte diesen Zusammenhang hier verkürzt darstellt, klingt es oberflächlich gesehen nach einem Zirkelschluss: Die idealen Objekte sind Bedingung für Raum und Zeit und umgekehrt sind Raum und Zeit die Bedingung für die idealen Objekte. Fichte meint aber etwas anderes, denn im ersten Teil der Aussage, die herausstellen soll, dass die idealen Objekte Bedingung für Raum und Zeit sind, wer-

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den die idealen Objekte spezifisch als für Raum und Zeit zu deren Erfüllung notwendig bestimmt und im zweiten Teil der Aussage, der Raum und Zeit als Bedingung für die idealen Objekte hervorhebt, geht es spezifisch darum, dass die idealen Objekte, um überhaupt in einer Vorstellung positioniert werden zu können, des Raums und der Zeit bedürfen. Im ersten Teil der Aussage geht es also um den Inhalt einer Vorstellung und im zweiten Teil um die Formstruktur der Vorstellung, innerhalb der ein solcher Inhalt in Relation zu anderen Inhalten verortet wird. Daher behandeln die beiden Aussageteile zwei verschiedene Hinsichten auf die Vorstellung, die sich zwar wechselseitig fordern, aber keinen fehlerhaften Zirkel bilden. Fichtes Kritik an Kant ist, bei aller Harmonisierung, doch deutlich: Kant war nicht konsequent genug: „Die hier aufgestellten und aufzustellenden Prinzipien liegen offenbar den seinigen zum Grunde […] Dass er in seinen Kritiken die Wissenschaft nicht, sondern nur die Propädeutik derselben aufstellen wollte, hat er einigemal gesagt“ (106 Anm./FW I, 186 Anm.). Wenn Fichte den quantitativen Realismus zu widerlegen trachtet, dann wendet sich dies offensichtlich auch gegen den Idealismus Kants, der eine gleichgewichtige Synthese aus transzendentalem Idealismus und empirischem Realismus bildet. Wird eines der beiden Synthesiselemente als fehlerhaft aufgewiesen, dann ist die gesamte Synthese gescheitert. Hier zeigt sich die Radikalität in Fichtes Kant-Kritik. Das Argument gegen den quantitativen Realismus lautet: „nämlich er kann schlechterdings nicht erklären, wie eine reale Bestimmung eine ideale, wie eine an sich vorhandene Bestimmung eine Bestimmung für das setzende Ich werden möge.“ (107/FW I, 187) Dies ist als ein treffendes Argument nicht nur gegen den quantitativen Realismus zu werten, sondern auch gegen den qualitativen Realismus, also gegen den Realismus insgesamt: aus dem An-sich, der Realität lässt sich das Für-sich, die Idealität nicht herleiten; weil die Selbstbezüglichkeit eine grundsätzlich andere Qualität ist, zu der es keinen bloß graduellen Übergang gibt. In dem Übergang vom Nicht-Ich zum Ich ist also eine grundsätzliche Lücke innerhalb des Systems des quantitativen Realismus auszumachen, denn das Für-sich-Sein des Ich lässt sich nicht aus dem Für-anderes-Sein eines Dinges herleiten, das zwar für jedes Nicht-Ich konstitutiv ist, aber eben nicht für ein Ich (vgl. 130f./FW I, 211). So kann z. B. der Materialismus (Heute: der Physikalismus) als eine besondere Form des quantitativen Realismus den Übergang von bio-chemischen Nervenreizungen des Gehirns zu der Idealität, Notwendigkeit und der ausschließlich geistigen Geltung und Bedeutung von Gedanken nicht erklären. Elektrische Impulse von Gehirnzellen z.B. mit der Allgemeingültigkeit des Satzes von Pythagoras zu identifizieren, ist insofern absurd, als physikalische Nervenreizungen eines Gehirns immer nur individuelle Vorkommnisse sind, die keine Allgemeingültigkeit beanspruchen können. Bei

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den unbestreitbarerweise beim Menschen Gedanken begleitenden biochemischen Ereignissen im Gehirn bleibt offen, wie sie ein Für-sich bedeuten können. Es handelt sich um physikalische Vorkommnisse, die zwar für anderes vorhanden sind, aber mit den Mitteln einer bio-chemischen Analyse ist eine selbstbezügliche Bedeutung in diesen Nervenreizungen nicht festzustellen; auf dieser Ebene sind ausschließlich elektrische Impulse zu messen. – Fichtes Argument, dass das Für-sich nicht aus dem An-sich oder auch dem Für-anderes herzuleiten und zu begründen ist, taucht später bei Sartre in derselben Bedeutung wieder auf; Sartre will mit dem Fürsich die besondere Seinsweise des Bewusstseins auszeichnen, gegenüber dem An-sich des unmittelbaren Seins, das eine einfache Selbstgleichheit ohne Unterscheidung und ohne selbstbezügliche Entwicklung ist; das Fürsich bzw. das ursprüngliche Bewusstsein zeichnet sich dadurch aus, dass es es selbst ist, indem es ist, was es nicht ist und nicht ist, was es ist; d. h., das Bewusstsein ist zwar einerseits in eine Faktizität geworfen doch gleichermaßen darüber hinaus, indem es sich auf andere Möglichkeiten hin entwirft.116 – Der quantitative Realismus hat nach Fichte dasselbe Grundproblem wie der quantitative Idealismus, er setzt ein Endliches absolut (vgl. 107/FW I, 187), weil er auch die Wechselbestimmung, genauer die endliche Kausalität absolut setzt, denn die gesetzte Tätigkeit des Nicht-Ich als Realgrund wird nicht von einem absoluten Setzen hergeleitet, sondern nur von dem quantitativ limitierten Setzen eines Leidens im Ich; und auch bei diesem wird nicht hergeleitet, dass der Ursprung dieses Sich-begrenzt-Setzens in einem absoluten Sich-Setzen bestehen muss, sondern es wird wieder auf die entgegengesetzte Seite verwiesen, die besagt, dass eine Tätigkeit des Nicht-Ich der Realgrund für die Leidenssetzung im Ich ist. Diese Erklärungsstrategien von quantitativem Idealismus und quantitativem Realismus haben ihre Berechtigung, um eine wesentliche Struktur der Endlichkeit und des Bewusstseinslebens zu beschreiben, aber sie sind unbefriedigend, weil sie nicht konsequent weiter gehen, bis zu einem absoluten Setzen – eben bis zu der Tathandlung des Ich, dem eigentlichen Ursprung des Für-sich. Diese beiden philosophischen Systeme oszillieren zwischen ihren Wechselgliedern und setzen die Endlichkeit absolut. Bezüglich des quantitativen Realismus kommt Fichte daher zu dem gleichen Schluss wie bezüglich des quantitativen Idealismus: „dagegen aber wird er durch einen offenbaren Widerspruch, dass er nämlich schlechthin ein Endliches setzt, vernichtet.“ (107/FW I, 187) Fichte sieht daher insgesamt den Realismus für gescheitert an, sofern er beansprucht, ein selbständiges philosophisches System sein zu können, denn selbst wenn er die zentrale Rolle des Leidens im Ich für das Zustandekommen der Erfahrung anerkennt, so verdinglicht er dennoch das Ich zu einem Nicht-Ich, indem dessen Spontaneität durch

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die Annahme einer Kausalität von außen vernichtet wird: „aber wir fanden bei näherer Untersuchung, dass eine solche Hypothese dem aufgestellten Grundsatze widerspräche, weil dasjenige, dem ein Stoff von außen gegeben würde, gar kein Ich sein würde, wie es doch laut der Forderung sein soll, sondern ein Nicht-Ich; dass mithin einem solchen Gedanken gar nichts außer ihm korrespondieren könne, dass er völlig leer und als Gedanke eines transzendenten, nicht aber eines transzendentalen Systems zu verwerfen sei.“ (140/FW I, 220) Wenn Fichte selbst realistische Aspekte in seine Wissenschaftslehre aufnimmt (das ist z. B. – wie noch zu sehen sein wird – mit der Lehre vom Anstoß der Fall), dann sind diese als in einen kritischen Idealismus integriert anzusehen, sie haben keine eigenständige oder abgelöste Bedeutung. Ein ursprüngliches Setzen des Ich ist die Voraussetzung dafür, dass es in ein Verhältnis zu etwas gesetzt sein kann; wenn es sich aber dann in ein wechselseitiges Verhältnis mittelbaren Setzens zum Nicht-Ich setzt, dann kann dies nur durch das reziproke Oszillieren geschehen. Das mittelbare Setzen spielt auch eine Rolle bezüglich der Intersubjektivität, also dort, wo sich ein Ich ein anderes Ich entgegensetzt: „Kein Du, kein Ich; kein Ich, kein Du.“ (109/FW I, 189) Im Rahmen der Grundlage hat Fichte die Intersubjektivität nicht abgeleitet, und deutet hier dennoch die Ich-Du-Relation an.117 Dies darf nicht so gewertet werden, dass Fichte mit dem mittelbaren Setzen eigentlich die Relation der Intersubjektivität vor Augen habe; sondern diese dient lediglich als Beispiel für ein mittelbares Setzen. Die Intersubjektivität kann Fichte allererst dann einführen, wenn die Individualisierung und Pluralisierung des Ich zu vielen Subjekten abgeleitet ist. Dies leistet Fichte aber an anderer Stelle, nämlich in den Paragraphen drei bis sieben der Grundlage des Naturrechts (1796/97)118 mit dem Konzept von Aufforderung und wechselseitiger Anerkennung zwischen frei wirksamen und verleiblichten Subjekten. In unserem Kontext ist entscheidend, dass bereits mit der Bestimmung des mittelbaren Setzens bei dem endlichen, der Kausalität ausgesetzten Ich ein Solipsismus vermieden wird. Der Solipsismus ist ein grundlegendes Problem, mit dem sich jede Bewusstseins-, Subjektivitätstheorie und jede moderne Egologie auseinandersetzen muss. Der Solipsismusvorwurf ist ein klassisches skeptisches Argument gegen die verschiedensten Bewusstseinsphilosophien.119 Denn wenn das Bewusstsein des Ich das Prinzip der Philosophie ist, dann stellt sich die Frage, ob nicht jedes fremde Bewusstsein nur eine Leistung meines Ich ist und somit von mir nicht wie jeder andere von mir hervorgebrachte Vorstellungsinhalt zu behandeln ist; was wiederum schwerwiegende ethische Probleme mit sich bringt. Besonders Fichte wird immer wieder ein Solipsismus vorgeworfen. Sofern die Intersubjektivität als mittelbares

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Setzen des endlichen Ich verstanden wird, kann jedoch kein Solipsismus vorgeworfen werden, weil es gerade die Wechselseitigkeit und das Oszillieren zwischen dem Ich und dem Du ist, das überhaupt die Setzung des endlichen Ich möglich macht. Dabei folgt aus der Struktur des mittelbaren Setzens die für die Intersubjektivität wichtige Einsicht, dass das Du der Realgrund des Ich und das Ich der Idealgrund des Du ist. Also: mein Ich erhält allererst einen Realitätsbezug dadurch, dass es von einem Du angesprochen wird, und dennoch ist es notwendig, dass sich das Ich geistigideell dafür offen hält, vom anderen angesprochen zu werden; das alter ego muss nämlich für mein Ich gesetzt sein, sonst wäre es für mich nichts. Es bildet einen Unterschied, ob das alter ego von mir oder für mich gesetzt ist, und Fichte würde betonen, dass es zwar für mich aber nicht von mir gesetzt ist. Ohne ein Du kann sich das Ich nicht realisieren. Aufgrund des mittelbaren Setzens kann Fichte die für das theoretische Erkennen so zentrale Frage aufklären, wie es für das Subjekt zu einer von ihm unabhängigen Objektwelt kommen kann. Die Prämisse für eine unabhängige Objektwelt besteht darin, dass das Ich überhaupt setzen muss, denn darin besteht sein Wesen; aber dieses Setzen erfolgt mittelbar, sofern es kausal bestimmt ist; d.h., wo das Ich ein Subjet setzt, muss es das Objekt aufheben und wo es ein Objekt setzt, muss es Subjektivität aufheben: „Nun kann es [das Ich; Einf. R. S.] nur setzen entweder das Subjekt oder das Objekt, und beide nur mittelbar. Es soll das Objekt setzen; – dann hebt es notwendig das Subjekt auf, und es entsteht in ihm ein Leiden, es bezieht dieses Leiden notwendig auf einen Real-Grund im Nicht-Ich [das geschieht durch Übertragung und Entäußerung; Einf. R. S.], und so entsteht die Vorstellung von einer vom Ich unabhängigen Realität des Nicht-Ich. – Oder es setzt das Subjekt, so hebt es notwendig das gesetzte Objekt auf, und es entsteht abermals ein Leiden, welches aber auf eine Tätigkeit des Subjekts bezogen wird, und die Vorstellung von einer vom Nicht-Ich unabhängigen Realität des Ich erzeugt (die Vorstellung von einer Freiheit des Ich, welche in unserer gegenwärtigen Folgerungsart allerdings eine bloß vorgestellte Freiheit ist).“ (109/FW I, 189) Mit dem Zusatz in der Klammer macht Fichte darauf aufmerksam, dass es sich bei dieser mittelbaren Freiheit des Ich um eine niedrigere Form von Freiheit handelt, als dies bei der Thesis des absoluten Ich der Fall ist. Bei der hier beschriebenen, eingeschränkten Freiheit des Subjekts handelt es sich um eine Freiheit, die allererst anlässlich der Negation des Objekts entsteht, das Objekt ist also, wenngleich es negiert wird, bereits für die Freiheit des Subjekts vorausgesetzt, die darin besteht, sich als Abhebung gegen das Objekt selbständig zu machen. Bei der Freiheit des absoluten Ich handelt es sich dagegen um einen Akt von ursprünglicher (Selbst-)Affirmation, die eine unbedingte und direkte Beziehung auf sich ist. Die

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Freiheit des Subjekts kann – im Gegensatz zur absoluten Freiheit des reinen Ich – vorgestellt werden. Die Endlichkeit von Subjekt und Objekt besteht daher darin, dass deren Setzung jeweils die Aufhebung des je Entgegengesetzten voraussetzt und dass es sich nicht um einen direkten, sondern um einen indirekten Akt handelt. Damit ein endliches Subjekt seine von ihm thematisch vorstellbare Freiheit realisieren kann, muss es jeweils die Hindernisse der Objektwelt aus dem Weg räumen, d. h., es muss das ihm andere aufheben und kann erst auf diese vermittelte Weise seine Freiheit realisieren. An der Bestimmung der Relation von Subjekt und Objekt ist nicht nur die Kausalität mit den ihr zugehörigen Bewusstseinstätigkeiten („Übertragung“, „Entäußerung“, „Übergehen“, „Eingreifen“, „Entstehen durch Vergehen“, „wesentliches Entgegensein“, „mittelbares Setzen“) zuständig, sondern ebenso die Substantialität mit der ihr wesentlich zugehörigen Bewusstseinstätigkeit des „Ausschließens“: „Bestimmte Bestimmtheit ist die Totalität, die wir suchten, und eine solche nennt man eine Substanz. – Keine Substanz ist als solche möglich, wenn nicht erst aus dem schlechthin Gesetzten, hier aus dem Ich, das nur sich setzt, herausgegangen, d. i. wenn nicht etwas von demselben ausgeschlossen wird, hier ein gesetztes NichtIch, oder ein Objekt. – Aber die Substanz, die als solche nichts weiter als Bestimmbarkeit, aber doch eine bestimmte, fixierte, festgesetzte Bestimmbarkeit sein soll, bleibt unbestimmt, und ist keine Substanz (nichts Allumfassendes), wenn sie nicht wieder durch das schlechthin Gesetzte bestimmt wird, hier durch das Sich-Setzen. Das Ich setzt sich als: sich setzend dadurch, dass es das Nicht-Ich ausschließt, oder das Nicht-Ich setzend, dadurch, dass es sich ausschließt.“ (120 f./FW I, 201) Bei der Substantialität zeigt sich wieder das Beziehungsgefüge von Antithese und Synthese, denn der Ausschluss ist nicht nur einerseits trennend, sondern andererseits zugleich auch beziehend. Substanz und Akzidenz werden nur durch diesen Akt voneinander unterschieden, sind dadurch aber zugleich notwendig aufeinander angewiesen. Die Substantialität ist – wie die Kausalität – eine reine Relationskategorie, denn sie besteht ausschließlich in dem Beziehungsgefüge zwischen Substanz und Akzidenz. „Also – […] – die Totalität [d.i. die Substanz als Ganzheit gesehen; Einf. R. S.] besteht bloß in der vollständigen Relation, und es gibt überhaupt nichts an sich Festes, was dieselbe bestimmte. Die Totalität besteht in der Vollständigkeit eines Verhältnisses, nicht aber einer Realität. (Die Glieder des Verhältnisses, einzeln betrachtet, sind die Akzidenzen, ihre Totalität ist Substanz, […] in der Substanz [ist] gar nichts Fixiertes zu denken […], sondern bloßer Wechsel. – Soll eine Substanz bestimmt – […] – oder soll etwas Bestimmtes als Substanz gedacht werden; so muss der Wechsel freilich von irgendeinem Gliede ausgehen, welches insofern fixiert ist, inwiefern der

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Wechsel bestimmt werden soll. Aber es ist nicht absolut fixiert; […]. Die Akzidenzen, synthetisch vereinigt, geben die Substanz; und es ist in derselben gar nichts weiter enthalten, als die Akzidenzen: die Substanz, analysiert, gibt die Akzidenzen, und es bleibt nach einer vollständigen Analyse der Substanz gar nichts übrig, außer den Akzidenzen. An ein dauerndes Substrat, an einen etwaigen Träger der Akzidenzen, ist nicht zu denken; irgendein Akzidens, welches du nun eben wählst, ist jedesmal sein eigner und des entgegengesetzten Akzidens Träger, ohne dass es dazu noch eines besonderen Trägers bedürfte. – Das setzende Ich, durch das wunderbarste seiner Vermögen, […] hält das schwindende Akzidens so lange fest, bis es dasjenige, wodurch dasselbe verdrängt wird, damit verglichen hat. – Dieses fast immer verkannte Vermögen ist es, was aus steten Gegensätzen eine Einheit zusammenknüpft, – was zwischen Momente, die sich gegenseitig aufheben müssten, eintritt, und dadurch beide erhält; – es ist dasjenige, was allein Leben und Bewusstsein, und insbesondere Bewusstsein als eine fortlaufende Zeitreihe möglich macht; und das alles tut es lediglich dadurch, dass es an sich und in sich Akzidenzen fortleitet, die keinen gemeinschaftlichen Träger haben, noch haben könnten, weil sie sich gegenseitig vernichten würden.“ (123 f./FW I, 203 f.) Das „wunderbarste“ und „fast immer verkannte“ Vermögen – dies ist ein Anklang an Kant120 – ist die Einbildungskraft; offensichtlich ist es die Einbildungskraft, die den Bewusstseinsstrom als eine kontinuierliche Tätigkeit konstituiert. Indem die Einbildungskraft die Akzidenzien miteinander in synthetischer Einheit verbindet, bringt sie den Zeitfluss hervor, in dem sich das Ich nicht nur als instantanes, plötzliches oder bloß momentanes, sondern als konstante Größe wiederfindet. An dem Zitat wird deutlich, dass die Einbildungskraft als Grundvermögen des Ich auf die Relationskategorie Substanz-Akzidenz angewiesen ist. Mit der Bestimmung der Substanz als dynamische Summe der Akzidenzen geht Fichte über die traditionelle Substanzontologie (Aristoteles, Descartes, Spinoza oder Leibniz) hinaus, denn die Substanz ist kein ontologisch vorliegender Träger von Eigenschaften und auch nicht – wie in moderneren Ansätzen, z. B. bei Strawson, ein vorhandenes Einzelding/Individuum. Ein beharrliches, d.h. dauerndes Ding bildet eine unberechtigte Voraussetzung, denn man hat zu fragen, wie die Dauer gebildet wird, sie muss begründet werden, denn die Dauer als Beharrung im Wechsel der Zeit und der Zustände setzt schon einen Zeitstrom voraus, in dem etwas beharrt. Eine von Tätigkeit und Relation losgelöste Trägerschaft ist der Dynamik des Handlungsich nicht angemessen. Fixierungen und Festsetzungen kann es nur als Produkte eines tätigen Ich geben, das die verschiedenen Hinsichten selbständig bestimmt. So kann man z. B. hinsichtlich des Lichtes die Eigenschaft herausgreifen, eine elektrische Welle zu sein und bestimmt

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dann das Licht als Energie oder man greift diejenigen Eigenschaften des Lichts heraus, die es als aus Teilchen bestehend charakterisieren und kann es dann als Masse bzw. Materie bezeichnen. Jeweils ist es die Einbildungskraft, welche die einander ausschließenden Eigenschaften/Akzidenzien, Energie oder Materie zu sein, herausgreift, miteinander vergleicht und beide derselben Entität zuschreibt, die aber nicht ein jenseits dieser Eigenschaften liegender Träger ist, sondern nichts anderes als die synthetische Summe der Eigenschaften. Es ist nicht so, dass es zunächst das Licht gibt und ihm dann Eigenschaften angeklebt werden, sondern die Verknüpfung der Eigenschaften bildet allererst so etwas wie Licht. Dabei schließen sich die Akzidenzien Energie und Materie nur für sich betrachtet eigentlich wechselseitig aus, in dem vom Ich bzw. von der Einbildungskraft konstituierten Wechsel der Hinsichten ist eine Verknüpfung aber möglich. Im Rahmen der Herleitung der Einbildungskraft, die in der Substantialitätsanalyse (110–137/FW I, 190–217) geschieht, führt Fichte den „Anstoß“ ein.121 Die Tätigkeit des Ich hat von sich aus die Tendenz, sich unendlich fortzusetzen. Dies würde nicht zu einer Bestimmung führen können; denn eine solche ins Unendliche gehende Tätigkeit ist unbestimmt. Die Unbestimmbarkeit ist ein Wesensmerkmal der Unendlichkeit (vgl. 133/FW I, 214). Soll es Bestimmtheit geben, dann muss die Tätigkeit des Ich also eine Hemmung erfahren, die darin besteht, dass deren Ausdehnung aufgehalten wird. Der Unendlichkeit wird durch eine Hemmung die Endlichkeit entgegengesetzt. Deswegen darf man aber nicht in eine naive Ontologie zurückfallen, der Anstoß darf nicht als etwas gedacht werden, das völlig unabhängig von der Tätigkeit gesetzt wäre, er ist vielmehr in Bezug auf das Ich gesetzt. Eine Hemmung ohne ein zu Hemmendes wäre absurd: „das auszuschließende Objektive braucht gar nicht vorhanden zu sein; es darf nur bloß, […] ein Anstoß für das Ich vorhanden sein, d.h. das Subjektive muss aus irgendeinem nur außer der Tätigkeit des Ich liegenden Grunde, nicht weiter ausgedehnt werden können. Eine solche Unmöglichkeit des weiteren Ausdehnens machte denn aus – den beschriebenen Wechsel, oder das bloße Eingreifen; er begrenzte nicht, als tätig, das Ich; aber er gäbe ihm die Aufgabe, sich selbst zu begrenzen. Alle Begrenzung aber geschieht durch Gegensatz; mithin müsste das Ich, eben um jener Aufgabe eine Genüge zu tun, etwas Objektives dem zu begrenzenden Subjektiven entgegensetzen, und dann beide synthetisch vereinigen, wie soeben gezeigt worden; und so ließe sich denn die ganze Vorstellung ableiten. Diese Erklärungsart ist […] realistisch“ (129 f./FW I, 210). Tätig ist nicht der Anstoß, er ist bloß passiv, bloß hemmend und vorhanden; tätig ist allein das Ich. Hier findet sich also wieder ein Realismus. Dieser Realismus zeichnet sich durch einen besonders hohen Grad der Abstraktion aus. Er ist abstrakter als der vorhergehende quantitative Rea-

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lismus. In diesem „abstrakten Realismus“ wird nämlich das Nicht-Ich nur als eine völlig passive Instanz gesehen, die ihre Funktion ausschließlich darin hat, die Tätigkeit des Ich zu kanalisieren. Das Anstoßende und das die Tätigkeit des Ich Hemmende hat nur Geltung und Bedeutung für ein Ich. Ein auf das Ich unbezogenes Anstoßendes wäre für diesen abstrakten Realismus eine unbegründete Spekulation, das anstoßende Nicht-Ich hat – soweit wir Philosophen das einsehen und beweisen können – seinen Sinn ausschließlich in der Handlungskanalisation für das Ich. Dass der Anstoß für das Ich zu der Aufgabe wird, sich zu bestimmen, bezeugt, dass das Nicht-Ich für das Ich nicht einfach gegeben ist, und damit auch nicht die eigene Endlichkeit des Ich. Wenn der Anstoß in die nach Unendlichkeit strebende Tätigkeit des Ich (ein)fällt, kann dies nicht ohne Modifikationen für den passiven Anstoß erfolgen; der Anstoß wird vom Ich aktualisiert zu einer im Ich gesetzten unendlichen Aufgabe, nämlich zu der Aufgabe, Unendlichkeit und Endlichkeit im Rahmen der Bestimmbarkeit zu synthetisieren; wobei nach Fichte Endlichkeit und Unendlichkeit die höchste und härteste Form des Widerspruchs bilden. Der Anstoß auf das Ich kann nur dann erfolgen, wenn es selbst aktiv ist; damit zeigt sich, dass eine Fremdaffektion nur unter der Voraussetzung einer Selbsttätigkeit möglich ist. Nur wenn sich das Ich durch Eigeninitiative für eine Fremdaffektion offen hält, kann es von einer Hemmung angegangen werden. Umgekehrt ist auch die Selbsttätigkeit zumindest als eine bestimmbare Größe, ohne eine Fremdaffektion nicht möglich, die sie hemmt. Das ist schon eine Synthesis, denn nun ist die ausschließlich realistische Folgerungsart überschritten, sofern gesetzt wird, dass die Tätigkeit des Ich Voraussetzung für eine Fremdaffektion ist, handelt es sich um eine idealistische Denkart, denn nun steht fest, „dass jener Anstoß nicht ohne Zutun des Ich vorhanden wäre, sondern dass er eben auf die Tätigkeit desselben im Setzen seiner selbst geschähe; dass gleichsam seine weiter hinaus strebende Tätigkeit in sich selbst zurückgetrieben (reflektiert) würde, woraus denn die Selbstbegrenzung, und aus ihr alles übrige […] sehr natürlich erfolgen würde“ (131/FW I, 212). Der Fremdaffektion steht daher eine Selbstaffektion ergänzend gegenüber. Die Hemmung der Tätigkeit des Ich besteht aus diesen beiden Elementen. Synthetisch wird ein idealistisches mit einem realistischen Moment verknüpft. Zunächst das idealistische Moment: Nur wenn das Ich tätig ist, kann es angestoßen werden, und das wirkliche Angestoßensein des Ich impliziert eine weitere Tätigkeit des Ich, nämlich das Sich-für-den-Anstoß-offen-Halten. – Dies kann man durch konkrete Beispiele veranschaulichen, denn das Phänomen des Nicht-offen-Seins für eine Affektion zeigt sich bei dem konkreten Subjekt z. B. am Übersehen oder Verdrängen von Fakten, am Träumen mit offenen Augen oder am Schlaf. – Der realistische Aspekt ist aber auch nicht zu

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unterschlagen: Der Anstoß auf das Ich erfolgt nicht durch das Ich. In gewissem Sinne wird das Ich durch die Hemmung auch passiv gesetzt, denn seine Handlung wird abgebrochen; dies hat für das Ich einen Geschehnischarakter, denn der Handlungsabbruch durch den Anstoß geschieht ihm. Anstoß und Tätigkeit des Ich fordern sich also wechselseitig und sind damit synthetisiert. Diese Synthesis wird von Fichte in ihrer zentralen Rolle herausgestellt: Es handelt sich um das „Endresultat“ (132/FW I, 212; vgl. dazu auch 138 f./FW I, 218 f.). Endresultat ist diese Synthesis, weil mit ihr sämtliche Widersprüche „gehoben“ sind, die in dem Ausgangssatz der theoretischen Wissenschaftslehre „Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich“ enthalten waren. Die Feststellung des Anstoßes und der Einbildungskraft ist das äußerste Ende der theoretischen Wissenschaftslehre. Die eigentliche Erklärung, wie es zum Anstoß kommen kann, gibt dann die praktische Wissenschaftslehre, in der theoretischen werden nur die Struktur und die faktische Denkmöglichkeit von Anstoß und Einbildungskraft aufgewiesen. In diesem (relativen) Endergebnis sind auch noch die beiden Bewusstseinshandlungen „Zusammenfassen“ und „Zusammentreffen“ – in der obigen Liste g) – zu synthetisieren. Beide Tätigkeiten sind schon synthetische Handlungen, es findet daher eine Synthesis aus Synthesen statt. Das „Zusammentreffen“ bezeichnet Fichte auch als Festhalten, denn damit die Entgegengesetzten aufeinander treffen können, müssen sie festgehalten werden. Aufgrund ihres Ausschließungsverhaltens fliehen die Entgegengesetzten einander; damit sie überhaupt beieinander bleiben, muss es eine Kraft geben, die sie ineinander bildet. Die Einbildungskraft bewirkt im Zusammentreffen Entgegengesetzter eine „Ineinsbildung“. Zusammenfassen und Zusammentreffen sind Leistungen der Einbildungskraft, sofern sie eine Grenze zwischen Entgegengesetzten setzt; das dokumentiert sich in der Setzung der Grenze zwischen der unendlichen Tätigkeit des Ich und dem vermittels des Anstoßes hemmenden Nicht-Ich, wodurch das Ich verendlicht wird. Das „Zusammenfassen“ ist ein synthetischer Akt, sofern das Gemeinsame der Entgegengesetzten in einer Grenze gesetzt wird. Die Grenze wird als erfüllte Grenze gesehen, in der die beiden entgegengesetzten Elemente enthalten sind, sie ist das oben bereits unter g) geschilderte „erfüllte Und“. „Die Entgegengesetzten an sich sind völlig entgegengesetzt; sie haben gar nichts Gemeinschaftliches; wenn das eine gesetzt ist, kann das andre nicht gesetzt sein: zusammentreffende sind sie nur, inwiefern die Grenze zwischen ihnen gesetzt wird, und diese Grenze ist weder durch das Setzen des einen, noch durch das Setzen des andern gesetzt; sie muss besonders gesetzt werden. – Aber die Grenze ist denn auch weiter nichts, als das beiden Gemeinschaftliche; mithin ihre Grenze setzen – heißt, sie zusammenfassen, aber dieses Zusammenfassen beider

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ist auch nicht anders möglich, als durch das Setzen ihrer Grenze. Sie sind zusammentreffend lediglich unter Bedingung eines Zusammenfassens, für und durch das Zusammenfassende.“ (132/FW I, 213) Die Setzung der Grenze muss noch etwas von dem Setzen beider einzelnen Elemente Unterschiedenes sein, weil die Setzung des einen Elements die Nicht-Setzung des je anderen ist, wenn nun also beide zugleich in der Grenze gesetzt werden sollen, muss sich dieser Akt von den Einzelsetzungen unterscheiden. Dies macht den Unterschied zwischen produktiver Einbildungskraft und reproduktiver Einbildungskraft aus. Die Setzung der Grenze ist ein Neues hervorbringender Akt und es handelt sich somit um eine Leistung der produktiven Einbildungskraft. Davon unterschieden ist die antithetische Entgegensetzung der Entgegengesetzten, dabei handelt es sich um die Setzung des „leeren Und“, also darum, dass die voneinander Ausgeschlossenen in der Entgegensetzung getrennt werden, weil sie sich widersprechen; dies ist eine reproduktive Leistung, weil sie schon die Setzung einer Grenze voraussetzt, an der sich die Antithese und die Ausschließung ereignen können. Es wird etwas re-produziert, was latent vorher in der Setzung einer „Grenze überhaupt“ schon vorhanden war. Damit ist das „leere Und“ innerhalb der Grenze eine Leistung der reproduktiven Einbildungskraft. Davon ist die Synthese des „erfüllten Und“ zu unterscheiden, das dadurch von beiden Entgegengesetzten erfüllt ist, weil beide jeweils auch für sich gesetzt sind und dann ihr Gemeinsames festgestellt wird. Die Synthese setzt die Antithese voraus. Dieses „erfüllte Und“ ist daher auch eine re-produktive Leistung der Einbildungskraft. Fichte kann zwischen produktiver und reproduktiver Einbildungskraft unterscheiden, wobei die erste eine thetische Leistung vollzieht, indem sie überhaupt die Grenze setzt und sich die reproduktive Einbildungskraft in antithetisch-reproduktive und synthetisch-reproduktive Einbildungskraft untergliedert (vgl. 135/FW I, 215).122 Die Einbildungskraft ist als der synthetische Wechsel von Endlichkeit und Unendlichkeit im Ich zu bestimmen. Zusammentreffen und Zusammenfassen sind in dem Gesamtgefüge von produktiver und reproduktiver Einbildungskraft synthetisiert. Indem die Einbildungskraft produktiv ist, setzt sie selbständig die Grenze und bringt sie als ein Zusammentreffen Entgegengesetzter hervor. Dabei ist die Tätigkeit des Grenze-Hervorbringens mit dem Hervorbringenden zu identifizieren, denn das Subjekt geht in seiner Leistung und Handlung auf. Dagegen unterscheidet sich in der reproduktiven Einbildungskraft das Subjekt in seinem noetischen Erlebnis der Struktur einer Grenze, die aus einerseits „leerem“ und andererseits „erfülltem Und“ besteht, von dem noematischen Produkt, welches die vor das Subjekt hingestellte und von ihm bloß vorgestellte Grenze ist. Sofern die Einbildungskraft produktiv ist, liegt eine Identität von Noesis und

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Noema vor, und sofern die Einbildungskraft reproduktiv ist, unterscheiden sich beide, und das Subjekt ist in gewisser Hinsicht sich selbst entgegengesetzt: „Dieser Wechsel des Ich in und mit sich selbst, da es sich endlich und unendlich zugleich setzt – ein Wechsel, der gleichsam in einem Widerstreite mit sich selbst besteht, und dadurch sich selbst reproduziert, indem das Ich Unvereinbares vereinigen will, jetzt das Unendliche in die Form des Endlichen aufzunehmen versucht, jetzt, zurückgetrieben, es wieder außer derselben setzt, und in dem nämlichen Momente abermals es in die Form der Endlichkeit aufzunehmen versucht – ist das Vermögen der Einbildungskraft. Hierdurch wird nun vollkommen vereinigt Zusammentreffen und Zusammenfassen. Das Zusammentreffen, oder die Grenze ist selbst ein Produkt des Auffassenden im, und zum Auffassen (absolute Thesis der Einbildungskraft, die insofern schlechthin produktiv ist). Insofern das Ich und dieses Produkt seiner Tätigkeit entgegengesetzt werden, werden die Zusammentreffenden selbst entgegengesetzt, und es ist in der Grenze keins von beiden gesetzt (Antithesis der Einbildungskraft). Insofern aber beide wiederum vereinigt werden – jene produktive Tätigkeit dem Ich zugeschrieben werden soll – werden die Begrenzenden selbst in der Grenze zusammengefasst. (Synthesis der Einbildungskraft; die in diesem ihrem antithetischen und synthetischen Geschäfte reproduktiv ist […])“ (134f./FW I, 215). Die Grenze ist genauer zu bestimmen. Die Setzung der Grenze ist eine Leistung der Einbildungskraft, die ein dynamisches Vermögen ist. Diese Dynamik hat Auswirkungen auf die Struktur der Grenze, denn sie darf nicht als eine statische, fixierte Demarkation begriffen werden, vielmehr spiegelt sie mit ihrer flexiblen Struktur wider, dass sie das Resultat eines in sich bewegten, mit dem Widerspruch zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit ringenden Vermögens ist. Die Einbildungskraft kämpft mit dem Widerspruch zwischen einerseits der Endlichkeit des Ich, das durch den Anstoß eine Hemmung erleidet und damit ein Zurückgetriebenwerden der Handlungsstrebung erleidet und andererseits der Unendlichkeit des Ich, dem ins Unbegrenzte drängenden Tätigkeitswillen. Der Widerspruch von Endlichkeit und Unendlichkeit ist die dynamische, nie versiegende Energiequelle der Einbildungskraft, die zwischen beiden unversöhnlichen Momenten oszilliert. Das Oszillieren der Einbildungskraft zwischen Widersprechenden bezeichnet Fichte als „Schweben“; denn das Festlegen auf die Endlichkeit verweist auf die Unendlichkeit des Ich und umgekehrt, so dass ein kontinuierliches Oszillieren die Folge ist. „Demnach muss jene Grenze nicht als feste Grenze angenommen werden.“ (135/FW I, 216) Die Einbildungskraft drängt dynamisch schon im Setzen wieder über diese Setzung hinaus. Deswegen handelt es sich bei der Grenze der produktiven Einbildungskraft nicht um eine Bestimmung, sondern um die „Bestimm-

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barkeit“ (vgl. 135/FW I, 216); mit der flexiblen Grenze der Einbildungskraft wird erst der Boden für einzelne Bestimmtheiten vorbereitet. Dieses reine Werden, Wechseln und Strömen erlebt seine Fixierungen dann erst durch die Vermögen Vernunft und – wie schon das Wort sagt – Ver-stand: „Die Einbildungskraft setzt überhaupt keine feste Grenze, denn sie hat selbst keinen festen Standpunkt; nur die Vernunft setzt etwas Festes, dadurch, dass sie erst selbst die Einbildungskraft fixiert. Die Einbildungskraft ist ein Vermögen, das zwischen Bestimmung und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem und Unendlichem in der Mitte schwebt; und demnach wird durch sie allerdings A + B zugleich durch das bestimmte A und zugleich durch das unbestimmte B bestimmt, welches jene Synthesis der Einbildungskraft ist, von der wir soeben redeten. – Jenes Schweben eben bezeichnet die Einbildungskraft durch ihr Produkt; sie bringt dasselbe gleichsam während ihres Schwebens, und durch ihr Schweben hervor.“ (136/FW I, 217) – Diese Bestimmung der Einbildungskraft als einer unendlich im Widerspruch schwebenden Energie, die in einer grundsätzlichen Spaltung und Wiederversöhnungstendenz des Ich besteht, ist für die Literatur der Romantik natürlich sehr inspirierend und prägend gewesen, man denke nur an die ästhetischen Qualitäten von bewusst-unbewusster Schizophrenie und das genialische Streben in das Unbestimmte der Unendlichkeit, das einigen Protagonisten in den romantischen Werken von Hölderlin, Novalis, Tieck, E. T. A. Hoffmann, Fouqué und später dann auch bei Hauff, Storm und Eichendorff eignet. Auch Goethes Faust kann man aus dieser Dynamik des menschlichen Seins verstehen, zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit kontinuierlich zu oszillieren. Für Fichte ist von zentraler Bedeutung, dass die Einbildungskraft in ihrem Oszillieren die Zeit hervorbringt; daher betont er im vorangegangenen Zitat durch Kursivierung die „Gleichzeitigkeit“. Die einander Widersprechenden sind im gleichen Augenblick in der Einbildungskraft anwesend, stoßen sich aber ab und daraus entsteht eine Dehnung eines Augenblicks/Jetzt zu einem Moment; da dies mit jedem Augenblick/Jetzt geschieht, wird Moment an Moment gereiht bzw. aneinander gefügt und es entsteht die kontinuierliche, verfließende Zeit. Die Zeit wird damit primär als eine permanente Sukzession begriffen: „Dieses Schweben der Einbildungskraft zwischen Unvereinbaren, dieser Widerstreit derselben mit sich selbst ist es, welcher […], den Zustand des Ich in demselben zu einem ZeitMomente ausdehnt: (Für die bloße reine Vernunft ist alles zugleich; nur für die Einbildungskraft gibt es eine Zeit.) Lange, d.i. länger, als einen Moment (außer im Gefühl des Erhabenen, wo ein Staunen, ein Anhalten des Wechsels in der Zeit entsteht), hält die Einbildungskraft dies nicht aus; die Vernunft tritt ins Mittel (wodurch eine Reflexion entsteht), und bestimmt dieselbe, B in das bestimmte A (das Subjekt) aufzunehmen: aber nun muss

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das als bestimmt gesetzte A abermals durch ein unendliches B begrenzt werden, mit welchem die Einbildungskraft gerade so verfährt, wie oben; und so geht es fort, bis zur vollständigen Bestimmung der (hier theoretischen) Vernunft durch sich selbst, wo es weiter keines begrenzenden B außer der Vernunft in der Einbildungskraft bedarf, d.i. bis zur Vorstellung des Vorstellenden. Im praktischen Felde geht die Einbildungskraft fort bis ins Unendliche, bis zu der schlechthin unbestimmbaren Idee der höchsten Einheit, die nur nach einer vollendeten Unendlichkeit möglich wäre, welche selbst unmöglich ist“ (136f./FW I, 217). Die Entstehungsgeschichte der Zeit besteht somit darin, dass eine Gleichzeitigkeit von Unverträglichem gedehnt wird. Die endliche und die unendliche Tätigkeit des Ich bilden die unverträglichen Zustände (im Ich), die von und in der Einbildungskraft synthetisiert werden. Die Zeit gibt es daher nur immanent im Ich, unabhängig von Ich/Einbildungskraft gibt es keine Zeit; dies begründet die „Idealität der Zeit“. In dieser Argumentation zeigt sich das folgende Problem: Die Zeitlichkeit soll erklärt werden, doch ist die gleichzeitige Anwesenheit von Entgegengesetztem auch selbst schon eine zeitliche Bestimmung, nämlich die der Simultaneität. Damit wird die Zeitlichkeit bereits vorausgesetzt. Dieses Problem lässt sich entkräften, wenn man Fichte dahin gehend in Schutz nimmt, er wolle ausschließlich die Sukzession der Zeitlichkeit erklären, er hätte dann allerdings einen eingeschränkten Begriff von Zeitlichkeit und es kann ihm genau dieses vorgeworfen werden, denn er erklärt dann nicht mehr die Zeitlichkeit überhaupt, sondern nur eine spezifische Temporalität, nämlich den sukzessiven Zeitfluss; zur Zeit als ganzer gehören aber auch Gleichzeitigkeit und besonders die Beharrlichkeit – worauf Kant hingewiesen hat.123 Wie Gleichzeitigkeit und Beharrlichkeit entstehen, bleibt aber bei Fichte unklar. Es wäre insbesondere zentral, die Beharrlichkeit als Grundmodus der Zeit aufzuklären. Denn das, was sich in stetem Wandel befindet, ist in der Zeit, aber die Zeit selbst vergeht bzw. verwandelt sich nicht. Ein wichtiger Aspekt des Zeitflusses besteht darin, dass er unumkehrbar ist; die Zeit verfließt für uns nur in einer Richtung. Dies kann mit Fichtes ausführlicheren Darlegungen zur Entstehung der Zeit im Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre in Rücksicht auf das theoretische Vermögen (1795) so beschrieben werden, dass jeweils ein produzierter, gedehnter Moment von einem anderen in Hinsicht darauf abhängig ist, dass er überhaupt existiert, dieser aber nicht von jenem. Der gegenwärtige Moment ist eine spontane Setzung des Ich, das in dieser gegenwärtigenden Zeitsetzung von anderen Momenten unabhängig ist. Die anderen Momente sind aber, um überhaupt vorhanden zu sein, von diesem Gegenwärtigungsakt und aktuellen Moment abhängig. Aus diesem einseitigen

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Abhängigkeitsverhältnis ergibt sich dann die Gerichtetheit der Zeit. Die Momente, welche die Voraussetzung für die anderen bilden, kann man auf den Begriff „Gegenwart“ bringen. Die Gegenwart bildet die Voraussetzung für die Vergangenheit und die Zukunft, ohne dass die Vergangenheit oder die Zukunft die Voraussetzung für die Gegenwart sein könnten (vgl. dazu FW I, 408 ff.). Damit versucht Fichte, ein wesentliches Merkmal der Sukzession der Zeit zu klären, nämlich die Unumkehrbarkeit des Zeitstroms; diese ist letztlich bei Fichte in der Unumkehrbarkeit des Verhältnisses von Voraussetzung und Folge begründet. Fichte verknüpft hier also konditionale und temporale Verhältnisse miteinander, um die Unumkehrbarkeit der Zeit und darüber hinaus die verschiedenen „Dimensionen“ der Zeit – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – zu erklären. Dass Vergangenheit und Zukunft von der Gegenwart abhängen und nicht umgekehrt, zeigt sich daran, dass wir in der Lage sind, Vergangenheit und Zukunft aus der gegenwärtigen Situation auszublenden; aber umgekehrt, können wir die Gegenwärtigkeit nicht überspringen oder ausblenden, denn eine Ausblendung der Gegenwart würde schon wieder in einer (neuen) Gegenwart geschehen. Die Gegenwärtigkeit ist das zeitliche Präsenzmedium des Selbstbewusstseins. Daher hat die Vergangenheit ihre Existenz nur in der Gegenwart des sich setzenden Ich: „Es ist überhaupt gar keine Vergangenheit, als inwiefern sie in der Gegenwart gedacht wird. Was gestern war (man muss sich wohl transcendent ausdrücken, um sich überhaupt ausdrücken zu können), ist nicht; es ist lediglich, inwiefern ich im gegenwärtigen Augenblicke denke, dass es gestern war. Die Frage: ist denn nicht wirklich eine Zeit vergangen? Ist mit der: giebt es denn ein Ding an sich, oder nicht? Völlig gleichartig. Es ist allerdings eine Zeit vergangen; und wenn ihr jene Frage aufwerft, setzt ihr eine vergangene Zeit; wenn ihr sie nicht setzt, werft ihr jene Frage nicht auf, und es ist sodann keine Zeit für euch vergangen. – Eine sehr greifliche Bemerkung, welche schon längst zu den richtigen Vorstellungen über die Idealität der Zeit hätte führen sollen.“ (FW I, 409) Dasselbe gilt auch für die Zukunft; denn den Zukunftsentwurf kann es ebenfalls nur aus der Perspektive des gegenwärtigen Ich geben. Allerdings führt Fichte auch aus: „Es gibt gar keinen ersten Moment des Bewusstseyns, sondern nur einen zweiten.“ (FW I, 410) Das bedeutet, dass jeder Moment, der vom Ich gesetzt wird, nur so gesetzt werden kann, dass er sich an einen anderen Moment anknüpft – was durch die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Identität des Ich bedingt ist. Aus der Perspektive des gegenwärtigen Ich gilt daher auch, dass der aktuelle Moment von dem vorhergehenden abhängig ist. Ohne Vergangenheit keine Gegenwart. Auch hierin zeigt sich wieder eine einseitige Abhängigkeit in der Abfolge und Verknüpfung der Momente der Zeit zu einer Zeitreihe; nun aber in

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anderer Hinsicht als zuvor, da es galt die Abhängigkeit der Vergangenheit (und Zukunft) von der Gegenwart zu zeigen. Weil es für das Ich immer nur einen zweiten Moment geben kann und damit jede Gegenwart eine Vergangenheit voraussetzt, ist die Frage nach einem überhaupt ersten Moment, in dem die Zeit selbst entsteht, sinnlos, denn das Ich ist genötigt, jedem Moment einen anderen vorauszusetzen. Die Zeit erscheint dem Ich unendlich in dem Sinne, dass sie eine Reihe ohne Anfang und Ende sein muss. Ein Problem der Zeitkonzeption Fichtes besteht darin, dass er den ZeitMoment offensichtlich als eine gedehnte Phase versteht. Die Dehnung ist allerdings eigentlich nur metaphorisch zu verstehen; der Jetztpunkt wird nicht wie ein Teig in Breite und Länge gedehnt; das wären räumliche Bestimmungen, die der Zeit unangemessen sind. Eine weitere Frage stellt sich: Worin (in welchem Medium) geschieht die Ausdehnung des Jetzt zum Moment; ist das nicht auch schon eine Zeit in der diese Ausdehnung geschieht? Diese Frage würde Fichte mit seiner Zeitkonzeption wohl dahin gehend beantworten, dass es ein solches Medium, in dem die Ausdehnung geschieht, nicht gibt und dass allererst die kontinuierliche Ausdehnung der Momente die Zeit als Umfassendes bildet. Es ist nach Fichte wohl bloß eine fehlerhafte Substitution der (alltäglich-naiven) Einbildungskraft, wenn ein Medium, in dem die Momente enthalten sind, als Substrat für den Zeitfluss angesetzt wird. Eigentlich ist es genau umgekehrt: Die produktive Einbildungskraft schafft durch die Produktion des Zeitflusses allererst die Zeit als bleibende Form, in der die Momente enthalten sind. Bei Fichte entspricht das Produkt der Einbildungskraft ihrem eigenen Wesen: Der Zeitfluss ist pures Werden, so wie die Einbildungskraft eine rein dynamische Tätigkeit ist. Mit der Zeit ist keine feste, sondern eine dynamische Grenze gesetzt. Die Zeit ist insofern eine Grenze, als die Tätigkeit des Ich sich notwendigerweise verzeitlicht und in den Fluss der Zeit integriert, den sie selbst hervorbringt, und in diesem Fluss der Zeit kann ihr das gegebene Mannigfaltige erscheinen. Damit setzt sich das Ich als durch den Bezug auf ein mögliches Nicht-Ich bestimmt, denn in der Zeit kann das Mannigfaltige als eine Gegebenheit in der Sukzession erscheinen, das die Tätigkeit des Ich begrenzt. Die einzelnen Zeitmomente erscheinen uns normalerweise nicht für sich, sondern sie sind jeweils das Präsentationsmedium, mittels dessen sich etwas zeigen kann, das die Zeit erfüllt. Zur Einbildungskraft führt Fichte im Grundriss des Eigentümlichen aus: „auf Veranlassung eines bis jetzt noch völlig unerklärbaren und unbegreiflichen Anstosses auf die ursprüngliche Thätigkeit des Ich produciert die zwischen der ursprünglichen Richtung dieser Thätigkeit, und der durch die Reflexion entstandenen – schwebenden Einbildungskraft etwas aus beiden Richtungen zusammengesetztes“ (FW I, 331). In der Folge geht es

