Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip: Eine Studie zur verfassungsrechtlichen Legitimation der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand [1 ed.] 9783428499939, 9783428099931


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German Pages 558 Year 2000

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Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip: Eine Studie zur verfassungsrechtlichen Legitimation der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand [1 ed.]
 9783428499939, 9783428099931

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HUBERTUS GERSDORF

Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 821

• ·

Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratieund Wirtschaftlichkeitsprinzip Eine Studie zur verfassungsrechtlichen Legitimation der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand

Von Hubertus Gersdorf

Duncker & Humblot · Berlin

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Hamburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Gersdorf, Hubertus: Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip : eine Studie zur verfassungsrechtlichen Legitimation der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand / von Hubertus Gersdorf. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 821) Zugl.: Hamburg, Univ., Habil.-Schr., 1998 ISBN 3-428-09993-1

Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Color-Druck Dorf! GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09993-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Für Frauke

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat i m Sommersemester 1998 dem Fachbereich Rechtswissenschaft I der Universität Hamburg vorgelegen und ist von ihm als Habilitationsschrift angenommen worden. Sie befindet sich auf dem Stand vom November 1997. Die hiernach ergangene Rechtsprechung und das später erschienene Schrifttum konnten nicht mehr berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gilt vor allen anderen meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Peter Selmer, für die Betreuung der Arbeit, für die wissenschaftliche Förderung während meiner Assistentenzeit und für das persönliche Interesse, das er mir über die Jahre hinweg entgegengebracht hat. In seinem wissenschaftlichen und persönlichen Wirken wird er mir stets Vorbild bleiben. Z u Dank verpflichtet bin ich weiterhin Herrn Professor Dr. Hans Peter Bull, der die Last des Zweitgutachtens getragen hat. Z u danken habe ich schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die gewährte großzügige Hilfe, die die Drucklegung ermöglichte. Was die Widmung anbelangt, so ist Dank bereits an anderer Stelle gesagt. Rostock /Hamburg, i m M a i 2000

Hubertus Gersdorf

Inhaltsverzeichnis

Gegenstand und Gang der Untersuchung

Erster

19

Teil

Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

25

Kapitel 1 Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen I. Baustruktur des Prinzips demokratischer Legitimation

25 25

1. Institutionelle und funktionelle Legitimation

29

2. Personelle und sachlich-inhaltliche Legitimation

29

a) Personelle Legitimation

30

b) Sachlich-inhaltliche Legitimation

33

II. Verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Grundvoraussetzung für individuelle Freiheit und Demokratie

37

III. Geltungsbereich des Demokratieprinzips: Staatsbezogenheit des Prinzips demokratischer Legitimation

43

Kapitel 2 Legitimationsobjekt: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

47

I. Zuordnung zur Staatsverwaltung als Anknüpfungspunkt?

50

II. Inhaltlich-gegenständliche Kongruenz von Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 1 und 2 GG?

54

Inhaltsverzeichnis

10

III. Polarität von Staatsgewalt und grundrechtlicher Freiheit: Alternativität demokratischer und grundrechtlicher Legitimation

60

IV. Grundrechtssubjektivität von juristischen Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG

63

1. Dogmatischer Bedingungsrahmen: Anthropozentrische Ausrichtung als normative Grundlage des Art. 19 Abs. 3 GG

65

a) Grammatikalische Ausleuchtung

72

b) Systematische Ausleuchtung

73

c) Genetische Ausleuchtung

75

2. Dissentierende Konzeptionen zu Art. 19 Abs. 3 GG

82

a) Grundrechte als Schutzschirm für Außenrechtsreservate?

83

b) Privatrechtliche Organisations- oder Handlungsformen als grundrechtsfähigkeitsvermittelndes Anknüpfungskriterium?

97

3. Entfaltungskoordinaten des Art. 19 Abs. 3 GG: Nichtstaatlicher Aufgabencharakter als maßgebliches Zuweisungskriterium

101

a) Mangelnde Tragfähigkeit einseitig formaler Zuweisungskriterien

102

(1) Organisationsform als untaugliches Zuweisungskriterium

102

(2) Kategorien der öffentlichen Aufgabe und der Daseinsvorsorge als untaugliche Zuweisungskriterien 105 (3) Staatsaufsicht und Intensitätsgrad staatlicher Steuerungsbefugnisse als untaugliche Zuweisungskriterien 108 (4) Unmittelbare Zuordnung einer juristischen Person zu einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich als dogmatische Leerformel b) Bestimmungskriterien für die Ausübung von Staatsgewalt

111 113

(1) Grundrechtsunfähigkeit bei staatlichem oder kommunalem Substrat

113

(2) Grundrechtsfähigkeit bei gesellschaftlichem Substrat

114

(a) Grundsätzlich unbegrenzte Zugriffsbefugnis des Staates auf öffentliche Aufgaben

117

(b) Staatliche Beleihung Privater

118

(c) Zur Ambivalenz öffentlich-rechtlicher Organisationsformen: Zur Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen formeller und materieller Staatsverwaltung 121 (aa) Verfassungsunmittelbares staatliches Zugriffsverbot auf gesellschaftliche Lebensbereiche 122 (bb) Kein staatlicher Zugriff auf gesellschaftliche Lebensbereiche trotz staatlicher Zugriffsmöglichkeit 132

Inhaltsverzeichnis V. Staatliche und kommunale Eigen- und Beteiligungsgesellschaften als grundrechtsunfähige, demokratisch legitimationsbedürftige Staatsgewalt

134

1. Staatliche oder kommunale Eigengesellschaften sowie gemischt-öffentliche Unternehmen

134

2. Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen

136

a) Spiegel der Rechtsprechung

137

b) Spiegel des Schrifttums

140

(1) Rechtsform als maßgebliches Zuweisungskriterium?

141

(2) Ansatz von N. Zimmermann

141

(3) Schutz privater Anteilseigner

147

(4) Beleihung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen als unerläßliche Voraussetzung für die Zuordnung zur grundrechtsunfahigen Staatsgewalt? 151 (5) „Bestimmender Einfluß" als maßgebliches Zuweisungskriterium VI. Ergebnis: Verfassungsrechtlicher Begriff der demokratisch legitimationsbedürftigen Staatsgewalt

157

164

Kapitel 3 Legitimationsniveau als Schlüsselkategone für die Verwirklichung des Prinzips demokratischer Legitimation

166

I. Verhältnis von personeller und sachlich-inhaltlicher Legitimation: System funktional komplementärer Legitimationsstränge

171

II. Ministerialverwaltung als Regeltypus der (privatrechtsförmigen) Verwaltungsorganisation

175

1. Legislative

175

2. Judikative

177

3. Administrative

181

a) Flächendeckende Regierungszuständigkeit im Administrativbereich als unverzichtbarer Baustein im Legitimationsmodell 182 b) Umfassende Leitungsmacht des Ressortministers: (Einzel-)Weisung als Wesenszug des Ministerialprinzips 187 c) Ministerielle Befugnis zur (Einzel-)Weisung und öffentliche Unternehmen 192

12

Inhaltsverzeichnis

III. Abweichungen vom Regelmodell

195

1. Verkürzung hoheitlicher Einwirkungsintensität bei gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen kraft grundrechtlicher Schutzpflichten des Staates

196

2. Modell „abgestufter Legitimationsanforderungen"

198

IV. Zur Problematik (personeller) Legitimation kollegialer Entscheidungsgremien .. 202 1. Administrativer Beitrag in Kollegialgremien als demokratisch legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt 203 2. Kollegialgremien als demokratisch legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt 205 V. Relativität des Demokratieprinzips: Konkretisierung des Legitimationsniveaus oder Rechtfertigung von Legitimationsdefiziten? 211

Zweiter

Teil

Verwirklichungsbedingungen des Prinzips demokratischer Legitimation

222

Kapitel 1 Grundlagen: Legitimationsstiftendes Institut der Einwirkungspflicht I. Einwirkungspflicht der öffentlichen Hand 1. Einwirkungspflicht als Unterfall der allgemeinen Staatsaufsicht?

222 223 223

2. Demokratische Komponente: Einwirkungspflicht als - aufgabenneutrale - Verwirklichung des Prinzips demokratischer Legitimation 225 3. Aufgabenverantwortlichkeit als Ingerenzgrundlage?

229

4. Rechtsstaatliche Bindungen als Ingerenzgrundlage?

232

5. Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG als Ingerenzgrundlage?

235

II. Intensität der Einwirkung

237

1. Demokratieprinzip als maßgeblicher Bestimmungsfaktor

237

2. Demokratieprinzip und Eigeninteresse der Gesellschaft

247

III. Verhältnis von (Bundes-)Gesellschafts- und Landesrecht, insbesondere von Kommunal- und Haushaltsrecht 254

Inhaltsverzeichnis 1. Interessenkonflikte bei öffentlichen Unternehmen

255

2. Auflösung möglicher Normenkollisionen

256

a) Art. 31 GG als unanwendbare Kollisionsregel

257

b) Zur These von der Modifizierung des Gesellschaftsrechts durch vorrangiges Verfassungsrecht 259

Kapitel 2 Gesellschaftsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen legitimationsstiftender Steuerung öffentlicher Unternehmen

267

I. Bestimmung des Unternehmensgegenstandes als sachlich-inhaltliche Legitimation vermittelndes Steuerungsinstrument 267 1. Limitierung der Steuerungskraft: Satzung als lediglich abstrakt-generelles Lenkungsmittel 271 2. Limitierung der Steuerungskraft: Geschäftsführungsautonomie des Vorstands einer Aktiengesellschaft 274 II. Einwirkungsmöglichkeiten nach dem Aktienrecht

276

1. Personelle Legitimation

276

a) Hauptversammlung

276

(1) Zulässigkeit der Stimmenspaltung als Hindernis für eine negative und positive Entscheidungskompetenz demokratisch legitimierter Aktionärsvertreter 281 (2) Stimmrechtsbindungsverträge

286

(3) Resümee: Hauptversammlung als personell-demokratisch defizitäres Gesellschaftsorgan staatlicher oder kommunaler Beteiligungsgesellschaften 288 b) Aufsichtsrat

289

c) Vorstand

295

2. Sachlich-inhaltliche Legitimation a) Hauptversammlung b) Aufsichtsrat (1) Zustimmungsvorbehalt gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG

298 298 301 303

(2) Weisungsbefugnis der öffentlichen Hand gegenüber gewählten oder entsandten Aufsichtsratsmitgliedern? 306 c) Vorstand

310

14

Inhaltsverzeichnis

III. Einwirkungsmöglichkeiten nach dem GmbH-Recht 1. Personelle Legitimation a) Gesellschafter und Gesellschafterversammlung (1) Zulässigkeit der Stimmenspaltung nach GmbH-Recht

313 313 313 315

(2) Stimmrechtsbindungsverträge: Keine Kompensation der Legitimationsdefizite 320 (3) Resümee: Gesellschafterversammlung als personell-demokratisch defizitäres Gesellschaftsorgan staatlicher oder kommunaler Beteiligungsgesellschaften 320 b) Aufsichtsrat

321

c) Geschäftsführer

322

2. Sachlich-inhaltliche Legitimation

322

a) Gesellschafter und Gesellschaftsversammlung

323

b) Aufsichtsrat

323

c) Geschäftsführer: Insbesondere zur Reichweite legitimationsvermittelnder Weisungsbefugnis 324 (1) Mitbestimmungsfreie Gesellschaft mit beschränkter Haftung

325

(2) Mitbestimmte Gesellschaft mit beschränkter Haftung

328

(a) Mitbestimmung nach Maßgabe des Betriebsverfassungsgesetzes 1952

328

(b) Mitbestimmung nach Maßgabe des Mitbestimmungsgesetzes 1976 329 3. Resümee IV. Konzernrecht als legitimationsvermittelnder Rettungsanker?

333 334

1. (Öffentlich-rechtliche) Träger- oder Beteiligungskörperschaften als Unternehmen im Sinne des Konzernrechts 337 2. Konzernrecht und Haftungsbegrenzungspflicht

340

3. Faktischer Konzern

343

a) Einfacher faktischer Konzern

343

(1) Einfacher faktischer Aktienkonzern

343

(2) Einfacher faktischer GmbH-Konzern

345

b) Qualifizierter faktischer Konzern

347

4. Essenz: Dysfunktionaler Übergang der Leitungsmacht und Verantwortlichkeit auf die Träger- oder Beteiligungskörperschaften durch Konzernrecht 351

Inhaltsverzeichnis Dritter

Teil

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Demokratiedefizits öffentlicher Unternehmen

354

Kapitel 1 Verfassungsunmittelbare und verfassungsimmanente Rechtfertigungstitel I. Verfassungsunmittelbare Rechtfertigungstitel II. Verfassungsimmanente Rechtfertigungstitel

354 355 357

Kapitel 2 Vorverfassungsrechtliches Gesamtbild der Autonomie öffentlicher Unternehmen?

366

I. Vorverfassungsrechtliches Gesamtbild als eigenständige Auslegungskategorie? .. 367 II. Unternehmensautonomie öffentlicher Unternehmen als vorverfassungsrechtliches Gesamtbild?

368

1. Vorverfassungsmäßiges Gesamtbild: Historischer Rückblick

369

2. Rezeption durch den Verfassungsgesetzgeber?

378

Kapitel 3 Verfassungsunmittelbare Rechtfertigung des Demokratiedefizits durch verfassungsrechtliches Haushaltsrecht?

385

I. Zum Begriff des „Bundes" im Sinne des Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG: Einbeziehung der mittelbaren Bundesverwaltung in den Anwendungsbereich dieser Norm? 387 II. Bundesbetriebe und Sondervermögen

389

III. Fragmentarischer Charakter des Art. 110 GG bei der Legitimations Vermittlung: Zur kompensatorischen Funktion des Prinzips demokratischer Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG 391

16

Inhaltsverzeichnis 1. Unmittelbare Bundesverwaltung: Zur lediglich begrenzten demokratische Legitimation vermittelnden Steuerungskraft des Haushaltsgesetzes 392 2. Mittelbare Bundesverwaltung

394

3. Bundesbetriebe und Sondervermögen

397

Kapitel 4 Gründe für die Zuerkennung autonomer Entscheidungsspielräume öffentlicher Unternehmen

400

Kapitel 5 Verfassungsimmanente Rechtfertigung des Demokratieprinzips: Wirtschaftlichkeitsprinzip als verfassungsrechtliches Organisationsprinzip I. Begriff und Inhalt des Wirtschaftlichkeitsprinzips: Minimal- und Maximalprinzip II. Wirtschaftlichkeit und verwandte Begrifflichkeiten

408 411 413

1. Sparsamkeit

414

2. Effizienz

415

3. Rationalität

416

4. Subsidiaritätsprinzip

417

5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

420

III. Wirtschaftlichkeitsprinzip und Organisationsermessen

423

IV. Wirtschaftlichkeit als Verfassungsprinzip

425

1. Art. 87 e Abs. 3 und Art. 87 f Abs. 2 GG als bereichsspezifische Regelungen des Wirtschaftlichkeitsprinzips 427 2. Art. 114 Abs. 2 GG und entsprechende landesverfassungsrechtliche Regelungen 430 a) Zum Anwendungsfeld des Art. 114 Abs. 2 GG

432

(1) Unmittelbare Bundesverwaltung unter Einschluß der Bundesbetriebe und Sondervermögen 432 (2) Einbeziehung der mittelbaren Bundesverwaltung?

434

Inhaltsverzeichnis (3) Wirtschaftlichkeit als Bindungskategorie für die mittelbare Bundesverwaltung: Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Prinzip demokratischer Legitimation als sedes materiae 438 b) Zur verfassungsrechtlichen Lage auf Länderebene

440

3. Nicht tragfähige Ableitungsversuche: Insbesondere zum Grundsatz der Erforderlichkeit als unzulässiger Begründungsstrang für das Verfassungsprinzip Wirtschaftlichkeit 443 4. Grundrechte

447

a) Abgabenbelastung als Grundrechtseingriff

448

b) Dogmatische Verortung des Wirtschaftlichkeitsprinzips im System grundrechtlicher Funktionen 451 (1) Gegenleistungsabgaben und privatrechtliche Entgelte in Austauschverhältnissen: status negativus 452 (2) Steuerfinanzierte Staatstätigkeit

455

(a) Grundrechte in ihrer klassischen Abwehrfiinktion: status negativus 455 (b) Eingriffsvorbeugung als grundrechtliche Kategorie: status positivus

459

(aa) Eingriffsvorbeugung als Element staatlicher Schutzpflichten für grundrechtliche Freiheiten und Güter? 461 (bb) Eingriffsvorbeugung als Element der grundrechtlichen Organisations- und Verfahrensgarantien 465 (cc) Untermaßverbot als Prüfungsmaßstab

471

5. Resümee: Wirtschaftlichkeitsprinzip als Organisationsprinzip mit Verfassungsrang 474

Vierter Teil Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip im Spannungsverhältnis

476

I. SpannungsVerhältnis zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip als verfassungskräftige Organisationsmaximen 477 II. Maßstäbe für die Auflösung des verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses 479 1. Verfassungsunmittelbare Auflösungsregeln

479

2. Fehlende verfassungsunmittelbare Auflösungsregeln

481

a) Generelles Primat des Demokratieprinzips?

481

b) Aufgabenbezogenes Differenzierungsmodell

485

(1) Ausschließliche Staatsaufgaben: Primat des Demokratieprinzips 2 Gersdorf

487

Inhaltsverzeichnis

18

(2) Konkurrierende Staatsaufgaben: Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand

488

(a) Prinzipielle verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand 488 (b) Subsidiaritätsprinzip bei der Erfüllung verfassungsrangiger Aufgaben 490 (c) Essenz

492

(d) „Neutralität der Wirtschaftsverfassung"

494

(e) Aufgabenerledigung durch die öffentliche Hand kraft staatlichen oder kommunalen Gewährleistungsauftrags: Primat des Demokratieprinzips 495 III. Fazit

500

Zusammenfassung in Thesen

502

I. Untersuchungsgegenstand

502

II. Öffentliche Unternehmen und Demokraüeprinzip

502

III. Verwirklichungsbedingungen des Prinzips demokratischer Legitimation

505

IV. Legitimationsstiftendes Institut der Einwirkungspflicht

506

V. Gesellschaftsrechtliche Möglichkeiten Steuerung öffentlicher Unternehmen

und Grenzen

legitimationsstiftender 507

VI. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Demokratiedefizits öffentlicher Unternehmen 511

VII. Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip im Spannungsverhältnis

515

Literaturverzeichnis

518

Sachwortverzeichnis

550

Gegenstand und Gang der Untersuchung Der Impuls, der Anstoß, die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand zum Gegenstand einer vertiefenden wissenschaftlichen Untersuchung zu machen, reicht zeitlich weit zurück und betrifft einen Vorgang, der sich Anfang der achtziger Jahre ereignete, zu einer Zeit, zu der der Verfasser noch nicht einmal das Abitur abgelegt hatte. Es ging um die mit viel politischem Feldgeschrei betriebene, teilweise hysterische Züge annehmende und letztlich zu einem Bürgermeisteropfer führende Auseinandersetzung um den Ausstieg aus der Kernenergie. Der Vorfall trug sich im Jahre 1981 zu. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg beschloß in diesem Jahre, den Vorstand der Hamburgischen Electricitäts-Werke AG (HEW), die sich in einem qualifizierten Mehrheitsbesitz der Stadt befand, zu veranlassen, die Beteiligung an der Kernkraftwerk Brokdorf GmbH aufzugehen. Als diese auf informellem Wege ausgeübten Pressionen keinen Erfolg hatten - nicht zuletzt wegen der zu befürchtenden Folgekosten nach §§ 311 ff. AktG - und anstelle des Vorstands der Hamburgischen Electricitäts-Werke AG der Erste Bürgermeister das (politische) Kampffeld räumen mußte, versuchte man, durch eine Änderung der Gesellschaftssatzung das für politisch opportun befundene Ziel des Ausstiegs aus der Kernenergie zu bewirken, und dies gleichsam zum „Nulltarif" 1 . Schon damals stellte sich dem Verfasser die Frage, wie es denn eigentlich angehen könne, daß sich der Vorstand einer mehrheitlich im Besitz der Stadt befindlichen Gesellschaft über die (politischen) Vorstellungen der demokratisch legitimierten Staatsregierung hinwegsetzen und sein eigenes (wirtschaftspolitisches) Konzept verfolgen sowie durchsetzen könne. Wenn der Staat nicht mehr Herr im eigenen Hause ist, so untergräbt er damit letztlich seine eigene Legitimationsgrundlage, mutmaßte der Verfasser seinerzeit ohne jedwede juristische Vorbildung. Auch wenn während der juristischen Ausbildung dieser Fragekomplex in den Hintergrund des Interesses rückte, ist der Wunsch, Licht in dieses Problemfeld zu bringen und das (akademische) Arbeitszimmer von dem Zustand chaotischer Unordnung in den innere Befriedigung und Ruhe vermittelnden Zustand zu versetzen, niemals in Vergessenheit geraten. Wenn sich der Verfasser im Rahmen dieser Untersuchung mit der Frage nach der (verfassungsrechtlichen) Legitimation der Beteiligung der öffentlichen Hand am Wirtschaftsleben beschäftigt, so versucht er da1

Vgl. hierzu im einzelnen und zur gesellschaftsrechtlichen Bewertung dieses Vorgangs K.-P. Martens, in: Festschrift für A. Kellermann, S. 271 (272 ff.); zu diesen Vorgängen siehe auch D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 273 f. 2*

20

Gegenstand und Gang der Untersuchung

mit nur, sein dem tiefen inneren Bedürfnis entspringendes Erkenntnisinteresse zu befriedigen. Hinzu kommt - und dies ist der eigentliche Grund der Untersuchung - , daß die Bestimmung der die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand kennzeichnenden verfassungsrechtlichen Funktionsgesetze und die Frage nach ihrer Legitimation durch die Entwicklungen der letzten Jahre erheblich an Bedeutung und Brisanz gewonnen haben. Ziel der landauf und landab praktizierten Politik ist es, die öffentliche Verwaltung und die gesamte Staatstätigkeit zu „verschlanken" 2. Eingedenk des Umstandes, daß alle Versuche, die öffentliche Verwaltung zu Leistungssteigerungen in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu bewegen, gescheitert sind, sucht man in der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben sein Heil und meint, hierin den Schlüssel zur Lösung des Problems gefunden zu haben. Die Welle der Privatisierung von ursprünglich durch die Hoheitsverwaltung erbrachten öffentlichen Aufgaben hat im Laufe der vergangenen Jahre eine Vielzahl von Politikfeldern erfaßt 3. Aufgaben werden nicht mehr als Verwaltungsaufgaben verstanden, die von einem (regelmäßig aufgeblähten) Apparat, bestehend aus Beamten und sonstigen Bediensteten, erbracht werden. Sie werden vielmehr auf private Träger überführt, die eine effizientere Erledigung erwarten lassen. Der durch Manager abgelöste deutsche Beamte gerät auf diese Weise allzu schnell auf die „Liste der bedrohten Arten" 4 . Als Beleg für diesen Paradigmenwechsel bei der Erledigung öffentlicher Aufgaben seien hier nur die im Zuge der Postreform I I durchgeführten grundlegenden Veränderungen der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen erwähnt. Ausweislich der Amtlichen Begründung zu Art. 87 f Abs. 2 GG ist das ,Angebot der Dienstleistungen . . . in Zukunft ausschließlich private Tätigkeit, deren Wahrnehmung als Verwaltungsaufgabe in öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Organisationsform ausgeschlossen wird" 5 . Im Interesse der Wirtschaftlichkeit werden die mit der Leitung der Unternehmen betrauten Gesellschaftsorgane von steuernder Einflußnahme der Administrativspitze freigestellt, also von den Steuerungsimpulsen, die für die öffentliche Verwaltung kennzeichnend und strukturtypisch sind. Die Entscheidung zugunsten privatrechtlicher Organisationsformen zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben entspricht auch dem Trend auf kommunaler Ebene. Namentlich im Bereich der daseinsversorgenden Unternehmen werden die Eigengesellschaften in Form von Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit be2 Stellvertretend sei hier allein der Bericht der Bundesregierung in BT-Drs. 12/5620, S. 12,51 f. genannt, in dem die Bundesregierung der Privatisierung große Bedeutung für die Zukunftssicherung des (Wirtschafts-)Standortes Deutschland beimißt. 3 Zu den einzelnen Gegenstandsbereichen und mit weiteren Nachweisen vgl. zuletzt F.-J. Peine, DÖV 1997, 353 f., Fn. 4. 4

So bereits vor Jahren die Prognose der Zeitschrift „Der Spiegel", Nr. 32 vom 05. 08. 1991, Titelgeschichte „Beamte - ein Tabu wankt", zitiert nach G. F. Schuppen, Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1992,186. 5 BT-Drs. 12/7269, S. 5.

Gegenstand und Gang der Untersuchung

schränkter Haftung gegenüber den Eigenbetrieben zunehmend präferiert 6. Man setzt auf die in der Privatwirtschaft bewährten Managementstrukturen, um eine marktgerechte und leistungsfähige Unternehmenspolitik zu ermöglichen. Hintergrund dieser Entwicklungen ist zum einen die Erkenntnis, daß die nach unternehmerischen Gesichtspunkten geführten Unternehmen am ehesten in der Lage sind, für ein nachfragegerechtes, innovatives und kostengünstiges Angebot an öffentlichen Gütern Sorge zu tragen. Die marktmäßigen Steuerungsinstrumente werden genutzt, um die Bereitschaft zu einer kostengünstigen und an den Wünschen und Bedarfen der Kunden orientierten Unternehmenspolitik zu aktivieren und zu fördern. Zum anderen zwingt die private Konkurrenz zu einer marktnahen und wettbewerbsgerechten leistungsfähigen Unternehmensorganisation; andernfalls droht der Strom wettbewerbsgesetzlicher Selektionsmechanismen die öffentlichen Unternehmen gleichsam vom Markt zu spülen. Diesem für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand typischen wirtschaftlichen Bewegungsspielraum der Leitungsorgane öffentlicher Unternehmen korrespondiert eine Verkürzung bürokratisch-administrativer Steuerungsbefugnisse. Die Organisation öffentlicher Unternehmen folgt nicht dem Muster der Ministerialverwaltung mit ihrem strukturprägenden hohen demokratischen Legitimationsniveau. Mit Blick auf die Sachgesetzlichkeiten des freien Marktes und im Interesse einer effizienten Unternehmensführung werden die staatlichen Steuerungsmöglichkeiten in erheblichem Umfange zurückgenommen. Die öffentliche Hand macht einen mächtigen Spagat, um einerseits ein „guter Unternehmer" zu sein, andererseits aber auch nicht das ihr eigene Spezifikum abzulegen. Ob der öffentlichen Hand dieser „Heldenstreich" 7 von Verfassungs wegen gestattet oder eher als ein Schelmenstück zu stigmatisieren ist, mit dem sich Staat und Kommunen aus der Umklammerung staatsrechtlicher Bindungen in verfassungswidriger Weise zu lösen versuchen, soll im Rahmen dieser Arbeit näher untersucht werden. Die Untersuchung knüpft nicht an ganz bestimmte Sach- und Lebensbereiche der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand oder sogar an bestimmte Unternehmen an. Bund, Länder und Gemeinden nehmen in breiter Front und zu unterschiedlichen Zwecken sowie in verschiedenartigen Rechtsformen am Wirtschaftsverkehr teil. Dieser gesamte Bereich der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand ist Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Es geht also nicht 6 Im Jahre 1981 waren noch 30% der im „Verband kommunaler Unternehmen (VKU)" zusammengeschlossenen Unternehmen der Versorgungswirtschaft in den Rechtsformen der Aktiengesellschaft oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert (Verband kommunaler Unternehmen e.V. [Hrsg.], Kommunale Versorgungswirtschaft 1980/1981, S. 241), im Jahre 1993 war dieser Anteil bereits auf 47% gestiegen (Verband kommunaler Unternehmen e.V. [Hrsg.], Kommunale Versorgungswirtschaft 1992/1993, S. 39). Spiegelbildlich hierzu hat sich der Anteil der Eigenbetriebe von 65% (Verband kommunaler Unternehmen e.V. [Hrsg.], Kommunale Versorgungswütschaft 1980/1981, S. 241) auf unter 45% (Verband kommunaler Unternehmen e.V. [Hrsg.], Kommunale Versorgungswirtschaft 1992/1993, S. 39) verringert. 7

H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 296 Fn. 339.

22

Gegenstand und Gang der Untersuchung

nur um Unternehmen, die in der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden, also das Feld der erwerbswirtschaftlichen Betätigung von Staat und Kommunen betreffen. Vielmehr wird der Begriff der wirtschaftlichen Betätigung in einem weiten Sinne verstanden. Immer dann, wenn Staat und Kommunen gegenüber privater Nachfrage wirtschaftliche Güter und Leistungen anbieten, nehmen sie am wirtschaftlichen Verkehr teil und werden damit wirtschaftlich tätig 8 . Dabei beschränkt sich die Untersuchung indes - dem deutlichen Trend in der Praxis entsprechend auf die in privatrechtlichen Organisationsformen agierende und am Wirtschaftsleben teilnehmende öffentliche Hand, also nur auf einen Teilbereich des Rechts der öffentlichen Unternehmen 9 . Der Begriff des öffentlichen Unternehmens wird hier als Sammelbegriff für sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten der öffentlichen Hand in privatrechtlichen Unternehmensformen verstanden 10 . Er umfaßt die öffentlichen Unternehmen i m engeren Sinne, die Eigengesellschaften, deren Kapital ausschließ8 Ebenso wie hier statt vieler P. Badura, ZHR Bd. 146 [1982], 448; V. Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, S. 55 ff.; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 23 ff.; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 503 f.; E Schoch, DÖV 1993, 377 (379). Auf die im Schrifttum geführte Diskussion über den Begriff des öffentlichen Unternehmens wird hier mit Bedacht nicht weiter eingegangen (vgl. hierzu eingehend J. Backhaus, Öffentliche Unternehmen, S. 77 ff., 91 ff.; V. Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, S. 55 ff.; B. Janson, Rechtsformen öffentlicher Unternehmen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 17 ff.; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 23 ff.; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 503 ff.). Die Frage, ob für die Qualifizierung als öffentliche Unternehmen eine gewisse organisatorische Verselbständigung, die Verfolgung öffentlicher Ziele, die Gewinnerzielungsabsicht oder ähnliches erforderlich ist, oder ob kulturelle und soziale Einrichtungen a priori aus dem Begriffsbild der öffentlichen Unternehmen auszuklammern sind, läßt sich nicht pauschal, sondern nur im Lichte des jeweiligen spezifischen Erkenntnisinteresses beantworten. Da diese Kriterien für die hier allein in Rede stehende Frage nach der Zuordnung der Unternehmenseinheiten zum Bereich der demokratisch legitimationsbedürftigen Staatsgewalt unbeachtlich sind (vgl. hierzu eingehend unten im ersten Teil, Kapitel 2, S. 47 ff.), wird im Rahmen dieser Untersuchung von einem weiten Begriff der öffentlichen Unternehmen ausgegangen, der die Trägerschaft der öffentlichen Hand zum maßgeblichen begrifflichen Bestimmungsmerkmal macht. Entscheidend ist demnach, daß staatliche oder kommunale Eigen- und Beteiligungsgesellschaften gegenüber privater Nachfrage Güter oder Dienstleistungen anbieten. 9 Der Begriff des öffentlichen Unternehmens erstreckt sich nach einhelliger Meinung auch auf die in öffentlich-rechtlichen Organisationsformen wirtschaftlich tätige öffentliche Hand (vgl. statt aller nur B. Janson, Rechtsformen öffentlicher Unternehmen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 19 f.; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 24; R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 504 f., 509 ff.; E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 [2]). Dieses wirtschaftliche Betätigungsfeld des Staates und der Kommunen bleibt indes im Rahmen dieser Untersuchung ausgeblendet. 10 Demgegenüber versteht die überwiegende Lehrmeinung unter dem Begriff des öffentlichen Unternehmens nur solche Unternehmen, deren Eigenkapital ausschließlich bei der öffentlichen Hand liegt (vgl. V. Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, S. 55 ff., insbesondere 58; D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 9; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 26; E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 [2]); ähnlich wie hier B. Janson, Rechtsformen öffentlicher Unternehmen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 23 f., wenngleich er nicht zwischen den Begriffen des öffentlichen Unternehmens im weiteren und im engeren Sinne unterscheidet.

Gegenstand und Gang der Untersuchung

lieh bei der öffentlichen Hand liegt. Er erstreckt sich aber zugleich auch auf die gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen, deren Kapitalmasse auf die öffentliche Hand und Private verteilt ist, sowie auf gemischt-öffentliche Unternehmen, deren Kapitalanteile von mehreren juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehalten werden 11. Der Gang der Untersuchung erfolgt in mehreren Schritten, deren Verlauf hier nur holzschnittartig skizziert werden soll. Zunächst gilt es, das Demokratieprinzip mit seinen Anforderungen an die Organisation der gesamten Staatstätigkeit darzustellen. Von entscheidender Bedeutung wird dabei die Frage sein, ob öffentliche Unternehmen, also Eigen- und Beteiligungsgesellschaften der öffentlichen Hand dem Prinzip demokratischer Legitimation unterfallen und damit das Erfordernis einer umfassenden, flächendeckenden Steuerung der Gesellschaften durch die Träger- oder Beteiligungskörperschaften auslösen. Da diese Frage zu bejahen sein wird - insoweit sei das Ergebnis der nachfolgenden Untersuchung vorweggenommen - , ist sodann zu überprüfen, ob das Gesellschaftsrecht diesem sub specie des Prinzips demokratischer Legitimation erforderlichen qualifizierten Steuerungsanspruch zu entsprechen in der Lage ist. Hierbei wird sich zeigen, daß das Gesellschaftsrecht durchaus Wege eröffnet, um den staatlichen sowie kommunalen Eigen· und Beteiligungsgesellschaften die notwendige demokratische Legitimation zu vermitteln. Erforderlich ist indes eine im Wege der Konzernierung theoretisch mögliche Unterstellung der Gesellschaften unter die Weisungsgewalt der Trägeroder Beteiligungskörperschaften. Damit aber nähme man den mit der Leitung der Gesellschaften betrauten Organen jedweden Spielraum zu einer eigenständigen und eigenverantwortlichen Unternehmensführung. Fazit: Der mit der Übertragung bestimmter Aufgaben auf juristische Personen des privaten Rechts intendierte Zweck wäre vereitelt. Dementsprechend gilt es, die Gründe für eine solche Organisationsprivatisierung oder genauer: die Gründe für die Zubilligung unternehmerischer Bewegungsspielräume staatlicher sowie kommunaler Eigen- und Beteiligungsgesellschaften an das Tageslicht zu befördern. Im Vordergrund steht dabei die Überlegung, daß die Übertragung der die öffentliche Verwaltung kennzeichnenden hierarchischen Aufbauund Ablauforganisation auf öffentliche Unternehmen (im weiteren Sinne) eine wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmensführung nicht erwarten läßt. Daher stellt sich die Frage, ob der die Autonomisierung der Eigen- und Beteiligungsgesellschaften der öffentlichen Hand tragende Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit Verfassungsrang beanspruchen kann und damit ebenso wie das grundgesetzliche Prinzip demokratischer Legitimation als verfassungsrechtliches Organisationsprinzip fungiert; oder anders gewendet: ob die Defizite an demokratischer Legitimation, 11

Im Schrifttum wird zumeist zwischen Eigengesellschaften, gemischt-öffentlichen und gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen unterschieden, vgl. H. Dreier, in: dems. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 III Rdnrn. 48, 49; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 26; E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (2 f.); anders hingegen D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 9 f. mit Fn. 15.

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Gegenstand und Gang der Untersuchung

die das Organisationsgefüge öffentlicher Unternehmen kennzeichnen, unter dem Gesichtspunkt der Steigerung der Wirtschaftlichkeit der Gesellschaften verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden können. Weil auch auf diese Frage eine positive Antwort gefunden wird, das Wirtschaftlichkeitsprinzip also verfassungsrechtliche Valenz genießt, ist das strukturelle Dilemma, in dem sich die öffentliche Hand im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Betätigung befindet, dargetan: Da das Demokratie- und das Wirtschaftlichkeitsprinzip einander widerstreitende Vorgaben für die Organisation und Führung öffentlicher Unternehmen aufstellen, können Staat und Kommunen bei ihrer Teilnahme am Wirtschaftsleben nur entweder den einen oder den anderen Verfassungsgrundsatz verwirklichen. Welche Konsequenzen sich aus diesem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis für die Legitimation der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand ergeben, soll im letzten Teil dieser Untersuchung geprüft werden.

Erster

Teil

Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip Kapitel 1

Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen I. Baustruktur des Prinzips demokratischer Legitimation Bei dem Versuch, die sich aus dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip für die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ergebenden verfassungsrechtlichen Direktiven herauszuarbeiten, läuft man allzu leicht Gefahr, sich im Labyrinth der vielschichtigen und variationsreichen inhaltlichen Besetzungen des Begriffs der Demokratie zu verirren. Hintergrund dieser Befürchtung ist der Umstand, daß das Demokratieprinzip nicht nur juristische Relevanz besitzt, sondern auch Gegenstand sozialwissenschaftlicher Diskurse ist. Da Rechts- und Sozialwissenschaften von unterschiedlichen Erkenntnisquellen ausgehen, muß auch bei einem übereinstimmenden Begriffsinstrumentarium die inhaltliche Besetzung des Demokratiebegriffs unweigerlich variieren. Die Arbeit wird dieses Problem umschiffen und nicht danach fragen, mit welchem materiellen Gehalt die sozialwissenschaftlichen Disziplinen dieses Substantiv besetzen. Die ausschließlich der juristischen Begriffsbestimmung verhaftete Darstellung des Demokratieprinzips findet ihren Grund im eigentlichen Anliegen dieser Untersuchung: der Offenlegung eines verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnisses zwischen dem Demokratie- und dem Wirtschaftlichkeitsprinzip als Organisationsgrundsätze für staatliche sowie kommunale Eigen- und Beteiligungsgesellschaften. Daher kann im gegebenen Zusammenhang nur die Entfaltung des (verfassungs-)rechtlichen Demokratieprinzips von Bedeutung sein, nicht aber sein sozialwissenschaftlicher Gehalt. Nach Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Dieses Bekenntnis zum Demokratieprinzip wird durch Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG weiter konkretisiert 1, wonach alle Staatsge1 BVerfGE 83, 60 (71); 93, 37 (66); aus dem Schrifttum statt aller E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 39; R. Herzog, in: Th. Maunz/ G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnrn. 2 f.; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 599.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

wait vom Volke ausgeht. Damit knüpft das Grundgesetz an das Prinzip der Volkssouveränität an; es proklamiert dieses Prinzip zur verfassungsrechtlichen Direktive für die Konstituierung von Staatsgewalt in der Bundesrepublik 2. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG rezipiert diese Grundsatzentscheidung für das Prinzip der Volkssouveränität und macht sie für die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesländer und deren kommunale Untergliederungen zur verbindlichen Richtschnur 3: Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verlangt zwar eine den „Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates" entsprechende Organisation der Länderstaatlichkeit und konkretisiert damit das in Art. 20 Abs. 1 GG niedergelegte Demokratieprinzip. Das in Art. 20 Abs. 2 GG verankerte Prinzip der Volkssouveränität findet jedoch in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG keine ausdrückliche Erwähnung. Gleichwohl drängt es auch für die Bundesländer und für die kommunalen Gebietskörperschaften auf Verwirklichung. Denn zum demokratischen Prinzip „im Sinne des Grundgesetzes", wie es Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verlangt, gehört auch das Bekenntnis des Art. 20 Abs. 2 GG zum Prinzip der Volkssouveränität4. Das Prinzip der Volkssouveränität erlangt daher durch die Homogenitätsklausel des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG Einzug in den Bereich der Länderstaatlichkeit. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß das Homogenitätsgebot des Grundgesetzes nicht auf Konformität oder Uniformität von Bundes- und Landesverfassung gerichtet ist, sondern insoweit lediglich ein Mindestmaß an Homogenität gebietet5. Die HomogenitätsVorschrift beläßt den Ländern nur bei der näheren Ausgestaltung der einzelnen Staatsfundamentalprinzipien einen gewissen legislatorischen Spielraum. Die strikte Bindung der Länder an die leitenden Prinzipien des Grundgesetzes bleibt dadurch jedoch unberührt, weil nur diese Bindung verhindern kann, daß zwischen den Verfassungsräumen von Bund und Ländern ein grundgesetzlich nicht mehr hinnehmbares Gewährleistungsgefalle entsteht. Mit anderen Worten: Die Bindung der Länder an die Staatsfundamentalprinzipien ist Voraussetzung für die vom Grundgesetz postulierte Herausbildung eines Mindestmaßes an Homogenität der Bundesverfassung und der Länderverfassungen 6. Das Prinzip der Volkssouveränität ist in den Modellen der unmittelbaren sowie der mittelbaren Demokratie verwirklicht. Indem Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG als Realisierungsmodi des Prinzips der Volkssouveränität „Wahlen und Abstimmungen" in demselben Atemzug erwähnt wie die Ausübung der Staatsgewalt „durch beson2 BVerfGE 83, 60 (71); 93, 37 (66); E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 2; E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 40. 3 BVerfGE 9, 268 (281); 47, 253 (272); 83, 60 (71); 93, 37 (66); VerfGH NW, DVB1. 1986,1196. 4

R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnr. 92. 5 BVerfGE 9, 268 (279); 24, 367 (390); statt aller in der Literatur B. Pieroth, in: H. D. Jarass/B. Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 28 Rdnr. 1; W. Löwer, in: I. v. Münch/ Ph. Kunig, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, Art. 28 Rdnr. 12. 6 So deutlich BVerfGE 9,268 (279: „gewisse Homogenität durch Bindung an die leitenden Prinzipien" des Grundgesetzes).

1. Kap.: Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen

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dere Organe der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung", scheint das Grundgesetz die Elemente der unmittelbaren und mittelbaren Demokratie auf dem gleichen Rang der Bedeutungsskala zu piazieren 7 . Daß eine solche gleichgewichtige Akzentuierung beider Komponenten trügerisch wäre und das grundgesetzliche Demokratiebild verzerrte, bringen in erster L i n i e 8 die „Ausführungsbestimmungen" 9 zu Art. 20 GG unmißverständlich zum Ausdruck. Plebiszitäre Entscheidungsformen treten in der Verfassung nur vereinzelt zutage (Art. 28 Abs. 1 Satz 4 1 0 , Art. 29, Art. 118 1 1 und Art. 146 GG). I m übrigen folgt sie dem Muster repräsentativer Demokratien 1 2 . Das Grundgesetz jagt daher nicht der Uto7 Vgl. K. Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 114; AT. Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, S. 169; H. Frohn, in: H. Dreier/J. Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 45, 64; R. Geitmann, ZRP 1988, 126 (127); B. Huber, ZRP 1984, 245 (247); R. Herzog, in: Th. Maunz/ G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnrn. 37 f.; K. Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes, S. 79; C.-H. Obst, Chancen direkter Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland, S. 60; Λ. Weber, DÖV 1985, 178 (179). 8 Die parallele Erwähnung beider Demokratieformen läßt sich als rein technische Vorstellung der in Betracht kommenden Entscheidungsmöglichkeiten deuten (K. Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 114 f.; Th. Maunz / R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 72, sprechen insoweit von einer „traditionellen Formulierung"), ohne daß dadurch zugleich eine Festlegung über ihre materielle Gewichtung und Rangfolge erfolgen sollte (Κ . Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 115 m. w. N. in Fn. 28). Die grammatikalische Auslegung des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG führt keinesfalls zwingend zu einer gleichgewichtigen Betonung beider demokratischen Entscheidungsformen nach dem Grundgesetz, K. Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 115, erachtet den Verfassungstext insoweit zutreffend als „unergiebig". 9 R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnr. 38. 10

Art. 28 Abs. 1 Satz 4 GG ist auf die besonderen Verhältnisse sehr kleiner Gemeinden zugeschnitten und hat nach den Gebietsreformen in den Ländern kaum noch praktische Bedeutung (vgl. nur B. Pieroth, in: H. D. Jarass/B. Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 28 Rdnr. 4b). 11 Art. 118 GG ist nach einhelliger Auffassung gegenstandslos geworden (Κ . Bugiel, Volkswille und repräsentative Demokratie, S. 119; H. D. Jarass, in: dems./B. Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 118; Th. Maunz, in: dems./G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 118 Rdnr. 5). Künftige Gebietsveränderungen im Raum Baden-Württemberg sind allein im Verfahren nach Art. 29 GG möglich (H. D. Jarass, in: dems./B. Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 118). 12 Dies folgt freilich nicht aus der systematischen Stellung des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Art. 29 GG, in dem - neben Art. 118 GG - nach überwiegender Lehrmeinung die Anwendungsfälle der Abstimmungen" abschließend geregelt sein sollen (vgl. nur D. Grimm, NJW 1989, 1305 (1306); Κ. A. Hernekamp, Formen und Verfahren direkter Demokratie, S. 1 und 306; R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnrn. 43 f.; vgl. die weiteren zahlreichen Nachweise bei K. Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, S. 80 f. Fn. 7 und 9). Denn an den Abstimmungen im Sinne des Art. 29 GG nehmen nur die in dieser Bestimmung erwähnten Teil Völker der Länder teil (vgl. Art. 28 Abs. 3 GG: „Gebiete oder Gebietsteile"), während nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG Legitimationssubjekt das (gesamte) Bundessolk ist. Art. 29 GG ist damit kein Anwendungsfall der »Abstimmungen" im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, so daß insoweit systematischen Überlegungen von vornherein der Boden entzogen ist (so zutreffend K. Bugiel, Volkswille

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

pie einer unmittelbaren Demokratie nach; die Vorstellung, das Volk durch permanent stattfindende Volksversammlungen und -abstimmungen selbst zum Akteur der Staatsgewalt avancieren zu lassen, mag zwar ideentheoretisch eine gewisse Faszination auslösen, wird jedoch den Gegebenheiten hochkomplexer Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts nicht gerecht; es kann daher auch nicht verwundern, daß dieser Demokratietypus in keinem demokratischen Staat verwirklicht worden ist 1 3 . Auch das Grundgesetz realisiert das Prinzip der Volkssouveränität in seiner repräsentativen Form: Das Volk regiert zwar, aber nicht selbst, sondern durch die von ihm eingesetzten und ihm gegenüber verantwortlichen besonderen Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung14. Das Prinzip der Volkssouveränität in seiner repräsentativen Ausgestaltung zerfällt damit in zwei Unterprinzipien: Zum einen vermittelt es als Legitimationsprinzip den Staatsorganen den Rechtfertigungsgrund für die Ausübung politischer Herrschaftsmacht über Menschen. Zum anderen stellt es organisationsrechtliche Anforderungen an diesen Legitimationsprozeß. Die Wahrnehmung politischer Herrschaftsgewalt muß in einer Weise organisiert sein, daß die durch sie begründete Machtausübung von Menschen über Menschen als Ausdruck der Selbstbestimmung des Volkes erscheint. Nur wenn diese Bedingung erfüllt ist, ist Staatsgewalt demokratisch legitimiert. Das demokratiestaatliche Legitimations- und Organisationsprinzip stehen daher nicht in einem beziehungsfreien Umfeld. Vielmehr setzt die demokratische Legitimation eine bestimmte, legitimationsstiftende Ordnung des politischen Herrschaftsgefüges voraus; sie läßt sich nur in einer rechtlich verfaßten und gebundenen Herrschaftsordnung verwirklichen, in der dem Volk die Rolle des Legitimationssubjekts für die Hervorbringung und Ausübung sämtlicher Staatsgewalt zukommt, sich also die Meinungs- und Willensbildung in der vom Volk zu den Staatsorganen verlaufenden Stufenfolge vollzieht und den Gewaltunterworfenen das Recht verleiht, die Ausübung von Staatsgewalt zu lenken und zu kontrollieren 15 . Erfordert das Prinzip der Volkssouveränität somit ein rechtlich geordnetes Verfahren der Herrschaftsrechtfertigung, so sind deren demokratische Legitimation vermittelnden Bausteine aufzuzeigen. Die einzelnen Elemente der demokratischen Organisationsstruktur müssen sich zu einer Gesamtkonzeption fügen, welche einen effektiven Einfluß des Volkes auf die Ausübung von Staatsgewalt zu gewährleisten und repräsentative Entscheidung, S. 119 ff.). Die demokratisch repräsentative Grundstruktur des Grundgesetzes ergibt sich vor allem aus den Zuständigkeiten der jeweiligen Staatsorgane (vgl. nur Art. 38, Art. 59, Art. 65, Art. 76 ff. GG), die eine Beteiligung der Aktivbürgerschaft an den zu treffenden staatlichen Entscheidungen nicht vorsehen und damit ausschließen. »3 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 204 ff.; ders., in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 I I Rdnr. 37. 14 Vgl. BVerfGE 44, 125 (138); 47,253 (271 f.); 83,60 (71), 93, 37 (66). is E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnrn. 8 f.; E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 40 f.

1. Kap.: Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen

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vermag 16. Dabei lassen sich verschiedene Formen demokratischer Legitimationsstränge unterscheiden, die gemeinhin unter dem Titel der institutionellen, funktionalen, personellen und sachlich-inhaltlichen Legitimation firmieren 17.

1. Institutionelle und funktionelle Legitimation Die institutionelle Legitimation wird im Wege der Kreation der Staatsorgane durch den Verfassungsgeber selbst begründet. Mit der organisatorischen Verankerung der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt in Art. 20 Abs. 2 GG wird diesen Staatsorganen der erforderliche institutionelle Legitimationstitel verliehen 18 . Die funktionelle Legitimation ist Ausfluß der institutionellen, da Staatsorgane zur Erfüllung von Funktionen geschaffen werden 19 ; die Konstitutierung von Staatsorganen ohne eigenen Funktionsbereich wäre offensichtlich sinnlos 20 . Diese in Art. 20 Abs. 2 GG verankerte Grundentscheidung der verfassungsgebenden Gewalt für die institutionelle und funktionelle Legitimation der drei Gewalten schließt es etwa aus, aus dem Demokratiegebot des Grundgesetzes einen Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlaments- und Gesetzesvorbehalts herzuleiten und die Befugnisse der vollziehenden Gewalt auf weniger bedeutsame Entscheidungen zu beschränken 21.

2. Personelle und sachlich-inhaltliche Legitimation Die institutionelle und die funktionelle Legitimation beziehen sich jedoch lediglich auf die drei Gewalten mit ihren Funktionsbereichen, sie vermitteln dem kon16 Vgl. BVerfGE 83, 60 (71 f.); 93, 37 (66 f.); E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 14; E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 327. π Vgl. nur BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66 f.); E.-W. Böckenförde, Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 14.

in: J. Isensee/P.

ι» BVerfGE 49, 89 (125); 68, 1 (89); H. H. v. Arnim, AöR Bd. 113 [1988], 1 (19); E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 15; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 197; R. Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 39; M. Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 145. 19 E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 15; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 198; R. Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 40; M. Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlichrechtlicher Körperschaften, S. 145. 20

F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 198; M. Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 145. 2 1 BVerfGE 49, 89 (125); 68,1 (89); E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 15; M. Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlichrechtlicher Körperschaften, S. 144 f.; siehe ferner F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 196 ff.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

kreten Amtswalter und seiner Amtsführung innerhalb des zugewiesenen Legitimationsbereichs aber keine Legitimationsgrundlage. Daß auch diese beiden Aspekte unverzichtbare Bestandteile des demokratischen Legitimationskonzepts des Grundgesetzes darstellen, macht Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG augenscheinlich. Indem dort davon die Rede ist, daß das Volk durch besondere Organe der drei Gewalten Staatsgewalt ausübt, unterwirft das Grundgesetz zum einen die besonderen Organe, also die einzelnen Amtswalter, dem Gebot demokratischer Legitimation; zum anderen läßt das Verb „ausüben" deutlich werden, daß nicht nur die Person des Amtsträgers, sondern darüber hinaus auch dessen gesamtes Tätigkeitsfeld legitimationsbedürftig ist. Das grundgesetzliche Modell demokratischer Legitimation umfaßt daher zwei weitere Komponenten, eine personelle und eine sachlich-inhaltliche; beide Legitimationsstränge müssen in dem Willen des Volkes ihren Ursprung finden. a) Personelle Legitimation Die personelle Legitimation verlangt eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk bis zu den mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben betrauten Amtswaltern. Dieses Legitimationserfordernis erstreckt sich auf jeden einzelnen Amtswalter 22 . Der einzelne Amtsträger bezieht damit seine Legitimationskraft nicht bereits aus institutionellen Legitimationsquellen23. Ebenso wenig reicht dafür ein abstraktes, die Besetzung von öffentlichen Ämtern mit individuellen Persönlichkeiten nur generell regelndes Kreationsverfahren aus 24 . Das Grundgesetz geht über die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Vorstellungen von Volkssouveränität hinaus 25 und verbannt eine Personalpolitik nach dem Muster des Thronfolgeprinzips oder dynastischer Herrschaftsübertragung in den Bereich vordemokratischen Gedankenguts26. Die dem Volk nach Art. 20 Abs. 2 GG zugewiesene Aktivträgerschaft sämtlicher Staatsgewalt erfordert die demokratische Legitimation bestimmter, individueller Amtspersonen. 22 E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 16; R. Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 39; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 210; ders., in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnrn. 50 ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und KondominialVerwaltung, S. 269; S. Magiern, Parlament und Staatsleitung, S. 103. 23 R. Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 39. 24 E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 16; R. Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 39; R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnrn. 51 ff.; S. Magiera, Parlament und Staatsleitung, S. 103. 25 Dazu im einzelnen R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, 208 ff.; ders., in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnrn. 33 ff. 26 R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnrn. 51 f.; siehe auch E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 16.

1. Kap.: Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen

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Dieses Prinzip der individuellen Berufung 27 verlangt grundsätzlich keine unmittelbare Volkswahl, wenngleich ein solcher Kreationsmodus eine besondere demokratische Dignität zu begründen vermag 28 . Für den Bereich der staatlichen Verwaltung reicht ein mittelbarer Legitimationszusammenhang aus, der durch eine vom Volk über die von diesem gewählte Vertretung zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern reichende ununterbrochene Legitimationskette hergestellt wird 2 9 . Nur für die Vertretungsorgane der Gemeinden und Kreise sieht Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG eine unmittelbare personelle Legitimation vor 30 . Der einzelne Amtswalter verfügt daher nur dann über die gebotene Legitimation, wenn er entweder vom Volk selbst gewählt oder aber von einer Amtsperson berufen wird, die wiederum selbst legitimiert ist 3 1 . Daraus kann sich ein ausdifferenziertes Legitimationsnetz ergeben, das zwar seinen Anfangspunkt stets in der Aktivbürgerschaft findet, sodann jedoch entweder über unmittelbare oder aber mittelbare Legitimationsstränge zu dem einzelnen Amtswalter gesponnen wird. Der Blick auf das durch das Grundgesetz ausgestaltete Legitimationsmodell der Ministerialbürokratie des Bundes zeigt einen stark mediatisierten Ableitungszusammenhang der einzelnen Exekutivorgane. Der nach Art. 38 GG unmittelbar vom Volk gewählte Bundestag vermittelt der Exekutive die personale Legitimation nur über den Bundeskanzler, der sowohl vom Parlament gewählt wird (Art. 63 GG) als auch von diesem durch konstruktives Mißtrauensvotum abgewählt werden kann (Art. 67 GG). Einen unmittelbaren Einfluß auf die Zusammensetzung der Exekutive hat der Bundestag also nicht. Er wählt weder die Bundesminister noch steht ihm die Befugnis zu, diese ihres Amtes zu entheben. Vielmehr werden die Bundesminister gemäß Art. 64 GG auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt 27 Diese Terminologie geht zurück auf R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 210; dens., in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnr. 52. 28 E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 16; siehe auch J. Oebecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, S. 91; anders hingegen E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (360): „Daß die kürzere Kette eine höhere demokratische Dignität verleihe, ist ein politisches Werturteil, das in der rechtlichen Dogmatik keine Entsprechung findet." 2 9 Vgl. BVerfGE 77, 1 (40); 83,60 (72 f.); 93, 37 (67); vgl. aus dem Schrifttum statt vieler R. Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 39; R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/ R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 I I Rdnrn. 52 f.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und KondominialVerwaltung, S. 268; F. Ossenbühl, Grenzen der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, S. 39; M. Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlich-rechtlicher Körperschaften, S. 148; R. Schäfer, Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, S. 40; E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (360 f.). 30 BVerfGE 47, 253 (275); 52, 95 (130); 83,60 (72); 93, 37 (67).

31 Vgl. BVerfGE 47, 253 (275); 77, 1 (40); 83, 60 (72 f.); VerfGH NW, DVB1. 1986, 1196; E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 16; R. Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 39; R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/ R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnrn. 52 f.; F. Ossenbühl, Grenzen der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, S. 39; M. Papenfuß, Die personellen Grenzen der Autonomie öffentlichrechtlicher Körperschaften, S. 148; R. Schäfer, Mitbestimmung in kommunalen Eigengesellschaften, S. 40; E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (360).

