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German Pages 817 [820] Year 2004
Sebastian Brather Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer Band 42
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G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York
Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie Geschichte, Grundlagen und Alternativen
von Sebastian Brather
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Walter de Gruyter · Berlin · New York
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN 3-11-018040-5 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© Copyright 2004 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin
Vorwort Inwieweit „ethnische Interpretationen" eine zentrale und weiterführende Fragestellung der frühgeschichtlichen Archäologie darstellen, ist eine offene und seit langem umstrittene Frage. Ausgangspunkt waren romantische, volksgeschichtliche und später national(istisch)e Konzepte, während im Zuge einer contextual archaeology gegenwärtig symbolische Bedeutungen und Identitäten eigens thematisiert werden. Eine systematische zusammenfassende Analyse wesentlicher Aspekte „ethnischer Interpretation" - Geschichte der Fragestellung, zugrundeliegende Begriffe und Klassifikationen, ethnische Gruppen und ethnographische Beschreibung, Identitäten und „die Anderen", alternative Perspektiven - sollte der nüchternen methodischen Reflexion innerhalb wie außerhalb der Archäologie nutzen. Daß diese Untersuchung in der Reihe der Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde erscheint und damit den einschlägigen Stichworten unmittelbar an die Seite gestellt wird, ist den Herausgebern, insbesondere Heiko Steuer, zu danken. Die vorliegende Studie entstand im Rahmen des Teilprojektes C4 „Ethnische Einheiten im frühgeschichtlichen Europa. Archäologische Forschung und ihre politische Instrumentalisierung" des Freiburger Sonderforschungsbereichs 541 „Identitäten und Alteritäten. Die Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Identität". Heiko Steuer verdanke ich die Möglichkeit, in diesem Projekt mitarbeiten zu können. Für die eingehende Untersuchung einer Fragestellung, die in starkem Maße von Konzepten und Methoden der Geschichtswissenschaft, Ethnologie und Soziologie abhängt, war die Bündelung verschiedener Projekte und Disziplinen im Sonderforschungsbereich von besonderem Wert. Ohne den Austausch mit vielen interessierten Kollegen anderer Disziplinen wäre die Arbeit so nicht möglich gewesen. Die Studie lag im Wintersemester 2001/02 der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Habilitationsschrift vor. Fragen „ethnischer Interpretation" und ihre methodischen Probleme begegneten mir bereits bei meinen Studien zum hochmittelalterlichen Landesausbau und zur frühmittelalterlichen Keramik im östlichen Mitteleuropa. Die ersten Anregungen, darüber genauer nachzudenken, gehen auf Heinz Grünert zurück, der in seinen Berliner Lehrveranstaltungen die archäologische Unterscheidung von Germanen und Kelten sowie die damit verbünde-
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Vorwort
nen methodischen Probleme thematisierte. Mit dem Abschluß meiner Dissertation über „Feldberger Keramik und frühe Slawen" meinte ich, „ethnische Interpretationen" in der Archäologie zukünftig beiseite lassen zu können. Doch mit dem Wechsel von Berlin nach Freiburg holte mich dieses „Paradigma" wieder ein, nachdem es mir bereits 1996/97 während des Reisestipendiums des Deutschen Archäologischen Instituts in verschiedenen Ländern plastisch vor Augen geführt worden war. Die aufgeschlossene, diskussionsfreudige Atmosphäre am Freiburger Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters hat wesentlich zum Zustandekommen der vorliegenden Arbeit beigetragen. Ich danke meinen SFB-Kollegen am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters - Hubert Fehr, Dietrich Hakelberg, Michaela Jansen, Wolfgang Pape, Philipp v. Rummel und Heiko Steuer - für zahlreiche Diskussionen und Anregungen. Für die kritische Lektüre wesentlicher Teile des Manuskripts danke ich Cornelia Böhnstedt, Hans-Stephan Brather, Johanna Brather, Brigitte Lohrke und Heiko Steuer. Ebenso bin ich den drei Freiburger Referenten - Heiko Steuer, Hans-Joachim Gehrke und Thomas Zotz und ihrer Kritik dankbar verpflichtet. Frankfurt/M., im Juli 2003
Sebastian Brather
Inhalt Vorwort
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I. Fragestellung: „ethnische Interpretation" und „ethnische Identität" ..
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II. Geschichte: ethnische Interpretationen im nationalen Diskurs des 19. und 20. Jahrhunderts
11
III. Begriffe: zentrale Klassifikationen im 19. und 20. Jahrhundert
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1. Das „Volk" a) Vom „gemeinen Volk" zur „Nation" b) Vom „Volk" zum „Ethnos"
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2. Die „Kultur" a) „Kultur" und „Gesellschaft" b) „Kultur" in Ethnologie und Prähistorie c) Gegenwärtige Konzepte der „archäologischen Kultur"
52 52 59 70
3. Die „Rasse" a) Von der „Rasse" zum „Volk" b) Von der Rassenklassifikation zur Populationsgeschichte
77 77 85
4. Die „Sprache" a) „Sprache" und „Nation" b) Sprachgrenzen und Sprachverwandtschaft
89 89 92
TV. Identitäten: soziale und ethnische Gruppen 5. Kollektive Identitäten als soziale Konstrukte 6. Ethnische Identitäten und kulturelles Gedächtnis 7. Barbaren in der antiken Ethnographie: Kelten, Germanen und Slawen 8. Ethnische Identitäten im frühen Mittelalter: germanische „Reichsbildungen"
97 97 104 117 139
Vili
Inhalt
V. Traditionelle Ansätze: ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie
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9. Ausgangspunkt: regionale Abgrenzungen und Siedlungsgebiete ... 162 a) Sprachliche Großgruppen: Sprachfamilien 164 Kelten: Hallstatt- und Latène-Kultur 166 Germanen: Jastorf-Kultur 174 Slawen: Prag-Korcak-und Sukow-Dziedzice-Kultur 184 Exkurs: die Basken 189 b) Ethnische Gruppen: „Stämme" und „Stammesverbände" 192 Franken und Alemannen im Merowingerreich 192 Goten und benachbarte „Völker" in Osteuropa 197 Nordwestslawen zwischen Elbe und Oder 201 10. Kulturelle Kontinuitäten und ethnische Kontinuitäten a) Kelten: Hallstatt- und Latène-Kultur b) Germanen: Jastorf-Kultur c) Slawen: kaiserzeitliche Kulturen Ost(mittel)europas d) Vergleich
205 206 210 213 217
11. Ethnogeneseprozesse a) Sprachliche Großgruppen: Kelten, Germanen und Slawen b) Ethnogenesen im engeren Sinne Goten Alemannen Nordwestslawen: Wilzen, Abodriten und Heveller
218 220 228 228 231 236
12. Wanderungsbewegungen und „Expansionen" a) Sprachliche Großgruppen Die „Expansion" der Kelten Die „Westwanderung" der Slawen b) Kleingruppen: Heeresverbände, Gefolgschaften Die Wanderung der Goten Die Wanderung der Angeln, Jüten und Sachsen nach England und ihre „Landnahme"
239 240 240 249 255 255
13. Fremde, „Minderheiten" und ethnisch heterogene Bevölkerungen a) Einzelne Individuen und kleine Gruppen Die „gemischte" Bevölkerung des Seehandelsplatzes Haithabu Waräger in Rußland Frauen fremder Herkunft im Merowingerreich? „Vertriebener" alemannischer Adel?
276 277 277 279 283 287
268
Inhalt
b) Größere „Minderheiten": vor der „Akkulturation" „Koexistenz" I: „Romanen" und „Germanen" im frühen Mittelalter „Koexistenz" II: Slawen und Deutsche im Rahmen der hochmittelalterlichen Ostsiedlung
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290 290 301
14. Methodische Varianten der ethnischen Zuweisung a) „Komplexe" archäologische Kulturen b) Kombinationen mehrerer kultureller Merkmale bzw. „Traditionen" c) Einzelobjekte und -merkmale
306 308
15. Zwischenstand: methodische Probleme und Grenzen „ethnischer Interpretationen"
318
VI. Strukturelle Alternativen: kultur-, wirtschafts- und sozialgeschichtliche Interpretationen 16. Charakter und Aussagekraft archäologischer Quellen a) Fragestellung: ethnische Identitäten in der Archäologie? b) Quellenkritik und Klassifikation c) Historische Interpretation Strukturen von Gesellschaften Strukturelle Zugänge der Archäologie
304 304
323 323 326 328 333 335 340
17. Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation 354 a) Archäologie als Kulturgeschichte 358 Typologie und Stil 359 Vorstellungswelten 369 Kleidung und Erscheinungsbild 390 „Akkulturation" 412 Essen und Trinken 428 b) Archäologie als Wirtschaftsgeschichte 431 Umwelt 432 Landwirtschaft 434 Handwerk und Technologie 439 Austausch 451 Siedlungsformen 462 c) Archäologie als Sozialgeschichte 471 Siedlungen 472 Gräber: horizontale Abgrenzungen 481
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Inhalt
Gräber: „diagonale" Gliederungen „Gender" als „vertikale" Abgrenzung Demographie d) Möglichkeiten und Grenzen struktureller Interpretationen
494 505 510 513
18. „Ethnische Deutung" oder strukturgeschichtliche Erklärung? .... 517 a) Kulturraum oder „Stammesgebiet"? 526 b) Kulturelle oder ethnische Kontinuität? 537 c) Kulturwandel oder Ethnogenese? 544 d) Wanderungen oder Austauschbeziehungen? 551 e) Fremde oder Fremdgüter? 559 f) Grundsätzliche Abwägung 565 19. Identitäten und Sachkultur: Symbole im archäologischen Befund? 567 a) Symbole ethnischer Identität 569 b) Symbole sozialer Identitäten 570 VII. Ausblick: ethnische Identitäten in der prähistorischen Archäologie? 579 20. Besonderheiten der Urgeschichte 579 a) „Archäologische Kulturen" und prähistorische Gesellschaften . 579 b) Historischer oder kulturanthropologischer Ansatz? 592 21. Die Verbindung von Sachkultur und Sprache a) Die „Indogermanen" b) Kelten, Germanen und Slawen und weitere Sprachgruppen
593 593 601
22. Physische Anthropologie und Archäologie a) Verwandtschaftsanalysen innerhalb von Gräberfeldern b) Populationsgenetik: Großgruppen im Vergleich
604 604 610
VIII. Zusammenfassung: ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie
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Literaturverzeichnis
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Register 1. Personenregister 2. Ortsregister 3. Sachregister 4. Quellenindex
781 781 785 791 804
I. Fragestellung: ethnische Interpretation" und „ethnische Identität" Ethnische Interpretationen, d. h. die Identifizierung archäologischen Fundmaterials mit - unter Umständen historisch überlieferten - „Stämmen" oder „Stammesverbänden", haben in der prähistorischen Forschung eine lange Tradition. Entsprechende Bemühungen sind älter als die wissenschaftliche Ur- und Frühgeschichtsforschung, denn man fragte sich nicht erst seit der Anerkennung der Bodenfunde als Zeugnisse menschlicher Existenz im 18. Jahrhundert, welchem alten „Volk" diese Sachüberreste zu verdanken seien. Bereits im 16. Jahrhundert bemühten sich humanistische Gelehrte, aufgedeckte Gräber mit „antiken Völkern" in Verbindung zu bringen. Bestrebungen, die Hinterlassenschaften aus längst vergangenen, „vorgeschichtlichen" Zeiten den direkten Vorfahren der heutigen Bevölkerungen zuzuschreiben, speisten sich dann aus dem „nationalen Geist" des 19. Jahrhunderts.1 Im Zuge der Herausbildung bzw. Verfestigung moderner Nationen und Nationalstaaten entdeckten die Deutschen die Germanen wieder, die Franzosen die Kelten und „Gallorömer", während Tschechen, Slovaken, Polen, Slovenen als „kleine Völker" nach eigener Identität strebten und mancher zeitweise eine „panslawische Gemeinschaft" wiederbegründen wollte. Die Relevanz und Emphase ethnischer Fragestellungen in der archäologischen Forschung lag offenbar weniger im primär wissenschafdichen Interesse, sondern in den zeitgenössischen Vorstellungswelten und der damit verbundenen politischen „Instrumentalisierbarkeit" entsprechender Aussagen. Die Identifizierung früher Völker im archäologischen Material hat zur Konstruktion nationaler Identitäten der modernen Welt beigetragen. Seit dem späten 19. Jahrhundert, dem „imperialen Zeitalter", benutzte man tatsächliche oder vermeintliche ethnische Kontinuitäten, um aktuelle politische Gebietsansprüche zu begründen.2 Hier lieferte insbesondere die deutsche Prähistorie einiges an scheinbar schlagkräftigen Argumenten, auch für
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Hakelberg 2003. Eggers 1986, 199-254.
2
Fragestellung
die Postulierung eines jahrhundertelangen deutschen „Drangs nach Osten" und für das daraus abgeleitete „Recht" auf polnischen Boden. 3 Geradezu abstrus und politisch verantwortungslos mutet heute der erbittert geführte Streit zwischen den Archäologen Józef Kostrzewski (1885-1969) und Bolko von Richthofen (1899-1983) an, ob denn Ostdeutschland tatsächlich zur „Urheimat der Polen" gehört habe oder Oberschlesien und Posen „urpolnisches" oder nicht vielmehr „urgermanisches Land" seien.4 Den Boden für einen derartigen Mißbrauch der prähistorischen Archäologie hatte vor allem Gustaf Kossinna (1858-1931) bereitet, indem er die „deutsche Vorgeschichte" zu einer „hervorragend nationalen Wissenschaft" erklärte;5 dies bedeutete zugleich den Wandel von einer kulturhistorisch zu einer „völkisch" ausgerichteten Archäologie. 6 Es war dann im Deutschland der 1930er Jahre ein leichtes, dieses Vorgehen bis zur Perversion weiter zu treiben. Die deutsche Entwicklung von Kossinna bis zum Zweiten Weltkrieg ist dennoch nur die Spitze eines gesamteuropäischen Eisbergs. Zu den dominierenden, wenngleich häufig nur latent vorhandenen nationalen Motiven „ethnischer Deutungen" kam wohl auch das Gefühl der Minderwertigkeit gegenüber der historischen Wissenschaft im engeren Sinne, die nur wenig von den in der Erde wühlenden „Spatenforschern" und deren romantischen Vorstellungen hielt. Was konnten die über die Geschichte von Staaten und Völkern schon aussagen? So soll der Althistoriker Theodor Mommsen (1817-1903) wohl in einem ironischen Seitenhieb - wenngleich nicht verläßlich verbürgt - bemerkt haben, die Prähistorie sei so etwas wie eine „Wissenschaft der Analphabeten". 7 Sie stelle lediglich „ein Arbeitsgebiet für Landpastoren und pensionierte Offiziere" dar.8 Verbreitet waren darüber hinaus ähnlich geringschätzige Bezeichnungen wie „Pastoren-Archäologie" 9 und „Wissenschaft des nicht Wissenswerten". 10 Diese Einschätzung dürfte für einen Großteil des 19. Jahrhunderts durchaus zugetroffen haben, hält man sich die verbreitete „antiquarische Geisteshaltung mit ihrer Vorliebe für Klassifi-
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Wippermann 1981. Klejn 1974, 29 f. Kossinna 1914; vgl. Brather 2001c. Veit 1989. Seger 1911, 58. Wahle 1934, 572. Seger und Wahle polemisierten mit dieser Mommsen-Äußerung gegen die Geringschätzung ihrer eigenen Disziplin. Auch wenn es erfunden wäre, beschriebe dieses Zitat die Situation durchaus treffend. Ranke 1901, 72. Schneider 1911, 121.
Fragestellung
3
kationen und belanglose Einzelheiten" vor Augen. 11 Zugleich ist damit die „bildungsbürgerliche" Stimmung des ausgehenden 19. Jahrhunderts beschrieben. Deshalb suchten viele Vertreter der Prähistorie ihr Heil in der ethnischen Interpretation als - aus heutiger Sicht vermeintlich - zentraler historischer Aussage. 12 Bis heute haben „ethnische Deutungen" in der prähistorischen Forschung nicht gänzlich an Popularität verloren, ist ein Paradigmenwechsel im Sinne Thomas Kuhns 13 ausgeblieben und werden traditionelle Forschungsprogramme weiterhin verfolgt. 14 Dies ist aus der Geschichte dieser Forschung, d. h. ihrer Einbindung in den nationalen Diskurs, leicht erklärlich und schlägt sich in einer Reihe von Formulierungen nieder: „Die Wanderung der Goten", „die Urheimat der Slawen", „die keltische Latène-Kultur", "die alemannische Landnahme", „die langobardischen Schatzfunde" sind bis heute feste Begriffe in der archäologischen Literatur. An ihnen wird zugleich deutlich, daß die „ethnische Interpretation" vielfältig ausfällt und daher so etwas wie eine allgemeine Chiffre darstellt. Neben ethnischen Gruppen geraten andere „Ansammlungen" wie Sprachgruppen oder soziale Gruppierungen in das Zentrum des Interesses, so daß außerdem Sprache und verschiedene Identitäten der Zeitgenossen thematisiert sind. 15 Es ist aber methodologisch zu fragen, ob sich subjektive (ethnische) Identitäten überhaupt aus dem Sachgut erschließen lassen 16 - und ob deshalb nicht vielmehr strukturgeschichtliche Erkenntnisse für die Erklärung historischer Prozesse verläßlichere Anhaltspunkte zu geben vermögen. Hermann MüllerKarpe beschließt aus dieser Sicht das Chorologie-Kapitel seiner „Einführung in die Vorgeschichte" mit der klaren und nüchternen Feststellung: „Wo wir auf archäologische Quellen angewiesen sind, vermögen wir nicht diese [ethnischen Einheiten - S. B.], sondern eben nur allgemein Geschichtsräume zu erkennen". 17 Der Ethnologe Roland Mischung fragt gar, „ob - von glücklichen Ausnahmefällen abgesehen - die Frage nach dem Ethnos einer .archäologischen Kultur' nicht grundsätzlich irrelevant" sei. 18
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Momigliano [1950] 1995, 141 f., hinsichtlich der klassischen Archäologie. Wahle 1941; Kiekebusch 1928, 103; Nowakowski 1998, 16. Kuhn 1976. Vgl. zur Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme und ihrer Heuristik Lakatos 1982,46-52,116-124. Vgl. Kap. V,9-14. Vgl. Urbanczyk 2000. H. Müller-Karpe 1975, 81. Mischung 1986, 680.
4
Fragestellung
Seit den 1960er Jahren ist das Problem der „Ethnizität" in den Sozialwissenschaften wieder in die Diskussion gekommen. Ethnologische Untersuchungen im entkolonialisierten Afrika und stadtsoziologische Studien in den USA machten deutlich, daß kulturelle, sprachliche und soziale Phänomene alles andere als regelhaft zusammenfallen. Zentral erscheint nunmehr die Selbstdefinition ethnischer Gruppen im Rahmen sozialer Interaktion mit anderen Gruppen. Zugleich wendet man auch den „Nationen" und dem „Nationalismus" verstärkt Aufmerksamkeit zu. Beides steht im Zusammenhang mit der „Identität" sozialer Gruppen, die sich nach innen der Zusammengehörigkeit versichern und gleichermaßen nach außen gegen andere Gruppen abgrenzen. Dieses Wechselspiel von Inklusion und Exklusion läßt sich in allen Gesellschaften beobachten - von den „Naturvölkern" bis zu den heutigen Staaten - und bildet offensichtlich eine universale Konstante. Gesellschaften bedürfen der Selbstversicherung in der Vergangenheit, um ihre Existenz zu erhalten und zu stärken.19 Wissenschaftsgeschichtlich läßt sich diese Entwicklung als methodische Neuorientierung nach der Dominanz funktionalistischer und ökologischer Konzepte beschreiben. „Ethnien" 20 erscheinen nunmehr weniger als beständige, geschlossene Einheiten, sondern wesentlich als fließende soziale Konstrukte, die machtvoll Realität werden können. „Ethnische Deutungen" in der Prähistorie, untrennbar mit dem Namen Kossinna verbunden, hatten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Hochkonjunktur, nachdem sie im „imperialistischen Zeitalter" auf breiter Front vorbereitet worden waren. Nach 1945 zog man sich in der deutschen Ur- und Frühgeschichtsforschung auf den scheinbar neutralen Terminus der „archäologischen Kultur" zurück, um Abstand von der „nationalen Vorgeschichte" und ihren offensichtlich gewordenen Irrwegen zu gewinnen.21 Im angloamerikanischen und skandinavischen Raum wurden stattdessen die Sozialwissenschaften rezipiert und vor allem nach wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen gefragt (New Archaeology). „Ethnische" Fragen gerieten so im allgemeinen an den Rand des archäologischen Interesses. Sowohl angesichts der offensichtlichen neuen, gegenwärtigen Aktualität von „Ethnizität" als auch der meist latenten, oft halbwegs unbemerkt vollzogenen, zumindest jedoch unzureichend reflektierten „ethnischen Deutung"
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J. Assmann 1997. In der vorliegenden Studie wird in Anlehnung an das griechische Original der Begriff Ethnos anstelle des eingebürgerten, aus dem Französischen entlehnten Terminus „Ethnie" verwendet. Im Plural steht dagegen anstelle von ethnê „Ethnien". Narr 1990, 298; Veit 1984, 352.
Fragestellung
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innerhalb der archäologischen Literatur 22 (und darüber hinaus) gilt es, methodische Grundlagen in Frage zu stellen und neu zu formulieren. Dabei bedarf es hinsichtlich der Methodologie 1. eines tragfähigen Konzepts von „Ethnien" und ihrer Strukturen sowie 2. einer daran anschließenden kritischen Analyse der Möglichkeiten archäologischer Interpretation, die auch alternative Erklärungsansätze berücksichtigt. Die beiden zentralen Fragen lauten daher: 1. Mit welchen Gruppierungen ist in frühgeschichtlicher Zeit zu rechnen, und welche hatten eine starke Identität entwickelt? 2. Wie lassen sich Identitätsgruppen einerseits und archäologische Beobachtungen andererseits miteinander in Beziehung setzen, was sind also die Voraussetzungen für eine ethnische Interpretation? Auf dieser Basis sollte es darüber hinaus möglich sein, gelegentlichen (tages-)politischen Instrumentalisierungen prähistorischer Forschung den Boden zu entziehen. Da es sich um komplexe Fragen und Antworten handelt, ist dabei weiter auszuholen, womit zugleich Gliederung und Argumentationsgang der vorliegenden Studie beschrieben sind: I. Die Popularität ethnischer Interpretationen archäologischen Materials resultiert aus der Geschichte des 19. Jahrhunderts. Die Idee des Nationalstaats erlebte im Gefolge von Modernisierungskrisen und Revolutionen, der Romantik und der napoleonischen Ära, der Industrialisierung und des Aufbaus moderner staatlicher Verwaltungen, nationaler Bewegungen in Vielvölkerstaaten und imperialistischer Ambitionen breite Konjunktur. 23 Die Etablierung der Historiographie ebenso wie der Ethnologie, der Volkskunde und der Prähistorie, der Philologie und der Anthropologie als Wissenschaften verlief parallel zur Entwicklung der Vorstellung eines je spezifischen „Volksgeists". Vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund ist der Geschichte ethnischer Interpretationen in der prähistorischen Forschung nachzugehen. Dadurch läßt sich ein Verständnis dafür gewinnen, woher das bis heute andauernde Interesse daran rührt, „Völker" auch und gerade in das Zentrum der Vorgeschichtsschreibung zu stellen. Offensicht-
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Janssen 1988, 28, faßte zusammen: „Trotz der methodischen Kritik von Eggers und Wahle wird auch heute noch relativ sorglos archäologisches Fundgut interpretiert. Man spricht ζ. B. von gotischen, langobardischen, thüringischen oder angelsächsischen Fibeln, von sächsischer, thüringischer oder fränkischer Keramik usf. Die Hemmschwelle, ethnisch bestimmte Termini in die Beschreibung archäologischer Materialien einzubringen, ist, trotz der schwerwiegenden Bedenken in der älteren Forschung, heute weitgehend abgebaut. Es wird munter und unreflektiert ethnisch interpretiert." Wehler 2001.
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Fragestellung
lieh hat die Identifizierung früher Völker im archäologischen Material vor allem zur Konstruktion nationaler Identitäten der modernen Staaten beigetragen. Die prähistorische Forschung hat es trotz aller kritischen Versuche nicht vermocht, sich aus dem einmal gesetzten Interpretationsrahmen zu befreien und diesen Ansatz grundsätzlich in Frage zu stellen.24 2. „Volk" und „Kultur", aber auch „Sprache" und „Rasse" stellen zentrale Begriffe dar, mit denen seit dem 19. Jahrhundert von der Prähistorie, der Ethnologie und Volkskunde, der Philologie, Anthropologie und Historiographie bis hin zur Soziologie Gesellschaften beschrieben wurden und werden. In den beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen gewann dabei die Vorstellung die Oberhand, diese Begriffe stünden für geschlossene, homogene Totalitäten. Diese seien jeweils scharf umgrenzt und fielen im Regelfall zusammen. Jedes Volk besitze „seine" Kultur, „seine" Sprache und sei aufgrund seiner gemeinsamen biologischen Abstammung „reinrassig". Damit saß man grundlegenden ethnozentrischen Topoi auf, ohne sich dessen bewußt zu werden.25 Jede Gesellschaft wird sowohl in der Selbst- wie in der Fremdwahrnehmung einige wenige „kulturelle" Merkmale als typisch herausstellen, um damit „eindeutig" abgegrenzt werden zu können. In den letzten Jahrzehnten ist aber insbesondere durch soziologische und ethnologische Untersuchungen deutlich geworden, daß Gesellschaften in weit geringerem Maße homogen strukturiert und nach außen scharf abgegrenzt sind, als man lange Zeit glaubte.26 Deshalb ist zu fragen, ob diese Begriffe statt Realitäten nicht vielmehr analytische (idealtypische) Konstrukte darstellen, die offene dynamische Systeme zu erfassen suchen.27 3. Von fundamentaler Bedeutung dafür, inwieweit sich archäologisches Material ethnisch interpretieren läßt, ist die Charakterisierung von Ethnien. Mit anderen Worten: was kennzeichnet „ethnische Gruppen"? Sind es gemeinsame, „objektive" Merkmale wie Kultur und Sprache oder ist es vielmehr die „subjektive" Selbstzuordnung der Individuen, das „Wir-Gefühl" bzw.
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Kap. II. Kap. III. Wolf 1991, 22: „Wenn wir Nationen, Gesellschaften oder Kulturen als nach innen homogene und nach außen isolierte, ausgestanzte Objekte ausgeben, entsteht ein Modell von Welt, das einem globalen Billardtisch gleicht, auf dem die einzelnen Kulturkreise wie harte, runde Billardkugeln aneinanderklacken und sich gegenseitig in Bewegung setzen." Die Vorstellung von Kugeln bereits bei Herder [1774] 1891, 509. Darauf hatte allerdings schon Elias 1997, 81, in den 1930er Jahren aufmerksam gemacht und den Prozeßcharakter von Gesellschaften betont.
Fragestellung
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die Identität? 28 Welche Faktoren spielen jeweils eine Rolle für verschiedene, einander überschneidende und miteinander konkurrierende „kollektive Identitäten" (Generationen, Geschlecht, Status, Religion, Beruf etc.)?29 Spielt „Ethnizität" eine besondere, dominierende Rolle oder sind nicht vielmehr soziale Identitäten für die meisten Individuen entscheidend, während vor allem Eliten als „Traditionskerne" das „ethnische Bewußtsein" konzentrieren? Unter welchen Bedingungen und in welchen Situationen werden „ethnische" Zusammengehörigkeitsgefühle relevant und für bestimmte Ziele instrumentalisiert? 30 Soziologische, ethnologische und historische Untersuchungen vermögen Modelle dafür zu liefern, wie „Ethnien" strukturiert sein können und wie sich „Ethnizität" äußern kann. 31 Dabei ist zwischen Ethnien als subjektiven Identitätsgruppen einerseits und linguistischen sowie ethnographischen Klassifikationen andererseits zu unterscheiden. 4. Daran anschließend ist zu fragen, inwieweit sich „ethnische Identitäten" im archäologischen Fundgut wiederfinden lassen.32 Voraussetzung dafür wäre, daß „Ethnizität" im Sachgut symbolisiert wird. 33 „Grenzzeichen", die verschiedenster Art sein können, müßten eindeutig isoliert und als solche identifiziert werden können. Die bloße regionale Beschränkung bestimmter „Zeichen" sagt über deren Rolle zur ethnischen Identifizierung in den Augen der Zeitgenossen überhaupt nichts aus. Die mitteleuropäische Frühgeschichte bietet eine Reihe von Beispielfällen, dies im einzelnen zu exemplifizieren. Schriftliche Überlieferungen aus Antike und frühem Mittelalter berichten von keltischen, germanischen und slawischen „Stämmen" aus der Außensicht. Diese „Ethnographien" führen vor allem jene ethnischen Besonderheiten auf, die sich am meisten von der eigenen Welt oder den benachbarten Barbaren unterschieden und deshalb als „typisch" erschienen. Daß dabei nicht wenige Topoi Verwendung fanden und stets aufs neue wiederholt wurden, versteht sich von selbst. Daher müssen die Fragen an das Material anders als bislang gestellt werden, um zu relevanten
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So schon Weber 1956,234-244; aber auch Renan [1882] 1947b sah Geist und Geschichte, nicht Sprache und Volk, als Konstituenten der Nation an. J. Assmann 1997, 34-86, 130-160. Kap. IV. Heinz 1993. Eine methodologisch angelegte Arbeit, für die es nicht das Problem ist, „ob hinter archäologischen Kulturen ethnische Einheiten stehen, sondern welcher A n diese ethnischen Einheiten sind" (Wendowski 1995, 68), verfehlt ihr Ziel. Jones 1997.
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Fragestellung
Ergebnissen zu gelangen: erst eine sorgfältige quellenkritische Analyse der überlieferten Texte vermag deren Zeugniswert im Detail zu ermitteln.34 5. Archäologisches Material läßt sich nur unter bestimmten Umständen „ethnisch" zuordnen. Strukturgeschichtliche Ansätze stellen demgegenüber verbreitete und überzeugende Modelle dar, das Fundgut historisch zu interpretieren35 - nachdem es klassifiziert und ζ. B. zu regionalen „Kulturkreisen" zusammengefaßt wurde.36 Kartierungen von Funden und Befunden bilden ehemalige Kommunikationsbeziehungen ab und erfassen daher Wirtschafts- und Verkehrsräume, Kulturräume und Werkstattkreise, Sepulkralgebiete und Technikbereiche.37 Grabausstattungen und mitunter Hortfunde sowie Kultstätten geben Aufschluß über Sozialstrukturen38 und religiöse Handlungen, Siedlungsbefunde dienen der Analyse der alltäglichen Lebensverhältnisse. Räumliche und zeitliche Entwicklungen können auf diese Weise oft detailliert beschrieben werden. Da Strukturanalysen auf einer anderen Interpretationse¿e«e argumentieren, besitzen sie weder einen methodischen noch einen inhaltlichen Zusammenhang zu „ethnischen Deutungen".39 - Unter welchen Voraussetzungen, d. h. in welcher spezifischen historischen Situation ist das Material „ethnisch" anzusprechen, also als Niederschlag eines subjektiven Gruppenbewußtseins zu werten, und wann haben wir es allgemein mit strukturgeschichtlichen Phänomenen zu tun? Gibt es globale Erklärungsmuster, oder ist vielmehr jeder Einzelfall daraufhin zu prüfen, welcher Ansatz mehr Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen kann? Sind „ethnische Identitäten" mithin ein zentrales Thema für die archäologische Forschung?40 6. Schließlich ist von den hier unternommenen Studien zur Frühgeschichte ein Blick zurück auf vorgeschichtliche Verhältnisse zu werfen.41 Die zentrale Frage dabei lautet: Lassen sich ohne schriftliche Zeugnisse, d. h. ohne
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Kap. V. Narr 1972 verweist auf die grundsätzlichen methodischen Schwierigkeiten, mit archäologischen Methoden Individualgeschichte zu schreiben. Brather 2001b. H. Müller-Karpe 1975, 74-81. Steuer 1982a. Kap. VI,17 erscheint daher isoliert von der Erörterung „ethnischer Deutungen", doch nur durch das Verlassen des traditionellen Interpretationsrasters können Alternativen der Interpretation und damit die Bandbreite archäologischer Erkenntnismöglichkeiten beschrieben werden. Kap. VI. Kap. VII.
Fragestellung
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jeden halbwegs direkten Zugang zur geistigen Welt - seien es Selbst- oder Fremdzeugnisse - ethnische Gruppen fassen? Wenn sich auch aus dem Kontext des Befundes, wie von Ian Hodder postuliert, der Symbolgehalt bestimmter Sachgüter erschließen ließe, 42 hätten wir es dann (stets) mit ethnischen Symbolen zu tun? Ist also die Identifizierung von Ethnien, d. h. von regionalen (?) Gruppen mit einem Zusammengehörigkeitsgefühl, allein mit archäologischen Methoden möglich? Oder bedarf es dazu immer der Kombination mit anderen, unabhängigen Quellenzeugnissen, so daß sich beispielsweise die archäologische Suche nach den „Indogermanen" oder „Indoeuropäern" als Sackgasse erweist? 43 Neben einer umfangreichen, inzwischen nur noch schwer zu überschauenden Reihe von Aufsätzen zum Thema der „ethnischen Deutung" und ihren methodischen Teilaspekten in der prähistorischen Forschung 44 liegen aus den letzten Jahren zwei monographische Versuche vor: Marlies Wendowski vermochte sich in ihrer Hamburger Dissertation nicht von der überholten Vorstellung zu lösen, sowohl „archäologische Kulturen" als auch „Ethnien" seien geschlossene, homogene Einheiten. Deshalb gelangt sie nicht über die traditionelle Diskussion hinaus, inwieweit sich beide „Einheiten" in Übereinstimmung bringen ließen, und scheitert so letztlich an dem selbstgesteckten „Ziel, Möglichkeiten und Grenzen der ethnischen Zuweisung archäologischer Komplexe [...] aufzuzeigen". 45 Auch die gesamte ältere Kossinna-Kritik bis hin zu Ernst Wahle (1889-1981) 4 6 war nicht in der Lage, dieses Interpretationsraster aufzugeben und zu einem anderen, neuen Ansatz zu finden. Siân Jones dagegen erörtert ausführlich moderne ethnologische und soziologische Ansätze, „ethnische Identität" und „Ethnizität" zu erklären. Dabei betont Jones den subjektiven Charakter ethnischer Selbstidentifikation, doch offeriert sie der archäologischen Forschung keine daraus resultierenden methodischen Ansätze. 47 Ihre Studie ist ein wesentlicher Ansatzpunkt der vorliegenden Arbeit, die darüber hinaus entscheidende Anstöße dem Freiburger Son-
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Hodder 1982. Renfrew 1987 bringt wiederum Sprachraum und archäologische Kultur zur Deckung. Dazu gehören auch mehrere thematische Sammelbände: Ethnogenese europäischer Völker 1986; Ethnicity 1991; Cultural identity and archaeology 1996; Typen der Ethnogenese 1990a1990b; Strategies of distinction 1998; Entstehung von Sprachen und Völkern 1985; Studien zur Ethnogenese 1985; Archäologische Informationen 20, 1997; Archaeology and language 19971999; Kultury archeologiczne 2000. Wendowski 1995, 16. Wahle 1941. Vgl. Hakelberg 2001; Jentgens 2001, 18-38; Wenskus 1961, 113-142. Jones 1997, 119-127; vgl. Brather 1998.
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derforschungsbereich 541 „Identitäten und Alteritäten. Die Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Identität" verdankt.48
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Ein erster Entwurf bei Brather 2000b; 2002b; ähnlich in Ansatz und Zielrichtung: Wallerström 1997.
II. Geschichte: ethnische Interpretationen im nationalen Diskurs des 19. und 20. Jahrhunderts Bodenfunde und Sachüberreste wurden nicht erst seit dem Humanismus und der Aufklärung mit bestimmten alten „Völkern" in Verbindung gebracht. Bereits in der Antike konnte man so verfahren. Schon Thukydides schrieb einige im südwestlichen Kleinasien entdeckte Gräber einer aus der Überlieferung bekannten, älteren Bevölkerung und nicht den Griechen zu, weil sich die bei Bauarbeiten entdeckten Bestattungen von den griechischen unterschieden. Deshalb mußten sie den früher hier ansässigen Karern zugehört haben, meinte Thukydides 1 , und lieferte damit ein frühes Beispiel „ethnischer Interpretation" von Bodenfunden. Deutsche Humanisten 2 versuchten im frühen 16. Jahrhundert, in der nationalen Zugehörigkeit ein neues Selbstwertgefühl gegenüber Rom und der Kurie zu gewinnen. Dazu entnahmen sie den antiken Quellen das Motiv der germanischen Ureinwohner (indigenae) sowie deren altehrwürdige Herkunft (origo) und die daraus zu folgernde vetustas und excellentia Germanorum? Die Germanen der Antike wurden rasch mit den zeitgenössischen Deutschen identifiziert. „Antike" Grabfunde konnten dann nicht nur die Auffassung widerlegen, die antiken Germanen seien im Vergleich zu den Römern kulturlose Barbaren gewesen; gleiches galt logischerweise ebenso für die modernen Deutschen im Vergleich mit dem Italien der Päpste.4 Der in Rostock lehrende
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Thukydides, Historiae 1,8. Thukydides liefert keine Details, sondern erwähnt nur summarisch die Art der Waffen und die „noch heute übliche Form der Bestattungen". Zum Humanismus vgl. Diffusion des Humanismus 2002. Münkler/Grünberger 1994; Münkler/Grünberger/Mayer 1998; vgl. Ridé 1976. Besonders Enea Silvio Piccolomini (1405-1465), der als Papst Pius II. ab 1458 amtierte, wies auf die zivilisatorische Bedeutung der Christianisierung der „alten Deutschen" hin: Apostolica sedes vobis aperuit oculos et viam salutis ostendit. Que missis predicatoribus Christum vobis crucifixum evangelizavit, errorem vestrum repulit. Quo deterso legem veritatis accepistis et cognitionem filii dei, reliquistis vitiorum viam et iter virtutis ingressi, qui vitam ex rapto ducebatis, nunc ex vestris vivere bonis didtàstis. Iam rapiñas odio habetis, iam furta damnatis, iam adultérin iniurasque omnis generis prohibetis. Iam inopibus commiseri didicistis, elemosynas elargiri, sacerdotes venerali, religioni plurimum tribuere; Piccolomini [1458] 1962, 76 (111,8).
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Nicolaus Marschalk (ca. 1470-1525), Kanzler des mecklenburgischen Herzogs Heinrich V., hatte um 1513/1521 archäologische Funde ethnisch interpretiert, indem er jungsteinzeitliche Megalithgräber für herulisch (germanisch) erklärte und bronzezeitliche Grabhügel den (slawischen) Abodriten zuwies. In den benachbarten Urnenflachgräbern sah er Bestattungen der Knechte dieser (germanischen und slawischen) Herren (Abb. I). 5 Mit seinen wöchentlich erschienenen „Cimbrisch-Hollsteinischen Antiquitäten-Remarques" zielte Pastor Andreas Albert Rhode (1682-1724) auf die Popularisierung der heimischen Altertümer: „De armis Romanorum und anderer haben verschiedene geschrieben und Erwehnung getan; weiß aber nicht daß sich einer daran gemacht und de armis Teutonum & Cimbrorum, ex professo und gründlich zu schreiben sich solte gewaget haben. Kan nicht wissen woher dieses komme da doch Amor patriae billig praevaliren solte".6 Bereits Rhodes Vater, Pastor Christian Detlev Rhode (1653-1717), grub nach prähistorischen Gräbern und meinte um 1690, daß dieses „aus einer wahren Hochschätzung unserer Deutschen Vorfahren zu gründlicher Erlernung ihres Hauß- und Kriegs-Wesens steter Beybehaltung ihrer Armorum, Utensilium, etc. die sonsten in der Erde verderben mehrerer Erläuterung der Deutschen Historie, und andern dergleichen unsträfflichen Absehen geschiehet".7 Trotz einer Reihe weiterer Versuche8 blieb es bis ins aufklärerische 18. Jahrhundert bei vagen Vermutungen. Erst damals stand die menschliche Herkunft der Bodenfunde endgültig fest, und die Voraussetzungen für einen Durchbruch zu klareren analytischen Konzepten waren gelegt. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, unter dem Einfluß der Romantik und des Eindrucks der napoleonischen Kriege, die Anfänge einer
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Marschalk 1521; Stemmermann 1934,18-22; Gummel 1938, 10; Wollf 1995, 200-204 Abb. 4-5 (es handelt sich nicht um eine gedruckte Quelle, sondern um eine Handschrift). Rhode 1719-1720, 338; Gummel 1938, 39 f. Zitiert nach Gummel 1938, 45 (Brief C. D. Rhodes um 1690). - Hummel 1788, XIII f., meinte noch Ende des 18. Jahrhunderts patriotisch: »deutschen Jünglingen aber wird eine Kenntnis vatterländischer Alterthümer eben sowohl anstehen, als die Bekanntschaft mit den Alterthümern der Griechen und Römer". Vgl. auch Schäffer 1764. Treuer 1688 sah die „abgöttischen Völcker" im allgemeinen und die „Teutschen Völcker" im besonderen als die Urheber der Urnengräber an. Nahezu gleichzeitig stritten Amtmann Andreas Müller und der spätere Arnstädter Superintendent Johann Christoph Olearius (16681747) um den römischen (M.) oder slawischen (O.) Charakter eines bei Kothen (Anhalt) entdeckten Grabes; vgl. Olearius 1701, 15 f.; vgl. außerdem Stemmermann 1934; Kaufmann 1993.
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Abb. 1. Eine Seite aus einem Manuskript des Rostocker Humanisten Nikolaus Marschalk von 1513. Marschalk bemühte sich um die Zuweisung der prähistorischen Hügel- und Flachgräber an die überlieferten Völker in Mecklenburg. Er interpretierte (bronzezeitliche) Hügelgräber als Bestattungen abodritischer „Herren", Urnenflachgräber als die Gräber der zugehörigen „Knechte". Außerdem sah er (neolithische) Megalithgräber als herulisch an. Der Obetritenn begrebnus schlecht / Oft bergenn darumb ganz gerecht / Belegt steyne groß ynnringk / Das was off die tzeit eyn herlich dingk / Im mittenti de worden die herren begraben / Ader annder herlich und mechtige knaben ! Der ist das landt noch allenthalb voi / Do bey man sie erkennenn sol / Eyn teil habenn auch verbomen lassenn / Beiecht ynn krüge, recht an die strassen / Al menn ytzo ztu grossem heyle / Herrn Heinrichen dem fürstem gebracht ey[n] teile / Ungeferlich außgrabenn und fundenn / Dem loblichen fursten bey seinen stundenn / Erwirdig, das er erste möge schawen / Seiner forfamn altheit mit sinen awgen / Die lannde haben itzt noch vor siete / Der kompt denn Stythen eben miete / Wann ehr der frauen verstirbt yr man / Ir bestenn brautcleyder tut sie arm / So hilft sie ynn ztur erdenn tragenn (nach Wollf 1995, 203 Abb. 5)
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„vaterländischen Altertumskunde". 9 Darüber hinaus spielten die Folgen der französischen Revolution, die deutlichen sozialen Veränderungen und M o dernisierungskrisen, die Entstehung moderner Staatsverwaltungen 1 0 , Säkularisierung und Mediatisierung eine wichtige Rolle. 1 1 Das politische Klima w a r dem Bemühen u m Versicherung in der Vergangenheit günstig. Besonders im Südwesten und in den östlich von Elbe und Saale liegenden
Gebieten
Deutschlands begaben sich engagierte Dilettanten auf die Suche nach den Hinterlassenschaften der „nationalen" Vorfahren, weil hier die Nachbarschaft unterschiedlicher Völker durch die sie unterscheidenden Sprachen unmittelbar auffiel und den Zeitgenossen auch im Alltag bewußt wurde. Aus der historischen Uberlieferung wußte man zudem v o n erheblichen Bevölkerungsverschiebungen
in Antike
und
Mittelalter.
Archäologie
und
historische
Sprachwissenschaft trafen sich hierbei im Bemühen u m regionale ethnische Interpretation 1 2 - besonders in „strittigen" Gebieten, w o mit verschiedenen Ethnien (in Kohabitation oder zeitlicher Abfolge) zu rechnen war. 1 3
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Sklenár 1983, 62-101. - In den Augen Ludwig Lindenschmits 1880-1889, 32: „Die Zeit der Fremdherrschaft war es vielmehr, welche der Tätigkeit für die Kunde unserer Vorzeit und ihrer Denkmale eine mächtige, bis jetzt fortwirkende Anregung gab. Gleiche Gefahr wie zur Zeit der alten Römerkriege, die gleichmäßig drohende Entscheidung über Leben und Zukunft unserer Nation führte zu den letzten und tiefsten Quellen ihrer Macht, zu der Hebung des Selbstgefühls und der Selbstachtung des Volkes durch die Erinnerung an die alten Ehren des Landes und die Großtaten einer mehrtausendjährigen Geschichte. In dem brennenden Gefühl der Unterdrückung wie in der Freude der wiedergewonnenen Unabhängigkeit haftete fester der Blick an den Denkmalen jener alten, mit welthistorischer Kraft und Leidenschaft geführten Kämpfe gegen das weltbezwingende Rom." Wehler 2001, 25, weist darauf hin, daß die modernen Staatsbildungen meist vor dem Nationalismus erfolgten, letzterer also nicht als notwendige Voraussetzung moderner Staaten angesehen werden kann. Nipperdey 1983, 11-101; Wehler 1987, 347-546; 2001. Dazu trug insbesondere die Entdeckung der indogermanischen Sprachverwandtschaften bei; vgl. Bopp 1816. - Feist 1913, 487 Anm. 2, bemerkte zur Situation im frühen 20. Jahrhundert: „Die französischen Forscher, die im Gebiet des alten Keltenlandes wohnen, oder auch die slavischen Gelehrten in Rußland könnten mit derselben Berechtigung ihre Stammesgenossen für identisch mit den Urindogermanen erklären, tun es aber in kluger Zurückhaltung bis jetzt nicht." Bereits 1691 hatte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) aus linguistischem Interesse einen Fragebogen an den Lüchower Amtmann Georg Friedrich Mithof (1638-1691) gesandt, um Näheres über die bekannten Bodenfunde aus dem Hannoverschen Wendland zu erfahren und auf dieser Grundlage auch der Verbreitung der lingua Vinidorum Lunebttrgensium näherzukommen; Gummel 1938, 102. Dies geht aus einem Brief Mithoffs an den Celler Hof- und Justizrat Chilian Schräder (1650-1721) vom 17. 5. 1691 hervor, den letzterer an Leibniz sandte (Leibniz [1691] 1957, 513-518).
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In Südwestdeutschland stritt man darum, welche der Altertümer als germanisch, welche als römisch und welche als keltisch anzusehen seien14: „Um diese Widersprüche zu versöhnen und alle Parteien zu befriedigen, entschied sich der Historische Verein von Schwaben in Neuburg dahin, dass, wegen der verschiedenen römischen Münzen und Gefässe Nordendorfs, ein Theil der dortigen Todten als Römer, ein anderer Theil, in Bezug auf die Bronzegeräthe, als keltische Ureinwohner (?) und ein dritter Theil mit Rücksicht auf die Zeitepoche, als alemannische Sieger möchten betrachtet werden können. Es scheint, dass, wenn ein slavischer Gelehrter an der Diskussion sich betheiligt hätte, auch noch für slavische Gäste unter den geduldigen Todten Raum wäre gefunden worden." 15 Gegen die häufige Zuschreibung der neolithischen Megalithgräber an die Kelten anstatt an die autochthonen Germanen regte sich Widerspruch. Gustav Friedrich Klemm (1802-1867), königlicher Bibliothekar in Dresden und dort auch Leiter der Porzellan- und Gefäßsammlung, wies darauf hin, daß „frühere Forscher sie [die Megalithgräber - S. B.] den Celten oder Walen zugeschrieben" hatten. 16 Auch um die „ethnische" Interpretation der Bronzefunde wurde heftig und mit nationalem Pathos gerungen. Heinrich Schreiber (1793-1872)17, badischer Theologe und Historiker, schrieb: „Die alte Geographie des keltischen Volkes in Europa ist zugleich jene der ehernen Streitkeile, und umgekehrt". 18 Noch Kossinna verwahrte sich dagegen.19 Auch die seit den 1840er Jahren entdeckten Pfahlbauten waren zwischen Kelten und Germanen bzw. ihren vermeintlichen Nachfahren umstritten. 20 Diese „Keltomanie" bekämpfte der Direktor des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, Ludwig Lindenschmit (1809-1893), über Jahrzehnte mit aller Verve: „In einem musterhaften circulus vitiosus wurde der keltische Ursprung der Grabhügel aus Beigaben von Bronzen und umgekehrt wieder der keltische
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Vgl. Hakelberg 2003. Lindenschmit/Lindenschmit 1848, 30 (Fragezeichen im Original). Die Toten von Selzen wollten die Brüder Lindenschmit jedoch unmißverständlich als Franken interpretiert wissen; Fehr 2003,137-148. Klemm 1835/36, 107. Rieke 1956, 76-91. Schreiber 1842, 83. Kossinna 1914, 46, verweist auf M. Koch 1856: „Für deutsche Länder kann als Regel gelten, daß die in Gräbern gefundenen Anticaglien von Bronze und Gold, wenn sie nicht römisch sind, notwendigerweise keltisch sein müssen [...] Gräber, deren ganze Waffen- und Anticaglienbeigabe aus Bronze besteht, sind ausgemacht keltisch und werden nie anders gedeutet werden können". Keller 1865.
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Ursprung der Bronzen aus ihrem Funde in Keltengräbern nachgewiesen."21 Besonders schwierig wurde es, wenn nicht nur Kelten, sondern auch Slawen mit den Germanen um den Besitz der bronzenen Waffen und Schmuckstücke wetteiferten.22 In Holstein, Mecklenburg und Pommern, Sachsen, Brandenburg und Schlesien lautete die entscheidende Frage: germanisch oder slawisch?23 Eines der zentralen Anliegen des Breslauer Archivars und Altertumskundlers Johann Gustav Gottlieb Büsching (1783-1829) war es, „wenn auch nicht die einzelnen Stämme, [so] doch die Hauptstämme, Deutsche und Slaven, in den Alterthümern voneinander zu sondern", wenngleich ihm das eingestandenermaßen noch nicht gelang: „So ist ζ. B. für Schlesien noch ganz dunkel, ob die hier gefundenen Altertümer der früheren Deutschen oder der späteren Slavischen Zeit zugehören".24 Die Frage der ethnischen Interpretation bewegte auch andere Antiquare u. a. in Görlitz, Breslau oder Leipzig, in deren Blickfeld immer die Unterscheidung germanischer und slawischer Altertümer (Grabfunde) lag.25 Klemm bemerkte in seinem Handbuch: „Wenn meine in der Einleitung aufgestellte Ansicht über den Unterschied germanischer und slawischer Alterthümer entweder vollkommene Bestättigung oder vollständige Widerlegung gefunden haben wird, [...] würde die Entdeckung und Untersuchung der alten Grabhügel auch in historischer Hinsicht bedeutsamer werden und von Seiten derer, welchen derartige Studien und Bestrebungen bis jetzt nicht wichtig genug schienen, eher Anerkennung erwerben."26 Karl Preusker (1786-1871), Großenhainer Rentamtmann, wollte in Sachsen auch mit Bodenfunden „die vaterländische National- und Kultur-Geschichte [...] erhellen", konnte es aber ebenfalls nur programmatisch fordern.27 Ein metho-
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Lindenschmit 1880-1889, 45. Vgl. Panke 1999. Vgl. Vocel 1854. Hierzu Zak 1974. Büsching 1824, 10 f., zitiert nach Gummel 1938, 118, 164 f. Büsching hatte sich 1816 „für geschichtliche Hilfswissenschaften und deutsche Altertümer" habilitiert; Gummel 1938, 111. Gummel 1938, 112 Anm. 4, unter Hinweis auf entsprechende Passagen ζ. B. bei Kruse 1819; ebenso ebd., 180 Anm. 1; Worbs 1824. Klemm 1835/36, 101 Anm. 4. Klemm interessierte sich für die „Deutschen während eines Zeitraumes, wo diese von ihren cultivirten Nachbaren Germanen genannt wurden". Dabei sei „es hohe Zeit den Muth zu fassen, das germanische vom slawischen zu trennen und den Versuch zu wagen, einen antiquarischen Gegenstand [...] entweder keck als germanisch oder als slawisch zu benennen" (ebd. XI, XIII f.). Demgegenüber blieb die Bezeichnung der Sammlung Slavo-Germanischer Alterthümer im Berliner Schloß Monbijou (1830) merkwürdig vage; Gummel 1938, 57. Preusker 1844, 203: „Schwierig aber dennoch nicht unmöglich wird es mithin erscheinen, in spätem Zeiten, nach vermehrten, ebenso umsichtigen als unparteiischen Forschungen in allen
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discher Weg dorthin mußte erst noch gefunden werden,28 und er mußte gewichtige fachliche Bedenken beiseite räumen: „Die mannichfachen Formen und Verzierungen dieser an einem Orte gefundenen Gefässe müssen Jedem die Überzeugung verschaffen, wie gewagt es sei, aus der Gestalt und den Verzierungslinien einer gefundenen Vase auf die Nationalität irgend eines Volkes schliessen zu wollen."29 Literarischen Niederschlag haben diese Diskussionen der Jahrhundertmitte in Theodor Fontanes (1819-1898) erstem, zwischen 1863 und 1877 entstandenen Roman Vor dem Sturm (1878) gefunden.30 Diese „vaterländische Altertumskunde" blieb zunächst ohne Relevanz im öffentlichen Diskurs und somit eine Sache von Außenseitern. Beispielsweise brauchten die 1852 ins Leben gerufenen, aus privaten Sammlungen entstandenen Museen in Nürnberg (Germanisches Nationalmuseum) und Mainz (Römisch-Germanisches Zentralmuseum) Jahrzehnte, bis sie feste öffentliche Zuschüsse und damit eine sichere Perspektive erhielten.31 Auch in Schulbüchern spielten archäologische Altertümer bis zum Ende des 19. Jahrhunderts keine Rolle.32 Die Vorgeschichte blieb als Diskussionsgegenstand lange Zeit auf kleine und (sozial) begrenzte Interessentenkreise beschränkt33 - in Diskussionen der Archäologen hallten allgemeine Auseinandersetzungen und nationale Diskurse lediglich wider. Die antiquarischen Altertumskundler bemühten sich nach Kräften um öffentliche Beachtung, doch ein verbreitetes Bedürfnis nach nationaler Fundierung in der Vorgeschichte war (noch) nicht vorhanden.
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Gauen Deutschlands, wie den Nachbarländern, von so manchen aufgefundenen Grabstätten auf die Nationen schließen zu können, denen sie angehörten, und zugleich eine Ubersicht der von diesen letztern bewohnten Gegenden zu ermitteln, wofern zugleich auf andere kulturhistorische Uberreste, wie auf schriftliche Quellen, besonders aber, außer der Urnenform und Verzierung, noch auf Beschaffenheit der Mitgaben und der Grabstätte überhaupt sorgfältig Rücksicht genommen wird." Vgl. ders. 1829; U. Sommer 2000 zur Archäologie des 19. Jahrhunderts in Sachsen. Der schlesische Historiker Friedrich Karl Hermann Kruse (1790-1866) beispielsweise betrachtete pauschal alle Brandgräber mit römischen Münzen oder eisernen Geräten als „germanisch"; Kruse 1819, 37 f. Hans Rudolf Schröter (1798-1842), Rostocker Mathematiker und Aufseher der herzoglichen Altertümersammlung in Ludwigslust, meinte intuitiv, daß „ein Teil der Gräber, welcher gerade Waffen enthalte, von den Germanen herrühre, - ein anderer Teil aber, welcher gekrümmte Waffen enthalte, von den Wenden"; Lisch 1837, 85 (zitiert nach Gummel 1938, 182). Vocel 1845, 14. Vocel interessierte sich allerdings auch nicht für Keramik; Sklenár 1983, 95. Düwel 1997a. Das Germanische Nationalmuseum 1978; Böhner 1982. - Vgl. zu historischen Mythen: Mythen der Nationen 1998; Wülfing/Bruns/Parr 1991. Erst nach dem ersten Weltkrieg änderte sich diese Situation: Marienfeld 1979, 16. Hakelberg 2003.
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Dazu genügte im bildungsbürgerlichen Bewußtsein die durch die Schul- und Gymnasialbildung vermittelte antike Überlieferung.34 So konnte man sich noch innerhalb der Nationalstaaten um die „ethnische Zuordnung" des Fundstoffs streiten - es gab „Keltomanen" und „Germanomanen" in den deutschen Staaten, und es gab polnische Altertumsforscher, die die Bronzefunde Germanen zuschrieben. Kenner und Verehrer der antiken Kunst mochten diese widerstreitenden antiquarischen Bemühungen belächeln.35 Grundlegende methodische Fragen waren unter den Antiquaren seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts erörtert worden. Infolge unterschiedlicher Voraussetzungen und Konzepte entwickelten sich eine eher kulturhistorisch (und an die Klassische Archäologie angelehnte) und eine wesentlich naturwissenschaftlich (paläontologisch-geologisch) ausgerichtete Archäologie. 36 In Norddeutschland und Skandinavien war man sich seit den 1830er Jahren über die relative Abfolge von Stein-, Bronze- und Eisenzeit allmählich klar geworden 37 - ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur typologischen Methode von Oscar Montelius (1843-1921). Der langwierige Streit um die Anerkennung des „Drei-Perioden-Systems" 38 resultierte wesentlich daraus, daß mit der zeitlichen Zuordnung zugleich eine ethnische verbunden schien.39 Vor
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In Skandinavien hat die vergleichsweise bescheidene Überlieferungslage zu einer größeren öffentlichen Beachtung vaterländischer Altertümer und damit der Archäologie beigetragen und deren Aufschwung bewirkt. Ebenso zeigten die Niederlagen von 1801 und 1807 gegen England Wirkung; vgl. Klindt-Jensen 1975, 47. Vgl. Haskell/Penny 1981. Trigger 1989, 73-109. Diese unterschiedlichen Ansätze wirken bis heute nach. Für Deutschland: Kossack 1999b. Vgl. zuletzt Hansen 2001a. Der Streit der 1860er Jahre um die Frage, wer denn der eigentliche .Entdecker' des DreiPerioden-Systems gewesen sei, trug stark nationalistische Züge; vgl. Eggers 1986, 50-52. Der Schweriner Georg Christian Friedrich Lisch (1801-1883), Archivar und Leiter der großherzoglichen Altertumssammlungen, widersprach ein Jahr nach dem deutsch-dänischen Krieg der Auffassung, mit der Anerkennung des Drei-Perioden-Systems würde „in Deutschland [...] [ein] dänisches System octroyirt" und fuhr fort: „ich bin daher für Mecklenburg, welches bekanntlich in Deutschland liegt, leider genötigt, die Sünde der Erfindung dieses verhaßten Systems auf mich zu nehmen. Übrigens muß ich gestehen, daß ich nicht stark genug bin, in der Wissenschaft eine Unterscheidung von .außen* und .innen' anerkennen zu können; jedoch bekenne ich gerne, daß ich von .außen her', wenn man es so nennen will, namentlich im Jahre 1864, viel gelernt habe und daß der Krieg von 1864 nicht von Einfluß auf meine Gesinnung gegen den ehrwürdigen Thomsen gewesen ist, welcher in der Altertumswissenschaft mehr wenigstens erfahren hat als alle anderen Studiengenossen"; Lisch 1865, 8 Anm. 2. Vgl. auch den Brief Lischs an Chr. Petersen (Hamburg) vom 26. 3. 1856: Zeitschr. Ethnol. Verh. 17, 1885, (551) f. Der Stettiner Gymnasialprofessor Ludwig Giesebrecht (1792-1873) widersprach damals nur der ethnischen Deutung Lischs („germanische" Grabhügel mit Bronzebeigaben, slawische
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dem Hintergrund der sich wandelnden Vorstellungen in Geologie und Biologie widmete man sich in Frankreich und England der Altsteinzeit und kam seit den 1860er Jahren zu der Überzeugung, die vorgeschichtlichen Zeiträume müßten viele Jahrtausende umfassen. Dieser Ansatz taugte aufgrund der zu großen zeitlichen Tiefe nicht für den nationalen Diskurs.40 Erst im „imperialen Zeitalter"41 erlangte die prähistorische Archäologie allmählich größere Aufmerksamkeit und politische Relevanz42, wozu nicht zuletzt die publikumswirksamen Grabungen Heinrich Schliemanns (1822-1890) in Troja (seit 1871), Mykene und Tiryns (mit der Überzeugung, schriftliche Überlieferung durch die Archäologie verifizieren zu können43) beitrugen, aber auch die in nationaler Konkurrenz europäischer Mächte unternommenen Ausgrabungen in Griechenland, Ägypten und dem Orient. 44 Die Unternehmungen der Reichs-Limeskommission (seit 1892) beteiligten über die lokalen Altertumsvereine eine große Zahl von Laien und bewirkten damit ebenfalls eine Popularisierung archäologischer Forschung. 45 In Frankreich ließ Napoleon III. (1808-1873) 1861 bis 1865 um den Mont Auxois graben und dort schließlich eine Statue des Vercingetorix (mit den Gesichtszügen des Empereur!) aufstellen, um mit Hilfe nationaler Emphase seiner Herrschaft zusätzlichen Halt zu verschaffen (Abb. 3). 46 Kaiser Wilhelm II. (1859-1941)
Brandgräber), denn natürlich hätten die germanischen Altvorderen bereits das Eisen gekannt (Giesebrecht 1838). Im folgenden Jahrzehnt trug er mit Lisch einen erbitterten, persönlich verletzenden Streit um das Drei-Perioden-System aus, wobei es „nur als eine glückliche Ahnung gelten [muß], daß Giesebrecht hier das richtige traf": Gummel 1938, 167 Anm. 4. Wichtiger und nachhaltiger blieb die Ablehnung des Drei-Perioden-Systems durch den Mainzer Museumsdirektor Ludwig Lindenschmit. - Auch heute hängen zeitliche und „ethnische" Interpretation mitunter zusammen. 40
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Vgl. Gran-Aymerich 1998. - Hinderlich für eine nationale Vereinnahmung der Geschichte war auch, daß am Beginn eine Niederlage gegen Rom (Alesia) und nicht ein mythisch überhöhter Sieg (Varusschlacht) stand; Pinon 1991. Hobsbawm 1995. Trigger 1989, 110-206. Vgl. den Katalog Troja 2001. U. a. Athen, Olympia, Ephesos, Pergamon, Delphi; Theben, Abydos, Saqqära, Nildelta, Fayyüm, Amarna, Naqäda; Nimrüd, Ninive, Tello, Nippur, Horzabad; vgl. zum Hintergrund Marchand 1996a, 75-115, 188-227; 1996b; Champion 2001; Leoussi 2001. - Vgl. zum Bild in der Öffentlichkeit Zintzen 1998; Sichtermann 1996. Esch 1972. Beim Transport der Statue durch Alise-Sainte-Reine reagierte die Bevölkerung unerwartet: Die Frauen hielten das Ganze für eine Prozession und fielen vor einem vermeintlichen „Saint Gétorix" auf die Knie: Tacke 1997, 189 f.; vgl. Le Gall 1970, 204; Corrocher 2000. Für den Hinweis auf diesen Aufsatz und für die Vorlage für Abb. 3 danke ich Mme. Élisabeth Rabeisen (Alésia/Dijon) sehr herzlich. - Vgl. zu Italien beispielsweise Desittere 1985.
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Abb. 2. Der preußische König Wilhelm I. (1797-1888) beim Besuch der Bildhauer-Werkstatt Ernst von Bandeis (1800-1876) in Hannover am 14. Juni 1869: „Der Vertreter des neu erstarkenden Deutschthums, der mächtige Feldherr Gesammtdeutschlands nahm von dem Künstler selbst den Bericht über das von einer begeisterten Nation beabsichtigte Ehrenmal dessen entgegen, dem wir es danken, daß wir überhaupt noch Deutsche sind, daß wir, gleich Arminius" nächsten Nachkommen, in deutscher Sprache Kampf- und Siegeslieder singen können." Die Inschrift auf dem Schwert lautet: Deutsche Einigkeit meine Stärke / Meine Stärke Deutschlands Macht. Weitere Zeilen mit nationaler Emphase zu Arminius, den antinapoleonischen Befreiungskriegen und dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 finden sich in den Nischen des Unterbaus (nach Uhde 1869, 693 Abb., Zitat 696)
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Abb. 3. Durchfahrt der Statue des Vercingetorix durch Alise-Sainte-Reine (Côte-d'Or) am 22. August 1865. Auf einem Karren war die aufrechtstehende, fest verschnürte Statue von sechs Pferden von Paris nach Alise-Sainte-Reine gezogen worden. Die auf dem Sockel des Denkmals angebrachte Inschrift lautet: La Gaule unie / qu'une seule nation / animée d'un même esprit / peut défier l'univers. / Napoléon III /àia mémoire de Vercingétorix - in Anlehnung an Cäsar {Bellum Gallicum VII,29): unum consilium totius Galline [...], cuius consensui ne orbis quidem terrarum possit obsistere (nach einer Postkarte der Zeit um 1900/1905 unter Verwendung eines Fotos von 1865; Musée Alésia Cliché 90-15)
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wetterte auf der Schulkonferenz von 1890 gegen die bestehende Form des Gymnasialunterrichts und forderte vehement einen „deutschen" Unterricht.47 In dieses Klima stieß Kossinna mit seinen germanophilen Vorstellungen und bot ein passendes Paradigma an, um das nationale Fundament in der Vorgeschichte zu gründen.48 Dies mochte sich - angesichts von Modernisierungsverlusten und Modernitätszweifeln - mit dem rückwärtsgewandten Ideal einer ländlich-bäuerlich geprägten Gesellschaft treffen, die den alten Germanen ein glückliches Leben ermöglicht habe (Abb. 2).49 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts glich sich die „ethnische Interpretation" den modernen nationalen Grenzen an. Die Funde wurden zu Hinterlassenschaften der eigenen Vorfahren, und das hieß in Deutschland zu „germanischen" Objekten. Rudolf Virchow (1821-1902) äußerte sich über den nationalen Impetus der Prähistoriker nach der Reichsgründung: „Niemand wird sich in seinen Vorstellungen über den Zusammenhang unserer Prähistorie mit andern Kulturbewegungen frei machen können von der Betrachtung: waren unsere Vorfahren schon in der letzten Steinzeit in diesem Lande? sassen hier schon damals Germanen oder meinetwegen Slaven? sassen sie hier schon in wohlbegründeten Sitzen, die sie trotz der Aufnahme neuer Kulturelemente beibehielten? oder geschah damals eine grosse Verschiebung der Völkersitze, welche vielleicht mit dem ersten grossen Einbruch der östlichen Völker zusammenhängt? Wir mögen uns noch so sehr frei zu halten suchen von theoretischen Betrachtungen über die Origines gentium, es gibt doch kein Gemüth, das so hartgesotten wäre, dass es nicht zuletzt einigermassen bestimmt wird von dem Gefühl der näheren Zusammengehörigkeit, in dem es mit andern Personen und in dem sein Volk mit andern Völkern steht [...] so ist es thatsächlich ein Verhältniss von äusserster Wichtigkeit für das Verständniss dessen, was
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„Wer selber auf dem Gymnasium gewesen ist und hinter die Coulissen gesehen hat, der weiß, wo es fehlt. Und da fehlt es vor allem an der nationalen Basis. Wir müssen als Grundlage für das Gymnasium das Deutsche nehmen; wir sollen nationale junge Deutsche erziehen und nicht junge Griechen und Römer. Wir müssen von der Basis abgehen, die Jahrhunderte lang bestanden hat, von der alten klösterlichen Erziehung des Mittelalters, wo das Lateinische maßgebend war und ein bischen [sie!] Griechisch dazu. Das ist nicht mehr maßgebend, wir müssen das Deutsche zur Basis machen. Der deutsche Aufsatz muß der Mittelpunkt sein, um den sich alles dreht"; zitiert nach Lyon 1891, 82 f. (Hervorhebung im Original).
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Wahle 1941, 61; Brather 2001c; vgl. Grünert 2002. Mommsen 1965, 211, befürchtete in der Auseinandersetzung mit Treitschke, es werde wohl „bald so weit sein, daß als vollberechtigter Bürger nur derjenige gilt, der erstens seine Herstammung zurückzuführen vermag auf einen der drei Söhne des Mannus, zweitens das Evangelium so bekennt, wie der pastor collocutus es auslegt, und drittens sich ausweist als erfahren im Pflügen und Säen." - Vgl. Dörner 1995.
49
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Tab. 1. Ausgewählte historische und archäologische Zeitschriften mit „sprechendem" Titel. Die Titel beziehen sich auf einen latinisierten Landschaftsnamen, eine mythische Götterfigur oder den ideologisierten Forschungsgegenstand. Aufschlußreich ist das jeweilige erste Erscheinungsjahr, das sich mit seinerzeitigen politischen Entwicklungen korrelieren und erklären läßt. Die Mehrzahl der Zeitschriftentitel kam allerdings ohne programmatische Überhöhung aus - z . B . die Prähistorische Zeitschrift, Památky Archeologické, Acta Archaeologtca usw.
Titel
erster Jahrgang
Erscheinungsort
Herausgeber
Carinthia
1811
Klagenfurt
Geschichtsverein für Kärnten
Prussia
1844
Königsberg i. Pr.
Altertumsgesellschaft Prussia
Alemannia
1873
Bonn, Freiburg i. Br.
Badischer Verein für Volkskunde
áwiatowit
1899
Warszawa
Erazm Majewski; Uniwersytet Warszawa, Instytut Archeologii
M annus
1909
Leipzig
Deutsche Gesellschaft für Vorgeschichte
Germania
1917
Mainz
Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts, Frankfurt/M.
Dacia
1924
Bucurefti
Institut d'Archéologie V. Pârvan de l'Académie Roumaine
Sudeta
1925
Bodenbach, Reichenberg
Deutsche Gesellschaft für Vor- und Frühgeschichte in der Tschechoslowakei
Volk und Rasse
1926
München, Berlin
Reichsausschuß für Volksgesundheitsdienst, Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene
Germanien
1929
Berlin
Ahnenerbe-Stiftung
Pannonia
1935
Pécs
Magyar Királyi Erzsébet Tudományegyetem
Germanenerbe
1936
Berlin, Leipzig
Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte, Hauptstelle Vorgeschichte des Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Schulung und Erziehung der NSDAP
Offa
1936
Neumünster
Museum Vorgeschichtlicher Altertümer in Kiel, Provinzialinstitut für Volks- und Landesforschung an der Universität Kiel
Viking
1937
Oslo
Norsk Arkeologisk Selskap
Volk und Vorzeit
1939
Karlsruhe
Badisches Landesamt für Denkmalpflege, Abt. Ur- und Frühgeschichte
Gallia
1943
Paris
Centre National de la Recherche Scientifique
Slavia antiqua
1948
Warszawa
Uniwersytet Poznan, Katedra Archeologii Polski i Powszechnej; Uniwersytet Warszawa, Katedra Archeologii Pradziejowej i Wczesnosredniowiecznej
Tor
1948
Uppsala
Institutionen för Nordisk Fornkunskap vid Uppsala Universitet
Bohemia
1960
München
Verein für Geschichte der Deutschen in den Sudetenländern
Britannia
1970
London
Society for the Promotion of Roman Studies
Iiiria
1971
Tiranë
Universiteti i Tiranës, Institut! i Historisë Dhe i Gjuhësisë, Sektori i Arkeologjisë
Francia
1973
Sigmaringen
Deutsches Historisches Institut Paris
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menschliche Entwicklung heisst, wenn man genau feststellen kann, wie lange sich die jetzige uns geläufige Kultur an ein bestimmtes höher veranlagtes Volk knüpft und in wie weit es möglich ist, dieses Volk als auf unserm Boden sesshaft anzunehmen. Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen." 5 0 Schienen diese und andere in der Öffentlichkeit gestellte Fragen Virchow von zentraler (politischer) Bedeutung zu sein, so war er doch Wissenschaftler genug, um nach systematischen Analysemethoden sowie nach tragfähigen, eindeutigen Argumenten zu ihrer Beantwortung zu suchen 51 : „Bei der Frage der Nationalität hört eigentlich alles regelrechte Fragen auf, sobald wir nicht mehr die Sprache, die Linguistik als Grundlage haben [...] Das war unsere grösste und wichtigste Aufgabe, und es hat die ganze Zeit des Jahrhunderts nicht ausgereicht, um Alles das zu zerstören, was aus thörichter Auffassung der Meinungen allmählich aufgebaut war". 5 2 Damit wandte sich Virchow sowohl aus grundsätzlichen wissenschaftlichen, methodologischen Erwägungen als auch aus politischen Gründen gegen die Vorstellung unveränderlicher „Wesenheiten" und gegen die Herstellung fragwürdiger Verbindungen wie der zwischen Körperbau und Sprache. 53 Die deutsche Entwicklung von Kossinna bis zum Zweiten Weltkrieg 54 ist dennoch nur die Spitze eines gesamteuropäischen Eisbergs (Tab. I). 5 5 Aus der vaterländischen Altertumskunde des 19. Jahrhunderts war zunehmend eine national(istisch)e Archäologie geworden. 56 Man konnte sich ihrer nicht nur zur nationalen Identitätsstiftung nach innen, sondern zunehmend auch zur Begründung außenpolitischer Ziele bedienen. 57 Die nationale Emphase führte nahezu zwangsläufig zu einer Uberbetonung von Autochthonie-Vorstellungen - die eigenen Vorfahren hatten eigentlich schon immer und ununterbrochen „hier" gesiedelt.
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54 55 56
57
Virchow 1884, 74 f. Vgl. Goschler 2002. Virchow 1899, 82 f. Vgl. bereits Virchow 1874a, 35, mit deutlicher, empirisch begründeter Reserviertheit gegenüber Parallelisierungen von Anthropologie, Linguistik und Ethnizität. Daher rührt auch Virchows Diktum, „dass die Prähistorie kein Fach ist und wahrscheinlich keines werden wird" (Virchow 1874b, VII). Vgl. Jentgens 2001, 15-71; Veit 1989. Vgl. Diaz-Andreu 2001; Smith 2001. Trigger 1984. Der Begriff der „vaterländischen Altertumskunde" war durch die Bezeichnung „nationale Archäologie" verdrängt worden; vgl. u. a. Vocel 1854, 735. - Zur Geschichte der Merowinger-Archäologie vgl. Effros 2003, 12-118; Fehr 2003, 124-591; Vallet 2000. Vgl. Renan [1871] 1947a, hier 456: „Vous [les Allemands - S. Β.] avez levé dans le monde le drapeau de la politique ethnographique et archéologique en place de la politique liberale."
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Auf die preußischen bzw. deutschen Annexionen von 1864/1867 (Schleswig, Holstein, Lauenburg) bzw. 1870/1871 (Elsaß-Lothringen) reagierten Dänemark und Frankreich mit dem Versuch, die „Unrechtmäßigkeit" des deutschen Vorgehens auch mit prähistorischen „Argumenten" zu belegen.58 Ebenso defensiv waren polnische Archäologen bemüht, das Existenzrecht ihres Staates nach seiner Wiederbegründung 1919 und nach der Befreiung 1945 archäologisch zu untermauern.59 Auf deutscher Seite waren Gebietsansprüche (Polen, Böhmen) zuvor ebenfalls archäologisch „begründet" worden.60 Dem waren seit der Jahrhundertwende end- und fruchtlose Debatten um den illyrischen, „karpodakischen" oder (ur-)slawischen Charakter der jungbronzezeitlichen „Lausitzer Kultur" vorausgegangen.61 Sowjetische Archäologen verrannten sich in den 1920er Jahren zunächst in der abstrusen, „hyperautochthonen" japhetischen Theorie Nikolaj Jakovlevic Marrs (1864-1934), 62 um anschließend eine weiträumige, bis ins Neolithikum reichende slawische Vorgeschichte als Klammer des Vielvölkerstaats - und später der „sozialistischen Staatengemeinschaft" - zu entdecken. Französische Archäologen und Historiker suchten während des Ersten Weltkriegs die Verlegung der Ostgrenze Frankreichs an den Rhein mit Bodenfunden zu begründen.63 In Deutschland verfolgten zwischen den Weltkriegen die massiv geförderten „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften" das Ziel, mit historischen und archäologischen Argumenten „deutschen Volks- und Kulturboden" weit über Mitteleuropa hinaus nachzuweisen.64 In Irland diente die Berufung auf eine keltische Vergangenheit und auf die „keltische" Latène-Kultur der antibritischen Selbstbehauptung.65 Das faschistische Italien Benito Mussolinis (1883-1945), aber auch Rumänien (hinsichtlich der Daker) waren von der These einer ungebrochenen Kontinuität zumindest seit der Antike nahezu besessen.66 Die modernen Albaner griffen ebenso auf die Antike zurück und betrachteten die Illyrer als ihre direkten Vorfahren.
58 59 60 61
62 63 64 65 66
Stig Serensen 1996, 31; Kristiansen 1981, 26; Schnapp 1996, 56; Dietler 1994, 587-593. R^czkowski 1996, 201-213; Stolpiak 1984. Kossinna 1919; v. Richthofen 1929; L. Zotz/v. Richthofen 1940. „Illyrisch" bei Kossinna 1912, 287-294, bis hin zu panillyrischen Vorstellungen bei v. Scala 1908; „karpodakisch" anfänglich bei Kossinna 1902, 213; „urslawisch" bei Pic 1907, 275, und „protoslawisch" bei Sergi 1898. Alpatov 1991; Klejn 1997, 198-227; Formozov 1986. Fehr 2003, 202-214. Fahlbusch 1999. Cooney 1986, 157 f.; Hutchinson 2001. Guidi 1996, 113; Manacorda 1982.
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Diese Argumentationen, deren Aufzählung sich mühelos weiter verlängern ließe67, wurden - dies muß hier betont werden - nur von einem Teil der Archäologen betrieben und hatten vor allem in bestimmten historischen Konstellationen Konjunktur. Sie prägten lediglich einen Teil der archäologischen Literatur und ihrer Diskurse, denen im folgenden die Kritik gilt. Stets gab es wichtige thematische und methodische Strömungen, die andere Fragestellungen und methodische Ansätze verfolgten.68 An erster Stelle ist die naturwissenschaftlich-anthropologisch ausgerichtete Forschung zu nennen, die sich vor allem mit der Altsteinzeit beschäftigte und mit Namen wie Jacques Boucher de Perthes (1788-1868), Gabriel de Mortillet (1821-1898) und Rudolf Virchow zu verbinden ist.69 Doch auch viele Archäologen, die für frühgeschichtliche Zeiten die Entstehung der antiken und mittelalterlichen „Völker" als wichtiges Thema betrachteten, sahen die zentralen methodischen Probleme und warnten vor übereilten Schlüssen. Auch die Kritik am „ethnischen Paradigma" besitzt bereits eine lange Geschichte. Beispielsweise befürchtete Moritz Hoernes (18521917) von der „.germanischen' Prähistorie [..., daß] der deutsche Stammbaum [...] nächstens bis in die paläozoische Formation zurückverfolgt werden" würde.70 Sigmund Feist (1865-1943) bedauerte, daß „ausschließlich in Deutschland - nicht in den nordischen Ländern - die nationale Eitelkeit als Vorspann gewählt worden" war.71 Skeptisch waren ebenso Max Ebert (18791929), Carl Schuchhardt (1859-1943)72 und Karl Hermann Jacob-Friesen (1886-1960).73 Historiker wie Eduard Meyer (1855-1930) meinten, daß sich mit archäologischen Argumenten kultureller „Kontinuität", wie sie auch Kos-
67
68
69 70
71 72
73
Vgl. Dockser Marcus 2001; Silberman 2001; Archaeology under fire 1998. - Zu beachten bleiben unterschiedliche individuelle Absichten und verschiedene Spielarten von Nationalismus, d. h. eines auf Staat und Nation zielenden Denkens. Beispielsweise zielte man in Deutschland primär auf das „Volk" (die Germanen), während in Frankreich das Territorium (Gallien) im Mittelpunkt stand. Auf diese alternativen Ansätze sei in Kap. VI eingegangen. - Diese beiden Richtungen in der archäologischen Forschung nehmen sich gegenseitig nur eingeschränkt war, weil sie mit den Ansätzen der anderen jeweils wenig anfangen können; vgl. Lavan 2003, xiii f. Vgl. Fetten 2000; Kaeser 2002. Hoernes 1905, 238 Anm. 1. Hoernes griff in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen häufiger zu Ironie und Sarkasmus. Feist 1913, 487. Schuchhardt 1939, V, hielt z. B. alle in der Zwischenkriegszeit erschienenen Überblicke über die Vorgeschichte in Deutschland für „Vorgeschichten der Germanen, und vielleicht noch in einseitiger Auffassung". Jacob-Friesen 1928, 137-145.
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sinna verwandte, „eine ununterbrochene Besiedelung [...] so ziemlich für jedes von Indogermanen bewohnte Gebiet erweisen" lasse.74 Der Prähistoriker Hans Jürgen Eggers (1906-1975) erkannte schließlich, daß der „Kardinalfehler der .Methode Kossinna' [...] in der Fragestellung" 75 bzw. in der selbstverständlichen Annahme lag, „daß archäologische und literarische Quellen genau die gleiche Aussage über ein historisches Ereignis, einen historischen Zustand, machen müßten". 76 Damit hatte er den entscheidenden methodischen Schritt zur Überwindung des „ethnischen Paradigmas" getan. Die Fragen anders bzw. andere Fragen zu stellen, hätte diesen Gedanken konsequent fortgeführt, ohne den Anspruch auf historische Erkenntnis wenn auch in etwas anderem Sinne - aufzugeben. Soweit vermochte allerdings auch der weitblickende Eggers nicht zu gehen: „Die Vorgeschichte würde sich als historische Wissenschaft selber aufgeben, würde sie nicht immer und immer wieder den Versuch machen, auch das Problem der ethnischen Deutung zu lösen." 77 Der Charakter der Archäologie als historischer Wissenschaft steht und fällt aber nicht allein mit der Frage nach der ethnischen Interpretation - ebensowenig, wie sich Geschichte auf politische Aspekte beschränken läßt. Wenn im folgenden das „ethnische Paradigma" im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, bedeutet das also zwangsläufig einen eingeschränkten, einseitigen Blick auf Geschichte und Methodik der frühgeschichtlichen Archäologie. Diese methodische Einseitigkeit zu analysieren und Alternativen zu betonen, stellt das Ziel der vorliegenden Arbeit dar. Dabei geht es nicht allein um den innerarchäologischen Methoden-Diskurs, sondern auch darum, den Nachbardisziplinen die Interpretationsprobleme offenzulegen und dadurch das unreflektierte Weitertragen überholter Vorstellungen - ζ. B. „germanischer Expansion" seit der Bronzezeit - zu erschweren.78 Denn eine nüchtern abwägende Bilanz ist die Voraussetzung für erfolgreiche interdisziplinäre Forschung.
74 75 76 77
78
Meyer 1893, 43. Eggers 1986, 274. Eggers 1986, 271 (Hervorhebung im Original). Eggers 1986,200. Ebenso wird für die Archäologie des frühen Mittelalters formuliert, daß klare „ethnische Unterscheidungen" die zentrale Aufgabe der Forschung und ihre Daseinsberechtigung darstellen; Zöllner 1970, 192; Bierbrauer 1988, 637 f. J. Werner 1979, 15, formulierte apodiktisch: „Zur Debatte stehen nicht archäologische Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, sondern der ethnische Aussagewert archäologischen Fundstoffs, den man auch beim Anlegen strengster Kriterien prinzipiell nicht in Abrede stellen kann." Entsprechende Karten und Passagen finden sich auch heute in allgemein verbreiteten Übersichten: Kinder/Hilgemann 1991, 108 f.; Meineke/Schwerdt 2001, 40-50; König 1978, 46 f.
III. Begriffe: zentrale Klassifikationen im 19. und 20. Jahrhundert Wissenschaften benutzen schon aus rein pragmatischen Verständigungs- und Ordnungsgründen klassifikatorische Begriffe. Ohne diese Hilfsmittel wäre eine Analyse schlicht nicht möglich.1 Die stark in romantischen Vorstellungen verwurzelten Sozialwissenschaften betrachteten jedoch „Kulturen", „Sprachen", „Rassen" und „Völker" seit dem frühen 19. Jahrhundert zunehmend als tatsächlich existierende, abgeschlossene, homogene und kongruente Einheiten (Abb. 4) 2 - verwechselten also analytische Termini immer mehr mit historischen Realitäten. Dazu trug vor allem bei, daß die wissenschaftsimmanenten, logischen Funktionen dieser theoretischen Kategorien mit ihren öffentlichen, kulturellen Funktionen, die beide zwar aus denselben Erklärungsbedürfnissen herrührten, aber dennoch unterschiedliche Geltung besaßen, vermischt wurden.3 Nicht nur Ethnologie und Prähistorie, Anthropologie und Philologie richteten daran ihre Fragestellungen aus und verabsolutierten damit die Auffassung eines gewissermaßen aus mythischer Tiefe kommenden, im Kern unwandelbaren Charakters von Völkern. Denn „Volk" bzw. „Nation" bildete den Kernbegriff und Ausgangspunkt. Daneben zielten die zeitgenössische Gegenwart mit ihren modernen, sämtliche Untertanen erfassenden Verwaltungen und deren Erfordernissen sowie die damit anscheinend verbundenen Nationalstaatsideen auf eine allseits homogene Binnenstruktur.4 Sie schienen damit die Auffassungen von individuellen, ewigen und unveränderlichen „Volksgeistern" zu bekräftigen. Tatsächlich entwickelten sich erst seit dem 19. Jahrhundert allmählich festgefügte, homogene und abgeschlossene Staatsnationen, die damit keineswegs urtümliche, unveränderliche und eigengesetzliche „Gemeinschaften" gewesen wa-
1 2 3 4
Landwehr 2001, 9-22. Kritische Diskussion bereits bei Jacob-Friesen 1928, 2-5, 35-38, 68-72, 137-145. Hardtwig 1990, 107 f. Der Nationalismus geht auf Modernisierungskrisen und Revolutionen zurück, wurde dann aber für die Nationalstaaten zu einer „Legitimations-, Intergrations- und Mobilisierungsideologie"; Wehler 2001, 18, 25, 63 (Zitat).
30
Begriffe
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Abb. 4. Romantische Auffassung des 19. und frühen 20. Jahrhundens, Kultur, Volk, Sprache und „Rasse" seien jeweils homogene und nach außen scharf geschiedene, einander kongruente Totalitäten. Denkbar wäre eine solche Konstellation allenfalls in einer stark isolierten Inselsituation ohne äußere Kontakte. Für nahezu alle historisch bekannten Situationen erweist sich dieses Bild als völlig unzutreffend, denn Kulturen bzw. Gesellschaften existieren nie in der Isolation von ihren Nachbarn. Die sich daraus ergebenden Beziehungen haben unscharfe Grenzen zur Folge. Verschiedene Bereiche bzw. Ebenen des Austausche tragen zur diffusen Abgrenzung bei
ren.5 Und die Ethnologie kann heute zeigen, daß viele Feldforschungen und Kolonialverwaltungen jene „Stämme" erst hervorbrachten, die als Paradebeispiele primitiver sozialer Strukturen dienten.6 Die Wissenschaftsentwicklung führte schließlich dazu, daß „social scientists (including anthropologists and archaeologists) may have developed paradigms ,to explain that which they have themselves created'". 7 Das methodische Grundproblem dürfte darin liegen, daß statt analytischer Ansätze eher deskriptive Untersuchungen betrieben wurden. Viele der bis heute gebräuchlichen Vorstellungen über Wanderungen, Diffusion und ethnische Veränderungen beziehen ihre Voraussetzungen weithin noch aus dem 19. Jahrhundert. Zwar lassen sich Elemente dieses Diskurses viel weiter zurückverfolgen, doch relevant wurde dieses Konzept erst unter den nationalstaatlichen Rahmenbedingungen seit der Französischen Revolution und damit einhergehenden Gesellschafts- und Geschichtskonzepten. Die unter diesen Bedingungen geprägten Begriffe werden heute weiterhin ver5 6
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Hobsbawm 1996, passim. Vgl. Lentz 1998. Deshalb ist es wohl irreführend, wie Leroi-Gourhan 1 9 8 0 , 2 7 5 , anzunehmen, daß »die Ethnie die charakteristische Form der Gruppenbildung bei den Menschen" sei. Jones 1996, 74.
Begriffe
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wendet, ohne daß deren Implikationen ausreichend reflektiert und die damit verbundenen methodischen Konsequenzen deutlich würden. Doch Begriffe und analytische Konzepte bestimmen die erzielten Ergebnisse: „Unsere ganze historische Begriffs- und Bildersprache bedarf der Kontrolle, damit nicht ständig Klischees wiederkehren und damit nicht Vorstellungen aufkommen, sich festsetzen, zu herrschen beginnen, die der wissenschaftlichen Erkenntnis nachteilig sind".8 Ein Blick auf die Entwicklung der für die bisherige Forschung (in unterschiedlicher Gewichtung) zentralen klassifikatorischen Begriffe „Volk", „Kultur" 9 , „Rasse" und „Sprache" soll diesen Hintergrund etwas erhellen, um zunächst auf die daraus resultierenden methodischen Probleme aufmerksam zu machen.10 Wenn die Vorstellung geschlossener, homogener und kongruenter Einheiten (in ethnischer, kultureller, anthropologischer und sprachlicher Hinsicht) aufgebrochen werden kann, lassen sich auch das traditionelle Interpretationsraster überwinden und Fragen neu und anders stellen. Zahlreich sind die Versuche, „archäologische Kulturen" mit den Ergebnissen anderer historischer Disziplinen zu parallelisieren. Dazu gehören die Identifizierung von Sprachgruppen, von ethnischen Gruppen und von biologischen Populationen im archäologischen Material. Ein solches Vorhaben kann nur dann gelingen, wenn es sich jeweils um distinkte und homogene Gruppen handelte sowie die Entwicklungen und Veränderungen (Kontinuitäten und Diskontinuitäten) alle Lebensbereiche gleichermaßen und synchron erfaßten. Dieser Fall dürfte, zumindest für Europa, wohl die historische Ausnahme darstellen. Denn Gesellschaften stellen durchaus heterogene, aus verschiedenen Gruppierungen zusammengesetzte Gebilde dar, und Nachbarn pflegen verschiedene Formen des Austausches miteinander, wodurch sich wechselseitige Einflüsse und Angleichungen ergeben. Auf der methodologischen Ebene ist darauf hinzuweisen, daß die jeweils spezifischen Quellen der beteiligten Disziplinen (Historiographie, Linguistik, Humanbiologie) nur jeweils bestimmte Einsichten ermöglichen. Die Erkenntnisse betreffen unterschiedliche Bereiche einstiger Realität, weshalb eine un-
8
Wittram 1969, 34. - Daher würde sich eine kritische Überprüfung einer Reihe weiterer, oft unzureichend reflektierter Begriffe wie „Sitte" und „Brauch", „Tracht", „Volksglaube" und „Aberglaube", „Synkretismus" und „Amulett", „Import" und „Handel" sowie der zugrundeliegenden Konzepte empfehlen.
9
Zu Religion und Religionsgeschichte vgl. Kippenberg 1997. Die unzulässige Vermischung dieser vier Kategorien kritisierte bereits de Laet 1954, 145: „les concepts langue, race, nation, culture archéologique sont systématiquement confondus et malaxés".
10
32
Begriffe
mittelbare Parallelisierung schwierig bleibt und eher einander ergänzende als bestätigende Aussagen mit dem Ziel einer histoire totale erbringt. Der Austausch zwischen den Disziplinen darf nicht übersehen, wenn Aussagen und Hypothesen wechselseitig voneinander abhängen - und sich so nur scheinbar gegenseitig stützen. Zu beachten bleibt, daß „Ethnien" und „archäologische Kulturen", „Sprachen" und „Rassen" wissenschaftliche Abstraktionen darstellen, die sich nicht unvermittelt miteinander in Beziehung setzen lassen. Interdisziplinäre Begriffe oder besser in mehreren Disziplinen verwandte Begriffe sind problematisch, weil sie in jeder Wissenschaft eine ganz spezifische Bedeutung besitzen.11 Daher verbietet sich eine direkte Verknüpfung ereignisgeschichtlicher und archäologischer, linguistischer und anthropologischer Modelle bzw. Rekonstruktionen. Im folgenden richtet sich das Schwergewicht auf die Begriffsentwicklung in den Nachbardisziplinen. Denn von diesen bezog die Prähistorie die Anregungen für ihre Fragestellungen und Interpretationen. Einzig auf den Begriff der „archäologischen Kultur" ist gesondert einzugehen. Denn dieser Begriff stellt eine methodische „Eigenentwicklung" der Archäologie dar, auch wenn er von Vorstellungen der Ethnologie geprägt worden ist. Die Darstellung beschränkt sich auf einige Aspekte der Begriffsentwicklung, die für die Archäologie eine Rolle spielten. Erst Kenntnis und Verständnis der Modelle relevanter Nachbardisziplinen sowie der zugrundeliegenden Ausgangsannahmen ermöglichen es, die Übertragung und Verwendung dieser Konzepte in der Archäologie (im Rahmen des „ethnischen Paradigmas") beurteilen zu können. Dieser begriffsgeschichtliche Hintergrund sei zunächst erörtert, bevor im Anschluß auf die Struktur von Identitätsgruppen, die Grundzüge antiker und frühmittelalterlicher ethnographischer Beschreibungen12 sowie die methodischen Probleme archäologischer Interpretationen eingegangen wird.13
1. Das „Volk" Von zentraler Bedeutung im Hinblick auf „ethnische Interpretationen" ist der Begriff des „Volkes", der in den letzten Jahrzehnten oft durch „ethnische Gruppe" ersetzt worden ist. Das eigene Volk bzw. fremde Völker bildeten und bilden den Gegenstand von Volkskunde und Ethnologie. Innerhalb der
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Wenskus 1986. Kap. IV. Vgl. Kap. V.
Das „Volk"
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Prähistorie suchte und sucht man häufig, deren Ursprünge anhand des im Boden überlieferten Sachguts aufzuhellen. Insofern läßt sich für manche Ansätze tatsächlich feststellen, „daß die Archäologie die wichtigste Hilfswissenschaft der historisch rekonstruierenden Ethnographie geworden ist." 14 Dabei wird meist übersehen, daß die moderne Vorstellung vom „Volk" im späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts entstand.15 Diese Vorstellung beschreibt die modernen, nationalstaatlichen Verhältnisse und kann deshalb nicht unmittelbar auf jene gesellschaftlichen Strukturen übertragen werden, die Gegenstand der genannten Disziplinen sind. Für die prähistorische Archäologie bedeutet die Identifizierung antiker „Völker" in den Bodenfunden denn auch „nur" noch eine von vielen Fragestellungen.
a) Vom „gemeinen Volk" zur „Nation" Das „Volk" 16 bezeichnete noch im 18. Jahrhundert vor allem die „Massen", also die Unterschichten, wie das schon zur Karolingerzeit gelten konnte. Im modernen soziologischen Sprachgebrauch wird diese Bedeutung mit dem Begriff „Demos" belegt.17 In dieser Weise verstanden, konnte das gemeine „Volk" (im Gegensatz zur Elite) zum Adressaten der Belehrung der deutschen Aufklärung und zur Grundlage des Gedankens einer Volkssouveränität werden. „Volk" und „Nation" wurden bis ins 18. Jahrhundert hinein häufig synonym verwendet. Als zentrale Kategorien von Gesellschaften erlangten sie erst dann allmählich ihre spätere Bedeutung. Daraus ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten bei der Interpretation (früh-)mittelalterlicher und antiker Schriftquellen. Die Vielfalt der für unterschiedliche Gruppen verwendeten, nahezu austauschbaren Begriffe - gens, natio, populus, ethnos, exeràtus - erlaubt nur unter sorgfältiger Berücksichtigung des Kontextes eine ungefähre Annäherung an die Bedeutung im Einzelfall - Volk, Stamm, Herkunft, Barbaren, Heer. Globale Übersetzungsversuche müssen daher in die Irre führen.18 Die „Entdeckung des Volkes" setzte Ende des 18. Jahrhunderts ein, als sich Intellektuelle des gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden
14 15 16 17
18
Mühlmann 1968, 210. Elwert 1989, 441. Zur Begriffsgeschichte Koselleck/Gschnitzer/Werner/Schönemann 1992. Für die deutsche Begriffsentwicklung erwies sich die praktische Gleichsetzung von „ethnos" und „demos" als besonders folgenschwer; Heckmann 1991. Vgl. Kap. IV.7-8.
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Begriffe
Veränderungen der traditionellen Unterschichtenkultur bewußt wurden. Lieder und Märchen sollten aufgezeichnet und so vor dem vermeintlich bevorstehenden Untergang gerettet werden. Auf diese Weise entstanden zahlreiche neue Begriffe mit dem Präfix „Volk-": Volkslieder, Volksmärchen, Volkssagen, Volksmusik, Volksbuch, Volkstrachten usw. Das Interesse am Volk war hauptsächlich auf dreierlei Art begründet: 1. ästhetisch: das Volk schien ursprünglich, einfach und rein, nicht künstlich und klassizistisch zu sein; 2. intellektuell: archaische Mythen und Überlieferungen galten als der aufklärerischen Vernunft überlegen; 3. politisch: die Kultur des Volkes konnte zum Kern eines Nationalbewußtseins stilisiert werden. Die Romantik gelangte zu drei zentralen Thesen über die Volkskultur: 1. sie ist ursprünglich, d. h., sie stammt aus grauer Vorzeit; 2. es gibt eine kollektive Schöpferkraft („Volksgeist"), „das Volk dichtet"; 3. die Volksseele ist rein und echt, nur die bäuerliche Landbevölkerung bewahrt noch die ursprünglichen Gebräuche. 19 Die Romantik „adelte" den Volksbegriff gegen Ende des 18. Jahrhunderts gewissermaßen. Johann Gottfried Herder (1744-1803) zufolge machten nicht Äußerlichkeiten Volk und Nation zu - zivilisierten - menschlichen Gemeinschaften, sondern erst Sprache und Poesie. Historisch und kulturell, d. h. vor allem sprachlich, begründet, schienen sie mehr als nur die bloße Summe ihrer Mitglieder zu sein. Sie besaßen - als Kollektivindividuen - selbst quasi urwüchsig und beständig „Geist" und „Seele".20 Die Romantiker neigten unter Ausblendung der sozialen Gegebenheiten zu melancholischer Verinnerlichung und großartiger Zukunftserwartung. 21 Ursache dafür waren eine einseitige Wahrnehmung der Ereignisse und Entwicklungen zwischen 1789 und 1815 sowie tiefempfundene Unsicherheiten aufgrund einschneidender Veränderungen der sozialen Strukturen. Selbstvergewisserung wurde angesichts dessen zu einem wichtigen Ziel. Das lenkte die Sehnsucht mancher bürgerlicher und konservativer Kreise auf das verlorene, gute alte Mittelalter. Dabei verfing man sich auf der Suche nach Volksgeist, Volksseele oder Volkstum rasch im Gestrüpp des Mythischen. Volkssage und -märchen, -glaube und -brauch wurden nach ihren
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Burke 1985, 23-26, 34 f.; H. Schulze 1994, 172-188; Koziefek 1986. Herder [1793-179η 1881/1883; [1784-1785] 1887; [1787-1791] 1909; [1774] 1891. Vgl. Zaremba 1985; A. Assmann 2001. Herder war - wie manch anderer Philosoph, Historiker oder Archäologe (ζ. B. Immanuel Kant, Gustaf Kossinna, Herbert Jankuhn) - für derartige Probleme offensichtlich durch seine baltische Herkunft sensibilisiert. Bei vielen anderen spielte, trotz gleicher Auffassungen, die regionale Herkunft keine Rolle - aber der Wirkungskreis (Albert Brackmann, Theodor Schieder, Werner Conze). Emmerich 1971, 26.
