123 48 19MB
German Pages [364] Year 1992
Michael Mitterauer FAMILIE UND ARBEITSTEILUNG
KULTURSTUDIEN BIBLIOTHEK DER KULTURGESCHICHTE Herausgegeben von Hubert Ch. Ehalt und Helmut Konrad Band 26
Michael Mitterauer
Familie und Arbeitsteilung Historischvergleichende Studien
BÖHLAU VERLAG WIEN · KÖLN · WEIMAR
Gedruckt mit Unterstützung durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung und die Niederösterreichische Landesregierung.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Mitterauer, Michael: Familie und Arbeitsteilung: historischvergleichende Studien / Michael Mitterauer - Wien; Köln; Weimar: Böhlau, 1992 (Kulturstudien; Bd. 26) ISBN 3-205-05466-0 NE: GT Umschlagbild: Holzschnitt aus: Spiegel der menschlichen Behaltniß, Basel, Bernhard Richel 1476, nach: Eugen Diederichs (Hg.), Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern 1,1908, S. 50. ISBN 3-205-05466-0 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. _ Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 1992 by Böhlau Verlag Gesellschaft m.b.H. und Co.KG., Wien · Köln · Weimar Druck: Novographic, A-1230 Wien
Inhalt
Vorwort der Herausgeber Arbeitsteilung im ländlichen Raum Sektorale Verflechtung in der Vergangenheit Was bedeutet Arbeitsteilung im ländlichen Raum? Regionale Arbeitsteilung Lokale Arbeitsteilung Innerfamiliale Arbeitsteilung
7 13 15 18 20 23 27
Lebensformen und Lebensverhältnisse ländlicher Unterschichten Zur Abgrenzung ländlicher Unterschichten Allgemeine Entwicklungstendenzen „Proto-Industrialisierung" und „Reagrarisierung" Zur Mobilität unterbäuerlicher Schichten
33 33 41 46 54
Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Geschlechterrollen in ländlichen Gesellschaften Mitteleuropas Weiblicher Bereich Männlicher Bereich Gemeinsame Arbeiten Prozesse des Wandels Bedingende Faktoren Auswirkungen auf Geschlechterrollen
58 60 80 93 107 126 143
Zur Familienstruktur in ländlichen Gebieten Österreichs im 17. Jahrhundert Zum Forschungsstand Soziologische Theorien zur historischen Familienstruktur Beiträge von seiten der Historiker in landeskundlichen, bevölkerungsgeschichtlichen und genealogischen Studien in Österreich Familiengröße und Familienstruktur am Beispiel zweier Salzburger Pfarren Das Ausgangsmaterial
149 149 149
153 154 154
6
Inhalt
Der Begriff „Familie" im 17. Jahrhundert 156 Größe der Hausgemeinschaften und deren Zusammensetzung 163 Hausherr und Hausfrau - Problem der Wiederverehelichung . .171 Söhne und Töchter - Problem der kinderreichen Großfamilie 176 Im Ausgedinge lebende Personen - Problem der Mehrgenerationenfamilie 184 Knechte und Mägde - Problem der eingeschränkten Heiratsmöglichkeit 192 Inwohner - Problem der Familienzugehörigkeit 198 Größe und Zusammensetzung von Hausgemeinschaften in niederösterreichischem Vergleichsmaterial 200 Ergebnisse und Forschungsaufgaben 209 Faktoren des Wandels historischer Familienformen
214
Familie und Arbeitsorganisation in städtischen Gesellschaften des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit .256 Gesindedienst und Jugendphase im europäischen Vergleich
301
„Single" oder „Familienmensch"? Zu Entwicklungstendenzen der Freizeitgestaltung Die These von der „Familisierung der Freizeit" Zum Begriff „Freizeit" Geschlechterrollen und Freizeitaktivitäten Lebenszyklus und Freizeitchancen Kindheit Jugend Alter Formen arbeitsfreier Zeit Pension Urlaub Wochenende Tagesfreizeit Historische Einflüsse auf moderne Freizeitgestaltung Wohnsituation und Freizeit
333 333 335 336 339 339 341 344 346 346 346 347 347 350 354
