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German Pages 457 [460] Year 2000
Frühe Neuzeit Band 54 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Jörg Jochen Berns, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt
Europa und die Türken in der Renaissance Herausgegeben von Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Europa und die Türken in der Renaissance / hrsg. von Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann. Tübingen: Niemeyer, 2000 (Frühe Neuzeit; Bd. 54) ISBN 3-484-36554-4
ISSN 0934-5531
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Christian von Zimmermann, Heidelberg/Hamburg Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Buchbinderei Koch, Tübingen
Inhalt
Vorwort
1
Martin Brecht Luther und die Türken
9
Ulrich Andermann Geschichtsdeutung und Prophetie. Krisenerfahrung und -bewältigung am Beispiel der osmanischen Expansion im Spätmittelalter und in der Reformationszeit
29
J. Janós Varga Europa und »Die Vormauer des Christentums«. Die Entwicklungsgeschichte eines geflügelten Wortes
55
Dieter Mertens Claromontani passagli exemplum. Papst Urban II. und der erste Kreuzzug in der Türkenkriegspropaganda des Renaissance-Humanismus
65
Johannes Helmrath Pius II. und die Türken
79
Matthias Thumser Eine neue Aufgabe im Heidenkampf? Pläne mit dem Deutschen Orden als Vorposten gegen die Türken
139
Hermann Wiegand Neulateinische Türkenkriegsepik des deutschen Kulturraums im Reformationsjahrhundert
177
Wilhelm Kühlmann Der Poet und das Reich - Politische, kontextuelle und ästhetische Dimensionen der humanistischen Türkenlyrik in Deutschland
193
Wolfgang Neuber Grade der Fremdheit. Alteritätskonstruktion und experientiaArgumentation in deutschen Turcica der Renaissance
249
VI
Inhalt
József Jankovics The Image of the Turks in Hungarian Renaissance Literature . . . .
267
András Szabó Die Türkenfrage in der Geschichtsauffassung der ungarischen Reformation
275
Ferenc Szakály Grenzverletzer. Zur Geschichte der protestantischen Mission in Osteuropa
283
Pál Ács Tarjumans Mahmud and Murad. Austrian and Hungarian Renegades as Sultan's Interpreters
307
Bodo Guthmüller »Se tu non piangi, di che pianger suoli?« Der Lamento di Constantinopoli in ottava
rima
317
Wolfgang Friedrichs Das Türkenbild in Lodovico Dolces Übersetzung der Epistolae magni Turci des italienischen Humanisten Laudivio Vezzanense
333
Hans Georg Majer Giovio, Veronese und die Osmanen. Zum Sultansbild der Renaissance
345
Klaus Malettke Die Vorstöße der Osmanen im 16. Jahrhundert aus französischer Sicht
373
Luc Deitz Das Türkenbild in der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts
395
Margaret Meserve Medieval Sources for Renaissance Theories on the Origins of the Ottoman Turks
409
Barbara Milewska-Wazbmska The Turks in the Renaissance Latin Poetry of Poland
437
Index nominum
443
Vorwort
Spätestens seit der Einnahme Konstantinopels (1453) wirkte der Siegeszug der Osmanen bis vor die Tore Wiens (1529) wie ein Menetekel abendländischer Ohnmacht und Zerrissenheit. Zur Diskussion stand fortan die Frage nach der politisch-militärischen Handlungsfähigkeit und geistigen Einheit des christlichen Europa, mithin die Frage nach seiner problematischen Identität unter dem Titel des >nomen christianumÖffentlichkeit< angesehen werden muß. Die in der Regel parteiliche Berichterstattung der >Neuen ZeitungenGemeinplätze< der humanistischen Traktatliteratur, darunter das Interesse an Fragen der mit historischen Exempeln illustrierten Herrschaftslehre. Hans Georg Majer erschließt im folgenden Einzelheiten einer besonderen Art der europäisch-osmanischen Kontakte: Einer der gefürchteten türkischen Großadmirale übergab 1543 bei einem Flottenbesuch in Marseille, Konsequenz der damaligen osmanisch-französischen Bündnispolitik gegen Kaiser Karl V., ein Kästchen mit elf Porträts osmanischer Sultane. Über den Geschichtsschreiber Paolo Giovio führt die Kunde dieser nicht erhaltenen Bildnisse zu Kopien namhafter Künstler, darunter Tobias Stimmer. An die komplizierte Herkunfts-, Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte der Porträts knüpft sich eine Reihe von Fragen, darunter die nach dem bildkünstlerischen Konzept und der ikonographischen Authentizität bzw. Stereotypik der Originale und ihrer verschiedenen Derivate. Majers Nachweise werten auch osmanische Berichte und neuere türkische Forschungen aus. Dabei zeigt sich, daß in der Geschichte der nicht zuletzt von Porträts gespeisten westlichen Vorstellung der osmanischen Herrscher auch eine Serie von Sultansporträts der Veronese-Werkstatt eine beachtliche Rolle spielte. Sie war vom Großwesir Mehmed Pascha in Auftrag gegeben, eigentlich für ein aufwendig illustriertes osmanisches Geschichtswerk gedacht und fast immer um besondere Authentizität bemüht. Majer verfolgt im faszinierenden Detail demgemäß nicht nur die Ursprünge der osmanischen Ahnengalerie, sondern auch deren Verflechtung und Resonanz mit bzw. in westlichen Bildtraditionen. In der Erwähnung französisch-türkischer Kooperation schlägt Majer auch schon das Thema des Beitrags von Klaus Malettke über »die Vorstöße der Osmanen im 16. Jahrhundert aus französischer Sicht« an. Geboten wird eine dichte Darstellung der Voraussetzungen, Phasen und Motive der die Türken einbeziehenden französischen Außenpolitik, basierend unter anderem auf den Instruktionen der Unterhändler und zugleich in Berücksichtigung der verbreiteten öffentlichen Kritik. Auffällig erscheint die Tatsache, daß wichtige französische Quellen, darunter die Stimmen der französischen Residenten in Konstantinopel, vom politischen Pragmatismus unbeeinflußt blieben, was mit der Teilnahme vieler französischer Untertanen am Türkenkampf übereinstimmt. So ergibt sich die Diagnose einer auf
Bodo Guthmiiller und Wilhelm Kühlmann
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ein Dilemma zulaufenden französischen Interessenpolitik, deren diplomatische Finessen dem westlichen Bild des grausamen und raubgierigen Gegners kaum korrrigierende Akzente hinzufügte. Anders als auf dem Kontinent gab es im England der frühen Neuzeit, wie Luc Deitz in seinem folgenden Aufsatz hervorhebt, weder eine grassierende Türkenfurcht noch ein Schrifttum (etwa Reiseberichte), das diese Furcht hätte stimulieren können. Spuren des Türkenthemas in der elisabethanischen Literatur, hier im Blick auf Spenser und Shakespeare erörtert, operieren mit den überkommenen, längst typologisch fixierten Gegensätzen. Diese gängigen Stereotype kontrastieren Thomas Mores posthum im Jahre 1557 veröffentlichtem Dialoge of comfort agaynst tribulación. Deitz kann zeigen, wie More die äußere osmanische Bedrohung mit jenen verhängnisvollen Folgen parallelisiert, die aus seiner Sicht das Aufkommen der protestantischen Häresien nach sich zog. »Der Feind von außen wird für More identisch mit dem Feind von innen.« Margaret Meserve gibt anschließend einen dokumentarisch interessanten Einblick in die rinascimentalen Theorien über den Ursprung der ottomanischen Türken. Der Beitrag grundiert die wichtigen frühneuzeitlichen Äußerungen (etwa bei Flavio Biondo und Pius II.) mit jenen mittelalterlichen »Quellen« (darunter byzantinische Autoren und deutsche Chronisten wie Otto von Freising), die sich mit der Heimat der Osmanen und mit den historischen Machtverhältnissen in Kaukasien und Vorderasien befaßten. Am Schluß des Bandes haben noch einmal die Dichter das Wort. Barbara Milewska-Wazbiâska mustert unter dem leitenden thematischen Gesichtspunkt mit aufschlußreichen Textbeispielen das weite Feld der lateinischen Renaissancepoesie Polens. Nicht nur den Beiträgern gilt unser Dank, sondern auch denen, die das Kolloquium und die Drucklegung dieses Bandes ermöglicht haben: den Verantwortlichen der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, namentlich ihrem Direktor Prof. Dr. Helwig Schmidt-Glinzer sowie Prof. Dr. Friedrich Niewöhner, in Heidelberg auch Herrn Dr. Christian v. Zimmermann, der mit der redaktionellen Betreuung der Vorlagen auch den Satz des Bandes übernahm, sowie Frau Angela Reinthal M.A., die das Register erstellte. Dankbar verpflichtet wissen wir uns den Mithrsg. der Reihe »Frühe Neuzeit«, nicht zuletzt auch Frau Birgitta Zeller, die im Max Niemeyer Verlag für reibungslose Zusammenarbeit sorgte. Marburg und Heidelberg, im August 1999
Bodo Guthmüller und Wilhelm Kühlmann
Martin Brecht
Luther und die Türken Die Deutschen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren fast unweigerlich mit den Türken konfrontiert. Man konnte die Augen vor der aggressiven, vordringenden Macht im Südosten nicht verschließen. Sie löste Angst aus, erregte Interesse und bestimmte das politische Weltbild mit. Dabei dürfte die Feststellung zur Klarheit beitragen, daß die Türken unter der energischen Führung Suleimans des Prächtigen (1520-1566) und mit ihren militärischen Erfolgen als unheimliche politische und religiöse Bedrohung von schwerlich einschätzbarer Reichweite erfahren wurden. Ein friedliches Neben- oder Miteinander mit diesen Ausländern war bei derartigen Gegebenheiten verständlicherweise nur schwer vorstellbar. Am ehesten könnte man die Beziehung mit den zurückliegenden Ängsten des Westens vor der politischen und ideologischen östlichen Großmacht vergleichen. All dies läßt sich exemplarisch am literarischen Werk des Zeitgenossen Martin Luther dokumentieren. Im Register seiner Werke umfassen die Stichworte Türkei, Türke, türkisch 20 zweispaltige Seiten, Personen, Geographie, Wesen und Eigenart, Einrichtungen, Sitten und Bräuche, Religion sowie das Verhältnis und den Konflikt mit dem Christentum betreffend.1 Die Wortgruppe gehört damit zu den großen Komplexen. Luthers seit 1531 aufgezeichnete Tischreden lassen erkennen, wie häufig und wie vielfältig das Thema aufgebracht wurde. Während militärischer Auseinandersetzungen mit den Türken interessierten entsprechende Nachrichten über längere Zeiträume nahezu tagtäglich. Der Türke war eine ausgesprochen virulente Größe im politischen Weltbild, der die Vorstellung beschäftigte, wozu man dann auch nach allerhand Hintergrundinformationen verlangte.2 Luther ist also auf jeden Fall eine Fundgrube für die Wahrnehmung und Einschätzung der Türken im mitteleuropäischen Horizont zu seiner Zeit. Dies wird noch dadurch verstärkt, daß er eben auch in der Lage war, seine Anschauungen in Worte zu fassen. Darüber hinaus war es Luthers Art nicht, bloßer Zuschauer oder auch nur Kommentator des Zeitgeschehens zu sein. Er nahm die großen und problematischen Zusammenhänge wahr, in denen die Türkenfrage stand, äußerte sich dazu selbständig und freimütig und war damit bereits lebenslang in die Auseinandersetzung involviert, wobei die Diskussi-
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D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe [= WA]. Bd. 62, Ortsregister. Weimar 1986, S. 334-354. Vgl. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe Tischreden. [= WA Tr] Bd. 6, Wort- und Sachregister, S. 690f.
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Martin Brecht
onslagen sich auch verschieben und verändern konnten.3 Schließlich ist sogleich noch festzuhalten, daß auch Luther wie viele seiner gelehrten Zeitgenossen mehrfach thematisch zu den Türkenproblemen Stellung genommen hat. Manche seiner Veröffentlichungen brachten es zu 10 und mehr Auflagen, was Luther bereits als einen der bedeutenderen Türkenkriegsautoren ausweist.
Defätist bezüglich des Widerstands gegenüber den Türken? Schon früh hatte sich Luther neben aller sonstigen Kritik auch noch dem Vorwurf ausgesetzt, den Widerstand gegen die Türken abzulehnen. Geschickt führte die im Sommer 1520 ergangene päpstliche Bannandrohungsbulle als 34. von 41 verworfenen Sätzen den folgenden auf: »Gegen die Türken zu kämpfen, heißt dem Willen Gottes zu widerstehen, der unsere Ungerechtigkeiten durch jene heimsucht.« 4 Genau besehen hatte der Satz einen sehr ernsthaften Hintergrund. In den erklärenden »Resolutiones« zu seinen Ablaßthesen hatte sich Luther gegen diejenigen gewandt, die mittels der Ablaßgelder die Türken bekämpfen wollten, ohne sich gegen die eigenen Sünden zu wenden, um die es ja im Zusammenhang mit dem Ablaß eigentlich ging. Dabei waren die Angriffe der Türken möglicherweise die Strafe Gottes für die Ungerechtigkeiten.5 Gerade mit dem Ablaß sowie mit dem Türkenkrieg konnte man in Widerspruch zu Gottes Willen geraten. Wenn man überhaupt gegen die Türken kämpfen wollte, mußte man geistlich bei sich anfangen. Ein lediglich im Vertrauen auf die eigenen Kräfte geführter Krieg würde unglücklich enden. Da die Kurie die Tyrannei der Türken übertraf und die Geistlichkeit in Habsucht, Geiz und Vergnügungssucht tief ersoffen war, bestand keine Aussicht auf einen erfolgreichen Widerstand. Ganz allein stand Luther mit seiner Ablehnung des Kreuzzuges gegen die Türken damals nicht, und das wußte er.6 Die Humanisten Erasmus von Rotterdam und Ulrich von Hutten hatten gleichfalls Kritik geäußert.7 3
Das Thema ist relativ gut aufgearbeitet. Von neueren Darstellungen seien genannt: Rudolf Mau: Luthers Stellung zu den Türken. In: Helmar Junghans (Hg.), Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, Berlin 1983, Bd. 1, S. 647-662; Bd. 2, S. 956-966. - Mark U. Edwards Jr.: Luther's Last Battles. Politics an Polemics, 1531-1536. Ithaca and London 1983, Chapter 5 Apocalyptic Expectations. The Scourge of God, S. 9 7 114. - Ludwig Hagemann: Martin Luther und der Islam. Altenberge 1983 (Christlich-Islamisches Institut. Abhandlungen 2). - Hartmut Bobzin: Der Koran im Zeitalter der Reformation. Studien zur Frühgeschichte der Arabistik und Islamkunde in Europa. Beirut 1995 (Beiruter Texte und Studien 42), bes. S. 1-157. 4 Carl Mirbt, Kurt Aland (Hgg.): Quellen zur Geschichte des Papsttums und des Römischen Katholizismus. Bd. 1. Tübingen 61967. Nr. 789, S. 589. 5 WA 1; 535,35-39. 6 Luther an Spalatin, 21. Dezember 1518; WA Br 1 ; 282,3-23. 7 Vgl. Mau, wie Anm. 3, S. 647.
Luther und die Türken
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Luther teilte 1518 eine verbreitete Stimmung, die weitere Abgaben für den Türkenkrieg, wie sie von Rom gefordert wurden, strikt ablehnte.8 In der programmatischen Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung vertritt Luther die auch auf dem Reichstag 1518 vorgebrachte Auffassung, die Annaten, die nach Rom abzugebende Hälfte des Einkommens einer kirchlichen Stelle im ersten Jahr, seien zur Finanzierung des Krieges gegen Türken und Ungläubige bestimmt gewesen, tatsächlich aber nie dafür, sondern für die Ausgaben der Kurie verwendet worden. Für den Türkenkrieg habe man dann einen besonderen Ablaß vertrieben. Luther ist für die Abstellung dieses Mißbrauchs. Wenn überhaupt sollten solche angesammelten Gelder in Deutschland verbleiben.9 Im Visier hat Luther auch hier wiederum das Verhalten des Papstes, während ein militärisches Vorgehen gegen die Türken nicht ohne weiteres ausgeschlossen ist. Seine durch die Bannandrohungsbulle verworfenen Sätze und damit auch seine Kritik am Türkenkrieg verteidigte Luther 1520 und 1521 energisch auf lateinisch10 und deutsch. Er berief sich auf die bisherige Erfahrung der Vergeblichkeit aller Maßnahmen gegen die Türken. Der Türke sei immer nur stärker geworden. Das ließ sich gegen alle Verblendung nur so erklären, daß der Türke das Werkzeug Gottes war. Die Türken mußten zu der Meinung kommen, die Christen führten mit Ablaßbullen und Ablaßbriefen Krieg gegen sie. Auch hier wird der Betrug durch die zweckentfremdete Verwendung der Ablaßgelder in Rom moniert. Schlimmer noch und unerträglich ist es, daß dies durch die Verführung mit der falschen Ablaßtheorie geschieht. Zur Strafe für die Ungerechtigkeit hat uns Gott den grimmigeren, blutdürstigeren, unersättlicheren »türkischsten Türken« (Turcissimos Turcas) in Rom übergeben, die uns gegen die »besseren Türken« aufhetzen. Luther überlegte, ob er nicht nach alttestamentlichen Vorbildern zum Türkenkrieg aufrufen sollte, damit das Unheil seinen Lauf nehme. Der richtigere Weg wäre, sich durch Gebete und darüber hinaus durch Änderung des ganzen Lebens einen gnädigen Gott zu machen. Dann sollten Kaiser und Fürsten »dem römischen Götzen« eine Grenze seiner Tyrannei, Verspottung und Verderbung der Seelen setzen. Luther wagt es zu prophezeien (!), auch wenn er nicht gehört werden wird: Wenn der Papst nicht wieder in die Ordnung gebracht wird, ist es um die ganze christliche Sache geschehen. Der Papst kann nichts außer Sünde und Verderben bewirken, und nur der kommende Christus vermag ihn zurechtzuweisen. Luther kann nur empfehlen, vom Türkenkrieg zu lassen, solange der Name des Papstes unter dem Himmel etwas gilt. Für Luther stand der Feind also anderswo als in der Türkei. 8 Luther an Spalatin, 2. September 1518; WA Br 1; 196,33-38. »10 WA 6; 418,14—419,27. Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam dam· natorum, WA 7; 141,18-142,25.
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Martin Brecht
Der endzeitlich aufgefaßte innerchristliche Gegensatz mußte überwunden werden. Aber dies war mit politischen Maßnahmen schon nicht mehr durchzuführen. Die deutsche Fassung von Luthers Widerspruch gegen die Bannandrohungsbulle ist mit der lateinischen keineswegs identisch.11 Luther illustrierte nunmehr mit Beispielen, welches Unglück durch die mit Ablaßgeldem finanzierten Türkenkriege in Ungarn entstanden sei. Sodann rückte er zurecht: »Nu hab ich dyssen Artickel nit also gesetzt, das wydder den Turcken nit zu streitten sey...« Er habe die Prioritäten richtig angeben wollen. Zuerst solle man sich bessern und »eynen gnedigen got machen«, anstatt sich auf den Ablaß zu verlassen und unglücklich unter einem ungnädigen Gott zu streiten. Der Papst führe wie der Antichrist mit dem Ablaß die Christen nur in den Tod und ihre Seele in die Hölle. »Gott fragt nit nach kreutzen [beim Kreuzzug], Ablaß, streitten. Er wil ein gut leben haben. Da fleugt der Bapst fur mit den seinen mehr denn sonst niemant und wil dennoch den Turcken fressen; darumb geht es unß auch so glucklich widder den Turcken streytten, das wo er vorhynn eyne meyl gehabt, hat er nu hundert meyl landt, noch sehen wyr nit, ßo gar hat unß der Romisch blinden furer gefangenn.« Luther war sich mit seiner Ironie sicher, und seiner Argumentation ließ sich nicht ohne weiteres widersprechen. Aber trotz seiner alternativen Konzeption konnte er eigentlich nicht als Defätist ausgegeben werden. Fast noch allgemeiner fiel Luthers Kritik an der Unterstützung des Türkenkrieges 1524 aus. Damals veröffentlichte er u.a. das nach dem Nürnberger Reichstag von 1524 erlassene kaiserliche Edikt mit kritischen Anmerkungen, weil es das Wormser Edikt wieder in Kraft gesetzt hatte. Zur Aufforderung, zum Widerstand gegen die Türken beizutragen, nahm Luther im Nachwort Stellung:12 Er lehnte das Ansinnen rundweg ab. Der Türke sei zehnmal klüger und frömmer als die eigenen Fürsten. Das richtete sich diesmal gegen den Kaiser, »der arme sterbliche Madensack«, der sich vermessen als »oberster Beschirmer des christlichen Glaubens« bezeichnete, wo doch der Glaube selbst die unüberwindbare, göttliche Kraft ist, die sich nicht von einem anfälligen Menschen beschützen lassen kann. Dies wäre unsinnig. Anstoß hatte Luther an der gängigen Titulatur der politischen Machthaber als Verteidiger des Glaubens genommen. Daß Menschen Gott zu schützen vermöchten, hielt er für pervers. Über eine lediglich politische Schutzfunktion der Regierenden äußerte er sich nicht. Als 1537 Papst Paul ΠΙ. einen Angriff der Türken auf Italien befürchtete, sollte wiederum ein Plenarablaß die Mittel für die Verteidigung einbringen. Luther, der nach Dan 11,45 gleichfalls die Eroberung Roms durch die Tür-
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Grund und Ursach aller Artickel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind, WA 7; 442,5-443,33. WA 15; 277,20-278,21.
Luther und die Türken
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ken erwartete, 13 konnte dazu nicht schweigen, sondern ließ die Papstbulle, mit eigenen Anmerkungen versehen, nachdrucken und dankte Gott, daß damit der Wahnsinn des Antichrists öffentlich gemacht werde.14 Bei dieser Stellungnahme Luthers allein konnte es jedoch nicht bleiben, zumal ihm schon länger nahegelegt worden war, sich zum Krieg gegen die Türken zu äußern. Der Tod König Ludwigs von Ungarn nach der Schlacht von Mohács Ende August 1526 machte das extreme Ausmaß der Bedrohung durch die Türken bewußt. 15 Der angeblich mit der evangelischen Verkündigung sympathisierenden Königinwitwe Maria widmete Luther Anfang Dezember die Vier tröstliche[n] Psalmen an die Königin von Ungarn. Dabei wies er daraufhin, daß jedenfalls nicht, wie damals und übrigens auch noch später16 agitiert wurde, der verfolgten lutherischen Ketzerei die Schuld an der Niederlage gegeben werden könne, und kritisierte den mangelnden Widerstand der Fürsten und Bischöfe gegen die Türken. 17 Er blieb dabei, daß das Vertrauen auf Gottes Schutz Sicherheit biete, »wenns auch eitel Türkische, Tatterische Keiser und eittel zornige Könige und Fürsten regnete und schneyete neun jar lang aneinander mit alle yhrer macht, dazu alle Teuffei mit yhnen«. Auch dem Machtbereich der Türken würden Grenzen gesetzt sein.18 In der Ende 1526 veröffentlichten Schrift Ob Kriegsleute auch in seligem Stand sein können deutete Luther am Schluß an, daß er auch den Türkenkrieg habe berühren wollen, weil er so nahe gekommen und weil er u.a. von dem Wiener Humanisten Johann Cuspinian wegen seiner Äußerungen von 1524 kritisiert worden war. Aber weil die Türken sich wieder zurückgezogen hatten, hielt Luther eine besondere Türkenschrift einstweilen für nicht mehr aktuell.19
Vom Krieg wider die Türken Der im März 1528 erschienene Unterricht der Visitatoren, ein Leitfaden, worüber die Pastoren Bescheid zu wissen hatten, den Melanchthon verfaßt und Luther durchgesehen hatte, enthielt u.a. auch einen Artikel »Vom Türcken«. 20 Zurückgewiesen wurde darin das Geschrei etlicher Prediger, Christen dürften den Türken nicht widerstehen. Verwiesen wird auf das von Gott gesetzte Straf- und Schutzamt der Obrigkeit nach Rom 13, das gegen die aggressiven Türken fraglos vorzugehen hatte. Den Türken wird jegliche " i" i' " "
Vgl. WA Tr 2; Nr. 2498 b. WA 50; ( U l f . ) 113-116. Vgl. Luther an Spalatin, 19. September 1526; WA Br 4; 118,10-14. April 1532; vgl. WA Tr 1 ; Nr. 206. WA 19; (543-551) 552-615, bes. 552,20-24 und 604,23-31. - Zur antilutherischen Agitation vgl. WA 30/11; 92f. •8 WA 19; 574,11-14 und 589,15-17. '9 WA 19, 662,9-16. 20 WA 26; 228,31-229,46.
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Martin Brecht
ehrbare soziale Ordnung abgesprochen. Die Leute sind deshalb zu unterrichten, daß es ein rechter Gottesdienst sei, auf Befehl der Obrigkeit gegen sie zu streiten. Diese völlig obrigkeitskonforme Position scheint in erheblichen Spannungen zu Luthers früheren kritischen Äußerungen zu stehen. Es war also fällig, daß Luther sich präzise und differenzierend zur Sache erklärte. Da die Bedrohung durch die Türken nach wie vor fortbestand, machte sich Luther im Herbst 1528 an die Abfassung der Schrift Vom Krieg wider die Türken.21 Er widmete sie Landgraf Philipp von Hessen als einem der tatkräftigen Reichsfürsten. Das von Luther verkündete Evangelium werde für den Defätismus, ebenso für die Ablehnung jeglicher Obrigkeit und sogar für den Wunsch nach dem Kommen der Türken verantwortlich gemacht. Diese Unterstellungen mußten ausgeräumt werden. Freimütig wird ausgegangen von dem in der Bannandrohungsbulle verworfenen Widerspruch gegen den Türkenkrieg, und Luther bekennt sich dazu. Aber nunmehr bestehe eine andere Situation, nachdem er 1523 seine Grundsatzschrift Von weltlicher Obrigkeit herausgebracht hatte, 22 die das obrigkeitliche Amt als eigenständigen Gottesdienst qualifiziert hatte, dem geistlichen Amt einschließlich des Papstes jedoch die Kriegführung abgesprochen hatte. Luther hielt das Widerstandsverbot der Bergpredigt (Mt 5,39f.) für alle Christen für verbindlich und nicht lediglich für einen »Rat« wie die Altgläubigen. Das hieß aber nicht, daß die Obrigkeiten keine Christen sein können, sondern hier griff die Unterscheidung von Luthers Zweireichelehre zwischen weltlichem und geistlichem Amt. Die Erfahrung lehrte, daß sich ein christlicher Krieg gegen die Türken nicht führen ließ. Würde ein Krieg unter dem Kreuzsymbol geführt, »so wolt ich davon lauffen, als iagt mich der Teuffei«. 23 Luther wollte sodann seinen Lesern das rechte Gewissen zum Kriegführen geben. Es wird kein Zweifel daran gelassen: Die Agression der Türken ist Unrecht, zu begreifen als Strafe Gottes. Bei denen, die den Türken entgegentreten, unterscheidet Luther zwischen dem Christenmenschen Christianus und dem weltlichen Kaiser Karolus. Die Christen begegnen mit ernster Buße und vertrauendem Gebet der Strafe Gottes, sonst ist jeglicher Widerstand umsonst. Das Gebet ist besonders notwendig gegen die Türken, geht Luther doch entgegen anderslautenden Behauptungen davon aus, daß es bei ihnen für Christen keine wirkliche Religionsfreiheit gebe. In diesem Zusammenhang wird über einige theologische Unterschiede zwischen dem synkretistischen Islam und dem Christentum vor allem hinsichtlich der Christologie informiert, mit dem Resultat, daß eigentlich die ganze christliche Soteriologie fehlt. Ferner wird auf die Gewalttätigkeit des Islam hingewiesen; die Türken sind mithin keine ordentliche Obrigkeit. Ein dritter 2
> WA 30/11; (81-106) 107-148. WA 11 ; (229-244) 245-281. 23 WA 30/11; 108,19-115,28; Zitat: 115,2f. 22
Luther und die Türken
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Punkt betrifft die zugelassene Polygamie. Insgesamt gehen den Türken also die wahre Religion, die wahre Obrigkeit sowie der wahre Hausstand und damit die tragenden Strukturen der Gesellschaft ab; schroffer könnte der Gegensatz kaum markiert werden. Dabei verkennt Luther jedoch nicht die positiven Eigenschaften der Türken wie Treue, Wahrhaftigkeit, das Vertrauen auf ihren Allah und die Bilderlosigkeit, was jedoch an der negativen Gesamteinschätzung nichts ändert. Der Christianus muß wissen, was er gegen sich hat, und dem mit Buße und Gebet begegnen.24 Der politisch-militärische Widerstand gegen die Türken ist eine profane Aufgabe und darum Sache des Kaisers als des Exponenten politischer Macht im deutschen Reich.25 Sinn hat der militärische Streit jedoch nur, wenn sich der Christianus auf seine Art gewappnet hat, sonst ist Gott nicht bei dem Unternehmen. Der Gehorsam gegenüber dem Kaiser als der eingesetzten Obrigkeit gilt zugleich als Gehorsam gegen Gott. Zulässiger Zweck des Krieges ist allein der Schutz der Untertanen; andere Motive werden nicht anerkannt. Der Kaiser fungiert mithin auch nicht als Beschirmer der Kirche bzw. des Evangeliums oder als Vertilger der Ungläubigen. »Des Keisers schwerd hat nichts zuschaffen mit dem glauben, Es gehört ynn leibliche, weltliche sachen.« Mit einem Kreuzzug würde man Gottes Ordnung verkehren. Dies gilt übrigens auch für ein Vorgehen des Kaisers gegen die Reformation. Luther hält hier seine Unterscheidung der beiden Reiche konsequent durch. Kaiser und Fürsten sind lediglich bei ihrer Schutzpflicht zu behaften; diese jedoch steht nicht in ihrem Belieben, sondern muß von ihnen wahrgenommen werden. Dementsprechend hat die Kirche ihnen verbindlich zu predigen. Die Fürsten werden kritisiert, daß sie dem Panier des Kaisers nicht folgen, haben sie doch mit dem Schutz Gottes Willen zu erfüllen, dem demütig nachzukommen ist. Gehorsam gegen Gottes Gebot und Demut machen die angemessene Haltung des Kriegsmannes aus. Daß sie sich nicht bei allen finden, hält Luther nicht von seinen Mahnungen ab. Der gelegentlich empfohlene defätistische Verzicht auf den Widerstand gegen die Türken ist von den Pfarrern als Ungehorsam gegen Gottes Gebot und als Partizipation an den Greueln der Türken klar kenntlich zu machen. Solche Kollaboration würde sich bei den Türken auch nicht auszahlen. Der gegenüber Luther naheliegende Einwand, der Papst sei so schlimm wie der Türke, wird wieder mit der Zweireichelehre aufgefangen. Gegen die Irrtümer und Mißbräuche des Papstes hat der Christianus vorzugehen, solange der Papst den Kaiser nicht auch militärisch angreift. Schließlich rät Luther aufgrund bisheriger schlimmer Erfahrungen recht konkret, im Falle des Krieges ein ausreichendes militärisches Potential einzusetzen, das der Macht der Türken auch gewachsen sein würde.
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" WA 30/11; 116,1-129,16. « WA 30/11; 129,17-148,29.
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Martin Brecht
Damit meinte Luther, seine Stellung zum Türkenkrieg dargelegt zu haben. Er hatte seine Auffassung durchgehalten, daß der Christ sich mit Buße und Gebet auf das geschichtlich Begegnende einzustellen und somit keine heiligen Kriege zu führen habe. Mit Hilfe der Zweireichelehre war davon nunmehr unterschieden die gottgebotene Schutzfunktion der politischen Gewalt, der die Untertanen gehorsam zu sein hatten. Eine notwendige Entflechtung der Motive bei gleichzeitiger Bejahung der Verteidigungsaufgabe war damit erreicht. Luther erwartete, daß Gott einem derart begonnenen Unternehmen Glück und Heil geben würde, verzichtete jedoch auf leichtfertige Siegeszuversicht. Luthers Gegner haben es ihm nicht abgenommen, daß er seine Position neu bestimmt hatte und sich nunmehr für den Krieg gegen die Türken einzusetzen vermochte. 26 Er selbst jedoch hatte sich für dieses Problem eine Basis erarbeitet, die sich unter den kommenden Herausforderungen nach verschiedenen Richtungen fortentwickeln ließ. Die Aufforderung zum Gebet gegen die Türken hatte auch liturgische Konsequenzen. Wie schon in der vorigen Schrift vorgesehen, bearbeitete Luther Anfang 1529 das große Bittgebet, die bisherige Allerheiligenlitanei in deutscher Übertragung sowie in einer lateinischen Fassung. 27 Dabei entfielen selbstverständlich sämtliche Anrufungen der Heiligen; das Gebet richtete sich ausschließlich an den dreieinigen Gott. An dem doppelchörig angelegten Gebet konnte sich auch die Gemeinde beteiligen. Die Türken oder ihre Opfer wurden nicht ausdrücklich genannt, ließen sich aber unter allgemeineren Gebetsanliegen unterbringen. Die Litanei wurde dauerhaft zu einer Bereicherung der evangelischen Gebetsliturgie. Gleichfalls aus dem Jahr 1529 stammt Luthers bis heute bekannte Übertragung der lateinischen Antiphon Da pacem domine, »Verleih uns Frieden gnädiglich«. 28 Die Nachricht vom Vorstoß der Türken bis vor Wien im Herbst 1529 setzte Luther geradezu körperlich zu. Seine Freunde Nikolaus von Amsdorf und Nikolaus Hausmann forderte er auf, in ihren Gemeinden in Magdeburg und Zwickau zu Buße und Gebet zu mahnen. 2 9 Den Abzug der Türken von Wien hielt er für ein göttliches Wunder, wenngleich ihm klar war, daß die gefahrlich nahe gekommenen Türken keine Ruhe geben würden. 3 0 An dem kurz zuvor gefaßten Plan, »Eine Heerpredigt wider den Türken«, also eine Kriegspredigt, zu veröffentlichen, hielt er fest. 31 Sie führte Gedanken aus, die er selbst auf der Wittenberger Kanzel vorgebracht hatte. 32 Die Deutschen 26
Vgl. Mau, wie Anm. 3, 653. " WA 30/III; (1-28) 29-42. 28 WA 35; (232-235) 458. » WA Br 5; 163f.; 164f.; 166f. 30 An von Amsdorf, 27. Oktober 1529; WA Br 5; 167,5-168,20. 3 ' WA 30/11; (149-159) 160-197. 32 Predigt vom 24. Oktober 1529, WA 29; 593,10-597,25. Vgl. auch die Ermahnung zum Gebet gegen die Türken vom 7. November 1529; WA 29; 607,22610,9.
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sollten sich nicht mit dem Abzug der Türken beruhigen. Luther und seine Wittenberger Freunde sahen in den Türken den Dan 7,25 geweissagten eschatologischen Feind Gottes und seiner Heiligen. Gegen ihn wollte Luther wieder in einer Zweiteilung einerseits die Gewissen unterrichten,33 andererseits die Faust vermahnen. Aus dem gerade angesichts der Bedrohung durch die Türken als Stabilisierung wieder wichtig gewordenen danielischen Geschichtsschema von den vier Weltreichen, von denen das römische das letzte sein würde, bezog auch Luther die Gewißheit, daß es kein türkisches Kaisertum geben würde, obwohl die Türken dem römischen Reich sehr zusetzten und sich als der endzeitliche Feind darstellten. Aus dieser eschatologischen und damit problematischen Sichtweise ergab sich die Härte des Konflikts: Die Türken werden als die zu vernichtenden Feinde Gottes oder als »eitel Teufel« begriffen. Ein Christ kann darum keinesfalls gemeinsame Sache mit ihnen machen. Aber es bleibt dabei: Der Krieg gegen sie soll im Gehorsam gegen die Obrigkeit als weltliche Verteidigungsaktion unternommen werden. Der Tod im Kampf gegen die Türken wird um einer guten Sache willen erlitten, und insofern kann das Gewissen ruhig und getröstet sein. Der Türke hingegen würde die Hölle zum Lohn haben. Dennoch wird nicht tollkühner Verwegenheit das Wort geredet. Die Türken sind zugleich Gottes Strafe für alle Bosheit und Lästerung in Deutschland. Darum ist vorweg das Leben zu bessern und zu beten. Die Ermahnung der Faust34 besagte, daß die geforderte Türkensteuer aus den angesammelten Vermögen bereitwillig zu entrichten und der verlangte Kriegsdienst gehorsam zu leisten seien. Nach der bisherigen guten Zeit habe man sich auf die Entbehrungen eines Krieges einzustellen, andernfalls würden Weib, Kind und Haus dem Wüten der Türken zum Opfer fallen, dazu drohten Deportation und Zwangsarbeit. Alle Stände hatten darum Grund zu entschiedenstem Widerstand; die Grausamkeit der Türken ließ eine Alternative nicht zu. Eigens richtete Luther eine Vermahnung und einen Trost an bereits von den Türken Deportierte.3' Hierbei ging es ihm vor allem um eine Stabilisierung im christlichen Glauben. Das Katechismuswissen, vor allem der zweite Glaubensartikel mit seinen sich von Juden und Türken unterscheidenden Aussagen, soll memoriert werden. Von dem Glaubensernst und den Wundern der islamischen Geistlichen sowie von den zuchtvollen Gebetsgottesdiensten und der Märtyrerverehrung, schließlich von der geübten Askese soll man sich nicht beeindrucken lassen, denn bei all dem fehlt der Christusglaube. Das Selbstbewußtsein und Überlegenheitsgefühl der Türken soll nicht den Blick dafür verstellen, wieviel bei ihnen dem Gebot Gottes zuwiderläuft. Die Gefangenschaft und Unfreiheit sind entsprechend Luthers poli33 34
WA 30/11; 161,31-181,2. WA 30/11; 181,3-185,12. « WA 30/11; 185,18-197,25.
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tischer Ethik geduldig und gehorsam hinzunehmen, dem Glauben schadet dies nicht. Im Gegensatz zum Papst übten die Türken keinen religiösen Zwang aus. Von Subversion ist wohlgemerkt nicht die Rede. Der Gehorsam gegenüber den Türken hatte jedoch da seine Grenze, wo zum Kampf gegen die Christen aufgefordert werden würde, weil die Obrigkeit nicht das Recht hat, derartiges zu verlangen. In diesem Falle gelte es zu leiden, denn man darf sich nicht gegen Gott und sein Wort stellen. Als 1532 Kurprinz Joachim von Brandenburg als Hauptmann des sächsischen Kreises gegen die Türken ziehen wollte, bat er Luther um seine Fürbitte und Unterweisung.36 Luther versprach Joachim »mit unserm Pater noster, so best wir vermügen, Gesellschaft zu leisten«. Geistlich wollte er Kaiser Karl und den Seinen beistehen. Er wünschte ihnen ein mutiges Herz, das nicht auf die eigene Kraft, sondern auf Gott vertraut. Sich darauf zu verlassen, daß der Türke Gottes Feind sei, hielt Luther angesichts der Ungerechtigkeit im eigenen Lager für unangemessen. Anstatt Vermessenheit sind Demut und der Verzicht auf alle eigensüchtigen Interessen angebracht. Dies vorausgesetzt, sollte der Kurprinz in Gottes Namen unter dem verheißenen Beistand des Erzengels Michael ziehen. Allerdings hat Luther damals auch erfahren, daß seine Bitte um den Erfolg des Kaisers auf ihn zurückfiel, »den[n] unser sündt sindt zu groß«.37 Explikationen und Aktualisierungen Das nicht unbeträchtliche weitere Schrifttum Luthers zur Türkenfage kann man als Ausbau und Aktualisierungen seiner Konzeption von 1529 nach verschiedenen Richtungen und in den sich verändernden Situationen begreifen. Heilsgeschichtliche Versicherung. Hatte die Heerpredigt aufgrund von Dan 7 den Türken ihren Platz in der Heilsgeschichte als endzeitlichen Feinden angewiesen, so identifizierte sie Luther 1530 während seines durch den Augsburger Reichstag veranlaßten Aufenthalts auf der Veste Coburg mit den Ez 38 und 39 sowie Apk 20,8f. begegnenden feindlichen Mächten des Gottesvolkes. Er war damals an sich mit der Übersetzung der Propheten beschäftigt, zog aber die beiden von Gog und Magog handelnden Kapitel vor und veröffentlichte sie mit einer eigenen Vorrede.38 Das bedrängte Israel wird dabei ausdrücklich gegen die jüdische Auslegung mit der Kirche, gemeint ist das Häuflein unter dem Evangelium, gleichgesetzt. Es ist Gottes Zorn über die Sünde, die den auf die Türken gedeuteten Gog hat aufkommen lassen, doch wird Gott ihn auch überwinden. Deshalb wird nochmals 36 37 38
Luther an Kurprinz Joachim von Brandenburg, 3. August 1532; WA Br 6; 343345. WA Tr 2; Nr. 1797. WA 30/11; (220-222) 223-236.
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zum Bekenntnis der Sünden und zum Gebet aufgefordert. Entsprechend findet sich die Deutung von Gog und Magog auf die Türken auch in der neuen Vorrede zur Johannesoffenbarung von 1530 sowie in den gleichzeitigen Glossen zu Apk 20 und hält sich von da an auch an diesen Stellen in Luthers Bibelübersetzung. Türken- und Islamkunde. Wie bereits Luthers frühe Türkenschriften zeigen,39 verfügte er über gewisse zutreffende oder auch voreingenommene Vorstellungen und Kenntnisse von den Glaubensanschauungen und Sitten der Türken, die dann ihrerseits seine kritischen oder auch respektvollen Äußerungen mitbestimmten. Aber schon in Vom Krieg wider die Türken hatte er sich unzufrieden geäußert, daß nicht genauere Informationen über das geistliche oder weltliche Wesen der Türken zur Verfügung standen, obwohl er Teile eines (lateinischen) Korans besaß, deren Übersetzung er sogar bereits beabsichtigte. 40 Damit deutet sich bereits an, daß gerade auch Luther trotz und bei aller Gegnerschaft gegen die Türken einen Beitrag zur Türkenund Islamkunde geleistet hat. Dies beschränkte sich nicht auf die in seinen eigenen Schriften enthaltenen einschlägigen Informationen. Anfang 1530 gab Luther den erstmals um 1480 anonym in Rom veröffentlichten Libellus de ritu et moribus Turcorum [Büchlein über den Gottesdienst und die Sitten der Türken] mit eigenem Vorwort erneut heraus 41 . Der Verfasser war Georgius de Hungaria, ein deutscher Dominikaner aus Siebenbürgen, der zwanzig Jahre lang in der Türkei gefangen gewesen und darum gut informiert war. Luther hatte bis dahin nur die sog. Confutatio Alcorani des Dominikaners Ricoldo da Monte Croce (1243-1320) und die Cribratio [Durchsiebung] Alcorani des Nikolaus von Kues (1401-1464) gekannt; beide Werke hielt er damals für zu polemisch und damit zu wenig objektiv. Die neue Schrift bot zwar immer noch zu wenige Informationen, aber sie berichtete auch über die starken Seiten der Türken, die im Vergleich kritisch und eben damit nützlich gegen die Zeitgenossen gewendet werden konnten. Es wird anerkannt, daß sich das fromme Leben und die religiösen Bräuche der Türken ansehnlicher als die der Christen, selbst die der Geistlichen unter ihnen, darstellten. Gerade auf fromme Christen konnte dies versuchlich wirken. Im Gegensatz dazu wollte Luther gerade dartun, daß die christliche Religion etwas anderes als eine fromme Zeremonienerfüllung oder gute Sitten und Werke sei. Er rückte dabei die >papistische< Religion ganz nahe an die türkische heran; theologisch bestand für ihn zwischen beiden keine große Differenz. Deshalb werden die Türken und der Papst als Gegner des Evangeliums auch später immer wieder in eine Reihe gestellt. Die christliche Religion jedoch gilt als etwas anderes, und darum sollten die ansehnlichen Zeremonien der Türken 3' WA Deutsche Bibel 7; 416,29-38; 469 und 471 am Rand. 40 WA 30/11; 121,19-122,2. - Vgl. Bobzin, wie Anm. 3, S. 20-22. 4 ' WA 30/11; (198-204) 205-208. - Vgl. Bobzin, wie Anm. 3, S. 34-36.
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auch keine Versuchung zum Abfall sein. Die Leugnung der Christologie und Soteriologie durch Mohammed ist dafür ein zusätzliches Argument. Ohne die christliche Heilslehre nützt alle Frömmigkeit nichts, und mit ihr war diese verzichtbar. Mehr an kritischer Auseinandersetzung mit dem Islam wollte Luther bieten, sobald er eines Korans habhaft geworden war. Das neuerliche Vorrücken der Türken in Ungarn im Jahre 1541 löste u.a. auch einen weiteren Bedarf nach Informationen über sie aus. Dies veranlaßte Luther nunmehr doch, die früher kritisch eingeschätzte Confutatio Alcorani des Ricoldo da Monte Croce in freier Fassung ins Deutsche zu übertragen und seinerseits mit einer Widerlegung zu versehen.42 Luther hatte sich inzwischen anhand eines lateinischen Korans überzeugt, daß die schlimmen Informationen Ricoldos zutreffend waren. Nicht selten reagierte er darauf mit temperamentvollen Anmerkungen. Die Türken mit ihren militärischen Erfolgen werden wieder als Strafe Gottes wegen der Sünden seines Volkes verstanden. Zudem gehört die Verfolgung zum Christentum. Noch viel mehr als die Christen wird der Zorn Gottes die Türken mit ihrer Gewalt und ihrer Verführung treffen. Ihre Verstockheit wird dadurch bestätigt, daß sie sich nicht bekehren lassen. Die Unterscheidung zwischen ursprünglicher Wahrheit und nachträglichen Zusätzen im Koran war für den dem Schriftprinzip verpflichteten Luther unannehmbar. Er machte sich klar, daß nicht alle Sarazenen dem Koran glaubten. Aber er mußte sich auch eingestehen, daß das Herz vieler Christen gleichfalls nicht ungeteilt Gott, sondern dem Mammon oder dem Teufel gehörte und damit auch nicht besser als die Türken war, so daß sich die Frage stellte, wem Gott helfen sollte. Luther entscheidet sich für die Türken, weil sie Gottes Wort nicht haben. Die komplexe Entstehung des Korans entsprach nach Luthers Auffassung dem Wachstumsprozeß der christlichen Traditionen und war ebenso kritisch zu beurteilen. Die Moral und Frömmigkeit der Mohammedaner wird teils scharf abgelehnt, teils nicht gelten gelassen. Dabei wird Mohammed nicht für den Antichrist gehalten, weil er zu leicht zu durchschauen ist; der das Christentum pervertierende Antichrist ist vielmehr der Papst mitten in der Kirche. Glück gegen den äußeren Feind der Christenheit kann es nur geben, wenn man sich in innerer Buße gleichzeitig auch vom Papst abwendet, andernfalls wird Mohammed weiter vordringen. Das ist es, was Luther als »treuer Prophet und Prediger« zu sagen hat. Aus seinem theologischen Interesse an den Türken hat Luther schließlich einen beachtlichen Beitrag zur Förderung der Islamkunde geleistet. 1542 wollte der Zürcher Theologe Theodor Bibliander (15047-1560) bei dem Basler Drucker Johannes Oporinus erstmals einen lateinischen Koran samt
« WA 53; (261-271) 272-276 (Luthers Vorrede), 276-388; 388-396 (Luthers »Verlegung« [= Widerlegung]). - Vgl. Bobzin, wie Anm. 3, S. 22-29 und S. 95152.
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Widerlegung herausgeben. 43 Luther unterstützte das Vorhaben, indem er eine Wittenberger lateinische Koranhandschrift zur Verfügung stellte. Den fertiggestellten Druck ließ der Basler Rat jedoch kassieren, weil Derartiges von Basel aus nicht veröffentlicht werden sollte. Angestoßen durch die Straßburger Theologen intervenierte auch Luther beim Basler Rat. 44 Er zeigte Verständnis für die Unterdrückung schädlicher Bücher und hob seine eigenen langjährigen Bemühungen um reine Bücher in der Kirche hervor. Aber wie Luther schon vielfach gegnerische Bücher selbst veröffentlicht hatte, um sie zu entlarven, so meinte er auch, man könne den Türken und Mohammed nicht mehr schaden, als wenn man ans Licht bringe, »wie gar ein verflucht, schendlich, verzweivelt buch [...] voller lugen, fabeln und aller grewel« der Koran sei. In dieser Hinsicht war er eigentlich immer für offene Information. Man brauchte die Übersetzung, damit die Pfarrer informiert dagegen predigen konnten. Luther deutete an, falls das Verbot nicht aufgehoben werde, sich in Wittenberg um die Veröffentlichung zu bemühen. Unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen, z.B. durfte Basel nicht als Druckort genannt werden, ließ der Rat die Veröffentlichung dann doch zu.45 Luther und auch Melanchthon steuerten zu Biblianders lateinischer Koranausgabe von 1543 Vorreden bei. 44 Auch hier betonte Luther, wie die um des Christuszeugnisses willen notwendige Auseinandersetzung mit den Juden, so erfordere ebenso die mit den Mohammedanern die Kenntnis ihrer Schriften. Einen dadurch bewirkten Abfall von Christus und seiner Wahrheit konnte er sich nicht vorstellen, dazu hielt er die Unterschiede für zu offenkundig. Luthers Interesse am Koran war also ausschließlich von der Kontroverse her begründet. »Was aber könnten wir über Unbekanntes sagen?« »Dogma mus man ansehen.« 47 Nichtsdestoweniger war dies die Voraussetzung eines Kennenlernens überhaupt. Vermahnungen zur Buße und zum Gebet. Die angemessene Haltung und das vertrauende Gebet waren für Luther stets die Voraussetzungen, um als Christ der Türkengefahr begegnen zu können. Aufgrund seiner Erfahrungen wurde er allerdings immer skeptischer, ob sie sich erfüllen ließen. 1532 gab er die 32 Predigten heraus, die Johannes Brenz, Prediger in Schwäbisch Hall, 1529 anläßlich des Türkeneinfalls gehalten hatte. 48 Luthers Vorrede äußerte sich allerdings frustriert, ob die Vermahnung bei den verstockten Menschen etwas erreichen würde. Dennoch durfte sie nicht unterlassen werden. Luther warnte vor einer falschen Sicherheit und vor einem Vertrauen auf das eigene moralische Leben, bei dem die ehrfürchtige Angewiesenheit auf Gott außer acht gelassen wurde. Er rechnete mit einem neuen, 43
Vgl. Bobzin, wie Anm. 3, S. 153-275. 27. Oktober 1542; WA Br 10; 160-163. 45 Der Rat der Stadt Basel an Luther, 8. Dezember 1542; WA Br 10; 217-219. 46 WA 53;(561-569) 569-572. ·» WA Tr 5; Nr. 5536,5. 48 WA 30/ΙΠ; (533-535) 536f. 44
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schlimmen Einfall der Türken als Strafe Gottes, bei dem allenfalls Lot gerettet werden würde, während Sodom und Gomorrha die Strafe für ihre Unbußfertigkeit leiden mußten. Anfang 1539 befürchtete man in Kursachsen sowohl einen Angriff der Altgläubigen auf die Evangelischen als auch einen solchen der Türken. Luther verfaßte damals Ein Vermahnung an alle Pfarrherrn,49 Er warnte wiederum vor falscher Sicherheit und forderte dazu auf, sich mit Beten und Buße zu rüsten, zumal es zugleich zu einem Konflikt mit den Altgläubigen kommen konnte. Wegen der drohenden zwei Kriegsruten als Strafen für die Sünden bedrängten Luther schlimme Ahnungen. Die Pfarrer hatten dem Volk diese doppelte Gefahr vorzustellen. Man solle Gott lieber um eine andere Strafe, z.B. eine Epidemie, bitten, bei der die politische Ordnung jedoch bestehen blieb (vgl. 2. Sam 24). Das Gebet sollte sich vorweg darauf richten, daß Gott angesichts der Bedrohung durch die blutdürstigen Papisten seine Hand nicht abziehe. Dabei war Luther sich gewiß, daß die Gegner in ihrer Feindschaft gegen Gott nicht in der Lage waren zu beten. Man versteht von daher, warum diese Vermahnung nach Luthers Tod in der ähnlichen Situation des Schmalkaldischen Kriegs gedruckt wurde. Nach dem Tod des ungarischen Königs Johann Zapolya (1540) bemächtigte sich Suleiman der Prächtige 1541 mit einem großen Heer der Hauptstadt Ofen und bereitete den Truppen König Ferdinands eine schwere Niederlage. Kurfürst Johann Friedrich forderte deshalb wieder eine Vermahnung zum Gebet wegen der Türken an. Von dem Kammerdiener Georg Weiß, der gegen die Türken ziehen wollte, um einen Rat gebeten, hatte Luther am 14. August 1541 die Lage sehr pessimistisch eingeschätzt:50 Mit einem unterlegenen Heer, dazu unbußfertig, mit blutbesudelten Händen wie der katholische König Ferdinand könne man den Türken nicht entgegentreten. Er war gegen sinnlose Opfer, hatte auch keine Hoffnung, um den Sieg zu bitten, und konnte nur wünschen, daß möglichst viele errettet würden. Die Türken werden wieder als Gottes Strafe für die Sünden, besonders die der Christen verstanden. Deshalb wird vorweg die Erkenntnis und das Eingeständnis der Sünden gefordert. Der Beistand für die Bedrohten gilt als sinnvoll. Zur geistlichen Ausrüstung sind dabei das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser als »zwei große Heiligtum«, gewissermaßen als verinnerlichte Reliquien oder Amulette, ins Herz zu fassen. Das Siegel soll Joh 11,25 sein: »>Wer an mich gläubt, ob er gleich stürbe, wird er doch leben.< Und schlage alsdann drein und wage, was zu wagen ist.« Es wird mit dem Äußersten gerechnet. Aber es gibt einen Trost. Noch deutlicher wird die Vermahnung zum Gebet wider den Türken:51 Den Deutschen ist das Wort Gottes geschenkt worden, das sie von der paWA 50; (478-484) 485-487. » WA Br9; 491f. " WA 51; (577-585) 585-625.
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pistischen Abgötterei gerufen hat. Aber dieses Wort ist bewußt verfolgt worden. Gott kann sich das nicht gefallen lassen. Auch die Evangelischen sind undankbar und mißbrauchen das Wort für den eigenen Libertinismus. Genannt werden Müntzer, die Zwinglianer und die Wiedertäufer, daneben der in allen Schichten verbreitete Geiz, Untreue, Übervorteilung, parteiische Rechtsprechung des Reichskammergerichts, der von Luther in jenen Jahren nochmals besonders aufs Korn genommene Wucher, die Unterdrückung der Sittenkritik der Pfarrer sowie die Verkürzung ihrer Einkommen durch ihre Patrone. Luther beruft sich auf seine längst erfolgten Prophezeiungen (!), die Türken würden in all dem schlimmen Wandel schaffen. Steht es doch mit dem sittlichen Verderben fast wie vor der Sintflut. Einem verzweifelten Defätismus, der auf Widerstand verzichtet, das Wort zu reden, fühlt sich Luther gleichwohl nicht berechtigt. Gottvertrauen und Gottesfurcht sind geboten. Aber das heißt, in allen Ständen Buße zu tun und sich an die Zehn Gebote zu halten. Anders ist nicht zu raten, weil die Strafe durch die Türken sonst nicht aufhören wird. »Bose sein und ungesteupt sein wollen« gehen nicht zusammen. Dies sollen die Pfarrer predigen. Blieben die Leute verstockt, hatte man sich wie im Israel der Propheten auf die Deportation einzustellen; das Ende des Glaubens wäre auch dies freilich nicht. Da Luther jedoch Gottes diesbezüglichen Willen nicht kennt, muß er seinem bisherigen Beruf treu bleiben und zum Widerstand mahnen. Die Papisten sollen von ihrer Gotteslästerung ablassen, und Gottes Wort soll wieder geehrt werden. Hat dies keinen Erfolg, hat die gutwillige Minderheit Gott zu bitten, daß sie nicht für die Sünden der andern entgelten muß. Solches Gebet darf auf Erhörung hoffen, auch wenn es nicht durch die vollmächtigen Gottesmänner des Alten Testaments vorgebracht wird, weil es durch die Kirche geschieht. Schon bisher ist sie vor dem Papst, dem größeren Widersacher als die Türken, behütet worden. Dies hat aber die Predigt der Buße zur Voraussetzung. Daß sie nicht von allen gehört wird, muß hingenommen werden. Besonders sollen die Heerprediger angesichts der Teufelsmacht der Türken das Kriegsvolk von seiner Wildheit und seinem Fluchen abbringen. Das zweite Amt der Prediger ist dann die Aufforderung zum Gebet und zwar zum im Gottvertrauen gewissen Gebet. Luther skizziert einen eigenen Gebetsgottesdienst mit entsprechenden Psalmen, der Litanei und einem eigenartig langen Gebet, das in nuce Luthers »Türkengefahrtheologie« enthält. Die Aufforderung ist ihm nicht leichtgefallen, weil er wegen der benannten Widerstände befürchten mußte, daß es nicht mehr erhört würde. Er bleibt jedoch dabei, weil er keine anderweitige Weisung hat und es noch fromme Herzen gibt, und stellt sich damit bewußt in die Lücke. Dabei sollte freilich Gott seine Freiheit hinsichtlich der Erhörung gelassen werden. Ausdrücklich wird jedoch der resignierte Fatalismus der Türken abgelehnt. Gottes Vorsehung ist uns unbekannt, aber ihm ist das Gute zuzutrauen, und wir
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haben das Aufgetragene zu tun. Die weltlichen Stände sollten die sittlichen Mißstände abstellen und das Sakrament des Abendmahls nicht verachten, sondern an ihm teilnehmen. Man habe sich bewußt zu sein, daß man es gegen die Türken mit dem Teufel zu tun habe und deshalb auf Gott angewiesen sei. In diesem Vertrauen sollte mutig vorgegangen werden, ohne den Tod zu fürchten, wozu die Christen keinen Grund haben. Der Kriegszweck ist nicht der Gewinn von Gut und Ehre, sondern die Erhaltung der Kirche, insofern kann der Krieg hier auch als »gottseliger Krieg« bezeichnet werden. Luther schließt jedoch eine Niederlage nicht aus. Sie wäre dann bereits der Beginn der endzeitlichen Wirren. Jedenfalls sollte den Kindern der Katechismus beigebracht werden, auch für den Fall, daß sie deportiert werden würden. Ein Nachwort hält noch fest, daß die Zuversicht nicht für die katholischen Gegner wie Erzbischof Albrecht von Mainz oder Heinrich d.J. von Braunschweig oder die Tyrannen und Wucherer unter dem Adel bestehe, die die evangelischen Pfarrer bedrängen. Gott würde auch über sie als Richter und Strafer auftreten. Am Schluß lautet die »Summa«: Wir Christen haben uns nichts zu vermessen [=vertrösten] unser klugheit oder macht (wie der Tiirck, Bapst, Meintz und die Welt thut), Widerumb auch nichts zu verzagen noch furchten, Wie Judas thet und Türck, Bapst, Meintz und die weit zu letzt thun müssen. Unser trost, trotz, ho[c]hmut, vermessenheit, stoltz, pochen, Sicherheit, sieg, leben, freud, rhu(e)m und ehre sitzt droben zur rechten Gottes, des Allmechtigen Vaters. Trotz Teuffei, krumme jm ein har, Er heisst und bleibt Scheblimini [Christus], Dem sey es alles befolhen, Er wirds und sols wol machen, wie er von anfang bisher gemacht, fort an bis in ewigkeit machen wird, Amen. Noch das Referat dürfte die vielfältige, direkte, persönliche Betroffenheit Luthers erkennnen lassen, die dieser Schrift ihr spezifisches Profil verleiht und sie zu einem eindrücklichen Zeugnis macht. Luther kam aus seiner zwiespältigen Einstellung zum Widerstand gegen die Türken nicht mehr heraus. Er beklagte weiter den sittlichen Verfall und den sozialen Zwiespalt in Deutschland, die eigentlich keinen Widerstand gegen die türkischen Angriffe möglich machten. 52 Am 17. Mai 1542 beglückwünschte er Joachim Π., den nunmehrigen Kurfürsten von Brandenburg, als Feldhauptmann gegen die Türken und versprach ihm seine Fürbitte,53 denn ohne das Gebet der Kirche sei nichts gegen die Türken auszurichten. Der Kurfürst sollte auf Disziplin und Anstand im Heere achten, weil man in Sünden und mithin ohne Gott gegen die Türken nicht bestehen könne. Trotz Teufel, Gottes Zorn und unserer Sünde konnte Luther nicht anders, als sich gegen die Türken auf die Seite des Kurfürsten zu schlagen. Die Bedrohung des Reichs trieb Luther trotz der inneren Mißstände immer 52
Luther an Jakob Propst, 26. März 1542; WA Br 10; 23,6-23. » WA Br 10; 65-68.
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wieder zum Gebet.54 Der Feldzug von 1542 wurde jedoch ein Fehlschlag; die Umlage der auch von Luther entrichteten Türkensteuer war vertan. Luther fürchtete jetzt sogar, daß die Evangelischen von König Ferdinand allein geopfert werden würden. In dieser Situation verfaßte Luther auf Veranlassung Kurfürst Johann Friedrichs 1543 nochmals eine Vermahnung an die Pfarrherrn in der Superattendenz zu WittenbergEr prangerte zunächst an, daß manche Fürsten und Herren die Türkensteuer nicht abgeführt hätten und damit faktisch mit den Türken im Bunde gewesen seien. Ein solches Verhalten ließ ihn an der Sinnhaftigkeit seines Gebetes zweifeln.56 Trotzdem mußte aufgrund von Gottes Gebot gebetet sowie gepredigt werden, ohne daß man sich um die Unbußfertigen kümmerte. Das Türkengebet sollte im Anschluß an die Predigt stattfinden. Für den Reichstag in Nürnberg sollte gebetet werden, daß er sich zu vereinigtem, konsequentem Widerstand aufraffe. In den Häusern sollten die Kinder beten, denn es ging um ihre Zukunft. Luther hielt das Gebet der Kinder für wirksamer gegen die Türken als Wälle und Büchsen und alle Fürsten.57 1542/1543 ist dann auch ein Kinderlied, zu singen wider die zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Bapst und Tiircken etc. entstanden, das mittlerweile so unerträglich hart wirkt, daß es nur noch in abgemilderter Verallgemeinerung gesungen wird.58 Immerhin dürfte das an sich bekannte Lied nunmehr besser verständlich sein: Erhalt uns HErr bei deinem Wort Und steur des Bapst und Tiircken Mord Die Jhesum Christum deinen Son Wolten stürtzen von deinem Thron. Beweis dein Macht, HERR Jhesu Christ, Der du HErr aller HErren bist, Beschirm dein arme Christenheit, Das sie dich lob in Ewigkeit. Gott heiiger Geist du Tröster werd [= wert], Gib deim Volck einrley sinn auff Erd Steh bey uns in der letzten Not, Gleit uns ins Leben aus dem Tod.
Die Interpretation ist relativ einfach. Es handelt sich um ein an die drei göttlichen Personen gerichtetes Gebet. Alles kommt darauf an, in der durch das Wort hergestellten Beziehung zu Gott zu bleiben. Mit dem Wort Gottes können sowohl die Bibel bzw. ihre Verkündigung als auch Christus gemeint sein. Der Papst und die Türken waren nach Luthers Erfahrung nachweislich 54
Vgl. die Äußerung vom 13. Juni 1542; WA Tr 4; Nr. 4803. WA 53; (553-557) 558 -560. 5 « Ebenso WA Tr 5; Nr. 5510. 57 Vgl. WA Tr 5; Nr. 5398. s» WA 35; (235-248) 467f. 55
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die beiden lebensbedrohenden Feinde der Christen, die den Heiland zur Rechten Gottes entsetzen und damit von Gottes Thron stürzen wollten. Darum gebrauchte Luther das Imperfekt. Gott soll diesen beiden Widersachern Einhalt gebieten. Heute lautet der 2. Vers der 1. Strophe: »Und steure deiner Feinde Mord.« Die 2. Strophe hebt schon typographisch Christus als den überlegenen Herrn und Beschützer der Kirche hervor, die ihn dafür in Ewigkeit loben und also auch nicht untergehen wird. Vom Heiligen Geist, dem verheißenen Tröster, wird zum einen die so nötige Einheit des Gottesvolkes erbeten. Zum andern wird er angerufen als der Begleiter aus der irdischen Todeswelt in das eigentliche Leben. Schluß Streitschriften und Kriegsappelle, noch gar von einem Theologen, werden heute meist als problematisch empfunden. Bei einer differenzierenden Betrachtung von Luthers Türkenschriften lassen sich jedoch unterschiedliche bemerkenswerte Gesichtspunkte entdecken, die den Gegenstand bis heute interessant machen. Daß Europa zu Luthers Zeit ständig türkischen Aggressionen ausgesetzt war und unter entsprechenden Ängsten litt, kann nicht in Abrede gestellt werden. In Luthers biblischem Geschichtsbild gehörten die Türken zu den letzten Feinden Gottes. Diese zeitbedingte apokalyptische Sichtweise kann man kritisieren, denn sie verhindert möglicherweise innerweltliche Konfliktlösungen. Die waren zu Luthers Zeit allerdings auch kaum gegeben. Immerhin war es Luther, der die gängige Kreuzzugsideologie von Anfang an ablehnte. Die Kirche hatte den Türkenkrieg nicht zu führen, geschweige denn ihn mit den die Bußleistung ersetzenden Ablaßgeldern zu finanzieren. Die Abwehr des Aggressors ist eine profane Aufgabe. Dabei war auch Luther klar, daß die Türken zugleich eine nichtchristliche Religion ausbreiteten. Darin mußte man sich auskennen, um sich damit auseinandersetzen zu können. Dies kam der Islamkunde zugute. Luthers Urteil über den türkischen Synkretismus und die damit verbundene Moral fiel sehr kritisch aus, wiewohl er auch die Stärken und die Ernsthaftigkeit durchaus wahrnahm. Faktisch qualifizierte er den Islam wie den >Papismus< als eine gesetzlich-verdienstliche Religion auf Kosten des Christusglaubens sowie großer Teile der christlichen Ethik. Weil sich jedoch der Papismus innerhalb der Kirche etabliert hatte und gegen das Evangelium richtete, traf diesen stets die härtere Kritik. Der innerkirchliche Konflikt ist vom heutigen Ökumenismus her kaum mehr nachvollziehbar. Luther jedoch erlebte den Papst bis in seine letzten Jahre als seinen und der Evangelischen Feind. Einem Siegestaumel ist Luther nie verfallen. Dafür nahm er die Türkengefahr zu ernst. Ohne den Beistand Gottes ließ sich dagegen nichts ausrich-
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ten. Ohnehin war es ihm nie um etwas anderes als um die Verteidigung zu tun. Die Angewiesenheit auf Gott führte zu kritischer sittlicher Selbstprüfung und zur Wahrnehmung von Mißständen. In der Buße galt es sie abzustellen, wobei sich Luther keinen Illusionen über den Erfolg in der Breite hingab. Nichtsdestoweniger brachte die Türkengefahr eine Sensibilisierung hinsichtlich der gesellschaftlichen und sittlichen Verhältnisse mit sich. Hier wurde vor der eigenen Tür gekehrt! Das Gebet schließlich legte den Ausgang des Geschehens vertrauensvoll in Gottes Hand und setzte nicht einfach auf die eigene Kraft. So ließen sich auch Niederlagen und Unglück verkraften. Bußfertigkeit und Gebet als konstitutiven Haltungen in einem äußeren Konflikt wird man schwerlich den Respekt versagen können.
Ulrich Andermann
Geschichtsdeutung und Prophetie Krisenerfahrung und -bewältigung am Beispiel der osmanischen Expansion im Spätmittelalter und in der Reformationszeit
Die Verbindung von Geschichtsdeutung und Prophetie hat eine lange Tradition. Dabei ist sie nicht nur ein zeit-, sondern auch ein kulturübergreifendes Phänomen. Dies gilt gleichermaßen für die Beobachtung, daß in Phasen der Krise Propheten und Visionäre ihre Hochkonjunktur besitzen. Historischen Niedergang zu konstatieren, zu erfahren, daß die Welt im Sinne des mundus senescens älter und die Zeiten schlechter werden (malitia temporum), war und ist immer mit der Frage nach dem Ende und Ziel der Geschichte verknüpft. Daher wird ihre teleologische Deutung, zumal vor dem Hintergrund christlichen Verständnisses, stets zu einer eschatologischen. Für diesen Zusammenhang ist die von der osmanischen Expansion ausgehende und zunehmend spürbare Gefahr für das Abendland geradezu ein >Paradebeispieldraco i lie rufus magnus, habens capita Septem et cornua decern et in capitibus suis Septem diadematares publica christianade recuperatione terrae sanctae< waren allerdings noch keine Türkenkriegspläne. Das erste Mal, daß die Expansion der Türken ausdrücklich in das Visier der Päpste geraten - also nicht nur der in ihrem See- und Inselreich unmittelbar betroffenen Venezianer - , ist erst unter Papst Clemens VI. 1343 zu konstatieren.3 Damals waren die Osmanen Herren eines westanatolischen Emirates, der vom 1326 eroberten Bursa her ausgeübten Herrschaft von Osmans Sohn Orhan (1324-1362) im Nordwesten Kleinasiens. Dies war nur ein, allerdings ein recht expansives unter den konkurrierenden westanatolischen Emiraten, die dort an die Stelle der zerfallenden Herrschaft der Griechen traten. Den Anlaß für die päpstlichen Kreuzzugspläne gegen »die Türken« boten andere, seefahrende Emirate, boten aber nicht die Aktivitäten der türkischen Emirate im Landesinneren, nicht die Eroberung Nicäas und Nikomedias durch Orhan, sondern die Aktivitäten zur See, in der Ägäis an der südanatolischen Küste und auf den ägäischen Inseln, namentlich auf Euböa (Nigroponte), das ebenso wie Kreta von den Venezianern beherrscht wurde. An diesen Aktivitäten zur See war übrigens Orhan nicht beteiligt; die Osmanen waren noch lange keine Seemacht. Mit der Bulle »Insurgentibus contra fidem catholicam« rief Papst Clemens VI. zur Bekämpfung der Glaubensfeinde auf: »contra Turcos in partibus Romanie« - also im ehemals byzantinischen Gebiet. Sie machten das Meer unsicher, bedrohten die Städte und Inseln der Christen, namentlich die Insel Nigroponte hätten sie überfallen, sie würden dort Gefangene machen,
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Philosophie. Hg. von Joachim Ritter. Bd. 2, Basel 1972, S. 824-828; Manfred Fuhrmann: Europa - Zur Geschichte einer kulturellen und politischen Idee. Konstanz 1981; Hans Hecker (Hg.): Europa - Begriff und Idee. Historische Streiflichter. Bonn 1991; Jörg A. Schlumberger / Peter Segl (Hg.): Europa - aber was ist es? Aspekte seiner Identität in interdisziplinärer Sicht. Köln etc. 1994. Kenneth M. Setton: The Papacy and the Levant (1204-1571). I, Philadelphia 1976, S. 179ff. Mertens, Europäischer Friede, wie Anm. 1, S. 57ff.
Papst Urban und der erste Kreuzzug in der Türkenkriegspropaganda
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diese wie Vieh verkaufen und zur Leugnung ihres Glaubens drängen. 4 Das Ziel war laut der Bulle die Aufstellung einer Kriegsflotte - einer »certa armata galearum« - auf drei Jahre, durch den Papst, den Dogen von Venedig, die Johanniter auf Rhodos und den König von Zypern, also den in der Sicherheit ihrer geistlichen und weltlichen Besitzungen und ihrer Handelsfähigkeit Betroffenen. Finanziert werden soll die Flotte als Kreuzzug, d.h. durch Kreuzpredigt und Kreuzablaß und - so eine weitere Bulle 5 - durch den Zehnt auf den Klerus der gesamten römischen Kirche. Der Erfolg der auf diese Weise vom Papst mitfinanzierten Flotte war immerhin groß genug, um in der Geschichtsschreibung des seeorientierten Emirats von Aydin (um Smyrna) - das antike Lydien - über die Zeit Umur Paschas (1309-1347) deutlichen Widerhall zu finden. Die »Geste« Umur Paschas haben die Aktivitäten Clemens VI. genau registriert und seine organisierende Rolle unterstrichen. Clemens VI. organisierte mit seinen Bullen von 1343 keinen großen Kreuzzug, der abendländische Fürsten und Ritter nach Jerusalem in Bewegung gesetzt hätte, sondern ein in jeder Hinsicht begrenztes militärisches Unternehmen; und er präzisierte auch die Begrenztheit des Zwecks. Anders noch sein Vorgänger Johannes XXII., der ebenfalls den Kampf gegen die türkische Piraterie in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer mit einigen Schiffen unterstützte, der dafür aber zum »passagium generale ad terrae sanctae liberationem« aufrief. 6 Der »allgemeine Kreuzzug zur Befreiung des Heiligen Landes« diente als traditioneller Rechtstitel zur Inanspruchnahme des Kreuzzugsablasses als des traditionellen Finanzierungsinstruments. Auch Clemens VI. benötigte einen Rechtstitel, doch er sprach anstatt von der »liberatio terrae sanctae« von der »defensio fidei catholicae«, von dem »resistere insurgentibus contra fidem catholicam et religionem extinguere molientibus christianam«. Papst Clemens definierte die Situation also grundsätzlich anders als Papst Johannes zwanzig Jahre zuvor. Soweit der Blick auf die Anfänge der lateinischen Türkenbekämpfung. Als 1443, genau einhundert Jahre später, Papst Eugen IV., ein Venezianer, zu einem im Mittelmeer zur See und auf dem Balkan zu Lande zu führenden Kreuzzug aufrief 7 - zu jenem, der bei Varna 1444 scheiterte - , war der Aufstieg der Osmanendynastie über ihre Konkurrenten vollzogen. Die Osmanen
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Augustinus Theiner: Vetera monumenta histórica Hungariam Sacram illustrantia 1. Rom 1859, S. 660-662 (Nr. 986). - Die Nachweise zu den weiteren Ausführungen vgl. Mertens, wie Anm. 3. Die Bulle »Gustamus amaritudinis calicem«, Avignon, 1.12. 1343: Theiner, wie Anm. 4, S. 658-660 (Nr. 985). Guillaume Mollat: Jean XXII (1316-1334). Lettres communes. Bd. 12. Paris 1932, Nr. 61202,61215. Epistolae pontificiae ad concilium Florentinum spectantes, ed. Georgius Hofmann S. J. III. Roma 1946, S. 68-75 (Nr. 261). - Setton, The Papacy, wie Anm. 2, II, Philadelphia 1978, S. 67ff.
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wurden auch im Westen als Dynastie wahrgenommen. 8 Ihre Expansion in Kleinasien, in Bulgarien und auf dem Balkan war inzwischen sehr weit fortgeschritten. Bosnien, Albanien und Teile des mittleren und südlichen Griechenland, dazu Ungarn und vor allem Byzanz selbst, die Hauptstadt ohne Reich, nur noch das Symbol eines Reiches, standen unter stärkstem Druck. Eugens IV. Kreuzzug sollte die Griechen, die sich auf dem Florentiner Konzil soeben, 1439, mit der lateinischen Kirche uniert hatten, entlasten. II. In dieser Situation verfaßte Flavio Biondo, seit 1433 dank Eugen IV. »magnus Eugenius«, sagt Biondo9 - in päpstlichen Diensten, seine Historiarum Decades III zwischen 1439 und etwa 1452, ferner eine Rede, die er Ende März oder Anfang April 1452 vor Kaiser Friedrich III. und König Alfons I. von Neapel hielt, und eine Denkschrift vom August 1453 für Alfons I., geschrieben unter dem unmittelbaren Eindruck der Nachricht vom Fall Konstantinopels.10 Auf diese Texte werde ich mich im folgenden beziehen. Die Historiarum ab inclinatione Romanorum imperii decades III behandeln die Geschichte des Okzidents, besonders Italiens und Roms vom Gotenjahr 4 1 0 - nach Biondos Datierung 412 - bis 1440, dem Jahr, in welchem Biondo an den Decades zu schreiben begann, und zwar von seiner Gegenwart ausgehend, der »aetas nostra«, die schließlich die 3. Dekade bildete; er läßt sie um 1400 anheben und sieht sie durch einen Wiederaufstieg römischer Kultur charakterisiert, konzentriert um das päpsüiche Rom. Aufgrund der Erfahrungen seiner Gegenwart werden ihm aber auch die Kreuzzüge ein wichtiges historisches Thema. Ludwig Schmugge hat darauf hingewiesen, »daß die Dekaden keine generelle Geschichte des christlichen Mittelalters« seien, sondern Italien eindeutig im Vordergrund stehe und nur
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Agostino Pertusi: I primi studi in occidente sull'origine e la potenza dei Turchi. In: Studi Veneziani 12 (1970), S. 465-552. » Scritti inediti, wie Anm. 10, S. 37, Z. 26. 10 Historiarum ab inclinatione Romanorum imperii decades. Venedig: Thomas Alexandrinus 1489, fol. m v ff.; dass., Basel: Hieronymus Froben und Nicolaus Episcopius 1559, S. 206ff.; Scritti inediti e rari di Biondo Flavio con introduzione di Bartolomeo Nogara. Roma 1927 (Studi e testi 48), S. 29-58 (Ad Alphonsum Aragonensem serenissimum regem de expeditione in Turchos), S. 107-114 (Oratio coram serenissimo imperatore Frederico et Alphonso). - Paul Buchholz: Die Quellen der Historiarum Decades des Flavius Blondus. (Phil. Diss. Leipzig.) Naumburg 1881; Denys Hay: Flavio Biondo and the Middle Ages. In: Proceedings of the British Academy for the promoting of historical... studies 45 (1959), S. 97-128, hier bes. S. 102ff.; Riccardo Fubini: »Biondo Flavio«. In: Dizionario biografico degli Italiani 10 (1968), S. 536-558; Ulrich Muhlack: Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus. München 1991, S. 166-171.
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die Kreuzzugsgeschichte eine Ausnahme mache." Den ersten Kreuzzug behandelt Biondo in der 2. Dekade, Buch 3. Er habe sich an die Historia Hierosolymitana des Robertus Monachus gehalten, heißt es in der Literatur - an die Historia Hierosolymitana, welche der Reimser Mönch, der sich als Teilnehmer des Konzils von Clermont 1095 bezeichnet, 25 Jahre danach, gegen 1120, verfaßt hat.12 In der Tat hat Biondo die Historia Hierosolymitana besessen, zweimal sogar; einmal in dem Pergamentcodex Vat. lat. 1795, einer Sammelhandschrift des 13. Jahrhunderts aus Frankreich, welche er durchgearbeitet und mit Marginalien versehen hat, und ein zweites Mal im Pergamentcodex des 12. Jahrhunderts, Vat. lat. 2005, der auch die Historia regum Britanniae des Geoffrey of Monmouth enthält - Biondo kritisiert sie in der Notiz in Grund und Boden (»übertrifft alles, was Betrunkene und Fieberkranke phantasieren«). 13 Den Robertus Monachus hat Biondo nicht verworfen, doch zu behaupten, daß Biondo Roberts Historia gefolgt sei, erweckt eine ziemlich schiefe Vorstellung. Roberts Historia beginnt ganz unvermittelt mit dem Konzil von Clermont, einem »conventus Gallorum et Germanorum«, die er zusammen als »gens Francorum« apostrophiert; das wibertinische Schisma kennt er nicht; die »gens Francorum« bestimmt seine Perspektive. Biondo aber entwickelt mit Hilfe der Fortsetzung des »Liber pontificalis« seine Darstellung dieses Konzils aus dem Wirken Urbans II. in Italien. Biondos Darstellung ist aus der Perspektive der Papstgeschichte geschrieben. Urban habe zunächst zwei Synoden in den apulischen Bischofsstädten Melfi und Troja und dann eine dritte in Piacenza abgehalten, um die italienische Kirche gegen Kaiser Heinrich IV. und seinen Gegenpapst Wibert zu sichern, und dann erst habe sich Urban über die Alpen »ad Francos« begeben, um das Konzil von Clermont abzuhalten. Er legt es auf 1094 anstatt 1095, und so verfahren auch Sebastian Brant und Johannes Nauclerus, die Biondo ausschreiben. In Clermont habe Urban dann zwei Dinge getan: erstens die »ecclesiastica reformatio« befördert - auch davon steht bei Robert nichts, der Begriff der Kirchenreform kommt bei ihm überhaupt nicht vor und ist im Gregorianischen Reformzeitalter ohnehin selten, in Biondos Jahrhundert hingegen ein ubiquitäres Schlagwort. 11
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Ludwig Schmugge: Die Kreuzzüge aus der Sicht humanistischer Geschichtsschreiber. Basel 1987 (Vorträge der Aeneas-Silvius-Stiftung an der Universität Basel 21), S. 8-11, hier S. 10. Robertus Monachus: Historia Iherosolymitana. In: Recueil des historiens des croisades. Historiens occidentaux. III. Paris 1866, S. 717-882, hier bes. S. 727730 (Rede Urbans). - Dana C. Munro: The Speech of Pope Urban II. at Clermont 1095. In: The American Historical Review 11 (1906), S. 231-242; Alfons Becker: Papst Urban II. Teil I. Stuttgart 1964 (Schriften der MGH 19/1), S. 222. Buchholz, wie Anm. 10, bes. S. 77ff. Ottavio Clavuot: Biondos »Italia Illustrata« - Summa oder Neuschöpfung? Über die Arbeitsmethoden eines Humanisten. Tübingen 1990 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 69), S. 264, 353.
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Das zweite, was Urban in Clermont getan habe, sei das Ausrufen des Kreuzzuges gewesen; also das, womit Robert beginnt. Biondo aber klassifiziert und bewertet diesen Vorgang ausdrücklich. Denn die Geschichte ist für ihn ja die Lehrerin der Gegenwart (vitae magistra): »facinus [...] maximum excellentissimumque omnium, quae fuerint pontificis Romani cuiuspiam ductu, auspiciis et autoritate hactenus intentata: liberandae enim a Turcis Saracenisque Hierosolyme et continenti terrae sanctae [...] intendere coepit.«14 Diese Bewertung trägt Biondo nicht plan als seine eigene vor, sondern legt sie Bohemund bei: Dieser habe sie dem Gegenpapst ins Gesicht geschworen. Biondo bringt damit zum Ausdruck, daß die Großtat des Kreuzzuges Urban seinem Konkurrenten im Papsttum habe überlegen und das Schisma gegenstandslos werden lassen. Auch dies ist nicht bei Robert zu finden, ist aber wiederum, vor den Hintergrund des erst 1449 beendeten Schismas zwischen Rom und dem Basler Konzilpapst Felix V. gehalten, durchaus aktuell zu beziehen. Überdies will Biondos Urban Jerusalem von Türken und Sarazenen befreien. Von Türken aber spricht Robert überhaupt nicht; nochmals klingt Biondo also betont aktuell. Und schließlich spricht Biondos Urban vor einer ganz anderen Versammlung als Roberts Urban. Roberts Urban spricht zur »gens Francorum«, wie bereits gesagt. Die Rede von Roberts Urban baut auf dem Gegensatz von Franken und Muslimen auf, auf der einen Seite die »gens Francorum«, die ähnlich wie in der Lex Salica prädiziert wird (»gens a Deo electa et dilecta«), auf der anderen Seite die »gens regni Persarum«, einer »gens prorsus a Deo alieno«. So Robert. Biondos Urban spricht hingegen nicht bloß vor der »gens a Deo electa et dilecta« der Franken, sondern vor einer Versammlung aus allen europäischen Völkern wie sie etwa die Pilger des Heiligen Jahres 1450 in Rom vor Nikolaus V. bildeten. Biondos Urban spricht sie alle an: »viri Christiani, vos Galli; vos Germani, Saxones, Poloni, Bohemi, Hungari; Italia, Venetos hic video, Dalmatas, Histros et alios sinus Adriatici«.15 Nur Biondos Urban spricht zudem direkt von Europa, und zwar in einer Weise, wie sie unmittelbar danach Enea Silvio aufgreift, vertieft und noch viel beredter propagiert. Türken und Sarazenen stellt Biondo gegen das christliche Europa; schon haben, so Biondo, Türken und Sarazenen Provinzen und Städte Europas besetzt, das »nomen christianum« wird in einen kleinen Winkel der Erde gedrängt und täglich mit dem Untergang bedroht: »Christianum nomen nostris temporibus« - sagt Biondos Urban - »ad parvum orbis angulum coangustari et quotidie de excidio periclitari videmus«.16 Roberts Urban erklärt seine Zu14
Ed. Basel 1559, wie Anm. 10, S. 207 B. " Ebd. 207 D. 16 Ebd., S. 208f. - Robertus Monachus verwendet das Verb »coangustari«, um die Überbevölkerung, wie sie um 1100 wahrgenommen wurde, zu bezeichnen: »terra haec [...] numerositate vestra coangustatur [...] Inde est, ut vos invicem mordetis et contenditis, bella movetis et plerumque mutuis vulneribus occiditis«. Recueil III, wie Anm. 12, S. 728.
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hörer keineswegs für physisch bedroht, sondern für moralisch betroffen. Sie sollten das entweihte Heilige Grab zurückerobern und das viehische Abschlachten und Schänden »illorum Christianorum«, jener Christen dort, der orientalischen, rächen. Biondo nutzt Roberts reiches Angebot an Greuelpropaganda, ohne es voll auszuschöpfen - das Blut der beschnittenen Christen auf Altären und in Taufbecken z.B. erspart er uns - , doch er verwendet die Greuel, um nicht allein das Schicksal auszumalen, welches die östlichen Christen erlitten hätten, sondern auch um den westlichen Christen ihr eigenes künftiges, ihr kurz bevorstehendes Schicksal zu verdeutlichen - »irriturus brevi Turcus et Saracenus«, wenn sie nicht auf der Stelle Konstantinopel hülfen. 17 Roberts Urban ruft zur Vergeltung, Biondos Urban zur Selbstverteidigung auf. Biondos Urban geht seine Zuhörer, die Europäer, förmlich an: »Eure Frauen, eure Töchter, eure Söhne werden die Türken ebenfalls fortreißen und versklaven.« Biondo läßt im übrigen eine differenzierte Bedrohungsanalyse aufscheinen. Unmittelbar bedroht sei das nahezu auf die Hauptstadt reduzierte konstantinopolitanische Reich, bislang »obex et tanquam murus«, das die Ungarn, Polen, Böhmen und selbst noch die Deutschen vor den »prostraturae Turcorum Saracenorumque alluviones«, der alles niederwalzenden Überschwemmung durch die Türken und Sarazenen, geschützt habe. Wenn also Konstantinopel falle, fielen bald die genannten und dann die übrigen Christen einschließlich der »remotiores Galli«. 18 Die Rede, welche Biondo Urban Π. in den Mund legt, hört sich also soviel können diese Hinweise verdeutlichen - weithin wie eine Türkenrede des 15. Jahrhunderts, wie ein Aufruf zum Kampf gegen die Osmanen an. Robert Monachus, der Mönch des frühen 12. Jahrhunderts, hat zwar als Quelle gedient, doch dies nur in einem sehr eingeschränkten Maße und in einer von Biondo selbst sehr stark überformten Weise. Biondos Urban soll eine Kreuzzugsrede des 11. Jahrhunderts halten, hält aber eine Türkenrede des 15. Jahrhunderts. Es handelt sich um zwei Typen, die sich eigentlich ausschließen. Denn der letztere Typ gilt der Verteidigung Europas in Europa, der erstere dem Zug outre mer zur Rückeroberung Jerusalems und des Heiligen Grabes. Biondos Urban nennt »Europa« fünfmal und zählt die Völker Europas auf, Roberts Urban spricht kein einziges Mal von »Europa«. Biondo bemüht sich, den inneren Widerspruch zwischen den zwei Redetypen zu überwinden, indem er das Schicksal der östlichen Christen als Beispiel des Schicksals bemüht, das den Europäern selber droht, und zur Verteidigung Europas aufruft. Doch am Schluß seiner Rede muß auch Biondos Urban wieder seine historische Rolle von 1095 spielen und zur Befreiung des Heiligen Grabes aufrufen mit dem bekannten Erfolg des »Deus
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Ed. Basel 1559, wie Anm. 10, 208 E. •8 Ebd. 207 D - 208 E.
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vult, Deus vult!«19 Clermont und der 1. Kreuzzug werden in Biondos historiographisch-rhetorischer Aufbereitung des Berichts des Robertos ein Exempel, das »Claromontani passagli exemplum«. ΙΠ. Als ein solches bezeichnete und verwendete es Biondo in seiner Rede, die er Ende März oder Anfang April 1452 in Neapel »in publico conventu« hielt vor dem soeben am 19.3. in Rom zum Kaiser gekrönten 37jährigen Habsburger Friedrich III., der Kaiserin Leonore und dem 56jährigen Alfons, als König von Neapel Alfons I., einem Oheim Leonores.20 Biondo nutzte die ungewöhnliche Begegnung dieser beiden Herrscher, um darzulegen, daß die Christenheit von ihnen das »ingens gloriosumque facinus« des Türkenkrieges erwarte. Im ersten Teil (nach der Einleitung) leitet Biondo aus der Herkunft und Geschichte der Dynastien beider Monarchen ihre Bestimmung für den Abwehrkampf gegen die Heiden ab; die »facultas«, ja »facilitas« des Unternehmens liegt für Biondo im Zusammmenwirken und im beherzten Aufbruch selbst, der eine Sogwirkung erzeuge und friedensstiftend wirke. Den Beweis dafür liefert das »Claromontani passagli exemplum«. Dem historischen Exemplum kommt in der humanistischen Geschichtsauffassung - historia magistra vitae - als geschichtlicher Erfahrung ein hoher systematischer Stellenwert zu. So kehrt Lorenzo Valla in der 1445 beendeten Geschichte König Ferdinands von Aragon, des Vaters Alfons I., die aristotelische Rangfolge der Erkenntnismöglichkeiten der Philosophie, Poesie und Geschichte zugunsten der letzteren um, weil die Geschichte sowohl allgemein als auch konkret sei, indem sie »per exempla docet«.21 So ist es gerechtfertigt, daß Biondo die hohe Versammlung recht detailliert über das Zustandekommen und den Verlauf des Clermonter Konzils unterrichtet.22 Das Fazit ist erhebend - und eben darum für uns ernüchternd. Was leistet es? »Propositum Claromontani passagli exemplum certam spem ostendit«, es zeigt die sichere Hoffnung, daß Gott das Gelingen geben werde: »quaequmque volueritis atque etiam multo maiora exequendi facultatem vobis a piissimo Deo nostro nullatenus defuturam«.23
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Ebd. 208 H. - Von den Historiographen des 12. Jahrhunderts berichtet allein Robertus Monachus den Ruf »Deus vult, Deus vult!« Zum Datum vgl. Nogara in: Scritti inediti, wie Anm. 10, CXXXI f., Anm. 167. Der Text: S. 107-114. Lorenzo Valla: De rebus a Ferdinando Hispaniarum rege et maioribus eius gestis [...] libri III. In: Opera omnia. Con una premessa di E. Garin. Torino 1962, Bd. 2, S. 5. Vgl. Rüdiger Landfester: Historia magistra vitae. Untersuchungen zur humanistischen Geschichtstheorie des 14. bis 16. Jahrhunderts. Genève 1972, hierbes. S. 143. Scritti inediti, wie Anm. 10, S. 11 If. Ebd., S. 113.
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Ein Jahr nach dieser Rede, am 29. Mai 1453, fiel Konstantinopel. Am 9. Juni wußte man dies auf Kreta, am 29. Juni in Venedig, am 4. Juli informierte ein venezianischer Bote den Kardinal Bessarion in Bologna und am 8. Juli die Kurie in Rom und damit auch Biondo. König Alfons von Neapel erfuhr es bereits vor dem Papst und sandte diesem am 6. Juli einen Brief. Der Papst schickte seinerseits am 18. Juli den Kardinal Capranica nach Neapel, um Alfons zu Rüstungen zu veranlassen.24 In den letzten Julitagen 1453 verfaßte Biondo für Alfonso eine Denkschrift De expeditione in Turchos.25 Sie trägt Alfonso den Oberbefehl über den Türkenzug an. Biondo hat sich, so schreibt er, nach der ersten Trauer und Verwirrung schnell wieder gefaßt, ja sogar eine von Weisen und Hochgemuten durchaus zu billigende »laetitia« gewonnen, weil er weiß: Die Geschichte weiß Rat; sowohl die alte Geschichte (»als Rom in der Blüte stand«) als auch die 1000 Jahre der mittleren Geschichte »post Romani imperii inclinationem« als auch die neueste Geschichte böten eine Fülle von Beispielen und viel richtungweisenden Rat (»multa exemplorum copia, multa consiliorum directio«). Juristen als Räte sind häufiger bei ihrem Tun zu beobachten. Hier aber kann man den Historiker als politischen und militärischen Ratgeber an der Arbeit sehen. Biondo geht sehr in die Details der bisherigen militärischen Auseinandersetzungen mit den Türken, namentlich mit den Eroberungen der ihm sehr genau bekannten Osmanen in Europa - »quae Turcus in Europa habet fundamenta«, lautet sein Thema. Doch die vielen Einzelbeispiele dienen nur dazu, Europa und die Türken als die großen Gegensätze herauszuarbeiten: Kein östlicher Fürst der Antike oder des Mittelalters habe sich in Europa festsetzen können. Dies sei - seit 1400 - erstmals in der Geschichte den Osmanen gelungen, und ebendies müsse von den europäischen Fürsten rückgängig gemacht werden. Die Funktion des »Claromontani passagli exemplum« liegt aber nicht auf der militärstrategischen oder der taktischen Ebene von »natura genusque belli«, sondern wiederum auf der religiös-moralischen Seite des Krieges, der »spes victoriae«. Er könne, sagt Biondo, ein eigenes »opusculum« schreiben über die Gewißheit eines Sieges in Jerusalem wie beim ersten Kreuzzug. Der erste Kreuzzug wird also zur Chiffre nicht nur für die Vertreibung der Türken aus Europa, sondern überhaupt für den militärischen Sieg der Europäer über die Türken - und dies am 1. August 1453.
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Vgl. Deutsche Reichstagsakten. [Ältere Reihe.] Bd. 19,1. Hg. von Helmut Weigel und Henny Grüneisen. Göttingen 1969, S. 16ff.; Setton, The Papacy Bd. 2, wie Anm. 7, S. 138ff.; La caduta di Costantinopoli. Le testimonianze dei contemporanei. Testi a cura di Agostino Pertusi. 2 Bde. 2 1990, hier Bd. 1, S. XXIV ff.; Erich Meuthen: Der Fall von Konstantinopel und der lateinische Westen. In: HZ 237 (1983), S. 1-35. Scritti inediti, wie Anm. 10, S. 29-58.
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Rede und Denkschrift sind bezeichnend für Biondo als politischen Ratgeber. Als solcher zieht er Lehren aus der Geschichte.26 Biondos Nachwirkung beruht jedoch auf seinen Werken als Historiker, und hieran haben die Decades hervorragenden Anteil. Die Urban II. in den Mund gelegte Rede hat dabei eine erkennbare Rolle gespielt und besitzt für sich allein rezeptionsgeschichtlich ungleich mehr Gewicht als die Rede und die Denkschrift. IV. Bevor noch kurz von der Rezeption Urban-Rede Biondos die Rede sein soll, sei kontrastierend auf die Benutzung des »Claromontani passagli exemplum« durch Dietrich von Niem hingewiesen. Der Westfale Dietrich von Niem, ein halbes Jahrhundert älter als Biondo, ebenfalls - jedoch als Geistlicher- Kuriale, zog in seinen Reform Vorschlägen von 1414 für das Konstanzer Konzil ebenfalls das Clermonter Konzil heran.27 Man solle das Konstanzer Konzil, so wie es Urban in Clermont getan hätte, mit der Ankündigung eines »generale passagium pro liberacione terre sánete e manibus Sarracenorum« beenden. Dietrich sorgte sich aber weder wegen der Situation im Heiligen Land noch wegen einer türkischen Bedrohung in Europa - Nikopolis war schon 18 Jahre h e r - , ihm geht es um die Verbesserung der Situation der Kirche in Italien: Wie damals, so könne auch jetzt durch einen Kreuzzug das Schisma beseitigt und die Einheit der Kirche wiedergewonnen werden, und Italien könne sich wie andere christliche Reiche von allerhand Gesindel befreien - »purgarentur [...] de multis malis hominibus« - , das in das Heilige Land zöge. Dieser Gedanke scheint bereits bei Robertus Monachus durch28 und wird auch später öfter geäußert. Gegenüber solch taktischer kirchen- und gesellschaftspolitischer Benutzung des »Claromontani passagli exemplum« erweist sich Biondos humanistischer Ansatz in der Beschäftigung mit der Kreuzzugsgeschichte in der Tat als etwas Neues. Er konstituiert überhaupt erst das Thema »Europa und die Türken« als ein ideologisch aufgeladenes Identitäts- bzw. Alteritätskonzept. Biondos Decades waren rasch weit handschriftlich verbreitet, sowohl als ganzes als auch in Teilen. Die erste gedruckte Ausgabe erschien 1483 in Venedig, zwanzig Jahre nach Biondos Tod, die zweite im Jahr darauf. Im 16. Jahrhundert wurden in Basel zwei Ausgaben gedruckt. Der fleißigste der frühen Leser Biondos war Enea Silvio Piccolomini. Er hat die ersten beiden Dekaden in stark epitomierter, weniger beschwerter 26 27
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Vgl. zu Vorstellungen über die Nutzanwendung historischen Wissens Landfester, wie Anm. 21, S. 152ff. Dietrich von Niem, Avisamenta edita in Concilio Constanciensi, in: Acta concilii Constantiensis Bd. 4. Hg. in Verbindung mit J. Hollnsteiner und H. Heimpel von Heinrich Finke. Münster/Westf. 1928, S. 584-636, hier bes. 607. Vgl. Anm. 16.