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Fichte in dieser Begleitschrift zur Grundlage darum, das Mannigfaltige der Erfahrung in seinen Möglichkeitsbedingungen zu erklären.

c) Pragmatische Entwicklung des menschlichen Geistes und die Ebene der Faktizität des Bewusstseins (137–146/FW I, 217–227) Nach dem „Endresultat“ der schwebenden Einbildungskraft ist die Synthesis E zwar in gewissem Sinne abgeschlossen (137f./FW I, 218f.), doch es bleiben noch Differenzierungsaufgaben. Diese will Fichte in 137–164/FW I, 217–246 bearbeiten. Dabei ist der Abschnitt 137–146/FW I, 217–227 eine Einleitung, die einige Reflexionen zur folgenden Methodik bietet, und der Abschnitt 146–164/FW I, 227–246 bildet die „Deduktion der Vorstellung“, in der sich die theoretische Wissenschaftslehre vollendet, weil hier erklärt wird, wie im faktischen, natürlich-lebensweltlichen Bewusstsein Vorstellungen entstehen, wobei diese Vorstellungen die Erklärung für die Möglichkeit von Erfahrung sind, weil sich diese in einem kohärenten Zusammenhang von Vorstellungen bildet. Mit dem Endresultat der Einbildungskraft sind zwar die entscheidenden Tätigkeitsweisen des Bewusstseins aufgestellt, die an der Synthesis E beteiligt sind, und damit ist für uns Philosophen auf der Ebene der Transzendentalphilosophie die Entstehung einer Vorstellung erklärt, welche theoretische Erfahrung ermöglicht. Diese Tätigkeitsweisen sind: Setzen, Entgegensetzen, Beziehen, Übergehen, Eingreifen, Entstehen durch Vergehen, Werden durch Verschwinden, wesentliches Entgegensein, mittelbares Setzen, vermitteltes Beilegen, Ausschließen, Zusammenfassen und Festhalten bzw. Zusammentreffen Entgegengesetzter. Damit sind nach Fichte alle möglichen Hinsichten auf die Bestimmungen der theoretischen Wissenschaftslehre erschöpft. Deren Grundlage besteht in dem Satz: „Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich“. Sofern alle Möglichkeiten dieses Satzes durchdacht sind, ist sein Potential zur Ableitung von transzendentalen Bestimmungen erschöpft. Dies zeigt sich nach Fichte eindeutig daran, dass man am Ende der bisherigen Ableitungen wieder auf diesen Ausgangssatz zurückkommt; damit schließt sich ein Argumentationskreis – zumindest hinsichtlich der theoretischen Wissenschaftslehre, denn der Satz, dass das Ich das Nicht-Ich bestimmt, ist noch ungeklärt und bleibt weiterhin als Aufgabe des praktischen Teils der Wissenschaftslehre bestehen; ebenso unklar ist es auch, wie es überhaupt zu einem Anstoß kommen kann. Der bislang erreichte, nicht fehlerhafte, sondern notwendige Zirkel der Argumentation ist nach Fichte ein Kennzeichen eines wissenschaftlichen Systems; ein System schließt sich an seinem Ende in seinen Anfang zurück (vgl. 139/FW I, 219). Dies ist ein eindeutiges Kriterium

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für die Abgeschlossenheit eines Denkgebäudes. Ein erster Schritt zurück in den Anfang liegt demzufolge mit der Einbildungskraft vor. Die Einbildungskraft bildet einen Rückgang zum Anfang der theoretischen Wissenschaftslehre, weil in ihr auch eine direkte Konfrontation der Widersprechenden Ich und Nicht-Ich vorliegt, die bereits am Anfang der theoretischen Wissenschaftslehre zu konstatieren ist. Nach dem Durchgang durch die theoretische Wissenschaftslehre ist mit der Einbildungskraft jedoch geklärt, welches Vermögen in der Lage ist, die lebendige Dynamik des Widerspruchs in der Schwebe auszuhalten. Trotz dieses Endresultats ist es notwendig, weitere Differenzierungen vorzunehmen, denn noch ist offen, wie die Einbildungskraft konkret strukturiert ist. Bislang wurden in der Synthesis E bloß denknotwendige Relationen dargelegt, die auf der Ebene der Transzendentalphilosophie von uns, den reflektierenden Philosophen eingesehen werden können, aber die konkretere, faktische Situation, wie sich die Einbildungskraft dem gewöhnlichen Bewusstsein darstellt, wurde nicht expliziert. Dem gewöhnlichen Bewusstsein sind die ganzen Tätigkeitsrelationen nämlich unbewusst, sie geschehen zwar in ihm, bleiben aber für es verborgen. Mit dem gewöhnlichen Bewusstsein ist – mit Worten Husserls – ein natürliches, geradehin gerichtetes, alltäglich lebensweltliches Bewusstsein gemeint. Die Einbildungskraft ist für die Transzendentalphilosophie als ein Faktum unbestreitbar, denn es muss sie notwendigerweise geben, da der Widerspruch (von Endlichkeit und Unendlichkeit bzw. Ich und Nicht-Ich) in seiner Notwendigkeit hergeleitet werden konnte und damit muss es auch das zwischen den einander Widersprechenden Vermittelnde geben, weil der Widerspruch nicht bestehen bleiben kann, denn als unvermittelt bestehender Widerspruch ist er für das Ich eine Denkunmöglichkeit. Die noch bleibende Differenzierungsarbeit des theoretischen Teils der Wissenschaftslehre besteht also darin, die interne Struktur der Einbildungskraft nachzuzeichnen, so wie sie für das Bewusstsein vorliegt: „Diese Art des Ich, jenes Faktum in sich zu bearbeiten, zu modifizieren, zu bestimmen, sein ganzes Verfahren mit demselben, ist von nun an der Gegenstand unsrer philosophischen Reflexion. – Es ist klar, dass von diesem Punkte an diese ganze Reflexion auf einer ganz andern Stufe stehe, und eine ganz andere Bedeutung habe. Die vorhergehende Reihe der Reflexion, und die künftige sind zuvörderst unterschieden ihrem Gegenstande nach. In der bisherigen wurde reflektiert über Denkmöglichkeiten. […] In der künftigen Reflexionsreihe wird reflektiert über Fakta“ (141/FW I, 221 f.). Daraus ergibt sich eine neue Methode, denn es handelt sich von nun an um eine Art von Deskription der Faktizität des Bewusstseins. Es werden nicht mehr die abstrakteren Denknotwendigkeiten konstruiert und es werden nicht mehr wie bisher die Ableitungen von neuartigen Be-

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stimmungen, die in der Synthesis enthalten sind, betrieben (vgl. 141/FW I, 222). Mit der Deskription der Einbildungskraft wird dieses Vermögen dem Selbstbewusstsein klar und deutlich zugänglich „zum Bewusstsein erhoben“ (141/FW I, 222), so wie es tatsächlich im Bewusstsein anzutreffen ist. Die Einbildungskraft ist bislang in ihrer Denknotwendigkeit eingesehen, aber die interne Struktur ist noch nicht auf bestimmte, konkrete Begriffe gebracht. Die Begriffe, auf welche die Tätigkeiten der Einbildungskraft gebracht werden, sind die verschiedenen Vermögen, die dem Bewusstsein aus seinem Alltag auch schon bekannt sind, z. B. Anschauung, Empfindung, Verstand, Urteilskraft und Vernunft. Indem also das Faktum der Einbildungskraft genauer analysiert wird, werden zugleich die verschiedenen faktischen Vermögen des menschlichen Geistes hergeleitet und darüber hinaus die zuvor dargestellten Tätigkeitsweisen im menschlichen Geist in dessen Vermögen verortet. Daher sagt Fichte: „Die Wissenschaftslehre soll sein eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes.“ (141/ FW I, 222)124 – Dieses Wort von der „pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes“ hat auf Schelling und Hegel besonders inspirierend gewirkt, denn in Schellings System des transzendentalen Idealismus (1800) und in Hegels Phänomenologie des Geistes (1807) wird genau dieses Konzept Fichtes aufgenommen und die verschiedenen „Tätigkeitsweisen des Geistes“ – wie Hegel sagen wird – werden auseinander hergeleitet; aus jeweils einfacheren Vermögen und Formen des Für-wahr-Haltens werden dort immer komplexere und höher stehende Wissenstypen hergeleitet.125 Schelling identifiziert sogar – anders als Fichte – die Geschichte des Selbstbewusstseins mit der Transzendentalphilosophie insgesamt. – Fichte stellt in seiner „pragmatischen Geschichte“ in einer Genese die notwendige Implikation der verschiedenen, komplexer werdenden Vermögen des Ich dar; d. h., es wird z. B. gezeigt, wie die Anschauung die Vernunft und den Verstand notwendigerweise impliziert. „Pragmatisch“ ist diese Genese nicht in dem Sinn eines trivialen Pragmatismus, der behauptet, dass der Nutzen der Zweck und das Prinzip von allem sei. Bei Fichte hat das „pragmatisch“ die Bedeutung, dass sich Vermögen des Ich zeigen, die jeder Mensch in einem Experiment in seinem konkreten Leben nachvollziehen kann; daher verweist Fichte auf die „experimentierende Wahrnehmung“ (142/FW I, 222). Es handelt sich also bei der Pragmatik um im konkreten Leben nachweisbare Leistungen des faktisch vorhandenen Bewusstseins in jedem von uns.126 Bislang war die Wissenschaftslehre in ihrer Untersuchung der Synthesisstruktur auf reine Relationen und Relata gestoßen, und der mitvollziehende Philosoph hatte die Aufgabe, darauf zu achten, dass seine (alltägliche) Einbildungskraft den reinen Relationen nicht ein Substrat unterschob, das verfälschend den Schein evoziert, es gebe ein Etwas, das den Relationen zugrunde liegt (143/FW I, 224). Die

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Synthesis E zeigt vielmehr umgekehrt, dass es die reinen Relationen sind, die allererst ermöglichen, dass es ein Etwas geben kann. Nun geschieht die Konkretisierung dieser Ergebnisse, denn die reinen Synthesen/Relationen werden auf bestimmte menschliche Vermögen übertragen. Die Pragmatik bezieht sich also darauf, dass die faktische Situation des menschlichen Bewusstseins dargestellt wird. – Fichte löst mit dieser „pragmatischen Geschichte des Selbstbewusstseins“ ein Problem, das später in der Phänomenologie Husserls von zentraler Bedeutung sein wird: das Verhältnis von natürlicher Einstellung des Bewusstseins zum reinen, transzendental reduzierten Bewusstsein. Bei Husserl ist es ein offenes Problem, was auch seine Schüler Eugen Fink und Jan Patočka kritisieren,127 wie es vom naiven, geradehin gerichteten Bewusstsein des Alltags einen notwendigen Übergang zu dem reinen, sich nur auf sich beziehenden Bewusstsein der Phänomenologie geben kann. Dies ist das Problem eines wissenschaftlichen Anfangs der Phänomenologie. Das geradehin gerichtete, vorphänomenologische Bewusstsein macht unhinterfragte Seinssetzungen, und diese setzt das phänomenologisch gereinigte Bewusstsein außer Kraft (Epoché), weil es deren Unsicherheit durchschaut;128 offen bleibt nun bei Husserl, wie dem natürlichen Bewusstsein diese Fraglichkeit seiner selbst wissenschaftlich notwendig bewiesen werden kann, denn wenn das natürliche Bewusstsein seinen eigenen Status hinterfragt, dann ist es schon über sich selbst hinaus und gerade nicht mehr in der natürlichen Einstellung. Fichte konzipiert dagegen umgekehrt aus der Perspektive des transzendentalen Bewusstseins, das faktische Bewusstsein gehe aus dem transzendentalen hervor und hat daher nicht das Problem Husserls, der umgekehrt zeigen will, wie das transzendentale Bewusstsein aus dem natürlichen Bewusstsein hervorgeht. Die Vermittlung zwischen Alltagsbewusstsein und philosophischem Bewusstsein stellte sich in Fichtes Ansatz auch am Anfang der Wissenschaftslehre als unproblematisch dar, da Fichte dort von dem Faktum des Satzes der Identität ausgeht, das jedes natürliche Bewusstsein zugibt, um das reine Bewusstsein bzw. das reine Ich zu erreichen. – Im Rahmen der pragmatischen Geschichte des menschlichen Bewusstseins sind zwei Perspektiven zu unterscheiden, nämlich einerseits die Perspektive des Bewusstseins selbst als dem zu Erklärenden und andererseits diejenige von unserem Bewusstsein, also die Perspektive, wie sie sich uns, den über das Bewusstsein reflektierenden Philosophen darstellt. Dies ist der Perspektivenunterschied von „für es“ und „für uns“. Auf beiden Ebenen ist ein Bewusstsein am Werke, aber einmal ein reflektiertes und das andere Mal ein reflektierendes.129 – Auch dieser Perspektivenunterschied von „für es“ und „für uns“ hat später in Hegels Phänomenologie des Geistes zentrale Bedeutung. Dort besteht eine Aufgabe der „Geschichte des erscheinenden Bewusstseins/Wissens“ darin, beide Positionen zur

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Identität zu führen, so dass dasjenige, welches „für uns“ metareflektierende Philosophen gilt, dann auch „für es“, das reflektierte, natürliche Bewusstsein gilt. Diese Hinführung zur Identität beider Perspektiven macht die Einleitungsfunktion in die spekulative Wissenschaft von Hegels Phänomenologie aus. Die Einleitungsfunktion besteht darin, das natürliche Bewusstsein auf den Standpunkt der Wissenschaft zu erheben. Eine solche in die Wissenschaft einleitende Funktion hat die Geschichte des Selbstbewusstseins bei Fichte nicht, denn bei diesem muss man sich schon auf dem Standpunkt der Wissenschaft befinden, um die Bewusstseinsbestimmungen für das natürliche Bewusstsein richtig durchschauen zu können. In Hegels Konzeption ergibt sich aus dieser Einleitungsfunktion der Phänomenologie in die Wissenschaft ein Zirkelproblem, denn einerseits soll in die Wissenschaft eingeführt werden und andererseits soll diese Einleitung selbst auch schon wissenschaftlich sein. Der mitreflektierende Philosoph muss sich darüber hinaus auch schon auf der Ebene des Wissens befinden, denn er soll die Defizite der jeweiligen Stufen des Bewusstseins feststellen können, d. h., er muss jeweils schon über diese Stufen hinaus sein. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, wie der erste Philosoph auf diese Stufe kam, da er noch keine Einleitung zur Verfügung haben konnte. Derartige Zirkel und Probleme stellten sich bei Fichte nicht. – Das Schweben der Einbildungskraft bildet sich zunächst auf einer unmittelbaren und einfachen Stufe zum „Anschauen“ aus. Anschauen besteht in dem Oszillieren der Einbildungskraft zwischen den Entgegengesetzten, also in dem gleichermaßen stattfindenden Abstoßen und Festhalten der Entgegengesetzten (vgl. 144 f./FW I, 225). Die Anschauung ist also nicht ein von der Einbildungskraft selbst unterschiedenes Vermögen, sondern sie ist es selbst, in ihrer rudimentären Gestalt, die am Anfang einer Metamorphose steht. Die verschiedenen Vermögen sind jeweils nur andere Gestalten, die sich die Einbildungskraft gibt. Mit dieser Metamorphose überwindet Fichte in einem Monismus der Vermögen, bei dem die Einbildungskraft die Wurzel ist, einen Pluralismus der Vermögen, der die Schwierigkeit hat, eine Vermittlung zwischen den heterogenen Vermögen herstellen zu müssen – den Vermögenspluralismus kann man Kant mit einiger Berechtigung vorwerfen. Bei einem solchen Pluralismus heterogener Vermögen stellt sich nämlich das Vermittlungsproblem, in der Weise, das um zwischen den Vermögen vermitteln zu können, immer wieder neue Vermögen eingeschoben werden müssen. In der einfachen Schwebung des Anschauens findet die beschriebene Ausdehnung zwischen den Widersprechenden statt. Diese Ausdehnung wird zu dem Mannigfaltigen der Anschauung in Zeit und Raum (vgl. 145/FW I, 225). „Sowie sie [gemeint sind die Entgegengesetzten Subjekt und Objekt; Einf. R. S.] durch das Denkvermögen vereinigt werden sollen,

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und nicht können, bekommen sie durch das Schweben des Gemüts, welches in dieser Funktion Einbildungskraft genannt wird, Realität, weil sie dadurch anschaubar werden: d.i. sie bekommen Realität überhaupt; denn es gibt keine andre Realität, als die vermittelst der Anschauung, und kann keine andre geben.“ (146/FW I, 226) Die Vereinigung durch das Denkvermögen, von der Fichte hier spricht, ist auf die bloß gedanklich konstruierte Synthesis E zu beziehen. Die Anschauung ist ein Realität gebendes Verfahren in der Einbildungskraft des menschlichen Geistes. Realität ist hier zu spezifizieren, was Fichte an dieser Stelle dadurch verdunkelt, dass er sagt, ausschließlich die Anschauung gebe Realität. Realität ist schon als Kategorie des ersten Paragraphen abgeleitet und dort in der Selbstbezüglichkeit des sich auf sich Beziehens des Ich begründet. Wenn Fichte bezüglich der Anschauung von Realität spricht, dann ist damit nicht eine rein gedankliche Sachhaltigkeit gemeint, die aus der widerspruchsfreien Identität von etwas mit sich selbst folgt, wie im Rahmen des ersten Paragraphen, sondern nun muss eine faktisch-konkrete Realität gemeint sein. „Es wird demnach hier gelehrt, dass alle Realität – es versteht sich für uns [d. h. für die über das Bewusstsein reflektierenden Philosophen, nicht für das Bewusstsein selbst; Einf. R. S.], wie es denn in einem System der Transzendentalphilosophie nicht anders verstanden werden soll – bloß durch die Einbildungskraft hervorgebracht werde. Einer der größten Denker unsers Zeitalters, der, so viel ich einsehe, das gleiche lehrt, nennt dies eine Täuschung durch die Einbildungskraft. Aber jeder Täuschung muss sich Wahrheit entgegensetzen, jede Täuschung muss sich vermeiden lassen. Wenn denn nun aber erwiesen wird, wie es im gegenwärtigen Systeme erwiesen werden soll, dass auf jene Handlung der Einbildungskraft die Möglichkeit unsers Bewusstseins, unsers Lebens, unsers Seins für uns, d.h. unseres Seins, als Ich, sich gründet, so kann dieselbe nicht wegfallen, wenn wir nicht vom Ich abstrahieren sollen, welches sich widerspricht, da das Abstrahierende unmöglich von sich selbst abstrahieren kann; mithin täuscht sie nicht, sondern sie gibt Wahrheit und die einzige mögliche Wahrheit. Annehmen, dass sie täusche, heißt einen Skeptizismus begründen, der das eigene Sein bezweifeln lehrt.“ (146/FW I, 227) Die Realität, welche die Einbildungskraft in der Anschauung herstellt, ist allerdings noch weiter zu spezifizieren; was dann im Rahmen der „Deduktion der Vorstellung“ (vgl. 152/FW I, 233f.) geschehen wird. Salomon Maimon ist der große Denker, auf den Fichte hier anspielt, und dieser vertritt allerdings einen Skeptizismus.130 Maimon lehrt – in Fortführung Kants –, dass die Einbildungskraft die Realität hervorbringt und somit alle Realität nur ein täuschendes Phantasieprodukt des Bewusstseins sei. Gegen diesen Skeptizismus wehrt sich Fichte mit dem cartesischen Argument der Selbstgewissheit und Täuschungsunanfälligkeit des Ich. Das Ich kann nicht von sich selbst abstrahieren, weil sonst ein

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Selbstwiderspruch begangen würde, bei dem das Abstrahierende (das Ich) von sich selbst absehen müsste, was insofern ein Widerspruch ist, als dann der faktisch vorliegende und nicht zu bestreitende Akt der Abstraktion keinen Akteur mehr hätte und ein Akt ohne Akteur sich selbst widerspricht. Ein solcher Skeptizismus ist selbstvernichtend und absurd. Wenn Fichte von einem Ich spricht, das die Einbildungskraft zur Voraussetzung hat, dann ist damit offensichtlich das faktische Ich gemeint, nicht das transzendentalphilosophische, reine Ich der ersten drei Grundsätze, denn dieses ist selbständig. Fichte spricht in der vorgenommenen Abwehr des Skeptizismus von dem endlichen und konkreten Ich, das sich – mit Husserls Worten – im „natürlich lebensweltlichen Bewusstsein“ selbst reflektiert. d) Deduktion der Vorstellung und das Ineinandergreifen der menschlichen Geistesfähigkeiten – Reflexion und Produktion der Erfahrung (146–164/FW I, 227–246) In der „Deduktion der Vorstellung“ (146–164/FW I, 227–246) werden die verschiedenen menschlichen Geistesfähigkeiten in einem synthetischen Argumentationsgang auseinander gefolgert.131 Wie in dem komplexen Räderwerk einer Uhr greifen die verschiedenen Fähigkeiten/Vermögen des menschlichen Geistes ineinander. In ihrem Ineinandergreifen stützen und treiben sie sich wechselseitig an. Diese Vermögen sind bezüglich der Hervorbringung theoretischer Vorstellungen: (produktive und reproduktive) Einbildungskraft, Anschauung, Verstand, Urteilskraft und Vernunft. Das klingt zunächst sehr nach einer Orientierung an Kant, doch Fichte bestimmt diese Vermögen inhaltlich und funktionell völlig anders als Kant. Die Einbildungskraft ist bei Fichte zusammen mit der Anschauung schon als eine oszillierende Tätigkeit hergeleitet; das Oszillieren findet zwischen einer ins Unendliche gehenden, unbedingten Tätigkeit des reinen Ich und einer endlichen durch ein Nicht-Ich begrenzten Tätigkeit statt; wobei letztere durch den Anstoß des Nicht-Ich begründet wird. Wenn dieses synthetische Oszillieren selbst als eine Struktur im Ich reflektiert werden soll, dann muss sie als begrenzte Struktur vorgestellt werden. Dies lässt sich gemäß Fichtes Beispiel einer zwischen den Punkten A, B und C vermittelnden Linie, die zwei entgegengesetzte Vektorenrichtungen hat, veranschaulichen: Widerstehende Tätigkeit Ich Ich

A B C 앚→→→앚→→→앚 앚←←←앚←←←앚 A B C

Nicht-Ich Nicht-Ich

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Die ins Unendliche gehende Tätigkeit des Ich ist die von A ausgehende. Diese wird in C zunächst gestoppt (obere Linie) und dann von C nach A (untere Linie) zurückgetrieben; d. h., sie wird re-flektiert. In C erfährt die Tätigkeit eine Hemmung, bzw. ein Leiden. C ist nicht mit dem Nicht-Ich zu identifizieren, es ist lediglich der vom und im Ich erlebte Rückstoß durch ein anderes seiner selbst. Das Nicht-Ich liegt C zugrunde. Ebenso ist A nicht mit dem absoluten Ich zu identifizieren, sondern es handelt sich um den Anfangspunkt für eine bestimmte und schon gerichtete Tätigkeit des Ich. Die Richtung von A nach C ist eine nach außen gehende Tätigkeit und die von C nach A eine nach innen gehende. Der Gesamtzusammenhang beider Linien macht eine in sich gegenstrebige Bewegung aus, eben jenes Oszillieren. Fichte bezeichnet sie daher auch als „widerstehende Tätigkeit“ (147/FW I, 228). Das Anschauen ist genau diese gegenstrebige Bewegung, eine Tätigkeit die mit einem Leiden synthetisiert ist, und ein Leiden, das mit Tätigkeit verknüpft ist (vgl. 148/FW I, 229). Einbildungskraft und Anschauen sind dadurch zu unterscheiden, dass die Einbildungskraft dadurch zum Anschauen wird, dass sie einen Rückstoß erlebt, über den sie nicht mehr hinaus kann. Das Ich kann sich zwar denken, dass es auch jenseits von C noch die Möglichkeit gibt, tätig zu sein, dass es also noch die Punkte D, E etc. hinter C geben mag, aber in seinem aktuellen Erleben geschieht in einem bestimmten Punkt (C) eine Hemmung. Die aktuelle Tätigkeit wird sogar – nach dem Gesetz: „Omnis determinatio est negatio“ – dadurch bestimmt, dass sie dasjenige ist, was nicht noch hinter den Punkt C gehen kann. Die Tätigkeit der Anschauung ist also deswegen bestimmt, weil sie von A nach C und nicht von A nach den hypothetischen und im Dunkeln liegenden D oder E etc. reicht. In diesem Anschauen setzt sich das Ich selbst als anschauend, d. h., es setzt sich als tätig und es setzt sich etwas entgegen, das von seiner Tätigkeit erfasst wird, das in dieser Hinsicht leidend ist. Daraus entsteht der Unterschied zwischen dem Anschauenden und dem Angeschauten (vgl. 148/FW I, 229). Die Möglichkeit ist gegeben, dass die Anschauung nicht nur „für uns“ in ihrer Struktur sichtbar wird, sondern auch „für es“. D. h., auch das betrachtete Bewusstsein kann seine Anschauungsstruktur dadurch erkennen, dass es sich in der Unterscheidung: tätig Anschauendes und passiv Angeschautes reflektiert (vgl. 148/FW I, 229). Die Setzung des Angeschauten ist keine in das Ich selbst gehende Tätigkeit, sondern sie geht aus dem Ich heraus; das Anschauen ist zugleich ein produktives „Hinschauen“ (149/FW I, 230). Insofern sind sich die beiden Tätigkeiten des Aus-sich-Gehens und des In-sich-Gehens als Produktion und Reflexion entgegengesetzt. Das Angeschaute wird in gewisser Hinsicht produziert; weil ohne das Hinsehen des Ich zum Angeschauten, dasselbe für das Ich nicht

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vorhanden wäre, es wäre ohne den Hinblick des Ich ein bloß potentiell Angeschautes. Ohne den Anschauungsakt und ohne das Anschauende kein Angeschautes. Hier zeigt sich, wie die Einbildungskraft selbst eine Metamorphose zum Anschauen vollzieht: „Das produzierende Vermögen ist immer die Einbildungskraft; also jenes Setzen des Angeschauten geschieht durch die Einbildungskraft, und ist selbst ein Anschauen (ein Hinschauen [in aktiver Bedeutung] eines unbestimmten Etwas).“ (149/FW I, 230) Diese Betrachtung einer Produktion des Angeschauten gilt aber ausschließlich „für uns“, denn das betrachtete Bewusstsein erlebt im Angeschauten nur seinen Rückstoß und seine Hemmung; vom betrachteten Bewusstsein wird im Anschauen also eine Passivität erlebt. Die Einbildungskraft bleibt dem betrachteten Bewusstsein in ihrer Produktivität verborgen; wenngleich „wir“ wissen, dass sie am Werk ist. Daraus ergibt sich eine interessante Frage: Wenn das betrachtete Bewusstsein sich im Anschauen als passiv erlebt, wie ist dann das betrachtete Ich in der Lage, die Anschauung sich selbst zuzuschreiben; das kann doch nur dann geschehen, wenn es eine spezifische Form von Reflexion auch beim betrachteten Bewusstsein gibt, durch die es sich als aktiv Anschauenden der Anschauung weiß, wenn also die Anschauung nicht bloß als ein anonymes, dingliches Geschehen gegeben ist (vgl. 149/FW I, 230f.). Fichte folgert daher, dass es die Handlungsrichtung von C nach A zweimal gibt, nämlich einmal als eine Reflexion, die durch den Rückstoß in C eine Umkehrung der Impulsrichtung zum Ich hin erfährt. Und darüber hinaus noch eine von C nach A gehende Bewegung, die allein in einer reflexiven Tätigkeit des Ich selbst besteht, denn es soll ja die Tätigkeit des Anschauens sich selbst zuschreiben, das kann aber nur ein Wissen von sich sein, das einerseits nicht mit der Tätigkeit von A nach C identisch ist, weil diese eine Impulsrichtung vom Ich weg hat, und diese zweite Richtung von C nach A kann auch nicht mit der ersten von C nach A identisch sein, weil diese durch den in C stattfindenden Rückstoß des Nicht-Ich bedingt ist, diese Rückbewegung kann sich das Ich also auch nicht selbst zuschreiben. Es sind daher äußere Reflexion und innere Reflexion zu unterscheiden, diese haben zwar beide dieselbe Richtung, sind aber anders motiviert. Äußere Reflexion (Wirkung) Ich (Ursache) Ich

A B C 앚←←←앚←←←앚 앚←←←앚←←←앚 A B C Innere Reflexion

Nicht-Ich (Ursache) Nicht-Ich (Wirkung)

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Die äußere Reflexion ist für das Ich ein passives Erleiden und die innere Reflexion ist eine spontane Leistung des Ich: „Die erstere nämlich ist durch einen bloßen Anstoß von außen; die zweite wird durch absolute Spontaneität reflektiert.“ (150/FW I, 231 f.) Fichte unterscheidet somit zwei Arten von Reflexion: eine, die eher ein Geschehen mit passivem Erlebnischarakter des Ich ist. Hier wird das Ich wie durch einen gegenständlich vorhandenen Spiegel auf sich selbst zurückgeworfen. Eine zweite Form der Reflexion besteht darin, dass das Ich sich spontan Leistungen zuschreibt und sich dessen bewusst ist, dass eine Handlung seine eigene Aktion war, dabei weiß sich das Ich als den Gestalter des Spiegelbildes. In dieser inneren Reflexion liegt für das betrachtete Bewusstsein die Möglichkeit, sich seiner selbst bewusst zu werden; dies ist nicht bloß eine Bewusstseinsstruktur, die es nur „für uns“ gibt, sondern es gibt sie auch „für es“. Damit können nicht nur wir zwischen Anschauendem und Angeschautem unterscheiden, sondern auch das betrachtete Bewusstsein ist in der Lage, zwischen sich und dem Angeschauten zu differenzieren. Damit eine solche Differenzierung gelingen kann, muss die Einbildungskraft an ihrem Schweben gehindert werden. Sie muss fixiert werden, damit die verschiedenen Impulsrichtungen und deren jeweiliger Ausgangspunkt unterschieden werden können, das kann solange weder für das betrachtete Bewusstsein noch „für uns“ geschehen, wie die Einbildungskraft noch in ihrem Oszillieren befangen ist. Wenn es also ein Bewusstsein des Anschauenden von sich selbst geben können soll, dann muss es auch die Möglichkeit geben, dass die schwebende Tätigkeit der Einbildungskraft fixiert wird. – Dies ist wieder eine der klassischen transzendentalen Argumentationen, denn von einem gegebenen Faktum (Unterschied von Anschauendem und Angeschautem) wird auf die Bedingungen der Möglichkeit (Fixierung der Einbildungskraft) zurückgeschlossen. „[…] das Anschauen als solches ist gar nichts Fixiertes, sondern es ist ein Schweben der Einbildungskraft zwischen widerstreitenden Richtungen. Dasselbe soll fixiert werden, heißt: die Einbildungskraft soll nicht länger schweben“ (151/FW I, 232 f.). Der Grund für die Fixierung der Einbildungskraft besteht in der Notwendigkeit, dass das Ich die Anschauung sich selbst zuschreiben können muss, also in der inneren Reflexion. Fichte konkretisiert diese Fixierung der Anschauung bzw. der Einbildungskraft in folgenden drei Aspekten (vgl. 152/FW I, 233): 1. ist eine Fixierungshandlung notwendig und diese nimmt das Ich spontan vor. Sofern das Ich eine solche spontane Fixierung vornimmt, wird es zur „Vernunft“. Die Vernunft wird hier als das Vermögen eingeführt, aus Spontaneität eine Handlung zu setzen und zu fixieren. „Das ganze Fixieren geschieht zum Behuf der Reflexion durch Spontaneität, es geschieht durch diese Spontaneität der Reflexion selbst, wie sich sogleich zeigen wird; mithin kommt

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die Handlung des Fixierens zu dem schlechthin setzenden Vermögen im Ich, oder der Vernunft.“ (152/FW I, 233) Hieran kann kritisiert werden, dass die Identifikation der bisherigen, dem reinen Ich zugeschriebenen Setzungstätigkeit mit der Vernunft von Fichte unvermittelt eingeführt und angenommen wird. Eine wirkliche Ableitung, dass die bisherige Ichspontaneität (in den §§ 1–4) mit dem spezifischen Vermögen theoretischer Vernunft identifiziert werden darf, leistet Fichte nicht. In der Folge beschreibt er allerdings diese Fixierungshandlung noch genauer. 2. muss ein zu Fixierendes vorhanden sein; dies ist die schwebende Einbildungskraft. Und 3. muss es ein Produkt der Fixierung geben; das ist die dem Ich zugeschriebene und reflektierte Anschauung. Bezüglich der Fixierungshandlung differenziert Fichte folgendermaßen: „Es ist klar, dass, wenn das geforderte Festhalten möglich sein solle, es ein Vermögen dieses Festhaltens geben müsse; und ein solches Vermögen ist weder die bestimmende Vernunft, noch die produzierende Einbildungskraft, mithin ist es ein Mittelvermögen zwischen beiden. Es ist das Vermögen, worin ein Wandelbares besteht, gleichsam verständigt wird (gleichsam zum Stehen gebracht wird), und heißt daher mit Recht der Verstand. – Der Verstand ist Verstand, bloß insofern etwas in ihm fixiert ist; und alles, was fixiert ist, ist bloß im Verstande fixiert. Der Verstand lässt sich als die durch Vernunft fixierte Einbildungskraft, oder als die durch Einbildungskraft mit Objekten versehene Vernunft beschreiben. – Der Verstand ist ein ruhendes, untätiges Vermögen des Gemüts, der bloße Behälter des durch die Einbildungskraft Hervorgebrachten und durch die Vernunft Bestimmten und weiter zu Bestimmenden; was man auch von Zeit zu Zeit über die Handlungen desselben erzählt haben mag.“ (152/FW I, 233 f.) Letzteres richtet sich auch gegen Kant, der den Verstand mit der Einheit der Apperzeption identifiziert und ihm Spontaneität zuschreibt, ihn zum höchsten Punkt der transzendentalen Vermögen erklärt.132 Ganz anders Fichte: Der Verstand ist – etymologisierend – eine still stellende Fähigkeit und als solche ein völlig passives Vermögen und – durchaus in abwertendem Sinn – ein „Behälter“; was wohl auch eine sarkastische Anspielung auf Kants „Vehikelmetapher“ darstellt, dass das „Ich denke [= reiner Verstand bzw. transzendentale Einheit der Apperzeption; Einf. R. S.] muss alle meine Vorstellungen begleiten können“.133 In diesem Aspekt steckt auch tatsächlich ein Problem in Kants Konzeption der reinen synthetischen Einheit der Apperzeption, denn einerseits soll sie ein Leistungszentrum spontaner Verknüpfungen sein und andererseits soll sie die Vorstellungen nur begleiten. Das Verhältnis des Verstandes zur Vernunft ist bei Fichte selbst allerdings auch klärungsbedürftig oder sogar ambivalent; denn eigentlich soll es die Vernunft sein, die den Wandel der Einbildungskraft fixiert; dann führt Fichte aber aus, dass dies der Verstand leistet. Wie verhalten sich also

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Verstand und Vernunft zueinander? Der Verstand ist eine unselbständige Enklave in der Vernunft, mit der speziellen Fähigkeit der Fixierung. Der Verstand ist der Stillsteller des Wandels und Werdens. Wobei er insofern eine Vermittlungsfunktion ausübt, als er zwischen Vernunft und Einbildungskraft steht. Der Verstand wird zu einer unselbständigen Phase innerhalb des Gesamterkenntnisvorgangs, der von dem Schweben der Einbildungskraft ausgehend sich zur Anschauung, dann zur Vernunft und schließlich zum Verstand modifiziert. Wenn der Verstand ein solch defizientes Vermögen des Stillstandes ist, warum modifiziert sich die Einbildungskraft dann überhaupt zu ihm? Die Antwort darauf lautet, dass die Fixierung und Beständigkeit ein wesentlicher Charakter der Realität bzw. Wirklichkeit ist und dass wir nur vermittels dieser Fixierungen Wirklichkeit erkennen können. Und da sich die Erkenntnis im faktischen, beobachteten Bewusstsein auf das Wirkliche richtet und dieses ihm als gesetzhaft organisiert und nicht in einem steten Wechsel erscheint, muss auch dieser zentrale Aspekt durch ein transzendentales Vermögen bewirkt und erklärt werden. Die Feststellung der Wirklichkeit bewirkt letztlich der Verstand. Wenngleich also Fichte bereits der Anschauung eine Realisierungstendenz zuschreibt (vgl. 146/FW I, 227), dann vervollkommnet sich diese im Verstand. Eigentlich muss man Fichte dahin gehend präzisieren, dass es das Zusammenwirken von Einbildungskraft, Anschauung und Verstand ist, das Wirklichkeit/Realität in einem engeren Sinne aufbaut. Die Einbildungskraft ist der Produzent des Wirklichen, die Anschauung gibt das Gefühl der Unmittelbarkeit, das die Wirklichkeit auszeichnet, und der Verstand ergänzt diese Unmittelbarkeit durch seine Feststellung: „Nur im Verstande ist Realität (wiewohl erst durch die Einbildungskraft); er ist das Vermögen des Wirklichen; in ihm erst wird das Ideale zum Realen: [daher drückt verstehen auch eine Beziehung auf etwas aus, das uns ohne unser Zutun von außen kommen, durchaus aber lediglich gedeutet und vernommen werden soll]. Die Einbildungskraft produziert Realität; aber es ist in ihr keine Realität; erst durch die Auffassung und das Begreifen im Verstande wird ihr Produkt etwas Reales. – Demjenigen, dessen wir uns als eines Produktes der Einbildungskraft bewusst sind, schreiben wir nicht Realität zu; wohl aber dem, was wir im Verstande, dem wir gar kein Vermögen der Produktion, sondern bloß des Aufbehaltens zuschreiben, als enthalten antreffen.“ (152f./FW I, 233f.) Der Verstand ist deswegen so statisch, weil er unproduktiv ist; denn alles, was produktiv ist, befindet sich im Werden und im Wechsel. Für das faktische Bewusstsein ist ein reiner Wechsel aber gar nicht bemerkbar und er würde der Aufmerksamkeit kontinuierlich entschwinden, denn jedes Mal, wenn etwas erkannt werden sollte, wäre es schon wieder verschwunden. In diesem Sinne kritisiert bereits Platon den Fluss des Seins und die Fluss-

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ontologie der Herakliteer, weil aufgrund des kontinuierlichen Werdens alle Möglichkeit der Erkenntnis aufgehoben wird. Organisch klärt sich bei Fichte aus dem Zusammenspiel von Einbildungskraft, Anschauung und Verstand der Charakter der Unverfügbarkeit der theoretisch zu erkennenden Wirklichkeit, die sich z. B. in Experiment und Beobachtung der Naturwissenschaft zeigt. Dem Produkt der bloßen Einbildungskraft schreibt das beobachtete, faktische Bewusstsein insofern keine Realität zu, als es dies für ein werdendes Phantasieprodukt hält. Vergegenwärtigende Anschaulichkeit und konstatierbare Verständigkeit müssen als weitere Merkmale zum Produzieren der Einbildungskraft hinzukommen, um etwas als wirklich auszuweisen. Damit ist ein Unterscheidungskriterium für eine Phantasie- von einer Wirklichkeitsvorstellung angegeben. Nach Fichte folgt in diesem Kontext der Geschichte des menschlichen Geistes auch, wie es für das Bewusstsein möglich ist, dass „für es“ die Wirklichkeit etwas von ihm völlig Abgetrenntes ist und eine gewisse Selbständigkeit und Unverfügbarkeit für das wirkliche Ich haben kann, obgleich für uns, die Transzendentalphilosophen, die Produktion der Wirklichkeit aus der Einbildungskraft eine notwendige Einsicht ist. Die Produktion der Wirklichkeit liegt noch vor der Schwelle dessen, was für das betrachtete Bewusstsein erkennbar ist. Die Produktivität der Einbildungskraft ist noch unfixiert und in einem kontinuierlichen Schweben und Werden, welches der Verstand als solches noch nicht erfassen kann, denn er kann nur die fixierbaren Anschauungen auf Begriffe bringen, indem er Gemeinsamkeiten herausgreift. Die Produktion der Einbildungskraft bleibt vorbewusst; deshalb kann der Verstand sie sich nicht zuschreiben und trennt sie notwendigerweise von sich ab. „Daher unsre feste Überzeugung von der Realität der Dinge außer uns, und ohne alles unser Zutun, weil wir uns des Vermögens ihrer Produktion nicht bewusst werden.“ (153/FW I, 234) Die Produktion der Wirklichkeit in der Einbildungskraft wird nur uns, als Transzendentalphilosophen, in unserer „künstlichen“ (153/FW I, 234) Reflexion bewusst. Dass die Produktion der Einbildungskraft als solche noch keine Realität enthält, ist eine notwendige Konsequenz daraus, dass sie die Realität allererst hervorbringt; denn was Realität hervorbringt, kann nicht selbst auch schon Realität enthalten, weil sonst ein fehlerhafter Zirkel in der Argumentation vorläge. Fichte entgeht somit einem weiteren klassischen skeptischen Argument, nämlich dem, dass in einem fehlerhaften Zirkel Wirklichkeit aus Wirklichem erklärt werde. Dieser Einwand ist sicherlich gegen zahlreiche Formen des Realismus oder auch des Naturalismus treffend. Durch das oben im Schema eingeführte C wird die Tätigkeit, die von dem A ausgeht, begrenzt und zurückgeworfen. C stellt somit eine Grenze für die an sich ins Unendliche strebende Tätigkeit des Ich dar. Das Ich

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kann sich aber dennoch denken, dass auch hinter C noch ein Weitergehen der Tätigkeit möglich wäre und dass dies eine Tätigkeit sein würde, die aufgrund der fehlenden Begrenzung in C unbestimmt wäre, dennoch strebt sie in immer weitere Regionen vorwärts. Hinter der spezifiziert begrenzten Anschauungstätigkeit liegt also im Dunkeln noch eine weitergehende aber unbewusste Anschauung (vgl. 154/FW I, 235). Die Opazität dieser unbewussten Anschauung bzw. des möglicherweise auch noch Anschaubaren rührt daher, dass sie nicht durch C begrenzt ist, sondern einen noch nicht erkundeten Raum hinter C bloß andeutet. Diese dunkle, unbewusste Anschauung ist der bewussten Anschauung entgegenzusetzen. Das Ich kommt dadurch in die Lage, sich nun als ein anschauendes explizit zu wissen, das im Unterschied zu einem unbegrenzten Anschauen durch C begrenzt ist. Das Ich kann sich nun reflexiv selbst als Ich thematisieren. Das unbegrenzt dunkle Anschauen konstituiert dagegen für das betrachtete Ich das Nicht-Ich, denn immer ist das Ich in der Lage, von einer bestimmten Anschauung zu sagen, dass es etwas hinter dieser geben wird, das über sie hinausgeht und deren Grund ist. – Mit Worten Husserls: Die selbstgebende, konkrete Anschauung ist horizonthaft von einem Hof abgeschatteter, weiterer, potentieller Anschauungen umgeben. – Die Erweiterbarkeit des für das Ich möglichen Anschauungsbereichs bringt nicht nur ein Gefühl von ins Unendliche gehender Anschauung und Opazität, sondern auch die Gewissheit, dass es zusätzlich zu jeder Reflexion eine unendliche Menge an noch nicht Reflektiertem gibt, das über die gerade gewonnene Anschauung hinausgeht und einen vom Ich unabhängigen Grund voraussetzt; das Nicht-Ich. Insofern gibt es für Fichte auch ein „Ding an sich“ bzw. ein Noumenon; dabei handelt es sich um das, was jenseits des aktuell und thematisch Angeschauten als bloß potentielle Gegebenheit liegt; das, was über C hinaus liegt, ist das Ding an sich (vgl. 155/FW I, 236). Dabei ist das Ding an sich in dieser Perspektive eigentlich ein „absolutes Produkt der Tätigkeit des Ich“ (a. a. O.); denn es ist das Ich selbst, das in potentiellen Akten über die aktuelle Anschauung, die bloß bis C reicht, noch hinausgeht. „Dieses Produkt ist das Nicht-Ich, durch dessen Entgegensetzung für den gegenwärtigen Behuf das Ich überhaupt erst als Ich bestimmt, – wodurch erst das logische Subjekt des Satzes: das Ich ist anschauend, möglich wird.“ (154/FW I, 235) Mit dem kursivierten „als“ will Fichte wohl andeuten, dass es hier erstmals eine thematische, ausdrückliche, bewusst klare und deutliche Selbstbeziehung für das betrachtete Ich gibt. Das Ich wird nicht nur gesetzt, sondern als Ich gesetzt. Diese „Als-Setzung“ ereignet sich immer nur als eine spezifische Setzung, also z. B. als Setzung eines Ich, das die Eigenschaft hat, bis zum Punkt C anzuschauen. So weiß ich mich z. B. als ein Ich, das

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die Farbe der grünen Lampe vor mir auf dem Tisch anschaut. In diesem Fall schaue ich nicht nur die grüne Farbe an, sondern weiß zugleich auch mich als den, der die Grünanschauung hat. „Die so bestimmte Tätigkeit des anschauenden Ich wird, wenigstens ihrer Bestimmung nach, festgesetzt und begriffen im Verstande zu weiterer Bestimmung“ (154/FW I, 235). Die begriffliche Funktion des Verstandes besteht darin, dass die Einbildungskraft sich reproduktiv verhalten kann und nur konstatierend auffasst, was sie zuvor unbewusst produzierte. Der Verstand ist ein nach allgemeinen Merkmalen codierter, d. h. begrifflicher Speicher für die Einbildungskraft. Die Fixierungen der als Verstand reproduktiven Einbildungskraft bestehen in dem fixierenden Festhalten von gemeinsamen Merkmalen, die auf Anschauungen übertragen werden. Die Anschauungen haben nicht schon vor dem Festhalten von Merkmalen eine begriffliche Bestimmtheit, sondern sie bekommen diese allererst übertragen. Auch in diesem Kontext zeigt sich wieder die Metamorphose der Einbildungskraft, denn es ist die reproduktive Einbildungskraft, die sich zum Verstand wandelt. Anschauendes und Angeschautes sind einander auf eine ganz bestimmte Weise wechselseitig korreliert (vgl. 156/FW I, 237). Die Korrelation besteht darin, dass im Anschauenden eine Tätigkeit vorliegt, der ein Leiden im Angeschauten entspricht. Wie ein Schlüssel ins Schloss eingepasst ist, so sind Tätigkeit des Anschauenden, d. i. der Anschauungsakt, und Leiden im Angeschauten ineinander gefügt. Dass beides so ineinander gefügt ist und zueinander passt, liegt daran, dass zuvor die produktive Einbildungskraft beide in einem Akt hervorgebracht hat; dies bleibt allerdings dem Verstand un- oder vorbewusst. Dem Verstand erscheinen beide Seiten als getrennt, aber doch „korrespondierend“ und aus diesem Grunde liegt eine „objektive Tätigkeit“ vor. Von dieser objektiven Tätigkeit ist wiederum die „nicht-objektive, mithin reine Tätigkeit, Tätigkeit überhaupt und schlechthin“ (vgl. 156/FW I, 237) zu unterscheiden.134 Die objektive Tätigkeit ist also durch die Korrelation von Tätigkeit im Ich und Leiden im Nicht-Ich zu bestimmen, das Ich ist dasjenige, welches die Tätigkeit des Anschauens leistet, und das Nicht-Ich ist das Vorliegende, Gegebene, das sich als Angeschautes passiv verhält. Die nicht-objektive Tätigkeit muss dagegen entgegengesetzt bestimmt werden, denn sie ist eine korrelationslose Tätigkeit. In Fichtes synthetischer Methode hat nun die Vereinigung von objektiver und nicht-objektiver Tätigkeit zu erfolgen. Diese besteht darin, dass die nicht-objektive Tätigkeit der „Realgrund“ der objektiven Tätigkeit ist, denn ohne die Tätigkeit überhaupt gibt es keine spezifischere Tätigkeit. Umgekehrt ist die objektive Tätigkeit der Idealgrund der nicht-objektiven Tätigkeit, denn nur anlässlich der spezifischeren Tätigkeit wird das be-