Familie und Arbeitswelt in historischer Sicht
356
Vorwort der Herausgeber
I
m Band 15 der „Kulturstudien" wurde unter dem Titel „Historisch-anthropologische Familienforschung" eine Aufsatzsammlung des Wiener Sozialhistorikers Michael Mitterauer vorgelegt. Der Band hat in der kurzen Zeit seiner Publikation breites Interesse gefunden. In diesem Band sollen nun nochmals Studien aus dem familienhistorischen Werk dieses Forschers präsentiert werden. Die Zielrichtung der Veröffentlichung ist diesmal allerdings eine etwas andere. Während es bei „Historisch-anthropologische Familienforschung" darum ging, Fragestellungen und Zugangsweisen auf diesem neuen Forschungsgebiet in möglichst vielfältiger Weise vorzustellen, ist „Familie und Arbeitsteilung" von der Konzeption her geschlossener. Aufsätze zu einem spezifischen Themenschwerpunkt der historischen Familienforschung sollen hier gemeinsam publiziert werden, die sich aus ihrer inhaltlichen Verbindung nahezu zu einer Monographie zusammenfügen.
Im Rahmen der „Kulturstudien" greift „Familie und Arbeitsteilung" eine Problematik auf, die seit den Anfängen dieser Reihe als ein zentrales Thema angesehen wurde. Bereits im Band 1 „Geschichte von unten" war der Fragenkomplex der Einflüsse des Arbeitslebens auf die Familienstruktur in zahlreichen Beiträgen angesprochen worden. Der Band 2 „Alltag und Traum" griff mit dem Zusammenhang zwischen Arbeits- und Phantasiewelt von Dienstmädchen einen speziellen Aspekt dieses Themas auf. Im Band 4 „Zwischen Natur und Kultur" wurde vom Autor des vorgelegten Bandes das Verhältnis von Geschlechterrollen und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung behandelt. An diese Linie schließt die nun publizierte Aufsatzsammlung unmittelbar an. Arbeit als Form der Naturbewältigung in ihren sozialen und kulturellen Auswirkungen ist ein grundlegendes Thema für jene weite Konzeption historischsozialwissenschaftlich orientierter Kulturwissenschaften, wie sie die Reihe „Kulturstudien - Bibliothek der Kulturgeschichte" von ihren Anfängen an vertreten hat. Der Zusammenhang zwischen Familie und Arbeitsteilung wird in diesem Band vornehmlich unter zwei Aspekten angesprochen. Auf der Makroebene geht es um Prozesse der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und deren Auswirkungen auf die Familienverfassung. Klassen-
8
Vorwort der Herausgeber
und schichtspezifische Formen der Familienstruktur, wie sie durch Arbeitsteilung in herrschaftlich verfaßten Gesellschaftsformen auftreten, sind auf dieser Ebene ein wichtiges Thema, ebenso Unterschiede der Familienformen, die aus der Arbeitsteilung zwischen Stadt und Umland sowie zwischen wirtschaftlich besonders spezialisierten Regionen erwachsen. Die letzteren hat der Autor in seiner „Ökotypen"-Theorie modellhaft expliziert. In dem von ihm gemeinsam mit Josef Ehmer herausgegebenen Sammelband „Familie und Arbeitsorganisation in ländlichen Gesellschaften" sind diese Zusammenhänge detaillierter ausgeführt. Auf der Mikroebene geht es um Prozesse der innerfamilialen Arbeitsteilung, im speziellen um die zwischen Frau und Mann, ebenso aber auch zwischen Familienangehörigen verschiedener Altersgruppen - Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen. Arbeitsorganisation im Kleinen und im Großen ist so das Thema. Die Familie als Einheit der Arbeitsorganisation bildet das Bindeglied zwischen den Formen kollektiver Überlebenssicherung auf Makro- und Mikroebene. Sie ist freilich in ihrer Struktur nicht nur durch