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Wurzeln befragt und unter „historischem" Blickwinkel bis ins „germanische Altertum" zurückverfolgt, statt (auch) nach deren Rolle im seinerzeitigen Leben zu fragen. Der hier entstehende Mythos 22 (oder die „intentionale Geschichte"23 ) eines geradezu ewigen, unveränderlichen Volksgeistes versprach, Vergangenes als vollkommen - und „Nahrung, vielleicht auch der einzige Samen für die Zukunft" zu sein.24 Die Kritik an den herrschenden, „ungleichzeitigen" gesellschaftlichen Verhältnissen (industrielle Revolution, kapitalistische Wirtschaft, politische Machtverteilung) äußerte sich als Kulturkritik und damit als Sehnsucht nach einem „verlorenen Paradies". „Nationalruhm" helfe in bestimmten historischen Situationen bei der Identitätsbildung, sei aber als „täuschender Verführer" eine Gefahr in der Politik, meinte Herder. 25 Ebenso betonte Immanuel Kant (1724-1804), daß Nationalismen als irrationale, niedere Instinkte durch eine vernunftbegründete Identifizierung mit dem bürgerlichen Staat einerseits und mit einer universalen Friedensordnung andererseits bekämpft werden müßten. 26 Schon Adam Ferguson (1723-1816) war aufgefallen, daß der „Nationalgeist" einer bürgerlichen Gesellschaft zu fremdenfeindlichen und ethnozentrischen Auffassungen neigt und vor allem in Krisenphasen eines Staates oder „Volkes" (besser: einer Gesellschaft) von besonderer Relevanz wird: „Das Wort Barbar [...] und das Wort Heide [...] diente jeweils nur dazu, den Fremden zu kennzeichnen, dessen Sprache und Stammbaum vom eigenen unterschieden war". Ferguson bemerkte mit ideologiekritischem Blick, „daß jene berühmten Nationen einen großen Teil ihres Rufes nicht dem tatsächlichen Inhalt ihrer Geschichte verdanken, sondern vielmehr der Art und Weise, wie diese überliefert worden ist, d. h. der Fähigkeit ihrer Historiker und anderer Schriftsteller".27 Ungeachtet dieser grundsätzlichen Kritk gewannen aufgrund der politischen Entwicklungen Nationalgefühl und Nationalismus im 19. Jahrhundert zunehmend an Boden.
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Vgl. Speth 2000. Zum Begriff: Gehrke 1994, 247. J. Grimm/W. Grimm 1819, V. Herder [1793-1797] 1883, 208. Kant [1795] 1912b. - Vgl. Schopenhauer [1850] 1921, 66: „Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verräth in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu Dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen theilt. [...] jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein" (Hervorhebung im Original). Ferguson [1767] 1986, 369, 383, 355.
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Mit der Französischen Revolution setzte sich das Ideal einer „Nation" von freien und gleichen Bürgern durch, womit alle Untertanen des Staatsverbands ohne Rücksicht auf ihren Stand gemeint waren.28 Beamte und Staatswissenschaftler wie der Freiherr zum Stein (1757-1831) oder Johann Joseph v. Görres (1776-1848) setzten in der napoleonischen Ära aus pragmatischen Gründen auf partikularstaatliche Identitäten der Gebildeten. 29 Daß die Aufhebung der Stände auf den Widerspruch konservativ eingestellter Zeitgenossen stieß, verwundert nicht. Justus Moser (1720-1794) argumentierte vehement gegen den Gleichheitsanspruch, denn „es würde vielmehr die offenbarste Erschleichung sein, wenn die letztern oder Minderberechtigten, ein Menschenrecht aufstellen, durch ihre Mehrheit die bisherige Konstitution aufheben und sich, als gleiche Menschen mit den erstem gleiche Rechte beilegen wollten". 30 Die entstehenden modernen Staatsverwaltungen31 und die dafür erforderliche, möglichst vollständige Erfassung aller Einwohner (für Zwecke des Militärs, der Steuern, der Schule usw.), moderne Kommunikationsmittel und Verkehrssprachen förderten entsprechende, legitimierende „Nations"-Vorstellungen. 32 Eine gesamtnationale, überständische „Identität" wurde scheinbar zur Notwendigkeit, um den politischen Grenzziehungen Akzeptanz und Stabilität zu verleihen. Als kulturelle Strategie vermochte „Nation" in diesem Sinne „starke zentripetale und integrative Vergesellschaftungseffekte" zu bewirken. 33 Der moderne Nationalismus erwies sich als massenwirksames, säkulares (und in seiner Struktur dennoch fast gläubiges) Integrationsmodell für Massengesellschaften.34 Es bezog seine Stärke aus der Möglichkeit, über alle sozialen Unterschiede in einer Gesellschaft, einer Nation bzw. einem Staat hinweg kulturelle Homogenität bzw. Gleichheit aller Angehörigen zu behaupten. Im deutschen Sprachgebrauch wurde die „Nation" zum Widerpart des „Volkes". Das „Volk" bezeichnete zunehmend den politischen Untertanenverband innerhalb moderner Grenzen, die „Nation" dagegen eine Kultur-, Sprach- und Abstammungsgemeinschaft. Die Anstöße für diese begriffliche Unterscheidung gingen auf die zeitgenössischen sozialen und politischen Umbrüche des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sowie die deutsch-französi-
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Fehrenbach 1986; H. Schulze 1994,189-208. „In Teutschland widerstrebt zuoberst die religiöse Entzweiung dieser Einheit; ihr widerstrebt der uralte selbständig eigentümliche Stammesgeist"; v. Görres [1814] 1928, o. S. Moser [1791] 1958, 180. Maier 1986. Wehler 2001, 45-48. Kaschuba 1993, 60. - Zur Figur der Germania als Symbol: Gall 1993. Wehler 2001, 32 f.
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sehen Auseinandersetzungen der napoleonischen Zeit zurück. In dieser „spezifischen Konstellation [...] und einer damit verbundenen Identitätskrise der Deutschen" entwickelten sich „Volk" und „Nation" „zu jeweils komplementär besetzten Begriffen, [...] in [denen sich ...] Selbstdeutung und Fremdwahrnehmung wechselseitig verschränkten".35 „Französischer Nationalstaat" und „deutsche Kulturnation" wurden damit einander idealtypisch gegenübergestellt.36 Aus der Beschreibung wurde ein politisches Programm, das sich schließlich um 1860 zu einer hochgradig politisierten Vorstellung in der Öffentlichkeit und der Geschichtswissenschaft entwickelte. Die genuin politischen, nicht analytisch-historischen Begriffe „Volk" und „Nation" wandelten sich, sobald „Sprache und Kultur in die Begriffsbestimmung einbezogen wurden, [...] zunehmend zu politischen Faktoren". Daran dachte man in Deutschland „mit einem emphatisch entwickelten vorpolitischen Volksbegriff" vorbei. Das „Volk" geriet im Verständnis der Zeitgenossen zu einer „wesenhaften Substanz, die auf gar keinen Begriff gebracht, nur erlebt werden könne". 37 Diese Auffassung vom „Wesen", dem unwandelbaren „Kern" eines „Volkes" tendierte zur quasireligiösen Verklärung,38 positiv gesteigert bis hin zum „Gottesvolk". Diese Überhöhung nach innen wurde in asymmetrischer Weise mit einer pejorativen Abgrenzung nach außen verbunden, mitunter sogar mit einem Sendungsbewußtsein versehen. Diesen Vorstellungen neigten besonders sozial ungebundene und ungesicherte, politisch einflußlose mittelständische „Intellektuelle" zu, die ihre Vorstellungen aus der politischen Opposition heraus entwickelten.39 Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) definierte Volkszugehörigkeit nicht über Abstammung oder Sprache, sondern durch die (richtige) Einstellung: „Alle, die entweder selbst, schöpferisch und hervorbringend das Neue, leben, oder die [...] das Nichtige wenigstens entschieden fallen lassen [...] oder die [...] die Freiheit wenigstens ahnen, und sie nicht hassen [...] alle diese sind ursprüngliche Menschen, sie sind, wenn sie als Volk betrachtet werden, ein Urvolk, das Volk schlechtweg, Deutsche". 40 Die Grundlage der deutschen Identität fand „Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) im „Volkstum": „Es ist das
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Schönemann 1992, 327. Kallscheuer/Leggewie 1994. Koselleck 1992, 389. Aber auch der Kunst: Ziolkowski 1994, 391-478. Giesen 1993, 130-162; Hagemann 2002, 158-203, zu sozialen Hintergründen; ebd., 204-393, zu den Diskursen. Fichte [1808] 1910, 485. Vgl. M. Petri 1990. Diese Vorstellungen lassen sich wohl auch als „kultureller Nationalismus" beschreiben.
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Gemeinsame des Volks, sein inwohnendes Wesen, sein Regen und Leben, seine Wiedererzeugungskraft, seine Fortpflanzungsfähigkeit. Dadurch waltet in allen Volksgliedern ein volkstümliches Denken und Fühlen, Lieben und Hassen, Frohsein und Trauern, Leiden und Handeln, Entbehren und Genießen, Hoffen und Sehnen, Ahnen und Glauben".41 Ernst Moritz Arndt (17691860) zeichnete mit seinem Franzosenhaß ein suggestives Schwarz-Weiß-Bild, das mythische Identitätsstiftung durch Aggression nach außen zu erreichen suchte.42 Die „deutsche Nation" wurde zur übergeordneten, unangreifbaren Instanz - zuerst als Adressatin partikularer Reformbestrebungen, dann als Integrationsmuster gegen Napoleon, geriet sie nach 1815 zum politischen Ziel einer (gesamt-)deutschen Verfassung. Stärker noch als der bereits erwähnte Herder prägte Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) die Vorstellung vom „Volksgeist" und trug zu seiner Popularisierung wesentlich bei.43 Hegel sah „die Entwicklung des Bewußtseins des Geistes und seiner Freiheit" in der Weltgeschichte stufenweise vor sich gehen, wobei „jede Stufe als verschieden von der anderen ihr bestimmtes eigentümliches Prinzip hat. Solches Prinzip ist in der Geschichte des Geistes ein besonderer Volksgeist. In diesem drückt er als konkret alle Seiten seines Bewußtseins und Wollens, seine ganze Wirklichkeit aus; sie ist gemeinsames Gepräge seiner Religion, seiner politischen Verfassung, seiner Sittlichkeit, seines Rechtssystems, seiner Sitten, auch seiner Wissenschaft, Kunst und technischen Geschicklichkeit. Diese speziellen Eigentümlichkeiten sind aus jener allgemeinen Eigentümlichkeit, dem besonderen Prinzip eines Volkes, zu verstehen, so wie umgekehrt aus dem in der Geschichte vorliegenden faktischen Detail jene allgemeine Besonderheit herauszufinden ist." 44 Daran richtete später beispielsweise Jakob Burckhardt (1818-1897) seine „Kultur der Renaissance in Italien" aus,45 was wiederum auf den Einfluß seines Lehrers, des Altphilologen August Boeckh (1785-1867) zurückgeht.46 Die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich aufgrund ihrer ideen-
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Jahn [1810] 1884, 154 f. Vgl. Düding 1984. Arndt [1813] 1912. So Hoffmann 1991, 200. In engem Zusammenhang damit steht die Vorstellung eines „Zeitgeists", der „ein bestimmtes Wesen" und „ein Zustand" innerer Homogenität sei; Hegel [1833] 1971, 74. Hegel [1837] 1970, 86 f. Gombrich 1991, 51-62; Burckhardt 1860. Momigliano 1960.
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geschichtlichen Ausrichtung mit den zentralen Begriffen „Volksgeist" und „Zeitgeist". 47 „Völker" entwickelten sich nun zu den handelnden Subjekten der Geschichte. Zur Illustration sei lediglich auf die sogenannte „Völkerschlacht" bei Leipzig 1813 verwiesen, in der die Napoleonische Armee von den drei verbündeten Armeen unter Schwarzenberg (1771-1820), Blücher (1742-1819) und Bernadotte (1763-1844) geschlagen wurde - sich aber keineswegs „Völker" gegenüberstanden. Der geläufige Begriff der spätantiken „Völkerwanderung(en)" stellt eine (unzutreffende!) Lehnsübersetzung des späten 18. Jahrhunderts von migratio gentium des 17. Jahrhunderts dar.48 Zuvor hatte man jene plündernden Scharen nicht für homogene „Völker" (im Sinne der modernen Nationen) gehalten. Die sich allmählich entwickelnde „Volksideologie" 49 wurde erst mit dem „Individualismus" im Gefolge der Aufklärung und der französischen Revolution möglich, d. h. mit der Auflösung der Ständegesellschaft und der Emanzipation des Bürgertums. 50 Ohne den modernen Nationalstaat und Nationalismus wäre sie nicht denkbar. Diese Ideen wurden zur prägenden Vorstellung für die (natürlich deutsche, oder allgemein nationale bzw. „vaterländische") Altertumskunde und die daraus erwachsenden Disziplinen, die sich den verschütteten Ursprüngen der Volksgeschichte widmen sollten.51 Volkskunde, Prähistorie, Rechtsgeschichte 52 , Philologie, Kunstgeschichte usw. begannen, das (eigene) „Volk" als zentrale Kategorie ihrer Untersuchungen anzusehen. Die Gebrüder Jacob (17851863) und Wilhelm Grimm (1786-1859)53 wirkten, insbesondere durch ihre Erfindung der „Volkspoesie", auf die Ausrichtung dieser sich verfestigenden Wissenschaften (Abb. 5). Volk und Sprache waren identisch: „ein volk ist der
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Le Goff 1992, 209. Erst um 1900 setzte die Kritik am Historismus ein. Insbesondere Wilhelm Dilthey (1833-1911) kritisierte die »mystischen" Begriffe, aber ebenso griffen Max Weber (1864-1920) oder Karl Lamprecht die überholten Positionen an; vgl. Jaeger 1994. Schmidt 1778. — „Es waren nicht Völker, die sich auf Wanderschaft begaben, um Rom zu erobern, eher umgekehrt: Die Kämpfe um die Macht im Imperium erforderten große Zusammenschlüsse, deren Erfolg ihren ethnischen Zusammenhalt verstärkte"; Pohl 2002, 30. Emmerich 1971. Hoffmann 1991, 198. Bereits 1804 entstand die Académie Celtique zur Untersuchung der nationalen Vergangenheit Frankreichs, aus der 1884 die Société des Antiquaires de France hervorging. 1833 wurden die Société Française d'Archéologie und 1837 die Commission des Monuments historiques gegründet; Le Goff 1992, 243. Zur Revision älterer Auffassungen vgl. insbesondere Kroeschell 1992. J. Grimm 1825; 1828 (vgl. Ebel 1990); 1840-1878; 1819-1837; 1858; J. Grimm/W. Grimm 1852-1971.
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Abb. 5. Systematik der altertumskundlichen Disziplinen im mitteleuropäischen Verständnis des 19. Jahrhunderts (ζ. B. bei Jacob Grimm). Das „Volk" diente allen Disziplinen als Leitbegriff. „Sprache", Staat und „Geschichte", „Kultur" und „Rasse" schienen an „Völker" gebunden zu sein - und ohne „Volk" nicht vorstellbar. Daß dieses Konzept die nationalstaatlichen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts auf frühere Zeiten unbesehen übertrug, stellte erst eine spätere Erkenntnis dar
inbegriff von menschen, welche dieselbe spräche reden, das ist für uns Deutsche die unschuldigste und zugleich stolzeste erklärung, weil sie mit einmal über das gitter hinwegspringen und jetzt schon den blick auf eine näher oder ferner liegende, aber ich darf wohl sagen einmal unausbleiblich heranrückende Zukunft lenken darf, wo alle schranken fallen und das natürliche gesetz anerkannt werden wird, dasz nicht flüsse, nicht berge völkerscheide bilden, sondern dasz einem volk, das über berge und ströme gedrungen ist, seine spräche allein die grenze setzen kann." 5 4 Den Grimms galt „Volk und Geschichte als Natur" 5 5 , weil sie nicht künstlich gemacht, sondern quasi von selbst und organisch gewachsen und damit gänzlich unverfälscht waren. 56 „Sicherung und Wiederbelebung des Vaterländischen ihr letztes Ziel" 5 7 , hieß das vermeintlich unpolitische Begehren, das tatsächlich einer nationalen Einigung durch mythische Begründungen Vorschub leistete - wenigstens zu leisten versuchte.
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J. Grimm [1846] 1884, 557. Vgl. Ebel 1974. Emmerich 1971, 29-40. Vgl. K.-S. Kramer 1992. W. Grimm [1841] 1882, 506.
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Das Grimmsche Credo prägte alle altertumskundlichen Disziplinen - Prähistorie, Volks- und Völkerkunde, Sprachwissenschaft, physische Anthropologie und Geschichtswissenschaft, Ökonomie - , die sich im 19. Jahrhundert entwickelten bzw. zur Selbständigkeit gelangten. Die modernen Sozialwissenschaften entstanden - angesichts der tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüche - unter dem Eindruck, wie stark die gesellschaftliche Gegenwart durch die Vergangenheit bestimmt wird, und aus dem Bedürfnis, die Beziehungen des Menschen zur materiellen Welt zu beschreiben.58 Das „Volk" im Verständnis dieser Zeit wurde dabei den Wissenschaften als handelndes Subjekt zur zentralen Kategorie, mit der die Gesellschaft als homogenes Ganzes beschrieben werden konnte bzw. sollte. Der Aufstieg der altertumskundlichen Disziplinen zu anerkannten Fachwissenschaften vollzog sich vor dem Hintergrund und infolge des europäischen Nationalismus. Die Philologie widmete sich der alt- und mittelhochdeutschen Sprache und Literatur, die Historiographie der Geschichte der Völker 59 , die Volkskunde der bäuerlichen Gesellschaft, die Prähistorie den Anfängen und ursprünglichen Siedlungsgebieten der Völker, die Anthropologie deren physischer Konstitution. Prähistorie und Volkskunde entschieden sich unter mehreren methodischen Möglichkeiten meist ebenfalls für das „Volk" als Leitbegriff.60 Andere Vorstellungen gerieten zunehmend an den Rand. Den Begriff der „Volkskunde" machte Wilhelm Heinrich [v.] Riehl (18231897) populär.61 Riehl gilt aufgrund seines programmatischen, wenn auch weithin wirkungslosen Vortrags62 als „Begründer der Volkskunde". Riehl kam aus der statistischen Staats- und Verwaltungswissenschaft, so daß er Volkskunde als „Vorhalle der Staatswissenschaft" ansah.63 In seiner nach 1848 entwickelten, explizit konservativen und kulturpessimistisch-rückwärtsgewandten Sicht galten Riehl der Bauer als „Zukunft der Nation", „Sitte" als
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Foucault 1974, bes. 440. Dies spiegelt sich u. a. in der Gründung nationaler historischer Fachzeitschriften seit 1840: Historisk Ttdsskrift 1840 (Dänemark), Archivio storico italiano 1842 (Italien), Historische Zeitschrift 1859 (Preußen/Deutschland), Szdzadok 1867 (Ungarn), Historisk Ttdsskrift 1870 (Norwegen), La Revue historique 1876 (Frankreich; vorausgehend Bibliothèque de l'École des Chartes 1839), Historisk Ttdsskrift 1881 (Schweden), English historical review 1886 (England), Tijdschrift voor Geschiedenis 1886 (Niederlande), Kwartalnik historyczny 1887 (Polen), The American historical review 1895 (USA); vgl. Le Goff 1992, 243 f.; Geary 2002, 25. Emmerich 1971, 66. Moser 1978. Riehl 1859. Riehl 1859, 222.
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wichtigstes Ordnungssystem und ständische Gliederung als unverzichtbares Gesellschaftsideal.64 Riehl wandte sich gegen soziale Nivellierungsversuche, die mit der Kapitalisierung, Industrialisierung und Urbanisierung der Gesellschaft einhergingen: „wer aber hinabsteigt in die Tiefen des Volkslebens und aus dem kleinen und einzelnen heraus sich seine Gesamtanschauung zusammenfügt, der wird überall noch sehr strenge und im wesentlichen gesonderte Gruppen wahrnehmen" 65 . Daher müsse zwischen dem modernen abstrakten Staatsvolk und dem historisch gewordenen, organologisch begriffenen Volk unterschieden werden. Letzteres wird durch die „vier großen S: Stamm, Sprache, Sitte und Siedlung, den Grund alles lebendigen Lebens, einen Urgrund" charakterisiert !66 Mit Riehl verschmelzen die Begriffe „Volk" und „Nation". Die für sich genommen belanglosen, volkskundlichen Einzelstudien „erhalten erst ihre wissenschaftliche wie ihre poetische Weihe durch ihre Beziehung auf den wunderbaren Organismus einer ganzen Volkspersönlichkeit, und von diesem Begriff der Nation gilt dann allerdings im vollsten Umfange der Satz, daß unter allen Dingen der Mensch des Menschen würdigstes Studium sey".67 „Das Volk" - im Hinblick auf die „Nation" - wurde zur zentralen Kategorie der Volkskunde. Es beherrschte und blockierte letztlich alternative theoretische Ansätze.68 Die tatsächlich „untergehende" ländliche Agrargesellschaft entwickelte sich zum rückwärtsgewandten Ideal und damit zum politischen Gegenentwurf zur gesellschaftlichen Realität einer inzwischen zunehmend industrialisierten Welt und ihrem Industrieproletariat. Dieser Gegenentwurf gewann damit eine sozialkompensatorische Funktion. Vor diesem Hintergrund blieb die Volkskunde im 19. Jahrhundert in wesentlichen Teilen romantisch-rückwärtsgerichtet. Sie beschäftigte sich schließlich in einer Art ideologischer „Enthistorisierung" ihres Gegenstands mit Ursprungsmythen, Sinnsuche und sogar Rassenglaube. In ihrem Selbstverständnis war sie eine Altertumswissenschaft, geprägt von den großen, musealen Materialsammlungen. Volkskunde-Museen entstanden beispielsweise 1807 in Dänemark, 1828 in Norwegen (Bergen) und 1849 in Finnland (Helsingfors). Sie belegen zugleich ein besonderes skandinavisches Interesse bzw.
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Riehl 1855a (Einleitung). Als zweiter Band erschien dieses Buch zusammen mit Riehl 1854; 1855b; 1869a; zusammengefaßt 1869b; vgl. auch Riehl 1861. Bausinger 1986, 139, charakterisiert Riehls Ansatz als „Bauernkunde in bürgerlichem Geist". Riehl 1855a, 34. Riehl 1861, 48. Riehl 1859,216. Bausinger 1986, 8 f.; zur Riehl-Rezeption Zinnecker 1996.
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Empfänglichkeit für „Brauchtum" und „Sitte". 69 Statt einer Untersuchung und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den bestehenden sozialen Verhältnissen (soziale Notstände, Aufkommen der Arbeiterbewegung, kapitalistische Industriegesellschaft)70 standen retrospektive Sehnsucht, kulturpessimistische Wehmut und ausweglose Zivilisationskritik im Mittelpunkt des volkskundlichen Interesses. In der öffentlichen, „bildungsbürgerlichen" Meinung galt die Volkskunde daher als eine „Deutschtums-Wissenschaft". 71 Die seit den 1830er Jahren in Deutschland entstandenen, zahlreichen Geschichts- und Altertumsvereine betrieben - neben historischen und linguistischen Unternehmungen - sowohl Volkskunde als auch Vorgeschichte. Auf der Suche nach dem „Volksgeist" und seinen Ursprüngen bildeten sie wichtige Diskussionsforen. Beide Wissenschaften folgten in ihren „dilettantischen" Anfängen denselben romantischen Ideen. Daraus erklärt sich die doppelte Museumsgründung des Jahres 1852 durch den zugleich ins Leben gerufenen
Geiamtverein der deutschen Altertumsverbände. Das Germanische
National-
museum in Nürnberg sollte sich der Rettung des anscheinend untergehenden Volksguts widmen und also Volkskunde betreiben. Das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz war der „deutschen Vorzeit" und ihren ebenfalls bedrohten Altertümern geweiht. Das Correspondenz-Blatt des Gesamtvereins vereinte beide entstehenden Disziplinen und band die fachlichen Diskurse zusammen, was zu einer intensiven wechselseitigen Beeinflussung führte. Darüber hinaus bestanden Verbindungen zur historischen Nationalökonomie, die ebenfalls einem idealisierenden Mittelalterbild folgte, und zur Kulturgeschichte im Sinne Burckhardts und Lamprechts, zwei Außenseitern der Geschichtswissenschaft. 72 Romantische Volksgeistkonzepte beeinflußten jedoch nicht nur Volkskunde und Prähistorie, sondern alle Sozialwissenschaften und führten zur Entwicklung entsprechender Fragestellungen und Modelle. Der Rechtshistoriker Friedrich Karl v. Savigny (1779-1861) erschloß daraus die Rechtsformen, der „Mutterrechtler" Johann Jakob Bachofen (1815-1887) die Mythenbildung der Völker, Heymann Steinthal (1823-1899) entwickelte seine „Völkerpsychologie", Wilhelm Dilthey (1833-1911) seine Typenlehre der „Weltanschauungen", Adolf Bastian (1826-1905) die „Socialpsyche" bzw. den „Völkergedanken". Soziologen wie Albert Eberhard v. Schäffle (1831-1903), Paul v.
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Le Goff 1992, 124; vgl. Anz 2001. Sievers 1994. Emmerich 1971, 100 f. Smith 1991, 174-192.
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Lilienfeld (1829-1903), Ludwig Gumplowicz (1838-1909) oder Émile Durkheim (1858-1917) gelangten schließlich zu Vorstellungen einer „Social-" oder „Gruppenseele".73 Damit ist hier der Entwicklung aber bereits weit vorgegriffen. Noch fehlt ein kurzer Blick auf die Ethnologie. Ein gewissermaßen philanthropischer Fortschrittsglaube bewirkte, ebenfalls in den 1830er Jahren, die Gründung erster ethnologischer Gesellschaften. Der auch an „rassischen" Problemen interessierten, 1839 entstandenen Société d'Ethnologie de Paris74, folgten 1842 die American Ethnological Society, 1843/5? die Ethnological Society of London und 1869/1870 die Berliner und die Deutsche Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.75 Anders als die angeführten Altertumsvereine verfolgten die ethnologischen Gesellschaften in der Verknüpfung von Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte einen moderneren Ansatz. Ihre wissenschaftliche Suche galt zwar ebenfalls den „Ursprüngen" von Völkern und Rassen, doch verfolgten sie dieses Ziel auf eine weit nüchternere, naturwissenschaftlich ausgerichtete Weise - ohne nationalistische Attitüde und mit einem vergleichenden Ansatz. Auf der einen Seite bevorzugte man in Deutschland seit den 1870er und 1880er Jahren zunehmend den Begriff „Völkerkunde" statt „Ethnologie", doch galt dies auf der anderen Seite nicht für die noch immer tonangebende Richtung unter Virchow und Bastian.76 Das Verhältnis zwischen prähistorischer und ethnologischer Forschung war in Deutschland darüber hinaus ein anderes als in Westeuropa und Nordamerika. Bis zur endgültigen Ausdifferenzierung der Einzeldisziplinen gegen Ende des 19. Jahrhunderts dominierte auf dem europäischen Kontinent die Urgeschichte, während in England aufgrund der Kolonien und in Amerika wegen der „Indianerfrage" die Ethnologie an erster Stelle stand. Konservative Kulturkritiker lieferten im Wilhelminismus jene ideologischen Grundlagen, die zum „völkischen Annexionismus" nach der Jahrhundertwende führten. 77 Zu ihnen gehörte der Göttinger Orientalist Paul de Lagarde (1827-1891), in dessen Augen das Volk ständisch-patriarchalisch strukturiert war und aus einer Hierarchie von „Herren" bestand (vom Kaiser hinunter bis
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K. E. Müller 1992, 43 f. Mühlmann 1964, 353. In den 1860er bis 1880er Jahren wurden die meisten anthropologischen Gesellschaften gegründet, die explizit oder stillschweigend die Ethnologie einbezogen: Mühlmann 1968, 96. Smith 1991, 60. Zur Entwicklung: Giesen/Junge 1991; Giesen/Junge/Kritschgau 1994; H. Schulze 1994, 243278.
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zum Hausherrn). Dieses „Volk spricht nur dann, wann die Volkheit [...] in den Individuen zu Worte kommt: das heißt, wann das Bewußtsein der allen Einzelnen gemeinsamen Grund- und Stammnatur wach, und sich über ihr Verhältnis zu den großen Thatsachen der Geschichte klar wird". 78 Daraus leitete de Lagarde die Berechtigung einer radikalen Annexions- und Germanisierungspolitik ab, die weite Gebiete Österreichs und Rußlands beanspruchte und „von allen den kläglichen Nationalitätchen des Kaiserstaates nichts mehr übrig" lassen sollte.79 Noch weiter trieb diese Vorstellungen Julius Langbehn (1851-1907): „Volk" gehe auf „Gefolge" zurück und sei deshalb anti-egalitär nach dem „Führerprinzip" und darüber hinaus korporativ gegliedert. Das deutsche Volk besitze einen „eingeborenen Erdcharakter". „Volkstum" und „Bauerntum", „Volksseele" und „Bauernseele" seien identisch. Sein „angeborener Charakter" und seine „Bestimmung" als „Arier" fordere eine „Politik der Blutsverwandtschaft".80 Um 1890 war eine radikal völkische (und antisemitische) Ideologie offensichtlich bereits entwickelt.81 Die „Naturalisierung" der Geschichte begann sich durchzusetzen. Die „Rasse" konkurrierte nun mit dem „Volk" als zentraler Kategorie und löste dessen Identitätsanspruch allmählich auf. Biologistisch-antisemitische Vorstellungen grenzten nun auch im Innern „Fremde" aus.82 Im Zeitalter des Imperialismus wurde das Volk „eine sittlich-religiöse, politisch-soziale und geschichtliche Letztinstanz"83 - ein stereotyper, nicht mehr reflektierter Leitbegriff.84 Mit ihm verband sich die „Fiktion der schicksalhaften, objektiven und unentrinnbaren Einheit von Volk, Nation, Geschichte, Sprache und Staat".85 „Das Volk" wurde in Deutschland zur Legitimation allen politischen Handelns nach 1918 benutzt, nachdem es um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch ein Begriff der Liberalen und Demokraten gewesen war.86
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de Lagarde [1875] 1903a, 118. de Lagarde [1875] 1903a, 112; ders. [1886] 1903b, 391, meinte: „Die Deutschen sind ein friedfertiges Volk, aber sie sind überzeugt von dem Rechte, selbst, und zwar als Deutsche, zu leben, und überzeugt davon, daß sie für alle Nationen der Erde eine Mission haben: hindert man sie, als Deutsche zu leben, hindert man sie, ihrer Mission nachzugehen, so haben sie die Befugnis, Gewalt zu gebrauchen". Langbehn 1890, 153 f., 122, 193-195, 223 u. ö. Vgl. Puschner 2001. Kaschuba 1993, 69. Koselleck 1992 (b), 389; Wehler 2001, 36, 40. Zimmerman 2001, 239, zum historischen Umfeld: „Anthropology emerged in Germany as a modernist critique of traditional academic humanism in a moment of transformation marked by the rise of imperialism, mass culture, and natural science." H. Schulze 1994, 337. Winkler 1979.
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Konservative hatten damals die [Staats-]Nation in den Mittelpunkt gestellt. Unter Berufung auf die „objektiv" vorhandene Sprache, die Geschichte und Kultur 87 entwickelte sich der Volksbegriff von der zunächst metaphysischen Emanation („Volksgeist") schließlich zur kulturellen und biologischen „Ganzheit". 88 Seine funktionalistisch vorausgesetzte sprachliche, kulturelle und rassische Geschlossenheit entsprach dem nationalstaatlichen Ideal, jedoch nicht der sozialen Realität. Das „Volk" erschien als objektive Größe bereits vorgegeben. Deshalb konnte seine Existenz als „vor-staatlich" begriffen werden, d. h., es schien „ursprünglich" und bereits ohne (eigenen) Staat lebensfähig zu sein. Da sich das Siedlungsgebiet des „deutschen Kulturvolkes" nicht mit dem Reich deckte, konnte aus dieser „nichtstaatlichen" Existenz des Volkes ein Herrschaftsanspruch begründet werden: Erst in der Ubereinstimmung von „Volk" und Staat fände die „Nation" ihre Erfüllung, hier liege der „deutsche Beruf" in der Mitte Europas. Das in den 1920er Jahren entwickelte Konzept eines von modernen Staatsgrenzen unabhängigen, „deutschen Volksbodens" bereitete den Boden für Hegemonieansprüche und Territorialforderungen zur Revision des Versailler Vertrages. Der Vergleich mit Vielvölkerstaaten und ihren gravierenden Integrations-Problemen schien die Auffassung, es bedürfe einer nationalen Homogenität, nur zu unterstreichen. 89 Vom deutschen „Volkstum" bei Jahn über die „Volkheit" de Lagardes führt eine ideologische Verbindungslinie bis zur „Volkheitskunde" bei Hans Hahne (1875-1935), der als Direktor des Hallenser Landesmuseums darunter Volkskunde, Prähistorie und Rassenkunde zusammenfaßte. Diese These vertrat Hahne erstmals 192490, doch zu seinem Leidwesen wurde das Landesamt erst im Dritten Reich entsprechend umbenannt. In der Volkskunde wurden die Riehischen „vier großen S" bei Max Hildebert Boehm (1891-1968), dem Leiter des Berliner Instituts für Grenz- und Auslandsstudien (1926-1945), im Stil der Zeit zu Blut und Boden, Volkstum und Volksordnung.91 Schließlich galt: „Volk ist die Gesamtheit der durch Blut, Boden und Kultur bestimmten Träger des geschichtlichen Lebens."92 Um 1930 waren die bisherigen Katego-
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Jeismann 1992. Koselleck 1992b, 406 f. Vgl. Langewiesche 2000; H . Schulze 1994, 278-317. Ziehe 1996, 67, unter Verweis auf einen entsprechenden Vortrag Hahnes; vgl. Hahne 1935. Boehm 1937, VI. Keyser 1933, 6. - Dagegen immerhin Mühlmann 1942; 1944, trotz aller Begriffsprobleme, mit dem Hinweis auf Entstehung und Veränderung von Völkern. „Völkische" Vorstellungen umfaßten einen „dynamischen", politische Handlungsspielräume eröffnenden Volksbegriff; dies bedeutete eine Abkehr von älteren Auffassungen unveränderlicher „Einheiten".
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rien Staat und Nation durch Volk und Raum abgelöst worden. Für die Begriffs-Entwicklung im „Dritten Reich" mag hier der Hinweis auf eine ungeahnte Radikalisierung genügen, denn die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Konzepte vom „Volk" wurden schließlich ad absurdum geführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Deutschland aus der „Volksgeschichte" die Sozialgeschichte,93 indem Historiker und Soziologen in gewisser Weise die „Entnazifizierung des Volksbegriffs" vollzogen. 94 Werner Conze (1910-1986) und Theodor Schieder (1908-1985) gelten als „Gründerväter" sozialgeschichtlicher Historiographie in der Bundesrepublik. Ihre ursprünglichen Intentionen zielten in den dreißiger Jahren jedoch auf „das als Ganzes konzipierte biologisch konstituierte Volk", 95 wenngleich dieser Ansatz in methodischer Hinsicht nach wie vor als innovativ gilt.96 Conzes eigenen Worten zufolge bedeuteten die „politischen Erschütterungen des Jahres 1945 [...] keinen Neubeginn oder Kontinuitätsbruch, [sondern sie] haben die im Gange befindliche Richtung vielmehr bestätigt und verstärkt". 97 Das Interesse wandte sich nun jedoch nicht mehr einer idealisierten, vormodernen Agrargesellschaft, sondern der bislang politisch abgelehnten, modernen Industriegesellschaft zu. Mit den Schülern Conzes und Schieders gewann die Sozialgeschichte bzw. Historische Sozialwissenschaft zu Recht internationale Reputation. Das „Volk" hatte als Leitbegriff ausgedient. Die „Gesellschaftsgeschichte" trat in den Vordergrund.98
b) Vom „Volk" zum „Ethnos" Der politisierte und befrachtete Begriff des „Volkes" bzw. der „Nation", aber auch der des „Stammes" wurde im wissenschaftlichen Sprachgebrauch zunehmend durch „Ethnos" oder „ethnische Gruppe" 99 ersetzt. Mit diesem Begriffswechsel waren zunächst keine inhaltlich anderen Vorstellungen verbunden. 100 Erst seit den 1960er Jahren wandelten sich die theoretischen Kon-
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Oberkrome 1993. W. Schulze 1993, 306. Iggers 1997, 402. Oberkrome 1993. Conze 1983, 78. Zu Conze vgl. Etzemüller 2001; zu Hermann Aubin (1885-1969) als einem weiteren einflußreichen Vertreter Volkmann 2001. Iggers 1993, 54-63; 1997, 400-420. „Ethnische Gruppe" ist ein Ersatzbegriff für „Stamm"; Heinz 1993, 220-223. Im modernen Griechisch bedeutet „ethnos" nichts anderes als „Nation". Im Altgriechischen wurden damit die Nichtgriechen, d. h. also die Barbaren, bezeichnet. Darüber hinaus sei dar-
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zepte und ermöglichten einen Perspektivenwechsel (Abb. 6). Ethnologische Untersuchungen im entkolonialisierten Afrika, stadtsoziologische Studien in den USA und die Wahrnehmung „ethnischer Minderheiten" in der Alten Welt machten deutlich, daß kulturelle, sprachliche und soziale Entwicklungen nicht regelhaft zusammenfallen, d. h. nicht räumlich kongruent und zeitlich synchron verlaufen. Zentral erschien nunmehr die Selbstdefinition ethnischer Gruppen im Rahmen sozialer Interaktion mit anderen Gruppen. Diese neuen Ansätze 101 überschritten die Disziplingrenzen von Soziologie und Anthropologie102 und zeigten auf, „daß es gerade das, was der Ethnographie den Namen gegeben hat, eigentlich nicht gibt, nämlich .Völker""!103 Untersuchungen der „ethnischen Verhältnisse" in Afrika ergaben, daß die heutigen Gruppen und Konflikte oft nicht ein Ergebnis afrikanischer Geschichte sind, sondern Klassifizierungen der Kolonialmächte waren, die zu Verwaltungszwecken „Häuptlinge" einsetzten und so die Herausbildung von „Stammesstrukturen" erst einleiteten.104 Tatsächlich waren die Gesellschaften akephal oder segmentär strukturiert. „Heiratsklassen, Altersklassen, sozioprofessionelle Gruppen, Verwandtschaftslinien oder Lokalgruppen" waren „für relevante Teile der Menschheit [...] in erster Linie" entscheidend.105 Der mikroskopische und holistische Blick der Ethnologie auf Lokalgruppen und die monographische Veröffentlichung ihrer Untersuchungsergebnisse hatten über lange Zeit den falschen Eindruck erweckt, diese Gesellschaften seien homogene, wie ausgestanzt nebeneinander existierende Einheiten.106 „Das Volk" erwies sich schließlich ebenso „als bürgerlich geprägter ideologischer Kunstbegriff wie als ahistorischer Mythos". 107 Es machte neuen Auffassungen Platz. Nicht mehr ein „imaginäres" homogenes, sondern das einfache Volk rückte in den Mittelpunkt der Volkskunde bzw. Europäischen Ethnologie: „vielfältige Ungleichzeitigkeit und Gegenläufigkeit von kultureller
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auf hingewiesen, daß natio die geographische Herkunft in den Mittelpunkt stellt und gens vor allem auf die biologische Verwandtschaft und damit Abstammung zielt. Ganz so neu waren sie nicht, denn schon Max Weber hatte dies als den entscheidenden Punkt gesehen; Weber 1956,234-244. Ethnic groups 1969 stellt nicht den Beginn, aber ein wichtiges Glied der Forschung dar. Mühlmann 1964, 52. Lentz 1998; Chrétien 2000. Aus methodologischer Sicht bemerkte schon Leach 1954, 291: „the assiduous ethnographer can find as many different .tribes' as he cares to look for". Elwert 1989, 446. Diesem Eindruck widersprachen bereits die in den 1950er Jahren erarbeiteten „ethno-demographischen Karten" für Westafrika, die einen Flickenteppich einander überschneidender „ethnischer Gruppen" ergaben; vgl. Cartes ethno-démographiques 1952-1963. Kaschuba 1988a, 16.
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Abb. 6. Systematik methodischer Ansätze der Ethnologie des 20. Jahrhunderts. Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen historischem und holistischem Ansatz. Aus historischem Blickwinkel wird die Vielfalt der Kulturen in den Blick genommen, aus holistischer Sicht die Einheit der Kultur (zusammengestellt nach Schmied-Kowarzik 1993, 276)
Form und sozialer Funktion, von äußerer Konstanz und innerem Wandel" statt zeitloser Substanz beschreiben nun die Volkskultur, die als gegenkulturelles System und schichtenspezifisch aufgefaßt wird - dabei durch Interaktion sowie Transformation und Wandel gekennzeichnet.108 Statt von einem „konstanten" Volk auszugehen, werden nunmehr die kontinuierlichen und schwankenden historischen Veränderungen von Sozialstrukturen und Traditionen untersucht. 109 Auf diese Weise erscheinen auch ethnische Gruppen als
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Kaschuba 1988a, 28, 35, 38, 41, 44. Die Skepsis gegenüber den romantischen Traditionen der Volkskunde dürfte dazu beigetragen haben, daß sich heute vor allem Historiker der Untersuchung der Alltagskultur widmen; vgl. Volkskultur 1984. Beispielsweise hat die volkskundliche Sprachinselforschung in Ostmitteleuropa gezeigt, daß dortige deutsche Siedler nicht etwa am „alten Brauchtum" festhielten (wie es eine imperialistische Politik reklamierte), sondern dieses in sehr variabler Kommunikation mit der und in Anpassung an die Umgebung veränderten; vgl. Weber-Kellermann 1978.
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ständig neu auszubalancierendes „Fließgleichgewicht"110 oder „Wandlungskontinuum".111 Ethnien stellen eher einen „Prozeß" als eine statische Einheit dar, die durch Wandel und nicht durch Dauer gekennzeichnet wird. Darauf hatten in den 1920er Jahren schon Sergej Michajlovic Sirokogorov (18871939) 112 und in den 1930er Jahren Wilhelm Emil Mühlmann (1904-1988) 1 1 3 hingewiesen, wenngleich beiden Ansätzen unterschiedliche Ausgangspunkte zugrunde lagen - die Integrationsprobleme des „jungen" Sowjetstaates114 bzw. „Umvolkungs"-Konzepte im „Dritten Reich". 115 Nach heutiger Auffassung lassen sich Ethnogeneseprozesse als ständig ablaufend ansehen und nicht nur auf die Phase der Herausbildung einer Gruppe beziehen. Damit wird nachträglich Ernest Renan (1823-1892) bestätigt, der am 11. März 1882 in einer Rede vor der Sorbonne erklärt hatte: „L'existence d'une nation est (pardonnez-moi cette métaphore) un plébiscite de tous les jours, comme l'existence de l'individu est une affirmation perpétuelle de vie". 116 Heutige Modellvorstellungen stellen die innere Heterogenität und fließende bzw. wechselnde äußere Konturen „ethnischer Gruppen" heraus.117 Dadurch geraten auch Versuche, diese Gruppen zu definieren, unscharf und flexibel 118 , doch läßt sich ein „Ethnos" als verschiedene soziale Gruppen einer Gesellschaft mit politischem Wir-Bewußtsein und dem Wissen um einzelne Symbole umfassend119 oder als „größte feststellbare souveräne Einheit" mit
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Bausinger 1986, 101. Jarnut 1985, 83. Sirokogorov 1923. Mühlmann 1964. Die besondere Aufmerksamkeit, die die sowjetische Ethnographie der Ethnogenese widmete, hängt neben der politischen Verfassung der UdSSR als Vielvölkerstaat vor allem mit der „japhetischen Theorie" Nikolaj Marrs zusammen. Marr, von Hause aus Linguist, war als Direktor des Moskauer Instituts für die Geschichte der materiellen Kultur in den prägenden 1920er Jahren von enormem Einfluß auf die sowjetische Ethnographie und Archäologie. Seine abstruse Stadientheorie postulierte, daß sprachliche Veränderungen stets zugleich soziale und wirtschaftliche (gleichsam totale) Wandlungen bedeuteten, die sich sprunghaft von Stadium zu Stadium bewegten. Ethnogenese bedeutete in diesem Verständnis die Transformation eines Volkes in ein anderes, wenn die jeweilige Sprache gesprengt wurde und durch „Sprachkreuzung" eine neue Sprache entstand. Vgl. Alpatov 1991; Klejn 1997, 198-227; Slezkine 1996. Roosens 1989 konzentriert sich abweichend vom Titel auf den Umgang mit Ethnizität. „Umvolkung" führte diesen Vorstellungen entsprechend zur „Volkwerdung", deren Übersetzung „Ethnogenese" lautet. Zu Mühlmann, der sich seit den 1930er Jahren intensiv damit beschäftigte (Mühlmann 1942; 1944), vgl. Michel 1991; Fehr 2003, 105-114. Renan [1882] 1947b, 904. E. W. Müller 1989; Ganzer 1990; Geary 2002. Höllmann 1992. Girtler 1982. Der Bezug auf verschiedene soziale Gruppen erscheint wichtig, um nicht auch andere Gruppen wie Eliten oder Vereine als Ethnien mißzuverstehen.
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Wir-Bewußtsein charakterisieren. 120 Grundsätzlich handelt es sich um soziale bzw. politische Konstrukte mit realer Bedeutung, 121 denn die Behauptung von Homogenität und Distinktion dient der Identitätsbildung und der Abgrenzung. „Ethnische Gruppen" werden durch den Glauben an kulturelle Gemeinsamkeiten und an eine gemeinsame Abstammung, d. h. die subjektive ethnische Identität von Individuen, zusammengehalten. 122 Ethnien sind deshalb vor allem sich ständig neu konstituierende Traditions- und Rechtsgemeinschaften, 123 die unter Berufung auf gemeinsame „höhere Ziele" die soziale Binnendifferenzierung von Gesellschaften ausblenden oder zumindest überdecken. Der Begriff des Ethnos erhält für die wissenschaftliche Analyse nur dann einen Sinn, wenn er operational und nicht klassifizierend verstanden wird, 124 wenn mit dem Begriff also beschreibend und nicht unterteilend verfahren wird. Trotz dieser strukturellen Einsichten hat die Konstruktion „ethnischer" Traditionen erneut Konjunktur, 125 wird „Kultur" „zur Sakralisierung kollektiver Sinngebungen" und zur Identitätsstiftung instrumentalisiert.126 Für die Ethnologie gilt nun, daß „uns der Begriff .Volk' kaum weiterbringt], wenn wir danach fragen, womit sich die Völkerkunde eigentlich beschäftigt". 127 In den letzten beiden Jahrzehnten scheint auch die Prähistorie „ethnische Probleme" wiederzuentdecken, wofür u. a. die Postprocessual Archaeology stehen mag. Nach 1945 hatte sich die archäologische Forschung vor allem systemtheoretischen und funktionalistischen Konzepten zugewandt, die unter dem Namen New Archaeology bekannt wurden. Mit diesem Ansatz wurden wichtige Erkenntnisse zu Umwelt und Wirtschaft prähistorischer Gesellschaften möglich, so daß nun ehemalige soziale, religiöse und politische Vorstellungswelten als vernachlässigtes Thema empfunden werden. Mit etwas Verspätung wird die jüngere sozialwissenschaftliche Forschung rezipiert und an neuen Konzepten gearbeitet, um das noch von älteren Vorstellungen geprägte Methodenrepertoire zu modernisieren und die Diskussion mit den benachbarten Sozialwissenschaften bestehen zu können. 128 Abseits dieser Ent-
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Mühlmann 1964, 57. Mühlmann 1968, 235. Weber 1956, 237; Jones 1997, xiii. Pohl 1990, 114. Pohl 1991, 41. Elwert 1989,458-461. Kaschuba 1995a, 36; 1995b; Phänomen Kultur 2003. Kohl 1993, 15. Vgl. Daim 1982; Urbanczyk 2000.
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wicklung läßt sich auch das Fortleben ethnischer Deutungen innerhalb des traditionellen (romantischen und nationalistischen) Argumentationsrasters beobachten, ohne daß die zugrundeliegenden Konzepte ausreichend reflektiert würden.
2. Die „Kultur" a) „Kultur" und „Gesellschaft" Ebenso wie „das Volk" besitzt der Begriff „Kultur" 1 2 9 eine lange Vorgeschichte, bevor er seit dem 18. Jahrhundert zunehmend im nationalen Sinn verengt wurde. Im 15. Jahrhundert kam „Kultur" im Italienischen und Kastilischen (Spanischen), zwei romanischen Sprachen, in Gebrauch. Dabei gewann „Kultur" - neben seiner ursprünglichen, auf landwirtschaftlichen Anbau bezogenen Bedeutung („Agrikultur") - seit dem 16. Jahrhundert allmählich auch einen metaphorischen, moralisch besetzten bzw. normativen Charakter: „Pflege" einer Sprache, einer Wissenschaft oder Bildung. Doch erst im 17. Jahrhundert bezeichnete „Kultur" besondere Eigenschaften von „Völkern". Die neu gewonnene Kenntnis fremder Völker in den Kolonien der neuen Welt dürfte hierbei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Die Renaissance betrachtete sowohl die primitiven als auch die antiken Völker noch unter dem Blickwinkel der Merkwürdigkeit und Fremdheit. Diese Fremden repräsentierten durch ihr Anderssein auf unterschiedliche Weise die Grenzen der Welt. 130 Seit dem 18. Jahrhundert wurde „Kultur" im übertragenen Sinne fester an das „Volk" gebunden und konnte daher nun auch im Plural gebraucht werden. 131 Dies war die Voraussetzung, damit die „Kultur" als nationalspezifisches, geschlossenes und homogenes System verstanden werden konnte. Der Begriff der „Kultur" gelangte im 18. Jahrhundert wahrscheinlich aus dem Französischen ins Deutsche, wobei Voltaire (1694-1778) u. a. mit seinem Epos La Henriade (1728) einer der entscheidenden Vermittler gewesen zu sein scheint. 132 Doch bereits zuvor kam der Begriff in lateinisch flektierter
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Überblick: Kroeber/Kluckhohn 1952. Hides 1996, 32. Diaz-Andreu 1996, 51 f. Vgl. Tonnelat 1930, 61.
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Form in deutschsprachigen Texten vor.133 „Kultur" stellte einen normativen Begriff der Aufklärung dar, dem der Glaube an den Fortschritt der Menschheit zugrunde liegt. Denn man differenzierte zwischen „Kultur" und „Barbarei", wenngleich damit der antike Barbarenbegriff aufgenommen wurde. Johann Christoph Adelung (1732-1806) beschrieb in seinem Wörterbuch „Cultur" als „Veredlung oder Verfeinerung der gesamten Geistes- und Leibeskraefte eines Menschen oder eines Volkes, so dass dieses Wort so wohl die Aufklaerung, die Veredlung des Verstandes durch Befreyung von Vorurteilen, als auch die Politur, die Veredlung und Verfeinerung der Sitten unter sich begreift". 134 Bei Herder ist Kultur an bestimmte Voraussetzungen gebunden: Ohne Schrift gibt es keine Kultur, primitive Völker mit ihren „rohen" Sitten sind kulturlos, so daß die Kultur von der Menschheit erst erworben werden muß. 135 „Kultur" gerät in diesem Verständnis offensichtlich zu einem positiv konnotierten, allgemein menschlichen Begriff, was sich als „normativer Kulturbegriff" bezeichnen läßt.136 In ähnlichem Sinn wie Herder gebrauchte auch der spanische Jesuit Juan Francisco de Masdeu (17441817) den Kulturbegriff. 137 Kant war wohl der erste, der „Kultur" und „Zivilisation" einander gegenüberstellte138 und dadurch eine lange verfolgte Dichotomie begründete. Die politisch einflußlosen, bürgerlichen Intellektuellen setzten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend ihre Leistungen in Bildung und Kultur von den affektierten Äußerlichkeiten des (französisch sprechenden) Adels ab. „Es ist die Polemik der deutschen, mittelständischen Intelligenzschicht gegen die Gesittung der herrschenden, höfischen Oberschicht, die bei der Bildung des begrifflichen Gegensatzes von Kultur und Zivilisation in Deutschland Pate steht." 139 Dieser besondere deutsche Sprachgebrauch unterschied seitdem immer mehr die inneren und anscheinend unwandelbaren, als volkstümlich und ländlich angesehenen, „authentischen" Werte („Kultur") von der bloß künstlichen und verderbt erscheinenden, zunehmend technisch und städtisch geprägten Welt („Zivilisation"). Mit dem Aufstieg des Bürgertums in
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Etymologisches Wörterbuch 1995, 743. Adelung 1793. In der ersten Auflage (1774-1786) fehlt dieses Stichwort interessanterweise noch. Herder [1784-1785] 1887, 366: „Alle Nationen, die außer dem Wege dieser künstlichen Tradition [der Schrift - S. B.] lagen, sind nach unseren Begriffen uncultiviert geblieben". Reckwitz 2000, 65-72. de Masdeu 1783-1785. Kant [1784] 1912a, 26. Elias 1997, 97.
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Deutschland wandelte sich diese soziale Opposition zu einer nationalen Antithese, die antifranzösische Ressentiments bediente. In England und Frankreich, wo das Bürgertum politisch eingebunden war, wurde gerade umgekehrt die „Zivilisation" positiv bewertet und als gesellschaftlicher Reformprozeß begriffen. Dort bildete die „Barbarei" den Gegenbegriff, deren endgültige Überwindung weitere Zivilisation erfordere.140 Besonders in Deutschland betonte man die „inneren" und damit wesentlichen, als nahezu unveränderlich angesehenen Werte der „Kultur". Auf diese Weise konnte „Kultur" als für eine jede Nation spezifisch, als „nationaltypisch" begriffen werden. Der Begriff der deutschen „Kulturnation" diente zur Begründung eines erst zu schaffenden Nationalstaates, dem noch der gemeinsame politische Rahmen fehlte, so daß die „Kultur" das einigende Band zu bilden hatte.141 Insofern waren der Gegensatz zum französischen Nationalstaat konstruiert - und „Kultur" als Begriff im nationalistischen Diskurs verankert. Sie war repräsentativ und konstitutiv für das „Volk".142 Diese scheinbare Kongruenz von „Volk" bzw. „Nation" und zugehöriger „Kultur" trug wesentlich dazu bei, die „Nation" als eigenständigen, von einem inneren, wesentlichen Kern zehrenden Organismus zu begreifen. Daraus bezog das Konzept der „Nationalmuseen"143, die die kulturellen Leistungen der eigenen Nation (bzw. des eigenen Volkes) bewahren und ihre Größe jedermann demonstrieren sollen, wesentliche Anregungen. Kultur und Kunst konnten die Deutung der Vergangenheit prägen.144 „Kultur" bezeichnet im modernen Verständnis zunächst die vom Menschen selbst geschaffene Welt - im Gegensatz zur Natur. Alles „nicht Natürliche" bzw. biologisch Determinierte erscheint als kulturell geprägt. Damit besitzt jede menschliche Gesellschaft und ebenso jede gesellschaftliche Gruppe (ihre) Kultur, womit dieser Begriff seine wertende, normative Färbung verliert. Der Vorwurf des „Kulturrelativismus" trifft diese Auffassung indessen
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Elias 1997, Bd. 1, 89-131; Michel 1988; vgl. auch Ringer 1987, 79-86; Brubaker 1992, 35-72, 85-137. So schon Friedrich Schiller in seinem Gedichtfragment „Deutsche Größe" (1801). Jones 1996, 65. Gründungen: British Museum London 1753; Louvre Paris 1793; Nationalmuseum Budapest 1802; Nationalmuseum Prag 1818; Nationalmuseum Warschau 1921; Germanisches Nationalmuseum Nürnberg 1852; Nationalmuseum Kopenhagen 1807/16; Nationalmuseum Stockholm [1751]; Archäologisches Nationalmuseum Athen 1866/69; National Gallery London 1824; Nationalgallerie Berlin 1876; Galleria Nazionale Roma 1883; National Gallery of Art Washington 1936. Vgl. Heritage and museums 1999; Museums and the making 1994; Das kunst- und kulturgeschichtliche Museum 1977; Die Nation und ihre Museen 1992. Haskeil 1995.
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nicht. Polynesische „Naturvölker" besitzen ebenso Kultur wie Unterschichten der europäischen Gesellschaften in der frühen Neuzeit oder prähistorische Jägergruppen. Aus dieser Perspektive gehören sowohl die geistige Welt der Ideen, Normen und Traditionen als auch der materielle Bereich der Sachgüter, Technik und Produktion zusammen zur „Kultur". „Kultur" kennzeichnet menschliche Gesellschaften sowohl insgesamt als auch jede Gesellschaft für sich - und darüber hinaus auch Gruppen innerhalb von Gesellschaften, wobei die Unterscheidungen fließend und graduell erscheinen. Damit ist der heutige sozialwissenschaftliche Kulturbegriff unscharf geworden.145 Seine Abgrenzung und positive Beschreibung fällt schwer, schwerer jedenfalls als die allgemeine Betrachtung von Kultur als „Forschungsfeld", als Aufgabe von Ethnologie, Geschichtswissenschaft und Soziologie. Die Unschärfe des Begriffs erweist sich als Vorteil, wenn damit der Forschungsgegenstand beschrieben wird, denn sie schließt potenziell nichts aus. So lassen sich auch „Lebensweise" und „zivilisatorische" Entwicklungen unter dem Stichwort „Kultur" erfassen. In der Konsequenz tendiert der Kulturbegriff jedoch zu einem Etikett, mit dem praktisch alles bezeichnet werden kann. Analytisch gesehen läßt sich mit derart vagen Formeln nur schwer umgehen. Denn eine alles erfassende Bezeichnung verdeckt jegliche Binnendifferenzierung und entzieht sich zugleich einer näheren Bestimmung. Das Schwergewicht des Kulturbegriffs hat sich in den letzten Jahrzehnten auf einen semiotischen Akzent verlagert. Das Bemühen, die traditionellen Vorstellungen nach innen homogener und nach außen distinkter Kulturen zu überwinden, stellt Motivation und Absichten, Verhalten und Habitus von Gruppen in den Mittelpunkt. Eine dynamische Sicht vermag Kultur dann als „einen offenen und instabilen Prozeß des Aushandelns von Bedeutungen"146 bzw. als von den Menschen „selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe"147 oder gar als „Zeichensystem" bzw. Code anzusehen. Besondere Beachtung finden dann Habitus148 und Mentalitäten (nach innen), kollektive Repräsentationen (nach außen) und soziale Abschließung durch kulturelle Distinktion (Alterität). Die von sozialen Gruppen benutzten kulturellen Muster werden als „Repräsentationsakte", als absichtsvolle und gezielte nationale, ethnische oder soziale Erzählungen und Darstellungen begriffen. Soziale Realitäten werden auf diese Weise nicht unmittelbar abgebildet, sondern strategisch und symbo-
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Vgl. Harris 1999; Kuper 1999; Hahn 2000; Bühnen 2003. Wimmer 1996, 407. Geertz 1987; Kaschuba 1995a; 1995b. Bourdieu 1979.
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lisch verändert. 149 Für die Selbstvergewisserung von Gesellschaften spielt das kollektive „kulturelle Gedächtnis" eine entscheidende Rolle - Erinnerung stiftet Identität. 150 Deshalb finden „Erinnerungskulturen", memoria und Gedächtnis breiteres Interesse.151 Ausschlaggebend für die zeitgenössische und die heutige wissenschaftliche Beurteilung und Einordnung von Gesellschaften erscheint deren eigenes Selbstverständnis („Identität") und dessen Fremdwahrnehmung. 152 Insofern spielt Kultur als „ein System kollektiv verwendeter Sinngehalte, Einstellungen und Werte sowie der symbolischen Formen (Darbietungen und Artefakte), in welchen sie sich ausdrücken oder verkörpern", 153 eine zentrale Rolle. Mit anderen Worten ist Kultur ein „Erfahrungs- und Handlungssystem in den symbolischen Figurationen alltäglicher Kommunikation und Interaktion". Ein solcher Kulturbegriff ist „bedeutungs- und wissensorientiert". 154 „Kultur [...] konstituierte sich als und reproduziert sich stets in symbolischen Ordnungen" 155 und vermag in dieser Hinsicht auch eine Gesellschaft zu charakterisieren.156 Sie bildet durch diesen dynamischen Prozeß der Übernahme von Symbolen und deren gleichzeitiger Modifizierung ein offenes soziales System der Partizipation von Individuen. Damit bestimmt ein ständiger kontinuierlicher Wandel die Kultur einer Gesellschaft, die deshalb keinen „immerwährenden" Kern besitzt, sondern nur aus ihren historischen und sozialen Grundlagen zu verstehen und zu erklären ist. „Kultur" bildet in einer weiteren Perspektive einen Aspekt einer jeden Gesellschaft und kann anderen Bereichen wie Politik, Wirtschaft oder auch den sozialen Strukturen gegenübergestellt werden, was sich als „differenzierungstheoretischer Kulturbegriff" 157 beschreiben läßt (Abb. 7). Diese historisch-anthropologischen Ansätze nehmen die Sachkultur kaum noch in den Blick. Nur dann, wenn die materielle Ausstattung zur kulturellen Repräsentation und Abgrenzung benutzt wird, wird sie beachtet.158 Der weite Bereich des Alltags, die wirtschafdichen Lebensgrundlagen und -umstände
149 150 151 152
153 154 155 156 157 158
Kaschuba 1999, 124. A. Assmann 1999; J. Assmann 1997. Le Goff 1992. „Kultur" stellt als symbolisch vermittelte Gemeinsamkeit ein Identitätssystem für eine Gesellschaft dar; J. Assmann 1997, 139. Vgl. Kuper 1999. Burke 1985, 11. Reckwitz 2000, 84-90. Kaschuba 1988b, 247. Vivelo 1988, 50-54. Reckwitz 2000, 79-84; Gotter 2000,375-384. Johansen 1993.
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57
Abb. 7. Schematische Darstellung zur Abgrenzung des Begriffs „Kultur". Da „Kultur" im allgemeinen weitgehend negativ definiert wird, kann eine Gegenüberstellung mit den antinomischen Begriffen die systematische Übersicht erleichtern. Es lassen sich ein holistischer (totalitätsorientierter) Kulturbegriff und ein sektoraler (differenzierungstheoretischer) Kulturbegriff unterscheiden. Im ersteren Fall wird die „Kultur" als Ganzes der „Natur" oder einer anderen („partitiven") Kultur gegenübergestellt. Die sektorale Abgrenzung unterscheidet „Kultur" als Teilbereich von der Politik (bzw. dem Staat), der Religion, der Wirtschaft oder stellt sie - wie die neuere Kulturgeschichte - der „Gesellschaft" gegenüber (nach Gotter 2000, 375-384; vgl. Reckwitz 2000, 64-90)
finden in einem semiotischen Kulturbegriff, in einem Geflecht von Bedeutungen und dynamischen Sinnkonstruktionen keinen rechten Platz. Kulturanthropologisch orientierte Disziplinen wie Ethnologie und Archäologie geraten in die Gefahr, Kultur als Leitbegriff aufgeben zu müssen, wenn er in dieser Weise verengt wird. Aus ethnologischer Sicht plädiert der Kulturanthropologe Frank Robert Vívelo deshalb für eine „totalistische" bzw. im obigen Sinne holistische Betrachtung von Kultur.159 Eine „holistische Betrachtung" darf nicht übersehen, daß „Kulturen" keineswegs homogene und distinkte Gruppierungen darstellen. Vielfältige, auch „ungleichzeitige" Kennzeichen und Entwicklungen existieren mehr oder we-
159
Vívelo 1988, 51; vgl. The concepts and dynamics 1977; Sahlins 1994; Wotzka 2000, 56 Abb. 1.
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Begriffe
niger unabhängig nebeneinander. Streben Gruppen bzw. Gesellschaften nach kulturell begründeter Abgrenzung oder Identität, so „konstruieren" sie eine strikte Trennung, indem einzelne geeignete kulturelle Merkmale besonders betont werden. Denn angesichts zahlloser Gemeinsamkeiten benachbarter „Kulturen" lassen sich Unterscheidungen nur mit Hilfe von Symbolen plausibel machen. Unter Hinweis auf gänzlich unterschiedliche Entwicklungstempi verschiedener Kulturbereiche oder -elemente übte bereits der amerikanische Soziologe William Fielding Ogburn (1886-1959) massive Kritik an der Vorstellung einer „Kulturganzheit", d. h. dem Konzept geschlossener und homogener kultureller Systeme. 160 Doch galt der anthropologischen Forschung in der Zwischenkriegszeit weiterhin „Kultur [als] ein funktionierendes Ganzes". 1 6 1 Erst mit den Fortschritten der Sozialwissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Beschränktheit dieser Vorstellungen deutlich und wurden Neuansätze möglich. „Kultur" ist daher ebenfalls ein klassifikatorischer Begriff der Wissenschaft und keine klar abgegrenzte „natürliche" Einheit in der sozialen Realität. 162 Sie dient zunächst der Beschreibung sich unablässig wandelnder Gesellschaften. Dabei erscheint offensichtlich, „daß Gemeinsamkeit von Kultur weniger eine Sache des ,alles oder nichts' als des ,mehr oder minder' ist, wobei [...] nicht alle Kulturbereiche gleichmäßig betroffen sein müssen". 163 Denn einander benachbarte Gesellschaften besitzen häufig, auch aufgrund der beiderseitigen Interaktion, recht ähnliche kulturelle Grundlagen. Im eigenen Selbstverständnis, der Fremdwahrnehmung und der wissenschaftlichen Beschreibung werden einzelne, bestimmte Merkmale (Symbole) herausgegriffen und die gegenseitige Abgrenzung damit (durch bewußte Steigerung) „objektiviert" bzw. essentialisiert. Scharfe Grenzen zwischen Nachbarkulturen gleicher wirtschaftlicher Grundlage sind daher ein Produkt der Konstruktion von Alterität und nicht unmittelbar der sozialen bzw. gesellschaftlichen Realität. Diese wird vielmehr durch „kulturelle Interferenzen" und Beeinflussungen charakterisiert, die neben kultureller Reproduktion („Traditionsbildung") auch kulturellen Wandel (Neuerungen und „Reformen") bewirken. 164 Kurz: „Am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts läßt sich Kultur [...] nicht mehr als jene bürgerliche Norm verstehen, die die Gesellschaft zusammenhält,
160 161 162 163 164
Ogburn 1922, 276 f. Mühlmann 1968, 221 f. Hauser-Schäublin 1997, 7. Rudolph 1992, 73. Reckwitz 2000, 617-643.
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sondern als ein chaotisches System, dessen Strukturen nur situationsbezogene Fragmente (freilich oft von erstaunlicher Wirkung) sind, ein System, in dem individuelle Übertreibungen, Alternativen und Mißverständnisse eher die Regel als die Ausnahme darstellen, ein System schließlich, dessen Funktionen nur jenen Krisendiagnostikern klar sind, die gerade den je gegenwärtigen Ausfall dieser Funktionen beklagen."165
b) „Kultur" in Ethnologie und Prähistorie Ethnologie und Urgeschichtsforschung entstanden im 19. Jahrhundert nahezu gleichzeitig. Beide Disziplinen stützten sich im wesentlichen auf die Sachkultur als Quellen, und beide waren - ζ. B. in der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (DAG) unter Virchow - eng miteinander verbunden. Daher weisen auch die jeweiligen Konzepte von „Kultur(en)" deutliche Übereinstimmungen auf. Ethnologische „Kulturkreislehre" und „archäologische Kultur" wurden als Konzepte etwa gleichzeitig entwickelt. Ins Vokabular und in die Modellvorstellungen der „Schwesterdisziplinen" Prähistorie und Ethnologie166 fand der oben erwähnte, national eingeschränkte Kulturbegriff Eingang. Er bezeichnete nicht geistige Leistungen, aber innere, fortwährende und unveränderliche, nationalspezifische Werte, die ein „Volk" charakterisieren und daher jeweils spezifisch sind. Ein solcher Kulturbegriff läßt sich als holistisch oder „totalitätsorientiert" bezeichnen.167 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts stand im allgemeinen, bildungsbürgerlichen Bewußtsein fest, daß Arbeit als Umwandlung der Natur (und damit Artefaktproduktion) den entscheidenden Vorgang darstellte, der zum Aufkommen von Zivilisation bzw. Kultur geführt hatte.168 Alle Gesellschaften besaßen demzufolge „Kultur", wenn auch in recht unterschiedlicher Weise und auf unterschiedlichem zivilisatorischen und sozialen Niveau. Der Begriff „Kultur" 169 im ethnologischen und prähistorischen Sprachgebrauch geht wohl auf den Dresdener Altertumskundler Klemm170 zurück, wenngleich
165 166 167 168 169 170
Rüpke 2001, 10 f. Harris 1968. Reckwitz 2000, 72-79. Hides 1996, 39. Hachmann 1987. Klemm 1843-1852; 1851; 1854-1855.
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Begriffe
dessen entsprechende Bedeutung überwiegend in Vergessenheit geriet. Klemm ignorierte die damals gängige Konfrontation von „Kultur" und „Zivilisation" und erkannte jeder menschlichen Gesellschaft kulturelle Eigenschaften zu. Als prägend für die weitere Entwicklung erwies sich Klemms weitgehende, mitunter als „Materialismus" diffamierte Beschränkung auf die Sachkultur. Auf Klemm fußte der britische Ethnologe Edward Burnett Tylor (1832-1917), der ebenfalls „Kultur" und „Zivilisation" synonym verwandte. Später bevorzugte Tylor den Begriff „Zivilisation", um damit die Kultur der Menschheit und nicht regionale Differenzen zu beschreiben.171 Tylor wiederum, für den „Kultur" lediglich ein Sammelbegriff für die zu beobachtenden Resultate menschlichen Handelns war - und der mithin keine reale Existenz besaß, wurde in der archäologischen Forschung breit rezipiert. Altertumskundlern, Ethnologen und Historikern boten sich zwei Möglichkeiten, den globalen Kulturbegriff für ihre Fragestellungen zu differenzieren. 172 Zum einen hatte insbesondere die ethnologische Beobachtung seit dem Zeitalter der Entdeckungen gezeigt, daß „Kultur" regional unterschiedlich ausgeprägt ist. Die „Völker" schienen in spezifischer Weise „Kultur" zu besitzen und dies in ihrem Selbstverständnis auch auszudrücken und herauszustellen. Die Erweiterung des Kulturbegriffs hatte demzufolge Regionalkulture« zu berücksichtigen. Zum anderen ließen evolutionistische Konzepte vermuten, daß diese regionale Differenzierung auf unterschiedliche Entwicklungen zurückgehen müßte. Daraus konnte dann eine zeitliche Abfolge von Kultur bzw. Kulturen abgeleitet, d. h. es konnten Kulturperioden postuliert werden. Beide Begriffserweiterungen fanden ihre Vertreter, doch überwog die regionale, oft direkt auf „Völker" bezogene Interpretation. Dies lag gewiß in der starken romantischen Tradition der Altertumskunde, die in Deutschland insbesondere Jacob Grimm prägte, und im zeitgenössischen nationalen Diskurs begründet. Für den Leiter der Schweriner Altertümersammlung Georg Christian Friedrich Lisch (1801-1883) war es daher hinsichtlich der norddeutschen vorgeschichtlichen Altertümer von Interesse, „wie weit die hier ausgeprägte Cultur über die Nachbarländer reicht". Unterschiede der Sach-„Kultur" ließen dabei die „verschiedenen Culturstufen" erkennen, die zusätzlich durch ethnologische Vergleiche erhellt werden könnten.173 In den 1860er Jahren
171 172 173
Tylor 1871; dt. 1873; vgl. Leopold 1980. Vgl. Brather 2001b. Lisch 1852.
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setzte sich dieser allgemeine Kulturbegriff in Ethnologie174 und Prähistorie durch.175 Bei Virchow finden sich Ansätze einer auf regionale Kulturen zielenden Auffassung, mithin eine begriffliche Weiterentwicklung: Die sich in einem bestimmten Gebiet häufenden Gesichtsurnen zeigten, „dass eine bestimmte Kultur sich hier mit einer gewissen Dauerhaftigkeit erhalten hat".176 Parallel dazu entwickelten der Norweger Olof Rygh (1833-1899) und der spätere schwedische Reichsantiquar Hans Hildebrand (1842-1913) ähnliche Vorstellungen.177 Diese Suche nach treffenden Bezeichnungen bzw. Kategorien spiegelt das Bemühen wider, das immer umfänglicher werdende Quellenmaterial zu ordnen und überblicken zu können. Zwischen Prähistorie und Ethnologie vermittelte John Lubbock (Lord Avebury) (1834-1913), der statt von „Kultur" von „Zivilisation" sprach. Durch die Übersetzungen der Arbeiten Lubbocks wurde Tylors Kulturbegriff auch in der deutschen Vorgeschichtsforschung rezipiert.178 Regional und zeitlich differenzierte „Kulturen" konnten nun erfaßt werden, doch ein theoretisches Konzept fehlte bis in die Zeit um 1900. Der entscheidende Anstoß für Kulturkonzepte der prähistorischen Archäologie kam von der ethnologischen „Kulturkreislehre".179 Der Begriff „Kulturkreis" stammt von dem deutschen Ethnologen Leo Frobenius (1873— 1938) (Abb. 8), der sich jedoch rasch anderen Themen und Vorstellungen zuwandte.180 Frobenius bezog die Anregungen von seinem akademischen Lehrer, dem Leipziger Geographen Friedrich Ratzel (1844-1904), der sich an Bastians Auffassungen orientiert hatte.181 Bastian, von Hause aus Mediziner, konzentrierte sich auf „Völker" und „Gesellschaften" als Gegenständen der Ethnologie. Daneben erwähnte er auch „geographische Provinzen".182 Daran anknüpfend suchte Ratzel aus dem publizierten ethnologischen Material die
174 175
176 177
178 179
180 181 182
Schaffhausen 1866, 163, anerkannte die „Cultur der wilden Völker". Nilsson 1868, V: keltische (!) „Culturperiode" des „Bronzealters" in Skandinavien; Wibel 1865: „Bronze-Cultur"; v. Cohausen 1866; Fraas 1867. Virchow 1870, 82 f. Rygh 1866, 100: Kultur der Lappen; ders. 1871; Hildebrand 1872-1880: Hallstatt-, La-Tène-, Villanova-Kultur. Lubbock 1865; dt. 1874. Auffällig sind die Parallelen zur gleichzeitigen Kritik am Historismus und einer verbreiteten Zivilisationskritik um 1900; vgl. Schleier 2000. Frobenius 1897/1898; 1898. Vgl. Koepping 1983. Für die Ethnologie des 19. Jahrhunderts spielten empirische Daten nur als Materialgrundlage eine Rolle, wurden die Theorien doch am heimischen Schreibtisch entwickelt; vgl. Kramer 1977.
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Begriffe
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Abb. 8. „Die Masken Afrikas". Beobachtete und vermutete Verbreitungsgebiete. Diese und ähnliche Kartierungen wurden zum Vorbild für archäologische Karten, die die Verbreitung bestimmter einzelner Typen bzw. Typenkombinationen zeigen. Über die Aussagekraft solcher Kartierungen und Probleme ihrer Interpretation wurde zunächst kaum reflektiert (nach Frobenius 1897, Taf. IX)
Verbreitung von Formen und Formenkreisen zu ermitteln und durch deren exakte Festlegung im Raum kulturgeschichtliche Beziehungen zu ergründen.183 Erschließbare Gemeinsamkeiten sollten Friedrich Ratzel zufolge auf Migrationen zurückgehen. Kein „Volk" sei dort entstanden, wo es heute lebe. Stärker als Ratzel achtete Frobenius auf die Kombination bestimmter EinzelErscheinungen gleich welcher Art und betrachtete dieses „Quantitätskriterium" als Maß für den inneren Zusammenhang eines Kulturkreises.
183
Ratzel 1887; 1882-1891.
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Dem um 1900 von der deutschsprachigen Ethnologie ausgearbeiteten Konzept der „Kulturkreise" lagen die zahlreichen, sehr stark angewachsenen Museumssammlungen in Europa zugrunde. Deren Materialreichtum lenkte die Aufmerksamkeit auf die materiellen Überreste und ließ deshalb ergologische Gesichtspunkte hervortreten. Das Bedürfnis, dieses ungeheure Material zu ordnen und auszuwerten, erzwang die Suche nach angemessenen wissenschaftlichen Verfahren. Damit war zugleich das Bemühen um Etablierung und Verselbständigung der Ethnologie als Wissenschaft verbunden. Die Kulturkreislehre, d. h. die Konzentration auf die räumliche Erstreckung von Kulturen, stellte einen Reaktion auf den vorangegangenen ethnologischen Evolutionismus dar. Dessen Interpretationspotential schien unzureichend, denn allein mit einer unterschiedlichen historischen bzw. zivilisatorischen Entwicklung ließen sich die deutlichen Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturräumen nicht ausreichend erklären. Daraus ergab sich ein atomistischer Kulturbegriff, demzufolge sich „Kultur" aus Kultur-Elementen zusammensetze und stets eine Summe dieser Elemente sei.184 Die Ausformulierung der „Kulturkreislehre" übernahmen die FrobeniusSchüler Bernhard Ankermann (1859-1943) und Fritz Graebner (18771934).185 Beide waren „Museumsethnologen", d. h. keine Feldforscher mit eigenen Beobachtungen vor Ort. Graebner zufolge stellt „jedes Gebiet einheitlicher Kultur" einen Kulturkreis dar. Daneben verwandte Graebner andere Begriffe wie Kultureinheit, -bezirk, -komplex oder -form weitgehend synonym. 186 Von Hause aus Mediävist, berief er sich dabei explizit auf den Greifswalder Historiker Ernst Bernheim (1850-1942), der - streng empiristisch orientiert - Geschichte schrittweise aus „Tatsachen" zu rekonstruieren suchte.187 Ausschlaggebend für die Abgrenzung von „Kulturkreisen" waren Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten in der Sachkultur. Drei Kriterien standen im Mittelpunkt: Form, Quantität und Kontinuität. Anhand der Form sollte ausgeschlossen werden, daß die Übereinstimmung durch die Form der Gegenstände bestimmt war. Das Quantitäts- und das Kontinuitätskriterium dienten der Festlegung dessen, wie weit sich ein Kulturbereich erstreckt und
184
185 186 187
Vgl. Leroi-Gourhan 1980, 344, wonach es „diese ethnische Besonderheit [ist], durch die die banale Aufzählung von Äxten, Blasebälgen und Heiratsformeln zum Ausdruck des .Geistes' eines Volkes wird [...] sie ist ein Stil, der seinen eigenen Wert hat und die ganze Kultur der Gruppe durchtränkt". Ankermann 1905; Graebner 1905; 1911. Vgl. Zimmerman 2001, 201-216. Graebner 1911,125-151. Bernheim 1907; 1889.
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Begriffe
wo sein Schwergewicht liegt. Dieser Ansatz war primär geographisch, weniger inhaltlich orientiert. Das von Beginn an ohne wirkliche theoretische Fundierung existierende Kulturkreis-Konzept war einseitig auf die Sachkultur ausgerichtet und vernachlässigte soziostrukturelle und geistige Aspekte.188 Ihm lag eine partikularistische Methode zugrunde, die einzelne Elemente der Sachkultur lediglich addierte. Kartierungen waren ein wesentliches Hilfsmittel der Darstellung und Erklärung, statt daß nach inneren Zusammenhängen und Strukturen von Kultur(en) gefragt wurde. Insofern war Kulturgeschichte im späten 19. Jahrhunderts (sowohl in der Ethnologie als auch in der Prähistorie) vor allem „Inventargeschichte"189, die sich der Typologie als Klassifizierungsmethode bediente. Die Vorstellung, die Summierung der Einzelphänomene lasse eine Verdichtung im Raum und Kombinationsformen erkennen, deutet darauf hin, daß Kulturen als geschlossene Einheiten angesehen wurden. Dazu trug die (aus empirischen und forschungspraktischen Gründen erforderliche) Beschränkung der Feldstudien auf kleinräumige Analysen wesentlich, wenn auch unterschwellig, bei. Dieses materiell ausgerichtete Kultur-Modell bot sich für die Übernahme in die prähistorische Archäologie geradezu an. „Kulturkreis", „Kultur" oder „Kreis" schienen an lebenden Völkern beobachtete und dadurch erklärte Phänomene, so daß sie sich offensichtlich problemlos auf „tote" Kulturen übertragen ließen.190 Die beiden benachbarten Disziplinen befanden sich in einer ähnlichen Phase ihrer Entwicklung als Wissenschaft, besaßen ein vergleichbares Quellenmaterial und bedurften beide eines verläßlichen methodischen Instrumentariums. Ethnologisches Kulturelement und archäologischer Typ besaßen räumliche Verbreitung und ließen sich daher als Formenkreise und Typenkarten darstellen. Ähnliche Verbreitungen dienten beiden Wissenschaften zur Formulierung von Kultur(kreis)en. Dieser Begriff von „Kultur" wurde meist nicht explizit erläutert, aber von ethnologischen und archäologischen Autoren weithin gebraucht - und zwar in einem anhand der Literatur nicht unmittelbar erkennbaren Umfang. In der prähistorischen Literatur ist diese Formenkreisidee zum ersten Mal wohl bei Alfred Götze (1865-1948) nachzuweisen, der von der „Kultur der Bandkeramik" schrieb.191 Beide Disziplinen sahen dabei häufig die kulturelle Entwicklung in Analogie zur biologischen Evolution verlaufen: Herbert Spencer (1820-1903) war prägend für
188 189 190 191
Κ. E. Müller 1993, 215. Mühlmann 1964, 164. Zuerst Virchow 1869. Götze 1891.
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die evolutionistischen Vorstellungen in den Sozialwissenschaften, obgleich sein Modell nicht darwinistisch, sondern lamarckistisch ausgerichtet war. Ihm zufolge sollten Adaption und deren Weitergabe, jedoch nicht Selektion (auf der Grundlage von Variation) den evolutionären Wandel kennzeichnen. 192 Das - sieht man von Modifikationen ab - bis heute gebräuchliche archäologische Kulturkonzept wurde im wesentlichen durch Kossinna193 und Vere Gordon Childe (1892-1957)194 formuliert. Beide gelten aufgrund ihrer „Bemühungen um eine theoretische Grundlegung der Vorgeschichte" als „Klassiker unseres Faches", während sie mit anderen Äußerungen mitunter auf scharfe Kritik stießen.195 Beide faßten im Grunde jedoch nur latent vorhandene Vorstellungen der Archäologie in einprägsame Formulierungen. Kossinnas Grundsatz, der vor allem ein Glaubenssatz und keine begründbare Methode war, lautete: „Scharf umgrenzte archäologische Kulturprovinzen dekken sich zu allen Zeiten mit ganz bestimmten Völkern oder Völkerstämmen". 196 Dabei verwendete Kossinna bevorzugt den Begriff der „Kulturgruppe", wenn er auf den ethnischen Hintergrund seiner Interpretationen aufmerksam machen wollte. Seine grundsätzliche Abneigung gegen ethnologische Analogien weist darauf hin, daß Kossinna dieses Konzept eher aus der volkskundlichen, anthropologischen und auch geschichtswissenschaftlichen Debatte des 19. Jahrhunderts als direkt aus der Ethnologie bezog. 197 „Negerstämme" und polynesische Inselvölker konnten in seinem Verständnis die „altgermanische Kulturhöhe" nicht erklären. Meist handelte es sich um Kartierungen von £t»ze/objekten, die Kossinna zur Abgrenzung verschiedener „Kulturen" bzw. „Völkerstämme" usw. benutzte. Daher blieb sein (als „Siedlungsarchäologie" apostrophiertes) Vorgehen in denselben Bahnen wie die ethnologischen Kulturkreiskonzepte, und Kossinna berücksichtigte allein die „germanische Prähistorie" (Abb. 9).198 Seit den 1920er Jahren wurde daraufhin der Begriff „Kultur" in der archäologischen Literatur auf breiter Front verwendet 199 und als Synonym für
192 193 194 195 196
197 198 199
Vgl. Rindos 1984, 62-69. Kossinna 1911; 1914. Childe 1925; 1926; 1929; 1950; 1958. Vgl. The archaeology of V. Gordon Childe 1994. Veit 1984, 328; vgl. MacNairn 1980; Lech 2000. Kossinna 1911, 3; modifiziert ders. 1926, 21: „Streng umrissene, scharf sich heraushebende, geschlossene archäologische Kulturprovinzen fallen unbedingt mit bestimmten Völker- oder Stammesgebieten zusammen". Meinander 1981, 108. Brather 2001c. Beispiele bei Meinander 1981, 102-107.
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Völker verstanden.200 Childe bemühte sich, dem von Kossinna übernommenen atomistischen Kulturbegriff innere Struktur und Stringenz zu verleihen, indem er die Kombination von Belegen möglichst verschiedener Lebensbereiche als Kriterium der Geschlossenheit einführte: „Such a complex of regularly associated traits we shall term a .cultural group' or just a .culture'. We assume that such a complex is the material expression of what would to-day be called a .people'. Only when the complex in question is regularly and exclusively associated with skeletal remains of a specific physical type would we venture to replace .people' by the term .race'". 201 Zwar sah also Childe mitunter die Identifizierung dieser „Kulturen" mit „Völkern" oder „Rassen", wie sie Kossinna vortrug, als Problem, doch vermochte auch er sich nicht aus diesem Interpretationsrahmen zu befreien (Abb. 10). Sein Versuch zur Rettung des Kulturkonzepts offenbart die Verknüpfung mit dem nationalen Diskurs und dessen romantischen Hintergrund. Diese Fixierung auf „Kulturen" als „Völker", verbunden mit einer deutlichen Wendung zum Diffusionismus (nach dem Beispiel der ahistorischen Ethnologie), bedeutete gleichzeitig eine Abkehr von den urgeschichtlichen Perioden 202 und damit von der historischen Perspektive. Nachdem die Ethnologie die Kulturkreisauffassungen schon weitgehend aufgegeben hatte, folgte Oswald Menghin mit seiner wichtigen Weltgeschichte der Steinzeit einer schon weitgehend überholten Konzeption. 203 In der deutschsprachigen Ethnologie blieb das Kulturkreismodell bis in die 1930er Jahre bestimmend. Ihren Höhepunkt erreichte die sogenannte „Wiener Schule" unter Wilhelm Schmidt (1868-1954), Pater der Societas Verbi Divini. Die Suche nach „Urkulturen" und einem (monotheistischen) „Urglauben", die auf einer partikularistisch-isolationistischen Betrachtung beruhte, blieb letztlich erfolglos. Positiv ist dieser Forschungsrichtung der Nachweis anzurechnen, daß auch einfache, schriftlose Gesellschaften eine Geschichte besitzen und seit jeher in weitreichenden kulturellen Austauschverhältnissen standen. Die Erweiterungen der ethnologischen Kenntnisse zeigten schließlich immer deutlicher, daß das Kulturkreiskonzept entweder empirisch unhaltbar oder aber zu weiträumig und vage angelegt war, um als wissenschaftli-
200
201 202 203
Die Parallelisierung von „Volk" und „Kultur" (im umfassenden Sinne) trifft auch auf bestimmte Bereiche der Geschichtswissenschaft und der Namenforschung zu, wie an Bezeichnungen wie „Kulturraum(forschung)" oder „Volksboden" deutlich wird; vgl. Petri 1937; Bach 1969; Fahlbusch 1994. Childe 1929, V-VI. Daniel 1988, 225-227. O. Menghin 1931.
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Abb. 10. Vielfalt jungneolithischer „Kulturen" in Europa („Periode III: Becher- und Streitaxtkulturen"). Die Kartierung zeigt geradezu einen „Flickenteppich" kultureller Regionalgruppen. Childe versuchte mit dieser und weiteren kartographischen Darstellungen, die regionale Vielfalt der archäologischen Funde des Neolithikums in ein klassifikatorisches System zu bringen. Die dabei entstehenden Abgrenzungen bilden dabei begründete und hilfreiche wissenschaftliche „Konstruktionen" innerhalb eines kulturellen Kontinuums. Überschneidungen weisen daruf hin, daß wechselseitige „Einflüsse" eine klare Trennung unmöglich machen. „Weiße Flecken" belegen meist keine Siedlungsleere, sondern unsichere Zuordnungen aufgrund zu weniger charakteristischer Typen(kombinationen). Eine solche Kartierung kann nicht prähistorische „Wir-Gruppen" darstellen, sondern lediglich eine zeitliche und räumliche Ordnung in das archäologische Material bringen (nach Childe 1957, 351 Karte Illb)
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che Kategorisierung hilfreich zu sein. Ähnliche Ansätze, wie sie innerhalb der Kulturkreislehre vertreten wurden, kennzeichneten auch die US-amerikanische „Kulturareallehre" seit den 1920er Jahren. Diese maßgeblich von Franz Boas (1858-1942) vertretene Richtung berücksichtigte die Binnendifferenzierung von Kulturen sowie die Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie in erheblich stärkerem Maße.204 Beide Strömungen - Kulturkreis- und Kulturareallehre - sammelten in historistischer Weise zwar Tatsachen, blieben aber letztlich ahistorisch, da sie die räumliche Dimension regionaler Kulturen in den Mittelpunkt rückten und damit zugleich zeitlichen Wandel und Dynamik unterschätzten. Deshalb widmeten sich diffusionistische Strömungen in der Folgezeit stärker einem historischen Blickwinkel, bevor Funktionalismus und Strukturalismus (wieder?) die Funktionsweisen und inneren Zusammenhänge von Kultur(en) hervorhoben. Mit diesen auf die materiellen Überreste konzentrierten Konzepten und Vorstellungen waren Ethnologie und Prähistorie von der politischen Historiographie „abgekoppelt". Der gewissermaßen „elitäre", d. h. auf die Ideenwelt bezogene und damit „nichtmaterielle" Kulturbegriff war um 1900 allgemein verbreitet. Anstelle des positivistischen Fortschrittsglaubens dieser Disziplinen gelangten Philosophen zu (kultur)pessimistischen Konzepten.205 „Kultur" bezog sich auf „die Vorstellungen, Wünsche und Programme hinsichtlich des geistigen Lebens der Nation". 206 Aus dem „ZuständigkeitsKonflikt" zwischen Belanglosigkeiten klassifizierenden Antiquaren und politische Geschichte schreibenden Historikern207 resultierte wohl auch die Geringschätzung letzterer gegenüber der (volkstümelnden) Prähistorie, wie sie in manchen indirekt belegten Äußerungen Theodor Mommsens durchscheint.208 Anders erschienen die antiken (Hoch-)„Kulturen" 209 , wozu nicht nur die gymnasial vermittelte antike Literatur und Philosophie, sondern auch die ausgegrabenen „klassischen" Monumente beitrugen. Der Leipziger Historiker Karl Lamprecht (1856-1915) wandte sich als einer der wenigen mit seinen Vorstellungen von „Kulturgeschichte"210 gegen die Unterscheidung von
204 205 206 207 208 209
210
Κ. E. Müller 1993, 218 f.; Bunzl 1996; vgl. Boas 1940. Mühlmann 1968, 140. Eckert 1970, 100. Momigliano [1950] 1995, 141-144. Seger 1911, 58. Meyer 1884: „die ägyptische Kultur", „die griechische Kultur" usw.; Burckhardt 1860; 18981902. Lamprecht 1900. Vgl. Schorn-Schütte 1984; Chickering 1993; Kultur und Kulturwissenschaften 1989; 1997.
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Begriffe
geistiger und materieller Kultur 211 und gegen eine reine Politikgeschichte, konnte sich aber nicht durchsetzen und wurde weithin abgelehnt. „Kulturkritik" und Dekadenzfurcht prägten statt dessen die Vorstellungen der „deutschen Mandarine" zwischen 1890 und 1920. 212
c) Gegenwärtige Konzepte der „archäologischen Kultur" Heute konkurrieren zwei gegensätzliche Konzepte bzw. Auffassungen der „archäologischen Kultur" miteinander, die weiterhin eine der zentralen Kategorien prähistorischer Forschung darstellt.213 Mit diesem klassifizierenden Begriff werden regionale Gruppierungen beschrieben. Die Diskussion um diese Bezeichnung und ihre Verwendbarkeit konzentriert sich auf Mitteleuropa, während sie im englischsprachigen Bereich eher ein peripheres Dasein fristet. 214 Der dortige Kulturbegriff der New Archaeology sieht „Kultur" in funktionalistischer Weise als Anpassung menschlicher Gesellschaften an die jeweiligen Umwelt- und Lebensbedingungen. Aus dieser Sicht erscheint „Kultur" fast nur noch als Reflex natürlicher Voraussetzungen. Die relative Unabhängigkeit und Eigenständigkeit von Kulturen und Gesellschaften und damit historische Entwicklungen bleiben so weitgehend ausgeblendet. Es gibt keine grundlegenden Unterschiede hinsichtlich des methodischen Vorgehens, wie das archäologische Material aufgenommen und gegliedert wird. Lediglich die terminologische und historische Aussagekraft des Kulturkonzepts selbst ist Gegenstand des Disputs. Handelt es sich bei einer „archäologischen Kultur" um eine ehemals tatsächlich vorhandene, den Zeitgenossen möglicherweise auch bewußt gewesene Gruppierung oder lediglich um ein klassifikatorisches Hilfsmittel der Forschung? Eine Richtung sieht in Fortführung der seit dem 19. Jahrhundert entwikkelten Kulturauffassung durch „archäologische Kulturen" „konkrete historische Gemeinschaften in Zeit und Raum" 2 1 5 repräsentiert. Diese Auffassung
211 212 213
214
2,5
Lamprecht 1896, 11 f. Ringer 1987, 229-272. Vgl. das thematische Heft der Zeitschrift Archaeologia Polona 34, 1996: „The concept of archaeological cultures"; Hachmann 1987; Brather 2001b; Tabaczynski 1996; 2000; Angeli 2002. Bernbeck 1997, 26-30, konzentriert auf die angloamerikanische und skandinavische Diskussion, erwähnt die „archäologische Kultur" nur am Rande, ohne sie als methodisches Problem zu erörtern. - Vgl. J. Thomas 1996; 1999 Lichardus 1991, 13; ebenso Jahn 1953, 7 f., in Verteidigung seines Lehrers Kossinna, wobei Jahn dessen „siedlungsgeschichtliche Methode" zutreffender als „völkergeschichtliche" Me-
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basiert auf der Vorstellung, jene Gemeinschaften hätten als „geschlossene Systeme" existiert und sich deshalb von den benachbarten „Stämmen" scharf in den wesentlichen Lebensbereichen unterschieden. Hinter der „Geschlossenheit" der Sachkultur wird zugleich eine soziale Geschlossenheit der Populationen) erwartet und vorausgesetzt. Die zeitliche Perspektive, die doch Entstehung, „Blüte" und Untergang jeder „Kultur" umfassen müßte, tritt dahinter weit zurück. Damit erscheinen „Kulturen" recht statisch und der historisch interessante Wandel vernachlässigt. Erscheint eine „archäologische Kultur" nicht derart abgeschlossen und die gesamte Sachkultur umfassend, bereitet die Interpretation methodisches Unbehagen. Die wenigen Charakteristika der „Glockenbecher-Kultur" kommen beispielsweise meist mit anderen Elementen gemeinsam vor. Deshalb wurde kürzlich vorgeschlagen, die Bezeichnung „Kultur" durch „GlockenbecherPhänomen" zu ersetzen, um einerseits die weite Verbreitung dieser Elemente und andererseits die kulturelle Heterogenität zu beschreiben. Die nunmehrige Interpretation des „Phänomens" zielt auf eine die Sachkultur dominierende und durchdringende „Ideologie" oder allumfassende Vorstellungswelt, der die Glockenbecher-Elemente sämtlich verpflichtet seien.216 Auch dieser Ansatz setzt homogene Kulturen voraus, denn das „Glockenbecher-Phänomen" erscheint als seltene (heterogene) Ausnahme von der Regel. Einen anderen Weg verfolgt die postprocessual oder contextual archaeology. Sie sucht die Artefakte in ihrem jeweiligen Kontext zu lesen und zu verstehen - und damit Kultur primär als Bedeutungsgeflecht zu interpretieren.217 Damit richtet sich der Blick zwar im Anschluß an die ethnologische Forschung verstärkt auf die Innensicht von „Kulturen", doch bleiben auch hier regelhafte Kombinationen entscheidend, die schließlich wiederum zu mehr oder weniger homogenen Gruppierungen führen. Die für Völkerwanderungszeit und frühes Mittelalter jüngst beschriebenen „Kulturmodelle" zeigen einerseits konzeptionelle Anleihen bei einem semiotischen, auf „Bedeutungen" zielenden Kulturbegriff und gehen andererseits dennoch von homogenen Verhältnissen aus. Diese ethnisch spezifischen Kulturmodelle beschränken sich auf die Grabausstattungen, die als unmittelbarer Ausdruck „traditioneller" ethnischer Zuordnung interpretiert werden.218
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thode charakterisierte, „da es ihr Ziel ist, die Entwicklung und Geschichte der Völker auf Grund der Bodenfunde zu erforschen". Vgl. Mongait 1985, 55-83, zum Verhältnis von „Kultur" und „Ethnos" aus Sicht der sowjetischen Archäologie. Das Glockenbecher-Phänomen 1995; vgl. Kap. VH,20,a. Hodder 1982; 1991, 121-155. Bierbrauer 1996,110-112; Siegmund 2000, 253-293, 301-313.
