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German Pages 305 Year 1998
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 748
Öffentliche Kunstförderung zwischen Kunstfreiheitsgarantie und Kulturstaat
Von
Wolfgang Palm
Duncker & Humblot · Berlin
WOLFGANG PALM
Öffentliche Kunstförderung zwischen Kunstfreiheitsgarantie und Kulturstaat
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 748
Öffentliche Kunstförderung zwischen Kunstfreiheitsgarantie und Kulturstaat
Von Wolfgang Palm
Duncker & Humblot * Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Palm, Wolfgang: Öffentliche Kunstförderung zwischen Kunstfreiheitsgarantie und Kulturstaat / von Wolfgang Palm. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht; Bd. 748) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09292-9
Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-09292-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©
Vorwort Der vorliegende Text gründet auf der 1996 der Rheinischen-FriedrichWilhelms-Universität Bonn vorgelegten Dissertation und wurde zwischenzeitlich um neuere Rechtsprechung und Literatur ergänzt. Materielle und ideelle Förderung wurde der Untersuchung in angemessenem Maße zuteil, so daß die Arbeit zugleich teilweise ein Produkt dessen ist, wovon sie handelt. Danken möchte ich Herrn Professor Dr. Eibel für immerwährende Gesprächsbereitschaft sowie entscheidende motivationale Förderung und Herrn Professor Dr. Ossenbühl für die Zweitbegutachtung. Meine Eltern haben die Arbeit insbesondere in der Startphase durch großzügige Hilfe mäzeniert. Meine Ehefrau Dr. Solveig Palm war mir in der Endphase neben Anregungen aus den Bereichen Kunstgeschichte und Kulturpolitik vor allem in der redaktionellen Arbeit eine große Hilfe. Zahlreiche Gespräche mit Künstlern und Kunstvermittlern waren schließlich Voraussetzung, um die empirischen Momente der "Kunstszene" besser kennenzulernen. Bonn im November 1997 Wolfgang Palm
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
A. Vorbemerkung zur verfassungsrechtlichen Relevanz des Problemkreises staatlicher Kunstförderung
21
B. Das Verhältnis von Kunst und Recht als Methodenproblem
23
I. Zum Interpretationsschicksal des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
23
II. Problemorientierte Methode im juristischen Diskurs
24
DI. Grundrechtstheorien
27
Erster Teil Die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als Ausgangsbasis für eine verfassungsrechtliche Konzeption der Kunstforderung
A. Zum Verhältnis der Kunstfreiheitsgarantie zur Kunstförderung I. Aufgabenfeld "Kunstförderung"
29 29
1. Vorüberlegungen
29
2. Formale Kategorisierung der Kunstförderung
30
3. Materielle Kategorien der Kunstförderung
32
II. Kunstfreiheit als Element der Kunstfördening
33
nsverzeichnis B. Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG I. Negativer Kunstbegriff
35 35
1. Normbegriff und außeijuristische Theorie
35
2. Obsolete Kunstbegriffe
37
a) Antidemokratische Bestimmungsversuche
37
b) Idealistische Konzeptionen
37
II. Formaler Kunstbegriff
39
ID. Materialer Kunstbegriff
43
IV. Formal-materialer Kunstbegriff
47
V. Semiologischer Kunstbegriff
48
VI. Konzeptionen und Argumentationsfiguren zur Umgehung einer Objektivierung eines verfassungsrechtlich privilegierten Status der Kunst 50 1. Entprivilegierung der Kunstfreiheit
51
2. Aufspaltung von Kunstwerken in Kunst und Nichtkunst
54
a) Finalisierung des Kunstbegriffs
55
b) Manteltheorie
56
c) Betrachtermaßstab
59
3. Schrankenorientierte Auflösung des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs
61
4. Interdisziplinäre Entscheidungsfindung in der Definition des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs
64
5. Künstlerisches Selbstverständnis
68
a) Ansätze zur Einbeziehung des Selbstverständnisses
68
b) Zur Kritik subjektivierender Grundrechtsauslegung
70
c) Verfassungsgemäßes Verhältnis von Fremdverständnis und Selbstverständnis
75
VII. Zusammenfassung der verfassungsgemäßen Elemente der personalen Kunstfreiheit in einem integralen Kunstverständnis
77
nsverzeichnis VÜL Institutionelle Absicherungen der Kunstfreiheit
9 79
1. Institutionelle Konzeptionen
79
2. Kritik antiinstitutioneller Grundrechtsdeutungen
81
3. Institutioneller Gehalt des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG IX. Kreis der Grundrechtsträger
83 86
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit in der verfassungsrechtlichen Strukturierung der Kunstförderung I. Schrankenkonzeptionen zu Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
89 89
1. Übersicht zur Grundrechtsdogmatik
89
2. Definitorische Eingrenzungen
92
3. Schranken aus Art. 5 Abs.2 GG
92
4. Begrenzungen nichtkommunikationsfahiger Kunst
93
5. Stufentheorie und Grundrechtsmodalitäten
94
a) Werk- und Wirkbereich
94
b) Gattungstypologie
96
c) Vorbereitungs- und Verbreitungshandlungen
98
6. Verfassungsimmanente Schranken a) Wertordnungsdenken der Verfassungsrechtsprechung b) Nichtstörerschranken analog Art. 2 Abs. 1 GG
100 100 102
c) Verfassungsrechtliches "Minimum"
104
d) Gesetzesvorbehalt versus Rechtsprechungsvorbehalt
107
II. Kollisionslösendes Verfahren
108
DI. Obersicht zur Problematik der Grundrechtskonkurrenzen
112
1. Scheinkonkurrenz
112
2. Spezialität
114
3. Idealkonkurrenz
114
nsverzeichnis
10
Zweiter Teil Kunstforderung als Teil der Kulturverfassung
A. Die Aufgabe "Kunstförderung" im Rahmen einer Staatsaufgabenlehre
117
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
118
I. Ableitung aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
118
1. Förderung der Kunstfreiheit
118
2. Programmdefizite der "Freiheitsförderung"
119
II. Sozialstaatliche Begründung der Kunstförderung
124
IE. Kulturstaatliche Ableitung der Kunstförderung
125
1. Staatszielbestimmung "Kulturstaat"
125
a) Begriff und Dogmatik
126
b) Kulturstaatliche Kompetenzordnung
130
aa) Kulturförderalismus
130
bb) Bundeskulturstaatlichkeit
131
c) Kulturstaat und Europäische Kultur
134
aa) Vorüberlegungen
134
bb) Europäische Kompetenzordnung
136
(1) Subsidiaritätsprinzip und Kultur
138
(2) Kultur und Wirtschaft
138
(3) Kulturelle Pflichtaufgaben
140
2. Auswirkungen des Kulturbegriffs auf die Strukturierung staatlicher Kunstförderung
142
3. Verhältnis des Kulturstaats zu institutionellen Grundrechtsgehalten des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
144
4. Kunstförderung und Sozialstaat
145
a) Kulturelle Daseinsvorsorge
145
b) Probleme der Vermittlungsförderung
148
c) Sozialstaatliche Sicherung der Künstler
151
d) Grenzen des sozialen Kulturstaats
153
nsverzeichnis 5. Kunstförderung und Demokratie
11 154
a) Demokratisierung der Kultur
155
b) Kritik der kulturellen Demokratie
156
c) Kulturelle Partizipation
156
6. Kunstförderung und Gleichheitsgrundsatz a) Vermittlungsförderung
159 159
aa) Kulturelles Existenzminimum
159
bb) Kulturelle Chancengleichheit
160
b) Gleichheitsgrundsatz und Qualitätsförderung
163
7. Kunstförderung und Subsidiaritätsprinzip
166
8. Kunstförderung und Verhältnismäßigkeitsprinzip
170
C. Kunstförderung als staatliche Pflichtaufgabe
171
I. Subjektiv-rechtlicher Anspruch auf Kunstförderung
171
II. Teilhabeansprüche der kunstinteressierten Öffentlichkeit
176
HI. Kunstförderung als objektiv-rechtliche staatliche Förderungspflicht
177
D. Zum Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts in der Kunstförderung
180
I. Dogmatische Leitlinien
180
II. Präzisierung des Wesentlichen
181
1. Verhältnis von künstlerischer Freiheit und gesetzlicher Regelung
181
2. Ausdifferenzierung der Problemfelder
183
E. Kunstförderung im Spannungsverhältnis von Qualität und Neutralität
188
I. Übersicht zur Problemlage
188
II. Begriff der qualitativen Auswahlentscheidung
189
DI. Prinzip der Nichtidentifikation
191
IV. Verwaltungsprogramm und qualitative Selektion
192
V. Pluralismus als Hindernis identifikatorischen Staatshandelns
193
nsverzeichnis F. Kunstförderung im Spannungsverhältnis von Schwerpunktbildung und Ausgleichsmaßnahmen
195
I. Modelle
195
II. Kunstförderung als Kooperation mit Privaten
198
1. Staatliche Kunstmarktförderung
198
2. Staatliche Kooperation mit Mäzenen und Sponsoren
200
G. Steuerrecht als Instrument der Kunstförderung
202
I. Zur Bedeutung steuerlicher Kunstförderung
202
II. Einkommensteuer
205
1. Künstlerische Tätigkeit als Erwerbstätigkeit
205
2. Abzugsfähigkeit von Erwerbsaufwendungen
206
3. Abschreibungsmöglichkeiten
207
4. Spendenabzug
208
m. Umsatzsteuer
209
1. Künstler als steuerpflichtige Unternehmer
209
2. Kunsthändler als steuerpflichtige Unternehmer
210
3. Kunsterwerber als Endverbraucher
210
a) Förderung des Kunsterwerbs
210
b) Probleme einer Umsatzsteuerbefreiung
211
4. Steuerbefreiung privater Kultureinrichtungen
211
IV. Vermögenssteuer 1. Besteuerung des künstlerischen Berufsvermögens 2. Befreiungsvorschriften gemäß § 110 Abs. 1 Ziff. 12 und 115 BewG
211 211 212
V. Gewerbebesteuerung der Kunst
214
VI. Steuerentrichtung durch Hingabe von Kunstwerken
214
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstförderung
214
I. Organisation und Kunstfreiheit II. Allgemeine Strukturelemente der Förderorganisationstypen
214 216
nsverzeichnis
13
1. Verfahrenskompetenz
217
2. Programmkompetenz
217
3. Bewertungskompetenz
217
4. Beratungskompetenz
217
5. Rechtskompetenz
218
6. (Letzt)Entscheidungskompetenz
218
7. Rechtsform
220
ID. Typologie der kunstfördernden Institutionen
221
1. "Staatsabstinenzmodell"
222
2. "Staatsdistanzmodell"
222
Exkurs: Förderungsmodell Kunstfonds e.V
223
3. "Mediatisierungsmodell"
224
4. "Staatsmonopolmodeir
225
IV. Probleme der Entstaatlichung der Kunstförderung
225
1. Staatliche Neutralität und gesellschaftliche Interessen
227
2. Probleme der Repräsentation
228
a) Grenzen der Repräsentation
228
b) Beteiligung der Verbände
229
3. Zur Struktur sachverständiger Entscheidung
231
4. Pluralistische Gremien als Entscheidungsträger
233
a) Legitimationsprobleme pluralistischer Gremien
233
b) Auswahl der Mitglieder
236
V. Verfahrenssicherungen der Selbstverwaltung
237
1. Rotationsprinzip
238
2. Verfahrenstransparenz
238
3. Inkompatibilitätsregelungen
239
4. Entscheidungsdekomposition
240
5. Fallbeispiel verfahrensgerechter Kunstförderung
240
nsverzeichnis
14
Dritter Teil Prozessuale Probleme der Kunstforderung
A. Rechtsnatur der Maßnahmen
244
I. Problemstellung
244
II. Rechtsprechungsübersicht
244
m. Differenzierungskriterien
246
1. Öffentlich-rechtliche Zuständigkeitsnormen
246
2. Verfahrensgedanke
246
3. Schutzgedanke
247
4. Vertragsinhalt und -zweck
248
IV. Beispielfälle
B. Gerichtliche Kontrolle qualitativer Auswahlentscheidungen I. Rechtsprechungsübersicht
249
251 252
1. Ältere Judikatur
252
2. Neue Rechtsprechung und Literatur
253
II. Beurteilungsspielraum als Grenzerichterlicher Kontrollfunktionen
254
1. Rechtsstaatsprinzip
254
2. Kunstfreiheit
255
ID. Beurteilungsspielraum und Begründungspflicht
256
IV. Elemente des Beurteilungsspielraums
258
1. Subjektivität
258
2. Sachverstand
258
3. Pluralität
258
V. Fallgruppen rechtswidriger Förderungsentscheidungen
259
1. Sachverhaltsirrtum
259
2. Mangelhafte Prüfung und Begründung
259
3. Willkürliche Bewertung
260
4. Verletzung von Bewertungsgrundsätzen
261
nsverzeichnis 5. Verfahrensfehler
15 261
a) Besetzungsfehler
261
b) Mitwirkung befangener Mitglieder
262
Nachwort
263
Literaturverzeichnis
266
Sachwortverzeichnis
302
Abkürzungsverzeichnis a.A. aaO. ABl. ABl.EG Abs. a.F. AfP AG AK-GG AO AöR ArchitG Art. Aufl. Bad-Württ. BaWüVBl Bay. BayVBl BayVerf BerlVerf BerlVerfGH BewG BFH BFHE BGB BGBl BGH BGHSt BGHZ BMF BR BR-Drucks. BSG BStBl BT BT-Drucks. Bull. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE
anderer Auffassung am angegebenen Ort Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz alte Fassung Archiv für Presserecht Amtsgericht Alternativkommentar zum Grundgesetz Abgabenordnung Archiv für öffentliches Recht Architektengesetz Artikel Auflage Baden-Württemberg Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt Bayern Bayerisches Verwaltungsblatt Verfassung des Freistaates Bayern Berliner Verfassung Berliner Verfassungsgerichtshof Bewertungsgesetz Bundesfinanzhof Bundesfinanzhof, Entscheidungssammlung Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Strafsachen Bundesgerichtshof, Entscheidungen in Zivilsachen Bundesministerium der Finanzen Bundesrat Bundesratdrucksache Bundessozialgericht Bundessteuerblatt Bundestag Bundestagsdrucksache Bulletin Bundesverfassungsgericht Bundesverfassungsgericht, Entscheidungssammlung Bundesverwaltungsgericht Bundesverwaltungsgericht, Entscheidungssammlung
Abkürzungsverzeichnis DB Diss. Dok. DÖV DStR DuR DVB1 EG EGV EinigungsV EMRK Erl. EStG EuGH EuGRZ EuR EUV EWG EWGV FamRZ FAZ FGO Fn. FS FuR GA Gbl. GewArch GewO GewStDV GewStG GG GGK GjS GS HambOVG HessVGH i.d.F. i.V. m. JA JR Jura JuS JZ KJ KStG KultstiftFG LG lit. LK 2 Palm
17
Der Betrieb Dissertation Dokumente Die öffentliche Verwaltung Deutsches Steuerrecht Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einigungsvertrag Europäische Menschenrechtskommission Erlaß Einkommensteuergesetz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte, Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Finanzgerichtsordnung Fußnote Festschrift Film und Recht Goltdammer's Archiv für Strafrecht Gesetzblatt Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung Gewerbesteuergesetz Grundgesetz Grundgesetz-Kommentar Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Gedächtnisschrift Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Hessischer Verwaltungsgerichtshof in der Fassung in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kritische Justiz Körperschaftssteuergesetz Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz Landgericht litera Leipziger Kommentar
18 LKV Ls. m.A. MDR m.w.N. n.F. NJW NRW NRWVerf NVwZ OFD O.J. OLG OLGE OVG PolG RdJB Rdnr. RFH RFHE RG RGSt RGZ RR Rs. Rspr. RStBl SächsKRG SchlHA SchlHLandessatzung SG Sp. StGB StGG UFITA UStG VerwArch VerwRSch VerwRspr. VG VGH Vorb. WDStRL VwGO VwVfG WissR WRV ZBR Ziff. ZPO
Abkürzungsverzeichnis Landes- und Kommunalverwaltung Leitsatz/Leitsätze mit Anmerkung Monatsschrift für Deutsches Recht mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nordrhein-Westfalen Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Oberfinanzdirektion ohne Jahresangabe Oberlandesgericht Oberlandesgericht, Entscheidungssammlung Oberverwaltungsgericht Polizeigesetz Recht der Jugend und des Bildungswesens Randnummer Reichsfinanzhof Reichsfinanzhof, Entscheidungssammlung Reichsgericht Reichsgericht, Entscheidungssammlung in Strafsachen Reichsgericht, Entscheidungssammlung in Zivilsachen Rechtsprechungsreport Rechtssache Rechtsprechung Reichssteuerblatt Sächsisches Kulturraumgesetz Schleswig-Holsteinische Anzeigen Landessatzung für Schleswig-Holstein Sozialgericht Spalte Strafgesetzbuch Staatsgrundgesetz Archiv für Urheber-, Film-, Funk-, und Theaterrecht Umsatzsteuergesetz Verwaltungsarchiv Verwaltungsrundschau Verwaltungsrechtsprechung Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wissenschaftsrecht Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für Beamtenrecht Ziffer Zivilprozeßordnung
Abküzungsverzeichnis ZRP ZUM
19
Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht, Film und Recht
Soweit die Abkürzungen nicht erläutert sind, wird verwiesen auf: Kirchner, Abkürzungsverzeichnis in der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin 1993.
Einleitung A. Vorbemerkung zur verfassungsrechtlichen Relevanz des Problemkreises staatlicher Kunstförderung Kunstförderung durch den Staat birgt für die Verfassungsinterpretation eine Reihe erheblicher Probleme. Das Aufeinandertreffen von Kunst und Recht in der Zentralperspektive des Leistungsstaates schafft eine Beziehung, die von Vertretern beider Lebensbereiche mit Skepsis bis offenem Unbehagen betrachtet wird. Zu den verfassungsrechtlich nicht abschließend geklärten Fragen des gewährenden Staatshandelns tritt mit der Kunst eine Lebensbereich auf den Plan, der sich gerade aus der Bemühung zu speisen scheint, Festlegungen zu vermeiden, Unsicherheiten zu schaffen und eine politisch geprägte Lebenswirklichkeit zu hinterfragen 1. Die rechtliche2 Verklammerung so unterschiedlicher Wirklichkeitsebenen mit der Hoffnung auf wechselseitige Bereicherung darf nicht zur Umklammerung der Kunst durch ein Staatskunstkonzept pervertieren 3. Diese Gefahr ist um so größer je allgemeiner Aufgabenzuweisungen im Bereich staatlicher Kunstförderung begründet werden4. Unter dem vordergründig eingängigen Begriff "Kunstförderung" stehen im Schnittpunkt von Kultur-, Sozial-, Bildungs- und Steuerpolitik höchst uneinheitliche Regelungsbereiche zu verfassungsrechtlichen Klärung an. Die verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur steht unter dem Vorbehalt, daß die je zugrunde gelegten Konzeptionen im Rahmen der Aufgabenbegründung oft nur durchschimmern und Disparates im abstrakten Terminus der "Kunstförderung" 1
Vgl. dazu Hofmann , Kunst und Politik, S. 35. Weiterhin Bürger , Prosa der Moderne, S. 439 ff. 2 Zweifelhaft ist die Ontologisierung dieses Verhältnisses, wie sie etwa Kewenig, UFITA Bd. 58, 91 konstatiert: "Es dürfte wenige Dinge geben, die sich wesensmäßig so fremd sind wie Kunst und Recht". Schon Jacob Grimm , Von der Poesie im Recht, S. 8, hat auf den gemeinsamen Ursprung von Recht und Dichtkunst hingewiesen. Für beide gelte: "...in keinem ist blosze Satzung noch eitle erfmdung zu haus". Vgl. auch die satirische Darstellung bei Herbert , Poesie "und" Grundgesetz, S. 43 ff. 3 Darin liegt die "historische Gefahr". Vgl. Schiaich , S. 257 f.; ausführlich Erbel. , Kunstfreiheitsgarantie, S. 65 ff. zum nationalsozialistischen Zugriff auf die Kunst. 4 Roellecke , DÖV 1983, 654 zu diffusen Kulturstaatsargumentationen.
Einleitung
22
eingeebnet wird. Diese Untersuchung versucht, das Feld staatlicher Kunstförderung umfassend zu entfalten. Die damit implizierte Problemfülle macht es erforderlich, die verfassungsrechtliche Akzentuierung auf die Konstruktion des Zusammenhangs zu konzentrieren und Detailfragen auszublenden, wo sie für das Gesamtverständnis nicht tragend oder bereits hinreichend dogmatisch abgeklärt sind. Neben die klassische Gefahr staatlichen Kunstrichtertums rückt die Pluralisierung der Funktionen staatlicher Kunstförderung durch Verbände und andere private Initiativen in die verstärkte Aufmerksamkeit der Verfassungsinterpretation. Daß das abwehrrechtliche Paradigma der Ausgrenzung staatlichen Handelns den Anforderungen an eine umfassende, freiheitsgerechte Konzeption der Kunstpflege 5 nicht genügt, läßt schon ein erster Blick auf die Verfassungswirklichkeit vermuten, die eine Vielzahl staatlich gesellschaftlicher Kooperationen präsentiert. Auf der freiheitsorientierten Fortentwicklung dieser Formen des Zusammenwirkens staatlicher und gesellschaftlicher Kräfte, die Ergebnis langwieriger Erfahrungsprozesse im Umgang mit der künstlerischen Freiheit sind, ist gegenüber kulturmodischen Postulaten zu insistieren, die auf die Privatisierung der Kunstförderung drängen. Wenn es für die verfassungsrechtliche Bestimmung der staatlichen Kunstförderung gelingt, die Feststellung: "Je mehr für die Kultur geschieht, desto schlechter für sie"6, im dialektischen Sinne aufzuheben, sollte dieser Aufgabenbereich einer rationalen Konstruktion zugänglich sein. Es gilt zu zeigen, daß nicht jedes staatliche Engagement a priori eine Minderung der künstlerischen Freiheit bedeutet7, sondern in einer präzisen verfassungsrechtlichen Bestimmung und Begrenzung erst die Voraussetzungen der künstlerischen Freiheit im Zusammenhang staatlicher und gesellschaftlicher Kräfte schafft. Eine vorurteilslose verfassungsrechtliche Deutung der Stellung des Künstler und der Kunst wird sich durch den Gedanken leiten lassen, "daß der Künstler weder der Priester noch der Sklave der Gesellschaft ist, sondern eines ihrer Mitglieder, welches spezielle Qualitäten, wesentlich zu deren Existenz, besitzt".8 Existenziell sind die sozialintegrativen und identitätsstifienden 5
Die Begriffe "Kunstförderung" und "Kunstpflege" werden synonym verwendet, da ein juristisch erheblicher Bedeutungsunterschied nicht ersichtlich ist und der in älteren Darstellungen bevorzugte Terminus der "Kunstpflege" allenfalls historische Konnotationen wecken mag. 6 Steuermann, zit. nach Adorno, Merkur 1960, 101. 7 Gegen dieses traditionelle Vorurteil schon König/Silbermann, S. 15 ff. m.w.N. zur Dichotomisierung von künstlerischer Freiheit und sozialer Sicherung. 8 König/Silbermann , S. 66. Ahnlich Sauberzweig , Der Künstler ist ein Staatsbürger wie jeder andere, S. 53 ff. Vgl. zur Außenseiterrolle des Künstlers aber auch das reiche
B. Verhältnis von Kunst und Recht
23
Wirkungen der Kunst, die nicht einer Kunst mit hoher Akzeptanz vorbehalten sind, sondern gerade von populären Kunstformen ausgelöst werden. Die verstärkte Bemühung um ein verbessertes Verständnis staatlicher Kunstförderung rührt nicht zuletzt aus der Beobachtung immer weiter zunehmender Konzentrationen wirtschaftlicher und ideologischer Macht im Lebensbereich "Kunst", die einen Großteil der Künstler von den vitalen Bedingungen gesellschaftlicher Geltung abdrängen.
B. Das Verhältnis von Kunst und Recht als Methodenproblem I. Zum Interpretationsschicksal des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Die Vorrüstung einer verfassungsrechtlichen Monographie mit einer methodologischen Reflexion mag als verblichene Mode gelten9. Daß dies hier dennoch geschieht, legitimiert sich nicht aus dem Anspruch einer unzeitgemäßen Betrachtung, sondern verdankt sich dem spezifischen Interpretationschicksal des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Die Auseinandersetzung um die Kunstfreiheit, die in der verfassungsrechtlichen Konzipierung der Kunstförderung eine herausragende Funktion einnimmt, war seit je zugleich ein heftiger Streitfall der adäquaten Auslegungsmethode. In der Kritik der grundlegenden Mephisto-Entscheidung10 ist selbst dem Bundesverfassungsgericht "Widersprüchlichkeit und Unsinn der ästhetischen Argumente"11, "Mystifizierung" 12 und sogar der Vorwurf, "schlichtweg Unfug" 13 zu produzieren, entgegengehalten worden. Nun gehört die Desavouierung entgegengesetzter Standpunkte mit dem methodologischen Zeigefinger für sich betrachtet nicht zu den ungewöhnlichen Argumentationsweisen14. Spezifisch für Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist aber historische Fallmaterial bei Wittkower/Wittkower, Künstler - Außenseiter der Gesellschaft. 9 Vgl. die Polemik bei Lerche, Stil, Methode, Ansicht, S. 191 ff., insbesondere S. 197 ff. 10 BVerfGE 30, 173 ff. 11 Haverkamp, S. 199 zur Interferenz juristischer und literarischer Hermeneutik. 12 Haverkamp, S. 201. 13 Oettinger, Kunst ist als Kunst nicht justiziabel, S. 173. 14 Vgl. Kriele, Juristische Hermeneutik am Beispiel der Mephisto-Entscheidung, S. 157.
24
Einleitung
der selbst für die reduktionistische Formulierung von Verfassungstexten spärliche Textbefund, der die verstärkte Besinnung auf argumentative Grundlagen herausfordert. Spezifisch ist weiterhin die über Fragen juristischer Hermeneutik hinaus erforderliche Verhältnisbestimmung zur literarischen Hermeneutik 15 , zu Fragen der Bild- und Textexegese. Wenn erst die Interpretation des inkriminierten Kunstwerks den richterlichen Zugriff eröffnet oder die selektive Fördermittelvergabe sich über qualitativ-ästhetische Entscheidungen der Verwaltung rechtfertigt, liegt hier eine besondere Gefahrdungszone künstlerischer Freiheit. Es ist durchaus zweifelhaft, ob die Konfrontation normativer Entscheidungspflicht auf der Grundlage juristischer Hermeneutik und ständig komplexer werdender Verstehensprozesse literarischer Hermeneutik in ihren rezeptionsästhetischen, semiologischen oder tiefenpsychologischen Momenten positiv auflösbar ist.
IL Problemorientierte Methode im juristischen Diskurs In der Begegnung mit einem unübersehbaren Geflecht von Methodenlehren, Argumentationstheorien und juristischer Hermeneutik16 liegt die umfassende Begründungsabsicherung des methodischen Vorgehens außerhalb der Möglichkeiten einer Vorbemerkung. Dieser Mangel sollte durch die rationale Nachvollziehbarkeit der konkreten Argumentation wenigsten teilweise wieder aufgefangen werden17. Dieser Anspruch deckt sich mit der von Alexy genannten juristischen Diskursregel, "möglichst viele Entfaltungsschritte anzugeben"18, um die normative Klarheit des Vorgehens zu gewährleisten. Folgende Grundlinien und Leitgedanken seien zur größeren Transparenz in der Darstellung aber herausgestellt. Verfassungskonkretisierung 19 als Rekonstruktion des subjektiven Willens des historischen Gesetzgebers oder des objektiven Willens der Verfassungsnorm setzt sich dem Einwand einer offenen, veränderlichen Lebenswirklichkeit aus. Der Glaube an die Antizipation aller Normprobleme in den verschiedenen Fallgestaltungen durch den so verstandenen Verfassungstext ist ideolo15
Haverkamp, S. 201. Siehe femer Schwalm, S. 53 ff. Allgemein zur Methodendiskussion vgl. Dreier/Schwegmann, fassungsinterpretation. 17 Dazu Habermas, Faktizität und Geltung, S. 272 ff. 18 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 280. 19 Vgl. Konrad Hesse, S. 24 ff. 16
Probleme der Ver-
B. Verhältnis von Kunst und Recht
25
gieverdächtig20. Das Ziel der Verfassungsinterpretation entspricht keiner prästabilierten Harmonie der verfaßten Ordnung und Werte, sondern muß im Wechselspiel von Verfassungsnorm und Sachbereichselementen aktualisiert werden21. Neue Fragen, die mit dem Aufkommen neuer Kunstformen, veränderter Sachgesetzlichkeiten des Lebensbereichs, wie sozialer oder ökonomischer Momente, an den Verfassungstext herangetragen werden, beantworten sich nicht über eine rekonstruktive Hermeneutik, sondern verlangen eine applikative Auslegungsmethode, d.h., der Text muß in den veränderten Kon-Text eingepaßt werden22. Die Bedeutung der klassischen Methodeninstrumente juristischer Auslegung (grammatische, historische, systematische und teleologische Auslegung) in dieser Aufgabenstellung ist zweifelhaft. Als Mittel der Normtextbehandlung ist ihr Verhältnis zueinander und damit verbunden ihre interpretatorische Reichweite höchst umstritten. Die Vielzahl kontroverser Stufenkataloge23 und die wechselhafte Rangbestimmung duch das Bundesverfassungsgericht hat die "canones" als ausschließliche Auslegungsregeln oder Argumentationsformen 24 diskreditiert. Gegenüber der Hypostasierung einer verbindlichen Methode zeichnet sich moderne Verfassungsinterpretation durch eine Besinnung auf ihre wechselnden, problemorientierten Bedingungen aus. Die kreativ gefundenen, lösungsorientierten Aspekte werden in dem normativ gesteuerten, arbeitshypothetischen Verfahren auf ihre Relevanz überprüft 25. Verfassungsinterpretation beginnt nicht am Nullpunkt. Die Einbindung des interpretiererenden Subjekts in den jeweiligen historischen Kontext, die Vorurteilsstruktur seines Vorverständnisses, erweitert die Begründungszwänge, um der unhistorischen Absolutsetzung oder Schematisierung von Arbeitsergebnissen vorzubeugen. Zugleich prägt das Objekt der Interpretation die Pro20
Konrad Hesse, S. 21 ff.; Müller, Arbeitsmethoden des Verfassungsrechts, S. 519 ff. 21 Konrad Hesse, S. 24 ff.; Müller, Arbeitsmethoden des Verfassungsrechts, S. 519 ff. 22 Zur applikativen Hermeneutik Marquardt Felix Culpa?, S. 53. Zur juristischen Anwendung Kriele, Juristische Hermeneutik am Beispiel der ' Mephisto-Entscheidung, S. 149 ff; ähnlich Schlink, Der Staat 1980, 91. 23 Zur Diskussion von Stufenkatalogen Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 303 ff.; Kriele, Theorie, S. 85 ff. 24 Zum Begriff der "Argumentationsform" vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 288 ff. Zur Inkonsistenz der Verfassungsgerichtssprechung vgl. Konrad Hesse, S. 24 ff. 25 Konrad Hesse, S. 24 ff.; Müller, Arbeitsmethoden des Verfassungsrechts, S. 520 ff.
Einleitung
26
blemlösungs- und Argumentationsmuster, die regelmäßig im Rahmen dogmatischer Diskurse bereits eine Reihe von Relevanzprüfungen erfahren haben. Die Grundrechtsdogmatik zur Kunstfreiheit hat längst aus der "terra incognita" 26 ein in weiten Teilen erschlossenes Gebiet gemacht, das jeden Neuansatz im Rahmen der dogmatischen Fortschrittsfunktion 27 zur Entfaltung und Differenzierung von Vorergebnissen aufruft. An die kritische Fortschreibung von Lösungsmodellen im Rahmen eines offenen verfassungsrechtlichen Diskurses28 knüpft sich die Vermutung auf einen Zuwachs an Rationalität, der die Möglichkeiten des isoliert interpretierenden Subjekts überschreitet. Ein solcher Diskurs ist von konsensueller Antimethodik abzuschichten, die individualfreiheitsgefährdend die verfassungsinterpretatorische Ermittlung grundrechtlicher Schutzbereiche von Konsensbildungen abhängig machen will, ohne minoritäre Positionen zureichend zu sichern. Ein offenes, problemgebundenes Verfahren benötigt zur Ermittlung normativer Gehalte auch außeijuristische Daten29. Wenn die Sachgesetzlichkeit des juristisch relevanten Ausschnitts dieser Lebenswirklichkeit sich von einer positivistischen oder dezisionistischen Sachlogik unterscheiden soll, ist die Bereitschaft zu interdisziplinärer Kooperation und gesellschaftstheoretischer Grundannahmen unabdingbar30. Um argumentativer Beliebigkeit in den Anleihen vorzubeugen, ist der Kooperationsmodus von Verfassungsrechtswissenschaft und Ästhetik, (Kunst)Geschichte und Kunst(Soziologie) strikt in der Bindung an die normative Fragestellung zu bestimmen. Eine Begrenzung erfahrt die Zusammenarbeit mit den Nachbarwissenschaften durch die Vielzahl der von ihnen offen gelassenen Fragen oder umstrittenen Antworten angesichts des Interpretationsphänomens "Kunst", die "Erkenntnisübertragung" oft nur als Einbau von Zweifeln in vermeintlich gesicherte sachbereichsspezifische Überlegungen legitimiert. Grundrechtsdogmatische Konzeptionen und
26
Zum Befund des unbekannten Grundrechts der Kunstfreiheit vgl. Ridder , Freiheit der Kunst, S. 9 f. 27 Vgl. Alexy , Theorie der juristischen Argumentation, S. 328 f. 28 Zum Entwurf einer juristischen Diskurstheorie vgl. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 259 ff. Zu den Vernunftregeln des allgemeinen praktischen Diskurses vgl. ders ., ebenda, S. 238 ff. 29 Problematisch daher Wülfing , S. 80, der in der "Einbeziehung des Seins in den Prozeß der Grundrechtkonkretisierung die Gefahr einer Aushöhlung des Geltungsanspruchs der Verfassung" erkennt. 30 Zurecht kritisiert Winter , JZ 1973, 186 f., die mit dem von Müller - ansonsten zutreffend - vorgestellten dialektischen Verhältnis von Normbereich und Normprogramm verbundenen hermeneutischen Aporien in der Erfassung der Sachgeprägtheit eines Lebensbereichs, wenn historische und gesellschaftstheoretische Fragen vernachlässigt werden.
B. Verhältnis von Kunst und Recht
27
Argumentationsfiguren, die ein offenes und pluralitätsgerechtes Verfassungsverständnis durch eine normative Übersetzung partikularer Kunstphilosophien blockieren, werden daher mit alternativen Ansätzen zu konfrontieren sein. Diese methodische Skizze mag die bekannten Argumente gegen topische Jurisprudenz mobilisieren. Der wechselvolle Weg, den die Topik sei Aristoteles zurückgelegt hat, erlaubt es aber nicht von einem geschlossenen Bild juristischer Topik auszugehen. Topik kann als eine "Technik der Prämissensuche", eine "Theorie der Beschaffenheit der Prämissen" oder als "Theorie der Verwendung dieser Prämissen" im Vorgang der Rechtsgewinnung gelten31. Dogmatisch ungeklärt ist auch die übergreifende Frage, ob nicht juristisches Denken zwangsläufig topisch ist 32 . Allein im Gegenzug zu einer positivistischen Methodik, die auf die Unveränderlichkeit des Normverständnisses und einen festen Auslegungskodex beharrt, ist ein problemorientiertes Vorgehen, das in umfassender Weise Erkenntnisquellen eröffnen will, vorzuziehen. Der Anspruch auf Flexibilität darf aber nicht durch eine Topik zurückgenommen werden, die sich der Statik fragwürdiger Topoikataloge, der "Oberflächenstruktur" von Standardargumenten und der Geringschätzung gesetzlicher, dogmatischer und präjudizieller Momente verschreibt 33.
IIL Grundrechtstheorien Einer um Transparenz bemühten Darstellung könnte noch im Rahmen einer methodischen Standortbestimmung der Nachweis abverlangt werden, welche Grundrechtstheorie der Interpretation zugrunde liegt. Nach der bekannten Unterscheidung Böckenfördes wäre etwa zwischen liberal-rechtsstaatlicher, institutioneller, werthafter, demokratisch-funktionaler oder sozialstaatlicher Grundrechtstheorie zu differenzieren 34. Für den vorliegenden Bereich wäre darüber hinaus auch auf die Theorie der Grundrechte als Verfahrensgarantien einzugehen35. In diesen Grundrechtstheorien könnte jene Instanz gefunden werden, die die lösungsrelevanten "topoi" selegiert. Ein solches Vorgehen
31
Zusammenfassend Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 39 ff. Kriele, Theorie, S. 152. 33 Zu diesen Vorwürfen gegen die Topik Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 41 ff.m.w.N. 34 Böckenförde, NJW 1974, 1529 ff.; ähnlich Kröger, durchgehend. Dazu auch OssenbühU NJW 1976, 2100 ff. 35 Dazu Goerlich, Grundrechte als Verfassungsgarantien, Baden-Baden 1981. 32
28
Einleitung
hätte zwar den Vorteil der systematischen Orientierung? 6, aber als ungeprüfte Vorentscheidung kommt ihm zunächst nur problemabweisender Charakter zu und legt fest, was erst der Gang der jeweiligen Untersuchimg an grundrechtsrelevanten Ergebnissen erbringen könnte. Im Gegensatz zu diesem Postulat methodischer Konsistenz ist nicht einzusehen, warum nicht die den Theorien innewohnenden Prinzipien je nach dem untersuchten Gegenstand unterschiedliche Geltung beanspruchen können37. Die Kritik der wechselnden Auslegungsweisen des Bundesverfassungsgerichts durch Böckenförde 38 ist schon dadurch relativiert, daß er selbst eine synkretistische Theorie für zulässig erachtet, die "bestimmte Teile bisheriger Grundrechtstheorie aufnimmt und verarbeitet", oder einen Interpretationsrahmen vorstellt, der zwar nicht alle, aber doch mehr als eine Grundrechtstheorie nebeneinander zuläßt39. Die Hauptkritik gegen die Grundrechtsinterpretation auf der Basis einer sogenannten "Ein-Punkt-Theorie" ergibt sich nach Alexy daraus, daß es angesichts der Regelungsvielfalt der Grundrechte nicht wahrscheinlich ist, sie auf ein einziges Prinzip zurückführen zu können40. In der Tat ist in Anbetracht der komplexen und konfliktreichen Regelungsgegenstände der Verfassung ein oberes abstraktes Prinzip verdächtig, Problemfelder einseitig zu verkürzen. Die Inadäquanz solcher Theorien wird auch durch den Umstand nahegelegt, daß im Fall einer rechtsstaatlichen, demokratischen bzw. sozialstaatlichen Theorie letztlich nur auf Staatzielbestimmungen der Verfassung rekurriert wird, die in der Verfassung neben- und miteinander einen Platz gefunden haben. Insoweit schließt aber die Verfassung selber den Primat einer Betrachtungsweise aus. Danach ist mit dem Bundesverfassungsgericht 41 und verschiedenen Autoren 42 eine kombinierte Theorie für vorzugswürdig zu erachten. Inwieweit es gelingt, die verschiedenen Theorieelemente zu einer integrativen Theorie zu verbinden, ist hier nicht zu erörtern 43 Hier kann allein die Rationalität der folgenden Darstellung, ihre Widerspruchsfreiheit und nachvollziehbare Begrifflichkeit, Auskunft darüber geben. 36
Böckenförde, NJW 1974, 1529. Dazu Schwabe , Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 7 ff. 38 Böckenförde , NJW 1974,1536 f.: "der topischen Methode vergleichbar". 39 Böckenförde, NJW 1974, S. 1537. 40 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 30. 41 Nachweise bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 30 Fn. 33. 42 So Stein, Staatrecht, S. 250 ff; Denninger, Staatsrecht, S. 138; Bleckmann , Allgemeine Grundrechtslehren, S. 155 ff.; Kriele, Einfuhrung in die Staatslehre, S. 336 ff. 43 Vgl. dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 31 ff. 37
Erster Teil
Die Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 S. 1 G G als Ausgangsbasis für eine verfassungsrechtliche Konzeption der Kunstforderung A. Zum Verhältnis der Kunstfreiheitsgarantie zur Kunstforderung L Aufgabenfeld "Kunstforderung" 1. Vorüberlegungen
Um eine Orientierung der folgenden Teilaussagen im Spektrum staatlicher Kunstförderung zu ermöglichen, soll eine Arbeitshypothese zum potentiellen Umfang des staatlichen Wirkungsbereichs vorangestellt werden. Eine solche Aibeitshypothese orientiert sich zunächst topisch an dem empirisch zu beobachtenden Feld staatlicher Maßnahmen. Eine für eine erste Annäherung geeignete, komplexe Beschreibung des staatlichen Tätigkeitsfeldes hat Bernatzik bereits 1906 gegeben: "Versuchen wir die Formen dieser staatlichen Kunstpflege zu scheiden, so finden wir nebst dem Unterricht und der Lehre die Förderung fertiger Künstler, die Erhaltung und Festhaltung von Kunstwerken, die Zugänglichmachung derselben für die Menge und die Ausbildung des Geschmackes und Kunstsinnes"1.
Bemerkenswert an dieser historischen Definition ist die klare Einteilung staatlicher Kunstförderung in drei Wirkungsfelder. Danach gilt der staatliche Einsatz: - dem Künstler in den verschiedenen Schaffensstadien, - dem Kunstinteressierten als Massenpublikum, - den Kunstwerken in der Vermittlung und Präsentation.
1 Bernatzik , S. 404. Zum umfassenden Charakter dieser Definition vgl. Scheuner , Kunst als Staatsaufgabe, S. 25,42 f. (Fn. 78).
1 Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
30
Diese heute geläufigen Förderungstopoi sind in der historischen Betrachtung keineswegs selbstverständlich. In der Blütezeit des klassischen Mäzenatentums während der italienischen Renaissance war die Zielsetzung, Kunst breiten Bevölkerungsschichten im Sinne der Entfaltung eigener kultureller Kompetenzen zugänglich zu machen, nicht vorhanden. Kunst als Repräsentation des Selbstverständnisses, insbesondere der Macht der Auftraggeber, und die Indienstnahme durch die Kirche bestimmte das Mäzenatentum2. Freilich wurden notwendige Maßnahmen individueller Künstlerforderung als Voraussetzung dieser Funktionsbestimmung getroffen. So war etwa die Nachwuchsförderung durch Stipendien zu Zwecken des weiterbildenden Auslandsaufenthalts bereits seit Ende des 14. Jahrhunderts an den europäischen Höfen bekannt3. Die Vermittlung und Präsentation von Kunst gegenüber breiten Bevölkerungsschichten wären danach eher als Förderungsreflexe anzusehen. Mit der Veränderung ständestaatlicher Strukturen zu den partizipatorischen Strukturen moderner Demokratien sowie der Ausdifferenzierung staatlicher und privater Macht erweitern sich die Perspektiven der Kunstförderung um die Vermittlungsförderung, die z. B. in der modernen Museumskultur einen prägnanten Ausdruck gefunden hat. Die genannten Zielsetzungen der klassischen Mäzenaten sind damit freilich im Bereich der privaten Kunstförderung nicht verschwunden. "Sponsoring", "joint-ventures" zwischen Unternehmern und Künstlern oder künstlerische Produktwerbung dienen der Imageförderung von Unternehmen. Hierin kann trotz positiver Auswirkungen dieses unternehmerischen Einsatzes für Kunst und Künstler zugleich eine Instrumentalisierung der Kunst für kunstfremde oder kunstneutrale Zwecke liegen.
2. Formale Kategorisierung
der Kunstförderung
Im Bezug der genannten "Förderungsgegenstände" auf den modernen Leistungs- und Sozialstaat des Grundgesetzes, eröffnet sich ein weites Spektrum von sich überschneidenden Aufgabenbereichen des kunstfördernden Staates.
2 3
Vgl. Kempers, S. 11 ff. Vgl. hierzu Warnke, S. 137 ff.
A. Verhältnis Kunstfreiheitsgarantie zur Kunstförderung
31
1. Im Rahmen der kulturellen Vorsorgeverwaltung werden Kunst, Musik, Film und Fernsehakademien unterhalten4. Volkshochschulen, Theater, Opern, Museen, Künstlerhäuser, Kultur- und Kommunikationszentren, kommunale Kinos, Artotheken, Artbanken, Ateliers und Werkstätten sind beispielhaft andere Orte institutioneller Verfestigung des kulturellen Lebens. Neben der Ausbildung von Künstlern sowie der Bereitstellung von Arbeitsplätzen für Künstler zielt die kulturelle Vorsorgeverwaltung auf die Vermittlung künstlerischer Leistungen an die kulturelle Öffentlichkeit. 2. Die Verwaltungsprogramme der Künstlersozialversicherung, der Härtefonds und der Altershilfen bestimmen die kulturelle Sozialversicherung5. 3. Die leistungsstaatliche Förderungsverwaltung bezeichnet die Kunstforderung im engeren Sinne. a) Die Subventionsverwaltung läßt sich in zwei Bereiche untergliedern 6. Neben der Subventionierung von Künstlern und privaten Unternehmen wie Theatern, Museen, Galerien, Orchestern, Kunstvereinen, Kulturveranstaltern, Schulen, Kunstbuch- und Zeitschriftenverlagen stehen Maßnahmen der Realförderung. Dabei handelt es sich um die bevorzugte Berücksichtigung der Leistungsempfänger bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, bei der Vermietung, Verpachtung oder Übereignung von Grundstücken, Räumen oder Betrieben durch einen Träger öffentlicher Verwaltung. Verschonungssubventionen, insbesondere Steuererleichterungen, werden von der Subventionierung im engeren Sinne geschieden und gehören nach Mihatsch zum Bereich der "fiskalischen Kunstforderung". 7 b) Die sonstige Förderungsverwaltung umfaßt die individuelle Ausbildungsförderung 8, kulturelle Einzelveranstaltungen sowie empirische Untersuchungen zum gesellschaftlichen Subsystem "Kunst und Kultur". Die individuelle Ausbildungsforderung wird im wesentlichen von den Fach- und Kunsthochschulen geleistet. Neben dem handwerklichen "know how" werden hier Praxisbezüge hergestellt, um den Absolventen den Einstieg in den beruflichen Alltag zu ermöglichen.
4
Vgl. allgemein zur Einteilung der Leistungsverwaltung: Wolff/Bachof\ Verwaltungsrecht m, § 137 III b. Vgl. weiterhin Schäuble, Kunstförderung, S. 114 ff.; Fohrbeck, Kunstförderung, S. 23 ff. mit sehr umfassender Übersicht; Mihatsch, S. 20 f. 5 Dazu Fohrbeck, Künstler in Not, S. 64 ff. 6 Die Einteilung folgt Wolff/Bachof Verwaltungsrecht DI, § 154; zum Begriff der Kunstsubvention vgl. umfassend Mihatsch, S. 26 ff. 7 Mihatsch, S. 21. 8 Vgl. Fohrbeck, Kunstförderung, S. 83 ff., 256 ff.
32
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Empirischen Analysen zur Situation der Künstler in der Gesellschaft fehlt zwar der unmittelbare Förderungseffekt. In der Bedeutung für die politische Willensbildung und gesetzgeberische Initiativen sind aber Bestandsaufnahmen dieser Art wesentlich, um idealistischen Vorurteilen gegenüber den Lebensund Schaffensbedingungen der Künstler zu begegnen. Erst gesicherte Aussagen über die tatsächliche wirtschaftliche Situation der Künstler sind danach geeignet, den Appell gegenüber dem Staat, Förderungsmaßnahmen zu ergreifen, zu begründen. Im Bereich der individuellen Ausbildungsforderung sind Preise, Ehrungen, Zuschüsse, Ankäufe und Aufträge, Start- und Materialhilfen zu nennen. Im Unterschied zur Subventionsverwaltung fehlt es bei diesen Leistungen an der besonderen Zwecksetzung9. Es handelt sich um eine allgemeine kulturpolitische Zielsetzung.
3. Materielle Kategorien der Kunstförderung
Neben dieser formellen Kategorisierung der Kunstforderungsverwaltung ist die materielle Zielsetzung staatlicher Kunstforderung in Form einer Arbeitshypothese anzugeben. Staatliche Kunstforderung zielt auf zwei zentrale Wirkbereiche. Künstler werden in ihrer künstlerischen Selbstverwirklichung individuell gefördert. Diese Zielsetzung verbindet sich mit der kollektiven Förderung einer kulturellen Öffentlichkeit. Die kulturelle Öffentlichkeit bezeichnet den wechselbezüglichen Kommunikationszusammenhang von Künstlern und Publikum. Das Ziel staatlichen Einsatzes ist die optimale Prosperität von Kunst und Kultur in diesen individuellen und gesellschaftlichen Funktionen. In einem polygonalen Feld diverser gesellschaftlicher Interessen müssen Freiheit, Gleichheit, Eigengesetzlichkeit, Pluralität und Prosperität in ein konkordantes Verhältnis gesetzt werden. Freiheit, Gleichheit, Eigengesetzlichkeit und Pluralität sind Kategorien, die dem Grundrechtsbereich unmittelbar oder abgeleitet entstammen. Insoweit gilt, daß es im Staat des Grundgesetzes unmöglich ist, ein staatsrechtliches Thema abzuhandeln, ohne wenigstens indirekt grundrechtliche Materien zu berühren 10. Spannungsverhältnisse zwischen individueller Freiheit des Künst9 10
Wolff/Bachof Verwaltungsrecht m, § 155. Isensee/Kirchhof Vorwort, Freiheitsrechte VI.
A. Verhältnis Kunstfreiheitsgarantie zur Kunstförderung
33
lers und gleichheitswahrender Förderung der Künstler können nur in der Eigengesetzlichkeit der Kunst vermittelt werden. Für die vorliegende Untersuchung spezifische Kategorien, die sich der staatsrechtswissenschaftlichen Dogmatik nicht ohne weiteres erschließen, liegen in der "Prosperität" des Lebensbereichs Kunst, in der Förderung von "Qualität" und "Innovation". Dabei handelt es sich um historisch gewachsene Zielsetzungen des Staates, die das klassische Mäzenatentum noch nicht kannte11. Die dogmatische Erfassung dieser Kategorien kann sich zwar teilweise auf die Eigengesetzlichkeit des Lebensbereichs Kunst berufen, in dem "Qualität" und "Innovation" mitunter programmatische Bedeutung zu besitzen scheinen. Zugleich handelt es sich aber um Kategorien, denen als staatliche Zielvorstellungen ein außerrechtlicher Charakter eignet, der nicht weiter ableitbar ist. Hier ist noch zu betonen, daß die vorgestellte Programmatik der Kunstforderung in der umfassenden Zielsetzung des modernen Leistungsstaates lediglich eine angemessene Berücksichtigung neben und mit anderen Aufgabenbereichen staatlichen Handelns finden kann. Der politisch zu verantwortenden Zuordnung der einzelnen Handlungsziele ist verfassungsrechtlich nicht nachzugehen.
II. Kunstfreiheit als Element der Kunstforderung
Der Einfluß der Kunstfreiheit auf die Kunstförderung gilt nach wie vor als grundrechtsdogmatisch ungesichertes Gebiet12. Erst wenn die künstlerische Freiheit gegenüber rechtswidrigen staatlichen Eingriffen gewährleistet ist, können leistungsstaatliche Maßnahmen als Teil einer verfassungsgemäßen Kunstförderung verstanden werden. Die gewaltigen Anstrengungen nationalsozialistischer Kulturpolitik oder die Förderung des sozialistischen Realismus in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sind Beispiele für Zerrformen der Kunstförderung, die nicht der Eigengesetzlichkeit der Kunst, sondern der Förderung der Staatsdoktrin gewidmet waren. Solche Förderungsmaßnahmen können nicht von dem zugrundeliegenden Repressionsmodell künstlerischer Unfreiheit abgekoppelt werden. Unter der Geltung des Grundgesetzes ist eine Förderung staatlich reglementierter Kunst keine verfas-
11 12
Kempers, S. 11 ff. So Hufen, Urteilsanmerkung, JuS 1989, 665.
3 Palm
34
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
sungsgemäße Förderung. Das Bundesverfassungsgericht hat in der grundlegenden Mephisto-Entscheidung hierzu ausgeführt: "Insoweit bedeutet die Kunstfreiheitsgarantie das Verbot, auf Methoden, Inhalte und Tendenzen der künstlerischen Tätigkeit einzuwirken, insbesondere den künstlerischen Gestaltungsraum einzuengen, oder allgemein verbindliche Regeln für diesen Schaffensprozeß vorzuschreiben" 13. Die Freiheitsprogrammtik des Verhältnisses von Staat und Kunst ist zudem ein genuines Förderungsinstrument. Ein Großteil der Künstler partizipiert an den begrenzten Budgets staatlicher Förderungsmaßnahmen nicht in existenziell erheblicher Weise. Eine Förderung solcher Kunst liegt in der Gewährleistung freiheitlicher Entstehens- und Schaffensbedingungen. Insoweit beinhaltet die Gewährleistung der Kunstfreiheit zugleich immer auch die Förderung der Kunst. In der Auseinandersetzung mit dem Bereich der selektiven Künstlerforderung ermöglichen darüber hinaus die für das Abwehrrecht ermittelten konstitutiven Kriterien die Angabe eines ersten Kreises potentiell Förderungsberechtigter. Lebensäußerungen, die nicht unter den verfassungsrechtlichen Kunstbegriff fallen, können kein Förderungsgegenstand sein. Im Laufe der Untersuchung werden unterschiedliche Kriterien zu prüfen sein, die die endgültige Auszeichnung, Preisvergabe oder Subvention begründen sollen. Eine selektive Indidvidualfordermaßnahme ist aber nicht denkbar, wenn die verhandelten Äußerungen keinerlei negatorischen Grundrechtsschutz genießen. Andererseits wäre es durchaus mit dem Rechtsstaatsprinzip und sachlogisch vereinbar, zwei gegenläufige Modi staatlichen Handelns - Eingriff und Leistung - zugleich auf dasselbe Objekt zu beziehen, wenn eine differenzierende Behandlung der künstlerischen Äußerung dadurch möglich wäre. Die Indizierung eines Kunstwerks nach dem Gesetz über jugendgefährdende Schriften würde nicht zwingend eine Förderung solcher Kunst ausschließen. Hier werden in der Folge Konkordanzkonzepte zu zeigen sein, um die beteiligten Rechtsgüter in ein grundrechtswahrendes Verhältnis zu setzen. Weiterhin ist in der Diskussion der Kunstfreiheitsgarantie mit der Ermittlung freiheitlicher Strukturmomente zu rechnen, die auch oberhalb der abwehrrechtlichen Überlegungen Relevanz für das verfassungsrechtliche Kunstförderungskonzept entwickeln.
13
BVerfGE 30, 173 (190).
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
35
Auch wenn funktionelle Verschiedenheiten zwischen dem Kunstbegriff negativer Kunstfreiheit und dem der Kunstförderung nicht ausschließbar sind, ist in der Auseinandersetzung mit der reichhaltigen Dogmatik zum künstlerischen Abwehrrecht eine Hilfe zur Konturierung eines Förderungsgegenstands "Kunst" zu erwarten.
B. Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG L Negativer Kunstbegriff 1. Normbegriff
und außerjuristische
Theorie
"Kunst ist frei" - dem lapidaren Textbefund des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG 14 steht die umfassende Reichweite der verwendeten Begriffe gegenüber, die den Verfassungsinterpreten auf den Plan ruft. Gesichert ist nur die elementare Feststellung, daß der Aussage des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG keine erkenntnistheoretische15, sondern normative Qualität zukommt16. Seit der grundlegenden "Mephisto-Entscheidung" stützen sich das Bundesverfassungsgericht 17 und die in der Folge erörterten Verfassungsinterpretationen auf ein Unstreitigkeitsmodell normativer Beurteilung der Kunst. Im Rahmen der normativen Zwecksetzung kommt es nicht auf die spezifischen Eigenschaften eines Werks an, wenn unstreitig eine Manifestation als Kunstwerk gilt. Damit fügt sich die Kunstfreiheit in das egalitär-pluralistische System grundrechtlicher Freiheitsverbürgungen 18 und unterscheidet sich von außeijuristischen Erkenntnisbestrebungen, die auf die Konstitutionsbedingungen der Kunst, ihr Wesen, ihre Wahrheit, ihre Schönheit oder Authentizität reflektieren. Die Funktionsbestimmung des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs bezieht sich mithin auf einen subsumierbaren Normzweck19. Das Verständnis 14 Nach der Kürzung um Wissenschaft, Forschung und Lehre vgl. Ridder, Freiheit der Kunst, S. 9. 15 Unbeschadet kunstphilosophischer Annahmen, daß das Wesen der Kunst in der "Freiheit" liegt. Dazu etwa Siegfried S. Schmidt, Ästhetizität, S. 91. 16 Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 99. Im Anschluß daran Bär, Filmfreiheit, S. 98. 17 BVerfGE 30,173 (189). 18 Zur Normierung der Kunstfreiheit in anderen Verfassungen vgl. den Überblick bei v. Münch, Die Deutsche Bühne Nr. 7/1978, S. 21 f. 19 Dazu Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 1.
36
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
der negatorischen Struktur des Grundrechts beginnt daher mit der Ermittlung eines Katalogs negativer Elemente, die der staatliche Grundrechtsadressat der Schutzgutbestimmung nicht zugrunde legen darf. Kunstwissenschaft zielt als empirische Wissenschaft auf die Ermittlung der konkreten Sachverhalte der Kunst20. Die Erforschung immanenter Konstitutionsbedingungen eines Kunstwerks, seiner konkreten stilgeschichtlichen und gattungsspezifischen Zugehörigkeit, der biografischen und psychologischen Charakteristika des Urhebers, der materiellen Auftragssituation, der subjektiven Rezeptionsbedingungen und ähnlicher Umstände21 präsentiert keine Kriterien, die eine Ausgrenzung menschlicher Äußerungsformen aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG legitimieren könnten. Damit verbunden verbietet sich jede staatliche Ingerenz, die auf die Beeinflußung oder Festschreibung von künstlerischen Gestaltungsweisen, Formvokabularen oder Inhalten gerichtet ist 22 . Die Ästhetik als die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit kunstwissenschaftlicher Betrachtung23, der Erörterung "des Seins und des Wertes der Kunst"24 konfundiert nicht mit der verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung, ohne eine partielle Übersetzung ästhetischer Erkenntnisse in verfassungsnormative Geltungsaussagen a priori auszuschließen25. Ohne verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt ist danach auch eine juristische Beurteilung nach Qualität, schöpferischer Gestaltungskraft oder Gestaltungshöhe des Kunstwerks26. Danach genießen auch ästhetisch betrachtet völlig unbeachtliche, selbst mißlungene Werke den Schutz der Kunstfreiheitsgarantie 27.
20
Vgl. Wolandt, S. 200 ff. Wolandt, S. 200 ff. zu den Gegenständen der Kunstwissenschaft. 22 Allgemeine Meinung vgl. nur BVerfGE 30, 173 (190); E 31, 229 (238 f.); BVerwGE 39, 197 (208). 23 Wolandt, S. 202 ff., ohne damit einen fixierbaren Kanon der Ästhetik anzustreben. 24 Wolandt, S. 204. 25 Diese Frage wird noch differenziert zu untersuchen sein. Vorab sei vermerkt, daß solche "interdisziplinären Berührungen" bereits in der mehr oder weniger bewußten Übernahme ästhetischer bzw. kunstwissenschaftlicher Termini wie Form, Inhalt, Gehalt, Gattung etc. in die grundrechtsdogmatischen Ansätze liegen. 26 In der Kunsttheorie bzw. -kritik existieren selbstverständlich ausdifferenzierte Kriterienkataloge, um die Qualitätseigenschaften von Künstlern und Kunstwerken zu ermitteln. Vgl. etwa Sitt, S. 108 ff. zu dem weit gefächerten Rangsystem Jacob Burckhardts. 27 BGH, N.TW 1975, 1983; Arndt, Kunst im Recht, S. 434; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 92 f.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 221 ff; Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 II. Rdnr. 10; Lerche, BayVBl 1974, 178; Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 186; Müller, Freiheit der Kunst, S. 35; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 28. 21
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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2. Obsolete Kunstbegriffe
a) Antidemokratische Bestimmungsversuche Zu den nicht diskussionswürdigen Begriffsbestimmungen gehören Ansätze, die als Ausdruck absolutistischer, obrigkeitsstaatlicher oder faschistischer Herrschaftsformen Kunst den politischen Zwecken des Gemeinwesens unterstellen und darin dem Freiheitsgehalt des Grundgesetzes widersprechen. Nach dem Motto "Die ganze Richtung paßt uns nicht" 28 , "Kunst für den Rinnstein" oder "Fabrikarbeit" 29 wird solche Kunst ausgegrenzt, die in das geringste Spannungsverhältnis mit der undemokratischen Herrschaftsausübung gerät. Eine schauderhafte, wenn auch vereinzelt gebliebene Episode der Verfassungsinterpretation markiert der Entwurf Frankenbergers aus dem Jahre 1959, der rassische, nationalistische und antiminoritäre Vorurteile insbesondere gegen die Höhepunkte der klassischen Moderne mobilisierte30.
b) Idealistische Konzeptionen Gleichfalls unbrauchbar sind verschiedene Ausformungen des idealistischen Kunstverständnisses, die das Lebensrecht der Kunst von der Beurteilung durch verfassungsrechtlich nicht nachvollziehbare "Veredelungs-, Durchgeistigungsoder Verklärungstheorien" abhängig machen wollen31. Ihre ästhetischen Vor-
A.A. OVG Münster, NJW 1959, 1983; OLG Bamberg ("Der Geist von Oberzell"), DuR 1975, 433 ff. mit fragwürdiger poetologischer und dramaturgischer Kritik des verhandelten Werkes. Dazu kritisch Ladeur, DuR 1975, 441 ff.; Hamann/Lenz, GG, Art. 5 Rdnr. 13; Würtenberger, NJW 1982, 615 bekundet die "Absicht, dem durch Dilettantismus und Stümperhafligkeit gekennzeichneten bloßen 'Machwerk' die rechtlich allein bedeutsame Kunstwerkeigenschaft zu versagen". Dazu kritisch Zechlin, NJW 1984, 1091 ff.; v. Münch, GGK, Art. 5 Rdnr. 60 verlangt im Anschluß an BVerwG, NJW 1982, 900 f. m.w.N. eine "schöpferische Begabung und schöpferische Leistung". 28 So die Begründung des Berliner Polizeipräsidenten für das Verbot von Hermann Sudermanns "Sodoms Ende". Nach Kitzinger, S. 455 f. 29 Aus Reden Wilhelms II. Nach Kitzinger, S. 455 f. 30 Frankenberger, S. 123 ff. Dagegen Bär, Filmfreiheit, S. 99 ff.; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 29 f.; Leiss, Kunst im Konflikt, S. 9 f. 31 RGSt 24, 365 (367); RGSt 56, 175 f.; KG Berlin, DJZ 1929, Sp. 1553; RG, LZ 1914, 587; RG JW 1911, 500. Ähnlich v. Hartlieb, UFITA Bd. 28, 32 ff. (46);
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
aussetzungen weisen auf ein geschlossenes, weltanschaulich präfixiertes Menschenbild, das sich über die Bindung an ethische, religiöse oder andere kunstheteronome Wertbildungen konturiert. Solche Theorie mag in so würdigen Kronzeugen wie Piaton oder Thomas von Aquin die Kunst in der Ableitung des Guten aus dem Schönen oder in beider Identität finden, eine konsensfähige Ästhetik liegt hier nicht begründet32. Die Imputation eines Sittlichkeitsideals in den verfassungsrechtlichen Kunstbegriff wird durch den reichen Vorrat der Kunstgeschichte an (vermeintlich) unzüchtigen, obszönen oder pornografischen Werken von Alt- und Neuklassikern der Kunstgeschichte wie Aristophanes, Ovid, Petrarca, Rabelais, Goethe, Flaubert, Zola, Schnitzler, Brecht, Grass und vielen anderen diskreditiert. Über den unvereinbaren Konflikt mit einer pluralistischen Verfassung hinaus leiden diese Theorien an ihrer fehlenden Normierbarkeit, die subjektivistisches Kunstrichtertum unabdingbar macht. Solche Präfixierungen enden in einem Ideal konfliktloser Kunst, das die Freiheitsgarantie zur rechtsfolgenlosen Proklamation verkommen läßt33. Während das Bundesverfassungsgericht in der Mephisto-Entscheidung insoweit noch Zweifel hegte, ob die Kunsteigenschaft eines Werkes mit Pornographie vereinbar ist 34 , hat das Gericht in der Entscheidung zur Indizierung des Romans "Josefine Mutzenbacher" festgestellt, daß sich Kunst und Pornographie nicht ausschließen35.
Dünnwald, GA 1967, 40 f.; Leiss, NJW 1962, 2323 ff., dazu ablehnend Ott, NJW 1963, 617 ff. A.A. Erbet, Kunstfreiheitsgarantie, S. 149 f.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 32 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 62. 32 Vgl. Piaton, Hippias maior, 297 a nach Hart Nibbrig, S. 26 f.; Thomas von Aquin, Summa theologica 15,4 nach Hart Nibbrig, S. 53 m.w.N. 33 Vgl. etwa Dünnwald, GA 1967, 39: "Ein verfassungsfeindliches Werk ist nicht Kunst". 34 BVerfGE 30, 336 (350). 35 BVerfG, NJW 1991, 1491; vgl. auch entsprechend BGH, NJW 1990, 3026 (3027). Kein Ausschuß der Kunstwerksqualität im Fall der erotischen Vorführung von Damenunterwäsche, so BSG, NJW 1997, 1185 ff. Das BSG stützt sich auf die Erkenntnis, daß die Kunstgeschichte lehre, daß "die Kunst sich stets, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, mit dem Erotischen befaßt hat". Dagegen erkennt OVG Münster, NJW .1997, 1180 f. weder nach materialen noch semiotischen Auslegungen in Nackt-auftritten mit wechselnden Kleidungsstücken Kunst. Problematisch in dieser Entscheidung ist die Unterscheidung zwischen "Nichtkunst-Normalfall" und Kunst als Ausnahme. Richtig wäre die Fallbehandlung auf der Schrankenebene gewesen.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S . 1 GG
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Anderenfalls würde die Anerkennung der Kunstwerkseigenschaft von einer staatlichen Stil-, Niveau- oder Inhaltskontrolle oder Beurteilung der Wirkung des Werks abhängig gemacht36.
IL Formaler Kunstbegriff
Im Streit um den am abwehrrechtlichen Problembereich der Kunstfreiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG entwickelten Kunstbegriff stehen sich nach der Abweisung der älteren Konzeptionen prinzipiell formal-technische 37 und material-qualitative Bestimmungen gegenüber. Die Ausgangsfrage, ob die Bestimmung des freiheitlichen Schutzbereichs "Kunst" eine Definition des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs verträgt, wird von der durch Knies entwickelten formal-technischen Lehre vom Definitionsverbot verneint 38. Der "status libertatis" des Grundrechtsträgers opponiere einer fremdbestimmten Ausführung seines Inhalts durch die staatliche Interpretation 39. Die "Offenheit des grundrechtlichen Kunstbegriffes" sei nur in einer technisch-formalen Kategorisierung des Kunstwerks gewährleistet, die Fragen der Wahrheit, Relevanz und Qualität künstlerischen Schaffens ausblendet, um allein das äußere Erscheinungsbild des Kunstwerks als Anknüpfungspunkt der verfassungsrechtlichen Schutzgutbestimmung zu wählen40.Eine vergleichbare Begründung für den Verzicht auf eine inhaltliche Bestimmung des künstlerischen Freiheitsbereichs gibt Friedrich Müller, der auf die Zugehörigkeit des Kunstwerks zu bekannten oder neuen, aber konventionsbildenden Werkstypen ab-
30 BVerfG, NJW 1991, 1491. So auch BVerfGE 81, 278 (291) ("Verunglimpfung der Bundesflagge"); BVerfGE 75, 369 (377). Problematische Begründung in der Entscheidung SG München, NJW 1997, 1188 zur Frage, ob das Gehen auf Fahrbahnen anstatt auf Bürgersteigen ("Street-walking") und das Übersteigen von Fahrzeugen ("Carwalking") Kunst im Sinne des Künstlersozialversicherungsgesetzes anzusehen sind. Die Entscheidung vermischt Schutzbereichs- und Schrankenerwägungen. 37 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 214 ff.; Maunz, BayVBl 1970, 354 f.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 35 ff.; Raue, S. 85 ff.; Meyer-Cording, JZ 1976, 740. Unentschieden Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 176, 185, der im Anschluß an das von Knies entwickelte Definitionsverbot "einen verfassungsrechtlich festliegenden qualitativen Kunstbegriff' ablehnt (Rdnr. 176) und im Anschluß an Scholz, in: Maunz/Dürig, GG. Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 25 und Erbel, DVB1 1969, 866 ein "verfassungsrechtliches Definitionsgebot" annimmt (Rdnr. 185). 38 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 214 ff. 39 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 218 f. 40 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 219 f.
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
stellt41. Der Erfolg der verfassungsrechtlichen Schutzaufgabe ist davon abhängig, daß das Schutzobjekt "Kunst" zumindest einen elementaren Umriß aufweist, um der verwaltenden und richterlichen Tätigkeit den schonenden Umgang mit der Kunst zu ermöglichen. Die im formalen Kunstbegriff angelegte Schwierigkeit, künstlerische Formen von Meisterschaften im technischen Sinne abzugrenzen, kann die Indifferenz gegenüber der Gefahrdung des spezifisch künstlerischen Ausdrucks begünstigen42. Willkürlich kann die künstlerische Kategorisierung nach dem zugrundeliegenden Phänotypus der Gestaltung werden, wenn künstlerische Ausdrucksformen von dem Gestaltungswillen des Urhebers abstrahiert werden43. Ohne den personalen Bezug zum Grundrechtsinhaber werden auch solche Produktionen geschützt, die diesen Anspruch nicht erheben44. Ein entscheidendes Defizit des formalen Kunstbegriffs liegt in dem vorausgesetzten ahistorischen Freiheitsverständnis, das weitgehend blind fur die historische Schutzrichtung des Grundrechts bleibt45. Als Reaktion auf historische Konflikttypen 46, insbesondere die repressive Kulturpolitik des Nationalsozialismus47, bezweckt Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die Kunst von staatlicher Indienstnahme freizuhalten. Es besteht die Gefahr der Ausuferung der Freiheitsgarantie oder zumindest ihrer fehlerhaften Akzentuierung, wenn diese historische Funktion verkannt wird. Der phänotypische Ahistorismus ist im Versuch der Überwindung genieästhetischer Kunstentwürfe zugleich künstlerisch regressiv, da er einen Katalog mehr oder weniger abgeschlossener Phänotypen als Bestimmungsgrößen voraussetzt48. Die Entwicklung der künstlerischen Moderne verbindet mit der ständigen Erweiterung der Verfahrensweisen eine Ausdehnung auf die verschiedensten Materialbereiche. Mit der Ausdifferenzierung technologischer Möglichkeiten und der Inflation innovativer Ansprüche der Künstler geht auch die grenzüberschreitende Ten-
41
Müller, Freiheit der Kunst, S. 40 ff.; ders., Rechtslehre, S. 387 ff., 409 ff. Erbel, DVB1 1969, 865 mit Beispielen; Knemeyer/Greiffenhagen, Der Staat 1969, 241 f., 249 ff. ^ErbeU DVB1 1969, 865. u Erbel, DVB1 1969, 865; Knemeyer/Greiffenhagen, Der Staat 1969, 241 f. 45 ErbeU DVB1 1969, 865. 46 Vgl. Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 E Rdnr. 18. 47 Ausführlich Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 65 ff. Vgl. zur nationalsozialistischen Kulturpolitik auch die informative Darstellung von Merker, insbesondere S. 94 ff. 48 Ähnlich Knemeyer/Greiffenhagen, Der Staat 1969, 249 f.; Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 18; Zöbeley, NJW 1985, 255. 42
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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denz der Auflösung gattungsspezifischer Kategorien einher 49. Die Auflösung des Werkbegriffs 50, die Aufgabe exklusiver Gestaltungsweisen und schließlich die "Entkunstung" der Kunst selbst51 erlauben es nur mehr bedingt, den Geltungsanspruch einer formalen Betrachtung als identifizierendes System in neueren Kunstproduktionen einzulösen. Wie willkürlich danach Subsumtionen unter den Kunstbegriff der Verfassung ausfallen, belegt die Feststellung Müllers: "Das Gedicht auf der Papierserviette ist 'Kunst' i. S. des Grundrechts. Die Zeichnung auf dem Bauzaun ist es ... typologisch nicht; es sei denn der Bauzaun werde demontiert und in einer Ausstellung dargeboten"52. Das Beispiel zeigt, daß hier letztlich nicht mehr eine Typologie von Kunstformen erarbeitet wird, sondern die gesellschaftliche Akzeptanz, die den Institutionalisierungen künstlerischer Lebenswirklichkeit zugerechnet wird, Richtschnur für die Ermittlung der Kunstwerkeigenschaft wird. Die formale Betrachtung als Versuch eines verfassungsadäquaten neutralen Umgangs des Staates mit der Kunst fällt mit einer Bewertungsinstanz zusammen, die so nicht zureichend legitimiert ist. Gegenüber einem typologischen numerus clausus künstlerischer Äußerungen können auch atypische Kunstbetätigungen den Schutz der Freiheitsgarantie genießen53. Wenn künstlerische Arbeiten sich allein durch den institutionellen, etwa musealen, Kontextbezug von Naturproduktionen unterscheiden54, wenn die Selbstverständniserklärung erst den geistigen Rahmen des Kunstwerks
49 Ausführlich dazu Adorno, Ohne Leitbild, S. 432 ff.: "Die Kunstgattungen scheinen einer Art von Promiskuität sich zu erfreuen, die gegen zivilisatorische Tabus sich vergeht" (435). 50 Vgl. Bubner, S. 49 ff., S. 60 ff. Bubner sieht in dieser Tendenz "einen wesentlichen Zug der Moderne" (62). Bürger, Theorie der Avantgarde, S. 76 ff. erkennt immerhin eine "Restauration der Werkkategorie" in der Neoavantgarde (79). 51 Mit interessantem Beispielmaterial zur Programmatik "Alles ist Kunst, jeder ist Künstler" vgl. Weilershof \ S. 28 ff. Speziell zur drastischen Entästhetisierungstendenz pornografischer Kunst vgl. Gorsen, Sexualästhetik, S. 82 ff. sowie Paglia durchgehend zum hermeneutischen Verhältnis von Kunst, Sexualität und Pornografie. 52 Müller, Freiheit der Kunst, S. 46. Kritisch dazu Erbel, UFITA Bd. 61, 375 ff., 379 zu diesem Beispiel; Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 23 f. Ausführlich zu dem Ansatz Müllers vgl. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 155 ff. m.w.N. Ferner v. Münch, GGK, Art. 5 Rdnr. 60. 53 Vgl. Denninger ^ Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 6. 54 Kritisch gegen solche Kunst Jürgen Weber, Entmündigung der Künstler, S. 186 ff. Noch weitergehender Ludwig Marcuse, S. 53 f.: "Kunst ist, wo einer sie spürt; zum Beispiel auch in einem Sonnenuntergang, der vielleicht öfter ästhetisch erfahren wird als dies oder jenes Abbild". Zur Differenzierung von "Kunstschönem" und "Naturschönem" Hegel, S. 157 ff. mit der Konzeption der "Mangelhaftigkeit des Naturschönen" (190 ff.).
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
schafft 55, versagt die juristische Reflexion auf die äußere Form 56. Die Weigerung, das wörtliche Zitat der Wirklichkeit in den Kunstbegriff der Verfassung aufzunehmen oder den künstlerischen Gestus der Prätention zu akzeptieren, setzt sich dem Vorwurf der Ignoranz gegenüber einer veränderten Lebenswirklichkeit aus, die hierin ihre Eigengesetzlichkeit findet.Die bedingte Verläßlichkeit phänotypischer Betrachtungsweise57 wäre nur dann durch die Forderung nach Offenheit für neue Gestaltungsformen zu beheben, wenn für eine Erweiterung traditioneller Formenvokabulare auch hinreichende Kriterien zur Erfassung konstitutiver Bedingungen der Kunst bereitständen, die in der Ästhetik unter dem Begriff der Formgesetze Eingang gefunden haben58. Wenn Knies59 versucht, seinen Kunstbegriff im "Sünderin"-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts60 wiederzufinden, das den Spielfilm wie einen "Roman oder ein Theaterstück, die erdachte Handlungen zum Gegenstand haben", unter den Schutz des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG stellt, zeigt sich die Unzulänglichkeit seines Bestimmungsversuches. Romanstruktur und Fiktionalität sind keine formaltechnisch aufschlüsselbaren Phänomene und in der Zeit des "noveau roman" mag man ein Telefonverzeichnis als moderne Prosa goutieren, ohne damit die Schutzzone des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG anzureichern 61. Formale und materiale Dimensionen eines Kunstwerks können auch in verfassungsrechtlicher Sicht nicht voneinander getrennt werden, wenn künstlerische von anderen Äußerungen der Lebenswirklichkeit differenziert werden sollen62. Freiheitsrechtlich ist die Berührungsangst vor ästhetischen Wertbildungen im Rahmen der normativen Schutzgutbestimmung durchaus begründet. Kunstrichtertum ist ein Vorwurf, der die staatliche Erfassung von Manifestationen des Kunstlebens permanent begleitet hat. Gleichwohl muß auch im 55
Dazu Belting, S. 32 ff. Daher ist es falsch, die Kritik des formalen Kunstbegriffs mit der Kritik des erweiterten Kunstbegriffs von Beuys gleichzusetzen, wie es Hermuth, FuR 1983, 198 unternimmt. Vgl. Beuys, S. 135 ff. 57 Die Kunstphilosophie Dantos handelt noch weitergehend von der völligen Unzulänglichkeit eines phänotypischen Gegenstandsbezugs. Vgl. insbesondere Danto, S. 17 ff. 58 Adorno, Ästhetische Theorie, S. 12: "Deutbar ist Kunst nur an ihrem Bewegungsgesetz, nicht durch Invarianten.","... ihr Bewegungsgesetz ist ihr eigenes Formgesetz". 59 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 220. 60 BVerwGE 1,303 (305). 61 Zur Vermischung dieses Ansatzes mit inhaltlichen bzw. materialen Überlegungen vgl. weiterhin Bär, Filmfreiheit, S. 118 f.; Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 16 ff; Knemeyer/Greiffenhagen, Der Staat 1969, 250. 62 Erbel, UFITA Bd. 61, 378 gegenüber dem von Müller vorgestellten Ansatz; Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 18. Vgl. auch Möhring, NJW 1968, 1617. 56
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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Rahmen dieser Aufgabenstellung ein elementares Verständnis künstlerischer Prozesse ermöglicht werden. Keine Reflexion auf das Niveau der verhandelten Kunst, sondern ein zu objektivierender Grundstock künstlerischer Formbildung wird vorausgesetzt, um die Justiziabilität der Kunst zu ermöglichen. Künstlerische Form kann nur durch ein verstehendes a priori ermittelt werden. Der Purismus der kritisierten rein formalen Betrachtung ist durch das kulturell geprägte Vorverständnis des Verfassungsexegeten notwendig eingeschränkt. Allein in der Bewußtmachung des interpretatorischen Vorverständnisses, seiner Aktualisierung in der Formbestimmung, unterscheidet sich ein Großteil der diversen Ansätze der Verfassungsdogmatik. Über die Kritik hinaus ist somit der wichtige Leitgedanke der Norminterpretation des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG festzuhalten, daß ein zureichendes Sachbereichsverständnis ohne ästhetische Reflexionen über das Formenvokabular hinaus nicht auskommt. Damit ist noch nicht entschieden, ob diesem Erfordernis ohne einen Kompetenzwechsel vom Verfassungsinterpreten zum außeijuristisch ausgewiesenen Sachverstand entsprochen werden kann. Eine rein formal-technische oder gattungsspezifische Betrachtung der Kunst kann somit dem äußeren Kreis potentieller Förderungsobjekte nicht zutreffend beschreiben63, sondern bedarf der Erweiterung, um justiziable Ableitungen zu eröffnen.
I I I . Materialer Kunstbegriff
Die Bedingtheit einer formaltechnischen oder werktypologischen Betrachtungsweise leitet über zur Prüfung des Gehalts materialer Bestimmungen des verfassungsrechtlichen Schutzgutes "Kunst".64
63 Für die dogmatische Kontroverse um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit selektiver Fördermaßnahmen auf der Grundlage einer qualitativ wertenden Entscheidung kommt aber auch Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 224 ff. zur Notwendigkeit einer Entfernung von der formal-technischen Betrachtung. Kritisch zu diesem Betrachtungswechsel Beck, Wahrheit, S. 263 m.w.N. 64 BVerfGE 30, 173 (188 f.); 31, 229 (238 f.); BVerwGE 23, 104 (107); 23, 112 (120); 39, 197 (207 f.); BGHZ 22, 209 (213 ff.); 27, 351 (356); 50, 340 (350 f.); v. Hartlieb, IJFITA Bd. 51, S. 5 ff.; Ropertz, S. 78 ff.; He ekel, Staat-Kirche-Kunst, S. 97 ff, der einen "materialen Kunstbegriff, der von Staats wegen einen bestimmten Bestand von ästhetischen und weltanschaulichen Werten, Formprinzipien wie Gehalten autorisieren würde" (97 f.) ablehnt, in der Folge aber materiale Momente im sogleich vorgestellten Sinne herausarbeitet. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 93 ff und Scholz, in: Maunz/Diirig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 28 nehmen insoweit eine Sonderstellung ein, als sie auf die Notwendigkeit einer Zusammenschau personaler und sozialer Ele-
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Die bereits klassische Begrifflichkeit des Bundesverfassungsgerichts in der maßgeblichen Mephisto-Entscheidung65, die als Paradigma des materialen Kunstverständnisses gelten kann, lautet: "Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers".
Der begriffliche Zugewinn dieser Aussagen gegenüber den bisher vorgestellten Kunstdefinitionen bzw. beschreibungen liegt darin, daß das Bundesverfassungsgericht keine abschließende Formel, sondern relativ offene Bestimmungselemente angibt66. Die begrenzte Tauglichkeit dieser Auffassung ist aber auch vielfach kritisiert worden. Bedenklich erscheint die Verkürzung des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs auf eine genieästhetische, idealistische Dimension der Kunst67, ohne die historischen, sozialen, politischen, evolutionären und institutionellen bzw. objektiven Aspekte der Kunst, insbesondere das Kunst- und Kulturleben in seinen Voraussetzungen und Zusammenhängen, angemessen zu berücksichtigen. Stärker als der Einwand der Verfehltheit und Widersprüchlichkeit trifft diesen und vergleichbare Definitionsversuche der Vorwurf ihrer aphoristischen Qualität, die kaum justiziable Ableitungen zuläßt68. Die vorangestellte Begriffsbestimmung des Bundesverfassungsgerichts leidet weniger an ihrem notwendig obsoleten Gehalt, der modernen Formen der Kunst entgegensteht, wenn sie offen und künstlerisch evolutionär interpretiert wird. Vielmehr eröffnet die abstrakte Begrifflichkeit die Problematik, daß das vielschichtige Phänomen "Kunst" keiner größeren Verbindlichkeit zugeführt wird. Der Umfang freien Schöpfertums ist in der Kulturverwaltung und Rechtsprechung ebenso wenig als verfassungspragmatische Kategorie verfügbar, wie das "Wesen" der Kunst im gedrängten Bonmot Verfassungsdirektiven abwirft. Die Vermutun-
mente der Kunstfreiheit verweisen. Weitere Nachweise zu Vertretern des materialen Kunstbegriffs im Folgenden. 65 BVerfGE 30, 173 (188 f.). 66 Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 7. 67 Kritik bei Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 28 m.w.N. Vgl. auch Oettinger, Kunst ist als Kunst nicht justiziabel, S. 176 f. 68 Bär, Filmfreiheit, S. 112 f.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 35 ff.; v. Münch, GGK, Art. 5 Rdnr. 60 c; Zöheley, NJW 1985, 255.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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gen über künstlerische Arbeitsprozesse und Intentionen kommen nicht über die Unzulänglichkeiten spekulativer Rechtswissenschaft hinaus. Exemplarisch zeigt sich das im Rekurs Schäubles auf Ernesto Grassi, demnach die Kunst "dem Chaos der Eindrücke eine Ordnung aufzuprägen" versucht69. Adorno findet dagegen die Aufgabe der Kunst "in nuce" darin, "Chaos in die Ordnung zu bringen". 70 Ein materiales Eingrenzungsmaterial künstlerischen Handelns ist in seiner Sinnvermittlungsqualität vermutet worden71. Dem entspreche auf Seiten des Künstlers ein persönliches Erlebnis72. Gegen diese Auffassung muß vermerkt werden, daß sie Sinn als verfügbaren Inhalt ansieht, der nurmehr des Transportes durch den Künstler bedarf. Die Konstruktion des Sinns als eines invarianten Prozesses ist einen kunstphilosophischen Verständnis verpflichtet, das die Rezeptionsleistung bei der Sinngewinnung unterschlägt und ahistorisch nicht mit der Auflösung oder erst zukünftigen Sinnentstehung rechnet. Kunst, die ihre Aufgabe in der Opposition gegen das Sinnerleben findet, gehört zur Erfahrung der Moderne, die zumindest eine Differenzierung zwischen den Arten der Sinnhaftigkeit erforderlich macht: "Die sinnlosen oder sinnfremden Werke des obersten Formniveaus sind darum mehr als bloß sinnlos, weil ihnen Gehalt in der Negation des Sinns zuwächst".73 Die Dialektik künstlerischer Moderne in der Revolte gegen den Sinn, festgemacht an den historischen Avantgardebewegungen des Dadaismus oder Surrealismus kann hier freilich nicht verfolgt werden, diskreditiert aber solange "Sinn" als verfassungspragmatische Kategorie, wie nicht dargelegt ist, welche objektivierbare Bedeutung ihm zukommt. Mit der Kategorie des Sinns fallt auch das subjektive künstlerische Erlebnis als deflatorisches Eingrenzungsmerkmal des Schutzbereichs, da das Erlebnis als subjektive Welt und Sinnerfahrung sich vollends dem Bereich der juristischen Rekonstruktion entzieht. Künstlerisches Erleben ist auch nicht
69
Schäuble, Kunstförderung, S. 18. Adorno, Minima Moralia, S. 298. Eine Kurzkritik des kunstsoziologischen Verständnisses von Adorno, das regelmäßig im unverbindlichen Aphorismus endet, findet sich bei Silbermann, S. 712 ff. 71 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 28; Schmidt, GA 1966, 99. Differenzierend dagegen Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 30 f. Ferner zum Problemkreis Küng, Kunst und Sinnfrage, S. 85 ff. Vgl. aber BVerfG, NJW 1985, 261 (263) ("Anachronistischer Zug"): Danach ist das Kunstwerk "interpretationsfahig", d.h. diversen Lesarten zuführbar. 72 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 28, darin BVerfGE 30, 173 (188 f.) folgend. 73 Adorno, Ästhetische Theorie, S. 226 ff. (Zitat S. 231). 70
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1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
durch das korrespondierende Erlebnis oder den Kunstgenuß des Rezipienten74 zu belegen, wenn ein völliger Bewertungsrelativismus vermieden werden soll. Diese Kritik trifft alle Annäherungs- und Definitionsversuche, die eigenständig oder im Anschluß an die Mephisto-Entscheidung allein auf den schöpferischen Akt des Künstlers abstellen75, dem "Wesen der Kunst" nachspüren76, die "interesselose Freude am Schönen" suchen77 oder "Phantasie, Ästhetisches und Qualität" mobilisieren78 und damit über eine tautologische Begriflöichkeit nicht hinausgelangen79. Die scheinbare Justiziabilität aufgrund solcher Definitionen in unproblematischen Teilbereichen des künstlerischen Geschehens läßt sich eher auf ihre Unveibindlichkeit zurückfuhren, als auf ihren wirklichen Problemlösungsgehalt. Eine umfassende Antwort auch auf Zweifelsfragen der verfassungsrechtlichen Schutzgutbestimmung scheitert an der fehlenden Deduzieibarkeit bzw. Ausdifferenzierung des Allgemeinbegriffs "Kunst" oder, wie bei phänotypischen Annäherungsweisen, an der ausschließlichen Betrachtung von Teilaspekten. Dieser Mangel wird - oft bei gleichzeitiger Distanzierung des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs von kunstwissenschaftlichen oder ästhetischen Begriffsbildungen - durch mehr oder weniger geglückte interdisziplinäre Anleihen zugeschüttet, aber nicht behoben. Als Fazit bleibt die Erkenntnis, daß die fehlende kunsttheoretische Konsensbildung keine Transformation einer umfassenden, alle Zweifelsfragen lösenden materialen Kunstdefinition ermöglicht. Die Lösung der verfassungsrechtlichen Aufgabenstellung aus
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Zur Kritik der Kategorie des "Genießens" Hoffmann-Axthelm, S. 52 ff. Jetzt wieder Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 186: "Kunst i. S. des Art. 5 ist vielmehr 1. ein schöpferischer Akt, der sich 2. durch eine wie auch immer geartete erkennbare geistige Struktur in kunsttypischer oder in ähnlicher neuer Formgebung auszeichnet und der 3. als solcher (d.h. in den Eigenschaften 1 und 2) nicht unter den besonderen Schutz anderer Grundrechte fallt". 76 Dünnwald, GA 1967, 39. Arndt, Kunst im Recht, S. 435 sieht das Wesen der Kunst in der "Kenntnis und Erkenntnis" und folgert daraus den "rechtlichen Gehalt der Kunstfreiheit als Freiheit einer Wahrheitssuche". Zur Aporie ästhetischer Wahrheit umfassend Hamburger, insbesondere S. 129 ff. 77 RGSt 24, 365 (367). Dazu Oettinger, UFITA Bd. 71, 15 ff. Der Rekurs des Reichsgerichts auf die Ästhetik Kants, vgl. Kritik der Urteilskraft, Bd. IX, S. 171 ff. und Bd. X, S. 279 ff., ist hier zu erwähnen, um die im Interesse der Obersicht vorgenommene Abschichtung des materialen vom idealistischen Kunstbegriff zu relativieren. 78 v. Hartlieb, UFITA Bd. 51, S. 21 ff. 79 Zusammenstellung tautologischer Kunstbegriffe bei Bär, Filmfreiheit, S. 102. 75
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG wird sich auf ihre wechselnden, funktional differenzierbaren Momente besinnen müssen80.