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und gut lesbarer Gestalt herausgebracht. Eneas Epitome ist bereits 1481 gedruckt erschienen, also schon vor der vollständigen Fassung. Überhaupt wurde die Epitome häufiger als jene gedruckt, überdies auch in italienischer Übersetzung. Doch Eneas Decades-Epitome enthält die Urban-Rede nicht. Enea bediente sich allerdings sehr wohl einiger ihrer Formulierungen, die Formulierung von der in einen Winkel der Erde gedrängten Christenheit »Christianum nomen nostris temporibus ad parvum orbis angulum coangustari et quotidie de excidio periclitan videmus« 29 - übernahm Enea von Biondo und verwendete sie mehrfach, und aus Enea wurde sie wiederum von anderen häufig zitiert. 30 Enea schlüpfte sogar selber am 26. September 1459 vor dem Kongreß zu Mantua in Urbans Clermonter Rolle. Enea thematisierte dies ebenso wie das Ausbleiben der in Clermont erschollenen Deus vult-Rufe. »O stulti et tardi ad credendum [...]«, klagte Enea-Pius am Ende seiner Rede, »o si adessent nunc Godfridus, Baldeuinus [...] et alii viri fortes, qui quondam Hierosolymam per medias Turcorum acies penetrantes armis recuperaverunt, non sinerent profecto tot vos verba facere, sed assurgentes, ut olim coram Urbano secundo praedecessore nostro »Deus vult, Deus vult« alacri voce clamarent. Vos taciti finem orationis expectatis nec
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Ed. Basel 1559, wie Anm. 10, S. 208f.; vgl. oben Anm. 16. - Die Redeversion, die Wilhelm von Malmesbury (ca. 1080-1143) in »De gestis regum Anglorum libri V« (bis 1125 reichend, redigiert zwischen 1135 und 1142) im vorletzten Buch Urban in den Mund legt, hätte am ehesten Ani aß zu Biondos Formulierung geboten. Doch scheint Wilhelms Werk den italienischen Humanisten nicht bekannt gewesen zu sein. Wilhelm läßt Urban die Ausbreitung des Islam über Asien und Africa rekapitulieren und sodann den Blick auf Europa richten: »Tertium mundi clima restât Europa, cuius quantulam partem inhabitamus Christiani? [...] Hanc igitur nostri mundi portiunculam Turchi et Saraceni bello premunì, iamque a trecentis anni s Hispania et Balearibus insulis subiugatis [...]«; Willelmi Malmesbiriensis Monachi De gestis regum Anglorum libri quinqué. Historiae novellae libri tres. 2 Bde. Hg. von William Stubbs. London 1887-89 (Rolls series 90), hier Bd. 2, S. 395. Vgl. Dieter Mertens: Maximilians gekrönte Dichter über Krieg und Frieden. In: Franz Josef Worstbrock (Hg.), Krieg und Frieden im Horizont des Renaissancehumanismus. Weinheim 1986 (Mitteilung XIII der Kommission für Humanismusforschung), S. 105-122, hier bes. S. 111, 120f.; ders., Europäischer Friede, wie Anm. 1, S. 52f. - Vgl. die kritische Edition der Türkenreden des Enea durch Johannes Helmrath: Die Reichstagsreden des Enea Silvio Piccolomini 1454/55. Studien zu Reichstag und Rhetorik. Habilitationsschrift Köln 1994 (masch.), und Helmraths in Vorbereitung befindliche Bände der Deutschen Reichstagsakten 19,2 und 19,3.; ders., Rhetorik und >Akademisierung< auf den deutschen Reichstagen im 15. und 16. Jahrhundert. In: Heinz Duchhardt und Gert Melville (Hg.), Im Spannungsfeld von Ritual und Recht. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. Köln u.a. 1997 (Norm und Struktur 7), S. 423-446, hier bes. S. 433ff.; ders., Reden auf Reichsversammlungen im 15. und 16. Jahrhundert. In: Lotte Kéry u.a. (Hg.), Licet preter solitum. Ludwig Falkenstein zum 65. Geburtstag. Aachen 1998, S. 265-286, hier bes. S. 272ff.; Paul Weinig: Aeneam suscipite, Pium recipite. Aeneas Silvius Piccolomini. Die Rezeption eines humanistischen Schriftstellers im Deutschland des 15. Jahrhunderts. Wiesbaden 1998.
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hortamentis nostris moveri videmini«.31 Gleichwohl ist die Urban-Rede als frühestes Stück der Decades zum Druck gelangt - zunächst nicht in historiographischem, sondern oratorischem Kontext, und auch nicht unter Blondos, sondern allein unter Urbans Namen, doch durchaus in Biondos Sinn: als Werbung für den europäischen Türkenzug. Guillaume Fichet publizierte 1471 - im Jahr des Falls von Euböa - in Paris Türken-Reden des Kardinals Bessarion, darunter eine lateinische Übersetzung Bessarions von Demosthenes' erster olynthischer Rede; aktualisierende Erläuterungen machten auch sie zu einer Türkenrede. Urbans Rede, die beigegeben wurde, stammte wiederum aus Biondos Decades. Der Druck ging mit gesonderten Widmungen an Kaiser Friedrich ΙΠ. und an die Könige Ludwig XI. von Frankreich und Eduard IV. von England.32 Diese Sammlung wurde im 15. und 16. Jahrhundert etwa zehnmal gedruckt, und aus dieser eigenartigen Sammlung hat 1596 Biondos Urban-Rede den Weg in die vierbändige Sammlung von Reden de bello Turcico des sächsischen Rates Nicolaus Reusner genommen. Diese Sammlung hat die Rede in eine neue, die späthumanistische Epoche des Umgangs mit historischen Quellen transportiert.33 Neben dieser oratorischen Rezeption existiert auch eine historiographische, die freilich nicht mit imposanten Überlieferungsquantitäten prunken kann; sie läuft unter den Namen Sebastian Brants und des Johannes Naucle31
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Aeneae Sylvii Piccolominei [...] opera quae extant omnia. Basel 1551 (Nachdruck Frankfurt a.M. 1967), S. 905-914, hier 914. - Es handelt sich nach Johannes Helmrath um die am häufigsten überlieferte Humanistenrede überhaupt. Helmrath verweist auch auf J. G. Russell: The humanist converge: The Congress of Mantua (1459). In: dies., Diplomats at work. Phoenix Mill/Wolfeboro Falls 1992, S. 51-93. Gesamtkatalog der Wiegendrucke Nr. 4184f.; diese Ausgaben, die gedruckte Widmungen enthalten, sind durch handschriftliche Widmungen an zahlreiche Fürsten ergänzt in Paris, BN Réserve Ζ 1472. 1473. Ζ 1683. 1684; Hannover, Kestner-Museum, Ink. Ernst 108. Vgl. Paul Oskar Kristeller: Iter Italicum. A finding List of uncatalogued or incompletely catalogued humanistic manuscripts of the renaissance in Italy and other libraries. 6 Bde. London / Leiden 1977-92, hier Bd. 3, S. 334f., 567. Die Rede Urbans II. (in Biondos Version) steht in GW 4184 auf fol. dir—diiv. Die weitere Überlieferung des Sammeldnicks der Bessarion-Reden in lateinischer Sprache wie in deutscher Übersetzung VD 16 Nr. Β 2242-2251, Β 2255, G 1910f„ G 1913f. - Abdruck bei Jacques Paul Migne: Patrologiae cursus completus. Series Graeca 161, Sp. 641-676. Vgl. Mertens 1997, wie Anm. 1, S. 47. Nicht eingesehen habe ich die ungedruckte Arbeit von M. Meserve: Cardinal Bessarion's Orations against the Turks and Their Printing History. M.A. Thesis, Warburg Institute, University of London 1993. Auf diese Arbeit verweist James Hankins: Renaissance Crusaders: Humanist Crusade Literature in the Age of Mehmed II. In: Dumbarton Oaks Papers 49 (1995), S. 111207, hierS. 117. Nicolaus Reusner: Selectissimarum orationum et consultationum de bello Turcico variorum et diversorum auctorum volumina quatuor. Leipzig 1596, hier Bd. 2 (ad Pontífices Romanos et cardinales aliosque Italiae proceres). Die Rede ist jetzt auf 1096 datiert und chronologisch eingeordnet, d. h. von Bessarions Reden getrennt.
Papst Urban und der erste Kreuzzug in der Türkenkriegspropaganda
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rus, nicht Biondos, obwohl es sein Text ist, der verbreitet wird. Sebastian Brant ist als Historiker bislang noch nicht gewürdigt worden. Sein umfangreichstes lateinisches Werk ist jedoch ein historiographisches, 160 Blatt in 4°: Eine Geschichte Jerusalems von Chams Sohn Chanaan bis zu Brants Gegenwart, mündend in den Aufruf zur Rückeroberung. Das Buch erschien am 1.3.1495 in Basel, wo es auch entstanden ist; das Datum weist schon auf den bzw. die Adressaten hin: auf König Maximilian und die deutschen Fürsten, die sich in Worms zum ersten Tag des neuen Reichsoberhaupts versammelten. Den sofortigen Türkenzug hatte Maximilian auf die Tagesordnung gesetzt. Brants Werk war also ganz aktuell. Die Themenstellung konnte durchaus Originalität beanspruchen, doch die diesem Thema subsumierten Texte, die Brant heranzieht, können dies keineswegs. Es handelt sich erwartungsgemäß um eine Kompilation. Die Geschichte des ersten Kreuzzuges stammt aus Biondos Decades, und die Rede Urbans II. ist wörtlich übernommen. 34 Als auf Maximilians großem letzten Reichstag zu Augsburg 1518 der Türkenzug wiederum zum großen Thema erklärt wurde, ließ Brant dieselbe Schrift noch einmal erscheinen, nunmehr in einer deutschen Ubersetzung seines ehemaligen Basler Schülers Kaspar Frey, damals Stadtschreibers zu Baden im Aargau, später zu Zürich.35 Auch Johannes Nauclerus läßt in seiner Weltchronik Urban sprechen, aber nicht mit den Worten des Robertus Monachus, sondern mit Biondos Urban.36 Die geringfügigen Kürzungen fallen nicht ins Gewicht. Alle Nennungen Europas und auch der »parvus orbis angulus« sind geblieben. Biondos Rede Urbans II. ist das in unterschiedlichen Zusammenhängen zwar, doch am meisten verbreitete Stück aus den Decades. Und neben Biondos Urban stand auch im 15. und 16. Jahrhundert Robertus Monachus mit seiner Geschichte des ersten Kreuzzuges und seiner ganz andersartigen Rede Urbans. Robertus ist der handschriftlich, im Druck und überdies in Übersetzungen wie der Heinrich Steinhöwels am meisten verbreitete Kreuzzugshistoriograph des Hochmittelalters.37 Der erste Kreuzzug galt, wenn auch nur mit eingeschränktem Recht, als ein Unternehmen der gesamten lateinischen Christenheit, er war gemessen am Ziel der Errichtung lateinischer 34
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Sebastianus Brant: De origine et conversatione bonorum regum et laude civitatis Hierosolymae. Basel: Johannes Bergman de Olpe 1495 (GW 5072), fol. Κ ii v K vr. - Uber Brants De origine wird Antje Niederberger eine Untersuchung vorlegen. Sebastian Brant, Von dem anfang und Wesen der hailigen Statt Jerusalem [...]. Straßburg: Johannes Knoblauch 1518, fol. LV r (kiO-LVI v (kiiv). Johannes Nauclerus: Memorabilium omnis aetatis et omnium gentium chronici commentarii. 2 Bde. Tübingen: Thomas Anshelm 1516, hier Bd. 2, fol. CLXIIII r -CLXV r . Vgl. August Potthast: Wegweiser durch die Geschichtswerke des europäischen Mittelalters bis 1500. Bd. 2. Berlin 21896, S. 978; VD 16 R 2681f.; Barbara Haupt: Historia Hierosolymitana von Robertus Monachus in deutscher Übersetzung. Wiesbaden 1972 (Beiträge zur Literatur des 15.-18. Jahrhunderts 3); dies.: Robertus Monachus. In: Verfasserlexikon 8 ( 2 1992), Sp. 115-117.
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Dieter Mertens
Herrschaft über das Heilige Grab der einzige gelungene Kreuzzug. Darum spielt seine Geschichte offenbar für die Wahrnehmung und Einordnung der osmanischen Expansion, für ihre Apperzeption als eine die gesamte lateinische Christenheit bedrängende Türkengefahr und für die Ausbildung des Deutungsmusters »Europa und die Türken« eine spezifische Rolle. Der erste Kreuzzug ist das Vorbild und Exempel für die große, im 15. Jahrhundert so oft beredete und geplante Unternehmung der gesamten vom Papst geführten, jetzt als europäisch definierten Christenheit von den Ungarn bis zu den »remotiores Galli« gegen den Glaubensfeind. Der erste Kreuzzug dient, in der Situation der Selbstverteidigung der Europäer, in die man sich gestellt sieht, nicht mehr als Vorbild für das bloße Wegschicken des Gesindels, dessen man sich entledigen will, er dient auch nicht als Vorbild und Ansporn nur für die Abwehrkämpfe der Anrainer auf dem Balkan und an der Donau oder die zehn oder zwanzig Galeeren aufbietenden Unternehmungen der Seemächte in der Ägäis. Das »Claromontani passagli exemplum« taugte freilich, wie die Vergeblichkeit der entsprechenden Anstrengungen Enea Silvios als Papst Pius II. und die Auflösung der mühsam zusammengebrachten Flotte nach seinem Tod zeigen, überhaupt nicht zur Motivierung militärischen Aufgebots. Es taugte aber, wie Β iondos und Eneas vielgelesene Schriften und Reden belegen, zur kulturellen Selbstvergewisserung der Europäer, als Beitrag zu einer europäischen Identitätskonstruktion. 38 Jacob Burckhardts Wort über die Kreuzzüge - »Seither sind wir im Okzident.«39 gilt doch wohl erst recht seit ihrer römisch-humanistischen Deutung seit dem 15. Jahrhundert. Biondo und seine Rezipienten arbeiten so etwas wie ein lateinisch-europäisches bonum commune heraus; von der »remissio peccatorum«, die Robertus zwar nicht ins Zentrum seiner Urban-Rede rückte, aber doch hinreichend betonte, ist dabei überhaupt nicht die Rede. Die römisch-humanistische Grundlegung des Themas »Europa und die Türken« ist damit in einen Horizont gestellt, der sich zugleich ganz deutlich von dem unterscheidet, in den Luther das Türken-Thema rückt.
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Texte, die ohne das »Claromontani passagli exemplum« auskommen, weil sie konsequent auf die Unterstützung bzw. die Rückeroberung von Konstantinopel zielen und nicht auch die auf Jerusalem gerichtete Kreuzzugstradition in Anspruch nehmen, behandelt Hankins, wie Anm. 32. Jacob Burckhardt: Historische Fragmente. Aus dem Nachlass gesammelt von Emil Dürr. Stuttgart 1957, S. 74.
Johannes Helmrath
Pius II. und die Türken Enea Silvio Piccolomini / Pius II. (1405-1464) und die Türken: Man sieht die Lebensbilder in der Libreria Piccolomini des Doms von Siena vor sich, wo Pinturicchio acht Höhepunkte der Karriere wie farbleuchtende Wachträume gemalt hat.1 Zwei von ihnen haben zentral mit den Türken zu tun: das sechste, der Kongreß von Mantua 1459 als Großereignis des Pontifikats, und das letzte, der Einzug in Ancona 1464, wo Pius II. - eine Zypresse deutet es an - angesichts der hier im Bildhintergrund schon ansegelnden Kreuzzugsflotte starb. Auf beiden Bildern sehen den Betrachter im Vordergrund auch ein bzw. zwei malerische Turbanträger an, vermutlich Gesandte verbündeter Turkstaaten aus Kleinasien, die der Papst gegen den gemeinsamen Feind, die Osmanen unter Mehmed II., mobilisieren wollte. Die Türken, der Kreuzzug - ein Lebensthema, das Todesthema des Enea Silvio. John Hankins nennt ihn noch jüngst in seiner wichtigen Studie Renaissance crusaders »the greatest crusader pope of the fifteenth century«.2 1
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Salvatore Settis / Donatella Toracca (Hg.): La Libreria Piccolomini nel Duomo di Siena / The Piccolomini Library in Siena Cathedral, with texts by Alessandro Angelini u. a. Modena 1998 (Mirabilia Italiae 7). Nicht gesehen habe ich Gyde Vanier Sheperd: A Monument to Pope Pius II: Pinturicchio and Raphael in the Piccolomini Library at Siena. 1494—1509. Phil. Diss. Harvard-University 1993. Für einen breiteren Leserkreis verfaßt: Else Hocks: Pius II. und der Halbmond. Freiburg/Br. 1941, zu den Fresken S. 2-12. Für den gesamten Beitrag grundlegend: Kenneth M. Setton: The Papacy and the Levant (1204-1571). 2 Bde. Philadelphia 1976-78, zitiert: Setton. Die beiden wichtigsten Sammelbände zu Pius II.: Enea Silvio Piccolomini Papa Pio II. Atti del Convegno per il quinto Centenario della morte e altri scritti raccolti da Domenico Maffei. Siena 1968; Pio II e la cultura del suo tempo. Atti del primo convegno internazionale 1989, a cura di Luisa Rotondi Secchi Tarugi. Mailand 1991 (Istituto di Studi Umanistici F. Petrarca. Mentis Itinerarium). James Hankins: Renaissance Crusaders. Humanist Crusade Literature in the Age of Mehmed II. In: Dumbarton Oaks Papers 49 (1995), S. 111-207, mit Edition von elf Texten, S. 129f. Zitat; im folgenden zitiert: Hankins. Daß »Germanica non leguntur«, bestätigt allerdings auch H.; es fehlen v.a. die Arbeiten von Meuthen, wie Anm. 35, Müller, wie unten und Mertens,wie unten. - Besonders plastisch Arnold Esch: Enea Silvio Piccolomini als Papst Pius II. Herrschaftspraxis und Selbstdarstellung. In: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Hg. von Hartmut Boockmann, Bernd Moeller und Karl Stackmann. Göttingen 1989 (Abhandlungen der Akad. der Wiss. in Göttingen, philol.-hist. Kl., 3/179), S. 112-140, bes. 118-125. - Zum Thema Humanismus und Türken vor Hankins grundlegend Robert Schwoebel: The Shadow of the Crescent. The Renaissance Image of the Turk (1453-1517). Nieuwkoop 1967, zu Pius II. S. 57-81 mit klarsichtigen Urteilen. Ferner Anna Maria Cavallarin: L'umanesimo e i Turchi. In: Lettere Italiane 32 (1980), S. 54-74, zu Pius II. 58-60; Ludwig Schmugge: Die Kreuzzüge aus der Sicht humanistischer Geschichtsschreiber. Basel / Frankfurt 1987 (Vorträge der Aeneas-Silvius-Stif-
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Der Ruf des einzigartigen Kämpfers gegen die türkische Expansion prägte bereits sein Bild in der älteren Literatur. »Fuit nemo omnium«, schrieb 1541 ein Nikolaus Wimann, »cui ea tum res [sc. der Fall Konstantinopels] magis esset cordi, cuius animum vehementius pungerent Graecorum calamitates, quam huius Pontificis.« 3 Warum galt dies gerade für ihn, den 1406 in Corsignano bei Siena Geborenen, der ab 1432 auf dem Basler Konzil europäisches Parkett erreichte, zwanzig Jahre in Deutschland als Politiker und Literat (»Vater des Humanismus«) wirkte, 1455 nach Italien zurückkehrte, dort in atemberaubendem Tempo Kardinal und Papst wurde? Spielte die adlige Familientradition der Piccolomini motivierend mit? Man kann es allenfalls vermuten. Das Familienwappen mit den fünf goldenen Halbmonden war angeblich Vorfahren verliehen worden, die 1218 auf dem 5. Kreuzzug am Sturm auf Damiette teilgenommen haben sollen. 4 Dem Interesse an der reichen Persönlichkeit des Piccolomini kann man sich kaum entziehen, die Personalisierung soll aber allgemeine Grundfragen nicht überlagern, zu denen hier einige Beobachtungen mitgeteilt werden. >Der Kreuzzug< hatte im christlichen Westen bekanntlich nach 1291 weder militärisch noch als stetig reaktivierte Idee aufgehört zu bestehen, die eingebettet war in die Tradition mittelalterlicher Islam-Wahrnehmungen des Westens. 5 Die Initiative und Führung lag im Prinzip bei den Universalge-
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tung an der Universität Basel 21), zu Enea Silvio, S. 24; Robert Black: Benedetto Accolti and the Florentine Renaissance. Cambridge u.a. 1985, zu Enea Silvio, S. 232-239; Jerry H. Bentley: Politics and Culture in Renaissance Naples. Princeton 1987, S. 161-182 und s.v.; Dieter Mertens: Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter. In: Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Heinz Duchhardt. Köln / Wien 1991, S. 45-90; Heribert Müller: Kreuzzugspläne und Kreuzzugspolitik des Herzogs Philipp des Guten von Burgund. Göttingen 1993 (Schriftenreihe der Histor. Kommission bei der Bayer. Akademie der Wiss. 51); Patrick Gilli: Au miroir du humanisme. Les représentations de la France dans la culture savante italienne à la fin du MoyenAge (ca. 1360-1490). Rom 1997 (Bibl. des Écoles Françaises d'Athènes et de Rome fase. 296), zu Pius II. passim. Zuletzt zum Türkenbild - mir erst nach Abschluß des Manuskripts zugänglich - mit Einbezug neuer Texte: Daniela Rando: Fra Vienna e Roma. Johannes Hinderbach testimone della questione turca. In: RR. Roma nel Rinascimento. Bibliografia e note 1997. Rom 1997, S. 293-317. Syncretismus sive conspiratio nobilis Germaniae [...] contra impiam atque efferam immanissimi Turcae tyrannidem. Köln 1541, S. 112. Das Thema stieß seit den Anfängen einer Piccolomini-Forschung auf Interesse: Otto von Heinemann: Aeneas Sylvius als Prediger eines allgemeinen Kreuzzugs gegen die Türken. Programm Bernburg 1855. So Alfred A. Strnad: Piccolomini. In: Die großen Familien Italiens. Hg. von Volker Reinhardt. Stuttgart 1992, S. 422-426, ebd. 422. Vgl. Curzio Ugurgiergi della Berardenga: Pio II Piccolomini con notizie su Pio III e altri membri della famiglia. Florenz 1973 (Biblioteca dell' Archivio storico italiano 18), S. 1-29, kein Hinweis auf das Wappen. Richard W. Southern: Das Islambild des Mittelalters. Stuttgart u.a. 1981 (engl. 1962); Philippe Sénac: L'image de l'autre. L'Occident médiéval face à l'Islam. Paris 1983; John Victor Tolan (Hg.): Medieval Christian Perceptions of Islam. A Book of Essays. New York / London 1996 (Garland medieval Casebooks 10), mit reicher Bibliographie. - Nicht gesehen habe ich: Chretiens et musulmans à la
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walten Papst und Kaiser; wegen der wesentlich >fränkischcroisades< kam auch dem König von Frankreich eine Sonderstellung zu. Mehr und mehr fielen mit Fortschreiten der osmanischen Expansion >Kreuzzug< und >Türkenkrieg< begrifflich und sachlich zusammen. Die einzigen Feldzüge größeren Stils, als kollektive europäische Adelsunternehmen, hatten freilich in den Katastrophen von Nikopolis 1396 6 und Varna 14447 geendet. Nur auf den ersten Blick könnte es verwundern, daß ein Humanistenpapst wie Aeneas/ Pius den Kreuzzug, etwas scheinbar genuin >MittelalterlichesHumanismus< als gezielte Pflege der fünf Humaniora - hier ist Hankins zuzustimmen - prinzipiell ebensowenig zwingend auf Affinität zum Kreuzzugsideal, wie es umgekehrt der Fall ist. Pius' II. vereinigte allerdings - und das hebt ihn aus den meisten seiner conhumanistae heraus - in einzigartiger Weise den Humanismus mit dem Papsttum. Mochte er in seinen reiferen Jahren den amores ihr »a« abgebüßt und sie zu mores gewandelt haben, Humanist blieb er über die stilisierte Lebenswende vom Aeneas zum Pius hinaus, auch als Bischof und Papst. Als Papst kam das Problem Türken-Kreuzzug ex officio auf ihn zu, und er machte ihn wirklich noch am Tag seiner Wahl zum Programm. 8 Als Pius II.
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Renaissance. Hg. v. Bartholomé Bennasar und Robert Sauzet. Paris 1998 (Le savoir de matrice 3). Setton Bd. 1, S. 327-369; für die gesamte Thematik wichtig: Norman Housley: The Later Crusades 1274-1580. From Lyons to Alcazar 1274-1580. Oxford 1992, S. 76-81, 520 s.v. Speziell: Nicopolis, 1396-1996. Colloque international Dijon 1996 = Annales du Bourgogne 68 (Dijon 1996). Franz Babinger: Mehmed der Eroberer und seine Zeit. München 1953, 21959; Ndr. als Tb. München 1987 (Serie Piper 261), S. 33-42; engl. Übersetzung, gegenüber der deutschen Ausgabe mit Anmerkungen: Mehmed the Conqueror and his time. Transi, by R. Manheim. Hg. mit einem Vorwort von W.C. Hickman. Princeton 1978 (Bollingen Series 96), S. 29-40; Setton Bd. 2, S. 82-107; Martin Chasin: The Crusade of Varna. In: A History of the Crusades. Hg. von Kenneth M. Setton. Bd. 6: The Impact of the Crusades on Europe. Hg. von Harry W. Hazard and Norman P. Zacour. Madison 1989, S. 276-310; Housley, Later Crusades, wie Anm. 6, S. 88-90, 527 s.v. Vgl. Rino Avesani: Sulla battaglia di Vama nel »De Europa« di Pio II: Battista Franchii e il cardinale Francesco Piccolomini. In: Convegno storico Piccolominiano (Ancona, 9 maggio 1965). Ancona 1966 (Deputazione di storia patria per le marche. Atti e memorie serie Vili. voi. 4, Fase. 2/ 1964-1965), S. 85-103. Zu Pius II. als Kreuzzugsorganisator, soweit nicht in Anm. 2 bis 5: Georg Voigt: Enea Silvio de' Piccolomini als Papst Pius der Zweite und sein Zeitalter. 3 Bde. Berlin 1856-1862-1863 (Ndr. Berlin 1967). Bd. 3, S. 30-109, 640-724; Ludwig von Pastor: Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance. Bd. 2. Freiburg/Br. 8-91925, S. 39-81, 220-289; Setton Bd. 2, S. 196-270; Housley, Later Crusades, wie Anm. 6, S. 522 s.v. (Nicht gesehen habe ich C. V. Gidlow: The Papal Call for a Crusade against the Turcs and its effects on european Diplomacy, 1458-1471. Diss. Oxford). Rigomera Eysser: Papst Pius II. und der Kreuzzug gegen die Türken. In: Mélanges d'histoire générale. Pubi, par C. Mari-
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spielte er in durchaus bewußter Lebensgestaltung zugleich die Rolle der kreuzzugführenden Universalgewalt, des Monarchen einer italienischen Mittelmacht, des professionellen Politikers sowie des weiterhin stetig produktiven Autors und - schon lange vor seinem Pontifikatsantritt - des berühmten Rhetors. Es ist diese Synthese, die ihn gerade nicht im Sinne Burckhardts zum »Normalmenschen« der Renaissance machte, die ihn auch vom ersten Humanistenpapst Tommaso Parentucelli/ Nikolaus V. (144755) unterscheidet und die überhaupt jede eindimensionale Deutung von Person, Politik und Opera ausschließt.
Fragestellungen Im Folgenden sollen der literarische und der politische Aspekt des Themas untersucht werden, und zwar ohne strikte Trennung, die von der Sache nicht möglich ist. Der »publizistisch-literarische Bereich« war, wie vor allem Dieter Mertens gezeigt hat, bedeutsam zwar als »eine Größe sui generis«, [...] die aber «die Politik nicht ignorieren konnte«: 9 1) Der literarische Aspekt: Mit welchen genuinen Mitteln befaßte sich Pius II. als Humanist mit dem europäischen Thema Türken und Kreuzzug? Seine Ausführungen sind hier eingebettet in gängige Ansichten, topische Kontinuitäten, die auch von anderen Humanisten - und nicht nur von ihnen - gepflegt, reaktiviert oder - mit säkularisierender Gesamttendenz? - fortentwickelt wurden. Auch wenn ein Überblick über das komplette Oeuvre Eneas hier nicht möglich ist, 10 darf mit Blick auf die jüngere Forschung wohl vorweg gesagt werden, daß kein Autor in einer so prägenden Intensität wie Aeneas/ Pius für Bündelung und Verbreitung der Kreuzzugs- als Tür-
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nesco. Cluj/ Klausenburg 1938 (Université de Cluj. Pubi, de l'Institut d'histoire générale 2), S. 1-134; Hocks, Pius II. und der Halbmond, wie Anm. 1, passim; Gioacchino Paparelli: Enea Silvio Piccolomini (Pio II). L'umanesimo sul soglio di trono. Bari 1950; 21978 (Pleiadi. Collana di ricerche monografiche e antologiche 5), gute Biographie; John Β. Morrall: Pius II Humanist and Crusader. In: History Today 8 (1958) 27-37; Atanasio Matanic: L'idea e l'attività per la crociata anti-turca del papa Pio II (1458-64). In: Studi Francescani 61 (1964), S. 362-394 (besonders Bosnien im Blick); Gerhard Pfeiffer: Studien zur Frühphase des europäischen Philhellenismus (1453-1750). Phil. Diss. Erlangen-Nürnberg 1968, S. 56-59; Black, Accolti, wie Anm. 2, S. 232-239, 249-259; Pia Palladino: Pio II e la crociata nella cattedrale di Pienza. In: La Val d'Orcia nel medioevo e nei primi secoli dell'età moderna. Atti del Convegno intemaz. di studi storici Pienza, 15-18 sett. 1988, a cura di Alfio Cortonesi. Rom 1990, S. 333-348; Nicola Casella: Pio II, leader dell'occidente cristiano. In: Siena e l'Umanesimo. Letteratura, arti figurative, musica, a cura di Elisabetta Cioni e Daniela Fanori. Siena 1994, S. 219-227; Hankins, wie Anm. 2, S. 128-130 und passim. Mertens, Friede, wie Anm. 2, S. 54 und passim; s. femer die Titel in Anm. 2. Den kompetentesten Überblick bietet derzeit Franz Josef Worstbrock: Art. >Piccolomini, Aeneas Silvius (Papst Pius II.)nationalen< Ruhmestraditionen der einzelnen Dynastien und Völker. Es geht dabei im weiteren Rahmen auch um die Genese einer Feindbildsemantik des Europäers, von Fremdwahrnehmung11 und damit um ein kleines Stück Arbeit an jener »archéologie du savoir humaniste« (Gilli), an der noch viel zu tun ist. 2) Der politische Aspekt: Die politisch-rhetorische Praxis des Piccolomini als kaiserlicher Gesandter und als Papst ist zu betrachten. Welche >Wirkung< besaß politische Oratorik? Dabei steht die Frage im Hintergrund, wie die zugleich triviale und irritierende Tatsache zu erklären ist, daß alle Kreuzzugs- und Türkenkriegsbemühungen der Zeitgenossen, allen voran Pius' II., nicht zu den erwünschten Aktionen führten. Sind dafür Kriterien und Motive von auswärtiger Politik bzw. von deren Wahrnehmung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auszumachen? Eine Frage, die sich gerade mit Blick auf die Persönlichkeit Pius' Π. zur Frage nach dem Verhältnis von >Vision< und >Realismus< zuspitzen müßte. Immerhin hatte er in den Illusionsraum des Traums, des >SomniumLettera a Maometto« di Pio II. In: Bollettino dell' Istituto storico italiano per il medio evo 77 (1965), S. 127-227, ebd. S: 146-161. Mertens, Europa id est patria, wie Anm. 15, S. 56.
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bar, im kollektiven Bewußtsein des Europäers. 25 Einzelne seiner Reden und Opera seien nun gesondert in den Blick genommen:
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Hierzu fehlt es noch an systematischen Studien, u.a. an einer für das 15. Jahrhundert maßgebenden Bibliographie hs. und gedruckter Texte, vergleichbar derjenigen von Carl Göllner: Turcica Bd. 1-2: Die europäischen Türkendrucke des 16. Jahrhunderts (Bibliographie); Bd. 3: Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert. Bukarest / Baden-Baden 1961-1978 (Bibliotheca Bibliographica Aureliana L X X ) ; zu konsultieren ist das wichtige Buch von Schwoebel, Shadow of the Crescent, wie Anm. 2; weiterführend jetzt der Sammelband: Europa und die osmanische Expansion, wie Anm. 15, insbesondere die Arbeiten von Claudius Sieber-Lehmann: Der türkische Sultan Mehmed II. und Karl der Kühne, der »Türk im Occident«, S. 13-38; Matthias Thumser: Türkenfrage und öffentliche Meinung. Zeitgenössische Zeugnisse nach dem Fall von Konstantinopel (1453), S. 59-78; Gert Melville: Die Wahrheit des Eigenen und die Wirklichkeit des Fremden. Über frühe Augenzeugen des osmanischen Reiches, S. 79-102, und Thomas Vogtherr: »Wenn hinten, weit, in der Türkei [...]«. Die Türken in der spätmittelalterlichen Stadtchronistik Norddeutschlands, S. 103-126. Weiterführend auch Claudius Sieber-Lehmann: >Teutsche Nation< und Eidgenossenschaft. Der Zusammenhang zwischen Türken- und Burgunderkriegen. In: HZ 253 (1993), S. 561-602, betont zu Recht die »stetige Präsenz von >Turcica< in der damaligen Lebenswelt« (S. 580), ebd., S. 587-591 zur Ikonographie des >Türkenangulus-Syndromerfolgreiche< erste, so deutet sich auch hier an, werden im 15. Jahrhundert wieder zum Gegenstand der Rückbesinnung in Historiographie (Accolti, Biondo, Crivelli, Platina etc.) 3 2 und politischer Rhetorik. Sie werden zum historisch-appellativen Argument. Nicht nur hier, sondern vielfach in Texten Pius' II. und zeitgenössischer wie späterer Türkenliteratur wird der Geist von Clermont und der modellhaften Helden des 1. Kreuzzugs als »Apperzeptionsmuster« (Mertens) beschworen, an Urban II. und Gottfried von Bouillon erinnert bzw. das Fehlen vergleichbarer Heroen in der Gegenwart beklagt: »Unde adhuc Urbani, qui convocavit passagium, Gottifridi, qui conduxit, illustre nomen habetur.« 3 3 Auch die Kritik der Skeptiker kommt in >Moyses< als Selbsteinwand zur Sprache, sich des ominösen Begriffs >somnium< bedienend: Passagium? »Ecce vetus somnium, inquiunt, vetus deliramentum, inanes fabulas«. Bereits in dieser frühen Rede enthüllt Piccolomini, daß er die Problematik von Vision und Realismus sehr genau verstand. Eine Schlüsselpassage für die Struktur künftiger Türkenreden: 34 Sed pensemus si hodie spes bona sit habituri passagli, quoniam nemo sciens impossibilia tentât, ñeque aggreditur quisquam, quod assequi desperat. Magnum
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ant Christiani, bellum in exteros est transferendum, ad quam rem neque Germanorum illustris animus, neque cor nobile Gallicae gentis, neque mens sublimis Hispanorum, neque honesti cupidus Italorum deerit spiritus« (S. 169). Genaueres im Beitrag von Dieter Mertens in diesem Band. Einen guten Überblick gewährt Schmugge, Kreuzzüge, wie Anm. 2. Ferner Robert Black: La Storia della Prima Crociata di Benedetto Accolti e la diplomazia fiorentina rispetto all'Oriente. In: Archivio storico italiano 131 (1973), S. 3-25; ders.. Accolti, wie Anm. 2, S. 224-285; Totaro, Pio II nei suoi »Commentarii«, wie Anm. 27, S. 158: »tuffo nostalgico nel medioevo di Urbano e Goffredo di Buglione«; Mertens, Friede, wie Anm. 2, S. 54-57 sowie 57-72 zur Kreuzzugs- bzw. Friedensthematik bis 1453. Mansi, Orationes Bd. 1, wie Anm. 19, S. 168, schon unter Berufung auf Otto von Freising; vgl. unten, Anm. 30. Weitere Beispiele: »O si adessent nunc Godfridus, Baldevinus [...] Boemundus, Tancredus et alii viri fortes [...]; non sinerent prefecto tot nos verba facere, sed assurgentes ut olim coram Urbano secundo praedecessore nostro >Deus vultDeus vult< alacri voce clamarent«; Rede »Cum bellum hodie« 1459 Sept. 23, Ed. Mansi, Coll. Conciliorum 32 Sp. 220AB. Dann, mit dem charakteristischen typisierenden Plural: »Neque iam hoc tempore sperandum vel Francos vel Theutonicos aut alios collectis copiis expeditionem in Turcos ducere, qualem aut Gotfridus aut Corradus [Kg. Konrad III.] aut alii complures in hostes fidei duxere, quando nemo regum inveniatur, qui non vicinum et relinquere vacuam domum timeat«; Commentarii III 13, Ed. van Heck Bd.l, wie Anm. 62, S. 191 Z. 2-5. Paraphrase einer Äußerung Bessarions: »Petrum Heremitam, vilem et abiectum hominem, idem factitasse quo tempore Gotifridus exercitum traiecit in Asiam. Cur nequeant ea prestare tempora nostra, que prestitere superiora? cur non fiet iterum quod semel est factum?« (ebd. XII 13, Bd. 2, S. 737 Ζ. 12-16). Im gleichen Sinne äußerte sich noch Edward Gibbon: »In the eleventh century a fanatic monk could precipitate Europe on Asia for the recovery of the Holy Sepulchre; but in the fifteenth, the most pressing motives of religion and policy were insufficient to unite the Latins in the defense of Christendom«; zit. Hankins, wie Anm. 2, S. 144, vgl. ebd. 123f. Mansi, Orationes Bd. 1, wie Anm. 19, S. 168.
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facinus spes nutrit. Quid hic respondemus? Duo consideranda sunt: unum an Christiani facile possint in passagium trahi; alteram an inchoato passagio spes sit magna vincendi. Nam quamvis omnium bellorum dubius sit exitus, nunquam tarnen committendum est bellum sine spe quadam et argumento victoriae. In diese Fragen kleidete der Redner den skeptischen Realismus, den er als Substrat fürstlicher Politik unterstellt. In allen seinen Türkenreden versuchte er ihm durch eine rationale, immer etwas angestrengt wirkende Argumentation der Chancenabwägung entgegenzukommen. 4. Der Fall des Zweiten Roms am 29. Mai 1453 ergab dann den dramatischen Anlaß für intensivere Textproduktion. Die furchtbare Nachricht von der Constantinopoleopersis löste im Abendland geradezu einen Kulturschock aus, der sich als Welle ausbreitete.35 Bei Enea Silvio beginnt die Verarbeitung des Ereignisses in drei Briefen, unmittelbar nach Eintreffen der ersten Greuelmeldungen: (1) an Papst Nikolaus V. 36 vom 12. Juli 1453; (2) an Kardinal Nikolaus von Kues vom 23. Juli 1453 und, schon mit größe-
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Ich nenne nur die wichtigste Literatur, sofern nicht in Anm. 2 und 6-8: Erich Meuthen: Der Fall von Konstantinopel und der lateinische Westen. In: HZ 237 (1983), S. 1-35 (hiernach zitiert); leicht verändert in: Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 16 (1984), S. 35-60; Schwoebel, Shadow, wie Anm. 2, S. 1-29; Setton Bd. 2, S. 108-137; Helmrath, Reichstag und Rhetorik, wie Anm. 14, S. 107-118, 206-273. Zuletzt Thumser, Türkenfrage und öffentliche Meinung, wie Anm. 25; Marios Philippides: The Fall of Constantinople 1453: Bishop Leonardo Giustiniani and His Italian Followers. In: Viator 29 (1998), S. 189-225, zu Pius II., S. 206 und 211. Zur sehr frühen Volgare-Verarbeitung der »Caduta« in Italien s. den Beitrag von Bodo Guthmüller in diesem Band. Zur Rezeption im 16. und 18. Jahrhundert zuletzt: Dietmar Fricke: L'écho de la chute de Constantinople dans la fortune européenne de l'histoire tragique d'Irène. In: Le banquet du Faisan, wie Anm. 80, S. 163-171. - Zu den Ereignissen auch: Steven Runciman: Die Eroberung von Konstantinopel 1453. München 1977 (dtv WR 4286) (engl. Erstausg. 1966) - Texte: bei Setton, Gilli, wie Anm. 1 und 2. Pertusi u.a. gänzlich ignoriert: Henny Grüneisen/ Helmut Weigel (Hg.), Bd. 19,1: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. Fünfte Abt., erste Hälfte. Göttingen 1969 [zitiert RTA 19,1], bes, Nr. 1-7, S. 4 46 (Fall Konstantinopels und sein Echo), Nr. 40, S. 325-338 (Sendschreiben des Kard. Isidor von Kiew 1453 Juli 8); ebd. 10,1, S. 56-64 Edition der Kreuzzugsbulle Nikolaus' V. (1453 Sept. 30); Agostino Pertusi (Hg.): La caduta di Costantinopoli. [Bd. 1]: Le testimonianze dei contemporanei; [Bd. 2]: L'eco nel mondo. [Verona] 1976; Agostino Pertusi (Hg.): Testi inediti e poco noti sulla caduta di Costantinopoli, edizione postuma a cura di A. Carile. Bologna 1983 (Il mondo medievale, sezione di storia bizantina e slava 4). Vgl auch Lucia Gualdo Rosa u.a. (Hgg.): Gli umanisti e la guerra otrantina. Testi dei secoli XV e XVI. Introduzione di Francesco Tateo. Bari 1982. Gegen den Vorwurf zu geringer Aktivität bzw. den Vorwurf, Hilfe für die Griechen von deren Ratifizierung der Union von 1439 abhängig gemacht zu haben, verteidigt ihn Walter Brandmüller: Die Reaktion Nikolaus' V. auf den Fall von Konstantinopel. In: RQ 90 (1995) 1-23; darin (S. 19f.) benutzt wird der wichtige Brief des Enea Silvio an Kardinal Carvajal 1454 Dez. 23, der - vollständig zitiert - die Vorwürfe freilich gerade bestätigen würde.
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rem Abstand, (3) an den Senesen Leonardo de Benvoglienti vom 23. September 1453." 5. Nach Mai 1454, also nach Ende des Regensburger Reichstags, entstand der unvollendet gebliebene, nach Art der Lucianschen Totengespräche konstruierte und einige Reminiszenzen an Dante aufweisende Unterweltsdialog Somnium;38 auch er ist partiell dem aktuellen Türkenthema gewidmet. Enea läßt darin neben sich selbst den - 1444 verstorbenen - von ihm bewunderten Bernardino ν. Siena und seinen Freund aus Basler Konzilstagen, den Kurialen Petrus de Noxeto, auftreten. 6. Die Hauptforen der Türkenoratorik des Piccolomini stellten die von ihm als Vertreter des Kaisers maßgeblich geprägten Reichstage von Regensburg, Frankfurt und Wiener Neustadt der Jahre 1454/55 (>TürkenreichstageTürkenkrieg< vor einem politischen Entscheidungspublikum vorzubringen.
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(1) Wolkan, wie Anm. 18 Bd. 3,1, Nr. 109, S. 189-202, bes. 199-202; in Auswahl Pertusi, Caduta Bd. 2, wie Anm. 35, S. 44-49, 434; RTA 19,1, wie Anm. 35, Nr. 2,6, S. 21-23; (2) Wolkan 3,1 Nr. 112, S. 204-215; Enea Silvio Piccolomini, Ed. Widmer, wie Anm. 13, S. 446-455. In Auswahl: RTA 19,1 Nr. 2,7, S. 23-26; Pertusi, Caduta Bd. 2, S. 50-61, 434-436; (3) Wolkan 3,1 Nr. 153, S. 280-285; RTA Bd. 19,1 Nr. 4,20, S. 38-41; in Auswahl: Pertusi, Caduta Bd. 2, S. 61-67,436f. Lit. und Hss. u.a. bei Pertusi, Caduta Bd.2, S. 40-43 (ohne RTA Bd. 19,1). Erstdruck Rom 1475 (Hain-Cop. Add. *193), ferner in: Aeneae Silvii Piccolomini Senensis [...] Òpera inedita descripsit ex Codicibus Chisianis vulgavit notisque illustravit Josephus Cugnoni. In: Atti della Romana Accademia dei Lincei. Memoria della Classe di scienze morali, storiche e filologiche III 8. Rom 1882/83, S. 319-686 (Ndr. Farnborough 1968); [auch separat mit Seitenzählung 1-367; hier zitiert: Cugnoni], S. 550 (234) - 615 (299). Für das Thema jetzt herangezogen durch Hankins, wie Anm. 2, S. 130f. mit Zitat. RTA 19,1, wie Anm. 35; künftig RTA Bd. 19,2 und 19,3. - Meuthen, Fall, wie Anm. 35, S. 16-18 (Lit.); Müller, Kreuzzugspläne, wie Anm. 2, S. 64-80 (Lit.); Helmrath, Reichstag, wie Anm. 14, S. 119-121, 161-205; ders., Rhetorik, wie Anm. 14, S. 433-437; ders., Reden, wie Anm. 14, S. 272-277. Zu Wiener Neustadt besonders quellennah Christine Reinle: Ulrich Riederer (ca. 14061462). Gelehrter Rat im Dienste Kaiser Friedrichs III. Mannheim 1993 (Mannheimer Historische Forschungen 2), S. 498-518. RTA 19,1, wie Anm. 35, Nr. 34,1; in Auswahl: Pertusi, Testi inediti, wie Anm. 35, S. 181-187, Nr. 20. Pertusis Urteil »forse la più interessante« (sc. aller Türkenreden Eneas) kann ich nicht teilen.
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Enea fand v.a. auf den Tagen von Frankfurt und Wiener Neustadt Gleichgesinnte. Man erlebte ein einzigartiges Zusammentreffen von drei humanistisch ambitionierten Bischöfen, eines Dreigestirns besonderer Art: Giovanni da Castiglione, Bischof von Pavia als päpstlicher Legat; Johannes Vitéz, Bischof von Großwardein, als Gesandter des Königs Ladislaus von Böhmen-Ungarn; dann Piccolomini selbst, Bischof von Siena, als Vertreter des Kaisers. Einen vierten Rhetor hatte der letztere eigens zur Unterstützung nach Frankfurt gerufen, den berühmten Franziskaner Johannes Capistran. Mit ihm war auch die Volkspredigt gleichsam reichstagsflankierend präsent, dasjenige Redegenre, das traditionell mit dem Kreuzzug befaßt war und über dessen vulgäre Vertreter (nicht über einen Capistran oder Bernardino!) die professionellen Humanistenoratoren in der Regel die Nase rümpften. 41 Unter dem Publikum des Mönchs sah man auch die Reichstagsbesucher gebannt auf der hölzernen Tribüne sitzen, wenn der >heilig man< lateinisch, also von den meisten nicht einmal wörtlich verstanden, auf den Marktplätzen gegen die Luxuria und für den Kreuzzug predigte.42 - Nicht nur die Zahl der gehaltenen Reden, auch ihre Überlieferungsquote ist, von Capistran abgesehen, erstaunlich hoch. Allein fünf Reden des Enea Silvio, drei (mit den Reden im Vorfeld: sieben) des Castiglione und fünf des Vitéz 43 sind im Volltext überliefert. Nie zuvor hielten offenbar die Redner selbst, aber auch das Publikum Reden in einer Intensität für aufzeichnenswert wie jetzt diese neuartigen >TürkenredenFeldherr und Soldaten< in den Mittelpunkt stellen. Er wolle, so Enea Silvio, nicht vor Fachleuten reden, gestandenen Militärs, wie es die deutschen Fürsten waren, tut es dann aber doch. 48 Interessant und bisher kaum wahrgenommen ist sein Versuch, in diesen Reden rhetorisch ein Ethos des Krieges zu vermitteln. Der christliche Türkenkrieg ist nicht nur gerecht, er ist geradezu tugendhaft in seinen Mitteln (anders als bei den Türken): schonende Behandlung der Zivilbevölkerung, Disziplin und Mäßigung im Heer (kein Saufen, kein Plündern); eine Art christlicher Landkriegs· und Felddienstordnung wird dargelegt, 49 zukunftsträchtig für die
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Reichsversammmlungen, wie Anm. 14, S. 275-277, sowie ausführlich ders., Reichstag, wie Anm. 14, S. 177-273. Eine kritsche und kommentierte Edition der »Clades« wird in RTA 19,2 erscheinen. Einige Textveränderungen wurden bereits in die folgenden »Clades«-Zitate anstelle des Textes bei Mansi, Orationes, Bd. 1, übernommen, so bei Anm. 87,123. Helmrath, Reichstag, wie Anm. 14, S. 177-191,350-358. »Oravit iile duabus ferme horis, ita intentis animis auditus, ut nemo unquam screaverit, nemo ab orantis vultu oculos suos averterit, [...] nemo fìnem non invitus acceperit«; Commentarii I 26, Ed. van Heck Bd. 1, wie Anm. 62, S. 83 Z. 3336; »Orationem Enee ab omnibus laudatam multi transcripsere«; ebd., S. 84 Z. 5. Briefliche Äußerungen Eneas unmittelbar nach der Rede sind zurückhaltender, so an Kardinal Carvajal (1454 Oktober 16): »Heri cepimus rem defensionis fidei agitare, ego nomine cesaris orationem habui quasi ad horas duas. an placuerit, nescio. multi, ut puto per adulationem, earn petunt. fui tarnen auditus screante nemine. sunt qui dicant illam profuisse, quod si verum erit, deo agam grati as et semper ago«; Ed. Cugnoni, wie Anm. 38, S. 419 (103), Nr. 41; künftig RTA Bd. 19,2. Mansi, Orationes Bd. 1, wie Anm. 19, S. 288-306, Nr. XIV (»Frequentissimus«, ebd., 307-314, Nr. XV ist keine eigene Rede, sondern eine unvollendete Überarbeitung von »In hoc frequentissimo«, 315-329 und 330-333, Responsio I-II. Zur relativ begrenzten Überlieferung Helmrath, Reichstag, wie Anm. 14, S. 275-280, 426f„ künftig RTA 19,3. Seine Hauptquelle für die eingestreuten Realien und Fachbegriffe ist, kaum überraschend, der im gesamten Mittelalter benutzte Vegetius. Vorbild und vorsichtig benutzte Quelle ist unter anderem Ambrosius' »De officiis ministrorum«. Die Rede blieb bisher kaum beachtet, erste Hinweise bei
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Türkenliteratur! So wie der unfaßbare Erfolg der barbarischen Türken zunächst nur durch christliche Verfehlungen und Defizite erklärt werden konnte, ist christlicher Erfolg konsequenterweise nur durch strikte Moralisierung möglich. Je mehr sich das Bild vom >Türken< differenzierte und ihm schließlich seinerseits nicht nur militärische, sondern auch sittliche Tugenden, vor allem asketische Genügsamkeit zugebilligt wurden, wurde er in doppelter Hinsicht, als Monstrum wie als Gottesfürchtiger, zur Projektionswand christlicher Selbstkritik. Die Türkenpredigten des 16. und 17. Jahrhunderts sollten auch Predigten zur Heeres- und Alltagsmoral sein.'0 8. Nach der Clade s und den Wiener Neustädter Reden markierte Pius mit der Mantuaner Kreuzzugsrede Cum bellum hodie vom 26. September 1459 einen weiteren oratorischen Gipfel51 und zog dabei eine Summe seiner Türkenreden. Die Mantuaner Rede wird lediglich in der Stringenz des Aufbaus von der älteren Rede Clades übertroffen. 117mal konnte sie bisher in handschriftlicher Überlieferung ermittelt werden. Damit könnte Cum bellum hodie die am häufigsten verbreitete Rede des europäischen Humanismus sein, vor allem weil sie öfter als die Clades auch in Italien und Frankreich kopiert wurde. Ein wesentlicher Multiplikationsfaktor lag darin, daß die berühmtesten Reden, wie die Clades und Cum bellum, auch in verschiedene der sehr weitverbreiteten Epistulae familiares-Orucke aufgenommen wurden, sodann zum Teil in die großen Konzils- und Reichstagssammlungen (Labbe und Mansi; Müllers >ReichstagstheatrumWinkel< auf: »die Christen von den ungelaubigen umbgeben in ainen winckel der erden gedrungen«; zit. Herrmann, Türke, wie Anm. 25, S. 109.
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ca. 1458 die Europa, 1461 die Asia.Si Asia meint hier an die antike Provinzbezeichnung anknüpfend Kleinasien, eben den Herrschafts- und Siedlungskern der Türken seit dem späten 11. Jahrhundert. Geographie und Länderkunde, zu deren humanistischen Wiederbegründern Pius zusammen mit Flavio Biondo gehörte, dienten auch der kognitiven Vorbereitung der erträumten großen Aktion, des finalen Krpuzzugs, der die Türken nicht nur aus Europa, sondern auch aus dem Heiligen Land vertriebe.59 11. Wenig untersucht sind bislang die Türkengedichte Pius' II., allen voran das vielüberlieferte, in Distichen abgefaßte Turce, paras alte subvertere moenia Romae und das hexametrische Kleinepos Hactenus ethereas claves, in dem die Expansion des Islam, die Kreuzzüge, Greueltaten der Türken etc. bis zum Kongreß von Mantua thematisiert sind. 60 Aber auch zahlreiche andere versifizierte Exhortationes in Turcos von Dichtern um Pius II. harren systematischer Analyse. 61 12. Im singulären Werk seiner Commentarli62 schließlich, dem urteilsscharfen, von seiner Person getränkten und sicher für die Nachwelt kompo58
Opera, wie Anm. 19, S. 144—481. Eine neue Edition wird in München unter Leitung von Konrad Vollmann vorbereitet. Unzugänglich waren mir das Faksimile der Ausgabe Venedig (Johannes de Colonia) 1478. Madrid (Testimonio) 1991, und die span. Übersetzung von Antonio Ramirez Verger. Madrid 1991 (Tabula Americae 15). Grundlegend Nicola Casella: Pio II tra geografia e storia: la »Cosmographia«. In: Archivio della società Romana di storia patria 3. ser. 26 (1971), S. 35-112, zu den Hss., S. 103-112. 59 Treffend zuletzt Nicola Casella, Pio II, wie Anm. 8, S. 222: »Pio II avesse voluto [...] rendere accessibili al lettore le conoscenze finora acquisite, per permettere in seguito di passare all' azione, alla realizazzione del suo sogno, la disfatta della potenza maomettana. Fu insomma il primo passo, quasi esclusivamente cognitivo, di una lunga marcia che condusse [...] al fallimento della crociata prevista per il 1464«. «o Pii PPII Carmina. Hg. von Adrianus van Heck. Vatikanstadt 1994 (Studi e Testi 3 6 4 ) , N r . 101 u n d 1 0 2 , S. 1 5 7 - 1 5 9 u n d , S. 1 6 0 - 1 6 8 . V o m
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erstgenannten,
offenbar viel überlieferten Gedicht können ohne systematische Suche 17 Hss. genannt werden. Zu Carmen Nr. 101 s. auch unten, Anm. 100. Aus Carmen Nr. 102: Die Hilfe aus allen Regionen Italiens wird lyrisch beschworen, worauf »his Pius auxiliis, hoc fidens ordine rerum/ in Turchos parat ire sacer parat ire, senatus/ cardineus longa precedens agmina pompa«; Ed. van Heck, S. 168 V. 196-198. Dazu Rino Avesani: Epaeneticonim ad Pium II Pont. Max. libri V. In: Enea Silvio Piccolomini. Papa Pio, wie Anm. 1, S. 15-97, ebd. 85-88. Avesani, Epaeneticorum ad Pium II, wie Anm. 60, passim; Bianchi, Intorno, wie Anm. 55, S. 139-147: Edition von Niccolò della Valle: »Ad Pium pontificem maximum contra Teueres exhortatio«. Nachdem man seit 1584 vierhundert Jahre auf eine vollständige und zuverlässige Edition hatte warten müssen, erschienen jetzt in grotesker Uberfülle innerhalb von zehn Jahren drei moderne Editionen: a) Pii II Commentarli rerum memorabilium que temporibus suis contigerunt, ad codicum fidem nunc primum editi ab Adriano van Heck. 2 Bde. Città del Vaticano 1984 (Studi e Testi 313); b) [latitai.]: Papa Pio II (Enea Silvio Piccolomini), I commentari. Edizione [...] a cura di Luigi Totaro. 2 Bde. Mailand 1984 (Classici 47); c) Pii Secundi Pontificis Ma-
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nierten Rechenschaftsbericht, den er sich in den Nächten seiner Pontifikatszeit lustvoll abrang, bilden die Türken und die Sorge um den Bestand der Christenheit einen roten Faden. Buch II eröffnet gleichsam das Programm des Pontifikats: »Atque inter omnis curas, que animum eius invasere, nulla maior fuit, quam ut in Turcos excitare christianos posset atque his bellum inferre«. Diesen Worten schließt sich ein knapper polemischer Abriß der Geschichte des Islam mit einer >origo Turcorum< an.63 Teile des Werks haben den Charakter einer Monographie De bello TurconicoBei genauem Hinsehen dominiert die Türkenthematik der tatsächlichen Politik entsprechend nur 1458/59 im Vor- und Umfeld des Kongresses von Mantua (Buch III) und 1463/64 im letzten, vom Kreuzzug überhöhten Pontifikatsjahr (Buch XII-XIII). Tatsächlich stellen die Commentarli unter anderem einen nur grob chronologisch sequenzierten tour d'horizon durch die europäische Zeitgeschichte der einzelnen regna dar, oft durch historische Exkurse unterfangen, gewürzt mit Anekdoten, durchwirkt mit den Ereignissen der päpstlichen Regierungs-, Reise und Redepraxis, deren unausgesprochenes Motto der »Pontifikat als Kunstwerk« zu sein schien.65 Dessen Suggestion ist auch in diesem Beitrag - schwerlich zu entgehen; aber die Commentarii dürfen deshalb nicht zu ausschließlich unsere Quelle sein.
ximi Commentarii. Textum recensuerunt atque explicationibus, apparatu critico indiceque nominum ornaverunt Inolya Bellus et Iván Boronkai. 2 Bde. Budapest 1993-94; Bd. 2 (Apparatus ad Pii secundi Commentaries) enthält einen wichtigen Variantenapparat, wie er bei Totaro und van Heck fehlt. Zitiert wird hier nach der Ausgabe van Hecks. Wichtige Monographie: Totaro, Pio II nei suoi Commentarii, wie Anm. 27; ferner Gerhart Biirck: Selbstdarstellung und Personenbildnis bei Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) Basel / Stuttgart 1956 (Basler Beiträge zur Geschichtswiss. 56); Esch, Pius II. als Papst, wie Anm. 2, S. 138— 140; zuletzt Jean Lacroix: I »Commentarii« di Pio II fra storia e diaristica. In: Pio II e la cultura (Anm. 1), S. 133-149, und Mario Pozzi: Struttura epica dei »Commentarii«, ebd. S. 151—162. « Commentarii II 1, Ed. van Heck Bd. 1, S. 113 Ζ. 1-12; S. 113 Ζ. 12-25: zur >origo TurcorumTurci< ein »passim«. Vgl. Totaro, Pio II nei suoi »Commentarii«, wie Anm. 27, S. 155-164; Bürck, Selbstdarstellung, wie Anm. 62, S. 53-65: »Ruhmesgedanke und >Türkenkrieg< als Hauptthemata«. Ein Werk »de bello Turconico« als Keimzelle der »Commentarii« nehmen an: Bürck, S. 63f., mit Hinweis auf die Einleitung zum unvollendeten Buch XIII; Iván Boronkai - Inolya Bellus: Pii II pontificis maximi »de bello Turconico« liber imperfectus [egy humanista mûhelyébôl]. In: Aetas 1 (1993), S. 106-127. « S. Erich Meuthen: Art. >Pius II.OutremerwissenschaftlichBigliaFachtraktat< oft militärischen Schwerpunkts ausgeweitet. Die gegenseitige Kenntnis und Benutzung durch die humanistischen Verfasser dieser Texte, so auch durch Enea Silvio, ist in einigen Fällen evident, in anderen wahrscheinlich. Genauere philologische Untersuchung des ganzen Breitenspektrums ist zu wünschen. Spezialisten und Romantiker: Burgund Eine Sonderstellung nehmen die Texte des burgundischen Hofs ein, die in ihrer Parallelität von Pragmatismus und Romantik der Forschung gut bekannt sind: etwa die Reiseberichte, Studien und Feldzugspläne, die von jener Personengruppe am Hof Philipps des Guten von Burgund gesammelt wurden, die man als »qualifizierten Generalstab in Sachen Kreuzzug« (Müller) bzw. als »seminary for turkish studies« (Schwoebel) bezeichnet hat:78 die Reise-Schriften eines Gilbert de Lannoy, eines Bertrandon de la Brocquière oder den schon auf dem Konzil von Ferrara-Florenz 1439 vorgelegten Feldzugsplan (Advis) gegen die Türken von der Hand eines >Messir de TorzeloPragmatique Sanction< von Bourges (1438), jener der Kurie zutiefst suspekten Errungenschaft aus Konzilszeiten, zum anderen Anjou-Frankreich mit seinen unermüdlich vorgebrachten Ansprüchen auf Neapel, seiner stets latenten und nach Ende des 100jährigen Krieges wieder wachsenden Bereitschaft, in Italien zu intervenieren. Diese Distanz zu Frankreich in Politik und Opera Pius' II. und ihre italienische Tradition hat jüngst Patrick Gilli mit Recht ausführlich dargelegt, wobei die »perspective dépréciative« einer »dévalorisation«, ja eines »extrémisme« des Piccolomini gegenüber Frankreich und seinen Monarchen vielleicht etwas überzeichnet sind, so wie Gillis geradezu indigniertes Gewahrwerden von Pius' Tendenz zu einer »germanisation« der Franken und damit der europäischen Geschichte.83 Im Folgenden sind einige typische Motive vorzustellen, die, maßgeblich mitübermittelt durch Enea Silvio stilbildend geworden sind: Motive des Türkenbildes 1. Turcorum rabies - effeminati Turci. - Beschreibungen der >TürkengreuelBurgund< im 15. Jahrhundert instruktiv: Sieber-Lehmann, Mehmed II. und Karl der Kühne, wie Anm. 25.
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Europa. Diese und spätere Greueltaten und -berichte trugen wesentlich dazu bei, die Türken für lange Zeit zum Element der »peur en occident« (Delumeau) zu machen. Gewisse Stereotypa finden sich fast durchgehend: 84 Abschlachten des Adels, geschändete Nonnen, Verspottung des Kreuzes, Hostien Hunden und Säuen zum Fraß vorgeworfen etc. Konkrete Erfahrung von Massaker und Blasphemie durch Augenzeugen wird in Topoi des antiken literarischen Motivs der >urbs capta< rhetorisch verarbeitet und sollte künftig das Feindbild vom grausamen Türken mitprägen. 85 Die Frankfurter Rede des Enea Silvio mündet nach Schilderung der Türkengreuel über eine dreifache anaphorisch gebaute exclamado (»o miseram[...]«) in den bekannten Vergilvers »Quis talia fando temperet a lacrimis« (Verg., Aen. II 6). Dann folgt ein Schwenk zur Person, zu Machometus-Mthm&ä, womit die Klimax der Greuel erreicht ist. Der Sultan wird, wiederum mit vergilischen Epitheta, als Bestie präsentiert: »terribili facie, tetris oculis, horribili voce«, Eigenschaften, welche die dem wütigen Neoptolemos in der Iliupersis (Aen. II 495-502) zugemessenen an Drastik übertreffen. Die Passage befindet sich innerhalb der Rede im Kapitel der den Krieg rechtfertigenden feindlichen >iniuriaeUrbs captaurbs capta< ist offenbar früh Gegenstand rhetorischer Übung, und zwar besonders der erhabenen Stilart (genus grave) der Elocutio. Als Nucleus anzusehen ist etwa Rhet. ad. Herennium IV, 12: »quo modo deum templi s spoliatis, optimatibus trucidatis, aliis abreptis in servitutem, matribusfamilias et ingenuis sub hostilem libidinem subiectis urbs [...] concidat«; vgl. dann ausgeweitet Quint., Inst. or. VIII 3, 67-70 im Kontext des rhetorischen >omatusurbs capta< in den in Anm. 35 genannten Ausgaben. Zur Stilisierung Mehmeds II. s. unten, S. 111-114.
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>verweichliche (»effeminati Turcae«); darin übrigens dem Perserbild der Griechen ähnlich. Das Ziel: die gefürchtete Armee der Türken im Argumentieren für die >facilitas belli< schwach zu reden - sowohl charakterlich, in der Kampfmoral, wie technisch, in ihrer - primitiveren - Bewaffnung. Stark sind sie, wie einst Perser oder Midianiter, nur in ihrer Masse und dennoch bzw. gerade deshalb, wie Alexander und Gideon gezeigt haben, leicht zu besiegen. Altes Testament und Antike liefern die Exempla. Enea münzt die Rede des Italikers Numanus gegen die Trojaner in Aen. IX auf die Türken um; erneut dient Vergil als die literarische auctoritas dieses Vergleichs zwischen Islam = Asien und Christentum = Europa.87 2. De origine Turcorum:88 Ethnographische Innovation als Polemik. - In der Clades hatte Enea Silvio emphatisch die Bedeutung Konstantinopels als edle Mutter der Literatur und Kultur geschildert. Dem wird als Kontrast das Niedrige und Verächtliche der Zerstörer und neuen Herren gegenübergestellt. Genau dies ist der argumentative Ort eines Exkurses über die >origo Turcorumflectere ludus equos et tendere spicula cornu< (Aen. IX v. 606, 609). vos >omne evum ferro teriturquatit oppida bello< (Aen. IX, aus ν. 609 und 608) [...] >Illis pietà croco et fulgenti murice vestís/ desidiecordi< sunt summa voluptas indulgere choreis< (Montage aus Verselementen von Aen. IX 614-616 unter leichter Veränderung). Solus Maumethus et, quos dixi, quindeeim milia expedid sunt (sc. die Janitscharen), quos sonus delectat armorum (vgl. Verg., Georg. 3, 83) et animus in bella paratus exhibet audaces. Ceteros inexpeditos tímidos effeminatos (!) nullius precii iudicatis. quod si manus cum illis conferatis, nihil est, quod de victoria dubitetis«; Mansi, Orationes Bd. 1, wie Anm. 19, S. 278. Ähnlich in der Rede »Cum bellum hodie«; Ed. Mansi, Coll. Conciliorum 32, Sp. 213AB, und in der Bulle »Ezechielis« (1463): »pudet semiviros (!) Asiáticos Grecorum gentem (quod nunquam antea fecerunt) subegisse«; Ed. Reusner, Orationes de bello Turcico Bd. 2, wie Anm. 52, S. 51. Zu diesem hier nur angedeuteten Thema sei nachdrücklich auf den weiterführenden Beitrag von Margaret Meserve in diesem Band verwiesen. Blusch, Enea Silvio und Campano, wie Anm. 44, S. 111. - Zur antiquarischen Seite der europäischen Türkenliteratur, in der die >origo< der Türken (v.a. die Skythen-Theorie) und ihres Namens einen andauernden Platz fand, s. Herrmann, Türke und Osmanenreich, wie Anm. 25, S. 129-135, 175-181, 291-298; Göllner, Turcica Bd. 3, wie Anm. 25, S. 229-250 und speziell Michael J. Heath: Renaissance Scholars and the Origins of the Turcs. In: Bibliothèque d'Humanisme et de Renaissance 41 (1979), S. 453-471, bes. 455, 464f„ der die fortdauernde Wirkung der Aethicus-Zitate bei Enea Silvio eindrücklich aufzeigt; zuletzt wichtig Hankins, wie Anm. 2, S. 135-144. Zur späteren Rezeption der >OrigoKleinasiaten< (Asiani nach der römischen Provinz Asia), geschweige denn - darauf ist zurückzukommen - wegen einer Abkunft von den Trojanern (= Theucri)·, vielmehr stammten sie von den Skythen ab, jenem »schmutzigen und schimpflichen Stamm, verhurt in allen Sorten der Unzucht«. Erste Intention der Passage ist, die Abstammung der Türken vom antiken Randvolk der Skythen zu kanonisieren. Die Skythen in ihrem offenen Siedlungsgebiet im Nordosten der Oikumene waren der einzige aus der Antike und mit deren auctoritas zitierbare Volksname, der die historisch so schwierig nachweisbare Herkunft der Türken abzudecken schien. 92 Ihr Image war seit Herodot nicht zuletzt durch klimatische Benachteiligung pejorativ besetzt als das von Barbaren par excellence; 93 es hatte zwar Züge der >monströsen Völker des 90
Mansi, Orationes Bd. 1, wie Anm. 19, S. 269. Die Kursivierungen markieren Zitate aus Aethicus Ister (s. unten, Anm. 97). 91 Enea Silvio ist dabei wohl der erste Renaissanceautor, der für sein eigenes Werk Otto von Freising wieder rezipiert. Vgl. Brigitte Schürmann: Die Rezeption der Werke Ottos von Freising im 15. und frühen 16. Jahrhundert. Stuttgart 1986, S. 22f. Genauer zu klären ist die Benutzung von Flavio Biondo, von dessen »Decades« Pius II. 1463 bekanntlich eine »Epitome« verfaßte. 92 Vermeintlich antike Belege für die »Turcae« (Plin., nat. hist. VI 19 und Pomp. Mela 1116) gelten nach heutiger Forschung als Verschreibungen der bei Herodot IV 22 genannten »Iurkai«. Vgl. RE 2. R. VII A2, Art. >Turcae< (A. Hermann) 1377, und RE X,1 Art. >Iurkai< (A. Hermann) 1386-1390, ebd. 1386: Die bei Herodot belegten Iurkai sind »nicht die Stammväter der Türken«. Vgl. Norbert Wagner: Die Turci bei Fredegar. In: Beiträge zur Namensforschung NF 19 (1984), S. 402-410. Zu den Grundlagen der antiken Ethnographie: Wilfried Nippel: Ethnographie und Anthropologie bei Herodot. In: ders., Griechen, Barbaren und Wilde. Alte Geschiche und Sozialanthropologie. Frankfurt 1990 (Fischer-Tb 4429), S. 11-29. » RE, 2.R. II Al, Art. >Skythe< (K. Kretschmer) Sp. 923-946. Vgl. Gebel, Nikolaus von Kues, wie Anm. 25, S. 71 zum Skythenbild der >CosmographiaAethicus aus Istrien< - von Enea wohl wegen der vermeintlichen Bedeutung Ethicus in Reminiszenz an Aristoteles Ethicus philosophus genannt - wird bei umstrittener Verfasserfrage von der Forschung in das 4. bzw. 8. Jahrhundert datiert und als Kompilation antiken und nachantiken Materials angesehen. 99 Sie beschert dem Benutzer immerhin ein geographisches Hapax legomenon wie die »Birrichii (Pyrrichii) montes«, die, falls überhaupt real, bis heute nicht identifiziert werden konnten. 100 Die beiden Passagen aus Ister, angereichert durch Kenntnisse aus Nikolaus Sagundinos' De familia Authumanorum (1456), drangen über die Europa (1458) und Asia (1461) des Piccolomini in die europäische Türkenliteratur und in die Historiographie ein. 101 Die Bemühungen um die >origo Turcorum< dürfen als anschauliches Beispiel dafür gelten, wie im Humanismus neues Erfahrungswissen integrierende historische und ethnographische Interessen wissenschaftliche Aufklärung anstrebten und erreichten, zugleich aber zu neuer Mythenbildung führen konnten. Die Skythen-Hypothese Schloß definitiv eine andere, romantischere origo aus: die Abstammung der Türken von den Trojanern: 98
Ähnlich, leicht erweitert, dann in Pius' II. »Cosmographia«. In: Opera, wie Anm. 19, S. 383f. G. Bemt, Aethicus Ister. In: LMA I (1980), S. 192, und die Einleitung der Edition von Prinz, Kosmographie, wie Anm. 97, S. 1-84. Daß Ister »in der Humanistenzeit« keineswegs »in Vergessenheit geraten« ist, wie Prinz, S. 70 meint, dürfte das Zitat bei Enea Silvio und die von ihm ausgelöste Zitatenflut hinreichend belegen. Vgl. Belege des 16. Jahrhunderts zur skythischen Herkunft der Türken bei Herrmann, Türke und Osmanenreich, wie Anm. 25, S. 292f., Anm. 5; Heath, Renaissance Scholars, wie Anm. 89, passim. 100 Heath, Renaissance Scholars, wie Anm. 89, S. 457, Anm. 21: »do not figure in any respectable ancient cosmography«. Sie gerinnen nichtsdestoweniger zu Hexametern in Pius' Gedicht »Turce paras«: »Pyrrhicheos montes et >inhospita saxa< (Verg., Aen. V 627) colebat«; Carmina, Ed. van Heck, wie Anm. 60, Nr. 101, S. 158 Z. 13. 101 Beispiele: Agostino Pertusi: La descrizione della caduta di Costantinopoli (1453) nelle »Historiae polonicae« (Lib. XII) di Jan Dhigosz e le sue fonti. In: Italia Venezia e Polonia tra medio evo e età moderna, a cura di Vittore Branca e S. Graciotti. Firenze 1980 (Civiltà Veneziana. Studi 35), S. 497-514, bes. S. 504-513; Meuthen, Fall, wie Anm. 35, S. 4, Anm. 8; Michael J. Heath: Crusading Commonplaces: La Noue, Lucinge and Rhetoric against the Turks. Genf 1986 (Travaux d'Humanisme et Renaissance 209), bes. S. 26f.
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3. Turci - Teucri. Die Türken - (keine) Nachfahren der Trojaner. - Unermüdlich und mit Ingrimm bringt Enea in verschiedensten Texten seine Kritik an der falschen Gleichsetzung von Türken und Trojanern vor, von Turci und Teucri,102 wie sie sich mehr oder weniger unreflektiert eingebürgert hatte. Der Name >Teucri< aber war dem Kenner als Synonym für >Troianerurbes captae< Troja und Konstantinopel mit - konnten und durften auch onomastisch nicht gleicher Wurzel sein. Diese Position zog die Wissenschaft langsam auf ihre Seite. Schon Poggio hatte den Fehler der anderen, noch zögernd, gesehen. 104 Enea Silvio, der zunächst auch ganz selbstverständlich von Teucri sprach, machte spätestens 1447 in Form einer Sprachreinigung Ernst. 105 Pedantisch wurden
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Dazu s., ohne die ältere Literatur: Göllner, Turcica Bd. 3, wie Anm. 25, S. 232236; Meuthen, Fall, wie Anm. 35, S. 13f., Anm. 37; Pertusi, Caduta Bd. 1, wie Anm. 35 Bd. 1, S. 371 (Lit.); Schwoebel, Shadow, wie Anm. 2, S. 70f„ 148-152, 204-206; Heath, Renaissance Scholars, wie Anm. 89, S. 455f.; Bianchi, Intorno a Pio II, wie Anm. 55, S. 132-136; Hankins, wie Anm. 2, S. 137, Anm. 83: »This theme is so frequent in Pius' letters and sermons as to amount to an obsession«, ebd., S. 135-144 wichtig zur >origo Turcorum< und zur Frage >Turci-Teucri< (136f.) bei den Humanisten; Melville, Wahrheit, wie Anm. 15, S. 81: >Francus< und >Turcus< als Enkel des Priamos und Stammväter von Franken und Türken noch bei Felix Fabri (1483). 103 Vgl. Webb, Decline and Fall, wie Anm. 68, S. 209f.; M. J. McGann: »Haeresis castigata, Troia vindicata«. The Fall of Constantinople in Quattrocento Latin Poetry. In: Res Publica Litterarum 7 (1984), S. 137-145 (u.a. zur »Constantinopolis« des Ubertino Pusculo). 104 »Quod queritis Teucri ne an Turci dici debeant [...] potius vero eos dixerim Turcos novo nomine [...]«; ep. VI,23 (Tonelli XII,3). In: Poggio Bracciolini, Lettere. A cura di Helene Harth. Bd. 3. Florenz 1987, S. 286, Ζ. 22 und 28. In »De varietate fortunae« hatte er noch konsequent von Teucri gesprochen, ebenso wie zuvor recht dezidiert Salutati: »Videtis Teueres; sic enim appellare potius libet quam Turchos, postquam Teucriam dominantur(!)«; Epistolario di Coluccio Salutati, a cura di Fr. Novati. Bd. 3. Rom 1927 (Fonti per la storia d'Italia 13,3), S. 208 mit Anm. 1 (weitere Belege). 105 Erste Redaktion der Laienbriefe in der Hs. Rom, Bibl. Vat. Chis. J VI 208; schon von Rudolf Wolkan: Die Briefe des Eneas Silvius vor seiner Erhebung auf den päpstlichen Stuhl. Ein Reisebericht. In: AÖG 93 (1905) 351-369, ebd., S. 357 auf Kenntnis Ottos v. Freising (Chron. I 58, III 58 u.ö.) zurückgeführt. 1448 Nov.
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seine Briefe und Reden purgiert, 106 oft mit rhetorischer correctio: »Turci, ne dicam Theucri«. 107 Andere, sich turkophil gebende Humanisten wie Filelfos Sohn Gian Maria in seinem ca. 1471/76 entstandenen Epos Amyrism setzten hingegen weiter Türken und Trojaner gleich, deklamierten mit einem gewissen Snobismus die >clades Constantinopolitana< als Rache für die >clades TroianaTurkophilie< mischte sich mit traditioneller Griechenfeindschaft und dem Versuch, das Türkentrauma des Westens dergestalt zu domestizieren, daß man die Türken in klassische Traditionen integrierte. 109 Man mag darin Ansätze eines kulturellen Pluralismus sehen, wie er etwa unter Intellektuellen des untergegangenen griechischen Ostens begegnet, wo man sich ein geschmäcklerisches Liebäugeln mit dem Sultan leisten konnte, zugleich aber angesichts einer Rebarbarisierung des Islam durch >den Türken< von der eigenen kulturellen Überlegenheit tief durchdrungen war. 4. Das Bild Mehmed II. - der Charakter des Feindes. - Als Schlächter war der Sultan im ersten Teil der Clades kurz erschienen, erneut tritt er, verändert, im letzten Teile der Rede auf. Der vierte der selbsterhobenen Einwände gegen Eneas Appell zum Krieg hatte gelautet: Mehmed II. werde künftig ohnehin Ruhe geben (»quieturum existimant«), man brauche daher momentan keinen Krieg zu übereilen. Für Enea bietet die Widerlegung dieser Meinung den Anlaß, eine >descriptio personae< Mehmeds zu zeichnen, ein Charakterbild, das in der zeitgenössischen Literatur seinesgleichen sucht und von Blusch zu Recht als »kleines Meisterstück« bezeichnet
25 an Nikolaus V. über die Amselfeldschlacht schreibt er schon konsequent Turci; Wolkan Bd. 2, wie Anm. 18, Nr. 23, S. 72-77. loe Wolkan, wie Anm. 18 weist passim ebenso pedantisch alle Änderungen im Apparat aus. Manchmal hat Enea auch ein paar Teucri übersehen; etwa Wolkan Bd. 1,1, wie Anm. 18, S. 566, Anm. 4. Die Korrekturen gehen freilich mit einer allgemeinen Bearbeitung einher, zum Beispiel wird dieta (für Reichstag) durch conventus ersetzt. 107 Zwei Beispiele von vielen: Brief an Nikolaus von Kues 1453 Juli 21; Wolkan Bd. 3,1, wie Anm. 18, Nr. 112, S. 209f.; zit. Meuthen, Fall, wie Anm. 35, S. 44, Anm. 37: »Non enim, ut quidam rentur, Teucri sunt ñeque Perse, qui nunc Turchi dicuntur«. Die auf dem Reichstag von Wiener Neustadt im Februar 1455 begonnene Rede »Frequentissimus«: »Eligenda belli sedes, qua Turcos aggredì expediat - non dicam >Teucrosimitatio Alexandri< des Sultans wäre eines der vielen Motive, deren Kettenrezeption man exemplarisch verfolgen kann: Von ihr spricht sogar Kardinal Isidor v. Kiew in seinem Erlebnisbericht vom Fall Konstantinopels an die Prioren von Florenz (1453 Juli 7), der einer der wichtigsten Multiplikatoren der Ereignisse überhaupt war: 120 Regem Alexandrum admirandum Macedonem cum minore potentia subiugasse totum orbem, et hunc (sc. Mehmed II.), qui iam imperiale regnum Constantinopolis obtinuit et habet innumerabilem exercitum non posse totum orbem submittere?
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Exemplarische Belege: Hg. Giorgio Hofmann. In: Analecta Christiana Periodica 18 (1952), S. 147; Ed. Pertusi, Epistole di Quirini, wie Anm. 73, S. 186f.; ebenso im Brief an Kard. Bessarion 1454 Juli 6: »Alexandri siquidem vitam quotidie audit arabice, grece et latine«; RTA Bd.19,1 Nr. 40b, S. 335 Z. 30f.; Ed. Pertusi, Epistole di Quirini, S. 187; Pertusi, Caduta Bd. 1, wie Anm. 35, S. 78, S. 381f„ Anm. 26 (Lit.). - Ähnlich Lauro Quirini an Nikolaus V. 1453 Juli 15: »sese principem orbis terrarum gentiumque omnium, id est alteram Alexandrum, et esse et dici vult. Unde et Arianum, qui res gestas Alexandri diligentissime scripsit, quotidie ferme legere consuevit«; Ed. Pertusi, Epistole di Quirini, S. 229 Ζ. 165-168; Pertusi, Testi inediti, wie Anm. 35, S. 80 Ζ. 154-157. - Sagundinos, Oratio ad Alphonsum, Ed. Makuscev, Monumenta, wie Anm. 76, S. 297; Ed. Pertusi, Caduta Bd. 2, wie Anm. 35, S. 131f. (hiernach Zitat): »neque visus est Lacedaemoniorum, Atheniensium, Romanorum, Carthaginensium aliorumque regum et principum rebus gestis accomodasse animum, Alexandrum Macedonem et C. Caesarem praecipue sibi imitandos delegit.« - Niccolò Tignosi da Foligno, Brief an einen Unbekannten 1453 Nov.: »Quasi novus Caligula(!) [...] dicitur antiquorum studere historiis et illorum facinora cum admiratur, se Alexandrum Macedonem superaturum aestimat, et Caesarem Octaviumque imitatunis firmissime credit se posse toto orbe potiri«; Ed. Pertusi, Testi inediti, wie Anm. 35, S. 108 Z.42-45. - Giacomo Languschi, Excidio e presa di Costantinopoli (nach April 1454): »aspirante a gloria quanto Alexandra Macedonico, ogni dl se fa lezer historie romane, et de altri da uno compagno d' Chinaco d'Ancona, et da uno altro Italo, da questi se far lezer Laertio, Herodoto, Livio, Quinto Curtió, Cronice de i papi, de imperatori, de re di Franza, de Longobardi; usa tre lengue: turcho, greco e schiavo«; Ed. Pertusi, Testi inediti, S. 172f. - Wenig bekannt, auch bei Pertusi fehlend, ist der unter dem Namen Franco de Twayr überlieferte »Tractatus de expugnatione Constantinopolitanae«, darin c. 23: »triumphos modis omnibus amans, principatum totius orbis affectuosissime diligens, immo plusquam Alexander magnus, Julius vel Augustus, vel alii quique potentes imperatores huius mundi«; Ed. Martène-Durand, Veterani scriptoram Amplissima Collection..] Bd. 5. Paris 1724 (Ndr. 1968), Sp. 798B. - Weitere Belege: Babinger, Mehmed der Eroberer, wie Anm. 7, S. 193, 561 s.v. >Alexander d. GroßeTürkenkrieg< und christlicher >Kreuzzug< nach wie vor zusammen. Unterschiede zwischen traditioneller Kreuzzugspredigt und humanistischer Türkenrede liegen kaum bestreitbar in Sprache und Stil. Die inhaltlichen Unterschiede treffen hingegen, bei einem ohnehin zu konstatierenden Maß an topischer Kontinuität, auf Pius II. - und auch andere Humanisten nur zum Teil zu. Wenn Hankins beispielsweise meint, »few humanists bothered to argue the justice of crusade«,122 so ist ihm an allererster Stelle Enea Silvio entgegenzuhalten, der in der Frankfurter wie der Mantuaner Türkenrede den gerechten Kriegjustitia< des Krieges (neben facilitas und utilitas), erstens nach antiken, christlich-scholastisch überformten Ethikmaximen rational zu begründen sucht, dies zweitens aber nicht zuletzt deshalb tut, weil er sich, als beflissener Humanist, wie gesagt, eng am Aufbau des antiken Vorbilds, Ciceros Rede De imperio Cn. Pompei (= De lege Manilio), orientiert. Die Verbindung von antikisch-säkularer Argumentation und christlicher Pastoral- bzw. traditioneller Kreuzzugspredigt zeigt sich besonders eindrucksvoll in den Exclamationen am Schluß der Frankfurter Clades-Rede: Selbst die heidnischen (sprich: germanischen) Vorfahren der heutigen Fürsten (»ex quibus vobis origo est, principes, cum essent adhuc gentiles«) starben gern für das Vaterland. Auf dem Kreuzzug sterben heißt hier >pro patria moripro patria mori< hat selbstverständlich eine 121 122 123
Hankins, wie Anm. 2, S. 118-123. Hankins, wie Anm. 2, S. 119. »Veteribus illis, ex quibus vobis origo est, principes, cum essent adhuc gentiles, nullum fuit grave bellum, quod pro patria suscepissent, nullam illi mortem miserai» putavere, que pro república subiretur. sed que respublica maior et melior quam nostra Christiana? Que patria dulcior et nobilior quam nostra celestis ilia, ad quam cuncti aspiramus, formosa Hierusalem? Illi, cum pro patria morerentur,
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antike und, wie Kantorowicz gezeigt hat,124 eine im französischen Spätmittelalter remobilisierte Tradition. Sie ist keine humanistische Neuadaptation. Enea Silvio verwendete sie bereits in De ortu et auctoritate imperii Romani (1444), 1 2 5 seiner wohl am stärksten traditionsverpflichteten Schrift überhaupt.
Rhetorik und Realismus: Der Kongreß von Mantua 1459126 Die drei Türkenreichstage hatte Enea Silvio für den Kaiser mitorganisiert; jetzt, als Pontifex maximus, der sich als berufener Führer der Christenheit sah, konnte er selbst Ort, Themen, Ladungen und Procedere bestimmen. Gleich nach seiner Wahl im September 1458 versammelte er die zur Gratulation in Rom erschienenen Gesandten der italienischen Mächte, berief er das Konsistorium und wiederholte in seiner Wahlkapitulation den Eid seines
tarnen maxime exultabant; nos, cum morimur, tum finimus exilium, tum patriam ingredimur. O felix mors, que vitam finit temporalem, concedit eternami O faustum ac desiderabile bellum, in quo si vincis, in terra honoraris, si vinceris, in celo triumphas! Quidni ergo ardenti pugnemus animo, quibus tanta promittuntur emolumenta? - Ecce dominus noster sanctissimus, Christianorum summus pater Nicolaus papa quintus, ovium Christi pastor, Romanorum pontifex, successor beati Petri, Christi dei nostri vicarius, omnibus, qui hanc expeditionem sequentur, delieta remittit, culpas abluit, veniam prebet, celum promittit. Nec de promisse est dubium, quoniam hic est, qui potestatem habet ligandi ac solvendi, qui locum illius tenet, cui date sunt >claves regni celorum< (Mt. 16,19). Ecce, nunc >celi aperti sunt< (Ez. 1,1). Ecce nunc iter in patriam!« Mansi, Orationes Bd. 1, wie Anm. 19, S. 284f. Vgl. Anm. 44. - In den wie Türkenreden aufgebauten Kreuzzugsbullen (vgl. oben bei, Anm. 56) wird der Raum, der dem Ablaß etc. zukommt, natürlich noch umfangreicher, etwa in »Ezechielis« (1463), Ed. Reusner, Orationes de bello Turcico Bd. 2, wie Anm. 52, S. 40-59, davon, S. 52-59 zu Ablaß und Anathema. Zu relativieren: Hankins, wie Anm. 2, S. 119: »the humanists in general did not speak of the spiritual benefits of the crusade.« 124 Ernst Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs. München 1990 (engl. Princeton 21966), S. 241-278. 125 Kantorowicz, Körper, wie Anm. 124, S. 267f. Zum patria-Begriff in der »Clades«-Rede auch Mertens, Europa id est patria, wie Anm. 15, S. 54f. 126 Keineswegs hinreichend in der Forschung rezipiert: Giovanni Battista Picotti: La dieta di Mantova e la politica de' Veneziani. Venedig 1912; Ndr. Trient 1996 (Reperti 3), aus Archivalien geschöpft, mit Quellenanhang; Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 39-81 sowie S. 716-726, Nr. 5-36 Texte; ebenso Quellen bei Pastor (Hg.), Ungedruckte Akten, wie Anm. 18, passim; Hocks, Pius II., wie Anm. 1, S. 101-130; Paparelli, Enea Silvio, wie Anm. 8, S. 157-171; Enea Silvio Piccolomini, Ed. Widmer, wie Anm. 13, S. 102-108, 234-259 (Texte); Setton Bd. 2, S. 196-230. Erstmals die Oratorik herausgehoben bei Joyceline G. Russell: The Humanists Converge. The Congress of Mantua (1459). In: dies., Diplomats at Work. Three Renaissance Studies. Phoenix Mill 1992, S. 51-93; Franco Cardini: La repubblica di Firenze e la crociata di Pio II. In: ders., Studi sulla storia e sull' idea di crociata (Storia 29). Roma 1993, S. 135-165, speziell, S. 142-149; Claudia Märtl: Kardinal Jean Jouffroy (tl473). Leben und Werk. Sigmaringen 1996 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 18), S. 100-113.
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Vorgängers Calixt III., Konstantinopel wiederzugewinnen, und koste es das Leben.127 Die probate Vorbereitung zunächst: ein Kongreß. Eine Flut von Ladungen und Briefen - u.a. die Kreuzzugsbulle Vocavit nos pius vom 6. Okt. 1458128 - ergoß sich flächendeckend an die europäischen Fürsten, ohne die, das weiß der Papst besser als jeder andere, nichts geht. Mantuas Lage, in der oberitalienischen Kontaktzone für Konzilien und Entscheidungsschlachten, schien ihm anders als Rom für Kongreßbesucher aus allen Richtungen Europas zentral, wobei er die Ortswahl, wie es sich für Konzilien bereits häufiger fand, ausführlich begründete.129 Die Kardinäle murrten freilich; statt in Mantua am Ende vergeblich zu warten, sei es besser, gleich ins Ultramontane über die Alpen gehen und die Fürsten zu Hause aufzusuchen. Sie schienen zunächst recht zu behalten. In Mantua tat sich lange nichts; man wartete monatelang auf Gesandte. Langeweile macht aber produktiv: Pius selbst, wenn er nicht die Kanzlei auf Trab hielt, dichtete, unter anderem wohl das schon genannte Türkengedicht Turce, paras,130 Flavio Biondo beendete sein Alterswerk Roma triumphans mit einer Widmung an Pius II., welche die Römertugenden als Vorbild für den Kreuzzug anruft. Nur wenige Fürsten, von immer neuen Mahnschreiben des Papstes bearbeitet,131 kamen persönlich: Francesco Sforza, Herzog von Mailand, die Markgrafen von Ferrara und Modena, Lodovico Gonzaga als Hausherr, aus Deutschland ganz am Ende noch Markgraf Albrecht v. Brandenburg. Aber Gesandte italienischer wie auswärtiger Mächte trafen immerhin nach und nach in größerer Zahl ein. In jedem Fall wurde Mantua, von Joycelyne G. Russell erstmals unter diesem Gesichtspunkt angemessen gewürdigt, ein diplomatiegeschichtlichoratorisches Ereignis: der Kongreß selbst wie bereits die lange Anreise des Papstes, auf der Pius II. umrittähnlich zahlreiche Städte, allen voran seine Heimatstadt Siena, besuchte und dabei öffentlich redete.132 Trotz langer 127
Commentarli II 1-2, Ed. van Heck Bd. 1, wie Anm. 62, S. 113—116; Crivelli, de expeditione, Ed. Zimolo, wie Anm. 47, S. 80, 85-91. 128 Druck: Crivelli, de expeditione, Ed. Zimolo, wie Anm. 47, S. 91-96. Dazu s. Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 18f. mit Anm.; Setton Bd. 2, S. 210, Anm. 13; Russell, Humanists Converge, wie Anm. 126, S. 82, Anm.l. 129 Dazu Johannes Helmrath: Locus concilii. Die Ortswahl für Generalkonzilien vom IV. Lateranum bis Trient (Mit einem Votum des Johannes de Segovia). In: Synodus. Festschrift für Walter Brandmüller. Hg. von Remigius Bäumer, Evangelos Chrysos u.a. Paderborn 1997; identisch im Annuarium Hi stori ae Conciliorum 27/ 28 (1995/96), S. 593-661, zu Enea Silvio S. 632-635,640f„ 648-652. 130 S. oben bei Anm. 60f„ 101. 131 Auswahl bei Pastor, Ungedruckte Akten, wie Anm. 18, Nr. 72, 75-82, 87. 132 Russell, Humanists converge, wie Anm. 126, S. 55: »par excellence, a meeting of Latinists«; Black, Accolti, wie Anm. 2, S. 235: »a great forum for humanist crusader rhetoric«. Zur Anreise, die dank der Beschreibung in den »Commentarii« als eine Art >Italia permigrata< immer schon stark wahrgenommen wurde: Commentarli II 10-44, Ed. van Heck Bd. 1, wie Anm. 62, S.125-170; Giovanni Battista Mannucci: Il viaggio di Pio II da Roma a Mantova (22 gennaio-27 maggio 1459). Siena 1941; Paparelli, Enea Silvio, wie Anm. 8, S. 142-156.
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Unterbrechungen dürften auf keiner Veranstaltung im 15. Jahrhundert, von den großen Konzilien abgesehen, so viele Reden gehalten worden sein wie in Mantua. Hauptorator war Pius II. selbst; auf >seinem< Kongreß mußte man ihn - wenigstens - anhören. Der Papst ließ es sich nicht nehmen, jeder Gesandtschaft in der Audienz, also in einem Basisakt politischer Rhetorik, persönlich und quasisimultan aus dem Stegreif zu respondieren. 133 Er tat dies immer elegant in der Form, im Inhalt das eine Mal verbindlich, das andere Mal scheltend. Selbst zum Monarchen geworden, war er hier freier als viele Humanistenkollegen, die die Winkelzüge der fürstlichen Tagespolitik nachzuvollziehen hatten. Die Rede Cum bellum hodie - sie kam bereits zur Sprache - war der Höhepunkt. Leidenschaftlicher, existentieller hatte Pius nie geredet. Wie er schmerzverkrümmt und bleich auf dem Sessel Platz nimmt, zunächst kaum sprechen kann, wie ihm langsam beim Reden die Lebensgeister zurückkehren und sich die Worte auch physisch zu einer dreistündigen Rede steigern, gehört zu den eindrucksvollsten Beschreibungen einer Actio. 134 Neben Pius sprachen viele andere, zum Beispiel Kardinal Bessarion, der Humanist Filetto, Niklas Wyle, Jean Jouffroy, Johannes Hinderbach, Gregor Heimburg, selbst die kleine Tochter des Herzogs von Mailand, Hippolyta Sforza. 135 Zum Politischen: In gewisser Hinsicht fand in Mantua unter dem Programm eines europäischen Kreuzzugskongresses ein Kongreß des Italien der >Lega< von 1454/55 statt. 136 Die Verhandlungen der italienischen Mächte erzielten als Resultat das Kreuzzugs- und Friedensversprechen mit detaillierten Rekrutierungs- und Finanzierungsplänen vom 1. Oktober, das
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Ich zähle insgesamt vier große und 27 Kurzreden Pius' II., deren Überlieferung, wie die aller seiner Reden, bisher kaum untersucht ist; Ed. Mansi, Orationes, wie Anm. 19 Bd. 2, die Reihe der kurzen Gesandtschaftsresponsionen ebd., S. 182— 236. 134 »Cum frequentes convenissent, Pontifex languidus et ingenti dolore oppressus cubiculi™ exiit et in aula, sublimi sedens solio, indicto silentio, pallidus et admodum anxius vix fari poterai. At ubi calor invaluit, ardens dicendi vi dolore superato, affluentibus verbis sine ullo labore locutus, trium horarum habuit orationem«; Commentarli III 38, Ed. van Heck, wie Anm. 62, S. 229, Ζ. 4-8. 135 Zu Hinderbach jetzt Rando, Fra Vienna e Roma, wie Anm. 2, passim. Vgl. Alfred A. Strnad: Johannes Hinderbachs Obedienz-Ansprache vor Papst Pius II. Päpstliche und kaiserliche Politik in der Mitte des Quattrocento. In: Römische Historische Mitteilungen 10 (1966/67), S. 43-182, darin die Rede Hinderbachs März 1459 ed. S. 165-177. Zu Hippolyta als Oratorin bereits Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien. Stuttgart 101976 (Kröners Taschenausgabe 53), S. 214; Margaret King: Frauen in der Renaissance. München 1993, s.v. 136 Nicolai Rubinstein: Das politische System Italiens in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. In: Peter Moraw (Hg.): >Bündnissysteme< und >Außenpolitik< im späteren Mittelalter. Berlin 1988 (ZHF Beiheft 5), S. 105-119; Paolo Margaroli: L'Italia come percezione di un spazio unitario negli anni cinquanta del XV secolo. In: Nuova rivista storica 74 (1990), S. 517-536; Riccardo Fubini: Lega italica e >politica dell' equilibrio< all' aventó di Lorenzo de Medici al potere. In: Rivista storica Italiana 105 (1993), S. 373-410.