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Begriffe
Auch diese „Modelle" stellen einen Ausschnitt dessen dar, was im allgemeinen als „archäologische Kultur" bezeichnet wird. Sowohl hinsichtlich „unverfälschter Kulturmodelle" von „Germanen" und Romanen" als auch der Unterscheidung von „Franken" und „Alemannen" bleibt offen, ob eine solche Dichotomie der gemeinsamen Lebenswelt gerecht wird. Denn diese Gruppen standen sich nicht als homogene und distinkte Blöcke einander gegenüber, sondern vollzogen zusammen die Entwicklungen und Neuansätze des 5. bis 7. Jahrhunderts. Das von Childe eingeführte „Geschlossenheitskriterium" folgt den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und der Kulturkreislehre (Quantitäts- und Kontinuitätskriterium). Nur die Kombination regelhaft miteinander verbundener Belege aus verschiedenen Lebensbereichen ließe sich als dann homogene, scharf umgrenzte „archäologische Kultur" ansehen, die aufgrund dieser Charakteristik als Überbleibsel eines untergegangenen „Volkes" gelten dürfe. Childes vermeintlicher Ausweg aus dem methodischen Dilemma erweist sich daher zugleich als Weg zurück zu romantischen Vorstellungen: „Wenn wir Nationen, Gesellschaften oder Kulturen als nach innen homogene und nach außen isolierte, ausgestanzte Objekte ausgeben, entsteht ein Modell von Welt, das einem globalen Billardtisch gleicht, auf dem die einzelnen Kulturkreise wie harte, runde Billardkugeln aneinanderklacken und sich gegenseitig in Bewegung setzen." 219 Damit befindet man sich im deutlichen Widerspruch zu heutigen ethnosoziologischen Modellen, die die Binnendifferenzierung von Gesellschaften und deren heterogene Veränderung betonen. Ein zweiter, grundlegend anderer Ansatz betrachtet „archäologische Kulturen" lediglich als deskriptiven Ordnungsbegriff, mit dessen Hilfe das Fundmaterial aufbereitet wird. Dies liegt schon deshalb nahe, weil viele „archäologische Kulturen" wie ζ. B. im mitteleuropäischen Neolithikum primär Keramikstile erfassen. Manche vor 50 oder 100 Jahren definierte archäologische Kultur ließe sich nach heutigem Wissensstand anders abgrenzen (ζ. B. Pfyner und Altheimer Kultur sowie die dazwischenliegende Pfyn-Altheimer Gruppe 220 oder die mitteldeutschen „Becherkulturen" 221 ), und auch die diffusen „Übergangsbereiche" zwischen „archäologischen Kulturen" zeigen, daß dieses Konzept keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen kann. Deshalb sollte man „aus heuristischen Gründen [...] ,die reale Existenz von Kulturen' in Abrede stel-
219 220 221
Wolf 1991, 22; vgl. Herder [1774] 1891, 509. Vgl. Wotzka 2000, 65. Vgl. Kap. VII,20,a.
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7 7 7 7 7 7
8 β - 8 8 β cultural brick theory
radial contour theory
polythetic theory
Abb. 11. Drei alternative Konzepte „archäologischer Kulturen". Zugrunde liegen jeweils unterschiedliche Auffassungen, wie Kulturen räumlich abzugrenzen sind. - Links: Kulturen werden als distinkt und homogen begriffen; sie stoßen wie Billardkugeln aneinander. Mitte: Kulturen besitzen einen Kern mit der größten Merkmalsdichte; zur Peripherie hin nehmen die charakteristischen Merkmale konzentrisch ab. Rechts: Kulturelemente sind sehr unterschiedlich verteilt; die Abgrenzung von archäologischen Kulturgruppen aus diesem kulturellen Kontinuum bleibt eine wissenschaftliche Klassifikation (nach Clarke 1968, 246 Abb. 53)
len". 222 Ob die einer „archäologischen Kultur" zugerechneten Elemente bzw. Merkmale der Sachkultur mehr als nur strukturelle Beziehungen und Ubereinstimmungen beschreiben, bedarf gründlicher Analyse. „Kulturen" sind vor allem chronologisch bestimmt, wenngleich sie sich auch räumlich abgrenzen lassen.223 Entscheidend ist die zeitliche Dimension, so daß vor allem die Veränderung bzw. Entwicklung sowie fließende Ubergänge betont und damit die Vorstellung eines geschlossenen Systems unwahrscheinlich werden. Dies verdeutlicht das „polythetische Kulturmodell" David Clarkes (Abb. II). 224 Einzelne Kulturelemente sind grundsätzlich überaus unterschiedlich verbreitet, weil sie ganz verschiedenen Bereichen menschlicher Existenz zugehören, die sich weder in identischen Räumen noch in gleichen
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Lüning 1972, 169. Vgl. daher den Ansatz bei Hafner/Suter 1999; Strahm 2001. Clarke 1968, 246 Abb. 53.
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Rhythmen verändern. Sie besitzen weder identische Verbreitungsschwerpunkte noch kongruente Verbreitungsbilder. Eine gemeinsame Kartierung zeigt allenfalls gemeinsame Teilmengen auf. Die Bestimmung von Kultur(räum)en kann deshalb nicht einfach die Verbreitungskarten der berücksichtigten Kulturelemente übereinanderlegen und den „Kernbereich", d. h. die Zone größer Merkmalsdichte und Homogenität, als „archäologische Kultur" betrachten. Auf diese Weise entstünde ein Flickenteppich kleiner, weitgehend homogener Zentren, die von ausgedehnten Ubergangsbereichen umgeben wären. Damit wären nur ein geringer Teil des archäologischen Materials „kulturell" zugeordnet und damit das Kulturkonzept zugleich entwertet. Die innere Differenzierung von „Kulturen" bereitet auch einem Akkulturationskonzept einige Schwierigkeiten, das wechselseitige Beeinflussungen auf der Basis „ursprünglich" distinkter und beziehungsloser „Kulturen" zu ermitteln sucht. Unmittelbar mit der Abgrenzung von „Kulturen" ist die Definition von „Typen" zu vergleichen, seien es bestimmte Gefäß-, Schmuck- oder Waffenformen. Eine Auswahl als ausschlaggebend angesehener Merkmale bedeutet, daß eine Reihe von Objekten nicht eindeutig zugeordnet werden kann. Denn oft sind nur einige Merkmale eines Typs vorhanden, und häufig zeigt ein O b jekt Merkmale zweier oder mehrerer Typen. Die zunehmend übliche (statistische) Betrachtung von Einzelmerkmalen vermag zu demonstrieren, wie sich unterschiedliche stilistische Einflüsse und Entwicklungen beeinflussen. 225 Damit läßt sich einem differenzierten Wandel eher als mit einem starren Typenkonzept gerecht werden. Außerdem kann das gesamte zur Verfügung stehende Material ausgewertet werden, weil die Beschränkung auf „typische" Objekte entfällt. Für bestimmte klassifikatorische Zwecke ist eine Typeneinteilung sinnvoll, für andere Fragen kann sie den Blick verstellen - genau wie die Einteilung in „archäologische Kulturen". Die gebräuchlichen differenzierten Stufengliederungen und veränderlichen Verbreitungsbilder „archäologischer Kulturen" zeigen, daß damit ein ständiger kultureller Wandel beschrieben und nicht stabile Einheiten erfaßt werden. Die ordnenden Chronologie-Schemata unterteilen diesen kontinuierlichen Wandel lediglich anhand einiger ausgewählter Merkmale, um die Veränderungen überhaupt erfassen zu können. Daraus folgt letztlich, „daß archäologische Kulturen nicht .vorgefunden', sondern geschaffen werden und oft mehr über .innere geistig-kulturelle Zusammenhänge' ihrer Bearbeiter als über eine
225 Yg[ e t w a Geibig 1991 z u r Entwicklung mittelalterlicher Schwerter, Bode 1998a zur kaiserzeitlichen Fibelentwicklung, Kempke 1984 und Brather 1996a zu frühmittelalterlichen Keramikstilen.
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wie auch immer geartete einstige Realität aussagen".226 „Archäologische Kulturen" sind also ein klassifikatorisches Konstrukt der Wissenschaft - oder mit anderen Worten deskriptive und keine konstativen Begriffe.227 Sie müßten aber ein soziales Konstrukt ihrer Erzeuger sein, um für diese oder deren Nachbarn ethnische Relevanz besitzen zu können. Der Abgrenzung archäologischer Kulturen liegen sogenannte „Formenkreise" zugrunde. Damit sind räumliche Verbreitungen einzelner Formen bzw. Typen gemeint, ζ. B. bestimmte, detaillierte Keramik-, Schmuck- und Waffentypen. Die Zusammenfassung einzelner Formenkreise führt zur Abgrenzung von Produktions-, Kleidungs-, Bewaffnungs-, Stil-, Technik-, Siedlungs-, Sepulkral-, Symbol- bzw. Kultkreisen.228 Die weitere Untersuchung und Interpretation bemüht sich durch fortschreitende Zusammenfassung um allgemeinere Erkenntnisse hinsichtlich der Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Da archäologische Quellen keinen unmittelbaren Zugang zur einstigen Vorstellungswelt bieten, lassen sich „kulturelle Bedeutungen" allenfalls in Umrissen erkennen. Statt dessen sind es vor allem langfristige Entwicklungen, die durch diachrone Vergleiche verschiedener, sich im archäologischen Material abzeichnender Zustände rekonstruiert werden können. Im Mittelpunkt archäologischer Interpretationen stehen deshalb strukturgeschichtliche Zusammenhänge der „longue durée" bzw. die „unbewußten Elemente des sozialen Lebens".229 Damit wird gewissermaßen das Fundament sichtbar, auf dem sich die politische und die Ereignisgeschichte abspielten. Deren rasche Veränderungen fanden im Sachgut allenfalls einen mittelbaren Niederschlag. Der Begriff der „archäologischen Kultur"230 umfaßt zunächst nur einen Teil dessen, was sich als Kultur insgesamt bezeichnen läßt. Die prähistorische Forschung versteht darunter die „Sachkultur" in Form der im Boden erhaltenen materiellen Uberreste einstiger Bevölkerungen. Sie hat es mit „totem Kulturgut" zu tun, wobei den Hintergrund aufzuhellen Aufgabe der Forschung ist. Soweit Funde sich erhalten haben und entdeckt wurden, stellen sie nur eine Auslese dar - Grabfunde eine positive Auslese aus bekannten Gründen (Ausstattung des Toten), Depotfunde eine positive Auslese aus unbekannten
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Wotzka 1993, 41; 2000. Wenskus 1986, 16. Müller-Karpe 1975, 74-81. Hier setzt Bergmann 1970, 44, bereits mit einer „ethnischen Interpretation" an. Lévi-Strauss 1977, 38. Meinander 1981.
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Gründen (Votivgabe, Versteck), Siedlungsfunde eine negative Auslese aus bekannten Gründen (Aufgabe und Verlassen des Platzes, so daß nur „Abfall" übrigbleibt).231 Aus diesen Relikten kann nur in begrenztem Umfang auf andere Bereiche der Kultur im umfassenden Sinne geschlossen werden, seien es religions-, sozial-, wirtschafts- oder kulturgeschichtliche Aspekte. Nur Ideen und Werte, Bedeutungen und Normen - d. h. allein die Vorstellungswelt - als „Kultur" zu kennzeichnen („idealistisch-normativer Kulturbegriff"), ist ebenso einseitig wie die ausschließliche Beschränkung auf Bodenfunde („empirischer Kulturbegriff"). Als offene dynamische Systeme verstanden, lassen sich beide, einander gegenseitig beeinflussenden Bereiche nur im Zusammenhang begreifen.232 Der Streit um den Vorrang des einen oder anderen Kulturbegriffs in der prähistorischen Forschung scheint mir daher zweitrangig zu sein. Die methodischen Probleme bestehen in der Interpretation der „Kulturen". 233 Der Archäologie steht damit, läßt man die mehr oder weniger große Lükkenhaftigkeit der Fundüberlieferung einmal beiseite, prinzipiell nur ein Ausschnitt der Kultur für historische Aussagen zur Verfügung. Das weithin verwandte Konzept „archäologischer Kulturen" ist aus dieser Sicht grundsätzlich nicht holistisch, weil wesentliche Bereiche der „geistigen Welt" sich „materiell" allenfalls vielfach gebrochen niederschlagen. Aus den archäologischen Funden selbst lassen sich sozialgeschichtliche Erkenntnisse im weiteren Sinn nur durch Modelle gewinnen. Abgesehen von diesem vorrangig klassifikatorischen („empirischen") Gebrauch eines Begriffs von Kultur kann die prähistorische Archäologie nicht umhin, sich als anthropologische oder auch Kulturwissenschaft eines umfassenden und grundlegenden (anthropologischen) Kulturkonzepts zu bedienen.234 Anderenfalls würde sie in antiquarischer Sammelwut enden und damit ihren Anspruch als historische Wissenschaft verlieren. Es liegt in der „Natur" ihrer Quellen - d. h. am weitgehenden Fehlen schriftlicher Selbstzeugnisse - , daß die prähistorische Archäologie dabei eher am Diskurs der Sozialwissenschaften partizipieren wird als daß sie selbst Modelle entwirft. Ihre Stärke liegt deshalb in der strukturellen Kulturanalyse.
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Eggers 1986, 258-268. Eggert 1978a, 13. Wotzka 2000, 70-72. Eggert 1978a, 16.
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3. Die „Rasse" a) Von der „Rasse" zum „Volk" Auch die „Rasse" gehört zum politischen und historischen Vokabular des 19. und 20. Jahrhunderts. Physische Besonderheiten sollten ebenso wie kulturelle und sprachliche Kennzeichen ein „Volk", d. h. jedes „Volk" charakterisieren und im Idealfall scharf von anderen unterscheiden. Das Kriterium der „Abstammungsgemeinschaft" machte, biologistisch begriffen, diesen zunächst naturwissenschaftlich-klassifikatorischen Begriff für Tier und Mensch 235 politisch verwendbar und führte zu seiner Übernahme in die politische Gegenwartssprache. 236 Auf diese Weise wurde aus dem verbreiteten ethnozentrischen Mythos, Gesellschaften bildeten eine Abstammungsgemeinschaft, ein ideologischer Begriff der Politik. Die alte, schon antik und toposhaft, aber auch ethnologisch belegte Vorstellung „edlen" und „reinen Bluts", das durch Abstammung über Generationen Herrschafts- und Superioritätsansprüche begründet, wird seit der frühen Neuzeit unter dem unbestimmten (französischen) Begriff der ,race' faßbar. Der durch eine lange Ahnenreihe begründete Vorrang von Familien oder Geschlechtern beruhe auf ererbter Qualität und setze nicht notwendig physische Charakteristika voraus. Dabei vermochte „race" sowohl die Generationenfolge als auch alle Angehörigen einer Generation bezeichnen. Doch nicht nur als Standesbezeichnung konnte „race" dienen, sondern auch gänzlich andere Gruppen charakterisieren bis hin zu „[l]a race mortelle, la race humaine, Les hommes en général". 237 Die etymologische Wurzel scheint im spätmittelalterlichen Italienisch - „razza" für Geschlecht - zu liegen.238 Das W o n „Rasse" ist grundsätzlich positiv besetzt und deshalb stets wertend gemeint. In diesem normativen Gebrauch liegt die Verwendbarkeit für politische „Rassenideologien" begründet. Aus der Bezeichnung für bestimmte, hervorragende Menschengruppen leitete sich dann ein Begriff für Tier- und Pflanzengruppen mit charakteristischen äußeren, erblichen Merkmalen ab, häufig wiederum auf Auszeichnung
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Blumenbach 1776; dt. 1798 unterschied die kaukasische, mongolische, äthiopische, amerikanische und malayische „Hauptvarietät". Dem ging voraus v. Linné 1735. Vgl. Conze/Sommer 1984. Dictionnaire 1935, 449. Etymologisches Wörterbuch 1995, 1084.
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zielend („Rassepferd", „Rassehund"). Aus der Zoologie kehrte diese Klassifizierung in die anthropologische Welt zurück. 239 Interessanterweise verzichtete die ethnologische und Reise-Literatur, die anthropologische Besonderheiten meist nur peripher behandelte, noch bis Ende des 18. Jahrhunderts weitgehend auf die „Rasse" als Ordnungsbegriff. 240 Erst um 1800 wurden damit fremde Populationen beschrieben, wodurch rasch ethnische und biologische Gruppierungen vermischt wurden 241 und Unklarheit vorprogrammiert war: „Verschiedene Rasse, das ist: ein Volck von eigentümlichem Charakter und unbekannter Abstammung". 242 Kant hatte in einer einschlägigen Schrift „Rassen" als erbliche Unterschiede eines Stamms definiert und angenommen, aus den vier Menschenrassen „alle übrige[n] erbliche[n] Volkscharaktere ableiten zu können: entweder als vermischte oder [als] angehende Racen". 243 Herder sah demgegenüber Volksgeist und Nationalbildung als Bestandteile einer menschlichen Gesellschaft und kam daher gänzlich ohne den Rassenbegriff, dieses „unedle Wort" aus.244 „Rasse" wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich von Medizinern 245 und Naturwissenschaftlern in bezug auf die Geschichte benutzt. Historiker hantierten weitgehend mit „Volk", „Nation", „Stamm", „Gesellschaft" und verwandten Begriffen. In Frankreich wurden im Zuge der großen Revolution „peuple" und „race" austauschbar, wenn der Adel als „germanische Rasse" mit den Franken und der dritte Stand bzw. die Nation als „gallische Rasse" mit den Galliern gleichgesetzt werden konnten. 246 Aus diesem (rassischen) Ansatz der Brüder Augustin (1795-1856) und Amédée Thierry (1797-1873) entstand 1839 durch William Frédéric Edwards (1777-
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Etymologisches Wörterbuch 1995, 1085. Dies gilt ungeachtet vereinzelter früher Belege wie Bernier 1684, bei denen „Rasse" noch eine unbestimmte Gruppenbezeichnung und eben noch keinen naturgeschichtlichen Ordnungsbegriff darstellte. So finden sich eine keltische und eine germanische Rasse (mit einer teutonischen und einer slawischen Untergruppe) bei Bory de St. Vincent 1825; 1826; dt. 1837. Forster [1786] 1974, 152. Ebenso verfährt de Buffon 1749 bei der Beschreibung der „variétés dans l'espèce humaine" [der entsprechende Abschnitt geht wesentlich auf Louis Jean Marie Daubenton zurück] anhand der Reiseliteratur. Kant [1775] 1905, 432 (Hervorhebung im Original). Herder [1784-1785] 1887, 273-283. Dies richtete sich vor allem gegen die „Negersklaverei". Um 1800 liegen die Anfänge einer vergleichenden „Rassenanatomie", die auf den Holländer Camper 1792 und den Mainzer Anatomen Sömmering 1785 zurückgehen. Vgl. Die Natur des Menschen 1990. Thierry 1846; vgl. schon de Boulainvilliers comte de Saint-Saire 1727 (dazu Tholozan 1999); Sieyès 1789; vgl. Devyver 1973. - Augustin Thierry übertrug dieses Konzept auch auf die „normannische Eroberung Englands" (Thierry 1830).
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1842) die Société d'Ethnologie de Paris, um mit Hilfe entsprechender Forschungen die konstatierten historischen und sozialen Rassen (und damit die Adelsherrschaft) biolog(ist)isch zu untermauern.247 In ungewöhnlicher, „spätromantischer" Weise erblickte der Dresdener Gustav Friedrich Klemm in der Menschheitsentwicklung zwei wirksame Prinzipien, nämlich die aktive = männliche (europäische) und die passive = weibliche Rasse.248 Wilhelm Lindenschmit (1806-1848) hielt „Körperbildung" bzw. „Raçe" für ein zentrales Kennzeichen von Völkern. 249 Die Annäherung von „Volk" und „Rasse" zeigt sich im vermittelnden „Volksrasse",250 bis schließlich apodiktisch konstatiert werden konnte: „Die Eigenart der Nationen ist ihre Rasse". 251 Die zunächst latente Tendenz, Volk bzw. Nation und Rasse als etwa äquivalente, austauschbare Begriffe zu benutzen, erfuhr bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Philologie einen entscheidenden Schub.252 Nicht nur das nationale Selbstbewußtsein der einzelnen Völker wurde durch die Sprachwissenschaften) gestärkt, sondern auch die sprachlichen Großgruppen (Germanen, Romanen, Slawen) wurden philologisch begründet und zugleich im Rahmen nationaler Diskurse politisiert. Die Erkenntnis einer weit zurückreichenden sprachlichen („indogermanischen") Verwandtschaft ließ aus „Sprachfamilien" Völkergruppen werden, die von einem „Urvolk" mit einer „Ursprache" abstammen sollten.253 Dies schien plausibel, wenn jedes Volk seine eigene Sprache besessen und eine tatsächliche Abstammungsgemeinschaft gebildet hatte. Für derart „verwandtschaftlich" aufgefaßte Gruppen schienen Sprache, Volk und Physis zusammenzufallen und benachbarte Gesellschaften an deutlichen Grenzen voneinander zu scheiden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besaß die Anthropologie eine
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Mühlmann 1964, 26; Blanckaert 1988; vgl. Edwards 1829. Klemm 1843-1852, bes. Bd. 1-2. Daraus bezog auch de Gobineau einen Teil seiner Vorstellungen. W. Lindenschmit 1846. Prichard 1813; dt. 1840-1848, hier Bd. 3/2 (1845) 619 ff. Bluntschli 1864, 480. Nachdem Sir William Jones (1746-1794), Oberrichter in Kalkutta, 1786 in einem Vortrag (1788 veröffentlicht) die Verwandtschaft der wichtigsten indogermanischen Sprachen auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführte, war die Indogermanistik als Wissenschaft begründet worden: Rask 1814; Bopp 1816; J. Grimm 1819-1837. Zur Geschichte der Sprachwissenschaft vgl. Arens 1969; zum Gegenstand siehe Szemerényi 1990. Schon der Göttinger Kulturhistoriker Christoph Meiners (1747-1810) hatte „Stamm", „Rasse" und „Varietät" mit „Körper" und „Geist", „Charakter" und „Sitten" verbunden sowie die philologischen Begriffe Kelten und Slawen als Rassebezeichnungen verwandt; Meiners 1785; dazu Ihle 1931.
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enge personelle und organisatorische Verbindung zu Ethnologie und Prähistorie, die sich alle drei nahezu gleichzeitig etablierten.254 Die Verbindung zu diesen beiden Kulturwissenschaften mag angesichts der grundsätzlich naturwissenschaftlichen Ausrichtung der Anthropologie (Abstammungsgeschichte, regionale Varietäten) zunächst überraschen.255 Ein wichtiger Grund dürfte darin zu suchen sein, daß sich die prähistorische Anthropologie wesentlich für die Geschichte von „Völkern" interessierte256 und von beiden Disziplinen wichtige Anregungen erhoffte. Gemeinsam wurde den drei Wissenschaften ein gewissermaßen „rassistischer Evolutionismus", der unterschiedliche kulturelle Entwicklungen biologisch begründete.257 Man suchte u. a. nach den Ursprüngen und den verschiedenen Bevölkerungsschichten in den modernen Bevölkerungen der existierenden Staaten.258 „Den Beweis von Einwanderungen neuer Stämme und Vertilgung oder Verschiebung der früheren Bewohner hätte die Archäologie nicht finden können. Dazu war die Vergleichung von Knochenresten [...] notwendig". 259 Für derartige Untersuchungen stand zweifelsfrei fest, „daß die physische Beschaffenheit eines Volksstammes sich weit hartnäckiger erhält als die Sprache, die Industrie etc. derselben, und daß daher körperliche Überreste, vor allem die Schädel untergegangener Generationen und Völker, sicherere Schlüsse auf Abstammung und Verwandtschaft erlauben, als alle übrigen Zeugnisse der Vergangenheit" 260 Der Heilbronner Arzt und Prähistoriker Alfred Schliz (1849-1915) glaubte anhand neolithi-
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Vgl. die Gründungen anthropologischer Gesellschaften: Gründung der Société d'anthropologie de Paris 1859 durch Paul Broca (1824-1880), erstes Anthropologentreffen in Deutschland 1861 in Göttingen, Gründung der Anthropological Society of London 1863, Gründung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (kurz: Deutsche Anthropologische Gesellschaft) 1870, der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 1871, der Anthropological Society of Washington 1879 usw. Schwidetzky 1988, 82. Dafür auch die großen Schädelsammlungen mit einem nicht geringen Anteil an Crania ethnica und Crania diversarium gentium·, vgl. u. a. Morton 1839; Broca 1868; Virchow 1877; Zimmerman 2001, 86-107,149-171; Oegler-Klein 1990. Trigger 1990, 259 f.; Zimmerman 2001, 62-85. Beddoe 1885, suchte nach Überbleibseln von Römern, Kelten und Germanen; Virchow 1896 machte ebenfalls alte „Stammesunterschiede" verantwortlich, wenngleich er methodisch vorsichtig urteilt: „Der Begriff der Rasse, welcher immer etwas Unbestimmtes an sich gehabt hat, ist in der neueren Zeit in höchstem Maße unsicher geworden. Seitdem die Politik die Frage der Nationalitäten aufgerührt hat, ist auch der Nativismus bei den Menschen gewachsen. [...] Und doch weiss Jedermann, dass es keine einzige nationale' Rasse giebt, welche nicht durch Zuzüge von aussen her ihre moderne Form gewonnen hat". Vgl. Zimmerman 2001, 135-146. v. Baer/Wagner 1861; zitiert nach Schwidetzky 1988, 94. Ecker 1865; zitiert nach Schwidetzky 1988, 94. Eine sehr skeptische Haltung dagegen bei Virchow 1874a.
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sehen Skelettmaterials erkennen zu können, daß sich „eine ganz auffallende Einheitlichkeit in der Gesamtbildung der Schädel aus den einzelnen Kulturkreisen herausgestellt [hat], aus welcher hervorging, daß große Völkergruppen der Frühzeit sowohl kulturell, als somatisch noch so geschlossene Massen vorstellen, daß wir sie an der Schädelbildung voneinander unterscheiden können". 261 Angesichts der möglichen Flexibilität kultureller Merkmale von Gesellschaften setzte sich der Glaube an die exakten, evolutionistisch argumentierenden Naturwissenschaften durch. Die romantische Schwärmerei für Sprache und Literatur des Sanskrit 262 verstärkte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer Art Indien-Mythos, indem das „Herrenvolk" der „Arier" (arya = edel) zum Synonym für die „Indogermanen" gesetzt wurde. Rasch war hier ein Reizwort zur Hand, mit dem sich die Träger des Fortschritts und höchster Wertvorstellungen bezeichnen ließen. Das leitete direkt zum normativen Rassenbegriff über, der aus sich heraus wertenden Charakter besaß. Eine Rasse war entweder ,edel' und ,rein' - oder das ganze Gegenteil und dann eigentlich keine Rasse mehr, sondern ein „Gemisch". Die beabsichtigten „Rangordnungen" zwischen Indogermanen/Ariern und Semiten konnte jedoch nur durch die Sprache begründet werden, gehörten doch beide Gruppen zur weißen, „kaukasischen Rasse" ein methodischer Widerspruch, über den man rasch hinwegsah. Damit war die spätere Konvergenz von Sprachen- und Rassenbegriff vorgezeichnet. Sozialdarwinistisch inspiriert behauptete dann beispielsweise August Schleicher (1821-1868), daß „beim Kampfe der Sprachen um ihre Existenz [...] vor allem die Sprachen indogermanischen Stammes die Sieger im Kampfe ums Dasein" geblieben seien. 263 Anstelle klarer Konzepte der Einzeldisziplinen tendierten nicht wenige Forscher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Vermischung unterschiedlicher Befunde. Die Begriffe wurden analytisch unzureichend unterschieden, vielmehr häufig vermengt und letztlich synonym verwendet. Mit Josef Arthur Comte de Gobineau (1816-1882) hielt die Rasse endgültig Einzug als alles erklärender, „weltgeschichtlicher Schlüsselbegriff". Geschichte vollziehe sich in der ständigen Auseinandersetzung von Nationen unterschiedlicher Rassenbestände, wobei durch „Kreuzung" die ursprüngliche „Reinheit des Bluts" verschwinde und zur Degeneration der Gesellschaften führe. 264 Ein verblüffend einfaches Prinzip sollte damit der historischen Entwicklung zu-
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Schliz 1914, 169. - Zu Schliz vgl. Schliz 1999. Vgl. etwa Schlegel 1808. Schleicher 1863, 28. de Gobineau 1853-1855; 1898-1901. Vgl. Young 1968; Biddiss 1970.
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gründe liegen. Dabei gebühre der „weißen Rasse" selbstverständlich die Führungsrolle, denn: „L'histoire n'existe que chez les nations blanches". 265 Der Darwinsche „struggle for life" verband sich im politisch-historischen Bereich zunächst mit einem allgemeinen, ungebrochenen Fortschrittsglauben zum Sozialdarwinismus, bevor er gegen Ende des Jahrhunderts als „Kampf ums Dasein" nur noch auf die „Nation" und deren „Rasse(n)" als einzige Bezugsgröße reflektierte. Um 1900 waren „Rasse", „Rassenkunde", „Rassenhygiene" (Eugenik) 2 6 6 , „Rassenkampf" und ähnliche Begriffe mit dem Präfix „Rasse-" zu verbreiteten Modebegriffen im Populären und Politischen geworden. 267 Geisteswissenschaftlich waren sie allenfalls von peripherer Bedeutung, da mit einem so vagen Begriff heuristisch nichts anzufangen war und die historischen Quellen dazu nichts hergaben. 268 Die physische Anthropologie bemühte sich um Klassifikation und extensiv um die Körpervermessung, 269 um darin angenommene Rangunterschiede zwischen den Rassen bestätigt zu finden. 270 Viel Erfolg war ihnen nicht beschieden. Zu diffus fielen die ermittelten Merkmalsverbreitungen und -kombinationen aus, so daß gelegentlich die „Intuition" bei der „Rassenzuweisung" weiterhelfen mußte. 271 Als besonders folgenreich erwies sich die begriffliche Annäherung von „Rasse" und „Volkscharakter". Die Verbindung von Antisemitismus und sogenannter „Rassenlehre" markiert jenen Punkt, an dem der politische Rassenbegriff endgültig nichts mehr mit dem ursprünglichen biologisch-anthropologischen Ordnungsbegriff zu tun hat. „Rasse" wurde in Deutschland zum Gegenbegriff des Fortschritts als Motor der Geschichte. Pessimismus und Degenerationsfurcht kennzeichneten den sozialen Hintergrund, 272 vor dem mit „Rasse" als entscheidendem Entwicklungsantrieb argumentiert wurde. „Rasse" darf daher als Begriff der Konservativen gelten, mit dem durch die Ausgrenzung einzelner Gruppen gesellschaftliche Identität über soziale Probleme hinweg zu stiften war. Die von der Ethnologie entwickelte Kultur-
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de Gobineau 1853-1855, Bd. 2 (1853) 349. Ζ. B. Ploetz 1895; dazu Doeleke 1976. Chamberlain 1899; vgl. Field 1981. Gumplowicz 1883. - Vgl. Mann 1973. Bei Friedrich Nietzsche bezeichnet Rasse nicht die biologische Abstammung, sondern in einem metaphorischen elitären Sinne die »Vornehmen" und „Herren"; Nietzsche [1887] 1955b, 784; [1886] 1955a, 716; [1885-1888] 1956, 468 f. Mühlmann 1968, 100. Gould 1988; Blanckaert 2001. Dasselbe Ziel, das den Kraniologen des 19. Jahrhunderts vorschwebte, verfolgten im 20. Jahrhundert die Intelligenztests, nachdem sich die Vergeblichkeit der Schädelmessungen gezeigt hatte. So noch Gerhardt 1953, 107. Wagner 1883.
Die „Rasse"
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kreistheorie fand nicht nur in der Prähistorie ihre Anhänger, sondern wurde auch in der Anthropologie rezipiert: Ethnologisch-anthropologische Forschungsreisen erbrachten gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts „rassenanthropologische" Merkmalskartierungen, um auch auf diese Weise Völkerschaften zu identifizieren.273 Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wuchs die Nachfrage nach populärer rassenkundlicher Literatur enorm. Die politischen und sozialen Verwerfungen hatten das politische Klima verändert, und der Bedarf nach neuen Erklärungen für die Entwicklungen fand in der Rassenanthropologie manche vermeintliche Antwort. 274 Zu den wichtigsten Autoren gehörte der sogenannte „RassenGünther" (1891-1968), der schon 1930 gegen den Widerstand der Jenenser Universität durch den thüringischen NS-Innenminister Wilhelm Frick (18771946) zum Ordinarius für Sozialanthropologie berufen wurde. Unter den Zuhörern seiner Antrittsvorlesung waren auch Adolf Hitler (1889-1945) und Hermann Göring (1893-1946).275 Häufig handelte es sich bei den Rassenanthropologen (wie bei Günther oder Schemann) um dilettierende Laien 276 , waren nüchternen Wissenschaftlern doch meist die Grenzen der Körpervermessung aufgegangen. Infolgedessen löste sich die (physische) Anthropologie seit der Jahrhundertwende von den benachbarten Kulturwissenschaften und verselbständigte sich.277 Statt dessen gewannen Eugenik und Rassenhygiene ungeheuer an Ansehen und traten argumentativ an die Stelle der Rassenanthropologie, um die im völkischen Verständnis degenerativen Tendenzen in den modernen Völkern (nicht der Rassen!) abzuwehren. 278 In diesem Zusammenhang wurden die berüchtigten Intelligenztests erarbeitet, zu deren Aus-
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Schwidetzky 1988, 98. Vgl. Lüddecke 2000; Gessler 2000. Günther 1922; 1930 (= der .Volksgünther"!). Günther wurde zu dieser Rassenkunde aufgefordert, nachdem der Freiburger Anthropologe Eugen Fischer (1874—1967) es unter Hinweis auf die fehlenden methodischen Grundlagen abgelehnt hatte, darüber zu spekulieren; vgl. Lutzhöft 1971, 28-47. Die meisten „rassekundlichen" Vorlesungen wurden seit den 1920er Jahren von Nicht-Anthropologen gehalten. Darauf ist auch der enorme Anstieg dieser Veranstaltungen zurückzuführen; der Anteil der „ernsthaften" Vorlesungen blieb konstant: Spiegel-Rösing/Schwidetzky 1982, 95 Abb. 4. Daraus läßt sich jedoch keine „Entschuldigung" für die Disziplin ableiten. In Deutschland läßt sich diese Separierung anhand der Gründung eigener anthropologischer Fachzeitschriften festlegen: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 1899 durch den Straßburger Anatomen Gustav Schwalbe (1844-1916), Anthropologischer Anzeiger 1924 durch Rudolf Martin. Weingart/Kroll/Bayertz 1992, 188-366; Becker 1988-1990.
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Begriffe
wertung zahlreiche, heute zu anderen Zwecken verwendete statistische Tests entwickelt wurden. 279 Auch in die prähistorische Forschung fand die Vorstellung Eingang, daß Völker sich rassisch unterschieden. Kossinna postulierte in der Anwendung dieser These beispielsweise, „daß auch jede größere Untergruppe der Hauptkulturen ihre besondere Rassenabart besitzt". 280 Damit wurde letztlich behauptet, jede feststellbare kulturelle Gruppierung müßte sich auch im anthropologischen Material wiederfinden und abgrenzen lassen. Rasch ließen sich daran Werturteile knüpfen, die die „altgermanische Kulturhöhe" auch auf biologische Wurzeln zurückführen konnten. Wenn auch die Schüler Kossinnas mit diesem Axiom eher vorsichtig umgingen und seine Anwendung eher vermieden, blieb die Vorstellung, man könne Skeletten ihre rassische Herkunft ansehen, zumindest latent vorhanden. Selbst Childe hielt es für wahrscheinlich, daß homogene „Kulturen" auch rassisch abgeschlossen sind bzw. sein können. Bis heute wird diese Möglichkeit zumindest unterschwellig vorausgesetzt, wenn Fremde oder Zuwanderer unter der einheimischen Bevölkerung anhand ihrer physisch-anthropologischen Merkmale ausgemacht werden sollen. Nur bei idealtypisch homogenen Populationen wäre dies ein gangbarer Weg, doch in den meisten Fällen überdeckt die Variabilität der Merkmale diesen Fall. 281 Skepsis gegenüber Vorstellungen, „Kultur" und „Rasse" zu parallelisieren, ist daher auch in Schriften der zwanziger Jahre durchaus vertreten. 282 Ihre kritischen Einwände wurden jedoch nicht ausreichend gehört. Ab 1926 erschien die Zeitschrift Volk und Rasse. Illustrierte Vierteljahresschrift für deutsches Volkstum283 und demonstrierte damit die Konjunktur entsprechender Fragestellungen in den Sozialwissenschaften. Unter den Herausgebern waren renommierte, aus dem rechtskonservativen Milieu stammende Vertreter ihres jeweiligen Fachs: die Prähistoriker Gero v. Merhart (1886— 1959), Ernst Wahle und Gustav Schwantes (1881-1960), der Ethnologe Richard Thurnwald (1869-1954), die Rassenanthropologen Karl Walter Scheidt Karl Pearsons (Produktmoments-)Korrelationskoeffizient r, Charles Spearmans Rangkorrelationskoeffizient g und seine Hauptkomponentenmethode der Faktorenanalyse usw.: Gould 1988, 265, 282; 333 u. ö.; MacKenzie 1981. 2 8 0 Kossinna 1911, 11. 281 Verläßliche Ergebnisse versprechen nur Vererbungsanalysen (wie DNA-Untersuchungen oder Zahnanomalien), die jedoch höchstens die Fremdheit, nicht aber die Herkunft des betreffenden Individuums feststellen können.
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2 8 2 Jacob-Friesen 1928. 283 y e r l e g t bei Julius Friedrich Lehmann (1864-1935), Mitglied der Thüle-Gesellschaft und des Alldeutschen Verbandes, der mit dieser Zeitschrift nur Verluste einfuhr, und der auch den .Rassen-Günther' herausbrachte: G. D. Stark 1976; umfassender ders. 1981.
Die „Rasse"
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(1895-1976) (zugleich „Schriftleiter") und Eugen Fischer (1874-1967)284, die Siedlungsgeographen Rudolf Gradmann (1888-1962) und Robert Mielke (1863-1935), der Germanist Rudolf Much (1862-1936) u.a. 1927 lag die „Schriftleitung" in den Händen des Rasseanthropologen Otto Reche (18791966) und des Prähistorikers Hans Zeiß (1895-1944). Gegenstand der Zeitschrift sollte die Widerspiegelung der rassischen Zusammensetzung des deutschen Volkes in seinen kulturellen Äußerungen sein, wozu alle Disziplinen beitragen sollten.285 Die Abonnenten der Zeitschrift wurden zugleich automatisch Mitglieder des „Werkbunds für deutsche Volkstums- und Rassenforschung". Der „Rassenmythos" früherer Jahre war inzwischen zum historischen Beleg für die reale „Rassenbeschaffenheit" mutiert, wie auch das Beispiel des einflußreichen Chefs der Gobineau-Gesellschaft und Wagner-Intimus Ludwig Schemann (1852-1938) zeigen mag.286 Vor diesem Hintergrund konnte dann nach 1933 die Prähistorie auch als „historische Rassenkunde" verstanden und betrieben werden, galt die „Rasse" doch als leitendes Prinzip der Weltgeschichte.287 Vorarbeiten hatte u. a. der Arzt und Prähistoriker Hans Hahne in Halle geleistet, der Vorgeschichte, Volkskunde und Rassenkunde als die drei Kernbestandteile einer „Volkheitskunde" propagierte.288 Nach 1945 wandelten sich die Vorstellungen. Unter dem Eindruck des Völkermordes geriet „Rassismus" nun zu einem pejorativen Begriff, mit dem kein Staat mehr zu machen war. Zu offensichtlich war geworden, daß vermeintlich naturwissenschaftlich begründete Klassifizierungen nur der sozialen Ausgrenzung bestimmter Gruppen gedient hatten, d. h. „Rasse" als sozialer Gruppenbegriff zur politischen Abgrenzung jenseits der Biologie mißbraucht worden war. Allein im rechtsradikalen Milieu fehlt es auch heute nicht an Versuchen, rassistische Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit zu politischen Zwecken zu nutzen.
b) Von der Rassenklassifikation zur Populationsgeschichte „Die Zeit der großen anthropologischen Rassenklassifikationen ist [...] vorüber", 289 auch in den Augen ihrer einstigen Vertreter. Ursache dafür waren
284 285 286 287 288 289
Zu Eugen Fischer vgl. Lösch 1997. Pinn 1987. Schemann 1928-1931. Groß 1938. Ziehe 1996. Schwidetzky 1988, 99.
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zunächst die auch „rassisch" begründeten Ermordungen von Millionen von Juden, Sinti und Roma sowie zahlreicher weiterer Angehöriger „minderwertiger Rassen". Es hatte sich außerdem gezeigt, daß wissenschaftlich mit dem Rassenbegriff in seiner bisherigen Form nichts mehr anzufangen war, weil die Anthropologie damit letztlich die Inselvorstellung völlig isolierter Menschengruppen vor Augen hatte. Auf diese Weise hatte man aus dem zunächst deskriptiven Ordnungsbegriff geschlossene Systeme abgeleitet, ganz im Widerspruch dazu, daß die meisten Bevölkerungen eben nicht isoliert, sondern in enger Interaktion existierten. In der Folge ersetzte die Rassenevolution die Rassenklassifikation. Mit dem zugleich vollzogenen Übergang von der Rassen- zur Populationsgeschichte standen nun Bevölkerungen statt wie bisher Individuen im Mittelpunkt, denn Evolution vermag sich nur in Populationen zu vollziehen. Durchschnittliche (idealtypische?) Merkmalshäufigkeiten wurden deshalb interessant. 290 Ebenso wie „Volk" und „Kultur" läßt sich auch die Rasse nicht als geschlossene Einheit innerhalb der Menschheit beschreiben. 291 Aus ethnologischer Sicht bedeutet dies: „.Völker' bzw. .Volkstümer' sind nicht annähernd in dem Maße biologisch geschlossene und starre Komplexe, wie nach der landläufigen Anschauung zu erwarten stünde". 292 Die Anthropologie zieht daraus den Schluß: „im Sinne biologisch scharf voneinander abgegrenzter Gruppen gibt es tatsächlich keine Rassen". 293 Vielmehr handelt es sich auch bei den „Rassen" um Klassifikationen, die von der „willkürlichen" Merkmalsauswahl abhängen und deshalb je nach Situation und Kontext differieren. 294 Die traditionelle morphologische Rassengliederung mußte auf der Suche nach scharfen Grenzziehungen scheitern, u. a. weil die Merkmale häufig unabhängig voneinander variieren. 295 Ein darauf beruhender Typenbegriff kann allenfalls multivariatstatistische Gültigkeit besitzen, weil homogene Merkmalsverteilungen nicht zu erwarten sind. Die idealtypisch ermittelten Durchschnittswerte für bestimmte Populationen können zwar großräumig „Rassen"-Unterschiede aufzeigen, lassen aber für den Einzelfall (ζ. B. Individuen) keine Schlüsse zu. Da die Variabilitäten
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„Länderanthropologien" werden auch heute noch mit den gleichen Methoden wie einst die Rassenklassifikationen betrieben; vgl. Die Rassengeschichte 1968-1993. Graves-Brown 1996, 87. Mühlmann 1964, 173. Knußmann 1996, 406. Diese Feststellung hindert Knußmann nicht daran, in seinem Lehrbuch eine „Rassensystematik" alten Stils zu entfalten. Schwidetzky 1974, 163-169. Winkler 1982.
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innerhalb der Rassen erheblich größer als zwischen den Rassen 296 , innerhalb von Regionen größer als zwischen ihnen, innerhalb von Siedlungen größer als zwischen verschiedenen Siedlungen sind, verstellen Mittelwerte nur den Blick auf die komplexen Realitäten. Fließende Übergänge bestehen zwischen den Rassen. Unterschiede zwischen den „Großrassen" entstehen durch geographische oder allopatrische (reproduktive) Isolation. Kleine Marginalpopulationen weichen in ihren Merkmalen aufgrund von genetischer Zufallsdrift, andere Bevölkerungen durch den „Founder-Effekt" oder aufgrund von Isolation durch die Distanz ab. Rassenunterschiede sind fast immer nur quantitativ und eben nicht qualitativ, wie es die „Rassenlehre" propagierte. Angesichts dieser Erkenntnisse wird auch die Annahme „ursprünglich" homogener Populationen unwahrscheinlich, egal auf welchen Zeitraum dabei spekuliert wird. Stets weisen Bevölkerungen eine erhebliche Bandbreite an anthropologischen Merkmalen auf (Abb. 12). Der heute verwandte humanbiologische Rassenbegriff297 - sofern er nicht aus historischen und methodischen Gründen vermieden wird - ist populationsgenetisch definiert. Er ist ein „systematischer Begriff unterhalb der Subspecies".298 Unterschiedliche „Rassen" werden nun anhand ihrer verschiedenen Genpools, d. h. der Gesamtheit der Erbanlagen aller Individuen einer Population, beschrieben.299 Sie stellen damit Fortpflanzungs- und Erbgemeinschaften dar.300 Isolation durch Endogamie führt zwar auf lange Sicht zu besonderen Merkmalen, doch erweist sich diese „Rassereinheit" populationsbiologisch als nachteilig: Diese Inzucht im größeren Rahmen führt zur Degeneration, während die Erweiterung des Genpools von außen durch „Rassenmischung" die Variabilität und damit die Überlebenschancen erhöht. Die anthropologische Differenzierung der Populationen ist in entwicklungsgeschichtlichem Sinn ein historisches Produkt.301 Die heute gebräuchliche „Großrassen"-Einteilung bezeichnet die „geographische Differenzierung der heutigen Menschheit" und damit die „Adaptationen an spezifische ökologische Gegebenheiten".302 Alle fünf bzw. sechs Hauptgruppen (Europide, Indianide, Mongolide, Australo-Melaneside, Ne-
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V. Schilcher 1988,228, unter Verweis auf Nei/Roychoudhury 1981. Danach beträgt die Variabilität zwischen Europiden, Mongoliden und Negriden nur 10-20 % der minleren Variabilität innerhalb dieser „Großrassen". Zankl 1980; Cartmill 1999; Templeton 1999. Knußmann 1996, 405. Sperlich 1988, 186. Zum Gang der Forschung in Deutschland vgl. Kröner 1998. Sperlich 1988, 1. Graves-Brown 1996, 85. Knußmann 1996, 405.
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Die „Sprache"
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gride, [Khoisanide]) erfassen Schwerpunkte in der geographischen Variabilität 303 und keine distinkten Populationen. Die relevanten Merkmale variieren aufgrund der sogenannten „Klimaregeln" unabhängig voneinander und kontinuierlich (Körpermaße, Körperbau, Blutmerkmale). Sie machen außerdem nur einen verschwindend kleinen Anteil im Vergleich mit den übereinstimmenden, allen Menschen gemeinsamen Charakteristika aus. Dies aufgezeigt zu haben, ist das Verdienst der humangenetischen Forschung seit den 1960er Jahren. Blutgruppenuntersuchungen ergeben sehr diffuse Verbreitungsbilder und keine klar abzugrenzenden Gruppen, so daß die erneut versuchte Verknüpfung mit Sprachgruppen oder „Völkern" nicht gelingen kann.304
4. Die „Sprache" a) „Sprache" und „Nation" Sprachen gehören letztlich zu den kulturellen Eigenschaften von Gesellschaften, zu deren Prägung sie entscheidend beitragen. Diesen Bereich hier dennoch gesondert (und nicht im obigen Abschnitt „Kultur") zu behandeln, hat weniger systematisch-methodische als vielmehr historische Gründe. Im nationalen Diskurs spielt(e) die Sprache neben „Volk", „Kultur" und „Rasse" eine zentrale Rolle. 305 Als einheitliche Nationalsprache wahrgenommen, schien sie zwangsläufig „Völker" zu konstituieren. Daher lieferte sie spätestens seit Jacob Grimm ein scheinbar zwingendes Argument, sprachlich zusammengehörende Räume auch politisch zu vereinigen bzw. staatlich zusammengefaßte Gebiete auch sprachlich zu vereinheitlichen. Daraus konnte man ein politisches Zukunftsprogramm wie in Deutschland entwickeln bzw. eine restriktive Sprachen- und Kulturpolitik gegenüber (sprachlichen) Minderheiten betreiben. Dazu gehörte beispielsweise die antipolnische Germanisierungspolitik im östlichen Preußen in den 1860er Jahren. Kritik an der Grimmschen Auffassung 306 , „Völker" und „Sprachen" für kongruent zu halten und deshalb ethnisch-politische Gruppen auch mit Hilfe sprachlicher Kriterien abzugrenzen 307 , blieb ohne Wirkung. Sie hätte das Ideal des homogenen Nationalstaats und möglicherweise die Stabilität der bestehenden Staaten in Frage gestellt.
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Knußmann 1996, 429. Vgl. aber Cavalli-Sforza 1999; Cavalli-Sforza/Cavalli-Sforza 1995. Koerner 2000; vgl. ders. 1999. Z. B. Paul 1920. Vgl. J. Grimm 1880.
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Daß jedes „Volk" eine, und zwar seine Sprache spricht, gehörte zu den Überzeugungen der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts und fügt sich damit ebenfalls in den nationalen Diskurs dieser Zeit ein. Noch früher hatte Herder in Sprache und Poesie die bestimmenden Kennzeichen eines Volkes bzw. einer Nation erblickt. Die gleichzeitig aufkommende Mundartforschung 308 sah in den regionalen Dialekten im Gegensatz zur Hochsprache urwüchsige, unverfälschte Zeugnisse einer uralten eigenständigen, organischen Entwicklung 309 - vergleichbar den Völkern und Stämmen. Die Entdekkung der „indogermanischen" Sprachverwandtschaft führte im Verein mit anderen altertumskundlichen Disziplinen dazu, daß man nicht nur „Ursprachen" postulierte und abzugrenzen versuchte, sondern diese zugleich entlang vermeintlicher Abstammungslinien „Urvölkern" und „Urrassen" zuzuschreiben begann. 310 Die Wirkung dieser Vorstellungen auf die prähistorische Forschung wurde wiederum dadurch verstärkt, daß viele Archäologen eine philologische Ausbildung besaßen: Kossinna ζ. B. war Germanist und wandte sich der Archäologie deshalb zu, weil er sich auf der Suche nach den Ursprüngen der Germanen an die Grenzen der Philologie gekommen glaubte und sich von der Prähistorie ein weiteres Vordringen in unbekannte zeitliche Tiefen versprach. Insbesondere durch die Verbindung des „Indogermanischen" mit den vorderasiatisch-indischen „Ariern" geriet auch die Sprachwissenschaft in den Strudel nationalistischer und schließlich auch rassistischer Argumentationen. 311 Dies wurde durchaus als Problem erkannt, so daß beispielsweise schon bei der Gründung der Société Linguistique de Paris 1865 deren Satzung einen Passus erhielt, demzufolge die Gesellschaft keine Arbeiten und Vorträge zum Thema „Sprachenursprung" akzeptieren werde. 312 Entsprechend vorsichtige, methodisch wohlüberlegte Positionen konnten sich angesichts des
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Der aus dem 17. Jahrhundert stammende Begriff „Mundart" betonte den sozialen Aspekt der gesprochenen Sprache und nicht den regionalen wie im heutigen Verständnis. Schleicher 1863, 6 f., nahm die Organismus-Metapher wörtlich: „Die Sprachen sind Naturorganismen, die, ohne vom Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstunden, nach bestimmten Gesetzen wuchsen und sich entwickelten und wiederum altern und absterben; auch ihnen ist jene Reihe von Erscheinungen eigen, die man unter dem Namen .Leben" zu verstehen pflegt. Die Glottik, die Wissenschaft der Sprache, ist demnach eine Naturwissenschaft". Vgl. Bausinger 1991, 173. Einen anderen Anknüpfungspunkt bietet natürlich 1. Mose (Genesis) 11,7-9, mit der babylonischen Sprachverwirrung, die statt einer zu 72 verschiedenen Sprachen und damit ebenso vielen Völkern führte. Vgl. Borst 1957-1963 mit einem Überblick über die Vielzahl an antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Hypothesen über den Ursprung der Sprachenvielfalt. Römer 1989; Hutton 1999. Keller 1994, 37.
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politischen Klimas im 19. und frühen 20. Jahrhundert jedoch kaum durchsetzen - ebenso wie in den oben erwähnten Disziplinen. Die Vorstellung, Sprachgebiete seien nach außen scharf abgeschlossene, in sich weitgehend homogene Räume, hängt mit den nationalstaatlichen Gegebenheiten und Wunschbildern des 19. Jahrhunderts zusammen. Erst die scharf gezogenen politischen, d. h. nationalstaatlichen Grenzen bewirkten sekundär auch eine sprachliche Abgrenzung - die Angleichung der Sprachräume an die Siedlungsgebiete.313 Die politische Abgrenzung - Steuern, Militärdienst, Schulen - bedeutete durch die dadurch hervorgerufene Ausrichtung der Kommunikation eine sprachliche Homogenisierung nach innen und eine Isolierung nach außen.314 Die Bedeutung einer Sprache für die Nation liegt 1. in ihrer die Eliten verbindenden Funktion, 2. in ihrer durch Verschriftlichung scheinbar belegten Dauerhaftigkeit, und 3. in ihrer durch das Schulwesen vermittelten Rolle als offizielle Landessprache. Für die nationalen Bewegungen der „kleinen Völker" Europas war die Gleichsetzung von Sprache und Volk ein entscheidendes Argument im „Befreiungskampf", d. h. dem Bestreben nach nationaler Unabhängigkeit. Deshalb kam es zur Verselbständigung ζ. B. des Slowakischen und des Serbokroatischen, aber auch des Norwegischen als eigene Sprachen. Diese Sprachen mußten aus vorhandenen „Dialekten" erst „geschaffen" werden, indem Vokabular und grammatische Struktur „kodifiziert" wurden. Dann konnten diese Sprachen zur argumentativen Grundlage für politische Selbständigkeitsbestrebungen ihrer Sprecher werden. 315 Nicht Sprachen grenzen also Siedlungsgebiete ab, sondern umgekehrt: die Isolation von Bevölkerungen - durch geographische oder politische Trennlinien - führt sekundär auch zu sprachlicher Differenzierung. Ohne diese modernen politischen Einflüsse sind Sprachen Kontinua in Zeit und Raum. Sie bilden offene dynamische Systeme.316 Sprachen und Sprachgemeinschaften sind in sich heterogen: die Schriftsprache (langue) unterscheidet sich von der gesprochenen Sprache (parole), unterschiedliche soziale Schichten sprechen verschiedene Sprachen (ζ. B. sprach der Adel in Deutschland und Rußland im 18. Jahrhundert französisch und nicht eine „Landes-
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Vgl. Gardt 2000; Wehler 2001, 46-48. Daher sind die heutigen Nationalstaaten weitgehend mit Sprachgemeinschaften identisch. Die Ausnahmen der kleinen Sprachen (frankoprovençalisch, galizisch, korsisch, moldauisch, okzitanisch, rätoromanisch, sardisch, wallonisch usw.) stellen zugleich politische Minderheitenprobleme dar: Kloss 1985, 211. Hobsbawm 1996, 64-77. Schon v. Humboldt [1830-1835] 1907, 46, zufolge kann „die wahre Definition [der Sprache ...] nur eine genetische seyn".
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spräche"), regionale Unterschiede (Mundarten) lassen Sprachgebiete bei näherer Betrachtung wie einen Flickenteppich erscheinen. b) Sprachgrenzen und Sprachverwandtschaft Aus linguistischer Sicht erscheint eine „Sprache" als Konstrukt, dessen Abgrenzung bzw. Unterscheidung von einem Dialekt „im wesentlichen von politischen und soziologischen Bewertungen ab[hängt]". 317 Mit anderen Worten: „Fragen der Sprache [sind ...] letztlich Fragen der Macht", wie der amerikanische Sprachtheoretiker Noam Chomsky formuliert. 318 Dies gilt vor allem für anderssprachliche Minderheiten, deren Anerkennung als solche bzw. als „Volksgruppe]" im allgemeinen politischen Verständnis daran geknüpft ist, daß sie eine eigene Sprache und nicht nur einen Dialekt sprechen. 319 Die Unterscheidung zwischen Sprache und Dialekt ist offensichtlich (macht-)politischer und damit dann auch geographischer Natur. Aus linguistischer Sicht ist sie inhaltlich ohne Belang. Linguisten interessieren sich für die Sprachstruktur, d. h. die Grammatik (Phonetik, Morphologie, Syntax, Semantik, Typologie, Sprechakte), unabhängig von ihrer Klassifizierung im Einzelfall. 320 Dialektgrenzen innerhalb des modernen Deutschen werden ζ. B. anhand des Materials zum Deutschen Sprachatlas321 rein schematisch gezogen: Grenzen 1. Grades erfordern über 500 Isoglossen, 2. Grades über 30 Isoglossen, 3. Grades über 10 Isoglossen, 4. Grades weniger als 10 Isoglossen (Abb. 13). 322 Angesichts der nie deckungsgleichen Verbreitungsbilder belegen sie statt isolierter Sprachräume ein grundsätzliches Kontinuum, das jedoch an seinen Enden erhebliche Unterschiede aufweist.323 Zudem befinden sich diese Isoglossen in ständigem Wandel 324 und zeigen heute keine „Reflexe alter Stammesgrenzen", 325 doch waren „Stammesgrenzen" wohl kaum jemals zugleich sprachliche Barrieren. Dennoch lassen sich „Zentren" mit relativ einheitlicher sprachlicher Struktur und „Peripherien" mit Einflüssen aus mehreren Rich-
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Keller 1994, 174. Überspitzt meinen Grewendorf/Hamm/Sternefeld 1993, 24, daß »eine Sprache ein Dialekt ist zusammen mit einer Armee und einer Flotte"; dort auch der Verweis auf Chomsky. Auch sprachpuristische Debatten um den Gebrauch von „Fremdwörtern" sind politisch motiviert und nicht linguistisch begründet. Vgl. Neuß 1998. Deutscher Sprachatlas 1926-1956. König 1978, 140; vgl. Händler/Wiegand 1992. Vgl. Riehl 1999; Raible 1999. Bach 1969; Dialekt als Sprachbarriere 1973. König 1978, 143.
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Dialektgrenzen : I.Grades (ca. 500 sprachliche Unterschiede zwischen den Orten) 2. Grades (mehr als 30 UnterschJ 3. Grades (10-30 Unterschiede) 4. Grades (weniger als 10 Unterschiede)
Abb. 13. Schematische Kartierung zur Darstellung von Dialektgrenzen, hier am Lech südlich von Augsburg. Kriterium der Zuordnung ist die statistische Häufigkeit übereinstimmender oder unterschiedlicher sprachlicher Merkmale. Daß es sich bei diesem Vorgehen um eine rein klassifikatorische Unterscheidung handelt, ist offensichtlich (nach König 1978, 140)
tungen bzw. mehreren Zentren feststellen, die darüber hinaus auch mit Kulturlandschaften korrespondieren (können) 326 , aber keine scharfen, distinkten Grenzziehungen besitzen. Es handelt sich letztlich um geographische Isolationsphänomene im Kleinraum. Deshalb dürfte die geographische Verbreitung von Sprachen ζ. B. im frühen Mittelalters keine geschlossenen und homogenen Areale gekannt haben.327 Flächenkartierungen homogener Sprachgebiete mit scharfen Begrenzungen sind daher vereinfachende Klassifizierungen und keine realistischen Darstellungen antiker bzw. mittelalterlicher Verhältnisse. Auf einer höheren Ebene als die Einzelsprachen werden auch „Sprachbünde" durch Struktur-Isoglossen (d. h. formale Merkmale) beschrieben, die auf geographische Nachbarschaft und nicht auf gemeinsame Abstammung zurückgehen. Ursache für die Konvergenz der Einzelsprachen ist die kulturelle Zusammengehörigkeit. Der balkanische Sprachbund beispielsweise (neugriechisch, albanisch, bulgarisch, rumänisch, serbokroatisch/[mazedonisch?], türkisch) wurde durch die griechisch-orthodoxe Kirche und die byzantinische Kultur zusammengehalten328, entstand also durch soziale Beziehungen im hohen und späten Mittelalter.329 Aufgrund unterschiedlicher Nachbar-
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Bynon 1981, 182. Neuß 1998, 173; Haubrichs 1994. Bynon 1981, 235-237. Ineichen 1991, 91.
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Schäften und damit verbundener Konvergenzerscheinungen kann eine Sprache auch zu verschiedenen Sprachbünden (je nach Merkmalsauswahl) gerechnet werden. Der gesamte eurasische Raum darf als Sprachkontinuum - oder ebenfalls als Sprachbund 330 - gelten, wobei die linguistische Nähe nur durch bestimmte Merkmale gekennzeichnet ist. 331 Scharf geschiedene Sprachen entstehen erst durch räumliche Trennung von Gruppen 332 und durch „Sprachmischung" (so Hugo Schuchardt [1842-1927] und Franz Miklosich [18121891]). Deshalb gibt es auch keine tatsächlich „reinen", sondern nur „gemischte" Sprachen mit verschiedensten Einflüssen in Phonetik, Morphologie und Vokabular.333 Modelle zur Sprachgeschichte334 oder Glottogenese 335 müssen deshalb von verschiedenen Faktoren ausgehen, die Veränderungen der Sprache bewirken. Derartige Wechselwirkungen lassen sich wohl am besten mit aktuellen Beobachtungen der Sprachinselforschung (ζ. B. in Siebenbürgen) erklären. Eine (indoeuropäische) „Ursprache" stellt prinzipiell lediglich ein theoretisches Konstrukt dar, denn nur bestimmte Bereiche lassen sich aus den Ubereinstimmungen der „Einzelsprachen" erschließen. Dazu gehören vor allem Teile des Wortschatzes und der Sprachstruktur (Grammatik), wobei allerdings vor allem strukturelle Einsichten gewonnen und eben keine Alltagssprache konstruiert werden können. Das „Indoeuropäische" ist eine solche rekonstruierte Sprache, die sich stark am Sanskrit orientiert - einer ehemaligen Kunst- und Schriftsprache, keiner gesprochenen Sprache. Es ist damit vor allem „Ausdruck der Korrelation zwischen den Einzelsprachen" 336 und nichts weniger als eine reale Sprache. Deshalb sind auch die unendlichen „Urheimats"-Diskussionen letztlich gegenstandslos, denn auch die „Indoeuropäer" hat es als reale Bevölkerung nie gegeben.337 Die klassische Stammbaumtheorie August Schleichers338 zur Erklärung der indoeuropäischen Sprachverwandtschaft setzt im Prinzip eine isolierte
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334 335 336 337 338
van der Auwera 1998; Haspelmath 2001; Stadnik 2002. Ineichen 1991, 77. Seebold 1996a. Neuß 1998,166: „Sprachliche Einheitlichkeit ist immer nur als ein Mehr oder Weniger zu verstehen und zu jeder Zeit in ständiger Veränderung begriffen." Borst 1957-1963. Ureland 1985. H. M. Müller 1990, 102, 113; Holzer 1996, 105. Zimmer 1990, 8, 11-19; vgl. Kap. VII,21,a. Schleicher 1848; 1852, 29; 1858; 1861-1862; 1863; 1865.
Die „Sprache"
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Entwicklung ohne Vorbevölkerung und ohne Nachbarn voraus. Dies ist eine abstrakte und unwahrscheinliche Vor-Annahme, denn „vorherige" Bevölkerungen (die verdrängt wurden?) und Nachbarn müssen einen Einfluß auf die Sprachentwicklung gehabt haben.339 Das bei dieser Methode konstruierte Kladogramm („Stammbaum") hat eine vornehmlich systematische Aussage, in dem es die abstrakten Relationen der Sprachverwandtschaft darstellt. Es kennzeichnet damit keine tatsächlichen Verwandtschaftsstränge.340 Sprachliche Verwandtschaft bedeutet im Gegensatz zur romantischen Auffassung keineswegs zugleich eine Verwandtschaft ihrer Sprecher (als Abstammungsgemeinschaft), denn Sprachen können sich ζ. B. als soziales Prestige auch völlig „selbständig" ausbreiten (ζ. B. französisch als Adelssprache). Die Wellentheorie des Schleicher-Schülers Johannes Schmidt (1843-1901 )341 zeichnet sich durch ihre Kontaktperspektive aus, die unscharfe Trennungsregionen mit allmählichem Übergang berücksichtigt und durch wechselseitige Beeinflussungen zu erklären versucht. Substrat- und Konvergenztheorien widmen sich den Einflüssen des sprachlichen Umfelds und der „Vorbevölkerungen" auf die Sprachentwicklung. Kommunikative Theorien gehen dem sprachlichen Wandel als „Spezialfall soziokulturellen Wandels"342 durch die Untersuchung der Sprechakte nach. Veränderungen der Sprache sind sowohl sprachimmanent als auch sozial bestimmt.343 Stammbaum- und Wellentheorie bilden die extremen Pole der Interpretation, sofern sie als alleinige Erklärung sprachlicher „Verwandtschaft", d. h. feststellbarer linguistischer Beziehungen herangezogen werden.344 Realiter ist mit unterschiedlichen Entwicklungen zu rechnen, für die ein Modell wohl stets zu kurz greift. Hierin liegt ein zentrales methodisches Problem der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft. Vorausgesetzt wird eine „genetische Verwandtschaft" der Sprachen, denn nur Gemeinsamkeiten - und nicht die individuellen Unterschiede - lassen sich methodisch überhaupt fassen. Sie suggerieren dann einen Ursprung. Andere denkbare Sprachentwicklungen wie Konvergenzen und Bildung aus verschiedenen „Wurzeln" - bleiben so unerkannt, ohne daß sie ausgeschlossen werden könnten. Diesem heuristi-
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Dennoch dominiert insbesondere bei Einzelphilologien noch immer die genetisch-evolutive Sicht, statt daß kontaktlinguistische Aspekte des Wettbewerbs zwischen linguistischen Varianten stärker betont würden. Ebensowenig wie das Stammbäume der menschlichen Abstammungsgeschichte tun. J. Schmidt 1872. Keller 1994, 208. Bynon 1981, 205; H. M. Müller 1990, 259; Dauses 1990. Holzer 1996, 41-48.
Begriffe
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sehen Dilemma durch die einseitige Dominanz des Stammbaummodells ist allenfalls zu entkommen, wenn die Isolierung der historischen Linguistik von Grammatik und Soziolinguistik überwunden werden kann.345 Als problematisch für linguistische Rekonstruktionen erweist sich die Vermischung zweier unterschiedlicher Perspektiven - der historisch-genetischen und der systematisch-funktionalen. Das Stammbaummodell stellt Abstand und Nähe „verwandter" Sprachen dar, wobei die Genese dieser Gruppierungen notwendigerweise unberücksichtigt bleibt. Denn entstehungsgeschichtlich stecken fast immer sehr verschiedene „Zeitstufen" hinter den systematisch gewonnenen Bündelungen von Dialekten und Sprachen. Da die „Konstanten des Sprachlebens [...] ständige Differenzierung und Konvergenz zu gleicher Zeit" sind, läßt sich die historische Genese von Sprachen nicht (allein) mit Hilfe eines Stammbaums klären.346 Die „Sprache" stellt also - ebenso wie „Volk", „Kultur" und „Rasse" - eine wissenschaftliche Klassifikation dar, und dennoch betrachtete man diese zentralen Begriffe lange Zeit als unmittelbare Realitäten. Doch erst eine Auswahl von Merkmalen, die als relevant angesehen und berücksichtigt werden, läßt Charakterisierung und Abgrenzung zu. Daher beschreiben alle vier Perspektiven auf die Vergangenheit weder homogene noch distinkte Gruppierungen, für die auch weder Synchronität noch Kongruenz a priori vorausgesetzt werden können. Allenfalls mittelbare Wechselwirkungen erscheinen möglich. Damit sind wesentliche Annahmen des „ethnischen Paradigmas" in der Archäologie erschüttert.
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Blench 1997, 18. Neuß 1998, 169 f.
IV. Identitäten: soziale und ethnische Gruppen 5. Kollektive Identitäten als soziale Konstrukte „Identität" bezeichnet allgemein eine völlige Übereinstimmung, Gleichheit oder Einheit. Der Begriff stellt eine Bildung des 18. Jahrhunderts dar, ebenso wie das zugehörige und parallel zu „klassifizieren" geprägte Verb „identifizieren". Gerade diese Bedeutung trifft für „kollektive Identitäten" nicht zu.1 Denn soziale Gruppen sind alles andere als homogen - sie bestehen nie aus „identischen" Mitgliedern, sondern aus mehr oder weniger zahlreichen Individuen unterschiedlicher Prägung. Begriff und Vorstellung kollektiver Identität decken diese sozialen Heterogenitäten zu, indem nur auf wenige, vordergründig übereinstimmende Merkmale Bezug genommen wird.2 Die Ausblendungen charakterisieren diese Vorstellungen als soziale Konstruktionen, als subjektive Zuschreibungen. Im hier interessierenden Zusammenhang wird unter „Identität"3 eine bewußte und subjektive Selbst-Zuordnung von Individuen zu einer sozialen Gruppe aufgrund spezifischer Merkmale in bestimmten Situationen verstanden, kurz: das Bewußtsein sozialer Zugehörigkeit(en).4 In die Mitgliedschaft zu einer sozialen Gruppe werden bestimmte Individuen einbezogen und da-
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Niethammer 2000 macht darauf aufmerksam, daß die Vorstellungen „kollektiver Identitäten" auf die 1920er Jahre zurückgehen und begriffsgeschichtlich mit einigen Hypotheken belastet sind. Genau dies erklärt auch das Aufkommen der aktuellen Vorstellungen kollektiver Identität nach dem Ersten Weltkrieg. Damals ging es den Autoren darum, angesichts der breiten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verunsicherungen in den westlichen Massengesellschaften einen festen Halt auszumachen. Die Lösung lag im Konzept der Identität: Niethammer 2000,71-411. Der Begriff wird häufig dem Psychoanalytiker Erik H. Erikson (1902-1994) zugeschrieben, der ihn im Sinne von „Ich-Identität", einem gefestigten und dauerhaften Selbstbild, in den 1950er Jahren in die Wissenschaftssprache einführte; vgl. u. a. Erikson 1973. Für diese „Zuschreibungsphänomene" behält der Begriff der Identität trotz begründeter Kritik an seinem inflationären, unscharfen Gebrauch (Brubaker/Cooper 2000) seinen analytischen Wert.
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Identitäten
mit andere zugleich ausgeschlossen. Die Konstruktion von Identität geht aufgrund dieses Wechselspiels von Inklusion und Exklusion stets mit dem Aufbau von Alteritäten einher5. Nur angesichts der „Anderen" läßt sich ein Selbstverständnis gewinnen. Die „Anderen" sind gewissermaßen der Spiegel, in dem man sich selbst erkennt. Insgesamt ist „Identität eine Sache von Wissen, Bewußtsein und Reflexion". 6 Diese bewußte „Steigerung" der Wahrnehmung stellt angesichts sozial, politisch, kulturell, religiös und ethnisch heterogener Gesellschaften integrative und abgrenzende Konzepte, gemeinschaftsbildende und handlungsleitende Grundüberzeugungen bereit. Soziale Gruppen bleiben lediglich abstrakte Gebilde, wenn man nicht das Handeln Einzelner, der Gruppenmitglieder berücksichtigt. Die Stellung jedes Einzelnen wird von Zugehörigkeiten zu unterschiedlichen Gruppen und damit verschiedenen Identitäten bestimmt. Mit dieser sozialen Zuordnung wird die „personale Identität" von Individuen beschrieben. „Identität" im strengen Sinn des Wortes - die Unverwechselbarkeit des Einzelnen (der nur mit sich selbst „identisch" ist) - macht allein dessen individuelle Lebensgeschichte aus. Im Unterschied dazu ändern sich soziale Zugehörigkeiten und „Rollen" im Laufe des Lebens: Alters- und Tätigkeitsgruppen, Familienstand und regionale Einbindung wechseln.7 Für den Historiker und Sozialwissenschaftler sind vor allem die Gruppenidentitäten relevant. Denn diese sind es, die für historische Entwicklungen von Gesellschaften eine wichtige Rolle spielen. Damit wird das mitunter entscheidende, langfristig oft bedeutsame Handeln einzelner herausragender Personen keineswegs negiert. Doch deren individuelle Entscheidung erlangt vor allem dann Bedeutung, wenn sie größere Gruppen beeinflußt und zum Handeln veranlaßt. Die Konstitution von Gruppen steht daher im Mittelpunkt des Interesses - insbesondere hinsichtlich der ethnischen Identitäten. Für die Archäologie ist dies darüber hinaus eine methodisch gebotene Einschränkung. Zwar sind Individuen im archäologischen Kontext zu fassen - jedes Grab repräsentiert schließlich ein Individuum. Doch die Rolle dieser Einzelnen innerhalb sozialer Gruppen ist nur schwer zu beurteilen - die Unter-
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Dieses Wechselspiel war Gegenstand des Freiburger Sonderforschungsbereichs 541 „Identitäten und Alteritäten. Die Funktion von Alterität für die Konstitution und Konstruktion von Identität". Vgl. M. Schuster 1996. J. Assmann 1997, 144. Die „Ich-Identität" ist Gegenstand vielfältiger psychologischer und psychoanalytischer Untersuchungen, die sich auf Brüche, Beschädigungen und Krisen dieses Selbstbildes konzentrieren; vgl. Erikson 1973; Goffman 1975; Mead 1968; darüber hinaus Habermas 1976. Dabei widerstreiten verschiedene Auffassungen und Konzepte.
Kollektive Identitäten als soziale Konstrukte
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Abb. 14. Systematik der Identität. Ich- und Wir-Gefühl sind eng miteinander verknüpft. Die individuelle Identität bezieht sich auf den unverwechselbaren, einzigartigen Lebensweg des Einzelnen. Personale Identität bezeichnet die einem Individuum in spezifischen sozialen Konstellationen zukommenden Eigenschaften und Rollen. Kollektive Identität ist das Bild, das eine Gruppe von sich entwickelt und mit dem sich die Mitglieder identifizieren. Personale und kollektive Identitäten bestimmen im Wechselspiel die Position des Individuums innerhalb verschiedener sozialer Gruppen (nach J. Assmann 1997, 131 f.)
Scheidung zwischen individueller und personaler Identität stellt das prinzipielle methodische Problem dar (Abb. 14). Damit steht auch die kaum zu bewältigende Unterscheidung zwischen ereignis- und strukturgeschichtlichen Aspekten in Verbindung.8 „Kollektive Vorstellungen sind somit, kurz gesagt, Phänomene mit zwei Seiten: unter dem einen Gesichtspunkt sind sie in ihren allgemeinsten Eigenschaften Manifestationen der kognitiven Prozesse des durchschnittlichen erwachsenen Gliedes der Gesellschaft; unter einem anderen Gesichtspunkt sind sie aber soziale Phänomene, die eine Umwelt bilden, mit der jedes Individuum in Interaktion tritt, eine Umwelt, die für das kognitive Wachstum eine Hilfe sein kann, die es aber auch verzögern kann". 9 Die erste Sicht hebt die Rolle des Einzelnen hervor, der je nach individueller Bildung, Intelligenz und Sozialisation auf eigene Art mit den sozialen Gegebenheiten umzugehen vermag. Die zweite Sicht betont die sozialen Zwänge, die den Weg von Individu-
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Vgl. Kap. VI,16,c. Hallpike 1990, 78.
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Identitäten
en beeinflussen und bestimmen. Die Konzentration auf diesen zweiten Aspekt bedeutet für die Sozialgeschichte keinen prinzipiellen Verlust an Aussagekraft, weil sich letztlich kein Individuum auf Dauer verschiedenen Gruppenidentitäten entziehen kann.10 Es stünde sonst außerhalb der Gesellschaft. Wichtiger noch ist aber das bereits angeführte Argument, daß das Denken und Handeln von Gruppen im Mittelpunkt des historischen Interesses steht. Die Individuen gewinnen ihre jeweiligen Identitäten nicht aus sich selbst heraus. Sie erlangen sie nur über die jeweilige Gruppe, indem sie an deren Wechselbeziehungen (Interaktion und Kommunikation) teilhaben. Die kollektive Identität wiederum existiert nur durch die sie tragenden Gruppenmitglieder.11 Identitäten ergeben sich daher aus dem Wechselspiel von Ich- und Wir-Identität, d. h. aus der Identität des Einzelnen und derjenigen der Gruppe. Deshalb sind sie stets soziale Identitäten, wobei weder für die Identität des Einzelnen noch die der Gruppe ein Vorrang behauptet werden kann. Alle gesellschaftlichen Gruppen lassen sich als solche Identitätsgruppen verstehen - von der Familie über Altersklassen, Geschlecht, Tätigkeit, Region, Religion usw. bis hin zu Ethnien und modernen Nationen. Soziale Identitäten sind kein getreues Abbild gesellschaftlicher Realität, auch wenn sie selbst nichts weniger als real sind - denn sie bestimmen das Handeln. Identitäten liegt der Anspruch bzw. der Glaube zugrunde, alle Angehörigen der betreffenden Gruppe seien in bezug auf einige bestimmte, als signifikant angesehene Merkmale gleich. Diese Kennzeichen sind insofern ein Instrument der Gruppendifferenzierung12, denn Angehörige anderer Gruppen haben diese Merkmale - per definitionem - nicht. Diese vorgebliche Gleichheit der Gruppenmitglieder (d. h. die Homogenität der Gruppe) ergibt sich aus der Reflexion über den eigenen Standort. Diese gesteigerten Wahrnehmungen sind deshalb „ideale Konstruktionen".13 Sie stecken den Erwartungshorizont ab, wodurch weitere Wahrnehmungen präformiert und eingeschränkt werden. Die Konstruktionen müssen aber an den realen Verhältnissen orientiert sein, um „glaubwürdig" zu erscheinen. Nur dann haben sie eine Chance, zu bestehen und reale Geltung zu erlangen. Sowohl ethnologische Beobachtungen als auch soziologische Untersu-
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Vgl. Halbwachs [1950] 1967; Yates 1997. J. Assmann 1997, 130 f. K. E. Müller 1987. Hallpike 1990, 64.
Kollektive Identitäten als soziale Konstrokte
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chungen zeigen, daß Gruppenidentitäten alles andere als homogen und abgeschlossen sind. Entgegen ihrem eigenen Homogenitäts-Anspruch besitzen kollektive Identitäten gewissermaßen ein Identitätszentrum im Innern (einen „Traditionskern" 14 ) und eine Peripherie mit abnehmender Identität - d. h. zum Rand hin immer lockerer werdender Zuordnung. Diese „limitische Struktur" mit diffusen Übergängen und ohne scharfe Grenzziehungen 15 ermöglicht - unter bestimmten weiteren Bedingungen - einen relativ problemlosen Identitätswechsel zu Nachbargruppen. Fremdheit bzw. Alterität erscheint auf diese Weise räumlich abgestuft. Die Vorstellung, die „Anderen" seien gr«»¿verschieden und Identität damit eine Frage des „Alles oder Nichts", ist nur ein Extrem, wie Fremdheit begriffen werden kann. Feindschaften bilden daher mitnichten eine zwangsläufige Folge im Umgang mit „Anderen". 16 „Hybride" Identitäten und Grenzüberschreitungen sind durchaus häufige Beispiele, wie flexibel Identitäten gehandhabt werden können. Neben dieser ungleich verteilten „Dichte" von Identitätsgruppen existiert eine weitere Ursache für deren prinzipielle Heterogenität. Alle Gruppenmitglieder sind zugleich in weitere soziale Zusammenhänge eingebunden, deren Unterschiedlichkeit die individuelle Zurechnung mehr oder weniger eindeutig ausfällen läßt. Deshalb kann ein „Rollenverhalten" 17 beobachtet werden. Individuen greifen in unterschiedlichen Zusammenhängen bzw. Situationen auf unterschiedliche Identitäten zurück. Sie besitzen mehrere kontextabhängige, fließende und auch miteinander konkurrierende Gruppenzuordnungen - je nach den Rollen, die ein Einzelner in der Gesellschaft spielt (Abb. 15). Dieses Rollenspiel vollzieht sich im Wechsel individueller Absichten und gesellschaftlicher Zwänge. Aus den sozialen Rollen resultieren auch unterschiedliche Mentalitäten, die eben gruppenspezifische Vorstellungswelten, gerade innerhalb von Gesellschaften, bezeichnen.18 Trotz gemeinsamer Gruppenzugehörigkeit unterscheiden sich Vorstellungen und Handeln der Gruppenmitglieder mehr oder weniger voneinander. In den Grundstrukturen gleichen sich soziale Identitäten, so daß sie als universal gelten dürfen. Ihre Ausprägungen sind aber von sozialen und wirt-
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Wenskus 1961, 75 f. In gleicher Weise sind .archäologische Kulturen" oder Sprachräume strukturiert. Vgl. Lübke 2001, 7-32. Dabei handelt es sich um ein von der Soziologie entwickeltes Konzept, das das unterschiedliche Verhalten von Individuen in verschiedenen Gruppensituationen erklärt. Es geht zurück auf Linton 1936; Parsons 1950; Merton 1949. Oeshalb hat sich das Konzept der Mentalität des Mittelalters als irrig erwiesen; zahlreiche Mentalitäten prägten die Vorstellungswelten: Kortüm 1996, 13-33.
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Identitäten
Universitäts-Personal Archäologen Professoren
Experte für römische Villen
Elite Männer (und Jungen)
Familien-Oberhaupt
erwachsen
Abb. 15. Oben: Mögliche Zuordnungen eines Universitätsprofessors, der zugleich klassischer Archäologe und Spezialist für römische Villen ist. Die subjektiv und objektiv unterschiedlichen Gruppenzugehörigkeiten, hier auf den offiziell-beruflichen Aspekt beschränkt, überschneiden sich stark und rufen in unterschiedlichen Situationen ein differenziertes Rollenverhalten hervor. Noch komplizierter erscheint dieses Verhalten, berücksichtigt man die private Seite (Familienverhältnisse, Hobbys, Urlaubsreiseziele, Opern- und Theaterbesuche, Habitus) (nach Daim 1998, 77 Abb. l,a). - Unten: Unterschiedliche soziale Zugehörigkeiten eines frühgeschichtlichen Familienoberhauptes. Die Auswahl an möglichen „Identitäten" zeigt, wie wenig eindeutig Grabbefunde sind
schaftlichen Voraussetzungen abhängig und deshalb kultur- bzw. gruppenspezifisch. Intensität und Struktur hängen von der Größe und Organisation der betreffenden Gruppe ab. Gruppen mit der ausgeprägtesten Identität sind aufgrund ihrer unmittelbaren sozialen Kommunikation und Interaktion die in der Ethnologie so bezeichneten Lokalgruppen (Lineages oder Clans). Aber auch bei diesen Kleingruppenidentitäten lassen sich einerseits ein Dichtezentrum (um die Alten Männer, eine Familie oder die Gründersippe) feststellen, von dem aus die Intensität zur Peripherie hin abnimmt, und andererseits
Kollektive Identitäten als soziale Konstrukte
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partiale Identitäten (der Generationen, der Geschlechter, der Familien und Lineages) beobachten. Die Verwandtschaft besitzt auf diesem Niveau gesellschaftlicher Organisation - in segmentaren, akephalen Gesellschaften - entscheidende Orientierungs- und Bindefunktion. 19 In komplexeren Gesellschaften treten verwandtschaftliche Bindungen hinter ethnisch-politischen Strukturen zurück. Soziale Identitäten bestätigen und legitimieren die vorhandene gesellschaftliche Ordnung. Denn sie erklären die bestehenden Verhältnisse, indem entscheidende (historische, religiöse, politische, kulturelle) Entwicklungen geschildert werden. Diese Erklärung ist zugleich eine Begründung der sozialen „Verfassung", die das Ergebnis dieser prägenden Prozesse darstellt. Identitäten erklären also die Welt und sind notwendigerweise „ethnozentristisch", weil die Beschreibung der Schöpfung „natürlich" immer bei der eigenen Gruppe ansetzt und die eigenen gesellschaftlichen Normen als die besten gelten. 20 Besäßen andere Gruppen überlegene Traditionen, müßten diese ja übernommen werden. 21 Identitäten sind daher nicht allein ein subjektives „Zuschreibungsphänomen". Sie bilden außerdem einen Orientierungsrahmen für das soziale Handeln einzelner Gruppen und der sich diesen Gruppen zurechnenden Individuen. Zugleich sind soziale Identitäten zwangsläufig konservativ, denn angesichts der ständigen Unsicherheiten der Zukunft garantiert nur die strikte Beibehaltung und Befolgung der bewährten Traditionsvorschriften festen Halt und die Bewahrung der gesellschaftlichen Ordnung. Veränderungen und Neuerungen werden dadurch weitgehend verhindert - zumindest in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Tatsächlich wandeln sich Gesellschaften unentwegt. Identitäten erlangen deshalb besonders in instabilen, als krisenhaft empfundenen Zuständen besondere Relevanz. Traditionalistische, konservative, nativistische und „fundamentalistische" Bewegungen reflektieren daher in besonderer Weise Zukunftsängste. Angesichts sozialer Umbrüche suchen sie in vorgeblich alten und „bewährten" Traditionen Halt.
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K. E. Müller 1987, 373. So bereits Herodot, Historiae, 111,38. Auch die modernen westlichen Wissenschaften gehen von den Maßstäben ihrer Kultur aus und werden damit anderen Kulturen nicht gerecht, wenn sie dies nicht zu reflektieren versuchen: Rüsen 1998.
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Identitäten
6. Ethnische Identitäten und kulturelles Gedächtnis Ethnische Identitäten sind ein Sonderfall kollektiver Identitäten. 22 Sie umfassen jeweils eine Gesellschaft insgesamt und nicht nur einzelne soziale Gruppen innerhalb derselben; insofern sind sie auf einer höheren Ebene angesiedelt. Ethnische Gruppen wurden in der ethnologischen Literatur meist mit dem heute in Verruf geratenen Begriff „Stamm" belegt. Weitere, mitunter den Schriftquellen entnommene Termini sind gentes, populi, nationes, Stammesverbände oder Ethnien. Diese „Stämme" sind um eine „Gründersippe" als Traditionskern gruppiert und damit wiederum auf ein „Zentrum" hin (zentripetal) ausgerichtet. Innerhalb des Ethnos existieren daneben divergierende Kleingruppenidentitäten (der Familien, Lineages und Klans) mit je spezifischen Dichtezentren (Abb. 16). Diese polymorphe Struktur ist unabdingbar, denn absolut egalitäre Gesellschaften wären aufgrund stets divergierender Teilinteressen nicht existenzfähig. Bereits Ethnien dieser „primordialen" Größenordnung besitzen daher einen „Kern" von Identität, die sich von dessen unmittelbarem Umfeld aus bis zur Peripherie in ihrer Intensität stetig verringert. Am Rand kann die Identität unter Umständen zum Nachbarstamm wechseln 23 - wenn eine neue, veränderte politische Zuordnung den eigenen Interessen besser zu entsprechen scheint. Es sind räumlich bzw. sozial begrenzte Gesellschaften, die eine ethnische Identität entwickeln. Anders als die kleinen, von der Ethnologie untersuchten Lokalgruppen sehen sich umfassender organisierte Gesellschaften dem zunehmenden „Auseinanderfallen" sozialer, kultureller und politischer Formationen gegenüber.24 Diesem offensichtlichen Verlust an Stabilität versucht man zu begegnen, indem man ausgewählte kulturelle Symbole reflexiv zur Integration nach innen und Distinktion nach außen verwendet. 25 Zwischen beiden Organisationsformen - den verwandtschaftlich organisierten Lokalgruppen und den territorial fixierten bzw. staatlich verfaßten Gesellschaften sind analytisch die „Ethnien" anzusiedeln26, die mit einem gewissen Grad innerer Heterogenität und potentieller Instabilität zu kämpfen haben. Mit abnehmendem sozialen Prestige geht auch die Bindung an die Gruppenidentität
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E. W. Müller 1989. K. E. Müller 1987, 369; vgl. Wenskus 1961, 14-112. Das Vorhandensein ethnischer Gruppen ist daher kein Universalismus, sondern an bestimmte Voraussetzungen gebunden. J. Assmann 1997, 144-160; K. E. Müller 2000, 328-332. Ganzer 1990.
Ethnische Identitäten und kulturelles Gedächtnis Ältester Zentrum
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k Τ
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Grunderlineage - mehrere Familien bzw. Haushalte
Schöpfung
Abb. 16. Ethnogenesevorstellungen anhand ethnologischer Beobachtungen. Für die jeweilige Gruppe erscheint die „Gründerlineage" mit ihrem Altesten als Spitze der Schöpfung. Von diesem Mittelpunkt aus gesehen nimmt der Grad der Verwandtschaft zur Peripherie hin ab. Dorthin fällt auch das „kulturelle" Entwicklungsniveau, bis die entfernten „Barbaren" so etwas wie einen „Urzustand" darstellen (verändert nach Κ. E. Müller 1987, 147)
zurück, so daß ethnisches Bewußtsein mitunter auf die Elite(n) beschränkt bleibt bzw. von dieser repräsentiert wird. 27 Der Glaube an eine gemeinsame Kultur und an eine gemeinsame Abstammung als identitätsstiftendem, von einer „Elite" getragenen „Traditionskern" ist in diesem Sinne wohl für jede Gesellschaft kennzeichnend - von Lokalgruppen über Stämme und Stammesbünde, die antiken Hochkulturen und mittelalterlichen Reiche bis hin zu den modernen Nationen und Nationalstaaten. 28 Dennoch sind diese Identitäten trotz ähnlicher Bindungsfunktion - nur schwer unmittelbar zu vergleichen, müssen sie doch im jeweiligen historischen Zusammenhang betrachtet werden.
27 28
J. Assmann 1997, 150. Popper 1992, 207-210, 241 f., unterschied in idealtypischer Weise „geschlossene" und „offene Gesellschaften". Erstere kennzeichnet der „Glauben an magische Tabus", letztere ein kritischer Umgang mit Tabus und Entscheidungsfindungen aufgrund rationaler Überlegung. Ungeachtet der überschätzten Homogenität geschlossener „Summesgesellschaften" ist bemerkenswert, daß Popper den Übergang zur offenen Gesellschaft erst an seinem Anfang sah.
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Identitäten
Ethnische Gruppen definieren sich selbst über den Glauben an gemeinsame Herkunft und Geschichte, an gemeinsame „Sitten und Bräuche", an die gemeinsam gesprochene Sprache, an das nur hier geltende Recht, an die hiesigen religiösen Vorstellungen und an die gemeinsame Abstammung. „Ethnische Identität" ist also ein „Gemeinsamkeitsglauben" 29 , d. h. eine subjektiv geglaubte Schematisierung. Die herangezogenen „kulturellen" Merkmale erscheinen so nicht mehr als objektiv vorgegeben, sondern als von den Gruppenmitgliedern mehr oder weniger bewußt ausgewählt - und insofern „gemacht". Diese ausgewählten und überhöhten Merkmale werden von Einzelnen oder Gruppen zielgerichtet benutzt, um (in bestimmten Situationen) soziale Grenzen zu markieren und aufrechtzuerhalten. „Ethnische Identität" ließe sich deshalb auch als kollektives Bewußtsein der kulturell (und sprachlich) definierten Zugehörigkeit zu einer politisch und sozial bestimmten Gesellschaft bezeichnen. Charakteristischerweise entstehen ethnische Identitäten nicht in der Isolation, wie es die romantische Vorstellung beschrieb, sondern nur in der Auseinandersetzung mit Anderen, die als „Fremde" begriffen werden. 30 Nur dann wird das Selbstbild relevant und durch Reflexion bewußt gesteigert, d. h. „ideologisch" ausgebaut und zunehmend „ritualisiert". Tatsächliche äußere Bedrohungen oder bereits das Gefühl, in der eigenen Existenz bedroht zu sein, bedeuten häufig einen Schub verstärkter Identitätsbildung. 31 Grundlage der Grenzziehungen - der Konstitution und Konstruktion von Identität und Alterität - sind zunächst kategoriale Unterscheidungen - „wir" und „die Anderen". Diese Differenzierung ermöglicht und erleichtert die Interaktion und die Erfassung komplizierterer Sachverhalte, indem sie eine Ordnung schafft. Durch Reduktion und Gegenüberstellung lassen sich Unterschiede besser erfassen. Die bestehenden Zugehörigkeiten zu einer Gesellschaft und deren Kultur werden dann durch reflexives Bewußtwerden zur kollektiven Identität gesteigert. 32 Die Differenz im Verhältnis zu kulturellen Praktiken bestimmter „ethnisch Anderer" wird im kommunikativen Rahmen systematisch überhöht. Erst durch diese Auseinandersetzung läßt sich ein Verständnis der eigenen „Kultur", also Identität gewinnen, die nur durch (konfrontative)
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32
Weber 1956, 237. Waidenfels 1990; 1997-1999. Die Fremdheit der Anderen beruht auf Verständnisproblemen. Sie bedeutet nicht automatisch Feindschaft, wie Eibl-Eibesfeld 1991 annimmt. Feindschaft ist ein Sonderfall von Fremdheit, deren äußerste Steigerung. J. Assmann 1997, 134.
Ethnische Identitäten und kulturelles Gedächtnis
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Gegenüberstellung ihre spezifischen Eigenheiten herausstellen kann. Durch den grundsätzlich ethnozentrischen Maßstab wird die jeweils eigene Ordnung absolut gesetzt.33 Denn die Götter haben sie bei der Schöpfung für jede spezifische Gruppe geschaffen. Die eigene Gesellschaft gilt als Maßstab, weil man sich in ihr am besten auskennt und zurechtfindet. Alle anderen, d. h. die Nachbarn und Fremden, sind dabei zwangsläufig schlechter weggekommen also unreiner, barbarischer, weniger entwickelt, unterlegen, abweichend usw., und dies mit zunehmender Entfernung um so mehr. Das auffällig Andere gilt als das „Typische" für die Fremden 34 . Die Auswahl der als charakteristisch herausgestellten Merkmale einer ethnischen Gruppe erfolgt nicht willkürlich oder von den Realitäten unabhängig. Sie hängt von zwei wesentlichen Faktoren ab: 1. von existierenden kulturellen Differenzen - diese werden zur schematischen Kennzeichnung durch die eigene bzw. fremde Gruppen überhöht und damit instrumentalisiert; 2. von vorhandenen sozialen und wirtschaftlichen Umständen und Interessen - diese werden durch kulturelle Merkmale verbrämt. 35 „Ethnizität" und „Kultur" werden also von den sozialen Realitäten beeinflußt, auf die sie wiederum zurückwirken. Ihr relatives Eigenleben bezieht die ethnische Identität daraus, daß sie sich nur auf sehr wenige kulturelle Merkmale beruft 36 , deren Auswahl häufig eher literarischen Traditionen als tatsächlichen Gegebenheiten folgt. 37 Die Vielzahl an Gemeinsamkeiten mit den Nachbarn wird ausgeblendet, um eine eindeutig markierte, soziale Abgrenzung zu erreichen. Jene Auswahl einiger besonderer, symbolischer Merkmale gleicht der „Erfindung von Traditionen". 38 Sie führt mithin zur Bildung von „imagined communities", 39 die rasch reale Gestalt gewinnen und insofern „verdinglicht" oder „essentialisiert" werden. Die über kulturelle Symbole bzw. symbolische Merkmale vermittelte Gemeinsamkeit stellt ein komplexes, in sich differenziertes Identitätssystem
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38 39
Κ. E. Müller 2000. Vgl. das Vorgehen der antiken Ethnographie (Kap. IV,7). Jones 1996, 68-70. Als „modernes" Beispiel mag Sebastian Franck dienen, dessen Charakterisierung der „deutschen Stämme" man die Verkürzung noch unmittelbar ansieht: Schwabenland gibt huren genüg / Franckenland rauber und betler genüg / Böhem kätzer / Beyer dieb / Schwitzerland hencker / Sachsen sauffer / der Rhein frässig / Friesenland und Westualer / trewloß oder meyneydig (Franck 1534, liii). Diese „literarischen Fiktionen" stützen sich bis in das 19./20. Jahrhundert auf die antiken Topoi; Weiler 1999; Europäischer Völkerspiegel 1999; Garber 1989. The invention of tradition 1983. Anderson 1991; dt. 1996.
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Identitäten
dar.40 Mit seiner Hilfe, d. h. durch die in den erwähnten Grenzen subjektive und willkürliche Merkmalsauswahl der Gruppe, wird die Beschreibung des Eigenen wie des Fremden ideologisiert.41 Einzelne Elemente der Kleidung, von Sprachstilen, Bildungsstrategien und -zielen, der Umgangsformen und Kommunikationsweisen werden zielgerichtet überhöht und zu grundsätzlichen „ethnischen" Unterschieden gesteigert. Diese Auswahl (und mitunter auch „Erfindung") ist ein schwieriger Balanceakt. Sein Erfolg hängt von der „richtigen", d. h. einer den (sozialen und politischen) Anforderungen gerecht werdenden Merkmalsauswahl ab. Bei einer „falschen" Auswahl steht die ethnische Identität und damit die Existenz der Gruppe auf dem Spiel. So war beispielsweise die Identität der Awaren derart auf das Khaganat fixiert, daß dessen Untergang zugleich das Verschwinden der Awaren als ethnischer Gruppe bedeutete.42 Ähnlich verhielt es sich mit den von einer kleinen Führungsgruppe zusammengehaltenen Cheruskern 43 , die nach Arminius' Ermordung 19 n. Chr. zerfiel und diesen „Stamm" in die Bedeutungslosigkeit versinken ließ.44 Das Entscheidende für ethnische Abgrenzungen sind nicht ausgewählte und überhöhte Einzelmerkmale selbst, sondern Handlungen von Gruppen in bestimmten sozialen und historischen Zusammenhängen und die Wahrnehmung dieser Handlungen. Ethnische Identität wird relevant, wenn in den Augen der Gruppenmitglieder die konkrete Situation entsprechendes Handeln erfordert. Dieses Handeln läßt ethnische Identität zur Realität werden. Man gibt und verhält sich - in bestimmten Situationen - wie ein Franke oder ein Gote, wie ein Deutscher oder ein Franzose, d. h. wie es die eigene Gruppe und „die Anderen" von einem erwarten. Die jeweilige Wahrnehmung wird dabei durch die spezifischen Erwartungen präformiert und eingeschränkt. In entscheidenden Momenten - Krisen oder Übergangsphasen - können ethnische Identitäten rasch wechseln.45 Dies gilt besonders für Individuen, die relativ leicht von einer Gruppe zur anderen übertreten können. Doch auch ganze ethnische Gruppen können ihre Identität wechseln, wie das erwähnte Beispiel der Awaren belegt. Der situative Charakter verweist auf die Flexibilität ethnischer Identitäten. Von festgefügten und unveränderlichen, gleichsam „wesen-
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J. Assmann 1997, 139. Graus 1985, 78. Pohl 1988, 323-328. Erstmals bei Cäsar, Bellum Gallicum VI,10,5. Tacitus, Germania 36,1 : Cherusci, nunc inertes ac stulti vocantur [...] ruina Cheruscorum. Geary 1983.
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haften" und zeitlosen, „überdauernden" Kennzeichen oder einer gar ewigen Substanz kann keine Rede sein, auch wenn dies im Rahmen von Identitätsdiskursen vehement behauptet wird.46 Ethnische Identitäten lassen sich nicht aus einem unwandelbaren Kern („Volksgeist") heraus verstehen, sondern nur in ihren inneren und äußeren Beziehungen.47 Sie sind offene dynamische Systeme. Die „Grundmuster der produktiven und reproduktiven Tätigkeit sozialer Gruppen" 48 , d. h. deren Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkmatrix49 lassen sich gut mit dem Habitus-Konzept Pierre Bourdieus (1930-2002) umschreiben.50 Damit werden einerseits ein „System kultureller Praktiken" und andererseits eine „Systematik der Werte" beschrieben. Lebenserfahrungen, kulturelle Praxis und historische Traditionen spielen hierfür eine wichtige Rolle. Da das Bourdieusche Modell, entwickelt aufgrund ethnosoziologischer Untersuchungen in Nordafrika, auf „geringer und anders vergesellschaftete Beziehungs- und Handlungsstrukturen zugeschnitten [ist] als die der frühmodernen Gesellschaft in Mittel- und Westeuropa", dürfte es eher für frühgeschichtliche Verhältnisse geeignet sein. Ein entscheidendes konzeptionelles Defizit des Habitus* bei Bourdieu liegt jedoch darin, daß in ihm „Gesellschaft [...] tendenziell nur mehr als .Kultur'" erscheint, also die sozialen Strukturen vernachlässigt werden. Deshalb scheint der Habitus ein nahezu unabhängiges, statisches Eigenleben zu führen.51 Ethnische Identitäten können aber nicht von den eine Gesellschaft prägenden sozialen Verhältnissen losgelöst betrachtet werden. Verkürzt auf die wesentlich statisch erscheinende kulturelle Dimension, lassen sich Innovationen und rasche Veränderungen sowie deren Ursachen in gesellschaftlichen Konflikten nicht mehr angemessen erklären.52 Aus ethnosoziologischer Sicht können vier Ansätze zur Erklärung ethnischer Identitäten unterschieden werden, die zugleich zwei Gegensatzpaare bilden. Objektivistisch (1) und von außen betrachtet können bzw. sollen ethnische Gruppen abgeschlossen und kulturell homogen erscheinen. Sie werden durch distinkte Merkmale abgegrenzt. Demgegenüber rückt eine subjektivistische Innensicht (2) die Selbstzuordnung der Menschen in den Mittelpunkt,
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Moderne Strategien zur „Identitätsstiftung" listen auf: Wodak u. a. 1998, 73-93. Mühlmann 1964, 58-60. Kaschuba 1988c, 291. Wehler 1998, 30. Bourdieu 1979, 137-388. Kaschuba 1988a, 69. Wehler 1998, 148 f.