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trachtete Bewusstsein sich dessen inne, dass es auch eine nicht-objektive Tätigkeit geben muss, denn eine nicht-objektive Tätigkeit würde für das Bewusstsein immer in der Verborgenheit der Un- oder Vorbewusstheit verbleiben, wenn nicht die objektive Tätigkeit zuvor als ein besonderes Handeln bewusst geworden wäre. Die Synthesis von objektiver und nicht-objektiver Tätigkeit ergibt in Fichtes Deduktion zwei Kategorien der Modalität, nämlich Notwendigkeit und Möglichkeit, in ihrer spezifischen Funktionsweise für einen auf Wirkliches ausgerichteten Verstand. Diese Formen von Notwendigkeit und Möglichkeit betreffen – wie oben bereits ausgeführt – eine spezifizierte Realität, die sich aus dem Zusammenspiel von produktiver und reproduktiver Einbildungskraft, Anschauung und Verstand ergibt. Es handelt sich um wirkliche Notwendigkeit und wirkliche Möglichkeit, nicht um eine rein logische Notwendigkeit oder Möglichkeit. „Demnach ist Bedingung aller objektiven Tätigkeit ein Leiden. Dieses Leiden muss angeschaut werden. Aber ein Leiden lässt sich nicht anders anschauen, als wie eine Unmöglichkeit der entgegengesetzten Tätigkeit; ein Gefühl des Zwanges zu einer bestimmten Handlung, welches der Einbildungskraft allerdings möglich ist. Der Zwang wird im Verstande fixiert als Notwendigkeit. Das Gegenteil dieser durch ein Leiden bedingten Tätigkeit ist eine freie, angeschaut durch die Einbildungskraft als ein Schweben der Einbildungskraft selbst zwischen Verrichten und Nicht-Verrichten einer und ebenderselben Handlung; Auffassen und Nicht-Auffassen eines und ebendesselben Objektes im Verstande; aufgefasst in dem Verstande, als Möglichkeit.“ (157/FW I, 238 f.) Die Modalitätskategorien Notwendigkeit und Möglichkeit sind hier in einer ganz spezifischen, für Objekte der Anschauung konstitutiven Bedeutung zu verstehen. Die logische Notwendigkeit würde lediglich besagen, dass es sich um einen Gedanken handelt, bei dem die Denkbarkeit des Gegenteils unmöglich ist; so ist z. B. das Gegenteil von A = A nicht denkmöglich, denn dem Gedanken A = ¬A können wir weder Sinn noch Bedeutung geben, er ist eigentlich ein Ungedanke. Bei der hier von Fichte deduzierten Notwendigkeit handelt es sich aber um eine Anschauungswirklichkeit, denn sie ist mit „Gefühl“ und „Zwang“ verbunden; die auf der Ebene des subjektiven Erlebens liegen. Bei der logischen Notwendigkeit spielt die Ebene des subjektiven Gefühlserlebens keine Rolle. Dagegen entstehen im Kontext der konkreten Wirklichkeit die Anschaulichkeit und das Leiden durch den subjektiv empfundenen Zwang. Dieser Zwang besteht in einer Nötigung, etwas nur so und nicht anders erleben zu können. Das Subjekt stößt an eine Grenze, bei der es eine Unfähigkeit erlebt, etwas nicht nach Belieben umfingieren zu können. Wird diese Unfähigkeit, dieser Zwang fixiert, dann ergibt sich daraus eine Verstandesnotwendigkeit. Bei der Verstandesmöglichkeit bleibt der Zwang aus; das frei

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schwebende Spiel der Einbildungskraft kann dort ungehemmt fortgesetzt werden. Dies zeigt sich in jedem Phantasiegebilde. Wir sind nicht genötigt, etwas wie z. B. einen Satyr zu setzen; das steht im Belieben unserer Phantasie; dasselbe ist auch z. B. bei subjektiven Wünschen der Fall; wenn sich jemand ein Haus wünscht, braucht das ein anderer nicht auch zu machen. Logisch gesehen besteht die Möglichkeit darin, dass etwas widerspruchsfrei sein muss und dass das Gegenteil nicht unmöglich ist. A ist dadurch möglich, dass es mit sich selbst identisch ist und ¬A von seiner Bedeutung ausgeschlossen ist. Zugleich kann aber unabhängig von A auch ¬A gedacht werden, sofern es ebenfalls als mit sich identisch gedacht wird (¬A = ¬A). Die im obigen Zitat von Fichte angesprochene Möglichkeit, ist aber eine spezifischere Verstandesmöglichkeit eines Anschauungsgegenstandes, denn an deren Zustandekommen sind nicht nur abstrakte Gedanken beteiligt, sondern die schwebende Einbildungskraft und der Versuch des Verstandes, dieses Schweben zu fixieren. Die objektive Tätigkeit mit ihrem korrespondierenden Leiden ist auch als eine Affektion zu bezeichnen, genauer als eine Fremdaffektion, denn das Ich sieht sich in seiner ungehemmten Tätigkeit zwanghaft von etwas aufgehalten, das nicht es selbst ist. Die Affektion ist eine differenzierte Form des „Anstoßes“ (vgl. 158/FW I, 239). Wenn eine Synthese von objektiver und nicht-objektiver Tätigkeit erfolgen soll, dann hat dies drei verschiedene Aspekte (vgl. 158/FW I, 239): 1. Es entsteht eine „Selbstaffektion“; das ist dann der Fall, wenn bei der Synthese von Zwang/Affektion und nicht-objektiver Tätigkeit des Ich letzteres führend ist. Denn in der nicht-objektiven Tätigkeit setzt das Ich mit einer selbständigen Freiheit seine schwebende Tätigkeit in die eine oder andere Richtung. Wird diese selbstgewirkte Freiheit in führender Rolle mit der Affektion kombiniert, dann erhält man eine Verbindung von Freiheit und Zwang, die ihren Ausgang von der Freiheit nimmt und daher eine „Selbstaffektion“ bildet. Der 2. Aspekt besteht in einer Synthese unter der Führung des Zwangs, also der Affektion; wenn diese die Synthese leitet, dann wird die Freiheit durch einen äußeren Anstoß veranlasst. Die Spontaneität wird hier in die Lage versetzt, auf sich reflektieren zu können, denn es liegt eine objektive Tätigkeit vor, die das Bewusstsein klar und deutlich erlebt, und nun kann es darauf reflektieren, dass es in seiner eigenen Verfügungsgewalt steht, überhaupt eine solche Tätigkeit zu vollziehen oder nicht zu vollziehen. Diese Reflexion ist eine in sich zurückgehende Tätigkeitsrichtung; im Unterschied zu derjenigen, die vom Ich auf das Objekt ausgeht, die eine außer sich gehende Tätigkeitsrichtung ist. Wenn das Ich z. B. eine Rotanschauung hat, dann hat es auch die Freiheit sich spontan dazu zu entschließen, diese auszublenden oder zu verdrängen. Daran zeigt sich, dass das Bewusstsein der eigenen Spontaneität in diesem Fall ein nachkom-

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mendes und reflexives Bewusstsein nach der Affektion ist und durchaus zunächst überhaupt eine Affektion erfolgt sein muss, damit das Ich sich seiner Spontaneität innewerden kann. Die Affektion ist Erkenntnisgrund für die Spontaneität; nicht Seinsgrund, denn wenn es für ihre Existenz einen Grund gäbe, wäre die Spontaneität nicht mehr selbstanfänglich. Ein weiterer Aspekt bei dieser komplexen Synthese besteht 3. in einer Vereinheitlichung der beiden vorangehenden Formen der Verbindung von Zwang und Spontaneität. Waren einmal die Spontaneität und einmal der Zwang führend, so soll nun die dritte Alternative expliziert werden, in der ein Gleichgewicht hergestellt wird, d. h. eine wirkliche Wechselwirkung. „Beide bestimmen sich gegenseitig in der Anschauung. Wechselwirkung der Selbstaffektion des Anschauenden, und einer Affektion von außen ist die Bedingung, unter der das Anschauende ein Anschauendes ist. Dadurch ist denn auch zugleich das Angeschaute bestimmt. Das Ding an und für sich ist Gegenstand der Anschauung unter Bedingung einer Wechselwirkung. Insofern das Anschauende tätig ist, ist das Angeschaute leidend; und insofern das Angeschaute, welches insofern ein Ding an sich ist, tätig ist, ist das Anschauende leidend.“ (158/FW I, 239) Das „Ding an sich“ erhält damit einen spezifischen und durchaus positiven Sinn. Denn es bezeichnet dasjenige Quantum an erlebter Tätigkeit, das sich das Ich nicht selbst zuschreiben kann, wenn es affiziert wird. Die Affektion ist dem Ich nicht nur ein Geschehen, bei dem es passiv ist, sondern es wird aufgrund der Passivität ein Aktivitätsquantum in das Anstoßende, Affizierende übertragen. Dieser irreduzible Rest an Tätigkeit im Anstoßgeschehen durch das NichtIch macht es für das Ich zum „Ding an sich“. Dabei wird offensichtlich auf dieses spezifische „Ding an sich“ die Kausalitätskategorie angewendet, denn das Ding soll Ursache für eine Wirkung im Ich sein und das Anschauungserleben im Ich ist ein „Effekt“ (vgl. 160/FW I, 241). Dabei ist allerdings die dem Ding zugeschriebene Tätigkeit bloß eine Konstruktion, die das Ich aufbaut, um seinen Anstoß zu erklären. Der Unterschied zwischen Anschauendem, Angeschautem und Anschauungsakt ist somit eine Folge der wechselseitigen Synthese von Affektion und Selbstaffektion, von Zwang und Spontaneität und damit auch von Verstandesmöglichkeit und Verstandesnotwendigkeit. Bestimmung und Selbstbestimmung greifen bei der Anschauung ineinander. Aus dieser synthetischen Struktur der Anschauung versucht Fichte, das „Denken“ als nächst höhere Funktion des menschlichen Bewusstseins abzuleiten: „Nach obiger Erörterung ist die Tätigkeit zur Selbstbestimmung Bestimmung eines fixierten Produkts der Einbildungskraft im Verstande durch die Vernunft; mithin ein Denken. Das Anschauende bestimmt sich selbst zum Denken eines Objekts.“ (159/FW I, 240) Denken ist nichts anderes als die auf Begriffe gebrachte Selbstaffektion. Das Denken ist be-

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reits bei der Vorstellung einer Tätigkeit am Werk, die dem Objekt (bzw. dem Ding an sich/Noumenon) zugeschrieben wird. Im Ich wird ein Effekt anschaulich erlebt und diesem unmittelbar erlebten Effekt wird im Objekt/Noumenon eine Ursache zugeordnet, die selbst nicht unmittelbar erlebt ist. Es liegt ein vermittelter, nicht mehr anschaulicher Akt vor, d. h., ein Gedanke wird vollzogen: „Also wird das Objekt gedacht als Ursache von einem Leiden im Anschauenden, als seinem Effekt. – Die innere Tätigkeit des Objekts, wodurch es sich bestimmt zur Wirksamkeit, ist ein bloß Gedachtes (ein Noumen, wenn man dieser Tätigkeit durch die Einbildungskraft ein Substrat gibt, wie man es muss).“ (160/FW I, 241) Das Ding an sich/Noumen hat also bei Fichte eine zentrale Rolle hinsichtlich der Erklärung des Denkens inne. Das Noumen ist der vom Ich konstruierte Tätigkeitskoeffizient, der dem Nicht-Ich zugeschrieben wird. Konstruiert und damit eine kognitive Leistung im Sinne von Denken ist dies, weil die Ebene der unmittelbaren Erlebnisse mit der Anwendung der Kategorie der Kausalität, genauer der Ursache auf das Objekt überschritten wird. Das Denken ist eine abstrakte Vermittlung zwischen dem unmittelbaren Effekt im Ich und dem nicht unmittelbar erlebbaren und damit auch nicht anschaulichen Ursachesein des Objekts für diesen Effekt. Nach dem auch von Fichte akzeptierten Grundsatz von Spinoza gilt: „Omnis determinatio est negatio“; wenn also ein Objekt A gesetzt wird, dann geschieht dies dadurch, dass ¬A nicht gesetzt wird. Die Einbildungskraft schwebt zwischen den beiden Alternativen, und das Ergreifen der einen Alternative bedeutet gleichfalls das Nicht-Ergreifen der anderen. Das Ergreifen der einen Alternative bildet dessen Reflexion, denn das Ich weiß nun von einem von ihm gesetzten Gehalt, umgekehrt bildet das Nicht-Ergreifen der anderen Alternative ein Absehen, eine Abstraktion, d. h., es wird etwas abgezogen. Sofern das Ergreifen einer Alternative das Reflektieren ist und das Nichtergreifen das Abstrahieren, und sofern weiter Ergreifen und Nichtergreifen sich wechselseitig bedingen, weil das Ergreifen der einen Alternative das Nichtergreifen der anderen bedeutet, kann gesagt werden, dass Reflexion und Abstraktion sich gegenseitig fordern. Das Denken besteht in dieser Wechselseitigkeit von Reflexion und Abstraktion. In dieser Wechselseitigkeit von Reflexion und Abstraktion kommt wieder die Tätigkeit der Einbildungskraft zum Ausdruck, die den gesamten menschlichen Geist durchzieht, denn auch hier liegt ein Schweben zwischen Entgegengesetzten vor, allerdings auf einer sehr abstrakten Ebene, nämlich der des Denkens: „gleichsam, wenn man auf ein Gesetz sieht, […] als eine Beratschlagung des Gemüts mit sich selbst“ (160/FW I, 241). Das Denken bildet in seiner hin und her gehenden Bewegung zwischen Reflexion und Abstraktion eine „Freiheit des Schwebens von einem zum anderen“ (a.a.O.).

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Nun entwirft Fichte den Übergang zum nächst höheren Vermögen, der Urteilskraft. Bisher wurde eine pragmatische Geschichte von der Einbildungskraft (produktiv und reproduktiv) zur Anschauung, dann zum Verstand über das Denken hin zur Urteilskraft nachgezeichet. Das Schweben des reflexiv-abstraktiven Denkens erfordert eine Entscheidung zu Gunsten des A oder des ¬A. Eines von beiden muss in den Fokus der Aufmerksamkeit treten. Dieses Thematischmachen einer der beiden Alternativen ist eine Leistung der Urteilskraft: „Urteilskraft ist das bis jetzt freie Vermögen, über schon im Verstande gesetzte Objekte zu reflektieren, oder von ihnen zu abstrahieren, und sie, nach Maßgabe dieser Reflexion oder Abstraktion, mit weiterer Bestimmung im Verstande zu setzen.“ (160/FW I, 242) Die Urteilskraft ist ein den Verstand zu größerer Bestimmtheit führendes Vermögen. Einerseits ist die reflektierend-abstrahierende Urteilskraft auf die ihr vorgegebenen Objekte des Verstandes angewiesen; andererseits ist es eine Leistung der Urteilskraft, den bestimmenden Akt auszuführen, welches der Objekte in den Fokus der Aufmerksamkeit treten soll. Der Verstand bestimmt insofern die Urteilskraft, als es seine Objekte sind, die ihr zur abstraktiv-reflexiven Erfassung vorgelegt werden müssen; ohne den Verstand wäre die Urteilskraft leer. Aber umgekehrt muss auch gesehen werden, dass die eigentliche Fixierungstätigkeit, die sich bereits bei der Einführung des Verstandes andeutete, auf die Urteilskraft zurückzuführen ist. Die Urteilskraft ist ein bestimmendes Vermögen, das jene Feststellung des Schwebens ermöglicht, durch das der Verstand seine stillstehenden Gegen-stände hat. Es ist also auch umgekehrt die Urteilskraft die den Verstand bestimmt: „sie bestimmt ihm das Objekt überhaupt als Objekt. Ohne sie wird überhaupt nicht reflektiert; ohne sie ist mithin nichts Fixiertes im Verstande, welches erst durch Reflexion, und zum Behuf der Reflexion gesetzt wird, mithin auch überhaupt kein Verstand. … Nichts im Verstande, keine Urteilskraft; keine Urteilskraft, nichts im Verstande für den Verstand, kein Denken des Gedachten, als eines solchen.“ (161/FW I, 242) Aus dem Wechselspiel von Reflexion und Abstraktion ergibt sich die präzisere Bestimmung der Elemente des Denkens, nämlich des Gedachten, des Denkbaren und des Denkenden. Bei der von der Urteilskraft geleisteten Reflexion tritt etwas in den Fokus der Aufmerksamkeit des Bewusstseins, und dies bildet das Objekt, das Gedachte. Die Reflexion mit ihrem Gedachten steht in Bezug zur Abstraktion, denn nur, weil von anderem abgesehen wird, kann etwas in die Aufmerksamkeit des Bewusstseins treten, das, von dem abstrahiert wird, ist aber nicht völlig unbestimmt, sondern es ist dasjenige, welches das aktuell Gedachte als Horizont möglicher weiterer reflexiver Thematisierung umgibt; damit ist das, wovon abstrahiert wird, das Denkbare. Das Gedachte ist dasjenige, welches sich aktuell

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in der Urteilskraft befindet, und das Denkbare ist das potentiell Gedachte. Das Gedachte steht inmitten eines Hofes von Denkbarem (vgl. 161/FW I, 242). Gedachtes und Denkbares stehen deswegen in wechselseitigem Bezug; alles, was Gedachtes ist, muss auch denkbar sein und das Denkbare ist für uns nur da, sofern einiges aus ihm reflexiv und bestimmend herausgegriffen und tatsächlich zu einem Gedachten gemacht wird. Das Denkende ist das Subjekt des Denkprozesses, dieses entschließt sich zunächst selbst dazu, etwas zu denken. Insofern erscheint dieses sich selbst als tätig und das, worauf es seinen reflexiven Zugriff ausübt, erscheint als das Leidende. Dabei erscheint dem Denkenden das Gedachte als vorgegeben und als schon von sich aus da. Dies ist der Fall, weil für den Denkenden das Gedachte bereits als fertig im Verstand vorfindlich gegeben zu sein scheint. In dieser Hinsicht ist das Denkbare aktiv und der Denkende nimmt dieses bloß auf, denn er hat nur die Möglichkeit, aus dem Reich des potentiell Gegebenen auszuwählen. In dieser Hinsicht ist das Denkende passiv und das Denkbare ist aktiv, weil das Denkbare im Denkenden ein Leiden verursacht. Somit stehen nicht nur Gedachtes und Denkbares, sondern auch Denkendes und Denkbares in Wechselwirkung. Die Reflexion der Urteilskraft geschieht mit der Aufgabe der Fixierung dessen, was in der Einbildungskraft ein reines Schweben und Werden ist. Die Fixierung durch den Verstand erfährt in der denkerischen Reflexionsleistung der Urteilskraft ihre Weiterführung. Dem Vertiefen der Reflexion korrelierend ist auch die Leistung der Abstraktion noch weiter zu vertiefen. Dies hat die (theoretische) Vernunft zu leisten. Die (theoretische) Vernunft bildet den Abschluss der pragmatischen Geschichte des menschlichen Bewusstseins hinsichtlich des theoretischen Teils der Wissenschaftslehre. Die Vernunft ist das absolute Abstraktionsvermögen. So wie hinsichtlich der Reflexion ein spezifisches Gedachtes einen umgebenden Bereich von noch nicht thematisch Gedachtem voraussetzt, so setzt auch die Leistung einer spezifischen Abstraktion von einem bestimmten Objekt die Abstraktion von allem Objekt voraus. Denn das Absehen von Einzelnem, erfordert die Fähigkeit, überhaupt absehen zu können, und diese Fähigkeit des Absehens überhaupt ist die generelle Fähigkeit, von der das Absehen von Einzelnem einen Ausschnitt darstellt; ein solcher Ausschnitt, setzt ein Ganzes voraus. Die Abstraktion von einem Objekt setzt die Fähigkeit voraus, von Objektivität überhaupt absehen zu können (vgl. 162/FW I, 243). Dies ist die Fähigkeit der absoluten Abstraktion, und sie ist nach Fichte, wenn man sie zu einem Vermögen verdichtet und auf den Begriff bringt die (theoretische) Vernunft. Die Fähigkeit zur Totalabstraktion wird nicht einfach nur vollzogen, sondern wir können ihrer auch innewerden. Dieses Bewusstsein der Fähigkeit zur Totalabstraktion kann nicht begrifflichen Charakter haben,

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denn Begriffe setzen Abstraktion vom Spezifischen schon voraus, daher kann es sich bei dem Wissen der Totalabstraktionsfähigkeit nach Fichte nur um ein Anschauen handeln. Dessen sind wir uns unmittelbar inne. Die theoretische Vernunft schaut sich also selbst an. Auch für die Vernunft gilt, dass sie nur eine Modifikation des Grundvermögens des theoretischen Wissens ist, nämlich der Einbildungskraft. Daher führt Fichte aus: „Ein solches Vermögen sollte zuvörderst angeschaut werden können. – Die Einbildungskraft schwebt überhaupt zwischen Objekt und Nicht-Objekt [d. h. Subjekt; Einf. R. S.], kraft ihres Wesens. Sie wird fixiert, kein Objekt zu haben; das heißt, die (reflektierte) Einbildungskraft wird gänzlich vernichtet, und diese Vernichtung, dieses Nicht-Sein der Einbildungskraft wird selbst durch (nicht-reflektierte, und daher nicht zum deutlichen Bewusstsein kommende) Einbildungskraft angeschaut.“ (162/FW I, 243) Die theoretische Vernunft ist ein unmittelbares, anschauliches Wissen von der vorbewusst produzierenden Einbildungskraft, die vom reflektierbaren und bewusst zu machenden Anteil der reproduktiven Einbildungskraft zu unterscheiden ist. Insofern ist die theoretische Vernunft eine „in uns vorhandne dunkle Vorstellung“ (162/FW I, 243). Diese Selbst-Vorstellung der theoretischen Vernunft ist notwendigerweise dunkel, was bedeutet, dass sie immer vor dem thematischen Lichtkegel aufmerksamen Bewusstseins liegt, weil sie dieses ermöglicht. Die Dunkelheit beruht deswegen darauf, dass diese Vorstellung prinzipiell nicht objektiv und nicht objektivierend ist. Wenn klares und deutliches, aufmerksames, reflektierbares und thematisierbares Bewusstsein durch ein ebenso klares, deutliches und thematisierbares Bewusstsein ermöglicht würde, dann läge ein Zirkel in der Erklärung und Beweisführung vor, daher ist es notwendig, um den Zirkel zu vermeiden, dem klaren und deutlichen, reflexiven Bewusstsein das vorreflexive, nicht-objektivierende Bewusstsein als Ermöglichungsgrund voranzuschicken. Dieses vorreflexive, dunkle Bewusstsein der theoretischen Vernunft kann aber nicht vollständig unwissbar sein, denn sonst könnten wir keinen Grund des reflexiven Wissens ausmachen, wir müssten dann einen Abgrund konzipieren, ein Nichts, aus dem das reflexive Wissen entsteht. Um auch diese Absurdität zu vermeiden, muss ein unmittelbares, aber in reflexiver Hinsicht dunkles Anschauen entworfen werden. Mittels dieses ausschließenden Verfahrens ist Fichtes auf den ersten Blick paradoxes Konzept einer als dunkle Vorstellung anschaulichen theoretischen Vernunft zu plausibilisieren. Denn weder darf man ein Nichts als Grund reflexiver Klarheit entwerfen, noch darf man andere reflexive Klarheit voraussetzen. Diese (theoretische) Vernunft ist in der Lage, von jeder einzelnen Bedingtheit abzusehen und sich auf ein schlechthin nicht mehr Bedingtes zu fokussieren. Dieses Unbedingte ist damit als ein „Nicht-Objektives“ und

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„Nicht-Objektivierbares“ zu begreifen. Also: Alles Objektivieren und alles Gedachte setzt Abstraktion voraus, diese setzt wiederum eine Abstraktionsfähigkeit überhaupt voraus und die totale Abstraktionsfähigkeit ist die Vernunft. Das absolute Abstraktionsvermögen kann von allem Objekt absehen und leistet mit dieser Totalabstraktion eine Rückbesinnung auf die reinen Strukturen des Subjekts selbst. Die gesamte Synthesis E bestand darin, dass rein relationale Handlungsstrukturen des Subjekts expliziert wurden, wie z.B. das Eingreifen, das Auffassen, das Zusammentreffen und das Zusammenfassen etc. Diese Relationen sollten für das Bewusstsein so aufgewiesen werden, dass es keine Relata für die Beziehungen voraussetzen sollte, die es als Vorfindlichkeiten voraussetzte. Die Relationen sollten in sich selbst einleuchten als reine Tätigkeitsstrukturen des Wissens. Nun, am Ende der Geschichte des Bewusstseins, wird klar, welches Vermögen wir in der Synthesis E aktiviert hatten, damit wir die reine Relationalität begreifen konnten, es war die theoretische Vernunft: „Die dunkle Vorstellung des Gedankens von einem bloßen Verhältnisse, ohne Glieder desselben, ist so etwas.“ (162/FW I, 244) Die theoretische Vernunft ist nicht-objektivierbar und nicht-reflexiv, insofern ist sie eine dunkle Vorstellung, deren wir uns anschaulich unmittelbar inne sein können, als der Fähigkeit von allem Bedingten und Vereinzelten, Objektiven abzusehen. Daraus folgt, dass die theoretische Vernunft auf das Unbedingte ausgerichtet ist. „Bleibt demnach nichts übrig, als überhaupt die bloße Regel der Vernunft, zu abstrahieren, das bloße Gesetz einer nicht zu realisierenden Bestimmung (durch Einbildungskraft, und Verstand für das deutliche Bewusstsein); – und jenes absolute Abstraktionsvermögen ist mithin selbst die Vernunft. (Die reine Vernunft ohne Einbildungskraft, in theoretischer Bedeutung; diejenige, welche Kant in der Kritik der reinen Vernunft zu seinem Objekte machte.)“ (162/FW I, 244) Hier ist ein scheinbarer Widerspruch aufzuklären: Zunächst hat Fichte ausgeführt, dass die Vernunft eine Form der Einbildungskraft ist, und nun wendet er sich dagegen, die Vernunft mit Beimischungen der Einbildungskraft zu verobjektivieren. Mit dem letzteren ist gemeint, dass die Vernunft nicht vermittels der reproduktiven Einbildungskraft verdinglicht werden darf, und mit dem ersteren ist gemeint, dass die Vernunft eine Manifestation der produktiven Einbildungskraft ist. Mittels dieser Hinsichtenunterscheidung wird deutlich, dass in der Konzeption der Vernunft kein Widerspruch vorliegt. Der Bezug auf Kants Bestimmung der Vernunft ergibt sich einerseits organisch daraus, dass auch dieser die Vernunft als das Vermögen des Unbedingten entwirft, und dass die Vernunft die Fähigkeit besitzt, mittels ihrer Methode der Syllogistik die gesamte Reihe des bloß Bedingten durchzugehen und auf das Unbedingte hin zu übersteigen.135 Dieses Unbedingte

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ist prinzipiell nicht mehr in der Erfahrung gegeben, da das in der Erfahrung Gegebene grundsätzlich etwas Bedingtes und Endliches ist. Insofern handelt es sich auch schon bei Kants Konzept der Vernunft um ein Vermögen, das nicht im Sinne eines Erfahrungsgegenstandes zu verobjektivieren ist. Allerdings besteht andererseits ein wesentlicher Unterschied zwischen Fichtes und Kants Konzept der reinen Vernunft darin, dass sich diese nach Kant sehr wohl klar und deutlich reflektieren lässt, nämlich indem in reinem Denken ihre intelligiblen Bestimmungen thematisiert werden. Dies bildet in der transzendentalen Dialektik aus der Kritik der reinen Vernunft die Untersuchung der Logik des Scheins, der sich notwendigerweise ergibt, wenn die Vernunft versucht, aus reinem Denken das Unbedingte zu bestimmen. Die notwendigen Scheinprobleme der Metaphysica specialis (rationale Psychologie, rationale Kosmologie und rationale Theologie) entspringen nach Kant aus dem Versuch der Vernunft, das Unbedingte (jeweils in Bezug auf Seele, Welt oder Gott) zu bestimmen. Dies ist nach Kant ein reflexiv zu denkendes Verfahren der reinen Vernunft, das seine Klarheit und Deutlichkeit einerseits durch den Versuch der Vernunft gewinnt, rein rationale, begriffliche Beweise zu führen, die völlig ohne empirische Elemente auskommen sollen, und andererseits folgt die Klarheit und Deutlichkeit der reinen Vernunft hinsichtlich der Widerlegung dieser übertriebenen Ansprüche in Kants Vernunftkritik durch den wiederum rein begrifflichen Nachweis, dass die rationalen Beweise der dialektischen theoretischen Vernunft begrifflich zu widerlegende Scheinbeweise sind. Nach Kant ist die theoretische Vernunft das Vermögen der Schlüsse, und diese bilden ein rein begriffliches Verfahren, mittels dessen die Vernunft vermeintliche, die Erfahrung übersteigende „Erkenntnisse“ zu gewinnen hofft. Die theoretische Vernunft ist für den kritischen Kant also keinesfalls – wie für Fichte – ein Vermögen der Anschauung und auch keine dunkle Vorstellung. Für Fichte ist die radikale Abstraktion der reinen theoretischen Vernunft eine Fähigkeit zur Selbstbesinnung des Subjekts, die ein Unterscheidungskriterium zwischen Subjekt und Objekt zur Verfügung stellt. Denn wenn die Vernunft von allem Objektiven absieht, dann können es nur Subjektstrukturen sein, die nach der Abstraktion zurückbleiben. Das, wovon die Vernunft prinzipiell nicht mehr abstrahieren kann, muss das Subjekt selbst sein, denn dieses müsste in seinem Abstraktionsakt von sich selbst absehen und das kann ihm nicht gelingen, denn sonst beginge es einen performativen Selbstwiderspruch, also einen Widerspruch, der durch die eigene Handlung des Abstrahierens einträte. Das Subjekt ist dasjenige, welches übrig bleibt, wenn die radikale Abstraktion der Vernunft vollzogen wird. Weil in und von dem Ich von nichts abstrahiert werden kann, sind wir gezwungen, es als numerisch einfach und unteilbar zu denken (vgl.

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163/FW I, 245). Sofern das Abstrahieren als ein Prozess der Unterteilung und des diskursiven Abtrennens von einzelnen Aspekten gesehen wird und wenn dieser Abtrennungsprozess bei dem Ich unmöglich ist, folgt, dass das Ich in dem Sinn einfach ist, als es unteilbar ist. Daraus folgt aber nicht die Konsequenz, die die rationale Psychologie bzw. Seelenlehre seit Platons Phaidon bis zu Leibniz’ Monadologie zog. Diese schloss nämlich aus der Einfachheit und Unzusammengesetztheit der Seele, dass sie auch unsterblich sein muss. Denn (1. Prämisse), was einfach ist, das könne auch nicht in Teile zerlegt werden und (2. Prämisse) Vergehen bzw. Sterben ist das Zerfallen in Teile; ergo sei die Seele unsterblich. Bereits Kant hat im Paralogismuskapitel aus der Kritik der reinen Vernunft gezeigt,136 dass man sich durchaus auch denken kann, dass etwas, das nicht eine extensive Größe, sondern eine intensive Größe ist, als vergänglich vorgestellt werden kann, da auch etwas, das eine intensive Größe darstellt, vergehen kann. Daher folgt nach der Kritik Kants aus der Einfachheit von etwas nicht dessen Unvergänglichkeit. Kant führt aus, dass bei Entitäten, die eine intensive Größe sind, das Vergehen in einem Nachlassen oder auch Erschlaffen der Kräfte besteht („Remissio“ und „Elangueszenz“). Dies lässt sich z. B. bei einem verklingenden Ton oder am Erlöschen der Intensität eines Lichts feststellen. Nach Kant ist das Bewusstsein des Menschen eine solche intensive Größe, die zwar nicht, wie eine extensive Größe, durch äußeres Zusammenfügen unterschiedlicher Teile entsteht. Kant folgert daraus allerdings nicht, dass die Seele bzw. das Bewusstsein sterblich sein muss; sondern nur, dass die Argumente für Sterblichkeit oder Unsterblichkeit des Bewusstseins in theoretischer Hinsicht gleich gut bzw. gleich schlecht sind und dass man daher hier die Erkenntnisfähigkeit des Menschen als begrenzt anzusehen hat. Dem entsprechend folgert auch Fichte nicht in metaphysischer Denkweise, dass mittels der Einfachheit des Ich dessen Unsterblichkeit zu beweisen wäre. Nach Fichte ergibt sich ein klares Unterscheidungskriterium für Subjekt und Objekt: Objekt ist das, wovon abstrahiert werden kann, und Subjekt ist das, wovon nicht abstrahiert werden kann, „und wir haben demnach jetzt einen festen Unterscheidungspunkt zwischen dem Objekte und Subjekte. […] Dies ist denn auch wirklich die augenscheinliche, und nach ihrer Andeutung gar nicht mehr zu verkennende Quelle alles Selbstbewusstseins. Alles, von welchem ich abstrahieren, was ich wegdenken kann [wenn auch nicht auf einmal, doch wenigstens so, dass ich von dem, was ich jetzt übrig lasse, hinterher abstrahiere, und dann dasjenige übrig lasse, von dem ich jetzt abstrahiere], ist nicht mein Ich, und ich setze es meinem Ich bloß dadurch entgegen, dass ich es betrachte als ein solches, das ich wegdenken kann. Je mehreres ein bestimmtes Individuum sich wegdenken kann, desto mehr nähert sein empirisches Selbstbewusstsein sich dem reinen; – von

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dem Kinde an, das zum ersten Male seine Wiege verlässt, und sie dadurch von sich selbst unterscheiden lernt, bis zum populären Philosophen, der noch materielle Ideen-Bilder annimmt, und nach dem Sitze der Seele fragt, und bis zum transzendentalen Philosophen, der wenigstens die Regel, ein reines Ich zu denken, sich denkt, und sie erweist.“ (163/FW I, 244 f.) Mit diesem Unterscheidungskriterium zeigt sich ein Aspekt der Autonomie des Subjekts. Zwar muss, um überhaupt zum reinen Subjekt vordringen zu können, zunächst ein Objekt gesetzt sein, denn sonst wäre nichts vorhanden, von dem die Vernunft abstrahieren kann – in dieser Hinsicht sind Subjekt und Objekt Wechselbegriffe und stehen in symmetrischer Relation – gleichwohl kann die Vernunft vom Objekt vollständig abstrahieren, vom Subjekt jedoch nicht – und in dieser Hinsicht stehen Subjekt und Objekt in asymmetrischer Relation. Mit dem Zusatz in eckigen Klammern deutet Fichte an, dass der Abstraktionsprozess von den verschiedenen Ebenen der Objektivität sich sukzessiv vollziehen kann. Der sukzessive Abstraktionsprozess von der Objektivität geht in seiner Realgenese bei dem betrachteten Bewusstsein offensichtlich über verschiedene Stufen körperlicher und geistiger Bildung. Beim Kind ist die Fähigkeit, sich von Objekten zu unterscheiden, etwas, das zunächst durch leibliche Kinästhese zu erlernen ist. Die Bewegung des Leibes ist die Voraussetzung dafür, dass sich ein real existierendes Subjekt von seiner Umwelt mehr und mehr unterscheiden kann. Denn durch die Fähigkeit der Ortsveränderung hat das Subjekt die Fähigkeit, sich als unabhängig von einer bestimmten Um- und Dingwelt zu erleben. Diese Unterscheidung ist die Voraussetzung dafür, dass sich das Subjekt zu sich selbst in ein differenziertes Verhältnis setzen kann.137 Damit wird der Leib als eine Voraussetzung für die Realgenese eines konkreten Selbstbewusstseins angedeutet. In dieser Hinsicht bilden Leib und Subjekt für Fichte eine in sich differenzierte, aber sich wechselseitig bedingende Einheit. Das Selbstbewusstsein ist bei dem konkreten Menschen also nicht von Geburt an fertig, sondern nur als eine Anlage vorhanden und erfordert leibliche und geistige Differenzierungstätigkeit. Bildung und Erziehung haben den Zweck, das empirische Ich dem reinen anzunähern. Fichte setzt zu einem nächsten Deduktionsschritt in der pragmatischen Geschichte des Selbstbewusstseins an (vgl. X bzw. 163 f./FW I, 245 f.); denn die theoretische Vernunft wird nun tiefergehend bestimmt. Damit soll ein notwendiger und systematisch geforderter Zirkel zwischen den bislang abgeleiteten theoretischen Vermögen geschlossen werden; d. h., Fichte muss nun versuchen, von der theoretischen Vernunft wieder zur produktiven Einbildungskraft zurückzugelangen, von der die pragmatische Geschichte ihren Ausgang nahm (vgl. 164/FW I, 245). In diesem notwendigen Zirkel soll bewiesen werden, dass die theoretische Vernunft die produktive Ein-

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bildungskraft selbst ist. In diesem Kontext fragt sich Fichte nach dem Status der Totalabstraktion ausübenden Vernunft und wie sie für das Bewusstsein zu wissen ist. Sofern die Vernunft von allem Bestimmten, d. h. von allen Objektsetzungen absieht, darf sie selbst nicht etwas Bestimmtes sein; denn sonst läge ein fehlerhafter Zirkel vor, bei dem Bestimmtheit durch Bestimmtheit bestimmt würde. Das, in dem von allem Objektiven und Bestimmten abgesehen wird, kann selbst nur etwas Unbestimmtes sein. Der Grund der Bestimmtheit muss daher selbst unbestimmt sein. Und daraus folgt, dass die theoretische Vernunft etwas Unbestimmtes sein muss. „Ein solches Vermögen des schlechthin Unbestimmten, als die Bedingung alles Bestimmten, ist nun allerdings an der Einbildungskraft durch Folgerungen nachgewiesen worden; aber es lässt als solches sich gar nicht zum Bewusstsein erheben, weil dann dasselbe reflektiert, mithin durch den Verstand bestimmt werden müsste, mithin es nicht unbestimmt und unendlich bliebe.“ (164/FW I, 245) Der Verstand verendlicht die theoretische Vernunft bzw. produktive Einbildungskraft durchgängig, wenn er es versucht, sie vorzustellen, denn der Verstand ist ein Vermögen der statischen Vergegenständlichung und der Feststellung; derartige Erfassungsmodi werden der Lebendigkeit und der Spontaneität der Vernunft, die vor dem vereinseitigenden Objektivieren ihre Tätigkeit vollzieht, prinzipiell nicht gerecht. Daher ist die Vorbewusstheit der theoretischen Vernunft bzw. der produktiven Einbildungskraft notwendig. – Hier deutet sich sogar schon eine Nähe Fichtes zu der Lehre vom Unbewussten bei Freud an, der ausführt: „Eine unbewusste Vorstellung ist dann eine solche, die wir nicht bemerken, deren Existenz wir aber trotzdem auf Grund anderweitiger Anzeichen und Beweise zuzugeben bereit sind.“138 Unterschiedlich zwischen Freud und Fichte ist natürlich, dass Fichtes Theorie des Vorbewussten auf einer prinzipientheoretischen Ebene verortet wird, die für jede Art von Vorstellung konstitutiv ist, wogegen Freud von der empirischen Psyche spricht, in der das konkrete Individuum Erlebnisse verdrängt oder sublimiert – insofern geht Fichte mit seiner Lehre vom Vorbewussten sogar weiter als Freud. Fichte identifiziert das Unbestimmte, Vorbewusste als den Grund der Bestimmtheit mit der Spontaneität und Produktivität des freien Ich. Bei Freud ist dagegen eine durch Triebe determinierte Psyche zum Unbewussten genötigt, und diese Nötigung geschieht nicht durch einen freien Entschluss, der dem Ich klar und deutlich ist, sondern letztlich sind es naturale Strukturen des Es, welche die individuelle Psyche dazu nötigen.139 – Das hergeleitete Resultat der Unbestimmtheit wendet Fichte auf die ursprüngliche Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich an, denn es sei möglich, die in der Vernunft abgeleitete notwendige Unbestimmtheit entweder dem Ich oder dem Nicht-Ich zuzuschreiben (vgl. 164/FW I, 245 f.). Hierbei

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identifiziert Fichte die Unbestimmtheit mit der Unendlichkeit oder auch mit der Unbegrenztheit, die der Endlichkeit gegenüber steht, und stellt einen Bezug zu der Antinomienlehre Kants aus der Kritik der reinen Vernunft her. Daran ist zu kritisieren, dass die notwendige Unbestimmtheit eindeutig der theoretischen Vernunft zugeschrieben wurde und daher eine Übertragung auf das Nicht-Ich nicht möglich ist, denn die theoretische Vernunft kann nur als ein dem Ich immanentes Vermögen gedeutet werden; wie also eine Übertragung der Unbestimmtheit/Unendlichkeit/Unbegrenztheit nun auf das Nicht-Ich erfolgen kann, ist unklar und ungerechtfertigt. Auch Fichtes Bezug auf Kants Antinomienlehre: „Hier liegt der Grund der von Kant aufgestellten Antinomien“ (164/FW I, 245), ist unplausibel, denn in den Antinomien geht es nach Kant ausschließlich um Weltgeberiffe, also in Fichtes Terminologie könnte man sagen, um solche Strukturen, die ausschließlich das Nicht-Ich betreffen, sofern es als Universum bestimmt wird, aber es handelt sich nicht um ichimmanente Bestimmungen. Fichte gelingt es nämlich nicht, aufzuzeigen, inwiefern die dialektisch-antinomischen Weltbegriffe bei Kant letztlich auf das Changieren der Zuschreibung des Unendlichen zwischen Ich und Nicht-Ich zurückzuführen sind. Nach Kant ist die Dialektik eine „Logik des Scheins“.140 Die Dialektik ist Logik, weil hier die logisch formalen Strukturen des Denkens als Organon der Wahrheit betrachtet werden. Eine solche Logik, die sich anmaßt, Organon und Kriterium für die Erkenntnis zu sein, beansprucht inhaltliche und objektive Erkenntnisbestimmungen hervorzubringen. Die formale Bestimmung unserer Erkenntnisse, die durch die Erkenntnisfähigkeit des Subjekts vorgegeben sind, wird zugleich als Inhalt der Erkenntnisse angesehen. Nach der Lehre Kants ist das logische Denken bloß ein formales Moment der Erkenntnisse. Der Schein, der in der menschlichen Vernunft liegt, beruht auf Vernunftschlüssen, die entweder zu einer rationalen Psychologie, zu einer rationalen Kosmologie oder zu einer rationalen Theologie führen. Für unseren Kontext ist nur die Dialektik der rationalen Kosmologie interessant, weil in ihr die Antinomienlehre Kants enthalten ist.141 Die rationale Kosmologie besteht aus Weltbegriffen, die jeweils versuchen, in einer objektiven Synthesis sämtliche wirklichen Erscheinungen zu einer vollständigen Totalität zu vereinen, die die Reihe der Einzelerscheinungen übersteigt und jeweils eine Aussage über das Weltganze darstellt. Dies erfolgt aus dem Grundsatz der Vernunft, „wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Summe der Bedingungen, mithin das schlechthin Unbedingte gegeben, wodurch jenes allein möglich war“.142 Diese Forderung nach einer vollständigen Totalität, die das Unbedingte zur Reihe des Bedingten darstellt, ist eine Forderung der Vernunft. Dieses

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Unbedingte wird in der dialektischen Kosmologie jeweils in Aussagen über das Weltganze ausgesprochen. Diese Aussagen sind aber, weil sie transzendent sind, durch die Erfahrung weder zu verifizieren noch zu falsifizieren. Diese Aussagen über das Weltganze fußen auf der Lehre des dogmatischen Realismus, der die Welt und ihre Bestimmungen als Dinge an sich, nicht als bloße Erscheinungen ansieht. Jeder Aussage über das Weltganze steht antithetisch eine entgegengesetzte gegenüber, die ebenso wie die Thesis dogmatisch ist. Die Antithesen behaupten jeweils einen dogmatischen Empirismus, der weit über das hinausgeht, was eigentlich vom Standpunkt eines konsequent verstandenen Empirismus her ausgesagt werden könnte, denn er beansprucht eine wirklich gegebene Unendlichkeit des Bedingten, so z. B. wenn die Antithesis der ersten Antinomie die Unendlichkeit von Raum und Zeit behauptet. Die Aufstellung einer Antinomie vollzieht sich bei Kant durch einen apagogischen oder indirekten Beweis: Soll die These bewiesen werden, dann wird zunächst von der ihr entgegengesetzten Antithese ausgegangen, um in dieser Widersprüche aufzuzeigen. Aus diesen Widersprüchen der Antithese wird dann gefolgert, dass die These richtig sein muss. Umgekehrt ist die Vorgehensweise bei der Antithese, denn hier wird zunächst die These angenommen, Widersprüche werden in ihr aufgewiesen, und daher wird die Richtigkeit der Antithese gefolgert. Somit ist bei der Aufstellung der Antinomien der Beweisgang für eine jeweilige These oder Antithese apagogisch bzw. indirekt, von der Falschheit des Entgegengesetzten wird auf die Wahrheit der zu verteidigenden Aussage zurückgeschlossen. These und Antithese der ersten und zweiten Antinomie, der mathematischen Antinomien, sind einander konträr entgegengesetzt, bilden eine reale Opposition. So besagt die Thesis der ersten Antinomie, dass die Welt einen Anfang in der Zeit hat und in räumlichen Grenzen eingeschlossen ist; die Antithese besagt dagegen, die Welt ist sowohl der Zeit als auch dem Raum nach unendlich.143 Die Thesis der zweiten Antinomie besagt, dass jede zusammengesetzte Substanz und auch alles andere in der Welt aus einfachen Teilen besteht; die Antithese besagt dagegen, dass nichts Zusammengesetztes aus einfachen Teilen besteht, dass es Einfaches nicht gibt und dass alles unendlich teilbar ist.144 In den beiden ersten Antinomien gelten Raum und Zeit als Dinge an sich, die für sich existieren und nicht bloße Anschauungsformen für die Erscheinungen sind. Eine Synthesis des Gleichartigen liegt bei diesen beiden Antinomien jeweils sowohl der Thesis als auch der Antithesis zugrunde. Wegen dieser Synthesis des Gleichartigen bezeichnet Kant diese Antinomien als die mathematischen Antinomien. So werden in der ersten Antinomie gleichartige Raum- und Zeitteile miteinander verknüpft.

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Den Thesen und Antithesen der dritten und vierten Antinomie liegt dagegen jeweils eine Synthesis des Ungleichartigen zugrunde. So besagt die Thesis der dritten Antinomie, dass es nicht nur Naturkausalität, sondern auch Kausalität aus Freiheit gibt; die Antithesis sagt dagegen, dass es nur Naturkausalität gibt.145 Die Thesis der vierten Antinomie besagt, dass zur Welt als ihre Ursache ein notwendiges Wesen gehört; die Antithesis sagt dagegen, dass es kein schlechthin notwendiges Wesen in oder außerhalb der Welt als ihre Ursache gibt.146 Diesen Antinomien liegt jeweils eine Synthesis des Ungleichartigen zugrunde, so werden in der dritten Antinomie Wirkungen als mit Ursachen verknüpft gedacht und in der vierten Antinomie wird die Zufälligkeit der Erscheinungen der Welt als mit einem notwendigen Wesen verknüpft gedacht. Es handelt sich daher um eine Synthesis des Ungleichartigen in der Verknüpfung von Ursache und Wirkung einerseits und in der Verknüpfung von Zufälligem und Notwendigem andererseits. Aufgrund dieser spezifischen Synthesisart nennt Kant diese Antinomien, im Unterschied zu den mathematischen, die dynamischen. Daraus ergibt sich auch die Lösung dieser beiden Antinomien. Sie besteht darin, dass Kant Hinsichtenunterscheidungen einführt, nach denen die Bedingung jeweils untersucht wird. Die eine Hinsicht ist die, etwas nur als Erscheinung zu betrachten. In dieser Hinsicht sind die beiden Antithesen zutreffend, es gibt dann nur Naturkausalität und keine Kausalität aus Freiheit, und es lässt sich kein schlechthin notwendiges Wesen auffinden. Die andere Hinsicht besteht darin, etwas in seinem rein intelligiblen Charakter, als Ding an sich zu untersuchen. In diesem Fall sind Kausalität aus Freiheit und ein notwendiges Wesen zumindest denkmöglich, denn sie widersprechen nicht der Reihe der Naturerscheinungen, da sie nicht in der Reihe der Erscheinungen enthalten und jenseits der Phänomenalität sind. Kausalität aus Freiheit und das schlechthin notwendige Wesen tangieren auf diese Weise den Lauf der Naturerscheinungen nicht. Fichte hätte eigentlich eine eigene Antinomienlehre entwickeln müssen, innerhalb der er hätte zeigen müssen, dass die theoretische Vernunft auf das Unendliche auszugehen bestrebt ist und dieses entweder in das Ich oder in das Nicht-Ich setzt und dass sie beides nicht zugleich ausführen kann, weshalb sich ein Oszillieren des Unendlichen ergibt, das die Vernunft einmal in sich und einmal in das andere ihrer selbst, d.h. in die Natur oder in die Welt setzt. Dies leistet Fichte jedoch nicht. Zumal er im letzten Absatz (vgl. XI; 164/FW I, 246) wieder darauf aufmerksam macht, dass eigentlich jede Setzung von Unendlichkeit als eine Leistung des Ich anzusehen ist. Selbst wenn also in das Nicht-Ich eine Unendlichkeit gesetzt wird, so ist dies letztlich eine spontane Tätigkeit, und eine solche kann nur dem Ich zugeschrieben werden. Insofern steht das Ich bei jeder Art der

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Setzung von Unendlichkeit in einem Selbstverhältnis. Dieses Selbstverhältnis bildet die Unhintergehbarkeit des Setzungsakte leistenden Ich, das in jedem Akt der Setzung zugleich auch ein Mitwissen um sich als den Akteur der Setzung hat oder zumindest haben kann. Mit der Offenlegung des kontinuierlichen Selbstverhältnisses, das nun auch dem beobachteten Bewusstsein und nicht nur dem beobachtenden Bewusstsein des Transzendentalphilosophen andemonstriert wurde, ist das Ziel der theoretischen Philosophie erreicht (164/FW I, 246).