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17 Staaten unterschrieben, darunter die Herzöge von Mailand, Ferrara und Mantua persönlich.137 Der Kreuzzug und die Gewinnung der europäischen Fürsten waren zwar die Hauptanliegen. Doch hatte Pius als Papst und Herr des Kirchenstaats vielfältigere Politik zu machen als ein bloßer »papa della crociata«. Es ging in Mantua zugleich um die Verteidigung der päpstlichen Territorialmacht in Italien, deren prekäre Stellung nach Pius' Grundentscheidung für Aragon und gegen Frankreich in der Neapelfrage in wechselnden Koalitionen sichtbar wurde. Zuletzt ging es um nichts Geringeres als um die Verteidigung des päpstlichen Primats. Pius Π. ringt im rhetorischen Agon mit den Franzosen um die Abschaffung der >PragmatiqueRealpolitiker< war zunächst einmal Pius II. selbst. Schon Christian Lucius, nicht umsonst Schüler Johannes Hallers, des großen Entlarvers >doppelbödiger< Diplomatie, gab zu bedenken,140 daß Pius II. in Mantua zwar primär, als Initiator eines allgemeinen Türkenzugs, gescheitert war. Er habe aber, sekundär, nicht wenig erreicht: das Prestige des Papsttums durch den Nimbus des tragischen Türkenkriegers zu steigern und ihm wieder eine ideelle Führungsposition in Europa zu verschaffen - auch wenn nicht ein einziger Söldner in Marsch gesetzt wurde. Erreicht hatte er dies ganz wesentlich durch >PropagandaTürkenreichstage< der Jahre 1454/ 55 im Blick:144
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Vgl. Cardini, Firenze e la crociata, wie Anm. 126, S. 136: »la crociata [...] costituì un preciso strumento politico e diplomatico del quale egli si servi per tentar di rimovere la resistenza degli stati italiani ed europei alla sua volontà«. 142 Mansi, Orationes Bd. 2, wie Anm. 19, S. 78f. (auch Zitat oben); Aufzählung der Fürsten von Portugal bis Polen ebd. S. 80-83. 143 So wurde >Mantua< bereits von Cecilia M. Ady gesehen: »Sad, weary, and disappointed, he realised, perhaps for the first time, the limitations of that >goddess of persuasion< in whom he put his trust. Eloquence had failed to kindle the imagination of Europe, to counteract the weakness of the Imperial power «; Pius II (Aeneas Silvius Piccolomini) the Humanist Pope. London 1913, S. 130f. 144 Replicatio »Multa quidem et antehac«. Hg. von Ludwig Möhler: Kardinal Bessarion als Theologe, Humanist und Staatsmann. Bd. 3. Paderborn 1942 (Ndr. Aalen 1967), S. 393 Z. 7-10. Vgl. Pius II. selbst in der Rede »Existimatis« März 1462: »si celebrare conventum venit in mentem, docet Mantua vanam esse cogitationem«; s. Text bei Anm 148.
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Indicti sunt iam plurimi conventos: Ratisponenses, Francofordienses, Neostatenses, Nurimbergenses, Viennenses. Ex omnibus nihil praeter bona verba et magniloquentiam reportatum est, ac hostis noster continue vigilat, serpit, grassatur. Oder wie es Arnold Esch, selbst Pius' Stil noch überbietend, im Hinblick auf >Mantua< formulierte:145 Nur er rotierte, sonst nichts. Und als sie sich dann endlich [...] seiner Rhetorik aussetzten, da mußte er erfahren, daß auch seine persönliche Ausstrahlung wenig ausrichtete; daß die Kaskaden seiner Argumentationen von den mit Instruktionen imprägnierten Gesandten abtropften und die partikulären Interessen der Mächte nicht auf ein Ziel zu richten waren. Kardinal Trevisan, selbst türkenkriegserfahren und hartnäckiger Gegner des Mantua-Projekts, hatte es ihm brüsk vorausgesagt: Kindisch, d.h. grob unrealistisch seien seine beiden Ideen, a) man könne Fürsten durch Mahnreden zum Krieg bewegen, b) man könne die Türken einfach vernichten; die seien unbesiegbar (»Pueriles fuisse cogitationes presulis affirmabat, [...] qui [...] crederet suis hortatibus reges in bella trahere atque Turcos delere, quorum insuperabiles vires essent«). 146 Pius II. selbst, der Pius der Commentarli, beschwor jene »Atmosphäre tiefer Verzagtheit« noch nicht auf dem Mantuaner Kongreß, wo er sich als spiritus rector in oratorischem Zweckoptimismus geben mußte, auch noch nicht danach, als er mittelfristig noch Erfolg erhoffen wollte, sondern zwei Jahre später, im März 1462, vor sechs vertrauten Kardinälen. Es ist die in einer pessimistischen Mischung von Larmoyanz und Sarkasmus komponierte Rede Existimatis,147 die zugleich etwas Einblick in Pius' Perzeption der 145
Esch, Enea Silvio als Papst, wie Anm. 2, S. 121. Man höre die Bulle »Ezechielis« von 1463, das Nichtfassenkönnen der Tatsache, daß seine Reden letztlich nicht gewirkt hatten: »Non fuerunt auditae sanctorum pastorum voces et utiles admonitiones; surda pertransivit aure Christianus populus. [...] Clamavimus, quasi tuba exaltavimus vocem nostram, audivit omnis Ecclesia, sed non exaudivit verba nostra; non fuit plus ponderis nostri s quam predecessoribus vocibus; frustra conati sumus; incassum abiere labores. Interea creverunt Turchorum vires«; Ed. Reusner, Orationes de bello Turcico Bd. 2, wie Anm. 52, S. 41 und 42. Vgl. Paparelli, Enea Silvio, wie Anm. 8, S. 163 über die Fürsten: »ascoltatori piuttosto ammirati della sua eloquenza che participi del suo entusiasmo«. 14 « Commentarti III 2, Ed. van Heck Bd. 1, wie Anm. 62, S. 175 Z.llf. Gerade den hier vorgebrachten Eindruck von der Unbesiegbarkeit der Türken suchte Pius II. in seinen Reden unter der Rubrik des »facile« (s. oben bei, Anm. 44) zu widerlegen. 147 Sie ist (Inc.: »Existimatis [...] fortasse, fratres«) Bestandteil der »Commentarii« (VII 16) - mit den bekannten Kautelen gegenüber einer oratorischen Authentizität; Ed. van Heck Bd. 1, wie Anm. 62, S. 460-463; vgl. Bürck, Selbstdarstellung, wie Anm. 62, S. 61; Esch, Enea Silvio als Papst, wie Anm. 2, S. 121. Predigthafter, weniger auf Politikanalyse orientiert ist ein anderer, in Chis. J VII 251 (Ed. Cugnoni [wie Anm. 38], S. 474-477) autographisch überlieferter Redetext (Inc.: »Existimavimus, viri fratres«), den Pius für den gleichen oder einen sehr ähnlichen Anlaß konzipiert haben dürfte. Authentischer ist der lange Bericht des mailändischen Gesandten Otto de Caretto über eine Privataudienz bei Pius II. und dessen pessimistischen Rundblick über die Kurien-Politik und ihre Gegner, Ed.
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Motive von Politik - zwischen Illusion und Realismus - bietet und offenbar auch bieten soll. Der Papst analysiert in resignativem Pathos die bisher gescheiterten Methoden, die Fürsten gegen die türkische Expansion zu mobilisieren, und die Gründe, die weit über den Anlaß hinausgehen, insbesondere das negative Bild der Kurie in der Christenheit:148 Nos Turco multo inferiores sumus, nisi christiani reges arma coniungant. querimus hoc efficere, investigamus vias; nulla occurrit idonea, si celebrare conventum venit in mentem, docet Mantua vanam esse cogitationem; si legatos mittimus, qui regum auxilia petant, deridentur, si decimas imponimus clero, appellatur futurum concilium; si promulgamus indulgentias, [...] avaritia coarguitur; corrodendi auri causa cuncta fieri creduntur. nemo fidem habet verbis nostris. quasi negotiatores, qui respondere creditoribus desierunt, sine fide sumus. quecunque agimus in partem deteriorem accipiunt et quoniam sunt omnes reges avarissimi, omnes ecclesiarum prelati pecuniae servi, de suo ingenio metiuntur nostrum. Wie ein Kaufmann den Gläubigern stehe der Papst den Gläubigen gegenüber: ohne Kredit, so (frei übersetzt) das auf das städtische Italien zugeschnittene Bild. Alle seine lauteren Bemühungen, per Kongreß, per Gesandtschaften, per Erhebung von Zehnten und Ablässen den Kreuzzug in Gang zu bringen, würden konterkariert (letztere gar durch die seit Basler Zeiten an der Kurie traumatisch gefürchtete Konzilsappellation), negativ ausgelegt und antikurialen, geradezu >vorreformatorisch< anmutenden Klischees zugeschlagen, obenan dem Vorwurf der Geldgier, wobei die Fürsten offenbar nur ihre eigenen Motive zum Maßstab machten.149 Die Erfahrungen Bessarions in Deutschland lassen die Passage nicht übertrieben erscheinen.
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Pastor, Ungedruckte Akten, wie Anm. 18, S. 150-160, Nr. 125; treffende Auswertung bei Esch, S. 123-125. Commentarli VII 16, Ed. van Heck Bd. 1, wie Anm. 62, S. 461, Z. 7-18. Text mit Kommentar auch bei Giuseppe Bernetti: Propositi e decisioni di Pio II per la salvezza dei popoli cristiani. In: ders., Saggi e studi sugli scritti di Enea Silvio Piccolomini Papa Pio II (1405-1464), Florenz 1971, S. 88-98. Vgl. Voigt, Enea Silvio Bd. 2, wie Anm. 8, S. 676f.; Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 241f.; Esch, Enea Silvio als Papst, wie Anm. 2, S. 123-125. Das Material wird sprachlich zugespitzt in der Rede »Sextus igitur annus« vom 23. September 1463 wiederholt: »Indiximus Mantue conventum: quis inde fructus emersit? misimus in provincias legatos: spreti atque irrisi fuere, imposuimus clero decimas: appellatum est pemitioso exemplo ad futurum concilium, iussimus indulgentias predicari: aucupium id esse ad extorquendas pecunias dixere et inventum curialis avaritie. omnia quecunque agimus in partem deteriorem populus accipit. ea conditio nostra est que mensariorum perdita fide: nihil creditur nobis; despectui sacerdotium est et infame nomen cleri«; Commentarli XII 31, Ed. van Heck Bd. 2, wie Anm. 62, S. 770 Ζ. 2 9 - 7 7 1 Ζ. 2, die ganze Rede, S. 764-775. Sie ist aber nicht nur in den »Commentarii«, sondern auch in einem der Orationes-Corpora: Rom Bibl. Vat. Chis. J VI 211 f,198 v -204 v (Nr. 26) dokumentiert; Druck auch bei Mansi, Orationes Bd. 2, wie Anm. 19, S. 168-179 (nach einer Hs. aus Lucca). Inhaltlich begegnen ähnliche Lamenti schon vor dem Pontifikat in der sog. »Germania« (ca. 1458), etwa III 35: »Nam quis clamantem pontifican et auxilia regum implorantem audit? Vociférât, plorat, obtestatur, rogat, ut Tur-
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Der Papst benennt auch eigene Fehleinschätzungen (»Numquam labores nostros hue casuros putavimus; alium rerum exitum expectavimus«), sieht diese aber nicht als Folge mangelnder politischer Urteilskraft, sondern in moralischen Defekten Dritter, im Egoismus und Partikularismus der Fürsten, ihrem Mangel an christlichem Gemeinsinn: 150 Aliud pondus habere promissa hominum censuimus, quam modo inveniamus. Erat opinio nostra [...] christianorum reges huius belli contra Turchos gerendi cupidos esse; solum rebus agendis ordinem deesse [...] nunc falsam fuisse opinionem nostram manifestum est. Neglegentiores sunt principes communis boni quam credidimus. Ad privatas se quisque curas redigit; alius delicias, alius pecunias sequitur [...] Christianam rem omnes negligunt. Magna sane e spe cecidimus: sed decepti sumus, non defatigati.
Und dennoch: In den beiden Jahren nach Mantua nahm auch das eigene Engagement des Papstes in Sachen Türkenkrieg eindeutig ab. Krieg beschäftigte ihn allerdings weiter, aber in Italien. Der Papst führte ihn als Mittelmacht der sog. Pentarchie im stets prekären und seismographisch schwankenden Gleichgewicht der >Italia bilanciataBrief an Mohammed/ Sultan Mehmed II.' handelt es sich um eine hochrhetorische littera exhortatoria, eine Suasorie, zugleich um einen kontroverstheologischen Traktat. 152 Er stellt bekanntlich einen chis in nos ruentibus obex opponatur, et nemo audit, omnes obaudiunt«; Aeneas Silvius, Germania. Hg. von Adolf Schmidt. Köln / Graz 1962, S. 104. Fassung »Existimavimus« (s. Anm. 147), S. 476f. 151 S. die Literatur in Anm. 136. 152 Pierre Margolin: Place et fonction de la rhétorique dans la lettre de Pie II à Mahomet II. In: Pio II e la cultura, wie Anm. 1, S. 243-261, ebd. 243 Zitat; im gleichen Band Paolo Brezzi: La lettera di Pio II a Maometto II (S. 263-281). Als Edition, Interpretation sowie zur Überlieferung ist nach wie vor zu benutzen Gaeta, Sulla »Lettera a Maometto« (wie Anm. 23), Edition nach: Vat. lat. 7082, 150
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Versuch dar, den Sultan selbst - schriftlich - zu bekehren. Dabei ließ Pius wie in keinem anderen Werk seinen oft unterschätzten oder übersehenen theologischen Neigungen freien Lauf und stellte die Rhetorik ganz in ihren Dienst. Er erörtert naheliegenderweise Themen, die zwischen Islam und Christentum strittig zu sein schienen, vor allem die Göttlichkeit Christi. Der politische Clou: Der Papst avisiert dem Sultan als Lohn für Taufe und Bekehrung eine neue translatio imperii, die Kaiserkrone, mit dem sicheren Ergebnis: »Erit tuum regnum super omnia, quae sunt in orbe, et nomen tuum nulla aetas silebit«. 153 Das Christentum wird unabhängig von seinen - überlegenen - Glaubensinhalten als Vehikel der Einheit angepriesen, und zwar nicht bloß Europas, sondern der ganzen Oikumene; einer Einheit, die in einer Art kalter Reconquista früher christliche, dann an den Islam verlorene Gebiete wiedergewonnen hätte: Ägypten, Syrien, Africa etc. 154 Die naheliegende und immer wieder gestellte Frage ist: War die Epistola, die immerhin in einer längeren missionarischen Tradition stünde,155 amtlich ernst gemeint? Oder war sie ein literarisches Musterstück des geistlichen Humanisten? Pius II. selbst erwähnt den Brief nirgendwo sonst, auch in den Commentarii nicht!156 Immerhin machte eine vorläufige Prüfung der ÜberS. 195-224. Die jüngste »Edition«, Aeneas Silvius Piccolomini, Epistola Ad Mahomatem II (Epistle to Mohammed II). Ed. with Translation and Notes by Albert R. Baca. New York / Bern 1990 (American University studies, Ser. II, 127), stellt dagegen ein eher ärgerliches Produkt dar, das zwei alte Drucke >textkritisch< als Anhang einer englischen Übersetzung >ediertFrontstaat< Ungarn unter König Matthias Corvinus, 168 schließlich Skanderbeg und seine Albaner. Hektische Gesandtschaftstätigkeit und Korrespondenz herrschte vor allem zwischen Kurie und Burgund und Venedig. Philipp der Gute er165
Baronii Annales ecclesiastici Bd. 29, wie Anm. 19, ad. a. 1463, S. 357b und 358a; Ed. Reusner Bd. 2, wie Anm. 52, S. 45f. - Divergent zwischen Illusionismus und skeptischem Gewährenlassen beurteilt wird Pius' Haltung zur Kreuzzugsmission des mutmaßlichen Hochstaplers Gerardus de Campo; Commentarii, Ed. van Heck Bd. 2, wie Anm. 62, S. 738f. Kritisch Gilly, Au miroir, wie Anm. 2, S. 206f.; positiver wertet Schwoebel, Shadow, wie Anm. 2, S. 116—119. Noch zu konsultieren: Heinrich Prutz: Pius' II. Rüstungen zum Türkenkrieg und die Societas Jesu des Flandrers Gherard des Champs 1459-1466. In: Bullettino senese di storia patria 19 (1912) 35-55. Zur Person und deutschen (!) Herkunft des Gerardus bisher Ubersehen: Meuthen, Fall, wie Anm. 35, S. 18, Anm. 55. 166 Das Bild zeigt ein Kreuz, flankiert von Petrus und Paulus, und Waffen. Umschrift: »Vindica, domine, sanguinem nostrum, qui pro te effusus est«; vgl. Alfredo Silvestri: Gli ultimi anni di Pio II. In: Atti e memorie della Società Tiburtina di storia e d'arte 20/21 (Tivoli 1940/41), S. 186-246; auch separat (Tivoli 1942), ebd. S. 243-246 zu weiteren Münzen und Medaillen mit Kreuzzugsthematik. Zu beachten ist die Darstellung Pius' II. auf einem Kreuzfahrerschiff mit einem Kardinal sowie Kelch und Hostie auf einem Doppio ducato papale (nach 1463 Okt. 22). Umschrift: »Exurgat Deus et dissipentur inimici eius« (Ps. 67,2); Enea Silvio Piccolomini, Ed. Widmer, wie Anm. 13, Tafel 9, dazu S. 470; vgl. Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 273 Anm 4; Cardini, Firenze, wie Anm. 126, S. 165. 167 Müller, Kreuzzugspläne, wie Anm. 2, S. 115-126; Märtl, Jouffroy, wie Anm. 126, S. 147-165. Zu Burgund s. auch Anm. 78-82. Zum Image Burgunds im nun kreuzzugsfreundlichen Venedig: Gilli, Au miroir, wie Anm. 2, S. 209-211. 168 Offensivbündnis zwischen Ungarn und Venedig vom September 1463; Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 248. Zu Venedig s. Anm. 170. Zu Ungarn s. neben der in Anm. 6 und 78 genannten Literatur Gyula Rázsó: Die Türkenpolitik Matthias' Corvinus. In: Acta Histórica Academiae Scientianim Hungaricae 32 (1986), S. 3-50; Magda Jászay: Contrastes et diplomatie dans les rapports de Mathias 1er Corvin et la République de Venise. In: Acta Histórica Academiae Scientiarum Hungaricae 35 (1989), S. 3-39, bes. S. 4-13; ferner zu Ungarn mehrere Beiträge in diesem Band.
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schien zunächst willig. Doch dann versagte sich der Burgunder, vom französischen König massiv unter Druck gesetzt. Von Skrupeln geplagt, versprach er zwar, noch im gleichen Jahr ein Heer zu schicken und im nächsten selbst zu kommen. Wer mochte es glauben? Die Vorstellung, die beiden alten Herren würden sich dann im Türkenland treffen, wie sie Pius in seinem enttäuscht-rücksichtsvollen Schreiben an den Herzog formuliert, hat etwa Surreales: »Nos hac spe freti in nomine domini precedemus, et in locis hosti vicinis te expectabimus.« 169 Die wichtigste politische Änderung gegenüber den Vorjahren bedeutete 1463 der Schwenk der Serenissima zum Türkenkrieg.170 Die Rücksicht auf ihr Handelsimperium und die weitgestreuten Stützpunkte in der Levante hatten die Seerepublik immer wieder, oft genug gegenläufig zu Kreuzzugsappellen der Kurie, einen modus vivendi, z. B. Waffenstillstände, mit den Türken suchen lassen. Jetzt, nach dem Fall von Lesbos und angesichts der türkischen Angriffe im Peloponnes, sah man die Notwendigkeit zum dosierten Krieg und hielt ihn, weitgehend auf sich gestellt, bis 1479 durch. Pius hatte immer wieder an die Venezianer appelliert, nach dem Kriegseintritt den Dogen lobend und mahnend in zahlreichen Briefen angefeuert, bis zu seinem Tod. 171 Unter dem Nachfolger Paul II. Barbo (1464—71) ließ der kuriale Kreuzzugseifer vorübergehend, bis zum Fall von Negroponte 1470, nach. 172 Ungarn unter Matthias Corvinus ( f l 4 9 0 ) nahm weiter seine Bollwerksfunktion wahr, mehr defensiv als offensiv, aber erfolgreich.
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Pius II. an Hz. Philipp von Burgund [1464], Ed. Cugnoni, wie Anm. 38, S. 454, Nr. LXV. Roberto Lopez: Il principio della guerra veneto-turca nel 1463. In: Archivio Veneto 64, ser. 5, Bd. 15 (1934), S. 45-131, mit Quellen Nr. 106-131. Zur Vorgeschichte s. Antonio Fabris: From Adrianople to Constantinople. Venetian-ottoman diplomatic missions, 1360-1453. In: Mediterranian Historical review 7 (1992) 154-200. Vgl. den chronikalischen Bericht über die Ereignisse in Morea 1463-1469. Ed. Jorga. Notes Bd. 4, wie Anm. 20, S. 200-214, Nr. CXXXVI. Überblick über die venezianische Türkenpolitik und ihre Kriterien bei Franz Babinger: Le vicende veneziane nella lotta contro i Turci. In: La civiltà veneziana del Quattrocento. Florenz 1967, S. 49-76; Kissling, Venedig und der islamische Orient, wie Anm. 175, bes. S. 374-377, und Halil Inalcik: An outline of Ottoman-venetian relations. In: Venezia. Centro di mediazione tra oriente e occidente (secoli XV e XVI). Aspetti e problemi a cura di Hans-Georg Beck u.a. Bd. 1. Florenz 1977 (Civiltà Veneziana. Saggi 32), S. 83-95; Setton Bd. 2, s.v. Als kulturgeschichtliches Panorama: Venezia e i Turchi. Scontri e confronti du due civiltà. Hg. von Carlo Pierovano etc. Mailand 1985. Zuletzt: Storia di Venezia dalle origini alla Caduta della Serenissima. Bd. 4: Il Rinascimento, a cura di Alberto Tenenti e Ugo Tücci. Roma 1996, S. 13-244. S. etwa den Brief vom 25. Oktober 1463 an den Dogen Cristoforo Moro, Ed. Mansi, Coll. Conciliorum Bd. 35, Sp. 113-119. Die Fürstenbriefe Pius' II. aus den letzten Pontifikatsjahren bedürfen gesonderter Untersuchung; s. Anm. 183. Giuseppe Valentini: La sospensione della crociata nei primi anni di Paolo II (1464-1468) (dai documenti d'archivio di Venezia). In: Archivum Historiae Pontificiae 14 (1976), S. 71-101 (Regesten); Setton Bd. 2, S. 271-313.
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Das sind die Tatsachen. Wie aber sind diese gemäß unserer Leitfrage, >Illusion< und >Realismus< in der Politik, gemessen am rhetorisch-propagandistischen Aufwand eines Pius' II. zu beurteilen? Die Quintessenz der älteren Literatur formulierte zuletzt Hankins nochmals lapidar: »The humanists failed.« Eine Ansicht, die wir relativiert zu haben glauben. Pius hatte propagandistisch mehr erreicht als alle Bemühungen seit Nikopolis. Dennoch wurde Mantua zweifellos kein neues Clermont. Anders als im hohen Mittelalter und noch 1396 fand global ein religiöser Kreuzzug ebensowenig statt wie ein profaner Türkenfeldzug. 173 Hatte sich an den Grundbedingungen der Politik etwas geändert? Die attentistische Haltung eines >mourir pour Smederovo?eigentlich< zum Kreuzzug verpflichtet zu sein, ein kulturelles Faktum, das zwar militärisch Fiktion blieb, aber in einer »Mischung von ernsthaftem Streben und dem Ehrgeiz, durch diesen [...] besonders ritterlichen Plan als Retter der Christenheit einen höheren Ruhm [...] zu sichern«, unbestreitbar ist. Sie ließ einen Heinrich V. von England noch auf dem Totenbett bekennen, sein eigentliches Fernziel sei gewesen, Jerusalem zurückzuerobern. 174 Es bleibt nur die Möglichkeit, diese Ambivalenzen als solche zu konstatieren. Einen besonders geeigneten Prüfstein für - kritische - Politikperzeption bildet in diesem Zusammenhang die bereits oft genannte Seerepublik Venedig, bei Pius II. selbst wie in der Literatur. Nach der nicht unrepräsentativen Ansicht Kiesslings überwog schon im 13. Jahrhundert »das realpolitische Denken [...] ungewöhnlich stark« in Venedig, wo von »eiskalte(n) Realpolitiker(n)« »kalte, von Ideologien unberührte Realpolitik« betrieben worden sei.175 Die Kommentare Pius' II. als Zeitgenosse über die »Krämer-
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Hankins, wie Anm. 2, S. 144. Das ältere Urteil Biircks steht für viele ähnlich gelagerte: »Indifferenz und wohl auch Nüchternheit des Zeitdenkens, das für eine Kreuzzugsbegeisterung im alten Stil sich nicht mehr empfänglich zeigte«; Selbstdarstellung, wie Anm. 62, S. 64. 174 Huizinga, Herbst, wie Anm. 81, S. 129, ebd. die Zitate. 175 So Hans-Joachim Kissling: Venedig und der islamische Orient bis 1500. In: Venezia e il Levante fino al secolo XV, a cura di Agostino Pertusi. Bd. 1. Florenz 1973 (Civiltà Veneziana. Saggi 27), S. 361-387 (Zitate, S. 361f„ 364f.), wo durchweg eine rein geostrategische Sicht dominiert. Eine komprimierte Skizze über Venedig und die Kritik an seiner Türkenpolitik bei Meuthen, Fall, wie Anm. 35, S. 31, Anm. 99 (Lit.). Siehe auch Erich Schiibach: Venedigs widersprüchliche Haltung zur türkisch-osmanischen Expansion. In: Venezia centro di mediazione, wie Anm. 170, S. 77-81. Zum Vergleich Jacques Paviot: Gênes et les Turcs (1444, 1453), sa defense contre les accusations d'une entente. In: La storia die Genovesi. Atti del Convegno di studi di ceti dirigenti nelle istituzioni della
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Republik« (Kissling) gehören zu seinen ätzendsten überhaupt; doch scheinen sie letztlich das verbreitete inneritalische Image der Serenissima zu reflektieren; der ihr unterstellte Wahlspruch »Siamo Veneziani, poi Cristiani« faßt dies komprimiert. Schon beim Fall Konstantinopels war sie des Verrats verdächtigt worden, erneut, als sie als erste westliche Macht im April 1454 einen Friedensvertrag mit dem Sultan schloß. Dazu Pius: Der politische Wertmaßstab dieser »mercatores« sei nicht auf die »cura religionis«, sondern allein auf wirtschaftlich-koloniale Herrschaft ausgerichtet. Wenn >der Venezianer< eine Flotte rüstet, dann, um Gold zu gewinnen, und dies von Natur aus (»naturam suam secuti«). Alle anderen Gründe - so auch der Kreuzzug im Jahre 1463, um den es dem Papst geht - seien vorgeschoben: »he vere classis armande cause, alie fie te«.176 Schlüsselbegriff politischen Handelns ist die - hier als moralisch defizitär gewertete - >utilitassalvis infamia nummis< (luv. 1,48); dominandi libido et insatiabilis ardor habendi tot apparatus facere, tot subire sumptus persuasit Venetis«; Commentarii XII 3, Ed. van Heck Bd. 2, wie Anm. 62, S. 722 Z. 1922. Und weiter: »Incessit cupido prediviti provincie dominandi; aurum dedere ut aurum augerent; naturam suam secuti sunt; ad mercatum et nundinas exivere. [...] emittendam esse coloniam existimabant neque usquam locari posse melius quam in Peloponneso, he vere classis armande cause, alie ficte«; ebd., S. 722 Z. 30-723 Z. 5. Die gesamte Passage war in der Ausgabe von 1584 zensiert. Das angebliche Motto der Venezianer >Siamo Veneziani, poi Cristiani, ist erwähnt u.a. bei Göllner, Turcica Bd. 3, wie Anm. 25, S. 39; seinem Ursprung wäre näher nachzugehen. 77 1 Zitate ebd. XI16, S. 686 Z. 22f. und XII 3, S. 723 Z. 5f. Schwoebel, Shadow, wie Anm. 2, S. 61: »In emphasizing expedience and decisiveness essential to success in political undertakings and in stating his case in maxims of a general nature Pius bears a striking resemblance to Machiavelli.« 178 »Majores nostri studiosi tarn publici honoris quam particularis comodi civium«; Venedig, Archivio di Stato, Consiglio dei X, Misti 24, f. 184 (1490); zit. Michel Mollat - Philippe Braunstein - Jean Claude Hocquet: Réflexions sur l'expansion vénetienne en Méditerranée. In: Venezia e il Levante, wie Anm. 175, S. 515-540, ebd. 529. 176
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Aversion und Mißtrauen seitens der anderen italienischen Staaten gegenüber Venedig bilden überhaupt einen neuralgischen Punkt im Kreuzzugsbemühen der Jahre 1463/64 und späterer Jahrzehnte. Das sensibel austarierte System der Lega stand gerade einem Exponieren einer Einzelmacht, das Machtgewinn versprach, entgegen. Sollten gegen die Prognose der militärischen Skeptiker tatsächlich größere Gebiete aus der Hand der Türken zurückerobert werden, so würde in erster Linie Venedig davon profitieren. Dies war vor allem die Befürchtung in Mailand bei Francesco Sforza und in Florenz unter dem späten Cosimo Medici. Ruhe und Frieden in Italien, das sah der Papst genau, war die unbedingte Voraussetzung für seinen Kreuzzug wie für seine Stellung in Italien, und beides mochte er nicht gestört sehen.179 Es ist bemerkenswert, wie der Pius der Commentarli in einer Privataudienz für den florentinischen Gesandten sein soeben zitiertes Verdikt über die venezianische Politik in sehr pragmatischer Weise revidiert, nachdem Venedig sich für >seinen< Kreuzzug entschieden hatte.180 Auf die Einwände des Florentiners, »cui suspecta erant omnia, que Venetorum estimationem augere viderentur«, dessen Polemik in dem Ausspruch gipfelte, man befürchte von der »superbia« der Venezianer nicht weniger Gefahr als von den Türken, entgegnete er: man brauche Venedig und seine Hotte eben für den Krieg (»vincente Veneto Christus vincit«) und dürfe ihren Untergang keinesfalls wünschen (»quod si perierint Veneti, frustra de servanda Italia cogitabis«); die Türken müßten aus Europa vertrieben werden (»ab Europa migrare Turci cogantur«); aber nicht alle ehemals türkisch besetzten Gebiete erhielten dann allein die Venezianer, sondern auch die Griechen, Serben und Ungarn hätten Anspuch; Venedig sei außerdem zu Lande nicht stark genug (»multo est inferior Turco Venetus«), um tatsächlich ein »imperium« zu errichten und zu halten; die Angst der Florentiner sei daher - so wird paradox formuliert - nicht »kurzsichtig« (sprich: realistisch) genug: »hoc est, quod de imperio veneto vaticinamini. verum simile monstri est non videre propinqua eos qui longinqua prospectant!« Am Ende, so Pius mit Genugtuung, sei der Florentiner durch diese »kristallklaren Argumente« (»rationes adamantinae«) überzeugt worden.181 Tatsächlich waren Mailand und Florenz, das längst massive wirtschaftliche Eigeninteressen in der Levante verfocht, am wenigsten kreuzzugsinteressiert; hier waren nicht nur Pius' Kreuzzugssteuern besonders verhaßt, son179
Pius II. an Fabiano Benci, päpstlichen Gesandten in Genua 1464 Febr. 11: »Nec nos illi sumus, qui pacificum Italiae statum turbare velimus. In Turchos nostra fertur intentio[...] veremurque, ne pacem Italiae [...](sc. ein Konflikt des Ebf. von Genua mit Mailand) interrumpat et nostre contra Turchos expeditioni maximum afferat impedimentum«; Ed. Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 745, Nr. 61. 180 Wörtlich in den Commentarli XII 30, Ed. van Heck Bd. 2, wie Anm. 62, S. 759764; dazu bereits Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 250f. 181 Zitate aus den Commentarli (s. Anm. 177), S. 762, Ζ. 6,10, 28f. und 3If., S. 763, Ζ. 12f„ S. 764, Ζ. 4-6.
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dem man hielt offenbar sogar sein Versprechen, den Kreuzzug anzuführen, für ein Täuschungsmanöver. 182 Ihre »policy of masterly inactivity«183 bekam dadurch einen wirklich doppelbödigen Zug, denn dem Papst und der Öffentlichkeit versprach man massive Hilfe. Schließlich gab es ja auch unter den Florentinern passionierte Kreuzfahrer wie Agnolo Acciaiuoli; und die Missiven und Verlautbarungen der Florentiner, verfaßt vom humanistischen Kanzler Benedetto Accolti, machten politisch korrekte Türkenpolemik und Kreuzzugsbereitschaft publik. 184 Insgesamt blieb die Politik der italienischen Staaten zum Kreuzzug Pius' II. ebenso uneindeutig und ambivalent185 wie das Verhältnis der Fürsten überhaupt. Ausblick: Die zeitgenössischen Fürsten waren zwar keine eroberungssüchtigen christlichen Abenteurer wie jene Gotfridi und Tancredi des 1. Kreuzzugs, aber dennoch, wenn Staats- und Dynastieinteressen es zu verlangen schienen, riskanter Expansion - so 1494 - nicht abhold; nur: es gab auf dem Balkan derartige Interessen nicht. Das Europa der Fürstenstaaten verhält sich bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im tatsächlichen Handeln gegenüber dem Osmanenreich defensiv, auf Schadensbegrenzung und einen modus vivendi bedacht, nicht auf militärische Reconquista. Die Päpste blieben zwar im Prinzip ein zur Offensive treibendes Element, immer dann vor allem, wenn die Türken etwas Neues erobert hatten, paßten sich aber den diplomatischen Rahmenbedingungen nolens volens an. Schon am Ende des Jahrhunderts wurde zeitweise - bis zum Fall von Modon und 182
Setton Bd. 2, S. 263-268, bes. 267 mit markanten Quellenbelegen. Zur florentinischen Politik: Cardini, Firenze e la crociata, wie Anm. 126, bes. S. 156-165; wichtig Black, Accolti, wie Anm. 2, S. 277-286. Zur ambivalenten Rolle Lorenzo de' Medicis und anderer italienischer Staaten bei der türkischen Besetzung von Otranto 1480/81: Setton Bd. 2, S. 336-345, 364-375; Franz Babinger: Lorenzo de' Medici e la corte ottomana. In: Archivio storico italiano 70 (1963), S. 305-361. 183 Hankins, wie Anm. 2, S. 125. Vgl. Setton Bd. 2, S. 267: »general cynism of the Italian courts«; ebd., S. 265: »endless variety of petty maneuvers«; Setton betont zu Recht die Bedeutung der diplomatischen Korrespondenz Pius' II. in den letzten beiden Pontifikatsjahren »instructive and even entertaining to read«; s. auch Cardini, Firenze e la crociata, wie Anm. 126, S. 136. Vgl. oben, Anm. 19. 184 Ausgerechnet Accoltis Geschichte des Ersten Kreuzzugs, »De bello a christianis contra barbaros gesto« (entstanden ca. 1463) hatte Fueter als »einzige Schrift des 15. Jahrhunderts« bezeichnet, »in der ein historischer Stoff um seiner selbst willen (!) von einem Humanisten behandelt wird«, und dabei völlig die politischen und propagandistischen Intentionen verkannt; Eduard Fueter: Geschichte der neueren Historiographie. Zürich / Schwäbisch Hall 1985 (Ndr. der Aufl. München / Berlin 31936), S. 24; vgl. dagegen Black, Storia della Prima Crociata, wie Anm. 32, S. 6 und 20f.; ders., Accolti, wie Anm. 2, S. 257-285. 185 Das Thema kann hier nicht weiter verfolgt werden. Vgl. Black, Accolti, wie Anm. 2, S. 282: »The attitude of the Florentine elite to Pius' II crusade was [...] anything but unanimous.« Zu Mailand: Geo Pistarino: La politica sforzesca nel Mediterraneo orientale. In: Gli Sforza a Milano ... e i loro rapporti con gli stati italiani ed europei (1450-1535). Mailand 1982, S. 335-368.
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Koron 1499 - in den Beziehungen Alexanders VI. und Sultan Bajezids II. sichtbar, 186 was im 16. Jahrhundert dann klassisch die Politik Frankreichs, gipfelnd im Vertrag von 1536, demonstrierte:187 der >Großtürke< war vom Mordgespenst zum diplomatischen Vernunft-Partner und möglichen Verbündeten in e i n e m europäischen Mächtesystem geworden. 188 Kreuzzugspläne und isolierte Kommandounternehmen gegen islamische Städte, jetzt meist unter spanischer Führung, rissen freilich immer noch nicht ab. Aber man wurde nach außen nur dann militärisch aktiv, wenn diese eigenen Interessen (defensive wie expansive) unmittelbar betroffen waren; dann fanden, unter Mobilisierung gesamtchristlicher Ideale, auch kollektive Bündnisse und Militäreinsätze statt. Gegen die Türken war das im Kleinen 1480 bei der Rückeroberung von Otranto, im Großen 1571 bei Lepanto, 1683 am Kahlenberg der Fall.
Ein Seitenblick: D e r finanzielle Aspekt »Nihil difficilius est quam extorquere aurum ab avaro«;189 das wußte nicht nur Pius! Schon während des 14. Jahrhunderts stand man vor dem Dilemma, daß Predigt und Ablaß über die legitimen Praktiken der Kommutation hinaus immer mehr zur Finanzierung der zusehends professionelleren und aufwendigeren Kriegsführung, insbesondere der Flotten, benötigt wurden. Dieser unaufhaltsame Trend zur Kommerzialisierung stellte einen Mißbrauch der geistlichen Intentionen dar, der einerseits buchstäblich >diskreditieren186
Über die Zeit Alexanders VI. mit der signifikanten Kapitelüberschrift »The diplomatic revolution«: Setton, Bd. 2, S. 508-542. 187 S. den Beitrag von Klaus Malettke in diesem Band sowie Mertens, Friede, wie Anm. 2, S. 90 (Lit.). Vgl. Hans Joachim Kissling: Rechtsproblematiken in den christlich-muslimischen Beziehungen, vorab im Zeitalter der Türkenkriege. Graz 1974. Tendenziös fixiert auf die Idee einer verschwörerischen Kollaboration der Päpste mit den Türken: Hans Pfeffermann: Die Zusammenarbeit der Renaissance-Päpste mit den Türken. Zürich 1946. 188 Hankins, wie Anm. 2, S. 145, betont zwar die »new humanistic analysis of foreign policy in terms of concrete material interests and the balance of power« als Voraussetzungen dafür, daß die Türken im frühmodernen Staatensystem verortet werden konnten; ein Beweis wurde freilich weder für die Existenz einer »new humanistic analysis«, noch weniger für deren politikbestimmende Wirkung, etwa bei Lorenzo Medici, erbracht; die >philotürkischen< Anwandlungen einiger Humanisten können dazu nicht dienen. - Hier sind neue Untersuchungen nötig, die endlich über die üblichen Hinweise auf Machiavelli hinausblicken müßten. Zum Thema sei hier nur verwiesen auf Josef Engel in dem von ihm hrsg. Handbuch der Europäischen Geschichte Bd. 3. Stuttgart 1971, S. 274-293, mit freilich eigenwilligen Ansichten. »Das Offensivbündnis des allerchristlichsten Königs« mit den Türken [...] »sprengte die res publica Christiana in weit wirksamerer Form in ein anarchisches Staatenchaos auseinander, als dies der Auseinanderfall Europas in verschiedene Konfessionen vermocht hatte« (S. 286). Es war auch kaum, wie Engel meint, eine»neue Anschauung« des 16. Jahrhunderts, die »den Kreuzzug zum Glaubenskrieg übersteigerte«. 189 Commentari! VII 16, Ed. van Heck Bd. 1, wie Anm. 62, S. 461 Z. 18f.
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de< Kritik am Papsttum und seinem Initiativmonopol auslöste, wie Pius resignierend einsah, 190 andererseits aber doch, wie etwa Housley nicht ohne Verwunderung hervorhebt, immer noch große Resonanz zuließ. 191 Immer noch zogen Menschen bewaffnet los (so etwa 1456), immer noch gingen beträchtliche Kreuzzugsgelder ein; sie verblieben aber meist in den Kassen der für professionelle Durchführung eines Kreuzzugs ideologisch, strategisch und eben auch finanziell noch mehr als früher unverzichtbaren Fürstenstaaten. Doch reichten die Finanzmittel nicht, wollte der Papst selbst militärisch, insbesondere mit einer Flotte, 192 initiativ werden. Es galt innovative und unverfängliche Finanzquellen aufzutun. Da mutete es geradezu providentiell an, daß im Mai 1462 Giovanni da Castro bei Tolfa für die Kurie große Alaun vorkommen entdeckte. 193 Das Glücksalaun von Tolfa schuf nicht nur eine regelmäßige Einnahmequelle, sondern brach sinnigerweise zugleich das Monopol der Türken für diesen Rohstoff. Die Erlöse der Gruben (jährlich ca. 100.000-140.000 fl.), die Pius von den Medici ausbeuten ließ, wurden ausschließlich für den Kreuzzug, für die Versorgung von Türkenopfern (Hinterbliebenen, Flüchtlingen etc.) verwendet und in einer eigenen Kasse und Registratur verwaltet. Beginnend unter Calixt III., verstärkt unter Pius II., richtete die Kurie eine von der regulären Thesaurarie separate »thesauraria s. cruciatae« ein, die seit Paul II. unter einer dreiköpfigen Kardinalskommission von der Datarie verwaltet wurde. 194 Sie fand in einer entsprechenden Sonderserie der Kammerregister ihren verwaltungstechnischen
190
S. oben bei, Anm. 148.' Housley, Later Crusades, wie Anm. 6, S. 403-408. Vgl. Reinhold Franke: Die päpstlichen Ausschreibungen von Ablässen und Steuern zum Kampfe gegen die Türken von 1453-1464. Phil. Diss. Halle 1925, S. 102-168. 192 Päpstliche Flotte: Alberto Guglielmonti: Storia della marina pontificia nel medio evo. Bd. 2. Rom 1886; G. Β. Picotti: Sulle navi papali in Oriente al tempo della caduta di Costantinopoli. In: Nuovo Archivio Veneto, ser. III, 22,1 (1911), S. 413-453; Pio Paschini: La Flotta di Callisto III. In: Archivio della R. società Romana di storia patria 53-55 (1930-32), S. 177-254; Setton Bd. 2 passim. Vgl. Rom, Archivio segreto Vaticano, Arm. 39. 10 f. 256 r -257 v : Aufstellung über Kreuzzugsflotte Pius' II. mit Ausgaben; Auszüge bei Setton, Papacy Bd. 2, S. 262f., Anm. 111; Volltext hg. von Enrico Carusi: Prevenuti di spese per la spedizione contro il Turco al tempo di Pio II. In: Archivio Muratoriano 13 (1913), S. 273-279. 193 Commentarli VII 12, Ed. van Heck Bd. 1, wie Anm. 62, S. 451-454. Campano (ebd. S. 453f.) und Crivelli besangen sie gleich entsprechend: »Haec tibi servantur divinae muñera dextrae/ Haec venit e Tusco Lydia glaeba solo«; Ed. Smith, wie Anm. 55, S. 49 v. 19-28. Zum Alaun von Tolfa: Setton Bd. 2, S. 239f., 275, Anm. 14; Adolf Gottlob: Aus der Camera apostolica des 15. Jahrhunderts. Innsbruck 1889, S. 245, 278-305; Jean Delumeau: L'alun de Rome, XVe et XVI« siècle. Paris 1962; Paparelli, Enea Silvio, wie Anm. 8, S. 240-242. 194 Gottlob, Aus der Camera, wie Anm. 193, S. 41ff.; Emil Göller: Untersuchungen über das Inventar des Finanzarchivs der Renaissancepäpste. In: Miscellanea Franz Ehrle Bd. 5. Rom 1924 (Studi e testi 41), S. 227-272, ebd. 252; s. auch Carusi, Prevenuti di spese, wie Anm. 192. 191
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Niederschlag. 1 9 5 Ihre systematische Auswertung steht noch aus und verspricht weitere Aufschlüsse. 196
Das Ende Immer öfter stilisierte der leidende Papst im letzten Pontifikatsjahr die Selbstentäußerung, seine Hinfälligkeit (»senex, debilis, aegrotus, in expeditionem pergit«), 197 Martyrium und Triumph; zugleich beschwor er die Schlichtheit, Askese und religiöse Glut des Urchristentums, die Kirche und Papsttum einst groß gemacht hätten;198 ein Gedanke, der auch als Reflex auf die aktuelle Kurienkritik und als Reformimpuls zu verstehen ist.199 Sein Tod bedeutet das endgültige Scheitern des Kreuzzugs. Jüngste Feststellungen sind daher besonders hervorzuheben, die besagen, daß unter allen päpstlichen Versuchen im 15. Jahrhundert Ablaßkampagne und Kreuzzugsaufruf Pius' II. 1463/64 >draußen< in der europäischen Christenheit »den umfassendsten Erfolg« hatten. Selbst in Norddeutschland war, so jüngst Vogtherr, das Echo auf die Bulle Ezechieliis und den Kreuzzugsprediger Hieronimus von Kreta »auffallend breit«. 200 Daß ausgerechnet dieser Zug
195
Rom, Archivio di stato, Cameralia I, Depositeria della Crociata Nr. 1991-1995 sowie Nr. 1233 (eigentlich »Liber introitus et exitus« für die Jahre 1463-1464), aufbewahrt in originaler Ledertasche mit Mittelschnalle, Piccolomini-Wappen. Als Name wird genannt Nicolo Piccoluomo Piccogliuomini. Dabei handelt es sich um den Kubikular-Thesaurar secretus de Libro della Crociata, Niccolò Piccolomini, 1464-76 Bischof von Benevent; Platina, Vita Pii II, wie Anm. 156, S. 117, Anm. 3. Zu den Crociata-Registern s. Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 260f.; Gaetano Ramaciotti: Gli Archivi della reverenda Camera apostolica. Un inventario analittico-descrittivo dei registri camerali conservati nell'archivio di stato di Roma nel fondo camerale primo. Rom 1961, zu Pius II. S. 70-72 mit einer Abb. des Registereinbands. 196 Pius II. faßte in einem Breve von 1459 Mai 4 zur Finanzierung des Kreuzzugs auch die Hilfe jüdischer Bankiers ins Auge; inseriert in Lilius Tifernas, Annali 45f. 44 r -47 v ; A. Toaff, Gli ebrei a Città di Castello dal XIV al XVI secolo. In: Bollettino della Deputazione di Storia Patria Umbria 72 (1975), S. 1-105, ebd. 11; zit. Ursula Jaitner-Hahner: Humanismus in Umbrien und Rom. Lilius Tifernas, Kanzler und Gelehrter des Quattrocento. Baden-Baden 1993 (Saecula spiritalia 25-26), S. 90 und 604, Anm. 118. 197 Baronii Annales ecclesiastici Bd. 29, wie Anm. 19, S. 358b; Ed. Reusner Bd. 2, wie Anm. 52, S. 47. 198 In der Rede »Sextus igitur annus« 1463 Sept. 23: »Abstinentia, castitas, innocentia, zelus fidei, religionis fervor, contemptus mortis martyriique cupido romanam ecclesiam toti orbi prefecerunt, primi Petrus et Paulus inclyto martyrio dicaverunt«; Commentarii XII 31, Ed. van Heck Bd. 2, wie Anm. 62, S. 771 Z. 17-20. 199 Enea Silvio Piccolomini, Ed. Widmer, wie Anm. 13, S. 123f. Nicht von ungefähr stammt aus der Zeit des neuen Aufbruchs gegen die Türken auch der Plan einer Kurienreform Pius' II. Siehe Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 747-752, Nr. 62; Rudolf Haubst: Der Reformentwurf Pius' des Zweiten. In: Römische Quartalschrift 49 (1954), S. 188-242. 200 Vogtherr, Wenn hinten, weit, wie Anm. 25, S. 118f., nach Untersuchung von norddeutschen Städtechroniken.
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mit dem Papst an der Spitze dann durch die Hinhaltepolitik der italienischen Staaten und nicht zuletzt durch den Tod von Pius II. in Ancona nicht zustande kam, sei umgekehrt für das fortan rapide sinkende Prestige der Kreuzzugsidee >im Volk< besonders gravierend gewesen.201 Die Ereignisse sind bekannt und vielfach dargestellt: Am 19. Juni bricht Pius II. schwerkrank und weinend von Rom auf. Der Zug nach Ancona war ein Sterbezug, er diente dem >ben morire< eines Papstes, wie es Pius noch selbst, 202 post mortem seine Biographen Campano und Piatina zu zeichnen wußten. In der Stadt hatten sich viele, überraschend viele Kreuzfahrer, auch aus Deutschland, gesammelt, zum Teil aber schon wieder zerstreut, durch Seuchen und das lange Warten zerrüttet. Der zu Tode Erschöpfte trifft am 18. Juli in der Hafenstadt ein;203 man erinnere sich an Pinturicchios Bild. Er stirbt, wartend bis zuletzt, am 14. August 1464 im Angesicht der venezianischen Schiffe.
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°i Vogtherr, S. 118. Commentarli XII 31, Ed. van Heck Bd. 2, wie Anm. 62, S. 772 Z. 21-25: »scimus rem senio nostro pergrauem esse nosque ad certam quodammodo mortem profecturos. neque hanc recusamus. cuncta deo committimus. fiat uoluntas eius. moriendum nobis aliquando est, neque interest quo in loco, dum bene moriamur. beati qui moriuntur in obsequio domini«. Siehe auch Pius' Kondolenzbrief an Piero de' Medici noch vom 8. Aug. 1464 aus Ancona; Ed. Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 752f„ Nr. 63. Vgl. Paparelli, Enea Silvio, wie Anm. 8, S. 255264: »La bella morte«; Pozzi, Struttura, wie Anm. 63, S. 162. Totaro, Pio II nei suoi Commentarii, wie Anm. 27, überschreibt vor diesem Hintergrund sein Schlußkapitel: »Pio martire o trionfatore«. 203 Zu Pius' II. Reise und Tod in Ancona: Beschreibung der letzten Reise und des Todes in der Fortsetzung der »Commentarii« durch Jacopo Ammanati Piccolomini: Jacobii Ammanati Piccolominei Epistolae et commentarii, Mediolani 1506, f. 337 v -343 r ; Giannantonio Campano, Vita Pii II, Ed. Zimolo, wie Anm. 156, S. 83-87; Platina, Vita Pii II, wie Anm. 156, S. 106-111. Vgl. Voigt, Enea Silvio Bd. 3, wie Anm. 8, S. 715-724; Pastor Bd. 2, wie Anm. 8, S. 273-289, mit eindrucksvoller Würdigung S. 289; Silvestri, Ultimi anni, wie Anm. 166, S. 217242; Hocks, Pius II., wie Anm. 1, S. 212-218; Enea Silvio Piccolomini, Ed. Widmer, wie Anm. 13, S. 126-129; M. Natalucci: Il papa Pio e Ancona. In: Convegno storico Piccolominiano, wie Anm. 7, S. 109-130. 202
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Thumser
Eine neue Aufgabe im Heidenkampf? Pläne mit dem Deutschen Orden als Vorposten gegen die Türken
Die polnische Königsstadt Krakau erlebte am 15. Februar 1386 einen Akt von höchster Tragweite. An jenem Tag bekannte sich dort der Großfürst von Litauen Jagiello zum christlichen Glauben und ließ sich taufen. Wenig später vermählte er sich mit der polnischen Königin Hedwig. Am 4. März wurde Jagiello zum König von Polen gekrönt und führte als christlicher Herrscher forthin den Namen Wladislaw II. Mit seiner Taufe und seiner Eheschließung begründete Wladislaw Jagiello die polnisch-litauische Union. In beiden Ländern sollte von nun an für fast zwei Jahrhunderte das Haus der Jagiellonen herrschen. Litauen behielt dabei seine Selbständigkeit, stand aber zugleich in enger Abhängigkeit von der polnischen Krone. Die Ereignisse des Jahres 1386 bedeuteten einen tiefen Einschnitt in der politisch-dynastischen Geschichte Osteuropas. Der riesige Raum, der sich bis weit in die Steppen Rußlands erstreckte, war nun durch eine Personalunion in der Hand der Jagiellonen zusammengeschlossen. Außerdem wurde Litauen als das letzte größere heidnische Gebiet Osteuropas im Anschluß an die Taufe Jagiellos nach und nach für das lateinische Christentum gewonnen.1 Die Begründung der polnisch-litauischen Union unter einer christlichen Dynastie zeitigte ihre besonderen Auswirkungen im Bereich des Deutschen Ordens mit seinen Herrschaften in Preußen und Livland. Der Orden sah sich nach dem Anschluß Litauens an das Christentum mit einem Male grundlegend in seiner Daseinsberechtigung gefährdet. Bis dahin hatte die Gemeinschaft ihre Legitimität weitgehend unangefochten aus ihrer vornehmlichen Stiftungsaufgabe, dem Heidenkampf, bezogen. Gegen die heidnischen Prassen hatte der Orden im 13. Jahrhundert die christliche Lehre zu verbreiten geholfen, gegen die heidnischen Litauer danach die Christenheit vorgeblich verteidigt. Daß der Kampf gegen die Litauer im Rahmen der sogenannten Preußenreisen, die große Teile des europäischen Adels mit einbezogen, sehr eigenwillige, heute nur noch schwer nachvollziehbare Formen annahm, wirkte sich keineswegs abträglich aus. Solange Litauen und seine Fürsten dem Heidentum anhingen, war der Deutsche Orden in seinem Selbstver1
Vgl. hier nur The Cambridge History of Poland. From the Origins to Sobieski (to 1696). Cambridge 1950, S. 1993 (O. Halecki); Gotthold Rhode: Geschichte Polens. Ein Überblick. Darmstadt 1980, S. 114ff.
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ständnis als Verteidiger der Christenheit kaum zu behelligen. Nun aber, nach der Taufe Jagiellos, sah sich der Orden gezwungen, auf die Fortexistenz seiner Stiftungsaufgabe zu pochen. Seine Führer schlugen aus diesem Grund die in ihren Augen wohl nächstliegende politische Linie ein und erklärten kurzerhand, die Litauer hätten sich nur zum Schein dem Christentum angeschlossen und am eigentlichen Tatbestand ihres Heidentums habe sich auch nach 1386 nichts geändert. Die militärischen Aktionen gegen das Nachbarland gingen vorerst weiter, der Heidenkampf gegen Litauen wurde fortgeführt. Doch wurde es angesichts der veränderten Situation für den Orden immer schwieriger, sich argumentativ zu behaupten. Dabei blieb auch die Gegenseite nicht untätig. Verschiedentlich wurde nun von polnischer Seite gefordert, der Deutsche Orden solle sich, nachdem seine Aufgabe als abgeschlossen zu betrachten sei, auflösen. Auf den ersten Blick weniger radikal, deshalb mit der Zeit aber nicht minder gefährlich war die damals ebenfalls vermehrt auftretende Meinung, dem Orden sei eine völlig neue Aufgabe im Heidenkampf zuzuweisen. Hierfür solle er seinen Wirkungsbereich in ein Gebiet verlegen, wo es noch Heiden gäbe und wo er zum Wohle der Christenheit seinem angestammten Werk nachgehen könne.2 Das Ansinnen, der Deutsche Orden solle den Heidenkampf künftig außerhalb des Ostseeraumes üben,3 war zum Zeitpunkt des Zustandekommens der polnisch-litauischen Union nicht mehr ganz neu. Bereits aus dem Jahr 1358 stammt ein Zeugnis, nach dessen Aussage die damals noch heidnischen Litauer gegenüber einer Gesandtschaft Kaiser Karls IV. die Forderung aufgestellt hätten, der Deutsche Orden solle in die Einöde zwischen Tataren und Russen verlegt werden, um dort, wohl vornehmlich im Gebiet der heutigen Ukraine, den Kampf gegen die Ungläubigen zu führen. Unter dieser Bedingung wollten die Litauer den christlichen Glauben annehmen.4 2
3
4
Vgl. zu diesem Problemkreis Hartmut Boockmann: Johannes Falkenberg, der Deutsche Orden und die polnische Politik. Untersuchungen zur politischen Theorie des späteren Mittelalters. Mit einem Anhang: Die Satira des Johannes Falkenberg. Göttingen 1975 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 45), S. 50ff.; ders.: Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte. München 1981 (Beck'sche Sonderausgaben), S. 170ff. Zur Führung des Heidenkampfes im Zuge der Preußenreisen vgl. Werner Paravicini: Die Preußenreisen des europäischen Adels. Bd. 1-2. Sigmaringen 1989/95 (Francia, Beihefte 17,1-2). Eine Reihe von einschlägigen Quellenbelegen verzeichnet Max Toeppen. In: Scriptores rerum Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. Bd. 4. Leipzig 1870, S. 272 Anm. 3. Zu den Verlegungsvorschlägen der früheren Zeit vgl. insgesamt Karl H. Lampe: Die europäische Bedeutung des Deutschen Ordens. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 88 (1951), S. 110-149, hier S. 116ff. Hermann von Wartberge: Chronicon Livoniae, ad a. 1358; hg. von Ernst Strehlke. In: Scriptores rerum Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. Bd. 2. Leipzig 1863, S. 9-116, hier S. 79f.: »Item [Letwini] postulabant, quod ordo locaretur ad solitudines inter Tartaros et Rutenos ad defendendum eos ab impugnacione Tar-
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Nach der Taufe Jagiellos scheint man auch in der Führung des Ordens den Gedanken, in einem Gebiet außerhalb Preußens und Livlands tätig zu werden, ernsthaft bewegt zu haben. So ließ der Komtur von Balga 1391 Erkundigungen einholen, wie es mit den örtlichen Gegebenheiten in Serbien bestellt sei.5 Sechs Jahre später schickte Hochmeister Konrad von Jungingen eine Gesandtschaft zu dem damaligen ungarischen und späteren deutschen König Sigmund, die sich über die Bedingungen des Heidenkampfes informieren sollte. In diesem Zusammenhang war vom Burzenland als möglichem neuen Handlungsfeld die Rede, jener Region also, wo der Deutsche Orden bereits im 13. Jahrhundert einen Siedlungsversuch unternommen hatte. Wohl zum erstenmal wird hier offenkundig, daß Sigmund den Deutschen Orden für den Kampf gegen die immer weiter auf dem Balkan vordringenden Türken einsetzen wollte. Es ist sicher kein Zufall, daß dieser Gedanke gerade im Umfeld der Schlacht auf dem Amselfeld von 1389 und der schweren Niederlage König Sigmunds 1396 bei Nikopolis an Aktualität gewann.6 Dürfte es sich in diesen Fällen noch um mehr oder weniger unverbindliche Denkmodelle gehandelt haben, die dem Deutschen Orden nicht eigentlich gefährlich werden konnten, so gewann die Diskussion um eine Verpflanzung der Ordensritter nach dem Beginn des 15. Jahrhunderts an Brisanz. Auf dem Konstanzer Konzil sahen sich die Vertreter des Deutschen Ordens schweren Angriffen von Seiten der polnischen Delegation ausgesetzt. Anfang 1416 forderten die Polen, daß sich der Orden einer grundlegenden Reform unterziehen solle. Diese innere Erneuerung wollten sie verbunden wissen mit einer Verlegung der Ordensritter an die Grenzen der Ta-
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tarorum [...]« Vgl. Klaus Conrad: Litauen, der Deutsche Orden und Karl IV. 1352-1360. In: Zeitschrift für Ostforschung 21 (1972), S. 20-42, hier besonders S. 22. 1391 Febr. 4, Komtur von Balga an Hans von Bodem; hg. von Johannes Voigt: Codex diplomaticus Prussicus. Urkunden-Sammlung zur altern Geschichte Preussens aus dem Königl. Geheimen Archiv zu Königsberg nebst Regesten. Bd. 4. Königsberg 1853, S. 144 Nr. 101: Anfrage »von des landes wegen Syrfei«; »[...] des selben landes gelegenheit, wie is gestalt were, was friheit und recht is hette und ouch mit was friheit und rechte is dem Orden geantwurt solde werden, wie breit wie lang, wie weit is were wie viel slos und vesten dor inne legin, wie vil rente is hette und ab man dy vesten mit den renten dy do gefilen halden mochte«. 1397, Instruktion für den Komtur von Rheden bei seiner Gesandtschaft zu König Sigmund; hg. von Voigt: Codex, wie Anm. 5. Bd. 6. Leipzig 1861, S. 53 Nr. 49: »[...] unser homeister mit groser danksamkeit. als von des landes wegen Worczlant genant, liebet und ofnymmet ewir willicliche dirbitunge, wen dasselbe lant. noch uswysunge der konyclichen bullen, etwan des allirdurchluchsten herren Andres konig czu ungern, wart gegebin mechticlich dem Orden, und vil Jare von Im besessen [...]« Vgl. Erich Joachim: König Sigmund und der Deutsche Ritterorden in Ungarn 1429-1432. Mitteilungen aus dem Staatsarchiv zu Königsberg. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 33 (1912), 5. 87-119, hier S. 88f.; Boockmann: Falkenberg, wie Anm. 2, S. 70f.
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taren und Türken. 7 Daß die polnische Seite damals verstärkt auf eine Ausweisung des Deutschen Ordens aus dem Ostseeraum hinarbeitete, belegen auch geheime Verhandlungen zwischen König Wladislaw II. Jagiello und König Erich von Dänemark im Jahr 1418. Darin war von einer Übersiedlung des Ordens in den östlichen Mittelmeerraum, nach Zypern oder nach Rhodos, die Rede. 8 Doch nicht nur in Polen, sondern auch im deutschen Reich hing man der Vorstellung nach, den Deutschen Orden dort einzusetzen, wo es noch Heiden gab. Der mittlerweile auch zum deutschen König erhobene Sigmund beabsichtigte in den 20er Jahren erneut, den Orden im Rahmen seiner Türkenpolitik zu beanspruchen, und forderte die Abstellung eines militärischen Kontingentes in den Donauraum. Nach langwierigen Verhandlungen gab die Ordensführung 1429 nach und entsandte einige Ritter in den äußersten Südosten Ungarns, wo diese bei Orsova in der Nähe des Eisernen Tores eine Niederlassung gründeten. Freilich war diese Abordnung viel zu schwach, um den Türken wirksamen Widerstand leisten zu können, so daß sie schon nach wenigen Jahren aufgerieben wurde. 9 Wenig später scheint Sigmund in dieser Frage sogar eine Position bezogen zu haben, die der des polnischen Königtums stark ähnelte. Sigmund soll 1437 die Absicht geäußert haben, er wolle sich bei Papst Eugen IV. und dem zu jener Zeit tagenden Basler Konzil dafür einsetzen, daß der Deutsche Orden in Preußen völlig beseitigt und an die türkische Grenze versetzt werde. Dort könne er seiner eigentlichen Bestimmung nachkommen, Preußen aber solle an andere Herren verteilt werden. 10
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Antoni Prochaska (Hg.): Codex epistolaris Vitoldi magni ducis Lithuaniae 1376— 1430. Cracoviae 1882 (Editiones Collegii historici Academiae litteramm Cracoviensis 23 - Monumenta medii aevi histórica res gestas Poloniae illustrantia 6), S. lOOlff., hier S. 1017 Art. 38: »[...] iuxta professionem et constitucionem sui ordinis loca tarn delicata et vitam ipsorum sordidancia relinquerent et finitima adirent et inhabitarent in metis Tartharorum et Turcorum«. Zu den Auseinandersetzungen zwischen Polen und dem Deutschen Orden auf dem Konstanzer Konzil vgl. insgesamt Boockmann: Falkenberg, wie Anm. 2, hier besonders S. 221. 1418 Okt. 2, Bericht des neumärkischen Ordensvogtes Sander v. Machwitz; hg. von Hans Koeppen: Die Berichte der Generalprokuratoren des Deutschen Ordens an die Kurie. Bd. 2: Peter von Wormditt (1403-1419). Göttingen 1960 (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung 13), S. 576 Anm. 5: »[...] das sie den orden czu Prußen weiden uffnemen unde weiden in seczen bii den koning von Cypern unde by den meister von Roddys, wanne sie das also bestellen weiden, das her do der cristenheit nutczer were wen hy.« Vgl. Joachim: König Sigmund, wie Anm. 6, S. 91ff.; Carl August Lückerath: Paul von Rusdorf. Hochmeister des Deutschen Ordens 1422-1441. Bad Godesberg 1969 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 15), S. 81 ff.; Elemér Mályusz: Kaiser Sigismund in Ungarn 1387-1437. Budapest 1990, S. 147f. Johannes Voigt: Geschichte Preussens von den ältesten Zeiten bis zum Untergange der Herrschaft des Deutschen Ordens. 9 Bde. Königsberg 1829-39, hier Bd. 7, S. 700.
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Nachdem 1454 in Preußen der Dreizehnjährige Krieg ausgebrochen war, in dem sich der Deutsche Orden einer schier übermächtigen Allianz zwischen den preußischen Ständen und dem polnischen Königtum gegenübergestellt sah, wurden erneut Stimmen laut, die Ritter aus Preußen auszuweisen. Der polnische König Kasimir IV. äußerte bei Ausgleichsverhandlungen im Jahr 1458 das Ansinnen, der Orden solle auf Preußen völlig verzichten und statt dessen seinen Sitz in Podolien aufschlagen. Nachweislich zum erstenmal wurde hier als alternatives Wirkungsfeld für den Deutschen Orden jene Region genannt, die in der Diskussion von nun an verschiedentlich wiederkehren sollte. Podolien, der Raum zwischen dem Mittellauf des Dnjestr und dem Südlichen Bug, befand sich seit 1430 zu großen Teilen unter der Herrschaft des polnischen Königs. Hauptort und Handelszentrum war Kamenez. Zusammen mit dem Gebiet um Halicz und Kolomea bildete Podolien damals die Südflanke des dem polnischen König unmittelbar unterstehenden Territoriums. Wiederholt war dieser Raum Plünderungszügen der Krim-Tataren, einer der Nachfolgeherrschaften der Goldenen Horde, ausgesetzt, so daß man hier den Heidenkampf tatsächlich noch führen konnte. Allerdings hätte eine vollständige Verlagerung in das weit entfernte Podolien für den Deutschen Orden einen Bruch bedeutet, wie man ihn sich kaum tiefgreifender vorstellen kann. Zwangsläufig wären damit die Abkehr von all seinen Traditionen, die Aufgabe der preußischen Landesherrschaft, die Eliminierung seiner gewachsenen wirtschaftlichen Grundlagen und die soziale Ablösung von der Adelsgesellschaft des deutschen Reiches verbunden gewesen. Die weitere Existenz des Ordens mußte dadurch aufs höchste gefährdet erscheinen. Es ist also nur zu verständlich, daß sich die Verhandlungsführer des Deutschen Ordens dem Ansinnen Kasimirs IV. strikt widersetzten." 1463 erhob der polnische König seine Forderung erneut und verlangte vom Orden wiederum den Tausch Preußens gegen Podolien. 1 2 Bereits drei Jahre zuvor war auf dem von Papst Pius II. geleiteten Fürstenkongreß in Mantua, wo über einen großangelegten Kreuzzug gegen die Türken beraten wurde, von polnischer Seite der Vorschlag eingebracht worden, den Deutschen Orden mit den Johannitern zu vereinigen und beide nach Konstantinopel oder auf eine nahegelegene Insel zu versetzen. 13
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Geschichten von wegen eines Bundes, c. 102; hg. von Max Toppen. In: Scriptores rerum Pnissicanim. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. Bd. 4. Leipzig 1870, S. 71-211, hier S. 195: »[...] der kunig begertte zum ersten, der orden soltte ym die lande zu Preussen geruglich lossen besitzsen, er wolte in die Podolye ingeben«. - Zu Podolien vgl. hier nur Lexikon des Mittelalters (künftig zitiert: LexMA). 9 Bde. München / Zürich 1980-98, hier Bd. 7, Sp. 33 (A. Poppe, 1995). Voigt: Geschichte Preussens 8, wie Anm. 10, S. 645f.; Jacob Caro: Geschichte Polens. Bd. 5,2: 1481-1506. Gotha 1888, S. 508ff. Voigt: Geschichte Preussens 8, wie Anm. 10, S. 586f.
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Wirklich virulent wurde die Frage einer neuen Aufgabe für den Deutschen Orden im Heidenkampf erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Jetzt sah sich die Gemeinschaft mit konkreten Vorhaben konfrontiert, außerhalb seiner angestammten Gebiete an der Ostsee gegen die Ungläubigen eingesetzt zu werden. Vornehmlicher Grund für diese Entwicklung war das Vordringen der Türken im Schwarzmeergebiet. Im Jahr 1484 fielen die beiden Hafenstädte Kilia im Donaudelta und Belgorod, das alte Akkerman, an der Mündung des Dnjestr zusammen mit der gesamten bessarabischen Schwarzmeerküste in die Hände des osmanischen Sultans Bajezid II. Damit wurde die Türkenfrage, die seit langem schon weite Teile der Balkanhalbinsel betraf, zum erstenmal auch für Polen aktuell. Zwar lagen die Zentren des polnischen Königreiches weit ab von den betroffenen Gebieten, doch unmittelbar berührt von den osmanischen Erfolgen war das Fürstentum Moldau. Die Moldau galt bereits seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert als lehnsabhängig von der polnischen Krone. Dies hatte das Land zwischen Karpaten und Dnjestr allerdings nicht davor bewahrt, daß es seit der Mitte des 15. Jahrhunderts verstärkt in den Sog der osmanischen Expansionsbestrebungen geriet. Fürst Peter Aaron hatte 1456 erstmals in Tributzahlungen einwilligen müssen. Sein Nachfolger Stefan der Große versuchte sich den osmanischen Angriffen zu widersetzen, geriet am Ende aber nur noch stärker unter Druck. Der polnische König sah sich spätestens nach dem Fall von Kilia und Belgorod zum Handeln veranlaßt. Die Existenz des von Polen lehnsabhängigen Fürstentums Moldau war stark gefährdet, und außerdem stand nun zu befürchten, daß die Osmanen auch in die weiter nördlich gelegenen Gebiete, die der polnischen Krone direkt unterstanden, einfallen würden."1 König Kasimir IV. zögerte nicht lange, sondern begann unverzüglich mit umfangreichen Rüstungsmaßnahmen, um ein Heereskontingent zur Unterstützung Fürst Stefans des Großen aufzustellen.15 In diesem Zusammenhang begab sich der König im März 1485 nach Thorn, wo er die preußischen Machthaber zur Militärhilfe bewegen wollte.16 Kasimir konnte dort durchaus mit dem nötigen Nachdruck auftreten, denn die verfassungsrechtlichen 14
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Vgl. Nicoarä Beldiceanu: La conquête des cités marchandes de Kilia et de Cetatea Alba par Bayezid II. In: Südost-Forschungen 23 (1964), S. 36-90; Maria Bogucka: Kazimierz Jagielloâczyk i jego czasy [Kasimir Jagiello und seine Zeit]. Warszawa 1981, S. 101 f.; im Überblick Halecki: Cambridge History, wie Anm. 1, S. 253. Zu den Anfängen der polnischen Türkenpolitik vor 1484 vgl. Boleslaw Stachón: Polityka Polski wobec Turcyi i akcyi antytureckiej w wieku XV do utraty Kilii i Bialogrodu (1484) [Die polnische Politik gegenüber der Türkei und die antitürkische Aktion im 15. Jahrhundert bis zum Verlust von Kilia und Belgorod], Lwów 1930 (Archiwum Towarzystwa naukowego we Lwowie 7,2). Vgl. Bogucka: Kazimierz, wie Anm. 14, S. 102. Vgl. zum Folgenden Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 148ff.; Erich Weise: Der Heidenkampf des Deutschen Ordens. In: Zeitschrift für Ostforschung 12 (1963), S. 420-473, 622-672,13 (1964), S. 401-Φ20, hierS. 41 Iff.
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Gegebenheiten banden Preußen mittlerweile fest an das polnische Königtum. Der Dreizehnjährige Krieg zwischen dem Deutschen Orden auf der einen und den preußischen Landständen sowie dem König auf der anderen Seite war 1466 durch den zweiten Thorner Frieden beigelegt worden. Seitdem war Preußen geteilt und auf unterschiedliche Weise der polnischen Krone unterworfen. Der westliche Landesteil mit den alten Kernlandschaften am Unterlauf der Weichsel, dem Bistum Ermland und Pomerellen war der polnischen Krone direkt unterstellt. Der östliche Landesteil mit Königsberg - nun neue Residenzstadt anstelle der verlorengegangenen Marienburg - blieb zwar unter der Herrschaft des Deutschen Ordens, doch hatte der Hochmeister dem König einen Treueid zu leisten, womit die Oberhoheit Polens anerkannt wurde. Im übrigen war der Orden dem König zur Hilfe gegen dessen Feinde verpflichtet.17 Es ist also einsichtig, daß sich Kasimir IV. angesichts des zu erwartenden Waffenganges gegen die Türken in der Moldau an Vertreter aus beiden preußischen Landesteilen wandte, an die Landstände des königlichen Preußens wie auch an den Hochmeister Martin Truchseß von Wetzhausen. Die Führung des Deutschen Ordens sah sich damit zum erstenmal aufgerufen, ihren in dem Thorner Friedensinstrument festgeschriebenen Verpflichtungen nachzukommen und dem polnischen König in den Krieg zu folgen. Am 17. März 1485 wurden in Thorn die Gespräche zwischen dem König und Vertretern des Deutschen Ordens aufgenommen.18 Kasimir IV. hatte sich schon vordem mit den Landständen des königlichen Preußens auseinandergesetzt, von diesen allerdings nur sehr hinhaltende Antworten erhal17
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1466 Okt. 19, zweiter Thomer Frieden; hg. von Erich Weise: Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert. Bd. 2: 1438-1467. Marburg 1955, S. 262ff. Nr. 403. Hier S. 275 c. 6 (4) die Forderung der Hilfeleistung (Zitat nach der Urkunde des Hochmeisters): »[...] sibi et successoribus suis regibus et regno Polonie contra omnes hostes et adversarios suos et regni sui Polonie more aliorum prelatorum, principum et baronum regni Polonie assistere eosque in guerris et adversitatibus nostris potenciis adiuvare consiliis, auxiliis, et suffragiis oportunis«. - Zur Situation des Deutschen Ordens nach Í466 vgl. im Überblick Boockmann: Der Deutsche Orden, wie Anm. 2, S. 207ff. Zu den Verhandlungen in Thom existieren zwei einander gut entsprechende Protokolle der Deutschordensführung (1) und der königlich-preußischen Landstände (2): 1.) Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, XX. Hauptabteilung (Staatsarchiv Königsberg), Ordensfolianten (künftig zitiert: OF) 18 a, S. 152-167; Auszüge hg. von M. Toeppen: Acten der Ständetage Preußens unter der Herrschaft des Deutschen Ordens. Bd. 5. Leipzig 1886, S. 392ff. Nr. 130. 2.) Karol Górski u. Marian Biskup (Hgg.): Akta stanów Prus Królewskich [Die Ständeakten des königlichen Preußen]. Bd. 1: 1479-1488. Toruñ 1955 (Towarzystwo naukowe w Toruniu, Fontes 41), S. 279ff. Nr. 200, hier besonders S. 304ff. Weiterhin berichtet die Danziger Chronistik knapp von den Verhandlungen: Die Danziger Chronik vom Pfaffenkriege, ad a. 1485; hg. von Theodor Hirsch. In: Scriptores rerum Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. Bd. 4. Leipzig 1870, S. 676689, hier S. 687. Caspar Weinreichs Danziger Chronik, ad a. 1485; hg. ebd. S. 725-800, hier S. 754.
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ten.19 Es muß nicht verwundern, daß nun auch der Hochmeister und seine Begleiter vornehmlich darauf abzielten, das Ansinnen des Königs zu unterlaufen. Kasimir stellte den Ordensleuten die aktuelle Situation in der Moldau dar und erklärte, er sehe sich veranlaßt, Fürst Stefan militärisch beizustehen und außerdem durch einen Präventivschlag ein Übergreifen der türkischen Vorstöße auf polnisches Reichsgebiet zu verhindern. Vom Deutschen Orden werde erwartet, daß dieser sich an dem Unternehmen beteiligt, zum einen weil er durch den Thorner Frieden dazu verpflichtet sei, zum anderen weil der Kampf gegen die Heiden generell zu seinen Aufgaben gehöre. 20 Martin Truchseß gab dagegen vor, er wolle gerne gegen die Heiden kämpfen, doch fehlten ihm gegenwärtig die Möglichkeiten, dies zu realisieren. Ordenspreußen sei durch Schulden und Teuerung sowie durch eine vor kurzem ausgebrochene Seuche außerordentlich belastet, Livland zudem durch die Russen gefährdet. Der Hochmeister für seinen Teil habe »umbe und umbe Türken genugk«. 21 Kasimir IV. war nicht bereit, sich auf diese Argumentation einzulassen und dem Deutschen Orden die geforderte Kriegshilfe zu erlassen. Im weiteren Verlauf der Verhandlungen forderte der König dann sogar ausdrücklich die persönliche Teilnahme des Hochmeisters an dem Feldzug. Die Thorner Verhandlungen endeten ohne greifbares Ergebnis. Martin Truchseß von Wetzhausen zog sich auf die Position zurück, er könne keine abschließende Entscheidung treffen, ohne vorher die ordenspreußischen Landstände hinzugezogen zu haben, woraufhin die Angelegenheit vertagt wurde. Doch es half dem Hochmeister alles nichts. Auch eine Intervention der Stände war nicht geeignet, den König zum Einlenken zu bewegen. 22 Der Orden mußte sich darauf einstellen, ein militärisches Kontingent unter der Führung des Hochmeisters in die Moldau zu entsenden. 23
« Vgl. Weise: Heidenkampf 13, wie Anm. 16, S. 413. OF 18 a, S. 153, Position Kasimirs IV., vorgetragen durch den Erzbischof von Gnesen, Zbigniew Olesznicki: »[...] Dorzu seyn ko. g. begert von einem hoe.,er zam seyner gnaden fursten und rath hulff, rath und beistandt noch innhalt des ewigen frieden, und wie das ouch uwer orden innhelt, widder die uncristen zu fechten.« - Hier wie auch in den anderen einschlägigen Quellen wird das Fürstentum Moldau fast durchweg als »Walachei«, der Fürst als »walachischer Woiwode« bezeichnet, ohne dabei eine Unterscheidung von dem damals bereits von den Osmanen unterworfenen Raum südlich der Karpaten zu treffen. 21 Zitat hg. von Górski/Biskup: Akta stanów 1, wie Anm. 18, S. 306 [84], 22 O. D., Instruktion für eine Gesandtschaft der ordenspreußischen Landstände zu König Kasimir IV.; OF 18 a, S. 187-192; Auszug hg. von Toeppen: Ständetage 5, wie Anm. 18, S. 394ff. Nr. 132. Darin ähnliche Argumentation der Ordensvertretung wie im März 1485 in Thorn. Vgl. Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 152f. 23 1485 Apr. 13 scheint die Entscheidung über die persönliche Teilnahme des Hochmeisters an dem Feldzug bereits gefallen zu sein, denn er berichtet dem Deutschmeister Reinhard von Neipperg: »[...] Nemlich das uns ko. ma. iczt umb hulff wedir die Türken, die in die Walachey iczt gebrochen sein und besaczt ha20
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Ende Juni 1485 gelangte an Hochmeister Martin Truchseß die Aufforderung des polnischen Königs, zusammen mit ihm in Richtung Lemberg zu ziehen. 24 So brach der Hochmeister am 20. Juni tatsächlich mit einer Heeresabteilung von Königsberg in Richtung Süden auf. Zur Finanzierung des Feldzuges war in Preußen eine Steuer erhoben worden, deren Ertrag - nach Aussage der Ordensführung - mit 15 000 ungarischen Gulden allerdings recht gering ausgefallen war. Allein zum Türkenkrieg sollte es diesmal nicht kommen. Der Feldzug des Deutschen Ordens wurde vielmehr zu einer Farce. Bereits in Guttstadt, nicht einmal 100 Kilometer südlich von Königsberg, traf das Ordenskontingent auf eine polnische Gesandtschaft, die den Hochmeister aufforderte, vorerst noch in Preußen zu bleiben. Der Truchseß zeigte sich nun allerdings zur Tat entschlossen und rückte weiter nach Süden bis Neidenburg nahe der Grenze des Ordenslandes vor. Dort wartete man auf weitere Instruktionen und zog, als das Futter für die Pferde knapp wurde, wieder zurück ins Landesinnere nach Rastenburg. Jetzt trafen konkretere Nachrichten aus Polen ein: Die Türken hätten doch keine so große Eile, das Land des Königs zu schädigen. Ein neuer Angriff der Heiden stünde erst für das kommende Jahr zu erwarten, der Hochmeister solle sich aber solange in Kriegsbereitschaft halten. Dieser Aufforderung entsprach Martin Truchseß freilich nicht, sondern er löste unter Verweis auf die bedrängte Lage seines Landes das Truppenkontingent auf, ohne daß es Preußen überhaupt verlassen hatte.25 Damals führte Polen seinen Krieg gegen die Osmanen ohne die Unterstützung des Deutschen Ordens. König Kasimir IV. ließ im Herbst 1485 ein umfangreiches Heer in die Moldau einmarschieren, das im Verbund mit Truppen Stefans das Fürstentum von den Türken weitgehend säubern konnte. Was allerdings nicht gelang, war die Rückeroberung der beiden Hafenstädte Kilia und Belgorod. 26 Dennoch kam es bald zu Friedensverhandlungen zwischen Kasimir und dem osmanischen Sultan Bajezid II. Im Mai 1488 erschien auf einem Reichstag in Petrikau eine stattliche türkische Ge-
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ben, angelanget und personlich mit unser macht neben seyne ko. gnaden noch innhalt des ewigen frieden zu zihen ermanet«; OF 18 b, fol. 79r. Dazu 1485 nach Juli 2, Hochmeister Martin Truchseß v. Wetzhausen an den Deutschmeister; OF 18 b, fol. 12r. Den Verlauf des Zuges beschreibt die undatierte Instruktion für eine Gesandtschaft des Hochmeisters zu König Kasimir IV., 1486 nach Juni 11; Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, XX. Hauptabteilung (Staatsarchiv Königsberg), Ordensbriefarchiv (künftig zitiert: OBA) 17212, fol. l v . Von einem Zug des Hochmeisters mit 500 Mann bis Neidenburg berichtet die Danziger Chronik vom Pfaffenkriege, ad a. 1485; hg. von Hirsch, wie Anm. 18, S. 687f. Vgl. Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 153f.; auch Weise: Heidenkampf 13, wie Anm. 16, S. 416. Die Gesandtschaft sollte den König bitten, dem Deutschen Orden wegen seiner schwierigen Finanzlage einen weiteren Zug gegen die Türken zu erlassen; OBA 17212, fol. 2r. Vgl. Caro: Geschichte Polens 5,2, wie Anm. 12, S. 589f.; Papée: Cambridge History, wie Anm. 1, S. 253; Bogucka: Kazimierz, wie Anm. 14, S. 102.
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sandtschaft, die dem polnischen König einen Friedensschluß anbot, allerdings nicht auf die Schwarzmeerhäfen verzichten wollte. 27 In Petrikau anwesend war auch Hochmeister Martin Truchseß von Wetzhausen. Von ihm forderte der König einen Ratschlag ein, wie der türkischen Gesandtschaft zu antworten sei. Der Hochmeister verhielt sich daraufhin sehr zurückhaltend. Eigentlich sei in den betroffenen Gegenden mit Krieg mehr zu erlangen als mit Frieden, so äußerte er sich. Wenn dies aber nicht möglich erscheine, so solle man besser den Frieden suchen, denn zum Krieg gehöre viel.28 Offensichtlich befand sich Martin Truchseß in der Klemme. Auf der einen Seite mußte er sich kämpferisch zeigen, denn immerhin stand der Krieg gegen die Heiden zur Debatte, auf der anderen Seite dürfte ihm aber daran gelegen gewesen sein, den Einsatz eines Deutschordenskontingentes in der Moldau nach Möglichkeit zu vermeiden. Der Friedensschluß mit den Türken kam im darauffolgenden Jahr 1489 zustande, Ruhe kehrte im Süden des polnischen Herrschaftsbereiches aber nicht ein. Gewissermaßen im Schlepptau der türkischen Aggression gegen das Fürstentum Moldau hatten Tataren aus dem Wolgaraum Angriffe gegen Polen gerichtet. Bereits 1487 sah sich der Sohn König Kasimirs IV., Johann Albrecht, gezwungen, in Podolien gegen die Tataren zu kämpfen. Auch in den folgenden Jahren erfolgten immer wieder tatarische Angriffe auf Gebiete im Süden Polens. Die Lage gewann noch an Brisanz, als sich der moldawische Fürst Stefan der Große, den Kasimir eben noch gegen die Türken unterstützt hatte, von Polen abwandte und auch seinerseits mit militärischer Macht in das Nachbarland einfiel. 29 So richtete König Kasimir IV. erneut die Aufforderung an den Deutschen Orden, sich am Heidenkampf zu beteiligen, nur daß die Ritter jetzt nicht mehr gegen die Türken, sondern gegen die Tataren fechten sollten. Zur 27 28
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Vgl. Caro: Geschichte Polens 5,2, wie Anm. 12, S. 592; Bogucka: Kazimierz, wie Anm. 14, S. 103. Protokoll von den Verhandlungen in Petrikau; OF 18 a, S. 238-252, 254-268 (2 Fassungen); kurzer Auszug hg. von Toeppen: Ständetage 5, wie Anm. 18, S. 409 Nr. 137. 1488 Mai 6 - 8 Einbeziehung des Hochmeisters in die Verhandlungen; OF 18 a, S. 241—243. Inseriert ein Brief des Sultans an Kasimir IV. in lateinischer Sprache: Ebd. S. 241. Äußerung des Hochmeisters gegenüber dem König: Ebd. S. 242. Vgl. Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 162f. - 1498 moniert der hochmeisterliche Sekretär Liborius Naker - offensichtlich zu Unrecht - in einem Memorandum über vermeintliche Verstöße der polnischen Könige gegen den zweiten Thorner Frieden, Kasimir IV. habe »ane rath, wissen und willen« des Hochmeisters mit den Türken Frieden geschlossen und den Thomer Frieden auf diese Weise gebrochen; hg. von Matthias Thumser: Schriftlichkeit in der Spätzeit der preußischen Deutschordensherrschaft. Kanzleitätigkeit und Aufzeichnungen des hochmeisterlichen Sekretärs Liborius Naker (t 1502/1503). In: Schriftkultur und Landesgeschichte. Studien zum südlichen Ostseeraum vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Hg. von dems. Köln / Weimar / Wien 1997 (Mitteldeutsche Forschungen 115), S. 211 Nr. 2. Vgl. Caro: Geschichte Polens 5,2, wie Anm. 12, S. 592ff.; Bogucka: Kazimierz, wie Anm. 14, S. 103f.
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Sprache kam die gewünschte Tatarenhilfe des Ordens erstmals kurz nach der Wahl des neuen Hochmeisters Johann von Tiefen, der Martin Truchseß von Wetzhausen 1489 in seinem Amt nachgefolgt war. Auf der Huldigungsreise Johanns nach Radom wies man den Hochmeister darauf hin, daß der Friede gegen die Türken demnächst auslaufen werde und auch die Lage gegenüber den Tataren kompliziert sei. Johann von Tiefen betonte daraufhin seine grundsätzliche Bereitschaft zum Heidenkampf und erklärte: »Mein orden ist doruff gestifft, wedir die uncristen zu fechten. So die zeit kompt, wil ich mich von wegen meins ordens noch vermögen geborlich halten.«30 Ernst wurde es dann im Sommer des darauffolgenden Jahres 1490, als Kasimir den neuen Hochmeister auf der Grundlage des Thorner Friedens aufforderte, sich mit einer bewaffneten Mannschaft in der Nähe von Lublin bei ihm einzufìnden. Unter Verweis auf die Kürze der Zeit entzog sich Johann von Tiefen dem Gebot des Königs.31 Es folgten noch zwei weitere polnische Gesandtschaften wohl Anfang 1491, die den Hochmeister anhielten, sich in Bereitschaft zu halten,32 allein zum Marsch eines Ordensaufgebotes ins südliche Polen kam es auch dieses Mal nicht. Dabei zeigte man sich innerhalb der Ordensführung zumindest nach außen hin durchaus gewillt, dem König in seinem Krieg zur Seite zu stehen. Ausdrücklich wurde betont, daß der Deutsche Orden durch den Frieden von Thorn und die Radomer Zusage des Hochmeisters dem polnischen König verpflichtet sei. Allerdings sehe man sich dadurch lediglich gehalten, Hilfe »noch vermögen« zu leisten. Da der Orden derzeit aber »fast unmogend und swach« sei, würde eine Hilfeleistung nur geringen Nutzen bringen.33 An Argumenten, warum die Abstellung eines Truppenkontingentes zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn brächte, mangelte es den Ordensoberen wahrlich nicht. Man verwies auf den versuchten Feldzug von 1485, der dem Deutschen Orden große finanzielle Aufwendungen abverlangt hätte. Außerdem schützte man schier unüberbrückbare Probleme bei der Versorgung im fremden Land vor. Auch betonte man die Schwierigkeit, gegen die sehr beweglichen Reitertruppen des Gegners zu kämpfen. Der Feind komme mit seinen Pferden in einem Tag und einer Nacht weiter als die Ordensleute in 30
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1489 Nov. 19/20, Protokoll von der Tagfahrt in Radom; OF 18 a, S. 271-281, Zitat S. 279; Auszug hg. von Toeppen: Ständetage 5, wie Anm. 18, S. 410f. Nr. 139. Vgl. Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 174f. 1490 Aug. 31, Hochmeister Johann v. Tiefen an den Propst von Leslau; OF 18 b, fol. 272Γ· 1490 Sept. 3, ders. an den livländischen Meister Johann Freitag v. Loringhofen; ebd. fol. 29r. Demnach war der Hochmeister für den 14. Sept. 1490 nach »Bobeka« gefordert worden. Vgl. Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 180. 1491 Juni 2, Hochmeister Johann v. Tiefen an den livländischen Meister; OF 18 b, fol. 138r; Auszug hg. von Toeppen: Ständetage 5, wie Anm. 18, S. 412 Nr. 141. Vgl. Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 183f. 1491 Jan. 10, Instruktion für eine Gesandtschaft des Deutschen Ordens zu König Kasimir IV.; OF 18 c, fol. 3 r - 5 \ hier fol. 4v.
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drei Tagen. Bis das Ordensaufgebot überhaupt in dem vom Feind berührten Gebiet einträfe, sei der gewarnt und habe bereits den Rückzug angetreten. 34 Fast schon rührend, aber möglicherweise auch nicht ohne eine gewisse Durchtriebenheit erscheint die Bitte Hochmeister Johanns an den Inländischen Meister im Sommer 1491, ihm möglichst bald einen guten Hengst für den Feldzug zuzuschicken, da man selbst nicht über genügend brauchbare Pferde verfüge. 35 Auffallend ist, daß in den verschiedenen schriftlichen Erzeugnissen des Deutschen Ordens aus jener Zeit statt von Tataren immer wieder auch von Türken die Rede ist. Obwohl sich die militärischen Vorhaben Kasimirs IV. damals eindeutig gegen die Tataren richteten, bleiben die Bemerkungen der Ordensführung in dieser Hinsicht indifferent. So ist die Rede beispielsweise von der geforderten Hilfe »wedir die ungloubigen Thurken«, dann »wedir die ungloubigen Tattern ader Türken«, aber auch »widder die Tattern ader ungloubige«. 36 Es hat den Anschein, daß man in Königsberg nur wenig über die eigentlichen Hintergründe der militärischen Vorhaben Kasimirs informiert war. Das geplante Einsatzgebiet des Ordens lag allzuweit entfernt von Preußen ganz am anderen Ende des polnischen Herrschaftsbereiches, so daß man darüber im Grunde wohl nur eines sicher wußte: Dort lebten Heiden, die der König mit Hilfe der Ordensbrüder bekämpfen wollte. Als Kasimir IV. im Sommer des Jahres 1492 starb, hatte der Deutsche Orden noch keinen aktiven Beitrag zur Bekämpfung von Türken oder Tataren geleistet. Trotz immer wieder erfolgter Aufforderungen war es den beiden Hochmeistern Martin Truchseß von Wetzhausen und Johann von Tiefen gelungen, die Abstellung eines Truppenkontingentes zu vermeiden - sieht man von dem verunglückten Ausritt nach Neidenburg einmal ab. Dabei hatte die Ordensführung die Argumentation Kasimirs durchweg anerkennen müssen. Danach war der Deutsche Orden zum einen durch den Frieden von Thorn aus dem Jahr 1466 zur Hilfeleistung für den polnischen König verpflichtet, zum anderen hatte er generell seine vornehmste Aufgabe im Heidenkampf zu sehen. Dem hatten die beiden Hochmeister nichts Grundsätzliches entgegensetzen können, wenn sie auch immer wieder mit hinhaltendem Taktieren und Ausflüchten operierten. Das Verhalten des Königs aber erscheint angesichts der mangelnden Kooperationsbereitschaft innerhalb der 34 35
36
Ebd. fol. 4"·. 1491 Juni 2, wie Anm. 32. Dazu 1491 Aug. 21, Wolter v. Plettenberg, Landmarschall von Livland, an Hochmeister Johann v. Tiefen; hg. von Anatolius Lewicki: Codex epistolaris saeculi decimi quinti. Bd. 3: 1392-1501. Cracoviae 1894 (Editiones Collegii historici Academiae litterarum Cracoviensis 52 - Monumenta medii aevi histórica res gestas Poloniae illustrantia 14), S. 392ff. Nr. 375: Vor dem ersten Frost könne kein Hengst nach Preußen geschickt werden. 1490 Sept. 3, wie Anm. 31. 1491 März 24, Hochmeister Johann v. Tiefen an den livländischen Meister; OF 18 b, fol. 136r. Instruktion von 1491 Jan. 10, wie Anm. 33, fol. 5Γ·
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Ordensführung eher moderat. Kasimir IV. hatte zu einem Zeitpunkt, als er wohl tatsächlich meinte, alle Kräfte in seinem Königreich zusammenfassen zu müssen, lediglich von verbrieften und unbestrittenen Rechten Gebrauch gemacht und es dabei nicht darauf abgesehen, den Rittern eine übergroße Bürde aufzuladen. Wahrscheinlich lag es nicht in seinem Sinn, den Deutschen Orden in den Ruin zu treiben oder gar zu liquidieren, und weitgehend auszuschließen ist, daß zu jener Zeit von königlicher Seite die Ausweisung des Ordens aus Preußen und die Verlegung in einen anderen Teil des polnischen Herrschaftsbereiches - etwa nach Podolien - geplant war.37 Die Sitution sollte sich wandeln, als 1492 Kasimir IV. starb und sein Sohn Johann Albrecht die Nachfolge antrat. Der neue König schien bald schon das Vorhaben zu verfolgen, die Ordensritter in starkem Maße an sich zu binden und sie für seine Ziele einzuspannen. In der Ordensführung betrachtete man die Entwicklung mit großer Skepsis. Drei Persönlichkeiten erregten in besonderem Maße das Mißtrauen Hochmeister Johanns von Tiefen und seiner Umgebung. Dies war allen voran der polnische König Johann Albrecht selbst, weiterhin der seit 1489 als Bischof von Ermland amtierende Lukas Watzenrode, seit jüngstem ein erbitterter Widersacher des Deutschen Ordens, sowie nicht zuletzt der Italiener Filippo Buonaccorsi, auch bekannt als Callimachus Experiens, der damals als vertrauter Berater des Königs großen Einfluß auf dessen Politik nahm. Die Bedenken in der Ordensführung hinsichtlich der schwierigen Lage mit allen empfundenen Anfeindungen beschreibt eindrücklich ein Brief des Hochmeisters an den Generalprokurator des Deutschen Ordens in Rom, Nikolaus Kreuder, vom 31. August 1495:38 Nu hetten wir wol gehofft, der herr von Heilsperg [Lukas Watzenrode] süld von seynem furnehmen wedir unszer orden privilegia angefangen uff underrichtunge unsers hern ertzbisschoffes von Riega haben gehyndert und fallen laszen, des her noch keynen willen, sunder durch hulff und inleitunge Philippi Calimaci und ander wege ko. m. gnad erwürben hot, vel mehr trachtet und arbeitet wedir uns und unsem orden und also wir gewarnet werden rath und weisze furnympt, wie den usz dieszen landen in die Padolien brengen möcht: des her ab Got will, keyne gewalt haben sali. Und die form des fiirnehmens sali also furgegeben seyn, das unser gnedigster herr koningk von Polan bey dem Stull czu Rome sich sali bearbeiten umb mandat czu erwerben obir uns alhir von hynnen zcu rewmen, und 37
38
Vgl. in diesem Sinne Marian Biskup: Polska a zakon Krzyzacki w Prusach w poczatkach XVI wieku. U zródel sekularyzacji Prus Krzyzackich [Polen und der Deutsche Orden in Preußen am Anfang des 16. Jahrhunderts. Zu den Quellen der Säkularisation von Ordenspreußen]. Olsztyn 1983, S. 34ff. Anders Weise: Heidenkampf 13, wie Anm. 16, S. 416, nach dem die Art der Ausnutzung vertraglicher Verpflichtungen durch Kasimir IV. allein den Zweck hatte, »den Ordensstaat vollends zu ruinieren und den Hochmeister zu demütigen«. Liv-, est- und kurländisches Urkundenbuch (künftig zitiert: LUB). Bd. II/l: 1494 Ende Mai-1500. Hg. von Leonid Arbusow. Riga / Moskau 1900, S. 192 Nr. 256. - Zur Prokuratur Nikolaus Kreuders vgl. Hermann Freytag: Die Geschäftsträger des Deutschen Ordens an der Römischen Kurie von 1309 bis 1525. In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 49 (1907), S. 185-220, hier S. 214f.