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Identitäten
so daß der situative Charakter von Identitäten betont wird. 53 Daß Menschen in diese ethnischen Gruppen hineingeboren werden und sich aufgrund von Abstammung und Verwandtschaft den vorgefundenen kulturellen, sprachlichen und sozialen Rahmenbedingungen überhaupt nicht entziehen können, behaupten die „Primordialisten" oder „Essentialisten" (3).54 So gesehen werden soziobiologische Vorstellungen in den Vordergrund gerückt und die kulturelle Konstruktion von Gesellschaften vernachlässigt. Eine instrumentalistische oder funktionalistische (bzw. konstruktivistische) Sicht (4) reduziert dagegen ethnische Gruppen auf wirtschaftliche und politische Interessenverbände. Auch hier wird die kulturelle Dimension ausgeblendet, aber vor allem verliert sich die (analytisch gebotene) Abgrenzung ethnischer Gruppierungen von anderen sozialen (Interessen-)Gruppen. 55 Und schließlich unterschätzen „Konstruktivisten" die kraftvolle Realität, die ethnische Identitäten im Habitus und im Handeln gewinnen. Alle vier Aspekte müssen miteinander kombiniert werden, um der Vielfalt und Komplexität ethnischer Identität gerecht zu werden. Ethnische Identitäten sind subjektive Konstrukte der Selbst- und Fremd-Zuordnung; sie beruhen nicht auf Willkür, sondern auf real („objektiv") vorhandenen sozialen und kulturellen Gegebenheiten.56 Von diesen sind Identitätskonstrukte mittelbar abhängig, denn ausgewählte kulturelle Merkmale werden je nach Situation und Kontext zur Konstruktion von Identität und von Alterität benutzt. Subjektive und objektive Kriterien sind daher miteinander verschränkt, wobei die Wahrnehmung von Differenzen den Ausgangspunkt bildet. Diese Differenzen werden durch Kategorisierung des Selbst und des Anderen überhöht und „verdinglicht"; schließlich wird die ursprüngliche Wahrnehmung nur noch „nachvollzogen", nicht mehr selbst erlebt. Das Hineingeborenwerden in eine bestimmte Gesellschaft, die dortige Sozialisation erschweren Zugehörigkeits- und Identitätswechsel erheblich, machen sie aber nicht unmöglich. Bereits die so „natürlich" erscheinende Verwandtschaft ist ein soziales Konstrukt, das nur ausgewählte, genau definierte Linien der Abstammung verfolgt. 57 Identitäten sind deshalb nicht kulturell „angeboren", sondern in
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Jones 1997, 59-65. Die zum objektivistischen Ansatz tendierende sowjetische (marxistische) ethnographische Literatur erschließt, wenn auch umständlich argumentierend: Bromlej 1977, 11-161; 1987. Κ. E. Müller 2000. Jones 1997, 65-79. Berger/Luckmann 1969. Lévi-Strauss 1981. Daher sind Exo- und Endogamiegebote kulturell bestimmte Grenzen.
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Grenzen flexibel und auswechselbar - wenn dafür auch spezielle rites de passage58 vollzogen werden müssen. Ethnische Identitäten umfassen - ihrem prinzipiellen Anspruch nach - gruppenübergreifend ganze Gesellschaften. Soziale, wirtschaftliche und politische Interessen unterschiedlicher Gruppen innerhalb von Gesellschaften werden auf diese Weise kulturell verbrämt und als Interessen aller bzw. der Gesamtgesellschaft ausgegeben.59 Bei aller relativen Autonomie der sozialen Strukturen und ethnischer Identitäten bedingen beide einander dennoch, hängen soziale Interessen und kulturelle Symbolik mittelbar zusammen. Soziale Strukturen ändern sich im Laufe historischer Entwicklungen, und damit verschieben sich auch die Interessenlagen. Die Veränderung dieser Interessen zieht eine Veränderung auch der Identitätskonzepte nach sich. Auf diese Weise kann es u. U. zu einander überlappenden Grenzen benachbarter Ethnien und sogar zu wechselnden Zuordnungen kommen.60 In den Kontaktbereichen sind wahlweise, d. h. situationsabhängig unterschiedliche Zuordnungen möglich. Ethnische Identitäten sind nicht „wesenhaft" oder gar „vorgegeben", sondern entstehen erst durch historische Prozesse - die wiederum Ethnien zu machtvollen Gruppen werden lassen können. Bei universalen Grundstrukturen sind erhebliche Unterschiede im Detail auszumachen. Je nach Raum, Sozialstruktur, historischer Situation, kultureller Tradition usw. können sich sehr verschiedene Entwicklungen vollziehen. Der zeitliche und räumliche Wandel führt zu verschiedenen Ausprägungen bzw. „Typen" ethnischer Identität.61 Ihre Analyse bedarf deshalb auch eines differenzierten Zugangs, der die jeweiligen historischen Bedingungen berücksichtigt. Noch eine Bemerkung zur Verwendung der Begriffe „ethnische Identität" und „Ethnizität".62 Beide werden häufig und zunehmend synonym verwendet, obwohl damit zumindest anfänglich unterschiedliche Aspekte thematisiert wurden. Von einer begrifflichen Klarheit und damit einer allgemein akzeptierten Begriffsbestimmung ist man in Soziologie und Ethnologie weit entfernt, doch lassen sich gewisse Schwergewichte ausmachen. Mit dem Begriff der ethnischen Identität werden statt größerer geschlossener Gruppen die Individuen in den Mittelpunkt gerückt, wird also die subjektive Innenan-
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Vgl. van Gennep [1909] 1986. Die Identitätskonstrukte können dadurch zu Realitäten mit erheblicher Wirkung werden. Auf die Rolle von „Weltbildern" für soziale Entwicklungen wies schon Max Weber (1920-1921) hin. Zuletzt Kohl 1998. Pohl 1991, 41. Vgl. Typen der Ethnogenese 1990a; Wolfram 1998. Jones 1997, xiii; Heinz 1993, 271; vgl. Bacal 1991; Banks 1996.
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sieht gewählt. Denn die Individuen ordnen sich - unter Rückgriff auf Kultur und Herkunft - selbst diesen (ethnischen) Gruppen zu, indem sie einen Glauben an eine gemeinsame Kultur und an eine gemeinsame Abstammung entwickeln. 63 Mit ethnischer Identität ist also das Selbstverständnis - das Denken und die Wertsysteme der Akteure im Hinblick auf eine Gruppenzuordnung - dieser Gruppen („emischer Aspekt") gemeint. Ethnizität hingegen bezeichnet das Verhalten von Gruppen in bestimmten Situationen - die „ O b jektivierung" ethnischer Zugehörigkeit durch die Bezugnahme auf einzelne soziale und kulturelle Merkmale. Dies ist die Ansicht von außen („etischer Aspekt"). Beide Aspekte sind kaum miteinander in Einklang zu bringen, weil sie zwei verschiedene Blickwinkel darstellen. N o c h eine weitere Nuancierung ist festzustellen. „Ethnische Identität" wird häufig eher für die Selbstsicherheit dominanter Gruppen (Staatsnationen) verwendet, mit „Ethnizität" dagegen das Ringen von („nationalen") Minderheiten um Anerkennung und Gleichberechtigung bezeichnet. 64 Damit werden zwei Ausprägungen desselben Bemühens um Selbstvergewisserung beschrieben, aber deren relativer politischer Erfolg zum Maßstab gemacht. Der Unterschied bleibt unscharf und äußerlich; er besitzt in methodischer Hinsicht wenig Gewicht und Uberzeugungskraft. Auch der auf Reinhard Wenskus zurückgehende Begriff des „Gentiiismus" zur Bezeichnung von Besonderheiten völkerwanderungszeitlicher, „gentiler" Identitätsbildung und Ethnogenese blieb notgedrungen vage. Die Besonderheiten resultierten aus den historischen Rahmenbedingungen und Verhältnissen, nicht aus spezifisch „germanischen" bzw. „gentilen" Charakteristika oder gar einem Gegensatz zwischen „imperialer Idee" und „gentilem Gedanken". 6 5 Nicht alle sozialen Gruppen einer Gesellschaft haben, wie bereits erwähnt, gleichen Anteil an der Identitätskonstruktion. Soziale Eliten fungieren häufig als „Identitätskerne", indem die von ihnen getragenen Traditionen und damit das „kulturelle Gedächtnis" zentrale Bedeutung für die Identität der Gruppe gewinnen. Deshalb sind ethnische Identitäten sowohl räumlich als auch sozial diffus. Für die hier interessierenden historischen Zeiträume sind allein Äußerungen und Vorstellungswelt von „Eliten" an „zentralen Orten" überliefert. 66
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So schon Weber 1956, 237. M. Schuster 1996, 216 f., 219. „Ethnische Identität" und „Ethnizität" verhalten sich dann wie „Nation" und „Nationalität" zueinander. Pohl 1998e. Le Goff 1992, 102.
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Die Rolle ethnischer Identitäten im Alltag der meisten Menschen ist daher gar nicht abzuschätzen. Ethnologische Untersuchungen weisen ebenfalls darauf hin, daß Eliten Träger des ethnischen Bewußtseins sind (in komplexeren Gesellschaften oft in Form spezieller Ämter und Einrichtungen) und für die Lebenswirklichkeit vor allem soziale Identitäten die wichtigste Rolle spielen.67 Hinzu kommt eine Art „Allianz zwischen Herrschaft und Gedächtnis",68 denn ethnische Identität begründet die politische Herrschaft der dominierenden Elite. Herrschaft legitimiert sich durch Herkunft und bedarf daher eines möglichst weit zurückreichenden kulturellen Gedächtnisses.69 In komplexen Gesellschaften und „Hochkulturen" verewigt sich Herrschaft durch Denkmäler und sichert damit auch die Erinnerung in der Zukunft. Des weiteren können sich die Herrschenden auch veranlaßt sehen, statt der Erinnerung das Vergessen zu fördern, um damit die Unabänderlichkeit ihrer Herrschaft bekräftigen zu können - nämlich dann, wenn andere Teile der Gesellschaft nach sozialer Veränderung streben.70 Damit ist das kollektive, „kulturelle Gedächtnis" von Gesellschaften angesprochen (Abb. 17). Mit dessen Hilfe, d. h. unter Rückgriff auf Traditionen, versichern sich Gesellschaften des eigenen Standorts in der Vergangenheit, um Unsicherheiten zu begegnen bzw. mögliche Bedrohungen in der unmittelbar bevorstehenden Zukunft zu bestehen.71 „In der Erinnerung an ihre Geschichte und in der Vergegenwärtigung der fundierenden Erinnerungsfiguren vergewissert sich eine Gruppe ihrer Identität." 72 Die tatsächliche Bewahrung und unveränderte Fortschreibung entsprechender (kultureller und historischer) Traditionen ist der Ausnahmefall dessen, wie eine Gesellschaft mit der eigenen Vergangenheit umgeht. Das Vergessen der meisten Ereignisse und Entwicklungen stellt demgegenüber die Regel dar - auch wenn die Zeitgenossen dies meist anders sehen. Es bedarf einer tragfähigen Auswahl symbolträchtiger Erinnerungen und einer steten, ritualisierten Bekräftigung dieser Erinnerungen, um dieses Gedächtnis und damit die Gesellschaft selbst (in ihrer je-
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Vgl. Κ. E. Müller 1987, passim. J. Assmann 1997, 70; Le Goff 1992, 135 f. Denn Priorität begründet Seniorität, und aus dieser wiederum erwächst Autorität; vgl. Graf 2001.
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Herrschaft ist daher prinzipiell an der „kalten" Option der Erinnerung interessiert, die den Wandel einfriert und das immer Wiederkehrende betont, während die „heiße" Option Umbruch und Veränderung in den Mittelpunkt stellt; vgl. J. Assmann 1997, 68-70. Deshalb gibt es auch keine Gesellschaften „ohne Geschichte"; vgl. Schott 1968. J. Assmann 1997, 53. Der französische Begriff des „mémoire" erfaßt in treffenderer Weise jene Bedeutung, die im Deutschen auf „Gedächtnis" und „Erinnerung" aufgeteilt ist.
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Identitäten
kollektive Identität
Í
Speicherung in poetischer Form Abrufung in ritueller Inszenierung Mitteilung in kollektiver Parizipation
Abb. 17. Identitätssicherndes Wissen einer Gesellschaft. Kollektive, ethnische Identität speist sich aus dem identitätssichernden Wissen. Dessen Hauptbestandteile sind das kommunikative Gedächtnis, das im Alltag dominiert, und das kulturelle Gedächtnis, das in ritueller Kommunikation aufgerufen wird. Diese beiden Formen des kollektiven Gedächtnisses berufen sich einerseits auf Weisheiten und andererseits auf Mythen (zusammengestellt nach J. Assmann 1997, 141-143)
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weiligen Struktur) am Leben zu erhalten. Diese „Erinnerungskultur" stellt eine soziale Verpflichtung dar und vermittelt - unter Bezug auf die Vergangenheit - soziale Sinn- und Zeithorizonte.73 Mit anderen Worten: Gesellschaften brauchen die Erinnerung an ihre Vergangenheit zur Selbstdefinition und zur -Stabilisierung. Ohne Erinnerung fehlte ihnen der Zusammenhalt, die Identität. Das „kulturelle Gedächtnis" blendet Veränderungen (fast) vollständig aus; es postuliert eine geradezu ewige Kontinuität seit den Tagen der Schöpfung.74 Dadurch werden feste Sinn- und Zeithorizonte in den Veränderungen und den daraus resultierenden Unsicherheiten der Gegenwart vermittelt.75 Dynamik und Flexibilität von Vorstellungen und Abgrenzungen können damit unter bestimmten historischen Umständen gewissermaßen „eingefroren" werden, d. h. erstarren und unveränderlich erscheinen. Den Alltag prägen durch Weisheiten begründete Normen - das „kommunikative Gedächtnis". Es umfaßt die zeitgenössischen Erinnerungen und reicht meist drei bis vier Generationen oder 80 bis 100 Jahre zurück (es betrifft also die „Zeitgeschichte"). Hier rangiert das „kulturelle Gedächtnis" im Hintergrund. Es wird jedoch durch Reflexivwerden gesteigert und gewinnt auf diese Weise festere Konturen.76 Zwischen dem „kommunikativen Gedächtnis" einer Gruppe und dem „kulturellen Gedächtnis" mit seinen Herkunftsmythen (d. h. die Beschreibung der Entstehung der Welt) klafft eine Lücke, ein „floating gap". Fließend deshalb, weil sich das kommunikative Gedächtnis von Generation zu Generation verschiebt - neue „Erinnerungen" treten hinzu, die ältesten geraten in Vergessenheit, wenn die Generation stirbt, die sie noch erlebte und erinnerte. Das kulturelle Gedächtnis bleibt davon weitgehend unberührt, wenn nicht die eine oder andere Erinnerung zum Mythos verarbeitet und damit auch weiterhin tradiert wird. Im Bewußtsein der Gruppe handelt es sich nicht um eine „Lücke" zwischen beiden Formen der kollektiven Erinnerung. Beide Vergangenheiten scheinen vielmehr unmittelbar aneinanderzustoßen oder ineinander überzugehen.77 Damit bewahrt das kulturelle Gedächtnis nicht historische Fakten und Zusammenhänge im modernen Verständnis, sondern ein
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J. Assmann 1997, 30 f.; zu griechischen Gründungssagen Prinz 1979. Histor(iograph)ie betont dagegen den kontinuierlichen Wandel und damit die Veränderlichkeit. Aus der Einsicht in die raschen sozialen Veränderungen entstand in den Jahrzehnten um 1800 die Geschichtsschreibung als Wissenschaft: Jaeger/Rüsen 1992, 21-112; Iggers 1997, 43119. J. Assmann 1997, 42. J. Assmann 1997, 134. J. Assmann 1997, 49 f.; Le Goff 1992, 108 f.
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konstruiertes mythologisches Weltbild, das der Gruppenidentität zugrunde liegt.78 Lockerer gefügte, aber dennoch bewußt selektierte Traditionen und ein sakralisierter, abgeschlossener Kanon hochverbindlicher Werke und Werte bilden die beiden Hauptbestandteile des „kulturellen Gedächtnisses", 79 gewissermaßen Kern und Peripherie. Aus anderer Perspektive können drei wesentliche Interessenbereiche beschrieben werden, die die kollektive Erinnerung prägen: Schöpfungsmythen, Familien- und Herrscher-Genealogien sowie magisch-religiös durchdrungenes, techn(olog)isches Wissen. 80 Dieses „Gedächtnis" wird durch die Kommunikation und Interaktion der Gruppenmitglieder innerhalb eines sozialen und historischen Bezugsrahmens geformt und erweist sich damit als gruppen- bzw. kulturspezifisch. 81 Die normativen Weisheiten des kommunikativen Gedächtnisses erscheinen weniger kennzeichnend bzw. „typisch", da sie vor allem allgemeine Verhaltensnormen umfassen und damit einen universaleren Charakter besitzen. „Kommunikatives" und „kulturelles Gedächtnis" umfassen zusammen das identitätssichernde Wissen einer Gesellschaft, die sich durch dessen stetig wiederholte, „rituelle" Bekräftigung ihrer kollektiven Identität versichert. Richtet man schließlich den Blick von ethnischen Gruppen auf staatlich verfaßte Gesellschaften, so fallen deutliche Ubereinstimmungen auf. Trotz der sehr unterschiedlichen Komplexität und Hierarchie dieser Gesellschaften scheinen die Identitätskonstruktionen selbst moderner Nationalstaaten nicht grundsätzlich verschieden zu sein.82 Ebenso wie „Ethnien" als Realität erst aus der Vorstellung der Gemeinsamkeit entstehen und politische Relevanz gewinnen, bringt der Nationalismus erst die Nation hervor und nicht umgekehrt: „Was also die Nationen zu Nationen macht [...], das ist nicht die Gemeinsamkeit irgendeines Merkmals, die Gleichheit der Sprache, der Abstammung, des Charakters, der Kultur [...], sondern umgekehrt: ein System von Vorstellungen, Wertungen und Normen, ein Welt- und Gesellschaftsbild, und das bedeutet: eine Ideologie, die eine durch irgendeines der erwähnten Merkmale gekennzeichnete Großgruppe ihrer Zusammengehörigkeit bewußt macht [...], mit anderen Worten: diese Großgruppe integriert und gegen ihre
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Mit Gehrke 1994, 247, läßt sich von „intentionaler Geschichte" sprechen. J. Assmann 1997, 120. Le Goff 1992, 91. J. Assmann 1997, 36. Vgl. Wodak u. a. 1998, 19-103; Eriksen 1993; Smith 1986; 1998.
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Umwelt abgrenzt."83 Dieses Bewußtsein der Zusammengehörigkeit ist nicht von Dauer, wenn es nicht ständig aufs neue bestätigt und geübt wird; es bedarf der steten „ritualisierten" Bekräftigung. Im Vergleich mit ethnischen Gruppen stellen staatliche Gesellschaften erheblich offenere Systeme mit vergleichsweise höherem Konfliktpotential dar, die eine Vielzahl alltäglicher Interessenskonflikte ausgleichen müssen; daraus erwächst ihnen zugleich eine größere Innovationsfähigkeit.84 Die Unterschiede zwischen ethnischer und nationaler Identität liegen in ihrer räumlichen Reichweite, in ihrem Geltungsanspruch und in den ihnen jeweils zur Verfügung stehenden Machtmitteln. Je größer die Reichweite der Identität, desto abstrakter fallen die herangezogenen Homogenitätskriterien aus. Nationalismus und Chauvinismus können deshalb nicht mit dem Verweis auf anthropologische Konstanten gerechtfertigt werden.85
7. Barbaren in der antiken Ethnographie: Kelten, Germanen und Slawen Die frühgeschichtliche Archäologie gelangt zunächst aufgrund ihrer eigenen Quellen, der archäologischen Funde und Befunde, zu historischen Erkenntnissen. Zur historischen Einordnung stehen darüber hinaus Schriftquellen zur Verfügung. Dabei handelt es sich - entsprechend der zeitlichen Erstreckung der Frühgeschichte im mittleren Europa etwa von der Eisenzeit bis zum Mittelalter - einerseits um antike und andererseits um frühmittelalterliche Berichte und Darstellungen (sowie Inschriften). „Glaubwürdigkeit" und „Zuverlässigkeit" dieser Schriftquellen wurden in den letzten 200 Jahren immer wieder untersucht, um historische „Tatsachen" herauszuschälen. Soviel scheint dennoch klar: Bei aller Berücksichtigung von Informationen aus erster Hand, die einheimische Gewährsleute den Griechen und Römern lieferten, waren die daraus entstandenen antiken Darstellungen der barbarischen Welt stets Beschreibungen von außen. Ihnen lagen „literarische Schemata und Klischees
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Lemberg 1964, 52 f. K. E. Müller 1987, 379 f. Teilidentitäten verstärken sich in kleineren Bereichen (z. B. Zünfte, Sekten, Ordensgemeinschaften, Adel, Minderheiten). Die in bestimmten Situationen mögliche Deckungsgleichheit verschiedener Teilidentitäten vermag Teilgruppen zu einem stabileren Identitätsbewußtsein zu verhelfen. Anderson 1991; 1996; Gellner 1999; Hobsbawm 1996; A. D. Smith 1986; 1998; Wehler 2001; Wodak u. a. 1998, 19-103; Popper 1992; Das Bild „des Anderen" 2000.
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Identitäten
sowie die zeitgebundenen Vorstellungen" ihrer antiken Autoren zugrunde.86 Die Frage nach der „Authentizität" antiker ethnographischer Quellen, ihrer „Zuverlässigkeit" im Detail wird dadurch problematisch. Denn vieles in diesen Quellen Erwähnte und seine Anordnung basieren auf Vorstellungen und Vorurteilen der Griechen und Römer über die Welt der Barbaren - insofern verraten die Barbarenschilderungen einiges über das Selbstverständnis und das Selbstbild der Griechen und Römer.87 Was aber verraten die Quellen über (ethnische) Identitäten bei den Barbaren? Der Begriff des Barbaren entstand gewissermaßen zwischen Homer und Herodot, d. h. zwischen dem 8. und 5. Jahrhundert v. Chr.88 Homer kannte noch nicht die Barbaren, weil er auch die Griechen (Hellenen) noch nicht unter einem Namen zusammenfaßte.89 Bei Herodot findet sich der „klassische" Gegensatz zwischen héllenès und bdrbaroi, der eine gesamtgriechische (-hellenische) Identität über einzelne poleis und Landschaften hinweg voraussetzt; nur dann konnte man die Barbaren als ein Gegenüber betrachten.90 Für diese Entwicklung dürften die Perserkriege entscheidend gewesen sein.91 Allen Barbaren war nicht mehr gemeinsam, als daß sie keine Griechen waren.92 Der Barbarenbegriff war zunächst sprachlich gemeint, wie das Adjektiv barbaróphonos93 zeigt. Primär stellte sich der Gegensatz aber als ein kultureller dar - den Barbaren fehlte die (griechische) Zivilisation.94 Aus dem „ethnischen" Gegensatz wurde so ein politischer, der Herrschaft(sansprüche) begründete - „denn der Gegensatz zu den Barbaren ist nur eine andere Form,
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Lund 1990, 33. Vgl. Hall 1989; Long 1986; Dahlheim 1999, 130-153; Ancient perceptions 2001. Auch die moderne wissenschaftliche Antiken-Rezeption ist nicht frei von zeitgebundenen Vorstellungen und Interessen; vgl. etwa Schlesier 1994; Ulf 1996. Timpe 1996, 36; Schmal 1995; Trüdinger 1918; vgl. Ulf 1996 zur Konstruktion der HellenenGenealogie. Dies sah schon Thukydides, Historiae 1,3,1-3. Stattdessen erwähnte Homer Achaier, Argiver und Danaer; Finley 1992,14; vgl. Bichler/Sieberer 1996,128-148. Es „genügten" Heldengenealogien und Wanderungsgeschichten (neben den mythischen Migrationserzählungen auch die als nostoi bezeichneten Heimkehrerepen) zur Selbstvergewisserung; Malkin 1998, 134-136. Hartog 1980; engl. 1988; Nippel 1990a; 2002; Bichler 2000, 15-109; 213-383. Bichler 1988,119; vgl. Hutzfeld 1999. - Ägypten entwickelte demgegenüber bis zur Perserzeit, d. h. während 2500 Jahren, keine ethnische Identität. Entscheidend blieben „die face-to-faceGemeinschaft von Familie, Dorf und Stadt und der Rahmen von Verwandtschaft, Bekanntheit, Vertrautheit. Außerhalb dieses Rahmens beginnt [...] die Fremde"; J. Assmann 1988, 97. Vgl. Dihle 1994; Greeks and Barbarians 1997. Ζ. Β. Homer, Ilias 11,867 (Karer); Herodot, Historiae 11,57. Nicht viel anders nimmt sich die im 19. Jahrhundert in der deutschen Ethnologie vorgenommene Unterscheidung zwischen „Natur-" und „Kulturvölkern" aus; vgl. Vierkandt 1896.
Barbaren in der antiken Ethnographie
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den Stadtstaat zu feiern". 95 Deskriptive Grundlagen und Grundlinien der ethnographischen Betrachtung finden sich bereits bei Herodot. Im Anschluß an Aristoteles gelangte man zu umfassenderen Betrachtungen, die schließlich bei Poseidonios in eine breite ethnologische Typenschau mündeten. 96 Den Römern bereitete der komplementäre Barbarenbegriff der Griechen intellektuelle Schwierigkeiten, weil sie selbst als Nichtgriechen zu den Barbaren zu zählen schienen.97 Die Lösung lag schließlich in der Erweiterung auf drei Gruppen: Griechen, Römer und Barbaren. 98 Auch die Gegensätzlichkeit verlor bei den Römern an Schärfe. („Wilde") Barbaren konnten, insbesondere durch die ständige Expansion des Imperiums, durch Unterwerfung zivilisiert („gezähmt" und „befriedet") werden. Diese zeitliche Perspektive sah die Bewohner des Nordens noch als Barbaren, die in der Zukunft über diesen Status hinausgelangen konnten. Die römische Ethnographie rezipierte die griechischen Voraussetzungen und blieb, was literarische und wissenschaftliche Neuerungen betrifft, weithin unbedeutend. 99 Von Tacitus abgesehen, sind vor allem strukturlose Kompilationen älteren Wissens überliefert. Barbaren waren im antiken Verständnis ein Phänomen der Peripherie; sie siedelten, da man sich selbst im Zentrum der Welt sah, an deren Rand. Auch als „Barbaren" oder „Semibarbaren" apostrophierte Gruppen innerhalb des Imperiums blieben Außenseiter am Rande der Gesellschaft. 100 Je weiter entfernt von der mediterranen Zivilisation einzelne Barbarengruppen lebten, je peripherer angesiedelt man sie sich vorstellte, desto barbarischer waren sie. Für die antike Ethnographie 101 können drei wesentliche Kennzeichen herausgestellt werden, die auch bis in die Moderne hinein gültig blieben: Sie registrierte 1. das aus der eigenen Perspektive Ungewöhnliche und Erstaunliche am Rande der Mediterranée, interessierte sich 2. für die „Lebensordnung" (ethnos)102, d. h. die sozialen, politischen und militärischen Verhältnisse bei den Barbaren, und bemühte sich 3. um eine Gesamtordnung, eine Systemati-
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Le Goff 1992, 182. Timpe 1986, 25-30. Vgl. Dobesch 1995; Basiez 1984. Reflektiert bei Cato, Praecepta ad filium fr. 1 (bei Plinius, Historia naturalis XXIX, 14); Cicero, De re publica 1,58; Livius, Ab urbe condita XXXI,29,15. Cicero, De finibus bonorum et malorum 11,49, mit der zugleich geographischen Dreiteilung in Graecia, Italia, Barbaria. Vgl. Dauge 1981, bes. 379-676; Baisdon 1979; Ferris 2000. Aus archäologischer Sicht: Cunliffe 1988; Erdrich 2001. Zur Literatur vgl. Jantz 1995. Lund 1990, 6-19. - Der Vorwurf an einen Römer, eigentlich ein Barbar zu sein, zeigt, daß aus dem kulturellen Barbarenbegriff auch rasch ein ethisch aufgeladener werden konnte. Zusammenfassend K. E. Müller 1972-1980; gekürzte Fassung 1997. Ethnos bezog sich im Verständnis der Hellenen ausschließlich auf die nichtgriechische Welt.
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sierung der Welt, in der jeder seinen Platz finden konnte.103 Grundsätzlich wurden die Barbaren einseitig moralisch-kulturell bewertet.104 Isokrates betrachtete den Begriff Hellenen daher eher als kulturelle denn als ethnische Unterscheidung.105 Ungeachtet dieser grundsätzlichen Einschätzung finden sich dennoch geradezu kulturrelativistische Einsichten - so, wenn Herodot bekräftigt, jedes Volk würde seine Sitten (nomoi) für die besten und allen anderen überlegen ansehen.106 Zunehmende Kenntnisse über einzelne Barbarengruppen führten eher zur Bestätigung und weiteren Ausformung als zur Revision des grundsätzlichen Barbaren¿»i/í/cí.107 Und dennoch gewannen Griechen und Römer keine konkrete Vorstellung vom „alltäglichen" Leben der Barbaren, denn sie erlebten diese hauptsächlich in konfrontativen und damit militärisch geprägten Situationen, gewissermaßen nur unter Streß.108 Die Beobachtungen erfolgten außerdem in einer Zeit, in der die Welt der Barbaren tiefgreifende Veränderungen durch die Konfrontation erlebte. An der Peripherie der „zivilisierten" Mittelmeerwelt entstanden nun erst die bekannten „Stämme", denn eine „Tribalisierung" war Voraussetzung dafür, daß die Römer zur Verfolgung ihrer Interessen einzelne Ansprech- und Verhandlungspartner vorfanden und nicht einer unorganisierten, flexiblen und flüchtigen Masse gegenüberstanden, die solche politischen Spitzen nicht benötigte.109 Die Existenz von „Stämmen" scheint daher ein Charakteristikum der Peripherie staatlich verfaßter „Hochkulturen" zu sein. 1. „Fremde" Kulturen ließen sich für den antiken Beobachter nicht einfach aus sich heraus verstehen.110 Erst der Vergleich mit dem eigenen kulturellen und
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Tirape 1986, 23-25. Timpe 1996, 36. Isokrates, Panegyricus 50. Herodot, Historiae 111,38,1-3, mit der Schilderung einer Begebenheit am Perserhof, als Dareios Griechen und Inder nach dem Umgang mit ihren Toten befragte - erstere verbrannten sie, letztere aßen sie auf, und beide hielten die Sitte der anderen für einen furchtbaren Frevel. Die Realität der Beziehungen blieb davon unberührt. Bäbler 1998, 201, zeigt, daß die Grabstelen nichtgriechischer Fremder in Athen „von einem hohen Mass an Assimilation an athenische bürgerliche Gepflogenheiten und dem Versuch [zeugen], die gültigen Standards der klassischen Polis zu übernehmen". Wells 1999, 100. Wells 1999, 116 f. - Wenskus 1961, 285, setzte „Stämme" bereits seit der Bronzezeit voraus. Dies gilt in vergleichbarer Weise für die Wissenschaften der Neuzeit. Erst (post)moderne kulturrelativistische und hermeneutische Ansätze bemühen sich um ein Verständnis aus der Innensicht, wobei methodische Probleme offensichtlich werden. Vgl. Renner 1980; Cognitive anthropology 1987; Geertz 1987. - Verständnis einer fremden Kultur setzt immer „Übersetzung" (in die eigenen Maßstäbe und Kategorien) voraus.
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sozialen Bezugsrahmen ermöglicht verläßliche Einordnungen; anderenfalls bleibt es bei unverstandenen und unverständlichen Faktensammlungen. Darüber hinaus erzwingen die Erwartungen und Vorstellungen des „Publikums", daß das „Fremde" am Bekannten gemessen wird - daß also ein ethnozentrischer Blickwinkel gewählt wird. Diese eigene kulturelle Perspektive färbt die Darstellung häufig unbemerkt und ungewollt. Für den religiösen Bereich hat sich die Bezeichnung Interpretatio Graeca bzw. Romana eingebürgert, die sich auf die gesamte Darstellung ausweiten läßt. Mit dem modernen Vorwurf, antike Autoren hätten die Realität (bewußt) verfälscht, wird an den zeitgenössischen Möglichkeiten und Absichten vorbei argumentiert. Denn griechische und römische Ethnographen bemühten sich durchaus um eine in ihren Augen „objektive" Völkerbeschreibung und Erklärung - allerdings aus der Fremdwahrnehmung. Diese Fremdwahrnehmung verallgemeinert die als typisch erscheinenden Besonderheiten einer fremden Gruppe. Darstellen ließ sich das, was mit der eigenen Kultur durch Vergleich in Beziehung gesetzt werden konnte. Dies bestimmte Stoffauswahl und Aufbau des Werkes.111 Ein wichtiger Aspekt ist die häufig kontrastive Beschreibung der Barbaren. Sie stellen die (kulturlose) Gegenwelt zur antiken Welt (Zivilisation) dar. Deshalb werden entsprechende Hinweise und Kennzeichen aufgeführt und das Ungewöhnliche berichtet. Über die ägyptische Zivilisation und deren geradezu komplementäre Unterschiede zur griechischen schrieb Herodot u. a.: „So gehen in Ägypten die Frauen auf den Markt und treiben Handel, wogegen die Männer zu Hause sitzen und weben. [...] Die Männer tragen die Lasten auf dem Kopf, die Frauen auf den Schultern. Die Frauen lassen ihr Wasser im Stehen, die Männer im Sitzen."112 Tacitus zufolge unterschieden sich die naturwüchsigen Germanen überdeutlich von den verweichlichten Römern: die jungen Frauen „haben dieselbe Jugendkraft wie die jungen Männer und den entsprechenden hohen Wuchs: Ebenbürtig an Stärke vereinigen sie sich, und die Kraft der Eltern spiegelt sich in den Kindern wider."113 Die Kontrastierungen dienten der empirischen Bestätigung jener Auffassung, Griechen bzw. Römer unterschieden sich grundlegend von den Barbaren. Diese Andersartigkeit konnte durch die Auflistung von mirabilia, thau-
111 112
113
Vgl. Günnewig 1998. Herodot, Historiae 11,35,2-3. Dazu Bichler 2000, 155: „Herodots Schilderung der ägyptischen Bräuche gehorcht der ethnographischen Regel, zunächst das Fremde im Kontrast zum Vertrauten zu betonen. Erst beim näheren Hinsehen zeigt sich, wie viele Elemente der eigenen Tradition sich in dieser fremden Welt spiegeln." Tacitus, Germania 20,2: necvirgines festinantur: eadem inventa, similis proceritas: pares validaeque miscentur, ac robora parentum liberi referunt.
122
Identitäten
másia,parádoxa, von Absonderlichkeiten der Barbaren (Fußschattner [Skiapoden], pferdefüßige Hippopoden, schlappohrige Panuatier, kopflose Blemmyer114), ihrer Gesellschaft (Gynaikokratie und Matriarchat115, barbarische libertas gegenüber dem Imperium) und ihrer Umwelt (in Indien schien die Sonne morgens am wärmsten116) bekräftigt werden.117 Griechen und Römer lebten in Städten {poleis, urbes), Barbaren erschienen tendenziell als unstete, primitive Nomaden;118 erstere wurden auf ihre jeweilige civitas bezogen, letztere nach gentes geordnet. Barbaren waren (halb-)nackt oder in Felle „gekleidet" und ungepflegt, nicht in feinere Gewänder gehüllt; bei ihnen herrschten Anarchie und Chaos (oder Tyrannei), nicht (demokratische) staatliche Ordnung und Rechtsprechung. Je weiter weg die Barbaren lebten, desto verschiedener und seltsamer waren sie - nicht zufällig finden sich (idealisierte) Fabelwesen wie Hyperboräer und Menschenfresser, Troglodyten und Amazonen am Rande der Welt, an ihrer äußersten Peripherie.119 Das „Hörensagen" von Kannibalen hielt sich dennoch bis in das 20. Jahrhundert als ernstzunehmende Vorstellung.120 Wildheit und Rohheit fanden sich vor allem in der „Zwischenzone" oder Randvölkerwelt zwischen Fabelwelt und eigener Gesellschaft (Abb. 18). 121 Neben der Selbstwahrnehmung bestimmten auch zeitgenössische (politische) Absichten Gegenstand und Art der Darstellung.122 Deshalb hingen bei römischen Autoren wie z. B. Varrò Tendenz und Thematik der Schilderungen eng zusammen.123 Ethnographische Darstellungen lieferten Informationen für eine erfolgreiche „Kolonialpolitik", rechtfertigten militärische Erfolge und stellten sie gleichzeitig zur Schau124, präsentierten das kulturelle Sendungsbe-
Plinius, Historia naturalis IV,27; V,8; VII,2, u. ö. Auf Plinius' Beschreibung bezugnehmend noch Isidor von Sevilla, Etymologiae sive origines XI,3,12-39; Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum IV,14; IV,17; IV,19; IV,25; Abbildungen bei Münster 1544; vgl. Friedman 1981, 131-162. 1 1 5 Strabon, Geographica IV,4,3. Vgl. Wesel 1980; Thollard 1987. 1 1 6 Herodot, Historiae 111,104,2. 1 1 7 Vgl. Vignolo Munson 2001. 1 1 8 Vgl. Lovejoy/Boas 1965;Timpe 1997. 1 1 9 Beobachtung bei Plutarch, Theseus 1. Schon Herodot, Historiae IV,32-36, zweifelte an der Existenz dieser Fabelwesen und hielt z. B. die Hyperboräer für ein Produkt dichterischer Phantasie. 120 Peter-Röcher 1998. 121 Bichler 2000, 43. 1 2 2 Es sei nur angemerkt, daß Erkenntnis stets interessegebunden ist; vgl. Habermas 1968. 1 2 3 K. E. Müller 1997, 351. 1 2 4 Th. Schmidt 1999, 144-146, mit einer Auflistung literarischer Angaben über die angebliche Stärke barbarischer Heere und über die Zahl der angeblich getöteten Gegner. 114
123
Barbaren in der antiken Ethnographie
Hyperboräer
Kelten
Skythen Thraker Tyrrtiener
Iberer
Griechen Meder
Ägypter
Äthiopier
Pygmäen,
Inder
Fußschattner
Abb. 18. Rekonstruktion der Erdkarte Hekataios' von Milet. Die Lokalisierung der Kelten ist nach Herodot interpoliert, so daß hier die Vorstellungen des 5. Jahrhunderts v. Chr. dargestellt sind. Die Griechen sahen den Mittelmeerraum und damit sich selbst im Zentrum der Welt, schematisch umgeben von Barbaren in allen vier Himmelsrichtungen - Kelten im Nordwesten, Skythen im Nordosten, Äthiopier im Südwesten und Inder im Südosten. Die direkten Nachbarn waren den Griechen genauer bekannt. Jenseits der Barbaren wurden Fabelvölker wie Hyperboräer, Fußschattner oder Amazonen vermutet, deren Existenz mitunter durchaus bezweifelt wurde. Oben: kartographische Darstellung; unten: schematische Vereinfachung (nach K. E. Müller 1997, 93 Abb. 8)
124
Identitäten
wußtsein gegenüber der Peripherie des Imperiums und besonders gegenüber den kulturlosen Barbaren. Und Tacitus hielt mit der Germania bekanntermaßen „seinen" Römern den Spiegel vor (wenn dies auch gewiß nicht die einzige „Absicht" der Darstellung war) - zivilisatorischer Fortschritt und moralische Dekadenz schienen miteinander verknüpfte, parallele Prozesse. 125 Auf jeden Fall thematisierte der ethnographische Diskurs Alternativen (und Gegenwelten) zur eigenen sozialen Ordnung. 126 Für die Römer war die Welt der (nördlichen) Barbaren nicht nur eine Gegenwelt, sondern zugleich eine ständige Bedrohung und ein Raum zur Expansion. 127 Denn Barbaren konnten (gewaltsam) zivilisiert werden, wenn sie zu Reichsangehörigen wurden. Interessanterweise klafften BarbarenVorstellungen und politische Wirklichkeit beträchtlich auseinander.128 Während man sich im intellektuellen Barbarendiskurs althergebrachter literarischer Schemata und Topoi bediente129, handelten Politik und Militär mit Erfolg pragmatisch. 130 Dahinter standen unterschiedliche Aspekte, die Roms Verhältnis zu den Barbaren bestimmten. Diese waren nicht nur Objekt der Ethnographie (unzivilisiert, Klimatypen) und der Zivilisationskritik (fremde und kuriose Gegenwelt), sondern auch der Politik (pragmatischer Umgang, Expansion) und der Geographie (Kulturgefälle, Assimilationsfähigkeit). So hatte „dieses intellektuelle Spiel mit Traditionen und Symbolen [...] mit der Realität der barbarischen Außenwelt nur begrenzt etwas zu tun und beurteilte sie deshalb auch in wichtigen Beziehungen unrichtig". 131 2. Warum waren die Barbaren so gänzlich anders als die zivilisierte Mittelmeerwelt? Aus antiker Sicht konnten zwei Hauptgründe angeführt werden: einerseits die „Sitten" in den jeweiligen Gesellschaften (d. h. „Kultur" und Geschichte), andererseits die jeweilige geographische Umwelt (d. h. die „Natur"). 132 Beides prägte die verschiedenen barbarischen Völker, wenn auch im einzelnen in recht unterschiedlicher Weise. Sie hatten in der Nachbarschaft
125 126 127
Schon Hesiod, Werke und Tage 109-173, beklagte den schädlichen Einfluß der Zivilisation. Zur späteren Rezeption vgl. Nippel 1990b. Vgl. Dauge 1981, 677-804. Timpe 1996, 48. In der Spätantike wurden die Reichsfeinde als „Barbaren" charakterisiert,
nicht etwa coloni, laeti, foederati oder dedictici; Rugullis 1992, 49. - Vgl. Ladner 1976.
128 129 130 131 132
Timpe 1986, 32. Vgl. Long 1986; Th. Schmidt 1999 zu Plutarch. Vgl. Trzaska-Richter 1991; Burns 1994. Timpe 1996, 39-49 (Zitat 49); vgl. für den Osten: Sonnabend 1986. Lund 1990, 35-55.
Barbaren in der antiken Ethnographie
125
des Mittelmeers von der Zivilisation bereits in nicht unbeträchtlichem Maße profitiert, während sie mit zunehmender Entfernung immer wilder und unzivilisierter, d. h. barbarischer waren. Deshalb ließ sich Gallien dem Imperium eingliedern, wahrend das jenseits des Rheins gelegene Germanien barbarisch blieb (Abb. 19). Von Natur aus waren Barbaren - so die geläufigen Topoi133 - groß und kräftig, (rot-)blond und hellhäutig, blauäugig und mit rauher Stimme, wild und widerstandsfähig, primitiv und ungebunden, mutig und aggressiv, sittenlos und ohne (ausreichenden) Verstand, kindisch. Eine entscheidende Ursache dafür war das Klima. Während das mediterrane Klima - aufgrund seiner Mittellage und harmonischen Ausgewogenheit - zivilisatorische Leistungen ermöglichte und förderte, machten die nördliche Kälte und der starke jahreszeitliche Wechsel die dortigen Barbaren aggressiv und kriegerisch134; sie fügten sich keiner Zivilisation und keinem Staat. Asiaten (Perser) waren infolge der klimatischen Ausgeglichenheit zwar mit „Denkvermögen" und „Kunstfertigkeit" begabt, aber gleichzeitig feige und unterwürfig, so daß sie in Despotien lebten.135 Daraus erklärten sich die soziale Organisation und die Lebensweise der Menschen. Klima-Theorien steckten bereits im Vorhinein den Erwartungshorizont ab. Einen großen Einfluß auf die „Natur" der Barbaren hatten des weiteren die vier Elemente Wasser (kalt), Erde (feucht), Luft (trocken) und Feuer (warm).136 Von der jeweiligen Mischung der Elemente hing der Habitus verschiedener Bevölkerungen ab, wie Aristoteles und Seneca meinten. 137 Klimatische (äußere) Kälte entspricht innerer Wärme und umgekehrt, so daß Menschen in kalten Gegenden tapfer und in warmen Regionen feige sind - denn bei Wärme entweicht die Körperwärme wegen des lockeren Fleisches, bei Kälte zieht sich der Körper dagegen zusammen. Von der unterschiedlichen Kombination der Elemente werden auch Landschaft und Geographie bestimmt, mithin Fruchtbarkeit bei Äckern und Vieh sowie die Lebenswelt (Moore und Gebirge). Auch das Blut, d. h. seine Menge, spielt eine Rolle. Kälte hat eine große Blutmenge zur Folge, was die Aggressivität steigert und
133
134 135 136 137
Auf die Problematik des Begriffs „Topos" und seinen inflationären Gebrauch sei hier nicht weiter eingegangen. Norden 1920 benutzte stattdessen den Begriff „völkerkundliche Wandermotive". Vgl. Pohl 1994a. Vgl. Aristoteles, Politeia VII,7,1327 f.; Vitruv, De architecture VI,1,3-11 (nach Poseidonios). Schöner 1964. Aristoteles, Politeia I,8,1256a-b; VII,7,1327b; De partibus animalium II,2,648b; Seneca, De ira 11,19,1-2. Vgl. Dauge 1981, Schema nach 202.
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150
ungefähre Zahl der Krieger
Datierung
>150
3.-2. Jh. v.Chr.
>24
3.-2. Jh. v. Chr.
(mehrere hundert)
2.-4. Jh.
>500
2.-4. Jh.
60/60
>200/200
200
>675
9
>200
2.-Anfang 5. Jh.
>44
1000 -1500
>48
11
>4
500-800
2.-5. Jh.
10
450?
Mitte 3. Jh.
>100?
Mitte 3. Jh.
400?
3. Jh.
Illerup Adal Λ
776
lUerupAdalB
7
240
Illerup Adal A/B
146
212
387
>100
552
>75
5
14
10
Illerup Adal C
79
177
43
Kragehul
>6
Nydam I
Pfeile Reitzeug
150
>42
Vimose Ejsbel-Nord
SchUde Bogen
Hedelisker
Nydam II
ca. 12
201
>300
3.-5. Jh.
32
>10
3.-5. Jh.
123
100?
Ende 4. Jh.
30
ca. 5
viele
Mitte 4.Mitte 6. Jh. N. II/III: 90
Porskzr
ca. 70
IUemose
1
10
Vallerbzk
8
30
Mitte 4.-6. Jh. 5.-Anfang 7. Jh.
15
15 15
sekundäre „Deponierungen" schaffen, deren Zusammensetzung nicht mit ursprünglichen Opferungen verwechselt werden darf. Der Vergleich mit Grabund anderen Depotfunden vermag die möglichen Interpretationen einzugrenzen. Dennoch ist - auch innerhalb bestimmter Zeiträume und Regionen - im Einzelfall mit unterschiedlichen Hintergründen zu rechnen, d. h. eine „Globalerklärung" unwahrscheinlich. Dies trifft ebenso für „Bauopfer" zu, die zudem keine einheitliche Fundgattung darstellen.240
240
Beilke-Voigt 2001.
386
Strukturelle Alternativen
Ebenso schwierig zu erklären sind noch immer die sogenannten „Moorleichen". Bei den im Moor konservierten Toten handelt es sich hauptsächlich um gewaltsam Getötete. 241 Die Interpretation bewegt sich daher zwischen Unglücksfällen und Mordopfern über „Rechtsakte", d. h. Hingerichtete, bis hin zu Menschenopfern. Im Einzelfall läßt sich wohl keine Einigkeit erzielen, doch deuten die meist sorgfältige Verbergung (Bedeckung mit Hölzern) und die Vorbereitung der Toten (Mageninhalt, Strick um den Hals, geschorene Haare) primär auf Opferungen hin, doch auch Bestrafungen dürften klaren Normen gefolgt sein. Heiligtümer und Opferplätze 242 - Gegenstände einer „Religionsarchäologie" 2 4 3 - lassen sich auf zweierlei Weise fassen. Entweder werden die jeweiligen Opferungen selbst bzw. deren Überreste entdeckt, 244 oder es sind bauliche Reste von „Tempeln" oder Umzäunungen „heiliger Haine" erhalten. Zu letzteren werden die spâtlatènezeitlichen Viereckschanzen gezählt, die häufig jedoch auch als bäuerliche Gehöfte zu interpretieren sind. 245 Sie mögen aufgrund ihrer herausgehobenen Bauweise neben anderen auch „zentrale" religiöse Aufgaben erfüllt haben. Zeitgleiche „Brandopferplätze" im Alpenvorland, auf denen meist Rinder geopfert wurden 246 , können mit einem toposartigen Hinweis bei Strabon in Verbindung gebracht werden. 247 Die sogenannten „gallorömischen Umgangstempel" gehören eindeutig in die römische Zeit in Gallien, werden aber häufig auf ältere gallische Traditionen zurückgeführt, 248 wenngleich sie vor allem die Integration in die Welt der Römer widerspiegeln. 249 Auch bei den westlichen Slawen zwischen unterer Elbe und unterer Oder kamen im 10. Jahrhundert „Tempel" auf, die als Reaktion auf den christlichen Glauben in den Nachbargebieten zu verstehen sind. 250 Erst die Konfrontation mit dem aggressiven christlichen Gegner im Westen führte zum Bau von hölzernen Tempeln und anthropomorph gedachten Göttern bei den bewußt heidnischen Lutizen. 251
241 242 243 244 245 246 247 248 249 250 251
van der Sanden 1996. Vorgeschichtliche Heiligtümer 1970; Müller-Wille 1999; 1989b. Sacred and profane 1991; vgl. Kossack 1999a. Bemmann/Hahne 1992. Keltische Viereckschanzen 1999; Heiligtümer und Opferkulte 1995. Weiss 1997. Strabon, Geographica IV,4,5. Vgl. D e Tempel van Empel 1994; Coulon 1990, 180-183; Brunaux/Meniel/Rapin 1980. T. Derks 1998, 131-213. Slupecki 1994. Stupecki 1993; Lübke 1995.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
387
5. Neben Gräbern und Horten seien hier noch einige Einzelbeobachtungen aufgeführt, die mittelbare Zugänge zu einstigen Vorstellungen gewähren könnten. Anthropologische Befunde belegen auch für frühgeschichtliche Zeiten gelegentliche Trepanationen, sowohl aus der Eisenzeit 2 5 2 als auch aus dem frühen Mittelalter. 253 Sie sind nicht allein von medizinhistorischem Interesse. Trepanationen spiegeln indirekt Vorstellungen wider, die eine Öffnung des Schädels als notwendig erachteten, u m bestimmten „Kräften" den Weg zu bahnen - seien sie physiologischer oder religiöser Natur. Die Seltenheit der künstlichen Schädelöffnungen muß mit den jeweiligen Individuen zusammenhängen, wodurch eine strukturelle Interpretation überaus erschwert ist. „Amulette" sind ein beliebter Gegenstand volkskundlicher und prähistorischer Forschung. Der unverfälschte „Volksglaube" wird als Erklärung vielen sonst nicht eindeutig zuzuordnenden Grabbeigaben bzw. Kleidungsbestandteilen unterlegt. So werden für die Eisenzeit „etwa schuh- oder füßchenförmige Anhänger, menschen- und tiergestaltige Figürchen, Steinbeile, durchlochte Steine, Hirschhornstücke und Tierzähne nicht als profanes Trachtzubehör" gewertet, sondern als apotropäische Objekte. 2 5 4 Auch funktionsuntüchtige Miniaturgegenstände ordnet man diesem Bereich zu. 2 5 5 Amulette gehören analytisch zu den Symbolen. Ihre konkrete Bedeutung ist kaum zu erschließen, sofern sie denn überhaupt jemals „eindeutig" war. Neben den genannten und weiteren „besonderen" Stücken können auch „normale" Gebrauchsgegenstände apotropäisch wirken, Miniaturobjekte auch - angesichts ihrer Häufung in Frauen- und Kindergräbern - mit Spielzeug in Verbindung gebracht werden. Ethnologische Parallelen können die strukturellen Zusammenhänge beleuchten. Runen- und andere Inschriften auf Kleidungsbestandteilen, Ausrüstung oder Schmuck liefern mitunter Segenswünsche und Unheil abwehrende Sprüche. 2 5 6 Zur Vorstellungswelt gehört auch die Wahrnehmung der alltäglichen U m welt. Daß die umgebende Landschaft konzeptualisiert wurde, ist von der contextual archaeology thematisiert worden, wenngleich die Archäologie Umwelt und Landschaft meist aus wirtschaftlich-ökologischer Perspektive betrachtet. 257 Wichtig ist aber auch „the study of the landscape as an ideational construction, i. e. as a part of a complex cosmologica! ordering in which
252 253 254 255 256 257
G. Lange 1983, 85 f.; Pauli 1975, 166-168. Ullrich 1985, 62 f. Pauli 1975, 11; vgl. Dübner-Manthey 1990. Beilke-Voigt 1998. Düwel 1997b; Runische Schriftkultur 1994; Seebold 1986b. Vgl. Schenk 2001.
388
Strukturelle Alternativen
people, plants, animals, ancestors, gods and demons have their place". 258 Daß dabei allein strukturelle Einsichten und keine konkrete Rekonstruktion der zeitgenössischen Vorstellungswelt möglich sind, liegt auf der Hand (Abb. 56). Einige Anhaltspunkte lassen sich dennoch gewinnen. Nachbestattungen in älteren, prähistorischen Grabhügeln zeigen, daß man bewußt an (vermeintliche, wie wir heute zu wissen glauben) Vorfahren anknüpfen wollte, in deren Grabmälern man die eigenen Toten bestattete. 259 Dies gilt bis hin zu den direkt neben monumentalen Grabhügeln der Vorfahren angelegten Kirchen in Uppsala und Jelling. Inwieweit Grabmonumente als sichtbare Demonstration von Besitz und Einfluß von Gesellschaften gewertet werden können, hängt zunächst wesentlich von der Rekonstruktion der Vegetation ab. Nur in offenen Landschaften konnten symbolische Markierungen gesehen und auch wahrgenommen werden. Im hohen Mittelalter wurden zwischen Maas und Scheide prähistorische Grabhügel systematisch zerstört und beseitigt, wenn sie innerhalb der kultivierten Flächen lagen. Das mag in veränderten, christlichen Konzeptionen der Landschaft begründet gewesen sein 260 , läßt sich aber auch mit wirtschaftlichen Erfordernissen - „Behinderung" der Landwirtschaft - erklären. 261 Aus dieser strukturellen Perspektive wird der „politischen], kultischen und rituellen Organisation unterschiedlicher großer Landschaften" in einer „Landschaftsarchäologie" zentrale Bedeutung eingeräumt, 262 gerät das Verhältnis von „settlement and territory" in den Mittelpunkt. 263
258 259 260 261
262 263
Roymans 1996b, 240; vgl. zu gegenwartsorientierten Ansätzen: Simmons 1993. Vgl. Steuer 2001c, 221-224; Sopp 1999. Roymans 1996b, 240; 1995. Zeitvorstellungen sind für die frühgeschichtliche Archäologie nicht von besonderem Interesse, weil die „Barbaren" rasch die antike bzw. christliche Zeiteinteilung übernahmen. Da diese Kalendersysteme schriftlich überliefert sind, besteht kaum Bedarf an entsprechenden archäologischen Untersuchungen (vgl. aber den Kalender von Coligny, dep. Ain, aus dem späten 2. Jahrhundert v. Chr.: Duval/Pinault 1986). Für die Prähistorie werden neben möglichen Längeneinheiten („megalithisches Yard") auch komplizierte Mond- und Sonnen-Kalender rekonstruiert (Menghin 2000), ohne danach zu fragen, ob die betreffenden Zeitgenossen überhaupt ein Interesse an derart komplexen Zeitrechnungen hatten. Wozu hätte man zur Bronzezeit hochgenaue überregionale Längeneinheiten und Zeitrechnungen benötigt? Strukturelle Vergleiche zeigen, daß erst wirtschaftliche und administrative Anforderungen zur Entwicklung derartiger Systeme führen; vgl. Hallpike 1990; Witthöft 2001; Ebel 2001; Brodersen 1995, 71-250, mit dem Verweis darauf, daß selbst im Imperium Romanum Großräume lediglich durch landmarks. Mittelräume durch routes und Kleinräume durch surveys und nicht durch Karten erfaßt wurden. Steuer 2001a, 631; vgl. Medieval practices of space 2000; Jankuhn 1977. Bintliff 1999.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
389
Abb. 56. „Ideologische" Ordnung der Landschaft zwischen Maas und Scheide im Mittelalter. Historischen und ethnologischen Quellen zufolge lassen sich ein innerer und ein äußerer Bereich unterscheiden. In der Realität gab es keine deutliche topographische Trennung zwischen Siedlung und Umfeld, zwischen unterschiedlich genutzten landwirtschaftlichen Flächen, nicht einmal eine deutliche Waldgrenze (nach Roymans 1995, Abb. 13)
Auch wenn die Vorstellungswelten vergangener Gesellschaften heute, vor allem für Anhänger einer kontextuellen Archäologie, von besonderem Interesse sein mögen, ist der wissenschaftliche Zugang stark limitiert. Das mittelbare, gebrochene und mehrfach gefilterte Verhältnis zwischen Sachkultur und einstigen Vorstellungen erfordert in besonderem Maße sowohl die Beschränkung auf grundlegende, strukturelle Interpretationen als auch die Heranziehung kulturanthropologischer Vergleiche.264 Ersteres verzichtet auf unhaltbare „historistische", den Einzelfall (über)betonende „Deutungen", und letzteres ermöglicht durch Analogien die Herausarbeitung elementarer Grundlagen und Rahmenbedingungen der Vorstellungen und Mentalitäten. Grabausstattung, Hortfunde und Votivgaben verweisen prinzipiell auf komplexe Vorstellungen. Doch verschränken sich in diesen Fundgattungen diesseitige, auf Rang, Status und Sozialprestige in der alltäglichen Lebenswelt zielende Absichten mit Ideen, die eine andere, „geistige" oder „jenseitige" Welt thematisieren. Beide Aspekte hängen zwar voneinander ab und dürften daher nicht „grundverschieden" ausfallen, doch mehr als fundamentale Strukturen der
264
Vgl. Elimers 1992; Pauli 1992; Shipecki 1994.
390
Strukturelle Alternativen
Vorstellungswelten dürften kaum verläßlich zu beschreiben sein. Und erst im langfristigen, konjunkturelle „Zufälligkeiten" überspannenden Vergleich werden konzeptuelle Wandlungen erkennbar. Die Konzentration auf strukturelle, vergleichende Interpretationen stellt keinen positivistischen oder ahistorischen „Rückzug", sondern einen quellenadäquaten Ansatz dar, der Spielraum für divergierende Einzelfallerklärungen läßt.
Kleidung und Erscheinungsbild Von besonderem kulturgeschichtlichen Interesse ist die Kleidung, die raschen zeitlichen Veränderungen und deutlichen regionalen Differenzierungen unterliegt. Abgesehen von wenigen bildlichen Darstellungen stehen für eine Rekonstruktion fast nur Grabfunde zur Verfügung. Das Bild ist deshalb eingeschränkt, und seine Rekonstruktion muß sich häufig auf die allein erhaltenen metallenen Kleidungsbestandteile stützen. Außerdem ist zu beachten, daß die Toten wohl nicht immer in einer „Alltagskleidung" bestattet wurden. Die Angehörigen werden bestrebt gewesen sein, ein „Idealbild" von sozialem Status und sozialer Zugehörigkeit des Toten und seiner Gruppe(n) zu präsentieren. Der Anlaß bedingt eine spezifische, der Situation angemessene Kleidung. Kleidung ist kulturgeschichtlich doppelt interessant: erstens als Gegenstand - ihre Herstellung, ihr Gebrauch und ihre Funktion; und zweitens als Zeichen - als Reflex von Ideen-, Werte- und Vorstellungssystemen.265 Neben den textilen Resten sind alle anderen Kleidungsbestandteile zu berücksichtigen - Fibeln und Gürtel (samt Gehänge) sowie die häufig als „Schmuck" separat betrachteten Ringe (Hals-, Arm- und Beinringe) und weiteres „Zubehör" wie Ohr- und Schläfenringe sowie Waffen, schließlich auch Kopfhaar und Bart. Letztlich geht es um das überaus vielfältige Erscheinungsbild der Zeitgenossen insgesamt.266 1. Material, Gewebe und Schnitte der Kleidungsstücke sind von primärem Interesse, wenn es um die „materielle Seite" bzw. die kulturgeschichtlichen Aspekte geht. Trotz der begrenzten Erhaltung frühgeschichtlicher Textilien lassen sich - unter Zuhilfenahme schriftlicher Quellen - wesentliche, strukturelle Züge rekonstruieren. In frühgeschichtlichen Zeiten bildeten Wolle und (das die Bodenlagerung meist weitaus schlechter überstehende) Leinen die
Vgl. Böth 1994, 221; siehe auch: Mode, Tracht, regionale Identität 1988. 266 Fü r das Mittelalter übersichtlich zusammenfassend: Piponnier/Mane 1997. 265
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
391
wichtigsten Stoffe. Auch die hauptsächlich verwandten Bindungen des Gewebes - Leinen-, Rips- und Köperbindung - sind stets nachzuweisen, wenn sie sich auch in der Häufigkeit unterscheiden. 267 Außer den verschiedenen Bindungen sind es vor allem (die nur unzureichend bekannten) Muster 268 und Farben 269 , die die daraus gefertigte Kleidung unterscheiden. Die „Buntheit" der Kleidung war höchstwahrscheinlich ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, wenn sie sich anhand archäologischer Funde auch kaum abschätzen läßt. 270 Besondere Auszeichnung bedeuteten exotische Stoffe wie Seide 271 oder Brokat 272 , die in Mitteleuropa wie andere Prestigegüter von weit her beschafft werden mußten. Bestimmte Kleidungsstücke schützten vor Kälte oder Verwundung: sie konnten aus Pelzen oder Leder (Mäntel, Mützen, Schuhe) gefertigt werden, andere bestanden aus Metall (Helme, Panzer). Neben den verarbeiteten Stoffen sind der Schnitt und die Kombination unterschiedlicher Kleidungsstücke kennzeichnend. Beides muß mangels unmittelbarer Belege meist indirekt mit Hilfe der erhaltenen metallenen Verschlußteile, meist Fibeln und Gürtelteile, rekonstruiert werden. Leider erlaubt die Lage von Fibeln in Körpergräbern aber „keineswegs sichere Rückschlüsse auf bestimmte Kleidungsstücke" 273 , sondern primär darauf, wo die Kleidung verschlossen wurde - und auch dies nur unter der Voraussetzung, daß die Fibeln eine funktionale und nicht eine überwiegend schmückende Funktion besaßen. Barbaren aus dem eisenzeitlichen bis frühmittelalterlichen Europa fielen antiken Beobachtern auf, weil die Männer enge Hosen trugen. Das unterschied sie von der Kleidung der Mittelmeerwelt und von der des Orients 274 , wo lockere Gewänder bzw. weite Hosen verbreitet waren (diese Gegenüberstellung vereinfacht und ist insoweit ein Topos, weil wechselseitige Ubernahmen vernachlässigt werden). Enge Hosen finden sich im gesamten eisenzeitlichen Europa; bei den Kelten hießen sie bracas.27S In Gallien trugen die
267 268 269 270 271
272 273 274 275
Bender Jergensen 1987; 1992. Vgl. etwa Pastoureau 1995; Mertens 1983. Pastoureau 1986; 1989. Vgl. M. Müller 2003. Nach Banck-Burgess 1999,234-238, bestehen die bislang als Seidenfunde bezeichneten Stoffe aus den späthallstattzeitlichen „Fürstengräbern" von Hochdorf und vom Hohmichele aufgrund von Aminosäureanalysen nicht aus Seide, sondern aus Hanfbast. Stork 2001, 20. Vierck 1978,242. Vgl. Lombard 1978; in Persien und bei Steppennomaden waren Hosen dagegen verbreitet. Diodor, Bibliotheca histórica V,29; des weiteren: Polybios, Historiae 11,28-29.
392
Strukturelle Alternativen
Männer außerdem langärmelige (und seitlich geschlitzte) Hemden sowie Mäntel.276 Für das nördliche Mitteleuropa der Eisenzeit sind (vor allem durch die „Moorleichen") ähnliche Kleidungsstücke überliefert. 277 Mäntel oder Umhänge wurden an der (oft rechten) Schulter mit einer Nadel oder einer Fibel geschlossen, während die einem Trägerrock ähnelnde Frauenkleidung durch zwei Fibeln im Schulterbereich gehalten wurde. Weitere Fibeln (bei Männern eine, bei Frauen durchaus mehrere) befanden sich in regional sehr unterschiedlicher Weise an Untergewändern. Wenn auch im nördlichen Mitteleuropa aufgrund der üblichen Brandbestattung die Anbringung von Fibeln meist nicht unmittelbar rekonstruiert werden kann, dürften sie - wie auch die Form der Fibeln selbst - südmitteleuropäischen Parallelen entsprochen haben. Entscheidend war offensichtlich, daß - nicht wo - Fibeln appliziert wurden, die deshalb vor allem von sozialer Relevanz gewesen sein dürften (Abb. 57).278 „Prunkfibeln" in kaiserzeitlichen Elitegräbern zeigen, daß „Häuptlinge" mehr als nur eine Fibel besaßen, die Zahl der Fibeln also von sozialer Bedeutung sein konnte. Die raschen stilistischen Veränderungen der Fibeln (Armbrust·, Scheiben-, Tutulus- und Stützarmfibeln) sind erheblich leichter als Veränderungen der Kleidung insgesamt zu fassen. Für die Beurteilung der unterschiedlichen Fibelverbreitungen der Kaiserzeit innerhalb und außerhalb des Imperiums ist zu berücksichtigen, daß sie zunächst auf die Grabausstattung und nicht unmittelbar auf die Kleidung der Lebenden zurückgehen. Neben der eigentlichen Körperbekleidung sind (in Resten) Hauben und Haarnetze überliefert, gelegentlich sogar aufwendige „Schnabelschuhe" (Eberdingen-Hochdorf - allerdings wohl eine Anfertigung für die Bestattung).279 Männer und Frauen gürteten sich, wobei bronzene Ringgürtelhaken der Latène-Zeit allgemein als männliches Attribut angesehen werden, doch kommen sie mitunter auch in Frauenbestattungen vor. Noch in die späte Hallstatt-Zeit gehören aufwendig verzierte, überaus breite Gürtelbleche und Blechgürtel.280 Die von beiden Geschlechtern getragenen Gürtel wurden in
276 277
278
279 280
Strabon, Geographica IV,4,3. Haid 1980; Tempelmann-M^czynska 1989, 105-107. Abgesehen von diesen Funden sind aufgrund der geringen erhaltenen Reste meist nur Rückschlüsse auf die Stoffe, jedoch kaum auf den Zuschnitt der Kleidung möglich. Vgl. Gebühr 1976, 61-68 Abb. 10-39; 205-212 Abb. 113-144; Tempelmann-M^czynska 1989; Heynowski 1992, 130-175, mit zahlreichen Regionalgruppen; ebenso Spiong 2000, 104-118, 298-313 Karte 18-33; Brieske 2001, 261-268; Böhme 1998b, 441, verweist auf die »größere Vielfalt unterschiedlicher Fibelkombinationen" für das mittlere 5. Jahrhundert. v. Kurzynski 1996. Kilian-Dirlmeier 1972.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
393
der vorrömischen Eisenzeit durch band- und stabförmige Gürtelhaken geschlossen, seit der Kaiserzeit fast ausnahmslos von einfachen Gürtelschnallen.281 Das Erscheinungsbild vervollständigten Arm- und Fingerringe sowie Halsketten. Seit spätantiker Zeit (bzw. der Völkerwanderungszeit) beeinflußten mediterran-römische Vorbilder die Kleidung stärker. In Südosteuropa wurden von Männern aufwendige Gürtelschnallen mit rechteckigem Beschlag getragen, im Westen neben einfachen Gürteln die breiten kerbschnittverzierten, sogenannten „Militärgürtel".282 In der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts setzten sich allmählich feste Beschläge mit drei Nieten durch, die zu dreiteiligen Gürtelgarnituren weiterentwickelt wurden. Im 7. Jahrhundert goß man die meisten Gürtelbeschläge nicht mehr aus Bronze, sondern schmiedete sie aus Eisen und tauschierte sie. Regional waren vielteilige Gürtel (mit etlichen Nebenriemen) verbreitet, die auf östliche byzantinische Anregungen (Amtsgürtel bzw. angula militiae) zurückgingen (Abb. 58).283 Die Männerkleidung ergänzten im 5. und frühen 6. Jahrhundert eine Zwiebelknopf-, Bügelknopf- oder gleicharmige Fibel als Mantelverschluß (am paludamentum, chlamys bzw. sagum) auf der rechten Schulter, wie es auch im mediterranen Raum bis hin zum Kaiserornat üblich war.284 Fibeln dienten bei der Frauenkleidung im südlichen und östlichen Europa sowie auf dem Balkan (bei aller regionalen Differenzierung) auch im frühen Mittelalter dem Verschluß des Kleides an den Schultern (Blechfibeln).285 Ein Umhang wurde im mediterranen Raum ebenso wie seit dem späten 6. bzw. dem 7. Jahrhundert im Frankenreich mit einer Scheibenfibel (oder gelegentlich wie beim Ar[n]egunde-Grab oder in Güttingen [Grab 38] auch mit einer langen Nadel) geschlossen. Paarweise auftretende Kleinfibeln (Scheiben-, S-, Vogel- und andere Tierfibeln) dürften im 6. Jahrhundert ein vorn offenes Unterkleid im Hals- bzw. Schulterbereich zusammengehalten haben. Bügelfibelpaare finden sich in den Gräbern des 6. Jahrhunderts im Brust-, Becken- und Schenkelbereich, wo sie vermutlich ein offen geschnittenes Oberkleid verschlossen („Vierfibeltracht" der älteren Merowingerzeit zusammen mit zwei Kleinfibeln). Die häufige Lage im Beinbereich hat Max Martin zu der Vermu-
281 282 283 284 285
Madyda-Legutko 1987. Böhme 1974, 53-97, 160-163; vgl. M. Sommer 1984. K. F. Werner 1998a, 189, 210-212, 215-225; Daim 2001, 151-158. Siegmund 1999b; 1996; Martin 1995; 1994; Thörle 2001. Die „Zweifibeltracht" war auch im Mittelmeerraum bekannt (Schulze-Dörrlamm 1986, 687 Abb. 103 f. Anm. 294-296) und stellt daher keine spezifisch „ostgermanische" Kleidung dar. Vgl. Filges 1997, 160; 2003, 271; Böhme-Schönberger 1997, 31 Abb. 18; 37 Abb. 27.
394
Strukturelle Alternativen
tung geführt, die beiden Bügelfibeln seien dort vielleicht eher an einem Gehänge („Schärpe") befestigt gewesen, statt daß sie das Kleid verschlossen. Damit scheint der Schmuckcharakter der Fibeln gegenüber der reinen Funktionalität als Kleidungsverschluß an Bedeutung zu gewinnen. Die Anordnung der Bügelfibeln als vorderer Verschluß des Gewandes seit dem späten 5. Jahrhundert wird von Max Martin als Wandel der Frauenkleidung vom peplos zur (mediterranen) Tunika gewertet. 286 Detaillierte Beobachtungen zur Trageweise der Fibeln anhand der Lage im Grab ergaben zahlreiche „lokale und regionale Vorlieben", jedoch keine regional begrenzte oder gar standardisierte Anordnung (vgl. Abb. 57). Vielmehr konnte „individuelles Tragen der Bügelfibeln eine große Bedeutung besitzen", wofür besonders auf das Schretzheimer Reihengräberfeld verwiesen werden kann. 287 Aufschlußreich erscheint, daß die ursprünglich dem Verschluß eines Kleides an den Schultern dienende Bügelfibel im 6. und 7. Jahrhundert auf der Körpervorderseite an beinahe beliebiger Stelle der Kleidung (Brust, Bekken, Beine) appliziert werden konnte. Dies spricht dafür, daß das Fibelpaar an sich (als sozialer Indikator) wichtig war, nicht jedoch eine „standardisierte" oder „genormte" Anbringung. Die insbesondere im 7. Jahrhundert zu beobachtende Variabilität der Fibelanordnung erlaubt die grundsätzliche Frage, „ob die Fibeln nicht schon vielfach als reiner Schmuck, ohne Funktion, getragen wurden" 288 (Tab. 11). Byzantinisch-mediterranes Vorbild führte im 7. Jahrhundert zur Reduktion auf eine Fibel als Umhangs- oder Mantelverschluß auf der Brust. 289 Von Frauen über dem Kleid getragene Gürtel konnten verknotet oder im 5./6. Jahrhundert durch eine Schnalle mit rechteckigem Beschlag (diese Form folgt mediterranen Vorbildern) verschlossen werden. Die Gürtel wurden zunehmend breiter und die Schnallen vor allem in Neustrien und Burgund im 7. Jahrhundert mit großen trapezförmigen Beschlägen und symmetrischen Gegenbeschlägen versehen. 290 Hinzu kamen Gürtelgehänge mit verschiedenen Accessoires.291 Halsketten aus verschiedenfarbigen Glasperlen und Ringe ergänzten das Erscheinungsbild der Frauen zur Merowingerzeit. 292
286
287 288 289 290 291 292
Leider bieten die vorhandenen Funde von Textilien kaum verwertbare Anhaltspunkte zum Schnitt der Kleidung; vgl. Bollbuck 1987. Clauss 1989, 564. Strauß 1992, 154; Martin 1995. Schulze 1976. Martin 1991a. Theune-Vogt 1996. Tempelmann-M^czynska 1985; Sasse/Theune-Vogt 1996.
Mahndorf
Mahndorf
Sahlenburg
Rhenen
Sahlenburg
\fert-la-Gravelle
Cortrat
Oudenburg
Nymwegen
Mahndorf
Sahlenburg
Sahlenburg
Vermand
Mahndorf
Krefeld - Gellep
Abb. 57. Fundlage von Kopf-, Hals- und Brustschmuck in ausgewählten Frauengräbern des 4./5. Jahrhunderts zwischen Elbe und Loire. Die Darstellung zeigt eine erstaunliche Vielfalt dessen, wo und in welcher Kombination metallene Kleidungsbestandteile angebracht sein konnten. Dies spricht gegen starre, regionale Kleidungsnormen und verweist vielmehr - in der Variabilität der Kombinationen - auf die soziale Relevanz der Kleidung (nach Böhme 1974, 161 Abb. 53)
396
Strukturelle Alternativen
Abb. 58. Veränderung von Gürtel(garniture)n in der Merowingerzeit. Die von Varianten abstrahierende Darstellung belegt einen raschen modischen Wandel während 250 Jahren. 1 bronzene Schnalle mit festem Beschlag (erste Hälfte des 5. Jahrhundens); 2 bronzene Kolbendornschnalle mit nierenförmigem Beschlag und Verzierung in Stil I (Mitte des 5. Jahrhundens); 3 bronzene Kolbendornschnalle mit rundem Bügel und ohne Beschlag (zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts); 4 bronzene Schilddornschnalle ohne Beschlag, „violinförmige" Gürtelhaften (erste Hälfte des 6. Jahrhunderts); 5 bronzene Schilddornschnalle mit triangulärem Laschenbeschlag (zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts); 6 zweiteilige eiserne Günelgamitur aus Schnalle mit Pilzdorn und halbrundem Beschlag sowie rechteckigem Rückenbeschlag (um 600); 7 dreiteilige eiserne Günelgamitur, monochrom geometrisch tauschierte Beschläge (erste Hälfte des 7. Jahrhunderts); 8 mehrteilige eiserne Gürtelgarnitur, bichrom tauschierte Beschläge im Tierstil II (Mitte des 7. Jahrhunderts); 9 vielteilige bronzene Gürtelgarnitur mit kurzen Beschlägen (Mitte des 7. Jahrhunderts); 10 bronzene oder eiserne Schnalle mit schlichtem Dorn und ohne Beschlag (ab Ende des 7. Jahrhunderts) (nach Siegmund 1999b, 172 Abb. 26)
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
397
Tab. 11. Anordnung merowingerzeitlicher Fibeln im Grab. Aufgelistet sind die prozentualen Anteile der verschiedenen „Trageweisen" pro Zeitstufe (nach Ament 1977b). Am häufigsten ist fast durchweg die Anbringung nur einer Fibel, nur im späten 5. und im 6. Jahrhundert waren auch zwei Fibeln häufig. Die „Vierfibeltracht" blieb auf die ältere Merowingerzeit beschränkt und ist durch eine variable Anordnung gekennzeichnet. Das gleiche gilt für die Verwendung von zwei Fibeln, seien sie durch eine Kleinfibel auf der Brust ergänzt oder nicht. Statt streng „genormter" d. h. für bestimmte Regionen zu bestimmten Zeiten „typischer" - Varianten prägten sehr variable Trageweisen das Bild. An die Stelle der Bügelfibeln traten zunehmend einzelne Scheibenfibeln, die im Brustbereich befestigt waren (zusammengestellt nach Strauß 1992, 83-154, bes. 145 Abb. 206) Lage der Fibeln eine Fibel: Kinn Schulter Brust Bauch Becken Beine zwei Fibeln: Kinn nebeneinander Schulter nebeneinander Brust nebeneinander Oberkörper untereinander Unterkörper nebeneinander Unterkörper untereinander Ober- und Unterkörper
überwiegende Fibelform
η vor AM I AM II AM III JM I JM II JM III nach 450 720
1,5
9,2 4,6 12,6 0,8 4,2 1,5
23,2 36,4 8,5 10,1 12,8 31,3 4,0 7,3 4,0 2,4 4,0
1,0 10,0 2,0 5,5
6,9 6,5 3,8 14,1
7,3 1,2 3,0 14,0
2,0
1,5
0,6
3,1
12,0
3,4
45 34,4
6,0
4,6
Scheibenfibel Scheibenfibel Bügelfibel Bügelfibel Bügelfibel Bügelfibel
170 3,1 80 231 6¿ 32 69 12,5 20 6,2
2,5 2,5 7,5 10,5 11,0
Scheibenfibel Bügelfibel Bügelfibel Scheibenfibel
39 50 15,6 25 9,4 94 6,2
Bügelfibel
11
Bügelfibel
39
Bügelfibel
-
drei Fibeln, davon eine Kleinfibel am Oberkörper undein Paar: Oberkörper Bügelfibel 13 3,1 2,5 1,5 nebeneinander Oberkörper Bügel- u. 10 2,0 1,1 untereinander Kleinfibel Unterkörper Bügelfibel 9 2,7 nebeneinander Unterkörper Bügelfibel 20 3,0 2,7 untereinander Ober- und Unterkörper Bügelfibel 25 4,6 2,0 -
25,6 10,8 43,1 1,5 4,6 -
8,3 21,2 13,3 19,2 45,0 34,6 1,7 6,7 -
1,9 5,8 5,8
1,5 1,5 1,0 3,6
6,7
-
0,5
1,7
2,4
-
0,5
1,8
-
2,6
1,8
-
0,6
-
1,2
-
-
-
-
4,3
-
-
-
-
U
-
2,0 -
7,1
1,0
-
0,5
1,5
-
1,7 6,7
-
1,7
-
1,7
3,3
-
1,9 -
5,8 -
-
1,9
-
-
1,9
vier Fibeln, je zwei am Ober- und Unterkörper: neben- u. untereinander Klein- u. Bügelfibel unter- u. untereinander Klein- u. Bügelfibel neben- u. Klein- u. nebeneinander Bügelfibel unter- u. nebeneinander Klein- u. Bügelfibel Summe (100%)
19
-
4,5
2,7
1,8
-
50
-
11,0
8,8
2,4
-
7
-
1,9
0,6
-
6
-
1,0
0,4
1,2
-
200
262
164
1064
32
-
99
-
-
-
0,5
-
-
0,5
-
-
-
195
1,7 60
-
52
398
Strukturelle Alternativen
Im wikingerzeitlichen Skandinavien des 9. und 10. Jahrhunderts gehörte zur Frauenkleidung ebenfalls ein Fibelpaar (meist Schalenfibeln), das das Kleid an den Schultern zusammenhielt. Beide Fibeln konnten - wie es ähnliche Befunde ebenso gelegentlich für die mitteleuropäische Eisen-, Kaiser- und Völkerwanderungszeit belegen - durch eine Kette über der Brust miteinander verbunden sein bzw. an einer Ose weitere „Anhänger" getragen haben.293 Eine dritte Fibel (Kleeblatt-, gleicharmige bzw. Scheibenfibel) verschloß wohl einen Umhang. Seit der Zeit um 1000 findet sich nur noch eine einzelne Fibel vor der Brust. Die körpernah geschnittene Frauenkleidung bestand aus geschlossenem Hemd und manchmal ebenfalls geschlossener Untertunika, „Trägerrock", Obertunika und Mantel bzw. mantelartigem Uberwurf. 294 Die Männerkleidung besaß an der rechten Schulter bzw. vor der Brust eine Fibel zum Schließen des Mantels. Gürtel wurden meist mit einer Schnalle geschlossen. Im frühmittelalterlichen Ostmitteleuropa kannte man keine Fibeln. Auch Gürtelteile sind nicht eben häufig überliefert.295 Die getragenen Gürtel kamen oft ohne Schnalle, Beschlag oder Riemenzunge aus und bestanden lediglich aus Stoff oder Leder - sie wurden verknotet, wie es auch im westlichen Europa, selbst im elitären Milieu, nicht unüblich war.296 Die Kleidung unterschied sich nicht grundsätzlich von den Nachbarräumen - Hemd und Hose bei den Männern, Rock bzw. Kleid bei den Frauen. Metallene Bestandteile beschränkten sich weitgehend auf Hals- (Perlenketten und Gombiky) und Kopfschmuck (sogenannte Ohr- und Schläfenringe, die sämtlich an Bändern oder Hauben um den Kopf getragen wurden). 297 Bei den Awaren spielten vielteilige Gürtel eine wichtige Rolle für die Kleidung der Männer. Vermutlich waren diese komplexen Gürtel keine awarische bzw. asiatisch-nomadische „Erfindung", denn sie tauchen im mediterranen Raum bereits im 6. Jahrhundert auf298 und sind noch im mittleren 8. Jahrhundert durch Fresken belegt.299 Die inzwischen gelungene Identifizierung byzantinischer Stücke unter den zahllosen awarenzeitlichen Funden Pannoniens deutet darauf hin, daß - durch „diplomatische" Geschenke und Handel vermittelt - die entscheidenden Anregungen aus dem Mittelmeerraum kamen.
293 294 295 296 297 298 299
Eilbracht 1999, 95-97. Vierck 1979; Hägg 1986; 1991; Bender Jargensen 1992. Heindel 1990. 1. Fingerlin 1971. Kócka-Krenz 1993. Schmauder 2000a; Bálint 1992; Daim 1987; Stadler 1985. Renner 2000.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
399
Wahrscheinlich wurden byzantinische „Amtsgürtel", neben vielen anderen Gaben, barbarischen Großen überreicht.300 Die sich für typologische und chronologische Untersuchungen so sehr anbietenden und verwendeten metallenen Kleidungsbestandteile (Fibeln, Nadeln und Gürtelteile) unterlagen raschen „modischen" Veränderungen und zeigen oft regionale oder lokale Differenzierungen. Die Kleidung, die diese Bestandteile zusammenhielten und zierten, zeigt demgegenüber auf den ersten Blick von der Eisenzeit bis ins Mittelalter eine erstaunliche Gleichförmigkeit in den Grundzügen - vorausgesetzt, die Rekonstruktionen sind nicht suggestive Vereinfachungen aufgrund der schlechten Textilerhaltung (auffällige Differenzierungen in Schnitt, Farbe und Muster sind kaum nachweisbar, wenn auch zu vermuten). Männer scheinen stets Hemd und Hose sowie einen (unterschiedlich langen) Mantel getragen zu haben, die Waden oft umwickelt. Frauen zogen ein Kleid bzw. einen Trägerrock an und darüber einen Umhang oder Mantel sowie einen unterschiedlichen „Kopfputz". Für die „konservative" Beibehaltung dieser Kleidungsstücke sind wohl vor allem praktische Gründe ausschlaggebend gewesen. Auch im mediterranen Raum trug man in spätantiker Zeit Hosen und Wadenbinden - vor allem zur Jagd und in militärischem Zusammenhang.301 Hosen waren deshalb kein rein „barbarisches" Kleidungsstück, jedenfalls nicht im „ethnischen" Sinne. Sie wurden in Situationen getragen, die mit dem Militär und dessen vielfach aus dem Barbaricum stammenden Soldaten verbunden sein konnten. Darauf deuten außerdem die in Verbindung mit langen Hosen getragenen langärmligen Tuniken und vielteiligen Gürtel, Haar und Bärte hin. Insofern dürfte es sich um eine anlaßgebundene zeitgenössische Kleidung, nicht um ein „ethnisches" Kennzeichen handeln.302 Kaiserliche Verbote entsprechender Kleidung um 400303, die zugleich
300
302
303
Daim 2000, 185-190, mit Verweis ζ. B. auf die Empfehlungen in De administrando imperio des Konstantin VII. Porphyrogenetos; zu Ämtern und Titeln: Brown 1984. Man vgl. dazu die Jagdmosaiken von Piazza Armerina auf Sizilien: Vinicio Gentili 1959, Taf. 25; 28; 30; 31; 33; 34 (zur Konzeption der Mosaiken: Muth 1999); zu Hosen im römischen Nordafrika: Ville 1967/68; zur Jagd in der Spätantike: J. K. Anderson 1985,101-153; Warland 2000. Auch praktische, wirtschaftliche Tätigkeiten wurden in Hosen ausgeübt; Wild 1968, 184 f. Entgegen Schmauder 2000a. Es ist in meinen Augen unwahrscheinlich, daß die spätantiken bzw. „byzantinischen" Mosaiken und Fresken des 4. bis 6. Jahrhunderts mit entsprechenden Darstellungen in elitärem Milieu „Barbaren" statt Szenen der eigenen Gesellschaft thematisieren. Es liegt näher, die Jagdszenen auf Fußbodenmosaiken aufwendiger spätantiker Villen als elitäre Selbstdarstellung denn als Präsentation einer imaginären Gegenwelt anzusehen; vgl. v. Rummel 2000; 2002. Codex Theodosianus XIV,10,2 (389 Apr. 7?): Usum tzangarum adque bracarum intra urbem venerabilem nemini liceat usurpare; XIV,10,3 (399 Juni 6): Intra urbem Romam nemo vel
400
Strukturelle Alternativen
indirekt das nicht seltene Tragen durch „Römer" bestätigen, enthielten denn auch keinerlei Anspielung auf deren „barbarischen" oder gar „germanischen" Charakter, sondern untersagten sie lediglich in der „ehrwürdigen" und „heiligen" Stadt Rom - d. h. in bestimmten „öffentlichen" Situationen, in denen Hosen, bestimmte Schuhe und Pelze oder lange Haare nicht angemessen erschienen, 304 die sich aber aus praktischen Gründen verbreitet hatten. Der „traditionsbewußte" Römer erschien - zumindest in den Augen konservativer Traditionshüter (schon Augustus hatte für die Toga geworben) - in der traditionellen, aber umständlichen und unpraktischen Toga, wenn es sich um öffentliche „Auftritte" handelte. 305 Nicht direkt zur Kleidung lassen sich Kämme, Scheren, Pinzetten und Messer rechnen, auch wenn sie nicht selten am Gürtel, in einer Gürteltasche (Männer) oder einem speziellen „Gehänge" (Frauen) getragen wurden. Sie verweisen auf den Bereich der „Hygiene", wozu des weiteren Spiegel, Spatel und Salbtöpfe sowie Parfümflaschen zählen. Einfache Messer finden sich über lange Zeiträume bei Frauen und Männern. Es handelt sich dabei um ein einfaches „Universalgerät", das entgegen früheren Vermutungen nicht als Kennzeichen rechtlich „freier" Personen gelten kann. 306 Neben der Kleidung und ihren zahlreichen Bestandteilen prägten Haare und Bärte 307 das Erscheinungsbild der Zeitgenossen. Ebenso wie bei den Textilien entgeht der Archäologie allein durch die schlechte Erhaltung ein Großteil an Information. Das Tragen langer Haare konnte als „barbarische" Unsitte gelten, aber auch soziale Hervorhebung bedeuten (wie bei den merowingischen Königen, den reges criniti). In ähnlicher Weise symbolisierten Bärte entweder „Barbaren" oder aber griechische Philosophen - als die sich seit Hadrian auch
304
305
306 307
brads vel tzangis utatur, XIV,10,4 (416 Dez. 12): Maiores crines, indumenta pellium etiam in servis intra urbem sacratissimam praecipimus inbiberi, nec quisquam postbac inpune bunc babitum potent usurpare. Das anscheinend üblich gewordene Tragen von Hosen konnte durch die Apostrophierung „barbarisch" deshalb als unangemessen charakterisiert werden, weil man dadurch auf alte Barbaren- bzw. Feindstereotype verwies und den längst von zeitgenössischen Realitäten abgekoppelten, literarisch verselbständigten Barbaren-Diskurs hereinholte. Wenn „barbarisch" beides - Unangemessenheit und Fremdheit - bezeichnen konnte, liegt ein schillernder und anspielungsreicher, nicht eindimensional zu interpretierender Begriff vor. Vgl. Eisner 1998, 92-101. - Das Verbot von Hosen und Tzangia (Zancae, d. h. hohen Reitstiefeln) im spätantiken Rom könnte umgekehrt auch damit zu erklären sein, daß beides inzwischen zum Kennzeichen von Kaiser und kaiserlichem Gefolge geworden war - und deshalb dem „normalen" Römer nicht mehr zustand; Wessel/Piltz/Nicolescu 1978, 445-448. Steuer 1982a, 418. Vgl. Angeli 1974; Ebel 1999; Rolle/Seemann 1999.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
401
römische Kaiser verstehen konnten.308 Auch Christus, die Apostel und Heilige wurden seit der Spätantike bärtig dargestellt. Bestimmte Frisuren - so der berühmte „Suebenknoten" - dienten als Kennzeichen sozialer Eliten, andere bezeichneten weitere soziale Zugehörigkeiten. Wie vielfältig die Moden weiblicher (und auch männlicher) Frisuren sein konnten, darüber informieren zahlreiche griechische und römische Statuen, Porträtköpfe, Reliefs, Mosaiken und Fresken.309 Für den mittel- und nordeuropäischen Raum mangelt es (abgesehen von einigen Moorleichenfunden) an diesbezüglich aussagefähigen Quellen. Damit fehlen wichtige Elemente des Habitus, so daß die der Archäologie möglichen Aussagen nur einen eingeschränkten Eindruck vermitteln. 2. Ein zweiter wesentlicher Aspekt der Kleidung ist nur ζ. T. kulturgeschichtlicher „Natur". Er leitet direkt zu sozialgeschichtlichen Fragestellungen über, sei aber des Zusammenhangs zwischen Material und Sachkultur, Vorstellungswelten und Gruppenidentitäten wegen bereits hier erläutert.310 Kleidung ist wohl das wichtigste Mittel unmittelbarer, durch Zeichen vermittelter Selbstdarstellung und -Identifizierung von Individuen und Gruppen. Dabei kommt es darauf an, die eigene Position in der Gesellschaft zu zeigen und zu bekräftigen sowie die der anderen wahrzunehmen: „bodily adornment is seen as being a potential means of expressing and reinforcing one's sex role, social identity and group affiliation as well as being a form of protection from the elements, providing aesthetic pleasure and overcoming modesty".311 Kleidung stellt daher einen herausragenden sozialen Indikator dar, der die Identität(en) von Individuen und Gruppen primär innerhalb einer Gesellschaft symbolisch präsentiert (Tab. 12).312 Diese Zurschaustellung zielt auf Einbeziehung und Ausschluß. Verschiedene soziale Gruppen - Familien und Clans, Altersgruppen, Männer und Frauen, Tätigkeitsgruppen, soziale Hierarchien (Abb. 59) - demonstrieren ihre Zusammengehörigkeit auch mit Hilfe der Kleidung.313 Nicht selten werden dabei eine 308 309 310 311 312
313
Vgl. Zanker 1995, 190-251. Strenz 2001; Ziegler 2000. Vgl. unten Kap. VI,17,c; dort zur Aussagekraft von Grabfunden. Pader 1982, 18 f. „Während der älteren römischen Kaiserzeit diente das Trachtzubehör möglicherweise vor allem der Verdeutlichung innergesellschaftlicher Strukturen. Ein Bedarf nach Abgrenzung gegenüber anderen Ethnien bzw. Stammesverbänden und/oder Religionsgemeinschaften mit Hilfe unterschiedlicher Fibeltrachten bestand im Arbeitsgebiet jedenfalls nicht"; v. Richthofen 1998, 481. Grieshofer 1999, 56 f.: „Die Kleidung war bis zur französischen Revolution bzw. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eben primär Standestracht (Tracht des Adels, des Bürgers, der Bauern, etc.)".
402
Strukturelle Alternativen
Tab. 12. An archäologisch überlieferten Kleidungsbestandteilen ablesbare Merkmale und die möglichen kulturellen Hintergründe gruppenspezifischer Kleidung. Strukturelle Einordnungen gelingen eher als individuelle Interpretationen. Daher sind zeitliche, regionale, qualitative und soziale, alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede meist zu beobachten. Individuelle Besonderheiten werden durch diese prägnanten Differenzen überdeckt und entziehen sich überdies vergleichender Interpretation. Auch ist den subjektiven, diskursiv vermittelten Identitäten der Zeitgenossen allein aufgrund der Sachkultur wohl kaum nahezukommen (verändert nach Spiong 2000, 19) Merkmale
Identifikationsmöglichkeiten
kulturelle Hintergründe
Zeitstil (chronologische Unterschiede und Veränderungen)
Modeempfinden
Mode, Zeitstil
Regionalismen (aufgrund von MerkmaisKartierungen)
regionale Identität
Bistümer, Herzogtümer, Herrschaft, Kommunikation
Qualität (Material- und HerstellungsUnterschiede)
soziale Identität
Gesellschaftsstruktur, soziale Hierarchien
Altersspezifika (aufgrund anthropologischer Untersuchungen)
Altersgruppen-Identität
Altersgruppen, Verwandtschaft
Geschlechtsspezifika (aufgrund anthropologischer Untersuchungen)
Gender-Identität
Geschlechterrollen, Familienstruktur
ideelle Besonderheiten (weitere Gruppenspezifika)
ideeller Bezug (religiöse Identität, Identifizierung mit bestimmten Heiligen, rein ästhetisches Empfinden)
ideelles Bezugssystem (ζ. B. weltliche und geistliche Kleidung)
realiter gar nicht vorhandene Zugehörigkeit314 oder Idealvorstellungen vorgeführt, d. h. gewissermaßen ein „Zerrbild" der Realität gezeichnet. Neben der Demonstration von Zugehörigkeit werden andere Gruppen durch eine ihnen vorgeschriebene Kleidung sichtbar ausgegrenzt und diskriminiert - dies betraf ζ. B. in der mittelalterlichen Gesellschaft Randgruppen bzw. Außenseiter wie Juden, Aussätzige oder Prostituierte. Die durch die Kleidung vermittelten Zeichen müssen auffällig und deutlich sichtbar sein, um ihre Adressaten zu errei-
314
Ein klarer Hinweis darauf sind die zahlreichen Kleidungsvorschriften in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten, die auf unablässige „Anmaßungen" durch untere soziale Schichten in Form „unangemessener" Kleidung reagierten; van Dülmen 1992, 186-188; Bulst/ Lüttenberg/Priever 2002. - Im Imperium Romanum wurden ebenfalls zahlreiche, häufig wiederholte Kleidungsvorschriften erlassen; vgl. u. a. den Codex Theodosianus.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche
403
Interpretation
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404
Strukturelle Alternativen
chen. Ziel ist eine einfache und eingängige, schematisierende Klassifizierung. Daher werden auffällige Farben, Muster, Schnitte und Accessoires verwandt. Der notwendige Aufwand hängt wesentlich von der historischen und sozialen Situation in der betreffenden Gesellschaft ab (Abb. 60). Inklusion und Exklusion treffen auch auf die regionale oder „ethnische" Abgrenzung zu Nachbargesellschaften zu. Allerdings ist diese Abgrenzung nur in bestimmten Situationen relevant. 315 Soziale Exklusion ist primär innerhalb einer Gesellschaft von Bedeutung, weil sich die weitaus meisten Interaktionen und Konfrontationen in diesem Rahmen abspielen, denn anderenfalls könnte die Gesellschaft als solche nicht existieren. Stets vorhandene, mehr oder weniger intensive Außenbeziehungen zu anderen Nachbargesellschaften widersprechen dem nicht, denn diese Kontakte dienen wiederum der Aufrechterhaltung des sozialen Status innerhalb der eigenen Gesellschaft. Diese „Außenbeziehungen" lassen isolierte Gesellschaften (abgesehen von seltenen Inselsituationen) zur Illusion werden. Vielfältige Einflüsse wirken sich aus: „Die Tracht gleichsam als Regionaluniform existierte wohl nirgendwo und nie, weil auch regionale Materialien und Schnitte immer den wirtschaftlichen wie ästhetischen Einflüssen unterlagen, die aus dem Handel, der handwerklichen Produktion und der überregionalen Mobilität erwuchsen." 316 Die „Volkstrachten" 317 des 19. Jahrhunderts waren angesichts der sich beschleunigenden gesellschaftlichen Veränderungen ein Versuch, die zunehmenden sozialen Unterschiede im Inneren durch eine regionale bzw. „ethnische" Abgrenzung nach außen zu kaschieren 318 , indem 315 316
317
3,8
Dress and ethnicity 1995. Kaschuba 1999, 227; vgl. Zander-Seidel 2002, 186-194. Ebenso betont Tempelmann-M^czynska 1989, 140, drei wichtige Faktoren für die Entwicklung der kaiserzeitlichen Frauenkleidung: „lokale Traditionen, Kontakte mit Nachbarn und römischer Einfluß". Mit dem Begriff „Tracht" konkurriert(e) die Bezeichnung „Kostüm", die im 18. Jahrhundert von italienisch costume (Gewohnheit, Sitte, Brauch) entlehnt wurde. Beide Termini galten im 19. Jahrhundert der Beschreibung historischer Bekleidung; Etymologisches Wörterbuch 1995, 722. Vgl. etwa [v.] Falke 1858, Bd. 1, V: „Der Grundgedanke [...] ist, den Zusammenhang zwischen den Wandlungen der äußeren menschlichen Erscheinung und des innern Charakters in der Geschichte der Deutschen nachzuweisen. Denn wie eine jede Nation einen Nationalcharakter mit Recht für sich in Anspruch nimmt, der sie als ein einheitliches, einziges Ganze gleichsam mit einer Seele empfinden und handeln läßt, so ist auch in der Geschichte der Civilisation oder des Bildungsganges des einzelnen Volkes wie der ganzen Menschheit, soweit sie im Strom der Cultur vorwärts schreitet, einer jeden Stufe ein solcher Gesammtcharakter, ein zur Einheit gewordener Complex bewegender und leitender Ideen zuzuschreiben. Diese Seele der Zeiten krystalisirt alle ihre Lebensäußerungen in ihr eigenthümliche und dann nothwendige Formen". Der Autor (1825-1897) war einflußreicher Kunstschriftsteller und 1856 bis 1858 am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg tätig, bevor er nach Wien ging. Daneben blieb er Mitglied des Gelehrtenausschusses des GNM für das Fach Kostümkunde.