V. Die Grundlage der Wissenschaft des Praktischen (165–244/FW I, 246–328) 1. Praktische Selbstverwirklichung und Gefühl (165–186/FW I, 246–269) In der praktischen Wissenschaftslehre spielen das Streben, der Trieb und das Gefühl die zentrale Rolle; Fichte bezeichnet diesen Teil der Wissenschaftslehre daher auch als „System der Triebe“ (242/FW I, 327) und auch wenn er sagt: „Nichts ist ohne Trieb im Ich, was in ihm ist“ (242/FW I, 326), unterstreicht dies die zentrale Rolle des Triebs in der praktischen Wissenschaftslehre. Die Vermögen des Strebens, Triebs und Gefühls ergänzen die theoretischen Vermögen von Einbildungskraft, Anschauung, Verstand, Urteilskraft und Vernunft. Das Gefühl spaltet sich im Rahmen der praktischen Wissenschaftslehre in die Elemente Zwang und Sehnen auf. Die höchste Realisationsform des Triebs bildet der kategorische Imperativ, denn er drückt den Antrieb des Ich als ein schlechthinniges Sollen aus (vgl. 243/FW I, 327). Die Gefühls- und Triebtätigkeiten des Ich sind praktisch, weil sie der Realisation, also der Selbstverwirklichung des Ich dienen. Das Ich ist sich im Gefühl und im Trieb seiner Realität inne.147 Das zentrale Thema der praktischen Wissenschaftslehre ist somit die Selbstverwirklichung des Ich. Fichte wiederholt zu Beginn der praktischen Wissenschaftslehre die problematische Ausgangslage, die nach den drei Grundsätzen (§§ 1–3) besteht: Ich und Nicht-Ich bestimmen sich wechselseitig. Daraus ergibt sich zunächst das Problem, wie das Nicht-Ich das Ich bestimmen kann (theoretische Wissenschaftslehre) und des weiteren das nun zu lösende Problem, wie das Ich das Nicht-Ich bestimmen kann. Die beiden Probleme sind in zwei Lehrsätzen zu formulieren, dem Lehrsatz der theoretischen Wissenschaftslehre: „das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich“ (165/FW I, 246) und in dem Lehrsatz der praktischen Wissenschaftslehre: „das Ich setzt sich als bestimmend das Nicht-Ich“ (165/FW I, 246). Die theoretische Wissenschaftslehre hat bislang gezeigt, wie das Nicht-Ich Realität für das Ich haben kann, damit sich das Ich als durch es bestimmt setzen kann. Es wurde die Art und Weise gedeutet, wie ein bestimmender Bezug des Nicht-Ich zum Ich zu denken und philosophisch zu konzipieren ist. Dabei zeigte sich, dass die Wissenschaftslehre prinzipiell nicht über das Ich hinausgehen kann und in ihm immanent bleibt, weil alle Realität, die ein Nicht-Ich für das Ich haben kann, letztlich im Ich gesetzt sein muss, denn

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sonst würde eine metaphysisch-transzendente Entität konstruiert, die für das Ich ein Nichts ist (vgl. 165/FW I, 247). Von einem solchen Nichts ist das Nicht-Ich dadurch unterschieden, dass es philosophisch konstruiert werden muss, aufgrund eines Anstoßes im Ich, den dieses als kausale Einwirkung zu deuten gezwungen ist, um einen Affekt in sich als Wirkung erklären zu können. Insofern gibt es zwar ein „Ding an sich“ nach Fichte, aber dieses hat ausschließlich eine erkenntnistheoretische Funktion und bildet keine ontologisch-metaphysische Existenz. Aus dem zweiten Lehrsatz „Das Ich setzt sich als bestimmend das Nicht-Ich“ folgen Aporien und Widersprüche, die im Rahmen der praktischen Wissenschaftslehre zu klären sind: Damit das Ich das Nicht-Ich bestimmen kann, muss dieses vorgängig schon eine Realität für es haben (die Struktur, also die Art und Weise, wie das Nicht-Ich Realität für das Ich haben kann, erklärt die theoretische Wissenschaftslehre), daraus folgt auch, dass es einen Unterschied im Ich gibt, denn es muss einmal ein absolutes, unbeschränktes Ich geben (erster Paragraph) und zum anderen ein limitiertes, beschränktes Ich, das sich vom Nicht-Ich beeinflussen lässt, um es dann anschließend seinen Intentionen gemäß bestimmen zu können. Dieses limitierte Ich bezeichnet Fichte als „Intelligenz“ (vgl. 180/FW I, 262), um es vom absoluten Ich klarer zu unterscheiden. Sofern das Ich das Nicht-Ich gemäß seinen Intentionen bestimmt, übt es eine praktische Tätigkeit aus. Durch eine vertiefte Analyse des praktischen Satzes: „Das Ich setzt sich als das Nicht-Ich bestimmend“, ist das Problem zu lösen, wie es mit Intelligenz und absolutem Ich zwei verschiedene Ich geben kann. Das Ich ist einerseits numerisch und durchgängig identisch und einfach und andererseits sind dennoch unbeschränktes und beschränktes Ich in der Weise zu unterscheiden, dass das eine nicht das andere ersetzen kann. Es liegt also ein aufzulösender Widerspruch vor, wenn es scheint, dass es zwei verschiedene Ich gibt, das absolute und das limitierte. Die theoretische Wissenschaftslehre hat nur hinsichtlich, des limitierten Ich gezeigt, welchen strukturellen Gesetzen (logische Gesetzte, Kategorien, Tätigkeitsformen und Vermögen) das Ich unterliegt, wenn es begrenzt ist. Damit wird gezeigt, wie das Ich das Nicht-Ich vorstellt (vgl. 167/FW I, 248). In gewissem Sinne wurde damit eine kausale Abhängigkeit des Ich vom Nicht-Ich bewiesen, denn es bedarf des Anstoßes auf das Ich durch das Nicht-Ich, damit eine gegebene Grenze für das Ich vorliegt, die es sich dann vorstellen kann. Allerdings ist es trotz dieser Abhängigkeit immer noch eine Leistung des Ich, sich als durch ein Nicht-Ich bestimmbar zu setzen, und insofern liegt keine deterministisch zu deutende Abhängigkeit bei dem theoretischen Akt des Vorstellens vor, sondern nur eine relative Abhängigkeit. Daher muss gesehen werden, dass die Kausalitätsrichtung auch umgekehrt werden kann, denn sofern das Ich dasjenige ist, welches sich

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ein Nicht-Ich zum Objekt macht ist es selbst Ursache und das betrachtete Objekt ist die Wirkung dieser Leistung des Subjekts (vgl. 180/FW I, 262). Gleichwohl ist das absolute, unbeschränkte Ich auch nicht zu bezweifeln, und es bedarf daher einer vermittelnden Instanz zwischen dem absoluten und dem (zumindest relativ) abhängigen, intelligenten Ich. Das absolute Ich ist eine reine Tätigkeit, die ausschließlich in sich selbst zurück geht, die also nicht intentional auf ein Objekt gerichtet ist. Die Tätigkeit des intelligenten Ich ist dagegen primär nach außen gerichtet, nämlich intentional auf das Objekt und nicht auf das Subjekt. Es wird sich herausstellen, dass die zwischen den beiden sich ausschließenden Tätigkeitsrichtungen – „in sich gehend“ und „außer sich gehend“ – vermittelnde Instanz das praktische Ich sein wird.148 Mit den Resultaten der theoretischen Wissenschaftslehre ist nicht das grundlegende Problem gelöst, weshalb das Ich sich überhaupt als teilbar setzt. Zwei Aspekte hat die praktische Wissenschaftslehre deswegen hauptsächlich zu klären: 1. Warum gibt es überhaupt ein Nicht-Ich? und 2. Wie kann die numerische und durchgängige Identität des Ich gerechtfertigt werden, wenn das Ich in sich in absolutes und limitiertes geschieden ist; wie ist eine solche Scheidung in der Einheit des einfachen Ich zu begreifen? Letzteres ist notwendig, um auf der höchsten Ebene der Transzendentalphilosophie eine Schizophrenie oder ein Schisma des Ich zu vermeiden, welche die gesamte Wissenschaftslehre zu Fall brächten. Die Lösung der Ichaporie besteht darin, dass zwar faktisch eine vollständige Identität von limitiertem und absoluten Ich nicht vorliegen kann, denn dies übersteigt die erkenntnistheoretischen und auch die praktischen Fähigkeiten des endlichen Ich, aber diese Identität soll vorliegen. „So wie das Ich gesetzt ist, ist alle Realität gesetzt; im Ich soll Alles gesetzt sein; das Ich soll schlechthin unabhängig, Alles aber soll von ihm abhängig sein. Also, es wird die Übereinstimmung des Objekts mit dem Ich gefordert; und das absolute Ich, gerade um seines absoluten Seins willen, ist es, welches sie fordert.“ (178/FW I, 260) Im Begriff des Sollens liegt die Lösung der Aporie: Das endlich-intelligente Ich, das auf Objekte bezogen ist, soll sich dem absoluten Ich immer mehr annähern.149 Bei dem sich zur Verwirklichung motivierenden Ich handelt es sich aber nicht um ein System des praktischen Egoismus, der konzipieren würde, dass man sich als individuelles Ich alles aneignen soll. Ein solcher praktischer Egoismus wird von Fichte vermieden, indem es das absolute Ich ist, welchem gemäß die Sollenspostulate aufgestellt werden; hier gibt kein individuelles Ich das Gesetz, sondern das allgemeine. Ein praktischer Egoismus des individuellen Ich bildet den Ursprung des Bösen, da es keine Allgemeingültigkeit als Grenze seiner Handlungen akzeptiert und dem kontingenten Selbst alles untertan gemacht wird. Das Böse besteht in der

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frei gewählten Faulheit, sich der Aufgabe, allgemeingültig zu handeln, nicht zu stellen. Der Böse beharrt träge auf seinem individuellen Eigennutz. In diesem Sinn deutet Fichte den kategorischen Imperativ Kants (vgl. 178 Anm./FW I, 260 f. Anm.). Der Grundsatz der Ethik lautet nach Kant: „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“.150 Fichte deutet dies „als absolutes Postulat der Übereinstimmung mit dem reinen Ich“ (178 Anm./FW I, 260 Anm.). Kant meint mit dem kategorischen Imperativ, dass das endliche Subjekt mittels seiner endlichen Maximen danach streben soll, eine allgemeingesetzliche, objektive Verbindlichkeit zu erreichen, nur dann sind seine Handlungen moralisch gut. Die subjektiven Maximen haben nur als ein Medium für die Annäherung an die Allgemeingesetzlichkeit einer Handlung zu gelten. Um diese ausschließlich mediale Bedeutung der Maximen zu betonen, formuliert Kant im kategorischen Imperativ „durch die“, es handelt sich also nicht um einen einfachen Druckfehler oder schlicht um Königsberger Dialekt, sondern vielmehr um einen Aspekt, der auch für Fichtes Auffassung des Grundsatzes der praktischen Philosophie von zentraler Bedeutung ist: Das endliche, empirische Subjekt ist bloß ein Durchgang, ein vermittelndes Medium für die Angleichung an die reine Allgemeingesetzlichkeit und an die reine Formalität von konkreten Handlungen.151 Dabei spielen sich die Formalität und die Allgemeinheit einer Handlung in der subjektiven Maxime des endlichen Ich ab und sind nicht in einem Bereich jenseits des konkret handelnden Ich anzusiedeln. Es ist schon das konkrete Ich, das der Allgemeingesetzlichkeit eine Wirklichkeit geben soll und sich daran, sofern es ein Subjekt praktischer Vernunft ist, unumstößlich gebunden weiß. Im Pflichtbegriff Kants sind daher eine subjektive und eine objektive, d. h. allgemeingesetzliche Ebene miteinander unzertrennlich verknüpft, was auch an Kants terminologischer Einführung des Begriffs der Pflicht deutlich wird: „Pflicht ist Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz.“152 Die Achtung bildet die subjektive Seite der Pflicht, denn sie beschreibt das gefühlsmäßige Erleben einer sittlichen Handlung in einem Individuum, da die Achtung ein sittliches und aus Vernunft selbst gewirktes Gefühl ist. Zugleich ist für die Pflicht ausschlaggebend, dass sie auf der objektiven Ebene auf eine streng allgemeingültige Gesetzlichkeit verweist. Somit sind auch in Kants für die praktische Philosophie zentralem Begriff der Pflicht die subjektivindividuelle und die objektiv-allgemeingültige Ebene miteinander verknüpft. Wobei mit Fichte die objektiv-allgemeingültige Ebene als der Bereich eines rein formalen und nicht durch Inhalte beschränkten und daher absoluten Ich gedeutet werden kann. Fichte deutet den kategorischen Imperativ Kants in der Ausrichtung, dass um der Identität des absoluten Ich

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willen sich diesem das endliche Ich immer mehr annähern muss (vgl. 178 Anm./FW I, 260f. Anm.). Nach Fichte hat der kategorische Imperativ nur vor dem Hintergrund eines absoluten Ich Sinn, denn ein absolutes Postulat kann auch nur von einer Instanz gefordert werden, die selbst absolut ist. Ein endliches Ich kann keine absoluten Postulate erheben. Wenn man also den kategorischen Imperativ als ein absolut verbindliches Sittengesetz deutet, dann muss auch das absolute Ich zugestanden werden, also diejenige unbegrenzte Instanz, die in der Lage ist, absolute Postulate zu erheben. „Das Resultat unserer bisherigen Untersuchungen ist demnach folgendes: die reine in sich selbst zurückgehende Tätigkeit des Ich ist in Beziehung auf ein mögliches Objekt ein Streben; und zwar […] ein unendliches Streben. Dieses unendliche Streben ist ins Unendliche hinaus die Bedingung der Möglichkeit alles Objekts: kein Streben, kein Objekt.“ (179/FW I, 261 f.) Dies bedeutet, dass das praktische Streben für jede Objektivität konstitutiv ist, denn das Objekt hat nur die Aufgabe, den notwendigen Widerstand für die Aktivierung des Strebens nach Identität zu geben und dieses Streben ist dem absoluten Ich genau dann zu eigen, wenn es sich selbst endlich setzt, wenn es sich also ein Nicht-Ich entgegensetzt. Das Streben setzt Fichte auch mit einer „Tendenz“ gleich (vgl. 179/FW I, 261). Das Streben bzw. die ursprüngliche Tendenz des Ich ist zwar einerseits eine Forderung, die prinzipiell nicht wegzudenken und also notwendig ist; zugleich kann sie prinzipiell nicht an ein Ziel gelangen, weil sich absolutes Ich und limitiertes Ich bzw. absolutes Ich und Nicht-Ich unaufhebbar entgegengesetzt sind. Insofern handelt es sich bei dem praktischen Streben des Ich um eine notwendige, aber unlösbare Aufgabe. Eine absolute Identität des Ich mit sich, die die Nichtidentität mit dem Nicht-Ich innerlich aufgenommen und verarbeitet hat, kann nur als ein Ziel beschrieben werden. Ein notwendigerweise im Unendlichen liegendes Ziel ist ein praktisches „Ideal“. Insofern ist im Ideal der „Widerspruch gelöst“ (179/FW I, 262). Das Begründungsverhältnis zwischen theoretischer und praktischer Vernunft beweist den Primat der praktischen Vernunft (vgl. 181 f./FW I, 264), denn ohne das Streben, also ohne die praktische Vernunft gäbe es kein Objekt; insofern ist die praktische Vernunft die Bedingung der Möglichkeit der theoretischen.153 Sofern die theoretische Vernunft, die Intelligenz sicher bewiesen ist, ist damit auch die praktische Vernunft sicher bewiesen, denn sie ist deren Voraussetzung: Die Vernunft muss praktisch sein, da es erwiesenermaßen theoretische Vorstellungen gibt, gäbe es die praktische Vernunft nicht, wären theoretische Vorstellungen von Objekten nicht möglich, denn die theoretische Vorstellung eines das Ich begrenzenden Objekts gibt es nur, sofern das Ich überhaupt ein Streben hat, sich mit

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sich zu identifizieren. Es ist also nicht so, dass zuerst das Objekt vorhanden ist und das Ich dann strebt, sondern es verhält sich genau umgekehrt: weil das Ich strebt, ist ein Objekt für es vorhanden. Das Objekt ist dasjenige, woran sich das Streben manifestieren kann; insofern ist das Objekt um des praktischen Strebens des Ich willen vorhanden. Die grundlegende Bestimmung der praktischen Philosophie ist das Streben und der Trieb des Ich nach Selbstidentität. Dieses Streben liegt beim absoluten Ich der Tathandlung des ersten Grundsatzes nur uneigentlich vor. Denn dort ist eine noch ungetrübte, daher aber auch unbestimmte Selbstidentität zu denken (vgl. 182/FW I, 264 f.), nach dem zweiten und dritten Grundsatz zeigt sich das Streben nach Selbstidentität beim Ich als durch ein Nicht-Ich gehemmt. Das Nicht-Ich selbst ist seiner Existenz nach zwar nicht aus dem Ich herzuleiten, wohl aber die Form, wie dieses Nicht-Ich vom Ich erlebt wird, nämlich als eine Hemmung der eigenen Tätigkeit. Da alle Setzung in die Macht des Ich fällt, muss auch die Setzung dieser Hemmung in dessen Verantwortungsbereich fallen. Wenn die Hemmung geschieht, hört das Streben nach Selbstidentität des Ich nicht auf, sondern es wird nach dieser Unterbrechung wiederhergestellt. Auch dieses wiederhergestellte Streben nach Selbstidentität muss das Ich sich selbst zuschreiben (vgl. 183/FW I, 265). Im Ich ist die Suche nach Selbstidentität zeitlich ausgedehnt und erstreckt sich in verschiedene Phasen eines Strebeprozesses, der versucht, die ursprüngliche Identität in Überwindung des im Ich gesetzten fremdartigen Nicht-Ich wiederherzustellen (vgl. 182/FW I, 265). Es lassen sich daher drei Phasen im Prozess der Selbstidentitätsfindung des Ich unterscheiden: eine erste Phase der ungetrübten, aber auch unbestimmten und un- oder vorbewussten Identität (Ich bin Ich), eine zweite, die im Nicht-Ich eine heteronome Hemmung der Selbstidentifikation erfährt, und eine dritte Phase, in der das Ich die Hemmung zu überwinden strebt, indem es die Selbstidentität wiederherstellt und sich zur autonomen Selbstverwirklichung drängt. Hemmung und Wiederherstellung des Strebens nach Selbstidentität muss sich das Ich gleichermaßen bewusst zuschreiben. Fichte illustriert diese drei Phasen im Selbstwerdungsprozess des Ich mittels eines geometrischen Beispiels einer Linie (vgl. 183 f./FW I, 265 f.), die von dem Punkt A bis zum Punkt C geht (1. Phase der ungetrübten und noch unbewussten Identität), in dem Punkt C ereignet sich die Hemmung der Tätigkeit (2. Phase des durch das Nicht-Ich abgebrochenen Strebens des Ich), aber die Tätigkeit würde ihr Wesen verlieren, würde sie nicht nach der Unterbrechung weiter gehen bis zu einem hinter C liegenden Punkt D (3. Phase der Wiederherstellung des Strebens). Die Tätigkeit kann in ihrer Bestrebung der Wiederherstellung des Strebens nicht von C nach A einfach zurückgehen, weil sie dann wieder in den vor- oder unbewussten Zustand

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zurückfiele, was nach der Hemmung und nach der Bewusstwerdung nicht möglich ist und bloß ein Selbstbetrug wäre. – Biblisch ausgedrückt: Wenn das Ich einmal vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, kann es dies nicht mehr ungeschehen machen, sondern muss den Verlust der unbewussten Unschuld durch Erkenntnisarbeit und praktisches Handeln wettzumachen streben. Die Würde der Selbstidentität ist dem Ich nun nicht mehr einfach eine Gabe, sondern wird zur Aufgabe. – Daher muss das Ich von C aus seine Tätigkeit auf einen hinter C liegenden Punkt ausdehnen und das ist auf einer Linie der Punkt D. Die Strecke von C bis D ist als Phase der Wiederherstellung der Selbstidentität zu verstehen, die auf einer höheren Ebene versuchen muss, die heteronome Hemmung in sich zu integrieren. Hemmung und Wiederherstellung des Strebens fordern sich gegenseitig und sind deswegen synthetisch vereinigt, denn wenn eine Hemmung geschähe, ohne dass eine Wiederherstellung erfolgen würde, würde dies bloß zu einer Zerstörung des Ich und seiner Identität führen. Ein im Akt der heteronomen Hemmung stehen bleibendes Ich könnte sich sogar nicht der Hemmung als solcher bewusst werden, denn es könnte diese Hemmung nicht sich selbst zuschreiben, weil sein Streben nach Selbstidentität im Moment der Hemmung aufgehoben und gestört ist, denn es ist auf ein Fremdartiges gerichtet und könnte die Hemmung daher nicht als eigenes Erlebnis qualifizieren. Umgekehrt erfordert die Wiederherstellung des Strebens nach Selbstidentität aber auch eine Hemmung, denn wenn keine Hemmung vorläge, könnte auch nichts wiederhergestellt werden. Hemmung und Wiederherstellung des Strebens bilden daher zwar zwei unterschiedliche Zustände oder Phasen im Erleben des Ich, aber sie gehören doch synthetisch zusammen und bilden eine in sich verknüpfte Einheit. Diese synthetische Einheit von Hemmung und Wiederherstellung, die sich im Subjekt als dessen Erlebnis abspielt, ist das „Gefühl“ (vgl. 184/FW I, 266). Im Gefühl gibt es einerseits die Beziehung zum Nicht-Ich/Objekt, welches das Streben nach Selbstidentität hemmt, und andererseits auch die subjektimmanenten Komponenten der Hemmung und der Wiederherstellung des Strebens. Subjekt und Objekt sind im Gefühl synthetisch vereint. Das Spezifische an dieser Vereinigung ist, dass sie sich rein subjektimmanent abspielt, denn das Objekt ist nur dadurch präsent, dass das Subjekt eine Hemmung und äußere Affektion seiner Selbstidentität erlebt. „Alles Setzen des Ich ginge demnach aus vom Setzen eines bloß subjektiven Zustandes; alle Synthesis von einer in sich selbst notwendigen Synthesis des Entgegengesetzten im bloßen Subjekte. Dieses bloß und lediglich Subjektive wird sich tiefer unten als das Gefühl zeigen.“ (184/FW I, 266) Mit dieser Andeutung einer näheren Bestimmung des Gefühls meint Fichte die „Empfindung“. Das Gefühl ist eine unmittelbar individuell und rein subjektiv erlebte Qualität, die nicht diskursiv durch theoretische Erkennt-

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nis ersetzbar ist; die aber dennoch als unmittelbares Erleben die Grundlage und den Ausgangspunkt für das menschliche Wissen bildet; die Empfindung im engeren Sinn ist ein solches Gefühl, das sich das Subjekt im Akt einer Reflexion selbst zuschreibt (vgl. 227 f./FW I, 311, 229 ff./FW I, 313ff. und bes. 239/FW I, 323). Mit dem Gefühl hat sich die Synthesis der unendlichen, nur in sich selbst zurückgehenden Tätigkeit des absoluten Ich mit der endlichen, außer sich gehenden, objektiven Tätigkeit des endlichen Ich vollzogen. Das Gefühl ist einerseits unendliche und zugleich auch objektgerichtete Tätigkeit. Diese unendliche Tätigkeit ist von der zuerst genannten unendlichen Tätigkeit zu unterscheiden, weil jene noch keine heteronome Hemmung erduldet und integriert hatte, die zweite Art unendlicher Tätigkeit aber sehr wohl.

2. Die egologische Einheit von Reflexion und Streben im Sittengesetz (187–199/FW I, 270–282) Die unendliche und dennoch objektgerichtete Tätigkeit ist zu differenzieren: Das Gefühl ist als Wechselspiel von Hemmung und Wiederherstellung von Tätigkeit ein „Streben“, denn jeweils wenn eine Hemmung einsetzt, ist das Ich bestrebt, über diese hinauszugehen und seine ihm selbst zuzuschreibende Tätigkeit fortzusetzen. Das wirkliche Objekt ist das noematische Korrelat der einfachen objektgerichteten, endlichen Tätigkeit, dagegen ist das noematische Korrelat der unendlichen, objektgerichteten Tätigkeit ein bloß eingebildetes Objekt, denn jeweils, wenn ein Objekt gerade gesetzt wurde, wird es wieder aufgehoben und das Ich strebt danach, die eigene Tätigkeit gegen die Hemmung fortzusetzen. Diese Fortführung der eigenen Tätigkeit geht ins Unendliche. In oszillierender Weise wird jeweils ein Objekt gesetzt, das die Tätigkeit hemmt und es wird darauf eine Tätigkeit des Ich wiederhergestellt; diese wiederhergestellte Tätigkeit wird aber – um vom Ich bewusst erlebt werden zu können – auch wieder gehemmt usw. Diese Tätigkeit ist sowohl endlich (gehemmt durch ein Objekt) als auch unendlich (über das jeweilige Objekt hinausgehend). Die objektgerichtete Tätigkeit bezeichnet Fichte auch als „ideale Tätigkeit“ (vgl. 213/FW I, 296), damit ist gemeint, dass sie eine theoretische Vorstellung vom Objekt produziert; davon ist die „reale Tätigkeit“ (vgl. a. a. O.) zu unterscheiden, die das praktische Streben des Ich bezeichnet. Das noematische Korrelat der unendlichen und dennoch objektgerichteten Tätigkeit ist ein „Ideal“: „Das Ideal ist absolutes Produkt des Ich; es lässt sich ins Unendliche hinaus erhöhen, aber es hat in jedem bestimmten Momente seine Grenze, die im nächsten bestimmten Momente gar nicht

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die gleiche sein muss. Das unbestimmte Streben überhaupt, – das insofern freilich nicht Streben heißen sollte, weil es kein Objekt hat, für welches wir aber keine Benennung haben, noch haben können, – welches außerhalb aller Bestimmbarkeit liegt – ist unendlich; aber als solches kommt es nicht zum Bewusstsein, noch kann es dazu kommen, weil Bewusstsein nur durch Reflexion, und Reflexion nur durch Bestimmung möglich ist. Sobald aber über dasselbe reflektiert wird, wird es notwendig endlich. So wie der Geist innewird, dass es endlich sei, dehnt er es wieder aus; sobald er sich aber die Frage aufwirft: ist es nun unendlich? wird es gerade durch diese Frage endlich; und so fort ins Unendliche.“ (187/FW I, 269) Das Ideal oszilliert zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit. Das Ich hat insofern seine Grundbestimmung im Streben. Das Streben ist die Einheit, in der absolutes, theoretisches und praktisches Ich miteinander synthetisch vereint sind. Die Unendlichkeit ist im Ich nicht konkret objektiv anwesend, sondern nur als ein kontinuierlich vorgehaltenes Telos der ursprüngliche Motor des Ich. Insofern ist das Ideal auch durch einen Grad der Unbestimmtheit und Leere gekennzeichnet. Das Ideal ist dem Ich – mit einem Wort Husserls – eine notwendige „Leerintention“, auf die es ausgerichtet ist und die es immer nur partiell erfüllen kann, „es wird hier dadurch nur erklärt, wie das Ich sich fühlen könne, als getrieben nach irgend etwas Unbekanntem“ (213/FW I, 296f.). Im Streben des Ich sind auch Selbstsetzung und Fremdeinwirkung bzw. Heteronomie des Nicht-Ich miteinander vereint. Die Heteronomie einer Einwirkung des Nicht-Ich kann nicht als etwas gesehen werden, welches das Ich selbst hervorbringt, denn dann wäre die Heteronomie getilgt, das Ich wäre zum Absoluten erhoben. Die Heteronomie ist nur insofern zu begreifen, als sie in einem Sich-offen-Halten des Ich für eine Fremdeinwirkung besteht. Dass es ein Nicht-Ich gibt, ist zwar ein kontingentes Faktum (vgl. 193/FW I, 275), doch es ist zu deduzieren – „genetisch“ abzuleiten, wie Fichte sagt (vgl. 188, 193/FW I, 271, 276) –, wie es im Ich zu einer solchen Einwirkung kommen kann und dies soll durch das Sich-selbst-offenHalten des Ich geleistet werden. Nur sofern das Ich eine solche Einwirkung in sich zulässt, kann sie es betreffen. Würde das Ich sich ihr gegenüber verschießen, dann würde seine Tätigkeit zwar an einem Punkt durch das Nicht-Ich abgebrochen, aber das Ich würde diesen Abbruch nicht als ein Geschehen erleben, das es selbst betrifft; „so muss die Bedingung der Möglichkeit eines solchen fremden Einflusses im Ich selbst, im absoluten Ich, vor aller wirklichen fremden Einwirkung vorher gegründet sein; das Ich muss ursprünglich und schlechthin in sich die Möglichkeit setzen, dass etwas auf dasselbe einwirke; es muss sich unbeschadet seines absoluten Setzens durch sich selbst, für ein anderes Setzen gleichsam offen erhalten. Demnach müsste schon ursprünglich im Ich selbst eine Verschiedenheit

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sein, wenn jemals eine darein kommen sollte; und zwar müsste diese Verschiedenheit im absoluten Ich, als solchem, gegründet sein. – Der anscheinende Widerspruch dieser Voraussetzung wird zu seiner Zeit sich von selbst lösen, und die Ungedenkbarkeit derselben sich verlieren.“ (189/FW I, 272) Mit dieser Annahme einer Verschiedenheit im absoluten Ich selbst widerspricht Fichte seinen eigenen Grundvoraussetzungen, insbesondere denjenigen aus dem ersten Grundsatz. – Hier zeigt sich eine Nähe zu den späteren Ausführungen Hegels zum Ich, denn dieser konzipiert es gerade als den Charakter der Absolutheit, dass im Ich Identität und Nichtidentität eine ursprüngliche Identität bilden. Damit begeht Hegel natürlich einen fundamentalen, aber aus seiner Sicht notwendigen Verstoß gegen den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch. – Die Verschiedenheit im absoluten Ich, von der Fichte hier spricht, besteht zwar nicht darin, dass schon im absoluten Ich des ersten Grundsatzes das Nicht-Ich integriert wäre, sondern diese Verschiedenheit, die sich bereits im absoluten Ich findet, ist als das Sich-offen-Halten für eine Fremdeinwirkung eine bloße Möglichkeit, eine Virtualität. Nach Fichtes eigener Konzeption ist das Ich im ersten Grundsatz aber ausschließlich für sich selbst offen, nicht für Fremdeinwirkungen. – Diese Schwierigkeit, den Übergang vom absoluten zum endlichen Ich nicht erklären zu können, war wohl der entscheidende Grund, weshalb Fichte in den folgenden Jahren nach der Grundlage seit 1796 ff. eine Wissenschaftslehre nach neuer Methode zu entwickeln beginnt; nämlich die Wissenschaftslehre nova methodo, die von vornherein mit einem endlichen und wirklichen Ich beginnt und dessen immanente Strukturen und Selbstsetzungsformen expliziert.154 – Damit das Fremdartige das Ich überhaupt betreffen kann, darf es nicht absolute Fremdartigkeit sein, denn dann wäre es für das Ich einfach ein Nichts, aber nicht etwas, das es tangieren kann. Sofern das Fremdartige als eine Hemmung erlebt wird, die die Tätigkeit des Ich aufhält und zu etwas Neuem antreibt, wird das Fremdartige auch als eine Tätigkeit erlebt. Die Tätigkeit ist also das tertium comparationis, welches die einander Fremdartigen miteinander vermittelt (vgl. 190/FW I, 272). Zugleich ist die Hemmungstätigkeit des Fremdartigen derjenigen Tätigkeitsrichtung entgegengesetzt, die das Ich hat. Das Ich ist auf sich gerichtet, insofern hat es eine „zentripetale“ Richtung, denn es strebt zu sich selbst als dem Mittelpunkt hin. Dagegen wird die Einwirkung des Fremdartigen als eine „zentrifugale“ Kraftrichtung erlebt, denn das Sich-auf-sich-selbstZubewegen des Ich wird nach außen abgedrängt und es setzt eine von der Mitte (dem Ich) wegtreibende Kraft ein (vgl. 190f./FW I, 273f.). In der reflexiven Selbsterkenntnis des Ich verknüpfen sich die zentripetale und die zentrifugale Kraftrichtung miteinander (vgl. 191/FW I, 274): In der Reflexion sind Reflektierendes als der Akteur und Reflektier-

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tes als der noematische Inhalt des Denkvollzugs zu unterscheiden. In gewissem Sinn gilt, dass das Reflektierte, sofern es eine Objektivierung ist, auf die hin der Reflexionsakt geht, nicht mehr nur eine auf sich selbst gehende Tätigkeit ist, denn es wird etwas als Reflexionsprodukt hingestellt und von dem Sich-zu-sich-Verhalten abgetrennt. Der Reflexionsakt überschreitet damit sich selbst auf einen intentionalen Gegenstand hin und hat daher zentrifugale Richtung. Das ist auch dann der Fall, wenn sich das Ich selbst zum Gegenstand der Reflexion macht; denn im Moment des Reflektiertseins, ist das Ich nicht mehr bei sich selbst als dem gerade tätig Reflektierenden, sondern es hat sich zum Reflektierten und damit zu einem Getätigten gemacht. Dagegen ist das Reflektierende selbst, im Unterschied zum Reflektierten, eine sich auf sich selbst richtende Tätigkeit und hat insofern eine zentripetale Kraftrichtung. Da hinsichtlich der Reflexion gilt, dass es ein Reflektiertes nicht ohne Reflektierendes gibt und umgekehrt, sind im Reflexionsakt auch zentrifugale und zentripetale Tätigkeitsrichtung Wechselbestimmungen. Aufgrund ihres gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisses geht Fichte sogar so weit zu sagen: „sie sind beide Eins und ebendasselbe“ (192/FW I, 274). Die Reflexion bildet – mit dem Wort Heideggers – eine „Strukturganzheit“, in der verschiedene Elemente, d. h. Tätigkeitsrichtungen, miteinander synthetisch verknüpft sind und eine Einheit ausmachen. Fichte verdeutlicht die endliche Reflexion im Kontrast zu einer Reflexion, wie sie Gott zukommen müsste: „Setzet zur Erläuterung, das Selbstbewusstsein Gottes soll erklärt werden, so ist dies nicht anders möglich, als durch die Voraussetzung, dass Gott über sein eigenes Sein reflektiere. Da aber in Gott das Reflektierte Alles in Einem und Eins in Allem, und das Reflektierende gleichfalls Alles in Einem und Eines in Allem sein würde, so würde in und durch Gott Reflektiertes und Reflektierendes, das Bewusstsein selbst und der Gegenstand desselben, sich nicht unterscheiden lassen, und das Selbstbewusstsein Gottes wäre demnach nicht erklärt, wie es denn auch für alle endliche Vernunft, die an die Gesetze der Bestimmung desjenigen, worüber reflektiert wird, gebunden ist, ewig unerklärbar und unbegreiflich bleiben.“ (192/FW I, 275) Hier wird deutlich, dass Fichte Gott – mit Anklang an Spinoza – als „Hen kai Pan“ und „Pan kai Hen“ denkt. Die menschliche Reflexion hat dagegen in sich einen unaufhebbaren Unterschied von Reflektierendem und Reflektiertem. Das Ich setzt sich in der Reflexion zum zweiten Mal. Zuerst setzt es sich in der Tathandlung als absolutes Ich und weiß diese Setzung nicht bewusst, und nun setzt sich das Ich in der Reflexion mit einem immanenten Unterschied in sich zwischen reflektierendem Ich und reflektiertem Ich. Vermittels dieses Unterschieds handelt es sich bei dem reflektierten Ich um ein bewusstes Wissen von sich. Durch diesen Unterschied in der bewus-

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sten Selbstbeziehung ist dem Ich auch der Gegenstand zugänglich, denn dieser ist auch, als ein Gegenstand der Reflexion, durch den Unterschied zum Reflektierenden bestimmt: „und durch dieses neue, auf ein ursprüngliches Setzen sich beziehende Setzen öffnet es sich, dass ich so sage, der Einwirkung von außen; es setzt sich lediglich durch diese Wiederholung des Setzens die Möglichkeit, dass auch etwas in ihm sein könne, was nicht durch dasselbe selbst gesetzt sei. Beide Arten des Setzens sind die Bedingung einer Einwirkung des Nicht-Ich; ohne die erstere würde keine Tätigkeit des Ich vorhanden sein, welche eingeschränkt werden könnte; ohne die zweite würde diese Tätigkeit nicht für das Ich eingeschränkt sein, das Ich würde sich nicht setzen können, als eingeschränkt. So steht das Ich, als Ich, ursprünglich in Wechselwirkung mit sich selbst, und dadurch erst wird ein Einfluss von außen in dasselbe möglich.“ (194/FW I, 276) Das oben angesprochene Sich-offen-Halten für die Heteronomie ist in einem spezifischen Selbstverhältnis des Ich begründet, nämlich darin, dass absolute und reflexive Selbstsetzung zusammenwirken. Das reflexive Sich-als-IchWissen ist eine neuartige, wissende Selbstrelation, bei der insbesondere das „als“ zu betonen ist, denn vermittels der Reflexion weiß das Ich von sich, was es ist, d. h., es weiß sich als etwas. Die Interaktion von absolutem und reflexivem Ich ist eine Selbstaffektion, denn das Ich ist sowohl Ursache als auch Wirkung in dieser Relation der beiden Icharten. Die Selbstaffektion hat Fichte bereits in der theoretischen Wissenschaftslehre bezüglich der Bestimmung der Kausalität und der Substantialität hergeleitet. Wenn man das Ich der Reflexion genauer bestimmt, dann zeigt sich, dass dieses ein Zusammenwirken von intelligentem, theoretischem und praktischem Ich ist: Intelligenz ist es, weil es eine sich wissende Relation ist. Zugleich ist es auch praktisch, weil das Ich sich in einer praktischen Tätigkeit selbst zu verwirklichen strebt. Insofern ist die konstitutive Öffnung für die Einwirkung durch ein Nicht-Ich bedingt durch eine komplexe Relation, in die absolutes, theoretisches und praktisches Ich zueinander treten. „Hier erst wird der Sinn des Satzes: das Ich setzt sich selbst schlechthin [damit ist die Tathandlung des ersten Grundsatzes gemeint; Einf. R. S.], völlig klar. Es ist in demselben gar nicht die Rede von dem im wirklichen Bewusstsein gegebenen Ich; denn dieses ist nie schlechthin, sondern sein Zustand ist immer, entweder unmittelbar, oder mittelbar durch etwas außer dem Ich begründet; sondern von einer Idee des Ich, die seiner praktischen unendlichen Forderung notwendig zu Grunde gelegt werden muss, die aber für unser Bewusstsein unerreichbar ist, und daher in demselben nie unmittelbar [wohl aber mittelbar in der philosophischen Reflexion] vorkommen kann.“ (194/FW I, 277) Damit ist der Status des absoluten Ich geklärt: Wenn man versucht, es sich zu Bewusstsein zu bringen, wird es zur praktischen, unerreichbaren Idee, d. h. zu einer reinen Selbstidentität, die

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uns als eine notwendige Aufgabe vorschwebt. Mit dem Klammerzusatz meint Fichte, dass in unserer philosophischen Betrachtungsweise der Wissenschaftslehre das absolute Ich als der Grund des Bewusstseins konstruiert wird und insofern nur „mittelbar“ erlebt wird. Das praktische Ich hat die für die gesamte Wissenschaftslehre zentrale Aufgabe inne, das absolute Ich als eine Idee darzustellen. Diese praktisch gewordene Idee des absoluten Ich drückt sich im Rahmen der Sittenlehre als Autonomie und praktische Spontaneität aus. Das Prinzip der Sittenlehre formuliert Fichte in der Grundlage nur andeutend und erst im System der Sittenlehre (1798) explizit: „Das Prinzip der Sittlichkeit ist der notwendige Gedanke der Intelligenz, dass sie ihre Freiheit nach dem Begriffe der Selbständigkeit, schlechthin ohne Ausnahme, bestimmen solle.“155 In der Grundlage ist dieser Gedanke noch unpräziser, aber einfacher formuliert als: „Du sollst schlechthin“ (243/FW I, 327). Das Sittenprinzip ist nach Fichtes System der Sittenlehre allerdings kein Gefühl oder sinnlicher Trieb mehr, sondern ein rein intelligibler Gedanke, bei dem das Ich sich seiner Freiheit bewusst wird. Es ist sogar „ein notwendiger Gedanke, denn er ist die Form, unter welcher die Freiheit der Intelligenz gedacht wird; der erste, und absolute Gedanke“.156 Dieser Gedanke des sittlichen Freiheitsbewusstseins hat zwar eine gefühlsmäßige und triebhafte Grundlage, anlässlich welcher sich das Ich seiner Kausalität auf die Wirklichkeit bewusst wird, aber er selbst ist nicht mehr ein bloßes Gefühl, da er eine strenge Gesetzmäßigkeit impliziert, die einem Gefühl prinzipiell nicht zukommen kann. Der Gedanke des Sittenprinzips ist eine spezifisch praktische intellektuelle Anschauung, die von derjenigen des absoluten Ich in der Tathandlung zu unterscheiden ist, denn im praktischen Sittenbewusstsein ist sich das Ich nicht in einer unbestimmten intellektuellen Anschauung gegenwärtig, sondern in einem differenzierten Gedanken, der darauf abzielt, die spontane Fähigkeit zu erfassen, die dazu nötig ist, in der sinnlichen Wirklichkeit vermittels der Selbstbestimmung eine konkrete Wirklichkeit hervorzubringen. Diese Art der intellektuellen Anschauung setzt somit sinnliche Anschauung von gegebenem Mannigfaltigen in Raum und Zeit sowie das spontane Wissen um die Fähigkeit kausalen Einflusses des Ich auf die sinnliche Wirklichkeit voraus. Angeschaut wird nicht die Freiheit als sinnliche Wirklichkeit, denn das wäre eine sinnliche Anschauung, sondern der vorgängige Gedanke der praktischen Spontaneität im Ich wird angeschaut, der die Voraussetzung für die sinnliche Verwirklichung ist.157 Das reflexive Selbstbewusstsein ist nach der Lehre der Grundlage praktisch, weil es in dem Streben besteht, das Ich als alle Realität zu verwirklichen, also darin, das absolute Ich wirklich zu machen. Das bewusste Ich findet immer wieder eine Vorgegebenheit, die als ein Hemmnis wirkt, und

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erlebt bei sich das Bestreben, absolute Selbstidentität herstellen zu wollen. Daraus ergibt sich auch die Struktur einer praktischen Idee: Sie ist ein im Unendlichen liegendes Ziel, das zwar nicht erreicht, aber doch aufgrund des Wesens des Ich verfolgt werden muss. „Hierdurch entsteht die Reihe dessen, was sein soll, und was durch das bloße Ich gegeben ist; also die Reihe des Idealen. Geht die Reflexion auf diesen Anstoß, und betrachtet das Ich demnach sein Herausgehen als beschränkt; so entsteht dadurch eine ganz andere Reihe, die des Wirklichen, die noch durch etwas anderes bestimmt wird, als durch das bloße Ich. – Und insofern ist das Ich theoretisch, oder Intelligenz.“ (195/FW I, 277) Ob das Ich sich zur Welt praktisch oder theoretisch verhält, ist also nur durch einen Perspektivwechsel bestimmt. Theorie und Praxis sind zwei Seiten derselben Medaille und je nachdem, ob das Ich auf seine Gehemmtheit reflektiert wird es theoretisch oder ob es auf seine Möglichkeit zur Überwindung der Hemmung und an die Ausführung der Überwindung geht wird es praktisch. Damit das Ich sich verwirklichen kann, ist ein äußerer Anstoß auf es notwendig, vermittels dessen es sich seiner eigenen Tätigkeit und Fähigkeit bewusst werden kann. Wenngleich diese Fähigkeiten im Ich selbst enthalten sind, bedürfen sie doch eines äußeren Stachels zur konkreten, empirischen Verwirklichung. Ohne den äußeren Anstoß bliebe das Ich in eine bloße Möglichkeitswelt eingeschlossen; der Übergang in die äußere Wirklichkeit wird also durch einen äußeren, kontingenten Reiz angestachelt. „Nach der soeben vorgenommenen Erörterung ist das Prinzip des Lebens und Bewusstseins, der Grund seiner Möglichkeit, – allerdings im Ich enthalten, aber dadurch entsteht noch kein wirkliches Leben, kein empirisches Leben in der Zeit; und ein anderes ist für uns schlechterdings undenkbar. Soll ein solches wirkliches Leben möglich sein, so bedarf es dazu noch eines besonderen Anstoßes auf das Ich durch ein Nicht-Ich.“ (196/FW I, 279) Das Ich kann also nicht in einer bloßen Möglichkeitswelt verharren, es hätte nämlich dann eigentlich kein Wissen von einer tatsächlichen Welt, alles für das Ich Gegebene wäre eine bloße Konstruktion und das Ich selbst wüsste noch nicht einmal etwas davon, dass das für es Seiende bloß den Status einer möglichen Konstruktion hat, da es keinen Vergleichsmaßstab hätte, um bloß Gedachtes von Wirklichem zu unterscheiden. Der Anstoß kommt zwar von außen auf das Ich, aber er determiniert das Ich nicht, denn das Ich kann auf diesen Anstoß mit mannigfaltigen Handlungsalternativen reagieren und den Anstoß z. B. zu seinen Zwecken modifizieren; „das Ich wird durch jenes Entgegengesetzte bloß in Bewegung gesetzt, um zu handeln, und ohne ein solches erstes Bewegendes außer ihm würde es nie gehandelt, und da seine Existenz bloß im Handeln besteht, auch nicht existiert haben. Jenem Bewegenden kommt aber auch nichts weiter zu, als dass es ein Bewegendes sei, eine entgegengesetzte

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Kraft, die als solche auch nur gefühlt wird.“ (196/FW I, 279) So ist die menschliche Intelligenz z. B. in der Lage, die sie scheinbar bestimmenden Gesetze der Gravitation auch so zu nutzen, dass mittels der Gravitation Raketen im Weltall beschleunigt werden können. – Hieraus lässt sich – was Fichte an dieser Stelle nicht macht – ableiten, dass das Ich einen Leib haben muss und zwar, genauer gesagt, einen fühlenden Leib. Wenn auf das Ich, damit es zu wirklichen Handlungen angetrieben wird, notwendigerweise eine äußere Kraft einwirken muss und wenn das Ich von sich tatsächlich weiß, dass es konkrete Hemmungen erlebt, auf die es mit wirklichen Handlungen reagiert, dann muss das Ich auch mit etwas ausgestattet sein, auf das die äußere Kraft einwirken kann und durch das eine wirkliche in das Äußere gehende Modifikation des Hemmenden und Bewegenden vollzogen werden kann. Das, worauf die äußere Kraft einwirken und womit sie auch in der Äußerlichkeit modifiziert werden kann, ist als Leib zu bezeichnen. Dies ist eine Deduktion des Leibes mittels theoretischer und praktischer Gründe. Sie ist zu unterscheiden von der von Fichte in der Rechtslehre geleisteten Deduktion des Leibes, die aus der Notwendigkeit einer Interaktion freier Subjekte geführt wird.158 – Indem die Wissenschaftslehre ein Bewegendes außer dem Ich konzipiert, hat sie ein realistisches und externalistisches Element. Allerdings darf dieses nicht in einem metaphysischen oder dogmatischen Sinn verstanden werden, sondern es ist in einen transzendentalphilosophischen Kontext eingebunden (vgl. 197/FW I, 279 f.). Die bloße Vorgegebenheit eines Bewegenden, Fremdartigen ist zunächst bloß ein noch unbestimmtes Gefühl, das erst durch die Leistungen des Ich zu etwas Bestimmtem modifiziert wird. Insofern ist das Ich das Bestimmende, denn mit jedem neuen Akt, durch den es auf den gefühlten Anstoß reagiert, eignet sich das Ich in einem Strebeprozess durch Überwindung der Heteronomie den Gegenstand an. Transzendental bleibt die Wissenschaftslehre deshalb, weil der gefühlte Bewegungsimpuls vom Ich zu etwas modifiziert wird, das es selbstständig mit Sinn zu füllen hat. Aus diesem Grund macht sich das Ich seine Wirklichkeit im Rahmen einer ihm vorgegebenen Wirklichkeit und die gemachte Wirklichkeit hat danach zu streben, die gegebene Wirklichkeit mit Sinn auszufüllen. Diese Sinnerfüllung kann aber nicht vollständig gelingen, da das endliche Ich immer wieder neue Hemmungen erfährt bzw. fühlt. Das Gefühl ist somit der Ausgangspunkt für die Bestimmtheit einer Außenwelt für das Ich. Daraus läßt sich das Gesetz der Bestimmtheit ableiten: „Die Regel der Bestimmung überhaupt ist uns wohl bekannt; es ist etwas nur insofern bestimmt, inwiefern es durch sich selbst bestimmt ist.“ (234/FW I, 318) Bestimmtheit ist daher Spontaneität und d. h. Wechselwirkung mit sich

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selbst. Diese Art der Bestimmtheit als Spontaneität findet sich in ursprünglicher Weise nur in der Subjektivität nicht im Objekt, denn auf dieses wird in schon defizienter Weise die Regel der Bestimmung übertragen: „Das subjektive Gesetz der Bestimmung ist daher dieses, dass etwas Bestimmtes und Bestimmendes zugleich, oder durch sich selbst bestimmt sei: und der Bestimmungstrieb geht darauf aus, es so zu finden, und ist nur unter dieser Bedingung zu befriedigen. – Er verlangt Bestimmtheit, vollkommene Totalität und Ganzheit, welche lediglich in diesem Merkmale besteht. Was, inwiefern es Bestimmtes ist, nicht auch zugleich das Bestimmende ist, ist insofern Bewirktes; und dieses Bewirkte wird, als etwas Fremdartiges, vom Dinge ausgeschlossen, durch die Grenze, welche die Reflexion zieht, abgesondert, und aus etwas anderem erklärt. Was, inwiefern es bestimmend ist, nicht zugleich das Bestimmte ist, ist insofern Ursache, und dadurch aus der dem Dinge durch die Reflexion gesetzten Sphäre ausgeschlossen. Nur, inwiefern das Ding mit sich selbst in Wechselwirkung steht, ist es ein Ding, und dasselbe Ding. Dieses Merkmal wird durch den Bestimmungstrieb aus dem Ich heraus übergetragen auf die Dinge; und diese Bemerkung ist wichtig.“ (227/FW I, 310 f.) Diese Bemerkung ist wichtig, weil hier der Zusammenhang von Dingwelt und praktischem Subjekt deutlich wird, denn die konkret erlebte Dingwelt zeigt sich als eine Leistung der praktischen strebenden Subjektivität. Die Subjektivität projiziert die Struktur ihrer Spontaneität – Wechselwirkung mit sich – auf das sinnlich gegebene Mannigfaltige, hinter dem das Nicht-Ich steht. Dadurch entsteht aus der einen Dingwelt eine Reihe kausal miteinander zusammenhängender vieler einzelner Dinge. Grundlegend für die Bestimmung eines einzelnen Dinges, ist dass es als Wechselwirkung mit sich betrachtet wird; wird diese Perspektive auf das Ding als eine Ganzheit abgetrennt und wird das Ding nur hinsichtlich seiner Verursachtheit betrachtet, dann wird es für das Ich zu einer heteronom entstandenen Wirkung, die ein anderes Ding als seine Ursache voraussetzt. Wird das Ding wiederum von der Ganzheitlichkeit der Wechselwirkung mit sich abgetrennt und nur hinsichtlich seiner Verursachung betrachtet, dann wird es zu einer selbstständig agierenden Entität, die anderes ihrer selbst verursacht. Somit entsteht die naturkausale Reihe von Ursachen und Wirkungen als eine durchgängige Projektion des Ich. Idealität und äußeres dingliches Nicht-Ich implizieren sich wechselseitig: „Alles ist seiner Idealität nach abhängig vom Ich, in Ansehung der Realität aber ist das Ich selbst abhängig; aber es ist nichts real für das Ich ohne auch ideal zu sein; mithin ist in ihm Ideal- und Realgrund Eins und ebendasselbe, und jene Wechselwirkung zwischen dem Ich und Nicht-Ich ist zugleich eine Wechselwirkung des Ich mit sich selbst […] Dies, dass der endliche Geist notwendig etwas Absolutes außer sich setzen muss (ein

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Ding an sich) und dennoch von der anderen Seite anerkennen muss, dass dasselbe nur für ihn da sei (ein notwendiges Noumen sei), ist derjenige Zirkel, den er in das Unendliche erweitern, aus welchem er aber nie herausgehen kann. Ein System, das auf diesen Zirkel gar nicht Rücksicht nimmt ist ein dogmatischer Idealismus; denn eigentlich ist es nur der angezeigte Zirkel, der uns begrenzt und zu endlichen Wesen macht; ein System, das aus demselben herausgegangen zu sein wähnt, ist ein transzendenter realistischer Dogmatismus. Die Wissenschaftslehre hält zwischen beiden Systemen bestimmt die Mitte, und ist ein kritischer Idealismus, den man auch einen Real-Idealismus, oder einen Ideal-Realismus nennen könnte. […]: der letzte Grund alles Bewusstseins ist eine Wechselwirkung des Ich mit sich selbst vermittelst eines von verschiedenen Seiten zu betrachtenden Nicht-Ich. Dies ist der Zirkel, aus dem der endliche Geist nicht herausgehen kann, noch, ohne die Vernunft zu verleugnen, und seine Vernichtung zu verlangen, es wollen kann.“ (198f./FW I, 280f.)