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

und entlassen. Die Bundesminister können nur mittelbar über das konstruktive Mißtrauensvotum gegen den Bundeskanzler (Art. 67 GG) vom Bundestag entfernt werden. Die Legitimation der Bundesminister und der nachgeordneten Ministerialbürokratie wird daher ausschließlich über die Wahl des Bundeskanzlers durch den Bundestag vermittelt 32 . Das Prinzip der individuellen Berufung besitzt neben seiner personellen Komponente noch eine organisationsrechtliche Dimension. Die demokratische Legitimation des konkreten Amtswalters spendet auch dem staatlichen Organ, für das er gegenüber dem Bürger tätig wird, die notwendige Legitimation. Verfügt der einzelne Amtswalter über eine auf das Volk zurückgehende Legitimationskette, ist auch das von ihm besetzte staatliche Organ demokratisch legitimiert 33 . Die organisatorische Legitimation ist an die personelle akzessorisch gebunden. Aus diesem Akzessorietätsverhältnis folgt ein weiteres Erfordernis des personellen Legitimationselementes. Die individuelle Berufung eines jeden Amtswalters muß im Hinblick auf ein bestimmtes Amt mit einem bestimmten Aufgabenbereich erfolgen 34. Der legitimierende Akt liegt nicht in der Zuerkennung eines bestimmten Status, sondern in der Übertragung eines konkreten Amts. Das Aufgabenfeld muß umrissen sein und darf weder zur Disposition des Amtswalters noch eines Nichtlegitimierten stehen. Soll der einzelne Amtswalter mit einer Aufgabe betraut werden, die außerhalb des Geschäftsbereichs des jeweiligen Amtes liegt, bedarf es hierzu eines besonderen legitimationsvermittelnden Aktes durch demokratisch legitimierte Personen35.

32 Demgegenüber besitzen nach den Verfassungen der Länder die Parlamente teilweise weitergehende Einflußmöglichkeiten auf die Berufung und Abberufung der Minister: So werden die Minister in Berlin (Art. 56 Abs. 2, 57 Abs. 2 VerfBln) und in Bremen (Art. 107 Abs. 2, Art. 110 VerfBrem) vom Parlament direkt gewählt und abgewählt. In Baden-Württemberg (Art. 46 Abs. 3 VerfBW), Niedersachsen (Art. 29 Abs. 3 VerfNds) und RheinlandPfalz (Art. 98 Abs. 2 Satz 3 VerfRh-Pf) bedarf die gesamte Landesregierung der Zustimmung des Parlaments. In einigen Bundesländern bedarf jede nachfolgende Ernennung oder Entlassung eines Ministers der Zustimmung des Parlaments (so für die Ernennung und Entlassung in Niedersachsen [Art. 24 Abs. 4 VerfNds], für die Ernennung in Baden-Württemberg [Art. 46 Abs. 4 VerfBW], für die Entlassung in Hessen [Art. 112 VerfHess] und Rheinland Pfalz [Art. 98 Abs. 2, Satz 4 VerfRh-Pf]). In Baden-Württemberg (Art. 56 VerfBW), RheinlandPfalz (Art. 99 Abs. 2 VerfRh-Pf) und im Saarland (Art. 88 VerfSaarl) kann das Parlament einzelne Minister zum Rücktritt zwingen. 33 E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 16. 34 J. Oebecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, S. 84 m. w. N. 35 Demgemäß legitimiert die Wahl in ein staatliches oder kommunales Vertretungsorgan lediglich zur Wahrnehmung des Mandats in der Vertretungskörperschaft, nicht aber zur Entsendung in ein öffentliches Unternehmen. Hierzu bedarf es noch eines weiteren legitimationsbegründenden Aktes, etwa in Form eines Beschlusses der Vertretungskörperschaft (vgl. J. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, S. 84 Fn. 31).

1. Kap.: Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen b) Sachlich-inhaltliche

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Legitimation

Die personelle Legitimation der Amtswalter reicht zur Herrschaftsrechtfertigung indes nicht aus. Das in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG verwandte Verb „ausüben" macht augenscheinlich, daß sich das Gebot demokratischer Legitimation nicht nur auf staatliche Institutionen und Personen bezieht, sondern auch auf deren Entscheidungen. A n dieser Stelle setzt das Gebot sachlich-inhaltlicher Legitimation an. Es verlangt, daß auch das Handeln der mit der Erfüllung staatlicher Aufgaben betrauten Amtswalter auf den Willen des Volkes rückführbar, das heißt, die Ausübung von Staatsgewalt ihrem Inhalt nach vom Volk ableitbar i s t 3 6 . Das sachlich-inhaltliche Legitimationssegment bildet ein weiteres Steinchen i m Mosaik des grundgesetzlichen Konzepts demokratischer Legitimation. Es tritt neben die personale Legitimationskomponente und hilft damit, die Entstehung von Legitimationslücken zu vermeiden. Wie ist nun aber sicherzustellen, daß dem Gebot sachlich-inhaltlicher Legitimation entsprechend jeder hoheitlicher A k t tatsächlich seinen Ursprung i m Volkswillen findet? Zur Erreichung dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe steht ein umfangreiches Arsenal legitimationsstiftender Steuerungsinstrumente 37 zur Verfüg u n g 3 8 , innerhalb dessen zum einen zwischen den temporalen Ordnungskategorien der präventiven Lenkung und der repressiven Kontrolle 3 9 unterschieden werden

36 E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 21; E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 43; R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnr. 48. 37 Der Begriff der Steuerung wird im Rahmen dieser Arbeit als umfassender Oberbegriff für Leitung, Lenkung und Kontrolle verstanden. Leitung bedeutet die umfassende Führungsgewalt der Exekutivspitze gegenüber nachgeordneten Organen oder Institutionen. Lenkung ist ein präventives Steuerungsinstrument; es bezieht sich auf zukünftige Entscheidungen. Unter Kontrolle wird hingegen die nachträgliche Steuerung verstanden; sie umschließt die Befugnis zur Beaufsichtigung von Personen und Entscheidungen sowie zur Einforderung der getroffenen Entscheidungen; so wie hier E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 48 f. m. w. N.; anders etwa R. Mayntz, Soziologie der öffentlichen Verwaltung, S. 74 ff., wonach der Kontrollbegriff nicht vom Gehalt der Steuerung erfaßt ist; M. Strößenreuther, Die behördeninterne Kontrolle, S. 25, der unter Zugrundelegung eines in mehrere Subentscheidungen zerfallenden Entscheidungsbegriffs Kontrolle nicht nur auf nachträgliche, sondern zugleich auch auf vorherige und begleitende Steuerungsmöglichkeiten erstreckt. 38 Dazu eingehend, differenzierend zwischen den Steuerungsinstrumenten des Parlaments und der unmittelbaren Staatsverwaltung, E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 66 f. 39 Dieser Differenzierungsversuch darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auch Steuerungsinstrumente gibt - wie etwa die Aufsichtsbefugnis als Mittel der Dienst-, Fachund Rechtsaufsicht - , die sowohl präventiv als auch repressiv eingesetzt werden können. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß die Anwendungsfelder beider Steuerungsmöglichkeiten nicht immer trennscharf gegeneinander abschichtbar sind, sondern teilweise zahlreiche Verbindungslinien aufweisen; so besitzt beispielsweise eine Kontrollmaßnahme, mit der eine bereits getroffene Entscheidung nachträglich korrigiert oder aufgehoben wird, regelmäßig 3 Gersdorf

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

kann, zum anderen zwischen den abstrakt Verhaltens- und den konkret inhaltsbestimmenden Techniken. Im gegebenen Zusammenhang soll der Blick allein auf das Gesetz als legitimationsstiftendes Steuerungsinstrument gelenkt werden; andere Lenkungsmittel, wie namentlich die Weisungsbefugnis als entscheidendes dem Prinzip sachlich-inhaltlicher Legitimation zur Verwirklichung verhelfendes Lenkungsinstrument, werden an anderer Stelle dargestellt und erörtert. Unter den Formen präventiver Steuerung nimmt das parlamentarische Gesetz eine Schlüsselfunktion ein. In ihm äußert sich der Wille der durch Wahlakt unmittelbar legitimierten Repräsentativorgane des Volkes 40 . Das Gesetz ist damit Transmissionsriemen für die Legitimation des staatlichen Handels41. Dabei nimmt es auf der Bedeutungsskala legitimationsvermittelnder Faktoren nicht lediglich einen unbedeutenden Mittelplatz ein. Die besondere demokratische Weihe des Gesetzes läßt es traditionell und aktuell zum zentralen Verbindungsstück zwischen den Entscheidungen staatlicher Organe und dem Volk avancieren 42. Allerdings muß noch ein weiterer Faktor hinzutreten, damit das Gesetz seine legitimationsstiftende Steuerungskraft entfalten kann: die Bindung sämtlicher Staatsorgane an die vom Parlament beschlossenen Gesetze43. Eine praeter legem liegende Rechtsanwendungspraxis rutscht in das demokratiewidrige Abseits. Das Gesetz vermag nur dann als Mittler sachlich-inhaltlicher Legitimation zu fungieren, sofern sich die von den Staatsorganen ausgehenden Entscheidungen innerhalb der legislatorisch vorgezeichneten Bahnen bewegen. Die durch Art. 20 Abs. 3 GG begründete Gesetzesbindung löst diese Forderung ein. Sie hat neben den rechtsstaatlichen Elementen der Vorhersehbarkeit, Berechenbarkeit und Meßbarkeit staatlichen Handelns noch eine weitere, im Demokratieprinzip wurzelnde Funktion: Sie ist das Kernstück des grundgesetzlichen Konzepts demokratischer Legitimation. Das Institut auch Lenkungswirkung in bezug auf das künftige Verhalten des Kontrollierten. Die Trennung zwischen vorheriger und nachträglicher Steuerung ist daher nur als eine eher holzschnittartige Kategorisierung legitimationsstiftender Steuerungsmethoden zu qualifizieren; zweifelnd an der dogmatischen Leistungsfähigkeit einer solchen Differenzierung auch E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 47 f. 40 M. Kriele, VVDStRL Bd. 29 [1971], 46 (64: „Die Wahl vermittelt die demokratische Legitimation des Gesetzes.") 41

R. Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 75. Vgl. BVerfGE 83, 60 (72); 93, 37 (66); zur zentralen Rolle des Gesetzes im demokratischen Verfassungsstaat vgl. nur E. Schmidt-Aßmann, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 24 Rdnr. 58; dens., in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 70 Rdnr. 23; dens., AöR Bd. 116 [1991], 329 (357); P. Badura, in Festschrift für O. Bachof, S. 169 (171); H. Dreier, in: dems./J. Hofmann (Hrsg.), Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 11 (43); dens., Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 160 ff.; R. Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 74 f.; R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/ R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 I I Rdnr. 84; F. Ossenbühl, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR ΠΙ, § 70 Rdnr. 23; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 825 ff. 42

4 3 Siehe nur E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (357); E.-W. Böckenförde, J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 21.

in:

1. Kap.: Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen

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der Gesetzesbindung aller Staatsgewalt ist nicht nur rechtsstaatlich, sondern auch demokratisch fundiert 44 . Schon an dieser Stelle soll indes vor einer uneingeschränkten und undifferenzierten Hervorhebung des Gesetzes innerhalb des Spektrums der Legitimationsfaktoren gewarnt werden. Die Steuerungskraft des Gesetzes variiert und damit auch die durch sie vermittelte demokratische Legitimation. Sie erreicht ihren Maximalwert, sofern der konkrete Subsumtionsvorgang in der Norm selbst bereits determiniert ist, so daß die Entscheidung gewissermaßen „aus dem Gesetz" folgt. Die Rolle des Rechtsanwenders schrumpft in diesem Subsumtionsmodell zu einem automatenhaften Gesetzesvollzug zusammen. Der legitimatorisch positive Effekt besteht in der vollständigen Übereinstimmung von Einzelfallentscheidung und legislatorischem Willen; der konkrete Rechtsanwendungsakt erscheint als unverfälschte und reine Stimme des Gesetzgebers, frei und ungetrübt von subjektiven Erwägungen des mit der Subsumtion gesetzlicher Bestimmungen betrauten Norminterpreten. Daß dieses Modell eines maschinellen Normumsetzungsverfahrens zum Scheitern verurteilt ist, bedarf keiner besonderen Begründung. Schon der Blick auf die Komplexität der Sach- und Lebensverhältnisse in modernen Gesellschaften und die große Variabilität der sie prägenden Faktoren läßt deutlich werden, daß ein solches Konzept nur von theoretischem Wert ist. Es ist unausweichlich, daß sich zwischen Norm und Sachverhalt ein Graben auftut, den zu überbrükken der Rechtsanwender berufen ist 4 5 . Daß ihm dabei ein mehr oder weniger großer Manövrierspielraum verbleibt, ist unvermeidbar 46. Das Ausmaß dieser Freiräume bestimmt sich in erster Linie nach der Grundstruktur der vom Gesetzgeber getroffenen Soll-Vorgabe. Regelt der Gesetzgeber diese Sollvorgabe in Gestalt eines sogenannten Konditionalprogramms, so steht fest, daß bei Vorliegen bestimmter Umstände eine bestimmte Entscheidung anzuordnen („Muß-Vorschrift") oder zumindest zugelassen („Kann-Vorschrift") ist. Der Entscheidende muß aber zunächst im Wege der Eigenprüfung untersuchen, ob die Umstände, die in der Vorgabe tatbestandlich umschrieben sind, vorliegen. Enthält dabei der Tatbestand unbestimmte, wertungsbedürftige Rechtsbegriffe, ist das Eigengewicht des Normin44 Vgl. zu dieser „Doppelfunktion" des Prinzips der Gesetzesbindung (der Verwaltung) E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (357); E Ossenbühl, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 62 Rdnrn. 32 ff.; H. Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, S. 198 ff., 207 ff.; siehe ferner G. F. Schuppert, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992, 186 (193), der das Treuhandgesetz nicht nur unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten für bedenklich hält, sondern auch dessen Steuerungstauglichkeit in Frage stellt und damit den Überschneidungsbereich von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip treffend beschreibt. 4 5 E. Schmidt-Aßmann, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19IV Rdnr. 182: Das Gesetz ist kein „Speicher fertiger Antworten", sondern bedarf der Konkretisierung; ausführlich zu den Grenzen des Gesetzes als Steuerungsmedium H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 164 ff. 46

H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 168, bezeichnet die Unvermeidbarkeit offener Normen zu Recht als „rechtstatsächlichen Grundtatbestand". 3*

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

terpreten entsprechend größer, die Steuerungsfunktion des Gesetzes dagegen geringer. Die Direktionskraft des Gesetzes verliert weiter an Gewicht, wenn die Norm dem Rechtsanwender auch noch auf der Rechtsfolgenseite Ermessen eröffnet, so daß der Entscheidung zwar ein gewisser Rahmen gesetzt ist, ihr konkreter Inhalt aber noch nicht vollständig feststeht. Trotz dieser Steuerungsdefizite ermöglicht der in den Konditionalprogrammen formulierte „Wenn-Dann-Satz" eine zumindest in den Konturen feststehende Verhaltensprogrammierung. Konditionalprogramme finden sich daher vor allem in der klassischen Eingriffsverwaltung 47, deren Rechtsakte auch unter rechtsstaatlichen Leitzielen der hinreichenden Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit bedürfen. Demgegenüber fallen die sogenannten Zweckprogramme 48 in ihrer Funktion als legitimationsvermittelnde Steuerungsinstrumente deutlich hinter den Konditionalprogrammen zurück. Die Festlegung von Zielen als Grundlage für das vorgabengerechte Entscheiden ermöglicht keine ausdifferenzierte, auf bestimmte Situationen bezogene Verhaltenssteuerung. Zweckprogramme legen die Bestimmung der zur Zielverwirklichung gebotenen Maßnahmen im wesentlichen in die Hände des Normanwenders. Der Verzicht auf eine vorherige abstrakte Typisierung der Sachverhaltskonstellationen führt zu einem Kompetenzzuwachs des Entscheiders. Unabhängig von diesen systemimmanenten Defiziten hängt die Steuerungsfahigkeit von Zweckprogrammen vor allem aber von dem Konkretisierungsgrad des in ihnen enthaltenen Normziels ab. Mangelt es den Zielvorgaben an klaren und eindeutigen Zielinhalten, an Maßgaben über den Grad der anzustrebenden Zielerreichung, an zeitlichen Bezügen oder, sofern mehrere Ziele angestrebt werden, an der Festlegung von Zielgewichten, so wird das Zweckprogramm seiner Steuerungsfunktion im wesentlichen entkleidet. Der Normanwender muß in diesem Fall an die Stelle des Gesetzgebers treten, eine eigene Zielkonzeption entwerfen, die durch Unschärfe gekennzeichneten Zielvorgaben konkretisieren und auf diese Weise die vom Gesetzgeber geschaffenen Lücken schließen49. In gesetzestechnischen Kategorien gesprochen: Die der Verwaltung eingeräumten Interpretations-, Handlungs-, Wertungs- und Ermessensspielräume bilden die Weichzonen in dem sachlich-inhaltlichen Legitimationsstrang des Gesetzes. Je 47

Zu nennen ist insbesondere das weite Feld des Polizei- und Ordnungsrechts, vgl. R. Mayntz, in: ders./F. Scharpf (Hrsg.), Planungsorganisation, S. 98 (100); M. Strößenreuther, Die behördeninterne Kontrolle, S. 51. 48

Vgl. dazu ausführlich aus systemtheoretischer Sicht N. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, S. 257 ff.; siehe auch M. Strößenreuther, Die behördeninterne Kontrolle, S. 53 ff. 49 So zur Problematik der Steuerung öffentlicher Unternehmen G. F. Schuppert, Anlage zur Drs. 9/4545 der HmbBü, 3 (10, 26); ders., in: Th. Thiemeyer (Hrsg.), Instrumentalfunktionen öffentlicher Unternehmen, S. 139 ff.; speziell zur ungeklärten Relation von Sanierung und Privatisierung und zu dem Spannungsverhältnis von betriebswirtschaftlichen, strukturund sozialpolitischen Zielsetzungen nach dem Treuhandgesetz N. Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, S. 25; R. Schmidt, in: P. Hommelhoff (Hrsg.), Treuhandunternehmen im Umbruch, S. 17 (25); G. F. Schuppert, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1992,186(192).

1. Kap.: Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen

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größer diese Spielräume sind, desto schwächer ist die legitimationsvermittelnde Kraft des Gesetzes. Der „Demokratiewert" des Gesetzes nimmt proportional zur Regelungsdichte der Norm zu; je offener und unbestimmter der Rechtssatz ist, desto geringer ist sein legitimationsstiftender Gehalt. Auf diese Zusammenhänge wird an anderer Stelle nochmals zurückzukommen sein 50 .

I I . Verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Grundvoraussetzung für individuelle Freiheit und Demokratie Auch wenn die in der Vergangenheit mit Vehemenz geführte Diskussion um das Verhältnis von Staat und Gesellschaft inzwischen an Intensität zu verlieren scheint, so wäre die Schlußfolgerung gleichwohl trügerisch, daß sich die hiermit verbundenen Streitfragen erledigt oder geklärt hätten. Die Kluft zwischen den diametralen, ja unversöhnlichen Positionen besteht weiterhin fort, ohne daß ein konfliktbereinigender Brückenschlag möglich erscheint. Auch heute noch läßt sich die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als „die Schicksalsfrage nach einem liberalen und freiheitlichen Gemeinwesen"51 bezeichnen52. Zu dem Abbau der Fronten hat sicherlich nicht beitragen können, daß den rechtlichen Untersuchungen teilweise politologische, soziologische und geschichtswissenschaftliche Argumentationselemente beigefügt wurden, deren indifferente Begrifflichkeiten und Erkenntnisinteressen die Auseinandersetzung und Klärung des verfassungstheoretischen Problemkreises erschwerten 53. Im Rahmen dieser Untersuchung wird man an mehreren Stellen mit diesem Problemfeld konfrontiert werden. Deshalb erscheinen einige grundsätzliche Ausführungen zu den von Verfassungs wegen vorgegebenen unterschiedlichen Funktionsordnungen von Staat und Gesellschaft unverzichtbar. Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft hat liberal-rechtsstaatliche Wurzeln, die der neuzeitlichen europäischen Emanzipationsbewegung der „bürgerlichen" Gesellschaft entspringen, dort gleichsam ihren Anfang finden, und bis in die freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaaten der Gegenwart reichen 54. Staat und Gesellschaft stehen dabei als Inbegriff unterschiedlicher Funktions- und Ordnungs50

Zu der nur begrenzten legitimationsvermittelnden Steuerungskraft von Satzungen staatlicher sowie kommunaler Eigen- und Beteiligungsgesellschaften eingehend unten im zweiten Teil, Kapitel 2, S. 271 ff. 51 K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 247. 52 M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 181. 53 So zutreffend H. H. Rupp, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 28 Rdnr. 1; B. Kempen, Formen wahlfreiheit der Verwaltung, S. 34. 54 Vgl. E.-W. Böckenförde, in: Festschrift für O. Brunner, S. 248 ff. (insbesondere 254 ff.); dens. y Staatstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 10 ff.; H H. Rupp, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 28 Rdnrn. 3 ff.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

strukturen. Die Gesellschaft, das Gemeinwesen, bildet das Sammelbecken für die Menschen und deren Organisationen, die nach privatautonomen, selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Handlungsmustern in Ausübung ihrer individuellen oder kollektiven Freiheiten ihre Partikularinteressen zu artikulieren und durchzusetzen trachten 55. Gesellschaft wie ihre Bestandteile wirken nach dem Prinzip des freien Interesses56. Demgegenüber bildet das objektive Prinzip das Baufundament des (Verfassungs-)Staates. Sind der einzelne und die gesellschaftlichen Verbände frei, also in ihren Motiven, Zielen und Maßstäben für ihr Handeln nicht festgelegt, so tritt der Staat unter einem anderen, hierzu in einem krassen Kontrast stehenden Gesetz an: Er ist auf das Partikularinteressen Übergreifende gerichtet, er muß die konkurrierenden und gegenläufigen Interessen in der Gesellschaft zu einem Ausgleich bringen; kurzum: Er ist dem Gemeinwohl verpflichtet, er hat das Gemeinwohl zu bestimmen und ihm zur Verwirklichung zu verhelfen 57. Deshalb darf er sich nicht mit einzelnen Gruppeninteressen identifizieren. Dem objektiven Prinzip korrespondiert die Nicht-Identifikation 58 , die Neutralität im gesellschaftlichen Interessenkonflikt 59. Er kann seiner gemeinwohlstiftenden und -erhaltenden Funktion nur dann entsprechen, wenn er nicht in den Sog gesellschaftlicher Partikularinteressen gerät, er muß die notwendige Distanz zu den gesellschaftlichen Machtgruppen wahren 60. Das objektive Prinzip verlangt weiter die Objektivität der mit Ausübung staatlicher Macht betrauten Amtswalter. „Die Teilhabe an der staatlichen Herrschaft fordert Askese: den Verzicht auf Eigenmacht und Eigennutz, auf Selbstverwirklichung und Subjektivität, den ausschließlichen, sachbezogenen unparteiischen Dienst für das Wohl der Allgemeinheit ( . . . ) . u 6 1 Während materieller und ideeller Eigennutz als Triebfeder grundrechtlicher Freiheitsausübung vom verteilenden Sozialstaat vorausgesetzt, zumindest aber hingenommen wird, darf der einzelne Amtswalter aus der ihm anvertrauten Macht keine Vorteile ziehen; ein 55 Vgl. hierzu statt vieler E.-W. Böckenförde, Staatstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 26; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 181 \H. H. Rupp, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 28 Rdnrn. 26 und 33. 56 Die Differenzierung zwischen dem subjektiven Prinzip der Freiheit und dem objektiven Prinzip des Staates geht zurück auf W. Loschelder, Vom besonderen Gewaltverhältnis zur öffentlich-rechtlichen Sonderbindung, S. 247 ff., insbesondere 265 bis 279; siehe ferner J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 63; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 181. 57 Siehe dazu nur J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 57; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 181. 58 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff. 59 K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 236 ff.; J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 57; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 181. 60 J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 57.

7. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR ΙΠ, § 57 Rdnr. 10; siehe bereits dens Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 26.

1. Kap.: Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen

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durch Selbstlosigkeit gekennzeichnetes Amtsethos ist die Grundvoraussetzung für die Akzeptanz staatlicher Gemeinwohlbestimmung und -Verwirklichung 62. Die Distinktion von Staat und Gesellschaft hat freiheitsschaffende und -sichernde Funktion; sie ist Voraussetzung für die individuelle Freiheit 63 . Im Interesse der Bürger, ihrer Lebensräume, ist der Wirkungskreis des Staates und seiner Untergliederungen begrenzt. In einer freiheitlich verfaßten Staatlichkeit ist der Staat ein sektoraler Staat64. Er verfügt nicht wie seine Bürger über grundrechtliche Freiheiten, die dem einzelnen ein prinzipiell unbeschränktes Tätigkeitsfeld eröffnen. Ihm sind zu seiner Herrschaftsausübung vom Volk lediglich Kompetenzen übertragen. Der ihm von Verfassungs wegen gesetzte Rahmen ist keine Beschränkung der Staatsgewalt, sondern ihre Quelle und Legitimation 65 . Dem Staat ist nicht wie dem Bürger alles erlaubt, was ihm nicht verboten ist; vielmehr ist ihm umgekehrt alles verboten, was ihm nicht erlaubt ist 6 6 . Mit der Aufhebung der Trennung zwischen Staat und Gesellschaft machte man den Weg frei für eine mit Grundrechtsschutz ausgestattete Staatsgewalt: Der Staat avancierte zu einem Rechtssubjekt mit grundrechtlich umhegtem Recht zur Persönlichkeitsentfaltung, das im Konflikt mit den (Freiheits-)Grundrechten der Bürger in Ansatz zu bringen wäre und damit deren Freiheitsausübung paralysierte. Die Ausübung von Staatsgewalt wäre der „subjektiven Beliebigkeit" der Amtswalter anheimgestellt, die freiheitsstiftenden und -wahrenden rechtsstaatlichen Garantien wären gleichsam auf den Kopf gestellt67. Und schließlich: Einer staatsfreien, von staatlichen Ingerenzen bereinigten Sphäre der Gesellschaft wäre bei einer Verschmelzung gesellschaftlicher und staatlicher Funktionsbereiche von vornherein der Boden entzogen. Es gäbe keine Domäne mehr, in die der Staat nicht eindringen dürfte, die seiner Verfügungsgewalt also von vornherein entzogen wäre. Das verfassungsrechtliche Postulat der Staatsfreiheit des Rundfunks 68, um nur ein Beispiel zu nennen, ließe sich konstruktiv nicht mehr be62 Siehe hierzu J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 60. 63 Grundlegend E.-W. Böckenförde, Staatstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit; siehe ferner H. H. Rupp, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 28 Rdnrn. 3 ff. 64 Siehe hierzu J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 13 Rdnrn. 50 ff., 58 ff.; dens., in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 12; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 182; insoweit ebenso K. Hesse, DÖV 1975, 437 (439): „Wo Staat und Gesellschaft ununterscheidbar ineinander liegen, entfällt in der Tat die Beschränkung staatlicher Funktionen, die letztlich die Scheidung der privaten Existenz von der öffentlichen ermöglicht und ohne die Freiheit nicht wirklich werden kann." 65 Η. H. Rupp, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 28 Rdnr. 30: „Was dem Staat nicht übertragen ist, ist ihm verboten." 66 Η. H. Rupp, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 28 Rdnr. 32 und Fn. 81. 67 Η. H. Rupp, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 28 Rdnr. 32, der eine durch Beliebigkeit gekennzeichnete Ausübung von Staatsgewalt zu Recht als „rechtsstaatliche Unmöglichkeit" bezeichnet. 68 Zu deren dogmatischen Ableitungssträngen H. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 58 ff.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

gründen. Die Staatsgewalt könnte den gesamten Aufgabenbereich der Gesellschaft besetzen, besser: usurpieren, in jeden ihrer Schlupfwinkel und in ihre sämtlichen filigranen Verästelungen vordringen. Die staatstheoretische Trennung von Staat und Gesellschaft ist die unerläßliche Voraussetzung für die Freiheit des einzelnen sowie für die Freiheitlichkeit des Gemeinwesens. Anders ausgedrückt: Die Nivellierung ihrer differenten Funktions- und Ordnungsstrukturen bereitet, staatstheoretisch betrachtet, den Boden für den totalen, totalitären Staat, der nicht an einen seine Herrschaftsausübung legitimierenden kompetentiellen Rahmen gebunden ist, sondern aus diesem herausbricht, und dessen grundrechtlich gespeister Freiheitsanspruch den grundrechtlichen Schutzpositionen der Bürger gegenübergestellt und auf deren Kosten zur Geltung gebracht wird. Neben dieser rechtsstaatlichen, weil freiheitssichernden Funktion bildet die Trennung von Staat und Gesellschaft das staatstheoretische Fundament für das Verfassungsprinzip Demokratie. Demokratie als Staats- und Regierungsform verlangt die Rückführung jedweden staatlichen Handelns auf das Volk als dem eigentlichen Träger der Staatsgewalt. Nur bei einer Unterscheidung und Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft kann diese Forderung eingelöst werden. Jeder diese Zweiteilung aufgebende, beide Funktionssysteme als Einheit begreifende Ansatz muß den spezifischen Legitimationsbedarf für die Ausübung staatlicher Herrschaftsgewalt vernachlässigen. Das Volk verliert seine Funktion als Subjekt und Ausgangspunkt für die Legitimation der Staatsgewalt; es wird zum Objekt staatlicher Herrschaftsausübung, die auf keine Legitimationsgrundlage gestützt werden kann: Damit ist der Weg geebnet für eine selbstzweckhafte, von der Aktivbürgerschaft des Volkes losgelöste und damit demokratisch nicht mehr legitimierte Machtentfaltung des Staates. Diesem Dilemma läßt sich auf der Grundlage monistischer Deutungsmuster nur dann wirksam begegnen, wenn man nicht den Staat von seinen Legitimationszwängen befreit, sondern umgekehrt die Gesellschaft und ihre Mitglieder dem Demokratieprinzip und auf für die staatliche Herrschaftsausübung bezogenen Legitimationsanforderungen unterwirft 69 . Doch diese Geltungserweiterung des verfassungsrechtlichen Demokratieprinzips führte wiederum zu entsprechenden Freiheitsverlusten der Individuen und ihrer Organisationseinheiten. Abermals wird die freiheitssichernde Funktion der Trennung von Staat und Gesellschaft augenscheinlich. Der Dualismus von Staat und Gesellschaft darf allerdings nicht zu dem Irrglauben verleiten, beide Funktionssysteme stünden für voneinander abgeschottete, diffusionsfreie Zonen. Zwischen beiden Bereichen besteht ein notwendiger Bedingungs- und Funktionszusammenhang. Der Staat und seine Funktionsträger empfangen machtausübungsbeeinflußende Impulse aus dem freien Spiel der politisch aktiven gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen. Für die pluralistische, interessen69 Auf die in der Literatur unternommenen Versuche, die Staatsbezogenheit des Demokratieprinzips aufzugeben und bestimmte gesellschaftliche Organisationen in dessen Geltungsbereich miteinzubeziehen, wird sogleich auf den S. 43 ff. eingegangen.

1. Kap.: Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen

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bestimmte und -geprägte Gesellschaft nimmt der Staat eine unverzichtbare Befriedungs-, Erhaltungs-, Sicherungs- und Integrationsfunktion wahr 70 . Der staatliche Wirkungskreis ist insoweit funktional auf die Gesellschaft bezogen71. Umgekehrt entfalten sich die gesellschaftlichen Gruppen nicht in einem gänzlich „staatsfreien", von staatlichen Ingerenzen unberührten, ausschließlich von Selbststeuerungsmechanismen durchzogenen Aktionsfeld. Auch die gesellschaftlichen Akteure unterfallen der staatlichen Rechtsordnung und dem demokratisch legitimierten Gesetz. Der Staat legt die Rahmenordnung fest, innerhalb derer sich die gesellschaftlichen Kräfte eigenständig und eigenverantwortlich entfalten können. Gleichwohl läßt diese notwendige und vielfältige wechselseitige Verschränkung der gesellschaftlichen und staatlichen Handlungsfelder die Trennung von Staat und Gesellschaft nicht aufheben. Beide Größen leben in einer durch gegenseitige Durchdringung gekennzeichneten, auf Komplementarität angelegten Symbiose72. Namentlich im Bereich der Grundrechte zeigt sich die wechselseitige Verschränkung beider Funktionssysteme. Es kann heute als staatsrechtliches Gemeingut angesehen werden, daß die Grundrechte, vor allem diejenigen, welche die freie und gleiche Mitwirkung am politischen Leben garantieren, eine demokratische Dimension aufweisen und insoweit ihre inhaltsbestimmende Kraft aus dem - staatsbezogenen Demokratieprinzip beziehen73. Die (grundrechtliche) Freiheit fußt insofern auf differenten Funktionsebenen: Sie umfaßt zum einen - auf dem objektiven Prinzip basierend - die Freiheit, an den Entscheidungen des Staates mitzuwirken und sich an diesen zu beteiligen; zum anderen gewährt sie dem einzelnen und der Gesellschaft ein Reservat vor Zugriffen der Staatsgewalt74. Ohne die Differenzierung zwischen 70 Siehe hierzu E.-W. Böckenförde, Staatstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 27; dens., Recht, Staat, Freiheit, S. 209 (220); M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 182; K. Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 259 ff.; unzutreffend daher K. Hesse, DÖV 1975, 437 (442), wonach das Theorem der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft gegen Beeinträchtigungen menschlicher Freiheit durch - nichtstaatliche - Dritte oder sonstige gesellschaftliche Mächte „überhaupt keine Hilfe zu bieten" vermag; die Entzweiung beider Funktionssysteme beruht keinesfalls auf einem allein auf Ausgrenzung angelegten Rechtsstaatsmodell, das rechtswidrige Übergriffe Dritter auf individuelle Lebensräume als Angelegenheit der Gesellschaft betrachtet, in die der Staat sich nicht einzumischen habe; die Garantie- und Schutzfunktion des Staates für die individuellen Freiheiten und Güter ist mit der liberal-rechtsstaatlichen, auf den Schutz des Menschen zentrierten Freiheitsidee vollends kompatibel, ja sogar ihr unabdingbares Postulat. 71 E.-W. Böckenförde, Staatstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 27: „Der Staat besteht als politische Entscheidungseinheit und Herrschaftsorganisation für die Gesellschaft oder, wenn man will, über ihr."; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 182. 72 M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 182; besonders markant J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassung, S. 154: „Staat und Gesellschaft stellen sich heute nicht mehr als autarke Ordnungen dar, sondern als eine dialektische Einheit. In dieser dialektischen Zuordnung, die Diversität und Identität umschließt, bildet der Staat die Antithese zur Gesellschaft und die umgreifende einheitsstiftende Synthese." 7 3 Zuletzt dezidiert H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 38 ff. m. w. N.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

Staat und Gesellschaft reduzierte sich die Freiheit auf das Recht zur demokratischen Mitwirkung; es gäbe nur noch eine Mitwirkungsfreiheit im demokratischen Prozeß der Entscheidungsfindung, aber keine Freiheit mehr gegenüber der demokratischen Entscheidung75. Die individuelle Freiheit würde durch die des Kollektivs substituiert, der liberale Freiheitsbegriff also durch den des Kollektivs ausgetauscht; die Individualfreiheit ereilte das Schicksal, sich dem Diktat der demokratischen Ganzheit unterzuordnen, sich diesem zu opfern: Damit wäre zugleich ihr Ende besiegelt76. Verfehlt, weil freiheits- und demokratiegefährdend, ist die von Teilen der Literatur vertretene Auffassung, die Trennung zwischen Staat und Gesellschaft habe in dem - durch das Grundgesetz verfaßten - demokratischen Rechtsstaat an Bedeutung verloren, ja ihre sinnstiftende Funktion eingebüßt77. Zwar kann nicht in Zweifel gezogen werden, daß das Verhältnis von Staat und Gesellschaft andere Züge trägt und deshalb auch anders bestimmt werden muß als in der monarchistischen Staatsordnung des 19. Jahrhunderts, in dem die Staatsmacht über eine prinzipiell unbeschränkte, vom Volk nicht abgeleitete und damit demokratisch nicht legitimierte Herrschaftsgewalt verfügte 78. Gleichwohl hebt der rechtsstaatliche und demokratische Verfassungsstaat diese Zweiteilung nicht auf 79 ; vielmehr ist die Her74 Zu diesem doppelfunktionalen Charakter der Grundrechte: E.-W. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 209 (226): „Die Freiheit wird also »doppelt genäht*."; J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 14: „Grundsätzlich ist jedermann Bürger zweier Reiche."; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 183: „Der Staatsbürger der rechtsstaatlichen Demokratie ist damit Bürger zweier Reiche."; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 37: „Doppelte Freiheitssicherung". 75 E.-W. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 209 (226); B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 36. 76 Vgl. J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 13. 77 So etwa H. Ehmke, in: Staatsverfassung und Kirchenordnung, Festgabe für R. Smend, S. 36 ff.; W. Erotscher, DVB1. 1989, 541 (544); K. Hesse, DÖV 1975, 437 (438) und passim; H.-R. Lipphardt, EuGRZ 1986, 149 (151 f.); K. H. Preuß, Zum staatsrechtlichen Begriff des Öffentlichen, S. 84 ff. 78 Zum deutschen Dualismus des 19. Jahrhunderts vgl. E.-W. Böckenförde, in: Festschrift für Brunner, S. 248 ff. (insbesondere 254 ff.); dens., Staatstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 10 ff.; //. Ehmke, in: Festgabe für Smend, S. 26 ff.; H. H. Rupp, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 28 Rdnrn. 3 ff. 79 Treffend J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 154: „Nicht der Dualismus von Staat und Gesellschaft wird unter den Auspizien von Demokratie und Rechtsstaat in Frage gestellt, sondern die wechselseitige Beziehung der Größen. Nicht ihre Existenz muß in einer verwandelten Welt neu bestimmt werden, sondern ihre Essenz."; ebenso E.-W. Bökkenförde, Staatstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 34 ff.; ders., Recht, Staat, Freiheit, S. 209 (225 ff.); E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, S. 21 ff.; H. H. Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 34 f.

1. Kap.: Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen

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ausbildung und Gewährleistung freiheitlicher und demokratischer Strukturen im Staatsgefüge nur auf der Grundlage der verfassungstheoretischen Bereichsscheidung beider Größen möglich. Mit anderen Worten: Die Trennung und Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft ist Voraussetzung für die individuelle Freiheit und Demokratie, also für den Realbefund, der den Ausgangspunkt für das Abstoßen dieses Theorems bilden soll. Staatstheoretisch ist damit der Boden für den totalitären Staat planiert, weil die die Ausübung von Hoheitsgewalt legitimationsund legitimitätsvermittelnden Elemente verschüttet werden und weil dem Individuum ein Staatsapparat an die Seite gestellt wird, dessen - durch Beliebigkeit geprägtes, auf dem subjektiven Prinzip der Freiheit beruhendes - überbordendes Wirkungsfeld in sämtliche individuellen und gesellschaftlichen Autonomiebereiche vordringt und damit die rechtsstaatliche Freiheit zerstört.

I I I . Geltungsbereich des Demokratieprinzips: Staatsbezogenheit des Prinzips demokratischer Legitimation Die Diskussion über das Fortbestehen der Unterscheidung und Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft trägt nicht nur rein verfassungstheoretische Züge, sondern weist auch eine verfassungsrechtliche Dimension auf. Welche Antwort liefert das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auf diese Frage? Die hierzu vertretenen Auffassungen vermitteln ein Abbild zu dem verfassungstheoretischen Diskurs. Auch auf der verfassungsrechtlichen area liegen die Fronten weit voneinander entfernt. Ist die Trennung von Staat und Gesellschaft ein fossiles Relikt aus vorkonstitutioneller Zeit, das von der verfassungsrechtlichen Gegenwart überholt ist 8 0 , oder ein unentbehrliches Element in der Bauarchitektur der geltenden Verfassungsordnung81? Die juristische Auseinandersetzung mit dieser Streitfrage erfolgt auf mehreren „Kampffeldern" 82 der Verfassung. Im vorliegenden Zusammenhang ist das Augenmerk auf die Frage zu konzentrieren, ob das Demokratieprinzip lediglich als staatsbezogenes, die institutionelle Staatlichkeit betreffendes Organisationsprinzip fungiert oder aber den Staat transzendierende, den gesellschaftlichen Bereich miteinschließende Direktiven aufstellt. Die Frage verlangt auch deshalb eine Antwort, weil nicht ohne weiteres feststeht und a priori vorgegeben ist, daß die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand dem Geltungsbereich des Prinzips demokratischer Legitimation zuzuordnen ist, zumal wenn sie sich in dem hier zuvörderst relevanten Bereich privatrechtlicher Organisationsformen vollzieht. Erstreckte sich das Demokratieprinzip auch auf den Bereich der Gesellschaft, so bedürfte es keiner weiteren Begründung, daß dann erst recht auch der so In diesem Sinne vgl. statt vieler K. Hesse, DÖV 1975,437 (438). si Stellvertretend für viele R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 201 Rdnr. 48. 82 R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 201 Rdnr. 50.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

gesamte Bereich der Teilnahme der öffentlichen Hand am Wirtschaftsleben dem Anwendungsfeld des Prinzips demokratischer Legitimation unterfiele. Für eine nach einzelnen Facetten der Staatstätigkeit oder nach Organisationsformen der öffentlichen Hand differenzierende Beurteilung der Zuordnungsproblematik verbliebe von vornherein kein Raum, wenn das Grundgesetz nicht von einer Trennung von Staat und Gesellschaft mit unterschiedlichen Lebens- und Funktionsgesetzen ausginge oder aber das Demokratieprinzip zu einem übergreifenden, Staat und Gesellschaft gleichermaßen erfassenden Formalprinzip deklarierte. Aus diesem Grunde muß die unter dem Schlagwort der „Demokratisierung der Gesellschaft" geführte Diskussion einer verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen werden. Der Zugriff erfolgt daher wiederum ausschließlich auf der Grundlage tradierter juristischer Hermeneutik. Durch das dichte Gestrüpp politologischer, soziologischer oder anderer Erklärungsstränge braucht kein Pfad geschlagen zu werden. Ob sich die Väter des Grundgesetzes für eine Trennung von Staat und Gesellschaft entschieden haben und ob insbesondere die aus dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip fließenden Anforderungen über die Organisationseinheiten des Staates hinaus auch für die Gesellschaft gelten, sind als verfassungsrechtliche Fragen mit den Mitteln der Verfassungsinterpretation zu klären. Allen Vorstellungen einer Identität von „Regierenden und Regierten" erklärt bereits Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG eine eindeutige Absage. Die gesonderte Erwähnung von „Staatsgewalt" einerseits und „Volke" andererseits macht die vom Verfassungsgeber vorgenommene Trennung von Staat und Gesellschaft augenscheinlich. Die durch Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG getroffene Entscheidung zugunsten der mittelbaren und repräsentativen Demokratie unterstreicht diesen Befund: Dem Volk, von dem gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG die Staatsgewalt „ausgeht", wird der Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit gegenübergestellt, der die Staatsgewalt „ausübt" 8 3 . Mit anderen Worten: Sämtliche Formen der Ausübung von Staatsgewalt bilden das Objekt des Prinzips demokratischer Legitimation, das Volk hingegen fungiert als legitimationsstiftendes Subjekt innerhalb des Baumodells demokratischer Legitimation. Ebenso deutlich, wie sich das Grundgesetz zu einer Trennung und Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft bekennt, formt es das Demokratieprinzip in wünschenswerter Klarheit als ein allein staatsbezogenes, die Gesellschaft ausklammerndes Organisationsprinzip aus 84 . Verfassungstext und die systematische Stel83

B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 36. w Ebenso E.-W. Böckenförde, in: HdbStR I, § 22 Rdnr. 8; E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 35 ff.; R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 I Rdnrn. 50 ff. und Art. 20 II Rdnrn. 115 ff.; / Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 70; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 35 f. Fn. 36; M. Kriele, VVDStRL Bd. 29 [1971], S. 46 (74 ff.); K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 627 ff.; anderer Ansicht E. Stein, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 21989, Art. 20 Abs. 1 - 3 , II, Rdnr. 44: „Das Demokratieprinzip gilt nicht nur für den Staat, sondern ist auch für die Ge-

1. Kap.: Verfassungsrechtliche und -theoretische Grundlagen

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lung des Art. 20 Abs. 1 GG sprechen insoweit eine deutliche Sprache. Die Wortwahl in Art. 20 Abs. 1 GG - die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer BundesStaat - läßt bereits den rein staatsbezogenen Charakter des Demokratieprinzips deutlich werden. Dem möglichen Einwand, die Verfassung verstünde den Begriff des „Staates" nicht als Gegensatz zur gesellschaftlichen Sphäre, sondern als „staatliches Gemeinwesen", also als Oberbegriff für Staat und Gesellschaft 85, ist schon aus verfassungssystematischen Gründen der argumentative Boden entzogen. Zwar machte es - theoretisch - noch Sinn, das Sozialstaatsprinzip auch auf die Gesellschaft zu übertragen und auf diese Weise ihre Akteure zu einem sozialgebundenen, am Wohle der Allgemeinheit orientierten Verhalten zu verpflichten. Doch eine Geltungserstreckung des bundesstaatlichen Prinzips auf die Gesellschaft einschließlich seiner Organisationseinheiten wäre vollends sinnentleert 86 . Hieraus, das heißt aus dem systematischen Zusammenhang sämtlicher Staatsfundamentalprinzipien des Art. 20 Abs. 1 GG erhellt, daß das Demokratieprinzip keine über den Bereich der organisierten Staatlichkeit hinausgehende Wirkkraft entfaltet. Dieses Ergebnis findet eine weitere Stütze in Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 GG: Regelungsgegenstand des Art. 20 Abs. 2 GG ist in beiden Sätzen nach Wortlaut und Sinn der Regelungen allein die „Staatsgewalt", mithin der Staat, nicht aber die Gesellschaft. Ebenso richtet sich Art. 20 Abs. 3 GG ausschließlich an die gesetzgebende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt, also an die Staatsgewalt in ihren drei klassischen Erscheinungsformen. Wortlaut und Systematik des Art. 20 GG lassen daher für ein universal verstandenes, Staat und Gesellschaft umklammerndes Demokratieprinzip keinen Raum 87 . Schließlich läßt sich als systematisches Argument Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG ins Feld führen. Dieses dort angeordneten verfassungsrechtlichen Gebots, nach dem die innere Ordnung sellschaft relevant."; H. Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, S. 48: „Art. 20 Abs. 1 GG proklamiert und postuliert mit dem sowohl demokratischen als auch sozialen Staat die gleichschrittliche Entfaltung von Demokratie in der staatlichen und in der gesellschaftlichen Sphäre."; hiergegen E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 37 f.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 183 Fn. 19; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 35 f., insbesondere Fn. 36. 85

Zu diesem Argumentationsgang R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 201 Rdnr. 52. 8 6 R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 I Rdnr. 52: „Was sollte es etwa bedeuten, daß die Wirtschaft oder die ,verfaßte' öffentliche Meinung föderalistisch aufgebaut werden (von anderen, noch weniger organisierten gesellschaftlichen Bereichen einmal ganz abgesehen)?". 87 Zu Recht konstatiert R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 201 Rdnr. 51 insoweit einen „völlig eindeutigen" Textbefund des Art. 20 GG; ebenso E.W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 8; ders., Staat, Verfassung und Demokratie, S. 296; ders., Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 35 Fn. 84; E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, 35 ff.; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 34 ff.; M. Kriele, VVDStRL Bd. 27 [1971], S. 46 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 627 ff.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

der politischen Parteien als im gesellschaftlichen Bereich wurzelnde Gebilde 88 demokratischen Grundsätzen entsprechen muß, hätte es nicht bedurft, wenn die aus dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip des Art. 20 GG folgenden Anforderungen über die institutionalisierte Staatlichkeit hinaus auch für die Gesellschaft und deren Organisationseinheiten Geltung beanspruchten. Die verfassungsrechtliche Forderung einer demokratischen Binnenstruktur findet ihre innere Rechtfertigung in der das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes prägenden funktionsbezogenen Affinität der Parteien mit den staatsleitenden Organen 89. Sie bilden die Brückenköpfe zwischen der institutionalisierten Staatswillensbildung und der politischen Willensbildung des Volkes. In dieser Funktion können die Parteien einen verfassungsrechtlichen Status beanspruchen, der sie von den übrigen gesellschaftlichen Gliederungen abhebt, sie gleichwohl aber nicht zu einem Teil der organisierten Staatlichkeit werden läßt. Für sie muß das demokratische Prinzip gelten, soll es im Staat funktionieren. Von letztlich entscheidender Bedeutung sind jedoch die freiheitsbedrohenden Auswirkungen einer Ausdehnung des Demokratieprinzips auf die Gesellschaft und ihre Trabanten. Das durch Mehrheitsprinzip und Gleichheit gekennzeichnete Lebensgesetz des Staates eignet sich nicht für die grundrechtlich fundierten gesellschaftlichen Bereiche der Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Familie, weil diese Lebensbereiche nicht auf Gleichheit beruhen, sondern auf der durch unterschiedliche Sachkompetenz ihrer Mitglieder vermittelten Diversität; hier Gleichheit einzufordern, untergrübe die „Voraussetzung ihrer Gewährleistungen 90. Schließlich hätte eine Unterwerfung der Gesellschaftsverfassung unter das Demokratieprinzip die zwar nicht bezweckte, gleichwohl aber naheliegende Konsequenz, daß die gesellschaftlichen Organisationen in funktionaler Hinsicht dem hierarchisch strukturierten Staatsapparat zugeordnet werden könnten, mit der Folge, daß die für den Staat geltenden demokratischen Legitimationsanforderungen auf den gesellschaftlichen 88 Zur gesellschaftlichen Provenienz der politischen Parteien BVerfGE 1, 208 (224); 3, 383 (393); 20, 56 (101); 52, 63 (85); 73, 40 (85); 85, 264 (285 ff.); Ph. Kunig, in: J. Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 33 Rdnrn. 81 ff. 89 R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 II Rdnrn. 115 ff., insbesondere Rdnr. 118; Ä Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 37; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 628. 90

Ebenso W. Hennis, in: M. Greifenhagen (Hrsg.), Demokratisierung in Staat und Gesellschaft, S. 47 ff.; J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 14: „Gesellschaft ist der Raum der realen Ungleichheit"; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 632; besonders markant E.W. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 209 (227): ,3edeutet sie (seil.: die »Demokratisierung* der Gesellschaft) hingegen, daß alle Bereiche gesellschaftlicher Freiheit einer »demokratischen4 Bestimmungsgewalt partieller Kollektive unterstellt werden müssen, um die Gesellschaft einerseits vom Staat ,frei* zu machen und andererseits in sich zu demokratisieren, so ist sie eine Wegmarke zum Totalitarisme. Sie löst dann eben jene Konzentrierung der politischen Entscheidungsgewalt bei der staatlichen Organisation auf, die eine notwendige Bedingung zur Sicherung individueller Freiheit ist, gerade um sie gegenüber den Lenkungs- und Vereinheitlichungsansprüchen partieller gesellschaftlicher Kollektive zu gewährleisten."

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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Lebensbereich übertragen werden müßten. Das bis zu jedem mit der Ausübung von Staatsgewalt betrauten Amtswalter reichende Legitimationsband wäre weiter zu spinnen und müßte auch die gesellschaftlichen Wirkungseinheiten erfassen. Die Gesellschaft unterfiele der Lenkungs- und Aufsichtsgewalt des Staates. Die mit der Forderung nach einer „Demokratisierung der Gesellschaft" intendierte Begrenzung und Kontrolle gesellschaftlicher Machtentfaltung wäre nur mit dem Verlust grundgesetzlicher Schutzbarrieren gegen staatliche Machtansprüche zu „erkaufen". Ihre Folge wäre der totale Staat, der das gesellschaftliche Leben in allen seinen Erscheinungsformen steuerte, ja sogar steuern müßte, um dem Verfassungsprinzip der Demokratie zu genügen. Resümierend läßt sich festhalten, daß das in Art. 20 GG verankerte Demokratieprinzip keine den Bereich der institutionellen Staatlichkeit transzendierende, die gesellschaftliche Ebene mitumschließende Geltungskraft besitzt, sondern eine ausschließlich staatsbezogene Kategorie des Verfassungsrechts darstellt.

Kapitel 2

Legitimationsobjekt: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt Liegt dem Grundgesetz eine scharfe Trennung zwischen dem staatlichen und dem gesellschaftlichen Funktionskreis zugrunde und bezieht sich das Erfordernis demokratischer Legitimation ausschließlich auf den Bereich der Staatlichkeit, so erhebt sich die Frage, was als Legitimationsgegenstand grundgesetzlicher Demokratie in Betracht kommt. Mit anderen Worten: Was ist Objekt des verfassungsrechtlichen Gebots demokratischer Legitimation und bei welchen Verhaltensweisen drängt dieses Verfassungsprinzip auf Verwirklichung? Das Grundgesetz gibt in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG auf diese Frage eine vermeintlich verheißungsvoll eindeutige Antwort, indem es sämtliche Ausübung von Staatsgewalt dem Gebot demokratischer Legitimation unterstellt. Doch dieser Schein trügt, da weder der Begriff der „Staatsgewalt" noch die Wendung „Ausübung" ein aus sich heraus folgendes Interpretationsergebnis zulassen, sondern erst im Wege einer verfassungsrechtlichen Gesamtschau ausgedeutet werden können. Der mögliche, ja zunächst einmal naheliegende Ansatz, den Begriff der Staatsgewalt in seine einzelnen Bestandteile zu zerlegen und den Terminus des Staates auf seinen verfassungsrechtlichen Gehalt hin zu untersuchen, erweist sich bei näherer Betrachtung als wenig fruchtbar. Denn im Grundgesetz findet sich der Begriff des Staates nicht. In ihm ist lediglich die Rede von „staatlicher Gewalt" (Art. 1 Abs. 1 GG), „Staatsgewalt" (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG), Bundes- und Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 GG), sowie häufig von „Bund" und „Ländern". Hieraus läßt sich zwar unzweifelhaft ent-

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

nehmen, daß sowohl der Bund als auch die Länder dem Bereich der Staatlichkeit angehören und für sich besehen als Staaten zu betrachten sind 91 . Im übrigen sucht man aber nach einer Definition des Terminus des Staates im Grundgesetz vergeblich. Die inhaltliche Ausfüllung dieses vom Grundgesetz selbst nicht definierten, sondern von ihm vorausgesetzten Begriffsfeldes muß daher dem Norminterpreten vorbehalten bleiben. Auch wenn das Objekt des Gebots demokratischer Legitimation, das heißt der Begriff der Ausübung von Staatsgewalt, in Rechtsprechung und Literatur bislang noch keine abschließende, detailgenaue Definition erfahren hat, insbesondere noch nicht geklärt ist, ob sich das Gebot demokratischer Legitimation auch auf die in privatrechtlichen Organisationsformen agierende öffentliche Hand erstreckt, so darf gleichwohl nicht der Eindruck erweckt werden, man befände sich gleichsam in einer juristischen Grauzone, die jedweder Kontur entbehrte. Einige das Objekt demokratischer Legitimation betreffende Fragen dürfen heute als geklärt gelten; sie seien kurz erwähnt, bevor zu dem eigentlichen Anliegen dieses Kapitels vorgedrungen werden soll, ob nämlich staatliche sowie kommunale Eigen- und Beteiligungsgesellschaften dem Kreis legitimationsbedürftiger Staatsgewalt zuzuordnen sind. Erstens: Obgleich sich mit dem „dröhnenden Klang von (Staats-)Gewalt ... unweigerlich die Assoziation von Herrschaft, Befehl und Zwang" 92 einstellt, kann als Gemeingut zunächst herausgestellt werden, daß der Gegenstand des Gebots demokratischer Legitimation nicht auf die Ausübung von Eingriffsbefugnissen reduziert ist. Der Staat und damit auch die Ausübung von Staatsgewalt kann nicht mit einem Eingriffsapparat begrifflich gleichgesetzt werden, weil das Grundgesetz von einem planenden, lenkenden und leistenden Sozialstaat ausgeht; selbst die Grundrechte, die in ihrer klassischen Funktion zunächst staatsausgrenzende und staatsdisziplinierende Bedeutung haben, entfalten eine hierüber hinausgehende Schubkraft, indem sie dem Staat bestimmte Handlungsaufträge auferlegen, um die in den Grundrechten wurzelnden Weltvorstellungen in der Lebenswirklichkeit zur Realität erstarken zu lassen. Ist der Staat unter den Bedingungen des Grundgesetzes nicht mehr nur Eingriffsstaat, kann sein legitimationsbedürftiges Tätigkeitsfeld auch nicht mehr allein durch die Kategorie des Eingriffs deflatorisch erfaßt werden. Die legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG reicht über die Eingriffsverwaltung hinaus und umschließt auch den leistenden, planenden und verteilenden Staat. Auch Leistungsverwaltung kann Ausübung von Staatsgewalt sein 93 . Zweitens: Andererseits fallen unter den Begriff 91 Vgl. statt aller E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 209. 92 E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 211. 93 Statt aller E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 211 f.; ebenso J. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 79 f. Auch der Parlamentarische Rat hatte bereits erkannt, daß neben der Eingriffsauch die Leistungsverwaltung zur vollziehenden Gewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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der Ausübung von Staatsgewalt nicht sämtliche Verhaltensformen, die sich unter dem Dach der Staates vollziehen. Der Begriff der Staatsgewalt läßt deutlich werden, daß das Verhalten einen gewissen rechtlichen Verdichtungsgrad erreicht haben muß, um als legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt qualifiziert werden zu können. Das Anfertigen von Kopien, bloße Schreibarbeiten, die Sekretärinnen- oder Botentätigkeiten bedürfen ebensowenig der demokratischen Legitimation wie etwa privatrechtlich verpflichtete Gutachter und Ratgeber, die im Vorfeld staatlicher Entscheidungen fungieren. Vielmehr müssen von den einzelnen Tätigkeiten rechtserhebliche Wirkungen ausgehen, um diese dem Kreis legitimationsbedürftiger Staatsgewalt zuordnen zu können. Als Anknüpfungspunkt bietet sich hierfür die Entscheidung an, weil es Entscheidungen sind, welche die staatliche Herrschaftsausübung steuern und damit in den gebotenen Zurechnungszusammenhang zum Volk gerückt werden müssen94. Freilich darf dies nicht dahin mißverstanden werden, daß hiervon nur regelnde Maßnahmen des Staates erfaßt seien95, während Äußerungen des Staates ohne Regelungscharakter aus dem Anwendungsbereich demokratischer Legitimation fielen. Das gesamte rechtserhebliche Folgen zeitigende Tätigkeitsfeld des Staates muß demokratisch legitimiert sein, und zwar unabhängig davon, welcher Handlungsformen sich die öffentliche Hand dabei bedient. Deshalb bezieht sich das Gebot demokratischer Legitimation neben den rechtsförmlichen Akten der Normgebung, des Verwaltungsaktes und des öffentlich-rechtlichen Vertrages auch auf schlicht-hoheitliches Handeln96. Sieht man einmal von diesen gefestigten, sogar unverrückbaren Eckpunkten ab, befindet sich die Reichweite des Prinzips demokratischer Legitimation auch weiterhin im Dunkeln. Welche Erscheinungsformen des Tätigwerdens der öffentlichen Hand demokratisch legitimiert sein müssen, wer die Objekte des Prinzips demokratischer Legitimation im einzelnen sind, bleibt noch ungeklärt. Unproblematisch und keiner weiteren Begründung bedürftig erscheint wenigstens, daß man das Merkmal der Ausübung von Staatsgewalt nicht allein auf „einseitig verbindliche Hoheitsakte"97 beschränken kann. Andernfalls müßte die in privatrechtlichen gehört; vgl. hierzu die Stellungnahme des Abgeordneten H. v. Mangoldt zu Art. 20 GG, in: JöR n.F. Bd. 1 [1951], S. 197. 94 Vgl. BVerfGE 83, 60, 73 f.; 93, 37 (68); statt vieler aus dem Schrifttum E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 13; E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 214 ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 255 ff.; J. Οebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 79 ff. 95

Irreführend daher insoweit J. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 81: „Nur regelnde Entscheidungen müssen legitimiert werden." % Ebenso E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 13; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 258; E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (342). 97 R, Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 20 Π Rdnr. 54; die Ausführungen geben freilich keinen Aufschluß darüber, ob R. Herzog damit den Kreis demokratisch legitimationsbedürftiger Staatsgewalt abschließend (so die Deutung von 4 Gosdorf

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

Handlungs- und Organisationsformen tätige öffentliche Hand von den demokratischen Legitimationserfordernissen schlechthin exemtiert sein; ein in dieser Pauschalität untragbares Ergebnis, führt man sich vor Augen, daß die öffentliche Hand nach überwiegender Auffassung zwischen den einzelnen Handlungs- und Organisationsformen frei wählen kann. Vor diesem Hintergrund scheint sich eher der entgegengesetzte Weg aufzudrängen; man könnte geneigt sein, die Reichweite des Gebots demokratischer Legitimation im weiten Sinne zu verstehen und auf den gesamten Tätigkeitskreis des Staates zu erstrecken, und zwar unabhängig davon, ob er insoweit in den Rechtsformen des öffentlichen oder privaten Rechts in Erscheinung tritt 9 8 . Doch auch insoweit ist die Frage noch nicht beantwortet, was unter Staatsgewalt zu verstehen ist und damit das Gebot demokratischer Legitimation auslöst.