405
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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406
Strukturelle Alternativen
innere Homogenität postuliert, gleichsam vorgeschützt wurde.319 Kleidung benachbarter Gesellschaften (gleichen zivilisatorischen Zuschnitts) unterscheidet sich kaum signifikant voneinander. Nur in seltenen Fällen dient sie ethno(archäo)logischen Untersuchungen zufolge zur Abgrenzung von Nachbarn - und auch dann nur gegenüber einigen, nicht gegenüber allen Nachbarn.320 Sie ist auch in dieser Beziehung strukturell situationsgebunden. Wenn Kleidung Gruppenidentitäten demonstriert, dann ist sie gruppenspezifisch.321 Unterschiedliche soziale Gruppen können - je nach Gesellschaft und deren kulturellen „Lösungen" - eine eigene Kleidung bzw. eine eigene Variante derselben besitzen.322 So sind häufig altersspezifische Kleidungen zu beobachten.323 Kinder beiderlei Geschlechts sind im Grab anders als Erwachsene ausgestattet. Erst ab einem gewissen, je nach „Kultur" unterschiedlichen Lebensalter können Jugendliche mit der Initiation die Kleidung der Erwachsenen anlegen.324 Beobachtungen an Gräberfeldern der Merowingerzeit (Lavoye325) zeigen entsprechend „reduzierte" Ausstattungen ebenso wie Untersuchungen für das frühmittelalterliche Ostmitteleuropa (Espenfeld326). Dabei wird keine scharfe Trennung zwischen Kindheit und Erwachsensein deutlich, sondern ein allmählicher Ubergang, sofern es sich nicht um spezifische, nur Kinderbestattungen vorbehaltene Objekte oder exzeptionelle, elitäre Gräber handelt. Dabei unterscheiden sich Mädchen und Jungen hinsichtlich des Alters beim „Erwachsenwerden". Für den Raum um Metz zur Merowingerzeit hat Guy Halsall ermittelt, daß Mädchen bereits zwischen zehn und zwanzig Jahren „reich" ausgestattet
319
320 321 322
323
324 325 326
„Die Tracht war [...] keineswegs schlechthin das Zeichen einer alle Dorfbewohner umfassenden, konfliktlosen Harmonie. Sie drückte vielmehr die vorhandene dörfliche Sozialordnung aus und befestigte sie im allgemeinen"; Bausinger 1978, 230. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert ist dörfliche „Tracht" nur im unmittelbaren sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Wechselspiel mit der Stadt zu verstehen. Zur „Erfindung" von „Nationaltrachten" vgl. S. Müller 2001, der die „altdeutsche Tracht" des frühen 19. Jahrhunderts als „Gesinnungsmode" beider Geschlechter charakterisiert. Vgl. Hodder 1982. Vgl. Die Repräsentation der Gruppen 1998. Auf die mögliche Vielfalt von Kleidung weisen die zahlreichen Bezeichnungen für Kleidung und deren Elemente hin: Brüggen 1989,202-293; Terminologie und Typologie 1988. Zur Vielfalt der im Grab reflektierten Zugehörigkeiten Steuer 1982a, 471-497. Im Lauf der Zeit 1990; Sex and age 1978; Piponnier/Mane 1997, 99-113. - Spiong 2000, 160, kann dagegen für das 8. bis 12. Jahrhundert im Reich keine Altersunterschiede in der Kleidung ausmachen. Vgl. unten Kap. VI,17,c. Vallet 1996; vgl. Ottinger 1974. Bach/DuJek 1971, 45 f.; Abb. 41,5-6.
Archäologische Quellen und stnikturgeschichtliche Interpretation
407
wurden, junge Männer aber erst (weit) jenseits der zwanzig (soweit anthropologische Bestimmungen entsprechende Aussagen erlauben). Die Ursache für diesen Unterschied sind wohl verschiedene soziale „Rollen". Junge Mädchen bzw. Frauen gelten bereits in jugendlichem Alter als heirats- und -gebärfähig. Durch ihre Verheiratung, auch wenn sie erst in der Zukunft erfolgt, knüpft ihre Familie soziale Beziehungen. Männer müssen sich erst (kriegerisches) Renommee und einen gewissen Besitz erworben haben, bevor sie zum Familienoberhaupt werden können.327 Diese der und dem Einzelnen zugeschriebenen sozialen Rollen, abhängig von Alter und Geschlecht, scheinen auch in den Wergeldern auf, die die Lex Salica bzw. die Lex Ribvaria im frühen 6. bzw. frühen 7. Jahrhundert vorschrieben (Tab. 13).328 Tab. 13. „Wergeid" nach dem Pactus Legis Salicae und der Lex Ribvaria, angegeben in Solidi, gegliedert nach Geschlecht und Lebensalter. Ein besonders hohes Wergeid (kursiv dargestellt) ist für die Tötung eines weiblichen Foetus bzw. Säuglings, eines Jungen und einer Frau im gebärfähigen Alter zu zahlen. Die Höhe des Wergeids für Männer erhöht sich bei Dienst im Heer und in Königsnähe, d. h. in besonderen sozialen Rollen. Ausschlaggebend für diese Unterschiede ist nicht das Individuum selbst, sondern dessen soziale Bedeutung für die Zukunft der jeweiligen Familie (zusammengestellt nach Halsall 1995, 72 f.; Fischer Drew 1991, 45 f.) Lebensalter Wergeid für Mädchen und Frauen Wergeid für Jungen und Männer
NeugeKind Jugendliche(r)borenes (1-12 Jahre) (12-20 Jahre)
Erwachsene(r) (2CM0 Jahre)
Alte(r) (>40 Jahre)
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So war es wohl nicht allein die „Wehrlosigkeit" des Jungen, der noch keine Waffe tragen kann, die ein hohes Wergeid erforderte, wie ältere Interpretationen meinten. Es war vor allem die zukünftige Rolle des Jungen als Familienoberhaupt, die im Falle seiner Tötung eine diesen immensen Verlust ausgleichende Zahlung an seine Familie notwendig machte, war dieser doch durch den Tod des Jungen ein entscheidendes Mittel zur Knüpfung sozialer Beziehungen genommen worden. So dürften Waffen in „Übergröße" wie im „Knabengrab" unter dem Kölner Dom oder in Lauchheim, die von dem je-
327
328
Halsall 1995, 253-255; vgl. Wotzka 1989; vergleichbare Befunde für die späte Hallstatt-Zeit (Ha D) in Württemberg: Burmeister 2000, 86-94, 182; Taf. 1-3 (u. a. Ohrringe, Stangengliederketten und Schieber ausschließlich in Gräbern adulter Frauen; Dolche allein in Gräbern maturer und seniler Männer). Vgl. Grahn-Hoek 1976, 30 f.; Lévi-Strauss 1981, passim. Vgl. v. Olberg 1990.
408
Strukturelle Alternativen
weils bestatteten Jungen nicht gehandhabt werden konnten329, auf dessen (zukünftige) soziale Bedeutung für seine Familie verweisen. Ältere Zeitgenossen erscheinen im Grab oft weniger „reich" als Männer und Frauen „im besten Alter", deren Kleidung meist als „Standard" verstanden wird. Diese erneute „Reduktion" der Kleidung (bzw. der Ausstattung im Grab) (ζ. B. Lavoye330, Ennery, Chaouilley331) hat ihre Ursache wiederum in sich wandelnden sozialen Rollen der Individuen. In der „Blüte ihrer Jahre" demonstrieren Männer und Frauen ihr soziales Prestige und ihren gesellschaftlichen Einfluß, denn Macht bedarf zu ihrer Erhaltung der ständigen Präsentation. In fortgeschrittenerem Alter verliert man an direktem Einfluß. Statt dessen sind es eher „Weisheit" und Lebenserfahrung, die die nun an der Spitze stehenden Jüngeren um Rat und Entscheidung fragen lassen. Manch eine(r) wird allerdings auch diesbezüglich an den Rand gedrängt worden sein. Auch hier mögen sich Frauen und Männer unterscheiden. Da das durchschnittliche Heiratsalter von Frauen um einige Jahre niedriger als das der Männer liegt, werden die Töchter und Söhne bereits verheiratet sein, bevor die Mutter das vierzigste Lebensjahr erreicht. Die sozialen Rollen sind damit an die nächste Generation weitergegeben, weshalb Frauen über vierzig „ärmlich" bestattet werden.332 Männer können auch noch mit mehr als sechzig Jahren „reich" ausgestattet erscheinen, wenn ζ. B. der (älteste) Sohn noch nicht in die Rolle des Familienoberhaupts hineingewachsen ist.333 Erst jenseits der sechzig enthalten fast alle Gräber kaum noch Beigaben. Diese strukturellen „Altersunterschiede" dürfen nicht mit unterschiedlichem Wohlstand der Familien verwechselt werden. Sie resultieren primär aus den verschiedenen sozialen Rollen von Individuen innerhalb der Familien. Daher ist es nicht einfach, anhand archäologischen Materials zwischen sozialen und alters- bzw. geschlechtsspezifischen Unterschieden zu differenzieren. Neben dem Lebensalter können auch Tätigkeit („Beruf") und Verwandtschaft - Clan oder Lineage - eine gruppenspezifische Kleidung erfordern. Eine entsprechende Identifizierung ist im archäologischen Material nicht ganz einfach und gerät in die Gefahr eines Zirkelschlusses, wenn aus der Kleidung
329 330 331 332
333
Doppelfeld 1964; Stork 2001, 21-23. B. K. Young 1984; Halsall 1995, 130 Abb. 4,19; 133 Abb. 4,21. Halsall 1995, 92 Abb. 3,12; 116 Abb. 4,6. Aus dieser Perspektive kommt es weniger auf den individuellen „Status" einer Frau als Verheiratete (so Lenerz-de Wilde 1989) als vielmehr auf ihr „strukturelles Potential" als Mutter an. Halsall 1995, 256 f.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
409
auf ebendiese Stellung bzw. die Tätigkeit geschlossen werden soll. Dennoch gibt es einige Anhaltspunkte, auch wenn wohl stets mehrere „Gründe" und Anlässe die Gestaltung der Kleidung beeinflußten. Waffenausrüstungen in Männergräbern deuten wie erwähnt auf die besondere Bedeutung Bewaffneter bzw. von Kriegern hin, die im Grab dementsprechend ausgestattet wurden. Aus dem römischen Bereich stammen ζ. B. Gürtel als Amtszeichen und Zwiebelknopffibeln als Kennzeichen von Offizieren.334 Schmiedewerkzeuge finden sich in „reich" und „arm", mit oder ohne Waffen ausgestatteten Gräbern von der Eisenzeit bis zum frühen Mittelalter.335 Sie repräsentieren „die ganze Breite der freien, waffenfähigen Gesellschaftsmitglieder".336 Schmiedewerkzeuge im Grab charakterisieren daher vermutlich tatsächlich den Schmied, dessen soziale Stellung vom mobilen Schmied bis zum Großbauern reichen konnte. Auch Könige rühmten sich ihrer praktischen Fähigkeiten.337 „Reiche" Frauen werden beim Spinnen dargestellt338; die Beigabe eines Spinnwirteis kommt wiederum in Gräbern jeglichen sozialen Ranges vor. Weitere „Handwerker" sind im Grab kaum zu identifizieren, weil entsprechende Geräte selten beigegeben wurden - und sich die jeweilige Kleidung insgesamt als nicht „tätigkeitsspezifisch" erweist. Bestimmte Gruppen demonstrierten durch eine spezifische Kleidung ihre Zugehörigkeit. Klerikern war im Mittelalter eine eigene Kleidung vorgeschrieben,339 Mönche und Nonnen trugen eine für fast jeden Orden kennzeichnende Kleidung, und auch „Gelehrte" grenzten sich durch eine eigene gruppenspezifische Kleidung ab.340 Dirnen und Juden wurden zwangsweise auffällige Farben bzw. Kleidungsstücke (Kopfbedeckungen) verordnet. Von elementarer Bedeutung für den Fortbestand von Familienverbänden sind Heiraten, denen strukturell ein Tauschverhältnis zugrunde liegt.341 Deshalb wird im sozialen Alltag deutlich zwischen Verheirateten und Unverheirateten unterschieden. Im archäologischen Befund ist dies allerdings kaum festzustellen, weil diese soziale Verbindung unabhängig von der Kleidung schwer zu erkennen ist. Meistens dürfte die „reichere" Ausstattung verheirateter Individuen im Sinne einer sozialen Hierarchie interpretiert werden.
334 335 336 337 338 339 340 341
Steuer 1982a, 224. Müller-Wille 1977; Henning 1991. Henning 1991, 76. So Chilperich: Gregor von Tours, Historiae Francorum VI,2. Principi etruschi 2000, 271-280. Trichet 1986; Bringemeier 1974. v. Hülsen-Esch 1998. Lévi-Strauss 1981.
410
Strukturelle Alternativen
Die deutlichste Gruppenspezifik der Kleidung ist ihre soziale Unterscheidungskraft. „Reich" und „arm" (bzw. „mächtig" und „ohnmächtig") sind die Gegensätze, die über viele Zwischenstufen und Abwandlungen soziales Prestige verkörpern. Soziale Hierarchien werden durch die Kleidung symbolisiert. Am eindrücklichsten scheinen dies Kleidungsbestandteile aus Edelmetall (Gold und Silber) zu demonstrieren. Zur Eisenzeit waren es u. a. goldene Torques, die Männer in der „keltischen Welt" hervorhoben. 342 Kaiser- und völkerwanderungszeitliche Prachtfibeln und „Kaiserfibeln" 343 waren - unabhängig von ihrer römischen oder barbarischen Herstellung bzw. Herkunft „auszeichnende" Kleidungsbestandteile. Halsringe mit schliisselloch- bis birnenförmiger Öse hoben in der jüngeren Kaiser- und in der Merowingerzeit ihre Träger heraus, wenn es sich um goldene oder silberne Exemplare handelte. 344 Kennzeichneten sie anfänglich überwiegend einzelne Männer, so waren sie im 6. Jahrhundert zum Schmuck „reicher" Frauen geworden. Der Unterschied zu den häufigeren bronzenen Exemplaren mag jenem zwischen silbernen und bronzenen Schlangen- bzw. Schildkopfarmringen des 2./3. Jahrhunderts entsprochen haben. 345 In der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit ragten außerdem Fibeln und Beschläge hervor, die aus Gold oder feuervergoldetem Silber bestehen und Almandineinlagen besitzen. Eine kleinere Gruppe von Personen besaß goldene Hals- oder Armringe.346 Im frühmittelalterlichen Ostmitteleuropa waren es u. a. die meist goldenen sogenannten Gombiky („Zierknöpfe", tatsächlich wohl Bestandteile von Halsketten) 347 und byzantinisch-orientalischen Vorbildern folgende „Ohrringe", die im 9. und 10. Jahrhundert Angehörige der Eliten auszeichneten. Seit dem 10. Jahrhundert kennzeichnete silberner Schmuck - „Schläfen-" und „Ohrringe" (Bestandteile von Kopfbedeckungen oder Stirnbändern), Haisund Armringe, Perlen und Kaptorgen (Kapseln) - reichere Gräber, ähnlich wie in Skandinavien.348 Nicht nur metallene Bestandteile349, auch das Material der Kleidung 342 343
344 345 346 347 348 349
Eluère 1991. Godtowski 1994,491 Abb. 102; Voß 1994, 502 f. Abb. 105; j0rgensen 1994, 527 Abb. 121; 531 Abb. 123; 534 Abb. 125; Schmauder 1996, 100-119; 1998b. Warners 2000, 29-78; Schmauder 1996, 42-59; Keller 1967, 114-118. Wójcik 1982. Das Gold der Barbarenfürsten 2001. Pavlovicová 1996. Kóíka-Krenz 1993. Die Konzentration auf die metallenen Kleidungsbestandteile geht - zumindest in der Archäologie des frühen Mittelalters - auf Hans Zeiß zurück, der damit das Konzept von „Nationaltrachten" verband. Zuvor standen Textilien im Mittelpunkt kleidungsgeschichtlicher Untersuchungen; vgl. Fehr 2003, 268 f., unter Verweis auf Zeiß 1934, 138-142.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
411
selbst350 besitzt sozial auszeichnende Eigenschaften. Besonders feine Stoffe, so Leinen statt Wollstoffen oder am oberen Ende der Skala byzantinische Seide oder golddurchwirkte Stoffe heben ihre Träger gegenüber anderen hervor. Auch Menge und Umfang der getragenen oder zur Herstellung einzelner Kleidungsstücke eingesetzten Textilien demonstrieren Unterschiede. Im archäologischen Befund haben sich Stoffe leider nur selten erhalten, so daß diese „Auszeichnung" nur schwer zu erfassen ist. Noch weniger zu greifen sind bestimmten Gruppen vorbehaltene Kleidungsstücke (Mantel, Gürtel, Umhang), wenn sie nur aus Textilien bestanden. Die jeweilige Kleidung hängt nicht nur von der Gruppe des Trägers ab, sondern auch von der konkreten Situation, in der sie getragen wird. Insofern ist Kleidung strukturell anlaßgebunden. Je nach den aktuellen Umständen kann die Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen demonstriert werden. Im „Alltag" können die soziale oder die „professionelle" Zuordnung wichtiger als die Altersgruppe sein. So lassen sich Schutzwaffen wie Panzer und Helm sowie Waffenriemen nicht nur als Waffen, sondern gleichzeitig auch als anlaßgebundene, nämlich als für eine kriegerische Auseinandersetzung oder auch zur „Parade" bestimmte Kleidung beschreiben. Familienzugehörigkeit und Verwandtschaft spielen bei Heiratsallianzen und deren Anbahnung bzw. Erneuerung eine zentrale Rolle, so daß Unverheiratete besonders gekleidet sein können. Feste (vom „Erntefest" bis hin zu Hochzeiten) und religiöse Handlungen erfordern eine angemessene Kleidung der Beteiligten, die in anderen Situationen „tabu" sein kann. Sommer- und Winterkleidung dürften sich unterscheiden. Und schließlich folgt auch die Bekleidung der Toten im Grab oder auf dem Scheiterhaufen (von weiteren „Beigaben" einmal abgesehen) speziellen Regeln. Sie ist nicht zwangsläufig die Kleidung der Lebenden, denn diese kannten für unterschiedliche Anlässe oft spezifische Kleidungen. Die Kleidung des oder der Toten ist daher stets eine Auswahl unter verschiedenen (denkbaren), kultur- und zeitspezifischen Möglichkeiten. Aus diesen Überlegungen geht hervor, daß Kleidung strukturell eine Fülle von Zeichen aufweisen kann, d. h. semantisch vielfach „aufgeladen" ist. Die „Entschlüsselung" der einzelnen Symbole fällt nicht leicht. Zu viele Dinge werden durch die Kleidung demonstriert, zu viele Anlässe und Identitäten können gleichzeitig oder durch verschiedene Kleidungen symbolisiert werden, als daß eine eindimensionale Antwort Klarheit verschaffen könnte. Außerdem gab es wohl (trotz „regelhafter" Wiederholungen im Grab) keine
350
Siehe oben.
412
Strukturelle Alternativen
starr festgelegten Kleidungsvorschriften, wenn auch grundlegende Vorstellungen über die jeweils „richtige", der Situation und dem Träger (bzw. seiner Gruppe) angemessene Kleidung. Soziale Dynamik und der Zwang zur ständigen Behauptung dürften mit den Abgrenzungen „gespielt" und sie verschoben haben. Jedenfalls blieb die Kleidung auch über kurze Zeit keineswegs unverändert. Der langfristige, phasen- und kulturübergreifende Vergleich bringt eine erstaunliche strukturelle Gleichförmigkeit des Kleidungsschnittes zutage. Von der Eisenzeit bis in das Mittelalter war, bei aller regionalen Differenzierung, eine sehr ähnliche „Oberbekleidung" üblich. Frauenkleider wurden an beiden Schultern mit je einer Fibel verschlossen, Mäntel bzw. Umhänge bei Frauen und Männern mit einer Fibel zusammengehalten - die funktionale Anbringung der Fibeln vorausgesetzt. Beide Geschlechter besaßen Gürtel. Männer trugen Hosen. Angesichts dieser sehr gleichförmigen Grundstrukturen der Kleidung, die dennoch Raum für Varianten boten, ließen sich Gruppenzugehörigkeiten und Abgrenzungen - mit anderen Worten „Identitäten" - nur durch anderweitige Differenzierung darstellen. Dazu gehörten wohl vor allem deutliche Unterschiede in der Qualität der metallenen Kleidungsbestandteile oder Farben und Muster der Textilien. Unterscheidungen in Material und Verarbeitungsaufwand, Farbe und Musterung, außerdem Frisur und Schmuck zielten überwiegend auf Differenzierungen innerhalb einer Gesellschaft351, weil sich dort - ungeachtet der Vielfalt an möglichen, relevanten Situationen und der Chance zur individuellen Selbstdarstellung - der größte Teil sozialen Lebens abspielte. Soziale Unterscheidung, Altersgruppenzugehörigkeit, Familienstand, berufliche und religiöse Zuordnung dominierten strukturell über „Fremdheit", denn sie waren in den weitaus meisten, „alltäglichen" Situationen relevant. Sofern die Untersuchung auf Gruppendifferenzierung und Statusdemonstration zielt, muß sie sich zunächst und primär auf diese Binnendifferenzierungen konzentrieren, bevor an eine mögliche äußere Abgrenzung gedacht werden kann.
„Akkulturation" 1. Die Welt der europäischen „Barbaren" (Kelten, Germanen, Slawen) verbanden von Beginn an unterschiedliche Beziehungen mit dem Mittelmeerraum. Mediterrane „hochkulturelle" Einflüsse erreichten auch geographisch
351
Vgl. Kap. VI,17,c.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
413
abgelegene Regionen (bis hin nach Skandinavien). Es kam zur Aufnahme und Adaptation antiker Anregungen 352 , wobei hier technologische Nachahmungen vorerst ausgeklammert werden sollen.353 Statt dessen sei auf kulturgeschichtliche Übernahmen und „Akkulturationsvorgänge" eingegangen.354 Am leichtesten lassen sich Entlehnungen im elitären Milieu nachweisen, weil hier überregionale Kontakte am ehesten möglich waren - und herausragende „fremde" Stücke rasch auffallen, die daher in der Forschung entsprechend thematisiert wurden. „Akkulturation" 355 dient als strukturelles Modell dazu, kulturellen Wandel - Austausch von Gütern, Veränderung von Artefakten, Wandel der Lebensweise - zu erklären. Dabei stößt man rasch auf zwei grundlegende methodische Schwierigkeiten, wie auch die folgenden Beispiele zeigen werden. Erstens gibt es in der historischen Perspektive kaum einen feststellbaren „ersten" Kontakt, in dessen Folge sich diverse kulturelle Veränderungen ergeben. Meist ist „Kontakt" ein Dauerphänomen. „Die Geschichte von Gesellschaften, die endemischen Austausch mit anderen pflegen, ist also geradezu von Anfang bis Ende .Akkulturation'." 356 Dies gilt für einander benachbarte prähistorische oder „barbarische" Gesellschaften, aber auch für den Kontakt zwischen barbarischem Europa und der Mittelmeerwelt. Rom beeinflußte die nördlichen Barbaren nicht erst seit der Eroberung Galliens, sondern bereits lange zuvor. Mindestens seit der Bronzezeit, aber auch schon für das Neolithikum lassen sich anhand des archäologischen Materials weitreichende Beziehungen feststellen (Wirtschaft, Bewaffnung, Lebensweise), die nicht ohne Auswirkungen blieben. Ein ursprünglicher Ausgangspunkt ist deshalb kaum zu fixieren.357 Zweitens waren „Kulturen" und Gesellschaften nie hermetisch abgeschlossene und homogene Einheiten358 - weder die barbarischen Gesellschaften noch die antike Mittelmeerwelt.359 Sie sind stets komplexe „Mischungen" mit erheblichen sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Binnendifferenzierungen - die sich in zeitlicher Hinsicht außerdem ständig verändern. Statt kultureller Grenzen ist von „Kontaktzonen" („limi-
352 353 354 355 356 357
358 359
Vgl. Boardman 1994. Vgl. Kap. VI,17,b. Vgl. Wells 1999; 2001; Barbarians and Romans 1989. Herskovits 1938. Gotter 2000, 387. Vgl. zum Konzept von (mediterranem) Zentrum und (mitteleuropäischer) Peripherie: Kümmel 2001. Vgl. oben Kap. 111,2. Die politische Integrationsleistung des römischen Imperiums ist nur auf der Grundlage einer erstaunlichen Offenheit gegenüber regionalen kulturellen Besonderheiten zu erklären.
414
Strukturelle Alternativen
tischen Strukturen") auszugehen, in denen sich Kulturen strukturell „begegnen" und wechselseitig beeinflussen. Kontaktphänomene und Akkusationsprozesse zu analysieren, kann deshalb nicht heißen, das „Fremde" bzw. „Andersartige" einzig und allein auf das Vorbild einer anderen Kultur zurückzuführen. Denn es ist nicht allein die Veränderung der „original patterns" zu untersuchen. Entscheidend ist des weiteren die Bestimmung der konkreten Gruppen, die sich verändern, sowie der „Fremdheit" oder Verschiedenheit dieser Gruppen - wobei weniger „objektive" Differenzen als vielmehr deren Wahrnehmung durch eine oder beide Seiten ausschlaggebend sind. Und nicht zuletzt ist die (politische, wirtschaftliche und soziale) Situation zu charakterisieren, in der sich der kulturelle Austausch vollzieht. 360 Nur so könnte den Hintergründen der meist selektiven Auswahl bestimmter kultureller „traits" nachgespürt werden, denn eine vollständige Assimilation - die selbst wiederum mehr eine Frage der Wahrnehmung als der „objektiven" Differenz ist - stellt die historische Ausnahme dar. Die methodischen Probleme des Akkulturationskonzepts lassen sich an den folgenden Beispielen verdeutlichen. Aus verschiedenen kulturellen „Wurzeln" - einheimischen wie „fremden" - konnte Neues entstehen, ohne daß sich die Stränge im einzelnen noch auseinanderhalten ließen - entscheidend ist die Neuentwicklung. Die charakteristische Ornamentik der Hallstatt- und Latène-Kultur verband ζ. B. südliche Einflüsse und einheimische „Traditionen". Die unterschiedliche Rezeption führte zu eher abstrakten Formen im östlichen Bereich und zu eher pflanzlichen Motiven im Westen. 361 Der figürliche Latène-Stil rezipierte etruskisch-italische Vorbilder, die wiederum auf griechisch-orientalischen Voraussetzungen beruhen. 362 2. Eisenzeitliche Gräber von Elitenangehörigen spiegeln in ihrer Ausstattung die Orientierung am Habitus mediterraner Vorbilder wider (Abb. 61 ). 363 Ostalpine Situlen (Magdalenska gora, Vace, Certosa, Bologna-Arnoaldi, Este-Benvenuti, Providence), Gürtelbleche und Schwertscheiden des 7. und 6. Jahrhunderts zeigen szenische Darstellungen von Festen und Prozessionen, Faustkämpfen und kriegerischem Gefolge, die man fast als Illustrationen archaischer und klassischer griechischer Dichtung lesen könnte. 364 Dies zeigt, daß die hei-
360 361 362 363
364
Gotter 2000, 396-399. Kossack 1993; Lenerz-de Wilde 1977. Binding 1993. Kimmig 1983, 71 f., betrachtet dies als allgemeine „Mediterranisierung" Mitteleuropas im 6. Jahrhundert v. Chr.; vgl. Wells 1980; Pauli 1999. Frey 1969; L. C. Koch 2003.
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À Abb. 61. Schematische Darstellung der Beziehungen zwischen Mittelmeerwelt und eisenzeitlichem Mitteleuropa im 5. bis 3. Jahrhunden v. Chr. Latène-Kultur und von dieser beeinflußte Bereiche erstreckten sich in an der nördlichen Peripherie der urbanisierten Mittelmeerwelt. Zwar bestimmten auch Gebirgszüge die Ausdehnung dieser Peripherie (Alpen und nördliche Mittelgebirge), doch dürften die Beziehungen zwischen „Zivilisation" und .Barbaren" ausschlaggebend gewesen sein. Jenseits dieses „keltischen" Bereichs erstreckten sich (gewissermaßen am Rande der Welt) Gebiete, die Griechen und Römern weitgehend unbekannt blieben und gleichzeitig nicht weiter von unmittelbarem Interesse waren (nach Brun 1994, 61 Abb. 6,3)
mischen Eliten nicht nur Prestigegüter aus der Méditerrannée bezogen, sondern auch Habitus und Lebensstil365 - zumindest in bestimmten Situationen danach auszurichten trachteten. Anders lassen sich diese Selbstdarstellungen kaum interpretieren. In die gleiche Richtung weist die Lehmziegelmauer auf Steinfundament der Heuneburg. Eine Mauer aus Lehmziegeln konnte zwar den mitteleuropäischen Wetterverhältnissen durchaus standhalten und ließe sich deshalb auch mit einheimischen Bauformen erklären.366 Doch ihre Kom-
365 366
Zu diesem soziologischen Begriff vgl. H.-P. Müller 1992, zusammenfassend 355-380. de Chazelles-Gazzal 1997 zufolge wurde Lehm im bronzezeitlichen Hausbau Westeuropas nur mit separat tragenden, steinernen oder hölzernen Konstruktion verwendet. Das Aufkom-
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Strukturelle Alternativen
bination mit vorspringenden rechteckigen Bastionen verweist wohl auf südliche Vorbilder.367 Trinkhörner und Geschirrsätze für Trinkgelage, wie sie ebenfalls aus reichen Gräbern der späten Hallstatt- bzw. frühen Latène-Zeit (EberdingenHochdorf, Ludwigsburg, Asperg, Mülheim-Kärlich, Reinheim) bekannt sind, und die Hochdorfer Kline belegen die mittelbare Übernahme des Symposions 368 , in dessen Rahmen sich eine Männerwelt vergnügte, soziale Bindungen stärkte und sich ihrer Identität versicherte. Für diese Herleitung sprechen nicht nur die teils heimischen Geschirrsätze selbst, sondern auch die „importierten" - d. h. wohl im Gabentausch erworbenen - griechischen Kratere mitunter immenser Größe, schwarz- und rotfigurige Gefäße, „rhodische" Bronzekannen sowie griechisch-provençalische Weinamphoren. 369 Außerdem finden sich Elfenbeinarbeiten und bronzene („etruskische") Schnabelkannen, die im Rahmen des Gabentauschs als prachtvolle „Zimelien" gedient haben dürften. 370 Das „massenhafte" Auftreten südlicher Fremdgüter läßt sich nicht allein mit einem politisch motivierten Geschenketausch erklären. Hier sind breitere Schichten versorgt worden, deren Bedarf rasch anhand einheimischer Nachahmungen (Röhrenkannen usw.) sichtbar wird. Anstelle eines regelrechten Fernhandels ist wohl eher mit einem allmählichen „Einsickern" im Tausch zu rechnen. Einem breiten elitären Milieu sind ebenso eisenzeitliche Wagengräber zuzurechnen (Abb. 62). Dabei handelt es sich um die Mitgabe vierrädriger (Prozessions-)Wagen und zweirädriger (Streit-)Wagen in der späten Hallstatt- und in der frühen Latène-Zeit.371 Wagen gab es zwar bereits in neolithischer Zeit in Mittel- bzw. Westeuropa, und sie kommen (wie Darstellungen auf Keramik und Miniaturausführungen in Metall belegen) auch weit außerhalb der „Wagengrabzone" vor. Doch die Ausführung dieser eisenzeitlichen Typen und die Art ihrer Verwendung im Grab halten sich unverkennbar an mediterrane, vor allem etruskische bzw. villanovazeitliche Vorbilder.372 Streitwagen sind darüber hinaus in „praktischer" Hinsicht unbrauchbar, denn sie setzen
367 368 369 370 371 372
men der Lehmziegelbauweise in der älteren Eisenzeit wird auf phönizische, griechische und römische Beeinflussungen zurückgeführt. Auf der iberischen Halbinsel gab es bereits im Chalkolithikum die Lehmziegelbauweise. Gersbach 1995; 1996. Krauße 1993; J. Fischer 1990. Vgl. Kyrieleis 1969; Bouloumié 1988. Bouloumié 1992. F. Fischer 1973. Vgl. Die Etrusker und Europa 1993. Pare 1992; van Endert 1987; vgl. Vosteen 1999; Egg/Pare 1993. Pare 1992,196 Abb. 134, für die zweirädrigen Wagen; Carri da guerra 1997.
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Abb. 62. Verbreitung von Wagengräbern der Hallstatt-Zeit. Wagen kommen in „reich" ausgestatteten Gräbern vor und scheinen einer Elite zuzurechnen sein. Südlich der Alpen handelt es sich um zweirädrige, nördlich der Alpen um vierrädrige Wagen. Letztere sind zu Transportzwecken geeignet, erstere gehen wohl auf ostmediterrane Streitwagen zurück. Für beide Formen wird eine Benutzung zu prestigeträchtigen .Demonstradons"-Zwecken angenommen. Für den »alltäglichen" Gebrauch erscheinen diese Wagen zu zerbrechlich. • zweirädriger Wagen; • zweirädriger Wagen der späten Hallstattzeit; · vierrädriger Wagen; O Zahl der Räder unbekannt (nach Pare 1992, 196 Abb. 134)
flache Ebenen und größere Heere voraus, die an der Peripherie der Méditerrannée nicht vorhanden sind. Streitwagen lassen sich daher ausschließlich als Prestigeobjekte verstehen, doch wird für Wagen dieser Zeit im allgemeinen kein praktischer, sondern ein zeremonieller Gebrauch angenommen. Auch bei der Bewaffnung (Helme und Panzer) sind Abhängigkeiten nicht zu übersehen.373
373
Egg 1986; Stary 1994; Schaaff 1988; Hencken 1971; Borchhardt 1972.
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Strukturelle Alternativen
Von Italien über Gallien bis hin zur Iberischen Halbinsel gibt es eisenzeitliche, überlebensgroße Skulpturen aus lokal vorkommendem Stein, die etwa in das 7. bis 5. Jahrhundert gehören, aber regional auch ein längeres „Nachleben" aufweisen (Abb. 63).374 Dargestellt sind überwiegend Männer mit Waffen und Ausrüstung - stehend oder auch als Reiter, gelegentlich auch reich geschmückte Frauen (wie die wohl aus dem 4. Jahrhundert stammende „Dame von Elche"375). In einigen Fällen ist eine Funktion als Grabstele gesichert (Hohmichele, Glauberg376, Casale Marittimo 377 ). Die exzeptionellen Figuren weisen in Stil und Motiv, Haltung und Ausrüstung (z. B. Panzerungen) eindeutig auf griechische (bzw. etruskische) Vorbilder hin, auch wenn sie regional unterschiedlich abgewandelt wurden und an einheimische Vorläufer anknüpfen konnten. Aus Italien stammen heroisch nackte Kriegerstatuen, gepanzert und bewaffnet oder lediglich mit einem Gürtel versehen, die Arme in einer speziellen Geste angewinkelt.378 Nördlich der Alpen finden sich Stelen mit Torques, Leibgurt und Kopfbedeckung wie in Hirschlanden - oder mit Torques, Panzer, Schild und einer seltsamen Kopfbedeckung („Blattkrone") wie vom Glauberg. Auch diese Krieger halten ihre Arme ebenso wie die italischen Statuen angewinkelt.379 Im südwestlichen Spanien wurden neben stehenden Kriegern auch Reiterfiguren samt aufgezäumten Pferden sowie weitere Tiere (Löwen, Stiere, Greifen) angefertigt.380 Anhand dieser Skulpturen entlang der Peripherie des Mittelmeerraums (nicht nur beschränkt auf regionale Kulturräume) zeigen sich kulturelle Wechselwirkungen zwischen barbarischer und zivilisierter Welt.381 Anders als diese wechselseitigen Beeinflussungen an der Peripherie der staatlich verfaßten Mittelmeerwelt sah die „Romanisierung" Galliens aus. Die militärische Eroberung und politische Neustrukturierung innerhalb des Imperiums (Steuern und Geldwirtschaft, Bildung und Gesetze, pax Romana) bedeuteten eine gänzlich andere Situation. Die kulturellen Wandlungen betrafen sowohl die gallische Bevölkerung als auch die Römer, d. h., sie verliefen in beide Richtungen - ohne daß beide Seiten als homogene und distinkte Blöcke
374
Stary 1997; Bonenfant/Guillaumet 1998; Frey 2000; Rapin 2002; Höck 2002. León 1998a; vgl. etwa mit der Skulptur einer sitzenden Göttin aus Tarent um 460 v. Chr. (The western Greeks 1996, 395). 376 Frey 2002. 377 Esposito 1999. 378 Colonna 1999; Nava 1988; J. Fischer 1984; Stary-Rimpau 1988. 379 Frey/Herrmann 1997, 474-485; Bosinski/Herrmann 1998/99; Raßhofer 1998; Kartierung eisenzeitlicher italischer und mitteleuropäischer Funde bei Kimmig 1988, 62 Abb. 15. 380 León 1998b, 169-185; Negueruela Martínez 1990. 381 Brun 1994, 57-65; vgl. Vix 1997; Kuli 2002. 375
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Abb. 63. Verbreitung eisenzeitlicher Stelen. Nördlich der Alpen finden sich figurale und nicht skulptierte Stelen, die zum Teil von italischen bzw. mediterranen Vorbildern abzuleiten sind, zum anderen Teil auf mitteleuropäische (oder sogar östliche) „Traditionen" zurückgehen. Die von Spanien bis Mitteleuropa vorkommenden Stelen belegen einen „ Akkulturations" -Prozeß, in dessen Folge mediterrane Einflüsse regional unterschiedlich adaptiert wurden. Schraffur und · italische Stelen; I figurale Stelen; • figurale Stelen unsicherer Datierung; • nicht skulptierte steinerne Stelen; O Spuren hölzerner Stelen (nach Kimmig 1988, 62 Abb. 15; Stary-Rimpau 1988, Beilage 1; Glauberg ergänzt)
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aufeinandertrafen. Die modifizierte Einführung römischer „Zivilisation" vollzog sich allmählich, ungleichmäßig und nicht überall. Zu den wichtigsten strukturellen Veränderungen gehörten eine „Urbanisierung" (coloniae, civitates) und die Errichtung ländlicher villae sowie die Herausbildung einer gallorömischen Elite, neue Möglichkeiten des Konsums - archäologisch faßbar an Wein-Amphoren und feinen Tafelservices (Terra sigillata) in massenhafter Verbreitung - zunächst durch Import und bald durch Eigenproduktion - , außerdem die Entwicklung spezieller gallo-römischer religiöser Vorstellungen (Jupiter-Giganten-Säulen). Neben der raschen Übernahme römischer „Zivilisation" durch die Einheimischen lassen sich sehr flexible, regional unterschiedliche Reaktionen - von der unmittelbaren Übernahme über selektive Anpassungen und redefinierende Transformationen bis hin zur längerfristigen „Verweigerung" - in Keramikherstellung, Grabritus oder Hausbau, Religion und „Kultur" feststellen.382 Ungeachtet der homogen erscheinenden Anfänge einer gallo-römischen Beziehungsgeschichte zeigten sich deutliche kulturelle Regionalisierungen vor allem im 2. und 3. Jahrhundert.383 Eine einheitliche (provinzial-)römische Kultur entstand dadurch nicht. 3. Die „germanische Welt" wurde - nach prägenden Einflüssen aus dem keltischen Bereich384 - in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten entscheidend vom Imperium geprägt.385 Dazu trugen nicht nur die politischen Beziehungen aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft und der Kontaktsituation entlang des limes bei,386 sondern auch der Dienst im römischen Militär387 und die Entstehung „germanischer Reiche" auf zuvor römischem Boden. Römischer „Import" 388 belegt bereits seit der frühen Kaiserzeit den intensiven Austausch zwischen Imperium und nördlichen Barbaren, wobei deutliche zeitliche und regionale Differenzierungen zu bemerken sind.389 Die Ausstattung der „Fürstengräber" zeigt, daß Elitenangehörige römisches Prestigegut
Wells 1999, 148-223; vgl. Roymans 1996a; T. Derks 1998. Woolf 1998, 82-87, 175-205, anhand von Inschriften, Keramik, Wandmalereien. 3 8 4 Dazu zählt nicht nur die Fibelmode, sondern auch die Übernahme von Wagen, die in Gräbern (Husby, Kraghede, Langa) und Depots (Dejbjerg) niedergelegt wurden; Raddatz 1967. 3 8 5 Zum Forschungsansatz: Krauße 1996b. 386 Vgl. Germanen beiderseits des spätantiken Limes 1999. 3 8 7 Vgl. Burns 1994. 3 8 8 Die entsprechenden Stücke stammen sowohl aus dem mediterranen Raum als auch aus den Provinzen, wo sie von einheimischen („keltischen" und „germanischen") Handwerkern produziert wurden. 3 8 9 Corpus der römischen Funde 1994-1998; Korpus znalezisk rzymskich 1998; Kunow 1983; Lund Hansen 1987; Kaczanowski 1992; Erdrich 2001. 382
383
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(Trinkgläser, Bronze- und Silbergefäße) akkumulieren und einsetzen konnten, um ein kriegerisches „Gefolge" zufriedenzustellen.390 Die jeweils ähnliche Ausstattung (Geschirr und Schmuck) der älter- (Lübsow-Gruppe) und der jüngerkaiserzeitlichen „Häuptlingsgräber" (Haßleben/Leuna)391 belegt weiträumige Kommunikation sowohl mit der römischen Welt als auch innerhalb der germanischen Eliten. Doch reflektieren diese Gräber keine abgeschottete „Oberschicht", sondern stellen mit ihrer uneinheitlichen Ausstattung nur die Spitze einer kontinuierlichen, regional differenzierten Rangpyramide dar, wie sie sich in jeder Siedlungsgemeinschaft ergeben haben dürfte.392 Elitenangehörige übernahmen Kleidungsbestandteile, aber auch Trink- und Eßgewohnheiten sowie Lebensstil.393 Auffälligerweise finden sich Verbreitungsschwerpunkte der „Importgüter" und die „Fürstengräber" nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zum l i m e s , sondern im Inneren Germaniens. Der erhebliche Umfang der „Importe" weist darauf hin, daß neben elitärem Gabentausch auch der Besitz aus dem Imperium zurückgekehrter Germanen und regelrechte Handelsbeziehungen von Bedeutung waren. Hierbei könnte der große Bedarf des römischen Militärs an Fleisch und Getreide von Bedeutung gewesen sein. Außerdem spiegeln die „Importe" Phasen „germanischer" Plünderungen und Beutezüge innerhalb des Imperiums wider. Prägend dürften auch jene Eindrücke und Erfahrungen gewesen sein, die die zahlreichen germanischen Söldner und Militärs während ihres Dienstes im Imperium sammelten. Kehrten sie in ihre „Heimat" jenseits der Reichsgrenzen zurück, brachten sie neben Sachgütern (Sold, Beute, Lösegeld) auch Vorstellungen und Verhaltensweisen (Habitus) mit „nach Hause". Die politische Konzentration innerhalb der Barbarenwelt - die Ablösung der frühkaiserzeitlichen „Kleinstämme" durch die seit dem späten 3. Jahrhundert aufkommenden großen „Stammesverbände" - dürfte durch die Erfahrungen mit dem und im Imperium (Auxiliareinheiten, Klientelreiche, Handelsbeziehungen) wesentlich gefördert worden sein. Die römische Administration brauchte und fand einzelne, herausgehobene „Ansprechpartner" bei den Germanen, wodurch die dortigen politischen Verhältnisse strukturell verändert und geprägt
390
391
392 393
Holand 2001. - Vergleichbar der Redistribution von Luxusgütern in Häuptlingsherrschaften, doch zu unterscheiden von der öffentlichen „Vernichtung" von Reichtum im Potlatsch. Die zeitliche „Lücke" zwischen den älter- und jüngerkaiserzeitlichen Elitegräbern wird durch neuere Funde wie in Musov (B2/C1) geschlossen; Tejral 1993, 424-458; Peska/Tejral 2002, 512. Steuer 1982a, 209-229; Gebühr 1974. J. Werner 1973a.
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Strukturelle Alternativen
wurden. So war die germanische Welt in großen Teilen tatsächlich eine „Schöpfung des politisch-militärischen Genius Roms". 394 Selbst oder gerade „ostgermanische Oberschichtgräber" im Donauraum des frühen 5. Jahrhunderts orientierten sich an mediterranen Vorbildern, indem sie goldene Zwiebelknopffibeln und edelsteinbesetzte Goldfibeln enthalten. 395 Die bei aller regionalen Verschiedenheit deutliche Ähnlichkeit der Grabinventare untereinander und ihre Beziehungen zur mediterranen Welt zeigen, daß das Verhältnis zu den Römern die Kultur einer barbarischen Elite prägte.396 Weite Bereiche der Wirtschaft und Lebensbedingungen waren davon allerdings kaum berührt. 4. Die wechselseitige starke Beeinflussung von „Römern" und „Germanen" („Barbarisierung" und „Romanisierung"397) sowie die deutliche innere Differenzierung und Regionalisierung auf beiden Seiten lassen eine klare Gegenüberstellung nicht zu. Die meisten „Germanen" hatten es in den Provinzen statt mit „Römern" aus Italien mit einer dem römischen Habitus in unterschiedlicher Weise verpflichteten einheimischen Bevölkerung zu tun, die sich in „nativistischer" Abgrenzung zur römischen „Globalisierung" noch in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts des längst verschwunden geglaubten Latène-Ornaments bedienen konnte, ohne daß sich Anhaltspunkte für eine breite Revitalisierung keltischer „Identität" finden ließen.398 In der Analyse können zwar unterschiedliche kulturelle „Traditionen" getrennt werden, doch zur Beschreibung der zeitgenössischen gemeinsamen Lebenswirklichkeit taugt diese Dichotomie wenig. In Spätantike und Frühmittelalter entwikkelten sich neue Gesellschaften, die nicht aus zwei unverbundenen Teilen bestanden. Die sich verändernden Gesellschaften stützten sich strukturell auf unterschiedliche, miteinander verflochtene „Wurzeln". Im Hinblick auf Akkulturationsprozesse ist festzuhalten, daß fehlende Anzeichen für kulturelle Übernahmen nicht allein mit Abgeschiedenheit und wirtschaftlicher Rück-
394 395 396 397
398
Geary 1996, 7; Wells 1999, 117, 261. Bierbrauer 1989, 77 („Ausstattungskategorie la"); Schmauder 1996; 1998a. Das Gold der Barbarenfürsten 2001; R. Stark 1999b, 175. Die sogenannte „reduzierte Beigabensitte" der Merowingerzeit läßt sich in struktureller Perspektive sowohl durch „frankisierte Romanen" als auch durch „romanisierte Franken" erklären, wiewohl beide Modelle allein der historischen Realität kaum gerecht werden können. Wells 1999, 196-198. Auch der Bataveraufstand 69/70 läßt sich als nativistische Reaktion auffassen ; Roymans 1998; 1996a. - Die Wiederbelebung alter vorrömischer „Stammesnamen" durch die gallische Aristokratie des 3. Jahrhundens besaß dagegen regionalistische Ziele innerhalb des Imperiums; Geary 2002, 121.
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ständigkeit zu erklären sind, sondern ebenso als Indiz einer gewollten „Verweigerung" („Nativismus") angesehen werden können. Seit der Mitte des 5. Jahrhunderts begann von Nordgallien über das Rheinland und Burgund bis ins obere Donaugebiet (sowie in Britannien und in Spanien?399) die Anlage sogenannter Reihengräberfelder.400 Sie umfassen west-östlich ausgerichtete, in Reihen angeordnete Bestattungen. Das geographische Vorkommen dieser bis ins 7. Jahrhundert angelegten Friedhöfe erstreckt sich entlang der Peripherie des spätantiken Imperiums, dabei zunächst weitgehend innerhalb der (ehemaligen) Reichsgrenzen.401 Insofern scheint es sich um kulturelle 7Ve«formierungen gehandelt zu haben402, deren Zurückführung auf mutmaßliche „germanische" oder (provinzial-) „römische" Traditionen zu kurz greift. Verschiedene kulturelle „Wurzeln" waren beteiligt (ohne daß sich die „entscheidende" feststellen ließe), doch wichtig war die kulturelle Neuorientierung. Ebenso wie bei der Entstehung „germanischer" Reiche auf „reichsrömischem" Boden dürfte es strukturell ergiebiger sein, statt dieser Dichotomie die gemeinsame Lebenswelt herauszustellen.403 Die „Auflösung" bisheriger politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Strukturen forderte von den Zeitgenossen die Suche nach neuen und den neuen Verhältnissen angemessenen Bezügen und Identitäten. Die überaus umfassende politisch-soziale „Transformation der Gallia zwischem römischem imperium und fränkischem regnum" bedeutete daher die Neuordnung der „gesamte[n] kulturellefn] Semantik".404 Daran mußte Germanen und Romanen - beides in jeder Hinsicht nichts weniger als homogene und distinkte Gruppierungen - gelegen sein. Dann läßt sich auch die verbreitete Ausstattung im Grab, die im Bereich der Reihengräber fibelgeschmückte Kleidung bei den Frauen und die Waffenbeigabe bei den Männern405 umfaßte, durch diese Neuorientierung erklären.406 Denn explizite und unmittelbare Vorbilder für diese Beigaben kann man (abgesehen von der ostmitteleuropäischen Prze-
3,9 400 401 402 403 404 405
406
Das vermutet Sasse 1997, 40, aufgrund der Blechfibeln. J. Werner 1950; Halsall 1992. v. Schnurbein 1995, 26 f. Abb. 8. James 1979, 85. Vgl. für Gallien: Jussen 1995; 1998. Jussen 1998, 78. Ältere Waffengräber fallen zeitlich mit dem Dienst von Germanen in römischen Auxiliareinheiten zusammen und dürften auf römische Anregungen zurückgehen; Wells 1999, 238 f. Auf diese Weise läßt sich auch die archäologische „Unsichtbarkeit" der tolosanischen Westgoten erklären, die Bierbrauer 1994, 155, für ein „Miraculum" hält. Aquitanien gehörte nicht zu jenen peripheren Regionen, in denen Reihengräber und Fibelausstattungen den zeitgenössischen Habitus prägten.
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Strukturelle Alternativen
worsk-Kultur) nur schwer in der kaiserzeitlichen Germania finden, wenngleich dort überall und sporadisch einige wenige Männer mit der einen oder anderen Waffe (Pfeilen, Lanze, Schwert, Schild) bestattet wurden, 407 und Vergleichbares (Gürtelschnallen, Fibeln, Waffen) gab es sporadisch auch innerhalb des Imperiums.408 Während des 6. und 7. Jahrhunderts waren Kleidungsbestandteile in mediterranen Gräbern nicht selten, nachdem die Mitgabe im späten 5. Jahrhundert aufgekommen war.409 Man bezog sich statt auf „alte Traditionen" auf einen neuen Habitus, der Ausdruck neuer zeitgenössischer Identitäten war. Aufgrund der stetig abnehmenden Reichweite und Durchsetzungskraft der antiken Administration entstanden soziale Konkurrenzen und Instabilitäten. In dieser Situation konnten Waffen die Kontrolle bewaffneter Kräfte demonstrieren sowie Gürtel und Fibeln den Rang sichtbar machen. So könnte sich auch die alte Elite in neuem Habitus präsentiert haben, um anstelle des Bezugs auf die nicht mehr funktionierende imperiale Macht sich mit nichtautorisierten lokalen Machthabern und den Barbarenkönigen zu arrangieren.410 Das regional unterschiedlich anzusetzende Aufhören der Beigaben in späterer Zeit sollte dann auch weniger als „Romanisierung" oder (u. U. nur mittelbare Folge der) Christianisierung verstanden werden. Die sich wieder verfestigenden sozialen Verhältnisse erforderten keine so deutliche Statusdemonstration in der Bestattung mehr und bewirkten einen Wandel der entsprechenden Vorstellungen (zur liturgischen memoria) - wenngleich auch diese Gegenüberstellung der differenzierten Realität nicht wirklich gerecht wird. Im 6. und 7. Jahrhundert waren aufwendige vielteilige Gürtel 411 und meist goldene Folienkreuze (Abb. 64) 412 im nördlichen Italien und im heutigen Süddeutschland verbreitet (was zu ihrer Apostrophierung als „langobardisch" geführt hat). Beide besitzen ihre Vorbilder im spätantiken bzw. frühbyzantinischen Milieu. Die Männergürtel gehen wohl auf das antike cingulum militiae zurück, wobei mit dem Symbol nicht zwangsläufig auch dessen Amtsfunktion übernommen worden zu sein braucht.413 Aus einem ursprünglichen
407
408
409 4,0 411 4,2 413
Die Zahl der Waffen in Gräbern ist mit nur wenigen Bestattungen je Gräberfeld so gering, daß sich Regelmäßigkeiten nicht erkennen lassen. Dies gilt grundsätzlich für das gesamte Mittelmeergebiet: Bierbrauer 1980, 98; vgl. James 1977,161-193. Koenig 1979, 71. Halsall 1995, 250 f.; vgl. Geary 2002, 124. Fehr 1999. Riemer 1999, 623. K. F. Werner 1998a, 189, 210-212,215-225, verweist auf Kontinuitäten öffentlicher Ämter im Mittelalter hin.
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Abb. 64. Verbreitung der „Goldblattkreuze" des 7. Jahrhunderts. Die Verbreitungsschwerpunkte südlich und nördlich der Alpen belegen transalpine Verbindungen. Gleichartige Kreuze aus Textilien haben sich kaum erhalten, so daß die Kartierung einseitig bleibt. Diese goldenen, für die Bestattung angefertigten Kreuze dürften aufgrund ihrer Seltenheit und des Materials einer »Oberschicht" zuzurechnen sein. Die Beigabe eines solchen Kreuzes dürfte religiös zu deuten sein, auch wenn sich Folienkreuze nicht in Gräbern in Kirchen bzw. auf Kirchfriedhöfen finden. Pfarrkirchen spiegeln jedoch die Institutionalisierung der Kirche wider, die erst mit dem späten 7. Jahrhundert einsetzte. Die Größe der Signatur bezeichnet gestaffelt 1, 2-3, 4-9, 10-20 bzw. mehr als 20 Kreuze pro Gräberfeld (nach Riemer 1999, 610 Abb. 1)
426
Strukturelle Alternativen
Attribut imperialer Amtsträger wurde rasch eine „Zeitmode". Trotz weitgehend fehlender archäologischer Nachweise für byzantinische Folienkreuze sind auch die sogenannten „Goldblattkreuze" keine genuin germanische (langobardische) Erfindung. Dazu hängen sie zu sehr mit Antike und Christentum zusammen. 414 Man muß wahrscheinlich mit Vorbildern aus Stoff (aufgenäht oder eingewebt) rechnen, die schließlich in dünne Metallfolien umgesetzt wurden und sich deshalb in („germanischen") Gräbern nördlich und südlich der Alpen erhielten. Wenn man vielteilige Gürtel und Goldblattkreuze sowie weitere im Italien des 6./7. Jahrhunderts zu fassende Charakteristika als mediterran-byzantinisch ansieht, dann spiegeln die transalpinen Beziehungen auch nicht unmittelbar langobardischen, sondern südlichen Einfluß wider. Als ebenso weiträumige „Zeitmoden" können weitere spätantik-frühmittelalterliche Fundgruppen gelten. Sie sind zei'rtypisch und beruhen auf verschiedenen Voraussetzungen, weshalb sie in „germanischen" und „romanischen" Zusammenhängen vorkommen und auf diese Weise „Akkulturationen" belegen. Hinzuweisen ist auf den oben bereits erwähnten „Kerbschnitt", der sich an zahllosen „spätrömischen" Gürtelgarnituren und Riemenzungen, aber auch an „germanischen" Fibeln und Möbeln findet. Ähnlich verhält es sich mit der sogenannten „germanischen" Tierornamentik des späten 5. bis 8. Jahrhunderts. 415 Sie greift erkennbar auf Formen und Darstellungen spätrömischer Kerbschnittbronzen zurück, wobei zunächst Meerestiere und „römische Motive wie die Maske zwischen den Tieren, insbesondere des Okeanos zwischen Delphinen und Seewesen" in den südskandinavischen NydamStil der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts übernommen wurden. 416 Erst allmählich entstand daraus eine eigene zeittypische „Bildsprache", die einerseits antike mythologische Bildschemata wie kauernde Randtiere und Masken zwischen Tieren weiterverwendete und andererseits eine „passende Auswahl" an symbolischen Darstellungen (Vierfüßler, Schlangen, Raubvögel) traf. Als weiterer mediterraner Einfluß kam im 6.17. Jahrhundert das Flechtband hinzu, wodurch sich „Stil I I " in Mitteleuropa (zwischen fränkischem Gallien und awarischem Pannonien) sowie in Italien ohne größere regionale Unterschiede verbreitete. 417 Die frühmittelalterliche Tierornamentik erscheint gewisserma-
414
415 416 4,7
J. Werner 1980a, 44. Auf die methodischen Schwierigkeiten, die Langobarden im völkerwanderungszeitlichen archäologischen Material zu identifizieren, weist hin: Stein 1999. Salin 1904; Haseloff 1981; Karlsson 1983; Speake 1980; Bakka 1983. Haseloff 1973, 442; Bierbrauer 1997b. Vgl. Johannson-Meery 1993; Muhl 1994, 36, 61; Aufleger 1997.
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ßen als „Zwitter" antiker und frühmittelalterlicher Stilvarianten, als eine zeitlich und regional begrenzte „Mode", deren Charakterisierung als „germanisch" oder „römisch" strukturell nicht weiterführt. Denn die Tierdarstellungen sind ohne mediterrane Anregungen nicht denkbar, und sie stellen zugleich eine eigene frühmittelalterliche Stilentwicklung dar.418 Die mutmaßliche symbolische Bedeutung der Darstellungen ist im einzelnen nicht zu entschlüsseln. Daß Stil II „was used [...] to legitimize that part of the elite that legitimated its authority on the basis of Scandinavian and divine origine", bleibt Hypothese, zumal ihr die Auffassung eines prägenden romanisch-germanischen Gegensatzes im Merowingerreich zugrunde liegt.419 5. Im frühmittelalterlichen Ostmitteleuropa zeigt eine Analyse des Frauenschmucks deutlich südosteuropäische Vorbilder. In den westslawischen Körpergräbern des 9. und 10. Jahrhunderts sowie in Schatzfunden kommen insbesondere Schläfen- und Ohrringe vor, die in Form und Technologie mittelbar an byzantinische Traditionen anknüpfen.420 Ganz ähnliche Formen finden sich im südosteuropäischen Raum - sowohl entlang der Donau als auch in Dalmatien, d. h. in Bulgarien, Ungarn, Slowenien, Bosnien, Serbien und Rumänien. Dies sind die Siedlungsgebiete der Südslawen, die sich in großen Teilen des ehemaligen Reichsgebiets niedergelassen hatten und stark von Byzanz geprägt wurden. Anregungen aus diesem Raum wurden im 9. Jahrhundert zunächst in die südwestliche Slowakei und nach Mähren vermittelt. Trotz eigener Schmuckherstellung in Mikulcice und Staré Mesto blieb der Schmuck zur Karolingerzeit stark „byzantinisch-mediterran" geprägt. Von Mähren aus übernahm man auch in Böhmen, später in Polen und bei den Elbslawen diese Schmuckformen, wenn diese auch eigenständig weiterentwickelt wurden. Strukturell gesehen, gibt es keine vollkommen abgeschlossenen Gesellschaften. Selbst eine bewußte Abschottung setzt ein différentes Gegenüber voraus. Gegenseitige Kontakte, Austausch und Beeinflussungen sind deshalb keine Überraschungen. Aufschlußreich ist aber das jeweilige Ausmaß, in dem auf äußere, fremde „Vorbilder" reagiert und eingegangen wird. Die „barbarischen" Gesellschaften Mitteleuropas, zumindest die Eliten, orientierten sich
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419 420
Steuer 1994b plädiert für die Katze als Vorbild der Greiftiere; dagegen Warners 1999, 200, 206 f., 215 f. Hejlund Nielsen 1998, 41; 1997, 141. Kócka-Krenz 1993, 143-157; Dostál 1966, 30-44; Avenarius 2000, 79; Brather 2001a, 279-286; vgl. Bizantini, Croati, Carolingi 2001, 407, 413, 415, 419, 421, 425, 438 f., 443 f.
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Strukturelle Alternativen
im Habitus an der Mittelmeerwelt. „Akkulturationen" innerhalb der Barbarenwelt werden im archäologischen Material weniger deutlich, doch liegt dies zunächst an der größeren Ähnlichkeit der Sachkultur.421 Mediterrane „Importe" und Beeinflussungen fallen eher auf, und die „zivilisatorischen" Eindrükke aus dem Süden und Südosten veränderten die mitteleuropäische Welt grundlegend. Doch war diese Entwicklung kein eindimensionaler, einseitiger Prozeß. Die jeweiligen Übernahmen und Imitationen erfolgten selektiv, und es lassen sich auch bewußt widerständige, verweigernde Reaktionen feststellen. Besonders in der Spätantike fallen Einflüsse in umgekehrter Richtung auf. Hosen hatten sich (aus praktischen Gründen) als übliches Kleidungsstück römischer Soldaten und von Reitern auf der Jagd eingebürgert, Reihengräberfelder und Beigabenausstattung kennzeichneten kulturelle Neuorientierungen an der nördlichen Peripherie des Imperiums. Ihrer Struktur nach ist „Akkulturation" ein zweiseitiger, aber kein dichotomischer Prozeß. Neben der Erfassung der, kaum als distinkt und unabhängig anzusehenden, Ausgangskulturen kommt es auf die Analyse der Wechselwirkungen und der entstandenen neuen Verhältnisse an, die mehr als eine bloße Summe der Ausgangsmerkmale bedeuteten. Die Kombination verschiedener Kennzeichen erscheint viel interessanter als deren separierende Zurückführung auf (tatsächliche oder vermeintliche) „Wurzeln" in der „Vorzeit".
Essen und Trinken Essen und Trinken sind in kulturgeschichtlicher Hinsicht überaus interessant.422 Dies gilt einerseits für die verzehrten Speisen und genossenen Getränke, andererseits für die Herstellung und Zubereitung, den Verzehr selbst und den dabei gewählten gesellschaftlichen Rahmen. Letzterer verweist auf die soziale Bedeutung des Essens und Trinkens, das bestehende gesellschaftliche Bindungen bekräftigt und neue knüpft. Auch zur Wirtschaftsgeschichte bestehen enge Verknüpfungen, müssen doch pflanzliche und tierische Nahrung zunächst produziert bzw. gegen andere Produkte eingetauscht werden. Die Ernährung423 selbst umfaßt zwei Bereiche: die pflanzlichen und tierischen Lebensmittel auf der einen Seite und deren Zubereitung auf der anderen. Der methodische Zugang ist nicht ganz einfach, weil aufwendige natur-
421 422 423
Vgl. Kap. VI,17,b. Dalby 1998; André 1998; Essen und Trinken 1987; Gerlach 2001. The analysis of prehistoric diets 1985; Lidén 1995; Schutkowski 1998; Food in antiquity 1995.
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wissenschaftliche Analysen notwendig sind. Doch bereits die verwendeten Kochgefäße bieten interessante Aufschlüsse - Größe und Fassungsvermögen, Hitzebeständigkeit, Form und Verwendungsweise (stehend im Feuer oder hängend über dem Feuer). Die Frage der produzierten Nahrungsmittel sei weiter unten im Zusammenhang mit wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen behandelt und hier lediglich auf die Zubereitung eingegangen. Bislang liegen erst recht wenige Untersuchungen von Nahrungsresten vor (häufiger dagegen von Vorräten). Speisen und vor allem Fleisch wurden weit überwiegend gekocht, weil damit mehr nahrhafter Gehalt zur Verfügung steht, und wohl nur zu festlichem Anlaß oder in elitärem Milieu auch gebraten. Untersuchungen des Mageninhalts von „Moorleichen", die einen pflanzlichen Brei ergaben, lassen sich nicht unmittelbar bewerten, weil es an Vergleichen mangelt. Ob die „Henkersmahlzeiten" etwas Besonderes oder etwas besonders Einfaches waren, bleibt offen. Pflanzliche Breie und Suppen dürften einen erheblichen Anteil an der Nahrung besessen haben. Verschiedene Kräuter würzten die Speisen; exotische Gewürze erreichten wohl nur den Speisentisch einer Elite. Vermutlich frisch verzehrte Dinge wie Gemüse und Obst (wiederum mitunter exotische Früchte aus dem Süden) sind zwar nachzuweisen, nicht aber die Art und Weise ihres Verzehrs. Herdstellen belegen das Kochen; Brot und Backen lassen sich indirekt durch Backöfen nachweisen, wobei kulturelle Vorlieben für Brotlaibe oder Fladen regional und zeitlich unterschiedlich ausfallen. Neben Wasser sind in Vorrats- und Trinkgefäßen alkoholische Getränke wie Bier und Wein ermittelt worden - ζ. B. eine honigweinartige Flüssigkeit im Kessel von Eberdingen-Hochdorf und einem Gefäß vom Glauberg (Grab l). 4 2 4 Verweisen Trinkgefäße (und -hörner), häufig im Set und damit ebenso auf elitäre Verhältnisse deutend wie die Übernahme mediterraner Weinsiebe und -schöpfkeilen, bereits auf das „Servieren", so liegt auch unterschiedlich aufwendiges Geschirr für Speisen vor 425 - verschiedene Schüsseln und Schalen, bronzene Becken und Griffschalen, Teller aus Keramik, Bronze oder auch Silber, „Tabletts" aus Metall oder Holz. 426 Weitere Gefäße können „hygienischen" Zwecken gedient haben, wofür sich u. a. eisenzeitliche Bronze-Becken und -Pfannen427 sowie die hochmittelalterlichen Handwaschschüsseln („Hanseschalen") an-
424 425 426 427
Körber-Grohne 1980; Rösch 1997a; 2002. Vgl. aus Sicht der klassischen Archäologie: Bats 1988; Tchernia 1986. Vgl. als ein Beispiel: Krauße 1996a. Vgl. Metzler-Zens/Metzler 1998, 418 Abb. 1-2.
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Strukturelle Alternativen
führen lassen.428 Ob die jeweiligen „importierten" Gefäßtypen entsprechend ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung verwendet wurden, wird im Einzelfall kaum festgestellt werden können. Die Bevorzugung bestimmter Pflanzen und Tiere als Nahrungsmittel sowie deren jeweilige Zubereitung hängen einerseits von regionalen naturräumlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ab und folgen andererseits kulturellen Präferenzen. Die Vorlieben der Nahrungsauswahl, der Gewürze und Zutaten, der Zubereitung und des Essens selbst sind einerseits konservativ und traditionell, aber andererseits offen für Neuerungen. So dürfte die Häufigkeit von Reibschalen im germanischen Barbaricum darauf hinweisen, „daß ganz offensichtlich auch mediterrane Speisenzubereitung bei den Germanen Eingang gefunden hat".429 Die sozialen Gruppen „angemessenen" Lebensmittel - Wild eher für „adlige" Gruppen, Getreide eher für die bäuerliche Bevölkerung - unterscheiden sich deutlich. Die Unterschiede liegen aber hauptsächlich in den Anteilen der Nahrungsmittel und den zur Verfügung stehenden bzw. tatsächlich verzehrten Mengen.430 Nach der Zubereitung des Essens folgt der Verzehr. Über dessen Ablauf und kulturelle Regeln lassen sich nur vage Angaben machen, weil die Details unzugänglich bleiben. Die bindenden sozialen Funktionen des Essens spiegeln sich im gemeinsamen Schmaus wider - sei es in der Familie, bestimmten sozialen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft oder mit „Fremden".431 Auch wenn „Mobiliar" zum (festlichen) Essen gehörte, ist es nur selten überliefert. Zu denken ist vor allem an Sitz- und Liegemöbel, wie sie - beispielsweise in der „Kline" von Eberdingen-Hochdorf oder „Thronen" in etruskischen Gräbern - belegt oder auf szenischen Darstellungen wie den eisenzeitlichen Situlen des Osthallstattkreises und Norditaliens abgebildet wurden.432 Meistens dürften Schemel und Stühle, Tische, Bänke und Liegen aber aus Holz bestanden haben,433 gelegentlich liegen wie in den kaiserzeitlichen „Häuptlingsgräbern" von Musov und Gommern metallene „Importe" vor. Des weiteren können größere, „repräsentative" Herde als Mittelpunkt eines festlichen Mahles gedient haben. Aus dem wikingerzeitlichen Skandinavien liegen ent-
U. Müller 1998a; 2000. v. Schnurbein 1995, 18. 4 3 0 Vgl. Gesellschaft und Ernährung 2000; Montanari 1989; 1993, 18; Lévi-Strauss 1973, 519. 4 3 1 Lévi-Strauss 1973, 533-546; La sociabilité à table 1992. 432 p r e y 1969, Taf. 48, 50, Beilage 1 (Situla Benvenuti); de Fogolari 1992 (Situlen von Certosa und Vace); vgl. Delpino 2000. Der mediterrane Habitus scheint wiederum von orientalischen Vorbildern abzuhängen. 4 3 3 Grodde 1989; Paulsen 1992. 428
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sprechende Befunde in großen Hallenhäusern vor.434 Weitere Indizien stellen „Bratspieße"435, Feuerböcke und anderes Küchenzubehör dar, das in „Fürstengräbern" enthalten ist. 436 Der atmosphärische Rahmen läßt sich mit Hilfe schriftlicher und ethnologischer Quellen erhellen und auch durch bildliche Darstellungen - Situlenkunst, antike Reliefs und Skulpturen, Vasenbilder, Fresken in Wohn- und Grabarchitektur - illustrieren.437 Halluzinogene Getränke und Drogen konnten bei bestimmten Anlässen für „Stimmung" einzelner oder einer ganzen Gruppe sorgen. Weil Essen und Trinken im alltäglichen sozialen Leben eine wichtige Rolle spielen, reflektieren sie mittelbar die gesellschaftlichen Strukturen. „So darf man hoffen, in jedem besonderen Fall zu entdecken, daß die Küche einer Gesellschaft eine Sprache ist, in der sie unbewußt ihre Struktur zum Ausdruck bringt, es sei denn, sie verschleiere, nicht minder unbewußt, ihre Widersprüche". 438 Gerade Essenszubereitung und „Tischsitten" stellen kulturelle Merkmale von sozialer Relevanz dar, die Gruppenzugehörigkeiten - Eliten und „Unterschichten" ebenso wie benachbarte Gesellschaften und „ethnische" Gruppen - symbolisch trennen können.439 Zwar dürfte die jeweilige kulturelle Symbolik nur schwer zu entschlüsseln sein, auch wenn großräumige oder regionale Besonderheiten erkannt werden können. Doch deutlich läßt sich die elementare kulturelle und soziale Bedeutung des Essens und Trinkens erfassen, die mittelbar gesellschaftliche Strukturen reflektieren. Denn das „Mahl" stiftet Gemeinsamkeit und bekräftigt Zusammengehörigkeit. Speisen und Getränke, Zubereitung und Verzehr, Mobiliar und situativer Rahmen geben Aufschluß über den Kreis der Beteiligten, Umfang und Aufwand der notwendigen Vorbereitungen sowie das mögliche Vorhandensein spezieller Gegenstände oder Gebäude. Die Grabfunde machen deutlich, daß dies eine Welt der Männer war.
b) Archäologie als Wirtschaftsgeschichte Sowohl die grundsätzliche Bedeutung der Wirtschaft für Gesellschaften im allgemeinen als auch die reichhaltige archäologische Überlieferung zu diesem 434 435 436 437
438 439
Herschend 1993; 1997; Gabriel 1989, 59. Für die Hallstatt-Zeit: Kohler 2000. Ζ. B. im Grab von Musov: Das Gold der Barbarenfürsten 2001, 90-92. Vgl. de Fogolari 1992; Andreae 1999, 369; The western Greeks 1996, 458 f.; siehe Bouloumié 1988. Lévi-Strauss 1973, 532; Tanner 1996. Vgl. Grupe 1990; Schutkowski 2000.
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Strukturelle Alternativen
Bereich haben dazu geführt, daß die „Wirtschaftsarchäologie" bisweilen als eigene Subdisziplin angesehen wird. 440 Hierzu zählt nicht allein die Sicherung der Subsistenz als Voraussetzung für das Überleben und damit für den Bestand der Gesellschaft. Die Landwirtschaft bildet die wirtschaftliche Basis aller vorindustriellen Gesellschaften, nicht unwesentlich geprägt durch die Umweltbedingungen. Des weiteren gehören zum Bereich der Wirtschaft handwerkliche Tätigkeiten und vielfältige Formen des Austauschs, die allerdings bei weitem nicht immer rein wirtschaftliche Gründe haben. Schließlich sind auch Haus und Hof sowie die Siedlungsformen stark von den wirtschaftlichen Verhältnissen geprägt. Die enge Verzahnung von Wirtschaft und Sozialem belegt die historische „Subdisziplin" einer Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Die wirtschaftlichen Verhältnisse gehören zum „ureigenen Feld" archäologischer Forschung. Denn gerade dazu können Sachquellen hervorragend Aufschluß geben: naturräumliche Voraussetzungen und Bedingungen; angebaute Nutzpflanzen und gehaltene Nutztiere, Feldbestellung und Ernte, Speicherung und Verarbeitung; Rohstoffe, Spezialisierung und Technologie handwerklicher Produktion; Reichweite und Umfang des Austauschs, Transportmittel und Verkehrsleitlinien. Diese „elementaren Strukturen" bestimmten Lebenswelt und „Alltag" der Menschen. Sie sind daher ausschlaggebend, um Zwänge und Möglichkeiten des Handelns beurteilen zu können.
Umwelt Die Umwelt setzt elementare Rahmenbedingungen für Gesellschaften und deren wirtschaftliche Grundlagen. 441 Boden und Relief, Wasser und Klima sind Faktoren, die nicht nur über die „Siedlungsgunst" einer Region entscheiden. Flora und Fauna bestimmen darüber hinaus das „Angebot", aus dem die zu domestizierenden bzw. zu haltenden Arten ausgewählt werden. Dadurch wiederum wird die grundlegende wirtschaftliche Struktur von Gesellschaften bestimmt. 442 Und schließlich hat die Nutzbarmachung der Landschaft zur Folge, daß sich diese von einer Natur- zu einer Kulturlandschaft wandelte 443 - ein bereits im frühen Neolithikum einsetzender Prozeß. In frühgeschichtlicher Zeit hatte es die bäuerliche Bevölkerung daher zumindest in der weiteEconomic archaeology 1981; Problems in economic and social archaeology 1976. Butzer 1972; 1982; Shackley 1981; The ecosystem approach 1990. 442 Vgl. Environment and economy 1994. 4 4 3 Küster 1995. 440 441
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ren Umgebung der Siedlungen und in dichter bevölkerten Landstrichen nicht mehr mit einem undurchdringlichen Urwald zu tun. Zwischen offenen Siedlungslandschaften und Wäldern gab es bis in die Neuzeit keine lineare Grenze. 444 Die Rekonstruktion kleinräumiger frühgeschichtlicher Lebens- und Wirtschaftsräume setzt nicht nur die Analyse der erhaltenen pflanzlichen Großreste und der Pollen 445 voraus. Auch die Fauna spielte eine wichtige Rolle Wild und Fisch zur zusätzlichen Ernährung, das Hausvieh gefährdende Raubtiere, Schädlinge auf den Feldern und im Haus. Vegetation und Fauna wiederum hängen von den geologischen und hydrologischen Bedingungen sowie vom Relief bzw. der Topographie ab. Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Klima, das Vegetation und Fauna mitbestimmt und die Siedlungsgunst der Landschaft beeinflußt. Die naturräumlichen und klimatischen Bedingungen boten jedoch keinen vollkommen starren Rahmen für die Besiedlung. Kultur- und zeitspezifische Reaktionen zeigen die Flexibilität, mit der Gesellschaften auf die Umwelt reagieren können. Dem Verhältnis und den Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Besiedlung widmet sich die „Umweltarchäologie" 446 , die sich manchmal fast zu verselbständigen scheint. Siedlungen werden in Abhängigkeit von den naturräumlichen Bedingungen angelegt, weil diese die agrarischen Lebensgrundlagen bestimmen. Böden und Wasser, Vegetation und Klima, d. h. die Anforderungen von Ackerbau und Viehhaltung sowie der menschlichen Ernährung, bestimmen die Platzwahl. Davon kann unter bestimmten Umständen jedoch abgewichen werden. Rohstoffvorkommen (Erze) werden auch in siedlungsungünstiger Lage ausgebeutet, wenn die im Tausch zu erwerbenden Güter und Nahrungsmittel „Profitabilität" versprechen. „Sonderformen" stellen des weiteren die Wurtensiedlungen an der Nordseeküste dar. 447 Aufgrund der Meerestransgressionen blieb dort der Siedlungsplatz erheblich eingeschränkt und konnte wegen des enormen Aufwands zur Erhöhung der Wurten kaum vergrößert werden. Dies führte zu einer sehr dichten Bebauung, die nicht extensiv erweitert werden konnte. Außerdem konzentrierte sich die Landwirtschaft auf die Viehhaltung, denn Ackerbau ließ sich auf den häufig überfluteten Flächen nicht betreiben. Dies erzwang den Nahrungsmittelaustausch mit
444 445 446
447
Küster 1995; Montanari 1993, 47. Jacomet/Kreuz 1999. Vgl. die Zeitschrift Environmental archaeology, hrsg. von der Association for environmental archaeology. D. Meier 2001; Archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen 1984.
434
Strukturelle Alternativen
den Bewohnern der sandigen Geest, die hauptsächlich Getreide anbauten. Gebirge und höhere Lagen wurden - abgesehen von Bergbauniederlassungen - erst im Mittelalter besiedelt.448 Nicht nur die wirtschaftliche Struktur einzelner Siedlungen und ganzer Siedlungsgebiete ist von den Umweltbedingungen im weiteren Sinne in gewissen Grenzen abhängig. Unter anderem wird auch der Hausbau mittelbar durch Klima, Böden und Vegetation bestimmt. Die ost- und ostmitteleuropäischen Grubenhäuser mit Lehm- oder Steinofen, als Wohnbauten genutzt, suchten ζ. B. durch das Eingraben „Schutz" vor der kontinentalen Kälte des Winters, und die festen Lößböden erleichterten die Anlage tiefer Hausgruben. Die Verbreitung der Blockbauweise - ebenfalls im östlichen sowie im nördlichen Europa und in den Alpen orientiert sich an den Nadelwäldern, denn diese liefern die benötigten langen und geraden Baumstämme. Holzmangel konnte zu „leichteren" Bauweisen anregen, so daß umgekehrt Rückschlüsse auf den Umgang mit den Wäldern möglich werden. Die Beschaffenheit der Umwelt setzt wichtige Rahmenbedingungen. Landwirtschaft und Handwerk müssen sich an den naturräumlichen Voraussetzungen und Rohstoffvorkommen orientieren. Dennoch besitzen (selbst gering entwickelte) Gesellschaften einen „Spielraum", innerhalb dessen sie flexibel auf diese Strukturen reagieren können. Die Auswahl der Nutzpflanzen und -tiere ζ. B. folgt auch kulturellen „Vorlieben", und dem Mangel an bestimmten Gütern läßt sich durch Kommunikation und Austausch mit Nachbarn abhelfen. Beides - naturräumliche Voraussetzungen und wirtschaftliche Verhältnisse - miteinander zu vergleichen und außerdem kulturelle Charakteristika einzubeziehen, ermöglicht strukturelle Einblicke in Statik oder Dynamik von Gesellschaften.
Landwirtschaft Wirtschaftsgeschichte bedeutet für ur- und frühgeschichtliche Zeiten weit überwiegend Agrargeschichte.449 Die Landwirtschaft bestimmte das Leben und Uberleben der Menschen. Das Fundmaterial spiegelt jedoch vor allem handwerkliche Tätigkeiten und Austausch wider,450 so daß die Landwirt-
448 449
450
Vgl. Christi/Simon 1995; Blazek/Cerná/Velímsky 1995. Lüning/Jockenhövel/Bender/Capelle 1997; Welinder/Pedersen/Widgren Jergensen/Meier/Robinson 2000. Siehe unten.
1998;
Ethelberg/
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schaft oft nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit erhält. Ihre Erforschung stützt sich vor allem auf (aufwendige und kostenintensive) naturwissenschaftliche Verfahren, mit deren Hilfe Pollen, pflanzliche Großreste, Tierknochen und Phosphatanreicherungen ausgewertet werden. Zusätzliche Aufschlüsse erbringen Beobachtungen zu Acker- und Flursystemen, sofern sie nicht wie so oft durch Erosion und moderne Bewirtschaftung und Bebauung bereits beseitigt sind. Landwirtschaftliche Geräte (Pflug[teile], Spaten, Sicheln)451 sowie Wohn- und Speicherbauten liefern weitere, nicht zu vernachlässigende Hinweise. Die Vielzahl inzwischen vorliegender archäobotanischer und archäozoologischer Untersuchungen läßt deutlich werden, daß abseits der „großen Linien" mit erheblichen zeitlichen und regionalen Differenzierungen zu rechnen ist, die häufig nicht mit kulturellen Unterschieden korrespondieren. Das betrifft einerseits das Verhältnis von Ackerbau, Viehhaltung und Jagd, andererseits die Anteile der jeweiligen Pflanzen- und Tierarten. All dies wird entscheidend von den Umweltbedingungen (Boden, Wasser, Klima, Vegetation, Fauna) bestimmt, doch spielen wie erwähnt auch kulturelle „Vorlieben" und Besonderheiten eine wichtige Rolle bei der Bevorzugung bzw. Vernachlässigung bestimmter Arten. Der Ackerbau452 der Eisenzeit bevorzugte im südlichen Skandinavien und im nordwestdeutschen Küstengebiet die Gerste. Nach Süden zu kommen Hafer und Weizen (Emmer) hinzu, bis sich im Bereich der Mittelgebirge die Anbaupflanzen recht vielfältig ausnehmen - Weizen, Dinkel, Gerste, Rispenhirse sowie Hülsenfrüchte.453 Während der römischen Kaiserzeit traten zu den weiterhin angebauten Getreidearten (hauptsächlich Saatweizen, Roggen, Dinkel, Hafer, Gerste) vor allem in den Provinzen „exotische" südliche Früchte - Feigen, Reis, Oliven, Kichererbsen, Pfirsich, Pflaumen, Eßkastanie, Weinrebe, Gemüse und Gewürze.454 Im Gebiet östlich des Rheins baute man Gerste, Hafer und Dinkel an, Saatweizen und Emmer finden sich nur im Binnenland und nicht an der Küste. Roggen und Hafer traten zunächst nur im südlicheren Binnenland in nennenswertem Unfang auf, bevor sie in der Völkerwanderungszeit auch in Norddeutschland häufiger wurden.455 Im frühen Mittelalter beherrschten Dinkel, Hafer, Gerste und Nacktweizen das Bild der Getreidearten im Westen.456 Roggen, Saatweizen und
451 452 453 454 455 456
Fries 1995; Penack 1993. Vgl. Rösch 1998. Jockenhövel 1997, 212 f. Bender 1997, 305-309; Körber-Grohne 1979. Capelle 1997, 396-398. Henning 1996a; Rösch 1997b.
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Strukturelle Alternativen
Hafer bildeten, gefolgt von Gerste und Hirse, die Hauptgetreidearten im slawischen Siedlungsraum. 457 Europaweit nahmen damit der anspruchslose Roggen und der Saatweizen (beide sind ein gutes Brotgetreide) auf Kosten von Spelzweizen (Emmer, Dinkel, Zwergweizen) und Gerste stark zu. Daneben gewannen Obst, Gemüse und Gartenbau wohl größere Bedeutung. Klimatische, geologische und kulturelle Faktoren führten zu zeitlich und räumlich sehr unterschiedlichen Anbauverhältnissen. Unterschiedlich fällt auch das Verhältnis von Sommer- und Winteranbau aus, was sich durch subtile Analysen der Ackerunkräuter ermitteln läßt. Großvieh, d. h. Rinder, wurden nur in bestimmten Zeitabschnitten und in bestimmten Regionen „aufgestallt". Während im nordwestlichen Mitteleuropa seit der Bronzezeit große „Wohnstallhäuser" und im südlichen Mitteleuropa separate Stallgebäude belegt sind, fehlen Ställe zu jener Zeit anderenorts und auch im frühmittelalterlichen Ostmitteleuropa. Wie die Speiseabfälle zeigen, wurden jedoch überall Rinder gehalten, wenn auch in unterschiedlichem Anteil an den Haustieren. Möglicherweise sind ehemals vorhandene Ställe aufgrund ebenerdiger Bauweise oder begrenzter Grabungsflächen bislang übersehen worden. Dennoch gab es deutliche regionale und zeitliche Unterschiede in der Großvieh-Aufstallung. Klimatische Gründe sind unwahrscheinlich, waren die „Rassen" doch einander und in ihren „Ansprüchen" sehr ähnlich. Zudem fehlen gerade im kontinental geprägten Ost(mittel)europa Ställe, wo Rinder auch in der Neuzeit im Freien gehalten werden konnten. Ähnliches gilt für England. In wirtschaftlicher Hinsicht besitzt die Stallhaltung durchaus gewisse Nachteile, denn sie führt zu einem erhöhten Bedarf an Futtervorrat, zu einem stärkeren Ungeziefer- und Parasitenbefall, und sie zwingt die Tiere zu einer unnatürlichen Lebensweise. Wenn die Ursachen nicht bei den Tieren liegen, müssen sie im kulturellen Bereich gesucht werden. Eindeutige Antworten sind nicht zu erwarten. Viele Gründe scheinen für eine Stallhaltung sprechen zu können. Futterbevorratung ermöglicht einen größeren Bestand über den Winter (in dem die Tiere bei Schneebedeckung kein Futter finden). Die Rinder sind zum Melken, Anschirren für die Feldarbeit und zur Absonderung kranker Tiere unmittelbar greifbar, ebenso braucht der Dung nur eingesammelt zu werden. Die Tiere sind vor fremdem Zugriff geschützt und in der unmittelbaren Nähe ihrer Besitzer. Dadurch wird zugleich das Zertreten von Böden und Grasland eingedämmt. Durch die geringere Körperwärmeabgabe wird außerdem Futter gespart, doch scheint die
457
E. Lange 1971, 75-88; Brather 2001a, 166-176.
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„Erwärmung" des Hauses auch für die Bewohner angesichts der geringen Wärmedämmung kaum nennenswert gewesen zu sein.458 Wie der Ackerbau variierte auch die Viehhaltung regional und zeitlich. Zur Eisenzeit dominierte im nordwestlichen Mitteleuropa die Rinderhaltung (Abb. 65). Weiter nach Süden hielt man deutlich mehr Kleinvieh (Schwein, Schaf/Ziege), bis in Alpennähe schließlich das Kleinvieh vorherrschte. In Ostfrankreich war das Schwein bevorzugtes Haustier,459 wie auch literarische Nachrichten für Gallien bezeugen.460 Das Rind gewann in römischer Zeit sehr an Bedeutung - dabei in erster Linie nicht als Fleischlieferant, sondern als Arbeitstier, wegen des Dungs und der Häute (Heeresbedarf). Hinzu kamen Maultiere. Geflügel (hauptsächlich das wohl aus dem Mittelmeerraum eingeführte Haushuhn) ergänzte seit der Eisenzeit den Tierbestand.461 In der Germania dominierte das Rind besonders in den Küstenregionen, im Binnenland das Schwein. Schafe wurden besonders in der Marsch mit ihren guten Weidemöglichkeiten gehalten.462 Im östlichen Mitteleuropa stand an erster Stelle der Haustiere das Schwein, das seinen höchsten Anteil im hohen Mittelalter erreichte, dicht gefolgt vom Rind. Die Jagd ergänzte den Speisezettel kaum. Nur unter besonderen Umständen - beispielsweise schlechten Weidemöglichkeiten - lassen sich nennenswerte Anteile von Wildtieren feststellen.463 Das Verhältnis von Ackerbau und Viehhaltung zueinander ist nur schwer abzuschätzen, weil sich Pflanzenreste und Tierknochen nicht unmittelbar vergleichen lassen. Die Erträge waren relativ gering und die Tiere, auch aufgrund von Futtermangel, recht klein. Der Umfang der Felder und damit ihr Verhältnis zu Wald- und Weideflächen kann allenfalls kleinräumig festgestellt werden, weil frühgeschichtliche Raine (von „celtic fields" bis hin zu mittelalterlichen „Wölbäckern") meist durch die moderne Landwirtschaft beseitigt wurden, also nur in abseitiger Lage erhalten sind. Darüber hinaus bleibt die Datierung dieser Block-, aber auch die von Langstreifenfluren (bzw. Gewannen), wegen fehlender Funde meist recht vage.464 Auch der sogenannte Plantago-
458 459 460
461 462 463
464
W. H. Zimmermann 1999. Jockenhövel 1997, 213. Ζ. B. den berühmten „gallischen Schinken"; M. Terentius Varrò, Res rusticae de agri cultura 11,4,10: etiam nunc quotannis e Gallia adportantur Romam pemae Comacinae et Cavarae et petasiones. Bender 1997, 310 f. Capelle 1997, 410 f.; Kokabi 1997. Vgl. insgesamt Benecke 1994, 123 Abb. 76; 148 Abb. 96; Jockenhövel 1997, 173-175; Capelle 1997, 431-434; Brather 2001a, 182-185. Untersuchungen zur eisenzeitlichen und frühmittelalterlichen Flur 1979-1980; Nielsen 2000.
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Index liefert entgegen früheren Annahmen dazu keine verläßlichen Anhaltspunkte, denn der Wegerich-Anteil hängt vor allem von den gehaltenen Tierarten ab: Weidegänger wie Rinder bringen einen hohen Weidezeigeranteil mit sich. Schweinehaltung hat einen geringen Anteil von Plantago lanceolata zur Folge. 465 Während in frühgeschichtlicher Zeit die Viehhaltung eine beträchtliche Rolle (ganz besonders im Nordseeküstenbereich) gespielt zu haben scheint, setzte im hohen Mittelalter die sogenannte „Vergetreidung" ein, d. h. eine durchgreifende Dominanz des Getreideanbaus und damit ein deutlicher Rückgang der Fleischnahrung.466 Da Ackerbau und Viehhaltung nicht nur die Wirtschaft, sondern den Rhythmus des alltäglichen Lebens bestimmten, prägten sie auch grundlegende Strukturen von Kultur und Gesellschaft.467 Von der Auswahl der Nutzpflanzen und -tiere, die wiederum von der Umwelt beeinflußt wurde, war vieles indirekt abhängig: Anlage von Ackerflächen, Stallbauten, Rhythmus saisonaler Tätigkeiten, Ernährungsweise, Vorstellungswelten. Dennoch konnten Gesellschaften flexibel auf diese Voraussetzungen und deren Veränderungen reagieren. Das kann bereits dadurch gezeigt werden, daß sich landwirtschaftliche Produktion und kulturelle Charakteristika oft in unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Rhythmen entwickelten. Agrarisches Wirtschaften stellte zwar notwendige und wichtige, aber nicht alles bestimmende Voraussetzungen dar. Untersuchungen zur Landwirtschaft beleuchten daher Rahmenbedingungen, die kulturelle und soziale Entwicklungen mittelbar beeinflußten. Auf dieser Basis läßt sich unterscheiden, wann eher wirtschaftliche bzw. ökologische Gründe und wann eher kulturelle Faktoren die Ausrichtung der Landwirtschaft regelten. Damit kann das Verhältnis zwischen wirtschaftlichen Zwängen und kulturellen Spielräumen analysiert werden.
Handwerk und Technologie Archäologische Funde bieten sich für Untersuchungen zur handwerklichen Produktion und den verwendeten Technologien geradezu an. Es sind vor allem Objekte aus Keramik und Metall, die in frühgeschichtlicher Zeit die Mas-
465 466 467
Benecke 1994, 189 f. Rösener 1992, 20 f.; Montanari 1993, 60 f. Vgl. etwa Bourdieu 1979, 228-317; Rößler 1999.
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Strukturelle Alternativen
se der Funde ausmachen und die zugleich zahlreiche Aufschlüsse über ihre Produktion liefern können. 468 Untersuchungen zur Herstellung werden weit weniger häufig und intensiv als typologische Studien unternommen, so daß hier noch einiges an Erkenntnissen erwartet werden kann. Falko Daim hat die Kombination dreier Untersuchungsfelder als das „Dreisäulenmodell der modernen Archäologie" bezeichnet: 1. Form, Verzierung, Motiv, Stil; 2. Herstellungstechnik; 3. Material,469 ohne dabei eine antiquarische Selbstbeschränkung auch nur in Erwägung zu ziehen (Abb. 66). 1. Bei Metallgegenständen (Gold, Silber, Bronze und Eisen) sind technologische und Materialanalysen besonders ergiebig, weil die Herstellung der „Fertigprodukte" viele Prozesse voraussetzt und sehr variabel ist. Das Erz muß (mitunter bergmännisch) gewonnen und aufbereitet, das Metall ausgeschmolzen und gereinigt, die geeignete Legierung erreicht, das gewünschte Produkt gegossen und geschmiedet bzw. andersartig bearbeitet werden. Über die jeweiligen Verfahren und Vorgänge geben, neben naturwissenschaftlichen Analysen der Fundobjekte selbst, die Verarbeitungsplätze Auskunft: Bergbauüberreste zur Erzgewinnung wie Stollen und Pingen470, Ausschmelz- und Schlackenplätze, Rennöfen und Schmiedeplätze, Gußtiegel und -abfall, Formen und Model. Anhand der Fertigprodukte können vor allem Erkenntnisse hinsichtlich des Herstellungsprozesses gewonnen werden. Dazu zählen Guß- und Schmiedetechniken, Härten und Stahlerzeugung (Waffen), Legierungen und erzielte Metallzusammensetzungen, Tauschierungen und Damaszierungen, Verbindungen und Montage unterschiedlicher Teile. Unterschiedliche Fertigkeiten lassen auf unterschiedliche Spezialisierungen und damit die „Organisation" von Handwerk schließen, auch „Importe" von einheimischen Produkten unterscheiden. Beispielhaft sind die an kaiserzeitlichen Metallobjekten unternommenen detaillierten Analysen, die vielfältigen Aufschluß über Herstellungs-, Verzierungs- und Veredelungstechnik, über Güter- und Technikaustausch bieten (Tab. 14).471 Detaillierte Analysen der „Legierungen" bzw. Metallzusammensetzungen haben sich als wenig aussagekräftig erwiesen, wenn damit die Herkunft der Objekte oder der Rohmetalle festgestellt wer-
468 469 470
471
Slater 1999. Daim 2000, 87. Alter Bergbau in Deutschland 1993; Montanarchäologie in Europa 1993; Bergbau, Verhüttung und Waldnutzung 1996; Goldenberg 1996; Domergue 1990. Voß/Hammer/Lutz 1999.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
441
Melonenkemperlen Hirsekomperlen Melonenperlen mit zentralem Bronzeröhrchen schwarze Perlen mit Relief
Tonaufbereitung Brenntechnik
Gefäßform
Brandhärte Verzierung
Abb. 66. Verschiedene typologische und technologische Aspekte eines hypothetischen kleinen Grabkomplexes der späten Awarenzeit, bestehend aus einer Perlenkette und einem Keramikgefäß. Die Darstellung unterstreicht die Vielfalt an zu berücksichtigenden Aspekten und an darauf beruhenden Aussagemöglichkeiten (nach Daim 1998, 78 Abb. 2)
den sollten. Zunächst sind die frühgeschichtlichen „Bergwerke" meist durch jüngeren Abbau zerstört und beseitigt, so daß die Zusammensetzung des Erzes nicht mehr genau festzustellen ist. Entscheidendes Hindernis für die Herkunftsbestimmung ist aber das häufige Vermengen unterschiedlicher Rohund Altmetalle, je nachdem, was den Handwerkern zur Verfügung stand und als geeignet angesehen wurde. Selbst „unnütze" Beimengungen (Spurenelemente) lassen dann keine verläßlichen Schlüsse zu, wie u. a. Untersuchungen zur Herkunftsbestimmung des zu Schmuck verarbeiteten Silbers des frühen
442
Strukturelle Alternativen
Tab. 14. Vergleich ausgewählter Herstellungs-, Verzierungs- und Veredelungstechniken an Buntund Edelmetallarbeiten aus dem römischen Reich und aus der Germania. • sichere Belege; • , ? vermutet oder umstritten; - kein Beleg oder ungebräuchlich (vereinfacht nach Voß/Hammer/ Lutz 1999, 308 Tab. 39) Technik
römisches frühe
1. Guß Kokillenguß Schleuderguß Durchbrucharbeiten
Reich
mittlere Kaiserzeit
Germania
späte
frühe
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Völkerwan-
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2. Spanende Formveränderung •••• Drehen
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3. Spanlose Formveränderung •••• Drücken •••• Schmieden im Gesenk •••• Prägen (Preßbleche) ••• Ziehen (Draht)
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4. Verbindungstechnik Löten Schweißen
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Í. Veredelungs- und Verzierungstechnik •••• •••• Plattieren (Folien) •••• •••• Verzinnen •••• Verzinnen: „incoctilia" Plinius ••• •••• „Weißsieden" •••• Blattvergoldung Plinius •••• Feuervergoldung Plinius Diffusionsbindung •••• •••• Emaillieren •••• •••• Nieliieren •••• •••• Tauschieren Kerbschnitt •••• •••• Filigran • • • • •••• Granulation
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und hohen Mittelalters im südlichen Skandinavien und dem westslawischen Raum zeigen. Ebensowenig kann die genaue Herkunft des Silbers der Haithabu-Münzen des 9. Jahrhunderts bestimmt werden.472 Das vermutete Einschmelzen arabischen Münzsilbers ließ sich weder bestätigen noch widerlegen, auch wenn es aus kultur- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive weiterhin eine plausible Hypothese bleibt. Goldene und bronzevergoldete Zwiebelknopffibeln geben ihre mediterrane Herkunft zu erkennen, wenn sie zur Befestigung von Nadel und Spirale ein Gewinde besitzen. Edelmetall-Armbänder wurden ebenfalls mit Hilfe von Schrauben verschlossen, und beides gewann durch diese technischen Finessen zusätzliches Prestige im Norden. 473 Eingehende Untersuchungen „awarischer" Gürtel des 8. Jahrhunderts konnten in ähnlicher Weise „einheimische" Objekte in Pannonien von „byzantinischen" Produkten unterscheiden (Abb. 67). Neben Unterschieden in Form, Verzierung, Motiv und Stil sind es hauptsächlich das verwendete Material und die angewandten Techniken, die die Differenzierung erlauben. Die Gürtelgarnitur von Hohenberg (Steiermark) weist eindeutige technische Kennzeichen474 mediterraner Herstellung auf, die in Pannonien nicht beherrscht wurden: Messing als Material, Verwendung von Silberlot und Zusammensetzung aus einer Vielzahl von Einzelteilen (statt Treibarbeit oder Guß). 475 Für skandinavische Filigran- und Granulationsarbeiten des 9. und 10. Jahrhunderts erweisen sich technische Merkmale der Herstellung als „zuverlässiges Hilfsmittel", um konstruktive und technisch bedingte Merkmale von stilistischen Besonderheiten zu unterscheiden.476 Auf dieser Grundlage lassen sich drei Schritte oder Phasen der technologischen Vermittlung vom Kontinent nach Südskandinavien unterscheiden. 1. Im 9. Jahrhundert handelt es sich bei im Norden gefundenen Objekten um „Fremdgüter", die vor allem als Gaben zu interpretieren sein dürften. 2. Um 900 läßt sich - exemplarisch an einer Scheibenfibel aus Grab 42 von Haithabu mit silbernen Perlen auf den
472
Arrhenius/Linder Welin/Tapper 1972/73 meinten noch, die Herstellung skandinavischen Schmucks aus Dirham belegen zu können. Neuere, umfangreiche Analysen innerhalb eines von der VW-Stiftung geförderten Projekts an der Universität Tübingen erbrachten bislang keine eindeutigen Ergebnisse (Steuer/Stern/Goldenberg 2002). - Dieselben Probleme ergaben sich bei der Analyse bronzezeitlicher Bronzeartefakte, deren Zusammensetzung (nicht unerwartet) durch vielfaches Wiedereinschmelzen keine Herkunftsangaben zuließ; Kupfer und Bronze 1968; 1974.