3. Wirklichkeit als Projektion innerer Empfindungen in den äußeren Raum. Die praktische Bedeutung des Dings an sich (199–201/FW I, 282–285) Wenn Fichte hier davon spricht, dass sich Idealität und Realität wechselseitig implizieren, dann ist mit Realität bzw. mit dem Realismus, der mit dem Idealismus vereint wird, offensichtlich nicht jene Realität gemeint, die als Kategorie aus der Bestimmung des ersten Grundsatzes folgt, denn diese ist vollständig als widerspruchsfreie Sachhaltigkeit in der Setzung des Ich enthalten. Fichte meint hier vielmehr eine Realität, die das Sein des Nicht-Ich betrifft, und diese Art von Realität entspricht einer konkreten Wirklichkeit, die uns im Gefühl zugänglich wird. Das Gefühl ist das Wirklichkeit gebende Vermögen des Ich. „Von solchen lediglich subjektiven Beziehungen auf das Gefühl geht alle unsere Erkenntnis aus; ohne Gefühl ist gar keine Vorstellung eines Dinges außer uns möglich.“ (230/FW I, 314) Im Gefühl wird eine unmittelbare sinnliche Fühlung erlebt, die durch den Trieb als von etwas Äußerem verursacht angeschaut wird. Die individuelle und kontingente Empfindung bzw. Fühlung vermittelt dem Ich einen äußeren Stoff (Materie), mit dem es in Kontakt steht. Aufgrund der vorstellenden und ideellen Tätigkeit wird der Stoff vom Ich als Grund der Empfindung nach außen projiziert; „so hängen durch den Trieb und im Triebe zusammen alle Bestimmungen des Bewusstseins, und insbesondere auch das Bewusstsein des Ich und des NichtIch. […] Das Subjektive wird in ein Objektives verwandelt; und umgekehrt, alles Objektive ist ursprünglich ein Subjektives.“ (229/FW I, 313) Zu einem im Gefühl intensiv erlebten Sinnenreiz wird ein korrelierter, ex-

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terner Stoff projiziert. Dabei sind die Empfindungen anfänglich rein private Erlebnisse (vgl. 230/FW I, 313), die individuell nur von einem empirischen Ich erlitten werden, die aber unmittelbar auch mit dem Gefühl der Bestimmtheit angereichert werden, weil sie Erlebnisse eines tätigen Ich sind (vgl. 230 f./FW I, 313 ff.) – hier ist Wittgensteins Beispiel der Zahnschmerzen zu verorten –. Man kann lapidar sagen, dass nach Fichte die Sinnesempfindungen der „Stoff“ sind, aus dem die Wirklichkeit besteht. Es ist eine Leistung der produktiven Einbildungskraft, den empfundenen intensiven Stoff in den Raum außer dem Ich und in die Zeit zu setzen.159 Einen äußeren Stoff als Gegebenheit zu erleben, setzt nämlich ein Hinausgehen über die Empfindung der Sinne voraus, denn diese sind nur subjektimmanent und nicht im Raum außer dem Subjekt. Die Entgegensetzung des Stoffes in den Raum können die Sinne selbst nicht mehr leisten, denn es handelt sich bei diesem Akt der Projektion um eine produktive Leistung. Das bedeutet nicht, dass die Einbildungskraft gottgleich eine Wirklichkeit aus dem Nichts produziert, sondern es handelt sich um eine Produktion schwächerer, endlicher Art. Denn diese Produktion ist einerseits durch die Empfindung kausal vorbestimmt und andererseits wird nur nach außen abgebildet, was im Subjekt innen ist. Diese Akte der Empfindung und Projektion durch die produktive Einbildungskraft machen erst die Anschauung – die wir schon aus der theoretischen Wissenschaftslehre kennen – wirklich (vgl. 233/FW I, 317). Die wirkliche Anschauung ist also dadurch ausgezeichnet, dass sie ein Bild eines stofflich Entgegengesetzten ist, das durch die Sinne gegeben wurde. Sofern Anschauung und Gefühl miteinander synthetisiert werden, entsteht dem Ich ein präzises Wissen von seiner Begrenztheit. Das Gefühl gibt der Anschauung den Inhalt, nämlich einen anschaubaren Stoff und damit den Realitätsbezug, und umgekehrt gibt die Anschauung dem Gefühl die (räumliche) Struktur und Bestimmtheit seines stofflichen Korrelats (vgl. 235/FW I, 318f.). Die Art des Seins, das hinter dem Gefühl als dessen Ursache stehend angenommen wird, ist als die Existenz des „Dings an sich“ zu bestimmen. Das Ding an sich wird von Fichte also nicht aus der kritischen Philosophie eliminiert,160 sondern – ganz im Sinne Kants – als ein Grenzbegriff bestimmt, der durch eine rein gedankliche Konstruktion die Grenzen unseres Wissens vorzeichnet. Erst durch die unvermeidliche Annahme eines Dings an sich wird notwendig und unbezweifelbar, dass wir endliche Wesen sind. Ohne Ding an sich fände eine letztlich atheistische Selbstüberhöhung des Ich statt; wie sie in Fichtes Deutung dem „konsequenten Stoizismus“ zu eigen ist.161 Der Stoizismus identifiziert das wirkliche Ich mit der Idee des absoluten, vollständig selbstmächtigen Ich; der stoische Weise überhebt sich selbst, indem er seinem wirklichen Ich solche Eigen-

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schaften und Prädikate – z. B. die Ataraxie – zuspricht, die eigentlich nur Gott zukommen, sofern man Gott als ein solches absolutes Ich zu konzipieren hat, das unmittelbar zugleich auch wirklich ist (vgl. 195 f. Anm./FW I, 278 Anm.). Mit diesem Gedankengang entkräftet Fichte schon im Voraus die Argumentation seiner späteren Gegner im Atheismusstreit, da Fichte mit seiner Kritik am „konsequenten Stoizismus“ aufzeigt, dass jene Vorwürfe, die ihm später, etwa ab 1799, gemacht werden, eigentlich jenes antike Denkgebäude des Stoizismus treffen, aber nicht Fichte, der zwischen absolutem und wirklichem Ich strikt unterscheidet und das endliche, wirkliche Ich in einem notwendigen Zirkel mit dem Ding an sich verstrick sieht. Das Wesensmerkmal des endlich-wirklichen Ich ist sein Streben, es kann nach Fichte z. B. prinzipiell für das wirkliche Ich keine Ataraxie geben, denn die absolute Seelenruhe, die nach nichts mehr strebt, höbe die Wirklichkeit des Ich auf. Der Mangel ist dem Ich wesentlich. Die zirkuläre Struktur von Ich und Ding an sich ist kein Circulus vitiosus, sondern ein notwendiger Zirkel, d. h., der Begriff eines endlichen Ich kann nicht sinnvoll konzipiert werden, wenn man nicht ein Ding an sich voraussetzt und umgekehrt, kann dem Ding an sich kein sinnvoller Gehalt zugesprochen werden, wenn es nicht aus der Perspektive eines endlichen Ich als Grenzbegriff gesetzt wäre. Man darf daher zweierlei sagen: Weil es ein Ding an sich gibt, sind wir endliche Wesen; und umgekehrt gilt auch: Weil wir endliche Wesen sind, muss es ein Ding an sich geben. Wenn Fichte in dem angeführten Zitat das Ding an sich als ein „Absolutes“ bezeichnet, dann ist damit gemeint, dass das Ding an sich als unabhängig vom Ich existierend gedacht werden muss, und dahinter steht wiederum der durch den Spinozismusstreit zwischen Mendelssohn und Jacobi inspirierte Gedanke, dass Gott als eine vom Ich unabhängig existierende absolute Person das Ich bestimmt. Im Rahmen von Fichtes Egologie ist jedoch zentral, dass das Ding an sich erklärungskonstitutive Funktion für das endliche Ich hat und als ein idealiter vom Ich vollzogener Grenzbegriff in das Ichsystem integriert wird. Die Integration des Dings an sich in die praktische Egologie besteht darin, dass es zum Antrieb des Ich wird, sich in die Unendlichkeit hinaus zu bewegen. Bei jeder theoretischen Vorstellung wird ein Ding als in den Vorstellungsbereich des Ich gehörend gedacht. Dies ist für das Ich unbefriedigend, denn wenn alle Realität nur in von ihm gemachten theoretischen Vorstellungen bestünde, hätte es keine wirkliche Realität und es könnte nicht zwischen bloßen Phantasievorstellungen der (reproduktiven Einbildungskraft) und tatsächlicher Wirklichkeit unterscheiden. Das Ich will sich aber über theoretische Vorstellungen hinausgehend, auch in der äußeren Wirklichkeit realisieren. Der spezifisch praktische Aspekt des Ich besteht in dem Streben und in dem Trieb nach Realität (vgl. 199/FW I, 281).

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Das praktische Handeln des Ich geht auf die Modifikation einer von ihm unabhängigen Realität. Unabhängig wird diese Realität erst durch die Annahme eines Dings an sich. Mit einer praktischen Handlung des Ich wird das Ding als außerhalb und unabhängig vom Ich gesetzt, denn die praktische Handlung überwindet weitergehend den Solipsismus eines nur in sich selbst kreisenden theoretischen Ich, indem das Ich sich auf das Fremdartige, das Ding im Raum richtet, um es zu modifizieren und zu bearbeiten. Um die erfahrbaren Dinge im Raum aus philosophischer Perspektive nicht als Wunder erscheinen zu lassen, die ohne Ursache vorhanden sind, ist das Ding an sich notwendig, denn es ist eine Erklärungsinstanz für die Verursachung der Dinge im Raum. Durch die praktische Handlung des Ich geschieht eine Modifikation des Dinges an sich und es wird für das Ich zum Ding im Raum; das Ich muss, um eine praktische Handlung wieder sinnvoll vollziehen zu können, ein äußeres Ding setzen, das auch wieder modifiziert werden kann, und so erweitert sich die Setzung des unabhängigen Dings zu einer unendlichen Aufgabe. „Nur inwiefern etwas bezogen wird auf das praktische Vermögen des Ich, hat es unabhängige Realität“ (199/FW I, 282). Wie oben gezeigt, ist das praktische Vermögen des Ich zunächst Gefühl und Trieb. Diese sind es also, die letztlich das Problem der theoretischen Wissenschaftslehre lösen, wie es zur Vorstellung einer realen Außenwelt kommen kann, die dem zu erklärenden, gewöhnlichen Bewusstsein als vom Ich unabhängig erscheint. „Wo liegt nun das unabhängige Nicht-Ich unsers Gegners, oder sein Ding an sich …? Offenbar nirgends und allenthalben zugleich. Es ist nur da, inwiefern man es nicht hat, und es entflieht, sobald man es auffassen will. Das Ding an sich ist etwas für das Ich, und folglich im Ich, das doch nicht im Ich sein soll: also etwas Widersprechendes, das aber dennoch als Gegenstand einer notwendigen Idee allem unserm Philosophieren zum Grunde gelegt werden muss […]. Auf dieses Verhältnis des Dinges an sich zum Ich gründet sich der ganze Mechanismus des menschlichen und aller endlichen Geister. Dieses verändern wollen, heißt alles Bewusstsein, und mit ihm alles Dasein aufheben.“ (200/FW I, 283) Die Vermittlung der realistischen und der idealistischen Aspekte in der Wissenschaftslehre leistet die schwebende produktive Einbildungskraft, denn nur diese ist in ihrer schwebenden Tätigkeit zur Vermittlung eines notwendigerweise bestehenden Widerspruchs fähig. Die Auflösung des Widerspruchs der Endlichkeit liegt in der „Idee“, die realistisches Ding an sich und idealistisch strebendes Ich vereinigt. Die den Widerspruch vereinigende Idee ist der zwischen den Extremen schwebenden produktiven Einbildungskraft zugänglich, die daher Grundvermögen und Wurzel ist: „indem das ganze Geschäft des menschlichen Geistes von der Einbildungskraft ausgeht“ (201/FW I, 284). Deswegen erschließt sich auch die

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gesamte Wissenschaftslehre nur demjenigen Denker, der sie aktiv selbst in seiner ihm eigenen produktiven Einbildungskraft mitvollzieht. Da die Einbildungskraft aber gerade dadurch zur Wurzel und Quelle des menschlichen Geistes wird, dass sie sich selbst zu den verschiedenen Vermögen (Anschauung, Verstand, Urteilskraft, Vernunft, praktisches Streben, Gefühl, Trieb, Wille etc.) modifiziert, ist die produktive Einbildungskraft eigentlich der gesamte menschliche Geist. Und insofern darf der Philosoph der Wissenschaftslehre kein bloßer Spezialist der produktiven Einbildungskraft sein, sondern er muss sehen, wie alle verschiedenen Vermögen von deren Lebendigkeit durchdrungen werden, und so hat der Philosoph eigentlich mit dem ganzen Geist den ganzen Geist zu erfassen (vgl. 202 Anm./FW I, 284f. Anm.).

4. Differenziertere Bestimmung von Streben und Gegenstreben, Trieb und Gefühl, Zwang und Sehnen (202–238/FW I, 285–322) Fichte stellt zunächst klar, dass das „Ding an sich“ nicht als selbst auch wirkliche und externe Entität zu begreifen ist, die eine reine Objektsphäre bezeichnet, denn eine Objektivität, ohne dass sie für ein Subjekt wäre, ist absurd. Also kann das Ding an sich mit seiner Bedeutung eines Grenzbegriffs nicht als ein Rückfall der transzendentalen Wissenschaftslehre in eine realistische Metaphysik betrachtet werden; das Ding an sich, ist nur das, was als Vorgabe für unser praktisches Tun zu konzipieren ist, und es erschließt sich auch nur hinsichtlich des praktischen Verhaltens des Ich (vgl. 202 f./FW I, 285 f.): Weil es ein handelndes Ich gibt, das Dinge außer sich und unabhängig setzt, die es modifizieren will, muss es Dinge an sich geben. Der dritte Lehrsatz bringt zum Ausdruck, dass sich Strebung des Ich und Gegenstrebung des Nicht-Ich das Gleichgewicht halten. Auf den ersten Blick erscheint das unrichtig, da ein praktisches Handeln des Ich dann geschieht, wenn es das Nicht-Ich seinen Zielen und Zwecken gemäß modifiziert, wenn also z. B. aus ungeordneten Steinen ein Haus wird; dann ist doch ein Übergewicht des praktischen Ichstrebens gegenüber der Trägheit des Gegenstrebens der unbearbeiteten Steine festzustellen. Fichte bezieht sich mit seiner These vom Gleichgewicht jedoch nicht auf ein endlich abschließbares Streben des Ich, sondern auf das Wesen des Ich als ein kontinuierlich Strebendes. Ein unabschließbares und kontinuierliches Streben des Ich in der Sukzession der Zeit impliziert nämlich, dass auch kontinuierlich etwas vorhanden ist, welches das Ich durch sein Streben überwinden kann. Und dies impliziert wieder die Gleichgewichtigkeit von Strebung und Gegenstrebung zwischen Ich und Nicht-Ich. Ohne ein Gleichge-

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wicht wäre das Streben des Ich zu einem Zeitpunkt als abgeschlossen zu denken; d. h., es wäre kein unendliches Streben mehr und damit höbe sich das Wesen des endlichen Ich vollständig auf. Obgleich es hinsichtlich eines begrenzten einzelnen Zieles für das Streben des Ich einen Abschluss geben kann, so ist doch notwendig, dass das endliche Ich nie an sein ultimatives Ziel völliger Selbstübereinstimmung mittels der totalen Einordnung des Nicht-Ich in das Ich gelangt. Es ist die Unendlichkeit des Strebens, die Wesensmerkmal des endlichen Ich ist und die ein Gleichgewicht zwischen dem Ichstreben und dem Gegenstreben des Nicht-Ich erfordert (vgl. 203/FW I, 286). Der Begriff des Strebens enthält für Fichte, dass dies eine unendliche und unabschließbare Tätigkeit ist. Das Wesen des Strebens besteht darin, dass eine Kraft ausgeübt wird, die sich nicht in einem abschließbaren Ziel vollendet, d. h., das Wesen des Strebens besteht darin, kontinuierlich über sich selbst auf ein weiteres Streben hinauszugehen. Würde das Streben in ein abschließendes Ziel gelangen, käme es zur Ruhe und verlöre seinen tendenziellen Werdecharakter, damit wäre es nicht mehr es selbst. Der Begriff des Strebens hat daher die Bedeutung einer unabschließbaren und sich tendenziell richtenden Kraft, die sich nie in einem Ruhezustand erschöpft. Das meint Fichte, wenn er scheinbar paradox davon spricht, dass das Streben „eine Ursache [ist; Einf. R. S.], die nicht Ursache ist“ (203/FW I, 286). Ursache ist das Streben hinsichtlich dessen, dass es eine Äußerung von Kraft ist, die etwas bewirken will. Weil das Streben aber kontinuierlich immer wieder durch ein neu auftauchendes Nicht-Ich gehemmt wird und sich neu formieren muss, kann es seine Intentionen nicht vollständig verwirklichen. Und in dieser Hinsicht ist es nicht Ursache. Dasselbe kann aus der umgekehrten Perspektive des Nicht-Ich gesagt werden: Auch das Nicht-Ich ist, sofern es eine Hemmung des Ichstrebens verursacht, eine Ursache, die eine Kraftaufwendung mit einer bestimmten Richtung vollzieht; zugleich kann und darf sich diese Strebetendenz aber auch nicht vollständig verwirklichen, denn sonst würde sie sich selbst aufheben, da es bei einer vollständigen Verwirklichung des Gegenstrebens des Nicht-Ich am Ende dieses Prozesses nichts mehr gäbe, wogegen das Nicht-Ich hemmend wirken könnte. Daher muss nicht nur das Streben des Ich unendlich und unabschließbar sein, sondern gleichfalls das Gegenstreben des NichtIch. Beides hält sich das Gleichgewicht. Das Gemeinsame von Streben und Gegenstreben ist, dass es sich auf beiden Seiten um eine gerichtete, tendenziöse Äußerung von Kraft handelt. Das spezifische Kennzeichen des Strebens ist es, dass es nicht finale Erfüllung in einem Ziel erreicht, bei dem es verharren könnte, sondern sich kontinuierlich fortsetzt. Das Streben ist insofern kausal, als es die Tendenz dazu hat, etwas zu bewirken, aber es kann diese Kausalität prinzipiell nicht zum Abschluss bringen,

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denn dann würde ein Ruhezustand eintreten, in dem das Streben nicht mehr es selbst wäre. Im Streben manifestiert sich somit die grundlegende Tendenz des Ich, die in einem Ausgreifen und einer Ausdehnung in die Unendlichkeit besteht. Das Streben ist um des Strebens willen da. Fichte entwickelt im Anschluss an die notwendige Gleichgewichtigkeit von Streben und Gegenstreben seine Lehre vom „Trieb“: Der Trieb ist ein bewusst und thematisch gesetztes Streben. „Der Trieb ist eine innere, sich selbst zur Kausalität bestimmende Kraft“ (210/FW I, 293). Als veranschaulichendes Bild für den Trieb führt Fichte eine elastische Kugel an, die durch einen anderen Körper eingedrückt wird und – ähnlich wie ein Luftballon – aus sich die Tendenz hat, die Kugelgestalt wieder anzunehmen (vgl. 209/FW I, 292). Wie bereits der theoretische Teil der Wissenschaftslehre zeigt, hat das Ich neben der ins Unendliche ausgreifenden Tendenz noch eine weitere, nämlich seine Tätigkeit reflexiv zu setzen, um sie für sich selbst erfahrbar zu machen. Die Reflexion der eigenen Tätigkeit ist dem Ich eine Notwendigkeit, denn es will nicht nur geradehin Handlungen ausführen, sondern sie sich in einem thematischen Selbstverhältnis als seine eigenen Leistungen klar und deutlich machen; dies ist ein „Reflexionsgesetz“ bzw. ein „Reflexionstrieb“ des Ich. In der Reflexion der eigenen Tätigkeit wird diese fixiert; denn ein bloßer Wandel, eine bloße Agilität kann nicht zum Gegenstand des Bewusstseins werden, ihm würde das „Ständige“ fehlen. Um spezifisch das Streben als einen Gegenstand der Reflexion zu setzen, ist es notwendig, die Kausalität des Strebens in den Fokus der Aufmerksamkeit zu nehmen: Das Streben ist zwar kausal auf das Nicht-Ich gerichtet, aber wie bereits gezeigt, darf es seine Kausalität nicht wirklich bei dem Nicht-Ich vollenden. Das Streben würde dann nämlich aufgehoben. Im Streben muss auch deswegen ein solches Element enthalten sein, das nicht auf das Nicht-Ich ausgeht, sondern sich auf das Ich selbst zurückwendet; das Streben muss somit selbstbezüglich sein. „Nun kann diese Kausalität nicht gesetzt werden, als gehend auf das Nicht-Ich; denn dann wäre gesetzt reale wirkende Tätigkeit, und kein Streben. Sie könnte daher nur in sich selbst zurückgehen; nur sich selbst produzieren. Ein sich selbst produzierendes Streben aber, das festgesetzt, bestimmt, etwas Gewisses ist, nennt man einen Trieb.“ (204/FW I, 287) Damit ist der Trieb als eine selbstbezügliche, unendliche und sich selbst steigernde, auf Kausalität abzielende Tätigkeit des Ich abgeleitet. Diese Ableitung geschieht offensichtlich aus dem Begriff des Strebens, denn der Trieb ist ein konstitutives Element im Streben, weil er nämlich genau derjenige Teil des Strebens ist, der das Ich seine Kausalität auf das Nicht-Ich nicht in absoluter Totalität vollenden lässt. Es wird deutlich, dass für Fichte das Element des Praktisch-Werdens bei dem Ich darin besteht, dass es sich zu einer Kausalität in spezifischem Sinn

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macht; es handelt sich nicht um eine physikalisch-mechanische oder biologisch-organische Form der Kausalität, sondern um eine egologische Kausalität, die ein freies Streben des Ich bedeutet. Ähnlich hat bereits Kant das „praktisch Werden der Vernunft“ darin gesehen, dass sich das Subjekt zur „Kausalität aus Freiheit“ selbst bestimmt162 und sich damit zur Ursache von solchen Handlungen macht, die als absichtsvolle Mittel zur Erreichung eines Zieles bzw. Zweckes ausgeführt werden. Der praktisch-vernünftige Wille ist für Kant das Vermögen, sein Handeln nach der Vorstellung von Gesetzen und Prinzipien auszurichten.163 Dies ist für Kant eine Form der kausalen Selbstbestimmung, die in der „Autonomie“ ihren höchsten Ausdruck findet, sofern sich dort das Subjekt in seiner „Kausalität aus Freiheit“ zu dem selbstgegebenen Sittengesetz des kategorischen Imperativs verpflichtet. Ein zentraler Unterschied zwischen Fichtes praktischer Wissenschaftslehre und Kants praktischer Philosophie besteht darin, dass Fichte sich im Rahmen der Grundlage damit begnügt, die „niedrigeren“ und rudimentären Formen des praktischen Verhaltens des Ich darzustellen (Streben, Trieb, Gefühl, Empfindung, Anschauung und Sehnen). Die höheren Funktionen des sich Kausalität gebenden praktischen Ich, die sich auch nach Fichte – der darin mit Kant einer Meinung ist – insbesondere in der Autonomie des moralischen Ich zeigen, sind der später ausgeführten Rechts- (1796/97) und Sittenlehre (1798) vorbehalten. Insbesondere das Streben und der Trieb stellen für den frühen Fichte der Grundlage zentrale Themen der praktischen Wissenschaftslehre dar. Diese Handlungsformen gehören für Kant jedoch zum „unteren Begehrungsvermögen“ und damit nicht zum praktisch-sittlichen Willen, sondern zu den von sinnlichen Neigungen bestimmten Bereichen der Heteronomie des Leibes. Dieses untere Begehrungsvermögen ist für Kant ein empirisches Faktum, das aus den biologischen Spezifika der menschlichen Gattung folgt. Fichte versucht dagegen, auch die rudimentären Formen egologischer Praxis aus dem Ich herzuleiten. Die Bestimmtheit, die das Streben zu etwas Fixiertem und Gesetzten macht, besteht nach Fichte darin, dass der Trieb auf ein Hindernis stößt, von dem aus er sich als solcher reflektiert. Das Hindernis für den Trieb macht sich für das Ich als „Zwang“ bemerkbar. Dieser Zwang besteht darin, dass das Ich sich aufgrund seiner Triebhaftigkeit als etwas weiß, das sich unendlich ausdehnen will, aber an einem Punkt auf sich selbst zurückgeworfen wird, über den es (noch) nicht hinaus kann und der sich auch nicht in seiner Gewalt befindet. Das Ich wird sich seiner Triebhaftigkeit im Erlebnis des Zwangs inne, der wiederum in dem Erleben eines „NichtKönnens“ (206/FW I, 289) besteht. „Zum Nicht-Können gehört a) ein Weiterstreben; außerdem wäre das, was ich nicht kann, gar nichts für mich; es wäre auf keine Art in meiner Sphäre. b) Begrenzung der wirklichen Tä-

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tigkeit; demnach wirkliche Tätigkeit selbst, denn was nicht ist, kann nicht begrenzt werden. c) Dass das Begrenzende nicht in mir, sondern außer mir liege (gesetzt werde); außerdem wäre kein Streben da.“ (206/FW I, 289) Das Nicht-Können des Zwanges ist – auf einen Begriff gebracht – wiederum das „Gefühl“. Gefühl ist nach dieser Spezifikation eine zwanghaft erlebte Unfähigkeit im Wissen um eine Handlungsgrenze des Ich. Das Gefühl ist somit eine Bestimmung, die aus dem Begriff des Triebes deduziert werden muss, denn im Trieb ist das Gefühl als konstitutives Element enthalten. Das Gefühl ist ausschließlich subjektimmanent, denn es ist ein selbstbezügliches Erleben einer Hemmung und eines Zwanges, welchen das Subjekt aufgrund seiner Unfähigkeit fühlt, sich die gesamte Sphäre der Objektivität vollständig anzueignen. Das Gefühl ist insofern Ausdruck einer konstitutiven Ohnmacht, Unfähigkeit und Grenzerfahrung des Subjekts. „Die Äußerung des Nicht-Könnens im Ich heißt ein Gefühl.“ (206/FW I, 289) Ähnlich wie später Freud betont Fichte bereits, dass der Trieb eine kontinuierliche, innere Kraft ist: „Der Trieb ist demnach bloß im Subjekte, und geht seiner Natur nach nicht außerhalb des Umkreises desselben heraus“ (205/FW I, 288). Dies liegt bei Fichte daran, dass der Trieb als eine gesetzte Strebung seine Kausalität nicht vollenden darf, er darf nicht erfolgreich das Nicht-Ich dem Ich vollständig angleichen. Der Trieb ist eine notwendigerweise scheiternde Kausalität des Ich. Allerdings unterscheiden sich Fichte und Freud fundamental darin, dass nach Fichte der Trieb keine körperliche Energie ist. Der Trieb ist nach ihm eine rein geistige Energie. Dabei würde Fichte an Freud wohl kritisieren, dass dessen Trieblehre mit der Voraussetzung des menschlichen Körpers eine empirische Theorie ist, die zahlreiche unhinterfragte realistische und naturalistische Voraussetzungen macht. Offensichtlich bestimmt Fichte den Trieb anders als Freud, der ihm bekanntlich die zentrale Rolle in der Psychologie zuordnet. Bei Freud ist der Trieb ein „endogener Reiz“ bzw. eine aus dem Inneren des Körpers stammende Erregung, die zentralnervös produziert wird. Im Unterschied zu den exogenen Reizen, die jeweils als „einmaliger Stoß“ erscheinen, bildet der Trieb eine „konstante Kraft“. Freud definiert den Trieb als: Ein „Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem, als psychischer Repräsentant der aus dem Körperinneren stammenden, in die Seele gelangenden Reize, als ein Maß der Arbeitsanforderung, die dem Seelischen infolge seines Zusammenhangs mit dem Körperlichen auferlegt ist“.164 Mit der Arbeitsanforderung ist der Drangcharakter des Triebes gemeint, d. h. seine Aktivität, die sich anlässlich eines auslösenden Reizes entlädt und dann zu seelischer Verarbeitung herausfordert. Die Triebe sind nach Freud keine passiven, sondern aktive Modi des Seelischen, das hindert natürlich

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nicht, dass sie passive Ziele haben können. Der Trieb besetzt bestimmte Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen mit „psychischer Energie (Libido, Interesse)“.165 Dabei gilt nach Freud, dass der Trieb unbewusst ist: „Ein Trieb kann nie Objekt des Bewusstseins werden, nur die Vorstellung, die ihn repräsentiert. Er kann aber auch im Unbewussten nicht anders als durch die Vorstellung repräsentiert sein. Würde der Trieb sich nicht an eine Vorstellung heften oder nicht als ein Affektzustand zum Vorschein kommen, so könnten wir nichts von ihm wissen. Wenn wir aber doch von einer unbewussten Triebregung oder einer verdrängten Triebregung reden, so ist dies eine harmlose Nachlässigkeit des Ausdrucks. Wir können nichts anderes meinen als eine Triebregung, deren Vorstellungsrepräsentanz unbewusst ist“.166 Der späte Freud unterscheidet zwei Grundtriebe voneinander, den – narzisstisch-selbstbezüglichen – Libido- und den – objektbezogenen – Todestrieb. Fichte würde sicherlich am späten Freud auch kritisieren, dass dieser mit seiner dualistischen Annahme von zwei Grundtrieben keine einheitliche Systematik entwirft; denn wie sich im berühmten sog. „Horenstreit“ Fichtes mit Schiller zeigt, ist es für Fichte seit seiner Schrift Über Geist und Buchstab in der Philosophie (1798) eine fehlerhafte Lücke, in der Argumentation zwei ursprüngliche Triebe zu entwerfen, die nicht einheitlich auf einen zurückgeführt werden können. Ein Triebdualismus bzw. ein uneinheitlicher Triebpluralismus ist für Fichte eine unannehmbare Inkonsequenz, denn man hat dann in dem Begriff des Triebes (mindestens) zwei einander ausschließende Elemente vereint, ohne das den beiden Gemeinsame zu reflektieren, und dies ergibt in Fichtes Sicht einen selbstwidersprüchlichen, uneinheitlichen Begriff von Trieb; man bliebe bei einer Antithesis ohne Synthesis stehen, die nicht aufzeigt, aus welcher gemeinsamen Quelle die entgegengesetzten Triebe entspringen. Schiller hatte in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795)167 zwei Grundtriebe (Formtrieb und Stofftrieb) angenommen, die den beiden ebenfalls dualistischen Grundbestimmungen des Menschen (intelligible, ewige Person und sinnlicher, werdender Zustand) korreliert sind. Die Triebe sind nach Schiller „Energien“, und Kräfte, die auf die Verwirklichung der beiden Grundbestimmungen Person und Zustand drängen. Zwischen den beiden Trieben vermittelt der Spieltrieb. Dabei ist problematisch, dass der Spieltrieb, die beiden anderen Triebe voraussetzt und insofern kein selbständiger Trieb mehr ist, sondern eine nachgeordnete Instanz.168 Gleichwohl soll es nach Schiller der Spieltrieb sein, der den Menschen allererst zu dem macht, was er eigentlich ist; denn erst im ästhetischen Spiel wird der Mensch zum ganzen Menschen. Deshalb können Form- und Stofftrieb für sich und unabhängig vom Spieltrieb eigentlich auch nicht existieren, denn wie sollen Teile des Menschen exis-

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tieren, wenn nicht ein ganzer Mensch da ist? Stoff- und Formtrieb müssten aber nach Schillers Konzeption vorgängig zum Spieltrieb existieren, da sie die Voraussetzung für den Spieltrieb bilden sollen. Fichte kritisierte in Über Geist und Buchstab in der Philosophie an diesem Entwurf die Problematik einer Triebpluralität ohne einheitlichen Grund und entwirft dagegen, dass der Mensch wesentlich durch einen einzigen Trieb bestimmt ist, der sich gleichwohl in diversifizierender Weise modifizieren kann, z. B. zum Erkenntnistrieb, zum praktischen oder ästhetischen Trieb. Insofern sind die vielen verschiedenen Triebe nur Modifikationen, „besondere Anwendungen der einzigen untheilbaren Grundkraft im Menschen“;169 in gewisser Hinsicht ist der Mensch nichts anderes als dieser Trieb. Daher ist es Fichte möglich, in einem Triebmonismus zugleich von einer Vielzahl von Trieben zu sprechen. In Über Geist und Buchstab in der Philosophie versteht Fichte den Trieb als Tendenz zur Selbsttätigkeit, weshalb eigentlich jeder Trieb in einem weiteren Sinn praktisch ist; es gibt aber auch noch einen spezifischeren Sinn des praktischen Triebes des Ich. Dieser spezifischere Sinn des praktischen Ichtriebes besteht darin, dass das Ich den ihm gegebenen Gegenstand so zu modifizieren trachtet, wie es ihn noch gar nicht gibt, sondern wie dieser Gegenstand sein soll, d. h., das Ich wird dadurch praktisch, dass es sich an Objekten zu realisierende Ziele entwirft.170 Unter anderem durch diese Auseinandersetzung und Kritik an Schiller in einem Aufsatz, den Fichte auch noch in der von Schiller selbst herausgegebenen Zeitschrift die „Horen“ veröffentlichen wollte, zerbrach die Freundschaft der beiden.171 Sachlich und von den konkreten Bestimmungen zum Trieb bei Schiller abstrahierend, lässt sich Fichtes Kritik am Triebdualismus bzw. Triebpluralismus auch auf Freud anwenden; die verschiedenen Triebe sind auf einen Trieb zurückzuführen, um die Einheit des Menschen nicht zu gefährden. Erst vor diesem Modell einer einheitlichen Triebbestimmung des Ich wird eine trieblich bedingte Dissoziierung überhaupt als Krankheit beschreibbar. Wäre der Mensch von vornherein in viele Triebe dezentriert, dann wären Phänomene wie die persönlichkeitsspaltende Schizophrenie keine Krankheiten, sondern reguläre Normalfälle. Bei Fichte ist die Einheitlichkeit des Triebes ein Ausdruck der Einheitlichkeit des Ich, das sich selbst zum Trieb bestimmt. – In der Grundlage hat Fichte diesen Triebmonismus allerdings noch nicht konzipiert, wie dies in der etwas späteren Schrift Über Geist und Buchstab in der Philosophie der Fall ist. Es ist problematisch, ob sich die Lehre von der Rückführbarkeit der verschiedenen Triebe auf einen Grundtrieb auch widerspruchsfrei mit der Trieblehre der Grundlage vereinbaren lässt; denn in dieser früheren Konzeption entwirft Fichte eine Pluralität von Trieben (Reflexionstrieb, Wechselbestimmungstrieb, Objekttrieb etc.) und leistet keine Rückführung. –

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In der Grundlage spielt für Fichte – wie später bei Freud – die Unbewusstheit der Triebe eine zentrale Rolle. Bei Fichte ist das Unbewusste anders zu verstehen als bei Freud: „Da aber alle diese Funktionen des Gemüts mit Notwendigkeit geschehen, so wird man seines Handelns sich nicht bewusst, und muss notwendig annehmen, dass man von außen erhalten habe, was man doch selbst durch eigne Kraft nach eignen Gesetzen produziert hat. – Dieses Verfahren hat dennoch objektive Gültigkeit, denn es ist das gleichförmige Verfahren aller endlichen Vernunft, und es gibt gar keine objektive Gültigkeit, und kann keine andre geben, als die angezeigte.“ (207/FW I, 290) Die Objektivität von geistigen Handlungen und Wissensansprüchen ergibt sich also aus deren Allgemeingültigkeit. Die Unbewusstheit von geistigen Vollzügen, wie Gefühl, Trieb, und Streben, folgt aus ihrer Notwendigkeit. Diese Vollzüge laufen so automatisch und selbstverständlich ab, dass wir den Aspekt der Selbstsetzung durch das Ich bei ihnen übersehen. Weil der Selbstsetzungsaspekt im Vollzug von Gefühlen, Trieben und des Strebens übersehen wird, schließen wir darauf zurück, dass nicht wir selbst die Ursache dieses Erlebens sind, sondern wir schreiben die Verursachung einer Realität außer uns zu. Die Außenwelt ist eine Projektion des Automatismus und der Notwendigkeit unserer eigenen geistigen Vollzüge. Gegen dieses Konzept der Unbewusstheit von Gefühlen, Trieben und von Strebung (vgl. 187, 207, 212 f., 214 f./FW I, 269, 290, 295 f., 297 f.) kann eingewendet werden, dass dies im Widerspruch zu Fichtes ebenfalls erhobenem Anspruch steht, mit der Einführung von Trieb und Gefühl werde das Streben des Ich nicht mehr nur geradehin vollzogen, sondern „gesetzt“, also bewusst gemacht. Das ist nämlich genau die Aufgabe der Lehrsätze vier bis sieben; denn in ihnen sollen jeweils Streben, Trieb oder Gefühl für das Ich gesetzt und bestimmt werden (vgl. die §§ 7–10; 204, 208, 214, 218/FW I, 287, 291, 297, 301). Von daher kann man Fichte zwar noch konzedieren, dass das Streben unbewusst sein mag, aber mindestens Trieb und Gefühl als gesetztes Streben müssten doch bewusst sein. Das konkrete phänomenologisch beschreibbare Erleben des Bewussteins spiegelt auch die Bewusstheit von (zumindest einigen) Trieben und Gefühlen wider; dass es auch unbewusste Triebe und Gefühle gibt, wird damit nicht geleugnet, aber von dieser Teilmenge ist nicht darauf zurückzuschließen, dass ursprünglich jedes Gefühl und jeder Trieb unbewusst ist – was auch gegen Freud einzuwenden ist, der ebenfalls konzipiert, dass Triebe per se unbewusst seien. Zu Recht verweist Fichte darauf, dass für das betrachtete Bewusstsein die Entstehung und der egologische Zusammenhang von Strebung, Trieb und Gefühl im Dunklen bleibt und ihm insofern unbewusst ist; erst der Philosoph der Wissenschaftslehre, also das betrachtende Bewusstsein kann sich diese Zusammenhänge des betrachteten Bewusst-

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seins bewusst machen und für sich setzen (vgl. 207/FW I, 290 f.). Diese Unterscheidung ist zwar völlig korrekt, aber sie löst nicht das gestellte Problem, denn es ist zu Beginn des siebenten Paragraphen und dann bis einschließlich zum zehnten Paragraphen Fichtes Anspruch, hinsichtlich des betrachteten Bewusstseins die Setzung des Strebens in Trieb und Gefühl für das betrachtete Bewusstsein zu zeigen und nicht bloß für uns. Denn dem betrachteten Ich selbst sollte es notwendig sein, das Gleichgewicht zwischen Streben und Gegenstreben in Trieb und Gefühl zu setzen, und hinsichtlich dieses Problems nutzt es nichts, wenn Streben und Gegenstreben nur für uns, die metareflektierenden Philosophen gesetzt wird. Es bleibt in Fichtes Deduktion ein offenes Problem, wie das betrachtete Ich für sich selbst die ihm anfangs notwendig unbewussten Leistungen von Trieb, Gefühl und Streben setzen kann. Fichte entwirft, dass das Gefühl die Artikulation, also eine Differenzierung eines Aspekts des Triebs ist. Im Gefühl wird sich das Subjekt seiner dem Trieb gesetzten Hemmungen immanent bewusst und daraus ergeben sich dann die beiden wichtigen Aspekte, aus denen sich das Gefühl zusammensetzt: der „Zwang“ und das „Sehnen“. Das Gefühl bildet eine immanent erlebte Grenze des Ich in seinem Streben nach Unendlichkeit. Das Sehnen und das Streben sind also nicht miteinander zu verwechseln. Das Sehnen bestimmt Fichte genauer im zehnten Paragraphen (218 ff./FW I, 301 ff.). Das Sehnen ist ein Aspekt und konstitutives Element des Strebens. Das Sehnen ist der unerfüllt bleibende Rest des Strebens. Wie bereits dargestellt, darf sich das Streben nicht vollenden; weil sonst die Endlichkeit des Ich und damit auch die Möglichkeit seines Bewusstseins aufgehoben wäre. Der Aspekt des Strebens, der sich nach einer partiellen Erfüllung wieder restituiert und zu etwas Neuem, dem Ich eigentlich noch Unbekannten und Leeren weiterstrebt, ist das Sehnen. Sofern das Ich eine partielle Erfüllung erreicht hat, will es über diese wieder hinausgehen und empfindet somit ein Mißbehagen und Mißfallen bei dem Erreichten. Doch dasjenige, wozu es noch nicht vorgedrungen ist, kann noch keine klare und deutliche Vorstellung sein, sondern ein noch im Unklaren liegendes Ziel. „Aber diese Tätigkeit des Ich geht auf ein Objekt, welches dasselbe nicht realisieren kann, als Ding, noch auch darstellen, durch ideale Tätigkeit. Es ist demnach eine Tätigkeit, die gar kein Objekt hat, aber dennoch unwiderstehlich getrieben auf eins ausgeht, und die bloß gefühlt wird. Eine solche Bestimmung im Ich aber nennt man ein Sehnen; einen Trieb nach etwas völlig Unbekanntem, das sich bloß durch ein Bedürfnis, durch ein Mißbehagen, durch eine Leere, die Ausfüllung sucht, und nicht andeutet, woher? – offenbart. – Das Ich fühlt in sich ein Sehnen; es fühlt sich bedürftig.“ (219/FW I, 302f.) Mit einem Wort Husserls: Das Sehnen ist eine sich ausrichtende „Leer-

Streben und Gegenstreben, Trieb und Gefühl, Zwang und Sehnen

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intention“, die sich grundsätzlich nicht erfüllen kann. Will man diese prinzipielle Leerintention in einen Begriff fassen, dann ist dies durch das „Ideal“ zu leisten (vgl. 221/FW I, 304). Das Sehnen ist das „Vehikul aller praktischen Gesetze“ (221/FW I, 304). Das bedeutet, dass die Sehnsucht die Form und das Element ist, innerhalb dessen sich alle Sollensbestimmungen für das Ich darstellen. Weil das Ich sich bei einem einmal Erreichten nie beruhigen kann und (faustisch) weiterstreben muss, erscheint ihm die Wirklichkeit als unabänderlich ungenügend und unvollkommen. Ein Objekt, welches das Ich mittels seiner Kausalität verwirklicht, wird als stets verbesserungswürdig empfunden und ist daher schon im Moment von dessen Verwirklichung durch ein zweites Objekt überschattet, das zwar noch unbestimmt und unbekannt ist, aber doch vollendeter als das erste Objekt. Auf diese Weise überlagern sich für das praktische Ich jeweils zwei Arten von Objekt: einmal das konkret gegebene und wirkliche und andererseits das ideale, vorgezeichnete, noch unwirkliche Ideal. „Im Sehnen entsteht durch die Begrenzung zugleich ein Gefühl des Zwanges, welches seinen Grund in einem Nicht-Ich haben muss. Das Objekt des Sehnens (dasjenige, welches das durch den Trieb bestimmte Ich wirklich machen würde, wenn es Kausalität hätte und welches man vorläufig das Ideal nennen mag) ist dem Streben des Ich völlig angemessen und kongruent; dasjenige aber, welches durch Beziehung des Gefühls der Begrenzung auf das Ich gesetzt werden könnte (und auch wohl wird gesetzt werden), ist demselben widerstreitend. Beide Objekte sind demnach einander selbst entgegengesetzt.“ (221/FW I, 304) Das fühlbare Objekt ist das reale, das ersehnte Objekt ist das Ideal, das zwar den Plänen des Ich angemessen ist, sich aber mit jeder Verwirklichung in einen neuen Möglichkeitsraum zurückzieht. Auch hier zeigt sich wieder das Konstitutionsverhältnis im Bezug des praktischen Ich zur Dingwelt: Aufgrund des Sehnens wird dem Ich seine Beschränktheit bewusst und damit auch, dass es etwas gibt, das unabhängig von ihm außerhalb seiner existiert, das seinen ersehnten Plänen und Zielen nicht angemessen ist. Die äußere Objektwelt wird so auch aufgrund des Sehnens gesetzt. Es gilt nicht, dass das Ich sich sehnt, weil es eine äußere Dingwelt gibt, sondern weil das Ich sich sehnt, gibt es eine äußere Dingwelt. „Dieses Sehnen ist wichtig, nicht nur für die praktische, sondern für die gesamte Wissenschaftslehre. Lediglich durch dasselbe wird das Ich in sich selbst – außer sich getrieben, lediglich durch dasselbe offenbart sich in ihm selbst eine Außenwelt.“ (220/FW I, 303). Das Gefühl des Zwangs ist dem Ich präsent als Hemmungs- und Begrenztheitserfahrung durch den Anstoß des Nicht-Ich. Nach Fichte setzt sich der Trieb also aus den beiden Komponenten Sehnen und Zwang in einer unmittelbaren Synthese zusammen.