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nach inhalt unsers ordens fundación in die Padolien wedir die ungloubigen streiten sollen; denn wir alhie nicht mehr fechten. Ouch sali durch den irluchten fursten marggraff Friderich von Brandenburgk, der vor eynen jar bey ko. ma., seynen swager, czu Crakow geweszen ist czugericht und beslossen seyn, sulch czu laszen und czu verwillen an unsem allergnedigsten hem Romisschen koning und kurfursten gelangen laszen und sich darinn bevleiszige; das wir hoffen, nicht gescheen sali.
Wirklich schien sich damals einiges gegen den Deutschen Orden und seine Herrschaft in Preußen zusammenzubrauen. Ein gutes Jahr vor der Ausfertigung des Briefes nach Rom, im April 1494, hatte König Johann Albrecht ein Zusammentreffen der führenden Mitglieder des jagiellonischen Hauses organisiert. Ort der Begegnung war das Städtchen Leutschau an der Hohen Tatra in der damals zum Königreich Ungarn gehörigen Zips. Dort trafen neben dem polnischen König drei seiner Brüder ein, der König von Böhmen und Ungarn Wladislaw II., der Kardinal und Erzbischof von Gnesen Friedrich sowie Sigmund, für den sich bis dahin noch kein Herrschaftsgebiet hatte finden lassen. Zugegen war in Leutschau auch Markgraf Friedrich der Ältere von Brandenburg, der über seine Gemahlin Sophie mit den jagiellonischen Brüdern verschwägert war und zu jener Zeit eine recht engagierte Ostpolitik betrieb. Die Ergebnisse der Verhandlungen wurden streng geheimgehalten. Als erwiesen gilt aber, daß eine neue Wendung gegen die Türken an der Schwarzmeerküste wichtiger Gesprächsgegenstand war.39 Sehr plausibel erscheint, daß in diesem Zusammenhang wieder einmal das alte Podolienprojekt hervorgeholt wurde, so wie dies Hochmeister Johann von Tiefen in seinem Schreiben an den Generalprokurator argwöhnte.40 Auch der Verdacht, Markgraf Friedrich von Brandenburg habe in diesem Sinne seine Stimme bei König Maximilian I. und den Kurfürsten des deutschen Reiches laut gemacht, mag durchaus begründet gewesen sein, wenn er sich auch nicht durch die Quellen bestätigen läßt.41 Dem Deutschen Or39
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Vgl. Richard Wolff: Politik des Hauses Brandenburg im ausgehenden fünfzehnten Jahrhundert (1486-1499) (Kurfürst Johann und die Markgrafen Friedrich und Siegmundt). München / Leipzig 1919 (Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg), S. 92ff.; Fryderyk Papée: Jan Olbracht [Johann Albrecht]. Kraków 1936, S. 64ff.; Biskup: Polska, wie Anm. 37, S. 47. 1495 Aug. 31, Zitat oben. - Entgegen den Ausführungen von Wolff: Politik, wie Anm. 39, S. 93 mit Anm. 1, S. 94 mit Anm. 1, und Papée: Jan Olbracht, wie Anm. 39, S. 65 mit Anm. 2, S. 70 mit Anm. 1, liefern die dort zitierten Archivalien keine Informationen zu dem Podolienplan: Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. Hauptabteilung, Rep. 9 (Polen), Nr. 1 a A, fol. 51 Γ 54 ν (undatiertes Memorandum zu Ausgleichsverhandlungen zwischen Brandenburg und Polen); ebd. Rep. 44, QQ 10, Pak.-Nr. 14385 (Korrespondenz Markgraf Friedrichs mit Kurfürst Johann von Brandenburg, 1494, ohne Foliiening). Nicht verifizierbar ist die Behauptung von Wolff: Politik, wie Anm. 39, S. 94, und nach ihm von Papée: Jan Olbracht, wie Anm. 39, S. 86, sowie von Biskup: Polska, wie Anm. 37, S. 47, Markgraf Friedrich habe sich wegen der geplanten Verlegung des Deutschen Ordens im Herbst 1494 mittels einer Gesandtschaft an König Maximilian I. gewandt. Dazu die Akten des brandenburgischen Gesandten Veit Henlein: Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. (künftig zitiert:
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den hätte unter diesen Umständen tatsächlich Schlimmes gedroht. Er wäre einer geschlossenen jagiellonischen Koalition unter Führung des polnischen Königs Johann Albrecht gegenübergestellt gewesen und dabei Gefahr gelaufen, aus Preußen vertrieben zu werden, um irgendwo weitab einen neuen Wirkungsbereich zugewiesen zu bekommen. Auch wenn man anscheinend im Umkreis des Hochmeisters nicht besonders gut über die tatsächlichen Beschlüsse der Leutschauer Konferenz informiert war, so mußte man doch durch den verwandtschaftlichen Zusammenschluß der jagiellonischen Machthaber alarmiert sein. Während König Johann Albrecht auf dem Leutschauer Familienkongreß seine politischen Pläne entwickelte, sahen die Ordensbrüder noch eine zweite Frontstellung von ganz anderer Seite gegen sich entstehen. Im Herbst 1493 schlug der Bischof von Ermland, Lukas Watzenrode, eine Linie ein, die den Interessen des Ordens völlig konträr lief. Ausgehend von einem eher nichtig erscheinenden Anlaß, erhob Watzenrode in schroffer Weise Ansprüche auf die geistliche Gerichtsbarkeit innerhalb seiner Diözese gegenüber Deutschordensangehörigen, was bis dahin wohl nicht üblich gewesen war. Hochmeister Johann von Tiefen erachtete dies als einen fundamentalen Angriff auf die verbrieften Rechte des Ordens. Er reagierte unverzüglich und schaltete Papst und römische Kurie in die Angelegenheit ein, um die als unverrückbar erachteten Rechte des Deutschen Ordens zu wahren. Zwar nahm das Bistum Ermland damals eine Sonderstellung ein, weil sein Domkapitel - im Gegensatz zu jenen der drei anderen preußischen Diözesen Samland, Pomesanien und Kulm - dem Deutschen Orden nicht inkorporiert war und vor allem weil das Hochstiftsgebiet seit dem zweiten Thorner Frieden von 1466 zusammen mit den westlichen Teilen Preußens autonom der Krone Polens unterstand, doch vertrat die Ordensführung die Meinung, daß die Privilegien ihrer Gemeinschaft auch dort zu gelten hätten. Eben diese Privilegien des Deutschen Ordens wurden nun zum Gegenstand eines rasch eskalierenden Rechtsstreites. Bischof Lukas Watzenrode sprach dem Orden bald generell jede Berechtigung ab, seine Privilegien weiter zu gebrauchen. Wenn, so der Bischof, die Ursache, derentwegen ein Privileg gegeben wurde, aufhöre, dann höre auch dessen Wirkung auf. Die Ordensbrüder hätten ihre Privilegien seinerzeit zur Durchführung des Heidenkampfes im Heiligen Land erhalten. Nun aber stritten sie nicht mehr gegen die Heiden, und deshalb könnten auch ihre Privilegien keine Wirkung mehr haben. Die
RTA MR). Bd. 5: Reichstag von Worms 1495. Hg. von Heinz Angermeier. Göttingen 1981, hier Bd. 5,2, S. 1367f. Nr. 1743 (Instruktion, o. D.); Bd. 5,1,1, S. 109ff. Nr. 11 (Bericht an Markgraf Friedrich, 1494 Nov. 15); ebd. S. 112 Nr. 12 (Markgraf Friedrich an König Johann Albrecht, 1494 Nov. 24, Regest). Vgl. zu dieser Gesandtschaft Reinhard Seyboth: Die Markgraftümer Ansbach und Kulmbach unter der Regierung Markgraf Friedrichs des Älteren (1486-1515). Göttingen 1985 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 24), S. 85f.
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Argumentation Watzenrodes war so simpel wie gefahrlich, und sie rührte an das seit langem bestehende Legitimitätsproblem des Deutschen Ordens.« Verwundern mag, daß Bischof Lukas Watzenrode den sogenannten ermländischen Privilegienstreit zu einer Zeit vom Zaun brach, als seine eigene Position eher ungefestigt war. Seit Watzenrodes Bischofswahl im Jahr 1489 gestaltete sich sein Verhältnis zum polnischen Königtum außerordentlich kompliziert, da Kasimir IV. andere personelle Vorstellungen mit dem Bistum gehabt hatte und Johann Albrecht die Politik seines Vaters zunächst fortführte. 43 Der Bischof aber schürte den Konflikt mit dem Deutschen Orden ungeachtet seines angespannten Verhältnisses mit Polen. Und dann kam es sogar zum Ausgleich zwischen Lukas Watzenrode und Johann Albrecht. Im Frühling 1495 fanden in Thorn Verhandlungen zwischen den beiden statt, an deren Ende eine grundsätzliche Aussöhnung stand. Watzenrode sollte sich fortan als ein tatkräftiger Berater und Vertrauter Johann Albrechts erweisen. Vermuten läßt sich, daß der Bischof von Ermland den Privilegienstreit mit dem Deutschen Orden überhaupt mit der Absicht angezettelt hatte, auf diesem Weg die Gunst Polens zu gewinnen. 44 Für Hochmeister Johann von Tiefen und die preußische Deutschordensführung wurde dadurch alles nur noch komplizierter, sahen sie sich doch nun einem sehr geschlossen auftretenden polnisch-ermländischen Bündnis entgegengestellt. 45 Man mußte sogar noch Ärgeres befürchten, denn damals drang die Kunde nach Königsberg, bei den Verhandlungen zwischen König und Bischof sei auch die Podolienfrage erörtert worden. Über seinen obersten Kompan Werner von Drachenfels ließ der Hochmeister dem Meister von Livland im April oder Mai 1495 mitteilen, Bischof Watzenrode und einige Angehörige des ermländischen Domkapitels hätten dem König ihre 42
43 44 45
Zum Ausbruch des ermländischen Privilegienstreites vgl. Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 193ff.; A. Thiel: Das Verhältniß des Bischofs Lucas von Watzelrode zum Deutschen Orden. In: Zeitschrift für die Geschichte und Alterthumskunde Ermlands 1 (1858-60), S. 244-268, 409^59, hier S. 247ff.; Karol Górski: Lukasz Watzenrode. Zycie i dzialalnoáé polityczna (1447-1512) [Lukas Watzenrode. Sein Leben und seine politische Tätigkeit]. Wroclaw u. a. 1973 (Studia Copernicana 10), S. 52ff. - Zur Sonderstellung des Bistums Ermland vgl. Brigitte Poschmann: Bistümer und Deutscher Orden in Preußen 1243-1525. Untersuchung zur Verfassungs- u. Verwaltungsgeschichte des Ordenslandes. In: Zeitschrift für die Geschichte und Altertumskunde Ermlands 90 (1962), S. 227-356, hier besonders S. 229ff.; Andrzej Radzimiñski: Der Deutsche Orden und die Bischöfe und Domkapitel in Preußen. In: Ritterorden und Kirche im Mittelalter. Hg. von Zenon Hubert Nowak. Tonrn 1997 (Ordines militares. Colloquia Torunensia histórica 9), S. 41-59, besonders S. 51, 53. Zur Person Lukas Watzenrodes vgl. hier nur: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648. Ein biographisches Lexikon. Hg. von Erwin Gatz. Berlin 1996, S. 736ff. (Hans-Jürgen Karp), mit weiterer Literatur. Vgl. Hans Schmauch: Der Streit um die Wahl des ermländischen Bischofs Lukas Watzenrode. In: Altpreußische Forschungen 10 (1933), S. 65-101. Vgl. ebd. S. 98f. Zum Folgenden vgl. auch Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 204f.; Biskup: Polska, wie Anm. 37, S. 48f.
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Auffassung von der Unwirksamkeit der Ordensprivilegien nahegebracht. Nach Aussage der Instruktion für den Kompan hätten sie Johann Albrecht aufgefordert, den Deutschen Orden aus Preußen zu vertreiben und nach Podolien zu verlegen, damit er dort gegen die Türken kämpfen könne. 46 Das Unbehagen über den Bischof von Ermland und seine vorgeblichen Podolienpläne scheint noch weitere Kreise im Umfeld der hochmeisterlichen Residenz gezogen zu haben. Dies dokumentiert ein Geschichtswerk, die lateinischsprachige Historia brevis magistrorum Ordinis Theutonici generalium, das in der Zeit um 1500 von einem unbekannten preußischen Geistlichen verfaßt wurde. Lukas Watzenrode wird darin außerordentlich negativ beschrieben. Er sei ein Verräter, zu allen Schandtaten bereit, der Teufel in Person. 47 Der Bischof habe den polnischen König gedrängt, sich die Walachei oder Podolien zu unterwerfen, um den Hochmeister und die Seinen dorthin zu verlegen, Preußen aber für sich in Anspruch zu nehmen. 48 Die Argumentation der Historia brevis gleicht in auffallender Weise jener in der Instruktion für den Kompan Werner von Drachenfels. In Preußen scheint man dies alles sehr ernst genommen zu haben. So bemühte sich der Hochmeister neben seinen ständigen Kontakten mit der römischen Kurie auch um die Unterstützung des deutschen Königs Maximilian I. Dieser trug die Angelegenheit an mehrere Kardinäle weiter und stellte ihnen vor, daß der Bischof von Ermland in Preußen schon lange gegen den Deutschen Orden ar46
47
48
1495 nach April 19, Instruktion für den obersten Kompan Werner v. Drachenfels; hg. LUB II/l, S. 139f. Nr. 181: »Item das mehr ist, meyn gnediger herr hoemeister wirt durch mergliche und warhafftige gute frunde gewarnet, wie der herr von Heilsperg mit etczlichenn thumhermn von der Frauwenburgk in mancherley hinderlistigenn wegenn understeht unserm orden czu schadenn, gebenn dem hemn koninge czu vorstehen, wie unser ordenn gestifft sey widder die unglöubigenn zcu fechtenn, das wir iczt nicht thun, sunder in woltagenn geruget sitzenn, dorumbe der herre koningk unnsemn ordenn usz dieszenn landenn treiben und in die Padolie wedir die Türken weiszen solle, und ander Ursachen unserm orden czu vorunglimpffen fürnympt, die mit der hulff Gotes ine nicht helffen werdenn. Dommb meynem gnedigen herrn hoemeister und unserm orden not ist, hernn und frunde czu besuchen und fruntschafft an allenn endenn zcu halten, das nicht cleyn unkost will heisschenn.« Historia brevis magistrorum Ordinis Theutonici generalium ad Martinum Truchses continuata; hg. von Max Toeppen. In: Scriptores rerum Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. Bd. 4. Leipzig 1870, S. 254-274, hier S. 272: »[...] doctum utique, sed traditorem maximum ex parentela ordini infestissima, virum diabolicum, ad omnia nefandissima opera promptissimum«; »[...] carneus diabolus«. Zum Werk vgl. ebd. S. 254ff.; auch Hartmut Boockmann: Die Geschichtsschreibung des Deutschen Ordens. Gattungsfragen und »Gebrauchssituationen«. In: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter. Hg. von Hans Patze. Sigmaringen 1987 (Vorträge und Forschungen 31), S. 447-469, hier S. 468. Historia brevis, wie Anm. 47, S. 272: »Compulit ipse suasu regem cum quodam diabolico traditore Italo Philippo Calimacho vulgariter nuncupato, quem propter suas traditiones papa ex Italia missum fecit, ut rex Walachiam sive Podoliam armis sibi subjugaret et ordinis magistrum cum suis illic collocaret, vendicata sibi Prussie provincia.«
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beite und das Ordensgebiet unter die Herrschaft des polnischen Königs bringen wolle, wobei dieser als Gegenleistung den Rittern Podolien oder die »Walachia minor«, ein völlig verwüstetes Land, übergeben solle.49 Die Nachricht, daß das Podolienprojekt auch von Lukas Watzenrode betrieben würde, gelangte wohl überhaupt erst im Zusammenhang der Thorner Aussöhnungsverhandlungen zwischen König Johann Albrecht und dem Bischof nach Königsberg. Freilich läßt sich nicht mit letzter Sicherheit erkennen, ob tatsächlich bereits konkrete Pläne zu einer Verpflanzung des Deutschen Ordens in den Südosten geführt wurden oder ob es sich nur um ein leeres Gerücht handelte. Wenn aber die Transferierung des Ordens wirklich in Thorn beraten wurde, so bliebe weiterhin zu fragen, ob es der Bischof war, der diesen Gedanken ins Spiel brachte. Eher glaubhaft erscheint, daß Watzenrode durch Johann Albrecht über dessen mögliche Verpflanzungspläne informiert wurde und der Bischof der polnischen Seite daraufhin seine Unterstützung zusagte. Wie dem auch sei, in jedem Fall hatte sich mit dem König und dem Bischof ein Paar zusammengefunden, dessen politische Ziele sich nunmehr bestens ergänzten und das dem Deutschen Orden dadurch außerordentlich gefährlich werden konnte. Diesen Befürchtungen gab man im Umkreis der preußischen Ordensführung mehrfach Ausdruck. Die dritte Persönlichkeit neben dem polnischen König und dem Bischof von Ermland, die zu jener Zeit das Mißtrauen Johanns von Tiefen erregte, war der Italiener Filippo Buonaccorsi, auf gut Latein Callimachus Experiens. Er hatte sich in Italien einen Ruf als Humanist gemacht, mußte dann aber im Zuge der Maßnahmen Papst Pauls II. gegen die Akademie des Pomponius Laetus seine Heimat verlassen. Callimachus wandte sich 1470 nach Polen, wo er rasch an Ansehen gewann. Er fand Aufnahme am Königshof Kasimirs IV., entwickelte dort Vorstellungen von einer Großmachtpolitik, die Polen in einen im Inneren wie nach außen hin gefestigten Zentralstaat umwandeln sollte, und besorgte im übrigen die Erziehung der Söhne des Königs. Nach der Wahl seines Lieblingsschülers Johann Albrecht zum polnischen König im Jahr 1492 gelangte Callimachus auf den Höhepunkt seines Einflusses in Polen.50 Auch dieser Mann wurde also in Königsberg verdächtigt, sich für eine Versetzung des Deutschen Ordens nach Podolien einzusetzen, wobei er mit Bischof Lukas Watzenrode zusammengearbeitet haben soll. Dies dokumentieren ausdrücklich der Brief des Hoch49
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Regesta imperii. XIV: Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1493-1519. Bd. 1. Bearb. von Hermann Wiesflecker. Wien / Köln 1990, S. 159 Nr. 1481; mit Datierungsansatz »nach Ende März (1495) bis 1497«. Vgl. Biskup: Polska, wie Anm. 37, S. 50. Die Verbindung dieses Schreibens mit der Instruktion für den obersten Kompan Werner von Drachenfels ist aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmungen evident. Zur Person vgl. zuletzt Gioacchino Paparelli: Callimaco Espellente (Filippo Buonaccorsi). Salerno 1971 (Collana umanistica, Testi e saggi 4). Weiterhin die Lexikonartikel in: Dizionario biografico degli italiani. Bd. 15. Roma 1972, S. 78ff. (D. Caccamo); LexMA 2, Sp. 1399f. (W. Rüegg, 1983).
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meistere vom August 1495 sowie die Historia brevis, die den Italiener in ihr Verdikt über Lukas Watzenrode einbezieht. 51 Zweifellos hatte man in der Ordensführung Angst vor dem mächtigen, einflußreichen Berater Johann Albrechts. Doch auch hier läßt sich beim gegenwärtigen Kenntnisstand nicht definitiv aussagen, ob Callimachus tatsächlich Vorstellungen dieser Art nährte. Der in Preußen gehegte Verdacht wirkt durchaus plausibel, aus der polnischen Überlieferung sind allerdings bislang keine einschlägigen Indizien bekanntgeworden, und die Werke des humanistischen Politikers schweigen sich hierüber aus.52 Es sind nur wenige Zeugnisse, die die Befürchtungen der Deutschordensführung hinsichtlich des Podolienproblems in jenen Jahren widerspiegeln, und es läßt sich auf dieser Basis effektiv nicht nachvollziehen, inwieweit jene drei Männer, denen die Ordensbrüder das Schlimmste zutrauten, wirklich in tragender Rolle damit befaßt waren. Plausibel erscheint dies in allen drei Fällen, gesichert aber ist nichts. Kaum ein Zweifel kann allerdings bestehen, daß die Gefahr einer Verlegung des Ordens nach Podolien in Preußen damals als sehr ernst betrachtet wurde. Zwar scheint man es kaum gewagt zu haben, diesen schrecklichen Gedanken deutlicher zu artikulieren, doch unterschwellig dürfte das Problem einige Brisanz besessen haben. Und dann sollte es wieder gegen die Türken gehen. Bereits Anfang 1495 hatte Hochmeister Johann von Tiefen geargwöhnt, König Johann Albrecht werde ihn demnächst zum Türkenkrieg auffordern.53 Konkret wurde die An51
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Zitiert oben S. 151f. und S. 155, Anm. 48. Diese beiden Belege wurden in der einschlägigen Literatur wiederholt behandelt, die persönliche Beteiligung Callimachus' dabei aber vielfach überinterpretiert: Giovanni Ptasnik: Un precursore di Machiavelli in Polonia (Filippo Buonaccorsi, detto Callimaco). In: L'Europa orientale 18 (1938), S. 460-492 (Übersetzung der polnischen Ausgabe von 1922), hier S. 476,486f.; Giorgio Agosti: Un politico italiano alla corte polacca nel secolo XV (Il »Consilium Callimachi«). Torino 1930 (R. Università di Torino, Memorie dell'Istituto giuridico, ser. 2, mem. 9), S. 19f.; Paparelli: Callimaco Espellente, wie Anm. 50, S. 189f. Keine Hinweise auf das Podolienprojekt liefern die wohl 1492 entstandenen Consilia des Callimachus für König Johann Albrecht. Dort ist in c. 31 lediglich von dem Plan die Rede, Johann Albrechts Bruder Friedrich zum Hochmeister des Deutschen Ordens zu machen; hg. von Romuald Wsetecka: Rady Kalimachowe. In: Pamiçtnik sluchaciy Uniwersytetu Jagielloñskiego, wydany staraniem i nakladem mlodziezy akademickiej na uroczystoáó otwarcia »Collegii novi«. Kraków 1887, S. 111-169, hier S. 130: »Fratrem Fridericum propter retinendos Borussos omnem moveto lapidem, ut eis praeficias, praesertim cum constans rumor sit, illos ipsos post mortem magni Magistri certis conditionibus ipsum recipere velie, quibus occupatis conditionibus pro arbitrio uti poteris.« Der Beginn des Textes ist in dieser Form sicher verderbt. Vgl. Agosti: Un politico italiano, wie Anm. 51, S. 22ff.; Paparelli: Callimaco Espellente, wie Anm. 50, S. 184. 1495 Jan. 26, Hochmeister Johann v. Tiefen an den livländischen Meister Wolter v. Plettenberg: »[...] Wo das geschege, künden wir nicht vil gutes dorusz ermessen«; hg. LUB II/l, S. 108 Nr. 135. - Die in der Folgezeit verschiedentlich unternommenen Ansätze im deutschen Reich, den Deutschen Orden zur Abwehr der Türkeneinfälle in Österreich zu beanspruchen, werden hier nicht behandelt. Vgl. aber Lampe: Die europäische Bedeutung, wie Anm. 3, S. 126ff.
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gelegenheit in den ersten Augusttagen des Jahres 1496. Eine Gesandtschaft des Königs brachte mehrere Verhandlungsgegenstände an den Hochmeister. Zentraler Punkt, den die beiden polnischen Vertreter Piotr Myszkowsky und Mats Rabe in Königsberg vorzutragen hatten, war das Ansinnen Johann Albrechts, der Deutsche Orden solle Kriegshilfe leisten, nachdem Polen von Türken und Tataren überfallen worden sei. Als Argumentationsgrundlage diente dem polnischen Königtum wieder einmal die Verbindung aus der Bestimmung des Ordens für den Heidenkampf und seiner Verpflichtung durch den zweiten Thorner Frieden von 1466. Der Hochmeister konnte sich diesem Ansinnen nicht entziehen und erklärte von Anfang an seine grundsätzliche Bereitschaft, sich an die Bestimmungen des Friedens zu halten. 54 Ganz so leicht wollte man es Johann Albrecht allerdings auch wieder nicht machen, und so übte man sich einige Wochen später in einer ausführlicheren Antwort an die beiden polnischen Gesandten recht unverhohlen in Hinhaltetaktik. Trotz einer generellen Zusage, dem König gegen Türken und Tataren beistehen zu wollen, wurden gleich drei Gründe angeführt, warum die Entsendung eines Ordenskontingentes nicht ohne weiteres bewerkstelligt werden könne. Zum einen sei der Deutsche Orden immer noch stark durch den Privilegienstreit mit dem Bischof von Ermland belastet, und die Landstände von Ordenspreußen weigerten sich, den Hochmeister ziehen zu lassen, bevor der Konflikt nicht beigelegt sei. Der König möge sich deshalb selbst darum bemühen, daß Lukas Watzenrode von seinem Vorgehen gegen die Ordensbrüder abläßt und daß die Privilegien des Ordens gewahrt werden. Zum anderen seien die livländischen Ordenslande gerade in jüngster Zeit russischen Angriffen ausgesetzt und bedürften dringend des Schutzes. Zum dritten schließlich brachte man die mehr als fadenscheinige Ausrede vor, daß bei einem Feldzug, wie ihn der König vorsah, kaum auszuräumende Sprachprobleme zwischen polnisch- und deutschsprachigen Teilnehmern auftreten würden. Dabei ließ es der Hochmeister zunächst offen, ob er an der geplanten Expedition persönlich teilnehmen oder sich darauf beschränken wollte, Truppen abzustellen.55 Kurz darauf schickte Johann von sich aus
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1496 Aug. 2, Antwort Hochmeister Johanns v. Tiefen auf den Vortrag der polnischen Gesandtschaft; OF 18 c, fol. 9(^-91r. Hier fol. 91r die Forderung König Johann Albrechts betreffs des Feldzuges: »[...] wie seyn ko. gnade wirt gewarnet von swerem obirfall der Türken und Tattern, fordert uns, nachdeme wir ordenshalben und ouch uß pflicht des ewigen frieden schuldig seyn, hulff zu thun wedir die unglewbigen, wir uns dorinn sollen gutwillig beweißen.« - Weitergabe der Information über die Kriegsforderung durch Hochmeister Johann v. Tiefen: 1496 Aug. 12, an den Generalprokurator in Rom; OF 18 b, fol. 183r/v. 1496 Aug. 16, an den Komtur von Osterode; ebd. fol. 184r. 1496 Aug. 29, neuerliche Antwort Hochmeister Johanns v. Tiefen an die polnische Gesandtschaft, nach Konsultierung der ordenspreußischen Bischöfe und Landstände; hg. von Toeppen: Ständetage 5, wie Anm. 18, S. 420ff. Nr. 145; Regest Lewicki: Codex epistolaris 3, wie Anm. 35, S. 434 Nr. 418; Regest Erich Weise: Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert.
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eine Gesandtschaft an den polnischen Königshof, die seine Haltung noch einmal in aller Ausführlichkeit vortrug. Freilich stießen die Vertreter des Deutschen Ordens mit ihrer Argumentation dort nur auf wenig Verständnis. König Johann Albrecht wischte alle ihre Bedenken höflich, aber bestimmt beiseite und beharrte auf seiner Forderung. 56 Das Problem der russischen Einfalle in Livland war sicher das schlagendste Argument, das die Ordensführung der Forderung König Johann Albrechts entgegenhalten konnte. 57 Tatsächlich sah sich der livländische Ordenszweig gerade in jüngster Zeit einer Reihe von Bedrohungen durch das Großfürstentum Moskau ausgesetzt. Seitdem Großfürst Iwan III. 1478 die Handelsrepublik Nowgorod endgültig zerschlagen und seinem Reich einverleibt hatte, standen die Russen den Ordensrittern auf der ganzen Länge der livländischen Ostgrenze direkt gegenüber. Zu Beginn der 90er Jahre schien Iwan seine Fühler noch weiter nach Westen in Richtung Ostsee ausstrecken zu wollen. Als Zeichen hierfür konnte die Gründung der russischen Festung Iwangorod an der Südküste des Finnischen Meerbusens, in unmittelbarer Nachbarschaft der livländischen Grenzstadt Narwa, im Jahr 1492 gewertet werden, denn sie mußte als ein Brückenkopf gegen das zum Königreich Schweden gehörige Finnland und auch gegen Livland erscheinen. Der seit 1494 amtierende livländische Meister des Deutschen Ordens, Wolter von Plettenberg, begann schon kurz nach seinem Regierungsantritt mit militärischen Rüstungen, um einem etwaigen Einfall der Russen in sein Land zu begegnen. Zu umfassenderen Kampfhandlungen kam es allerdings nicht. Überhaupt dürfte die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung zwischen dem Großfürsten und dem livländischen Ordenszweig damals
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Bd. 3: 1467-1497. Marburg 1966, S. 163f. Nr. 511. Vgl. Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 213f.; Biskup: Polska, wie Anm. 37, S. 56f. 1496 Sept. 8-Okt. 18, Materialien zur Gesandtschaft des Pflegers von Orteisburg und des Magisters Albert Spirau zu König Johann Albrecht (Vortrag der Gesandten am 15. Okt., Antwort des Königs am 18. Okt.); OF 18 c, fol. 84 r -86 r ; Regest Lewicki: Codex epistolaris 3, wie Anm. 35, S. 435 Nr. 419. Dazu lateinische Fassung der Antwort des Königs an die Gesandten; OF 18 c, fol. 88r/v. Vgl. Biskup: Polska, wie Anm. 37, S. 57. - Auch danach Korrespondenz Hochmeister Johanns v. Tiefen wegen der Kriegsforderung: 1496 Okt. 15, an den Generalprokurator in Rom; hg. LUB II/l, S. 312f. Nr. 429. 1496 Nov. 6, an König Maximilian I.; Auszug hg. ebd. S. 321f. Nr. 443; Regest RTA MR. Bd. 6: Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 1496-1498. Hg. von Heinz Gollwitzer. Göttingen 1979, S. 215f. Nr. 137. 1496 Nov. 25, an den Generalprokurator in Rom; OF 18 b, fol. 321Γ-323Γ. 1496 Nov. 29, an den Deutschmeister; hg. LUB II/l, S. 325ff. Nr. 448. Besonders deutlich in der Instruktion für die beiden preußischen Gesandten von 1496 Sept. 8; hier OF 18 c, fol. 84r/v: »Und wirth angelanget, die lande Leifflandt vor den ungelobigen, abgesünderten Rewßen und Moschkowiten zu entsetzen, die das gantz jar stargk an den grentzn gelegen, den cristlichn landen großn schaden gethan und noch aldo legen, keyns gutten willen haben. Dorzii seine gnade mitt hülff orden halben als ein obirster ouch vorphlicht ist. Kan e. ko. ma.' wol erkennen, ßo es dorzü qwem und die not an den enden fordert, zweier tode obil sterben künde.«
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nicht so gravierend gewesen sein, wie dies von Seiten der Ordensoberen immer wieder konstatiert wurde. Von einer ausgesprochenen Ostseeorientierung Iwans III., die Livland in seiner Existenz bedroht hätte, kann man für jene Zeit wohl nicht sprechen.58 Die Situation spitzte sich allerdings zu, als Ende August 1496 - die polnische Gesandtschaft befand sich noch an der Residenz des Hochmeisters in Königsberg - der schwedische Reichsverweser Sten Sture, von Finnland kommend, mit einem mächtigen Heeresaufgebot die gerade erst erbaute Festung Iwangorod eroberte und zerstörte. Zwar blieb das schwedische Unternehmen nur eine Episode, doch äußerte man nun in Königsberg die Befürchtung, Großfürst Iwan werde dadurch erst richtig gegen die livländische Ordensherrschaft aufgebracht. Wolter von Plettenberg wie auch Johann von Tiefen setzten deshalb ihren diplomatischen Apparat in Gang. Der Hochmeister bemühte sich in besonderem Maße um Hilfe aus dem deutschen Reich und wandte sich an König Maximilian, an die Herzöge von Pommern und Mecklenburg sowie an diverse Hansestädte im Ostseeraum. Besonderen Nachdruck suchte man den Schreiben nach Deutschland zu verleihen, indem man die Russen - wie auch schon früher geschehen - ihrer Zugehörigkeit zur Ostkirche wegen als Schismatiker und damit als Ungläubige brandmarkte. Jetzt galt es vorgeblich, den »abgesunderten grawsamen fienden der cristenheit« Widerstand zu leisten, die Christenlande vor dieser Gefahr zu beschützen. Lübeck und einige weitere Hansestädte sagten daraufhin zu, zur Rettung des christlichen Livlands das Kreuz gegen die Russen predigen zu lassen.59 Im April des folgenden Jahres traf in Königsberg eine weitere polnische Gesandtschaft ein, die von Zygmunt Targowicki angeführt wurde. Jetzt richtete König Johann Albrecht konkrete Forderungen an den Deutschen Orden 58
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Vgl. Elke Wimmer: Die Rußlandpolitik Wolters von Plettenberg. In: Wolter von Plettenberg. Der größte Ordensmeister Livlands. Hg. von Norbert Angermann. Lüneburg 1985 (Schriftenreihe Nordost-Archiv 21), S. 71-99, hier besonders S. 76ff. In diesem Sinne auch Erik Tiberg: Moskau, Livland und die Hanse 1487-1547. In: Hansische Geschichtsblätter 93 (1975), S. 13-70, hier besonders S. 14ff., der die von der russischen und sowjetischen Forschung vielfach vertretene »Barrieretheorie«, nach der Livland dem Großfürstentum Moskau den Zugang zur Ostsee versperrt hätte, zu widerlegen sucht. Eine unmittelbare Bedrohung Livlands durch das Streben Iwans III. nach der Ostseeküste konstatiert die ältere deutsche Literatur: Wilhelm Lenz: Die auswärtige Politik des livländischen Ordensmeisters Walter von Plettenberg bis 1510. Diss. Tübingen 1928, hier besonders S. 5f.; Ruth Kentmann: Livland im russisch-litauischen Konflikt. Die Grundlegung seiner Neutralitätspolitik. 1494-1514. Diss. Marburg 1929, hier besonders S. 7. Dazu 1496 Sept. 22, Hochmeister Johann v. Tiefen an den (sich in Deutschland aufhaltenden) Komtur von Osterode; hg. LUB II/l, S. 295ff. Nr. 411. Hier ein Verdikt über die Russen, »die der heiigen cristenheit nicht uffhören schaden zcu thun und alleyne in dem blutvergiessen der cristenmenschen und die in ire eigenschafft zcu brengen, vermeynen gesetiget czu werden«. Mit ähnlichen Inhalten 1496 Sept. 22, ders. an den Landkomtur des Elsaß; hg. ebd. S. 297f. Nr. 412.
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und drängte auf Eile. Nachdem der Waffenstillstand zwischen ihm und den Türken abgelaufen sei, hätten diese mit einer großen Streitmacht die Donau überquert und machten sich daran, seinen Herrschaftsbereich anzugreifen. Johann von Tiefen wurde aufgefordert, persönlich zusammen mit dem König und den polnischen Großen ins Feld zu ziehen und sich hierfür mit seinen Truppen bis Trinitatis, dem 20. Mai 1497, in Gliniany nahe Lemberg einzufinden. Auch in diesem Fall wurde der Deutsche Orden nach dem Wortlaut des Thorner Friedens von 1466 sowie angesichts der Not der Christenheit und somit aufgrund der Verpflichtung der Ritter zum Heidenkampf zur Waffenhilfe aufgerufen. 60 Johann von Tiefen scheint ohne lange Bedenkzeit in die Aufstellung eines Ordenskontingentes eingewilligt zu haben. Er stellte dem polnischen Gesandten zwar einige Vorbehalte hinsichtlich der unverzüglichen Durchführbarkeit des Unternehmens dar - der Termin sei zu knapp, Marschroute und Versorgung seien nicht gesichert - , Grundsätzliches hatte er aber nicht entgegenzuhalten. Wenn es die Not erfordere, werde er nach seinem Vermögen und nach dem Inhalt des Ewigen Friedens gegen die Türken und die Feinde des heiligen Glaubens Hilfe leisten, dies ließ Johann dem König mitteilen. 61 Der Hochmeister gab damit nach und machte zugleich deutlich, daß er die polnische Forderung mit ihrer Begründung für rechtmäßig erachtete. Jetzt mußte es allen klar werden. Der Deutsche Orden würde mit einem Truppenaufgebot an dem Türkenkrieg Johann Albrechts mitwirken und der Hochmeister - ungeachtet seines hohen Alters und seiner körperlichen Hinfälligkeit - an dem weiten Zug persönlich teilnehmen. Am 24. Mai 1497, unmittelbar vor dem Aufbruch des Ordensaufgebotes nach Süden, richtete der Hochmeister an den deutschen König Maximilian I. ein Schreiben, in dem er die augenblickliche Lage aus seiner Sicht darstellte. Johann von Tiefen betont in diesem Brief die schwierige Situation Livlands, das seit Jahren fortwährend Einfalle der »abgesünderten ungloubigen Rewszen« zu erleiden habe. Diese hätten es darauf abgesehen, die Christenheit in Livland zu schwächen und zu schädigen, während er selbst und die preußischen Ordensoberen verpflichtet seien, den Ungläubigen dort Widerstand zu leisten. Nun aber werde er auch noch vom pol60
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1497 Apr. 24/25, Protokoll der Verhandlungen mit der polnischen Gesandtschaft; OF 18 c, fol. 92 r/v ; Regest Lewicki: Codex epistolaris 3, wie Anm. 35, S. 441 Nr. 424; Regest Weise: Staatsverträge 3, wie Anm. 55, S. 164 Nr. 512, in der Dokumentenbeschreibung. O. D„ schriftliche Fassung der Ausführungen des polnischen Gesandten Zygmunt Targowicki; OF 18 c, fol. 95r. Vgl. Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 222; Biskup: Polska, wie Anm. 37, S. 59f. O. D., Antwort Hochmeister Johanns v. Tiefen an die polnische Gesandtschaft; OF 18 c, fol. 46 r/v (deutsche Fassung), fol. 47 v (lateinische Fassung). - In der Folgezeit mehrfach Aufforderung durch den Hochmeister, den Feldzug finanziell zu unterstützen: 1497 Mai 26, an die Landkomture (der dem Hochmeister direkt unterstehenden Kammerballeien) von Österreich, Etsch und Elsaß; hg. LUB IL/1, S. 392 Nr. 536. 1497 Mai 31, an den Deutschmeister; hg. ebd. S. 394 Nr. 539. 1497 Mai 31, an den Meister von Livland; hg. ebd. S. 394f. Nr. 540 (allgemein gehaltene Bitte um »hulffe«).
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nischen König gegen die ungläubigen Türken gefordert und müsse aufgrund der generellen Verpflichtung seines Ordens sowie des Thorner Friedens darauf eingehen. Zur Finanzierung beider Kriege habe Johann die Ordenshäuser in Preußen und im deutschen Reich besteuern müssen. Weil er nun aber erfahren habe, daß Maximilian auch seinerseits eine Steuer in Deutschland angeordnet hat, bittet er ihn, die vier allein dem Hochmeister unterstehenden Kammerballeien Etsch, Österreich, Elsaß und Koblenz hiervon auszunehmen. Dann könne er mit deren Hilfe der Verpflichtung des Deutschen Ordens nachkommen und die Christenheit gegen die ungläubigen Türken wie auch die schismatischen Russen verteidigen.62 Johann von Tiefen hatte mittlerweile auch den letzten schwachen Widerstand gegenüber der polnischen Seite aufgegeben. Der Hochmeister scheint keine Möglichkeit mehr gesehen zu haben, König Johann Albrecht noch länger hinzuhalten. Die Bindungen des Deutschen Ordens an Polen waren zu eng, als daß er sich dem Hilfeersuchen weiter hätte entziehen können. Wie schon Hochmeister Martin Truchseß von Wetzhausen zwölf Jahre zuvor mußte sich nun auch Johann von Tiefen auf einen Feldzug gegen die Türken einstellen. Doch dürfte Johann in dem erwarteten Türkenkrieg mittlerweile auch eine Chance gesehen haben. Das Unternehmen eröffnete den Ordensrittern immerhin die Gelegenheit, sich als tatkräftige Kämpfer gegen die Ungläubigen zu präsentieren. Recht eindrücklich dokumentiert diese Haltung das Schreiben des Hochmeisters an den deutschen König, in dem nicht nur die Bereitschaft des Ordens zum Türkenkrieg betont wird, sondern auch seine Verpflichtung zum Kampf gegen die angeblich schismatischen und damit ungläubigen Russen. Explizit wird hier ein Junktim zwischen Türken- und Russenfrage hergestellt. Der ganze Brief erweckt damit den Eindruck, der Deutsche Orden sei ausschließlich mit dem Heidenkampf beschäftigt und müsse hierfür alle seine Kräfte zusammenfassen. Vor den Augen des Lesers entsteht das Bild von einer funktionstüchtigen Gemeinschaft, die den Krieg gegen die Ungläubigen an mehreren Fronten führt und damit ihrer vornehmlichen Stiftungsaufgabe in vollem Umfang nachkommt. Jetzt wehrte man sich nicht mehr gegen die polnische Kriegsforderung, sondern man nahm sie zum Anlaß, die Welt von der eigenen Daseinsberechtigung zu überzeugen. 62
1497 Mai 26, Hochmeister Johann v. Tiefen an König Maximilian I.; hg. LUB II/l, S. 390f. Nr. 535; Regest Klemens Wieser: Nordosteuropa und der Deutsche Orden. Kurzregesten. Bd. 1: bis 1561. Bonn-Bad Godesberg 1969 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 17), S. 28 Nr. 130, S. 29 Nr. 132; Regest RTA MR 6, S. 392 Nr. 25 a (nach dem Original im HHStA Wien, mit Datum Mai 24). Vgl. Biskup: Polska, wie Anm. 37, S. 60. - Gegen die Besteuerung der Kammerballeien durch Maximilian I. wenden sich mit sehr ähnlicher Argumentation auch zwei undatierte Schreiben des Hochmeister-Statthalters Wilhelm von Isenburg wahrscheinlich von 1497 Okt./Nov.: An den Deutschmeister; hg. LUB Uli, S. 432f. Nr. 599. An den Landkomtur an der Etsch; OF 18 b, fol. 355'.
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Die Kenntnis über den nun folgenden Feldzug ist außerordentlich gut, da Liborius Naker, der Sekretär des Hochmeisters, einen tagebuchartigen Reisebericht hinterlassen hat, in dem die Ereignisse kontinuierlich und mit vielen interessanten Details festgehalten wurden.63 Bereits am 1. Juni 1497 machte sich ein recht ansehnliches Ritterheer mit 400 Pferden64 aus Königsberg auf den weiten Weg nach Süden. Doch stand die Expedition von Beginn an unter einem unglücklichen Stern. Bald schon ergaben sich Versorgungsschwierigkeiten. Der König zeigte sich nicht bereit, Abhilfe zu schaffen, so daß der Hochmeister die Landstände Ordenspreußens mit der Bitte um finanzielle Unterstützung angehen mußte.65 Im übrigen begleitete den ganzen Zug eine Kette von Mißgeschicken und Unannehmlichkeiten, die die Stimmung der Ordensritter nicht eben aufhellten. Über Warschau und Lublin gelangte das Aufgebot nach Lemberg und zog danach weiter bis in die Nähe der Stadt Halicz am Dnjestr. Dort traf man zwar nicht auf den polnischen König und sein angeblich 80 000 Mann umfassendes Heer, der Hochmeister erhielt aber Anweisung, sich zur Verfügung zu halten. In der folgenden Zeit erreichten die Ritter mehrfach Gerüchte vom Vorrücken der Türken bis in ihre Nähe, doch zu militärischen Auseinandersetzungen kam es zunächst noch nicht. Die ohnehin schon angespannte Situation wurde noch problematischer, als Hochmeister Johann von Tiefen an der Ruhr erkrankte und dabei immer schwächer wurde. An Genesung war bald nicht mehr zu denken. Mitte August verließ dann der Komtur von Osterode, Ludwig von Seinsheim, mit einem Teil des Aufgebotes das Feldlager bei Halicz und begab sich zu dem nicht weit entfernten polnischen Hauptkontingent, um von dort aus zusammen mit König Johann Albrecht gegen die
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Max Toeppen (Hg.): Liborius Naker's Tagebuch über den Kriegszug des Hochmeisters Johann von Tiefen gegen die Türken im Jahre 1497. In: Scriptores rerum Prussicarum. Die Geschichtsquellen der preußischen Vorzeit bis zum Untergange der Ordensherrschaft. Bd. 5. Leipzig 1874, S. 289-314. Zur Person Liborius Nakers vgl. Thumser: Schriftlichkeit, wie Anm. 28; zum Kriegstagebuch ebd. S. 190ff. Die Ereignisse schildern auf der Grundlage von Nakers Kriegstagebuch Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 224ff.; Caro: Geschichte Polens 5,2, wie Anm. 12, S. 741ff. Auf eine ausführliche Darstellung des Feldzuges muß an dieser Stelle verzichtet werden. Tagebuch, hg. von Toeppen, wie Anm. 63, S. 291: »Summa in all gut und bösz IIIIC mit reiszige und wagnpferde [Edition: waynpferde].« 1497 Mai 31, wie Anm. 61, erklärt Hochmeister Johann v. Tiefen gegenüber dem Meister von Livland, er werde den Zug mit 200 reisigen Pferden und 44 Fußknechten antreten. Die Versammlung der Landstände betreffen folgende Stücke: 1497 Juni 20, Hochmeister-Statthalter Wilhelm v. Isenburg an die Komture von Balga bzw. von Rhein; OBA 17981 (2 Konzepte). 1497 Juni 27, Lublin, Hochmeister Johann v. Tiefen an Hochmeister-Statthalter Wilhelm v. Isenburg; OF 18 b, fol. 341 r/v . 1497 Juli 2, Biskupice, ders. an dens.; Tagebuch, hg. von Toeppen, wie Anm. 63, S. 293. 1497 Juli 2, Biskupice, ders. an den obersten Marschall Erasmus v. Reitzenstein und alle anderen Gebietiger in Preußen; OBA 17983. 1497 Juli 26, 2 Steuerentwürfe der Landstände; hg. von Toeppen, Ständetage 5, wie Anm. 18, S. 422ff. Nr. 147/148.
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Türken zu ziehen.66 Johann von Tiefen aber verstarb am 25. August in Lemberg, wohin man ihn kurz vorher aus Halicz gebracht hatte. Der bei ihm verbliebene Rest des Ordensaufgebotes brach daraufhin die Expedition ab und zog mit dem Leichnam zurück nach Königsberg. Als diejenige Person im Expeditionskorps, die in ganz besonderem Maße gewillt war, den Heidenkampf zu führen, erweist sich in der Erzählung Liborius Nakers Hochmeister Johann von Tiefen. Vor allem nach seiner Erkrankung, als man nicht so recht wußte, wie man sich verhalten sollte, erklärte Johann fast schon halsstarrig, er wolle ausharren und gegen die Türken kämpfen. 67 Als später die Komture von Holland und Osterode, Simon von Drahe und Ludwig von Seinsheim, die beiden wichtigsten ritterlichen Würdenträger im Aufgebot, zum Rückzug nach Preußen rieten, wurde der sonst als so gütig beschriebene Hochmeister sogar barsch und verbat sich ihre Einwände.68 Dann aber ging es dem Hochmeister immer schlechter, und vornehmlich auf Betreiben der beiden Komture wurde doch noch eine andere Linie eingeschlagen. Zum zentralen Punkt in der Argumentation gegenüber dem polnischen König entwickelte sich nun das Rußlandargument. Bereits Ende Juli 1497 hatte Ludwig von Seinsheim anläßlich einer Gesandtschaft zu König Johann Albrecht der polnischen Seite vorgetragen, der Hochmeister sehe sich auch ohne die Bestimmungen des Thorner Friedens verantwortlich für das Wohl der Christenheit. In diesem Zusammenhang hatte Ludwig ausdrücklich die Bedrohung Livlands durch die »abgesunderten Russen usz der Muskow« ins Spiel gebracht. Vermutlich ging er dabei weitgehend eigenmächtig, ohne Rücksichten auf die Interessen des Hochmeisters vor, denn Naker bemerkt in seinem Kriegstagebuch, der Komtur sei in diesem Punkt von seiner Instruktion abgewichen.69 Einige Wochen später - der Hochmeister lag gerade im Sterben - traf im Lager bei Halicz eine Gesandtschaft aus Livland ein, die von schlimmen Einfallen der Russen in das Ordensland berichtet haben soll.70 Der reale Hintergrund dieser Schreckensnachricht dürfte sich weit harmloser ausgenommen haben. Zwar waren im Juni 1497 66
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Nach Auskunft des Tagebuches, hg. von Toeppen, wie Anm. 63, S. 306, umfaßte das Teilaufgebot »hundirt und XL reiszige pferde wol gerust mit gutem hämisch, IUI gelederte hengste und funffczig wagenpferde und mehr«. Dazu auch die Instruktion für den Komtur von Osterode zum Vortrag bei König Johann Albrecht; OF 18 c, fol. 97'/v. Tagebuch, hg. von Toeppen, wie Anm. 63, S. 299: »Abir des forsten gemute was alczeit wedir die Türken zcu fechten, das mehr dem aider wart zcugeschrieben.« Ebd. S. 302. Zu Simon v. Drahe vgl. Altpreußische Biographie. Hg. von Christian Krollmann, fortgeführt von Kurt Forstreuter u. Fritz Gause, fortgeführt von Emst Bahr u. Gerd Brausch. 4 Bde. Königsberg/Pr., Marburg 1941-95, hier Bd. 1, S. 150f. (Crome). Tagebuch, hg. von Toeppen, wie Anm. 63, S. 297: »Diszen artikell hot der compthur und sendebote nicht furbrocht, wie her in seynen gewerben was begriffen, sunder also wie nachfolgt [...]« Ebd. S. 308.
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tatsächlich russische Truppen nahe der Grenze aufmarschiert, eine unmittelbare Gefahr für Livland bestand aber wohl nicht. 71 Doch der Komtur von Holland, Simon von Drahe, nahm diese Neuigkeiten zum Anlaß, dem polnischen König in sicher übertriebener Weise die Notwendigkeit vorzustellen, daß das gesamte Ordenskontingent umkehren müsse, um den Heidenkampf in Livland fortzuführen. Simon wandte sich hierfür schriftlich an den mittlerweile mit dem abgestellten Heeresteil beim König angelangten Komtur von Osterode. 72 Ein ähnlich lautendes Schreiben des Hochmeisters an den König datiert unmittelbar vor dessen Tod. Es erscheint kaum glaubhaft, daß Johann von Tiefen in seinem siechen Zustand zu diesem Brief selbst noch viel beigetragen hat. 73 Unmittelbar nachdem Johann gestorben war, wandte sich der Komtur von Holland an Johann Albrecht, unterrichtete ihn von dem traurigen Ereignis und bat um die Freistellung des gesamten Heeres zum Zweck der Verteidigung der Christenlande Livland. 74 Auffallend ist nur, daß in einem weiteren Schreiben Simons vom selben Tag, durch das er Wilhelm von Isenburg, den in Königsberg verbliebenen Statthalter des Hochmeisters, vom Ableben ihres Oberen informierte, von den angeblich so schrecklichen Ereignissen in Livland überhaupt keine Rede ist.75 Es entsteht der Eindruck, daß Johann von Tiefen im Vorfeld des Kriegszuges die Entscheidung, den Forderungen des polnischen Königs zu entsprechen, weitgehend alleine getragen und Einwände von Seiten der Gebietiger dabei möglicherweise übergangen hatte. Nun aber wurde für die beiden Komture von Holland und Osterode, die bei fortschreitender Krankheit und nach dem Tod des Hochmeisters die Führungsfunktionen weitgehend an sich zogen, die Rußlandfrage zum Hebel, mit dem das Expeditionskorps aus dem unmittelbaren Zugriff des polnischen Königs befreit und der Feldzug, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte, schon wieder beendet werden sollte. Das erklärte Ziel des Hochmeisters, zusammen mit Johann Albrecht den Heidenkampf gegen die Türken zu führen, wollten die Komture nicht weiter verfolgen. Statt dessen betonten sie nachhaltig die Notwendigkeit eines Krieges gegen die schismatischen Russen, wobei die momentane 71 Dazu hg. LUB II/l, S. 402ff. Nr. 549-551, 555, 557-558. 1497 Juli 4 erklärt der Meister von Livland der Stadt Reval, daß ein russischer Angriff voraussichtlich nicht bevorstehe, und ordnet die Aufhebung der militärischen Gegenmaßnahmen an; hg. ebd. S. 410 Nr. 561. 72 1497 Aug. 22, Lemberg, Komtur von Holland an Komtur von Osterode; Tagebuch, hg. von Toeppen, wie Anm. 63, S. 308: »[...] ir mit den dynern und guten lewten möcht von seynen kön. g. orlob erlangen, angesehen, was der cristenheit und unserm orden an den enden der ungloubigen Rewszen ferlikeith vor ougen heldet«. 73 1497 Aug. 24 oder 25, Lemberg, Hochmeister Johann v. Tiefen an König Johann Albrecht; hg. ebd. S. 308f.; hg. LUB II/l, S. 418f. Nr. 577. 74 1497 Aug. 26, Lemberg, Komtur von Holland an König Johann Albrecht; Tagebuch, hg. von Toeppen, wie Anm. 63, S. 309f. 75 1497 Aug. 26, Lemberg, ders. an Hochmeister-Statthalter Wilhelm v. Isenburg; OF 18 c, fol. 48 v .
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Gefahr für Livland maßlos übertrieben worden sein dürfte. Ihre Rechnung ging nicht voll auf. Zwar konnte sich die beim Hochmeister verbliebene Mannschaft nach dessen Tod von Lemberg aus auf den Heimweg machen, doch Ludwig von Seinsheim mußte mit seinen Ordenstruppen beim Heer des Königs bleiben. Die argumentative Wende im Heidenkampf hatte neben den zu vermutenden Unstimmigkeiten zwischen dem Hochmeister und den beiden Komturen auch noch handfestere Gründe. Im Feldlager bei Halicz drangen Gerüchte an das Ordensaufgebot, daß König Johann Albrecht sein Heer unter Einschluß der Ritter des Deutschen Ordens nicht nur gegen die Türken, sondern auch gegen den moldawischen Fürsten Stefan den Großen, der mit dem Sultan ein Bündnis eingegangen sei, führen wolle.76 Ob der König damals tatsächlich eine Kehrtwendung vollzog, ob er vielleicht von vornherein beabsichtigt hatte, den Türkenzug in einen Krieg gegen die christliche Moldau einmünden zu lassen, um den ihm seit langem unbequemen Fürsten Stefan zu beseitigen, ist bis heute nicht abschließend geklärt.77 Für den Tagebuchschreiber Liborius Naker - und damit wohl auch für weite Kreise im Ordenskontingent - war der Fall jedoch eindeutig. Hochmeister Johann von Tiefen habe sich ungeachtet seines hohen Alters darum bemüht, den Bestimmungen des Thorner Friedens wie auch der Stiftungsaufgabe des Deutschen Ordens zu entsprechen, und deshalb den weiten Zug unternommen. Dann aber habe sich herausgestellt, daß man von Johann Albrecht auf betrügliche Weise gefordert worden sei, denn der Hochmeister habe auch nicht einen Türken zu Gesicht bekommen. Der König, so weiter Liborius Naker, habe es allein darauf abgesehen, Fürst Stefan aus seinem Land zu vertreiben und dort seinen Bruder Sigmund einzusetzen.78 Man fühlte sich vom polnischen König betrogen, der die Ordensoberen durch sein herablassendes, allen ritterlichen Regeln widersprechendes Verhalten auch noch mehrfach brüskiert hatte. Die Polen wurden für alles Ungemach verantwortlich gemacht. 79 Dabei führt Nakers Kriegstagebuch trotz der vielfachen Betonung der alten Ordensherrlichkèit mit ihren repräsentiven Formen - vornehmlich das völlige Scheitern des Unternehmens vor 76 77
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Tagebuch, zu 1497 Aug. 18, hg. von Toeppen, wie Anm. 63, S. 306f. Vgl. hier nur Handbuch der europäischen Geschichte. Hg. von Theodor Schieder. Bd. 3: Die Entstehung des neuzeitlichen Europa. Hg. von Josef Engel. Stuttgart 1971, S. 1015 mit S. 1020 Anm. 27. Tagebuch, hg. von Toeppen, wie Anm. 63, S. 31 lf. Ähnlich in einem undatierten Schreiben Liborius Nakers an einen unbekannten Empfänger (wie unten Anm. 81). - Naker verweist in seinem Tagebuch, S. 312 u. 313, auf eine Rechtfertigungsschrift des polnischen Königs gegenüber seinem Bruder, dem ungarischen König Wladislaw II. Sie ist heute getrennt von dem Tagebuch in einer lateinischen und einer deutschen Fassung überliefert: OF 18 c, fol. 39 r -40 v , 41 r -43 r . Vgl. A. Lewicki: König Johann Albrechts Bericht über den Feldzug von 1497. In: Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Krakau 1892, S. 334-337. Vgl. Thumser: Schriftlichkeit, wie Anm. 28, S. 198f.
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und artikuliert zumindest implizit die grundsätzliche Unmöglichkeit einer Führung des Heidenkampfes auf diesem Terrain. Man war ja nun dort, wohin der Deutsche Orden verschiedentlich schon verlegt werden sollte, nahezu angelangt. Podolien war nicht mehr weit. Doch da war kein Krieg gegen die Heiden zu führen, nicht in dieser Gegend, nicht mit diesem König und nicht unter diesen Verhältnissen; dies ist unausgesprochen eine der zentralen Aussagen im Kriegstagebuch des hochmeisterlichen Sekretärs Liborius Naker. Noch weiteres Unheil brach über den Deutschen Orden herein, nachdem der Leichnam Hochmeister Johanns von Tiefen bereits nach Königsberg zurückgeführt und dort bestattet worden war. Das von Halicz aus zum polnischen König abgestellte Ordenskontingent unter Leitung des Komturs Ludwig von Seinsheim mußte bald mit ansehen, wie Johann Albrecht die ursprüngliche Zielrichtung seines Feldzuges völlig aufgab und seine Truppen nicht mehr gegen die Türken, sondern tatsächlich gegen den moldawischen Fürsten Stefan den Großen führte. Der König belagerte Stefan in seiner Hauptstadt Suceava, hatte dabei allerdings keinen Erfolg. Auf dem Rückzug wurde das polnische Heer am 26. Oktober 1497 in der Bukowina zusammen mit den Ordensrittern von einem alliierten Aufgebot aus Moldawiern, Türken und Ungarn schwer geschlagen. Fürst Stefan war ein Bündnis mit dem osmanischen Sultan Bajezid II. eingegangen, um einer drohenden Unterwerfung durch den König von Polen zu entgehen. Gegenüber diesem Zusammenschluß konnte Johann Albrecht nicht bestehen und mußte seine hochfliegenden Pläne ein für allemal aufgeben. Wie die Polen hatte auch der Deutsche Orden bei den Kämpfen in der Bukowina bittere Verluste hinzunehmen. Der Feldzug war für ihn damit endgültig zu einem Fiasko geworden.80 Die Führung des Deutschen Ordens in Königsberg aber zog aus der Niederlage erste Konsequenzen, noch bevor man zur Wahl eines neuen Hochmeisters schritt. Sie paßte ihre Argumentation der veränderten Lage an, indem sie noch stärker auf die doppelte Bedrohung durch Türken und Russen hinwies, dabei die Bestimmung des Ordens für den Heidenkampf herausstellte, als vornehmlichen Einsatzraum nun aber dezidiert die Ordenslande an der Ostsee benannte. Wohl noch vor Eintreffen der Nachricht aus der Bukowina hatte der hochmeisterliche Sekretär Liborius Naker gegenüber einem unbekannten Empfänger seine Befürchtungen geäußert, die Türken würden durch das aggressive Vorgehen König Johann Albrechts in der Moldau erst richtig gereizt, so daß jetzt auch Preußen und die angrenzenden Gebiete gefährdet seien.81 Diese Einstellung hielt sich auch noch später in80 81
Vgl. Papée: Jan Olbracht, wie Anm. 39, S. 146ff. Hg. von Weise: Staatsverträge 3, wie Anm. 55, S. 164f. Nr. 512: »[...] Pro salute christianitatis orandum est. Quomodo autem terra Prussie et circumiacentes incrementum spedare possunt, ex his, que mitto, vobis procurantibus, facile est
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nerhalb der preußischen Ordensführung. So legte Hochmeister-Statthalter Wilhelm von Isenburg, nachdem man von der Niederlage in der Bukowina erfahren hatte, um die Jahreswende 1497/98 seine Haltung zu der neuen Situation in einer ganzen Reihe von Briefen dar, die jeweils mit der Bitte um Hilfe für das Ordensgebiet im Ostseeraum verbunden waren.82 »Uß wemütiger und der cristenheit erschrecklichen geschichten« bewegt, wendet sich Wilhelm von Isenburg an die Erzbischöfe von Köln und Trier, um sie über das Unglück, das den Deutschen Orden getroffen hatte, zu unterrichten. Angesichts der militärischen Niederlage verleiht nun auch er der Sorge Ausdruck, daß die Türken dadurch aufgereizt worden seien und beabsichtigten, der Christenheit weiteren Schaden zuzufügen. Jetzt stehe zu befürchten, die Türken könnten ohne großen Widerstand durch das ebene Land bis nach Krakau und an die Weichsel vorstoßen. Der Deutsche Orden aber habe gleichzeitig in Preußen und in Livland den Kampf gegen die Ungläubigen zu führen, nämlich gegen die »abgesunderten Rewßen in der Muschkow« und gegen die Türken. 83 Noch drastischer nimmt sich ein Brief Wilhelms an einen nicht näher bezeichneten deutschen Fürsten aus, in dem geargwöhnt wird, daß die Türken außer Polen auch Preußen heimsuchen würden, nachdem sie die Wagenburg der Ordensritter erbeutet hätten und dadurch militärisch erstarkt seien.84 Mit Nachdruck betont der Statthalter in diesem Schreiben die besondere Funktion von Ordenspreußen, vor dem die Türken - im Gegensatz zu allen anderen deutschen Landen - allein noch Respekt hätten, und schließt die Bitte an, der Christenheit zum besten und der deutschen Nation zum Nutzen an der Verteidigung der Ordenslande mitzuwirken. 85 Die angeblich drohende Gefahr beschreibt sehr deutlich auch
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pensitandum etc.« Das Schreiben ist auf die Zeit zwischen der Beisetzung Hochmeister Johanns v. Tiefen (22. Sept. 1497) und dem Eintreffen der Nachricht von der Niederlage in Königsberg (wohl Anfang bis Mitte Nov. 1497) zu datieren. Die Hand des überlieferten Konzeptes (OF 18 c, fol. 960 läßt sich mit jener Nakers identifizieren. Hinsichtlich des Stils ähnelt der Brief stark einer Reihe von Naker sicher zuzuweisenden Privatbriefen, so daß der Sekretär wohl auch als Aussteller dieses Schreibens zu betrachten ist; vgl. Matthias Thumser: Private Briefkonzepte aus dem Nachlaß des Deutschordenssekretärs Liborius Naker (f 1502/1503). In: Archiv für Diplomatik 43 (1997), S. 413-454. Der Schluß Weises, der Brief sei an den Generalprokurator des Deutschen Ordens in Rom gerichtet gewesen, ist nicht zwingend. Auf die Schreiben Wilhelms v. Isenburg verweist knapp Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 238. 1497 Dez. 16; OF 18 b, fol. 344 r/v : »[...] dann sie iczt on eyngerley verhindern durch ebene lande biß gen Crakow und an die Weissell zihen mögen«. 1497 Dez. 16; OF 18 b, fol. 343 r/v : »[...] Inn ganczer bßorgung Bitzen, die Turcken ko. m. zu Poln, ouch Preussen beßüchen werden.« Ähnlich 1497 Dez. 18 an den Deutschmeister, wie unten Anm. 86. 1497 Dez. 16, wie Anm. 84: »Ist e. g. und allen fursten auff die lande Preussen, die vor den ungloubigen liegen, helfen zu behalten vonnoten und beyßorg zu haben, ingeßehen was grösser ehre der gemeinen Deutschen Nación und notz des hohen und niddern adels am land zu Preussen haben, zu vormercken, das die Deutschen kein land gewonnen und noch den iren zum besten inehaben dann
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ein Brief an den Deutschmeister. Wenn die Türken in Preußen eindringen und das Land verwüsten sollten, wenn dann auch noch der erwartete Einfall der schismatischen Russen in Livland stattfände, so würde dies großen Schaden für den Deutschen Orden wie auch für die gesamte Christenheit bedeuten. Warnend fügt Wilhelm hinzu, daß dies für alle deutschen Lande schwere Konsequenzen nach sich ziehen würde. 86 Und auch der deutsche König Maximilian I. wurde über die Entwicklung informiert. »Usz wemuth und erschrecklicher angst werden wir alsz pfeiler und mawren der heiigen cristenheit an den orteren der ungloubigen Türken, Tattern und Rewszen geursacht, e. k. m. zam der cristenheit beschirmer und allen Stenden, bsundern der Dütschen nación zu eröffen clagelich geschieht, disz jar ergangen«, so eröffnet Wilhelm von Isenburg seine Ausführungen an das Reichsoberhaupt, um es dann ebenfalls um Hilfe gegen die Ungläubigen zu bitten. 87 In diesem Schreiben wird besonders auf die doppelte Gefährdung durch die Heiden in Preußen und Livland verwiesen und dabei sogar gemutmaßt, die Türken würden sich demnächst mit dem russischen Großfürsten Iwan III. gegen den Deutschen Orden verbünden. 88 Weiterhin wandte sich der Statthalter Wilhelm von Isenburg nach Rom und stellte Papst Alexander VI. die allgemeine Gefahr für die Christenheit vor.8» Preussen, durch welcher ehr und manheit sich die Turcken biß noch zur zeit merglichen beförchten, inn ganezer zuvorsicht, e. f. g. werd das mit iren verwanthen herczlich betrachten und, zo es die nod erfordrt, der heiligen cristenheit zum besten disse land zun ehren und nuez der Deutschen Nación bey dem cristenthum helfen behalten und vertedingen.« 8 « 1497 Dez. 18; hg. LUB II/l, S. 454f. Nr. 624: »[...] Nu seyn ummer diesze lande von unserm orden durch hulff cristlicher koninge, fursten und hern Dütscher czunge usz der heidenisschen diet czu cristlichem glouben erarnet und biszher vor ungloubigen erhalten. Wo nu die hulfflosz gelaszen und, das Got verbiete, von den Türken ins irste alsz grenitczlande obirezogen, verderbet und verwüstet, die abgesunderten Rewszen, der sich der herr meister in Leifflandt und seyne gebietiger teglich besorgen, an den enden ouch inbrechen und unser orden und die heiige cristenheit also geschwechet und beschediget würden, was nachfolgende alle Dütsche lande schaden und verterpnisz wartende bsorgen müsten, kan uwer erwirdikeit und eyn iczlicher wol abnehmen.« 87 1497 Dez. 26; OF 18 b, fol. 364r (wohl frühere Fassung, nur Anfang, datiert), fol. 365r (Langfassung, undatiert). Zitat nach der prägnanteren früheren Fassung; dieser Auszug hg. LUB II/l, S. 456 Nr. 625, beim Kopfregest. Mit ähnlichem Inhalt o. D., an den Deutschmeister; OF 18 b, fol. 364v. - Dazu Aufzeichnungen von 1498 März 6; Regest RTA MR 6, S. 545 Nr. 77: Auf dem Reichstag von Freiburg wird ein Schreiben des Komturs von Blumenthal verlesen, der einen Bericht des Deutschen Ordens übermittelt. 1498 März 24, Innsbruck, König Maximilian I. an den Hochmeister-Statthalter Wilhelm v. Isenburg; Regest ebd. S. 553f. Nr. 92: Sagt Beratung über Hilfsmaßnahmen zu. 88 Wie Anm. 87, Langfassung. 89 1498 Jan. 2; OF 18 b, fol. 366r: »[...] Et nisi sanetitas vestra more pii patris iuxta innatam clemenciam et pietatem de remedio providebit oportuno, maiora formidanda sunt pericula cristianitati futura.« Damit weitgehend identische Fassung: Ebd. fol. 367r. - Gleichzeitig bittet Wilhelm v. Isenburg um Fürsprache beim Papst: 1498 Jan. 2, an das Kardinalskollegium; ebd. fol. 366r. O. D„ an einen Kardinal?; ebd. fol. 368r: »[...] ambobus enim resistere cogimur, ne eis occasio
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Türkische Reiterscharen dringen die Weichsel entlang nach Norden vor und überrennen erst Polen, dann Preußen, die Truppen des russischen Großfürsten Iwan III. marschieren in Livland ein, die Ostflanke der Christenheit ist ungeschützt, ganz Europa läuft Gefahr, den Ungläubigen zum Opfer zu fallen; es ist ein merkwürdiges Szenario, das Wilhelm von Isenburg nach der Niederlage in der Bukowina in seinen Briefen ausbreitet. Der Feldzug an den Dnjestr und vor Suceava hatte sich für den Deutschen Orden in jeder Hinsicht zu einem Desaster entwickelt, jetzt aber versuchte der Statthalter, aus der Niederlage das Beste zu machen. Der Hochmeister war tot, der Krieg verloren, aber man hatte den Heidenkampf geführt. Die Ritter waren auf die Forderung des polnischen Königs um Hilfe gegen die ungläubigen Türken eingegangen und hatten damit ihre grundsätzliche Bereitschaft unter Beweis gestellt, sich tatkräftig für das Wohl und den Fortbestand der Christenheit einzusetzen. So verschaffte die verpatzte Expedition dem Deutschen Orden im nachhinein eine neue Argumentationsgrundlage hinsichtlich seiner Legitimität. Die eigentlich so mißliche Situation ließ sich zumindest in der Selbstdarstellung der Ordensführung umkehren. Jetzt konnte sich die Gemeinschaft wieder als Pfeiler und Mauer der Christenheit, die sich allen drohenden Gefahren entgegenstellten, präsentieren. Besonderer Nachdruck wurde dieser Haltung verliehen, indem man immer wieder auf die gleichzeitige Gefahr eines Einfalls der schismatischen Russen in Livland hinwies, die damals in Wahrheit lange nicht so brisant war, wie dies die Ordensoberen glauben machen wollten. Durch das Junktim der Türken- mit der Rußlandfrage entstand das Bild von einem Orden, der an mehreren Fronten vollauf mit dem Heidenkampf beschäftigt war, ständig bemüht, die Christenheit vor den heranstürmenden Ungläubigen zu retten. Eines aber sollte in einer solch bedrängten Situation ausgeschlossen werden, der Einsatz des Deutschen Ordens außerhalb von Preußen und Livland. Auch wenn dies im diplomatischen Verkehr nicht explizit ausgesprochen wurde, so ist die Stoßrichtung doch klar ersichtlich. Die polnische Seite sollte keine Möglichkeit mehr erhalten, die Ordensritter in fernen Gegenden für ihre eigenen Ziele einzusetzen oder sie gar völlig in unwirtliche Regionen wie etwa Podolien zu transferieren. Der Deutsche Orden hatte wieder eine Aufgabe im Heidenkampf, und ihr sollte in den eigenen Herrschaften an der Ostsee nachgegangen werden. Vielleicht hatte dieser Gedanke bereits bei der überraschend schnell erfolgten Zustimmung Johanns von Tiefen gegenüber dem polnischen König im Hintergrund gestanden. Vielleicht hatte der Hochmeister in weiser Voraussicht das Fehlschlagen der Expedition, die Verluste in den Reihen der Brüder und sogar den eigenen Tod bewußt einkalkuliert, nur um seinem Orden danach wieder eine größere Bewegungsfreiheit zu verschaffen. agros christianos depopulandi detur, quibus obviare volumus, quantum suppetunt facultates«; »[...] ne continue quassatos et tribulatos tarn a Turcis quam Rutenis perire et succumbere nos permittat«.
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In der Folgezeit wurden an der Spitze der preußischen Deutschordensherrschaft tiefgreifende Maßnahmen getroffen. Bei der Lösung der Nachfolgefrage verzichtete man zum erstenmal in der Geschichte des Ordens darauf, das Hochmeisteramt mit einem Ritter aus den eigenen Reihen zu besetzen, und sah sich nach einem auswärtigen Kandidaten um. Die Wahl traf schließlich auf den wettinischen Herzogssohn Friedrich von Sachsen. Beabsichtigt war dabei eine stärkere Bindung Preußens an das deutsche Reich, wobei das Mißtrauen gegenüber dem polnischen Königtum und die Erfahrungen mit dem fehlgeschlagenen Türkenfeldzug sicher zu dieser Entscheidung beitrugen. Friedrich von Sachsen traf im Herbst 1498 in Königsberg ein und wurde dort am 29. September zum neuen Hochmeister erhoben.90 Die Wahl des Wettiners in das höchste Amt des Deutschen Ordens ging einher mit einem umfassenden personellen Revirement an der Spitze der preußischen Ordensherrschaft. Die alten Führungspersönlichkeiten und hier vor allem die Gebietiger hatten von nun an weitgehend zurückzutreten. An ihre Stelle traten neue Leute, die Friedrich aus seiner sächsischen Heimat nach Königsberg mitgebracht hatte und die in die maßgeblichen Funktionen an der hochmeisterlichen Residenz einrückten. Aus den ersten Jahren von Friedrichs Amtszeit seien hier nur die Kanzler Paul von Watt und Dietrich von Werthern genannt.91 Daß dieser Umbruch in Preußen nicht ohne Kritik blieb, zeigt die dichterische Klage eines unbekannten Verfassers über den damaligen Zustand der Deutschordensherrschaft, die die Verhältnisse im Inneren des Landes und das Problem des Heidenkampfes auf interessante Weise miteinander verbindet. Das 36 daktylische Hexameter umfassende lateinische Gedicht stammt mit Gewißheit aus der Zeit kurz nach der Hochmeisterwahl Friedrichs von Sachsen. Es zeugt von den Bemühungen seines Autors, die von ihm sicher als unerträglich empfundene politische Situation in einer ansprechenden Form zu artikulieren, wenn ihm dabei auch keineswegs ein perfektes Stück Poesie gelungen ist und seine Verse nur passagenweise ein akzeptables stilistisches Niveau erreichen.92 Der anonyme Dichter beginnt mit einer Klage über die Leiden der Bewohner Preußens. Die Alten wurden durch die einfältige Jugend abgelöst, durch deren Rat wird dem Land der Untergang bereitet - zweifellos ein Re90
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Vgl. Voigt: Geschichte Preussens 9, wie Anm. 10, S. 238ff.; Paul Oberländer: Hochmeister Friedrich von Sachsen (1498-1510). Bd. 1: Wahl und Politik bis zum Tode König Johann Albrechts von Polen. Diss. Berlin 1914, S. 19ff. Vgl. Kurt Forstreuter: Vom Ordensstaat zum Fürstentum. Geistige und politische Wandlungen im Deutschordensstaate Preußen unter den Hochmeistern Friedrich und Albrecht. Kitzingen 1951, S. 16ff.; Thumser: Schriftlichkeit, wie Anm. 28, S. 176,178. Hg. unten S. 175f. - Die Hexameter haben fast durchweg eine Hauptzäsur nach der dritten Hebung. Wiederholt finden sich metrische Fehler hinsichtlich Positionslänge und Silbenzahl. Besonders problematisch ist jeweils die erste Hälfte von V. 9 und 28.
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flex auf den als Unglück begriffenen personellen Umbruch an der Königsberger Hochmeisterresidenz. Noch gesteigert wird diese Unmutsäußerung mit einer Anklage an die polnische Oberherrschaft: Räuberische Könige stehen Preußen vor und tragen alles fort (V. 1-5). Danach wechselt das Gedicht seinen Gegenstand und wendet sich in einer Apostrophe an das Preußen benachbarte Herzogtum Masowien. Das Land ist von den polnischen Königen seiner Herzöge beraubt worden und läuft Gefahr, in Knechtschaft zu geraten. Frieden darf es nicht erhoffen, obwohl es doch ehedem friedlich, fruchtbar und wohlhabend unter seinen Herzögen existieren konnte. Bemerkenswert ist in dem Gedicht, daß als Urheber der Unterjochung Masowiens der »heidnische Samen« verantwortlich gemacht wird, daß dem jagiellonischen Königsgeschlecht also seine Ursprünge im zunächst noch nicht christianisierten Litauen vorgeworfen werden (V. 6-13). Der Grund, warum der Dichter Masowien in seine Klage mit einbezog, ist klar erkennbar. Im Jahr 1495 war Herzog Johann kinderlos gestorben, die Plocker Linie der plastischen Herzogsdynastie hatte damit aufgehört zu existieren. Johanns Bruder Konrad ΠΙ. aus der Warschauer Linie war sogleich darangegangen, sich des Erbes zu bemächtigen, fand allerdings in König Johann Albrecht seinen Meister. Konrad mußte sich letztendlich mit dem Warschauer Landesteil begnügen, der ihm überdies nur auf Lebenszeit zugestanden wurde. Den masowischen Hauptort Ρ lock aber zog der König mitsamt dem zugehörigen Landesteil an sich. Das unter Polen autonome Masowien war nunmehr auf Warschau und sein Umland reduziert, der endgültige Untergang des plastischen Herzogshauses abzusehen.93 Der Deutsche Orden hatte damit einen zuverlässigen Nachbarn im Süden seiner preußischen Herrschaft verloren. Gerade Hochmeister Johann von Tiefen war immer auf gute Beziehungen zu Herzog Johann von Plock bedacht gewesen. Mit dieser Konstellation sollte nun aber Schluß sein.94 Nach der Klage über die Leiden Preußens und der Wendung an das unterdrückte Masowien konstatiert der Dichter die Gemeinsamkeiten im Schicksal beider Länder. Das Ordensland ist durch seine Bindung zur dummen Närrin geworden, Masowien der Gewalt hochgestellter Verräter ausgesetzt. Sowohl der göttliche wie der menschliche Herrschaftsverband sind zugrunde gegangen. Dabei läßt der Dichter keinen Zweifel offen, wer für diese Entwicklung verantwortlich zu machen ist. Polen hat das Gift ausgegossen, und zusammen mit Polens Königen müssen Preußen und Masowien dieses Gift nun trinken (V. 14-21). Erst im weiteren Verlauf seines Gedichtes gibt sich der Verfasser explizit als Bewohner Preußens zu erkennen. Jetzt wird durch die wiederholte Verwendung der Pronomina »nos« und »nobis« sowie durch Verbformen in der ersten Person deutlich, das es ihm vornehmlich um seinen eigenen Wir93 94
Vgl. Papée: Jan Olbracht, wie Anm. 39, S. 92ff.; auch Caro: Geschichte Polens 5,2, wie Anm. 12, S. 707ff.; Papée: Cambridge History, wie Anm. 1, S. 260. Vgl. Biskup: Polska, wie Anm. 37, S. 55.
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kungsbereich zu tun ist. Und nun wird auch klar, daß unter dem Gift, das von Polen vergossen wurde, die Forderung gegen die Türken zu verstehen ist. Allerdings beschränkt sich der Dichter dabei nicht, wie vielleicht zu erwarten wäre, auf eine simple Anklage gegen den polnischen König. Die eigentliche Schuld an allem Unheil wird vielmehr der preußischen Führung des Deutschen Ordens zugewiesen. Sie wird auf fast schon stereotype Weise gleich dreimal mit ihren Handlungen in die unmittelbare Nähe der Ungläubigen gerückt. Die Preußen selbst, so das Gedicht, sind Türken und Tataren, die sich daranmachen, zu rauben und die Fürsten zu vertilgen. Die Preußen haben Türken und Tataren den Weg bereitet, auf dem sie nun ihrerseits zugrunde gehen. Die heidnischen Türken und Tataren werden das Königreich Polen verschlingen, die Preußen aber sich selbst (V. 22-29). Die Erklärung dieser zunächst merkwürdig erscheinenden Konstellation erfolgt gleich im Anschluß: Es ist nämlich nicht Gott zu tadeln, sondern die eigenen Laster treten hervor und beschuldigen die Undankbaren. So wie die Preußen von Gott ablassen, werden sie nun selbst verlassen und beraubt (V. 30-32). Ganz offensichtlich sucht der Dichter die Schuld am Niedergang der preußischen Deutschordensherrschaft in erster Linie in den eigenen Reihen und weit weniger bei den Polen. Auf drastische Weise will er damit ausdrücken, daß die Ordensführung in ihrer Gottlosigkeit nicht anders handle als die Heiden und daß sie hierfür nun die Konsequenzen zu tragen hätte. Wenn also die Ungläubigen den auf dem Feldzug vorgezeichneten Weg in umgekehrter Richtung nehmen und ihrerseits nach Preußen kommen, um das Land zu vernichten, so habe man sich dies selbst zuzuschreiben. Die Christen würden vornehmlich deshalb von den Heiden bedroht, weil sie sich grundsätzlich lasterhaft verhalten und sich von Gott abgewandt haben. Am Ende seien es die Ritter des Deutschen Ordens, die durch ihre Unzulänglichkeit den eigenen Untergang bewirken, die sich selbst verschlingen. Was in der Korrespondenz des Hochmeister-Statthalters noch weit hergeholt und vornehmlich auf propagandistischen Effekt ausgerichtet wirkt, erscheint hier weitaus ehrlicher empfunden. Man hatte in bestimmten Kreisen Preußens wohl wirklich Angst vor türkischen Einfallen, und man sah in dieser Gefahr das Wirken Gottes, der die verworfenen Christen in Preußen strafen will.95 Das Gedicht beschließt ein Gebet an die Jungfrau Maria als der Patronin des Deutschen Ordens mit der flehentlichen Bitte um Hilfe (V. 3336).
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Diese Verbindung von Türkengefahr und Kritik an den Verhältnissen in der christlichen Gesellschaft begegnet in Zeugnissen aus der 2. Hälfte des 15. Jh. mehrfach. Vgl. Matthias Thumser: Türkenfrage und öffentliche Meinung. Zeitgenössische Zeugnisse nach dem Fall von Konstantinopel (1453). In: Europa und die osmanische Expansion im ausgehenden Mittelalter. Hg. von Franz-Reiner Erkens. Berlin 1997 (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 20), S. 59-78, hier besonders S. 77f.
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Offen bleiben muß wohl die Frage, inwieweit es der polnische König Johann Albrecht in jenen Monaten tatsächlich darauf abgesehen hatte, dem Deutschen Orden sein preußisches Herrschaftsgebiet zu entziehen und ihn an die Südflanke seines Reiches, nach Podolien oder in eine benachbarte Region, zu verpflanzen. Ob der König diese Option ernsthaft verfolgte, als er den Hochmeister gegen die Türken forderte, dürfte sich kaum abschließend klären lassen. In Königsberg allerdings scheint immer noch ein gewisses Unbehagen hinsichtlich solcher Vorstellungen mitgeschwungen zu haben. Auch wenn dies jetzt in der Überlieferung nicht mehr explizit ausgesprochen wird, so betrachtete man doch alle Aktivitäten Johann Albrechts von vornherein mit sehr viel Argwohn. Zumindest teilweise resultierte daraus wohl die rasche Zustimmung Johanns von Tiefen auf die Forderung des Königs, und damit im Zusammenhang dürften auch die Warnungen Wilhelms von Isenburg vor einem drohenden Einfall der Ungläubigen in die Gebiete des Deutschen Ordens gestanden haben. Podolien wollte man verhindern, der Krieg gegen die Ungläubigen sollte aber weitergehen, um so die legitimatorischen Probleme auszuräumen und die eigene Daseinsberechtigung unter Beweis zu stellen. Ob propagandistisch verbrämt oder von wirklicher Angst bewegt, nach dem Feldzug von 1497 vermittelte der Orden die Fiktion einer vollauf mit dem Heidenkampf beschäftigten Institution. Gerade gegenüber den Türken konnte der Deutsche Orden damals wie ein Bollwerk erscheinen, wenn auch auf einer weit zurückgezogenen Linie im Ostseeraum. Die Türken kamen allen Befürchtungen zum Trotz nicht nach Preußen, und so fiel der für den Heidenkampf bestimmte Deutsche Orden den Heiden auch nicht zum Opfer. Nach dem Regierungsantritt Hochmeister Friedrichs von Sachsen entspannte sich die Situation gegenüber Polen sogar um einiges. Allerdings gab es auch weiterhin Ansätze von polnischer Seite, den Deutschen Orden in den Heidenkampf einzuspannen, wobei sogar wieder die alten Vorstellungen von einer Verpflanzung hervorgekehrt wurden. So machte sich in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts der polnische Kronkanzler und spätere Erzbischof von Gnesen, Jan Laski, für eine Verlegung der Ordensritter nach Podolien stark. Mit großer Sicherheit auf sein Betreiben hin wurde im Sommer 1502 durch König Alexander von Polen eine Supplik an der römischen Kurie eingereicht, mit der man an die alten Transferierungspläne anknüpfte. Ähnliche Ansätze sind auch für die Jahre 1504 und 1506 bekannt. Allein der Deutsche Orden konnte sich in dieser Hinsicht behaupten. Die polnischen Vorstöße scheinen nun nicht mehr die alte Brisanz gewonnen zu haben. Die Wahl des landfremden Wettiners Friedrich hatte der preußischen Ordensherrschaft tatsächlich ein größeres Maß an politischer Bewegungsfreiheit gegenüber dem mächtigen Nachbarn gebracht.96 96
Vgl. ausführlich Biskup: Polska, wie Anm. 37, S. 140ff„ 176f„ 194f„ 207f.
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Doch die legitimatorischen Defizite des Deutschen Ordens bestanden fort, und auch der Gedanke, den Ordensrittern mit dem Türkenkampf eine neue Aufgabe zu verleihen, blieb zumindest latent weiterhin lebendig. Bis ins 18. Jahrhundert, als Preußen im Gefolge der Reformation dem Orden längst entzogen und in ein säkulares Herzogtum ungewandelt worden war, tauchten gelegentlich Vorstellungen auf, die nunmehr auf ihren Besitz im deutschen Reich beschränkte Gemeinschaft nach Südosteuropa zu verlegen, damit sie dort ihrer eigentlichen Bestimmung nachkommen könne. 97 Die Pläne, den Deutschen Orden im Kampf gegen die Türken einzusetzen, waren zur unendlichen Geschichte geworden.
Anhang Dichterische Klage über den traurigen Zustand der preußischen Deutschordensherrschaft. - Berlin, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, XX. Hauptabteilung (Staatsarchiv Königsberg), OF 18 c, fol. 94 r . - Ungedruckt. Pruteni doleant nunquam carituri dolore. Deficit magister illos, qui ditat honore. Senibus ablatis accrescit stulta iuventus, Quorum consiliis terris ruina paratur. Reges rapaces presunt et omnia» tollunt. Sic tibi, Mazovia, que quondam tuta fuisti. Ducibus abiectis spoliaberis, ancillaberis.b Fidem non optas a regibus nec quoque queras. Est namque paganicum semen et non satiandum. Ecclesie pacem terre non speras ubique, Optima dilecta, que quondam pacificata Stabas sub ducibus, fructífera, sic opulenta, Mazovia libera, nunc tributaria facta. Fascia ligata Prutenica fatua stulta. Uli magistrum, vos duces, itaque simuli. Vestris in terris a proditoribusc altis Vim sustinetisd nec vim repellere scitis. Deficit consilium iustum, divinum,e honestum. Periit res publica divina sic et humana.98 97 98
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Vgl. Lampe: Die europäische Bedeutung, wie Anm. 3, S. 137ff.; Weise: Heidenkampf 13, wie Anm. 16, S. 418f. Vielleicht Anklang an Stat. Theb. 1,154: »Periit ius fasque bonumque.«
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Fundit venenum Polonia, cum regibusque Prusia bibit, sic et Mazovia sumit. Advenere nobis anni, quibus ista videmus. Turpia, que querit Polonia, largaque fudit. Iam sumus Turci, iam Tartari sacrilegique. Nunc ad rapiñas, ad principes eradicandosi Sic nos ad Turcos,f ad Thartaros maleficosque Callem construimus, quo calle nosque perimus. Veniet paganus Turcus, Thartarus proditorque. Vorabunt regnum. Nos ipsos vorabimus nos. Non deus culpandus, sed nostra crimina surgunt. Nos et confundunt, ingratos arguunt, atque, Sicut deum abicimus, abicimur et spoliamur." Gratia divina, que solet regere regna.100 O regina poli, nunc nos derelinquere noli. Ad fìlium preces dirigas. Succurrito nobis. O pia, festina, sanctissima virgo Maria! a Λ
99
b omnina anichilabeiis c sustinent(is) diminum
c f
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prodicionibus teurcos
Vgl. 1 Sam 15,23: »pro eo ergo quod abiecisti sermonem Domini abiecit te ne sis rex«. ìoo Vgl. Spr 8,15: »per me reges regnant«.
Hermann Wiegand
Neulateinische Türkenkriegsepik des deutschen Kulturraums im Reformationsjahrhundert
I. Während die historischen Hintergründe des >Türkentraumas< im Spätmittelalter und zu Beginn der Neuzeit seit einiger Zeit von der historischen Forschung intensiv aufgearbeitet wurden,1 hat die Bewältigung eben dieses Traumas in der Literatur weit weniger Aufmerksamkeit erregt. Gleichwohl hat Carl Göllner die bibliographische Grundlegung in seiner monumentalen, wenn auch nicht vollständigen Bibliographie geleistet.2 Göllners eigene Behandlung des Themas in der epischen und dramatischen Literatur im Darstellungsband seines Werkes3 beschränkt sich auf wenige bekannte Gestaltungen und verarbeitet nicht einmal einen Bruchteil des von ihm ermittelten Materials. Zudem stützt sie sich zumeist auf ältere Dissertationen wie die von Burhannedin Kamil von 1935.4 Die neuere umfangreiche Monographie von Cornelia Kleinlogel5 konzentriert sich weitgehend auf den im Obertitel >Exotik-Erotik< indizierten Motivkreis. Fraglich bleibt aber, ob die von ihr konstatierte Dominanz dieses Motivkreises im Türkenbild der Frühen Neuzeit tatsächlich besteht. In den im folgenden untersuchten Texten spielt dieses Motiv kaum eine Rolle, ebenso wenig in neulateinischen Prosatraktaten. Ausgeblendet wird in den meisten neueren Untersuchungen zum Türkenbild der Bereich der neulateinischen Dichtung, obwohl sich gerade hier ein ergiebiges Untersuchungsfeld auftut. Zumeist sind die einschlägigen Texte noch kaum gesichtet. Für die neulateinische Epik, den Gegenstand der folgenden Ausführungen, kommt erschwerend hinzu, daß für sie - auch was andere Sujets betrifft - ein nahezu völliger Forschungsausfall konsta-
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Aus der Fülle der Literatur seien besonders genannt: Winfried Schulze: Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung. München 1978; Carl Göllner: Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert. Bukarest und Baden-Baden 1978 (TVRCICA 3) mit der älteren Literatur. 2 Carl Göllner: TVRCICA. Die europäischen Türkendrucke des 16. Jahrhunderts. 2 Bde. Bukarest / Berlin bzw. Bukarest / Baden-Baden 1961-1978. 5 Göllner, Die Türkenfrage, wie Anm. 1, S. 351-376. 4 Burhannedin Kamil: Die Türken in der deutschen Literatur bis zum Barock und die Sultansgestalten in den Türkendramen Lohensteins. Diss. Kiel 1935. 5 Cornelia Kleinlogel: Exotik-Erotik. Zur Geschichte des Türkenbildes in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit (1453-1800). Frankfurt/M. / Bern / New York 1987 (Bochumer Schriften zur neueren Literatur 8).
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Hermann Wiegand
tiert werden muß.6 Kein einziges der nicht wenigen zeitgeschichtlichen neulateinischen Epen des 16. Jahrhunderts im deutschen Kulturraum wurde neu ediert, näher untersucht sind in neuerer Zeit lediglich ein Epos Austrias von Riccardo Bartolini, das u. a. vom pfälzischen Erbfolgekrieg handelt,7 und ein weiteres auf Karls V. Sieg in der Schlacht bei Pavia 1525.8 Anders verhält es sich dagegen mit dem Beitrag der siebenbürgisch-sächsischen neulateinischen Epik zum Thema der Türkenkriege. Davon wird noch die Rede sein. Für einen neulateinischen Epiker, der sich an Vergils Aeneis und an Lucans Gedicht über den Bürgerkrieg schulen konnte, mußten die Türkenkriege in Südosteuropa ein wichtiges Sujet bilden, war ihm doch damit die Gelegenheit geboten, sich mit dem Stoff in der literarischen Gattung auseinanderzusetzen, der in der Dichtungstheorie höchste Dignität zukam. Und in der Tat haben sich mindestens zwei neulateinische Epiker, von denen einer so gut wie unbekannt geblieben ist, den Türkenkriegen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zugewandt. Im folgenden werden ihre Werke vorgestellt und auf ihr Türkenbild und die zugrunde liegenden geistigen und politischen Positionen befragt.
II. Die erste türkische Belagerung Wiens durch Sultan Süleyman den Prächtigen vom 27.9. bis 15.10. 1529 löste in den graphischen Medien in Bild und Text ein ungeheueres Echo aus. Zwei einschlägige Bibliographien von Heinrich Kabdebo und Walter Sturminger verzeichnen9 weit über einhun6
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Noch immer gilt, was Hans Rupprich 1972 über die Erforschung der neulateinischen Epik feststellte: »Während die deutschsprachige erzählende Literatur des Reformationszeitalters viele Interessenten fand, blieb die epische Dichtung der Neulateiner beinahe zur Gänze unerforscht.« Vgl. Hans Rupprich: Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock. Zweiter Teil. Das Zeitalter der Reformation 1520-1570. München 1972 (de Boor / Newald: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart IV/2), S. 207. Vgl. Stephan Füssel: Riccardus Bartholinus Perusinus. Humanistische Panegyrik am Hofe Kaiser Maximilians I. Baden-Baden 1987 (Saecvla Spiritalia 16), S. 141-206, über das mit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken befaßte III. Buch der >Austrias< vgl. S. 174f.; vgl. ferner Elisabeth Klecken Kaiser Maximilians Homer. In: Wiener Studien 107/08 (1994/95), S. 613-637. Walther Schütz: Arnoldus Goerinus. Ein »klassischer« Epiker der Humanistenzeit. In: Jahresbericht des Karl-Friedrich-Gymnasiums Mannheim 1995/96. Mannheim 1996, S. 86-103. Eine neue Ausgabe dieses Epos von W. Schütz und Hermann Wiegand mit deutscher Versübertragung wird demnächst erscheinen. Heinrich Kabdebo: Bibliographie zur Geschichte der beiden Türkenbelagerungen Wiens 1529 und 1683. Wien 1876; Walter Sturminger: Bibliographie und Ikonographie der Türkenbelagerungen Wiens 1529 und 1683. Graz / Köln 1955; Göllner TVRCICA, wie Anm. 2, Bd. I, Nr. 315-358, passim; kurze Darstellung in Göllner, Die Türkenfrage, wie Anm. 1, Bd. 3, S. 95-99 mit Abbildungen; Ferdinand Stöller: Soliman vor Wien. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Stadt Wien 10/ 11, (1929/30), S. 11-76; weiter Walter Sturminger (Hg.): Die Türken vor Wien in Augenzeugenberichten. Düsseldorf 1968; ferner
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dert literarische - zumeist Relationen und Lieder - und graphische Gestaltungen des Themas. Auf die christlichen Zeitgenossen, die schon durch die Schlacht bei Mohács geschockt worden waren, hat der Vorstoß Süleymans nach Mitteleuropa nachhaltigen Eindruck gemacht, war dadurch doch die türkische Gefahr auch für Westeuropa virulent geworden, zumal Süleyman keinen Zweifel daran ließ, daß für ihn die Einnahme Wiens nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Weltherrschaft sein würde. In Briefen und Reden, in >Neuen Zeitungenblinden< (coeci) ungarischen Magnaten mit Gold und großen Versprechungen (promissis grandibus) bestochen habe, Vertragsbruch zu begehen und ihn zum König zu wählen. Als der rechtmäßige Herrscher, der Austriades Ferdinand, darauf Cepusius aus Ungarn vertreibt, entschließt sich dieser in seinem Wahnsinn aus Herrschgier und Neid (»Regnique libidine demens/ Inuidiaque ardens iuxtà« - 1, 69f.) 18 zum Bündnis mit Süleyman. Dieses Bündnisangebot kommt dem Turca, der schon längst das Imperium Romanum unterjochen will, sehr gelegen. Die Inszenierung des Vorhabens zeigt vor der Folie der vergilischen Epik deutlich Parteinahme und Darstellungsabsicht des Regensburger Epikers: Die höllischen Furien Tisiphone und Alecto unterstützen Süleyman in seinem Vorhaben:19 Infemae stimulant ánimos à sede sórores Tisiphone, Alectoque atri praenuntia luctus [...] (l,90f.) [Die Schwestern aus der Unterwelt stacheln von ihrem Sitz aus seinen Mut an, Tisiphone und Allecto, die Vorbotin schwarzer Trauer.] Den Götterapparat des vergilischen Epos vertritt bei Nusser zunächst auf Seiten der Türken der personifizierte Mars, der - froh über die Pläne Süleymans - seine Wohnstätte im kalten Nordland verläßt und wie Merkur im vierten Buch der Aeneis sich unerkannt nach Konstantinopel begibt, um den Mahometicola Tyrannus in seinem Vorhaben zu bestärken. So rüstet sich das bestialische Türkenvolk (fera Turcia) zum Krieg. Ein langer Katalog von über sechzig Versen läßt die Völker Revue passieren, die der Großtürke
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Vgl. die nachträgliche Notiz aus der Kammeramtsrechnung des Wiener Rates für 1569 bei Kabdebo, Bibliographie, wie Anm. 9, S. 130. Zu ihm kurz: Péter Hának (Hg.): Die Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Essen 1988, S. 55ff. Verszählung vom Verfasser. Zu der Rolle Allectos bei Vergil vgl. Aeneis 7,341ff.