IV. Formal-materialer Kunstbegriff Den Weg aus den Bedingtheiten formaler und materialer Theorien könnte eine Verknüpfung beider Ansätze weisen. Ein solches, gelegentlich vorgetragenes Verständnis kann aber keine dogmatische Sonderstellung beanspruchen81. In der vorliegenden Untersuchung ist gezeigt worden, daß eine rein formale Konzeption nicht denkbar ist, sondern materiale Momente zumindest das Vorverständnis des Verfassungsinterpreten prägen. Von der Seite der materialen Bestimmungsversuche her ist der Bezug auf Form und Gestaltung regelmäßig selbstverständlich, allein die Frage, ob und welche schöpferischen oder geistigen Umstände das Werk begründen, rückt in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die in der aktuellen Diskussion eingetretene terminologische Verwirrung in der Verwendung des Begriffspaars "formal/material" läßt es ratsam erscheinen, den beiden Kategorien primär die grundrechtsdogmatische Standortzuweisung vorzubehalten, die in der hier dargestellten Polarität von formaltechnischer und werktypologischer Betrachtung auf der einen und des durchaus uneinheitlichen Verständnisses inhaltsbezogener Kunstbegriffe auf der anderen Seite liegt. Einer inhaltlichen Festschreibung eines staatlichen Regelkanons ästhetischer Formbildung opponieren formale und materiale Bestimmungsversuche gleichermaßen, so daß auch die materialen Definitionen als wertdifferenzierungsfreie Begriffe "formal" ausgedeutet werden können82. Ein Verlust an begrifflicher Konsistenz und argumentativem Gebrauchswert liegt aber in der jetzt vorgetragenen Auffassung, derzufolge der Rechtspre-
80 Zum Verhältnis funktionaler Normbegriffe und abstrakter Definitionen: Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 8; Lerche, BayVBl 1974, 177 ff. Ähnlich BVerfG, NJW 1985, 262: "Unmöglichkeit, Kunst generell zu definieren". 81 Vgl. etwa Prause, S. 80 f., die für Locher, Recht der bildenden Kunst, S. 20 einen Sonderstatus reklamiert, der nicht gerechtfertigt ist. 82 Vgl. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 93 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 28.
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
chung des Bundesverfassungsgerichts 83 ein formaler Kunstbegriff zugrundeliegt84.
V. Semiologischer Kunstbegriff
Über die traditionelle Kontroverse zwischen formalem und materialem Kunstbegriff hinaus hat das Bundesverfassungsgericht jüngst in der Entscheidung zum "Anachronistischen Zug" auf ein verfassungsrechtliches Kunstverständnis hingewiesen, daß die Kunstwerkqualität in einer polyinterpretablen, nicht endgültig auszulotenden Informationsvermittlung verortet 85. Dieser von der Literatur als zeichentheoretischer Kunstbegriff aufgenommene Lösungsversuch86 kann sich auf eine breite Basis moderner semiologischer Forschungen stützen, die über den sehr kontrovers diskutierten Begriff des "Zeichens"87 die symbolisch vermittelten Kulturäußerungen des Menschen88 semantisch, syntaktisch und pragmatisch aufschlüsseln 89. Eco hat in seinem semiologischen Theoriemodell des offenen Kunstwerks drei Ebenen zur Erfassung von Kunstwerken vorgestellt, die im Anschluß an den Hinweis des Bundesverfassungsgerichts geeignet sein könnten, sachbereichsspezifische Kriterien eines pluralistischen Kunstbegriffs zu ermitteln. Danach gibt es drei Intensitäten der Offenheit 90: 1. "Kunstwerke in Bewegung" vollenden sich erst, wenn der Vorschlag des Initiators im Zusammenspiel mit den Mitwirkenden vollendet wird. Zu denken ist an moderne Partituren, die den "Nachschaffenden" erhebliche Spielräume 83
BVerfGE 30, 173 (188 ff). So OLG Hamburg, NJW 1984, 1130 ff. (=JR 1983, 508 f.) ("Die Hexenjagd"). Dazu kritisch Otto, JR 1983, 511; Zöbeley, NJW 1985, 255 Fn. 16. Einen formalen Gebrauch eines mit materialen Begriffen umschriebenen Kunstbegriffs erkennt Hoffmann, NJW 1985, 238 Fn. 6 in der Mephisto-Entscheidung; ähnlich Otto, JR 1983, 511. 85 BVerfG, NJW 1985, 262 im Anschluß an v. Noorden, S. 82 ff 86 Zöbeley, NJW 1985, 255 ff; Henschel, FS-Wassermann, S. 351 ff. 87 Vgl. die Zusammenstellung der Verwendungsweisen Eco, Zeichen, S. 30 ff. und passim. 88 Dazu Eco, Zeichen, S. 108 ff, 185 f. 89 Diese Betrachtung entspricht dem Grundlagenmodell von Morris, S. 32 ff, S. 42 ff, 52 ff, 91 ff. 90 Eco, Das offene Kunstwerk, S. 27 ff. Vgl. die Zusammenfassung der drei Ebenen S. 57. Ferner zur Kunst im semiologischen Verständnis Mukarovsky, Kapitel aus der Ästhetik, S. 138 ff. 84
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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in der Verwirklichung etwa durch Austausch von Partiturteilen einräumen, so daß angesichts der Realisationen, abgesehen von der allgemeinen Varianz, die schon durch die Individualität und Auffassungsweise der Aufführenden bedingt ist, von verschiedenen Kunstwerken die Rede ist. 2. Davon sind physisch abgeschlossene Werke abzugrenzen, deren Offenheit in einer Vielzahl von Kontextualisierungsmöglichkeiten angelegt ist. Die Standortfrage einer Plastik im öffentlichen Raum kann regelmäßig nicht beantwortet werden, ohne das Recht des Künstlers zu berühren. Das ambiente eines solchen Kunstwerks ist mithin ein konstitutives Kriterium der Kunstwerkproduktion. 3. Trotz einer Bindung der Werke an eine "Poetik der Notwendigkeit" kann jedes Kunstwerk immer neuen Lesarten durch die Perspektive, den Geschmack, etc. des Interpreten zugeführt werden. Diese Form der Offenheit könnte an der Umorientierung gegenüber herrschaftlich gebundenen Produktions- und Rezeptionsregeln der Kunst, wie sie etwa das Mittelalter bereithält, exemplifiziert werden. Das Theoriemodell des offenen Kunstwerks91 steht einer normativen Ästhetik92 entgegen, die die Verbindlichkeit des Kunstwerks von geschlossenen Weltbildern, historisch festgelegten Verlaufsformen gesellschaftlicher Entwicklung93 oder ähnlich partikularen Bestimmungen abhängig macht und damit der pluralistischen Aussage des Grundgesetzes widerspricht. Insoweit ist dieser antidogmatische Versuch der Schutzgutbestimmung adäquater Ausdruck einer offenen Gesellschaft und ihrer Verfassung. Fraglich ist aber, ob "Offenheit" als Abgrenzungsmerkmal auch für die normative Schutzgutbestimmung der Kunstfreiheitsgarantie tauglich ist. In der Abgrenzung zu Wörterbüchern, wissenschaftlichen Texten oder Speisenkarten besteht die Offenheit des Kunstwerks nach Eco "im Sichverfügbar-Machen für verschiedene Integrationen, konkrete produktive Ergänzungen, die es von vornherein in den Spielraum einer strukturellen Vitalität einfügen, die dem Werk eignet, auch wenn es nicht abgeschlossen ist, und die sich durchsetzt auch bei verschiedenen und vielfachen Ausführungen" 94. In ihrer Unbe91
Vgl. dazu auch Luhmann, Kunst der Gesellschaft, S. 126 ff. Luhmann verweist auf den Perspektivenwechsel vom Wirkungsverständnis der Kunst zum Beobachtungsverhältnis, das die Eigenständigkeit des Betrachters hervorhebt. 92 Zur Ungültigkeit normativer Ästhetik vgl. Weilershof, S. 33 ff. 93 Kritisch gegenüber der orthodox marxistischen Ästhetik, die primär allein eine affirmative Überbaufunktion der Kunst nach einem ideologisch fixierten Geschichtsbild kennt, auch der Neomarxist Marcuse, Die Permanenz der Kunst, S. 20 ff. 94 Eco, Das offene Kunstwerk, S. 56. Vgl. auch Zöbeley, NJW 1985, 255 f. 4 Palm
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
stimmtheit vermag diese Abgrenzung nicht Bedenken an ihrer Praktibilität und vor allem an ihrer Mißbrauchsmöglichkeit auszuschließen, einen ästhetisch wertenden Kunstbegriff zu legitimieren, da sich inferiore Produktionen, die gleichermaßen von der Kunstfreiheitsgarantie erfaßt werden, in ihrem Gehalt möglicherweise nicht im Sinne dieser Offenheit wechselnden Lesarten zugänglich sind95. In der Begegnung mit modernen künstlerischen Artikulationen könnte sich Offenheit erst in der historischen Rückschau erweisen. Wenn auch das Modell des offenen Kunstwerks keine zureichende Unterscheidung zwischen Kunst und Nichtkunst erbringt, vermag es doch den verfassungsrechtlichen Umgang mit der Kunst vor Reduktionen bewahren, die für den Kunstschutz einseitig auf die Produktionsebene abstellen, das Kunstwerk mit dem physischen Substrat verwechseln, die rekursive Komplexität der Produzenten-Rezipienten-Beziehung unterschätzen oder das Kunstwerk auf eine leicht zugängliche, eindeutige Aussage treiben wollen.
VI. Konzeptionen und Argumentationsfiguren zur Umgehung einer Objektivierung eines verfassungsrechtlich privilegierten Status der Kunst
Die Kritik des Schematismus, der Simplifikation oder Rigidität rechtswissenschaftlichen Denkens übersieht häufig, daß der Preis für die normative Absicherung von Lebensverhältnissen in der notwendigen Verkürzung der komplex erfahrenen Lebenswelt liegt. Diese wissenschaftstheoretische Grundhaltung eignet auch den verfassungsrechtlichen Diskursen zur Kunst, die angesichts einer Fülle von Gestaltungs- und Ausdrucksformen auf der normativen Ebene entindividuiert wird. Im Schutz ihrer Eigengesetzlichkeit ist immer auch zugleich die Gefahr fremdgesetzlicher Generalisierung angelegt. Die Ambivalenz von Schutzaufgabe und Achtung eigengesetzlicher Momente ist im folgenden Untersuchungsteil präziser zu ermitteln, als es vor allem die vagen Definitionsversuche im Rahmen des materialen Kunstbegriffs ermöglichten, die das konkrete Auslegungsverfahren durch gleichermaßen unverfängliche wie leerformelhafte Harmonievorstellungen verdeckten. Trotz im einzelnen erheblicher struktureller Unterschiede finden sich die folgenden Konzeptionen in Argumentationsfiguren in einer Gemeinsamkeit. Sie verzichten auf die Objektivierung eines verfassungsrechtlich besonderen Status der Kunstfreiheit und opponieren damit einer impliziten Grundannahme der
95
Zöbeley, NJW 1985, 255 f.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
51
vorangegangenen Ausführungen. Näher betrachtet lassen sie sich in Auffassungen einteilen, die den subjektiven Freiheitsbereich des Künstlers entprivilegieren und solche, die die verfassungsrechtliche Objektivierung durch außeijuristische Definitionskompetenz oder einen weitgehenden Definitionsverzicht ablösen wollen. Da das Freiheitsrecht der Künstler im Text des Grundgesetzes nicht unter einem expliziten Vorbehalt steht, unterscheidet sich dieses Grundrecht etwa von den Grundrechten der allgemeinen Handlungsfreiheit oder der Meinungsfreiheit. Insoweit ist es aufgrund des Textbefunds der Verfassung richtig, von einer "Privilegierung" dieser Grundrechtsausübung - wie sie auch im Bereich des Grundrechts der Religionsfreiheit vorliegt - zu sprechen. Eine "Entprivilegierung" liegt dann vor, wenn dem Freiheitsstatus des Künstlers keine Besonderheiten in der Freiheitsausübung zukommen. Trotz der vielfältigen Verbindungslinien und Argumentationszusammenhänge im Verhältnis zueinander ist eine Abschichtung der Konzeptionen und Argumentationsfiguren notwendig, um eine bessere Überprüfung ihres Problemlösungsgehalts zu ermöglichen.
1. Entprivilegierung
der Kunstfreiheit
Bisher lag der Untersuchung die Hypothese zugrunde, daß Kunst auch in der rechtlichen Bewertung eine eigenständige, von anderen menschlichen Lebensäußerungen unterscheidbare Geltungssphäre umfaßt. Trotz der semantisch-systematischen Sonderung der Kunstfreiheitsgarantie gegenüber anderen Grundrechtsbereichen ist ihre Privilegierung gegenüber anderen vorbehaltlich gewährleisteten Grundrechten in einer für die gesamte Diskussion nachhaltigen Wirkung angezweifelt worden. Vielleicht am schärfsten hat Oettinger96 im Anschluß an die umfassende Darlegung von Knies97 diese Auffassung umrissen: "Die Freiheit der Kunst kann als Rechtsgut gegenüber der generellen Meinungsfreiheit nicht differenziert werden. Die Konstruktion eines juristischen Sonderstatus für die 'Kunst', ein nur ihr eigener Freiheitsraum läßt sich
96
Oettinger, Kunst ist als Kunst nicht justiziabel, S. 173. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 56 ff., 230 ff. So auch Mever-COrding, JZ 1976, 737 ff., 742 ff.; Raue, S. 83 ff. Einschränkend Model/Müller, GG, Art. 5 Nr. 6. A.A. BVerfGE 30, 173 (191 f.); BVerwGE 1, 303 (306 f.); Böckenförde/Greiffenhagen, JuS 1966, 362; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 128 f.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 176; Saenger, S. 72 ff., 87. Weitere Nachweise bei Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rndr. 10 ff. 97
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
systematisch nicht begründen". Im Blick auf den fehlenden Schrankenvorbehalt der Kunstfreiheitsgarantie hat Knies den Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als einen Satz primär objektiven Rechts gedeutet, der über die Begrenzung des subjektiven Freiheitsbereichs keine eindeutige Aussage enthalte98. Die Analyse der historisch-politischen Genese des Rechts der Kunstfreiheit entkräftet nach Knies das logisch-systematische Argument, das sich auf die normstrukturelle Differenzierung von Kunst- und Meinungsfreiheit beruft, da der Parlamentarische Rat in der Konstruktion des Grundgesetzes nicht wissenschaftlich methodenstreng vorgegangen sei99. Nach dieser hermeneutischen Reduktion des Bedeutungsgehalts von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist für ihn der Weg offen, die Meinungsfreiheit als "komplexes Grundrecht des freien geistigen Ausdrucks und Austauschs" zu präsentieren 100, dem grundsätzlich101 auch künstlerische Äußerungen zuzuordnen sind 102 . Als Beleg dieser Auffassung wird eine Fülle, insbesondere historischer, sowohl juristischer als auch außerjuristischer Ansichten genannt, die eine restriktive Ausdeutung der Meinungsäußerungsfreiheit nicht zulassen und Art. 5 Abs. 1 GG als sedes materiae subjektiver Kunstfreiheit greifbar machen sollen103. Zuzugeben - und heute nicht mehr ernsthaft bestritten - ist dieser Argumentation, daß Kunst und Meinung kein begriffliches Gegensatzpaar sind104. Dafür mag die paradigmatische, häufig zitierte Feststellung Arndts stehen105: "Von Aischylos bis Brecht, von Phidias bis Calder birst die Kunst von Meinungen". Die vorgestellte Verhältnisbestimmung von Kunst und Meinung leidet aber darunter, daß sie den ästhetischen Gehalt "meinender Kunst" als quantité négligeable unterschlägt. Hätte die oben dargestellte Kritik tautologischer Begriffsbildungen 106 auf den Grund dieser logischen Schwäche reflektiert, hätte sie erkannt, daß die juristische Kunstdefinition oder -deskription in 98 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 56 ff. Zutreffende Kritik bei Möhring, NJW 1968, 1617. 99 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 59 ff. A.A. BVerfGE 30, 173 (191 f.); Knemeyer/Greiffenhagen, Der Staat 1969, 243 ff., 246 ff. Zur fehlenden Aussagekraft der Normentstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vgl. Erbet, Kunstfreiheitsgarantie, S. 63 f. m.w.N. 100 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 243 ff. 101 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 254 f. konzediert Ausnahmen "für lediglich emotionale Wirkungen auslösende Kunstwerke". 102 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 243 ff. 103 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 243 ff. 104 BVerwG, DÖV 1967, 458 ("Dein Sohn läßt grüßen"); OVG Münster, NJW 1959, 1892; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 128 f. 105 Arndt, Kunst im Recht, S. 437. 106 S. 39 vgl. Bär, Filmfreiheit, S. 102.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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einem eigengesetzlichen Konzept der Kunstfreiheit immer wieder auf die Kunst als irreduzible Qualität, als besondere Form der menschlichen Lebensäußerung stößt107. Die Privilegierung der Kunstfreiheit und das dadurch verursachte Dilemma der Verfassungsinterpretation ist der Ausdruck dieses spezifischen, juristisch nicht letztgültig aufschlüsselbaren Gehalts künstlerischer Lebensäußerungen.Die Problematik seines Konzepts verrät Knies in der Reflexion auf solche Kunst, "wo zweifelhaft ist, ob bestimmte künstlerische Äußerungen wegen ihrer nicht geistig-rationalen Wirkung unter den Begriff der Meinungsäußerung subsumiert werden können".108 Hier gelte Art. 5 Abs. 3 GG in seiner Funktion als subjektives Grundrecht. Der Gegensatz von rational und nicht rational erfahrener Kunst löst die Ineinsetzung von subjektiver Kunstfreiheit und Meinungsfreiheit auf. Trotz der fehlenden Exemplifizierung, um welche Kunst es sich handelt, wird man im Versuch, diese Auffassung nachzuvollziehen, auf so umfassende Phänomene wie abstrakte Malerei, weite Bereiche der Lyrik und der gesamten textlosen Musik stoßen, die es kaum mehr erlauben, einen Ausnahmecharakter der "nichtmeinenden Kunst" anzunehmen. Damit würde allein solcher Kunstausübung der freiheitsrechtliche Boden entzogen, die vor allem den Schutz benötigt, politische Kunst, erotische Kunst, allgemein Kunst mit konfliktfahigen Inhalten, die erst auf den Begriff der "Meinung" getrieben, ihren besonderen Status verlöre 109. Das Entprivilegisierungskonzept basiert damit auf einer verfassungsrechtlich nicht gedeckten Autonomievorstellung von Kunst, in der sich ihre Freiheit vom Staat mit der gesellschaftlichen Folgenlosigkeit verbindet 110. Darüber hinaus erscheint die Differenzierung von rational und emotional wirkender Kunst111 als wenig taugliches Instrumentarium der Schutzgutbestimmung, da die Aporien des materialen Kunstbegriffs von einem "psychologischen" Kunstbegriff der Verfassung nicht entkräftet, sondern durch neue Fragwürdigkeiten ersetzt würden 112. Die erforderliche Wirkungsanalyse stellt
107 Vgl. etwa Luhmann, Ist Kunst codierbar?, S. 245 ff., der es unternimmt, "die gesellschaftliche und historische Stellung des besonderen Kommunikationsmediums Kunst und seiner Code-Werte Schönheit und Häßlichkeit1' gegenüber anderen "Medien-Codes" zu ermitteln (246). 108 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 255 (Hervorhebung vom Verfasser). 109 Vgl. BVerwG, UFITA Bd. 52, 278 ("Mademoiselle Venus"); Hartmann, JuS 1976, 651. 110 Zum Doppelcharakter der Autonomie Hartmann, JuS 1976, 652. Ferner Ladeur. DuR 1975, 445. 111 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 255. 112 Zur mangelnden Objektivierbarkeit einer psychologischen Ästhetik vgl. Schuster/Beish S. 245 IT. Die zuvor von Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 162 ff. ge-
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1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
den Kunstfreiheitsschutz letztlich zur Disposition des rational oder emotional Betroffenen. Dieser Subjektivismus der Grundrechtsauslegung wäre nur bedingt durch eine objektivierende Auslegung zu mindern, welchen Elementen der Kunst irrationaler Charakter zukommt. Das Ineinander beider ist gerade ein Grund für die Sonderstellung der Kunst gegenüber anderen Lebensäußerungen 113, ohne darin bereits justiziable Kriterien zu finden. Allgemein ist diese Argumentationsrichtung dadurch gekennzeichnet, daß sie die Sachbereichselemente der Grundrechtsnorm schrankenorientiert (Art. 5 Abs. 2 GG) verkürzt: "Der Jurist scheint also stets den locus minoris resistentiae zu suchen - die Meinungsfreiheit widersetzt sich ihm weniger als Kunst, die Kunst weniger als Pornographie" 114. Wenn Kunst als eigengesetzliche Sphäre, als "eine der bloßen Meinung überlegene Wahrheit" 115 gesehen wird, muß sich dieser Privilegierungsgrund auch im Umfang des freiheitsrechtlichen Gehalts niederschlagen.
2. Aufspaltung von Kunstwerken
in Kunst undNichtkunst
Die Bestimmung des verfassungsrechtlichen Kunstbegriflfs findet ihren neuralgischen Punkt im Umgang mit einer Kunst, die ihre Wirkung in der unmittelbaren Sozialkritik sucht. Politische Kunst, Kunst als sozialer Prozeß116, Satire und Karikatur 117 sind Testfalle für die Konsistenz der verfassungsrechtlichen Begründungsversuche. Es erfordert nicht erst den Rekurs auf die genannten Formen künstlerischen Ausdrucks, um die Wechselseitigkeit von Kunst und gesellschaftlicher Realität zu erkennen. Auch die mimetische Anstrengung, die sich auf konventionelle Abbildungsweisen bescheidet, das naturalistische Theaterstück oder das im-
äußerte Kritik an gutachterlicher Rationalisierbarkeit eines Kunstwerks wird in dieser Differenzierung letztlich zurückgenommen. 113 Vgl. BVerfGE 30, 173 (189). 114 Fuhrmann, S. 134. Hungerland, S. 86 hat aber auf das "Versagen der Ästhetik" hingewiesen, Kunst und Nichtkunst zu differenzieren. 115 Pannenberg, S. 147, ohne ihm insoweit zu folgen, als er auf "Wahrheit" abstellt. Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 354 f. hält die Fragen nach der Wahrheit des Kunstwerks wie nach seinem Nutzen "für völlig kunstfremde Konditionierungen". 116 Vgl. das reichhaltige Beispielmaterial in Kunstforum International, Kunst als sozialer Prozeß, Bd. 27 (1978) und Kunstforum International, Kunst im sozialen Kontext, Bd. 42(1980). 117 Zur Definition RGSt 62, 183 ff ; Würtenberger, NJW 1982, 611.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
55
pressionistische Stilleben, geht eine Beziehung mit der umgebenden Wirklichkeit ein, ohne den Kunstcharakter zu verlieren. Wie bereits das Verhältnis von Kunst- und Meinungsfreiheit erwiesen hat, darf es als ein Spezifikum der Kunst gelten, in der künstlerischen Problemstellung zugleich kunstexterne Inhalte ansprechen zu können und Einfluß auf "außerästhetische Normen" zu nehmen118. Diese Doppelnatur künstlerischer Äußerungen hat immer wieder Interpreten mobilisiert, die aus dem Zusammenhang des Kunstwerks jene Momente herausfiltern, die einer gesonderten Bewertung als kunstfremde Aussage zugänglich scheinen.
a) Finalisierung des Kunstbegriffs In seiner Entscheidung zum "Anachronistischen Zug" hat der Verwaltungsgerichtshof München119 dem verhandelten politischen Straßentheater zwar künstlerische Elemente zugebilligt. Entscheidend für die rechtliche Beurteilung der Veranstaltung sei aber der von den Akteuren verfolgte "Hauptzweck", der in der politischen Beeinflußung des Bundestagswahlkampfes gelegen habe. Demgegenüber treten nach der Auffassung des Gerichts die eingesetzten künstlerischen Mittel zurück, so daß für die Beurteilung des Straßenzugs ausschließlich Art. 8 Abs. 2 GG zur Anwendung komme. Da die Koinzidenz künstlerischer und außerkünstlerischer Momente im Kunstwerk allein nicht zur Abweisung der Kunstwerkqualität berechtigt, fragt es sich, ob die vorgestellte "Hauptzwecktheorie" zulässige Kriterien zur Ablehnung der Tatbestandsmäßigkeit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bereithält. Nach wohl einhelliger und zutreffender Meinung beruht die ohne verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt durchgeführte Finalisierung des Kunstwerks aber auf einer Außerachtlassung der grundrechtstheoretisch gebotenen Aufgabe, die Grundrechtskonkurrenz von Kunst- und Versammlungsfreiheit in der Orientierung an beide Grundrechte adäquat zu lösen120. Danach war der Umgehungsversuch dieser schwierigen Fragestellung durch die isolierte Bezugnahme auf den Versammlungscharakter des "Anachronistischen Zuges" unzulässig, so daß die vom Gericht gewählte Methode keiner weiteren Diskussion bedarf.
118 119 120
2398.
Mukarovsky, Kapitel aus der Ästhetik, S. 67. VGH München, NJW 1981, 2428 ff. Berkemann, NVwZ 1982, 85 ff.; Hermuth, FuR 1983, 201 f.; Ott, NJW 1981,
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis b) Manteltheorie
Schwieriger gestaltet sich die Auseinandersetzung mit der in Rechtsprechung und Literatur praktizierten Beurteilungsweise von Satire und Karikatur, die zwischen verdecktem Aussagekern und erkennbarer (satirischer, etc.) Einkleidung unterscheidet und damit eine Demontageanleitung enthält, um den verletzenden Sinngehalt des Kunstwerks zu ermitteln 121 . So stellt das Reichsgericht 122 fest, "daß eine satirische Darstellung nicht nach ihrem Wortsinn genommen werden, sondern erst des in Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes entkleidet werden muß, bevor beurteilt werden kann, ob das, was in dieser Form ausgesprochen und dargestellt ist, den Tatbestand einer strafbaren Handlung, im besonderen einer Beleidigung (sei es nach § 186 oder § 187 oder aber nach § 185 StGB) enthält". Obwohl diese Auffassung als Schutz vor einem die künstlerische Freiheit in der Wahl verzerrender Darstellungsmittel mißachtenden Verständnis entwikkelt worden ist, ist sie ihrerseits geeignet, die Kunstfreiheitsgarantie zu verkürzen, in dem sie die vom Künstler gesetzte, in ihrer Gesamtheit zu würdigende Äußerung 123 in einen formalen und inhaltlichen Teil aufspaltet. Als
121 Grundlegend RGSt 62, 183 f.; OLG Hamburg ("Hexenjagd"), NJW 1984, 1132 m.w.N. hat das Wesen der Satire darin gesehen, "daß sie dem von ihr ausgedrückten Gedanken einen scheinbaren Inhalt gibt, ihn aber so übertrieben darstellt, daß jeder verständige Leser das Irreale erkennt, andererseits auch den wirklich gemeinten ¿halt erkennen kann." (Hervorhebung vom Verfasser). Gronarz, S. 58 ff. spricht von der "Übersetzung der Karikatur in Worte"; Herdegen, LK, § 185 Rdnr. 12; Hirsch, UFITA Bd. 2, 536; Locher, Das Recht der bildenden Kunst, S. 42; Schönke/Schröder/Lencker, StGB, § 185 Rdnr. 8; Würtenberger, NJW 1982, 612 f.; Zechlin NJW 1984, 1093; Heinz, S. 61 f. m.w.N. Von der folgenden Kritik werden auch die Fälle erfaßt, in denen die Kunstwerkqualität wegen der Zugehörigkeit des Werks zur sogenannten "Dokumentarsatire" letztlich völlig geleugnet wird. Vgl. OLG Stuttgart ("Unsere Siemenswelt"), NJW 1976, 628 ff. (=DuR 1976, 75 ff. m.A. Ladeur, S. 85 ff.). Dazu kritisch neben Ladeur: Hermuth, FuR 1983, 201. Zwischen Hauptzwecktheorie und Manteltheorie liegt auch die Entscheidung des LG Wiesbaden ("Prügel vom lieben Gott"), unveröffentlicht, die Zechlin, KJ 1982, 252 f. in der Anwendung des Art. 5 Abs. 2 GG auf den realitätsbezogenen Teil des Kunstwerks so charakterisiert: "Dieser Gedanke fuhrt zu dem Ergebnis, der Teil, der eines Schutzes nicht bedarf, weil sich durch ihn niemand verletzt fühlen kann, geschützt wird, der Teil jedoch, der eines Schutzes bedarf, nicht geschützt wird." 122 RGSt 62, 183 f.; zustimmend Gounalakis, NJW 1995, 809 ff. (813). 123 BVerfG, NJW 1985, 263 ("Anachronistischer Zug"); BVerfGE 31, 173 (191). Besonders deutlich das Sondervotum von Stein in BVerfGE 31, 200 (205): "In der ästhetischen Realität ist Faktisches und Fiktives ungesondert gemischt; sie sind nicht ein lästiges Nebeneinander, sondern eine unauflösliche Verbindung; alles ist freies
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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richterlicher Torso wird das Kunstwerk danach um seine Existenz gebracht124, d.h. die juristische Bewertung schafft sich den Tatbestand selbst, in dem a priori dem Kunstwerk ein überprüfbarer, sprachlicher und politischer Logik gehorchender Gehalt zugerechnet wird. Zu kritisieren ist die implizit zugrundegelegte Auffassung, das Kunstwerk einem Geltungsanspruch unterstellen zu können, dessen Kriterien einem anderen Lebensbereich entstammen, ohne die Eigengesetzlichkeit künstlerischer Prozesse angemessen zu achten. Diskursive Aussagequalität oder moralische Reflexionen bleiben als interpretierbare Größen des Kunstwerks selbst dann problematische Anhaltspunkte juristischer Beurteilung, wenn sie, wie in Werken, die dem Montageprinzip unterstehen, leicht abschichtbar erscheinen. Allein die verkürzende Konzeption einer Ästhetik, in der Form als den Inhalt umkleidend gedacht wird, legitimiert solche Betrachtungen125. Form verbindet sich mit dem Inhalt aber nicht als Zutat, sondern wirkt komplex mit ihm zusammen, so daß durch das Kunstwerk eine zweite Realitäts- oder Bedeutungsschicht entsteht, die mit der vorgängigen Realität vielschichtige Beziehungen eingehen kann 126 , ohne ihr interpretativ gleichgesetzt werden zu dürfen 127. Wegen der spezifischen Aneignung und Wiedergabe der Wirklichkeit durch die Kunst ist es nicht gerechtfertigt, Wahrheiten, Meinungen oder Tatsachen, die ein Werk (vermeintlich) beinhaltet, plan auf die Realität zu übertragen, aus dem Werk auf die Meinung des Autors zu schließen oder künstlerische Äußerungen mit typischen Mitteilungsformen anderer Lebensbereiche (Presse etc.) künstlerisches Spiel". In den Vereinigten Staaten wurde entsprechend die "whole book rule" entwickelt, vgl. dazu Hungerland, S. 84. 124 Zur Abwegigkeit von Umdichtungen vgl. Kriele, Juristische Hermeneutik am Beispiel der Mephisto-Entscheidung, S. 161. 125 Zur Dialektik der Form-Inhalt-Beziehung vgl. Adorno, Ästhetische Theorie, S. 18 f., 224; Baeggli, S. 27 f.; Bürger, Zur Kritik der idealistischen Ästhetik, S. 96: "Was unter einem Aspekt als formales Moment betrachtet werden kann, erscheint unter anderem Gesichtspunkt als inhaltliches". Vgl. weiter zum Verhältnis von FormInhalt-Realität Holz, S. 46 ff. 126 Zechlin, KJ 1982, 255 ff. geht dieser Frage für Parodie, Satire, Schlüsselroman und personalem Roman nach. 127 Auch die Dokumentation ist danach keine leicht verfügbare Kategorie, sondern kann sehr unterschiedliche Realitätssichten künstlerisch aufnehmen. Nicht angängig ist es daher, den Grad der "Verfremdung" zur Richtschnur des Kunstcharakters zu machen. So OLG Stuttgart, NJW 1976, 629 ("Unsere Siemenswelt"). Verfremdung in diesem Sinne muß mit gesellschaftlicher Folgenlosigkeit übersetzt werden. Anders AG Hamburg, KJ 1982, 297 ("Hexenjagd"). In der Ästhetik hat Wollheim die "Abgrenzung der ästhetischen im Gegensatz zu den nichtästhetischen Eigenschaften eines Kunstwerks" (151) kritisiert, die einem Interpretationsmodell gehorcht, das nicht realisiert, daß sich "zwischen Fakten und Interpretation...keine klare Trennungslinie ziehen" (91) läßt.
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1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
gleichzusetzen128. Hendrik Höfgen ist nicht Gustav Gründgens und das Erzählmedium des Romans "Mephisto" ist nicht dem Autor Klaus Mann gleichzusetzen. Mit der Ausnahme von hypothetischen, regelmäßig nicht beweisbaren Fällen, daß Satire, Parodie, Travestie oder Karikatur vorgeschoben werden, um am umfassenden Schutz der Kunstfreiheitsgarantie zu partizipieren 129 , das Kunstwerk also den Konstruktionsprinzipien entspricht, die die skizzierte Methode generell unterstellt, läßt sie die Frage offen, wie sie ein adäquates Verhältnis zur künstlerischen Einheit des Werkes eingehen will. Unbefriedigt bleibt es, den hypostasierten Aussagekern in der Subsumtion unter den jeweiligen Straftatbestand wieder mit dem Hinweis auf die Kunstfreiheit zu verflüssigen 130, weil bereits darin ein Eingeständnis der unzulänglichen Betrachtungsweise liegt. Die Dichotomisierung von Form und Inhalt führt vollends zu nicht mehr nachvollziehbaren Ergebnissen, wenn die Absicht vertreten wird, daß satirische Kunst "nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch durch ihre Form beleidigend sein"131 kann. Worin liegt der eigenständige Unrechtsgehalt einer künstlerischen Form? Wann ist es richtig, von einem "übertriebenen satirischen Gewand"132 zu reden? Wenn unrichtigerweise künstlerische Formgebung als isolierter oder zumindest isolierbarer, dem Sujet folgender Schöpfungsakt betrachtet wird, müßte doch Form als diskursiv nicht einlösbares Moment des Kunstwerks erscheinen. Anstelle der fremdgesetzlich verordneten Zerlegung künstlerischer Äußerungen in Aussagekern und künstlerische Umkleidung wider den erklärten Charakter des Kunstwerks, muß das Kunstwerk als Ganzes in seiner 128
Zur Problematik der Identifikation des Autors mit einer Figur des Theaterstücks vgl. Böckenförde/Greiffenhagen, JuS 1966, 359. Ferner Wedewer, S. 58 ff. Eine unzulängliche Betrachtung der Struktur künstlerischer Aussagen liegt in der Auffassung des OLG Stuttgart, NJW 1976, 628 ff. ("Unsere Siemenswelt"), die einem Text nur dann Kunstschutz gewährt, "wenn er auch seinem Inhalt nach künstlerische Aussage und nicht bloß Meinungsäußerung ist". Wie ein Inhalt, d.h. in der undialektischen FormInhalt-Abschichtung des Gerichts ein Sujet künstlerisch sein soll, ist schwer verständlich. Vgl. auch allgemein Luhmann, Gesellschaft der Gesellschaft, S. 353 mit dem Hinweis auf die Distanz des Kunstwerks zur Realität i.S. einer Realtität mit dem Recht zu eigener Objektivität. 129 Vgl. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 128 f. sowie S. 156 f. zu den demokratischen Funktionen solcher Äußerungsformen. Einen unbewiesenen Vorwurf der bewußten Koppelung von Tatsachenbehauptung und Kunst erhebt OLG Stuttgart, NJW 1976, 630 ("Unsere Siemenswelt"). 130 Vgl. etwa Böckenförde/Greiffenhagen, JuS 1966, 363. 131 Heinz, S. 62 m.w.N.; BayObLG, UFITA Bd. 48, 356 ff.; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, § 185 Rndr. 8. 132 Heinz, S. 62.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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"Offenheit und Mehrdeutigkeit" 133, die der zeichentheoretische Ansatz als Signum der Kunst ermittelt hat, auf den jeweiligen Straftatbestand 134 bezogen werden. Eine Inkriminierung des Kunstwerks wird sich danach beurteilen, ob alle potentiellen Lesarten sich in der interpretativen Gemeinsamkeit treffen, daß die künstlerische Artikulation den Sanktionstatbestand verwirklicht hat. Läßt sich lediglich aus einigen Lesarten der Schluß auf die Verwirklichung eines sanktionierten Tatbestands folgern, wäre die Inkriminierung ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG 135 .
c) Betrachtermaßstab Mit der Unzulänglichkeit einer so praktizierten Inhaltsästhetik rückt auch der von der Rechtsprechung präsentierte Auslegungsmaßstab des kunstinteressierten Betrachters in ein kritisches Blickfeld. Während noch das Reichsgericht in Strafsachen für die Beurteilung des objektiven Sinns der inkriminierten Kundgabe auf das "schlichte Gefühl des einfachen, religiös gesinnten Menschen"136 abstellte, wählte der Bundesgerichtshof in der "Döhl"- Entscheidung den Eindruck, den ein "künstlerisch aufgeschlossener oder zumindest um Verständnis bemühter, wenn auch literarisch nicht besonders vorgebildeter Mensch von dem Kunstwerk hat" 137 . Die Prüfung der Auffassung steht unter dem Vorbehalt, daß einige Befürworter die Kunstfigur im Betroffenen wiederfinden 138 oder zumindest Zweifelsfragen an den Sachverständigen abtreten wollen139.
133
Auch Heinz, S. 62 erwartet danach "häufig nicht mehr als eine vertretbare Auslegung". 134 Zur Relevanz der einzelnen Konfliktfälle vgl. Würtenberger, NJW 1982, 611. 135 Vgl. dazu BVerfG, NJW 1985, 262 (263) ("Anachronistischer Zug"); Gounalafos,NJW 1995, 809 ff. (813). 136 RGSt 64, 121 (126). 137 BGH, GA 1961, 240. So auch BGH, NJW 1965, 983 f.; Bay OBIG, NJW 1964, 1149 m. A. Karch- OLG Hamburg, GA 1962, 345 ff.; OLG Stuttgart, NJW 1969, 1779 f.; Hamann/Lenz, GG, Art. 5 Rdnr. 13; Leiss, NJW 1962, 2326 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rndr. 69; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, § 166 Rdnr. 10. Dagegen mit wechselnden Begründungen: Dünnwald, JR 1965, 48; Dreher/Tröndle, StGB, § 166 Rndr. 4; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 268 f.; Schick, Kunstwerkgarantie, S. 125 ff.; Würtenberger, FS-Dreher, S. 86 f.; OLG Hamburg, MDR 1967, 146 f.
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
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Zunächst bleibt unklar, wie dem Richter eine so differenzierte Innenschau eines juristischen homunculus gelingen soll 140 . Es ist zu erwarten, daß die Projektion seiner künstlerischen Auffassung auf dem Weg über den fiktiven Kunstbetrachter seiner Entscheidung zugrundeliegt. Doch selbst wenn die psychologische Finesse solcher Introspektion eingeräumt würde, müssen ernste Zweifel gegenüber der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Verfahrens erhoben werden. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG schützt die Kunst in ihrer eigengesetzlichen Entfaltung 141. Weder der breite Konsens über Rolle und Funktion der Kunst, noch der dilettierende Kunstinteressent142 oder der Betroffene sind berechtigt, den künstlerischen Autonomieschutz aus den Angeln zu heben. Mit der Beurteilung des objektiv verletzenden Charakters eines Kunstwerks ist nach den obigen Ausführungen notwendig zugleich eine Gesamtanalyse des Kunstwerks verbunden, wenn die Analyse nicht inadäquat sein soll. Die potentiell strafrechtlichen Momente des Kunstwerks sind integrale Bestandteile desselben und keiner gesonderten Beurteilung durch den fiktiven Kunstinteressenten zugänglich. Der kritisierte Auslegungsmaßstab funktioniert nur im Rahmen der verworfenen planen "Inhaltsästhetik" und inauguriert schließlich das Laienurteil zur verbindlichen Kunstrichterstimme des Staates. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum "Anachronistischen Zug" ist zwar ein "völlig Unbewanderter" nicht zur Sinninterpretation des Kunstwerks befugt, andererseits, im Fall des künstlerischen Kommunikationsversuchs gegenüber einem beliebigen Massenpublikum, auch nicht auf den "umfassend künstlerisch Gebildeten" abzustellen143. Die potentiell strafrechtlich relevante Deutung einzelner Momente darf ein besonnener Passant nur unter Berücksichtigung des gesamten künstlerischen Geschehens treffen 144 . Dieser scheinbar kaum veränderte Anschluß an den genannten Auslegungsmaßstab erfährt aber im konkreten Interpretationsansatz des Bundes-
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Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 69. Vgl. Locher, Recht der bildenden Kunst, S. 41 nennt den "Durchschnittsmenschen", scheint aber eher der Maßstäblichkeit des Betroffenen zu folgen. 139 Differenzierende Betrachtung bei Erbel, DVB1 1986, 113. 140 Zu weiteren "homunculi" der Betrachtung vgl. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 270. 141 Daran zweifelt auch der BGH, GA 1961, 240 nicht, wenn er die nicht ganz leicht verständliche Sprache zeitgenössischer Kunst berücksichtigen will. 142 Gegen solches Diktat vgl. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 92. 143 BVerfG,NJW 1985, 263. 144 BVerfG, NJW 1985,263.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
61
Verfassungsgerichts eine beachtliche Wendung. Danach wird die Ermittlung des Sinngehalts in verschiedene, durchaus konträre Interpretationsmöglichkeiten aufgefächert, die verschiedenen fiktionalen Passanten zurechenbar wären. Dem Gericht sei danach der strafrechtliche Zugriff nicht allein aufgrund der strafrechtlich relevanten Ausdeutungsmöglichkeit eröffnet 145. Die Anknüpfung der offenen Auslegungsweisen an die Entscheidungsinstanz des besonnenen Passanten wird damit aber als formalistisches Relikt entkräftet 146. Statt dessen rückt die Polyinterpretabilität künstlerischen Geschehens in einen pluralistischen Interpretationskontext, der im Fall strafrechtlicher Beurteilung gemäß dem Rechtsprinzip "in dubio pro reo" entschieden werden muß.
3. Schrankenorientierte
Auflösung des verfassungsrechtlichen
Kunstbegriffs
In jüngerer Zeit verstärkt sich die Auffassung, die auf die Konturierung eines verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs zugunsten eines schrankenorientierten Lösungsmodells verzichtet 147. Dieser Weg ist durch einen Teil der Rechtsprechung vorgezeichnet148, die den verhandelten Äußerungen die verfassungsrechtliche Kunsteigenschaft "mehr oder weniger unbesehen" zuerkennt149, um zur Kernfrage der kollidierenden Rechtsgüter im Rahmen der Schranken-Schrankensystematik vorzudringen und sich den Aporien der Schutzbereichsermittlung zu entziehen150. In seiner Kritik der Schrankenkonstruktionen der h. M. im Anschluß an einen "ahistorischen, notwendigerweise leeren KunstbegrifF' versucht auch Ladeur in seiner Konzeption der "Kunst als Prozeß" Schutzgutbestimmung (Normbereich) und Beschränkung gemeinsam
145
BVerfG, NJW 1985,263. Frankenberg, KJ 1984, 447 ff. unterschätzt in seiner Kritik des Urteils diesen Aspekt, wenn er resümiert: "Und die symbolisch-zeichenhafte Bedeutung einer Figur der Zeitgeschichte kann in den Mantel der beleidigten Person hineinschrumpfen". 147 Vgl. Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 E Rdnr. 17 f. 148 BGH, JZ 1975, 637 (638) (= BGH, NJW 1975, 1882) ("Der Geist von Oberzell"). Kritisch Hartmann, JuS 1976, 649 ff.; Schmieder, NJW 1982, 629. Weitere Nachweise bei Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 II Rdnr. 17 f. 149 Vgl. Zechlin, KJ 1982, 251. 150 Ferner finden sich juristische Vermeidungshaltungen, die trotz evidenter Kunstwerkqualität auf die Diskussion des Inhalts und der Grenzen des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verzichten, wenn der inkriminierten Kunst auf andere Weise bereits der Schuldvorwurf genommen werden kann. Vgl. Erbel, DÖV 1970, 334 ff. zu BGH, NJW 1969, 1818 ff. ("Fanny Hill"). 146
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
62
zu bestimmen151. Ladeur legitimiert die Umgehung einer "Gegenstandssicherheit" für Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG durch die Betrachtung von historischen Konflikttypen im Antagonismus von Staat und Gesellschaft, "d. h., es kommt nicht darauf an, einen ahistorischen Kunstbegriff zu konstruieren, sondern einen historischen Begriff der staatlichen Restriktion künstlerischer Entwicklungsbedingungen zu induzieren und in deren Begrenzung die Funktion der Kunstfreiheit zu sichern" 152. Zu Recht reflektiert Ladeur auf die historischen Bedingungen, denen die Produktion, Distribution und Rezeption als kommunikative Funktionsvoraussetzungen der Kunst unterworfen sind 153 . Die historische Beobachtung des gesellschaftlichen Wandels der Kunst sichert die verfassungsrechtliche Analyse vor übereilten Festschreibungen überlebter oder "zeitloser" Kunstbegriffe, deren freiheitswahrende Integration neuer Ausdrucksformen sich in bloß stilgeschichtlicher Erweiterung erschöpft, ohne strukturelle und funktionelle Veränderungen des Sachbereichs zureichend zu erfassen. So mögen "landart" 154 oder "Spurensicherung" kunsthistorisch als Fortführung klassischer Landschaftsmalerei verstanden werden, in der normativen Aufgabenstellung kann der historisch veränderte Bezugsrahmen sozial expansiver Kunst einen ungleich größeren "Traditionsbruch" auslösen. Anhand solcher Ausdrucksformen der Moderne zeigt sich, wenn nicht die Unbrauchbarkeit, so doch die historische Bedingtheit juristischer Klassifikationen des künstlerischen Werkprozesses, die als vermeintlich gesicherter Bestand verfassungsgerichtlicher Dogmatik gelten. Bezogen auf die genannten Beispiele, aber auch andere Erscheinungen des modernen Formenvokabulars, wie Happening, Action-Painting, Situationismus, Living-Theater, Prozeß- und Aktionskunst, land-art, concept-art oder Maschinenkunst, erweist sich die normorientierte EntSchichtung von Produktion, Präsentation und Kommunikation, die im bereichsdogmatischen "Wortspiel" vom Werk- und Wirkbereich angelegt ist 155 , als wenig hilfreich, den grundrechtlichen Schutzgegenstand in seiner historischen Prägung zu erfassen 156.
151
Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 II Rdnr. 18 ff. Zur Kunst als Prozeß auch Josef Hoffmann, Kunstfreiheitsgarantie, S. 230 ff. 152 Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 D Rdnr. 18. Schmieder, NJW 1982, 630, hat diese Tatsache gut getroffen: "Gewiß, der Künstler ist ^Störer' von Beruf'. 153 Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 II Rdnr. 1 ff. 154 Dazu auch Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 23. 155 Zur Kritik dieser Differenzierung von Müller, Freiheit der Kunst, S. 97 ff. Immerhin hat auch das Bundesverfassungsgericht diese Terminologie übernommen in BVerfÜE 30, 173 (189). 156 Aber auch im Blick auf traditionelle Formen wie Schauspiel, Oper, Konzert etc. kann der Ateliermaler nicht länger mehr als "Prototyp" des Grundrechtsträgers figurie-
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S . 1 GG
63
Andererseits entbindet der Vorschlag Ladeurs, auf die staatliche Restriktion historischer Freiheit zu reflektieren, nicht von der Notwendigkeit zumindest eine elementare Vorstellung über die verfassungsrechtliche Struktur dieser Freiheit zu gewinnen. Der Vorwurf gegenüber den Schrankenkonstruktionen der h. M. im Anschluß an einen "ahistorischen, notwendigerweise leeren Kunstbegriff" 157 muß dahingehend entschärft werden, in der Konfrontation von überzeitlicher Verfassungsaussage und fluktuierender Lebenswirklichkeit ein verfassungsinterpretatives "Fließgleichgewicht" anzugeben. Die isolierte Schrankenbetrachtung als Ausklammerung der Schutzbereichsbestimmung wäre dagegen eine methodisch zweifelhafte Scheinlösung, weil hier jedes Verständnis für die Schrankenprivilegierung des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG abhanden käme oder der Schutzbereich in rechtsstaatlich bedenklicher Weise "verdeckt" diskutiert würde. Zechlin erkennt in der Ausklammerung der Frage nach dem Kunstcharakter verbunden mit der abstrakten Bejahung verfassungsimmanenter Schranken zu Recht ein ideologieverdächtiges Verfahren, das in seiner konkreten Anwendung letztlich verfassungswidrig auf den Vorbehalt des einfachen Gesetzes rekurrieren kann158. Ob die Schrankenkonstruktion mit einem unausgesprochenen Kunstbegriff vermischt wird, ob die konkrete Verfassungsinterpretation von abstrakten Vorüberlegungen zur Dignität des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verstellt wird oder der Freiheitstatbestand seines besonderen Gehalts entkleidet wird, in jedem Fall führt die Ausklammerung der Erörterung des künstlerischen Schutzbereichs zu einer verfassungsmethodisch exklusiven Behandlung des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, die neben der rechtslogischen Schwäche in der dadurch ausgelösten Rechtsunsicherheit zweifelhaft ist. Die Teilhabe am sachlichen Schutzbereich der Kunstfreiheitsgarantie ergibt sich da ohne weiteres, wo das Kunstwerk ohne größeren Zweifel auch von engeren, traditionell ausgerichteten Kunstbegriffen umfaßt wird. Die bisherige Gerichtspraxis zeigt, daß die Fälle der unumstrittenen Kunstwerkeigenschaft überwiegen und verschiedene dogmatische Ausführungen zu Extrembeispielen "künstlerischer" Freiheit der Theorie vorbehalten bleiben. Die Rechtsprechung müßte daher im Einzelfall daraufhin untersucht werden, ob die Tatbestandsmäßigkeit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ernsthaft problematisierungsbedürftig war. Die Konsistenz dogmatischer Entwürfe erweist sich dagegen erst in den
ren. Auf der documenta X (1997) wurde Malerei nur noch als marginales Phänomen präsentiert. Vgl. im übrigen Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 87. 157 Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 ü Rndr. 18. 158 Zechlin, KJ 1982, 251 kritisch gegenüber Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 54, gegenüber dem dieser Vorwurf in dieser Fassung zu pauschal ist.
64
1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Zweifelsfallen. Die mit dem Schlagwort von der "Auflösung des Kunstbegriffs" und der Reichweite politischer Kunst verbundenen Diskussion fordert die Verfassungsrechtswissenschaft heraus.
4. Interdisziplinäre Entscheidungsfindung in der Definition des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs
Aus der Kritik unzulänglicher Kunstbetrachtertypen der Rechtsprechung ergibt sich die Frage nach der Zulässigkeit außeijuristischer Entscheidungshilfen in der normativen Aufgabenstellung. Die Vermittlung ästhetischer, kunstwissenschaftlicher oder kunstsoziologischer Erkenntnisse für die notwendige Analyse sachbereichsspezifischer Umstände könnte durch den Kunstsachverständigen erfolgen. Nach dem Geltungsanspruch des Kunstsachverständigen befragt, bieten Rechtsprechung und Literatur in einer Grobabschichtung folgende Antworten an: (1) Die juristische Entscheidung in der Differenzierung von Kunst und Nichtkunst wird durch das Urteil des Sachverständigen ersetzt 159. (2) Zumindest in Zweifelsfragen der Beurteilung künstlerischer Prozesse ist der Kunstexperte die adäquate Lösungsinstanz160. (3) In der funktionellen Differenzierung des Sachverständigen wird gegenüber der auch von ihm nicht zu leistenden Objektivierung des ästhetischen Urteils seine Rolle als Auslegungsexperte betont, der das juristische Verständnis um neue Lesarten des Kunstwerks erweitert 161.
159 Für Schick, JZ 1970, 645 ff., ist "ein ernstzunehmender Dritter" ausreichend (646). Dünnwald, JR 1965, 49; v. Hartlieb, UFITA Bd. 51, 27 f. 160 BVerwGE 21, 184 (187) ("künstlerisch hochstehendes Konzert"); E 23, 194 (200 f.) ("Pamir"); BVerwG, DÖV 1967, 456 (458) ("Dein Sohn läßt grüßen"); OLG Köln, AfP 1978, 223 f.; OLG Hamburg, NJW 1964, 559 ff., erkennt nur in Fällen langjähriger Berufserfahrung im richterlichen Umgang mit der Kunst die Möglichkeit, auf eine Hinzuziehung Sachverständiger zu verzichten. Selbst der BGH, NJW 1965, 983, relativiert damit den kritisierten Maßstab des aufgeschlossenen Betrachters, indem er auf den Sachverständigen als Erklärungshilfe verweist. Dazu Würtenberger, FS-Dreher, S. 87. Aus der Literatur: Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 227 f.; Leonardy, NJW 1967, 715; Mosel, UFITA Bd. 50, 620 f.; Saenger, Filmfreiheit, S. 87; v. Münch, GGK, Art. 5 Rdnr. 60 b, präzisiert die Drittanerkennung dahin, "daß es darauf ankommt, ob ein in Kunstfragen kompetenter Dritter es für vertretbar hält, das in Frage stehende Gebilde noch als Kunstwerk anzusehen". 161 Hauser, S. 503 ff.; Oettinger, Kunstverstand-Sachverstand, S. 227 f.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
65
(4) Der Kunstsachverständige ist eine zweifelhafte Lösungshilfe, deren praktischer Einsatz in der Entscheidungsfindung aufgrund fehlender Alternativen mit juristischen Vorbehalt zu begleiten und keinesfalls geeignet ist, staatliche Entscheidungsverantwortung aufzuheben 162. (5) Insoweit der durch die Kunst ausgelöste Konflikt an einen nichtrepräsentativen Kreis von Kennern abgetreten wird, wird seine demokratische Austragung verhindert 163. (6) Der Sachverständige ist in der normativen Aufgabenstellung weitgehend unbrauchbar 164. Eine vollständige Ablehnung des Einsatzes außeijuristischer Sachkunde kollidiert bereits mit dem empirischen Umstand, daß keine verfassungsrechtliche Konzeption der Kunstfreiheit ohne solche Erkenntnisbildung wenn auch in elementaren Anleihen auskommt. Selbst der formal-technische oder werktypologische Ansatz wird in der Aktualisierung des künstlerischen Formen und Typenvokabulars nicht ohne fremde Hilfe eine Einsicht in das komplexe künstlerische Geschehen nehmen. Anstelle des nicht hinterfragten Vorverständnisses oder des vage zusammengebrachten Zitatenschatzes als Grund für die Option zugunsten eines bestimmten Kunstverständnisses ist der Weg zum Sachverständigen direkter und transparenter. Damit läßt sich der Sachverständige a limine in seiner Funktion als Berichterstatter über Strukturen und Zusammenhänge des künstlerischen Sachbereichs bestätigen, um das lebensweltliche165 Vorverständnis der juristischen Entscheidungsträger zu ergänzen.
102 Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 12 ff.; Zöbeley, NJW 1985, 256. Kritisch zur Ermittlung künstlerischer Qualität durch den Sachverständigen vgl. Forsthoff.\ Afp 1971, 127: "Diese Qualität ist billig wie Brombeeren". Ähnlich Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 186. 163 Mühleisen, S. 32. Zur historischen "Tyrannei des Kennertums" vgl. schon Dresdner, S. 111 ff. in dem 1915 erschienen Klassiker zur Kunstkritik. 164 Bär, Filmfreiheit, S. 113 ff.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 162 ff. Ferner Becker, Freiheit der Kunst?, S. 60 ff. Becker kritisiert die durch Sachverständige geförderte "Libertinage". Danach verdankt sich der Rang mancher "Pseudo-Kultur" dem "kollaborierenden Kritiker". Kritisch aus der Sicht der Ästhetik Hungerland, S. 81 ff.: "Solange die Ästhetik darauf beharrt, daß Kunst nicht definiert werden kann, und solange die Ästhetiker sich damit begnügen, das als Kunst zu definieren, was von der Kunst-Welt' als Kunst anerkannt wird, solange wird der Unterschied zwischen Kunst und Nichtkunst weiterhin von der Polizei bestimmt werden." Vgl. auch Feyerabend, Erkenntnis, S. 123 ff. und passim, mit allgemeiner Kritik vor der Aushöhlung demokratischer Prozesse durch den Sachverständigen. 165 Zum "Konzept der Lebenswelt" vgl. Habermas, Theorie II, S. 182 ff.
5 Palm
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1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Wenn diese Funktion zureichend ausgefüllt werden soll, stellt sich die Frage, welche berufliche Qualifikation der Sachverständige aufweisen muß. Ein traditionell fixiertes Berufsbild, das durch gefestigte Anschauungen geformt und durch die allgemeine Verkehrsauffassung geprägt ist, ist beim Kunstsachverständigen nicht ersichtlich 166. Für die Ermittlung der Beisitzer der Bundesprüfstelle hat das Bundesverfassungsgericht keine Qualifikationsprüfung verlangt, sondern die Verbandszugehörigkeit als ausreichenden Qualifikationsnachweis angesehen167. Die zentrale verfassungsrechtliche Problematik beginnt mit der Frage, inwieweit die juristische Entscheidungsverantwortung durch eine (Teil)abtretung der Entscheidungsfunktionen an die außerbehördliche Sachkunde entlastet werden kann. Eine Differenzierung dieser Ausgangssituation zwischen der generellen oder nur in Zweifelsfragen begründeten Verbindlichkeit des Expertenurteils verstellt den Blick auf die Tatsache, daß konsensfahige Einordnungen des künstlerischen Geschehens dem Sachverständigen nur eine deklaratorische und damit unerhebliche Funktion einräumen, die keiner dogmatischen Auseinandersetzung bedarf. Allein in der Entscheidungsunsicherheit erweist sich die Bedeutung des außeijuristischen Sachverstands168. In diesem Fall verspricht die juristische Enthaltsamkeit nicht allein einen unschätzbaren Arbeitsvorteil gegenüber der vergangenen Rechtspraxis mit langwierigen und auch nicht selten fruchtlosen Diskussionen über den Gehalt des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs, sondern eskamotiert auch die Gefahren staatlichen Kunstrichtertums, indem der Staat den Konflikt an die Gesellschaft zurückgibt. Wenn auch kein Staatsvorbehalt existiert, der die freie und gleiche Austragung gesellschaftlicher Konflikte verhindern darf 469 , kann andererseits die staatliche Schutz- und Begrenzungsfunktion grundrechtlicher Freiheitsbereiche nicht zur Disposition eines wenig repräsentativen Teils der Gesellschaft, des kleinen Kreises der Kunstexperten, gestellt werden 170. Das demokratische Argument der Staatsaufgabenverteilung könnte nur dann entkräftet werden, wenn die vermittelte Sachkunde einen wissenschaftlich abgesicherten, allgemeinverbindlichen Bestand an Regeln zur Verfügung hätte, zwischen Kunst und Nichtkunst zu differenzieren.
166 167 168 169 170
Vgl. etwa § 36 GewO. BVerfG, NJW 1991, 1491 (1475) ("Josefine Mutzenbacher"). Vgl. auch Mosel, UFTTA Bd. 50, 620. Vgl. dazu Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 ü Rdnr. 18. Mühleisen, S. 32; dazu Heinz, S. 64.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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Trotz vereinzelter Versuche zur Objektivierung eines allgemeingültigen, mathematisieibaren Kunstbegriffs 171 der ästhetischen Theorie steht der historische Verlust einer normativen Ästhetik172 einer umfassenden Transformation eines außeijuristischen in einen verfassungsrechtlichen entgegen173. Die Kritik der Entscheidungsgrundlagen des Sachverständigen nähert sich aber dann einem pauschalen Vorwurf, wenn nicht hinreichend zwischen dem Werturteil, das auf die Gestaltungshöhe und Qualität des Kunstwerks abstellt, und einer Analyse der Konstitutionsbedingungen des fraglichen Gebildes (im weitesten Sinne) differenziert wird, die durchaus mehr ist als ein intersubjektiv nicht rationalisieibares Geschmacksurteil174. Doch selbst im Fall der Generalisierung solcher Erkenntnisse würde die juristische Aufgabenstellung die vollständige Enteignung des domokratisch legitimierten Verfassungsinterpreten durch den Sachverständigen verbieten. Der Kunstbegriff ist als normative Kategorie nur im systematischen Gefüge grundrechtlicher Freiheitsbereiche und ihrer Schranken ermittelbar. Darin unterscheidet sich seine begriffliche Erfassung und Anwendung nicht von der typischen Auslegung anderer Verfassungsaussagen 175, wenn er auch in besonderer Weise ähnlich den Tatbestandsmerkmalen des Art. 4 GG, Glauben und Gewissen, mit eigengesetzlichen Momenten des Lebensbereichs "Kunst" aufgeladen ist.
171
So sind Versuche moderner Ästhetik, das "ästhetische Maß" zu finden, vereinzelt geblieben. Vgl. Bense, Aesthetica, S. 33 zur Birkhoffschen Formel: M(Ästhetisches Maß) = O(Ordnungsfaktor) C(Komplexität) Zu den bedingten Erkenntnismöglichkeiten der Informationsästhetik anhand dieser und ähnlicher Formeln vgl. Henckmann/Lotter, S. 34 ff, 105 ff. 172 Weilershof.\ S. 33 f. Zur Fundierung eines veränderten Verständnisses ästhetischer Normen nach der Ungültigkeit der Ästhetik als normativer Wissenschaft, insbesondere auch zur Differenzierung von ästhetischer Norm und Rechtsnorm, vgl. Mukarovsky, Probleme der ästhetischen Norm, S. 165 ff. 173 Zur Bedingtheit ästhetischer Theorie und Kritik: Hauser, S. 518 ff.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 141 ff.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 83 ff.; Venturi, S. 313 ff. Vgl. auch Wolfe, S. 46 ff., zur Verdrängung der Kunst selbst durch zweifelhafte Theoriekonstrukte. 174 Die Kritik von Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 162 ff., scheint vor allem diese erste Variante der Sachverständigentätigkeit primär zu betreffen. Die von ihm kritisierte Auffassung des OLG Hamburg, NJW 1964, 559 ff., dem Sachverständigen eine kritische Rationalisierung des Kunstwerks anzuvertrauen, trifft sich durchaus mit den von Hauser, S. 503 ff., aufgezeigten Möglichkeiten der Kunstkritik. 175 Ähnlich Liebs, S. 203.
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
68
Nach der Reduktion der Stellung des Sachverständigen durch das demokratische und normwissenschaftliche Argument verbleibt somit die Entscheidungsfunktion beim demokratisch und professionell legitimierten Sachverstand des jeweils konkret aufgerufenen Verfassungsinterpreten. Anknüpfungspunkt für die Einbindung des Sachverständigen kann somit nur die vorangestellte Funktion als Erkenntnishilfe sein. Eine Differenzierung dieser Aufgabe wird vor allem auf die mit dem semiologischen Kunstbegriff verbundene Sensibilisierung für eine offene Hermeneutik künstlerischer Texte (im weiteren Sinne) darstellen. Der Nachweis verschiedener Lesarten durch den Sachverständigen als Textexperten176 präsentiert zwar keinen Kunstbegriff, befordert aber jene als notwendig erkannte ästhetische Reflexion, um sachbereichswidrigen Festschreibungen in einer offenen (Kunst)Geschichte vorzubeugen. Das erfahrungsgebundene Erkenntnisstreben des Verfassungsinterpreten rückt somit im Verein mit dem Sachverständigen von der "Verifikation" eines geschlossenen Kunstbegriffs ab, kann aber im Rahmen des außeijuristischen Sachverstands zumindest vermeintliche Erkenntnisse über die Strukturen künstlerischer Eigengesetzlichkeit "falsifizieren". 177 In der Erhaltung der juristischen Entscheidungsprärogative sollte der großzügige Gebrauch außeijuristischer Entscheidungshilfen die verschiedentlich ausgedrückte Vermeidungshaltung gegenüber fremder Sachkunde verdrängen 178, um einen nicht alle Normbereichsprobleme abdeckenden, aber die Entscheidungsgrundlage erweiternden Kompetenzgewinn zu ermöglichen.
5. Künstlerisches Selbstverständnis
a) Ansätze zur Einbeziehung des Selbstverständnisses Ein Weg, den sich mit der Schutzgutbestimmung auftürmenden Schwierigkeiten zu entziehen, könnte darin liegen, den Aussagegehalt des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs über die Selbstverständniserklärungen der Grundrechtsträger zu erhellen. Neben der Freistellung des Verfassungsinterpreten von seiner schwierigen, wenn nicht unlösbaren Aufgabe verheißt die Übernahme subjektiver Ausdeutungen der Kunstfreiheitsgarantie prima vista die Achtung pluralistischer und demokratischer Eigenschaften des Gemeinwesens 176
So Oettinger, Kunstverstand-Sachverstand, S. 227 f. Darin liegt wohl ein allgemeines Problem modemer Erkenntnistheorie. Zur Falsifikationsmethode vgl. Popper, S. 378 ff., S. 389 ff. und passim. 178 Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 227 f. 177
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
69
und scheint am ehesten geeignet, die eigengesetzlich strukturierte Freiheit gegenüber dem staatlichen Grundrechtsadressaten zu gewährleisten179. Dementsprechend will Häberle einen Kreis der Verfassungsinterpreten in weiterem Sinne erschließen, in dem "jeder, der in und mit dem von der Norm geregelten Sachverhalt lebt ... indirekt und ggf. auch direkt Norminterpret" ist 180 . Im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie hält Häberle eine dem Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vergleichbare Ausfüllung des Grundrechtsbereichs durch das künstlerische Selbstverständnis für möglich181. Carl Schmitt hat den Grundgedanken der liberalen Freiheit im bürgerlichen Rechtsstaat bei aller Verschiedenheit der beiden staatstheoretischen Ansätze ähnlich aufgefaßt: "Was Freiheit ist, kann nämlich in letzter Instanz nur deijenige entscheiden, der frei sein soll. Sonst ist es nach allen menschlichen Erfahrungen mit der Freiheit schnell zu Ende". 182 Eibel will der "persönlich-subjektiven Sinngebung" des Künstlers in der Erfassung des Freiheitsbereichs dann stattgeben, wenn die äußeren Indizien nicht ausreichen, das Kunstwerk von anderen Lebensäußerungen zu differenzieren 183. Ähnlich hat in der Folge ein wachsender Teil der Verfassungsinterpreten mit wechselnden Differenzierungen auf die Notwendigkeit einer Berücksichtigung des Selbstverständnisses hingewiesen184. Beendet der 179 Isensee, Freiheitsrechte, S. 23 ff., die möglichen Vorteile subjektivierender Verfassungsauslegung zusammenfassend. Ansätze in der Rechtsprechung: BVerfGE 24, 236 (247 f.) ("Lumpensammler") zu Art. 4 GG. Für den soziologischen Konstruktivismus ist es ohnehin klar, die Kunst nicht mehr mit Wesens- oder Konsensfragen zu konfrontieren, "sondern die Bestimmung dessen, was als Kunst zählt, dem Kunstsystem selbst zu überlassen", vgl. Luhmann, Kunst der Gesellschaft, S. 393. m Häberle, JZ 1975, 297 ff.; ders., Wesensgehaltsgarantie, S. 362. 181 Häberle, JZ 1975, 297 ff. 182 Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung (1931), S. 167. 183 Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 95; ders,, DVB1 1069, 865; ders., UFITA Bd. 61, 379 (Zitat). 184 Hartmann, JuS 1976, 651, will die gerichtliche Unterscheidung "auf Fälle der offensichtlich mißbräuchlichen Okkupation des Kunstbegriffs für rein kommerzielle oder andere Zwecke" beschränken. Model/Ktüller, GG, Art. 5 Rdnr. 6 für die Bestimmung des Kunstcharakters durch die Erklärung des Künstlers, "falls sie nicht offenbar unsinnig ist". Zustimmend v. Münch, GGK, Art. 5 Rdnr. 60 ff. Für Bär, Filmfreiheit, S. 134 ff., ist Kunst danach "all das von Menschenhand Gestaltete oder durch Anregung des Menschen Entstandene, das von seinem Schöpfer (Gestalter) ernsthaft und glaubwürdig als Kunst bezeichnet wird oder Drittanerkennung genießt" (139). Roellenbleg, S. 140: "Demnach ist Kunst alles, was mit dem Anspruch künstlerischer Äußerung auftritt, sofern es nicht bei vernünftiger Wertung ohne jeden Zweifel nicht unter den metajuristischen Kunstbegriff fallt". Vgl. auch Stoiber, S. 65 zum Standpunkt der CSU: "Kunst kann nicht mit den Mitteln der Legislative, der Exekutive oder der Judikative definiert werden. Hier ist nach unserer Uberzeugung dem Selbstverständnis des Künstlers ein erheblicher Freiraum einzuräumen". Ferner zur Auslegung
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Künstler als Norminterpret, der seinen Freiheitsbereich selbst bestimmt, die "Geschichte richterlicher Blamagen"185 in der Auseinandersetzung mit der Kunst?
b) Zur Kritik subjektivierender Grundrechtsauslegung Diese hoffnungsvolle Frage wird von den Gegnern subjektivierender Grundrechtsauslegung verneint. Die Entgrenzung der Kunst in die gesamte Lebenswirklichkeit, festgemacht an den Formeln "Alles ist Kunst, jeder ist Künstler" 186, "Alles was der Künstler spuckt, ist Kunst" 187 , nimmt Isensee als Testfall für die Unzulänglichkeit solcher Verfassungsinterpretation 188. Was in ordnungsrechtlicher Hinsicht eine Störung oder in strafrechtlicher Betrachtung eine Aufforderung zu Straftaten wäre, wäre dem künstlerischen Selbstverständnis genuiner Ausdruck eines erweiterten Kunstbegriffs 189. Dogmatische Stringenz und Redlichkeit der Verfassungsauslegung verböten auf der Schrankenseite, das zurückzunehmen, was im Rahmen des Schutzbereichs gewährt würde 190. Im Fall konfligierender Grundrechte sieht diese Auffassung die Gefahr, daß unterschiedliche Selbstverständnisbezeugungen aufeinandertreffen, z.B. Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht, und letztlich den Richter als neutrale Instanz zwingen, ein Vorrangverhältnis zu objektivieren, da andernfalls die Konkordanz der Freiheitsbereiche aufgelöst würde 191. Weiterhin mahnt sie die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes an, wenn das Selbstverständnis die grundrechtlich gewährte Freiheit unterschiedlich zuerkennt und des Art. 17 a StGG von Österreich vgl. Berka, JurBl 1983, 283 f.: "Die spezifische Weise der Freiheitssicherung durch die Grundrechte der liberalen Freiheitstradition liegt in der Anerkennung der Selbstbestimmung des Individuums über Maß und Inhalt der garantierten Freiheiten, die einer fremden Sinngebung entzogen sind"(Hervorhebung im Text). 185 Diesen Vorwurf macht Isensee, Freiheitsrechte, S. 26 geltend. Zur Tradition dieses Vorwurfs vgl. Becker, Freiheit der Kunst, S. 68. A.A. Würtenberger, NJW 1982, 615. 186 Weilershof, S. 28. Kritisch gegenüber dieser Programmatik vgl. Damus, S. 103 ff. 187 So Kurt Schwitters, zitiert nach Weilershof S. 7. 188 Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 29 ff. So auch Benda, Die neue Ordnung 1982, 346 f. 189 Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 29 ff. 190 Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 31. 191 Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 31 ff.; Benda, Die neue Ordnung 1982, S. 346; Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 9 ff.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
71
das Grundrecht über das differente Artikulationsvermögen der Anspruchsteller in viele Einzelansprüche zersplittert, die geeignet sind, den Rechtsfrieden zu . .
i Q2
unterminieren Ein dem verbundener Einwand gegen die subjektivierende Grundrechtsauslegung gründet sich auf ihre ausschließliche Geltungskraft im Rahmen individueller Verfahren. Gesetzgebung, Massenverwaltung und die Ausdeutung der überindividuellen Grundrechtsgehalte in Verbindung mit den Staatszielbestimmungen könnten nicht auf die divergierenden Selbstverständniserklärungen der Grundrechtsträger gestützt werden, wenn sie allgemeinverbindlich konsistent bleiben sollten193. Somit kommt diese Auffassung zu dem Ergebnis, daß die objektive Definition des grundrechtlichen Schutzbereichs als Voraussetzung für die Schutzaufgabe des Staates erkannt wird. Denn eine Kunst, die sich nicht als Gegenstandsbereich definieren läßt, kann auch nicht geschützt werden". 194 Die vorgestellte These beruht auf einer Trennung der kompetentiellen Problematik, der Frage "Wer ist zur Auslegung aufgerufen?", und der inhaltlichen, das Grundrecht ausfüllenden Sinngebung195. Eine vorbehaltlose Unterscheidung dieser Art verkennt aber, daß das normative Anliegen des staatlichen Entscheidungsträgers sich erst über eine inhaltliche, "wirklichkeitswissenschaftliche" Klärung des Sachbereichs "Kunst" einlösen läßt. Angesichts der Vielzahl aporetischer Kunstdefinitionen ist es notwendig, die Bedingungen zu ermitteln, unter denen die formelle Kompetenz zur Entscheidung mit der materiellen Kompetenz zur Ausdeutung des Grundrechts zusammengeführt werden können. Tautologisch gesprochen: Was der Staat nicht definieren kann, kann er nicht definieren. Die Notwendigkeit, das Selbstverständnis als eigengesetzliche Äußerung des künstlerischen Geschehens zu nutzen, ist durch die in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verankerte Neutralitätspflicht des Staates vorgezeichnet. Das Verbot des staatlichen Kunstrichtertums neigt zur Kollision mit dem staatlichen Erkenntnisgebot, die erst in der gesicherten Rückbindung an den Lebensbereich "Kunst" entkräftet werden kann. Wissenschaftstheoretisch eignet dem juristischen Denken der Hang zur Formalisierung, zum Schema, zur Kategorie. Die 192
Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte'?, S. 36 ff.; Benda, Die neue Ordnung 1982, S. 346; Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 9 ff. 193 Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 34. 194 Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 35; Benda, Die neue Ordnung 1982, S. 346. Zum Definitionsgebot ausführlichst'/, DVB1 1969, 863 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 25. 195 Vgl. Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 41.
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
vielgestaltigen Lebensäußerungen der Künstler dürfen dieser Haltung nicht unterworfen werden. Das Abgleiten ins Nivellement als spezifische Gefahr juristischer Wirklichkeitserfassung und -behandlung kann zumindest partiell durch die Integration des Selbstverständnisses in die Entscheidungsfindung aufgefangen werden. Isoliert vom Selbstverständnis und seinem Kontext haben sich die bisherigen Objektivierungsversuche als sehr viel geeigneter erwiesen, willkürliche Ergebnisse zu produzieren. Warum der Schöpfer eines monochromen Bildes im Gegensatz zum Fassadenstreicher unter Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu subsumieren ist, wie im Fall des Malers Yves Klein kaum jemand bestreiten wird, wird sich schwerlich über das Substrat des Prozesses klären, weil es in Hinsicht auf den künstlerischen Gehalt marginaler ist als die kontextbezogene Selbstverständnisbezeugung196. Die Entstofflichung, EntVisualisierung und schließlich die "Entkunstung" der Kunst mögen zwar kulturkritisch als bedenkliche Vorgänge der künstlerischen Entwicklungsgeschichte gewertet werden. Dem Verfassungsinterpreten steht aber auch als Rechtsanwender gegenüber der Kunst als gesellschaftlicher Äußerung kein Urteil zu, wie deren Entwicklung auszusehen habe. Die Negierung des Selbstverständnisses als beliebige Erkenntnisquelle197 wäre die Negierung der veränderten Formen der Kunst selbst. Wie schon die Ausführungen zur Relevanz des außeijuristischen Sachverstands in der Entscheidungsfindung gezeigt haben, sind die Letztentscheidungen normativer Fragen durch das demokratisch legitimierte Staatsorgan zu treffen 198. Soweit aber durch den Freiheitsträger verbindliche Entscheidungsgrundlagen angegeben werden können, wird dadurch die staatliche Auslegungskompetenz in der Entscheidungsfindung inhaltlich aufgefüllt. Zulässigkeit und Grenzen der Einbeziehung des Selbstverständnisses werden erst dann zureichend diskutiert, wenn das Verhältnis der Frage "Wer wird auslegen?" zu der Frage "Wer kann auslegen?" auf die staatliche Letztentscheidungspflicht 196
Vgl. Kr ahmer, S. 18 ff.: "Yves Kleins Monochromie ist nicht einfach ein Anstreicher-Produkt', wie die Spötter sagen", und: "Die Haltung des Schaffenden ist dem künstlerisch empfindenden Menschen oft wichtiger als das greifbare Resultat, wichtiger als das 'Kunstwerk' selbst geworden". 197 Vgl. Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 59. Ein ohne jede Maßgabe gemindertes "pures" Selbstverständnis vertritt aber ohnehin niemand, vgl. etwa Häher le, Wesensgehaltsgarantie, S. 362. Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 16, erkennt in Äußerungen der Künstler "wichtige Entscheidungshilfen", ohne die Bedingungen der Einbeziehung anzugeben. 198 Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 9 ff. ausfuhrlich. Heuer insistiert weitgehend auf dem klassischen Gegensatz von Staat und Gesellschaft mit - zumindest im Blick auf die Verfassungswirklichkeit - problematisierungsbedürftigen Folgerungen: "Freiheit darf aber nicht vergesellschaftet' werden. Der Freiheitsbereich, nicht aber die Freiheit darf für den anderen definiert werden" (S. 10).
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
73
hin bestimmt wird. In der Beurteilung avantgardistischer Äußerungsformen kann die herausragende Erkenntnisquelle "Selbstverständnis" durchaus den Ausschlag in der Schutzgutbestimmung geben. Die im Zitat von Arndt festgestellte Definitionspflicht verhält sich gegenüber dieser Problematik neutral. Selbst ein vollständiger Rückzug der staatlichen Tätigkeit auf die verbindliche Übernahme der Selbstverständnisbezeugungen wäre eine grundrechtliche Schutzgegenstandserfassung. Die Kritik, daß sich durch das Selbstverständnis beschriebene Freiheitsbereiche nicht in eine komplementäre Beziehung setzen lassen, die Gesellschaft mithin kein Mosaik durch einen "kategorischen Imperativ" verbundener Freiheitsverwirklichungen darstellt, kann nur einem konfliktlosen Ideal der verfaßten Ordnung folgen. Die Schrankenregelungen des Grundgesetzes belegen, daß der Verfassungsgeber vom Gegenteil ausging. Das Vorrangverhältnis der jeweiligen Grundrechtsausübung ist auf der Ebene der Grundrechtsschranken mit den speziell entwickelten Ausgleichsverfahren zu lösen. Die These von der Nichtverallgemeinerungsfähigkeit des Selbstverständnisses mit der Gefahr unterschiedlich zuerkannter Freiheitssphären verkennt, daß die Aktualisierung des Grundrechts in das Belieben des Grundrechtsträgers gestellt ist und von seinen spezifischen Fähigkeiten abhängig ist. Das Artikulationsvermögen des Künstlers, seine Kraft zur Selbstdarstellung, die Einbindung werkbezogener Arbeit in ein gesamtgestalterisches Konzept der Lebenswelt (Beuys!) sind keine Gefahrenpunkte eines zersplitternden Schutzbereichs "Kunst", sondern eigengesetzliche Momente künstlerischen Ausdrucks, die in der Verfassungsinterpretation sachbezogene Folgedifferenzierungen erforderlich machen können199. Die Selbstdefinition als individuelle Freiheitsäußerung sperrt sich darin gegenüber der Zession des personalen Grundrechtskonflikts vom staatlichen Entscheidungsträger an ein mehrheitlich gebildetes "Selbstverständnis", d.h. "Gruppenselbstverständnis" der kulturellen Öffentlichkeit 200 . Soweit überindividuelle Verfahren des Staates keine Konkretisierung in der Rechtsanwendung erfahren, ist die damit verbundene Nivellierungsgefahr von Freiheitspositionen kein spezifisches Problem der Selbstverständnisdiskussion,
199
Zu den Möglichkeiten, ein so verstandenes Selbstverständnis von reiner "Rabulistik" abzugrenzen, die den Gleichheitsgrundsatz aushöhlt, im folgenden. 200 Daher geht die Feststellung Heuers, Besteuerung der Kunst, S. 10, daß "die Funktion der Grundrechte als Minderheitenschutzrechte" durch das herrschende Selbstverständnis aufgehoben werden, gerade an dem wichtigen, grundrechtswahrenden Charakter vorbei, daß sich das Selbstverständnis gegen soziale Akzeptanz aktualisieren soll und kann. Vgl. auch Lerche, FS-Maunz, S. 295.
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
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sondern des Freiheitsschutzes in der Gesetzgebung und Massenverwaltung, der auch extensive Freiheitsbestimmungen berücksichtigen muß. Das von Isensee perhorreszierte Zusammentreffen von Kunstwerk und Straftatbestand oder Störung der öffentlichen Sicherheit/Ordnung erfordert nicht die Bemühung des erweiterten künstlerischen Selbstverständnisses, wie es Beuys, Schwitters oder Duchamp personifizierten 201. Auch klassische Kunstformen können eben jene Spannungslagen schaffen, da die Grundrechtsausübung keine a priori konfliktlose Freiheitssphäre beschreibt202. Der verfassungsrechtliche "Sprengsatz" der Kombination von subjektivierender Grundrechtsauslegung und entgrenztem Kunstbegriflf kann andererseits das gesamte System grundrechtlicher Freiheitsgewährleistungen im Rahmen differenzierter (bzw. zu differenzierender) Schrankenregelungen auseinanderbrechen203. Denn wenn jedes menschliche Handeln an der Dignität des verfassungsrechtlichen Kunstbegriffs partizipieren kann, ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Funktion des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als allgemeines, vorbehaltloses "Auffanggrundrecht". Jeder Grundrechtsträger könnte im Konfliktfall die Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheitsgarantie in Anspruch nehmen, wenn er seinem Verhalten künstlerischen Charakter beilegen würde. Daß das abgestufte Freiheitssystem des Grundgesetzes eine solche "Konfliktlösung" nicht verträgt, bedarf keiner weiteren verfassungsinterpretatorischen Klärung. Zunächst wird diese konturenlose Ausweitung des Schutzbereichs des Grundrechts auf der Grundlage eines entgrenzten Selbstverständnisses aber bereits sachbereichsimmanent entschärft. Die genannten Selbstverständnisbezeugungen von Künstlern sind in ihrem Aussagegehalt unvollständig und nicht auf die verfassungsrechtliche Fragestellung zugeschnitten. Es bleibt offen, ob die genannten Stimmen nicht im Rahmen einer Grundrechtsinterpretation durch die Künstler selbst modifiziert würden. Dafür mag die Feststellung des Polit-Grafikers und Juristen Staeck sprechen: "Bei allen Auseinandersetzungen habe ich mich persönlich selten auf die Kunst zurückgezogen, weil ich der Meinung war, das hängt mit meiner Art Kunstauffassung zusammen, was ich mache, ist zunächst eine Dimension der Meinungsfreiheit. Ich möchte keine Privilegierung für mich als Künstler". 204
201
Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 29 ff. Vgl. etwa die aufschlußreiche Materialsammlung bei Seim, S. 6 ff., die fast ausschließlich traditionelle Ausdrucksmedien präsentiert. 203 Vgl. Benda, Die neue Ordnung 1982, S. 346 f.; ähnlich Berkemann, NVwZ 1982, 86. 204 Staeck, S. 87. 202
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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Gleichwohl kann der über das jeweilige Selbstverständnis ermittelte Grundrechtsverzicht des Künstlers nicht ein Eingriffsrecht des Staates legitimieren. Soweit die staatliche Schutzgewährung zur Disposition der Grundrechtsträger stände, verlören die Grundrechte ihren objektiven Gehalt. Glaubwürdigkeitsverluste des Staates wären die Folge. Insoweit ist das Selbstverständnis des Künstlers lediglich eine Erkenntnishilfe, die in nichttraditionellen künstlerischen Schaffensbereichen zum Zuge kommt. In dem vorgelagerten Bereichen eindeutiger Zuordnung künstlerischer Äußerungen in den grundrechtlichen Schutzbereich kommt der Selbsteinordnung des Grundrechtsträgers keine Bedeutung zu.
c) Verfassungsgemäßes Verhältnis von Fremdverständnis und Selbstverständnis Abgesehen von dieser sachbereichsspezifischen Relativierung ist aber ein Fremdverständnis des künstlerischen Selbstverständnisses erforderlich, das in der Lage ist, bloße Schutzbehauptungen von genuinen Äußerungen des Lebensbereichs "Kunst" zu differenzieren 205. Hier erweist sich, daß die eigengesetzliche Auffüllung juristischer Erkenntnisbildung nicht mit der Freistellung staatlicher Kräfte von ihrer Auslegungsaufgabe gleichzusetzen ist. Das Selbstverständnis als Objekt der Verfassungsauslegung ist danach zu bewerten, ob es als integraler Bestandteil des verhandelten Geschehens ermittelt werden kann oder gleichsam extern an den Kontext herangetragen wird. Folgende Kriterien, die als Anknüpfungspunkte für die Bewertung des Selbstverständnisses in Betracht kommen, sind zu nennen: (1) Immanenter Charakter des Selbstverständnisses. Subkriterien: Nachvollziehbare Werk-Schöpfer-Beziehung; Ernsthaftigkeit; Glaubwürdigkeit; Begründungsform. (2) Kontextbezug des Selbstverständnisses. Subkriterien: Handeln im besonderen sozialen Umraum, wie Theater, Museen, etc.; soziale Akzeptanz durch Dritte, insbesondere Sachverständige und Künstler; Vorverhalten, insbesondere bisherige künstlerische Aktivitäten und beruflicher Werdegang206 205
Berkemann, NVwZ 1982, 86 deutet eine ähnliche "Zwischenlösung" an, da er in der ausschließlichen Definition durch den Anspruchverpflichteten (Staat) wie den Anspruchsteller (Bürger) ein Dilemma erkennt. 206 Zum Problem, eine "Berufsrolle" für den Künstler zu definieren vgl. Thum, Berufsrolle, S. 159 ff.