I. Zuordnung zur Staatsverwaltung als Anknüpfungspunkt? Ausgehend von dem Verfassungstext des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, der neben der Gesetzgebung und der Rechtsprechung auch die vollziehende Gewalt erwähnt und damit in den Kreis der demokratisch legitimationsbedürftigen Staatsgewalt miteinbezieht, läge es nahe, den Begriff der vollziehenden Gewalt näher auszuleuchten und der Frage nachzugehen, ob auch die in privatrechtlichen Organisationsformen auftretende öffentliche Hand dem Bereich unmittelbarer oder mittelbarer Verwaltung zuzurechnen ist. Die Erwartung, mit diesem Zuordnungsversuch den Stein der Weisen gefunden zu haben und die Reichweite des Demokratieprinzips außerhalb der Funktionskreise von Legislative und Judikative abstecken zu können, wird indes alsbald enttäuscht. Bereits die Abgrenzung der unmittelbaren von der mittelbaren Staatsverwaltung bereitet nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Während die überwiegende Meinung insoweit von einem formalen Verständnis der mittelbaren Staatsverwaltung ausgeht und an das Kriterium der Rechtsfähigkeit anknüpft, stellen andere auf materielle Gesichtspunkte ab und versuchen durch eine wertende Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob der jeweilige Verwaltungsträger über seine organisationsrechtliche Verselbständigung hinaus auch materialiter über ein Mindestmaß an Eigenständigkeit verfügt, welche eine Zuordnung zur Kategorie der mittelbaren Staatsverwaltung rechtfertigt 99. Demnach soll die Rechtsfähigkeit des jeweiligen Verwaltungsträgers lediglich eine Vermutungsfunktion für das Vorliegen mittelbarer Staatsverwaltung haben 100 ; regelmäßig müßten noch weitere M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 227) oder nur beispielhaft umschreiben möchte, mit anderen Worten: ob die Ausübung von Staatsgewalt einen „einseitig verbindliche Hoheitsakte" überschießenden Gehalt aufweist. 98 E.-W. Böckenförde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 12. 99 Vgl. zum Diskussionsstand dezidiert zuletzt M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 89 ff. 100 So ausdrücklich M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 95.

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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Gesichtspunkte hinzutreten, wie etwa verminderte gesetzliche Regelungsdichte, Weisungsfreiheit, beschränktes Maß der Staatsaufsicht, Geschäfts- und Satzungsautonomie, also Faktoren, welche die (teil-)rechtsfähigen Verwaltungsträger mit einem die mittelbare Staatsverwaltung kennzeichnenden Mindestmaß autonomer Gestaltungs- und Entscheidungsbefugnisse ausstatte101. Auch wenn man für die herrschende Meinung wegen des mit ihr verbundenen Gewinns an Rechtssicherheit bei der Abgrenzung zwischen den Bereichen der unmittelbaren und mittelbaren Staatsverwaltung gewisse Sympathien entwickeln sollte, bedarf es im gegebenen Zusammenhang keiner abschließenden Klärung des skizzierten Problemkreises. Denn erstens handelt es sich bei den hier in Rede stehenden privatrechtlichen Gesellschaften, derer sich Staat und Kommunen zur Erfüllung ihrer Aufgaben bedienen, regelmäßig um rechtlich-administrativ verselbständigte Organisationseinheiten, die nicht der einseitig-hierarchischen Steuerung durch die Ministerialbürokratie unterworfen sind, sondern über hinreichende wirtschaftliche Bewegungsfreiheiten verfügen und ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes wirtschaftliches Eigenleben führen. Deshalb müßten staatliche oder kommunale Eigen- und Beteiligungsgesellschaften auch unter Zugrundelegung materieller Abgrenzungskriterien der Kategorie mittelbarer Staatsverwaltung zugeordnet werden. Und zweitens: Vor allem ist im hiesigen Kontext diese Zuordnungsfrage nur von marginaler Bedeutung. Entscheidend kommt es darauf an, ob die in privatrechtlichen Organisationsformen operierende öffentliche Hand überhaupt der demokratisch legitimationsbedürftigen Staatsverwaltung zugerechnet werden kann; ob es sich insoweit um Formen der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung handelt, ist die logisch nachrangige Frage und unter den Auspizien des Verfassungsprinzips Demokratie letztlich gänzlich bedeutungslos, weil sowohl die unmittelbare als auch die mittelbare Staatsverwaltung dem Erfordernis demokratischer Legitimation unterfällt. Ist bereits die Abgrenzung zwischen den Bereichen der unmittelbaren und mittelbaren Staatsgewalt mit erheblichen Schwierigkeiten belastet, so nisten die wirklichen Aporien in dem Begriff der Verwaltung selbst. Für O. Mayer war „Verwaltung alles, was nicht Gesetzgebung oder Rechtsprechung ist" 1 0 2 . Nach dieser Subtraktionsformel hätte es nahegelegen, den in privatrechtlichen Organisationsformen handelnden Staat der öffentlichen Verwaltung zuzuordnen, weil dieses staatliche Aktionsfeld ersichtlich weder der gesetzgebenden noch der rechtsprechenden Gewalt zugeschlagen werden kann. Diesen Weg ist O. Mayer bekanntlich nicht gegangen, sondern er hat den privatrechtlichen Tätigkeitskreis des Staates und der Kommunen aus dem Begriff der öffentlichen Verwaltung ausgeklammert, weil er Verwaltung durch die Verwendung öffentlich-rechtlicher Organisationsformen typologisch-axiomatisch gekennzeichnet hat 1 0 3 . Heute kann die von O. Mayer 101 Vgl. nochmals M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 95. 102 O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 7. 103 Vgl. zu dieser dem liberalen Rechtsstaatsmodell verhafteten Konstruktion O. Mayers P. Badura, DÖV 1966, 624 (625); R. Schallemacher, Die industriellen Bundesunternehmen, S. 44 f. 4*

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

entwickelte Formendogmatik keine Geltung mehr beanspruchen, weil dem der öffentlichen Hand nach herrschender Meinung eingeräumten Wahlrecht zwischen öffentlich-rechtlichen oder privaten Organisations- und Handlungsformen 104 die Aufgabe rein formaler Bestimmungen des Verwaltungsbegriffs korrespondieren muß. Wenn die öffentliche Hand bei der Wahl zwischen öffentlich-rechtlicher und privatrechtsförmiger Organisationsverfassung freie Hand haben soll, verlieren formale Zuweisungskriterien ihre Zuordnungskraft: Der Begriff der Verwaltung läßt sich dann nicht mehr auf öffentlich-rechtlich verfaßte Organisationsträger reduzieren, sondern muß seinen semantischen Gehalt auch auf privatrechtliche Träger erstrecken. Statt dessen wird von der überwiegenden Meinung eine aufgabenbezogene Unterscheidung vorgenommen, und privatrechtliche Organisationen staatlicher und kommunaler Gebietskörperschaften werden insoweit in den Bereich der staatlichen Verwaltung miteinbezogen, als diese durch öffentliche Zweckbindung gekennzeichnete staatliche oder kommunale Aufgaben erfüllen 105 . Unter Zugrundelegung dieses Abgrenzungskriteriums werden etwa die kommunalen Versorgungsunternehmen wegen der von ihnen wahrgenommenen Daseinsvorsorge der öffentlichen Verwaltung zugerechnet, während die Zuordnung der zur Deckung des Eigenbedarfs im rechtsgeschäftlichen Verkehr auftretenden öffentlichen Hand und vor allem die erwerbswirtschaftliche Betätigung von Staat und Kommunen auf erhebliche Schwierigkeiten stößt. Andere wiederum stellen auf das staatliche Steuerungspotential ab und beziehen privatrechtsförmige Organisationen nur insoweit in den Bereich der öffentlichen Verwaltung mit ein, als die Träger- oder Beteiligungskörperschaften bestimmenden Einfluß auf ihre Gesellschaften nehmen können 106 . Ob das Kriterium der öffentlichen Aufgabe oder das der hinreichenden Ingerenzmöglichkeit tauglich ist, um die Zuordnungsfrage zu lösen und dem Verwaltungsbegriff die notwendigen Konturen zu verleihen, kann man hier auf sich beru-

iw Vgl. nur BVerwGE, 13, 47 (54); BGHZ 37, 1 (27); 38, 49 (51); H.-U. Erichsen, Jura 1982, 537 (542); H. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 23 ff.; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 81 f.; dens., Die Verwaltung Bd. 2 [1969], 490 (491); siehe ferner die w. N. bei D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 64 Fn. 2; kritisch zum Dogma von Formenwahlfreiheit (mit im einzelnen unterschiedlicher Begründung) J. Burmeister, WiR 1972, 311 ff.; dens., DÖV 1975, 695 ff.; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 122 ff.; Ch. ν. Pestalozzi Formenmißbrauch des Staates, S. 166 ff.; dens., DÖV 1974, 188 ff.; Κ. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 262 ff., 280. 105 Vgl. statt vieler Η. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 202; R. Schallemacher, Die industriellen Bundesunternehmen, S. 44 ff., insbesondere 46; zurückhaltend hingegen W. Krebs, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 69 Rdnr. 9, der die rechtliche Qualität der Aufgabe als Zuordnungskriterium „nur für bedingt" geeignet hält 106 Vgl. statt vieler W. Krebs, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 69 Rdnrn. 8, 38; R. Stoben in: H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht II, 51987, § 104a Rdnr. 5.

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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hen lassen. Denn der Begriff der Verwaltung ist viel zu unspezifisch, um den Gegenstand der demokratisch legitimationsbedürftigen Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG näher bestimmen zu können. Bevor man den Versuch unternimmt, die Wesenselemente der Verwaltung sichtbar zu machen, muß man zunächst Rechenschaft darüber ablegen, zu welchem Zwecke diese Arbeit geleistet werden soll. Denn da der semantische Gehalt (verfassungs-)rechtlicher Begriffe je nach der ihnen jeweils zukommenden Funktion differieren kann, sind Erkenntnisinteresse und -wert entsprechender Begriffsbestimmungen zunächst deutlich auszuweisen. Dies gilt eo ipso auch für den Begriff der Verwaltung. So ist es durchaus möglich, daß der Begriff der Verwaltung im Zusammenhang mit der Frage nach der Bindung an spezifisch öffentlich-rechtliche Vorgaben, namentlich der Grundrechtsbindung, einen anderen Gehalt besitzt als im Kontext des Demokratieprinzips und inhaltlich nochmals anders besetzt ist, soweit es um die kompetenziellen, die Verteilung der Gesetz- und Verwaltungskompetenzen im föderalen Staat betreffenden Implikationen geht. Nicht alles, was unter den Auspizien demokratischer Legitimation unter den Begriff der vollziehenden Gewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG fällt, muß axiomatisch zugleich eine entsprechende Bindung der „Verwaltungs"-Stellen an grundrechtliche Verpflichtungen auslösen107. Sofern man also den Begriff der Verwaltung zu definieren versucht, um auf diese Weise die Gegenstände legitimationsbedürftiger Staatsgewalt benennen zu können, müßte zunächst der Nachweis erbracht werden, daß das Grundgesetz von einem homogenen, identischen Begriffsbild ausgeht. Ein solcher Interpretationsversuch müßte sich von dem hier allein in Rede stehenden Problemkreis der Reichweite des Demokratieprinzips entfernen. Daher soll dieser Weg im gegebenen Zusammenhang auch nicht beschritten werden. Sofern im folgenden der Begriff der Staatsverwaltung verwendet wird, ist damit ausschließlich die sub specie des grundgesetzlichen Demokratieprinzips relevante Staatstätigkeit gemeint, mit anderen Worten: die demokratisch legitimationsbedürftige Staatsverwaltung, ohne mit dieser einengenden, spezifischen Begriffsbestimmung zugleich den Anspruch zu erheben, andere verfassungsrechtliche Problembereiche angesprochen, geschweige denn, einer Lösung zugeführt zu haben. In den nachfolgenden Erörterungen wird daher nicht der Versuch unternommen, den Begriff der vollziehenden Gewalt zu bestimmen, um auf diese Weise die Objekte der demokratisch legitimationsbedürftigen Staatsgewalt herauszuarbeiten. Angesichts der gänzlich unterschiedlichen Funktionen, die der verfassungsrechtliche Begriff der Staatsverwaltung hat, müßte eine solche Vorgehensweise mit erheblichen Risiken verbunden sein. Der Erfolg dieses Interpretationsversuches stünde oder fiele mit Frage, ob die Verfassung einem einheitlichen Begriff der Verwaltung oder einem heterogenen Begriffsmuster folgt. Diese Vorfrage braucht an dieser Stelle nicht untersucht zu werden, weil es im gegebenen Zusammenhang allein um die Reichweite des Verfassungsprinzips Demokratie geht, also um die Frage, 107

Vgl. hierzu im einzelnen sogleich.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

ob und unter welchen Voraussetzungen Staatsgewalt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG ausgeübt wird und deshalb das Erfordernis demokratischer Legitimation auf Verwirklichung drängt.

I I . Inhaltlich-gegenständliche Kongruenz von Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 1 und 2 GG? Bei dem Versuch, den Begriff der „Staatsgewalt" juristisch zu entschlüsseln und damit die Reichweite des verfassungsrechtlichen Prinzips demokratischer Legitimation abzustecken, muß das Augenmerk auch auf Art. 1 Abs. 3 GG fallen. Diese die Bindung des Staates an die Grundrechte begründende Verfassungsbestimmung könnte eine wesentliche Orientierungshilfe für die Auslegung des Begriffs der „Staatsgewalt" im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG liefern. Der Rekurs auf die Grundrechtsbindungsvorschrift des Grundgesetzes zur Bestimmung des Geltungsbereichs des Demokratieprinzips liegt schon deshalb auf der Hand, weil beide Bestimmungen gleichermaßen an die drei klassischen Erscheinungsformen der Staatsgewalt anknüpfen; während Art. 1 Abs. 3 GG die Bindung von Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung an die Grundrechte statuiert, unterwirft Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG eben diese drei Gewalten dem Erfordernis demokratischer Legitimation. Im vorliegenden Zusammenhang ist allein der in beiden Verfassungsvorschriften genannte Begriff der „vollziehenden Gewalt" bedeutsam. Stimmten ihre Begriffsfelder in gegenständlicher Hinsicht überein, beträfen sie einen einheitlichen Begriff der „vollziehenden Gewalt", so wäre ein Meilenstein auf dem Weg der Erschließung zur Reichweite des Prinzips demokratischer Legitimation erreicht. Das spezifische Erkenntnisinteresse an dieser Fragestellung folgt in erster Linie daraus, daß die überwiegende Lehrmeinung und Rechtsprechung die privatrechtsförmig handelnde öffentliche Hand - im Gegensatz zu dem hoheitlich, das heißt obrigkeitlich oder schlicht-hoheitlich tätig werdenden Verwaltungsträger 108 nur eingeschränkt der Grundrechtsbindung unterwirft: Zwar ist gemeinhin anerkannt, daß der Staat im Bereich des sogenannten Verwaltungsprivatrechts, das heißt, wenn er unmittelbar öffentliche Aufgaben in privatrechtlichen Organisations· oder Handlungsformen wahrnimmt, funktional der Verwaltung zuzurechnen und damit auch an die Grundrechte gebunden ist 1 0 9 . Namentlich für den Bereich der Daseinsvorsorge gilt wegen der insofern bestehenden funktionalen Äquivalenz der in öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Organisations- und Handlungsformen erbrachten Leistungen, daß sich der Staat seiner Grundrechtsbindung nicht durch eine „Flucht... in das Privatrecht" 110 entledigen darf. Für die anderen Fel108

Insoweit steht die Grundrechtsbindung außerhalb jedweder Diskussion. 109 Statt aller K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1396 f. m. zahlreichen w.N. in Fn. 385. no So die Begrifflichkeit bei F. Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, S. 328.

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der fiskalischen Handelns, also wenn Hoheitsträger zur Deckung des Eigenbedarfs im rechtsgeschäftlichen Verkehr auftreten oder erwerbswirtschaftlich in den Formen des Privatrechts, das heißt als Teilnehmer am allgemeinen Wirtschaftsverkehr mit Erwerbsabsicht, tätig werden, wird nach überwiegender Auffassung hingegen eine Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand abgelehnt111. Entspräche der Normadressatenkreis des Art. 1 Abs. 3 GG dem des Demokratieprinzips des Art. 20 GG, interpretierte man also beide Tatbestände insoweit kongruent, so müßten auf der Grundlage der herrschenden Rechtsmeinung112 die Bereiche der fiskalischen Bedarfsdeckung des Staates und seine erwerbswirtschaftliche Betätigung aus dem Anwendungsbereich des Demokratieprinzips herausfallen: Da in diesen Feldern staatlicher Fiskaltätigkeit keine „Staatsgewalt" ausgeübt würde, könnten die für die Wahrnehmung staatlicher Herrschaftsgewalt geltenden demokratischen Legitimationsanforderungen auch nicht auf Verwirklichung drängen; der fiskalisch handelnde Staat wäre insofern von den demokratische Legitimation stiftenden Fesseln des Art. 20 GG befreit. Der Begriff „Staatsgewalt" taucht in Art. 1 Abs. 3 GG nicht auf. Allerdings verwendet Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG einen ähnlichen Topos, indem er die Achtung und den Schutz der Menschenwürde zur Verpflichtung „aller staatlichen Gewalt" erhebt. Neben diesen textlichen Parallelen gibt es noch weitere Verbindungslinien zwischen beiden Verfassungsnormen. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG konkretisiert die legitimationsbedürftige „Staatsgewalt"; danach wird alle Staatsgewalt - abgesehen von der dem Volk zugewiesenen unmittelbaren Äußerungsform der „Wahlen und Abstimmungen" - „durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung" ausgeübt. „In gewisser Entsprechung" 113 begründet Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG die auf die Menschenwürde bezogene Achtungs- und Schutzverpflichtung „aller staatlichen Gewalt", während Art. 1 Abs. 3 GG die Bindung von „Gesetzgebung, vollziehender Gewalt und Rechtsprechung" an die Grundrechte enthält. Mit Blick auf diese begrifflichen Übereinstimmungen beziehungsweise Ähnlichkeiten sowie die Affinität der Regelungsstrukturen beider Normen liegt die Annahme nahe, daß Art. 1 und Art. 20 GG von einem und demselben Begriffsbild der Staatlichkeit bestimmt sind 114 , mit anderen Worten: daß Grund111 Stellvertretend für viele V. Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, S. 133; E. Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 10 ff.; W Leisner, WiVerw 1983, 212 (223); H. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 165 ff.; Η. v. Mangoldt / F. Klein, Das Bonner Grundgesetz I, Bd. I, 21957, Art. 1 Anm. V 3b, S. 159 f.; H. J. Wolff, in: dems./O. Bachof, Verwaltungsrecht I, 91974, § 23 II ala, S. 106 f.; w. N. bei Κ Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΙΠ/1, S. 1416 Fn. 482. 112 Hiergegen zuletzt dezidiert M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 238 ff., insbesondere 240 ff., der mit überzeugenden Gründen für eine umfassende, den gesamten Bereich der fiskalischen Tätigkeit umschließende Grundrechtsbindung des Staates plädiert. 113

So M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 235. M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 235, spricht insoweit von einem „Entsprechungszusammenhang" beider Normen. 114

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rechtsbindung und das demokratische Legitimationserfordernis nach gegenständlicher Anknüpfung und Reichweite übereinstimmen 1 1 5 . Ein zwingender Beweis für diese These ist damit freilich nicht erbracht. Begriffliche Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen und synchrone Linien in den Regelungsstrukturen der jeweils in Augenschein genommenen Verfassungsbestimmungen implizieren keinesfalls die Identität ihrer verwandten Begrifflichkeiten. Der jeweils gegebene Wortsinn erschließt sich in erster Linie aus einer auf die konkrete Vorschrift bezogenen Interpretation. Denselben Begriffen können daher differente Bedeutungsgehalte zukomm e n 1 1 6 . Die Auslegung hat sich dabei an der Funktion zu orientieren, die der Begriff innerhalb der entsprechenden Norm zu erfüllen h a t 1 1 7 . Eine zur Begriffsidentität führende Konnexität zwischen Art. 1 Abs. 1 und Abs. 3 GG einerseits und Art. 20 Abs. 2 GG andererseits setzte daher nach Inhalt und Reichweite übereinstimmende Zielsetzungen der jeweiligen Regelungen voraus. Dieser Nachweis ist bereits i m Rahmen des Art. 1 GG nicht zwingend zu erbringen: Zwar erscheint es i m Lichte der auf den Schutz der Individualsphäre gerichteten Grundgesetzbestimmung des Art. 1 GG durchaus plausibel, die in Art. 1 Abs. 3 GG genannten drei Formen der Staatsgewalt - nämlich „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung" - als Konkretisierung der Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 Satz GG - „alle staatliche Gewalt" - zu betrachten und damit von einem einheitlichen Ver-

115 So explizit M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 236; ähnlich K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1411: „Der Staat ist in all seinen Äußerungen verfassungsgebunden. Es gibt für ihn keine verfassungsexemten Nischen mehr. Insonderheit soll dies für die Grundrechtsnormen gelten."; G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 1 III Rdnr. 100: „Daß zwischen der historisch überkommenen dreifachen Aufteilung der Staatsgewalt einerseits in der Organisationsnorm des Art. 20 II, III und andererseits in der Grundrechtsnorm des Art. 1 III kein Unterschied besteht, macht Art. 79 III unbezweifelbar." (zu diesem als Argumentationsstütze gedachten Rekurs auf Art. 79 Abs. 3 GG zu Recht kritisch M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 236 Fn. 153: „keinesfalls zwingend(en)"); D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 222, der einen inneren Zusammenhang zwischen der Frage nach der Grundrechtsbindung und der „Bindung an die nach Art. 20 und Art. 28 Abs. 1 GG für alle Staatsgewalt geltenden Prinzipien der Rechts- und Sozialstaatlichkeit" sieht: anderer Ansicht Ch. Starck, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Das Bonner Grundgesetz I, 31985, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 138; ebenso wohl J. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 78, der offenbar die Reichweite von Grundrechtsbindung und demokratischer Legitimation unterschiedlich bestimmt; siehe ferner dens., VerwArch Bd. 81 [1990], 349 (355); R. Schallemacher, Die industriellen Bundesunternehmen, S. 174 f.; E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (338). ne Statt vieler J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 13 Rdnr. 154; R. Schallemacher, Die industriellen Bundesunternehmen, S. 174; so im Hinblick auf die sinnvariablen verfassungsrechtlichen Begriffe der „verfassungsmäßigen Ordnung"- Art. 2 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 GG (BVerfGE 6, 32 [38]), des „Gerichts" - Art. 19 Abs. 4 und Art. 100 Abs. 1 GG - (BVerfGE 6,55 [63]).

117 So ausdrücklich BVerfGE 6, 32 (38); siehe ferner J. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 78; dens., VerwArch Bd. 81 [1990], 349 (355); R. Schallemacher, Die industriellen Bundesunternehmen, S. 174; E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (338).

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ständnis der Staatsgewalt auszugehen. Ebenso ließe sich aber argumentieren, daß sich der in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG manifestierte Anspruch auf eine Vollregelung („alle") wegen der besonderen Bedeutung der Menschenwürde als „obersten Wert der Verfassung" 118 nur auf diese grundrechtliche Verbürgung, nicht aber auf die anderen (Freiheits- und Gleichheits-)Grundrechte des Grundgesetzes bezieht; auf dieser Grundlage wäre für eine uneinheitliche Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 GG genügend dogmatischer Raum, welche die erste Bestimmung im universellen, sämtliche staatlichen Aktivitäten umfassenden Sinne versteht, letztere jedoch nur auf partielle, bestimmte Felder der Staatstätigkeit bezieht und andere - wie etwa die Fiskaltätigkeit - ausklammert. Läßt sich bereits bei Art. 1 GG nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit ein einheitliches Begriffsbild der Staatlichkeit ermitteln, so fehlt es an der Voraussetzung für den systematischen Brückenschlag mit Art. 20 Abs. 2 GG. Doch selbst wenn man von einem einheitlichen Anwendungsfeld des Art. 1 GG ausginge, wäre es angesichts der unterschiedlichen Schutzfunktionen von Art. 1 Satz 2 und Abs. 3 GG einerseits und Art. 20 Abs. 2 andererseits zweifelhaft, den einzelnen Regelungen ein homogenes Begriffsbild der Staatsgewalt zuzuweisen. Die Zweifel nähren sich aus dem Umstand, daß die Grundrechte und damit auch die die Grundrechtsbindung begründende Bestimmung des Art. 1 Abs. 3 GG in erster Linie auf den Schutz des Individuums funktional bezogen sind, während Art. 20 Abs. 2 GG allein den Staat zum Gegenstand 119 hat und an dessen Organisationsstrukturen bestimmte Legitimationsanforderungen stellt 120 . Geht es einmal um den Schutz des Individuums, so steht das andere Mal die staatsbezogene Kategorie demokratischer Legitimation im normativen Blickfeld. Vor dem Hintergrund dieser funktionalen Unterschiede erscheint es keinesfalls ausgeschlossen, daß in Grenzfällen die Zuordnung einer mit der Verwaltung nur lose verbundenen Erscheinungsform „staatlichen" Handels unterschiedlichen Gesetzen folgt, also etwa die Grundrechtsbindung auslöst, das Erfordernis demokratischer Legitimation hingegen nicht auf Verwirklichung drängt. Der Versuch, einen „Entsprechungszusammenhang von Grundrechtsbindung und demokratischem Legitimationserfordernis" 121 zu begründen und auf diese Weise den Adressatenkreis des Demokratieprinzips des Art. 20 GG zu bestimmen, steht damit dogmatisch auf wackeligen Beinen. Ein weiteres systematisches Standbein erwächst dieser These auch nicht aus Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG 1 2 2 . Jedenfalls ist eine solche Schlußfolgerung abermals nicht zwingend. Zwar knüpft Art. 20 Abs. 3 GG in begrifflicher und 118

Vgl. T. Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, S. 154 ff. Zum ausschließlich staatsbezogenen Charakter des Demokratieprinzips des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG siehe bereits oben in Kapitel 1, S. 43 ff. 120 Vgl. R. Schallemacher, Die industriellen Bundesunternehmen, S. 174; E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (338); Ch. Starck, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, Das Bonner Grundgesetz I, 31985, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 138. 119

121 122

Nochmals M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 234 ff. So aber M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 236.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

regelungssystematischer Hinsicht unmittelbar an Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG an. Doch muß dies nicht unbedingt zur Inhaltsidentität beider Regelungen führen. Art. 20 Abs. 3 - wie auch Art. 1 Abs. 3 GG - beruht in erster Linie auf einer individualrechtlichen Schutzfunktion, während das Erfordernis demokratischer Legitimation den Staat als überindividuellen Wirkungsverband betrifft. Diese funktionale Diskrepanz läßt es zweifelhaft erscheinen, zwischen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Art. 20 Abs. 3 GG dem Inhalt nach einen Entsprechungszusammenhang zu begründen. Angesichts des ungeklärten, wenigstens nicht mit letzter Eindeutigkeit feststellbaren Verhältnisses zwischen beiden verfassungsrechtlichen Normen kann man im gegebenen Zusammenhang auf sich beruhen lassen, ob Art. 20 Abs. 3 und Art. 1 Abs. 3 GG einem gemeinsamen Anwendungsfeld zugeordnet werden können 123 . Schließlich läßt sich das Begriffsbild der „Staatsgewalt" auch nicht unter Hinzuziehung des in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG verwendeten ähnlichen Begriffs der „öffentlichen Gewalt" erschließen 124. M. Jestaedt leitet aus der „Korrespondenzfunktion", die Art. 19 Abs. 4 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG im Verhältnis zu den materiellen Grundrechten innehaben125, einen Entsprechungszusammenhang zwischen dem Umfang der Grundrechtsbindung und der Rechtsschutzgewährleistung ab 1 2 6 ; eine recht zweifelhafte Beweisführung, führt man sich die auf die rechtsprechende Gewalt bezogene Divergenz der Gewährleistungsgehalte von Art. 19 Abs. 4 GG einerseits und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG andererseits vor Augen. Während die Rechtsprechung zur „öffentlichen Gewalt" im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG zählt, Verfassungsbeschwerden mithin auch gegen gerichtliche Entscheidungen zulässig sind, gehört die Rechtsprechung nicht zur „öffentlichen Gewalt" nach Art. 19 Abs. 4 GG 1 2 7 . Folgen Art. 19 Abs. 4 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG aber bereits keinem einheitlichen Begriffsbild, so wäre eine Erschließung des normativen Gehalts des Art. 20 Abs. 2 GG unter Rekurs auf diese Verfassungsbestimmungen mit dieser begrifflichen Unsicherheit belastet 128 . Vor 123

Einen solchen Entsprechungszusammenhang zwischen beiden Verfassungsbestimmungen sehen M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 236; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, S. 1410 und 1411, allerdings mit dem diesen Standpunkt zugleich relativierenden und modifizierenden Hinweis, „daß dieses durch rechtssystematische und extensive Auslegung gefundene Interpretationsergebnis (seil.: die gegenständlich-inhaltliche Übereinstimmung von Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG) keinesfalls unanfechtbar ist, sofern es um privatrechtliches Handeln der Exekutive geht"; hingegen zweifelnd bis ablehnend R. Schallemacher, Die industriellen Bundesunternehmen, S. 175. 124

So aber M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 236 f. 125 Siehe in bezug auf Art. 19 Abs. 4 GG W.-R. Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 192. 126

M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 237. 127 BVerfGE 4, 74 (96); 11, 263 (265); 15, 275 (280); 22, 275 (280); 25, 352 (375); 49, 329 (340); BVerwGE 50, 11 (14); aus dem Schrifttum vgl. statt vieler E. Schmidt-Aßmann, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 96. 1 28 Ablehnend auch J. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume in der Verwaltung, S. 78; siehe ferner dens., VerwArch Bd. 81 [1990], 349 (355).

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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allem aber sind solche systematischen Überlegungen unter methodologischen Gründen verfehlt: Die Aspekte der Grundrechtsbindung und Rechtsweggarantie stehen in keinem dialektischen Zusammenhang, in keinem Verhältnis wechselseitiger Durchdringung. Vielmehr sind die verfahrensrechtlichen Garantien funktional auf die Verwirklichung der subjektiv-rechtlichen (Grund-)Rechtspositionen bezogen. Art. 19 Abs. 4 GG begründet keine subjektiven Rechte, sondern setzt solche voraus 129 . Das bedeutet: Die Frage nach der Grundrechtsbindung und deren Reichweite ist der nach der Rechtsweggarantie logisch vorgelagert; die formellen Grundgesetznormen des Art. 19 Abs. 4 und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG sind die verfassungsrechtliche Antwort auf entsprechende (Grund-)Rechtsverletzungen; sie besitzen eine „Korrespondenzfunktion" im Verhältnis zu den subjektiv-rechtlichen (Grund-)Rechten 130. Die Quintessenz dieser, das Verhältnis zwischen Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG umschreibenden und deren gegenständlich-inhaltlichen Bereich betreffenden Überlegungen kann daher nur lauten: Allenfalls ließe sich die Rechtswegfrage im Lichte des Art. 1 Abs. 3 GG beantworten, aber keinesfalls kann umgekehrt die Reichweite der Grundrechtsbindung durch die Rechtsweggarantie bestimmt werden. Im Ergebnis kann festgehalten werden, daß Grundrechtsbindung und das Gebot demokratischer Legitimation nach Reichweite und Umfang keinesfalls notwendig einander entsprechen müssen. Ein verfassungsrechtlich zwingender Nachweis für eine solche gegenständlich-inhaltliche Identität läßt nicht erbringen. Man begäbe sich auf verfassungsdogmatisches Glatteis, sofern man die nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG legitimationsbedürftige „Staatsgewalt" als Summe der Aufgaben verstünde, die „Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung" im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG wahrnehmen. Fehlte es an einem Entsprechungszusammenhang zwischen Grundrechtsbindung und dem verfassungsrechtlichen Legitimationserfordernis, müßte die über Art. 1 Abs. 3 GG vermittelte Begriffsbestimmung der „Staatsgewalt" in sich zusammenfallen. Aus diesem Grunde soll der Ansatz, das den demokratischen Rechtfertigungszwang auslösende Tatbestandsmerkmal „Staatsgewalt" aus Art. 1 Abs. 3 GG herauszuinterpretieren, nicht weiter verfolgt werden. Vielmehr gilt es, nach anderen, dogmatisch verläßlicheren Wegen Ausschau zu halten, um aus den Art. 20 Abs. 2 GG umhüllenden seichten Nebelschwaden herauszutreten und zu dem Begriffskern der „Staatsgewalt" vorzustoßen.

129

Statt aller aus dem Schrifttum H. D. Jarass, in: dems./B. Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Rdnr. 21. 130 Siehe nochmals in bezug auf Art. 19 Abs. 4 GG W.-R. Schenke, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 192.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

I I I . Polarität von Staatsgewalt und grundrechtlicher Freiheit: Alternativität demokratischer und grundrechtlicher Legitimation Konnte die Grundrechtsbindungsvorschrift des Art. 1 Abs. 3 GG keinen - hinreichend sicheren - Aufschluß über Inhalt und Reichweite des Demokratieprinzips und der hieraus folgenden Legitimationsanforderungen an die Ausübung von „Staatsgewalt" vermitteln, so soll im folgenden ein diametral anderer Zugang zu dem Problemkreis gewählt werden. Nicht die Grundrechtsbindung, sondern die Frage nach der Grundrechtsfahigkeit des staatlichen Wirkungskreises soll den Adressatenkreis des Demokratieprinzips zu bestimmen helfen. Dabei geht es nicht darum, nach „positiven" Bestimmungskriterien zu suchen und dem Gewährleistungsbereich des Art. 20 Abs. 2 GG bestimmte Felder staatlicher Betätigung zuzuweisen; vielmehr wird nach Lebensäußerungen Ausschau gehalten, die aufgrund ihrer grundrechtlichen Umhegung nicht dem Prinzip demokratischer Legitimation unterfallen. Als „negatives" Abgrenzungskriterium, als Faktor, welcher der „Staatsgewalt" gegenüberzustellen ist, dient die Verfassungskategorie der Grundrechtssubjektivität. Derjenige, dessen Lebensgesetz grundrechtlich fundiert ist, kann keine legitimationsbedürftige Staatsgewalt darstellen. Unter Zugrundelegung dieser Prämisse kommt für die Festlegung der inhaltlich-gegenständlichen Reichweite des Prinzips demokratischer Legitimation der Frage maßgebliche Bedeutung zu, ob der Bereich der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand dem grundrechtlich geschützten Lebenskreis zuzuordnen ist und staatliche sowie kommunale Eigen- und Beteiligungsgesellschaften grundrechtlichen Schutz beanspruchen können. Bevor das Augenmerk auf diese Frage gelenkt werden soll, gilt es zunächst, das Verhältnis zwischen demokratischer Legitimation und grundrechtlicher Freiheit auszuleuchten und die sachlogische Alternativität beider Legitimationsfiguren sichtbar werden zu lassen. Die Grundrechte vermitteln dem einzelnen Grundrechtsträger einen Freiraum zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung. Sie gewähren Selbstbestimmung für ihn in seiner Individualität. Diese auf den Menschen bezogene, auf seine Selbstbehauptung gegenüber dem Staat und auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zugeschnittene Schutzwirkung der Grundrechte reicht über die individuelle Freiheitsbetätigung hinaus und erfaßt grundsätzlich auch den Wirkungskreis juristischer Personen. Grundrechtliche Freiheit in ihrer klassischen Funktion ist daher, unabhängig davon, ob sie individuell und korporativ ausgeübt wird, eine auf Abwehr staatlicher Ingerenzen gerichtete Freiheit; sie statuiert und garantiert einen individuellen und gesellschaftlichen Autonomiebereich, in den sich der Staat grundsätzlich nicht einmischen darf. Kurzum: Grundrechtliche Freiheit gewährleistet einen staatsfreien Raum. Die so verstandene Staatsfreiheit setzt voraus, daß die für die institutionalisierte Staatlichkeit geltenden, die Ausübung von Staatsgewalt tragenden Legitimationsstränge nicht gleichsam durch die Außenhaut der Gesellschaft stoßen und in deren grundrechtliches Wirkungsfeld vordringen. Dem vom Volke ausgehenden, durch ein „kunstvolles System rechtlicher Kanäle" 131 geleiteten, jedes Zimmer ei-

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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nes mit der Ausübung von Staatsgewalt betrauten Amtswalters erreichenden demokratischen Legitimationsfluß darf nicht der Weg in die grundrechtlich geschützten Sach- und Lebensbezirke gebahnt werden, um die freiheitsvermittelnde und -sichernde Grundrechtssubstanz vor Erosion und Auflösung zu verschonen. Eine demokratisch legitimierte Grundrechtsausübung ist eine grundrechtszerstörende verfassungstheoretische contradictio in adjecto 132 , denn grundrechtliche Freiheit, das heißt Selbstentfaltung, Subjektivität, ist die Kehrseite des durch Weisungshierarchie gekennzeichneten demokratiesichernden Organisationsmodells. Staatsfreiheit heißt damit auch Demokratiefreiheit 133. Unter den Auspizien der Grundrechte, ihrer freiheitssichernden Funktion schließen sich damit demokratische und grundrechtliche Legitimation aus: Sie stehen in einem Verhältnis der Alternativität. Berührungspunkte zwischen beiden Polen bestehen nicht. Jeder verfassungstheoretische brückenschlagende Vermittlungsvorschlag ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil er nur auf Kosten grundrechtlicher Freiheiten gelingen kann. Auch die umgekehrte, das Verhältnis von demokratischer und grundrechtlicher Legitimation aus der Sicht des Demokratieprinzips beleuchtende Betrachtung führt zu demselben Ergebnis. Das Demokratieprinzip verlangt eine Rückführung jedweden staatlichen Handelns auf die Aktivbürgerschaft, auf das Volk. Eine mit Grundrechtsschutz ausgestattete Staatlichkeit - sei es in der Form der unmittelbaren oder der mittelbaren Staatsverwaltung - müßte diesen verfassungsrechtlichen Anspruch a priori verfehlen. Der Staat besitzt keine Freiheit vor dem Volke, sondern ist ihm gegenüber verantwortlich. Grundrechtssubjektivität bricht mit dem Zurechnungszusammenhang von staatlicher Herrschaftsausübung und Gewaltunterworfenheit des Volkes; denn grundrechtlich vermittelte Entscheidungsautonomie des Staates ist nur außerhalb des demokratiesichernden hierarchischen Staatsapparats möglich, sie ist ein Fremdkörper im Gewebe des demokratischen Legitimationsmodells, und zugleich ein gefährlicher, weil sie einer selbstzweckhaften, von der Aktivbürgerschaft abgekoppelten und damit demokratisch nicht mehr legitimierten Staatlichkeit Vorschub leistet 134 . Grundrechtsfähigkeit des Staates trennt das Legitimationsband, das den mit der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben betrauten Amtswalter mit dem Volk verbindet und seine Entscheidungen ihm gegenüber zu rechtfertigen hilft 1 3 5 . Auch aus der Sicht des Demokratieprinzips 131

J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 10. 132 Vgl. M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 581. 133 Vgl. M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 536 im Hinblick auch Art. 5 Abs. 3 GG: Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit garantiert einen „staatsfreien und damit auch demokratiefreien Raum". 134 Vgl. Af. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 581. 135 Vgl. w. Hoppe/M. Bleckmann, DVB1. 1990, 177 (181), die zu Recht auf das „Spannungsverhältnis" von grundrechtsgeschützter wirtschaftlicher Selbstverwaltung und Demokratieprinzip hinweisen; ebenso R. Breuer, Festgabe zum 70. Geburtstag von G. Ch. ν. Unruh, S. 855 (870); R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, S. 332; besonders deutlich Η. v. Olshausen, Zur Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffent-

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

ist zwischen demokratischer und grundrechtlicher Legitimation eine klare Trennungslinie zu ziehen: Beide Ermächtigungen dürfen nicht vermengt werden, sie stehen für unterschiedliche Sphären, die sich nicht überschneiden, keinen gemeinsamen Anwendungsbereich aufweisen, eben i m Verhältnis der Alternativität steh e n 1 3 6 : „Tertium non d a t a r . " 1 3 7 Der sachlogische Dualismus der demokratischen und grundrechtlichen Legitimationsfiguren bedeutet freilich nicht, daß eine und dieselbe Organisationseinheit stets nur dem einen oder anderen Legitimationsbereich zuzuordnen ist. Alternativität heißt nur, daß eine bestimmte Lebensäußerung nur einer Sphäre zugewiesen werden kann. Die Grenzziehung kann allerdings quer durch einen Rechtsträger hindurchlaufen, der in einer Hinsicht in Wahrnehmung seiner grundrechtlichen

liehen Rechts, S. 139: „Die Binnenstruktur der demokratischen Staatsorganisation als eines Systems ... in ihrer Basis demokratisch konstituierter Ämterverknüpfung schließt... die Einfügung grundrechtlicher Freiheiten notwendig aus. Kompetenzmäßige Staatswillensbildung kann ausschließlich legitimiert sein aus der ihrerseits kompetenzmäßig erfolgten, demokratisch legitimierten Aufgabenzuweisung. Aufgabenerfüllung aus grundrechtlicher Freiheit zerreißt die normativ notwendige Kette der demokratischen Legitimation, die die Aufgabe nur als heteronome und funktional determinierte zuweisen kann." 136 J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 16, der diesen verfassungsrechtlich gebotenen Legitimationsdualismus von demokratischer und grundrechtlicher Ermächtigung als „Fundamentalalternative des Verfassungsrechts" charakterisiert; siehe ferner dens., in: U. Matz (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen der repräsentativen Demokratie, S. 43 (51 f.); dens., in: dems./R Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 13 Rdnr. 155: „klare »Wasserscheide4 zwischen den Bereichen grundrechtlicher Freiheit und grundrechtsgebundener, ihrerseits nicht grundrechtsfähiger Staatsgewalt"; dens., in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 24; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 579 ff., insbesondere 581, siehe weiter 236 Fn. 161; zuletzt H. Gersdorf, in: A. Haratsch/D. Kugelmann/U. Repkewitz (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, S. 163 (171 f.); ebenso, wenngleich mit teilweise schwächerem Impetus: W. Krebs, Die Verwaltung Bd. 29 [1996], 309 (317 f.); H. H. Rupp, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 28 Rdnrn. 29 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: AöR Bd. 116 [1991], 329 (346 mit Fn. 62); Ch. Starck, in: J. Isensee/ P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR II, § 29 Rdnrn. 1 ff.; siehe ferner A. Bleckmann, Die Grundrechte - Staatsrecht II, § 9 Rdnr. 13, der die Exklusivität von demokratischem Legitimationsgebot und Grundrechtssubjektivität im Hinblick auf gemischt-wirtschaftliche Unternehmen mit den Worten herausstellt: „Und schließlich muß der Gedanke, daß der Staat über seine Verwaltung (ungehindert durch Grundrechte) verfügen können muß, hinter dem notwendigen mittelbaren Grundrechtsschutz der Mitglieder zurücktreten."; vgl. schließlich zum dualistischen Verhältnis von (unmittelbarer oder mittelbarer) Staatsverwaltung und Grondrechtssubjektivität N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 128: „Soweit der grundrechtliche Schutz juristischer Personen des öffentlichen Rechts reicht, kann diese Rechtsperson nicht in die staatliche Verwaltung eingegliedert betrachtet werden. Oder vice versa: Sofern eine juristische Person in den Bereich der staatlichen Verwaltung einbezogen ist, kommt ihr kein grundrechtlicher Schutzanspruch zu."; P. Lerche, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 86 Rdnr. 85.

J37 J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 16; dens., in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 26.

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

Freiheit tätig wird, in anderer Hinsicht hingegen staatliche Gewalt ausübt 138 . Hierauf wird später noch einmal zurückzukommen sein. Die Frage, ob staatliche sowie kommunale Eigen- und Beteiligungsgesellschaften dem Kreis der demokratisch legitimationsbedürftigen Staatsgewalt zuzuordnen sind, ist also im Lichte des polaren Verhältnisses zwischen den Figuren demokratischer und grundrechtlicher Legitimation zu beantworten. Die Ausübung demokratisch legitimationsbedürftiger Staatsgewalt schließt die Zuerkennung grundrechtlicher Schutzansprüche aus, oder umgekehrt formuliert: Die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten vollzieht sich außerhalb des Anwendungsbereichs des Prinzips demokratischer Legitimation. Daher kommt für die Bestimmung der Objekte demokratischer Legitimation der Frage maßgebliche Bedeutung zu, ob und unter welchen Voraussetzungen sich juristische Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG auf den Schutz (materieller) Grundrechte berufen können und ob öffentlichen Unternehmen (im weiteren Sinne) Grundrechtssubjektivität zukommt. Dies macht es erforderlich, den Zuweisungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG im einzelnen festzulegen und zu prüfen, unter welchen Bedingungen juristische Personen den Schutz (materieller) Grundrechte genießen. Unter Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse lassen sich die Objekte des verfassungsrechtlichen Prinzips demokratischer Legitimation ermitteln: Der Kreis der Legitimationsobjekte bestimmt sich aus der fehlenden Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen; die Zuweisung grundrechtlicher Schutzansprüche an juristische Personen läßt das Prinzip demokratischer Legitimation bereits tatbestandlich nicht sinnfällig werden.

IV. Grundrechtssubjektivität von juristischen Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG Das Grundgesetz vermittelt den Grundrechten eine den Schutz des Individuums transzendierende Dimension, indem es in Art. 19 Abs. 3 GG grundsätzlich auch juristische Personen am grundrechtlichen Schutz teilhaben läßt. Obschon der Wortlaut dieser Bestimmung auf den ersten Blick klar und unmißverständlich zu sein scheint, rankt sich um dessen Auslegung ein dichtes Gestrüpp divergierender Meinungen. Trotz mannigfaltiger Literatur 139 und einer nicht weniger umfangreichen 138 J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 17; ders., in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 26; vgl. ferner M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 533,535; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 131 ff. (insbesondere 135), siehe ferner bereits 128; H. Gersdorf, in: A. Haratsch/D. Kugelmann/U. Repkewitz (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, S. 163 (171 f.). 139

Vgl. nur H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz; dens., AöR Bd. 104 [1979], 54 ff., 265 ff.; G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3; A. Dietmair, Die juristische Grund-

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

Rechtsprechung hat sich eine einheitliche, geschweige denn gefestigte Auffassung zur Reichweite des Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 3 GG bis heute nicht herausgebildet. Die Frage nach der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des öffentlichen Rechts bildet eine klassische Problemzone, in der sich die einander widerstreitenden Interpretationsansätze reiben 140 ; nicht minder heftig wird die Frage diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen gemischt-wirtschaftliche Unternehmen Grundrechtsschutz beanspruchen können. Namentlich der (Kammer-)Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 16. 5. 1989, in dem das Gericht die Grundrechtsfähigkeit eines zu 72% in staatlicher Hand liegenden Energieversorgungsunternehmens verneint und damit dessen Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen hat 1 4 1 , hat Anlaß für zahlreiche kritische, zumeist ablehnende Stellungnahmen geboten 142 . Der Meinungsstand in allen seinen Facetten und die wissenschaftliche Kontroverse zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen können im Rahmen dieser Untersuchung nicht detailgenau nachgezeichnet werden. Dessen bedarf es auch nicht, geht es doch im gegebenen Zusammenhang lediglich um einen Ausschnitt der Gesamtproblematik des Art. 19 Abs. 3 GG, nämlich um die Frage, ob sich die öffentliche Hand in ihrem wirtschaftlichen Betätigungsfeld auf Grundrechte berufen kann. Gleichwohl sollen die wesentlichen Argumentationsstränge zur Reichweite des Art. 19 Abs. 3 GG sichtbar gemacht werden, wenigstens insoweit, als sie für die hier relevante Frage nach der Grundrechtsfähigkeit öffentlicher Unternehmen im weiteren Sinne von Bedeutung sind.

rechtsperson des Art. 19 Abs. 3 GG im Lichte der geschichtlichen Entwicklung; D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 87 ff.; L. Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums im Geltungskonflikt von Bundes- und Landesverfassung; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 44 ff.; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1075 ff.; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts. 140 Hierzu zuletzt dezidiert N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts. 141 Methodologisch fehlerhaft ist der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts unzweifelhaft insoweit, als die vom Gericht konstatierte Grundrechtsunfähigkeit der Hamburgischen Electricitäts-Werke AG (HEW) nicht erst deren Beschwerdebefugnis (BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], NJW 1990,1783: „nicht beschwerdebefugt"), sondern bereits deren - vorrangig zu prüfende - Parteifahigkeit entfallen läßt. "2 H.-G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 ff.; G. Kühne, JZ 1990, 335 f.; E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 ff. (insbesondere 6, 10 ff.); ders., in: Festschrift für H. Niederländer, S. 383 ff. (insbesondere 393 ff.); R. Scholz, in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 ff.; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 19, 50 ff., 224 ff.; ders.: JuS 1991, 294 ff.; kritisch, obschon im Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zustimmend Th. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 145 ff., insbesondere 147.

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

1. Dogmatischer Bedingungsrahmen: Anthropozentrische Ausrichtung als normative Grundlage des Art 19 Abs. 3 GG Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Diskussion über Art. 19 Abs. 3 GG ist die in dieser Vorschrift enthaltene Einschränkung der Grundrechtsberechtigung durch das „Wesen" der Grundrechte. In dieser Wesensklausel liegt gleichsam der Schlüssel zur Bestimmung des Kreises der grundrechtsberechtigten juristischen Personen 143. Dabei kommt die Wesensklausel des Art. 19 Abs. 3 GG auf zwei Stufen zum Tragen: Erstens bei der Prüfung, ob eine juristische Person überhaupt grundrechtsfähig ist, und zweitens, ob das konkrete Grundrecht seinem Wesen nach auf die juristische Person anwendbar ist und gegebenenfalls in welcher Modifikation 144 . Die Auffassung, daß die Frage, ob die Grundrechte als Gattung auf private und öffentlich-rechtliche - juristische Personen anwendbar seien, durch Art. 19 Abs. 3 GG positiv entschieden sei und die Wesensklausel nur insoweit Bedeutung habe, als es um die Anwendbarkeit eines bestimmten Grundrechts gehe 1 4 5 , vermag nicht zu überzeugen. Ein positivrechtlich abgestütztes Argumentationsbein für diese These ist wenigstens nicht ersichtlich. Vielmehr kommt es nach Art. 19 Abs. 3 GG auf die wesensmäßige Anwendbarkeit der Grundrechte an 1 4 6 . Diese Voraussetzung kann aber unter Umständen in zweifacher Hinsicht Probleme aufwerfen, nämlich zum einen auf der Ebene der generellen Anwendbarkeit der Grundrechte auf die jeweilige juristische Person und zum anderen im Hinblick auf die Grundrechtssubjektivität in bezug auf eine bestimmtes Grundrecht. Das Bundesverfassungsgericht geht von einer anthropozentrischen Deutung des Art. 19 Abs. 3 GG aus, die den Menschen zum Ausgangs- und Bezugspunkt sämtlicher Interpretationsbemühungen macht 147 . Danach zielen die Grundrechte des Grundgesetzes „ihrem Wesen nach" auf den Schutz des einzelnen Menschen, auf seine Selbstbehauptung gegenüber dem Staat und auf freie Entfaltung seiner Per143 Insoweit besteht Übereinstimmung bei der Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG, vgl. BVerfGE 21, 362, 369, wonach es auf „das »Wesen der Grundrechte*... nach dem Inhalt der Bestimmung entscheidend ankommt"; siehe aus dem Schrifttum statt aller: G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 5; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 24; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1110. 144 J; Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 5. 145 So Κ Α. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1324); F. E. Schnapp, Der Städtetag 1969,534 (535). 146 Vgl. H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 13; dens., AöR Bd. 104 [1979], 54 (98 f.); G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 ΠΙ Rdnr. 35; W. Krebs, in: I. v. Münch/Ph. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 41992, Art. 19 Rdnr. 35; siehe ferner L. Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums im Geltungskonflikt von Bundes- und Landesverfassung, S. 98; M. Feiler, Das Bonner Grundgesetz und die juristischen Personen als Träger von Grundrechten, S. 21; A. v. Mutius, JuS 1977, 319 (320), dens., Jura 1983,30 (38: „nicht zwingend").