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zur Eroberung Wiens aufbietet. 20 Der ganze türkische Machtbereich in Asien und Europa wird zu den Waffen gerufen, um Wien zu bezwingen und Süleyman, der »spe concipit orbem« (V. 299), zur Weltherrschaft zu verhelfen. Bemerkenswert an diesem Völkerkatalog ist die knappe Zeichnung Griechenlands, das, einst »terrarum [...] pulcherrima«, nunmehr das »servitium grave Turcarum« aushalten muß (V. 226ff.). Mit diesem Aufgebot übertrifft der Türke selbst das griechische Heer vor Troja bei weitem. Entsprechend der vergilischen Tradition, aber auch dem zeitgenössischen Erfahrungshorizont, kündigen unheilvolle prodigio den Zug des türkischen Heeres an. Zunächst wendet sich Süleyman nach Belgrad, (in Wirklichkeit wohl Mohács) wo er mit Cepusius zusammentrifft. Er sichert ihm die Restitution in seine Rechte zu für das Versprechen, den Krieg gegen die Deutschen, die von allen Europäern den Türken den entschiedensten Widerstand entgegengesetzt haben, um den Preis des eigenen Lebens bis zum Sieg fortzusetzen. Charakterisiert wird der Woiwode Siebenbürgens durch eine devote Rede, in der er etwa Süleyman als Orbis terrarum domitor ter maxime apostrophiert (1, 328). Vereint ziehen die Heere von Süleyman und Cepusius nach Buda. Auf dem Weg dorthin wütet das türkische Heer überall: [...] non ullae arces: non oppida firma, / Quae poterant, inhibent grassantis fuñera ferri [...] (1, 389f.) [Weder Burgen noch feste Städte, welche es einst konnten, halten das Morden des rasenden Schwertes auf.] Buda wird belagert, vorher aber überträgt Süleyman Cepusius die ungarische Königswürde. Damit ist der Prätendent in den Augen von Nussers intendierten Lesern im Grund genommen hinreichend negativ als verräterische Marionette des Türken gebrandmarkt. Ganz im Gegensatz zu diesem Bild werden die König Ferdinand treuen Verteidiger Budas gezeichnet. In ihren Augen wäre die geforderte kampflose Übergabe Budas ein unverzeihliches scelus (1,417). Als der türkische Sultan der kleinen Verteidigertruppe, die aus Deutschen und Ungarn besteht, freien Abzug garantiert, verläßt sie sich auf sein Wort - freilich nur, um schnell zu erfahren, daß man den Worten der Türken nicht trauen kann: »Non procul a porta Thracum furor irrita pacta/ donavit ventis« (1, 439f.). In einer emphatischen Apostrophe weitet Nusser seine Stellungnahme zu diesem Verhalten der Türken zu einer generellen Abrechnung mit der türkischen Neigung zum Vertragsbruch, ein topisches Motiv, das derselbe Süleyman, der hier angesprochen wird, in der Ruina Pannonica von Christian Schesäus, dem größten neulateinischen Türkenkriegsepos eines deutschstämmigen Autors, ge20
Ein ähnlicher solcher Völkerkatalog findet sich in der Ruina Pannonica von Christian Schesäus. Vgl. Christianus Schesaeus: Opera quae supersunt omnia. Hg. von Franciscus Czonka. Budapest 1979 (Bibliotheca Scriptorum Medii Recentisque Aevorum IV), S. 9, V. 91ff.
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gen die Christen selbst wenden wird.21 In der Tat war der peifidia-Worwurf ein wichtiges Element des Arsenals der christlichen Türkencharakteristik.22 Nusser ruft aus: »O Scythici nunquam praecordia fida Tyranni« (1,444) und projiziert damit - auch hier einem Topos folgend - die modernen Türken auf das antike Reitervolk der Skythen, die vor allem in der humanistischen Literatur als Inbegriff unkultivierter, bestialischer Rohheit gelten. 23 Die zweite Hälfte des ersten Buches von Nussers Epos wendet sich der eigentlichen Belagerung Wiens zu. Das Eintreffen des riesigen türkischen Heeres löst in der ängstlichen Stadt gewaltige Furcht (»ingens metus« - 1, 460) aus, führt aber zugleich zu entschlossenen Verteidigungsanstrengungen. So wird das Zeughaus auf brauchbare Waffen hin inspiziert. Der Leiter der Verteidigung, Pfalzgraf Friedrich II. und sein Neffe Philipp, werden vorgestellt. Für einen Lehrer des protestantischen Regensburger Gymnasiums nimmt sich die Einfügung einer - in der katholischen Türkenliteratur freilich nicht selten anzutreffenden 24 - Marienepisode recht merkwürdig aus, die mehr als einhundert Verse umfaßt. Sie übernimmt offenbar die Funktion der Venusepisode im ersten Buch der Aeneis Vergils. Maria figuriert ganz orthodox als Mittlerin zwischen Gott und den Menschen. In einer längeren oratio bittet sie Gott Vater, sich seines Volkes zu erbarmen. Indem sie den Gedanken aufnimmt und abschwächt, der türkische Angriff bedeute die Strafe Gottes für die Sünden der Christen, also die Rute Gottes, 25 insistiert sie darauf, die christliche Religion selbst sei durch einen türkischen Sieg in höchster Gefahr. »Machometi inane/ nomen« werde an die Stelle 21
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Vgl. Schesäus / Csonka, Opera, wie Anm. 20, S. 278, 9, 267-271. Hier geht es um das Doppelspiel der habsburgischen Diplomatie, die mit János Szápolyai und dem Sultan gleichzeitig ein Bündnis sucht und der Hohen Pforte zugleich verrät, daß Szapolyai, Verbündeter der Türken, zugleich mit Wien verhandelt. Damit soll der Woiwode bei dem Sultan entscheidend diskreditiert werden. Süleyman ist über dieses Verhalten entsetzt: »En, ait, ad proceres, Christi qui dogma sequuntur/ Quam nulla est regum constantia raraque dictis/ Et factis spectata fides, qua excellere cunctos / Orbe volunt homines, nobisque frequenter inurunt/ Suspectae fidei maculam [...].« So spricht z.B. der Ungarndeutsche Paulus Rubigallus (f um 1577) in seinem »Hodoeporicon itineris Constantinopolitani« (in: Miloslaus Okal (Hg.): Paulus Rubigallus Carmina. Leipzig 1980, S. 12-31), V. 81 von der »malefida turba Getarum«. Vgl. auch Schulze, Reich und Türkengefahr (1978), S. 55. Vgl. etwa die Zusammenstellung der Topoi über dieses Volk, die sich in der Inaugurationsrede für das neue Gymnasium in Nürnberg von Philipp Melanchthon finden. Vgl. Karl Hartfelder (Hg.): Philipp Melanchthon: Declamationes. Berlin 1891 (Lat. Litteraturdenkmäler des XV. und XVI. Jahrhunderts 4), S. 50. Dazu vgl. Hermann Wiegand: »In bene constituta civitate scholis opus est«. Philipp Melanchthon Rede zur Einweihung der neuen Schule in Nürnberg. In: Der Altsprachliche Unterricht 40 (1997), Heft 6, S. 11-29, hier S. 24. Vgl. z. B. Senol Özyurt: Die Türkenlieder und das Türkenbild in der deutschen Volksüberlieferung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. München 1972 (Motive. Freiburger folkloristische Forschungen 4), S. 129f. mit Beispielen, allerdings aus dem Barock. Zur Thematik vgl. auch die ältere Dissertation von Helene Patrias: Die Türkenkriege im Volkslied. Diss. Wien 1947 (recte 1937). Ebd., S. 123f.
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des Christenglaubens treten (1, 573). In einer der Jupiterrede Vergils entsprechenden Antwort Gottes versichert dieser Maria, den Türken werde es nicht gelingen, Wien einzunehmen. Er habe den Erfolg der türkischen Waffen bisher zugelassen, um mit der Belagerung Wiens ein Zeichen für die »fida constantia« (1,622) und ein »Fidei specimen« (1,624) der christlichen Verteidiger zu geben. Dieser Verlagerung des Geschehens auf die transzendente Ebene entspricht der Auftrag an den Erzengel Michael, den Mut der Verteidiger zu stärken und die »tutela urbis et orbis« (1, 632) zu übernehmen. Michael wird als Gottesbote analog dem Merkur des vierten AeneisBuches dargestellt, wie das vorher schon im ersten Buch des vergilisierenden Epos De partu virginis Iacopo Sannazaros mit dem Erzengel Gabriel geschehen war. Nusser hat das vielgelesene Epos Sannazaros möglicherweise gekannt. 26 Ganz der Tradition entsprechend wird bei ihm Michael als Kriegsheld dargestellt. Er kommt unsichtbar nach Wien und läßt die virtus der Verteidiger neu erstarken. Fragt man nach der Funktion dieser katholisierenden langen Episode im Epos Nussers, verstärkt sich der Eindruck, daß Nusser wohl im Blick auf seine Adressaten, Bürgermeister und den Rat der Stadt Wien, und auf eine mögliche Anstellung seine Übereinstimmung mit wichtigen katholischen Positionen signalisieren wollte. Freilich steht Nusser mit dieser Anrufung Marias in der Türkennot auch in der Kontinuität humanistischer Dichtung. Konrad Celtis etwa bittet in einem Gedicht seiner 1513 postum erschienenen Odae die Gottesmutter darum, für Eintracht unter den deutschen Fürsten zu sorgen, die sich gegenseitig bekriegen, statt den Türken zu bekämpfen. 27 Ehe sich der Blick des Epikers wieder auf die Türken richtet, wendet er sich den wichtigsten Führern der Verteidiger wie Philipp von der Pfalz und Nikolaus von Salm 28 zu, die panegyrisch gefeiert werden. Ein Ausfallsversuch angesichts türkischer Greuel zeigt die entschlossene Tapferkeit der zahlenmäßig weit unterlegenen Verteidiger, die sich zurückziehen müssen. Die türkischen Angreifer erweisen sich als ehrfurchtlose Bestien. So stecken sie die Köpfe der gefallenen Christen auf lange Lanzen, um die Verteidiger einzuschüchtern. Davon unbeeindruckt macht freilich ein gefangener Ritter dem Türkensultan klar, daß er die Stadt nur erobern könne, wenn er alle Verteidiger getötet hätte. Dieser droht mit Donnerstimme den Christen die Vernichtung an, läßt aber zugleich die Gefangenen mit dem Auftrag frei, die Stadt zur Übergabe aufzufordern. Dann werde keiner seiner Soldaten die Erlaubnis erhalten, in die Stadt einzudringen. Widrigenfalls werde er nicht 26
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Vgl. Charles Fantazzi und Alessandro Perosa (Hg.): Iacopo Sannazaro: De partu virginis. Florenz 1987 (Istituto nazionale di studi sul rinascimento 17), 1, 69-77 und den ähnlichen Vergleich Nusser 1,659ff. Vgl. Wilhelm Kühlmann / Robert Seidel / Hermann Wiegand (Hg.): Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Frankfurt/M. 1997, S. 45 und Kommentar S. 957. Zu ihm vgl. kurz Hummelberger, Wiens erste Belagerung, wie Anm. 9, S. 50-54.
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eher nach Konstantinopel zurückkehren, bis er die Stadt erobert haben werde. Dann werde er weder Jung noch Alt Schonung gewähren. Auch in dieser Szene figuriert der Turca als verschlagen und hinterhältig. Er spricht »simulata mente benignus« (1,763). Plastik gewinnt die Zeichnung der Türken durch die Darstellung ihrer Raubzüge. Immerhin konzediert der christliche Epiker den türkischen Soldaten im Gefolge der antiken und zeitgenössischen ethnographischen Tradition,29 daß sie äußerst bedürfnislos leben (»somnoque ciboque/ Debentes minimum« (1, 807f.). Nichts kann sie aufhalten. Bei ihrem Herannahen flieht die Bevölkerung in Wälder und unwegsame Gebirge, gleichwohl ist der türkische praedo überall zugegen und spürt alle Verstecke auf. Anschaulich schildert Nusser in vergilischen Farben die Wirkung der türkischen >HaufenTextsorten< der pragmatischen Publizistik, fiktionalen Gestaltung und einer auf das Exotische gerichteten Neugier erfaßte. Die solcherart durch immer neue Hiobsbotschaften eingeschärfte Dringlichkeit der Türkenfrage prägte ein thematisch abgrenzbares >ArgumentationssystemWarum?Warumsoll ich Gutes erwarten?< Die Christenheit hat kein Haupt, dem alle gehorchen wollten. Nicht dem Papst und nicht dem Kaiser gibt man, was ihnen gebührt. Es findet sich keine Ehrfurcht und kein Gehorsam. Als wären sie Fabeln und Bildertafeln, so betrachten wir Papst und Kaiser. Einen eigenen König hat jede Stadt. So viele Fürsten gibt's als Häuser. Wie kannst Du so vielen Köpfen, als den christlichen Erdteil lenken, zu einem Kriegszug raten? Doch gut; nehmen wir an, daß sich alle Könige zum Kampf zusammenfinden! Wem willst Du die Führung anvertrauen? Welche Ordnung wird im Heere herrschen? Welche militärische Zucht? Welcher Gehorsam? Wer wird die große Schar ernähren? Wer wird die mannigfaltigen Sprachen verstehen? Wer wird die bunten Sitten lenken? Wer wird die Engländer mit den Franzosen befreunden? Wer die Genuesen mir den Aragonesen vereinen? Wer die Deutschen mit den Ungarn und den Böhmen versöhnen? Wenn man wenige gegen die Türken führt, wird man leicht unterliegen; wenn viele, wird man der Verwirrung anheimfallen. Überall sind Schwierigkeiten. [...] Sage nun an, was in der völlig unsichern Lage zu hoffen oder zu fürchten sei. Betrachte dann die Sitten der Menschen und erwäge die Taten unsrer Fürsten! Wie tief gähnt der Abgrund des Geizes, wie groß ist die Trägheit, wie mächtig die Gier!« - Zu den
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Mallem opinionem meam esse falsissimam ac mendacis quam veri prophete nomen. dicam tarnen, quod meus presagii animus, non spero, quod opto; nil boni menti mee persuadere possum, quare, inquis? quare, inquam, ego bene sperem? Christianitas nullum habet caput, cui parere omnes velint; neque summo sacerdoti neque imperatori, que sua sunt, dantur. nulla reverentia, nulla obedientia est. tanquam ficta nomina, pietà capita sint, ita papam imperatoremque respicimus. suum queque civitas regem habet, tot sunt príncipes, quot domus. quomodo tot capitibus, quot regunt Christianum orbem, arma sumere suadebis? age dicito concurrere in bellum cunctos reges, cui ducatum dabis? quis ordo in exercitu erit? que disciplina militaris? que obedientia? quis pascet tantum populum? quis intelliget varias linguas? quis reget diversos mores? quis Anglicos amicabit Gallicis? quis Januenses conjunget Arragonensibus? quis Theutones Ungaris Bohemisque conciliabit? si paueos contra Turcos ducis, facile succumbis, si multos, confunderis. undique sunt angustie. [...] Ede nunc, in tanta rerum varietate quid sperandum aut timendum sit. intuere deinde mores hominum ac nostrorum prineipum facta considera, quantus avaritie sinus patet, quanta inertia, quanta voracitas! Die hier angedeutete Diagnose zielte auf Rivalitäten aller Art, mithin auf die Interdependenz der äußeren und inneren Schwächen der neuen europäischen Staatenordnung, darf aber auch als Folie für die nicht mehr abreißenden Appelle an die Handlungskraft und den inneren Einigungswillen des römisch-deutschen Reiches zitiert werden. Dessen Rolle als präsumtiver Vormacht des nomen Christianum historisch abzusichern und gleichzeitig zu aktualisieren war das zentrale Anliegen der humanistischen, d.h. von der gebildeten Führungsschicht getragenen Literatur, und dies umso mehr, als meistens anstelle politisch einlösbarer Hoffnungen nur noch die moralisch, retrospektiv und persuasiv einklagbare Gewißheit einer abendländischen Mission des deutschen Kaisertums zu artikulieren war. Dem Literaturhistoriker bietet sich hier ein weites Spektrum unerledigter Aufgaben der philologischen Grundlagenforschung wie auch der Einzelanalyse. Dies gilt für den Nachweis von Bildern und historischen Verständigungsmustern an den Grenzen des (westlichen) >Eigenen< und des (östlichen) >FremdenErotisches< hin gewichtend Cornelia Kleinlogel: Exotik-Erotik. Zur Geschichte des Türkenbildes in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit (1453-1800). Frankfurt/M. / Bern usw. 1989 (Bochumer Schriften zur deutschen Literatur 8); ferner der dritte Band von Göllner, wie Anm. 3, sowie Ehrenfried Hermann: Türke und Osmanenreich in der Vorstellung der Zeitgenossen Luthers. Ein Beitrag zur Untersuchung des deutschen Türkenschrifttum. Diss. phil. Freiburg i. Br. 1961; Robert Schwoebel: The Shadow of the Crescent: The Renaissance Image of the Turk (1453-1517). New York 1967; Gert Melville: Die Wahrheit des Eigenen und die Wirklichkeit des Fremden. Über frühe Augenzeugen des osmanischen Reiches. In: Europa und die osmanische Expansion, wie Anm. 60, S. 79-102; einschlägig nun der Sammelbd. von Franz Bosbach (Hg.): Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politi-
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Stellenwert der verschiedenen auktorialen Äußerungen als Faktoren des sog. literarischen Lebens, dessen Untersuchung kommunikationssoziologische Sichtweisen voraussetzt. Der Zusammenhang von Diskurs- und funktionaler Formgeschichte im gegenseitigen Verweis von Anlässen, Darstellungsinteressen und Darstellungsmitteln, hier vor allem an Beispielen humanistischer Lyrik ins Auge gefaßt, umfaßt die ganze Bandbreite lateinischer wie muttersprachlicher Literatur. Zu den daraus sich ableitenden methodischen Prämissen gehört selbstverständlich die Erkenntnis, daß auch die exemplarische Untersuchung von Teilsektoren der Türkenpublizistik nicht umhinkommt, den kontextuellen Voraussetzungs-, Wirkungs- und Anspielungsraum wenigstens insoweit auszuleuchten, als dadurch der literarisch-historische Ort des Einzeltextes hinreichend bestimmt werden kann. /
Selbstverständlich ist vorab in Rechnung zu stellen, daß breite Publikumsschichten des Reformationsjahrhunderts, vor allem in den Städten, in erster Linie durch Druckmedien des - oft durch Holzschnitte illustrierten Tagesschrifttums informiert wurden, das sich im Genre des Flugblatts, 8 der Flugschrift oder des sog. Ereignis- bzw. Zeitungsliedes 9 der Wechselfälle des Krieges, aber auch der mentalen Einstimmung der Leser- und Hörerschaft annahm. Unter dem Einfluß solcher >zeytungen< beschrieb zum Beispiel Hans Sachs (1494-1576) zwischen 1529-1542 in zahlreichen Türkenliedern, zum Teil als Kontrafakturen volksläufiger Liedtöne verfaßt, 10 Blutdurst und Schandtaten des Feindes, nicht ohne bei Gelegenheit die christli-
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schen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit. Köln / Weimar / Wien 1992 (Bayreuther Historische Kolloquien 6); vgl. ferner den Beitrag von W. Neuber in diesem Band. Vgl. die zusammenfassende Darstellung in dem glänzenden Werk von Winfried Schulze: Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung. München 1978, bes. S. 21-66, sowie die exemplarischen Analysen in: Michael Schilling: Bildpublizistik der frühen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700. Tübingen 1990 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 29), passim (s. Register) mit Hinweisen auf die neueren Editionen bzw. Verzeichnisse der Bildpublizistik. Zusammenfassend dazu Senol Özyurt: Die Türkenlieder und das Türkenbild in der deutschen Volksüberlieferung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. München 1972; auch mit älteren Beispielen, jedoch vor allem für die Spätzeit ergiebig Bertrand Michael Buchmann: Türkenlieder zu den Türkenkriegen und besonders zur zweiten Wiener Türkenbelagerung. Wien / Köln / Graz 1983; grundlegend Rolf Wilhelm Brednich: Die Liedpublizistik im Flugblatt des 15. bis 17. Jahrhunderts. 2 Bde. Baden-Baden 1974/75 (Bibliotheca Bibliographica Aureliana 55 und 60); für die Lied- und Spruchdichtung des 15. Jahrhunderts (hier ausgespart) siehe jetzt den ausführlichen Beitrag von Stefan Hohmann: Türkenkrieg und Friedensbund im Spiegel der politischen Lyrik. Auch ein Beitrag zur Entstehung des Europabegriffs. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 110 (1998), S. 128-159. Zum »Türkenthema im Werk von Hans Sachs« s. Kleinlogel, wie Anm. 7, S. 5570.
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chen Streiter zur tapferen Gegenwehr zu ermuntern.11 Exotische Requisiten konnten - etwa in der Beschreibung von Beutestücken - triste Greuelpropaganda bisweilen auflockern, doch dominierte nicht nur in Sachs' Darstellungsstrategie der angeblich notorische Hang des Türken zu einem gerade an den unschuldigen Frauen und Kindern gestillten Sadismus: 12 Was er den selben abent Weips-pild zv wegen pracht, Mit den selben sie habent Schentlich gethon die nacht, Damach die armen frawen Hat die diranisch schar All lebendig zerhawen Der doch ob dawsent war. Türkische Lüsternheit gibt sich (ein Text zu Holzschnitten von Hans Guldenmundt, 1530) im Mund der herzlosen Soldaten freimütig zu erkennen:13 Wir mammelucken, stradiothen, Reytten in den strayffenden rotten, Was wir fahen von meyd und frawen, Ir kleyd wir ob dem knye abhawen, Füren sie also mit uns weck Durch wasser, kott und dorenheck, Also wir groß mutwillen treyben Mit junckfrawen und jungen weyben, Die alten schlagen wir zu todt, Dem Christen-glawben zu eim spot. Auf diesem Boden der literarisch auf ein eindeutiges Feindbild eingestimmten Öffentlichkeit gediehen historiographische Reprisen des mittelalterlichen Kreuzzugsmythos, beflügelt von der Energie, mit der Kaiser Maximilian den Herrschaftsanspruch seines Hauses auch mit dem Kampf gegen die widerchristlichen Mächte begründete 14 und so dynastisches Prestige mit 11
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So etwa in dem als Flugblatt verbreiteten Preislied »Eyn lob der frummen Landßknecht zu Wyen«, a. unter dem Titel »Ein lob des redlichen krieg-volck in der duerkischen pelegrung der stat Wien. In dem thon: Es kam ein alter Schweizer gangen«: s. Hans Sachs: Werke. Hg. von Adelbert v. Keller und Edmund Goetze. 26 Bde. Stuttgart 1870-1908. Ndr. Hildesheim 1964, hier Bd. 22, S. 151-154. Aus »Die duerckisch pelagerung der stat Wien«. Ed. Keller / Goetze, ebd., Bd. 22, S. 141-150, hier S. 149, Strophe 32. S. Ed. Keller / Goetze, ebd., Bd. 24, S. 21. Der Plan eines Kreuzzugs gegen die Ungläubigen gehörte bekanntlich zu den Konstanten in Maximilians Außenpolitik, demgemäß auch zum Themenkreis der von ihm zur ästhetischen Kultivierung des eigenen Nachruhms angeregten Dichtung; s. dazu insgesamt Jan-Dirk Müller: Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. München 1982 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 2), hier S. 109ff. und passim. Der Maximilians Ruhm verherrlichende italienische Humanist Riccardus Bartholinus (ca. ΗΤΟΙ 550) füllte das dritte Buch seines an Vergil angelehnten Heldenepos Austrias (Straßburg 1516) über die Taten des Austriacus Heros vor allem im Bayrischen Erbfolgekrieg von 1504/05 mit einem Exkurs über die Geschichte der Tür-
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Vorstellungen über die hegemoniale Schutzfunktion des Kaisertums zur Deckung brachte. In Druckmetropolen wie Basel wurde zum Beispiel Sebastian Brants Geschichte Jerusalems (1495)15 in fixem Sensorium für die Ansprüche des Marktes bald auch von Werken eines Johannes Gast,16 Heinrich Pantaleon,17 Celio Agostino Curione18 und Sebastian Herold19 ergänzt,
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ken und die Eroberung von Byzanz, verkündete am Ende jedoch die Siegeszuversicht des Kaisers. Der poetische Text integrierte dabei in der Rede eines Rhapsoden und der Redeantwort des Kaisers Formen der auf den Reichstagen praktizierten Türkenrhetorik (dazu s. u.); s. zum Werk Bartholinos bes. Müller, S. 174-179, sowie (mit ausführlicher Inhaltsangabe) Stephan Füssel: Riccardus Bartholinus Perusinus. Humanistische Panegyrik am Hofe Maximilians I. BadenBaden 1987 (Saecula Spiritalia 16), bes. S. 168-174, spez. S. 174f. zu Buch III; ergänzend ders.: Dichtung und Politik um 1500. Das »Haus Österreich« in Selbstdarstellung, Volkslied und panegyrischen Carmina. In: Die österreichische Literatur. Ihr Profil von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (1050-1750). Unter Mitwirkung von Fritz Peter Knapp (Mittelalter) hg. von Herbert Zeman. Graz 1986, S. 803-831; das riesige Feld der neulateinischen Panegyrik, zumeist auch mit antiosmanischer Protreptik, wird nun in bibliographischer Überschau exemplarisch gesichtet von Franz Römer und Elisabeth Klecken Poetische Habsburg-Panegyrik in lateinischer Sprache. Bestände der Österreichischen Nationalbibliothek als Grundlage eines Forschungsprojekts. In: biblos. Beiträge zu Buch, Bibliothek und Schrift 43, H. 3-4 (1994), S. 183-198; zum historischen Hintergrund vgl. Georg Wagner: Der letzte Türkenkreuzzugsplan Kaiser Maximilians I. aus dem Jahre 1517. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichte 77 (1969), S. 314-353. Sebastian Brant: De origine et conversatione bonorum regum et laude Civitatis Hierosolymae cum exhortatione eiusdem recuperandae. Basel 1495; in deutscher Übersetzung von Johann Frey (Von dem Anfang und Wesen der hailigen Statt Jerusalem), Straßburg 1518; dazu sowie über Brants Lyrik und die Revitalisierung mittelalterlicher Denkfïguren s. William Gilbert: Sebastian Brant. Conservative Humanist. In: Archiv für Reformationsgeschichte 46 (1955), S. 145-167, sowie den Beitrag von Dieter Mertens in diesem Band; zu Brants Werk s. jetzt das Porträt von Hermann Wiegand: Sebastian Brant (1457-1521). Ein streitbarer Publizist an der Schwelle der Neuzeit. In: Humanismus im deutschen Südwesten. Biographische Profile. [...]. Hg. von Paul Gerhard Schmidt. Sigmaringen 1993, S. 77-104. Johannes Gast (1500-1552) publizierte 1544 eine humanistische Kompilation des Florentiners Benedetto Accolti aus verschiedenen Chronisten der Kreuzzüge: De bello contra barbaros a Christianis gesto pro Christi sepulchro et Judaea recuperandis Benedicti de Acoltis Aretini libri IV; s. Peter Bietenholz: Der italienische Humanismus und die Blütezeit des Buchdrucks in Basel. [...]. Basel / Stuttgart 1959 (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft), S. 104, sowie ebd. im publikationshistorischen Überblick S. 101-105 (»Das Abendland und die Türkengefahr«). Im Sinne eines überkonfessionellen Kreuzritterideals das Werk des vor allem durch sein »Deutscher Nation Heldenbuch« (1567-69, 4. Aufl. 1588) bekannten Pantaleon (1522-1595): Militaris ordinis Johannitarum Rhodiorum aut Melitensium equitum rerum memorabilium [...] gestarum ad praesentem usque 1581 annum historia nova. Basel 1581; vgl. die Charakteristik des Werkes bei Andreas Burckhardt: Johannes Basilius Herold: Kaiser und Reich im protestantischen Schrifttum des Basler Buchdrucks um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Basel, Stuttgart 1967 (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 104), S. 239; schon vorher hatte Pantaleon ein Werk Paolo Giovios übersetzt: Von der Türkischen Kaiser Herkommen, Aufgang und Regiment. [...]. Basel 1564.
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die den heiligen Krieg der Vorfahren und die Führungsaufgabe des Kaisers allen Versäumnissen der Gegenwart nostalgisch und unverdrossen entgegenhielten. Als komplementäre Schöpfung zu Brants Geschichtswerk darf ein längerer Gedichtzyklus des Jahres 1497 gelten, der bald in Brants Varia Carmina (1498) einrückte, vor allem aber im Vorspann der Jacob Locher (1471-1528) zu verdankenden lateinischen Version des »Narrenschiffs« (1497ff.) internationale Verbreitung gewann. 20 Im Nachweis einer Hierarchie der himmlischen Mächte sichert Brant zuerst irdische Ordnungspostulate wider die Melancholie von Verlusterfahrungen ab. 21 Schöpfungstheologisch und heilsgeschichtlich beglaubigte Sinnüberzeugungen finden ihr geschichtsphilosophisches Analogon im Zentrum dieses Zyklus, einem Lehrgedicht über die Translatio imperii,22 und indem Brant gemäß den erprobten Allegoresen der Danielprophetie 23 der Reihe nach Glanz, Würde und Untergang der Imperien mustert, rückt auch die Romana monarchia in eine Gefahrenzone, die den Verlust des »Szepters« signalisiert. 24 Mittelalterliche Konflikte zwischen Papst und Kaiser und der auch vom kirchlichen Schisma verursachte Untergang des Constantinopolitanum imperium erweisen sich als Menetekel einer angstvoll und zugleich aktivistisch umgesetzten Krisengewißheit. Die Uneinigkeit im 18
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Der Sohn des Theologen und bekannten Glaubensflüchtlings veröffentlichte eine mehrfach nachgedruckte, auch ins Deutsche übersetzte Geschichte der frühen islamischen Expansion (Sarracenicae historiae libri tres, 1567 u. ö.); zu ihm und auch zu einschlägigen Werken und Kompilationen des Vaters s. Burckhardt, wie Anm. 17, S. 17f. und bes. 237f. Zu Herolds zahlreichen Editionen, Kompilationen und eigenen Werken, darunter die De bello sacro continuatae historiae libri VI (Basel 1549), gedacht als Fortsetzung der Historia belli sacri des Wilhelm von Tyrus, s. die lehrreiche Darstellung von Burckhardt, wie Anm. 17, S. 225-248, spez. 235f. Ich benutze und zitiere hier die jüngst erschienene Edition von Thomas Wilhelmi (Hg.): Sebastian Brant: Kleine Texte. 3 Bde. (Bd. 1.1,1.2,2) Stuttgart-Bad Cannstatt 1998 (Arbeiten und Editionen zur Mittleren Deutschen Literatur. Neue Folge 3.1.1.-3.2), hier spez. Bd. 1.2, S. 321-338 (Nr. 195), dazu die überlieferungsgeschichtlichen Nachweise in Bd. 2, S. 88f.: De Corrupto ordine vivendi pereuntibus. Inventio nova. Sebastiani Brant. So in den auf ein astrologisch-prognostisches, auf das Jahr 1503 vorausweisendes Einleitungsgedicht folgenden Versabschnitten mit den Überschriften: Ordo angelice Jerarchie, Ordo humani generis. Ordo regni universalis. S. 332-334; zur Legitimationsfunktion dieses Theorems für die Kulturphilosophie der zeitgenössischen deutschen Humanisten s. Franz Josef Worstbrock: Translatio artium. Über die Herkunft einer kulturhistorischen Theorie. In: Archiv für Kulturgeschichte 47 (1965), S. 1-22. Grundlegend dazu Werner Goez: Translatio Imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Tübingen 1958. Die deutsche Nation, beginnend mit Karl d. Gr. (ein »Francus«, nicht ein »Gallus«!: S. 332), trägt dieses Szepter seit 700 Jahren. Nun aber die Situation (S. 330): [...] »Cemimus hoc pacto nullam sub Caesare terram / Stare diu: paret rex quia nullus ei: / Atque instar regum: populique, urbesque, fideles / Imperio quondam: libera abire student: / Nemo magis curat regni defendere honorem: / Sed privata magis commoda cuique placent. [...].« (V. 309-314).
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Reich wird so unter dem Titel der Turci irruptio ausgemalt, 25 um freilich abschließend mit den Beschlüssen des Reichstages von Worms 26 hoffnungsreiche Aussichten auf eine von Maximilian garantierte Friedensordnung in helles Licht zu tauchen. Immer wieder bezog Brant in reichspatriotischen Gedichten Stellung zum Türkenproblem. Auf die »exhortatio« Maximilians zielte ausdrücklich ein 1498 erschienener Einzeldruck, der - mit späteren Varianten - ebenfalls in die gleichzeitig erschienene Gedichtsammlung aufgenommen wurde. 27 In bemerkenswerter Änderung der Darstellungsoptik greift Brant hier zum Mittel der Prosopopoiie, 28 indem der Sultan auf eine gegen ihn gerichtete Invektive antwortet. Möglicherweise kannte Brant frii25
Ed. Wilhelmi, wie Anm. 20, S. 334: »[...] Germanos vero genitos de germine, quondam / Ac vere fratres, fama fuisse canit. / Nulla sed o superi est hodie concordia nostris / Germanis: nec pax: lex nec amicitiae: / Sed cuncti inter se grassantur more leonum: / Raptorisque student vivere more lupi. / Heu quantum vereor bella hórrida, bella nephanda: / Intestina simul surgere, et ire procul. / Nam rhenum (metus est) undandum sanguine multo: / Neve Istri fontes, stagna cruoris agant: / Dii superi, talem Germano avertite pestem: / Proelia pellatis Theutonicoque solo. / Longius in Turcos, Arabesque, et Achaica regna / Haec bellona ferox pulsa, et abacta mat. / Regna etenim divisa cadunt: aditus datur hosti / Perfacilis: dispar vertit aratra iugum.« (V. 455-470). Türkenängste saßen tief und drangen bis in die Phantasien und Träume vor. Der zeitweise den Täufern nahestehende Spiritualist Clemens Ziegler z. B. hatte derartige Träume und Visionen: »So sah er >dunkelhäutige< Söldnerhaufen das Rheintal hinaufziehen, die das Land verwüsten. In einem anderen Traum schaute er, wie das Straßburger Münster in einen Pferdestall verwandelt und in Gegenwart des Ammeisters die katholische Messe zelebriert wird. Mehrfach erblickte er einen schwerkranken Kaiser, der versucht, das Evangelium zu verkünden, aber daran von seinen tückischen Ratgebern gehindert wird«; nach Klaus Deppermann: Melchior Hoffman. Soziale Unruhen und apokalyptische Visionen im Zeitalter der Reformation. Göttingen 1979, spez. S. 156f.
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Ob nur der große Wormser Reichstag von 1495 oder auch der kleinere des Jahres 1496 gemeint ist, wird nicht angegeben und ließe sich wohl erst in vergleichender Durchsicht der historischen Quellen abklären. Ed. Wilhelmi, wie Anm. 20, Bd. 1.2, Nr. 244, S. 411-416: Thurcorum terror et potentia. Ad cuiusdam Leonhardi Clementis in Turcum invectivam: Sultat Othomanidae responsio: per Sebastianum Brant in honorem, exhortationemque Serenissimae regiae maiestatis divi maximiliani etc. confida. Anno 98. kal: septembribus [sie!]. Dazu neuerdings die wichtige Studie von Walther Ludwig: Eine unbekannte Variante der Varia Carmina Sebastian Brants und die Prophezeiungen des Ps.-Methodius. Ein Beitrag zur Türkenkriegspropaganda um 1500. In: Daphnis 26 (1997), S. 263-299. Ludwig identifiziert den im Gedichttitel angesprochenen Leonhardus Clemens (als Humanist: Casselius), zeichnet seine Beziehungen zu Brant anhand bisher unbekannter Gedichte, bestimmt in diesem Zusammenhang eine bisher so gut wie unbeachtete Textvariante der Varia Carmina (Ad divum Maximilianum regem etc. Exhortatio) und führt ein in die Brants Mentalität prägende, Gedanken des joachimitischen Endkaisertums aufgreifende Literatur der Prophetien und Prognostiken, die sich auf den Text dieses später hinzugefügten Gedichtes in manchen Einzelzügen auswirken. Immer zu vgl. der locus classicus der rhetorischen Theorie, nämlich Quintilian, inst. orat. IX, 2, 29-37; hier genau passend die Formulierung: »his et adversariorum cogitationes velut secum loquentium protrahimus«, wobei freilich Brant gegen Quintilians folgende Einschränkung verstößt: »qui tarnen ita demum a fide non abhorreant, si ea locutos finxerimus, quae cogitasse eos non sit absurdum.«
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here humanistische Phantasieprodukte, in denen der Sultan auf jenen Brief reagierte, mit dem Papst Pius II. seinen Widersacher zur Bekehrung aufforderte.29 Brant läßt den Sultan als Propheten wider Willen berichten, »wie die Türken einst aus der felsigen und unwirtlichen Gegend des Kaspischen Meers aufgebrochen seien und sich erobernd immer mehr ausgedehnt hätten. Unterstützt worden sei ihr Vordringen durch die Sorglosigkeit und Feigheit der Herren Roms, durch die von den Himmlischen bestraften Frevel und die verderbte Religion ihrer Gegner sowie durch die innere Zwietracht der Christen. So sei es den Türken überall, in Asien, in Afrika und in Europa, gelungen ihre Eroberungen zu machen. Der Vater des Sprechers habe Byzanz erobert und das dortige Reich beseitigt. Der Sprecher wird dadurch als der zur Zeit regierende türkische Sultan, also Bajasid II., gekennzeichnet. Nun droht der Sprecher, das restliche Europa an sich zu bringen. Nur einen fürchte er: den römischen König Maximilian. Wenn dieser die europäischen Reiche zum Frieden untereinander bringe und mit ihrer vereinten Macht gegen ihn ziehe, sei es um ihn geschehen. Nur Maximilian könne die Türken besiegen. Maximilian sei dieser Sieg von den Himmlischen vorbehalten worden. Ihm selbst sei es bestimmt, von ihm gefangen genommen zu werden. Doch dann wolle er lieber zuvor noch den christlichen Glauben annehmen. Maximilian sei kein früherer und kein künftiger König gleich.«30 Eine Trauerelegie (1518) auf den Tod Maximilians, offenbar schon vorher entstanden, sollte schließlich alle auf den verstorbenen Kaiser gerichteten Hoffnungen wohl auch auf den Nachfolger überleiten:31
[...]
Rumpe moras Caesar, Thurci pete regna nephandi, Excute et a Christi, lora, flagella, grege, 29
Vgl. die Hinweise bei Ludwig, wie Anm. 27, S. 270, und Reinhold F. Glei: Pius Aeneas und der Islam. Der Brief des Papstes an den Eroberer Konstantinopels. In: Gerhard Binder und Konrad Ehrlich (Hg.): Religiöse Kommunikation - Formen und Praxis vor der Neuzeit. Trier 1997 (Stätten und Formen der Kommunikation im Altertum VI/26), S. 301-325, hier S. 324 mit Beispielen zur Verbreitung fiktiver Antwortbriefe des Sultans an Pius II. Bei Johannes Oporinus in Basel erschien 1554 sogar eine ganze Sammlung derartiger, durchweg gefälschter Briefe: Mahumetis Magni Turcorum imperatoris epistolae, Syrica, Graeca et Scythica Unguis conscriptae, perque Landinum Eq. Hierosolymitanum latiné versae, in: Epistolarum Laconicarum, atque Selectarum Farragines duae [...] Gilberti Cognati [i. e. Gilbert Cousin] Nozereni opera in studiosorum usum iam olim collectae, et nunc rursum magna acceßione locupletae, S. 464-506; die Titelaufnahme hier nach Glei.
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Ich zitiere die von Ludwig vorgelegte Paraphrase, wie Anm. 27, S. 270. Ed. Wilhelmi, wie Anm. 20, Bd. 1.2, Nr. 452, S. 605-607: Ad divum Maximilianum invictissimum, cunctosque Christiani nominis principes et populos, Naenia Sebastiani Brant, In Thurcarum nyciteria, cum arripiendae in eosdem expeditionis exhortatione, hier zitiert der Schlußteil des Gedichts (V. 65-96). Die weiteren, darunter auch deutschsprachigen Türkengedichte Brants findet man leicht anhand des von Wilhelmi beigegebenen Sachregisters in Bd. 2 (sub verbo >TürkenClientel< des Kaisers aufgenommene Konrad Celtis (1459-1508) wandte sich in bewegter lyrischer Rede an Friedrich III., als der Fürstentag von Nürnberg (1487) erfolgreiche Bemühungen um die Bündelung der Abwehrkräfte zu verheißen schien, 32 und es war neben Celtis auch der Freiburger, später in Tübingen und Ingolstadt lehrende >Poet< Jacob Locher, 33 der Elemente des panegyrischen Trionfotheaters mit klassizistischen Formen des neuen Renaissancedramas verknüpfte und - nach dem Vorgang einer dramatisch inszenierten Historia de rege Franciae - die Anwesenheit Maximilians in Freiburg (1495) dazu benutzte, seine Tragedia de Thurcis et Soldano vorzustellen: eher ein Hör- als ein Schaustück, durchsetzt mit Klagemonologen und mit der Verwandlung >des Türken< zur Ausgeburt der Hölle, vergleichbar der schrecklichen Gewalt des Unterweltgottes Pluto und jener Giganten, die einst wider die hohe und helle Macht der olympischen Götter kämpften. 34 Die von vielen Details der politischen und militärischen Lage abstrahierende Appellationsdichtung dieser Art sollte deshalb nicht als historisch marginal oder gar als realitätsblind bezeichnet werden. Der hohe Ton, in dem etwa Celtis die Bemühungen des Fürstentages mit der Aura einer Wie-
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Gedruckt als erstes Gedicht des Liber Epodon (zusammen mit den vier Büchern der Oden: Straßburg 1513), greifbar in der Ausgabe von Felicitas Pindter (Hg.): Conradus Celtis Protucius: Libri Odarum quattuor. Liber Epodon. Carmen seculare. Leipzig 1937, S. 103-106: Ad Caesarem Fridericum, dum contra Turcos principes convocasset. Zu Celtis jetzt heranzuziehen die kommentierte und bibliographisch fundierte Auswahlausgabe in: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. [...] Hg. von W. Kühlmann, Robert Seidel und Hermann Wiegand. Frankfurt/M. 1997 (Bibliothek Deutscher Klassiker 146, Bibliothek der Frühen Neuzeit 5), S. 11-137 mit dem Kommentar S. 920-1019. Zu ihm s. den zusammenfassenden Artikel von W. Kühlmann. In: Literaturlexikon. Hg. von Walther Killy. Bd. 1-12. München, Gütersloh 1989ff., hier Bd. 7 (1990), S. 317f., sowie das Autorenporträt von Bernhard Coppel: Jakob Locher Philomusus (1471-1528). Musenliebe als Maxime. In: Humanismus im deutschen Südwesten, wie Anm. 15, S. 151-178. Typologisch vergleichbar Celtis' Festspiel Ludus Dianae (Erstdruck 1501, dann in: Quatuor libri Amorum [...], Nürnberg 1502); vgl. den Neudruck mit deutscher Übersetzung in: Konrad Celtis. Poeta laureatus, ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Kurt Adel. Graz / Wien 1960 (Stiasny-Bücherei 62), S. 90-105; zur Türkenadhortatio bes. S. 9497. So die interpretierende Charakterisierung der Stücke von Bernhard Coppel: Jacob Locher und seine in Freiburg aufgeführten Dramen. In: Acta Conventus Neo-Latini Amstelodamensis. Hg. von Pierre Tuynman u. a. München 1979, S. 258-272. Auszüge des Türkendramas (Vorrede, 1. Akt, Schlußrede an die Zuschauer) sind in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Der deutsche Renaissance-Humanismus. Hg. von Winfried Trillitzsch. Frankfurt/M. 1981, S. 236-248
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derkehr goldener Zeiten verherrlichte, 35 entsprach der Aufgabe, Vorstellungsmodelle und Maximen des historischen und zugleich moralischen Bewußtseins bei den Inhabern der Macht und den Urhebern der Ohnmacht zu aktivieren. Lob und Tadel, Ruhmesverheißung und lyrische Klage bewegten sich in den Bahnen des genus demonstrativum, indem sie die konkrete historische Kalkulation oft genug übersprangen, um auf der Ebene der moralisch-reichsromantischen Projektionen finite Erfahrungen in allgemeingültiges Handlungswissen zu transformieren und in der poetisch erhöhten Rede den Konsens der angesprochenen und gemeinten Mächte unter evidenten Kategorien der Willensbildung einzufordern. Sowohl das protojournalistische Tagesschrifttum wie auch die adhortative oder enkomiastische Poesie der Gelehrten waren flankiert von Textsorten, in denen geistliche Sinnstiftung in fromme Verhaltensdidaxe überging. Argumentative Bestände der politisch-historischen Rhetorik wurden dabei fast immer überlagert, zumindest aber durchsetzt von Denkfiguren einer theokratischen Geschichtsdeutung, in welcher >der Türke< als Zuchtinstrument Gottes fungierte. 36 Die historischen Ereignisse verwandelten sich so zu Indizien göttlichen Zorns, Zeichen einer im göttlichen Heilshandeln abgesicherten Warnung und Strafandrohung, wobei sich in den Zerwürfnissen und im Eigennutz der Potentaten nicht mehr und nicht weniger zu spiegeln schien als der universale Verfall des religiös-moralischen Pflichtbewußtseins nach Maßgabe ständischer Ordnungsverheißungen. Unter dem Eindruck eines gerade im frühen Luthertum verbreiteten Endzeitbewußtseins ließ sich die religiöse Diatribe durch Projektionen verstärken, die nach biblischen Bildern den eschatologischen Endkampf wider den Antichristen auf die aktuelle Situation übertrugen. 37 Nach dem Vorbild Luthers bildete sich in diesem Zusammenhang in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein eigenständiger Typus der >Türkengebete< heraus, 38 manchmal im An35
Celtis, Ed. Pindter, wie Anm. 32, S. 104 (die ersten Verse): »Aurata nobis iam rediere tempora / Laudata priscis vatibus, / Dum Fridericus Caesar invictissimus / Vocat in senatum principes, / Ut Hostium nunc imminentium turbinem / Prosternât altis viribus.« Ähnlich auch in Celtis' Dankgedicht zur Dichterkrönung; s. Text und Erläuterung in: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, wie Anm. 32, S. 12. 36 Dazu J. W. Bohnstedt: The infidel scourge of God. The Turkish menace as seen by German pamphleteers of the Reformation era. Philadelphia 1968. Die schwankende Haltung Luthers in seinen diversen Schriften und Äußerungen zum Türkenproblem ist des öfteren behandelt; vgl. in diesem Band den Beitrag von Martin Brecht. Daß sich der Türkensturm auch zur Inkrimination der jeweils anderen Konfession ausnützen ließ, belegen viele Zeugnisse. 37 Dazu umfassend der Aufsatz von Ulrich Andermann in diesem Band; ferner Amo Seifert: Der Rückzug der biblischen Prophetie aus der neueren Geschichte. Studien zur Geschichte der Reichstheologie des frühneuzeitlichen deutschen Protestantismus. Köln / Wien 1990, hier bes. Kap. 2: »Die Entdeckung des türkischen Antichrist« (S. 11-20). 38 Dazu im knappen Überblick Paul Althaus: Forschungen zur evangelischen Gebetsliteratur. Gütersloh 1927. Ndr. Hildesheim 1966, S. 145-147; vgl. auch Carl
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hang thematisch koordinierter Predigten oder Chroniken gedruckt, 39 oft in Städten und Territorien von der Obrigkeit angeordnet, demgemäß in separaten Einzeldrucken oder Sammlungen publiziert, welche auch - manchmal bereits im Titel - die besonderen Aufgaben des »Kriegsmanns« mit seelsorglichem Eifer in den Blick nahmen.''0 Daneben eröffnet sich das weite Terrain der neuerdings von Dieter Mertens41 für das späte Mittelalter untersuchten »institutionalisierten Kommunikation« in Form der oratorischen Praxis: darunter jener auf bekannte Exempel zurückweisenden geistlichen Kasualberedsamkeit, die in differenzierten Publikumsbezügen und in der Spannung von Dispositionen der sog. >Themapredigt< und der humanistischen Epideiktik nicht zuletzt das bisher offenbar kaum eigens untersuchte Genus der >Türkenpredigt< ausbildete. 42 Als moralistische Auslegung (enarratio) des 28. Psalms läßt sich auch die illusionslose, Töne des eifernden Reichspatriotismus vermeidende Consultatici de bello Turcis inferendo (1530) des Erasmus von Rotterdam dem >geistlichen< Textfeld zuordnen. Im Rückgriff auf Giovanni Battista Egnazios De Caesaribus (Venedig 1516) arbeitet Erasmus einen langen Exkurs zur Geschichte der Türken in seine Abhandlung ein. 43 Sie bestätigt zwar ste-
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J. Cosack: Zur Literatur der Türkengebete im 16. und 17. Jahrhundert. In: Bernhard Weiss: Zur Geschichte der evangelisch ascetischen Literatur in Deutschland. Basel / Ludwigsburg 1871, S. 163-242. So veröffentlichte der Magdeburger Pfarrer Esaias Heidenreich 1582 zwölf Türkenpredigten über den 79. Psalm mit je einem Gebet am Schluß der Predigten (s. VD 16, H 1321); auch der »Unterricht vom Türcken« (1567; VD 16, F 2798) des Magdeburger Pfarrers Chilianus Friederich ging aus Predigten hervor. Michael Babst ließ eine »Türckische Chronika« (1593; VD 16, Β 306) mit elf Gebeten erscheinen. Zu den umfangreichen Sammlungen gehörte das »Betbuch [...] wider den Erbfeind christlichen Namens, den [...] Türcken« (Frankfurt a. O. 1595; VD 16, L 1361) des Berliner Domprobstes Matthäus Leudholdt; weitere Hinweise auch bei W. Schulze, wie Anm. 8, bes. S. 37f., zu Sammlungen und Drucken von Türkengebeten und Türkenpredigten vor allem auf Initiative territorialer Obrigkeiten. Martin Behem (Prediger im schlesischen Lauban) legte ζ. B. 1593 zu Leipzig ein »Kriegesmann« betiteltes Werk für die Soldaten vor (VD 16, Β 1503). Dieter Mertens: Die Rede als institutionalisierte Kommunikation im Zeitalter des Humanismus. In: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. von Heinz Duchardt und Gert Melville. Köln / Weimar / Wien 1997, S. 401-421. Eine Gesamtdarstellung dieses Predigttypus habe ich nicht gefunden; man muß sich an Einzelstudien halten; vgl. Siegfried Raeder: Die Türkenpredigt des Jacob Andreae. In: Theologen und Theologie an der Universität Tübingen. Beiträge zur Geschichte der evangelisch-theologischen Fakultät. Hg. von Martin Brecht. Tübingen 1977 (Contubernium 15), S. 96-122; E. Kappe: Die Geschichte der Türkenpredigt in Wien. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der Stadt während der Türkenzeit. Diss. phil. Wien 1949; zu Luther s. hier den Beitrag von Martin Brecht. Ich benutzte hier die hervorragend eingeleitete und kommentierte, auch bibliographisch sehr ergiebige Edition von A. G. Weiler, in: Opera Omnia Desiderii Erasmi Roterodami [...], Ordinis quinti, Tomus tertius. Amsterdam / New York usw. 1986, S. 1-82: Utilissima consultado de bello Turcis inferendo, et obiter
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reotype Urteile über türkische Barbarei, läuft aber keineswegs darauf zu, einen Krieg gegen die östliche Großmacht umstandslos zu empfehlen. Ob man diesen Krieg führen müsse, wurde auch sonst in deliberativer Rede behandelt, ohne daß die Legitimität dieses Krieges ernsthaft in Zweifel gezogen worden wäre. 44 Erasmus hält sich von radikalpazifistischen Theoremen fern, meldet aber unhörbar seine Skepsis gegen die aktuelle Kreuzzugspropaganda an, hinter der er nur die trügerischen Machenschaften des Papstes oder gar des Kaisers wittert. Auf die Kardinalfrage »Unde igitur illis [den Türken, W. K.] tantus rerum successus?« 45 gibt es für Erasmus nur eine Antwort: den Hinweis auf die Herrschsucht und Habsucht der Christen. Gegen die Türken erfolgreich zu sein setze voraus, den »Türken im eigenen Herzen«, d. h. Geiz, Ehrgeiz, Herrschsucht, Mangel an Frömmigkeit, Wollust, Betrug, Haß und Neid zu besiegen. 46 Die türkische Bedrohung zeige, woran es in der Christenheit fehle: an dem Willen zu einer allgemeinen und erkennbaren Besserung der Lebensführung. Indem Erasmus die Frage nach dem bellum iustum kompromißlos zu einer Abrechnung mit christlicher Herrschaftspraxis und Alltagsbarbarei ausbaut, schließt sich seine Consultano an frühere Stellungnahmen an, die er bereits in seiner Querela pacis,47 in seinem Adagium Dulce bellum inexpertis4S oder in seinem Brief (1518) an den Abt Paulus Volz von Hugshofen im Elsaß 49 ausgesprochen hatte und die enarratus Psalmus XXVIII; zur Resonanz der politisch-moralischen Protreptik des Erasmus in der zeitgenössischen Literatur vgl. Jean Lebeau: Sixt Bircks »Judith« (1539), Erasmus und der Türkenkrieg. In: Daphnis 9 (1980), S. 679698. 44 Johannes Cochlaeus (1479-1552), der bekannte Gegner Luthers, behandelte so in einem eigenen Werk (Dialogus de bello contra Turcas, 1529) die auseinandergehenden Ansichten zum Türkenkrieg (darunter die zuerst zögernde Haltung Luthers); s. Göllner, wie Anm. 3, Bd. III, S. 196f. 45 Ed. Weiler, wie Anm. 43, S. 50. 46 Ebd. Formulierungen wie (S. 52 bzw. 62): »An pietati Turcarum hic successus tribuetur? Nequaquam. An virtuti? Gens est effoeminata luxu, nec alia re quam latrociniis formidanda. Quid igitur causae? Nostris vitiis tili debent suas victorias, pugnauimus aduersus illos, sed vt res ipsa clamitat, irato Deo nostro. Iisdem enim studiis arma mouemus in Turcas, quibus illi ditiones alienas occupant. Trahimur regnandi libidine, inhiamus opibus, et vt dicam in summa, Turcae pugnamus cum Turcis. Quin ipsa rerum gestarum historia satis indicat, nostris dissidiis, nostra ambitione, nostratium perfìdia grauissimis cladibus semper fuisse datum locum.« - »Vbi nunc verae fidei, vbi christianae charitatis, vbi pacis et concordiae vestigia? Quo vnquam seculo plus licuit fraudibus, audaciae, rapinae et imposturis? Et interim ceu germani christiani Turcas detestamur. Si nobis succedere cupimus, vt Turcas a nostris cervicibus depellamus, prius teterrimum Turcarum genus ex animis nostris exigamus, auaritiam, ambitionem, dominandi libidinem, nostri fiduciam, impietatem, luxum, voluptatum amorem, fraudulentiam, iram, odium, inuidiam [...].« 47 Hier u. a. : »Si cupimus Turcas ad Christi religionem adducere, prius ipsi simus christiani«. Vgl. dazu mit weiterer Erörterung der einschlägigen Zeugnisse Weiler, wie Anm. 43, bes. S. 24-26. « S. Weiler, wie Anm. 43, S. 25. 49 Der Widmungsbrief zu Erasmus' Enchiridion militis christiani: s. Weiler, wie Anm. 43, S. 26.
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bisweilen begleitet waren von Randbemerkungen, die im Umkreis der Türkenpublizistik durchaus unbequeme Einsichten eröffneten: Ob ein Mann, der gegen die Türken kämpfe, in den Himmel komme, hänge ab von seiner moralischen Erneuerung, nicht aber von dieser seiner militärischen Leistung, außerdem handele es sich bei den Türken als Muslimen ja eigentlich um »halbe Christen«, insofern diese ja Moses und Christus als Propheten ansähen. Der umfangreiche historiographische Binnenteil der Consultatio macht darauf aufmerksam, daß den Redenschreibern und Traktatisten während des 16. Jahrhunderts auch in Deutschland eine nicht mehr abreißende Serie historischer, manchmal zugleich kulturgeographisch angelegter Geschichtswerke diversen Zuschnitts zur Verfügung standen. Von der Türckischefn] Chronick (1513) des in Straßburg bzw. Schaffhausen lebenden Mediziners und breitenwirksamen Publizisten Johannes Adelphus Muling (ca. 14851523) 50 oder des Wiener Humanisten Johannes Cuspinians (1473-1529) Werken 51 läßt sich der Prozeß einer Vertiefung und Verdichtung der >turkologischen< Informationen bis hin etwa zu Johannes Leunclavius' Historiae Musulmanae Turcorum, de monumentis ipsorum exscriptae, libri XVIII (Frankfurt/M. 1591) verfolgen. 52 Löwenklau kannte Konstantinopel und die östlichen Kriegsschauplätze aus eigener Anschauung, vertiefte sich sowohl in die byzantinischen wie auch die türkischen Quellen und vermochte so, vielleicht auch beeinflußt von seinem habsburgkritischen Kryptocalvinis50
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Zu ihm der ausführliche Artikel (mit kompletter Werkbibliographie) von Bodo Gotzkowsky, in: Die deutsche Literatur. Biographisches und bibliographisches Lexikon. Reihe II. Die deutsche Literatur zwischen 1450 und 1620. [...] Hg. von Hans-Gert Roloff. Lieferung 3 und 4. Bern usw. 1985, S. 188-244, hier spez. S. 196f. mit Hinweisen auf Adelphus' Historia von Rhodis (nach einer lateinischen Vorlage) und seine Barbarossa-Biographie; vgl. Bernhard Gorceix: Le turc dans les lettres allemandes aux 16e et 17e siècles. Johannes Adelphus et Abraham a Sancta Clara, in: Revue d'Allemagne 13 (1981), S. 216-237. Seine Turcica waren größtenteils inseriert in der monumentalen Darstellung der Caesares (gedruckt in Straßburg 1540), einer Porträtreihe der römischen und byzantinischen Kaiser, aber auch der türkischen Herrscher: Abhandlungen über türkische Institutuionen und den Ursprung der Türken nebst einer Schrift des ungarischen Freundes Felix Petantius aus Ragusa, Bibliothekar der Bibliotheca Corvinia (»Auf welchen Wegen die Türken anzugreifen seien«). S. dazu im einzelnen mit vielen Schlaglichtern auf die politischen Verhandlungen der Zeit, von denen sich Cuspinian bestimmt wußte, Hans Ankwicz-Kleehoven: Der Wiener Humanist Johannes Cuspinian. Gelehrter und Diplomat zur Zeit Kaiser Maximilians I. Graz / Köln 1959, passim bes. S. 207f., 274-279. Nach der Niederlage bei Mohacs schrieb Cuspinian eine flammende Oratio protreptica ad Sacri Ro. Imp. Principes et proceres, ut bellum suscipiant contra Turcum cum descriptione conflictus, nuper in Hungaria facti [...], erschienen zu Wien im Dezember 1526 und begleitet von lateinischen Gedichten des Caspar Ursinus Velius und Johannes Alexander Brassicanus: dazu Ankwicz-Kleehoven, S. 236-239. In deutscher Sprache erschien von ihm eine Neuw Chronica sowie die Übersetzung des genannten lateinischen Werkes unter dem Titel Neuw Muselmanische Histori: vgl. Schulze, wie Anm. 8, S. 28, sowie den Artikel (sub verbo Löwenklau) von Dieter Metzler in: NDB 15 (1987), S. 95f.
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mus, dem östlichen Gegner Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Solchen historiographischen Interessen kamen manche Poeten mit Formen einer Memorialpoesie entgegen, wie wir sie etwa in epigrammartig gefaßten Reihen mit Kurzporträts der türkischen Herrscher, zumeist im Kontrapost zu analogen Serien der abendländischen Kaiser, antreffen. 53 Zugleich ist die Wirkung der - oft mit historischen und kritisch vergleichenden Betrachtungen angereicherten - Reiseliteratur in Anschlag zu bringen: nicht nur im Gefolge der traditionellen Pilgerreisen ins Heilige Land, 54 sondern auch aus der Feder offizieller Legaten und halbprivater Besucher, die intimeren Einblick in die Lebens- und Machtverhältnisse der Hohen Pforte gewannen. Es muß hier genügen, an die lateinischen Reisegedichte ( H o d o e p o r i c a ) des Deutschungarn Paulus Rubigallus/Rothan (1523-1585) und des niederländischen Humanisten Hugo Favoli(n)us (1523-1585) 5 5 oder die den Schema53
Der zum Umkreis Melanchthons gehörende Poet Zacharias Orth (ca. 1535-1579) publizierte ζ. B. im Jahre 1563 in Wittenberg (Kontakte mit Joachim Camerarius d. Ä.) vier sich ergänzende Werke mit griechischen (!) Elegien über die griechischen, römischen und deutschen Kaiser, dabei die Caesares Cuspinians (s. o.) und Paolo Giovios Commentarli de rebus Turcicis (vielleicht nach der Ausgabe Wittenberg 1537) benutzend; vgl. die Zitate und Paraphrasen in Ernst Heinrich Zober: Des M. Zacharias Orthus [...] Lobgedicht auf Stralsund [...]. Stralsund 1831, S. 22-28; zum Autor nun auch W. Kühlmann: Zum Profil des postreformatorischen Humanismus in Pommern: Zacharias Orth (ca. 1535-1579) und sein Lobgedicht auf Stralsund - Mit Bemerkungen zur Gattungsfunktion der »laus urbis«. In: Pommern in der Frühen Neuzeit. Literatur und Kultur in Stadt und Region. Hg. von W. Kühlmann und Horst Langer. Tübingen 1994 (Frühe Neuzeit 19), S. 101-124. Auch der aus Schlesien stammende Caspar Ursinus Velius (1493-1534), in der Umgebung Ferdinands I. mit den ungarischen Angelegenheiten befaßt, deshalb auch Verfasser zahlreicher Türkengedichte und Schriften zur aktuellen Situation bzw. Geschichte Ungarns, berücksichtigte in seiner Sammlung von Monosticha über die römischen und griechischen Kaiser auch vier türkische Sultane (Wien 1528); zu ihm nach wie vor grundlegend Gustav Bauch: Caspar Ursinus Velius. Der Hofhistoriograph Ferdinands I. und Maximilians II. Budapest 1886, hier zu den Monosticha S. 57 sowie passim zum Türkenthema: u. a. S. 63 zu einer in Aachen gehaltenen Festrede zur Wahl Ferdinands I., in der die türkische Bedrohung ebenso eindringlich akzentuiert wurde wie in der bald darauf gedruckten Querela Austriae, sive epistola ad reliquam Germaniam ( Augsburg 1532). - Zu Ursinus Velius jetzt auch heranzuziehen die Textauswahl mit Übersetzung und Kommentar in: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, wie Anm. 32, S. 139-157, 1020-1032. - Georg Sabinus (zu ihm s. u. Abschnitt II; hier wie Anm. 68, 1581, S. 200-236) legte in zwei Büchern Porträtgedichte deutscher Kaiser von Karl d. Gr. bis Karl V. vor (De Caesaribus Germanicis); hier wird selbstverständlich (vor allem zu Fridericus Secundus, S. 218-221) auch der Kreuzzüge gedacht.
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Vgl. die zusammenfassende Darstellung (mit Literaturhinweisen) von Gerhard Wolf: Die deutschsprachigen Reiseberichte des Spätmittelalters. In: Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Hg. von Peter J. Brenner. Frankfurt/M. 1989 (suhrkamp tb. 2097), S. 81-116; ergänzend einschlägige Aufsätze von Peter Moraw, Ernst Bremer und Klaus Ridder in: Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit [...]. Amsterdam / Atlanta, GA 1992 (Chloe 13). Ausführlich dazu das für die Gattung grundlegende Werk von Hermann Wiegand: Hodoeporica. Studien zur neulateinischen Reisedichtung des deutschen
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tismus der Schreckensberichte überwindenden Reisebriefe des Niederländers Augerius Gislenius Busbequius (Ogier Ghiselin de Busbeq, 1520/21— 1591)56 zu erinnern. Manche dieser Tagebücher57 und Briefrelationen, erst recht einige spätere Erfahrungsprotokolle derer, die in türkische Gefangenschaft geraten waren,58 blieben vorerst nur als ungedrucktes Manuskript erhalten.
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Kulturraums im 16. Jahrhundert. Mit einer Bio-Bibliographie der Autoren und Drucke. Baden-Baden 1984 (Saecula Spiritalia 12), S. 145-176, hier auch zum Iter Byzantinum des kaiserlichen Kriegsrates Henricus Porsius; ergänzend (mit Textauszügen, didaktisch aufbereitet) ders.: Imago Turcae. Das Türkenbild der frühen Neuzeit im Lateinunterricht der Oberstufe. In: Der Altsprachliche Unterricht XXXVI, Heft 6 (1993), S. 12-36 (zu Paulus Rubigallus, Hugo Favolinus, Ioannes Boemus und Augerius Gislenius Busbequius). Busbequius war von 1554 bis 1562 kaiserlicher Gesandter bei der Hohen Pforte; seine Legationis Turcicae Epistolae Quatuor erschienen u. a. 1581/82 in Antwerpen; vgl. die Ausgabe: Ogier Ghiselin de Busbeq: Omnia quae extant Opera. Ndr. der Ausgabe Basel 1740. Einleitung von Rudolf Neck. Graz 1968; bereits 1596 erschien eine deutsche Übertragung; eine neuere Übersetzung legte Wolfram von den Steinen vor: Vier Briefe aus der Türkei von Ogier Ghiselin von Busbeck. Erlangen 1926; eine niederländische Neuausgabe (ed. von Martels) erschien 1994 in Hilversum; vgl. die nun maßgebliche Darstellung von Zweder Rudolf Willem Maria von Martels: Augerius Gislenius. Leven en werk van de keizerlijke gezant aan het hof van Siileyman de Grote. Diss. Groningen 1989, sowie ders.: Het leven van Ogier van Boesbeke (Augerius Busbequius; 1520/21—1591) [...]. In: De Franse Nederlanden 18 (1993), S. 203-217; ergänzend heranzuziehen die Sammlung von Karl Teply: Kaiserliche Gesandtschaften ans Goldene Horn. Stuttgart 1968 (Bibliothek klassischer Reiseberichte) und Einzelausgaben wie den Bericht des Gesandtschaftspredigers Salomon Schweigger: Eine newe Reyßbeschreibung auß Teutschland Nach Konstantinopel und Jerusalem. Nürnberg 1608. Nachdruck, eingeleitet und hg. von Rudolf Neck. Graz 1964 (Frühe Reisen und Seefahrten in Originalberichten 3); dazu neuerdings Wolfgang Neuber - neben seinem Beitrag in diesem Band - : »Türkisches« Zeremoniell. Alterität und Vertrautheit der Osmanischen Herrschaftsdemonstration am Beispiel von Salomon Schweiggers Reyßbeschreibung (1608), in: Zeremoniell in der Krise. Störung und Nostalgie. Hg. von Bernhard Jahn, Thomas Rahn, Claudia Schnitzer. Marburg 1998, S. 78-88; ferner Michael von Saurau: Orttentliche Beschreybung der Rayß gehen Constantinopel, mit der Pottschaft von Kaysser Maximilian dem anderen in die dürgkey abgeferdigt, anno 1567, eingeleitet und hg. von Konrad Wickert. Erlangen 1987 (Erlanger Forschungen, Reihe A/40). Berühmt die Tagebücher des zeitweise im Dienste Anton Fuggers tätigen, 1553 mit Busbeq in die Türkei reisenden Hans Dernschwamm (1494—1568); vgl. Hans Dernschwamms Tagebuch einer Reise nach Konstantinopel und Kleinasien (1553-55). Nach der Urschrift im Fugger-Archiv hg. und erläutert von Franz Babinger. München 1923 (Studien zur Fugger-Geschichte, Heft 7), Neudruck mit einem Nachwort von Roman Schnur. Berlin - München 1986. Exemplarisch Karl Teply (Hg.): Michael Heberer von Bretten, Aegyptica Servitus. Wahrhafte Beschreibung einer Dreyjaehrigen Dienstbarkeit / So zu Alexandrien in Egypten ihren Anfang / und zu Constantinopel ihre Endschaftt genommen [ursprünglich Heidelberg 1610]. Graz 1967 (Frühe Reisen und Seefahrten in Originalberichten 6); dazu die Monographie von Hugo Fröhlich: Johann Heberer von Bretten, der »churpfältzische Robinson«. Speyer 1965 (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft der Wissenschaften 50); Karl Teply (Hg.): Johann Wild, Reysbeschreibung eines gefangenen Christen anno 1604. Stuttgart 1964 (Bibliothek klassischer Reiseberichte); zeitweise in türkischer Gefangenschaft
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Ins Zentrum der von der humanistischen Intelligenz getragenen Literatur, zugleich an den Ort ihres größten Wirkungsanspruchs und ihrer bedeutsamsten kontextuellen, gleichsam synergetischen Verflechtung führt aber erst das weite Spektrum jener - zumeist bald auch in gedruckter Form präsentierten - Beredsamkeit, die sich seit den sog. Türkenreichstagen (1454/55) in Regensburg, Frankfurt und Wiener Neustadt bis etwa zur Mitte des 16. Jahrhunderts gerade in einem Strom gedruckter >Türkenreden< Bahn brachen. Vor allem Wolfgang Helmrath59 und Dieter Mertens 60 haben sich neuerdings dieses Schrifttums und seiner zuerst als mündlicher Intervention und Repräsentation zu denkenden Einbindung in die Verhandlungswirklichkeit der Reichstage angenommen und unter anderem die Ausstrahlung und genrestiftende Wirkung von Autoren wie Enea Silvio (Frankfurter Rede von 1454), Giovanni Antonio Campano (Rede zum >Großen Christentag< 1471) oder Kardinal Bessarion (Nürnberger Rede von 1460) herausgearbeitet. Als Druckerzeugnisse dürfen die Reichstagsreden der Reichspublizistik 61 zuge-
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befand sich auch der durch zahlreiche Turcica hervorgetretene Ungar kroatischer Abstammung B. Georgievits (Gjoijevic); zu seinem Werk jetzt ausführlich Reinhard Klockow: Bartholomäus Georgievits oder die Verwandlung von Leben in Literatur. In: Daphnis 26 (1997), S. 1-32. Vgl. die demnächst wohl im Druck vorliegende Kölner Habilitationsschrift: Die Reichstagsreden des Enea Silvio Piccolomini 1445/55. Studien zu Reichstag und Rhetorik; wie ich aus dem mir von Herrn Helmrath dankenswerterweise übersandten Inhaltsverzeichnis entnehme, ist in diesem Werk auch ein »Katalog der Reden (1401-1596)« vorgesehen; selbst eine notwendigerweise unvollständige Bibliographie wäre höchst erwünscht. In Helmraths Forschungen und den weiteren Forschungsstand führt ein sein Aufsatz: Rhetorik und >Akademisierung< auf den deutschen Reichstagen im 15. und 16. Jahrhundert. In: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual, wie Anm. 41, S. 423-446, bes. S. 440-442 zur Rolle der Türkenreden in der aetas Maximilianea. - Kontrastive Stil- und Strukturuntersuchungen, zum Teil im Blick auf antike Anregungen, liegen vor von Jfürgen] Blusch: Enea Silvio Piccolomini und Giannantonio Campano. Die unterschiedlichen Darstellungsprinzipien in ihren Türkenreden. In: Humanística Lovaniensia 28 (1979), S. 78-178. Vgl. seinen Aufsatz in diesem Band sowie die maßgeblichen Studien: Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter. In: Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Heinz Duchard. Köln / Wien 1991, S. 45-90, hier bes. S. 72ff. zur Rolle der Türkenreden im Feld der weitläufigen Publizistik. Für Jakob Wimpfeling z. B. zählten die Reden eines Enea Silvio, Campano und Bessarion zu den »Klassikern« des Genres: so Mertens, ebd., S. 72, Anm. 98; ferner ders.: »Europa, id est patria, domus propria, sedes nostra...«. Zu Funktionen und Überlieferung lateinischer Türkenreden im 15. Jahrhundert. In: Europa und die osmanische Expansion im ausgehenden Mittelalter. Hg. von Franz-Reiner Erkens. Berlin 1997, S. 39-57; Der Reichstag und die Künste. In: Mediävistische Komparatistik. Festschrift für Franz-Josef Worstbrock zum 60. Geburtstag. Hg. von Wolfgang Harms und Jan-Dirk Müller. Stuttgart / Leipzig 1997, S. 295-314; dazu kommt der bereits oben erwähnte Aufsatz von 1997, wie Anm. 41. Zu Gegenstand und Begriff s. bes. Friedrich Hermann Schubert: Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der Frühen Neuzeit. Göttingen 1966 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 7), bes. Kap. VI-VII, S. 158-298.
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rechnet werden, damit auch als Teilsektor einer genuin politisch-literarischen Reichsöffentlichkeit gelten. Was die Redner zur Sprache brachten, waren nicht die juristischen oder diplomatischen Spitzfindigkeiten der Verhandlungen, betraf nicht die zeremoniellen Vorgänge, auch kaum die Voten, Propositionen und verbindlichen Beschlüsse der Unterhändler. Gerade die >Türkenreden< bekräftigten vielmehr den schon im Zusammentritt des Reichstags symbolisierten Reichspatriotismus - in der Spannung jeweils zu Tagesinteressen und in der diskursiven Vermittlung aktueller Konflikte mit den als verbindlich apostrophierten >Gemeinplätzen< des politisch-moralischen Wissens.62 Literarisches >Medium< solcher in der Interferenz moralischer Topik und politischer Parteilichkeit artikulierten Protreptik war die rhetorisch >expolierte< Prunkrede in ihrer von Fall zu Fall unterschiedlichen Ausrichtung auf die Regeln des genus suasorium und genus demonstrativum. Die pragmatischen Dimensionen dieser humanistischen Redekultur erschließen sich erst in ihrem historisch-situativen Kontext. Beispielsweise stand Ulrich von Huttens Exhortatoria an die deutschen Fürsten Ut Bellum in Turcas concorditer suscipiant, gedacht für den Augsburger Reichstag von 1518, dort aber zum Leidwesen des Autors von einer Rede des Italieners Riccardo Bartholini verdrängt,63 auch in den nachfolgenden Publikationen im Umfeld konkurrierender Oratorie:64 darunter der Rede des Kardinallegaten Thomas Caietan über den Türkenzehnten, der ablehnenden Exhortatio »viri cuiusdam doctissimi«, der diversen Konsultationsvorlagen von Seiten des Kaisers und der Fürsten, aber auch der teils in Prosa, teils in Gedichtform operierenden Stellungnahmen anderer Reichtagsteilnehmer. An Huttens Beispiel wie auch den Hervorbringungen vieler anderer vom Kaiser gerade auf den Reichstagen gekrönter Dichter läßt sich, wie vor allem Jan-Dirk Müller65 und Dieter Mertens 66 gezeigt haben, »das symbiotische Verhältnis« des 62
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Es gilt hier die seit Cicero hervorgehobene, später u. a. von Melanchthon aufgegriffene philosophisch-moralische Funktion der loci communes, wie sie u. a. von Lothar Bornscheuer (Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft. Frankfurt 1976) bekräftigt wurde. Jeder locus communis hat demnach (S. 96f.) »die doppelte Funktion, einerseits Problemdiskussionen im Rahmen des gesellschaftlichen Normsystems zu halten, andererseits die interpretatorische Reflexionskraft immer neu voranzutreiben«. Vgl. dazu im einzelnen Mertens, Der Reichstag und die Künste, wie Anm. 60, S. 302; David Friedrich Strauß: Ulrich von Hutten. Leipzig 1858, Kap. 10, S. 294-330; Hajo Holborn: Ulrich von Hutten, Göttingen 1968 (Kleine Vandenhoeck-Reihe 266), S. 93-97. Huttens Rede ist mit anderen Reden und Gedichten (u. a. der Rede Bartolinis), aber auch mit Verhandlungsdokumenten und einer zeitgenössischen Reichstagsbeschreibung abgedruckt in: Ulrichs von Hutten Schriften. Hg. von Eduard Bökking. Neudruck der Ausgabe 1859-1861. Aalen 1963, Bd. V, S. 98-300. In seinem o. g. Werk, wie Anm. 14. Genannt seien: »Bebelius...patriam Sueviam...restituit«. Der poeta laureatus zwischen Reich und Territorium, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 42 (1983), S. 145-173; Zu Sozialgeschichte und Funktion des poeta lau-
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Herrschers und des Literaten nachweisen, und es dürfte kein anderes Genus geben, das diese »Symbiose« präziser dokumentieren könnte als die mit dem Türkenproblem befaßte >oratioArgumenteOrator< in diplomatischen Diensten, bald auch als Leitfigur einer nicht kleinen Schar von Schülern und Anhängern, überregionaler An-
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piendo; nach Dietrich Komexl: Studien zu Marquard Freher (1565-1614): Leben, Werke und gelehrtengeschichtliche Bedeutung. Diss, masch. Freiburg 1966. Bamberg 1967, S. 122. Die längeren Elegien sind im Textanhang (TA) mit einer Übersetzung abgedruckt; teilweise stütze ich mich dabei wie auch bei den erläuternden Ausführungen auf die neuere Auswahledition: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, wie Anm. 32, spez. zu Sabinus S. 500-538; kommentierender Anhang mit bibliographischer Einleitung S. 1240-1270; im übrigen liegt folgende Ausgabe zugrunde: Poemata Georgii Sabini Brandeburgensis V. CI. et numero libronim et aliis additis aucta, et emendatius denuo edita. Leipzig 1581 (im folgenden abgekürzt >Poe. lutherische Pause< ein, oder die gleichfalls haltlose Sichtweise, nach der sich ausgerechnet die an die Herrschaftseliten adressierte neulateinische Dichtung kaum aus dem lastenden Schulstaub erhoben habe. Gerade die politische Poesie des Sabinus hielt sich von konfessioneller Polemik fern, konstituierte sich stattdessen in der Schnittzone dreier kulturpolitischer Anforderungsprofile: 1. der in seinen Vers- und Prosawerken propagierten Kontinuität der Reichshistorie und imperialen Protreptik, mithin in der mit allem Nachdruck fortgeschriebenen Erinnerung an den praesumptiven reichspolitischen Konsens der aetas Maximilianea\ 2. der poetischen Dienstleistung für das Territorialfürstentum, in diesem Fall die Brandenburgischen Hohenzollern, denen sich Sabinus nicht nur durch seinen Geburtsort, sondern auch durch seine Professur für Rhetorik und Dichtkunst in Frankfurt/Oder (seit 1538, dann wieder seit 1555) und anschließend als Rector perpetuus der neugegründeten Universität Königsberg (dort seit 1544) besonders verpflichtet fühlte; 3. der Balance zwischen diesen beiden politisch-dynastischen Direktiven und der vor allem infolge seiner Kontakte mit dem italienischen Humanisten (seit 1539 auch Kardinal) Pietro Bembo (1470-1547) an ihn herangetragenen Vermittlung antiosmanischer Allianzpolitik und damit auch - tentativ ins Werk gesetzter - protestantisch-katholischer Ausgleichsbemühungen. An der Seite Melanchthons besuchte Sabinus die Reichstage von Speyer (1529) und Augsburg (1530), schließlich im Gefolge des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg (reg. seit 1535) auch den Reichstag von Regensburg. Wie sich das innenpolitische Problem des religiösen Schismas fast unauflöslich mit den Fragen der Türkenabwehr verschlang, muß er genau 69
Als Biographie wie auch als Werkmonographie nach wie vor maßgeblich Max Toppen: Die Gründung der Universität zu Königsberg und das Leben ihres ersten Rectors Georg Sabinus. Königsberg 1844; eine biographische Skizze stammt von Heinz Scheible: Georg Sabinus (1508-1560). Ein Poet als Gründungsrektor. In: Die Albertus-Universität zu Königsberg und Ihre Professoren [...]. Hg. von Dietrich Rauschning und Donata von Nerée. Berlin 1995 (Jahrbuch der AlbertusUniversität zu Königsberg/Pr. 29, 1994), S. 17-31; zu Sabinus' Lyrik nützlich immer noch der Überblick bei Georg Ellinger: Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im sechzehnten Jahrhundert. Bd. 2. Die neulateinische Lyrik in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Berlin / Leipzig 1929, S. 67-75; zur Position in der humanistischen Literatur Ostpreußens s. W. Kühlmann und Werner Straube: Zur Historie und Pragmatik humanistischer Lyrik im alten Preußen: Von Konrad Celtis über Eobanus Hessus zu Georg Sabinus. In: Zur Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit. Hg. von Klaus Garber. Tübingen (Frühe Neuzeit): im Druck.
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beobachtet haben. In der spannungsreichen Option zwischen dem kosmopolitischen Moralismus eines Erasmus von Rotterdam und der namentlich durch Ulrich von Hutten nicht selten aggressiv aktualisierten Germanenideologie hatte sich Sabinus' Generation literaturpolitisch bereits vor dem Horizont des drohenden deutschen Bürgerkriegs zu orientieren. Was humanistische Poeten, in ihrer Mehrzahl zwischen den sich bildenden Fronten den Vermittlungsversuchen Melanchthons anhängend, in solcher Lage bewirken konnten, war nicht viel, war aber doch immerhin ein Beitrag zur ironischen Besinnung und Bewußtseinsgeschichte, war Sensibilisierung der Mächtigen, war Sympathielenkung, Steuerung der Phantasie und der Emotionen. Anders als später Melanchthon, der in einer Briefelegie vom Regensburger Reichstag aus seiner Skepsis gegenüber den Aporien der Machtpolitik keinen Hehl mehr machte, 70 repräsentiert eine Versepistel, die Sabinus 1530 vom Augsburger Reichstag an den Dichterfreund Eobanus Hessus (1488-1540) richtete, das in zahllosen Zeugnissen dokumentierte Maß an Hoffnung, das dem von Italien anreisenden und - nach dem Frieden von Cambrai (1529) und nach der Kaiserkrönung (24.2.1530 in Bologna) - zur Ordnung der deutschen Affairen entschlossenen Karl V. entgegengebracht wurde. Im Gestus des Berichts, aber auch im ekphrastisch amplifizierten Briefgenus selbst verknüpft das Gedicht (s. hier den Abdruck als TA, Nr. I) 71 Traditionen der antikisierenden Versepistel mit intertextuell wirksamen Modellen der Reichstagspublizistik: Flugschriften, Reportagen z. B. des Reichsherolds Caspar Sturm und Beschreibungen des Zeremoniells, die sich - exemplarisch in einer Holzschnittserie des Augsburger Malers und Graphikers Jörg Breu d. Ä. (ca. 1475-1537) - auch der Bildmedien bedienten." Die Elegie beginnt mit einer Bestimmung der Kommunikationssituation. Vorausgesetzt wird das Interesse des Freundes an wichtigen Neuigkeiten (V. 5-8). Der »Würde« des Gegenstandes (V. 8: »digna res«) entspricht die gewählte Stillage, der rhetorische >ornatus< und die astralmythologische Gelehrsamkeit der periphrastischen Zeitangabe (V. 9-14). In den Mittelpunkt der angekündigten Briefrelation rückt die genaue Beschreibung des den 70
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S. den Neudruck mit Kommentar in: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, wie Anm. 32, S. 346-350 (Epistola de conventu Ratisponensi ad Iohannem Caesarium Anno 1541) und 1150-1152. Melanchthon wendet sich gegen die Machenschaften der Fürsten und Adeligen (Centauri) und der ränkeschmiedenden Theologen (Sophistae), welche die Gefahr des Bürgerkrieges heraufbeschwören. Die Elegie wurde mit Sabinus' Elegie an Herzog Magnus von Mecklenburg und der Elegie Germania ad Regem Ferdinandum (später unter dem Titel Germania ad Caesarem Ferdinandum; dazu s. u.) 1530 in Augsburg und im selben Jahr zusammen mit Beiträgen von Melanchthon und Joachim Camerarius d. Ä. auch in Wittenberg gedruckt; vgl. VD 16, S 107-109, sowie Toppen, wie Anm. 69, S. 1. Vgl. im einzelnen Rosemarie Aulinger: Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert. Göttingen 1980 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 18), bes. S. 328ff.
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Kaiser ehrenden Empfangsrituals. 73 Im römisch-lateinischen Idiom ist Augsburg nicht nur die deutsche Reichsstadt, sondern »vrbs Augusta«, römische Gründung und somit sinnträchtige Stätte römisch-deutscher, damit aber auch deutsch-italienischer Reichsherrlichkeit. Der Einzug des Kaisers nimmt ausdrücklich die Form des altrömischen Triumphzuges an (V. 2Iff.). Erinnerungen an die Trionfo-Darstellungen der europäischen Renaissancekunst drängen sich auf, hier nicht nur zur Verherrlichung dynastischen Glanzes und zur >Distinktion< der Herrschaftsrollen, sondern auch als momenthaftes Bild einer politischen Harmonie assoziiert, das die Fürsten, den Adel und auch die Bürger bis hin zu den Handwerkerzünften vereinigt. Indem Sabinus die Begrüßungsrede des Mainzer Erzbischofs und Reichskanzlers Albrecht von Brandenburg wiedergibt (V. 37-78), wandelt sich das Gedicht zum panegyrischen Katalog der kaiserlichen Taten,74 nicht ohne glückverheißende Erinnerung an die im deutschen Imperium versprochene Wiedergeburt augusteischer Zeiten (V. 42).75 Entgegen den historischen Quellen ist von der konfessionellen Konfliktlage mit keinem Wort die Rede. Stattdessen wird das Thema der osmanischen Bedrohung so an den italienischen Siegeszug des Kaisers angeschlossen, daß von da aus Hoffnung auch auf einen Sieg gegen die »impia manus« (V. 72) des Türken ausstrahlt (V. 65-72). In ähnlicher Weise wie später erneut Altrömisches imaginiert wird, etwa die Vorstellung des Forums, auf dem einst Cicero sprach (V. 81f.: fast also die Vorstellung einer quasi-republikanischen Akklamation), verschmilzt kontrastiv das Bild des Türken - analog zu vielen zeitgenössischen Gedichten - mit dem Begriff der Barbaren, der Geten (V. 70), denen sich einst Ovid in seinem Exil an der äußersten Peripherie der römischen Herrschaftssphäre konfrontiert sah.76 Nicht die Theorien eines gerechten Krieges interessieren Sabinus, sondern die im herrschaftssymbolischen Augenblick zu beschwörende Teleologie der Reichsgeschichte, in der Karl V. das unerfüllte Vermächtnis seines Großvaters Maximilian (s. V. 62) antritt, damit auch jene mittelalterlichen Kreuzzugsprojekte revitalisiert, die hier in intertextueller Verschränkung mit den umlaufenden Kaiserprophetien artikuliert werden (V. 73-76). Von 73
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Dazu Winfried Dotzauer: Die Ankunft des Herrschers. Der fürstliche »Einzug« in die Stadt (bis zum Ende des alten Reiches). In: Archiv für Kulturgeschichte 55 (1973), S. 245-288. Zur ästhetischen wie sozialgeschichtlichen Seite des Zeremoniells und dem dazugehörigen weitläufigen Schrifttums nunmehr gnindlegend Jörg Jochen Berns und Thomas Rahn (Hg.): Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Tübingen 1995 (Frühe Neuzeit 25). Sabinus' Stellung zu Karls V. Politik bedürfte im Detail weiterer Untersuchungen; dazu (gerade im Blick auf den Italienfeldzug) wäre heranzuziehen die große Elegie über den sog. sacco di Roma (El. V 1; Poe. S. 126-142): Roma a Caesare Carolo V. capta. Ein topischer Reflex humanistischer Reichslyrik seit Celtis; vgl. oben Anm. 35. Dazu speziell die Arbeiten von Hermann Wiegand, wie Anm. 55.
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der Prognostik eines Johannes Lichtenberger (ca. 1440-1503), die Luther 1527 mit einer Vorrede publizierte, spannt sich hier plötzlich - aus heutiger Sicht - ein weiter literarischer Bogen bis zu jener Reprise verjährter Pläne der Reichsreform, wie sie ein Jahrhundert später in der Jupiter-Episode (ΙΠ, 3-6) des Grimmelshausenschen Simplicissimus nur noch mit sarkastischer Ironie kommentiert werden. Sabinus legt dem Reichskanzler Prophezeiungen ungenannter »fatidici senes« (V. 74-76) in den Mund, nach denen der Kaiser einst »sein Lager vor Jerusalem aufschlagen und den Barbarenhals unter das kaiserliche Joch beugen wird«.77 Der Begrüßung des Kaisers vor der Stadt folgt der >introitus< in die Stadt (V. 93-128), sorgfältigst beschrieben und ohne Spitzen gegen die Altgläubigen und gegen die Vertreter der Kurie erneut ganz auf die Sozialsymbolik des Zeremoniells abgestellt. Wiederum mit einer ortsbezogenen Ekphrasis wendet sich schließlich der Blick zum Rathaus (V. 130). Nicht die Gebäude, vielmehr bildnerische Darstellungen des Innenraums 78 werden beschrieben (V. 131-140), die ikonographisch eine Kontinuität von Germanengeschichte und Reichsgeschichte suggerieren (V. 131!). Nationale >Memorianomen Christianum< gegen die Türken verteidigt. Entsprechende Gedichte durchziehen Sabinus' Oeuvre. Sie können hier nur exemplarisch und kursorisch angesprochen werden, beginnend mit Elegie I, 7 (Poe. S. 29-38). 8 1 Joachim hatte Karl V. auf dem Türkenfeldzug nach der ersten Belagerung Wiens begleitet. Was nun zu >besingen< ist, erscheint unter dem Titel De reditu Ioachimi II. Marchionis Brandeburgensis depulsis Turcis, An. MDXXXII. Wiederum wird dem jubelnden Empfang an der Spree die von altrömischer Triumphalkultur gespeiste Bildphantasie unterlegt. Die Mark freut sich so, »ut cum magnanimos excepit Roma Quirites,/ Si qua triumphandi gloria parta fuit«. Joachim setzt in seinen Taten das »Ducis Arminij nobile opus« fort, dessen historisch problematische Analogiebeziehungen von den topischen Greuelgemälden türkischer Gewaltherrschaft verdrängt werden. Geschildert werden die Kampfesmühen des jungen Markgrafen in einem exotischen Gelände, nachdem vorher Begrüßung und Umarmung des jungen Helden durch seinen Vater Joachim I. szenisch erzählt und der enkomiastische Tatsachenbericht einem adeligen Kampfgefährten aufgetragen ist. Der Thronfolger erscheint in der Aura eines tapferen Reiterführers, der sich mit Gegnern plagen muß, die, Räubern gleich, alle Finten kennen und alle Schlupflöcher benutzen. Zum siegreichen Ende des 79
Dazu weiteres in der Studie von Kühlmann, wie Anm. 69. so Zu Joachim II. s. ADB 14 (1881), S. 7 8 - 8 6 (Th. Hirsch), NDB 10 (1974), S. 436-438 (Johannes Schultze). In die historischen Zusammenhänge führen ein Manfred Rüdersdorf und Anton Schindling: Kurbrandenburg. In: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1600. 2. Der Nordosten. Münster 1993, S. 34-67; ferner W. Walter Delius: Die Kirchenpolitik des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg in den Jahren 1535-1541. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 40 (1965), S. 86-123. 81 Zusammen mit anderen Texten, darunter der Elegie an Johann Carion (El. I, 6), zuerst gedruckt 1533 in Wittenberg; s. VD 16, S 104; Toppen, wie Anm. 69, S. 2.