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
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(künstlerische Ausbildung); Verhältnis zu parallelen Erscheinungsformen der künstlerischen Lebenswirklichkeit. Die genannten Evaluierungsgesichtspunkte sind keine eigenständigen Erkenntnisquellen, sondern stützen den Schutzanspruch des Künstlers ab, geben der Selbstverständniserklärung den erforderlichen Gehalt, um bloße Zweckbehauptungen auszuschließen. In ihrer Gesamtheit beschreiben sie eine umfangreiche Palette von praktischen Anknüpfungspunkten, die in der jeweils verhandelten Konstellation in unterschiedlichem Maße hervortreten und sich regelmäßig zu einer vertretbaren Entscheidung verdichten lassen. Darüber hinausgehende Forderungen an die Konsistenz und Stringenz staatlicher Entscheidungsfindung müssen in Anbetracht der Sachbereichsanalyse der komplexen künstlerischen Wirklichkeit als ideologische, zum praktischen Scheitern verurteilte Unternehmungen abgewiesen werden. Verschiedenen Versuchen der Grundrechtsdogmatik, ein exklusives Kriterium als Bewertungsinstanz des Selbstverständnisses zu inaugurieren, ist zu widersprechen. Würde maßgeblich allein auf die eher formale Verbindlichkeit der Aussage abgestellt, wie sie Bär in der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Selbstverständniserklärung findet, besteht die Gefahr, daß einer Rationalitätsform der Aussage gefolgt wird, die satirische, surreale und vergleichbare Selbstdefinitionen verkennt 207. Die Aussagekraft der Selbstverständnisbezeugungen ist im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes nicht mit einer juristischer Kategorialität angemessenen Rhetorik gleichzusetzen208. Um nicht im sozialen Zuspruch schwach oder gar nicht abgesicherte Tendenzen die Grundrechtsverwirklichung zu versagen, kann auch die von Ott als notwendig herausgestellte Akzeptanz der "Kunstszene" nur als ein möglicher Anknüpfungspunkt gelten209. Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen darf das Selbstverständnis als "ultima ratio" staatlicher Erkenntnisbildung eingesetzt werden, wenn die hier problematisierten traditionellen Kunstdefinitionen eigengesetzliche Mo207
Bär Filmfreiheit, S. 138 f. Insoweit ist die Befürchtung Isensees, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 36, aufzunehmen. 20g Ott, NJW 1981, 2398. Zutreffend gegenüber einem "sozialen KunstbegrifT, der sich an einer "im Leben herrschenden Anschauung" orientiert, vgl. Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 160 ff. m.w.N. Vgl. insbesondere OVG Münster, RdJ 1962, 55: "Die schöpferische Leistung muß von solchem Range sein, daß man nach der im Leben herrschenden Anschauung von Kunst reden kann". Dieser Vorwurf kann auch gegenüber der im übrigen differnezierten Konzeption Hoffmanns , Kunstfreiheitsgarantie, S. 242 ff und NJW 1985, 241, gemacht werden, die für die Zugehörigkeit zum Schutzbereich auf die "Institutionen des Prozesses Kunst' " abstellt (S. 245). 208
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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mente der Kunst verkürzen würden. Dagegen garantiert kein ohne normativen Bezug praktiziertes Unbestimmtheitsprinzip "in dubio pro libertate" oder das abgeleitete "in dubio pro arte" 210 die unter den vorgegebenen Bedingungen des komplexen künstlerischen Geschehens immer wieder erforderliche zufriedenstellende Bewertung von Zweifels- und Extremfällen. Darin erfüllt das Selbstverständnis das Wesen des Grundrechts als historisch erkämpfte Position, die immer wieder neu aktualisiert werden muß, um lebendig zu bleiben.
V I L Zusammenfassung der verfassungsgemäßen Elemente der personalen Kunstfreiheit in einem integralen Kunstverständnis
Die zuletzt erörterten Ansätze stellen den Verfassungsinterpreten somit auch nicht von der Bemühung frei, ein elementares Verständnis künstlerischer Prozesse zu entwickeln, um die Schutzaufgabe der Verfassung zu substantiieren. Andererseits enthalten sie, wie die traditionellen Definitionsversuche auch, Wahrheitsmomente, die in der Zusammenschau verbindliche Lösungen ermöglichen. Ein befriedigendes Verständnis der Kunstfreiheitsgarantie, das immer noch vermißt wird 211 , hängt daher nicht von neu zu entwickelnden, monistischen Erklärungsmodellen ab, sondern von der richtigen Zuordnung und vollständigen Ausschöpfung der dogmatisch erarbeiteten Entscheidungshilfen 212. Zusammenfassend lassen sich in einer Grobabschichtung drei untereinander beziehungsreiche Ebenen angeben, die den praktischen Gang der Grundrechtsprüfung beschreiben213 : (1) Ein Großteil der verhandelten und denkbaren Fälle künstlerischer Freiheitsäußerungen klärt sich über ihre unzweifelhafte Zugehörigkeit zur künstlerischen Konvention und Tradition. Ohne ergebnislos vorab auf das Wesen des Schöpferischen, der Gestaltung oder Invention als tautologischer Entsprechungen des Künstlerischen zu reflektieren, ist zu prüfen, ob die verhandelten
210
So aber Becker, Freiheit der Kunst, S. 67; Hamann/Lenz, GG, Art. 5 Nr. 13 m.w.N.; Hermuth, FuR 1983, 208. Zutreffende Kritik dieses Grundsatzes bei Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 62 ff. 211 Ossenbühl DÖV 1983, 788 f. 212 Vgl. auch die Aufgabe eines exklusiven Kunstbegriffs in der Entscheidung des BVerfG, NJW 1985, 261 (262). Zustimmend Zöbeley, NJW 1985, 255 mit der Warnung vor Beliebigkeiten der Topik. 213 Vgl. auch den praktischen Prüflingsvorschlag von Zöbeley, NJW 1985, 257 f.
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Lebensäußerungen dem tradierten Kanon von Gattungs- und Werktypen entsprechen. Insoweit kann den oben vorgestellten formalen Theorien gefolgt werden. Da es nach richtiger Ansicht nicht auf die Gestaltungshöhe des Kunstwerks ankommt, ist in einer juristischen Parallelwertung zu ermitteln, ob die elementaren Strukturen künstlerischer Konvention vorliegen. Die Evidenz dieser Bewertung ergibt sich aufgrund einer historisch-empirischen Kontextualisierung des Kunstwerks. Jenseits der mitunter künstlichen Theoriekonstruktionen bezeichnet dieser Abschnitt die unproblematischen und in der Verfassungswirklichkeit zahlreichsten Fälle. (2) Die nächste Stufe entspricht dem Umstand, daß künstlerische Prozesse auf der Grundlage einer offenen und pluralistischen Gesellschaft entstehen, die durch die stabilen Normen einer freiheitlichen Verfassung geprägt wird und die Verfassung ihrerseits im Rahmen des historischen Verfassungswandels sich verändernden Lebensverhältnissen anpaßt214. Kunst ist ein evolutionäres Phänomen. Freiheitliche Verfassungsinterpretation ist nur möglich, wenn der Kunst ihre spezifische Ausdifferenzierung und Entwicklungslogik unter ihrem eigenen Rationalitätsaspekt zugestanden wird 215 . Künstlerischer Konvention korrespondiert künstlerische Innovation216, einer offenen Gesellschaft ein offenes Kunstwerk. Neue künstlerische Formen, Regeln, Codes, Stile, Gattungen, Grenzüberschreitungen verlassen nicht den verfassungsrechtlich gesicherten Freiheitsbereich, erschweren aber die juristische Differenzierung zwischen Kunst und Nichtkunst. Gleichwohl wird auch in der juristischen Wertung, in der notwendigen normorientierten Reflexion künstlerischer Prozesse die Fortschreibung tradierter Äußerungsformen durch den Künstler häufig ersichtlich sein. Der dialektische Blick vom Alten zum Neuen erweitert die Bemühung um ein verfassungsgemäßes Freiheitsverständnis und 214
Zum Verfassungswandel vgl. Häberle, Zeit und Verfassung, S. 59 ff.; Lerche, FS-Maunz, S. 285 ff. 215 Dazu Habermas, Theorie I, S. 229 ff., 326 ff.; Gegenüber diesem evolutionären Verständnis der Kunst vgl. die zu Recht von Hufen, Freiheit der Kunst, S. 225 ff. kritisierten Modelle einer festgeschriebenen künstlerischen Entwicklung. Weiterhin zur künstlerischen Evolution: Brock, Funktion der Kunst, S. 260 ff., 270 ff. und passim; Jungk, Kunst als Zukunft, S. 94 ff.; ders., Vom kommenden Einfluß, S. 34 ff. Dem Entwicklungsgedanken ist darüber hinaus kein geringer Teil der modernen ästhetischen und kunstwissenschaftlichen Terminologie verpflichtet, wie Avantgarde, Arrieregarde, Postavantgarde, Transavantgarde, Moderne, Postmoderne etc. Explizit hat dieses allgemeine Charakteristikum der Kunst im Futurismus seinen "Stil" gefunden, vgl. Thomas, Sachwörterbuch, S. 99 ff. 216 Vormoderne Gesellschaften definierten dagegen in der Traditionspflege und dem Verbot, künstlerisch innovativ zu sein, einen Auftrag der Künstler. Vgl. etwa Piaton, Nomoi, 2.2.1.2.3., zu den Gesetzen der Ägypter, „Neuerungen zu machen oder irgend etwas von den (hergebrachten) vaterländischen Sitten Abweichendes zu erfinden"
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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sperrt sich einer ahistorischen Festschreibung der zulässigen Konfliktfelder künstlerischen Handelns. (3) Die problematischen Fallgruppen künstlerischer Äußerungsformen sind da zu verorten, wo die juristischen Betrachtungsmöglichkeiten dem künstlerischen Fortschritt gegenüber weitgehend äußerlich bleiben. Hier wird die Konturierung der künstlerischen Freiheitszone von der Versachlichung, der sensiblen Objektivierung des künstlerischen Selbstverständnisses unter Ausnutzung sämtlicher Entscheidungshilfen notwendig.
V I I I . Institutionelle Absicherungen der Kunstfreiheit 1. Institutionelle Konzeptionen
Über die subjektive Schutzfunktion der Grundrechte hinaus ist der freiheitliche Gewährleistungsbereich auch in institutionellen Bedeutungsanteilen der verschiedenen Freiheitsrechte verortet worden. Auf die durch Carl Schmitt explizierte Lehre der institutionellen Garantien 217, die von den prinzipiell unbegrenzten Freiheitsrechten abgeschichtet werden, folgt eine Vielzahl von verfassungsrechtlichen Konzeptionen, den Begriff der "Institution" als grundrechtlichen Freiheitsbereich zu substantiieren218. In einer Grobeinteilung lassen sich drei Verwendungsweisen unterscheiden, die durch einen wachsenden Verlauf der Erhaltung von Orndungsstnikturen der rechtlich und sozial verfaßten Lebenswirklichkeit gekennzeichnet sind 219 . Nach dem auf Smend zurückfühlbaren sozialwissenschaftlichen Verständnis wird die geschützte Institution mit der spezifischen Rationalität eines Lebensbereichs, d.h. einer geistigen Verfassung, gleichgesetzt220. Demgemäß bezieht sich die überindividuelle Dimension der Kunstfreiheitsgarantie auf die soziokulturelle Gestalt der Kunst, wie sie das Kulturleben gegenüber anderen Bereichen der Lebenswirklichkeit präsentiert 221. Dem klassischen Wortsinn 217 Carl Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, S. 140 ff.; ders., Die Grundrechte und Grundpflichten des deutschen Volks, S. 572 ff. 218 Eine Zusammenfassung der Literaturstimmen mit der Erörterung ihres Einflusses auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts finden sich bei Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, S. 170 ff. Vgl. auch Wülfing, S. 65 ff. 219 Ähnlich Hufen, Freiheit der Kunst, S. 392 ff. 220 Smend, WDStRl 4, 71, 73 zur Wissenschaftsfreiheit. 221 Baeggli, S. 34 ff.; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 83 ff., S. 99 ff.; Geiger, S. 192 f.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 190 ff; Oppermann, Kulturverwal-
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1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
der Institution als Verfestigung von Rechts- und Sachstrukturen steht diese Auffassung entgegen, so daß verschiedentlich der neutrale Terminus einer objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte bevorzugt wird 222 , wenn nicht beide Bezeichnungen in eins gesetzt werden 223. Diese Deutung des institutionellen Gehalts der Kunstfreiheitsgarantie ist auch in den maßgebenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts angelegt, wenngleich der Bezug auf die Wertordnung nicht frei von einem problematisierungsbedürftigen überpositiven Bedeutungsanteil ist. "Mit dieser Freiheitsverbürgung enthält Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nach Wortlaut und Sinn zunächst eine objektive, das Verhältnis des Bereiches Kunst zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm", 224 und: "Als objektive Wertentscheidung fur die Freiheit der Kunst stellt sie dem modernen Staat, der sich im Sinne einer Staatszielbestimmung auch als Kulturstaat versteht, zugleich die Aufgabe, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern". 225 In partieller Übereinstimmung befindet sich diese Meinungsgruppe auch mit der modernen literatursoziologischen Bestimmung von Bürger: "Mit dem Begriff Institution Kunst sollen hier sowohl der kunstproduzierende unddistribuierende Apparat als auch die zu einer gegebenen Epoche herrschenden Vorstellungen über Kunst bezeichnet werden, die die Rezeption von Werken bestimmen".226 Von diesem offenen, auf die Eigengesetzlichkeit der Kunst reflektierenden Ansatz entfernt sich die institutionelle Deutung, die auf normative Bindungen und Ausgestaltungen des durch das Grundrecht betroffenen
tung, S. 430 Fn. 10; Ridder, Freiheit der Kunst, S. 18 f.; Ropertz, S. 73 ff., Kewenig, UFITA Bd. 58; S. 102; Kückelmann, UFITA Bd. 59, S. 120; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 28 f.; ausführlich Hoffmann, Kunstfreiheitsgarantie, S. 242. 222 Vgl. insbesondere Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 83 ff., S. 99 ff. Grundsätzliche Kritik gegen das objektiv-rechtliche Verständnis bei Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 286 ff. 223 Ossenbühl, DÖV 1983, 789; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 178 ff. 224 BVerfGE 30, 173 (188, 1. LS); bestätigt durch BVerfG, NJW 1985, 261 (262). Neuere Kritik des Wertordnungsdenkens des Bundesverfassungsgerichts bei Habermas, Faktizität und Geltung, S. 309 ff. 225 BVerfGE 36, 321 (331). Institutionelles Denken findet sich auch in weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa BVerfGE 12, 205 (259ff.) zur Rundfunkfreiheit; BVerfGE 35, 79 (120) zur Wissenschaftsfreiheit. Weitere Auseinandersetzung: Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, S. 185 ff; Steiger, S. 92 ff. 226 Bürger, Theorie, S. 29 (Zitat); ders., Institution Kunst, S. 260 ff; ders. Prosa der Moderne, S. 15. Ferner Albrecht, S. 299 ff.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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Sachbereichs abstellt227. Danach ist die individuelle Freiheit in der Institution selbst angelegt228. Die liberalistische Vorstellung natürlicher, ungebundener, vorstaatlicher Freiheit widerspricht nach dieser Ansicht der Stellung des Subjekts in einem normativ konturierten Gemeinwesen229. Eine darüber hinausgehende Fixierung vorhandener rechtlicher Strukturen erhält der Begriff der Institution, wenn er im Sinne Carl Schmitts gebraucht wird. In der Differenzierung von institutionellen Garantien und Institutsgarantien, die von dem grundsätzlich unbegrenzten subjektiven Freiheitsbereich des Grundrechts abzugrenzen sind, findet er erstere in einem "Komplex öffentlich-rechtlicher Einrichtungen mit den dazugehörigen Konnex- und Komplementärinstituten und Normierungen", wie kommunale Selbstverwaltung, Berufsbeamtentum oder Lehrfreiheit, während letztere "verfassungsrechtliche Gewährleistungen von Rechtsinstituten im Sinne von typischen, traditionell feststehenden Normenkomplexen und Rechtsbeziehungen", wie Ehe, Eigentum oder Erbrecht als Rechtsinstituten privatrechtlicher Art, sind230.
2. Kritik antiinstitutioneller
Grundrechtsdeutungen
Ein antiinstitutionelles Verständnis der Kunst und Wissenschaftsfreiheit hat Roellecke mit der folgenden Feststellung pointiert: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre als solche können auch nicht frei sein, weil Kunst nichts schafft, Wissenschaft nichts weiß, Forschung nichts forscht und Lehre nichts lehrt. Frei kann nur der einzelne Künstler, Wissenschaftler, Forscher und Lehrer sein".231 Roellecke hat seine Erkenntnis, "daß jede Institutionalisierung einer Freiheit eben die Freiheit gefährdet, die sie schützen soll" 232 nicht dia-
227 Grundlegend Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 70 ff., 96 ff., 150 ff.; Achterberg, FS-Schelsky, S. 14 f. Vgl. ferner auch Luhmann, Grundrechte als Institution, durchgehend. 228 Steiger, S. 114 ff. mit hier nicht zu vertiefenden Differenzen zur Lehre Häberles. 229 Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 70 ff., 96 ff., 150 ff. 230 Schmitt, Grundrechte und Grundpflichten, S. 213 ff. (Zitat 214/215); ders., Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung, S. 140 ff. Dazu Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, S. 171 ff; Schmidt-Jortzig, S. 16 ff. 231 Roellecke, JZ 1969, 726 ff. (727 Zitat); ähnlich August Schmidt, GA 1966, 98, 109. Die Auffassung Roelleckes ist gegenüber einem vorzugswürdigen systemtheoretischen Gesellschaftskonzept, das die kognitive Selbstreproduktion von Wissenschaft, Forschung oder Kunst herausstellt, die selbstverständlich das Wissen des einzelnen Subjekts überschreitet, wenig plausibel. 232 Roellecke, JZ 1969, 732.
6 Palm
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
lektisch entfaltet 233. So reflektiert er primär auf die Gefahr struktureller Einschnürungen der Wissenschafts- und Kunstfreiheit durch bestimmte Organisationsprinzipien der klassischen Universität 234 und verzichtet damit auf die Ermittlung (veränderlicher) struktureller Rahmenbedingungen des Freiheitsgebrauchs, die von der umstrittenen, später zu thematisierenden Frage leistungsstaatlicher Grundrechtsumdeutungen abzuschichten wären. Die Feststellung "der Freiheitsraum der Wissenschaft deckt sich juristisch mit dem Freiheitsraum aller anderen Bürger" 235 scheint zudem geeignet, die grundrechtliche Privilegierung in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu relativieren. Die vollständige Ablehnung eines institutionellen Verständnisses der Kunstfreiheitsgarantie kann der vorliegenden Konzeption nicht zugrundegelegt werden, da strukturelle Bedingungen des subjektiven Freiheitsbereichs verkannt würden 236. Fraglos darf damit nicht der fehlende Gesetzesvorbehalt der Kunstfreiheit durch institutionelle Ausprägungen des Grundrechts beliebig unterlaufen oder ein "Verkrustungseffekt" im Blick auf "vorhandene Besitzstände" a priori ausgeschlossen werden 237. Eine Ausklammerung der verfassungsrechtlich geschützten Institution "Kunst" aus der Kunstfreiheitsgarantie realisiert aber nicht, daß den grundrechtlichen Freiheitsgefahrdungen durch normative und organisatorische Bindungen ein personaler Freiheitsgewinn korrespondieren kann. Heuer glaubt die freiheitsrechtliche Bedeutung staatlicher Organisationshilfen fur die Kunst im Vergleich zur Organisation der Wissenschaft relativieren zu können238. Während die Wissenschaftsfreiheit in öffentlich-rechtliche Organisationen eingebunden und von staatlicher Finanzierung in erheblichem Umfang abhängig sei, würden staatliche Institutionen, die der Kunst dienen, primär auf den nachschaffenden Künstler zugeschnitten sein: "Die Entstehung eines Kunstwerks ist auf staatlich einzurichtende Prämissen nicht angewiesen. In der bildenden Kunst sind Museen und öffentliche Ausstellungsräu-
233 Vgl. auch Bürger, Prosa der Moderne, S. 15. Bürger versteht die Institution Kunst so: "Zwar übernimmt auch die Kunst eine Funktion; aber es ist keine für die Gesellschaft, sondern eine fürs je einzelne Individuum". Diese Kontraposition von Individuum und Gesellschaft reflektiert nicht auf die Einheit der Differenz beider. 234 RoeHecke, JZ 1969, 731. m Roellecke, JZ 1969, 732. 236 Zur Kritik Roelleckes vgl. auch Hufen, Freiheit der Kunst, S. 400 f. m. w.N. 237 Dazu Schmidt-Jortzig, S. 64. Vgl. auch Böckenförde, NJW 1974, 1533. 238 Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 88 f. Allgemein zum Verständnis von Kunst und Wissenschaft: Hufen, Freiheit der Kunst, S. 241 ff. ausführlich; Müller, Freiheit der Kunst, S. 92 ff. Vgl. auch den originellen Essay von Feyerabend, Wissenschaft,
s. 17 fr.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
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me als Mittler zwischen Künstler und Publikum für den Freiheitsgebrauch nicht konstituierend ... Der schaffende Künstler vermag auch ohne staatliche Finanzhilfen und Organisationen, sein Grundrecht zu verwirklichen". 239
Da der überindividuelle Freiheitsgehalt der Grundrechtsverwirklichung eine verfassungsempirisch schwer nachzuweisende Größe bleibt, kann sich diese Ansicht immer auf Beispiele berufen, die als effiziente Realisation des Grundrechts gelten dürfen, ohne auf staatliche Strukturabsicherungen und die ihnen freiheitsgemäße Form angewiesen zu sein. Bezogen auf die kulturelle Ambiance, die kollektiven Arbeitszusammenhänge und die Mehrzahl der Künstler sind solche Feststellungen nur höchst begrenzt aufrechtzuerhalten. Die Orientierung am genialen Einzelnen, der sich "sozialdarwinistisch" allen gesellschaftlichen Widerständen stellt, gegenüber dem "Nachschaffenden" ist keine von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vorgegebene Entscheidung und daher ungeeignet, die strukturellen Aspekte der Freiheitsgewährleistung in den Hintergrund zu drängen. Doch selbst wer primär die Bedeutung der staatlichen Strukturangebote für den originär Produzierenden ermitteln w i l l muß erkennen, daß Werk- und Wirkbereich und damit verbunden die Einkommenssphäre des Künstlers in einem Rückkoppelungsverhältnis stehen, die Arbeit des Künstlers in hohem Grad von der Einbindung in staatliche und gesellschaftliche Institutionen abhängig ist. Ein Theaterautor ohne Theater, ein Maler ohne Museum, ein Komponist ohne Konzertsaal sind auch in ihrem Werkbereich betroffen. Mit den neuen Medien entsteht zudem für alle Künste eine telematische Öffentlichkeit, die tendenziell nur das wahrnimmt, was dort mediatisiert wird. Öffentliche Kunstproduktion ist ohne solche Foren kaum mehr vorstellbar. "Schubladenproduktion" ist weder für den Grundrechtsträger noch für den Staat, der ihn schützt, ein erträgliches Modell im Rahmen eines "Kommunikationsgrundrechts", 240 da es die Freiheitsverwirklichung bis zur Bedeutungslosigkeit austrocknen lassen kann.
3. Institutioneller
Gehalt des Art. 5 Abs. 3 S. I GG
Eine hinreichende Entfaltung der Frage nach den staatlich zu schaffenden Prämissen des Freiheitsgebrauchs würde aber die Untersuchung des abwehrrechtlichen Gehalts des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verlassen. In welcher Form und 239
Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 88 f. Dazu Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 98; Hoffmann, NJW 1985, 241; ders., Kunstfreiheitsgarantie, S. 234 ff., 242 ff. und passim; Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 II Rdnr. 18. 240
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
in welchem Umfang die leistungsstaatliche Funktion durch das Zusammenspiel von personaler Freiheit, institutioneller Grundrechtsgewährleistung und Staatsstrukturnormen geprägt wird und inwieweit diese Aufgabe durch gesellschaftliche Kräfte, insbesondere im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips, entlastet werden kann, wird später detailliert zu untersuchen sein. Für die Erörterung der überindividuellen Schutzfunktion des Grundrechts kann zunächst die elementare Pflicht des Staates festgestellt werden, die Freiheit in der Erhaltung und Unterhaltung der von ihm gesetzten Bedingungen des kulturellen Geschehens zu sichern. Vor der Negativsilhouette des nationalsozialistischen Reichskulturkammerrechts zeigt sich, daß der Staat nur dann einem freiheitlichen Bild der Verfassung entspricht, wenn er das gesamte von ihm eingesetzte kulturpolitische Instrumentarium von jeglichem Dirigismus freihält 241. Der personale Schutzbereich der Kunstfreiheitsgarantie darf von dieser Aufgabenstellung nicht isoliert werden, mit der Gefahr, daß subjektive Gewährleistungen und institutionelle Momente der Kunstfreiheit konfligieren 242. Die Wahrung der eigengesetzlichen Entwicklungsrichtung der Kunst sperrt sich daher gegenüber einem institutionellen Denken, das ein traditionelles, typisches Gerüst von Normenkomplexen und Rechtsbeziehungen fixiert, wie es in der Konzeption von Carl Schmitt angelegt ist 243 . Wie Hufen zu Recht betont, muß der individuelle Grundrechtsschutz in der Institution sichergestellt bleiben, um nicht das künstlerische Geschehen in seinen individuellen, spontanen, innovativen, nichtorganisierbaren Momenten in ein institutionelles Korsett einzuschnüren244. In einer von der individuellen Kraft der Grundrechtsträger gestalteten Verfassungswirklichkeit gehört dazu die Chance, den institutionellen status quo zu transzendieren, um eine offene Entwicklung der "Kunst" zu ermöglichen. Die in die normativ konturierte Institution eingelassene subjektive Freiheit ist daher nicht dieser unterworfen, sondern zugleich ihr Maßstab mit der Möglichkeit der Umgestaltung und Anpassung an veränderte Freiheitsvorstellungen, ohne dabei demokratisch aufzulösende Konflikte zwischen individueller Freiheit und öffentlichen Belangen in der Institution zu verkennen245. Die später zu erörternden organisatorischen und verfahrens-
241 Vgl. zur Reichskulturkammer Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 76 ff.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit. S. 192 f. 242 Problematisch daher der Ansatz von Baeggli, S. 35, die "materielle Begründung der Institution" auf "die Interessen der Kunst an sich" zu stützen. 243 Schmidt-Jortzig, S. 18 erkennt zutreffend darin einen "Festschreibeeffekt", der letztlich alle Regelungsgegenstände der Verfassung ergreift. 244 Hufen, Freiheit der Kunst, S. 401 ff. 245 Steiger, S. 114 ff, 117 f. in Abgrenzung zu Häberle.
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
85
rechtlichen Vorkehrungen eines strukturellen Konzepts der Kunstforderung 246 (Institutionen im engeren Sinne), wie sie öffentliche Museen, Theater, Hochschulen, etc. erfordern, können nur in einem erweiterten institutionellen Verständnis reflektiert werden, das gemäß der ersten vorgestellten Meinungsgruppe die Freiheit des gesamten gesellschaftlichen Teilbereichs "Kunstleben" in die grundrechtlichen Schutzbereichsüberlegungen miteinbezieht. Freiheit erweist sich darin als ein "mixtum compositum". Staatlich zu achtende gesellschaftlichen Vorgaben des Freiheitsgebrauchs247 verbinden sich mit staatlichen Gestaltungsaufgaben, die aus Staatszielbestimmungen und dem Gleichheitsgrundsatz resultieren. Wenn staatliche Ausgleichs- und Gegensteuerungsfunktionen die gesellschaftliche Austrockung einer freiheitsgerechten Praxis verhindern, wird die personale Formung der Freiheit durch den Grundrechtsträger gewährleistet. Anderenfalls bleibt die Verfassungsinterpretation auf ein außer- und vorgesellschaftliches Bild des isoliert schaffenden Künstlers verpflichtet oder verwechselt den "Korpus von Kunstwerken" mit der Kunst in der Gesellschaft 248 und entleert damit die Kategorie der Eigengesetzlichkeit um die Momente einer sozial verfaßten Ordnung. Der Ausschnitt "Kunst" in der gesamten Lebenswirklichkeit ist aber gleichfalls nicht mit der unterverfassungsrechtlichen Gesetzgebung gleichzusetzen, wenn er auch dadurch eine Prägung erfahren kann, da sonst das Rangverhältnis der Verfassung zu einfachem Gesetzesrecht relativiert würde 249. Das einfache Gesetz als Chance institutionalisierter (Grundrechts)Freiheit darf nicht den Blick der Verfassungstheorie dafür trüben, daß der Gesetzgeber trotz seiner demokratischen Legitimation jene Antinomien von Freiheit und Recht befördern kann, die nur in der verfassungsillusionären Ineinssetzung von Staat, Gesellschaft und personaler Freiheit gebannt scheinen250.
246
Hufen, Freiheit der Kunst, S. 394 f., bezieht sich in seinem thematischen Interesse im wesentlichen auf diesen Teil eines möglichen institutionellen Bedeutungsgehalts, ohne in der Abkehr von den eher sozialwissenschaftlich angelegten Konzeptionen seinen Bedenken einen unvermeidlichen Charakter zu verleihen. 247 Dazu Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 85, allerdings mit der Ablehnung des Terminus "Institution". 248 Aus kunsthistorischer Sicht Wollheim, S. 102 f. (Zitat S. 157). 249 Zu den sich daraus ergebenden Widersprüchen in der Theorie Häberles, Wesensgehaltsgarantie, S. 96 ff. vgl. Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, S. 179; ferner Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 143 ff. 250 Eindringlich gegen Häberle auch Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 45 ff.
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1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Hauptaufgabe eines solchen Institutionenverständnisses muß es somit sein, die Bedingungen einer Stabilisierung des freien und offenen Prozesses "Kunst" im Zeichen seiner eigengesetzlichen Entwicklungslogik mit den Möglichkeiten systemischer Veränderung anzugeben251. Im Spannungsfeld von Ordnung und Wandel252 ist ein dynamisches Konzept der Kunstfreiheit und -förderung erforderlich, das den freiheitlichen Gehalt institutioneller Ausgestaltungen, staatliche und gesellschaftliche Strukturen, an den individuellen Äußerungen und Bedürfnissen der Künstler in Verbindung mit der kulturellen Öffentlichkeit überprüft. Das Kunstleben in seiner institutionellen Freiheitsgestalt ist darin nichts anderes als die Eigengesetzlichkeit einer Kunst, die in den sozialen Raum eintritt.
IX. Kreis der Grundrechtsträger
Entgegen der objektivistischen Fassung des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ("Die Kunst ist frei") ist dem anthropozentrischen Charakter des Grundrechtsteils der Verfassung gemäß zunächst eine subjektiv-rechtliche Ausdeutung der Kunstfreiheit als Freiheitsrecht des Künstlers erforderlich gewesen253. Die Gleichsetzung des Grundrechtsträgers mit dem Künstler würde aber die umfassende freiheitsrechtliche Ausdeutung des gesellschaftlichen Lebensbereichs verkürzen. Der isoliert produzierende Künstler, der seine "Ware" zugleich selbst vertreibt, kann angesichts der Nutzung moderner massentechnologischer Produktionsverfahren und hoch arbeitsteiliger Vertriebssysteme nicht mehr als Regelfall gelten. In der Beziehung der Künstler zu einem breiten Publikum können viele Vermittlungsinstanzen wie Verleger, Produzenten, Galeristen und andere Kunstpromoter zwischengeschaltet sein, die für das Gelingen der Massenkommunikation von Kunst unabdingbar sind 254 . Zutreffend hat das Bundesverfassungsgericht gemäß dem Prinzip der Grundrechts251 Vgl. Bürger, Theorie, S. 63 ff., zum avantgardistischen Versuch, die "Institution Kunst" aufzuheben. Gegenüber der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft in verschiedene System wie Recht, Wissenschaft, Wirtschaft etc. betont Bürger, daß die Kunst sich durch die Weigerung charakterisiert, sich in den Funktionszusammenhang der Gesellschaft einbinden zu lassen, vgl. Bürger, Prosa der Moderne, S. 15. Im Anschluß daran Hoffmann, Kunstfreiheitsgarantie, S. 130 ff. 252 Zu Geschichtlichkeit der Institution vgl. Steiger, S. 114 f. 253 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 201 ff. 254 Vgl. insoweit auch die explizite Regelung in Art. 17 a des österreichischen Staatsgrundgesetzes (StGG): "Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei." (Hervorhebung vom Verfasser).
B. Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
87
effizienz die Grundrechtsträgerschaft auch diesem Kreis zuerkannt 255. Die Grenze ist erst da zu ziehen, wo es an einer individuellen Einflußnahme auf die Verwirklichung und Verbreitung des Kunstwerks fehlt und nur noch technische Hilfsfunktionen wie beim Drucker, Bühnenarbeiter oder Verwaltungspersonal wahrgenommen werden 256. Die Staatsgerichtetheit der Grundrechte erlaubt auch eine Integration von Trägern öffentlich-rechtlicher Gewalt in den geschützten Kreis, die, wie Kunst und Musikhochschulen, als unmittelbarer Ausdruck des freiheitlichen Lebensbereichs "Kunst" gelten257. Der Schutzumfang wird durch die künstlerische Zwecksetzung begrenzt. Für die Ermittlung personaler Schutzansprüche im Rahmen öffentlich-rechtlicher Kunstinstitutionen ist zwischen allgemeinen und künstlerischen Mitarbeitern zu differenzieren 258. Die auch vom Bundesverfassungsgericht beachtete offene Hermeneutik künstlerischer Aussagen, die sich erst in der Rezeption durch das Kunstpublikum zu einem geschichtlich gebundenen, keiner endgültigen, allgemeinen Lesart zuführbaren Kunstwerk verdichten, hat den Produzenten aus der ausschließlichen Stellung in der "Schöpfung" des Werkes verdrängt. Mit einem verengten Werkbegriff würde der künstlerische Vorgang verdinglicht, ohne dem konstituierenden Geschehenszusammenhang hinreichend Rechnung zu tragen. Die Verflüssigung des Werkbegriffs in eine kommunikative Beziehung zwischen Künstler und Publikum hat einige Verfassungsinterpreten veranlaßt, den Kreis der Grundrechtsträger aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG auf alle Rezipienten auszudehnen259. Alle Beteiligten der künstlerischen Kommunikationssphä255 BVerfGE 30, 173 (191) ("Romanverleger"); E 36, 321, (331) ("Schallplattenhersteller"); BVerfG, NJW 1988, 325 ("Plakatkleber/Mahnwache"). So auch Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 20; Hufen, Freiheit der Kunst, S. 122; Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 E Rdnr. 23; v. Münch, GGK, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 62; Ropertz, S. 85 f.; Benda, Die neue Ordnimg 1982, 347 f.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 199 f.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3. A. A. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 33, 87 ff; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 13. 256 Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 21. 257 Vgl. allgemein zu dieser Voraussetzung: BVerfGE 19, 1 (5) ("Neoapostolische Kirche"); 21, 362 (373 f.); 31, 314 (322) ("Rundfunk"); 59, 231 (255) ("Rundfunk"). Spezifisch: Hufen, Freiheit der Kunst, S. 524 f.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3, Rdnr. 202; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 48. 258 Hufen, Freiheit der Kunst, S. 266 ff. ausführlich zu Hochschulmitgliedern als Künstler; Kunig, DÖV 1982, 765 ff. zum Bühnenleiter; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 203. 259 Hoffmann, Kunstfreiheitsgarantie, S. 230 ff.; ders., NJW 1985, 241; Thedieck, UFITA Bd. 96, 382; Ridder, Freiheit der Kunst, S. 10; Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 68 f.; Hufen, Freiheit der Kunst, S. 122 erkennt die "zunehmende Bedeutung der
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
re würden damit, unabhängig von ihrer konkreten Beteiligungsform oder vom Charakter des Werkes, zu Inhabern eines negatorischen Unterlassungsanspruchs gegen den Staat. Eine über Zimmerlautstärke hinausgehende Aktualisierung der Symphonien Beethovens nach Beginn der Nachtruhe würde von der "schlichten" Störung zum "Grundrechtsfall". Rückschlüsse auf eine Erweiterung des Grundrechtsträgerkreises durch die Interpretengemeinschaft können aber nur dann als zulässig angesehen werden, wenn der künstlerische Entstehungs- und Rezeptionsprozeß eine besondere Beteiligungs- oder Auflührungsform vorschreibt. Ähnlich der "Bereichsdogmatik" sind danach sachbereichsspezifische Konstitutionsvoraussetzungen von zufalligen Umständen der (kollektiven) Werkschöpfung abzugrenzen. Ohne eine kasuistische, individualfreiheitsgerechte Betrachtung durch eine abstrakte Patentformel abzuschneiden, werden Gestaltungsformen unter notwendiger Beteiligung eines offenen Kreises der kulturellen Öffentlichkeit, wie Happening260, Aktion, aber auch die gemeinsam erlebte Theater- oder Kinoaufführung, eine andere Beurteilung erforderlich machen als der vermeintliche "Königsweg" traditioneller kultureller Aneignung des einzelnen werkschöpfenden Subjekts, der nicht an kollektive Voraussetzungen geknüpft ist 261 . Auch nach der Öffnung des Werkbegriffs im Sinne einer Relativierung des Unterschieds von künstlerischer Produktion und Rezeption bis zur fallweisen Auflösung verläßt das gewählte Beispiel nicht die grundrechtsneutrale Zone, weil die nächtliche Aktualisierung des Kunstwerks kein notwendig mit der generellen Rezeptionsmöglichkeit verbundener Umstand ist 262 . Insbesondere die genannten avantgardistischen Integrationen beliebiger Akteure erfordern neben vielen anderen denkbaren Verlaufsformen ein grundrechtssensibles Verständnis für die besondere Struktur des künstlerischen Geschehens, dessen kollektiv gebundene Formen den Kreis der Grundrechtsträger im Sinne einer "Laisierung" erweitern kann. Festzuhalten ist damit, daß das Publikum nur in spezifischen Zusammenhängen dieser Art den Grundrechtschutz in Anspruch nehmen kann. Allein der Kommunikationswille des Rezipienten kann nicht zum Anknüpfungspunkt
Rezeptionsebene", vgl. auch S. 106 f.; differenzierend v. Münch, Die Deutsche Bühne 1978 Nr. 7, 23f.; ferner Graul, Künstlerische Urteile, S. 71 f. 260 Kritisch zu dessen Interaktionscharakter vgl. Damus, S. 117 ff. 2(11 Vgl. zu dieser Differenzierung der Rezeptionsformen Habermas, Kritik, S. 321; Benjamin, S. 37 ff. und passim. 262 Das kann bei einer "Techno-Party", die von einem Disc-Jockey unter Einsatz von Laserstrahlern künstlerisch "geleitet" wird, durchaus anders sein.
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
89
gewählt werden, wenn nicht die Gefahr einer uferlosen Ausweitung des Schutzbereichs in Kauf genommen werden soll 263 .
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit in der verfassungsrechtlichen Strukturierung der Kunstforderung Zuwendungsobjekt staatlicher Kunstforderung kann nur eine künstlerische Äußerung sein, die nicht auf verfassungsrechtliche Grenzen stößt. Schranken der Kunstfreiheit sind regelmäßig Schranken der Kunstforderung 264, da der Staat eine grundrechtlich gebotene Beschränkung des Freiheitsgebrauchs nicht durch Förderung entkräften darf. Ausnahmen sind da zulässig, wo der Modus von Sonderbeschränkungen wie etwa im Bereich des Jugendschutzes nicht mit dem darauf abzustimmenden Förderungsmodus kollidieren. Exemplarisch wäre die Förderung erotischer Kunst, die Jugendlichen nicht zugänglich gemacht wird. Der rechtsstaatlich und rechtslogisch gebotene Ausschluß abwehrrechtlich nicht geschützter Kunst enthält aber keine Positivierung der Förderungszwecke, sondern fixiert nur die Zulässigkeitsgrenze, unterhalb der regelmäßig keine werkbezogen-individualisierende Förderung denkbar ist.
I. Schrankenkonzeptionen zu Art. 5 Abs. 3 S. 1 G G 1. Übersicht zur Grundrechtsdogmatik
Auch wenn der Textbefund des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG für die Schrankengewinnung negativ bleibt, hat die Meinung, daß der Kunst alles erlaubt sei 265 , keine Zustimmung erfahren. Ein schrankenlos gewährter Freiheitsbereich widerspräche dem verfassungsrechtlich vorausgesetzten Ordnungs- und Aus-
263
Im Ergebnis - ohne die hier genannten Differenzierungsmöglichkeiten - Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 23. 204 Zutreffend Maunz, BayVBl 1970, 355 f. 265 So Bauer, JZ 1965, 47: "Die Freiheit von Kunst und Wissenschaft ist absolut". Für die von Bauer angeschnittenen Fragen unzüchtiger Kunst Zustimmung bei Hamann/Lenz, GG, Art. 5 Nr. 15. Vgl. auch OLG Stuttgart, NJW 1976, 628 (629) ("Unsere Siemenswelt").
90
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
gleichssystem menschlicher Freiheiten 266. Freiheiten und ihr normativer Ausdruck in den Grundrechten sind in der Überformung durch den Gleichheitssatz nur koexistenziell bestimmbar267. Die Verwirklichung der Kunstfreiheit ohne Achtung anderer Freiheitsrechte könnte den Begriff der "Kunstdiktatur" einer neuen Bedeutung zuführen. Durch die extensive Interpretation des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, die Aufnahme engagierter, politischer, sehr direkter Formen der Kunst könnte auch keinem Einwand gefolgt werden, der die Konfliktmöglichkeit der Kunstfreiheit mit anderen Grundrechten und Verfassungsgütern leugnet268. Da das Grundgesetz weder eine für alle Freiheitsrechte allgemeinverbindliche Schrankenregelung enthält269, noch Regeln zur Schrankengewinnung aufstellt, sind im Laufe der Grundrechtsgeschichte wohl alle denkbaren Begrenzungen genannt worden, die hier, ohne Verbindungslinien zwischen verschiedenen Konzeptionen zu leugnen, idealtypisch abzugrenzen sind: (1) Direkte oder analoge Anwendung der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG 270 (2) Direkte oder analoge Heranziehung der Schranken der allgemeinen Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 2 GG 271 .
260 Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 115 f.; zustimmend Bär, Filmfreiheit, S. 164; Hoffmann, NJW 1985, 242. Zur Gemeinschaftsbezogenheit der Person in der Verfassungsordnung vgl. auch BVerfGE 4, 7 (15) ("Investitionshilfegesetz"); BVerwG, JZ 1976, 58 (60) ("Asylrecht"). 267 Zum Verhältnis beider Prinzipien vgl. Kriele, Freiheit, S. 129 ff. Zum systemgebundenen Verhältnis von Grundfreiheiten vgl. Rawls, S. 231 f. Kritisch Bethge, S. 259 m.w.N. Bethge erkennt in der "Freiheit als RechtsbegrifF 1 ein "Kontrastprogramm zu anarchistischen Willkürlichkeiten". 268 Im übrigen kann "das Fehlen konfliktsfahiger Inhalte", das Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 20 f., im Jahre 1967 konstatiert, der heutigen Begegnung von Kunst und Recht nicht länger zugrundegelegt werden. Gleichwohl kann zugleich eine Reduktion spezifischer Konfliktpotentiale aufgrund gewandelter Anschauungen der Öffentlichkeit allenthalben festgestellt werden. Konflikte, wie sie "Die Sünderin", vgl. BVerwGE 1, 303 (307) hervorgerufen hat, sind undenkbar geworden. 269 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 56. 270 BGH, GA 1961, 240 ("Döhl-missa profana") (=BGH, UFITA Bd. 38, 181); OLG Düsseldorf, FamRZ 1965, 459 f. ("Das Schweigen"); Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 118 ff.; ders., Die neue Ordnung 1966, 443 ff.; Ropertz, S. 98 ff.; Schäuble, Kunstförderung, S. 174 ff.; Wernicke, in: Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 3 Anm. II 3 c und Art. 2 Abs. 1 Anm. II 1 b. Weitere Nachweise bei Saenger, S. 126, Fn. 133. 271 Geiger, S. 198 f.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 230 ff.; ders., NJW 1970, 17 m.w.N.; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 91; ders., BayVBl 1974, 177 ff. differenzierend; Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 21 ff. (27); Oettinger, UFITA Bd. 71, S. 15 ff.; Raue, S. 83 ff.; begründungslos für Schranke der allgemeinen
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
91
(3) Schrankenkumulation aus Art. 5 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG 272 . (4) Gemeinschaftsvorbehaltsklauseln 273. (5) Verfassungssystematische Wertordnungsklauseln respektive grundrechtsimmanente Begrenzungen274. (6) Sachspezifische Normbereichseingrenzungen respektive Stufentheo(7) Kunst(begriffs)immanente Einschränkungen276. (8) Begrenzung bei "nichtkommunikationsfähigen falschen Tatsachenbehauptungen" und "bei künstlerischen Äußerungen mit unvermitteltem Handlungscharakter" 277. (9) Selbstverständliche Mißbrauchsvorbehalte 278. (10) Begrenzung durch Eigentumsgarantie des Art. 14 GG bei rechtswidrig aufgedrängter Kunst 279 . Die ausufernde Schrankendogmatik zu Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist die Konsequenz eines fehlenden allgemeinen Schrankensystems anstelle dessen das Grundgesetz nur einen "Schrankenwirrwarr" 280 bereithält. Zugleich wird dieser grundrechtsdogmatisch wenig vertrauenserweckende Befund aber dadurch relativiert, daß Einigkeit in der Sache oft durch verfassungstheoretische EtiGesetze Walter Becker, Freiheit der Kunst, S. 63 ff.; Gounalakis, NJW 1995, 809 ff. (814). 212 August Schmidt, GA 1966, 105. 273 BVerwGE 1, 303 (307) ("Die Sünderin"); OVG Koblenz, DVB1 1966, 576 ff. ("Das Schweigen"), Locher, Das Recht der bildenden Kunst, S. 36 f. 274 BVerwGE 30, 173 (193); BVerfG (Vorprüfüngsausschuß), NJW 1984, 1294 f.; OLG Hamburg, NJW 1984, 1130 ff.; Benda, Die neue Ordnung 1982, 353 f.; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 198 (§ 24 II); Maunz, BayVBl 1970, 356; Model/Müller, GG, Art. 5 Rdnr. 6; v. Münch, GGK, Art. 5 Rdnr. 63 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 57 ff.; Zechlin, NJW 1984, 1092; Zöbeley, NJW 1985, 256. 275 Müller, Freiheit der Kunst, S. 56 ff., S. 97 ff.; ders., Rechtslehre, S. 387 ff., S. 409 ff. Im Anschluß an Müller die "Stufentheorie" vgl. Starck, in: v.Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 207. 276 Dünnwald, JR 1965,48; Stein, JZ 1959, 722. 277 Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 D Rdnr. 22. 278 Darstellung und zutreffende Kritik der verschiedenen Mißbrauchslehren bei Müller, Freiheit der Kunst, S. 27 ff. 279 BGH, NJW 1995, 1556 ff. ("Beteiligung der Künstler am Verkaufserlös der Berliner Mauer-Bilder"). 280 So Bethge, S. 260 ff.
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
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ketten verdeckt wird, deren mitunter wissenschaftsbetriebsspezifische Ursachen in der Diskussion der Meinungen nicht zu verfolgen sind.
2. Deflatorische
Eingrenzungen
Methodisch unzulänglich sind die Versuche, das grundrechtliche RegelAusnahmeprinzip281 durch definitorische Erwägungen außer Kraft zu setzen282, deren Eingrenzungsanliegen "grundrechtstopografisch" einer anderen Ebene angehören. Zu vermuten ist zwar, daß der Parlamentarische Rat im Rahmen eines tradierten Kunstbegriflfs idealistischer Prägung von der begriffsimmanenten Beschränkung der Kunst ausging283. Übertragen auf die Gesamtheit der Freiheitsbereiche tendiert das definitionsorientierte Schrankendenken aber zur Entwertung desförmlichen Verfassungswortlauts, da explizite Schutzgüterschranken immer schon als vorgegebene im Freiheitsbereich mitgelesen werden können. Wenn unsittliche Meinungen keine Meinungen im Sinne der Meinungsfreiheit wären, erübrigte sich ein Rekurs auf die allgemeinen Gesetze, soweit sich in ihnen das Sittengesetz sedimentiert, und reale Konfliktfalle der gemeinschaftsbezogenen Freiheitsverwirklichung würden ignoriert. Eine demgegenüber methodisch exklusive Behandlung der Kunstfreiheit wäre nicht gerechtfertigt.
3. Schranken aus Art. 5 Abs. 2 GG
Die Abweisung der Schranken aus Art. 5 Abs. 2 GG folgt vor allem aus den oben dargelegten Überlegungen, daß Kunst zwar regelmäßig kommunikative Funktionen beizumessen sind, diese Kommunikation aber spezifische Formen gegenüber der in Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit aufweist 284. Die Reduktion der Kunstfreiheit auf einen Unterfall der Meinungsfreiheit stößt aber nicht nur auf sachbereichsspezifische Barrieren, die von der Veifassungs-
281
Dazu Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 60 ff. A.A. zutreffend Erbel, UFITA Bd. 61, 376 m.w.N.; ders., Kunstfreiheitsgarantie, S. 116; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 169 mit Kritik an Stein. 283 Starck, in: v. Mango ldt/K lein/S tare k, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 185; MeyerCording., JZ 1976, 737 ff. 284 Zur Kritik der Rechtsprechung wegen der argumentativen Schwäche in der Ablehnung der Schranke der allgemeinen Gesetze vgl. Lerche, BayVBl 1974,180. 282
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
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interpretation nicht vernachlässigt werden dürfen, sondern auch auf wortlautbezogene und verfassungssystematische Bedenken285.
4. Begrenzungen nichtkommunikationsfähiger
Kunst
Gegen Ladeur ist zu vermerken, daß die notwenige und häufig vermißte Reflexion auf die historisch typischen Gefährdungen kommunikativer Gehalte der Kunst kein hinreichender Maßstab zur Bestimmung der verfassungsrechtlichen Schutzaufgabe darstellt. Die Verengung auf den "Schutz der kommunikativen Wirkung eines Kunstwerks" 286 verkürzt das künstlerische Anliegen, dessen Konfliktcharakter andere Ursachen hat. Es widerspricht einem offenen und pluralistischen Konzept, angeblich "äußere Bedingungen"287 der Produktion und Präsentation aus der Kunstfreiheitsgarantie auszuklammern. Letztlich folgt diese Auffassung einer Typik künstlerischen Handelns, die im Gegenzug zu einer dem Prinzip des l'art pour l'ait verpflichteten Typenlehre nur kommunikativ engagierte Kunst dem vollen Schutz des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG unterstellen will. Die berechtigte Kritik an Schrankenkonstruktionen, deren Befriedungsfunktion die gesellschaftliche Austragung konfligierender Interessen und Ansprüche verhindert 288, darf nicht ihrerseits integrale Momente künstlerischer Prozesse mit schrankenrechtlichen Ausschlußfunktionen umbauen, die sich dem kommunikativen Anspruch nicht fügen 289. Auch wenn die Kunstfreiheit unter die Kommunikationsgrundrechte subsumiert worden ist, läßt sich der gesellschaftliche Geltungsumfang der Kunst mit dem (modisch) abstrakten Terminus "Kommunikation" nicht zureichend beschreiben290, wenn285 Gegen Art. 5 Abs. 2 GG: BVerfGE 30, 173 (191 f.); 33, 52 (70 f.) ("Der lachende Mann"); 35, 202 (244); BVerwGE 1, 303 (305 ff.); Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 116 f.; Hamann/Lenz, GG, Art. 5 Nr. 13; Ridder, Freiheit der Kunst, S. 12; ders., AöR 95, 459; Müller, Freiheit der Kunst, S. 12 ff.; Ott, JuS 1968, 459 (461); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/S tarck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 206. 286 Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 D Rdnr. 20. Ihm folgend Vesting, NJW 1996, 1111. Zur Kunst als Kommunikationsprozeß auch Josef Hoffmann, Kunstfreiheitsgarantie, S. 230 ff.; ders., NJW 1985, 241 f. 287 Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 E Rdnr. 20. 288 Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 ü Rdnr. 22. 289 Vgl. dazu auch Hufen, Freiheit der Kunst, S. 127 f.; "Kunstfreiheit schützt auch gegen die unerwünschte Verbreitung von Kunstwerken". Im übrigen ist auch das "Prozeßdenken" als Begründungsmuster ungesichert, vgl. auch Henke, Der Staat 1981, 587 ff. 290 Jegliche Kriminalitätsform vom Diebstahl bis zum Mord könnte etwa tiefenpsychologisch als Kommunikationsversuch gewertet werden.
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
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gleich der kommunikative Wirkungszusammenhang von Künstlern und Publikum einen wesentlichen durch die personale wie institutionelle Gewährleistungskomponente erfaßten Anteil des Schutzbereichs markiert 291. Aus kunstsoziologischer Sicht ist herausgearbeitet worden, daß insbesondere vom konventionellen Betrachter moderne Formen der Kunst als "Kunstschock" erfahren werden, der die Kommunikation zwischen Künstler und Publikum blokkiert 292 . Zweifelsfrei eröffnet die Kommunikationsstörung aufgrund des Ressentiments oder des mangelnden Verständnisses, d.h. gesamtgesellschaftlich betrachtet, aufgrund soziokultureller Spannungslagen, kein staatliches Eingriffsrecht. Zirkulär sind aber Auffassungen, die eine Reduktion des Normbereichs auf Konflikttypen, die aus der Irritation von Kommunikation resultieren, legitimieren wollen 293 , weil danach andere Konflikte gar nicht mehr als Konflikte des Normbereichs kommunizierbar sind. Auch in der Esoterik moderner Kunstformenen befangener Unwille zur Kommunikation oder hobbyistische Kunstpraxis, die nicht mehr als Freizeitgestaltung, Selbstausdruck um seiner selbst willen etc. sein will, bleibt Schutzobjekt des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG und eröffnet keine Spezifikation in der Schrankengewinnung.
5. Stufentheorie
und Grundrechtsmodalitäten
a) Werk- und Wirkbereich Starck hat seine "Stufentheorie" für die Einschränkung der Kunstfreiheit damit begründet, "daß die eigentliche Kunstschöpfimg möglichst frei von rechtlichen Schranken sein soll, der Wirkbereich jedoch wegen der Außenwirkung auf andere Rechtsgenossen stärkeren Einschränkungen unterliegen müsse"294. Ohne den heuristischen Wert des von Müller glücklich gewählten Begriffspaars anzuzweifeln 295, ist dessen Verwendung als schrankentheoretische "Zauberformel" doch erheblichen Bedenken ausgesetzt. Der starke soziologische Gehalt der Kategorien in der Ermittlung der typischen Verlaufsform künstlerischer Prozesse erfordert eine normgebundene Übersetzungsleistung in 291
Vgl. Hufen, Freiheit, S. 108 f. Mierendorjf/Trost, S. 43 ff., 81 f. 293 Vesting, NJW 1996, 1111. 294 Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 207. 295 Vgl. Müller, Freiheit der Kunst, S. 97 ff. Der Gesamtbereich umfaßt danach Produktion, Präsentation und Kommunikation von Kunst, vgl. S. 99. 292
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
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der Schrankenkonstruktion 296. Das erledigt sich nicht mit dem Hinweis auf das vergrößerte künstlerische Konflikpotential in der kommunikativen Außenwirkung. Die Kernfrage bleibt die Verortung des verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkts und der verfassungsrechtlichen Ausdifferenzierung der durch die Unterscheidung von Werk- und Wirkbereich begründeten "Schrankenselbstverständlichkeit", daß der Grundrechtsträger als Nichtstörer eben auch keine Beschränkungen hinnehmen muß. Die Schrankendoktrin Müllers stützt sich auf eine sachbereichsspezifische Differenzierung der durch das Grundrecht erfaßten Handlungen und nur bei Gelegenheit der Grundrechtsverwirklichung realisierten Modalitäten des Freiheitsgebrauchs. Nur in der ersten Alternative liegt nach dieser Auffassung ein zur Lösung normativer Spannungslagen aufrufender Grundrechtsfall vor. Das von Erbel zur Illustration normativer Kollisionen eingeführte Beispiel des auf verkehrsreicher Straßenkreuzung störenden Malers 297 wird von Müller nicht als grundrechtsrelevant behandelt, da die Modalität 'auf der Straßenkreuzung' unspezifisch für die Kunstfreiheitsausübung sei298. Diese problemlose Abkehr von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu gesicherterem Grundrechtsterrain in Betracht käme noch eine unproblematische Prüfung nach Art. 12 oder Art. 2 Abs. 1 GG ist nur durch das von Müller implizierte Vorverständnis des Beispiels gedeckt, der Störer habe versehentlich das Atelier (Werkbereich) mit der Straßenkreuzung (grundsätzlich geschützter Wirkbereich 299) verwechselt. Daß vielleicht das Malen die austauschbare Modalität und die Aktion auf der Straßenkreuzung das Spezifikum der Kunstausübung sein könnte, fallt einer an traditionellen Werktypen fixierten Kunstfreiheitskonzeption freilich nicht zu 300 . Trotz der Kritik der sozialbezogenes Handeln ausgrenzenden Ästhetik des l'art pour l'art 301 birgt die Lehre Müllers gerade die Gefahr, die Flexibilität in der den Wirkbereich relativierenden Maßnahmen zu überziehen und einer konfliktscheuen, der gesellschaftlichen Sphäre entrückten Kunstkonzeption des Werkbereichs zu fol-
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Müller, Freiheit der Kunst, S. 97 ff.; ders., JZ 1970, 80 ff. Im Anschluß daran Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 206 ff. 291 Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 87, 161. 298 Müller, Freiheit der Kunst, S. 58, 124; Kritisch Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 157 ff. 299 Müller, Freiheit der Kunst, S. 83 f. 300 Hufen, Freiheit der Kunst, S. 122 Fn. 95 erscheint der Pleinairist auf der Straßenkreuzung "nicht mehr gattungsuntypisch". 301 Müller, Freiheit der Kunst, S. 75 ff. 302 Ähnliche Kritik vgl. Ridder, AöR 95, 501. Zur Kritik der "Bereichsdogmatik" vgl. auch Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 II Rdnr. 12: Die in der Autonomie gewachsene Kritik der Kunst an einer autonomen, von anderen Lebenswirklichkeiten getrennten
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1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Diese Auffassung ist nicht weit entfernt von der oben kritisierten, den Kunstbegriflf präfixierenden Schrankenziehung, die der Bewertung von Konfliktfallen durch ihre Leugnung enthoben ist 303 . Ohne die Ermittlung von persönlichen Konkretisierungselementen, die die sachbereichsspezifische Differenzierung von Grundrechtsausübung und bloßer Modalität ermöglichen, bleibt diese Ansicht ihre Begründung schuldig und muß willkürlich werden 304. Ein abstrakter Grundrechtsschutz, der auf die Einbettung der Grundrechtsausübung in den subjektiv konturierten Grundrechtskontext verzichtet, ist kein echter Grundrechtsschutz.
b) Gattungstypologie Der Maßstab für die normative Differenzierung von Handlungsformen kann aber nicht durch die Beschreibung klassischer Verlaufsformen und Gattungstypen künstlerischen Handelns zureichend ermittelt werden, sondern muß einem Individualfreiheitsrecht gemäß für die jeweilige künstlerische Äußerung in Verbindung mit dem individuellen Geltungsanspruch des Künstlers bestimmt werden 305. Dem sperrt sich eine fremdgesetzliche Überformung, eine künstlerische Praxis vergröbernde Typologie von Werk- und Wirkbereich. Die Ausschnitthaftigkeit der Doktrin vom Werk- und Wirkbereich ist auch Befürwortern im Bereich alter und neuer Kunstformen, bei Bühnen und Musikveranstaltungen, Straßenkunst, Aktionskunst, Happening, etc., aufgefallen 306. Exemplarisch läßt sich diese Konzeption im Fall des "Sprayers von Zürich" diskutieren, der in fremdem Eigentum stehende Betonflächen als Malgrund für seine Graffitti genutzt hat 307 . Der übereinstimmende Befund von Sachverstand, Selbstverständnis und formaler Analyse ergibt, daß die vom Künstler Naegeli beabsichtigte Kulturkritik, insbesondere an der Unwirtlichkeit moderner Städte, gerade durch die gewählten Modalitäten, wie fremdes Eigentum, Handeln ohne Einwilligung, ungestalteter Beton, etc., ihre besondere, traditio-
Institution "Kunst" widerspreche einer Dogmatik, die im Normbereich nach dem "Wesensgehalt" der Kunst fahndet. Zur "Negation der Autonomie der Kunst durch die Avantgarde" vgl. Bürger, Theorie, S. 63 ff. 303 Erbel, UFITA Bd. 61, 376. 304 Scharfe Kritik in dieser Richtung vgl. Bär, Filmfreiheit, S. 119 ff. 305 Vgl. auch die allgemeine Kritik Winters, JZ 1973, 187 an der positivistischen Ermittlung der Sachprägung eines Lebensbereichs. 306 Vgl. etwa Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 207. 307 BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1984, 1293 ff.; EMKR, NJW 1984,2753.
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
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nelle Grafik transzendierende Prägung erfahren hat 308 . Trotz der unabdingbaren staatlichen Pflicht, individuellen "Revolten" im Schutz fremder (Grund)rechte und vergleichbarer Positionen zu begegnen, ist die Handlungsweise des "Sprayers" am Grundrecht der Kunstfreiheit zu messen309. Ein Versuch zur EntSchichtung dieser Grundrechtsausübung in grundrechtsrelevante und neutrale Umstände bliebe ergebnislos, da das künstlerische Handeln gerade auch in der Sachbeschädigung liegt, die als Sanktionstatbestand andererseits staatliche Rechtsfolgen möglich machen muß. Im Schema: Der verfassungsmäßigen Konzessionierung eines eigengesetzlich strukturierten Grundrechtsanspruchs (auf der ersten Stufe), der auch konfliktorientierte und unkonventionelle Freiheitspraxis staatliche Respektierung abverlangt, folgt (auf der zweiten Stufe) eine materielle Begrenzungspflicht des Staates, die sich auf notwendige Schrankenregelungen und Ausgleichsverfahren stützt, da anderenfalls eine normstrukturell systemwidrige Einordnung die Betroffenheit des Grundrechts veibirgt. Dem Vorwurf, in der Bindung an die Werkgattung nur künstlerisch Konventionelles zu erfassen, ist Müller in einer Replik entgegengetreten, die die Werkgattung als das "empririsch Strukturelle" vorstellt: "Daß eine bestimmte künstlerische Gattung sich empirisch erst einmal definieren und zur Kenntnis bringen muß, kann ihr keine rechtliche Garantie oder dogmatische Konzeption abnehmen. Ist sie dagegen individuell konturiert und als Gattungstypus sozial eingeführt, so gehört sie damit zum Normbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG" 310 . Auch wenn Müller zu Recht auf den subjektiven Anspruch des Künstlers mitabstellt, wird die Bindung des grundrechtlichen Schutzbereichs an die soziale Akzeptanz der Kunst, die "objektiv durch entsprechende Präsentation und Nachhaltigkeit als Neuzugang zum Kunstbetrieb empirisch" feststellbare Kunst 311 , leicht zum grundrechtsdogmatisch sanktionierten Hemmschuh solcher Kunst, die als Novum gerade das Konfliktpotential schafft, das einer etablierten Kunst per definitionem abgeht312. Statt eine indi308
Dazu ausführlich Hoffmann, NJW 1985, 239 ff. Vgl. weiterhin Zechlin, NJW 1984, 1092 Fn. 19; Schmieder, NJW 1982, 630. Allgemein zur verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Bedeutung von Wandparolen vgl. Christian Grimm, BayVBl 1984,134 ff. Dazu kritisch Maunz, ebenda, S. 139 f. 309 Fälle dieser Art aus der aktuellen Kunstszene lassen sich beliebig vermehren: "Einbruch und Hausbesetzung als Kunstaktion" vgl. Mönnig, S. 7 ff; "Ladendiebstahl als Konsumkritik", vgl. van Stein, S. 24 ff. 310 Müller, Rechtslehre, S. 388 f., 409 ff. (Zitat S. 388). 311 Müller, Rechtslehre, S. 411. 312 Im Polizei- und Ordnungsrecht wirft der Begriff der "öffentlichen Ordnung" ähnliche Spannungen auf. Einerseits tradiert der Begriff die mehrheitsfähigen sozialethischen Vorstellungen einer Gesellschaft, andererseits hat der gesellschaftliche 7 Palm
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1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
vidualfreiheitsgemäße Konzeption vorzustellen, bekräftigt dieser Entwurf seine Kritik, wenn er den Schutz von solcher Kunst abzieht, die schutzbedürftig ist, weil die Fixierung im "Kunstbetrieb" noch nicht erfolgt ist oder sie keiner bekannten Gattung angehört. Trotz der intensiven Bemühungen um eine auch "Extremfalle" bewältigende "Bereichsdogmatik"313 werden hier im wesentlichen nur die institutionell notwendigen Absicherungen des künstlerischen Freiheitsraums zur inadäquaten Begrenzung der personalen Kunstfreiheitsgarantie eingesetzt. In der "Bereichsdogmatik" findet der juristische "horror vacui" vor der freischwebenden Geistigkeit künstlerischer Prozesse einen Ausdruck, der die "Strukturierende Rechtslehre" insoweit als Verwandte der "Reinen Rechtslehre" ausweist.
c) Vorbereitungs- und Verbreitungshandlungen Der Umfang der Bindung des Künstlers an die allgemeine Rechtsordnung kann also erst dann zweifelsfrei festgestellt werden, wenn der Bereich seiner Kunstfreiheit nach den oben aufgestellten Grundsätzen ermittelt worden ist. Vorbereitungs und Verbreitungshandlungen, die danach nicht zur Grundrechtsausübung zählen, genießen keinen privilegierten Status. Da die künstlerische Produktion aber in ihrer Totalität geschützt ist 314 , sind hier keine leicht angebbaren "Schnittstellen" gegeben. Die Produktion eines Kunstwerks spaltet sich in mehrere Phasen auf, die notwendig zu seiner Konstitution sind. Danach ist die Kunstfreiheitsgarantie auf verschiedene "Phasenschutzbereiche" hin aufzufächern, um nicht über den "Umweg" von Vorbereitungshandlungen das Kunstwerk zu inkriminieren. Ob etwa die Materialbeschaffung, das Grundieren der Leinwand oder das Stimmen der Instrumente im Orchester vor der Opernaufführung bereits zur Kunst gehören, ist damit noch nicht beantwortet. Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Betrachtung des Ablaufs des "anachronistischen Zugs" praktische Notwendigkeiten, wie die Aufstellung des Zugs und Umgruppierungen, in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG mitaufgenommen und zugleich auf neue Theaterformen hingewiesen, die zum künstlerischen Gesamtkonzept gehören315. Wandel viele Lebensbereiche dem öffentlichen Ordnungsinteresse entzogen. Vgl. zum Problembereich: Erbel, DVB1 1972,475 ff. 313 Müller, Rechtslehre, S.409 f. 314 Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 18. 315 BVerfG, NJW 1985, 261 (263).
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
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Wenn die Materialbeschaffung nach Starck nicht zur Ausübung der Kunstfreiheit gehören soll 316 , stellt sich die Frage, ob das auch für solche Künstler gilt, deren zentrale Tätigkeit gerade der Beschaffung von Fundstücken aus der Natur wie bei Nikolaus Lang oder Wolfgang Laib oder anderen Bereichen gewidmet ist. Denninger will darüber hinausgehend auch solche Akte der Vorbereitung wie das Training, die Übung oder den Farbenkauf dem Grundrechtsschutz unterstellen317. Zu Recht verweist er darauf, daß ein behördliches Malartikelverkaufsverbot gegenüber einem Künstler diesen letztlich genauso trifft wie ein Malverbot 318. Festzuhalten ist, daß auch insoweit generell typologische Betrachtungen nicht geeignet sind, die konkrete Beschreibung der Grundrechtsausübung zu ersetzen. Vielmehr ist danach zu fragen, inwieweit ein Eingriff in die Sphäre des Grundrechtsträgers im Einzelfall geeignet ist, den Kunstentstehungsprozeß unmittelbar zu beeinträchtigen. Inwieweit Verbreitungs- und Verwertungshandlungen zum grundrechtlichen Schutzbereich gehören, ist bereits bei der Frage nach dem Kreis der Grundrechtsträger erörtert worden. Hervorzuheben ist, daß Verbreitungshandlungen nur dann zum geschützten Wirkbereich gezählt werden können, wenn es um die Weitergabe des Kunstwerks selbst geht. Presseerklärungen oder Flugblätter, bei denen die Mitteilung eines Kunstwerkes in eine Meinungskundgabe etwa zu Strafverfolgungsmaßnahmen gegenüber dem Kunstwerk eingebettet ist, fallen dagegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG 319 Richten sich staatliche Maßnahmen in solchen Fällen aber "gezielt und ausschließlich" gegen das in diesem Rahmen verbreitete Kunstwerk, tritt die Meinungsfreiheit wieder hinter der Kunstfreiheit zurück 320. Diese Ausführungen zeigen, daß generelle Überlegungen zu Modalitäten und bereichsspezifischen Abgrenzungen die eigentlich kritischen Fälle nicht durch Exemtion aus dem Grundrechtsbereich ihrer freiheitsrechtlichen Brisanz entkleiden können.
316 So Starck, in: v. Mangoldt/Klein/S tarck, GG, Art. 5 Rdnr. 208. Für die Einbeziehung der Materialbeschaffung in den Garantiebereich Godbersen, SchlHA 1984, 33. 317 Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 18. 318 Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 18. 319 BVerfGE 81, 298 (305). Vgl. aber insoweit die Differenzierungen des Gerichts. 320 BVerfGE 81, 306.
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis 6. Verfassungsimmanente
Schranken
a) Wertordnungsdenken der Verfassungsrechtsprechung In der die gesamte weitere Diskussion prägenden Mephisto-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht nach Ablehnung direkter oder analoger Anleihen bei anderen Grundrechten versucht, die Beschränkung der vorbehaltlos gewährten Kunstfreiheit im Rekurs auf das von der Verfassung vorausgesetzte Bild des "Menschen als eigenverantwortlicher Persönlichkeit, die sich innerhalb der sozialen Gemeinschaft frei entfaltet" zu lösen321. Nur die Verfassung selbst könne das vorbehaltlos gewährte Grundrecht der Kunstfreiheit begrenzen: "Da die Kunstfreiheit keinen Vorbehalt für den einfachen Gesetzgeber enthält, darf sie weder durch die allgemeine Rechtsordnung noch durch eine unbestimmte Klausel relativiert werden, welche ohne verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt und ohne ausreichende rechtsstaatliche Sicherung auf eine Gefahrdung der für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendigen Güter abhebt. Vielmehr ist ein im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie zu berücksichtigender Konflikt nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen. Als Teil des grundrechtlichen Wertsystems ist die Kunstfreiheit insbesondere der in Art. 1 GG garantierten Würde des Menschen zugeordnet, die als oberster Wert das ganze grundrechtliche Wertsystem beherrscht" 322. Diese Auffassung begegnet dem zwangsläufigen Einwand, daß die proklamative Präsentation der interpretativ zu sichernden Verfassungsharmonie den Leerformelcharakter dieses Lösungsversuchs nicht verdeckt: "Das klingt gewichtig und besagt doch gar nichts"323. Der Bezug auf die grundgesetzliche Wertordnung weckt die Kritik des verfassungsrechtlichen Wertedenkens, die 321 BVerfGE 30, 173, 191 ff. (Zitat 193), so jetzt auch BVerfG, NJW 1985, 261 f. Vgl. diese Argumentationsrichtung aber schon bei Erhel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 120 f. Den rechtsgeschichtlichen Prozeß der Restriktion staatlicher Eingriffsbefugnisse, der im Mephisto-Urteil kulminiert, hat Hamann, VerwArch 1984, 15 ff. prägnant zusammengefaßt. 322 BVerfGE 30, 173 (193). 323 Schmidt, NJW 1973, 586. So auch Bethge, S. 263 ff.: "Schon die sophistische und der Elastizität und Plausibilität deutscher Rechtssprache einiges abverlangende Zauberformel, die Freiheit der Kunst sei zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos gewährt, ist genau das Kaninchen im Hute des Justizsyllogismus, mit Hilfe dessen die Not des Rechtsanwenders in eine Tugend umgewandelt werden soll" (264). A.A. Schmitt-Glaeser, WissR 1974, 184 f., der jeglichen "Begrenzungsautomatismus" in der Entscheidung vermieden sieht.
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
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auf die Unwägbarkeit und Instabilität wertbezogener Konfliktlösung in einer ungesicherten Wertrangordnung des Grundgesetzes hingewiesen hat 324 . Eine Bestätigung dieser Unzulänglichkeit wurde im Mephisto-Urteil vor allem in der den Art. 1 Abs. 1 GG überfrachtenden Verfassungsabsicherung des Ehrenschutzes gesehen325. Diese Auslegungspraxis eröffnet in der Tat die Gefahr über die Ausfüllungsbedürftigkeit verfassungsrechtlicher Regelungen letztlich den kompletten Bestand unterverfassungsrechtlicher Normen zur Begrenzung des Grundrechtsschutzes einzusetzen326. Im Ergebnis wurde in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine Wiederbelebung der ausgeschlossenen Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG gesehen, da es "wohl kaum ein ernsthaft relevantes Gut, das nicht in irgendeiner Weise als Verfassungsgut erscheint", gibt 327 . Die ganze Interpretation des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG steht und fällt mit der Aufschlüsselung des "Irgendwie" der Wertekonstruktion. Welche aporetischen Nöte das Bundesverfassungsgericht dem Verfassungsinterpreten beschert, wird besonders deutlich in dem Versuch, die Wertordnungslösung selbst von analogen Anleihen an den Gemeinschaftsvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG freizuhalten, wenn sich zugleich unter Bezug auf die ständige Verfassungsgerichtsrechtsprechung die Wertordnung über das Bild vom Menschen "innerhalb der sozialen "Gemeinschaft" konturieren soll 328 . In diesem 324
Bethge, S. 268 ff.; Forsthoff.\ Rechtsstaat im Wandel, S. 254 f.; Rupp, DVB1 1972, 67; Denninger, JZ 1975, 546 f.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 20 f.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 38 ff.; umfassend Goerlich, Wertordnung, S. 135 ff. 325 Bethge,, S. 264 f.; Kriele, VVDStRL 30, 160 f.; anders Lerche, BayVBl 1974, 183. 326 Walter Schmidt, NJW 1973, 587: "...die ursprünglich stärksten Freiheitsrechte könnten die schwächsten werden". Weiterhin Bethge, S. 265 f.; Heinz, S. 55 f. Ferner zum Verhältnis von Verfassung und einfachem Gesetzesrecht vgl. Lerche, FS-Maunz, S. 285 ff. 327 Lerche, BayVBl 1974, 189. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 308 erkennt "Etikettenschwindel" in der Entscheidung des OLG Karlsruhe, NJW 1972, 1810 f. ("Staeck"), wo das Namensrecht der CDU als Ausfluß der Menschenwürde rangiert. Gegen die Zustimmung Schwabes "wegen der praktischen Notwendigkeit" ist kritisch zu vermerken, daß die Mittel der Satire nicht in der der Schonung des Erkenntnisvermögens eines breiten Publikums ermittelt werden dürfen (Satire ohne Irritation ist keine Satire!) und der satirische Gebrauch eines Signets mit Ausnahme von Mißbrauchsfallen - etwa in kommerzieller Nutzungsabsicht - nicht ohne weiteres geeignet ist, ein Namensrecht zu beeinträchtigen. - BVerwG, DÖV 1981, 342 begründet die Zulässigkeit des Sondernutzungserlaubnisverfahrens für die Aufstellung künstlerischer Plastiken in der Fußgängerzone mit den Rechten anderer (Sicherheit des Straßenverkehrs) aus Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG. Vgl. zur Problematik von Kunst in Fußgängerzonen Hufen, DÖV 1983, 353 ff. 328 BVerfGE 30, 173 (192 f.) (Hervorhebung vom Verfasser).
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Sinne liegt in der Mephisto-Entscheidung insoweit auch keine echte argumentative oder praktische Zäsur zu der vielfach kritisierten Rechtsprechungstradition des Bundesverwaltungsgerichts, die im Sünderin-Urteil 329 begründet, die künstlerische Freiheitsausübung begrenzt, "wenn dadurch ein anderes Grundrecht verletzt wird oder Güter, die für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendig sind, gefährdet werden" 330. Die Kritik der Unbestimmtheit des Gemeinschaftsvorbehalts 331 ist auch durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht aufgefangen worden, so daß die Schrankenfrage als weitgehend offen gesehen wurde 332.
b) Nichtstörerschranken analog Art. 2 Abs. 1 GG Die erforderliche Integration der Kunstfreiheit in eine "Gegenseitigkeitsrechtsordnung" 333 bedingt die entmystifizierende Konkretisierung der verfassungsrechtlich entworfenen Wertordnungsidee. Verständlich wird, daß der vage Ausgangspunkt der Schrankengewinnung auch für prinzipielle Befürworter kein Hinderungsgrund gewesen ist, konstruktiv scheinbar ausgeschlossene Schranken zu restaurieren. Diese Versuche orientieren sich maßgeblich an dem Entwurf Dürigs 334, aus der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG eine allgemeine Systematik grundrechtsimmanenter Schranken zu folgern 335. Neben der rechtslogisch immanenten Schranke der Rechte anderer treten eine ethisch-immanente und eine gesellschaftlich-immanente Schranke, die durch das Sittengesetz und die verfassungsmäßige Ordnung bezeichnet werden. Der von Erbel im Anschluß an die Persönlichkeitskerntheorie von Peters vorgestellte Ansatz eng auszulegender Elementarschranken des Art. 2 Abs. 1 GG, die, gleichsam den anderen Freiheitsrechten innewohnend, nurmehr her-
329 BVerwG 1, 303 (307) - Zu dem Zusammenhang vgl. auch v. Münch, GGK, Art.5 Rdnr. 64. 330 Vgl. auch Kriele, VVDStRL 30, 160 f.: "Der Gemeinschaftsvorbehalt ist unentbehrlich". 331 Dazu Böckenförde/Greijfenhagen, JuS 1966, 363; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 117 f.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 52 ff. 332 Knies, Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1436; Rupp, DVB1 1972, 67. 333 Bethge, S. 270; Scheuner, VVDStRL 22, 80. 334 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 69 ff. 333 Nachweise im Folgenden.
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
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ausgelesen werden müssen336, unterscheidet sich von dieser Konzeption vorrangig durch den veränderten grundrechtsdogmatischen Ausgangspunkt im Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG und der methodischen Hinführung zu einem restriktiven Entwurf der Schrankentrias. Da beide Konzeptionen in der Behandlung der Rechte anderer und des Sittengesetzes übereinstimmen, andererseits die von Dürig genannte gesellschaftlich-immanente Schranke explikationsbedürftig ist, sei diese Kontroverse ausgespart337. Der Vorschlag der drei "primitiven Nichtstörerschranken" ist vor allem hinsichtlich der dritten Bedeutungskomponente, der "gesellschaftlichimmanenten Schranke", kritisch aufgenommen worden 338. Dürig stellt fest, "daß von dem Begriff incidenter jene primitiven Ordnungsnormen umschlossen sind, die in allen Kulturstaaten zur Wahrung eines gedeihlichen menschlichen Zusammenlebens unerläßlich sind". 339 Diese offene Formel wird durch die Verbotsnormen des Strafrechts und die polizeiliche Generalermächtigung im Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung expliziert. Kritisch wurde gegen diese Auffassung vermerkt, daß der einfache Gesetzgeber durch die Aufnahme neuer Straftatbestände über den künstlerischen Geltungsanspruch im Rahmen der allgemeinen Gesetze verfügen könnte340. Gleiches gelte für den Rekurs auf die polizeiliche Generalklausel. Während die öffentliche Sicherheit mit den strafrechtlich geschützten Rechtsgütern koinzidiert und demgegenüber keine echte Schrankenerweiterung bedingt, finden sich in der öffentlichen Ordnung darüber hinausgehende nichtpositivierte Gemeinwohlforderungen, die nach dieser Auffassung inhaltlich zu unpräzise wären, um eine grundrechtswahrende Schrankenziehung zu ermöglichen341. Die grundrechtlich gebotene Limitierung der Rechtsordnung bliebe letztlich zirkulär, wenn sich die Reichweite der staatlichen Eingriffsmöglichkeit über sie bestimmte, da damit das zu Begrenzende und die Grenze zusammenfallen 342. 336
Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 120 f. Zum Meinungsstand in der Kontroverse zwischen dem Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG als Recht der freien Persönlichkeitsentfaltung oder dem Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit, vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 6 ff. 338 Bär, Filmfreiheit, S. 174 ff.; Böckenförde/Greijfenhagen, JuS 1966, 363; Stein, Staatsrecht, S. 200; vgl. ferner auch Kriele, JA 1984, 638. 339 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 75 ff. 340 Schäuble, Kunstförderung, S. 185; Bär, Filmfreiheit, S. 176 f.; vgl. ferner auch Ropertz, S. 121 ff. 341 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 55. 342 Vgl. Böckenförde/Greijfenhagen, JuS 1966, 363; Bär, Filmfreiheit, S. 174 m.w.N. Weitere kritische Stimmen vgl. bei Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 81. 337
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1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Auch darin folge diese Auffassung der unzulässigen Schranke aus Art. 5 Abs. 2 GG. Diese Kritik ist insoweit aufzunehmen, als die restriktive, materiell ausfüllungsbedürftige Schrankengewinnung des Bundesverfassungsgerichts nicht zur allgemeinen Zulässigkeit extensiver Konstruktionen werden darf, die die Vorbehaltlosigkeit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Auch wenn kein Verfassungsinterpret den offenen Widerspruch eingeht, über die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung als der "Summe der materiell und formell verfassungsgemäßen Rechtsnormen"343 die Kunstfreiheit der völligen Disposition durch den Gesetzgeber zu unterstellen und damit zuvor verworfene Schrankenkonstruktionen wiederzubeleben, muß die Gefahr diffuser Anknüpfungspunkte in der Verfassung weitgehend eingedämmt werden 344.
c) Verfassungsrechtliches "Minimum" Die offene Grundrechtsdogmatik zur Schrankenkonstruktion vorbehaltlos gewährter Freiheitsrechte wäre leichtfertig mit dem Hinweis auf unzulängliche Interpretationsentwürfe abgetan, wenn die unbestimmten oder zirkulären Argumentationen nicht notwendiger Ausdruck verfassungstheoretischer Entwürfe im Rahmen eines durch den Verfassungsgeber nicht geregelten Problemkreises wären. Die fehlende Normierung im Rahmen einer ungesicherten Schrankensystematik und offenen Verfassung 345 macht Bestimmtheitsmängel auf der Verfassungsebene abstrakter Schrankengewinnung unabdingbar. Erforderlich wird es daher sein, nach der Schrankenkonstruktion auf die Methode zur Konkretisierung einzelfallbezogener Grundrechtskonflikte einzugehen. Trotz der Bestimmtheitsdefizite, die insbesondere den Lösungsversuchen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts angelastet wurden, und der Gefahrenmomente extensiver Ausfüllung von wertordnungsund gemeinschaftsorientierten Konzeptionen durch vermeintlich elementare Nichtstörerschranken liegt hier ein berechtigter Argumentationskern, der in
343
BVerfGE 6, 32. Vgl. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 110; Kriele, JA 1984 635; v. Mutius, VerwArch 1972, 77; Starck, in: v. Mawgo/^/Klein/Starck, GG, Art. 5 Bs. 3 Rdnr. 206. Gegenüber Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 51 ff.; vgl. Hufen, Freiheit der Kunst, S. 128 ff. 345 Vgl. Müller, Freiheit der Kunst, S. 20: "Das Ganze der Verfassung ist weder von normativer Kontur noch von normativer Qualität". 344
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
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seinem verfassungsrechtlichen Gehalt materialer Gerechtigkeit nicht angezweifelt werden kann. Danach werden alle grundrechtlich geschützten Rechtsgüter anderer erfaßt, die gemäß Art. 3 Abs. 1 GG der Kunstfreiheit gegenüber prinzipiell gleichrangig sind und in der konkreten Grundrechtsausübung ein kollisionslösendes Verfahren erfordern 346. Die Schrankenlegitimation durch ein materiales Gerechtigkeitsideal, das in Art. 3 Abs. 1 GG positiviert ist und darüber hinaus seine Prägung im Demokratieprinzip erfahrt, wird durch die Überlegung von Stein argumentativ verstärkt, daß aus der "prinzipiellen Staatsgerichtetheit der Grundrechte" ein Grundrechtsanspruch auf Schädigung Dritter ausgeschlossen ist 347 . Komplementär würde dieses Ergebnis auch durch den besonderen Geltungsanspruch der Grundrechte im klassischen Rahmen der allgemeinen Regeln mittelbarer Drittwirkung getragen348. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht bei gegebenem "verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt" unter Berücksichtigung des Rechtsstaatsprinzips für die Schrankengewinnung "auf eine Gefahrdung der für den Bestand der staatlichen Gemeinschaft notwendigen Güter" abgestellt349. Der verfassungsgerichtliche Bezug auf die grundgesetzliche Wertordnung zur Absicherung notwendiger Gemeinschaftsgüter läßt zwei ineinandergreifende Begründungen zu. Eine Kunstausübung, die ihre eigenen systemischen Voraussetzungen, die Elemente einer freiheitlich demokratischen Grundordnung, abgräbt, begibt sich unter der Geltung eines interessenstabilisierenden Prinzips beschränkter Toleranz des eigenen Schutzes350. Zugleich verstärkt der Gemeinschaftsschutz die institutionellen Voraussetzungen der Freiheitsausübung anderer im Grundrechtskontext. Danach stellt erst eine funktionierende staatliche Ordnung die Effektivität des Grundrechtsschutzes sicher 351. 346
Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 59. Stein, Staatsrecht, S. 200. 348 Dazu ausführlich Kriele, JA 1984, 632 ff. Ausführliche Kritik der Drittwirkungslehre vgl. die Urteilsanmerkung zur Mephisto-Entscheidung von Schwabe, DVB1 1971, 689 ff. Weiterhin Lerche, BayVBl 1974, 181. Das Ausbleiben einer umfassenden Untersuchung dieser dogmatischen Konstruktion ist aber nicht allein durch den Untersuchungsrahmen gedeckt, sondern vorrangig durch die Tatsache, daß die Regeln mittelbarer Drittwirkung der "Wertordnung" des Grundgesetzes entspringen (vgl. Kriele, S. 635) und somit letztlich zu der ausfüllungsbedürftigen Argumentationsfigur zurückführen. 349 BVerfGE 30, 173 (193). 350 Zu dieser Argumentation vgl. auch Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 120 f. Vgl. aber allgemein zu den Möglichkeiten einer "Toleranz gegenüber der Intoleranz" Rawls, S. 246 ff. 351 BVerfGE 81, 278 (292) ("Verunglimpfung der Bundesflagge"). 347
106
1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
Die Rückführung der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts auf den materiellen Verbund institutioneller und personal freiheitsrechtlicher Sicherungen nimmt der kritisierten Argumentationsfigur der grundrechtlichen Wertordnung ihren spekulativen Charakter, so daß eine verfassungsgerechtere Schrankendeduktion möglich wird. Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Verbringungsgesetz demgemäß den allgemeinen Konflikt mit der grundgesetzlichen Wertordnung zu den obersten Grundwerten der Verfassung, wie den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und ihrer freiheitlichen demokratischen Grundordnung verdichtet 352. Darin liegt keine "Reduktion" der in der Mephisto-Entscheidung aufgestellten Grundsätze353, sondern eine die ratio vorbehaltloser Schrankenregelungen treffende Argumentation, unverzichtbare Gemeinschaftswerte der Disposition des Grundrechtsträgers zu entziehen. Selbst wenn in weniger extremen Situationen nicht die obersten Grundwerte der Verfassung, sondern "lediglich" andere verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter betroffen sind, kommt Art. 5 Abs. 3 S.l GG kein unbedingter Vorrang zu 354 . Zu Recht hat der Bundesgerichtshof festgestellt, daß etwa in den Fällen einer rechtswidrig aufgedrängten Kunst die Kunstfreiheit in der Regel ihre Grenze an der Eigentumsgarantie finde 355. Auch in solchen Fällen sind konkret fallbezogene Einzelabwägungen erforderlich, um die Kollisionslagen in eine konkordante Optimierung der betroffenen Verfassungsgüter aufzulösen. Auch die Geltung des Sittengesetzes als ethisch-immanente Grundrechtsschranke der Kunstfreiheit kann nicht prinzipiell bestritten werden 356. Als wertausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff 357 rührt seine kunstfreiheitsgefahrdende Brisanz aber von solchen auch außerrechtlichen Lesarten, die die 352 BVerfGE 33, 52 (71) ("Der lachende Mann"); zustimmend OLG Köln, Afp 1977, 231 ff. und 1978, 223. Kritisch Heinz, S. 55 ff.; Würtenberger, JR 1979, 312. 353 Die Kritik Lerches, BayVBl 1974, 180 f. basiert auf der großzügigen Ableitungsfreiheit im Rahmen des Art. 5 Abs. 2 GG, die den Grundsätzen der MephistoEntscheidung entgegensteht. 354 BVerfGE 81, 278 (292) ("Verunglimpfung der Bundesflagge"). 355 BGH, NJW 1995, 1556 ff. ("Beteiligung der Künstler am Verkaufserlös der Berliner Mauer-Bilder"). 356 Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 122; ders., Die neue Ordnung 1966, 444 f.; ferner ders., VerwArch 1968, 197 ff ; Ropertz, S. 111 ff.; Schäuble, Kunstförderung, S. 183 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 61. A.A. Wülfing, S. 114 ff.; v. Hartlieb, Freiheit der Kunst, S. 47 ff.; dagegen zutreffend Erbel, FuR 1969, 317 f. 357 Grundlegend Erbel, Sittengesetz, S. 201, 254 ff.. 389 f. Im Anschluß daran Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 61.