473
Arrhenius 1990; Die Schraube 1995. Neuhäuser 2000. Vgl. Daim 2000, 84; Schreiner/Schaffer/Spindler/Dolezel/Daim 2000. Eilbracht 1999, 165; vgl. Duczko 1985; Vierck 1984.
474 475 476
444
Strukturelle Alternativen
Abb. 67. Konstruktion der Hauptriemenzunge von Hohenberg, die aufgrund ihrer aufwendigen Herstellung und des Rohmaterials Messing als byzantinisches Produkt angesehen wird. Einheimische awarische Gürtelteile wurden aus Bronze gegossen und lassen sich deshalb leicht von Produkten mediterraner Werkstätten unterscheiden (nach Daim 2000, 152 Abb. 75)
Kegelspitzen und dreiteiliger Befestigung477 - die Herstellung in kontinentaler „Tradition" für wikingische Auftraggeber wahrscheinlich machen. 3. Nach dem Beginn des 10. Jahrhunderts gab es schließlich eine „einheimische" Produktion im Norden, ergänzt durch bronzene Preßmodel. 478 Unterschiede in der Herstellung gehen primär auf die Fertigkeiten der 477 478
Eilbracht 1999, 99 f. Eilbracht 1999, 77-104; 133-164; 165 f.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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Handwerker und die zur Verfügung stehenden Mittel zurück, aber auch auf die Ansprüche der „Empfänger".479 Diese Unterschiede stellen damit zunächst wirtschaftliche Differenzierungen dar und sollten deshalb nicht überbewertet werden. Verschiedene Herstellung deutet nicht unmittelbar auf „ethnische" Differenzierungen hin. „Nur im Ö[stlichen] Reihengräberkreis sind etwa [...] vollplastische, in die Kopfplatte eingezapfte Zierknöpfe üblich, wogegen bei den Fr[an]k[en] und Alem[annen] die mitgegossenen, oft flachen Zier-.knöpfe' an den (gänzlich als Abzeichen empfundenen) Bügel-F[ibel]Paaren lediglich den für F[ibel]n vertrauten Umriß zu vervollständigen haben."480 Wenn es offensichtlich auf die äußere (Umriß-)Form der Fibeln (und das Material) ankam und die jeweilige Herstellung auf den ersten Blick nicht zu erkennen war, konnte es den Frauen vermutlich recht gleichgültig sein, wie ihre Fibeln produziert worden waren. Zur Unterscheidung großer Kulturräume, denn um „Ethnien" handelte es sich weder bei Ost- noch bei Westgermanen, können diese technischen Besonderheiten kaum dienen, weil sie handwerklich und nicht kulturell bedingt sind. Naturwissenschaftliche Analysen von Keramik können dazu dienen, anhand technologischer Unterschiede in Tonaufbereitung, Magerung und Brennprozeß zeitliche und damit historische Zuordnungen zu ermöglichen, falls dies auf typologischem Wege nicht gelingt.481 Auf diese Weise unterschied Christel Bücker zwischen handgemachter eisenzeitlicher und spätantik-„germanischer" Ware in Südwestdeutschland.482 Ähnliches ist u. a. für die Unterscheidung unverzierter skandinavischer und slawischer Ware in den karolingerzeitlichen Seehandelsplätzen anzustreben. Des weiteren scheint es lohnend, anhand der Herstellung (Art der Öfen und erreichte Brenntemperatur, langsame oder schnelle Töpferscheibe, Magerung und Verzierung) Überlegungen zur Funktion von Gefäßen anzustellen. Auf welche Beanspruchungen waren sie ausgelegt, welche Anforderungen sollten sie erfüllen, und was sagt dies über Funktionsdifferenzierungen bei der Speisenzubereitung und beim -verzehr, bei der Bevorratung und für technische Zwecke aus? Der Vergleich mit stilistischen Unterschieden dürfte interessante Divergenzen und Korrelationen zeigen.483 Organische Gegenstände erhalten sich bei fehlender Bodenfeuchtigkeit nur 479 480
481 482 483
Vgl. R. Stark 1999a mit der Unterscheidung von Werkstätten. Martin 1994, 577, als Beispiel für „eine Trennung der Bügel-F[ibel]-Tracht zwfischen] größeren ethnisch geprägten Gruppierungen". G. Schneider 1993 als ein Beispiel von vielen; Whitbread 1995; Rice 1987. Bücker 1999, 26-87. Umlaufende Muster setzen ζ. B. eine drehbare Töpferscheibe voraus, während handgefertigte Gefäße meist Einzelornamente besitzen.
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Strukturelle Alternativen
schlecht und sind deshalb besonders selektiv überliefert, d. h. unterrepräsentiert. Die Verwendung von Holz zu Bauzwecken und für Gefäße bzw. Mobiliar ist deshalb nicht immer leicht nachzuweisen. Dennoch läßt sich Aufschluß über die benutzten Holzarten (und damit auch über die nutzbare Vegetation), benutzte Techniken und Werkzeuge sowie den Grad handwerklicher Spezialisierung gewinnen, 484 wenn auch vieles - bis hin zum Haus- oder Bootsbau - von jedermann erledigt werden konnte. In ähnlicher Weise lassen sich Knochen- und Geweihartefakte untersuchen. Dabei handelt es sich häufig um Alltagsgegenstände, aber nicht selten auch um exquisite Objekte, die aus heimischen Knochen bis hin zu importiertem Elfenbein gefertigt sein konnten. 485 Stilistische Kennzeichen gestatten, wie bei den wikingerzeitlichen Kämmen, gelegentlich auch die Feststellung großräumig unterschiedlicher „Traditionen" - hier zwischen skandinavischen und ostmitteleuropäischen Formen. 486 2. Anhand der Analyse von Handwerksprodukten, ihrer jeweiligen Verbreitung und der Lage der Werkstätten lassen sich Fragen nach der Organisation des Handwerks stellen. Handelte es sich um an einem festen Ort tätige oder wandernde Handwerker? 487 Wurden fertige Produkte ausgetauscht oder lediglich Gußmodel und -formen, oder wurden fertige Stücke durch Abformung durch andere Handwerker „nachgeahmt" ? Bevor diese Fragen nicht erörtert werden, lassen sich keine weitergehenden historischen Interpretationen begründet vornehmen. Edel- und Buntmetallschmiede, Schwertfeger und Brünnenmacher, Kammacher und Glasproduzenten scheinen in der Eisenzeit, der römischen Kaiserzeit und im Mittelalter an herausgehobene Siedlungen mit zentraler Funktion (Burgen, „Herrenhöfe") gebunden und damit mehr oder weniger „herrschaftlicher" Kontrolle unterworfen gewesen zu sein. Steuer stellte für die Merowingerzeit fest: „Die [...] Abhängigkeit des Kunsthandwerkers führt damit zur unmittelbaren Parallelität zwischen der Organisation der Herrschaft und der des Kunsthandwerks." 488 Daraus kann jedoch keineswegs die These abgeleitet werden, die „Absatzgebiete" jeder Werkstatt seien mit einem bestimmten Herrschaftsraum und damit letztlich auch mit ethnisch-politischen Gruppierungen identisch. Denn diese Hypo-
484 485 486 487
488
Aufleger 1996a; Schuldt 1988; Capelle 1976. Aufleger 1996b; Ulbricht 1978; 1984. Ambrosiani 1981. Steuer 1982a, 486: „Der .Wanderhandwerker' kann eigentlich nur als Reisender zwischen .Herrensitzen' existiert haben". Steuer 1982a, 483.
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these setzt sehr statische Verhältnisse voraus, die von einem einzigen Faktor bestimmt würden. Die Handwerker dürften nicht stets ihr ganzes Leben bei einem „Herren" zugebracht haben, Abformungen und Modeltausch führten zur Verbreitung nahezu identischer Stücke, Mobilität verschiedener Menschen und die rasche Verbreitung zeittypischer Moden bewirkten die weiträumige Verbreitung ζ. B. von Fibeltypen. Mit einer Vielzahl von Faktoren ist daher zu rechnen, deren unterschiedliches Gewicht kaum gegeneinander abgewogen werden kann. Inzwischen liegen einige merowingerzeitliche Gußmodel489 von Fundorten vor, die (weit) außerhalb des Hauptverbreitungsgebietes der damit gefertigten Stücke liegen - und so den Eindruck „exotischer" Stücke innerhalb eines anderen „Modekreises" erwecken. So stammt aus dem Areal des Genfer Bischofspalastes ein Model für Kopfplatte und Bügelhälfte einer angelsächsischen Fibel im Tierstil I. 490 Dabei handelt es sich um eine Form des (mittleren) 6. Jahrhunderts aus dem nördlichen Mittel- und aus Ostengland (Typ B4 nach Edward T. Leeds491), die aber auch einmal in Courbillac-Herpes, dép. Charente (Westfrankreich),492 vorkommt. In Mainz wurden die Form für einen Schuhschnallenbeschlag und ein Formstempel für einen Saxscheidenniet entdeckt, die - abgesehen von einem „Ausreißer" aus Wingles, dép. Pas-deCalais - als „alemannische" Formen des frühen 7. Jahrhunderts gelten.493 Das niedersächsische Wetschen lieferte ein Model des 7. Jahrhunderts mit vier ineinander verflochtenen Tierköpfen, wozu Vergleichsstücke aus Süddeutschland vorliegen.494 Ein Preßmodel aus Saffig bei Koblenz weist deutliche Parallelen zu einem Goldblattkreuz aus Pavia auf.495 Diese Beispiele zeigen, daß die Herstellung bestimmter Schmuckformen nicht an festumrissene Regionen („Handwerkskreise") gebunden war. Regionale Moden konnten auch anderenorts (und wohl nicht nur als Einzelanfertigung) produziert werden - unabhängig davon, ob dies als Hinweis auf Wanderhandwerker oder den Tausch von Modeln zu verstehen ist. Deshalb können auch die jeweiligen Schmuckformen selbst nicht als zweifelsfreier Hinweis auf eine bestimmte regionale Herkunft gewertet werden. Weitere auffällige Befunde harren noch einer überzeugenden Interpreta-
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Capelle/Vierck 1971; 1975; J. Werner 1970, 66-72; Roth 1985, 185-188; Steuer 1994a. Bonnet/Martin 1982. Leeds 1949. Bonnet/Martin 1982, 215 Abb. 11. Warners 1994, 165-169. Cosack/Capelle 1997. Melzer 1986.
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Strukturelle Alternativen
tion. In den Góry Swiçtokrzyskie (Heiligkreuzgebirge) bei Kielce in Polen ist eine umfangreiche Eisengewinnung zur römischen Kaiserzeit ermittelt worden. Die Verhüttung des Eisenerzes erfolgte in großen, sehr regelmäßig angelegten „Batterien" von Rennöfen (Abb. 68).496 Diese Batterien können sowohl durch relativ kurzzeitige und intensive, handwerklich organisierte Produktion als auch durch langjährige, peu à peu immer wieder unternommene Eisengewinnung für den dörflichen Eigenbedarf zustande gekommen sein. Von den konkreten Umständen unabhängig bleiben die Regelmäßigkeit und damit die „Organisation" von struktureller Aussagekraft. Aus keinem anderen Bereich der Germania sind derart „organisierte" und umfangreiche Eisengewinnungs- und Verhüttungsplätze bekannt.497 Für welchen bzw. wessen Bedarf wurde hier produziert? Wer steuerte, beaufsichtigte und leitete die Produktion, und wer „verdiente" daran? Der Gedanke an römischen Einfluß und Bedarf liegt nicht fern, doch befanden sich die Plätze weit entfernt von den Grenzen des Imperiums. Lassen sich dennoch geregelte römisch-germanische „Geschäfte" annehmen? Die Produktion überstieg bei weitem den Umfang, der aus der Töpferei von Haarhausen bekannt ist, so daß sie nicht mit der Anwesenheit römischer oder im römischen Bereich geschulter Techniker allein zu erklären ist. Aufkommen, Verbreitung und Unterhalt von Wassermühlen wurden lange Zeit mit der „Innovationskraft" frühmittelalterlicher Grundherrschaften erklärt. Wassermühlen konnten das zeit- und energieaufwendige Getreidemahlen erheblich reduzieren, so daß ihnen besondere Bedeutung für die frühmittelalterliche Wirtschaft beizumessen ist. Das Aufkommen von Mühlen läßt sich jedoch nicht erst zur Karolinger- und Ottonenzeit feststellen.498 Bereits für die Merowingerzeit belegen Schriftquellen viele Mühlen und zeigen außerdem, daß „der Müller in der Regel auch der Besitzer von Mühle und zugehörigem Land war",499 also ein freier und nicht unmittelbar von großen Grundherren abhängiger Mann. Wenn daher seit dem 6. Jahrhundert ein entwickeltes Mühlenwesen vorhanden gewesen zu sein scheint,500 dürften Wassermühlen im ländlichen Bereich nicht erst von den Grundherrschaften einge-
496 497
498 499 500
Bielenin 1992. In Masowien wurden zwar ebenfalls umfangreiche Verhüttungsplätze mit Hunderten von Öfen ausgegraben, aber dort handelt es sich um locker verstreute Öfen. Dort wurde Raseneisenerz statt des bergmännisch gewonnenen Erzes im Heiligkreuzgebirge verwendet (unpubliziert; Sonderausstellung im Archäologischen Museum Krakau, 2001). So Le Goff 1971, 275. Henning 1994, 11. Claude 1981, 231; Böhme 1999.
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Abb. 68. Stara Stupia, Rennofen-Batterie. Die regelmäßige Anordnung der Öfen und deren große Zahl weisen auf eine .durchorganisierte" Produktion hin. Deshalb liegt der Gedanke an römischen Einfluß (bzw. Produktion für römische Abnehmer?) nicht gang fern, wie es für die Keramikherstellung durch den Befund von Haarhausen vermutet wird. Zieht man aber die recht geringe Ausbeute pro Ofen in Betracht und rechnet mit einer über längere Zeit kontinuierlich betriebenen Schmelze in jeweils einem Ofen, erscheint lediglich der Eigenbedarf einer durchschnittlichen ländlichen Siedlung erfüllt. Der Ofenzahl nach ähnlich umfangreiche Verhüttungsplätze wurden in Masowien entdeckt, wo die einzelnen Öfen jedoch „regellos" verstreut erscheinen (nach Bielenin 1996, 298 Abb. 4)
450
Strukturelle Alternativen
richtet worden sein. Bislang liegen nur wenige archäologische Befunde vor 501 , die offensichtlich ein unvollständiges Bild der Wirtschaft zeichnen, weil der Nachweis der hölzernen Mühlenbauten an inzwischen längst veränderten Wasserläufen nur schwer gelingt. Das Beispiel der Mühlen zeigt, wie abhängig die Interpretation vom Quellenbestand sein kann. Es fehlt schließlich nicht an Versuchen, Hauswerk und Handwerk archäologisch trennen zu wollen. Eindeutige Kriterien sind nicht aufzustellen, denn den Produkten ist die Organisation ihrer Herstellung nicht unmittelbar anzusehen. Werkstätten, die allerdings nur selten entdeckt werden, auch weil sie nur bei aufwendiger Produktion eindeutige Spuren hinterlassen, sind zweifelsfreie Kennzeichen. Wenn auch bei der Metall- oder Glasverarbeitung keine begründeten Zweifel an einer handwerklichen Herstellung bestehen, sieht es bei der Keramik schwieriger aus. „Qualität" und Umfang der Produktion bieten keinen direkten Nachweis, auch wenn ein tendenzieller Zusammenhang besteht.502 Rohstoffe und Halbfabrikate, Produktionsabfälle und Endprodukte sowie Werkzeuge können auf Handwerk hinweisen, sollten dann jedoch konzentriert und kombiniert auftreten. Werkstätten entziehen sich dem archäologischen Nachweis, wenn sie nicht mehr als den „Meister und die Arbeitsmittel in seinem Werkzeugkasten" umfaßten,503 d. h. keinen festen Platz oder Gebäude benötigten. Uber herstellungstechnische Erkenntnisse hinaus können archäologische Funde Aufschlüsse über die Strukturen handwerklicher Produktion geben. Von der Zahl und dem Aufwand an notwendigen Arbeitsgängen und Gerätschaften ζ. B. hängen Organisation und Koordination von Rohstoffen, Verfahren und Arbeitskräften ab. Auf diese Weise läßt sich unterscheiden, ob bestimmte Produkte von „jedermann", Spezialisten oder größeren Werkstätten erzeugt werden konnten. In wessen Auftrag produziert und wie die Fertigprodukte verteilt wurden, ist dagegen nicht unmittelbar aus Werkstattbefunden und Verbreitungsbildern „werkstattgleicher" Stücke abzuleiten. Denn strukturell spiegelt beides lediglich Herstellungsorte und Austauschbeziehungen wider. Gleiches gilt für Funde von Modeln, die sowohl einen Beleg für
Czysz 1993; 1998; Steensberg 1978; Henning 1994, 15 Anm. 97. Die vielen aus dem frühmittelalterlichen Burgwall von Tornow (Niederlausitz) stammenden Bodenzeichen an Keramikgefäßen wurden von Herrmann 1966, 55-64, als Beleg für spezialisierte Produktion angesehen, können jedoch ebenso für eine auf viele Hände aufgesplitterte Produktion im Hauswerk und damit für eine gegenteilige Interpretation stehen. 503 vierck 1983, 31. Ein Werkzeugkasten wurde im gotländischen Mästermyr gefunden; ThâlinBergman 1983. 501
502
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Wanderhandwerker als auch für „Handel" mit Gußformen darstellen können. Genauere Anhaltspunkte müssen deshalb aus den sozialen und politischen Verhältnissen abgeleitet werden, falls beispielsweise Schriftquellen Auskunft über Herrschaftsstrukturen geben oder anderweitig Hinweise vorliegen. Dann lassen sich auch politisch gesteuerte Distribution oder Abhängigkeit von Handwerkern vermuten.
Austausch Austausch spielt innerhalb und zwischen Gesellschaften immer eine sehr wichtige Rolle.504 Zwar konnten einzelne Siedlungen, was die Versorgung mit agrarischen Produkten angeht, weitgehend autark sein. Austauschbeziehungen dienen aber nicht nur wirtschaftlichen Interessen, sondern halten in starkem Maße soziale Beziehungen aufrecht. Daher sind es auch nicht allein oder primär Handelsbeziehungen, die zur Erklärung von „Fremdgütern" herangezogen werden können.505 Eine Reihe von Faktoren - Handel, Tribut, Raub, Sold, Gabentausch, Heiratsbeziehungen - brachten gemeinsam, wenn auch je nach Situation in unterschiedlicher Gewichtung, die archäologischen Verbreitungsbilder hervor.506 Häufig führt eine Entscheidung für Handel oder Plünderung, Sold oder Gabentausch nicht viel weiter, auch weil beides für die „empfangende" Gesellschaft letztlich nicht entscheidend war.507 Des weiteren handelte es sich in frühgeschichtlicher Zeit kaum um einen „freien" Markt, sondern um einen letztlich gesteuerten Handel. Wanderhandwerker können den Austausch von Handwerksprodukten „vorgaukeln". „Geld"-Funktion erfüllten nicht nur Münzen, sondern ebenso weitere Äquivalente wie Gewichts- und Gerätegeld bis hin zum Tuch- oder Pelzgeld. 1. In der jüngeren Hallstatt- und in der Latène-Zeit gelangten mediterrane „Luxusgüter" - bronzene Schnabelkannen, attische Keramik (Abb. 69)508, Weinamphoren, Korallen, Bernstein, spätrepublikanisches Bronzegeschirr, Glas - nach Mittel- und Westeuropa.509 Diese „Importe" konzentrieren sich an „Fürstensitzen" - herausgehobenen „Höhensiedlungen" mit zentralörtli-
504 505 506 507 508 509
Exchange systems in prehistory 1977; Trade and exchange 1993. Steuer 1999c. Untersuchungen zu Handel und Verkehr 1985-1997. Vgl. Steuer 1992b. Pape 2000. Vgl. dazu auch Boardman 1981; Gras 1985; 1995. F. Fischer 1985.
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Strukturelle Alternativen
Abb. 69. Verbreitung attischer Keramik des frühen 5. Jahrhunderts v. Chr. Rot- und schwarzfigurige sowie schwarzgefirnifite Ware sind zusammengefaßt. Deutliche Häufungen finden sich im Gebiet zwischen Marseille (Massalia) und Ampurias (Emporion) sowie in der Po-Ebene. Einzelne Funde, für die die Rhône ein wichtiger Verbindungsweg gewesen zu sein scheint, kommen im „barbarischen" Hinterland vor. Die vergleichsweise seltenen Stücke abseits der Mittelmeerwelt waren wirtschaftlich ohne Belang, konnten jedoch Angehörigen einer barbarischen Elite soziales Prestige verschaffen, wie anhand des Vorkommens in „reichen" Gräbern zu vermuten ist. • Siedlungsfunde; • Grabfunde (vereinfacht nach Pape 2000, 128 Abb. 24)
chem Charakter, denen eine wichtige Rolle bei der Beschaffung und Distribution zukam - ebenso wie beim Handel mit Zinn aus Cornwall510 und mit Salz aus Hallstatt und Hallein511 sowie aus Bad Nauheim512. Auf den „Binnenhandel" innerhalb des eisenzeitlichen Europa weisen mittel- und spâtlatènezeitliche, sich an griechischen und römischen Vorbildern
510 511 512
Diodor, Bibliotheca histórica V,38,5. Stöllner 1999a; 1999c; vgl. Fries-Knoblach 2001. Jörns 1973; Sole und Salz 2003.
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orientierende Münzprägungen hin.513 Die zahllosen lokalen bzw. regionalen Varianten (die überregional verbreitet sind) beruhen nicht auf ethnischen Abgrenzungen, sondern darauf, daß im Bereich der „keltischen" Oligarchie die Prägung allgemein üblich war.514 Zahlreiche Münzfunde in den oppida belegen den hier betriebenen Handel. Andere Äquivalente wie eiserne Doppelpyramiden- und Schwertbarren515 besaßen regionale Akzeptanz.516 In Ansätzen kann bei sorgfältiger Fundanalyse der „Binnenhandel" auch anhand der Austauschgüter beschrieben werden, wie dies für Drehscheibenkeramik in Böhmen gelungen ist.517 Güter und Objekte römischer Herkunft sind in der kaiser- und völkerwanderungszeitlichen Germania überaus häufig. Schon die immense Zahl an Funden „römischen Imports", der immer wieder in umfänglichen Corpora präsentiert wird, belegt die Intensität der wechselseitigen Beziehungen.518 Bronze- und Glasgefäße sind im elitären Milieu („Häuptlingsgräber") beheimatet, erstere aber auch weit darüber hinaus verbreitet. Ohne „römischen Import" ist die germanische Welt - zumindest in archäologischer Sicht - gar nicht vorstellbar. Terra sigillata519 und römische Münzen, aber auch römische Waffen (vor allem Schwerter)520 finden sich häufig und waren weit verbreitet. Zugang besaßen vor allem seit der jüngeren römischen Kaiserzeit breitere Schichten und nicht nur eine kleine Elite. Die Verbreitung im Inneren Germaniens deutet auf eine (politisch gesteuerte?) Distribution hin, die von „Reichtumszentren" bzw. Häuptlingshöfen ausging. Diese Zentralorte dürften z. T. das Ziel römischer Kaufleute gewesen sein, die mit Germanen Handel trieben.521 Für die ältere Kaiserzeit vermutet Ulla Lund Hansen aufgrund der stereotypen Zusammensetzungen des „Imports" und dessen Konzentration auf „Häuptlingsgräber", daß diese Stücke vor allem im Gabentausch, zur Bekräftigung politischer Allianzen, in die Germania gelangten.522 In der jüngeren Kaiserzeit wurde eine größere Vielfalt an (nicht selten unikaten) Gegenständen bezogen. Sie dürfte „von den Wünschen ferner wohnender Germa-
Allen/Nash 1980; Kellner 1990; Pink/Göbl 1974. Nash 1978. 5 , 5 Cäsar, Bellum gallicum V,12. 5 1 6 Pleiner 1991, 443 Karte; Kurz 1995, 15 Abb. 1; 17 Abb. 2; 237-239 Liste 1. 5 1 7 Gosden 1987. 5 1 8 Eggers 1951; Corpus der römischen Funde 1994-1998; Korpus znalezisk rzymskich 1998; Kunow 1983; Lund Hansen 1987; Erdrich 2001. 5 1 9 Berke 1990; Gabler/Vaday 1986. 520 vgl. Beiträge zu römischer und barbarischer Bewaffnung 1994. 5 2 1 Tacitus, Annales 2,62,3, berichtet von lixae et negotiatores am Hofe König Marbods. 5 2 2 Gegen Kunow 1983, der römische Händler favorisiert. Vgl. Storgárd 2001. 513
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Strukturelle Alternativen
nen" bestimmt worden sein, die wußten, was von den Römern zu bekommen und was eigenen Zwecken dienlich war (Abb. 70). 523 „Im wesentlichen bezog man Gegenstände, die innerhalb einer Häuptlingsgesellschaft den Rang, das Prestige und die Autorität einer Person kennzeichnen konnten. Der Import selbst repräsentierte keinen realen Wert, sondern er symbolisierte den Reichtum und die Autorität, die eine Person kraft ihres Familiengeschlechtes, Bodenbesitzes, Viehs und vielleicht auch ihrer Sklaven hatte." 524 Die Bedeutung römischer Münzen525 in der Germania wird bislang unterschiedlich beurteilt. Zum Teil gelangten sie durch Sold- und Subsidienzahlungen in den Norden 526 , wo sie mitunter sehr lange „umlaufen" konnten, wie Abnutzungen und späte Niederlegungen (Childerich-Grab) belegen. Besonders im limesnahen Bereich dürfte ein Teil mit Handel zu erklären sein, aber auch diplomatische Geschenke spielten eine Rolle. Das Vorkommen römischer Prägungen im rechtsrheinischen Gebiet nach 260 ist auch als fortdauernde Anwesenheit römischer Bevölkerung und Verwaltung interpretiert worden527 - doch handelt es sich tatsächlich um eine solche Dichotomie noch Römer oder schon Germanen? Die Fortexistenz einer Geldwirtschaft scheint evident, wer auch immer sie betrieb. Der Austausch innerhalb des „germanischen" Kulturraumes ist ebenso wie in der vorangehenden Eisenzeit archäologisch erst in Ansätzen zu erfassen, weil die entsprechenden „Güter" im Material nicht ebenso „fremd" wie diejenigen römischer Herkunft erscheinen. Diese Beobachtung verweist auf die prinzipiellen methodischen Schwierigkeiten des eindeutigen Nachweises, denn an der Existenz entsprechenden Austausches besteht kein Zweifel. Vor allem an metallenen Kleidungsbestandteilen und Schmuckstücken lassen identische kleine Fehler in den Gußformen auf eine Produktion aus einer Hand schließen.528 Die meisten „Importe" gelangten durch Distribution innerhalb der Germania an ihre Fundorte.529 Nicht alle „römischen" Produkte wurden
523
524 525
526
527 528
529
Anderenfalls „wären billige massenproduzierte Gläser, Metallwaren und Keramik, Fibeln und andere Kleingegenstände [...] abgesetzt worden"; Lund Hansen 1987, 249. Lund Hansen 1987, 249. Erfaßt in einem großangelegten Corpuswerk: Die Fundmünzen der römischen Zeit in Deutschland [FMRD]; ... in Österreich [FMR.Ö]; ... in den Niederlanden [FMRN]; ... in Slowenien [FMRS];... in Ungarn [FMRU];... im Großherzogtum Luxemburg [FMRL] (Berlin, Wien). - Vgl. zur Interpretation: Chantraine 1985; Fonnesbech-Sandberg 1989. J. Werner 1973a, 25-27, brachte ζ. B. Goldmünzen und -schmuck mit dem Dienst germanischer Söldnerkontingente im Gallischen Sonderreich in Verbindung. Stribny 1990. Ζ. B. Cosack 1979, 173 Abb. 10. - Der Begriff „Werkstattkreis" wird dagegen in einem umfassenderen Sinn für stilistisch „identische" bzw. ähnliche Stücke verwandt. Lund Hansen 1987, 242 f., für die ältere römische Kaiserzeit.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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Abb. 70. Verbreitung des „römischen Imports" im heutigen Dänemark während der Zeitstufe C l b . 1 Reichtumszentren im östlichen Seeland bezogen Fremdgüter direkt und indirekt aus dem Nordwesten des Römerreiches; in diesen Zentralorten verblieben viele Unikate, seltene und kostbare Importe. 2 Ein Teil der Fremdgüter stärkte Beziehungen zwischen Familien der Elite. 3 Weitere Gegenstände waren Teil der Redistribution vom östlichen Seeland aus. 4 Beziehungen bestanden Norwegen, nach Bornholm, zur südlichen Ostseeküste, nach Gotland und u. U. auch nach Mittelschweden. 5 Impone bildeten außerdem den „Rohstoff", aus dem einheimische Produkte hergestellt wurden. Diese „Verteilerfunktionen" der Reichtumszentren bedeuten, daß sie erheblich mehr „Importe" konzentrierten, als im Fundbild unmittelbar sichtbar wird (nach Lund Hansen 1987, 223 Abb. 143)
auch tatsächlich aus den Provinzen eingeführt. Die Entdeckung von Töpferöfen des 3. Jahrhunderts im thüringischen Haarhausen530 zeigt, daß mit Hilfe römischer Technologien Keramik auch mitten in der Germania hergestellt wurden - seien es römische Töpfer (entsandte Spezialisten, verschleppte Gefangene, geflohene Limesanrainer?) oder eine einheimische Produktion mit Hilfe römischer Technik gewesen. „Germanische" Drehscheibengefäße531 können daher auch den „Binnenhandel" innerhalb Germaniens anzeigen, weshalb sie tendenziell zur Überschätzung römischen „Imports" führen.532 Für die Merowingerzeit müssen Austauschbeziehungen bislang vor allem
530 531 532
Dusek 1992. Leube 1985; J. Schuster 1998; Machajewski 1998. In Thüringen finden sich inzwischen mehr als 150 Fundstellen mit „einheimischer" Drehscheibenkeramik aus Haarhausen; Dusek 1992, 104-111 Tab. 8; Abb. 29.
456
Strukturelle Alternativen
anhand der Grabfunde beurteilt werden, die zu Zigtausenden zur Verfügung stehen. Am leichtesten sind wiederum Fernhandelsgüter zu erkennen. So wurden Bernstein (für Perlenketten und als Schwertperlen) von der Ostsee 533 , Cyprea-Muscheln (als Amulette von Frauen) aus dem Mittelmeerraum534, Granate (als roter Schmuckstein für Fibeln und Schnallen) und andere Mineralien mittelbar aus dem Orient 535 und Millefioriperlen aus dem Süden536 bezogen. Hinzu kommen Gold in Münzform, das als Schmuck und Rohmaterial verwendet wurde, sowie „koptisches" Bronzegeschirr aus dem östlichen Mittelmeerraum537 oder auch exotische Textilien. Glasgefäße scheinen aus linksrheinischen Gebieten bezogen worden zu sein. Diese Objekte stellten seltenere und prestigeträchtige Güter dar. Auf welche Weise sie im Merowingerreich verteilt wurden, ist schwer zu beurteilen. Werkstätten existierten vor allem an den Adelshöfen, wo Schmuck- und andere Gegenstände hergestellt bzw. akkumuliert wurden. Das regional beschränkte Vorkommen bestimmter Formen kann einerseits auf die Distribution ortsfester Werkstätten zurückgehen oder andererseits durch Wanderhandwerker erklärt werden, die vielleicht ein Adelshof an den anderen „auslieh". Einer anderen Ebene gehören Produkte an, die im Rahmen von Nahmarktbeziehungen ihre Abnehmer fanden. Dazu gehört wohl qualitätvollere Gefäßkeramik, deren Varianten im 7. Jahrhundert jeweils in größeren Gebieten vorkommen.538 Aber auch hierbei könnte die Herrschaft eine Rolle gespielt haben, d. h. die Verteilung in Regie des Grundherren erfolgt sein.539 Hier böte sich ein - soweit möglich - interessanter Vergleich mit prosopographischen Studien an, die aus den Schriftquellen personale und herrschaftliche Strukturen erschließen können. Dann käme man der Frage näher, inwieweit Grundherrschaften die Güterverteilung beeinflußten. Goldmünzen (Solidi) wurden zur Merowingerzeit von zahllosen Monetären (ausschließlich links des Rheins) geprägt und nach Gewicht genommen (Feinwaagen als Grabbeigaben weisen darauf hin). Der Wert der Goldmünzen blieb für wirtschaftliche Transaktionen trotz weiter Verbreitung sehr begrenzt, weil der Wert für alltägliche Geschäfte bei weitem zu groß war. Deshalb unterstreichen diese Solidi (ebenso wie die immense Zahl an Münzstätten), daß zur Merowingerzeit keine ausgeprägte Münzgeldwirtschaft bestand. 5 3 3 Steuer 1997c, 396. 534 p a u s e 1 9 9 6 ; Siegmund/Weiß 1989. 5 3 5 Quast/Schüssler 2000; v. Freeden 2000; Arrhenius 1985. 5 3 6 Callmer 1977. 5 3 7 Roth 1980. 5 3 8 Hübener 1969. 5 3 9 Gross 1991, 31, 150 f.; 1996.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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Für die Karolingerzeit und das karolingische Reich fallen Grabfunde als handelsgeschichtliche Quellen aus, weil den Toten keine entsprechenden Beigaben mehr mitgegeben wurden. Es sind vor allem Funde von der Peripherie des Reichs, die in dieser Beziehung ausgewertet werden können. Anhand schriftlicher Nachrichten sind hierarchisch und funktional abgestufte Märkte zu unterscheiden.540 Funde von „Exportgütern" liegen aus ports of trade entlang der Grenzen des Reiches vor - an der Nordseeküste, im Binnenland (verzeichnet im Diedenhofener Capitulare von 805541 und der Raffelstetter Zollordnung von 903/905542) und an der Ostsee. Manche der dort zutage getretenen Objekte, u. a. Reste von Gebrauchskeramik, lassen sich eher als „Alltagskultur" der Händler bzw. Kaufleute denn als eigentliches Handelsgut verstehen. Eher im Rahmen elitären Gabentauschs sind Tatinger Kannen oder Hohlgläser anzusiedeln. Überhaupt können die Handelsgüter jener Zeit archäologisch bislang vor allem außerhalb des Karolingerreiches erfaßt werden, was sowohl an den beigabenlosen Bestattungen innerhalb des Reiches als auch am Forschungsstand liegt. Die Struktur des Handels wird deshalb wesentlich mit Hilfe der Schriftquellen rekonstruiert. Mit der Monopolisierung der Münzprägung unter König Pippin (751-768) entstanden neue Möglichkeiten für den Austausch.543 Denn eine einheitliche Silberwährung (die Denare) erlaubte nun die Bezahlung der Waren gegen ein allgemein gültiges Äquivalent. Die Prägungen des 8. bis 11. Jahrhunderts sind archäologisch bzw. numismatisch weit überwiegend in sogenannten „Auslandsfunden" belegt - in Skandinavien und Ostmitteleuropa. Daraus ist (wie auch für die arabischen Dirham) gelegentlich auf „Fernhandelswährungen" geschlossen worden, aber die Empfänger hätten sich wohl auch durch Silberbarren oder Rohsilber zufriedenstellen lassen, so daß eine Münzprägung primär für den „Export" wohl einen nicht zu rechtfertigenden Aufwand bedeutet hätte. Münzgeldwirtschaft setzt eine administrative Garantie des geprägten Edelmetalls voraus. Das beschränkte Vorkommen an „Inlandsfunden" geht primär auf den dort intensiven Geldumlauf zurück. Weil das Geld laufend „reinvestiert" werden konnte und wurde, blieb es in Umlauf - eine Thesaurierung ergab hier keinen Sinn. Den früh- und hochmittelalterlichen Ostseeraum - Skandinavier und nordwestliche Slawen544 - erreichten „Fremdgüter" über den Seehandel. Die
540 541 542 543 544
Vgl. Hodges 1988; Steuer 1999d. MGH LL Sect. II, Capit. I, Nr 44. MGH LL Sect. II, Capit. II, Nr. 253. Berghaus 1987. Brather 1996c.
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Strukturelle Alternativen
emporta waren Etappenorte des Fernhandels und zugleich Ausgangspunkte der Distribution im Hinterland. Die Vielfalt der Funde aus den Seehandelsplätzen - Keramik, Schmuck, Speckstein, Mühlsteine, Halbedelsteine, Rohmetall, Glasbruch, Fässer, Lebensmittel, Waffen - belegt einen intensiven Handel mit dem Nordseeraum (einschließlich der Britischen Inseln) und dem Reich 545 , aber auch mit Byzanz und dem Orient. Anhand der weiträumigen Verbreitung bronzener ovaler Schalenfibeln und der zu ihrer Herstellung verwendeten Gußformen ist von Wanderhandwerkern auszugehen, die zugleich durchaus Kaufleute gewesen sein mögen. Ähnliches dürfte für die Herstellung der Dreilagenkämme gegolten haben. 546 Rund um die Ostsee existierte eine Gewichtsgeldwirtschaft auf Silberbasis. 547 Die hierher gelangten Münzen - zunächst arabische Dirham, später vor allem deutsche und englische Prägungen - sowie einheimische und „importierte" Schmucksachen wurden per Gewicht als Äquivalent eingesetzt. Das zeigen zusammenklappbare Feinwaagen und zugehörige Gewichte sowie das überwiegend aus dem späten 10. und dem 11. Jahrhundert stammende „Hacksilber", das ohne Rücksicht auf die Objekte und ihre Qualität zu sehr feinen Stücken zerschnitten ist. Die überaus zahlreichen Depotfunde sind einerseits Beleg intensiver und weitreichender Handelsverbindungen. Andererseits zeigen sie (ebenso wie auch die aus dem Münzsilber hergestellten Schmuckstücke), daß Silber ohne „Investitionsmöglichkeit", d. h. strukturell „überflüssig" blieb, auch wenn die unmittelbaren Anlässe der Verbergung recht verschieden gewesen sein dürften. Denn die Schatzfunde stammen meist nicht aus den Handelsplätzen selbst, wo Silber ständig umgeschlagen wurde, sondern überwiegend aus deren Umgebung und sogar peripheren Regionen aus einem agrarischen Milieu. 548 Neben dem Silber gab es weitere, regional akzeptierte Äquivalente. Dazu gehören eiserne Axt- (Norwegen, Mähren) und Spatenbarren (Schweden) sowie das im slawischen Raum verbreitete, philologisch und aus schriftlichen Überlieferungen erschlossene Tuchgeld. 549 In den „barbarischen" Gebieten Europas finden sich eine Reihe relativ wertvoller und prestigeträchtiger „Fremdgüter", die aus dem griechischen, römischen und später byzantinischen bzw. arabischen Mittelmeerraum in den Norden gelangten. Wie die Gegenleistungen der Barbaren aussahen, wissen
545 546 547 548 549
Steuer 1987c. Ambrosiani 1981. Steuer 1987b; Hirdh 1996. Brather 1997. Brather 1999b.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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wir aus archäologischen Quellen praktisch nicht. Schriftquellen berichten von agrarischen Produkten, mit denen die Barbaren handelten. Honig und Met, Häute und Pelze, Vieh und Sklaven sowie Frauenhaar werden von der Eisenzeit bis ins Mittelalter immer wieder genannt, sind aber archäologisch nicht mehr nachweisbar. Die fehlende Erhaltung produziert auf diese Weise ein einseitiges Fundbild und erlaubt auch keine Schätzungen, welchen Umfang die Pelz- und Viehlieferungen besaßen. Andere Gegenleistungen waren nicht materieller Natur. Hier ist zunächst der Gabentausch zu nennen, der politische Beziehungen zwischen den Eliten knüpfte und erhielt - sowie aus griechischer bzw. römischer Sicht dazu beitrug, verläßliche Kontaktpersonen bzw. -gruppen aufzubauen und auf diese Weise eine politische Ordnung in die prinzipiell ungeordnete und unübersichtliche Barbarenwelt zu bringen. Soldzahlungen an keltische bzw. germanische Militärs galten deren Dienst ab. Auf diese Weise gelangten Münzen in das Barbaricum. Wir wissen aber auch, daß Hunnen und Awaren, Ost- und Westgoten, Franken und Vandalen von Byzanz mit zuweilen (zumindest aus barbarischer Sicht) nicht unerheblichen „Jahrgeldern" ruhiggestellt wurden, die zeitweise Einstellung kriegerischer Handlungen seitens der unsteten und dynamischen Barbaren gewissermaßen „erkauft" wurde. 550 Ahnliches gilt für das Danegeld, das dänische Wikinger während des 9. Jahrhunderts in England erhoben551 und zumindest teilweise ebendort wieder „ausgaben". Gelegentlich läßt sich auch Beutegut identifizieren, wofür auf die „Alemannenbeute" von Neupotz und den Fund von Hagenbach hingewiesen sei.552 2. Der Handel innerhalb „einheitlicher" Kulturräume ist weniger leicht zu erfassen, läßt man die weitere Distribution der aus der Ferne bezogenen Prestigegüter einmal außer acht. Denn dort wurden keine ausgesprochenen „Fremdgüter" verteilt, sondern für die jeweilige Region „typische", als charakteristisch angesehene Produkte, die sich deshalb kaum aussondern lassen. Auch naturwissenschaftliche Analysen zur Materialzusammensetzung können hier nur begrenzt weiterhelfen, weil die Rohstofflagerstätten in Kleinräumen geologisch und mineralogisch nicht auseinanderzuhalten sind. So bleiben nur eindeutige Hinweise auf Werkstätten wie Gußformen, Töpfermarken und -Stempel, die „Absatzgebiete" markieren können, wobei zugleich auf das Problem von Wanderhandwerkern hinzuweisen ist. Tendenziell wer-
550 551 552
Ζ. B. an die Awaren: Kiss 1986, 109 f.; Pohl 1988, 180-182, 502. Blackburn/Jonsson 1981, 150, 153. Kiinzl 1993; Der römische Schatzfund von Hagenbach 1990.
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Strukturelle Alternativen
den deshalb Fernhandel und „fremde" Prestigegüter in der archäologischen Forschung überbewertet und damit die Strukturen des Austausche verzerrt wiedergegeben. Diachrone Vergleiche über längere Zeiträume hinweg zeigen, daß sich bestimmte Verbindungslinien immer wieder belegen lassen. Vor allem die großen Ströme (Donau, Rhein, Weichsel, Dnepr, Volga) dienten als Verkehrsund Kommunikationsrouten. Durch „Importe" und „Fremdgüter" werden sie nur indirekt markiert, denn diese wertvollen Objekte gelangten nicht unmittelbar entlang der Handelsrouten in den Boden, wurden sie doch weiter „verteilt" und verhandelt. 553 Auch die Handelsplätze helfen kaum weiter, weil an ihnen die Produkte zwar ausgetauscht, aber nicht niedergelegt wurden und deshalb auch dort seltener zu finden sind. Landwege sind archäologisch weit schwerer zu fassen, weil ihr Verlauf - abgesehen von in Mooren und Niederungen erhaltenen hölzernen Bohlenwegen und Brücken aller Zeiträume 554 und manchen mittelalterlichen Hohlwegen - nicht mehr sichtbar ist. Aber auch diese Verbindungen können indirekt aus der Verbreitung der Austauschgüter erschlossen werden, indem man die miteinander kommunizierenden Regionen ermittelt. Dabei bleiben Unsicherheiten bestehen, die in struktureller Hinsicht (unabhängig vom genauen Verlauf) aber großräumige „Verkehrsleitlinien" 555 erkennen lassen. Diese Leitlinien scheinen, ähnlich wie die Siedlungsgebiete und Kulturlandschaften, oft langfristig über Periodengrenzen hinweg bestanden zu haben, wofür der Hinweis auf die von Nord nach Süd verlaufende sogenannte „Bernsteinstraße" 556 genügen mag. 557 Dies ist kein Beleg für langfristige kulturelle oder ethnische „Kontinuitäten", sondern auf geographische, naturräumliche und kommunikative Gegebenheiten zurückzuführen. Ebenso offensichtlich scheint, daß auf diesen Routen nicht nur Güter ausgetauscht, sondern auch „Informationen" und kulturelle Vorbilder vermittelt wurden. Mit welchen Mitteln man sich bewegte, ist auch mit Hilfe archäologischer Funde zu belegen. Zum „Reiten und Fahren" 558 dienten Pferde, von Pferden,
553 vgl. Brather 1997, 107-114, zur Ermittlung der Wege arabischen Münzsilbers nach Ost- und Nordeuropa. 5 5 4 Moorarchäologie in Nordwest-Europa 1993; Schuldt 1988; Wilke 2000. 5 5 5 Steuer 1998a, 285-287. 5 5 6 Kontakte längs der Bernsteinstraße 1996; Wenskus 1985. Daß die „Bernsteinstraße" als solche nicht allgemein bekannt war, belegt eine römische Erkundungsexpedition in neronischer Zeit; Plinius, Historia naturalis XXXVII,35-51. 5 5 7 Vgl. etwa v. Uslar 1991, für langlebige Kontakte über die Alpen hinweg. 5 5 8 Beck/Janssen/Joachim/Steuer 1994.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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Ochsen oder Eseln gezogene Wagen und Karren559 sowie unterschiedliche Boote (vom Einbaum bis zum geklinkerten Schiff).560 Differenzierungen nach sozialem Milieu (wer „reist" überhaupt?), Transportzweck und -weg sind dabei vorauszusetzen, jedoch kaum aus dem Befund unmittelbar abzuleiten. Besondere Vorrichtungen wie die wikingerzeitlichen Transportbehälter („Wagenkästen"), die vom Wagen auf ein Schiff umgeladen werden konnten, ohne die Ladung auspacken zu müssen, ermöglichten eine „effektivere" Beförderung.561 Zum Zweck des Transports sind außerdem Behältnisse wie Fässer, Amphoren oder Schläuche zu rechnen. Austausch- und Handelsbeziehungen sind ein Paradebeispiel für strukturelle Aussagen. „Fremdgüter" fallen aufgrund ihres ungewöhnlichen Aussehens oder ihrer unüblichen Herstellung auf. Wer sie aus welchen Gründen, auf welchem Wege, in wessen Auftrag und mit welchem Ziel transportierte, ist ihnen nicht unmittelbar anzusehen. Unklar muß wohl bleiben, wann direkte Fernbeziehungen oder etappenweiser Austausch dominierten. Ebensowenig lassen sich anhand von Verbreitungskarten die genauen Wege erkennen, doch können die „durchquerten" Regionen und damit „Verkehrsleitlinien" (Flüsse, Meeresküsten, Flachlandbereiche, Gebirgspässe) ermittelt werden. Damit werden die räumlichen Strukturen und Reichweiten der Kommunikation deutlich - unabhängig von deren näherer Charakterisierung als Handel, (Gaben-)Tausch, Tribut, Plünderungsgut oder Sold. „Luxusgüter" belegen, neben der Existenz einer sozialen Elite, deren Bemühen um Repräsentation mittels „exotischer" Güter und lassen an Gabentausch denken, mit dessen Hilfe sich Eliten gegenseitiger Loyalität zu versichern trachteten. Das Auftreten überregionaler Äquivalentformen (Geräte- und Münzgeld) weist darauf hin, daß die Strukturen des Austauschs intensiv und dauerhaft, sogar „institutionalisiert" worden sind. Äquivalente bedeuten darüber hinaus eine die allgemeine Akzeptanz sichernde oder garantierende Kommunikation - jedoch nicht zwingend eine herrschaftlich sanktionierte Wertgarantie, solange eine „Gewichtsgeldwirtschaft" existierte, d.h. die Äquivalente nach Gewicht „verrechnet" wurden. „Verkehrsmittel" gestatten des weiteren Erkenntnisse über den Umfang der Transporte bzw. das Gewicht von Handelsgütern und indirekt auch auf die Organisation des Austauschs, wenn ζ. B. weitreichende Schiffsreisen
559 560 561
Henning 1996b, 791-793. Elimers 1984. Sekundär konnten diese Wagenkästen auch in das Grab gelangen; Müller-Wille 1987, 26-34.
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Strukturelle Alternativen
wie in der Wikingerzeit nur von mehreren „Kaufleuten" gemeinsam unternommen werden konnten.
Siedlungsformen Siedlungsformen - Gegenstand der „Siedlungsarchäologie" 562 - ermöglichen Rückschlüsse auf die jeweilige Wirtschaftsweise. Dies gilt bereits für den Hausbau, der sich ζ. T. an elementaren ökonomischen Notwendigkeiten orientiert. 563 Die großen kaiserzeitlichen und frühmittelalterlichen „Wohnstallhäuser" im nördlichen bzw. nordwestlichen Mitteleuropa 564 (wie sie in ähnlicher Form bereits seit der jüngeren Bronzezeit gebaut worden waren) belegen mit ihren zahlreichen Viehboxen, welch wichtige Rolle die Großviehhaltung (von Rindern) in diesen Gesellschaften spielte. Das berührte zugleich das soziale Prestige und die Sozialstruktur - Viehbesitz dürfte als Reichtumsindikator gedient haben. Die unterschiedliche Zahl an Plätzen für aufzustallendes Vieh pro Haus (unabhängig davon, ob diese auch alle gleichzeitig genutzt wurden) wäre dann nicht nur als unterschiedliche Wirtschaftskraft, sondern auch als Indikator gesellschaftlichen Ranges zu werten (Abb. 71). 1. Im nördlichen Mitteleuropa (einschließlich des südlichen Skandinavien 565 ) der Eisenzeit dominierten wie schon in der vorangehenden Zeit große, dreischiffige „Wohnstallhäuser". Neben dem Wohntrakt befand sich unter demselben Dach der Stallteil mit unterschiedlich vielen Viehboxen - wohl der entscheidende Grund für die dreischiffige Bauweise, die ein Maximum an unterzustellendem Vieh beherbergen konnte. 566 Die Zahl der Boxen gibt nicht unbedingt den Umfang des tatsächlich gehaltenen Viehs wieder, denn Berechnungen der in Feddersen Wierde wahrscheinlich ehemals vorhandenen Weideflächen zeigen, daß zeitweise wohl nur gut die Hälfte der aufzustauenden Rinder tatsächlich ernährt werden konnte. 567 Zahlreiche Nebengebäu-
562
563
564 565 566 567
Dazu: Jankuhn 1977; Pantzer 1995. Zum überholten und inhaltlich irreführenden Kossinnaschen Begriff der „Siedlungsarchäologie" vgl. oben Kap. 111,2,b. Haus und Hof in ur- und frühgeschichtlicher Zeit 1997; Haus und Hof im östlichen Germanien 1998; W. H. Zimmermann 1998. Brabandt 1993. Weinmann 1994. Vogt 1999. Reichstein 1991, 240-258; W. H. Zimmermann 1992, 135.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation 90
80 70 60
50 40
30 20
10
0
10 20
30 40 50 60
463 70 80
90
Feddersen Wierde
si
ÓS(M Π) 55
Boomborg-Hatzum Hodorf
« i ¿S
Ö ubS1 en en S
Grentoft
Wohnteil (m1)
Stallteil (mJ)
Abb. 71. Kaiserzeitliche Siedlungen in Jütland und Nordwestdeutschland. Verhältnis der Flächen von Wohn- und Stallteil der Wohnstallhäuser. Die jütischen Häuser sind im Durchschnitt um ein Drittel kleiner als die nordwestdeutschen, was wahrscheinlich nicht auf soziale, sondern auf wirtschaftliche Bedingungen zurückzuführen ist (nach Donat 1977, 257 Abb. 5)
de wie (gestelzte) Speicher568 und (teilweise eingetiefte) Werkstätten (rechteckige Grubenhäuser) umgaben die Langhäuser. Das Gehöft wurde häufig durch Zäune abgegrenzt. Gut und vollständig untersuchte Plätze wie Archsum auf Sylt, Feddersen Wierde, Flögeln und Wijster zeigen seit der Kaiserzeit eine Entwicklung zu Großgehöften bzw. Mehrbetriebseinheiten, neben denen (abhängige) Kleinbetriebe weiterexistierten.569
568 569
Vgl. Willerding 1998. Kossack 1997, 43-65.
464
Strukturelle Alternativen
Eisen- bzw. latènezeitliche Siedlungen sind (ebenso wie kaiserzeitliche und frühmittelalterliche) für das südliche Mitteleuropa bislang nur sehr unzureichend bekannt.570 Anders als im Nord(west)en waren im Süden die Ställe als separate Gebäude ausgeführt und nicht in das Wohnhaus integriert. Damit fehlen dort die großen Langhäuser, und die Gehöfte setzten sich aus weniger differenzierten Pfostenhäusern zusammen. Ein wichtiger Grund für diesen deutlichen Nord-Süd-Unterschied könnte wirtschaftlicher Natur gewesen sein: Im Süden wurden deutlich mehr Schweine gehalten, die man anders als Rinder nicht in Ställen unterbrachte. Dennoch gab es zugleich nicht wenige Rinder als Haustiere, so daß wohl weitere, auch kulturelle Faktoren hinzukamen. Trotz des Fehlens komplexer Grabungen läßt sich von weilerartigen ländlichen Siedlungen ausgehen, doch bestimmt noch immer der Stand der Ausgrabungen unsere Kenntnis: sie fällt im Flachland deutlich besser als in den Höhenlagen aus, weil dort Siedlungen erheblich leichter zu entdecken und auszugraben sind. Es bleibt problematisch, die bei Cäsar571 aufgeführten Siedlungsformen aedificia, vici, oppida bzw. civitates - mit bestimmten archäologischen Befunden zu identifizieren.572 Zu sehr ist der Blick des Römers von den eigenen klassifizierenden Vorstellungen geprägt, und zu viele diffuse Übergangsformen sind archäologisch belegt. Die „Widersprüche" zwischen Cäsars Beschreibung und archäologischem Befund lassen sich nicht ausräumen, sondern unterstreichen die unterschiedliche, einander ergänzende Aussagekraft beider Quellengruppen. Zur Merowinger- und Karolingerzeit573 existierten im Nordseeküstengebiet weiterhin Wohnstallhäuser, deren Konstruktion nun nach außen versetzte bzw. schräggestellte, dachtragende Pfosten aufwies. Der (skandinavische) Norden kannte zur Wikingerzeit „schiffsförmige" Häuser mit nach außen gebogenen Längsseiten, was größere Stabilität der Konstruktion bedeutete und den Ubergang zu großen einschiffigen Gebäuden einleitete.574 Im angrenzen-
570
571
572 573
574
Jockenhövel 1997, 181; Audouze/Büchsenschütz 1989; Fürstensitze, Höhenburgen, Talsiedlungen 1995. Z. B. Cäsar, Bellum Gallicum 1,5 über die Helvetier: Ubi tarn se ad eam rem paratos esse arbitrati sunt, oppida sua omnia, numero ad duodecim, vicos ad quadringentos, reliqua privata aedificia incendunt; Vili,5 über die Carnuten: Cum fama exercitus ad hostes esset periata, calamitate ceterorum ducti Camutes desertis vicis oppidisijwe, quae tolerandae hiemis causa constitutis repente exiguis ad necessitatem aedificiis incolebant (nuper enim devicti compiuta oppida dimiserant), dispersi profugiunt (Hervorhebung von mir - S. Β.). Büchsenschütz 2000, 392; Boos 1989; zu den àvitates Lewis 2000. Theuws 1996; Lorren 1996; Bücker/Hoeper/Höneisen/Schmaedecke 1997; Geisler 1997; Hamerow 2002. Meier 1994, 97-118. Hingewiesen sei außerdem auf Bauten spezieller Nutzung wie z.B. Bootshäuser: O. Grimm 2001.
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den Binnenland wurden die älteren Wohnstallhäuser aufgegeben und durch funktional getrennte, ein- bis dreischiffige Wohn- und Stallbauten abgelöst, wie sie weiter südlich schon zuvor errichtet worden waren. Auch scheinen Grubenhäuser allmählich aufgegeben worden zu sein. Im Süden finden sich langrechteckige, ein- oder zweischiffige Bauten, die gelegentlich auch einen Stallteil (Kirchheim bei München) besaßen. Es kommen sowohl Pfostenkonstruktionen als auch eine „Wandgräbchenbauweise" vor. Neben Siedlungen aus mehreren Gehöften, mit Zäunen und Wegen, bestanden zahlreiche Einzelhöfe.575 Anders als in Gallien, wo die Getreideproduktion dominierte, waren die östlich des Rheins gelegenen Siedlungen hauptsächlich auf Viehhaltung ausgerichtet. Insgesamt ist die Quellenlage für frühmittelalterliche Siedlungen im östlichen Merowingerreich allerdings dürftig und läßt ein detailliertes Bild noch nicht zu.576 Ganz anders nehmen sich dagegen die ostmitteleuropäischen Häuser und Siedlungen des frühen Mittelalters aus.577 Im Flachland finden sich überwiegend ebenerdige Blockbauten (seltener Flechtwandhäuser), weiter südlich und in der Mittelgebirgszone baute man eingetiefte Grubenhäuser. Diese Wohnbauten weisen nur bescheidene Größen von 12 bis 16 m2 auf. Im hohen Mittelalter ging man auch im Süden dieses Raumes überwiegend zu ebenerdigen Häusern über, wenngleich Grubenhäuser in nicht geringer Zahl weiterhin als Wohnbauten errichtet wurden. Alle diese Bauten blieben - bis auf Ausnahmen an herausgehobenen Plätzen (Mikulcice, Breclav-Pohansko, Levy Hradec, Starigard/Oldenburg) einräumig. Nebengebäude wie Ställe und Scheunen sind - ebenso wie Pfostenbauten - für das frühe Mittelalter bislang nicht bekannt geworden, wenngleich dafür auch Grabungstechnik und Bodenerosion verantwortlich sein können. Dennoch scheint die Großviehhaltung nicht die gleiche Rolle wie im westlichen Mitteleuropa gespielt zu haben, berücksichtigt man das weitgehende Fehlen von Sicheln und Sensen. Diese hätte man benötigt, um das für den Winter nötige Futter zu schneiden. Man rechnet allgemein mit einem Überwiegen des Ackerbaus578 und sieht die
575 576
577 578
Vgl. Kaldal Mikkelsen 2000. Umfassende Ausgrabungen von Siedlung und Gräberfeld wie in Lauchheim sind bislang die Ausnahme: Stork 1997a; 2001. Die Repräsentativst solcher Untersuchungen ist deshalb nur schwer einzuschätzen. Donat 1980. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert hatte man „die Slawen" noch für eine v. a. jagende, fischende und viehhaltende Bevölkerung mit gering entwickeltem Ackerbau gehalten; Jankuhn 1938, 42, zufolge, handelte es sich bei den Slawen um „eine Fischer- und Jägerbevölkerung, die einen primitiven Ackerbau betreibt". Vgl. Brather 2001a, 14.
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Strukturelle Alternativen
produzierten Getreidemengen in siloartigen, tiefen Gruben als Vorrat aufbewahrt. 2. Neben den Einzelbauten, ihren Bauformen und Funktionen, sind auch die Siedlungen selbst aufschlußreich. Diese Erörterung leitet bereits zu sozialgeschichtlichen Problemen über, sei aber hier noch angeführt. Höfe oder Gehöfte 579 bilden „bäuerliche Betriebseinheiten", die in der Regel wohl von jeweils einer Familie betrieben wurden. Die in der römischen Kaiserzeit im nördlichen Mitteleuropa aufkommenden Großgehöfte waren „Mehrbetriebseinheiten", die mehrere bäuerliche Familien zusammenschlossen - bzw. die Ausdifferenzierung in mehrgliedrige Familien oder einen inneren Siedlungsausbau belegen. Auf engem Raum konzentrierte und umzäunte eisenzeitliche Siedlungen wie Hodde und Grantoft 580 entstanden aus besonderen wirtschaftlichen oder sozialen Gründen, die bislang unbekannt sind. Georg Kossack hat darauf aufmerksam gemacht, daß die kaiserzeitlichen Siedlungen eine bestimmte Maximalgröße nicht überschritten. Mehr als 25 Höfe wurden - sowohl bei häufig wechselndem Siedlungsplatz als auch bei längerer Platzkonstanz - nicht gleichzeitig betrieben.581 Wirtschaftliche und soziale Ursachen scheinen die Bewohnerzahl auf höchstens 100-150 begrenzt zu haben. Größere ländliche Siedlungen waren anscheinend aus strukturellen Gründen nicht möglich (was für die gesamte Frühgeschichte zuzutreffen scheint). Diese Beschränkung sollte in Kossacks Augen dazu geführt haben, daß die jeweils zweiten Söhne die Siedlung verlassen mußten und damit eine nicht unbeträchtliche soziale Mobilität entstand. Aus den archäologischen Befunden lassen sich derart detaillierte Schlüsse über Familienstrukturen wohl kaum ziehen, so daß dieses Modell hypothetisch bleiben muß. Neben diesen aus mehreren Höfen bestehenden Siedlungen gab es sowohl in der Eisenzeit als auch im Mittelalter weilerartige Kleinsiedlungen und Einzelgehöfte. Letztere werden aufgrund ihrer geringeren Ausdehnung weniger leicht entdeckt, so daß ihre Zahl unterrepräsentiert erscheint. Auch fällt die Unterscheidung von den größeren („dorfartigen") Siedlungen nicht leicht, denn die Siedlungsgröße wird bei „wandernden", d. h. häufiger verlegten Siedlungen tendenziell überschätzt. Mangelnde Datierungsgenauigkeit führt dazu, eine zu große Zahl von Bauten als „gleichzeitig" anzusehen, obwohl sie nach und nach errichtet wurden und sich vielleicht auf zwei Generationen verteilten. 579 580 581
Das Dorf der Eisenzeit 1977; Donat 1987. Hvass 1985; Becker 1971. Kossack 1997, 66.
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Im früh- und hochmittelalterlichen Ostmitteleuropa scheint es bis ins 12. Jahrhundert (mit Ausnahme von „Herrensitzen" wie Breclav-Pohansko) nicht zur Ausbildung von Gehöften - im Sinne eines bäuerlichen Betriebes aus mehreren Gebäuden unterschiedlicher Funktion und Bauweise, abgegrenzt durch einen Zaun - gekommen zu sein. Jedenfalls fehlen entsprechende Belege bislang, oder sie erweisen sich als nicht stichhaltig. 582 Die allgemeine Durchsetzung von Hofstrukturen erfolgte wohl erst mit der hochmittelalterlichen Ostsiedlung bzw. dem Landesausbau. Ländliche Siedlungen werden im allgemeinen (bereits für das Neolithikum) durchweg als „Dörfer" bezeichnet. Eine bestimmte Mindestgröße wird dabei nicht vorausgesetzt, so daß auch Kleinsiedlungen wie Weiler dazu zählen. Einzelhöfe gehören nicht dazu. Statt dessen steht die Binnenstruktur der Siedlung im Mittelpunkt - Zusammenhänge über den einzelnen Hof hinaus und gemeinsame Anlagen (Anger, Brunnen, Wege; ebenso wohl eine Schmiede) gelten als entscheidend, und ebenso die von der Archäologie nicht zu fassende gemeinsame Regelung wirtschaftlicher und rechtlicher Fragen. 583 Schriftliche Belege für gemeinsame Einrichtungen setzen allerdings erst im Hochmittelalter ein584, so daß eine „Verdorfung" erst seit dieser Zeit (vermehrt seit dem 13. Jahrhundert) zu belegen ist. 585 Doch muß für alle Siedlungen, in denen sich mehrere Höfe und damit Bauernfamilien befinden, von gemeinsamen Regelungen und Einrichtungen ausgegangen werden. Ohne Absprachen und Rücksichtnahmen wären solche Siedlungen nicht „lebensfähig". Ein Hinweis darauf mögen die „celtic fields" sein, die mitunter großflächige Systeme mit langgestreckten gemeinsamen Rainen bilden. 3. Zur Untersuchung der Siedlungen gehört auch deren Umland: Fluren, Weiden, Wälder und Rohstoffe. Erst die Analyse der zur Verfügung stehenden Ressourcen innerhalb der Region („site catchment analysis") ermöglicht ein Verständnis der Siedlungsformen und -strukturen - u. a. den Anteil von Getreideanbau und Viehhaltung. Siedlungsgefilde oder -kammern konnten zwar von unbesiedelten Räumen umgeben sein, doch stellten sie keine „ausgestanzten" Inseln inmitten undurchdringlicher Wälder dar, wie archäobotanische Untersuchungen zeigen. Es gab noch in der frühen Neuzeit kaum scharfe Grenzen zwischen Ackerland, Wiesen und Wäldern - weil ζ. B. Schweine auf
582 583 584 585
Donat 1980, 125-131. Schützeichel 1977; Jäger 1977; Schwind 1977. Bader 1957, 21-37. Rösener 1992, 80.
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Strukturelle Alternativen
die Waldweide getrieben wurden und der Holzbedarf aus dem Wald gedeckt wurde; beides bewirkte eine Auflichtung im näheren Umfeld der Siedlungen.586 Die Kulturlandschaften bestanden aus Arealen unterschiedlicher Nutzung, die ineinander übergingen. Überraschend erscheint die Konstanz der besiedelten Räume. Bis ins Mittelalter wurden immer wieder dieselben Regionen aufgesucht, auch wenn die Umweltbedingungen alles andere als günstig waren. Gefährdungen wurden nicht einfach hingenommen, sondern wie bei den Wurten an der Nordseeküste eingedämmt oder durch wirtschaftliche Anpassung zurückgedrängt.587 Die Anforderungen an die Siedlungsplatzwahl blieben die gleichen - meist wurden leichte Hanglagen an Flußauen gewählt. Dieses Festhalten an den alten Kulturlandschaften „erklärt" auch, weshalb Germanen antike Ruinen trotz ihrer ganz anderen Wirtschaftsweise in Besitz nahmen - und darin ihre Pfostenbauten errichteten - , oder warum so häufig unter frühmittelalterlichslawischen Siedlungen kaiserzeitliche Spuren zutage kommen. In beiden Fällen ist nicht zwingend mit direkter Siedlungskontinuität zu rechnen. Von ebenfalls eminent wirtschaftsgeschichtlichem Interesse sind die häufigen Verlagerungen ländlicher Siedlungen (Abb. 72).588 Der anscheinend zunächst naheliegende Schluß, die Siedlungen seien aufgrund der Erschöpfung der Ackerflächen aufgrund ununterbrochener Beanspruchung an einen anderen Standort verlegt worden, führt nicht weiter. Denn nur die Siedlungen wurden um hundert Meter oder mehr verlegt, die Ackerflächen aber wohl kontinuierlich genutzt. Der Grund für die Verlegungen muß daher in den Siedlungen selbst gesucht werden, doch können bislang nur Vermutungen geäußert werden. Möglicherweise war die Nutzungsdauer der Gebäude ausschlaggebend, die bei Pfostenbauten und Grubenhäusern etwa zwischen zehn und 30 Jahren gelegen zu haben scheint. Danach waren die tragenden Hölzer soweit angegriffen bzw. vergangen, daß eine grundlegende Erneuerung nötig gewesen wäre. Man scheute wohl nicht selten den zusätzlichen Aufwand des Abreißens und errichtete neue Bauten einfach in der unmittelbaren Nachbarschaft. Bei Grubenhäusern dürften es auch statische Gründen gewesen sein, die einen Neubau neben einer bereits vorhandenen Hausgrube erforderten. Aber nicht nur einzelne Gebäude, sondern komplette Siedlungen sind verlegt worden,589 daneben Fluren und Gräberfelder - nicht immer gleichzeitig, wie
586 587 588 589
Küster 1995, 233-236, 366. Kossack 1997, 16-24; D. Meier 2001. Steuer 1988a; Waterbolk 1982. Bestes Beispiel noch immer Vorbasse (Jütland): Hvass 1980; 1984. Vgl. jetzt den Befund von Geldrop: Roymans 1996b, 239 Abb. 7.
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heutiges Dort ab 11 Jh.
Abb. 72. Vorbasse, Siedlungen des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis 11. Jahrhunderts n. Chr. Im Verlauf von mehr als 1000 Jahren wurde die Siedlung mindestens zehnmal verlegt. Die Errichtung der jweils neuen Siedlung erfolgte in unmittelbarer Nachbarschaft der Vorgängerin. Deshalb wurden die zugehörigen Acker- und Weideflächen wahrscheinlich kontinuierlich genutzt. Die ausschlaggebenden Gründe für die häufigen Siedlungsverlegungen bleiben unklar (nach Hvass 1982, 194 Abb. 5)
große und lang belegte Gräberfelder zeigen. Die Ursachen dürften sich von Fall zu Fall unterschieden und sich wechselseitig überlagert haben: 1. Veränderungen der Umwelt (Wasserspiegel), 2. anthropogene Veränderungen (Erosion, Auelehmablagerungen, Dünenbildung, Erschöpfung der Äcker), 3. Veränderungen der Landwirtschaft (mehr Ackerbau oder mehr Viehhaltung Feldfluren oder Grünland), 4. soziale Veränderungen (Abhängigkeiten,
470
Strukturelle Alternativen
Grundherrschaft, Eigentum), 5. hygienische Erfordernisse (Abfallanhäufung) 590 und „Lebensdauer" der Pfostenbauten. Die Mobilität der Siedlungen bei Germanen und Slawen - den Barbaren insgesamt - fiel mediterranen Beobachtern ins Auge, 591 doch gehörte die unstete Lebensweise auch zu den verbreiteten Barbarentopoi. Und sie erschwert der Archäologie die Ermittlung von Landesausbau und Siedlungsverdichtung, weil verlagerte und Ausbausiedlungen nicht unterschieden werden können. Der Übergang zu wirklich und endgültig ortsfesten Siedlungen erfolgte im Frankenreich seit der Karolingerzeit, im südlichen Skandinavien wie im östlichen Mitteleuropa erst im 12./13. Jahrhundert. Etwa parallel dazu wurden die bislang weithin dominierenden Pfostenbauten von Ständerbauten und anderen Bauformen ohne eingetiefte (und damit rasch faulende) Pfosten abgelöst 592 , wodurch nun die „Lebensdauer" der Häuser ungemein zunahm. Die seitdem bestehende Ortskonstanz der Siedlungen ist der Hintergrund, vor dem von Wüstungen gesprochen werden kann. Denn nun bedeutete die Aufgabe von Siedlungen bzw. Wirtschaftsflächen zugleich Veränderungen der Siedlungslandschaft und -struktur. Zuvor änderte sich durch die häufige Verlegung von Siedlungen praktisch nichts. Warum die seit neolithischer Zeit gelegentlich errichteten, wesentlich dauerhafteren, stabileren und materialsparenden, in gewisser Weise sogar „mobilen" (versetzbaren) und damit wesentlich „vorteilhafteren" Ständerbauten nicht schon viel früher weite Verbreitung erlangten, ist bislang nicht ausreichend (rational) zu erklären. Wolf Haio Zimmermann vermutet drei wesentliche Gründe, die aus ethnologischen Parallelen abgeleitet sind: 1. bremsen Traditionen, das Festhalten am Bekannten, oft kulturelle Neuerungen. 2. verhindert eine im Vergleich zur Moderne wesentlich kürzere Lebensspanne593 eine Planung über diese knappe Zeit hinaus, während der auch ein Pfostenbau Bestand hatte. Möglicherweise gehörte der eigene Hausbau auch zum Prestige, zu den Aufgaben eines pater familias. Und 3. können bestimmte Vorstellungen „rationale" Veränderungen blockieren - so möglicherweise Auffassungen vom im Boden „verwurzelten" Pfosten oder von „Stützen" zwischen Himmel und Erde, ohne die man unbekannten Gefahren entgegenging.594
Steuer 1988a, 43. Cäsar, Bellum Gallicum IV,1.22; Tacitus, Germania 26; Prokop, Bellum Gothicum 111,14.24. 5 9 2 W. H. Zimmermann 1998, 79-146. 593 Vgl. z u d e n folgen eines längeren Lebens: Imhof 1996. 5 9 4 W. H. Zimmermann 1998, 178-198. 590 591
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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Siedlungen werden neben anderen Faktoren wesentlich durch die wirtschaftlichen Strukturen bestimmt. Von den Bauten zeigen Ställe den besonderen Aufwand zur Haltung bestimmter Haustiere (meist Rinder), und die Kombination von Stall- und Wohnbereich unter einem Dach belegt die besondere Wertschätzung des Viehs. Art und Umfang von Speicherbauten lassen die relative Bedeutung des Ackerbaus erkennen. Die Binnendifferenzierung von Gehöften kann Rückschlüsse auf Arbeitsteilung und bäuerliche Betriebseinheiten ermöglichen. Die Größe einzelner Siedlungen, der Abstand benachbarter Dörfer und eventuell besondere Rohstoffvorkommen geben Hinweise auf den Umfang der bewirtschafteten Flächen, gegenseitige Abhängigkeiten und Konkurrenz. Siedlungsverlagerungen erfolgten wohl meist nicht aus agrarwirtschaftlichen Gründen, so daß sie nicht auf Veränderungen der ökonomischen Strukturen hindeuten, sondern durch strukturelle Probleme des alltäglichen Lebens verursacht worden sein dürften. Wirtschaftlich nicht überzeugend zu erklärende Charakteristika wie manche Hausformen, Zäune und Gräben oder die Bevorzugung bestimmter Arten lassen an kulturelle und soziale Faktoren denken. So könnten Ställe, Siedlungsverlagerungen oder Begrenzungen auf spezielle „Vorstellungen" bzw. „Traditionen" zurückzuführen sein, ohne daß sich diese konkret rekonstruieren ließen.
c) Archäologie als Sozialgeschichte Sozialgeschichte bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Geschichte eines Teilbereichs und nicht in einem umfassenden Sinn auf die Geschichte ganzer Gesellschaften. Der Bereich des Sozialen hat die wirtschaftliche Basis zur Voraussetzung und ist von ihr in gewissen Grenzen „abhängig". Jede Gesellschaft entwickelt jedoch eigene Regeln und Strategien, nach denen ihre Sozialorganisation ausgerichtet ist. Für die Archäologie - deren diesbezügliche Ausrichtung man auch als social archaeology bezeichnen kann595 - sind zunächst die Siedlungen zugänglich, die neben wirtschaftlichen Aspekten auch hinsichtlich der Sozialstruktur der ansässigen Bevölkerung aufschlußreich sind. Neben der inneren Ausgestaltung von Häusern und Siedlungen sind Differenzierungen zwischen verschiedenen Siedlungen von Interesse, in Bezug sowohl auf ihre unterschiedliche wirtschaftliche Bedeutung als auch auf ihre Stellung im herrschaftlichen Gefüge. Einblicke gewähren darüber
595
Shanks/Tilley 1992, 116-134; vgl. die ab 2001 erscheinende Zeitschrift Journal of social archaeology.
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Strukturelle Alternativen
hinaus Grabfunde. Sie reflektieren mittelbar die sozialen Abstufungen innerhalb einer Gesellschaft, wie der mißliche Ausdruck „Fürstengräber" andeuten mag. Schließlich können naturwissenschaftliche Untersuchungen menschlicher Knochen zu Erkenntnissen über demographische Verhältnisse, soziale Unterschiede in der Ernährung und zur Krankheitsbelastung der Populationen führen.596 Die Ermittlung von Sozialstrukturen bedeutet daher nicht, lediglich nach hierarchischen „Schichtungen" Ausschau zu halten. Ziel ist die Analyse möglichst aller faßbaren sozialen Binnenstrukturen einer Gesellschaft. Dazu müssen alle verfügbaren Quellen herangezogen werden, um die jeweilige Einseitigkeit von Grab-, Siedlungs- und Hortfunden auszugleichen. Ausprägung und Wandel sozialer Strukturen gehören zu den entscheidenden Kennzeichen von Gesellschaften. Zwar sind soziale Ränge und Altersklassen, Positionen und Rollenverteilungen, Verwandtschaftssysteme und Abhängigkeitsverhältnisse mit archäologischen Mitteln nicht im einzelnen, d. h. in der zeitgenössischen Konzeptualisierung, zu erfassen. Vor allem Grabausstattungen sind aber eine wichtige Quelle, um nach Ressourcenverteilungen und Statusdemonstrationen zu suchen. Da aber die Bestattung nur eine Möglichkeit dafür darstellt, müssen auch Horte und Siedlungen in die Analyse der Sozialstrukturen einbezogen werden. Das häufige Fehlen homogener Gruppierungen und scharfer Grenzziehungen weist darauf hin, daß es sich - unabhängig von der möglichen Existenz scharf definierter Abgrenzungen durch eine Gesellschaft - um dynamische, infolge sozialer Konkurrenzen und Wandlungen zur Veränderung neigende Gesellschaften handelt. Ein langfristiger diachroner Vergleich kann diese Veränderungen erfassen.
Siedlungen 1. Die Binnenstruktur einzelner Siedlungen und ihre jeweilige Einbindung in ein regionales oder überregionales Siedlungsnetz liefern wichtige Einblicke in soziale Verhältnisse. Hier läßt sich an die obigen wirtschaftsgeschichtlichen Erwägungen anknüpfen. Wiederum ist mit dem einzelnen Haus bzw. Haushalt oder bäuerlichen „Familienbetrieb" zu beginnen.597 Denn dies war der Rahmen, in dem sich das „Alltagsleben" der breiten Bevölkerung abspielte. Haushalts- und Familiengrößen sind nur schwer zu bestimmen, weil es keine direkte Proportionalität zwischen Haus- und Hofgröße einerseits und der
596 597
Steuer 1982a, 73-119. Vgl. The social archaeology of houses 1990.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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Familiengröße andererseits gibt. Außerdem bedarf es der Ausgrabung vollständiger Siedlungen - und möglichst der dazugehörigen Gräberfelder, um Siedlungsdauer, -große und -entwicklung verfolgen zu können. Häufig sind allerdings entweder fast nur Siedlungen (Latène-Zeit, frühmittelalterliches Ostmitteleuropa) oder fast nur Gräberfelder (römische Kaiserzeit, Merowingerzeit) bekannt. Darüber hinaus ist die gegenseitige Zugehörigkeit oft nicht klar, denn manche großen frühmittelalterlichen Reihengräberfelder waren (ebenso wie viele eisenzeitliche Nekropolen) die Bestattungsplätze mehrerer Siedlungsgemeinschaften, und umgekehrt ist vorstellbar, daß die Familien einer Siedlung auf verschiedenen, separaten Plätzen bestatteten. Für frühgeschichtliche Zeiten wird meist von recht kleinen Familien ausgegangen, zu denen im Schnitt neben den Eltern (aufgrund der hohen Kindersterblichkeit) gleichzeitig 2-3 Kinder gehört haben dürften. Mitunter lebten auch die Großeltern noch im Haus, sofern sie ein hohes Alter erreichten. Der Hausbau läßt Rückschlüsse auf die Sozialstruktur zu. Wenn es im eisen- und kaiserzeitlichen nördlichen Mitteleuropa große Langhäuser gab, dann dürfte sich in diesen Häusern ein wichtiger Teil sozialen Lebens abgespielt haben. Wohnstallhäuser mit mehreren gleichzeitigen Herdstellen zeigen bei überdurchschnittlicher Größe wohl, daß in ihnen mehrere Familien bzw. eine Großfamilie lebten.598 Die in die Häuser einbezogenen Stallteile mit ihrer sehr unterschiedlichen Zahl an Viehboxen für Rinder machen wahrscheinlich, daß Vieh von der Eisenzeit bis ins Mittelalter einen Indikator von Reichtum und gesellschaftlicher Anerkennung darstellte599 - denn rein „praktische" Gründe bieten keine zufriedenstellende Erklärung.600 Größenunterschiede zwischen verschiedenen Regionen deuten wohl nicht auf soziale Unterschiede hin, sondern gehen auf unterschiedliche wirtschaftliche Bedingungen zurück (Abb. 73).601 Die Ablösung der in der vorrömischen Eisen- und der älteren Kaiserzeit Dänemarks das ganze Dorf umgebenden Zäune durch Umzäunungen jedes einzelnen Hofes deutet auf sich wandelnde Siedlungsstrukturen hin.602 Die Entwicklung von „Mehrbetriebseinheiten" spiegelt wahrscheinlich Ausdifferenzierungen innerhalb von Familien wider, d. h. die Herausbildung mehrgliedriger Familien (Abb. 74).603
598 599 600 601 602 603
Kossack 1997, 61. Roy mans 1999. W. H. Zimmermann 1999. Donat 1977. Hedeager 1992,199. Steuer 1982a, 265-281.
474
Strukturelle Alternativen , 5th-2nd century BC Grantoft 1 st century BC Hodde 1 st-2nd century Frederiksdalvej
4th-5th century Vorbasse
C2 θ
6th-7th century Norre Snede
6th-7th century Vorbasse
I 8th-9th century Vorbasse
5
10th-11th century Vorbasse
100m
Abb. 73. Entwicklung von Höfen in Dänemark von der vorrömischen Eisenzeit bis in die Wikingerzeit. Auf lange Sicht nahm die Größe der einzelnen Höfe zu. Dabei stieg auch die innere Differenzierung der bäuerlichen Wirtschaften, wie sich an der zunehmenden Zahl von Häusern und deren Funktionsdifferenzierung ablesen läßt (nach Kaldal Mikkelsen 1999, 190 Abb. 10)
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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5th-4th Century BC Grentoft 3rd-2nd Century BC
Grentoft
/f^S·* 7 \ s
• :
—
"·· -T? 1st century BC V 5 Hodde e
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O 3rd century Nerre Snede
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1st-2nd century Fredertksdalvej rs-^S?Γ
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' 4tfi-Sth century Vorbasse
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6th-7th century Nerre Snede
6th-7th century Vortoasse
Abb. 74. Entwicklung von Dörfern in Dänemark von der vorrömischen Eisenzeit bis in die Wikingerzeit. Wie bei den einzelnen Höfen nahm auch bei den Siedlungen insgesamt die bebaute Fläche zu. In den letzten Jahrhunderten v. Chr. läßt sich eine sehr enge, konzentrierte Bebauung (Grentoft, Hodde) beobachten. Seit der römischen Kaiserzeit vergrößerten sich die jeweiligen Hofareale und damit auch die Siedlungen insgesamt beträchtlich (nach Kaldal Mikkelsen 1999, 191 Abb. 11)
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Strukturelle Alternativen
Die kleinen Grubenhäuser im südöstlichen Mitteleuropa boten dagegen (sofern das bisher gewonnene Bild zutrifft) nur wenig Wohnraum, so daß ein wesentlicher Teil des sozialen Lebens außerhalb dieser Häuser stattgefunden haben muß. Die Vielzahl gleichartiger Bauten in den Siedlungen und das Fehlen von Nebengebäuden wie Gehöften scheinen auf eine egalitäre Sozialstruktur ohne gravierende Besitzunterschiede hinzudeuten, auch wenn u. U. mehrere dieser Grubenhäuser zu einer Familie gehörten. Allerdings bleibt unklar, ob nicht Bodenerosionen und Grabungstechnik sekundär ebenerdige Bauten beseitigt haben. Denn nördlich der Mittelgebirge wurden seit Beginn der slawischen Besiedlung überwiegend bzw. ausschließlich ebenerdige Häuser errichtet. 604 Binnendifferenzierungen lassen sich in diesen Siedlungen angesichts dieser gleichförmigen Befunde bislang nicht ausmachen. 2. Nicht alle Siedlungen besitzen dieselbe Bedeutung. Dies fällt bereits auf, wenn man Einzelhöfe und dörfliche Siedlungen miteinander vergleicht. Deutlicher zu fassen sind Hierarchien innerhalb von Siedlungsgebieten und -netzen, wenn zentrale Orte bzw. frühstädtische Siedlungen in den Mittelpunkt gerückt werden. 605 Solche gegenüber den „durchschnittlichen", d. h. den häufigsten Siedlungen herausgehobenen Orte finden sich während der gesamten mitteleuropäischen Frühgeschichte. 606 Allerdings gab es zu keiner Zeit die Durchschnittssiedlung. Struktur, Größe und Dauer der Siedlungen unterschieden sich auch regional erheblich - je nach Topographie, Wirtschaftsweise, Bevölkerung, politischer Zuordnung oder kultureller Prägung. Die Variationsbreite der Siedlungsformen ist nur zu einem Teil Ergebnis der fragmentarischen archäologischen Überlieferung, denn neue Ausgrabungen lassen das bestehende Bild meist „bunter" werden anstatt starre Regelmäßigkeiten aufzuzeigen. Zunächst sind hier die späthallstattzeitlichen sogenannten „Fürstensitze" zu nennen, zu denen u. a. die Heuneburg gezählt wird. Diese Zentralsiedlungen charakterisiert man durch ihre herausragende topographische Lage auf Höhen, durch südliche Importe aus dem mediterranen Raum (meist schwarzfigurige Keramik aus Attika) und durch in ihrer Nähe gelegene, reich ausgestattete Gräber von Elitenangehörigen - wenngleich letzterer Zusammenhang weit seltener zutrifft als ursprünglich angenommen und damit das Konzept als „Fürstensitz" ins Wanken geraten ist. Die „Zentralität" dieser (befestigten)
604 605 606
Salkovsky 1998; Brather 2001 d. Christaller 1933. Vor- und Frühformen 1973-1974.
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Siedlungen kennzeichnete daher wohl weniger eine schmale Elite als die Gesellschaften insgesamt. Außerdem wird der benötigte Aufwand an Arbeitskraft, vor allem zur Errichtung der „monumentalen" Grabhügel, aufgrund ethnoarchäologischer Beobachtungen als recht gering eingeschätzt,607 so daß beinahe jedes Dorf in der Lage gewesen sein könnte, sich einen solchen Großgrabhügel - sei es über dem entsprechend ausgestatteten Grab eines Ahnen, eines Oberhauptes oder Priesters - innerhalb weniger Jahre, und dies möglicherweise sukzessive, zu errichten. Kulturgeschichtlich sind die Höhensiedlungen aus dem Mittelmeerraum beeinflußt, und in wirtschaftlicher wie politischer Hinsicht besaßen sie zentrale Funktionen für ein größeres Umland. Die Existenz von „Außensiedlungen" im Umfeld der Höhensiedlungen läßt sich nicht zwingend als mediterranes Modell „Akropolis - Polis" ansehen, sondern recht allgemein als Ausdruck von Siedlungs- und Bevölkerungskonzentration verstehen.608 Der - allerdings nicht regelmäßigen - „Kombination" mit Elitengräbern ist zu entnehmen, daß sich hier (auch) die soziale Elite konzentrierte. Von landwirtschaftlich ausgerichteten „Territorien" umgeben, vermittelten die Höhensiedlungen in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht zwischen der Méditerranée und den weiter nördlich gelegenen Regionen der Barbarenwelt.609 Diese Plätze dürften daher innerhalb der eisenzeitlichen Gesellschaft eine strukturell herausgehobene Position besessen haben, ohne daß deren Funktionen im einzelnen schon ausreichend geklärt worden wären. Für territorial ausgedehnte Häuptlingstümer stellen sie keinen hinreichenden Beleg dar. Hallstattzeitliche „Herrenhöfe" im südlichen Bayern, von denen insbesondere durch die Luftbildarchäologie inzwischen mehr als 200 entdeckt wurden, können bei näherem Hinsehen nicht mehr als sozial herausragende Siedlungen gelten. Ihre Häufigkeit und oft fehlende „besondere" Funde lassen sie als durchschnittliche, landwirtschaftlich strukturierte Einzelhöfe erscheinen. Gemeinsames, die Klassifikation begründendes Merkmal ist die Einfriedung. Einfache Palisaden kommen auch bei einzelnen Höfen in größeren Siedlungen vor, während Palisaden und Graben charakteristisch für einzeln gelegene Höfe sind.610 Die lange Zeit als „kultisch" angesprochenen spâtlatènezeitlichen Viereckschanzen könnten ähnliche Einzel- oder „Herrenhöfe" gewesen sein. Auch hier fehlen bisher „herausragende", elitäre Funde aus diesen
607
608 609 6,0
Zur Kritik des Konzepts von »Fürstensitzen": Eggert 1988; 1989. Vgl. Arnold 1991. - Für die Beibehaltung: F. Fischer 2000. S. Kurz 2000, 162-166. Vgl. Rowlands/Frankenstein 1998; Principi etruschi 2000. Leidorf 1994; Kas/Schußmann 1998.
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Anlagen. Für besondere Höfe sprechen Grabungsbefunde aus Süddeutschland, die eine differenzierte Bebauung auf der Innenfläche zeigen.611 Vermutlich kamen den Viereckschanzen mehrere („zentrale"?) Funktionen innerhalb der Siedlungsstrukturen zu, so daß sie „rituellen" Zwecken im weiteren Sinne - religiös, zeremoniell und politisch - dienten.612 Eine Klassifikation allein anhand der äußeren Form dürfte diese Differenzierungen überdecken. „Städtisch" geprägt und römisch beeinflußt erscheinen viele der spâtlatènezeitlichen oppida in West- und Mitteleuropa (2./1. Jahrhundert v. Chr.). Gegenüber den kaum ausgegrabenen und daher archäologisch wenig bekannten, kleinen agrarischen Siedlungen konzentrierte sich in den oppida eine große Zahl von Menschen und eine beachtliche Wirtschaftskraft 613 , auch wenn häufig nicht die gesamte umwallte Fläche besiedelt war.614 Das Bemühen um große zentrale, wirtschaftlich herausgehobene Siedlungen wird deutlich. Die oppida waren meist mit einer Mauer befestigt - in Westeuropa vor allem mit einem murus gallicus, in Mitteleuropa häufiger mit einer Pfostenschlitzmauer. Dieser Unterschied scheint eher auf praktischen Gründen zu beruhen und sollte daher nicht überbewertet werden. Die oppida waren (ähnlich den späthallstattzeitlichen „Häuptlingssitzen") Mittler zwischen der (nun römischen) Mittelmeerwelt und dem nördlichen Barbaricum. 615 Die „germanische Welt" kannte zentrale Orte nicht in vergleichbarer Weise. Versuche, „germanische Burgen" zu identifizieren, sind weithin erfolglos geblieben, denn oft handelt es sich lediglich um Nachnutzungen älterer Befestigungen.616 Höhensiedlungen617 (wie der Runde Berg bei Urach oder der Zähringer Burgberg bei Freiburg) kamen in spätantiker Zeit auf und ahmten römische Repräsentation nach. Man darf sie strukturell wohl als „Sitze" germanischer „Kleinkönige" oder besser „Häuptlinge" ansehen. Am Oberrhein, aber auch anderenorts ist mitunter umstritten, ob „Römer" oder „Germanen" auf der Höhe siedelten, was an der strukturellen Funktion dieser „besonderen" Anlagen nichts ändert. Mit im Detail unterschiedlicher Nutzung einzelner Anlagen ist dennoch zu rechnen, da ihnen zunächst nur die Höhenlage gemeinsam ist. 618
611 612 613 614 615 616 617 618
Wieland 1996, 37-54; 1999; Reichenberger 1995. Wells 1999, 53; Krause 1999. Stimuliert durch den Fernhandel: Haselgrove 1976; Collis 1984. Ζ. B. beim Heidengraben in der Nähe von Urach; F. Fischer 1982b. Vgl. Frey 1984; 1986; Wells 1994. Entgegen Mildenberger 1978. Steuer 1990a; Hoeper 1998; Hoeper/Steuer 1999. Hoeper 1998; Hoeper/Steuer 1999.
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In neuerer Zeit sind vor allem für das heutige Dänemark (Dankirke bei Ribe in Jütland, Stevns auf Seeland, Gudme/Lundeborg auf Fünen, Sorte Muid auf Bornholm)619, Schweden (Helgö) und Südnorwegen kaiser- und völkerwanderungszeitliche „Reichtumszentren" herausgestellt worden.620 Diese regional bedeutenden Siedlungen („Häuptlingshöfe") heben sich durch reiche Grab- und Hortfunde sowie „Importgüter" wie Bronze- und Glasgefäße heraus. Sie scheinen politische, wirtschaftliche und religiöse Mittelpunkte gewesen zu sein, ohne daß sich innere und äußere Struktur schon genauer beschreiben ließen.621 Auffälligerweise liegen die erwähnten Kriegsbeuteopfer - und damit bestimmte „heilige Orte" - abseits der auch kultische Funktionen erfüllenden Reichtumszentren.622 Im mitteleuropäischen Raum lassen sich für die Kaiserzeit keine vergleichbaren Differenzierungen in der Siedlungsstruktur feststellen. Dort gab es wohl neben Einzelhöfen und dörflichen Siedlungen unterschiedlicher Größe keine derart herausgehobenen Zentralsiedlungen. Im östlichen Europa entstanden seit dem 8. Jahrhundert Burgwälle unterschiedlicher Form (und Funktion).623 Bislang sind die Entstehung dieser Befestigungen und ihre strukturellen Hintergründe nicht ausreichend zu beurteilen. Sicher scheint jedoch, daß es sich bei diesen Anlagen überwiegend um politische Mittelpunkte mit Herrschaftsfunktion handelte. Dies läßt sich hauptsächlich an den großmährischen, böhmischen und großpolnischen Burgen des 9. und 10. Jahrhunderts mit ihren reichen Bestattungen innerhalb der Wälle, den Kirchen und Palastbauten sowie durch die schriftliche Überlieferung zeigen. Zwischen Elbe und Oder vollzogen sich, wenn auch weniger deutlich und rasch, ähnliche Entwicklungen (Brandenburg, Starigard/Oldenburg, Berlin-Spandau). Die in den Burgwällen „residierenden" Eliten banden Handwerker an sich, was bis hin zu hochmittelalterlichen sogenannten Dienstsiedlungen in Böhmen und Polen führte. Deshalb lief auch der Austausch über diese Burgwälle.624 Etwas anders als die erwähnten frühgeschichtlichen Zentralorte sind die seit der Karolingerzeit im Ostseeraum entstandenen Seehandelsplätze zu bewerten. Sie dienten dem Fernhandel und sind in gewisser struktureller Weise griechischen Mittelmeerkolonien vergleichbar. Ihre Bevölkerung war Haus-
619 620 621 622 623 624
Hedeager 1982; The archaeology of Gudme 1994; Wan 1991. Lund Hansen 1988; Myhre 1987. Hedeager 1992, 180-223. Bemmann/Bemmann 1998, 363. Frühmittelalterlicher Burgenbau 1998. Brather 2001a, 119-140.
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bau und Grabform zufolge kulturell „gemischt", wobei im allgemeinen von einer skandinavischen Dominanz ausgegangen wird. Über diese circumbaltischen emporta wurden lokale Eliten, wenn nicht breitere Schichten, mit Prestigegütern versorgt.625 Da praktisch alle Plätze dieselben Handwerke (Bernstein- und Glasverarbeitung, Kammherstellung und Buntmetallguß, Schmiede und Weberei) aufweisen, d. h. alles überall produziert wurde, bleibt die Frage nach dem Hintergrund des Austausche. War es der Wunsch nach Silber? Aufgrund ihrer „einseitigen" Ausrichtung allein auf den Seehandel besaßen diese Küstenplätze keine zentralörtlichen Funktionen. Sie blieben im Siedlungsbild gewissermaßen ein nichtintegrierter „Fremdkörper". Diese besondere Situation ließ sich nur zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert aufrechterhalten. Der überall zunehmende Herrschaftsausbau (im Reich, in Skandinavien und bei den Westslawen) ließen strukturell derart „ungebundene" Plätze (als die sie topographisch erscheinen) nicht mehr zu. Wohl deshalb wurden spätestens im 10./11. Jahrhundert fast alle diese Plätze aufgegeben bzw. verlegt.626 Besondere, strukturell herausgehobene Siedlungen stellten im frühmittelalterlichen Reichsgebiet Pfalzen, Königshöfe und Klöster dar. Sie waren (abgesehen von ihrer politischen bzw. religiösen Bedeutung) nicht nur landwirtschaftliche Betriebe, sondern auch handwerkliche Produktionsstätten, wie die zahlreichen Grubenhäuser und Webstuhlreste belegen. Sie produzierten weit über den Eigenbedarf hinaus - für den Markt, mußten aber zugleich für die längere Versorgung eines größeren Trosses weltlicher oder geistlicher Großer gewappnet sein. Die Ausgrabungen in Tilleda und Gebesee haben gezeigt, daß zwischen Königspfalzen und -höfen höchstens ein gradueller, primär terminologischer Unterschied bestand.627 Die wirtschaftlichen Strukturen ähnelten sich sehr. Siedlungen sind im Hinblick auf Sozialstrukturen deshalb besonders wichtig, weil sie mehr als andere Fundgattungen die alltäglichen Verhältnisse widerspiegeln. Größe und Innengliederung von Gebäuden, Funktionsdifferenzierung verschiedener Bauten und Ausdehnung der Höfe lassen erkennen, wieviele Menschen gemeinsam Landwirtschaft betrieben. Daraus ergeben sich grundlegende Rückschlüsse auf Familiengrößen, wirtschaftliche Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Höfen oder Produzenten, mögliche wirtschaftliche Organisationsformen und Struktur der Siedlungen. Der recht direkte Blick auf die alltäglichen Bedingungen und Verhältnisse von Leben und Wirt625 626 627
Brather 1996c. Eine Ausnahme stellt Wolin an der Odermündung dar. P. Grimm 1968; 1990; Donat 1999.