147 Vgl. nur BVerfGE 21, 362 (369); 61,82 (101); 68,193 (205 f.); 75,192 (195 f.). 5 Gersdorf

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

sönlichkeit. Die Grundrechte sind auf den Menschen bezogen, auf den Schutz des Individuums, seiner Subjektivität; die Grundrechte sind „um des Menschen willen da" 1 4 8 , in dieser Zielrichtung liegt ihre „Sinnmitte". Natürliche Personen nehmen kraft ihrer Personalität, in unabgeleiteter, originärer Form am Grundrechtsschutz teil 1 4 9 ; sie sind geborene menschenrechtliche Grundrechtsträger 150. Demgegenüber leiten juristische Personen ihre Grundrechtssubjektivität aus positivem Verfassungsrecht ab. Grundrechtsfähigkeit kommt ihnen nur nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG zu: Sie sind durch Verfassungsrecht gekorene Grundrechtsträger 151. Sie erfüllen keinen Selbstzweck. Art. 19 Abs. 3 GG bezweckt nicht „den Wertschutz von »Fiktionen4, mit denen unpersönliche Substrate rechtstechnisch zur »Person4 im Rechtssinn zusammengedacht werden" 152 . Diese den Grundrechtsschutz für juristische Personen vermittelnde Verfassungsbestimmung ist im Lichte des spezifischen Sinngehalts der Grundrechte, ihrer anthropozentrischen Ausrichtung zu verstehen. Die grundrechtlichen Lebensgesetze von natürlichen und juristischen Personen folgen einem und demselben Muster: Ebenso wie die rechtliche Verselbständigung von Personenmehrheiten keinen Selbstzweck erfüllt, sondern dem Menschen zu dienen bestimmt ist, zielt Art. 19 Abs. 3 GG letztlich auf den Schutz der hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen. Die juristische Person nimmt am Schutz der Grundrechte teil, weil sie Medium personaler Grundrechtsausübung ist und deren Effektivität steigert 153 . Daher sind die Grundrechte „ihrem Wesen nach" auf juristische Personen anwendbar, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen sind, wenn insbesondere der „Durchblick" auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen es als sinnvoll und erforderlich erscheinen läßt 154 . Welche Schlußfolgerungen für die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des privaten und öffentlichen Rechts hieraus zu ziehen sind, soll an dieser Stelle erst einmal dahingestellt bleiben. Entscheidend ist zunächst, ob dieses menschenorientierte Grundverständnis, das namentlich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 3 GG prägt, auch vor den Einwänden der Kritiker dieser Rechtsprechung Bestand haben kann.

we G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 1. 149 BVerfGE 41,126(183). 150 H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 13; J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 4. 151 J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 4. 152 G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 1. 153 Dezidiert R. Scholz* Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 133 ff.; siehe auch H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 13; dens., AöR Bd. 104 [1979], 265 (297): 7. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 5. 154 BVerfGE 21, 362 (369); 61, 82 (101).

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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Vorgeworfen wird dem Bundesverfassungsgericht zunächst ein rein individualrechtliches Grundrechtsverständnis, das im Ergebnis den Bedeutungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG auf die Regelung einer Grundrechtstreuhand reduziere 155. Ungeachtet dessen, daß es hierzu einer ausdrücklichen Verfassungsnorm nicht bedurft hätte 156 , führe der „Durchgriffsgedanke" zu einer - nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 157 grundsätzlich - unzulässigen Übertragung von Grundrechten auf Organisationen und zumindest zu einer Delegation der Befugnis, fremde Grundrechte im Namen der Institution geltend zu machen 158 . Dem ist insoweit zuzustimmen, als der Begriff „Durchgriff' aufgrund seiner zivilrechtlichen Prägung die fehlerhafte Assoziation vermitteln könnte, als seien die eigentlichen Destinatäre des Grundrechtsschutzes die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen. Ein solcher „Durchgriff* auf das personale Substrat würde in der Tat die juristische Person als Rechtsfigur beiseite schieben und damit deren Eigenständigkeit nach Art. 19 Abs. 3 GG negligieren 159 . Ein solche Verengung ist jedoch ersichtlich nicht gemeint. Art. 19 Abs. 3 GG macht die juristischen Personen selbst zum Grundrechtsträger 160. Die juristische Person verdankt ihre Grundrechtsfähigkeit nicht einem wie auch immer gearteten Delegationsakt der hinter ihr stehenden Menschen. Grundrechtsschutz entsteht kraft verfassungsrechtlicher Anordnung. Es sind Grundrechte der juristischen Person selbst. Sie treten nicht an die Stelle der personalen Grundrechte, sondern bestehen neben diesen und müssen auch nicht in Übereinstimmung mit diesen ausgeübt werden 161 . Die grundrechtlich 155 A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnrn. 30 ff., 59, 61 ff., 64, 69, 100 ff.; ders., JuS 1977, 319 (321); ferner kritisch Κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1324); H. Dreier, in: dems. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 III Rdnr. 21; R. Dreier, in: Festschrift für H. U. Scupin, S. 81 (92 ff.); L Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums im Geltungskonflikt von Bundes- und Landesverfassung, S. 88. 156 N. Achterberg, in: Gedächtnisschrift für F. Klein, S. 1 (25); A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnrn. 32 ff.; ders., JuS 1977, 319 (321); ähnlich H. Dreier, in: dems. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 III Rdnr. 21. 157 Vgl. BVerfGE 1, 97 (102); 2, 292 (294); 10, 134 (136); 11, 30 (35); 13, 1 (9); 13, 54 (89); 16, 147 (158); 19, 323 (329); 20, 162 (172); 25, 256 (263); 31, 275 (280); zur ausnahmsweise zulässigen Prozeßstandschaft im Verfassungsbeschwerdeverfahren BVerfGE 77, 263 (268 ff.). 158 L Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums im Geltungskonflikt von Bundes- und Landesverfassung, S. 90; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 33; ders., JuS 1977, 319 (321). 159 J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 5; W. Krebs, in: I. v. Münch/Ph. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 41992, Art. 19 Rdnr. 38; demgemäß verwendet das Bundesverfassungsgericht teilweise auch nicht mehr den Begriff des „Durchgriffs", sondern arbeitet statt dessen mit dem des teleologischen „Durchblicks" auf das personale Substrat, so BVerfGE 61, 82 (101). 1 60 H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 25; G. Düng, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 2; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΠΙ /1, S. 1118. 161 Κ. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΙΠ/1, S. 1118. 5•

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

umhegte individuelle Persönlichkeitsentfaltung wird nicht substituiert, sondern durch die „Persönlichkeitsentfaltung in Gemeinschaft" 162 in Gestalt einer juristischen Person ergänzt. Das Handeln in Gemeinschaft stellt dabei nicht lediglich eine Addition der jeweiligen Einzelhandlungen dar; juristische Personen können einen über die bloße addierte Summe der Einzelwillen hinausgehenden Kollektivwillen bilden 163 . Als rechtsfähige Gebilde vermitteln sie einen zusätzlichen Bewegungsspielraum im Rechts- und Wirtschaftsverkehr 164. Das macht die spezifische Substanz von juristischen Personen aus. Der „Durchgriffsaspekt" dient damit lediglich als Chiffre für den teleologischen „Durchblick" auf das personale Substrat einer juristischen Person; er fungiert als rechtsdogmatische Hilfskonstruktion, um die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen zu begründen. Steht die Anwendbarkeit der Grundrechte, das heißt die Grundrechtssubjektivität einer juristischen Person fest, gilt das Trennungsprinzip 165: Zwischen der grundrechtlichen Freiheitssphäre der juristischen Person einerseits und der seiner Mitglieder andererseits besteht eine klare Wasserscheide; es gibt keine Konvergenzen, Mischungen oder Übergänge. Mit dem „Durchblicks"-Argument ist also nicht bezweckt, die Funktion der juristischen Person auf die Rolle einer Treuhänderin für abgeleitete und gebündelte grundrechtliche Rechtspositionen ihrer Mitglieder zu verkürzen 166 . Damit ist dem gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhobenen Einwand der Boden entzogen. Ein weiterer Kritikpunkt stützt sich darauf, daß das personale Substrat als zentrales Begründungselement für die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen versagte, sofern es um die Begründung der Grundrechtsberechtigung von großen Kapitalgesellschaften oder Stiftungen gehe, bei denen ein personales Substrat nicht oder nur in äußerst mediatisierter Form vorhanden sei 1 6 7 . Vor allem im Hinblick auf Stiftungen des privaten Rechts wird immer wieder hervorgehoben, daß sich unter Verwertung der ,JDurchblicks"-Theorie ein grundrechtlicher Schutzanspruch dieser Erscheinungsform der juristischen Person nicht begründen ließe 168 . Selbst G. Dürig, der geistige Urheber der „Durchblicks"-Theorie, 162 G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 2. ι « G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 3; E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990,1 (8). 164 G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 3: „Ganzheiten sind ein aliud im Verhältnis zur Summe ihrer Teile. Schon wenn zwei gemeinschaftlich dasselbe tun, ist das,etwas anderes*, als wenn es jeder für sich tut." 165 J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 5. 166 H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 26. 167 Vgl. nur A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 64; dens., JuS 1977, 319 (321); H. Dreier, in: dems. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 III Rdnr. 21. 168 Vgl. statt vieler A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 64; dens., JuS 1977, 319 (321); M. Schulte, Staat und Stiftung, S. 52; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΙΠ/1, S. 1119; M Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzan-

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

hat bereits im Jahre 1959 darauf hingewiesen, daß die Einordnung der Stiftungen „einige Zugeständnisse auf Kosten der Verfassungsdogmatik und -systematik" erfordere 169 . Die besondere Problematik beruht auf dem das Stiftungsrecht kennzeichnenden Umstand, daß sich der Einfluß des Stifters im wesentlichen auf die Festlegung des Stiftungszwecks beschränkt; nach der staatlichen Genehmigung wird der subjektive Wille des Stifters in der Gestalt des Stiftungsaktes objektiviert, derselbe ist nunmehr immun gegenüber etwaigen Willensänderungen des Stifters 170 . Dieser Entkoppelungsvorgang läßt - in der Diktion des Bundesverfassungsgerichts gesprochen - die Betätigung der Stiftung eben gerade nicht als Ausdruck der freien Entfaltung der hinter ihr stehenden natürlichen Person, des Stifters, erscheinen. Aus diesem Grunde wurden im Schrifttum mehrere Konstruktionen vorgeschlagen, um auf der Grundlage der anthropozentrischen Sichtweise des Art. 19 Abs. 3 GG eine Einbeziehung von Stiftungen des privaten Rechts in den Kreis der Grundrechtsberechtigten zu ermöglichen 171 . Dabei bedarf es eines solchen qualifizierten Begründungsaufwandes im Grunde genommen überhaupt nicht. Denn die Stiftungen des privaten Rechts beruhen auf einem privatautonomen Akt. Der privatautonome Stifterwille und die zusätzliche staatliche Genehmigung der zuständigen (Bundes- oder Landes-)Behörde verleihen der einem bestimmten Zweck gewidmeten Vermögensmasse Rechtssubjektivität. Die Anwendbarkeit von Grundrechten auf diese Erscheinungsform der juristischen Person ist gerechtfertigt, weil sie ihre Entstehung einem privatautonomen Gründungsakt verdanken, also nochmals in den Worten des Bundesverfassungsgerichts gewendet - ihre Bildung Ausdruck der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Stifters ist 1 7 2 . Die entscheispruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 202 ff.; anderer Ansicht G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 6; M. Oechsle, Zur wesensmäßigen Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des Zivilrechts, S. 103. 169 G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), ^959, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 6. no Vgl. R. Scholz/S. Lange, Stiftung und Verfassung, S. 45 f. 171 Der breite Strauß an Begründungsansätzen für das Vorliegen eines „personalen Substrats " reicht von der postmortalen Maßgeblichkeit des Stifterwillens (zu Recht ablehnend wegen der Inkonsistenzen mit der Spezifität des Stiftungsrechts R. Scholz/S. Lange, Stiftung und Verfassung, S. 45 f. ; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 202) über die aktuelle Einflußnahme auf die Stiftungspolitik kraft entsprechender Satzungsrechte (so R. Scholz/S. Lange, Stiftung und Verfassung, S. 45 f.; dagegen: N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 202) bis zu einem „Durchgriff auf die Stiftungsorgane" (so S. Maser, Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen und teilrechtsfähige Verbände, S. 20 f.; dagegen: R. Scholz/S. Lange, Stiftung und Verfassung, S. 48 f.; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 203) oder anderen Begründungsversuchen (ein ausführlicher Überblick findet sich bei N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 202 bis 204). 172 G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 6; siehe ferner K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΠΙ/1, S. 1119, der

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

dende Frage ist demnach, welche Anforderungen man im konkreten Fall an die Ausprägung des personalen Substrats stellt 173 , mit anderen Worten: mit welcher Verwurzelungstiefe die juristische Person in ihrer personalen Basisschicht verankert sein muß. Muß das personale Substrat kumulativ beim Konstitutionsakt und bei der freien Betätigung der juristischen Person erkennbar hervorscheinen, oder aber reicht es aus, wenn der „Durchblick" auf die hinter ihr stehenden natürlichen Personen entweder bei deren Gründung oder bei deren Betätigung möglich ist? Die Antwort liegt klar auf der Hand: Für ein individualrechtlich geprägtes Grundverständnis des Art. 19 Abs. 3 GG kann es nur darauf ankommen, daß entweder die Gründung oder die Aktivitäten der juristischen Person einen solchen Bezug zum Menschen erkennen lassen. Für die anerkanntermaßen am Grundrechtsschutz partizipierenden juristischen Personen des öffentlich-rechtlichen Rechts - den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, den Hochschulen und Fakultäten - wird dies augenscheinlich. Ihre (partielle) Rechtssubjektivität verdanken sie dem staatlichen Gesetzgeber, ihre Existenz ist eine durch den staatlichen Konstitutionsakt vermittelte. Auf Grundrechte können sie sich nur deshalb berufen, weil sie in Wahrnehmung ausschließlich der Gesellschaft vorbehaltener, genuin staatsfreier Aufgaben tätig werden und insoweit einen Bezug zu den Menschen und deren grundrechtlichen Freiheiten aufweisen. Die öffentlich-rechtliche Organisationsform ist ihnen nur übergestülpt. Sie bildet das staatliche Gefäß, in dem gesellschaftliche Kräfte zur korporativen Ausübung ihrer grundrechtlichen Freiheiten zusammengefaßt sind. Was ihnen an personalem Substrat bei ihrer Gründung fehlt, entbehren die privatrechtlichen Stiftungen in ihrem Betätigungsfeld 174. Die Berührung mit den „personalen Elementen" erfolgt im ersten Fall im Tätigkeitsfeld der juristischen Person und im zweiten Fall im Kreationsakt derselben. Beide Berührungspunkte genügen bereits für sich genommen, um die jeweilige juristische Person am grundrechtlichen Schutz teilhaben zu lassen. Das „Durchblicks"-Argument erweist sich demnach keinesfalls als untauglich, die Grundrechtsfähigkeit von privatrechtlichen Stiftungen zu erklären 175 . gleichwohl die Grundrechtsfähigkeit von Stiftungen auf der Grundlage der „Durchblicks"Theorie konstruktiv für kaum begründbar erachtet („kaum zu überwindende Schwierigkeiten"). 173 Zutreffend daher G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 6. 174 Es bleibt deswegen ein ungeklärtes Geheimnis der Kritiker des anthropozentrischen Verständnisses des Art. 19 Abs. 3 GG, weswegen die vermeintlich dogmatische Leistungsunfähigkeit des „Durchblicks"-Arguments nicht ebenso im Zusammenhang mit der Grundrechtsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfünkanstalten sowie Hochschulen und Fakultäten thematisiert wird. 175 Das gleiche gilt für große Kapitalgesellschaften, deren Bildung - ebenso wie die von privatrechtlichen Stiftungen - auf einem privatautonomen Kreationsakt beruht. Das schließt freilich nicht aus, daß die Schutzintensität der Grundrechte, namentlich der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, proportional zur Verankerungstiefe der juristischen Person im „personalen Substrat" variiert (demgemäß betont das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, daß die Eigentumsgarantie insoweit einen besonders ausgeprägten Schutz

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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Einen weiteren Angriffsgegenstand bildet das Argument des Bundesverfassungsgerichts, daß der Staat „nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter der Grundrechte s e i n " 1 7 6 k ö n n e 1 7 7 . Dem wird erwidert, daß es nichts Ungewöhnliches sei, wenn eine und dieselbe Norm eine bestimmte Person berechtige und verpflichte; daher sei es konstruktiv auch zu begründen, daß die öffentliche Hand einerseits grundrechtsgebunden,

andererseits selbst Trägerin von Grundrechten

s e i 1 7 8 . Hiergegen wird angeführt, daß diese Argumentation das Spezifische der zur Beantwortung anstehenden Grundrechtsfragen nicht erfasse 1 7 9 . Denn dem Bundesverfassungsgericht ginge es ersichtlich darum herauszustellen, daß „die Grundrechte das Verhältnis des Einzelnen zur öffentlichen Gewalt betreffen" und damit unvereinbar sei, „den Staat selbst zum Teilhaber oder Nutznießer der Grundrechte zu m a c h e n " 1 8 0 . Bei Lichte besehen handelt es sich um ein diskurrierendes Scheingefecht, das i m übrigen zur Erhellung des in Rede stehenden Problemkreises keinen Beitrag zu leisten imstande ist. Denn weitgehend 1 8 1 einig ist man sich darin, genießt, als es um die Funktion des Eigentums als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des einzelnen geht, vgl. BVerfGE 14, 288 [293 f.]; 42, 64 [77]; 42, 263 [293 und 294 f.]; 50, 290 [340]); die grundsätzliche Geltungserstreckung der Grundrechte auf juristische Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG wird durch diese divergierende grundrechtliche Schutzintensität nicht berührt, sondern im Gegenteil sogar impliziert. 176 BVerfGE 15, 256 (262); 21, 362 (369 f.). 177 Kritisch zu diesem sog. Konfusions- oder Identitätsargument Κ. A. Bettermann, in: Festschrift für Ε. E. Hirsch, S. 1 (6); ders., NJW 1969, 1321 (1323); R. Dreier, in: Festschrift für H. U. Scupin, S. 81 (86); A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 92; ders., Jura 1983, 30 (39); K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I I I / 1 , S. 1113. 178 Κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1323). 179 H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 70 f.; dersAöR Bd. 104 [1979], 54 (94); B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 64: „trifft . . . das »Konfusionsargument 4 des Bundesverfassungsgerichts nicht". 180 BVerfGE 21, 362 (369 f.). 181

Demgegenüber betrachtet es K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1113, „rechtslogisch" für denkbar, wenn juristische Personen des öffentlichen Rechts im Verhältnis zum Staat Grundrechtsschutz beanspruchen, im Verhältnis zu den Menschen hingegen an die Grundrechte gebunden sind. Denn „die Rechtsbeziehungen juristischer Personen im Verhältnis zum Staat einerseits und zu den natürlichen Personen andererseits sind grundverschieden". Dieser Standpunkt ist unter sachlogischen Gesichtspunkten unanfechtbar; ihm korrespondieren allerdings grundrechtsinkonsistente Freiheitsverluste auf Seiten der Bürger, wenn ihnen im Verhältnis zum Staat mit Grundrechtsschutz ausgestattete juristische Personen des öffentlichen Rechts an die Seite gestellt werden, die von dem Staat denselben Grundrechtsschutz einfordern und damit auch zu Lasten des einzelnen zum Ansatz bringen könnten; hierzu im einzelnen noch später; siehe ferner A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 93: „Die Anerkennung einer Grundrechtsfähigkeit öffentlichrechtlicher Organisationen bedeutet mithin ... nicht ihre Freistellung von den Bindungen des Art. 1 Abs. 3 GG gegenüber anderen Grundrechtsträgern."; siehe auch Rdnr. 127; diese Ansicht verkennt, daß - unter Zugrundelegung der „mittelbaren Drittwirkung" oder besser: der Lehre von den staatlichen Schutzpflichten für die grundrechtlichen Freiheiten und Güter der einzelne - private oder öffentlich-rechtliche - Grundrechtsträger in Ausübung seiner

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

daß ein und derselbe Rechtsträger im Hinblick auf einen und denselben Lebenssachverhalt nur entweder Grundrechtsberechtigter oder aber Grundrechtsverpflichteter sein kann, oder umgekehrt: daß er in einer Hinsicht zwar zu dem Kreis der Grundrechtsberechtigten zählt, in anderer Hinsicht hingegen an die Grundrechte gebunden ist 1 8 2 . Die Beispiele der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Hochschulen, die das eine Mal als Grundrechtsträger auftreten, das andere Mal an die Grundrechte gebunden sind, machen dies augenscheinlich183. Und schließlich ist das Konfusionsargument für die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG völlig unergiebig, weil sich aus der Grundrechtsbindung des Staates und seinen Untergliederungen nicht deren Grundrechtsunfähigkeit ergibt, sondern umgekehrt die Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte aus der fehlenden Grundrechtssubjektivität der öffentlichen Hand folgt. Könnte sich die öffentliche Hand auf Grundrechte berufen, wäre sie insoweit ebensowenig wie jeder Private den Grundrechten unterworfen. Das Konfusionsargument beruht damit auf einem Zirkelschluß und ist für Normexegese des Art. 19 Abs. 3 GG fruchtlos. Im folgenden soll die anthropozentrische Deutung des Art. 19 Abs. 3 GG auf weitere argumentative Standbeine gestützt werden, und zwar durch eine umfassende Interpretation dieser Verfassungsbestimmung mit den Mitteln der klassischen juristischen Hermeneutik.

a) Grammatikalische Ausleuchtung Dem „Durchblicks"-Argument ist nicht schon aufgrund des Wortlautes des Art. 19 Abs. 3 GG der Boden entzogen. Der Begriff »juristische Person", der im allgemeinen juristisch-technischen Sinne rechtsfähige Organisationseinheiten sowohl des privaten als auch des öffentlichen Rechts erfaßt, zwingt nicht zu einer mit der individualistischen Interpretation inkonsistenten - Einbeziehung der öffentlichen Hand in den Gewährleistungsbereich des Art. 19 Abs. 3 GG. Denn nach grundrechtlichen Freiheit niemals nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden ist; grundrechtsgebunden ist ausschließlich der Staat, der in Wahrnehmung seiner grundrechtlichen Schutzpflichten die einander konfligierenden grundrechtlich geschützten Interessen zu einem sachgerechten Ausgleich zu bringen hat; die insoweit - über die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten dogmatisch vermittelte - Einstrahlungskraft der Grundrechte auf die horizontale Rechtsbeziehung zwischen mehreren Grundrechtsträgern ändert nichts an der ausschließlichen Staatsbezogenheit des Art. 1 Abs. 3 GG, die eine Einbeziehung des grundrechtlich geschützten Personenkreises in den Anwendungsbereich der Verfassungsnorm ausschließt. !82 So ganz deutlich Κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1323), der aus der - von ihm unterstellten - „Alternität der Rechtsstellung von Fiskus und Hoheitsträger" die Grundrechtsberechtigung sowie Grundrechtsverpflichtung der öffentlichen Hand ableitet. 183 Vgl. H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 71; A. v. Mutius, Jura 1983, 30 (39); auf die Dichotomie juristischer Personen des öffentlichen Rechts in die Bereiche des Grundrechtsberechtigten und Grundrechtsverpflichteten wird später noch gesondert eingegangen.

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

dem Wortlaut kommt es auf die wesensmäßige Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen an. Diese Voraussetzung kann sowohl im allgemeinen als auch in concreto, also bei der generellen Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen und bei der Geltung bestimmter Grundrechte, Probleme aufwerfen 1 8 4 . Im Gegenteil bringt die grammatikalische Auslegung ein wichtiges Argument für die vom Bundesverfassungsgericht entworfene Konzeption hervor. Indem Art. 19 Abs. 3 GG „diese Grundrechte" im Rahmen ihres Wesens „auch" für juristische Personen für anwendbar erklärt, erweitert er nicht nur konstruktiv den Kreis der Zuordnungssubjekte einzelner Grundrechtsbestimmungen, sondern legt zudem auch ein eindeutiges Bekenntnis für ein einheitliches Verständnis der Grundrechte ab. „Diese Grundrechte" sollen zwar auch für juristische Personen Geltung beanspruchen können, ohne dabei aber eine Sinnänderung oder sogar Sinnverkehrung zu erfahren, welche die grundrechtlichen Gehalte in eine qualitativ grundsätzlich andere Dimension mutieren läßt. Mit anderen Worten: Zwischen den Grundrechten natürlicher Personen und juristischer Personen, zwischen individueller und korporativer Freiheitsbetätigung muß ein Entsprechungszusammenhang bestehen; Inhalt und Bedeutung der Grundrechte dürfen nicht divergieren mit der Person, die grundrechtliche Freiheiten wahrnimmt. Dieser Anspruch auf eine einheitliche Funktionsbestimmung der Grundrechte müßte aber fallengelassen werden, sofern man auch die öffentliche Hand zum Nutznießer von Grundrechten machte. Während die Individualgrundrechte dem einzelnen einen Autonomiebereich zur eigenständigen und eigenverantwortlichen Lebensgestaltung, die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gewährleisten, könnten Grundrechte in Händen des Staates niemals diesen Sinngehalt haben; denn der Staat hat keine Persönlichkeit, zu deren Schutz es der Grundrechte bedürfte. Eine durch Beliebigkeit, eben durch Freiheit gekennzeichnete Ausübung von Staatsfunktionen als Ausdruck der Persönlichkeitsentfaltung des Staates ist rechtsstaatlich schlechthin ausgeschlossen. Die Funktion grundrechtlicher Freiheiten müßte unterschiedlich bestimmt werden, je nachdem, ob Private oder aber der Staat sich auf Grundrechte berufen. Eine solche funktionale Zweiteilung grundrechtlicher Schutzansprüche läßt sich mit Art. 19 Abs. 3 GG jedoch nicht vereinbaren, dem erkennbar ein einheitliches Grundrechtsverständnis zugrunde liegt, in dessen Sinnmitte der Schutz individueller Freiheitsräume steht, und zwar unabhängig davon, ob die Freiheitsbetätigung individuelle oder korporative Züge trägt.

b) Systematische Ausleuchtung Auch läßt sich die systematische Abfolge der Absätze 2 und 3 für die Interpretation des Art. 19 Abs. 3 GG fruchtbar machen. Zwar besteht Einigkeit darin, daß der „Wesensgehalt" der Grundrechte in Absatz 2 mit der Wesensformel in Absatz 3 inhaltlich nicht übereinstimmt 185 . Der Grund hierfür liegt in den unterschiedli184

Siehe hierzu bereits die Ausführungen oben nach Fn. 165 ff.

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

chen Zielsetzungen beider Vorschriften: Während es bei Art. 19 Abs. 3 GG um die Ermittlung und Eingrenzung des Kreises der Grundrechtsberechtigten neben den natürlichen Personen geht, bezweckt die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG den Schutz bestimmter Grundrechtsgehalte 186; erweitert Art. 19 Abs. 3 GG die Reichweite des personalen Schutzbereiches der Grundrechte, umgrenzt Art. 19 Abs. 2 GG den der staatlichen Disposition a priori entrückten sachlichen Schutzbereich der Grundrechte. Trotz dieses divergierenden primären Regelungsinteresses stehen beide Verfassungsbestimmungen indes nicht beziehungslos, ohne jede innere Querverbindung nebeneinander 187; vielmehr läßt der mikroskopische, die Schicht der primären Regelungsabsicht durchleuchtende Blick auf die Schutzintentionen beider Vorschriften einen entsprechenden systematischen Zusammenhang erkennen: Denn der Wesensgehalt der Grundrechte im Sinne des Art. 19 Abs. 2 GG läßt sich schwerlich „aus sich heraus", sondern nur unter Bezug auf die Würde des Menschen bestimmen. Art. 1 GG dient der Konkretisierung der normativen Reichweite des Art. 19 Abs. 2 GG 1 8 8 . Diese systematische Verklammerung läßt den weitergehenden, tieferen Sinn des Art. 19 Abs. 2 GG sichtbar werden. Seinen sinnstiftenden Gehalt bezieht diese Verfassungsbestimmung aus der Menschenwürde, zu deren Schutz durch Art. 19 Abs. 2 GG ein unantastbarer Restbereich personaler Subjektivität garantiert wird, welcher der Verfügungsgewalt des grundrechtseingreifenden Staates entzogen ist. Diese teleologische Verwurzelung des „Wesensgehalts" in der Menschenwürde bildet zugleich den Ausgangs- und Bezugspunkt für das Verständnis des „Wesens" der Grundrechte. Obgleich von unterschiedlichen Regelungsinteressen getragen, verfolgen Art. 19 Abs. 2 und Abs. 3 GG - ihrer systematischen Verklammerung entsprechend - gleichwohl ein und dasselbe Ziel: den besonderen Schutz der Menschenwürde. Differieren auch ihre Wege, weisen sie doch in dieselbe Richtung. Errichtet Art. 19 Abs. 2 GG um der Menschenwürde willen einen unüberwindbaren Schutzwall gegen die vollständige Aufzehrung sachlicher Grundrechtssubstanz durch die grundrechtsbeschränkende Staatlichkeit, erweitert Art. 19 Abs. 3 GG im Interesse der Effektivität individueller Grundrechtsausübung 189 den personalen Schutzbereich der Grundrechte 185

W. Krebs, in: I. v. Münch/Ph. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 1992, Art. 19 Rdnr. 37; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 25; Κ Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1111. 186 Vgl. A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 25; siehe auch K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1111.

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187 So aber S. Hendrichs, in: I. v. Münch (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. I, 1985, Art. 19 Rdnr. 34, wonach das „Wesen" der Grundrechte mit ihrem Wesensgehalt nach Art. 19 Abs. 2 GG „nichts ... zu tun" hat; ablehnend und ebenso wie hier W. Krebs, in: I. v. Münch /Ph. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 4 1992, Art. 19 Rdnr. 37. 188 So ausdrücklich BVerwGE 47, 330 (357); siehe auch H. D. Jarass, in. ders./B. Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Rdnr. 7; W. Krebs, in: I. v. Münch/Ph. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 4 1992, Art. 19 Rdnr. 37. 189 Zur Effektivität personaler Grundrechtsausübung als Telos des Art. 19 Abs. 3 GG grundlegend R. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 133 f.; siehe auch 3

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

durch die Anwendbarkeit grundrechtlicher Schutzansprüche auf juristische Personen. Der - den Menschenwürdebezug sichtbar machende - systematische Zusammenhang zwischen den Absätzen 2 und 3 des Art. 19 GG spricht für die auf einem anthropozentrischen Grundverständnis beruhende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 3 GG, wonach die „Sinnmitte" der Grundrechte in dem Schutz personaler Freiheiten liegt 1 9 0 und das personale Substrat den teleologischen Ausgangspunkt für die Bestimmung der Wesensklausel bildet. Die Menschenwürdegarantie als Basisschicht der systematisch miteinander verknüpften Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 2 und 3 GG ist ein weiterer Beleg dafür, juristischen Personen grundrechtlichen Schutz nach Art. 19 Abs. 3 GG nur dann angedeihen zu lassen, „wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen sind" 1 9 1 . c) Genetische Ausleuchtung Die Entstehungsgeschichte des Art. 19 Abs. 3 GG wird von den meisten Autoren als recht unergiebig für die Auslegung dieser Verfassungsbestimmung abgetan192, während andere die von ihnen präferierte (generelle) Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts durch genetische Argumente abzusichern versuchen 193. Wenngleich sich aus der Entstehungsgeschichte kein eindeutiger, jedweden Zweifel ausräumender Anhalt für das Verständnis des Art. 19 Abs. 3 GG ergibt, so läßt der Blick in die Dokumente zur Genese der Vorschrift gleichwohl eine Aussage über die Absichten der Väter des Grundgesetzes zu. Bereits eine eher kursorische Beleuchtung der Entstehungsgeschichte des Art. 19 Abs. 3 GG läßt deutlich werden 194 , daß die Väter des Grundgesetzes - ofH. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 13; dens., AöR Bd. 104 [1979], 265 (297); J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 5. 190 BVerfGE 61, 72 (101). 191 BVerfGE 21, 362 (369). 192 u. Derksen, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, S. 7 ff.; H. Diilp, Die Berufung juristischer Personen des öffentlichen Rechts auf Grundrechte, S. 103 ff.; G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 III GG, Rdnr. 35; H. v. Olshausen, Zur Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechtes, S. 19; O. Kimminich, Der Schutz kommunaler Unternehmen gegen konfiskatorische Eingriffe, S. 4; K. Kröger, JuS 1981, 26 (28); W. Krebs, in: I. v. Münch/Ph. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 41992, Art. 19 Rdnr. 36; W. Siepermann, DÖV 1975, 263 (266); K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1097; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 81; ähnlich H. Dreier, in: dems. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 III Rdnr. 38. 193 Κ. A. Bettermann, in: Festschrift für Ε. E. Hirsch, S. 1 (10); ders., NJW 1969, 1321 (1324); S. Maser, Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen und teilrechtsfähige Verbände, S. 90. 194 Eine ausführliche Darstellung der Genese des Art. 19 Abs. 3 GG findet sich u. a. bei A. Dietmair, Die juristische Grundrechtsperson des Art. 19 Abs. 3 GG im Lichte der geschieht-

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

fenbar von einem auf den Menschen bezogenen Verständnis des Sinngehalts juristischer Personen geprägt - Organisationseinheiten immer dann den Schutz materieller Grundrechte zukommen lassen wollten, wenn die Grundrechte der dahinterstehenden Einzelpersonen einen solchen Schutz geboten erscheinen lassen. Im Gegensatz zum Herrenchiemseer Entwurf, der in seinen 21 Artikeln zum Grundrechtsschutz keine Bestimmung über die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen enthielt 195 , hat sich der Parlamentarische Rat schon frühzeitig mit dieser Frage beschäftigt. Offenbar unter dem Eindruck der von der Bayerischen Staatsregierung vorgelegten „Ergänzung zu den Bayerischen Leitgedanken für die Schaffung eines Grundgesetzes - Grundrechte", die lautete: „Die Grundrechte gelten, soweit anwendbar, für juristische Personen, die ihren Sitz in Deutschland haben, entsprechend", warf der Vorsitzende des Grundsatzausschusses des Parlamentarischen Rates, H. v. Mangoldt, in der Sitzung vom 1. Dezember 1948 die Frage auf, inwieweit die Grundrechte über Einzelpersonen hinaus auch auf juristische Personen anwendbar seien 196 . Er wies auf die zur Weimarer Verfassung geführte wissenschaftliche Auseinandersetzung hin, in der die wohl überwiegende Lehre einer Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen zweifelnd bis ablehnend gegenüberstand 197, und ließ zugleich seine grundsätzlich positive Haltung am Beispiel des Gleichheitssatzes und der Eigentumsgarantie erkennen 198 . Setze sich die juristische Person aus Einzelpersonen zusammen, so müsse ein Grundrechtsartikel auch für diesen Zusammenschluß Geltung beanspruchen. Zweifel an der Grundrechtsgeltung hegte er aber bei großen Kapitalgesellschaften wie »Aktiengesellschaften, bei denen der Kapitalanteil von stärkerer Beliehen Entwicklung, S. 120 ff.; S. Maser, Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen und teilrechtsfahige Verbände, S. 10 ff.; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1095 ff. 195 Herrenchiemseer Entwurf: Entwurf eines Grundgesetzes, in: Verfassungsausschuß der Ministerpräsidenten - Konferenz der westlichen Besatzungsmächte, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. August bis 23. August 1948, München o. J. (1949), S. 20 ff., 61 ff. ι** Pari. Rat-GrdsA, Sten. Bericht (27. Sitzung vom 1. 12.1948), S. 1 - 3 . m Vgl. hierzu N. Achterberg, in: Gedächtnisschrift für F. Klein, S. 1 (3); H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 23; A. Dietmair, Die juristische Grundrechtsperson des Art. 19 Abs. 3 GG im Lichte der geschichtlichen Entwicklung, S. 100 ff.; S. Maser, Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen und teilrechtsfähige Verbände, S. 8 ff.; W. Rüfher, AöR Bd. 89 [1964], S. 261 (264); W. W. Schmidt, Grundrechte und Nationalität juristischer Personen, S. 22; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, S. 1093 f.; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 102 ff. ι 9 8 Pari. Rat-GrdsA, Sten. Bericht (27. Sitzung vom 1. 12. 1948), S. 1: „Nach der Weimarer Verfassung war es so, daß der Gleichheitssatz unter dem Kapitel ,Die Einzelperson* stand, und infolgedessen sagte man, für die juristische Person gilt der Gleichheitssatz nicht. Man kam aber doch wieder zu einer Ausdehnung des Gleichheitssatzes auf die juristische Person, indem man sagte: die juristische Person setzt sich zusammen aus Einzelpersonen, und da die Einzelperson Anspruch auf Gleichheit hat, so gilt diese Gleichheit dann auch für die juristische Person."

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

deutung ist und bei denen die Einzelperson sehr zurücktritt" 199 . Schließlich stellte er die Frage, „ob man nicht gewisse Gemeinschaften wie die Kirchen oder andere Lebensgemeinschaften den Einzelpersönlichkeiten bezüglich der Grundrechte gleichstellen könnte" 200 . Der Abgeordnete Th. Heuß meinte dazu, die juristische Person sei eine fiktive Persönlichkeit, begrenzt auf Menschen, die in ihrer Summierung eine juristische Person darstellten, aber doch in ihrer Bezogenheit auf den Gesamtverband; Menschen- und Grundrechte auch auf juristische Personen insoweit für anwendbar zu erklären, erscheine ihm überflüssig 201. Der Ausschuß beauftragte seinen Vorsitzenden, H. v. Mangoldt, darüber Bericht zu erstatten, welche Grundrechtsartikel für eine solche Anwendbarkeit in Betracht kämen. Diesem Ansinnen entsprechend legte H. v. Mangoldt in der darauffolgenden Sitzung einen Entwurf vor, der die Anwendbarkeit ganz bestimmter Grundrechte auf juristische Personen regelte 202 : „Der Gleichheitssatz (Art. 4) sowie die Grundrechte der ungestörten Religionsausübung (Art. 5), der Freizügigkeit (Art. 11), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13) und des Privateigentums (Art. 14 und 15) sind auf Körperschaften und Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit entsprechend anzuwenden." In seinen erläuternden Ausführungen wies Η. v. Mangoldt 203 darauf hin, daß es schwierig sei, eine generelle Anwendbarkeit der genannten Grundrechte mit allen ihren Einzelheiten festzuschreiben. Daher sei dem Verfassungsartikel das Adjektiv „entsprechend" beigefügt worden, was bedeute, daß das betreffende Grundrecht „der Besonderheit der Körperschaft entsprechend anzuwenden" 204 sei. Im übrigen sei dies „furchtbar schwer zu sagen" 205 . Abgesehen von den sprachlichen Änderungen - an die Stelle der Formulierung „sind entsprechend anzuwenden" trat die Wendung „gelten entsprechend" - wurde dieser Vorschlag in der Ersten Lesung des Hauptausschusses als Art. 20a angenommen206. Damit war der Grundstein für die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen gelegt. Im folgenden ging es im wesentlichen nur noch um den textlichen Feinschliff der verfassungsrechtlichen Regelung. Dies erfolgte bereits durch den Allgemeinen Redaktionsausschuß, der in seiner Sitzung vom 13. Dezember 1948 eine abstraktere Regelung vorschlug, die auf eine Auflistung bestimmter Grundrechte verzichtete und statt dessen auf das „Wesen" der Grundrechte rekurrierte. Die abgeänderte Formulierung lautete: „Die Grundrechte gelten auch für inländische Körperschaften und juristische Vereinigungen mit eigener Rechtspersönlichkeit, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwend199 Ebenda, S. 2. 200 Ebenda, S. 2. 201 Ebenda, S. 3. 202 Pari. Rat-GrdsA, Sten. Bericht (28. Sitzung vom 3. 12. 1948), S. 1. 203 204 205 206

Ebenda, S. 1 - 3 . Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 3. Pari. Rat-HA, Sten. Bericht (18. Sitzung vom 4. 12. 1948), S. 218 f.

. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

bar sind." 2 0 7 Diese Fassung führte in der 32. Sitzung des Grundsatzausschusses zu erheblichen Kontroversen, die um die Alternative einer Enumeration der Grundrechte oder einer auf ihr „Wesen" abstellenden Generalklausel kreisten 208 . Während Th. Heuß insoweit eine abschließende Aufzählung der in Betracht kommenden Grundrechte für unmöglich erachtete und in der „Wesens"-Formulierung - mit der Bemerkung: sie decke „doch die ganze Frage" - den rettenden Anker gefunden zu haben meinte 209 , machte H. v. Mangoldt Front gegen die hierdurch eröffneten Wertungs- und Handlungsspielräume: „Es überhaupt dem einzelnen zu überlassen, welche Grundrechte auf Körperschaften anwendbar zu erklären" seien, sei eine „Ungenauigkeit, die man nicht in Kauf nehmen sollte" 210 . Mehrheitlich blieb der Grundsatzausschuß bei seiner Fassung211. Dieser schloß sich in zweiter Lesung auch der Hauptausschuß mit Mehrheit an 2 1 2 . Die heutige Fassung des Art. 19 Abs. 3 GG schlug der Redaktionsausschuß erstmals am 25. Januar 1949 vor. Die Begriffe „Körperschaft und Anstalten" wurden durch die Fassung „juristische Person" ersetzt, weil dieses Begriffspaar nicht alle juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts umfaßt 213 . Der interfraktionelle Fünferausschuß griff jedoch in seiner Sitzung vom 5. Februar 1949 erT neut auf die enumerative Fassung des Grundsatzausschusses zurück, allerdings tauschte er die Wendung „Körperschaften und Anstalten mit eigener Rechtspersönlichkeit" durch den Begriff »juristische Person" aus 214 . In der 47. Sitzung des Hauptausschusses vom 8. Februar 1949 wurde dann von H. v. Mangoldt vorgeschlagen, den Katalog der anwendbaren Grundrechte um das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Einrichtung privater Schulen und auf Wahrung des Briefgeheimnisses zu erweitern 215 . Dieser Entwurf wurde an den interfraktionellen Fünferausschuß zurückverwiesen 216. Der Ausschuß schlug in der 51. Sitzung des Hauptausschusses die Fassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 25. Januar 1949 217 vor 2 1 8 , wobei ausdrücklich bemerkt wurde, daß damit den Bedenken von Η. v. Mangoldt Rechnung getragen sei 2 1 9 ; sie wurde vom Hauptausschuß

207 Drucks. Pari. Rat, PR 12.48-370, S. 12. 208 Pari. Rat-GrdsA, Sten. Bericht (32. Sitzung vom 11.1. 1949), S. 76 bis 78. 209 Ebenda, S. 77. 210 Ebenda, S. 76. 211 Ebenda, S. 76 ff. 212 Pari. Rat-HA, Sten. Bericht (44. Sitzung vom 19. 19. 1949), S. 588 f. 213 Drucks. Pari. Rat, PR 1.49-543, S. 20. 214 Pari. Rat-HA, Sten. Bericht, S. 619. 215 Ebenda. 216 Ebenda. 217 Drucks. Pari. Rat, PR 1.49-543, S. 20. 218 Pari. Rat-HA, Sten. Bericht, S. 673. 219 Weswegen der prononcierte Verfechter des Enumerativgedankens, H. v. Mangoldt, seinen Widerstand gegen die generalklauselartige Umschreibung des Tatbestandes aufgegeben

. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

in dritter Lesung angenommen220. In der vierten Lesung des Hauptausschusses wurde diese Fassung dann als Absatz 3 in den Artikel 19 GG eingefügt 221 . Die Lesungen im Plenum blieben ohne Erörterungen zu Art. 19 Abs. 3 GG 2 2 2 . Die Darstellung der Entstehungsgeschichte des Art. 19 Abs. 3 GG hat deutlich werden lassen, daß bei den Beratungen in den Ausschüssen des Parlamentarischen Rates eine eher rechtstechnizistische Frage im Vordergrund stand, nämlich die grundsätzliche Alternative zwischen einer kasuistisch formulierten Regelung mit enumerativ aufgeführten Grundrechten oder einer generalklauselartigen Umschreibung des verfassungsrechtlichen Tatbestandes. Kein grundsätzlicher, tiefgreifender Dissens über Inhalt und Tragweite der Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen kennzeichnet die entstehungsgeschichtliche Diskussion des heute geltenden Art. 19 Abs. 3 GG, sondern die Vor- und Nachteile bestimmter rechtstechnischer Regelungsmodelle. Dabei kann im gegebenen Zusammenhang offenbleiben, ob der Wesensvorbehalt auf einer „Verlegenheit" beruht, die für juristische Personen in Betracht kommenden anwendbaren Grundrechte nicht enumerativ aufzählen zu können 223 , oder aber im Interesse eines dynamischen, für künftige grundrechtsdogmatische Entwicklungen offenen sowie anpassungsfähigen Grundrechtsschutzes bewußt präferiert worden ist. Maßgeblich ist allein, ob die Entstehungsgeschichte eine Orientierungshilfe für die Auslegung des „Wesens" der Grundrechte zu leisten imstande ist. Hierbei lohnt es sich, weniger nach den Meinungsverschiedenheiten der Mitglieder in den Ausschüssen des Parlamentarischen Rates Ausschau zu halten, vielmehr das Augenmerk auf deren gemeinsame Grundüberzeugungen zu den Grundrechten und dem spezifischen Sinn einer Geltungserstreckung auf juristische Personen zu lenken. Erkennbares Ziel der Beratungen im Parlamentarischen Rat war es, den zu Zeiten der Weimarer Republik ausgetragenen Streit über die Geltung von Grundrechten für juristische Person durch eine Regelung im Grundgesetz zu begraben. Ausdruck dieses übergreifenden Regelungsinteresses sind die Ausführungen von Th. Heuß in der 32. Sitzung des Grundsatzausschusses, in welcher er das Ziel der von ihm favorisierten „Wesens"-Regelung mit den Worten umschrieb, die „ganze Frage, ob überhaupt und welche Grundrechte auf juristische Personen anwendbar sind, damit zu erledigen" 224 . Streitig war nicht dieses Anliegen, sondern die Wahl des Weges, der dieses Ziel gesetzestechnisch am besten umzusetzen in der Lage ist. Dieser den Art. 19 Abs. 3 GG tragende Gedanke läßt sich aber nicht als Argument hat, bleibt im Dunkeln und wird wohl auch immer unaufklärbar bleiben; vgl. K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I I I / 1 , S. 1096 Fn. 96 und 1097. 220 Ebenda. 221 Pari. Rat-HA, Sten. Bericht (57. Sitzung vom 5. 5. 1949), S. 748. 222 Vgl. JöR n.F. Bd. 1 [1951], S. 183. 4

223 So W. Krebs, in: I. v. Münch/Ph. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 1992, Art. 19 Rdnr. 36. 224 Pari. Rat-GrdsA, Sten. Bericht (32. Sitzung vom 11.1. 1949), S. 77.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

für einen umfassenden, sämtliche Erscheinungsformen juristischer Personen einheitlich regelnden personalen Geltungsbereich dieser Verfassungsbestimmung heranziehen 225 . Denn Dreh- und Angelpunkt für die Anwendbarkeit grundrechtlicher Positionen bleibt die Wesensklausel des Art. 19 Abs. 3 GG, deren Filterungsfunktionen einem bestimmten Bild der Grundrechte und damit auch des Sinngehaltes grundrechtlicher Schutzansprüche für juristische Personen zugrundeliegen. Dagegen spricht auch nicht, daß die Formulierung Juristische Person" auf Vorschlag des Redaktionsausschusses in der Sitzung vom 25. Januar 1949 gerade deshalb ausgewählt wurde, weil das bis dato in den vorgelegten Verfassungsentwürfen verwandte Begriffspaar „Körperschaft und Anstalten" nicht sämtliche Formen von juristischen Personen des privaten und öffentlichen Rechts umfaßte 2 2 6 , 2 2 7 . G. Ulsamer 228 hat zu Recht darauf verwiesen, daß die Erörterungen lediglich auf Kirchen und Religionsgesellschaften bezogen waren, ohne damit jedoch sämtlichen juristischen Personen des öffentlichen Rechts grundrechtlichen Schutz angedeihen lassen zu wollen. Vor allem aber besagt die Entstehungsgeschichte des Art. 19 Abs. 3 GG nur, daß eine Organisationseinheit nicht schon allein aufgrund ihrer öffentlichrechtlichen Natur des Schutzes der materiellen Grundrechte verlustig geht, nicht aber, daß der Staat per se zum Kreis der Grundrechtsträger gehört. Daß die Rechtsform letztlich überhaupt kein taugliches Kriterium ist, um den Zuweisungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG zu konturieren, wird noch darzulegen sein. Die öffentlichrechtliche Organisationsform bildet häufig nur das Sammelbecken für gesellschaftliche Kräfte, die sich in Wahrnehmung ihrer grundrechtlichen Freiheiten nach privatautonomen Handlungsmustern, eigenständig und eigenverantwortlich und ohne staatliche Einflußnahme entfalten. Der Genese des Art. 19 Abs. 3 GG läßt sich nur ein schwacher Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß ein grundrechtlicher Schutz für öffentlich-rechtliche Organisationen nicht von vornherein ausgeschlossen ist 2 2 9 , eine Selbstverständlichkeit, die sich auch nicht mit einer anthropozentrisch orientierten Auslegung dieser Verfassungsnorm reibt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ob sich also auch juristische Personen des öffentlichen Rechts auf Grundrechte berufen können, ist allein im Lichte des „Wesens" der Grundrechte zu beantworten. Damit muß zwangsläufig der Blick auf den Wesensvorbehalt des Art. 19 Abs. 3 GG fallen. Die Analyse der Dokumente zur Entstehungsgeschichte dieser verfas225 So aber N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 81. 22 6 Drucks. Pari. Rat, PR 1.49-543 (Sitzung vom 25. 1. 1949), S. 20, unter Hinweis auf die notwendige Einbeziehung der Stiftungen in den Schutzbereich grundrechtlicher Schutzansprüche. 227

So aber Κ. A Bettermann, in: Festschrift für Ε. E. Hirsch, S. 1 (10); ders., NJW 1969, 1321 (1324); L. Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums im Geltungskonflikt von Bundes- und Landesverfassung, S. 100; S. Maser, Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen und teilrechtsfähige Verbände, S. 90. 228

G. Ulsamer, in: Festschrift für W. Geiger, S. 199 (211). G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 III GG, Rdnr. 35; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 90 m. w. N. 229

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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sungsrechtlichen Regelung ergibt in wünschenswerter Weise ein klares und eindeutiges Bild über den sinnstiftenden Gehalt grundrechtlicher Schutzansprüche für juristische Personen. Trotz im Detail divergierender Ansichten sahen die Väter des Grundgesetzes den spezifischen Sinn der grundrechtlichen Abstützung von juristischen Personen übereinstimmend in dem Schutz der in Gemeinschaft ausgeübten Freiheitsbetätigung von Einzelpersonen. Mehrmals wurde das personale Element der Grundrechtsberechtigung juristischer Personen in aller Deutlichkeit hervorgehoben. Immer wieder wurde auf die „Einzelperson" und auf deren Schutz fokussiert, um den grundrechtlichen Schutz der sich aus Einzelpersonen zusammensetzenden juristischen Personen zu begründen. Die Ausführungen von H. v. Mangoldt 230 im Rahmen der Beratungen des Parlamentarischen Rates legen hierfür deutlich Zeugnis ab. Und auch für Th. Heuß 231 stellte eine juristische Person eine „Summierung" einzelner Menschen dar 2 3 2 . Alle diese Quellen unterstreichen die genetische Untermauerung der vom Bundesverfassungsgericht vertretenen „Durchblicks"-Konzeption als teleologischem Begründungsstrang für die Zuerkennung grundrechtlichen Schutzes für juristische Personen. Nach Ansicht des Parlamentarischen Rates sollte juristischen Personen wegen der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen grundrechtlicher Schutz zuteil werden 233 . Für einen darüberhinausgehenden Schutz solcher juristischen Personen - des öffentlichen Rechts - , deren Tätigkeitsfeldern der unmittelbare Bezug zum Menschen fehlt, ergibt sich aus der Genese des Art. 19 Abs. 3 GG keinerlei Anhaltspunkt. Dieses beredte Schweigen der Verfassungsväter kann nur als Ausdruck eines unausgesprochenen, als selbstverständlich vorausgesetzten und keiner weiteren Begründung bedürftigen Vorverständnisses gedeutet werden, daß Grundrechte in den Händen juristischer Personen ausschließlich Derivat und Medium der Grundrechtsausübung der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen darstellen. Vor dem Hintergrund des unisonen Grundtenors in den Beratungen des Parlamentarischen Rates bedarf jede konzeptionelle Abweichung von dieser menschenzentrierten Schutzintention des Art. 19 Abs. 3 GG - und vor allem jede grundrechtliche Umkleidung von Staatsfunktionen - eines qualifizierten Erklärungs- und Begründungsaufwandes, nicht aber umgekehrt der Ausschließlichkeitsanspruch dieser auf den Menschen bezogenen Schutzrichtung 234. 230 Siehe dazu oben nach Fn. 198 (S. 76). 231 Siehe hierzu oben nach Fn. 200 (S. 77). 232 Ein Kontrastbild zwischen Th. Heuß und der stark anthropozentrisch geprägten Interpretation der juristischen Person durch H. v. Mangoldt läßt sich daher - (wohl) entgegen N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 80: »Andererseits" - nicht zeichnen. 233 Vgl. M. Oechsle, Zur wesensmäßigen Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des Zivilrechts, S. 152; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1097; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 81. 234 Diesen Zusammenhang vernachlässigt N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 81, insoweit, als er zwar einerseits 6 Gersdorf

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

Im Ergebnis kann festgehalten werden, daß die Entstehungsgeschichte entgegen landläufiger Meinung 235 durchaus zur Normerhellung des Art. 19 Abs. 3 GG beiträgt. Die Erörterungen in den Ausschüssen des Parlamentarischen Rates sind durch eine anthropozentrische Grundhaltung ihrer Mitglieder zum Grundrechtsschutz juristischer Personen gekennzeichnet. Grundrechtlicher Schutz sollte juristischen Personen nur um der hinter ihnen stehenden „Einzelpersonen" willen zukommen. Für eine andere teleologische Stoßrichtung des Art. 19 Abs. 3 GG läßt sich aus der Entstehungsgeschichte kein Anhalt finden. Indem das Bundesverfassungsgericht den „Durchblick" auf das personale Substrat zum Ausgangs- und Bezugspunkt grundrechtlicher Schutzansprüche juristischer Personen erhebt, diese in den Schutzbereich der materiellen Grundrechte nur dann einbezieht, „wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen sind" 2 3 6 , greift es den in den Ausschüssen des Parlamentarischen Rates erkennbar gewordenen Willen des Verfassungsgesetzgebers auf und formt hieraus ein operationales Theorem für die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen. Kurzum: Das teleologische ,X>urchblicks"-Kriterium konkretisiert die grundrechtstheoretische Essenz der Erörterungen der Ausschüsse des Parlamentarischen Rates in den Jahren 1948/49.

2. Dissentierende Konzeptionen zu Art. 19 Abs. 3 GG Vermögen bereits die von den Kritikern gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgetragenen Einwände, wie gezeigt, nicht zu tragen, so stoßen vor allem ihre konzeptionellen Vorstellungen zu Art. 19 Abs. 3 GG auf durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken. Da der „Durchblick" auf das personale Substrat zur dogmatischen Begründung der Grundrechtsfähigkeit von juristischen Personen ausscheiden soll, müssen die Kritiker der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf andere Differenzierungskriterien abstellen, nach denen eine den grundrechtlichen Schutzanspruch vermittelnde „grundrechtstypische Gefährdungslage" 237 oder genauer: die „Grundrechtsschutzbedürftigkeit" 238 der jurieinräumt, daß nach der Grundkonzeption des Parlamentarischen Rates ein grundrechtlicher Schutz von juristischen Personen wegen der dahinterstehenden Einzelpersonen besteht, andererseits eine „weitergehende Präjudizierung der Problematik ... aus der Genese des Art. 19 Abs. 3 GG" explizit ablehnt; ähnlich, wenngleich deutlich vorsichtiger K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1097: „Alles in allem dürfte noch der Schluß gerechtfertigt sein: juristischen Personen stehe eine Grundrechtsberechtigung wegen der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen zu. Darin dürfte sich allerdings der Sinn des Art. 19 Abs. 3 GG nicht erschöpfen." (Hervorhebung durch den Verf.) 235 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 192 (S. 75). 236 BVerfGE 21, 362 (369). 237 BVerfGE 45,63 (79); 61, 82 (105); zur Begrifflichkeit siehe F. Klein, in: Festschrift für H. U. Scupin, S. 165, 168; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 114 m. w. Ν.; Κ Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΙΠ/1, S. 1158.