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
107
künstlerische Freiheit in ein Korsett sittlicher Überzeugungen einspannen wollen, das dem pluralistischem Wesen der Verfassung fremd ist. Zweifelsfrei ist daher, daß die sittliche Neutralität des verfassungsrechtichen Kunstbegriffs kein kunstfeindliches Reservat einer antiquierten (Zwangs)Moral auf der Schrankenseite verträgt 358. Wenn somit das Sittengesetz von moralischen Teilverbindlichkeiten freizusetzen ist und als normative Kategorie pluralistischen Verfassungsfunktionen entsprechen soll, kann damit nur sein Verständnis als ein unabdingbares gemeinschaftliches Grundprinzip zulässig sein. In dieser Interpretation läßt sich das Sittengesetz fassen "als die Summe derjenigen Normen, welche die für ein soziales Zusammenleben unverzichtbare ethische Minimalbindung des einzelnen umschreiben"359.
d) Gesetzesvorbehalt versus Rechtsprechungsvorbehalt Unterverfassungsrechtliche Normen, insbesondere das Kriminalstrafrecht, die polizeiliche Generalklausel (gekürzt um die öffentliche Ordnung), bauästhetische Bestimmungen und der Jugendschutz können nur als Ausdruck dieser Verfassungselemente für die Schrankenziehung fruchtbar gemacht werden. Darin erweist sich, daß die immanente Begrenzung des Grundrechtsschutzes nicht ausschließlich einem Rechtsprechungsvorbehalt unterliegt 360, sondern auch die gesetzgeberische Regelungskompetenz insoweit eröffnet sein kann, wie es die notwendige Aktualisierung anderer gleichwertiger Rechtspositionen erfordert 361. Die Begründung der Schrankenkonstruktion muß sich vom simplen Entweder-Oder-Schema der Zulässigkeit des (allgemeinen) Gesetzesvorbehalts entfernen 362. Würde der Gesetzesvorbehalt schlechterdings zugunsten eines Judikaturvorbehalts geleugnet, hätte diese Praxis das rechtsstaatlich sonderlich anmutende Ergebnis zur Folge, daß die aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG bezogene Kasuistik richterlicher Entscheidung auch im grundrechtswahrenden Rekurs auf das einfache Gesetz nicht anders ausfallen würde, der Richter aber zum Tragen von "Scheuklappen" gegenüber der konkretisierenden Mittelstufe
358
Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 61. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 122; ders., Die neue Ordnung 1966,444 f. 360 Zur Ersetzung der Frage nach dem Gesetzesvorbehalt durch den Rechtsprechungsvorbehalt vgl. Knies, Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1436 kritisch. Ferner Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 E Rdnr. 11. 361 Vgl. ausführlich Bethge, S. 287 ff. 362 Lerche, BayVBl 1974, 182 erkennt aber keine "Vermutung" für den Gesetzgeber, wenn Art. 5 Abs. 2 GG abgelehnt wird. 359
108
1.Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
des abstraktgenerellen Gesetzes verpflichtet würde. Angesichts der Bindung der staatlichen Gewalten an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) und der damit verbundenen Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG an Rechtssetzung und -anwendung ist diese Ausblendung abzulehnen. In der Konkretisierung durch den Gesetzgeber sind nur solche (allgemeinen363) Gesetze zulässig, die den Geltungsanspruch der schutzwürdigen Verfassungswerte unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegenüber den gleichwertigen Verfassungspositionen einlösen364. Abgesehen vom normlogisch begründeten Konkretisierungsgefalle ist der verhältnismäßige Ausgleich verfassungsrechtlicher Schutzgüter durch den Gesetzgeber auf der Ebene des formellen Gesetzes Ausdruck desselben Rechtsgedankens, der die im Anschluß zu erörternde konkrete Grundrechtsprüfung prägt. Kollisionsausgleich läßt sich in diesem Sinne als ein mehrdimensionales Konkretisierungsverfahren begreifen, an dem in der Bindung an die Vorgaben der Verfassung alle Staatsgewalten beteiligt sein können, so daß die Polarisierung Gesetzesvorbehalt versus Urteilsvorbehalt zu relativieren ist 365 .
II. Kollisionslösendes Verfahren
Während die abstrakte Schrankenbetrachtung auf die Kollidierbarkeit der Kunstfreiheit mit anderen grundrechtlich ausgewiesenen Schutzgütern und damit ihre potentielle Begrenzung abstellt, verdichtet das kollisionslösende Verfahren die konkrete Grundrechtsprüfung zur Antwort, ob und in welcher Weise die Kunstausübung tatsächlich zurückzutreten habe366. Für die mit der abstrakten Schrankengewinnung verbundenen Einzelfallbetrachtung sind in der Grundrechtsdogmatik zumindest terminologisch recht uneinheitliche Maßgaben aufgestellt worden. Eine Scheinlösung wäre es, die Normkonkretisierungsaufgabe durch die Reflexion auf die abstrakte Stärke der Grundrechte oder Verfassungswerte zu 363 Ohne die immerwährende Diskussion der "allgemeinen Gesetze" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG hier aufzurollen, soll Allgemeinheit danach die - selbstverständliche - Unzulässigkeit von einschränkenden Sondergesetzen deklarieren. 364 Vgl. Bethge, S. 287 ff.; Hoffmann, NJW 1985, 242; Konrad Hesse, S. 124 ff. Ferner Rühl, DuR 1983, 376. 365 Vgl. den "Schritt vom Gesetzesvorbehalt zum Urteilsvorbehalt" Bethge, S. 278 m.w.N. Vgl. Ossenbühl, Der Staat Bd. 10, S. 80 f. zu den Möglichkeiten einer abstrakt-generellen Rechtsgüterabwägung. 366 Vgl. Benda, Die neue Ordnung 1982, 355.
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
109
umgehen, ohne die einzelnen Umstände der Freiheitsausübung zu beachten367. Paradigmatisch erweist sich das in der Kollision der vorbehaltlos gewährten Glaubens- und Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG mit der Kunstfreiheit 368. Eine abstrakte Güterabwägung, die die Stärke der Grundrechte etwa von Grundrechtsvorbehalten abhängig machen wollte 369 , würde den Verfassungsinterpreten einem Dilemma aussetzen und im notwendigen "Reparaturversuch" durch den Einbau von Einzelfallelementen die Unzulänglichkeit des Verfahrens belegen. So wie auch der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes kein Grundrecht leerlaufen lassen darf, läßt sich auch im Verhältnis der Geltungsansprüche zweier Verfassungsbestimmungen grundsätzlich kein allgemeiner Prioritätsgrundsatz angeben370. Eine prägnante Ausnahme von diesem Grundsatz wird man im Recht auf Leben als "vitale Basis der Menschenwürde"371 sehen. Wenn dagegen die Notwendigkeit eines konkreten Ausgleichs widerstreitender Rechtsgüter akzeptiert wird, hat das konkurrierende Angebot von Güterabwägung372, Verhältnismäßigkeitsprinzip 373, praktischer Konkordanz 374 und Wechselwirkungstheorie 375 nachgeordnete Bedeutung. Die von Hoffmann befürchtete Erschütterung des allgemeinen Rechtsbewußtseins im Widerspruch eines unverletzlichen Freiheitsversprechens und seiner Einschränkung, die er in Verbindung mit der Gefahrdung der Rechtsanwendungsgleichheit gegenüber einer konkretisierenden Jurisdiktion als einen ausreichenden Ablehnungsgrund solcher Verfahren ansieht, ist auch in der von ihm bevorzugten
367
Konrad Hesse, S. 127 f.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 38 ff.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 22 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 57, 65 f., 69; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 317 ff. m.w.N.; Stein, Staatsrecht, S. 201; Würtenberger, NJW 1982, 615; Zechlin, KJ 1982, 251 f. kritisch zu AG Köln, KJ 1982, 198 f. 368 Vgl. etwa OLG Koblenz, NJW 1997, S. 1174 ff. ("Das Maria-Syndrom"). 369 Dazu Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 318. 370 Kriele, Juristische Hermeneutik, S. 155 f. 371 BVerfGE 39, 1 (42). 372 Grundlegend BVerfGE 30, 173 (195). 373 OLG Hamburg, NJW 1984, 1131 ("Hexenjagd"); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rndr. 57, 65 ff.; Würtenberger, NJW 1982, 615. 374 Konrad Hesse, S. 127 f.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 22 ff.; Zechlin, NJW 1984, 1093; Zöbeley, NJW 1985, 256 f. 375 Vgl. Kriele, Juristische Hermeneutik, S. 155 f. führt das Prinzip der Wechselwirkung im Verhältnis zweier Grundrechte aus; ferner ders., JA 1984, 637 f. Zum Zusammenhang von Wechselwirkung und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vgl. Schneider, Güterabwägung, S. 31 ff.
110
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
"Modalitätentheorie'1 nicht gebannt376. Vielmehr handelt es sich zum einen um das allgemeine Problem professionalisierter Normanwendung, die dem Grundrechtsträger transparent gemacht werden muß, und zum anderen um die Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes in einzelfallbezogenen Verfahren, der nachzugehen sein wird. Die bedingte Trennschärfe im Blick auf die genannten Verfahren erweist sich zunächst darin, daß im Rahmen einer richtig praktizierten Güterabwägung der Gedanke praktischer Konkordanz erhalten bleibt, beiden Verfassungswerten zur optimalen Koexistenz zu verhelfen 377. Andererseits ändert das nichts an der Beurteilung von Fällen, in denen die eine Grundrechtsverwirklichung die andere ausschließt. Würde sich etwa der Vater des "Orgienund Mysterientheaters" Hermann Nitsch veranlaßt sehen, eine Fronleichnamsprozession durch einen eigenen Zuganteil zu ergänzen378, würden wohl Vorschläge zur Optimierung von Religions- und Kunstfreiheit an der Sache vorbeigehen, da die angestrebte Koinzidenz von Ort und Zeit eine ordnungsrechtliche Zwischenlösung nicht verträgt, ohne die konkret angestrebte Grundrechtsverwirklichung maßgeblich zu verändern. Auch die Differenzierung von Übermaßverbot (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit) und Güterabwägungsprinzip, die Scholz seiner Untersuchung zugrundelegt379, kann entsprechend relativiert werden. Scholz, der unter Berufung auf Lerche das Übermaßverbot bzw. das Prinzip des verhältnismäßigen Ausgleichs als "methodisch richtigen und genauen Ansatz" der Güterabwägung vorzieht, ist daran zu erinnern, daß Lerche den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich als einen Anwendungsfall des Prinzips der Güterabwägung ausgewiesen hat 380 . 376
Hoffmann, NJW 1985, 243 f.m.w.N. Zur Redlichkeit des Verfassungsinterpreten auch Isensee, Freiheitsrechte, S. 31. Die Konfrontation des Grundrechtsträgers mit der Aufschlüsselung des Normtextes "Die Kunst ist frei" in mehr oder wenige freie Verwirklichungsformen setzt keine Unterschiede in der Vermittlung des Normverständnisses. 377 Schwabe, Probleme der Grundrechtdogmatik, S. 321. Zutreffend die Einebnung von Güterabwägung, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne und praktischer Konkordanz bei Harald Schneider, Güterabwägung, S. 202 ff. Ferner Saenger, S. 145 ff. 378 Zur blasphemischen "Antithese" Nitschs vgl. Thomas, Sachwörterbuch, S. 159 ff. Zum Verhältnis von Religion und Kunst vgl. Mennekes, S. 81 ff. 379 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rndr. 66. 380 Lerche, Übermaß, S. 22. Allerdings ders. auch kritisch gegenüber einer nicht differenzierten Güterabwägung vgl. S. 129 ff. Ablehnend gegenüber der Relativierung des gleichfalls vorbehaltlos gewährten Rechts der Glaubensfreiheit durch eine "unbestimmte Güterabwägungsklausel" auch BVerfGE 33, 23 (29).
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
111
Die Bedingtheit der terminologischen Abschichtungsversuche führt zur sachlichen Gemeinsamkeit in der einzelfallbezogenen Lösung kollidierender Schutzpositionen der Verfassung: Eine Einschränkung der Grundrechtsverwirklichung (Mittel) darf zur Verwirklichung eines gleichrangigen oder höherrangigen Schutzgutes (Zweck) nicht unangemessen sein. In Fällen, in denen beide Rechtspositionen zur Geltung gebracht werden können, wird besonders deutlich, daß das Zweck-MittelVerhältnis auch umkehrbar ist, da das Mittel, das einem Rechtsgut gegenüber dem anderen zur Teilunwirksamkeit verhilft, darin zugleich dessen Umfang einschränkt, um das beschränkte ebenfalls nicht leerlaufen zu lassen. Die Relativität der Zweck-Mittel-Beziehung381 veranschaulicht, daß das Verhältnismäßigkeitsprinzip in den Grundsatz der Güterabwägung eingebunden bleibt, da der Verfassungsinterpret immer über (mindestens) zwei Rechtsgüter disponiert. Im Gegensatz zu einer abstrakt nicht entscheidbaren Gegenüberstellung von Grundrechten oder gleichwertiger Verfassungsgüter kommt es im Fall der verhältnismäßigen Zuordnung aber auf die Berücksichtigung aller relevanter Umstände des Einzelfalls an 382 . Für die abwägende Beurteilung der Angemessenheit einer Einschränkung der Kunstfreiheit sind danach die Modalitäten der Grundrechtsverwirklichung, insbesondere Art und Umfang der durch das Kunstwerk geschaffenen oder beabsichtigten Verletzung des fremden Rechtsguts, unter Berücksichtigung der Intensität der (erforderlichen) Eingriffsmaßnahme zu ermitteln 383. Im Gegensatz zur "Bereichsdogmatik" sind aber abstrakte Vorüberlegungen zur typischen Verlaufsstruktur künstlerischer Prozesse gegen im oben dargelegten Sinne zu objektivierende Selbstverständnisbezeugungen des Grundrechtsträgers zur Erfassung des relevanten Gehalts der Grundrechtspraxis einzutauschen. Darin liegt keine Patentregel. Ein ausgreifender Dezisionismus kann aber vor allem dann verhindert werden, wenn erkannt wird, daß immer nur ein Sektor des umfassenden Freiheitsrechts betroffen ist 384 , dessen Bedeutung über das Selbstverständnis in den Gesamtkontext der Freiheitsausübung eingeordnet werden kann. In dieser Orientierung wird eine prästabilierte Wertrangordnung oder ihr subtiles Gegenstück, eine sachbereichsspezifische Typologie, durch eine Präzisierung der konkreten Grundrechtsverwirklichung im Rekurs auf die gesamte Ausprägung der "Freiheitsexistenz" des Grundrechtsträgers ersetzt. 381
Dazu Schlink, Abwägung, S. 203 ff. So auch BVerfGE 30, 173 (195). 383 Kritik an der Mephisto-Entscheidung, soweit das Bundesverfassungsgericht die Einzelfallerwägung seiner Kompetenz nicht zurechnet bei Harald Schneider, Güterabwägung, S. 213. 384 Dazu Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 319 ff. 382
112
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis I I I . Übersicht zur Problematik der Grundrechtskonkurrenzen
Bisher ist die Frage, welchen Beschränkungen die künstlerische Freiheit unterliegt, nach Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG isoliert von anderen Grundrechten betrachtet worden. Eine künstlerische Äußerung, die zugleich einen anderen Grundrechtstatbestand verwirklicht, könnte im Fall schrankendivergenter 385 Rechtsfolgen andere Beurteilungen erforderlich machen. Eine gleichzeitige Inanspruchnahme der Meinungs-, Versammlungs-, Koalitions-, Berufs- oder Eigentumsfreiheit könnte im Rahmen der expliziten Schrankenvorbehalte dieser Grundrechte die Vorbehaltlosigkeit der Kunstfreiheit relativieren, d.h. den Schutz der Kunstfreiheit vermindern oder eine modifizierende Zusammenschau der Beschränkungsmöglichkeiten erforderlich machen. Die Lösung dieser Grundrechtskonkurrenzen kann sich weder auf eine allgemein noch für Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG einheitliche Konkurrenzenlehre stützen386. Die wechselnde Terminologie und die grundrechtsdogmatische Zurückhaltung in der Problemermittlung präsentiert auch keine klaren "Frontlinien", die einer Erörterung zugrundegelegt werden könnten. In der vorliegenden Untersuchung soll in der Beurteilung von Konkurrenzlagen zwischen Spezialität und Idealkonkurrenz differenziert werden, soweit nicht eine Scheinkonkurrenz vorliegt 387.
1. Scheinkonkurrenz
Von der Kategorie der Scheinkonkurrenz werden solche Fälle erfaßt, in denen sich das Verhalten des Grundrechtsträgers zwar als Freiheitsverwirklichung darstellt, bestimmten abschichtbaren Umständen aber kein grundrechtsspezifischer Charakter zukommt, so daß "weitere" Schranken anderer Grundrechte einschlägig sein können388. Soweit die künstlerische Tätigkeit nicht 385
Schrankenkongruente Regelungen, insbesondere im Fall der Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 5 Abs. 3 S. 1 (Wissenschaft) sind unproblematisch und eröffnen dem Grundrechtsträger eine Garantiekonkurrenz, die es ihm erlaubt, sich gleichermaßen auf beide Grundrechte zu berufen. Vgl. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 122 ff. Zustimmend Berg, S. 5. Skeptisch Harald Schneider, Güterabwägung, S. 110 m.w.N. 386 Vgl. Berkemann, NVwZ 1982, 85 ff. 387 Ähnlich Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 185 f.; Harald Schneider, Güterabwägung, S. 107 ff.; Berkemann, NVwZ 1982, 85 ff. 388 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art 1 Abs. 3 Rdnr. 185 f.; Rüfher, Grundrechtskonflikte, S. 474 ff.
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
113
einer mehr oder weniger festgeschriebenen Typologie künstlerischer Prozesse unterstellt wird, sondern die normative Betrachtung der Individualität und Subjektivität des Grundrechtsträgers nach den oben erarbeiteten Kriterien folgt, wird eine Scheinkonkurrenzlage erst nach völliger Ausschöpfung sämtlicher Tatbestandselemente anzugeben sein. Zur Begründung von Scheinkonkurrenzen kann dagegen nicht pauschal auf die vorbehaltlose Geltung der allgemeinen Rechtsordnung verwiesen werden, wenn dadurch die Kunstfreiheit vermeintlich unspezifisch beschränkt wird 389 . Die von Rüfner genannten Ladenschlußgesetze, denen auch der Kunsthändler im Rahmen zulässiger Regelungen der Berufsausübungsfreiheit unterworfen sei, mögen zwar als plausibles Beispiel erscheinen, da hier in der Tat regelmäßig nur eine "zufallige Berührung" 390 mit der Kunstfreiheit vorliegen wird. Im Fall des Galeristen, der die üblicherweise außerhalb der Ladenschlußzeiten stattfindenden Vernissagen nutzt, um Verkäufe durchzuführen, würde ein ordnungsrechtliches Verbot durchaus auch nach dieser Konzeption unter dem Gesichtspunkt der Kunstfreiheit zu behandeln sein, da hier die "typischen Vertriebsmöglichkeiten", die Rüfner erhalten wissen will, verstellt würden 391. Der Bezug auf die "unspezifischen allgemeinen Gesetze" der allgemeinen Rechtsordnung392 ersetzt somit nicht die für die Aufschlüsselung von Konkurrenzlagen erforderliche Tatbestandsanalyse393. Unter diesem Vorbehalt kann ein Beispiel in einer künstlerischen Versammlung unter freiem Himmel gefunden werden, deren äußere Ordnung den Schranken des Art. 8 Abs. 2 GG unterliegt, während für die Bewertung "interner" Umstände Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verbindlich ist 394 . In der Problematik des "Anachronistischen Zuges" war die exklusive Anwendung des Art. 8 Abs. 2 GG (Versammlungsgesetz) mit Hilfe der "Hauptzwecktheorie" durch den Verwaltungsgerichtshof München dagegen eine unzulässige Ausblendung der verfassungsrechtlich gebotenen Konkurrenzenlösung 395. Abgesehen von dem fallbezogenen Entschichtungsversuch des jeweiligen Geschehens in grundrechtsrelevante und neutrale Umstände ist politisches Straßentheater regelmäßig eine Artikulationsform, in der "äußere" Bedingungen (Ort, Zeit, etc.) eine integrale Stellung in der kol-
389
So Rüfner, Grundrechtskonflikte, S. 474 ff. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 186. 391 Rüfner, Grundrechtskonflikte, S. 475. 392 Rüfner, Grundrechtskonflikte, S. 474. 393 Vgl. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 324 ff. 394 Vgl. auch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 186, der diese Konstellationen aber gegenüber dem vorgenannten Fall differenziert. 395 VGH München, NJW 1981, 2428 f.; dazu kritisch Berkemann, NVwZ 1982, 85 ff.; Ott, NJW 1981, 2397 ff. 390
8 Palm
114
1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
lektiven Werkschöpfung einnehmen, da die Kunst in der Spannung von Fiktionalität und Realität, von gesellschaftlich sanktionierten Freiräumen und allgemeiner Kommunikationssphäre ihre (politische) Brisanz erfahrt 396.
2. Spezialität
Die Spezialität schreibt die Verbindlichkeit des Grundrechts vor, das gegenüber dem gleichfalls erfüllten zusätzliche Tatbestandsmerkmale aufführt 397 . Im Bild konzentrischer Kreise sind allein die Rechtsfolgen des erweiterten Kreises der speziellen Rechtsnorm für die Fallbeurteilung maßgeblich. Im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG ist Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG lex specialis398. Die Äußerung von Meinungen ist in sozial expansiver Kunst regelmäßig als integraler Bestandteil des künstlerischen Geschehens erkannt worden. Es konnte gezeigt werden, daß der künstlerischen Meinung entgegen der Kritik der "Aufwertungsthese" durch Knies 399 eine besondere Qualität zukommt, die sich wegen der Form und Offenheit künstlerischer Aussagen nicht im "bloßen" Meinen erschöpft. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist somit auch im Verhältnis zu Art. 5 Abs. 1 GG die speziellere Vorschrift 400.
3. Idealkonkurrenz
Im Fall der Idealkonkurenz läßt sich hinsichtlich der betroffenen Grundrechte kein Vorrangverhältnis angeben, so daß in der Metaphorik sich überschneidender Kreise beide Schrankenregelungen rechtsfolgebestimmend wä396
Vgl. Berkemann, NVwZ 1982, S. 87 zu der danach gebotenen differenzierten Auflösung der Idealkonkurrenz von Art. 8 Abs. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. 397 Vgl. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 326 f. 398 BVerfGE 30, 173 (192) unter Bezug auf die ständige Rechtsprechung; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 50; Bär, Filmfreiheit, S. 170 ff; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 85 ff. kritisch zu Durchbrechungen dieses Verhältnisses. 399 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 52 ff. 400 BVerfGE 30, 173 (191); BVerfGE 81, 278 (291) ("Verunglimpfung der Bundesflagge"); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 177; Müller, Freiheit der Kunst, S. 58 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 50. Differenzierend für Meinungsäußerungen, die im "Deckmantel der Kunstform" auftreten, vgl. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 129.
C. Schranken der personalen Kunstfreiheit
115
ren 401 . Der Grundrechtskonflikt läßt sich daher nicht einfach alternativ durch generelle Präferenz des stärkeren oder schwächeren Grundrechts auflösen 402, sondern entscheidet sich durch eine einzelfallbezogene modifizierende Zusammenschau beider (oder mehrerer) Grundrechte. Der Privilegierung der Kunstfreiheit genügt grundsätzlich aber nur eine Betrachtung, die die Vorbehaltlosigkeit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zur Richtschnur der Fallbehandlung macht403. Ein praktisches Beispiel wäre etwa die Verbotsverfügung gegenüber einem Künstler, der Bilder mit die Persönlichkeitsfreiheit Dritter verletzendem Inhalt in einer Galerie zum Verkauf anbieten will. Soweit man Art. 12 Abs. 1 GG die Berufstätigkeit des Künstlers und Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die berufliche Kunstausübung zuordnet, läge ein Fall überschneidender Tatbestandssektoren vor 404 . Hier könnte generell das stärkere Grundrecht der Kunstfreiheit gegenüber Art. 12 Abs. 1 GG vorgezogen werden. Andererseits kann auch die berufliche Tätigkeit in den Vordergrund der Betrachtung gestellt werden mit der Folge, in Konstellationen dieser Art ein berufsspezifisches Problem zu sehen. Letztlich käme im Rahmen einer Güterabwägung aber auch die zweite genannte Betrachtungsweise nicht umhin, die Berufstätigkeit als künstlerische zu qualifizieren. Soweit damit aufgrund dieser Qualifikation eine erhöhte Beschwer gegenüber sonstigen Berufen verbunden wäre, ist bei einer fallspezifischen Prüfung nicht mit Unterschieden in der Rechtsfolge zu rechnen405. Die praktische Bedeutung idealkonkurrenzlösender Verfahren ist erheblich durch die erörterte Notwendigkeit eingeschränkt, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen der Grundrechtsverwirklichung des Künstlers und anderer durch die Verfassung geschützter Positionen zu suchen. Die verfassungspragmatische Kontur, die das Grundrecht dadurch enthält, wird sich regelmäßig
401 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 186; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 394 ff. differenzierend; Rüfner, Grundrechtskonflikte, S. 476 f. ähnlich. 402 Vgl. die Schrifttumsübersicht bei Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 394 ff. 403 VG Köln, NJW 1983, 1212 (1213). Allgemein Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 186. 404 Vgl. zu diesem Beispiel Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 361 ff. 405 Zu den dogmatischen Betrachtungsmöglichkeiten vgl. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 361 ff.
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1 .Teil: Kunstfreiheitsgarantie als Ausgangsbasis
mit den Überlegungen decken, die im Rahmen einer idealkonkurrierenden Zusammenschau von Grundrechten als sachbereichsspezifische Entscheidungsgrundlagen ein modifiziertes Ergebnis legitimieren.
Zweiter Teil
Kunstforderung als Teil der Kulturverfassung A. Die Aufgabe "Kunstförderung 11 im Rahmen einer Staatsaufgabenlehre Der künstlerische Abwehranspruch in der Eingrenzung staatlichen Handelns als "Negativform" und erste Strukturierung selektiver Kunstpflege bezeichnet den trotz aller grundrechtsdogmatischen Kontroversen gesicherten Teil einer (Kultur)Staatsaufgabenlehre. Staatliche Kunstforderung in ihren Leistungsfunktionen wird dagegen als "Kulturpolitik des schlechten Gewissens" betrieben, wenn der Staat nicht dem Vorwurf begegnen kann, genuin gesellschaftliche Aufgaben in Konkurrenz zu privaten Kräften zu seinen eigenen zu erklären. Die Bestimmung einer Staatsaufgabe ergibt sich nicht im Rekurs auf eine gesicherte Dogmatik staatlichen Handelns, die angesichts einer Staatspraxis, die sich der Dynamik sozialer Veränderungen nicht entziehen kann, auch unwahrscheinlich bleibt. Eine verfassungsrechtlich zulässige Staatsaufgabe bedarf keiner ausdrücklichen verfassungsgesetzlichen Normierung, sondern kann sich neben konkludenten Regelungen wie dem Zuständigkeitskatalog der Art. 70 ff. GG auch im öffentlichen Rahmen politischer Prozesse als erforderlicher Regelungsgegenstand ausweisen. Allein das Fehlen einer bundesstaatlichen Kulturforderungsklausel begründet daher keinen Rückschluß auf die Unzulässigkeit bundesstaatlicher Kulturtätigkeit. Abgesehen von der damit angesprochenen föderalistischen Kompetenzproblematik ist nach den Maßgaben und Strukturierungsgeboten des Grundgesetzes in der Gestaltung kunstpflegender Staatstätigkeit zu fragen. Die Anbindung der Untersuchung staatlicher Kunstförderung an die von Ipsen zur Subvention entwickelte "Zwei-Stufen-Theorie", die zunächst nach dem "Ob" der staatlichen Leistungsverpflichtung und in einem weiteren Schritt nach dem "Wie" als der Art und Weise staatlichen Handelns fragt, wäre in diesem Sinne nicht zureichend1. Die dadurch bedingte Untersuchungsfolge
1
Ipsen, WDStRL 25, 297 ff; Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 94 ff.
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2. Teil: Kunstfbrderung als Teil der Kulturverfassung
würde der Wechselwirkung von Strukturierung, Zulässigkeit und Pflichtigkeit eines differenzierungsbedürftigen Aufgabenfeldes entraten. Die abstrakt lapidare Frage, ob ein unspezifisches Phänomen "Kunstfbrderung" staatlich bindenden Pflichtcharakter besitzt2, ist nicht zu beantworten. Ein empirisch als komplexes Aufgabenbündel feststellbares Staatshandeln würde auf den Subventionsbegriff zugeschnitten, ohne die diversen staatlichen Leistungsmodi zureichend zu erfassen. Dagegen ist es geboten, in der Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur explizite und konkludente Verfassungsaussagen in der Wechselwirkung zu den Sachgesetzlichkeiten des Lebensbereichs auf Strukturierungsgebote und Verfassungsdirektiven zu befragen, um die einzelnen verfassungsrechtlichen Momente zu einem Gesamtbild der Aufgabenbereiche zu verdichten.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstforderung I. Ableitung aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 G G 7. Förderung der Kunstfreiheit
Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als grundgesetzliche Kernaussage zum Verhältnis von Kunst und Staat wird vom überwiegenden Teil der Lehre und Rechtsprechung zur Begründung und Strukturierung staatlicher Kunstforderung herangezogen3. Jede Diskussion und Abgrenzung dieser Konzeptionen wird durch die grundrechtsdogmatische Hypothek belastet, die mit der verwickelten Erörterung des adäquaten Begriffs grundrechtlicher Freiheit im Schnittpunkt rechtlicher und politischer Einstellungen verbunden ist4. In der Differenzierung von positiver und negativer, rechtlicher und realer, individueller und überindividueller Freiheit erweist sich Freiheit als ein dehnungsfahiger Topos
2 Vgl. die kritischen Ausführungen von Roellecke, DÖV 1983, 654 zum Apriorismus in der Legitimation des Kulturstaats. 3 Bär, FuR 1983, 637; Graul, Künstlerische Urteile, S. 49 ff.; Heckel, Staat-KircheKunst, S. 76 ff., 89 ff., 95 ff.; Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 114 ff.; Hewig, BayVBl 1977, 38; Katholnigg, UFITA Bd. 38, S. 319; Kückelmann, UFITA Bd. 59, 129 in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip; Lerche, BayVBl 1974, 179; Rabe, S. 64 ff.; Ridder, Freiheit der Kunst, S. 23; Schäuble, Kunstförderung, S. 171 ff., 204 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art.5 Abs. 3 Rdnr. 6; Wolfrum, SchlHA 1984, 6. 4 Hierin liegt keine Exklusivproblematik des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Das zeigt sich z. B. auch in der durch die Staatsrechtslehrertagung 1984 aktualisierten Diskussion des Art. 12 GG. Vgl. etwa Lecheler, VVDStRL 43, 48 ff.; zur schillernden Struktur des Freiheitsbegriffs insbesondere auch Pietzcker, NVwZ 1984, 530 ff.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
119
des Verfassungsrechts, der reichhaltige Implementationen oft nur zum Preis eines vagen rechtlichen Bindungsgrades verträgt. Der im wesentlichen von Graul und Schäuble als Kunstförderungsauftrag erläuterte Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG soll im folgenden als Legitimations- und Strukturierungsversuch eines Konzeptes der Freiheitsförderung erörtert werden, da hier am ehesten Markierungspunkte und Grenzlinien zu erwarten sind, die einen Zugriff auf die verschiedenen Ansätze eröffnen. Die Kunstfreiheitsgarantie konstituiert nach Graul die Aufgabe, einen zur "Herstellung des erreichbaren Maximums an effektiver Kunstfreiheit unerläßlichen Beitrag zu leisten"5. Im Gegensatz zum klassisch liberalistischen Freiheitsverständnis orientiert sich diese Konzeption nicht allein am Freiheitsschutz des Bürgers gegenüber dem Staat, sondern bezieht zugleich die Gefahren mit ein, die einer freien Kunst im gesellschaftlichen Bereich drohen6. Als "Versuch zur Begrenzung der Staatsaufgaben"7 erhält der Staat die freie Kunst als außerstaatlichen Lebensbereich und enthält sich jeder Beeinflußung durch diesem Zweck gegenüber heteronomen Zielsetzungen8. Die Notwendigkeit der "Freiheitsförderung" gründet sich nach Graul auf eine veränderte soziokulturelle Ambiance, die maßgeblich durch den Wegfall privaten Mäzenatentums gekennzeichnet ist9 mit der Folge verstärkter Abhängigkeit der Künstler von staatlichen Leistungen10. Real sei künstlerische Freiheit nur, wenn sie in der Mittellage zwischen dieser und der gesellschaftlichen Abhängigkeit eingerichtet würde11.
2. Programmdefizite
der "Freiheitsförderung"
Die Gleichsetzung des Freiheitsbereichs von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG mit dem Gegenstand der Kunstförderung über die Umdeutung der negatorischen
5
Graul, Künstlerische Urteile, S. 52. Graul, Künstlerische Urteile, S. 50 f.; abgeschwächter zur Seite der privaten Kräfte hin Schäuble, Kunstförderung, S. 195 ff.; Heckel, Staat-Kirche-Kunst, S. 95 ff. 7 Vgl. den gleichnamigen Untertitel der Arbeit von Graul. 8 Graul, Künstlerische Urteile, S. 53; vorsichtiger Schäuble, Kunstförderung, S. 204 und passim, der neben der Förderung der freien Kunst noch subsidiäre Zwecke berücksichtigen will. 9 Diese These läßt sich empirisch nicht halten, vgl. Fohrbeck, Vom Zwielicht ins Rampenlicht, zur Relevanz des Mäzenatentums. 10 Graul, Künstlerische Urteile, S. 49 ff. 11 Graul, Künstlerische Urteile, S. 51, 85 f. 6
120
2. Teil: Kunstfrdeng als Teil der Kulturverfassung
Grundrechtsfunktion in einen staatlichen Leistungsauftrag ist zweifelhaft. Da die Vertreter dieser Auffassung einen unspezifischen subjektiven Förderanspruch ablehnen12, knüpfen sich die Zweifel nicht gegen den von Schwabe scharf kritisierten Zusammenhang von Freiheit und Leistung: "Man redet von Freiheit und meint die Alimente"13. Auch wenn man die leistungsstaatliche Implementation der Grundrechte, die Verschaffung der realen (materiellen) Voraussetzungen der Freiheitsausübung für notwendig erachtet14 und in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zu Recht mehr als eine "Abwehrkanone"15 gegen staatliche Bevormundung erkennt, führt das als Legitimation und Programm staatlicher Kunstforderung mit der Verkürzung kulturstaatlicher Funktionen und Möglichkeiten zugleich zu erheblichen Begründungsdefiziten. Eine aktive und qualitätsgerechte Kulturpolitik, die auf die Entwicklung der Künste in Prosperität setzt, ist den Theoretikern der "Freiheitsforderung" a priori verdächtig, wohlfahrtsstaatlich verdeckte Herrschaftsfunktionen auszuüben16. Auch wenn die Interdependenz künstlerischer Verwirklichung und gesellschaftlicher Unfreiheit in die Perspektive des kunstfordernden Staates mitaufgenommen wird 17 , entfernt sich dieser Ansatz nicht von einem "Abwehrdenken", das für das Verständnis staatlicher Kultur- und Leistungsfunktionen unzulänglich bleibt. Solange staatliche Zwecksetzungen, die über die Freiheitssicherung hinausgehen, nur als Indienstnahme der Künste begriffen werden18, bleibt diese Ansicht einem Basismodell verhaftet, in dem Staat und Kunst in einem tendenziell intransigenten Spannungsverhältnis stehen. Eine "Versöhnung" beider Seinsbereiche gilt demnach als sicheres Indiz für die "Pervertierung" des Staates oder der Kunst19. In historischer Argumentation ist diese Auffassung nur bedingt nachvollziehbar, da, insbesondere von der nationalsozialistischen Kunstdiktatur abgesehen, Herrschaft und Kunst auch Zeiten eines fruchtbaren Miteinander auf-
12
Graul, Künstlerische Urteile, S. 52; Schäuble, Kunstförderung, S. 101. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 277. 14 Grundlegend daza Martens, WDStRL 30, 7 ff.; Häberle, ebenda, S. 43 ff. 15 Nicht kunstspezifisch Suhr, Entfaltung des Menschen, S. 148. 16 Vgl. Graul, Künstlerische Urteile, S. 53 m.w.N. 17 Graul, Künstlerische Urteile, S. 50 f.; Schäuble, Kunstförderung, S. 195 ff. 18 Graul, Künstlerische Urteile, S. 53; Schäuble, Kunstförderung, S. 204 ff. 19 Graul, Künstlerische Urteile, S. 85. In der Kultursoziologie hat jetzt ähnlich Gerhard Schulze "Paradoxien der Kulturpolitik" darin erkannt, daß Kultur ohne Widerstand, gehegt und gepflegt vom Staat, ihre Vitalität verliert, vgl. S. 495 ff. Wenn Schulze aber die offiziell attackierte Kultur der DDR als Beispiel einer Kultur nennt, die noch nicht dem "Einschläferungseffekt der normalen Widerspruchslosigkeit" erlegen sei (514), ist das letztlich ein Plädoyer für staatliche Zensur. 13
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
121
weisen20. Substantiierter als historische Beispiele, die aufgrund veränderter Sachgesetzlichkeiten sowohl des modernen Staates wie der modernen Kunst unzulänglich bleiben21, ist der Blick auf kulturelle Parallelerscheinungen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich (Privatschulen, Forschungsforderung, etc.). Staatliche Gewährleistung in Freiheit bezweckt hier nicht Freiheit allein, sondern zielt auf die Erfüllung unabdingbarer Gemeinwohlfunktionen, die kooperative Formen staatlicher wie gesellschaftlicher Träger erfordern. Die Interdependenz von Staat und Kunst22 mag demgegenüber von geringerer Intensität sein, wenn auch häufig die Verbindungslinien und Arbeitszusammenhänge lediglich sublimerer Natur sind. Gleichwohl erfüllt sich in der Kunst ein Funktionenreichtum, der wie in aller Kultur von der Mitbegründung und Sinnstiftung staatlichen Handelns über gesellschaftlichen Ausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen bis hin zur individuellen Lebensgestaltung reicht 23. Ohne darin wegen der Feinnervigkeit solcher Zusammenhänge eine leicht faßliche Kulturstaatsprogrammatik zu erwarten, gilt diesen komplexen Strukturen staatliche Förderung. Die Prosperität dieser Prozesse kann nicht aus den staatlichen Förderungsabsichten herausfallen; ihre Förderung ohne staatliches Kunstrichtertum muß dabei selbstverständlich sein, d. h. sowohl das Selbstverständnis der staatlichen wie privaten Kräfte prägen. Ohne dialektisches Vorverständnis von Soziokultur, Kunst und Staat als einer wechselseitigen Beziehung kann weder ein positiver Kunstbegriff noch ein dem zugeordneter Freiheitsbegriff der Verfassung entfaltet werden, der die Kunstforderung zureichend strukturiert 24.
20 Jürgen-Fischer, S. 178; Steiner, WDStRL 42, 14 Fn. 30; Dieter Grimm, ebenda, S. 47 ff.; Schütz, Der Staat als Mäzen, S. 14 f. 21 Dazu Hofmann, Kunst und Politik, S. 17 ff. 22 Baum, Kunst und Staat, S. 17; Becker/Kluge, Kulturpolitik, S. 20 ff.; Benda, Die neue Ordnung 1982, 351 f.; Drath, S. 35 ff.; Dieter Grimm, WDStRL 42, 58 ff.; Huber, S. 130 ff., 138 ff. 23 Becker/Kluge, Kulturpolitik, S. 20 ff.; Benda, Die neue Ordnung 1982, 351; Dieter Grimm, WDStRL 42, 61 ff; Rau, VerwRdsch 1980, 78 ff. allgemein zur Sinnstiftung der Herrschaft durch Kultur; Habermas, Theorie II, S. 279 ff.; Steiner, WDStRL 42, 29; v. Hippel, DÖV 1950, 260; zu historischen Versuchen von Künstlern den Staats- und Politikbegriff zu erweitern vgl. Kossalopow, S. 180 ff. Vgl. gegenüber diesem tendenziellen Generalkonsens der Moderne über den Funktionsreichtum der Kunst etwa Rousseau, S. 182 f., in seinem historischen Großentwurf einer humanen Pädagogik. Rousseau sieht die öffentliche Wertschätzung der Kunstfertigkeiten in einem reziproken Verhältnis zu ihrem wahren Nutzen. Künstler arbeiteten nur für die Müßigen und Reichen und verlangten für ihren "Schnickschnack" Phantasiepreise. 24 So aber Graul, Künstlerische Urteile, S. 53; dagegen geht Steiner, WDStRL 42, 15 zu Recht davon aus, daß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als Kunstförderungsauftrag dem status quo verhaftet bleibt.
122
2. Teil: Kunstfrderung als Teil der Kulturverfassung
Die Konkordanz von Freiheit und Qualität ist dagegen in dem kritisierten Modell nicht vorgesehen. Da aber zumindest begrenzte Budgets der öffentlichen Hand eine künstlerische Auswahl unabdingbar machen, wenn das "Gießkannenprinzip" nicht bestimmen soll, kommen auch die Vertreter dieser Auffassung zu ästhetisch-werthafiten Differenzierungen. Wie dieser Förderungszweck aber der Kunstfreiheitsgarantie entnommen werden soll, bleibt offen 25. Graul versucht diesen Konflikt in einer Verfahrensordnung aufzulösen, in der Freiheit durch eine Vielzahl gesellschaftlicher Werturteile über Kunst, die den Mitgliedern kunstbewertender Gremien zuzurechnen sind, verwirklicht wird 26 . Damit wird aber der Verfahrenszweck nur unzureichend beschrieben, da die Arbeit der Gremien auf die kooperative Erarbeitung des künstlerisch Förderungswürdigen gerichtet ist 27 . Die verfahrensmäßigen Absicherungen einer pluralistisch-freiheitlichen Förderungspraxis werden mit dem Verfahrensziel gleichgesetzt, obwohl auch eine gleichmäßige Mittelverteilung dem Pluralitätsideal entsprechen könnte, ohne zudem den verfahrensmäßigen Aufwand einer gemeinsamen Entscheidungsfindung erforderlich zu machen. Das Auswahlverfahren zielt nicht auf die "Institutionalisierung des Konflikts" 28 zwischen den diversen Kunstbegriffen um seiner selbst willen, sondern als Voraussetzung des Verfahrensziels künstlerischer Wertbildung. Die für diesen Ansatz so relevante Fragestellung, ob der Staat durch seine Verfahrensgewährleistung diese Werturteile autorisiert 29, ist unerheblich gegenüber der Feststellung, daß der Staat die gemeinsame "Wertsuche" der Auswahljuries in seinen Förderungswillen aufnimmt. Dementsprechend bleibt die im Rahmen dieser Staatsaufgabenkonzeption beschriebene Rolle der Verfahrensbeteiligten als "freie Bürger einer freien Gesellschaft" 30 hinter dem vorangestellten komplexen Freiheitsverständnis zurück. Zu Recht beharrt Graul auf einem Freiheitsbegriflf, der nicht vor den Gefahren gesellschaftlicher Einflußnahme kapituliert, sondern die freie Kunst 25 Knies, AfP 1978, 64 ff. gegen Graul und Schäuble. Vgl. auch Steiner, WDStRL 42, 15, der jede leistungsstaatliche Interpretation des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ausschließt; Stiller, UFITA Bd. 60, 177. 26 Graul, Künstlerische Urteile, S. 71 ff. 27 Vgl. etwa Schreyer, S. 88 ff.: "Verfahren kooperativer Wahrheitssuche". Daß das künstlerische Werturteil notwendig ist, erkennt freilich auch Graul, Künstlerische Urteile, S. 66 ff. an, ohne die eigenständige Bedeutung des Werturteils gegenüber dem Freiheitsbegriff offenzulegen. 28 Graul, Künstlerische Urteile, S. 72. 29 Graul, Künstlerische Urteile, S. 73 f. 30 Graul, Künstlerische Urteile, S. 73, 87 f.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
123
in der Spannung zwischen staatlichem Kunstrichtertum und gesellschaftlicher Indienstnahme als den beiden Extrempositionen potentieller Unfreiheit sichern will 31 . Eigengesetzlichkeit des Kunstlebens bedeutet somit eine um freiheitswidrige Fremdgesetzlichkeiten der Gesellschaft gekürzte Seinsweise. Dem Staat als Hüter dieses Freiheitsmodells und Barriere für gesellschaftliche Autonomieverluste kommt die umfassende Funktion zu, in eigener Selbstbescheidung durch die Beteiligung außerstaatlicher Kräfte zugleich zwischen den diversen gesellschaftlichen Einflußnahmen auf die Kunst zu differenzieren. Solange aber unklar bleibt, woraus die freiheitsgemäße Differenzierung staatlicher Entscheidungsgewalt resultiert und der Gesellschaft dieser Konflikt nicht allein überlassen bleiben kann, ohne zirkelhaft unbehandelt zu bleiben, ist maßgeblich auf verfahrensmäßige Sicherungen und strikte Begründungszwänge zu vertrauen. Die Theorie der "Freiheitsförderung" rechnet dagegen den Verfahrensbeteiligten eine Freiheitsförderungsfünktion zu, um letztlich den Staat vom Vorwurf des Kunstrichtertums freizuhalten 32. Ein staats- und verfassungstheoretisches Reinheitsideal läßt sich aber nicht dadurch verwirklichen, daß die Differenz zwischen künstlerischer Wertbildung und Freiheitsachtung, zwischen Parteinahme aufgrund partikularer Interessen und Pluralitätsgebot in der Person des Sachverständigen geleugnet wird. Dementsprechend unklar bleibt die Integration von Kunstpreisen in das Förderungsinstrumentarium 33. Selbst im Rahmen eines Plädoyers für die umfassende Erweiterung des künstlerischen Freiheitsbereichs ist es nicht nachvollziehbar, staatliche Ehrungen und Auszeichnungen als grundrechtliche Freiheitsaktualisierung zu verstehen, soweit sie nicht dotiert sind34, ohne den grundrechtlichen Freiheitsbegriff bis zur Unkenntlichkeit aufzuweichen. Als Fazit bleibt, daß der positive Anspruch der Kunstförderung im Kontext kulturpolitischer Wirkungszusammenhänge somit keine Resultante der Neutralisierung kunstfreiheitswidriger Umstände durch staatliche Selbstbescheidung und Ausgleich gesellschaftlicher Vermachtung der Kunst ist, sondern über das sensible Zusammenwirken des Staates mit der kulturellen Öffentlichkeit in Freiheit eingelöst werden muß.
31
Graul, Künstlerische Urteile, S. 50 f., 73, 85. Graul, Künstlerische Urteile, S. 73, 87 f. 33 Schäuble, Kunstförderung, S. 211 ff. erkennt darin einen "Anachronismus" bzw. ein "liebenswürdiges Relikt". 34 Daß Kunstpreise sich auch auf die Eigengesetzlichkeit des Kunstlebens durch die mit ihnen öffentliche Anerkennung auswirken, erkennt Schäuble, Kunstförderung, S. 211 ff., auch, ohne durch den Verweis auf die notwendige Verfahrensordnung den Widerspruch in seinem Ansatz aufzulösen. 32
124
2. Teil: Kunstfrderung als Teil der Kulturverfassung II. Sozialstaatliche Begründung der Kunstforderung
Vereinzelt wird staatliche Kunstpflege dem Sozialstaatsauftrag des Grundgesetzes zugerechnet, der sich nicht nur auf die unmittelbare Erhaltung menschenwürdiger Lebensbedingungen als Schutz vor sozialer Not, sondern auch auf die kulturelle Daseinsvorsorge gegenüber breiten Teilen der Bevölkerung und die Fürsorge zugunsten der Künstler beziehe35. Trotz der Relevanz dieses Prinzips für die Strukturierung staatlicher Kunstforderung kann das soziale Anspruchs- und Sicherheitsdenken den Kultursektor nicht ausschließlich bestimmen36. Der Kulturstaat ist mehr als ein Kulturversorgungsstaat. Der Bezugsrahmen des Sozialstaats ist zu eng, um die Bedingungen freier künstlerischer Prozesse, Pluralität und Individualität, Kreativität und Spontaneität, angemessen zu verstehen und staatliche Handlungsmaximen daraus zu entwickeln. Wenn Kulturpolitik "zu einer bloßen 'Unterabteilung' der Sozialpolitik" geriete37, könnten ideelle und qualitative Dimensionen der Kultur gefährdet werden, verdinglicht zu werden, insbesondere ins Prokrustesbett subjektiver Ansprüche gedrängt zu werden. Solche kulturstaatlichen Gehalte aus der Förderpraxis auszublenden wäre zudem geeignet, den Sog sozialer Akzeptanz zu verstärken 38 und damit Tendenzen der Kollektivierung individueller Lebensäußerungen Vorschub zu leisten. Die vorrangige Ausrichtung staatlicher Förderung an der gesellschaftlchen Breitenwirkung, der Vermittlung kultureller Werte oder gar öffentlichen Stimmungen widerspräche einer offenen, pluralistischen Kunstpflege, die auch gerade den Künstler und sein Schaffen gegenüber den Ansprüchen der Öffentlichkeit immunisieren soll39. Die Zielsetzung staatlicher Kunstforderung als
35
Ott, Kunst und Staat, S. 166; Stiller, UFITA Bd. 60, 174; differenzierend Kükkelmann, UFITA Bd. 59, 127, der Art. 5 Abs. 3 und Art. 20 GG zum Förderungsauftrag verbindet. Allgemein zur sozialstaatlichen Verpflichtung der Förderungsverwaltung Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht m, § 138 I c 4. 36 Schmitt-Glaeser, AöR 1982, 363 ff. mit dem Stichwort "Der überwältigte Kulturstaat". 37 Dagegen zu Recht Schmitt-Glaeser, AöR 1982, S. 364. 38 Dazu kritisch Bär, FuR 1983, 640: "Öffentliche Stimmung schließlich ist kein Auswahlkriterium für Kunstförderung"; OVGE 25, 335; Vesper, RdJB 1983, 127; Brecht, Diskussionsbeitrag, in: Künstlerische Freiheit - Für wen?, S. 77; Götz Friedrich, S. 37; differenzierend Diekamp, S. 170 ff; Zimmermann, FuR 1983, 407 ff 39 Steiner, WDStRL 42, 34 f. Freilich suchen Künstler oft selbst die Akzeptanz im Urteil des "Mannes von der Straße". Öffentliche Anerkennung durch das ästhetische Urteil des Volkes war auch für historische Künstler wie den Hofmaler Alexander des Großen Apelles, Vasari, Velasquez oder Carracci eine wichtige Instanz der Kritik, vgl. Warnke, S. 305 f.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
125
" Schaffensforderung" orientiert sich im Gegensatz zum Sozialstaat, der primär auf sozialen Ausgleich und Fürsorge gerichtet ist, auch an der künstlerischen Leistung40, die synallagmatisch mit der staatlichen Zuwendung verknüpft sein kann. Soweit staatliche Mittel der materiellen Existenzsicherung der Künstler dienen, sind Überschneidungen41 von Sozialleistungen und Fördermaßnahmen nicht ausgeschlossen42. Darüber hinaus ist auch auf die Gefahr hinzuweisen, daß eine ausschließlich sozialstaatlich begründete Kunstforderung über die Kompetenz des Art. 74 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) die Länderkompetenzen in kulturellen Angelegenheiten zugunsten des Bundes aushöhlt43.
I I I . Kulturstaatliche Ableitung der Kunstforderung 7. Staatszielbestimmung
"KulturStaat"
Den vorangestellten verfassungsrechtlichen Begründungsversuchen staatlicher Kunstpflege widerspricht ein gewichtiger Teil der Literatur 44, die auch durch die Rechtsprechung45 gestützt wird. Danach wird der Aufgabenbereich "Kunstforderung" der Staatszielbestimmung "Kulturstaat" zugerechnet. In dieser Meinungsgruppe sind sowohl solche Auffassungen vertreten, die eine strikte Abschichtung des Kulturstaatsprinzips vom Grundsatz der Kunstfreiheit für möglich halten, als auch Ansätze, die vom Ineinander beider Prinzipien ausgehen. 40 Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 102. Das Äquivalenzprinzip verdeutlicht auch, daß der Begriff des staatlichen "Mäzens" zu relativieren ist. 41 Zur bedingten Differenzierbarkeit von Sozial- und Förderungsverwaltung vgl. Wolff/Bachof Verwaltungsrecht m, § 137 m a), b). 42 Vgl. Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 102 f. Weitergehend Wiesand, Sozialpolitik statt Kulturpolitik?, S. 72: "Sozial- und Kulturstaatsprinzip sind untrennbar miteinander verbunden". 43 Dazu Geis, S. 194. 44 Benda, Die neue Ordnung 1982, S. 348 ff; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 174 ff.; Eschenburg, S. 14 f.; Geiger, S. 193; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 213, 224 ff.; ders., AfP 1978, 64 ff.; Müller, Freiheit der Kunst, S. 128 ff.; Vogel, Künstlerförderung, S. 25; weitere Nachweise bei Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 98 ff. Differenzierend Steiner, WDStRL 42, 12 ff. (17), der auf das Nichterfordernis eines allgemeinen Verfassungsvorbehalts für Staatsaufgaben verweist. 45 BVerfGE 36, 321 (331) ("Schallplatte") verbindet den objektiven Bedeutungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 GG mit der Staatszielbestimmung "Kulturstaat" zum Förderungsauftrag.
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2. Teil: Kunstfrderung als Teil der Kulturverfassung
a) Begriff und Dogmatik Die Begründung und Ausgestaltung eines Kunstförderungsauftrags aus dem Kulturstaatsprinzip muß eine hinreichend präzise Vorstellung dieses Teilaspekts der Verfassung entwickeln, um sich nicht dem Vorwurf der Überdehnung des Normtextes auszusetzen46. Unabhängig von der heuristischen Bedeutung der Traditionsgeschichte für den Begriff des Kulturstaats beinhaltet diese keine vom Grundgesetz losgelöste Legitimationsqualität47. Mit der Feststellung, daß eine Begriffsgeschichte keinen normativen Begründungszusammenhang staatlichen Handelns liefert, ist aber zugleich die Aussage zu treffen, daß negative und wechselvolle historische Besetzungen des Begriffs "KulturStaat" keine Einwände gegen seine normative Neubestimmung eröffnen. Einen weiteren kompetenziellen Zirkelschluß beinhaltet die Behauptung, daß bereits die Kulturqualität des Staates seine Kulturgestaltungsmacht auslöse48. Auch insoweit wird eine normative Aussage nicht aus einer Kompetenzordnung abgeleitet, sondern aus einem eher nebulösen Staatsbegriff. Im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung, die in Art. 142 feststellte: "Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil", enthält das Grundgesetz keine positivierte Förderungsklausel, die als ausdrückliches Moment des Kulturstaats genommen werden könnte. Während die Länderverfassungen in unterschiedlicher Weise einem Kulturauftrag des Gemeinwesens Ausdruck verliehen haben49, besteht aufgrund der fehlenden Kulturstaatsklausel im Grundgesetz auch heute noch in der Lehre Uneinigkeit, ob zur verfaßten Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland als Demokratie, Rechts-, Sozial» und Bundesstaat auch der Kulturstaat zählt50. Das mag vor allem seinen Grund darin finden, daß in der historischen Perspektive dem Begriff des "Kulturstaats" der Odem repressiver Kulturgestaltungsmacht des Staates anhaftet 51. Zweifelsohne stützt der Kulturstaatsbegriff nicht Argumentationen, 46
Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 104 ff.; Roellecke, DÖV 1983, 653 ff. Vgl. dazu ausführlich Geis, S. 120 ff. 48 Kritisch dazu Geis, S. 221. 49 Vgl. Art. 18 Abs. 1 NRWVerf; Art. 3 BayVerf; Art. 7 Abs. 1 SchlHLandessatzung. Vgl. dazu Bär, Filmförderung, S. 511 Fn. 7 und 8. 50 Zu negativen Besetzungen des Begriffs in der historischen Perspektive vgl. Schiaich, S. 258. 51 Zur "Fragwürdigkeit" einer Kulturstaatstradition vgl. Geis, S. 120 ff. Geis ist zu konzedieren, daß Tradition nicht zum obersten Verfassungsprinzip herangezogen werden kann, weil hierin eine unzulässige Amalgamierung von sehr verschiedenartigen und teilweise obsoleten (Kultur)Staatskonzeptionen läge. 47
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
127
die seinen universalgeschichtlichen Charakter bei Humboldt, Fichte und anderen wiederbeleben wollen. Zu erinnern ist, daß der Kulturstaat als Gegenbegrifflichkeit zur Französischen Revolution entwickelt wurde und in dieser politischen Funktion der Abwehr von Ideologie und Terror obsolet ist 52 . Weder die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften noch die beobachtete Osmose von Staat und Gesellschaft 53 können im Kulturstaatsbegriff verfassungsdogmatisch aufgelöst werden. Zu untersuchen wird sein, ob die Perhorreszierung des Kulturstaatsbegriffs unter der Prämisse einer unauflöslichen Spannung zwischen Staat und Kultur in einer veränderten Verfassungswirklichkeit der Rehabilitierung und Freisetzung des Begriffs für ein entkrampftes Verhältnis beider Bereiche weichen könnte. Insofern reiht sich der Kulturstaatsbegriff in eine Staatszielprogrammtik ein, die wechselseitige Bezüge der Staatlichkeit, aber keine Differenzierungsverluste des verfassungsdogmatisch ermittelten Niveaus moderner Staatlichkeit zuläßt. Während bis zu den jüngeren Darstellungen des Staats- und Verfassungsrechts Ausführungen zur Kulturverfassung fehlen 54, sieht die überwiegende Literaturmeinung im Kulturstaat eine Staatszielbestimmung und (oder) einen Verfassungsauftrag der Grundordnung 55. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kristallisiert sich eine Vielzahl kulturverfassungsrechtlicher Gehalte, die die Konkretisierung einer Staatsstrukturnorm "Kulturstaat" auf der Grundlage kultureller Kompetenzen von Bund und Ländern (Kommunen) und kultureller Freiheiten der Grundrechtsträger erlaubt56. Die von den 52
Vgl. Luhmann, Soziale Systeme, S. 629. Vgl. etwa Böckenförde, Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 209 ff. 54 Alternativkommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland; v. Arnim, Staatslehre; Doehring, Staatsrecht; Herzog, Staatslehre; Kriele, Einfuhrung in die Staatslehre; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht; v. Münch, GGK; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum GG; Schunck/De Clerck, Allgemeines Staatsrecht; Stein, Staatsrecht; Stern, Staatsrecht I. 55 Vgl. Benda, Die neue Ordnung 1982, 348; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 175; Evers, NJW 1983, 2161; Häberle, Kulturverfassungsrecht im Bundesstaat, S. 35; Konrad Hesse, § 14 Rdnr. 501; Huber, Problematik des Kulturstaats; Hufen, Freiheit der Kunst, S. 118; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 806 ff; Maihofer, S. 953 ff. m.w.N; Peters, Zwischen Gestern und Morgen, S. 22 ff. und passim; Reuhl, JZ 1981, 321 ff.; Scheuner, Kulturstaat, S. 113 ff.; Schmitt-Glaeser, AöR 1982, 363 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 8; Steiner, WDStRL 42, 12 ff.; kritisch differenzierend Roellecke, DÖV 1983, 653 ff.; Wiegand, LKV 1995, 55 ff. 56 BVerfGE 10, 20 (36f.) ("Stiftung preußischer Kulturbesitz"); 21, 362 (373 f.) ("Sozialversicherungsträger"); 30, 173 (188 ff.) ("Mephisto"); 31, 229 (230, 246 ff.) ("Schulbuch"); 31, 248 (253 f.) ("Bibliothekenabgabe"); 31, 275 ("Leistungsschutzrechte"); 31, 314 (327) ("Rundfunk"); 34, 165 (181 ff.) ("Hessische Förderstufe"); 33, 52 (70 f.) ("Verbringsverbot"); 33, 303 (330 ff. ) ("Numerus clausus"); 35, 79 (112 ff.) 53
128
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Bundesministern des Innern und der Justiz eingesetzte Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge" hatte mehrheitlich empfohlen, dieser Staatspraxis deklaratorisch "Was richtig und wichtig ist, soll in der Verfassung auch ausgesprochen werden"57 durch folgende Verfassungsänderung Rechnung zu tragen: "Art. 20 Abs. 1 Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Sie schützt und pflegt die Kultur und die natürlichen Lebensbedingungen des Menschen. Art. 28 Abs. 1 Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes und der Verantwortung des Staates für Kultur und natürliche Umwelt entsprechen".58
In der Deklaration der Pflege und des Schutzes der unverzichtbaren Kultursphäre verbindet sich für die Kommission die appellative Funktion gegenüber staatlichen Kompetenzträgern, kulturstaatlich aktiv zu werden (unspezifisches Realisierungsgebot), mit der "Stützfunktion" für die diversen Kulturträger im pluralistischen Widerstreit der Interessen59. Darüber hinaus würde eine Kulturstaatsklausel auch zur Berücksichtigung kultureller Gehalte in staatlichen Aufgabenbereichen aufrufen, die nicht primär auf die Regelung kultureller Sachverhalte gerichtet sind. Die in der Kritik der angestrebten Textänderungen von Wahl befürchtete Verrechtlichung politischer Funktionen, die Austrocknung des politischen Ermessens des Gesetzgebers respektive der Verlust der Selbständigkeit des Gesetzesrechts können dagegen nicht nachvollzogen werden60. Auch wenn der Formel verbindlicher Charakter in der Bindung der Staatsgewalten zukommt und die politische Gestaltungsfreiheit durch das Kulturstaatsgebot geprägt wird, ist nicht ersichtlich, daß durch die
("Hochschule"); 36, 321 (330 ff.) ("Schallplatte"); 38, 281 (304) ("Errichtung von Arbeitnehmerkammern"); 45, 104 (125) ("Unterhaltsleistungen"); 47, 46 (65 ff.) ("Sexualkunde"); 49, 382 (394 ff.) ("Urheberrecht"); 54, 129 (138) ("Öffentlicher Meinungskampf'); 55, 274 (329 f.) ("Ausbildungsplatzförderungsgesetz"); 56, 192 (203 ff.) ("Korporationsrechtliche Zuordnung habilitierter Beamten"); 57, 70 (98 ff.) ("Hessisches Universitätsgesetz"); 57, 295 (319 ff.) ("Privatfunk Saarland"); 58, 257 (270 f.) ("Versetzung"); 59, 231 (257 ff.) ("Rundfunk"); 59, 360 (376 ff.) ("Bremisches Schul Verwaltungsgesetz"); 61, 210 (233 ff.) ("Gesamthochschule"); 64, 323 (353 ff.) ("Amtsbezeichung Professor"); 67, 202 (207 f.) ("Bremisches Hochschulgesetz"); 67, 213 (222 f.) ("Anachronistischer Zug"). 51 Sachverständigenkommission, S. 130. 58 Sachverständigenkommission, S. 128, 106. 59 Sachverständigenkommission, S. 130 f. Dazu auch das Kommissionsmitglied Oppermann, FS-Bachof, S. 3 ff. 60 Wahl, NVwZ 1984, 402 ff.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstfrderung
129
allgemeine Klausel demokratisch gebotene Entscheidungsspielräume reduziert würden, die eine veränderte Staatspraxis bedingen könnten. Die politische Diskussion hat seitdem diese Staatszielbestimmung weiter thematisiert, aber auch im Rahmen der grundgesetzlichen Änderungen von 1994 aufgrund der Vorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission aus Vertretern des Bundestages und des Bundesrates kam es nicht zur Kodifikation einer Kulturstaatsklausel bzw. Kulturförderungsklausel 61. Solange aber nicht der Vorschlag der Sachverständigenkommission in das Grundgesetz aufgenommen ist, liegen de constitutione lata die Anknüpfungspunkte für die Ermittlung des kulturverfassungsrechtlichen Gehalts des Grundgesetzes im Gesamt der Einzelbestimmungen und impliziten Verfassungsgehalte 62. Neben den kulturellen Grundrechten 63 - im Zentrum Art.5 Abs.3 S. 1 GG sind insbesondere sozialstaatliche, demokratiespezifische, egalitäre und künstlerisch-qualitative Aspekte im Geltungsanspruch des kunstpflegenden Kulturstaats zu ermitteln. Der kulturverfassungsrechtliche Gehalt des Gesamtstaates wird durch die in den Länderverfassungen enthaltenen Kulturstaatsund Förderungsverpflichtungen wesentlich bestimmt64. Darin liegt zwar keine verfassungsrechtlich ausreichende Begründung eines bundesstaatlichen Kulturförderungsauftrags 65, aber die indizielle Bedeutung der Länderregelungen für die Verortung des Staatsstrukturprinzips "Kulturstaat" im Grundgesetz ist nicht zu verkennen. Insbesondere wäre es unerklärlich, wenn entsprechend der für alle Staatstätigkeit geltenden Sozialstaatlichkeit die kulturstaatliche Imprägnierung staatlichen Handelns im Bereich der Bundeskompetenzen keine Gültigkeit haben sollte, da der kulturelle Anspruch eines Gemeinwesens universalistisch und unteilbar ist 66 . Prägnant ist auf diesen Zusammenhang in der Willenserklärung des Bundeskabinetts vom 2. Juni 1976 hingewiesen worden: "Staatliches Handeln hat auf die kulturelle Komponente vielfach nicht in dem Maße Bedacht genommen, wie es nach dem unserer Verfassung immanenten Kultur61
Vgl. Stern, Deutschlands Verfassung, S. 10 ff. Ausfuhrlich Häberle, Kulturstaat, S. 10 ff. 63 Häberle, Kulturstaat, S. 10 ff.; Oppermann, Kulturverwaltung, S. 149 ff., 305 ff., 578 ff. 64 Vgl. Häberle, Kulturstaat, S. 47 ff.; Knies, Kunst und Recht, S. 154; Oppermann, Kulturverwaltung, S. 444. 65 Zum Rangverhältnis vgl. Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 175; Wahl, NVwZ 1984, 403 Fn. 12, hält diese Verfassungsnormierungen für ausreichend, um die kulturelle Gesamtverfassung anzugeben. 66 Das beachtet Wahl, NVwZ 1984, 403 Fn. 12 in der Kritik der Sachverständigenkommission zu wenig, wenn er den Kulturstaatsgehalt der Gesamtverfassung hinreichend in den Länderverfassungen aufgehoben sieht und damit die Kulturstaatlichkeit in der prinzipiellen Kulturhoheit der Länder erschöpft. 62
9 Palm
130
2. Teil: Kunstfrderung als Teil der Kulturverfassung
staatsprinzip geboten erscheint. Es fehlt insbesondere an einer ressortübergreifenden Prüfung, die sicherstellt, daß auf den verschiedenen Gebieten, wie etwa des Steuerrechts, des Urheberrechts, des Sozialrechts, des Bildungswesens, der Stadt und Umweltplanung, keine Regelungen getroffen werden, die der Bewahrung der kulturellen Tradition oder der Entwicklung neuer Formen auf dem Gebiet von Kunst und Kultur hinderlich sein könnten. Es gilt, in Gesetzgebung und Verwaltung den kulturellen Bedürfnissen mehr als bisher gerecht zu werden. Künftig bedarf es daher einer verstärkten Prüfimg von gesetzlichen und sonstigen Maßnahmen auf ihre Kulturfreundlichkeit. Dem Bundesminister des Innern wird aufgrund seiner Zuständigkeit für die allgemeinen und grundsätzlich kulturellen Angelegenheiten des Bundes hierbei eine besondere Verantwortung obliegen. Mit dieser Prüfung sollen auch positive Auswirkungen auf die berufliche und soziale Situation der Künstler erzielt werden".67
b) Kulturstaatliche Kompetenzordnung aa) Kulturföderalismus Die Kulturhoheit der Länder nach dem Grundgesetz (Art. 30, 70 ff. GG) ist mehr im Sinne "einer quantitativen, schwerpunktmäßigen Feststellung"68 zu verstehen und beläßt dem Bund auch im Bereich der Kunstforderung zahlreiche Kompetenzen. Über ausdrückliche Zuordnungen, wie insbesondere die auswärtige Kulturpflege als Teil der auswärtigen Angelegenheiten (Art. 73 Ziff. 1 GG), hinaus werden dem Bund unter den umstrittenen Aspekten des Sachzusammenhangs, des Annexes, der Natur der Sache, der Subsidiarität, der gesetzesfreien Verwaltung und der Finanz-, Fonds- oder Planungszuständigkeiten mittelbare Kompetenzen zugerechnet 69. Maßgeblich sind auch die "kulturellen Sekundäreffekte", die an primär nichtkulturelle Bundeskompetenzen anknüpfen (z.B. Art. 74 Ziff. 12 für die Filmförderung) 70 .
67
Zit. nach Lattmann, Der Staat und die Schwierigen, S. 38. Oppermann, Kulturverwaltung, S. 556 m.w.N.; ders., FS-Bachof, S. 9 ff.; Peters, FS-Kaufmann, S. 281 ff. 69 Köstlin, DVB1 1986, 219 ff.; Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, S. 556 ff. 70 Dazu Woeller, S. 38.; Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, S. 583. 68
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
131
bb) Bundeskulturstaatlichkeit
Soweit die genannte verfassungspolitische Initiative, eine ausdrückliche Kulturstaatsklausel in das Grundgesetz aufzunehmen, nicht wie für das späte Verfassungsgut "Umwelt" in Art. 20 a GG erfolgreich ist 71 , bleibt nur die dargestellte Anknüpfung an die verfassungsrechtlichen Einzelbestimmungen. Die Ermittlung des Kulturstaatsgehalts der Bundesverfassung über diese Bestimmungen kann sich nicht nur vom Dauerthema der Abgrenzung zwischen Bundes- und Landeskompetenzen auf dem Kultursektor bestimmen lassen. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG beinhaltet keine konkreten Folgerungen zu dieser Problematik. Bestandsgarantien für kulturelle Einrichtungen oder Aufträge an die Länder etwa dergestalt, daß die Dichte kultureller Institutionen festgestellt würde, sind aus dem Bundesgrundrecht nicht abzuleiten72. Im übrigen ist auch der Hinweis aufzunehmen, daß Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG lediglich eine partielle Aussage zur Kultur beinhaltet, soweit es um Gegenstände der Kunst handelt73. Die bundesverfassungsrechtliche Aufgabenstellung des Kulturstaats ist auch auf Art. 1 und 2 Abs. 1 GG gestützt worden74, weil ein Bedingungszusammenhang zwischen Staat und Kultur bestehe. Der staatliche Kulturauftrag richte sich danach unter dem grundgesetzlichen Primat der Menschenwürde auf die Ermöglichung der Voraussetzungen der individuellen Selbstentfaltung75. Auch insoweit ist aber im Rahmen der Differenzierung kulturföderalistischer Aufgabenbereiche und bundesverfassungsrechtlichen Kulturstaatshandelns nicht mit konkreten Kompetenzaussagen zu rechnen. Als "argumentatives Vehikel"76 dient in der kontroversen Verfassungsdiskussion zwischen Bund und Ländern der Zuständigkeitsaspekt der "Nationalrepräsentation" 77, der durch das gescheiterte Projekt "Deutsche Nationalstiftung" 78 verstärkt in das Blickfeld der kulturellen Öffentlichkeit gerückt ist. 71
Vgl. dazu BT Drucks. 12/6000, S. 65 ff. Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 30. 73 Dazu Geis, S. 233. 74 Dieter Grimm, WDStRL 42, 67; zustimmend Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 30. 75 Dieter Grimm, WDStRL 42, S. 67; Geis, S. 235 m.w.N. 76 So Schulze-Fielitz, NJW 1991,2457. 77 Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, S. 598. 78 Dazu Rühle, S. 101. 72
132
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Die sinnstiftende und integrative Funktion eines wertgeprägten Kulturstaats bedarf auch der äußeren Zeichen, um wirksam zu werden79. Das kulturstaatliche Bild des Gesamtstaates wäre aber unzureichend gezeichnet, wenn es sich in der Präsentation der verschiedenen Länderkulturen erschöpfte 80. Um eine kulturell bestimmte Identifikation der Staatsbürger mit dem gesamten Gemeinwesen zu ermöglichen und übergreifende Aufgabenstellungen wahrzunehmen, ist eine Bundeszuständigkeit zur länderfreundlichen Ausgestaltung nationalrepräsentativer Kunstpflege zu befürworten 81. Geißler unterscheidet bei dieser Kompetenz die Aufgabenstellung vom jeweiligen Mitteleinsatz, der sich nach der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern richte82. Danach sei die kulturelle Selbstdarstellung des Bundes durch Bundeskunsthalle, Bundesakademie für kulturelle Bildung, zahlreiche Bundespreise, Haus der Geschichte oder das Deutsche Historische Museum unzulässig. Theater, Museen, Kulturpreise etc. seien allein Sache der Länder. Diese Differenzierung ist nur vordergründig plausibel. Die Idee einer angemessenen Repräsentation kann nicht von typischen Mitteln der Selbstdarstellung abgekoppelt werden, zu denen die vorgenannten Einrichtungen und Mittel gehören. Wenn Geißler lediglich Bundessymbole, Darstellung der Bundesorgane sowie Maßnahmen in der Bundeshauptstadt als Sitz der Bundesorgane und der Bundesregierung zulassen will 83 , verkürzt dieses Spektrum die Idee gesamtstaatlicher Repräsentation und widerspricht zudem partiell dem eigenen Katalog unzulässiger Mittel. Gesamtstaatlichkeit kann nicht auf einen isolierten Kontext bundesstaatlicher Symbole und Institutionen bezogen werden. Das Haus der Geschichte belegt als ein Beispiel vielmehr den Zusammenhang politisch und kulturell übergreifender Zusammenhänge, in die die bundesstaatlichen Momente eingebettet sind. Organische Zusammenhänge zwischen Gesamtstaatlichkeit und Bundesstaatlichkeit dürfen zudem im Bereich der Kultur nicht über ein restriktives, konkurrenzgeprägtes Kompetenzschema ausgehebelt werden. Wenn das kulturstaatlich gebotene Pluralitätspotential durch eine solchermaßen begrenzte Bundeszuständigkeit nicht gemindert wird, bleibt abzuwar79
Vgl. Isensee, WDStRL 42, 134. Allerdings mögen die von Isensee kritisierten Formen staatlicher Repräsentanz adäquater Ausdruck eines technokratischen Demokratieverständnisses sein. 80 BVerfGE 10, 20 (41); Evers, NJW 1983, 2162. 81 Vgl. zur ungeschriebenen Verwaltungszuständigkeit des Bundes im Bereich überregionaler Förderung BVerfGE 22, 180 (216). 82 Geißler, S. 138 ff. unter Bezug auf BVerfGE 12, 205, 252 f. ("DeutschlandFernsehen"). 83 Geißler, S. 142.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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ten, ob diese Folge nicht durch kompetentiell grundsätzlich unproblematische Kooperationsformen zwischen dem Bund und den Ländern eintreten kann. Anlaß für diese Überlegung ist die kulturpolitische Fortführung der Idee der "Deutschen Nationalstiftung" in dem Projekt einer "Kulturstiftung der Länder" unter Beteiligung des Bundes. Die mit einem Teil der für die gescheiterte Stiftung bereitgestellten Haushaltsmittel finanzierten Kulturfonds haben die Vorstellung einer kulturellen Großinstitution wachgehalten und einen erneuten Vorstoß in diese Richtung mitausgelöst84. Mit der "Kulturstiftung der Länder" zielen die Ministerpräsidenten auf die Errichtung einer rechtsfähigen Stiftung des bürgerlichen Rechts, die auf die "Förderung und Bewahrung von Kunst und Kultur nationalen Ranges" verpflichtet werden soll85. Durch Art. 35 EinigungsV hat die Kompetenzproblematik bundesstaatlichen Kulturstaatshandelns neuen Zündstoff erhalten. Die Befürworter einer Staatszielbestimmung "Kultur" haben auf dieser Grundlage die Akzeptanz des Begriffs "Kulturstaat" betont86. Die Gegner eine Neufassung des Grundgesetzes haben auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, so daß kein Regelungsdefizit auf Verfassungsebene bestehe87. Die Kulturklausel des EinigungsV verfolgt die doppelte Zielsetzung, die kulturelle Dimension der Wiedervereinigung Deutschlands zu demonstrieren sowie die Sicherung der kulturellen Einrichtungen und des kulturellen Lebens der neuen Bundesländer zu gewährleisten88. Das kulturelle Spannungsfeld der Wiedervereinigung wird einerseits durch die lange gemeinsame Kulturtradition Deutschlands und andererseits durch vierzig Jahre konträrer Kulturpolitik konturiert 89. Mit der Feststellung der Kulturstaatlichkeit der Länder wird zugleich der gesamtstaatliche Kulturstaatsgehalt über die Zielsetzung der Wiedervereinigung betont. Diese Regelung setzt einen kulturellen Zusammenhang voraus, 84
Zimmer, Das kulturelle Superding, in: Die Zeit v. 15.06.1984. Vgl. den Entwurf eines Abkommens zur Errichtung der Kulturstiftung der Länder vom 06.06. 1984. 86 Vgl. BT Drucks. 12/6000 S. 80 ff. 87 BT Drucks. 12/6000 S. 81 f. 88 Vgl. dazu Schulze-Fielitz, NJW 1991, 2456 ff.; Wiegand, LKV 1995, 55 ff. 89 Vgl. Hoffmann/Weber, Kultur der 90er Jahre, S. 17 ff., zu den kulturellen Ambivalenzen von Einheit und Spaltung. Zum übergreifenden Thema "Eine Nation - zwei politische Kulturen" vgl. Greiffenhagen/Greiffenhagen, S. 369 ff. Festzustellen ist retrospektiv, daß der sozialistische Realismus auch während seines Diktats nicht umfassend in der Lage war, einen fruchtbaren deutsch-deutschen Kulturaustausch jenseits offizieller Begegnungen zu verhindern. Am Beispiel dieses kulturellen Phänomens erweist sich die relative Kraft autonomer Kultur gegenüber einer überformenden Staatsdoktrin. 85
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
der die kulturellen Einzelangelegenheiten der Länder überschreitet, ohne deren kulturelle Homogenisierung in einer neuen Nationalkultur anzustreben. Danach erschöpft sich die Zielsetzung der Wiedervereinigung nicht nur in ihren politischen, ökonomischen und sozialen Bedeutungsgehalten, sondern beinhaltet auch für die Kulturstaatsdiskussion eine normativ wie heuristisch eminent wichtige Aussage: Die kulturelle Bindungsmasse des Gesamtstaates ist mehr als die Summe der einzelnen Länderkulturen und der ihnen zugeordneten Kompetenzen.
c) Kulturstaat und Europäische Kultur aa) Vorüberlegungen
Mit der Neufassung des Art. 23 GG besteht für die Bundesrepublik Deutschland eine Staatszielbestimmung90, zur Verwirklichung eines vereinten Europas durch die Mitwirkung an der Entwicklung der Europäischen Union beizutragen91. Die Entwicklung der Europäischen Union von einer zwischenstaatlichen Einrichtung zu einer Staatengemeinschaft bzw. einem Staatenverbund92 kann für die Kulturstaatsdiskussion nicht unbeachtlich bleiben, da die Übertragung von Hoheitsrechten die Souveränität der Mitgliedstaaten berührt. Wenn der Kulturstaat über rein nationalstaatliche Dimensionen hinaus erfaßt sein will, sind nicht nur kulturgesellschaftliche, sondern auch internationale, supranationale und transnationale Bedeutungselemente in seinen Begriff miteinzubeziehen. Die Relevanz der kulturellen Dimension europäischer Politik hat der große Europapolitiker Jean Monnet in dem Satz zusammengefaßt: "Sollte ich noch einmal von vorne beginnen, ich würde bei der Kultur anfangen"93. Kultur ist danach nicht nur eine Aufgabe, sondern auch ein Bindungsgrund zwischen den Nationen. Kultur endete nie an Ländergrenzen, auch wenn der von der Antike entwikkelte Begriff des "Barbaren" als Bezeichnung des Fremden, Anderen und Unkultivierten die kulturelle Selbstbestimmung eines Gemeinwesens mit der Verächtlichmachung der je fremden Kultur verband. Doch schon in der Imprägnierung der römischen Kultur durch die griechische löste sich die Kultur 90 91 92 93
BT Drucks. 12/6000, S. 20 ff. Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 23 Rdnr. 3 ff. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Rdnr. 1 m.w.N. Zit. nach Picht, Europa-Archiv, 10/1987, 279.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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vom ihrem Ursprungsort. Interkulturalität hat seitdem vielfältige Erscheinungsformen. In der Geschichte der Christianisierung und Kolonisierung der Dritten Welt erwies sich, daß Kultur nicht nur ein einseitiges Herrschaftsphänomen ist, das einer fremden Gesellschaft aufgezwungen werden konnte, während die fremde Kultur ausgelöscht wurde. Die christlichen Missionare importierten eine fremde Kultur in die Entwicklungsländer, aber führten im Gegenzug auch deren Kultur in den europäischen Kontext ein. In der Unterdrückung fremder Kultur wurde zugleich deren Widerständigkeit und Einfluß bedeutsam94. Kulturelle Begegnungen, Verbindungen und Vermischungen belegen die Kraft der Kulturen gegen ihre fremdnationale Vereinnahmung wie ihre gesellschaftliche Elastizität über das Nationale hinaus. Diese Eigenart der Kultur als inter- und transnationales Feld ist heute ein zentraler Bereich kultureller Manifestationen geworden. Kulturelle Großereignisse, internationale Künstlergruppen, Kongresse, Übersetzungen fremder Literatur etc. können aufgrund telekommunikativer Medien in wachsendem Ausmaß über Ländergrenzen hinaus stattfinden. Mit den technischen Möglichkeiten stellen sich verstärkte Anforderungen an die wirtschaftlichen Kapazitäten der Kulturforderung, um solche kulturellen Ereignisse möglich werden zu lassen. Es stellt sich die Frage, ob nationale Kulturen im Sog einer internationalen Kultur und globaler Medien ihre Eigenart und Eigenständigkeit bewahren können. Weder eine Politik der nationalen Selbstabgrenzung noch eine rückhaltlose Förderung einer Europakultur oder gar Einheitsweltkultur eröffnen brauchbare Perspektiven, die der kulturellen Dialektik zwischen Autonomie und Fremdbestimmung den Weg weisen könnten. Die GATT-Verhandlungen haben die Komplexität der Situation eindringlich belegt. Während die amerikanischen Interessen auf die wirtschaftliche Förderung ihrer Filmproduktionen ohne indirekte Einflüsse staatlicher Filmforderungen gerichtet waren, insistierten die europäischen Länder auf den Schutz der eigenen nationalen, wirtschaftlich eher schwachen Filmkulturen. Hier liegt keine einfache Demarkationslinie zwischen Wirtschaftsinteressen und Kulturinteressen. Vielmehr belegt diese Auseinandersetzung eine Gemengelage von Interessenbereichen, die sowohl kulturell, wirtschaftlich als auch national geprägt sind. In der Diskussion der Kompetenzen der europäischen Gemeinschaft im Kulturbereich kann der Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und kulturellen Fragen nicht ausgeblendet werden. Jacques Delors hat den Kulturgütern beschieden, nicht nur eine Ware unter anderen zu sein, die wie Kühlschränke 94
Vgl. etwa Said, S. 265 ff., der die "interagierende Erfahrung" verfolgt, die "Imperialisten und Imperialisierte" miteinander verstrickte (S. 268).