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Schäften vermag die entscheidenden, die bäuerliche Existenz und Lebenswelt bestimmenden Rahmenbedingungen zu beleuchten. Die sichtbare hierarchische Abstufung der Siedlungen zeigt kein einheitliches Bild. Zentralörtliche Siedlungen können wie im Fall der späthallstattzeitlichen „Fürstensitze" oder der slawischen Burgwälle die Spitzen der Gesellschaft beherbergt haben. Sie können aber auch wie die oppida (oder die frühmittelalterlichen Seehandelsplätze) primär wirtschaftliche Aufgaben erfüllt und große Teile der Bevölkerung beherbergt haben. In den meisten Fällen dürften mehrere Faktoren zusammengekommen sein. Deshalb kann allein von der Existenz zentraler Siedlungen nicht unmittelbar auf segmentäre Gesellschaften oder Häuptlingstümer geschlossen werden. Soziale und politische Spitzen ziehen wirtschaftliche und religiöse Funktionen an sich, die wiederum deren „Machtposition" stärken können. Langzeit-Vergleiche für Kleinregionen erscheinen besonders aufschlußreich, weil sie Entwicklungen deutlicher hervortreten lassen und zeitspezifische Quellenverluste interpolieren helfen können.628 Trotz aller methodischen Schwierigkeiten muß der Versuch unternommen werden, Siedlungen und Gräber einander zuzuordnen, um die jeweiligen Strukturen sozialgeschichtlich begründet auswerten zu können.
Gräber: horizontale Abgrenzungen Mehr noch als Siedlungen werden einzelne Gräber bzw. ganze Nekropolen zur sozialgeschichtlichen Auswertung herangezogen.629 Hier liegen meist Individuen - abgesehen von gelegentlichen Mehrfachbestattungen oder wie bei den neolithischen Megalithgräbern auch „Kollektivbestattungen" - vor, deren sozialen Status innerhalb einer „ B e s t a t t u n g s g e m e i n s c h a f t " man zu bestimmen sucht. Rang und Gruppenzugehörigkeit stellen vertikale Differenzierungen (bzw. horizontale Grenzziehungen) dar. Für sozialgeschichtliche Analysen sind Gräber insbesondere deshalb geeignet, weil ihrer Anlage (Grabarchitektur) und Ausstattung (Beigaben) primär die Vorstellungen der Gesellschaft bzw. ihrer Gruppen und nicht die von (verstorbenen) Individuen zugrunde liegen.630 Dieser Bezug auf die jeweilige Gesellschaft macht es erforderlich, 628 629
630
Vgl. Roymans 1996b. Wason 1994; Steuer 1982a, 435-516; The archaeology of social boundaries 1998; Martin 2002b. Nach Parker-Pearson 1982, 110, können anhand der Gräberfelder die Beziehungen 1. zwischen Lebenden und Toten (Vergleich Siedlung und Gräberfeld), 2. zwischen sozialen Gruppen (Vergleich der Grabausstattungen) und 3. zwischen Lebenden und der Vergangenheit (Kontinuität und Wandel der Grab- und Bestattungsformen) analysiert werden.
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Strukturelle Alternativen
zunächst möglichst jeden Friedhof für sich (d. h. in seinen inneren Strukturen) und in einzelnen „Phasen" zu analysieren. Denn soziale Differenzierungen und Identitäten finden ihren Bezugsrahmen und ihr Publikum stets zunächst in der lokalen „Gemeinschaft" - primär werden innerhalb einer Gesellschaft Grenzen gezogen, nur sekundär nach außen. Erst wenn umfassende Analysen einzelner Gräberfelder vorliegen, lassen sich regionale und überregionale Vergleiche und Generalisierungen vornehmen.631 Nun wird in der Bestattung nicht allein soziale Hierarchie demonstriert, sondern zugleich die Zugehörigkeit zu einer Reihe weiterer Gruppen (Geschlecht, Alter, Familie, Profession, Religion) ausgedrückt, wie unten noch weiter auszuführen ist. Deshalb fällt es nicht leicht, diese einander überschneidenden Gruppierungen analytisch zu trennen, denn eine „reiche" Ausstattung kann mit einer gehobenen bzw. herausragenden sozialen Stellung zu erklären sein, möglicherweise aber auch mit dem „individuellen" Rang eines Familienoberhaupts, dem Geschlecht oder dem Glauben. Und wie bei der ethnischen Identität ergibt sich ein weiteres methodisches Problem. Soziale Identitäten - im Sinne der Selbstzurechnung zu einer bestimmten Gruppe werden nicht unmittelbar im Sachgut sichtbar, sondern symbolisch ausgedrückt. Mit Hilfe archäologischer Quellen ermittelte soziale „Hierarchien" können zwar die strukturelle Differenzierung einer Gesellschaft zeigen (reich und arm, Geschlechter, Altersgruppen, Tätigkeitsgruppen), doch inwieweit dies dem Selbstverständnis gesellschaftlicher Gruppen oder gar rechtlichen Abgrenzungen nahekommt, muß offen bleiben.632 Soziale Konkurrenz sucht die bestehenden Unterschiede zu verändern - durch materielle Demonstration mehr zu scheinen als zu sein bzw. aufzusteigen. Für die überregionale Spitze einer Gesellschaft mag es aufgrund alltäglicher oder festtäglicher Präsentation unnötig sein, Reichtum im Grab zu präsentieren. Archäologisch sichtbar würde dann nur die zweite oder dritte „Ebene" der sozialen Hierarchie. 1. Aus Bestattungen Sozialstrukturen im Sinne vertikaler Rangabstufungen zu erschließen, erweist sich daher bei näherem Hinsehen als komplexes Unterfangen.633 Im Vergleich mit zeitgleichen Gräbern als besonders „reich" erscheinende Ausstattungen (Gold, Import) und aufwendige Grabarchitektur
631 632
633
Vgl. Jergensen 1987, am Beispiel der Friedhöfe Slusegârd, Gredbygârd und Bxkkegärd. Der Versuch von Christlein 1975 sucht „normierte Ausstattungen" je nach „Schichtzugehörigkeit", die durch die soziale Mobilität aber konterkariert werden. Steuer 1982a; Saxe 1970; O'Shea 1984; Shanks/Tilley 1987.
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(große Tiefe, Kammer, Grabhügel) galten der Archäologie rasch als „Fürstengräber". Solche „Prunkgräber"634 sind nur für bestimmte Zeiten nachgewiesen, während sie in anderen fehlen. Daraus kann jedoch nicht unmittelbar ein „periodischer" Wechsel zwischen straff hierarchisierten und egalitären, segmentären Gesellschaftsstrukturen abgeleitet werden. Denn die geographische Verbreitung dieser herausragenden Bestattungen der späten Hallstatt- und frühen Latène-Zeit635 sowie der Kaiserzeit (Abb. 75) weist auf eine periphere Lage dieser Gräber hin. Sie liegen - ungeachtet ihrer anhand der Beigaben ablesbaren Bezüge zur Méditerranée - weit entfernt von dieser. Und diese „Prunkgräber" erscheinen in sozialen Umbruchszeiten, als die Mittelmeerwelt in direkten Kontakt mit den „Nordbarbaren" - den Kelten seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. und den Germanen während der römischen Kaiserzeit trat. Aus dem Verhältnis zwischen „Hochkultur" und „Barbaren" resultierten tiefgreifende Veränderungen innerhalb der Barbarenwelt.636 Soziale Instabilitäten scheinen eine wesentliche Rolle für die Anlage „reicher" Gräber gespielt zu haben, was ebenso für das Merowingerreich, das slawische Ostmitteleuropa und das südliche Skandinavien zur Karolingerzeit gilt. „Prunkgräber" können der Versuch gewesen sein, einer gerade errungenen, aber noch ungefestigten sozialen Stellung und Identität durch Demonstration im Grab Dauer zu verleihen. Sie sind unter diesen Bedingungen kein Indiz für eine streng hierarchisch gestufte Gesellschaft. Sie reflektieren vielmehr gravierende soziale Wandlungsprozesse, d. h. Gesellschaften im Umbruch mit hoher sozialer Mobilität. Unter konsolidierten Verhältnissen sind solche Statusdemonstrationen oft überflüssig. „Egalitär" bzw. wenig differenziert erscheinende Gräberfelder wie in der vorrömischen Eisenzeit oder im ostmitteleuropäischen frühen Mittelalter lassen daher nicht unmittelbar auf ebensolche Sozialstrukturen schließen. Hier können nur Analogien weiterhelfen und Phasen differenzierter Grabausstattungen Vergleichsmöglichkeiten liefern. Außerdem bedarf es der Einbeziehung weiterer Quellengattungen: „Sonderbestattungen" in Siedlungen und die separate Bestattung von Kleinkindern, wodurch möglichst alle Angehörigen einer Gesellschaft erfaßt werden. Es bedarf aber auch der Berücksichtigung der Depotfunde, denn durch Votivgaben läßt sich ebenfalls der Status in einer Gesellschaft demonstrieren, und schließlich der Siedlungen. Sind Differenzierungen in Grabarchitektur und -ausstattung zu fassen, handelt es sich stets um graduelle, kontinuierliche Übergänge zwischen „arm" Kossack 1974. « 5 verger 1995. 6 3 6 Vgl. Kap. IV,7; V,ll,a; VI,17,a. 634
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Strukturelle Alternativen
Abb. 75. „Reichere" jüngerkaiserzeitliche Gräber der sogenannten Gruppe Haßleben-Leuna. 1 Bornstein; 2 Sanderumgird; 3 Arslev; 4 Higerup; 5 Nordrup; 6 Himlingeje; 7 Valleby; 8 Stevns; 8a Skovgirde; 9 Varpelev; 10 Simris (?); 11 Jesendorf; 12 Häven; 13 Grabow; 14 Woldegk; 15 Balenthin (Biatçcino); 16 Szwajcaria; 17 Gommern; 18 Emersleben; 19 Nordhausen; 20 Großörner; 21 Helmesdorf/Burgsdorf; 22 Voigtstedt; 23 Haßleben; 24 Leubingen; 25 Leuna; 26 Flurstedt; 27 Haina; 28 Sackrau (Zakrzów); 29 Esslingen; 30 Stráze; 31 Osztrópataka/Ostrovany; 32 Czéke-Cejkov (nach Steuer 1982a, 221 Abb. 58; mit Ergänzungen nach Steuer 1994c, 21)
und „reich". Scharfe und damit genormte Abgrenzungen (möglicherweise rechtlicher Natur) innerhalb der sozialen Pyramide sind nicht zu erkennen. Stets gibt es viele beigabenlose oder -arme Bestattungen und nur wenige „reich" ausgestattete. Oft ist aber auch eine recht breite „Elite" mit „reichen" Beigaben zu erkennen. Dann wird mit diesen Gräbern wohl jeder „Dorfälteste" und nicht die überlokale Spitze einer Gesellschaft erfaßt.637 Die „Spitze" selbst kann u. U. ihren Status primär durch Gaben an ihr Umfeld oder durch anderweitiges Handeln demonstrieren, so daß ihr „Reichtum" für die Archäologie vorwiegend in den Gräbern einer „Mittelschicht" sichtbar wird. Grundsätzlich darf die Existenz „reicher" und „ärmlicher" Bestattungen
637
Eggert 1991; Veit 2000.
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nicht dazu verführen, eine simple Zweiteilung der Gesellschaft anzunehmen, wo eine diffuse, kontinuierliche Vielfalt der Grabausstattungen zu beobachten ist. Über die Zeiten hinweg sind bestimmte strukturelle Kennzeichen für „reiche" Gräber charakteristisch. Sie enthalten „importierte" mediterrane Prestigegüter, die oft im Rahmen elitären Gabentausches erworben worden sein dürften.638 Die daraus erschließbaren weiträumigen Beziehungen sozialer Eliten führten wohl zu „diplomatischen Heiraten" (Xenogamie), die allerdings archäologisch kaum zu fassen sind, auch wenn sie anhand „fremden" Frauenschmucks nicht selten vermutet werden.639 Trinkservice und Mobiliar können als Bestandteil von „Gelagen" und „Symposien" gewertet werden. Brettspiele wie Schach und HnefataflbV> verweisen auf elitäre „Vergnügungen" - ebenso die Belege zur Beizjagd641 und die (allerdings nur selten erhaltenen) Musikinstrumente.642 All diese Beigaben erscheinen als Widerspiegelung einer elitären Lebenswelt und eiries eigenen Lebensstils643 bzw. als Habitus einer schmalen „Oberschicht".644 Diese Eliten grenzten sich durch diesen Habitus insgesamt ab, nicht durch „normierte" Beigaben.645 Waffenbeigaben646 und Pferdebestattungen (bei Thüringern, Franken, Sachsen, Awaren)647 gelten als „kriegerisches Element". Sie werden oft als Beleg für bewaffnete „Gefolgschaften" angesehen, doch ist dieser Begriff infolge weitgespannter Interpretationen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts („Führer" und „Gefolge") als Konzept z. T. entwertet.648 Eine spezifisch „germanische" Gefolgschaft gab es trotz aller Bemühungen um ihren Nachweis wohl nicht. Die entsprechenden Passagen bei Tacitus bieten dafür keinen
638 639
640 641 642 643 644 645
646 647 648
Vgl. Kap. VI,17,a. »Fremde" Kleidungsbestandteile bzw. Schmuck treten wohl zu häufig auf, als daß daraus auf solche Elitenheiraten geschlossen werden kann. Hier ist eher mit Modeeinflüssen und dem Prestigewert „exotischer" Kleidung als mit der Anwesenheit von »fremden Frauen" zu rechnen. Vgl. Kap. V,13,a; VI,18,e. Krüger 1982; Luik 1994; Stauch 1994; U. Müller 1998b. Lindner 1976; Prummel 1993. Studien zur Musikarchäologie 2000; Le carnyx 1993; Ausgegrabene Klänge 1999. Principi etruschi 2000, 221-270. Steuer 1982a, 489. Die Vorstellung »normierter" Beigaben setzt starre Regeln einer »vollständigen" und einer „reduzierten" Grabausstattung (oder „Beigabensitte") voraus. Soziale Mobilität und Konkurrenz sowie Zugehörigkeiten zu unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb einer Gesellschaft dürften auf komplexere Verhältnisse hindeuten. Vgl. Anm. 134. Müller-Wille 1970/71; J. Oexle 1984; 1992. Steuer 1992a; Bazelmans 1991; Kroeschell 1995; Kristensen 1983; Jentgens 2001, 121-140.
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Strukturelle Alternativen
Hinweis. 649 Bei den Kelten ist ein ähnliches „Klientelwesen" belegt 650 , und vergleichbare Gesellschaften zeigen strukturell dieselben Verhältnisse.651 „Häuptlinge" bedürfen wahrscheinlich eines Kriegertrupps, um ihre Macht behaupten zu können. Durch Plünderungen verschaffen sie sich jene begehrten Güter, durch deren Verteilung („Redistribution") sie sich die Unterstützung ihrer „Gefolgsleute" und damit ihre fragile Machtposition erhalten. Die wechselseitigen Abhängigkeiten stellen eine strukturelle Notwendigkeit in „Häuptlingstümern" dar. Interessanterweise enthalten die kaiserzeitlichen „Elitengräber" (2./3. Jahrhundert) keine Waffen, 652 so daß das „kriegerische Element" in der Statusdemonstration des „Häuptlings" keine Rolle gespielt zu haben scheint. In der Merowingerzeit erhielten dagegen nicht nur sehr viele Männer Waffen im Grab, sondern herausragende Bestattungen auch exzeptionelle Waffen wie Goldgriffspathas oder Ring(knauf)schwerter. À la longue läßt sich im germanischen Bereich unter starkem rômischën Einfluß die Entwicklung von einer Familienstruktur in der älteren Kaiserzeit 653 über Kriegertrupps in der jüngeren Kaiserzeit („Tribalisierung") 654 bis hin zu großräumigeren Herrschaftsbildungen in der Völkerwanderungszeit und den „Reichen" des hohen Mittelalters konstatieren 655 - gewissermaßen „vom Stamm zum Staat". 656 Die wichtigen Einzelheiten dieses strukturellen Prozesses sind durch die Archäologie bislang nur in Ansätzen zu erfassen - auch, weil es sich um archäologisch nur schwer zu erfassende politische Veränderungen handelt. Die Rekonstruktion beruht vor allem auf den schriftlichen Quellen, denen zufolge die handelnden Gruppen umfänglicher wurden und schließlich territoriale Herrschaftsgebiete entstanden. Angesichts der „Importe" in den „reichen" Gräbern und der auf Beute angewiesenen „Häuptlinge" sind die entsprechenden Sozialstrukturen ohne die Nachbarschaft der antiken „Hochkulturen" nicht denkbar - und insofern von diesen geprägt.
649 650 651 652 653 654
655 656
Tacitus, Germania 6,1-4; 11,1-2; 12,1-3; 13,1-3; 14,1-3; 15,1-2. Polybios, Historiae 11,17,12; Cäsar, Bellum Gallicum 111,22; VI,15; VII,40. Vgl. Lübke 2001,254-325. Eine Ausnahme stellt das Grab von Gommern dar; Gold für die Ewigkeit 2000. Vgl. Murray 1983. Ablesbar u. a. an den großen Kriegsbeuteopfern, die die Ausrüstung größerer Heere und damit wiederum größere „Herrschaftsräume" anzeigen. Reflektiert z. B. in den frühen skandinavischen Königen. Hedeager 1992.
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2. Zur Merowingerzeit sind in sozialgeschichtlicher Hinsicht657 unter den Beigaben des 6. Jahrhunderts Fibeln aufschlußreich.658 Zunächst bestanden die gegossenen Bügel- und Kleinfibeln meist aus feuervergoldetem Silber, während es (von regionalen Besonderheiten abgesehen) kaum Exemplare aus Buntmetall gab. Auf diese Weise präsentierte sich eine lokale, dörfliche Elite überregional. Erst in der jüngeren Merowingerzeit zeichnen sich (u. a. durch zahlreichere bronzene Fibeln am Umhang bzw. Mantel) weitere Differenzierungen, d. h. eine „diffusere" soziale Abgrenzung mit gleitenden Abstufungen ab. Unterschiede gab es darüber hinaus zwischen zentralen und peripheren Orten bzw. Regionen. Da sich im 6. Jahrhundert sozialer Rang und Status wesentlich durch die Beziehung zum merowingischen (Teil-)König definierte, brauchte man in Königsnähe mitunter wie ζ. B. in Metz wenig(er) Aufwand bei der Bestattung zu treiben. Im Umland waren „reich" ausgestattete Gräber aufgrund der Königsferne umso dringlicher, um dennoch Prestige zu gewinnen oder zu erhalten. Entsprechend aufwendiger sind die Gräber im weiteren Umfeld von Metz.659 Anders in Köln, „denn von diesem königlichen Zentrum ausgehend sinken nach außen mit zunehmender Entfernung die Grabbeigaben im Wert, und damit nimmt auch der gesellschafdiche Rang der Bestatteten ab" (Abb. 76).660 Der Wert der Grabbeigaben lag nicht allein im Material und der Menge; ebenso wichtig waren Qualität und Aufwand der Herstellung, so daß Werkstatt- und regionale Unterschiede eine Rolle spielten und bei der Interpretation berücksichtigt werden müssen. Für die meist „reich" ausgestatteten „Gründergräber" auf Reihengräberfeldern, mit denen die Belegung einsetzte, muß nicht zwingend mit einem besonderen sozialen Status des jeweiligen Individuums gerechnet werden, wenn auch das Ansehen eines „Amtsträgers" oder seiner Familie weitere Familien zur Bestattung an diesem Ort veranlaßt haben kann. Möglicherweise beruht die reiche Ausstattung auf der Rolle als „Gründergrab" - die Anlage eines neuen Friedhofs könnte durch eine besondere Ausstattung des ersten Toten unterstrichen worden sein.661 Gleiches scheint für die merowingerzeitlichen Kirchengräber zuzutreffen, wenn „der Grabreichtum meist an die Gründergeneration gebunden" ist.662 Im „Gründergrab" würden sich dann weder der
657 658 659 660
661 662
Samson 1987. Martin 2002a. Halsall 1995, 107 f. Abb. 3.23-3.24; 260. Steuer 1994c, 28; vgl. zur sozialen Struktur im 6. Jahrhundert Grahn-Hoek 1976, 116; 128273. Steuer 1982a, 375. Burzier 2000, 158.
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Strukturelle Alternativen Köragsnahe
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eines Ametrâgei* ton Lande dux, cams ftmuíen) einesfem** Grundherrn Sohne nane eines Töchter wirtschaWicrien Zenlnjms
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Abb. 76. Modell der sozialen Gliederung im Merowingerreich. Dominierend ist die Familienstruktur. Königsnähe und Position innerhalb der familia erweisen sich als entscheidender Faktor für sozialen Rang, insbesondere für Angehörige elitärer Familien. Bei im Prinzip ähnlicher Gliederung innerhalb der Familien können königsferne Familienoberhäupter ihrem sozialen Status nach durchaus auf dem Niveau von Handwerkern ranghöherer Familien verharren. Der rechtliche Status bleibt dagegen sekundär - er tritt im sozialen Alltag zurück. Die Archäologie erfaßt strukturell diese „alltägliche" Einbindung, wobei soziale Konkurrenz mögliche rechtliche Abgrenzungen verwischt (verändert nach Steuer 1982a, 519 Abb. 114; 1997, 276 Abb. 296)
Bestattete selbst noch dessen Familie, sondern strukturell die gesamte Bestattungsgemeinschaft darstellen - und das Grab keine soziale Differenzierung der Gesellschaft reflektieren. Welche Interpretation - Präsentation einer Familie oder der Dorfbevölkerung im „Gründergrab" - im Einzelfall zutrifft, bleibt strukturell sekundär. Entscheidend ist die Hervorhebung des oder der ältesten Bestattungen und damit des Belegungsbeginns eines (neuen) Friedhofes. Im 6. und 7. Jahrhundert zeichneten sich herausgehobene Bestattungen neben ihrer „reichen" und qualitätvollen Ausstattung durch die Anlage von Grabhügeln (Abb. 77) 663 , die Separierung von den übrigen Gräbern und
661
Kreisgräben können, müssen aber nicht auf einen Grabhügel hinweisen; sie können ebenso einen freien Bereich um das Grab markieren und dieses auf diese Weise hervorheben; Sudhoff
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Abb. 77. Verbreitung von Kreisgräben und Grabhügeln des 7. Jahrhunderts. Fragliche Grabhügel sind nicht berücksichtigt, ebenso wenig freie Plätze um einzelne Gräber oder Nachbestattungen in prähistorischen Hügeln. Das nahezu ausschließliche Vorkommen östlich des Rheins dürfte nicht ganz realistisch sein, sondern muß auch auf mangelnde Befundbeobachtungen in Frankreich zurückgeführt werden. Ein Hinweis auf nichtrömische oder gar „heidnische" Traditionen kann daraus nicht abgeleitet werden. Auch im Imperium konnten Grabhügel eine Bestattung herausheben. Die Anlage von Kreisgräben und Grabhügeln war eine Form, sozialen Status nicht nur durch Grabbeigaben, sondern durch die beständig sichtbare Form des Grabes zu demonstrieren (verändert nach Sudhoff 1999, 23 Abb. 8; 141 Abb. 51)
1999. Da auch im Imperium Romanum Grabhügel der Selbstdarstellung einer Elite dienten, lassen sich die merowingerzeitlichen Hügel nicht als .germanisch" oder „heidnisch" ansehen; der mächtige Hügel über dem Childerich-Grab dürfte sich - angesichts der politischen Rolle des Toten zu Lebzeiten - primär an römischen und nicht an barbarischen Vorbildern orientiert haben. Die bekannte Anordnung Karls d. Gr. bezog sich auf die heidnischen, widerspenstigen Sachsen und deren Christianisierung; deshalb waren dort alle .alten" Friedhöfe heidnisch: 22. Iubemus ut corpora christianorum Saxanorum ad cimiteria ecclesiae deferantur, et non ad tumulos paganorum; Capitulatio Paderbrunnense a. 785; Effros 1997.
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Strukturelle Alternativen
Abb. 78. Verbreitung von Bestattungen in Kirchen. Ungeachtet der regional unterschiedlichen Dichte an Belegen zeichnet sich ein allmähliches „Vordringen" der „Kirchengräber" von West nach Ost ab. Dem folgt eine „Verdichtung" der Belege im Laufe des 7. Jahrhunderts. Daraus läßt sich der Übergang zu Kirchfriedhöfen, d. h. eine zunehmende „Institutionalisierung" der Kirche, ablesen. Zugleich dürften sich darin auch herrschaftliche Strukturen (wie Grundherrschaften) widerspiegeln. Daß beim Übergang zur Bestattung bei der Kirche die Elite voranging, kennzeichnet die grundsätzliche Stellung einer Oberschicht. Strukturell gesehen, handelt es sich bei dieser Entwicklung um den Übergang von den älteren Reihengräberfeldern zu neuen Formen der Bestattung. Schwarz: 6. Jahrhundert; grau: um 600; weiß: 7. Jahrhundert; Strichlinie: spätes 7. Jahrhundert (verändert nach Böhme 1996, 481 Abb. 1; 483 Abb. 2; 485 Abb. 3; 487 Abb. 4)
schließlich durch eine Lage bei bzw. in Kirchen aus (Abb. 78).664 Diese Entwicklung läßt sich zunächst im nördlichen Gallien zwischen Seine und Rhein beobachten (frühes 6. Jahrhundert), dann zwischen Oberrhein und oberer Donau sowie entlang der Aare, schließlich am Ende des 7. Jahrhunderts auch 664
Burnell 1988; 1998; vgl. Duval 1988. - „Stiftergräber" und „Eigenkirchen" lassen sich mit archäologischen Methoden nicht identifizieren, weil es sich dabei wiederum um rechtliche Institutionen handelt; Borgolte 1985.
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im bayerischen Raum.665 Neben diesem „westlichen" Einfluß bleibt auch ein „südlicher" zu vermuten, der durch die Goldblattkreuze ebenfalls angedeutet wird666. Dahinter verbirgt sich nicht unbedingt eine bereits errungene „rechtliche Sonderstellung" bzw. „Bevorrechtung" des Adels, wie Horst Wolfgang Böhme und Anke Burzier meinen. Die auffällige Absonderung unterstreicht primär das Bemühen um eine gefestigte Sonderstellung und Identität, die entweder erst noch erreicht oder zumindest mit Aufwand behauptet werden soll. Die selten kontinuierlich durchgehaltene Separierung spiegelte dann eher soziale Unsicherheiten bzw. Instabilitäten wider667 - d. h. noch den Prozeß der Adelsentstehung bzw. „Nobilifizierung" (und nicht bereits dessen Abschluß), der zur endgültigen sozialen Ablösung führte.668 Die seit dem frühen 7. Jahrhundert nachzuweisenden fiwze/privilegien merowingischer Könige für Personen und Familien (Edictum Chlotharii von 614) scheinen in gleicher Weise die allmähliche rechtliche Abgrenzung zu reflektieren.669 Erst am Ende des 7. Jahrhunderts werden häufiger Söhne nach ihren Vätern benannt und zeigen auf diese Weise die zunehmende Erblichkeit des Besitzes an.670 Die Familie und damit Geburt und „Abstammung" sowie Besitz - war für alle gesellschaftlichen Gruppen von entscheidender Bedeutung, denn daraus leiteten sich soziale Positionen ab. Allerdings ist der archäologische Befund bei weitem nicht eindeutig. Bei vielen „Separierungen" ist nicht geklärt, ob es sich nicht lediglich um „Hofgrablegen" anstatt „adliger" Bestattungsplätze handelt. Für eine klare Unterscheidung müßte auch das Umfeld des Friedhofs archäologisch untersucht worden sein. Hofgrablegen spiegeln primär das Aufhören der Reihengräberfelder im 7J8. Jahrhundert und damit eine ganz andere Entwicklung wider.671 „Reiche" Ausstattungen rechtfertigen sich nur dann, wenn sie vor einem größeren „Publikum" (bei der Bestattungszeremonie) präsentiert werden kön-
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Böhme 1995; 1996a; Burzier 2000. Hassenpflug 1999, 16 f. Die „freie Wahl des Bestattungsplatzes" aufgrund von „Streubesitz und Mobilität" wäre dann nicht der ausschlaggebende Grund; dagegen Burzier 2000, 134, u. ö. Dies gilt unabhängig davon, ob eine separierte Gräbergruppe die Herauslösung einer Familie aus der bisherigen Siedlungsgemeinschaft oder den „Zuzug" einer „fremden" Familie widerspiegelt. Letzteres, als Erklärungsmodell von Steuer 1982a, 475, favorisiert, sieht sich dem prinzipiellen heuristischen Dilemma gegenüber, wie „Fremde" archäologisch zu identifizieren sind; vgl. Kap. VI,18,e. Vgl. Weidemann 1995; Grahn-Hoek 1976; Irsigler 1969; Schreiner 1981; Th. Zotz 1977; K. F. Werner 1998a. Erst im Hochmittelalter läßt sich eine rechtliche Absonderung eindeutig fassen. Halsall 1995, 271. Theune-Großkopf 1997.
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nen.672 Die Auflösung der Reihengräberfriedhöfe, auf denen mehrere Siedlungsgemeinschaften gemeinsam bestatteten, und der Übergang zu „Hofgrablegen" ließ es aus dieser Perspektive nicht mehr „sinnvoll" erscheinen, die Toten demonstrativ „reich" auszustatten - die benachbarten Familien bzw. Siedlungen hätten dies gar nicht mehr wahrgenommen. Aus diesen Gründen kann die „Separierung" einer Gräbergruppe allein nicht für die Absonderung einer Elite in Anspruch genommen werden. Entscheidend sind primär „reiche" Ausstattungen für das 6. und separate Kirchfriedhöfe im 7. Jahrhundert. Dabei sind regional unterschiedliche Zeitansätze zu berücksichtigen. Die abschließende Phase dieser Entwicklung bildet die Bestattung aller Individuen auf den Kirchhöfen seit dem späten 7. bzw. dem 8. Jahrhundert. Daß hierbei die Elite voranging und kraft ihres Vermögens Kirchen finanzierte, um darin dann auch als erste („Gründergräber") bestattet zu werden, könnte primär wiederum mit der „Auflösung" der Reihengräberfelder zusammenhängen. Die übrige Bevölkerung zog wohl lediglich nach und bestattete mit zeitlicher Verzögerung ebenfalls auf dem neu angelegten - und daher „separiert" gelegenen - Kirchhof. Deshalb sollten auch Kirchengräber nicht a priori und ausschließlich als „Absonderung" einer Führungsschicht begriffen werden, die seit dem 8. Jahrhundert auch kaum noch in der Kirche bestattete. 673 Der Grund für Separierungen und Aufgabe der Reihengräberfelder scheint auf sozialen und wirtschaftlichen Wandlungen zu beruhen, wozu neben der Herausbildung eines Adels auch die von Grundherrschaften (sowie die „Institutionalisierung" der Kirche) gehört haben dürfte(n).674 Dies ist allerdings eine historische, nicht mit Hilfe archäologischer Quellen zu beantwortende Frage.675 In struktureller, langfristiger Perspektive bleibt der Übergang von Reihengräberfeldern zu Kirchfriedhöfen zu konstatieren, wobei die Herausbildung eines Adels ein parallel verlaufender Prozeß gewesen sein mag. Neben dieser prinzipiellen Verlegung der Bestattungsplätze sind mittelfristige, „konjunkturelle" Entwicklungen festzustellen: „Monumentalisierungen" von Gräbern in Form eines Grabhügels oder eines freien umgebenden Platzes, Separierung
672 673 674
675
Halsall 1995, 253. Vgl. als Regionalstudie Marti 2000, 146-201. Steuer 1982a, 416. Auf Veränderungen im Rahmen entstehender Grundherrschaften könnte das weitgehende Fehlen von Siedlungsbefunden des 6. Jahrhunderts in Südwestdeutschland hindeuten, woraus ein deutlicher Wandel der Siedlungsstrukturen abzuleiten ist; Schreg 1999, 502 Abb. 33; Hoeper 2001, 115-124. Urkundlich sind Grundherrschaften wohl erst im 8. Jahrhundert zu erkennen, ζ. B. anhand der St. Galler Klosterüberlieferung. Vgl. Schmid 1998.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
493
von Grabgruppen und Bestattungen in Kirchen. Wie verläßlich die letztgenannten Interpretationen im einzelnen auch sein mögen, die grundlegende Strukturveränderung der Bestattungsplätze bleibt davon unberührt. Der „Reichtum" von Gräbern relativiert sich mitunter rasch, wenn gleichzeitige Depot- bzw. „Schatzfunde" in die Betrachtung einbezogen werden. Für die Völkerwanderungs- und Merowingerzeit sind die „Königsschätze" anzuführen, deren beträchtlicher Umfang aus schriftlichen Nachrichten bekannt und aus einigen Funden (Pietroasä) oder Gräbern (Apahida, Tournai [Childerich], Sutton Hoo, Domagnano) ungefähr abzuschätzen ist.676 Ebenso belegen die wikingerzeitlichen Silberschatzfunde aus dem Ostseeraum und Osteuropa große und mitunter immense Wertanhäufungen in weiten Bereichen677, wodurch die „ärmlich" ausgestatteten Bestattungen ζ. B. der Westund Ostslawen in ganz anderem Licht erscheinen. Auch überlieferte Wergelder, Preisangaben und -relationen ermöglichen eine weitere Bewertung. Grabfunde müssen daher in umfassendere Regionalanalysen eingebettet werden, um sie sozialgeschichtlich begründet bewerten zu können. Sonst dürfte die Selektion der Grabbeigaben den Blick auf wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen oder Strukturen verstellen. Ihr Wert scheint angesichts dieser Vergleiche nur einen recht geringen Teil der Wirtschaftskraft einer Familie ausgemacht zu haben. Die weithin „uniformen", d. h. anhand ihrer wenig differierenden Ausstattung nur schwer zu gliedernden eisenzeitlichen Brandbestattungen würden auf eine selbstgenügsame, „egalitäre" Gesellschaft hinweisen, wären nicht die zahlreichen dänischen Bronzering-Horte bekannt.678 Soziale Hierarchien prägen jede Gesellschaft. Deshalb zählen sie zu den grundlegenden sozialen Strukturen. Unabhängig von ihrer jeweils spezifischen historischen Ausformung sind „horizontale" Grenzziehungen elementare Differenzierungen. Da soziale Konkurrenz „theoretisch" klare Grenzen verwischt und zu verschieben trachtet, spiegeln Grabausstattungen (reiche Beigaben, Spiele und Instrumente, aufwendige Grabarchitektur, Separierung) - vor allem in flexiblen, dynamischen Ranggesellschaften - in erster Linie die gesamte Bandbreite sozialer Zuordnung wider. Für die Kenntnis der Struktur einer Gesellschaft sind deshalb auch diffus erscheinende Differenzierungen von großem Wert. Sie belegen, unabhängig von möglichen rechtlichen Regelungen sozialer Zugehörigkeit, soziale Dynamik und Veränderung(spotential).
676 677 678
Steuer 1982a, 448-452, mit Details und Verweisen; Hardt 1998; 1999a. Brather 1997. Hedeager 1992, 37-42.
494
Strukturelle Alternativen
Der Umkehrschluß auf der Basis egalitär erscheinender Grabausstattungen ist nicht erlaubt. Denn soziale Differenzierung und Flexibilität muß nicht in der Bestattung demonstriert werden. Daher bedarf es zur Analyse der Sozialstrukturen der Berücksichtigung aller verfügbaren Quellengattungen (Gräber, Horte, Siedlungen), um gesellschaftliche Schichtungen identifizieren zu können. Insbesondere Siedlungen bieten Aufschlüsse, weil sie - im Unterschied zu den bewußt und zielgerichtet selektierenden Bestattungen - ein „Bild" des sozialen Alltags bieten. Allerdings gelten dort andere Einschränkungen, denn nur ein Teil der Lebenswelt hinterläßt materielle Spuren.
Gräber: „diagonale" Gliederungen Gesellschaften sind nicht nur hierarchisch aufgebaut. Neben dieser vertikalen Abstufung (entsprechend den horizontalen Grenzziehungen) existieren weitere Gliederungen - ζ. B. in mehr oder weniger „gleichrangige", nebeneinander bestehende Familien- und Verwandtschaftsgruppen. Diese zu ermitteln, bemühen sich Untersuchungen zur Anordnung der Gräber innerhalb einer Nekropole, indem „Gruppierungen" beschrieben werden. Dieses Vorgehen „konkurriert" gelegentlich mit dem Versuch, eine Horizontalstratigraphie und damit eine zeitliche Abfolge aller Bestattungen zu ermitteln. Aus analytischer Sicht werden die auf dem Gräberfeld „horizontal" nebeneinander befindlichen Gruppen Halsall folgend besser als „diagonale" Gliederungen bezeichnet. Ahnlich wie Gruppierungen nach Alter, Religion und ethnischer Zuordnung repräsentieren sie unterschiedliche soziale Identitäten und Beziehungen, die quer zu horizontalen Ranggrenzen und vertikalen Gender-Grenzen verlaufen. 679 „Diagonal" ist daher nur ein methodischer Hilfsbegriff, um eine weitere soziale Dimension zu beschreiben. Der analytischen Trennung dieser einander durchdringenden sozialen Zuordnungen steht ihre empirische Vermengung gegenüber. 1. Hinweise auf die eisenzeitliche Gesellschaftsstruktur bzw. die Verwandtschaftsorganisation liefert der späthallstattzeitliche Grabhügel „Magdalenenberg" bei Villingen (Stufe Ha D 1). Außer dem Zentralgrab (dendrochronologisch nun auf 616 v. Chr. datiert) fanden sich 126 Gräber von ehemals etwa 140 bis 200 Nachbestattungen, die innerhalb einer kurzen, vielleicht nur ein
679
Halsall 1995, 21.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
495
oder zwei Generationen umfassenden Zeit angelegt wurden. Die Hügelschüttung wurde durch hölzerne Stangensetzungen in zwei Hälften geteilt. In der einen sind die Toten (bis auf wenige Ausnahmen) tangential im Uhrzeigersinn, in der anderen entgegengesetzt bestattet (Abb. 79). Da sich Geschlecht, Alter und Sozialstatus auf beide Hälften etwa gleichmäßig verteilen, scheint es nahezuliegen, diese Teilung als Widerspiegelung einer „dual" organisierten Gesellschaft zu begreifen.680 Ob es sich dabei um zwei getrennte, exogame „Hälften" einer Gesellschaft681 oder lediglich um zwei größere Familiengruppen (Clans, Lineages) handelte, ist - insbesondere ohne weitere ähnliche Beobachtungen - schwer zu entscheiden. Möglicherweise liegen allerdings gar keine „Hälften" vor; denn die tangential angelegten Bestattungen ließen sich sämtlich im Prinzip als ebenso (SO-NW) ausgerichtet wie das Zentralgrab ansehen, wobei die jeweiligen Abweichungen durch die Hügelform „erzwungen" worden wären. Die Teilung des Hügels hätte dann nicht unterschiedliche Ausrichtungen bewirkt, sondern im Gegenteil alle Gräber gleich behandelt. Frühmittelalterliche Reihengräberfelder weisen nicht selten mehrere, räumlich durch deutliche Zwischenräume getrennte Gruppen auf, die meist als Familiengruppen interpretiert werden (ζ. B. Schretzheim682, Lavoye, Audunle-Tiche683, Castel Trosino, Nocera Umbra684) (Abb. 80-81); andere Friedhöfe oder Friedhofsareale weisen eine derart gleichförmige Reihung auf, daß keine Gruppierungen zu erkennen sind. Der Vergleich der großen, nicht selten einige hundert Bestattungen umfassenden Reihengräberfelder mit den gleichzeitigen und wohl zugehörigen Siedlungen zeigt, daß jeweils mehrere, etwa ein bis zwei Höfe umfassende Kleinsiedlungen einen gemeinsamen Bestattungsplatz nutzten. Die Bestattungszeremonie war dabei eine Möglichkeit par excellence, vor einem größeren „Publikum" sozialen Status durch entsprechenden Aufwand zu demonstrieren. Jenseits der Unterschiede zwischen den „Familien" ist zu überlegen, wie die innere Struktur dieser Gruppen aussah. Wer gehörte zur „Familie"? Waren es neben dem „Hausherrn", seiner Frau und seinen Kindern auch „Abhängige" sowie die jeweiligen Nachkommen, die hier zusammen bestattet wurden? Könnte es sich statt einer Kernfamilie eher um eine „Wirtschaftseinheit" handeln, die neben verwandtschaftlichen Bindungen
680 681 682 683 684
J. Müller 1994a; 1994b; vgl. Terzan 1991. Vgl. Lévi-Strauss 1981, 128-147. Steuer 1982a, 370 Abb. 95,1; Jentgens 2001, 140-184. Halsall 1995, 128 Abb. 4,17; 138 Abb. 4,26; 159 Abb. 4,45. Jergensen 1991.
496
Strukturelle Alternativen
Abb. 79. Magdalenenberg bei Villingen. Plan des späthallstattzeitlichen Grabhügels mit Zentralgrab, „Nachbestattungen" und Stangensetzungen. Durch hölzerne Stangen ist der Hügel mehrfach „unterteilt". Die hier mit „II" bezeichnete Stangensetzung trennt zwei Hälften mit einander entgegengesetzter Ausrichtung der Bestattungen. Daraus läßt sich auf eine „zweigeteilte" Gesellschaft schließen, doch bleibt der konkrete Hintergrund der „Halbierung" unklar (nach MeyerOrlac 1983, 13 Abb. 1)
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
497
Abb. 80. Merowingerzeitliches Gräberfeld von Schretzheim, Stadt Dillingen. Die Pfeile symbolisieren eine mögliche familienweise Belegung. 1 Belegungskerne; 2 Ende der Belegung in einer der Stufen 2 bis 6; 3 Belegungsbeginn in Stufe 1; 4 Belegunbgsbeginn in Stufe 2; 5 Belegungsbeginn in Stufe 3 und 4; 6 Gräber mit Leitform der Stufe 5; 7 Gräber der Qualitätsgruppe C nach Christlein (nach Steuer 1982a, 370 Abb. 95,1)
Strukturelle Alternativen
498
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Infantile Adult
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Nocera Umbra
Infantile 20
9
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Adult/Juvenile Infantile
Abb. 81. Gräberfeld des 6./7. Jahrhunderts von Nocera Umbra. Es zeichnen sich mehrere Grabgruppen (A bis H) ab, die wohl als „Familien" (im Sinne sozial zusammengehöriger Kleingruppen) interpretiert werden können. Dafür sprechen die Verteilungen von Männer-, Frauenund Kindergräbern ebenso wie die Ausstattung der Gräber (nach Jergensen 1991, 27 Abb. 21)
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
499
auch durch wirtschaftliche Gemeinsamkeiten zusammengehalten wurde? Es ist schwierig, dies allein anhand der Gräber zu beurteilen. Denn als alternative Erklärungen für Hierarchien kommen stets weitere soziale „Rollen" (Alter, Geschlecht, „Familienstand", Tätigkeit) und Kennzeichen (Besitz, Ansehen, Lebensstil, Rechtsstatus, Religion) in Betracht. Doch scheinen die Zahl der jeweiligen Bestattungen und ihre Differenzierung für Gruppierungen im Sinne einer familia - Kernfamilie und Anhang - zu sprechen.685 Des weiteren werden „Mehrfachbestattungen" als „Hinweis auf Familiengrabstätten" interpretiert,686 weil es sich dabei um absichtlich in einem Grab gemeinsam bestattete und deshalb wahrscheinlich sozial eng verbundene Individuen handelt. Anthropologische Skelettuntersuchungen und DNA-Analysen können hier nur in Grenzen weiterhelfen687, weil Verwandtschaft primär ein soziales Verhältnis und allenfalls sekundär biologisch bedingt ist.688 Denn Verwandtschaftstermini, Deszendenz und mögliche Heiratspartner sind kulturspezifisch. Feststellbare genetische Zusammenhänge reflektieren Beziehungen zwischen Vorfahren und Nachfahren. Sie erfassen - ohne eine in der erforderlichen Genauigkeit (mindestens nach Generationen) kaum zu erreichende archäologische Chronologie - weder die direkten Beziehungen zwischen Eltern und Kindern noch die Familienstrukturen. Bei einer rein biologischen Betrachtung werden Heiratsbeziehungen ebenso wie die Charakteristik der Verwandtschaft als einer sozialen Gruppierung689 ausgeblendet. 2. Unter bestimmten Umständen hängen „Umfang" und „Qualität" der Grabausstattung weniger vom sozialen Rang der Familie insgesamt als vom Alter und Geschlecht des bzw. der Toten ab.690 Anhand des nahezu vollständig ausgegrabenen, kaiserzeitlichen Gräberfeldes von Kemnitz im Havelland, dessen beigabenführende Bestattungen vorwiegend in die Stufe Β 2 (2. Jahrhundert) gehören, läßt sich die Altersabhängigkeit der Kleidung erkennen. Während Gürtel mit Metallteilen in Kindergräbern noch kaum auftreten, sind sie etwa zwischen dem 16. und 40. Lebensjahr am häufigsten. Im maturen Alter erhielten die Toten wieder etwas seltener einen Gürtel mit Schnalle und/oder Riemenzunge. Fibeln (nur eine Fibel kennzeichnete beide Geschlechter, mehrere Fibeln finden sich ausschließlich in Frauengräbern) sind
685 686 687 688 689 690
Steuer 1982a, 471-497. Sasse 2000,166. Vgl. Kap. VII,22. Lévi-Strauss 1981, passim; Jussen 1991. Murray 1983. Vgl. oben zum Thema Kleidung (Kap. VI,17,a).
500
Strukturelle Alternativen
1-5
6-10
11-15
16-20
21-25
26-30
31-35
36-40
41-45
46-50
51-55
56-60
Abb. 82. Älterkaiserzeitliches Gräberfeld von Kemnitz, Kr. Potsdam-Mittelmark. Anteil der Fibel-, Schnallen- und Nadelbeigabe nach dem Lebensalter (Männer und Frauen). Während Gürtel mit Schnallen erst bei Erwachsenen häufiger vorkommen, sind Fibeln in Gräbern kleiner Kinder (Mädchen) sehr häufig, finden sich aber nur selten bei Jugendlichen. Die Lebensjahre sind als Näherungswerte zu verstehen (zusammengestellt nach Gebühr 1976, 172; 1975, 456 Abb. 17)
schon für kleine Kinder ebenso wie für Erwachsene „typisch", zeigen aber einen sehr deutlichen Einschnitt bei den Jugendlichen, die nur selten eine oder mehrere Fibeln besaßen (Abb. 82). Die höchsten Anteile werden auch hier wieder bei maturen Erwachsenen erreicht. 691 Interessanterweise erweisen sich (archäologisch „gleichzeitige") Fibeltypen als altersspezifische Beigaben, indem bestimmte Formen bei Kindern (Almgren V), bei adulten (Almgren V, IV, II) bzw. maturen Erwachsenen (Almgren II, V) „beliebt" waren. 692 Nadeln - der weiblichen Kleidung zuzurechnen - finden sich sehr häufig in Gräbern junger Frauen um die 20 und in Bestattungen etwa dreißigjähriger Frauen. 693 In Dänemark wurden erwachsene Männer häufiger mit Waffen und Sporen bestattet, während ältere Männer - bei durchaus „reicher" sonstiger Ausstattung - nur noch Sporen erhielten. 694 Für schleswig-holsteinische Gräberfelder der älteren römischen Kaiserzeit ließen sich ähnliche Beobachtungen machen (Tab. 15). Bestattungen von Jungen wurden mit zunehmendem Alter „reicher" ausgestattet, während im
691
Gebühr 1976, 172 (Tab.); 1975, 456 Abb. 1 5 - 1 7 ; Geisler 1984, 1 1 0 - 1 1 2 Diagr. 4 - 8 ; 116 f. Diagr. 9 - 1 1 .
692
Gebühr/Kunow 1976, 195-199; Geisler 1984, 102 Diagr. 1 - 2 ; 107 Diagr. 3. Geisler 1984, 118 Diagr. 12; 121 Diagr. 13-14. Hedeager 1992, 160.
693 694
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
501
Tab. 15. Relative Häufigkeit von Beigaben in 286 Gräbern der älteren römischen Kaiserzeit (A bis Β 2) aus Schleswig-Holstein. Deutlich wird die geschlechts- und altersabhängige Ausstattung (nach H. Derks 1997, 542 Abb. 6) Lebensalter
Beigaben
0-6 Jahre (Kleinkinder)
Schmuck Kleidungsbestandteile
Jungen/Männer
Mädchen/Frauen
•
• • •• ••••
Geräte 7-13 Jahre (Kinder)
Schmuck Kleidungsbestandteile Geräte Waffen
14-19 Jahre (Jugendliche)
••• ••• •
• ••• • •••
•••
•••• •••• ••••
Sonstiges
•
•
römischer „Import"
•
Schmuck Kleidungsbestandteile Geräte Waffen
20-39 Jahre (adult)
Schmuck Kleidungsbestandteile
•
• ••• • •••
Geräte Waffen
•
Sonstiges 40-79 Jahre (matur und senil)
römischer „Import"
•
Kleidungsbestandteile Geräte Waffen Sonstiges
•••• •••• •
• •• • ••
maturen Alter nur eine leichte „Reduzierung" zu erkennen ist. Mädchen erhielten grundsätzlich „reichere" Beigaben und diese bereits im Kleinkindalter. Frauen über 40 bekamen deutlich weniger mit in das Grab. 695 Dieser Befund verweist - wie oben bereits erwähnt 696 - einerseits auf die Bedeutung von Mädchen und jüngeren Frauen für die Familie und andererseits auf das schrittweise „Hineinwachsen" der Jungen in ihre Rolle als Männer und Fami-
695 696
H. Derks 1997. Vgl. Gebühr 1994. Kap. VI,17,a (Kleidung).
502
Strukturelle Alternativen
lienoberhäupter, was sich in den bekannten ethnologischen Altersklassensystemen widerspiegelt.697 Tab. 16. Ennery „Les trois arbres", dép. Moselle (6. Jahrhundert). Anzahl der Artefakttypen je Grab, gegliedert nach dem Sterbealter der Individuen. Bis zum Erwachsenenalter steigt die Zahl an und geht im Alter wieder zurück (nach Halsall 1995, 85) Lebensalter in Jahren
0-7
7-14
14-20
2CM0
40-60
>60
7
8
14
19
21
16
Anzahl der Artefakttypen
Im Bereich der Reihengräberfelder hat Halsall für das 6. Jahrhundert in Lothringen deutliche alters- und geschlechtsspezifische Differenzierungen ermittelt (Abb. 83; Tab. 16). Die „reiche" Ausstattung von Männern über 30 kann mit ihrer dominierenden Rolle als Familienchef erklärt werden, während junge Männer noch in kriegerischen Gruppen organisiert sind. Auch mit mehr als 40 Lebensjahren bleibt Männern eine umfangreiche Ausstattung erhalten, solange sie weiterhin an der Spitze ihrer Familie stehen, d. h. der (älteste) Sohn diese Rolle noch nicht übernommen hat, was bei einer Heirat um die 30 erst zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich ist. Mädchen im Teenager-Alter werden besonders üppig ausgestattet698, weil sie als heiratsund gebärfähige Töchter eine „Zukunftsinvestition" der Familie bilden. Jenseits der 40 sind Frauengräber meist „ärmer" als die Bestattungen jüngerer Frauen ausgestattet, weil Söhne (später) und Töchter (früher) bereits in die entsprechenden sozialen Rollen gelangt sind. Damit korrespondiert das sinkende Wergeid für nicht mehr gebärfähige Frauen (Tab. 13). „Ausnahmen" von diesen grundsätzlichen Tendenzen (ζ. B. reiche Gräber jugendlicher Männer) sind nicht zwingend ein Hinweis auf einen besonderen Sozialstatus, sondern können auf die „atypische" Einnahme der entsprechenden sozialen Position zurückgehen - wenn der Vater früh stirbt, muß der Sohn die Rolle „verfrüht" übernehmen, oder wenn der (älteste) Sohn früh stirbt, behält der in die Jahre gekommene Vater länger seine dominante Rolle in der Familie. Dieses alters- und geschlechtsspezifische Rollenverhalten dürfte außerdem schichtenspezifisch gewesen sein699 - denn nur wenn Besitz vorhanden war, konnte er vererbt werden. Für denselben Zeitraum wird an gut untersuchten Gräberfeldern wie Köln-Müngersdorf am Niederrhein und Basel-Bernerring am Hochrhein er-
697 698 699
Bernardi 1985; La Fontaine 1985. Vgl. Martin 1991b, 294. Halsall 1995, 253-257.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
503
durchschnittliche Beigabenanzahl
7
-
6
-
5 4 3 2 1
0 7
14
20
40
60
80
Sterbealter
Abb. 83. Merowingerzeitliches Gräberfeld von Ennery „les trois arbres". Anzahl der Beigaben in Männergräbern nach Altersgruppen. Die meisten Beigaben enthalten Bestattungen erwachsener Männer zwischen etwa 20 und 60 Lebensjahren. Sehr gering ausgestattet erscheinen die Gräber von Jungen, doch auch im senilen Alter bekamen Männer weniger Beigaben mit ins Grab. Die Abhängigkeit der Grabausstattung vom Lebensalter weist auf unterschiedliche, einander ablösende soziale Rollen während eines Lebens hin. Diese Rollen kennzeichnen die soziale Position innerhalb der Familie. Minimum gerastert, Maximum nicht gerastert (nach Halsall 1995, 92 Abb. 3,12)
kennbar, wie die Waffenausstattung vom Lebensalter abhängt (Tab. 17): Während Jungen meist ohne Waffe oder höchstens mit Pfeil und Bogen versehen wurden, erscheinen Männer „im besten Alter" zwischen 30 und 50 häufiger als in allen anderen Altersgruppen „schwer bewaffnet". Dies ist wahrscheinlich jenes Lebensalter, in dem Männer als Familienoberhäupter eine entscheidende Position einnehmen. Die „eigendichen" Krieger, junge Männer zwischen 20 und 30, sind im Grab deutlich seltener so umfassend ausgerüstet, obwohl ihre Skelette am häufigsten Kampfverletzungen aufweisen und gerade diese Altersgruppe den Bestand der kriegerischen Trupps stellte. 700 Ähnliche Beobachtungen machten Milan Hanuliak an früh- und hochmittelalterlichen Gräbern in der Slowakei 701 und Nick Stoodley für England. 702
700 701 702
Siegmund 2000, 295-297, mit Verweis auf Härke 1992a. Hanuliak 1998. Stoodley 1999,105-118.
504
Strukturelle Alternativen
Tab. 17. a) Köln-Müngersdorf (6./7. Jahrhundert) und b) Basel-Bernerring (6. Jahrhundert). Waffenbeigaben in Männergräbern in Abhängigkeit vom Sterbealter. Die Häufigkeit der Waffen bzw. die Kombination verschiedener Waffen reflektiert eher sozialen Status als kriegerische Betätigung. Eine genauere Unterscheidung des Sterbealters in Zehn-Jahres-Schritten zeigt, daß die meisten Waffen zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr Verstorbenen beigegeben wurden. Wahrscheinlich handelt es sich bei diesen Toten um Familienoberhäupter (nach Siegmund 2000, 295 f. Abb. 168 f.)
Alter
Lebensjahre
η
ohne Waffe
eine Waffe
zwei Waffen
drei Waffen
vier Waffen
fünf Waffen
infans
0-12
7
3
2
2
-
-
-
juvenil
12-18
1
adult
18-40
6
matur
40-60
senil
-
1
-
-
-
-
2
1
1
2
-
-
16
3
6
3
2
1
1
60-80
2
1
-
-
-
-
1
Alter
Lebensjahre
η
ohne Waffe
eine Waffe
zwei Waffen
drei Waffen
vier Waffen
fünf Waffen
infans
0-12
3
2
1
-
-
-
-
juvenil
12-18
1
-
1
-
-
-
-
adult
18-40
10
7
-
1
-
1
1
matur
40-60
11
2
2
-
3
-
b)
4
Weitere „diagonale" Gliederungen stellen ethnische und religiöse Zuordnungen dar. Ihre Identifizierung im archäologischen Befund bereitet besondere Schwierigkeiten, weil es sich dabei um Identitätsgruppen handelt, zu denen sich Individuen unabhängig von Alter und Geschlecht oder anderen, archäologisch zu fassenden Merkmalen zählen konnten bzw. gezählt wurden. Hier seien diese Gruppen bzw. Barrieren nur der Systematik wegen aufgeführt. Für Details ist auf die entsprechenden Abschnitte zu verweisen. 703 „Diagonale" terschiedlich unterschiede gischen oder
703
soziale Gliederungen sind anhand archäologischer Quellen ungut zu erfassen. Am einfachsten und klarsten lassen sich Alterserkennen. Unabhängig davon, welche kalendarischen, physiolosozialen Merkmale einzelne Gesellschaften als ausschlaggebend
Ethnos und Ethnizität: Kap. IV-V; VI,18-19; Religion und Vorstellungswelten: VI,17.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
505
betrachten, werden häufig altersspezifische Rollenverteilungen deutlich. Darin scheinen soziale, Handeln und Vorstellungen der Menschen bestimmende Grundstrukturen ebenso wie in familiären Gruppierungen auf, gewissermaßen dem „Kernelement" jeder Gesellschaft. Familien sind weniger klar als Altersgruppen abzugrenzen, weil Verwandtschaft auf verschiedenen Ebenen „Kernfamilie", Clan, Lineage - angesiedelt ist und Grenzziehungen im einzelnen dann schwer zugeordnet werden können. Weitere „diagonale" Abgrenzungen wie Religion oder Ethnos entziehen sich, auch wenn sie wichtige strukturierende Funktionen in Gesellschaften besitzen, aufgrund ihres Konstruktcharakters, ihrer nur mittelbaren oder gar nahezu fehlenden Verbindung zur Sachkultur und ihrer Flexibilität weitgehend einem konkreten archäologischen Nachweis.
„Gender" als „vertikale" Abgrenzung „Gender"-Forschung umfaßt mehr als nur die Untersuchung der Rolle von Frauen - bzw. die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern - in historischen Gesellschaften.704 Die beiden Geschlechtern jeweils zugeschriebenen Rollen sind allerdings nicht ganz einfach zu bestimmen, denn schon die häufige Frage, ob die Keramikherstellung Frauen- oder Männersache war, ist nicht pauschal und grundsätzlich zu beantworten.705 Prinzipiell können Gender-Differenzen als „vertikale" soziale Abgrenzungen beschrieben werden, die quer zu hierarchischen Rangabstufungen verlaufen, indem sie eine Gesellschaft in zwei „Hälften" teilen. Im Mittelpunkt des Interesses steht die analytische Differenzierung von biologischem und kulturellem Geschlecht (sex and gender).706 Grabausstattungen von Männern und Frauen zeigen in den meisten Fällen keine distinkte Trennung voneinander. Sie lassen sich „oft eher als Tendenzen [,] denn als verbindliche Muster [...] erfassen".707 Für das frühe Mittelalter läßt sich anhand schriftlicher Quellen zeigen, daß neben kriegerischen Männern auch Frauen zu Hause „Herrschaft" ausübten oder sich wie die Königinnen Brunichilde (t 613) und Fredegunde (t 597) in der fränkischen Machtpolitik zwischen Austrasien und Neustrien behaupten
704 705 706
707
Aus ethnologischer Sicht: K. E. Müller 1984. Vgl. Gender and material culture 2000; Ehrenberg 1989. Reader in gender archaeology 1998; Gilchrist 1997 [Mittelalter]; Milledge Nelson 1997; Engendering archaeology 1991. Burmeister 2000, 68. Vgl. Dress and gender 1995; Effros 2000.
506
Strukturelle Alternativen
konnten. 708 Daran zeigt sich, daß Gesellschaften nicht aus zwei strikt getrennten „Hälften" bestehen, sondern gewissermaßen ein struktureller „Übergangsbereich " existiert. 1. Ein interessanter Ansatz ist die Gegenüberstellung von anthropologischer (Skelett bzw. Leichenbrand) und archäologischer Geschlechtsbestimmung (Kleidung und Beigaben). Divergenzen verdienen besondere Aufmerksamkeit - nicht nur, um die Verläßlichkeit der einen wie der anderen Methode zu testen.709 Ein derartiges Beispiel bietet das späthallstattzeidiche (Ha D3) „Fürstengrab" von Vix unterhalb des Mont Lassois. Diese Bestattung mit einem vierrädrigen Wagen und dem größten überhaupt bekannten Krater (von 1,64 m Höhe und 1100 1 Fassungsvermögen) enthält im Unterschied zu zeitgleichen anderen Elitengräbern keine Waffen. Daraus und aus dem Vorhandensein weiblichen Schmucks sowie einer (nicht völlig gesicherten) anthropologischen Geschlechtsbestimmung710 schloß man auf eine „Prinzessin". Das würde bedeuten, daß - unter welchen konkreten Umständen auch immer eine Frau an der Spitze einer eisenzeitlichen Gesellschaft stehen konnte. Inwieweit dabei priesterliche Funktionen eine Rolle spielten, ist im einzelnen nicht zu erkennen. 711 Das jüngst entdeckte Grab 1 (Lt A) vom hessischen Glauberg weist ein „gemischtes" Inventar auf. Neben den eindeutig männlichen Beigaben - Schwert, Schild und zwei Lanzen - fanden sich auch Schmuckstücke, die einer Frau zuzuweisen sind: dazu gehört ein bislang nur aus Frauengräbern bekannter Vierknotenring und ein in Frauengräbern häufiger goldener Halsringtyp. 712 Überhaupt zeichnet sich von der späten Hallstatt- zur frühen Latène-Zeit eine Zunahme von „Statussymbolen" in Frauengräbern ab, ohne daß sich der soziale Hintergrund bisher genauer beschreiben ließe.713 Des weiteren liegen aus der römischen Kaiserzeit „reiche" Gräber von „Fürstinnen" vor. Dazu gehören Bestattungen wie die von Haßleben, Grab 8, und Wroclaw-Zakrzów/Sackrau I—III in Schlesien.714 Auch aus dem östlichen
708 709
710 711 712
713
714
Nelson 1978; Fonay Wemple 1981. Die Mehrzahl der „widersprüchlichen" Fälle beruht auf unsicheren bzw. falschen Zuordnungen seitens der Anthropologie oder der Archäologie. Sauter 1980. Kuli 1998, 386-393. Frey/Herrmann 1997, 491, 494; F.-R. Herrmann 2002, 251 Abb. 245 unten, 246 f. Abb. 237238. Burmeister 2000, 195-197; weitere „Fürstinnengräber": Reinheim Lt A3 (Echt 1999); Waldalgesheim Lt B1 (Joachim 1995). Schulz 1933; Grempler 1887; 1888; Kramarkowa 1990.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
507
Dänemark stammen „reiche" Frauengräber wie die von Himlingeje und Ârslev.715 Und schließlich lieferte auch das vendelzeitliche Gräberfeld von Tuna in Badelunda (Västermanland) „reiche" Frauengräber.716 Diese hervorgehobenen Bestattungen von Frauen bilden letztlich eine kleine Minderheit. „Reiche" Männergräber bleiben dominant. Die wenigen Frauen könnten aus unterschiedlichen Gründen die Rolle „ihrer" Männer eingenommen haben - seien diese gestorben oder ein männliches Familienoberhaupt nicht vorhanden gewesen. Zunächst dürften „reiche" Frauengräber ebenso wie Kinderbestattungen auf die Rolle und den Status der jeweiligen Familie verweisen. Für eine besondere Rolle der Frauen ist dies kein hinreichender Anhaltspunkt. Häufig fallen Frauengräber allerdings deswegen „reicher" als Männergräber aus, weil die Frauenkleidung meist aufwendiger gestaltet ist und daher mehr metallene Bestandteile im Grab gefunden werden können. 717 Männer präsentieren sich allenfalls in Waffen. Daraus kann aber nicht unmittelbar auf eine herausgehobene oder gar dominierende Rolle von Frauen geschlossen werden. In patriarchalen Gesellschaften sind es Männer, die Frauen als Heiratspartnerinnen tauschen, um soziale Beziehungen zu knüpfen. 718 „Reiche" Frauengräber charakterisieren dann auch die Rolle der jeweiligen Ehemänner und nicht allein die der Frauen selbst, denn durch ihre Frauen stellen sich die Männer dar. Frauen können auf diese Weise eine „Projektionsfläche" für patriarchale Gesellschaften bilden. Ein Beispiel bietet die Angabe bei Ibn Fadlän für die Rus', daß ein Mann, habe er 10.000 (?) Dirham beisammen, daraus für seine Frau einen Halsring machen lasse.719 Eine unterschiedlich reiche Ausstattung der Geschlechter kann ebenso erst durch die Bestattung Zustandekommen, wenn sich der Status einer Familie und ihres Oberhauptes in einem reichen Frauengrab präsentiert. 2. Aus der Zusammensetzung eisenzeitlicher Horte lassen sich keine überzeugenden Anhaltspunkte für eine Geschlechtsdifferenzierung der Deponierungen gewinnen (Abb. 84).720 Auch Männer können Frauenschmuck - Fibeln,
715 716 717 718 719
720
Hedeager 1992, 155, 233. Nylén/Schônbâck 1994. Vgl. Burmeister 2000, 82. Lévi-Strauss 1981, 333-612. Die Mengenangabe ist nicht ganz vertrauenswürdig, denn bei einem mittleren Gewicht von knapp 3 g Silber pro Dirham ergäbe das ein Gewicht von fast 30 kg für den Halsring. Allerdings könnte jeweils nur ein Teil der Dirham zu Schmuck verarbeitet worden, d. h. alle 10.000 Dirham ein Halsring für die Frau „abgefallen" sein. G. Kurz 1999.
508
Strukturelle Alternativen
Abb. 84. Eisenzeitliche Hortfunde des 6. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. Die regional differierende Häufung von „Horttypen" geht auch auf zeitliche Unterschiede zurück, gehören die Münzhorte doch erst in die spätere Latène- und die römische Zeit. Dennoch werden geographische Differenzierungen deutlich, die »Gallien" vom rechtsrheinischen Raum oder der Poebene trennen. O Horte aus Münzen; I Horte aus Eisen-Barren; • Horte eiserner Geräte; • Horte mit Schmuck; · Edelmetallringe, auch Einzelfunde (verändert nach G. Kurz 1995, 15 Abb. 1)
Ringe, Gürtel, Glasschmuck und Perlen - geopfert haben, weil dieser sich in seiner größeren Vielfalt einerseits anbot und andererseits ebenso den Status der Männer unterstreichen konnte, so daß strukturell eher Familiengruppen oder andere Gemeinschaften als Deponierende in Betracht kommen, nicht die Geschlechter getrennt voneinander. Auf einigen eisen- und kaiserzeitlichen Gräberfeldern an der Niederelbe und im westlichen Mecklenburg überwiegen (trotz aller methodischen Kontroversen aufgrund unzureichender Befundbeobachtungen, gestörter Gräber und wenig geschlechtsspezifischer Beigaben)721 entweder Männer- oder Frauenbestattungen. Dies zeigen neben den (wenigen vorliegenden) anthro-
721
Breitsprecher 1987, 222 f., macht darauf aufmerksam, daß kaum mehr als Waffen (Männer) und Spinnwirtel (Frauen) als eindeutige geschlechtsspezifische Beigaben gelten können.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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pologischen Untersuchungen722 auch die Seriationen der Beigaben.723 Die seinerzeitige Interpretation der Männerfriedhöfe („Typ Rieste") als Bestattungsplätze der Angehörigen angeblicher germanischer „Männerbünde" ist längst überholt, doch steht eine überzeugende Erklärung der „geschlechtsspezifischen" Bestattungsplätze dieser Region aus.724 Warum wurde die sonst so allgemein verbreitete Bestattung in Familiengruppen nicht geübt? Wo wurde die Mehrzahl des jeweils anderen Geschlechts bestattet, und warum wurde ein Geschlecht im Grab „bevorzugt" (ausgestattet)? Was bedeutet die Trennung der Geschlechter im Tod? Auch auf einigen merowingerzeitlichen Reihengräberfeldern „lassen sich deutlich von Frauen bevorzugte Areale von den von Männern bevorzugten Arealen trennen".725 Unklar ist, ob diese strukturelle Trennung der männlichen und weiblichen Welt in der (dörflichen) Gesellschaft insgesamt oder innerhalb der Familie erfolgte. Hier fehlen bislang weitere Informationen für eine verläßliche Erklärung. Auf Gotland (Garde, Havdhem, Stinga) weisen ebenso wie im übrigen Skandinavien manche hochmittelalterlichen Kirchhöfe eine strikte Geschlechtertrennung auf. Frauen wurden zeitweise ausschließlich nördlich, Männer nur südlich der Kirche bestattet. Überlappungen finden sich lediglich im Westen und Osten des Friedhofs. Die schriftliche Überlieferung reicht nicht aus, um daraus verläßlich eine stärkere oder eine schwächere Stellung der Frauen zu erschließen. Auffallend bleibt bislang die symbolische Trennung von Männern und Frauen,726 die nicht den diesseitigen Verhältnissen entsprochen haben kann. 3. Werden in der Archäologie „fremde" Individuen in einem anderen kulturellen Milieu beschrieben, handelt es sich nahezu ausschließlich um Frauen. Sollten allein Frauen derart mobil gewesen sein bzw. von ihrer Familie nach außerhalb verheiratet worden sein? Dieser Befund verwundert umso mehr, als personale Mobilität im allgemeinen Männern zugebilligt wird, die als Angehörige von Kriegertrupps Beute machten oder - unter „zivileren" Verhältnissen - zu Handelszwecken unterwegs waren.727 Vermutlich täuscht die An-
722
723 724 725 726 727
Schutkowski/Hummel 1992, 180 f., aufgrund anthropologischer Daten gegen die These, auf einem Gräberfeld seien überwiegend Männer oder Frauen bestattet worden. H. Derks 1993; Eger 1999,126-139. Schweppe 1999,240-246. Sasse 1988, 139; 1990; vgl. Martin 1990. Staecker 2000; Nilsson 1989. Vgl. Wierschowski 1995.
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Strukturelle Alternativen
nähme „fremder Frauen" aus zwei Gründen. Erstens ist Frauenschmuck und -kleidung leichter zu identifizieren, weil beides vielfältiger und „modischer" als die Männerkleidung ausfällt. Männer lassen sich deshalb weniger gut beurteilen und „Fremde" schwieriger identifizieren. Zweitens gibt es gravierende Einwände gegen die unmittelbare und pauschale Interpretation „fremder" Kleidungsbestandteile als Anwesenheit „fremder Frauen", weil andere Erklärungsmodelle für deren Verbreitung - Tausch, Handel, Beutegut, Vorliebe für „exotische" Objekte - nicht weniger wahrscheinlich sind. 728 Gender-Untersuchungen können zwar Rollenverteilung und „Machtverhältnisse" nicht direkt erfassen. Sie zeigen dennoch, daß die „vertikale" soziale Gliederung von Gesellschaften keineswegs so eindeutig wie die biologische Zweiteilung ausfällt. Die Differenzierung zwischen Männern und Frauen ist selten dichotomisch, wie Grabausstattungen belegen. Und die meist „reichere" Kleidung in Frauengräbern sagt noch nichts über die tatsächliche soziale Stellung von Frauen aus, denn Männer können sich auch über ihre Frauen „definieren" und auf die eigene Präsentation „verzichten". Das Ausmaß mutmaßlicher „patriarchalischer" Gesellschaftsstrukturen und ihre zeitgenössische „Konzeptualisierung" sind an Bestattungen kaum abzulesen. Die Gräber reflektieren statt dessen einander überschneidende Rollen und Rollenwechsel zwischen beiden Geschlechtern, d. h. die häufige Uneindeutigkeit tatsächlicher sozialer Verhältnisse. Damit geraten fundamentale, strukturelle soziale Bedingungen in den Blick, auch wenn - wie im Falle der geschlechtsspezifischen Gräberfelder oder Friedhofsareale - deren konkrete Hintergründe (noch) unklar bleiben.
Demographie In den Bereich des Sozialen gehören schließlich auch jene Erkenntnisse, die sich aus den „sterblichen Überresten" der Menschen ziehen lassen. Hier sind es vor allem naturwissenschaftliche Methoden der Humanbiologie bzw. Paläanthropologie, die durch die Untersuchung der Knochen(reste) (mehr ist sehr selten übriggeblieben) entscheidenden Aufschluß bringen können. Vorausgesetzt, ein Gräberfeld wurde vollständig ausgegraben, und es repräsentiert eine Siedlungsgemeinschaft, so lassen sich demographische Rückschlüsse zie-
728
Vgl. Kap. V,13,a.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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hen. 729 Zu erwarten sind ein leichter Männerüberschuß, eine hohe Zahl an Kindergräbern und mehr Frauenbestattungen im gebärfähigen Alter zwischen 20 und 40 als Gräber gleichaltriger Männer. Abweichungen von diesen biologischen Erwartungen können verschiedene Ursachen haben. Zunächst ist daran zu denken, daß einzelne Gruppen auf besondere Weise bestattet werden können. Häufig werden (Klein-)Kinder, sofern sie eine bestimmte soziale Rolle noch nicht ausfüllen (können), gesondert (ζ. B. im Haus) beigesetzt. Die zarten Knochen und flache Grabgruben können erodiert sein oder bei Ausgrabungen leicht übersehen werden. Ein „Mangel" an Kleinkinderbestattungen kann auch auf Infantizid zurückzuführen sein, doch lassen sich dafür bislang keine verläßlichen Anhaltspunkte ausmachen, wenngleich dies ein grundsätzliches methodisches Problem darstellt. Entgegen verbreiteten Vorurteilen unterschieden sich die Eltern-Kind-Beziehungen früherer Zeiten nicht grundsätzlich von heutigen.730 Allerdings wuchsen Kinder relativ ungeschieden vom Erwachsenen-Alltag auf und bekamen so die Probleme in Haus und Familie unmittelbar mit. Sogenannte „Siedlungsbestattungen" zeigen, daß auch (einige) Erwachsene auf besondere Weise begraben wurden. Die meisten wurden wohl (zeitweise?) auf dem Gräberfeld bestattet.731 Merowingerzeitliche „Hofgrablegen" wie in Lauchheim gehören strukturell in den Ubergang vom Reihengräberfeld zum Kirchfriedhof, wobei nur wenige Höfe bzw. Familien diesen Weg gingen.732 Krankheiten 733 und Epidemien wirken sich auf die Altersgruppen unterschiedlich aus. So sind Kinder in der Regel stärker betroffen, und ebenso werden geschwächte und ältere Personen stärker in Mitleidenschaft gezogen. Beides läßt sich anhand der Bevölkerungspyramide ablesen. Krankheitshäufigkeit und Ernährungszustand bzw. Mangelerscheinungen734, aber auch Arbeitsbelastung und Verletzungsrisiko können soziale Gruppen bzw. Schichten unterschiedlich betreffen. Dafür müssen Vergleiche zwischen anthropologischem Befund und Grabausstattung gezogen werden. Allerdings sind bisherige Befunde - Körpergröße, Lebensalter, pathologische Befunde - noch sehr vage und statistisch zu wenig abgesichert, um für Eliten deutlich bessere Ernährung und Lebensumstände als für die breite Masse wahrscheinlich zu ma-
729 730 731 732 733 734
Hassan 1981; Determinanten der Bevölkerungsentwicklung 1987; Wittwer-Backofen 1991. Lohrke 1999; Krauße 1998; Ulrich-Bochsler 1997. S. Kurz 1997, 26-30; G. Lange 1983, 112 (dazu Krämer 1985); Hanuliak 1995. Theune-Großkopf 1997. Roberts/Manchester 1995; Hillson 1999. Ζ. B. Wachstumsstörungen an Langknochen (Harrissche Linien), in den Augenhöhlen (cribra orbitalia) oder an Zähnen (Schmelzhypoplasien).
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Strukturelle Alternativen
chen. Krankheiten sind nur nachzuweisen, wenn sie Spuren am Skelett hinterlassen. Schließlich „verzerren" gewaltsame und kriegerische Auseinandersetzungen die Sterbetafel. Gewaltsam Getötete werden allerdings recht selten gefunden, und Hinweise auf die zeitgleichè Ermordung mehrerer oder gar vieler Menschen sind nahezu unbekannt.735 Reisende, Händler und Krieger können darüber hinaus in der Fremde umkommen und damit auf dem „heimatlichen" Gräberfeld fehlen. Mitunter mögen Kenotaphe auf solche Ereignisse hinweisen. Aus Skandinavien berichtet eine Reihe von Runensteinen von solchen Schicksalen.736 Ausgangspunkt für „Berechnungen" von Bevölkerungsgrößen müssen Kleinregionen sein.737 Für Großräume können allenfalls Größenordnungen geschätzt werden. Welche methodischen Probleme und Unsicherheiten bereits bei der Untersuchung von Siedlungskammern auftreten, zeigt das Beispiel der Merowingerzeit.738 Voraussetzung ist in jedem Fall (neben der Repräsentativität des Fundbildes) die vergleichende Betrachtung von Gräberfeldern und Siedlungen, wobei nach einer wechselseitigen Zuordnung zu fragen ist: entsprechen sich Siedlungs- und Bestattungsgemeinschaften, gehören mehrere Siedlungen zu einem Gräberfeld oder umgekehrt? Einerseits existierten neben (unterschiedlich strukturierten) Reihengräberfeldern zeitweise separierte Grabgruppen und Kirchfriedhöfe. Fehlende oder wenige Beigaben erschweren die Datierung einzelner Gräber und damit die Eingrenzung der Belegungszeit eines Friedhofs. Andererseits bewirkt die häufige Verlegung von Siedlungen, daß eine klare Zuordnung zu den Gräberfeldern kaum möglich ist. Während einige Höfe eigene Hofgrablegen besaßen, bestatteten benachbarte Höfe derselben Siedlung woanders - noch auf dem Reihengräberfeld oder schon bei der Kirche? Außerdem variieren, soweit sich das anhand der anthropologischen Befunde erkennen läßt, die Bevölkerungsstrukturen selbst benachbarter Reihengräberfelder sehr stark, so daß mit recht unterschiedlichen Siedlungsgrößen und -strukturen gerechnet werden muß. Für Zeiten und Regionen mit einer weniger intensiven Grabausstattung - ζ. B. in der vorrömischen Eisenzeit oder im frühmittelalterlichen Ostmitteleuropa sind die Datierungsspannen für die Belegungsdauer zu groß, als daß die Größe der zugehörigen Siedlung(en) abzuschätzen und die Struktur der Bevölkerung genauer zu beurteilen sind.
735 736 737 738
Vgl. etwa Kunter/Wittwer-Backofen 1996; Brather 2001a, 267-271. B. Sawyer 2000. Vgl. Hassan 1999. Steuer 1988b; Sasse 1988; Kokkotidis 2000; Langenscheidt 1985.
Archäologische Quellen und strukturgeschichtliche Interpretation
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Demographische Untersuchungen erlauben Aussagen über die Bevölkerungsstruktur. Zwar bleiben Schätzungen der Gesamtbevölkerung für einzelne Regionen bzw. Großräume vage, weil keine repräsentativen Daten zur Verfügung stehen; sie können höchstens die Größenordnung angeben. Doch wichtige Aufschlüsse lassen sich aus der Struktur von Bestattungs- bzw. Siedlungsgemeinschaften gewinnen. Die Zusammensetzung nach Geschlecht und Alter, die Belastungen durch Krankheiten und unzureichende Ernährung739, Verwandtschaft und weitere Gruppenbildungen innerhalb von Dörfern oder Siedlungskammern stellten elementare Rahmenbedingungen dar. Sie prägten den Alltag der Menschen, bestimmten Vorstellungswelt und Erwartungshorizont, beeinflußten das Handeln. Die Analyse dieser Strukturen trägt, auch wenn im einzelnen unklar bleiben muß, wie stark manche Faktoren wirkten oder was die Zeitgenossen jeweils wahrnahmen und betonten, entscheidend zur Rekonstruktion sozialer Verhältnisse bei.
d) Möglichkeiten und Grenzen struktureller Interpretationen Auch eine strukturgeschichtliche bzw. kulturanthropologische Betrachtung stößt auf methodische Probleme bei der Interpretation der archäologischen Funde und Befunde. Dies zeigen auch die erörterten Beispiele. Denn eingeschränkte Repräsentativität der Quellen sowie vielfältige Faktoren und Entwicklungen bewirken ein diffuses, kaum linear zu interpretierendes Bild. Die interpretatorischen Probleme sind jedoch weniger grundsätzlicher Natur, wenn die überwiegend „unbewußten Bedingungen des sozialen Lebens" 740 in den Mittelpunkt gerückt werden. Strukturen als weithin unbewußter Rahmen und zugleich als unabsichtliche Folgen menschlichen Handelns spiegeln sich auf kulturellem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet wider. Auch wenn sich darin Individuen, Ereignisse und Vorstellungen mittelbar und gebrochen wiederfinden, so bleiben diese doch im einzelnen und konkreten für die Archäologie unerreichbar. Nur Vergleiche und Gruppenbildungen, d. h. Regelmäßigkeiten, ermöglichen historische Einblicke. Die Ebene der „Politik", Ereignisse und Individuen sind zu weit von der Sachkultur
739
740
Montanari 1993, 175, macht auf die „paradoxe" Situation aufmerksam, daß „die Zeiten größten Reichtums und weitestgehender Vielfalt der Ernährung [...] vornehmlich jene des demographischen Stillstands oder Rückschritts" waren und daß umgekehrt das Bevölkerungs„Wachstum in Verbindung mit Produktionsmängeln und den daraus resultierenden .Entscheidungen' bei der Nahrungswahl die grundlegende Verarmung des Essens bewirkt hat". Lévi-Strauss 1981, 274.
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Strukturelle Alternativen
entfernt, als daß wechselseitige Schlüsse von der einen auf die andere Ebene unmittelbar möglich wären. Die besondere Beachtung struktureller Verhältnisse vermeidet daher eine zu zeitige, vorschnelle Festlegung auf eine spezielle Erklärung. Deshalb bietet ein strukturgeschichtlicher Ansatz den methodischen Vorteil, näher („dichter") an den Quellen zu bleiben und insofern plausiblere, besser überprüfbare Interpretationen zu liefern (Tab. 18; vgl. Abb. 85). Dies bedeutet zwangsläufig den weitgehenden Verzicht auf Erklärungen, die politik-, rechts- und ereignisgeschichtliche Fragestellungen betreffen - Fragen, die vor allem für die Frühgeschichte relevant scheinen (Adels- und Herrschaftsbildung, Christianisierung, ethnische Gruppierungen). Darüber hinaus entziehen sich auch „Vorstellungswelten" in ihrer konkreten Bedeutung weitgehend dem Zugriff der Archäologie. Grab- und Hortfunde reflektieren zwar Normen und Konzepte, doch bleiben deren Einzelheiten ebenso wie die detaillierte Zuordnung von Zeichen und Symbolen unzugänglich. Oben ist (unter strukturgeschichtlichem Blickwinkel) auf entsprechende Interpretationsversuche hingewiesen worden.741 Tatsächlich handelt es sich dabei nicht um methodische „Alternativen" zum „ethnischen Paradigma", weil beide Erklärungsansätze auf derselben Ebene argumentieren - beide suchen im Einzelfall und konkret zu interpretieren, und d. h., sie folgen einer historistischen statt einer strukturgeschichtlichen Perspektive. Die strukturellen Grundzüge lassen sich durch Vergleich erkennen und beschreiben, doch die konkreten Vorstellungen, Konzepte oder Bedeutungen können nicht erfaßt werden. Die strukturelle Betrachtungsweise läßt Spielraum für - polykausale, auch miteinander konkurrierende - Einzelfallerklärungen und Theorien, indem sie auf einer quellennäheren und allgemeineren Ebene argumentiert. Mit der Rekonstruktion struktureller Austauschbeziehungen ζ. B. werden Handel und Tausch, Plünderung und Tribut gleichermaßen erfaßt, ohne daß man sich sofort auf eine Erklärung festlegen könnte. Strukturgeschichtliche Interpretationen sind damit auf den ersten Blick weniger eindeutig. Doch „historistische" Erklärungen fallen ebensowenig eindeutig aus, wie zahlreiche heftige Dispute ζ. B. über „ethnische Deutungen", rechtliche Abgrenzungen oder religiöse Konzepte zeigen. Eine strukturelle Betrachtung aber kann diese langwierigen, nicht zu einem befriedigenden Ergebnis gelangenden Diskussionen vermeiden, weil sie die Aussagekraft der Quellen nicht in gleicher Weise überstrapaziert.
741
Vgl. Kap. VI,17,a.c.
Archäologische Q u e l l e n u n d strukturgeschichtliche Interpretation
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Tab. 18. Gegenüberstellung d e r Interpretationsmöglichkeiten u n d -ziele einer strukturellen Bet r a c h t u n g einerseits u n d eines auf d e n Einzelfall zielenden „historistischen" Ansatzes andererseits. D i e Aufstellung folgt d e r G l i e d e r u n g v o n Kap. VI,17 u n d strebt Charakterisierung statt Vollständigkeit an. Als „ S t r u k t u r e n " w e r d e n grundlegende Verhältnisse, Beziehungen u n d R a h m e n b e d i n gungen bezeichnet; ein „historistischer" A n s a t z zielt auf d e n Einzelfall. D i e archäologischen „ Ü b e r r e s t e " reflektieren jedoch k a u m einmalige u n d individuelle H a n d l u n g e n , Ereignisse u n d E n t w i c k l u n g e n , s o n d e r n meist allgemeine Zustände, Bedingungen u n d Z u s a m m e n h ä n g e . Als Sachquellen bieten sie a u ß e r d e m keinen unmittelbaren Zugang z u Vorstellungswelten. S t r u k t u relle Interpretationen bleiben daher „näher" an den Quellen, erlauben plausiblere B e w e r t u n g e n u n d b e w a h r e n zugleich analytische Spielräume, verschiedene Einzelfall-Erklärungen u n d T h e o rien gegeneinander a b z u w ä g e n
Kultur
Wirtschaft
ausgewählte Aspekte
strukturelle Perspektiven
„historis tische" und kontextuelle Ansätze
Typologie und Stil
Funktionen, zeitliche und regionale Moden, Einflüsse
Zeichen und Bedeutung
Vorstellungswelten
Umgang mit Toten, Ausstattung im Grab, Deponierungen und Opfer, Kunst
Jenseitsvorstellungen, Götter, Mythen und Erzählungen, Lieder, Musik, Tanz, Mentalitäten
Kleidung und Erscheinungsbild
Herstellung, Zuschnitt und Kombination, Zeichenfunktion
Identitäten, Zuordnungen, Rollen, Wahrnehmungen
Akkulturation
kulturelle Veränderungen, Elitenhabitus, Reichweiten von Kommunikation
Interessen und Konflikte, Absichten und Ziele
Essen und Trinken
Nahrungsmittel, Zubereitung, Mobiliar und Service
Regeln und Traditionen, Tabus
Umwelt
Voraussetzungen und Bedingungen, Ressourcen, anthropogene Veränderungen
Konzeptualisierung, Verfügung und Aufteilung
Landwirtschaft
Ackerbau und Viehhaltung - Arten und Anteile, Jagd, Hilfsmittel und Einrichtungen (Felder, Ställe)
Besitz und Eigentum, Wertschätzung
Handwerk und Technologie
Spezialisierung, Verfahren und Aufwand, besondere Siedlungen oder Anlagen
Stellung der Handwerker, Organisation der Produktion
Austausch
Güter und Transportmittel, Luxusgut und Massenware, Leitlinien, Reichweiten, Phasen, Äquivalente
Motive (Handel, Gabentausch, Plünderung, Tribut), Steuerung, Art der Distribution
Siedlung
Wohn- und Wirtschaftsbauten, Siedlungsgröße, Wirtschaftsweise
Zusammenarbeit und Planung, Institutionen
Gesellschaft Siedlung
Familien- und Betriebsgröße, zentrale Abhängigkeitsverhältnisse, Siedlungen, Befestigungen Herrschaftsräume, Residenzregeln
soziale Hierarchien
kontinuierliche Differenzierungen zwischen „arm" und „reich", Statuskonkurrenz, Prestige und Habitus
Rechtsstatus, Rangabzeichen und Insignien, politische Macht und Autorität
soziale Gruppen
kontinuierliche Differenzierungen nach Lebensalter, Handwerker
Altersklassen, Bünde, Kasten, Assoziationen, Konflikte
Gender
kontinuierliche Differenzierungen zwischen den Geschlechtern, wenige Spezifika
Heiratsregeln, Rollenverteilungen, „natürliche" Arbeitsteilung
Demographie
Umfang und Altersstmktur von Kleinpopulationen, Arbeits- und Krankheitsbelastung, Ernährungsmängel
Verwandtschaftssysteme, Organisation von Gesellschaften (segmentar, Häuptlingsherrschaft, Staat)
allgemeine Bedingungen und Verhältnisse, Alltag und Lebenswelt, langfristige Veränderungen
Ereignisse und Politik, Regeln, Recht und Normen, Symbole, Vorstellungen und Mentalitäten
516
Strukturelle Alternativen
Vergegenwärtigt man sich noch einmal, daß die Suche nach „ethnischen Identitäten" in der Frühgeschichte vor allem aus den nationalstaatlichen Bedingungen der Moderne resultierte und daß diese Vorstellungen nicht unmittelbar auf ältere Verhältnisse übertragen werden 742 und auch kein Modell für die Interpretation antiker und frühmittelalterlicher Ethnographien bilden dürfen 743 , so geraten strukturelle Fragen in den Vordergrund. Das alltägliche Leben der meisten Menschen bestimmten einerseits soziale Zugehörigkeiten und Identitäten (Familie, Rang, Geschlecht, Altersgruppe, Tätigkeit, Dorf) und andererseits die grundlegenden Verhältnisse in Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Zu diesen strukturellen Gegebenheiten bieten archäologische Quellen einen direkteren Zugang als zu Vorstellungen und Selbstbildern. 744 Neben der intensiven Untersuchung räumlicher Zusammenhänge, die stets im Mittelpunkt „ethnischer Interpretationen" stehen, muß verstärkt auf diachrone Vergleiche geachtet werden. 745 Denn gerade Unterschiede und Veränderungen in der Zeit sind aus historischer Perspektive von großem Interesse. Diese Wandlungen zu erklären und dabei unterschiedliche Faktoren und Gründe zu berücksichtigen, verspricht weitere Aufschlüsse. Die Interpretationen archäologischer Quellen können für frühgeschichtliche Zeiten mit den aufgrund schriftlicher Quellen gewonnenen Ergebnissen verglichen werden. Auf diese Weise lassen sich zwei unterschiedliche Perspektiven auf die (gleiche) Vergangenheit kombinieren. Manch kulturanthropologisch denkbarer Ansatz oder theoretisch mögliche Erklärung sind dabei - durch die verfügbaren unabhängigen Zusatzinformationen - auszuschließen, weil sie nicht mit den jeweiligen, konkreten historischen Gegebenheiten zu vereinbaren wären. Für die Frühgeschichte kann die Archäologie daher stärker historisch und für die Urgeschichte eher kulturanthropologisch argumentieren. Die Abwägung zwischen „strukturgeschichtlichem" und „historistischem" Ansatz sei im folgenden Kapitel näher erläutert, wobei wiederum die fünf Schwerpunkte des „ethnischen Paradigmas" (vgl. Abb. 21) zugrunde gelegt werden.
742 743 744 745
Kap. II-III. Kap. IV. Kap. VI,16. Vgl. etwa Randsborg 1991.
„Ethnische Deutung" oder strukturgeschichtliche Erklärung?
517
18. „Ethnische Deutung" oder strukturgeschichtliche Erklärung? Die „ethnische Interpretation" erhebt in letzter Konsequenz den Anspruch universeller Gültigkeit.746 Wenn für den mitteleuropäischen Raum der zweiten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrtausends Kelten genannt werden und dieser Raum kulturell zusammengehörig erscheint (Latène-Kultur), dann soll diese „Kultur" keltisch gewesen sein. Kulturelle Kontinuitäten weisen „in den meisten Fällen" angeblich zugleich auf ethnische Kontinuitäten hin. Zunehmende räumliche Ausbreitung kultureller Phänomene spiegelt anscheinend Wanderungen von „Stämmen" wider, für die sich aus der schriftlichen Überlieferung auch ein Name beibringen läßt. Oft wird zunächst und primär nach ethnischen Interpretationen gesucht, bevor andere Erklärungsmöglichkeiten in Erwägung gezogen werden. Fibeln im fränkisch besiedelten bzw. beherrschten Raum sind selbstverständlich „fränkische" Fibeln usw. Widersprüche und Gegenbeispiele sowie konkurrierende Interpretationen werden von den Vertretern dieser ethnischen Interpretationen als die Ausnahmen von der Regel angesehen, die die grundsätzliche Gültigkeit des Modells nicht tangieren. Genau hier muß die methodologische Diskussion ansetzen, um die Plausibilität der Modellvorstellung zu überprüfen. Dem „ethnischen Modell" nun einen primär strukturgeschichtlichen Ansatz entgegenzusetzen, kann nicht heißen, wiederum universelle Erklärungskraft zu beanspruchen. Es kann auch nicht heißen, die Möglichkeit der Identifizierung ethnischer Gruppen im archäologischen Material in Bausch und Bogen abzulehnen. Für jeden historischen Einzelfall bedarf es sorgfältiger methodischer Abwägung, welche historische Interpretation größere Wahrscheinlichkeit und Erklärungskraft beanspruchen kann. Darüber hinaus darf die Interpretation die Aussagefähigkeit der Quellen nicht überstrapazieren. Zwischen strukturellen und individuellen Feststellungen muß vorsichtig und begründet abgewogen werden. Zweifellos steht eine Reihe allgemeiner Modelle zur Verfügung. Dabei geht es nicht um deren prinzipielle Aussagekraft und Gültigkeit, sondern um ihre Anwendung im konkreten historischen Einzelfall. Entscheidende Voraussetzung ist, daß sich die zugrundeliegenden Klassifikationen als realitätsbezogen erweisen lassen und nicht bloße Konstruktionen darstellen. Gerade umfassende und übergreifende Klassifikationen wie „ar-
746
Wendowski 1995 argumentiert z. B., daß es nur darum gehe, wie archäologische und ethnische Gruppierungen zur Deckung gebracht werden. Für andere Erklärungsansätze bleibt dann überhaupt kein Raum.
518
Strukturelle Alternativen
chäologische Kulturen" stützen sich auf eine Fülle von Prämissen. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, ob damit lediglich Ordnung in die Sachkultur gebracht oder tatsächliche, historisch relevante Zusammenhänge beschrieben werden, die - im Hinblick auf Identitäten - den Zeitgenossen auch bewußt waren. Die jeweilige Begründung darf sich nicht auf formal logische Argumente zurückziehen, sondern muß die jeweilige historische Situation berücksichtigen. Denn nicht alles, was logisch denkbar und möglich erscheint, ist auch historisch wahrscheinlich. Aus diesen Gründen ist es unerläßlich, nicht lediglich die Repräsentativität von Fundbildern und Kartierungen zu thematisieren, wenn es um die Verläßlichkeit archäologischer Aussagen geht. Bevor anhand der oben angeführten und kritisierten Beispielfälle verschiedene Interpretationsmöglichkeiten gegeneinander abgewogen werden, sei das methodische Grundproblem noch einmal kurz genannt. Ethnische Zuordnungen sind primär räumlich orientiert - stets wird ein bestimmter geographischer Raum als Siedlungsgebiet eines Stammes oder Volkes angesehen. Damit wird einseitig eine Perspektive gegenüber allen anderen bevorzugt. Diese räumliche Fixierung (auf bestimmte „Territorien") erweist sich nicht nur als einseitig, sondern sie wird den vor allem sozial orientierten, flexiblen prähistorischen und frühgeschichtlichen Gesellschaften kaum gerecht. Man wird mit einer Vielzahl von Faktoren rechnen müssen, die in jenen Gesellschaften wirkten - und sekundär auch das archäologische Fundbild hervorbrachten. Eine Fülle „archäologischer Kulturen" ist bislang ethnisch interpretiert worden, d. h. mit historisch bekannten oder erschlossenen „Stämmen" oder „Völkern" gleichgesetzt worden. Die Frage ist auf diese Weise jedoch grundsätzlich problematisch: Weder gab es „ethnische Gruppen" noch „archäologische Kulturen" im Sinne abgeschlossener und homogener Einheiten, so daß auch keine universelle oder prinzipielle Möglichkeit besteht, beides zur Deckung zu bringen.747 Nur in bestimmten Situationen benutzen bestimmte Gruppen bestimmte Merkmale, um sich gegen andere abzugrenzen. Es gilt daher, einerseits diese Gruppen herauszufinden und andererseits die von ihnen instrumentalisierten (symbolischen) Merkmale zu ermitteln. Die frühgeschichtliche Archäologie entwickelte ihre Fragestellungen unter nationalstaatlichen Vorzeichen, so daß die häufig implizite Übertragung zeitgenössischer Vorstellungen auf die Archäologie nicht überraschen kann. Lan-
747
An diesem grundsätzlichen methodischen Dilemma scheitern deshalb alle Ansätze, dies dennoch zu versuchen; beispielsweise Wendowski 1995.
„Ethnische Deutung" oder strukturgeschichtliche Erklärung?
519
ge Zeit gab es eine starke Tendenz, regionale Verbreitungsschwerpunkte direkt als Niederschlag ethnischer Gruppen anzusehen. Ein solch objektivistischer, essentialistischer oder primordialistischer Ansatz führte zu mißverständlichen Ethnoskonzepten in der archäologischen Forschung, denen eine problematische Vermengung verschiedener historischer Ebenen bzw. Aspekte zugrunde liegt.748 Kulturräume lassen sich nicht unmittelbar mit Identitätsgruppen in Verbindung bringen. Die fließenden und variablen Beziehungen zwischen Ethnizität und Sachkultur beruhen darauf, daß nur bestimmte Merkmale von ethnischen Gruppen „objektiviert" und zur Abgrenzung herausgegriffen werden. Damit sind die Kennzeichen kulturspezifisch und nicht durch einen universellen Ansatz zu fassen. Diesem methodischen Problem ist die Analyse sozialer Hierarchien bzw. Gruppen vergleichbar. Auch dort gab es Identitätsgruppen aus jeweils bestimmten Mitgliedern einer Gesellschaft, die sich selbst einer - mitunter auch rechtlich definierten - Gruppe zurechneten. Anhand der Gräber kann die Archäologie deutliche „Reichtumsunterschiede" und „Qualitätsgruppen" beschreiben. Die ermittelten Gruppierungen dürften jedoch nicht direkt den ehemaligen Statusgruppen entsprechen, weil es sich bei diesen nicht um statische Abgrenzungen handelte und sie zudem mit anderen sozialen Gruppierungen konkurrierten. Angehörige einer Spitzengruppe konnten aufgrund ihrer Herkunft noch dazugehören, obwohl sie sich die zugehörige Repräsentation schon nicht mehr leisten konnten. Aus der „Mittelschicht" drängten nicht wenige „nach oben" und konnten Elitenangehörige im Prunk übertreffen, ohne bereits „formell" zur Spitzengruppe gezählt zu werden.749 Diese soziale Konkurrenz macht die Dynamik von Ranggesellschaften aus, die durch „rechtliche" Regelungen nur unzureichend beschrieben und gesteuert werden kann.750 In gleicher Weise erfassen archäologisch ermittelte Regionalgruppen Beziehungen und Differenzierungen, die dem Selbstverständnis der Zeitgenossen nicht unmittelbar entsprechen. Sie stellen primär Kommuni-
748 749
750
Vgl. Kap. II-VI. Man denke nur an reiche Sklaven oder Freigelassene im römischen Imperium, die manchen Freien im materiellen Besitz weit übertreffen konnten, oder an verarmte Adlige des Mittelalters und der frühen Neuzeit, die trotz unveränderten rechtlichen Status nicht mehr „dazu" gehörten und deren Burg oder Schloß schließlich auch von Bürgern übernommen werden konnte. Gerstenberger 2002, 100, 123-128, weist daraufhin, daß die exemplarische Untersuchung der Toten von Weingarten, Kr. Ravensburg, keine relevanten genetischen Unterschiede zwischen „reich" und „arm" ausgestatteten Individuen erbrachte, d. h. eine homogene und daher panmiktische Bevölkerung vorliegt und damit wohl auf eine offene Ranggesellschaft zu schließen ist.