Bedürfnisse der Existenzsicherung durch Arbeit bestimmt. Andere Funktionen der Familie sind damit in Einklang zu bringen und werden so zu zwingenden Faktoren der jeweiligen Formen der Arbeitsorganisation. Arbeitsteilung im Verständnis des Titels dieses Bandes ist kein statisches Konzept. Der Begriff meint sowohl den jeweils in einer historischen Situation erreichten Zustand als auch den Prozeß, der zu seiner Entstehung geführt hat und ihn verändernd weiterentwikkelt. Dieser grundlegende Prozeß gesellschaftlichen Wandels wird in den vorgelegten Studien zeitlich weit ausgreifend analysiert. Als ein von der Mediävistik ausgehender Sozialhistoriker hat Mitterauer die Methode der historischen Längsschnittbetrachtung stets besonders praktiziert. Auch in den hier vorgelegten Studien bemüht er sich um diese Tiefendimension. Der historische Längsschnitt führt ihn zum diachronen Vergleich. Ebenso wichtig ist ihm aber der synchrone. Das Nebeneinander sehr unterschiedlicher Familienund Arbeitsverhältnisse zur gleichen Zeit in verschiedenen sozialen Milieus bildet den zweiten Ausgangspunkt seiner Analyse. Dem komparativen Ansatz der Aufsatzsammlung entsprechend wurde der Untertitel „Historischvergleichende Studien" gewählt. Als Einleitung in die Themenstellung des Bandes dient ein Überblicksaufsatz über „Arbeitsteilung im ländlichen Raum". Er erläutert, in welchem Verständnis der Begriff Arbeitsteilung hier verwendet wird, und geht dabei weit über den Bereich ländlicher Arbeit hinaus.
Vorwort der Herausgeber
9
Zentrales Anliegen des Beitrages ist es hier, das Zusammenspiel von makro- und mikroökonomischen Faktoren im Rahmen bäuerlicher Familienwirtschaften aufzuzeigen, die das Modell geläufiger Vorstellungen über familienbetriebliche Arbeitsorganisation darstellen. In den Prozessen des Wandels wird vor allem auch die radikale Veränderung von Arbeitsorganisation und Familie im primären Erwerbssektor in der jüngsten Vergangenheit angesprochen, insbesondere in ihrer A u s w i r k u n g auf Frauen- und Männerarbeit. Der zweite Beitrag über „Lebensformen und Lebensverhältnisse ländlicher Unterschichten" vertieft die Überlegungen über gesellschaftliche Arbeitsteilung im ländlichen Raum mit einem zeitlichen Schwerpunkt auf der Entwicklung zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert sowie einem räumlichen auf den Verhältnissen in den österreichischen Ländern. Das T h e m a Familie und Arbeitsteilung wird hier vor allem unter dem theoretischen Aspekt aufgegriffen, inwieweit sich ein moderner Schichtbegriff, der Frauen und Kinder prinzipiell der primär durch den Beruf bestimmt gedachten Schichtzugehörigkeit des Ehemannes bzw. Vaters entsprechend zuordnet, auf historische Gesellschaften übertragen läßt. Über Probleme der Frauenarbeit in ländlichen Unterschichten ist damit zugleich das Verhältnis von gesellschaftlicher und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung angesprochen. „Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Geschlechterrollen in ländlichen Gebieten Mitteleuropas" ist das Thema des umfangreichsten und zeitlich am weitesten ausholenden Beitrags, der in Problemstellung, Zugangsweise und Gegenwartsrelevanz den wohl wichtigsten Schwerpunkt des Sammelbandes setzt. Über die Beschreibung von innerfamilialen Verteilungsmustern von Arbeit hinaus, versucht der Beitrag zu einer Erklärung des festgestellten Befundes zu gelangen. Er entwickelt eine Theorie des Zusammenwirkens von Sinnbezügen, die aus heutigem analytischen Trennungsdenken eher