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
oder Autos verkauft werden können95. Diese Aussage zugunsten einer angemessenen Auseinandersetzung mit Kultur ist nicht frei von Einwendungen. Solche Privilegierungen der Kultur belegen ein Verständnis, das mit dazu beiträgt, daß die wirtschaftlichen Interessen der Künstler zugunsten eines hochkulturellen Anspruchs in den Hintergrund treten. Wie schon bei der Betrachtung staatlicher Kunstforderung gezeigt wird künstlerische Freiheit ohne materielles Substrat zur Hohlform der Autonomie.
bb) Europäische Kompetenzordnung
Kulturstaatlichkeit kann sich auf der Grundlage der europäischen Integrationsbestrebungen nicht in nationalstaatlichen Dimensionen definieren. Eine supranationale Konzeption von Kultur wird mit der Erweiterung politischer, sozialer und technologischer Zusammenhänge nicht zum Desiderat, sondern zum Selbstverständnis der Künstler. Längst zeigen etwa große europäische Kunstausstellungen herausragende Künstler, die weniger die Nationalkunst ihrer Länder repräsentieren, sondern in internationalen Diskussionszusammenhängen ihre Kunst schaffen. Mit dem Anspruch einer europäischen Kultur verbinden sich die vorbezeichneten Gefahren für die Prosperität der nationalen Einzelkulturen. Die Wahrung der Kulturstaatlichkeit der Einzelstaaten gegenüber den übergreifenden kulturellen Dimensionen Europas stellt das zentrale Kompetenzproblem dar. Das Europäische Parlament hat diesem Anspruch in verschiedenen Entschließungen Rechnung getragen96, die die Gemeinschaftsaktion zu einer "Kultur der Kulturen" avancieren lassen sollen. Diese Begrifflichkeit markiert einerseits das gemeinschaftliche Kulturerbe, andererseits die kulturelle Autonomie der Einzelkulturen. Auch wenn diese Formel eine Vereinbarkeit beider Ansprüche verheißt, sind sowohl in der Verrechtlichung dieses europapolitischen Programms wie auch in der faktischen Verknüpfung der Kulturen Friktionen zu beobachten. Einen Formelkompromiß zwischen einer europäischen oder globalen Kultur einerseits und nationalen Kulturen andererseits beinhaltet keine ausreichende kulturrechtliche Programmatik. Wenn auf die EWG als Wirtschaftsgemeinschaft verwiesen wird, stellt sich die Frage nach der kulturpolitischen Mandatierung der Gemeinschaft nur se95
Nach Niedobitek, S. 210. Vgl. etwa die Entschließung zur Verstärkung der Gemeinschaftsaktionen im Bereich Kultur, ABl. EG C 342/127, EG C 69/180. 96
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
137
kundär 97. Da die Europäische Gemeinschaft bisher keine ausdrückliche Kulturzuständigkeiten besaß, handelte es sich um einen grundsätzlich den Mitgliedstaaten verbliebenen Bereich98. Eine Primärkompetenz der Gemeinschaft für Kultur existierte nicht, lediglich sekundäre Befugnisse ließen sich ableiten99. Art. 128 Abs. 1 EGV von Maastricht stellt demgegenüber nunmehr explizit fest: "Die Gemeinschaft leistet einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes." Durch Art. 128 Abs. 2 EGV wird diese Aufgabe dahingehend konturiert, daß nicht nur unterstützende, sondern erforderlichenfalls auch ergänzende Tätigkeiten zulässig sind. Schließlich wird durch das Einstimmigkeitserfordernis des Art. 128 Abs. 5 EGV die Gefahr der einseitigen Förderung bestimmter Kulturregionen entgegen. Weiterhin wurde Art. 92 III lit.d EGV eingeführt, der Beihilfen zur Kulturförderung wie die Förderung von Theatern, Orchestern und Museen nach vorheriger Notifizierung gemäß Art. 93 III EGV vorsieht. Da diese Beihilfen nicht generell zulässig sind, sondern nur, wenn sie die Handels- und Wirtschaftsbedingungen in der Gemeinschaft nicht spürbar beeinträchtigen sowie im gemeinsamen Interesse stehen, beginnt der problematische Fallbereich bei der Förderung besonders großdimensionierter Projekte 100. Mit diesem kulturverfassungsrechtlichen Vorstoß ist eine europäische Kulturkompetenzordnung entstanden, in der EG-Kulturkompetenzen und nationale Kulturkompetenzen nebeneinander stehen101. Freilich beinhaltet diese kompetentielle Differenzierung keine hinreichende Antwort auf die Frage, welche kulturellen Bezüge den europäischen Verbandskompetenzen entzogen sind. Aufgrund der Angleichung der sozialen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse in der Gemeinschaft wird aber ein eigenständige kulturelle Identität Europas mehr als wahrscheinlich. Deren Ausbildung setzt die Gemeinschaftsaktion voraus. Mit diesem Bekenntnis zum gemeinsamen europäischen Erbe sind neue Kriterien zur Abgrenzung der Gemeinschaftsaktion von nationaler Kulturstaatlichkeit anzugeben:
97
Vgl. Niedobitek, S. 188. Oppermann, Europarecht, § 29 Rdnr. 1980. 99 TomuschaU EuR 1990, 341. 100 Vgl. Schweitzer/Hummer, S. 501. 101 Häberle, EuGRZ 1992,429 ff. 98
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
(1) Subsidiaritätsprinzip und Kultur Im Bereich der europäischen Kulturpolitik ist im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips 102 gemäß Art. 3 b EGV eine darüber hinausgehende Europäisierung solange nicht anzustreben, solange das kulturelle Geschehen auf nationalen und regionalen Ebenen stattfindet. Erst wenn auf der Ebene der Mitgliedstaaten Ziele nicht ausreichend erreicht werden können und wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erzielt werden können, ist die Gemeinschaft zum Handeln aufgerufen. Im Rahmen eines "komparativen Effizienztests" sind die Gemeinschaftsmaßnahme und die einzelstaatliche Maßnahme zu vergleichen103. Ob hier ein gesunder Wettbewerb 104 oder die Verdrängung national eigenständiger Kulturen zu erwarten ist, ist nicht vorentscheidbar. Die Leistungsfähigkeit des Subsidiaritätsprinzips begegnet jedoch Vorbehalten105, da hier politische bzw. kulturelle Optionen stärker als justiziable Kriterien entwickelt werden können. Eine KompetenzKompetenz, die nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört, ist keinesfalls aus diesem Prinzip abzuleiten106. In seiner Wirkung begrenzt es die Ausübung anderweitig eingeräumter Befugnisse wie Art. 128 EGV, die die Gemeinschaftstätigkeit auf die Ergänzung der mitgliedstaatlichen Politik beschränken107. (2) Kultur und Wirtschaft Die enge Verflechtung von wirtschaftlichen Maßgaben und kulturellen Folgeeffekten macht deutlich, daß die indirekte Bestimmung der Kultur durch wirtschaftliche Kompetenzen sich nicht auf eine marginale Bedeutung reduziert. Danach kann schon aus faktischen Gründen, aufgrund der umfassenden Dimension des Kulturbegriffs, keine allgemeine Bereichsausnahme für die kulturelle Verbandskompetenz feststellbar sein. Dieses Ergebnis wurde bereits durch den alten EWG-Vertrag gestützt. Ausnahmen vom Geltungsbereich waren ausdrücklich festzustellen 108. Lediglich Art. 36 S. 1 EWGV beinhaltet eine solche Ausnahme für den Bereich von Einfuhr-, Ausfuhr- und Durch102 103 104 105 106 107 108
Dazu im Einzelnen Möschel, NJW 1993, 3025 ff. Vgl. dazu Schweitzer/Hummer, S. 282 m.w.N. Vgl. Häberle, EuGRZ 1992,433. Vgl. Möschel, NJW 1993, S. 3027. BVerfG, NJW 1993, 3047 ff. (3054). BVerfG, NJW 1993, 3057. Vgl. Niedobitek, S. 194 ff.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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fuhrverboten oder -beschränkungen zum Schutz des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert. Die Existenz dieser Ausnahme ist ein Beleg, daß eine umfassende Bereichsausnahme für den Kultursektor nicht besteht. Gleichwohl erschloß diese negative Annäherung an den europäischen Kompetenzbereich noch kein schlüssiges Argument für eine positive Bestimmung supranationaler Kulturstaatlichkeit. Trotz des Bedingungszusammenhangs ökonomischer und kultureller Entscheidungen, die nicht als Sekundäreflfekte relativiert werden können, wäre vorderhand eine Gemeinschaftskompetenz denkbar, die sich indifferent zu den kulturellen Auswirkungen verhält. Begrenzt wird eine solche Kompetenzlogik aber bereits in dem Wirtschaftsbegriflf, der dem EGV zugrundeliegt. Art. 2 EGV wendet sich gegen eine ausschließlich profitorientierte Wirtschaft mit der Forderung eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums sowie eines harmonischen Wirtschaftslebens. Auch wenn daraus noch keine positive Aufgabenbestimmung für den Kultursektor resultiert, sind diese Zielsetzungen für die Wirtschaft ihrerseits kulturelle Wertsetzungen. Dieser Befund wird durch weitere implizite Voraussetzungen des Gemeinschaftsrechs verstärkt. Zunächst ist das Handeln der Gemeinschaft auf allgemeine Interessen dieser Gemeinschaft, auf Grundwerte wie Leben, Gesundheit und Natur bezogen109. Ohne kulturelle Rücksichtnahmen wäre das Interesse einer überstaatlichen Gemeinschaft, der zugleich eine internationale Gesellschaft zugrundeliegt, nicht gewährleistet. Eine europäische Wirtschaftsordnung, die den kulturellen Bereich schädigt, wäre nicht mit den Interessen der Gemeinschaft vereinbar. Diese negative Feststellung kann um einen sachbereichsspezifischen Aspekt positiv ergänzt werden: Kultur ist ein direkter wie indirekter Wirtschaftsfaktor. Im Gegensatz zu der vorangestellten Aussage Jacques Delors' ist nicht ersichtlich, warum Kulturgüter nicht als Wirtschaftsgüter behandelt werden sollten. Die amerikanische Vorrangstellung im Bereich des internationalen Films, die ein permanentes Problem für den ökonomischen Erfolg europäischer Filmproduktionen darstellt, läßt sich auf einen Kulturbegriff zurückführen, der die wirtschaftliche Verwertung nicht als kulturfremde Kategorie begreift 110
109 Vgl. dazu das Urteil des Gerichtshofs (25.01.1977), Rs. 46/76 (Bauhuis), Sammlung 1977, 5, 17. 110 Zu typischen Vermarktungsstrategien amerikanischer Produktionen vgl. etwa Palm, S. 57 ff.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Weitergehend läßt sich nach dem offenen Begriff der Kultur hin feststellen, daß wirtschaftliche Entscheidungen nicht nur Implikationen für den Bereich der Kultur mit sich führen, sondern zugleich kulturelle Entscheidungen sind. Im Begriff der Wirtschaftskultur findet sich für diesen komplexen Sachverhalt eine Formel. Nur ein verengtes Kulturverständnis könnte übersehen, daß die Kultur einer Gesellschaft von ihren ökonomischen Voraussetzungen unmittelbar abhängt. In Art. 128 Abs. 4 EGV ist nunmmehr der kulturelle Bezug des Gemeinschaftshandelns ausdrücklich herausgestellt worden. Die Gemeinschaft trägt im Rahmen dieser Kulturverträglichkeitsklausel den kulturellen Aspekten bei ihrer Tätigkeit in anderen Politikbereichen Rechnung111. Die europäische Gemeinschaft hat sich damit in den komplexen Bezugsrahmen zwischen der Kulturverträglichkeit des Gemeinschaftshandelns bis hin zur kulturellen Imprägnierung politischer und wirtschaftlicher Zielsetzungen gestellt.
(3) Kulturelle Pflichtaufgaben Fraglich ist dagegen, ob dem Recht der europäischen Gemeinschaft, kulturelle Fragen unter Wahrung der Belange der Mitgliedschaftsstaaten zu regeln, Pflichtcharakter zukommt. Das wird verschiedentlich bejaht112. Der Sachzusammenhang bzw. die rechtmäßige Ausübung des Ermessens in Kenntnis sämtlicher Momente eines Regelungsgegenstands würden kulturelles Handeln der Gemeinschaft zur Pflicht machen. Diese Auffassung begegnet Bedenken. Zunächst wird eine solche allgemeine Pflichtaufgabe wenig ergiebig sein, differenzierende Angaben zu entwickeln, welche kulturellen Manifestationen mehr oder weniger forderungswürdig sind. Das allgemeine Dilemma notwendiger Staatstätigkeit auf dem Gebiet der Kultur wiederholt sich hier auf supranationaler Ebene. Europäische Kulturpolitik findet danach auf der Grundlage neuer Zuständigkeiten nach Art. 128 EGV einschließlich Ergänzungen wie Art. 235 EGV da statt, wo Berührungen mit Kulturfragen sich aus der Natur der Sache heraus ergeben113. Von der bisher marginalen Bedeutung des Art. 235 EGV rücken einige Ansätze ab, die in mehr oder weniger extensivem Umfang kulturpolitische Einzelmaßnahmen auf dieser Grundlage für zulässig erachten114. 111 112 113 114
Vgl. Schweitzer/Hummer, S. 500 ff. Niedobitek, S. 211 m.w.N. Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1979 f. Vgl. zu den einzelnen Auffassungen Ress, S. 40 ff.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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Aufgrund des Zusammenhangs zwischen ökonomischen und kulturellen Zielsetzungen sind solche Kompetenzen nicht von vorneherein auszuschließen. Richtlinien oder Verordnungen, die etwa dem Schutz kulturhistorisch wertvoller Bauten dienen115, wären aber auf dieser Grundlage rechtswidrig. Feststellungen, daß "Kultur heutzutage ein Sprungbrett für wirtschaftlichen Aufschwung darstellt" 116 geben keine justizable Antwort im Rahmen des Art. 235 EGV. Der Kontrast zwischen früher fehlenden förmlichen Kulturbefugnissen und der Bedeutung der Europäischen Kultur, deren Gehalt über die Summen nationaler Einzelkulturen hinausgeht, hat aber den Anspruch der Gemeinschaft geprägt, Konzepte für eine kohärente Kulturpolitik der Europäischen Gemeinschaft zu erstellen117. Ähnlich wie bei der innerstaatlichen Auseinandersetzung über die Reichweite bundesstaatlicher Kulturkompetenzen sind die Mitgliedstaaten aber an der Erhaltung ihrer nationalen und subnationalen Kulturhoheiten interessiert 118. Diese legitimen Partikularinteressen werden aber im Zuge der europäischen Entwicklung berücksichtigen, daß Kunst aufgrund der ständig wachsenden Vernetzung des weltweiten Kultur und Medienbereichs oft erst da adäquate Entfaltungsmöglichkeiten erfährt, wo die Förderung solche übergreifenden Zusammenhänge berücksichtigt119. Aus dem umfangreichen Feld kulturpolitischer Maßnahmen der EG sind für die Kunstförderung insbesondere der europäische Bildhauerwettbewerb 120, die Förderung des Kulturschaffens durch Unternehmen (Sponsoring)121, Kulturförderung in den Regionen Europas122,das Aktionsprogramm zur Förderung der Entwicklung der europäischen audiovisuellen Industrie (MEDIA) 123 , Kaleidoskop 2000124 sowie Ariane 125 zu nennen126. Hier zeichnet sich bereits ab,
115
Beispiel von Ress, S. 41. Jack Lang, zit. nach Sparr, Kulturhoheit und EWG-Vertrag, S. 18. 117 EG-Kommission, Neue Impulse für die Aktion der EG im kulturellen Bereich, Bull. EG 1987, Beilage 4; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1979. 118 Ipsen, GS-Geck, S. 348 ff.; Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1979. 119 Vgl. Sieger, ZUM 1988, 483. 120 Vgl. ABl. 1985, C 153/2 ff. 121 Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1992. 122 Oppermann, Europarecht, Rdnr. 1992. 123 Grünert, S. 332. 124 ABl. 1994, Nr. C 324, S. 5 ff.; ABl. 1996, Nr. L 99, S. 20. Diese Maßnahme unterstützt Veranstaltungen, Künstlermobilität und die kulturelle Zusammenarbeit über Netzwerke im Fall, daß die Projekte eine europäische Dimension haben. 116
142
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
daß nicht Länderkonkurrenzen, sondern kreative Wettbewerbe zwischen den Künstlern und Stärkung der Weltmarktpositionen kleinerer und mittlerer Unternehmen an Bedeutung für die kulturelle Identität Europas gewinnen werden.
2. Auswirkungen des Kulturbegriffs auf die Strukturierung staatlicher Kunstförderung
Nach diesem Überblick zu den verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkten und kulturpolitischen Initiativen einer kulturstaatlich verstandenen Kunstförderung ist zunächst der Kulturbegriflf auf Aussagen zur vorliegenden Problemstellung hin zu untersuchen. Auch wenn "Kultur" keine originär juristische Kategorie ist 127 , kann die normative Aufgabe nicht auf seine Konkretisierung verzichten. Der verfassungsrechtliche Zugriff auf den komplexen Begriff "Kultur" ist mit einer Vielzahl von Begriffsbildungen konfrontiert, die größtenteils Ergebnis außerjuristischer vor allem soziologischer, ethnologischer und kulturanthropologischer Bemühungen sind 128 . Dabei hat sich der Kulturbegriff im Sinne von Agrikultur oder cultura animi zu einem schillernden Universalbegriff menschlicher Gesellschaften gewandelt129. Kultur wird zu einer Beobachtung zweiter Ordnung, in der menschliche Tätigkeiten, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung nicht als Kunst oder Kulturmoment reflektiert wurden, zusammengefaßt und verglichen werden 130. Die hier vorgenommene Untersuchung könnte sich mit der Feststellung bescheiden, daß Kunst zweifelsfrei ein zentrales Merkmal jedes Kulturbegriffs ist, wenn nicht der gesellschaftliche Kontext der Kunst und damit mittelbar die Anforderungen an eine wirklichkeitsorientierte Staatspraxis durch das je zugrundegelegte Kulturverständnis eine andere Ausprägung erführen. Die Einbettung der Kunst als Herzstück jeden Kulturbegriffs in einen erweiterten Kulturbegriflf könnte mit
125
ABl. 1994, Nr. C 324, S. 11 ff. (Förderung von zeitgenössischer Literatur mit besonderer Förderung von Werken der weniger bekannten Gemeinschaftssprachen). 126 Vgl. im übrigen die Übersicht bei Geißler, S. 174 ff. 127 Isensee, WDStRL42, 133 (139). 128 Moles, S. 6 spricht von mehr als 250 verschiedenen Definitionen. Vgl. auch Eliot, Beiträge zum Begriff der Kultur, S. 9 ff. Ausfuhrlich m.w.N. zur kulturanthropologischen Begriffsbestimmung Greverus, S. 52 ff. 129 Luhmann, Kunst der Gesellschaft, S. 341 f. 130 Zu dem Verlust an Naivität einer sich selbst reflektierenden Kunst Luhmann, Kunst der Gesellschaft, S. 341 f.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
143
einer Ausdifferenzierung der Bedingungen einer freiheitlichen Kunstforderung verbunden sein. Nach einer neueren juristischen Unterscheidung stehen sich ein soziologischer und ein engerer Kulturbegriff gegenüber. Im ersteren Fall wird Kultur als "Inbegriff der typischen Lebensformen, Werteinstellungen und Verhaltensweisen innerhalb der Gesellschaft" gesehen131. Dagegen steht ein Kulturbegriff, der "zum Staat in einer (in sich wieder differenzierten) Sonderbeziehung stehende geistigschöpferische Betätigungsfelder ("Bildung, Wissenschaft, Kunst, Religion")" bezeichnet132. Die Gegenüberstellung dieser Kulturbegriffe ist nur bedingt richtig, da durch die Aufnahme der diversen Formen gesellschaftlicher Kommunikation und Interaktion 133 im Zusammenhang der Diskussion des engeren Kulturbegriffs die Abgrenzungen schwinden und einem offenen Kulturkonzept weichen134. Ein aktualisierendes Verfassungsverständnis kann nicht umhin, den kulturellen Umbruch in den sechziger Jahren zur Kenntnis zu nehmen. Kultur löst sich danach aus dem traditionellen, ästhetisch-kontemplativen Bedeutungszusammenhang und steht in einem umfassenden, auf sämtliche Lebensbereiche sich beziehenden Kontext135. Das Selbstverständnis vieler Kulturträger und die Bedürfnisartikulation der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen entheben die Kultur einer residualen, elitären Lebenswirklichkeit und machen sie frei für übergreifende Wirklichkeitsbezüge. Alternativ(en)- und Subkultur 136, Kultur von allen und für alle 137 , Kunst im öffentlichen Raum138 sowie Multikultur 139 markieren idealtypisch 131 Vgl. zu dieser Differenzierung Steiner, VVDStRL 42, 42. Vgl.etwa Heller, Vom Wesen der Kultur, S. 429: "Kultur ist so der Inbegriff der diesseitigen menschlichen Bestimmungen". Zur Bedeutung des Kulturbegriffs Hellers für die Fundierung seiner Staatslehre vgl. Robbers, S. 92 ff. 132 Steiner, VVDStRL 42, 42 und S. 8 ff. nach der Kulturkonzeption Oppermanns. 133 Steiner, VVDStRL 42, 10; Hoffmann/Kramer, Kulturpolitik und Kunstptlege, S. 267. 134 Häberle, Kulturverfassungsrecht, S. 14 f.; ders., Kulturstaat, S. 30. 135 Glaser, Kulturpolitik, S. 383ff; Hoffmann, Kultur für alle, S. 30 ff ; Trommler, S. 382. Damit der "Bann des humanistischen Menschenbildes gesprengt" wird und der Kulturbegriff für eine avancierte Mediengesellschaft freigesetzt werden kann, plädiert Bolz, S. 133, für eine "posthumane Kultur". 136 Schwendter, S. 398 zu den Theoretikern der Subkultur. 137 Vgl. Hoffmann, Kultur für alle. 138 Zur Kunst im öffentlichen Raum sowie zur Kunst am Bau vgl. Schnettler, S. 41 ff 139 Hoffmann/Weber, Die Kultur der 90er Jahre, S. 19 f., zur tendenziellen Entzauberung der Multikultur. Der zukünftige Geltungsanspruch der Multikulturförderung wird daran zu messen sein, inwieweit das Paradox spezifischer Kulturen und ihrer Amalgamierung zu einer Einheitskultur fruchtbar gemacht werden kann.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
die Ablösung von einer Einheitskultur, die gruppenspezifischen Besonderheiten einer pluralistischen Gesellschaft keine Rechnung trägt, sondern die freiheitliche Inanspruchnahme von Kulturgütern faktisch unterläuft und individuelle Lebensentwürfe potentiell behindert. Diese Idee der Kultur prätendiert auch keinen universalistischen Allgemeinbegriff, sondern differiert zwischen den verschiedenen Bezugsrahmen in einer Pluralität von Kulturen. Im Zusammenhang mit sozialstaatlichen und demokratischen Staatsstrukturen erwachsen der Kunstförderung aus diesem veränderten Kulturverständnis besondere Vermittlungsfunktionen im gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß140. Mit dieser Tendenz der Parzellierung des Kulturbegriffs ist zugleich ein Gefahrenmoment einer vereinheitlichenden Kulturverwaltungspraxis bezeichnet, dem im Rahmen der Ausgestaltung des kunstfördernden Instrumentariums nachzugehen sein wird. Auch wenn der Begriff der Kultur danach offen zu halten ist, lassen sich gleichwohl funktionale Elemente der Kultur angeben, die die ideelle Produktion und Reproduktion der Gesellschaft sowie des Staates ermöglichen. Im Blick auf die individuelle und kollektive Identität erfüllt sich Kultur in der sinn- und werthaften Auseinandersetzung mit Welt, imprägniert gesellschaftliche Lebensbereiche wie die Wirtschaft-, Berufs- und Arbeitswelt und schafft damit notwendige Legitimationsressourcen, ohne die sozialer Frieden und Prosperität nicht zu gewährleisten wären.
3. Verhältnis des Kulturstaats zu institutionellen des Art 5 Abs. 3 S. 1 GG
Grundrechtsgehalten
Der verfassungsrechtliche Zugewinn einer kulturstaatlich begriffenen Kunstförderung gegenüber den auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG beruhenden Konzepten der "Freiheitsförderung" ist bereits in deren Kritik angedeutet worden. Orientiert sich letztere primär am gesellschaftlichen status quo der künstlerischen Lebenswirklichkeit beschreibt der Kulturstaat Aufgaben, Richtungen und Interpretationsrichtlinien staatlichen Handelns und birgt damit neben prospektiven auch dynamische Momente. Allgemein drückt sich darin das Verhältnis von Grundrechten, die vorrangig in der Begrenzung staatlicher Gewalt auf die Gewährleistung des erreichten Freiheitspotentials und der daraufhin entwickelten Schutzmechanismen gerichtet sind, zu Staatszielbestim140
Ein früher Versuch, das Verhältnis von Kulturpolitik und Sozialpolitik in ihrer Wechselwirkung zu verstehen, findet sich bei Schütz, Brennpunkte, S. 34 ff.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
145
mungen aus, die eine umfassendere, aber auch allgemeinere Programmatik beinhalten141. Der eher tendenzielle Charakter dieser Verhältnisbestimmung erlaubt es nicht, die dogmatischen Abschichtungen antinomisch zu verstehen142. Das verfassungsgemäße Kulturstaatsverständnis konturiert sich wesentlich über die grundgesetzliche Wertentscheidung einer freien Kunst143. Auf der freiheitlichen Prägung der Kunst als Leitgedanke muß jede verfassungsgemäße Konzeption der Kunstforderung beharren, ohne den Bezug zum umfassenden kulturstaatlichen Verständnis zu verlieren. Kunst ist freiheitlich zu fordern, d.h. nicht allein Förderung der Freiheit der Kunst, aber niemals Förderung, ohne den freiheitlichen Ausgangspunkt des Verhältnisses von Kunst und Staat außer Acht zu lassen. In diesem Sinne prägt der institutionelle Gehalt des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG das Staatsziel "Kulturstaat".
4. Kunstförderung
und Sozialstaat
Die Prägung des Kulturstaats durch das Sozialstaatsprinzip und umgekehrt ist nicht im Grundsatz144, wohl aber in der Reichweite der verfassungsrechtlichen Konkretisierbarkeit umstritten 145. Zwei Bezugsgruppen sozialstaatlicher Zuwendung sind zu differenzieren: Kunstempfanger und Künstler.
a) Kulturelle Daseinsvorsorge Es herrscht ein Grundkonsens der verschiedenen Lehrmeinungen und auch der Rechtsprechung, daß das Ziel sozialstaatlicher Maßnahmen darin besteht, "dem Schwächsten zu helfen, seine Not zu beheben oder wenigstens zu lin141
Dazu Lücke, AöR 107, 15 ff. (20 ff.); Scheuner, FS-Forsthoff, S. 330 ff. Die Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge", S. 54, hat aber die "klare systematische Trennung von Grundrechten einerseits und Staatszielbestimmungen andererseits" dadurch zum Ausdruck bringen wollen, daß eine Aufnahme der Staatszielbestimmungen als Grundrechts-Annex abgelehnt wurde. 143 Vgl. Benda, Die neue Ordnung 1982, 348 ff. zum Verhältnis von Kunstfreiheit und Kulturstaat. 144 Häberle, Kulturstaat, S. 35; Kückelmann, UFITA Bd. 59, 115 ff.; Wiesand, Sozialpolitik statt Kulturpolitik?, S. 67 ff.; allgemein zur Konkretisierbarkeit des Sozialstaatsprinzips Stern, Staatsrecht, I, 21 II. 145 Weitgehend etwa Bull, S. 304 f.; kritisch gegenüber "Überkonkretisierung" Steiner, WDStRL 42, 33 ff. 142
10 Palm
146
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
dem". 146 Die Entlastung der sozioökonomischen Betroffenheit der Benachteiligten verbindet sich mit der Reduktion von gesellschaftlichen Konflikten. Neben die heute weitgehend gewährleistete Sicherstellung der auf die unmittelbare Lebenserhaltung bezogenen Bedürfnisse rückt die kulturelle Daseinsvorsorge verstärkt in das Blickfeld des Leistungsstaates147. Soziale Gerechtigkeit zielt hier auf die Gewährleistung eines angemessenen kulturellen Standards aller Bevölkerungsgruppen durch staatliche Mittel, insbesondere Einrichtungen der Vorsorgeverwaltung, wie Theatern, Museen, Schulen, etc., die über die Kraft des einzelnen hinausgehende Lebensgestaltungszusammenhänge ermöglichen148. Neben der sinnstiftenden Kulturfunktion, die jeder Form der Daseinsvorsorge eignet149, zielt die kulturelle Versorgung der Bürger in besonderer Weise auf die Gewährleistung ideeller Gehalte150. Im Mittelpunkt dieser Gewährleistung steht die Menschenwürde und die ihr verbundene freie Persönlichkeitsentfaltung, insbesondere im dialektischen Verständnis einer Entfaltung der Menschen durch die Menschen151. Für die verfassungsrechtliche Bestimmung der kulturellen Daseinsvorsorge ist der Vergleich mit der materiellen Daseinsvorsorge in Form der Bereitstellung eines staatlichen (kommunalen) Leistungsangebots nur bedingt brauchbar. Das "Interesse der Allgemeinheit an einem ungehinderten Zugang zu den Kulturgütern 152 ist nicht ohne weiteres vorauszusetzen, da Ausbildung und Struktur kultureller Bedürfnisse sich von anderen menschlichen Grundbedürfhissen qualitativ unterscheidet153. Nicht nur Eintrittspreise, auch Schwellenängste schaffen reale Hindernisse. Da die Differenzierungen zwischen Hoch- und Populärkultur in der gesellschaftlichen Akzeptanz aufweichen und Crossover-Phäno-
146
Zum Kern der zahlreichen Meinungen vgl. Bull, S. 175 ff. m.w.N. Häberle, Kulturpolitik, S. 26 ff.; ders., Kulturverfassungsrecht, S. 13; Kückelmann, UFITA Bd. 59, S. 127 ff.; zur Erweiterung der Daseinsvorsorge im historischen Rückblick vgl. Preuß, Begriff des Öffentlichen, S. 190 ff Kritisch Geis, S. 194. Grundlegend zum Begriff der Daseinsvorsorge Ossenbühl, DÖV 1971, 514. 148 Vgl. Kückelmann, UFITA Bd. 59, S. 135; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 131; Stern, Staatsrecht 1,24 II 4 a). 149 Koslowski, Philosophische Kritik, S. 20 f. 150 Häberle, Kulturstaat, S. 35. 151 Vgl. Evers, NJW 1983,2166. 152 BVerfGE 31, 229 (230). 153 Zum Verhältnis der Bedürfnisse Maslow, Theorie der Persönlichkeit. In der Anwendung dieser Theorie auf den Kunstkäufer Frangen, S. 163 ff.; ferner Hauser, S. 459 ff. 147
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
147
menen Platz machen, setzt aber nicht jede Kulturaneignung Kulturpädagogik 154 voraus Kultivierung 155 erschöpft sich nicht in der Befriedigung von Konsumbedürfhissen 156, sondern beschreibt einen potentiell unbegrenzten Prozeß der Persönlichkeitsgestaltung157. Diese eigengesetzlichen Momente des kulturellen Aneignungsprozesses bestimmen die Programmatik des sozialen Kulturstaats. Kulturelle Daseinsvorsorge kann sich daher nicht darin bescheiden, auf kulturelle Ansprüche durch Leistungen zu reagieren, sondern muß auch die Wekkung und Ausbildung158 kultureller Bedürfnisse befördern, wenn kulturelle Errungenschaften breiten Bevölkerungsgruppen zugute kommen solle159. Art und Umfang kulturstaatlicher Versorgungsleistungen werden auch durch eine aktive Verantwortung konturiert, die den Teilhabeberechtigten ein freiheitliches Angebot vermittelt 160. Sozialstaatliche Legitimationsprobleme entstehen daher für jede Kunstförderung, die primär Kultur als Wert an sich hypostasiert und demgegenüber die umfassend fundierten Chancen der personalen Selbstentfaltung vernachlässigt161. Vermittlungsförderung als vorrangiges Instrument kultureller Daseinsvorsorge162 zielt darauf, den historisch beobachtbaren Entfremdungsprozeß zwischen Künstlern und Publikum entgegenzuwirken163. Indem die Vermittlung von Kunst den Kontext der kunstinteressierten Öffentlichkeit verbessert, reduziert sie zugleich die ideelle und ökonomische Isolation der Künstler und schafft notwendige solidarische Ressourcen für ihre Ar154
Zum Siegeszug populärer Kunst mit der These der historischen Enteignung der kulturellen Ressourcen der Mehrheit durch die Elite vgl. Shusterman, Kunst Leben. 155 Dazu Gadamer, S. 8 f.; Häberle, Kulturverwaltungsrecht, S. 15. 156 Zu Recht dagegen Glaser, Kulturpolitik, S. 384. 157 Vgl. Heller, Vom Wesen der Kultur, S. 428 f. Zur Relevanz der Menschenwürde als Freiheit der Selbstbestimmung und Persönlichkeitsgestaltung im kulturellen Kontext vgl. Maunz, Die kulturelle Sicherheit des Bürgers, S. 147; Evers, NJW 1983, 2166. 158 Glaser, Kulturpolitik, S. 384 m.w.N., verweist auf die Diskrepanz zwischen kulturellen Bedürfnissen, die weiter verbreitet sind, als das die öffentliche Diskussion vermuten läßt, und die fehlenden Bildungsvoraussetzungen. Zur emanzipatorischen Funktion der Daseinsvorsorge Preuß, Begriff des Öffentlichen, S. 191, 204 ff. 159 Dem tragen auch die Schulerziehungsziele der Länderverfassungen Rechnung. 160 Vgl. auch BVerfGE 31, 229 (230) LS 3 zum "Interesse der Allgemeinheit an einem ungehinderten Zugang zu den Kulturgütern". 161 Vgl. Evers, NJW 1983,2162. 162 Ausführlich zum Instrumentarium der Vermittlungsförderung im internationalen Vergleich vgl. Fohrbeck, Kunstförderung, S. 154-227; Brock, Ästhetik als Vermittlung, mit vielen Einzelaspekten; Grasskamp, Museumsgründer und Museumsstürmer, S. 85-121. 163 Zur Entfremdung dieser beiden Gruppen Ott, Kunst und Staat, S. 61 ff.
148
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
beit. Insoweit ist Vermittlungs- und Breitenförderung mittelbar auch immer ein gutes Stück Individualfördening. Aufgrund dieser Verzahnung von Individual- und Vermittlungsförderung ist es somit keineswegs selbstverständlich, daß Kunstförderung zunächst Künstlerförderung ist 164 . Maßnahmen, wie "die Errichtung von Gemäldegalerien bzw. Kunstmuseen oder die Veranstaltung von Ausstellungen nicht zeitgenössischer Kunstwerke", die "die soziale Bedeutung der Kunst verbessern sollen", aus dem Bereich der Kunstförderung herauszunehmen165, hieße ein sozialstaatlich geprägtes Kulturverständnis um ein zentrales Moment zu verkürzen. Die verhängnisvolle Entfernung der Künstler vom für ihre Arbeit notwendigen Publikum und die damit verbundene gesellschaftliche Außenseiterrolle dürfen nicht durch staatlich einseitige Maßnahmen noch vergrößert werden. Die Bedeutung kultureller Auseinandersetzung, der Zusammenhang der kulturellen Entfaltung des Menschen durch den Menschen166 haben in neueren Stellungnahmen dazu geführt, Vermittlungsförderung als primäres 167 Förderungsmodell vorzustellen oder Individualfördening der Künstler ganz auszuschließen. Markiert wird dieser Anspruch durch die kulturpolitischen Schlagwörter einer "Kultur für alle" 168 , einer "Kultur von allen" 169 und eines "Bürgerrechts auf Kultur" 170 . Neben der Problematik, inwieweit die Ausdifferenzierung der kulturellen Wertsphäre Kunst, d.h. der Ausbau spezifischer Wissensvorräte und die dem zugeordnete Professionalisierung, solche Ansprüche einlösbar erscheinen läßt, bleibt auch die Schwierigkeit ihrer normativen Umsetzung in die verfassungsrechtliche Aufgabenstellung.
b) Probleme der Vermittlungsförderung Fehlende Partizipation breiter Bevölkerungsgruppen als kulturstaatliche Mangelkrankheit führte zu der Überlegung, ob eine "Politik der bürokratischavantgardistischen Inhalte" geeignet sei, eine egalisierende Kulturgüterum164
S. 66. 165
So zu Recht Fohrbeck, Kunstförderung, S. 36; a.A. Schäuble, Kunstförderung,
Schäuble, Kunstförderung, S. 66. Vgl. Suhr, Entfaltung des Menschen, S. 87 ff. 167 Althaus, S. 50 ff ; vgl. auch Evers, NJW 1983, 2166. 168 So der Titel von Hilmar Hoffmann\ Frangen, S. 183 ff.; Greverus, S 156 f.; Silkenbeumer, S. 11. Kritisch gegenüber einer undifferenzierten Vermittlungsideologie Grasskamp, Museumsgründer und Museumsstürmer, S. 85 ff. 169 Häberle, Kulturstaat, S. 31 ff. 170 Glaser, Kulturpolitik, S. 383; Häberle, Kulturstaat, S. 38 ff. 166
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
149
Verteilung zu erzielen 171. Durch inhaltsbezogene Ausrichtung staatlicher Kultur und Bildungsangebote soll danach ein vermeintlich bildungsbürgerliches Monopol an kulturellen Errungenschaften und Werten zugunsten kulturell diskriminierter Gruppen, durchbrochen werden 172. Dieses Konzept stützt sich auf die ideologische Unterscheidung bürgerlicher und emanzipatorischer Inhalte, die gegeneinander - etwa im Theaterprogramm bei der Überlegung, ob Schiller oder Brecht auf den Spielplan gesetzt werden 173 - ausgespielt werden. Eine solche Unterscheidung ist höchst zweifelhaft, da selbst von marxistischen Kritikern nicht bestritten wird, daß sogenannter bürgerlicher Kunst ein emanzipatorisches Potential eignet174. Entscheidend stößt die skizzierte Strategie aber auf die Problematik einer Vermittlung einseitig verordneter Kulturinhalte an die Betroffenen, ohne eine wechselseitige Erarbeitung durch alle Beteiligten zu ermöglichen175. Im Zusammenhang damit steht die Schwierigkeit der Verrechtlichung kultureller Gehalte qua Verwaltungsprogramm, da die dazu erforderliche Reduktion komplexer kommunikativer Abläufe ihre Spontaneität und Unmittelbarkeit beeinträchtigen kann 176 . Für die Vermittlungsförderung muß daher ein paternalistischer Erziehungsanspruch gleich welcher Herkunft einem kooperativen Vermittlungsideal weichen. Im Rahmen dieser Beziehung trifft den Staat keine Verpflichtung, daß der Bürger (Grundrechtsträger) auch Gebrauch von staatlichen/gesellschaftlichen Partizipationschancen oder grundrechtlichen Freiheitsräumen macht177. Eine Variante dieser Verkürzung des berechtigten Anliegens der Vermittlungsförderung bildet jene Auffassung, die sich des Künstlers als Kulturarbeiter vergewissern will. Schriftsteller als Sozialarbeiter, der Filmemacher als Stadtteiljournalist oder Maler, die andere Menschen zur Bemalung der eigenen Hauswand anleiten, gelten danach als Beispiele einer sozial engagierten Kulturarbeit, die Kunst sinnlich erlebbar und ihre Integrierung ins Leben eines jeden Menschen möglich macht. Hiernach wird unter Ausgrenzung konstitutiver Merkmale der Kunst allein auf die funktionalen Folgewirkungen künstlerischer Arbeit für den soziokulturellen Gesamtzusammenhang abgestellt. Der Künstler wird durch die Vermittlung seines Anliegens zum kulturpolitischen 171 172 173 174 175 176 111
Vgl. Knoepfel, S. 88 ff. m.w.N. Knoepfel, S. 81 ff. Knoepfel, S. 89. Herbert Marcuse, Über den affirmativen Charakter der Kultur, S. 56 ff. Knoepfel, S. 89. Ismayr, Perspektiven einer kulturellen Demokratie, S. 41; Knoepfel, S. 89. Friauf DVB1 1971, 674 (675 f.).
150
2. Teil: Kunstfrderung als Teil der Kulturverfassung
Handlungsgehilfen degradiert, der vornehmlich im Fall der Identität seines Anspruchs mit der Vermittlungsidee auf staatliche Unterstützung rechnen kann. Die Autonomie seines Status ist hier verlassen zugunsten einer diffusen Volkserziehung, die Emanzipation mit der Kollektivierung individueller Ansätze verwechselt178. Solche Vereinseitigungen kultureller Emanzipation haben immer wieder Gegentendenzen wachgerufen, die den künstlerischen Monolog, die die "Neue Innerlichkeit" oder den "Neuen Subjektivismus" in das Zentrum ihrer Bemühungen stellen. Neben der Abwendung der Einbindung des Künstlers in heteronome Aufgabenstellungen muß sich die Konzipierung einer sachbereichsadäquaten Vermittlungsförderung vergewissern, daß Kunst nicht zur Freizeitkategorie trivialen Massenkonsums auf der Grundlage der rigiden Trennung von Arbeits» und Rekreationsbereich wird 179 . Die Aneignung künstlerischer Gehalte ist häufig anders denn als Erarbeitung, d.h. als Anstrengung, die strukturell dem Arbeitsbereich verwandt ist, nicht denkbar. Nicht unproblematisch sind daher kulturstaatliche Ansätze, qualitative Unterschiede in der Zusammenfassung der Kunst mit anderen kulturellen Manifestationen (Sport, Vergnügen, etc.) einzuebnen, ohne empirisch beobachtbaren Zugangsschwierigkeiten im Umgang mit der Kunst Rechnung zu tragen. Entdifferenzierung hieße den verfassungsrechtlichen Schutz für alle kulturellen Interaktionen vor eingriffsstaatlichen Maßnahmen in ein gleichgeschaltetes Instrumentarium des Leistungsstaates zu übersetzen. Im Rahmen der Vermittlungsförderung ist eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Ansprechpartnern des Kulturstaats geboten, die sowohl an die Rechtsstellung (allgemeiner Status Sonderstatus)180 wie auch an sachbereichsspezifischen Unterschieden (z.B. Kinder, Jugendliche und Ausländerarbeit, Stadtteilarbeit, Kunst im Betrieb, Kunsttherapie) anknüpft. Vor allem Maßnahmen der Bildungs- und Schulgestaltung müssen in einem umfassenden Konzept der Vermittlung besonders berücksichtigt werden 181. Auf das Ergebnis des kulturellen Aneignungsprozesses bezogen gilt hier mit Häberle 182 gesprochen eine Unterscheidung von "Erziehungszielen" und "Orientierungswerten". Eine Intensivierung kunstpädagogischer Anstrengungen ist unab-
178
Zur Kehrseite der künstlerischen Autonomie, die den Künstler gesellschaftlich ausgrenzt und auf eine "innere Galeere" spannt, vgl. Gehlen, S. 301 ff. 179 Vgl. Fohrbeck, Kunstförderung, S. 190 ff. 180 Allgemein Wolff/Bachof Verwaltungsrecht I, § 32 IV a, S. 209. 181 Zur Kompetenzkonkurrenz zwischen Staat und Gesellschaft im Rahmen der Erziehung vgl. Ossenbühl FS-Bosch, S. 751 ff. 182 Häberle, Erziehungsziele, S. 102 ff.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
151
dingbar, wenn ein kultureller Prozeß in Gang gesetzt werden soll, der eine eigenständige Beteiligung am kulturellen Leben erst ermöglicht 183. Wenn Jugendbildung "ein Stück Vermittlung des je erreichten Kulturzustandes"184 beinhalten soll, kann die Reduktion künstlerisch-musischer Erziehung und Bildung 185 zugunsten zweckrationaler Lernziele nicht geeignet sein, den kulturellen Anspruch des Gemeinwesens einzulösen. Ansätze und Bemühungen, die hier dem kulturpolitischen Gestaltungsermessen geopfert werden, können selbst durch erheblich höhere Anstrengungen im Bereich anderer Formen der Vermittlungsförderung nicht ausgeglichen werden. Wenn die Genese kultureller Kompetenz von Beginn an gefördert wird, wird Vermittlungsförderung nicht zur Symptombehandlung kultureller Defizite oder zum kulturpolitischen Alibi verfehlter Kunstförderung. Die Prophylaxe kulturellen Ausgeschlossenseins hat damit soziostrukturell Vorrang vor der kulturellen "Daseinsnachsorge"186
c) Sozialstaatliche Sicherung der Künstler Zu Beginn des Jahrhunderts sieht Bernatzik in einem Großteil staatlicher Maßnahmen der Künstlerförderung nicht mehr als eine "verstärkte Armenpflege", die gleichwohl gegenüber der Zeit einen Fortschritt darstellt, in der die existenzielle Bedrohung des Künstlers noch mit "selbstverschuldeten Untergang eines Gewerbetreibenden" gleichgesetzt wurde 187. Wenn das Sozialstaatsprinzip heute auf seine Relevanz für das System der Künstlerförderung befragt wird, rücken Maßnahmen wie Künstlersozialversicherung 188, Härtefonds, Hilfskassen etc.189, in die Aufmerksamkeit des Verfassungsinterpreten. Bedenken gegen die Aufnahme dieser staatlichen Hilfen in den Katalog der kunstfördernden Maßnahmen werden insoweit geäußert, als hier unterschiedslos, unabhängig von ihren Verdiensten, alle Künstler aufgenommen werden. Schäuble ist daher der Ansicht, daß Zuschüsse im Rahmen der Kunstförde183 Fohrbeck, Kunstförderung, S. 199 ff.; Jürgen-Fischer, Kunst in öffentlicher Verantwortung, S. 182 f.; Pappermann, DVB1 1980, 707; Ruhrberg, S. 29 ff.; Rau, VerwRdschau 1980, 78. 184 Häberle, Erziehungsziele, S. 46. 185 Häberle, Erziehungsziele, S. 61 zur Abgrenzung von der Erwachsenenbildung. 186 Suhr, Der Staat 9, 77 m.w.N. 187 Bernatzik, S. 405. 188 Dazu Fischer, S. 298 ff. 189 Zum System sozialstaatlicher Absicherung des Künstlers vgl. Fohrbeck, Künstler in Not.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
rung "wegen der primären Orientierung an der Würdigkeit des Begünstigten" sich von Mitteln der Sozialhilfe unterscheiden190. Von der Zwecksetzung der Kunstförderung, die auch eine Unterstützung in Not geratener Künstler umfaßt 191, verbietet sich eine Ausgrenzung dieser Regelungsmaterie nicht 192 . Selbst bei Ehrungen ist es eine mehr oder weniger verborgene Zielsetzung, die häufig desolate wirtschaftliche Situation der Künstler zu verbessern 193. Schäubles Abgrenzung orientiert sich zu einengend an der Konzeption einer Individualförderung als Spitzenförderung. Insbesondere darf die motivationale Kraft einer gesicherten Altersversorgung für die Entscheidung zur freiberuflichen Tätigkeit als Künstler nicht unterschätzt werden. Damit kommt insbesondere der Künstlersozialversicherung 194 neben der Existenzabsicherung zugleich der Charakter einer ideellen Starthilfe zu. Im Blickfeld der Förderung eines vitalen, sozial geprägten Kunstlebens haben die genannten Maßnahmen somit tragende Funktion. Aufgrund der hohen Arbeitslosenquote und der damit verbundenen schlechten Einkommenslage der Künstler ist der Staat durch den verfassungsrechtlichen Sozialauftrag aufgerufen, auch die Einkommenschancen der Künstler zu verbessern 195. Neben der Aus- und Weiterbildung der Künstler sind erweiterte Berufsfelder zu schaffen 196. Ein integratives Kunstförderungskonzept ist daher auch für den Arbeitsbereich zu verlangen197. Daß Kunst nicht in den Plänen des Bundesforschungsministeriums zur "Humanisierung der Arbeitswelt" berücksichtigt worden ist, ist nicht nur ein Anzeichen für einen reduktionistischen Arbeitsbegriff 498, sondern gleichfalls für einen dem
190
Schäuble, Kunstförderung, S. 126. So auch Schäuble, Kunstförderung, S. 126; Bungenstab, S. 12; Hartmut Vogel, Künstlerförderung, S. 25 f.; Steiner, WDStRL 42, 33 Fn. 124. 192 Soziale Sicherung der Kunst gehört auch in historischer Perspektive zu den traditionellen Funktionen staatlichem Kunstpflege, obwohl sich das Hauptinteresse des Obrigkeitsstaates auf die Indienststellung der Kunst zur Wahrnehmung von Repräsentativfunktionen richtete. Vgl. für die historische Kunstförderung in Österreich Fliedl, S. 39 ff. 193 Fohrbeck/Wiesand, Kulturpreise, S. 34 ff. 194 Fischer, S. 298 ff. 195 Baum, Kunst und Staat, S. 14 f.; Fohrbeck, Kunstförderung, S. 83; Pfennig, S. 30; Hartmut Vogel, Künstlerförderung, S. 28. 196 Dazu gehört auch die Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit, die Fachvermittlungsstellen im Rahmen der Künstlervermittlung eingerichtet hat. Vgl. Lattmann, Der Staat und die Schwierigkeiten, S. 29 f. 197 Lux, S. 10 ff. Lux optiert für gemeinsame Erfahrungen im Unternehmen und gegen Individualkonsum, Sponsoring und Mäzenatentum. 198 Fohrbeck, Kunstförderung, S. 198. 191
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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zugeordneten Kunstbegriff. Wenn auch im Zuge der Ausdifferenzierung von Lebensbereichen eine Verschränkung beider Sphären nicht möglich erscheint199, so existieren doch Wege wechselseitiger Bereicherung 200. Der Anspruch auf gesellschaftliche Relevanz verbunden mit der Parole "Kunst ist notwendig" läßt sich hier in einer Weise wahrnehmen, der nicht nur zur verstärkten materiellen Absicherung beiträgt, sondern auch einen Teil der mit der Qualitätsförderung verbundenen Aporien der Expertenkulturen beseitigt. Der Künstler, der sich aus der historisch zugewiesenen Nischenexistenz entfernt und seine Fähigkeit in der Gewährleistung freien Schaffens in die Arbeitswelt einbringt, wird mit der angestrebten sozialen Akzeptanz auch eine materielle Konsolidierung erfahren, die den Staat anstelle gesellschaftlicher Kräfte entlastet. Solche Integrationen künstlerischer Arbeit neutralisieren tendenziell auch die Auswahlproblematik qualitativer Förderung, wenn die gesamte Kreativität der Künstler als gesellschaftlich wichtige Ressource erkannt und eingesetzt wird.
d) Grenzen des sozialen Kulturstaats Mit der Spekulation über die Bedingungen künstlerischer Arbeit verknüpft sich die allgemeine Kritik an der freiheitsgefahrdenden Entgrenzung des Sozialstaates in den Wohlfahrtsstaat zum Vorwurf gegenüber einer Kunstpflege mit der weitgehenden Risikoabsicherung des Künstlers: "Eine Altersversorgung für freischaffende Künstler, inklusive Krankenversicherung, Invalidenrente, Hinterbliebenen-Fürsorge, womöglich noch Zahnersatz und Kindergeld, das ist doch wohl eine Pervertierung des Sozialstaatsgedankens. Ist es nicht gerade die Unsicherheit des Lebens, die die stärksten Impulse des Schöpferischen birgt? Kann man sich vorstellen, daß Mozart, anstatt in einer Kraftanstrengung ohnegleichen sich Takt um Takt des 'Requiems' abzuringen, mit einem Schein der Ortskrankenkasse Wien ins Tbc-Hospital am Semmering gegangen wäre?" 201. Die Unzulänglichkeit dieser Entsagungsideologie entlarvt sich im Blick auf historische wie gegenwärtige Beispiele und kann daher nicht als Strukturmoment des sozialen Kulturstaats gelten. Ein übergreifendes, um-
199
Für diese Programmatik steht der Name Joseph Beuys. In diese Richtung weist auch Arvatov, Kunst und Produktion, S. 37 ff. Vgl. auch die Programmatik des Bauhauses. 200 Vgl. Solveig Weber, Betriebliche Kulturförderung, S. 1 ff., zu der weitreichenden betrieblichen Kulturförderung von Bayer Leverkusen. 201 Nach Fohrbeck, Künstler in Not, S. 24.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
fassendes Verständnis des Kulturstaats in seinen sozialen Momenten darf gleichfalls nicht zur kulturellen Sozialutopie entgrenzt werden. Eine kulturell definierte Sozialstaatsverpflichtung, jedem Menschen ein Höchstmaß an Förderung seiner Persönlichkeit zukommen zu lassen202, kann keiner Verfassung entnommen werden, die im Gebot rechtsstaatlicher Bestimmtheit und Klarheit an die realen wirtschaftlichen Voraussetzungen des Staatshandelns gebunden ist 203 . Da das Sozialstaatsprinzip regelmäßig keine subjektiv-rechtlichen Ansprüche vermittelt, ist das häufig maximalistisch mißverstandene "Bürgerrecht auf Kultur" 204 verfassungskonform als Appell an den Staat auszulegen, seinem sozialen Kulturauftrag die Bedeutung beizumessen, die anderen unverzichtbaren Gestaltungsfunktionen für ein menschenwürdiges Dasein aller Mitglieder des Gemeinwesens zukommt. Dabei würde das Mißverständnis, die sozial aufgegebene Ordnung des Kulturstaats mit der unbegrenzten Verordnung von Kultur zu verwechseln, nicht nur die Schwachstelle wohlfahrtsstaatlichen Denkens, die "Konversion von Sozialfunktionen in Herrschaftsfunktionen" 205, aktualisieren, sondern wäre auch zum praktischen Scheitern verurteilt, da sich Kreativität, Spontaneität, etc. als Bedingungen künstlerischer Prozesse und kultureller Partizipation nicht von "oben nach unten" vollziehen lassen. Der "Druck zur sozialen Konformität und Homogenität"206, der mit den rational geprägten Funktionsbedingungen des Sozialstaates verbunden ist, vereinbart sich vor allem nicht mit dem Bild des unabhängigen Künstlers, der Ordnungen, Zwänge und Stratifikationen des Gemeinwesens durchbricht.
5. Kunstförderung
und Demokratie
Die Bestimmung des Verhältnisses von Kulturstaat und Demokratie ist bei der Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Literatur das sicherste Kriterium, weite Kulturstaatskonzeptionen von engeren zu unterscheiden. Bevor jedoch auf den verfassungsrechtlichen Geltungsanspruch der verschiedenen Formen kultureller Einbeziehung und Mitbestimmung einzugehen ist, ist eine Gemeinsamkeit in der Bestimmung des demokratiespezifischen Anteils des Kulturstaats hervorzuheben. Kultur- und Kunstpflege als Kultivierung 202
Glaser, Kulturpolitik, S. 383. Zur Begrenzung sozialstaatlicher Möglichkeiten vgl. Häberle, Kulturstaat, S. 35. 204 Glaser, Kulturpolitik, S. 383. 205 Forsthoff,\ Rechtsstaat im Wandel, S. 53 ff.; Koslowski, Philosophische Kritik, S. 2 f., 15 ff. 206 Koslowski, Philosophische Kritik, S. 16. 203
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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einer Bildungs- und/oder Herrscherelite ist unter der Geltung des Grundgesetzes verfassungswidrig.
a) Demokratisierung der Kultur Nach weiten Kulturstaatskonzeptionen erstreckt sich Demokratie über die politische Position des Staatsbürgers hinaus auf sämtliche Lebensbereiche, die soziale Ordnung und die Regelung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen207. Die Brisanz der damit verbundenen Kontroverse veranschaulicht die Erwägung, "Demokratisierung" als eine Form der soziokulturellen Bewußtseinsveränderung anzusehen, die die Bedeutung einer "Kulturrevolution" besitzt208. Ein Schwerpunkt der fiir Fragen der Kunstforderung relevanten Partizipation 209 wird in der Bürgerbeteiligung an der Gestaltung von Programmen der verschiedenen Formen kultureller Prozesse gesehen210. Traditionell organisierte Kultur präsentiere sich elitär in hierarchischen Einrichtungen, in deren vertikaler Struktur Kultur als "allen Menschen Immanentes" nicht verstanden werden könne, sondern Prestigedenken, institutioneller Ressortegoismus und Konkurrenzverhalten innovationsfreudige Freiräume verhinderten 211. Danach seien die personalen Strukturen der Kulturinstitutionen zu enthierarchisieren, in dem neben der Teilnahme der Rezipienten vor allem die Mitarbeiter zur Mitwirkung bei der Arbeitsplatzgestaltung aufgerufen werden 212.
207 Grundlegend Abendroth, S. 180 ff; Hoffinann/Kramer, Kulturpolitik und Kunstpflege, S. 239 ff.; Hilmar Hoffinann, Kultur für alle, S. 269 ff. Auch Zimmermann, FuR 1983, 407 geht zu Recht davon aus, daß "Zielgruppe einer demokratischen Kulturpolitik die ganze Bevölkerung sein muß". 208 Kritisch Hennis, S. 47 ff. 209 Kritsch zum Begriff vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 729. 210 Jüchter, Demokratie, S. 339 ff. zu den verschiedenen Modellen (Kommunalverfassung, Intendantenmodell, Gremienstrukturen im Museums-, Volkshochschule Theaterbereich etc.). 211 Richter, Die Deutsche Bühne 1977,4 ff. 212 Jüchter, Demokratie, S. 339 ff.; Fohrbeck/Wiesand/Woltereck, S. 394; Graul, DÖV 1972, 125 ff. zum Mitspracherecht der Orchester bei der Aufnahme neuer Mitglieder.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
b) Kritik der kulturellen Demokratie Die Übertragung des demokratischen Prinzips von der politischen Willensbildung als Konstitution der Herrschafisordnung auf die Gestaltung kultureller Prozesse ist verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet213. Soweit dieses Prinzip als Ordnungs- und Legitimationsgrundlage für die politische Machtverteilung reserviert wird 214 , erscheinen kulturelle Mitbestimmungsmodelle in einem "demokratietheoretischen Weichbild" aufgehoben zu sein, das nicht aus der Verfassung zu gewinnen sei 215 . Kulturverfassungsrechtlich wird die Restriktion bürgerlicher Beteiligung mit dem Schutz der eigengesetzlichen künstlerischen Sphäre begründet, der Modelle inhaltlicher Partizipation zuwiderliefen 216. Zudem erlaube es die überzeitliche Kohärenz der Verfassung nicht, ephemeren Erscheinungen, wie sie in den Konzeptionen kultureller Demokratie gesehen werden, Verfassungsrang einzuräumen217.
c) Kulturelle Partizipation Der ausschließliche Bezug der Demokratie auf den politischen Willensbildungsprozeß stellt für die Vertreter kultureller Demokratie eine unzulässige Verkürzung eines übergreifenden staatlichen wie gesellschaftlichen Formprinzips dar 218 . Danach erschöpft sich die demokratische Legitimation der staatlichen Herrschaftsordnung durch den Wahlakt nicht das demokratische Potential eines Gemeinwesens219. Demokratische Teilnahmeformen wirkten auf die staatliche Willensbildung auch darüber hinaus ein, um "die Entstehung einer originären, exekutivischen politischen Gewalt" zu verhindern 220.
213
Vgl. aber z.B. Art. 73 Abs. 3 der Verfassung von Portugal: "Der Staat wird die Demokratisierung der Kultur..." (nach Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 389). 214 Konrad Hesse, S. 51; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rdnr. 112; Schröder, S. 210 ff.; v. Simson/Kriele, WDStRL 29, 3 ff., 46 ff.; Ossenbühl, DÖV 1983, 785 (788). 215 Steiner, WDStRL 42, 32, 117; Ossenbühl, DÖV 1983, 788; Quaritsch, Selbstdarstellung, S. 30. 216 Steiner, WDStRL 42, 33 m.w.N.; Graul, Künstlerische Urteile, S. 79 f.; Ridder, Freiheit der Kunst, S. 24; Ossenbühl, DÖV 1983, 788. 217 Steiner, WDStRL 42, 118. 218 Häberle, WDStRL 42, 111; Reuhl, JZ 1983, 535 (537). 219 Preuß, Begriff des Öffentlichen, S. 188 ff. 220 Abendroth, S. 79 f.; Preuß, Begriff des Öffentlichen, S. 188 ff.
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Sachbereichsspezifisch gelte, daß kulturelle Bedürfnisse, kreative Impulse und künstlerische Potentiale sich nicht in gleicher Weise administrieren lassen wie andere Bedürfnisgruppen 221. Ihr qualitativer Gehalt werde regelmäßig nur von den Betroffenen selbst richtig erkannt. Daher wird eine Partizipation der Bedürfnisträger im Rahmen der kulturpolitischen Willensbildung, die auf die Befriedigung kultureller Ansprüche gerichtet ist, für unabdingbar gehalten222. In diesem Zusammenhang ist zunächst auf die Relevanz kultureller Voraussetzungen für die Mitgestaltung der allgemeinen Herrschaftsordnung hinzuweisen223, in der politische Kultur in den Zusammenhang des gesamten Kulturniveaus einer Gesellschaft einzustellen ist, wenn nicht der mündige Bürger zum Weichbild technokratischer Fremdverwaltung werden soll 224 . Demokratische Kunstförderung gestaltet sich danach dialektisch auf der Grundlage einer kulturellen Öffentlichkeit, die ihrerseits Ziel kunstfördernder Maßnahmen ist 225 . Dieser Grundsatz ist nicht mit dem häufig als Drohgebärde gegen künstlerische Minoritäten mißbrauchten kulturpolitischen Argument des vermeintlichen Willens des Steuerzahlers zu verwechseln. Imaginäre öffentliche Stimmungen als Rückzugsposition verantwortungsunwilliger oder Deckmantel monokratischer Kulturpolitik lassen sich nicht als demokratiespezifische Anteile einer freiheitlichen Kunstforderung ausgeben226. Da der Grund für die Notwendigkeit von Subventionen im fehlenden Mehrheitsinteresse liegt, kann Demokratisierung nicht bedeuten, daß ein Breitengeschmack autorisiert wird. Das Experiment, der Versuch, das planlose Spiel etc., deren historische und gesellschaftliche Bedeutung fraglich bleiben, müssen möglich sein, da "der Fortschritt geistiger Dinge, zumal der Kunst, zunächst gegen die Majorität sich anbahnt"227. Vor allem im Bereich der Filmförderung muß berücksichtigt werden, daß die professionelle Aneignung des Metiers über die spärlichen 221
Lorenz, S. 173 (178). Lorenz, S. 179 mit der Feststellung: "Teilhabe fuhrt zur Fähigkeit der Teilhabe". Meyer, Der Bayerische Bürgermeister 1980, 15 spricht von der "Notwendigkeit eines Identifikationszusammenhangs zwischen Theaterpublikum und Theater" bei der Spielplangestaltung. 223 Grimmer, S. 300. 224 Notwendig ist dabei die Durchbrechung der Polarisierung "Technokratie gegen Demokratie" in der Vermittlung einer sachverständigen, bürgernahen (Kultur)verwaltung. 225 Ähnlich schon Biram, S. 59. 226 Bär, FuR 1983, 640: "Öffentliche Stimmung ist schließlich kein Auswahlkriterium fur Kunstförderung". 227 Vgl. Adorno, Kultur und Verwaltung, S. 119 ff., der kritisch auf die unterschiedlichen Bildungsprivilegien verweist, die diese Argumentationen gegen die Förderung des Experiments etc. ermöglichen. 222
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Ausbildungsangebote hinaus sichergestellt werden muß, ohne auf der direkten gesellschaftlichen Rückbindung zu beharren. Das Phänomen der verspäteten Rezeption als geschichtlich verzögerter Konsens breiter Schichten der Bevölkerung mit der Arbeit künstlerischer Vorreiter bedeutet dem Kulturstaat, sich nicht an das ästhetische Allgemeingut zu binden. Als Verwaltungskategorie bietet das Kriterium der sozialen Anerkennung kein verläßliches Indiz für die kulturelle Wirkung, da der qualitative Gehalt kultureller Prozesse sich nicht quantitativ fassen läßt. Zwischen diffusem Publikumsdiktat und freischwebendem Staatshandeln gestaltet sich demokratische Kunstförderung in einer breiten Mittelzone, in der der gesellschaftliche Bezug durch eine Vielzahl partizipatorischer Formen sichergestellt ist 228 . Museumspädagogische Konzepte wie "Ferien im Museum", Workshops von Künstlern und Publikum, didaktische Hilfen in Ausstellungen, Theater oder Oper bezeichnen beispielhaft solche Ansatzpunkte. Im Bereich institutionaliserter Formen künstlerischen Schaffens zielt Demokratisierung auf den Abbau von Ordnungsstrukturen der Leitung, in denen künstlerische und anstellungsrechtliche Entscheidungsbereiche konfundieren. Mit der Entflechtung künstlerischer und außerkünstlerischer Sachgesetzlichkeiten ist eine Differenzierung der künstlerischen Arbeitszusammenhänge dahingehend anzustreben, die künstlerische Freiheit der Mitarbeiter in Konkordanz zu setzen, ohne eine effiziente Entscheidungsbildung etwa im Rahmen des Intendantenprinzips zu konterkarieren. Grundsätzlich ist die Mitbestimmung der Mitarbeiter mit der künstlerischen Freiheit harmonisierbar 229. Eine Ausnahme in diesem Bereich ist nur für den Entscheidungsanteil anzunehmen, der unmittelbar auf die künstlerische Fragestellung bezogen ist. Ein Mitspracherecht wird sich daher auf die Aneignung künstlerischer Gehalte durch den potentiellen Empfängerkreis beziehen und die personellen wie sachlichen Bedingungen des organisatorischen Rahmens erfassen, der den künstlerischen Werk- und Wirkbereich nur mittelbar betrifft. Mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG unvereinbare Demokratisierungsvorschläge, die Massengeschmack verbindlich machen wollen und selbst ästhetische Theoriebildung miteinbeziehen, sind dagegen abzulehnen230. 228 Skeptisch Gerhard Schulze, S. 520 ff., gegenüber den Möglichkeiten kulturpolitischer Programme dieser Art. Schulze befürchtet, daß demokratische Kulturpolitik möglicherweise nicht soziale Asymmetrien abbaut, sondern verstärkt. 229 BVerfG, ZBR 1983, 107; BVerwGE 62, 55 ff.; dazu kritisch Roeper, ZBR 1982, 217 ff.; v. Münch, GGK, Art. 5 Rdnr. 62; Ladeur, AK-GG, Art. 5 Abs. 3 II Rdnr. 26 zur Mitbestimmung bei der Kündigung künstlerischen Personals. 230 Bedenklich für das Gebiet der Kunsttheorie etwa der Vorschlag von Schwencke, Demokratisierung, S. 65: "Bislang zeichneten sich die Theorien der Ästhetiker eher dadurch aus, daß sie, weil vorstrukturiert, notwendigerweise ein Kunstverständnis aus-
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung 6. Kunstförderung
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und Gleichheitsgrundsatz
Eine ausschließliche Begründung staatlicher Leistungspflichten aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG wäre verkürzend, da sich das Kunstleben auf höchst unterschiedliche Kräfte gründet, die als Erscheinung des gesellschaftlichen Pluralismus nicht durch staatlichen Mitteleinsatz nivelliert werden dürfen. Der Einfluß des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes auf die bisherigen Teilergebnisse zur Struktur staatlicher Kunstforderung ist vorrangig unter zwei Gesichtspunkten zu verfolgen: Die mit dem Kulturstaatsprinzip untrennbare Reflexion auf ästhetische Wertbildungen muß im Zusammenhang der Gesamtverfassung auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG untersucht werden. Das Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Qualität muß zugleich in Beziehung zur künstlerischen Freiheit gesetzt werden, um der differenzierten Zielstruktur staatlicher Kunstforderung zu entsprechen. Die sozialstaatliche Prägung des Kulturstaats ist im Rahmen der Vermittlungsforderung und der individuellen Künstlerhilfen auf ihr Verhältnis zum Gleichheitsgebot zu untersuchen.
a) Vermittlungsforderung aa) Kulturelles Existenzminimum
Das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ist den Prinzipien der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip zu entnehmen. Der Verteilungsmaßstab gründet sich auf den Gleichheitsgrundsatz231. Auch wenn es sich insoweit um ein relatives Recht handelt, das von den jeweiligen gesellschaftlichen Vorstellungen einer Zeit geprägt ist, bezieht sich das Existenzminimum nicht nur auf die physische Existenz, sondern auch auf soziokulturelle Bedürfnisse 232. Auch wenn hier beispielhaft Ansprüche auf Information, Kommunikation, Unterhaltung und Freizeit im Vordergrund der Betrachtung drücken und damit projektieren, was erst aufgrund der Erforschung von Bedürfnissen und Interessen der vielen zu formulieren wäre". Das beinhaltet freilich keine Option für eine klassisch-humanistische Ästhetik, die etwa in der Fassung von Goethe und Schiller Massenpublikum und Unterhaltungskultur desavouierte. Vgl. hierzu Löwenthal S. 31 ff. 231 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Rdnr. 69. 232 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Rdnr. 70 a, 71.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
stehen, handelt es sich bei dem egalitären Jedermannsrecht auf Daseinsvorsorge um einen dynamischen Begriff, der für inhaltliche Erweiterungen offen ist 233 . Soweit der Anspruch auf Kunst und Kultur grundsätzlich zum kulturellen Existenzminimum zu zählen ist, stellt sich die Frage, welche Konkretisierungen hier anzugeben sind. Ein monatlicher Theater-, Opern- oder Kinobesuch sollte auch im Rahmen des Ansatzes der Sozialhilfe berücksichtigt werden. Dabei wäre auch der Vergabemodus denkbar, Sozialhilfeempfängern nicht übertragbare Freikarten für solche Veranstaltungen einzuräumen.
bb) Kulturelle
Chancengleichheit
Da grundsätzlich jedem Teilnahmewilligen am staatlich geförderten Kommunikationsprozeß "Kunst" die gleiche Möglichkeit eingeräumt wird, in den Genuß staatlichen Mitteleinsatzes zu kommen234, stellt sich die Frage nach Differenzierungsverboten und verfassungslegitimen Folgedifferenzierungen. Im Bereich der sozialstaatlich imprägnierten Vermittlungsförderung bewirkt das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 GG ein gleiches Zugangsrecht aller zu den kulturellen Veranstaltungen des Staates. Das Recht zur Benutzung öffentlicher Einrichtungen hat in den Gemeindeverfassungen Ausdruck gefunden: "Die Einwohner sind im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde nach gleichen Grundsätzen zu benutzen"235. Zu Recht wird dieser Grundsatz als idealtypisch und daher verallgemeinerungsfahig angesehen, um das verfassungsrechtliche Gesamtverhältnis von Gleichheitssatz und Daseinsvorsorge anzugeben236. Das Zugangsrecht und die Beteiligungschance sind aber durch faktische Barrieren erschwert, so daß ein nicht geringer Teil staatlich finanzierter kultureller Hochformen (Oper, Theater, etc.) von einkommensschwachen und ohne die erforderlichen Bildungsvoraussetzungen ausgestatteten Bevölkerungsgruppen nur wenig in Anspruch genommen werden kann 237 . Insoweit ist in diesem
233
Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Rdnr. 75. BVerfGE 36, 332. 235 Vgl. etwa die Gemeindeordnungen der Länder. 236 Dürig, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 3 Rdnr. 78. 237 Das schafft selbstverständlich keine Legitimationsgrundlage für eine vorbehaltlose Förderung von Hochkulturmilieus gegenüber populärer Kultur, die von der Kulturverwaltung der Unterhaltung zugerechnet wird. 234
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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Bereich nicht die Einebnung des personalen Moments zu beobachten, die für den allgemeinen Freizeitbereich verbindlich sein soll 238 . Faktische Zugangshindernisse zu kulturellen Veranstaltungen entstehen empirisch beobachtbar durch die Höhe der Eintrittspreise, die Tarife der öffentlichen Verkehrsbetriebe oder etwa das Begleitmaterial von Ausstellungen wie Kataloge. Da die Bildungsgleichheit der Start- und Förderungschancen eine wesentliche Voraussetzung für die Bedingungen der Kulturrezeption darstellt, sind die verfassungsrechtlichen Maßgaben auch auf die kulturelle Bildungsgleichheit zu beziehen. Modelltheoretisch gelten Bildungsgleichheit und Individualisierung der Förderung nicht als Gegensätze239. Die unter dem Vorbehalt der Grundrechte anderer gewährte Aus- und Angleichung soziokultureller Spannungslagen durch die Einheit von Sozial- und Kulturstaatsprinzip legitimiert rechtliche Differenzierungen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen nach Art und Grad der sachbereichsbezogenen Bedürftigkeit 240. Wie Dürig es für das gesamte Bildungssystem ausführt, läßt sich auch für das Programm kultureller Bildung sagen, daß der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind, wie man Gleichheit durch immer subtilere Individualisierungsmethoden und kompensatorische Lernhilfen verwirklichen kann 241 . Beispielhaft kann hier die Einrichtung von "Besucherschulen" für Kunstausstellungen genannt werden, die differenziert auf das jeweilige Bildungsniveau der Besucher abstellen242. Neben der zulässigen Eingrenzung des Differenzierungsverbots im Rahmen der gebotenen Ausrichtung des kulturstaatlichen Leistungsangebots auf kulturell vernachlässigte Bevölkerungsteile sind auch Unterscheidungen zwischen den Künstlern bezogen auf ihre wirtschaftliche Stellung geboten243. Soweit ersichtlich ist dabei die Möglichkeit unbeachtet geblieben, die Höhe der Dotation von Kunstpreisen in der Weise auf die Höhe der Einkünfte der Künstler zu beziehen, daß schwächere Einkommen höhere Zuwendungen beziehen. Es läßt sich somit feststellen, daß der Sozialstaat die in Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistete Rechtsgleichheit substantiiert und allein innerhalb der dazu 238
Dürig, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 3 Rdnr. 80. Dürig, in: Maunz-Dürig, GG, Art. 3 Rndr. 87, 91. 240 Zum Verhältnis von Sozialstaat und Gleichheitsgrundsatz vgl. Scholz/Pitschas, FS-BSG, S. 627 ff.; Starck, Gleichheitssatz, S. 67 ff. Vgl. ferner auf BVerfGE 5, 85, 206 ("KPD-Entscheidung"). 241 Düng,, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Rndr. 87, 91. 242 Vgl. documenta, S. 99 f., 153 f. 243 Vgl. Kückelmann, UFITA Bd. 59, 137. 239
11 Palm
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
erforderlichen Gruppendiflferenzierungen der Gleichheitsgrundsatz Unterscheidungsveibote festlegt 244. Dieses dynamische Verhältnis zwischen Gleichheitsgrundsatz und Sozialstaatsprinzip im Rahmen der Kulturverfassung ist zugleich die Antwort auf die Forderung nach der kulturellen Chancengleichheit245, die vom Willkürverbot weg auf die notwendige Amelioristik gleicher Startchancen weist. Die Verwirklichung einer so verstandenen Chancengleichheit ist auf empirische Anknüpfungspunkte angewiesen, die Differenzierungen nach Bildungsgrad, Einkommensverhältnissen, lokalen Besonderheiten etc. eröffnen, ohne freilich den Gesetzgeber und die Kulturverwaltung aufzurufen, jede schicksalsbedingte Ungleichheit aufzufangen 246. Insbesondere ist nur eine An- und Ausgleichung in der Weise kulturstaatlich und freiheitsrechtlich vertretbar, die die pluralistischen Strukturen des Kunst- und Kulturlebens achtet. Die Wahrung der verschiedenen Kultur- und Kunstbegriffe im Spektrum vom etabliertem bis hin zu alternativem Verständnis ist in Verbindung mit der Erhaltung lokaler und ethnischer Besonderheiten (z. B. Stadtteilkulturen, Kulturarbeit mit Ausländern) Grenze bzw. Strukturmerkmal der Gleichstellung. Das Grundgesetz gibt in Art. 29 GG mit dem Richtbegriff "kulturelle Zusammenhänge" einen Anknüpfungspunkt für die verfassungsrechtliche Orientierung an Zusammengehörigkeiten nach Kulturlandschaften, gemeinsamen Kulturdenkmälern oder gemeinsamen Kulturmittelpunkten 247. Kulturelle Metropolenbildung, wie sie in Berlin, Frankfurt oder Köln zu beobachten ist, ist mit dem verfassungsrechtlichen Förderungsauftrag vereinbar, da die Prosperität des Kunst- und Kulturlebens sich in historischer Perspektive betrachtet - angefangen mit den alten Hochkulturen - sich regelmäßig als urbanes Geschehen darstellt. Soweit damit kein kultureller Zentralismus verbunden ist, der folkloristische Traditionen austrocknet, liegt hier ein zuläs244
BVerfGE 12, 353, 367; Starck, Gleichheitssatz, S. 67 ff.; Zacher, AöR 93, 343 (360). 245 Kritisch zum Begriff Starck, Gleichheitssatz, S. 70 m.w.N. Kritisch gegenüber der reduktionistischen Anwendung des Gleichheitssatzes als Willkürverbot anstelle der "Herstellung der Chancengleichheit" vgl. Burmeister, S. 44 ff. Burmeister vermißt das extensive Verständnis des Gleichheitsgrundsatzes als Regulativ leistungsstaatlich begründeter Unterminierung individueller Rechtspositionen. Vgl. auch Werner, S. 9 f., Scheuner, DÖV 1971, 1 ff.; Scholler, S. 36 ff. 246 Vgl. BVerwG, JZ 1978, 145 f.; Starck, ZRP 1981, 97 f.; zur Verteilungsgerechtigkeit in den Kommunen Kadelbach, NJW 1997, 1114 ff. (1117). 247 Hier wird sich in der Folge für die Verfassungsdogmatik die Frage stellen, inwieweit auch interkulturelle Zusammenhänge, die nicht mehr nur den auswärtigen Kulturbeziehungen reserviert sind, sondern ein innergesellschaftliches Moment der Koexistenz von Kulturen werden, erweiterte Orientierungen erforderlich machen.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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siges Differenzierungskriterium, kulturell produktive Zentren und Szenen besonders zufördern. Gleichheit in Vielfalt und die Möglichkeit, zu bestimmten Formen kultureller Interaktion und Rezeption aufzuschließen, werden dann hergestellt, wenn mit der Ausdifferenzierung kultureller Institutionen vor allem im pädagogischen Bereich individuelle Zugangssperren beseitigt werden, die bis zur architektonischen Gestaltung von Eingangssituationen reichen, um Schwellenängste zu nehmen.
b) Gleichheitsgrundsatz und Qualitätsförderung
Das strikte Differenzierungsverbot zwischen guter und schlechter Kunst im Bereich der Kunstfreiheitsgarantie wird durch die kulturverfassungsrechtlich gebotene Direktive ästhetisch-qualitativer Wertbildungen für die Kunstförderung durchbrochen. Qualitätsförderung muß daraufhin untersucht werden, inwieweit das kulturstaatliche Differenzierungsgebot mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar ist, der verlangt, Bewerber in wesentlich gleichartigen Verhältnissen gleich zu behandeln248.Mit der qualitativen Künstlerförderung ist ein Teilproblem des aus politischer Perspektive klassisch zu nennenden Spannungsverhältnisses249 angesprochen, das der Gleichheitsgrundsatz mit den auf die verschiedensten Lebensbereiche bezogenen Forderungen nach Leistung und Qualität eingeht. Wenn hier auch keine Rekonstruktion der Entwicklungsgeschichte beider Prinzipien erstellt werden kann 250 , so kann doch das von Becker ermittelte Grundverhältnis beider Grundsätze für die Kunstförderung fruchtbar gemacht werden. Ihr Bedingungsverhältnis besteht darin, daß die Gewährleistung von Gleichheit die breite Grundlage für qualitative Entwicklungen durch Auslese besorgt251. Vorwürfe gegen Elitenbildung sind dann entkräftet, wenn sich die "Erkenntnis von der Notwendigkeit der Erhaltung der Gleichheit durch Qualität" durchsetzt252, d.h. Gleichheit muß permanent durch die Ermöglichung und Aufnahme qualitativer Entwicklungen neu hergestellt werden. Die Spannung, nicht aber die Antinomie beider Momente 248
Dazu BVerfGE 36, 321, 330 ff.; BVerwGE 23, 194 = NJW 1966, 1286; BVerwG bei Buchholz, § 96 BVFG Nr. 412.3; OVG Lüneburg, DVB1 1972, 393, 397; VGH BadWürtt., ES VGH VGH 17, 54 und 56; OVG Lüneburg, DVB1 1969, 875, 876; Erbel, Staatsrecht, S. 200; Nordemann, FS-Weber, S. 218 ff.; Stiller, UFITA Bd. 60, S. 176. 249 Becker, Qualität und Gleichheit, S. 361 ff.; Starck, Gleichheitssatz, S. 65. 250 Vgl. dazu Becker, Qualität und Gleichheit, S. 361 ff. 251 Becker, Qualität und Gleichheit, S. 366 f. 252 Becker, Qualität und Gleichheit., S. 367.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
ist schon bei der Erörterung der evolutionären Strukturen der Kunst angedeutet worden, die sich soziokulturell in den Beziehung der Künstler zum Publikum abbilden. In Betrachtung dieses Verhältnisses stellt sich die aus dem Kulturstaatsprinzip abgeleitete Notwendigkeit einer ästhetisch-qualitativen Bestimmung künstlerischer Arbeit als ein Differenzierungsgebot dar, das den Gleichheitssatz inhaltlich auffüllt. Nicht nachvollziehbar ist es, von der Ungesichertheit sachkompetenter Entscheidungsbildung, insbesondere im Bereich neuer Formen der Kunst, auf einen Verstoß der Qualitätsförderung gegen Art. 3 Abs. 1 GG bei nicht gleichmäßiger Mittelverteilung zu schließen253. Es ist zu konzedieren, daß das, was heute qualitätsvoll und damit förderungswürdig ist, sich historisch als belanglos herausstellen mag254. Insoweit sind Kunstförderentscheidungen risikobehaftete Prognoseentscheidungen. Aus der Betrachtung der kunstgeschichtlichen Entwicklung ergeben sich zwar auch keine unumstößlichen Wertbildungen, immerhin läßt sich aber eine Verfestigung der Anschauungen über die Bedeutung von Künstlern und ihren Manifestationen erkennen. Qualität erweist sich insoweit als eine eigengesetzlich geprägte Kategorie der Kunst selbst. Als eigengesetzliche Kategorie wird sie somit der Kunstbewertung nicht juristisch verordnet, sondern in den juristischen Bewertungsprozeß integriert. Damit ist "Qualität" ein Differenzierungskriterium, das dem Lebensbereich "Kunst" entstammt und nicht lediglich aus Budgetengpässen eine verfassungsrechtliche "Tugend" macht. Auch die Kritik, der Qualitätsmaßstab könne im Förderungsbereich nicht sachgerecht sein, weil er im status negativus wegen seiner "erkenntnistheoretischen Unbegründbarkeit" keine Anwendung finde 255, kann nicht überzeugen. Im Freiheitsbereich werden qualitative Maßstäbe nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie erkenntnistheoretische Probleme aufwerfen, sondern weil die Freiheit des Künstlers umfassend gewährt wird. Im übrigen wäre auch der Schluß nicht zwingend, aus der Ungesichertheit von Qualitätsentscheidungen bei insbesondere neueren Kunstformen auf eine gleichmäßige Mittelverteilung zu schließen. Insoweit könnte keine künstlerische Äußerung reklamieren, überhaupt förderungswürdig zu sein. Diesem Bereich der Kunstförderung wäre jegliche Legitimationsbasis entzogen. Da der Staat haushaltsrechtlich nicht berechtigt ist, Geld zu verschenken, würde die253 So aber Stiller, UFITA Bd. 60, S. 181. Vgl. aber BVerfGE 36, 321 (332); 17, 312; 8, 67 ff. 254 Preisträgerlisten lesen sich im historischen Abstand keineswegs als ein "Who's who?" der Kunstgeschichte. 255 Geis, S. 256.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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ser Ansatz dazu führen, daß Kunstforderung als Qualitätsforderung verfassungswidrig ist. Die damit immerhin bezeichnete Gefahr von Gleichheitsverletzungen wird zusätzlich dann verschärft, wennn die Wertschätzung der Entscheidungsinstanzen unmittelbar mit gesellschaftlichen Partikularinteressen oder dem Selbstverständnis der Künstler verkoppelt ist. Die dem modernen Selbstverständnis der Künstler verbundene Entgrenzung des Kunstbegriffs verbindet sich mitunter mit einer Entgrenzung des Qualitätsbegriflfs, der die Unterscheidung von gleichen und ungleichen Tatbeständen fluktuierenden Maßstäben unterstellt und Tendenzen der Selbstbedienung Vorschub leistet. Auch wenn der Schutz der Konkurrenten vor Willkürbehandlung nicht einfach zu gewährleisten ist, muß die Aufgabe des Kulturstaats in Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Kräften erhalten bleiben, hochwertige von inferioren künstlerischen Äußerungen zu unterscheiden. In dieser Intention kommt der Ausbildung von verfahrensmäßigen Sicherungen hochrangige Bedeutung zu. Im Rahmen der Verfahrensgerechtigkeit wird den Anforderungen an rechtsstaatliche Verfahren nachzugehen sein, die gekennzeichnet sind durch Transparenz der Entscheidungsgänge, Rotation der Sachverständigen und Entscheidungsdekompositionen. Fraglich ist aber auch, ob gruppenbezogene Leistungsprinzipien entwickelt werden können, die eine zurückhaltende Schematisierung der Mittelvergabe ermöglichen, die sich an künstlerisch relevanten Vergleichsmomenten orientiert. Die Anforderungen an eine qualitätsgerechte Auswahl könnten danach insoweit reduziert werden, als innerhalb eines allgemeinen, rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgeboten entsprechenden Kriterienkataloges alle Künstler, die dem durch ihre Arbeit entsprechen, forderungswürdig sind. Grundsätzlich ist die Vergabepraxis bei Kunstpreisen implizit häufig von diesem Ansatz geleitet. Die Akzeptanz als forderungswürdiger Künstler wird häufig von der Professionalisierung, Mitgliedschaft in Berufsverbänden und langjähriger künstlerischer Praxis abhängig gemacht Ob hier ein Weg von der mitunter subjektivistischen Kasuistik der Gremienarbeit zu einer objektivierenden Betrachtung künstlerischer Arbeit führt, wird allerdings weniger vom Normgeber und -anwender als von den durch den Sachverstand berufenen Entscheidungsinstanzen zu beantworten sein. Wenn danach unter Beachtung des staatlichen Finanzierungsvorbehalts die Förderungsvoraussetzungen und -maßnahmen spezifiziert werden sollten, wären kulturstaatliche Konzepte erforderlich, die sich auf eine empirische Analyse des gesamten Spektrums der künstlerischen Äußerungen einer freiheitlichen Kulturgesellschaft gründen.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung 7. Kunstförderung
und Subsidiaritätsprinzip
Die verfassungsrechtliche Begründung und Reichweite des Subsidiaritätsprinzips im kulturstaatlichen Bereich sind umstritten, ohne daß dessen Relevanz fiir die Beschränkung des kunstfördernden Einsatzes des Staates bezweifelt würde 256. In seiner kulturverfassungsrechtlichen Gestalt besagt das Subsidiariätsprinzip, daß staatliche Unterstützung und Schutz künstlerischer Bemühungen dort zu gewähren sind, wo die gesellschaftlichen Initiativen durch Mäzene, Fördeivereine, Kunstsammler, Galerien, etc. nicht ausreichen, ein prosperierendes, freiheitlich-pluralistisches Kunstleben zu erhalten. Seine verfassungsrechtliche Begründbarkeit ist Zweifeln ausgesetzt, da das Subsidiaritätsprinzip für den vorliegenden Problemkreis nicht im Grundgesetz genannt ist und auch aus den expliziten Subsidiaritätsregelungen des Grundgesetzes nach einem Teil der Dogmatik nicht auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz oder weitergehend auf einen Verfassungsrechtssatz zu schließen ist 257 . Das präsumptive Verhältnis von Staat und Gesellschaft findet in dem aus der katholischen Sozialethik258 entwickelten Subsidiaritätsprinzip eine Regelung, die dem größeren, leistungsstärkerem System "Staat" gegenüber der entsprechend schwächeren Einheit des gesellschaftlichen Bereichs eine Handlungsbarriere setzt, soweit das kleinere System zur angemessenen Aufgabenbewältigung in der Lage ist. Von einen Teil der Literatur wird es über seinen Charakter als "negativ bestimmte Funktionssperre" für die größere Einheit weitergehend als "positiv gestaltende Hilfsfunktion" im Verhältnis der vertikal strukturierten Einheiten bewertet259. Auch wenn die Entliberalisierungsgefahr durch den umfassenden Leistungsstaat nicht zu verkennen ist, kann der Eigenregulation gesellschaftlicher Gruppen nur insoweit vertraut werden, wie die Eigengesetzlichkeit der jeweiligen Geltungssphäre erhalten bleibt. In der Minimalisierung der Staatsaufgaben insistiert das Subsididaritätsprinzip auf der Trennung von Staat und Gesellschaft und entzieht in seiner streng liberalistischen Ausprägung dem Staat Regelungskompetenzen, die zur adäquaten Bewältigung der beobachteten "Osmose" von staatlichem und ge256 Bull, S. 209; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 176; Hufen, NVwZ 1983, 519; Steiner, VVDStRL 42, 28. 257 BVerwGE 23, 306 f.; 39, 337; HeVGH, NJW 1977, 454; Bull, S. 190 ff.; Herzog, Subsidiaritätsprinzip, Sp. 3564; Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 220 ff.; 313; Woljf/Bachof Verwaltungsrecht IE, § 128 II; vgl. aber mit grundlegenden Bedenken Hartwich, S. 340 f. Nicht erwähnt wird das Subsidiaritätsprinzip in BVerfGE 22, 180 ff. 258 Dazu Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 17 ff. 259 Burmeister, S. 53 ff. (54) m.w.N.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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sellschafilichem System erforderlich sind. Gleichwohl bedeutet dieses Prinzip mehr als eine "selbstgewählte Beschränkung einer gut beratenen Kulturpolitik" 2 6 0 , da es im Rahmen eines freiheitlich kulturstaatlichen Verständnisses darauf ankommt, die künstlerischen Kräfte nicht in ihrer eigengesetzlich bestimmten Entwicklung durch staatliche Maßnahmen zu stören. In Verbindung mit dem Übermaßverbot261 ist der Staat daher nur insoweit gehalten, in kulturelle Prozesse einzugreifen, als es für die Zielsetzung einer autonomen künstlerischen Geltungssphäre erforderlich ist. Zu Recht relativiert Bull die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzip im Bereich institutionalisierter kollektiver Formen der Kunst wie Theater, Oper etc., weil die gesellschaftlichen Kräfte hier in ihrer Leistungsfähigkeit hinter den staatlich gewährten Bedingungen bleiben262. Um die Wettbewerbsvorteile staatlichen Kultureinsatzes zu beschränken und kulturstaatliche Monopolisierung zu verhindern, schließt er aus dem Subsidaritätsprinzip auf eine Förderungspflicht des Staates bei entsprechenden Initativen263. Im Gegensatz zur Geltung des Subsididaritätsprinzips im Wirtschaftsbereich 264 mit weitgehend berechenbaren Kapazitäts- und Bedarfslagen ist aber im kulturellen Bereich nicht ohne weiteres ersichtlich, wie über den Nachweis einer kulturellen Versorgungslücke ein staatlicher Funktionsvorrang im Rahmen des Subsidiaritätspinzips hinreichend präzise bestimmt werden könnte. Der staatliche Einsatz im Bereich der Kultur ist bei den genannten komplexen Realisationszusammenhängen zwar geeignet, den künstlerischen Ertrag zu steigern. Fraglich ist aber, wann von "sachlich nicht notwendiger Fürsorge der Kunst" 265 bzw. von Bedarf 266 gesprochen werden kann. Kunst als ideelle Ressource für oft nur geringe Empfangerkreise ermöglicht die Ermittlung des kulturellen Sättigungsgrades nur höchst bedingt. Das Subsidiaritätsprinzip in Verbindung mit dem Übermaßverbot ist aber eine relationale Größe, die die Aufgabenbewältigung in das Verhältnis zum Bedarf brin-
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Steiner, VVDStRL 42, 28; so auch Mihatsch, S. 94. Zur Reichweite im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips vgl. Hoffmann-Becking , FS-Wolff, S. 445 ff.; Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 88 ff., 314. 262 Bull, S. 309. 263 Bull, S. 309. 264 Vgl. Hoffmann-Becking, FS-Wolff, S. 445 ff. Zur vorrangigen Bedeutung im Rahmen der Wirtschaftsordnung vgl. Burmeister, S. 54 m.w.N. 265 Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 176. 266 Bull, S. 309 hält zur Feststellung des "Bedarfs" eine Kombination künstlerischer mit wirtschaftlichen Kriterien für zulässig. 261
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
gen muß267. In der Kulturverwaltungspraxis wird daher weniger die ausschließende Problemstellung "Souveränität oder Subsidiarität"268 Geltung beanspruchen können, als die Frage nach der Kooperation von öffentlichen und privaten Kräften, wenn die privaten Initiativen empirisch nachweisbar nicht mehr die erforderlichen Kapazitäten besitzen, den kulturellen Ansprüchen der Bürger nachzukommen. Wenn das Subsidiaritätsprinzip nicht zur Blankovollmacht269 des aktiven Kulturstaats werden soll, sind kulturpolitische Verhältnisse zu schaffen, die die künstlerische Tätigkeit und Initativefördern, um den Künstler in die Lage zu versetzen, aus eigener Kraft seinen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten270. Die Perpetuierung materieller Abhängigkeit des Künstlers auf der Grundlage einseitiger staatlicher Hilfsmaßnahmen ist durch "Hilfe zur Selbsthilfe" 271 zu ersetzen. Unter der Geltung des Subsidiaritätsprinzips ist der Kulturstaat daher angehalten, die Voraussetzung für private Initiativen und Kräfte auf der Grundlage eines erweiterten soziokulturellen Verständnisses zu schaffen. Die für die Kunstförderung genannten Zielvorstellung, daß Maßnahmen geeignet sein müssen, unmittelbar dem gegenwärtigen künstlerischen Streben, also den Künstlern zu dienen272 muß dahingehend ergänzt werden, daß soziostrukturell selbsthilfeorientierte Mittel, wie Vermittlungsförderung und Ausbildungsförderung der Künstler in die zentrale Perspektive der staatlichen Kunstförderung rücken. Die Frage "Wie weit individuelle Freiheit im Sozial- und Kulturstaat noch möglich ist" 273 , muß die historisch gewachsenen Voraussetzungen gemeinschaftsbezogener Freiheitsausübung zur Kenntnis nehmen. Dagegen mag ein staatlicher Überantwortungsauftrag gegenüber der Kunstförderung, sie in private Hände zurückzugeben, als Erweiterung klassischer Subsididarität gelten 274 . Er kann als kulturpolitische Utopie der Überführung des Kulturstaats in die umfassende Kulturgesellschaft aber keinen Anspruch auf eine problemlö267
Zu Bestimmtheitsdefiziten Haverkate, Rechtsfragen, S. 173; Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 91. 268 Dazu Herzog, Subsidiaritätsprinzip. 269 Zur Verwandlung des Subsidiaritätsprinzips in ein Subventionsprinzip Haverkate, Rechtsfragen, S. 173. 270 Baum, Kunst und Staat, S. 13 ff.; Vogel, Künstlerförderung, S. 25. 271 Benda, Die neue Ordnung 1982, 352 spricht von Freiheit zur Selbsthilfe im künstlerischen Bereich. Vgl. auch Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 123. 272 Schäuble, Kunstförderung, S. 67. 273 Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 115; vgl. auch Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 261. 274 Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 114 ff.