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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stischen Person anzunehmen ist. Trotz des kaum noch überschaubaren Schrifttums zu Art. 19 Abs. 3 GG fällt auf, daß sich die einzelnen Meinungsäußerungen häufig nur auf bestimmte juristische Personen, hierbei in erster Linie auf solche des öffentlichen Rechts, beziehen oder sich auf bestimmte Grundrechte beschränken, ohne dabei ein übergreifendes, den Grundrechtsschutz nach Art. 19 Abs. 3 GG auslösendes Differenzierungskriterium sichtbar werden zu lassen. Gleichwohl lassen sich die Stimmen derer aufzeigen, die sich gegen die Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG durch das Bundesverfassungsgericht stemmen und dabei mit einem abweichenden Modell zum grundrechtsdogmatischen Bezugsrahmen aufwarten können. Ihre konzeptionellen Vorstellungen gilt es im folgenden zu beleuchten und dabei einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen.

a) Grundrechte als Schutzschirm für Außenrechtsreservate? In bewußter Abkehr zu dem anthropozentrischen Grundverständnis des Bundesverfassungsgerichts sehen einige die Grundrechte als Antworten auf bestimmte Gefährdungslagen. Ihr Zweck bestehe in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung und dem Schutz zugeordneter, in den einzelnen Grundrechtsnormen abgegrenzter subjektiver Rechtssphären gegenüber staatlichen Ein- und Übergriffen. Dabei wird zwischen den organisationsrechtlichen Wahrnehmungszuständigkeiten und den subjektiv-rechtlich ausgestalteten Rechtsbeziehungen scharf getrennt. Grundrechte werden demnach nicht zur Lösung von Kompetenzkonflikten innerhalb der Verwaltungshierarchie herangezogen, sondern auf die Disziplinierung von Außenrechtsverhältnissen beschränkt 239. Die ausschließlich staatsorganisatorische Subordination und Abhängigkeit von Verwaltungsträgern im Verhältnis zu ihrem Muttergemeinwesen reiche daher nicht aus, um den grundrechtlichen Schutzanspruch begründen zu können 240 . Nur und soweit zwischen einzelnen Verwaltungsträgern eine Außenrechtsbeziehung bestehe241, seien die Grundrechte ihrem Wesen 238 So BVerfGE 61, 82 (105); K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/ 1, S. 1158. 239 H.-U. Erichsen /A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnrn. 36, 115; ders., JuS 1977, 319 (321 f.); ders., in: Jura 1983, 30 (35); K. Kröger, JuS 1981, 26 (29); B. Pieroth, NWVBL 1992, 85 (88); H. Scholler/S. Broß, DÖV 1978, 238 (241 f.); ähnlich Κ Α. Bettermann, in: Festschrift für Ε. E. Hirsch, S. 1 (11); ders., NJW 1969, 1321 (1324, 1326 ff.); F. Klein, Festschrift für H. U. Scupin, S. 165 (168); K. Kröger, JuS 1981, 26 (29); siehe ferner N. Achterberg, in: Gedächtnisschrift für F. Klein, S. 1 (27 ff.); H. Dreier, in: dems. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 III Rdnr. 21. 240 So deutlich Κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326); H.-U. Erichsen /A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); Λ. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 115; ders., JuS 1977, 319 (322); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte - Staatsrecht II, Rdnr. 193; siehe ferner N. Achterberg, in: Gedächtnisschrift für F. Klein, S. 1 (35 f.). 241 Zur Abgrenzung von Außen- und Innenrechtsverhältnissen H.-U. Erichsen, in: Festschrift für Ch.-F. Menger, S. 211 (214 ff.); W. Krebs, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 69 Rdnr. 28. 6*

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

nach anwendbar 242 . Kurzum: Auf die Grundrechte könne sich der einzelne Verwaltungsträger nur berufen, soweit er sich zum Staat und seinen Untergliederungen in demselben Außenrechtsverhältnis befände wie ein Staatsbürger, also in gleicher Weise wie dieser von staatlichem Handeln betroffen sei 2 4 3 . Solche grundrechtlich umhegten Außenrechtsbeziehungen sollen etwa gegeben sein, wenn öffentlichrechtliche Organisationen als Beteiligte externer Verwaltungsverfahren und gerichtlicher Verfahren der Entscheidungs- und Rechtsprechungsgewalt eines Staatsorgans unterliegen 244 oder wenn sie sich im Rahmen ihrer Kompetenz in zulässiger Weise privatrechtlicher Handlungsformen bedienen 245 . Dieser Argumentationsgang ist unter mehreren Gesichtspunkten anfechtbar. Dabei erweisen sich einige Einwände als weniger überzeugend oder zwingend, andere hingegen werden die Schwächen, ja sogar die mangelnde verfassungsrechtliche Tragfähigkeit dieses Ansatzes belegen. Sicherlich läßt sich dieser These der argumentative Boden nicht schon dadurch entziehen, daß man den rechtlichen Charakter der Beziehung zwischen zwei Rechtssubjekten ausschließlich dem Verhältnis Staat-Bürger vorbehält und den Binnenbereich des Staates als eine rechtsfreie, für Rechtsnormen impermeable Sphäre begreift. Der Impermeabilitätstheorie gebührt als überholtes positivistisches Begriffsmodell nur noch ein Platz im rechtshistorischen Archiv 2 4 6 . Das Recht endet nicht gleichsam an der Außenwand des Staates, sondern beansprucht auch im Binnenbereich des Staates Geltung, mit der Folge, daß auch Kompetenzen einklagbare subjektive öffentliche Rechte ihrer jeweiligen Zuordnungssubjekte darstellen können 247 . Und weiter

242 κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326); H.-U. Erichsen/A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 115; ders., JuS 1977, 319 (322); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte - Staatsrecht II, Rdnr. 193; B. Pieroth, NWVBL 1992, 85 (88); siehe ferner N. Achterberg, in: Gedächtnisschrift für F. Klein, S. 1 (35 f.). 243 κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326); H.-U. Erichsen, /A. Scherzberg, NVwZ 1990, 8 (11); A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 115; ders., Jura 1983, 30 (35); K. Kröger, JuS 1981,26 (29). 244 Κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1323 und 1326 f.); E. W. Fuß, DVB1. 1958, 739 (740); A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 118; ders., JuS 1977, 319 (322). 245 κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1323 und 1325); E. W. Fuß, DVB1. 1958, 739 (740); A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 118; ders., JuS 1977, 319 (322); B. Pieroth, NWVBL 1992, 85 (88). 246

Zur Überwindung der auf Ρ Laband und W. Jellinek zurückgehenden Impermeabilitätstheorie N. Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, S. 55 f., 79 f., 82; O. Bachof, in: Festschrift für W. Laforet, S. 285 (2% ff.); F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 57 f., 120, 129, 146, 164; Η. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 4 f., 19 ff., 81 ff. 247 Vgl. N. Achterberg, in: Gedächtnisschrift für F. Klein, S. 1, 31 ff.; H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach A r t 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 73 f.; E.W. Böckenförde, Festschrift fur H. J. Wolff, S. 269 (289); A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, A r t 19 Abs. 3 Rdnr. 94; dens., Jura 1983,30 (39).

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

verbietet es sich, den Begriff des Außenrechts allein für das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und dem Bürger zu reklamieren und die Rechtsbeziehungen etwa zwischen dem Bund und den Ländern oder dem Land und den Kommunen vollständig dem Bereich des Binnenrechts zuzuweisen248. Daß auch zwischen mehreren Verwaltungsträgern Außenrechtsbeziehungen bestehen können, belegen bereits Anordnungen der staatlichen Kommunalaufsicht gegenüber Gemeinden in deren Selbstverwaltungsbereich (freie Aufgaben, weisungsfreie Pflichtaufgaben), die ganz unzweifelhaft Außenwirkung zeitigen und daher als Verwaltungsakte qualifiziert werden 249 . Gleichwohl folgt aus der Zuerkennung subjektiv-rechtlicher Rechtspositionen von Verwaltungsträgern innerhalb von (Außen-)Rechtsbeziehungen keinesfalls axiomatisch, daß diese Rechtspositionen auch grundrechtlich fundiert sind 2 5 0 . Ebensowenig wie die subjektiv-rechtlichen Positionen des Innenrechtskreises denen des Außenrechtsbereichs funktional entsprechen müssen, sind diese ihrerseits zwingend inhaltsidentisch mit den Grundrechten des Grundgesetzes 251. Weiter wird dem über Art. 19 Abs. 3 GG vermittelten Grundrechtsschutz für juristische Personen des öffentliches Rechts auch keine kompetenzbegründende oder -erweiternde Wirkung zugeschrieben. Dem Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland liege eine klare Trennung von organisationsrechtlichen Kompetenzen und grundrechtlichen Freiheiten zugrunde 252 . Die Grundrechte könnten daher nicht einfach von staatsdiziplinierenden Freiheitsrechten zu staatslegitimierenden Kompetenz- und Freiheitsrechten mutieren. Hiervon gehe auch Art. 19 Abs. 3 GG aus, weil diese Verfassungsbestimmung selbst keine kompetenzielle Zuweisungsfunktion habe, sondern mit dem Begriff Juristische Person" an Inhalt und Umfang des durch die Rechtsordnung zugeordneten Aufgabenbereichs anknüpfe 253 , so daß sich juristische Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen der eingeräumten Kompetenzen auf materielle Grundrechte, insbesondere auf die Freiheitsgrundrechte berufen könnten. Nur soweit die staatliche Kompetenzordnung den öffentlich-rechtlichen Funktionsträgern eine Aufgabe zuweise, könne diese möglicherweise grundrechtlich eingekleidet sein 254 . Ist demnach die Grundrechtsfahigkeit 248 W. Krebs, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR ΙΠ, § 69 Rdnr. 28. 249 BVerwGE 6, 101 (103); 19, 121 (123); BayVGH, BayVBl. 1984, 659; OVG Münster, DVB1. 1981, 227 (228); statt aller aus dem Schrifttum W. Krebs, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 69 Rdnr. 28. 250 Statt vieler//. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 74. 251 H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 74 m. w. N. in Fn. 355; H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 4. 252 statt aller H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 98; 7. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 79 ff.; D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 82 f.; H. v. Olshausen, Zur Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechtes, S. 114 ff. 253 A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 105.

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

von juristischen Personen des öffentlichen Rechts akzessorisch an die ihnen zugeordneten Kompetenzen geknüpft, ist auch der Befürchtung des Bundesverfassungsgerichts die Grundlage entzogen, daß „bei Anerkennung der Grundrechtsfähigkeit der juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Träger öffentlicher Aufgaben ... eine sinnvolle Ordnung der staatlichen Aufgabenerfüllung und eine Anpassung der Staatsorganisation an die wechselnden Erfordernisse der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung erheblich erschwert würden" 255 . Denn die durch die Kompetenzzuweisung vermittelte Grundrechtssubjektivität entfiele beim Entzug der jeweiligen Kompetenzgrundlage 256. Ebensowenig läßt sich der These von der grundrechtlichen Absicherung von Außenrechtsbeziehungen mit dem Argument begegnen, bei Eingriffen und Übergriffen eines Hoheitsträgers in den Funktionsbereich oder in das Vermögen eines anderen handele es sich der Sache nach schon deswegen nicht um einen grundrechtlichen, sondern kompetenziellen Konflikt, weil das Grundgesetz insoweit verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3, 4 und 4 b GG zur Verfügung stelle, so daß eine - die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG eröffnende - Grundrechtsträgerschaft von juristischen Personen des öffentlichen Rechts ausscheide257. Hiergegen läßt sich nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ins Feld führen 258 , wonach die Verfahrensgrundrechte des Art. 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Abs. 1 GG auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar sind 2 5 9 ; denn bei diesen Grundrechten steht nicht der Schutz des einzelnen, seiner individuellen Rechtssphäre im Vordergrund, sondern die Gewährleistung objektiver rechtsstaatlicher Prinzi254 κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326); ders., Festschrift für Ε. E. Hirsch, S. 1 (22 ff.); A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 105, siehe auch Rdnr. 113; vgl. weiter N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 41 f. und 236, dort allerdings mit der unberechtigten Suggestion, daß Κ. A. Bettermann, Festschrift für Ε. E. Hirsch, S. 1 ff., in den Grundrechten selbst die Kompetenzgrundlage staatlicher Wirtschaftstätigkeit erblicke; siehe ferner R. Dreier, Festschrift für H. U. Scupin, S. 81 (101); D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 82 f.; BVerwG, NJW 1980, 2595 (2597). 255 BVerfGE 21, 362 (372 f.). 256 A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 105. Allerdings kann diese rein organisationsrechtlich abgestützte Begründung von grundrechtlichen Schutzansprüchen juristischer Personen des öffentlichen Rechts zu erheblichen Einbußen der Grundrechtssubstanz führen, weil damit die Grundrechte als staatsdisziplinierende, dem Organisationsgesetzgeber Schranken setzende Maßstabsnormen ausscheiden; hierzu noch unten nach Fn. 277 (S. 93). 257 in diese Richtung argumentierend BVerfGE 21, 362 (370 f.); siehe ferner H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 72. 258 In diesem Sinne aber etwa Κ. A. Bettermann, NJW 1969,1321 (1322); A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 96; ders., JuS 1977, 319 (320 f.); ders., Jura 1983, 30 (39); H. v. Olshausen, Zur Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechtes, S. 76 ff. 259 Vgl. BVerfGE 6,45 ( 49); 13,132 (139); 18,441 ( 447); 61, 82 (104 f.).

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

pien 2 6 0 . Entscheidend ist, daß auch nach Maßgabe einer Unterscheidung zwischen grundrechtlichen Freiheiten und organisationsrechtlichen Wahrnehmungskompetenzen keinesfalls zwingend ist, daß öffentlich-rechtlichen Funktionsträgern ausschließlich kompetenzielle, niemals aber grundrechtliche Rechtspositionen zustehen können. Denn es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, daß Konflikte zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts eine ihre kompetenzielle Bedeutung transzendierende Dimension aufweisen: daß Übergriffe von staatlichen Hoheitsträgern in den Funktionskreis eines anderen über ihre kompetenzüberschreitende Wirkung hinaus auch dessen grundrechtlich geschützten rechtlichen Zuweisungsgehalt berühren 261 . Die Rechtsschutzmöglichkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG sowie die kommunale Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG vermögen hieran nichts zu ändern, weil diese Verfahren nur zur Verteidigung eines Teilbereichs der den entsprechenden öffentlich-rechtlichen Funktionsträgern zustehenden subjektiv-rechtlichen Rechtspositionen berechtigen 262. Sofern die Zuerkennung von Grundrechtsschutz für juristische Personen zu Überschneidungen und Friktionen mit den Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes führte, könnte dieses Spannungsverhältnis unter Hinzuziehung der lex-specialisRegel im Sinne des kompetenziellen Rahmens gelöst werden 263 . Und endlich wären sämtliche Konflikte im gesamten Binnenbereich des Staates ausschließlich nach Maßgabe der Kompetenzvorschriften zu beurteilen, weil der grundrechtliche Schutzanspruch ausschließlich der Absicherung von Außenrechtsbeziehungen dienen soll. Um die maßgeblichen Kritikpunkte an dieser Interpretation des Art. 19 Abs. 3 GG sichtbar werden zu lassen, muß das die Grundrechtsfähigkeit auslösende Diffe260 BVerfGE 3, 359 (363); 12, 6 (8); 21, 362 (373); 61, 82 (104); ebenso G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 III GG, Rdnr. 54; S. Maser, Die Geltung der Grundrechte für juristische Personen und teilrechtsfähige Verbände, S. 167 ff.; H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 92 f., der aber in erster Linie „aus Gründen der Waffengleichheit" den Schutz der staatlichen Prozeßparteien durch die Verfahrensgarantien für geboten erachtet. 261 Κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1325); R. Dreier, Festschrift für H. U. Scupin, S. 81 (87); T. Herzog, Die Grundrechtssubjektivität überindividueller privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Funktionseinheiten, S. 92; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 94; ders., JuS 1977, 319 (320); ders., Jura 1983, 30 (39). 262 Vgl. hierzu A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnrn. 95, 134; dens., JuS 1977, 319 (321); dens., Jura 1983, 30 (39); L. Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums im Geltungskonflikt von Bundes- und Landesverfassung, S. 96. 263 Demgemäß wird ein grundrechtlicher Schutzanspruch der Gemeinden innerhalb des Gewährleistungsbereichs ihrer Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG) abgelehnt, vgl. A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 134: „Wo sie (seil.: die Selbstverwaltungsgarantie) auch bei extensiver Interpretation in diesen Rechtsbeziehungen keinen Schutz gewähren sollte, können auch die Grundrechte über Art. 19 Abs. 3 GG nicht für Abhilfe sorgen."; ebenso N. Achterberg, in: Gedächtnisschrift für F. Klein, S. 1 (13 Fn. 32); F. E. Schnapp, Der Städtetag 1969, 534 (535); K. Stern, Die verfassungsrechtliche Position der kommunalen Gebietskörperschaften in der Elektrizitätsversorgung, S. 51 ff.

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

renzierungskriterium, die Außenrechtsbeziehung zwischen dem Staat und selbständigen Rechtssubjekten respektive staatlichen Untergliederungen, näher analysiert und beleuchtet werden. Ziel der nachfolgenden Erörterungen ist, den methodologischen Makel sowie die freiheits- und demokratiegefährdenden Auswirkungen dieses dogmatischen Zuordnungsmodells aufzuzeigen. Dementsprechend wird der Akzent auf die Folgen gesetzt, die eine Zuerkennung von grundrechtlichen Schutzpositionen für juristische Personen des öffentlichen Rechts für den individuellen Grundrechtsschutz und für die Strukturen der demokratischen Staatsorganisation zeitigten. Um einem Mißverständnis vorzubeugen; es geht hier nicht um den Nachweis, daß mit der Anerkennung von grundrechtlichen Schutzansprüchen für juristische Personen des öffentlichen Rechts die Schleusen für eine allmächtige Staatlichkeit geöffnet würden, die den gesamten Bereich der Gesellschaft erfaßte und damit jedwede Form individueller oder korporativer Freiheitsäußerung bereits im Keim erstickte 264 . Diese Befürchtung dürfte sich als unbegründet, zumindest aber als überzogen erweisen, bedenkt man, daß die Grundrechtsfähigkeit von öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern nicht zu einem Kompetenzzuwachs des Staates und seiner Untergliederungen führen, sondern nur im Rahmen bestehender Kompetenzgrundlagen zum Tragen kommen soll, und daß die grundrechtliche Abstützung der hoheitlichen Kompetenzen eines Verwaltungsträgers nur in Außenrechtsbeziehungen ihre Wirkkraft entfalten soll, ohne dabei seine Grundrechtsbindung gegenüber den Bürgern nach Art. 1 Abs. 3 GG zu beseitigen265. Das gleiche gilt für die im Zusammenhang mit der fiskalisch handelnden öffentlichen Hand geäußerte Besorgnis, etwaig bestehende grundrechtliche Schutzansprüche führten zur schrankenlosen, freiheitsbedrohenden, privatwirtschaftliche Impulse lähmenden und prohibierenden Ausuferung staatlicher Wirtschaftstätigkeit 266. Auch insoweit sind Schutzsysteme ersichtlich, die gegen ein ungehemmtes Vordringen staatlicher Aktivitäten in die Domänen des gesellschaftlichen Lebens Dämme setzen können 267 . Vielmehr nährt sich der zentrale Einwand aus der methodologischen Unzulänglichkeit, den Gesichtspunkt der Außenrechtsbeziehung zwischen einzelnen Verwaltungsträgern zum Anknüpfungskriterium für die Zuordnung grundrechtlicher Schutzansprüche für juristische Personen zu machen. Außenrechtsbeziehungen zwischen mehreren Rechtssubjekten können zum einen verfassungsinstitutioneller Natur, also im Grundgesetz selbst angeordnet sein, wie etwa die Rechtsbeziehung 264 Besonders deutlich J. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 86: „Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen öffnet die Fluttore zur Verstaatlichung der Gesellschaft, was einer Preisgabe der rechtsstaatlichen Freiheitssicherung im Effekt gleichkommt." 265 A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 103. 266 Vgl. etwa G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 ΠΙ GG Rdnr. 48; w.N. bei A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 104. 267 So etwa durch lückenlose Grundrechtsbindung, durch das (einfachgesetzlich festgelegte) Subsidiaritätsprinzip oder durch das Übermaßverbot etc., vgl. zu den einzelnen Möglichkeiten freiheitsstiftender und -erhaltender Schutzvorkehrungen A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnrn. 104 und 146.

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

zwischen Ländern und Gemeinden im Selbstverwaltungsbereich, in dem diese dem Staat gegenüberstehen. Sie können ihren Grund aber auch darin haben, daß der Staat bestimmte Aufgaben auf einen selbständigen Rechtsträger überträgt, indem er eigenständige (öffentlich-rechtliche) Verwaltungsträger oder Gesellschaften des privaten Rechts gründet und durch diese seine Angelegenheiten erledigen läßt, oder schließlich sich zu diesem Zweck an privaten Organisationseinheiten beteiligt. Eine Außenrechtsbeziehung besteht insoweit unproblematisch zwischen diesen eigenständigen Rechtssubjekten und der rechtsprechenden Gewalt. Aber wie ist es um das Verhältnis zwischen ihnen und den Organen der unmittelbaren Staatsverwaltung bestellt? An dieser Stelle trennen sich die Wege: Entweder sind sie in den hierarchischen Verwaltungszug integriert, in die durch Weisungsunterworfenheit und -abhängigkeit gekennzeichnete Staatsorganisation; dann scheidet wegen der bestehen Binnenrechtsstrukturen ein grundrechtlicher Schutzanspruch von vornherein aus. Oder aber der Rechtsträger verfügt gegenüber der Exekutivspitze über einen mehr oder weniger großen Freiraum autonomer Entscheidungsfindung, unterfällt also im wesentlichen nicht deren Leitungsmacht; dann stünde wegen der bestehenden Außenrechtsbeziehungen der Anwendbarkeit von Grundrechten insoweit grundsätzlich nichts im Wege. Nur insoweit, als der einzelne Rechtsträger über eine abgegrenzte, von staatlichen Ingerenzen befreite Rechtssphäre verfügt, soll ihm grundrechtlicher Schutz zuteil werden. Dann erhebt sich aber die maßgebliche Frage, unter welchen Voraussetzungen dem jeweiligen Rechtssubjekt Autonomiebefugnisse eingeräumt werden können oder müssen, mit anderen Worten: wann Außenrechtsbeziehungen entstehen dürfen oder aber müssen. Auf diese Frage sucht man im einschlägigen Schrifttum vergeblich eine Antwort 2 6 8 . Sie ist im Lichte der Grundrechte beziehungsweise des Demokratieprinzips des Grundgesetzes zu finden. Außenrechtsbeziehungen sind Folge der grundrechtlich implizierten Herausnahme von Organisationseinheiten aus dem Geltungsbereich des Art. 20 Abs. 2 GG. Anders gewendet: Sie sind notwendige Bedingung für die Gewährleistung des grundrechtlichen Schutzanspruches, nicht aber dessen Entstehungsvoraussetzung. Sofern man also das Kriterium der Außenrechtsbeziehung zum Begründungsstrang für die Zuerkennung des grundrechtlichen Schutzes von juristischen Personen macht, zäumt man das Pferd gleichsam von hinten auf 2 6 9 . 268 Dieses Ausblenden der verfassungsrechtlichen, genauer: grundrechtlichen oder demokratiestaatlichen Implikationen bei der Statuierung von Außenrechtsbeziehungen zwischen juristischen Personen und dem Staat offenbart sich etwa bei der Frage, ob wirtschaftlich tätigen Organisationseinheiten Grundrechtsschutz auch gegenüber ihren Gewährträgern zustehen soll: Während sich die öffentlich-rechtlichen Sparkassen gegenüber Entscheidungen ihrer kommunalen Gewährträger nicht auf Grundrechte berufen dürfen sollen, „weil dieses durch Normen des öffentlichen Organisationsrechts konstituierte Rechtsverhältnis zwischen Anstalt und Anstaltsherr dem Innenrechtsbereich zuzuordnen ist (A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 138), sucht man bei den in privatrechtlichen Organisationsformen betriebenen öffentlichen Unternehmen vergeblich auf eine ebenso klare Aussage (vgl. A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 146), so daß insoweit deren Grundrechtsschutz gegenüber ihrem staatlichen Gewährträger im Dunkeln bleibt.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

Mit der Formel der grundrechtlichen Absicherung von Außenrechtsbeziehungen wird die Frage nach der Grundrechtssubjektivität von juristischen Personen mithin nicht gelöst, sondern nur verlagert, und zwar nicht darauf, ob einzelne Verwaltungsträger in einer solchen Außenrechtsbeziehung stehen, sondern ob eine Heraustrennung aus der Weisungshierarchie von Verfassungs wegen zulässig oder gar geboten ist. Diese Entscheidung steht nicht im politischen Ermessen des Organisationsgesetzgebers oder der jeweiligen Verwaltungsstellen. Andernfalls stünde die Reichweite des Art. 19 Abs. 3 GG zu ihrer Disposition, was bereits mit dem Verbindlichkeitsanspruch der Verfassung unvereinbar wäre. Im Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland gilt der Grundrechtsschutz nicht nach Maßgabe einfachgesetzlicher Regelungen des Organisationsgesetzgebers oder der exekutiven Dispositionsmacht, sondern umgekehrt gelten einfaches Gesetz und Hoheitsakte der Verwaltung nach Maßgabe der Grundrechte. Das Augenmerk muß demnach auf die verfassungsrechtlichen Entfaltungskoordinaten für die Konstituierung von Außenrechtsbeziehungen gerichtet werden. Nicht immer dann, wenn der Staat eine juristische Person konstituiert und dieser einen Autonomiebereich zuerkennt, läßt sich von einer Außenrechtsbeziehung sprechen. Vielmehr bedarf umgekehrt gerade diese Autonomisierung vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung 270. Die dogmatische Fehlerhaftigkeit des in Rede stehenden grundrechtstheoretischen Modells, seine teilweise freiheits-, weil grundrechtsgefährdende Konsequenz wird in den Fällen augenscheinlich, in denen die Herauslösung von Verwaltungseinheiten aus der weisungsabhängigen Staatsorganisation, die Einräumung von Selbstverwaltungsbefugnissen ohne staatliche Ingerenzmöglichkeiten, grundrechtlich determiniert ist. Sofern die Grundrechte selbst eine staatsdistanzierte Organisationsverfassung juristischer Personen - des öffentlichen sowie des privaten Rechts - verlangen, könnten auch entsprechenden - vom Staat unter Verfassungsbruch angeordneten - Binnenrechtsbeziehungen die grundrechtliche Umhegung nicht versagt bleiben; die „Grundrechtsschutzbedürftigkeit" der jeweiligen juristischen Person wäre hier evident und müßte ihren grundrechtlichen Schutzanspruch auslösen, um sich gegen unzulässige staatliche Einflußnahme zur Wehr setzen und dieses Grundrecht notfalls gerichtlich verteidigen zu können. Es käme einer Prämierung des Verfassungsbruchs gleich, wenn - um ein rein fiktives Beispiel zu nennen - der Organisationsgesetzgeber, sofern er die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten 271 in die staatliche Verwaltungshierarchie über269 Vgl. H. Gersdorf, in: A. Haratsch/D. Kugelmann/U. Repkewitz (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, S. 163 (166 ff., insbesondere 167 f.). 270 Zu Recht hebt N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 125 f., hervor, daß „weder Autonomie noch Selbstverwaltung allein das Zauberwort zur Feststellung eines grundrechtlichen Schutzanspruches sein können". 271 Es gehört heute zum staats- und rundfunkrechtlichen Gemeingut, daß die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten trotz ihrer Öffentlich-rechtlichen Organisationsform nicht dem Bereiche der mittelbaren (Landes-)Staatsverwaltung zugeordnet werden können; offengelassen noch in BVerfGE 73, 118 (165); vgl. jetzt aber den Nichtannahmebeschluß vom 20. Juli

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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führte, auch noch dadurch „belohnt" würde, daß die Sendeanstalten infolge des Übergriffs in die genuin staatsfreie Sphäre 2 7 2 , 2 7 3 ihres Grundrechtsschutzes und 1988 der 1. Kammer des Ersten Senates des BVerfG, NJW 1989, 382=AfP 1988, 235 (236): „Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sind trotz ihrer Rechtsform und der Erfüllung einer »öffentlichen Aufgabe* nicht dem staatlichen Bereich ... zuzuordnen."; vgl. auch das Sondervotum BVerfGE 31, 314 (337, 341); ganz deutlich ferner BVerwGE 70, 310 (316): „Der Rundfunk steht als Träger der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG mithin in einer Gegenposition zum Staat. Er ist um der Gewährleistung seiner eigenen Freiheit willen aus diesem ausgegliedert und kann nicht als Teil der staatlichen Organisation betrachtet werden."; ebenso die ganz herrschende Lehre, vgl. K. Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk, S. 96; ders., DÖV 1975, 413 (414); H. Bethge, AöR Bd. 104 [1979], 265 (284); ders., DVB1. 1987, 663 (664); R. Breuer, VVDStRL Bd. 44 [1986], 211 (231); W. HoffmannRiem, Festgabe für G. Ch. ν. Unruh, S. 951 (954); H. P. Ipsen, DÖV 1974, 721 (724); Κ. Lange, VVDStRL Bd. 44 [1986], 169 (193); P. Lerche, in: M. Bullinger/F. Kübler (Hrsg.), Rundfunkorganisation und Kommunikationsfreiheit, S. 15 (32 ff.); ders., AfP 1984, 197 und 201; Th. Maunz, BayVBl. 1972, 169 ff.; F. Ossenbühl, Rundfunk zwischen Staat und Gesellschaft, S. 9 f. und insbesondere 17: „absolut herrschende Meinung"; H. Wilkens, Die Aufsicht über den Rundfunk, S. 107 f.; E. Wufka, Die verfassungsrechtlich-dogmatischen Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 117; widersprüchlich R. Scholz, Rundfunkeigene Programmpresse?, der die öffentlich-rechtlichen Rundfiinkanstalten einerseits zum Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung zählt (S. 25, 32), andererseits aber die Veranstaltung von Rundfunk nicht als Staatsaufgabe, sondern als „eine »öffentliche Aufgabe* gesellschaftlicher bzw. freiheitlich-grundrechtlicher Qualität" bezeichnet (S. 24). 272 Vgl. K. Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk, S. 90 ff. m. w. Ν.; H. Bethge, Die verfassungsrechtliche Problematik der Zulassung von Rundfunkveranstaltern des Privatrechts, S. 34 ff. m. w. N.; ders., DVB1. 1986, 859 (863); H. D. Jarass, Die Freiheit der Massenmedien, S. 85; G. Leibholz, Festschrift für U. Scheuner, S. 363 (369); M. Stock, AöR Bd. 110 [1985], 219 (221 f.); W. Mallmann, Zur Rechtsaufsicht über das Zweite Deutsche Fernsehen, S. 86; H. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 68 ff., insbesondere 70 f.; differenzierend W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 122 Fn. 265, demzufolge zwar nicht die inhaltliche Programmgestaltung, jedoch das Senden der Rundfunkdarbietungen als solches in Wahrnehmung einer staatlichen Aufgabe erfolge; dagegen zutreffend K. Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk, S. 93. 273 Die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts im Ersten Rundfunkurteil (BVerfGE 12, 205 [243]) - „wenn sich der Staat mit dieser Aufgabe (seil.: der öffentlichen Aufgabe) beschäftigt, wird sie zu einer staatlichen Aufgabe, deren Erfüllung nach Art. 30 GG Sache der Länder ist" - ist teilweise auf heftige Kritik gestoßen (vgl. H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 105: „Das kann nicht richtig sein."; H. Peters, Festschrift für H. C. Nipperdey, S. 877 ff.; H. H. Klein, DÖV 1965, 755 f.; E. Wufka, Die verfassungsrechtlichdogmatischen Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 114; A. Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, S. 102 f.), überwiegend jedoch als mißverständliche und unglückliche Äußerung verstanden worden, die lediglich die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern betreffe, ohne damit den Rundfunk zu einer staatlichen Aufgabe zu machen; vgl. insoweit deutlich das Minderheitsvotum in BVerfGE 31, 314 (337 und 340); vgl. weiter H. Bethge, Die verfassungsrechtliche Problematik der Zulassung von Rundfunkveranstaltern des Privatrechts, S. 34 f.; D. Dörr, AfP 1993, 709 (711); W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 119; K. Berendes, Staatsaufsicht über den Rundfunk, S. 91 ; G. Leibholz, in: Festschrift für U. Scheuner, S. 363 (370); E. Wufka, Die verfassungsrechtlich-dogmatischen Grundlagen der Rundfunkfreiheit, S. 116 f.; siehe ferner J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 137.

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

damit ihres freiheitssichernden Schutzschildes verlustig gingen. Hieran zeigt sich, daß das Abstellen auf Außenrechtsbeziehungen von Organisationsgebilden zum Staat und seinen Untergliederungen, also die rein organisationsrechtlich abgestützte Begründung von grundrechtlichen Schutzansprüchen juristischer Personen zu erheblichen Einbußen der Grundrechtsschutzsubstanz führen kann, weil dann die Grundrechte als staatsdisziplinierende, dem Oiganisationsgesetzgeber Schranken setzende Maßstabsnormen nicht mehr herangezogen werden können. Ob Rechtssubjekte zum Staat in Außenrechtsbeziehungen stehen dürfen oder gar müssen, beantworten das Demokratieprinzip beziehungsweise die Grundrechte. Art. 19 Abs. 3 GG bedarf der ganzheitlichen Auslegung, die insbesondere die demokratiestaatlichen Implikationen auf die Bestimmung des „Wesens der Grundrechte" berücksichtigt. Die Zuordnung grundrechtlicher Rechtssphären an juristische Personen kann daher nicht nach rein rechtstechnizistischen Gesichtspunkten vorgenommen werden: Das Bestehen einer Außenrechtsbeziehung als „Wesen der Grundrechte" zu deklarieren und damit zum Bestimmungsfaktor grundrechtlicher Schutzansprüche von juristischen Personen zu erheben, bedeutet, Ursache und Wirkung grundrechtlicher Schutzpositionen zu verwechseln und damit das „Wesen der Grundrechte" zu verfehlen; die Freiheit zur eigenständigen und selbstverantworteten Lebensgestaltung, die Freiheit vor staatlicher Einflußnahme ist die Folge der Grundrechte, nicht aber deren Entstehungsgrund 274. Auch bestehen durchgreifende Einwände gegen die nach den einzelnen Rechtsverhältnissen differenzierende Zuordnung von Grundrechtsfähigkeit und -gebundenheit der juristischen Personen des öffentlichen Rechts und der in privatrechtlichen Organisationsformen agierenden öffentlichen Hand. Zwar wird insoweit nicht bestritten, daß sowohl unter grundrechtlichen Gesichtspunkten als auch unter den Auspizien des Demokratieprinzips eine Oiganisationseinheit in einer und derselben Rechtsbeziehung nur entweder grundrechtsberechtigt oder grundrechtsgebunden sein kann. Die Einräumung von Grundrechtsschutz innerhalb des Baumodells demokratischer Legitimation ist schlechthin ausgeschlossen275. Demokratische und grundrechtliche Legitimation stehen im Verhältnis der Alternativität, schließen 274 Vgl. H. Gersdorf, in: A. Haratsch/D. Kugelmann/U. Repkewitz (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, S. 163 (166 ff., insbesondere 167 f.). 275

Deutlich A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 103 Fn. 60, der sich gegen den - von H. v. Olshausen, Zur Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechts, S. 133 ff., insbesondere 139, erhobenen - Vorwurf der Demokratieinkompatibilität der Zuweisung grundrechtlicher Schutzansprüche an juristische Personen des öffentlichen Rechts wendet: H. v. Olshausen "argumentiert ausschließlich aus der Sicht des Volkes, also der Summe aller individualen Grundrechtsträger, von dessen Willen letztlich alle staatliche Willensbildung abzuleiten ist. Um dieses Rechtsverhältnis geht es jedoch bei der Frage nach einer partiellen Grundrechtssubjektivität öffentlich-rechtlicher Organisationen gar nicht. Das Problem liegt vielmehr darin, ob ein rechtlich verselbständigter öffentlich-rechtlicher Funktionsträger in einer subjektiv zugeordneten Rechtssphäre nicht gegenüber dem Volk, sondern gegenüber (ebenfalls demokratisch legitimierter) anderer staatlicher Gewalt ,frei\ nämlich durch die inhaltlich anwendbaren Grundrechte geschützt ist".

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

sich also gegenseitig aus 276 . Damit ist aber noch nicht gesagt, daß einer juristischen Person, die bei bestimmten Tätigkeiten im Verhältnis zum Bürger an die Grundrechte gebunden ist, in einer anderen Rechtsbeziehung, nämlich im Verhältnis zum Staat, der Schutz materieller Grundrechte nicht zugute kommen kann. Rechtslogisch ist eine solche differenzierende rechtliche Beurteilung der unterschiedlichen Rechtsverhältnisse wenigstens nicht unmöglich 277 . Gleichwohl besteht Anlaß zur Kritik an dieser bereichsspezifischen Zuerkennung von Grundrechtssubjektivität an Glieder der Staatsverwaltung. Die Kritik beruht in erster Linie auf der dadurch vermittelten Assoziation zweier beziehungslos nebeneinanderstehenden, voneinander abgeschotteten, diffussionsfreien Rechtsverhältnisse, in denen einmal der Staat und seine Untergliederungen als Widerparts auftreten und deswegen den grundrechtlichen Schutzanspruch vermitteln und in denen das andere Mal der Bürger als Gegenspieler fungiert und die staatlichen Funktionsträger infolgedessen nach Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden sind. Bei Lichte besehen bestehen durchaus Querverbindungen zwischen beiden Systemen, welche die individualrechtliche Grundrechtssubstanz zu relativieren und zu schmälern drohen. Auch wenn die öffentliche Hand im Verhältnis zu den Bürgern über keine Grundrechte verfügen kann, so würde sie sich bei entsprechenden Rechtsstreitigkeiten gegenüber den - in Außenrechtsbeziehung stehenden - staatlichen Gerichten auf Grundrechte berufen können. Damit würde dem Bürger ein mit grundrechtlichem Schutz ausgestatteter Staat an die Seite gestellt werden, der von den Gerichten denselben Grundrechtsschutz einfordern und damit auch zu Lasten des einzelnen zum Ansatz bringen könnte. Staat und Bürger träten als gleichberechtigte Grundrechtsträger auf, bei deren Interessenabwägung die Gerichte womöglich die gemeinwohlorientierten Ziele des staatliche Akteurs den partikularen Belangen des einzelnen präponieren müßten. Die grundrechtliche Absicherung von staatlichen Verwaltungsträgern würde damit bei gerichtlich auszutragenden Streitigkeiten stets zu einer Einbuße individueller Freiheitsräume führen 278 . Hieraus erhellt, daß eine, grundrechtliche Abstützung kompetenzieller Rechtssphären durchaus zur Verkürzung individuellen Grundrechtsschutzes führen kann. Wegen der Alternativität grundrechtlicher und demokratischer Legitimationsgrundlagen sind damit zugleich die demokratischen Legitimationsstrukturen der Staatsorganisation betroffen: Wenn sich staatliche Verwaltungsträger gegenüber Gerichten auf den Schutz der materiellen Grundrechte stützen könnten, würden sie gleichsam vor dem Träger sämtlicher Staatsgewalt, nämlich vor der Aktivbürger276 277

Siehe hierzu eingehend oben auf den S. 60 ff.

Vgl. A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnrn. 93 und 127; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΠΙ /1, S. 1113. 278 Diese Interdependenzen werden besonders sichtbar etwa in BVerfGE 45, 63 ff.; BVerfG, NJW 1980, 1093: Die Zuerkennung grundrechtlicher Schutzansprüche der öffentlichen Hand würde die Tore der Verfassungsbeschwerde öffnen und zu einer umfassenden Abwägung mit den konfligierenden grundrechtlichen Interessen des Bürgers durch das Bundesverfassungsgericht verpflichten.

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

schaft, geschützt 279 . Das legitimationsvermittelnde Band zum Staat in seinem gesamten Wirkungsfeld wird mittels der grundrechtlichen Schere durchgetrennt und das Fundament der demokratischen Staatsorganisation untergraben. Sofern man diese freiheits- und demokratiebeeinträchtigenden Konsequenzen dadurch zu umschiffen versucht, daß man den Grundrechtsschutz von juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder der staatlichen Fiskaltätigkeit von einer Verträglichkeitsprüfung mit den Grundrechten der Individuen abhängig macht 280 , stellte man den eigenen grundrechtstheoretischen Entwurf zum Art. 19 Abs. 3 GG in Frage, weil es hiernach für die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen eben nicht auf deren personales Substrat, sondern auf den Schutz abgegrenzter subjektiver Rechtsfelder gegenüber staatlichem Verhalten ankommen soll. Schließlich ist noch auf die notwendige Sinnänderung, ja Sinnverkehrung grundrechtlicher Verbürgungen hinzuweisen, die ein grundrechtlicher Schutz von Staatsfunktionen in den Außenrechtsbeziehungen nach sich ziehen müßte. Nach der Grundrechtskonzeption des liberalen Rechtsstaates schützen Grundrechte die freie Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen, seine Freiheit zur subjektiven Beliebigkeit und Willkür. Für den auf das Gemeinwohl gerichteten Staat kann dieses Lebensgesetz selbstverständlich keine Geltung beanspruchen. Eine durch Beliebigkeit gekennzeichnete Ausübung von Staatsfunktionen als Ausdruck der durch Freiheit legitimierten Persönlichkeitsentfaltung des Staates ist rechtsstaatlich schlechthin ein Unding 2 8 1 . Die Grundrechte in staatlichen Händen wären rechtstheoretisch nur nach Maßgabe einer bereichsspezifischen, auf die Ausübung von Staatsgewalt bezogenen, aber auch begrenzten Neubestimmung der grundrechtlichen Freiheitsidee möglich. Die Grundrechte würden dann unterschiedliche Gestalt annehmen, einen janusköpfigen Charakter mit gegenläufiger Bedeutung besitzen, und zwar abhängig von der Person, die sich auf die Grundrechte beruft. Paradigmatisch für die Aufspaltung grundrechtlicher Freiheitssinngebung sei hier die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG genannt, auf deren Schutz im Zusammenhang mit der Frage 279 Dies übersieht A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 103 Fn. 60, der annimmt, daß grundrechtlich fundierte Außenrechtsbeziehungen innerhalb des staatsorganisatorischen Gesamtgefüges keine Freiheit des entsprechenden Verwaltungsträgers gegenüber dem Volk vermitteln würden, sondern nur gegenüber anderen, ebenfalls demokratisch legitimierten Trägern von Staatsgewalt in Betracht kommen könnten; derartige Außenrechtsbeziehungen bestehen aber gerade im Verhältnis zur dritten Gewalt (so auch ausdrücklich ders., A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 118), die, sofern sie mit grundrechtlicher Substanz angereichert würden, eine Autonomisierung staatlicher Funktionsträger von den Aktivbürgern bewirken könnten. 280 So wohl A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 37, der die Grundrechte „ihrem Wesen nach" dann für unanwendbar erachtet, „wenn die Anerkennung der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen4 im Hinblick auf andere Grundrechtsträger zu einer Einbuße an Grundrechtsschutz für die - wie Art. 1 Abs. 1 GG ergibt - primär geschützten Individuen führen würde". 281 Vgl. statt vieler H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 62 und 74 f.; H. H. Rupp, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, §28 Rdnr. 31.

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

nach der Grundrechtsgeltung für juristische Personen des öffentlichen Rechts und der staatlichen Fiskaltätigkeit immer wieder Bezug genommen wird 2 8 2 . Das grundgesetzlich geschützte Eigentum ist durch Privatnützigkeit gekennzeichnet und bildet damit die Grundlage privater und unternehmerischer Initiative 283 . Seine Nutzung soll dem Grundrechtsträger ermöglichen, sein Leben nach autonomen, selbstverantwortlich entwickelten Vorstellungen zu gestalten284. Das grundgesetzlich geschützte Eigentum umfaßt damit Elemente der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie des allgemeinen Persönlichkeitsgrundrechts 285. Der Staat und seine Untergliederungen besitzen aber keine Freiheit, „zu tun und zu lassen", was sie wollen 2 8 6 , geschweige denn können sie sich auf das in der Menschenwürde wurzelnde allgemeine Persönlichkeitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG berufen. Für den Staat und seine Satelliten gelten diametral andere Funktionsbedingungen, die im scharfen Kontrast zur grundgesetzlich verbürgten Persönlichkeitsentfaltung stehen und eine autonom bestimmte Freiheitsbetätigung der Staatsgewalt ausschließen, sondern den Gesetzen des Prinzips der Volkssouveränität folgen und eine strikte Rückführung jeglichen staatlichen Tätigwerdens auf das Volk einfordern 287 . Art. 14 Abs. 1 GG schützt eben nicht, wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht ausführt, das Privateigentum, sondern das Eigentum Privater 288 . Auch der Blick auf Art. 14 Abs. 2 GG zeigt die Inkonsistenz einer Übertragbarkeit der Eigentumsgarantie auf die öffentliche Hand. Während nach richtiger Ansicht die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG sich nicht an den privaten Eigentümer richtet, ihm keine verfassungsunmittelbaren Pflichten auferlegt, sondern allein als Richtschnur oder Direktive an den Gesetzgeber adressiert ist 2 8 9 , müßte die grundrechtliche Eigentumsgarantie in den Händen des Staates mit 282 Vgl. statt vieler nur Κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1325); O. Kimminich, Der Schutz kommunaler Unternehmen gegen konfiskatorische Eingriffe, S. 79 ff.; G. Kriegbaum, BayVBl. 1972, 481 (487 f.); A. v. Mutius, JuS 1977, 319 (322); R. Scholz, Gemeindliche Gebietsreform und regionale Energieversorgung, S. 92; H. Scholler/S. Broß, DÖV 1978, 238 (243); Ch. Starck, JuS 1977,732 (733); K. Stern, Die verfassungsrechtliche Stellung der kommunalen Gebietskörperschaften in der Elektrizitätsversorgung, S. 55. 283 Vgl. BVerfGE 50, 290 (340 f. und 348); 52, 1 (30 ff. und 36); 79, 283 (289); 79, 292 (303); 81, 29 (32); st. Rspr. 284 Vgl. BVerfGE 46, 325 (334); 79, 292 (304). 285 BVerfGE 79, 292 (304). 286 Zur ursprünglichen Fassung »jeder kann tun und lassen, was er will" des Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen der Beratungen des Parlamentarischen Rats BVerfGE 6, 32 (36 f. und 39 f.); siehe auch BVerfGE 80, 137 (154). 287 Vgl. Η. v. Olshausen, Zur Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechts, S. 139. 288 BVerfGE 61, 82 (109). 289 BVerfGE 56, 249 (260); vgl. auch BVerfGE 58, 300 (338); ferner BVerfGE 21, 73 (83): „in erster Linie eine Richtschnur für den Gesetzgeber"; BVerfGE 50, 290 (339 f.); aus dem Schrifttum H. D. Jarass, in: dems./B. Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 14 Rdnrn. 1 und 38; H.-J. Papier, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 14 Rdnrn. 249 f.; demgegenüber entnehmen Art. 14 Abs. 2 GG eine verfassungsunmit-

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

einer gemeinwohlstiftenden und -erhaltenden Hypothek belastet sein, Art. 14 Abs. 2 GG also als von innen heraus wirkende, die Eigentümerbefugnisse unmittelbar limitierende rechtliche Kategorie fungieren. Das Grundrecht aus Art. 14 GG müßte daher bei einer Geltungserstreckung der Eigentumsgarantie auf juristische Personen des öffentlichen Rechts eine auf die Staatlichkeit mit ihrem Gemeinwohlauftrag bezogene eigenständige Komponente erhalten, oder deutlicher ausgedrückt: inhaltlich auf neue dogmatische Beine gestellt werden 290 . Der grundrechtliche Bedeutungsgehalt würde variieren, wenn neben dem Bürger und seinen Organisationseinheiten auch der Staat durch die materiellen Grundrechte geschützt würde: Der Weg wäre geebnet für eine geteilte und bipolare Grundrechtsdogmatik. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß die Zuordnung bestimmter abgegrenzter Rechtsbereiche an Organisationseinheiten als Anknüpfungspunkt für die dogmatische Herleitung der Grundrechtssubjektivität von juristischen Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG das „Wesen der Grundrechte" verfehlen muß 2 9 1 : Das Bestehen von Außenrechtsbeziehungen zum Staat und seinen Untergliederungen ist die Folge grundrechtlicher Schutzansprüche, nicht aber deren Begründungsstrang. Das Verhältnis von juristischen Personen des privaten sowie öffentlichen Rechts zum Staat und seinen Trabanten ist entweder grundrechtlich oder aber demokratisch fundiert. Die Grundrechte beziehungsweise das Demokratieprinzip liefern die Antwort auf die Frage, ob derartige Außenrechtsverhältnisse zum Staat entstehen müssen oder dürfen. Die Zuweisung grundrechtlicher Schutzpositionen an juristische Personen nach Maßgabe rein rechtstechnizistischer Gesichtspunkte vernachlässigt, genauer: übersieht diese verfassungsrechtlichen Direktiven bei der Interpretation der Wesensklausel des Art. 19 Abs. 3 GG. Die Auslegung des „Wesens der Grundrechte" muß anderen Deutungsmustern folgen, welche die Interdependenzen zwischen dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes und Art. 19 Abs. 3 GG deutlich werden und die spezifische Sinngebung grundrechtlicher Schutzansprüche hervortreten lassen.

telbare Pflichtigkeit des Eigentümers P. Badura, in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J.- Vogel (Hrsg.), Hdb. des Verfassungsrechts, 1983, S. 653 (661); B.-O. Bryde, in: I. v. Münch/Ph. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 4 1992, Art. 14 Rdnrn. 67,69. 290 Daß entsprechende grundrechtsdogmatische Konstruktionen mit unüberwindbaren Schwierigkeiten verbunden sind, zeigen deutlich die Ausführungen von H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 110 f., der - seiner anthropozentrischen Grundüberzeugung von Art. 19 Abs. 3 GG (vgl. insbesondere S. 13 ff., 25 ff., 61 ff.) ersichtlich untreu werdend ohne weitere dogmatische Aufbereitung und Durchdringung seines Wesensvorbehalts - für einen eigentumsgrundrechtlichen Schutz staatlicher Fiskaltätigkeit plädiert: „Die öffentliche Hand muß als Eigentümerin gegenüber enteignenden Übergriffen anderer Hoheitsträger jedenfalls dann wie ein Privatmann geschützt sein, wenn andere materielle und verfahrensrechtliche Sicherungselemente nicht greifen." 291 Im Ergebnis ebenso Tk Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 107 ff., insbesondere 115 f.

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

b) Privatrechtliche Organisations- oder Handlungsformen als grundrechtsfähigkeitsvermittelndes Anknüpfungskriterium? Teilweise wurde versucht, der öffentlichen Hand wenigstens bei der Verwendung privatrechtlicher Handlungs- und Gestaltungsformen, insbesondere bei der Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr, den Schutz der materiellen Grundrechte zuzuweisen292. Namentlich Κ. A. Bettermann als maßgeblicher Protagonist einer „Gewerbefreiheit der öffentlichen Hand" 2 9 3 sah die Berechtigung darin begründet, daß juristische Personen des öffentlichen Rechts in diesem Handlungsfeld in gleicher Weise von der Hoheitsgewalt betroffen seien wie natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts, also ein gleiches den grundrechtlichen Schutz erforderlich machendes Subjektionsverhältnis bestehe. Dabei übersieht er freilich nicht, daß die Subjektion eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers unter die Gewalt eines übergeordneten Gebildes allein noch nicht die „Grundrechtsschutzbedürftigkeit" 294 auslösen kann 2 9 5 ; er unterscheidet zwischen der organisationsrechtlichen Subjektion, also der dem hierarchischen Verwaltungsaufbau impliziten Weisungsunterworfenheit, und der grundrechtlichen Subjektion, bei der ein Verwaltungsträger „wie ein »Bürger'" der Hoheitsgewalt untergeordnet ist 2 9 6 . Die Kritik muß an anderen Eckpunkten ansetzen. Der Auffassung einer grundrechtlich umhegten Teilnahme des Staates am Privatrechtsverkehr liegt letztendlich die Vorstellung zugrunde, „der Staat wandele sich, wenn er fiskalisch handele, in eine andere Person, eine private Person" 297 ; sie beruht auf einer Reaktivierung der im Zeichen des Grundgesetzes überholten Fiskustheorie 298. Diente die Fiskustheorie ursprünglich dazu, einen „Prügelknaben" 299 des Staates herbeizuschaffen, um die staatliche Hoheitsgewalt im Verhältnis zum Bürger wegen der Lückenhaftigkeit des öffentlichen Rechts zu domestizieren und dem Bürger mit der Aufspaltung des Staates in zwei Rechtssubjekte rechtskonstruktiv den Weg zu eröffnen, gegen den als Hoheitsträger rechtlich unanfechtbaren Staat in seiner Abspaltung als Privat292 Vgl. A. Bettermann, in: Festschrift für Ε. E. Hirsch, S. 1 (4 ff.); ders., NJW 1969, 1321 (1323 ff.); E. Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 14; E.-W. Fuß, DVB1. 1958, 739 (741); H. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 235; G. Kriegbaum, BayVBl. 1972, 481 ff.; W. Leisner, Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsverkehr, S. 127; Ch. Starck, JuS 1977,732 (733). 293 So der gleichnamige Titel seines Beitrages in: Festschrift für Ε. E. Hirsch, S. 1 ff. 294 BVerfGE 61, 82 (105); K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I I I / 1,S. 1158. 293 Daher insoweit zu Unrecht H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 97; siehe auch H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 72. 2% κ. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326 f.). 297 w. Mallmann, VVDStRL Bd. 19 [1961], 165 (197 f.). 298 Zu den unterschiedlichen Spielarten der Fiskustheorie D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 75 ff. m. w. N. 299 H.-U. Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 113. 7 Gersdorf

1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

rechtssubjekt „Fiskus" klageweise vorzugehen, hat mit der ausdifferenzierten Verrechtlichung der Staat-Bürger-Beziehung, insbesondere der Anerkennung einklagbarer subjektiver Rechte, dem Auf- und Ausbau des Verwaltungsrechtsschutzes und Verwaltungsprozeßrechts die Doppelpersönlichkeitsthese des Staates ihre Existenzberechtigung ausgehaucht300. Die Herbeiführung voller Rechtsstaatlichkeit hat die ursprüngliche Schutzintention der Fiskustheorie und damit ihre Notwendigkeit entfallen lassen. Sofern man mit ihrer Hilfe rechtsstaatliche Sicherungen abzubauen, individuelle Freiheitssphären einzuengen trachtete, indem man den Staat als Fiskus zu einem grundrechtlich geschützten Rechtssubjekt avancieren ließe, verkehrte sich der Sinn der Fiskustheorie gleichsam in sein Gegenteil 301 . Maßgebend für die zu behandelnde Frage, ob allein die Verwendung privatrechtlicher Handlungsformen der öffentlichen Hand grundrechtlichen Schutz vermitteln kann, ist letztlich aber ein anderer, rein rechtslogischer Aspekt. Da die Inanspruchnahme privatrechtlicher Handlungsformen zum klassischen Repertoire des deutschen Verwaltungsrechts gehört, sich die öffentliche Hand zur Erfüllung der anstehenden Aufgaben wahlweise privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Handlungsformen bedienen kann 3 0 2 , würde dem Staat bei einer grundrechtlichen AbStützung seines privatrechtlichen Tätigkeitsfeldes aus diesem Wahlrecht zugleich ein Annexionstitel für grundrechtlich bestücktes Terrain erwachsen. Der Entscheidung zugunsten privatrechtlicher Handlungsformen korrespondierte ein entsprechender Grundrechtsschutz. Mit anderen Worten: Die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen, die Bestimmung des Geltungsbereiches des Art. 19 Abs. 3 und seiner Reichweite, stünde zur Disposition des Staates, der sich selbst zum Grundrechtsträger küren könnte. Daß dies schon mit dem verbindlichen Charakter der Verfassung unvereinbar ist, bedarf keiner weiteren Erörterung. Der 300

Vgl. nur H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 101; J. Burmeister, DÖV 1975, 695 (700); D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 76 f.; H.-U. Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, S. 113; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 84 f.; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, S. 516; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 204 ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 240 f.; K. Zeidler, VVDStRL Bd. 19 [1961], 208 (223 ff.). 301 So im Hinblick auf die rechtsstaatlichen Bindungen, insbesondere auf die Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 205: „Erscheinung juristischer Schizophrenie"; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 241: „Die Sinnentleerung (seil.: der Fiskustheorie) hat eine rechtsstaatlich prekäre Sinnverkehrung zur Folge." 302 Vgl. nur BVerwGE, 13, 47 (54); BGHZ 37, 1 (27); 38, 49 (51); H.-U. Erichsen, Jura 1982, 537 (542); H. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 23 ff.; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 81 f.; dens., Die Verwaltung Bd. 2 [1969], 490 (491); siehe ferner die w. N. bei D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 64 Fn. 2; kritisch zum Dogma der Formenwahlfreiheit (mit im einzelnen unterschiedlicher Begründung) J. Burmeister, WiR 1972, 311 ff.; ders., DÖV 1975, 695 ff.; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 122 ff.; Ch. ν. Pestalozzi Formenmißbrauch des Staates, S. 166 ff.; ders., DÖV 1974, 188 ff.; Κ A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 262 ff., 280.