praktischzweckrationalen Formen der Naturbewältigung zuzuzählen sind, und solchen, die sich aus dieser Sicht eher der Welt der Symbole, Abbilder und Zeichen zuordnen lassen. Derartige theoretische Ansätze könnten über die Geschlechtergeschichte hinaus zur Erklärung sozialhistorischer Prozesse im Spannungsfeld zwischen Natur und Kultur beitragen, wie sie in den „Kulturstudien" immer wieder angesprochen werden. Themen wie geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Körperhaltung, Mensch und Haustier, Tätigkeitsbereiche und symbolische Raumzuordnung, Geschlechterrollen und sprachliches Genus oder Arbeit und Psychostruktur führen in solche allgemeinere
10
Vorwort der Herausgeber
Zusammenhänge historisch-anthropologischer Fragestellungen. Mit der Differenzierung von Geschlechterrollen bzw. geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung nach Alter und Stand sind wiederum die familialen Rahmenbedingungen angesprochen. Ländliche Familienwirtschaft und innerfamiliale Arbeitsteilung ist im Beitrag „Zur Familienstruktur in ländlichen Gebieten Österreichs im 17. Jahrhundert" das Grundthema. Obwohl zur Problematik Familie und Arbeitsorganisation in ländlichen Gesellschaften zahlreiche spätere Veröffentlichungen Mitterauers auf breiter räumlicher Basis mit weiterführenden Ergebnissen vorliegen, wurde hier die älteste einschlägige Publikation aus dem Jahr 1973 für die Aufsatzsammlung gewählt. Der Sammelband, in dem sie damals erschienen ist, ist inzwischen längst vergriffen. Der Beitrag mag vielleicht auch deshalb eines Nachdrucks wert sein, weil er den Ausgangspunkt der historischen Familienforschung in Österreich darstellt und damit zugleich eine Neuorientierung dieser Forschungsrichtung im deutschsprachigen Raum markiert. Zum Unterschied von den gleichzeitigen englischsprachigen Publikationen zur Sozialgeschichte der Familie, die auf der gleichen Quellenbasis, nämlich Zensuslisten, und mit gleichen quantifizierenden Methoden durchgeführt wurden, spielt in dieser Studie der Faktor Arbeitsorganisation für die Erklärung unterschiedlicher Formen der Familienstruktur bereits eine entscheidende Rolle. Das Konzept des „Rollenergänzungszwangs" in der bäuerlichen Familienwirtschaft vor allem bezüglich der beiden zentralen Rollen von Hausfrau und Hausherr - stellt die Verbindung zu Fragen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung her. Als Gegenstück zum Beitrag über ländliche Familienstrukturen in der frühen Neuzeit wurde die Studie „Familie und Arbeitsorganisation in städtischen Gesellschaften des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit" in die Aufsatzsammlung aufgenommen. Bei der Behandlung städtischer Formen des Familienbetriebes bilden hier die ländlichen stets die Kontrastfolie. Das Thema Arbeit und Familie wird aus der Perspektive spezifisch städtischer Bedingungen für Frauenarbeit behandelt - ein in der Frauengeschichte, insbesondere für das Mittelalter, viel und stark kontroversiell diskutiertes Problemfeld. Methodisch benützt die Studie ebenso wie die über die ländlichen Familienstrukturen statistische Daten als Indikator, und versucht aber, über quantifizierbare Quellen hinauszugehen. Eine Zusammenschau ländlicher und städtischer Familienstrukturen in ihrer Entwicklung in der Neuzeit gibt der Beitrag „Faktoren
Vorwort der Herausgeber
11