B. Verfassungsrechtliche Konzeptionen staatlicher Kunstförderung
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sende Differenzierung der bestehenden Verhältnisse behaupten. Als Überinterpretation der abwehrrechtlichen Dimension des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG versperrt eine "Rückenteignung" des Kulturstaats275 den Blick auf die Tatsache, daß "die Freiheit vom Bürger nicht mehr verwirklicht und lebendig gehalten" 276 werden kann, ohne daß der Staat in freiheitswahrender Weise seine überlegenen Mittel einsetzt. Schon vor über drei Jahrzehnten konnte Hellmut Becker konstatieren: "Die Möglichkeiten privater Finanzierung kultureller Freiheit gehen heute zu Ende, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa" 277. Bezogen auf das klassische Förderungsinstrumentarium der Kunstforderung ist die von Heuer vorgeschlagene "Überantwortungstechnik" verkürzend: "Die Kommune fördert die ortsansässigen Künstler nicht in dem sie einzelene Künstler finanziell unterstützt, Preise verteilt oder ihre Werke kauft, sondern indem sie geeignete Ausstellungsräume zur Verfugung stellt, um so die Begegnung der Künstler mit dem Publikum zu erleichtern" 278. Hier wird die reale Bedürfnisstruktur eines überwiegenden Teils der Künstler zugunsten einer überspitzten Neutralitätsverpflichtung des Staates ignoriert, ohne die eingeräumten Kommunikationschancen in einen Förderungsverbund einzustellen, der auch auf die unmittelbaren materiellen Voraussetzungen künstlerischer Arbeit reflektiert. Die Möglichkeit, daß der Staat "die Kunstförderung zur rechtlichen Pflicht der Bürger" macht279, ist so irreal wie der Glaube, daß kulturelle Freiheit in der Massengesellschaft in privaten Händen a priori gut aufgehoben sei. Dem Staat kommen als Mitgestalter des Kulturlebens unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Vorgaben Ausgleichs- und Hilfsfunktionen zu, deren Strukturierung auch ein restriktiv verstandenes Subsidiaritätsprinzip begründen kann. Primär kommt es dagegen auf die Entwicklung eines Kulturstaatsauftrags an, der auf die Kooperation mit privaten Kräften zielt und sich angesichts der hohen Bedürftigkeit des kulturellen Lebens von der Vorstellung löst, daß öffentliche und private Träger notwendig in ein Konkurrenzverhältnis treten müssen. Eine darüber hinausgehende Funktion des Subsidiaritätsprinzips als "Rückenteignung" des Kulturstaats hat keine zusätzliche Bedeutung und ist allenfalls geeignet, die Kulturverwaltung der permanenten Inquisition auszusetzen, ob sie ihre kulturstaatliche Selbstenteigung betreibt.
275 276 217 278 279
Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 116. Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 116. Becker, Quantität und Qualität, S. 81, 88 f. Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 119. Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 116.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung 8. Kunstförderung
und Verhältnismäßigkeitsprinzip
Haushaltsrechtliche Gestaltungsfreiheit 280 und verwaltungsbehördliche Zuteilungskompetenz im Rahmen der nicht gesetzesakzessorischen Leistungsverwaltung 281 finden ihre Begrenzung im Verhältnismäßigkeitsprinzip. 282 Als allgemeines Prinzip der Rechtsstaatlichkeit war sein umfassender Geltungsanspruch gegenüber dem gewährenden Staatshandeln bereits mit den vorstehenden Ausführungen zur Konkretisierung des Kulturstaats verbunden. Hier sind noch einmal die Grundlinien neben einigen Beispielen herauszustellen: Ungeignet zur Erreichung des Förderungszwecks wären zunächst Mittelvergaben, die sich gegenseitig neutralisieren 283. Die Zwecksetzung der Förderung eines kulturell unterentwickelten Vorortstadtteils durch Subventionierung der ansässigen Kulturinitiativen würde konterkariert, wenn zugleich eine etablierte Metropolenkultur in großem Umfang gefordert würde. Weiterhin ungeeignet wäre die Förderung wirtschaftlich labiler Kulturunternehmen, in denen die Erreichung des Förderungszwecks nicht sichergestellt werden könnte284, da Kunstforderung kein kulturstaatliches Auffangnetz unternehmerischen Risikos darstellt. Die Erforderlichkeit der Mittelvergabe trifft sich mit dem Subsidiaritätsprinzip in dem Gebot, nur solchen Unternehmungen Förderung zuteil werden zu lassen, die zur Realisation der angestrebten kulturellen Zielsetzung öffentliche Mittel benötigen. Dieser Grundsatz wird da verlassen, wo die privaten Träger genügend Mittel bereithalten, um die Verwirklichung künstlerischer Zielsetzungen zu garantieren 285. Eine unzulässige Schenkung öffentlicher Mittel 286 liegt dagegen in der Dotation solcher Kunstpreise, die nahezu ausschließlich wirtschaftlich etablierten Künstlern zugute kommen. Die Vergabe hochdotierter Preise an Künstler, die zugleich im Kunsthandel vordere Ränge einnehmen, bezeichnet eine paradoxe Subventionspraxis, die sich trotz rezessiver Haushaltslagen
280
Dazu Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 198. BVerwG, NJW 1980, 718; OVG Lüneburg, NJW 1984, 1138; OVGE Lüneburg 25, 331 ff.; BadWürtt VGH, BWVB1 1967, 107; Erbel, Verwaltungsrecht, S. 546 f.; Schulz, SchlHA 1984, 137, 140. 282 Wolff/Bachof Verwaltungsrecht m, § 138 V. 283 Wolff/Bachof Verwaltungsrecht m, § 138 V a. 284 Erbel, Verwaltungsrecht, S. 556. 285 Vgl. auch Bär, Filmfreiheit, S. 514. 286 Bär, Filmfreiheit, S. 514. 281
C. Kunstförderung als staatliche Pflichtaufgabe
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noch dem Vorurteil anschließt, der Prestigewert einer Auszeichnung sei durch die Höhe der Geldzuweisung indiziert. Die flexible Orientierung der verwaltungsbehördlichen Zuteilungskompetenz an der Bedürftigkeit der Preisträger könnte solche Bedenken entkräften.
C. Kunstforderung als staatliche Pflichtaufgabe I. Subjektiv-rechtlicher Anspruch auf Kunstforderung
Grundsätzlich werden Grundrechte im modernen Staat nicht nur auf eine abwehrrechtliche Funktion bezogen, sondern allgemein anerkannt ist auch, daß sie grundrechtliche Schutz-, Leistungs- und Förderungspflichten der öffentlichen Hand begründen können287. Soweit subjektivrechtliche Ansprüche auf Kunstförderung bejaht werden könnten, wäre eine einklagbare Pflichtaufgabe des Kulturstaats bezeichnet. Nicht abschließend sind hier Ansprüche auf Subventionierung von Theatern, Orchestern, Kunstvereinen, Kulturgruppen etc., Ansprüche von Künstlern auf Unterstützung und Auszeichnung und Ansprüche der kulturellen Öffentlichkeit auf Teilnahme an künstlerischen Veranstaltungen zu nennen. Im Blick auf den staatlichen Finanzierungsvoibehalt288 vertragen nach überwiegender Auffassung weder Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG noch das Kulturstaatsprinzip eine Deutung als Anspruchsgrundlage 289. In Verbin287
Allgemein dazu Kopp, NJW 1994, 1753 ff. m.w.N. Vgl. etwa BVerfGE 33, 303 (333); Evers, NJW 1983, 2162 f. Allgemein zur Problematik des gewährenden Staatshandelns in der Wirtschaftskrise vgl. Isensee, FSBroermann, S. 365 ff. 289 BVerfGE 36, 321 (332); BVerwG, NJW 1980, 718 ("Privattheatersubvention"); VGH München, NJW 1996, 1165 f.; VGH Bad Württ BaWüVBL 1967, 107 f. und 108 f. ("Marionettentheater"); OVGE Lüneburg 25, 331; OVG Lüneburg, DVB1 1969, 875 ("Bordesholmer Marienklage"); OVG Lüneburg, NJW 1984, 1138 ("Kritisches Kabarett"); BGH, DÖV 1975, 823 ff. ("Musikbühne"); BGH, NJW 1983, 442; Katholnigg, UFITA Bd. 38, 39; Benda, Die neue Ordnung 1982, 352; Rüdiger Breuer, S. 100; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 102; Geißler, S. 46 ff.; Graul, Künstlerische Urteile, S. 52; Heuer Besteuerung der Kunst, S. 95, 105; Kewenig, UFITA Bd. 58, 109; Locher, Das Recht der bildenden Kunst, S. 25; Maier, Kunstförderung, S. 181 f.; Starck, in: v. Mango ldt/Kl ein/S tarck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 198; v. Münch, GGK, Art. 5 Rdnr. 62; Müller, Freiheit der Kunst, S. 128; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 6, 40, 79; Schwarze, AfP 1974, 694; Schäuble, Kunstförderung, S. 101; Wolfrum, SchlHA 1984, 6; Stoiber, S. 66 f.; v. Münch, Die Deutsche Bühne 78 Nr. 7, 25. Vgl. auch § 7 Abs. 5 S. 2 SächsKRG: "Ein Rechtsanspruch auf Förderung besteht nicht." 288
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
dung mit dem kameralistischen Grundsatz "ultra posse nemo obligatur" läßt sich auch das Gewaltenteilungsprinzip heranziehen, das berührt sein kann, wenn das Parlament auf diesem Wege der politischen Prioritätenbildung enthoben wird. In der Abweisung originärer Leistungsansprüche bescheidet sich die Mehrzahl der Ansätze daher mit der Konkretisierung derivativer Förderungsansprüche auf der Grundlage des Gleichheitsgrundsatzes290. Darüber hinaus kann im Einzelfall ein hier nicht weiter zu verfolgender Subventionsanspruch auf der Grundlage eines geschaffenen Vertrauenstatbestands gegeben sein291. Folgerichtig sind in den wenigen paradigmatischen Entscheidungen Subventionsansprüche von Theaterunternehmen mit dem Hinweis auf das unternehmerische Risiko im Rahmen freier Wirtschaftsprozesse abgelehnt worden 292. Die Frage nach einem originären Individualanspruch auf Förderung steht vor dem Hintergrund der umfangreichen Diskussion um den Teilhabe- und Leistungscharakter der Grundrechte mit der Polarisierung von sozialstaatlichem und liberalem Grundrechtsverständnis 293. Wesentlich bestimmt wird die Auseinandersetzung von der umstrittenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Privatschulfinanzierung 294 und den punktuell gewährten Teilhabeansprüchen durch das Bundesverfassungsgericht 295. Für die Privatschulforderung ist zunächst festzuhalten, daß sich nur in Ausnahmefallen aus
A.A.: Rabe, S. 102 ff.; Fohrbeck/Wiesand/Woltereck, S. 381 nennen als dritten Grundsatz der staatlichen Verpflichtung zur Kunstpflege: "Das Recht jedes Künstlers als desjenigen Grundrechtsträgers, der zur Ausgestaltung der Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes in erster Linie dazu beiträgt, auf besondere Förderung seiner Arbeit durch den Staat und auf Schutz gegenüber solchen Verhältnissen und Maßnahmen, die ihn in seiner Existenz oder Entfaltung gefährden könnten". 290 BVerfGE 36, 321 (330); BVerwG, NJW 1980, 718; OVG Lüneburg E 28, 378 ff.; Wolfrum, SchlHA 1984, 6. 291 Vgl. OVG Lüneburg, NJW 1977, 773 f. ("Musikschule") zur erforderlichen Subventionsanpassung durch allmählichen Abbau. A.A. Erbel, Verwaltungsrecht, S. 555. 292 BGH, DÖV 1975, 823 (824); OVG Lüneburg E 25, 331; OVG Lüneburg, DVB1 1969, 875; VGH Bad Württ BaWüVBl 1967, 107; Rüdiger Breuer, S. 100; Kewenig, UFITA Bd. 58, 109; Schäuble, Kunstförderung, S. 101; Kratzmann, S. 33; A.A. Rabe, S. 102 ff. 293 Grundlegend Martens/Häberle, WDStRL 30, 7 ff.; Hufen, Freiheit der Kunst, S. 360 ff. 294 BVerwGE 23, 347; 27, 360. Zur Kritik der Rechtsprechung vgl. Rüdiger Breuer, S. 98 ff.m.w.N.; Weber, NJW 1966, 1798; ders., JZ 1968, 779; Menger/Erichsen, VerwArch 57, 166 ff. und 59, 275; Ipsen, WDStRL 25, 257 (268); Barion, DÖV 1967, 516; Friauf DVB1 1971, 674 (679); Martens, WDStRL 30, 27 (33); Kratzmann, S. 35, 71, 90 ff, 116 ff, 123 ff. UmfassendMüller/Pieroth/Fohmann, Leistungsrechte. 295 BVerfGE 33, 303; 35, 79,114 ff.
C. Kunstfrderung als staatliche Pflichtaufgabe
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dem verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrecht ein positiver Leistungsanspruch im Rahmen der gewährenden Verwaltung ergeben kann 296 . Weiterhin ist die Vergleichbarkeit der Subventionierung von Privatschulen mit dem vorliegenden Problemfeld nur sehr bedingt möglich, da es sich im Schulbereich um Aufgabenfelder handelt, in denen wichtige Grundrechtsvoraussetzungen weitgehend staatlich monopolisiert sind 297 . Der Staat muß die Konkurrenz, die er selber durch sein eigenes sozial gefördertes Schulwesen schafft, ausgleichen, um nicht über die wirtschaftlichen Nachteile der Privatschulen deren Bestandsgarantie aus Art. 7 Abs. 4 GG leerlaufen zu lassen298. Einer solchen staatlich-gesellschaftlichen Ausgleichsfunktion ist im Rahmen der gesellschaftlich getragenen Kunst- und Kulturpraxis nicht nachzugehen, weil es keine konkurrierende Staatskunst gibt. Relevant ist dagegen der Blick auf die Gefahrdung wirtschaftlicher Existenz durch wettbewerbsverzerrende Subventionen des Staates. So ist behauptet worden, das freie Subventionsermessen des Fördernden verdichte sich unter Wegfall differenzierender Vergabekriterien zu einer gleichmäßigen Mittelverteilung an alle Förderungsbedürftigen 299. Abgesehen von der differenzierungsnotwendigen Beschreibung des staatlichen Förderungsinstrumentariums hinsichtlich seines wettbewerbserheblichen Charakters und der erheblichen Wettbeweibsmomente (Ort, Zeit, Besucherkreis, etc.) ist nicht ersichtlich, daß aus der Beeinflussung des Wettbewerbs durch kunstfördernde Maßnahmen ein originärer Leistungsanspruch erwächst300. Eine solche Folgerung tendiert dazu, das Kulturstaatsgebot aktiver, qualitätsgerechter Förderung durch ein wirtschaftliches Bedarfsdeckungsprinzip zu ersetzen und auf dem Umweg über den originären Leistungsanspruch das "Gießkannenprinzip11 zu instaurieren. Zu Recht ist daher im Fall relevanter Wettbewerbsverzerrung die Möglichkeit eines aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG abgeleiteten Unterlassungsanspruchs erwogen worden 301. Ein solcher Anspruch sollte unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls an die Voraussetzung geknüpft werden, daß eine ausgreifende 296
BVerwGE 27, 360 (362 f.). Hufen, Freiheit der Kunst, S. 361; vgl. auch BVerfGE 45, 39 (46). 298 Rüdiger Breuer, S. 98 ff. 299 So die Begründung der Kläger im BVerwG, NJW 1980, 718; ferner BVerwG Buchholz § 96 BVfG Nr. 412.3; OVG Lüneburg, DVB1 1969, 875; VGH BadenWürttemberg E 17, 54 und 56 ("Marionettentheater"); Schulz, SchlHA 1984, 140. Dazu Nordemann, FS-Weber, S. 218 ff. Ferner in teilweise wörtlicher Übernahme der Ausführungen Nordemanns vgl. Wolfrum, SchlHA 1984, 6 f. 300 Vgl. die vorgenannten Entscheidungen. Zweifel an der Einführung der Wettbewerbsfähigkeit als rechtlicher Maßstab bei Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 79 Fn. 2 gegenüber Nordemann, FS-Weber, S. 218 ff. 301 BVerwG, NJW 1980, 718. 297
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2. Teil: Kunstfrderung als Teil der Kulturverfassung
Fremdförderung das unternehmerische Risiko in einer Weise verlagert, die es unmöglich macht, eine unter qualitativen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvolle Kulturarbeit aufrechtzuerhalten. Im übrigen ist der Anspruchsteiler auf die Ermessensreduktion des Subventionsgebers gemäß den Subventionsrichtlinien in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz zu bescheiden, wenn die sachlichen Voraussetzungen der Bewerber gleich sind. Ein anderes Ergebnis trägt auch keine Argumentation, die aus der Kunstfreiheitsgarantie in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip auf einen Subventionsanspruch schließt, wenn eine Existenzgefahrdung für repräsentative Bereiche des künstlerischen Geschehens droht. Zunächst würde ein solcher Ansatz an Bestimmtheitsdefiziten leiden. Die radikal subjektive, nicht repräsentieibare Bedeutung künstlerischen Schaffens macht es schwierig, von einer kulturellen Mangellage auf die Stärkung individueller Rechtspositionen zu schließen. Entscheidend hängt aber damit zusammen, daß notwendige Strukturverbesserungsmaßnahmen sich nicht in verfassungsrechtliche Einzelansprüche ummünzen lassen. Die Ableitung eines subjektiven Anspruchs aus einem Verfassungsauftrag muß daher als ein "Extremfall" angesehen werden, der keine gesamtgesellschaftliche Programmatik staatlichen Handelns ersetzt. Ein solcher Extremfall wäre etwa gegeben, wenn die Förderung der Bayreuther Festspiele gestrichen würde. Dieses Projekt ist aufgrund seiner künstlerischen Einmaligkeit, langen Tradition und weltweiten Akzeptanz nicht durch andere Kulturinitiativen ersetzbar. Dagegen wäre das Kriterium eines Standortverlustes in einer eher kulturschwachen Region wie Oberfranken nicht ausreichend, eine Individualförderung mit Pflichtcharakter auszustatten. Im Zuge der Diskussion um die Förderung von Kulturgütern von nationaler Bedeutung wurde 1993/1994 in der Finanzierungsdiskussion zwischen Bund und Ländern das heuristische Stichwort der "Leuchtturmprojekte" eingeführt. Im Sinne des vorgenannten Beispiels können hiermit subjektive Ansprüche konturiert werden, die in ihrer Einmaligkeit, Akzeptanz und Voibildhaftigkeit tendenziell unbestritten sind. Für eine Erweiterung des Freiheitscharakters von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG in Verbindung mit dem Kulturstaatsprinzip durch subjektive Förderansprüche könnte noch die historisch veränderte Ambiance kultureller Praxis angeführt werden 302. Der vorgebliche Begründungszusammenhang von Anspruch, Wegfall des traditionellen Mäzenatentums und kapitalistischen Marktbedingungen unterläuft jedoch die Tatsache, daß keine historische Zeit angebbar ist, in der die umspannende Prosperität der Kunst und der Lebensverhältnisse der 302
Baum, Kunst und Staat, S. 13.; Graul, Künstlerische Urteile, S. 50 ff.
C. Kunstförderung als staatliche Pflichtaufgabe
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Künstler durch generelle Grundsubventionen gewährleistet war 303 . Im übrigen kann historisch nicht belegt werden, daß klassisches Mäzenatentum in umfassenderer Weise als moderne Sammler, Unternehmenssponsoren und Kunstmarkt Mittel zur Kunstförderung bereitstellte304. Im Blick auf die Notwendigkeit umfassender Aufgabenerledigung durch das Gemeinwesen ist Kunstförderung einer von vielen Leistungsbereichen, der im Vergleich zur sozialstaatlichen Sicherung des Existenzminimums aller Bürger, des Gesundheitswesens oder notwendiger Verteidigungsmaßnahmen gesellschaftspolitisch als nachrangiger Regelungsgegenstand angesehen wird, ohne damit Kunst als verzichtbaren Luxus zu designieren. Auch eine historische Auslegung des Art. 5 Abs. 3 GG ist unergiebig für die Konstruktion subjektiver Leistungsansprüche. So beinhalteten die Art. 18, 142, 150, 158 WRV zwar weitreichende Feststellungen zur Kunstpflege. Demgegenüber ist aber die Zurückhaltung des Grundgesetzes gegenüber diesen Regelungsgehalten der Weimarer Reichsverfassung als verfassungsrechtlich intendierte Differenz zu werten 305. Im übrigen eröffnen die genannten Bestimmungen auch nicht mehr als einen auslegungsbedürftigen Pflichtenkreis staatlichen Handelns auf dem Gebiet der Kunstpflege. Wenn somit das historische Argument nicht weiterverfolgt werden muß, könnte doch im Blick auf die mitunter aporetische Verwaltungsaufgabe selektiver Qualitätsförderung ein subjektiver Förderanspruch aller Betroffenen zu einer verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Erleichterung fuhren, die den Vorwurf verdeckten Kunstrichtertums und leistungsstaatlich konversierter Herrschaft auf der Grundlage prioritätensetzender Kulturpolitik ausschließt. Der freiheitlich-egalitäre Zugewinn einer solchen Staatspraxis würde aber gegen die Zielsetzung von Leistung, Qualität und dezentralem Pluralismus eingetauscht. Weder das kulturpolitische Ermessen des Haushaltsgesetzgebers noch die Flexibilität der Subventionsverwaltung wären unter diesen Bedingungen sicherzustellen306. Dem Parlament muß sowohl der "Wechsel der poli-
303
S. 277.
Kritisch gegenüber Graul vgl. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik,
304 Zur Unsicherheit von Hofkünstlern vgl. Warnke, S. 142 ff. In Rom bedeutete "der Tod eines Papstes, daß alle Kunstämter und alle geschmacklichen Vorlieben auf dem Spiele standen"(156). Zum "Künstlerproletariat" der Renaissance vgl. Wittkower/Wittkower, S. 269 ff 305 Geißler, S. 54 ff. m.w.N. 300 Vgl. auch OVG Lüneburg, NJW 1977, 773 (774) ("Musikschule") zum "Wegfall der Geschäftsgrundlage" bei der Veränderung tatsächlicher und rechtlicher Bedingungen des verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses. Erbel, Verwaltungsrecht, S. 555.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
tischen Präferenzen" 307 als auch verbunden damit der Regelungsmodus zur Gewährleistung der Staatsziele und Grundrechtssicherungen erhalten bleiben, wenn nicht nachhaltig das Gewaltenteilungsprinzip gestört werden soll. Schließlich wären die Befürworter originärer Leistungsansprüche vor die Frage gestellt, den Empfangerkreis und den Umfang der Ansprüche zu konkretisieren. Wäre diese Bestimmung an die Selbstverständnisbezeugungen der Künstler gebunden, ist nicht ersichtlich, wie eine extensive Selbstbedienung vermeidbar wäre. Der Übergang des Ausbaus der Freiheitsverwirklichung in eine wohlfahrtsstaatliche "Totalforderung" 308 von Luxusansprüchen wäre nur mehr als gleichheitsgefährdende Grauzone erfaßbar. Kunstförderung bleibt immer eine Verwaltung des Mangels. Das Atelier in der Oberlichthalle, die klangvollendete Stradivari, oder das komplette Tonstudio gehören zu den "Privilegien" der Erfolgreichen.
IL Teilhabeansprüche der kunstinteressierten Öffentlichkeit
In einem umfassenden Konzept ergibt sich noch die Sekundärproblematik grundrechtsgeprägter Individualansprüche der Kunstinteressierten an öffentlichen Kunstveranstaltungen. Die Funktionserweiterung des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG zugunsten des abwehrrechtlich geschützten Rezipientenkreises in ein umfassendes Partizipationsgrundrecht begegnet denselben Einwänden, die die Abweisung von Individualansprüchen der Künstler rechtfertigen 309. Insbesondere der Kapazitätsvoibehalt setzt der individuellen kulturellen Partizipation faktische Grenzen, da anderenfalls ein sinnvoller Veranstaltungsbetrieb nicht aufrechterhalten werden kann. Eine adäquate Beteiligungschance ist daher an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen310. Danach hat der Staat unabhängig von der gewählten Rechtsform der öffentlichen Hand dafür Sorge zu tragen, daß grundsätzlich jeder Bürger an in "möglichst großem Umfang" faktisch zugänglichen Kunst- und Kulturveranstaltungen teilnehmen kann 311 . Dagegen 307 OVG Lüneburg, NJW 1977, 773 (774) ("Musikschule"); Wimmer, FS-BVerwG, S. 630; Woljf/Bachof, Verwaltungsrecht m, § 154 VII b 2. 308 Dazu Stoiber, S. 65 f. 309 Vgl. auch den Hinweis von Geißler, S. 54 f. zu Art. 14 Abs. 3 des Herrenchiemseer Entwurfs: "Jeder hat Anspruch auf gleiche wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten." Diese weitreichende Partizipationsregelung wurde nicht in das Grundgesetz übernommen. 310 Vgl. OVG Berlin, UFITA Bd. 52, S. 313 ff. ("Berliner Philharmonie"); BayVerfGH, VerwRspr 23, 17 ff. ("Bayerische Staatsoper"). 311 OVG Berlin, UFITA Bd. 52, S. 313 ff.
C. Kunstförderung als staatliche Pflichtaufgabe
177
verstößt kein Verteilungsschlüssel von Eintrittskarten, der neben freiem Verkauf auch langfristige Abonnements einräumt 312.
HL Kunstforderung als objektiv-rechtliche staatliche Forderungspflicht
Paradigmatisch für die Diskussion einer objektivrechtlichen Förderungspflicht des Staates war die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts in der "Schallplatten-Entscheidung": "Als objektive Wertentscheidung für die Freiheit der Kunst stellt sie ( Verfassungsnorm Art. 5 Abs. 3 GG 313 ) dem modernen Staat, der sich im Sinne einer Staatszielbestimmung als Kulturstaat versteht, zugleich die Aufgabe, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern". 314
Das klingt gewichtig, hat aber in den Verästelungen der kulturpolitischen Diskussion zahlreiche zweifelhafte Schlußfolgerungen ausgelöst315. Selbst im Fall ausdrücklicher Zuständigkeitsregelungen der verschiedenen Länderverfassungen wird von einem Teil der Interpreten eine zwingende Staatsaufgabe Kunstförderung abgelehnt316. Der Ableitung einer verbindlichen staatlichen Förderungspflicht aus dem Kunstgrundrecht bzw. dem Kulturstaatsprinzip wird entgegengehalten, daß weder die Förderungspflicht noch die Förderungsbereiche sicher zu bestimmen wären und die aus dem Gewaltenteilungsprinzip resultierende politische Prioritätenbildung des Parlaments auch insoweit gefährdet werden könnte317. Zudem stelle die Konstatierung einer objektiven Förderungspflicht nur einen Appell gegenüber den verantwortlichen Staatsorganen dar, dem wegen des Fehlens korrespondierender subjektiver Ansprüche keine normativ relevante, sondern nur kulturpolitische Bedeutung zukomme. Die andere Meinungsgruppe schließt aus der Notwendigkeit, den genannten Verfassungsprinzipien Geltung zu verschaffen, auf eine staatliche Förderungspflicht 318. 312
OVG Berlin, UFITA Bd. 52, S. 313 ff. Ergänzung des Verfassers. 314 BVerfGE 36, 321 (331). 315 Vgl. die berechtigte Kritik Steiners, Kulturpflege, § 86 Rdnr. 3 m.w.N. 316 Geiger, S. 193; Leisner, Pressegleichheit, S. 160 m.w.N.; Schäuble, Kunstförderung, S. 100. 317 Ausführlich Heuer, Besteuerung der Kunst, S. 104. 318 Benda, Die neue Ordnung 1982, 352; Erbel, Staatsrecht, S. 199 f.; Fohrbeck/Wiesand/Woltereck, S. 369 ff. m.w.N.; Heckel, Staat-Kirche-Kunst, S. 89 Fn. 299; 313
12 Palm
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Um den Staat nicht durch eine diffus umrissene Pflichtaufgabe dem ständigen Verdacht pflichtwidriger Erfüllungsdefizite auszusetzen, ist der kulturelle Pflichtbereich einzugrenzen. Richtschnur ist die Notwendigkeit in einer Zeit der "knappen Kassen" und der gesamtgesellschaftlich wirtschaftlich schwierigen Situation, die freie Kunst als zentrales Moment eines vitalen Kulturstaats durch staatliche Leistungen zu erhalten. Mit einem Teil der Verfassungsinterpreten ist daher davon auszugehen, daß sich im Falle einer objektivieibaren Existenzgefahrdung kulturell relevanter Unternehmungen und Veranstaltungen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips die staatliche Förderungsgestaltung zur Förderungspflicht verdichten kann 319 . Gegen diese Pflicht würde eine staatliche Haushaltspolitik verstoßen, die die gesamten Subventionen im Rahmen vermeintlicher kultureller Prioritätenbindung von einem Sektor abziehen würde und ihn damit zum Erliegen brächte 320. Grundsätzlich besteht somit keine individuelle, sondern eine sektorale Bestandsgarantie. Ausnahmen können durch die besondere pluralistische Strukturierung des Kunstlebens erforderlich werden. So mag das Fehlen des genialen Einzelnen den evolutionären Prozeß der Kunst nachhaltiger beeinträchtigen als der Wegfall breitenwirksamer Unternehmungen. Die Prämisse einer so verstandenen Staatsaufgabenverpflichtung, die gesellschaftliche Notwendigkeit der Kunst, ist ausfüllungsbedürftig: "Muß es überhaupt Theater geben, und wenn ja, wie viele?"321. Neben der allgemeinen Unschärfe des Begriffs der "Notwendigkeit" als Eingrenzungskriterium einer Staatsaufgabenlehre, dessen Interpretation je nach Entscheidungsträger wechseln wird 322 , verliert er im Bereich der Kunst zusätzlich an Konsistenz, da die gesellschaftliche Funktion der Kunst gerade in ihrer Abgehobenheit von den Hörstel, S. 17; Locher, Recht der bildenden Kunst, S. 25; ders., UFITA Bd. 55, 141; v. Münch, Die Deutsche Bühne 78 Nr. 7; 25; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3; Ladeur, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 II; Oppermann, Kulturverwaltung, S. 443; Ridder, Freiheit der Kunst, S. 21; Ott, Kunst und Staat, S. 165; Scheuner, Kulturstaat, S. 121 Fn. 23; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 5 ff., 79; Schick, SchlHA 1984, 140; Maier, Kunstförderung, S. 181 f. rekurriert auf die Landesverfassungen und lehnt Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als Grundlegung einer objektiven Förderungspflicht ab. Vgl. auch § 2 SächsKRG: "Im Freistaat Sachsen ist die Kulturpflege eine Pflichtaufgabe der Gemeinden und Landkreise." 319 Mit im einzelnen verschiedenen Differenzierungen: BVerfGE 36, 333; Erbel, Staatsrecht, S. 199 f.; Lerche, S. 7 ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 79; Schulz, SchlHA 1984, 140 für eine Förderungspflicht, wenn "die Unterlassung staatlicher Hilfe künstlerische Initiativen erdrosselt bzw. die Wettbewerbsfähigkeit des Künstlers wirtschaftlich ausschaltet". 320 Vgl. Lehmann, Die Deutsche Bühne 78 Nr. 8, S. 8. 321 Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 276. 322 Bull, S. 103.
C. Kunstförderung als staatliche Pflichtaufgabe
179
auf die unmittelbar notwendige Bedürfnisbefriedigung gerichteten Funktionen erkannt wird 323 . Die Kampfparole der Künstler und ihrer Interessenverbände "Kunst ist notwendig" ist daher zu Recht als oberflächlich, inhaltsleer und damit unverbindlich kritisiert worden 324. Andererseits ist eine Substantiierung der normativen Aufgabe nur über die Interessen und Bedürfhisartikulation der kulturellen Öffentlichkeit zu leisten. Damit verbindet sich die Problematik der staatlichen Förderungspflichten mit den sozialstaatlichen und demokratiespezifischen Bezugspunkten des Kulturstaats. Soweit sich danach eine kulturstaatliche Praxis von "unten nach oben" vollzieht, sind verbindliche Konturen des staatlichen Pflichtenkreises zu erwarten. Eine solche Relativierung der staatlichen Kulturpflichtigkeit ist auch für die Kommunen festzustellen 325. Soweit nicht spezielle verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche Zuweisungen bestehen, ist den Gemeinden freizustellen, welche Kulturinitiativen aufgrund lokaler und interkommunaler Besonderheiten gefordert werden 326. Die in einigen Landesverfassungen konstatierte Kultur- und Kunstförderungspflicht der Gemeinden327 kann auch nicht anders interpretiert werden als im Sinne eines kulturellen Entscheidungsspielraums, der lediglich unter den genannten Prämissen existenzieller Betroffenheit 328 Ausnahmen denkbar erscheinen läßt.
323
Vgl. Roellecke, DÖV 1983, 658; Götz Friedrich, S. 38. Romain, S. 3 f. Vgl. aber z.B. Jüchter, Durchführung kultureller Aufgaben, S. 31, der kulturelle Verarmung registriert, wenn Städte ab ca. 200 000 Einwohner kein eigenes Orchester oder keine eigene Musikschule besitzen. 325 Vgl. Steiner, Kulturpflege, § 86 Rdnr. 21 ff. m.w.N. zum Meinungsstand; anders dagegen Wiegand, LKV 1995, 55 (59). 326 Vgl. Steiner, Kulturpflege, § 86 Rdnr. 21 ff. Einen sehr weit gespannten Katalog regionaler Bedeutung kultureller Aktivitäten enthält § 3 Abs. 3 SächsKRG. Wenn danach Selbstverständnis und Tradition der Region, Bedeutung für Bewohner und Besucher, Modellcharakter fur betriebliche Organisationsformen und kulturelle Innovation genannt werden, sind damit Konfliktlinien in der Prioritätenbildung vorgezeichnet, die indes nicht kontraproduktiv sein müssen. 327 Vgl. Steiner, Kulturpflege, § 86 Rdnr. 3 sowie 22. 328 KadeIbach, NJW 1997, 1116, spricht von "begrenzten Ausnahmefällen". 324
180
2. Teil: Kunstfördeng als Teil der Kulturverfassung
D. Zum Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts in der Kunstförderung L Dogmatische Leitlinien
Wenn mit der früher herrschenden Lehre nur Maßnahmen der Eingriffsverwaltung dem Vorbehalt des Gesetzes unterstellt werden, gehört die Kunstförderung mit ihrem typisch leistungsstaatlich ausgerichteten Instrumentarium nicht zu den gesetzlich erfaßten Regelungsmaterien329. Dieses auf der Grundlage einer abwehrrechtlichen Konzeption der Grundrechte beruhende traditionelle Verständnis des Vorbehaltsprinzips ist der ständig wachsenden Bedeutung des Leistungsstaates für die Verwirklichung der Grundrechtsgehalte nicht mehr angemessen330. Nicht mehr allein negative Freiheit vom Staat, sondern auch positive Freiheit durch den Staat hat für den Grundrechtsinhaber existenzielle Bedeutung331. Aus dieser veränderten Struktur des neuzeitlichen Verteilungsstaates schließt die Lehre vom "Totalvorbehalt" auf einen umfassenden Gesetzesvoibehalt, der sich auch auf die gewährende Verwaltung erstreckt 332. Die Gefahr einer unterschiedslos normativistischen Durchdringung aller Lebensbereiche und der Überbelastung des Parlaments mit Detailarbeit setzen einen solchen Schluß Bedenken aus. Auch die Eindämmung dieser Gefahr durch die Differenzierung von ausschließlichen Parlamentskompetenzen und gesetzesderivativen Regelungsbefugnissen durch die Verwaltung 333 befreit nicht von der Entwicklung rechtsdogmatischer Kriterien, um nicht die Dynamik gesellschaftlicher Lebensbereiche und staatlicher Handlungskompetenzen einer Gesetzesflut zu opfern. Danach wird sich eine Erweiterung des klassischen Vorbehalts des Gesetzes für Gemengelagen von Leistung und Eingriff 334
329
Allgemein Bullinger, Vertrag, S. 93 ff.; Peters, FS-Huber, S. 210 ff.; differenzierend Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 90 m.w.N.; Stern, Staatsrecht I, S. 637 ff.; Krebs, Vorbehalt, S. 102 ff. 330 Jesch, S. 204 ff.; Krebs, Vorbehalt, S. 47 ff.; ders., Jura 1979, 304; Kisker, NJW 1977, 1313 ff.; Mallmann, S. 174 ff.; Georg Müller m.w.N., S. 58 ff. 331 Zu diesem Freiheitsbegriff: Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 206 ff.; Friauf, DVB1 1971,674; Kisker, NJW 1977,1316. 332 Jesch, S. 204 ff.; Mallmann, S. 174 ff.; Georg Müller, S. 58 ff. A.A.: Stern, Staatsrecht I, S. 697; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht m, § 138 DI; Knack, VwVfG, § 35 Rdnr. 6.1.4.1.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 220 m.w.N. Zur Rechtsprechung: Schenke, DÖV 1977,27; vgl. auch HessVGH, JZ 1977,223. 333 Vgl. Erichsen, VenvArch 1976, 93 (97); Fockenberg, BayVBl 1978, 166 (168); Krebs, Jura 1979, 311; Ossenbühl, FS-Bosch, S. 751 (755); Schenke, GewArch 1977, 313(315). 334 Vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 210 f.
D. Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts
181
und für politisch sowie grundrechtlich wichtige Entscheidungen335 ergeben können. Ein solcher Ansatz vereinbart sich mit der von der Rechtsprechung entwickelten "Wesentlichkeitstheorie"336, die das rigide Schema Leistungsversus Eingriffsverwaltung verläßt, zugleich aber ihren Mangel in der fehlenden Präzisierung des "Wesentlichen" findet, das, eher heuristisch als dogmatisch angelegt, weiterer Konkretisierung bedarf.
IL Präzisierung des Wesentlichen
Die skizzierte Reichweite des Gesetzesvorbehalts erlaubt für den hier anstehenden Problembereich keine abstrakte Vorentscheidung. Eine "Patentregel" existiert nicht 337 . Da Kunstforderung keine einheitliche Regelungsproblematik aufweist, sondern von der Gewährung finanzieller und ideeller Auszeichnungen an Künstler bis zu weiträumigen Strukturmaßnahmen eines Lebensbereichs reicht, kann eine Antwort auf die Frage nach der Geltung des Gesetzesvorbehalts nur differenziert ausfallen.
1. Verhältnis von künstlerischer
Freiheit und gesetzlicher Regelung
Zunächst ist das von der "Wesentlichkeitstheorie " entwickelte und von der Dogmatik weitergeführte Kriterium der Grundrechtsrelevanz zu prüfen. Bereits dieses Kriterium legt offen, daß haushaltsbedingte Reduktionen oder Gewährungen kultureller Leistungen für sich allein betrachtet zwar als faktisch "wesentlich" eingestuft werden mögen, aber erst im Blick auf die (grund)rechtliche Bedeutung einen Gesetzesvorbehalt begründen können338. Historisch sind kulturelle Freiheitsräume als Objekt staatlicher "Zuwendung" durchaus ambivalenten Wirkungen ausgesetzt worden. Die Auswirkung nor335
Schenke, GewArch 1977, 313 ff. BVerfGE 33, 125; 34, 165; 40, 237; 41, 251; 47, 46; 49, 89; BVerwGE 41, 261; 47, 194; 48, 305; 51, 235; 56, 158. Kritisch BerlVerfGH, NJW 1995, 858 ff. (859); Erichsen, VerwArch 1978, 394; Kisker, NJW 1977, 1317; Krebs, Jura 1979, 308. 337 Stern, Staatsrecht I, S. 638; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rdnr. 88. 338 Vgl. zu Art. 45 Abs. 1 BerlVerf die Entscheidung zur Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen Berlins BerlVerfGH, NJW 1995, 858 ff. Der BerlVerfGH begründet die Nichtanwendung des Gesetzesvorbehalts mit dem Hinweis, daß der Beschluß des Senats keine Entscheidung von unmittelbarer rechtlicher Bedeutung für das Verhältnis des Landes Berlin zu seinen Bürgern trifft. 336
182
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
mativer Gestaltung auf den zugrundeliegenden Freiheitsbereich wird von der Lehre kontrovers eingeschätzt. Die Befürworter gesetzlicher Regelungen sehen die individuelle Freiheit der Staatsbürger ohne gesetzliche Regelungen im rechtsfreien Raum als wirkungslos an 339 . Dem begegnet die Auffassung, daß gerade künstlerische wie spielerische Freiheit und Spontaneität von rechtsfreien Räumen abhängig sei340. Die institutionelle Bindung und Professionalisierung kreativer Potentiale mitunter im Rahmen "kulturmodischer Organisationen" stehe danach Kulturfachgesetzen entgegen341. Dieser Ansatz impliziert ein außer- bzw. vorgesellschaftliches Menschenbild. Das Individium genießt absolute Freiheit, die nur dann durch das Recht eingeschränkt wird, wenn es die Schaffung kollektiver Freiheitsräume notwendig macht. Die durch den Gesetzesvoibehalt normierte " Gemeinschaftsbezogenheit" wird als Reduktion der umfassend gedachten Souveränität des Einzelnen verstanden. Die historisch-mythologische Dimension dieses Freiheitsbegriffs, der der modernen Interdependenz der einzelnen Lebensentwürfe, insbesondere im sozialen arbeitsteiligen Zusammenhang, nicht standhält, scheint am ehesten geeignet zu sein, die klassische Künstlerrolle des genialen Einzelnen, der sich über Zwänge und Entfremdungstendenzen der Gesellschaft hinwegsetzt, zu erfüllen. Allein schon die historisch verzögerte Einbindung des Künstlers in das Netz sozialer Sicherungen, die mit der Geltung des Künstlersozialversicherungsgesetzes noch nicht als abgeschlossen gelten darf, belegt seine Außenseiterrolle, die einem vorgesellschaftlichen Menschenbild sowie einem dem zugeordneten Freiheitsbegriff verpflichtet ist. Dies auch von Künstlern hartnäckig gewahrte gesellschaftliche Vorurteil kann trotz seiner sozialpsychologischen Entlastungsfunktionen gegenüber dem modernen zivilisatorischen Unbehagen keine Aussage über die Notwendigkeit der normativen Erfassung des künstlerischen Lebensbereichs begründen. Spontaneität, Kreativität und freies Spiel lassen sich nicht normieren, sind aber von materiellen Voraussetzungen abhängig, deren Gewährung einer normativen Regelung zugänglich ist. Wenn die Fehlvorstellung abgelegt werden kann, der Künstler sei a priori Freiheitsträger, und seine soziale Rolle im Einklang mit den typischen Freiheitsvoraussetzungen einer normativ verfaßten Gesellschaft erkannt wird, ist der Blick dafür freigestellt, die normative Kontur künstlerischer Selbstverwirklichung im Zu339 Grundsätzlich Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 98, 165, 183 f.; Heckel, StaatKirche-Kunst, S. 90 Fn. 301; auch BVerfGE 33, 125 verlangt die gesetzgeberische Regelung von "statusbildenden" Bestimmungen; kritisch gegen eine Interpretation dieser Entscheidung im vorliegenden Sinne Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 143 ff. m.w.N. 340 Steiner, VVDStRL 42, 18; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 72; Wülfing., S. 77; vertiefend Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 143 ff. m.w.N. 341 Pappermann, DVB1 1981, 1044; Steiner, VVDStRL 42, 18.
D. Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts
183
sammenhang der Freiheitsverwirklichung anderer als Freiheitsgewinn zu begreifen. Somit gilt für den Künstler keine Ausnahme gegenüber der Feststellung, daß die soziale, durch gesetzliche Regelungen gewährleistete Eingliederung des Individuums erst die Freiheit schafft, die es zu seiner Entfaltung benötigt. Soweit daher rechtliche Gestaltungen geeignet sind, gesellschaftliche Fehlentwicklungen einzudämmen, insbesondere der Austrocknung pluralistischer Strukturen zu begegnen, können sie eine positive Funktion für die freiheitliche Strukturierung des Kulturstaats übernehmen. Das Plädoyer gegen Kulturgesetze aus der Überzeugung des harmonischen Ablaufs einer freien kulturellen Entwicklung beinhaltet keine verfassungsrechtlich tragende Argumentation 342.
2. Ausdifferenzierung
der Problemfelder
Ein Lösungsansatz könnte sich aus der Diskussion um die Geltung des Gesetzesvorbehalts im Bereich subventionsrechtlicher Maßnahmen ergeben343. Fraglich ist, ob ein Teil des staatlichen Instrumentariums der Kunstforderung, wie Zuwendungen an private Institutionen, Kunstpreise oder Künstlergehälter, als Subventionierung anzusehen ist 344 . Soweit Subventionen nur als wirtschaftslenkende Hilfsmaßnahmen für Unternehmen verstanden werden, ist das nicht der Fall 345 . Dagegen steht die Auffassung, daß Subventionierungszwekke, vielfältig wie die öffentlichen Zwecke selbst, sich auch auf die finanzielle Förderung von Kultur und Sozialaufgaben beziehen können346. Danach kann die Zuwendung im privaten Bereich auch den Zweck haben, immaterielle Leistungen oder Güter zu schaffen. Da im übrigen der Auffassung zuzustimmen ist, daß durch die Qualifikation als Subvention keine spezifische Rechtsfolge ausgelöst wird 347 , kann eine abstrakte, problemunabhängige Diskussion des Subventionsbegriffs keine Lösung der vorliegenden Frage erzielen.
342
Püttner, VVDStRL 42, 136. Vgl. Leisner, Pressegleichheit, S. 163 ff. zur staatlichen Subventionsfreiheit. 344 Vgl. Leisner, Pressegleichheit, S. 176 ff. 345 Nachweise bei Bleckmann, Subventionsrecht, § 1; Stern, JZ i960, 518. 346 Bauer, DÖV 1983, 55; Ipsen, VVDStRL 25, 260; Locher, Recht der bildenden Kunst, S. 28 m.w.N.; Woljf/Bachof Verwaltungsrecht m, § 154 I a; Zacher, VVDStRL 25, 260. 347 Bleckmann, Subventionsrecht, S. 12. A.A. Zuleeg, Subvention, S. 12 ff. 343
184
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Der freiheitsbeschränkende Charakter von Subventionen kann zunächst durch die Beifügung von Auflagen und Bedingungen ausgelöst werden, mit denen der Staat Lenkungszwecke verfolgt. Weiterhin kann die freiheitsgefahrdende Abhängigkeit der Subventionierten von staatlichen Hilfeleistungen verursacht werden, die sich nachhaltig auf die Wettbewerbssituation der Künstler auswirken. Die Verschärfung der Konkurrenz für die Ausgeschlossenen verbindet sich hier mit den Autonomieverlusten der Geforderten unter "Treibhausbedingungen". Soweit die "verkaufte" Freiheit der beschränkten gleicht, ergibt sich eine Parallelität zur Eingriffsproblematik. Da Förderung regelmäßig ohne Nebenbestimmungen erfolgt, ist hier kein relevantes Freiheitsproblem der Kunstförderung angesiedelt. Untersuchungsrelevant ist dagegen die Frage, ob die staatliche Gewährung von Leistungen eine so erhebliche Verschärfung der künstlerischen Wettbewerbssituation mit sich bringt, daß der Haushaltsplan in Verbindung mit Verwaltungsrichtlinien als Legitimationsgrundlage nicht ausreicht348. Die Bedeutung der Wettbewerbssituation im künstlerischen Bereich wird mit dem Hinweis auf die "künstlerische Monopolstellung" relativiert 349. Der Wettbewerb sei nur Akzidens künstlerischer Leistung, die darin bestehe "die bestmögliche Leistung zu erbringen, nicht (nur) eine bessere dritte". Daher wird die Konkurrenz der Künstler als untypisch und nicht konstitutiv für die gesellschaftliche Stellung der Künstler betrachtet. Diese Überlegung verwechselt in romantischahistorischer Argumentation die künstlerische Zielsetzung mit der realen sozioökonomischen Betroffenheit des Künstlers durch die Praxis des Kunstmarkts 350. Richtig ist zwar der Hinweis auf die prinzipielle Einzigartigkeit künstlerischer Produktion. Der künstlerischen Monopolstellung korrespondiert aber keine wirtschaftliche Machtstellung, sondern eine häufig prekäre Nachfragesituation 351, die die künstlerische Existenzmöglichkeit im gesellschaftlichen Wettbewerb auch von der Gunst des Staates abhängig macht352. Die Betroffenheit des nicht begünstigten Dritten und die motivationale Beeinflußung künstlerischen Verhaltens durch staatliche Förderung ist daher nicht ohne 348
Allgemeine Subventionsvergabe auf der Grundlage des Haushalts in Verbindung mit administrativen Regelungen: BVErfGE 8, 167; 38, 121; BVerwGE 6, 287; 30, 191; DÖV 1959, 706; DVB1 1978, 212; 1979, 881 m.A. Götz\ Kahrenke, DÖV 1975, 625; Rupp, JuS 1975, 615; kritisch Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rdnr. 135 m.w.N. 349 Schäuble, Kunstförderung, S. 168; ähnlich Heckel, Staat-Kirche-Kunst, S. 101. 350 Vgl. etwa Hoehme, S. 184 ff.; vgl. auch die Kritik von Rehbinder, UFITA Bd. 50, 356, gegenüber Schäuble, ferner Rehbinder, JR 1965, 281 f. zur damals marktbeherrschenden Stellung der Freien Volksbühne. 351 Dazu Fohrbeck/Wiesand, Künstlerreport, S. 155 ff. 352 Hufen , Freiheit der Kunst, S. 549.
D. Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts
185
weiteres auszuschließen353. Wegen der Uneinheitlichkeit künstlerischer Arbeitsfelder und staatlicher Leistungsmaßnahmen ist es schwierig, den Grad der ökonomischen Betroffenheit der Künstler zu ermitteln. Einem großen Teil staatlicher Maßnahmen im Bereich der individuellen Förderung von Künstlern, wie Preisen, Auszeichnungen, Stipendien, Überbrückungsgeldern etc., kommt regelmäßig keine wettbewerbserhebliche Bedeutung zu, da sie häufig nicht einem Monatdurchschnittslohn entsprechen und allenfalls kurze Zeit dem Künstler finanzielle Unabhängigkeit gewährleisten354. Wenn auch z. B. ein einzelner Preis die Konkurrenzsituation nicht entscheidend verändern kann, könnte diese Wirkung doch durch die Tendenz zu Mehrfachauszeichnungen, ablesbar an "Preisträgerpyramiden" 355 eintreten. Verstärkt wird die Bedeutung staatlicher Auszeichnung durch die Folgewirkung privater Marktbelebung. Gleichwohl erschließt sich für diesen Bereich keine parlamentarische Regelungsmaterie, da die freiheitliche Funktion des kulturellen Trägerpluralismus gefährdet würde, wenn jede singuläre Maßnahme in den gesamtgesellschaftlichen Bezugsrahmen des Kulturstaats einzustellen wäre. Ein danach erforderlicher Kulturrahmenplan für den Gesamtstaat wäre geeignet, die Flexibilität und Reagibilität derföderalistisch strukturierten Kulturverwaltung auszutrocknen und eine Überbeanspruchung parlamentarischer Regelungsarbeit mit sich führen. Anders gestaltet sich die Problematik der Subventionsbelastung im Zusammenhang institutionalisierter künstlerischer Arbeit in Theatern, in Orchestern etc. Hier kann für die künstlerische Freiheit eine Gefahrenzone entstehen, die über die Konkurrenzsituation den Subventionierten an die Voraussetzungen der Subventionsvergabe bindet356. Nicht ausschließbar ist, daß der Staat einen Einfluß auf die Willensrichtung der Subventionsadressaten erlangt, der sich "häufig stärker als jeder Zwang" erweist 357 und neben der direkten Wirkung das Phänomen der Selbstzensur durch die "innere Schere" produziert, das nachhaltig die kreative Potenz der Betroffenen beschädigt. Für den nichtbegünstigten Dritten kann die Nichtgewährung der Subvention "potentiell zur Letztentscheidung über die private Betätigung auf dem von ihr betroffenen Lebensgebiet"358 werden. Aus dem Gedanken des Eingriffsvorbehalts 359 ist 353
Erbel, Verwaltungsrecht, S. 552; Kewenig, UFITA Bd. 58; 112; Nordemann, FSWeber, S. 217; Stiller, UFITA Bd. 60, 175, 180. 354 Fohrbeck/Wiesand, Kunstpreise, S. 25 ff. 355 Fohrbeck/Wiesand, Kunstpreise, S. 42 ff. 356 Erbel, Verwaltungsrecht, S. 553; allgemein Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht EI, § 154 Rdnr. 21. 357 Friauf, DVB1 1971, 680; Zuleeg, Subvention, S. 5. 358 Arndt, NJW 1966, 27; Friauf, DVB1 1971, 680; dm., DVB1 1966, 729.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
daher in den Fällen eines belastenden Subventionsregimes des Staates dieser Art eine gesetzliche Ausgestaltung solcher kunstfördernden Maßnahmen notwendig, die geeignet sind, längerfristig künstlerische Verhältnisse festzuschreiben. Die Tragweite solcher Entscheidungen wird durch den Gesichtspunkt bestimmt, daß die Entwicklungscharakteristik künstlerischer Phänomene flexible Reaktionen des Staates erfordern kann. Wenn eine Subvention aber über einen längeren Zeitraum einen erheblichen Teil des Kulturhaushalts festlegt, können neue kulturelle Initiativen in den Anfangsphasen darauf verwiesen sein, zunächst ohne staatliche Förderung betrieben werden zu müssen. Auch kann es sich im Laufe einer Subventionspraxis erweisen, daß andere künstlerische Ansätzeförderungswürdiger sind als die von der staatlichen Förderung erfaßten. Gegenüber dieser Forderung ist der Einwand zu gegenwärtigen, daß die institutionelle Bindung und Professionalisierung kreativer Potentiale mitunter im Rahmen "kulturmodischer" Organisationen Kulturfachgesetzen entgegenstehe360. Durch Spezialgesetze würden die Aufgabenbereiche, die der Verwaltung "noch einen echten Handlungs- und Entscheidungsspielraum" einräumen, unsachgemäß eingeschränkt361. Als Unterfall der allgemein beklagten Verrechtlichungstendenz würden Musikschul-, Museums- oder Bibliotheksgesetze kreative und innovative Formen der Kulturarbeit behindern. Gesetzesfreie Bereiche der Kulturverwaltung müßten zugunsten staatlicher festgelegter Pflichtaufgaben vernachlässigt werden und das bunte Spektrum kommunaler Kultur liefe Gefahr, zur "Einheitskultur" zu veröden362. Diese Argumentation überschätzt die Gefahren, die der Prosperität des kulturellen Sektors durch die normative Ausgestaltung drohen. Auch wenn das Trägheitsmoment der gesetzesfreien Verwaltung geringer zu veranschlagen ist, bleibt eine rechtsstaatliche, willkürfreie Kulturverwaltung an die Einhaltung von Richtlinien und Verfahrensvorschriften gebunden, so daß die Spontaneität des künstlerischen Prozesses nicht in der Strukturierung des Verwaltungsverfahrens untergeht363. Die Bindungsqualität des Gesetzes wiegt aber die Einbuße an Flexibilität und Reaktionsfähigkeit der Verwaltung auf, wenn damit gewährleistet ist, daß die 359
6, 82. 360
Zur Argumentation aus diesem Gesichtspunkt: BVerfGE 8, 167; BVerwGE
Pappermann, DVB1 1981, 1044; Steiner, WDStRL 42, 18. Pappermann, Kulturpflege, S. 284 f. für den Bereich kommunaler Kulturarbeit. 362 Pappermann, Kulturpflege, S. 284 f. 363 Für das Vorurteil gegen die Möglichkeiten einer flexiblen Kulturpolitik gilt immer noch die plakative Formel von Heuss, S. 74 f.: "Mit Politik kann man keine Kultur machen; vielleicht kann man mit Kultur Politik machen." 361
D. Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts
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Verwaltung nicht zur Hintertreppe politisch und gesellschaftlich umstrittener Kulturstaatspraxis wird. Nicht anders als bei der Schaffung einer gerechten Sozialordnung ist der Gesetzgeber durch das Demokratieprinzip auch im Fall der Kulturordnung aufgerufen, den konfligierenden gesellschaftlichen Interessen zu antworten. Kunstforderung gehört zu den öffentlich umstrittenen Themen, wie es sich beispielhaft immer wieder an den heftigen Kontroversen um Kunstpreise, Theatersubventionen und staatliche Ankaufspolitik erweist 364. Die politische und gesellschaftliche Brisanz der Diskussion beruht auf dem historisch gewachsenen Spannungsverhältnis von Kunst und Gesellschaft, das auch nicht durch parlamentarische Entscheidungen vollständig aufgelöst werden kann. Die Bedeutung der Kunstförderung für die freiheitliche Gestaltung des pluralistischen Felds kultureller Bedürfnisse und Interessen ist trotz des geringen Anteils am Gesamtetat gleichwohl so erheblich, daß sie nicht der Exekutive vollständig überlassen bleiben sollte. Die begonnene parlamentarische Kulturdebatte sollte daher mit der sektoralen Regelung der Leitfunktionen der Kunstförderung fortgesetzt werden, um den Ausbau und die Stabilisierung eines sich selbst reflektierenden Kulturstaats zu ermöglichen. Der Vorwurf gegenüber allgemeinen Kulturförderungsgesetzen, daß sie entweder "zu sachwidrigen Vereinfachungen führen" oder aufgrund der Spezifität der verschiedenartigen künstlerischen Ansätze inhaltsleer bleiben müßten365, ist dahingehend ernst zu nehmen, ein dezidiertes Plädoyer für die qualitativ geprägte Prosperität der Kultur und der Künste mit sachbereichsspezifischen, konkreten Vorschlägen für die Strukturierung gerechter und transparenter Verfahren zu verbinden 366. Eine solche Aussage zu den notwendigen Momenten einer Kunstförderungsgesetzgebung hängt daher von den in der Folge zu untersuchenden qualitativen Kriterien in Verbindung mit den organisatorischen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen einer kulturstaatlichen Leistung ab.
364 Zur Schließung der Staatlichen Schauspielbühnen Berlins vgl. BerlVerfGH, NJW 1995, 858 ff. 365 Evers, NJW 1983, 2166; Steiner, WDStRL 42, 18; zu österreichischen Entwürfen von Kunstförderungsgesetzen vgl. Rauch-Keller, S. 116. 366 Einen Schritt in diese Richtung beinhaltet für den kommunalen Bereich das Sächsische Kulturraumgesetz vom 20.01.1994.
188
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
E. Kunstförderung im Spannungsverhältnis von Qualität und Neutralität L Übersicht zur Problemlage
Kunstförderung, die nicht unterschiedslos, ohne Ansehung der Künstler und ihrer Aktivitäten, Leistungen gewähren will, steht vor der Frage, ob eine begrenzende Ausrichtung kulturstaatlichen Handelns durch eine qualitative Bewertung erfolgen kann. Hier wurde bereits mit dem Kulturstaatsprinzip eine willkürfreie, kulturelle Wertsetzung des Staates bejaht, die in der Folge vertieft auf ihr Verhältnis zur staatlichen Neutralitätspflicht zu untersuchen ist. Ein Teil der Literatur vertritt mit unterschiedlichen Akzentuierungen die Auffassung, der Staat dürfe keine Qualitätsförderung betreiben, da die staatliche Neutralitätsverpflichtung im künstlerischen Freiheitsbereich eine Gleichbehandlung aller künstlerischen Bestrebungen erfordere 367. Dagegen wird von der auch durch die Rechtsprechung getragenen herrschenden Meinung eine qualitative Differenzierung zugunsten förderungswürdiger Kunst durch die staatliche Entscheidung bejaht368. Diese heftig umstrittene Frage weist in ihre Konsequenz weit über Problemkreise der Kunstförderung auf unterschiedliche staatstheoretische Konzeptionen hinaus. Die Kontroverse wird aber nicht unerheblich durch die praktische Notwendigkeit entschärft, den kulturstaatlichen Leistungsbereich nicht durch das Gießkannenprinzip bestimmen zu lassen369. Nicht erst in einer Zeit rezessiver staatlicher Budgets muß die Effizienz des gesamten Fördersystems auf die Mittelbegrenzung bezogen bleiben. Das Gießkannenprinzip steht in seiner Kollektivierung künstlerischer Ansätze zudem im Widerspruch zum föderali367 Beck, Wahrheit, S. 266 ff.; Graul, Künstlerische Urteile, S. 62; Hörstel, S. 27 f. ; Hufen, Freiheit der Kunst, S. 549; Krüger, S. 808; Ridder, Freiheit der Kunst, S. 23; Schäuble, Kunstförderung, S. 63, 80. 368 BVerfGE 36, 321 ff.; OVG Lüneburg, NJW 1984; 1138 ("Kabarettbühne"); OVG Lüneburg E 28, 378; OVG Lüneburg, DVB1 1972, 393 m.w.N.; Bull, S. 308; Erbel, Kunstfreiheitsgarantie, S. 177; ders., FuR 1969, 317; Heckel, Staat-Kirche-Kunst, S. 83, 98; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 277; ders., Kunst und Recht, S. 159; Hoffmann/Kramer, Kulturpolitik und Kunstpflege, S. 237; Kewenig, UFITA Bd. 58, 110; Locher, Recht der bildenden Kunst, S. 27; ders. UFITA Bd. 55, 141; Maunz, BayVBl 1970, 254 ff.; Scheuner, Kulturstaat, S. 126; Schnerr, BayVBl 1960, 304; Stiller, UFITA Bd. 60, 176; Steiner, WDStRL 42, 30; Lerche, BayVBl 1974, 179. 369 BVerfGE 36, 321 (333); Hoffmann/Kramer, Kulturpolitik und Kunstpflege, S. 237; Kewenig, UFITA Bd. 58, 110; Rauch-Keller zum Begriff, S. 16; Schreyer, S. 137; Schwarze, AfP 1974, 695; Stiller, UFITA Bd. 60, 175; Hufen, Freiheit der Kunst, S. 552.
E. Qualität und Neutralität
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stisch verankerten Recht der Länder zur Schwerpunktbildung aufgrund lokaler Besonderheiten und dem Recht der Kommunen auf kulturelle Selbstverwaltung. Gegen die Schematisierung der Mittelvergabe spricht aber nicht die Gefahr der Begünstigung der weniger Hilfsbedürftigen, da eine Orientierung an der ökonomischen Bedürftigkeit möglich wäre, ohne überhaupt zur Frage der Qualitätsforderung Stellung zu nehmen. Daher kommt keine rationale Konzeption der Kunstförderung ohne selektive Momente in der Entscheidungsfindung aus. Allein die Frage, wem die Auswahlentscheidung zuzurechnen ist, dem Staat oder unabhängigen Entscheidungsträgern, bezeichnet die eigentliche Konfrontationslinie in der Auseinandersetzung370.
IL Begriff der qualitativen Auswahlentscheidung
Bisher in der Diskussion vernachlässigt und daher geeignet, Scheinwidersprüche auszulösen, ist zunächst auf die Struktur der Qualitätsentscheidung einzugehen. Der Aussagewert des Begriffs der "Qualität" ist nicht allein durch seine kontroverse Diskussion im Rahmen des Filmförderungsgesetzes 371, sondern durch ständig wechselnde Besetzungen im gesamten kulturellen Eingriffs- und Förderungsbereich unscharf. Sein Bedeutungsspektrum rangiert von der Bezeichnung eines materiellen Kunstbegriffs der Kunstfreiheitsgarantie bis zur tendenziellen Verwendung als Vermeidungsformel eines etatistisch ausgelegten Kulturstaatsbegriffs. Gleichermaßen bezogen auf den Förderungsgegenstand und das Instrumentarium konfundieren künstlerische, wirtschaftliche und politische Erwägungen. Das "arcanum" der Kulturrechtswissenschaft bildet darin das Kunsturteil, das nach der klassischen Unterscheidung Venturis durch drei wesentliche Faktoren bestimmt ist: " 1. der pragmatische Faktor, wie er durch das zu beurteilende Kunstwerk selbst gegeben ist; 2. der ideelle Faktor, der durch die ästhetischen Auffassungen des Kritikers gegeben ist sowie, im weiteren Sinne, durch dessen philosophische und ethische Vorstellungen, also durch die Kulturepoche, der er entstammt und die er mitbestimmt; 3. der psychologische Faktor, der von der Persönlichkeit des Kritikers abhängt"372. 370 371 372
Knies, Kunst und Recht, S. 159 Fn. 53. Bär, FuR 1983, 531 ff. Ventun, S. 42 ff.
190
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
In die ideelle Komponente ist mithin die Vielzahl moderner Kunstbegriffe, ästhetischer Theorien und selbst umfassender Weltbilder eingeschrieben, deren Korrespondenz im Verfahrensmodus pluralistischer Gremien gewährleistet werden muß. Mit diesen für die Bewertungsaibeit prägenden Positionen deckt sich aber nicht notwendig das Qualitätsurteil, das den Zweckstrukturen staatlicher Kunstförderung entspricht. Förderung als kulturpolitische Gestaltung beinhaltet eine Vielzahl qualitativer Kriterien, die eine Ausrichtung des ideellen Faktors der Bewertung auf den Förderungszweck notwendig machen können: Das Qualitätsurteil kann danach eine Prognose über die Entwicklung eines Künstlers oder die Würdigung eines Lebenswerks beinhalten, die gesellschaftliche Vermittlungsrelevanz auszeichnen, die stilistische oder lokale Bedeutung herausstellen, einen Ausgleich zu Vereinheitlichungstendenzen des Kunstbetriebs herstellen und unter Berücksichtigung des weiten Felds pluralistischer Interessen viele andere Förderungszwecke beinhalten. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Eingriffsproblematik des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS den Kunstvoibehalt auf ein ästhetisches Niveau bezogen, das sich nicht nur nach ästhetischen Kriterien bestimmt, sondern auch nach dem Gewicht, das das Kunstwerk für die pluralistische Gesellschaft nach deren Vorstellungen über die Funktion der Kunst hat 373 . Danach relativiert sich die Problematik einer Differenzierung nach "rein" ästhetischen, dem 'Tart pour rart M-Prinzip verpflichteten Kriterien, wenn die Selbstthematisierungen des Kunstsystems und ihre Lösungen berücksichtigt werden374. Die ästhetische Wertigkeit des künstlerischen Geschehens wird sich somit innerhalb so verschiedenartiger Prämissen je anders beurteilen. Dabei bleibt festzuhalten, daß die qualitative Entscheidung keine staatliche Autorisierung der Subjektivität gesellschaftlich gebundener Kunstrichter anstrebt, sondern diese in den Förderungszweck der jeweiligen Maßnahme integriert.
373 BVerwGE 39, 197 (207). Das heißt nichts anderes als den Selbstbeschreibungen des Kunstsystems zu folgen. Dazu grundlegend Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, S. 393 ff. Luhmann will das Kunstsystem darauf hin beobachten, wie es mit größeren Freiheitsgraden und der damit verbundenen Unsicherheit der Kriterien umgeht (506). 374 Vgl. dazu auch Geis, S. 256.
E. Qualität und Neutralität
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I I I . Prinzip der Nichtidentifikation
Nach dieser Begriffsklärung kann die unzureichende Ablehnung der Qualitätsforderung durch den Staat, soweit sie sich auf das Prinzip der Nichtidentifikation oder vergleichbare Formeln 375 stützt, aufgezeigt werden. Danach ist staatliches Handeln in der Gegenüberstellung von gesellschaftlich Besonderem, einer Religion, einer Wirtschaftslehre, einer Weltanschauung, etc. und Allgemeinem auf letzteren Bereich beschränkt. Das Prinzip der Nichtidentifikation soll so staatlicher Totalisierung zugunsten gesellschaftlicher Pluralität entgegenwirken und kann vorbehaltlich einer eingrenzenden Kritik als "das unwiderrufliche Grundgesetz einer freiheitlichen Verfassung" bezeichnet werden376. Die bedingte Brauchbarkeit dieses Grundsatzes im Rahmen kulturstaatlicher Gewährungen läßt aber schon seine Herkunft aus dem Eingriffsbereich vermuten377. Die Konzeption dieses von Krüger entwickelten Prinzips entbehrt einer hinreichenden Konkretisierung der "Allgemeinheit" als Grenzziehung staatlichen Handelns. Damit entsteht die Gefahr, daß dieser Grundsatz sich gegen sich selbst wendet, indem der Staat seinen Kompetenzbereich in eine Allzuständigkeit entgrenzt378 und der gesellschaftliche Bereich des Besonderen, der partikularen Werte und Interessen, zur Restgröße wird. Dem Vorwurf der Unbestimmtheit setzt sich auch der Begriff der "Identifikation" aus. Wenn alles staatliche Handeln mit staatlicher Identifikation gleichgesetzt wird, verkennt diese Konzeption den Unterschied zwischen Gewährung, Förderung und Schutz gesellschaftlicher Äußerungen und deren identifizierender Aufnahme in die verbindliche Würde des Staates. Die staatliche Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen setzt im Rahmen eines offenen Kulturförderungskonzepts nicht die "Identifikation" des Staates mit den diversen künstlerischen Positionen voraus. Die Identifikation des Staates mit allen seinen Entscheidungen unter der Prämisse der Widerspruchsfreiheit ist daher kein Kriterium für ein offenes Kunstförderungskonzept mit konkurrierenden Positionen. In seiner Komplexität und Absorptionskraft divergenter gesellschaftlicher Äußerungen sperrt sich der Staat der Geschlossenheit personaler Identität. Der kulturelle "Charakter" einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung erleidet keine
375
Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff.; zu vergleichbaren Formeln Hufen, Freiheit der Kunst, S. 180 ff. 316 Schiaich, S. 239. 377 Haverkate, Rechtsfragen, S. 167; Kriele, Einführung in die Staatslehre, S. 129; ders., NJW 1976, 355 (357); Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 178. 378 Denninger, Rechtsperson, S. 282; Schiaich, S. 239; Stein, NJW 1965, 2386.
192
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Identitätskrisen, wenn sich konträre Positionen begegnen, die gleichermaßen staatlich gefördert werden. Da der Kulturstaat aber wertbezogene Auseinandersetzungen benötigt, um kulturelle Prozesse in lebendiger Freiheit zu ermöglichen, sind sie ihm innerhalb dieses Zwecks zurechenbar. Das gesellschaftlich Besondere vermittelt das Allgemeine, das sonst substanzlos bliebe. Anderenfalls müßte sich jede Förderungsmaßnahme gesellschaftlich so weit rückversichern, daß flexible Regelungen verunmöglicht werden, da die demokratische Legitimation der bestehenden Vergabepraxis durch Auswahlgremien kaum ausreicht, eine gesamtgesellschaftliche Zurechnung zu begründen. Notwendig ist es daher, daß staatliche Kunstförderung nicht nur im Bereich der individuellen Vergabeentscheidungen vom Identifikationsdenken weg zum Verantwortungsdenken schreitet. Das Prinzip der Nichtidentifikation birgt zur anderen Seite hin die Gefahr, daß über die Privatisierung des gesellschaftlichen Pluralismus der Sog gesellschaftlicher Interessen allgemeine Interessen als Inhalte objektiver Grundrechtsaussagen verkürzt. Eine in diesem Sinne selbstverordnete staatliche Enthaltsamkeit resultiert dabei oft weniger aus der Überzeugung, außerstaatliche Freiheitsbereiche zu garantieren, als aus der Marginalisierung der Kunst und Kultur als "Privatsache", deren Bedeutung sich im Freizeitbereich erschöpft. Die verfassungsgemäße Rezeption des Prinzips der Nichtidentifikation beschränkt sich daher auf die Forderung nach Neutralität des Staates als Absage an ein totalisierendes, normativistisches Kulturverständnis und ein dem zugeordnetes Kunstrichtertum 379 Eine Indifferenz des Staates gegenüber der Kunst, ein Verbot der Qualitätsförderung oder weitergehend eine rigide Trennung von Staat und Kunst sind aus diesem Prinzip nicht ableitbar.
IV. Verwaltungsprogramm und qualitative Selektion
Der Begründung wertneutralen Verhaltens des Staates aus dem Mangel praktikabler, gesicherter Maßstäbe für die Beurteilung künstlerischer Qualität könnte gleichfalls nicht gefolgt werden. Wie in anderen Verwaltungsbereichen kann die Schwierigkeit der Entscheidungsfindung nicht zur Ablehnung der 379 So stützte sich etwa die Vergabepraxis für Kunstpreise der preussischen Akademie der Künste auf ein normatives klassizistisches Kunstideal. In den Vergaberichtlinien von 1788 manifestierte sich aufgrund der unterschiedlichen Höhe der Preise ein detailliert abgestuftes Evaluierungssystem, das neben anderen Kriterien in der Reihenfolge Historie, Landschaft, Stilleben und Porträt taxierte, vgl. Menke-Schwinghammer, S. 210 ff.
E. Qualität und Neutralität
193
Entscheidung überhaupt führen. Dabei sind dem Verwaltungsprogramm nicht die Aporien anzulasten, die aus den konträren Geltungsansprüchen der gesellschaftlichen Wertsphäre resultieren. Das Unterscheidungsvermögen der Verwaltung kann daher nur so weit reichen, zwischen bereichsfremden Interessen und der Eigengesetzlichkeit des zu beurteilenden Systems zu differenzieren. Überschneidungen beider Bereiche stehen einem einsinnigen, leicht subsumierbaren Verwaltungsprogramm entgegen, das nur aus Rationalisierungsfortschritten des zugrundeliegenden Wertsystems zu erzielen wäre. Bis zur Erzielung solcher, zur Zeit nur spekulativ ermittelbarer Ergebnisse bleibt die Strukturierung der Verwaltungsaufgabe relativ auf den Zusammenhang der Selbstverständnisbezeugungen des kulturellen Subsystems bezogen, die ihren Imperativ darin findet, zwischen den künstlerischen Positionen zu vermitteln, ohne einen Kunstbegriff festzuschreiben. Die rechtliche Problemerfassung ist daher entgegen den vorangestellten kritischen Stimmen von der verwickelten Diskussion eines verbindlichen Kunstbegriffs abzukoppeln und auf den Kunstbereich als Freiheitsbereich zu beziehen. Die Qualität dieser Sphäre setzt sich aus den mannigfaltigen Qualitäten künstlerischer Äußerungen zusammen.
V. Pluralismus als Hindernis identifikatorischen Staatshandelns
Der vom Grundsatz der Nichtidentifikation immerhin angedeuteten Gefahr von Neutralitätsverlusten des demokratischen Staates begegnet der kulturelle Pluralismus. Pluralismus ist das Medium der Freiheit. Die Verfassung verbürgt den Verbund von institutionellen und individuellen Freiheiten pluralistisch. Darin markiert die plurale und offene Ausgestaltung kultureller Grundrechte durch die Freiheitsträger das Herzstück einer pluralistischen Kulturverfassung 380. Wesentlich mitbestimmt wird die pluralistische Struktur des Kulturstaatshandelns durch die grundgesetzlich austarierten Kompetenzräume von Bund, Ländern, Gemeindeverbänden und Gemeinden. Dieses Pluralitätsgefüge wird in besonderer Weise durch die vitale Funktion kommunaler Kunstpflege geprägt, die über einen reichen Gehalt an Förderungsformen verfügt 381.
380
Zur allgemeinen Differenzierung pluralistischer Garantien vgl. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 395 ff. 381 Steiner, Kulturpflege, § 86 Rdnr. 21; Pappermann, Kulturpflege, S. 282 f. 13 Palm
194
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Hinzu tritt eine Vielzahl staatsunabhängiger, staatliche Gewalt mediatisierende, und privater Kulturträger 382, die einen "kulturellen Trägerpluralismus" begründen, der die Gefahr der Präferenz bestimmter Kunstrichtungen, Ausdrucksformen und Qualitätsstandards eindämmt383. Diese Dezentralisierung oder Polyzentrierung 384 der Kunstförderung ist einem Modell des Außenpluralismus385 ähnlich den Regelungen einiger Mediengesetze verpflichtet. Je stärker diese dezentralen Strukturen ausgebildet sind, um so schwächer wird die Gefahr von staatlichen wie gesellschaftlichen Einseitigkeiten im Rahmen aktiver, prioritätenbildender Kulturpolitik. Das setzt freilich voraus, daß die diversen kulturellen Träger ihre "Tendenzen" eigenverantwortlich bestimmen und nicht der inhaltlichen Gleichschaltung durch nationale wie internationale Trends erliegen. Die Pluralitätsachtung der öffentlichen wie mitunter der privaten Kulturträger verstärkt die institutionelle Ausdifferenzierung der diversen Kulturkonzepte binnenspezifisch 386. Wesentliches Moment der öffentlichen Pluralitätsachtung ist die Integration außerbehördlichen Sachverstands in die Entscheidungsfindungsprozesse der Verwaltung. Ergänzt wird dieses der staatlichen Identifikation gegenläufige Pluralitätspotential durch die Pluralität der Entscheidungsformen 387, die staatlicher Ausrichtung auf Kunstideale, Elitenbildung388 oder Nivellierung künstlerischer Bemühungen entgegenstehen. Nach historischen Formen des Kulturimperialismus wird ein pluralistischer Ansatz auch im Bereich der auswärtigen Kunst- und Kulturpflege dem Gedanken des Austauschs bei Wahrung kultureller Identität verpflichtet sein. Dieföderalistische Strukturierung einer dezentralen Kunstförderung ist dabei zwei Gefahrenmomenten einer vereinheitlichenden Kulturpolitik ausgesetzt. Einschränkungen der Kulturhoheit der Länder durch gesamtstaatliche Maßnahmen oder Länderabkommen mit und ohne Bundesbeteiligung aktuell in der Diskussion um die "Deutsche Nationalstiftung", "Länderstiftung" oder 382
Dazu BVerfGE 54, 129( 135) ("Kunstkritik"). Zum Begriff des "kulturellen Trägerpluralismus" vgl. Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 396; vgl. weiterhin Knies, Kunst und Recht, S. 159; Scheuner, Kulturstaat, S. 131; Steiner, WDStRL 42, 29. 384 Vgl. Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 36. 385 Vgl. Albrecht Hesse, Rundfunkrecht, S. 190 tf. 380 Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 156 f.; Steiner, VVDStRL 42, 29. 387 Hoffmann/Kramer, Kulturpolitik und Kunstpflege, S. 237; zu den verschiedenen Formen: Fohrbeck, Kunstförderung, S. 36 ff. 388 Damit sind solche Formen der Elitenbildung auszuschließen, die den für die freiheitliche gesellschaftliche Entwicklung erforderlichen Zusammenhang zwischen Leistungsträgern und den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft ignorieren. 383
F. Schwerpunktbildung und Ausgleichsmaßnahmen
195
"Bundeskunsthalle" könnten trotz ihrer kompetentiellen Vereinbarkeit mit der Verfassung eine Verringerung des kulturellen Trägerpluralismus einleiten. Darüber hinaus ist die Gefahr der Fixierung eines einseitigen Kunstideals besonders groß, wenn die Förderung einer bestimmten Kunstgattung primär bei einer Instanz liegt. Die Förderung filmischer Großprojekte im Rahmen des Filmforderungsgesetzes in der Dynamik wirtschaftlicher Vorgaben ist unter Mitberücksichtigung des internationalen Filmmarkts durchaus geeignet, das innovatorische und experimentelle Filmschafifen zugunsten einer auf Publikumsgeschmack zugeschnittenen Produktion zu verdrängen. Ob hier die anderen der Filmforderung gewidmeten Förderungsmittel ausreichen, solche Entwicklungen aufzufangen, bleibt zu beobachten.
F. Kunstforderung im Spannungsverhiltnis von Schwerpunktbildung und Ausgleichsmaßnahmen
Das kulturverfassungsrechtliche und faktische Gebot, einen schematischen, allein am Künstlerstatus389 orientierten Mitteleinsatz zu verhindern, lenkt den Blick auf die Frage nach der Zulässigkeit und Reichweite aktiver kultureller Schwerpunktbildung bzw. Programmkompetenz 390. Ist der Staat gehalten, kunstfordernde Maßnahmen nur im Blick auf Publikumsnachfrage, bestehende Privatinitiativen oder Ausgleichsfunktionen gesellschaftlicher Fehlentwicklungen vorzunehmen, oder darf er selbst aktive kulturpolitische Impulse setzen?
I. Modelle
Aufgrund der häufig kartellischen bis monopolistischen Tendenzen des modernen Kunstmarkts bezieht Jung in seinem "Interferenzmodell" staatlicher Förderung den Kulturstaatsbegriff wieder auf die Ausgleichsfunktion des Staates391. Die Förderung wird danach abgestuft, wie sich die jeweilige Kunst in der Gesellschaft durchgesetzt hat. Nach dieser Konzeption beschränkt sich 389 390 391
Zum Berufsbild des Künstlers vgl. Fohrbeck/Wiesand, Künstlerreport, S. 84 ff. Steiner, VVDStRL 42, 31 spricht von "Programmkompetenz". Jung„ S. 72.
196
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Kunstförderung auf "Hilfe für noch nicht anerkannte Kunst Unterstützung von Experimenten jeden Genres, von neuen Strömungen und Ansätzen und Hilfe für anerkannte, aber in den Schatten getretene Kunst". Dagegen verwirft er unter Bezugnahme auf die Filmförderung staatliche Förderung, die erst aufgrund wirtschaftlichen Erfolgs gewährt wird, weil sie nach dem Prinzip "Dem der hat, wird noch hinzugegeben werden" offen Partei für Erfolgreiche nimmt 392 . Statt den Außenseiter in das Zentrum staatlicher Bemühungen zu bringen, werde der schon Etablierte bestätigt. Beck will in seinem Modell neutraler Förderung den Staat auf die Flankierung gesellschaftlicher Kräfte beschränken, weil der aktiv fördernde Staat unausweichlich staatliches Kunstrichtertum mit sich führe 393. Beide Konzeptionen bezeichnen wichtige Aufgabenbereiche des kunstfördernden Staates, verkürzen aber in ihrer Ausschließlichkeit eine kulturstaatlich sinnvolle Kunstpflege und erhöhen die Gefahr der Beeinträchtigung eigengesetzlicher kultureller Prozesse. Den Kulturstaatsbegriff auf ein freiheitlichpluralistisches Kunstleben zu beziehen ist richtig. Insoweit muß der Staat Gefahren, die einem freien, künstlerischen Wettbewerb drohen, vorbeugen und entstandene Beeinträchtigungen ausgleichen394. Diese Aktivität steht aber unter dem Vorbehalt des verfassungsrechtlich Zulässigen und faktisch Möglichen. Wie im Bereich des Schutzes wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit 395 darf der intervenierende Staat nicht zum dirigistischen Impulsgeber soziokultureller Entwicklung werden. Die Grenzmarke dieses Handelns ist da erreicht, wo die gegenläufigen Tendenzen staatlicher Förderung eine auf die Gesellschaft rückwirkende Richtungsangabe enthalten396. Gegenüber der Gefahrdung der freien Kunst durch die Inauguration eines staatlich verordneten Kunstideals erweist sich ein rein antizyklisches Modell damit durchaus als anfällig. Die Übernahme des künstlerischen Lebensrisikos in der "Treibhausatmosphäre" staatlicher Kunstpflege beendet den freien künstlerischen Wettbewerb um die Gunst des Publikums und verkehrt tendenziell den Ausgleich in sein Gegenteil: Die Eigengesetzlichkeit der Kunst wandelt sich in staatlich gesetzte Kunst. 392
Jung, S. 72; vgl. auch Ott, Kunst und Staat, S. 170. Beck, Wahrheit, S. 263ff; ähnlich Mack, Was tut die Kunst für den Staat?, S. 72, der aus Enttäuschung über den niedrigen Kulturetat und die rigide Kulturverwaltungspraxis vorschlägt, jede direkte staatliche Förderung gänzlich aufzuheben. 394 Hufen, Freiheit der Kunst, S. 553; ders, NVwZ 1983, 519; Steiner, WDStRL 42, 53. 395 Bull, S. 207 f. 396 Roellecke, DÖV 1983, 659, differenziert zum staatlichen Ausgleich dysfunktionaler Systeme nicht nur im Kulturbetrieb. 393
F. Schwerpunktbildung und Ausgleichsmaßnahmen
197
Ein ausschließlich antizyklisches Konzept ist auch aus dem Gesichtspunkt des kulturellen Trägerpluralismus problematisch. Eine umfassende Gegensteuerung setzt konzertierte Aktionen der Kulturträger in Bund, Ländern und Gemeinden auf der Grundlage einer globalen Bestandsaufnahme der Kultur voraus. Wenn die Ausgleichsmaßnahmen nicht kurzsichtiger Natur sein sollen, wäre die Dezentralität des föderalistischen Systems erheblich einzuschränken. Weiterhin resultiert die begrenzte Bedeutung dieses Modells auch aus dem hier entwickelten Kulturstaatsbegriff. Wenn der Kulturstaat wertsetzend strukturiert ist, kann er die Auszeichnung und Förderung hervorragender Kunst nicht aus seiner Programmatik ausblenden. Künstlerisch und ökonomisch erfolgreiche Aktivitäten darf der Staat fördern 397, wenn er dabei nicht die anderen Funktionen der Kunstförderung vernachlässigt398. Anderenfalls würde staatliche Kunstförderung darauf hinauslaufen, auch bedeutungslose oder gar schlechte Kunst gegenüber qualitätsvollen Formen vorziehen zu müssen. Bedenklich wird der Rigorismus Jungs, wenn er die Förderung noch nicht anerkannter Kunst schlechthin fordert. Soll der Staat die Anerkennung betreiben399? Durch die strikte Trennung der Kunst in anerkannte und alternative wird der kulturelle Zusammenhang zerrissen, das kulturelle Ambiente aufgelöst und der Zuspruch der Gesellschaft als zentrale Instanz der Wertbildung 400 entkräftet. Ähnlichen Einwänden ist das von Beck entwickelte Modell neutraler, nicht aktiver Förderung ausgesetzt. Die von ihm empfohlene Anregung bürgerlicher Aktivitäten respektive ihrer Flankierung in der vorliegenden Untersuchung als Vermittlungsförderung verstanden hat durchaus aktiven Charakter. Bei der Vielzahl der bestehenden Initiativen und noch grundsätzlicher bei der Frage nach der Anregung neuer sind permanent wertende Auswahlentscheidungen zu treffen, wenn nicht der Zusammenbruch des kulturellen Leistungsstaats eintreten soll. Die Bedingtheit der vorgestellten Modelle erweist, daß der Kulturstaat sich seiner werthaften Verantwortung für ein freiheitlich-pluralistisches Kunstle397
Bull, S. 309. Hier ist zu berücksichtigen, daß es dem Staat verwehrt ist, "bestehende tatsächliche Verschiedenheiten im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich" noch zu vergrößern. Vgl. BVerfGE 8, 51 Ls. 2; Kückelmann, UFITA Bd. 59, 138. 399 Leisner, Pressegleichheit, S. 177 äußert zu Recht Zweifel an der Berechtigung des Staates, "völlig Unbekannte" zufördern, die durch keinerlei gesellschaftliche Anerkennung ausgewiesen sind. 400 v. Hartlieb, Staatliche Filmförderung, S. 37, kritisiert aus diesem Gedanken das selektiv ausgerichtete FFG, dessen elitäre Investitionslenkung das permanente Plebiszit des Filmpublikums an der Kinokasse aufhebt. 398
198
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
ben nicht durch reaktive Kulturpolitik entziehen kann 401 . Aktive, prioritätenbildende Förderung beinhaltet eine Vielzahl legitimer Aufgaben, die sich nicht im ökonomischen Flankenschutz künstlerischer Initiativen erschöpfen 402. Die qualitative Selektion nach lokalen, inhaltlichen und stilistischen Gesichtspunkten, etwa im Fall der Förderung eines bestimmten Künstlers einer Richtung, ist ein wesentlicher Teil einer sinnvollen Kulturpolitik. Die verwaltungsbehördliche Gestaltungsfreiheit aktiven Staatshandelns in diesem Sinne würde in dem Ansatz, mit wechselnden Schwerpunkten zu fordern, eine pluralitätsgerechte Strukturierung erfahren.