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Feldzugs habe Joachim maßgeblich beigetragen, zweitausend Türken getötet, das bereits besiegte Landvolk aus der Gefangenschaft befreit und drohendem Verderben entrissen. 82 In direkter Anrede des Triumphators wird der Lohn des Kaisers berufen, der Joachim neben glänzenden Geschenken mit der Würde eines Ritters vom Goldenen Sporn belohnt, was Sabinus nicht ohne Hinweis auf die Perspektive der Untertanen kommentieren läßt. Eigentlich habe Joachim die »Bürgerkrone« verliehen werden müssen: »Hfc tua cum multos seruârit dextera cives,/ Ciuica danda fuit iure corona tibi.«83 Der Einsatz für das Reich verträgt sich durchaus mit dynastischem Tatenruhm. So jedenfalls legt es die eingeflochtene Episode nahe, die an den Empfang des jungen Johann Cicero von Brandenburg durch seinen Vater Albrecht Achilles (reg. 1470-1486) nach dessen Rückkehr von einem Feldzug gegen die Hussiten erinnert. Das Gedicht schließt nicht mit der wohlgesetzten Antwort des heimkehrenden Feldherrn ab, sondern läßt im Munde eines von Algen und Moos bedeckten Flußgottes, also mit dem erprobten Mittel der oratorischen Prosopopoiie und nicht ohne Anklänge an sollenne Formeln horazischer wie vergilischer Dichtung, das Endziel des die Türken besiegenden Weltkaisertums verkünden. 84 Indem schließlich der Empfang Joachims durch die jubelnde Bevölkerung, im Schein des Feuerwerks und unter dem Getön der Böllerschüsse, vergegenwärtigt wird, reproduziert der Text wie bei dem oben zitierten Reichstagsgedicht den Verlauf des Zeremoniells, ja markiert so auch seinen eigenen, den literarischen Beitrag zur »pompa« des triumphierenden Fürsten.85 Zu Triumphen gab es später allerdings wenig Anlaß. Als Führer eines 82
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Der Feldzug des Jahres 1532 richtete sich besonders gegen die türkischen Invasionstruppen, die ins Alpennordland bis an die Enns vorgestoßen waren und von denen besonders die Ost- und Südsteiermark betroffen war. Die türkischen Verbände wurden im Raum Leobersdorf-Enzenfeld gestellt und »nahezu aufgerieben«: dies nach Karl Teply: Das österreichische Türkenkriegszeitalter. In: Zygmunt Abrahamowicz u. a.: Die Türkenkriege in der historischen Forschung. Wien 1983, S. 30f. mit Hinweisen auf weitere Literatur, darunter Gertrud Gerharl: Die Niederlage der Türken am Steinfeld 1532. Wien 1974 (Militärhistorische Schriftenreihe 26). - Sabinus hat der Taten Joachims selbstverständlich auch in anderen Gedichten gedacht, darunter den unter die Epigramme gesetzten Versen (Poe. S. 273f.) De Ioachimo II. Marchione Brandeburgensi exercitum contra Turcas in expeditionem educente augurium sowie, unmittelbar folgend, Trophaeum eiusdem Marchionis. Die >Bürgerkrone< aus Eichenlaub wurde ursprünglich einem römischen Bürger verliehen, der einem anderen römischen Bürger das Leben gerettet hatte (Gellius 5,6,11-14). Poe. S. 36: »Salue magnanimum genus armipotentis Achillis/ O' decus, o patriae spes IOACHIME tuae:/ Vindice quo pulsus Thracum regnator ab Istro/ Cessit, & amisso milite terga dedit. Olim tempus erit, Solymorum ductor ad vrbem/ CAESARIS auspicio cum pia bella geres:/ Et tua cum vacuas submittet ad arma phatretras/ Tota triumphanti Turcia capta manu.« Zur Topik und zum literarischen Einzugsbereich des Darstellungstypus s. JanDirk Müller: Der siegreiche Fürst im Entwurf des Gelehrten. Zu den Anfangen eines höfischen Humanismus in Heidelberg. In: Höfischer Humanismus. Hg. von
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Reichskontingents von ca. 5 0 0 0 0 Mann nahm Joachim II. auch am Türkenfeldzug des Jahres 1542 teil. Er endigte in einem Desaster. Joachim mußte die Belagerung Pests abbrechen, bald darauf nahmen die Türken Gran. Sabinus feierte den Aufbruch Joachims mit einem feierlichen Propemptikon (El. IV, 7; Poe. S. 1 0 7 - 1 1 1 ) , das v o m biblischen Samson bis zum homerischen Achill die erhabensten Exempel des Kriegsruhms zitierte. Nach der Rückkehr galt es, für den geschmähten Verlierer einzutreten. Dichtung i m Dienst persönlicher und dynastischer Memoria gibt sich hier als direkte Ansprache an die »Nachwelt« (Ad Posteritatem-, El. VI, 15; Poe. S. 1 9 0 - 1 9 5 ) zu erkennen, 8 6 zugleich als Apologie gegen Kritiker, in diesem Fall gegen den italienischen Humanisten Paolo Giovio/Paulus Iovius ( 1 4 8 3 - 1 5 5 2 ) , der i m 42. Buch seiner Historiae Sui Temporis (1552) Joachims Auftreten in Ungarn vernichtend beurteilt hatte. 87 In der Personalunion des Dichters und
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August Buck. Weinheim 1989 (Mitteilung XVI der Kommission für Humanismusforschung), S. 17-50. Der sonst autobiographisch instrumentierte Darstellungstypus, bekannt seit Petrarcas Brief an die Nachwelt, wird hier den Zwecken fürstlicher Reputation dienstbar gemacht; vgl. als lyrisches Beispiel des autobiographischen Typus eine berühmte Elegie des Eobanus Hessus, nun zweisprachig greifbar in: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, wie Anm. 32, S. 328-337, mit dem Kommentar S. 1140-1143; eine an Johann Sleidanus, also den protestantischen Historiker, gerichtete Verteidigungsepistel für Joachim II. (verzeichnet VD 16, S 112), 1546 erschienen zu Frankfurt/Oder, gedruckt im epistolarischen Anhang der Poemata, S. 474-481, entspricht im einzelnen den in der Elegie vorgebrachten Gründen für den Mißerfolg Joachims. Sleidanus soll in seine Commentarli deshalb ein Lob Joachims einflechten (S. 479). Gleichzeitig entwirft Sabinus ein Charakterporträt Joachims u. a. mit der Feststellung: »Nec deest communi saluti Germaniae in publicis negocijs« (S. 480). Paulus Iovius: Historiarum Sui Temporis Tomus Secundus. Florenz 1552; dazu nun die Neuausgabe, hg. von D. Visconti und T. C. Price Zimmermann. In: Pauli Iovii Opera. Bd. Iff. Rom 1956ff.; hier die Historiae als Bd. 3-5; zu Joachims Feldzug speziell Bd. 5 (Historiarum Sui Temporis Tomi Secundi Pars Altera). Rom 1985, Buch 42, S. 107-127. Schmerzlich wirkten Passagen wie (S. 110): »Gravis enim nec insolitus de Turcis timor, quanquam magnificis verbis egregie tegeretur, Germanorum animis incesserat usque adeo ut plane rudis imperator, quanquam ingenio fortis, minime festinandum putaret ne suae gentis exercitus in ea loca demitteretur a quibus, adverso demum flumine, nisi parta victoria difficilis esset receptus. Ex arcano enim consilii decreto statuisse ferebatur nullam pro Pannoniae regno vel dimicationis vel certi periculi aleam subire; sed tueri tantum Noricos fines et Germaniae vires ostentare; quibus deterreri posset Barbaras si, veluti concessa Pannonia minime contentus, Germanos quoque lacessere cogitaret.«, ferner besonders S. 116: »Quum in muro pugnaretur, Ioachimus ipse et Hunganotus usque adeo infami Consilio et loco (ab omni tormentorum discrimine subducti) pugnae eventum expectabant ut Torniellus atque Fotiscus ad eos accersendos non obscura eius flagitii cum obiurgatione contenderint ut confirmandis mi Ii tum animis collocandisque praesidiis, qui uni summae imperii potestatem tenerent, adesse et conspici vellent; sed, nostris fortiter repulsis, Barbari nihil se commoverunt. Ita in castris sublatus est omnis tumultus et curandis vulneribus militi quies data; sub noctem vero Ioachimus duces in consilium vocavit disputatumque est gravibus sententiis an abscedere incoepto quam expugnandi oppidi discrimen iterum subire satius foret: quum a plerisque Germanis ea quae tutissima, uti longe optima, probaretur.« Dazu der bittere Kommentar (S. 117):
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Historikers referiert Sabinus getreulich die >causaWahrheit< des Kriegsgeschehens zu erörtern. So veränderte der gegebene Anlaß sowohl den thematischen Zuschnitt und den Referenzweit des poetischen Berichts als auch die Haltung des Schreibenden, der alle heroischen Illusionen auflöst, um seinen Landesherrn vom Odium persönlicher Schuld zu entlasten. Adhortative Propaganda weicht einer nüchternen Bestandsaufnahme: Die Reichstruppen waren zu Beginn des Feldzugs noch gar nicht anwesend und sammelten sich erst langsam; ein Teil wurde plötzlich »nach Hause« abberufen, als sich die Kunde verbreitete, der Kaiser habe Schiffbruch erlitten und den Tod gefunden. Frankreich bedrohte kaiserliches Gebiet im Westen und in den Niederlanden. In Deutschland wurde um Braunschweig gekämpft. Ungarn stellte keine Hilfstruppen, hatte mit sich zu tun, mit seiner inneren Zwietracht. Auch der ungarische Adel leistete nur zögernd seinen Dienst: »Ardua res ipsis est visa, lacessere Turcam,/ Marte domi nostros impediente duces.« Mittlerweile verfloß die der Kriegführung günstige Jahreszeit. Artillerie und Belagerungsgerät fehlten oder wurden zu spät geliefert. Selbst die Elemente verweigerten Hilfe, denn die vom Sturm aufgepeitschten Donauwellen ließen die Lastenflöße nicht vorwärtskommen. Der feuchte Herbst verursachte Seuchen, dazu fehlte es überall an Geld. »Krank, nackt und Hilflos« (»Aeger, nudus, inops«) verlangte das Heer seine Besoldung. Was hätte der Feldherr tun sollen? Sehr wohl sei Joachim vor der belagerten Stadt hoch auf einem Pferd gesehen worden. Dies könne von den Beteiligten bezeugt werden. Ließ sich das Gedicht von 1532 noch so arrangieren, daß Joachim als siegreicher Feldherr die Forderungen der Reichstagselegie glorreich Realität werden ließ, zieht Sabinus' Plädoyer für den geschlagenen Heimkehrer den Vorhang vor der Kriegswirklichkeit, damit aber auch vor allem Folgen der »Erant militum omnium animi, si iterum moenia quaterentur, ad praestandam supremi conatus operam intenti paratique; sed dux ipse, reputatione periculi, ab omni sua parata laude discesserat uti ignaras belli aut certe, quod potius de generoso credi velim, octovirali iudicio circunscriptus quanquam hestemo cert amine, dum cuncta armi s tormentisque perstreperent, ita cruento spectaculo subtractus fuerat ut nusquam conspiceretur: uno ferme ex omnibus regulis Mauritio Saxone excellenti virtute Germanorum decus tuente. Ob id veteres plerique Germani milites eius ignobilis consilii dedecus, confusis tristi pudore animis, non ferebant: atroci quodam fremitu indignantes paucorum ignavia publicum invictae gentis nomen prodi.« - Zu Giovios »Historien«, darunter auch zur Schilderung des Türkenfeldzugs s. T. C. Price Zimmermann: Paolo Giovio. The Historian and the Crisis of the Sixteenth-Century Italy. Princeton, N. J. 1995, spez. S. 180-182.
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»discors respublica« zurück. Der Nimbus der Reichsherrlichkeit blieb ein Gedankenprojekt, die einige Nation ein gedankliches Konstrukt, eine literarische Projektion längst fraglicher imperialer Integrationskraft. Sabinus hielt trotz aller Ernüchterung grundsätzlich daran fest, besonders deutlich in einer Elegie (VI, 8, hier TA, Nr. 2) an Herzog Albrecht von Preußen (Poe. S. 178-182), die das Türkenthema auf die Wahrung des inneren Friedens zuspitzte und so zu jenen Stimmen gehörte, die Albrecht dazu bewogen, sich nur mit symbolischen Gesten am Schmalkaldischen Krieg zu beteiligen. Aktualität verfängt sich hier in einem Netz literarisch beglaubigter Erfahrungen, die ein historisches Gesetz unterstreichen: den Verfall großer Reiche und das Unglück von Herrschern infolge des Krieges, speziell des »Bürgerblut vergießenden« (V. 10) inneren Krieges. Das Modell der römischen Bürgerkriege präformiert die Situation in Deutschland kurz vor dem Schmalkaldischen Krieg. Im Rückblick auf den Niedergang des byzantinischen Reiches (V. 1 Iff.) und die Uneinigkeit der Ungarn (V. 17-20) führt Sabinus wiederum den Reichsdiskurs und den Türkendiskurs zusammen, nostalgisch illuminiert von der Erinnerung an eine vertane Lösungschance: das Friedensprojekt Maximilians I. (V. 29f.): »Devincere pios optato foedere reges,/ Conatusque domi tollere bella fuit.« Sabinus scheut sich nicht, auch die vermittelnde Rolle des Humanistenpapstes Enea Silvio/ Pius II. zu erwähnen (V. 45f.). Der Poet profiliert sich als Sachwalter vergangener und nun vereitelter Größe. So wirkt er in Gegenwart und Zukunft: Agent einer Erinnerung, die politisches Handeln bestimmen soll (V. 49-52). Indem er die Rüstungen Karls V. zugleich mit den Perserkriegen Alexanders und mit dem Vermächtnis Maximilians assoziiert, setzt sich Sabinus zugleich ein für die Parteinahme des preußischen Herzogs im Streben nach innerem Frieden und im Kampf gegen die Türken (V. 61-74). Den Feldzug Alexanders gegen die Perser, ermöglicht durch die Einheit der griechischen Stämme und Staaten, hatte Sabinus schon 1532 in einem Brief an den Mainzer Erzbischof Albrecht (»Albertus«), zugleich Kanzler des Reichs, als Vorbild für erfolgreiches Handeln vor Augen gestellt. Der Widmungsbrief begleitete die eben erst vollendete lateinische Übersetzung einer Rede des Isokrates an König Philipp von Makedonien:88
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Die Sammlung der Poemata enthält einen Anhang mit Briefen von und an Sabinus; hier der Brief an Albrecht ohne Datum aus dem Jahre 1532, S. 420-422, spez. hier zit. S. 420: »Exhibeo enim tibi orationem Isocratis, in qua vir illis temporibus autoritatis summae in vniversa Graecia, & concordia publicae cupidissimus, hortatur Philippum Regem Macedonum, qui ad id tempus bellum cum Atheniensibus gesserat, vt pacem cum Graecis ciuitatibus omnibus faciat, & constituía domi concordia bellum in Asiam cum socijs transférai: & non modo Graecos, sed etiam patriam metu seruitutis liberet.« Die Übersetzung erschien 1531 in Wittenberg unter dem Titel: Oratio Isocratis ad Philippum Regem Macedonium de concordia domi constituenda et bello transferendo in Asiam contra barbaros, conuersa ex graeca a Georgio Sabino (s. VD 16, S 1552).
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[...] Ich übergebe dir nämlich eine Rede des Isokrates, in welcher dieser, ein Mann seinerzeit von höchstem Ansehen in Griechenland und mit allen Kräften um staatliche Eintracht bemüht, Philipp, den König der Makedonen, der bis dahin Krieg mit den Athenern geführt hatte, dazu ermahnt, mit allen griechischen Stadtstaaten Frieden zu schließen und, nach der Besiegelung staatlicher Eintracht zu Hause, den Krieg mit den Bundesgenossen nach Asien zu Ubertragen, um nicht nur die Griechen, sondern das Vaterland von der Furcht zu befreien, zu Knechten zu werden. [...]
Wie Isokrates einst an Philipp solle sich Albrecht an Kaiser Karl V. wenden:89 [...] Während manche andere den besten Fürsten gegen das Vaterland aufstacheln, wissen wir recht genau, daß Dein amtliches Ansehen sich ganz auf Frieden und Ruhe Deutschlands richtet. [...]
Geschickt konstruiert die Elegie ein Verhältnis historischer Analogien: So wie Karl V. durch seine Abkunft Verpflichtungen auferlegt sind (V. 47f.), so präsentiert sich auch in Herzog Albrecht die Kontinuität von Kaiser und Reich über den Bruch der Generationen hinweg. Denn es war Albrecht, der als junger Mann bereits unter Maximilian I. im italienischen Feldzug diente, ja damals den Kaiser als militärischen Lehrer und Mentor erleben durfte (V. 75-86). Deshalb entspricht der politischen Situation wie der gemeinsamen historischen Erinnerung des Kaisers und des Landesherrn ein historiographisches Werk, das Sabinus Herzog Albrecht - gleichsam wie Vergil dem Kaiser Augustus - vorlegen und widmen möchte, in Dankbarkeit für gewährte Wohltaten (V. 87ff.). Solange das für die Zukunft versprochene Epos auf Albrechts Taten »im homerischen Versmaß« (V. 97f.) noch nicht vorliegt, soll der Herzog Vorlieb nehmen mit der (bei Überreichung des Gedichts wohl als Manuskript beiliegenden, erst Jahre später gedruckten) Narratio deliberationis Maximiliani Imperatoris Romanorum de bello Turcico. Et brevis historia temporum eorum, quibus haec suscepta fuit [...].90 Die in dieser Darstellung noch einmal berufene Erbschaft der aetas Maximilianea, gipfelnd in des Kaisers Proposition zum Türkenkrieg beim Reichstag von 1518, schlägt noch einmal eine Erinnerungsbrücke zwischen den konfessionellen Parteien, schließlich sogar über die Entzweiungen des Schmalkaldischen Krieges hinweg. 89
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Ebd., S. 421f.: »Cumque alij nonnulli incitent optimum Principem aduersus patriam, non obscurè cognouimus te autoritatem tuam omnem ad pacem tranquillitatemque Germaniae conferre.« Nachgewiesen ist die Ausgabe Leipzig 1551; vgl. die Beschreibung bei Toppen, wie Anm. 69, S. 6f.; hier die behandelte Elegie VI, 8 als Dedikationsgedicht; weitere Drucke in den Consilia bellica contra Turcam explicata. Eisleben 1603 und 1604 (Angabe nach Toppen). Zumindest Teile der Schrift, darunter Sabinus' Praefatio gingen dann offenbar ein in die turkologische Sammlung von Nicolaus Reusner (s. o. Anm. 67) und in Melchior Goldasts Collectio constitutionum imperialium. Tom. I. Frankfurt/M. 1615: s. den Textabdruck mit Quellenhinweisen in U. von Huttens Schriften, ed. Böcking, Bd. V, wie Anm. 64, S. 176-183.
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Daß Appelle solcher Art auf die Dauer erfolglos blieben, läßt sich am Schicksal eines lyrisch-allegorischen Schreibtypus ablesen, der namentlich durch Sabinus in das Repertoire politischer Lyrik aufgenommen wurde. Bereits Petrarca hatte mit der Figur der leidenden und trauernden Roma 91 und mit der Anrede an das »heilige Land Italien« Muster eines patriotischen Appells entwickelt, damit auch den öffentlichen Auftrag der Dichtung bekräftigt. Indem Sabinus »Germania« an Kaiser Ferdinand schreiben läßt (El. I, 4, Poe. S. 14—18)92 oder sich - gerade im Blick auf die Katastrophen im Südosten des Reiches - selbst »An Germania« wendet (Ad Germanianr, El. III, 12, Poe. S. 95f.), 93 bekräftigte er einen Darstellungswillen, der sich von der Personalpanegyrik löste, bis in die Jahre des Dreißigjährigen Krieges abrufbar blieb und noch bei Autoren wie Rompier von Löwenhalt in Straßburg94 oder Paul Fleming in Sachsen 95 die politisch-militärischen Katastrophen des Reiches in kollektiver Trauer oder flammender Empörung zur Sprache brachte.
m. An die Bemühungen des Humanistenpapstes Pius II. um die Einheit des nomen Christianum wider die Türken ließ sich fast ohne Vorbehalte erinnern, nach der Reformation jedoch dominierte lutherische Polemik gegen 91
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Petrarcas Versepistel an Papst Clemens VI. ist in einer Übersetzung leicht greifbar in: Summa poetica. Griechische und lateinische Dichtung. Lyrik von der christlichen Antike bis zum Humanismus. Hg. von Carl Fischer. München 1967, S. 644-654. Bezeichnenderweise abgedruckt in Reusners Redensammlung, wie Anm. 67, Bd. I, S. 197-200, sowie in einem turkologischen Werk von David Peifer d. Ä.: IMPERATORES Turcici, Libel/LVS DE VITA, PROGRESSV, & rebus gestis principum gen/tis Mahumeticae, Elegiaco cannine conscri/ptus, à DAVIDE PEIFERO Lipsico. [...] (ELEGIA DE CAE/SARIBVS TVRCICIS, DAVI-dis PEIFERI [...] autore FRIDERICO TRAVBOTO Salcensi.) (AD [...] Electores, reliquos inclytos in concilio Augustensi Germanorum principes, Lod. Heliani carmen exhortatorium.) (GERMANIA AD REGEM Ferdinandum, per Georg. Sabinum.); Titelaufnahme hier nach VD 16, S. 126. Vgl. den zweisprachigen Textabdruck mit Kommentar in: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, wie Anm. 32, S. 526f. und S. 1262-1264; zur epistolarischrhetorischen Verwendung der Germania-Allegorese s. auch Heinrich Dörrie: Der heroische Brief. Bestandsaufnahme, Geschichte, Kritik einer humanistisch-barocken Literaturgattung. Berlin 1968, S. 453-463. Vgl. Des Jesaias Rompiers von Löwenhalt erstes gebüsch seiner Reim-getichte. 1647. [...]. Hg. von W. Kühlmann und Walter E. Schäfer. Tübingen 1988 (Deutsche Neudrucke. Reihe Barock 38), S. 87-90: Das rasend Teütschland. Paul Fleming: Schreiben vertriebener Frau Germanien an ihre Söhne/ oder die Churfürsten Fürsten und Stände im TeutschLande (1631, auch in lateinischer Fassung); dazu Heinz Entner: Paul Fleming. Leipzig 1989, S. 193-204. Nun im Zusammenhang auch W. Kühlmann: Krieg und Frieden in der Literatur des 17. Jahrhunderts. In: 1648. Krieg und Frieden in Europa. [Ausstellungskatalog Münster-Osnabrück]. Hg. von Klaus Bußmann und Heinz Schilling. 3 Bde., hier Textbd. 2. Kunst und Kultur. [Münster 1998], S. 329-337.
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die »Hure Babylon«, während Vermittlungsbemühungen fortdauerten und ein Bündnis der christlichen Mächte dringlicher denn je erschien. In diese Vermittlungsbemühungen war auch Sabinus eingeschaltet, und zwar über Pietro Bembo, den berühmten italienischen Humanisten, den Sabinus seit seiner italienischen Reise (1533/34) verehrte und mit dem ihn eine rege, auch im Austausch von Gedichten gepflegte Korrespondenz verband. 96 Bembo, seit 1539 römischer Kardinal, konnte zwar beim Papst nicht die erbetenen Privilegien für die Universität Königsberg erwirken, gleichwohl unterrichtete ihn Sabinus über seine privaten Umstände und über seinen literarischen Ehrgeiz. Umgekehrt versuchte Bembo im Vorfeld des Reichstages von 1541 über Sabinus Einfluß auf Melanchthon zu nehmen und ein Scheitern der Ausgleichsverhandlungen durch ein Bündnis gemäßigter Kräfte auf beiden Seiten zu verhindern. Wie sich in diesem Gesprächszusammenhang die Rolle des Papstes thematisieren ließ, ohne daß heikle Titulaturen und Machtverhältnisse berührt wurden, zeigt in ihrer allegorisierenden Technik die erste Elegie des vierten Buches (Poe. S. 101-108; hier TA, Nr. 3). Indem der einflußreiche Kardinal in den Rahmenteilen des Gedichts (V. 1-10, 147-190) direkt angeredet wird, kommt der persönliche Charakter der Versepistel zur Geltung. Gestalterischer Ehrgeiz und diplomatische Raffinesse verbinden sich in einer poetischen Strategie, die den Text auch als Appell an den Papst erkennen läßt. Nach der Brieferöffnung setzt Sabinus ein mit der knappen Schilderung eines Winterspaziergangs in Frankfurt/Oder (V. 11-24) zu Beginn des Jahres 1542, wie sich aus einigen Indizien ergibt. Entsetzen und Empörung über die Greuel der Türken bzw. die Unfähigkeit und Untätigkeit der christlichen Herrscher machen sich Luft in einem sorgenvollen Monolog (V. 25-92), der, die Sprachgewalt eines Pindar und Orpheus herbeiwünschend, den Siegeszug des Feindes seit der Einnahme von Konstantinopel vor Augen führt, alte Kreuzzugsherrlichkeiten, darunter die Einnahme Jerusalems (1229), beruft und in der Schilderung türkischer Schandtaten auch als lateinische Transposition umlaufender deutscher Türkenlieder gelten darf. Alles kommt in diesem Text darauf an, das Leiden der unterjochten Christen in drasti96
Zum historischen Kontext s. Gustav Kawerau: Die Versuche, Melanchthon zur katholischen Kirche zurückzuführen. Halle 1902; Bembo und Contarini (auch er zählte zu Sabinus' Briefpartnern) als Exponenten der irenisch eingestellten Fraktion in Rom erwähnt auch in dem glänzenden, heute leider fast vergessenen Werk von Friedrich Heer: Die Dritte Kraft. Der europäische Humanismus zwischen den Fronten des konfessionellen Zeitalters. Frankfurt/M. 1906. Vier der an Bembo gerichteten Elegien, darunter auch die im folgenden behandelte Elegie IV, 1, sind nun mit Übersetzung greifbar in: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, wie Anm. 32, S. 512-525, S. 528-539, dazu die Kommentare mit weiteren Hinweisen S. 1255-1262, S. 1264-1270. Zum Tode Bembos richtete Alexander Suchtenus (d. i. Alexander von Suchten) an Sabinus eine bewegte Trauerelegie, abgedruckt im Liber Adoptivus der Poemata des Sabinus, S. 391-393; zu Bembo zusammenfassend der Artikel von C[arlo] Dionisotti. In: Dizionario Biografico Degli Italiani. Bd. 8. Rom 1966, S. 133-151.
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sehen Bildern, also mit pathosgeladener rhetorischer >Evidenz< vor Augen zu führen (vgl. V. 51ff., 77ff.). So wird die Frage exponiert, wie dem Elend Abhilfe zu schaffen sei. Die bereits in der Klage implizierte Antwort gewinnt in einer mythologisch-allegoretischen Fiktion tröstende Realität. Dem Dichter erscheint - nicht ohne Ovidreminiszenzen - der altrömische Gott Janus (V. 95ff.), bewehrt mit den Schlüsseln des Himmelsreiches, also den so umstrittenen Insignien päpstlicher Macht (V. lOlf.). Es ist Janus, der die Einigkeit des Reiches und die Vertreibung der Türken ankündigt (V. 105— 122). Was der »Torwächter der Himmelshalle« prophezeit, scheint auf Erden schon verwirklicht zu werden, im Bund der Fürsten mit dem Kaiser, in einem Bund, der dem Haus Hohenzollern mit dem Kurfürsten Joachim II. eine prominente Rolle zuerkennt. Ihm gilt die Ansprache der V. 131-146, in denen sich die Epistel an Bembo in ein Glückwunsch- und Abschiedsgedicht an den Feldherrn verwandelt. Reichspolitik, fürstlicher Ruhm und päpstlicher Segen kommen in solcher Textfiktion zur Deckung. Die Bitte um Unterstützung durch Bembo (V. 147ff.) zielt auf Rom und die Kurie, aber auch auf die Venezianer (V. 183). Dabei kann der konfessionelle Konflikt nicht verschwiegen werden. Der politisch-militärischen Allianz soll eine einige, wieder zu einigende Kirche entsprechen. Bembo repräsentiert solche Hoffnungen, denn an ihm liegt es, sich zum Anwalt des auch vom Kaiser gewünschten Konzils zu machen (V. 187f.) - über den bekannten Widerstand des Papstes hinweg. 97 Sabinus' Gedichte machen den Blick frei für eine noch ungeschriebene Geschichte der deutschen, aber nicht nur deutschsprachigen Lyrik der Frühen Neuzeit, eine Geschichte, die vorläufig noch nicht geschrieben werden kann, weil der weite Kontinent sehr oft hochrangiger Texte längst noch nicht hinreichend vermessen, geschweige denn philologisch erschlossen ist. Im Zuge der laufenden und der noch anstehenden Forschungen dürfte sich das literarische Epochenbild des 16. und auch noch des 17. Jahrhunderts nachhaltig verändern, vorausgesetzt, daß die Demarkationslinien der Nationalphilologien, Vorurteile und Reflexe des 19. Jahrhunderts, gegenstandslos werden und die ästhetischen Kommunikationsformen des alten Reiches in ihrer Vielfalt und Tiefe, in ihrer Zweisprachigkeit, in ihrer literarischen >Codierung< und in ihrer sozialen Funktionalität ernst genommen werden. Gerade das Türkenschrifttum bezeugt Formen einer das ganze Reich bewegenden literarischen Öffentlichkeit, wie sie nach dem Dreißigjährigen Krieg 97
Von der Hoffnung auf »concordia« geprägt sind gerade die 1541 ausgetauschten Briefe: Sabinus' Glückwunsch an Bembo zur Kardinalswürde, geschrieben in Regensburg, und Bembos Antwort aus Rom (Poe. S. 449-452); hier auch S. 452454 Sabinus' Brief an Kardinal Caspare Contarini, ebenfalls vom Regensburger Reichstag, mit klagenden Berichten vom Vordringen der Türken, u. a.: »Videbam te acerrimam adhibere contentionem, ut discordiae Germanicae dirimerentur: & constituta pace, communi Consilio atque animo Turcis in vestíbulo Germaniae grassantibus arma inferremus« (S. 453).
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erst wieder - mutatis mutandis - im Schrifttum des deutschen Vormärz begegnen wird - und auch dann wird die neuralgische Frage nach der Einheit und Zukunft der deutschen Nation nicht selten noch in Diskursen abgehandelt werden, die Figuren des am Türkenthema entzündeten Reichspatriotismus wieder zum Leben erwecken.
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Textanhang
Vorlage: Poemata Georgii Sabini Brandenburgensis V. CI. et numero librorum et aliis additis aucta, et emendatius denuo edita. Leipzig 1581 (Nachdruck der Ausgabe 1563); Textaufnahme hier für Nr. 1 und 3 nach dem zweisprachigen Abdruck in: Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 32), S. 504-513 und S. 528-537; in den Zeilenkommentaren ebd. S. 1246-1255 und S. 12641270 findet der Leser ergänzende Hinweise, darunter auch auf die stilistische und lexikalische Assimilation antiker Vorlagen, also die intertextuelle Faktur der Texte. Textaufnahme für Nr. 2 nach meinem mit W. Straube verfaßten Aufsatz (noch ungedruckt, wie Anm. 69); hier Text, Übersetzung und Kommentar im Anhang. Nr. 1: S. 3 - 9 (Elegiarum Liber I.) Ad Eobanum Hessum de adventu Caroli V. Caesaris. Elegia Π. Quod legis Augusta tibi mittit ab vrbe Sabinus Carmen, amicitiae deditus Hesse tuae. Hinc, vbi vicinos Lycus irrigat Alpibus agros, Sueuaque Boiorum separat arua solo. Accipe, si qua tenet rerum te cura nouarum, Quae fuit hîc isto pompa peracta die. Carolus Ausonijs quo venit CAESAR ab oris: Digna quidem res est cognitione tua. Concaua siderei quo tempore brachia Cancri Coeperat adductis vtere Phoebus equis, Arctabatque dies noctis longissimus vmbras, Sole Lycaonio iam propiore polo: Et noua maturis instabat fructibus aestas, Actaque purpurei tempora veris erant: CAESAR ab Italia per Norica iugera tendens, Moenibus hue nostris approperabat iter. Uix bene contigerat praemissus nuncius vrbem, Certaque Principibus fama relata fuit: Mox coit imperij cum nobilitate Senatus, Omnis in occursum turbaque laeta ruit. Haud secus, ac victis cum dicitur hostibus olim
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Wilhelm Kühbnann Excepisse suos obuia Roma Duces. Mille bis electi iuuenes è ciuibus ibant, Nota quibus saeui praelia Martis erant. Hi patriae solito frameas de more gerebant, Transuerso cincti militis ense latus. Caetera cornipedum pars terga premebat equorum, Ordine qua dues pone secuta fuit. Urbs stat in excelso procul edita vertice montis, Incola Fridburgum nomine turba vocat. Campus odoratis nitidissimus adiacet herbis Mollis & aprico gramine terra viret: Obuius hic factus cum CAESAR euntibus esset, Omnes, quotquot erant, desiluêre Duces. Tunc, tuus excipiens ilium Moguntia praesul, Haec dedit ornatis verba diserta modis: Felix ille dies, nostris quo redditus oris, Hesperio incolumis CAESAR ab orbe venís: Quo repetita tuos iterum Germania vultus Conspicit, & fruitur numine laeta tuo, Tantus es inuicto qui pectore, tantus & armis; Quantus ab Augusti tempore nemo fuit. Nam mihi si rerum percurrere gesta tuarum, Si licet hoc coram te memorare loco: Insignes omni superas virtute Monarchas, Quos dedit, aut vnquam Teutonis ora dabit. Quae toties Aquilas iniustis terruit armis, Concidit ante tuos GALLIA vieta pedes: Captiuumque pati conspexit vincula Regem, Qui summus nostri nominis hostis erat. Debellata tuis accessit ROMA triumphis, Iniussu quanquam capta sit illa tuo: Quique suis orbem Tiberinus subdidit vndis, Te dominum domitis esse fatetur aquis. Paret, & Adriacus stabili leo foedere iunetus, Caesareas rapidis vnguibus horret aues, Qui pelago terraque potens, hostilibus armis Acriter imperio restitit ante tuo. Sentit adhuc obsessa tuas Florentia vires, Iamque tibi victas porrigit illa manus. Ergo tot aduersos cum debellaueris hostes, Cognite laudato CAROLE maior auo, Nos tibi gratamur reduci, superosque precamur, Tempora quo vitae sint diuturna tuae:
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Uictor vt à nostro depellas limine Turcas, 65 Teutona qui valido milite regna petunt. Moestaque dant saevo grassantes fuñera ferro, Pannoniae miseros dum populantur agros. Quod nisi crudeles tua dextera vicerit hostes, Nos sumus infestis praeda futura Getis. 70 At nisi me veterum fallunt oracula vatum, Sentiet vltrices impía turba manus. Tempus enim Solymam quo castra locabis ad vrbem Affore, fatidici praecinuere senes: Quoque Saracenum coges victricibus armis, 75 Subdere Caesareo barbara colla iugo. Hanc vtinam nobis optato Lucifer ortu Prouocet, hanc roseo mox vehat axe diem. Talia facundo postquam dedit ore: secutum Ultima sermonis murmur equestre fuit. 80 Audijt vt quando Ciceronem Roma loquentem, Clamoso fremuit concio tota foro. Principibus vero paucis pro tempore verbis, Ipse suo grates nomine Caesar agit. Et quia se prono condebat lumine Titan, 85 Ocyus inceptum carpere pergit iter. Iamque propinquantes vt moenia celsa subibant, Pulsa sub aërijs turribus aera sonant: Intonat ex altis & machina bellica muris, Sulphureo rápidos quae iacit igne globos. 90 Compita spectantis populi stant piena viarum, Augustumque frequens turba coarctat iter. Saxoniae proceres intrabant ordine primi, Proximus his socios Marchio iunxit equos. Pone sequebantur, latis quibus Hessia terris, 95 Imposuitque suis nomina Rhenus aquis. Quique colunt patrijs flauentem sedibus Istrum, Quique tenent Francis edita rura iugis. Praeterea celebri quos alluit amne Uisurgis, Uuestphala coeruleis qui rigat arua vadis. 100 Quid tibi commemorem, qui nobile nomen Iberi, Diuitis & ripas deseruere Tagi? Incomperta mihi quorum nec nomina constant, His ñeque conueniunt versibus apta meis. Innumeri iuuenes misto clangore tubarum, 105 Quassabant agili tympana pulsa manu. Binaque Caesarei gestabant sceptra ministri,
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Wilhelm Kühlmann Imperij summos qui praeiere Duces: E quibus auratum Septemuir praetulit ensem, Saxoniam placida qui modo pace regit. Hac igitur longa procerum stipante caterua, Atque Ducum tanta concomitante manu. Ipse figurata picti sub imagine coeli, Inuectus niueo CAROLVS ibat equo. Omnis in hunc oculos defixos turba tenebat, Omnibus his populis solus in ore fuit. Inde Bohemorum qui regna vetusta gubernat, Proximus à Diuo Caesare frater erat. Ultimus Orator Romani praesulis ibat, Nomine Campeium se vocat ille suo. Insignis Tyrio quem murice mula vehebat, Mos vt in Hesperijs vrbibus esse solet. Tempora puniceus cingebat operta galerus, Cardinei qualem nominis ordo gerit. Tunc iter Austriaci proceres Heduique secuti, Atque Tridentinus continuabat eques. Uindelicique suo redeuntes agmine ciues, Qui prius egressi moenibus vrbis erant. Ardua sublimi spectatur culmine turris, Hìc vbi stat medio curia iuncta foro, Quae Germanorum veteres ex ordine Reges, Pictaque clarorum continet acta Ducum. Hìc fera robusti miscent vbi praelia Cimbri, Attonito pauidos milite Carbo fugit. Nexa gerit Scaurus captiuo vincula collo, Caesus & hostili Manlius ense cadit, Impiger Arminius Romanos exuit armis, Quo duce libertas nostra redemta fuit. Parte alia Scythicis egressum finibus Hunnum, Primus Otho forti pectore victor agit. Multus ad hanc turrim longo stetit ordine clerus, Caesare contigua praetereunte via. Omnibus abraso detonsi vertice crines, Omnibus ex humeris candida vestís erat. Inde sacram diuae subeuntes virginis aedem, Carmine solenni concinuêre preces. Arboreis stabant decoratae frondibus arae, Sparsaque iactatis tempia fuêre rosis. Interea toto subducta crepuscula coelo, Ortaque roriferae tempora noctis erant.
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Dimissis igitur Ducibus, cum fratte subibat CAROLVS hospitij tecta propinqua sui. Atque ita, quàm celebri res tota sit acta triumpho, Omnia descriptis ordine rebus habes. Caetera praesenti coram sermone loquemur, Tempore quo repetam moenia vestta: Vale.
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An Eobanus Hessus über die Ankunft des Kaisers Karl V. II. Elegie. Das Gedicht, welches du liest, sendet aus Augsburg dir Sabinus, der dir ganz in Freundschaft ergeben ist, mein Hessus, von dem Ort, wo der Lech die den Alpen benachbarten Felder bewässert und das schwäbische Land vom Gebiet Bayerns trennt. Vernimm, wenn du dich für Neuigkeiten interessierst, welch ein festlicher Zug hier an dem Tage aufgeführt wurde, an dem Kaiser Karl von den Gestaden Italiens kam; ist doch die Sache es wert, daß du sie kennenlernst. Es war die Zeit, da Phoebus seine Pferde mit straffem Zügel zu den gekrümmten Scheren des Sternbildes Krebs zu leiten begonnen hatte (10) und der längste Tag die Schatten der Nacht verkürzte. Die Sonne näherte sich dem lycaonischen Pol, ein neuer Sommer stand mit reifen Früchten bevor, und die Zeiten des purpurfarbenen Frühlings waren vergangen: Da näherte sich der Kaiser, der von Italien über das norische Gebirge seinen Weg nahm, unseren Mauern. Kaum war der vorausgesandte Bote glücklich in der Stadt angelangt und den Fürsten genaue Kunde übermittelt worden, als der Rat mit dem Adel des Reiches zusammentrat und das ganze Volk frohgestimmt zum Empfang eilte, (20) nicht anders, als einst Rom seinen Feldherren nach Überwindung der Feinde entgegengezogen sein und sie empfangen haben soll. Zweitausend aus der Bürgerschaft erlesene Jünglinge zogen aus, denen die Kämpfe des wilden Krieges vertraut waren. Sie trugen nach dem überkommen Brauch ihrer Vaterstadt Spieße und waren gegürtet mit dem schräg herabhängenden Soldatenschwert. Die übrige Mannschaft saß auf den Rücken hufettagender Rosse und folgte in rechter Ordnung unmittelbar auf die Bürger. Eine Stadt erhebt sich hoch auf dem ragenden Gipfel eines Berges, die Einwohner nennen sie Friedberg. (30) Ein herrliches Feld mit duftigen Kräutern liegt nahebei, und die weiche Erde ist grün von lieblichem Grase. Als der Kaiser hier auf die ihm Entgegenziehenden traf, sprangen alle Fürsten, die in großer Zahl anwesend waren, (von ihren Pferden) ab. Dein Bischof, Mainz, begrüßte ihn und sprach in geschmückter Rede folgende gewandte Worte: »Glücklich der Tag, an dem Du, unserem Lande wiedergegeben, unversehrt, mein Kaiser, aus Hesperien kommst, (der Tag) an dem Deutschland, das du wiederum
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aufsuchst, erneut dein Antlitz erblickt und froh deine huldreiche Gegenwart genießt. (40) Der du so groß bist mit deinem unbezwingbaren Mute, so groß durch die Macht deiner Waffen, wie keiner seit der Zeit des Augustus. Denn wenn es mir erlaubt ist, kurz deine Taten durchzugehen und an sie vor dir an diesem Orte zu erinnern: Du übertriffst an Tugend alle bedeutenden Herrscher, die einst Deutschlands Erde hervorbrachte oder die sie hervorbringen wird. Frankreich, das so oft die Adler mit ungerechten Kriegen zu erschrekken suchte, fiel bezwungen dir zu Füssen und mußte sehen, daß sein gefangener König, der der schlimmste Feind unseres Namens war, (50) Fesseln erduldet. Vollends besiegt, gehört auch Rom zu deinen Triumphen, obgleich es ohne deinen Befehl eingenommen wurde, und der Tiber, der seinen Wogen den Erdkreis unterwarf, bekennt mit bezwungenem Strome, daß du sein Herr seist. Auch der Löwe der Adria gehorcht erschaudernd, nunmehr in unverbrüchlichem Vertrage verbunden, trotz seiner reißenden Pranken den Vögeln des Kaisers, er, der, zu Meer und zu Land mächtig, zuvor mit heftigen Waffen deiner Herrschaft Widerstand leistete. Jetzt noch belagert, spürt Florenz deine Kräfte, und schon streckt es dir besiegt seine Hände hin. (60) Da du so viele hartnäckige Feinde gänzlich bezwungen hast, Karl, der du als größer erkannt bist als dein gepriesener Großvater, beglückwünschen wir dich zu deiner Rückkehr und bitten die Himmlischen, daß deine Lebenszeit lange dauern möge, so daß du von unserer Grenze siegreich die Türken vertreiben kannst, die mit starker Heeresmacht das Deutsche Reich heimsuchen und, mit wütendem Schwerte ausschwärmend, schlimmen Tod bringen, während sie die elenden Fluren Pannoniens verwüsten. Sollte aber deine Rechte die grausamen Feinde nicht besiegen können, werden wir künftig den feindseligen Türken zur Beute. (70) Wenn mich indessen die Wahrsagungen der alten Seher nicht trügen, wird die gottlose Schar deine rächende Hand fühlen. Denn schicksalskundige Greise haben verkündet, es werde eine Zeit kommen, zu der du dein Lager vor Jerusalem aufschlagen und zu der du mit siegreichen Waffen die Sarazenen bezwingen werdest, um ihren Barbarenhals unter das kaiserliche Joch zu beugen. Möge uns der Morgenstern doch mit seinem ersehnten Aufgang diesen Tag heraufführen, diesen Tag bald auf seinem rosenfarbigen Gefährt bringen!« Nachdem er solches mit beredtem Mund gesprochen hatte, folgte seinen letzten Worten beifällige Zustimmung der Reiter, (80) so wie, als einst Rom der Rede Ciceros lauschte, die ganze Versammlung auf dem lärmenden Forum murmelte. Der Kürze der Zeit entsprechend, dankte der Kaiser indessen den Fürsten mit wenigen Worten persönlich. Und da sich Titan mit sinkendem Licht verbarg, setzte er den begonnenen Weg rascher fort. Als sie nunmehr sich näherten und unter den hohen Mauern vorbeigingen, tönen die Trompeten am Fuß der himmelragenden Türme, und Kriegsgerät schallt von den hohen Mauern, das mit schwefligem Feuer blitzschnelle Kugeln verschießt. (90) Die Kreuzungen der Wege sind gefüllt von schaulustigem Volk, und zahl-
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reiche Zuschauer engen den Weg des Kaisers ein. Der Ordnung gemäß betraten als erste Sachsens Vornehme die Stadt, und als nächster reihte der Markgraf von Brandenburg seine Pferde an. Ihm folgten die auf dem Fuß, denen Hessen mit seinen weiten Fluren, und die, denen der Rhein mit seinen Wogen den Namen gab; danach die, die in ihren ererbten Sitzen am Ufer der gelblichen Donau wohnen, und die auf Frankens Bergen hochgelegene Felder innehaben, dazu die, die mit bekanntem Strome die Weser benetzt; sie benetzt mit blauen Wassern die Fluren Westfalens. (100) Was soll ich die erwähnen, die den edlen Namen Spaniens tragen und die Ufer des reichen Tejo verließen? Ihre Namen konnte ich nicht sicher in Erfahrung bringen, und sie fügen sich nicht passend in diese meine Verse. Zahllose Jünglinge schlugen schnell mit den Händen zum Klang der Trompeten die Pauken, und Diener des Kaisers, die vor den höchsten Fürsten des Reichs schritten, hielten die beiden Szepter. Unter den Fürsten trug der Kurfürst das vergoldete Schwert voran, der jetzt in sanftem Frieden Sachsen regiert. (110) Ihn begleitete eine lange Reihe von Vornehmen und eine große Schar von Fürsten folgte ihm nach. Unter einem Baldachin, der den Himmel darstellte, folgte hoch auf einem schneeweißen Rosse Karl in eigener Person. Alles Volk hielt unverwandt die Augen auf ihn gerichtet, alle diese Menschen sprachen nur über ihn. Darauf kam er, der das alte Reich der Böhmen beherrscht, als Bruder der nächste beim erhabenen Kaiser. Als letzter schritt der Gesandte des römischen Bischofs einher, er nennt sich Campeggio mit Namen. (120) Ihn trug ein Maultier, geschmückt mit Tyrischem Purpur, wie es in den Städten Hesperiens Brauch zu sein pflegt. Seine Schläfen umgab eine purpurfarbige Kappe, wie ihn der Stand der Kardinäle trägt. Darauf folgten die Edlen Österreichs und aus Burgund. Der Ritter aus Trient reihte sich an sowie die zurückkehrenden Bürger Augsburgs, die zuvor aus den Mauern der Stadt gezogen waren. Man kann einen steilragenden Turm mit hoher Spitze sehen, wo mitten auf dem Markt, ihm verbunden, das Rathaus steht. (130) In ihm zeigt man sich der Reihe nach die alten Könige der Deutschen und in Gemälden die Taten der berühmten Fürsten. Hier, wo die kräftigen Kimbern den wilden Kampf eröffnen, flieht Carbo mit seinen bestürtzten Soldaten vor den Angst Erweckenden. Scaurus trägt Fesseln um seinen gefangenen Hals und, getroffen von feindlichem Schwert, fallt Manlius. Kühn beraubt Arminius die Römer der Waffen, unter dessen Führung wir unsere Freiheit wieder erlangten. An anderer Stelle vertreibt Otto I. den aus dem Gebiet Skythiens aufgebrochenen Hunnen siegreich mit tapferem Mute. (140) Viele Kleriker standen in langer Reihe bei diesem Turm, als der Kaiser auf der angrenzenden Straße seinen Weg nahm. Allen waren ihre Haare auf glattgeschorenem Scheitel entfernt, allen fiel ein weißes Gewand von den Schultern. Darauf betraten sie die der Heiligen Jungfrau geweihte Kirche und sangen Fürbitten in feierlichem Lied. Mit Laub von Bäumen waren die Altäre geschmückt, und die Kirche war
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übersät von hingestreuten Rosen. Unterdessen war die Abenddämmerung ganz vom Himmel geschwunden, und die Zeiten der taubringenden Nacht waren angebrochen. (150) Karl entließ also die Fürsten und zog sich mit seinem Bruder in die benachbarte, ihm bestimmte Herberge zurück. Somit hast du die Beschreibung der Geschehnisse, wie sie in feierlichem Zuge stattfanden, nach der Reihenfolge. Das Übrige werden wir miteinander persönlich besprechen, wenn ich eure Mauern wieder aufsuchen werde. Leb wohl! Nr. 2: S. 1 7 8 - 1 8 2 (Elegiarum Liber VI.) AD ILLUSTRISSIMUM Principem Albertum, MARCHIONEM Brandeburgensem, primum Prussiae Ducem. Elegia V i n . Est Èrebi pestis, quae tristibus implicat orbem Dissidiis, passim diraque bella serit, ATE nomen habet: validis haec gentibus olim, Terrarum & dominis exitiosa fuit. Haec Agamemnonias affecit clade cohortes, Cincta quibus Priami moenia regis erant: Haec quoque Thesidas, haec regna potentia fregit Inuicti Macedûm quae peperêre duces. Haec simul imperij spoliauit honore Quintes, Dum fera ciuili sanguine bella gérant. Threîcias eadem gentes haec pestis & vrbes Perdidit, Argolicas haec labefecit opes, Tunc vbi prorupit Scythicis Othomannus ab oris, Hellespontiacas & superauit aquas. Namque voluntates distraxit & agmina regum, Iunctis ille quibus terga daturas erat. Haec quoque discordes hoc tempore copulit Hunnos, Turpi seruitio triste subire iugum. Dum geminos quaerant reges: scissique duabus Partibus, hue illue arma cruenta ferunt. Denique Germanis nunc bella domestica nobis Excitât, ac turbas irrequieta facit. Nosque feris itidem conatur prodere Turcis, Alter in alterius dum mouet arma necem. Vidit id imperij moderator & arbiter olim, Qui genuit patrem CAROLE Quinte tuum Utque graues casus, tristesque auerteret orbi
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Clades, & patriae damna timenda suae, Deuincire pios optato foedere reges, Conatusque domi tollere bella fuit, Fortior vt iunctis in proelia viribus iret, Saeuaque grassantis frangerei arma Scythae, Huius enim rabiem cohibere, piosque tuen, Esse DEO gratum non dubitabat opus. Ante sed armatus quàm sese mouit in hostem, Et regum sociae quàm coiêre manus, Optimus in medio belli molimine Princeps, Funere sublatus praeueniente fuit: Atque opus inceptum (proh tristia fata) reliquit. Immortale decus quo pariturus erat. Inuida mors, quare regum conatibus obstas, Pro lacero Christi qui grege bella mouent? Fallor? an illius quod es olim vieta triumpho, Pro Mahometigena stat fauor hoste tuus? Nam sic pontificem Turcis quoque bella parantem Diceris Aeneam saeua tulisse Pium. Ne tarnen ignorent haec Caesaris acta nepotes, Acta boni debent quae meminisse duces, Sunt calamo conscripta meo: nam talia refert A' memori semper posteritate legi. Olim forsan erunt quos haec explere iuuabit Consilia, & studio pacis amante sequi. At veluti quondam patris induit arma peremti, Rex qui Pellaea natus in vrbe fuit: Atque triumphata confecit Perside bellum, Ipsius genitor quod meditatus erat: Sic quoque nunc vtinam se Carolus armet in hostem, Exoptata suo bellaque sumat auo. Ast ego quicquid id est operis, tibi dedico Princeps Laeta Borussorum quo duce gaudet humus. Nec dubito, quin pacis amans, hostisque Scytharum Talia diuini Principis acta probes. Nam quoties audis ciuilia bella moueri, Inter Christicolas Marte furente duces, Et Scythicum nostra gaudentem lite tyrannum, Omnia victrici carpere regna manu, Ipse gemens, imo suspiria pectore ducis, Temporis & nostri tristia fata doles. Teque licet multis exhausta laboribus aetas Occupet, arma tarnen sumere dura iuvat:
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Wilhelm Kühlmann Cumque pharetratis committere praelia Turcis, Et procul ad Solymas castra locata sequi: Si modò suscipiat concors Germania bellum, Suppetiasque piis, auxiliumque ferat. Viuenti quoque carus eras: ductore sub ilio Tempora militiae prima fuêre tuae, Euganeos quando populos vrbesque premebat, Martius Adriacae quas leo gentis habet. Saepius ille tuis applaudens fortibus ausis, Macte animi, aiebat, macte: vir acer eris, Et quaecunque tenes belli praecepta gerendi, Tyroni senior tradidit ille tibi. Te peditum cuneos, & equestres ducere turmas, Te docuit tuto ponere castra loco: Explorare vias, nec aperto praelia tantùm Marte, sed hostili conseruisse dolo. Adde quod ipse meos tibi consecro iure labores, Pro meritis videar gratus vt esse tuis. Namque meae peragunt secura quod ocia Musae, Id tua nimirum cura benigna facit. Ampia mihi tribuís studiorum praemia vati, Caesare Virgilius qualia dante tulit. Aurea quid referam, quorum mihi multa dedisti, Pocula? quid celsae splendida tecta domus? Pro quibus ingratum me ne qua redarguat aetas, Nominis est aequum me meminisse tui. Tempus erit, laudum praeconia quando tuarum Maeonijs peragat nostra Thalia modis: Namque opus instituí, validae quo praelia dextrae, Atque tuae laudes commemorabo togae. Möns vbi sublimis Helicon se tollit in auras, Roscida Musarum floribus arua nitent, Quos ñeque Sol aestu, Boreas ñeque frigore laedit, Nec spoliant vili veris honore dies. His tibi contexam de floribus ipse coronam, E ducibus qualem nemo sub axe gerit. Interea Princeps hunc accipe quaeso libellum, Qui licet eloquij forsitan arte caret, Attamen egregias res continet, actaque pacis: Quo tibi praecipuè nomine gratus erit.
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An den Durchlauchtigsten Fürsten Albrecht, Markgrafen von Brandenburg, ersten Herzog von Preußen Von Erebus geht Unheil aus, das den Erdkreis mit schmerzlicher Zwietracht überzieht und überall schreckliche Kriege verursacht - es trägt den Namen Ate: Dieses brachte einst den mächtigen Völkern und Herren der Welt Verderben. Dieses stürzte die Truppen des Agamemnon ins Unglück, die die Stadt von König Priamos umzingelt hatten; auch bezwang dieses die Athener und die mächtigen Reiche, die die unbesiegbaren Führer der Makedonen eroberten. Dieses beraubte auch die römischen Bürger des Glanzes ihrer Herrschaft, als sie, Bürgerblut vergießend, schreckliche Kriege führten. (10) Eben dieses Unheil entmachtete damals die Stämme und Städte Thrakiens und ließ die Streitkräfte der Griechen wanken, als der Türke von Skythiens Küste aus hervorbrach und den Hellespont überwand, denn er störte die Pläne und die Heere der verbündeten Könige, vor denen er schon auf der Flucht war. Dieses Unheil zwang auch derzeit die uneinigen Ungarn, schmerzlich unter das Joch zu gehen in schmachvoller Knechtschaft. Während sie zwei Könige wählten, gespalten in zwei Teile, erhoben sie ihre Waffen blutvergießend mal hierhin, mal dorthin. (20) Schließlich entfacht dieses Unheil uns Deutschen eben einen Bürgerkrieg und sorgt rastlos für Streit. Und ebenso versucht es, uns den grausamen Türken verräterisch auszuliefern, während man gegenseitig zu den Waffen greift, um den anderen zu töten. Augenzeuge davon war schon vor Zeiten des Reiches Lenker und Gebieter, der Deinen Vater, Karl V., gezeugt hat. Und um der Welt schwere Unglücksfalle und schmerzliche Niederlagen und für sein Vaterland furchtbare Schäden abzuwenden, versuchte er, die frommen Fürsten mit einem erwünschten Vertrag zu binden und im Reich Kriege zu verbieten, (30) um entschlossener mit einer vereinigten Streitmacht in Schlachten zu ziehen und die grausamen Waffen des ungestümen Scythen zu bezwingen. Denn deren Kampfwut abzuwehren und die Frommen zu schützen, zweifelte er nicht, sei ein Gott wohlgefälliges Werk. Aber bevor er bewaffnet aufbrach gegen den Feind und die verbündeten Truppen der Könige sich sammelten, wurde der hochangesehene Kaiser mitten in den Bemühungen um diesen Krieg vorzeitig vom Tode dahingerafft. Und so ließ er ein begonnenes Werk zurück (ach, welch trauriges Schicksal!), mit dem er sich anschickte, unsterblichen Ruhm zu erwerben. (40) Mißgünstiger Tod, warum behinderst Du die Anstrengungen der Fürsten, die zugunsten der zerrissenen Christenheit Kriege führen? Täusche ich mich, oder begünstigst Du, da Du einst durch den Sieg Christi überwunden wurdest, eben den mohammedanischen Feind? Denn so sagt man, Du habest Papst Aeneas Pius, als er ebenfalls gegen die Türken rüstete, unerbittlich fortgerissen. Damit jedoch die Enkel des Kaisers seine Taten genau kennen, Taten, die die rechtschaffenen Herrscher nicht vergessen dürfen, habe ich sie mit meiner Feder niedergeschrieben,
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denn es kommt darauf an, daß solche Taten von der Nachwelt, ihrer stets gedenkend, gelesen werden. (50) Es wird möglicherweise auch welche geben, denen es Freude machen wird, diese Pläne auszuführen und ihnen mit friedliebendem Eifer zu folgen. Aber wie einst der König, der in Pella geboren war, die Waffen seines Vaters nach dessen Ermordung anlegte und im Triumph über Persien einen Krieg beendete, den sein Vater vorbereitet hatte, so möge doch auch jetzt Karl sich gegen den Feind bewaffnen und die von seinem Großvater ersehnten Kriege unternehmen! Ich aber widme dies, was immer für ein Werk es auch sei, Dir, mein Fürst, über den als Herzog sich das Land der Preußen von Herzen freut. (60) Und ich zweifle nicht, daß Du bei Deinem Streben nach Frieden und als Feind der Skythen solche Taten des erhabenen Kaisers billigst. Denn immer wenn Du vernimmst, daß vom wütenden Mars Bürgerkriege begonnen werden zwischen den christlichen Herrschern und daß der skythische Gewaltherrscher, der sich über unseren Streit freut, alle Reiche mit einer siegreichen Schar von Kriegern langsam durchzieht, klagst Du dabei selbst und seufzest tief im Innersten und bejammerst das schmerzliche Geschick unserer Zeit. Mag Dich auch das von vielen Notständen erschöpfte Zeitalter in Beschlag nehmen, so macht es dennoch Freude, unbeugsam die Waffen zu ergreifen (70), den köchertragenden Türken Schlachten zu liefern und ihre weithin bis Jerusalem errichteten Festungen aufzusuchen, wenn nur Deutschland sich einträchtig zu einem Krieg entschließt und den Frommen Beistand und Hilfe leistet. Als jener Kaiser noch lebte, warst Du von ihm geschätzt: Unter seiner Führung bestandest Du die ersten Gefahren Deines Kriegsdienstes, als er den venezianischen Völkern und Städten hart zusetzte, die der kriegerische Löwe des Adriatischen Volkes beherrscht. Jener Kaiser äußerte sich recht oft beifällig über Deine unerschrockenen, wagemutigen Taten: »Heil Dir ob Deines Mutes«, sagte er, »Heil: Du wirst ein Mann voller Tatkraft sein!« (80) Und alle Regeln der Kriegsführung, die Du beherrschst, hat jener als der Ältere Dir, dem Neuling, anvertraut. Er lehrte Dich, die keilförmige Aufstellung der Infanterie und die Reiterschwadronen anzuführen und Lager an einem geschützten Ort aufzuschlagen, Wege ausfindig zu machen und nicht nur in einer offenen Feldschlacht, sondern auch mit feindlicher Tücke zu kämpfen. Hinzu kommt noch, daß ich selber Dir mit Recht meine Arbeit ehrfürchtig zueigne, um mich erkenntlich zu zeigen für Deine Verdienste um mich. Denn Deine gütige Obhut bewirkt zweifellos, daß meine Musen in sicherem Frieden leben. (90) Du verleihst mir als Dichter reichlich Belohnungen für meine künstlerischen Leistungen, wie sie aus der Hand des Kaisers Vergil erhielt. Wozu soll ich die goldenen Becher zur Sprache bringen, von denen Du mir viele gegeben hast, wozu das glänzende Dach meines hochragenden Hauses? Damit das Zeitalter mich nicht etwa als undankbar angesichts Deiner Verdienste hinstellt, ist es recht und billig, daß ich mich auf Dein Ansehen besinne. Die Zeit wird kommen, da unsere Tha-
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lia die Lobrede auf Deine ruhmvollen Taten im homerischen Versmaß halten wird. Denn ich habe ein Werk begonnen, in dem ich von den Gefechten, die Du mit starker Hand bestandest, und von Deinem ruhmvollen Wirken im Frieden berichten werde. (100) Wo das Helikon-Gebirge hoch in die Lüfte ragt, strotzen die betauten Gefilde der Musen von Blumen, denen weder der Sonnengott mit seiner Hitze noch der Nordwind mit seiner Kälte zusetzt noch irgendwelche Tage die Anmut des Frühlings nehmen. Aus diesen Blumen werde ich persönlich Dir einen Kranz binden, wie ihn niemand von den Herrschern unterm Himmelsgewölbe trägt. Unterdessen jedoch nimm bitte, mein Fürst, dieses Büchlein entgegen, welches, wenn es auch vielleicht nicht Kunstfertigkeit der Sprache besitzt, dennoch hervorragende Kriegstaten und Friedenswerke enthält. Deswegen wird es Dir besonders willkommen sein.
Nr. 3: S. 101-108 (Elegiarum Liber IV.) AD CARDINALEM PETRVM BEMBVM. Elegia I. ILle Sabinorum qui gaudet nomine vates, Te procul à Viadri Bembe salutat aquis, Cuius ad algentes ludit modo carmina ripas, Aoniae tangens plectra sonora lyrae. Si fortasse rogas, quibus amnis hie erret in oris, Teutona Vandalico separat arua solo: Quemque alias Viadrum Germania nuncupat, idem Dictus ab indigenis Oderà nomen habet. Sed moror ipse tuas longis ambagibus aures, Accipe nostra procul quid tibi Musa ferat: Annua fortè dies aderat, cum prisca biformem Tybridis vrbs Ianum deuenerata fuit, Prouidus vt coeli custos emittere pacem, Et rigida vellet condere bella sera. Moenibus exieram solus, vinetaque lustrans, Per niue candentes ingrediebar agros: Uersabamque graues moesto sub pectore curas, Temporis expendens tristia fata mei: Ut iuga Dalmatiae, ripasque binominis Istri, Turca Pelethronijs depopuletur equis. Arma nec Europae capiant vltricia reges, Effera gens quorum Marte domanda fuit. Ergo trahens imo suspiria corde, fremebam,
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Wilhelm Kühlmann Haecque dabam gelidis verba ferenda notis: Nunc ego Dircaeus vates, fidibusque canons Inclitus Oeagri filius esse velim: Non vt aues, rigidasque feras, nec saxa, vel ornos Ducere, sed regum corda mouere, queam. Dicite summa quibus rerum concessa potestas, Uestra quis ignauus pectora torpor habet? Quod non indomitum bello compescitis hostem, Cuius Pannoniam dextera caede replet. Me miserum, quantas clades hie barbarus orbi Intulit, est quarum commeminisse dolor. Aeoliae domitis mare Thracibus abstulit Helles, Captaque Byzanti moenia victor habet. Phoenicum vastauit agros, quaeque altus opacat Florida palmífero vertice rura Thabor. Caedibus impleuit septemplicis oppida Nili, Ac te te Carpathio marmore cincta Rhodos. Saeuit in Istricolas iam nunc, Budaque potitus Austriacis praedam finibus hostis agit. Ne fera praedonis victoria longius iret, Cura pijs Ducibus suscipienda fuit. Graecia si rapta Menelaï coniuge bellum Gessit, & est hostem fortiter vita suum: Cur coelestis erunt Christi sine vindice gentes? Nullus an innocui sanguinis vltor erit? Proque tot abduetis hominum, caesisque piorum Millibus, Europam sumere bella piget? Heu quanto miseri gemitu suspiria dueunt, Diripuit quorum barbara turba lares: Quique manus vincti duris post terga cathenis, Uerbera coguntur tortaque lora pati: Quod non sacrilegi Mahometi numen adorant, Te sed adorantes optime CHRISTE colunt. Ah si fata darent reduces hoc tempore reges, Francia quos olim, Sueuia quosúe tulit: Non ita falcato saeuiret acynace passim, Moestaque crudelis fuñera praedo daret. Fortibus indómitos Auares compescuit armis Magnus ab Hectoreis CAROLVS ortus auis: Atque Saracenis, qui Betica regna tenebant, Hesperij captas orbis ademit opes. Primus in Armenia FRIDERICVS castra locauit: Ad Solymos alter trans mare signa tulit.
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Hac decus Heroes quondam sibi laude parabant, Insitus hie animi regibus ardor erat. Non vt dissidijs ciuilibus arma mouerent, Exitioque suos Marte furente darent: Sed procul arcentes vt auitis sedibus hostem, Pro patriae gererent bella salute suae. At modò nulla gerunt nisi bella domestica reges, Sustinet ex Ducibus praelia nemo foris. Alter in alterius sic viscera saeuit, vt olim Gens quae Cadmeo semine nata fuit. Efferus interea grassatur Turca per orbem, Qui contundendus fulmine martis erat: Templa prophanatis & disijt impius aris, Stupraque cum saeua caede nefanda facit. Non sic acta furit rabie Gangetica tigris, Si qua vel est catulis orba leaena suis: Nuper vt ille furens, violentis saeuijt armis, Hìc ubi Pannoniam Noricus Ister adit. Sepibus infantum suffixa cadauera pendent, Ubera matronis ense resecta iacent. Nec tamen è summis Europae regibus vllum Afficit, & clades haec miseranda mouet. Felices animae, nostro quibus attulit aeuo Funeris extremam mors properata diem: Ne Geticos metuant arcus, possintque mentis Excidium patriae triste videre suae. Haec vbi verba leues iactabam questus ad auras, Iamque petiturus moenia rursus eram. Ecce bifrons, alto delapsus ab aethere, Ianus Astitit: ancipiti territus ore fui. Utque tremit ventis agitata palustris arando, Sic mea concussit luridus ossa pauor. lili Sithonia candens niue barba rigebat, Aegoceri tectum veliere corpus erat: Dextera gestabat baculum manus: inque sinistra Clauis, qua superûm panditur aula, fuit. Utque niues humeris, gélidos excussit & imbres, Anteriore loquens hos dedit ore sonos: Desine mirari solos quos FRANCIA reges, Quosùe potens olim Sueuia marte, tulit. Nondum tota iacet virtus extincta, supersunt Hoc fera quos acuent tempore bella Duces. Ecce suis quae nunc Germania dissidet armis,
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Concordi iunget foedera pace domi: Proque focis, arisque, & liberiate tuenda, Sumpta pharetratis inferet arma Getis. Affectum miseris tot cladibus asseret Istrum, Graiaque barbarico subdita regna iugo, Inde etiam ducens longinqua per aequora classem Figet Idumaeo clara trophaea solo. Non est fractus adhuc rex Ferdinandus, & alter Augusti titulum qui modò frater habet. Hic aget Hesperiae fortes in praelia gentes, Ule Bohemorum robore bella geret. Ergo pone metum, tristes ac siste querelas, Quem metuis posthac non metuendus erit. Dixit, & in tenues euanidus exijt auras, Et mea conijciens sparsit in ora niuem. At non vana mihi coelestis ianitor aulae Rettulit, imperij iam coiêre Duces: Et modò confirmant aeterno foedere pacem, Omnibus inque Getas viribus arma parant. Martia terribili feriuntur tympana pulsu, Tolluntur medio bellica signa foro. Ex Ducibus verò, quos pugnae accincta sequentur Agmina, septemuir Marchio, primus erit. Marchio Teutonici pronepos animosus Achillis, Uirtutis specimen qui dedit ante suae, Austriacis cum te grassantem depulit oris, Uertit & in celerem saeue Tornita fugam. I, decus imperij, patriaeque tuere salutem, I tua quo virtus te IO ACHIME vocat: Te pridem cupidis expectat Achaïa votis, Ut semel excutiat triste redemta iugum. Maenalus inclinât prona tibi rupe cacumen, Aduentu gaudent Pindus & Ossa tuo. Nec metuas enses, nec spicula tincta veneno, Prospera suscipies auspice bella DEO. lile tuus protector erit, partoque triumpho Ut laetus redeas victor ab hoste dabit. At Romana pio quo Flamine curia gaudet, O' sacer Aonidum nobile BEMBE decus: Te decet hortari Venetos, populumque Quirini, Quos tua dulce loquens flectere lingua potest: Omnibus inuadant vt eundem viribus hostem, Subsidio nobis, neu superemur, eant.
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Nam velut accurrunt exciti sedibus omnes, Cum vagus incensa Mulciber vrbe furit: Sic quoque vos sumtis accurrere conuenit armis, Ne rigidis simus praeda cruenta Getis. Graecia suppetias olim si Thracibus isset, Subdita Turcarum non foret ipsa iugo: Nec modo lugeret superatus ab hostibus Ister Poeona si Danaïs terra tulisset opem. Quare vestra nisi vicinos arma iuuabunt, Tristia (crede mihi) vos quoque fata manent, Nec minus alternae discordia semina litis Tollere, BEMBE tuae pars pietatis erit: Et sedare graues motus, quos tempore nostro Turbata populus relligione facit. Nam cum praecipue Latij sacer ordo senatus Te colat, inque oculis vrbs Tyberina ferat: Optimus assertor fidei, pacisque sequester, Uulnera fomentis nostra iuuare potes. Respice quas hominum reddens pro crimine mortem, Abluit ipse suo sanguine CHRISTUS oues: Optatamque gregi pastorum confice pacem, Quorum dissidium tristia damna parit. Nam fera dum motis certamina litibus instant, Excubias nullus pro grege pastor agit. Destituuntur oues & ruptis sepibus audent Undique raptores in pecus ire lupi. Summus in illustri Deus hac te sede locauit, Ingenijque tibi ilumina larga dedit: Ut tua conciliet mitem facundia pacem, Et verae partes relligionis agat. Ergo tuos Venetos hortare, tuosque Quirites, Ut sua nobiscum iungere castra velint: Immanemque iuuent armis excindere gentem, Quae nos exitio, sit nisi fracta, dabit. Effice concilium simul vt solenne vocetur, Elucescat vbi gloria vera DEI. Id cupit, id votis ardentibus optat, id vnum Expetit, & CHRISTI te pia sponsa rogat.
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An Kardinal Pietro Bembo. I. Elegie. Der Dichter, der gern den Namen der Sabiner trägt, grüßt dich, Bembo, aus der Ferne von den Wassern der Oder, an deren frierenden Ufern er nun das Spiel der Dichtung treibt, indem er die wohltönenden Saiten der Aonischen Leier anschlägt. Wenn Du etwa fragst, in welchem Land dieser Strom seinen Weg sucht: Er trennt die deutschen Fluren vom Vandalischen Boden. Deutschland nennt ihn sonst »Viadrus«, von den Einheimischen aber hat er den Namen »Oder«. Doch ich halte deine Ohren mit langem Herumreden hin. Vernimm, was unsere Muse dir aus der Ferne bringt! (10) Es war gerade der Tag des Jahres, an dem die alte Tiberstadt den zwiegestaltigen Janus verehrte, auf daß der Wächter des Himmels vorsorglich den Frieden herauslassen und den Krieg mit starkem Riegel zurückhalten wolle. Ich war allein vor die Mauern gegangen und schritt, die Weingärten betrachtend, durch die schneeglänzenden Fluren. Dabei wendete ich betrübten Herzens schwere Sorgen hin und her und erwog das traurige Geschick meiner Zeit: wie der Türke die Höhen Dalmatiens und die Ufer der zwiefach benannten Donau mit seinen Pelethronischen Rossen verwüstet, (20) ohne daß die Könige Europas zu den rächenden Waffen eilen, von deren Kriegsmacht das wilde Volk schon hätte bezwungen sein müssen. Ich seufzte also aus tiefstem Herzen, murrte und gab den eisigen Winden die folgenden Worte mit auf den Weg: »Gern wäre ich jetzt der Dircaeische Dichter und der durch seine wohlklingenden Saiten berühmte Sohn des Oeagrus, - nicht, um die Vögel und das störrische Wild oder die Felsen und die Bergeschen hinter mir her zu führen, sondern um die Herzen der Könige bewegen zu können. Ihr, denen die Regierungsgewalt gegeben ist, sagt doch, welch feige Lähmung hat eure Herzen ergriffen? (30) Daß ihr nicht bändigt durch Krieg den zügellosen Feind, dessen Rechte Pannonien mit Mord überzieht? Ich Elender, welche Niederlagen hat doch dieser Barbar der Welt zugefügt! Es schmerzt, an sie zu denken. Er hat die Thraker bezwungen, ihnen den Äolischen Hellespont weggenommen und beherrscht als Sieger die eroberten Mauern von Byzanz. Er hat die Fluren der Phönizier und die blühenden Gefilde, denen der hohe Tabor mit palmentragendem Gipfel Schatten spendet, verwüstet. Mit Mord hat er die Städte des siebenarmigen Nils und dich, mit Karpathischem Marmor befestigtes Rhodos, erfüllt. (40) Jetzt wütet er schon gegen die Anwohner der Donau und führt, nach Einnahme Budas, aus österreichischem Gebiet als Feind die Beute fort. Damit der wilde Siegeszug des Räubers nicht weitergehe, hätten die frommen Fürsten Vorsorge treffen müssen. Wenn Griechenland nach dem Raub der Gemahlin des Menelaos Krieg führte und sich kraftvoll an dem Feind rächte, warum werden dann die Völker des himmlischen Christus ohne Beschützer sein? Wird es denn
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keinen Rächer für das unschuldige Blut geben? Und hat Europa keine Lust, für so viele Tausende verschleppter und ermordeter Frommer den Krieg aufzunehmen? (50) Weh, mit welchem Stöhnen seufzen die Elenden tief auf, deren Heim die barbarische Horde zerstört hat und die, mit harten Ketten die Hände auf den Rücken gefesselt, Schläge und Peitschenhiebe erdulden müssen, weil sie nicht den gottlosen Mohammed als heilig anbeten, sondern dich, bester Christus, verehren! Ach, wenn das Schicksal in unserer Zeit wieder die Könige heraufführte, die einst der Franken- oder der Schwabenstamm hervorgebracht haben, dann würde der grausame Räuber nicht überall mit dem Krummschwert wüten und traurigen Tod verbreiten. (60) Mit starken Waffen bändigte die zügellosen Awaren der große Karl vom Stamm Hektors, und er entriß den Sarazenen, die das Betische Reich beherrschten, die von ihnen eroberten Schätze der Hesperischen Welt. Friedrich der Erste schlug in Armenien sein Heerlager auf, und der Zweite führte sein Heer über das Meer nach Jerusalem. Mit solchen Ruhmestaten erwarben einst sich Ehre die Helden, und solch brennendes Verlangen beherrschte die Herzen der Könige: nicht im Bürgerkrieg zu den Waffen greifen und die eigenen Landsleute dem Untergang im Wüten des Krieges preiszugeben, (70) sondern den Feind von den Wohnsitzen der Vorväter fernzuhalten und für das Wohl ihres Vaterlandes Krieg zu führen. Aber jetzt führen die Könige nur noch innere Kriege; keiner der Fürsten hält draußen Angriffen stand. Der eine wütet so gegen des anderen Fleisch und Blut wie einst das Geschlecht, das aus dem Samen des Cadmus geboren war. Unterdessen schwärmt auf dem Erdkreis der wilde Türke umher, den der Blitzstrahl des Krieges schon hätte zerschmettern müssen, und zerstört gottlos die Kirchen, entweiht die Altäre und begeht, grausam mordend, entsetzliche Gewaltverbrechen. (80) So rast nicht der Tiger des Ganges in seiner Wut, noch die Löwin, die ihrer Jungen beraubt wurde, wie jener unlängst mit Waffengewalt grausam raste, dort wo die Donau von Noricum nach Pannonien hinüberfließt. Da hängen, an Zäunen aufgespießt, Leichen von Kindern, und Mutterbrüste, vom Schwert abgehauen, liegen umher. Doch dieses jammervolle Unglück rührt und bewegt von den größten Königen Europas nicht einen. Glücklich die Seelen, denen ein früher Tod in unserer Zeit den letzten Tag, den Tag des Begräbnisses, schon gebracht hat: (90) daß sie die getischen Pfeile nicht zu fürchten und den traurigen Untergang ihres zusammenbrechenden Vaterlandes nicht mitanzusehen brauchen.« Als ich diese Worte klagend in die leichten Lüfte ausgestoßen hatte und gerade wieder zu den Stadtmauern zurückkehren wollte, siehe, da stand, aus dem hohen Äther herabgeglitten, der zweistirnige Janus vor mir, und ich erschrak vor dem Doppelgesicht. Und wie, vom Winde bewegt, das Schilf im Sumpfe zittert, so erschütterte fahl machender Schrecken meine Gebeine. Ihm starrte der Bart weiß von Sithonischem Schnee, und sein Leib war mit einem Widdervlies bedeckt. (100) Die rechte Hand führte einen Stab, und in
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der linken war der Schlüssel, der die Halle der Himmlischen aufschließt. Indem er Schnee und gefrorenes Regenwasser von den Schultern schüttelte, ertönten die folgenden Worte aus seinem vorderen Munde: »Höre auf, nur die Könige zu bewundern, die Franken oder das kriegsgewaltige Schwaben einst hervorgebracht haben. Noch ist die Tatkraft nicht ganz erloschen; es gibt in dieser Zeit noch Fürsten, die ein wilder Krieg anspornen wird. Siehe, Deutschland, das jetzt mit Waffengewalt streitet, wird sich im Innern in einmütigem Frieden vertragen, (110) zum Schutz von Herd, Altar und Freiheit zu den Waffen greifen und sie gegen die köchertragenden Türken wenden. Es wird den von so jammervoller Verheerung heimgesuchten Donaustrom und die dem Joch der Barbaren unterworfenen griechischen Königreiche verteidigen und danach sogar eine Flotte über das weite Meer führen und herrliche Siegeszeichen in Palästinas Erde pflanzen. Noch ist König Ferdinand nicht geschlagen und auch nicht sein Bruder, der jetzt den Kaisertitel trägt. Dieser wird die tapferen Völker Hesperiens in den Kampf schicken, jener mit Hilfe der starken Böhmen den Krieg führen. (120) Lege also die Furcht ab und stelle dein trauriges Klagen ein: Der, den du fürchtest, wird künftig nicht mehr zu fürchten sein.« Sprach's und hob sich hinweg, in dünne Lüfte vergehend, und besprühte mein Gesicht mit Schnee. Unwahres hat mir der Torwächter der Himmelshalle nicht verkündet: Schon sind die Fürsten des Reiches zusammengetreten, und gerade befestigen sie mit ewigem Vertrag den Frieden und rüsten mit aller Kraft eine Streitmacht gegen die Türken. Die Kriegspauken werden mit schrecklichem Getön geschlagen, und mitten auf dem Marktplatz erheben sich die Zeichen des Krieges. (130) Von den Fürsten jedoch, denen die zum Kampf gegürteten Scharen folgen werden, wird der märkische Kurfürst der erste sein. Der Markgraf, der hochgemute Urenkel des deutschen Achilles, der früher bereits seine Tatkraft bewiesen hat, indem er dich, du wilder Gete, als du umherschwärmtest, aus österreichischem Gebiet vertrieb und in hastige Flucht schlug. Geh voran, Zier des Reiches, und wahre das Wohl des Vaterlandes; gehe, wohin dich deine Tatkraft, Joachim, ruft. Schon längst erwartet dich Achaia mit heißen Wünschen, daß es endlich befreit werden und das traurige Joch abschütteln möge. (140) Der Maenalus neigt seinen Fels und beugt den Gipfel vor dir; Pindus und Ossa freuen sich über deine Ankunft. Fürchte weder die Schwerter noch die giftgetränkten Pfeilspitzen: Du wirst im Zeichen Gottes einen glücklichen Kriegszug unternehmen. Er wird dein Beschützer sein und dir vergönnen, einen Triumph zu erringen und als Sieger froh vom Feinde zurückzukehren. Doch du, dessen sich die römische Kurie als eines frommen Priesters erfreut, o, ehrwürdiger Bembo, edle Zier der Musen, dir ziemt es, die Venezianer und das Volk des Quirinus, die deine wohlredende Zunge zu lenken vermag, anzutreiben, (150) auf daß sie mit all ihren Kräften denselben Feind angreifen und uns zu Hilfe kommen, damit wir nicht überwunden werden. Denn so, wie alle, aus ihren Häusern aufgescheucht,
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herbeilaufen, wenn der schweifende Mulciber in der in Brand gesetzten Stadt wütet, so sollt auch ihr die Waffen ergreifen und herbeieilen, damit wir nicht den grausamen Türken zur blutigen Beute werden. Wenn Griechenland einst den Thrakern Beistand geleistet hätte, dann wäre es selbst nicht unter das türkische Joch geraten, und der vom Feind überwundene Donaustrom trauerte jetzt nicht, wenn Mazedonien den Griechen geholfen hätte. (160) Daher wartet auch auf euch - glaub' es mir -, wenn eure Waffen nicht euren Nachbarn helfen, ein trauriges Schicksal. Und ebensosehr wird es die Sache deiner Frömmigkeit sein, Bembo, aus dem wechselseitigen Streit die Samen der Zwietracht zu entfernen und den tiefgehenden Aufruhr, den in unserer Zeit das Volk wegen der religiösen Wirren erregt, zu besänftigen. Denn da der ehrwürdige Stand der Senatoren von Latium dich ausnehmend schätzt und die Tiberstadt dich sehr wert hält, kannst du als bester Verteidiger des Glaubens und Vermittler des Friedens unseren Wunden Linderung bringen. (170) Denke an die Schafe, die Christus selbst mit seinem Blute reingewaschen hat, als er um des Menschen Sünde willen den Tod erlitt, und stelle den der Herde erwünschten Frieden unter den Hirten her, deren Uneinigkeit trauriges Unheil hervorbringt! Denn während sie nach Ausbruch des Streits auf wildem Kampf bestehen, hält kein Hirt für die Herde Wache. Die Schafe werden im Stich gelassen, und die räuberischen Wölfe wagen es, überall die Hürden einzureißen und auf die Tiere loszugehen. Der höchste Gott hat dich auf diesen ruhmvollen Platz gestellt und dir reiche Geistesgaben verliehen, (180) damit deine Beredtsamkeit milden Frieden stifte und als Anwalt der wahren Religion spreche. So ermuntere also deine Venezianer und deine Quiriten, ihre Kriegslager willig mit uns zu vereinen und zu helfen, das schreckliche Volk, das uns, wenn man es nicht bricht, verderben wird, mit Waffengewalt zu vernichten. Wirke darauf hin, daß zugleich ein feierliches Konzil einberufen werde, wo die wahre Ehre Gottes hervorleuchten soll. Dies begehrt, dies verlangt mit heißen Wünschen, dies allein fordert und erbittet von dir die fromme Braut Christi. (190)
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Grade der Fremdheit Alteritätskonstruktion und experientia- Argumentation in, deutschen Turcica der Renaissance
Turcica, hier im allgemeinsten und weitesten Verstand als die texüiche oder text-bildliche Darstellung der Türken bzw. des Osmanenreiches verstanden, besitzen keine dominante Position im Buchdruck des deutschen Sprachgebiets im 15. und 16. Jahrhundert, wenn man sie mit der Repräsentation anderer außereuropäischer Ethnien und Regionen vergleicht. Das 15. Jahrhundert dominieren, wie vor kurzem gezeigt wurde,1 Palästina-Berichte, das 16. Jahrhundert dagegen Texte über die Neuen Welten, d.h. vornehmlich Amerika und Afrika.2 Dennoch waren die Türken seit den Eroberungen von Nicopolis (1396) und zumal von Konstantinopel (1453) nachhaltig im Bewußtsein des christlichen Europa präsent, und ihr beständiges Vordringen nach Westen begründet eine Türkenfurcht, die sich auch druckgeschichtlich als bedeutender Faktor während der Renaissance darstellt.3 Ich übergehe die Gründe für diese Türkenfurcht und begnüge mich hier mit dem Hinweis, daß es keine grundlegend präventiven Allianzen unter den christlichen Mächten gab, sondern nur reaktive Konsensmodelle militärischen Handelns.4 Dies heute noch zu beklagen, hat einen merkwürdigen Beigeschmack. Was hat man sich zu denken, wenn z.B. Cornelia Kleinlogel festhält, der guten Informiertheit über die Türkengefahr seien »keine adäquaten politischen und militärischen Aktionen parallelgeschaltet« gewesen, die Türkenproblematik sei »zuungunsten der aktionsorientierten Formen der Bewälti1 2
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Vgl. Michael Herkenhoff: Die Darstellung außereuropäischer Welten in Drucken deutscher Offizinen des 15. Jahrhunderts. Berlin 1996, S. 278. Vgl. dazu Wolfgang Neuber: Fremde Welt im europäischen Horizont. Zur Topik der deutschen Amerika-Reiseberichte der Frühen Neuzeit. Berlin 1991 (Philologische Studien und Quellen 121), S. 223: Bis 1550 wurden im deutschen Sprachgebiet 146 Americana und 38 Brasiliana gedruckt; Marflia dos Santos Lopes: Afrika. Eine neue Welt in deutschen Schriften des 16. und 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1992 (Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte 53). Vgl. dazu Carl Göllner: Die europäischen Türkendrucke des 16. Jahrhunderts. Bd. 1: 1501-1550. Bukarest / Berlin 1961; Bd. 2: 1551-1600. Bukarest / BadenBaden 1968 (Tvrcica lf.); ders.: Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert. Bukarest / Baden Baden 1978 (Tvrcica 3). Hinsichtlich der militärischen und der mentalitätsgeschichtlichen Gründe für die Türkenfurcht vgl. die Beiträge von Ulrich Andermann, Luc Deitz, Johannes Helmrath, Klaus Malettke, Dieter Mertens, Matthias Thumser und János Varga im vorliegenden Band.
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gung [...] in den Bereich des Diskursiven«5 verlagert worden: »Die Tatsache, daß der diskursiven >challenge< keine konsequente politische >response< antwortet, wird sich in der Folgezeit als eskalierende Verkettung von Interpretation (Sinn des >verhängten< Türkensturms), Polemik (Propaganda als Politik der Ohnmacht) und Literarisierung (Bewältigung durch Präsentation kultureller Oppositionsstrukturen und Überlegenheitsfiktionen) der Türkenthematik weiter dynamisieren und die beobachtete Tendenz zum Rückzug auf den Diskurs verstärken.« 6 >Challenge< und >responseexotisch< hieße dann nichts anderes als »anziehende Fremdheit, die auf das verdrängte Eigene verweistexotisches< Lemma
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Vgl. Kleinlogel, Exotik - Erotik, wie Anm. 5, S. 3. Vgl. dazu Wolfgang Neuber: Exotismus, der physiognomische Blick und der Körper des >Indianers< in der Frühen Neuzeit. In: Frühneuzeit-Info 6 (1995), S. 172-180; ders.: >Volk von einer anderen WeltVolk/NationKultur< umgestellt.2« Folgt man dieser Argumentation, dann ließe sich im Hinblick auf die Türken während des 15. und 16. Jahrhunderts exotische Alterität entweder rituell (d.h. religiös) oder sittlich (im wertneutralen Sinne von vita et mores) 22 23
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Allgemeine deutsche Real=Encyklopädie für die gebildeten Stände. 10., verb. u. verm. Aufl. 5. Bd. Leipzig: F.A. Brockhaus 1852, S. 700. Sir John Mandevilles Reisebeschreibung in deutscher Übersetzung von Michel Velser. Nach der Stuttgarter Papierhandschrift Cod. HB V 86 hg. v. Eric John Morali. Berlin 1974 (Deutsche Texte des Mittelalters 66), S. 112. Hans Staden: Wahrhaftige Historia [...]. 1557. Originalgetreuer Faksimiledruck hg. v. Günter E.Th. Bezzenberger. Kassel-Wilhelmshöhe 1978. D.h. das Römische Reich ist ebenso in Nationen binnendifferenziert wie etwa Brasilien etc. Zu diesem vgl. z.B. Nikolaus Federmann: Jndianische Historia. Ejn schòne kurtzweilige Historia Niclaus Federmanns des Jüngern von Vlm erster raise so er von Hispania vnd Andolosia auß in Jndias des Occeanischen Mórs gethan hat [...]. [Hagenau: Sigmund Bund] 1557. Faks. Wien 1994. Vgl. Andreas Poltermann: Literaturkanon - Medienereignis - Kultureller Text. Formen interkultureller Kommunikation und Übersetzung. In: Literaturkanon Medienereignis - Kultureller Text. Hg. v. A.P. Berlin 1995. S. 1-56; hier S. 4. Das entscheidende frühneuzeitliche Kriterium der Fremdheitssemantik, das durch das Begriffspaar >vita et mores< festgelegt ist, entgeht Poltermann; vgl. dazu Neuber, Fremde Welt, wie Anm. 2, S. 35-47 und passim. - Der zeitgenössische, emphatische Kulturbegriff bringt keine Entlastung gegenüber alten Denktraditionen; er existiert nicht nur als Hoffnung einer multikulturellen Gesellschaft, sondern auch im Sinne kultureller Unterlegenheit und Unvereinbarkeit als unmittelbarer begrifflicher Rassismusersatz bei der politischen Rechten.
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oder räumlich (als topologische Differenz) bestimmen. Grundlegende Einwände gegenüber einer als exotisch zu verstehenden Alterität, die sich als nichts weiter denn ein verdrängtes Eigenes formuliert, habe ich schon erhoben. Die religiöse Differenz, die zwischen Christen und Muslimen, d.h. auch zwischen >Deutschen< und >Türkender Christenheit kann so oder so nicht über die Türken verfügt werden, sie werden nicht als fremd um ihrer Fremdheit willen wahrgenommen. Daß sie hier nicht als Exoten figurieren, ist somit ein historisch erklärbares Manko.29 Eine Exotisierung der Türken und des Osmanenreichs scheint mir im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation erst im 17. Jahrhundert zu erfolgen. Ich will im folgenden versuchen, noch einige Belege für die bisher aufgestellten Thesen vorzulegen, indem ich die einzelnen Texte in chronologischer Reihenfolge vorstelle. Der älteste Druck geht zugleich auf die älteste Reise zurück. Hans Schiltberger, ein bayerischer Edelmann, geboren um 1380, zog 1394 im Gefolge von König Sigmund aus München aus und geriet 1396 bei Nikopolis in türkische Gefangenschaft, als das Kreuzfahrerheer geschlagen wurde. Als türkischer Soldat wurde er 1402 von den Tataren gefangen, als der Mongole Timur den türkischen Kaiser Bajazit bei Ankara schlug. Schiltberger bereiste unter wechselnden Herren weite Gebiete des Nahen und Mittleren Ostens, bis er 1427 heimkehren konnte. Schiltbergers »Reisebuch« erschien um 1476/77 bei Anton Sorg in Augsburg in der Editio princeps. Insgesamt erschienen drei Ausgaben30 im 28
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Vgl. Gilles Deleuze / Félix Guattari: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I. 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1979 (suhrkamp taschenbuch Wissenschaft 224), bes. S. 34-39 und passim. In diesem Sinn wie auch in der historischen Aussage ist die folgende undifferenzierte Behauptung schlichtweg absurd: »Nicht nur wegen seiner politischen Bedrohlichkeit, sondern auch wegen der anziehend-abstoßenden Andersartigkeit seiner Gebräuche wird das Türkische [ . . . ] - innerhalb der verschiedenen Ethnien, mit denen sich das 16. Jahrhundert auseinandersetzt - zur exotischen Leitfigur.« (Kleinlogel, Exotik - Erotik, wie Anm. 5, S. 51; Kursivierung im Original.) Vgl. Hans Schiltberger: Reisebuch. Faksimiledruck nach der Originalausgabe von Anton Sorg, Augsburg um 1476. Hg. v. Elisabeth Geck. Wiesbaden 1969; Hans Schiltberger: Reisebuch. Nach der Nürnberger Handschrift hg. v. Valentin Langmantel. Tübingen 1885 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 172); Reisen des Johannes Schiltberger aus München in Europa, Asia und Africa
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15. Jahrhundert, alle in Augsburg. Der im Erstdruck ilîustrierte Bericht ist in einen historia-TtA und einen chorographischen Teil gegliedert. Die historia beginnt mit einem narrativem Rahmen in Form einer autobiographischen Einleitung. Der Rahmen wird am Ende des chorographischen Teils geschlossen und konstituiert ein Erzähler-Ich, das gleichsam ein Gefäß jenes Wissens darstellt, das der Text präsentiert. Dazu paßt die einleitende Bemerkung des Erzählers, er beschreibe nicht alles, »das ich erfaren han, wann ich alles nicht indechtig pin«, 31 bzw. er schreibe, »souil ich des hab begriffen und gemercket« 32 . Mit anderen Worten: Er gibt nur das wieder, was er erinnert. Der Erzähler eines Reiseberichts ist das erinnerte Ich des Reisenden. Damit scheint mir meine These bestätigt, daß der Reisebericht als Gattung prinzipiell mnemonisch strukturiert ist.33 Der historia-Teil vereint Schiltbergers individuelle Erlebnisse mit einer immer mehr überwiegenden Geschichte der Osmanen und der Tataren. Die dargestellten Ereignisse überschreiten Schiltbergers Anwesenheit im Orient und sind zudem nicht chronologisch geordnet, was darauf hinweist, daß die Einhaltung der Chronologie noch nicht, wie ab dem 16. Jahrhundert, als Kriterium der Authentizität, als Beglaubigungsstrategie, fungiert. 34 Dazu paßt, daß der zweite Teil eine sprunghaft ungeordnete Chorographie vorweist, die mit allerlei kuriosem Wissen durchschossen ist: Ornithologie, die fünf sogenannten heidnischen Religionen und eine Beschreibung des Islam, die Sprachen, Sitten und Religionen der orientalischen Christen. Der Text bietet auch Beschreibungen von Regionen, die Schiltberger ausdrücklich nicht selbst gesehen hat: Reste der mittelalterlichen Wundergeographie tauchen hier auf. Intertextuelle Beziehungen ergeben sich dabei zu Marco Polo, Oderich von Pordenone und John Mandeville. Dieser zweite Abschnitt wird durch die Flucht abgeschlossen, die Autobiographie rahmt, wie gesagt, den Text. Der historia-Teil ist im Erstdruck mit zwölf Holzschnitten illustriert, der chorographische Teil mit nur drei Holzschnitten. Alle Bildsujets bleiben im
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1394-1427. Hg. v. Karl F. Neumann. München 1859. - Ausführliche Literaturhinweise zu Schiltberger und eine Diskussion der Druckgeschichte während des 15. Jahrhunderts vgl. bei Herkenhoff, Die Darstellung, wie Anm. 1, passim (Register!), bes. S. 53ff. Schiltberger ed. Langmantel, wie Anm. 30, S. 1. Schiltberger ed. Geck, wie Anm. 30, S. [1]. Vgl. Neuber, Fremde Welt, wie Anm. 2, S. 197-214. - Diese grundlegende mnemonische Verfaßtheit gilt auch für jene Texte, die sich auf Reisediarien gründen, also bereits auf Texte, die vor Ort verfaßt wurden, zurückgreifen können. Schriftlichkeit ist stets selbst mnemonisch organisiert, die sekundäre Bearbeitung bringt zudem notwendigerweise den Akt des Erinnerns ins Spiel. Vgl. Wolfgang Neuber: Die frühen deutschen Reiseberichte aus der Neuen Welt. Fiktionalistätsverdacht und Beglaubigungsstrategien. In: Der europäische Beobachter außereuropäischer Kulturen. Zur Problematik der Wirklichkeitswahrnehmung. Hg. v. Hans-Joachim König, Wolfgang Reinhard u. Reinhard Wendt. Berlin 1989 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 7), S. 43-67.
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Rahmen zeitgenössischer christlicher Realität, der selbstverständlich auch Lindwürmer und Einhörner als Signaturen des Wunderbaren zuzurechnen sind. Eine Repräsentation der Türken als Menschen mit auch nur anderer Kleidung findet indessen nicht statt. Typologisch entsprechen die Illustrationen damit der Bildargumentation der Prosaromane des 15. Jahrhunderts. Die Sorgsche Druckfassung folgt jener Heidelberger Handschrift, die 1859 durch Neumann herausgegeben wurde. 35 Sie weicht von dem Nürnberger Manuskript ab, das Langmantel 1885 edierte. Die Flucht nach Konstantinopel segmentiert als autobiographisches Versatzstück hier den Text; sie trennt historia und Chorographie und zieht ein Kapitel (Kap. 31) über die Religion der Griechen an sich, das in der Druckfassung in den Komplex der Sprachen, Sitten und Religion der orientalischen Christen eingerückt ist. Die endgültige Heimkehr von Konstantinopel beschließt auch hier als Rahmen den Text. Georg von Ungarn 36 war mehr als eine Generation jünger als Schiltberger, hatte aber ein ganz ähnliches Geschick. Er wurde um 1422 geboren, vermutlich in Siebenbürgen, und geriet 1438 bei der Eroberung von Mühlbach in türkische Gefangenschaft, aus der er erst nach zwanzigjähriger Sklaverei freikam. Georg trat noch auf der Heimreise in den Dominikanerorden ein und ging in den siebziger Jahren nach Rom, wo er 1502 starb. Der Tractatus erschien in der lateinischen Editio princeps 1481 wahrscheinlich bei Georg Herolt in Rom. Er wurde aus der Erinnerung um 1480 abgefaßt, wohl als Reflex auf die akute Türkengefahr dieses Jahres, doch ohne die Ereignisse zu erwähnen. Noch im Jahr der Erstausgabe erschien ein Nachdruck in Urach, der seinerseits 1488 in Köln nachgedruckt wurde. Der Text ist durch die autobiographischen Passagen in derselben Weise segmentiert wie das Nürnberger Manuskript von Schiltberger, ein Prologus einerseits und eine autobiographische Ratio testimonialis, die den Text abschließt, andererseits bilden den Rahmen; ein etwa in der Mitte des Textes befindliches Kapitel (Kap. 16) schafft durch einen autobiographischen Einschub eine Zäsur, die eine confirmatio und eine refutatio verbindet und trennt zugleich. Trotz dieser Analogien (ein erinnertes Ich als Erzähler schafft einen Text, der autobiographisch gerahmt und segmentiert ist) ist der Tractatus kein Reisebericht. Er ist vielmehr, wie plausibel gezeigt wurde, 37 eine theologische Abhandlung mit fünf stringent disponierten expositorischdeskriptiven Hauptteilen ohne Zeitstruktur, die sich wie folgt darstellen:
« Vgl. Anm. 30. 36 Ausführliche Literaturhinweise zu Georg von Ungarn und eine Diskussion der Druckgeschichte während des 15. Jahrhunderts vgl. bei Herkenhoff, Die Darstellung, wie Anm. 1, passim (Register!), bes. S. 214-217. 37 Vgl. Klockow: Einleitung. In: Georgius, Tractatus, wie Anm. 27, S. 9-142; hier S. 32-42.
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1-8: Aufstieg und Verbreitung der Türken als neue Christenverfolgung 9-15: die Verführungskraft der Türken 16-19: diese wird als teuflischer Schein entlarvt 20-22: weitere konkrete Gründe gegen die Türken 23: Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Islam.