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Das Gefühl und der Trieb als Grenzerfahrung zwischen Sehnen und Zwang ist eine innersubjektive Gewissheit; „dass und wie das Ich alles, was je in ihm vorkommen soll, lediglich aus sich selbst, ohne dass es je aus sich herausgehe und seinen Zirkel durchbreche“ (206/FW I, 289), wird insbesondere an der Bestimmung des Gefühls und Triebes deutlich, denn hier ist dem Subjekt eine Grenze gesetzt, die es selbst durch das Wissen um eine Triebhemmung und eine Restitution des Triebes setzt. Es gibt also im betrachteten Ich einen notwendigen „Zirkel“, aus dem es nicht herauskommen kann. – Den modernen Kritiken an einem Zirkel im Selbstbewusstsein, wie sie z. B. von Tugendhat und Habermas geäußert werden,172 würde Fichte also insofern ihre argumentative Kraft nehmen, als er den Zirkel zugestehen würde, ihn aber als notwendigen und nicht fehlerhaften sieht. Ohne diesen notwendigen Zirkel droht ein dogmatisch-metaphysischer Realismus – sei dieser Realismus nun semantischer oder sozialer Natur, in jedem Falle handelt es sich um einen Rückfall in die dogmatische Metaphysik, die den restringierten Ansprüchen einer Erkenntniskritik und kopernikanischen Wende nicht gerecht wird. Denn wenn der Andere als eine für sich existierende Entität entworfen wird, die ohne vorgängige subjektiv-geistige Konstitutionsleistungen einfach für sich besteht und geistige Leistungen nach diesem Modell allererst als Folgeleistung der Interaktion der für sich bestehenden Entitäten entworfen wird, dann wird der Andere damit zum Ding an sich in einem problematischen Sinne. Das Du als Ding an sich kann aber skeptischen Einwänden nicht standhalten; denn wie ist einem Skeptiker, der die Möglichkeit der Erkenntnis von Dingen an sich leugnet, klar zu machen, dass mit der Intersubjektivität ein Zugang zu einem an sich bestehenden Etwas – oder gar zur Interaktion zahlreicher, solcher an sich bestehender Entitäten – vorliegt, der nicht schon durch geistige Leistungen des Subjekts konstituiert wurde?173 Darüber hinaus wird an Fichtes Trieblehre deutlich, wie komplex dieser Zirkel ist, es handelt sich bei Fichte nicht um den zumeist kritisierten einfachen Definitionszirkel in einer relativ trivialen Reflexionstheorie des Ich. Fichtes entworfener notwendiger Zirkel des Selbstbewusstseins zeigt sich auf einer hoch komplexen Ebene des praktischen Ich, die zahlreiche verschiedene Elemente (theoretische Vorstellung von Objekten, Gefühl, Trieb etc.) in wechselseitige Relation zueinander setzt.

5. Die Einheit des Ich mittels des Wechseltriebs (236–238/FW I, 320–322) „Der Trieb der Wechselbestimmung geht demnach zugleich aus auf ein Gefühl. In ihm sind daher ideale Tätigkeit und Gefühl innig vereinigt; in ihm ist das ganze Ich Eins. – Wir können ihn insofern nennen den Trieb

Einheit des Ich mittels des Wechseltriebs

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nach Wechsel überhaupt. – Er ist es, der sich durch das Sehnen äußert; das Objekt des Sehnens ist etwas anderes, dem Vorhandenen Entgegengesetztes.“ (236/FW I, 320) Der Wechseltrieb vereinigt das theoretische Vorstellen von Gegenständen – das ist die „ideale Tätigkeit“ – mit dem praktischen Gefühl. Dass der Wechseltrieb sich vermittels des Sehnens Ausdruck gibt, bedeutet, dass er ein konstitutives Strukturelement des zuvor untersuchten Sehnens ist, und insofern vertieft Fichte mit dem Wechseltrieb die transzendentale Aufdeckung von Vermögen und Fähigkeiten des praktischen Ich. Mit dem Wechseltrieb wird eine tiefere Ebene des Sehnens untersucht. Denn der Wechseltrieb ist die Voraussetzung bzw. Bedingung der Möglichkeit des Sehnens; wenn es ein Sehnen gibt, dann muss es auch einen Wechseltrieb geben. Der Wechseltrieb hat die Aufgabe, theoretische und praktische Vernunft zu einer Einheit des Ich zusammenzufügen, was dadurch gelingt, dass in ihm praktisches Gefühl und ideale Tätigkeit, d.h. theoretisches Vorstellen, als vereinigt zu denken sind. „Im Sehnen ist Idealität und Trieb nach Realität innig vereinigt. Das Sehnen geht auf etwas anderes; dies ist nur möglich unter Voraussetzung einer vorhergegangenen Bestimmung durch ideale Tätigkeit. Es kommt ferner in ihm vor der Trieb nach Realität (als beschränkt), weil es gefühlt, nicht aber gedacht oder dargestellt wird. Hier zeigt sich, wie in einem Gefühle ein Treiben nach außen, demnach die Ahnung einer Außenwelt, vorkommen könne; weil es nämlich durch ideale Tätigkeit, die vor aller Begrenzung frei ist, modifiziert wird. Hier zeigt sich ferner, wie eine theoretische Funktion des Gemüts sich auf das praktische Vermögen zurückbeziehen könne; welches möglich sein musste, wenn das vernünftige Wesen jemals ein vollständiges Ganzes werden sollte.“ (236/FW I, 320) Dieses Zitat ist nicht nur hinsichtlich des Verhältnisses von theoretischer und praktischer Wissenschaftslehre wichtig, sondern auch bezüglich der Einheit des Ich: Das „Auf-etwas-anderes-Gehen“ des Sehnens bezeichnet, moderner ausgedrückt, die gegenständliche Intentionalität des Ich, d. h. die Fähigkeit, sich auf etwas auszurichten, das nicht es selbst ist, und so die Vorstellung einer wirklichen Welt auszubilden. Es ist aber nur möglich, dass sich das Ich auf etwas richtet, wenn es sich überhaupt etwas theoretisch – „ideale Tätigkeit“ – vorstellt. Dieses andere, auf das sich das Ich richtet, wird zunächst nicht abstrakt gedacht, sondern konkret gefühlt und ist als Sinnesdatum dem Ich präsent. Durch dieses Sinnesdatum hat das Ich einerseits seine eigene Grenze erfahren, denn es wird durch etwas ihm Fremdes affiziert; andererseits ist ihm durch die Fremdaffektion ein zwar noch Unbestimmtes, aber außerhalb seiner selbst Befindliches gegeben – das „Treiben nach außen“. Die noch unbestimmte, aber das Ich begrenzende Empfindung wird durch die theoretische Vorstellung „modifiziert“, d. h. zu etwas Bestimmtem verändert, das sich den Anschauungs- und

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Denkformen des Ich einpasst. Diese theoretische Tätigkeit bedarf, um zu einem begrenzten Inhalt zu gelangen, des Gefühls, das in einer von Äußerem verursachten Empfindung gegeben wird. Sonst wäre die theoretische Vorstellung ohne Inhalt und Stoff. Die theoretische Vorstellung ist ohne Sinnesempfindung und Gefühl „von aller Begrenzung frei“, d. h. unwirklich, abstrakt und leerlaufend. Deswegen ist die theoretische Vernunft an die praktische Vernunft zurückgebunden. Beide bilden eine Einheit und ein ganzheitliches Geschehen. Das Ich bleibt nicht bei der Empfindung eines einzelnen Gefühls stehen, denn es findet vielmehr ein Wechsel der Empfindungen statt; wie auch das theoretische Vorstellen und das praktische Gefühl miteinander in einem Wechsel stehen. Die Lebendigkeit des Ich zeichnet sich dadurch aus, dass Gefühle mit verschiedenen Intensitäten und Qualitäten einander abwechseln. Nur durch diesen Wechsel macht die Rede von Lebendigkeit einen Sinn, denn das, was keinerlei Wechsel der Gefühle hat, ist unbelebt. Erst durch den Wechsel von Gefühlen entsteht ein Gefühlsleben. Deshalb ist mit der Empfindung eines Gefühles auch der Übergang zu einem anderen Gefühl mitgesetzt, das, sofern es etwas anderes als das erste Gefühl ist, diesem entgegengesetzt ist (vgl. 237/FW I, 321). Im Haben eines Gefühles ist der Wechsel zum nächsten Gefühl impliziert. In diesem Trieb zu einem weiteren Gefühl manifestiert sich das Sehnen, denn es findet im Ausgang von etwas Gegebenem ein Hinausgehen zu etwas noch Ungegebenem, bloß Erahntem statt. Das gegebene erste Gefühl und das ersehnte nächste Gefühl können nicht gleichzeitig im Ich anwesend sein, weil das Ich sonst zur selben Zeit entgegengesetzte Gefühle haben müsste. Wenngleich zwei Gefühle kontinuierlich aneinander anknüpfen, so werden sie doch nicht im gleichen Moment vom Ich empfunden. Das ist auch deswegen evident, weil sonst im Ich Gegebenes und ersehntes Ungegebenes gefühlsmäßig gleichzeitig präsent sein müssten. Um die Kontinuität des Bewusstseinslebens erklären zu können, muss im ersten Gefühl dennoch schon ein Hinausgehen über das bloß Gegebene latent „mitpräsent“ sein; denn sonst hätte man eine Folge von Gefühlen, die bloß äußerlich miteinander verbunden wären aber keinen inneren Zusammenhang von einem Gefühl zum nächsten. Diese Mitpräsenz des nächsten Gefühls im ersten Gefühl kann selbst nicht gefühlsmäßig sein, daher folgert Fichte, dass sie anschaulich ist, d. h., in einem Gefühl ist anschaulich bereits das sehnende Hinausgehen über diese singuläre Empfindung mitvorhanden. „Nun kann das Ich nicht zweierlei zugleich fühlen; denn es kann nicht begrenzt in C und zugleich nichtbegrenzt in C sein. Also der veränderte Zustand kann als veränderter Zustand nicht gefühlt werden. Das andere müsste daher lediglich durch die ideale Tätigkeit angeschaut werden, als etwas anderes und dem gegenwär-

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tigen Gefühle Entgegengesetztes. – Es wäre demnach im Ich notwendig immer zugleich vorhanden Anschauung und Gefühl, und beide wären synthetisch vereinigt in einem und demselben Punkte.“ (237/FW I, 321) Zwischen theoretischer Anschauung und praktischem Gefühl entfaltet sich ein kontinuierlicher Wechsel, der in einem Oszillieren zwischen der realen Begrenzung des Gefühls und dem idealen Hinausschauen auf einen noch nicht gegebenen anderen Zustand des Ich besteht. Fichte verdeutlicht dieses Gefühlsleben durch die Empfindung des „Süßen“ (vgl. 238/ FW I, 322). Das Gefühl der Süße ist nicht durch Begriffe inhaltlich positiv zu bestimmen, eine inhaltlich positive Bestimmung des Süßen liegt nur im unmittelbaren Haben dieser Empfindung, sie ist nicht dadurch zu ersetzen, dass man sie in etwas anderes übersetzt. Dennoch gehen wir normalerweise so vor, dass wir die Süßempfindung – wenn wir sie uns bewusst machen wollen – gegen andere Sinnesempfindungen abgrenzen. So können wir zunächst die Geschmacks- gegen die Tast- oder Hörempfindung abgrenzen; daraufhin können wir innerhalb des Geschmackssinnes die Süße gegen saure oder bittere Empfindungen abgrenzen. Alle diese Abgrenzungen sind bloß negativ bleibende Umgrenzungen der einen Empfindung, die, wenn man sie nicht tatsächlich selbst hatte, auch mit den anschaulich-begrifflichen Abgrenzungen gegenüber den anderen Sinnesempfindungen unbekannt bleibt. Sinnesempfindungen können nicht durch Stellvertreter ersetzt werden. Die anderen Sinnesempfindungen, die zur negativen Umgrenzung der Süße dienen, sind die oben angesprochenen theoretischen Anschauungen und es handelt sich um eine Leistung der reproduktiven Einbildungskraft, im Vorschweben der einen Sinnesempfindung des Süßen andere Empfindungen dagegen zu halten und sich ihrer zu erinnern. Hinsichtlich der kontrastierenden Sinnesempfindungen bleibt uns immer eine unendliche Menge möglicher weiterer Sinnesempfindungen, denen wir das Süße gegenüberstellen können. Daher ist die negative Umgrenzung einer konkret gegebenen Sinnesempfindung eine unendliche und unabschließbare Aufgabe. Im Übergang von einer konkreten Sinnesempfindung zur nächsten ereignet sich auf der Ebene des Gefühls eine Zustandsänderung; so wird z. B. die Süßempfindung durch eine Sauerempfindung verdrängt. Die Frage stellt sich, wie das theoretische Vorstellen in der Lage ist, diese sukzessive Veränderung zu konstatieren. Fichtes Antwort wird im nächsten Paragraphen lauten: Die Gefühlsänderung kommt theoretisch zu Bewusstsein, indem das Sehnen eine zumindest partielle Befriedigung und Erfüllung erfährt (vgl. 238/FW I, 322). Wie das theoretische Bewusstwerden des Gefühlslebens geschehen kann, ist ein Problem, das sich erst dann zureichend lösen läßt, wenn zuvor geklärt ist, wie die Gefühle selbst sich voneinander und untereinander unterscheiden können.

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6. Vollendung des Systems der Triebe im Gefühlsleben und der Harmonie des Ich. Kategorischer Imperativ und Spontaneitätstrieb (238–244/FW I, 322–328) Der letzte und abschließende Lehrsatz lautet: „Die Gefühle selbst müssen entgegengesetzt werden können“ (238/FW I, 322). Dies bedeutet, dass in den Gefühlen selbst auch eine Form von Bestimmtheit enthalten sein muss, die das Bewusstsein befähigt, sie voneinander zu unterscheiden und daraus die Sukzession eines Gefühlslebens zu bilden. Zu Beginn des elften Paragraphen macht Fichte klar, weshalb eigentlich das Bewusstwerden des Zustands- und Gefühlslebens für die Wissenschaftslehre relevant sind: Weil sich die Gefühle verändern, ist das Ich genötigt, auch veränderte Objekte zu setzen, die diesen Gefühlen als deren Ursachen korrelieren. Das Gefühl gibt der theoretischen Vorstellung eine Grenze der Bestimmtheit vor. Die Veränderung der Objekte geht somit nach Fichte parallel mit der Veränderung der Gefühle vor. – Hiergegen ist allerdings einzuwenden, dass es durchaus möglich ist, dass sich die subjektiven Gefühle und Empfindungen auch dann ändern können, wenn der Gegenstand derselbe bleibt. – Die Veränderung der Gefühle muss einen Einfluss auf die ideale Tätigkeit ausüben können, wenn die Veränderung von Gefühlen mit der Veränderung des vorgestellten Gegenstandes korreliert sein soll. Dieses Einwirken des praktischen Ich auf das theoretische ist zu klären. Das Haben von Gefühlen ist zwar dem praktischen Ich zu eigen, aber die differenzierende und unterscheidende Entgegensetzung von Gefühlen ist eine Leistung der idealen Tätigkeit. Denn das Unterscheiden von Gefühlen setzt eine Abstraktion voraus, die darin besteht, dass Beziehungs- und Unterscheidungsgründe festgehalten werden. So muss z. B. bei den Empfindungen süß und sauer als Beziehungsgrund festgehalten werden, dass beide Geschmacksempfindungen und keine Gesichtsempfindungen sind; als Unterscheidungsgrund muss festgehalten werden, dass entgegengesetzte Sinnesqualitäten die Sensoren der Zunge gereizt haben. Dadurch ist die Annahme legitimiert, dass die intellektuelle Leistung von Synthesis und Antithesis immer schon mitvollzogen wird, wenn Sinnesempfindungen einander entgegengesetzt werden; es handelt sich dabei nicht mehr um ein einfaches Fühlen. Paradoxerweise ist das einfache, intellektuell unbestimmte Fühlen ein Produkt der Abstraktion, denn im konkreten Bewusstseinsleben kommt das Fühlen nicht ohne intellektuelle Bestimmtheit vor. – Diese Leistungen intellektueller Synthesis und Antithesis im Empfindungs- und Gefühlsleben sind geistige Leistungen, die man konsequenterweise auch empfindenden Tieren zusprechen muss. – Damit unterschiedliche Sinnesempfindungen für das Ich vorhanden sind, reicht es nicht aus, dass wir betrachtenden Philosophen diese Unter-

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schiede feststellen, sondern die antithetisch-synthetischen intellektuellen Leistungen muss das betrachtete Ich selbst erbringen, damit auch für es die Sinnesempfindungen unterschieden sind (vgl. 239/FW I, 323). Dies bildet das Geschehen einer intellektuellen Setzung, Entgegensetzung und Vereinigung von Gefühlen. Fichte beschreibt diesen Vorgang präzise: „Ein Gefühl wird durch ideale Tätigkeit gesetzt: dies läßt sich nur folgendermaßen denken: das Ich reflektiert ohne alles Selbstbewusstsein über eine Beschränkung seines Triebes. Daraus entsteht zuvörderst ein Selbstgefühl. Es reflektiert wieder über diese Reflexion, oder setzt sich in derselben, als das Bestimmte und Bestimmende zugleich. Dadurch wird nun das Fühlen selbst eine ideale Handlung, indem die ideale Tätigkeit darauf übertragen wird. Das Ich fühlt, oder richtiger, empfindet etwas, den Stoff. – Eine Reflexion, von der schon oben die Rede gewesen, durch welche X erst Objekt wird. Durch die Reflexion über das Gefühl wird dasselbe Empfindung.“ (239/FW I, 323) Die Empfindung im engeren Sinn ist ein solches Gefühl, welches das Ich sich mittels eines doppelten Reflexionsaktes als sein privates Eigentum zuschreibt. Offensichtlich entwirft Fichte hier eine „genetische“ Entstehung des konkreten Selbstbewusstseins: Zunächst ist das Ich, ohne sich auf sich selbst zu beziehen, auf das Erleben und das Vorhandensein einer Beschränkung gerichtet – „ohne alles Selbstbewusstsein“ –, hier wird offensichtlich bloß geradehin eine Begrenzung in Form einer sinnlichen Hemmung des Ichtriebes erlebt; daraus bildet sich erst im sinnlichen Erleben der Selbstbezug, der anfänglich bloß in dem „Selbstgefühl“ besteht, die eigenen Sinnesfähigkeiten als gehemmt zu erleben. Dies ist der erste Reflexionsakt. Er ist nicht als eine intellektuelle Leistung einer wissenden Selbstbezüglichkeit zu verstehen, sondern einfach als ein zurückwerfendes, gefühlsmäßiges Hemmungsgeschehen. Erst der zweite Reflexionsakt bildet einen wissenden Selbstbezug: Wenn das Ich sich im Selbstgefühl mittels eines zweiten Reflexionsaktes auf die sinnliche Gehemmtheit seines Gefühls richtet, dann findet eine Intellektualisierung des Gefühls statt; denn nun wird sich das Ich dessen inne, dass es einerseits Bestimmtes ist, da es durch die Hemmung zu etwas Begrenztem wird, und zugleich sieht sich das Ich andererseits als das Bestimmende, denn es ist insofern im Gefühl tätig, als es selbst das Erlebende ist. Das Ich erkennt seine eigene Spontaneität als im Gefühl tätig und intellektualisiert es damit, denn das Gefühl unterliegt offensichtlich dem – zuvor bereits untersuchten – subjektiven Gesetz der Bestimmung, nach dem Bestimmtes und Bestimmendes identisch sind. Sofern das Ich Bestimmtes ist, erlebt es eine von außen verursachte und an es herandringende Stofflichkeit. Dieses Wissen von einem gefühlten Stoff geht über das einfache Gefühl schon hinaus und bildet eine intellektuelle Leistung, denn es wird die Kausalitätskategorie in

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einem verknüpfenden Bezug verwendet. Die Empfindung ist ein in einem doppelten Reflexionsprozess intellektualisiertes Gefühl. Die intellektuelle Reflexion ist auch dasjenige, welches die verschiedenen Gefühle miteinander verbindet. Die Synthesis der Gefühle macht sie erst zu einer in sich unterschiedenen Vielzahl, denn ohne die Synthesis lägen jeweils vereinzelte Gefühle vor, die sich unverbunden aneinanderreihen würden. Eigentlich ist schon die Aneinanderreihung eine intellektuelle Synthesis; es könnte ohne intellektuelle Synthesis also noch nicht einmal von einer Aneinanderreihung von Gefühlen gesprochen werden, sondern nur von isolierten Einzelgefühlen, die wie Atome in einem Vakuum beziehungslos vorhanden wären. Das Ich vollzieht jedoch mit der Reflexion des Gesetzes der Bestimmung, dass das jeweils bestimmte, einzelne Gefühl mit dem Bestimmenden, dem Subjekt identisch ist, weil es jeweils das Ich ist, welches das Gefühl erlebt, daher synthetisieren sich die verschiedenen gefühlten Bestimmungen zu einer synthetischen Einheit: „Es werden Gefühle durch ideales Setzen synthetisch vereinigt. Ihr Beziehungsgrund kann kein anderer sein, als der Grund der Reflexion über beide Gefühle.“ (239/FW I, 323) Das Ich befriedigt in dieser Synthesis der Gefühle seinen eigenen Trieb nach Wechselbestimmung. Denn das Ich ist durch den Wechsel der Gefühle kein statisch mit sich Identisches, sondern in einer lebendigen, abwechslungsreichen und tätigen Identität mit sich. Nur indem das Ich sich als den Pol setzt, der durch verschiedene, wechselnde Gefühle eine eigene wechselnde Bestimmtheit erlangt, können die Gefühle als solche bewusst werden. Denn wenn Gefühle bewusst sind, dann geschieht dies dadurch, dass sie voneinander unterschieden und aufeinander bezogen werden, was wiederum den reflexiv-intellektualisierenden Akt der Selbstbestimmung impliziert. Ohne Synthesis der Gefühle gäbe es auch kein Bewusstsein von den Gefühlen, diese blieben vorbewusst, „ohne alles Selbstbewusstsein“. Das Haben von Gefühlen impliziert ein reflektierendes Selbstbewusstsein und das Haben eines Gefühles impliziert weiterhin das Haben von anderen Gefühlen, denn ein Gefühl wird in seiner Begrenzung und Bestimmtheit dadurch erlebt, dass es von einem anderen Gefühl abgetrennt und unterschieden ist. Sofern ein bestimmtes Gefühl für das Ich vorhanden ist, dann müssen auch andere, vorangehende und nachkommende Gefühle da sein, damit eine Bestimmtheit des Gefühls erlebt werden kann. „Wenn demnach zwischen zwei Gefühlen das Verhältnis wäre, dass das eine nur durch das andere begrenzt und bestimmt würde, so könnte – da auf nichts reflektiert werden kann, ohne dass auf seine Grenze reflektiert werde, aber hier jedesmal das andre Gefühl die Grenze des einen ist – weder auf das eine noch auf das andre reflektiert werden, ohne dass auf beide reflektiert werde.“ (240/FW I, 324)

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Damit Gefühle nacheinander als verschiedene erlebt werden können, bedarf es eines verbindenden Elements zwischen ihnen und dieses ist das Sehnen. Denn dieses ist eine fortgehende Tendenz, die sich in einem Gefühl als Energie zeigt, die über den gegenwärtigen Zustand „mit einem Triebe nach Veränderung“ (240/FW I, 324) hinaustreibt. Dem Sehnen ist der „Wille zur Veränderung“, zur Metamorphose wesentlich. Betrachtet man die im Sehnen enthaltenen Aspekte genauer, dann zeigt sich, dass das Sehnen ein Hinausgehen über das gegebene Gefühl bedeutet. Das Hinausgehen kann aber nur gewollt werden, wenn das Ausgangsgefühl als unvollständig und unbefriedigend erlebt wurde und wenn – verglichen mit dem Ausgangsgefühl – das, woraufhin das Gefühl dann tendiert, erfüllender ist, d. h. „von einem Gefühle der Befriedigung“ (240/FW I, 324) begleitet wird. Selbst wenn das zweite Gefühl noch nicht erreicht wurde, weil im Sehnen bloß eine Tendenz liegt, dann muss in dieser Tendenz doch zumindest virtuell enthalten sein, dass das zweite Gefühl erfüllender als das erste ist, denn sonst wäre die Richtungsänderung des Sehnens auf ein anderes Gefühl hin nicht sinnvoll. Sehnen und Befriedigungsgefühl stehen also in einem wechselseitigen Bezug. Damit ist es möglich die Grenze, den Bezug und den Unterschied zwischen den Gefühlen anzugeben, und es wird gezeigt, wie sich das betrachtete Bewusstsein sein Gefühlsleben thematisch machen kann. Die Befriedigung besteht darin, dass sich das Ich mit sich selbst in Übereinstimmung versetzt. Diese Übereinstimmung ist ein gefühlsmäßiger „Beifall“ (241/FW I, 325), ein unmittelbares Wissen darum, dass das Ich im Gefühlsleben zugleich Bestimmtes und Bestimmendes ist. Der „Beifall“ stellt sich dann ein, wenn das Ich sich dessen inne wird, dass es in dem Wandel seiner verschiedenen Gefühle ein spontanes Wesen ist, d.h. gleichermaßen bestimmt und bestimmend. Wenn der Beifall darin besteht, dass das Ich das Gefühl der Selbstübereinstimmung hat, dann gefällt sich das Ich selbst. Das unmittelbare Gefühl des Sich-selbst-Gefallens und des Sich-selbst-Beifall-Gebens ist die ursprüngliche ästhetische Harmonie des Ich, die in einer unmittelbaren selbstzufriedenen Wahrnehmung seiner selbst besteht. „Ästhetisch“ ist in dem wörtlichen Sinne einer unmittelbaren Wahrnehmung zu verstehen. Der Trieb des Ich, der sich in dem Sehnen ausdrückt, und das Handeln des Ich, das sich daran zeigt, dass sich das Ich als das im Wechsel der Gefühle spontane Erlebniszentrum weiß, sind in einer harmonischen Einheit. Harmonie des Ich besteht daher in einer Übereinstimmung von Trieb und Handlung. Die Harmonie folgt aus dem Gesetz der Bestimmung, das einen wesentlichen Charakter der Spontaneität zum Ausdruck bringt und besagt, dass das Bestimmte zugleich das Bestimmende sein soll, es sich also selbst bestimmt. „Man kann diesen Trieb nennen den Trieb nach Wechselbestim-

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mung des Ich durch sich selbst, oder den Trieb nach absoluter Einheit und Vollendung des Ich in sich selbst.“ (242/FW I, 326). Diese Harmonie wird dem Ich aber erst dadurch bemerkbar, dass es seinen vorherigen Zustand, der das Ausgangsgefühl begleitete, als ein Missfallen verspürt, denn am Anfang des Gefühlsprozesses war eine Disharmonie von Trieb und Handlung vorhanden, und diese Disharmonie ist im Sehnen mitpräsent. Weil eine Disharmonie, ein Missfallen vorliegt, hebt das Sehen des Ich nach einem gefälligeren Zustand an. Insofern verweist jede Harmonie auf eine vorgängige Disharmonie. Gefallen setzt Missfallen voraus. Fichte schließt daraus, dass sich bei dem zweiten, nachfolgenden Gefühl Gefallen einstellt, dass im ersten Gefühl noch kein Beifall vorhanden war, und er schließt weiter, dass ein Zustand, der ohne Beifall ist – zumindest aus der Perspektive des späteren Gefühls des Gefallens –, ein solcher des Missfallens gewesen ist. „Ein solches ist nun das vorhergegangene Gefühl, welches daher notwendig mit einem Missfallen (dem Gegenteile des Beifalls, der Äußerung der Disharmonie zwischen dem Triebe und der Handlung) begleitet ist.“ (241/FW I, 325) Das Ich verhält sich nach dieser Annahme zu seinen Zuständen nicht neutral oder indifferent, wenn es gegenwärtig eine Befriedigung erlebt, sondern es gibt im Befriedigungszustand nur die beiden Möglichkeiten des Gefallens oder des Missfallens; diese können unterschiedliche Intensitätsgrade haben; „aber wenn dasselbe befriedigt wird, so entsteht Missfallen am vorigen; es wird schal, abgeschmackt“ (241/FW I, 325). Dabei kann sich das Ich durchaus am Anfang eines Gefühlsprozesses noch neutral oder indifferent hinsichtlich von Gefallen oder Missfallen verhalten, aber nicht mehr in der Retrospektion aus einem harmonischen Gefallen heraus, wenn es auf seinen Ausgangsgefühlszustand reflektiert, denn dann zeigt der Vergleich mit dem ersten Zustand, dass dort noch keine Harmonie realisiert war und somit das Gegenteil des Gefallens empfunden wurde. Die Gefühle von Gefallen oder Missfallen werden nach Fichte auf die Objekte übertragen, so dass die Objekte, die den Gefühlen kausal, z. B. durch Reizung der sensorischen Körperteile einer Person, korreliert sind, gefallen oder missfallen. Fichte zieht ein Resümee, das die Vollständigkeit und Abgeschlossenheit seines Systems zeigen soll: „Der Umkreis ist jetzt durchlaufen: Trieb zur Bestimmung, zuvörderst des Ich; dann durch dasselbe des Nicht-Ich; – da das Nicht-Ich ein Mannigfaltiges ist, und darum kein Besonderes in sich, und durch sich selbst vollkommen bestimmt werden kann – Trieb nach Bestimmung desselben durch Wechsel; Trieb nach Wechselbestimmung des Ich durch sich selbst, vermittels jenes Wechsels. Es ist demnach eine Wechselbestimmung des Ich und des Nicht-Ich, die, vermöge der Einheit des Subjekts, zu einer Wechselbestimmung des Ich durch sich

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selbst werden muss. So sind, nach dem schon ehemals aufgestellten Schema, die Handlungsweisen des Ich durchlaufen und erschöpft, und das verbürgt die Vollständigkeit unsrer Deduktion der Haupttriebe des Ich, weil es das System der Triebe abrundet und beschließt.“ (242/FW I, 326 f.) Es ist unklar, auf welches Schema sich Fichte bezieht, wie zu sehen war, hatte er in der Grundlage ein solches nicht aufgestellt. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass die Triebe in einer Pluralität nebeneinander bestehen, es gelingt Fichte zwar immer wieder, sinnvolle Bezüge zwischen einzelnen Trieben und Handlungen des Ich herzustellen, aber, dass ihm eine abgeschlossene Deduktion aller möglichen Triebe gelungen sei, kann er nicht in Anspruch nehmen. So fehlen bei ihm z. B. Triebe, die später Freud namhaft macht, wie den der Destruktion oder den des Todes, aber auch solche, die Sartre analysiert, wie den Sadismus oder den Masochismus. Fichte hat auch keine Suchttriebe konzipiert. Diese Dimensionen hat Fichte nicht entwickelt, geschweige denn, dass von ihm in der Grundlage die Pluralität der Triebe systematisch auf einen Grundtrieb zurückgeführt worden wäre; was Fichte – wie gesehen – in der späteren Schrift Über Geist und Buchstab in der Philosophie (1798) selbst zu Recht fordert. Im Rahmen der Grundlage kann man einen Trieb nach Spontaneität ausmachen, der als Grundtrieb fungieren könnte und dessen Nichterfüllung zum Missfallen und daran anschließend zu den von Freud und Sartre namhaft gemachten negativen Trieben führen kann. Etwas generalisierend kann man Fichte fortführend sagen, dass ein Missfallen an unerfüllter Spontaneität bei einer Person die Ursache von Todes-, Destruktionsund Brutalitätstrieben werden könnte. Wird allerdings zur Erklärung des praktischen Ich ein Spontaneitätstrieb zugestanden, dann ist problematisch, ob damit nicht schon zu Anfang der Deduktion alles erst noch zu Beweisende zugestanden wurde. Die Harmonie des Ich besteht in dessen Spontaneität, denn diese zeichnet sich dadurch aus, dass Bestimmendes und Bestimmtes in reziproker Korrelation stehen. Dasselbe gilt auch für die Harmonie, denn Fichte definiert: „Harmonierend ist, was sich gegenseitig als das Bestimmte und Bestimmende betrachten lässt.“ (242/FW I, 326) Die Spontaneität ist im Sinne einer praktischen Autonomie zu verstehen, bei der derjenige, welcher unter einem Gesetz steht, zugleich derjenige ist, der das Gesetz selbst gegeben hat. Daher ist die Spontaneität die höchste Form von Harmonie, denn hier stehen der Gesetzgeber mit dem Gesetzesbefolger in einer Relation der Identität, die in sich unterschieden ist. Der innere Unterschied der Autonomie gibt dieser Art von „harmonischer Identität“ Bestimmtheit. Diese Bestimmtheit besteht nicht in einer tautologischen Identität (A = A), sondern in einer Identität, die den Unterschied in sich enthält. Die praktisch autonome Identität ist der höchste, vollendende Trieb: „Ein

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Trieb von der Art wäre ein Trieb, der sich absolut selbst hervorbrächte, ein absoluter Trieb, ein Trieb um des Triebes willen. (Drückt man es als Gesetz aus, wie es gerade um dieser Bestimmung willen auf einem gewissen Reflexionspunkte ausgedrückt werden muss, so ist ein Gesetz um des Gesetzes willen, ein absolutes Gesetz, oder der kategorische Imperativ. – Du sollst schlechthin.)“ (242f./FW I, 327) Genau wie für Kant ist die reine Formalität des kategorischen Imperativs auch für Fichte keine Schwäche des Sittengesetzes, sondern dessen Stärke; denn „der kategorische Imperativ ist bloß formal ohne allen Gegenstand“ (243/FW I, 327). Weil der kategorische Imperativ rein formal ist, hat er keine inhaltliche Determination. Durch inhaltliche Bestimmungen wäre er festgelegt, und daraus würde wiederum folgen, dass er nur für bestimmte Personen oder Situationen geltendes Gesetz wäre. Nur durch die reine Formalität, deren Konsequenz die Inhaltsleere ist, ist die strikte Allgemeingültigkeit des ethischen Grundgesetzes zu garantieren. Gäbe es einen bestimmten Inhalt des Sittengesetzes, z. B. die Glückseligkeit oder die Wohlfahrt mit einem Nutzen für die meisten, dann wäre die Freiheit beschränkt und eine jeweilige sittliche Handlung wäre nicht mehr um ihrer selbst willen auszuführen, sondern sie würde einem solchen Inhalt unterstehen und würde damit zu einer Handlung, die um etwas anderen willen (z. B. um der Glückseligkeit willen) angestrebt würde, nicht mehr um ihrer selbst willen. Die sittlich-freie Handlung hat aber einen Selbstwert und gilt nicht unter der hypothetischen Voraussetzung eines anderen Ziels als sittlich. Wenn die sittliche Handlung nur unter gewissen Voraussetzungen eine anzustrebende Tätigkeit wäre, dann wäre sie eine heteronome Handlung. Die sittlich-freie Handlung muss, um der Autonomie und Selbstanfänglichkeit der Freiheit willen, ihren Zweck nur in sich selbst tragen. Man ist frei um der Freiheit willen; die sittliche Freiheit ist selbst der höchste und letzte Zweck allen selbstbewussten Daseins. Diese Selbstzweckhaftigkeit und reine Formalität der sittlichen Freiheit wird in dem Satz des kategorischen Imperativs, wie ihn Fichte formuliert, besonders hervorgehoben: „Du sollst schlechthin“ (243/FW I, 327). Die inhaltliche Unbestimmtheit des kategorischen Imperativs hat einerseits den oben genannten Grund, dass die sittliche Handlung sonst heteronom und nicht mehr autonom wäre, und andererseits hat diese inhaltliche Unbestimmtheit auch die Konsequenz, dass für die Freiheit eine Öffnung zu verschiedenen alternativen Handlungsmöglichkeiten und des Spielraums von Offenheit erfolgt, ohne den sich die Freiheit nicht selbst verwirklichen könnte. Die sittliche Autonomie bedarf, um sich zu verwirklichen, einer Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen konkreten Handlungen, durch die sie ihre Selbstzweckhaftigkeit und Selbstanfänglichkeit umsetzen kann. Absolut frei wäre eine sittliche Handlung allerdings nur

Kategorischer Imperativ und Spontaneitätstrieb

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dann, wenn sie sich zu ihrer allgemeingültigen Form auch noch das Objekt selbst geben könnte, auf das hin gehandelt werden soll. „Wo hier das Unbestimmte liege, zeigt sich ebenfalls sogleich: es ist keine Handlung, ohne ein Objekt; demnach müsste die Handlung zugleich ihr selbst das Objekt geben, welches unmöglich ist.“ (243/FW I, 327) Aufgrund der Unmöglichkeit, dass sich das endliche, sollende Sittlichkeitssubjekt mit seinem Willen unmittelbar auch das zum Gesollten passende Objekt schon erschafft, wird die Sittlichkeit zur unendlichen Aufgabe. Könnte sich das Sittensubjekt selbst ein praktisches Objekt schaffen, das als Inhalt der Handlung unmittelbar dem Sittengesetz gemäß ist, dann wären im Willen Willensform und Willensinhalt analytisch (im Sinne Kants) miteinander verbunden. Für den endlichen Willen ist es aber charakteristisch, dass der Inhalt und die Form des Willens nicht miteinander identisch sind. Auf der Ebene der Form des Willens sind mit der Gesetzlichkeit zwar die Autonomie und die Selbstanfänglichkeit vollständig gewährleistet, sofern die verwirklichte Handlung einen Charakter der Allgemeingültigkeit hat; doch auf der Ebene der Inhalte, auf die sich die verschiedenen Handlungen richten, herrscht für das endliche Subjekt immer auch Heteronomie vor. Das Subjekt findet eine wirkliche, sinnliche Welt vor, und bestimmte historische und soziale Kontexte, über die es sich nicht beliebig hinwegsetzen kann. Trotzdem hat es als dem Sittengesetz verpflichtetes Subjekt der Freiheit seine Form in den weltlichen Inhalten zu bewähren. Wären Willensform und Willensinhalt analytisch miteinander verbunden, dann gäbe es für das endliche Sittensubjekt nicht das Problem, dass es in zahlreichen Situationen zwar das Richtige gewollt hat, dass sich aber die konkreten inhaltlichen Umstände gegen den Willen des Subjekts wenden können und der Schritt vom Gewollten zur Verwirklichung nicht erreicht wird, weil die Umstände es verhindern. Die Trennung von Wollensform und Wollensinhalt dokumentiert sich auch daran, dass das Subjekt Böses wollen kann, es will dann gerade nicht den allgemeingültigen kategorischen Imperativ als Form der Handlung, sondern eine nur partikulär geltende Handlungsform und einen nur partikulär geltenden Inhalt der Handlung. Mit einem einfachen Ausdruck: Das Subjekt handelt egoistisch in dem Sinne, dass es sich nur an der Form und dem Inhalt einer Handlung orientiert, die für es als vereinzeltes Selbst gelten und angemessen scheinen. Wenn die Handlung durch einen Trieb des Subjekts bestimmt wird, dann unterstützen sich Trieb und Handlung: „Die Harmonie ist da, und es entsteht ein Gefühl des Beifalls, das hier ein Gefühl der Zufriedenheit ist, der Ausfüllung, völligen Vollendung (das aber nur einen Moment, wegen des notwendig zurückkehrenden Sehnens, dauert).“ (244/FW I, 328) Hier beschreibt Fichte das intellektuell-praktische Glücksgefühl, das sich bei

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Grundlage der Wissenschaft des Praktischen

der Ausführung einer sittlichen Tat einstellt. Ein solches Gefühl bildet – Kants Ethik aufnehmend – z.B. das Gefühl der Achtung. Fichtes emphatische Formulierung einer völligen Erfüllung ist als Glückszustand eines sittlichen Subjekts von der Ataraxie oder Seelenruhe zu unterscheiden, wie sie die Stoiker, die Pyrrhonischen Skeptiker oder auch die Epikureer in der Antike als höchstes Ziel des praktischen Strebens entwerfen. Dort ist die Seelenruhe eine Form der Untätigkeit der individuellen Seele, eine Ruhe, die als Abwesenheit von Wollungen verstanden wird. Fichte würde dagegen argumentieren, dass ein endlicher Wille, der nicht mehr strebt und tätig ist, einen inneren Widerspruch darstellt. Das Streben nach Tätigkeit und die Unruhe sind das Wesensmerkmal des endlichen Willens. Auch die harmonische Selbstübereinstimmung, die sich in einem nicht selbstgefälligen „Beifall“ ausdrückt, ist noch eine Tätigkeit; die darüber hinaus sogleich von der nächsten Negation heimgesucht wird und nicht bei sich beharren kann; denn sonst kippt der Beifall in unsittliche Selbstgefälligkeit um. Dem sittlichen Subjekt drängen sich nach dem Erreichen der „völligen Vollendung“ unmittelbar wieder neue Inhalte für sein Wollen auf, die noch keine Form der Allgemeingültigkeit haben und in dieser Hinsicht noch dadurch zu modifizieren sind, dass sie von ihrer Partikularität befreit werden. Freiheit führt so zu einer lebendigen, vorwärts treibenden Vollendung des Subjekts, die in ihrer Dynamik die Einheit des Subjekts gleichermaßen durchhält und herstellt. Unfreiheit führt dagegen zu Selbstentzweiung und Missfallen an sich. Die Selbstentzweiung tritt dann ein, wenn sich ein Subjekt aus Freiheit zur Unfreiheit seiner partikulären Ziele entscheidet. Diese Unfreiheit und Entzweiung dokumentiert sich darin, dass Triebe und Handlungen des Subjekts nicht miteinander harmonieren. Die Disharmonie hat ihre Wurzel darin, dass das Subjekt nicht in der Lage ist, mit seinen Trieben seine Handlungen zu bestimmen. Wenn Trieb und Handlungen nicht zusammenstimmen, dann zeigt sich das z. B. darin, dass das unsittliche, böse Subjekt sich zu verstellen hat. Denn es kann anderen Subjekten seine Triebe nicht unmittelbar in seinen Handlungen offenbaren oder aufzwingen; vielmehr gehört zur Strategie bösen Handelns, dass für andere Subjekte die wirklichen Motivationen im Dunkeln bleiben müssen und dass die wahren Triebe hinter einer Handlung verborgen werden. Das führt wiederum dazu, dass sich eine harmonische Einheit zwischen dem durch die Handlung erreichten Objekt und dem eigentlichen (An-)Trieb nicht einstellen kann. Das Missfallen an sich stellt sich bei unsittlichen Subjekten vielleicht nicht unmittelbar ein, aber in der Länge eines gelingenden Lebens führt nach Fichte nur Freiheit zum Gefühl der Vollendung. – Es kann hiergegen kritisch eingewendet werden, dass eine Person, die sich in ihrer Freiheit zum Bösen entschieden hat, und die dann auch tat-

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sächlich bösartige Triebe handelnd auslebt, durchaus auch das Gefühl der „harmonischen“ Einstimmung ihrer Triebe mit ihrem Handeln haben kann. Die menschliche Praxis zeigt sogar, dass es häufig bösartige Menschen sind, die sich gefällig beurteilen. – In der Harmonie der sittlichen Freiheit hebt sich nach Fichte der fundamentale Widerspruch der Grundlage zwischen absolutem und limitiertem Ich sowie der Widerspruch zwischen der Selbstbezüglichkeit und der Objektbeziehung des limitierten Ich auf. Das limitierte Ich schien in dem Widerspruch verwickelt, sich nur dann auf sich beziehen zu können, wenn es sich auf das Nicht-Ich bezieht. In der sittlichen Autonomie des kategorischen Imperativs ist einerseits die Selbstanfänglichkeit des absoluten Ich geborgen, andererseits ist der bestimmte endliche Selbstbezug des limitierten Ich bei der Befolgung des kategorischen Imperativs dadurch möglich, dass eine Handlungsform in Bezug auf einen Handlungsinhalt bzw. ein Objekt realisiert wird. Das gegebene Mannigfaltige der Sinnlichkeit ist der Inhalt der Welt, der in die unabschließbare Entwicklung der Freiheit der Handlungen des sittlichen Ich zur „völligen Vollendung“ des Selbst erhoben wird.

Resümee Fichte entwirft in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre eine Egologie, deren Anspruch in einer Letztbegründung allen Wissens besteht. Diese Letztbegründung bildet keine Metaphysik des Ich, sondern führt in kritischer Erkenntnisbegrenzung das Programm der Transzendentalphilosophie Kants zugleich in konsequenter und doch in origineller Weise weiter. Fichtes transzendentale Egologie kombiniert auf komplexen Ebenen verschiedene Formen der Selbstbezüglichkeit des Ich miteinander. Diese Formen der Selbstbezüglichkeit können unmittelbar sein, wie dies z. B. bei dem absoluten Ich und auch bei dem sich seiner selbst inne seienden praktischen Ich in Gefühl und Empfindung der Fall ist, sie können aber auch vermittelt sein, wie dies z. B. bei dem limitierten Ich in der Synthesis von Kausalität und in der Synthesis von Substantialität vollzogen wird. Fichtes Programm besteht darin, dass die Begründung des menschlichen Wissens ihren Ausgang von dem absoluten Ich nimmt. Dieses ist eine ausschließliche Selbstbezüglichkeit und reine, mit sich identische, von anderem ununterschiedene Tätigkeit und deswegen ist sie aber auch noch unbestimmt. Bei diesem absoluten Ich handelt es sich weder um ein individuelles, noch um ein konkretes, noch um ein spekulativ metaphysisches Ich, sondern um eine allgemeine Struktur von Tätigkeit, die auf den Begriff der Tathandlung zu bringen ist. In einem zweiten Schritt grenzt sich das Ich gegen das Nicht-Ich ab, und limitiert dadurch nicht nur sich, sondern auch das Nicht-Ich in Wechselseitigkeit. Damit wird der Übergang vom absoluten zum limitierten Ich vollzogen. Die beiden folgenden Teile der Wissenschaftslehre, der theoretische und der praktische Teil, bilden eine differenzierende Analyse des limitierten Ich. Die Bestimmung der Limitation des Ich wird in der theoretischen Wissenschaftslehre durch die Vorstellung und die Einbildungskraft in zentraler Weise dominiert. Die theoretische Vorstellung ist dadurch gekennzeichnet, dass sich das Ich als durch das Nicht-Ich bestimmt betrachtet. Hier wird von Fichte das endliche Ich in seinem integrativen Zusammenhang mit Kausalität und Substantialität als grundlegenden Bestimmungen, die nicht nur die Gegenstände der Erkenntnis auszeichnen, sondern ebenso das Ich selbst, erhellt. Die Einbildungskraft bildet dabei die Wurzel und Quelle des theoretischen Ich, indem sie in der Lage ist, zwischen Widersprechenden – vermittels eines Schwebens zwischen den Polen – zu vermitteln. Dieses Schweben produziert nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit.

Resümee

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Im praktischen Teil der Wissenschaftslehre bestimmt dagegen das Gefühl in zentraler Weise das limitierte Ich. Die Praxis des endlichen Ich besteht darin, dass es sich in dem Streben nach erfüllter Selbstidentität zu verwirklichen trachtet. Die Selbstverwirklichung des endlichen Ich wird ihm zu einer unendlichen Aufgabe, die darin besteht, das Nicht-Ich dem praktischen Ziel der Selbstidentität des Ich gemäß zu bestimmen; dies bildet exakt die reziproke Tätigkeitsrichtung zum theoretischen Teil der Wissenschaftslehre. Das Gefühl als fundamentale Bestimmung des praktischen Ich erfährt seine Differenzierung durch den Pragmatismus von Trieb, Sehnen und Streben. Das praktische Ich findet seine Verwirklichung im Ergreifen der Autonomie, die sich in der sittlichen Befolgung und Konstitution des Sittengesetzes vollendet. Der kategorische Imperativ wird zur rein formalen Bestimmung des Ich, dem seine Freiheit im Streben nach dem Gesollten vorschwebt. Das praktische Ich weiß sich damit gleichfalls als Gesetzgeber der Freiheit und als verantwortlich an die Freiheit gebunden. Motive von Fichtes Egologie finden sich bei bedeutenden Denkern und Denkströmungen, die sich nach ihm entwickelt haben – in bewusster wie auch in unbewusster Aufnahme –. Die existentielle Freiheit bei Sartre, die exzentrische Positionalität des Menschen bei Plessner, die sich zeitigende Sorgestruktur des Daseins beim frühen Heidegger, die bewusstseinsimmanente Untersuchung egologischer Strukturen in der Phänomenologie Husserls, Aspekte des gegenwärtigen Konstruktivismus und des modernen Pragmatismus weisen auf Fichtesche Gedankengänge zurück und zeigen, dass dessen System nicht nur im Rahmen der spezialisierten Fichte-Forschung, sondern in zahlreichen bedeutenden Denkformen lebendig ist. Fichte stellt nicht einen längst überholten, einseitigen subjektiven Idealismus auf, sondern eine vielschichtige Theorie des Wissens und der Erkenntnis, die auch in der gegenwärtigen Debatte um einen neuerdings wieder erstarkenden Skeptizismus gewichtige antiskeptische Argumente aus dem intrinsisch evidenten Prinzip des Ich einzubringen in der Lage ist. Die praktische und sittliche Freiheit des Ich bildet dabei eine Instanz der Gewissheit, die vom Skeptiker nicht sinnvoll geleugnet werden kann, ohne ihn in einen pragmatisch-performativen Selbstwiderspruch zu verwickeln, weil eine Bestreitung der sittlichen Verantwortung des Menschen und der Selbstbezüglichkeit des Ich auch dazu berechtigen würde den Skeptiker selbst unsittlich, unfrei und verdinglichend zu behandeln. Die Freiheit des Ich erweist sich somit als Möglichkeit zur Überwindung der Skepsis.