IL Kunstforderung als Kooperation mit Privaten
Der aktive Bezug des Kulturstaats in seiner Prioritätenbildung und seinen Ausgleichsfunktionen eröffnet den Blick auf zwei wesentliche Bereiche privater Initiative, die untereinander vielfaltige Verbindungslinien aufweisen: Kunstmarkt und Mäzenatentum.
1. Staatliche Kunstmarktförderung
Die Abhängigkeit eines prosperierenden Kunstlebens von einer ausreichenden materiellen Grundlage der Künstler weist dem Kunstmarkt als Austauschort künstlerischer Leistungen gegen monetäre wichtige Funktionen zu. Idealtypisch indiziert der Kunstmarkt gesellschaftlichen Zuspruch und ist ein Ausdruck privater Initiative zur Förderung der Kunst, ohne mäzenatische Intentionen der Nachfragenden vorauszusetzen. Die Beziehung der Kunst zum Kunstmarkt verschafft den Künstlern mehr Freiheiten als in den Beziehungen zu klassischen Mäzenen wie Kirchen oder Herrschern gewährleistet war, weil die Kunst auftrags- und themenunabhängig wird 403 . Kunst ist ein herausra401
BVerfGE 36, 321 (332); OVG Lüneburg, DVB1 1969, 875 (876); DVB1 1972, 393 (395); NJW 1984, 1138; Benda, Die neue Ordnung 1982, 350 f.; Bull, S. 309; Forhrbeck/Wiesand/Woltereck, S. 376 ff.; Erbet, Kunstfreiheitsgarantie, S. 177 f.; Kückelmann, UFITA Bd. 59, S. 127; Locher, Recht der bildenden Kunst, S. 27; ders., UFITA Bd. 55, 140; v.Münch, Die Deutsche Bühne 78 Nr. 7, 25; Ott, Kunst und Staat, S. 170; Schütz, Der Staat als Mäzen, S. 16; Schnerr, BayVBl 1960, 305; Stoiber, S. 65; Steiner, VVDStRL 42, 31 f.; Stiller, UFITA Bd. 60 183. 402 Vgl. zu kulturpolitischen Leitmotiven Gerhard Schulze, S. 499 ff. 403 Luhmann, Kunst der Gesellschaft, S. 266 ff.
F. Schwerpunktbildung und Ausgleichsmaßnahmen
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gendes Investionsgebiet geworden, in dem sich der Ertragswert als Kapitalanlage mit dem Prestigewert der Objekte verknüpfen kann 404 . Seit den letzten 500 Jahren ist der Kunstmarkt ständig gewachsen405. Experten gehen davon aus, daß die besten Kunstwerke preisstabil sind, Kunst unterhalb dieses Niveaus keine gute Investion ist und es riskant ist, kurzfristig in Kunst zu investieren 406. Insoweit die Zahl der erfolgreich anbietenden Künstler auf dem Kunstmarkt wächst, um so stärker ist der Staat von seinem den Prinzipien der Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit entsprechenden Förderungsauftrag entpflichtet. Die Reflexion über den effizienten Einsatz öffentlicher Mittel wird daher den Kunstmarkt als ein geeignetes Zielobjekt erkennen, das die Potenzierung öffentlicher Gelder durch private Käufer auf dem Wege der Stabilisierung und Verbesserung marktwirtschaftlicher Faktoren verspricht. Demnach dient Kunstmarktförderung dazu, "die Effizienz des Aufeinandertreffens von Angebot und Nachfrage zu erhöhen oder anders formuliert, die Zahl tatsächlich zustandekommender Kaufakte aus dem Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage zu erhöhen" 407. Als Sektor des marktwirtschaftlichen Systems ist der Kunstmarkt grundsätzlich durch die allgemeine Problematik staatlicher Lenkungsmaßnahmen geprägt, die hier nicht weiter vertieft werden kann. Zur verfassungsrechtlich gebotenen Achtung privatautonomer Wirtschaftsgestaltungsmacht im Rahmen des freien Wettbewerbs tritt die staatliche Pflicht, das durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verbotene Kunstrichtertum nicht durch einseitigen Einfluß auf den Kunstmarkt auszuüben. Danach setzt die Wahrung gesellschaftlicher Entwicklungsverläufe der Kunstmarktförderung eine Grenze, soweit in den prosperierenden Zusammenhang eigengesetzlicher wirtschaftlicher und künstlerischer Prozesse eines freiheitlichdemokratischen Gemeinwesens eingegriffen wird. Soweit der Kunstmarkt vom Ereigniswert und der Verkäuflichkeit von Kunstrichtungen bestimmt wird, werden staatliche Ausgleichsmaßnahmen erforderlich, die sich allerdings nicht auf marktwirtschaftliche Gegensteuerung beschränken müssen, sondern auch z. B. die Sogwirkung öffentlicher Ehrungen und Auszeichnungen als mittelbare Beeinflußung ausnutzen können. Frangen sieht in einem vitalen Kunstmarkt eine pluralistische Ausgleichsfünktion gegenüber der Kulturverwaltung, die von organisierten Künstlerinteressen beeinflußt gefährdet sei, einseitige Tendenzen zu fördern 408. Ein freier
404
Frangen, S. 166 ff. Watson , S. 524 ff. 406 Watson , S. 524 ff. 407 Frangen, S. 191. m Frangen, S. 182 ff. 405
200
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Kunstmarkt kann dagegen auch einer solchen Nachfrage entsprechen, "die nicht im Einklang mit der herrschenden Kulturpolitik steht"409. Nach den bisher gezeichneten Orientierungslinien des Kulturstaats unter Berücksichtigung des empirischen Befunds kann der Konfrontation einer vereinheitlichten Kulturpolitik gegenüber einem pluralistisch strukturierten Kunstmarkt nicht gefolgt werden. Zu beobachten ist dagegen, daß einer kleinen Zahl erfolgreicher Vermarkter eine große Gruppe von Künstlern gegenübersteht, die keine hinreichende Repräsentanz auf dem Kunstmarkt erfahren. Vor allem legen die Überschneidungen öffentlich geförderter Kunst und marktgängiger Kunst den Verdacht wechselseitiger Abhängigkeiten nahe, die eine strikte Anbindung der Kunstmarktförderung an die entwickelten Leitlinien des Kulturstaats erfordern. Bezogen auf die Differenzierung staatlicher Kunstförderung in Individualförderung und Vermittlungsförderung beinhaltet die Kunstmarktförderung keine eigenständige Zielsetzung, sondern ist beiden Förderungsarten instrumenteil zugeordnet410. Hinsichtlich dieses Instruments ist zwischen angebotsfördernden und nachfragefördernden Maßnahmen zu differenzieren 411. Während erstere sich vor allem auf die Galerienförderung und den Abbau handelshemmender Faktoren wie eine adäquate Ausgestaltung des Folgerechts 412 beziehen, beinhalten letztere eine gezielte öffentliche Ankaufspolitik, die Gewährleistung von Markttransparenz und steuerrechtliche Regelungen413.
2. Staatliche Kooperation mit Mäzenen und Sponsoren
Mäzenatische Großinitiativen und Sponsoring414, durch den Sammler Peter Ludwig und diverse Großunternehmen wie "Deutsche Lufthansa AG" oder
409
Frangen, S. 202. Frangen, S. 187 ff. 411 Frangen, S. 204 ff. und 230 ff. 412 Frangen, S. 204 ff. 413 Frangen, S. 231 ff. 414 Sponsoring als Bereitstellung von Geld- und Sachmitteln oder Dienstleistungen durch Unternehmen zur Förderung von Künstlern oder kulturellen Organisationen unterscheidet sich vom klassischen Mäzenatentum, das zumindest tendenziell altruistisch motiviert ist, durch das Prinzip der Gegenseitigkeit. Vgl. dazu Weiand, NJW 1994, 229 ff. 410
F. Schwerpunktbildung und Ausgleichsmaßnahmen
201
"Volkswagen AG" 4 1 5 in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten, finden sich zunehmend im Verbund mit staatlichem Fördereinsatz. Diese Tendenz gründet auf dem kostenintensiven Umstand, daß künstlerische Projekte zunehmend aufwendiger und kontextorientierter werden. Prestige- und Publicitywert künstlerischer Arbeit wird von medienübergreifenden Zusammenhängen abhängig. Die künstlerische Arbeit knüpft an kulturelle respektive soziale Großereignisse an, die ökonomisch gewinnträchtiger sind und die künstlerische Konkurrenz um die Gunst und Aufmerksamkeit auf ein breiteres Publikum ausdehnen. Für die verfassungsrechtliche Untersuchung stellt sich zunächst die Frage, wie der freiheitliche Kulturauftrag des Staates in der Angewiesenheit auf private Leistungen trotz der Entmündigungsversuche seitens Privater 416 erhalten werden kann. Zur anderen Seite hin beinhalten private Förderungen das Risiko, daß der kulturstaatliche Auftrag vernachlässigt wird 417 , da das private Engagement die öffentlichen Haushalte entlastet. Förderinitiativen, die den Förderungsleitlinien des Staates entsprechen, sind unproblematisch418. Solange offene und pluralistische Konzepte in der Berücksichtigung eines fairen Auswahlverfahrens sichergestellt sind, verstärken private Mittel staatliche und umgekehrt. Hier gilt, daß die Zielsetzungen der Privaten und die Strukturierung der Förderung sich regelmäßig mit staatlichen Maßgaben vereinbaren lassen. Der ökonomische Nutzen, Identifikations- und Image-Vorteile sind in einer Weise verflochten, daß den Mäzenen und Sponsoren ohnehin die freiheits- und gleichheitswahrende Repräsentativst ihres Einsatzes regelmäßig wichtig ist 419 . Die gesellschaftliche Legititmation privaten Einsatzes über außerstaatliche Kunstexperten gehört auch bei den großen privaten Unternehmen zur Grundausstattung ihrer Förderungspolitik 420. Diese Voraussetzungen freiheitlicher Kunstförderung sind da gefährdet, wo langfristige Kooperationsverhältnisse eingegangen werden, die dem Privaten Einflußrechte sichern, die den Staat an einseitige Förderungsvorstellungen binden. Hier ist zu berücksichtigen, daß sich seit den sechziger Jahren Mäzene aufgrund ihrer großdimensionierten Einkaufs- und Sammlungspolitik gleich415 Vgl. Oetker, Kunstförderung durch die Privatwirtschaft, S. 217 ff; Fohrbeck, Mäzene - Gibt's die?, S. 222 ff.; Grasskamp, Die unästhetische Demokratie, S. 68 ff; Weiand, NJW 1994, 229 ff. 416 Vgl. Jürgen Weber, Entmündigung der Künstler, S. 74 ff. 417 Zum Problemkreis Fohrbeck, Renaissance der Mäzene, S. 99 ff. 418 Vgl. etwa Hönisch, S. 243 ff.; Hübl, S. 298 ff. 419 Zur Interessenvielfalt in der privaten Kulturfinanzierung vgl. Fohrbeck, Renaissance der Mäzene, insbesondere S. 125 ff. 420 Fohrbeck, Mäzene - Gibt's die?
202
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
sam als Kulturpolitiker gerieren und die Kulturverwaltung unter Handlungsdruck setzen421. Wird qualitative Vielfalt dem Prestige- und Werbewert solcher Großsammler und ihrer Projekte geopfert, versagt das ökonomische Argument und erhärtet sich der Vorwurf einer staatlichen Autorisisierung privater Förderungswillkür. Gerät der Staat so in die Dynamik privater Kulturgestaltungsmacht, wird die Duplizierung des Marktgeschehens im öffentlichen Rahmen zum doppelten Verlust nicht geförderter Kunst. Staatlich legitim wäre dann nur die ausgleichende Wiederbelebung des durch mäzenatischen Einsatzes betroffenen Bereichs künstlerischen Wirkens. Ein Kooperationsmodell, das sich nicht nur auf die "Selbstkontrolle" der Privaten verlassen darf, knüpft an der vertraglichen Sicherung staatlicher Förderungsleitlinien an. Strikte Grundrechtsbindung durch kautelarjuristische Sicherungen in Kooperationsverträgen gegenüber nicht justizablen Abreden muß selbstverständlich sein. Die Einräumung staatlicher Kontroll- und Mitbestimmungsrechte, Widerrufsvorbehalte, aber auch die vorausschauende Tendenz, kurz- und mittelfristige Vertragsverhältnisse langfristigen Bindungen vorzuziehen, schaffen erst die notwendigen Voraussetzungen für eine freiheitliche Kunstförderung. Bei immer angespannteren Haushaltslagen bergen langfristige Vertragsverhältnisse die Gefahr, daß die Flexibilität kultureller Umorientierung erschwert oder verhindert wird 422 . Eine Garantie für den Bestand kultureller Wertsetzungen besteht nicht. Die massive Rezession des Kunstmarktes ist zugleich eine kulturpolitische Warnung, die Subventionspolitik nicht an ökonomische und ästhetische Spekulationen Privater zu binden.
G. Steuerrecht als Instrument der Kunstforderung L Zur Bedeutung steuerlicher Kunstforderung
Das Steuerrecht ist in zweifacher Hinsicht geeignet, Kunst und Kultur zu fördern. Private Kulturinitiativen und künstlerische Schaffensbedingungen können zu Zuwendungsobjekten steuerrechtlicher Kunstförderung werden. Die steuerrechtliche Begünstigung des kulturellen Engagements Privater wirkt sich mittelbar auf die künstlerische Betätigung aus. Während die steuerrechtli-
421
Vgl. dazu Grasskamp, Die unästhetische Demokratie, S. 73 ff. Zur relativen Hilflosigkeit der Kulturverwaltung gegenüber dem Sammler Peter Ludwig vgl. Grasskamp, Die unästhetische Demokratie, S. 73 ff. 422
G. Steuerrecht als Instrument der Kunstförderung
203
che Regelbelastung den Künstler, Kunsthändler oder Kunstsammler als wirtschaftlich handelnden Steuerpflichtigen zunächst so wie andere Subjekte des Wirtschaftslebens trifft, fragt es sich, inwieweit die Zielsetzung eines freiheitlichen Kulturstaats den Staat zu begünstigenden Ausnahmen ermächtigt 423. Mit dem Gesetz zur steuerlichen Förderung von Kunst, Kultur und Stiftungen vom 13.12.1990424 wurden jetzt die besonderen Belange der Künstler, Kunstkäufer und -Sammler sowie kultureller Einrichtungen berücksichtigt. Das Kultur- und Stiftungsgesetz wird mit den Grundlagen für Freiheit, Würde und Selbstverwirklichung des Menschen, dem Rang der Bundesrepublik Deutschland als Kulturstaat und dem Ziel, den Bestand der Kultur im Ganzen zu sichern und an nachkommende Generationen weiterzugeben sowie der Ermutigung des Mäzenatentums begründet425. Zu ergänzen ist, daß das Engagement für Kunst und Kultur gemeinnützig erfolgen muß, da anderenfalls auch Spekulantentum etc. begünstigt würde 426. Gleichwohl wurden die gesetzlichen Regelungen gegenüber den Steuerpolitischen Vorschlägen des Deutschen Kulturrats von 1986 als unzureichend angesehen427. Ein zentrales Problem bei der steuerrechtlichen Kunstförderung ist die Frage, inwieweit dem kulturstaatlichen Moment qualitativer Förderung Rechnung getragen werden kann. Da eine steuergesetzliche Förderung nur notwendig generalisierend verfahren kann, beinhalten steuergesetzliche Regelungen aus der Natur der Sache heraus keine Differenzierungen dieser Art. Soweit es somit um Formen qualitativer Individualförderung geht, ist das Steuerrecht kein geeignetes Instrument428. Die Kunst kann im Steuerrecht im übrigen aber auf verschiedene Weise indirekt gefördert werden. Ansatzpunkte für steuerrechtliche Regelungen ergeben sich auf jeder Ebene des künstlerischen Produktions und Distributionsprozesses. Damit ist nicht nur die steuerrechtliche Situation der Künstler, sondern auch die der Sammler, Kunsthändler, Kunstvereine etc. zu betrachten. Wird das Einkommen des Künstlers steuerrechtlich begünstigt, wird der wirtschaftliche Erfolg künstlerischen Schaffens vergrößert. Steuervorteile bei der Um-
423
Dazu Kirchhof, NJW 1985,231. KultstiftFG vom 13.12.1990, BGBl I, 2275 = BStBl I 1991, 51; dazu Thiel/Eversberg, DB 1991, 118 ff. 425 BR-Drucks. 258/90 v. 20.04.1990, S. 12. 426 Thiel/Eversberg, DB 1991, 118 ff. 427 Presting, S. 263; ferner Thiel/Eversberg, DB 1991, 118 ff. 428 Klaus Vogel, 207. 424
204
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
satzsteuer begünstigen den Kunsthandel. Bestandsteuerverschonungen betreffen den nicht auf Ertrag angelegten Bestand von Kunstwerken429. Förderungsmaßnahmen des Steuerrechts sind danach mit ausgeschütteten Geldleistungen vergleichbar, die als Verschonungssubventionen bezeichnet werden können430. De lege lata lassen sich die zahlreichen Einzelvorschriften, die der besonderen verfassungsrechtlichen Stellung der Kunst Rechnung tragen, zu einer Art "steuerrechtlichen Kunstvorbehalt11431 verdichten. Die Kunst ist frei, aber nicht steuerfrei 432. Aus der Sicht des Steuerstaates stellen sich die Honorare des Künstlers als Einkommen, Kunstwerke als Wirtschaftsgüter und die Begegnung mit dem Kunstpublikum als Umsatz dar 433 . Das Einkommen des Künstlers, Kunstvermögen und umsetzbare Kunstwerke unterfallen danach der Eigentumsgarantie434. Bei der Zuordnung grundrechtlicher Garantien ist darauf abstellen, ob die Beziehungen zwischen Künstler und Publikum oder die Künstler, Kunstvermittler wie Verleger 435 oder Schallplattenhersteller 436 als Eigentümer oder Gewerbetreibende betrachtet werden. Der Kunstkäufer löst sich bei der Einordnung des Kunstwerks in sein Vermögen auch aus der besonderen Begegnung mit dem Künstler und wird zum Eigentümer eines Wirtschaftsgutes 437. Die Maßgaben des Kulturstaats i. V. m. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG verlangen, daß die künstlerische Betätigung durch Besteuerung nicht beeinträchtigt wird, sondern nur an den ökonomischen Tatbeständen der künstlerischen Tätigkeit anknüpfen 438. Selbstverständlich darf dabei auch die Steuerverwaltung wie die übrigen Verwaltungsbereiche nicht kunstrichterlich wirken.
429 430 431 432 433 434
35, 50. 435 436 437 438
Kirchhof NJW 1985, 232. Klaus Vogel, S. 206. Klaus Vogel, S. 200. Kirchhof NJW 1985, 225 f. Kirchhof NJW 1985, 225 f. Kirchhof NJW 1985, 225 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, BVerfGE BVerfGE Kirchhof Kirchhof
30, 173 (191) = NJW 1971, 1645. 36, 321 (331). NJW 1985, 225 f. NJW 1985, 232.
GG, Art. 5 Rdnr. 18,
G. Steuerrecht als Instrument der Kunstförderung
205
H. Einkommensteuer l. Künstlerische
Tätigkeit als Erwerbstätigkeit
Nur soweit die künstlerische Tätigkeit auf Erwerb gerichtet ist, kann der Künstler zur Einkommensteuer herangezogen werden. Dagegen bleiben Erträge aus Liebhaberei unberücksichtigt439. Der Künstler, der einen Brotberuf hat und in seiner Freizeit seiner künstlerischen Berufung nachgeht, muß den Ertrag aus gelegentlichen Verkäufen gemäß § 22 Nr. 3 EStG nicht versteuern. Da nur die Einkünfte aus künstlerischer Tätigkeit steuerbar sind, fragt es sich, wie Kunstpreise bzw. vergleichbare geldwerte Auszeichnungen einzuordnen sind. Nach der Dogmatik bleibt die Auszeichnung einkommensteuerfrei, wenn sie das Lebenswerk oder Gesamtschaffen eines Künstlers würdigt. Dagegen handelt es sich um eine steuerbaren Leistungsaustausch, wenn es sich nur um die Prämierung eines Werks handelt440. Diese Differenzierung führt zu dem eigentümlichen Umstand, daß letztlich der Preisrede bzw. der Begründung der Verleihung entscheidende Bedeutung für die steuerrechtliche Bewertung zukommt. Dieser nicht willkürfreie Umstand und vor allem die Überlegung, daß Kunstpreise nicht dem freiberuflichen Handeln des Künstlers gelten oder eine Leistung gegenüber dem Preisverleiher darstellen, führen dazu, daß Kunstpreise keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit sind441. Die künstlerische Tätigkeit gehört gemäß § 18 Abs. 1 Nr.l S. 2, 2 Abs. 1 Nr. 3 EstG zu den freiberuflichen Tätigkeiten. Das hat folgende Wirkungen. Der Künstler hat gemäß § 18 Abs. 4 EstG einen Freibetrag. Nebeneinkünfte aus einer künstlerischen Tätigkeit unterliegen gemäß § 34 Abs. 4 EStG einem ermäßigten Steuersatz. Eine Buchführungspflicht nach § 140 AO gilt für den Künstler nicht in dem Umfang wie für Gewerbetreibende. Eine Befreiung von der Einkommensteuer wäre dann zu rechtfertigen, wenn Kunst und Erwerb sich gegenseitig ausschließen würden. Eine solche Verhältnisbestimmung ist aber abwegig. Daß "die Kunst zu Brot geht", ist kein neues Phänomen. Die Großverdiener unter den Künstlern unterscheiden sich in ihrem Erwerbsverhalten auch nicht von anderen Berufsgruppen. Im übrigen könnte sich die Herausnahme aus der Besteuerung auch nachteilig auf die wirtschaftliche Situation auswirken. Ein schlecht oder nicht verdienender Künstler, der seine 439
Dazu Presting, S. 269. BFH, BStBl 1964 m, 129; Hermann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 2 Anm. 39 g; Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, EStG, § 22 Rdnr. 76. 441 Kirchhof, NJW 1985, 229; so auch Steuerpolitische Vorschläge des Deutschen Kulturrats 1986, Dok. 72. 440
206
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Betriebsausgaben für Material und Hilfsarbeiten gegen die Einkünfte seiner Frau verrechnen kann, würde von der Steuerfreiheit nicht profitieren 442.
2. Abzugsfähigkeit von Erwerbsaufwendungen
Ein Problem der steuerlichen Gewinnermittlung bei Künstlern besteht darin, daß die berufliche Tätigkeit von Künstlern bei geringen Einnahmen als steuerlich irrelevante Hobby-Tätigkeit angesehen wird. Dagegen sollten auch in diesen Fällen Betriebsausgaben bzw. berufsbedingte Anschaffungen anerkannt werden, wenn die Ernsthaftigkeit der Einnahmeerzielungsabsicht im künstlerischen Schaffen erkennbar ist 443 . Auch bei einer Kunstgalerie steht der Annahme einer Einkunftserzielungsabsicht mehrjährige Anlaufverluste nicht entgegen, wenn Umsatzentwicklung, Resonanz in der Fachpresse und Angebotserweiterung den Erfolg der Arbeit des Galeristen bestätigen444. Private Aufwendungen, die sowohl die Privatsphäre wie den Erwerbsbereich betreffen, zählen nach dem Grundsatz der Spezialität der §§ 12 Nr. 1 S. 2, 4 Abs. 5 Nr. 1 5, 7 EStG zu den nicht abziehbaren Lebensführungskosten445. Wenn danach die private Erlebniswelt des Künstlers die Inspirationen enthält, kann der Künstler gleichwohl nur den Erfolg dieses privaten Bereichs beruflich und erwerbswirtschaftlich nutzen. Die Abzugsfahigkeit von Erwerbsaufwendungen im Rahmen der Einkunftsermittlung gemäß §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG richtet sich danach, ob sie "betrieblich veranlaßt" worden sind, § 4 Abs. 4 EStG. Betrieblich veranlaßte Vermögensabgänge, die danach von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden können, wären beispielsweise Anschaffungen für Instrumente oder Aufwendungen für Kunstwerke, die das Betriebsgelände und die Betriebszimmer ausgestalten.Ein Problem der Besteuerung künstlerischer Tätigkeit stellt die periodische Besteuerung im Rahmen der Jahressteuer mit der Vorstellung regelmäßiger Einkommenszuflüsse und Vermögensbewegungen dar. Der Künstler unterscheidet sich in seinem Produktions- und Erwerbsverhalten regelmäßig dann von anderen Berufsgruppen, wenn er über mehrere Jahre an einem Werk arbeitet. In solchen Fällen wäre grundsätzlich das durch einen längeren Tätigkeitszeitraum verdiente Honorar in einem Veranlagungszeit442 443 444 445
Klaus Vogel, S.201. Steuerpolitische Vorschläge des Deutschen Kulturrats Zu Recht FG Düsseldorf, NJW 1997, 1192. Kirchhof NJW 1985, 231.
1986, Dok. 72.
G. Steuerrecht als Instrument der Kunstförderung
207
räum zusammenzufassen. Die damit verbundene einkommensteuerliche Progression würde bei gleichmäßiger Verteilung des Entgelts auf den Produktionszeitraum wesentlich unterschritten 446. Dieses Problem erledigt sich nicht mit dem Hinweis auf § 34 Abs. 3 EStG, der eine Verteilung der Einkünfte auf bis zu drei Jahren vorsieht. Nach der Rechtsprechung des BFH wird § 34 Abs. 3 EStG bei selbständiger Arbeit nur angewendet, wenn der Steuerpflichtige sich während der Zeit ausschließlich einer bestimmten Aufgabe gewidmet hat oder eine mehljährige Sondertätigkeit in einem Veranlagungszeitraum entlohnt wird 447 . Dieses Verständnis des § 34 Abs. 3 EStG entspricht nicht der sachbereichsspezifischen Natur künstlerischer Arbeiten, die auf längere Produktionszeiträume angelegt sind. Danach wäre eine periodenübergreifende Gleichbehandlung von künstlerischen Entgelten und den üblichen regelmäßigen Einkommenzuflüssen zu verlangen 448.
3. Abschreibungsmöglichkeiten
Nach der Rechtsprechung des BFH ist lediglich für marktmäßig gehandelte Stücke einer Gebrauchskunst eine Abschreibungsmöglichkeit zu bejahen, nicht jedoch bei Werken anerkannter Meister 449. Diese Differenzierung geht bei Gebrauchskunstwerken von Anschaffungskosten bis zu 2.000 DM und einer wirtschaftlichen Nutzungsdauer von 20 Jahren aus450. Gegenüber diesem formalistischen Ansatz wird man den Werteverzehr eher von tatsächlichen Nutzungsfaktoren und Zeitgeistmomenten abhängig machen.Die Differenzierung zwischen anerkannten Meistern und Gebrauchskunstwerken unterliegt zudem Zweifeln. Gebrauchskunstwerke von heute können zu Meisterwerken von morgen werden, andererseits sind auch Meisterwerke nicht vor einem Preisverfall geschützt. Soweit das Kunstwerk aber durch äußere Einflüsse oder durch Geschmackswandlungen seinen Wert verliert, wären aus diesen Umständen Abschreibungskriterien zu entwickeln.
446 447 448 449 450
Kirchhof NJW 1985, 231. BFHE 78, 333 = BStBl 1964 m, 130; BFHE 116 = BStBl 1975 II, 763. Kirchhof NJW 1985, 231. BFH, BStBl 1978 II, 164; BStBl 1965 m, 382. BFH, BStBl 1965 m, 382.
208
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Darüber hinaus ist auch die Verweildauer eines Kunstwerkes in den Angebotsbeständen eines Händlers als Abschreibungskriterium genannt worden 451. Fehlende Nachfrage wäre danach ein Umstand für die zu hohe Bewertung eines Wirtschaflsgutes in seinen Anschaflungskosten.
4. Spendenabzug
Die Voraussetzung für eine steuerliche Verschonung im Tatbestand der Gemeinnützigkeit gemäß § 52 AO ist die ausschließliche und unmittelbare Förderung gemeinnütziger Zwecke durch eine zu diesem Ziel verselbständigte Körperschaft oder eine allein vom Gemeinsinn, nicht der Privatnützigkeit bestimmte wirtschaftliche Handlung452. Soweit nicht die persönliche Lebensführung, sondern der sachliche Aufwand des Künstlers gedeckt werden, kann auch eine Künstlerförderung gemeinnützig sein453. Wenn Kunstgegenstände einer öffentlichen Einrichtung überlassen werden, so ist die Hingabe der Kunstwerke der Vollzug einer Sachspende gemäß § 10 b Abs. 1 EStG454. Vermögenssteuerrechtlich sind die Kunstgegenstände der Einrichtung zuzurechnen. Durch Art. 1 des KultStiftFG ist § 10 b Abs. 1 EStG dahingehend geändert worden, daß eine Verteilung von Großspenden auf eine Zeitraum von bis zu acht Jahren möglich ist. Diese Regelung berücksichtigt, daß Großspenden, insbesondere bei der Dotation von Stiftungen, die Höchstgrenzen der einkommensteuerlichen Abzugsfahigkeit häufig überschreiten 455. Danach werden Einzelspenden von mindestens 50.000 DM für besonders forderungswürdige kulturelle Zwecke, die die Höchstsätze der steuerlichen Abzugsfahigkeit übersteigen, im laufenden Jahr abgezogen. Soweit die Höchstsätze in diesem Jahre überschritten werden, werden sie auf die zwei Vorjahre und ein die Höchstsätze in den Vorjahren überschreitender Betrag auf die fünf Folgejahre vorgetra-
451
Kirchhof, NJW 1985, 231. Kirchhof NJW 1985, 229. 453 RFH, RStBl 1 1938, 36. 454 OFD Düsseldorf, DB 1961, 1438; Rössler/Troll, genssteuergesetz, § 110 BewG Rdnr. 118. 455 Pöllath, NJW 1991, 2609. 456 Vgl. dazu näher Pöllath, NJW 1991, 2609. 452
Bewertungsgesetz und Vermö-
G. Steuerrecht als Instrument der Kunstförderung
209
Wenn eine Sachspende erbracht wird, wird steuerpflichtiger Gewinn in Höhe der Differenz zwischen Verkehrswert (Teilwert) und Buchwert realisiert. Das KultstiftFG erweitert die Ausnahme von der Gewinnrealisierung um mildtätige und besonders förderungswürdig anerkannte kulturelle Zwecke gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG.
I I L Umsatzsteuer 7. Künstler als steuerpflichtige
Unternehmer
Der Künstler ist umsatzsteuerpflichtiger Steuerschuldner, wenn er gemäß § 1 Abs. 1 UStG Unternehmer ist 457 . Die Unternehmereigenschaft kann sich auch auf Künstlervereinigungen beziehen. Gemeinsame Betätigung und eine organisatorische Verfestigung sind dafür ausreichend. Eine Unternehmensgründung ist dagegen nicht erforderlich. Der Anteil freischaffender Künstler gegenüber teilselbständigen Künstlern ist gering. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG kann eine natürliche Person auch im letzteren Fall "außerdienstlich" einer selbständigen beruflichen Tätigkeit nachgehen. Selbständige Künstler, die nicht Kleinunternehmer sind, sind umsatzsteuerpflichtige Steuerschuldner. Danach haben sie hinsichtlich der Umsatzsteuer, die sie beim Erwerb künstlerischer Materialien entrichtet haben, eine Vorsteuerabzugsmöglichkeit. Insoweit ist das Interesse von Künstlern an einer Umsatzsteuerbefreiung nur bedingt vorhanden458. Soweit aber Künstler keine Möglichkeit der Abwälzung der Mehrwertsteuer haben, ist aber zu bedenken, daß diese Steuer sich wie eine nicht abwälzbare Zusatz-Einkommensteuer auswirkt 459. Davon betroffen sind arbeitnehmerähnliche und ähnlich schutzbedürftige Kulturberufe wie die freien Mitarbeiter der Rundfünkanstalten, Musikerzieher etc.
457
Vgl. die Übersicht bei Hartmann/Metzenmacher, UstG, § 2 Rdnr. 169; BMF, BStBl. 1975 I, 923. 458 Vgl. dazu mit Beispielen Heuer, NJW 1985, 235. 459 Steuerpolitische Vorschläge des Deutschen Kulturrats 1986, Dok. 72. 14 Palm
210
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung 2. Kunsthändler als steuerpflichtige
Unternehmer
Künstler werden häufig nicht direkt in Kontakt mit den Kunsterweibern treten, sondern von Kunsthändlern vertreten. Entscheidend für die steuerrechtliche Beurteilung dieser Verhältnisse sind die Vertragsbeziehungen zwischen Künstler und Händler sowie zwischen Händler und Erwerber. Soweit der Händler das Geschäft nicht lediglich vermittelt, ist die Steuerbemessungsgrundlage seine Provision. Der Steuersatz beträgt dann gemäß 15 %. Handelt es sich dagegen um die Lieferung, den Eigenverbrauch und die Einfuhr von Kunstwerken gilt gemäß § 12 Abs. 2 S. 1 UStG der ermäßigte Steuersatz von 7 %.
3. Kunsterwerber
als Endverbraucher
a) Förderung des Kunsterwerbs Der private Steuerträger ist zum Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG nicht berechtigt. Damit trägt er als Endverbraucher die Steuern, die zwangsläufig die Kunstnachfrage belasten. Die Tätigkeit des Kunstkäufers könnte im Umsatzsteuerrecht durch zwei Maßnahmen gefördert werden. Wegen der Gemeinnützigkeit könnte die Sammler- und Mäzenatentätigkeit von der Umsatzsteuer freigestellt werden 460. Das würde einen Motivationsanreiz schaffen, Kunst zu kaufen und damit die private Kunstförderung begünstigen. Zugleich würde diese Steuerbefreiung den Unterschied zwischen konsumierbaren Gütern und einer geistigen Leistung, die keinen Warencharakter hat, bezeichnen461. Weniger weitreichend wäre eine Abweichung vom Regelsteuersatz.
460 461
Vgl. Heuer, NJW 1985, 236. Heuer, NJW 1985, 236.
G. Steuerrecht als Instrument der Kunstförderung
211
b) Probleme einer Umsatzsteuerbefreiung Die 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts steht einer Steuerbefreiung von selbständigen Künstlern und freien Mitarbeitern entgegen. Die Forderung nach einer Umsatzsteuerbefreiung begegnet im übrigen den Einwänden, die grundsätzlich private Initiativen im Lebensbereich Kunst treffen. Der neue Sammlertypus, der aus spekulativen Gründen in großem Umfang Kunst aufkauft, handelt nicht aus Gemeinnützigkeit. Eine Freistellung von der Umsatzsteuer, um das Kaufinteresse zu verstärken, ist auch für den gesamten Lebensbereich Kunst nicht förderlich. Einseitige Nachfrage und instabile Marktverhältnisse wären die Folgen. Demgegenüber ist der Anreiz für den Sammler aus Liebhaberei im Fall einer Umsatzsteuerbefreiung nicht als erheblich einzuschätzen. Im übrigen überzeugt auch nicht die Gegenüberstellung der Ware "Kunst" und der geistigen Schöpfung, die sich dem Konsum entzieht. Allein ein Blick auf die großen Kunstauktionen der letzten Jahre zeigt, in welchem Ausmaß Kunst Handelsware und Spekulationsobjekt geworden ist.
4. Steuerbefreiung
privater Kultureinrichtungen
Nach § 4 Ziff. 20 UStG bleiben private Museen, Theater, Orchester, Kammermusikensembles, Chöre und einige andere kulturelle Einrichtungen steuerfrei, wenn der Unternehmer die gleichen kulturellen Aufgaben wie die von Staat und Gemeinden geführten Institutionen erfüllt.
IV. Vermögenssteuer 7. Besteuerung des künstlerischen Berufsvermögens
Nach § 96 Abs. 1 S. 2 BEWG wird die selbständige künstlerische Tätigkeit von der Gleichstellung der Ausübung eines freien Berufs gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 EstG mit dem Betrieb eines Gewerbes ausgenommen. Wenn die künstlerische Tätigkeit mit einer gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit verbunden ist, ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten. Wenn keine Trennung zwischen den einzelnen Tätigkeiten und den jeweiligen Vermögensteilen möglich
212
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
ist, gehören auch die der künstlerischen Tätigkeit dienenden Wirtschaftsgüter zum Betriebsvermögen 462.
2. Befreiungsvorschriften
gemäß §§ 110 Abs. 1 Ziff.
12 und 115 BewG
Kunstsammler und -erwerber werden durch die Vermögenssteuer belastet. Ausgenommen ist ein Vermögen bis zu einer Freigrenze von 20.000 DM. Vermögenssteuerfrei bleiben Kunstgegenstände ohne Rücksicht auf ihren Wert, wenn sie von einem Künstler geschaffen worden sind, der im Zeitpunkt der Anschaffung noch lebt, § 110 Abs. 1 Nr. 12 BewG. Diese Steuerfreiheit ist durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 eingeführt worden. Entscheidend dafür ist der Zeitpunkt der Anschaffung, ohne auf den Umstand abzustellen, ob das Werk vom Künstler selbst oder im Handel entgeltlich erworben worden ist. Diese Regelung kommt insbesondere jüngeren Künstlern zugute. In Erweiterung dieser Regelung ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß Kunstsammlungen unteilbar sind 463 . Danach sollte aller Kunstbesitz von der Vermögenssteuer befreit werden. Soweit bisher diese Novellierung kommentiert worden ist, wird auch der unentgeltliche Erwerb des derzeitigen Besitzers wie eine Anschaffung behandelt 464 . Anders als nach § 115 Abs. 1 und 2 BewG gilt diese Steuerfreiheit nicht für Kunstgegenstände im Betriebsvermögen. Eine dem § 109 Abs. 2 GewG entsprechende Vorschrift ist nicht vorhanden. Sie gilt auch nicht für Grundstücke und Grundstücksteile. Weiterhin gilt gemäß § 115 BewG eine ermäßigte Bewertung, wenn die Erhaltung eines Kunstgegenstandes im öffentlichen Interesse liegt. Vollständig befreit ist der Erwerber und Besitzer, wenn der Kunstgegenstand der Forschung nutzbar gemacht und der Denkmalpflege unterstellt wird und sich längere Zeit im Familienbesitz befindet beziehungsweise in das Verzeichnis national wertvoller Kultürgüter eingetragen ist. Der Befreiungstatbestand des §115 BewG entfallt aber, wenn aus dem Kunstwerk Einnahmen erzielt werden.
462 463 464
Rössler/Troll, § 96 BewG Rdnr.9. Steuerpolitische Vorschläge des Deutschen Kulturrats 1986, Dok. 72. Heuer, DStR 86, 207 ff.; Rössler/Troll, § 110 BewG Rdnr. 122.
G. Steuerrecht als Instrument der Kunstförderung
213
Da Sammler eine Präsentation ihrer Bestände oft scheuen, weil sie vermögensteuerrechtliche Konsequenzen befurchten, ist eine vermögensteuerliche Befreiung für den Fall verlangt worden, daß der Sammler den Kunstgegenstand auf Dauer für die öffentliche Präsentation nutzbar macht. Dieser Forderung trägt Art. 4 KultStifiFG mit der Änderung des § 110 Abs. Nr. 12 S. 3 Rechnung. Danach gilt eine allgemeine Vermögenssteuerfreiheit für Kunstgegenstände und Handschriften in einem Zeitraum von mindestens fünf Jahren, für den sich der Eigentümer unwiderruflich zur unentgeltlichen öffentlichen Ausstellung bereit erklärt hat 465 . Der Träger der Ausstellung muß eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder eine öffentlich geförderte juristische Person des Privatrechts sein. Diese Vermögenssteuerbefreiung gilt unabhängig von der tatsächlichen Ausstellung des Kunstwerks oder der tatsächlichen Überlassung an den Ausstellungsträger. Weitergehend wird vertreten, daß Kunstwerke im privater Hand unabhängig von den Voraussetzungen des § 115 BewG ertraglos sind 466 . Der Sammler erziele keine Erträge und Aufwendungen zum Erhalt des Kunsteigentums erbringe er aus seinem Vermögen467. Das Gesetz unterscheidet aber nicht danach, ob der Vermögensgegenstand tatsächlich Ertrag abwirft oder nicht. Abgestellt wird auf die potentielle Ertragskraft, die auch in der Veräußerung des Vermögensgegenstandes liegen kann. Danach erscheint die Vermögensbesteuerung von Kunstwerken nur zunächst problematisch, weil der Vermögensgegenstand regelmäßig keinen Ertrag abwirft. In einigen Fällen wird allerdings die öffentliche Präsentation von Kunstwerken einen Ertrag erwirtschaften. Im übrigen verlieren die Einwände, die gegen eine Vermögensbesteuerung der Kunst in das Feld geführt werden, zunehmend an Stichhaltigkeit. Die Geldanlage in Kunstgegenstände gewinnt an Bedeutung. Auch wenn die erwirtschafteten Renditen hinter den durch spekulative Geschäfte geförderten Erwartungen zurückbleiben, ist eine Vermögenssteuerbefreiung von Kunstgegenständen nicht geboten.
465 466 461
Vgl. Thiel/Eversberg, DB 1991, 123 ff. Heuer, NJW 1985,236. Heuer, NJW 1985, 236.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung V. Gewerbebesteuerung der Kunst
Einkünfte, die unter § 18 Abs. 1 EStG fallen, sind geweibesteuerfrei. Nach § 1 Abs. 1 GewStDV ist der Geweibebetrieb von der selbständigen Arbeit zu unterscheiden. Durch das KultstiftFG ist bei der Gewerbesteuer eine Ausweitung der Abzugsfahigkeit über die wissenschaftlichen Zwecke hinaus jetzt für alle begünstigenden Zwecke vorgenommen worden, § 9 Nr. 5 S. 1 GewStG i.V.m. § 10 b Abs. 1 EStG.
VL Steuerentrichtung durch Hingabe von Kunstwerken
Durch § 224 a AO i.d.F. des Art. 6 Nr. 3 KultStiftFG wird dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt, seine Steuern durch die Hingabe von Kunstgegenständen an Zahlungs statt zu entrichten. Danach wird ein öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen, der mit dem Finanzministerium mit Zustimmung des Kultusministeriums zustandekommt. Das Problem der Regelung liegt in der Beeinträchtigung des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Vollständigkeit, wonach Einnahmen und Ausgaben in voller Höhe in den Haushaltsplan einzustellen sind (Art. 110 Abs. 1 GG). Da § 224 AO es ermöglicht, Steuereinnahmen für den Erweib von Kulturgut abzuzweigen, bevor sie in den Haushalt fließen, ist auch der Verzicht auf diese Regelung vorgeschlagen worden468. In Anbetracht des Ausnahmecharakters der Vorschrift aufgrund des komplexen Genehmigungsverfahrens ist demgegenüber aber der Gewinn für eine kulturell ohnehin nicht überreiche Öffentlichkeit zu betonen.
H . Organisation und Verfahren staatlicher Kunstforderung I. Organisation und Kunstfreiheit
Entstehung und Vermittlung von Kunst ist in steigenden Maße von organisatorischen Voraussetzungen abhängig. Öffentliche wie private Theater, Museen, Orchester etc. schaffen die Voraussetzungen, um kollektive künstlerische Prozesse zu ermöglichen. Mit dem Ausbau des privaten neben dem öffentlich468
Thiel/Eversberg,
DB 1991, 126.
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstforderung
215
rechtlichen Rundfunk werden immer mehr Künstler von der Organisation abhängig. Da sich eine wachsende Zahl von Künstlern in organisierten Arbeitszusammenhängen befindet, ist sogar festgestellt worden, daß "es nicht mehr das Individuum ist, welches produziert, sondern die Organisation"469. Empirisch ist die Entfernung vom traditionell bürgerlichen Bild des Künstlers, der unabhängig von übergreifenden Arbeitszusammenhängen in relativer Abgeschiedenheit schafft, nicht so umfassend feststellbar. Malerateliers, die als Einmann-Betriebe gefuhrt werden, bleiben selbst noch hinter dem Standard der organisatorischen Verfestigung zurück, der in den großen Malermanufakturen der Renaissance oder des Barock für viele Künstler verbindlich war. Andererseits sind Phänomene wie Andy Warhol's Factory, in der die Bildherstellung dem technologischen Produktionsprozeß von Wirtschaftsgütern angenähert wurde, Zeichen für ein verändertes Verständnis künstlerischer Arbeitszusammenhänge. Generell läßt sich sagen, daß das Selbstverständnis der Künstler und die jeweilige Kunstform den Grad der Organisation bestimmen. Film-, Theateroder Musikproduktionen sind insbesondere im Blick auf ihre Verbreitung in Medien und Institutionen ohne weitreichende Organisation der Arbeitsabläufe nicht mehr vorstellbar 470. Im vorliegenden Zusammenhang sind aber nicht die Entstehungsprozesse des an das Kollektiv gebundenen "Gesamtkunstwerks" zu untersuchen, sondern die Optimierung des Verteilungsproblems begrenzter Mittel, um den Bereich grundrechtlicher Freiheit auch in der Organisation zu sichern 471. Im Rahmen öffentlicher Institutionen erschöpfen sich die Anforderungen an die Organisation künstlerischer Abläufe nicht in der Bewältigung praktischer Fragen, sondern hier findet sich eine originäre Grundrechtsproblematik. Wäre etwa bei Theater oder Oper keine Zweitbesetzung der Darsteller sichergestellt, läuft die Kunstfreiheit der an das Ensemble gebundenen Künstler leer 472. Werden notwendige Arbeitsmittel nicht bereitgestellt, ist die Verwirklichung der Kunstfreiheit der Mitglieder der Organisation betroffen. Solche Beispiele beantworten gleichwohl noch nicht die weiterfühende Frage, ob "kunsteigene" 469
König/Silbermann, S. 37. Um diese Aufgabenstellungen zu verwirklichen, ist vor allem auch ein professionelles Kulturmanagement erforderlich, vgl. Solveig Weber, Kulturmanagement, S.1995 ff. 471 Vgl. dazu Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 196; vgl. auch Starck, FS-BVerfG, S. 500 zur Wissenschaftsfreiheit; Ossenbühl, FS-Eichenberger, S. 188. 472 Vgl. Karpen/Hofer, VerwArch 1990, 576. 470
216
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Organisationsprinzipien angebbar sind, die sich zwingend aus der Eigengesetzlichkeit der Kunst ableiten lassen. Für den Wissenschaftsbereich hat das Bundesverfassungsgericht keine solchen wissenschaftseigenen Organisationsprinzipien erkannt 473. Auch für den Kunstbereich sind im Rekurs auf diese Erkenntnis solche zwingenden Prinzipien abgelehnt worden 474. Andererseits ist im Blick auf die obigen Beispiele zu Recht festgestellt worden, daß sich verwaltungsorganisatorische Abläufe nicht von künstlerischen Prozessen trennen lassen475. Soweit der Freiheitsgebrauch in die organisatorischen Strukturen eingebunden ist, sind die organisatorischen Besonderheiten der jeweiligen Institution auf die grundrechtlichen Maßgaben zu beziehen. Eine umfassende Konzeption der Kunstfreiheit kommt daher ohne einen "organisatorischen Kunstvorbehalt" nicht aus. Die Staatszielbestimmung "Kulturstaat" in Verbindung mit dem institutionellen Bedeutungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG setzen Regelungen voraus, die die individuellen Freiheiten im Ausgleich kollidierender Grundrechte absichern. Gleichwohl darf der Aussagegehalt der Verfassung zu Fragen der Feindeterminierung organisations- und verfahrensrechtlicher Voraussetzungen nicht überschätzt werden476. Die Ermittlung allgemeiner Organisationsprinzipien für Institutionen kollektiver Kunstproduktionen ist danach nicht zu erwarten. Kunstforderung im weiten Sinne beinhaltet die Sicherstellung der künstlerischen Freiheit in staatlichen bzw. öffentlichen Institutionen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kann diese Dimension nur angedeutet werden 477. Zu untersuchen ist dagegen die Organisation und das Verfahren solcher Institutionen, deren Zweck unmittelbar auf die Förderung der Kunst gerichtet ist, ohne daß künstlerische Arbeit, Präsentation und Vermittlung im Rahmen dieser Institutionen ablaufen.
II. Allgemeine Strukturelemente der Förderorganisationstypen
Modellhaft können die verschiedenen Förderorganisationstypen nach der Verteilung der verschiedenen Kompetenzen, die den Entscheidungsprozeß strukturieren, und der Rechtsform kategorisiert werden. 473 474 475 476 477
Vgl. BVerfGE 35, 79 (122). Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 37. Karpen/Hofer, VerwArch 1990, 576. So zu Recht Denninger, Freiheit der Kunst, § 146 Rdnr. 37. Vgl. dazu Hufen, Freiheit der Kunst.
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
217
1. Verfahrenskompetenz
Jedes Förderungsmodell setzt zunächst voraus, daß Verfahren zur Rekrutierung und Rotation der Mitglieder der Organisation entwickelt werden. Weiterhin sind formale Vergabekriterien anzugeben. Beweibungszeitpunkte, Art und Form der Bewerbung, Wiederholbarkeit der Bewerbung sowie Förderungsdauer sind maßgebliche Kriterien, um ein geordnetes Bewerbungsverfahren sowie dessen Kontrolle zu gewährleisten.
2. Programmkompetenz
Die inhaltliche Ausrichtung der Förderung orientiert sich an dem zulässigen Spielraum kulturpolitischen Gestaltungsermessens. Danach sind die Förderungsrichtlinien, der Förderungszweck und die Förderungsgruppe zu bestimmen. Die Kunst- oder Stilform, lokale Besonderheiten, kulturelle Schwerpunkte oder bestimmte Gruppierungen können die inhaltliche Förderungsprogrammatik bestimmen.
3. Bewertungskompetenz
Die Bewertungskompetenz erfaßt die Konturierung qualitativer Bewertungsstandards und die ästhetische Bewertung des potentiellen Förderungskreises. Soweit die Bewertungskompetenz sich auf Förderungsrichtlinien stützt, kommt ihr gleichwohl originärer Charakter zu, da qualitative Förderungsrichtlinien regelmäßig stark ausfüllungsbedürftig sind. Mitunter besitzen diese Richtlinien lediglich Leerformelcharakter.
4. Beratungskompetenz
Der Entscheidungsprozeß kann dadurch strukturiert werden, daß einem Teil der Mitglieder keine Entscheidungsbeteiligung, sondern lediglich eine beratende Funktion eingeräumt wird 478 . Auch wenn Sachverständigenbeiräte 478
Vgl. zu den an die Kommunalverwaltung angegliederten "Kunstbeiräten": Erster Bericht zur Kulturpolitik des Deutschen Kulturrats 1987/88, S. 153 ff.
218
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
danach keine Verantwortung bei der endgültigen Vergabentscheidung trifft, kann der kulturpolitische Einfluß auf die Letztentscheidung erheblich sein479. Diese Funktion besitzt vor allem solange Bedeutung, wie die These von der Begründbarkeit und Nachvollziehbarkeit oder der Professionalisierung ästhetischer Entscheidungsfindung verbindlich ist. Das Expertenurteil steht danach abweichenden Entscheidungen staatlicher Instanzen nicht rechtlich, aber faktisch entgegen. Aufgrund der Besonderheit des zugrundeliegenden Lebensbereichs legitimiert sich die staatliche Entscheidung "materiell" im Rekurs auf das Sachverständigenurteil, ohne daß abweichende staatliche Entscheidungen verfahrensfehlerhaft wären bzw. Klageansprüche des betroffenen Dritten auslösen könnten.
5. Rechtskompetenz
Mit dieser Kompetenz soll die Zuständigkeit bezeichnet werden, rechtlich relevante Problemstellungen bei der Förderungsentscheidung zu beurteilen. Hier wird berücksichtigt, daß Förderentscheidungen rechtliche Entscheidungen sind. Soweit die im übrigenförderungswürdige Kunst aufgrund einer rechtlichen Bewertung auf verfassungsimmanente Schranken des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG stößt, steht das einer Vergabe entgegen. Diese Kompetenz ist regelmäßig nicht verfahrensimmanent zu verankern, sondern Bestandteil der verfassungsrechtlich vorgegebenen Kompetenzordnung.
6. (Letzt)Entscheidungskompetenz
Die verschiedenen Konzeptionen zur Organisation freiheitlicher Kunstförderung unterscheiden sich durch die Bestimmung des zulässigen Anteils staatlicher Beteiligung an der Förderentscheidung. "Entstaatlichung", "Staatsdistanz" oder "Privatisierung" bestimmen die Begrifflichkeit der dogmatischen Ansätze, die die Delegation der Entscheidungsfindung an gesell-
479
Gemäß § 4 Abs. 9 SächsKRG ist der Kulturkonvent, der die Aufgaben des Kulturraumes wahrnimmt, nicht an die Entscheidungsvorschläge des Kulturbeirates gebunden. Der Kulturkonvent hat jedoch im Fall von Differenzen abweichende Entscheidungen schriftlich zu begründen und dem Kulturbeirat mitzuteilen.
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstforderung
219
schaftliche Entscheidungsträger in mehr oder weniger großem Umfang für zulässig und erforderlich halten 480 Die Zuordnung der Letztentscheidungskompetenz an den Staat oder die Gesellschaft scheint das relevante Kriterium zu markieren, um das Freiheitspotential eines Förderungsmodells zu beurteilen. Die Ausgestaltung der Letztentscheidungskompetenz beinhaltet danach die Antwort auf die Frage, wer als Entscheidungsträger anzusehen ist. Diesem Schema steht bereits der Hinweis entgegen, daß auch durch gesellschaftlich pluralistisch zusammengesetzte Gremien getroffene Entscheidungen letztlich staatliche Entscheidungen sind481. Entscheidender als die juristisch formale Zuordnung der Entscheidung an den Staat oder die Gesellschaft ist aber die Überlegung, daß die besondere Strukturierung der Förderentscheidung die Frage nach der "materiellen" Letztentscheidungskompetenz relativiert. Qualitative Auswahlentscheidungen können nur auf der Grundlage einer ästhetischen Bewertung ergehen. Dieser Entscheidungsanteil ist nur von den Experten zu verantworten und diesen zurechenbar. Neben diesem sachlich bedingten "harten Kern" der Entscheidungsfindung ist die Zurechenbarkeit der Letztentscheidung von untergeordneter Bedeutung. Auch wenn keine echte Delegation dieser Kompetenz an staatsfreie Entscheidungsträger erfolgt, ist keine staatliche Entscheidung denkbar, die zugleich den Anforderungen einer freien Kulturstaatlichkeit entspricht und das Sachverständigenvotum unberücksichtigt läßt. Die "ästhetische Letztentscheidungskompetenz" liegt mithin immer bei den gesellschaftlichen Kräften, unabhängig von der Frage, wer nach außen gegenüber dem Dritten die Entscheidung vertritt.
480 VGH Kassel, NJW 1987, 1436 (1437) ("Dorothea s Rache"); VG Wiesbaden, NJW 1988, 356(364) ("Kein Reihenhaus für Robin Hood"); Abelein, Kulturpolitik, S. 233; Beer, S. 13; Benda, Die neue Ordnung 1966, 351; Fohrbeck, Kunstförderung, S. 11; Geiger, S. 193; Graul, Künstlerische Urteile, S. 72 ff.; Höfling, DÖV 1985, 392 ff.; Hufen, NVwZ 1983, 519 ff.; Ladeur, in: AK-GG, Art. 5 Abs. 3 HRdnr. 25; Locher, Recht der bildenden Kunst, S. 28; Mihatsch, Öffentliches Kunstsubventioniening, S. 133 ff.; Ossenbühl, DÖV 1983, 790; Ridder, Freiheit der Kunst, S. 22 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. 3 Rdnr. 42; Schreyer, S. 135 ff.; Schwarze, AfP 1974, 695 f.; Wimmer, WDStRL 42, 88; Wolfrum, SchlHA 1984, 7. 481 Abelein, Kulturpolitik, S. 233; Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 225. Kritik bei: Mihatsch, Öffentliche Kunstsubventionierung, S. 167.
220
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung 7. Rechtsform
Die externe Vergabe der Fördermittel an den Bewerber kann danach rechtlich unterschiedlich ausgestaltet sein, ohne daß Maßgaben für die denkbaren Modi aus der Verfassung zu gewinnen wären. Die Gründe für die Wahl von Privatrechtsformen sind vielfaltig. Zunächst gründet sich die Aufgabenerfüllung durch Private auf dem Umstand, daß Beamtenmentalität, bürokratische sowie hierarchische Strukturen der öffentlichen Verwaltung die Entscheidungsprozesse verlangsamen und hemmen können482. Im übrigen relativieren sich haushalts-, finanz- und personalrechtliche Bindungen. Darüber hinaus kann die evolutionäre Struktur des Aufgabenbereichs unkonventionelle oder experimentelle Maßnahmen erfordern, die die Dimension der eher statisch ausgerichteten Staatsverwaltung übersteigen. Auch wenn dieses Moment eine besondere Funktion im Bereich der Kulturverwaltung besitzt, ist dabei die Kritik zu vergegenwärtigen, daß Legitimitätssicherung, informelle Beziehungen, institutionelle Verfestigungen und wirtschaftlicher Erfolgszwang auch hier die Gefahr von kulturpolitischen Defiziten bergen483. Die Strategien des organisatorischen Selbsterhaltungsinteresses können präponderant gegenüber der Kulturprogrammatik werden. Ein weiterer Gesichtspunkt für die Vorzugswürdigkeit von privatrechtlichen Gesellschaften gründet sich auf deren Eignung als Kooperations- und Integrationsform diverser Verwaltungsträger, die föderalistische Kooperationen und flexible Behandlungen des Bund-Länder-Verhältnisses eröffnen 484. Dem Kooperationsgedanken ist auch die Überlegung verpflichtet, daß sich der Staat und Private die Verantwortung und Entscheidungen für einen Aufgabenbereich teilen 485 . Weiterhin ist die privatrechtliche Ausgestaltung der Aufgabenerfüllung auch im ökonomischen und rationellen Interesse geeignet, sich auf bereits vorhandene private Initiativen zu stützen, sie zu fordern oder anzuregen. Schließlich kann die Wahl privater Rechtsformen auch der Idee der Selbstverwaltung, der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft sowie dem Sub482 Die Darstellung folgt hier im wesentlichen den von Ossenbühl, WDStRL 29, 146 ff., entwickelten Kriterien. 483 Zu dieser Kritik vgl. Gerhard Schulze, S. 504 ff. 484 Vgl. Ossenbühl, VVDStRL 29, 146 ff. 485 Vgl. dazu Erster Bericht zur Kulturpolitik des Deutschen Kulturrates 1987/88, S. 9.
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
221
sidiaritätsprinzip verpflichtet sein. Dagegen spielt die Ausnutzung privaten Sachverstandes bei der Rechtsformenwahl allenfalls eine untergeordnete Rolle, da auch die Integration des Experten in den Verwaltungsapparat diesen Effekt erzielen kann. Kulturpolitisch wird darüber hinaus die Wahl privater Rechtsformen gegenüber der staatsunmittelbaren wie mittelbaren Förderungsverwaltung vorzugswürdig sein. Die Organisation der Förderungsverwaltung in Form des eingetragenen Vereins, der Stiftung bürgerlichen Rechts oder als Kapitalgesellschaft vermittelt nach außen einen höheren Grad gesellschaftlicher Autonomie in der Förderung. Letztlich gründet die Autonomie gesellschaftlicher Entscheidungsträger aber nicht auf der Rechtformenwahl für das Förderungsverfahren, sondern auf der Wahrung der in der Verfassung vorausgesetzten sachbereichsspezifischen Anforderungen durch den Staat. Gegenüber der untergeordneten Indizwirkung der jeweiligen Rechtsformenwahl kommt die entscheidende Bedeutung der materiellen Weisungsunabhängigkeit zu 486 . Dabei bleibt darauf zu achten, daß die finanzielle Abhängigkeit privater Träger nicht die Freiheitlichkeit der Entscheidung konterkariert.
m . Typologie der kunstfordernden Institutionen
Danach sollen hier die organisations- und verfahrensrechtlichen Fragen auf eine Typologie der Förderungsformen bezogen werden, die sich nach dem Verhältnis der staatlichen zur gesellschaftlichen Einflußnahme auf die Förderentscheidung differenzieren lassen. Da Vermittlungsförderung nur nachrangig durch Verteilungs- und Auswahlprobleme gekennzeichnet ist, befaßt sich dieser Untersuchungsteil primär mit der Organisation und dem Verfahren qualitativer Künstlerförderung. Die beiden Pole der Typologie werden durch die nahezu ausschließliche Entscheidungsbefugnis entweder des Staates oder der gesellschaftlichen Kräfte bestimmt487. Die Freistellung gesellschaftlicher Gruppen von staatlicher Einflußnahme in der Mittelvergabe ist durch die Grundrechtsbindung und Programmatik staatlicher Gewalt in der Förderungstätigkeit insoweit begrenzt, als die Zwecksetzung der Förderorganisation den Bedingungen eines freiheitlichen Kulturstaats entsprechen muß. Danach lassen sich vier Modelle angeben: ^DazuMihatsch, S. 164. 487 Vgl. zur Typologie Höfling, DÖV 1985, 390 ff; Mihatsch, S. 163ff; Steiner, WDStRL, 42, 7; Schäuble, Kunstförderung, S. 212 ff.
222
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung 1. "Staatsabstinenzmodell"
Zunächst kann die staatliche Subventionierung an private Förderungsinitiativen anknüpfen. Typisches Beispiel sind die der Individual- und Vermittlungsförderung verpflichteten Kunstvereine488. Hier trifft der staatliche Einsatz auf durch Sachverstand, Bürgerbeteiligung und lokale Schwerpunktbildungen geprägte Strukturen, die durch staatliche Finanzierung erhalten und verstärkt werden. Die Aufnahme dieses Förderungsmodells in den Bereich hoheitlicher Kunstförderung ist insofern Bedenken ausgesetzt, da es sich bei der Förderungsstruktur zunächst um rein privates Mäzenatentum handelt489. Die Berücksichtigung im vorliegenden Untersuchungsrahmen legitimiert sich bei näherer Betrachtung der staatlichen Beteiligungsform. Staatlicher Einsatz beschränkt sich zwar auf die Bestimmung der Subventionszwecke und die dem zugeordnete Subventionskontrolle. Die staatliche Subventionsvergabe setzt damit aber eine staatliche Entscheidung voraus, ob und in welchem Umfang ein privates Förderungsprogramm mit staatlichen Programmvorstellungen vereinbar ist. Bei der Vielzahl der privaten Initiativen handelt es sich bei der staatlichen Selektion der Initiativen um eine mitunter folgenreiche Ausübung staatlicher Kulturgestaltungsmacht. Die Anknüpfung an private Programme vereinbart sich damit auf der Folie des privaten kulturellen Trägerpluralismus mit staatlicher Programmkompetenz. Da die ästhetische Bewertungskompetenz und die Letztentscheidung von dem Dritten getroffen und eigenständig nach außen repräsentiert werden, handelt es sich hier um eine Förderungsform, in der sich der Staat der Beteiligung an der Entscheidung weitgehend enthält.
2. "Staatsdistanzmodell"
Ein Zuwachs an staatlicher Entscheidungsbeteiligung ergibt sich, wenn neben den allgemeinen Kontroll- und Aufsichtsmöglichkeiten eine staatliche Partizipation in den Förderungsgremien vorgesehen ist und im Vorfeld der Förderungstätigkeit Programmabsprachen erfolgen, die den freiheitlichen Förderungszweck sicherstellen sollen. Insoweit sich der Staat darüber hinaus jeder Entscheidungsbeteiligung enthält, wird diese Art der Förderungsorganisation als "Staatsdistanzmodeir oder "Staatseliminationsmodeir bezeich488
Weber, Entmündigung der Künstler, S. 86 ff. Höfling, DÖV 1985, 391 rechnet diese Förderungsform daher nicht zur hoheitlichen Kunstförderung. 489
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
223
net 490 In diesem Fall ist die Gremienentscheidung mit der Förderungsentscheidung gleichzusetzen. Dieser Typus besitzt eine eigene Rechtspersönlichkeit. Beispiele für dieses "Staatsdistanzmodell" finden sich in der als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierte Akademie der Künste in Berlin, dem Kunstfonds e.V. in Bonn 491 , dem Deutschen Literaturfonds e.V. in Darmstadt492, dem Musikrat e.V., der Kunststiftung Baden-Württemberg GmbH, der Berliner Festspiele GmbH oder dem Kuratorium Junger Deutscher Film 493 . Exkurs: Förderungsmodell Kunstfonds e.V. Der 1980 in Bonn gegründete Kunstfonds e.V. bietet sich für eine detailliertere juristische Betrachtung an, da dieses Förderungsmodell als beispielhafter Fall einer gelungenen Umsetzung des Gedankens der Selbstverwaltung der Kunst gilt und eine umfassende Bestandsaufnahme seiner Arbeit vorliegt 494 . Der Kunstfonds e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Förderung der zeitgenössischen bildenden Kunst zu fordern. Der Kunstfonds unterstützt künstlerisches Schaffen und die Entwicklung künstlerischer Initiativen, soweit diese für die deutsche Kulturentwicklung insgesamt von Bedeutung sind. Darüber hinaus fordert er das Bemühen, zeitgenössische Kunst weiteren Bevölkerungsgsschichten zu vermitteln. Damit ist der Kunstfonds e.V. den beiden großen Zielsetzungen staatlicher Kunstforderung, der Individual- sowie der Vermittlungsförderung verpflichtet. Die Organe des Vereins sind die Mitgliederversammlung, der Vorstand, das Kuratorium und die Förderungskommissionen. Das Kuratorium legt die Richtlinien der Förderung fest und entscheidet über Förderungsmaßnahmen, sofern es diese Kompetenz nicht an eine oder mehrere Kommissionen delegiert. Das Kuratorium besteht aus zehn bis elf Personen, von denen acht durch die Mitgliederversammlung benannt werden und zunächst zwei durch den öffentlich-rechtlichen Zuwendungsgeber. 490 Dieser von Steiner, VVDStRL 42, 7 geprägte Begriff ist dem von Höfling, DÖV 1985, 391 gewählten Terminus "Staatseliminationsmodell" vorzuziehen, da der Einfluß des Staates gerade nicht völlig "eliminiert" worden ist. 491 Ausführlich zu dessen Struktur und Arbeitsweise: Kunstfonds, S. 208 ff. 492 Vgl. dazu Wiesand, Literaturförderung, S. 11 ff., 153 ff. 493 Einen empirischen Gesamtüberblick auf die in einzelnen Kunstsparten auftretenden nichtstaatlichen Instanzen gibt Mihatsch, S. 169 ff. 494 Kunstfonds, S. 208 ff.
224
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Besonderes Kennzeichen dieser Satzung ist der hohe Beteiligungsgrad von bildenden Künstlern bzw. juristischen Personen, die sich der Förderung zeitgenössischer deutscher Kunst widmen. Letztere haben allein Stimmrecht in der Mitgliederversammlung. Der Vorstand besteht aus zwei Mitgliedern, von denen zwei bildende Künstler sein müssen. Der Sprecher muß bildender Künstler sein. Das Kuratorium, das die eigentlichen Förderungsentscheidungen trifft, muß ebenso wie die Förderungskommissionen aus einer Mehrheit bildender Künstler bestehen. Die positive Bewertung der Arbeit des Kunstfonds stützt sich vor allem auf den Umstand, daß die Programm und Letztentscheidungskompetenz mehrheitlich von gesellschaftlich pluralistischen Kräften getragen wird. Dieser Einschätzung kann im wesentlichen gefolgt werden. Gleichwohl weist auch der Kunstfonds e.V. einige Schwachstellen auf, die es nicht erlauben, von einer idealtypischen Umsetzung der hier ermittelten Kunstförderungsgrundsätze in diesem Modell und seiner Praxis auszugehen. Die Besetzung des Kuratoriums mit zwei Mitgliedern, die dem Bundesministerium des Innern angehören, stößt auf Bedenken. Diese Mitglieder der ästhetisch-qualitativen Bewertungsinstanz sind nicht als Sachverständige legitimiert. Ihre Beteiligung bleibt ein offenes Legitimationsproblem, das allein durch den Umstand relativiert wird, daß sie die Letztentscheidung nicht majorisieren können. Gravierender für die Würdigung des Kunstfonds unter freiheitlichen Gesichtspunkten ist die Beteiligung des Bundesverbandes Deutscher Galerien. Die Beteiligung von Galerienvertretern im Kuratorium schafft gerade die Gefahr, daß die Auswahlentscheidungen durch kommerzielle Kriterien mitbestimmt werden. Die Möglichkeit des Kunstfonds e.V., entpluralisierenden Kunstmarkttendenzen entgegenzuwirken, wird dadurch relativiert.
3. "Mediatisierungsmodell"
In einem davon abzugrenzenden Organisations- und Verfahrenstypus wird die staatliche Vergabeentscheidung durch pluralistisch zusammengesetzte Förderungsgremien vorbereitet 495. Die sachverständigen Gremien treffen aus dem Kreis der Förderungsaspiranten eine Auswahl, die der staatlichen Letztentscheidung zugrundeliegt und regelmäßig nicht von dem Votum der Juiy
495
Höfling, DÖV 1985, 391; Steiner, WDStRL 42, 7.
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
225
abweicht. In der Filmförderung durch die Filmförderungsanstalt in Berlin, die Filmförderungsrichtlinien des Bundesministers des Innern und die Filmbewertungsstelle in Wiesbaden finden sich Beispiele für diesen Kooperationsmodus. Die private Entscheidungsfindung hat mithin einen mittelbaren Einfluß auf die endgültige (Staats)Entscheidung496.
4. "Staatsmonopolmodell"
Neben dieser Mediatisierung staatlicher Entscheidungsgewalt ist noch die ausschließliche Monopolisierung der Entscheidung durch den Hoheitsträger zu nennen497. Diese Förderungsform bestimmt nach wie vor in weitem Umfang die Kommunalverwaltungspraxis, obwohl die sachbereichsspezifischen Gründe für die Beteiligung gesellschaftlicher Kräfte unberücksichtigt bleiben. Eine abschließende Beurteilung der vier Förderungsmodelle setzt voraus, daß die mit der Entstaatlichung verbundenen Vor- und Nachteile auf die verfassungsrechtlichen Maßgaben bezogen werden.
IV. Probleme der Entstaatlichung der Kunstforderung
Auch wenn immer wieder die Antinomie von Kunst und Verwaltung betont worden ist, ist ein Großteil kunstfördernder Maßnahmen in den allgemeinen Verwaltungsappparat integriert 498. Gegenüber dieser unspezifischen Förderungsorganisation wird in der Praxis und der hier vorgestellten rechtswissenschaftlichen Dogmatik zunehmend auf die Bedeutung einer sachbereichsspezifischen Verwaltung der Kunst hingewiesen. Wie bereits der verfassungsrechtliche Kunstbegriff verstärkt vom Selbstverständnis der Grundrechtsträger geprägt wird, so soll auch die Förderungsverwaltung durch die Beteiligung der Vertreter des künstlerischen Lebensbereichs strukturiert werden. Die Delegation von Entscheidungsbefugnissen an Künst496
Der Terminus von Höfling, DÖV 1985, 391, der von einem „Staatsmediatisierungsmodeir spricht, ist danach zweifelhaft, da staatlicher und gesellschaftlicher Einfluß auf die Entscheidungsfindung vermittelt werden. 497 Höfling, DÖV 1985, 391. 498 Vgl. zur Kommunalverwaltung Jüchter, Durchführung kultureller Aufgaben, S. 25 ff. (30). 15 Palm
226
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
1er, Kunstsachverständige, Künstlerverbände, Kunstvereine und andere gesellschaftliche Gruppierungen verdichtet sich zu einem Bild wachsender Selbstverwaltung. Die Erforderlichkeit solcher Verwaltungsstrukturen ergibt sich nicht bereits im Blick auf den Umfang der potentiellen Förderungsformen. Da sich die künstlerische Grundrechtsverwirklichung im Rahmen des kulturellen Trägerpluralismus auf eine unüberschaubare Vielzahl staatlicher (kommunaler) und privater Förderungsmodelle stützen kann, fehlt es an der spezifischen Knappheit von Freiheitsvoraussetzungen, die etwa im Bereich der Rundfunkfreiheit eine weitreichendere Vergesellschaftung der Organisation erforderlich macht499 Für die Entscheidungsdelegation auf außerstaatliche Kräfte werden stichwortartig im wesentlichen folgende Begründungselemente angegeben: Eigengesetzlichkeit der Kunst, künstlerische Autonomie, staatliche Neutralität, Objektivität, Richtigkeit sowie Sachlichkeit der Entscheidung, Demokratisierung, Pluralität und Repräsentativität der Entscheidungsfindung. Dem stehen Gefahrenmomente der Selbstverwaltung entgegen500: Private Machtkonzentrationen, Fraktionsbildungen, Proporzdenken, Tendenzbildungen, Bequemlichkeitskompromisse und staatlich sanktionierte Expertenirrtümer. Insoweit beinhalten alle vorgestellten Modelle im Blick auf das Förderungsziel positive wie negative Elemente. Die Realisation einer freiheitlichen Förderung der Kunst ist daher im Blick auf Verfahrens- und organisationsrechtliche Maßgaben als prinzipiell offen bezeichnet worden, so daß die Kunstselbstverwaltung nicht die verfassungsnotwendige Antwort auf den Schutzbedarf der Kunstfreiheit sei501. Eine verbindliche Verfassungsaussage zu den verschiedenen Förderungsmodellen ist nicht ersichtlich. Der Fall der documenta X in Kassel hat die Frage aufgeworfen, ob monokratische Auswahlentscheidungen des künstlerischen Leiters unter staatlicher Verantwortung gegenüber einem demokratischpluralistischen Auswahlsystem grundrechtlich zulässig seien502. Es ist zu konzedieren, daß die Teilnahme an diesem künstlerischen Großereignis die Stel499
Zur Rundfunkfreiheit vgl. BVerfGE 35, 202 (222); 31, 314 (326); 12, 205 (260); Starck, FS-BVerfG, S. 488 ff. 500 Vgl. dazu VGH Kassel, NJW 1987, 1436 (1437) ("Dorotheas Rache"); VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 (364) ("Kein Reihenhaus für Robin Hood"); Beck, Wahrheit, S. 263 ff ; Haverkate, Rechtsfragen, S. 169; Höfling, DÖV 1985, 393; Leisner, WDStRL 42, 126; Mihatsch, S. 136 ff.; Steiner, WDStRL 42, 36 ff. 501 Steiner, Kulturpflege, § 86 Rdnr. 14. 502 Vgl. Hufen, NJW 1997, 1112 ff. zu VG Kassel, NJW 1997, 1177 ff.
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
227
lung von Künstlern im Kunstsystem nicht völlig unmaßgeblich berühren kann. Gegen ein grundrechtlich vorgeschriebenes Auswahlverfahrensmodell spricht aber, daß die künstlerische Leitung nach jeder documenta wechselt, die subjektive Autorisierung der Künstler durch den künstlerischen Leiter als relativierendes Entscheidungskriterium bekannt ist und inzwischen andere künstlerische Großveranstaltungen die Bedeutung der documenta mindern 503. Danach ist eine rein binnenstrukturelle Betrachtung des Verfahrens nicht geeignet, Grundrechtsdefizite erfolgreich geltend zu machen.
1. Staatliche Neutralität
und gesellschaftliche
Interessen
Der Vorwurf staatlichen Kunstrichtertums kann nicht erhoben werden, wenn die Vergabeentscheidung gesellschaftlichen Trägern übertragen wird. Die Freizeichnung des Staates von unzulässiger Einflußnahme hat zentrale Bedeutung für die Selbstverwaltung des künstlerischen Sachbereichs. Die Garantie staatlicher Neutralität darf jedoch nicht mit gesellschaftlichem Partikularismus, einseitigen Prioritäten und staatlich sanktionierten Selbstbedienungsorganisationen bezahlt werden. So steht die Aussage Schwengers "Die für die Bundesrepublik vorliegenden statistischen Daten über Berufungs und Vergabepraxis in kulturellen Jurys lassen weniger staatliche Einflußnahme als vielmehr Mechanismen der Selbstbestätigung des etablierten Kulturbetriebs erkennen"504 stellvertretend für eine Vielzahl kritischer Stimmen gegenüber den herrschenden Trendbildungen der durch vermeintlich unabhängigen Sachverstand erzielten staatlichen Kunstforderung 505. Frühzeitig wurde deshalb bereits gefordert, daß Mitglieder von Sachverständigengremien lernen müssen, "daß sie ihre Aufgabe als unabhängige Sachverständige nur erfüllen können, wenn sie sich nicht zu Vertretern be-
503
Die mitunter kritisierte Bedeutungsregie der documenta-Macher, ihre Präsentationen als Kunstgeschichte zu inaugurieren, folgt empirisch keinem zwingenden Automatismus. Viele "Entdeckungen" blieben für die Künstler folgenlos. Fazit bleibt, daß die documenta nicht der Vorhof der Kunstgeschichte ist. Vgl. documenta, S. 26 ff. Im übrigen ist es mehr als zweifelhaft, ob es eine Kunstgeschichte gibt. Moderne Kunstgeschichtsschreibung tendiert in ihrem neueren Selbstverständnis zu der Beschreibung diverser Kunstgeschichten, die nicht mehr universalbegrifflich verschmolzen werden können, vgl. etwa Belting, S. 22 ff und passim. 504 Schwenger,S. 577. 505 Weber, Entmündigung der Künstler, S. 276 ff. mit vielen Beispielen für die Selbstbedienung etablierter Kunst.
228
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
stimmter Interessengruppen machen"506. Die Schwierigkeit, das eigene Urteil von solchen Erwägungen freizuhalten, hat auch den Ruf nach unabhängigen Honoratioren, die keiner gesellschaftlichen Gruppe verpflichtet sind, ausgelöst 507 . Die Polarisierung von Werturteil und Interessenbindung als Voraussetzung unabhängiger Entscheidung scheint aber eher einem Modell kunstkritischer Beurteilung verpflichtet zu sein, das dem kantischen Begriff des interesselosen Wohlgefallen entspricht, ohne auf die Einbindung von Honoratioren in die jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhänge abzustellen. Ausschlußklauseln gegen „Multifunktionalisten", die sowohl öffentliche Aufgaben wie privaten Beratungstätigkeiten ausüben oder weitergehend als Kunsthändler agieren, sind aber in Verfahrensordnungen zu verankern.
2. Probleme der Repräsentation
a) Grenzen der Repräsentation Das Kriterium der "Repräsentativität" markiert den Anspruch des Förderungssystems, alle unterschiedlichen Manifestationen des künstlerischen Sachbereichs virtuell zu berücksichtigen. Da die praktisch sinnvolle Arbeit von Gremien unter dem Vorbehalt des Möglichen steht508, findet jede Repräsentation ihre Grenze in der Zahl der Mitglieder. Ein das Allgemeine im Besonderen suchender Ansatz kann diesen Anspruch im Bezug auf Kunst- und Stilformen einlösen. Künstlerische Individualität dagegen kann per definitionem nicht repräsentiert werden. Damit widerspricht der Repräsentationsgedanke tendenziell dem Moment der Eigengesetzlichkeit der Kunst. Dieses Spannungsverhältnis drückte sich in dem Motto "Einigkeit der Einzelgänger" des 1. Kongresses des Verbandes deutscher Schriftsteller 1970 in Stuttgart aus509 Unabhängig von dieser Kritik legitimiert sich der Anspruch der Repräsentativität aber in der generalisierenden Förderungsverwaltung durch die Notwendigkeit, nicht ganze Kunst- oder Stilformen auszugrenzen. Damit erweist sich die Repräsentativität als eine Negativschranke staatlicher Selektion im Gesamtfordersystem.
506 507 508 509
Becker, Quantität und Qualität, S. 92. v. Arnim, S. 287 ff. Schreyer, S. 96. v. Köckritz, S. 130 f.
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
229
b) Beteiligung der Verbände Der Anspruch, gesellschaftliche Kräfte in Kunstförderungsverfahren zu repräsentieren, kann an gesellschaftliche Repräsentationsstrukturen anknüpfen. Damit werden die Verbände der Künstler und Galeristen, Kunstvereine und Fördervereine der Museen oder organisierte Vermittler zu idealen Ansprechpartnern des Staates, um den Sachverstand der Verbände zu nutzen, die komplexen Zusammenhänge des jeweiligen Lebensbereichs zu verstehen510. Die Verbände entsprechen in der Zusammenarbeit mit staatlichen Kräften zunächst ihrer allgemeinen Funktion, den politischen Willen vorzuformen. Ihre Selbstorganisation und Bündelung gesellschaftlicher Interessen füllt den grundgesetzlichen Anspruch des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG aus, einen gesellschaftlichen Freiheitsraum für die Kunst zu erhalten und auszubauen511. Zugleich versuchen diesen privaten Inititativen aufgrund ihrer partikularen Interessen aber auch, ihren Einfluß auf die Verteilung staatlicher Förderungsmittel zu verstärken" 512. Dieses Beziehungsgeflecht schafft wie in anderen Bereichen auch zunächst die Gefahr der Nichtrepräsentation der unorganisierten Mitglieder des künstlerischen Sachbereichs. Dieser Repräsentationsmodus eröffnet damit die Gefahr der Schwächung pluralistischer Strukturen. Gegenüber der Kulturverwaltungspraxis ist daher auch immer wieder der Vorwurf der Überrepräsentanz bestimmter Stilformen erhoben worden, während andere Ausdrucksformen nur durch wenige "Alibikünstler" repräsentiert werden 513. Eine rückhaltlose Institutionalisierung organisierter Interessen in der Kulturverwaltung könnte die Entstaatlichung der Förderung mit quasi-ständestaatlichen Strukturen bezahlen. Eine weiteres Problem der Partizipation von Verbänden liegt in der Relation der verbandspolitischen Zwecksetzung zu den Zielen staatlicher Kunstförderung. Soweit regelmäßig keine Vertreter von weltanschaulichen Gruppen, Parteien und Gewerkschaften berücksichtigt werden, liegen hier keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Insoweit sind die Gruppenvertreter nicht vorrangig unter dem Gesichtpunkt einer repräsentativen Kontrolle der Gremien durch die relevanten gesellschaftlichen Kräfte auszuwählen, sondern unter
510
V. Köckritz, S. 124. v. Köckritz, S. 129. 512 Zu den Gründen für den Verbandseinfluß vgl. v. Arnim, S. 287 ff.; vgl. auch Höfling, DÖV 1985, 393. 513 Weber, Entmündigung der Künstler, S. 289. 511
230
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
dem Gesichtspunkt der spezifischen Qualifikation von Beisitzern, künstlerische Sachverhalte zu beurteilen514. Hinsichtlich der Auswahl von Personengruppen und Verbänden, die im Rahmen der Verfahren des Gesetzes über jugendgefährdende Schriften (GjS) potentiell Vertreter entsenden, hat das Bundesverfassungsgericht eine nähere gesetzliche Bestimmung gefordert 515. Darüber hinaus seien auch die Auswahlkriterien zu regeln, wie die einzelnen Beisitzer solcher Gruppierungen auszuwählen seien. Dieses Erfordernis wird darauf gestützt, dem Interesse an einer möglichst umfassenden Ermittlung aller bei der Indizierungsentscheidung zu beachtenden Gesichtspunkte Rechnung zu tragen 516. Auch wenn die Zielsetzungen und Interessenbereiche fließend sind, können im wesentlichen vier Verbandstypen unterschieden werden 517: (1) Künstlergruppen, die durch Ausstellungen und Veranstaltungen ihre künstlerischen Zielsetzungen durchsetzen. Beispiele wären der Deutsche Künstlerbund, der Deutsche Sängerbund oder die vielen kleinen kommunalen bzw. städtischen Künstlergruppen. Probleme ästhetischer Auswahl werden von solchen Gruppierungen regelmäßig im Blick auf die eigenen Mitglieder beantwortet werden. (2) Die teilweise gewerkschaftlich organisierten Berufsverbände verfolgen berufsständische Interessen. Beispiele sind der Bundesverband bildender Künstler, der Verband Deutscher Bühnen-Angehöriger oder der Verband deutscher Schriftsteller. Kulturpolitische Interessenvertretungen dieser Art zielen auf strukturelle Verbesserungen eines gesellschaftlichen Teilbereichs. Dabei handelt es sich um ein Beispiel privater Kunstförderung, die sich auf den Ausbau institutioneller Absicherungen künstlerischer Freiheit bezieht. Dagegen belegt bereits die Zusammensetzung dieser Verbände, daß künstlerische Qualitätsförderung allenfalls marginale Bedeutung in der Interessenstruktur dieser Gruppierungen besitzt. Die Mitgliedschaft knüpft regelmäßig allein an eine künstlerische Ausbildung oder eine dem entsprechende Kunstpraxis an. (3) Die Verbände der Kunstverwerter oder Kunstvermittler zielen in erster Linie ebenfalls auf die Vertretung der berufsständischen Interessen der Arbeit und Auftraggeber. Zu nennen sind hier etwa der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Bundesverband Deutscher Galeristen, der Verband der 514
Vgl. insoweit auch BVerfG, NJW 1991, 1471 (1474) ("Josefine Mutzenbacher") zu der nach § 9 II GjS zu treffenden Auswahl der Gruppenvertreter. 515 BVerfG, NJW 1991, 1471. 516 BVerfG, NJW 1991, 1471. 517 Die Darstellung folgt hier im wesentlichen v. Köckritz, S. 126 ff.
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
231
Deutschen Konzertdirektoren oder der Deutsche Bühnenverein. Ihre Integration in der staatlichen Kunstförderung beurteilt sich ähnlich wie die vorhergehende Gruppe, soweit es um die Repräsentation berufsständischer Interessen geht. Darüber hinaus schafft aber das Kommerzialisierungsinteresse von Vermarktern erhebliche Gefahren für die Freiheit und den Wertepluralismus des Kunstlebens. Daß sich solche Gefahren in großem Umfang bereits realisieren, ergeben zahlreiche Stellungnahmen zum Kunstmarktgeschehen518. (4) Schließlich sind Verbände und Zusammenschlüsse zu nennen, die unmittelbar der Kunstforderung und allgemeiner kulturpolitischer Zielsetzungen dienen. In diese Gruppe fallen unter anderen der PEN-Club, der Rat für Formgebung, der Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie oder die Kulturpolitische Gesellschaft.