Zwei türkische Gedichte mit lateinischer Übersetzung und ein Auszug aus dem Apokalypsen-Kommentar des Joachim von Fiore zur heilsgeschichtlichen Stellung des Islam bilden einen Anhang, der das Beweisziel des Tractatus unterstreicht. Es ist die heilsgeschichtliche Stellung, die der Text den Türken zuweist: Sie entsprechen dem Antichrist, so daß ihr endgültiger militärischer Sieg unaufhaltsam ist, aber zugleich den Heilsplan erst erfüllt. Wenn diese Interpretation stimmt - und sie erscheint in der Tat plausibel - , dann geht die Alterität der Türken letztlich in der Vertrautheit dessen auf, was Katholiken im 15. Jahrhundert für das manifeste Böse hielten und an schöpfungselementarer Heilserwartung für Gewißheit nehmen konnten. Der Tractatus besitzt zwar nur geringen historiographischen Quellenwert - nicht einmal die Eroberung von Konstantinopel wird erwähnt - , dafür bietet er intensive Darstellungen aus der Alltagsperspektive eines Sklaven, der Georg ja war, von vita et mores (z.B. Kap. 5-7, 9-12) und von ritus (Kap. 13-15; hier jedoch in Autopsie nur 14f.: Derwische). Diese Elemente der Fremdheit konnten, ihrer theologischen Anverwandlung entkleidet, auch im 16. Jahrhundert von Interesse bleiben. Der Text wurde immer wieder aufgelegt, am häufigsten in der Folge der Wiener Türkenbelagerung. 1530 kamen acht Ausgaben auf den Markt, zwei in Latein und sechs deutsche, von denen allein vier Drucke die Bearbeitung durch Sebastian Franck unter dem Titel Chronica vnnd beschreibung der Tiirckey38 repräsentieren. Die deutschen Ausgaben des 16. Jahrhunderts sind allerdings, wie angedeutet, nicht Übersetzungen, sondern Redaktionen, die die theologischen Teile streichen und den Text auf die Passagen von vita et mores und ritus reduzieren.39 Sebastian Francks Chronica vnnd beschreibung der Tiirckey erschien in insgesamt fünf Drucken (zuerst zwei in Nürnberg bei Friedrich Peypus 1530, dann zwei in Augsburg bei Heinrich Steiner 1530, einer ebenda 1531). In den Drucken von Steiner fehlt die Kritik an der katholischen Kirche. Diese Drucke sind dagegen mit zwölf Bildern von zehn Holzstöcken illustriert, wie das einerseits bei dem Schöpfer der illustrierten Emblematik prinzipiell kaum anders zu erwarten war.40 Zum anderen muß darin auch ein s« Vgl. dazu ebd. S. 55ff. 39 Vgl. dazu Stephen C. Williams: »Türkenchronik«. Ausdeutende Übersetzung: Georgs von Ungarn »Tractatus de moribus, condictionibus et nequicia Turcorum« in der Verdeutschung Sebastian Francks. In: Reisen und Welterfahrung in der deutschen Literatur des Mittelalters. Hg. v. Dietrich Huschenbett u. John Margetts. Würzburg 1991 (Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie 7), S. 185-195. 40 Vgl. dazu Joachim Knape: Bildbuch und Emblematik im Zeitalter Sebastian Brants (Brant, Schwarzenberg, Alciati). In: Mnemosyne. Festschrift für Manfred
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Schritt in Richtung der Kosmographie als Gattung gesehen werden, die in ihrer deutschsprachigen wie lateinischen Gattungsgeschichte eine Tradition reicher Bebilderung aufweist. Steiner reagiert damit so konsequent wie sensibel auf einen Passus des Textes, wo Franck die »Chronica als vorschmack vnd vortrab meiner Haubtchronick« 41 , d.h. des Weltbuchs, das 1534 erschien, bezeichnet. In der Illustration eines in den ursprünglichen Drucken bildlosen Textes, d.h. in der konkreten Veranschaulichung des Fremden, in seinem Ausgang aus der Abstraktheit des Wortes, hat man, wie ich meine, hier einen Akt der Exotisierung zu sehen, weil das Fremde um seiner Fremdheit willen in die Bildevidenz gehoben wird. Vollzog sich die Illustration in Schiltbergers Erstdruck gänzlich im Horizont der zeitgenössischen Ritterepik, so vollzieht sich die bildliche Exotisierung in den Steinerschen Drucken erst aufgrund der Anverwandlung des ursprünglichen Textes an die Topik der Kosmographie - historia, Chorographie mit vita et mores und ritus, erst durch den Wegfall seiner strikt (kontrovers-theologischen Funktionalisierung. Mit anderen Worten: Nur die Umwandlung des Traktates in eine kosmographische Rumpfform und damit in ein anderes Genus läßt die Sinnkonstitution des Fremden als Fremdes zu. Wo diese basale Struktur fehlt, d.h. dort, wo Reiseberichte, die am stärksten von der Topik der kosmographischen Wissenschaft geprägt sind, weil sie ihr primäres empirisches - d.h. intertextuelles - Material darstellen, wo Reiseberichte also die Topik der Kosmographie nicht aufgreifen, dort entsteht auch keine exotische Fremdheit, sondern gleichsam nur eine Alltagsform von Alterität. Das läßt sich deutlich an Leonhart Rauwolffs Aigentliche[r] beschreibung der Raiß [...] gegen Auffgang inn die Morgenländer zeigen. Rauwolff wurde am 21. Juni 1530 in Augsburg geboren. Er studierte in Tübingen, Wittenberg, Montpellier und Valence Medizin und erwarb dort seinen Doktorgrad. Ab 1571 war er als Stadtphysicus in Augsburg tätig. Am 18. Mai 1573 bricht er in den Orient auf. Seine Route führt ihn über Marseille, Tripolis, Aleppo, Bagdad, Aleppo, Tripolis nach Jerusalem und wieder nach Tripolis. Von hier aus tritt er die Heimreise an und kehrt nach 33 Monaten nach Augsburg zurück, um hier wieder als Stadtphysicus zu wirken. Da er Protestant ist, entläßt ihn die Stadt 1588; er geht zunächst als Stadt- und Landphysicus der oberösterreichischen Stände nach Linz. Am 15. September 1596 stirbt Rauwolff in Vácz/Waitzen (Ungarn) als Feldarzt in österreichischem Dienst auf einem Türkenfeldzug an der Ruhr. Die Editio princeps ist Laugingen: Leonhart Reinmichel 1582, die zweite Ausgabe Frankfurt a.M.: Christoph Rabe 1582, die dritte Ausgabe Laugin-
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Lurker zum 60. Geburtstag. Hg. v. Werner Bies und Hermann Jung. Baden-Baden 1989, S. 133-178. Vgl. Franck, Chronica, wie Anm. 27, S. 326.
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gen: Georg Willer 1583 42 . Ein vierter Druck erschien in Frankfurt a.M. bei Sigmund Feyerabend 1584 als Teil des Reyßbuchs deß heyligen Lands (S. 276-349). Diese letzte Kontextualisierung ist insofern bemerkenswert, als sie keineswegs dem motivierenden Erkenntnisinteresse der Reise oder dem argumentativen Hauptziel des Textes entspricht. Jenes besteht in einer medizinisch-botanischen Sammlungstätigkeit ausländischer (!) Heilkräuter, dieses in konfessionell gefärbter Weltdidaxe. Die Ausgabe 1583, die mir im Reprint vorgelegen hat, medialisiert die Reisemotivation, indem in einem separat paginierten 4. Teil ein botanischer Anhang, der 42 Pflanzenbilder im Holzschnitt 4 3 aufweist, vorliegt. Dieser vierte Teil ist es auch, der erst die Widmungsgedichte präsentiert, also das gelehrte Kernstück des Textes ausmacht. Das medizinisch-botanische Interesse überformt auch zumal die chorographischen Passagen des Textes, der solcherart zu einem frühen Muster der pflanzengeographischen Literatur wird. Fremdheit könnte damit als topologisches Produkt auftreten. Warum das nicht geschieht, ist im folgenden zu erläutern. Das argumentative Hauptziel des Textes liegt auf dem Gebiet der didaktischen Konfessionsethik. Reisen wird als Vollzug der materiellen Offenbarung, als Lesen im Buch der Natur, verstanden. Das Buch, ein Hodoeporicfum]44, instrumentalisiert die von ihm erzeugte Alterität, um Trost in der Gefangenschaft zu spenden, um fremde Religionen vorzustellen, deren Anhänger oft leicht zum Christentum bekehrt werden können, in erster Linie aber, um Lebenshilfe zu geben: Also welcher auß disem Büchlein / der Morgenländer Leben / Sitten / Gebreüch / Gesâtz / Ordnungen / wellicherlay practiken / tück vnnd list / jnner vnnd aussers Kriegens sie sich gebrauchen / erinnert vnnd vnderrichtet wirdt / der waißt sich inn fürfallenden nòtten / in dieselbigen zuschicken / vnnd desto behütsamer zü handien.45
Alles dazu dienliche Wissen und Material stammt vorgeblich von Rauwolff selbst, vorgeblich schreibt er nur nach eigener experientia, vorgeblich kompiliert sein Text nicht: »Was andere geschriben / hab ich in mein Büchlein hieher nit getragen / sonder was ich selbert gesehen / erfahren / obseruiert, vnnd an die Hand genommen / das ist hierinnen vermeldet.« 46 Dies ist evidenterweise unrichtig, die zahlreichen intertextuellen Relationen z.B. zu
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Zur Druckgeschichte vgl. Dietmar Henze: Leonhart Rauwolff. In: Rauwolff, Aigentliche beschreibung, wie Anm. 27, S. [V]-XXXIII; hier S. XXV-XXVIII. Bis auf zwei kleine Holzschnitte auf den Zwischentiteln zu Ή. 2 und 3 (S. 129: Reisende in morgenländischer Tracht mit Kamelen am Meeresufer; S. 297: die Hl. Drei Könige bringen ihre Gaben), ist das Buch ansonsten nicht illustriert. 44 Rauwolff, Aigentliche beschreibung, wie Anm. 27, Fol. )()(ij v . « Ebd. Fol. )()(iijr. 46 Ebd. Fol. ) ( ) ( · 43
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Francks Chronica fallen deutlichst ins Auge. 47 Die experìentia ist damit nichts anderes als ein Argument, das jene Authentizität behauptet, die in der Textstruktur mit ihrer Fokussierung auf den Verfasser und seine Autobiographie (Reise als Leben in der Fremde) entfaltet wird. Der Text präsentiert sich als dreiteiliges Diarium,** das die kosmographische System-Topik der puren Chronologie des Tagebuchs unterordnet und sie damit in der Zeit unregelmäßig verteilt. Erst der schmale Teil 4, der botanische Bildanhang, scheint die Ausnahme von diesem Prinzip. Solcherart entsteht eine gleichsam integralistische Alterität sehr viel geringeren Grades als z.B. in dem Amerika-Reisebericht von Hans Staden (1557), einem wissenschaftsgeschichtlichen Markstein, der in einen narrativen historia-Teil und einen systematischen Chorographie-/vita-et-moresTeil gegliedert ist. Rauwolffs botanischer Anhang kann dem Systemanspruch, der sich bei Staden verwirklicht, nichts entgegensetzen, seine Pflanzenbilder gehorchen ihrer Ordnung nach alleine der Erzählchronologie, deren Strukturprinzip damit also bis in den Appendix durchschlägt. Eine topologische Fremdheit konstituiert sich über die Pflanzen nicht. Dies ist letztlich der autobiographischen Struktur und dem lebensweltlichen Pragma des Textes geschuldet. Die Alteritätsleistung des Textes ist als sehr gering einzuschätzen. Dazu trägt bei, daß der Islam bloß als verderbtes Christentum erscheint,49 bis hin zur Erlösungsmöglichkeit der Muslime: Wenn sie die Bibel »(wie sie ihr Alcoran an mehr orten lehret) [...] fleißiger lesen / vnnd sich auch darnach hielten / möchten sie noch wol widerumb zu recht kommen [,..].« 50 Daß Rauwolff dies nur als theologische, nicht aber als geschichtliche Möglichkeit betrachtet, beweisen seine millenaristischen Erwartungen, die den Türken die Rolle des Antichrist zumessen. 51 Dies bringt ihn allerdings nur scheinbar auf ein argumentatives Niveau mit Georg von Ungarn. Rauwolffs ohnehin spärliche Bezugnahmen auf den Islam lassen sich nämlich mühelos auch als antikatholische Invektiven lesen, wie etwa der Vorwurf der veräußerlichten Frömmigkeit.52 Rauwolffs lutherische Position bringt also dem Islam gegenüber keine andere Argumentation zustande als gegenüber den Altgläubigen. Sehr exotisch ist dieser Orient nicht. Er ist es in mäßig höherem Grad in Salomon Schweiggers Ein newe Reyßbeschreibung auß Teutschland Nach Constantinopel vnd Jerusalem. Die Editio princeps ist Nürnberg: Johann Lantzenberger 1608; zahlreiche
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Rauwolff Teil 3, Kap. XI-XIX (S. 410-431) entspricht Franck Kap. XXX (S. 298-302); S. 49f. entspricht Franck S. 266 48 Rauwolff, Aigentliche beschreibung, wie Anm. 27, Fol. )()(r. 49 Vgl. ebd. S. 350f., 358-362 und passim. 5 ° Ebd. S. 361. 51 Vgl. ebd. S. 371f. 52 Vgl. ebd. S. 365.
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Nachdrucke folgen. 53 Schweigger stammte aus Haigerloch (Hohenzollern), wo er 1551 als Sohn eines protestantischen Notars geboren wurde. Er studierte Theologie in Tübingen. 1577 geht er als Gesandtschaftsprediger des protestantischen Freiherrn Joachim von Sinzendorff, des kaiserlichen Gesandten an der Hohen Pforte, in das Osmanenreich. Die Heimreise im März 1581 nützt er für einen Abstecher nach Palästina, im November desselben Jahres kehrt nach Württemberg zurück, wo er diverse Pfarrerstellen versieht. Ab 1605 ist Schweigger Pastor an der Frauenkirche in Nürnberg, wo er auch seinen Reisebericht abfaßt. Schweigger stirbt am 21. Juni 1622 in Nürnberg. Der Text der Reyßbeschreibung ähnelt, wie schon am Titel zu erkennen, in vielen Zügen Rauwolffs Aigentlicher beschreibung der Raiß. Gegenstand der Darstellung ist primär die Reise, so daß eine diaristische Struktur daraus folgt, der alles einverleibt und untergeordnet wird. Schweigger bezeichnet seinen Text als Jtinerarium,54 Dieses ist in drei Abschnitte gegliedert: Buch I stellt die Hinreise dar, Buch II den Aufenthalt in Istanbul. Hier findet sich viel Material zum Alltagsleben in der Botschaft, zur Hofhaltung und dem Zeremoniellwesen des Sultans, zu Gerichtswesen, Schulen, Historiographie, Topographie der Stadt und ihrer Umgebung, zur Lebensweise der Einheimischen, zum Islam. Buch III schließlich präsentiert in Kürze die Palästinareise. Wie bei Rauwolff erzeugt der strikt chronologische Text mit deskriptiven Einsprengseln eine Form integralistischer Fremdheit sehr geringer Intensität. Wie bei Rauwolff trägt dazu bei, daß der Islam als eine Deviation des Christentums erscheint, eine Einflüsterung des christlichen Teufels, so daß der Koran als Kontrafaktur des Gotteswortes figuriert: Er präsentiert den Wortlaut des Teufels selbst.55 Wie bei Rauwolff kann man in der Islamkritik den argumentativen Horizont protestantischer Katholizismuspolemik erkennen.56 Die Türken wissen nicht, was sie beten, weil die Sprache des Gebetes Arabisch ist, aber sie sind eifrig dabei, »wie der Brauch aller Heuchler vnd Falschglaubigen jederzeit gewesen ist.« 57 Wie bei Rauwolff schließlich dient das Reisen per se der religiösen Selbstbildung, dem Frömmigkeitsgewinn und der Erkenntnis Gottes im Buch der Natur. Es gibt jedoch auch deutliche Unterschiede. Schweiggers Text unterschlägt seine intertextuelle Verfaßtheit nicht, sondern macht sie explizit, indem er über die Medialisiening der Offenbarung reflektiert. Das gedruckte Buch ist das wichtigste Instrument, die Offenbarung im Buch der Natur an jene zu vermitteln, die selbst nicht reisen können. Als vorbildlich nennt 53
Vgl. Rudolf Neck: Einleitung. In: Schweigger, Reyßbeschreibung, wie Anm. 27, S. [V]-[XXVIII]; hier S. XVI. 5 * Ebd. Fol. c v . 55 Vgl. ebd. S. 180,191 und passim. 56 Vgl. ebd. S. 185f„ 195 und passim. « Ebd. S. 185.
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Schweigger die Texte der bzw. über die Entdecker Columbus, Vespucci, Magellan, Cortez sowie das Theatrum Orbis von Ortelius. Im skizzierten Kontext ist damit offensichtlich weniger eine Tradition des Abenteurertums oder der Entdeckungsgeschichte gemeint als vielmehr eine spezifische gelehrte Tradition, in die sich der Text einschreibt. Denn er ist aufwendig als opus eruditum inszeniert. Nach der Vorrede finden sich vier lateinische Widmungsgedichte, dann ein ganzseitiger Holzschnitt mit den JNSIGNIA AVTHORIS, gefolgt von einem Porträtkupfer, weiteren sieben lateinischen und griechischen Widmungsgedichten (eines von Nicodemus Frischlin) und schließlich einem elaborierten Inhaltsverzeichnis. Der Text ist zudem engmaschig und durchgängig glossiert. Zu guter Letzt ist das Buch - wie die von ihm genannten Referenztexte in fast allen Druckfassungen - reich bebildert: 83 Textillustrationen von ca. 75 Holzschnitten und sieben Falttafeln schaffen gleichsam ein Panorama des Anderen, das in seiner Fremdheit anschaulich gemacht wird. In manchen Zügen ist die solcherart entworfene Alterität auch exotisch zu nennen, wenn sie nämlich eine Alltäglichkeit vorführt, die deutlich den Bereich eines für den Leser nicht bedrohlichen Außen markiert - z.B. im Fall der beim Essen auf dem Boden sitzenden Türken (S. 207), das Herrscherporträt Sultan Murats mit riesigem Turban (S. 143), die islamische Art zu beten (S. 187) oder die türkische Form der Grablege für bedeutende Männer (S. 108). Ich komme nach diesem Durchgang zu einem kurzen Resümee. Ein literarischer Exotismus mag im 16. Jahrhundert auch gegenüber den Türken festzustellen sein, aber kaum in jenen Texten, die sich über das Argument der experientia konstituieren. Wenn meine eingangs getroffene Annahme haltbar ist, dann wäre Exotismus das Produkt einer sekundären Konstruktionsleistung, einer Distanzierung, eines sehr bewußten Verfügbar-Machens vermittels kategorialer Ordnungen oder sekundärer Evidenz (für den Leser ist das Bild immer bereits durch die rhetorischen evü/eniia-Strategien des Textes signifiziert). Diese sekundäre Konstruktionsleistung liegt selbstverständlich auch dem zugrunde, was für die Renaissance den Bereich des Exotischen schlechthin ausmacht, den Neuen Welten. Sie ist hier wie dort in der Deutung des Fremden durch Kategorien des Eigenen zu finden, soferne diese das Fremde nicht aufheben können. Das Beispiel des amerikanischen Kannibalismus58 kann dies veranschaulichen. Dieser wird letztlich nicht als ritueller Ausnahmefall gedeutet, sondern als grundlegende anthropologische Differenz interpretiert bis hin zur Unterstellung, die indigenen Amerikaner ernährten sich vermittels analoger Subsistenztechniken (Räuchern, Pökeln etc.) in 58
Vgl. dazu Sabine Wagner: Die Topik der Aneignung. Zur Funktionalisierung des Kannibalismus in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit. Phil Diss. Wien 1998.
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eben dem Umfang von menschlichem wie die Europäer von tierischem Fleisch.59 Der Modus der Alteritätskonstruktion durch die Mittel des Eigenen macht so das Fremde nicht vertraut, sondern produziert im Gegenteil eine neue, unaufhebbare Fremdheit. Auch der europäische medizinische Diskurs vermag sich hier nur als sekundäre Ordnung zu behaupten: Die anatomische Demonstration wird etwa bei Staden als Appendix der Anthropophagie angelagert.60 Damit ist zugleich ausgesagt, daß es am selben Ort zur selben Zeit, d.h. im deutschen Sprachgebiet der Renaissance, unterschiedliche Exotismen gibt, die auf unterschiedlichen Konstruktionsformen von Alterität beruhen. Der indigene Amerikaner ist stets exotisch, weil er es innerhalb systematischer Beweisgänge ist, die seine Alterität in keinem Fall - weder räumlich noch anthropologisch noch rituell - aufzuheben vermögen. Der Türke ist punktuell exotisch, weil seine Fremdheit immer wieder im Eigenen aufgelöst werden kann. Man sollte, wie ich meine, gerade in diesem Sinn die Funktion von Diskursivität, sei sie nun im engeren Sinne imagographisch oder klassifikatorisch, in hochkomplexen Gesellschaften nicht unterschätzen: In ihr ist jede Form von Selbstvergewisserung und Identitätsstiftung angesiedelt. Vielleicht wird solcherart auch ein nuancierterer Umgang mit dem Phänomen des Fremden angestoßen, der zwischen Graden der Fremdheit, zwischen exotischen Funktionen und Funktionen einfacher Alterität zu unterscheiden vermag.
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Dies belegt nicht zuletzt die ikonographische Kannibalen-Tradition, die den indigenen Amerikaner als europäischen Schlachter zeigt; vgl. dazu Wolfgang Neuber: Imago und Pictura. Zur Topik des Sinn-Bilds im Spannungsfeld von Ars Memorativa und Emblematik (am Paradigma des »Indianers«). In: Text und Bild, Bild und Text. DFG-Symposion 1988. Hg. v. Wolfgang Harms. Stuttgart 1990 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 11), S. 245-261, bes. S. 252-255. Vgl. dazu Wolfgang Neuber: Marburger Menschenfresser - Hans Stadens Brasilienbericht (1557). Über die Verbindung von >Indianern< und akademischer Anatomie. In: Marburg-Bilder. Eine Ansichtssache. Zeugnisse aus fünf Jahrhunderten. Hg. v. Jörg Jochen Berns. Bd. I. Marburg 1995 (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur 52), S. 149-164.
József Jankovics
The Image of the Turks in Hungarian Renaissance Literature I. If a nation is compelled to live together with another, or more strictly speaking is forced under the rule of a different people, they both form a strong image of each other. During the one hundred fifty years of Turkish occupation in Hungary and the concurrent limited autonomy of Transylvania, the Hungarians developed a distinctive view of the Turks. Grounded in ideological, religious, social, political and military considerations, this image had its constant as well as changing features. I would like here to take the opportunity to summarize the ideological components of the Hungarians' image of the Turks and the literary realization of these views. The latter is of course to a certain degree a consequence of the former. First, we need to examine the determinant ideological background that shaped the Hungarian view of the Turks during the Renaissance, or roughly from the fifteenth to the seventeenth centuries in Hungary.1 In a recently published paper Pài Fodor outlined the most significant features of this image. At the turn of the fourteenth and fifteenth centuries the Hungarians had not yet realized the true anti-Christian nature of the Turkish expansion. They thought of the Turks primarily as schismatics and considered themselves as a shield and a fortress wall (scutum atque murus) for Christianity. This role was still emphasized by the leading humanist authors around the middle of the fifteenth century, and Hungary's military actions were more and more often meant to serve as a bulwark for the whole Christian community (Propugnaculum et antemurale Christianitatis). At about the same time a new motif made its appearance. The costly defeats and loses cannot be attributed to the great number and strength of the enemy. They are the blows of divine judgment, which God is inflicting on the Hungarians for their sins. The Turks are an apocalyptic people, sent to punish the Hungarians. According to Fodor, »they placed the [...] Ottomans in eschatological dimensions, considering them as the apocalyptic people of the Last Day: the embodiment of the Antichrist.« (Fodor, 49) In this God 1
Pài Fodor: Az apokaliptikus hagyomány és az >aranyalma< legendája. [The Apocaliptic Tradition and the Legend of the >Golden Appleungarischen Mentalität«, auch in der Nationalhymne taucht dieser Gedanke als wichtiges Motiv auf.
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ben 1555-1592. [Ungarische Studenten in Wittenberg 1555-1592.] In: Régi és új peregrináció. Magyarok külföldön, külföldiek Magyarországon. Bd. 2. Budapest / Szeged 1993, S. 626-638. Über diese Werke s. Arno Seifert, wie Anm. 5, S. 49-86. Neue Ausgabe: Kecskeméti Alexis János prédikációs könyve. [Das Predigtbuch von János Kecskeméti Alexis.] Hg. von Lajos Szuromi. Einleitung von Olga G. Lábos. Budapest 1974 (Régi Magyar Prózai Emlékek 3).
Ferenc Szakály
Grenzverletzer Zur Geschichte der protestantischen Mission in Osteuropa
Wir können hier nicht ausführlich die mit den historischen Regionen Europas verbundenen Forschungsergebnisse und Meinungsverschiedenheiten ansprechen, die heutzutage in einer stark politisierten Atmosphäre zu Tage kommen. Vielmehr gehen wir davon aus, wo sicher ein Konsens zu finden ist: Es sind zwischen den der westlichen und östlichen Kirche gehörenden Teilen des europäischen Kontinents bedeutende Unterschiede der Mentalität, der Gesellschaftsanschauung, der Struktur der Institutionen und der Wirtschaft nachzuweisen. Jedoch muß erwähnt werden, daß die Grenze der beiden Regionen mit den Süd- und Ostgrenzen des Königreichs Ungarn und mit der Ostgrenze des Königreichs Polen identisch war und ist. Wie folgt, kann dieser Raum als »Kriegsschauplatz« der Kämpfe der beiden Regionen betrachtet werden; entsprechend sind hier auch die >Grenzverletzungen< und die >Grenzverletzer< zu suchen. Vorab müssen wir bemerken, daß die gegen die andere Region gerichteten Versuche im Mittelalter (und auch später) ausschließlich von West nach Ost ausgingen. Rom gründete auf dem von den Orthodoxen bewohnten Gebiet zahlreiche Missionsbistümer. Die katholischen Herrscher - unter ihnen die ungarischen Könige - haben von Zeit zu Zeit unter dem Vorwand der Wiederbekehrung der >Schismatiker< auf dem Balkan und im russischen Raum versucht, Gebiete zu erobern. Diese Bemühungen endeten aber im allgemeinen in einem schmählichen Fiasko. Damit konnte nicht viel mehr erreicht werden als die mit den - von den Türken bedrängten - byzantinischen Kaisern abgeschlossenen, kurzlebigen Unionsverträge. Die auf einer in Westeuropa nicht verstandenen Sprache basierenden und in sich geschlossenen orthodoxen Kirchen haben in der westlichen Welt weder gewaltsame noch überzeugende Bekehrungen versucht. Zur gleichen Zeit sind aber - vor allem auf den Spuren der nach Nordwest vorstoßenden Türken - in immer mehr Orten an der westlichen Seite der Regionsgrenze (z. B. in Kroatien, Südungarn, Siebenbürgen) orthodoxe Ansiedlungen zustande gekommen. Während die Beziehung zwischen der westlichen und östlichen Kirche reich an spektakulären westlichen grenzverletzenden Unternehmungen ist, erwiesen sich dennoch die aus der östlichen Region eingedrungenen Grenzverletzer als einflußreicher - und dies, obwohl auch die dezentralisiert organisierten protestantischen Kirchen von der zentralisiert organisierten katholischen Kirche die Neigung zur Expansion geerbt haben.
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Dem Beispiel der >katholischen< Kirche folgend, hoffte auch die Reformation, die in den mittleren Gebieten Europas unaufhaltbar vorgedrungen war, es könne vielleicht in dem von der westlichen christlichen Welt abgegrenzten Raum der Orthodoxen, ja sogar unter den teilweise diesen Raum schon besetzenden Muslims »das Licht des Evangeliums« verbreitet werden und dadurch der Rahmen des christlichen Universalismus so erweitert werden, wie es sich Rom nicht träumen lassen durfte. Da die Anhänger der Reformation alle ihre Reformen auf die Bibel zurückführten, bot sich ihnen zur Verbreitung ihrer Lehren in diesem Raum der Gedanke als Lösung an, man müsse die Heiligen Schriften unter den südslavischen Völkern bzw. den Türken in deren Muttersprache und in den dieser eigenen Schriftzeichen verbreiten. Die überzeugende Kraft dieser Schriften werde dann fraglos ihre Wirkung zeitigen. Die Initiative ging einerseits von den in den Südteilen des türkischen Eroberungsgebiets in Ungarn lebenden Priestern, andererseits von den in den westlichen Ländern des Deutschen Reiches tätigen Weltlichen und Geistlichen aus. Die Hoffnungen, die Südslawen für sich zu gewinnen, konnten nicht verwirklicht werden; um eine treffende Metapher zu zitieren: »Die Wellenringe der Reformation wurden auf dem Meerwasser des Pravoslawismus plötzlich inne gehalten und haben sich spurlos gelegt.« Mit wenigen Ausnahmen konnte die Glaubenserneuerung über die Grenzen der damaligen katholischen Welt in den Reihen der Rumänen in Siebenbürgen kaum Anhänger für sich gewinnen. Die lutherischen und kalvinistischen Ungarn haben schon bis zu den 1550er Jahren den Charakter der türkischen Herrschaft bzw. der mit ihr eng zusammenwirkenden orthodoxen Kirchen erkannt und ihre Bekehrungshoffnung endgültig aufgegeben. Anders dachte man im Deutsch-Römischen Heiligen Reich, wo es noch in den 1560er Jahren auch Antitrinitarier gab, welche die Bekehrung der Türken erhofften. Viel pragmatischer waren die Vorstellungen von Hans Ungnad von Sonneck, der den Habsburgern jahrzehntelang ebenso als Diplomat wie als Soldat gedient hatte und aus der Steiermark ins DeutschRömische Reich umgesiedelt war, nachdem er im Jahre 1557 unter Anführung von Gewissensgründen mit Kaiser Ferdinand gebrochen hatte. Er trat in den Dienst Christophs, des Herzogs von Württemberg (1550-1568), der ihm die Burg von Urach als >Gut< übergab. Dort gründete er eine Druckerei, um im Notfall die in den glagolitischen und kyrillischen Buchstaben der südosteuropäischen Sprachen geschriebenen Bücher herausgeben zu können. An der Spitze der Druckerei stand der aus der Gegend von Laibach (Ljubljana, Slowenien) stammende Pastor Primoz Trabers (Primus Trüber), der sich schon vor der Übersiedlung Ungnads nach Württemberg mit der Übersetzung der reformatorischen Schriften in die slowenische Sprache beschäftigt hatte. Zu seinem Kreis gehörten teils südslawische Humanisten (Stefan Consul, Antonio Dalmata), teils zwei
Grenzverletzer
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geflohene orthodoxe (Uskoken) Popen und auch ein junger türkischer Mitarbeiter. Die Druckerei in Urach-Tübingen, die bis zum Sommer des Jahres 1564 7800 Floreni verzehrt hat, arbeitete mit der finanziellen Unterstützung zahlreicher Fürsten Mitteleuropas, darunter des böhmischen Königs Maximilian aus dem Hause Habsburg. Nach dem Tode Ungnads (1564) blieb die Druckerei noch eine Weile in Betrieb, bis sie 1566 auf die Burg der Familie Ungnad in Wallerstein gebracht wurde. Schließlich geriet sie in die Hände der gegenreformatorischen Kräfte. Der Schwachpunkt solcher Vorstellungen war die Verbreitung der Bücher im geographischen Zielraum. Nicht nur mit dem Transport gab es Schwierigkeiten, als im Jahre 1561 Ungnad in dieser Angelegenheit die Fugger um Hilfe bat: Sie wiesen die Mitwirkung über ihre Niederlassung in Istanbul zurück. Entscheidender war, daß es in dem ganzen südslawischen und rumänischen Raum kein einziges Machtzentrum gab, worauf sich eine westeuropäische Mission hätte stützen können. Hier war auch die in dem westlichen Sinne gedachte, mehr oder weniger unabhängige >Intelligenz< ein unbekannter Begriff. Der größere Teil des genannten Gebiets stand unmittelbar unter türkischer Herrschaft, die kein von ihr unabhängiges politisches Zentrum duldete. Es gab selbstverständlich Ausnahmen: Die Pforte hatte - im Gegenzug zur geleisteten Loyalität und Steuer - den auf ethnischem Grund organisierten orthodoxen Kirchen eine gewisse - wenngleich sehr beschränkte Autonomie zugestanden. Diese sogenannten autokephalen Kirchen waren aber zu dieser Zeit - wie auch vorher und danach - völlig immun gegen die Wandlungen in der westeuropäischen Kirche, d. h. die Auseinandersetzungen zwischen den Katholiken und Protestanten. Die orthodoxen Priester lebten in ihren Dienstorten von der Außenwelt abgeschieden. Sie besuchten nicht die europäischen Universitäten, und wenn sie zufällig von den spirituellen Bewegungen West- bzw. Ostmitteleuropas Kenntnis erhielten, wurde davon nur die für die orthodoxen Kirchen so charakteristische Xenophobie und Geschlossenheitsneigung verstärkt. Die rumänischen Woiwoden der Walachei und der Moldau-Gebiete verfügten nur über eine beschränkte Souveränität. Obwohl die beiden Woiwodschaften Vasallen der Pforte waren, auch einem starken politischen und militärischen Einfluß der Habsburger und Siebenbürgens sowie des Königreichs Ungarn bzw. Polens unterlagen, gewährte diese Situation theoretisch den Woiwoden zwar einen gewissen Spielraum. Aber nur theoretisch, weil ihre innere Legitimität von der kirchlichen Hierarchie ebenso wie die Erinnerung an ihre verlorene Staatlichkeit, welche auch das ethnische Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der unter der türkischen Herrschaft lebenden Serben, Bulgaren, Griechen usw., weiterhin garantierte, gesichert wurde. Es gab natürlich einige kleine Enklaven der westlichen Kirche auch im türkisch
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besetzten Territorium der südslawischen Welt und in Rumänien, aber diese waren zu schwach, einen ernsthaften Druck auf die kirchlichen Verhältnisse des Raumes auszuüben. Das letztere Problem schien sich aber 1561 durch eine Neuordnung der orthodoxen Gebieten zu lösen, durch welche (auch) die Lehren der Reformation nach Süden und Südosten weiter ausstrahlen konnten. Im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts breitete sich in Westeuropa jene >Schwärmerei< für die Griechen aus, die schon einmal, nach dem Fall von Konstantinopel (1453), Europa erfaßt hatte. Dies sicherte zahlreichen begabten bzw. hemmungslosen Griechen eine rasche Karriere bzw. ein bequemes Fortkommen. Wie vor hundert Jahren das wachsende humanistische Interesse für das Altertum, verlangte in dieser Zeit die zur Wissenschaft erhobene Bibelkritik eine gründliche Kenntnis der griechischen Sprache. Zwei nach Mitteleuropa gelangte Griechen konnten in der Tat die Gunst der Stunde nutzen. Obwohl beide den gleichen Trick versuchten - sie gaben sich für Sprößlinge griechischer fürstlicher Familien aus, deren Hoheitsgebiete zu dieser Zeit unter türkischer Herrschaft ständen - , können sie doch nur pro forma gleich beurteilt werden. Jacobus Palaeologus (Giacomo de Chio) war ein außergewöhnlich begabter Wissenschaftler des damaligen Europas, ein Freidenker von unruhigem Geist, der für seine Prinzipien sterben mußte. Der ebenso von der Insel Chios stammende Jacobus Heraclides (Joannes Basilicus) übernahm von einem anderen seinen Namen und die Idee der fürstlichen Abstammung. Im Interesse seiner eigennützigen Ziele gebrauchte er seinen Scharfsinn und seine ohne Zweifel außergewöhnliche Sprachkenntnis. Dies hat er, unbestritten, geschickt und einflußreich getan. Nachdem der junge Heraclides die westeuropäischen politischen Verhältnisse kennengelernt hatte, entschied er sich im Interesse seiner sorgfältig geplanten Karriere die Beziehungen mit den Protestanten auszunützen. Von den Niederlanden aus begann er, mit Melanchton und anderen deutschen Gelehrten zu korrespondieren. Er ließ sich 1557 an der Universität Wittenberg immatrikulieren. Während seiner Reisen in Polen wurde er auf Moldau aufmerksam, wo damals der Woiwode Alexander IV. auf dem Thron saß (1552-1561). Es ist Heraclides sofort eingefallen, daß die aus Serbien stammende Gemahlin Alexanders seine Verwandte sei. Zeitweilig ist es ihm tatsächlich gelungen, dies am Hof von Moldau glaubhaft zu machen. Als er vor dem mit Recht argwöhnischen Alexander nach Brasso (Kronstadt, heute: Brasov, Rumänien) floh, verkündigte er seine türkenfeindlichen Theorien in überschwenglichen Deklarationen: Als endgültiges Ziel bestimmte er die Befreiung der griechischen Inselwelt von den Türken. Die protestantischen Herren von Klein-Polen, die er wiederholt besuchte, haben seine Plänen begeistert angehört. Wirkliche Unterstützer fand er aber nur in den Kreisen der >Intelligenzbailo< hatten hinrichten lassen, erhielt der venezianische Botschafter, Bartolomeo Marcello, schon am 17. Juli erneut die Instruktion, die Bestätigung des Friedensvertrages zu erwirken (der Vertrag wurde schließlich am 18.4.54 unterzeichnet).25 Auch Venedig wurden insofern Egoismus und Verrat an der Christenheit vorgeworfen. 26 Doch die Schuld am Fall Konstantinopels lastete man vor allem den Genuesen an, mit verschiedenen - teilweise fundierten - Begründungen, 27 24
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Siehe den Brief des podestà von Pera, Angelo Giovanni Lomellino, vom 23. Juni, in Pertusi: La caduta di Costantinopoli, wie Anm. 1,1, S. 42ff. sowie die Anm. Pertusis. Siehe Zorzi Dolfin: Chronik, wie Anm. 2, S. 42; Pertusi: La caduta di Costantinopoli, wie Anm. 1,1, S. LXXX f., II, S. 18ff. Zu Venedigs Beziehungen zu den Osmanen s. Paolo Preto: Venezia e i Turchi. Firenze: Sansoni 1975, S. 233ff.; Denis A. Zakythinos: L'attitude de Venise face au déclin et à la chute de Constantinople. In: Hans-Georg Beck, Manoussos Manoussacas, Agostino Pertusi (Hg.): Venezia centro di mediazione tra Oriente e Occidente (secoli XV-XVI). Bd. I. Firenze: Olschki 1977, S. 61—75; Erich Schiibach: Venedigs widersprüchliche Haltung zur türkisch-osmanischen Expansion, ebd., S. 77-81; Venezia e i Turchi. Scontri e confronti di due civiltà. Milano: Electa 1985. Siehe z.B. den antivenezianischen Bericht De Constantinopolitano excidio von Adamo di Montaldo, in Pertusi: Testi inediti, wie Anm. 2, S. 188ff. Nicolò Barbaro erhebt im Giornale dell'assedio (wie Anm. 20) folgende Vorwürfe, die in anderen Dokumenten ähnlich wiedererscheinen: Giovanni Giustiniani Longo habe aus Feigheit die Verteidigung des Stadttors, wo sich der türkische Angriff konzentrierte, aufgegeben (S. 55; vgl. Zorzi Dolfin: Chronik, wie Anm. 1, S. 33); des weiteren hätten die Genuesen den geplanten Angriff auf die türkischen Schiffe im Goldenen Horn verraten (S. 29f.; vgl. Dolfin, ebd., S. 20);
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so daß Genua sich gezwungen sah, sich in Rundschreiben an die europäischen Mächte öffentlich gegen derartige Anschuldigungen zu verteidigen. Herausragende militärische Episoden der Belagerung und Verteidigung der Stadt, die in Beschreibungen von Augenzeugen immer wieder hervorgehoben werden, - so im Tagebuch des Venezianer Arztes Nicolò Barbaro, dem vollständigsten und genauesten Bericht, über den wir verfügen, in dem Tag für Tag die wichtigsten Ereignisse aufgezeichnet werden 28 - , waren die gewaltige Zahl der Belagerer (160 Tausend nach Barbaro, 200 Tausend nach Tedaldi), die berühmte Kette, die am 2. April von den Verteidigern zwischen Konstantinopel und Pera gespannt wurde, um die Zufahrt zum Goldenen Horn zu sperren, die gigantischen Steinschleudermaschinen, über die der Sultan verfügte und deren größte Steinkugeln von 8 Zentnern Gewicht abschießen konnte, 29 der spektakuläre Transport türkischer Schiffe über Land ins Goldene Horn, um den Verteidigern in den Rücken zu fallen (22. April), die Stollen, die die Belagerer unter den Mauern hindurch trieben (16. Mai und öfter), der Bau eines gewaltigen hölzernen Turms in nur einer Nacht, der höher war als selbst die Mauern der Stadt (17.-18. Mai), der Bau einer Brücke über das Goldene Horn (19. Mai)... Maffeo Pisano kennt die meisten dieser Episoden, doch er verbindet damit nur vage Vorstellungen. Der Autor des serventese ist hier weit besser informiert, während Michele della Vedova auf Einzelheiten der Belagerung überhaupt nicht zu sprechen kommt. Maffeo Pisano schreibt über den Transport der türkischen Schiffe über Land: E de' legni sua fecion transportare Tanto, che un ponte lor sì ordinomo In su quelle galee da navicare: Tra l'una terra e l'altra lo posorno, E aggiunsono alle porti et alle mura, E sì la preson con battaglia dura (31).
Der Transport der Schiffe wird hier mit dem Bau der Brücke über das Goldene Horn vermengt. 30 Der Autor hat ebenso unklare Vorstellungen etwa von der Belagerungszeit oder der Zahl der türkischen Schiffe (10). Der große hölzerne Turm diente seinen Angaben nach dem Beschüß des Hafens (18), während die Belagerer mit seiner Hilfe versuchten, die Mauern zu stürmen. Die Türken hätten, so liest man weiter, die Gräben mit Wollballen
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sie hätten versucht, die entkommenen Venezianer den Türken auszuliefern (S. 58). Von Dolfin scheint Francesco Sansovino abhängig zu sein, der ähnliche Vorwürfe gegen die Genuesen erhebt (Gl'Annali Turcheschi overo Vite de principi della casa othomana. Venezia: Enea de Alans 1573, S. 97ff.). S.o. Anm. 20; vgl. den Augenzeugenbericht des Florentiner Kaufmanns Jacopo Tedaldi, in Pertusi: La caduta di Costantinopoli, wie Anm. 1,1, S. 172ff.; s. zu den einzelnen Episoden auch die Chronologie Pertusis, ebd., S. LXVII ff. sowie seine Anm. zum Giornale dell'assedio des Nicolò Barbaro (ebd.). Siehe Pertusi: La caduta di Costantinopoli, wie Anm. 1,1, S. LXXIV. Siehe Nicolò Barbaro: Giornale dell'assedio, wie Anm. 20, S. 27f., 43.
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gefüllt, um an die Mauern zu gelangen (24), in Wirklichkeit haben die Griechen Wollballen benutzt, um die Wucht der Steingeschosse abzumildern. 31 Falsch ist insbesondere die Information, noch bevor Konstantinopel gestürmt wurde, seien Pera (19) 32 und der Hafen erobert worden (27); diese Angabe hat Maffeo Pisano freilich nicht erfunden, sie gehört zu den frühesten Nachrichten, die von Venedig aus in Umlauf gesetzt wurden, und findet sich im Schreiben des Senats an den Papst vom 30. Juni wieder, wo es heißt, Pera sei am 28. Mai gefallen, am 29. habe sich der Sultan des Hafens und danach der Stadt Konstantinopel bemächtigt. 33 Am Ende der Beschreibung der Belagerung stellt der Autor klar, daß er selbst nicht zugegen war, daß er kein Augenzeuge ist und ihm insofern ungenaue Angaben unterlaufen sein können, für die er um Entschuldigung bittet: »Chi meglio el sa, mi debbia perdonare/ Se [mai] di mente qui avessi errato«. Er fährt dann fort: »Perchè solo mi muove a pianger tanto/ La crudel morte e'I dispietato pianto«. Sein eigentliches Anliegen ist nicht der Bericht, sondern die Klage, der Ausdruck der Betroffenheit über das Geschehen. Eine Auflistung der im cantare gebrauchten Verben, die auf die Aussageintentionen verweisen, könnte die Wirkungsabsichten anschaulich machen: gegenüber den Verben des Berichtens (»contare«, »raccontare«, »dire«) überwiegen bei weitem die der Klage (»piangere«, »lamentare«, »lamentarsi«) und die des Appells (»chiamare«, »pregare«, »gridare«, »udire« im Imperativ), die in hoher Frequenz erscheinen und den Ton des Gedichts entscheidend prägen. 34 Die Wirkungsabsichten des Autors werden bei der Schilderung der Einnahme der Stadt besonders deutlich: Der Bericht wird immer wieder durch lange Folgen von Apostrophen und rhetorischen Fragen, durch Ausrufe, durch Verfluchungen, durch Appelle des Autors an den Leser, mit ihm zu klagen, unterbrochen: »Pietà ti prenda ornai, se se' cristiano/ Dolce lectore, alquanto [a] pianger meco« (37). Niemand wurde von den Türken verschont: »Perchè lo Turco e' rinegati cani/ Femine e uomini tucti uccidea;/ Satiar non si potevan e pagani/ Del sangue de' cristian(i) [...]: / Vedeasi morir lo figlio e'I padre,/ E molti in braccio alla dolente madre« (34). In kleinen, durch wörtliche Rede belebten pathetischen Szenen, in denen er sich an Dantes Ugolino-Episode anlehnt, macht der Autor das Leid der Christen und die Grausamkeit der Türken anschaulich. Oktave 39: »Dicea il figliuolo: - padre mio, m'aiuta.- / Ε Ί padre rispondea: - figliol, che fai? - « (Inf. XXXIII,69: »Padre mio, chè non m'aiuti?« 51: »Disse: [...] padre: che 31 32
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Siehe Pertusi: La caduta di Costantinopoli, wie Anm. 1,1, S. LXXVII. Die Angaben im cantare scheinen widersprüchlich zu sein: einerseits wird schon in Oktave 19 von der Eroberung Peras gesprochen, andererseits wird später in Oktave 31 den Einwohnern Peras vorgeworfen, sie hätten die Türken bei der Eroberung Konstantinopels unterstützt. Siehe den Brief in Pertusi: La caduta di Costantinopoli, wie Anm. 1, II, S. 20-21. Vgl. Wilhelm: Italienische Flugschriften, wie Anm. 4, S. 158ff.
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hai?«). Der Sohn wird zum Widerruf seines Glaubens gezwungen und dann dennoch niedergemetzelt: »Sì lo tagliava a pezzi colla spada:/ Convien che'l padre sopra Ί figliuol cada«. Der Mutter, die ihrerseits um Hilfe ruft, können weder der Vater noch der Sohn beistehen. »Se tu non piangi, di che pianger suoli?«, so fragt der Autor den Leser und greift wiederum einen Vers Dantes auf (Inf. XXXIII, 42: »E se non piangi di che pianger suoli?«). Hundert Zungen würden nicht ausreichen, um das Leid der Christen zu beklagen. Alle Einwohner der eroberten Stadt, 200 Tausend nach Angaben des cantare, wurden ermordet, mit Ausnahme nur der Kinder unter sechs Jahren, die im heidnischen Glauben aufgezogen werden sollen: Non vi rimase già un corpo intero, Che tucti quanti a pezzi non tagliassi: Odi, malvagio e traditor pensiero, Che tucti quegli ch'eron piccinini Gli conservò per fargli saracini (44).
Die schreckliche Nachricht, die Türken hätten die gesamte Bevölkerung Konstantinopels massakriert, mit Ausnahme nur der Kinder unter sechs Jahren, hat der Autor des cantare wiederum nicht erfunden, wir sind ihr bereits im Zitat aus der Chronik des Zorzi Dolfin begegnet. Die Nachricht gehörte zu den Informationen, die am 29. Juni in Venedig als erste eintrafen und von der Serenissima schon am nächsten Tag in Briefen an den Papst und den venezianischen Botschafter bei Alfons V. weitergegeben wurden und sich so schnell verbreiteten.35 Die Zahl der Opfer wird in den zitierten Schreiben der Serenissima nicht genannt, doch steht der cantare auch mit der gewaltig übertriebenen Zahl von 200 Tausend nicht allein.36 Außer über das Niedermetzeln der Bevölkerung klagt Maffeo Pisano über die Plünderung der Kirchen, über die Profanierung und Zerstörung der heiligen Reliquien sowie über die Vernichtung der Büchersammlung in der Hagia Sophia, wo sechzigtausend Bücher verbrannt oder in den Fluß geworfen worden seien. Enea Silvio Piccolomini wird in seinem Brief an den Papst vom 12. Juli diesbezüglich von einem zweiten Tod Homers und Piatons sprechen.37 Piangete ornai, filosofi e doctori, Piangete, greci, piangete, latini Piangete voi, o grandi studiatoli, Piangete sempre usw. usw. (46). 35 36
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S. die Briefe in Pertusi: La caduta di Costantinopoli, wie Anm. 1, II, S. 20-27. Die Angabe findet sich etwa in der Cronaca di Viterbo des Niccola della Tuccia (Oktober / November 1453), s. Pertusi: Testi inediti, wie Anm. 2, S. 97. Siehe Pertusi: La caduta di Costantinopoli, wie Anm. 1, II, S. 40ff. Der Humanist Lauro Quirini schreibt in seinem Brief an Papst Nikolaus V. vom 15. Juli 1453: »Illae litterae pereunt, quae orbem universum illustraverunt, quae salutares leges, quae sacram philosophiam, quae reliquas bonas artes adduxerunt, quibus vita humana exculta est« (Pertusi: Testi inediti, wie Anm. 2, S. 74).
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Auch die restlichen Verse der Oktave beginnen mit der Anapher »Piangete«; Maffeo Pisano setzt gerne derartige Strophen ein, die der Klage besondere Eindringlichkeit verleihen und die Appellstruktur des Textes unterstreichen. Er ruft den heiligen Johannes Chrysostomus an, den Schutzpatron der Stadt, »perchè non piangi ornai«? (47); Ancora chiamo e maestri che sanno, E chiamo el venerando e gran Platone, E chiamo quegli che onor gli fanno, Sicome Dante nell'Inferno pone, Perchè con meco si lamenteranno.
Dante ist der einzige der großen Dichter des Trecento, der in die volkstümliche Literatur Eingang gefunden hat; wenn Maffeo Pisano allerdings hier Piaton als den großen Philosophen bezeichnet, dem die anderen Ehre erweisen, so setzt er Piaton an die Stelle des Aristoteles, dem bei Dante diese herausragende Stellung zukommt (Inf. IV, 130-135). Der Autor ruft schließlich die heilige Sophia an, deren Verdienste beim Bau der Kirche er aufzählt, warum hat sie ihre Kirche nicht geschützt?38 Es folgen Klagen über die ermordeten italienischen Kaufleute, insbesondere die Venezianer und Florentiner, nur die Genuesen werden als »persecutori [della fede] «(55) aus der Klage ausgenommen. Ein einziger Trost bleibt dem Autor: Die Verteidiger Konstantinopels werden ohne jeden Zweifel als Märtyrer ins Paradies eingehen (56). Dieser Teil des cantare endet mit einem Gebet an Gott, der die Christen einen und sie gemeinsam die Waffen gegen die Heiden ergreifen lassen soll; sie sollen Konstantinopel und die heiligen Stätten zurückerobern, damit die Pilger ohne Gefahr nach Jerusalem ziehen können. Das Gebet geht über in den abschließenden langen Aufruf an die christlichen Mächte, zu einem neuen Kreuzzug aufzubrechen. Sammeln wir die Bezeichnungen für den Türken, zu denen Maffeo Pisano greift: »Quello Gran Turco, cane rinegato«, so heißt es gleich in der ersten Oktave über den Sultan, und ähnliche Bezeichnungen folgen mehrfach39; die Türken sind »aspri e crudeli cani« (18), »Color(o) che a Dio non crede« (21), »infedeli cani rinegati« (33), »perfidi pagani da esser arsi« (36), »diavoli scatenati« (36), »can mastini« (43), »cani traditori« (55), »paterini rinegati« (65), »infedeli cani« (75), »can saracini« (84) usw. In den beiden anderen lamenti ist der Befund ganz ähnlich; 40 wir haben es mit stereotypen Wendungen zu tun, die zum guten Teil bereits in der Ritterdich38 39 40
Im lamento des venetischen Anonymus beklagen die Kirchen der Stadt in langer Folge ihren Untergang. Pertusi sieht eine Beziehung dieser Beschimpfung zu türkisch khân (Herrscher). Der anonyme Veneter spricht von dem »can traditore« (V. 117), dem »infernale lione« (V. 425), von »la grande canaglia« (V. 273) und »sti perversi cani« (V. 460), Michele della Vedova von dem »pestifero serpe teucro«, dem »barbaro crudele« (S. 202), der »crudeltà de sto lupo rapace« (V. 460), den »venenoxi cani« (V. 587).
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tung (in den Kämpfen der Paladine gegen die Sarazenen) vorgeprägt sind: »Tant'eran que' Saracini cani musardi« so liest man z.B. in den Cantari d'Aspromonte (XXI, 36), »gridando vanno que' can rinegati«, in der Spagna (VII, 6), »Malagigi si caccia tra que' cani«, in den Cantari di Rinaldo da Monte Albano (XXIV, 17).41 Die Türken sind die Ungläubigen >par excellence^ und daraus resultiert alles Böse: Schlimmer als die Ungläubigen sind nur die Renegaten, und so werden die Türken auch als »rinnegati« beschimpft. Sie sind die größten Feinde des wahren Glaubens und der Christenheit, sie stehen im Dienste Satans, ihr Handeln ist teuflisch. Ihnen wird jede Menschlichkeit abgesprochen, als Hunde werden sie meist apostrophiert. Dieses negative Bild war trotz intensiver wirtschaftlicher Beziehungen mit den Osmanen schon vor der Eroberung Konstantinopels entstanden, es wurde dadurch geprägt, daß man die Osmanen vor allem aus Kriegen kannte. Doch erfuhr dieses Bild seine besondere Radikalisierung nach der Eroberung Konstantinopels; es verbreitete sich das Stereotyp des grausamen, blutdürstigen, barbarischen Türken, der die unschuldigen Christen massakriert, die heiligen Stätten und Reliquien profaniert und die Kulturgüter zerstört.42 Dieses Bild findet sich in besonders krasser Form in den cantari und lamenti, ist jedoch auch sonst geläufig. Nicolò Barbaro z.B. nennt die Türken in seiner Chronik seinerseits mehrfach Hunde; der Kardinal Isidor von Kiew sieht im Sultan einen »sceleratissimus praedo«, einen »perfidus canis«, einen »leo rugiens«, der über ein satanisches Heer verfügt, einen Vorläufer des Antichristen.43 Dieses Türkenbild hat in den lamenti natürlich eine präzise Funktion: die Angst vor der Grausamkeit, dem Barbarentum, der Unmenschlichkeit der Türken, die sich durch die Eroberung Konstantinopels die Ausgangsbasis für den Angriff auf den Westen geschaffen haben und jederzeit zuschlagen können, soll geschürt werden. »A tucti e cristian(i) sempre farien guerra,/ Se voi non riparate a questa terra« (92), so erklärt Maffeo Pisano, und Michele della Vedova kündigt den Untergang der Christenheit an, »s'el non se provede/ Contra sto serpe e venenoxi cani« (587). Ein Feindbild wird aufgebaut, das den Ruf nach Frieden und Einheit in der Christenheit stärken und 41
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Weitere Beispiele in Maria Cristina Cabani: Le forme del cantare epico-cavalleresco. Lucca: Pacini Fazzi 1988, S. 76f.; »Macone«, »Trivicante« (89) sind Namen, die ebenfalls aus der Ritterdichtung kommen. Vgl. etwa noch den »Lamento di Nigroponte«, wo die Türken als »cani«, »porci infuriati«, »cinghiali«, »maiali« beschimpft werden. Zum Türkenbild s. Preto: Venezia e i Turchi, wie Anm. 25, S. 233ff.; Antonio Carile: La crudele tirannide: archetipi politici e religiosi dell'immaginario turchesco da Bisanzio a Venezia. In: Venezia e i Turchi, wie Anm. 25, S. 70-85; Gino Benzoni: Il »farsi turco«, ossia l'ombra del rinnegato. In: ebd., S. 91-133. Der wichtigste Topos der Türkenflugschriften, so Göllner: Turcica, wie Anm. 8, III, S. 23, ist die Grausamkeit. Brief an die Signoria von Florenz vom 7. Juli 1453, in: Pertusi: Testi inediti, wie Anm. 2, S. 16-21.
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die Motivation zu einem neuen Kreuzzug schaffen soll. In den Aufruf zum Kreuzzug und zur Rache münden denn auch alle drei lamenti - und überhaupt zahlreiche cantari über die Türkenkriege - ein.44 Der beherrschende Kreuzzugsgedanke erscheint in unserem cantare gleich zu Beginn, er rahmt die Schilderung von Belagerung und Einnahme Konstantinopels. Unmittelbar nach dem Exordium erinnert der Autor daran, daß Jerusalem und die heiligen Stätten lange in christlicher Hand waren. Ov'è el presepio, (e) dove fur menati E magi con la stella d'oriente? - so fragt er Ov'è la mensa (e) dove riposati Fur(on) gli apostoli con Dio onipotente? [...] O me! dovvè el sepolcro di colui Che morte volle per dar vita altrui? (5)45
Die Päpste, die Kaiser tragen die Verantwortung für ihren Verlust, und ebenso die italienischen Staaten, die »per le discordie loro e le lor secte«(6) es geduldet haben, daß Jerusalem verloren ging. »O serva Italia«, so ruft der Autor aus - und folgt erneut Dante, der die innere Zerrissenheit Italiens, die unaufhörlichen Parteikämpfe in den Kommunen, den Krieg aller gegen alle heftig gegeißelt hatte.46 Nach dem Fall Jerusalems sei Konstantinopel, dessen Größe, Reichtümer und Reliquien der Autor bewundernd hervorhebt, das Bollwerk gegen die Heiden gewesen, das deren Vordringen nach Westen verhinderte (»Questa ponea termine a' pagani/ Che non facessin guerra a' cristiani«, 9) und das nun aufgrund der Uneinigkeit der Christen und der Kriege, die sie untereinander führen, in die Hände der Ungläubigen gefallen sei. Der Blick auf die vermeintlich guten alten Zeiten wird in dem abschliessenden Aufruf an die christlichen Mächte noch einmal eröffnet: Angesichts der Zerrissenheit des christlichen Lagers und der Niederlagen gegen die Türken gehen die Gedanken des Autors zu Karl dem Großen und seinen Paladinen. Wo sind die tapferen Ritter, Orlando, Rinaldo, Ulivieri, Astolfo, »dov'è Carlo, imperador divino?« (87). Nicht der historische Kaiser Karl ist hier gemeint, sondern der der Ritterromane, der mit Hilfe Orlandos und der anderen Paladine die Sarazenen aus Europa vertrieben hat. Es ist sicher kein Zufall, daß wenige Jahre nach dem Untergang von Konstantinopel die Ritterdichtung in Italien eine ausgesprochene Blüte erlebte und die großen Gedichte Pulcis und Boiardos in Angriff genommen wurden. 44 45 46
Siehe z.B. den »Lamento di Negroponte«, die »Esortazione ai cristiani contro il Turco« oder die »Esortazione all'Italia«, GOR IV, S. 27ff., 125ff„ 195ff. Vgl. M. Liborio: Contributi alla storia dell' »Ubi sunt«. Cultura Neolatina 20 (1960), S. 141-209. »Ahi serva Italia, di dolore ostello,/ Nave senza nocchiero in gran tempesta/ Non donna di provincie, ma bordello!/ [...] Ed ora in te non stanno senza guerra/ Li vivi tuoi, e l'un l'altro si rode/ Di quei ch'un muro ed una fossa serra« (Purg. VI, 78-84).
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Der abschließende Teil des cantare ist, wie bereits gesagt, ähnlich wie in den anderen lamenti, ein nicht enden wollender Aufruf des Autors an die christlichen Mächte, die inneren Zwistigkeiten beizulegen, gemeinsam Konstantinopel und die heiligen Stätten zurückzuerobern und Vergeltung zu üben (63-88): Ora dallo levante allo ponente Io chiamo tutta la cristiana gente (62).
Der neue Kreuzzug soll angeführt werden vom Papst, dem »vicario di Dio«, dem Oberhaupt der Christen, an den sich der Appell an erster Stelle wendet. Es folgt der Aufruf an den Kaiser, Friedrich III., der dem Papst zur Seite stehen soll. Danach appelliert der Autor in langer Reihe an die mächtigsten Fürsten und Staaten Europas: an Janos Hunyadi (den Regenten von Ungarn), an den Herzog von Bayern, die Könige von Neapel, Frankreich und England, den Herzog von Burgund, den Herzog von Mailand, die Republiken von Venedig, Florenz und Pisa; nur Genua wird erneut gebrandmarkt, da es den »infedeli cani« geholfen habe (75); es folgen über dreißig weitere Städte Mittel- und Norditaliens, schließlich Damaskus, Candía, Slawonien, Albanien, Korsika, Sardinien und Sizilien; der Johanniterorden wird ermahnt, Rhodos beizustehen (88); selbst die Kleriker und Prälaten, »ch'àn le pelle grasse«, sollen das Kirchengewand ablegen und zu den Waffen greifen (96). »Signorie, ville, castelle e ciptade,/ - so faßt der Autor zusammen Tucte le chiamo a far questa bactaglia/ E priego Iddio che ciaschedun ben vaglia« (86). E gridate ciascun(o): - muoia Macone! E gridate: - muoia (Idio) Trivicante! Gridate: - viva Idio di passione! Gridate: - viva le sue genti sánete! Gridate ognun con buona intentione. E gridate - Gesù - con voce atante: (E) gridate ognuno: Viva Giesù Cristo! (E) gridate: - noi faremo grande acquisto! - (89)
Der Kreuzzug soll gleichzeitig ein Rachefeldzug sein. Die Türken sollen verbrannt, zerstückelt, ausgerottet, in die Hölle geschickt werden. 47 Für jeden der angeblich 200 Tausend ermordeten Christen sollen 30 Türken sterben, »acciò che il nome loro sí sia spento«. Wieviele dies ergibt, das soll der Leser selbst herausfinden: »se sai/ Abbaco far(e), tu il multiplicherai«. Der Autor stellt eine merkwürdige Rechnung an: Da Judas einst 30 Taler für den Verrat Christi gefordert habe und Titus und Vespasian, um den Verrat zu rä-
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»O perfidi pagani da esser arsi/ O ver(o) da Dio essere stratiati!/ [...] O degni a lo 'nfemo esser mandati/ Sanza l'anima dal corpo levarsi! Diavoli scatenati non arebbe/ Tanto mal facto, chè Dio non vorrebbe« (36); »Trenta per un(o) se ne vuole amazzare/ Acciò che il nome loro si sia spento« (91).
Der »Lamento die Constantinopoli« in »ottava rima«
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chen,48 für jeden geforderten Taler hundert Juden hinrichten ließen, müßten jetzt nach christlichem Gebot (»secondo lo Cristian comandamento«) 30 mal 200 Tausend Türken sterben (90-91). Der Autor merkt nicht, daß er ebendieselbe und noch schlimmere Grausamkeit gegenüber den Türken fordert als er eben an den Türken getadelt hatte, so wie er sich auch nicht klar macht, daß seine Verfluchung Genuas sich schlecht mit dem Aufruf der Christenheit zu Einheit und Versöhnung verträgt. Sollte der cantare wirklich von einem Priester stammen, so verrät sich hier ein wahrhaftig fanatischer Kleriker, dem jede genuine christliche Gesinnung abgeht.49 Dem Vortrag solcher Gedichte auf Plätzen und Märkten wird man sicher - ähnlich wie der Predigtliteratur - eine wichtige Rolle bei der öffentlichen Meinungsbildung und der allgemeinen Stimmungsmache gegen die Osmanen zusprechen müssen; sie haben ohne Zweifel dazu beigetragen, daß nun von allen Seiten zum Kreuzzug aufgerufen und immer neue Pläne für die Rückeroberung Konstantinopels geschmiedet wurden. Diese scheint ein Kinderspiel, sind sich nur die christlichen Mächte einig. Es sind meist Aufforderungen zum Kreuzzug unter der Führung des Papstes, dessen Position gegenüber den europäischen Mächten dadurch gestärkt wurde; da die religiöse Frage im Vordergrund stand, erschien er als der legitime Führer einer Allianz gegen die Ungläubigen. Nikolaus V. rief schon am 30. September in einer Bulle, in der er Mechmed als grausamen Verfolger der Christenheit und als Sohn Satans brandmarkt, zum Kreuzzug auf.50 Kaiser Friedrich III. ließ auf dem Reichstag in Regensburg im April / Mai 1454 seinen Kanzler Enea Silvio Piccolomini an die europäischen Könige und Fürsten appellieren, gegen den »ferocissimus et potentissimus hostis« zusammenzustehen, »nihil erit inde sua potentia, si christianorum vires coëant«.51 Papst Calixt ΙΠ. (1455-1458) wird sich ebenfalls mit Energie für die Rückeroberung Konstantinopels einsetzen, ebenso Pius II. (der ehemalige Kanzler des Kaisers, Enea Silvio Piccolomini), der zu diesem Zweck 1459 einen Fürstenkongreß nach Mantua einberufen wird. Doch trotz aller Anstrengungen, trotz aller Aufrufe kam bekanntlich kein Kreuzzug zustande. Die Eigeninteressen und Ambitionen der westlichen Herrscher, die Rivalen waren im Kampf um die Hegemonie in Europa, standen einer gemeinsamen Unternehmung entgegen. »Fuerunt Itali rerum domini, nunc Turchorum inchoatur
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49
50 51
Vgl. Dante: Purg. XXI, 82-84: »Nel tempo che'l buon Tito, con l'aiuto/ del sommo rege, vendicò le fóra,/ ond'uscì Ί sangue per Giuda venduto«; s. auch Par. VI, 91-93. »Daß die in solchen Schriften erwähnten Greuel keine spezifischen Eigenschaften der Türken waren, sondern allgemeine Erscheinungen der Kriegsführung des Jahrhunderts, haben die wenigsten Rufer zu Türkenkriegen begriffen« (Göllner: Turcica, wie Anm. 8, III, S. 24). Siehe Schwoebel: The Shadow of the Crescent, wie Anm. 1, S. 30ff. Enea Silvio Piccolomini: Oratio habita Ratisponae in convento praesente Burgundiae duce, zit. nach Pertusi: Testi inediti, wie Anm. 2, S. 186.
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Bodo Guthmüller
imperium«, so charakterisiert Enea Silvio Piccolomini in einem Brief an den Freund Leonardo Benvoglienti die neuen Machtverhältnisse in Osteuropa.52
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Brief vom 25.9.1453, zit. nach Pertusi: La caduta di Costantinopoli, wie Anm. 1, II, S. 40ff.
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Friedrichs
Das Türkenbild in Lodovico Dolces Übersetzung der Epistolae magni Turci des italienischen Humanisten Laudivio Vezzanense Im umfangreichen Publikationskatalog des Dramenautors, Kunstkommentators und Übersetzers Lodovico Dolce stellen die Lettere del gran Mahumeto1 zweifellos nur eine Marginalie dar. Da seit der Publikation der Briefe Aretinos das Genre bei einer wachsenden Leserschaft auf reges Interesse traf, mochte die Hoffnung auf sicheren Absatz Dolce zur Übersetzung und seinen Verleger Gabriel Giolito de Ferrari zur Veröffentlichung der Lettere bewogen haben. Vor allem aber durften sie erwarten, daß die ungebrochene Aktualität der Türkenfrage zu Kauf und Lektüre eines Werkes reizte, für dessen Interessantheitswert der Eroberer Konstantinopels höchstselbst mit seinem Namen einzustehen schien. Wie Dolce in seinem knappen Vorwort mitteilt, verdankt sich die lateinische Vorlage seiner Übersetzung der Feder eines gewissen Monsignor Laudinio, cavaliere gerosolimitano, der seinerseits die Briefe des osmanischen Großherrn aus dem Griechischen, Skythischen und Syrischen ins Lateinische übertragen haben will. Diese fiktive Übersetzerschaft konnte durchaus Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen, da der Verfasser, um 1435 im ligurischen Vezzano geboren und deshalb in der Literatur unter dem Toponym Vezzanense geführt, Griechenland und die Levante bereist und sich dort als Ritter vom Heiligen Grab in der Türkenabwehr engagiert hatte. So hätte er durchaus Kontakte zur osmanischen Welt knüpfen und auf diesem Wege in den Besitz der originalen Sultansbriefe gelangt sein können. Aus seinen von Franz Babinger gesammelten,2 weit verstreuten und spärlichen Lebenszeugnissen geht hervor, daß Laudivio vor seiner militärischen Karriere den Versuch unternommen hatte, in italienischen Humanistenkreisen literarische Meriten zu erwerben. Nach ersten Studienjahren unter Guarino da Verona in Ferrara hatte er sich zunächst unter dem Pontifikat Nikolaus V. in Rom aufgehalten und war nach dem Tod des päpstlichen Mäzens 1
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LETTERE / DEL GRAN MAHVMETO / IMPERADORE DE'/ TVRCI: / SCRITTE A DIVERSI RE, / PRENOTI, SIGNORI, E REPVBLICE, / CON LE RIPOSTE LORO; / RIDOTTE NELLA VOLGAR LINGVA / DA M. LODOVICO DOLCE. / INSIEME CON LE LETTERE D I / FALARIDE Tiranno de gli Agrigentini, / CON PRIVILGIO. / IN VINEGIA APPRESSSO GABRIEL / GIOLITO DE' FERRARI. / MDLXIN. Seitenangaben an Zitatenden beziehen
sich auf diese Ausgabe. Franz Babinger: Laudivius Zacchia, Erdichter der »Epistolae Magni Turci«. Situngsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophischhistorische Klasse (1960), Heft 15.
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weiter nach Neapel gezogen, wo er in freundschaftlichen Kontakt zu Giovanni Pontano trat und Mitglied in dessen Akademie wurde. An Proben seines literarischen Schaffens hat sich wenig erhalten. In seinen Neapolitaner Jahren hat er eine Vita beati Hieronimi verfaßt und während eines späteren Zwischenaufenthaltes in Ferrara das Schicksal des Condottiere Giacomo Piccinino unter dem Titel De captivitate Ducis Iacobi tragoedia zum Gegenstand einer Tragödie gemacht. Über die Humanistenkreise Italiens hinausstrahlende Bekanntheit haben ihm indessen nur die 1473 erstmals in Neapel erschienenen Epistolae magni Turci eingetragen. Diesem schmalen im Erstdruck gerade 44 Seiten umfassenden Werk sollte ein erstaunlicher bis ins letzte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts währender Erfolg beschieden sein. Babinger zählt allein 21 Wiegendrucke. Danach sind die Briefe des Großtürken mehrmals neu aufgelegt worden, zuletzt in italienischer Übersetzung, 1691 in Berlin.3 Diese zweihundertjährige Erfolgsgeschichte umfaßt in etwa jenen Zeitraum, dessen Beginn durch die verstärkte türkische Expansion nach Westen markiert wird und an dessen Ende mit der Niederlage Kara Mustafas vor Wien die Türkengefahr im kollektiven Bewußtsein des Abendlandes zu verblassen beginnt. Diese Kongruenz von Rezeptions- und Ereignisgeschichte legt den Schluß nahe, daß der große Erfolg von Laudivios kleiner Schrift dem antitürkischen Affekt ihrer Leser zu verdanken ist und daß ihr Verfasser folglich dem Lager all jener Propagandisten angehört, die im Vorfeld oder flankierend zur militärischen Auseinandersetzung durch die Konstruktion eines aggressionsfördernden Feindbildes den Erbfeind der Christenheit mit der Feder zu bekämpfen suchten. Dies wäre die Hypothese, die es im Folgenden anhand einer imagologischen Analyse von Dolces Übersetzung nachzuprüfen gilt. Im offensichtlichen Bemühen, Laudivios Opuskulum auf ein stattliches Buchformat zu bringen, hat der venezianische Polygraph den Sultansbriefen die ebenfalls aus seiner Hand stammende Übersetzung der apokryphen, dem Tyrannen von Agrigent, Phalaris, zugeschriebenen Briefe zur Seite gestellt. Darauf macht jedoch nur der klein gedruckte Untertitel aufmerksam, während der durch dieses Supplement zu ansehnlichem Umfang gediehene Gesamtband unter dem auch typographisch hervorgehobenen Haupttitel Lettere del gran Mahumeto an das Interesse des Lesers appelliert. Indem er beide Briefsammlungen in einem Band vereint, macht Dolce seinen Lesern ein unmißverständliches Rezeptionsangebot: In die unrühmliche Nachbarschaft des Tyrannen von Agrigent gerückt, partizipiert Mehmet an dessen diabolischer Aura und darf, solcherart typlogisch fixiert, das Kli3
Carl Göllner: Turcica. Die europäischen Türkendrucke des 16. Jahrhunderts. 2 Bde. Bukarest / Berlin / Baden-Baden 1961-1968, führt für das 16. Jahrhundert insgesamt zehn, Babinger, wie Anm. 2, S. 35f., für das 17. Jahrhundert weitere fünf Nachdrucke der lateinischen Originalbriefe an.
Ludovico Dolces Übersetzung der »Epistolae magni Turci«
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schee des grausamen, nur seinen menschenverachtenden Launen gehorchenden Gewaltherrschers bestätigen. Neben dieser manipulativ über den Kontext vollzogenen Negativierung der Person des Sultans nimmt sich Dolce auch die Freiheit, den Großtürken des lateinischen Originals namentlich zu identifizieren und mit dem Eroberer Konstantinopels gleichzusetzen. Doch erweist er sich ansonsten als durchaus gewissenhafter Übersetzer. Der Vergleich mit zwei verschiedenen lateinischen Ausgaben von Laudivios Briefsammlung 4 macht deutlich, daß sich Dolce eng an den originalen Wortlaut anlehnt. Er verzichtet gänzlich auf entstellende Kürzungen oder Zusätze und weicht nur insofern von seiner Vorlage ab, als er die Reihenfolge der Briefe verändert.5 Dieser makrostrukturelle Eingriff scheint jedoch mehr vom Zufall generiert als bewußt intendiert zu sein, denn auch darin hält sich Dolce an die Vorgabe Laudivios, daß er wie dieser von einem über die bloße Serialität hinausweisenden Ordnungsschema absieht. Partienweise scheinen wohl die einzelnen Adressaten, ihrem religiösen oder geographischen Herkommen entsprechend, zu fester umrissenen Gruppen zusammenzurücken, doch werden solche Klassifikationsansätze nicht konsequent durchgeführt. Diese fehlende kompositorische Geschlossenheit wiegt umso schwerer, als zwi4
5
Symmachi / Cons. Ro. Epistolae familiares. / Item / Laudini / Equitis hierosolymitani in epístolas / Turci magni traductio, [1510]. - Epistolarium Turci / magni per Laudinu[m] libellus sen-/ tentiaru[m] gravitate refertissimus, / additis non[n]ullis lectu dignis epi-/ stolis Laertio, [1512], Um eine Vorstellung vom Korrespondentennetz des Sultans zu geben, seien im Folgenden die Namen der Adressaten in chronologischer Reihenfolge aufgeführt: 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16) 17) 18) 19) 20)
ZANKASSANO SEXVARES R E DI ARMENIA IL SOLDANO IL PONTEFICE I VLNITIANI I MAGISTRATI DI GRECIA I GENOVESI I Ν ARITI! QVEI DI CORFV IL R E DI CIPRO QVEI DI MODONE QVEI DI CORONE I FIORENTINI QVEI DEL MAR MAGGIORE 1 CANDIOTTI QVEI DI C m o QVE' DIRAGVSI QVEI DI NAPOU DI ROMANIA GLI VNGHERI I MACEDONI
21) 22) 23) 24) 25) 26) 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37) 38) 39) 40) 41)
QVEI DI ASIA QVEI DI ΒΠΤΠΝΙΑ QVEI DI DELFO QVEI DI PERGAMO QVEI DI METELINO GLI AMAZONI QVEI DI SCHIAVONIA I RHODIOTTI QVEI D'ALBANIA QVEIDIDALMATIA IPVGUESI QVEI DI BRANDIZZO QVEIDISIRAGOSA I MAGISTRATI D'ITALIA IL RE FERDINANDO I SICILIANI G u ALESSANDRI I TARTARI GUATHENIESI ITHEBANI I LACEDEMONI
Dolces Übersetzung und die in Anm. 4 genannten lateinischen Titel stimmen darin überein, daß die Nummern 1-12, 20-34 und 36-41 jeweils einen geschlossenen Block bilden. In der Anordnung der restlichen Nummern sind jedoch keine Entsprechungen mehr erkennbar.
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sehen den Einzelkorrespondenzen keinerlei Querverbindungen verlaufen. Ferner werden von den 41 Adressaten nur vier6 eines zweimaligen Briefaustauschs gewürdigt, die anderen müssen sich mit einem einzigen Sendschreiben aus Konstantinopel begnügen. So stellt sich das Korpus der Sultansbriefe als Konglomerat diskontinuierlicher, episodischer Kommunikationsakte dar, die ihren gemeinsamen Bezugs- und Verknüpfungspunkt allein in der Figur Mahumetos finden. Die Kohärenz, die dem Gesamttext nichtsdestoweniger eignet, verdankt sich dieser Fokussierung auf die zentrale Absenderinstanz, ferner der rekurrenten Aktualisierung einiger weniger Kernthemen und schließlich dem einheitlichen, Anmaßung und Aggressivität verratenden, hyperbolischen Sprachgestus. Die Konfrontation suchend, dringt der Sultan ohne Umschweife zum Kern der in seinem Briefwechsel aufgeworfenen Streitfragen vor. Die brüske Direktheit seiner epistolaren Rede steht dabei in merkwürdigem Kontrast zur Abstraktheit der darin verhandelten Gegenstände. Die ereignisgeschichtlichen Realien, denen die Korrespondenz überhaupt erst ihre Entstehung verdankt, verzeichnet der Text nur summarisch oder in vagen Hinweisen. Vergeblich sucht man darin nach präzisen militärgeschichtlichen, geographischen oder biographischen Daten, die es erlaubten, Mehmets Briefe in der wechselvollen Geschichte der osmanischen Expansion konkret zu verorten. Kriegslüsternheit und hegemoniale Anmaßung grundieren zwar die gesamte Korrespondenz. Sie bestimmen den Appellcharakter der Briefe, in denen, je nachdem ob sie sich an Feinde, unterworfenen Gegner oder Verbündete richten, Drohung, Ermahnung, Tadel dominieren. Doch dient die Kriegsthematik vorwiegend nur als Reservoir von Beispielen, anhand derer, sentenziös verdichtet, allgemeinverbindliche Einsichten und Verhaltensmaßregeln demonstriert werden. So tritt in den Lettere del gran Mahumeto hinter dem historiographisch verfestigten Stereotyp des machtgierigen Tyrannen die Gestalt eines streitbaren Pädagogen hervor, der sich unter Rekurs auf antike Autoritäten wie Aristoteles, Cicero oder Plutarch an den in italienischen Humanistenkreisen geführten moralphilosophischen Debatten beteiligt. Die humanistische Vorliebe für die offenenen Formen des Briefs und des Dialogs teilend, nähern der Sultan und seine Korrespondenten beide Gattungen einander an, indem sie ihren aus einer Abfolge zumeist sehr kurzer Repliken bestehenden Briefwechsel zu einem offensiv geführten Streitgespräch steigern. In solch schroffem Zusammenprall von Rede und Gegenrede erfährt das auf Cicero zurückgehende, im moralphilosophischen Schrifttum des Humanismus wiederbelebte Verfahren des in utramque partem dissere seine dem bellizistischen Tenor der Tür-
6
Die Briefwechsel mit Zankassano, dem Papst, den Venezianern und den Bewohnern von Rhodos.
Ludovico Dolces Übersetzung der »Epistolae magni Turci«
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kenbriefe entsprechende agonale Zuspitzung.7 Zur Illustration dieses Sachverhaltes seien im folgenden Mehmets Sendschreiben an die Ungarn sowie deren Anwort vollständig wiedergegeben: IL TURCO A GLI VNGHERI. Ancora che voi Vngheri havete più volte dimostro grandißimo valor nelle guerre: non dimeno havete conosciuto a proua, che ciò u'ha apportato più tosto male, che bene. E certo coloro, che hanno maggior animo, che forze, sono sempre temerari nelle battaglie. GLI UNGHERI AL TURCO. Ne uogliamo da te consiglio nella guerra, ne meno ricerchiamo la ragione, perche i nemici mouono contra noi le armi. E nel uero è da riputare, che habbiano assai prudenza nelle attioni loro coloro, che per uirtù di animo, e con la constanza acquistano honorata vittoria. (S. 32)
Hauptgegenstand der hier erörterten Streitfrage ist die Tugend des Mutes, die sich Aristoteles zufolge am reinsten im tapferen Verhalten des Soldaten zeigt.8 Nach dem militärischen Sieg über die Ungarn versucht der Sultan, ihnen nun auch eine moralische Niederlage zuzufügen, indem er in ihrem Verhalten auf dem Schlachtfaid lediglich die von Aristoteles als defiziente Scheinform des Mutes eingestufte Tollkühnheit9 am Werke sieht. Die Ungarn wiederum verwahren sich gegen diese Unterstellung, indem sie kluge Umsicht für sich reklamieren und damit Anspruch auf eben jene Kardinaltugend erheben, durch deren Versagen Mut in bloße Tollkühnheit umschlägt. So steht Behauptung gegen Behauptung, da sich beide Parteien mit dem Austausch abstrakter Verhaltenszuschreibungen begnügen und darauf verzichten, diese an konkreten Einzelfällen zu exemplifizieren, muß die Frage, ob die Ungarn nun wahrhaft mutig oder nur tollkühn seien, unentschieden bleiben. Erheblich präziser und faktenreicher artikuliert Mehmet seine Auffassung von soldatischer virtù gegenüber dem Soldano, dem in Kairo residierenden Mamelukensultan, der in einem Mahnschreiben nach Konstantinopel die Überzeugung vertreten hatte, daß die militärischen Erfolge der Osmanen weniger auf deren Kriegstüchtigkeit als vielmehr auf die Gunst Fortunas zu7
8
9
Zu Ciceros Dialogverfahren vgl. August Buck: Überlegungen zur moralistischen Literatur des italienischen Renaissance-Humanismus. In: ders.,Studien zu Humanismus und Renaissance. Gesammelte Aufsätze aus den Jahren 1981-1990. Wiesbaden 1991, S. 277-297, hier S. 283. Aristoteles: Nikomachische Ethik. Auf d. Grundlage d. Übers, von Eugen Rolfes hg. v. Günther Bien. Hamburg 4 1985, S. 60: »Demnach wird mutig im eigentlichen Sinne heißen wer angesichts eines rühmlichen Todes und alles dessen, was auf einmal den Tod nahebringt, also besonders in Krieg und Schlacht, furchtlos und unverzagt ist.« Aristoteles, wie Anm. 8, S. 61: »Wer durch ein Übermaß von Zuversicht dem Furchtbaren gegenüber fehlt, ist tollkühn. Es scheint aber auch Tollkühne zu geben die Prahler sind und den Mut nur vorspielen. Demnach wollen sie sich dem Furchterregenden gegenüber nur so zu verhalten scheinen, wie jener es wirklich tut, und ahmen ihn, wo sie nur können nach.«
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rückzuführen seien. Gegen solch irrige Ansicht weiß der Osmanenherrscher eine Reihe eindrucksvoller Beispiele sowie ein gewichtiges philosophisches Argument aufzubieten: Tu t'inganni di gran lunga, se stimi, che coloro, che con consiglio operano, credano, che gli effetti procedano dalla fortuna: percioche ella non regge la uirtù, ma la ragione dell'animo è quella, che signoreggia in tutte le cose; e laquale distinguendoci da gli altri animali,, n'auicina più a DIO: ma porgi orecchi alla ragione, per laquale habbiamo fatto tanti segnalatißimi fatti. A noi non mancano spie, e guardie. Habbiamo uecchi soldati; e'I fiore scelto di ogni numero di gente da guerrra: oltre a ciò un grande esercito sempre auezzo a uincere, & a perder non mai: ilquale sostiene pacientißimamente l'asprezza del freddo: è prontißimo alle fatiche de 'lunghi camini, a i pericoli, a i sudori, a i disagi, alle uigilie, cosi per terra, come per mare; ne mai è stanco per il continuar delle guerre, ne mai suole abandonare il sui luoco, ne ardisce di ritirare il piede. Et si come è patientißimo del freddo e del caldo; cosi non si perde di animo nelle auersità, ne si gonfia ò insuperbisce nelle cose seconde. Il quale nel fine con la sua uirtù ha uinto tutti i mali: e andano lontano dalle cose sue, ha spesso rotte infinite genti, e incredibili eserciti di nimici: e per la cui opera io son fatto Imperadore di quasi tutto l'Oriente. Se tutte queste cose tu chiami fortuna, & auenimenti a caso, io confesso, che tutto si regga a giuoco di essa fortuna. (S. 15 f.) Bei Cicero hat Mehmet nachlesen können, daß Tapferkeit eher der Vernunft als dem Glück geschuldet ist, 10 und so beruft er sich denn, auch darin seinem römischen Gewährsmann folgend, auf jenen höheren, den Menschen mit dem Göttlichem verbindenden rationalen Seelenteil, aus dem vollkommene Tugend erwächst. 11 Von Cicero weiß er indessen auch, daß erst langjährige Übung und Gewöhnung an die Strapazen des Soldatenlebens aus ei10
11
Marcus Tullius Cicero: Tusculanae Disputationes. Lateinisch-deutsch. Hg. von Olof Gigon. München / Zürich 6 1992, S. 122: »Fortis enim non modo fortuna adiuvat, ut est in vetere proverbio, sed multo magis ratio, quae quibusdam quasi praeceptis confirmât vim fortitudinis.« Mit seiner optimistischen Einschätzung menschlicher virtù schließt sich Mehmet einer für das moralphilososphische Denken des Quattrocento signifikanten Tendenz an. Vgl. Mario Santoro: Fortuna, ragione e prudenza nella civiltà del Cinquecento. Napoli 1978, S. 51: »Né occorre ricordare che nel '400, sebbene non senza incertezze e oscillazioni nell'ambito di una più scaltrita problematica sulla condizione humana, l'opposizione della >virtùfortunavirtu< che aiuta a riconoscere e a disprezzare la >fortunafortunaIhr Götter meines Geschlechts, Wahrer meiner Königswürde, möget ihr mir meinen größten Wunsch erfüllen, das Glück der Perser neu zu begründen und es in der Machtfülle zu hinterlassen, in der ich es übernommen habe, damit ich als Sieger Alexander die großmütigen Taten vergelten kann, die er mir in meinem Unglück an meinen Lieben erwiesen hat !Erbfeind< der Christenheit am
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Ebd., S. 109f. " Ebd., S. 116.
Die Vorstöße der Osmanen im 16. Jahrhundert aus französischer Sicht
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Hof Franz' I. nicht ohne Wirkung blieb. Einige Beispiele sollen diese Zusammenhänge verdeutlichen und belegen. Im sog. Damenfrieden von Cambrai erreichten am 3. August 1529 Margarete von Österreich, die kluge Statthalterin der Niederlande, und Luise von Savoyen, die Mutter Franz' I., die Beendigung des zweiten Krieges zwischen dem französischen König und Kaiser Karl V. Es überrascht deshalb nicht, daß die damit eintretende Entspannung, die indessen - wie auch die folgenden ruhigen Phasen - nur kurzlebig war, Franz I. in die Lage versetzte, die Aufgabe der Belagerung Wiens durch die Osmanen im Oktober 1529 in der Öffentlichkeit als christlichen Erfolg zu feiern. 12 Und dem Gesandten des Königs Johann I. Zapolya von Ungarn, der 1531 um französische Subsidien bat, ließ Franz I. dringend nahelegen,Maß Zapolya bei seinen militärischen Unternehmungen sich nicht von den Osmanen unterstützen lassen dürfe: [...] de remonstrer au roy son maistre [= Johann I. Zapolya] qu'il se donnast de garde sur toutes choses, et quelques guerres qu'on luy fist, de n'invader son ennemy avec le secours et ayde du Turc. Obstant que s'il le faisoit, ledit segr roy [= Franz I.] serait contrainct de prendre les armes contre luy sans aucun esgard de leur alliance, pour obvier que le Turc, ennemy de nostre foy, n'enjambast sur la chrestienté.13 Die darin zum Ausdruck gebrachte Vorsicht gegenüber einer allzu offenkundigen Verbindung mit den Osmanen muß aber auch vor dem Hintergrund gesehen werden, daß Franz I. Rücksicht auf die protestantischen Reichsstände zu nehmen hatte und alles vermeiden mußte, was diese in die Arme des Kaisers treiben mußte. Bis zum Jahre 1535 basierte die französische Außenpolitik im wesentlichen auf drei Prinzipien: Frankreich vor einer direkten Konfrontation mit dem Kaiser bewahren; die Allianz mit Heinrich VIII. von England erhalten; dem Hauptgegner, Karl V., überall so viele Schwierigkeiten und Probleme wie möglich bereiten. 14 Anfang 1535 zeichnete sich aber wieder ein neuer offener Konflikt mit dem Kaiser ab. Deshalb schickte Franz I. im Frühjahr 1535 die erste ordentliche Gesandtschaft zu Süleyman. Der Gesandte, Jean de La Forêt, wurde beauftragt, den Sultan zu militärischem Vorgehen gegen die habsburgischen Positionen in Italien zu veranlassen, das das Hauptkampfgebiet im erwarteten Krieg zwischen Frankreich und dem Kaiser sein sollte. Ausdrücklich wurde La Forêt angewiesen, dem Sultan von eventuell beabsichtigten Vorstößen gegen den österreichischen Teil Ungarns abzuraten, weil ein solches Vorgehen die protestantischen Gegner des Kaisers im 12 13
14
Robert J. Knecht: Francis I. Cambridge / London / New York usw. 1982, S. 224. E. Charrière: Négociations de la France dans le Levant. Bd. I. Paris 1848 (Collection de documents inédits sur l'histoire de France, première série: Histoire Politique), S. 178f., Anm.l. Jean Jacquart: François 1er. Paris 1981, S. 229.
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Klaus Malettke
Reich Karl V. in die Arme treiben und auf diese Weise die kaiserliche Position nur stärken würde. Vielmehr sollten die Osmanen die Habsburger in Neapel, Sizilien und Sardinien angreifen. Zur Verteidigung der habsburgischen Besitzungen in Italien würden die deutschen Reichsfürsten dem Kaiser nicht zur Seite stehen, wie man aus Erfahrung wisse. In der Instruktion für La Forêt heißt es: A ceste cause [d.h. für den französischen Krieg gegen den Kaiser, K.M.], priera et persuadera icelluy de La Forest le Grant-Seigneur [= Stileyman II., K.M.] de subvenir audit sr roy [= Franz I., K.M.], pour convertir à l'effect que dessus, d'ung million d'or, qui ne sera mal aisé audict G.-S. [...]; considérant de quelle importance peult estre d'affoyblir et rabaissir le couraige et dessaing dudit roy des Espaignes, qui n'aspire et ne tend, comme l'on voit, sinon à la monarchie du monde [...]; sera très-expédient que ledict G.-S., oultre le secours d'argent cydevant mentionné, et pendant que ledit sr roy par terre exploictera de son cousté ses forces, envoye son armée de mer en faisant mesme commandement au sr Haradin pour courir sus et entrer premièrement en la Sicilie et Sardaigne [...]. Et où ledict de La Forest ne pourrait induire le G.-S. à fournir argent audit sr roy, à tout le moings le persuadera d'entamer la guerre au temps qu'il luy a esté commandé, par mer et par terre, au roy des Espaignes [...]. Et en tant que ledit G.-S. serait en délibération de plus toust faire la guerre audit roy des Espaignes par la Hongrie que par autre endroict, icelluy de La Forest luy remonstrera la puissance des Allemaignes, où de present ledit roy des Espaignes a bien peu d'obéissance, lesquelles toutesfoys lors infailliblement se joindraient à luy et contribueraient pour la deffense de leur pays, en façon que cuydant endommaiger icelluy roy des Espaignes, on le pourrait faire grand et accroistre son couraige. Mais en l'assaillant par le royaume de Naples, par la Sécille, Sardaigne ou par les Espaignes, ce sera le toucher au vif et entreprinse aysée à mectre à chef, actendu mesmement que les Allemans ne se mouveront pour le péril de l'Ytalie, comme l'on sçait et veoit par expérience.15 Entgegen der bis in die Gegenwart weitverbreiteten Ansicht kam es im Februar 1536 aber wohl nicht zur Unterzeichnung eines förmlichen Allianzund Handelsvertrages zwischen Frankreich und der Hohen Pforte. Jedenfalls gibt es keine eindeutigen Quellenbelege dafür. Vielmehr haben die Ergebnisse der neueren Forschung den Verdacht erhärtet, daß das angebliche Handels- und Allianzabkommen von 1536 ein auf einer Fehlinterpretation zurückzuführendes historiographisches Konstrukt ist. 16 Aber wie dem auch sei, die dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts stellen für die Entwicklung der französisch-osmanischen Beziehungen ein entscheidendes Jahrzehnt dar, in dem der eigentliche Beginn der Kooperation zwischen Frankreich und der Hohen Pforte anzusetzen ist. Es ist außerdem wahrscheinlich, daß damals Absprachen über ein koordiniertes Vorgehen gegen die Casa de Austria getroffen worden sind. Aus französischer Sicht resultierte aus dem Aufbau ei15
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Charrière, Négociations de la France dans le Levant. Bd. I, wie Anm. 13, S. 261f. - Zu Jean de La Forêt vgl. V.-L. Bourrilly: L'ambassade de La Forest et de Marillac à Constantinople (1535-1538). In: Revue Historique 76 (1901), S. 297328. Hochedlinger, Die französisch-osmanische »Freundschaft«, wie Anm. 1, S. 116f.; Knecht, Francis I, wie Anm. 12, S. 274.
Die Vorstöße der Osmanen im 16. Jahrhundert ausfranzösischerSicht
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ner starken osmanischen Flotte unter Cheir-ed-Din Barbarossa nach 1534 und aus der osmanischen Expansion im Mittelmeer neuer Handlungsspielraum für mögliche Kooperationen, die sich hauptsächlich gegen die Apenninhalbinsel sowie gegen Sizilien und Sardinien richten sollten. Bis 1558 stellte Süleyman dem französischen König wiederholt stolze Flottenabteilungen für gemeinsame Raubzüge an den italienischen Küsten zur Verfügung. Der praktische Nutzen der nach außen hin Uberaus kompromittierenden Zusammenarbeit war denkbar gering. Große Abstimmungsschwierigkeiten und gegenseitiges Mißtrauen machten das militärische Zusammenwirken letzten Endes zur bloßen Episode.17
Das Resultat der für Süleyman I. insgesamt erfolglosen Seeunternehmen im Mittelmeer in den dreißiger Jahren, deren Scheitern der Sultan nicht zu Unrecht der Unzuverlässigkeit Franz' I. anlastete, war eine Periode der Abkühlung im Verhältnis zwischen der Hohen Pforte und Frankreich. Die französisch-osmanischen Mißtöne nahmen noch weiter zu, als es im Kontext mit dem Waffenstillstand von Nizza im Jahre 1538 zu direkten Gesprächen zwischen Franz I. und Karl V. in Aigues-Mortes und Compiègne kam18 und die weitere Entwicklung im Jahre 1539 von der Hohen Pforte nur als der Beginn einer Entente zwischen Franz I. und Karl V. gewertet werden konnte. Zwischen November 1539 und Januar 1540 hielt sich nämlich der Kaiser in Frankreich auf. Erstaunlicherweise hatte sich Karl V., der sich nach Flandern begeben wollte, dafür entschieden, den Weg quer durch Frankreich zu wählen. Dort wurde er überall mit Prunk und großer Ehrerbietung empfangen. Von Franz I. wurde er in Fontainebleau und Paris ehrenvoll aufgenommen und mit großen Aufmerksamkeiten bedacht. Es wurde an den europäischen Höfen und in Konstantinopel berichtet, Franz I. habe dem Kaiser versprochen, mit den Türken zu brechen. Karl V. seinerseits ließ das Gerücht kolportieren, er habe Franz I. die Kaiserkrone von Byzanz versprochen. Allenthalben war erneut die Rede von einem Kreuzzug gegen den >Erbfeind< der Christenheit.19 Antonio Rincón, der die Nachfolge von Jean de La Forêt als Gesandter Frankreichs in Konstantinopel angetreten hatte, berichtete über die Irritationen, die die skizzierten Vorgänge an der Pforte ausgelöst hatten und die er schließlich mit Erfolg beilegen konnte. Am 20. Februar 1540 teilte Rincón dem Günstling Franz' I., dem Connétable Anne, duc de Montmorency, mit,
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18 19
Hochedlinger, Die französisch-osmanische »Freundschaft«, wie Anm. 1, S. 117. - Zur französisch-osmanischen Zusammenarbeit: G. Veinstein: Les campagnes navales franco-ottomanes en Méditerranée au XVIe siècle. In: La France et la Méditerranée. Vingt-sept siècles d'interdépendance. Hg. von Irad Malkin. Leiden / New York / Kopenhagen / Köln 1990, S. 311-334. Knecht, Francis I, wie Anm. 12, S. 289, 293f., 295; Clot, Soliman, wie Anm. 5, S. 187. Knecht, Francis I, wie Anm. 12, S. 295ff.; Clot, Soliman, wie Anm. 5, S. 187.