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Grundsatz der Wahlfreiheit ist nur unter dem Vorbehalt hinnehmbar, daß der Staat im Privatrechtsverkehr weder seine rechtsstaatlich-grundrechtlichen und kompetenziellen Bindungen 303 abzustreifen noch seinen Rechtsstatus mit grundrechtlicher Substanz anzureichern in der Lage ist. Ebensowenig wie sich der Staat durch Austausch der Handlungsformen seiner Grundrechtsbindung entziehen kann, kann er sich durch Auswechslung der Handlungsformen Grundrechtsberechtigungen verschaffen, die ihm genuin nicht zustehen304. Der innere Grund für diese unterschiedliche Behandlung liegt darin, daß für den Staat einerseits und Private andererseits divergierende Lebensgesetze gelten. Auch heute noch behält das Argument G. Dürigs seine Gültigkeit: „Wenn zwei dasselbe tun, ist es eben nicht immer dasselbe." 305 Juristische Personen des öffentlichen Rechts können durch die Wahl privatrechtlicher Handlungsformen keine Grundrechtsberechtigungen an sich ziehen 3 0 6 . Entsprechendes gilt für die in privatrechtlichen Organisationsformen erbrachten staatlichen Leistungen. Auch die privatrechtliche Organisationsform - etwa die der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung - scheidet als Zuordnungskriterium im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG von vornherein aus. Sofern die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des öffentlichen Rechts regelmäßig ausscheidet, können auch die von ihnen getragenen Eigengesellschaften keinen Schutz materieller Grundrechte beanspruchen. Zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht in der von der Stadtwerke Hameln AG wegen vermeintlicher Grundrechtsverletzungen erhobenen Verfassungsbeschwerde ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin als »juristische Person, deren alleiniger Aktionär eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, sich ebensowenig wie diese auf Grundrechte berufen (kann). Andernfalls wäre die Frage der Grundrechtsfähigkeit der öffentlichen Hand in nicht geringem Umfang abhängig von den jeweiligen Organisationsformen; es käme darauf an, ob eine Aufgabe der Daseinsvorsorge von ihrem Träger selbst oder von einer diesem gegenüber rechtlich verselbständigten, privatrechtlich organisierten Verwaltungseinheit erfüllt wird. Ein Betrieb, der ganz

303 H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 102; J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 16 f. 304 O. Backoff Ψ. Rudolf, Verbot des Werbefernsehens durch Bundesgesetz?, S. 37; H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 102; J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 16 f.; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, S. 1161. 305 G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19ΙΠ Rdnr. 45. 306 Ebenso statt vieler H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 100 ff.; ders., AöR Bd. 104 [1979], 265 (269 ff.); J. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 66 ff.; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 59 f., 75; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I I I /1, S. 1161; R. Stober, NJW 1984, 449 (453). 7»

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der öffentlichen Aufgabe der gemeindlichen Daseinsvorsorge gewidmet ist und der sich in der Hand eines Trägers öffentlicher Verwaltung befindet, stellt daher nur eine besondere Erscheinungsform dar, in der öffentliche Verwaltung ausgeübt wird; er ist in der Frage der Grundrechtssubjektivität... nicht anders zu behandeln als der Verwaltungsträger selbst" 307 . Dem ist nichts hinzuzufügen 308. Bereits der Verbindlichkeitsanspruch der Verfassung verbietet es, die Zuweisung des Schutzgehaltes des Art. 19 Abs. 3 GG an die Wahl der Organisationsform zu knüpfen. Demgegenüber hält namentlich G. Püttner die Organisationsform für maßgeblich und zieht aus dem privatrechtlichen Status öffentlicher Unternehmen die Schlußfolgerung, daß sie im Rahmen des Art. 19 Abs. 3 GG wie andere juristische Personen des Privatrechts Grundrechtsschutz genössen309. Offensichtlich von der Sorge geleitet, daß diese grundrechtliche Aufwertung der vom Staat betriebenen Gesellschaften zu Verwerfungen mit dem Gebot demokratischer Legitimation führen könnte, proklamiert er als „Korrelat dieser Freiheit der Gesellschaft... die Einwirkungspflicht des sie tragenden Gemeinwesens"; die Ausführungen münden dann in der Einsicht, daß „die juristische Person die Einwirkungen zu dulden hat und insoweit keine Grundrechte geltend machen kann" 3 1 0 . Hierzu ist anzumerken: Sofern das Demokratieprinzip auf Verwirklichung drängt und das Institut der Einwirkungspflicht 311 aktiviert wird, um der der rechtlichen Verselbständigung korrespondierenden Gefahr von Loslösungstendenzen gegenüber ihrer Träger- oder Beteiligungskörperschaft zu begegnen und um damit das von Verfassungs wegen erforderliche demokratische Legitimationsniveau nicht zu unterschreiten, kann es grundrechtliche Freiheit nicht geben. Während Grundrechte Freiheit von staatlichen Ingerenzen, also einen staatsfreien Raum gewährleisten, verlangt das Demokratieprinzip genau das Gegenteil, nämlich eine strikte Lenkung der organlichen Willensbildung in der Gesellschaft durch die hinter ihr stehende Gebietskörperschaft, um auf diese Weise den demokratischen Legitimationsanforderungen zu ge-

307 BVerfGE 45,63 (79 f.). 308 Ebenso statt vieler O. Bachof/W. Rudolf, Verbot des Werbefernsehens durch Bundesgesetz?, S. 37; H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 103 f.; ders., AöR Bd. 104 [1979], 265 (272); D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 84; J. Grabbe, Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung kommunaler Aufgaben, S. 109; J. Isensee, Grundrechte und Demokratie - Die polare Legitimation im grundgesetzlichen Gemeinwesen, S. 16 f.; H. D. Jarass, JuS 1982, 683 (684); K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1167. 309 G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 120 f.; siehe auch A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnrn. 145 f.; dens., Jura 1983,30 (41). 310 G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 121. 311 Zum Kompensationsinstitut der Einwirkungspflicht der öffentlich-rechtlichen Trägeroder Beteiligungskörperschaft auf die von ihr (mit-)getragene Gesellschaft privaten Rechts H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, S. 258 f.; D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 124 ff.; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 86, 121, 137 f.; E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (386); zu der legitimationsstiftenden Funktion der Einwirkungspflicht ausführlich unten im zweiten Teil, Kapitel 1, S. 222 ff.

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nügen. Demokratische und grundrechtliche Legitimation stehen, wie gezeigt 312 , im Verhältnis der Alternativität. Beide weisen keinen gemeinsam beherrschten Anwendungsbereich auf, so daß die Verpflichtung des Staates zur Einwirkung auf seine Unternehmen als spezifische Ausprägung des demokratischen Legitimationserfordernisses auch kein „Korrelat der (grundrechtlichen) Freiheit der Gesellschaft" sein kann. Indem G. Püttner den jeweiligen Gesellschaften im Rahmen der Einwirkungspflicht keinen grundrechtlichen Schutz zugestehen möchte, erkennt er diese Polarität zwischen beiden verfassungsrechtlichen Legitimationsformen an und relativiert, genauer: verwirft damit letztlich seine These, privatrechtlichen Gesellschaften allein wegen ihrer Organisationsform den grundrechtlichen Schutz nach Art. 19 Abs. 3 GG angedeihen zu lassen 313 .

3. Entfaltungskoordinaten des Art. 19 Abs. 3 GG: Nichtstaatlicher Aufgabencharakter als maßgebliches Zuweisungskriterium Die bisherigen Ausführungen dienten der Ausleuchtung des dogmatischen Bedingungsrahmens des Art. 19 Abs. 3 GG. Die Analyse hat den individuellen Ausgangs· und Bezugspunkt der Grundrechtsgeltung für juristische Personen zutage gefördert. Der teleologische ,»Durchblick" auf das personale Substrat einer juristischen Person fungiert als rechtsdogmatischer Anknüpfungspunkt für die Grundrechtsgeltung juristischer Personen, ohne dabei die juristische Person auf die Funktion einer Treuhänderin für abgeleitete und gebündelte grundrechtliche Rechtspositionen ihrer Mitglieder zu reduzieren. Ihre Eigenständigkeit bleibt gewahrt 314 . Damit liegt aber nur ein unfertiges, weil wenig konturiertes Konzept des Art. 19 Abs. 3 GG vor. Solange die Frage unbeantwortet ist, unter welchen Voraussetzungen die „Bildung und Betätigung (einer juristischen Person) Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen ist" 3 1 5 , bleibt dieser vom Bundesverfassungsgericht gewählte Anknüpfungspunkt für die Zuerkennung grundrechtlicher Schutzansprüche für juristische Personen eine Leerformel. Im folgenden gilt es, den Realisierungsrahmen für die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen, vor allem in bezug auf die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, en détail zu untersuchen und herauszuarbeiten, um damit Art. 19 Abs. 3 GG gleichsam in eine subsumtionsfähige Façon zu bringen. Da der Bestimmung des Art. 19 Abs. 3 GG eine individualrechtliche Prägung zugrunde liegt und ein Rechtssubjekt in einer und derselben Hinsicht nicht gleichzeitig grundrechtlich und demokratisch legitimiert sein kann, sich also grundrecht3 1 2 Vgl. hierzu eingehend oben auf den S. 60 ff. 313 Zu Recht kritisch insoweit auch Th. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 152. 314 Siehe dazu oben bei Fn. 155 (S. 67) - Fn. 166 (S. 68). 315 BVerfGE 21, 362 (369); 61,82 (101); 68,193 (205 f.).

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liehe und demokratische Legitimation als divergierende Legitimationsfiguren gegenseitig ausschließen, muß das für die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG maßgebliche Zuweisungskriterium am Begriff der Ausübung von Staatsgewalt anknüpfen. Dementsprechend zieht auch das Bundesverfassungsgericht die Trennlinie zwischen grundrechtsfundiertem und grundrechtslosem Terrain in der Wahrnehmung unabgeleiteter, ursprünglicher Freiheiten einerseits und der Ausübung von positivem Recht zugewiesener und inhaltlich bemessener sowie begrenzter staatlicher Kompetenzen andererseits 316. Indes ist damit lediglich die Grenze zwischen grundrechtsfähigen und grundrechtsunfähigen juristischen Personen markiert, ohne dabei aber die spezifischen Zuweisungskriterien selbst zu bestimmen.

a) Mangelnde Tragfähigkeit

einseitig formaler Zuweisungskriterien

Anliegen der nachstehenden Ausführungen ist es, diejenigen Kriterien zu benennen, die zwar immer wieder als Beleggrund für die Staatsqualität der betreffenden Organisation ins Feld geführt werden, bei Lichte betrachtet sich allerdings als untauglich erweisen, die Zuordnungsfrage des Art. 19 Abs. 3 GG in einer mit der Verfassung in Einklang stehenden Weise zu beantworten.

(1) Organisationsform als untaugliches Zuweisungskriterium Die Bildung juristischer Personen des Privatrechts beruht auf einem privatrechtlichen Gründungsakt, der seine Wurzeln in der Privatautonomie hat. Privatrechtliches Handeln ist die Grundlage für die Entstehung juristischer Personen des privaten Rechts. Der hinzukommende staatliche Registrierungs-, Anerkennungs- oder Verleihungsakt ist lediglich Wirksamkeitsbedingung 317; den Privatrechtsakt substituiert dieser nicht, sondern setzt ihn im Gegenteil voraus. Der privatrechtliche Gründungsakt unterliegt grundsätzlich der privatautonomen Gestaltungsmacht, sofern das Oiganisationsrecht für privatautonome Bewegungsfreiheit überhaupt Platz beläßt und nicht durch zwingende Normen des Staates vorgegeben ist 3 1 8 . Mit der Gründung der juristischen Person ist zugleich deren Zweck festgeschrieben. Ihre Tätigkeitsfelder sind begrenzt auf die in der Satzung aufgeführten Aufgabenbereiche. Während natürliche Personen als zweckfreie Wesen sich ihre Ziele selbst stekken, ihre Selbstbestimmung über Ziele und Tätigkeiten als Ausdruck grundrechtlicher Freiheit ihnen einen potentiell universalen Wirkungskreis erschließt, sind derartige Optionen einer juristischen Person verschlossen: Ihre Entfaltungsmacht ist 316 Vgl. BVerfGE 68, 193 (206); BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1994, 262. 317 K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΙΠ/1, S. 1981 und 1083. 318 Vgl. J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 30.

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begrenzt auf die satzungsgemäß festgeschriebenen Ziele und Aufgabenfelder. Sie kann zwar kraft ihrer Satzungsautonomie ihr Wirkungsfeld modifizieren und ausweiten, gleichwohl stellen auch die neu abgesteckten Aufgabenbereiche nur einen Ausschnitt aus der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ganzheit dar 3 1 9 . Alle diese Unterschiede zwischen der Freiheitsentfaltung natürlicher und juristischer Personen dürfen nicht von dem aus der Sicht des Art. 19 Abs. 3 GG entscheidenden Aspekt ablenken, daß die Zielsetzung einer juristischen Person nicht von außen an diese herangetragen, ihr vorgegeben ist, sondern auf der privatautonomen Gestaltung der sie konstituierenden und der sie tragenden Menschen beruht. Das privatautonome Legitimationsband reicht in die Organisation juristischer Person des Privatrechts hinein und durchzieht ihr gesamtes Wirkungsfeld. Ihr Zweck ist privatautonom bestimmt 320 . Sofern die juristische Person eine Personenvereinigung ist, genießt ihre Bildung für Deutsche den besonderen Schutz des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG 3 2 1 , dessen individualrechtliche, freiheitsstiftende und -erhaltende Dimension das Bundesverfassungsgericht mit den Worten umschreibt: „Daß man sich - zu beliebigen Zwecken - mit anderen in Vereinen, Verbänden und Assoziationen aller Art zusammenschließen darf, gehört zu den elementaren Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfreiheit." 3 2 2 Im scharfen Kontrast hierzu stehen juristische Personen des öffentlichen Rechts, deren Existenz nicht auf privatautonomer Regelung, sondern auf Gesetz oder anderen öffentlich-rechtlichen Kreationsakten beruht. Ihre Entstehung ist an diesen öffentlichen-rechtlichen Akt akzessorisch geknüpft 323 . Nicht privatautonomes Handeln, sondern der staatliche Konstitutionsakt bildet die Grundlage und Wirksamkeitsbedingung für juristische Personen des öffentlichen Rechts. Diese Unterschiede der Entstehungs- und Betätigungsformen von juristischen Personen des privaten und öffentlichen Rechts mögen auch der Grund für ihre unterschiedliche Behandlung bei der Zuweisung materiellen Grundrechtsschutzes sein. Das Bundesverfassungsgericht betrachtet die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen des Privatrechts als „regelmäßig erfüllt" 3 2 4 , während es die Grundrechtsfähigkeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts prinzipiell verneint. Teilweise wird die grundsätzliche Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des privaten Rechts sogar zu einem 319 Vgl. / Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 118 Rdnr. 30. 320 κ. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I I I / 1 , S. 1083. 321 Stiftungen sind keine personalen Zusammenschlüsse, so daß ihre Gründung lediglich dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG unterfällt, vgl. A. v. Mutius, Jura 1984,193 (194); R. Scholz, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 9 Rdnr. 62; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΙΠ/1, S. 1086 Fn. 38. 322 BVerfGE 38, 281 (303). 323 Vgl. statt aller E. Forsthoff, Verwaltungsrecht, Bd. I, S. 492; U. Scheuner, in: Gedächtnisschrift für H. Peters, S. 797 (804 ff.); K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I I I / 1 , S. 1083 f. 324 BVerfGE 39, 302 (312); BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1994,262.

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Regelsatz hypostasiert, für dessen Ausnahmetatbestand ein qualifizierter Begründungsaufwand erforderlich sei, der sich im Argumentationsmuster der Regelaussage zu bewegen habe und vor diesem Hintergrund die Besonderheiten dartun müsse, die eine Abweichung verlangen 325 . Derartige Begründungsansätze führen indes in die Irre 3 2 6 . Es ist zwar nicht zu bestreiten, daß juristische Personen des Privatrechts typischerweise gesellschaftliche Züge aufweisen und infolgedessen - im Lichte der anthropozentrischen Prägung des Art. 19 Abs. 3 GG - am Schutz der materiellen Grundrechte teilnehmen. Nur kommt dieser Aussage keine über die Beschreibung dieses Realbefundes hinausgehende normative, geschweige denn verfassungsrechtliche Dimension zu. Es gibt keinen normativen Regelsatz des Inhalts, daß juristische Personen des privaten Rechts am Schutz materieller Grundrechte teilnehmen, und umgekehrt, daß juristischen Personen des öffentlichen Rechts dieser Schutz nicht zugute kommt. Die Rechtsform hat für die Zuordnung grundrechtlicher Schutzpositionen lediglich eine durch den Realbefund vermittelte, rein faktische „indizielle Bedeutung" 327 , ohne dabei aber zu einem Verfassungsprinzip zu avancieren. Allein wenn die Bildung und die Betätigung juristischer Personen des Privatrechts Ausdruck der freien Entfaltung der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen ist, können sie sich selbst auf Grundrechte berufen. Fehlt es hingegen an einem derartigen personalen Substrat, wird der Schutzgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG von vornherein nicht sinnfällig. Deshalb können sich staatliche oder kommunale Eigengesellschaften, deren Anteile zur Gänze in staatlicher oder kommunaler Hand liegen, ebensowenig auf den Schutz materieller Grundrechte stützen wie beliehene Unternehmer bei der Ausübung der ihnen übertragenen staatlichen Funktionen. In beiden Fällen fehlt es an der privatautonomen Dispositionsfreiheit, so daß der Schutzzweck des Art. 19 Abs. 3 GG nicht auf Verwirklichung drängen kann. Und umgekehrt führt nicht die Wahl zugunsten einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform per se zum Ausschluß ihrer Grundrechtsfähigkeit. Nicht der öffentlich-rechtliche Organisationscharakter als solcher präkludiert den Schutz materieller Grundrechte 328. Maßgeblich für die Grundrechtsfahigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts ist allein, ob sie in Wahrnehmung von staatlichen Funktionen oder aber aufgrund unabgeleiteter, ursprünglicher spezifisch individueller und gesellschaftlicher Freiheiten tätig werden 329 .

325 So explizit E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (8 und 10); ders., in: Festschrift für H. Niederländer, S. 383 (388). 326 Vgl. hierzu bereits oben nach Fn. 144 (S. 65). 327 BVerfGE 68, 193 (212); BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NJW 1987, 2501 (2502). 328 BVerfGE 68, 193 (207): „Grund für die Nicht-Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts ist nicht die Rechtsform als solche."; ebenso auch BVerfGE 75,192(197). 329 Zur näheren Abgrenzung eingehend unten auf den S. 113 ff.

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Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, daß die privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Organisationsform als taugliches Zuweisungskriterium für die Zuerkennung grundrechtlicher Schutzansprüche für juristische Personen von vornherein ausscheidet. Jede allein auf die privatrechtliche Organisationshülse gestützte Zuweisung materieller Grundrechte muß den anthropozentrischen Sinngehalt des Art. 19 Abs. 3 GG verfehlen, dessen menschenbezogener Ausgangs- und Bezugspunkt grundrechtlichen Schutz nur für diejenigen juristischen Personen des Privatrechts eröffnet, deren Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen ist. Und vice versa sind juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht axiomatisch von dem Schutz materieller Grundrechte ausgeschlossen, weil sich hinter ihren Kulissen grundrechtsfähige gesellschaftliche Substanz verbergen kann.

(2) Kategorien der öffentlichen Aufgabe und der Daseinsvorsorge als untaugliche Zuweisungskriterien Die Kategorie der öffentlichen Aufgabe oder deren spezieller Unterfall der Daseinsvorsorge vermögen bei der Bestimmung beider Funktionsfelder nicht weiterzuhelfen. Denn die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben ist - ungeachtet ihrer Definitionsprobleme - nicht allein dem Staat und seinen Untergliederungen vorbehalten. Sie können als Verwirklichung und Konkretisierung der Gemeinwohlzwecke sowohl in die Hände staatlicher als auch gesellschaftlicher Träger gelegt werden. Der Staat verfügt über kein Monopol bei der Ausübung öffentlicher Aufgaben 330 . Teilweise ist ihm der Zugriff auf bestimmte im öffentlichen Interesse liegende Materien sogar von Verfassungs wegen verwehrt, wie etwa das Beispiel der Presse oder des Rundfunks zeigt 331 . Darüber hinaus muß der Staat den Bürgern und den gesellschaftlichen Organisationen genügend Freiraum für ihre Grundrechtsverwirklichung belassen. Der Verfassungsstaat ist notwendig ein sektoraler Staat. Er darf nicht das gesamte Potential staatlicher Kompetenzen und Befugnisse ausschöpfen und auf sämtliche, der staatlichen Verfügungsgewalt prinzipiell unterfallende Materien Zugriff nehmen, weil er sonst den Humus, aus dem gesellschaftliche Aktivitäten entspringen, austrocknete und damit den Boden für den totalen Staat ebnete, in dem für die Entfaltung individueller und gesellschaftlicher Energien kein Platz mehr wäre 332 . Der Begriff der öffentlichen Aufgabe trägt demnach keinen ausschließlich staatsbezogenen oder umgekehrt gesellschaftsbezogenen

330 statt aller J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 136; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 122 f.; besonders markant K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 746: „Niemals hatte und hat der Staat das Monopol auf das Öffentliche." 331 Zu entsprechenden staatlichen Zugriffsverboten auf gesellschaftliche Sach- und Lebensbereiche eingehend unten auf den S. 122 ff. 332 Vgl. J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR ΙΠ, § 57 Rdnrn. 158 f.

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Wesenszug und ist wegen seiner funktionalen Variabilität nicht geeignet, die Grenze zwischen grundrechtsfundiertem und grundrechtslosem Bereich zu markieren. Entsprechendes gilt für den Begriff der Daseinsvorsorge. Er ist ausschließlich soziologischer Natur und kein Funktionsbegriff von (verwaltungs-)rechtlicher, geschweige denn verfassungsrechtlicher Qualität 333 . Daseinsvorsorge kann ebenso von dem Staat und den kommunalen Gebietskörperschaften als Aufgabe der - demokratisch legitimationsbedürftigen - Leistungsverwaltung wie auch von Privaten als - grundrechtlich geschützte - freiheitlich-gesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen werden. Aus diesem Grunde kann der gesamte Bereich der Daseinsvorsorge nicht der Staatsgewalt zugeordnet werden; ihm kann nicht a priori eine grundrechtliche Umhegung versagt bleiben 334 . Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und der Daseinsvorsorge wächst auch nicht schon deswegen a priori in den grundrechtlich gewährleisteten gesellschaftlichen Lebensbereich, weil sie ihrer Eigenart entsprechend im Interesse der Allgemeinheit erfolgt. Der Staat und seine Untergliederungen unterliegen generell dem Anspruch, im Interesse der Bürger tätig zu sein, ohne dabei aber in einer das grundrechtliche Wertesystem verkehrenden Weise selbst zu Trägern von Grundrechten zu werden 335 . Jede andere Vorstellung beruhte auf einer Aufhebung oder Verwischung der klaren Trennungslinie zwischen Staat und Gesellschaft mit ihren divergierenden verfassungsrechtlichen Legitimationsgesetzen336.

333 o. Bachof, VVDStRL Bd. 30 [1972], 193, 227; A. Dickersbach, WiVerw 1983, 187, (204); H.-U. Erichsen, Gemeinde und Private im wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 26; H Göttrup, Die kommunale Leistungsverwaltung, S. 68 ff. (insbesondere 78 f.); Th. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 130 f.; W. Löwer, Energieversorgung zwischen Stadt, Staat und Gemeinde, S. 160 ff.; ders., DVB1. 1991, 132 (137 f.); W. Nassauer, Verwaltung und Privatrechtsform, S. 68 f.; F. Ossenbühl, DÖV 1971, 513 (517); W. Rüfner, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 80 Rdnr. 51; D. Scheidemann, Der Begriff Daseinsvorsorge, S. 224 ff. (235: „deskriptives Schlagwort"); E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (14); R. Scholz, Öffentliche Einrichtungen, S. 120 ff.; ders., in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 ( 216); H. Siedentopf, Grenzen und Bindungen der Kommunalwirtschaft, S. 52 f. 334 Vgl. auch R. Scholz, in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 (216). 335 Zutreffend daher BVerfGE 61, 82 (103: „Der Umstand allein, daß eine juristische Person des öffentlichen Rechts öffentliche Aufgaben, also Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit wahrnimmt, macht sie nicht zum grundrechtsgeschützten .Sachwalter* des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte, mag die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben auch der Verwirklichung seiner Grundrechte [möglicherweise mittelbar] dienen, wie dies etwa bei der Daseinsvorsorge möglich ist."); vgl. auch H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 103 f.; siehe ferner B. Kempen, Die Formen wahlfreiheit der Verwaltung, S. 55. 336 Vgl. hierzu ausführlich in Kapitel 1, S. 37 ff. Demgegenüber soll nach Ansicht J. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 95 ff., ein Grundrechtsschutz von öffentlichen Organisationseinheiten in Betracht kommen, soweit ein solcher Schutz zur Sicherung sozialstaatlicher Leistungsansprüche erforderlich ist, vgl. dazu unten bei und nach Fn. 372 (S. 115).

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Irreführend, zumindest aber der Erläuterung bedürftig ist es daher, wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Judikatur zum Grundrechtsschutz juristischer Personen auf die Kriterien der öffentlichen Aufgabe oder der Daseinsvorsorge rekurriert 337 . Das Gericht hat schon frühzeitig die Grundrechtsunfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts auf den Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben beschränkt 338 und später verschiedentlich betont, daß dies „jedenfalls" in dem genannten Bereich anzunehmen sei 3 3 9 . Anknüpfungspunkt für den Argumentationsstrang ist dabei nicht der öffentliche Charakter der wahrzunehmenden Aufgabe als solcher. Das Bundesverfassungsgericht hat die Versagung der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts niemals allein mit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe begründet 340. Dem Gericht geht es ersichtlich darum herauszustellen, daß juristische Personen des öffentlichen Rechts bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in der Regel in Vollzug gesetzlich zugewiesener und begrenzter Kompetenzen tätig werden und sich damit in einem scharfen Kontrast zu der unabgeleiteten, originären, auf privatautonomen Handlungsmustern beruhenden grundrechtlichen Freiheitsbetätigung befinden 341 . Um Mißverständnisse auszuräumen und weiteren Irritationen vorzubeugen, sollte das Gericht im Zusammenhang mit der Zuerkennung grundrechtlicher Schutzansprüche für juristische Personen künftig auf die Verwendung des unspezifischen Kriteriums der öffentlichen Aufgabe verzichten und durch das der staatlichen Aufgabe ersetzen; denn der Begriff der öffentlichen Aufgabe betrifft, wie soeben gezeigt, nicht nur die staatlichen Funktions- und Aufgabenfelder, sondern auch Ausschnitte des gesellschaftlichen Wirkungskreises, während der Terminus der staatlichen Aufgabe als spezifisch staatsbezogene Kategorie ausschließlich für das Wirkungsfeld des Staates und seiner Untergliederungen reklamiert ist. Schließlich eignet sich das Kriterium der öffentlichen Aufgabe auch deshalb nicht als maßgebliches Bestimmungsmerkmal des Art. 19 Abs. 3 GG, weil der Staat auch jenseits der unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben keinerlei materiellen Grundrechtsschutz beanspruchen kann. Bereits in der Sasbach-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht betont, daß außerhalb des Bereichs der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben „noch weniger Grund" bestehe, juristische Personen des öffentlichen Rechts zum Sachwalter des einzelnen avancieren 337 Insoweit kritisch statt vieler N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 122. 338 BVerfGE 21, 362 (369); 23, 353 (372); 25,198 (205); 26, 228 (244); 35, 263 (271); 39, 302 (312 f.); 45,63 (78 f.); BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NJW 1990,1783. 339 BVerfGE 68, 193 (206); 75, 192 (196). 340 Zutreffend H. G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3109); siehe auch B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 59 Fn. 79. 341 Vgl. BVerfGE 21, 362 (370 f.); 61, 82 (101); 68, 193 (206); 70, 1 (15); 75, 192 (196); BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), NJW 1990, 1783; BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1994,262; ebenso B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 59 Fn. 79.

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zu lassen und auf diese Weise mit Grundrechtsschutz auszustatten342. Bestätigung haben diese Überlegungen in der Entscheidung über die Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlicher Sparkassen gefunden 343 . Hintergrund der Feststellungen des Gerichts sind die Modifikationen und Adaptionen in der Politik der öffentlichen Sparkassen, die schon seit längerem nicht mehr nur die ihnen nach den Sparkassengesetzen der Länder obliegenden Aufgaben, „den Sparsinn in der Bevölkerung zu wecken und zu fördern sowie Gelegenheit zur sicheren Geldanlage zu geben", erfüllen, sondern sich im Erscheinungsbild Schritt für Schritt dem Geschäftsgebaren privater Kreditinstitute anpassen344. In Erkenntnis dieser Sachlage stellte das Gericht fest, daß es für die Frage der Grundrechtsfähigkeit auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nicht entscheidend ankomme: „Selbst wenn wegen der weitgehenden Angleichung an das private Bankgewerbe für die Beurteilung der Funktion der öffentlich-rechtlichen Sparkassen nicht mehr deren öffentliche Aufgabe, sondern die privatwirtschaftliche Unternehmenstätigkeit bestimmend wäre, könnte dies nicht zu einem Grundrechtsschutz führen. Es würde auch dann der hierzu erforderliche Bezug zum Freiheitsraum natürlicher Personen fehlen, denn als Träger des Unternehmens käme nur die hinter der Sparkasse stehende Gebietskörperschaft in Betracht." 345 Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, daß die Kriterien der öffentlichen Aufgabe und der Daseinsvorsorge nicht die für Art. 19 Abs. 3 GG relevante Grenze zwischen staatlich-kompetenziellem und gesellschaftlich-freiheitlichem Wirkungsfeld markieren.

(3) Staatsaufsicht und Intensitätsgrad staatlicher Steuerungsbefugnisse als untaugliche Zuweisungskriterien Das Institut der Staatsaufsicht dient der Lenkung und Kontrolle der Verwaltungseinheiten. Es ist das Instrument zur Verwirklichung der sub specie des Prinzips demokratischer Legitimation folgenden Anforderungen an die Organisation öffentlicher Verwaltung. Es ist ein Element im Legitimationsband des staatlichen Verwaltungsaufbaus, das die staatlichen oder kommunalen Verwaltungseinheiten mit der Administrativspitze verbindet und damit jedem einzelnen Amtswalter und dessen Entscheidungen zu einer je nach den Ingerenzmöglichkeiten differierenden demokratischen Legitimation verhilft. Gleichwohl läßt sich aus diesem Rechtsinstrument der Staatsaufsicht nicht auf den staatlichen Charakter des jeweiligen Aufsichtsobjekts schließen. Sofern man diese Rechtsfigur auf die Fälle der Wirtschaftsaufsicht über Banken, Versicherungen und Aktiengesellschaften er342 343 344 345

BVerfGE 61, 82 (104). BVerfGE 75, 192 ff. Vgl. P. Weides, DÖV 1984,41 ff. BVerfGE 75, 192(200).

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streckte 346 , wäre jede weiter ausholende Begründung fehl am Platze, weil diese Gebilde unzweifelhaft keine staatlichen Angelegenheiten ausüben und deshalb von vornherein als Glieder der (mittelbaren) Staatsverwaltung ausscheiden347. Doch selbst wenn man die Wirtschaftsaufsicht aus der Betrachtung ausklammerte und die Staatsaufsicht auf die Aufsicht über (rechtsfähige) Verwaltungseinheiten reduzierte, erwiese sich dieser Aigumentationsgang als dogmatisch nicht tragfahig. Denn ließe sich aus der Staatsaufsicht die - das Gebot demokratischer Legitimation auslösende - Staatlichkeit des Aufsichtsobjekts ableiten, so müßte man konsequenterweise in dem umgekehrten Fall des Fehlens solcher staatsaufsichtsrechtlichen Beziehungen die Staatsqualität der entsprechenden Organisation verneinen. Hieraus erhellt die methodologische Unhaltbarkeit dieses Ansatzes, der nicht nur im Hinblick auf die unter demokratischen sowie grundrechtlichen Legitimationsaspekten relevante Frage nach der Zuordnung der jeweiligen Organisationseinheiten zu dem staatlichen oder gesellschaftlichen Wirkungskreis in die Irre führt, sondern zudem ein gefährliches, die für den Bereich institutionalisierter Staatlichkeit geltenden spezifischen Funktionsgesetze zersetzendes und auflösendes Potential in sich trägt: Unter dem Grundgesetz sind Staatsaufsicht und die durch sie vermittelten Steuerungsbefugnisse der Administrativspitze gegenüber der ihr unterstellten Verwaltungsorganisation Konsequenz, nicht aber die Begründungsquelle für ihre Rubrizierung im legitimationsbedürftigen Verwaltungsapparat 348. Sofern man das Vorhandensein staatlicher Steuerungsbefugnisse über Organisationsgebilde zur alleinigen Erkenntnisquelle für deren staatsrechtliche Qualifizierung machte, zäumte man das Pferd gleichsam von hinten auf. Die Qualifizierung als staatliche Verwaltungseinheit zieht das Erfordernis demokratische Legitimation vermittelnder staatlicher Steuerung nach sich, nicht aber umgekehrt trägt die Staatsaufsicht den axiomatischen Schluß auf die staatliche Färbung der Organisationseinheiten. Im Gegenteil stößt jedwede Form staatlicher Lenkung grundrechtlich legitimierter und damit dem Gebot demokratischer Legitimation nicht unterfallender Rechtssubjekte auf grundrechtlichen Widerstand. Staatliche Einwirkungen auf grundrechtliche Wirkungsbereiche müssen sich an den Grundrechten messen lassen und vor diesen Bestand haben. Und vice versa liegt es nicht in der Hand der staatlichen oder kommunalen Gebietskörperschaften, den von ihnen getragenen Trabanten durch Zuerkennung von Autonomiebefugnissen und durch Freizeichnung von jeder Form administrativer Steuerung ein eigenbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu ermöglichen und auf diese Weise von den demokratischen Legitimationserfordernissen freizustellen. Dem steht schon die Verbindlichkeit der Verfassung, konkret: 346 Vgl. hierzu M. Bullingen VVDStRL Bd. 22 [1964], 264 ff. 347 Siehe E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 266. 348 So zutreffend F. Ossenbühl, Grundfragen zum Rechtsstatus der Freien Sparkassen, S. 48; ebenso E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 266 und Fn. 26.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

des verfassungsrechtlichen Demokratieprinzips entgegen, das eine solche staatliche Dispositionsmacht über die Reichweite dieses Verfassungsstrukturprinzips nicht verträgt. Die etwaige Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der von staatlichen oder kommunalen Gebietskörperschaften getragenen Organisationen kann deshalb nicht zu dessen Grundrechtsfähigkeit führen 349 ; vielmehr bedarf gerade diese die demokratischen Legitimationsstränge ausdünnende Autonomisierung von staatlichen oder kommunalen Einheiten der Rechtfertigung vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Demokratieprinzips. Allerdings kann das Institut der Staatsaufsicht und der Intensitätsgrad staatlicher oder kommunaler Steuerungsgewalt für die staatsrechtliche Einordnung solcher juristischen Personen des öffentlichen Rechts fruchtbar gemacht werden, die sich aus dem gesellschaftlichen Potential rekrutieren und damit als grundrechtsfähige Träger gesellschaftlicher (Selbst-)Verwaltung in Betracht kommen. Für die Verortung im Staatsaufbau dieser zumeist als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Verwaltungseinheiten kommt es entscheidend darauf an, daß der Staat die von ihnen wahrzunehmenden Funktionen an sich gezogen und damit seinem dem Prinzip demokratischer Legitimation unterfallenden - Kompetenzkreis einverleibt hat. Einen solchen Kompetenzentscheid indiziert die öffentlich-rechtliche Organisationsform indes noch nicht. Die Verfassung hindert den Staat nicht daran, sich als Schöpfer einer juristischen Person des öffentlichen Rechts zu betätigen, dieser einen genuin oder sonstigen nichtstaatlichen Zweck zu implantieren und in den Bereich gesellschaftlicher und damit grundrechtlich fundierter Freiheit zu entlassen. Ob der Staat durch Selbstbescheidung auf eine an sich mögliche Überführung in die Sphäre der Staatlichkeit verzichtet hat oder aber die von der juristischen Person des öffentlichen Rechts auszuübende Aufgabe durch Kompetenzentscheid zu einer staatlichen hat werden lassen, bemißt sich - neben anderen Kriterien - nach ihrer formalen Nähe zum Staat und nach den hiermit implizierten organisatorischen Verknüpfungen im Wege staatsaufsichtsrechtlicher Steuerungsbefugnisse 350. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß diese Abgrenzungsfunktion des Rechtsinsti349

So aber N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, der zwar auf S. 121 zu Recht noch darauf hinweist, daß „eine nur organisatorische Verselbständigung ... niemals etwas an der Einordnung in den Bereich der staatlichen Verwaltung ändern (kann), da sie nur die Attribute der Staatsorganisation betrifft", und auf S. 125 f. betont, „daß weder Autonomie noch Selbstverwaltung allein das Zauberwort zur Feststellung eines grundrechtlichen Schutzanspruches sein können", an anderen Stellen aber das Kriterium der Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit von Organisationsgebilden zum negativen Zuordnungsfaktor für die - auch von ihm attestierte (vgl. S. 111 ff.) grundrechtsunfähige Ausübung von Staatsgewalt und damit zum positiven Bestimmungselement für die Zuweisung grundrechtlicher Schutzansprüche erhebt (vgl. etwa S. 217, 219, 237, 254; siehe auch S. 119 f.). Zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dieser Konzeption, die sowohl die demokratiestaatlichen Implikationen auf die Frage nach der Grundrechtsfähigkeit von juristischen Personen ausblendet als auch auf einer (willkürlich) reduzierten Begriffsbestimmung der Staatsaufgaben beruht, vgl. unten auf den S. 141 ff. 350 Siehe hierzu auch unten bei Fn. 431 (S. 133).

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tuts der Staatsaufsicht nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts in Betracht kommt, hinter deren Kulissen sich staatliche oder kommunale Trägerkörperschaften verbergen. Ihre Betätigung kann niemals Ausdruck unabgeleiteter natürlicher Freiheiten sein. Für sie gelten dieselben Funktionsgesetze, denen auch ihre Trägerkörperschaften unterworfen sind: Sie können sich als Elemente institutionalisierter Staatlichkeit auf den Schutz materieller Grundrechte nicht berufen, sondern unterliegen dem Gebot demokratischer Legitimation. Im Ergebnis ist festzuhalten, daß die Staatsaufsicht und das Näheverhältnis zu juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur insoweit einen Aussagewert für deren staatsrechtliche Einordnung besitzen, als sich hinter ihnen gesellschaftliche Kräfte und Gruppen versammeln. Soweit indes als Trägerkörperschaften nur staatliche oder kommunale Gebietskörperschaften in Frage kommen, sind diese Kriterien hingegen für die Bereichsscheidung schlechthin ungeeignet: Aus dem Zusammenschluß grundrechtsunfähiger juristischer Personen kann keine grundrechtsfähige juristische Person hervorgehen. Ob und inwieweit die staatliche oder kommunale Administrativspitze über entsprechende Einwirkungsmöglichkeiten verfügt, hat keinerlei Einfluß auf die staatsrechtliche Bewertung der juristischen Person.

(4) Unmittelbare Zuordnung einer juristischen Person zu einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich als dogmatische Leerformel Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit der Frage der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts wiederholt auf eine Wendung zurückgegriffen, die sich bei Lichte betrachtet als dogmatisch substanzlose Leerformel erweist. Demnach können juristische Personen des öffentlichen Rechts ausnahmsweise dann den Schutz materieller Grundrechte beanspruchen, wenn sie als „eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtungen" 351 „unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen" 352 seien. Grundrechtsschutz genießen daher die Kirchen sowie Religionsgesellschaften 353, die Universitäten in bezug auf die Forschungs- und Lehrfreiheit 354 , die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Hinblick auf die Rundfunkfreiheit 355 und die Innungen der Orthopädietechniker, sofern sie freiwil351 BVerfGE 31, 314 (322); 45,63 (79); 61,82 (103); 68,193 (207). 352 BVerfGE 15, 256 (262); 21, 362 (373 f.); 31, 314 (322); 39, 302 (313); 59, 231 (254): 74, 297, 317 f.; 85, 360 (370, 385); BVerfG, NVwZ-RR 1993, 550; BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1994,262. 353 Vgl. BVerfGE 19, 1 (5); 19, 129 (132); 24, 236 (246); 30, 112 (119 f.); 42, 312 (321); 53, 366 (387); 70,138(161). 354 BVerfGE 15,256 (262); 21, 362 (373 f.); 31, 314 (322); 39, 302 (314); 45,63 (79); 61, 82 (102); 68,193 (207); siehe ferner BVerfGE 85, 360 (370). 355 BVerfGE 31, 314 (322); 59, 231 (254); 74, 297 (317 f.); ebenso implizit BVerfGE 87, 181 (195).

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

lige Aufgaben 356 wahrnehmen 357. Diesen Begründungsversuchen für die Zuerkennung materiellen Grundrechtsschutzes für juristische Personen des öffentlichen Rechts ist schon deshalb zu widersprechen, weil die Eigenständigkeit und Staatsunabhängigkeit nur die Folge des Grundrechtsschutzes sein kann, nicht aber dessen Begründungsstrang 358. Ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts im gesellschaftlichen Boden verhaftet, erfordert der hierdurch vermittelte Grundrechtsstatus Staatsunabhängigkeit. Kommen als Träger einer juristischen Person des öffentlichen Rechts hingegen nur die staatlichen oder kommunalen Gebietskörperschaften in Betracht, so unterfallen sie als Teil der legitimationsbedürftigen Staatsverwaltung in vollem Umfange den demokratiestiftenden Legitimationserfordernissen, die einer Autonomisierung von Verwaltungseinheiten Grenzen setzen. Daher müssen zunächst die Kriterien für die Zuweisung grundrechtlicher Schutzansprüche für juristische Personen des öffentlichen Rechts bestimmt werden, aus denen sich dann die gebotene Nähe oder Distanz zur demokratisch legitimierten Steuerungsgewalt der Ressortadministration ergibt. Ebensowenig leistungsfähig als Bestimmungsfaktor für die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen (des öffentlichen Rechts) erweist sich der Rekurs auf die „Zuordnung zu einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich" 359. Diese Formel läßt offen, unter welchen Voraussetzungen das Tätigwerden juristischer Personen grundrechtlich geschützten Lebensbereichen zuzuordnen ist. Sie knüpft an die Konsequenzen grundrechtlichen Schutzes an, ohne aber die Voraussetzungen für diesen selbst auszuweisen. Mit anderen Worten: Sie entpuppt sich als dogmatische Scheinbegründung, die das für Art. 19 Abs. 3 GG maßgebliche Zuweisungskriterium zwar impliziert, gleichwohl aber selbst nicht benennt. Ungeklärt bleibt die Frage, weswegen etwa die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als Einrichtungen der Länder dem grundrechtlich geschützten Lebenskreis der Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zugewiesen werden können und müssen, während beispielsweise Innungen als freiwillige Zusammenschlüsse gesellschaftlicher Kräfte in der Gestalt von Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen der ihnen übertragenen öffentlichen (Pflicht-)Aufgaben grundrechtlichen Schutz nicht beanspruchen können 3 6 0 . Dem gilt es im folgenden nachzugehen. Hierbei muß das staatliche von dem gesellschaftlichen Wirkungsfeld abgegrenzt und auf diese Weise das dem Art. 19 Abs. 3 GG zugrunde liegende Zuweisungskriterium offengelegt werden. 356 Vgl. § 54 Abs. 2 und 3 HandwO. 357 BVerfGE 70, 1 (19 f.). 358 L Englisch, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung kommunalen Eigentums im Geltungskonflikt von Bundes- und Landesverfassung, S. 95: „bloße petitio principii"; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 123 mit Fn. 247: „Zirkelschluß"; ebenso ablehnend O. Kimminich, Der Schutz kommunaler Unternehmen gegen konfiskatorische Eingriffe, S. 28. 359 Ebenso ablehnend N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 123. 360 Vgl. BVerfGE 68,193 (208 ff.).

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

b) Bestimmungskriterien

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ßrdie Ausübung von Staatsgewalt

Dient der Durchblick auf das hinter der betreffenden juristischen Person stehende Substrat als teleologischer Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Grundrechtsfähigkeit nach Art. 19 Abs. 3 GG, so muß für die Frage nach der Zuordnung grundrechtlicher Schutzansprüche „hinter die Kulissen" der juristischen Person geschaut werden.

(1) Grundrechtsunfähigkeit bei staatlichem oder kommunalem Substrat Verbirgt sich hinter der jeweiligen juristischen Person staatliche oder kommunale Substanz, kommen als ihre Träger also nur staatliche oder kommunale Gebietskörperschaften in Betracht, so fehlt es von vornherein an dem Durchblick auf den Menschen als Voraussetzung für die Zuerkennung grundrechtlicher Schutzansprüche. Es handelt sich dann um die unter den Auspizien des Demokratieprinzips legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt, die sich jenseits des grundrechtlich umhegten gesellschaftlichen Wirkungsbereichs befindet und für welche die Grundrechte ihrem Wesen nach unanwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG). Dementsprechend unterfallen etwa Eigengesellschaften aufgrund ihrer demokratiebedürftigen staatlichen oder kommunalen Trägerschaft unzweifelhaft nicht dem Gewährleistungsbereich des Art. 19 Abs. 3 GG 3 6 1 . Das gleiche gilt für gemischt-öffentliche Unternehmen, weil als deren Träger wiederum nur die hinter ihnen stehenden staatlichen oder kommunalen Gebietskörperschaften in Betracht kommen. Aus einem Zusammenschluß grundrechtsunfähiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts kann keine mit Grundrechtsschutz ausgestattete juristische Person hervorgehen. Die Bildung und Betätigung entsprechender juristischer Personen ist dann nicht Ausdruck der freien Entfaltung der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen 362. Hierauf wird später nochmals zurückzukommen sein 363 . Dabei ist für die Frage der Grundrechtsfähigkeit unbeachtlich, ob die von staatlichen oder kommunalen Gebietskörperschaften getragene juristische Person - wie etwa im Bereich der Daseinsvorsorge - unmittelbar öffentliche Aufgaben wahrnimmt oder aber rein erwerbswirtschaftlich tätig wird. Auch außerhalb der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben drängt das staatsbezogene Prinzip demokratischer Legitimation auf Verwirklichung und schließt insoweit grundrechtliche Schutzansprüche eo ipso aus 3 6 4 . Die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist als eine den individuellen und gesellschaftlichen Wirkungskreis kennzeichnende Kategorie dem Staat und seinen Trabanten wesensfremd. 361 BVerfGE 45,63 (79 f.). 362 BVerfGE 68,193(214). 363 Vgl. hierzu unten auf den S. 134 ff., siehe auch unten nach Fn. 431 (S. 133). 364 Vgl. BVerfGE 75,192 (199 f.). 8 Gendorf

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

Ebenso unerheblich für die Versagung grundrechtlicher Schutzansprüche für die hier in Rede stehenden juristischen Personen des Privatrechts ist die nähere Ausgestaltung ihrer Rechtsbeziehung zu der staatlichen oder kommunalen Träger- oder Beteiligungskörperschaft 365. Ihre Rechtsstellung mag eine starke oder weniger starke Bindung zum staatlichen oder kommunalen Muttergemeinwesen aufweisen; sein Einflußpotential mag erheblich, weniger bedeutsam oder sogar bedeutungslos sein. Alle diese Gesichtspunkte spielen für die Grundrechtssubjektivität der juristischen Person keine Rolle. Selbst wenn die staatliche oder kommunale Träger- oder Beteiligungskörperschaft tatsächlich über keine nennenswerten Ingerenzbefugnisse gegenüber „ihrer" juristischen Person verfügen sollte, würde diese noch nicht in den Genuß materiellen Grundrechtsschutzes gelangen. Die Gewährung, besser: die Aufrechterhaltung von Freiräumen zur selbständigen und eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung kann nur die Folge des grundrechtlichen Rechtsschutzes sein, nicht aber dessen Begründungsquelle. Dem Staat steht es nicht frei, die von ihnen getragenen privatrechtsförmigen Gesellschaften mit Autonomiebefugnissen auszustatten und ihnen ein von staatlichen Einflüssen mehr oder weniger abgeschüttetes Eigenleben zu ermöglichen. Eigengesellschaften und sonstige privatrechtsförmige Organisationen der öffentlichen Hand unterfallen ob ihres staatlichen oder kommunalen Hintergrundes dem Prinzip demokratischer Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 1 und 2 GG und scheiden damit als Träger materieller Grundrechte von vornherein aus. Nicht die in der Praxis zu beobachtenden Verselbständigungstendenzen vermitteln diesen Organisationsgebilden grundrechtliche Schutzansprüche, vielmehr bedarf gerade umgekehrt diese Autonomisierung der kritischen Durchleuchtung unter dem Blickwinkel des grundgesetzlichen Demokratieprin-

(2) Grundrechtsfähigkeit bei gesellschaftlichem Substrat Scheidet die Zuweisung grundrechtlicher Schutzansprüche zugunsten von juristischen Personen mit demokratisch legitimationsbedürftiger staatlicher oder kommunaler Trägerschaft von vornherein aus, so können sich im Gegensatz hierzu juristische Personen mit gesellschaftlich fundierter Substanz auf den Schutz der materiellen Grundrechte berufen. Damit ist freilich noch nicht entschieden, nach welchen Kriterien der Mutterboden einer juristischen Person dem staatlichen oder aber gesellschaftlichen Bereich zuzuordnen ist. Wie bereits dargelegt, reicht die Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben nicht aus, um der entsprechenden juristischen Person Grundrechtsfähigkeit zu vermitteln. Demgegenüber vertritt J. Burmeister 365 Siehe hierzu eingehend oben auf den S. 108 ff. 366 Soweit W. Krebs, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 69 Rdnr. 38, juristische Personen des Privatrechts „nur bei hinreichendem staatlichen Einfluß" zu „Verwaltungsträgern" zählt, ist dies wenigstens unter dem Blickwinkel der Art. 20 Abs. 1 und 2 und Art. 19 Abs. 3 GG fehlsam.

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die Ansicht, daß öffentliche Einrichtungen für einen Teilausschnitt der öffentlichen Aufgaben grundrechtlichen Schutz beanspruchen können. Danach soll die Erstrekkung des materiellen Grundrechtsschutzes auf öffentlich-rechtliche Funktionsträger insoweit in Betracht kommen, als der Bürger zur Sicherung seiner sozialstaatlich geprägten Leistungsansprüche auf die ungeschmälerte Kompetenz der leistungsgewährenden öffentlich-rechtlichen Einrichtungen angewiesen ist 3 6 7 . Dabei geht J. Burmeister von der grundsätzlichen Grundrechtsunfähigkeit des Staates bei Wahrnehmung seiner Staatsfunktionen aus 368 . Insofern unterscheidet er allerdings zwischen den „staatsextern-rechtlichen" und den „staatsintern-kompetenziellen" Funktionen öffentlicher Rechtsträger 369 und hält im ersteren Bereich sämtliche inhaltlich einschlägigen Grundrechte auf öffentlich-rechtliche Organisationsformen für anwendbar 370. Dieser Ansatz läuft im Ergebnis auf eine grundrechtliche Umhegung aller Außenrechtsbeziehungen zwischen den einzelnen Verwaltungsträgern hinaus, eine Position, die methodologisch unhaltbar ist und zudem den spezifischen Gehalt des Art. 19 Abs. 3 GG verfehlt 371 . Im letzteren „staatsintern-kompetenziellen" Bereich vertritt J. Burmeister einen differenzierenden Standpunkt. Sofern der einzelne öffentlich-rechtliche Rechtsträger in seiner Stellung als Hoheitsträger, also in seiner Rechtsstellung innerhalb der Verwaltungshierarchie betroffen sei, müßten entsprechende grundrechtliche Schutzansprüche ausscheiden. Demgegenüber sei eine andere Bewertung für solche Maßnahmen angezeigt, deren Wirkungen sich nicht auf den Rechts- und Interessenkreis des betroffenen Verwaltungsträgers beschränkten, sondern unmittelbar auf die Rechtsstellung des Bürgers ausstrahlten 372. In diesem Falle führe der grundrechtliche Schutz für staatliche Rechtsträger nicht zur Verkehrung der Geltungsrichtung der Freiheitsrechte, da sie in Übereinstimmung mit ihrer staatsdistanzierenden, auf die Sicherung individueller Freiheitsräume gerichteten Schutzrichtung zur Anwendung gelangten 373 ; „im Gegenteil: die Zuerkennung partieller Grundrechtssubjektivität öffentlicher Rechtsträger stellt den einzig denkbaren Schutz für den Bürger dar, der seine Rechte nicht durch organisationsrechtlich eingekleidete Zugriffe auf die leistungsgewährende öffentliche Einrichtung geschmälert oder beseitigt wissen w i l l . " 3 7 4 367 Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 95 ff., insbesondere 99 ff.; siehe auch K. Stern! J. Burmeister, Die kommunalen Sparkassen, S. 233 ff. 368 /. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 83 ff. 369 /. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 91 ff. 370 / Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 93 ff. 371 Vgl. dazu eingehend oben auf den S. 83 ff. 372 / Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 102 und 103. 373 / Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 103. 8*

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Diese Argumentation stößt bereits deshalb auf Bedenken, weil sie von einer Treuhänder- oder Sachwaltereigenschaft der öffentlichen Hand zugunsten individueller Grundrechtspositionen ausgeht375 und auf diese Weise dem Staat und seinen Untergliederungen zu Grundrechtsschutz verhilft. Die Grundrechte sind höchstpersönliche subjektive Rechte des einzelnen, die eine Übertragung auf Dritte und die Wahrnehmung durch diese prinzipiell ausschließen376. Weiter ist auch nicht ersichtlich, weswegen es überhaupt einer solchen grundrechtstreuhänderischen Interpretation der Staatsfunktionen bedarf; sofern entsprechende staatliche Maßnahmen gegenüber dem leistungsgewährenden staatlichen Rechtsträger die grundrechtlich geschützte individuelle Freiheitssphäre berühren, kann der einzelne selbst dagegen vorgehen, ohne daß er sich zur Sicherung seiner Ansprüche eines Rechtsschutztreuhänders bedienen müßte 377 . Und schließlich vollzieht sich ein Großteil der Staatsaufgaben ohnehin im grundrechtlichen Wirkungsfeld, weil die Staatstätigkeit sich oftmals als Wahrnehmung der dem Staat obliegenden Schutzpflichten für die grundrechtlichen Güter und Freiheiten darstellt. Würde man die Argumentation von J. Burmeister für ausreichend erachten, müßte man fast sämtliche Verwaltungskompetenzen und die übrigen Staatsfunktionen am Grundrechtsschutz teilnehmen lassen: Die von ihm anerkannten .Ausnahmen" dürften zur Regel werden 378 . Man tut also gut daran, die Büchse der Pandora gar nicht erst zu öffnen, indem man den Staatsfunktionen grundrechtlichen Schutz zuerkennt, um zu vermeiden, daß aus ihr die grundrechtliche Substanz aufweichendes und schließlich auflösendes Übel entweicht. Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Rechtskreis der Bürger genügt demnach nicht, um hinter dem leistungsgewährenden Verwaltungsträger bereits die diesen Grundrechtsschutz vermittelnde gesellschaftlich-freiheitliche Substanz erblicken zu können.

374 J. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 99 f. 375 So ausdrücklich J. Burmeister, Vom staatsbegrenzenden Grundrechtsverständnis zum Grundrechtsschutz für Staatsfunktionen, S. 103:„Die öffentliche Hand nimmt die Grundrechte gewissermaßen als Treuhänder, Sachwalter oder in gedachtem Auftrag der realiter in ihren Rechten betroffenen Bürger in Anspruch." 376 Deutlich BVerfGE 61, 82 (104): „Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß der Bürger selbst seine Grundrechte wahrnimmt und etwaige Verletzungen geltend macht. Eine Vertretung . . . würde eine gefahrliche Einbruchstelle in die Individualfreiheit eröffnen; die grundrechtlich verbürgten Freiheiten des Menschen sollen prinzipiell nicht von der Vernunfthoheit öffentlicher Einrichtungen verwaltet werden."; siehe auch BVerfGE 81, 310 (334); vgl. aus dem Schrifttum H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 96 f.; B. Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 54; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, A r t 19 Abs. 3 Rdnr. 102. 377

Insoweit zutreffend A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, A r t 19 Abs. 3 Rdnr. 102. 378 Ebenso kritisch H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 97; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 124; deutlich ablehnend auch BVerfGE 81, 310 (334): „Schließlich verschafft ihnen (seil.: den Ländern) die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte keine Garantenstellung für die Einhaltung dieser Wirkungsweise der Grundrechte."