3. Zur Struktur sachverständiger
Entscheidung
Die "Objektivität", "Richtigkeit" und "Sachlichkeit" der Entscheidung sind eng mit der Vorstellung verbunden, daß der Sachverständige staatliche Entscheidungsprobleme lösen kann. Der Sachverständige ist schon frühzeitig als unerläßliche Erkenntnishilfe des Staates genannt worden, um verbindlich jene künstlerischen Äußerungen auszuwählen, die vor anderen Förderung verdienen519. Vom Sachverständigen wird erwartet, daß seine ästhetischen Wertungen die Irrtümer und Blamagen öffentlicher Kunstförderung gering halten und seine Offenheit für die Dynamik der Kunst dem staatlichen Einsatz zugute kommt520. Idealtypisch weist die persönliche Unabhängigkeit des Sachverständigen den Weg aus der Anonymität des Kulturstaats zu einem intersubjektiv nachvollziehbaren, weil vertretbaren Urteil. Die Ermittlung künstlerischer Qualität setzt Kriterien voraus, um aus der Vielzahl grundrechtlich geschützter Kunstprozesse jene Leistungen, die staatliche Unterstützung benötigen und vor anderen verdienen. Die Ausdifferenzierung der modernen Kunst präsentiert ein Aufgabenfeld mit vielfaltigen Ansät518 Vgl. Dieter Hoffmann, Ist der Kunstmarkt lenkbar?, S. 180 ff.; Weber, Entmündigung der Künstler, S. 149 zur "Symbiose von Kunsthandel und Museen". 519 "Um sich schliesslich in allen Beziehungen der artistischen Verwaltung auf den höchsten Standpunkt des Urtheils zu stellen, um sich wirklich zum Ausdruck der möglichst vollkommenen Kunst-Intelligenz zu machen," hat Franz Kugler schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts für zuverlässige Begutachtungen durch Sachverständige im Rahmen der Staatsregierung plädiert, S. 602 f. 520 Vgl. Beck, Wahrheit, S. 264; Graul, Künstlerische Urteile, S. 73 ff.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
zen, die von neuen Reflexions- und Wahrnehmungformen über die Entwicklung neuer Verfahrensweisen bis zur Stellungnahme zu gesellschaftlichen wie wissenschaftlichen Problemen reichen 521. Vom Sachverständigen wird erwartet, daß seine Einschätzungen in diesem komplexen Lebensbereich die Irrtümer öffentlicher Kunstförderung gering halten und seine Offenheit für neue Entwicklungen das Pluralitätspotential vergrößert. Die persönliche Unabhängigkeit des Sachverständigen soll den Weg aus der staatlichen Anonymität zur Ausbildung einer öffentlichen Meinung führen, die versachlicht und intersubjektiv nachvollziehbar ist. Diese Funktionsbestimmung des Sachverständigen relativiert sich in der historischen Beobachtung kunstkritischer Bewertungen als einer Abfolge von Verwerfungen und Neubewertungen. Normative Ästhetiken haben ihre historische Bedingtheit erwiesen; die Moderne ist weit entfernt von einem Grundstock gesicherter Überzeugungen, der die konsensuelle Entscheidung auch nur der Mehrheit der Sachverständigen ermöglicht 522. Das Fehlen einer kunstwissenschaftlichen Dogmatik mag darauf zurückzuführen sein, daß in der Kunstkritik das gesamte Spektrum der schöpferischen, ethischen und politischen Persönlichkeitsmomente des Beurteilenden aktiviert wird 523 . Die Relevanz des Sachverständigen als Verwaltungshilfe reduziert sich damit, soweit von ihm objektive oder richtige Urteile erwartet werden 524. Deshalb ist die Forderung im Bereich der Kunst das nachzuvollziehen, was für die wissenschaftliche Bewertung von Leistungen durch Sachverständigengremien im Rahmen staatlicher Förderung selbstverständlich ist 525 , nicht zweifelsfrei, da die Bewertungen (naturwissenschaftlicher Leistungen in anderer Weise möglich sind als die künstlerischer Prozesse526. Der Mangel an Objektivierbarkeit der Kunst und einer allgemeinverbindlichen kunstwissenschaftlichen Methode hat die Kritik ausgelöst, daß da, wo es keine Sachkunde gebe, es auch keine Sachverständigen geben könne. Der "Kunstsachverständige" sei danach eine contradictio in adjecto527. Dieser Kri521
Vgl. Fohrbeck, Kunstförderung, S. 32. Umfassend zur Geschichte der Ästhetik vgl. Eagleton, Ästhetik. 523 Vgl. Hoeber, S. 205 ff.; Ventun, S. 314 ff. und passim, S. 42 f. 524 Ausführlich zur Gründung des Qualitätsurteils auf dem "Qualitätsgefühl" Borgeest, S. 60 ff. 525 Hufen, Freiheit der Kunst, S. 550; Schuppert, S. 80. 526 Diese Unsicherheit der Beobachter, sowohl der Kritiker wie des Publikums, wird von einigen Künstlern wie Duchamp, Beuys, Warhol, Baldessari oder Vautier wieder in ihre Arbeit "hineinkopiert", d.h. zum genuinen künstlerischen Stoff, der aus der künstlerischen "Beobachtung der Beobachter" herrührt. 527 So Oettinger, JZ 1974, 286. 522
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
233
tik ist insoweit beizutreten, als das Expertenvotum nur intersubjektiv richtig sein kann. Andererseits ist der Sachverständige als Verwaltungshilfe dadurch nicht völlig entwertet. Der Vorzug des Experten gegenüber dem "Kunstverwaltungsbeamten" gründet auf dem Umstand, daß das Verständnis des Sachverständigen für künstlerische Problemstellungen im Zweifel durch eine größere Sensibilität geprägt ist. Die Befürchtung, daß "Nichtwissen durch Irrtum" ersetzt wird 528 , wenn Sachverständige an die Stelle von Exekutivorganen treten, kann dadurch verringert werden, daß die sachverständige Entscheidung pluralisiert wird 529 . Nicht das Votum des einzelnen Sachverständigen wird den Entscheidungen verbindlich zugrundegelegt, sondern die Integration des Experten in Gremien verspricht den Abbau von Willkür und Einseitigkeiten.
4. Pluralistische
Gremien als Entscheidungsträger
a) Legitimationsprobleme pluralistischer Gremien Pluralistische Gremien als autonome Entscheidungsträger sind dem Bedenken ausgesetzt, ohne demokratische Legitimation zu handeln530. Die Weisungsunabhängigkeit der Gremienvertreter vereinbare sich nicht mit dem Demokratieprinzip, weil sich ihre Entscheidungsbefugnisse nicht wenigsten mittelbar auf das Parlament zurückführen ließen. Der Staat begebe sich seiner Souveränität, wenn gesellschaftliche Kräfte originäre Entscheidungsbefugnisse ausüben.
528
Dazu Steiner, WDStRL 42, 36. Diese plastische Formel ist aber selbst Bedenken ausgesetzt, da Sachverständige wegen der fehlenden Objektivierbarkeit ihrer Urteile nicht im strengen Wortsinn irren können. Ihre Urteile können sich allein in historischer Perspektive als relativ ausweisen. Aber auch die historische Entwertung eines Kunsturteils kann wiederum entwertet werden, so daß Kunstbewertungen potentiell nicht abschließbare Prozesse sind. 529 Dieses Entscheidungsfindungsmodell hat historische Vorläufer. So gewann Lorenzo Ghiberti 1402 einen öffentlichen Wettbewerb, den die Konsuln der CalimalaZunft ausgeschrieben hatten und dessen Urteil ein eigens dafür rekrutiertes Gremium von 34 Malern, Bildhauern und Goldschmieden fällte, vgl. Brucker, S. 275. 530 Dazu ausführlich Sehreyer, S. 115 ff. m.w.N.; Füsslein, Ministerialfreie Verwaltung; Höfling, DÖV 1985, 393 f.; Hufen, NVwZ 1983, 519; Leisner, VVDStRL 42, 126; Mihatsch, S. 151; Schwarze, AfP 1974, 695.
234
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Gleichwohl ist eine kulturgesetzliche Normierung pluralistisch-autonomer Entscheidungsfindung 531 nicht unabdingbar. Zunächst ist der Hinweis aufzunehmen, daß die Legitimation pluraler Kräfte trotz der freiheitsrechtlichen Ambivalenz ihrer Funktion auf das Grundrecht der Kunstfreiheit zurückführbar ist 532 . Der gegen staatliche Repression, Indienstnahme und Entdifferenzierung eines Lebensbereichs gerichtete Grundrechtsschutz erfüllt sich auch in der Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen, die als eigengesetzliche Momente des Kunstlebens in die Kulturverwaltung integriert Freiheit gegenüber dem Staat repräsentieren 533. Weiterhin leitet sich die Berufung kunstsachverständiger Bürger zur ästhetisch-bewertenden Entscheidungstätigkeit von der mittelbar demokratisch legitimierten Verwaltung ab, der neben der Einrichtung von Verfahrensbedingungen Aufsichts- und Kontrollmöglichkeiten verbleiben. In diesem Sinne einer doppelten Mediatisierung demokratisch legitimierter Herrschaftsfünktionen ist auch der gesellschaftlich geprägten Förderungsaufgabe ein demokratisches Element nicht abzusprechen. Schließlich gilt auch hier, daß regelmäßig die diesen Gremien übertragenen Aufgaben nicht von von einer solchen Tragweite sind, daß unter dem Gesichtspunkt eines "ministerialfreien Raums" Bedenken bestünden534. Dem demokratischen Prinzip ist darüber hinaus entsprechend der verfassungsgemäßen Binnenstruktur politischer Parteien auch die innere Gliederung der Gremien verpflichtet 535. Der freie Diskurs in der Auseinandersetzung der Meinungen und die Mehrheitsentscheidung strittiger Fragen in Verbindung mit dem Wechsel der Mitglieder charakterisieren zumindest idealtypisch den gruppengebundenen Arbeitsprozeß. Die Erörterung der demokratischen und sozialstaatlichen Ausrichtung der Kunstförderung hat gezeigt, daß verfassungsgemäße Förderungskonzeptionen die Beteiligung des Publikums am künstlerischen Prozeß berücksichtigen536. Fraglich ist, ob die Kunstrezipienten auch in den Förderungsgremien vertreten sein müssen. Zunächst ist dem Publikum kein Einfluß auf solche Entscheidungsanteile einzuräumen, die sich auf die ästhetisch-qualitative Auswahl
531 532 533 534 535 536
Häberle, Kulturstaat, S. 41. Höfling, DÖV 1985, 393 f. Ähnlich Höfling, DÖV 1985, 393 f. m.w.N. Vgl. hierzu BVerfG, NJW 1991,1471 (1474) ("Josefine Mutzenbacher"). Vgl. Schreyer, S. 117 m.w.N.; Schmitt-Glaeser, WDStRL 31,220 ff. Vgl. Hufen, NVwZ 1983, 522 m.w.N.
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beziehen. Anderenfalls ist der künstlerische Minderheitenschutz in seiner Kollision mit gesellschaftlichen Trends nicht hinreichend gewährleistet537. Die Verstärkung des Pluralitätspotentials der Gremien durch Publikumsbeteiligung ist damit aber nicht völlig ausgeschlossen. Zu denken wäre an institutionalisierte Beteiligungsformen in Form von Hearings, Diskussionen oder Beratungen, die einerseits der kunstinteressierten Öffentlichkeit sachverständige Voten nachvollziehbarer machen könnten und andererseits eine sachverständige Selektion ohne jede Berücksichtigung von Publikumsinteressen unwahrscheinlich werden läßt. Solche Beteiligungsformen besitzen zudem den Vorteil, daß sich das nahezu unlösbare Problem einer Repräsentanz nichtorganisierter Interessen nicht stellt 538 , da grundsätzlich jeder Interessierte beteiligt werden kann 539 . Die Beteiligung staatlicher Vertreter in Auswahlgremien konterkariert den Anspruch der Staatsdistanz dieses Organisationstypus540. Gleichwohl wird deren Beteiligung für zulässig gehalten, um "die Arbeit des Gremiums im Auge zu behalten"541. Danach soll die Transparenz und Kontrolle der Gremienarbeit in Form der personellen Sicherung durch den Staatsvertreter gewährleistet werden. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden, wenn die Beteiligung von Behördenvertretern sich auch auf den qualitativen Entscheidungsprozeß bezieht. Dem Staatsvertreter fehlt zunächst gerade die Kompetenz, die die Konstitution solcher Organisationstypen legitimiert. Weiterhin können Aufsichts- und Kontrollfünktionen anders wahrgenommen werden als durch Integration der zuständigen Organe in den Gremien. Subventionskontrolle im Bereich der Wirtschaftsförderung wird auch nicht dadurch gewährleistet, daß Staatsvertreter an der internen Entscheidungsbildung von Unternehmen beteiligt werden, ohne freilich informelle Bezüge auszuschließen. Die Legitimation der Beteiligung von Staatsvertretern gründet auf dem fehlenden Vertrauen in die Selbstverwaltungskompetenz Privater und dem Verdacht, Demokratiedefizite zu institutionalisieren. Auch wenn eine solche Einschätzung nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist, bleibt der Einsatz von Behördenvertretern in pluralistischen Auswahlgremien sinnwidrig. Den genannten Schwachstellen ist allein durch solche verfahrensmäßigen 537
So auch Mihatsch, S. 149. Vgl. Mihatsch, S. 149. 539 Hier ist aber im übrigen empirisch zu berücksichtigen, daß die öffentliche Anteilnahme an der öffentlichen Kunstförderung gering ist. 540 Ridder, JZ 1953, 249. 541 Mihatsch, S. 148. 538
236
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Sicherungen zu begegnen, die nicht der sachbereichsspezifischen Struktur des Auswahlprozesses selbst zuwiderlaufen. Damit erübrigt sich auch die Problemstellung, welches Sitz- und Stimmverhältnis staatlichen Vertretern einzuräumen ist. Soweit die Beteiligung dieser Kräfte für zulässig erachtet wird, wird im Blick auf die Entstaatlichungsfunktion dieser Gremien zumindest ein staatliches Übergewicht abgelehnt542. Nach der hier vorgestellten Konzeption ist die Funktion der Staatsvertreter allein auf den Entscheidungsanteil zu beziehen, der rechtliche oder praktische Probleme aufwirft. Praktische Probleme können danach auftreten, wenn beispielsweise die Fragen zu entscheiden sind, welchen Standort eine städtische Skulptur erhalten soll oder welche Institution mit den Kunstwerken auszustatten ist. Selbstverständlich läuft die Kulturgestaltungsmacht des Staates im Bereich der Individualförderung durch pluralistische Gremien dadurch nicht leer. Die Einrichtung von Kunstförderungsmaßnahmen und die Höhe der Dotationen im Rahmen der Haushaltskapazität bleiben staatlicher Entscheidung vorbehalten 543 . Soweit die Programmkompetenz nicht ästhetisch-qualitative Entscheidungen antizipiert, besteht darüber hinaus ein Gestaltungsspielraum in der Entscheidung, welche Schwerpunkte in der Förderungsorganisation verfolgt werden. Damit ist jeder Selbstverwaltungsmodus an staatliche Maßgaben gebunden, ohne daß eine zusätzliche Absicherung durch Beteiligung staatlicher Vertreter in den Gremien notwendig würde.
b) Auswahl der Mitglieder Der Stellenwert kunstwissenschaftlichen Sachverstands hat gezeigt, daß die professionalisierte Entscheidimg allein nicht ausreicht, den Weg aus den Aporien des modernen Kunstverständnisses zu weisen. Die Rekrutierung der Gremienmitglieder wirft die Frage auf, inwieweit sich das Problem der staatlichen Neutralität bei der ästhetisch-qualitativen Selektion sich lediglich auf eine vorgeschaltete Ebene des Auswahlverfahrens verlagert 544. Das Kunstverständnis der jeweiligen Sachverständigen, ihre Präferenz bestimmter Kunststile und Künstler ist regelmäßig durch ihre öffentliche Ar542 543 544
Mihatsch, S. 148 m.w.N Vgl. auch Höfling, DÖV 1985, 394 f. Vgl. dazu VG Wiesbaden, NJW 1988, 356, 364.
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
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beit ausgewiesen. Da ihre Urteilsfindung dadurch tendenziell antizipierbar ist, besteht die Gefahr, daß staatliches Kunstrichtertum auf dem Umweg über den staatlich genehmen Sachverständigen eröffnet wird. Wenn die Wahl der Auswählenden die Präjudizierung der zu treffenden Entscheidung mit sich bringen kann, muß der Frage nach der optimalen Selektion künstlerischer Qualität daher im Bereich der "Rekrutierung" der Gremienmitglieder nachgegangen werden 545. Die Gefahr einer Anbindung der Entscheidungstätigkeit an staatlich gesetzte Kunstideale oder gesellschaftliche Kartelle durch eine einseitige Vorauswahl wäre nur durch eine umfassende Berücksichtigung aller verhandenen Kunstbegriffe, Stilbildungen, etc. auszuschließen. Da die praktisch sinnvolle Arbeit der Auswahlgremien aber zu gewährleisten ist, findet die Repräsentanz des künstlerischen Lebensbereichs ihre Grenze in der Zahl der Mitglieder 546. Diese Repräsentanz bleibt mit dem Paradox behaftet, daß regelmäßig künstlerische Positionen nicht - wie etwa politische - programmatisch gebündelt werden können, sondern sich gegenüber ihrer Verallgemeinerungsfähigkeit als sperrig erweisen. Der künstlerische Sachbereichspluralismus stellt die Kulturverwaltung somit vor ein Ermittlungsproblem, das Adorno bündig bezeichnet hat: "Der müßte selber ein Experte sein, der entscheidet, wer Experten sind - ein fataler Zirkel" 547 . Wenn auch die zirkuläre Struktur staatlicher Vorentscheidung nicht durch Repräsentation völlig aufzulösen ist, ist eine willkürfreie Regelung vor allem dann zu erwarten, wenn die Beteiligung der bereichsspezifischen Verbände an verfahrensmäßige Kautelen geknüpft wird, die der Zementierung personaler Strukturen entgegenstehen.
V. Verfahrenssicherungen der Selbstverwaltung
Die Entstaatlichung der Kunstforderungsverwaltung legitimiert sich nur, wenn der Grundsatz beachtet wird, daß jedes Mehr an gesellschaftlicher Partizipation eine Verstärkung verfahrensmäßiger Sicherungen in der Förderungsorganisation verlangt. Mithin schreibt die Relativierung sachverständiger Ent545
Mihatsch, S. 146 ff. Vgl. Mihatsch, S. 147: "Deshalb gilt es, alle im Zusammenhang mit der zu erledigenden Verwaltungsaufgabe potentiell Betroffenen von vornherein repräsentativ im Gremium zu beteiligen." 547 Adorno, Kultur und Verwaltung, S. 120. 546
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Scheidungen und die Kritik der Verfahrensbeteiligten verfahrensrechtliche Prinzipien vor, die der freiheitlichen Zielsetzung der Qualitätsforderung entsprechen und Richtungsmonopole in den Entscheidungsgremien verhindern.
7. Rotationsprinzip
Personellen Verkrustungseffekten wird vorgebeugt, wenn die binnenpluralistische Struktur der Förderungsgremien verstärkt wird. Danach ist für einen flexiblen Wechsel der Gremienmitglieder zu plädieren, der der Kontinuität der Entscheidungsfindungsprozesse nicht zuwiderläuft 548. Da die Sogwirkung gesellschaftlicher Trends den kulturellen Trägerpluralismus nicht als hinreichende Absicherung der künstlerischen Vielfalt in Freiheit erkennen läßt, kommt dem "Rotationsprinzip" eine erhebliche Gewährleistungsfunktion zu, die in vielen Förderungsmodellen bereits berücksichtigt ist. Diesem Gedanken ist über seine Geltung als Verfahrensprinzip hinaus auch das sogenannte "Hamburger Modell" verpflichtet, das den Anspruchstellern für dasselbe Projekt den Zugang zu zwei voneinander unabhängigen Entscheidungsgremien eröffnet 549.
2. Verfahrenstransparenz
Schließlich wird in der verfassungsgemäßen Ausgestaltung der Vergabeverfahren der Transparenz der Entscheidungsfindungsprozesse Bedeutung beigemessen550. Danach sind Öffentlichkeit und Mindestanforderungen an die Begründungspflicht Garanten für faire Verfahren. Dieses Verfahrensprinzip hilft, schädliche Verbandseinflüsse abzuweisen und den Allgemeininteressen zu dienen551. Die Anforderungen an die materielle Transparenz, d.h. die Begründung und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung, sind um so höher anzusetzen, je weniger die Entscheidung von ästhetisch-qualitativen Erwägungen 548 Bär, Filmfreiheit, S. 518 hält den dreijährigen Turnus der maßgeblichen Filmförderungsmodelle für "schon fast als zu lang"; ders., FuR 1983, 641; ferner Schäuble, Kunstförderung, S. 220. 549 Vgl. Bär, Filmfreiheit, S. 517. 550 Vgl. allgemein Achterberg, Verwaltungsrecht, § 18 Rdnr. 35 ff.; Bär, Filmfreiheit, S. 518. 551 Vgl. v. Arnim, S. 303.
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
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geprägt ist. Da sich letztere regelmäßig weitgehend der Mitteilbarkeit entziehen, kommt der Begründungspflicht insoweit nur beschränkte Bedeutung zu 552 . Gleichwohl besitzt die Begründung auch insoweit eine eigenständige Bedeutung, da sie für die Entscheidungsträger selbst einen disziplinierenden Effekt besitzt553. Die formelle Transparenz bezieht sich auf die Form des Öffentlichkeitsbezuges der Förderungsmaßnahmen. Auch wenn die umfassende Öffentlichkeit der Auswahlprozesse regelmäßig mit einer konzentrierten Gremienarbeit nicht vereinbar sein wird, ist zumindest die Veröffentlichung der Entscheidungen nebst Begründungen geeignet, den historisch gewachsenen Graben zwischen den Künstlern und der übrigen Gesellschaft zu verringern 554. Das Prinzip der Transparenz findet jedoch da seine Grenze, wo der "Druck der Straße" auf eine nichtpopulistische Juryarbeit abzuwehren ist.
3. Inkompatibilitätsregelungen
Da die Entzerrung von sachverständiger Wertbildung und sachwidriger Interessennahme eine zweifelhafte Grauzone bleibt, müssen striktere Inkompatibilitätsregelungen entwickelt werden, als sie den meisten vorhandenen Förderungsformen zugrundeliegen. Kunstvermarkter sind nicht an den Entscheidungsfindungsprozessen staatlicher Kunstforderung zu beteiligen. Das Erwerbsinteresse des Galeristen oder Kunsthändlers ist keine Motivation, die Förderungsentscheidungen bestimmen darf. Die Integration dieser Gruppe schwächt die Ausgleichsfünktionen staatlicher Kunstforderung, indem die naheliegende Gefahr geschaffen wird, daß die gefordert werden, deren Marktwertverbesserung angestrebt wird. Der Ausbau von Kunstmarktpositionen im Interesse der Vermarkter ist aber keine Kategorie staatlicher Kunstforderung. 552 Zu der oft fehlenden Bereitschaft der "Auguren" ihr Wissen mitzuteilen und zu popularisieren vgl. König!Silbermann, S. 30 f. 553 Vgl. insoweit § 4 Abs. 9 SächsKRG mit einer schriftlichen Begründungspflicht des kommunalen Kulturkonvents gegenüber den beratenden Sachverständigen im Fall von Differenzen über die Förderungsentscheidung. 554 Bemerkenswert aktuell ist immer noch der Aufruf Hoebers, S. 209 ff., "alle Kunstbetrachtenden" zu Kunstkritikern auszubilden. Hoeber postuliert die Integration von Künstlern, Kritikern und Publikum in eine "Kultursynthese", in der die Kunstkritik nicht mehr abgekoppelt von der kulturellen von der kulturellen Teilöffentlichkeit die Distanz zwischen Künstlern und Publikum unbeachtet läßt. Das bedeutet sowohl Hinfuhrung des Publikums zu einem wenigstens elementaren Verständnis kunstkritischer Arbeit und didaktische Bereitschaft der Kritiker.
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2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
Künstler, die als Juroren mitgewirkt haben, sind von zukünftigen Bewerbungen bei derselben Förderungsinstitution ausgeschlossen. Dementsprechend sind ehemalige Preisträger nicht in die Entscheidungsgremien zu rufen. Die Ausbildung von Selbstbedienungsmechanismen und "Seilschaften" markiert diesen Gefahrenpunkt.
4. Entscheidungsdekomposition
Der Rationalisierung der Entscheidung dient auch ein Verfahrensmodus, nach dem die Entscheidung in verschiedene Entscheidungsanteile zerlegt wird 555 . Zu differenzieren ist nach dem Vorhergesagten zwischen rechtlichen, qualitativ-ästhetischen, aber auch praktisch-technischen Entscheidungsmomenten. Die Entscheidung kann danach in Unterentscheidungen aufgefächert werden, die instanziell und kompetentiell differenziert behandelt werden. Diese Differenzierung ist durch die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung vorgegeben. Als Verfahrensmodus in der Kunstförderung eröffnet diese Differenzierung weitergehende Gestaltungsmöglichkeiten in der Ausbildung sachbereichsspezifischer Strukturen, die das Rationalitätspotential in der Entscheidungsfindung erhöhen.
5. Fallbeispiel verfahrensgerechter
Kunstförderung
Folgendes Fallbeispiel soll die Möglichkeiten einer sachgerechten Entscheidungsfindung veranschaulichen: Die Künstlergruppe "Chaos-Art" will auf einem zentral gelegenen Platz in der kreisfreien X-Stadt für die "Opfer staatlicher Gewalt" ein Mahnmal in Form einer überdimensionierten, naturalistisch gestalteten Guillotine in Form einer technisch komplizierten Stahlbetonkonstruktion mit der eingemeißelten Inschrift "Gegen Staatsterror" errichten. Als Zeitpunkt der Errichtung soll der Besuch eines Regierungsmitglieds aus Nord-Korea gewählt werden. Zugleich soll die Errichtung von einer Versammlung begleitet werden, in der Mitglieder der Gruppe aus Schriften bekannter Anarchisten rezitieren. Ein ortsansässiges 555
Vgl. dazu Hufen, Freiheit der Kunst, S. 550; ders., NVwZ 1983, 516 (522); vgl. ferner Schwarze, AfP 1974, 695 f.
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Steinmetzunternehmen erklärt sich bereit, den Stein zur Verfügung zu stellen, wenn der Firmenname im begleitenden Katalog genannt wird. Die Künstlergruppe begehrt eine Partnerschaftsfinanzierung durch den städtischen Kunstfonds, der Mittel für hervorragende Beispiele zeitgenössischer bildender Kunst vergibt. Die Mehrheit der sachverständigen Mitglieder dieses Gremiums vertritt aufgrund der eingereichten Planskizzen die Auffassung, daß es sich um eine Skulptur von überragender künstlerischer Bedeutung handelt. Welche Organisations- und Verfahrensanforderungen wären an diese Vergabeinstitution zu stellen, um in diesem Fall zu einer zureichenden Bewertung des Vorhabens zu kommen? Offensichtlich entfaltet dieser Fall seine Brisanz nur, wenn die ästhetischqualitative Beurteilung zu dem Ergebnis der Förderungswürdigkeit kommt. Die Beurteilung auf dieser Entscheidungsebene würde verzerrt, wenn städtische Vertreter ihr Stimmmrecht gegen dieses Projekt ausüben würden, weil sie es für unvereinbar mit den Belangen des Staates und der Bürger halten. Wenn diese Bewertung in ästhetische Kategorien übersetzt würde, um den genannten Maßgaben des Förderungsverfahrens zu entsprechen, lägen die Legitimationsdefizite dieses Verfahrens auf der Hand. Ohne eine Entscheidungsdekomposition wäre darüber hinaus die Gefahr sachfremder Entscheidungsbildung der beteiligten Experten naheliegend, die die Entscheidungsverantwortung aus anderen als ästhetisch-qualitativen Gründen nicht tragen wollen. Danach wäre auf einer ersten Ebene allein die kunstkritische Bewertung zu treffen, die unabhängig von praktischen und rechtlichen Problemen ergeht. Auf einer zweiten Ebene des Förderungsverfahrens wäre die rechtliche Differenzierung des Vorgangs zu gewährleisten. Die Besonderheit des Falles liegt hier darin, daß der Antrag nicht allein "verfahrensintern" durch städtische Vertreter in den Gremien, etwa Mitglieder des Kulturausschusses, rechtlich bewertet werden kann, sondern zugleich in die Zuständigkeitsbereiche mehrerer Behörden fallt. Die Beurteilung der Zulässigkeit der Versammlung obliegt dem Polizeipräsidenten. Soweit die Skulptur über diesen Zeitraum hinaus ihren Standort auf dem gewählten Platz behalten soll, ist die Kompetenz des Oberstadtdirektors berührt, der die Frage zu entscheiden hat, inwieweit hier die Grenzen des Gemeingebrauchs verlassen sind und ob eine Sondernutzungsgenehmigung zu erteilen ist. Die permanente Installation der Skulptur im städtischen Bereich würde weiterhin den Stadtrat bzw. die Kulturverwaltung zur Ausübung des kulturpolitischen bzw. rechtlichen Gestaltungsermessen veranlassen, ob diesem Vorschlag zur künstlerischen Ausgestaltung der Stadt entsprochen werden soll. Eine Beteiligung der Bürger bei der Fragestellung, ob die Kommune im Innenstadtbereich auf Dauer dieses Kunstwerk präsentieren soll, wäre kulturstaatlich geboten. Dabei sollte nach dem Grundsatz verfahren werden, daß, je unmittelbarer ein Kunstwerk seine Wirkung im öffentlichen Raum entfaltet, um so umfassender die Partizipation 16 Palm
242
2. Teil: Kunstförderung als Teil der Kulturverfassung
des Publikums zu berücksichtigen ist, um nicht "über die Köpfe" der Betroffenen hinweg zu entscheiden. Die im Bauplanungsrecht vorgesehende Anhörung der Anlieger sollte sich auch im Rahmen der "Kunst im öffentlichen Raum" durchsetzen. Die Letztentscheidung über den Förderungsantrag kann danach nur ergehen, wenn die genannten Verwaltungsorgane bzw. der Stadtrat positive Einzelentscheidungen getroffen haben. Den gremieninternen Behördenvertretern können bei diesem "polygonalen" Vorgang nur Beratungs-, Kontroll-, und Vermittlungsfunktionen zukommen. Ein effizienter Kooperationsmodus bestände darin, die Antragsteller auf die Anmeldungspflicht der Versammlung, auf potentielle Gefahren für Leib und Leben, die für andere Grundrechtsträger von der Skulptur ausgehen könnten, oder auf die potentielle Verletzung überragender staatlicher Belange durch das Kunstwerk, die der Kunstfreiheit gleichwertig sind, hinzuweisen. Gleichzeitig könnten auch Vermittlungsvorschläge praktischer Konkordanz erarbeitet werden, um einen schonenden Rechtsgüterausgleich zu gewährleisten. Eine weiterer Bereich rechtlicher Beurteilung besteht in der Überprüfung, ob der Antrag den Förderungsrichtlinien entspricht. Im vorliegenden Fall wäre zu untersuchen, inwieweit die Voraussetzungen einer Partnerschaftsfinanzierung erfüllt sind. Wenn etwa ein Zuschuß in Höhe von 50 % der Gesamtsumme von der Förderorganisation gewährt wird, müßte der "Naturalbeitrag" des Sponsors unter Umständen unter Berücksichtigung der Arbeitsleistung der Künstler einen identischen Wert im Vergleich mit der staatlichen Leistung besitzen. Ferner ist auch die Verbindlichkeit der Zusage des Unternehmens zu prüfen. Die klageweise Geltendmachung von Kondiktionsansprüchen wird dadurch vermieden. Auf einer letzten Ebene sind schließlich praktische Fragen angesiedelt, die nicht bereits implizit auf einer der vorhergehenden Ebenen zu lösen waren. Sofern die Modalitäten des künstlerischen Projekts nicht integrale Bestandteile des Kunstwerks selbst sind oder im Förderungsantrag nicht festgelegt wurden, können Fragen nach der Größe des Kunstwerks, seinem Standpunkt, der Integration in öffentliche Kunstinstitutionen, den Zugangsmöglichkeiten, aber auch nach der Realisierbarkeit des Kunstwerks zu beantworten sein. Im vorliegenden Beispiel ist ein Teil dieser Probleme durch den Förderungsantrag verbindlich entschieden. Größe oder Standort des Kunstwerks sind Teil des künstlerischen Prozesses selbst. Die Zulässigkeit des Vorhabens ist insofern ein vorgelagerter Gegenstand der rechtlichen Bewertung. Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, ob die projektierte Skulptur technisch realisierbar ist. Nicht nur die Craquelés auf den Werken alter Meister oder die Feingliedrigkeit von Fettplastiken, die bereits Gegenstand gerichtlicher Verfahren war, werfen Materialprobleme auf, die mit der Expansion der modernen Kunst eher wachsen. Danach hängt eine positive Förderungsentscheidung
H. Organisation und Verfahren staatlicher Kunstfrderung
243
davon ab, daß im Zweifelsfall technische Gutachter zu der Auffassung gelangen, ob etwa die Statik oder Materialbeschaffenheit eine Ausführung des Kunstwerks erlauben. Wenn danach eine ablehnende Entscheidung differenziert begründet werden könnte, wäre der Förderungsausschluß auch für die betroffenen Künstler nachvollziehbarer und keine weitere Belastung des Spannungsverhältnisses von Kunst und Staat.
Dritter Teil
Prozessuale Probleme der Kunstforderung A. Rechtsnatur der Maßnahmen L Problemstellung
Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet der Kunstförderung eröffnen den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht bereits deshalb, weil die umstrittene Maßnahme in Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe ergeht1. Öffentlich-rechtliche Normen existieren für einen Randbereich der Kunstforderung aufgrund des Filmförderungsgesetzes. Förderentscheidungen auf der Grundlage des FFG sind danach Verwaltungsakte, die mit Anfechtungs- und Verpflichtungsklage 2 angegriffen werden können. Fraglich ist dagegen, wie solche Fälle zu beurteilen sind, in denen öffentlich-rechtliche Normen fehlen.
I L Rechtsprechungsfibersicht
Soweit öffentlich-rechtliche Normen fehlen, sind Künstler, die gegenüber qualitativen Auswahlentscheidungen Rechtsschutz suchen, auch auf den Privatrechtsweg verwiesen worden. In dem Fall, den der Verwaltungsgerichtshof Mannheim zu entscheiden hatte, wurde einem Künstlerehepaar die Teilnahme an einer öffentlich geforderten Kunstausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden aufgrund einer Auswahlentscheidung versagt3. Das Gericht lehnte den Verwaltungsrechtsweg mit der Begründung ab, der Staat handele gegenüber dem Künstler als Privatmann. Es bestehe kein Unterschied zu ei-
1
OVG Lüneburg, NJW 1983, 1218; grundsätzlich Kopp, VwGO, § 40 Rdnr. 13 m.w.N. 2 Vgl. etwa VG Berlin, FuR 1982, 332 ("Der Kandidat"); VG Berlin, DVB1 1974, 375 (Spielfilm ". . . "). 3 VGH Baden-Württemberg, DVB1 1976, 951.
A. Rechtsnatur der Maßnahmen
245
nem privaten Vertragspartner, z.B. einem Kunstverein, mit dem eine Einigung in privatrechtlichen Formen angestrebt wird, da der Staat dem Bewerber nicht als Träger hoheitlicher Gewalt entgegentrete. Im übrigen fehle es an einer Subvention oder an einem vergleichbaren Tatbestand, an den das öffentliche Recht Rechtsfolgen knüpfe. In dem vom Bundesverwaltungsgericht zu entscheidenden Fall wurde eine zugesagte Ausstellungsteilnahme zurückgenommen und ein Katalogbeitrag des Künstlers verwehrt 4. Der zugrundeliegende Vertrag zwischen dem Bezirksamt und dem Künstler war nach Auffassung des Gerichts privatrechtlicher Natur. Öffentlich-rechtlich sei der Vertrag deshalb nicht zu qualifizieren, weil es mit Ausnahme einer Zuständigkeitsregelung an einer einschlägigen öffentlich-rechtlichen Regelung fehle. In der Differenzierung des öffentlichen Vertragszwecks und der privatrechtlichen Mittel zu seiner Verwirklichung kam das Gericht zu den auch im erstgenannten Fall erzielten Ergebnissen. Privatrechtlich sind auch die im Rahmen der Breitenforderung ergehende Gestaltung der Eintrittspreise der Bayerischen Staatsoper5 sowie die Abonnementvergabe für die Philharmonischen Konzerte in der Berliner Philharmonie eingeordnet worden6. Dagegen wurde eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich klassifiziert, in der der Antrag einer Theateibesucherorganisation auf Gewährung von Vergünstigungen für Theaterbesucher abgelehnt wurde7. Im übrigen sind soweit ersichtlich Fördermaßnahmen wie die Prädikatserteilung der Filmbewertungsstelle Wiesbaden8, die Mittelverteilung an Bühnen9, die Aufnahme von Künstlern in Baueignungslisten10, die Gewährung einer Subvention für eine Musikschule11 und die Änderung des Gesellschaftsvertrages der documenta dahingehend, daß über den Zugang von Künstlerin zur documenta in einem demokratischen und pluralistischen Auswahlsystem entschieden werden soll12 als öffentlich-rechtliche Streitigkeiten eingeordnet worden.
4
BVerwG, MDR 1976, 874 ("Das goldene Ei"). BayVGH, VerwRspr 23, 17. 6 OVG Berlin, UFITA Bd. 52, 313 ff. 7 OVG Berlin, DÖV 1966, 716. 8 BVerwG, DVB1 1966, 571; HessVGH, DÖV 1986, 661; VG Wiesbaden, NJW 1988, 357. 9 BVerwG, NJW 1980, 718; OVG Lüneburg, NJW 1984, 1138 ("Kabarettbühne"). 10 OVG Lüneburg, NJW 1983,1218. 11 OVG Lüneburg, NJW 1977, 773 ("Musikschule"). 12 VG Kassel, NJW 1997, 1177. 5
246
3. Teil: Prozessuale Probleme I I I . Differenzierungskriterien
Schwarze hat zu Recht ausgeführt, daß aus dem Fehlen öffentlichrechtlicher Normen kein Schluß auf die Rechtsnatur der fraglichen Rechtsstreitigkeit möglich ist 13 . Wo spezialgesetzliche Anknüpfungspunkte für die Einordnung fehlen, müssen andere Kriterien gefunden werden.
7. Öffentlich-rechtliche
Zuständigkeitsnormen
In Ergänzung der Sonderrechtstheorie sprechen öffentlich-rechtliche Zuständigkeitsnormen für öffentlich-rechtliches Handeln. Soweit daher Maßnahmen ländergesetzliche Zuständigkeiten der Kunstförderung ausfüllen, spricht eine Vermutung dafür, daß Rechtsstreitigkeiten von den Verwaltungsgerichten zu entscheiden sind14.
2. Verfahrensgedanke
Knüpft eine Rechtsstreitigkeit an die besonderen Verfahrensbedingungen pluralistscher Sachverständigengremien an, handelt es sich um einen Verfahrensmodus, der - wie bei Prüfungsentscheidungen oder Entscheidungen nach dem GjS - nicht die typische Zwei-Parteien-Konstellation zivilrechtlicher Streitigkeiten aufweist. Als gesellschaftlich geprägte, komplexe Verfahren setzen sie einen sensiblen Umgang der Gerichte mit der bedingten Kontrolldichte gegenüber gesellschaftlich (mit)verantworteten Entscheidungen voraus. Der Erfahrungsvorsprung der Verwaltungsgerichte weist diesen Gerichten eine spezifische Funktion bei der Überprüfung pluralistischer Verfahrensstrukturen zu.
13 14
Schwarze, JuS 1978, 94, 96. Vgl. Schwarze, JuS 1978, 94, 96.
A. Rechtsnatur der Maßnahmen
247
3. Schutzgedanke
Die Auffassung des VGH Mannheim, daß die Kunstfreiheit einen angemesseneren Schutz durch den Einsatz privatrechtlicher Formen erfahrt 15, berührt eine zentrale Fragestellung. Welche Handlungsform der Leistungsverwaltung gewährleistet den Schutz der künstlerischen Freiheit, des künstlerischen Wettbewerbs und des Gleichheitsgrundsatzes in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise? Soweit Förderungsmaßnahmen der gewährenden Verwaltung als grundrechtsneutral angesehen worden sind, ist der Verwaltung die Freiheit der Formenwahl einzuräumen. Unabhängig vom zugrundeliegenden Grundrechtsverständnis ist nicht jede Versagung derartiger Staatsleistungen geeignet, Freiheitsrechte aus Art. 5 Abs. 3 S. 1, Art. 12 GG oder den Gleichheitsgrundsatz zu berühren. Die Nichtgewährung eines Kunstpreises, einer Ehrung oder einmaligen Mittelzuwendung stellt regelmäßig keinen Grundrechtseingriff dar. Allein in Fällen existenzieller Betroffenheit künstlerischer Unternehmungen werden Ausnahmen zu begründen sein. Dagegen sind nach der hier dargelegen Auffassung Maßnahmen der Leistungsverwaltung mit struktureller Bedeutung und längerfristigem Charakter, insbesondere auf dem Gebiet der Subventionsvergabe, grundrechtsrelevant. Die Grundrechtsrelevanz beinhaltet aber keine Antwort auf die staatliche Bindung an eine Handlungsform. Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte die Verwaltung. Nicht der Inhalt der Maßnahme, sondern der Umstand, daß der Handlungsträger Staat eine Maßnahme verantwortet, ist ausschlaggebend für die Grundrechtsbindung 16. Danach ist der Staat als Beteiligter im Privatrechtsverkehr auch durch das öffentliche Recht gebunden17. Dieses Verständnis wird auch durch die ratio des Privatrechts belegt. Die vorausgesetzte Gleichordnung der am Privatrechtsverkehr Beteiligten ist unabhängig von der wirtschaftlichen Macht des Staates nicht gewährleistet. Ein vom Staat verschiedener Fiskus ist daneben nicht vorhanden. Aufgrund der rechtlichen Position des Staates ist ihm daher keine von (grund)rechtlichen Bindungen unabhängige Vertragsfreiheit einzuräumen. Eine Differenzierung des Verwaltungshandelns in verwaltungsprivatrechtliche und rein privatrechtliche Formen ist nicht nachvollziehbar. Die mit apo15
VGH Baden-Württemberg, DVB1 1976, 951. Gusy, DÖV 1984, 872 (879). 17 Ausführlich Gusy, DÖV 1984, 879. Grundsätzlich zu den Organisationsmotiven der Privatrechtswahl der Verwaltung Ossenbühl, DÖV 1971, 513 ff. (519). 16
248
3. Teil: Prozessuale Probleme
retischen Abgrenzungsfragen belastete Lehre vom Verwaltungsprivatrecht 18 ist daher abzulehnen. Da somit die Bindungen des öffentlichen Rechts in umfassender Weise gewährleistet sind, besteht die Gefahr der "Flucht des Staates in das Privatrecht" nicht. Andererseits ist auch nicht ersichtlich, daß der Staat in der Wahl privatrechtlicher Formen eine umfassendere Freiheitsgarantie für den Lebensreich Kunst schafft. Die Gefahr staatlichen Kunstrichtertums bzw. des Anspruchs auf Förderungsleistungen ist danach unabhängig von der jeweiligen Handlungsform der Verwaltung zu beurteilen19.
4. Vertragsinhalt
und-zweck
Statt dessen ist bei Verträgen, die die Verwaltung mit Künstlern schließt, auf den Inhalt und Zweck des Vertrages abzustellen. Da es ein öffentliches Kauf-, Miet-, Werk-, und Dienstvertragsrecht nicht gibt 20 , ist es zweckmäßig, die allgemeinen Regelungen des Zivilrechts dem entsprechenden staatlichen Handeln zugrundezulegen. Die Zuweisung typisch zivilrechtlich geprägter Fallkonstellationen an die Verwaltungsgerichte wäre kompetenziell und sachlich wenig sinnvoll. Zudem bestünde die Gefahr erheblicher Rechtunsicherheit, wenn typische Zivilrechtskonstellationen in der Verwaltungsrechtsprechung in öffentliches Recht transformiert und anders judiziert würden, ohne daß dafür eine sachliche oder praktische Notwendigkeit ersichtlich wäre. Eine andere Lösung ergibt sich für die Fälle, in denen keine privatrechtlichen Regelungstypen zur Verfügung stehen. Hier erfolgt die Zuordnung zum öffentlichen Recht, wenn der Vertrag unmittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient21 und typische Staat-Bürger-Beziehungen betrifft. Dafür spricht auch das Kompetenzargument. Fördermaßnahmen stehen im Spannungsfeld gesellschaftlicher Interessen. Die Grauzone behördlicher Tätigkeit zwischen sachlichen Erwägungen und der Gefahr sachfremder Erwägungen ist angemessener von den Verwaltungsgerichten auszuleuchten. Die besondere Kompetenz, "polygonale" Beziehungen zwischen Künstlern, Verbänden, Publikum und der Verwaltung zu beurteilen, weist diesen Gerichten 18
Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, § 23 II 2 b. So jetzt auch VG Kassel, NJW 1997, 1177 ff.; KadeIbach, 1114 ff. (1116). 20 Gusy, DÖV 1984, 880. 21 Vgl. dazu bereichsspezifisch Schwarze, JuS 1978, 97. 19
NJW 1997,
A. Rechtsnatur der Maßnahmen
249
eine natürliche Funktion in der Auseinandersetzung mit den genannten Sachverhalten zu. Eine für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand zentrale Gestaltungsform ist das Subventionschuldverhältnis. Hier existieren keine adäquaten bürgerlich-rechtlichen Regelungsformen 22. Da Subventionen auch durch Verwaltungsakt gewährt werden können, sind diese Rechtsverhältnisse dem öffentlichen Recht zuzuordnen.
IV. Beispielfalle
Zur Verdeutlichung des Arbeitsergebnisses sollen die nachstehend aufgeführten Fälle daraufhin untersucht werden, ob sie in Erfüllung des staatlichen Kunstforderungsauftrages ergehen und welcher Rechtsweg dafür einschlägig ist: Fall 1: Das städtische Kunstmusum vereinbart mit dem Maler A, daß er zur Erweiterung der Sammlung regionaler Kunst einige typische Bilder aus seiner letztjährigen Produktionsphase zur Verfügung stellt. Der Museumsleiter kommt zu der Auffassung, daß die von A ausgewählten Arbeiten dem Sammlungszweck nicht dienlich sind. Fall 2: Künstler B schließt mit der Stadt einen Vertrag, das Stadtsiegel zu entwerfen. Dabei hält er sich bei der Gestaltung des Siegels nicht an die Vorgabe der Stadt, das Wappentier der Stadt zu berücksichtigen. Gegenüber der Nichtabnahme seines Entwurfs beruft er sich auf seine künstlerische Freiheit. Fall 3: Der Referatsleiter für Materialbeschaffüng des Bezirksamtes erwirbt für den Fonds "Raumschmuck" einige Skulputuren bei dem mit ihm befreundeten Galeristen C. Galerist D ist der Auffassung, daß diese "Vetternwirtschaft" rechtswidrig sei und auch sein Angebot zu berücksichtigen gewesen wäre. Fall 4: Nachdem ein vom Kulturausschuß der Stadt X eingesetztes Sachverständigengremium einige Atelierbesuche durchgeführt hat, beschließt der Stadtrat auf dessen Empfehlung, den Künstler E mit der Erstellung einer Plastik für den städtischen Skulpturenboulevard zu beauftragen. Künstler F ist der Ansicht, seine Arbeit sei forderungswürdiger.
22
Gusy, DÖV 1984, 880.
250
3. Teil: Prozessuale Probleme
Auch wenn im Fall 1 die Zwecksetzung verfolgt wird, den laufenden Ausstellungsbetrieb einer öffentlichen Sammlung zu gewährleisten, kann der Ankauf nicht als fiskalischer Vorgang im klassischen Sinne gedeutet werden. Soweit der Bildererwerb als Beschaffimg notwendiger Hilfsmittel betrachtet wird, um der Vermittlungsaufgabe des Museums hinreichend Rechnung zu tragen, liegt hier zugleich eine individuelle Förderungsmaßnahme vor. Die Ankaufentscheidung ist unabhängig von der Frage, ob sie vom Museumsleiter oder einem unabhängigen Sachverständigengremium getroffen worden ist, Teil staatlicher Kunstforderung. Die Rechtswegzuweisung ist vom Inhalt und Zweck des Vertrags her zu beurteilen . Danach liegt hier ein Kaufvertrag vor. Zentral für die Entscheidung dieses Falles ist die Prüfung, ob die von A erbrachte Leistung der geschuldeten entspricht oder ob es sich um einen Fall der Schlechtleistung bzw. Leistung eines aliuds handelt. Sachgerecht ist es, diese typisch bürgerlichrechtliche Frage dem Zivilgericht zuzuweisen. Fall 2 ist dagegen anders zu beurteilen. Zwar soll auch hier die Leistung eines Künstlers honoriert werden. Mit dem Auftrag werden aber keine unmittelbar individual- oder vermittlungsfordernden Zwecke verfolgt. Die künstlerische Leistung wird vielmehr dem kunstneutralen Verwaltungszweck untergeordnet. Als Richtschnur solcher Fälle, die durchaus fließende Grenzen besitzen, gilt, daß diese Aufgabe auch von einem Handwerksbetrieb übernommen werden könnte. Dem entspricht, daß die künstlerische Leistung nicht als solche, z. B. durch eine Signatur, herausgestellt wird. Die finanzielle Gegenleistung und ein etwaiger Publizitätseffekt sind nur als mittelbare "Förderungsreflexe 11 zu bewerten. Das es sich im übrigen um einen typischen Werkvertrag handelt, ist B auf den Privatrechtsweg zu verweisen. Die Entscheidung von Fall 3 kann zunächst nicht davon abhängen, daß der Ankauf von Kunst im Rahmen eines Referats zur Materialbeschaffimg erfolgt. Die verwaltungsinterne Beurteilung dieses Vorgangs ändert nichts an der Zwecksetzung, gerade Kunstwerke für öffentliche Gebäude und Arbeitsräume der Verwaltung zur Verfügung zu stellen. Dieser Auftrag wäre nicht gegenüber dem Auftrag, Möbel oder Pflanzen zu kaufen, austauschbar. Die durch diese Förderungsentscheidung ausgelöste Konkurrentenproblematik wirft die spezifische öffentliche Frage nach der Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes auf. Die Kontrolle der Gefahr staatlichen Kunstrichtertums oder sachwidriger Erwägungen der Verwaltung in "polygonalen" Verhältnissen ist angemessener von den Verwaltungsgerichten zu entscheiden. Wenn hier der Gleichheitsgrundsatz verletzt worden wäre, hätte Galerist D mit einer Konkurrentenklage in Form der Leistungsklage Erfolg.
B. Gerichtliche Kontrolle
251
Fall 4 ist ein Beispiel öffentlicher Aufiragsvergabe. Ob die Vergabe öffentlicher Aufträge Verwaltungsaktqualität besitzt, ist umstritten. Während das eine Auffassung weitgehend bejaht23, soll das nach anderer Ansicht nur für den Fall der Auftragsvergabe kraft Rechtsnorm gelten24. Nach der letzteren Meinung ist die Entscheidung über die Förderung hoheitlich einzuordnen, während die Vergabe ein fiskalischer Akt ist. Regelmäßig ist aber nach dieser insbesondere vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen Auffassung die Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Hand an private Unternehmen dem Privatrecht zuzurechnen. Diese vom Bild des Wirtschaftsunternehmens geprägte Dogmatik ist aber zur Übertragung auf den vorliegenden Lebensbereich ungeeignet. Staatliches Kunstrichtertum bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Künstler wird wie im vorliegenden Fall insbesondere dann vermieden, wenn die verfahrensmäßigen Sicherungen einer freiheitlich-pluralistischen Entscheidungsfindung gewahrt werden. Die Überprüfung dieser sensiblen Verfahrensstrukturen ist allein den Verwaltungsgerichten vorzubehalten.
B. Gerichtliche Kontrolle qualitativer Auswahlentscheidungen
Im Zentrum einer kulturstaatlichen Konzeption der Kunstförderung stellt sich für die gerichtliche Kontrolle der Kulturverwaltung die Frage nach der Überprüfbarkeit qualitativer Bewertungsentscheidungen. Im Spannnungsfeld der durch das Gewaltenteilungsprinzip bestimmten Funktionsräume der Exekutive und umfassendem Rechtschutz ist die verfassungsgemäße Sicherung des künstlerischen Freiheitsraumes durch die Gerichte zu ermitteln.
23 Kopp, VWGO, § 40 Rdnr. 20 m.w.N.; vgl. die Übersicht zur neueren Diskussion im Wirtschaftsrecht Gusy, DÖV 1984, 873. 24 BVerwG, DVB1 1971, 111 m.w.N. mit kritischer Anmerkung von Bettermann; BVerwGE 34, 213; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 40 Rdnr. 46.
252
3. Teil: Prozessuale Probleme I. Rechtsprechungsübersicht 7. Ältere Judikatur
Die Frage, ob und inwieweit die durch besonderen Sachverstand erzielten Verwaltungsentscheidungen durch den Betroffenen gerichtlich überprüfbar sind, ist zunächst dem Prinzip gefolgt, daß die besondere Verfahrensausgestaltung den Gerichtsschutz des Bürgers nicht einschränken darf 25. Dieser a limine plausible Grundsatz umfassender Überprüfung staatlicher Maßnahmen schien der adäquate Garant künstlerischer Freiheit in den durch gesellschaftliche Kräfte entscheidend mitgestalteten Verwaltungsverfahren zu sein. Eine Beschränkung derrichterlichen Kontrollbefugnis, wie sie im Prüfungsrecht für den Ermessensbereich besteht26, hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Filmbewertungsstelle Wiesbaden vom 28. Januar 1966 abgelehnt27. Der Richter könne Prüfüngssituationen in ihrer Einmaligkeit und Gesamtheit nicht wiederholen. Bei der Filmbewertung bestünde diese Hindernis nicht, da sich der Richter selbst oder mit Hilfe eines Sachverständigen ein Bild von der Qualität eines Films machen könne. Eine entsprechende Auffassung wurde auch für den Fall der Aufnahme eines Künstlers in eine sogenannte Baueignungsliste vertreten 28. Danach erstellt eine vom Land bestimmte Jury eine Liste, die eine endgültige Vorentscheidung darüber beinhaltet, welche Arbeiten bestimmter Künstler für diejenigen Fälle förderungswürdig sein sollen, in denen Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften öffentliche Bauwerke künstlerisch ausgestalten wollen. In der Entscheidung des OVG Lüneburg vom 09. Februar 1972 steht die Auffassung des Gerichts über die Eignung eines Künstler zur Aufnahme in die Liste den Feststellungen des Auswahlgremiums entgegen, um dem Verpflichtungsantrag des Klägers stattzugeben29. Um dem Vorwurf unzulänglicher und kunstrichterlicher Bewertung zu entgehen, hält es diese Rechtsprechung im Regelfall für geboten, den gemäß §§ 98, 96 VwGO in Verbindung mit § 404 25
BVerwGE 28, 223 (225) ("Wilde Rose Caroline Cherie"); BVerwGE 23, 194 (201) ("Pamir") (= NJW 1966, 1286, 1574 L); BVerwGE 23, 112) ("Ein sonderlicher Haufen"), OVGE Lüneburg 28, 378 (384 f.) ("Baueignungsliste I"); vgl. auch die Zusammenfassung der Rechtsprechung bei Schulz, SchlHA 1984, 140 ff; zum Begriff der Denkmalswürdigkeit vgl. BVerwG, DÖV 1966, 722. 26 BVerwGE 8, 272. 27 BVerwGE 23, 194 (200). 28 OVG Lüneburg 28, 378 (384 ff.). 29 OVG Lüneburg 28, 378 (384 ff.).
B. Gerichtliche Kontrolle
253
Abs. 1 ZPO frei ausgewählten Sachverständigen als Beratungshilfe einzusetzen, ohne dadurch aber einer besonderen Bindung zu unterliegen30.
2. Neue Rechtsprechung und Literatur
Gegen diese älteren Auffassungen steht die neuere Judikatur und Literatur, die in durch Sachverstand und Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen geprägten Verfahren die gerichtliche Nachprüfungskompetenz auf den Teil der Entscheidung zurückgenommen hat, die nicht durch diese Momente geprägt ist 31 . Die Annahme einer "Entscheidungsprärogative" der Vewaltung führt danach dazu, daß die Einhaltung eines ordnungsgemäßen Verfahrens (Besetzung der Gremien, etc.), die zutreffende Ermittlung des Sachverhalts, die Beachtung der Bewertungsgrundsätze, die der Entscheidung zugrundezulegen sind, Erwägungen sachfremder Natur und Gleichheitsverstöße gerichtlich überprüfbar sind. Nach dieser auch kritisch aufgenommenen Dogmatik ist die Vorstellung, daß es im Fall der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs mit Beurteilungsspielraum nur eine richtige Entscheidung geben könne, verlassen worden32. Vielmehr gebe es eine "Bandbreite der Entscheidungsmöglichkeiten"33, die rechtlich in gleicher Weise vertretbar sind. Mit dieser Auffassung verbindet sich somit eine Einschränkung der richterlichen Kontrollfunktionen. In seiner beachtlichen Entscheidung vom 25. September 1986 hat sich das Verwaltungsgericht Wiesbaden hinsichtlich der Erteilung eines Prädikats durch die Filmbewertungsstelle ausführlich mit der vorgestellten Dogmatik zum unbestimmten Rechtsbegriflf mit Beurteilungsspielraum auseinandergesetzt34. Nach Auffassung des Gerichts kann aus der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe keine Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle gefolgert wer30
BVerwG 28, 223 (225); OVG Lüneburg 28, 378 (384 ff.). BVerwG, NJW 1987, 1429 ("Der stählerne Traum"); grundlegend BVerwG 39, 197 (204) = NJW 1972, 596, 1587 L = DVB1 1972, 388 ("Stern"); OVG Berlin, NJW 1988, 365 ("Kamikaze 1989"); VGH Kassel, NJW 1987, 1436 = DÖV 1986, 661; OVG NRW, FuR 1984, 170; OVG Lüneburg, NJW 1983, 1218 (1219) ("Baueignungsliste II"); VG Berlin, DVB1 1974, 375 und 378 ("Die Jungfrauen von B"); ferner zu § 4 ArchitG Bad-Württ. vgl. BVerwG 59, 213 ("Architektenliste"); Graul, Künstlerische Urteile, S. 120; Schreyer, S. 162 ff. 32 Zur Kritik der Lehre vom Beurteilungsspielraum vgl. Schreyer, S. 153 ff. m.w.N.; Wagenitz, DVB1 1972, 392 Urteilsanmerkung. 33 Redeker., DÖV 1971, 757 (762). 34 VG Wiesbaden, NJW 1988, 356 ("Kein Reihenhaus für Robin Hood"). 31
254
3. Teil: Prozessuale Probleme
den. Da gerichtliche Kontrolle die Befugnis und Verpflichtung zur eigenen Beurteilung voraussetze, könne das Gericht nicht an die Beurteilung der Vorinstanz gebunden sein. Grundsätzlich sei die Verlagerung gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielräume unzulässig, da die von der Verfassung den Verwaltungsgerichten übertragenen Letzterkenntsbefugnisse und Letztentscheidungsbefugnisse auf die Verwaltung zurückübertragen würden. Ein solcher Beurteilungsspielraum werde nicht dadurch begründet, daß Bewertungen von fachkundigen und weisungsabhängigen Gremien in einem "justizähnlichen Verfahren" getroffen werden. Die Kunstfreiheitsgarantie sei ein "materieller Rechtsfertigungsgrund", der es ausnahmsweise erlaube, neben der Erkenntnis- und Entscheidungsbefugnis auch die Letzterkenntnis- und Letztentscheidungsbefugnis auf die Gremien der Filmbewertungsstelle zu verlagern.
II. Beurteilungsspielraum als Grenze richterlicher Kontrollfunktionen
Die mit der Lehre vom Beurteilungsspielraum verbundene Kompetenzverteilung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit ist daraufhin zu untersuchen, ob sie mit dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und mit Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG vereinbar ist.
7. Rechtsstaatsprinzip
Soweit der Verwaltung unbestimmte Rechtsbegriffe für ihr Handeln vorgeben sind, steht ihr nicht die Ausübung eines Wahlrechts zu, sondern sie hat die Norm in gerichtlich überprüfbarer Weise anzuwenden. Die Gerichte besitzen mithin eine Letzterkenntnis und -entscheidungsbefügnis, die im Fall des Beurteilungsspielraums partiell wieder an die Verwaltung zurückgegeben wird 35 . Für die vorliegende Untersuchung kann die Problematik der Lehre vom Beurteilungsspielraum nicht bereits deshalb vernachlässigt werden, weil künstlerische Auswahlentscheidungen zumeist im Bereich der gesetzlich nicht gebundenen Verwaltung ergehen. Nach der hier vertretenen Ansicht vom Vorbehalt des Gesetzes würde bei der Schaffung gesetzlicher Grundlagen die Förderentscheidung der Verwaltung von unbestimmten Rechtsbegriffen wie 35
VG Wiesbaden, NJW 1988, 356.
B. Gerichtliche Kontrolle
255
der Förderungswürdigkeit, der Qualität des Kunstwerks, der künstlerischen Bedeutung oder ähnlichen Kategorien abhängig zu machen sein. Soweit die Exekutive im Erlaßwege - wie etwa bei der Führung von Baueignungslisten ihrer Tätigkeit unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum vorgibt, ist sie an deren richtige Anwendung gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG verneint, weil das Rechtsstaatsprinzip die Abwehr von Rechtsverletzungen beinhalte36. Seien jedoch mehrere rechtmäßige Entscheidungen möglich, sei nicht das Gericht letztverantwortlich zur Auswahl berufen. Darin wurde ein Zirkelschluß gesehen, weil zu untersuchen gewesen wäre, ob es aufgrund der in Art. 19 Abs. 4 GG festgelegten Letzterkenntnisbefügnis des Gerichts überhaupt mehrere rechtmäßige Entscheidungen geben könne"37. Die Kritik greift aber letztlich nicht. Die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der vorliegenden Art ist nicht werturteilsfrei. Selbst wenn dem Gericht eine Letztentscheidungsbefügnis unter Beteiligung von Sachverständigen eingeräumt würde, ist unschwer zu erwarten, daß je nach Beteiligten unterschiedliche Entscheidungen gefallt werden. Dem kann nicht mit dem Hinweis begegnet werden, daß auch Entscheidungen, die weniger von den Besonderheiten des zugrundeliegenden Lebenssachverhalts geprägt sind, unterschiedlich ausfallen können. Auch wenn die Förderentscheidung eine juristische Entscheidung ist, entzieht sie sich insoweit der Rechtskontrolle als die dahinterstehende Lebenswirklichkeit keine verbindlichen außeijuristischen Entscheidungsmaßstäbe bereithält. Die außeijuristisch geprägten Entscheidungsanteile, die dem Paradigma der "Richtigkeit" nicht folgen, können aber nicht um den Preis des Verlustes der Sachgerechtigkeit in der Entscheidungsfindung aufgegeben werden. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß anderenfalls die genannten Vorteile pluralistisch strukturierter Verfahren in der gerichtlichen Verfahrensordnung wieder aufgelöst würden38.
2. Kunstfreiheit
Ein Beurteilungsspielraum im Bereich qualitativer Auswahlentscheidungen der Kunstförderung ist nur zulässig, wenn er mit der grundrechtlich geschützten Position der Kunst und der Künstler vereinbar ist. Der Künstler hat 36 37 38
BVerwGE 39, 197 (205); vgl. auch VG Berlin, DVB1 1974, 375 (377). VG Wiesbaden, NJW 1988, 361. Schreyer, S. 164.
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3. Teil: Prozessuale Probleme
als Grundrechtsträger einen Anspruch darauf, daß der auch im Rahmen der Leistungsverwaltung verfassungsrechtlich gewährte Schutz nicht gerichtlicher Kontrolle entzogen ist. Die Reichweite dieses Schutzes kann aber andererseits nicht über das verfassungsrechtlich verankerte Gewaltenteilungsprinzip und die daraus resultierenden unterschiedlichen Funktionsräume von Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit hinausgehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind daher Beurteilungsermächtigungen im Schutzbereich von Grundrechten nicht ausgeschlossen. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG steht letztverbindlichen verwaltungsrechtlichen Entscheidungen nicht entgegen, soweit sie auf den Einsatz sachverständiger, weisungsunabhängiger Gremien zurückzuführen sind und den äußeren Bedingungen einer ordnungsgemäßen Urteilsbildung entsprechen. Die Einräumung eines Beurteilungsspielraums der Verwaltung dient ja gerade dem Schutz der künstlerischen Freiheit. Um auch im Fall der Rechtskontrolle der gewährenden Verwaltung staatliches Kunstrichtertums durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu verhindern, schafft der Beurteilungsspielraum, der von sachverständigen und gesellschaftlich repräsentativen Gremien ausgefüllt wird, die notwendigen Bedingungen für möglichst weitreichende Freiheitsräume des Künstlers. Die "Vergesellschaftung" bzw. "Entstaatlichung" der Verwaltungsentscheidung wird mithin von den Besonderheiten des Grundrechtsbereichs selbst bestimmt. Das Grundrecht der Kunstfreiheit legitimiert somit einen gerichtlicher Kontrolle nur bedingt zugänglichen Verwaltungsbereich. In der Kritik der Dogmatik zum Beurteilungsspielraum ist daher Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG als "sachlicher Rechtfertigungsgrund" für die Einräumung eines Beurteilungspielraums angesehen worden. Es handele sich um einen Beurteilungspielraum im Sinne eines "Kunstfreiheitsraums". Letztlich wird damit bestätigt, daß die Forderung, daß außerrechtliche Maßstäbe der vorliegenden Art durch ihre Aufnahme in Gesetze oder im Rahmen der Selbstbindung der Verwaltung juristisch anwendbar sein müssen, nicht über die Erkenntnisfünktionen und möglichkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit hinauszielen kann.
i n . Beurteilungsspielraum und BegrQndungspflicht
Auch wenn die vorgenannte Entscheidung die gerichtliche Überprüfung im Ergebnis auf den von der neueren Rechtsprechung und Literatur angebenen Umfang beschränkt, ist nicht zu verkennen, daß mit der Anküpfüng an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Filmbewertungsstelle39 auch
B. Gerichtliche Kontrolle
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ein anderes Verständnis des Beurteilungsspielraums verbunden ist 40 . So fordert das Verwaltungsgericht Wiesbaden eine rationale Begründung, die nachvollziehbar sein muß41. Dem stehe nicht das Moment der Subjektivität der vorliegenden Entscheidungen im Sinne der Beliebigkeit künstlerischer Werturteile entgegen. Vielmehr handele es sich um subjektiv-rationale Entscheidungen, "die aus sich heraus verständlich, einsichtig und nachvollziehbar sein müssen"42. Diese Auffassung folgt dem Prinzip, daß wenn schon aufgrund der besonderen Umstände des betroffenen Lebensbereichs die gerichtliche Nachprüfbarkeit nur begrenzt sein kann, an die Prüfungs- und Begründungspflicht der Behörden besonders strenge Anforderungen zu stellen sind43. Anderenfalls seien sie nicht mehr mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Richtig ist, daß die Lehre vom Beurteilungsspielraum nicht verfasssungsrechtlich festgelegte Kompetenzen der Gerichte in ihrer Kontrollfünktion in der Weise begrenzen darf, daß die Förderungsentscheidungen letztlich in das Belieben der Verwaltung gestellt werden. Diese Gefahr ist jedoch weitgehend ausgeräumt, wenn der von der neueren Rechtsprechung genannte Prüfungsumfang tatsächlich ausgeschöpft wird. Dagegen überzeugen zu weit gespannte Begründungspflichten der jeweiligen Auswahlgremien nicht. Eine subjektiv-rationale Entscheidung, die dem Gericht tendenziell eine inhaltliche Prüfungsbefügnis ermöglichen soll, ist geeignet, den spezifischen Bedeutungsgehalt sachverständiger Entscheidungsfunktionen zu verkennen. Im übrigen kann es nicht von dem individuellen Verständnis künstlerischer Äußerungen des jeweiligen Richters abhängig sein, ob eine Entscheidung als nachvollziehbar erkannt wird. Es ist daher als ausreichend anzusehen, daß die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, die die Behörde zu ihrer Entscheidung geführt haben, genannt werden44.
39
BVerwG 23, 194 (200). VG Wiesbaden, NJW 1988, 361. 41 VG Wiesbaden, NJW 1988, 365. 42 VG Wiesbaden, NJW 1988, 365. 43 VG Berlin, DVB1 1974, 375 (377). 44 Zur Begründung von Entscheidungen der Bundesprüfstelle vgl. OVG NRW, FuR 1984, 170 ("Harley Riders"). 40
17 Palm
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3. Teil: Prozessuale Probleme IV. Elemente des Beurteilungsspielraums
Somit sind die Elemente des Beurteilungspielraums zu benennen, die sich derrichterlichen Kontrollfunktion entziehen.
7. Subjektivität
Kunsturteile sind subjektive Urteile 45. Auch wenn die Subjektivität auf kulturelle Codes46 zurückfuhibar sein mag, die als historisch gewachsene Wahrnehmungs und Bewertungsformen künstlerischer Äußerungen durch ästhetische Erziehung vermittelbar und in bestimmten Maß wissenschaftlicher Beschreibung zugänglich sind, kann deren Komplexität nicht im prozessualen Rahmen ausgelotet werden.
2. Sachverstand
Diese Subjektivität prägt den künstlerischen Sachverstand der behördlichen Entscheidungshilfen und wäre nicht - wie im Bereich naturwissenschaftlicher Enscheidungsanteile in der Rechtsfindung - durch gerichtlich beauftragte Sachverständige ersetzbar47.
3. Pluralität
Die Kollektivität kunstsachverständiger Entscheidungen in Gremien strukturiert den Beurteilungsspielraum als einen überindividuellen Bereich. Damit wird die Gefahr der Einseitigkeit oder der Parteilicheit der einzelnen Gremienmitglieder reduziert. Die zumindest partielle Repräsentativität des pluralistischen Feldes gesellschaftlicher Positionen in den jeweiligen Bewertungen konterkariert die beiden vorgenannten Elemente.
45 46 47
Dazu VGH Kassel, NJW 1987, 1437 (1438 f.). Vgl. etwa Bourdieu, S. 418 ff. OVG Berlin, NJW 1988, 365 (366) ("Kamikaze 1989").
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V. Fallgruppen rechtswidriger Forderungsentscheidungen
Aufgrund dieser Elemente des Beurteilungsspielraums lassen sich numehr die Fehlerquellen angeben, die zu einer Aufhebung der Verwaltungsentscheidung führen können.
7. Sachverhaltsirrtum
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 03. März 1987 bei der gerichtlichen Nachprüfung einer Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften einen Sachverhaltsirrtum darin gesehen, daß die zu prüfende Schrift mit einer anderen ganz oder teilweise verwechselt wird, ein Teil der Schrift übersehen wird, von einen falschen Zitat aus der Schrift ausgegangen wird oder der Inhalt der Schrift falsch wiedergegeben wird 48 . Allgemein ist ein Sachverhaltsirrtum danach gegeben, wenn sich die Wahrnehmung des Kunstwerks in seinen objektiven Bedingungen in der Begründungsentscheidung als nachweisbar falsch erweist.
2. Mangelhafte Prüfung und Begründung
Verbunden mit der Notwendigkeit, das gesamte Werk zur Kenntnis zu nehmen, sind Mindestanforderungen an die Prüfungsgenauigkeit in der Person des Urteilenden. Auch wenn hier bestimmte Anforderungen an das adäquate Rezeptionsverhalten des einzelnen Verfahrensbeteiligten nicht anzugeben sind49, lassen sich rechtswidrige Extremfalle erfassen. Eine Entscheidung, die sich auf das Urteil von Entscheidungsträgern stützt, die das zur Verhandlung stehende Kunstwerk nicht gesehen, gehört oder gelesen haben, ist aufzuheben. Auch wäre der Fall zu nennen, daß der gewählte Verfahrensmodus bei vernünftiger Betrachtung nicht geeignet ist, einen wenn auch nur elementaren Eindruck der künstlerischen Äußerung zu gewinnen. Ein Beispiel wäre etwa die Beurteilung eines Drehbuchs in einem zeitlichen Rahmen, der dem einzelnen Prüfer nur einige Minuten einräumt. Abgesehen von solchen zugespitzten Fallkonstellationen ist nicht erforderlich, daß ein Kunstwerk in allen seinen 48
BVerwG, NJW 1988,1429 ("Der stählerne Traum"). BVerwG, NJW 1987, 1431 (1434) ("Wahrheit für Deutschland - Die Schuldfrage des Zweiten Weltkrieges"). 49
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3. Teil: Prozessuale Probleme
Momenten ausführlich gewürdigt wird 50 . Ein solches Erfordernis würde in Anbetracht der Vielzahl von Bewerbern eine wirtschaftliche, am Kapazitätsvorbehalt ausgerichtete Entscheidungsfindung nicht mehr gewährleisten. Insofern muß das einzelne Mitglied des jeweiligen Gremiums die Art und Weise seiner Auseinandersetzung mit dem Bewertungsobjekt eigenverantwortlich bestimmen.
3. Willkürliche
Bewertung
Das Bundesverwaltungsgericht hat weiterhin festgestellt, daß sich die Rechtswidrigkeit einer Entscheidung auch aus einer willkürlich ethischpädagogischen Würdigung einer Schrift ergeben könne51. Das ist der Fall, wenn aufgrund eines richtig festgestellten Sachverhalts mit dem Inhalt unvereinbare abwegige Bewertungen getroffen werden52. In diesem Fall ging es um die von der Bundesprüfstelle festgestellte Bagatellisierung und Verherrlichung des Krieges in der Schrift, der nach Auffassung des Gerichts zahlreiche Textpassagen widersprechen, die nicht hinreichend genug gewürdigt worden seien53. Mit diesem gerichtlichen Prüfüngselement ist im Gegensatz zu den vorgenannten Elementen ein inhaltlicher Bewertungsmaßstab verbunden. Da hier die Gefahr besteht, den Beurteilungsspielraum der Verwaltung auszuhöhlen, darf dieser Maßstab nur bei offenkundiger Mißdeutung eines Sachverhalts wirksam werden. Als Formel solcher Bewertungsfehler gilt, daß ein vernünftiger Betrachter ohne besonderen Sachverstand unmöglich zu der vertretenen Auffassung kommen kann. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Kassel vom 22. Oktober 1985. Das Gericht untersuchte hier die Frage, inwieweit der Bewertungs- als auch der Hauptausschuß der Filmbewertungstelle Wiesbaden dem Anspruch des Films ausreichend Beachtung geschenkt habe54. Nach Auffassung des Senats sei die von der Filmbewertungsstelle bemängelte Uneinheitlichkeit und Inkonsequenz der Handlung nicht ausschlaggebend. Vielmehr liege die eigentliche Absicht des Films gleichsam hinter der Handlung, die nur eine Transportfünktion habe. Diese
50 51 52 53 54
BVerwG, NJW 1987, 1431 (1434). BVerwG, NJW 1987, 1434 ("Die Schlacht von Avranches"). Vgl. auch BVerwG, NJW 1988,1864 ("Brett-Würfel-Spiel Risiko"). BVerwG, NJW 1987,1434. VGH Kassel, NJW 1987,1436 (1439) ("Dorothea s Rache").
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Absicht hätte aber auf ihren künstlerischen Wert hin begutachtet werden müssen. Hier ist m. E. die Grenze des Beurteilungsspielraums für die richterliche Prüfung nicht gewahrt worden, da die Bewertung der Filmbewertungsstelle hier in einer Weise angeleitet werden soll, die letztlich von der ästhetischen Kompetenz bestimmt wird, die das Gericht sich selber zurechnet. Welche Elemente eines Werks auf ihre künstlerische Relevanz hin untersucht werden, ist keine der Entscheidung vorgelagerte Fragestellung, sondern Bestandteil der Entscheidung selbst.
4. Verletzung von Bewertungsgrundsätzen
Da allgemeine ästhetische Bewertungsgrundsätze fehlen, kann die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen nur die Verletzung solcher Bewertungsgrundsätze erfassen, die dem jeweiligen Auswahlverfahren vorgegeben sind. Eine solche Verletzung liegt insbesondere in der Ersetzung der anzuwendenden Bewertungsgrundsätze durch andere Bewertungsgrundsätze. Dabei sind Überschneidungen mit der vorgenannten Fallgruppe von Fehlern nicht auszuschließen, da willkürliche Bewertungen regelmäßig auf die Verletzung von Bewertungsgrundsätzen zurückzuführen sind.
5. Verfahrensfehler
a) Besetzungsfehler Soweit durch Gesetz oder Verwaltungsvorschriften in Verbindung mit der Selbstbindung der Verwaltung Regelungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Bewertungsgremiums getroffen worden sind, sind Abweichungen unzulässig. Kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip liegt aber darin, daß die Struktur und Besetzung eines Gremiums nicht im Einzelnen geregelt wird. Der Verwaltung ist hier ein Ermessenspielraum zuzuerkennen, da die jeweilige Organisation in besonderer Weise von der Verfügbarkeit von Einzelpersönlichkeiten des öffentlichen Lebens abhängig ist. Eine flexible Gestaltung unter großzügiger Handhabung von Vertretungsregelungen ist daher unerläßlich.
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3. Teil: Prozessuale Probleme
b) Mitwirkung befangener Mitglieder Schließlich ist die Mitwirkung von Mitgliedern unzulässig, die ein persönliches oder wirtschaftliches Sonderinteresse an der Entscheidung besitzen. Das gilt insbesondere für die Beteiligung von Galeristen, Kunstpromotern, Veranstaltern etc., die "ihre" Künstler inauguriert sehen wollen.
Nachwort Die Verfassungsdogmatik zur „Öffentlichen Kunstförderung" beginnt in den 60er Jahren als Marginalie in der Verortung der Kunstfreiheitsgarantie. Die Kunstfreiheitsgarantie wurde verfassungsrechtlich in ihren abwehrrechtlichen Funktionen vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Kulturpolitik entfaltet. Die Abgrenzung gegenüber der faschistischen Indienstnahme der Künste fand ihre aktuelle Bedeutung durch den real existierenden Sozialismus, der gleichfalls ein dem Grundgesetz fremdes Staatskunstkonzept verfolgte. Da die verfassungstheoretische Begrifflichkeit des Leistungsstaats nur in Anfängen entwickelt war, fehlte es dagegen für die öffentliche Alimentation der Kunst an zureichenden Kategorien der Verfassungstheorie. Vereinzelt wurde individuelle Künstlerforderung als Nebenprodukt des Abwehrrechts vorgestellt. Die 70er Jahre waren wesentlich von dem gesellschaftlichen Vorstoß geprägt, elitäre Begrenzungen der Kultur im Rahmen einer kulturellen Demokratie abzubauen. Zuvörderst aufgrund von kommunalkulturpolitischen Erfahrungen wurden „Kultur für alle" und „Bürgerrechte auf Kultur" im Rahmen großzügiger Vermittlungsförderung proklamiert. Die öffentliche Auseinandersetzung über Kunstförderung wurde nicht selten in der Vision realitätsferner Kultureuphorie vom Bild einer überquellenden Kulturgesellschaft geprägt. Die Akzeptanz solcher Postulate in der Verfassungsdogmatik war notwendig gering, weil die Verfassung aus ihrer Integrationsfunktion, langfristig gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu garantieren, resistent gegenüber Moden der Politik bleiben muß. In den 80er Jahren wurde der öffentliche Kulturauftrag zum umfassenden Thema, nachdem klassische Staatsziele wie Rechtsstaat, Bundesstaat, Sozialstaat und Demokratie weithin verfassungsdogmatisch ausgelotet waren. Wesentliches Erkenntnisprodukt waren die sich wechselseitig bedingenden Zusammenhänge von Staat, Gesellschaft und Kultur in einer Kulturverfassung. In den avancierten Entwürfen entwickelte sich in der Kulturverfassung eine Gegenbegrifflichkeit zu einem primär herrschaftsorientierten Staatsverständnis.
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Nachwort
Rezessive Haushaltslagen von Bund, Ländern und Kommunen haben die ohnehin begrenzten Mittel der Kunstforderung in den 90er Jahren erheblich reduziert. Mit der Schließung des Schiller-Theaters in Berlin wurde exemplarisch deutlich, daß auch renommierte Kulturprojekte nicht eo ipso ökonomischen Knappheitssituationen standhalten. Verfassungsdogmatik hat weder die Funktion noch die Mittel, diesen Förderungsabbau zu konterkarieren, sondern kann nur Kriterien gerechter Verteilung kulturstaatlicher Budgets entwickeln. Staatliche Förderung steht bei einem hoch belasteten Staatshaushalt mit eng gefaßten Prioritäten unter einem wachsenden Selektionsdruck. Hier zeigt die verfassungsdogmatische Diskussion, daß in der Verwaltung des Mangels Selbstbeschreibungen des Kultur- bzw. Kunstsystems fruchtbar gemacht werden müssen für die Frage, was überhaupt noch zu fordern ist und was der gesellschaftlichen Veranwortung überlassen bleiben muß. Wenig exponierte Kulturinitiativen haben immer geringere Chancen, über den Druck der Öffentlichkeit das Argument der Notwendigkeit ihrer Erhaltung zu substantiieren. In einer emnid-Umfrage Ende 1996 wurde ermittelt, daß 39 % der Deutschen die Kulturbudgets für noch weiter reduzierbar halten. Im Bereich privater Förderung, insbesondere dem "sponsoring", ist das Engagement stabil geblieben. Die Wirtschaft substituiert aber nicht vorbehaltlos die reduzierten Kulturbudgets der öffentlichen Hand. Die Mittel privater Kunstforderung reichen nicht zur Freizeichnung des Kulturstaats. Kunst besitzt als Image-Faktor für Unternehmen, als Medium der corporate-identity, eine Bedeutung, die sich nicht nahtlos in die Konzeptionen öffentlichrechtlicher Kunstforderung einordnet. Kunstförderung wird in Zukunft in den Sog fortschreitender Globalisierung der Medien geraten. Waren örtlich gebundene Kunstpräsentationen über Jahrhunderte die Regel der Vermittlung, stehen inzwischen Medien zur Verfugung, die Kunst orts- und zeitunabhängig machen. So wie die Kunstgeschichtsschreibung sich mitunter bereits in einer Mediengeschichte aufhebt, könnte das Recht der Kunst verfassungsrechtlich zu einer Unterabteilung des Medienrechts werden. Die Europäisierung der Kultur als Teilmoment der Globalisierung läßt lokale Kulturen nicht unberührt. Längst präsentiert sich mit der internationalen Populärkultur ein vielfach kritisierter Anwärter auf das Etikett "Weltkunst". Das Subsidiaritätsprinzip reicht nicht aus, der Homogenisierung der europäischen Gesellschaften zugunsten lokaler Kulturen gegenzusteuern, wenn nicht zugleich gesellschaftliche Impulse zur Erhaltung spezifischer Kulturen gestützt werden. Zugleich birgt die Globalisierung aber die historisch einmalige Chance, ein Weltpublikum und dessen Ressourcen für Kunst und Künstler nutzbar zu machen. Ob das Übergewicht europäischer und amerikanischer Kunst, das auch den Kulturbetrieb der Bundesrepublik Deutschland maßgeb-
Nachwort
lieh erfüllt, sich in einem weltweit interkulturellen Milieu behauptet, bleibt abzuwarten. Neue Multimedia-Technologien erreichen potentiell ein kulturelles Weltpublikum. Mit "Datenhighway" und "Internet" bereiten sich mächtige Medienkomplexe vor, Produktion und Rezeption von Kultur weltweit zu prägen. Interaktivität als neues kulturelles Handlungsprofil stellt gegenüber der klassischer Rezeption von Kulturgütern in traditionellen Präsentationsmedien ein Novum dar. Die vormals festgeschriebenen Rollen von Künstlern, Kritikern und Publikum sind nicht nur in der Selbstbeschreibung des Kunstsystems in Bewegung geraten, sondern auch durch erweiterte technische Möglichkeiten unschärfer geworden. Ob die neuen Medien und die Machtkonzentrate weltumspannender Medienkonzerne die Kultur aushöhlen oder als autonomes und prosperierendes System erhalten, könnte zur transnationalen Aufgabe öffentlicher Kultur- bzw. Kunstförderung werden.
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Sachwortregister Abschreibungsmöglichkeiten 207
Erwerbsaufwendungen 205 f.
Annexkompetenz 130
Europäische Kulturkompetenzen 136 ff
Auflösung des Kunstbegriffs 42, 61 ff. Bayreuther Festspiele 174 Befangenheit 262 Begründungszwänge 122, 259 f. Berufsvermögen 211 Besetzungsfehler 261 Betrachtermaßstab 59 Beurteilungsspielraum 256 ff. Bewertungskompetenz 217 Birkhoffsche Formel 67
Europäisches Subsidiaritätsprinzip 138 f. Filmförderung 130, 135, 189, 195, 244 Finalisierung des Kunstbegriffs 55 f. Formaler Kunstbegriff 39 ff. Formal-materialer Kunstbegriff 47 f. Freiheitsförderung 118 ff, 145
Breitenförderung 148 ff.
Galeristen 86, 113, 206, 229 f., 239, 249, 262
Bundeskunsthalle 132, 195
Gattungstypologie 96 ff.
Bundessymbole 132
Gatt-Verhandlungen 135
Bundesstaatliche Kultur 131 ff.
Gemeingebrauch 241
Bürgerrecht Kultur 148, 155 ff
Gemeinnützigkeit 208, 211
Daseins Vorsorge 145 ff.
Gemeinsame Verfassungskommission 128
Documenta 226 f. Eingriffsvorbehalt 185 Einigungsvertrag 133 Einkommensteuer 205 ff. Eintrittspreise 161, 245 Elitenförderung 154 f., 163 Endverbraucher 210 Entprivilegierung der Kunst 51 ff Entscheidungsdekomposition 240 ff. Entstaatlichung 218 ff, 236, 256
Gerichtliche Kontrolle von Auswahlentscheidungen 251 ff. Gesetzesvorbehalt 180 ff. Gewerbesteuer 214 Gießkannenprinzip 122, 173, 188 Gleichheitsgrundsatz 159 ff, 172 f. 247, 250 Grenzen der Repräsentation 228 f. Grundrechtsinterpretation 23 ff. Grundrechtskonflikte 105, 112 ff. Grundrechtskonkurrenzen 112 ff. Grundrechtsmodalitäten 94 f.
Sachwortregister Grundrechtsrelevanz 181, 247 Grundrechtstheorien 27 ff. Grundrechtsträger 40, 68 ff, 86 ff, 95, 106, 112 ff, 149, 225,256
303
Kulturstiftungen 133, 194 f., 203, 214, 223 Kulturverfassung 125 ff, 137 Kulturverträglichkeitsklausel 140 Kunstfonds e.V. 223 ff.
Handwerk 250
Kunsthandel 170, 206
Happening 62, 88
Kunstkritik 232 ff.
Haus der Geschichte 132 f.
Künstlerische Verbände 229 ff.
Hofkünstler 175
Künstlerisches Selbstverständnis 68 ff.
Honoratioren 228
Künstlersozialversicherung 151 f. Idealistische Konzeptionen 37 f.
Kunstmarkt 198 ff.
Idealkonkurrenz 114 ff
Kunstpädagogik 146 f.
Inkompatibilität 239 f.
Kunstpreise 161, 165, 170, 183, 187, 247
Institutionelle Grundrechtsdeutung 79 ff. Intendantenprinzip 158 Interdisziplinäre Entscheidungsfindung 26, 46, 64 ff.
Kunstsach verständige 64 ff, 231 ff, 258 Kunstsammler 203, 211 Kunsturteil 189 f.
Karikatur 54 ff
Ladenschlußgesetze 113
Kolonialismus 135
Legitimationsprobleme pluralistischer Gremien 233 ff.
Kommunale Kultur 31, 146, 179, 186, 226,263
Leuchtturmprojekte 174
Kommunikationsgrundrecht 93 ff Kultur und Arbeit 152
Maastricht-Vertrag 137 ff.
Kulturbegriff 142 ff.
Manteltheorie 56 ff.
Kulturelle Daseinsvorsorge 148 ff.
Materialer Kunstbegriff 43 ff.
Kulturelle Demokratie 154 ff.
Mäzenatentum 30, 200 ff.
Kulturelles Existenzminimum 159 f.
Meinungsfreiheit 50 ff, 90 ff.
Kulturfachgesetze 182, 186
Mitbestimmung 156 ff, 158
Kulturföderalismus 131 ff.
Multikultur 143
Kulturhaushalt 171 f., 200 ff. Kulturmanagement 215
Nachtruhe 88
Kulturöffentlichkeit 32 f., 123 f., 176 f., 239.
Nationalrepräsentation 133 Negativer Kunstbegriff 35 ff.
Kulturpolitik 140 ff, 149 f., 194 ff.
Nichtstörerschranken 102 ff.
Kulturstaatsbegriff 125 ff, 195 f.
304
Sachwortregister
Objektiv-rechtlicher Förderungsanspruch 177 ff.
Sprayer 96 f.
Offenes Kunstwerk 78
Staatsmediatisierungsmodell 224 f.
Organisation staatlicher Kunstförderung 214 ff
Staatsmonopolmodell 225
Personale Kunstfreiheit 77 ff, 89 ff. Persönlichkeitsrecht 70 Pflichtaufgabe 171 ff Pluralistische Gremien 221 ff Politische Kunst 54 f. Praktische Konkordanz 110 f. Prinzip der Nichtidentifikation 191 ff Privatschulgarantie 172 f. Qualitative Bewertung 189 f., 217 Rechtsform 220 ff Rechtsprechungsvorbehalt 107 f.
Staatsaufgabenlehre 118 ff
Straßenkunst 95 Subjektiv-rechtlicher Anspruch 171 ff Subsidiaritätsprinzip 138,166 ff. Subventionsbegriff 117, 183 ff Supranationale Kultur 134 ff. Theaterförderung 185 ff, 214 f. Topische Methode 24 ff Total vorbehält 180 Übermaßverbot 110,167 Umsatzsteuer 209 ff. Verbreitungs- und Verwertungshandlungen 98 ff.
Rechtsstaatsprinzip 254 f.
Verfahrenskompetenz 217
Rotationsprinzip 217,238
Verfahrenstransparenz 238 ff Verhältnismäßigkeitsprinzip 170 ff.
Sachverhaltsirrtum 259 f.
Verleger 86,204
Sachverständigenauswahl 236 f.
Vermittlungsförderung 29 ff, 147 ff, 159 ff
Satire 55 ff Scheinkonkurrenzen 114 ff Schiller-Theater 263
Weimarer Reichsverfassung 126,175
Schrankenwirrwar 90 ff
Werk-und Wirkbereich 94 ff.
Schwerpunktförderung 195 ff.
Wertordnungsdenken 100 ff
Semiologischer Kunstbegriff 48 ff
Wesentlichkeitstheorie 181 ff.
Sozialstaat 124 f., 145 ff.
Willkürliche Bewertung 260 f.
Spendenabzug 208 f.
Wissenschaftsfreiheit 81 f.
Spezialität 114 Sponsoring 30,141,200 ff.
Zensur 185