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daß der Aufenthalt des Kaisers in Frankreich den französischen Interessen in Konstantinopel abträglich gewesen sei; car ceux-là qui taschent à nostre désavantage d'en faire leur profit ne cessent d'escrire par deçà bien souvent, desguisant les choses en telle manière qu'il semble que désormais les affaires de France et d'Espagne ne seront qu'une mesme chose, et qu'il n'est plus maintenant question entre tous les princes et potentats de la chrestienté que de la commune ligue et entreprise contre les Turcs: chose, nonobstant tout danger qui en tel cas me pourrait advenir, que je désire de tout mon coeur; mais je crains de n'en voir jamais si belle issue, croyant fermement qu'il n'y a que feinte et dissimulation. Dieu vueille qu'à la fin je sois veu avoir plus tost parlé par passion que en devinant la vérité. C'est pourquoy, si les susdites nouvelles ne sont pas encore par le chemin, je vous supplie me les faire sçavoir le plus tost qu'il sera possible, à cette fin queje puisse plus pertinemment me conduire au faict de ma charge [...].20 Rincón gelang es, die in Konstantinopel entstandenen Irritationen zu entschärfen. Bereits am 10. Juli 1540 berichtete der Bischof von Montpellier aus Venedig, worüber der größte Teil der französischen Gesandtenberichte aus dem Osmanenreich geleitet wurde, an Franz I.: Le sr Rincón m'escript que nonobstant quelques jalousyes que on ayt eues où il est du passage de l'empereur en France, les affaires de S.M. [Franz I., K.M.] ne laissent à se bien porter; et que, quelque issue qu'il advienne entre leurs majez [zwischen Franz I. und Karl V., K.M.], nous aurons tousjours le G.S. pour amy comme auparavant [...].21 Franz I., der bald zu durchschauen glaubte, daß Karl V. ihn nur täuschen wollte, erteilte bald darauf Rincón die Instruktion, die Beziehungen zur Hohen Pforte wieder zu intensivieren, da mit einem neuen Waffengang zwischen dem Kaiser und Frankreich zu rechnen sei.22 Kurz nach der Abreise Karls V. aus Frankreich häuften sich die Hinweise, daß die französisch-kaiserliche Entente wegen unüberbrückbarer Differenzen hinsichtlich einer definitiven Friedensregelung, wobei Mailand wie bisher das größte Problem darstellte, auf tönernen Füßen stand und bald zerbrechen sollte. Im Juni 1540 zerriß der Gesprächsfaden endgültig.23 Daraufhin begann Franz I. im Juli, sich auf einen weiteren Krieg mit dem Kaiser vorzubereiten. In den Rahmen dieser Kriegsvorbereitungen sind auch die französischen Bemühungen einzuordnen, den Sultan zu massiver Unterstützung Frankreichs zur See und auf dem Lande zu veranlassen. Entsprechende Bemühungen des französischen Residenten in Konstantinopel, des
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Charrière, Négociations de la France dans le Levant. Bd. I, wie Anm. 13, S. 425f. - Zu Antonio Rincón vgl. V.-L. Bourrilly: Les diplomates de François 1er. Antonio Rincón et la politique orientale de François 1er (1522-1541). In: Revue Historique 113 (1913), S. 64-83,268-308. Charrière, Négociations de la France dans le Levant. Bd. I, wie Anm. 13, S. 428. Clot, Soliman, wie Anm. 5, S. 187f. Knecht, Francis I, wie Anm. 12, S. 297ff.
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Barons Antoine Escalin des Aymars de La Garde, genannt >Kapitän Polinfreuntschaft und buntnuss< mit dem schließlich im Ungarisch-Siebenbürgischen wieder vorrückenden Sultan nicht ohne schädliche Wirkung.32
Mit dem Tod Heinrichs II. im Jahre 1559 sowie mit dem Beginn der zum großen Teil religiös motivierten Bürgerkriege im Jahre 1562 in Frankreich und auf Grund der daraus resultierenden Lähmung der außenpolitischen Aktivitäten der französischen Krone traten auch die französischen Beziehungen mit Konstantinopel in den Hintergrund. Bezeichnend ist, daß Karl IX. auf osmanische Angebote, die die Hohe Pforte nach der verheerenden Niederlage von Lepanto verstärkte, nur sehr verhalten reagierte. Der französische König trat zwar der zum Zwecke des Kampfes gegründeten Heiligen Liga nicht bei, er ließ jedoch der osmanischen Seite deutlich machen, daß dies auch der einzige Dienst sei, den er dem Sultan erweisen könne." ΙΠ. Reaktionen in der französischen Öffentlichkeit auf die Vorstöße der Osmanen Bei der Erörterung dieses Fragenkomplexes ist zu unterscheiden zwischen Stellungnahmen von offizieller Seite, die - wie bereits dargestellt - zumeist auf eine Verteidigung der >Türkenpolitik< der Krone hinausliefen, und Reaktionen aus dem Kreis der Bevölkerung bzw. von Persönlichkeiten oder Autoren, die nicht zum Umfeld des königlichen Hofes gehörten. Die fol31
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E. Charrière: Négociations de la France dans le Levant. Bd. II. Paris 1850, S. 169, Anm. 1. Hochedlinger, Die französisch-osmanische »Freundschaft«, wie Anm. 1, S. 118. Vgl. ebd., S. 119f.
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genden Ausführungen, die wegen der unzureichenden Forschungslage nur skizzenhaften Charakter haben können, sind dem zweiten Bereich gewidmet, da der erste Punkt schon im zweiten Teil zumindest kurz behandelt worden ist. In Frankreich, seit dem Mittelalter ein Zentrum des mit der Idee des Kreuzzugs eng verknüpften >TürkenzugsgedankensErbfeind< der Christenheit propagiert, wobei aber nicht verschwiegen werden soll, daß er mit seinem Projekt auch andere zum Teil sehr weltlich-politische Ziele verfolgte. Wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt, findet man den Gedanken des gemeinsam mit anderen Herrschern der Christenheit durchzuführenden >Türkenzuges< auch bei Franz I., wobei hier nicht erörtert werden soll, inwieweit es ihm dabei um das Anliegen der Christenheit oder um die Verfolgung eigener politischer Interessen ging. So plädierte der junge König schon in einem an den König von Navarra gerichteten Brief vom 14. Dezember 1515 dafür, daß die christlichen Fürsten die Aufgabe hätten »de obvier aux entreprises que les Turcs font contre les chrestiens, et de remectre la Terre Sainte, autres pays que les infidelles tiennent, soubz l'obéissance des chrestiens [...].« Da er durch die Gnade Gottes die Krone Frankreichs erlangt habe, sei es, so betonte er gegenüber dem Adressaten, seine vraye et naturelle inclinación [...] sans fiction ne dissimulacion, d'employer ma force et jeunesse à faire la guerre pour l'onneur et révérence de Dieu nostre saulveur contre les ennemys de sa foy. Et pource que ne povoye acomplir mon désir sans qu'il y eust paix universelle entre les princes chrestiens, escripviz à sa saincteté, à vous et aux autres princes de la chrestienté, mondit vouloir et intención, et le devoir en quoy je me voulloye mectre pour y parvenyr [...].34 Den Gedanken des >Türkenzuges< findet man auch im sog. >Großen Plan< {Grand Dessein) Sullys, der zu den einflußreichsten und wichtigsten Ministem Heinrichs IV. zählt. Der »Große Plan< wurde wohl erst um bzw. nach 1635 von Sully formuliert; gleichwohl hatte sein Verfasser die politischen Gegebenheiten vom Ende des 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts vor Augen. Wenn es auch das Hauptziel Sullys war, den Frieden in der nach seiner Konzeption zu errichtenden »République très chrétienne< dauerhaft zu 34
Charrière, Négociations de la France dans le Levant. Bd. I, wie Anm. 13, S. CXXIX-CXXX.
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sichern, so sollte das osmanische Reich dieser Christlichen Republik* nicht angehören. Der Kampf gegen die >Türken< sollte nach Sullys Auffassung nicht nur der Befreiung der heiligen Stätten der Christenheit, sondern auch der Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit der Glieder der Christlichen Republik< und der Kampferprobung ihrer Soldaten dienen.35 Im Unterschied zu Sullys >Großem Plan< ist in dem im Jahre 1623 publizierten Nouveau Cynée des Eméric Crucé von einem Zug der christlichen Fürsten gegen den Erbfeind der Christenheit nicht die Rede. Crucé wollte sich mit seinem Werk, in dem er ebenfalls ein Konzept zur Schaffung eines dauerhaften und ewigen Friedens entwickelte, an alle Souveräne dieser Welt wenden. Er Schloß also nicht - wie seine Vorgänger - einzelne Monarchen oder Völker, wie das Osmanische Reich oder Rußland, als Mitglieder der zu etablierenden Friedensgemeinschaft aus.36 Frankreich war - von kleineren Zwischenfällen an seiner Mittelmeerküste abgesehen - in unserem Zeitraum nicht unmittelbar mit der >Türkengefahr< konfrontiert. Anders als in den Gebieten der Casa de Austria war die Diskussion darüber allzumeist nur akademisch. Gleichwohl wich vor allem die in der französischen Bevölkerung verbreitete Einstellung nicht wesentlich von dem traditionell abendländischen >Türkenbild< einer totalen Perhorreszierung ab. Auch in Frankreich führten die Nachrichten über die Schrecknisse der Einfalle der Osmanen zur Ausgrenzung, ja zu entschiedenen Anti-Haltungen gegenüber dem >Erbfeindantitürkische< Propaganda zu vermitteln. Daß der Eroberungswille dieses >Feindes der Christenheit unbezähmbar und grenzenlos sei, davon war Johann Baptist Fickler zutiefst überzeugt. In seiner 1598 in München veröffentlichten »Trewhertzige[n] Warnungsschrift an die Stände zu Regenspurg auff dem Reichstag daselbst« liest man: »Wirdt Ungarn vom türcken eingenommen oder überwunden, so ist weder Italia noch Teutschland sicher, und der Rhein wirdt Franckreich
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Zu Sully vgl. Bernard Barbiche: Segoléne de Dainville - Barbiche, Sully. L'homme et ses fideles. Paris 1997; Klaus Malettke: Frankreich, Deutschland und Europa im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zum Einfluß französischer politischer Theorie, Verfassung und Außenpolitik in der Frühen Neuzeit. Marburg 1994 (Marburger Studien zur Neueren Geschichte 4), S. 263-285; Jean-Pierre Brancourt: L'esprit de croisade au siècle de Descartes. In: Vu de haut. »L'Héritage de Christophe Colomb« 10 (1992), S. 66. Vgl. jetzt dazu Anja Victorine Hartmann: Rêveurs de Paix? Friedenspläne bei Crucé, Richelieu und Sully. Hamburg 1995 (Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte 12).
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auch nit beschützen können.«37 Und ähnlich äußerte sich Johann Cornelius von Friedensberg: Diser nun mehr mechtige feind feyret nicht auß unersettigen ehrgeitz, über die gantze weit zu herrschen, reisset ein glied nach dem andern vom leibe ab wie in allem dem, so er de facto besitzet von jähren zu jähren von zeit zu zeit geschehen also binnen 300 jähren, da er seine macht hervor gethan.38 Daß die >Türkengefahr< im 16. Jahrhundert ein europäisches Thema war, darauf deutet allein schon die Tatsache hin, daß für den Zeitraum zwischen 1501 und 1550 europaweit rund tausend Publikationen ermittelt werden konnten, die sich mit den Osmanen befaßten. Charakteristischerweise ging ihre Zahl in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auf rund 250 zurück.39 Als die osmanische Flotte im Oktober 1534 in Marseille landete und die Franzosen zum ersten Mal osmanische Kriegsschiffe zu Gesicht bekamen, reagierten die Bewohner des Mittelmeerhafens erschreckt auf die seltsam gekleideten Ausländer, die zudem noch eine unverständliche Sprache sprachen und keinen Wein tranken. Wenn auch die osmanische Gesandtschaft von König Franz I. mit allen Ehren in Châtelleraut empfangen und vom König nach Paris begleitet wurde, so brachte die Bevölkerung den Türken große Reserve entgegen. Die Angehörigen des Klerus wie die Katholiken insgesamt waren aufgebracht über die Ehrungen, die der König den Ungläubigen zuteil werden ließ. François de Beaucaire, der Bischof von Metz, nannte das Zusammenwirken Franz' I. mit Süleyman »une action impie«.40 Und der französische Seemann Valbelle notierte im Mai 1538 in seinem Tagebuch über das Einlaufen von drei >türkischen< Galeeren im Hafen von Marseille: Leur venue ne me plaît point car ce sont méchantes gens et hors la foi. Ces galères étaient chargées de bonnes marchandises, lesquelles avaient été dérobées à de pauvres chrétiens, et avec cela, il y avait quantité de chrétiens, femmes et enfants, lesquels avaient été dérobés chez Génois et Espagnols. Dieu leur donne la grâce de s'échapper de leurs mains!41 Auf Franz I. machten derartige Reaktionen aber keinen nachhaltigen Eindruck und hinderten ihn nicht, seine Türkenpolitik fortzusetzen.42 37
Zitiert über Schulze, Reich und Türkengefahr, wie Anm. 2, S. 56. 38 Ebd. 39 Vgl. Carl Göllner: Turcica: Die europäischen Türkendrucke des XVI. Jahrhunderts. Bucurest, Berlin 1961-1968, 2 Bde.; C. J. Heywood: Sir Paul Rycout, A Seventeenth-Century Observer of the Ottoman State: Notes for a Study. In: Ezel Kural Shaw, C.J. Heywood: English and Continental Views of the Ottoman Empire 1500-1800. Los Angeles 1972, S. 34. 40 Zitiert über Brancourt, L'esprit de croisade, wie Anm. 35, S. 64. 4 > Ebd. 42 Vgl. Clot, Soliman, wie Anm. 5, S. 182.
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Auch den meisten französischen Residenten in Konstantinopel blieben die Osmanen fremd und unheimlich. In einem an den Kanzler Antoine Dubourg gerichteten Brief vom 4. März 1538 beklagte sich Charles Marillac über die Scherereien und den Ärger, den er und seine Begleiter mit >dieser barbarischen Nation< habe (ennuys et fascheryes avec ceste barbare nation). 43 Und rund ein Jahr später klagte Rincón über die Wankelmütigkeit und das Mißtrauen, das seine Gesprächspartner ihm entgegenbrachten. 44 Wie wir heute wissen, war das Mißtrauen der Hohen Pforte gegenüber der französischen Politik durchaus berechtigt. Sehr drastisch äußerte sich der französische Vertreter de La Vigne, der sich seit 1557 in Konstantinopel aufhielt. In seinen Berichten sprach er fast ständig von den >hündischen BarbarenTürkenpoli54 55 56
Charrière, Négociations de la France dans le Levant. Bd. I, wie Anm. 13, S. 578, Anm. 2. Hochedlinger, Die französisch-osmanische »Freundschaft«, wie Anm. 1, S. l l l f . Charrière, Négociations de la France dans le Levant. Bd. I, wie Anm. 13, S. 578f., Anm. 3.
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tik< zu betreiben, und machte sich Sorgen um die Optik und die Reaktionen, die diese Politik in Europa auslöste. »So empfand Frankreich die ohnedies raren und meist bedeutungslosen Gesandtschaften des Sultans an den Königshof mehrheitlich als peinliche Belästigung, die rechtzeitig abzublokken die französische Diplomatie oftmals vergeblich trachtete.«57 Indessen ist nicht zu leugnen, daß die französische Krone im 16. Jahrhundert zumeist gegenüber allen konkreten Bemühungen der europäischen Fürsten und Mächte zur Abwehr der >Türkengefahr< Distanz wahrte. Das schloß jedoch nicht aus, daß französische Untertanen nicht selten mit Förderung oder zumindest stillschweigender Duldung der Krone, oft aber auch gegen deren offenen Widerstand, am aktiven Kampf gegen die Osmanen teilnahmen. Es sei hier nur daran erinnert, daß sich ein beachtlicher Teil des Malteserordens, der gegen die Osmanen und ihre nordafrikanischen Satelliten im Mittelmeer kämpfte, aus Untertanen der französischen Krone rekrutierte. Und viele der damaligen französischen Marineoffiziere erhielten im Malteserorden ihre Ausbildung. Daß die vergleichsweise starke Beteiligung französischer Adliger an Seeunternehmungen des Ordens gegen die Osmanen die französisch-osmanische Kooperation zumindest zeitweilig belastete, liegt auf der Hand. Insgesamt gesehen, brachte die französische Krone »das psychologisch-taktische Kunststück« fertig, mit dem Sultan »mehr oder minder freundschaftliche Kontakte zu unterhalten, ohne aber die konventionelle Türkenfeindlichkeit aufzugeben, ja sogar ohne [auf, K.M.] den ideellen Anspruch auf die führende Rolle im Falle eines Kreuzzugs gegen das Osmanische Reich wirklich«58 zu verzichten. Während im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, wie Winfried Schulze nachgewiesen hat, die >Türkengefahr< als »ein allen gesellschaftlichen Schichten intensiv vermittelter Bedrohungsfaktor« benutzt und instrumentalisiert wurde, um »von seiner kommunikativen Grundlage her«59 in allen Teilen des Reiches die Bereitschaft zur Zahlung von Steuern sowie zum Gehorsam und somit zum Vertrauen in die Obrigkeiten zu fördern, um letztlich also die Stabilisierung der bestehenden politisch-sozialen Ordnung zu erreichen, war dies in Frankreich wegen der >Kooperation< der Krone und ihrer wichtigsten politischen Akteure mit den Osmanen und des daraus für Frankreich resultierenden Dilemmas nicht möglich. Eine bewußte Produktion eines osmanischen >Feindbildes< durch die Krone konnte es in Frankreich aus denselben Gründen ebensowenig geben. Daß aber dort auch während des 16. Jahrhunderts der >Türke< in weiten Teilen der Bevölkerung als Inbegriff des Bösen schlechthin galt, ist nicht zu bestreiten. Dieses negative Bild war das Resultat »des traditionellen christlich-mohammedanischen Gegensatzes, der in den Kreuzzügen begründet und mit dem Vordringen der 57 58 59
Hochedlinger, Die französisch-osmanische »Freundschaft«, wie Anm. 1, S. 112. Ebd. Schulze, Reich und Türkengefahr, wie Anm. 2, S. 46.
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Türken seit der Eroberung von Konstantinopel verbunden worden war«60. Damit eng verknüpft war der Gedanke der religiösen Feindschaft, die Vorstellung von der Eroberungsgier und der Grausamkeit der Osmanen im Kampf gegen die Christen, denn sie galten als unberechenbar, treulos und wortbrüchig. Schließlich resultierte aus dem zwischen dem christlichen Europa und den Osmanen bestehenden kulturellen Gegensatz, daß deren soziales Verhalten in seiner Fremdartigkeit unverstanden blieb und deshalb negativ beurteilt wurde.
» Ebd., S. 54.
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Das Türkenbild in der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts The Giant picked up the trembling Sophie with one hand and carried her across the cave and put her on the table. Now he really is going to eat me, Sophie thought. [...] »P...please don't eat me,« Sophie stammered. The Giant let out a bellow of laughter. »Just because I is a giant, you think I is a man-gobbling cannybull!« he shouted. »You is about right! Giants is all cannybully and murderful! And they does gobble up human beans! We is in Giant Country now! Giants is everywhere around! [...]« »Owch!« Sophie said. »Bonecrunching Giant only gobbles human beans from Turkey,« the Giant said. »Every night Bonecruncher is galloping off to Turkey to gobble Turks.« Sophie's sense of patriotism was suddenly so bruised by this remark that she became quite angry. »Why Turks?« she blurted out. »What's wrong with the English?« »Bonecrunching Giant says Turks is tasting oh ever so much juicier and more scrumdiddlyumptious! Bonecruncher says Turkish human beans has a glamourly flavour. He says Turks from Turkey is tasting of turkey.« »I suppose they would,« Sophie said. »Of course they would!« the Giant shouted. »Every bean is diddly and different. Some is scrumdiddlyumptious and some is uckyslush. Greeks is all full of uckyslush. No giant is eating Greeks, ever.«1 Die Selbstverständlichkeit, mit der Roald Dahl in dem soeben zitierten Text durch den Mund eines großen, freundlichen Riesen die Türken einführt, und die etwas unerwartete patriotische Reaktion, mit der das kleine Mädchen Sophie sich nach den im Lande der menschenfressenden Riesen 2 obwaltenden Kriterien für die kulinarische Bewertung der Türken, Engländer und Griechen erkundigt, ist mehr als ein kleines literargeschichtliches Curiosum. Weder die Türken als Grundnahrungsmittel noch der Türke als Typ waren von Anfang an in der englischen Literatur vorhanden. Anders als in Mitteleuropa gab es im England der frühen Neuzeit keine über Reisebeschreibungen vermittelte Kenntnis des türkischen Reiches, 3 ja, selbst diplomatische Beziehungen zur Hohen Pforte sind erst relativ spät, nämlich ab 1580 nachweisbar. 4 Auch die auf dem Kontinent verbreitete Angst einer jederzeit 1 2 3
4
Roald Dahl: The BFG. London 1984, S. 25-26. Die Titelinitialen BFG stehen für »Big Friendly Giant«. Vgl. ζ. Β. Maria Elisabeth Pape: Die Turquerie in der bildenden Kunst des 18. Jahrhunderts. Dissertation Köln 1987, S. 29-40. Als erste gedruckte, mit Holzschnitten illustrierte Reisebeschreibung über den Nahen Osten gilt Bernhard von Breydenbach: Peregrinatio in terram sanctam. Mainz 1486 (vgl. BSB - Ink, Bd. 2, S. 1-3, B-909 - B-914). So Alexandrine Ν. St. Clair: TTie Image of the Turk in Europe. [Published in conjunction with the exhibition:] The Art of Imperial Turkey and Its European
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möglichen Invasion konnte den Politikern eines Landes, an dessen Klippen schon ganz andere Armeen gescheitert waren, allenfalls als theoretisch denkbare, in praxi gleichwohl höchst unwahrscheinliche Möglichkeit erscheinen. Wenn der berühmte, sog. Türkenkalender - also das älteste Mehrblatterzeugnis der europäischen Typenkunst, als dessen (Mit)verfasser gelegentlich Heinrich Eggestein genannt wird - im Jahr 1454 die christliche[n] Könige insgesamt Von Frankreich und von England, Von Kastilien und von Navarra, Von Böhmen und von Ungarn, Von Portugal und von Aragon, Von Cypem, Dacien und Polen, Von Dänemark, Schweden und Norwegen dazu aufruft, mit ihren Streitkräften zu helfen, »die Türken niederzuhalten«, 5 so darf man getrost davon ausgehen, daß die dringende Mahnung den damaligen englischen König, Heinrich VI. (1421-1471; König von 14221461), nicht erreichte, und daß sie ihn selbst dann, wenn sie ihn erreicht hätte, ziemlich ungerührt gelassen hätte: Im Jahre 1453, also im ebendem Jahr, in dem Mehmet II. Konstantinopel eroberte und im Osten vordrang, verlor England den Hundertjährigen Krieg und mußte infolgedessen beinahe alle Truppen aus Kontinentaleuropa abziehen. Lediglich der äußerste Vorposten der Normandie, das Dörfchen Calais, verblieb in englischer Hand, bis François le Balafré, der zweite Duc de Guise (1519-1653), auch dieser letzten Präsenz Englands auf dem Kontinent am 6. Januar 1458 ein jähes Ende bereitete. Wie nun schlug die sowohl relative als auch absolute Distanz der englischen Tagespolitik gegenüber der Türkenfrage zu Buche? Schaut man sich im zweiten Band von Göllners verdienstvollen, wenngleich nicht immer ganz zuverlässigen Turcica das alphabetische Verzeichnis der Buchdrucker und Verleger an, so stellt man mühelos fest, daß sich im 16. Jahrhundert die verlegerische Aktivität für Türkendrucke in England ausschließlich auf London beschränkt und daß es selbst da nur ein Verleger, John Wolfe, auf mehr als zwei, nämlich auf die auf immer noch recht schüttere Zahl von vier Drucken gebracht hat. 6 Aufschlußreich ist ferner die Beobachtung, daß von insgesamt 28 Titeln, die Göllner für belegt hält, nicht weniger als 20 Über-
5
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Echoes, presented at the Metropolitan Museum of Art, 1973. New York 1973, S. 8. Zitiert nach dem Kommentarband der Faksimileausgabe: Der Türkenkalender. »Eyn Manung der Christenheit widder die Durken«. Mainz 1554 [...]. Hg. von Ferdinand Geldner. Wiesbaden 1975, S. 2-3. Carl Göllner: Turcica. Die europäischen Türkendrucke des XVI. Jahrhunderts. 2 Bde. Bukarest / Berlin 1961; Bukarest / Baden-Baden 1968 (Bibliotheca bibliographica Aureliane 23), hier Bd. 2, S. 783-794, hier S. 787-788.
Das Türkenbild in der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts
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Setzungen sind, man also nicht von einer eigenständigen englischsprachigen Türkenliteratur im engeren Sinne sprechen kann.7 Es ist nicht erstaunlich, daß das beinahe vollständige Fehlen von Reiseund Augenzeugenberichten, von präzisen oder doch zumindest anschaulichdeskriptiven geographischen und ethnographischen Schriften sich auch im Türkenbild der englischen schönen Literatur widerspiegelt - sofern sich etwas Fehlendes denn widerspiegeln kann und nicht einzig und allein im Auge des Betrachters anzusiedeln ist. So gibt beispielsweise Edmund Spensers (1552-1599) großes, in archaisierendem Englisch verfaßtes, allegorisches Epos The Faerie Queene allein schon durch die Wortwahl einen ersten Hinweis auf eine gewisse, im 16. Jahrhundert beinahe allenthalben vorherrschende Typisierung des Türkenbildes. - Einer der dominierenden Charaktere in Spensers Epos ist die finstere Gestalt eines sarazenischen Königs, dessen allegorische Rolle, vereinfacht gesagt, darin besteht, die Inkarnation der schlimmsten Laster zu sein. Sein stehendes Epitheton ornans ist das hebräisch anmutende, aber von paganus abzuleitende paynim, und man darf vermuten, daß nach dem von Spenser intendierten Plan das Epos ursprünglich seinen Höhepunkt in der Auseinandersetzung zwischen der Faerie Queene und diesem heidnischen König haben sollte:8 Fayre Goddesse lay that furious fitt asyde, Till I of warres and bloody Mars do sing, And Bryton fieldes with Sarazin blood bedyde, Twixt that great faerie Queene and Paynim king, That with their horror heven and earth did ring; A worke of labour long, and endlesse prayse: But now a while lett downe that haughtie string, And to my tunes thy second tenor rayse, That I this man of God his godly armes may blaze.
Nun entspricht die Wahl des seltenen, im 13. Jahrhundert zum ersten Mal belegten paynim zwar durchaus der allgemeinen Atmosphäre in zeitlicher Ferne und örtlicher Unbestimmtheit angesiedelter Ritterepik, die Spenser allenthalben evoziert, doch die für den hier interessierenden Kontext wichtige Beobachtung ist eine andere. Obwohl die Charakterisierung der Sarazenen und ihres Königs durchaus uneinheitlich ist, rückt Spenser sie doch an einer Stelle explizit in die Nähe der Türken, wodurch er eine präzise Parallelisierung zwischen dem dem Mittelalter geläufigen allgemeinen Begriff der Sa7
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Vermutlich ist die Zahl der englischen Türkendrucke allerdings geringfügig höher als die von Göllner genannte: vgl. Mary Carpenter Erler: Süleyman's 1532 Vienna Campaign: An English News Dispatch. In: Seer 65 (1987), S. 101-112, hier S. 104. Edmund Spenser: The Faerie Queene. Hg. von John W. Haies. London etc. 1910 [Ndr. 1966], I xi 7. Zum Begriff paynim und zur Rolle des sarazenischen Königs vgl. William J. Kennedy s.v. Paynims. In: The Spenser Encyclopedia. Hg. von Albert Charles Hamilton u.a. Toronto etc. 1990, S. 536 (mit weiterführender Literatur).
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razenen als der »heidnischen Bewohner des Morgenlandes, mit denen die Kreuzfahrer zu kämpfen hatten«,9 mit dem spezielleren des »Türken« als Gottesleugners zu beabsichtigen scheint. - Der Ritter Red Cross ist im Zuge seiner seelischen Läuterung soeben dabei, die sieben Werke der leiblichen Barmherzigkeit zu vollbringen:10 The fourth appointed by his office was Poore prisoners to relieue with gratious ayd, And captives to redeeme with price of bras From Turkes and Sarazins, which them had stayd. [...]. Mir scheint, daß es sowohl logisch wie stilistisch angebracht ist, das Paar »Turkes and Sarazins« nicht als stilistische variatio bzw. als eine Art Hendiadyoin aufzufassen, sondern als präzises Fortschreiten vom Besonderen zum Allgemeinen, wobei das Besondere - der Türke - das Allgemeine - die mit dem Begriff des Sarazenen unweigerlich verbundene Gottesferne - in besonderer Dichte und Konzentration enthält. Nun gab es in der fiktionalen Zeit, in der Spenser sein Epos spielen läßt, für die eben erwähnte Zusammenstellung keinen historisch (und daher erzähltechnisch) zwingenden Anlaß, so daß man annehmen muß, daß bereits in Spensers Bewußtsein, oder doch zumindest im Bewußtsein der von ihm intendierten zeitgenössischen Leserschaft eine weitgehende Typisierung des Türkenbildes stattgefunden hatte, die es ermöglichte, Türken und Sarazenen unter dem Oberbegriff der »Ungläubigen« oder »Gottesleugner« zusammenzufassen, ohne daß diese Zusammenstellung einer weiteren Erläuterung bedurft hätte. In welch drastische poetische Formen dieses Begriffspaar später gekleidet werden konnte, verdeutlicht nichts besser als ein Vierzeiler von Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791):11 Auf Türkenschädeln giengen wir vor Chozims mauren hin, und würgten voller mordbegier die Saracenen hin. Dies ist zwar nicht unbedingt hohe Lyrik, aber ein gutes Beispiel für die bereits bei Spenser festgestellte semantische Attraktion der Wörter »Türke« und »Sarazene«. Wenn wir uns nunmehr von Spenser (und von Schubart) ab- und Shakespeare zuwenden, so läßt sich mühelos feststellen, daß die sehr allgemein gehaltene negative Kategorie, mit der Spenser die Türken charakterisiert, bei William Shakespeare (1564-1616) eine Reihe von Differenzierungen 9 10 11
Jakob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Achter Band. Leipzig 1893, Sp. 1797, s.v. »Sarazene, Sarrazene«. Edmund Spenser: The Faerie Queene, I χ 40,1-4. Zitiert nach Jakob und Wilhelm Grimm, wie Anm. 9.
Das Türkenbild in der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts
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und Erweiterungen erfahrt, die eine etwas eingehendere Würdigung verdienen. Auf einer ersten, ganz simplen Ebene findet man selbstverständlich den topischen Gegensatz Türken : Christen explizit festgehalten, etwa wenn Rosalind in As You Like It sagt:12 [Rosalind:] Why, 'tis a boisterous and a cruel style, A style for challengers. Why she defies me, Like Turk to Christian. [...] Sie reagiert mit diesen Worten auf den provokativen Inhalt eines Briefes und weist unmißverständlich darauf hin, daß es keine größeren Unverträglichkeiten als eben diese beiden geben kann; daß Türken und Christen gewissermaßen an zwei entgegengesetzten Polen angesiedelt sind und jeder Schritt, den eine der beiden antagonistischen Parteien unternehmen könnte, ipso facto von der anderen als Provokation angesehen werden müßte. Besonders auffällig aber sind bei Shakespeare auf einer zweiten, etwas komplexeren Ebene die Assoziationen der Türken mit Lüge, Betrug, Lüsternheit und Grausamkeit: 13 [Hamlet:] Would not this, sir, and a forest of feathers, if the rest of my fortunes turn Turk with me, with Provincial roses on my razed shoes, get me a fellowship in a cry of players? fragt Hamlet, nachdem die nach seiner geheimen Regie spielende Schauspieltruppe den Giftmord an einem König dargestellt hat, Claudius voller Entsetzen aus dem Saal gestürzt ist, und Hamlet selbst noch nicht weiß, ob er die vom Geiste seines Vaters geforderte Rache wird vollziehen können. »If the rest of my fortunes turn Turk with me« heißt in lockerer Paraphrase soviel wie: »wenn das Schicksal mich auch in diesem Punkte (nämlich der geplanten, legitimen Rache) um mein Recht betrügt« oder, wie Schlegel und Tieck etwas kraftvoller übersetzen: »wenn meine sonstige Anwartschaft in die Pilze geht«.14 In ähnlicher Bedeutung wird der Ausdruck in Much Ado About Nothing gebraucht. Beatrice, die sich geschworen hatte, nie zu heiraten, beginnt auf einmal, alle Anzeichen rasender Verliebtheit zu zeigen, was eine der anwesenden Kammerdienerinnen, Margaret, zu der Bemerkung veranlaßt: 15 12 13 14
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William Shakespeare: As you like it. Hg. von Agnes Latham. The Arden Shakespeare. London 1975,4. Akt, 3. Szene, Z. 31-33. Ders.: Hamlet. Hg. von Harold Jenkins. The Arden Shakespeare. London etc. 1982, 3. Akt, 2. Szene, Z. 269-272. Zitiert nach: W. Shakespeare's dramatische Werke. Übersetzt von August Wilhelm von Schlegel und Ludwig Tieck. Hg. von W. Oechselhäuser, Stuttgart etc. o.J. [ca. 1891], S. 434a. William Shakespeare: Much Ado About Nothing. Hg. von Arthur Raleigh Humphreys. The Arden Shakespeare. London etc. 1981, 3. Akt, 4. Szene, Ζ. 5253.
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[Margaret:] »Well, and you be not turned Turk, there's no more sailing by the star,« mit anderen Worten: »Wenn du dein einstiges Versprechen nicht gebrochen hast, kann man sich nicht einmal mehr darauf verlassen, daß der Polarstern im Norden steht.« An beiden zitierten Stellen steht der Türke sprichwörtlich für Lüge und Betrug, also letztlich für einen Verstoß gegen das achte Gebot, welches ein wackerer Christenmensch zu beachten gehalten ist. Ganz explizit wird der Gegensatz türkischen Verhaltens zu den Forderungen des Dekalogs in einer emotionsgeladenen Szene des King Lear ausgedrückt. Zu Beginn des dritten Aktes spiegeln die wahnwitzig tobenden Elemente - Donner und Blitz, Sturm und Hagel - die Demenz und Unberechenbarkeit des greisen Lear wider. Der weise Narr warnt den senilen König mit doppeldeutigen Worten vor seinem bevorstehenden Untergang; allein es wird sehr bald deutlich, daß Lear solchen, auf leichtem Fuße einherschreitenden Scherzchen nicht mehr zugänglich ist. Daraufhin greift Edgar, der Sohn Glosters, zu einem drastischeren Mittel, um den König zur Raison zu bringen, und hält ihm, sozusagen als Sündenspiegel, eine vereinfachte Fassung der zehn Gebote vor:16 [Edgar:] Take heed o' th' foul fiend. Obey thy parents; keep thy word's justice; swear not; commit not with man's sworn spouse; set not thy sweet heart on proud array. [...] King Lear entgegnet erstaunt: [Lear:] »What hast thou been?«, worauf ihm Edgar spiegelverkehrt den eigenen Lasterkatalog vorhält: [Edgar:] A servingman, proud in heart and mind; that curl'd my hair, wore gloves in my cap, serv'd the lust of my mistress' heart, and did the act of darkness with her; swore as many oaths as I spake words, and broke them in the sweet face of Heaven; one that slept in the contriving of lust, and wak'd to do it. Wine lov'd I deeply, dice dearly, and in woman out-paramour'd the Turk: false of heart, light of ear, bloody of hand; hog in sloth, fox in stealth, wolf in greediness, dog in madness, lion in prey. [...] »The Turk« - gemeint ist der Großtürke, der generiseli für alle anderen steht - wird hier als Gipfel der Lüsternheit und Ausschweifung genannt; auf dem Fuße folgt ihm, zumindest textlich, eine ganze Menagerie von Tieren, die allesamt nach damaligem Verständnis die eine oder andere der sieben Todessünden symbolisieren: das Schwein und der Wolf die Völlerei; der Fuchs den Geiz und der Löwe den Hochmut.17 Es scheint mir signifikant, daß grammatisch nicht mit letzter Sicherheit zu entscheiden ist, ob sich die Reihe von hog bis lion allein auf Edgar be16 17
Ders.: King Lear. Hg. von Kenneth Muir. The Arden Shakespeare. London etc. 1966,3. Akt, 4. Szene, Ζ. 80-95 (mit Auslassungen). Vgl. George Lyman Kittredge u.a.: Five Plays of Shakespeare. Boston etc. 1941; hier: King Lear, S. 180.
Das Türkenbild in der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts
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zieht, oder ob sie vielmehr als Apposition zu Turk gelesen werden muß. Für welche dieser beiden Interpretationen man sich auch entscheiden mag - die eine schließt die andere nicht notwendigerweise aus - , unbestreitbar ist die Tatsache, daß der Türke wie natürlich in die Nähe der Abgründe des Lasters gerückt wird, als ob er dort, und nur dort, anzusiedeln sei und irgendwelche positiven Eigenschaften für ihn gar nicht erst in Betracht kämen. Es wäre möglich, aber hermeneutisch nicht sonderlich fruchtbar zu zeigen, daß die fragwürdigen moralischen Eigenschaften, mit denen Shakespeare seine Türken ausstattet, ein Pendant in der sozialen Dimension haben und es für die Leugner der zehn Gebote keinen Platz in einer (christlichen) zivilisierten Gesellschaft gibt. Eine gewisse Angst vor der mit unberechenbarer Grausamkeit verbundenen Andersheit der Türken spricht etwa aus den Worten Falstaffs, der sich damit brüstet, seine Feinde in Türkenmanier hingemetzelt zu haben:18 [Falstaff:] »[...] Turk Gregory never did such deeds in arms as I have done this day«, während das allgemeine Faszinans dieser - fast möchte man sagen: genetisch anderen - Menschengruppe am besten durch den Mund der Hexen in Macbeth zum Ausdruck kommt: 19 [Hexen:] Double, double toil and trouble. Fire, bum; and, cauldron, bubble. [3. Hexe:] Scale of dragon, tooth of wolf; Witches' mummy; maw and gulf, Of the ravin'd salt-sea shark; Root of hemlock, digg'd i' th' dark; Liver of blaspheming Jew; Gall of goat, and slips of yew, Silver'd in the moon's eclipse; Nose of Turk, and Tartar's lips; Finger of birth-strangled babe, Ditch-deliverd by a drab, Make the gruel thick and slab: [...].
Der Türke, dessen Nase in den Hexenkessel geworfen wird, gehört offensichtlich nicht mehr der geregelten Welt an, wie wir sie kennen; zusammen mit dem »blaspheming Jew« stellt ihn seine Gottlosigkeit außerhalb der Zivilisation, wo er mit den Mächten der Finsternis paktiert oder doch zumindest nur in ihrer Gesellschaft gedacht werden kann.
18
19
William Shakespeare: First Part of King Henry IV. Hg. von Arthur Raleigh Humphreys. The Arden Shakespeare. London 1967, 5. Akt, 3. Szene, Ζ. 46-47. Mit »Türk Gregory« ist wahrscheinlich Hildebrand von Soana, der spätere Papst Gregor VII. (1073-1085) gemeint, der sich aufgrund seiner unmenschlichen Grausamkeit selbst außerhalb der Christengemeinschaft stellte. Für einen weniger wahrscheinlichen Alternativkandidaten (Gregor XIII. [1572-1585]) vgl. A.R. Humphreys a.l. Ders.: Macbeth. Hg. von Kenneth Muir. The Arden Shakespeare. London 1968, 4. Akt, 1. Szene, Ζ. 19-32.
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An diesen wenigen, für die literarische Behandlung der Türken im 16. Jahrhundert aber durchaus repräsentativen Stellen aus den Werken Spensers und Shakespeares läßt sich mühelos ablesen, daß das Türkenbild dieser beiden Autoren insgesamt recht einheitlich, immer ausgesprochen negativ und schließlich wohl auch in dem Sinne relativ uninteressant ist, daß es letztlich in seiner groben Undifferenziertheit vorhersehbar war. Allen bislang zitierten Textpassagen ist, unbeschadet ihrer größeren oder geringeren dichterischen Aussagekraft, gemeinsam, daß sie topischen Charakter haben, also mit keinerlei historischen Personen oder Ereignissen sinnvoll in Verbindung gebracht werden können. Wenn sich das Türkenbild in der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts auf diese magere Ausbeute beschränkte, hätte es wohl keine gesonderte Behandlung im vorliegenden Band verdient gehabt. Ich möchte mich daher im abschließenden Teil dieses kurzen Überblicks einem Text zuwenden, auf den die eben genannten Charakteristika der Vorhersehbarkeit, Undifferenziertheit und Topikalität nicht zutreffen, und der gerade dadurch, daß sein fiktionales Datum genau feststeht und sich auf jeder Seite genaue Bezüge zum Zeitgeschehen feststellen lassen, eine Reihe interessanter und schwieriger Fragen aufwirft: Thomas Mores (71478-1535) postum im Jahre 1557 veröffentlichtem Dialoge of comfort agaynst tribulación.20 Mores Dialog, der während seiner 15 Monate währenden Einkerkerung der Jahre 1534/35 im Tower of London entstand, 21 spielt in Buda. Das fiktionale Datum der Unterredung ist auf 1527/28 festzusetzen, ein Jahr also nach dem Tode Ludwigs II. in der Schlacht von Mohács (29.8.1526). Thema des Gesprächs, das zwischen einem frommen, etwa 80jährigen ungarischen Aristokraten und seinem Neffen geführt wird, ist bei oberflächlicher und durch historisches Wissen ungetrübter Lektüre die Frage, wie man sich als Christ den grausamen und machthungrigen Türken gegenüber zu verhalten habe. In Wirklichkeit jedoch, d.h. bei einer Lektüre, die nicht naiv am primären Wortsinn kleben bleibt, geht es More um etwas ganz anderes, wie ich im folgenden zu zeigen hoffe. 22
20
21 22
Wir zitieren nach: The Complete Works of St. Thomas More. Hg. von Louis L. Maitz und Frank Manley. Band 12. New Haven / London 1976. Der vollständige Titel lautet: A dialoge of comfort agaynst trybulacion, made by an hungaryen in laten, & translatyd out of laten into french, & out of french into Englysh (im folgenden abgekürzt als DCT). Daher auch die Kollektivbezeichnung »tower works«, um die während dieser Zeit entstandenen Schriften zusammenzufassen. Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen, daß die nachfolgende Interpretation des DCT dem ausgezeichneten Kommentar der Herausgeber Martz und Manley in hohem Maße verpflichtet ist. Man vgl. auch Germain Marc'hadour. The Bible in the Works of Thomas More. Elements of Synthesis. Part IV. Nieuwkoop 1971, S. 129-136, und, für eine Liste der zitierten Bibelstellen, Ders. The Bible in the Works of Thomas More. Indexes - Supplements - Concordances. Part V. Nieuwkoop 1972, S. 191-195.
Das Türkenbild in der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts
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More verbrachte, wie allgemein bekannt ist, die letzten Monate seines Lebens damit, sich auf den Tod vorzubereiten. Im Dialoge of comfort benutzte er zunächst alle, nicht unbeträchtlichen literarischen Mittel, die ihm zu Gebote standen, dazu, sich die Art und Weise des Wirkens Gottes in seinem Leben zurechtzulegen. Er fürchtete - wie sich zeigen sollte zu Recht um seine eigene Existenz und um die seiner Familie; er hatte Angst, von Cromwell gefoltert zu werden, unter dem Druck der Folter seinen Glauben zu verleugnen und dadurch auf einen Schlag alles zu verlieren, was seine religiöse Substanz ausmachte. Dies erklärt zunächst das dringende Bedürfnis der inneren Loslösung von allen weltlichen Dingen, nicht zuletzt von der eigenen literarischen Produktion: die dreifache Brechung, die der Text dadurch erfahren haben soll, daß er von einem Ungarn auf Lateinisch verfaßt, danach ins Französische übersetzt und schließlich ins Englische übertragen worden sein soll, macht überdeutlich, daß die Person More hiermit nichts zu tun hat, oder doch zumindest nichts zu tun haben will: die literarische Fiktion wird hier gewissermaßen zu einer symbolischen Handlung, zu einem äußeren Zeichen eines inneren Prozesses. Zudem schrieb More nicht nur, um sich alleine Trost zu spenden, sondern auch für zukünftige Generationen, während denen andere Männer als er sich ähnlichen Qualen und Verfolgungen ausgesetzt sehen könnten. Auch dies erklärt, in völliger Umkehrung dessen, was einem Großteil der antiken Trostliteratur und nicht zuletzt der Consolatio von Boethius eignet, warum der Dialoge gänzlich entpersonalisiert ist und keinerlei Hinweise auf Verfasser oder - im Sinne eines Pròs heautón - Adressaten enthält. Wenn das Werk also noch zu Mores Lebzeiten und nicht, wie tatsächlich geschehen, postum in der ersten englischen Ausgabe seiner Schriften erschienen wäre, hätte der uneingeweihte Leser demnach keinerlei Möglichkeit gehabt, den Dialoge mit seinem wirklichen Verfasser in Verbindung zu bringen, sondern hätte die Angaben auf dem Titelblatt ohne weiteres für bare Münze nehmen können. Es steht völlig außer Zweifel, daß More über die Ereignisse, die in seinem Dialoge berichtet werden, überdurchschnittlich gut informiert war. Im Jahre 1526, als Süleyman der Prächtige Ludwig II. bei Mohács schlug und im Anschluß daran Ungarn überrennen konnte, befand sich More bereits neun Jahre im Dienst von König Heinrich VIII.23 Zusammen mit Kardinal Wolsey war er wohl der außenpolitisch versierteste und kenntnisreichste Mann in ganz England. Unter den über 900 königlichen Staats- und Regierungspapieren, die aus dem Jahre 1526 erhalten sind, und zu denen More beinahe uneingeschränkten Zugang hatte, finden sich mehr als 70, die die Lage Ungarns und den Vormarsch der Türken zum Inhalt haben. 24 Man kann davon ausgehen, daß More diese Papiere - und damit die Lage auf dem Kontinent - genau kannte; daneben scheint er auch allgemeinere 23 24
DCT. Introduction, S. cxxv. DCT. Introduction, S. cxxvi.
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Werke wie Felice Petanzios Quibus itineribus Turci aggrediendi sint aus dem Jahre 1502, den Dialogus de bello contra Turcas von Johannes Cochlaeus aus dem Jahre 1529 oder Sebastian Francks Türkenchronik von 1530 gelesen zu haben.25 Der weitsichtige More war sich ebenso wie eine Reihe anderer Humanisten darüber im klaren, daß die Bedrohung Europas durch die Türken in dem Moment aufhören würde, real zu existieren, in dem die christlichen Reiche sich zusammentäten, um mit vereinten Kräften einen Gegenschlag auszuführen. Um so mehr mußte es den überzeugten Christen schmerzen, daß die respublica Christiana, der mystische Körper Christi, sich im Innern zerfleischte, Karl V. François 1er 1525 nach der Schlacht von Pavia gefangennahm und dieser sich wiederum mit den Türken verbünden wollte, um den Heiligen Römischen Kaiser deutscher Nation zu Paaren zu treiben. Wie sehr More sich diese Dinge zu Herzen nahm, zeigt beispielsweise eine Anekdote, die sein Schwiegersohn und erster Biograph, William Roper festgehalten hat: Als Roper und More einmal nachmittags in Chelsea an der Themse entlangspazierten, soll More gesagt haben:26 »Nowe wold to our Lord, sonne Rooper, vppon condicion that three things were well established in Christendome, I were put in a Sack, and here presently caste into the Thames.« Roper erkundigte sich daraufhin selbstverständlich, welches diese drei Bedingungen denn seien, und More nannte als ersten Wunsch »that where the moste parte of Christen princes be at mortali warre, they were all at an vniuersall peace.«27 Selbst als er bereits im Tower eingekerkert war, glossierte er Psalm 68 (»Salvum me fac Deus quoniam intraverunt aquae usque ad animam meam«) noch mit folgenden Worten: »in tribulacione dicendum fidelibus a Hungaris inualescentibus turcis et multis hungarorum in turcarum perfidiam desciscentibus« (»diesen Psalm sollen die gottesfürchtigen Ungarn beten, wenn die Türken erstarken und zahlreiche Ungarn sich ihrer gottesleugnerischen Art anschließen«).28 Es war und ist also durchaus möglich, den Dialoge of comfort ausschließlich als das zu lesen, was er zu sein vorgibt, wenn nicht bei einer solchen Lektüre eine Reihe von Fragen offenbliebe, von denen ich die wichtigste bereits angedeutet habe: Warum ist das fiktionale Datum des Zwiegespräches nicht 1526, direkt nach der Schlacht von Mohács, sondern 1527— 28, also in der Zeit relativer Ruhe zwischen der ersten türkischen Invasion und der zweiten? Das erste Datum hätte sich angeboten, wenn es More, wie so vielen anderen, ausschließlich darum gegangen wäre, die Bedrohung Europas durch die Türken darzulegen; daß er dagegen das zweite wählte, läßt außer den bereits genannten auf weitergehende Absichten schließen. 25
26 27 28
DCT. Introduction, S. cxxvi, Anm. 3 (im Anschluß an R. J. Schoeck: Thomas More's »Dialogue of Comfort« and the Problem of the Real Grand Turk. In: English Miscellany 20 [1969], S. 23-37). DCT. Introduction, S. cxxviii. Ebd. DCT. Introduction, S. cxxix.
Das Türkenbüd in der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts
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Ludwig II. starb bekanntlich ohne männlichen Nachfolger, so daß sich der ungarische Adel nach der Schlacht von Mohács gezwungen sah, einen neuen König zu wählen.29 Eine starke Minderheit sprach sich für Ferdinand von Österreich, den Bruder von Karl V. aus; gewählt dagegen wurde Johannes Zapolya, der Vojvode von Transsylvanien. Diese unglückselige Wahl stürzte Ungarn in den Bürgerkrieg: Ferdinand zögerte nicht, mit seinen Truppen vorzurücken; er schlug Zapolya vernichtend und besetzte die Hauptstadt. Zapolya floh daraufhin nach Polen, wo er Süleyman um Hilfe ansuchte und ihm im Gegenzug Lehnstreue und jährliche Tributzahlungen versprach. Das Ende der Geschichte ist bekannt: Süleyman akzeptierte Zapolyas Angebot, überrannte Ungarn ein weiteres Mal im Jahre 1529 (dieses Mal allerdings, um bis vor die Mauern Wiens vorzurücken), und überließ Zapolya das Königreich Ungarn als Lehen. Buda wurde von einer Janitscharengarnison besetzt und blieb für die nächsten 145 Jahre fest in türkischer Hand. Dadurch, daß More seinen Dialog nach der Krönung Ferdinands im Jahre 1527, aber vor Süleymans Kriegszug zugunsten Zapolyas spielen läßt, gelingt ihm das Kunststück, zugleich auf die äußere Bedrohung der Christenheit durch die wirklichen Türken und auf die nicht minder gefährliche innere Bedrohung der Christenheit durch die falschen Christen hinzuweisen die »Türken Ungarns«, wie Ludwig II. sie nannte, also die Adligen, die Zapolya und seine Mannen unterstützten; ferner die 20000 lutherischen Landsknechte, von denen es hieß, daß sie sich in der Armee Süleymans verdingten; schließlich die europäischen Herrscher, die sich immer wieder in wechselnden Konstellationen den Türken anbiederten, um ihre direkten Rivalen aus dem Feld zu schlagen. Da More, wie bereits erwähnt, der Überzeugung war, daß nur die Einheit der Christen bzw. der christlichen Herrscher den Türken die Stirn zu bieten imstande sein könnte, war es für ihn nur logisch konsequent, die Spaltpilze der protestantischen Häresien auf ebenderselben Ebene wie die Häresie des Islam anzusiedeln. Diese Ineinssetzung mußte More um so leichter fallen, als er bereits in seinem Dialogue Concerning Heresies aus dem Jahre 1529 hauptsächlich protestantische Landsknechte für die grausame Plünderung der Heiligen Stadt, den Sacco di Roma vom 3. Mai 1527, verantwortlich gemacht und mit den Türken verglichen hatte:30 (Kinder wurden bei lebendigem Leibe gebraten, Frauen vergewaltigt, Männer kastriert;) [they] spoyled the holy reliques, cast out the blessed sacrament, pulled the chalice from the auter at masse, slaine priestes in the church, left no kind of cruelte or spite vndone, but from howse to howse embruinge theyr handes in bloode,& y l in such wyse as any Türke or Saricine would haue pytyed or abhored. [...] the bestes wer more hote and more busye than woulde the great Türke, and that because theyr sect is yet in maner worse than his. 29 30
Das folgende nach DCT. Introduction, S. cxxx-cxxxv. Zitiert nach DCT. Introduction, S. cxxxii-cxxxiii.
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Für More lag die Analogie zwischen häretischen Protestanten und ungläubigen Türken also sowohl angesichts der Zeitumstände als auch angesichts seiner tiefsitzenden Überzeugung, daß die ecclesia nicht nur sancta, catholica et apostolica, sondern vor allem auch una sein müsse, auf der Hand. Gleichwohl achtet More in seinem Dialoge of comfort sehr genau darauf, die Parallele nicht explizit zu ziehen, sondern sie durch die Struktur des Werkes gewissermaßen vor dem inneren Auge des Lesers entstehen zu lassen, ohne daß dieser eine bewußte Absicht auf Seiten des Verfassers vermuten sollte. Auch die metaphorische Entsprechung zwischen der Verfolgung um des Glaubens willen in Ungarn und in England, zwischen Süleyman dem Prächtigen und dem Großtürken Englands, Heinrich VIII., wird selbstverständlich nicht ausgesprochen - wer im königlichen Gefängnis sitzt, muß sich hüten, allzu deutlich wider des Königs Überzeugung zu locken, er könne als Staatsoberhaupt seinen Untertanen ihren Glauben vorschreiben. Man könnte versucht sein, die Interpretation des Dialoge of comfort hier abzubrechen. Nachdem der historische Kontext geklärt und die sich hieraus ergebenden, lose geknüpften metaphorischen Analogien einigermaßen erläutert sind, hat man, so könnte es scheinen, ein interpretatorisch rundum befriedigendes Bild von großer Schlüssigkeit, das allenfalls in einigen Details noch korrektur- oder erweiterungsbedürftig ist. Genau das aber ist nicht der Fall: Hinter der geschichtlichen Realität und ihrer metaphorisch-analogischen Erweiterung steht für More ein noch viel grundlegenderes Problem, nämlich das der Verfolgung um des Glaubens willen - und zwar unabhängig davon, ob dies durch Türken oder Protestanten geschieht - , und die Frage, wie man im Angesicht von Folter und Tod die persönliche Integrität bewahren kann und soll. Jenseits aller geschichtlichen Akzidenzien verschmelzen Türken und Protestanten für More auf der Ebene des eigenen Gewissens und werden zu bloßen Handlangern einer weitaus älteren finsteren Macht, nämlich der des Bösen tout court. Der Feind von außen wird für More identisch mit dem Feind von innen; wie der heilige Paulus kämpft er letztlich nicht gegen Fleisch und Blut. Verglichen mit dem Herrscher über die jetzt in der Welt obwaltende Finsternis, heißt es am Ende des Dialoge, ist der Türke nur ein Schatten:31 »The Türke is but a shadow«, wobei jeder klassisch gebildete Leser sich unwillkürlich an Pindars doppeldeutiges »skiäs ónar ánthropos«32 - »eines Schattens Traum der Mensch« - erinnert fühlt. Mithin wird bei More die Auseinandersetzung mit der Türkengefahr letzten Endes zu einer Meditation über das Wesen des Menschen selbst der Türke verblaßt zu einer Chiffre; die von ihm ausgehende wirkliche, sichtbare Bedrohung wird zu einer quantité négligeable im Vergleich mit der nicht minder wirklichen, aber unsichtbaren und gerade deshalb viel hinterhältigeren Bedrohung, die vom Türken in einem jeden von uns ausgeht. 31 32
DCT 317,24. Pindar: Pythische Ode 8,95-96.
Das Türkenbild in der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts
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Mores überpersönliche und transnationale Interpretation der von den Türken ausgehenden Bedrohung stellt zweifellos den Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem osmanischen Reich in der englischsprachigen Literatur des 16. Jahrhunderts dar. Daß sie praktisch folgenlos blieb - More wurde hingerichtet, die Einheit der Christenheit nicht wiederhergestellt und der »Türke in uns« nicht besiegt - mag nicht weiter erstaunen. Dessenungeachtet verdient der Dialoge auch heute noch unsere Aufmerksamkeit als eines der literarisch wie psychologisch wertvollsten Dokumente der frühneuzeitlichen (mittel)europäischen Reflexion über eine Welt, die immer noch als fremd und andersartig empfunden wird.
Margaret
Meserve
Medieval Sources for Renaissance Theories on the Origins of the Ottoman Turks* Confronted by the extraordinary rise of Ottoman power in the fifteenth century, Italian humanists debated at length the question of the origins and early history of Europe's new and terrifying enemy. Their concern was to explain how a people whom neither the classical authorities nor Holy Scripture ever mentioned could have emerged so suddenly on the world stage. 1 It was not mere historical curiosity, however, which led the humanists to investigate where the Ottomans had come from and by what means they had established their empire. It was also their firm belief that the origins and ancestry of a people were important indicators of their present character. In an age when almost every European princely house and republican commune aspired to an ancient Roman, or even Trojan, pedigree for itself, it was important to know who the original Turks had been, if they had been civilized or barbarian, and whether they had achieved their considerable success by honourable or treacherous means. It was on the basis of this information, the humanists believed, that the character of the Ottoman Turkish state, as well as its present intentions towards Christendom, should be assessed. 2 * I should like to thank Jill Kraye, who read several drafts of this paper, for her valuable suggestions and advice, and Peter Golden for his very helpful observations on problems relating to the nomenclature of the Turkic peoples of medieval Eurasia. 1 Renaissance opinions on the origins and early history of the Turks have been surveyed in a number of studies: the most exhaustive is Agostino Pertusi: I primi studi in Occidente sull'origine e le potenze dei Turchi. In: Studi Veneziani 12 (1970), pp. 465-515. See also Robert Schwoebel: The Shadow of the Crescent: The Renaissance Image of the Turk. Nieuwkoop 1967, esp. pp. 70-1, 148-9, 188-89, 204-5; Carl Göllner: Legenden von der skythischen, troyanischen und kaukasischen Abstammung der Türken im 15. und 16. Jahrhundert. In: Revue des études sud-est européens 15 (1977), pp. 49-61; idem: Turcica. Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert. 3 vols. Bucharest/ Baden-Baden 1968-78, vol. 3, pp. 229-50: »Imago Turci: Herkunft und Name«; Michael J. Heath: Renaissance Scholars and the Origins of the Turks. In: Bibliothèque d'Humanisme et Renaissance 41 (1979), pp. 453-71; James Hankins: Humanist Crusade Literature in the Age of Mehmed II. In: Dumbarton Oaks Papers 49 (1995), pp. 111-207, esp. 135-44. None of these, however, examines in much detail the ancient and medieval sources on which the humanists based their theories, which is the focus of this paper. 2 Hankins, Humanist Crusade Literature, cf. note 1, pp. 135-6. On the Renaissance interest in the ancient - usually legendary - origins of nations cf. Denys Hay: Europe: The Emergence of an Idea. Edinburgh 1957, pp. 43-51; Frank L. Borchardt: German Antiquity in Renaissance Myth. Baltimore 1971; Arthur B. Ferguson: Utter Antiquity: Perceptions of Prehistory in Renaissance England.
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Margaret Meserve
One theory popular in the early part of the fifteenth century was that the Turks themselves were descended from the Trojans. The idea originated in the broader and even more popular medieval tradition which identified the ancestors of the Franks as refugees from Troy. In the earliest medieval witness to the legend, the Chronicle of the seventh-century Frankish author Fredegar, the Franks were said to have escaped Troy in the company of a second people, known variously as the Torqui, Torchi or Turchi, w h o settled in the area between the Danube and the >great oceanTurks< w h o had escaped from Troy. It should be noted, however, that despite various modern attempts to identify Fredegar's >Turchi< with an historical people, it is most unlikely that any real Turks are indicated. Although by the mid-seventh century Turkic-speaking tribes had migrated west out of Eurasia into the Danubian Basin - close enough, just possibly, to be noticed by a Frankish chronicler - none of these particular Turkic speakers ever called themseves, or were called by others, >TurksTurquia< to describe the area. 10 For Marco Polo, >Turquia< was a country further east, beyond Persia on the north bank of the Oxus, in the very heart of Central Asia. 11 And the Armenian historian Haytho, writing at the Avignon court of Clement V around 1307, introduced the term >Turquestan< to the West when he used it to describe yet another country of Turkic tribes even further to the east, which seems to coincide with modern Afghanistan: 12 Turquestan is bordered on the east by the kingdom of Tarsa, on the west by Persia, on the north by Khurasan, and on the south it extends to the Indian desert. There are few towns in this kingdom, but it has broad plains and good pasturage for herds, and for this reason the inhabitants of this country are for the most part shepherds, who live in tents or other kinds of house which can be easily moved
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men People«, esp. pp. 91-108; and: Ghuzz. In: The Encyclopedia of Islam, cf. note 8, vol. 2, pp. 1106-10. The Oghuz arrived in the Syr Darya region in the 780s, probably as a result of the collapse of the rule of the Eastern Türk in Mongolia in the 740s. The ethnic composition of the Oghuz and the chronology and specific details of their movements are, however, far from clear: Golden: The Migrations of the Oguz, pp. 54-8. Vincent of Beauvais, Speculum historíale. Strassburg 1473, book 31.139-47 and 150-1; book 32.26-8 and 142-4. Vincent wrote in the 1250s and '60s, only a few years after the first Mongol invasions. His information on events in Seljuk >Turquia< comes from the Historia Tartaronim of the papal envoy Simon of Saint Quentin: cf. Gregory G. Guzman: Simon of Saint Quentin and the Dominican Mission to the Mongol Baiju. In: Speculum 46 (1971), pp. 232^49; idem: Simon of Saint Quentin as Historian of the Mongols and Seljuk Turks. In: Medievalia et Humanística 3 (1972), pp. 155-78, esp. 162-7. Cf. Paul Pelliot, Notes on Marco Polo. 3 vols. Paris 1963, vol. 2, pp. 864-5: >TurquieScythian< account of the origins of the Turks as an alternative to the Trojan theory. Discussing certain early events in Turkish history, he explained:14 The Turks themselves were Scythians, from among those whom Alexander of Macedón shut up in the Hyperborean Mountains by means of iron gates, as other authors relate, and which the blessed Jerome confirms. The story which Biondo here ascribes to St Jerome is in fact far older, one of many popular legends which grew up around the figure of Alexander the Great in the centuries after his death. According to the legend, on a fabulous (and completely fictitious) adventure during his campaign in the East, the heroic Alexander constructed iron gates across a pass in the Caucasus Mountains, known as the Caspian Gates, in order to keep the nomadic tribes of the north from intruding on the settled countries to the south.15
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Mandeville's Travels. Ed. by Malcolm Letts. 2 vols. London 1950, vol. 1, pp. 176-7, vol. 2, p. 374. Flavio Biondo: Historiarum ab inclinatione Romanorum libri XXXI. Basel 1559, p. 151: »Fueruntque et ipsi Turci Scythae ex iis quos Alexandrum Macedonem intra Hyperboreos montes, ferreis clausisse repagulis, quum alii tradunt scriptores, tum beatus Hieronymus affirmat.« The most complete account of this legend and its widespread fortuna remains Andrew Runni Anderson: Alexander's Gate, Gog and Magog and the Inclosed
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The characterization of the Caucasus and the plains of Scythia to its north as a breeding ground for barbarians is far older than this legend concerning Alexander, and rests on firm historical grounds. 16 Repeated waves of nomadic invasion from these >northern< regions south into Asia Minor, Mesopotamia and the Holy Land in the first millennium BC had made their impression on a number of influential early witnesses. Homer's reference to the northern Cimmerians (>wrapped in mist and cloudCaucasian Gates< there: cf. Andrew Runni Anderson: Alexander at the Caspian Gates. In: Transactions of the American Philological Association 59 (1928), pp. 130-63. The error was not entirely due to Josephus: Alexander himself had wished it to be thought that he had campaigned in the Caucasus. He encouraged his followers to call the mountains of the Hindu Kush (through which he passed on his way to India shortly after traversing the Caspian Gates) by the name >CaucasusCaspian Gates< and directed it towards the real Caucasus (Tacitus, Historiae, 1.6; Suetonius, Vitae Caesarum, Nero 19.2). The Elder Pliny complained that in his day the confusion between the >Caspian Gates< and the »Caucasian Gates< was quite insoluble (Historia naturalis, 6.30 and 6.40): John F. Standish: The Caspian Gates. In: Greece and Rome, 2nd ser. 17 (1970), pp. 17-24; Jerzy Kolendo: Le Projet d'expédition de Néron dans le Caucase. In: Neronia 1977. Ed. by Jean-Michel Croisille and P.-M. Fauchère. Clermont-Ferrand 1982, pp. 23-30; Benjamin H. Isaac: The Limits of Empire: The Roman Army in the East. Oxford 1992, pp. 403-5; Braund, Georgia in Antiquity, pp. 216, 224-6. 20
Jerome, Epistola 77, PL, 22, col. 695: »Ecce subito discurrentibus nuntiis oriens totus intremuit, ab ultima Maeotide inter glacialem Tanain, et Massagetarum immanes populos, ubi Caucasi rupibus feras gentes Alexandri claustra cohibent, empisse Hunnorum examina quae pernicibus equis hue illucque volitantia, caedis pariter ac terroris cuncta complerent.« The image of barbarians behind Alexander's Gate, as told by Josephus and Jerome, was repeated in the fourth to seventh centuries by, among others, Hegesippus (Historiae, 3.5.2 and 5.50.1), Procopius (De bello Persico, 1.10), Jordanes (Getica, 7.5) and Isidore of Seville (Etymologiae, 9.2.66).
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Western medieval literature: at various times, Goths, Khazars, Magyars, Mongols and finally, as the text of Biondo shows, Turks were identified with the tribes Alexander had excluded. Early on, the legend gained an apocalyptic dimension. Seventh-century Syriac Christian authors were the first to suggest that the barbarians still swarming behind Alexander's Gates included in their number Gog and Magog themselves, who might yet break through the gates and thus, according to biblical prophecy, precipitate the end of the world. The inspiration behind the development in Syriac apocalyptic literature was an historical event: the irruption, through the >Caspian Gates< of the Caucasus into Byzantine territory, of the Khazars in AD 628 (these people are discussed in more detail below).21 The identification of the apocalyptic invaders as >Khazars< was not, however, preserved. Instead, there developed in medieval Christian literature a generalized identification of all northern barbarian invaders - past, present and future - with the unclean races of Gog and Magog, seen most notably in the apocalyptic Revelations of ps.-Methodius, written in Syriac around 690 and translated, first into Greek and then into Latin, by 700. 22 From ps.-Methodius, the idea of Alexander's Gate as a bulwark against the barbarian harbingers of Antichrist entered various traditions of the Greek ps.-Kallisthenes Alexander Romance and Latin Historia de preliis, and was repeated in an enormous range of medieval Latin and vernacular poetry and romance, as well as in geographical and encylopaedic compendia.23 21
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Francisco Javier Martinez: Eastern Christian Apocalyptic in the Early Muslim Period: Pseudo-Methodius and Pseudo-Athanasius. PhD diss. Catholic University of America. Washington DC 1985, with ps.-Methodius's text concerning Alexander's construction of a gate translated pp. 132-4; historical source for the story, pp. 173-5, nn. 6-8. The original source of this apocalyptic version of the legend is a Syriac homily, entitled Neshana d-'Aleksandros (»History of Alexander«), composed shortly after the Khazar invasion of 628 (edited and translated by E. A. Wallis Budge under the title: A Christian Legend Concerning Alexander. In: The History of Alexander the Great. Cambridge 1889, pp. 144-58, with the story of the enclosed tribes on pp. 149-56). On its transmission to ps.-Methodius cf. Jürgen Trumpf: Alexander, die Bersiler und die Brüste des Nordens. In: Byzantinische Zeitschrift 64 (1971), pp. 326-8; Sebastian Brock: Syriac Sources for Seventh-Century History. In: Byzantine and Modern Greek Studies 2 (1976), pp. 17-36, esp. 34-5; Martinez, Eastern Christian Apocalyptic, cf. note 21, pp. 2-57, esp. 5-8, 25-33; Gerrit J. Reinink: Ps.-Methodius' Concept of History. In: The Byzantine and Early Islamic Middle East: Problems in the Literary Source Material. Ed. by A veril Cameron and Lawrence I. Conrad. Princeton 1992, pp. 149-87, esp. 167, n. 73; Die syrische Apokalypse des pseudo-Methodius. Transi, by Gerrit J. Reinink. 2 vols. Louvain 1993, vol. 2, pp. vii-xxv. For examples of Gog and Magog's inclusion in the legend of Alexander's Gate in the West cf. Anderson 1932, cf. note 15; also Friedrich Pfister: Ein kleiner lateinischer Text zur Episode von Gog und Magog. In: Berliner Philologische Wochenschrift (4 December 1915), cols 1549-52; idem: Gog und Magog. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Berlin 1931, vol. 3, cols 910-18; idem: Alexander der Große in den Offenbarungen der Griechen, Juden, Mohammedaner und Christen. Berlin 1956, pp. 30—2; George Cary, TTie Medieval
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Enhanced by these associations with the adventures of Alexander the Great and the terrors of Gog and Magog, the Caucasus was invoked in medieval historical literature, as well, as the wellspring of various, real barbarian incursions against Europe's eastern frontier. There were, again, some historical grounds for the claim: throughout the period, the fertile grasslands around the Sea of Azov and the Don delta, at the northern edge of the Caucasus, had often served as a final staging post for invaders like the Huns, Alans, Goths and, later, the Magyars and Mongols, but the path of their migrations did not lead back into the Caucasus, but rather to the forests and steppes of the Eurasian interior. The fifteenth-century chronicler Jacopo Filippo Foresti da Bergamo, in the geographical resumé with which he starts his world chronicle, demonstrates how, for western world history, Scythia was considered a nursery for all barbarians, Asian or European, historical or legendary: 24
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Alexander. Cambridge 1956, pp. 130-1; D. J. A. Ross, Alexander Historiatus. Frankfurt am Main 21988, pp. 34-5; J. A. Boyle: The Alexander Romance in the East and West. In: Bulletin of the John Rylands Library 60 (1977), pp. 13-27; Ian Michael: Typological Problems in Medieval Alexander Literature: the Enclosure of Gog and Magog. In: The Medieval Alexander Legend and Romance Epic: Essays in Honour of David J. A. Ross. Ed. by Peter Noble et al. Millwood NY 1982, pp. 131-47; Raoul Manselli: I popoli immaginari: Gog e Magog. In: Popoli e paesi nella cultura altomedievale. 2 vols. Spoleto 1983, voi. 2, pp. 487-522; Andrew Colin Gow: The Red Jews: Antisemitism in an Apocalyptic Age (12001600). Leiden 1995, with an extensive appendix of relevant texts, pp. 295-349. The origin of the apocalyptic version of the legend in Syriac literature of the seventh century was recognized by Michael Kmosko: Das Rätsel des Pseudomethodius. In: Byzantion 6 (1931), pp. 273-96, reiterated by K. Czeglédy: The Syriac Alexander Legend. In: Acta Orientalia 7 (1957), pp. 231-49, and proven conclusively by the studies cited in note 22; but few of the works listed in this note take their conclusions into consideration, instead repeating older theories of either a Jewish or Hellenistic Greek origin for the story. Cf. now, however, Stephen Gero: The Legend of Alexander the Great in the Christian Orient. In: Bulletin of the John Rylands University Library 75 (1993), pp. 3-9 and Alauddin Samarrai: Beyond Belief and Reverence: Medieval Mythological Ethnography in the Near East and Europe. In: Journal of Medieval and Renaissance Studies 23 (1993), pp. 19-42. Jacobo Filippo Foresti da Bergamo: Supplementum chronicorum. Venice 1483, sig. alOr: »Scytharum regnum his temporibus in regione septentrionalis Aug. 18 de civitate dei cap. 3 initium sumpsisse scribit [...] Omnes Scythice gentes equitantes deferunt arcus, qui non ex aratro sed ex feris quas venantur victitant. Regnum hoc quamquam vetustissimum est quod barbarum est inter quattuor principalia regna non computate. Nulli tarnen hominum Scythica gens unquam cessit. Immo et Darium Persarum regem fugavit. Cyrum occidit [...] Asiam ter bello subegit et per annos multos sibi vectigalem fecit. Ex Scythi multi exierunt qui res magnas gesserunt. Amazones primo clarissime mulieres que in bello preclara gessere facinora. Bactriani et Parthi ab eis descenderunt. Attila ille magnus qui Pannoniam subegit et aquilam evertit ac in Germania multas edidit vastitates ab illis descendit [...] Longobardi nostri, Ungari, Castellani, Gothique universi ex Scythis emersere [...] Turci tempore Papini Francorum regis (ut suo loco de omnibus dicemus) ex Scythia prodierunt. Èa quippe Scytharum natio ex Magog Noe nepote (ut Hieronymus scribit) ortum habuit. Barbara enim est, quae nec iustum aliquid tenet nec rectum.«
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The kingdom of Scythia had its origins at this time [ca 2500 BC], in the northern regions, as Augustine affirms [...] 25 All the Scythian nations carry bows while riding and eat, not the fruits of the plough, but the meat of beasts which they hunt. This kingdom, though ancient, is barbarous and for this reason is not counted among the four principal kingdoms. Nevertheless, the Scythian race has never been defeated by any other race of men: they put Darius king of the Persians to flight, they killed Cyrus [...] three times they overcame Asia and made it pay tribute for many years. Many Scythians have emerged to accomplish great deeds: first of all, those famous women, the Amazons, who performed numerous distinguished exploits in war. The Bactrians and Parthians descended from the Scythians, as did Attila the Great, who conquered Pannonia and toppled the standards of the Roman legions and caused great devastation in Germany [...] Our Lombards, Hungarians, Castellani, and Goths are all descended from the Scythians [...] The Turks too in the time of Pepin, king of the Franks (as we will explain in the appropriate place), came from Scythia. Indeed the nation of Scythians traces its origins back to Magog, the grandson of Noah, as Jerome writes. They are a barbarous race, and respect no rule of law or justice. Flavio Biondo had, as we have seen, put the Ottoman Turks last in this series of impressive Scythian conquerors. Biondo's association of the Turks with Alexander's tribe was repeated by, among others, the papal historian Platina and Foresti da Bergamo himself. 26 It continued to be cited well into the sixteenth century. It should be stressed, however, that Biondo and his followers were not relying on any explicit references to the Turks in the Caucasus, but were, rather, simply equating the Turks with the various barbarian races known to earlier medieval tradition. Those humanists who claimed that the country behind the legendary Caspian Gates of Alexander was the homeland of the ancestors of the Ottoman Turks were arguing strictly by analogy - equating, and thus identifying, this latest foe of Christendom with the previous generations of nomadic invaders whom the pious Alexander was supposed to have restrained.
Pius Π on the Scythian Origins of the Turks When Pope Pius II, writing in the decade after Biondo, examined the question of the origins of the Turks, he adopted a more factual approach than his predecessor, but still maintained that the Ottomans were originally from Scythia, and had entered the known world by way of the Caucasus. He rested his claim on two earlier sources which actually refer to >Turci< dwelling in these northern areas, and thus was able to establish a Scythian pedigree for the Turks on apparently historical, rather than merely legendary, grounds. Pius vehemently rejected the fanciful legend of their Trojan origins, and Biondo's invocation of an equally legendary tradition to ex25 26
Augustine, De civitate Dei, 18.3. Platina: Vitae pontificum. Venice 1479, sig. k6r; Jacopo Filippo Foresti da Bergamo: Supplementum chronicorum. Venice 1483, sig. M3r.
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plain their origins could hardly have helped him argue his case. 27 Discussing the Turks in the first part of his Cosmographia, in about 1458, Pius explained:28 Since I have mentioned the Turks in the preceding pages [...] it will be logical here to recount something of their origins, so that the error of those who maintain that the Turks are a nation of Trojans, and who call them Teucrians, may be refuted. The ancestral homeland of the Turks, as jEthicus the philosopher tells us, lay in Asian Scythia, beyond the Perichean mountains and the islands of Taracunta, facing the >breasts of the north¿Ethicus< and >OthoTurks< in Scythia and the Caucasus. Pius's first source, the Cosmographia attributed to ¿Ethicus, has been dated to the eighth century, but purports to be a translation and commentary on an ancient Greek authority. 30 It is written in the third person, as if re27
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On Pius's view of the Trojan thesis cf. Hankins, Humanist Crusade Literature, cf. note 1, pp. 136-7, 139-40; for his activities against the Turks in general: Rigomer Eysser: Papst Pius II und der Kreuzzug gegen die Türken. In: Mélanges d'histoire générale. Ed. by Constantin Marinescu. Bucharest 1938, vol. 2, pp. 1 134; Else Hocks: Pius II und der Halbmond. Freiburg 1941; Schwoebel, Shadow of the Crescent, cf. note 1, pp. 57-81 ; Franz Babinger: Pio II e l'oriente maomettano. In: Enea Silvio Piccolomini Papa Pio II. Atti del convegno per il quinto centenario della morte. Ed. by Domenico Maffei. Siena 1968, pp. 1-14. Pius II: Cosmographia. In: Opera omnia. Basel 1551, pp. 383-4: »Verum quia de Turcis superius mentionem fecimus, ad quos ultimo loco imperium Asiae delatum est, haud absurdum fuerit eiusce gentis originem recensere, ut eorum confutetur error qui gentem Troianam Turcas esse affirmant, ac Teueres vocant. Turcae, ut Ethicus philosophus tradit, in Asiatica Scythia ultra Pericheos montes et Taracuntas ínsulas contra Aquilonis uberas sedes patrias habuere. Gens truculenta et ignominiosa in cunctis stupris et lupanaribus fornicaria, comedit quae caeteri abominantur, iumentorum, luporum ac vulturum carnes et, quod magis horreas, hominum abortiva [...] Haec gens, ut Otho historiáis tradit, imperantibus Graecis et regnante apud Francos Pipino, annis abhinc supra sexcentis non Caspias, ut ille ait, sed Caucaseas egressa portas, cum Avaribus ferocissima pugna multis utrobique desideratis conflixit.« Pius composed an earlier draft of this historical excursus, citing the same sources but less extensively, for his speech to the Diet of Frankfurt in 1454: cf. Oratio de Constantinopolitana clade et bello contra Turcos congregendo, ibid., p. 681. Pius, probably relying on Pliny, supplies here the correct, classical name of the pass in the Caucasus which was later misnamed the >Caspian Gatesc cf. note 19 for the confusion between Caucasian and Caspian Gates. Text in JEthicus: Die Kosmographie. Ed. by Otto Prinz. Munich 1993. On the lengthy and still-unresolved question of the identity and date of the author cf.
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porting on the supposedly earlier text of >^EthicusTurks< as a race Alexander encountered in his journey the Caucasus. 3 4 Surely there must have been some historical basis 32
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a fresh explicbeyond for his
jEthicus, Die Kosmographie, cf. note 30, p. 122: »Alexander enim Magnus Macedo hanc generationem capere nec subicere potuit, multis nimpe vicibus exercitum vel aciem contra eos direxit et non potuit superare. Qua in re considerans [...] dixisse fertur: >[...] Idcirco omnes inferorum demones et adversariorum falanga hue reliquimus in humanam speciem latentes, heu ne quando audiant vel percipiant mellifluam et uberrimam mundi gloriam et abundantiam et regna inclita, cuncta bona et optima omnemque decorem et pulchritudinem hominum, ne forte inruant in universam superfaciem terrae et quasi panem cuncta decerpiant ac degluttiant. O et tu aquilon, mater draconum et nutrix scurpionum, fovea serpentium lacusque demonum, facilius fuerat in te obturationem inaccessibilem fore velut infernum quam tales gentes parturire.Caspian< and >Caucasian< Gates. Whatever the case, Pius certainly interpreted his text as indicating the Caucasus and the territories beyond it: he glosses /Ethicus's information with the words >Asiatica Scythia< in his own account and then, probably relying on information from Pliny, corrects Otto of Freising's phrase »Caspian Gates< to >Caucasian Gates< the correct name, according to ancient geographers, of the pass of Dariel in the Caucasus which was later misnamed the >Caspian Gates< (on this confusion cf. note 19). Denis Sinor: The Historical Role of the Türk Empire. In: Cahiers d'histoire mondiale 1 (1953), pp. 427-34; idem: The Establishment and Dissolution of the Türk Empire. In: Sinor, Early Inner Asia, cf. note 4, pp. 285-316, with further bibliography, pp. 478-83; Golden, History of the Early Turkic Peoples, cf. note 4, pp. 115-53; Moravcsik, Byzantinoturcica, cf. note 4, vol. 1: »Die Byzantinischen Quellen der Geschichte der Türkvölker«, pp. 70—81; C. E. Bosworth: Islamic Frontiers in Africa and Asia. Central Asia. In: The Legacy of Islam. Ed. by Jospeh Schacht and C. E. Bosworth. Oxford 21974, pp. 116-29, esp. 116-19. Menander Protector: The History of Menander the Guardsman. Ed. and transi, by Roger C. Blockley. Liverpool 1985, pp. 110-27. For the alliance, cf. Sinor, Early Inner Asia, cf. note 4: Establishment and Dissolution, pp. 301-5; for the sources: C. A. Macartney: On the Greek Sources for the History of the Turks in the Sixth Century. In: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 11 (1944), pp. 266-75; Michael Whitby: Greek Historical Writing after Procopius. Variety and Vitality. In: The Byzantine and Early Islamic Near East, cf. note 22, pp. 25-80, esp. 39-45. The historian Agathias probably recorded the name slightly earlier, in a description of the long, braided hair of the Avars and Turks; he broke off his composition sometime between 579 and 582: cf. Agathias: Historiae. Ed. by Rudolf Keydell. Berlin 1967, 1.3; Moravcsik, Byzantinoturcica, cf. note 4, vol. 1, pp. 21417.
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Central Asian power, before breaking away and forming an independent state in the West.38 Byzantine authors, always conservative and classicizing in the terms they used to describe barbarians, had at first tended to call both the Western Türks and the Khazars by generic terms like Σκυθαι (>ScythiansHunsTurchi< to refer to these Turkic Khazars. The Khazars were the dominant ethnic group in the north Caucasus region, where Äithicus places the >TurchiTurksTurchi< derives not from any literary text but from his own firsthand knowledge of the »turkstämmigen« Avars, whom he would have encountered during his youth. This suggestion, however, cannot be accepted: although the Avars, by the eighth century, were present in the Danube basin (which has been proposed as jEthicus's homeland on the basis of the sobriquet »¿Ethicus Ister« which appears in the text of the Cosmographia) and so may well have been known to jEthicus, their ethnic origins are far from clear, and there is no evidence that they ever called themselves, or were called by others, >Turksemerging< from the Caucasus, through the Caspian Gates, at an early date. This is the second piece of information which Pius gives in his account of the early history of the Turks, crediting the German historian Otto of Freising.41 Unlike jEthicus's Cosmographia, Otto's notice on the >Turci< does not derive from ps.-Methodius, notwithstanding his reference to their coming out of the >Caspian GatesTurks< describes one of the later raids (he lists it under the year 758) which the Khazars made from out of their stronghold in the Caucasus, through the Caspian Gates at Derbend. How, then, did Otto come by this information? He used a wide range of sources to compile his Chronica *5 his ultimate source for the information on the Khazars was the Chronographia of the Byzantine historian Theophanes Confessor (c. 755-818). 4 6 Theophanes records a substantial amount of information on the Khazars, and he mentions them - as Turks - several times in his chronicle. His first two entries describe the formation of the ini-
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Georg Ostrogorsky: History of the Byzantine State. Ed. and transi, by Joan Hussey. Oxford 21968, pp. 92-112; Alexander A. Vasiliev: History of the Byzantine Empire. Oxford 21952, pp. 193-200; John F. Haldon: Byzantium in the Seventh Century: The Transformation of a Culture. Cambridge 1990, pp. 4 1 53; Andreas N. Stratos: Byzantium in the Seventh Century. 5 vols. Vol 1 (602634). Transi, by Marc Oglivie-Grant. Amsterdam 1968, and vol. 2 (634-641). Transi, by Harry Hionides. Amsterdam 1972,. Dunlop, History of the Jewish Khazars, cf. note 38, pp. ix-x, 46-7. Otto, Bishop of Freising in southern Bavaria, treats in his »Chronica« the history of the world from Creation to the year 1146 AD; he finished it shortly before his death in 1158: Franz-Josef Schmale: Otto von Freising. In: Die Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Berlin 21989, vol. 8, cols 215-23; Otto of Freising: The Two Cities: A Chronicle of Universal History to the Year 1146. Transi, by Charles C. Mierow, New York 1928, pp. 1-79: Introduction: »Otto of Freising and the Philosophy of History«. The »Chronographia« covers world events from Creation to the year 813 AD. Because of the dearth of historical writing from the seventh and eighth centuries, Theophanes is one of the earliest, most important Byzantine sources for events of this period. Text in Theophanes: Chronographia. Ed. by Carolus de Boor. 2 vols. Leipzig 1883-8, vol. 1, pp. 6-503. Translations here and below are taken, with some modification, from The Chronicle of Theophanes. Transi, by Harry Turtledove. Philadelphia 1982; cf. also The Chronicle of Theophanes Confessor: Byzantine and Near Eastern History, A.D. 284-813. Transi, by Cyril Mango and Roger Scott. Oxford 1997. On Theophanes cf. Herbert Hunger: Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner. Munich 1979, vol. 1, pp. 334-9; Moravcsik, Byzantinoturcica, cf. note 4, vol. 1, pp. 531-7; Ostrogorsky, History of the Byzantine State, cf. note 43, pp. 87-92; Ann S. Proudfoot: The Sources of Theophanes for the Heraclian Dynasty. In: Byzantion 144 (1974), pp. 367-439; Cyril Mango: Who Wrote the Chronicle of Theophanes? In Byzantium and its Image. London 1984; idem: The Tradition of Byzantine Chronography. In: Harvard Ukrainian Studies 12/13 (1988/89), pp. 360-72, esp. 367-70; Roger Scott: The Byzantine Chronicle after Malalas. In: Studies in John Malalas. Ed. by Elizabeth Jeffreys, Brian Croke and Roger Scott. Sydney 1990, pp. 38-54, esp. 40-2.
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tial alliance between Heraclius and the Khazars in 626-627; the remainder cover various events of the second Arab-Khazar war in the eighth century. In his Chronica, Theophanes discusses the Byzantine-Khazar alliance of 626 as part of the general build-up to Heraclius's final triumph over Persia. He stresses both the value of the Khazars' support and the chivalry with which it was offered: 47 [625-626:] [Heraclius] himself took the third part [of the army] to Lazica. In that country he parleyed with the Turks of the east, whom they call Khazars, and called on them for an alliance [...] The Khazars broke through the Caspian Gates and invaded Persia, entering the land of Adraiga under their general Ziebel, who was second in rank to their khagan. In the places they traversed, they took Persian prisoners and burned their cities and villages. The emperor left Lazica to meet them. When Ziebel saw him he ran toward him, bowed his neck, and prostrated himself before him: the Persians saw this from the city of Tiflis. All the Turkish people fell face down to the ground. While stretched out on their faces they acclaimed the emperor, an honour unusual from their tribe. Their leaders climbed onto stones, then prostrated themselves in the same way. Ziebel presented his firstborn son to the emperor; the Khazar took pleasure in Heraclius's words and was amazed at his appearance and wisdom. Ziebel collected 40,000 noble men, whom he gave to the emperor in alliance; he himself returned to his own country. The characterization of the Turkic Khazars here is entirely favourable: they are honourable, devoted to Heraclius and generous in their support of him. 48 This contrasts nicely with Theophanes's portrayal of Heraclius's desperate but comical opponent, the tyrannical Persian Chosroes II, whose army was composed of household servants and who, we are told, kept the corpse of 47
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Theophanes: Chronographia, cf. note 46, pp. 315-16: το δέ τρίτον μέρος αυτός λαβών επί Λαζικήν έρζώρει, καί εν ταύτη διατριβών τους Τούρκους έκ της έωας, ους Χάζαρεις ονομάζουσιν, εις συρμα^ιαν προσεκαλέσατο [...] οί δέ Χάζαρεις διαρρήξαντες τάς Κασπίας πυλας έν Περσίδι εΐσβάλλουσιν εις την τώραν τοΰ Άδραϊγάν βύν τω εαυτών στρατηγώ Ζιέβηλ, δευτέρψ οντι τοΰ Χαγάνου τη αξία· και έν οΐς αν τόποις διεβαινον, τους τε Πέρσας r j j μαλώτευον και τάς πόλεις καί ^ώμας τω πυρί παρεδίδουν. άπάρας δε και ό βασιλεύς άπο Λαζικης τούτοις συνηντησεν. ό δε Ζιέβηλ τοϋτον ίδών και προσδραμών κατασπαζεται αυτού τον τρά^ηλον καί προσεκύνησεν αυτόν, όρώντων των Περσών έκ της πόλεως τοΰ Τιρίλιος. πας δέ ό λαός των Τούρκων είς γήν πεσόντες πρηνεΐς, έκταθέντες επί στόμα τον βασιλέα έτίμων τιμήν την παρ' εθνεσι ξένην. ομοίως και οΐ άρχοντες αυτών επί πετρών άναβάντες τω αύτω σ^ήματι έ'πεσον. προσήαεγκε δέ ό Ζιέβηλ καί τον έαυτοΰ υΐόν άρ^ιγένειον τω Βασιλεΐ, ήδυνόμενος τοις τούτου λόνοις καί έκπληττόμενος την τε θέαν καί την ©ρόνησιν αϋτοϋ. έπιλεξάμενος δέ ό Ζιέβηλ χιλιάδας μ' ανδρών γενναίων έδωκε τω Βασιλεΐ προς συμμα^ίαν καί αύτος ΰπέστρεψεν εις την ιδίαν ^ώραν. Translation, as in notes below, from Turtledove, cf. note 46, pp. 21-2. The contrast between the Khazars' (veiled) appearance in Syriac apocalyptic literature as a monstrous, violent, unclean race, and their portrayal in this Greek chronicle as stalwart friends of Byzantium, requires explanation. Heraclius made an alliance with the Khazars but, in all likelihood, did not lead them directly into battle against the Persians. Perhaps their conduct in northern Syria was unruly enough to inspire loathing among the local population, but effective enough against the Persians to be valued at Constantinople?
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his disgraced commander-in-chief preserved in salt so that he could, from time to time, abuse it. Chosroes is the villain throughout this particular period of Byzantine history; and Theophanes is so pleased to report Heraclius's final victory over him in the following year that the sudden desertion of his Khazar allies is reported with hardly any rancour:49 [626-627:] In this year, beginning in September, Heraclius and the Turks invaded Persia. Because of winter this was unexpected; Chosroes was astonished to learn of it. When the Turks saw the winter and the continuous Persian attacks, they could not stand toiling with the emperor; they gave him up for lost and turned back, beginning to drift away a few at a time. Despite this setback, Heraclius rallied his troops and destroyed the Persian army. The Khazars are portrayed not as perfidious, but as weak-willed and rather easily discouraged. Under the years 728-732, Theophanes notes three further occasions on which the >Turks< again storm out of the Caucasus to attack the Arabs: [728-729:] In this year the son of the khagan, the ruler of Khazaria, attacked Media and Armenia. On encountering Garachos, the Arab general, in Armenia, he killed him and his host. He ravaged the lands of the Armenians and that of the Medes and returned after terrorising the Arabs.50 [729-730:] In this year Masalma attacked the land of the Turks. When they met one another in battle, men fell on both sides. Masalma became fearful and withdrew in flight through the mountains of Khazaria.51 [731-732:] In this year Masalma attacked the land of the Turks but grew fearful and withdrew after he had reached the Caspian Gates.52
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Theophanes, Chronographia, cf. note 46, p. 317: Τούτω τω έ'τει από μηνός Σεπτεμβρίου είοβαλων εν Περβίδι Ήεράκλειος βύν τοις Toúpjjoig άπροαδο^ήτως δια τον χειμώνα εις εκαταβιν ένέβαλε τον Χοβρόην τοϋτο μαθόντα. οί δε Τοϋρ^οι τόν τε χειμώνα όρώντες και τάς βυνε^εΐς έπιδρομάς των Περβών, μή υποφέροντες βυ^κοπιαν τω Βαβιλεϊ ήρξαντο καττ' ολίγον ΰπορρέειν, και πάντες άρέντες αυτόν ΰπέστρεψαν. Translation, Turtledove, cf. note 46, p. 23. Theophanes, Chronographia, cf. note 46, p. 407: Τούτω τω ετει έπεβτράτευβεν ó υιός Χαγάνου, τοϋ δυνάβτου Χαζαριας, την Μηδίαν και 'Αρμενίαν, και εύρων Γάρα^ον, τον των 'Αράβων στρατηγόν, κατά την 'Αρμενίαν άνεϊλεν αυτόν μετά τοΰ βυνόντος αύτω πλήθους· και ληϊβάμενος την των 'Αρμενίων τώραν και την Μήδων άνέκαμψεν, φόβον μέγαν έμποίηβας τοις ' Αραψιν. Translation, Turtledove, cf. note 46, p. 98. Theophanes, Chronographia, cf. note 46, p. 407: Τούτω τω ετει έπεβτράτευβε Μαβαλμας την των Τούρκων γήν, και αυναφθέντες άλλήλοις εις πόλεμον, πίπτουβιν έξ άμφοτερον των μερών και δειλανδρήαας ό Μασαλμάς φυγή ^ρηβάμενος δια των ορέων Χαζαρίας ΰπέβτρεψεν. Translation, Turtledove, cf. note 46, p. 98. Theophanes, Chronographia, cf. note 46, p. 409: Τούτω τω ετει έπεστράτευβε Μαβαλμας την Toupjfíav και ψθάαας τάς Κασπίας πύλας φοβηθείς άνέοτρεψεν. Translation, Turtledove, cf. note 46, p. 101.
Medieval Sources for Renaissance Theories
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These notices refer to historical events which can be confirmed from other sources. 53 Theophanes, however, omits to mention that before, between and after these two Khazar successes, the Arabs inflicted a series of heavy blows, destroying armies, capturing towns and finally, in 737, defeating the Khazars so conclusively that their khagan was forced to convert (although only temporarily) to Islam.54 Theophanes prefers to report good news, and it is Khazar victories and Arab defeats which fall under this rubric. Two final notices on the Khazars report similarly positive results for the Khazars: [763-764:] In the same year the Turks emerged from the Caspian Gates, killed many people in Armenia [then an Arab province], took many prisoners, and withdrew.55 [764-765:] In this year the Turks once more sallied forth into the area of the Caspian Gates and Iberia [i.e., Georgia]. They battled with the Arabs, and many on both sides lost their lives.56 This last report is the one which Otto and, following him, Pius reproduce. The question arises, however: why did Otto preserve none of Theophanes's other references to the Khazar >TurksMasalmaAvarsTurks< but appeared instead as an anonymous >gens sevissimaTurks< from Landulphus. Of the four later references to >Turks< in Landulphus, he omits all but the last one which, on account of the corruption of the name of their opponents from >Arabs< to >AvarsTurks< (Khazars) and their relations with the Byzantine Empire. Writing some fifty years after Frutolf, Otto of Freising made free use of his chronicle, incorporating from it both Fredegar's story of Heraclius and a gens sevissima, and the last of Theophanes's notices on the >Turks< emerging from the Caspian Gates. And it is this final notice which Pius refers to in his own resumé of information on the Turks.
Conclusion The legend that Alexander constructed the >Caspian Gates< in the Caucasus to hold back barbarian tribes dates to late antiquity. The legend gained an apocalyptic dimension in the seventh century and was frequently invoked in the medieval period to describe the origins of various barbarian invaders. Flavio Biondo associated the Ottoman Turks with the barbarians mentioned in the legend purely on the basis of analogy: the Turks were as barbarous as Josephus's Alans or Jerome's Huns, so probably came from the same place. The eighth-century text of ¿Ethicus contained yet another reformulation of this legend, but one which mentioned Turks explicitly: this reflects, as we have seen, /Ethicus's ultimate debt to the Syriac version of the legend by ps.-Methodius, which was inspired by the historical incursions of the Khazar >TurksTurks< were distinct from the later Ottomans and so, not unreasonably, as-
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rectly from this delegation on its return: Fredegar: The Fourth Book of the Chronicle of Fredegar, cf. note 68, p. 51. Thanks to Frutolf s carelessness, we can even observe how he cut and pasted his sources. In Fredegar's version of the story, Heraclius dies >febre vexatus< (>of a feverTurks< had come out of the Caspian Gates and fought with the Avars - not Arabs - or, in other words, with another barbarian tribe of Scythia. Pius, again imagining all Turks to be the same, saw this as confirmation that the ancestors of the Ottoman Turks had emerged from the Caucasus. Pius's use of both sources rests on a case of mistaken identity: the >Turks< mentioned by both ^thicus and Otto were really Khazars. In both works these >Turks< are described as inhabiting the same part of the world (the Caucasus and Scythia beyond it), with the >Caspian Gates< serving as the border between them and the civilized world; and in both sources - as received in the fifteenth century - they are portrayed as barbarous and uncivilized. This characterization is due, in jEthicus's case, to his reliance on the ps.-Methodian tradition, in which Syriac authors of the seventh century had sublimated the trauma of the Khazars' historical invasion south through the Caucasus into a new, apocalyptic version of the legend of Alexander's Gates. In the case of Theophanes, the >Turks< appear in a poor light only because his report, in its medieval western transmission, had become isolated from its original context and textually corrupt. Given the longevity of these two traditions and, moreover, the striking coincidence of details between them, it is not at all hard to see how Renaissance historians were convinced of a Caucasian or Scythian origin for the Turks and were thus able to establish and emphasize the barbarian character of Christendom's most fearsome enemy. The humanists Flavio Biondo and Pius II can hardly be blamed for trusting these late antique and medieval sources which contain notices on >Turks