des Wandels historischer Familienformen". Im Vergleich zu den beiden vorangestellten Aufsätzen greift er räumlich weiter aus. Ein solcher Versuch eines über Mitteleuropa hinausgehenden Überblicks muß notwendigerweise zusätzlich zu eigener Quellenarbeit stärker die einschlägige sozialhistorische und sozialanthropologische Literatur heranziehen. Die Typisierung von Familienformen orientiert sich an der Begriffsbildung der Familiensoziologie, mit deren Modellen sich der Beitrag freilich auch kritisch auseinandersetzt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach den von seiten der Soziologie lange Zeit für historische Zeiten postulierten Großfamilienformen. Ebenso werden evolutionistische, monokausal erklärende Theorieansätze kritisch diskutiert. Wie in den beiden vorangehenden Beiträgen findet die Frage Behandlung, inwiefern mit heutigen Konnotationen belastete Begriffe wie „Haushalt" und „Familie" für historische Analysen überhaupt angemessen sind. Der Aufsatz „Gesindedienst und Jugendphase im europäischen Vergleich" greift aus dem Gesamtkomplex Familie und Arbeitsorganisation eine spezielle Problematik heraus, die sich weniger auf die geschlechtsspezifische als auf die altersspezifische Arbeitsteilung bezieht. Ausgangspunkt der Analyse bildet die von John Gillis weiterentwickelte „Artes-These", daß die Kindererziehung im Mittelalter generell auf der Lehrzeit bei Erwachsenen basiert habe. Anhand einer breiten quantifizierenden Untersuchung über Altersstreuung und Häufigkeit von Gesinde in ländlichen und städtischen Gesellschaften Mitteleuropas seit der frühen Neuzeit wird die Geltung solcher Annahmen über den Gesindedienst in der alteuropäischen Gesellschaft in Frage gestellt. In Weiterführung von solchen Modifikationen historischer Theorieansätze wird versucht, die für die Entwicklung von Familienverfassung und Arbeitsorganisation in Europa so bedeutsame Institution des Gesindedienstes präziser in den Griff zu bekommen. Daraus ergeben sich zugleich Hinweise auf allgemeine Rahmenbedingungen, die für ein besseres Verständnis des europäischen Sonderweges der gesellschaftlichen Entwicklung Erklärungswert haben könnten, wie etwa relativ späte Heirat, stärkere Lösung von der Herkunftsfamilie, Lockerung von verwandtschaftlichen Bindungen, große Bedeutung der Ausbildung in „fremdem Haus", hohe Mobilität in der Jugendphase, Häufigkeit neolokaler Residenzmuster, ökonomische Inidvidualisierung und Sparverhalten in Vorbereitung auf neolokale Ansiedlung, Funktionalität rigider Sexualnormen im Hinblick auf das familiale Zusammenleben nichtverwandter Personen etc. Von den Besonderheiten
12
Vorwort der Herausgeber
familialer Arbeitsorganisation in Europa wird so eine Verbindung zu spezifischen Verhaltensweisen, Beziehungsmustern und Wertvorstellungen herzustellen versucht. Im Anschluß an zwei Aufsätze, die aus eigenständigen Quellenstudien entstanden sind, runden zwei komprimierte Überblicksartikel auf Literaturbasis den Sammelband ab, die in ihrer Konzeption stark an Gegenwartsfragen orientiert sind. Die Studie .„Single' oder .Familienmensch'? Zu Entwicklungstendenzen der Freizeitgestaltung" geht nicht von Arbeit bzw. Arbeitsteilung, sondern von den dazu komplementären Formen von Freizeit bzw. Teilung zwischen Arbeitszeit und Freizeit aus. Spezifische Muster einer Differenzierung nach Geschlecht und Alter ergeben sich auch bei dieser komplementären Zugangsweise. Dem historischen Phänomen der familialen Gemeinsamkeit durch Arbeit steht idealtypisch das gegenwärtige der Gemeinsamkeit durch Freizeit gegenüber. Wesentlich an dieser Gegenüberstellung erscheint auf dem Hintergrund historischer Notwendigkeiten gemeinsamer Existenzsicherung