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Ein solcher Durchblick auf die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen als teleologischer Begründungsstrang für die Zuerkennung grundrechtlicher Schutzansprüche ist aber in denjenigen Fällen möglich, in denen die juristische Person Aufgaben gesellschaftlicher Provenienz wahrnimmt. Unter welchen Voraussetzungen eine juristische Person mit der Wahrnehmung gesellschaftlicher Aufgaben betraut ist oder aber im Gegensatz hierzu staatliche Aufgaben und Funktionen ausübt und damit der demokratisch legitimationsbedürftigen sowie grundrechtsunfähigen Staatsgewalt zuzurechnen ist, soll im folgenden im einzelnen erörtert werden. (a) Grundsätzlich unbegrenzte Zugriffsbefugnis des Staates auf öffentliche Aufgaben Als gesicherte Erkenntnis der allgemeinen Staatsaufgabenlehre gilt, daß der Staat prinzipiell sämtliche Formen öffentlicher Aufgaben an sich ziehen und auf diese Weise zu staatlichen machen kann. Die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Ersten Fernsehurteil getroffene Aussage, daß in dem Fall, in dem sich der Staat mit einer öffentlichen Aufgabe befasse, diese zu einer staatlichen werde 379 , hat auch heute noch seine grundsätzliche Gültigkeit. Die Einschränkung des Theorems deutet auf den ihm immanenten Vorbehalt hin, daß der Staat auf die betreffende öffentliche Aufgabe auch Zugriff nehmen darf. Der Staat kann eine Aufgabe auch zu Unrecht an sich ziehen 380 ; insoweit wird sie dann nicht eo ipso zu einer staatlichen Aufgabe, deren Wahrnehmung das Erfordernis demokratischer Legitimation auslöst. Die Tatsache der Wahrnehmung durch staatliche Funktionsträger genügt nicht, um eine staatliche Aufgabe zu begründen; es bedarf hierzu stets der verfassungsrechtlichen Legalität 381 . Hieraus ergeben sich wesentliche Anhalts379 BVerfGE 12, 205 (243); vgl. hierzu bereits die Anmerkungen in Fn. 273 (S. 91). 380 H. P. Bull t Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 105. 381 H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 105; J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 137. Dies gilt wenigstens für den Bereich grundrechtlicher und demokratischer Legitimationszusammenhänge. Ob die Legalität des staatlichen Zugriffs auf bestimmte Lebenssachverhalte generell zu einem den Staatsaufgabenbegriff prägenden und kennzeichnenden Element zu erheben ist und als übergreifende Voraussetzung im Rahmen der Allgemeinen Staatsaufgabenlehre fungiert, bedarf im Rahmen dieser Untersuchung keiner vertiefenden Erörterung. Gleichwohl sei hier darauf hingewiesen, daß der Legalität des Zugriffsaktes zumindest keine kompetenzielle, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern betreffende Funktion zukommen kann, weil die Qualifizierung als staatliche Aufgabe Voraussetzung für die Anwendbarkeit der grundgesetzlichen Vorschriften über die Kompetenzabschichtung im föderalen Staat ist. Dementsprechend gilt es, aus föderaler Sicht an nichts zu erinnern, wenn das Bundesverfassungsgericht im Ersten Fernsehurteil (BVerfGE 12, 205 [243]) im Hinblick auf Art. 30 GG i.V.m. A r t 83 ff. GG ausführt, daß jede öffentliche Aufgabe durch Zugriff des Staates eo ipso zu einer staatlichen werde, deren Wahrnehmung vor den Kompetenzbestimmungen des Grundgesetzes Bestand haben muß. Ein diese kompetenzielle Funktion transzendierender Erkenntniswert kommt dieser Aussage freilich nicht zu. Im Kontext grundrechtlicher und demokratischer Legitimation ist

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punkte für die Einordnung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts innerhalb des Staatsgefüges der Bundesrepublik Deutschland. Nicht die Organisationsform als solche läßt die betreffende juristische Person des öffentlichen Rechts zu einem Bestandteil der (mittelbaren) Staatsverwaltung werden. Sofern einer juristischen Person des öffentlichen Rechts die Wahrnehmung einer genuin gesellschaftlichen Aufgabe übertragen wird, derer sich der Staat aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht annehmen darf, wird keine demokratisch legitimationsbedürftige Staatsgewalt, sondern grundrechtliche Freiheit ausgeübt. Ein solches, aus der Eigenart der jeweiligen Sachaufgabe folgendes staatliches Zugriffsverbot stellt aber innerhalb des grundgesetzlichen Rahmens die Ausnahme dar. Prinzipiell darf sich der Staat jedweder öffentlichen Aufgabe annehmen und somit zu einer staatlichen machen. Das in erster Linie grundrechtlich fundierte Gebot des Verfassungsstaates, nicht die gesamten potentiellen staatlichen Aktionsfelder zu besetzen und nicht zu einem omnipräsenten und omnikompetenten Leviathan anzuwachsen382, welcher der individuellen und gesellschaftlichen Freiheitsentfaltung keinerlei nennenswerten Raum mehr beläßt und damit die grundrechtlichen Energien ermatten läßt, erweist sich als ein stumpfes Schwert gegen eine überbordende Ausweitung des staatlichen Handlungsterrains. Die Virtualität staatlicher Aufgabenwahrnehmung im Gegensatz zu dem verfassungswidrigen, weil grundrechtswidrigen totalen Staat ist ein fundamental geprägtes verfassungsrechtliches Petitum, das wegen seiner unspezifischen Direktionskraft keine auf den Einzelfall bezogene Schranke gegen die Ausdehnung staatlicher Aktionsfelder zu setzen vermag und damit auch keine Handhabe bietet, den staatlichen von dem gesellschaftlichen Wirkungsbereich abzugrenzen. Die folgenden Ausführungen sollen Licht in den Prozeß des Zuwachses staatlicher Aufgaben bringen und die Voraussetzungen benennen, unter denen der Staat auf eine öffentliche Aufgabe Zugriff nimmt und sie zu einer demokratisch legitimationsbedürftigen staatlichen Aufgabe werden läßt. (b) Staatliche Beleihung Privater Begonnen werden soll dabei mit den Bedingungen, unter denen Private als staatliche Aufgabenträger der legitimationsbedürftigen und damit grundrechtsunfahigen Verwaltungsorganisation zuzuordnen sind. Der Begriff des Privaten verlangt dabei eine einschränkende Interpretation. Sein semantischer Horizont erstreckt sich lediglich auf natürliche Personen und juristische Personen des Privatrechts sowie auf nichtrechtsfähige Vereinigungen mit freiheitlich-gesellschaftlicher Trägerschaft, nicht aber auf juristische Personen des Privatrechts schlechthin; denn hinter eine unter kompetenziellen Gesichtspunkten vorgenommene Rubrizierung einer bestimmten Sachaufgabe im Bereich der Staatlichkeit ohne jede Aussagekraft. 382 Vgl. zur Virtualität staatlicher Kompetenzwahrnehmung in Abgrenzung zum totalen Staat J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnrn. 158 ff.

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ihnen können sich per se grundrechtsunfähige staatliche oder kommunale Gebietskörperschaften verbergen, die in privatrechtlichen Organisationsformen ihre daseinsvorsorgenden oder fiskalischen Aufgaben wahrnehmen. Auch scheidet eine Geltungserstreckung des Instituts der Beleihung auf juristische Personen des öffentlichen Rechts aus. Grundsätzlich kommt dieser Aspekt schon deswegen nicht zum Tragen, weil die öffentlich-rechtliche Organisationsform die Befugnis zur selbständigen Erledigung von Verwaltungsaufgaben impliziert, ohne daß es hierzu konstitutiv einer Ermächtigung in Form des Beleihungsaktes bedürfte. Schwieriger zu behandeln sind indes die Fälle, in denen öffentlich-rechtliche Organisationen im Regelfall spezifisch nichtstaatliche, grundrechtlich geschützte Aufgaben wahrnehmen und nur im Einzelfall mit der Ausübung staatlicher Herrschaftsgewalt betraut sind. So sind die Religionsgesellschaften trotz ihrer öffentlich-rechtlichen Organisationsform (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV) genuin nichtstaatliche Gebilde, deren Befugnisse und Zuständigkeiten originärer, vom Staat nicht abgeleiteter Provenienz sind und die damit auch nicht zur unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung gezählt werden können 383 . Gleichwohl können die Religionsgesellschaften auch mit der Ausübung staatlicher Gewalt betraut werden, wie etwa die Zuerkennung der Dienstherrenfähigkeit oder die Übertragung der Disziplinargewalt sowie die Mitwirkung im Bereich des Bestattungswesens zeigt. Dennoch wäre es irreführend, insoweit die Stellung der Kirche mit der eines beliehenen privaten Unternehmers zu vergleichen 384 . Denn alle diese Aufgaben sind bereits kraft der verfassungsrechtlichen Korporationsqualität der Kirchen dem öffentlich-rechtlichen Rechtskreis zugewiesen, ohne daß es dazu noch eines gesonderten Beleihungsaktes bedarf. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV ist ein »Angebot" des Staates an die Religionsgemeinschaften, von einem Kernbestand öffentlich-rechtlicher Positionen Gebrauch zu machen und insoweit in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts tätig zu werden 385 . Der verfassungsrechtliche Korporationsstatus verleiht den Kirchen damit bereits selbst die Befugnis zur öffentlich-rechtlichen Herrschaftsausübung. Die Heranziehung des Institutes der Beleihung ist insoweit fehl am Platze, als es um die Begründung dieses Legitimationstitels geht. Die Einbeziehung Privater in die demokratisch legitimationsbedürftige und damit grundrechtsunfähige Verwaltungsorganisation ist nur insoweit gerechtfertigt, als ihnen als Beliehene die Befugnis verliehen ist, Verwaltungsaufgaben selbständig in den Handlungsformen des öffentlichen 386 oder privaten 387 Rechts wahrzu383 Dazu im einzelnen unten bei und nach Fn. 401 (S. 124). 384 So aber für den Bereich des Bestattungswesens BVerwGE, 68, 62 (64); K. Obermayer, DVB1. 1977, 437 (439); B. Schlink, NVwZ 1987, 633 (640); H. Weber, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, S. 128 f. 385 Vgl. nur W Schatzschneider, NJW 1980, 2118 (2119); U. Steiner, JuS 1980, 342 (344); ders., NJW 1984,991. 386 Beliehenen stehen nicht nur hoheitlich-obrigkeitsstaatliche Instrumentarien, sondern sämtliche öffentlich-rechtlichen Handlungsformen zur Verfügung, so daß die von Teilen des Schrifttums (vgl. R. Scholz, in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 (224); R. Stober, in: H. J.

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nehmen. Nach der heute herrschenden Rechtsstellungstheorie 388 setzt der Beleihungsakt voraus, daß der private Aufgabenträger aus Gründen der staatlichen Kompetenzbegründung mit der Rechtsstellung eines zu hoheitlichen Handlungen fähigen Verwaltungsorgans ausgestattet wird, das heißt in die Rolle eines Verwaltungsträgers selbst schlüpft. Die früher vertretene Auffassung, die für die Beleihung maßgeblich auf die von dem privaten Aufgabenträger wahrzunehmende öffentliche Aufgabe abstellt, hat sich zu Recht nicht durchsetzen können 389 ; der Begriff der öffentlichen Aufgabe kennzeichnet nicht allein den staatlichen oder kommunalen Wirkungskreis und ist als sinnvariable Kategorie nicht geeignet, den grundrechtsunfähigen staatlichen oder kommunalen von dem grundrechtsfähigen individuellen oder gesellschaftlichen Funktionsbereich abzugrenzen. Deshalb fallen weder die Subventionierung Privater zugunsten der Erreichung bestimmter öffentlicher Ziele noch Fälle der Inpflichtnahme Privater für öffentliche Aufgaben unter den Beleihungstatbestand. Im Gegenteil drängen die auf den Schutz individueller Entfaltungsfreiheit ausgerichteten Grundrechte gerade dann auf Verwirklichung, wenn der Staat zur Entlastung seiner Staatstätigkeit oder aus anderen Gründen Privaten öffentliche Aufgaben aufzwingt. Das gleiche gilt für die Überwälzung von Kosten auf Private. Das betroffene Freiheitsgrundrecht, namentlich die Berufsfreiheit, und das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz folgende Gebot der Lastengleichheit aller Bürger errichten grundrechtliche Sperren gegen solche Formen eines Aufgabenoktroi zu Lasten des einzelnen 390 . Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in einer Kammerentscheidung die Grundrechtsfähigkeit von Technischen Überwachungsvereinen (TÜV) insoweit verneint, als es um die Gebührenfestsetzung für Maßnahmen und Untersuchungen im Straßenverkehr geht 391 . Denn als beliehene Unternehmen seien sie Bestandteil der öffentlichen Verwaltung im materiellen Sinne und könnten sich daher Wolff/ O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht II, 51987, § 104 Rdnrn. 2 f.) vorgenommene Begriffsbestimmung des Beliehenen als selbständig und hoheitlich tätig werdendes Privatrechtssubjekt sprachlich irreführend erscheint; so zu Recht W. Krebs, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 69 Rdnr. 39 Fn. 134; vgl. auch R. Michaelis, Der Beliehene, S. 66 f. 387 Der Gegenstand des Beleihungsakts erfaßt über die in öffentlich-rechtlichen Handlungsformen wahrzunehmenden Verwaltungsaufgaben hinaus auch den Bereich des sogenannten Verwaltungsprivatrechts, auch wenn dieser Bereich keine typische Erscheinungsform staatlicher Beleihung ist; ebenso U. Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 46 und 50. 388 Vgl. S. v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben durch Private, S. 33 f.; W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 133; R. Scholz, Das Wesen und die Entwicklung der gemeindlichen öffentlichen Einrichtungen, S. 29; ders., in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 (224); U. Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 46 und 50; R. Stober, in: H. J. Wolff/ O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht II, 51987, § 104 Rdnrn. 2 f. 389 So die sogenannte Aufgabentheorie, vgl. H. Mennacher, Begriffsmerkmale und Rechtsstellung der mit öffentlicher Gewalt beliehenen Hoheitsträger des Privatrechts, S. 19. 390 Vgl. BVerfGE 30, 292 (310 ff.); F. Ossenbühl, VVDStRL Bd. 29 [1971], 137 (175 ff.); J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR ΠΙ, § 57 Rdnr. 174. 3

*i BVerfG (3. Kammer des 1. Senats), NJW 1987,2501 f.

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ebensowenig wie Gebietskörperschaften und sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts auf den Schutz der materiellen Grundrechte berufen. Für die ihnen übertragenen Aufgaben dürften sie nur nach Maßgabe der im Verordnungswege festgesetzten Gebührentarife Gebühren erheben. Für privatautonome Gestaltungsfreiheit bleibe insoweit kein Raum. Das bedeutet freilich nicht, daß Private mit dem Beleihungsakt ihres Grundrechtsschutzes schlechthin verlustig gingen. Zunächst einmal stößt der Beleihungsakt als solcher auf grundrechtlichen Widerstand. Er muß sich an den grundrechtlichen Positionen des Privaten messen lassen und darf gegen diese nicht verstoßen. Lassen sich indes gegen die Beleihung durchgreifende grundrechtliche Bedenken nicht erheben, verliert der Private im Rahmen der Beleihung seine Grundrechtsfähigkeit. Der Schutz der materiellen Grundrechte ist dem Beliehenen also nicht generell versagt, sondern nur in dem jeweiligen Umfang der Integration in den staatlichen Verwaltungsapparat. In anderen Bereichen, in denen er nicht als Träger der öffentlichen Verwaltung in Erscheinung tritt, kommt ihm grundrechtlicher Schutz wie jedem anderen Privaten auch zu 3 9 2 . Die Trennlinie zwischen dem grundrechtsunfahigen staatlichen und dem grundrechtsfähigen individuellen oder gesellschaftlichen Wirkungskreis kann ein und dasselbe Rechtssubjekt durchziehen: Grundrechtliche und demokratische Legitimation stehen zwar im Verhältnis der Alternativität zueinander; dies schließt jedoch nicht aus, daß ein und dasselbe Rechtssubjekt in einer Hinsicht grundrechtliche Freiheiten wahrnimmt, in anderer Hinsicht hingegen als Teil der grundrechtsunfähigen, dem Gebot demokratischer Legitimation unterfallenden Staatsverwaltung im materiellen Sinne anzusehen ist 3 9 3 . (c) Zur Ambivalenz öffentlich-rechtlicher Organisationsformen: Zur Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen formeller und materieller Staatsverwaltung Wiederholt war im Rahmen der Untersuchung davon die Rede, daß die öffentlich-rechtliche Organisationsform einer juristischen Person noch nichts über deren staatlichen Charakter aussagt. Es kann sich hinter ihr sehr wohl gesellschaftliches Potential verbergen, das im grundrechtlichen Wirkungskreis ressortiert und nicht als Ausübung von Staatsgewalt zu qualifizieren ist. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Verfassung selbst einen Zugriff des Staates auf einen bestimmen Lebensbereich versperrt (dazu unter [aa]). Doch über diese Ausnahmefälle genuin gesellschaftlicher Aufgabenbereiche, die der staatlichen Verfügungsgewalt von vornherein entrückt sind, kann der Staat durch Bildung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gesellschaftlichen Kräften und Gruppen auch ein organisatori392 Ebenso W. Krebs, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 69 Rdnr. 65; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 124; siehe auch N. Achterberg, Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, S. 151; offengelassen durch BVerfG (3. Kammer des 1. Senats), NJW 1987,2501 (2502). 393 Vgl. hierzu bereits oben nach Fn. 137 (S. 62).

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sches Gefäß zur Verfügung stellen, um ihre frei gewählten Aufgaben selbständig und eigenverantwortlich wahrzunehmen und sich nach privatautonom gesetzten Leitbildern innerhalb der für alle geltenden Gesetze ungehindert zu entfalten (dazu unter [bb]). (aa) Verfassungsunmittelbares staatliches Zugriffsverbot auf gesellschaftliche Lebensbereiche Die Verfassung errichtet nur wenige Hürden gegen die Ausdehnung des staatlichen Tätigkeitskreises. Nur einige Lebensbereiche sind dem Zugriff durch den Staat von Verfassungs wegen entzogen. Grundsätzlich darf der Staat auf sämtliche gesellschaftlichen Lebenssphären Zugriff nehmen und auf diese Weise staatliche Aufgaben kreieren. Hat der Staat in den durch die Verfassung gesetzten Grenzen eine öffentliche Aufgabe an sich gezogen und damit zu einer staatlichen gemacht 394 , gelangen die für die organisierte Staatlichkeit geltenden Funktionsgesetze zur Anwendung. Im Kontext grundrechtlicher und demokratischer Legitimation hat dieser Kreationsvorgang zur Konsequenz, daß insoweit Staatsgewalt ausgeübt wird, die keinen grundrechtlichen Schutz genießt und das Erfordernis demokratischer Legitimation auslöst. Indes bedarf es der verfassungsrechtlichen Legalität, um eine öffentliche Aufgabe durch Zugriff des Staates zu einer staatlichen werden zu lassen 395 . Die Grundrechte in ihrer funktional umfassenden Spannbreite vermögen derartige Barrieren nicht zu vermitteln 396 . Keiner weiteren Begründung bedarf es insoweit, als es um die Grundrechte in ihrer objektiv-rechtlichen Ausprägung geht. Sie enthalten Handlungsaufträge an den Staat, die auf die Verwirklichung der in den Grundrechten angelegten normativen Gehalte gerichtet sind, sie können sogar zum Tätigwerden verpflichten, insbesondere bei privaten Übergriffen in grundrechtlich geschützte Freiheiten; sie bilden also eine Staatsaufgabe 397. Doch nicht einmal in ihrer klassischen Funktion als status negativus können die Grundrechte schlechthin Widerstand leisten gegen staatliche Aufgabenzuwächse. Die staatsausgrenzende 394 Ebenso zur Begrifflichkeit der staatlichen Aufgabe als ein Unterfall der öffentlichen Aufgabe K. Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfùnk, S. 91; H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 50; J. Isensee, in: dems./R Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 137; W. Leisner, Werbefernsehen und Öffentliches Recht, S. 23; W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, S. 119 und 131; F. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 429 Fn. 357; ders., VVDStRL Bd. 29 [1971], 137 (153); ders., Grundfragen zum Rechtsstatus der Freien Sparkassen, S. 41; H. Peters, Festschrift für H. C. Nipperdey, Bd. II, S. 877 (879); H. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 69. 395

Vgl. hierzu bereits die Nachweise und Ausführungen in Fn. 381 (S. 117). 6 So aber H. Ehmke, VVDStRL Bd. 20 [1963], 53, (89 ff.); hiergegen zu Recht J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 148. 397 Zum „Staatsaufgabenbezug der Grundrechte" sowie zum „Grundrechtsbezug der Staatsaufgaben" siehe P. Häberle, AöR Bd. 111 [1986], 595 (602 f., 604 f., 611). 39

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Funktion der Grundrechte hilft nur insoweit weiter, als der Staat einen Lebenssachverhalt antastet, der dem einzelnen zur eigenständigen und eigenverantwortlichen Gestaltung zugewiesen ist, mit anderen Worten: der Staat auf grundrechtliche Freiheiten und Güter einzelner Grundrechtsträger zugreift. Fehlt es hingegen an einer solchen Individualisierbarkeit grundrechtlich geschützter Sphären, büßt die negatorische Funktion der Grundrechte ihre Schutzkraft gegen die Ausweitung staatlicher Tätigkeitsfelder ein. Grenzen setzt die Verfassung dem Staat aber insoweit, als sich die ihm grundsätzlich eröffnete Möglichkeit, neue Aufgabenfelder zu erschließen und bestimmte Aufgaben in eigener Regie auszuüben, ausschließlich auf den weltlichen Bereich beschränkt 398. Er verfügt über keinen Legitimationstitel für eine Betätigung im weltanschaulich-religiösen Bereich und darf sich mit keiner ganzheitlichen Weltdeutung und mit keiner Religion identifizieren. Im staatsrechtlichen System des Grundgesetzes steht der Staat den verschiedenen Religionen und Weltanschauungen im Interesse der Glaubens- und Religionsfreiheit aller Bürger grundsätzlich neutral gegenüber 399; das Neutralitätsprinzip ist ein Fundament unseres Verfassungsstaates, weil die strikte Enthaltsamkeit des Staates, seine Nichtidentifizierung mit einzelnen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen Bedingung für die Identifizierung des einzelnen mit dem staatlichen Gesamtverbund ist. Nur wenn der Staat insoweit die Rolle des neutralen Mittlers zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Kräften einnimmt, den grundrechtlichen Bereich für diese Freiheitsbetätigung organisiert, dabei jedoch nicht Partei zugunsten oder zu Lasten der einen oder anderen Gruppe ergreift, kann er „Heimstatt aller Bürger" 400 werden und seinem Verfassungsauftrag entsprechen. Dem staatsrechtlichen Neutralitätsprinzip korrespondiert der genuin nichtstaatliche Charakter religiös-weltanschaulicher Be398 Besonders prägnant J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 161: „Die Säkularität ist geschichtliches Strukturgesetz des Staates der Neuzeit, der seinem überkommenen transzendenten Heilsauftrag hat entsagen müssen, um seinen diesseitsbezogenen Gemeinwohlauftrag erfüllen zu können: über die Fronten des konfessionellen Bürgerkrieges hinweg den inneren Frieden und die politische Einheit herzustellen."; in auffälliger Sinnverwandtschaft nunmehr BVerfGE 93,1(16: „Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt.") 399 Sedes materiae dieses Prinzips der staatlichen Neutralität (Nichtidentifikation) im weltanschaulich-religiösen Bereich bildet eine Vielzahl grundrechtlicher Bestimmungen, vgl. Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie Art. 136 Abs. 1 und Abs. 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG; siehe BVerfGE, 19, 206 (216); 24, 236 (246); 33, 23 (28); 93, 1 (16 f.); zum staatsrechtlichen Strukturprinzip der „Nicht-Identifikation" H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 21966, S. 32 ff., 178 ff., oder „Neutralität" Κ Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 236 ff., vgl. weiter aus dem Schrifttum: U. Hemmrich, in: I. v. Münch (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, Art. 140 Rdnr. 5; R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 4 Rdnr. 19; J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 161; H. D. Jarass, in: dems./B. Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Rdnr. 4a. 400 BVerfGE 19, 206 (216).

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tätigung, mit anderen Worten: das Verbot staatlichen Zugriffs auf jenen Lebensbereich. Die gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRVin der Form von Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Kirchen und sonstige, ihnen statusrechtlich angeglichene Religionsgesellschaften sind demnach keine Träger staatlicher Gewalt, sondern Träger gesellschaftlicher (Selbst-)Verwaltung, und zwar sowohl im materiellen als auch im formellen Sinne. Materialiter stellen sie keine Staatsgewalt dar, weil ihre Aufgaben, Befugnisse und Zuständigkeiten genuin gesellschaftlicher Provenienz sind, also von Verfassungs wegen deshalb nicht vom Staat ableitbar sind, weil sich der Staat ihrer von Verfassungs wegen überhaupt nicht annehmen darf. Ihre Verwurzelungstiefe und -festigkeit im gesellschaftlichen Wirkungsfeld reicht daher weiter, als der von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägte Topos „originärer, nicht vom Staat abgeleiteter" Aufgaben der Kirchen 401 vermuten läßt: Der nervus rerum der Kirchen und Religionsgesellschaften hat seine unlösbare Wurzel in der gesellschaftlichen Sphäre, er kann wegen der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates dieser Sphäre nicht entrissen und in das Gewebe institutionalisierter Staatlichkeit implantiert werden. Der Staat dürfte die Kirchen von Verfassungs wegen überhaupt nicht in eigene Regie nehmen 402 . Sie nehmen keine Staatsaufgaben wahr und sind also materiell nicht dem Bereich der demokratisch legitimationsbedürftigen Staatsgewalt zuzuordnen. Kirchen und die ihnen statusrechtlich gleichgestellten Religionsgesellschaften sind trotz ihrer Organisationsform als Körperschaften des öffentlichen Rechts aber auch in rein formalem Sinne keine Glieder der Staatsgewalt. Denn weder verdanken sie ihre Entstehung einem Konstitutionsakt des Staates noch sind ihre Zweckbestimmung und ihre Aufgaben vom Staat abgeleitet. Kreation und Festlegung von Zweck und Aufgaben finden ihre Grundlage in der Privatautonomie. Die den Kirchen und sonstigen Religionsgesellschaften kraft Verfassungsrechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV) verliehene beziehungsweise angebotene öffentlichrechtliche Organisationsform ändert nichts daran, daß sich bereits in ihrem Entstehungstatbestand privatautonome Gestaltungsmacht manifestiert, oder in den Worten des Bundesverfassungsgerichts gesprochen: daß schon die Bildung der juristischen Person Ausdruck der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen ist. Anders als bei den übrigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts finden Entstehung und Wirkungsbereich von Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften ihren Ursprung nicht in einem staatlichen Gesetz oder in sonstigen staatlichen Regelungen. Da der territoriale und sachliche Wirkungskreis - im Gegensatz zu dem Regelfall juristischer Personen des öffentlichen Rechts 403 - durch staatliche 401 BVerfGE 42, 312 (321); 53, 366 (387); siehe ferner BVerfGE 18, 385 (386); 19, 129 (133 f.). 402 statt aller K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, S. 1115. 403 Vgl. hierzu statt aller R. Stober, in: H. J. Wolff/ O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht II, 5 1987, § 84 Rdnr. 17.

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Rechtssätze nicht bestimmt und auch nicht bestimmbar ist, kann es bei den Kirchen und den ihnen gleichgestellten Religionsgesellschaften auch kein Handeln „ultra vires" 4 0 4 geben. Und deswegen beschränkt sich der grundrechtliche Schutz der Kirchen auch nicht auf das Grundrecht der Religionsfreiheit, sondern reicht in andere grundrechtlich umhegte Schutzsphären hinein. Ihnen werden vom Staat keine Freiheitsbereiche zur selbständigen Aufgabenwahrnehmung zugewiesen, vielmehr entscheiden sie allein, ob und in welchen Bereichen sie tätig werden. Ihrer unabgeleiteten Freiheit, Zweck und Aufgaben eigenständig und autonom festzulegen, korrespondiert ihr potentiell universeller grundrechtlicher Schutzanspruch, der neben der Religionsfreiheit noch andere grundrechtliche Freiheitsverbürgungen umfaßt 4 0 5 ' 4 0 6 . Hinsichtlich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ergibt sich hingegen ein heterogenes Bild: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind - mit Ausnahme der Bundesrundfunkanstalt „Deutsche Welle" - Einrichtungen der Länder und damit im formellen Sinne Teil der mittelbaren (Landes-)Staatsverwaltung. Im materiellen Sinne lassen sie sich hingegen nicht der mittelbaren Staatsverwaltung zuordnen, weil die Sachaufgabe Rundfunkveranstaltung eine genuin gesellschaftliche Aufgabe ist, also eine Aufgabe, der sich der Staat von Verfassungs wegen nicht bemächtigen darf. Nach dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes vollzieht sich die gesellschaftliche Meinungs- und Willensbildung „von unten nach oben", vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk 4 0 7 . Soll diese vom Grundgesetz vorgezeichnete Stufenfolge demokratischer 404 Vgl. zur Übertragbarkeit der aus dem angloamerikanischen Rechtskreis stammenden „ultra-vires-Lehre" auf juristische Personen des öffentlichen Rechts M. Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, S. 74 ff.; K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΙΠ/1, S. 1085 f.; R. Stober, in: H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht Π, 51987, § 84 Rdnr. 35. 405 Vgl. zur grundsätzlichen Universalität grundrechtlicher Schutzansprüche von Kirchen und der ihnen statusrechtlich gleichgeordneten Religionsgesellschaften im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfGE 19, 1 (5); 21, 362 (374); 30, 113 (119 f.); generalisierend BVerfGE 42, 312 (321 f.): „Sie (seil.: die Kirchen) können also unbeschadet ihrer besonderen Qualität wie der Jedermann dem Staat »gegenüber* stehen, eigene Rechte gegen den Staat geltend machen. Sie sind unter diesem Gesichtspunkt grundrechtsfähig."; im Hinblick auf Art. 14 GG H. D. Jarass, in: dems./B. Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 14 Rdnr. 20 und Art. 138 WRV Rdnr. 2; H.-J. Papier, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 14 GG, Rdnr. 194; Th. P. Wedeking, Die Kirchengutsgarantien und die Bestimmungen über Leistungen der öffentlichen Hand an die Religionsgesellschaften im Verfassungsrecht des Bundes und der Länder, S. 13 ff., 17 ff., 28 ff. 406 Deshalb bedürfen Kirchen und sonstige Religionsgesellschaften auch keiner gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für ihr latigwerden, selbst wenn dadurch grundrechtliche Schutzansprüche Dritter berührt werden; so zu Recht zu öffentlichen Äußerungen von Kirchen zu konkurrierenden Religionsgemeinschaften BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1994,159. 407 BVerfGE 20, 56 (99); 44, 125 (140); vgl. auch BGHZ 101, 193 (203); siehe ferner H. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 64 ff.; demgegenüber hat sich im staatsinternen Bereich die Meinungs- und

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Meinungs- und Willensbildung nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden, muß auch der Rundfunk, der Medium und Faktor in diesem Prozeß gesellschaftlicher Kommunikation ist 4 0 8 , staatsfrei bleiben. Der Staat, der Gegenstand der politikbezogenen Tätigkeit des Rundfunks ist, darf keinerlei Einfluß auf den massenmedialen Rückkoppelungsprozeß gewinnen, weil andernfalls die Kontrollfunktion des Rundfunks Schaden nehmen müßte. Mit anderen Worten: Der Staat darf die Sachaufgabe Rundfunkveranstaltung nicht an sich ziehen und zu einer staatlichen werden lassen; es ist eine genuin gesellschaftliche Aufgabe 409 . Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind daher materiell kein Bestandteil der mittelbaren (Landes)Staatsverwaltung, sondern dem Freiheitsbereich des Grundrechts der Rundfunkfreiheit zugeordnet. Die im Ergebnis unbestrittene Grundrechtsträgerschaft der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 G G 4 1 0 folgt aus dem genuin staatsfreien, also gesellschaftlichen Charakter der Sachaufgabe Rundfunkveranstaltung, mit deren eigenständiger Wahrnehmung die öffentlichrechtlichen Anstalten betraut sind. Der Schlüssel zur dogmatisch zutreffenden Begründung ihrer partiellen Grundrechtssubjektivität liegt also in der Allgemeinen Staatsaufgabenlehre, die Verbote für staatliche Zugriffe auf gesellschaftliche Aufgabenkreise enthält. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten üben daher bei Wahrnehmung ihrer grundrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit keine demokratisch legitimationsbedürftige Staatsgewalt aus 411 . Für sie gelangen die für den gesamten Bereich der Staatlichkeit geltenden Funktionsgesetze mit ihren spezifischen Bindungen insoweit nicht zur Anwendung 412 : Ihre Freiheitsbetätigung ist Ausfluß grundrechtliWillensbildung umgekehrt „von oben nach unten", von dem Parlament über die Spitze der Ministerialbürokratie bis zu jedem einzelnen mit der Wahrnehmung von Staatsaufgaben betrauten Amtswalter zu vollziehen; das staatsorganisatorische Hierarchieprinzip ist Realisierungsbedingung für das Petitum demokratischer Legitimation des Staates; vgl. H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 187 ff. 408 Zu dieser Faktor- und Mediumfunktion des Rundfunks BVerfGE 12, 205 (260); 310, 315 (325 f.); 35, 202 (222); 57, 295 (320); 59, 231 (257); 60,53 (64); 73, 118 (152); 74, 297 (323 f.); 83, 238 (296); siehe ferner H. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 69 f. 409 Vgl. H. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 70 f. m. w. N. in Fn. 77 und 78. 410 BVerfGE 31, 314 (322); 59, 231 (254 f.); 74, 297 (317 f.); 77, 65 (72); 78, 101 (102); zuletzt implizit BVerfGE 87,181 (194 ff.). 411 Vgl. nur BVerwGE 70, 310 (316); H. Bethge, DVB1. 1987, 663 (664); M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 101; Ρ Lerche, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), GG, Art. 86 Rdnr. 85; H. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 116 m. w. N. 412 Dies wird im Zusammenhang mit der vielfach diskutierten Frage nach der Bindung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien zuweilen nicht hinreichend beachtet. Hierbei müssen zwei Fallgestaltungen mit ihren jeweils spezifischen Problemschichten sorgsam unterschieden werden:

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Unproblematisch sind die Rundfunkanstalten insoweit an den Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit der Parteien gebunden, als sie den politischen Parteien im Vorfeld von Wahlen Sendezeit zur Verbreitung ihrer Wahl Werbespots zur Verfügung stellen. Denn bei den zu verbreitenden Werbespots der Parteien handelt es sich nicht um Beiträge, welche die Rundfunkanstalten in Wahrnehmung ihrer grundrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit selbst redaktionell erstellt haben. Vielmehr geht es um die Ausstrahlung der von den Parteien produzierten Sendungen. Die Entscheidung darüber, ob die entsprechenden Texte die - in BVerfGE 47, 198 (227 ff.) aufgestellten - verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Verbreitung als Wahlwerbung erfüllen, trägt typisch administrativ-bürokratische und damit staatliche Züge, so daß die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten insoweit als Träger staatlicher Verwaltung im funktionellen Sinne anzusehen sind. Sie sind daher gemäß Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, das Prinzip der Chancengleichheit zu beachten und zu wahren (im Ergebnis ebenso BVerfGE 14, 121 (132 f.); 34, 160 (163); 47, 198 (225); 69, 257 (268). Anders liegen indes die Dinge, soweit es um die Wahrung von Chancengleichheit der Parteien im Rahmen der von den Sendeanstalten eigenständig redaktionell erstellten Sendungen geht. Kraft der dienenden Funktion der grundrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk zwar an das Gebot der inneren Ausgewogenheit der Programme gebunden, zu dessen Bestandteil man das Prinzip der Chancengleichheit der Parteien zählen könnte. Gleichwohl können sich die jeweils betroffenen, etwa von einem „Wahlhearing" ausgeschlossenen Parteien auf diese dienende Funktion der Rundfunkfreiheit nicht berufen, weil sie selbst kein Träger dieses Grundrechts sind. Sie können insoweit nur eine Verletzung des aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Prinzips der Chancengleichheit rügen. Doch sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an diesen Verfassungsgrundsatz wenigstens direkt nicht gebunden, weil die eigenverantwortliche Gestaltung von Programmen Ausfluß ihrer grundrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit ist und sie insoweit keine - die Bindung an das Prinzip der Chancengleichheit der Parteien auslösende - Staatsgewalt im Sinne der Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG ausüben (dogmatisch zu unpräzise und dieses Problem verkennend OVG Hamburg, NJW 1994, 69 und NJW 1994, 70; nicht hinreichend deutlich auch OVG Münster, NVwZ 1992, 68, das zwar zu Recht das Gebot „der Herstellung praktischer Konkordanz zwischen der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 I 2 GG einerseits und der Chancengleichheit der Parteien gem. Art. 3 I, 21 I GG andererseits" konstatiert, ohne allerdings die Problematik anzusprechen, geschweige denn zu lösen, ob und auf welche Weise die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bei redaktionellen Fernsehsendungen an das verfassungsrechtliche Prinzip der Chancengleichheit der Parteien gebunden sind; siehe ferner auch E. Benda, NVwZ 1994, 521 [525-527]; demgegenüber in grundrechtlicher Hinsicht problematisierend Th. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 103). Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Rundfunkanstalten zur Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien läßt sich in dogmatisch befriedigender Weise lediglich nach Maßgabe der Grundsätze über die Geltung von Grundrechten zwischen mehreren gleichrangigen Grundrechtsträgern begründen. Danach gelten die Grundrechte und sonstige Verfassungsverbürgungen nicht unmittelbar zwischen mehreren privaten oder öffentlich-rechtlichen Grundrechtsträgern. Vielmehr sind allein der Staat und damit auch die rechtsprechende Gewalt aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Schutzpflichten für die grundrechtlich geschützten Güter und Freiheiten verpflichtet, sich schützend und fördernd vor die einzelnen grundrechtlich umhegten Freiheitsräume zu stellen und den einzelnen vor rechtswidrigen Übergriffen Dritter wirksam zu schützen (zu der Lehre von den staatlichen Schutzpflichten für grundrechtlich geschützte Freiheiten und Güter eingehend unten im dritten Teil, Kapitel 5, S. 461 ff.). Grundrechte und sonstige Verfassungsverbürgungen gelangen demnach lediglich kraft der staatlichen Schutzpflichten für die grundrechtlichen Freiheiten und Güter als Abwägungsmaßstäbe in Rechtsstreitigkeiten zwischen einzelnen (privaten oder öffentlich-rechtlich organisierten) Grundrechtsträgern zur Anwendung.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

eher Freiheit, sie ist grundrechtlich, nicht aber demokratisch legitimiert. Das Prinzip der Staatsfreiheit der Rundfunkanstalten ist nicht etwa eine grundrechtlich fundierte Ausnahme von dem grundsätzlichen Gebot staatlich-administrativer Steuerung sämtlicher Verwaltungseinheiten. Das Hierarchiemodell mit seinem spezifischen Steuerungsanspruch ist ein ausschließlich auf den Bereich der Staatlichkeit bezogenes, demokratische Legitimation vermittelndes Verwirklichungsinstrument; außerhalb des Geltungsbereichs des grundgesetzlichen Demokratieprinzips greift es bereits tatbestandlich nicht Platz 413 . Ungeachtet der Qualifizierung der Sachaufgabe Rundfunkveranstaltung als genuin gesellschaftliche Aufgabe sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im formellen Sinne Teile der Staatsgewalt414. Ihre Freiheitsbetätigung beruht nicht auf autonom gesetzten Handlungsmustern, vielmehr liegen Errichtung und Zweckbestimmung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten einem staatlichen Hoheitsakt zugrunde. Im Gegensatz zu dem im Pressebereich bewährten Marktmodell, das den gesellschaftlichen Energien vertraut und das aus dem freien und unreglementierten publizistischen Wettbewerb die von Verfassungs wegen erforderliche Vielfalt hervorzubringen beansprucht, ohne daß es hierzu medienspezifischer Schutzvorkehrungen bedarf, verlangt das Bundesverfassungsgericht für die elektronischen Medien bekanntlich eine vielfaltstiftende und -erhaltende positive Ordnung. Die Rundfunkfreiheit - so das Bundesverfassungsgericht - bedürfe der gesetzgeberischen Ausgestaltung, damit sich im Rundfunk die verfassungsrechtlich gebotene Vielfalt auch tatsächlich widerspiegele und dieses Massenmedium seiner umfassenden Informationspflicht genügen könne 415 . Die gesetzliche Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit ist demnach nicht nur eine genuin staatliche Aufgabe 416 , weil die

413 Deshalb ist es auch verfassungsrechtlich fehlsam, das Gebot demokratischer Legitimation auf das Kreationsverfahren der (gruppenpluralistisch) zusammengesetzten Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder der Kontrollgremien der für den privaten Rundfunk zuständigen Landesmedienanstalten zu erstrecken; vgl. hierzu H. Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, S. 188 ff. m. w. N.; siehe ferner M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 572 ff. 414 Der Begriff der formellen Staatsgewalt wird hierbei restriktiv als eine ausschließlich die äußere Form des Verwaltungsträgers kennzeichnende rechtliche Kategorie verstanden; er bezieht sich nicht zusätzlich auch auf den Inhalt seines Funktionsbereiches (materielle Komponente). 415 Seit BVerfGE 57, 295 (320) st. Rspr., vgl. noch BVerfGE 83, 238 (296); 87, 181 (197 f.); 90,60 (87 f.). 416 Genuin staatliche Aufgaben in dem hier verstandenen Sinne entsprechen den „ausschließlichen Staatsaufgaben" in der Terminologie von G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3 1914, S. 255, der den Komplex der Staatsaufgaben in die zwei Kategorien der ausschließlichen und konkurrierenden Staatsaufgaben aufteilt; ihm folgend J. Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR ΠΙ, § 57 Rdnr. 150; vgl. auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2 1966, S. 766 ff.; BVerfGE 73, 280 (294) verwendet insoweit den Begriff der „originären Staatsaufgaben", der allerdings die notwendige Einseitigkeit des Zuordnungssubjekts in semantischer Hinsicht nicht hinreichend scharf zum Ausdruck bringt; kritisch bis ablehnend zu

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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Gewährleistung der Rundfunkfreiheit nicht der Dispositionsmacht der Rundfunkveranstalter und sonstiger am Kommunikationsprozeß Beteiligten unterfällt 4 1 7 , sondern nur vom Staat erfüllt werden kann; sie ist zugleich auch eine Aufgabe, deren Erfüllung dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen verbindlich aufgegeben ist, eine Aufgabe, die er erfüllen muß, um seiner aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Verpflichtung zu entsprechen; kurzum: sie ist eine verfassungsrechtliche Pflichtaufgabe 4 1 8 . Auch die mit der Zulassung und Beaufsichtigung privaten Rundfunks betrauten Landesmedienanstalten nehmen in breiten Feldern ihres Funktionsbereichs am Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG t e i l 4 1 9 und unterliegen insoweit als Träger gesellschaftlicher Selbstverwaltung nicht dem staatsbezogenen demokratischen Legitimationsmodell. Die Landesmedienanstalten veranstalten zwar - abgesehen von der Sondersituation i m Freistaat B a y e r n 4 2 0 - selbst keine Rundfunkprogramme und können deshalb nicht bereits unter diesem Gesichtspunkt dem Freiheitsbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zugeordnet werden. Dies läßt die Landesmedienanstalten indes nicht zu einem staatlichen Funktionsträger werden, der keinen grundrechtlichen Rechtsschutz zu reklamieren vermag. Vielmehr durchzieht die Trennlinie der alternativen Legitimationsfiguren, die Grenze zwischen demokratischer diesen Versuchen einer terminologischen Kategorisierung der Staatsaufgaben H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 99 ff. m. w. N. in Fn. 12 (S. 100); M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, S. 51 ff. 417 BVerfGE 57, 295 (321: „Ebensowenig darf die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit einer Regelung durch Satzung der Veranstalter oder vertraglichen Regelungen anheimgegeben werden.") 418 j, Isensee, in: dems./P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR III, § 57 Rdnr. 152, spricht insoweit von „obligatorischen" im Gegensatz zu „fakultativen" Staatsaufgaben; siehe auch P. Kirchhof, Der Begriff der hoheitlichen Befugnisse in Artikel 33 Absatz IV des Grundgesetzes, S. 111 ff.: „staatsnotwendige" Aufgabe; kritisch H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, S. 99 ff.; M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, S. 52. 419 Die Frage nach einer Grundrechtsträgerschaft der Landesmedienanstalten wird kontrovers diskutiert; generell bejahend vgl. statt vieler D. Dörr IR. Kopp/ W. Cloß, Die Rechtsstellung der Landesmedienanstalten in grenzüberschreitenden Angelegenheiten, S. 61 ff.; W. Hoffmann-Riem, Personalrecht der Rundfunkaufsicht, S. 88 ff.; N. Klute, RuF 1992, 365 (375); G. Martin, ZUM 1993, 515 ff.; D. Herkströter, RuF 1994, 76; H. Rossen, ZUM 1994, 227 f.; siehe auch BVerfG, NVwZ-RR 1993, 550 m. w. N.; BVerwG, Az.: 6 C 8.95, Urteil vom 19. 03. 1997, Umdruck, S. 17 ff., insbesondere 19, 25 f.; verneinend: SächsVerfGH, SächsVBl. 1997, 136 f.; H. Bethge, DVB1. 1993, 569; ders., Die Verwaltung Bd. 27 [1994], 433 (440); ders., NJW 1995, 557 (558); ders., NVwZ 1997, 1 (5); differenzierend U. Bumke, Die öffentliche Aufgabe der Landesmedienanstalten, 237 ff.; H. Gersdorf, in: A. Haratsch/ D. Kugelmann/U. Repkewitz (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, S. 163 (174 ff. m. zahlreichen w. N.). 420 Aufgrund Art. l i l a Abs. 2 BV fungiert die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien nicht lediglich als Zulassungs- und Aufsichtsinstanz für den privaten Rundfunk im Freistaat Bayern, sondern als Rundfunkveranstalterin selbst; vgl. statt aller H. Bethge, Die Verwaltung Bd. 27 [1994], 433 (440); H. Gersdorf ! F. Brosius-Gersdorf, Rechtsfragen des Teilnehmerentgeltsystems nach bayerischem Rundhinkrecht, S. 14 f. 9 Gersdorf

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

und grundrechtlicher Legitimation, die Landesmedienanstalten: Sie können sich in Wahrnehmung bestimmter Funktionen auf den Schutz des Grundrechts der Rundfunkfreiheit berufen, während sie in anderen Funktionsfeldern Staatsgewalt im Sinne der Art. 20, 28 GG ausüben421. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowie die Landesmedienanstalten sind mithin zwar Geschöpfe des sie konstituierenden staatlichen Gesetzgebers, im formellen Sinne also Glieder der Staatsverwaltung. Die ihnen jeweils übertragene Sachaufgabe - die Veranstaltung von Rundfunkprogrammen bei den Rundfunkanstalten sowie die Implementierung von Vorschriften im Bereich der Grundrechtsausgestaltung mit programmlichem Bezug bei den Landesmedienanstalten422 - ist hingegen untrennbar in der gesellschaftlichen Sphäre verankert und darf durch staatliche Stellen von Verfassungs wegen nicht erledigt werden. Materiell sind sie demnach insoweit nicht dem Bereich der mittelbaren Staatsverwaltung zuzuordnen, sondern dem durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG grundrechtlich umhegten Wirkungskreis. Die Bezeichnung eines Verwaltungsträgers als Teil der Staatsgewalt im formellen Sinne bringt zum Ausdruck, daß seine Entstehung auf einen Akt des Gesetzgebers zurückzuführen ist. Der institutionelle Gesetzesvorbehalt erstreckt sich auf die Errichtung sämtlicher juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit Ausnahme der Kirchen und der ihnen statusrechtlich entsprechenden Religionsgesellschaften - , und zwar unabhängig davon, ob sie staatliche oder nichtstaatliche Aufgaben erledigen 423 . Er erfaßt neben der Kreation der juristischen Person und der Verleihung der Rechtsfähigkeit auch die Zuweisung bestimmter Aufgabenfelder. Die auf diese Weise gegründeten juristischen Personen des öffentlichen Rechts genießen also keine allumfassende Freiheit. Die gesetzliche, also fremdbestimmte Festsetzung ihres Aufgabenkreises hebt sie positivrechtlich von einzelnen Privatpersonen ab, deren Freiheitsentfaltung sich nach privatautonomen Leitsätzen vollzieht und damit prinzipiell unbeschränkt ist. Als sektorale Aufgabenträger können sie nur im Rahmen des ihnen kraft gesetzlicher Anordnung zugewiesenen Funktionsbereiches tätig werden. Auch die Zuerkennung von Selbstverwaltungsbefugnissen vermittelt ihnen keine Kompetenz zur Erweiterung des gesetzlichen Aufgabenfeldes, sondern berechtigt die Selbstverwaltungsträger nur zur selbständigen und eigenverantwortlichen Konkretisierung und Ausgestaltung des vom Gesetzgeber umschriebenen Funktionsbereichs 424. 421

Vgl. zu diesem janusköpfigen Charakter der Landesmedienanstalten dezidiert H. Gersdorf, in: A. Haratsch/D. Kugelmann/U. Repkewitz (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, S. 163 (174 ff.). 422 Siehe hierzu nochmals H. Gersdorf, in: A. Haratsch/D. Kugelmann/U. Repkewitz (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, S. 163 (183 ff.). 423 Vgl. W. Berg, NJW 1985, 2296 (2298); E.-W. Böckenförde, Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, S. 95 ff.; A. Köngen, VVDStRL Bd. 16 [1958], 158 (161 ff.); R. Breuer, VVDStRL Bd. 44 [1986], 211 (235); W. Krebs, NVwZ 1985,614. 424 Vgl. dazu im Kontext mit dem Funktionsbereich öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten: V. Emmerich / U. Steiner, Möglichkeiten und Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, S. 43 f.; F. Kubier, Rundfunkauftrag und

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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Sofern ein Verwaltungsträger zur Staatsgewalt im formellen Sinne zu zählen ist, können ihm grundrechtliche Schutzansprüche prinzipiell nur im Rahmen des ihm zugewiesenen Funktionskreises zustehen. Der grundrechtliche Schutz ist an die Verleihung einfachgesetzlicher Rechtspositionen akzessorisch geknüpft. Nur soweit der einfache Gesetzgeber den Verwaltungsträger mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet hat, kann grundrechtlicher Rechtsschutz zur Entstehung gelangen. Der Organisationsgesetzgeber ist regelmäßig frei in der Entscheidung, in welchem Umfange er der entsprechenden juristischen Person des öffentlichen Rechts Rechte zuordnet; in seiner Hand liegt es damit regelmäßig auch, das Feld abzustecken, innerhalb dessen sich der jeweilige Verwaltungsträger grundrechtlich zu entfalten vermag. Hierin liegt auch der innere Grund dafür, daß sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über das Grundrecht der Rundfunkfreiheit hinaus nicht auf den Schutz anderer materieller Grundrechte berufen können. Die Rundfunkanstalten sind vom Organisationsgesetzgeber geschaffen worden, um Rundfunkprogramme zu veranstalten und zu verbreiten. Hierin erschöpft sich ihr Aktionsfeld, so daß sie nicht dazu legitimiert sind, in andere - grundrechtlich fundierte - Freiheitsbereiche vorzudringen. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu Recht einen verfassungsrechtlichen Schutz durch materielle Grundrechte jenseits des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG versagt 425 . Auch können sich (Handwerks-)Innungen und sonstige Träger gesellschaftlicher Selbstverwaltung nicht gegen den territorialen Zuschnitt des von dem Gesetzgeber festgelegten körperschaftlichen Rahmens wehren, weil ihnen insoweit kein grundrechtlicher Rechtsschutz zukommt 426 , und zwar auch dann nicht, wenn die betreffende Innung innerhalb des zur Verfügung gestellten Rahmens grundrechtlich geschützte Aktivitäten entfalten kann 4 2 7 . Solange und soweit der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des organisatorischen Rahmens der juristischen Person freie Hand besitzt, ihm durch Verfassungsrecht - insbesondere durch die Grundrechte - keine Schranken auferlegt sind, kann sich die konstituierte juristische Person des öffentlichen Rechts gegen Akte des Gesetzgebers grundrechtlich nicht zur Wehr setzen, weil sie insoweit in ihrer Eigenschaft als Träger der formellen Staatsverwaltung betroffen ist, dem grundrechtlicher Schutz prinzipiell nicht zugute kommt 4 2 8 . Eine Ausnahme Programminformation, S. 25; R. Scholz, Rundfunkeigene Programmpresse?, S. 26; J. Seeger, DÖV 1972, 253 (259). 425 So im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG BVerfGE 78, 101 (102); zur mangelnden Anwendbarkeit der Art. 12, 14 und 2 Abs. 1 GG auf die Rundfunkanstalten H. Bethge, Die Zulässigkeit der zeitlichen Beschränkung der Hörfunkwerbung im NDR, S. 54 ff.; siehe auch H. Gersdorf, Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff im Lichte der Digitalisierung der Telekommunikation, S. 66; demgegenüber hält das Bundesverfassungsgericht offenbar einen grundrechtlichen Schutz der Rundfunkanstalten aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht für ausgeschlossen, vgl. hierzu BVerfGE 35,202 (244). 426 BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1994,262. 42? BVerfGE 70,1 (19 f.). 428 H. Gersdorf, in: A. Haratsch/D. Kugelmann/U. Repkewitz (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht der Informationsgesellschaft, S. 163 (171).

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

von diesem Grundsatz besteht nur insoweit, als die organisatorische Ausgestaltung des institutionellen Rahmens der juristischen Person nicht im Belieben des Organisationsgesetzgebers steht, sondern dieser insoweit bestimmte verfassungsrechtliche, respektive grundrechtliche Direktiven zu beachten hat. In diesem Fall können sich Verwaltungsträger in ihrer Eigenschaft als Träger von Staatsgewalt im formellen Sinne ausnahmsweise auf grundrechtlichen Rechtsschutz berufen 429 . Im Regelfall steht den Trägern der Staatsgewalt im formellen Sinne kein Schutz materieller Grundrechte zu, sofern sie sich gegen Akte des den Organisationsrahmen der juristischen Person zur Verfügung stellenden Gesetzgebers zur Wehr setzen wollen 4 3 0 . (bb) Kein staatlicher Zugriff auf gesellschaftliche Lebensbereiche trotz staatlicher Zugriffsmöglichkeit In den vorstehenden Ausführungen ging es um diejenigen Fälle, in denen es dem Staat unter verfassungsrechtlichen Auspizien verwehrt ist, auf bestimmte gesellschaftliche Aufgabenbereiche zuzugreifen und diese dadurch zu einer staatlichen Angelegenheit werden zu lassen. Die genuin gesellschaftlichen Felder sind dem Staat von vornherein versperrt. Derartige staatliche Zugriffsverbote bilden nach der Verfassungslage indes die Ausnahme. Regelmäßig ist es dem Staat ohne weiteres gestattet, bestimmte öffentliche Aufgaben an sich zu ziehen und damit in den staatlichen Funktionskreis zu überführen. Macht der Staat von dieser Option Gebrauch, drängen die für den gesamten Bereich der Staatlichkeit geltenden Funktionsgesetze mit ihren staatsbezogenen demokratischen Legitimationserfordernissen auf Verwirklichung. Die Zuweisung materieller Grundrechte ist insoweit ausgeschlossen. Sind bestimmte Aufgabenbereiche in der gesellschaftlichen Sphäre untrennbar verwurzelt und einer Übertragung in den Bereich der Staatlichkeit nicht zugänglich, so sind juristische Personen des öffentlichen Rechts, denen die Erledigung der betreffenden Sachaufgabe übertragen ist, nicht der Staatsverwaltung im materiellen Sinne zuzuordnen. Besteht indes - wie im Regelfall - kein solches Zugriffsverbot, vermag also der Staat die betreffende Sachaufgabe zu einer staatlichen zu machen, so spricht die Vermutung für eine staatsrechtliche Einordnung in den Bereich der materiellen Staatsverwaltung, sofern der Gesetzgeber zur Erledigung dieser Aufgabe eine juristische Person des öffentlichen Rechts bildet. Denn regelmäßig bringt der Staat mit der Bildung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der Umschreibung ihres Funktionsbereiches zum Ausdruck, daß 429 Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht einen grundrechtlichen Schutz der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über die bereits veranstalteten Programme hinaus auch auf sämtliche künftigen Formen von Rundfünkdarbietungen und noch nicht verbreiteter Programmangebote erstreckt, und zwar auch insoweit, als der ausgestaltende Gesetzgeber eine solche dynamische Programmausweitung sogar ausdrücklich untersagt hat, vgl. BVerfGE 74,297 (331 ff. und 344 ff.). 430 Vgl. nochmals BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), NVwZ 1994,262 (263).