Anmerkungen 1 Die Grundlage wird zitiert nach: Fichte, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer (1794/95). Eingel. u. hrsg. von W. G. Jacobs, Hamburg 1988; jeweils nach dem Schrägstrich wird auch die Ausgabe: Fichtes Werke. Hrsg. Immanuel Hermann Fichte. Berlin 1971, Bde. I–XI, angegeben; im Folgenden wird diese Ausgabe als FW zitiert. Die Werke Kants werden zitiert nach: Gesammelte Schriften. Hrsg. von der (Königlich) Preußischen (später Deutschen) Akademie der Wissenschaften. Bde. I–XXVIII, Berlin 1910 ff. (die Kritik der reinen Vernunft wird entweder nach der 1. Auflage (= A) oder nach der 2. Auflage (= B) zitiert; die Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik und die Kritik der Urteilskraft werden jeweils nach den entsprechenden Paragraphen zitiert; sonstige Bände der Akademieausgabe werden als AA mit entsprechender Band- und Seitenziffer zitiert). 2 Fichte: Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlass: Exzerpt aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen. Hrsg. E. Fuchs, Neuried 1996, 69. 3 Fichtes Briefentwurf an F.V. Reinhard vom 20. Februar 1793, in: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hrsg. R. Lauth u. H. Jacob. Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff., Bd. III/1, 373 (im Folgenden wird diese Ausgabe zitiert als Gesamtausgabe mit entsprechender römischer Ziffer für die Abteilung und arabischer für die Bandzahl). Vgl. zu Fichtes Rezeption der Werke Kants: K. Lindner „Vom Begriff der Freiheit“. Fichtes Leipziger Kant-Studien (1790), in: Fichte-Studien 9 (1997) 19–26. 4 Reinhold Über das Fundament des philosophischen Wissens (1791). Hrsg. W. H. Schrader, Hamburg 1978, 78. 5 Vgl. Fichte: Eigne Meditationen über Elementarphilosophie, in: Gesamtausgabe II/3, 21–177. Thematisch und zeitlich anschließend sind die Aufzeichnungen Practische Philosophie, a.a.O., 179–266. 6 Fichte Gesamtausgabe I/2, 177; a. a. O. findet sich auch noch folgender Bericht des Enkels Eduard von Fichte in den Lichtstrahlen über die Entstehung von Fichtes Wissenschaftslehre, die sich auch auf die Zeit um 1793/94 bezieht: „Hier sei einer Mitteilung erwähnt, welche er später in Freundeskreisen machte, dass er damals, über das höchste Prinzip der Philosophie lange und anhaltend meditierend, wie mit einer plötzlich ihn ergreifenden Evidenz, während er am warmen Winterofen stand, von dem Gedanken ergriffen worden sei, nur das Ich, der Begriff der reinen Subjekt = Objektivität, könne das höchste Prinzip sein.“ 7 Vgl. Fichtes Brief an Flatt vom November oder Dezember 1793, Gesamtausgabe III/2, 18. 8 Vgl. hierzu: Fichte Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlass: Exzerpt aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen. Hrsg. E. Fuchs, Neuried 1996.

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Anmerkungen zu S. 12–20

Vgl. Fichtes Brief an Lavater vom 14. Juni 1794, Gesamtausgabe III/2, 130. Vgl. Fichtes Brief an Goethe vom 30. September 1794, Gesamtausgabe III/2, 202f. 11 Einführend in die groben Züge der Philosophiekonzeption, die grundlegenden Theoreme darstellend und auch die entwicklungsgeschichtlichen Umbrüche berücksichtigend, ist die Arbeit von W. Janke Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970. Vorzüglich ist auch die klare und knappe Einleitung zu Fichte von H. Heimsoeth Fichte. München 1923. 12 Vgl. Fichte Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahre 1804. Hrsg. R. Lauth u. J. Widmann, Hamburg 1986, XV. Vortrag, 152ff. 13 Vgl. hierzu I. Schüssler Die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus in Fichtes Wissenschaftslehre. Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre 1794/5, Zweite Darstellung der Wissenschaftslehre 1805. Frankfurt a. M. 1972, bes. 11–85; allerdings kann an dieser Arbeit kritisiert werden, dass Schüssler unkritisch, nacherzählend mit Fichte verfährt und kaum auf die praktische Wissenschaftslehre (Dritter Teil der Grundlage, §§ 5ff.) eingeht, obgleich diese ihren Primat gegenüber der theoretischen Wissenschaftslehre nach Fichte besonderes durch ihre Auflösung der Gegensätze von Idealismus und Realismus in Anspruch nehmen kann, und dass Schüssler die Erklärung der Vorstellung bzw. die Darstellung der Wahrheitsfähigkeit der Dinge aus dem Bewusstsein als eine ontologische Aufgabe versteht (vgl. a. a. O., 81) und nicht als transzendentalphilosophische, wo doch – mit Kants kritischem Ansatz gesprochen – ›der stolze Name einer Ontologie hinter die Transzendentalphilosophie zurückzutreten hat‹. Ähnlich zum Thema dies.: Logik und Ontologie. Fichtes transzendentale Begründung des Satzes der Identität, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hrsg. K. Hammacher, Hamburg 1981, 498–507. 14 Vgl. hierzu S. Maimons Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens. Nebst angehängten Briefen des Philaletes an Aenesidemus (1794). Hrsg. B. C. Engel, Berlin 1912, 167, 170, 237 f. (wo deutlich wird, dass Maimons Skeptizismus auch von Hume angeregt ist); in den Briefen des Philaletes an Aenesidemus versucht Maimon seinen Skeptizismus von demjenigen Schulzes in dessen Aenesidemus abzugrenzen, vgl. a.a.O., 278ff. 15 Vgl. Kant Kritik der reinen Vernunft B 131f. 16 Der erste Grundsatz von Fichtes Grundlage wird, mit besonderer Betonung der Letztbegründungsproblematik, ausführlich auch von J.-P. Mittmann Das Prinzip der Selbstgewissheit. Fichte und die Entwicklung der nachkantischen Grundsatzphilosophie. Bodenheim 1993, 74 ff. kommentiert. Mittmann untersucht (a. a. O., 9 ff.) auch die zeitgenössischen Kritiken von Maimon, Schulze und Beck an Reinholds Grundsatzphilosophie, die Fichte zur Ausbildung seiner eigenen Grundsatzphilosophie inspirierten. Intensiv argumentierend auch: J. Stolzenberg Fichtes Satz „Ich bin“. Argumentanalytische Überlegungen zu Paragraph 1 der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ von 1794/95, in: Fichte-Studien 6 (1994) 1–34. 17 Fichte Über den Begriff der Wissenschaftslehre § 2; FW I, 49ff. 18 Vgl. zur Absolutheit des Ich auch C. Hanewald Absolutes Sein und Existenzgewissheit des Ich, in: Fichte-Studien 20 (2003) 13–25. 19 Das Problem des Anfangs behandelt auch mit Berücksichtigung der entwicklungsgeschichtlichen Differenzen zwischen der Grundlage und der Wissenschafts9

10

Anmerkungen zu S. 21–22

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lehre nova methodo B. Zimmermann Freiheit und Reflexion. Untersuchungen zum Problem des Anfangs des Philosophierens bei Joh.G. Fichte. (Diss.) Köln 1969. Auch und besonders für den strengen Systematiker Hegel bildet der Anfang der Philosophie ein zentrales Problem, welches sich bei ihm darin ausdrückt, dass der Anfang als solcher völlige Unbestimmtheit und Unmittelbarkeit sein muss (vgl. Hegel Wissenschaft der Logik. Lehre vom Sein, in: ders. Werke, Hrsg. E. Moldenhauer u. K. M. Michel, Frankfurt a. M. 1986, Bd. 5, 65 ff. u. 82 f.). Und auch Wittgenstein sieht die Schwierigkeit des Anfangs: „Es ist so schwer, den Anfang zu finden. Oder besser: Es ist schwer, am Anfang anzufangen. Und nicht zu versuchen, weiter zurückzugehen.“ Wittgenstein Über Gewissheit, in: Werkausgabe, Bd. 8, Hrsg. J. Schulte u. G. E. M. Anscombe, Frankfurt a.M. 1994, 214, Nr. 471. 20 Bereits in der Züricher Vorlesung spricht Fichte von der Tathandlung; es gibt den Begriff dort auch im Plural; was jedoch auch eine Ungenauigkeit der Aufzeichnungen Lavaters sein kann; vgl. Fichte Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlass: Exzerpt aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen. Hrsg. E. Fuchs, Neuried 1996, 77 ff., 131 f., 149, wo Fichte entwirft, dass die Tathandlung in der Reflexion des Philosophen mittels eines (Selbst-)Experiments darstellbar wird. Vgl. zum Thema auch: E. Fuchs J.K. Lavaters Nachschrift der Züricher Wissenschaftslehre, in: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Hrsg. E. Fuchs u. I. Radrizzani, Neuried 1996, 56–73. Hier werden Äußerungen der Hörer von Fichtes Züricher-Vorlesung zusammengestellt, die Fichtes teils ekstatische Wirkung auf seine Hörer bekunden. 21 Anders deutet I. Schüssler Die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus in Fichtes Wissenschaftslehre. Frankfurt a. M. 1972, 15; nach ihr steht bei der Tathandlung die Tat für das Produkt der Handlung, d. h. für das gesetzte Ich, und die Handlung für das setzende Ich. Im Text Fichtes gibt es für diese Deutung keine Grundlage; vielmehr ist zu betonen, dass es zwischen setzendem und gesetztem Ich in der Tathandlung des Ich = Ich gar keinen Unterschied gibt. 22 In ähnlicher Weise deutet bereits E. Lask Fichtes Idealismus und die Geschichte, in: Gesammelte Schriften, Hrsg. E. Herrigel, Tübingen 1923, Bd. I, 103–115. Lask deutet, dass das reine Ich nach Fichte „kritisch“ ist, weil es keine konkrete Tatsache des Bewusstseins ist, also kein Faktum, sondern eine Konstruktion, die durch Abstraktion gewonnen wird. Als ein solcher Allgemeinbegriff, der völlig formal ist, sei das Ich inhaltsleer (hierzu bes. 114). Gegen letzteres ist allerdings einschränkend zu sagen, dass das absolute Ich der Tathandlung zwar relativ unbestimmt ist, da es nämlich keinen Bezug auf anderes hat, aber es ist doch kein Allgemeinbegriff, denn bei der Bildung von Begriffen ist nach Fichte der Verstand konstitutiv, ein Vermögen, das im Rahmen des ersten Grundsatzes noch nicht hergeleitet ist. Ein Begriff ist für Fichte auch immer eine Fixierung; das absolute Ich kann eine solche auch deswegen nicht sein, weil es eine reine Handlungsstruktur ist. Vgl. auch B. Zimmermann: Freiheit und Reflexion. Untersuchungen zum Problem des Anfangs des Philosophierens bei Joh.G. Fichte. Diss. Köln 1969, 161 ff. Auch Zimmermann deutet, dass das reine, erkenntniskonstituierende Ich in Fichtes Entwurf der Wissenschaftslehre nova methodo ein erkenntnistheoretisches, transzendentalphilosophisches Konstrukt ist. 23 Der Begriff „absolute Tathandlung“ kommt auch im 19. von Schillers Briefen,

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Anmerkungen zu S. 23–29

Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795), in: ders. Sämtliche Werke, Hrsg. G. Fricke u. H. Göpfert, München 1993, Bd. V, 627, vor. Dort bezeichnet die „absolute Tathandlung“ die Tätigkeit des Geistes, eine Negation durch Bezug auf eine Position vollziehen zu können; durch den Bezug der Negation auf eine Position verwandelt sich das bloße Nichtsein, das eigentlich in der Negation enthalten ist, in eine wirkliche Entgegensetzung. Nach Schiller erhält die Negation nämlich erst dann einen Sinn, wenn sie in bestimmter Weise gegen etwas gerichtet ist, was selbst etwas Positives ist. Diese auf eine Position bezogene Negation ist nach Schiller ein Urteil bzw. ein Gedanke. Im Unterschied zu Fichte setzt daher die Tathandlung bei Schiller bereits dasjenige voraus, was Fichte als Antithesis und Synthesis erst im zweiten und dritten Grundsatz seiner Grundlage entwickelt. Daher kommt dem Terminus Tathandlung bei Schiller eine völlig andere Bedeutung zu als bei Fichte, wenngleich Schiller ihn von Fichte aufgenommen haben mag; auf Fichtes Grundlage verweist Schiller dort auch (vgl. a. a. O., 607 Anm.); darüber hinaus sehen sich Schiller und Fichte zu diesem Zeitpunkt noch als enge Freunde, denn Schiller spricht stolz von „meinem Freund Fichte“ (a.a.O., 577). 24 Vgl. dazu M. Bondeli Zu Fichtes Kritik an Reinholds „empirischem“ Satz des Bewusstseins und ihrer Vorgeschichte, in: Fichte-Studien 9 (1997) 199–213. 25 Auf das Verhältnis der Transzendentalphilosophie bzw. Wissenschaftslehre zur Logik geht Fichte auch in Über den Begriff der Wissenschaftslehre § 6 (FW I, 66–70) ein; ebenso in dem wenig beachteten Spätwerk Über das Verhältnis der Logik zur Philosophie oder transzendentale Logik von 1812 (FW IX, 103–400). 26 So kann formuliert werden: „A ist A“ (kategorische Urteilsfunktion); „Wenn A, dann A“ (hypothetische Urteilsfunktion), und „A ist entweder A oder B oder C, nun ist A nicht B oder C, also ist A A“ (disjunktive Urteilsfunktion). Alle drei Urteilsfunktionen bringen bezüglich der Identität genau dasselbe zum Ausdruck, nämlich dass A mit sich selbst identisch ist. Bereits in: Über den Begriff der Wissenschaftslehre § 6 (FW I, 69) entwirft Fichte, dass der Satz der Identität A = A, auch durch die hypothetische Verknüpfung ausgesagt werden kann: Wenn A ist, dann ist A mit sich identisch. 27 Dass eine Differenz von der Form als der Struktur von etwas für das Wissen und dem Gehalt als dasjenige, was der Aussage als deren Worüber zugrunde liegt, besteht, verdeutlicht Fichte in Über den Begriff der Wissenschaftslehre (FW I, 49). 28 Vgl. Leibniz Monadologie und andere metaphysische Schriften, Hrsg. u. Übers. U.J. Schneider, Hamburg 2002, § 14, 115f. 29 Vgl. Kant Kritik der reinen Vernunft B 131f. 30 Es ist nicht zutreffend, wenn A. Schmidt Der Grund des Wissens. Fichtes Wissenschaftslehre in den Versionen von 1794/95, 1804/II und 1812. Paderborn 2004, 16 f. deutet, dass Fichte mit dem Übergang von A = A als Tatsache zu der Untersuchung, dass A = A ein Urteil ist, einen „neuen Ausgangspunkt“ für die Aufstellung des Ich-Prinzips aufsuche, weil ein Skeptiker zwar das A = A bezweifeln könne, nicht jedoch, dass Urteile vollzogen werden. Diese Deutung entbehrt der Textgrundlage; es ergibt sich vielmehr aus dem Text, dass der Übergang von A = A als Tatsache zu der hinter A = A stehenden Urteilsleistung des Subjekts, eine vertiefende und weiterführende Analyse steht; also kein Abbruch oder Neubeginn der Argumentation. Fichte äußert sich in diesem Kontext zwar nicht dazu, dass ein

Anmerkungen zu S. 29–33

243

Skeptiker versuchen könnte, den Satz der Identität zu bezweifeln; doch er hätte dazu wohl gesagt, dass doch auch in dem Akt bzw. Gedanken des Zweifels an A = A der Zweifel oder der Gedanke mit sich selbst identisch sein muss, da sonst der Zweifel nicht mit sich selbst, sondern mit anderem seiner selbst – z. B. mit der Gewissheit – identisch sein müsste. Daher ist einsichtig, dass der Skeptiker, der den Satz der Identität bezweifeln will, ihn selbst voraussetzen muss, damit sein Zweifel gelingen kann und sich der Skeptiker in dieser Hinsicht selbst widerlegt. 31 Vgl. Frege Über Sinn und Bedeutung, in: ders. Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien. Hrsg. G. Patzig, 7. Aufl., Göttingen 1994, 48f. 32 Fichtes Brief an Reinhold vom 2. Juli 1795, Gesamtausgabe III/2, 344. 33 Schillers Brief an Goethe vom 28. Oktober 1794; in: Schiller Werke und Briefe, 12 Bde., Frankfurt a. M. 2002, Bd. 11, Briefe 1772–1795, Hrsg. G. Kurscheidt, 751. In dieser Hinsicht handelt es sich auch um eine Fehldeutung bei R. Kroner Von Kant bis Hegel. Bd. 1, 3. Aufl., Tübingen 1977, 461, der das absolute Ich als transzendenten Gott sieht. 34 Vgl. zu dieser Anfangslosigkeit des reinen Ich und der Nichtentstehung des Ich aus Nichts: Grundlage (17/I, 97) und Fichtes Brief an Reinhold vom 2. Juli 1795, Gesamtausgabe III/2, 346. 35 Daher ist es nicht zutreffend, wenn A. Schmidt Der Grund des Wissens. Fichtes Wissenschaftslehre in den Versionen von 1794/95, 1804/II und 1812. Paderborn 2004, 18 ff., deutet, dass das absolute Ich selbst ein „praktischer Wert“ sei; hier fehlt insofern die Textgrundlage, als Fichte im gesamten ersten Paragraphen – und auch sonst in der Grundlage – nicht den Begriff des Wertes einführt und Schmitt den Wert als eine „normative“ Setzung deutet, wogegen gesagt werden kann, dass Fichte am Anfang der Grundlage noch nicht hochvermittelte Bestimmungen wie normative Werte geltend machen darf, will er seine streng systematischen Ansprüche auf Voraussetzungslosigkeit einhalten. In seinem rekonstruierenden Gedankengang sieht Schmidt (a. a. O., 14 f.) den Begriff des Werts, der das absolute Ich bestimme, an die Vernunft zurückgebunden. Es ist aber auch problematisch, das absolute Ich als Vernunft zu interpretieren, denn entweder muss man hierfür einen sehr weiten und dann unscharfen Vernunftbegriff wählen oder man orientiert sich näher an Fichte selbst und nimmt dessen spezifischere Konzeption von theoretischer Vernunft (am Ende des vierten Paragraphen der Grundlage) oder diejenige von praktischer Vernunft (im fünften Paragraphen) auf. Aber diese Vernunftbegriffe lassen sich nicht einfach auf den Anfang der Grundlage mit dem absoluten Ich übertragen, weil sie in Fichtes Sicht zu voraussetzungsreich sind und zahlreicher Ableitungen bedürfen. 36 Vgl. instruktiv zum Thema J. Stolzenberg Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02. Stuttgart 1986; vgl. auch X. Tilliette Recherches sur l’intuition intellectuelle de Kant a Hegel. Paris 1995. 37 Auch in der Züricher Vorlesung entwirft Fichte, dass das Ich ursprünglich eine intellektuelle Anschauung ist, die nicht sinnlich ist; vgl. Fichte Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlass: Exzerpt aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen. Hrsg. E. Fuchs, Neuried 1996, 125. Die anfänglich unsichere, ringende und noch suchende Haltung Fichtes zur intellektuellen Anschauung wird in den Eignen

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Anmerkungen zu S. 35

Meditationen über Elementarphilosophie an konjunktivischen Formulierungen und Selbsteinwänden deutlich: „Das sich selbst darstellende Ich wird intellectuell angeschaut, d. h. das Angeschaute ist zugleich die Anschauung. Es ist kein Leiden da: eine Handlung wird angeschaut, u. diese Handlung ist die Anschauung. Bestimmungen im reinen Ich, z. E. das Sittengesez wird angeschaut. – Nein, das nun wohl nicht: jene intellectuelle Anschauung wird gedacht, u. heißt Idee. – Im Vorstellen sollte Ich angeschaut werden? Insofern ich im Vorstellen thätig ist, wenn es als solches angeschaut würde, so wäre eine solche Anschauung intellectuell. Nur ist die Frage: ist eine solche Anschauung möglich, d.i. kommt sie zum Bewusstseyn? Oder wird sie bloß gedacht; also geschlossen. Z. B. das: ich bin – gelangt es zum Bewusstseyn? Ja; aber nicht zum empirischen; sondern zum reinen: u. es ist selbst das reine Bewusstseyn. Sobald man es auf irgend eine Art beweisen will, so nöthigt man es zum empirischen herab. (z. B. cogito, ergo sum. (empirice.). Sum pure: cogito, ergo sum empirice.) Aber auf welche Art willst Du denn dem, der Dir dies reine Bewusstseyn abläugnet, es beweisen? – Zu beweisen ist es, weder uns, noch irgend jemanden, durch etwas anders. Wer es nicht hat, der ist zur Philosophie verdorben. – Jetzt aber: die Anschauung des durch Spontaneität vorstellenden: kommt eine solche zum Bewusstseyn. Bin ich dieser Handlung als Handlung mir bewusst? – Keineswegs – Es giebt also keine Anschauung des spontanen Ich, u. dieses wird bloß gedacht. – Es gibt bloß eine Anschauung des empfindenden leidenden Ich. Kommt diese zum Bewusstseyn: Kommt irgend eine Anschauung zum Bewusstseyn? (ohne denken. Nein?) Sie werden also alle bloß gedacht. Es wäre demnach die Frage: ob eine Anschauung des thätigen Ich nicht denkbar wäre? Der Begriff vom thätigen Ich ist nothwendig da: aber muß denn diesem Begriffe eine Anschauung correspondiren? Ein Begriff ohne Anschauung ist leer, sagt Kant. Was folgt hieraus auf den gegenwärtigen Fall? – Aber; das Ich, als solches wird überhaupt nicht angeschaut (empirisch) sondern bloß gedacht. Es schaut an: aber wird nicht angeschaut; u. damit sey die Verwirrung zu Ende.“ Gesamtausgabe II/3, 144. In diesem frühen Stadium ist sich Fichte offensichtlich noch nicht darüber im Klaren, wie die Verwirrung um eine Anschauung einer intellektuellen Entität zu beheben ist. 38 Anders deutet H. Ryue Die Differenz zwischen „Ich bin“ und „Ich bin Ich“, in: Fichte-Studien 10 (1997) 143–156; wo gedeutet wird, dass im Satz „Ich bin Ich“ eine reflexive Identität vorliegt, die in einem dynamischen Sich-mit-sich-Identifizieren besteht. Die Dynamik ergebe sich aus einer asymmetrischen Identität zwischen dem Subjekt-Ich und dem Objekt-Ich der Tathandlung (a. a. O., 151). Die Dynamik des Sich-mit-sich-Identifizierens folge daraus, dass sich das Ich in der Tathandlung dadurch abgrenzt, dass es nicht das Nicht-Ich ist. Wenngleich diese Deutung des „Ich bin Ich“ kritisch zu beurteilen ist, so ist doch Ryues Analyse (a. a. O., 144 ff.) des „Ich bin“ als Satz vorzüglich und zeigt, dass das Ich-Prinzip Fichtes nicht in einer einfachen, präpropositionalen Intuition besteht. 39 Vgl. zur Kritik an der rationalen Psychologie, welche die reine Subjektivität/ Seele als einfache Substanz deutet: Kant Kritik der reinen Vernunft, B 399 ff.; vgl. zum Thema auch: H. Heimsoeth Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Erster Teil: Ideenlehre und Paralogismen, Berlin 1966, 71 ff. und K. Ameriks Kant’s Theory of Mind. Analysis of the Paralogisms of Pure Reason, Oxford 1982.

Anmerkungen zu S. 37–39

245

Fichte: Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, Hamburg 1978, 139. Auch J. Habermas Freiheit und Determination, in: ders. Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 2005, 155–186 wendet sich dagegen, die Person nur als biochemisch determinierte Reiz-Reaktions-Masse zu verstehen. Und argumentiert dafür, bei der Rede über Personen eine Unterscheidung der zweier Sprachebenen vorzunehmen, wobei die eine physikalisch-chemische Naturprozesse und die zweite Ebene die soziale Konstruktion der Person thematisiert; beide Sprachebenen sind nicht aufeinander zu reduzieren. Kritisch kann aber hinterfragt werden, ob Habermas mit dem Konzept einer sozialen Konstruktion des Ich bzw. der Person, die sich nur aus den reziproken Kommunikationsrollen von Sprechern, Adressaten und Beobachtern ergibt, der Freiheit gerecht werden kann; denn soziale Konstruktion benimmt der Person gerade ihre ursprüngliche Freiheit. Fichte würde sicherlich argumentieren, dass soziale Konstruktion voraussetzt, dass eine Setzung stattgefunden hat. Erst daraufhin kann sich nach Fichte die konkretisierende Bestimmung dieser Setzung in den Akten interpersonalen Miteinanders ereignen. Auch daran hätte Fichte Zweifel angemeldet, dass nach Habermas die Rollen der ersten, zweiten und dritten Person reziprok austauschbar sind, denn ein reziproker Austausch nivelliert die fundamentale und für das einzelne Ich konstitutive Differenz zwischen Ich und Du und wird auch dem alltäglichen Erleben der Ich-Du-Differenz nicht gerecht. 42 Vorzüglich und vorurteilsfrei ist die Darstellung der Probleme des Sich-Wissens des Ich bei K. Gloy Studien zur theoretischen Philosophie Kants. Würzburg 1990, darin: Die Weiterentwicklung der Theorie des Selbstbewusstseins bei Fichte, 149–176 (ähnliche Gedanken in: dies. Selbstbewusstsein als Prinzip des neuzeitlichen Selbstverständnisses. Seine Grundstruktur und seine Schwierigkeiten, in: Fichte-Studien 1 (1990) 41–72). Sie unterscheidet das Reflexions- und das Produktionsmodell des Ich. Das Reflexionsmodell macht sie bei Kant aus und legt dar, dass dieses in unlösbare Schwierigkeiten der Iteration und der Identifikation führt. So sind z. B. für das Gelingen einer Identifikation des Ich mit sich, sofern es reflexionstheoretisch verstanden wird, keine Kriterien anzugeben: Denn woher weiß das Ich, dass es gerade genau sich selbst erkannt hat, wenn es nach einem vollzogenen Akt sich auf sich als den Akteur der geistigen Leistung bezieht? Das kann es doch nur wissen, wenn es bereits vorgängig über eine Bekanntschaft mit sich verfügt. Damit wird aber für die reflexionstheoretische Erklärung von Selbstbewusstsein schon Selbstbewusstsein vorausgesetzt, was in einen (fehlerhaften) Zirkel führt, sofern diese vorauszusetzende Bekanntschaft auch wieder reflexionstheoretisch erklärt wird. Diese Probleme gelten im Übrigen auch für ein Reflexionsmodell des Ich, das sich nach Graden steigernder Komplexität in einem Stufenbau von einfachen zu immer komplexeren Formen des Sich-Wissens heraufarbeitet – wie sich dies z. B. in Schellings System des transzendentalen Idealismus und in Hegels Phänomenologie des Geistes findet. Denn auch bei einer partiellen Identifikation des Ich mit sich, muss es sich zuvor schon kennen. Hinzu kommt bei diesem Modell partieller Selbstidentifikation, das bereits bei den antiken pyrrhonischen Skeptikern thematisierte Problem, ob sich bei einer partiellen Selbstidentifikation auch nur ein Teil des Ich auf einen anderen Teil des Ich richtet oder das ganze Ich auf einen Teil und weshalb bei einer solchen asymmetrischen Relation überhaupt noch von Identität 40

41

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Anmerkung zu S. 39

gesprochen werden darf. Dabei hat eine solche Theorie partieller Selbstidentifikation auch die Schwierigkeit erklären und begründen zu müssen, wie es zu einer Teilung des Ich kommen kann. Jeweils muss in einer Reflexionstheorie des Ich, dieses schon über eine Bekanntschaft mit sich verfügen, wenn es sich in korrekter Weise, nach einem erfolgten Vollzug, auf sich als den Akteur des Aktes richten können soll. Trefflich formuliert der Fichte-Schüler Herbart Psychologie als Wissenschaft § 27 (in: ders. Sämtliche Werke. Hrsg. K. Kehrbach, Langensalza 1887 ff., Bd. V, 242 f.) das Problem: „Zuvörderst: Wer, oder Was ist das Objekt des Selbstbewusstseins? Die Antwort muss in dem Satze liegen: das Ich stellt Sich vor. Dieses Sich ist das Ich selbst. Man substituiere den Begriff des Ich, so verwandelt sich der erste Satz in folgenden: das Ich stellt vor das Sich vorstellende. Für den Ausdruck Sich wiederhole man dieselbe Substitution, so kommt heraus: das Ich stellt vor das, was vorstellt das Sich vorstellende. Hier kehrt der Ausdruck Sich von neuem zurück; es bedarf der nämlichen Substitution. Dieselbe ergibt den Satz: das Ich stellt vor das, was vorstellt das Vorstellende des Sich-Vorstellens. Erneuert man die Frage: was dieses Sich bedeute? Wer denn am Ende eigentlich der Vorgestellte sei? So kann wiederum keine andere Antwort erfolgen, als durch die Auflösung des Sich in sein Ich, und des Ich in das Sich vorstellen. Dieser Zirkel wird ins Unendliche fort durchlaufen werden, ohne Angabe des eigentlichen Objekts in der Vorstellung Ich.“ Diese Schwierigkeiten einer reflexionstheoretischen unendlichen Einschachtelung des Ich in sich hat auch Fichte bereits gesehen und – so deutet Gloy – versucht diese Schwierigkeiten, mit seiner Produktionstheorie des Ich als Tathandlung zu vermeiden. Gloy gelingt es, zu zeigen (a.a.O., 164ff.), dass analoge Probleme der Reflexionstheorie des Ich auch in Fichtes Produktionstheorie wieder auftauchen; so z. B. dass es einen Adressaten bereits geben muss, wenn sich die Tathandlung als solche wissen können soll und es kaum verständlich ist, wie ein solcher Adressat selbstbezüglichen Wissens erst durch den Akt des Sich-Wissens produziert werden soll. Die Schwierigkeit besteht darin, dass ein Produzent erst im Akt der Produktion entsteht und wie ein Produzent erst zusammen mit der Produktion entstehen kann, ist nicht einsichtig zu machen. Gloy sieht auch das Problem der Selbstreferenz, wie es die Reflexionstheorie hat, bei der Produktionstheorie des Ich wiederkehren. Darüber hinaus auch die unendliche Regressstruktur: Denn in der Produktion des Akts des Sich-Wissens muss auch wieder geltend gemacht werden, dass diese Hervorbringung von sich wissen muss und auch dieses Wissen von der Hervorbringung des Sich-Wissens muss wieder von sich wissen. Woraus die unendliche Einschachtelung des Ich der Tathandlung folgt. Problematisch an Gloys Darstellung ist, dass sie zwar das Bestehen von Selbstbewusstsein auch als konkretes Faktum zugibt, aber ebenso kritisiert, dass die bisherigen Erklärungsversuche in Aporien führen (vgl. a. a. O., 176). Dann würde es sich bei dem Selbstbewusstsein um eine Tatsache handeln, für die keine zutreffende Erklärung gefunden worden ist; auch nicht von Fichte. An Gloys produktionstheoretischer Darstellung von Fichtes Ichkonzeption als Tathandlung ist auch problematisch, dass sie relativ unspezifisch davon spricht, dass sich das absolute Ich selbst Wirklichkeit gebe. Wirklichkeit gibt nach Fichtes Darstellung im vierten Paragraphen der Grundlage aber erst das Zusammenspiel von Anschauung, Verstand und theoretischer Vernunft. Das absolute Ich gibt sich dagegen nur „Realität“, d. h. Gleichheit eines Sachverhalts mit sich.

Anmerkungen zu S. 41–44

247

Gegen die Alternative von Gloy, das Selbstbewusstsein entweder durch ein Reflexions- oder ein Produktionsmodell erfassen zu wollen, wendet sich W. Metz, Die produktive Reflexion als Prinzip des wirklichen Bewusstseins, in: Fichte-Studien 20 (2003) 69–99. Metz’ Deutung ist apologetisch und besagt, dass bei Fichte das Spezifikum des Ich darin besteht, dass dort Reflexion selbst produktiv und Produktion selbst reflexiv ist, und somit das Problem von Gloy nicht auftrete. Hiermit ist der Gedanke Fichtes zwar korrekt wiedergegeben, aber damit ist noch nicht dessen Wahrheit bewiesen. Richtig ist allerdings, dass das Phänomen reflexiven Selbstbewusstseins nicht mit der Form von Selbstbezüglichkeit und Selbstidentität des absoluten Ich gleichgesetzt werden darf; dennoch tauchen beim absoluten Ich – wie Gloy zeigt – ähnliche Schwierigkeiten auf. 43 Vgl. zu den Problemen der Kategoriendeduktion bei Fichte: W. Janke Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft. Berlin 1970, 122–144; Janke ist der Ansicht, dass es Fichte gelungen sei, die transzendentale und die metaphysische Deduktion der Kategorien in einem Beweisgang durchzuführen; was Kant nicht gelungen sei. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Fichte gerade in den Anfangsparagraphen der Grundlage einen Begriff von Kategorie hat, der von demjenigen Kants fundamental abweicht; insofern ist es zweifelhaft, hier von einer transzendentalen Deduktion im Sinne Kants zu sprechen; denn die Rechtmäßigkeit der Anwendung von reinen Begriffen auf raum-zeitliche Anschauungen – was für Kant die zu lösende Aufgabe der transzendentalen Deduktion der Kategorien ist – thematisiert Fichte dort gar nicht. Vgl. zum Thema auch: P. Baumanns Transzendentale Deduktion der Kategorien bei Kant und Fichte, in: Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluss an Kant und Fichte. R. Lauth zum 60. Geb. Hrsg. K. Hammacher u. A. Mues, Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, 42–75 und W. Metz Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991. 44 Kant Kritik der reinen Vernunft, B 128. 45 Vgl. Kant Kritik der reinen Vernunft, B 150ff. u. B 176ff. 46 Vgl. Kant Kritik der reinen Vernunft, B 135; versucht man diesen Grundsatz bei Kant zu rekonstruieren, dann könnte er lauten: „Vorstellungen gehören dann zur Einheit des Selbstbewusstseins und sind etwas für mich, wenn mannigfaltige, gegebene Vorstellungen vermittels der synthetisierenden Einheitsfunktionen der transzendentalen Apperzeption verknüpft sind“. Ähnlich argumentiert bereits C. Hanewald Apperzeption und Einbildungskraft. Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher Wissenschaftslehre. Berlin/New York 2001, 31ff. 47 Vgl. dazu D. Henrich Die Beweisstruktur von Kants transzendentaler Deduktion, in: Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln. Hrsg. G. Prauss, Köln 1983, 90–104; vgl. auch M. Baum Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur „Kritik der reinen Vernunft“, Königstein 1986, und den Sammelband: Kants transzendentale Deduktion und die Möglichkeit von Transzendentalphilosophie, Hrsg. Forum für Philosophie, Bad Homburg, Frankfurt a.M. 1988. 48 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 133f. 49 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 75.

248

Anmerkungen zu S. 45–64

50 Vgl. Fichte: Über das Verhältnis der Logik zur Philosophie oder transzendentale Logik (FW IX, 178f.). 51 Vgl. Fichte: Über das Verhältnis der Logik zur Philosophie oder transzendentale Logik (FW IX, 178f.). 52 Vgl. M. Heidegger Die Grundprobleme der Phänomenologie, in: Gesamtausgabe, Bd. 24, Hrsg. F.-W. von Herrmann, Frankfurt a.M. 1975, Bd. 24, 177ff. und 224ff. 53 Damit hat diese Kant-Deutung Fichtes einige Nähen zu derjenigen des frühen Jenaer Hegel zwischen 1800 und 1803, vgl. dazu R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. Hegel-Studien Beiheft 45, Hamburg 2001, 9ff. 54 Vgl. Descartes Meditationen, Hrsg. G. Schmidt, Stuttgart 2001, 82; zum cogitare als allgemeinen intentionalen Bewusstseinsvollzug vgl. a. a. O., 87; dort listet Descartes als Modi des cogitare der Denksubstanz auf: zweifeln, einsehen, bejahen, verneinen, wollen, nicht wollen, bildlich vorstellen, d.i. imaginieren mittels der Einbildungskraft, und empfinden. Auf das Verhältnis von Descartes und Fichte geht ein M. Gerten Wahrheit und Methode bei Descartes. Hamburg 2001; vgl. zu Descartes’ cogito-Prinzip auch: R. Schäfer Zweifel und Sein. Der Ursprung des modernen Selbstbewusstseins in Descartes’ cogito. Würzburg 2006. 55 K. L. Reinhold Über das Fundament des philosophischen Wissens. Hrsg. W. Schrader, Hamburg 1978, 78. 56 Vgl. zu dieser Reinhold-Kritik Fichtes Rezension des Aenesidemus (FW I, 8 f.). Vgl. hierzu auch D. Breazeale Fichte’s „Aenesidemus“ Review and the Transformation of German Idealism, in: Review of Metaphysics 34 (1981) 545–568. 57 Vgl. B. Spinoza: Ethica. Pars II, Propositio I, Demonstratio, Stuttgart 1977, 114. 58 Vgl. B. Spinoza: Ethica. Pars II, Propositio XI, Collarium, Stuttgart 1977, 136. 59 Vgl. B. Spinoza: Ethica. Pars I, Definitio I, Definitio III, Stuttgart 1977, 4 f. Nach Spinoza ist nur eine causa sui Substanz, weil nur diese völlig unabhängig von anderem gedacht werden kann, denn nur eine Ursache ihrer selbst setzt zu ihrer Existenz nichts anderes voraus. Alles, was nicht causa sui ist, z. B. das endliche Ich, ist damit keine Substanz im Sinne eines selbständig Existierenden, sondern Eigenschaft. 60 Vgl. S. Maimon: Streiferein im Gebiete der Philosophie, Berlin 1793, 36. 61 Vgl. F. H. Jacobi: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, neue vermehrte Ausgabe, Breslau 1789, in: Werke, Hrsg. F. Roth und F. Köppen, Leipzig 1812–1825 (Repr. Darmstadt 1968), Bd. IV/1, 63ff., 221ff. Vgl. zu Jacobi bes. B. Sandkaulen: Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000. 62 Vgl. Schelling: Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), Hrsg. T. Buchheim, Hamburg 1997, 17. 63 Aristoteles: Metaphysik, Übers. H. Bonitz, Hrsg. U. Wolf, Reinbek b. Hamburg 1994, 4/3, 1005 b. 64 Vgl. G. W. Leibniz: Monadologie und andere metaphysische Schriften, Hrsg. u. Übers. U. J. Schneider, Hamburg 2002, § 31, 123f. 65 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 133 Anm. 66 Man kann daher mit Fichte einen notwendigen und einen fehlerhaften Typus von Widerspruch unterscheiden. Ein Widerspruch muss nicht immer auf falschen Annahmen beruhen, sondern er kann sich auch notwendigerweise und völlig konsequent und folgerichtig aus korrekten Prämissen (z.B. 1. Ich = Ich und 2. Nicht-Ich

Anmerkungen zu S. 64–80

249

≠ Ich) ergeben. Das Phänomen eines notwendigen und konsequenten Widerspruchs, der sich nur differenzieren, aber nicht auflösen lässt, ergibt sich aus der Endlichkeit der menschlichen Vernunft, also nicht aus falschen Prämissen. Diese Unterscheidung eines falschen und eines notwendigen Widerspruchs ist analog zu derjenigen eines notwendigen und eines fehlerhaften Zirkels im Beweis. Einen dritten Typus von Widerspruch kann man mit Hegels Dialektik differenzieren, die einen notwendigen, denkbaren und zugleich sich auflösenden Widerspruch entwirft; vgl. dazu und zur Kritik an der sinnvollen Denkbarkeit eines solchen Widerspruchstypus R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. Hamburg 2001, 219–291, bes. 267ff. 67 Vgl. hierzu T. Rockmore: Fichte on Deduction in the Jena „Wissenschaftslehre“, in: New Essays in Fichte’s „Foundation of the Entire Doctrine of Scientific Knowledge“, ed. by D. Breazeale and T. Rockmore, New York 2001, 60–77. 68 Vgl. zum „Experiment“ auch: Fichte: Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre: Februar 1794. Nachschrift Lavater. Beilage aus Jens Baggesens Nachlass: Exzerpt aus der Abschrift von Fichtes Züricher Vorlesungen. Hrsg. E. Fuchs, Neuried 1996, 149 und 153. Auch an diesen Stellen soll jeweils der Mitphilosophierende ein Experiment mit seinem eigenen Bewusstsein anstellen. Die Problematik der experimentellen Methode kommt zum Ausdruck, wenn Fichte in den Skizzen Eigne Meditationen über ElementarPhilosophie als Randbemerkung schreibt: „Die ersten u. höchsten Facta selbst gelangen nicht zum Bewusstseyn; das höchste, was zum Bewusstseyn gelangt, ist wohl das Reinholdsche: – Die Aufgabe ist nur die, ein Experiment zu machen, woraus zum Bewusstseyn kommen muss, dass sie vorgegangen sind. – Der reflectirende Gang schliesst, u. folgert allerdings: aber daraus folgt nicht das Factum, sondern nur die nothwendige Annehmbarkeit deßselben. – Freilich wären wir eben darum nicht viel weiter, als man vorher war.“ 69 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 110f. 70 Vgl. hierzu auch J. P. Surber „Satz“ and „Urteil“ in Kant’s Critical Philosophy and Fichte’s „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“, in: New Essays in Fichte’s „Foundation of the Entire Doctrine of Scientific Knowledge“, ed. by D. Breazeale and T. Rockmore, New York 2001, 155–164. 71 Vgl. zu den geometrischen und biologischen Beispielen Fichtes Logik und Metaphysik Vorlesung, die er seit dem Wintersemester 1794/95 bis zum Frühjahr 1799 in seiner Jenaer Zeit und später auch noch als Kommentar zu Platners Philosophischen Aphorismen jedes Semester gelesen hat; in: Gesamtausgabe II/4, 154ff. 72 Vgl. Gesamtausgabe II/4, 155; zumindest angedeutet ist dies auch in der Grundlage (38/FW I, 118). 73 Vgl. Gesamtausgabe II/4, 156. 74 In dieser Weise argumentiert der Skeptiker Sextus Empiricus Grundriss der pyrrhonischen Skepsis. Eingel. u. übers. von M. Hossefelder, Frankfurt a.M. 1985, 130ff. 75 Vgl. Gesamtausgabe II/4, 182. 76 Vgl. hierzu V. Waibel: Hölderlin und Fichte. 1794–1800. Paderborn, München etc. 2000, 140 ff. Waibel arbeitet heraus, dass es wohl tatsächlich die Logik und Metaphysik Vorlesung war, die Hölderlin u. a. bei Fichte in Jena hörte, und sie macht zu Recht auf die Unterschiede zwischen Fichte und Hölderlin aufmerksam; während Fichte die generelle (logische) Struktur von Urteilen untersucht, gilt das

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Anmerkungen zu S. 80–82

Interesse Hölderlins nur dem spezifischen Fall des Ich=Ich-Urteils und „der Instanz der Begründung aller Urteile“ (a. a. O., 142). Vgl. hierzu auch D. Henrich Der Grund im Bewusstsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794–1795), Stuttgart-Bad Cannstatt 1992, 798. Zu diesem Thema vgl. auch als besonders instruktiv C. Iber Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Frankfurt a. M. 1999, 82–100. 77 F. Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 4, Stuttgart 1962, Hrsg. F. Beißner, 226. 78 Vgl. F. Hölderlin, Sämtliche Werke, Bd. 4, Stuttgart 1962, Hrsg. F. Beißner, 227. 79 J.-P. Sartre: Die Transzendenz des Ego. Philosophische Essays 1931–1939, Reinbek b. Hamburg 1997, 70. 80 Vgl. J.-P. Sartre: Die Transzendenz des Ego. Philosophische Essays 1931–1939, Reinbek b. Hamburg 1997, 39ff. 81 Vgl. hierzu: H. G. Flickinger: Die Struktur der Subjektivität bei Sartre, in: ders. Reflexion und Darstellung. Bern 1975, 28–43; A. Gurwitsch A non-egological conception of consciousness, in: Philosophy and Phenomenological Research 1 (1940/41) 325–338 und auch: M. Herpers Die ganzheitliche Struktur des Fürsichseins. Ein Beitrag zur Untersuchung des ontologischen Subjektbegriffs J.-P. Sartres. (Diss.) Bonn 1965. Vgl. zum Thema auch: D. Breazeale: Vom Idealismus zum Existentialismus Direttissima: Fichte/Sartre, in: Fichte-Studien 22 (2003) 171–192 und D. Wildenburg: Ist der Existentialismus ein kritischer Idealismus? Fichte und Sartre – Versuch einer Annäherung, in: Fichte-Studien 22 (2003) 193–208. 82 Die Äußerung Kants, auf die Fichte anspielt, findet sich: Kritik der reinen Vernunft, B 10ff. u. B 314. 83 Nach Fichtes Über das Verhältnis der Logik zur Philosophie oder transcendentale Logik (1812), (FW IX, 330f.), setzen sich Begriff, Urteil und Schluss wechselseitig voraus: „Alles wirkliche Denken ist diese synthetische Einheit, darum ein Syllogismus. Es ist kein Begriff ohne Urtheil und Schluss, denn der Begriff ist nur im Begreifen, darum im Urtheilen, alles Urtheilen aber geht einher nach einem Gesetze, und ist darum ein Schließen aus dem Gesetze, ein Anwenden desselben auf den vorliegenden Fall. So ist umgekehrt auch kein Urtheil ohne Begriff, denn es ist ein Begreifen, dessen Weise eben Begriff genannt wird. Dass Urtheil nicht ohne Schluss ist, ist schon im ersten Gliede gesagt. So ist auch keine intellektuelle Anschauung eines Gesetzes, als das Wesentliche des Schlusses ohne Begriff und Urtheil: denn, wie gezeigt worden, die intellectuelle Anschauung ist nicht ohne die faktische, den minor, die faktische nicht ohne die intellectuelle, den maior; beide sind wieder synthetisch vereint in der Subsumtion. Die faktische Anschauung ist eben das Dasein der intellectuellen für sich selbst […] Keine Vorstellung irgend eines Etwas ist darum ohne die intellectuelle Anschauung des Ich, und die Subsumtion dieser Vorstellung unter das Ich, als Zustand desselben. Also was Eines der Dreie sei, lässt sich nur begreifen, indem alle drei begriffen werden, und aus der Einheit derselben; denn sie werden nicht so willkürlich aneinandergesetzt, sondern sie sind ursprünglich in organischer Einheit verschmolzen.“ Eine detaillierte Deduktion der einzelnen Urteilsformen und der Schlussfiguren auseinander leistet Fichte dort ebenfalls (vgl. FW IX, 367 ff.). Damit verfolgt er ein ähnliches Programm hinsichtlich einer systematischen Her- und Ableitung von Urteils- und Schlussfiguren auseinander wie dies kurz darauf auch Hegel in der „Lehre vom Begriff“ aus der Wissenschaft der Logik anvisiert; allerdings ohne Hegels Anspruch,

Anmerkungen zu S. 85–93

251

durch die Herleitung der formalen und endlichen Urteils- und Schlussbestimmungen auseinander, zugleich das endliche Denken zu überwinden und mittels eines Verstoßes gegen den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch ein spekulativ-dialektisch-unendliches Denken zu explizieren. In dieser Hinsicht bleibt Fichte dem endlichen Denken verbunden, das den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch anerkennt. 84 Vgl. zur Methode der frühen Wissenschaftslehre von Fichte: J. Stahl System und Methode. Zur methodologischen Begründung transzendentalen Philosophierens in Fichtes „Begriffsschrift“, in: Fichte-Studien 10 (1997) 99–113; Stahl betont zu Recht, dass Fichte nicht mehr dem frühneuzeitlichen axiomatischen Methodenideal der Mathematik für die Wissenschaftslehre folgt, sondern in methodischer Strenge einer Transzendentalphilosophie Systembegründung und Systemkonstruktion einander wechselseitig bedingen. 85 E. Tugendhat: Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen, 5. Aufl., Frankfurt a.M. 1993, 56ff., vertritt die Auffassung, dass das Wissen des Ich von sich – wie es die „Fichtianer“ entwerfen – widersprüchlich sei. Nach Tugendhat ist Wissen immer propositional. Das Ich = Ich der „Fichtianer“ sei nicht propositional, ergo kann es kein Wissen sein. Die Deutung des „Ich bin Ich“ als nichtpropositionales Wissen entnimmt Tugendhat der Darstellung von Fichte in dem Aufsatz von D. Henrich Fichtes ursprüngliche Einsicht, in: Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für W. Cramer, Hrsg. D. Henrich und H. Wagner, Frankfurt a. M. 1966, 188–232. Fichtes eigene Theorie des „Ich bin Ich“ als thetisches Urteil widerlegt jedoch gleichfalls die fehlerhafte Deutung von Henrich und den Einwand Tugendhats. Vgl. zum Thema auch C. Iber Kritische Bemerkungen zu Tugendhats Fichtekritik, in: Fichte-Studien 22 (2003) 209–221. Iber argumentiert, dass in Fichtes IchKonzeption die Identifizierbarkeit von außen keine Rolle spielt, die ist nach Tugendhat aber zur Identitätsbestimmung einer Entität wesentlich. Die Identifizierbarkeit spielt nach Iber keine Rolle beim Ich, weil dies eine Bestimmungsform ist, die spezifisch raum-zeitlichen Körpern zu eigen ist und demgegenüber habe die Selbstbezüglichkeit beim Ich einen Vorrang vor der Identität (a.a.O., 219). Dagegen ist jedoch zu sagen, dass der erste Paragraph der Grundlage zeigt, dass für Fichte die Identität des Ich gleichursprünglich mit dessen Selbstbezüglichkeit ist; ohne Identität keine Selbstbezüglichkeit und ohne Selbstbezüglichkeit keine Identität des Ich. 86 Der berühmte Atheismusvorwurf gegen Fichte entzündete sich genau in diesem gedanklichen Kontext und zwar an folgender Äußerung: „Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines anderen Gottes, und können keinen anderen fassen“ (Fichte: Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung, 1798; FW V, 186). Dieser Gedanke der Immanenz Gottes in der moralischen Ordnung stellt eine konsequente Weiterführung der Ethikotheologie Kants dar, die Gott als ein Postulat der praktischen Philosophie denkt, das notwendigerweise eingefordert wird, um die vollständige Realisierbarkeit des kategorischen Imperativs denken zu können. Fichte führt dies offensichtlich dahin gehend weiter, dass Gott nicht als ein substantielles Wesen jenseits der moralischen Ordnung zu bestimmen ist, sondern als immanentes, dem endlichen Ich stets vorzuhaltendes Ideal in dieser mitenthalten zu konzipieren ist. „Moralität und Religion sind absolut Eins; beides ein Ergreifen des Uebersinnlichen, das erste durch Thun,