die prinzipielle Freiwilligkeit solcher Freizeitfunktionen der modernen Familie, die ein weites Spektrum an Handlungsspielräumen eröffnet. Der abschließende Beitrag „Familie und Arbeitswelt in historischer Sicht" setzt diesen Grundgedanken der durch Überwindung familienwirtschaftlicher Zwänge gewonnenen größeren Handlungsfreiheit fort. Freiheit der Partnerwahl, freiere Entscheidung für oder gegen Kinder, Freiheit der Berufswahl werden exemplarisch als solche erst durch Überwindung traditioneller Formen der Arbeitsorganisation möglich gewordene Freiräume angesprochen, denen freilich auch im Zusammenhang damit entstandene neue Problemfelder gegenüberstehen. Zu den durch Lösung aus historischen Bindungen des Arbeitslebens gewonnenen Freiräumen zählt nicht zuletzt die Freiheit gegenüber traditionellen Stereotypen der Geschlechterrollen. Mit diesem Problemfeld schließt sich der Kreis zu den einleitend thematisierten Zusammenhängen zwischen Geschlechterrollen und geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Dieses Schwerpunktthema der Aufsatzsammlung steht stellvertretend für ein Grundanliegen des Sammelbandes und der Reihe, in der er publiziert wird: eine gegenwartsbezogene Sozialgeschichtsschreibung in emanzipatorischer Absicht.
Hubert Ch. Ehalt Helmul Konrad
Arbeitsteilung im ländlichen Raum
*
S
pricht man heute von Gegebenheiten der Arbeitswelt, so wird kaum jemand aufs erste an die Wirtschafts- und Lebensverhältnisse von Bauern denken. Für die Gegenwart steht die industrielle Produktion bzw. der Dienstleistungssektor eindeutig im Vordergrund. Dies ist freilich das Ergebnis einer historisch relativ jungen Entwicklung. Durch Jahrhunderte und Jahrtausende war die Arbeitswelt der Menschen von den Bedingungen des ländlichen Raumes geprägt. Der Gegensatz zwischen ländlichen Produktionsweisen auf der einen Seite, industriell-städtischen auf der anderen, charakterisiert am markantesten den Unterschied zwischen heutigen Arbeitsverhältnissen und denen unserer Vorfahren. Wie in den meisten Industrieländern beträgt auch in Österreich der Anteil der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung bereits weniger als 10 %. 1971 waren es noch 10,6 %, 1961 16,3 % und 1952 21,9 %. 1934 lag die Quote bei 27,3 %, vor dem Ersten Weltkrieg bei 36,8 % und um die Jahrhundertwende bei 40,4 %. Geht man in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, so beschäftigte der primäre Erwerbssektor damals im Raum des heutigen Bundesgebietes etwa 69 % der Bevölkerung. Vor zwei Jahrhunderten waren es ungefähr 75 - 80 % - ein Anteil, der rückwärtsschreitend dann nur noch langsam ansteigt. Der rasche Rückgang der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung im 19. und dann vor allem im 20. Jahrhundert hängt mit einer enormen Steigerung zunächst der Produktion, dann aber auch der Produktivität im Agrarsektor zusammen. Die dramatischen Auswirkungen, die zunehmende Erträge von Landwirtschaft und Viehzucht sowie steigende Arbeitsproduktivität auf die Abnahme des Anteils der Agrarbevölkerung gehabt haben, seien an Graphik 1 erläutert, die für Deutschland einen Langzeitvergleich dieser Faktoren ermöglicht.
*Aus: Beiträge zur historischen Sozialkunde 2 , 1 9 8 1 . S. 45-53.
Arbeitsteilung im ländlichen Raum
14
ANTEIL DER LANDW. BEV. AN DER GESAMTEN BEV. IN V. H. ARBEITSPRODUKTIVITÄT IN DER LANDW. 800 = 1
GETREIDEERTRAG IN DZ. JE HA. :28
15-j
• 24
>t
ANTEIL DER LANDW. BEV. AN DER GESAMTEN BEV.
-
100;
10
-
-
50 -
5-
/ f
j
-20 - 16 -12
GETREIDEERTRAG^>