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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er sich der jeweiligen Sachaufgabe bemächtigen und diese damit zu einer staatlichen machen will. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind als Organisationsformen allein dem Staat vorbehalten und sprechen für den staatlichen Charakter. Allerdings beruht diese Vermutung nicht auf normativen Überlegungen, sondern beschreibt lediglich einen Realbefund. Es ist kein rechtlicher Regelsatz ersichtlich, wonach juristische Personen des öffentlichen Rechts dem Bereich der Staatlichkeit zuzuschlagen sind. Der öffentlich-rechtlichen Oiganisationsform kommt demnach für die Zuordnungsfirage lediglich die Funktion einer empirischen, widerlegbaren Vermutung zu 4 3 1 . Nichts hindert den Staat daran, eine juristische Person des öffentlichen Rechts zu bilden, dieser einen gesellschaftlichen Zweck zu implantieren und in die gesellschaftliche Sphäre autonomer Freiheitsentfaltung zu entlassen432. Voraussetzung hierfür ist freilich, daß sich hinter der juristischen Person des öffentlichen Rechts gesellschaftliche Substanz verbirgt. Regelmäßig muß die juristische Person durch eine körperschaftliche Oiganisationsstruktur gekennzeichnet sein und den gesellschaftlichen Kräften und Gruppen ein organisatorisches Gefäß zur Verfügung stellen, um ihre frei gewählten Aufgaben selbständig und eigenständig wahrzunehmen und um sich nach privatautonom gesetzten Leitbildern innerhalb der für alle geltenden Gesetze ungehindert zu entfalten. Damit ist auch das Augenmerk auf den entscheidenden Aspekt gelenkt, auf den es bei der Abgrenzung zwischen der staatlichen und der gesellschaftlichen Sphäre ankommt. Von privatautonomer, grundrechtliche Schutzansprüche auslösender Freiheitsentfaltung kann wenigstens insoweit die Rede sein, als es sich um freiwillige Aufgaben handelt, welche die juristische Person des öffentlichen Rechts wahrnimmt, und nicht um solche, die ihr staatlicherseits aufgegeben sind. Im Rahmen der freiwilligen Aufgaben können also juristische Personen des öffentlichen Rechts grundrechtlichen Schutz beanspruchen 433. Soweit der Staat hingegen juristische Personen des öffentlichen Rechts zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben verpflichtet, gibt er regelmäßig zu verstehen, daß er sich der entsprechenden Sachaufgabe bemächtigen und sie damit zu einer staatlichen machen möchte. Ob freilich insoweit noch weitere staatliche Steuerungsinstrumente - wie insbesondere eine entsprechende gesetzliche Regelungsdichte - hinzutreten müssen, um den autonomen Entscheidungsspielraum noch weiter zu beschneiden434, oder ob allein der Pflichtcharakter der Aufgabe ausreicht, um sie dem Bereich der Staatlichkeit zuzuweisen, braucht im gegebenen Zusammenhang nicht weiter vertieft zu werden. Denn vorliegend geht es ausschließlich um die verfassungsrechtliche Standortbestimmung der in privat431

Vgl. E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung,

S. 265. 432

Vgl. nochmals E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 265. 433 So ganz deutlich in BVerfGE 70,1 (20). 434 Vgl. hierzu im einzelnen E. Th. Emde, Die demokratische Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung, S. 267 ff.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

rechtlichen (und öffentlich-rechtlichen) Organisationseinheiten wirtschaftlich agierenden öffentlichen Hand, hinter denen sich unzweifelhaft keine gesellschaftliche Substanz verbirgt, sondern grundrechtsunfähige juristische Personen des öffentlichen Rechts in Form der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung stehen. Der Durchblick auf das gesellschaftliche Potential ist unerläßliche Voraussetzung für die Zuerkennung grundrechtlicher Schutzansprüche, so daß auch die kommunalen Gebietskörperschaften bei der Erfüllung „freier Aufgaben" nicht etwa Grundrechtsfähigkeit gewinnen, sondern demokratisch legitimationsbedürftige Staatsgewalt verkörpern. Die aufgezeigte Differenzierung zwischen freiwilligen und Pflichtaufgaben für die Frage der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts macht augenscheinlich, daß sich insoweit pauschalierende Feststellungen verbieten, sondern von Fall zu Fall zu entscheiden ist, ob grundrechtliche Schutzansprüche in Betracht kommen. Die Trennlinie kann sich insoweit durch einen und denselben Verwaltungsträger ziehen, der teilweise freiwillige Aufgaben wahrnimmt und sich in dieser Hinsicht auf grundrechtlichen Schutz berufen kann sowie teilweise Pflichtaufgaben auszuführen hat und in dieser Hinsicht grundrechtsunfähige, demokratisch legitimationsbedürftige Staatsgewalt ausübt 435 .

V. Staatliche und kommunale Eigen- und Beteiligungsgesellschaften als grundrechtsunfähige, demokratisch legitimationsbedürftige Staatsgewalt Unter Zugrundelegung des Grundsatzes der Alternativität demokratischer und grundrechtlicher Legitimation und der herausgearbeiteten Kriterien für die Zuweisung grundrechtlicher Schutzansprüche nach Art. 19 Abs. 3 GG ist nunmehr der Weg geebnet, um staatliche sowie kommunale Eigen- und Beteiligungsgesellschaften im staatsrechtlichen Gefüge demokratischer und grundrechtlicher Legitimationsstrukturen einzuordnen, anders gewendet: um die Frage zu beantworten, ob die in privatrechtlichen Oiganisationsformen am Wirtschaftsleben teilnehmende öffentliche Hand als Legitimationsobjekt im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG in Betracht kommt.

1. Staatliche oder kommunale Eigengesellschaften sowie gemischt-öffentliche Unternehmen Im Lichte der zu Art. 19 Abs. 3 GG gewonnenen Erkenntnisse bereitet die Rubrizierung der Eigengesellschaften und gemischt-öffentlichen Unternehmen 435 Vgl. zur partiellen Grundrechtsfähigkeit von Wasser- und Bodenverbänden W. Hoppe/ M. Bleckmann, DVB1. 1990,177 (181 ff.).

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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im Staatsgefüge des Grundgesetzes keinerlei Schwierigkeiten ' . Hinter beiden Erscheinungsformen fiskalischer Tätigkeit der öffentlichen Hand verbergen sich staatliche oder kommunale Träger- beziehungsweise Beteiligungskörperschaften, die den Schutz materieller Grundrechte für sich nicht reklamieren können, sondern Gegenstände des Erfordernisses demokratischer Legitimation sind. Was für die Träger- oder Beteiligungskörperschaften gilt, gilt auch für die von ihnen gegründeten und beherrschten privatrechtlichen Trabanten. Eigengesellschaften und gemischt-öffentliche Unternehmen sind grundrechtsunfähig und unterfallen dem grundgesetzlichen Prinzip demokratischer Legitimation. Hieran ändert auch ihre privatrechtliche Organisationsform nichts, weil weder der Zuweisungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG noch die Reichweite des grundgesetzlichen Prinzips demokratischer Legitimation zur Disposition der öffentlichen Hand stehen, staatliche oder kommunale Gebietskörperschaften also nicht durch die Wahl der Organisationsform zugleich über die einander widerstreitenden verfassungsrechtlichen Ordnungsfiguren demokratischer und grundrechtlicher Legitimation verfügen können. Weiter kommt es für die Zuweisung grundrechtlicher Schutzansprüche nach Art. 19 Abs. 3 GG und für das Prinzip demokratischer Legitimation auf den Charakter der von staatlichen oder kommunalen Eigengesellschaften oder von gemischt-öffentlichen Unternehmen wahrgenommenen Aufgabe nicht an. Auch jenseits der Erfüllung „öffentlicher Aufgaben" und außerhalb der „daseinsvorsorgenden" Tätigkeit der öffentlichen Hand wird grundrechtsunfähige, demokratisch legitimationsbedürftige Staatsgewalt ausgeübt. Der - für Art. 19 Abs. 3 GG notwendige teleologische - Blick hinter die Kulissen läßt keine natürlichen Personen erkennen, sondern offenbart das staatliche oder kommunale Substrat der Träger436 Zur mangelnden Grundrechtsfähigkeit öffentlicher Unternehmen (im engeren Sinne) vgl. statt vieler P. Badura, DÖV 1990, 353 (354); H. Bethge, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen nach Art. 19 Abs. 3 Grundgesetz, S. 103; dens., AöR Bd. 104 [1979], 265 (272 f.); H. Dreier, in: dems. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 ΠΙ Rdnr. 48; G. Dürig, in: Th. Maunz/G. Dürig/R. Herzog/R. Scholz (Hrsg.), Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 45; D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 84; ders., JZ 1990, 1089 (1096); Th. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 145; H.-G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3009); W. Krebs, in: I. v. Münch/Ph. Kunig (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 1, 4 1992, Art. 19 Rdnr. 41; H. Krüger, in: M. Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Rdnr. 62; R. Scholz» in: Festschrift für W. Lorenz, S. 211 (215 f.); Ch. Starck, JuS 1977, 372 (376); K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1167; oder vice versa zur Qualifizierung der Eigengesellschaften als (demokratisch legitimationsbedürftige) Staatsgewalt vgl. statt vieler E.-W. Böckenforde, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR I, § 22 Rdnr. 13; D. Ehlers, JZ 1987, 218 (224 f., 227); Κ. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 176 f.; Th. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 164 f.; E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (346); Μ. v. Schwanenßgel, in: J. Peter/K.-U. Rhein (Hrsg.), Wirtschaft und Recht, S. 151 (167). 437

Zur mangelnden Grundrechtsfähigkeit gemischt-öffentlicher Unternehmen vgl. statt vieler Ch. Starck, JuS 1977, 372 (376); H. Dreier, in: dems. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 ΠΙ Rdnr. 48.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

beziehungsweise Beteiligungskörperschaft, die sich auf grundrechtlichen Schutz nicht berufen kann 4 3 8 , sondern dem Gebot demokratischer Legitimation unterfällt. Deshalb drängt das Demokratieprinzip auf Verwirklichung, und zwar unabhängig davon, ob öffentliche oder gemischt-öffentliche Unternehmen öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder aber einem Ziel dienen, das nicht im öffentlichen Interesse liegt. Ob die öffentliche Hand hierzu von Verfassungs wegen überhaupt berechtigt ist, ihrem Handeln also stets ein öffentliches Interesse zugrundeliegen muß, kann man deshalb im gegebenen Zusammenhang auf sich beruhen lassen439.

2. Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen Demgegenüber wirft die verfassungsrechtliche Verortung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen im Legitimationsmodell des Grundgesetzes erhebliche Probleme auf. Diese Probleme beruhen auf dem diesen Unternehmenstypus kennzeichnenden Zusammenwirken privater und staatlicher beziehungsweise kommunaler Anteilseigner. Diese Form kondominialer Kooperation zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand in einem und demselben Rechtsträger wirft spezifisch verfassungsrechtliche Probleme auf, die auf den grundverschiedenen Funktionsbedingungen und -gesetzen gesellschaftlicher Freiheitsbetätigung einerseits und staatlicher beziehungsweise kommunaler Kompetenzwahrnehmung andererseits beruhen. Während das gesellschaftliche Wirkungsfeld grundrechtlich umhegt ist, sich in ihm grundrechtliche Freiheiten manifestieren, sind staatliche und kommunale Gebietskörperschaften nicht grundrechtlich legitimiert, sondern bedürfen in ihrem Wirken der Rückführung auf den Willen der Aktivbürgerschaft als Legitimationssubjekt, um den nach dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes gebotenen Zurechnungszusammenhang zwischen Herrschaftsausübung und Herrschaftsunterworfenheit herzustellen. In diesem Zusammenschmelzen privater und staatlicher Funktionsträger zu einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen liegt das Faszinosum, die juristische Herausforderung bei der staatsrechtlichen Einordnung dieses Unternehmenstypus. Es liegt auf der Hand, daß dieser Problemkreis in Rechtsprechung und Schrifttum kontrovers diskutiert wird. Insbesondere die Frage, ob sich 438 Vgl. zur mangelnden Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlicher Sparkassen BVerfGE 75,192 (200); siehe hierzu bereits oben nach Fn. 342 (S. 108). 439 Nach wie vor ist umstritten, ob staatliche oder kommunale Gebietskörperschaften dazu berechtigt sind, Unternehmen zu gründen oder sich an diesen zu beteiligen, die als ausschließlichen oder primären Zweck die Gewinnerzielung verfolgen, vgl. hierzu statt vieler aus dem umfangreichen Schrifttum P. Badura, Festschrift für Schlochhauer, S. 1 (19 f.); A. Dickersbach, WiVerw 1983, 187 (199 f., 202 f.); K. Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, S. 86 ff.; H. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 142; J. Hidien, Gemeindliche Betätigungen rein erwerbswirtschaftlicher Art und öffentliche Zwecke kommunaler wirtschaftlicher Unternehmen, S. 131 ff.; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, S. 288 f.; R. Schallemacher, Die industriellen Bundesunternehmen, S. 84 ff., insbesondere 86 ff.; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 231 f.

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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gemischt-wirtschaftliche Unternehmen auf den Schutz der materiellen Grundrechte berufen können, ist Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.

a) Spiegel der Rechtsprechung Der Bundesgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung weniger mit Fragen der Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen, als vielmehr im Gegenteil mit der Anwendbarkeit der spezifischen Bindungen des Verwaltungsprivatrechts auf diese Unternehmen, insbesondere ihrer Bindung an die Grundrechte beschäftigt. Da aber die maßgeblichen Entscheidungen auch die Stellung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen zur öffentlichen Verwaltung betreffen, lohnt es sich, einen Blick auf die Judikatur des Bundesgerichtshofes zu den staatlichen oder kommunalen Beteiligungsgesellschaften zu werfen. In seinem Urteil vom 5. April 1984 vertritt der ΙΠ. Zivilsenat die Auffassung, die „grundlegenden Prinzipien öffentlicher Finanzgebarung" seien auch von einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen zu beachten, dessen Mehrheitsaktionärin eine kommunale Gebietskörperschaft ist. Den entscheidenden Grund für die Anwendbarkeit des Verwaltungsprivatrechts sieht der Bundesgerichtshof neben der Erfüllung „öffentlicher Aufgaben" in der Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand. Die spezifisch öffentlich-rechtlichen Bindungen seien immer dann anwendbar, wenn die Verwaltung dem Bürger in der Gestalt eines von ihr beherrschten, privatrechtlich organisierten Unternehmens gegenübertrete. Ein öffentlichen Zwecken gewidmeter Betrieb übe „Verwaltung im funktionellen Sinne" aus und sei daher „in den Fragen der Grundrechtsbindung und den weiteren Folgen der Anwendbarkeit des »Verwaltungsprivatrechts 4 wie der Verwaltungsträger selbst zu behandeln" 440 . Indes hat der Bundesgerichtshof es nicht dabei bewenden lassen, die das Verwaltungsprivatrecht prägenden Bindungen nur im Falle einer Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand zur Geltung zu bringen. Vielmehr wendet er „die allgemeinen Regeln des sogenannten Verwaltungsprivatrechts" auch auf ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen an, dessen Gesellschaftsanteile zu insgesamt lediglich 23% von der öffentlichen Hand gehalten werden. Den maßgeblichen Grund für diese Geltungserweiterung des Verwaltungsprivatrechts sieht das Gericht in der besonderen Konstellation des in Rede stehenden Falles, in dem sich die Gesellschaft gegenüber einer an ihr zu knapp 23% beteiligten Stadt verpflichtet hatte, die „gemeindliche Aufgabe" der „Löschwasserversorgung" zu erfüllen. Das Gericht räumt zwar ein, die Gebietskörperschaft könne nicht „kraft ihrer Beteiligung" einen „bestimmenden Einfluß" auf das Unternehmen ausüben, so daß die Gesellschaft dem Bürger nicht nur „als besondere Erscheinungsform der Stadt" gegenübertrete. Da das Unternehmen es aber aufgrund des Konzessionsvertrages übernommen habe, „faktisch einen Teil der der Stadt kraft öffentlichen Rechts ob440 BGHZ 91, 84 (97 f.).

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

liegenden gemeindlichen Pflichtaufgabe ... zu erfüllen", übe sie „materiell öffentliche Verwaltung" aus und unterliege „insoweit auch den Bindungen, die das öffentliche Recht... dem jeweiligen Träger auferlegt" 441 . Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang erst in einer Entscheidung zur Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen und damit zur Stellung dieser Unternehmensform innerhalb des Staatsgefüges äußern müssen. In einem Beschluß der Dritten Kammer des Ersten Senats vom 16. Mai 1989 hat es einer zu 72% im Aktienbesitz einer Gebietskörperschaft stehenden Aktiengesellschaft die Berufung auf den Schutz materieller Grundrechte versagt 442 . Die Kammer stellt hierbei in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die vorrangige Funktion der Grundrechte heraus, die Freiheitssphäre des einzelnen vor staatlichen Übergriffen zu schützen. Unter Zugrundelegung der anthropozentrischen Deutung des Art. 19 Abs. 3 GG erachtet es eine Einbeziehung juristischer Personen in den Schutzbereich materieller Grundrechte nur insoweit für gerechtfertigt, als deren Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen ist, insbesondere wenn der „Durchgriff 4 auf die hinter ihnen stehenden Menschen es als sinnvoll und erforderlich erscheinen läßt. Auch die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des Privatrechts hänge namentlich von der jeweils wahrgenommenen Funktion ab. Bestehe diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter Aufgaben der Daseinsvorsorge, so sei eine juristische Person der Privatrechts ebensowenig grundrechtsfähig wie eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Beide Funktionsmerkmale liegen nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in dem in Rede stehenden Fall vor: Wasser- und Energieversorgung seien typische Aufgaben staatlicher oder kommunaler Gebietskörperschaften, welche diesen Charakter auch dann beibehielten, wenn sie von einer nicht vollständig, sondern lediglich zu 72% im Besitz der öffentlichen Hand stehenden Aktiengesellschaft wahrgenommen würden. Denn auch bei diesen Beteiligungsverhältnissen sei davon auszugehen, daß die betreffende Gebietskörperschaft die Möglichkeit habe, auf die Geschäftsführung entscheidenden Einfluß zu gewinnen. Und schließlich unterliege die Gesellschaft den Bindungen des Energiewirtschaftsrechts in einer Weise, daß in dem betreffenden Zusammenhang von einer privatrechtlichen Selbständigkeit nahezu nichts übrigbleibe 443 . Diese Entscheidung hat Kritik erfahren 444 , die sich bei Lichte betrachtet allerdings nur insoweit als zutreffend erweist, als sie sich auf die Begründung bezieht, mit der das Bundesverfassungsgericht gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen die Grundrechtsfähigkeit versagt. Im Ergebnis ändert dies freilich nichts daran, daß derartige Unternehmen sich auf den Schutz materieller Grundrechte nicht be441 442 443 444

BGH, NVwZ-RR 1989, 388 (389). BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], NJW 1990,1783. BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], NJW 1990,1783. Vgl. die Nachweise oben in Fn. 142.

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rufen können. Sofern das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die von dem gemischt-wirtschaftlichen (Energieversorgungs-)Unternehmen wahrgenommene Daseinsvorsorge die Grundrechtsunfähigkeit der Gesellschaft zu begründen versucht, führt diese Beweisführung in die Irre. Daseinsvorsorge kann sowohl unter staatlicher oder kommunaler Regie als auch von Privaten als freiheitlich-gesellschaftliche Aufgabe durchgeführt werden. Die Kategorie der Daseinsvorsorge ist kein Zuweisungskriterium im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG und damit auch kein Beleggrund für die Zuordnung demokratisch legitimationsbedürftiger Staatsgewalt 445 . Die Wahrnehmung daseinsvorsorgender Tätigkeiten durch Private läßt diese noch nicht zu Bestandteilen der staatlichen Verwaltung werden, die für sich grundrechtlichen Schutz nicht beanspruchen kann, sondern dem Prinzip demokratischer Legitimation unterworfen ist. Auch der vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Rekurs auf das Energiewirtschaftsgesetz ändert hieran nichts 446 . Der (wirtschaftliche) Bewegungsspielraum der privaten Energiewirtschaft wird durch dieses Gesetz und die hierzu ergangenen Ausführungsbestimmungen zwar eingeengt, ohne diese aber dadurch zugleich mit staatlichen Funktionen zu „beleihen" und auf diese Weise dem staatlichen Verwaltungsapparat einzuverleiben 447. Auch wenn private Energieversorgungsunternehmen dieselbe Tätigkeit ausüben wie die in staatlicher oder kommunaler Regie betriebenen Unternehmen und insoweit denselben Bindungen unterliegen, können sie sich im Gegensatz zu den Gesellschaften der öffentlichen Hand auf grundrechtlichen Schutz berufen 448 und zählen insofern nicht zu den Gegenständen der demokratisch legitimationsbedürftigen Staatsverwaltung 449. Das Bundesverfassungsgericht vermag daher in seiner Beweisführung insoweit nicht zu überzeugen, als es die Grundrechtsunfähigkeit des im konkreten Fall zu beurteilenden gemischt-wirtschaftlichen Energieversorgungsunternehmens mit der ihm übertragenen Daseinsvorsorge zu begründen sucht 450 . Auch dem weiteren vom Bundesverfassungsgericht vorgetragenen Argument, die öffentliche Hand könne aufgrund ihres Mehrheitsaktienbesitzes von 72% auf die Geschäftsführung des gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens „entscheiden445 Vgl. hierzu oben auf den S. 105 ff. 446 siehe zu Recht R. Scholz, in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 (216). 447 Vgl. Th. Maunz, VerwArch Bd. 50 [1959], 315 (319 ff.); K. Stern, AöR Bd. 84 [1959], 137 (173); R. Scholz, Das Wesen und die Entwicklung der gemeindlichen öffentliche Einrichtungen, S. 155 ff.; ders., in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 (217); anderer Ansicht ein Teil des früheren Schrifttums, das aus dem En WG und seiner Generalregelung für die „öffentliche Energieversorgung" einen Beleihungstatbestand für private Energieversorgungsunternehmen erblickte, vgl. etwa E. R. Huber, Wirtschaftsrecht, S. 539, insbesondere 565 ff. 448 H.-G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3109); N. Zimmermann, JuS 1991,294 (299). 449 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990,1 (14). 450 Zu Recht insoweit kritisch R. Scholz, in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 (216 f.); E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (14); ders., in: Festschrift für H. Niederländer, S. 383 (385 und 394); N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 233 ff.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

den Einfluß" 4 5 1 gewinnen, wird der Form- und Funktionstypus privatrechtlicher Kapitalgesellschaften entgegengehalten, welcher eine bestimmende Einflußnahme der Beteiligungskörperschaft auf die von ihr mehrheitlich beherrschte Gesellschaft ausschlösse. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft habe diese gemäß § 76 Abs. 1 AktG in eigener Verantwortung zu leiten und sei dabei Weisungen des (Mehrheits-) Aktionärs nicht unterworfen 452 . Ob dieser Einwand indes zu überzeugen vermag, wird später noch im einzelnen untersucht werden.

b) Spiegel des Schrifttums Ist die Grundrechtssubjektivität von juristischen Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG Gegenstand einer umfangreichen Kontroverse im rechtswissenschaftlichen Schrifttum, so lassen sich nur deutlich weniger Stellungnahmen finden, die sich speziell auf die Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen beziehen. Die herrschende Lehrmeinung vertritt den Standpunkt, daß gemischt-wirtschaftliche Unternehmen grundsätzlich in gleichem Umfange Grundrechtsschutz beanspruchen können wie Privatunternehmen 453. Allenfalls für die Fälle der Bagatellbeteiligung, in denen der Anteil Privater so gering sei, daß von einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen nicht mehr die Rede sein könne, wird eine Einschränkung dieses Grundsatzes erwogen 454 . Gleichsam als Kehrseite dieser grundrechtlichen Fundierung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen werden staatliche oder kommunale Beteiligungsgesellschaften als solche nicht als legitimationsbedürftige Ausübung von Staatsgewalt qualifiziert; das sub specie des Demokratieprinzips bestehende Legitimationserfordernis beziehe sich allein auf den Kooperationsbeitrag und verpflichte die an den Gesellschaften beteiligte öffentliche Hand lediglich dazu, sich im Rahmen ihrer Beteiligungsquote um angemessene Lenkungs- und Kontrollbefugnisse zu bemühen 455 . 451 BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], NJW 1990,1783. 452 H.-G. Koppensteinen NJW 1990, 3105 (3109); G. Kühne, JZ 1990, 335 (336); R. Scholz, in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 (217); N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 227; ders., JuS 1991, 294 (298 f.). 453 Vgl. nur A. Bleckmann, Die Grundrechte - Staatsrecht II, § 9 Rdnrn. 12 f.; D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 85; dens., JZ 1990,1089 (1096); H. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 234 f.; H.-G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3114); G. Kühne, JZ 1990, 335 f.; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 147; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 120 f.; W. Rüfher, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HdbStR V, § 116 Rdnr. 81; E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (10 ff.); ders., in: Festschrift für H. Niederländer, S. 383 (393 ff.); R. Scholz, in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 (225 ff.); K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1» S. 1170; N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 224 ff.; dens., JuS 1991, 294 (299 f.); ebenso (wohl) H. Krüger, in: M. Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 19 Rdnr. 63. 454 κ. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1170; B. Pieroth, NWVBL 1992, 85 (88).

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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(1) Rechtsform als maßgebliches Zuweisungskriterium? Einige Autoren im Schrifttum stellen insoweit auf die Rechtsform ab und begründen auf diese Weise die Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen. Danach soll die privatrechtliche Organisationsform als Aktiengesellschaft oder als Gesellschaft mit beschränkter Haftung das für Art. 19 Abs. 3 GG maßgebliche Zuweisungskriterium sein 456 . Ausdrücklich lehnen diese Stimmen eine Zuordnung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen nach Maßgabe der konkreten Beteiligungsverhältnisse zum Bereich der grundrechtsunfähigen Staatsgewalt oder aber zum grundrechtlich umhegten Wirkungskreis ab 4 5 7 . Zu diesen Zuordnungsversuchen ist bereits das Erforderliche gesagt 458 . Die Organisationsform ist kein taugliches Zuweisungskriterium im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG und vermag deshalb die Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen nicht zu begründen. Andernfalls müßten auch die in staatlicher oder kommunaler Regie geführten Eigengesellschaften am Schutz materieller Grundrechte teilhaben, was einer Verkehrung des dem Art. 19 Abs. 3 GG zugrundeliegenden anthropozentrischen Wesenszugs gleichkäme. Und schließlich läßt sich der privatrechtlichen Organisationsform auch keine (verfassungs-)rechtlich fundierte Vermutung zugunsten der Grundrechtsfahigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen entnehmen, zu deren Widerlegung es eines besonderen Argumentationsaufwandes bedürfe 459 . Denn für Art. 19 Abs. 3 GG kommt es allein darauf an, daß Bildung und Betätigung der juristischen Personen Ausdruck grundrechtlicher Freiheitsbetätigung sind, die der Staat für sich niemals beanspruchen kann, und zwar auch nicht, soweit er sich zur Erledigung seiner Aufgaben privatrechtlicher Organisationsgebilde bedient.

(2) Ansatz von N. Zimmermann In jüngster Zeit hat sich N. Zimmermann der Frage nach der Grundrechtsfähigkeit von juristischen Personen und damit auch von gemischt-wirtschaftlichen Un455 So D. Ehlers, JZ 1987, 218 (224 f., 227); Κ. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 176 f.; Th. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 164 f.; E. Schmidt-Aßmann, AöR Bd. 116 [1991], 329 (346); M. v. Schwanenfügel, in: J. Peter/K.-U. Rhein (Hrsg.), Wirtschaft und Recht, S. 151 (167). 456 Vgl. h. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 234; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnrn. 146 f.; B. Pieroth, NWVBL 1992, 85 (88); G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 120. 457 h. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, S. 234; A. v. Mutius, in: Bonner Kommentar, Art. 19 Abs. 3 Rdnr. 147; B. Pieroth, NWVBL 1992, 85

(88).

458 Vgl. hierzu oben auf den S. 102 ff. 459 So aber die Beweisführung von E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (8 und 10); dems., in: Festschrift für H. Niederländer, S. 383 (388).

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

ternehmen angenommen460. Die umfangreichen Erörterungen zur Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen lassen es angezeigt erscheinen, die der Arbeit zugrundeliegenden Leitgedanken zu skizzieren und einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. N. Zimmermann lehnt die namentlich vom Bundesverfassungsgericht vertretene menschenbezogene und -zentrierte Dogmatik zu Art. 19 Abs. 3 GG als einen »fehler" 4 6 1 ab und versucht, an deren Stelle eine eigenständige Konzeption zum Zuweisungsgehalt dieser Verfassungsbestimmung zu entwerfen. Hierbei proklamiert er insoweit in Übereinstimmung mit der Karlsruher Judikatur - zunächst, daß grundrechtlicher Schutz bei der Ausübung staatlicher Gewalt nicht in Frage komme. Der Staat sei an die Grundrechte gebunden und könne nicht gleichzeitig Zuordnungssubjekt grundrechtlicher Schutzansprüche sein 462 . Hiervon ausgehend stellt er folgerichtig die Frage, was im einzelnen unter der Ausübung von Staatsgewalt zu verstehen sei. Entscheidend für die Zuweisung grundrechtlicher Schutzansprüche nach Art. 19 Abs. 3 GG sei nicht, daß eine juristische Person staatliche Gewalt ausüben könne, sondern daß sie diese auch tatsächlich ausübe463. Bezogen auf den Bereich der verwaltenden Tätigkeit des Staates, sieht er nicht nur in der Eingriffs-, sondern auch in der Leistungsverwaltung die Ausübung staatlicher Gewalt 464 . Eine genaue Definition dessen, was N. Zimmermann unter der Ausübung staatlicher Gewalt versteht, sucht man in seiner Monographie allerdings vergeblich. Statt dessen beschränkt er sich auf eine Beschreibung staatlicher Tätigkeiten. Kennzeichnend hierfür sollen offenbar zwei Faktoren sein: Die Erledigung öffentlicher Angelegenheiten im Gegensatz zur Verwaltung privater Angelegenheiten einerseits und die Fremdbestimmung bei der Wahrnehmung der betreffenden Sachaufgabe andererseits 465 , wobei er diese Akte der Fremdbestimmung anscheinend auf die gesetzlich konditionierten Verwaltungsentscheidungen beschränkt 466. Auf dieser Linie liegt es dann auch, wenn N. Zimmermann den berufsständischen Einrichtungen grundrechtlichen Schutz insoweit einräumen möchte, als 460

N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts. 461 N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 109 und passim. 462 Ν. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 111 ff.: „Grundrechte bleiben gegen den Staat gerichtete Verfassungsrechte, mithin gegen »staatliche Gewalt* gerichtete Rechte." (S. 113).

N. Zimmermann, Der grundrechtüche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 114. 464 N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 117 ff., insbesondere 121. 465 N. Zimmermann, Der grundrechtüche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 120. 466 So jedenfalls wird man den Satz interpretieren können, „daß jede (verwaltungs-)behördliche Entscheidung zur Gänze durch das Gesetz vorbestimmt ist" (vgl. N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 120).

2. Kap.: Öffentliche Unternehmen als Ausübung von Staatsgewalt

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diese „staatsdistanzierte Funktionen", also berufsständische Interessen wahrnehmen 4 6 7 . In derartigen Tätigkeitsfeldern würden die Kammern nicht in einer die staatliche Verwaltung kennzeichnenden Art und Weise gesetzlich vorformulierte Entscheidungen treffen, sondern „wesensnotwendig staatsdistanziert(e)" Funktionen wahrnehmen. In einem ähnlichen Sinne äußert er sich im Hinblick auf die gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen. Da für die Zuordnung zur staatlichen Verwaltungstätigkeit von Rechtssubjekten maßgeblich sei, daß ihnen vom Staat bestimmte Zwecksetzungen vorgegeben seien, ihrem Tätigwerden also ein „fremdbestimmtes" Verhaltensmuster zugrunde liege, könnten weder Eigengesellschaften noch gemischt-wirtschaftliche Unternehmen der staatlichen Verwaltung zugerechnet werden, weil sie „ein weitgehend eigenbestimmtes »Wirtschaftsleben 4" führten 4 6 8 . Eine Ausnahme von diesem Grundsatz liege allerdings dann vor, wenn die Tätigkeit des betreffenden Unternehmens darauf angelegt sei, die „Grundvoraussetzungen des menschenwürdigen Lebens" zu erfüllen. Sei der Bürger auf die entsprechenden Leistungen dergestalt angewiesen, daß er sie von keiner anderen Rechtsperson hinreichend erlangen könne, sei er „Objekt der dem Staat obliegenden aktuellen Verpflichtung". Sofern der Staat derartige sozialpolitische Motive verfolge, sei es unerheblich, ob er die ihm obliegenden Pflichtaufgaben durch öffentlich-rechtliche oder private Rechtsträger, an denen möglicherweise sogar Private beteiligt seien, erfülle. In jedem Falle müßte dieser Bereich der Unternehmenstätigkeit der grundrechtsunfähigen staatlichen Verwaltung zugeordnet werden 4 6 9 . Anders lägen die Dinge hingegen bei konkurrenzwirtschaftlich orientierten Unternehmen, deren Gesellschaftsanteile in alleinigem Eigentum der öffentlichen Hand stünden oder an denen die öffentliche Hand beteiligt sei 4 7 0 . Habe sich die öffentliche Hand an einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen beteiligt, so sei ein eigenständiges Rechtssubjekt entstanden, das autonom darüber befinde, welche Mittel und Wege zur Erreichung des erwerbswirtschaftlichen Zweckes geboten erschienen. Das Handeln dieses Rechtssubjekts sei demnach nicht mehr mit der staatlichen Verwaltung gleichzusetzen, sondern könne sich im Gegenteil wegen der durch Art. 19 Abs. 3 GG vermittelten Grundrechtsfähigkeit gegen staatliche Ingerenzen zur Wehr setzen 471 . Dabei möchte N. Zimmermann die Tätigkeit der öffentlichen Hand zwei Stufen zuordnen 472 : Auf der ersten Stufe stehe die Entscheidung über den Einsatz staatli461

N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 170 ff., insbesondere 176 f. N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 236 f. 469 N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 251 f. 470 N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 252 ff. 471 N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 254.

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1. Teil: Öffentliche Unternehmen und Demokratieprinzip

eher Mittel, welche uneingeschränkt der staatlichen Verwaltung zugerechnet werden müßte. Hiernach seien zwei Konstellationen denkbar. Sofern erst ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen gegründet werde, so bedinge die wirtschaftliche Betätigungsvorgabe die geschäftspolitische Freiheit der juristischen Person. Sei jedoch das Handeln der öffentlichen Hand darauf angelegt, sich an einem bereits gegründeten Unternehmen zu beteiligen, so befinde sich das gemischt-wirtschaftliche Unternehmen in einer Situation, die mit der Subventionierung eines rein privaten Unternehmens vergleichbar sei. Aus diesem Grunde dürften gemischt-wirtschaftliche Versorgungs- und Verkehrsunternehmen nicht als bloße leistende Verwaltungseinheiten mißverstanden, sondern müßten als Wirtschaftsunternehmen angesehen werden. Etwaig sozialpolitisch motivierte Tarifstaffelungen dürften nur in dem Maße von der öffentlichen Hand durchgesetzt werden, wie es in der Privatwirtschaft üblich sei. Andernfalls, so N. Zimmermann, liege „eine gegen das Wesen der juristischen Person verstoßende Einflußnahme" vor 4 7 3 . Die zuletzt angeführte Schlußfolgerung muß bereits deshalb überraschen, weil N. Zimmermann die Beteiligung der öffentlichen Hand an einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen mit der Subventionierung eines ausschließlich privaten Unternehmens vergleicht. Bei einer Subventionierung Privater stellt das Verwaltungsrecht der öffentlichen Hand jedoch ein breit gestaffeltes Instrumentarium zur Verfügung, das ihr die Durchsetzung der von ihr verfolgten entsprechenden im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zu erreichen ermöglicht, ohne daß es insoweit auf die Marktüblichkeit und -kompatibilität dieser Ziele ankäme. Im Gegenteil: Eine sachliche Notwendigkeit, bestimmte wirtschafts-, sozial- oder kulturpolitische Ziele durch Subventionierung privater Rechtsträger zu erreichen, besteht nur in denjenigen Fällen, in denen der marktmäßige Selbstlauf diesen Zielen nicht zu entsprechen in der Lage ist. Der eigentliche Grund einer Beteiligung der öffentlichen Hand an einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen oder der Subventionierung von Privaten liegt gerade in bestimmten Verwerfungen im Rahmen der privaten Konkurrenzwirtschaft, zu deren Überwindung und Korrektur entsprechende interventionistische Maßnahmen des Staates verfassungsrechlich geboten oder aber zumindest als politisch opportun erscheinen. Und weiter ist die Beteiligung der öffentlichen Hand an gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen auch nicht mit der Subventionierung rein privater Unternehmen zu vergleichen 474 . Liegt im letzteren Falle ausschließlich eine private Trägerschaft vor, so daß entsprechende Rechtssubjekte nur unter der Voraussetzung der Beleihung der staatlichen Verwaltung zugerechnet werden können, bestehen gemischt472 N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 254. 473 N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 255. 474 Vgl. aber N. Zimmermann, Der grundrechtüche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 254, siehe auch S. 223.

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wirtschaftliche Unternehmen neben Privaten auch aus staatlichen oder kommunalen Beteiligungskörperschaften, die für sich genommen zur grundrechtsunfähigen Staatsgewalt gehören. Dieser entscheidende Unterschied verbietet es, beide Fälle gleich zu bewerten und demselben grundrechtlichen Legitimationssystem zuzuordnen. Ein weiterer Gesichtspunkt tritt hinzu, der Widersprüche in der Argumentationsführung von N. Zimmermann deutlich werden läßt. Sofern N. Zimmermann Interventionen der öffentlichen Hand auf gemischt-wirtschaftliche Versorgungs- und Verkehrsbetriebe wegen der Direktionskraft des Art. 19 Abs. 3 GG nur in begrenztem Umfange für zulässig erachtet 475 , übersieht er, daß es sich gerade um diejenigen Unternehmen handelt, welche „die wesentlichen Grundvoraussetzungen des menschenwürdigen Lebens" 476 sicherzustellen helfen und damit seinem Ansatz nach der Staatsgewalt zugerechnet werden müssen, für die ein Schutz materieller Grundrechte von vornherein nicht in Betracht kommt 4 7 7 . Doch letztlich betreffen alle diese Einwände nicht den Kern dessen, was den eigentlichen Gegenstand der Kritik der von N. Zimmermann zu Art. 19 Abs. 3 GG entworfenen Konzeption bildet. Sein Ausgangspunkt, daß die Ausübung staatlicher Gewalt keinen Schutz materieller Grundrechte verdient, sondern im Gegenteil der Grundrechtsbindung unterliegt, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden und deckt sich vollständig mit dem hiesigen Verständnis zum Zuweisungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG. Anlaß zur Kritik bieten indes die Versuche, den Begriff der staatlichen Verwaltung und somit der Ausübung von Staatsgewalt mit juristisch verwertbarer Substanz anzureichern. Maßstabsbildend soll hierfür offenbar die Fremdbestimmung bei der Wahrnehmung der betreffenden Sachaufgabe sein 478 . Fehle es hingegen an dieser Form der Fremdbestimmung, nähmen Rechtssubjekte also eigenbestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung wahr, so werde keine Staatsgewalt ausgeübt und dränge der Zuweisungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG auf Verwirklichung. Damit entpuppt sich die Konzeption von N. Zimmermann als besondere Spielart desjenigen Modells zu Art. 19 Abs. 3 GG, das juristischen Personen (des privaten oder öffentlichen Rechts) stets den Schutz der Grundrechte angedeihen läßt, sofern sich die betreffende juristische Person in einer Außenrechtsbeziehung zu staatlichen oder kommunalen Körperschaften befindet. Deshalb kommen die bereits oben gegen diese Konzeption herausgearbeiteten durchgreifenden Einwände zum 475

N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 255. 476 N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 251. 477

So deutlich N. Zimmermann, Der grundrechtiiche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 251 f. 478 Vgl. nochmals N. Zimmermann, Der grundrechtiiche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 120.

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Tragen 479 : Eigenbestimmte und eigenverantwortliche Freiheitsbetätigung ist die Folge grundrechtlicher Freiheiten, nicht aber deren Begründungsstrang. Demzufolge sucht man in der Arbeit von N. Zimmermann auch vergeblich nach Kriterien, die Aufschluß darüber geben, unter welchen Voraussetzungen die durch staatliche oder kommunale Gebietskörperschaften gegründeten Rechtssubjekte in diese eigenbestimmte Freiheit entlassen werden und ein von staatlicher oder kommunaler Fremdbestimmung abgeschirmtes, autonomes „Leben" führen dürfen. Der innere Grund für diese Lücke in der Architektur des Art. 19 Abs. 3 GG liegt darin, daß der Zusammenhang zwischen den beiden gegenläufigen, sich gegenseitig ausschließenden Verfassungsprinzipien der grundrechtlichen Legitimation einerseits und der demokratischen Legitimation andererseits gänzlich ausgeblendet wird. Zu fragen wäre also, ob der Staat unter den Auspizien des Prinzips demokratischer Legitimation die von ihm gegründeten Rechtssubjekte von administrativer Steuerung und damit von Fremdbestimmung freistellen darf 4 8 0 . Sofern man die Polarität grundrechtlicher und demokratischer Legitimationsformen und die aus dem Demokratieprinzip fließenden Implikationen der Zuerkennung grundrechtlicher Schutzansprüche für juristische Personen unberücksichtigt läßt, muß man zwangsläufig bei der Bestimmung des Gewährleistungsbereichs des Art. 19 Abs. 3 GG auf einen Irrweg geraten. Das von N. Zimmermann konstatierte „weitgehend eigenbestimmte »Wirtschaftsleben 4"481 der Eigengesellschaften und gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen ist lediglich eine Beschreibung realer Lebensverhältnisse, nicht aber eine verfassungsrechtlich dogmatisch taugliche Begründung für die Einräumung grundrechtlicher Schutzansprüche. Ebensowenig wie die Reichweite des Prinzips demokratischer Legitimation zur Disposition des Staates steht, vermag er durch die Zuerkennung wirtschaftlicher Bewegungsfreiheiten den Zuweisungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG zu bestimmen, das heißt Eigengesellschaften oder gemischtwirtschaftliche Unternehmen mit materiellen Grundrechten auszustatten. Im Ergebnis kann daher festgehalten werden, daß die von N. Zimmermann vorgetragenen Argumente für die Einbeziehung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen in den Zuweisungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Nicht die Freiheit von Fremdbestimmung und die Zuerkennung 479

Vgl. hierzu eingehend oben auf den S. 83 ff. N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 256 f., erörtert zwar die demokratiestaatlichen Implikationen der Einordnung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen in den Bereich der grundrechtsunfähigen Staatsgewalt insoweit, als er die Anwendung mitbestimmungsrechtlicher Regelungen auf gemischt-wirtschaftliche Unternehmen vor dem Hintergrund personeller Legitimationserfordernisse problematisiert; er hätte den damit angesprochenen Problemhorizont allerdings strecken und um die Frage erweitern müssen, ob das Prinzip demokratischer Legitimation es der Staatsgewalt verwehrt, die von ihr (mit-)getragenen Gesellschaften des privaten Rechts mit weitreichenden Autonomiebefugnissen auszustatten und auf diese Weise von Einwirkungen der Träger- beziehungsweise Beteiligungskörperschaften freizustellen. 480

481 N. Zimmermann, Der grundrechtliche Schutzanspruch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 237.

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wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit rechtfertigt die Zuweisung grundrechtlicher Schutzansprüche an gemischt-wirtschaftliche Unternehmen, sondern umgekehrt bedarf gerade der Verzicht umfassender administrativer Steuerung dieser Unternehmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung vor dem Hintergrund des Prinzips demokratischer Legitimation.

(3) Schutz privater Anteilseigner Von einer beachtlichen Anzahl von Stimmen in der Literatur wird der Versuch unternommen, die Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen unter Hinweis auf die Schutzbedürftigkeit der beteiligten privaten Anteilseigner zu begründen 482. Teilweise wird dieser über Art. 19 Abs. 3 GG vermittelte Schutz bereits dann für geboten gehalten, wenn der Staat den maßgeblichen Einfluß auf das Unternehmen habe 483 . Zwar könnten, so teilweise die Begründung, staatliche Ingerenzen in die Rechte des Unternehmens als Eingriffe in die Rechte der privaten Anteilseigner angesehen werden, so daß die beteiligten Privatpersonen insoweit bei Eingriffen in die Rechte der betroffenen Gesellschaft ihre Individualrechte ins Feld schicken könnten. Gleichwohl seien aber auch Konstellationen denkbar, in denen derartige mittelbare Einwirkungen mit grundrechtsrelevanter Eingriffsintensität nicht hinlänglich feststellbar seien. Da Art. 19 Abs. 3 GG gerade den Zweck verfolge, den Grundrechtsschutz des Individuums zu effektivieren, müßten dem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen selbst grundrechtiiche Schutzansprüche zustehen; anderenfalls sei ein wirksamer Schutz der privaten Anteilseigner nicht zu gewährleisten 484. Ebenso hebt K. Stern auf die Schutzinteressen der privaten Gesellschafter ab. Selbst wenn die öffentliche Hand oftmals bestimmenden Einfluß auf die Unternehmensführung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen habe, könne diese Form der Aufgabenerfüllung der juristischen Person nicht axiomatisch der staatlichen Verwaltungstätigkeit zugeschlagen werden. Eine solche Zuordnung würde sowohl die Beteiligung privater Rechtssubjekte „vollkommen vernachlässigen" als auch den Umstand unberücksichtigt lassen, daß diese Unternehmen „durchweg marktwirtschaftlich tätig" würden 485 . Aus diesem Grunde könnten gemischt-wirtschaftlichen 482 Vgl. etwa A. Bleckmann, Die Grundrechte - Staatsrecht II, § 9 Rdnr. 12; D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 85; H.-G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3109 ff.); E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (12 f., insbesondere 13); K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III /1, S. 1169 f.; R. Scholz, in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 (226 f.). 483

A. Bleckmann, Die Grundrechte - Staatsrecht II, § 9 Rdnr. 12: „Wenn auch nur ein einziger Privatmann überdies sehr geringe Anteile am Unternehmen besitzt, verlangt Art. 19 m den mittelbaren Schutz seiner Grundrechte." 484 Λ. Bleckmann, Die Grundrechte - Staatsrecht II, § 9 Rdnr. 12. 4 »5 K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. ΠΙ/1, S. 1170. 1

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Unternehmen grundrechtliche Schutzansprüche prinzipiell nicht versagt bleiben. Nur ausnahmsweise, wenn die private Beteiligung lediglich eine untergeordnete Bedeutung erlange, also in Wirklichkeit nur eine Alibifunktion erfülle, seien gemischt· wirtschaftliche Unternehmen der öffentlichen Verwaltung zuzurechnen, die grundrechtlichen Schutz für sich nicht reklamieren könne 486 . Sofern der Grundrechtsschutz gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen auf die marktwirtschaftlichen Bewegungsgesetze gestützt wird, denen auch diese Unternehmen unterworfen sind, wird übersehen, daß dann auch Eigengesellschaften grundrechtlicher Schutz zugute kommen müßte, weil auch diese Unternehmen oftmals über weitreichende wirtschaftliche Bewegungsfreiheiten verfügen. Daß damit der Sinngehalt des Art. 19 Abs. 3 GG gleichsam auf den Kopf gestellt würde, ist bereits mehrfach hervorgehoben worden. Die staatliche oder kommunale Trägerschaft dieser privatrechtlichen Gesellschaften ist der Zuordnungsgrund zur demokratisch legitimationsbedürftigen staatlichen Verwaltung, an dem die mehr oder weniger vorhandenen wirtschaftlichen Bewegungsfreiräume nichts zu ändern vermögen. Der Verzicht auf umfangreiche staatliche oder kommunale Steuerung bedarf vor dem Prinzip demokratischer Legitimation der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Die unter Umständen marktwirtschaftliche, an kaufmännischen Grundsätzen orientierte Ausrichtung der Unternehmenspolitik gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen kann demnach niemals eine Grundrechtsträgerschaft im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG begründen. Der Blick kann daher nur auf den Schutz der privaten Anteilseigner fallen. Es ist der Frage nachzugehen, ob bereits dieser Gesichtspunkt die Einbeziehung gemischt· wirtschaftlicher Unternehmen in den Zuweisungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG zu rechtfertigen vermag. Zunächst wird insoweit darauf verwiesen, daß nach dem Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts 487 nicht mehr bestritten werden könne, daß staatliche Regelungen der unternehmensinternen Organisationsstruktur auch an den Grundrechten der betroffenen Unternehmen zu messen seien. Entsprechendes müsse auch für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen gelten 4 8 8 . Diese Argumentation übersieht, daß es nicht um den regelmäßig zweifelsfrei vorhandenen grundrechtlichen Schutz von Unternehmen gegen gesellschaftsrechtliche Regelungen des staatlichen Gesetzgebers geht, sondern um die Frage, ob auch gemischt-wirtschaftliche Unternehmen ob der Beteiligung der öffentlichen Hand diesen Schutz beanspruchen können. Weiter trägt man als Argument die grundrechtliche Absicherung der privaten Anteilseigner vor. Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Umstand, daß sich die einzelnen privaten Anteilseigner auf grundrechtlichen Schutz berufen könnten, ins486 K. Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I I I / l , S. 1170; siehe auch E. Schmidt-Aßmann, in: Festschrift für F. Fabricius, S. 251 (261: „eindeutige Beherrschung"). 4*7 BVerfGE 50,290 (339,351 f.). 4» E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990,1 (13); ders., in: Festschrift für H. Niederländer, S. 383 (395).

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besondere auf den Schutz der Eigentumsgarantie des Art. 14 G G 4 8 9 . Dieser verfassungsmäßige Minderheitenschutz mache einen grundrechtlichen Schutz des Unternehmens selbst unumgänglich. Dies ergebe sich aus zwei Gründen: Zum einen sei ein grundrechtlicher Schutz des Unternehmens immer dann geboten, wenn dem Unternehmen selbst bestimmte gesellschaftsrechtliche Bindungen auferlegt würden und ihm bestimmte Einschränkungen gegenüber dem allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Standard zugemutet werden sollten 490 . Die Individualgrundrechte der privaten Anteilseigner ließen sich gegenüber solchen gesellschaftsrechtlichen Regelungen nur schwerlich aktivieren, zumal das Aktieneigentum gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum sei 4 9 1 und lediglich mittelbar mit geminderter Schutzintensität zur Geltung gebracht werden könne 492 . Zum anderen bedürfe es im Interesse eines wirksamen Individualrechtsschutzes eines Grundrechtsschutzes des betroffenen Unternehmens insoweit, als es für eine bestimmte Sachaufgabe in Dienst genommen und ihm im Interesse der Allgemeinheit bestimmte Sonderpflichten auferlegt würden. Auch in diesem Falle lasse sich die erforderliche verfassungsrechtliche Disziplinierung des staatlichen Gesetzgebers nur unzureichend über den Umweg des Anteilseigentums der privaten Kapitalgeber bewerkstelligen. Häufig ließen sich ein Beeinträchtigungsgehalt solcher Maßnahmen und Nachteile im Vermögenswert der Aktie oder des Gesellschaftsanteils nicht nachweisen. Gleichwohl könnten derartige gesetzgeberische Zugriffe die im Unternehmen angelegten Handlungsmöglichkeiten spürbar beschränken. Die im Zeitpunkt des Eingriffs noch nicht erkennbaren und nur unter Schwierigkeiten zu beziffernden Folgeschäden des Unternehmens ließen sich über den Vermögenswert der Beteiligung der Privataktionäre im Ergebnis nicht abfangen. Dem Unternehmen selbst müßten entsprechende grundrechtliche Schutzansprüche zustehen, um die privaten Anteilseigner wirksam schützen zu können 493 . Dem ist insoweit zuzustimmen, als die an einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen beteiligten privaten Anteilseigner besonders schutzwürdig erscheinen. Nur bedürfte es des besonderen Nachweises, weswegen das geltende Gesellschaftsrecht diesem Schutzbedürfhis nicht zu entsprechen vermag. Wie noch zu zeigen sein wird 4 9 4 , vermitteln die Grundsätze des (faktischen) Konzernrechts den 489 Vgl. nur BVerfGE 14, 263 (276 ff.); 50, 292 (342); H.-G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3110 f.); E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (13); R. Scholz, in: Festschrift für W.Lorenz, S. 213 (226). 490 E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (13); ders., in: Festschrift für H. Niederländer, S. 383 (395 f.) unter Hinweis auf die gesellschaftsrechtliche Sonderregelung des § 394 AktG. 491 Vgl. hierzu BVerfGE 14,263 (276 f.); 25,371 (407); 50,290 (342). 492 E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (13); ders., in: Festschrift für H. Niederländer, S. 383 (396). 493 E. Schmidt-Aßmann, BB-Beilage 34/1990, 1 (13); ders., in: Festschrift für H. Niederländer, S. 383 (396); siehe auch H.-G. Koppensteiner, NJW 1990, 3105 (3113 f.); R. Scholz. in: Festschrift für W. Lorenz, S. 213 (226 f.). 494 Vgl. hierzu ausführlich unten im zweiten Teil, Kapitel 2, S. 334 ff.

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Minderheitsaktionären einen hinreichenden Schutz, sofern öffentlich-rechtliche Beteiligungskörperschaften in einer Weise auf gemischt-wirtschaftliche Unternehmen Einfluß nehmen, die seinen wirtschaftlichen Interessen zuwiderlaufen. Und schließlich ist es nicht so recht einzusehen, weswegen die Grundrechtspositionen der privaten Gesellschafter keine hinreichende Schutzintensität entfalten sollen. Der mittelbaren Betroffenheit muß nicht zwingend eine nur geminderte Schutzintensität korrespondieren. Vielmehr ließe sich eingedenk fehlender Grundrechtsfähigkeit des unmittelbar betroffenen gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens sehr wohl konstruktiv begründen, die Schutzwirkung grundrechtlicher Positionen auch bei mittelbaren Eingriffen zu aktivieren und auf diese Weise etwaigen staatlichen Legislativakten entgegenzusetzen. Jedenfalls erscheint damit ein dogmatisch besser ausgeformter Weg beschritten zu werden, als gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen generell den Schutz materieller Grundrechte angedeihen zu lassen und damit - in einer den Sinn des Art. 19 Abs. 3 GG verkehrenden Weise - grundrechtsunfähige staatliche oder kommunale Beteiligungskörperschaften faktisch mit grundrechtlichem Schutz auszustatten. Doch selbst wenn die Dichte des grundrechtlichen Schutzes privater Anteilseigner hinter dem üblichen Standard zurückbleiben sollte, rechtfertigte dies noch nicht, im Interesse ihres wirksamen Schutzes gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen grundrechtliche Schutzansprüche zuzubilligen. Denn ein solcher Zuweisungsversuch beruht letztlich allein auf Billigkeitsüberlegungen, die einer dogmatisch tragfähigen, mit dem anthropozentrischen Zuweisungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG kompatiblen Begründung entbehren. So sehr die an gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen beteiligten Privaten auch des besonderen Schutzes bedürfen und damit den grundrechtlichen Schutz der von staatlichen Maßnahmen betroffenen Gesellschaft selbst erfordern mögen, so wenig ist es gerechtfertigt, den öffentlich-rechtlichen Beteiligungskörperschaften auf diese Weise mittelbar grundrechtlichen Schutz zuzuweisen. Was für die privaten Anteilseigner im Lichte des Art. 19 Abs. 3 GG geboten erscheint, ist im Hinblick auf die ebenfalls beteiligte öffentliche Hand schlechthin nicht möglich. Dieses Dilemma ist in der Struktur gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen selbst angelegt, genauer: in der Überschneidung gesellschaftlicher und staatlicher Funktionskreise, die auf gänzlich unterschiedlichen Funktionsbedingungen beruhen, nämlich einerseits auf der freiheitlich-grundrechtlichen und andererseits auf der staatsbezogenen demokratischen Legitimationsform. Wer also gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen unter Hinweis auf die Schutzwürdigkeit privater Anteilseigner grundrechtlichen Schutz zuspricht, akzentuiert einseitig deren Belange und muß infolgedessen das Zuweisungsmodell des Art. 19 Abs. 3 GG verfehlen, das einem grundrechtlichen Schutz des Staates und seiner Untergliederungen entgegensteht. Mit derselben Berechtigung ließe sich auf die Beteiligung öffentlich-rechtlicher Beteiligungskörperschaften abstellen und mit Blick auf ihre Grundrechtsunfähigkeit zur fehlenden Grundrechtsberechtigung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen gelangen. Wieso insoweit die Schutzwürdigkeit der privaten Anteilseigner im Vordergrund ste-

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hen und die mangelnde Grundrechtsfähigkeit der öffentlichen Hand zurücktreten soll, ist schlechthin nicht ersichtlich 495 . Schließlich kommt noch folgende Überlegung hinzu. Würde man dem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen allein wegen der Beteiligung Privater grundrechtlichen Schutz zubilligen, wäre den staatlichen oder kommunalen Gebietskörperschaften nur zu raten, „schnellstens alle ihre Eigengesellschaften in gemischtwirtschaftliche Unternehmen umzuwandeln" 496 , um auf diese Weise die Gesellschaften von dem Erfordernis demokratischer Legitimation zu befreien und in den grundrechtlichen Freiheitsbereich zu entlassen. Grundrechtlicher Schutz würde nach Maßgabe des staatlichen Organisationsaktes und damit nach Maßgabe hoheitlicher Handlungen gewährt, was mit der Unverfügbarkeit grundgesetzlicher Normen und mit dem Zuweisungsgehalt des Art. 19 Abs. 3 GG unvereinbar wäre 497 . Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß sich die Geltungserstreckung des Art. 19 Abs. 3 GG auf gemischt-wirtschaftliche Unternehmen nicht mit dem Argument begründen läßt, ein wirksamer Schutz der privaten Anteilseigner erfordere einen grundrechtlichen Schutz des Unternehmens. Hierbei wird nur eine für Art. 19 Abs. 3 GG relevante Seite des Unternehmens beleuchtet, die andere hingegen, nämlich die Anteile der öffentlichen Hand, ausgeblendet. Der Zuweisungsgrund des Art. 19 Abs. 3 GG wird dadurch in einer die menschenbezogene und -zentrierte Sinnstiftung dieser Verfassungsbestimmung verkennenden Weise verfälscht.

(4) Beleihung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen als unerläßliche Voraussetzung für die Zuordnung zur grundrechtsunfähigen Staatsgewalt? Im Schrifttum finden sich gelegentlich Stimmen, die sich prinzipiell für eine Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen aussprechen und hiervon nur dann eine Ausnahme machen, wenn das Unternehmen mit der Ausübung staatlicher Funktionen beliehen ist. Ohne einen solchen öffentlich-rechtlichen Kompetenzentscheid durch Beleihung müßten gemischt-wirtschaftliche Unternehmen wegen der Beteiligung privater Rechtsträger dem grundrechtlichen Wirkungsfeld zugeordnet werden 498 . Namentlich R. Scholz hat sich diese Auffassung zu eigen gemacht und dogmatisch zu untermauern versucht 499 . Zunächst folgt R. 495

Ähnlich H. Dreier, in: dems. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 ΠΙ Rdnr. 49. *> V. Emmerich, JuS 1970, 332 (335); ebenso Th. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 148. 497 Vgl. Th. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 148; H. Scholler/S. Broß, DÖV 1978, 238 (241); N. Zimmermann, JuS 1991, 294 (300). 4