252

Anmerkungen zu S. 94–95

das zweite durch Glauben“ (Fichte: Apellation an das Publikum gegen die Anklage des Atheismus, 1799; FW V, 209). Durch diese Konsequenz geht Fichte auch über die Postulatenlehre Kants hinaus. Vgl. zum Thema J. Stolzenberg: Zu Fichtes Begründung einer Theorie der Religion um 1800, in: Fichtes Entlassung. Der Atheismusstreit vor 200 Jahren. Hrsg. K.-M. Kodalle u. M. Ohst, Würzburg 2000, 49–59. 87 Vgl. hierzu und zum Folgenden Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 97 f. 88 Nach Kant ist das Ideal „die Idee, nicht bloß in concreto, sondern in individuo, d.i. als ein einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares oder gar bestimmtes Ding“ (Kritik der reinen Vernunft, B 596). Im Ideal ist ein einzelnes Wesen vorgestellt, das der Idee adäquat ist (vgl. Kritik der Urteilskraft, § 17). Hinsichtlich des Ideals kann man mit Kant zwischen einem ästhetischen Ideal und einem transzendentalen Ideal der reinen Vernunft unterscheiden. Der Vorstellungsinhalt des letzteren ist eigentlich Gott als das allerrealste Wesen, das eine regulative Idee für uns bildet, in der die absolute Totalität in der Synthesis der positiven Bedingungen aller möglichen Dinge überhaupt gedacht wird; sofern das transzendentale Ideal als „allgenugsame“ und „notwendige“ Ursache für die umfassende synthetische Einheit aller Erscheinungen fungiert, kann sie selbst nicht Gegenstand oder Erscheinung werden. Das ästhetische Ideal lässt sich dagegen empirisch realisieren und kann erscheinen. Es beruht zwar auf der in sich „unbestimmten Idee der Vernunft von einem Maximum, aber [es kann; Einf. R. S.] doch nicht durch Begriffe, sondern nur in einzelner Darstellung […] vorgestellt werden“ (Kritik der Urteilskraft, § 17); das ästhetische Ideal ist durch die Einbildungskraft konkret erlebbar, aber nicht begrifflich fixierbar, dies würde das Spiel der Einbildungskraft aufheben und damit den ästhetischen Vollzug zerstören. Im ästhetischen Ideal wird eine spezifische, sinnliche Form als durch eine Vernunftidee bewirkt vorgestellt und dem Sittlichen wird sinnlicher und symbolischer Ausdruck verliehen (vgl. a.a.O.). 89 Brief Schillers an Körner vom 25. Oktober 1794; in: Schiller: Werke und Briefe, 12 Bde., Frankfurt a.M. 2002, Bd. 11, Briefe 1772–1795, Hrsg. G. Kurscheidt, 747. 90 Nach D. Henrich Der Begriff der Schönheit in Schillers Ästhetik, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 11 (1957) 527–547, ist es die widersprüchliche Zweideutigkeit in Schillers Begriff des Ideals als einerseits rein intelligibler Vernunftbestimmung und andererseits empirischer Realisation einer Idee, die Schillers Ästhetik scheitern läßt (vgl. a.a.O. bes. 547). Man kann diese Zweideutigkeit natürlich auch als Stärke der Ästhetik Schillers deuten, sofern in der Schönheit als sinnlicher Erscheinung der intelligiblen Freiheit der Kantische Dualismus von sinnlicher und intelligibler Welt überwunden werden soll. Hegel lobt Schillers Entwurf emphatisch in seiner eigenen Ästhetik als „Ineinsbildung“ der unendlich Entgegengesetzten Sinnlichkeit und Idee und sieht darin Ansätze zu seinem eigenen spekulativen Idealismus, wenn er das Schöne als sinnliches Scheinen des Absoluten denkt; vgl. Hegel Vorlesungen über die Ästhetik I, in: ders. Werke, Hrsg. E. Moldenhauer u. K. M. Michel, Frankfurt a. M. 1971, Bd. 13, 91. Vgl. zum Thema auch M. Heinz: Schönheit als Bedingung der Menschheit: Ästhetik und Anthropologie in Schillers ästhetischen Briefen, in: Transzendenz und Existenz. Idealistische Grundlagen und moderne Perspektiven des transzendentalen Gedankens. Hrsg. M. Baum u. K. Hammacher, Festschr. f. W. Janke zum 70. Geb., Amsterdam, Atlanta 2001, 121–135 und I. Radrizzani: Von der Ästhetik der Urteilskraft zur Ästhetik der Einbil-

Anmerkungen zu S. 95–99

253

dungskraft, oder von der kopernikanischen Revolution der Ästhetik bei Fichte, in: Der transzendental-philosophische Zugang zur Wirklichkeit, Hrsg. E. Fuchs/ M. Ivaldo/G. Moretto, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, 341–359. 91 Vgl. hierzu: I. Schüssler: Die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus in Fichtes Wissenschaftslehre. Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre 1794/5, Zweite Darstellung der Wissenschaftslehre 1805. Frankfurt a. M. 1972, bes. 11–85; vgl. auch W. Flach: Fichte über Kritizismus und Dogmatismus, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 18 (1964) 585–596; vgl. auch H. Heimsoeth: Fichte. München 1923, 70–104 und L. Pareyson: Die Wahl der Philosophie nach Fichte, in: Epimeleia. Die Sorge um den Menschen. Festschrift für H. Kuhn, Hrsg. F. Wiedmann, München 1964, 30–60; vgl. auch D. Breazeale: How to make an Idealist: Fichte’s „Refutation of Dogmatism“ and the Problem of the starting Point of the „Wissenschaftslehre“, in: Philosophical Forum XIX (1987/88) 97–123 und J. Römelt: „Merke auf dich selbst.“ Das Verhältnis des Philosophen zu seinem Gegenstand nach dem „Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797/98)“, in: Fichte-Studien 1 (1990) 73–98; vgl. auch R. Schäfer: Transzendental-kritischer und metaphysischer Idealismus in den frühen Konzeptionen Fichtes und Schellings, in: Aufklärungen. Festschrift für K. Düsing. Hrsg. K. Engelhard, Berlin 2002, 91–112. 92 Vgl. Sextus Empiricus: Grundriss der pyrrhonischen Skepsis. Eingel. u. übers. von M. Hossefelder, Frankfurt a. M. 1985, 130 ff. Zum Thema auch: J. Barnes: The beliefs of a Pyrrhonist, in: Elenchos 4 (1983) 5–43; W. Bröcker: Die Tropen der Skeptiker, in: Hermes 86 (1956) 497–499; M. Burnyeat (Hrsg.): The Skeptical Tradition. Berkeley/Los Angeles 1983 und P. Woodruff: Aporetic Pyrrhonism, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy 6 (1988) 139–168. 93 Vgl. Leibniz: Monadologie und andere metaphysische Schriften, Hrsg. u. Übers. U. J. Schneider, Hamburg 2002, §§ 32 ff.; 125. Auf Leibniz’ Konzept des Satzes vom Grund spielt Fichte wohl an, wenn er sagt, dass der Dogmatismus „nach seinem eigenen Grundsatze“, nichts ohne Grund anzunehmen zu verfahren hat. 94 In ähnlichem Sinne wirft bereits Kant Kritik der reinen Vernunft B 795 f. dem Skeptizismus Humes vor: „Die skeptischen Verirrungen aber dieses sonst äußerst scharfsinnigen Mannes entsprangen vornehmlich aus einem Mangel, den er doch mit allen Dogmatikern gemein hatte, nämlich, dass er nicht alle Arten der Synthesis des Verstandes a priori systematisch übersah. […] Da er aber unseren Verstand nur einschränkt, ohne ihn zu begrenzen, und zwar ein allgemeines Misstrauen, aber keine bestimmte Kenntnis der uns unvermeidlichen Unwissenheit zustande bringt, da er einige Grundsätze des Verstandes unter Zensur bringt, ohne diesen Verstand auf die Probierwage der Kritik zu bringen, und, indem er ihm dasjenige abspricht, was er wirklich nicht leisten kann, weiter geht, und ihm alles Vermögen, sich a priori zu erweitern, bestreitet, unerachtet er dieses ganze Vermögen nicht zur Schätzung gezogen; so widerfährt ihm das, was jederzeit den Skeptizismus niederschlägt, nämlich, dass er selbst bezweifelt wird, indem seine Einwürfe nur auf Faktis, welche zufällig sind, nicht aber auf Prinzipien beruhen, die eine notwendige Entsagung auf das Recht dogmatischer Behauptungen bewirken könnten.“ 95 Vgl. R. Fumerton: Metaepistemology and Skepticism, Nebraska 1995; R. Nozick: Skeptizismus, in: Analytische Philosophie der Erkenntnis, Hrsg. P. Bieri, Meisenheim 1997, 332–349; B. Stroud: Das Problem der Außenwelt, in: Philosophie der

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Anmerkungen zu S. 99–111

Skepsis, Hrsg. T. Grundmann u. K. Stüber, Paderborn, München etc. 1996, 77–104 und ders.: Contemporary Pyrrhonism, in: Pyrrhonian Skepticism. (Hrsg.) W. Sinnott-Armstrong, Oxford, New York 2004, 174–187; Michael Williams: Problems of Knowledge, Oxford 2001 und ders.: Unnatural Doubts: Epistemological Realism and the Basis of Skepticism, Princeton 1996. 96 Vgl. R. J. Fogelin: Pyrrhonian Reflections on Knowledge and Justification, Oxford 1994; ähnlich auch in ders.: The Skeptics Are Coming ! The Skeptics Are Coming, in: Pyrrhonian Skepticism. (Hrsg.) W. Sinnott-Armstrong, Oxford, New York 2004, 161–173. 97 Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, Vorwort, AA IV, 260. 98 Ein weiterer skeptischer Einwand gegen die Konsistenz einer Philosophie ist derjenige der Diallele, also der Vorwurf des Zirkelschlusses, bei dem ein Begründetes selbst zu seiner eigenen Begründung wieder vorausgesetzt wird; vgl. Sextus Empiricus: Grundriss der pyrrhonischen Skepsis. Eingel. u. übers. von M. Hossefelder, Frankfurt a. M. 1985, 130 ff. Diese drei Einwände (unendlicher Regress, unbegründete Voraussetzung und Diallele) machen zusammen das sogenannte „Münchhausen-Trilemma“ (vgl. Hans Albert: Traktat über kritische Vernunft, 2. Aufl., Tübingen 1969, 15 ff.) aus. Da der kritisch-praktische Idealismus Fichtes das endliche Ich durch das absolute Ich begründet, ist hier eine Diallele ausgeschlossen, denn eine solche würde voraussetzen, dass das endliche Ich selbst einerseits Begründetes und Begründendes ist. Daher entgeht der praktisch-kritische Idealismus Fichtes in dieser Hinsicht dem Problem des „Münchhausen-Trilemmas“. Betrachtet man immanent die Selbstsetzung des absoluten Ich, liegt die Schwierigkeit einer Diallele schon nahe, denn das absolute Ich ist in seinem Freiheitsakt sowohl Grund als auch Begründetes. Fichte würde hierzu wohl sagen, dass dies genau die Struktur von Freiheit ist und man mit Leugnung der Möglichkeit einer solchen Selbstsetzung bei der Setzendes und Gesetztes identisch sind, gleichfalls nicht nur die Einheit des Bewusstseins, sondern auch die Freiheit leugnet. Da es aber Freiheit gibt – zumindest für den, der sie vollzieht –, muss hinsichtlich eines absoluten Ich eine solche Selbstsetzungsstruktur angenommen werden. Damit würde Fichte natürlich nicht jede Diallele rechtfertigen, sondern nur eine spezifische Struktur in der Selbstsetzung des absoluten Ich, die nicht in einem fehlerhaften Zirkel besteht, wie dies bei einer Diallele der Fall ist, sondern in einer selbstbezüglichen Handlung. 99 Vgl. zur Wahrheit im deutschen Idealismus im Allgemeinen und bei Fichte im Besonderen: Rainer Schäfer: Das holistisch-systemische Wahrheitskonzept im deutschen Idealismus: Fichte bis Hegel, in: Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit, Hrsg. M. Enders/J. Szaif, Berlin, New York 2006, 251–273. 100 Vgl. zur Theorie der Selbstaffektion und der transzendental-produktiven Einbildungskraft in der 2. Auflage, Kant Kritik der reinen Vernunft B 150 ff. Vgl. hierzu auch M. Heidegger: Der Deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart. Vorlesung vom Sommersemester 1929. Gesamtausgabe, Abt. II, Bd. 28, Hrsg. C. Strube, Frankfurt a. M., 1997, § 19 b, 200. Heideggers Deutung der produktiven Einbildungskraft bei Kant geht dabei von einer spezifischen Interpretation der Lehre Kants in der 1. Auflage der Kritik der reinen Vernunft aus. In der 2. Auflage sei Kant vor seiner grundlegenden Einsicht in die Subjekt-Objekt-Einheit und in die Rezeptivitäts-Spontaneitäts-Einheit der pro-

Anmerkungen zu S. 112–127

255

duktiven Einbildungskraft „zurückgewichen“, die er in der 1. Auflage konzipierte. Vgl. hierzu auch Heidegger: Kant und das Problem der Metaphysik. Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 3, Hrsg. F.-W. von Herrmann, Frankfurt a. M. 1991, § 31, 160. Ob es sich bei Kant um ein „Zurückweichen“ vor grundlegenden Einsichten handelt, kann allerdings bezweifelt werden. Die Änderung der Rolle der Einbildungskraft zwischen 1. und 2. Auflage der Kritik der reinen Vernunft basiert wohl eher darauf, dass Kant den Unterschied zwischen Rezeptivität und Spontaneität noch deutlicher sieht und klarer hervorheben will. Dies betont auch schon E. Cassirer: Kant und das Problem der Metaphysik. Bemerkungen zu Martin Heideggers Kant-Interpretation, in: Kant-Studien 36 (1931) 1–26. Zu dem Verhältnis von reiner Subjektivität und Einbildungskraft bei Kant und Fichte vgl. die besonders instruktive Abhandlung von C. Hanewald: Apperzeption und Einbildungskraft. Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher Wissenschaftslehre. Berlin, New York 2001, 104–194. 101 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft B 106. 102 Vgl. hierzu C. Klotz: Der Ichbegriff in Fichtes Erörterung der Substantialität, in: Fichte-Studien 10 (1997) 157–173; dieser berücksichtigt auch den historischen Kontext des Substanzbegriffs bei Wolff, Kant und Maimon und sieht zu Recht das zentrale Problem, das Fichte mit der Bestimmung der Substanz in der Grundlage zu lösen sucht in Folgendem: „Was ist dafür erforderlich, sich eine bestimmte Tätigkeit als eine bestimmte zuzuschreiben – was erfordert der Gedanke der Bestimmtheit eigener Tätigkeit?“ 103 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft B 131f. 104 Vgl. hierzu die differenzierte und perspektivenreiche Darstellung von D. Fonfara: Die Ousia-Lehren des Aristoteles. Untersuchungen zur „Kategorienschrift“ und zur „Metaphysik“. Berlin, New York 2003. 105 Vgl. P. F. Strawson: Einzelding und logisches Subjekt (Individuals). Ein Beitrag zur deskriptiven Metaphysik. Stuttgart 1972. 106 Vgl. Leibniz: Metaphysische Abhandlung §§ 11f., in: ders.: Monadologie und andere metaphysische Schriften, Hrsg. u. Übers. U.J. Schneider, Hamburg 2002, 27 f. und auch in ders. Monadologie §§ 1 ff., a. a. O., 111; vgl. dazu auch ders.: Unterhaltung zwischen Philarete und Ariste, in: ders. Philosophische Schriften, Bd. 1, Hrsg. H. H. Holz, Frankfurt a.M. 2000, 343ff., wo Leibniz begründet, dass Körper, aufgrund der unendlichen Teilbarkeit und der abhängigen Seinsweise nicht als Substanzen, sondern bloß als wohlfundierte Phänomene zu bestimmen sind. Der Körper ist ein Aggregat, „eine Ansammlung wie eine Herde“ (a. a. O., 343), die ausschließlich als Perzeption im Geist erscheint. Insofern kommt dem Körper in doppelter Hinsicht eine bloß abhängige Seinsweise zu, denn einerseits sind die Teile untereinander abhängig und andererseits gibt es den Körper als einheitlich zusammengesetzen nur in der Repräsentation des Geistes. Es ist nach Leibniz nämlich eine Leistung der Einbildungskraft das bündelhafte Aggregat zu einem einheitlichen Körper zu verbinden. Wenn die Seele einen Körper wahrnimmt, dann ist dies eine bloß indirekte Vorstellung, denn eigentlich nimmt die Seele eine Modifikation ihrer selbst wahr, da Ausgedehntes keinen determinierenden Einfluss auf den Geist haben kann. 107 Vgl. A. Gurwitsch Leibniz: Philosophie des Panlogismus. Berlin 1974. 108 Zu diesem Thema vgl. Dorothee Schäfer: Die Rolle der Einbildungskraft in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Köln 1967; die textnah versucht – auch

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Anmerkungen zu S. 128–145

mittels zahlreicher Schemabilder – die schwierige Struktur der Synthesis E zu entwirren; zum Thema auch M. Gueroult: L’évolution et la structure de la doctrine de la science chez Fichte. Bd. 1, Paris 1930, 220ff. 109 Vgl. zum Thema G. Wallwitz: Fichte und das Problem des intelligiblen Fatalismus, in: Fichte-Studien 15 (1999) 121–145. 110 Sehr treffend bezeichnet U. Claesges: Geschichte des Selbstbewusstseins. Der Ursprung des spekulativen Problems in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794–95. Den Haag 1974, 91, diese Art Fichtes, reine Handlungen des Ich auf den Begriff der Einbildungskraft zu bringen als „Institutionalisierung“. 111 Vgl. Hölderlin: Das Werden im Vergehen, in: Sämtliche Werke, Bd. 4, Stuttgart 1962, Hrsg. F. Beißner, 294–299. 112 Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik. Lehre vom Wesen, in: ders. Werke, Hrsg. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt a.M. 1986, Bd. 6, 17ff. u. bes. 35ff.; vgl. zu diesem Thema auch die vorzügliche Studie von C. Iber Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik. Berlin, New York 1990. 113 Vgl. E. Husserl: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, 2. Aufl., Tübingen 1980, §§ 7 ff. Husserl wendet sich (a. a. O., § 19) allerdings dagegen, eine Entstehung der Zeit durch die Phantasie zu entwerfen, da nach Husserl – im Unterschied zu Fichte – die Phantasie/Einbildungskraft ein ausschließlich der Repräsentation dienendes Vermögen ist. Repräsentation versteht Husserl dabei im wörtlichen Sinn von Vergegenwärtigung und Wiedervergegenwärtigung, weshalb er eine Verwandtschaft der Phantasie mit der Erinnerung sieht. Der Phantasie fehlt nach Husserl auch die Fähigkeit zur Objektivität und zu einer originären Selbstgebung. Husserl wendet sich mit dieser Ablehnung einer Rolle der Phantasie für die Entstehung der Zeit insbesondere gegen Brentano (vgl. a. a. O., §§ 3 ff.). Einige Ähnlichkeit mit Fichtes Theorie der Zeitentstehung besteht dennoch in Husserls Entwurf des Zeitbewusstseins, das in einem stetigen Ablaufs- und Abschattungskontinuum von Retention, Protention und Impression seine zentrale Bestimmung hat. Denn Husserl beschreibt für die Erfülltheit der Urimpression/Quellpunkt auch Phänomene, wie die Mitpräsenz eines zeitlich absinkenden Datums in der augenblicklichen Gegenwart, woraus sich die Kontinuität der Zeit bildet (bei dem Hören einer Melodie z. B. müssen auch die jeweils schon vorangegangenen Töne im jetzt gegenwärtigen Ton retentional herabsinkend mitpräsent sein, sonst hätten wir am Ende der Melodie nicht die Wahrnehmung einer einheitlichen Melodie, sondern nur separierte Einzeltöne). Ein derartiges Festhalten der Vergangenheit in der Gegenwart würde Fichte als Leistung der Einbildungskraft deuten, die in den Entgegengesetzten Gegenwart und (retentionale) Vergangenheit eine „Ineinsbildung“ leistet. Vgl. auch Husserls: Cartesianische Meditationen §§ 18, 37, 46; in dem zuletzt genannten § bezeichnet Husserl den Ichpol im Erlebnisstrom des Bewusstseins als „lebendige Gegenwart“ – einer solchen Charakterisierung hätte Fichte sicherlich zugestimmt. 114 Vgl. Hegel: Glauben und Wissen (1803), in: ders. Werke, Hrsg. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Frankfurt a. M. 1986, Bd. 2, 393 ff. und auch ders.: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, in: a. a. O., Bd. 20, 388 ff., ähnlich auch: Enzyklopädie, § 415 Anm. 115 Vgl. C. J. Kinlaw: Imagination and Time in Fichte’s „Grundlage“, in: New Es-

Anmerkungen zu S. 147–158

257

says in Fichte’s „Foundation of the Entire Doctrine of Scientific Knowledge“, ed. by D. Breazeale and T. Rockmore, New York 2001, 122–137 und auch W. Metz: Fichtes genetische Deduktion von Raum und Zeit in Differenz zu Kant, in: FichteStudien 6 (1994) 71–94. 116 Vgl. J.-P. Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, in: ders. Philosophische Schriften Bd. 3, Hrsg. T. König, Reinbek b. Hamburg 1995, 37ff. 117 Vgl. hierzu H. Girndt: Zu J. G. Fichtes und G. H. Meads Theorie der Interpersonalität, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hrsg. K. Hammacher, Hamburg 1981, 373–387. 118 Vgl. Fichte: Grundlage des Naturrechts, §§ 3–7 (FW III, 30–91). Zum Thema vgl.: Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis. Hrsg. M. Kahlo, E. A. Wolff, R. Zaczyk, Frankfurt a. M. 1992, vgl. auch A. Honneth: Die transzendentale Notwendigkeit von Intersubjektivität, in: Klassiker Auslegen, Johann Gottlieb Fichte: Grundlage des Naturrechts, Hrsg. J.-C. Merle, Berlin 2001, 63–80; vgl. auch G. Zöller: Leib, Materie und gemeinsames Wollen als Anwendungsbedingungen des Rechts, a. a. O., 97–111. 119 Vgl. z. B. E. Tugendhat: Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen, 5. Aufl. Frankfurt a.M. 1993, 92ff. 120 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft B 103: „Die Synthesis überhaupt ist, wie wir künftig sehen werden, die bloße Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewusst sind.“ 121 Vgl. dazu A.K. Soller: Fichtes Lehre vom Anstoß, Nicht-Ich und Ding an sich in der GWL. Eine kritische Erörterung, in: Fichte-Studien 10 (1997) 175–189; der – im Gefolge von P.-P. Druet L’„Anstoß“ fichtéen: essai d’élucidation d’une métaphore, in: Revue Philosophique de Louvain (1972) 384–392 – darauf aufmerksam macht, dass sich Fichte mit den Termini „Anstoß“, „zentrifugale und zentripetale Kraft“ und dem häufig auftauchenden Beispiel einer (mitunter: elastischen) Kugel einer Metaphorik bedient, die aus dem naturwissenschaftlichen Bereich der rationalen Mechanik stammt. Vgl. auch H. Eidam: Fichtes Anstoß. Anmerkungen zu einem Begriff der „Wissenschaftslehre“ von 1794, in: Fichte-Studien 10 (1997) 191–208. 122 Vgl. zum Thema auch: Dorothee Schäfer: Die Rolle der Einbildungskraft in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794/95. Köln 1967; W. Metz: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991; D. Köhler: Die Einbildungskraft und das Schematismusproblem. Kant – Fichte – Heidegger, in: Fichte-Studien 13 (1997) 19–34 und C. de Pascale: Das Problem der Vereinigung: Intellektuelle Anschauung und produktive Einbildungskraft, in: Der Grundansatz der ersten Wissenschaftslehre Johann Gottlieb Fichtes. Hrsg. E. Fuchs u. I. Radrizzani, Neuried 1996, 193–204; vgl. auch A. Philonenko: Über die schöpferische Einbildungskraft bei Fichte, a. a.O., 158–177. 123 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft B 67 u. bes. B 183 ff., B 219, B 225 f., B 262. Nach Kant ist die Beharrlichkeit einer der grundlegenden Modi der Zeit neben Sukzession und Simultaneität. Sukzession und Simultaneität setzen in gewissem Sinn Beharrlichkeit voraus, da sich alles Werden in der Zeit abspielt und die Zeit selbst daher nicht als werdend und vergehend vorstellbar ist. Womit die Zeit

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Anmerkungen zu S. 163–175

nicht zur reinen Beharrlichkeit still gestellt werden soll, da zu berücksichtigen ist, dass der sukzessive Fluss der Zeit ebenfalls einen Grundcharakter der Zeitstruktur bildet. Vgl. zu diesem Thema K. Gloy: Studien zur theoretischen Philosophie Kants, darin: Kants Theorie der Zeit, Würzburg 1990, 42–81. 124 Wenn Fichte hier die Wissenschaftslehre mit der pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes identifiziert, dann spricht das gegen die Deutung von A. Schmidt: Der Grund des Wissens. Fichtes Wissenschaftslehre in den Versionen von 1794/95, 1804/II und 1812. Paderborn 2004, 52 Anm., der die Abfolge der verschiedenen Geistesformen als „Reihe von Fehlversuchen [die; Einf. R. S.] schließlich zum adäquaten Selbstbewusstsein findet“ deutet. Die einzelnen Vermögen – wie Anschauung, Verstand, Urteilskraft etc. – sind vielmehr für Fichte organische und notwendige Elemente im Gesamtkomplex des menschlichen Geistes. 125 Vgl. dazu O. Pöggeler: Die Komposition der Phänomenologie des Geistes, in: Materialien zu Hegels „Phänomenologie des Geistes“, Hrsg. H. F. Fulda u. D. Henrich, 5. Aufl. Frankfurt a.M. 1992, 329–390. 126 Kant hat mit einer ähnlichen Sinngebung von Pragmatik eine Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798) (vgl. AA VII, Vorr., III ff.) verfasst. Kant versteht Pragmatik als eine im konkreten Leben Anwendung finden könnende Lehre dessen, was der Mensch aus sich machen kann und sollte. Dabei handelt es sich aber nur um eine Lehre von hypothetischen Imperativen, im Unterschied zur moralischen Praxis im engeren Sinne, die den kategorischen Imperativ zum Prinzip hat. Die hypothetischen Imperative der Pragmatik behandeln bei Kant nur relative Zwecke, also keine (sittlichen) Endzwecke. 127 Vgl. J. Patočka: Die natürliche Welt als philosophisches Problem. Stuttgart 1990. 128 Vgl. Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, §§ 27–51, 55, Tübingen 1980, 48–96, 106–108. 129 Vgl. dazu U. Claesges: Geschichte des Selbstbewusstseins. Der Ursprung des spekulativen Problems in Fichtes Wissenschaftslehre von 1794–95. Den Haag 1974, 91ff. 130 Vgl. S. Maimon: Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens. Nebst angehängten Briefen des Philaletes an Aenesidemus. Berlin 1794, XXXV ff. 131 Vgl. hierzu S. Hoeltzel: Fichte’s Deduction of Representation in the 1794–95 „Grundlage“, in: New Essays in Fichte’s „Foundation of the Entire Doctrine of Scientific Knowledge“, ed. by D. Breazeale and T. Rockmore, New York 2001, 39–59. 132 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft B 134 Anm. 133 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft B 131f. 134 Hier liegt wieder eine sehr große Nähe zur Konzeption des „nicht-setzenden Bewusstseins“ bei Sartre vor, wenn dieser sagt: „Jedes Objekt setzende Bewusstsein ist notwendigerweise nicht-setzendes Bewusstsein von sich.“ J.-P. Sartre: Selbstbewusstsein und Selbsterkenntnis; in: ders.: Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays 1943–1948, Philosophische Schriften Bd. 4, Reinbek b. Hamburg 2000, 268. Sartre meint damit, dass bei jedem Bewusstseinsakt, der sich intentional auf einen spezifischen Inhalt richtet, zugleich, wie ein unbemerkter Komplize, ein begleitendes, nicht explizit gesetztes Bewusstsein meiner selbst mitvollzogen wird. Dies beweist sich daran, dass, nachdem ein objektbe-

Anmerkungen zu S. 183–188

259

zogener Akt erfolgt ist, man sich jeweils klar machen kann, dass man selbst es war, der gerade dieses Erlebnis hatte. Ausnahmefälle – wie der Verlust des Selbst, Ohnmacht oder Schizophrenie – sprechen nicht gegen das Argument Sartres und Fichtes, sondern eher dafür, denn sie bilden die Kontrastfolie, die in ihrem abweichenden Verhalten für uns nur dadurch begreiflich wird, dass wir sie am Normalfall messen und diese Abweichung z.B. als gefährlich für den Betroffenen einschätzen. 135 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft B 377ff., 396ff. 136 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft B 413ff. 137 Die Zusammenhänge zwischen Leib und Selbstbewusstsein sind in der Grundlage nur andeutungsweise vorhanden. Erst in der Wissenschaftslehre nova methodo (§§ 11, 14, 17, 19) und in der Grundlage des Naturrechts (§§ 5 und 6; FW III, 56ff.) führt Fichte dies differenzierter aus. In der Grundlage des Naturrechts deduziert Fichte den Leib als notwendige Bedingung für die Individualität, und Individualität ist die Voraussetzung für die Pluralität von verschiedenen Subjekten, und die Pluralität ist wieder die Voraussetzung für die Unterscheidung und wechselseitige Interaktion zwischen den verschiedenen Subjekten, woraus die Notwendigkeit des Rechts als Begrenzung und Form wechselseitiger Anerkennung intersubjektiver Freiheit folgt. Der Leib ist also nach Fichte eine Voraussetzung für rechtlichintersubjektive Freiheit. Der auch für die reale Bildung von wirklichem Selbstbewusstsein konstitutive Zusammenhang des Ich mit dem Leib zeigt, dass der Idealismus Fichtes keine metaphysisch-dogmatische Lehre ist, sondern sich an den erlebbaren Phänomenen der Wirklichkeit messen lassen will.Vgl. hierzu die luzide Studie von G. Zöller: Leib, Materie und gemeinsames Wollen als Anwendungsbedingungen des Rechts, in: Klassiker Auslegen, Johann Gottlieb Fichte: Grundlage des Naturrechts, Hrsg. J.-C. Merle, Berlin 2001, 97–111. 138 Freud: Das Unbewusste, in: ders. Das Ich und das Es. Metapsychologische Schriften. Frankfurt a.M. 2003, 42. 139 Diese Lehre des Unbewussten von Freud wird besonders einleuchtend von Sartre kritisiert, der herausstellt, dass die Selektion, welche Vorstellungen verdrängt werden, nicht eine völlig unbewusste Leistung sein kann, denn sonst könnte man nicht sicherstellen, dass jeweils zusammengehörige Vorstellungen und Erlebnisse verdrängt werden; dem Akt, Erlebnisse aus der Aufmerksamkeit des Bewusstseins zu verdrängen, muss selbst ein bewusster Akt des Nichtwollens und der freien Entscheidung zugrunde liegen. Für die verdrängten Triebe, Vorstellungen und Ängste sind wir selbst verantwortlich. Der ursprüngliche Akt des Verdrängens ist nach Sartre selbst ein bewusster Akt; daher ersetzt Sartre das Unbewusste durch die „Unaufrichtigkeit gegen sich“. Vgl. Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, in: Gesammelte Werke, Philosophische Schriften Bd. 3, Hrsg. T. König, Reinbek b. Hamburg 1995, 124 ff.; vgl. dazu auch Violetta Waibel: Unbewusstes oder Unaufrichtigkeit? Freud und Sartre im Widerstreit über Reflexivität und Präreflexivität des Bewusstseins, in: Anatomie der Subjektivität. Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Selbstgefühl. Hrsg. T. Grundmann, F. Hofmann u.a., Frankfurt a.M. 2005, 460–491. 140 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 86, B 349ff. Zur Dialektik bei Kant vgl. das differenzierte und erhellende Werk von H. Heimsoeth: Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Berlin 1966–1971.

260

Anmerkungen zu S. 188–195

141 Wie wichtig Kant die Antinomienlehre und die Auflösung der Antinomien war, ist aus dem Brief an Chr. Garve vom 21. September 1798 (AA XII, 257 f.) zu entnehmen. Kant sagt dort, dass es die Problematik der Antinomien der reinen Vernunft war, die ihn aus dem „dogmatischen Schlummer zuerst aufweckte und zur Critik der Vernunft selbst hintrieb, um das Scandal des scheinbaren Widerspruchs der Vernunft mit sich selbst zu heben“. 142 Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 436; vgl. hierzu auch a. a. O., B 525. 143 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 454ff. 144 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 462ff. 145 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 472ff. 146 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 480ff. 147 Dass uns mit dem Gefühl ein unmittelbarer Zugang zur Realität gegeben ist, war ein Gedanke, den Fichte in der Auseinandersetzung mit und in der Aufnahme von Jacobis Philosophie unmittelbarer Lebendigkeit entwickelte; vgl. dazu R. Loock: Gefühl und Realität. Fichtes Auseinandersetzung mit Jacobi in der „Grundlage der Wissenschaft des Praktischen“, in: Fichte-Studien 10 (1997) 219– 237. Vgl. hierzu auch B. Sandkaulen: Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000. 148 Vgl. zu diesem Thema auch H.G. von Manz: Das Problem der Anwendung in der Ethik. Fichtes Überwindung des traditionellen Anwendungsbegriffs durch sein Konzept der sittlichen Konstitution der Wirklichkeit, in: Der transzendental-philosophische Zugang zur Wirklichkeit, Hrsg. E. Fuchs/M. Ivaldo/G. Moretto, StuttgartBad Cannstatt 2001, 381–392. 149 Es ist eine seit Hegel gängige Kritik an Fichtes Wissenschaftslehre, dass das praktische Ich am Ende der Wissenschaftslehre nicht mit dem absoluten Ich an deren Anfang identisch ist und somit der Systemanspruch von Fichte nicht eingelöst wird; vgl. Hegel: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, in: ders. Werke, Hrsg. E. Moldenhauer u. K. M. Michel, Frankfurt a. M. 1986, Bd. 2, 68. Dem schließt sich an M. Gueroult: L’évolution et la structure de la Doctrine de la Science chez Fichte, tome 1, Paris 1930, 261; der die Nichtidentität von unabschließbarer Unendlichkeit des praktischen Ich und der abgeschlossenen Unendlichkeit des absoluten Ich als „Disharmonie“ kritisiert. Das Problem löst sich jedoch in der hier vorgelegten Deutung dadurch, dass die Unendlichkeit des absoluten Ich eine inhaltlich unbestimmte und rein formale Struktur ist, die den höheren Bestimmtheitsgrad der unabgeschlossenen Unendlichkeit des praktisch strebenden Ich in sich integrieren kann. Die praktische Bestimmung des Ich ist eine unter die reine Tätigkeit des absoluten Ich subsumierbare Spezifikation und insofern fügt sich das Ende der Wissenschaftslehre nicht in einem tautologischen Sinn in den Anfang zurück, sondern der Rückgang in den Anfang lässt dem Ich die Möglichkeit einer unendlichen (praktischen) Weiterentwicklung. 150 Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 421. 151 Diese mediale Bedeutung der Maximen wird auch an folgenden Stellen bei Kant deutlich: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 434, wo Kant betont, dass sich der menschlich-endliche Wille vermittels seiner Maxime als allgemein gesetzgebend betrachten kann; a. a. O., 437, wo Kant sogar sagt, dass sich die Maxime selbst zu einem allgemeinen Gesetz machen können soll und a.a.O., 447.

Anmerkungen zu S. 195–209

261

Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 400. Das hebt besonders hervor H. Heimsoeth: Fichte. München 1923, 125, 133. 154 Vgl. Fichte: Wissenschaftslehre nova methodo § 1 (Kollegnachschrift K. Chr. Fr. Krause 1798/99), Hrsg. E. Fuchs, Hamburg 1994, 28ff. 155 Fichte: System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre (1798) (FW IV, 59). 156 Fichte: System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre (1798) (FW IV, 59). 157 Fichte: System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre (1798) (FW IV, 47): „[…] und da hier kein materielles Bestehen vermöge eines Gefühls, sondern die Intelligenz unmittelbar als solche, und nur sie angeschaut wird, heißt diese Anschauung mit Recht intellektuelle Anschauung. Sie ist aber auch die einzige in ihrer Art, welche ursprünglich, und wirklich, ohne Freiheit der philosophischen Abstraktion, in jedem Menschen vorkommt. Die intellektuelle Anschauung, welche der Transzendental-Philosoph jedem anmutet, der ihn verstehen soll, ist die bloße Form jener wirklichen intellektuellen Anschauung; die bloße Anschauung der inneren absoluten Spontaneität, mit Abstraktion von der Bestimmtheit derselben. Ohne die wirkliche wäre die philosophische nicht möglich; denn es wird ursprünglich nicht abstrakt, sondern bestimmt gedacht.“ Die intellektuelle Anschauung mittels der das Sittengesetz gedacht wird, ist also etwas, das jeder Mensch ohnehin und immer schon vollziehen kann. Die intellektuelle Anschauung, mittels der das absolute Ich der Tathandlung angeschaut wird, ist dagegen eine Abstraktion und Konstruktion der transzendentalen Wissenschaft. Mit dieser Bestimmung der praktischen intellektuellen Anschauung versucht Fichte, das bei Kant offene Problem zu lösen, wie wir wirkliches Wissen vom Sittengesetz und von praktischer Freiheit haben können. Bleibt bei Kant das Wissen der eigenen Freiheit ein (notwendiges) Postulat, das vom Bewusstsein des Sittengesetzes als einem gegebenen Faktum der Vernunft abhängig ist, die sich im Rückschluss dessen inne wird, dass sie frei sein muss, wenn das Sittengesetz für sie keine absurde Forderung sein soll (vgl. Kant: Kritik der praktischen Vernunft, AA V, Vorrede, 4 Anm. und § 7 mit Anm., 30 f.); so ist bei Fichte durch die praktische intellektuelle Anschauung genauer bestimmt, wie das sittliche Ich sich eigentlich seiner Spontaneität inne sein kann. 158 Fichte: Grundlage des Naturrechts, §§ 5ff. (FW III, 56). 159 Vgl. dazu auch J. Schreiter: Produktive Einbildungskraft und Außenwelt in der Philosophie J. G. Fichtes, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hrsg. K. Hammacher, Hamburg 1981, 120–127. 160 Die offensichtlich falsche These, Fichte hebe das „Ding an sich“ auf, findet sich häufig in der Forschung, so z.B. E. Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewusstsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorien bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel. Köln 1986, 191 ff. Ganz im Gegenteil entwirft Fichte eine komplexe Theorie des Dinges an sich, das bei ihm sowohl im Rahmen der theoretischen wie auch der praktischen Wissenschaftslehre auftaucht. Ähnlich argumentiert bereits C. Hanewald: Apperzeption und Einbildungskraft. Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher Wissenschaftslehre. Berlin/New York 2001, 194 ff.; ähnlich auch A.K. Soller: Fichtes Lehre 152 153

262

Anmerkungen zu S. 209–217

vom Anstoß, Nicht-Ich und Ding an sich in der „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“. Eine kritische Erörterung, in: Fichte-Studien 10 (1997) 175–189. 161 So führt Cicero Paradoxa, 17 aus: „Es ist unmöglich, dass jemand nicht die höchste Glückseligkeit erreicht, der vollständig von sich selbst abhängt und sein ganzes Schicksal in sich allein verlegt.“ Fichte würde dazu wohl sagen, dass dies nicht von einem Individuum als ein Ist-Zustand betrachtet werden darf, sondern nur als ein im Unendlichen liegendes sittliches Postulat zu gelten hat, das ein Individuum nie erreichen wird, das es sich aber kontinuierlich als Ziel vorsetzen soll. 162 Kant: Kritik der praktischen Vernunft, AA V, 15; vgl. auch ders.: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 446ff. 163 Kant: Kritik der praktischen Vernunft, AA V, 32; vgl. auch ders.: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, AA IV, 412. 164 Freud: Triebe und Triebschicksale, in: ders. Studienausgabe, Bd. III, Hrsg. A. Mitscherlich, Frankfurt a.M. 2000, 85. 165 Freud: Die Verdrängung, in: ders. Studienausgabe, Bd. III, Hrsg. A. Mitscherlich, Frankfurt a.M. 2000, 113. 166 Freud: Das Unbewusste, in: ders. Studienausgabe, Bd. III, Hrsg. A. Mitscherlich, Frankfurt a.M. 2000, 136. 167 Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795), Briefe 11–15, in: ders.: Sämtliche Werke, Hrsg. G. Fricke u. H. Göpfert, München 1993, Bd. V, 601ff. 168 Das Problem wird deutlich, wenn Schiller ausführt: „Beim ersten Anblick scheint nichts einander mehr entgegengesetzt zu sein als die Tendenzen dieser beiden Triebe, indem der eine auf Veränderung, der andere auf Unveränderlichkeit dringt. Und doch sind es diese beiden Triebe, die den Begriff der Menschheit erschöpfen, und ein dritter Grundtrieb, der beide vermitteln könnte, ist schlechterdings ein undenkbarer Begriff. Wie werden wir also die Einheit der menschlichen Natur wiederherstellen, die durch diese ursprüngliche und radikale Entgegensetzung völlig aufgehoben scheint?“ Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795), 13. Brief, in: ders.: Sämtliche Werke, Hrsg. G. Fricke u. H. Göpfert, München 1993, Bd. V, 606f. Der Spieltrieb ist kein Grundtrieb, weil er die beiden anderen, Stofftrieb und Formtrieb, schon voraussetzt (vgl. a.a.O., 612) und ein Grundtrieb nur ein solcher sein kann, der keine anderen Triebe zur Voraussetzung hat. Das Spezifikum des Spieltriebes besteht nach Schiller darin, dass in ihm Stoff- und Formtrieb in Wechselwirkung stehen. Wenn jedoch der „Begriff der Menschheit“ bereits durch die entgegengesetzten Triebe erschöpft ist, dann folgt daraus nicht, dass erst der Spieltrieb den Menschen zum „ganzen Menschen“ machen kann. Schillers – an Fichte erinnernde – Lösung des Problems besteht darin, dass die sich vollendende Ganzheit, die der Mensch im Spieltrieb hat, das Telos einer Idee bildet; somit nicht schon erreicht ist, sondern ein stets noch zu Erreichendes bildet. Wenn dies akzeptiert wird, zeichnet sich jedoch ein anderes Problem ab: Wie kann die ästhetische Freiheit des Spieltriebes, wenn sie Idee ist, die sinnliche Erscheinung der Freiheit sein, die dazu dient, die sittliche Freiheit zu verwirklichen? Dann dient nach Schiller nämlich eine Idee zur Verwirklichung einer anderen Idee. Des weiteren ist in Schillers Konzeption das Telos der Idee ästhetischer Freiheit und Schönheit abhängig von den ihr vorangehenden Stoff- und Formtrieb, und es bildet eine Erklärungsschwierigkeit, wie die (ästhetische) Freiheit als bedingt zu verstehen ist.

Anmerkungen zu S. 218–222

263

Fichte: Über Geist und Buchstab in der Philosophie (1798), (FW VIII, 278). Fichte: Über Geist und Buchstab in der Philosophie (1798), (FW VIII, 279). 171 Vgl. zu diesem Thema auch D. Wildenburg „Aneinander vorbei“ – Zum Horenstreit zwischen Fichte und Schiller, in: Fichte-Studien 12 (1997) 27–41. 172 Vgl. E. Tugendhat: Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen. Frankfurt a. M. 1993, 50 ff., der einerseits die unüberwindlichen Schwierigkeiten der Subjekt-Objekt-Relation geltend machen will und andererseits die Redeweise einer Selbstidentifizierung des Ich mit sich als Wissenszustand aus semantischer Perspektive kritisiert; beide Schwierigkeiten hängen nach Tugendhat spezifisch von der Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins ab, das sich in dieser nur zirkulär zu erfassen in der Lage sei und daher in eine „Sackgasse“ führe. Diese Kritik am Zirkel des Ich macht Tugendhat insbesondere gegen eine Deutung Fichtes geltend, die D. Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht, in: Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für W. Cramer, Hrsg. D. Henrich und H. Wagner, Frankfurt a. M. 1966, 188–232, vertritt. Auch J. Habermas: Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a. M. 1989, 52, 275 und ebenso ders.: Der philosophische Diskurs der Moderne. Zwölf Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1991, 346, wendet sich gegen die traditionelle Bewusstseins- und Subjektphilosophie mit dem Argument eines fehlerhaften Zirkels in der reflexionstheoretischen Definition des Selbstbewusstseins; das Selbst sei als semantisch-soziale Konstruktion anzusehen. Sich verteidigend dazu wiederum D. Henrich: Noch einmal in Zirkeln. Eine Kritik von Ernst Tugendhats semantischer Erklärung von Selbstbewusstsein, in: Mensch und Moderne, Hrsg. C. Bellut, U. Müller-Scholl, Würzburg 1989, 93–132 und ders.: Was ist Metaphysik – was Moderne? Thesen gegen Jürgen Habermas, in: ders.: Konzepte. Essays zur Philosophie in der Zeit, Frankfurt a. M. 1987, 11–43. Zu dem Thema vgl. die instruktive Arbeit von B. Mauersberg: Der lange Abschied von der Bewusstseinsphilosophie. Theorie der Subjektivität bei Habermas und Tugendhat nach dem Paradigmenwechsel zur Sprache, Frankfurt a. M./Berlin etc. 2000. Henrichs Verteidigung des Ich ist problematisch und basiert auf einem Missverständnis von Fichtes Ich-Konzept. Denn zum einen ist Henrichs Rekonstruktion von Fichtes absolutem Ich undifferenziert – Henrich berücksichtigt z. B. nicht, dass Fichte in einem diskursiven Argumentationsgang vom logischen Satz der Identität auf das absolute Ich zurückkommt; Henrich hebt besonders intuitive Aspekte hervor, die allerdings als isoliert genommene Argumente für das Ich dem Privatsprachenargument Wittgensteins zum Opfer fallen; darüber hinaus berücksichtigt Henrich nicht Fichtes Konzept des limitierten, des theoretischen oder des praktischen Ich – und zum anderen ist es nicht Fichtes Absicht, sämtliche Zirkel im Konzept von Selbstbewusstsein und Ich zu vermeiden; zumindest nicht soweit es sich um notwendige Zirkel handelt; was z. B. die soeben im Haupttext berücksichtigte Passage der Grundlage zeigt – fehlerhafte Zirkel will trivialerweise natürlich auch Fichte vermeiden. Die Variante eines notwendigerweise zirkulären Selbst wurde in der Debatte jedoch nicht berücksichtigt, und es wurde vielmehr unhinterfragt vorausgesetzt, dass eine zirkuläre Definition des Selbst ein schlagendes und destruktives Argument sei. Bei Fichte verhält es sich jedoch so, dass die Notwendigkeit des Zirkels gerade dessen Fehlerhaftigkeit ausschließt und ein notwendiger Zirkel auf die Prinzipienrolle des Ich hinweist, der Zirkel hat also eine durchaus konstruktive 169 170

264

Anmerkung zu S. 222

Funktion. Vgl. zum Thema auch R. Koch: Fichtes Theorie des Selbstbewusstseins. Würzburg 1989, 19 ff., der versucht, Fichtes „Transzendentalphänomenologie“ gegen ein semantisches Verständnis des „ich“, das in der sprachlichen Verwendung nach Tugendhat auch durch die dritte Person Singular ersetzbar ist. Fichte hätte sicherlich davor gewarnt, die Realgenese des Wortes „ich“ – die auch nach Fichte in einem Erlernen intersubjektiver und sprachlicher Regeln besteht – mit dem Sinn und der Bedeutung selbstbezüglicher Akte von Personen zu identifizieren. Da wir sonst gezwungen sind, auch einige Papageien als freie Rechts- und Sittlichkeitssubjekte anzuerkennen, da auch sie in einer Diskursgemeinschaft die Verwendung der ersten Person Singular erlernt haben und sie teils richtig anwenden können. Vgl. zum Thema auch W. Lütterfelds: Bin ich nur öffentliche Person? E. Tugendhats Idealismuskritik (Fichte) – ein Anstoß zur transzendentalen Sprachanalyse (Wittgenstein). Königstein i. T. 1982. 173 Mit Fichtes ethischer Widerlegung des Skeptizismus beschäftigt sich E. Storheim: Fichtes Widerlegung des Skeptizismus, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hrsg. K. Hammacher, Hamburg 1981, 309–315. Storheim argumentiert, dass Fichte – was besonders in der Bestimmung des Menschen (1800) deutlich wird – gegen den Skeptiker argumentiert, dass er seine das Wissen und die sittlichen Handlungsmaßstäbe aufhebende Haltung, aufgrund ihrer ethischen Konsequenzen in der Praxis nicht ausleben kann. Denn wenn man den Skeptiker nach seinen eigenen Grundsätzen behandelt und gegen ihn selbst gerade so verfährt, als würde man ihn nicht als ein selbständiges und freies Wesen anerkennen, sondern ihn nach je eigenem Nutzen willkürlich misshandeln, dann werde der ethische Skeptiker doch genötigt einzusehen, dass seine Leugnung der Gültigkeit von einem ethischen Miteinander nicht nur sich selbst zerstört, sondern auch bezüglich seiner eigenen Person zerstörerisch ist.

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