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Strukturelle Alternativen
kationsräume im weitesten Sinne dar.751 Kommunikation ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Herausbildung ethnischer und regionaler Identitäten. Da Abgrenzungen jedoch ein Gegenüber (Alterität) benötigen, bilden sich innerhalb von Kommunikationsräumen mehrere ethnische Identitäten heraus. Zwei „Ebenen" der vergangenen Realitäten müssen deshalb analytisch auseinandergehalten werden: 1. die „Weltbilder" und Vorstellungen oder Mentalitäten der Zeitgenossen, in denen auch ethnische Identitäten eine Rolle spielen, politische Ereignisse und rechtliche Regelungen, sowie 2. die Sachkultur und strukturelle Zusammenhänge, die primär wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklungen und Zusammenhänge reflektieren. Ereignisse und Mentalitäten bleiben der Archäologie weithin verschlossen.752 Zwar bestehen zwischen beiden Ebenen durchaus Zusammenhänge, doch können aus den Strukturen nicht unmittelbar die Intentionen abgeleitet werden. Allein im Grab und bei absichtlichen Deponierungen werden religiöse Handlungen und - gebrochen - auch Vorstellungen greifbar, doch auch diese lassen sich letztlich als sozial bestimmt auffassen. Im archäologischen Material scheinen nicht Identitäten durch, sondern kulturelle Verbindungen, Traditionen und Kontinuitäten. Ob bzw. inwieweit sich diese Beziehungen als Niederschlag von Identitäten auffassen lassen, ist nicht allgemein zu beantworten. Die kollektive Identität „beruht auf der Teilhabe an einem gemeinsamen Wissen und einem gemeinsamen Gedächtnis" durch „Verwendung eines gemeinsamen Symbolsystems": „Alles kann zum Zeichen werden, um Gemeinsamkeit zu kodieren. Nicht das Medium entscheidet, sondern die Symbolfunktion und Zeichenstruktur."753 Ethnische Identitäten werden daher weniger durch kulturelle „Realitäten" (oder materielle Gegebenheiten) im Sinne eindeutiger Zuordnungen als vielmehr durch die Eigen- und Fremdwahrnehmung bestimmt. Die subjektive und diskursive Zuschreibung - sei es von außen, sei es eine Selbstzuordnung - entscheidet über die Abgrenzung. Das ungefähre Zusammentreffen von „Kulturräumen" und antiken bzw. frühmittelalterlichen „Völkernamen" bereitet zunächst keine methodischen Probleme. Doch besitzt ein solcher Befund kaum größere Aussagekraft, denn antike und mittelalterliche Ethnographen beschrieben keine homogenen „Völker" mit einer eigenen, deutlich abgrenzbaren Sachkultur.754 Den Beob-
751 752 753 754
Parczewski 2000; Tabaczynski 2000. Vgl. die Versuche struktureller Annäherung in Kap. VI,17,a. J. Assmann 1997, 139. Vgl. Kap. IV,7-8.
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achtern kam es hauptsächlich auf den Unterschied zur eigenen Kultur an, erst in zweiter Linie auf Differenzierungen innerhalb der Barbarenwelt. Aus den vordergründig „übereinstimmenden" Fällen - beispielsweise den kategorisierenden Bezeichnungen von Kelten und Germanen, Franken und Alemannen und archäologisch erfaßten „Kulturräumen" - lassen sich keine sicheren Schlüsse für andere Fälle ziehen. Gerade an dieser Parallelisierung versagt das Modell aus prinzipiellen methodischen Gründen. Welchen heuristischen Gewinn bedeutet eine strukturgeschichtliche Erklärung gegenüber der „ethnischen Deutung"? Verkürzt gesagt, bleibt ein struktureller Ansatz „näher" an den Quellen, erweist sich damit in höherem Maße als quellenadäquat und darf deshalb mehr Plausibilität für sich beanspruchen. Interpretationen archäologischen Materials können auf verschiedenen „Ebenen" argumentieren. Der Frühgeschichtler Steuer unterschied ζ. B. fünf verschiedene Argumentationsebenen - zwischen Klassifizierung (1) und „rassischer" Be- bzw. Abwertung (5) als den beiden Gegenpolen.755 Die Prähistoriker Albert Hafner und Peter Suter unterteilten in vier Erklärungsebenen: 1. Zeit und Raum, 2. Klassifikation, 3. Kulturgeschichte, 4. ethnische Interpretation.756 Je weiter sich die Interpretation vom Ausgangspunkt (den Quellen) entfernt, desto größer werden die methodischen Probleme und desto unschärfer die historische Beschreibung. Aus diesen Ansätzen läßt sich ein übersichtliches Drei-Ebenen-Modell entwickeln (Abb. 85). Grundlage jeder Interpretation ist die Ordnung des Fundmaterials nach Typen, räumlichen und zeitlichen Zusammenhängen (Ebene 1), wenngleich es sich auch dabei bereits um Interpretationen handelt. Eine Ebene 2 bemüht sich um strukturgeschichtliche bzw. kulturanthropologische Erklärungen, die die sich langsam verändernden sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Rahmenbedingungen beschreiben. Zu Ereignissen und kurzfristigen Entwicklungen besitzt die Archäologie allenfalls einen sehr eingeschränkten Zugang, der lediglich unter besonders günstigen Umständen (eindeutig zuzuordnende dendrochronologische Daten, Inschriften usw.) möglich erscheint (Ebene 3). Die Bevorzugung der mittleren Ebene vermeidet einerseits eine allzu quellenferne, unzuverlässige Erklärung und beschränkt sich andererseits nicht auf eine bloße, „Fakten" sammelnde Altertümerkunde.757 „Die Erklärung muß etwas sagen - sonst wäre sie unbrauch-
755 756 757
Steuer 2001b, 24 Abb. 1. Hafner/Suter 1999, 28 Tab. 1. Eggert 2001,101 f., verweist hier auf den „sekundären" bzw. abgeleiteten Charakter archäologischer Interpretation.
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Abb. 85. Verschiedene „Ebenen" der Interpretation archäologischer Quellen. Grundlage jeder weiteren Untersuchung ist die zeitliche und räumliche Klassifikation des Fundmaterials (1). Daran schließt sich die Untersuchung längerfristiger, struktureller Zustände und Veränderungen an, die sich auch kulturanthropologischer Modelle und Vergleiche bedient (2). Die Ermittlung kurzfristiger politischer und ethnischer Veränderungen, von Ereignissen und der Rolle von Individuen entfernt sich am weitesten von den archäologischen Quellen (3). Je weiter sich die Interpretation von den Quellen entfernt, d. h. je „individueller" sie ausfällt, desto weniger zuverlässig ist sie. Die Unterscheidung dieser drei Ebenen ist idealtypisch und verdeckt daher, daß es sich statt um exakt zu trennende Ebenen um diffus ineinander übergehende handelt.
bar. Aber sie darf nicht zuviel sagen, sonst wäre sie zur Erfassung komplexer historischer Ereignisse nicht brauchbar".758 Bereits Hans Jürgen Eggers formulierte deshalb: „Der gesamte Streit um die .ethnische' Deutung verliert aber seine Spitze und wird gegenstandslos, wenn man statt dessen von historischer Deutung von Bodenurkunden redet und die 758
Feyerabend 1986,353; vgl. Young 1975, 140: „But if we are to choose between an explanation grounded in ritual or one based on habit (or limited local tradition, if you prefer), I shall always, in these matters, prefer the latter". - Vgl. Interpretation and overinterpretation 1992.
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ethnische Deutung nur als eine unter ihren vielen Möglichkeiten ansieht." 759 Historische Interpretationen archäologischen Materials sollten sich dabei aber nicht auf ähnlich „historistische" und damit die Möglichkeiten überziehende Versuche (konkrete rechtliche, politische, religiöse oder verwandtschaftliche Verhältnisse) konzentrieren, sondern vielmehr die (diesen Verhältnissen zugrundeliegenden) strukturellen Bedingungen untersuchen. Dieses Vorgehen vermeidet eine Überinterpretation der Quellen und eröffnet zugleich Spielräume, um denkbare Einzelerklärungen gegeneinander abzuwägen. Aus dieser Sicht bleiben Klassifizierung, Datierung und Chorologie archäologischer Funde und Befunde (d. h. die antiquarische Altertümerkunde) von den genannten methodischen Problemen unberührt. Entscheidend sind die daran anschließenden bzw. darauf aufbauenden Interpretationen. Dabei dürfte sich anstelle einer „globalen" eher eine „sektorale" kulturgeschichtliche Interpretation anbieten. Statt die beobachteten kulturellen Merkmale unmittelbar zu umfassenden, homogenen „Kulturen" als anscheinenden einstigen Realitäten zu akkumulieren, sollten zunächst einzelne Bereiche (Sektoren, Dimensionen und Aspekte) der Gesellschaften analysiert werden. Erst anschließend ist nach direkten und mittelbaren Zusammenhängen zwischen diesen Bereichen zu suchen, die jedoch keineswegs regelhaft aneinander gekoppelt sind. 760 Damit sei noch einmal auf den Begriff der „archäologischen Kultur" verwiesen, der eine solche wissenschaftliche Kategorisierung im geographischen Raum darstellt und keine unmittelbare einstige Realität beschreibt. Deshalb kann und darf nicht nach „realen" Erklärungen für diese „Konstruktion" gesucht werden. 761 Auf diese Weise werden mit Reinhard Wenskus in wissenschaftstheoretischer Hinsicht „konstative" (quellengerechte, flexible) und „präskriptive" (sachgerechte, konstante) Begriffe verwechselt. 762 Welche Perspektiven gibt es dann für „ethnische Interpretationen" in der Archäologie? Als berechtigte, „legitime" Frage erlebt die Suche nach „Völkern" im archäologischen Material zurzeit eine Renaissance. 763 Ursache dafür sind
759 760 761
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Eggers 1950, 58. Vgl. oben Abb. 46. Deshalb ist es nur ein vermeintlicher „Fortschritt", wenn vor allem in der deutschen Archäologie Kulturen „gewissermaßen als Ersatz für ethnische Einheiten" dienen, denn auf diese Weise ist methodisch nichts gewonnen. Diesem heuristischen Dilemma ist damit nicht zu entkommen; Narr 1990, 298. Wenskus 1986, 16. Die Antwort auf die rhetorische Frage bei U. Sommer 2003, ob es sich um eine „sinnlose Fragestellung" handele, lautet also „nein".
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wohl die anhaltende Konjunktur der die „breiten Massen" bzw. „Unterschichten" berücksichtigenden Alltagsgeschichte764, Ernüchterung und Enttäuschung über eine allzu theoretisch daherkommende Sozialgeschichte765 bzw. systemtheoretisch orientierte New Archaeology766 sowie, damit zusammenhängend, die Wendung zu einer „narrativen", postmodernen Historiographie767 bzw. postprozessualen Archäologie768. Die New Archaeology ging von geschlossenen und sich selbst stabilisierenden Gesellschaften aus, was tendenziell zu einem statischen Bild und letztlich wieder zu Vorstellungen geschlossener Einheiten und zu monokausalen Erklärungen führte. Dagegen setzt eine Postprocessual Archaeology auf offene dynamische Systeme, doch ist auch dies eher ein beschreibender als erklärender Ansatz. Die historische Spezifik und die Innenansichten der untersuchten Gesellschaften rücken zumindest konzeptionell - wieder in den Mittelpunkt. Abstrakt formuliert, muß ein Mittelweg zwischen szientistischen und historistischen Ansätzen gefunden werden. 769 Denn weder folgen historische Entwicklungen quasi naturwissenschaftlichen Gesetzen noch sind sie so einzigartig, daß ein Vergleich nicht Gemeinsamkeiten belegen könnte. In direktem Anschluß an traditionelle Vorstellungen von der Archäologie als histori(sti)scher Wissenschaft konnte jüngst formuliert werden: „Der Versuch, aus Gefäßscherben, verrosteten Eisenresten und kalzinierten Knochen ein vorgeschichtliches Volk zu bestimmen, stellt für einen Archäologen immer eine spannende Aufgabe und die größte Herausforderung dar." 770 Kann aber die Archäologie diese Herausforderung annehmen? Handelt es sich bei der „Identifizierung" von gentes im archäologischen Material um eine eindeutig zu beantwortende Frage, gar um eines der „Hauptziele der Ur- und Frühgeschichtsforschung"771? Verspricht diese Fragestellung in der Archäologie relevante historische Erkenntnis? Auch neuere methodische Ansätze innerhalb der Archäologie scheinen in dieser Hinsicht wenig Erfolg zu versprechen. Die „Ethnoarchäologie" 772 führt zwar auch das „Volk" im Namen, beschäftigt sich aber meist mit ande-
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Jaritz 1989; Alltagsgeschichte 1989; van Dülmen 1990; 1992; 1994. Vgl. Wehler 1998. Binford 1972. Vgl. Niethammer 1989; Theorie und Erzählung 1979. Hodder 1991, 121-181. Siegmund/Zimmermann 2000. Nowakowski 1998,16 (Hervorhebung von mir - S. B.); als „letztes, höchstes Ziel" bei Kiekebusch 1928, 103; ähnlich Wahle 1941. Brachmann 1979, 101. Ethnoarchéologie 1992; C. Kramer 1979.
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ren Fragestellungen.773 Ihre Aufmerksamkeit gilt ethnologischen Beobachtungen an rezenten Gesellschaften, um Funktionen und Kontexte der Sachkultur zu erschließen und auf diese Weise Erklärungsmodelle für archäologische Befunde zu liefern. Die Disziplinbezeichnung verweist auf die Zwischenstellung zwischen Ethnologie und Archäologie, nicht auf das Erkenntnisziel (etwa die „frühe Geschichte von Völkern") und ist insofern etwas irreführend. Es ist nicht zu bestreiten, daß Funde und Befunde durch (ethnologische) Analogien, die Übertragung von Modellen und die Verknüpfung mit schriftlichen Quellen eingeordnet werden müssen, um sie nicht zusammenhanglos und antiquarisch bleiben zu lassen. Allerdings fehlt vielen übergreifenden ethnologischen und soziologischen Modellen in der Archäologie die Überprüfbarkeit, da im archäologischen Material zu wenig Anhaltspunkte vorhanden sind. Analogien bieten daher Hypothesen. Um nicht historiographische Aussagen lediglich zu illustrieren, sollte sich die Archäologie auf ihren Quellen adäquate Untersuchungen konzentrieren und nicht vorrangig Probleme der Nachbardisziplinen zu lösen versuchen - Bodenfunde können keine universalen Kultur-Modelle falsifizieren. Vergleiche müssen zunächst innerhalb der Archäologie774 angestellt werden775, bevor Ergebnisse und Modelle der Nachbardisziplinen in die Betrachtung einfließen. Im folgenden soll den prinzipiellen methodischen Möglichkeiten der Archäologie nachgegangen werden. Die Erörterung konzentriert sich auf die unmittelbare Abwägung zwischen „ethnischer" und struktureller Interpretation, während im vorangehenden Abschnitt776 die mögliche thematische Breite strukturgeschichtlicher Betrachtung skizziert wurde. Daher liegt hier nun das Schwergewicht erneut auf einer prinzipiellen Kritik des „ethnischen Paradigmas". Lassen sich grundlegende, allgemeine Kriterien finden, die eine begründete Entscheidung darüber ermöglichen, ob eine „ethnische Interpretation" oder eine strukturgeschichtliche Erklärung mehr Wahrscheinlichkeit beanspruchen kann? Mit Stephen Gould ist festzustellen, daß dem im vorangegangenen Kapitel präsentierten Zeitpfeil, der einseitig ethnische bzw. historistische Interpretationen bevorzugt, der Zeitkreis bzw. eine zyklische Sicht zumindest zur Seite gestellt werden müssen, um strukturelle Verhältnisse erkennen zu können.777 Angesichts der (oben erläuterten) Charakteristik archäologischer
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Als Ausnahme vgl. Hodder 1982. Damit ist nicht die „innere Deutung" im Sinne U. Fischers (1999) gemeint. Vgl. den Vergleich in der Geschichtswissenschaft: Gesellschaften im Vergleich 1998. Kap. VI,17. Gould 1990, 33 f.
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Strukturelle Alternativen
Quellen ist allerdings zuerst nach Strukturen und erst auf deren Grundlage nach konkreten Situationen zu suchen. Inwieweit einzelne vorgeschlagene „ethnische" Interpretationen zutreffen bzw. auf einer gesicherten Mzteriz\klassifikation beruhen, ist im folgenden nur von untergeordneter Bedeutung. Dabei stellt die strukturgeschichtliche Alternative selbst keinen geschlossenen alternativen Ansatz dar, sondern umfaßt eine Vielzahl möglicher Interpretationen. Die Anlage der einzelnen Abschnitte folgt wiederum den Vorgaben der „ethnischen Interpretation" und deren Vorgehen, wie es oben anhand eines Fünf-Phasen-Schemas verdeutlicht wurde (Abb. 21). Deshalb bleibt auch die Reihenfolge unverändert und entspricht der im vorangehenden Kapitel. 778 Den Ausgangspunkt bildet wiederum die Parallelisierung von regionaler Kultur und Ethnos. In einer hier nicht weiter verfolgten ethnohistorischen Sicht wäre dagegen die Ethnogenese an den Beginn der Betrachtung zu setzen.
a) Kulturraum oder „Stammesgebiet"? Die Zusammenfassung regionaler Formenkreise zu „archäologischen Kulturen" ist im Gegensatz zu den verbreiteten Auffassungen Kossinnas und Childes eine wissenschaftliche Konstruktion. Die Suche nach tatsächlich vorhandenen Ubereinstimmungen im archäologischen Material (der „Sachkultur") führt zwangsläufig zu Typisierungen und dann auch zu räumlichen Gruppierungen. Die auf diese Weise herausgearbeiteten Kulturräume sind nichts weniger als homogen, denn nur in Ausnahmefällen bilden die verschiedenen kulturellen Kennzeichen kongruente Verbreitungsbilder. Die kulturräumliche Abgrenzung bleibt diffus und von der Auswahl der als entscheidend angesehenen, d. h. der berücksichtigten Merkmale abhängig. Die Kategorisierung als „archäologische Kultur" dient mit anderen Worten zunächst lediglich als deskriptiver Ordnungsbegriff, mit dessen Hilfe das Fundmaterial aufbereitet wird. 779 Benachbarte Gesellschaften unterscheiden sich in den meisten Fällen nicht grundsätzlich voneinander. Die Existenzgrundlage - sieht man einmal von dem Sonderfall der Nachbarschaft staatlich verfaßter und nomadischer Gesellschaften ab - bildet eine agrarische Produktion. Dieses Fundament prägt die Grundzüge von Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft. Des weiteren exi-
778 779
Vgl. Kap. V.9-14. Vgl. Kap. III,2,b.
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stieren Gesellschaften nicht isoliert nebeneinander. Sie werden durch vielfältige Beziehungen und Austauschsysteme miteinander verbunden. Man tauscht Prestigegüter und verschiedene Erzeugnisse, Geschenke, Ehepartner und Ideen, was auch für die jeweiligen Kulturen nicht ohne Folgen bleibt („Akkulturation"). Angleichungen und parallele Entwicklungen sind die Resultate. Daraus entsteht ein kulturelles Kontinuum, das keine innere Homogenität und keine scharfen Abgrenzungen nach außen (zu den Nachbarn) aufweist. Dies unterstreichen indirekt ethnologische Feldforschungen, die in der Einleitung stets auf komplizierte Weise jeweils begründen müssen, warum gerade die untersuchte Mikroregion aus diesem kulturellen Kontinuum „ausgestanzt" und separat untersucht wurde. Monographische Bearbeitungen „archäologischer Kulturen" sehen sich demselben Abgrenzungsproblem gegenüber. Derartige Regionalanalysen tendieren - in der Ethnologie wie in der Archäologie - dazu, die Charakteristika und Besonderheiten des jeweiligen Raumes überzubewerten, weil die Nachbarn (schon aus praktischen Gründen beschränkter finanzieller und zeitlicher Ressourcen) allenfalls als Rahmen berücksichtigt werden (können). Fehlende Homogenität einer Kultur bedeutet nicht nur, daß es gewissermaßen ein Dichtezentrum („Kern") und eine zur Nachbarkultur überleitende Peripherie gibt. Heterogenität von Kulturen bedeutet auch, daß sich verschiedene Bereiche und Elemente relativ eigenständig entwickeln, weil sie ganz verschiedenen Aspekten menschlicher Existenz zugehören. Deshalb weisen unterschiedliche kulturelle Züge divergierende räumliche Erstreckungen sowie Verbreitungsschwerpunkte auf und folgen nicht alle denselben zeitlichen Rhythmen. Diese Erkenntnis hat David Clarke (1937-1976) in sein „polythetisches Kulturmodell" gefaßt,780 aber nicht konsequent zu Ende geführt. Einen „inneren Kern" einer Kultur als gemeinsame Teilmenge charakteristischer Züge abzugrenzen, verlagert das Problem lediglich (und entwertet zugleich das Kulturkonzept). Statt unmittelbar aneinanderstoßender Kulturen ergibt sich ein Bild locker verteilter Kulturkerne, um die herum sich weite, nicht eindeutig zugeordnete Übergangszonen befinden. Angesichts dessen muß von einem kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und politisch-ethnischen Kontinuum ausgegangen werden, innerhalb dessen jede scharfe und eindeutige Grenzziehung willkürlich ist. Ethnische und politische, aber auch soziale Gruppierungen können sich rasch ändern, gelegentlich fast von einem Tag auf den anderen, wie das Bei-
780
Clarke 1968, 246 Abb. 53.
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spiel des „Untergangs" der Awaren am Anfang des 9. Jahrhunderts zeigt. Denn alle diese Gruppierungen sind Identitätsgruppen - sie beruhen auf subjektiven, diskursiv vermittelten Zuordnungen. Identitätswechsel und "Verschiebungen müssen sich angesichts kultureller Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten nicht in der Sachkultur niederschlagen. Linguistisch definierte Großgruppen lassen sich bislang nicht überzeugend mit einer archäologischen Kultur parallelisieren (Tab. 19).781 Zwar hat es nicht an intensiven Bemühungen gefehlt, Kelten, Germanen und Slawen als „alteuropäische Völker" (und als „Ahnen" der modernen europäischen Nationen) mit bestimmten archäologischen Gruppierungen zu verbinden. Aber stets hat sich gezeigt, daß sich der jeweilige geographische Raum - so, wie ihn die antike Ethnographie und linguistische Rekonstruktionen abgrenzen über weite Teile Europas erstreckt. Innerhalb dieser Großräume hat die Forschung eine ganze Reihe „archäologischer Kulturen" definiert. Die aus antiker politisch-ethnographischer Sicht und moderner linguistischer Perspektive einheitlich wirkenden Regionen erscheinen aber hinsichdich der Sachkultur nicht als homogene „Kulturräume". 782 Die Kelten, die Germanen und die Slawen lassen sich im Material nicht insgesamt und nicht deutlich abgrenzen. Die jeweiligen Siedlungsgebiete sind in sich zu stark differenziert. Und in allen drei Fällen wissen wir aus schriftlichen Uberlieferungen von jeweiligen Siedlungsgebieten, für die aus archäologischer Sicht jeder eindeutige Anhaltspunkt fehlt. Dennoch können alle drei großen Sprachgruppen mit ausgedehnten, wenn auch in sich differenzierten Kulturräumen verbunden werden. Auf dieser Meta-Ebene spielen nur allgemeine Merkmale eine Rolle, die der eher schematischen, „groben" Aufteilung dienen. Der Interpretationsrahmen wird durch die jeweiligen Lokalisierungen der antiken Ethnographie abgesteckt. Damit folgt man deren Schematisierung. Kelten sind dann zunächst in griechisch-klassischer und hellenistischer Zeit alle Barbaren des europäischen Nordwestens, später entsprechen zur Zeit des römischen Kaiserreichs die Germanen den Bewohnern des Nordens, und schließlich waren alle Bevölke-
781 782
Vgl. Kap. V,9,a. Vgl. Stöllner 1999b, 446: „Der Hallstattkreis kann weder an Einzelformen des Sachbesitzes, des Kultes und Brauchtums oder der Siedel- und Wirtschaftsweise, noch an strukturellen Parallelläufen hinreichend und durchgängig beschrieben werden". „Die Hallstattkultur ist für sich genommen ein heterogenes Konglomerat aus verschiedenen regionalen Erscheinungen, das bestenfalls als Kommunikationssystem mit ähnlicher sozialökonomischer Grundlage, mit direkten Gruppenbeziehungen und gemeinsamen kulturellen Orientierungen verstanden werden kann".
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Tab. 19. Mit Kelten, Germanen und Slawen in Verbindung gebrachte archäologische Kulturen. Aufgeführt sind nur Kulturen, die in jene Zeiträume gehören, in denen schriftliche Quellen die entsprechenden Gruppen erwähnten. Durch Kontinuitätsprämissen „identifizierte" weitere Kulturen werden hier nicht berücksichtigt Kelten (5.-1. Jh. v.Chr.)
Germanen (2./1. Jh. v. Chr. 4. Jh. n.Chr.)
Slawen (6.-10. Jh. n. Chr.)
Latène-Kultur783, Aisne-MarneKultur, Hunsrück-Eifel-Kultur, Puchov-Kultur (Slowakei), Little-Woodbury-Kultur, Aylesford-Kultur, Arras-Kultur (Yorkshire), „Castro-Kultur" (nordwestliches Spanien)
Jastorf-Kultur, HarpstedtNienburg-Gruppe, „Nordische" Gruppe elbgermanischer Kultur, Rhein-Weser-germanische Gruppen, Przeworsk-Kultur, Oksywie-Kultur, WielbarkKultur, Öernjachov-Kultur, Sîntana-de-Mure;-Kultur, Poieneçti-Lukasevka-Kultur
Prag-Korcak-Kultur, SukowDziedzice-Kultur, Pen'kovkaKultur, Kolocin-Kultur, LukaRajkoveckaja-Kultur, Volyncevo-Kultur, RomnyBorsevo-Kultur, sowie zahlreiche Keramik-Gruppen (Feldberg-Gokncz, Menkendorf-Szczecin, TornowGostyn)
rungen im mittelalterlichen Osten Europas die Slawen. Daran orientiert sich die Historiographie, und die Linguistik benutzt sprachliche Belege (Inschriften, Ortsnamen, Personennamen) zur Rekonstruktion von Sprachgebieten, wobei ζ. B. Ortsnamen und Sprachzustände kaum genauer datiert werden können. Für die Archäologie sind wie für die Geschichtswissenschaft die „zivilisatorischen" Grundzüge ausschlaggebend: Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft. Bei den Kelten werden meist die stadtartigen oppida, Metallurgie und Münzwesen, Krieger und Druiden hervorgehoben. Germanen charakterisiert man oft durch große Wohnstallhäuser, dominierende Viehhaltung, „Gefolgschaften" und Kriegertrupps („Traditionskerne"). Für die Slawen gelten quadratische Grubenhäuser, mehr Ackerbau als Viehhaltung und eine „egalitäre" bzw. segmentäre, nur wenig hierarchisierte Gesellschaft ohne ausgeprägte Spitze als „typisch". Aus dieser abgehobenen Perspektive bereitet die Verbindung von Kulturräumen, Sprachgruppen und „Völkern" keine größeren Probleme. Die Grenzen sind so weit gesteckt, daß ein ungefähres Zusammenfallen gewährleistet erscheint. Sucht man allerdings nach genauen Begrenzungen dieser Kulturräume, stößt man rasch auf Probleme. Wann reichte das keltische Siedlungsgebiet im Südwesten bis zu den Pyrenäen und wann vielleicht darüber hinaus? Wie verlief die keltisch-germanische Siedlungsgrenze an Rhein und Donau im 1. Jahrhundert v. Chr.? Wo endete slawisches Siedlungsgebiet im Nordosten, und wo begann der baltische Kulturraum während des 6. bis 8.
783
Diese besteht wiederum aus verschiedenen Regionalgruppen; vgl. Lorenz 1979.
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Jahrhunderts? Erscheint die Situation aus „globaler" Perspektive eindeutig, so gerät sie in den Grenzbereichen unscharf. Statt distinkter Grenzen werden breitere „Grenzbereiche" („limitische Strukturen") erkennbar, wo benachbarte „Kulturen" ineinander überzugehen scheinen. Eine exakte und begründete Entscheidung - keltisch oder germanisch, slawisch oder baltisch - ist nicht möglich, weil sich an den Übergängen „Mischkulturen" abzeichnen. Es hat auch wenig analytischen Sinn, dort von „keltisierten" Germanen, „romanisierten" Galliern oder „germanisierten" bzw. „baltisierten" Slawen zu sprechen. Warum sind gerade die „interessanten" Grenzfälle problematisch? Hier versagt das Modell einer primär „ethnischen" Interpretation der Kulturräume. Die Nachbarschaft ermöglichte und förderte „Akkulturationsprozesse". Der wechselseitige Austausch führte zur Übernahme von Elementen der „Anderen" und verhinderte scharfe Kulturgrenzen. Das heißt nicht, daß diese distinkten Unterschiede zuvor, gewissermaßen „ursprünglich", existierten. Stets gab es Nachbarschaften und Austausch - unabhängig davon, ob Kelten, Germanen oder Slawen bereits existierten oder nicht. Auch „spezifische" Kulturelemente sind deshalb nicht ausschließlich innerhalb eines homogenen Kulturraumes verbreitet. Für Kelten, Germanen und Slawen spielte die mediterrane Welt eine wichtige, vielleicht die entscheidende Rolle. Erst in der Auseinandersetzung mit Griechenland, Rom bzw. Byzanz formten sich kulturelle Räume und Kennzeichen.784 Dabei ist nicht nur auf die Einteilung und Erfassung durch die antike Ethnographie zu verweisen, die zum überregionalen Orientierungsrahmen auch für die so Bezeichneten selbst wurde. Auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht prägten mediterrane Einflüsse die nördlichen Barbaren. Dies betrifft zunächst die wirtschaftlichen Verhältnisse, die von technologischen Übernahmen wie der Töpferscheibe und ökonomischen Orientierungen an Münzprägung oder städtischer Siedlung profitierten. Stilistische Vorbilder und Einflüsse zeigen sich im „keltischen" Latène-Ornament und der Steinplastik, der bei den Germanen beliebten spätantiken Kerbschnittornamentik oder beim „slawischen" Silberschmuck des frühen Mittelalters. Siedlungsformen wie die spâtlatènezeitlichen oppida oder die „großmährischen" Siedlungsagglomerationen zeigen hellenistisch-römische bzw. byzantinische Anleihen. Die „barbarischen" Sozialstrukturen und Gesellschaftsmodelle sind ohne die Einwirkung der Mittelmeerzivilisationen nicht denkbar. Geschenke,
784
„Die germanische Welt war vielleicht die größte und dauerhafteste Schöpfung des politischmilitärischen Genius Roms"; Geary 1996, 7; vgl. Wells 1999; 2001.
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Tribute und Plünderungen, Söldnerdienste und Siedlungsland zogen die nördlichen Barbaren in ihren Bann. Zahllose Funde im Barbaricum belegen den Rückstrom des Reichtums nach Norden. Schließlich blieben auch die Vorstellungswelten nicht unberührt, wie die überaus reich ausgestatteten friihlatènezeitlichen „Fürstengräber", die anders als der „Durchschnitt" unverbrannt beigesetzten germanischen „Häuptlinge", aber auch die generelle Übernahme der Körperbestattung bei den Slawen (regional unterschiedlich seit dem 8. Jahrhundert) belegen. Darüber hinaus war es der von den „Hochkulturen " vorgegebene politische Rahmen, innerhalb dessen sich die barbarischen Eliten bewegten und damit die politisch-ethnischen Strukturen ihrer Gesellschaften veränderten. Die vielschichtige Beziehungsgeschichte zwischen Mittelmeer- und Barbarenwelt spiegelt verschiedene Kontakte und Einflüsse wider. Weil es sich dabei um unterschiedliche Ebenen bzw. Bereiche (Kultur, Siedlung, Wirtschaft, Gesellschaft) oder gar einzelne Charakteristika handelt, fällt auch die Reichweite und Verbreitung der Einflüsse recht unterschiedlich aus. Sucht man Kleingruppen innerhalb eines größeren Kulturraumes abzugrenzen, müßte man sich für das eine oder das andere Merkmal entscheiden, um das kulturelle Kontinuum aufzuteilen. Welches Merkmal das „entscheidende" sein könnte, läßt sich prinzipiell nicht beantworten, was Anlaß mancher wissenschaftlichen Kontroverse um die Zuordnung war. Heuristisch bleibt es wenig hilfreich, das - u. U. aufgrund schriftlicher Informationen - anscheinend „passende" Merkmal herauszugreifen, denn ein ausschnitthaftes Verbreitungsbild ist ein schwaches Argument für ein Zuschreibungsphänomen. Die Vielzahl an Regionalkulturen führt dennoch zu der Frage, ob mit diesen Gruppen nicht die Siedlungsräume kleinerer „ethnischer Einheiten" faßbar werden, denn Ethnien werden doch meist zugleich als Siedlungsgemeinschaften aufgefaßt.785 Man kennt eine Vielzahl überlieferter Namen einzelner keltischer, germanischer und slawischer gentes, deren genauere Zusammensetzung, Lokalisierung oder Größe aber selten erkennbar werden. Es ist wohl kaum möglich, ein grundsätzliches Argument zu finden, sich zwischen der spezielleren Interpretation als „Stammesgebiet" und der allgemeineren, zurückhaltenderen als „Kulturraum" zu entscheiden (Tab. 20).786 Denn es läßt sich nicht ermitteln, ob die zur Charakterisierung als „archäologische Kultur" herangezogenen Merkmale der Sachkultur für die subjektive Zuord-
785 786
Die Charakterisierung als Rechtsgemeinschaft entzieht sich aus methodischen Gründen dem archäologischen Nachweis. Vgl. Kap. V,9,b.
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nung zu politisch-ethnischen Gruppen relevant waren. Auch naturräumliche und wirtschaftliche Faktoren führen zur Abgrenzung von Siedlungsgemeinschaften, von denen sich mehrere als eine „ethnische Gemeinschaft" verstanden haben können. Der „Rückzug" auf eine strukturelle kultur- bzw. wirtschaftsgeschichtliche Erklärung bietet lediglich den Vorzug, dichter an den Quellen zu bleiben. Dabei bleibt zu berücksichtigen, daß - ungeachtet der klassifikatorischen Zusammenfassung „regelhafter Kombinationen" - die einzelnen Merkmale recht unterschiedlich verbreitet sind, also auch die Interpretation als „Kultur-", „Wirtschafts-", „Siedlungs-" oder „Kommunikationsraum" bereits wissenschaftliche Abstraktionen sind, die den Zeitgenossen möglicherweise in gänzlich anderer Weise bewußt waren. Tab. 20. „Archäologische Kulturen", die in der Literatur jeweils mit verschiedenen „ethnischen Gruppen" in Verbindung gebracht werden. Hervorgehoben sind die als „dominant" angesehenen „Ethnien". Im Fall der Cernjachov-SIntana-de-Murej-Kultur sind Slawen in Anführungszeichen gesetzt, weil sie in dieser Zeit noch nicht erwähnt wurden, sondern nur durch Kontinuitätsannahmen postuliert werden. Die aufgeführten „Kulturen" als „polyethnisch" anzusehen, bedeutet methodisch keinen Ausweg aus dem Identifikationsproblem, denn dann gibt es keine unmittelbare Korrelation zwischen Sachkultur und „ethnischer Identität". Das „ethnische Paradigma" müßte in der Konsequenz dieser Argumentation aufgegeben werden Przeworsk-Kultur (1. Jh. v. Chr.-5. Jh. n. Chr.)
Cernjachov-Sîntana-de-Mure$Kultur (3.-5. Jh.)
Saltovo-Majaki-Kultur (8.-10. Jh.)
Vandalen, Lugter, Silingen, Burgunder
Visigoten, Ostrogoten, Gepiden, Daker, Sarmaten, „Slawen"
Alanen, Bulgaren, Chazaren, Ostslawen
Die Kartierung der Funde spiegelt (bei ausreichender Repräsentativität) zunächst Siedlungsareale wider. Ubereinstimmungen und Ähnlichkeiten von Kulturelementen weisen auf Kommunikation innerhalb dieser Gebiete hin, mehr Ähnlichkeiten auf intensivere Kommunikation. Doch belegt dieser anhand des Materials festzustellende kulturelle Austausch ethnische Zusammengehörigkeit? Auch wenn das Fundgut stets räumliche Verbreitungen und damit Verbreitungsgrenzen aufweist, so kann allenfalls ein Teil davon zu möglichen territorialen Abgrenzungen gedient haben. Ethnien sind zugleich Kommunikationsgemeinschaften, die ohne ständige Versicherung ihrer Identität nicht existieren können. Zwischen Gemeinsamkeitsglauben und Sachkultur existiert eine lockere, mittelbare und indirekte Beziehung. Für die Archäologie ergibt sich die Frage, welche Züge der materiellen Kultur für die hypothetische Abgrenzung ethnischer Gruppen zu berücksichtigen sind. Denn die Definition einer „archäologischen Kultur" kombiniert Elemente aus verschiedenen Bereichen, die zwangsläufig unterschiedliche Beziehungen aufweisen.
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Prestigegütervorkommen zeigen andere Verbreitungen als Grabformen, wirtschaftlicher Austausch erstreckt sich auf andere Regionen als Haus- und Siedlungstypen. Die Kombination von Elementen aus unterschiedlichen „Lebensbereichen", wie sie seit Childe üblich ist, täuscht eine kulturelle Homogenität vor, die es tatsächlich nicht gibt. So hat sich u. a. die Rekonstruktion nordwestslawischer „Einwanderergruppen" als falsch herausgestellt, weil unzureichende Datierungsgrundlagen eine Gleichzeitigkeit von regional unterschiedlichem Haus- und Burgenbau, Grab- und Keramikformen suggerierten, die jedoch um mehrere Jahrhunderte differierten und zudem räumlich nicht kongruent sind. Da diese Kennzeichen in unterschiedliche kultur- (Gräber, Häuser), wirtschafts- (Häuser, Keramik), sozial- (Gräber, Häuser, Burgen) und politikgeschichtliche (Burgen) Zusammenhänge gehören, ist eine synchrone Entwicklung prinzipiell unwahrscheinlich und nur als „Ausnahme" vorstellbar. Mit anderen Worten: aufgrund unzureichender Forschungslage - Datierungsansätze, Verbreitungsbilder und Kulturbeziehungen - wurden „archäologische Kulturgruppen" rekonstruiert, die sich nun als Fiktion herausgestellt haben.787 In anderen Fällen läßt sich fragen, ob ζ. B. „Hauslandschaften" mit Keramikstilen, Grabformen mit Schmucktypen bzw. -ensembles regelhaft kongruent verbreitet sind. In wirtschaftlicher Hinsicht fällt das Bild schon jetzt viel bunter aus, als es die genannte Gleichsetzung erwarten lassen würde.788 Für die Merowingerzeit konnte Frank Siegmund zeigen, daß die unterschiedliche Verbreitung von handgemachter und Drehscheibenkeramik ebenso wie die von Glasgefäßen primär mit den Herstellungsregionen zusammenhängt, wobei sich spätantike Unterschiede zwischen dem provinzialrömischgallischen Raum und der Germania auswirkten. Drehscheibenware und Glas kommen um die Zentren Köln, Mainz und Trier häufig vor, während diese Gefäße rechts des Rheins offenbar nicht produziert werden konnten. 789 Das Verbreitungsbild wird deshalb in erster Linie von wirtschaftlichen Faktoren bestimmt, so daß Abgrenzungsbemühungen und Identitäten nicht zu dessen Erklärung taugen. Dies läßt sich auch für die römischen Provinzen nördlich der Alpen konstatieren: „Die partielle kulturelle Abgrenzung Rätiens von Obergermanien macht anschaulich, wie die künstlich geschaffenen Verwaltungseinheiten zu wirtschaftlichen Einheiten zusammengewachsen sind". 790
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Brather 1999a; vgl. Kap. V,12,a. Lüning/Jockenhövel/Bender/Capelle 1997. Siegmund 2000, 146-150. v. Schnurbein 1983, 15.
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Strukturelle Alternativen
Für Kleidungsbestandteile wie die zahlreich ausgegrabenen Fibeln (Abb. 86) besteht bislang keine ausreichende Klarheit über Produktionsorte und Werkstätten, was eine wichtige Voraussetzung wäre, um über den Hintergrund der Verbreitungsbilder näheres aussagen zu können. Unter der Annahme, die Handwerker hätten im Auftrag und möglicherweise in Abhängigkeit von lokalen oder regionalen „Chefs" gearbeitet und letztere hätten die „Distribution" der Produkte bestimmt, ließe sich zu der Vorstellung gelangen, die Verbreitungsbilder von Typvarianten reflektierten gewissermaßen Herrschaftsbereiche.791 Damit wäre man indirekt wieder bei der ethnischen Interpretation angelangt, wenn man Herrschaftsbereiche großräumig und als identisch mit Siedlungsgebieten einzelner Ethnien rekonstruiert. Modelfunde abseits des Hauptverbreitungsgebiets einzelner Typen deuten aber an, daß die Herstellung nicht ortsgebunden war. Es ist zumindest mit der Weitergabe der Gußformen sowie sekundären Abformungen andernorts zu rechnen, vielleicht auch mit Wanderhandwerkern, die nur eine kurze (archäologisch kaum festzustellende) Zeit an einem Ort produzierten. Bereits Zeiß hatte auf diese methodischen Probleme hingewiesen: „Gerade innerhalb des Merowingerreiches erscheint die Scheidung der einzelnen Stämme nach den Grabfunden außerordentlich schwierig und nur in Ausnahmefällen aussichtsreich; soweit sich die Verbreitung bestimmter Schmuckstücke geographisch gut abgrenzen läßt, handelt es sich allem Anschein nach um Absatz- oder Einflußgebiete bestimmter Werkstattgruppen, welche von den natürlichen Grenzen stärker als von ethnisch-politischen abhängig sind und auch eine Einwirkung der großen Verkehrslinien erkennen lassen." Deshalb sei „auf diesem Gebiet [der Wirtschaftsgeschichte - S. B.] mehr zu erwarten, als von den beliebten Versuchen, Fundkomplexe ethnisch zu deuten."792 Der Versuch, „Kulturen [zu] umschreiben [... und damit] etwas über letztlich ethnische Einheiten aus[zu]sagen" (sie!), kann sich auch nicht allein auf „deutlich abgrenzbare Elemente des Totenrituals, d. h. der Bestattungssitten, der Trachtsitten und der Beigabensitten" stützen. Denn diese „einzigen für den Archäologen annähernd rekonstruierbaren Teile des mentalen Selbstverständnisses der damaligen Menschen als Mitglieder einer bestimmten Gruppe"793 reflektierten (idealtypische) soziale Differenzierungen innerhalb einer Gesellschaft und Auffassungen über das Verhältnis zu den Toten und deren „Welt". Religiöse „Jenseitsvorstellungen" dienten nur in seltenen Fällen - und 791 792 793
Steuer 1982a, 483. Zeiß 1931, 304. Stein 1999, 67. Steins „Totenrituale" lassen sich mit Bierbrauers „Kulturmodellen" unmittelbar in Beziehung setzen; Bierbrauer 1996.
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Abb. 86. Verbreitung »fränkischer" Bügelfibeln des 6. Jahrhunderts. Das diffuse Verbreitungsbild besitzt einen Schwerpunkt zwischen Seine und Rhein, ohne klare Grenzen aufzuweisen. Die erfaßten Formen spiegeln eine überregionale Mode wider. · Fünfknopffibeln mit gleichbreitem bis leicht trapezoidem Fuß und halbrunder gegitterter Kopfplatte; • Bügelfibeln vom Typ Hahnheim (nach A. Koch 1998, 574 f. Abb. 20-21)
dann sekundär - zur ethnischen Abgrenzung von politischen Gruppen. Ethnisches Selbstverständnis und damit das Verhalten gegenüber „Anderen" können deshalb nicht aus dem Umgang mit den eigenen Toten erschlossen werden. Bestattungen thematisieren - vor den Augen der eigenen Gesellschaft - den Ubergang in eine andere Welt, nicht die Abgrenzung zu anderen (benachbarten) Gesellschaften. Versteht man „Kultur" als „Modell", an dem man sich orientieren konnte, dann sind es idealtypischerweise alle Angehörigen einer Gesellschaft. Damit wird der integrative und nicht der exklusive Aspekt von Zugehörigkeit betont. Frühgeschichtliche Gesellschaften lassen nach heutiger Kenntnis keine scharfen Grenzen zu ihren Nachbarn erkennen. Aber auch die „Grenzen" zwischen staatlich organisierten Gesellschaften („Hochkultur") und ihren politisch weniger zentralisierten Nachbarn („Barbaren") sind keineswegs linear. Die Beispiele des römischen Limes 794 oder der Ostgrenze des Karolinger794
Wells 1999; 2001; Whittaker 1994.
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Strukturelle Alternativen
reiches795 zeigen, daß politische Grenzziehungen keine wirtschaftliche oder kulturelle Abschottung bedeuten (müssen).796 Die Regionen beiderseits der Grenze weisen wechselseitige Einflüsse auf. „Akkulturationen" besitzen keinen definierbaren „Beginn", benachbarte „Kulturen" durchdringen einander diffus. An Stelle scharfer linearer Grenzen zeichnen sich „limitische Strukturen" allmählicher Übergänge (eine „frontiert culture") ab - vielfache Schattierungen statt schwarz-weißer Gegenüberstellung. Wenn homogene und distinkte Kulturräume die Ausnahme darstellen, dann entfällt auch der Zwang, nach e i n e r Erklärung für Abgrenzungen suchen zu müssen. Deshalb ist auch ein „Stammesgebiet" nicht einfach durch den Begriff des „Kulturraumes" zu ersetzen, wenn damit nicht auch das zugrundeliegende Modell ausgewechselt wird.797 Unterschiedliche Funde und Befunde - Gräber, Häuser, Siedlungen, Keramik, Ställe, Produktionsanlagen usw. - spiegeln primär auch unterschiedliche Entwicklungen wider. Denn sie sind in verschiedene strukturelle Zusammenhänge eingebettet, die zwar nicht unabhängig voneinander existierten, aber doch relativ locker miteinander verknüpft sind. Bevor Verallgemeinerungen „höherer Ordnung" angestrebt werden, sollten daher zunächst „einfache", strukturelle Erklärungen gesucht werden. Bereits die von Müller-Karpe angeführten Möglichkeiten chorologischer Interpretation798 sind Abstraktionen. Der Bestimmung von „Sepulkralkreisen" liegen z. B. die jeweilige Grabarchitektur, die Ausstattung der Toten (Kleidung und Beigaben), der Bestattungsweise und des Totengedenkens zugrunde. „Siedlungskreise" stützen sich auf Hausbau, Siedlungsformen (Einzelhof, Weiler, Dorf), Siedlungskammern und -gebiete. „Trachtkreise" beziehen die Kleidungsstücke selbst (Textilien), metallene Verschlüsse (Nadeln und Fibeln), Gürtel, Arm- und Kopfschmuck ein. Diese Kriterien werden erst durch die analytische Kombination zu Kennzeichen regionaler Gruppierungen. Tatsächlich überschneiden sich die Verbreitungsbilder von Einzelmerkmalen und vollziehen sich Veränderungen in unterschiedlichem Tempo. David Clarkes „polythetisches Modell" 799 rückte gerade diese Heterogenität und Vielfalt in den Mittelpunkt. Stellen die genannten „Kreise" bereits Klassifikationen dar, so abstrahiert deren Kombination zu „Kulturräumen" bzw. „archäologischen Kulturen" in noch stärkerem Maße.
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Hardt 2000; Schmauder 2000b. Dies gelingt auch modernen Staaten mit einem umfänglichen, jeden Einwohner erfassenden Verwaltungsapparat nur in beschränktem Maße. Ähnlich der Ersetzung von „Volk" durch .Kultur" nach 1945; Narr 1990, 298. H. Müller-Karpe 1975, 74-80; vgl. Kap. VI,16,b (Tab. 6). Clarke 1968, 246 Abb. 53.
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Das Modell des „Kulturraumes" oder einer „archäologische Kultur" ist daher ein kategorisierendes, Material und Beobachtungen ordnendes Mittel. Historische Interpretationen müssen dies berücksichtigen. Sie dürfen nicht erst bei einer „archäologischen Kultur" insgesamt ansetzen. Ziel muß es vielmehr sein, bereits Einzelerscheinungen auf ihre historische Relevanz hin zu untersuchen. Jede Kombination von Merkmalen bzw. jede neue Abstraktionsebene muß daraufhin überprüft werden, ob damit tatsächlich zusätzliche Erklärungskraft gewonnen wird. Nur dann ist ein historischer Erkenntnisgewinn möglich. Die Erklärung als „Kulturraum" statt als „Stammesgebiet" bietet nur dann einen methodischen Vorteil, wenn der „Kulturraum" ebensowenig als homogen und distinkt aufgefaßt wird. Beziehungen zwischen verschiedenen „Lebensbereichen" sind nicht zu bestreiten, doch „erklärt" ein mehr oder weniger „regelhaftes Zusammentreffen" noch nichts. Es muß sich wahrscheinlich machen lassen, daß ein (kausaler, historischer oder kultureller) Zusammenhang zwischen verschiedenen Bereichen - beispielsweise Hausbau und Bestattungsform, Keramikstil und Burgenbau - bestand. Wesentlich unproblematischer und wichtiger als derartige Globalerklärungen sind separate Überlegungen zu verschiedenen Kennzeichen und Bereichen der bzw. einer „Kultur". Die Differenziertheit von Kulturen spiegelte sich dann in polykausalen Erklärungen wider. Anstelle der rekonstruierten nordwestslawischen Einwanderergruppen kann ζ. B. nach klimatischen und geologischen Faktoren, nach Vegetation und kulturellen Traditionen als Erklärungen für unterschiedliche Hausformen gefragt, können politische und soziale Entwicklungen für den Burgenbau verantwortlich gemacht oder die unterschiedliche Überlieferung von Gräbern auf verschiedene Grabformen (Urnenbestattung bzw. oberflächliche Leichenbrandschüttung) bei generell verbreiteter Totenverbrennung zurückgeführt werden. Regionale Fibelformen belegen in erster Linie „Modegebiete" (Kommunikation) und „Absatzgebiete", denn weitere Kleidungsbestandteile besitzen oft andere, abweichende Verbreitungsschwerpunkte. Aufgrund solch „dichter", struktureller Beschreibungen und Interpretationen läßt sich weiter abstrahieren und lassen sich „Kulturräume" unterscheiden. Diese Vermeidung vorschneller und einseitiger Einzelfallerklärungen bewahrt Spielräume, verschiedene Einzelinterpretationen gegeneinander abzuwägen.
b) Kulturelle oder ethnische Kontinuität? Bereits Kossinna hegte die Hoffnung, über die Verfolgung kultureller Kontinuitäten die Geschichte der Germanen nach rückwärts weit über den Beginn
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schriftlicher Überlieferung hinaus verlängern und schließlich deren „ursprüngliche" Herkunft feststellen zu können. Auf gleiche Weise wurde und wird nach dem „Ursprung" der Kelten und der Slawen gesucht, zumindest jedoch ihre Geschichte soweit wie möglich in prähistorische Zeit zurückverfolgt. Es gibt ein verbreitetes Bedürfnis, die allerersten Anfänge zu ermitteln. „Erfolg" hatten diese Bemühungen allerdings nur bei den (sprachlichen) Großgruppen. Für kleinere Verbände, die in den Quellen als gentes („Stämme") o. ä. bezeichnet werden, ließen sich kulturelle Kontinuitäten kaum ausmachen. 800 Letztere besitzen zu wenige, sie von ihren Nachbarn unterscheidende, kulturelle Charakteristika. Dominierend sind die kulturellen Gemeinsamkeiten. Erst wenn die zu verfolgenden Gruppen umfänglich genug gewählt und abgegrenzt werden, wird der kulturelle Habitus so offensichtlich, daß sich weitreichende Kontinuitäten verfolgen und die „Wurzeln" suchen lassen. Denn dann werden die räumlichen (geographischen) Grenzen kultureller Kennzeichen so deutlich gezogen, daß die zeitlichen Verbindungslinien in den Vordergrund treten. Was bedeutet aber „Kontinuität"? 801 Der Begriff erweist sich als ambivalent. Denn absolute kulturelle Brüche und völlige Unterbrechungen der Besiedlung bilden die große historische Ausnahme. Fast immer lassen sich Kontinuitäten und Diskontinuitäten gleichzeitig beobachten. Tiefgreifende, auch von den Zeitgenossen als solche empfundene Veränderungen „bewahren" zugleich viele kulturelle Züge der Vergangenheit. Ob man fortwirkende „Traditionen" oder aber den „Neubeginn" in den Vordergrund rückt, beruht weniger auf grundsätzlichen methodischen Abwägungen und empirischen Beobachtungen als auf einer aus unterschiedlichen Motiven gespeisten Bewertung}02 Es scheint daher kaum möglich, verbindliche Kriterien zur Unterscheidung aufzustellen: „Was soll .Kontinuität' besagen? Wie breit muß die Brücke, wie tief darf der Abgrund sein?" 803 Kontinuität ist relativ, und diese Relativität macht eine verbindliche Aussage unmöglich. Nun sind kulturelle Kontinuitäten nichts besonderes oder gar die Ausnahme. In Mitteleuropa gibt es seit dem Mesolithikum bzw. Neolithikum bei al-
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Vgl. Kap. V,10. Zum Problem insgesamt: Knopf 2001, 11-31; Eggert 2001, 296-307; Kontinuität - Diskontinuität 1973; Kontinuität? 1969; Baumgartner 1997; Überblick über Konzepte bei van der Pot 1999. Begriff und Konzept von „Kontinuität" sind damit ohne Erklärungskraft; sie reflektieren primär ein „meta-empirische[s] Interesse am Zusammenhang der Geschichte"; Baumgartner 1997, 48. Demandt 2001, 209; 1984, 233-241. Vgl. Goetz/Reimitz 2001; Steuer 2001c.
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1er regionalen Differenzierung eine weithin ununterbrochene, durchgehende und „flächendeckende" Besiedlung. À la longue wird die Kulturlandschaft (bei allen lokalen und regionalen Regressionen und „Wüstungsprozessen" ) immer weiter ausgeweitet oder verlagert. Verflechtungen existierten dabei nicht nur räumlich, sondern auch in der Zeit. Kultureller Austausch und kulturelle Beziehungen - oder in zeitlicher Hinsicht eben Kontinuitäten - lassen sich deshalb überall feststellen804 und nicht nur postulieren. Es hat allerdings wenig Sinn, diese Kontinuitäten wie beispielsweise Kostrzewski auf allgemeine soziale und wirtschaftliche Verhältnisse auszudehnen 805 , weil ein solches Vorgehen keine spezifische Aussagekraft beanspruchen kann, sondern nur Banalitäten feststellt. Die geradlinige Verfolgung von Kontinuitäten führt nahezu zwangsläufig zu Autochthonievorstellungen, 806 weil diese am kontinuierlich besiedelten Gebiet haften. Hier findet ein nationalistischer Diskurs unmittelbare Anknüpfungspunkte - und umgekehrt. „Wanderungen" werden damit weitgehend ausgeschlossen (oder wie bei Kossinna lediglich in einer Richtung gesehen). Die kulturelle Entwicklung folgt - ebenso wie die sprachliche, historische und politische - verschiedenen Rhythmen im Sinne Braudels und der Schule der Annales. Je nach wirkenden Faktoren, wechselseitigen Beeinflussungen und gegenseitigen Abhängigkeiten ergeben sich nicht nur unterschiedliche Entwicklungstempi, sondern auch von Veränderungen unterschiedlich erfaßte Bereiche. So können sich Keramikstile ganz anders als Bestattungsformen ändern, der Hausbau hängt nicht unmittelbar mit der Waffenentwicklung zusammen, Schmuckformen nicht mit der Landwirtschaft. Diese verschiedenen Bereiche der Sachkultur lassen sich trotz gegenseitiger Beeinflussungen daher - abseits großer abstrahierender Linien - nur schwer parallelisieren. Zu unterschiedlich sind Geschwindigkeit, Ursachen und Zusammenhänge der Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Damit ist das Problem der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" angesprochen, das evolutionistisch ausgerichtete Arbeiten leicht übersehen. Am Beispiel des Imperium Romanum wird ζ. B. deutlich, wie „traditionell" die Kunst vom 2. bis 5. Jahrhundert blieb, obwohl
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Dies zeigen ζ. B. die Abgrenzungen archäologischer Kulturen, die über verschiedene Phasen zumindest vier oder fünf Jahrhunderte umfassen. Kostrzewski 1965. Georgiev 1984, 73, stellt beispielsweise für Bulgarien fest: „Die archäologischen Materialien, Angaben und Beobachtungen zeigen unzweideutig, trotz des Hiatus zwischen den einzelnen Zeitaltern und Entwicklungsabschnitten, daß seit dem Anfang des bisher frühesten Neolithikums in Südbulgarien des Typs Karanovo I bis zum Ende der prähistorischen Entwicklung eine Kontinuität der kulturhistorischen Entwicklung der Stämme bestanden hat, die diesen Raum besiedelten" (Hervorhebung von mir - S. B.).
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sich tiefgreifende religiöse Umwälzungen vollzogen, wie sehr die Christen hergebrachte Ausdrucksformen verwendeten807 - und wie sehr kulturelle Kontinuitäten religiöse Diskontinuitäten verdecken würden, wären keine Schriftquellen überliefert. Es gibt keine einspurige Tradition, die sich zeitlich zurückschreitend verfolgen ließe. Ständig neue Einflüsse und Faktoren führten zu einer Vielzahl unterschiedlicher Entwicklungen, die bei der typisierenden Reduktion auf wenige Hauptstränge nicht zureichend zu erfassen sind. Neben den in vielen Fällen postulierten Kontinuitäten sind viele Brüche und Neuerungen zu konstatieren. Die Suche nach Kontinuitäten sieht sich dem Problem gegenüber, welche Kontinuitäten verfolgt werden sollen. Je nachdem, für welchen Bereich der Sachkultur man sich entscheidet, sind unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten.808 Die Diskussion konzentriert sich oft auf den Übergang zwischen zwei „archäologischen Kulturen", wie sich am Beispiel der Hallstatt- und Latène-Kultur zeigen läßt.809 Dabei übersieht man leicht, daß dieser „Kulturwechsel" zunächst auf die archäologische Klassifikation anhand einiger ausgewählter Merkmale zurückgeht. Systematisch besteht kein Unterschied, ob Entwicklungsstränge innerhalb einer „archäologischen Kultur" oder über zwei „Kulturen" hinweg untersucht werden. Am Übergang zwischen zwei „Kulturen" sind die Ähnlichkeiten stets größer als zwischen Beginn und Ende einer „archäologischen Kultur". 810 Wenn schon innerhalb der Sachkultur unterschiedliche Beziehungen und Entwicklungen greifbar werden, dann dürfen direkte Parallelisierungen mit anderen Aspekten historischer Entwicklung - Sprache und (ethnische) Identität - nicht erwartet werden. Sprachliche und historische Entwicklungen selbst folgen ebenfalls unterschiedlichen Rhythmen und Einflüssen. Vom klassifikatorischen Charakter „archäologischer Kulturen" einmal abgesehen, scheint es prinzipiell unmöglich, von Kontinuitäten bzw. Brüchen in der Sachkultur auf Beibehaltung oder Veränderung von Sprache oder ethnischer Identität zu schließen. Veränderungen in einem Bereich reflektieren nicht notwendigerweise Veränderungen in einem anderen. Außerdem ist im jeweiligen Einzelfall nicht bekannt, ob und wenn ja, in welcher Weise Elemente der Sachkultur oder vielleicht die Sprache identitätsstiftend waren. Darin liegt das grundsätz-
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Eisner 1998. Daher ζ. B. auch die vielfältigen Diskussionen um Kontinuität und Diskontinuität zwischen antiken und mittelalterlichen Städten; Ward-Perkins 1997. Vgl. Chaume 1999. Ebenso wie Spätantike und frühes Mittelalter mehr miteinander verbindet als das Früh- mit dem Spätmittelalter.
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liehe methodische Problem auch dann, wenn „Kultur" als Zeichensystem oder Ideologie begriffen wird. Inwieweit ein Wandel der Sachkultur zugleich Veränderungen der Vorstellungswelt andeutet, ist schwer zu beurteilen. Ohne schriftliche Nachrichten von Zeitgenossen ist keine Klarheit zu gewinnen. Die paradigmatisch von Kossinna formulierte und noch heute angewandte retrospektive Methode, über kulturelle Kontinuitäten ethnische Kontinuitäten verfolgen zu wollen, erweist sich deshalb bereits im Ansatz als methodisch problematisch. Denn außer der Parallelisierung von Sachkultur, Sprache und Ethnos sind asynchrone Entwicklungen in gleicher Weise möglich und wahrscheinlich. Ethnische Identitäten können über kulturelle Brüche hinweg bewahrt bleiben, und ebenso lassen sich kulturelle Kontinuitäten bei ethnischem Wandel beobachten. Vom einen läßt sich nicht auf das andere schließen. An dieser Stelle ist außerdem zu fragen, was mit „ethnischen Kontinuitäten" im Einzelfall eigentlich gemeint ist? Versteht man darunter (biologische) Bevölkerungskontinuität oder kulturelle Traditionen, erscheinen Kontinuitäten geradezu als die Regel. Sie können sich über sehr lange Zeiträume (bis hin zu Jahrtausenden) erstrecken. Doch ist mit einer solchen Aussage nicht viel gewonnen. Entscheidend für das Selbstverständnis von Gesellschaften sind „Traditionskerne" und Elitenbewußtsein, die nicht von kulturellen Kontinuitäten bestimmt werden müssen, sondern auch in der bewußten Abgrenzung innerhalb eines Kulturraums bzw. eines kulturellen Wandels ihre Begründung finden können. Das Interessante ist dann, weshalb sich ungeachtet breiter kultureller Kontinuitäten ethnische Neuformierungen vollzogen. Wie sollte dem heuristischen Dilemma zu entkommen sein? Alle bekannten „Völker" sind historisch geworden und nicht plötzlich auf der „Bildfläche" erschienen. Historische Entwicklungen, Faktoren und Situationen führten zur Entstehung eines Gemeinsamkeitsglaubens. Dieser entstand allmählich oder sehr rasch - und konnte ebenso wieder verlorengehen. Viele gentes werden nach ein- bis zweihundert Jahren nicht mehr genannt an ihre Stelle traten neue Bezeichnungen, ohne daß die Beobachter genauere Gründe zu nennen wußten. Ungeachtet aller Besiedlungskontinuitäten werden anhand schriftlicher Überlieferungen und ethnographischer Beobachtungen zahlreiche ethnische und politische Wandlungen sichtbar, deren historischer Hintergrund und deren kulturelle Auswirkungen im Dunkeln bleiben. Die Suche nach Kontinuitäten und Vorläufern stößt daher schnell an ihre Grenzen und hat im Hinblick auf Identitäten rasch keinen Sinn mehr - man würde sonst schließlich stets bei Adam und Eva landen. Können angesichts dessen Versuche, archäologisch nachweisbare Bevölkerungskontinuitäten und die Fortdauer ethnischen Selbstverständnisses zu parallelisieren, als zentrale Frage- und Problemstellung aufrechterhalten werden?
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Zwei oben erwähnte Beispiele seien noch einmal genannt: Jordanes' Gotengeschichte des 6. Jahrhunderts schildert wohl die im byzantinischen Milieu vorherrschenden Auffassungen davon, woher „die Goten" kamen und was sie kennzeichnete. Ein Bedürfnis nach „Aufklärung" bestand aufgrund der vielfältigen kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Wandlungen der „gotischen Völker". Gerade wegen der unbefriedigend deutlichen kulturellen Besonderheiten war eine origo gentis von entscheidender Bedeutung für eine „Identitätsstiftung". Nur eine solche „intentionale Geschichte" vermochte einen politischen Handlungsrahmen zu liefern - indem sie sich über manche „Realität" hinwegsetzte. Für die Nordwestslawen ist mangels Uberlieferung nicht zu erkennen, ob ähnliche „historische" Herleitungen für das ethnische Selbstverständnis relevant waren. Angesichts der bis in die Karolingerzeit kleinräumigen Herrschaftsverhältnisse einerseits und der erst hochmittelalterlichen dynastischen Legenden bei Premysliden und Piasten811 andererseits sind keine traditionellen Rückgriffe zu erwarten. Deshalb ist es unwahrscheinlich, daß großräumige kulturelle Differenzierungen des frühen Mittelalters (Bestattungsart, Hausbau, Burgenbau, Keramik) zur ethnischen Abgrenzung von Bedeutung waren. Die Ermittlung kultureller Kontinuitäten liefert dennoch wichtige Anhaltspunkte. Verabschiedet man sich von der Vorstellung von der Kontinuität und nimmt verschiedene Bereiche bzw. Aspekte, Beziehungen und Entwicklungen in den Blick, wird ein kulturelles Geflecht sichtbar (Abb. 87). Eine derartige polykausale Erklärung vermag strukturelle Voraussetzungen, historische Rahmenbedingungen und kulturelle Entwicklungen adäquater zu beschreiben. Verkehrs- und Kommunikationsräume bilden eine notwendige Voraussetzung, um ein (ethnisches) Gemeinsamkeitsbewußtsein oder auch sprachliche Besonderheiten und soziale Beziehungen entstehen zu lassen. Sie sind jedoch kein hinreichender Anhaltspunkt, um diese Entwicklungen zwingend erschließen zu können. Statt einzelne „Kontinuitäten" so weit wie irgend möglich zurückzuverfolgen, verdient die Gegenüberstellung von kontinuierlichen und unterbrochenen Entwicklungen besondere Beachtung. „Unterbrechungen" können dabei durch Einflüsse von „außen" oder durch „innovative" Neuansätze, mitunter auch durch Rückgriff auf bereits „abgebrochene" Entwicklungen zustande kommen. Erst diese Gegenüberstellung läßt ein Urteil darüber zu, wie sehr und in welchen Bereichen die Sachkultur (oder auch die wirtschaftlichen Verhältnisse) einer bestimmten Zeit der vorangehenden Periode verpflichtet blieb
811
Cosmas von Prag; Gallus Anonymus; vgl. Graus 1980, 51-73.
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Abb. 87. Schematisierte Beziehungen zwischen „archäologischen Kulturen" im östlichen Mitteleuropa zwischen Bronzezeit und frühem Mittelalter. Kreise symbolisieren historisch bezeugte Gruppen, Rechtecke stellen „archäologische Kulturen" dar. Die Vielzahl an Verflechtungen (Pfeile) macht es unmöglich, die entscheidende kulturelle „Tradition" zu verfolgen. Einige „archäologische Kulturen" werden deshalb als „polyethnisch" bezeichnet. Tatsächlich macht die Grafik jedoch deutlich, daß keinerlei „ethnische Kontinuitäten" zu verfolgen sind (nach Herrmann 1986, 17)
oder in welchem Maße Neuansätze sie prägten. So ist für die kaiserzeitliche Germania die Suche nach eisenzeitlichen „Traditionen" ebenso wichtig wie die Frage, wie sehr die Nachbarschaft zum Imperium Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft der Barbaren bestimmte.812 Ebenso läßt sich die „Entstehung der Reihengräberzivilisation" nur dann befriedigend erklären, wenn diese Bestattungsform als Neuentwicklung auf der Grundlage unterschiedlicher Voraussetzungen beschrieben wird. Das Beispiel der frühmittelalterlichen Westslawen macht besonders deutlich, daß verschiedene „Elemente" der Sachkultur unterschiedliche „Kontinuitäten" widerspiegeln. Differenzierungen des Hausbaus kamen seit dem 7. Jahrhundert durch unterschiedliche Böden, Wasserverhältnisse und klimati-
812
Vgl. Völling 1995.
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sehe Bedingungen zustande; sie veränderten sich zudem mit der Zeit, indem Grubenhäuser allmählich aufgegeben wurden. Burgen wurden - regional unterschiedlich - erst seit dem 8. oder 9. Jahrhundert errichtet, besaßen also keinen gemeinsamen „Ursprung". Die Bestattungsformen nahmen zu verschiedenen Zeiten Einflüsse und Vorbilder aus den Nachbargebieten auf. Am schnellsten veränderten sich Keramikstil und -technologie. Während die Entwicklung einzelner kultureller Kennzeichen unterschiedlich weit zurückverfolgt werden kann, ist über deren regional und zeitlich verschiedene Kombinationen und damit über die „Kultur" insgesamt noch nichts ausgesagt. Sie läßt sich nicht durch unterschiedlich weit reichende „Traditionen" und „Kontinuitäten" erfassen, sondern nur regionen- und zeitspezifisch beschreiben.
c) Kulturwandel oder Ethnogenese? Ethnische Identitäten und ethnische Gruppen sind historisch geworden. Den Zeitpunkt (bzw. Zeitabschnitt) der Entstehung bzw. Herausbildung „ethnischer Gruppen" suchte die Archäologie anhand kultureller Veränderungen zu ermitteln. Da das archäologische Material beständig Veränderungen zeigt, mußten besondere, charakteristische Kriterien gefunden werden. Es sollte sich um deutlich erkennbare, d. h. umfassende und tiefgreifende Neuerungen („Brüche") in der Sachkultur handeln. Denn entscheidende politische Entwicklungen wie die Entstehung eines „Volkes" waren nur zusammen mit ebenso entscheidenden kulturellen Änderungen denkbar. Darüber hinaus sollten sich die Veränderungen möglichst rasch vollzogen haben, weil man sich die Entstehung „ethnischer Gruppen" als kurzfristigen Akt vorstellte, an den die eigentliche Geschichte eines „Volkes" anschloß. Derart umwälzende Neuerungen schienen vor allem an den archäologischen „Epochengrenzen" (beispielsweise zwischen Hallstatt- und Latène-Zeit) stattgefunden zu haben, während chronologische Phasen innerhalb der klassifikatorischen Großabschnitte (ζ. B. Latène Α - D oder die Stufen Jastorf I—II) lediglich graduelle Veränderungen unterschieden.813 All diese Überlegungen gingen davon aus, daß sich historische Entwicklungen im Bereich von ethnischer Identität, Sachkultur und Sprache praktisch synchron vollziehen. Es schien kaum vorstellbar, daß gravierende Neuerungen in der Sachkultur nicht zugleich auch immer ähnlich einschneidende Ver-
813
Vgl. Kap. V,ll,a.
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änderungen in der ethnischen Identität und Abgrenzung sowie in der Sprachentwicklung bedeuteten. Diese vermuteten „inneren Zusammenhänge" zwischen verschiedenen „Lebensbereichen" suggerierten zugleich eine innere Homogenität und eine scharfe Abgrenzung von Ethnien bzw. Gesellschaften nach außen. Nur wenn Sachkultur und Ethnizität, Sprache und Population als regelhaft kongruente Einheiten verstanden werden, bereitet dieses Vorgehen keinerlei methodische Probleme. Auf diese Art ist bislang interessanterweise fast ausschließlich der Entstehung von Sprachgruppen bzw. der „Ethnogenese europäischer Völker" nachgegangen worden.814 Dies ist allerdings ein unscharfer, verschleiernder Gebrauch der wissenschaftlichen Termini. Sprachgruppen wie Kelten, Germanen und Slawen besaßen kein übergreifendes, alle Sprecher der jeweiligen Sprache einbeziehendes Gemeinschaftsgefühl, das in gemeinsames Handeln hätte münden können. Sie waren deshalb keine „ethnischen Gruppen" im engeren Sinne. Ziel der genannten Bemühungen um die Herkunft der Kelten, der Germanen und der Slawen ist vielmehr die Aufhellung der jeweiligen „Glottogenese" - der Sprachentstehung und ihres kulturellen Hintergrunds. Nur die rt-pnon-Annahme, daß die Ausdifferenzierung der „indoeuropäischen" Sprachen mit einem kulturellen Auseinanderdriften verbunden war, vermag dieses Vorgehen zu rechfertigen. Vorausgesetzt wird letztlich die unbedingte Parallelität und Synchronität sprachlicher und kultureller Entwicklung. Für ethnische Gruppen im engeren Sinne sind von Seiten der Archäologie bisher kaum direkte Versuche unternommen worden, deren Ethnogenese anhand der Sachkultur auszumachen. Lediglich für größere „Stammesverbände" (Goten, Alemannen, Wilzen) gibt es Versuche, denen allerdings kaum eine deutliche kulturelle Abgrenzung von benachbarten und überhaupt nicht von zeitlich vorangehenden Gruppen gelungen ist. Trotz aller klar erkennbaren und in zahlreichen Stufenschemata sowie Chronologietabellen erfaßten kulturellen Wandlungen sind zugleich deutliche Kontinuitäten nicht zu übersehen. Seit dem Neolithikum zeichnen sich bei aller kulturellen Veränderung Kontinuitäten der Besiedlung ab. Dies war der wesentliche Grund für alle Auseinandersetzungen darum, zu welchem Zeit-
814
Vgl. Ethnogenese europäischer Völker 1986. - Der Begriff „Ethnogenese" könnte aus der sowjetischen Linguistik der 1920er Jahre um Nikolaj Jakovlevic Marr (1865-1934) stammen. Marrs „Stadientheorie" zufolge ändert sich die Sprache (als Element des Überbaus) und damit auch das Ethnos sprunghaft mit der Produktionsweise; vgl. Slezkine 1996. Doch ebenso läßt sich der Begriff als Übersetzung des Terminus „Volkwerdung" bei Mühlmann (1942; 1944) verstehen.
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Strukturelle Alternativen
punkt die Diskontinuitäten die Kontinuitäten überwiegen und deshalb der „Ursprung" eines (modernen) „Volkes" anzusetzen sei.815 Für die Kelten erhob sich die Frage, ob der entscheidende kulturelle Wandel mit dem Beginn der Urnenfelderzeit, der Hallstatt- oder der Latène-Zeit gleichzusetzen wäre. Für die Germanen lautete die Frage: Existenz seit dem Beginn der JastorfKultur, der jüngeren oder der älteren („nordischen") Bronzezeit, oder gar im Neolithikum?816 Für die Slawen finden sich ebenfalls bis in die Bronzezeit (zumindest bis zur Lausitzer Kultur) zurückreichende Ansätze, doch dominieren heute Bemühungen um Kontinuitäten vom frühen Mittelalter bis in die römische Kaiserzeit (vgl. Abb. 30). Das methodische Problem, Ethnogenesen an kulturellen Wandlungen festzumachen, läßt sich folgendermaßen eingrenzen: Welcher Kulturwandel ist mit ethnisch-politischen Neuformierungen zu verbinden? Was sind die Kriterien dafür, kulturelle Kontinuität oder Diskontinuität als entscheidend für den Bestand ethnischer Gruppen anzusehen? Gegenüber den im vorangehenden Abschnitt erörterten Kontinuitäts-Problemen spitzt sich die Frage hier darauf zu, welche der stets vorhandenen Kontinuitäten als relevant anzusehen sind. Vor 1945 wurden in der Regel die am weitesten zurückreichenden „Traditionsstränge" herangezogen. Nach der Jahrhundertmitte ist man vorsichtiger geworden und beschränkt sich heute meist auf jene „archäologische Kultur", die der historisch direkt mit Kelten, Germanen oder Slawen zu verbindenden Kultur vorangeht. Die Verfolgung bis zu den allerersten Anfängen bzw. Ursprüngen scheint die Sicht zu verstellen. Die Argumente für den jeweiligen Ansatz sind nicht grundsätzlicher methodischer Natur, sondern beruhen primär auf veränderten politischen und wissenschaftlichen Rahmenvorstellungen. Eine Ethnogenese bzw. die „Entstehung" einer gens setzt logischerweise voraus, daß das (kulturelle) „Davor" zwar eine (notwendige, aber nicht hinreichende) Voraussetzung der Entwicklungen darstellte, die stattfindenden Veränderungen aber eine neue „Qualität", neue kulturelle Charakteristika, bedeuteten. Kulturelle Kontinuitäten waren zwar die strukturelle Basis für ethnische Neuformierungen; sie sind aber kein Beleg „ursprünglicher", d. h. älterer ethnischer Zusammenhänge im Sinne direkter Kontinuitäten. Großgruppen wie Kelten, Germanen und Slawen, aber auch ethnische Gruppen,
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Die Emphase war und ist bei jenen „Völkern" erheblich geringer, die heute nicht mehr existieren oder die nicht in die direkte Vorfahrenlinie heutiger Nationen eingeordnet werden. Vgl. die Diskussionen um die vermeintliche Entstehung der Germanen aus der „Verschmelzung" von Megalith- und Einzelgrabkultur etwa bei Wahle 1932, 69.
„Ethnische Deutung" oder strukturgeschichtliche Erklärung?
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scheinen „aus dem Nichts" zu kommen. Der Prozeß der Herausbildung selbst bleibt im dunkeln, erst das Ergebnis ist in der schriftlichen Uberlieferung zu fassen, als diese großräumigen Barbarengruppen in das Bewußtsein der antiken Beobachter traten. Auch die Archäologie beleuchtet erst das „Ergebnis" dieser kulturellen Formierungsprozesse, nicht den Prozeßverlauf selbst. Da sich neu entstehende bzw. neu entstandene regionale Identitäten nicht in Veränderungen der Sachkultur niederschlagen müssen, steht die archäologische Ermittlung von Identitätswechseln vor einem doppelten methodischen Problem. Die Herausbildung der drei Großgruppen wird in der Zeit vor ihrer Konfrontation mit der Mittelmeerwelt vermutet, die die bereits bestehenden Gruppierungen zu einem bestimmten Zeitpunkt wahrnahmen. Die Verfolgung von materiellen Kontinuitäten stößt, wie erwähnt, rasch an ihre Grenzen, wenn damit mehr als der Nachweis ununterbrochener Besiedlung bezweckt wird. Verschiedene kulturelle Wandlungen bieten sich als Zäsuren an, doch die traditionellen, klassifizierenden Chronologie-Schemata überbetonen Beginn und Ende einer „archäologischen Kultur", während die „innere" Entwicklung bruchlos und kontinuierlich erscheint. Problematisch sind deshalb „ethnische" Bezeichnungen in Chronologie-Schemata. Hier sei lediglich auf Bezeichnungen wie „mykenisch" und „helladisch" in der Agäis sowie „kanaanitisch" und „israelitisch" in Israel bzw. Palästina verwiesen.817 Sie suggerieren - insbesondere dem breiten Publikum - eine Verbindung mit der Entstehung und Existenz antiker „Völker", obwohl damit allein zeitliche Einordnungen vorgenommen werden. Nationale Vorurteile bewirkten, daß alle drei Großgruppen bis auf die Bronzezeit zurückgeführt wurden. Tatsächlich tauchen sie mit einigem Abstand nacheinander in den Schriftquellen auf (ohne daß dies irgendwelche Prioritäten oder Wertungen bedeutet).818 Als die Germanen jenseits des Rheins politisch wichtig wurden, wurden die Kelten ins Imperium eingegliedert und Gallien römische Provinz. Als slawische Gruppen die Donau plündernd überschritten, hatten sich bereits „Germanenreiche" auf dem Boden des Imperiums etabliert. Der historische Charakter dieser Gruppen bedeutet auch, daß sie zu unterschiedlichen Zeiten entstanden - und auch wieder ver-
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Vgl. Buchholz 1987, 15; Mazar 1993, 174-530 (mittlere Bronzezeit II bis Eisenzeit). - Das absurdeste Beispiel „ethnisch" benannter Chronologiesysteme bot Petersen 1935, für den Bronze- und Eisenzeit die „frühgermanische Zeit" waren. Die Deutschen haben ebenso viel bzw. ebensowenig mit Germanen zu tun wie Iren oder Franzosen mit Kelten bzw. Galliern und wie Tschechen, Polen oder Russen mit frühen Slawen.
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Strukturelle Alternativen
schwanden. Die Suche nach gleichzeitigen, „ursprünglichen" Wurzeln wird erfolglos bleiben. Doch wird es durch diese Erkenntnis der Ungleichzeitigkeit möglich, daß sich die kulturellen „Ursprünge" räumlich nicht ausschließen müssen - „Keltisches" also rechts des Rheins zu „Germanischem" und „Germanisches" östlich der Elbe zu „Slawischem" werden konnte. 819 Das „Schweigen" der Quellen für die Zeit davor dürfte kein historiographischer Zufall oder Quellenproblem sein, sondern reale Entwicklungen reflektieren. Kelten, Germanen und Slawen entwickelten ihre Rolle in der Auseinandersetzung mit der Mittelmeerwelt, und erst in diesem Wechselspiel erlangten sie reale Bedeutung (wenn auch nicht zwangsläufig ein übergreifendes Gemeinsamkeitsbewußtsein), die sie zuvor nicht besaßen. Die jeweilige Alterität erzeugte auf beiden Seiten Identität. Doch nur in der unmittelbaren Begegnung wurde diese Zuschreibung wichtig, die eine kategorisierende „Identifikation" blieb. Weder bei Kelten noch Germanen oder Slawen gab es jemals eine übergreifende, derart riesige Räume umfassende Identität. Diese blieb regional beschränkt, weil die nähere Umgebung den alltäglichen Handlungsrahmen bildete. Die Ursprungsfrage scheitert daran, daß viele kulturelle Wurzeln zu beobachten sind, die „ausschlaggebende" Wurzel aber prinzipiell nicht identifiziert werden kann. Das „Neue", das aus diesem Wurzelgeflecht entstand 820 , ist das Entscheidende - und wird erst mit der schriftlichen Überlieferung greifbar. Umfassende Kommunikations-, Verkehrs- und Kulturräume entstanden durch innere und äußere Entwicklungen innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen - nicht in einem quasi naturwüchsigen Prozeß aus sich selbst heraus. Eine andere Frage ist die Sprachentwicklung, die nicht unmittelbar mit der kulturellen Entwicklung und ethnischen Gruppierungen verbunden ist. Die Linguistik setzt eine allmähliche, in ältere Zeiten zurückreichende Ausdifferenzierung der Einzelsprachen voraus. Bevölkerungen, die keltisch, germanisch oder slawisch sprachen, hätte es demnach bereits vor dem Einsetzen der greifbaren kulturellen und politischen Entwicklungen gegeben. Wo sich die Sprachen herausbildeten und wie groß die sie verwendenden Gruppen waren, entzieht sich unserer Kenntnis. Hoffnungen, die historische Anthropologie könnte hier weiterhelfen, sind unbegründet. Sie vermag Bevölkerungskontinuitäten und Genpoolveränderungen deutlich zu machen, aber nicht die soziale und kulturelle Zuordnung von Individuen und Gesellschaften. „Aus der Sicht der Anthropologie" läßt sich nichts zur „Ethnogenese europäischer
8,9 820
Das weitgehende Fehlen „vorsla-wischer" Ortsnamen östlich der Elbe deutet darauf hin. Vgl. Clarke 1968, 147 Abb. 20,b.d.
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Völker" beitragen, weil diese nichts mit biologischen Zusammenhängen zu tun haben.821 Die Abhängigkeit der Ethnogeneseprozesse von spezifischen historischen Umständen bedeutet, daß es verschiedene „Typen von Ethnogenesen" geben muß.822 Nicht nur die Entstehungsprozesse unterscheiden sich, auch die Struktur ethnischer Gruppen selbst differiert. Auch aus diesem Grunde kann es keinen universalen Zusammenhang zwischen deutlichen Wandlungen der Sachkultur und Ethnogenesen geben. Da ethnische Gruppen keine unveränderlichen Einheiten darstellen, sondern sich als offene dynamische Systeme unentwegt, wenn auch häufig unmerklich, verändern823, ist die Abtrennung eines Ethnogeneseprozesses schwierig. Allenfalls lassen sich Phasen allmählichen Wandels von solchen rascher, beschleunigter Veränderungen unterscheiden, wobei letztere auch als Ethnogenese bezeichnet werden können. Es läßt sich aber auch die Vorstellung ständig ablaufender Ethnogenesen vertreten. „Ethnogenesen, Stammesbildungen, sind offene Prozesse, die im Grunde nie zu einem festen Abschluß kommen. [...] Völker [...] sind ständigen Veränderungen unterworfen, so daß sie nach einiger Zeit gleichsam zu Homonymen ihrer selbst werden."824 In dieser historischen Perspektive wird die Unterscheidung zwischen Kontinuitäten und Geneseprozessen diffus. Sie ist eine analytische Klassifikation. Ethnische Gruppen im engeren Sinne bildeten sich in frühgeschichtlicher Zeit meist allmählich. Alemannen, Bayern, Wilzen und Abodriten entstanden erst in einem längeren Prozeß.825 Voraussetzung waren stabile, politisch erfolgreiche „Kristallisationskerne" mit glaubwürdiger und geglaubter Tradition. Am Beginn der Entwicklung stand ein politischer Zusammenhang (Herrschaft und Dominanz), der den auch „territorialen" Rahmen für Ethnogeneseprozesse bot.826 Kommunikationsräume waren in dieser Perspektive eine Voraussetzung. Entscheidende Grundlage für den dauerhaften Zusammenhalt war oft die „Erfindung" von Traditionen in sozialer Interaktion - eine überzeugende origo. Sie verknüpfte tatsächliche Begebenheiten und konstruierte Vorgänge zu einer mythischen oder „intentionalen Geschichte", dem die Gesellschaft zusammenhaltenden „kulturellen Gedächtnis".
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Vgl. aber den entsprechend betitelten Band: Ethnogenese europäischer Völker 1986. Vgl. Typen der Ethnogenese 1990a; Wolfram 1998. Dies gleicht Norbert Elias' Vorstellung eines „Wandlungskontinuums"; vgl. Elias 1988, 191 Anm. 3. Wolfram 1995, 15. Vgl. Kap, V,ll,b. Vgl. in etwas anderem Sinne Herrmann 1987.
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Strukturelle Alternativen
Ethnogenesen konnten mitunter parallel zur Besiedlung eines Gebietes verlaufen. Bayern und Alemannen, Abodriten und Wilzen, Isländer und Ungarn wanderten nicht in die späteren Siedlungsgebiete ein, sondern entstanden erst dort aus einem „colluvium gentium". Ebenso sind die „deutschen Neustämme", die im östlichen Deutschland durch die hochmittelalterliche Ostsiedlung entstanden (Pommern, Mecklenburger, Brandenburger), ein Ergebnis wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Neuformierungen. Die mit solchen „Landnahmen"827 bzw. einem Landesausbau verbundenen kulturellen Veränderungen belegen zunächst jedoch die Herausbildung neuer Kommunikationsräume. Die Verfestigung von Herrschaft oder gar Identitäten läßt sich daran nicht unmittelbar ablesen - diese konnten sich eigenständig und zur Abgrenzung innerhalb dieser Kulturräume entwickeln. Denn ethnische Gruppen sind politisch und sozial bestimmt, doch zu ihrer Abgrenzung werden kulturelle und sprachliche Merkmale flexibel und symbolisch benutzt. In systematischer Perspektive hängen „Kontinuitäten" und „Ethnogenese" eng zusammen; beide unterscheidet, ob die Betonung auf kontinuierliche oder auf unterbrochene Entwicklungen gelegt wird. Wandlungen der Sachkultur (ebenso wie der Kultur insgesamt) stellen keinen Sonderfall, sondern etwas Alltägliches, ständig Ablaufendes dar. Die Allgegenwart von Kontinuitäten erfordert es, ihre Bedeutung gegen die von Neuerungen abzuwägen. Tiefgreifende, alle Bereiche erfassende Brüche und Neuanfänge sind selten. Die „Slawisierung" Ostmitteleuropas scheint ein Beispiel zu sein - ohne daß sich dies anhand der Sachkultur im einzelnen beweisen ließe; ebenso dürfte eine archäologisch erfaßte Erstbesiedlung zuvor unbesiedelter Gebiete ethnische Neuformierungen nahelegen, wenn auch nicht belegen. Neuansätze zeigen sich meist in einzelnen Aspekten der Sachkultur. Deshalb sollten die Einzelaspekte zunächst separat untersucht werden, bevor ihre Entwicklung miteinander verglichen werden kann. Dann zeigt sich die Parallelität von Fortführung und Neubeginn, die zu weiterführenden Analysen Anlaß gibt: Was bedeuten Stilveränderungen an Keramik oder Schmuck, wenn gleichzeitig wirtschaftliche Verhältnisse, Siedlungs- oder Grabformen beibehalten werden? Welche Aspekte wie stark von Veränderungen erfaßt wurden, inwieweit diese Wandlungen rasch, parallel, synchron oder räumlich kongruent verliefen, all dies erlaubt Rückschlüsse auf die Dynamik der Kulturentwicklung. Die Verhältnisse in der Landwirtschaft änderten sich nur allmählich, so daß
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Corredini 2001.
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dort wichtige Neuerungen (Aufstallung, Wendepflug, Anbau neuer Getreidearten, Haltung neuer Tierarten oder auffällige Bevorzugung einer Art) besondere, grundlegende Bedeutung besaßen. „Modische" Veränderungen von Keramikformen und -Verzierungen, Schmuck oder Kleidung erfolgten vergleichsweise rasch und häufig828, weshalb sie nicht überbewertet werden sollten. Der Bedarf an neuen Schmuckformen konnte aber auch technologische Neuerungen erzwingen und damit weitere, auch wirtschaftliche oder gar soziale Auswirkungen besitzen, wenn der Zugang nicht jedermann möglich war. Solche Überlegungen und Vergleiche sind es, die kulturelle Veränderungen in struktureller Hinsicht interessant werden lassen.
d) Wanderungen oder Austauschbeziehungen? Schriftliche Quellen berichten seit der Antike nicht selten von Wanderungen größerer und kleinerer Gruppen. Bei aller Skepsis gegenüber manchem literarischen Topos der antiken Ethnographie ist an der Existenz prähistorischer und frühgeschichtlicher Migrationen nicht zu zweifeln.829 Dabei handelte es sich um sehr verschiedene Bewegungen von Menschen. Neben der - nicht selten überschätzten830 - Mobilität von Individuen und deren Begleitung (durch exogame Heiratsbeziehungen, „Händler", „Abenteurer", Boten) waren kleinere oder größere Gruppen unterwegs.831 Neben kriegerischen Trupps zogen größere Plünderergruppen (Völkerwanderungszeit) rasch umher, doch gab es auch umfangreiche „Landnahmen" bzw. Landesausbau und Kolonisationsvorgänge - vom Beginn des Neolithikums (Linearbandkeramik) über die Besiedlung Islands und Grönlands bis zur hochmittelalterlichen Ostsiedlung.832 Deshalb muß von unterschiedlichen Wanderungsmodellen ausgegangen werden.833 „Völkerwanderungen" im Sinne der Migration ganzer Be-
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Nur deshalb stellen sie ein wichtiges Hilfsmittel der Chronologie dar. Anthony 1990; Pohl 2002a. Wierschowski 1995, 270-272, hebt hervor, daß sich selbst unter den großräumig orientierten Verhältnissen des Imperiums nur ein kleiner Teil der Leute Mobilität leisten konnte. In Gallien waren es allein „Händler und Transporteure sowie deren Personal", die aus wirtschaftlichen Gründen weite Reisen unternahmen. Der Anteil der Frauen lag - den Inschriften nach zu urteilen - bei weniger als einem Fünftel (ebd., 262). Dies belegen ζ. B. recht zahlreiche Runensteine der Wikingerzeit, die dennoch nur einen kleinen Teil am Gesamtbestand ausmachen; Larsson 1990. Vgl. Ausgewählte Probleme europäischer Landnahmen 1993; 1994; Böhme 1996b. Dobesch 1983.
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Strukturelle Alternativen
völkerungen waren die historische Ausnahme.834 Meist „wanderten" Teile bzw. Untergruppen von Populationen. In historischer und archäologischer Sicht interessieren meist drei Aspekte von Migrationen - „(Ur-)Heimat" bzw. Ausgangsgebiet, die Wanderung selbst und die Niederlassung in einer anderen Region (einer neuen Heimat).835 Heerzüge, Wanderungen und „Landnahmen" erfolgten nicht beliebig und zufällig wie manche Plünderungen. Sie orientierten sich wie erwähnt an „traditionellen" Verkehrsleitlinien oder -bahnen (Abb. 88). 836 Diese Verbindungswege und Kommunikationsverbindungen wurden durch naturräumlich-geographische und historisch-kulturelle Bedingungen bestimmt und oft über jahrhundertelange Zeiträume genutzt - die „Invasionen" von Steppenvölkern (von den Kimmeriern und Skythen über Hunnen und Awaren bis zu den Ungarn und Türken) aus dem Osten bzw. Innerasien kamen stets aus derselben Richtung. Entlang dieser Einfallslinien erstreckten sich gleichzeitig überregionale Austauschrouten, die große Entfernungen überwanden. Erinnert sei in willkürlicher Zusammenstellung an die neolithischen Spondylus-Muscheln, den frühmittelalterlichen Bezug von Granat aus dem südlichen Asien, die kleine Buddha-Figur aus Helgö, den wikingerzeitlichen Silberimport aus dem arabischen Machtbereich über die Volga oder auch die „Seidenstraße". Die „Routen" der spätantik-frühmittelalterlichen „Völkerwanderungen" decken sich ebenfalls mit althergebrachten Kommunikations- und Austauschverbindungen. Die Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten im archäologischen Material belegen daher nicht unmittelbar Bevölkerungsbewegungen, auch wenn diese im frühen Mittelalter meist aus der Retrospektive (Jordanes, Paulus Diaconus)837 geschildert wurden. Die berichteten „Züge" der Goten von der Weichsel über Bug und Dnestr bis zum Schwarzen Meer oder der Langobarden von der Elbe zur Donau und nach Italien folgten traditionellen Austausch-Routen, die sich immer wieder und anhand zahlreicher „Typen" im archäologischen Material nachzeichnen lassen.838 Dies ist kein überraschender Befund, denn Wanderungen orientieren sich zwangsläufig an diesen Routen, über die Nachrichten und Güter übermittelt werden. Nur kann an-
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Seit Schmidt 1778 wird der mittelalterliche lateinische Begriff migratio gentium im Deutschen fälschlich als „Völkerwanderung" wiedergegeben. Dies ist eine mißratene Lehnsübersetzung, die im Zusammenhang mit dem Volksbegriff des 19. und 20. Jahrhunderts zu manchen Mißverständnissen antiker Quellen führte: Wolfram 1990, 17. Man vgl. die Beispiele Goten, Langobarden und westliche Slawen. - Siehe Kap. V,12. Steuer 1998a, 285-287. - Vgl. Menke 1987. Goffart 1988,20-111, 329-431. Vgl. etwa Näsman 1998,265 Abb. 2 (Glasgefäße).
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Abb. 88. „Verkehrsleitlinien" im spätantiken und frühmittelalterlichen Mitteleuropa. Die Verbreitungsbilder unterschiedlicher Kleidungsbestandteile (Fibeln) oder Keramikformen (eiförmige Töpfe der Kaiserzeit, frühmittelalterliche Stempelkeramik) belegen weiträumige Verbindungen (vgl. Text), die hier schematisch mit linearen Pfeilen wiedergegeben sind. Von der Eisenzeit bis ins Mittelalter orientierte sich die Kommunikation an diesen und weiteren Leitlinien, die u. a. durch die großen Ströme .vorgegeben" waren, aber auch die Wechselbeziehungen unterschiedlicher „Kulturräume" reflektierten. Den langfristig bestehenden Routen folgten auch Heerhaufen und Wanderertrupps. Austausch und Migration zu unterscheiden, bleibt deshalb ein schwieriges Unterfangen (ergänzt nach Steuer 1998, 286 Abb. 1)
gesichts dieser Parallelität nicht davon ausgegangen werden, daß der Austausch von Gütern stets mit Migrationen größerer Gruppen verbunden war. Das fundamentale methodische Problem besteht darin, Wanderungen von Individuen bzw. Gruppen und Austausch von „Gütern" begründet auseinanderzuhalten (Tab. 21).839 Derselbe Sachverhalt bzw. dieselbe Fundverbreitung läßt sich eher dynamisch als Mobilität von Personen und eher statisch als struktureller Austausch bzw. kulturelle Diffusion erklären. Beide Vorgänge spiegeln
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Migrations and invasions 1997; Böhme 1996b.
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Strukturelle Alternativen
Tab. 21. Verschiedene Formen des Kontakts im wikingerzeitlichen Ostseeraum. Alle diese Beziehungen können materielle Spuren hinterlassen, ohne daß von diesen Relikten direkte Schlüsse auf die Art der Beziehungen möglich wären. Denn es gibt keine eindeutigen Wechselverhältnisse zwischen Sachkultur und Austauschform (nach Callmer 1992; vgl. Müller-Wille 1997; Stalsberg 1989, 465-467) Kontakte mit sozialer Integration
Kontakte ohne soziale Integration
Zusammentreffen und Kommunikation
Plünderungszüge
Verbrüderung und Heiratsbeziehungen
Überfälle und Krieg
Austausch- und Handelsbeziehungen eher symbolische Tributverhältnisse
existenzbedrohende Tributverhältnisse
Kolonisierung (Enklaven)
Kolonisierung (Zerstörung bestehender Besiedlung)
sich in Ähnlichkeiten der Sachkultur zwischen verschiedenen Regionen und „Fremdgütern" wider. Letztere, auch „Importe" genannt, beschreiben die Richtung des Austausche bzw. der Wanderung. Daß „das methodische Instrumentarium zum generellen Nachweis von Migrationen, namentlich in der Koppelung der Befunde zwischen Auswanderungs- und Einwanderungsraum, [...] mittlerweile weithin erprobt, weiterentwickelt und verfeinert worden" ist, 840 trifft daher nur eingeschränkt zu. Eindeutige, universale Kriterien zur Differenzierung zwischen Bewegungen von Menschen und von „Gütern" konnten bisher nicht ermittelt werden. Die Bevorzugung der einen oder der anderen Erklärung läßt sich primär auf zeit(geist)abhängige Fragestellungen in der Archäologie und weniger auf methodische Überlegungen zurückführen; 841 außerdem spielt der jeweilige antiquarische Forschungsstand eine Rolle. 8 4 2 Das Konzept von „Wanderungen" konkurriert unmittelbar mit Autochthonievorstellungen. Beide schließen sich, werden sie verabsolutiert, gegenseitig aus. Die Richtung der „Beziehungen" kann mit Hilfe des wahrscheinlichen Produktions- bzw. Herkunftsraumes angegeben werden, der meist anhand des Verbreitungsschwerpunktes ermittelt wird. Allerdings bereitet hierbei u. a. die Existenz von Wanderhandwerkern methodische Probleme, da dann ein genaues Herkunftsgebiet oder gar ein -ort nicht angegeben werden können. 843 Des weiteren muß mit einer Ideenausbreitung gerechnet werden, die
840 841 842
843
Bierbrauer 1994, 76. Härke 1997b. Kahrstedt 1937/38, 401: „Wanderungen lagen umso näher, je lückenhafter das Material der Bodenfunde war, je größer damit der Abstand zwischen der Physiognomie der älteren und der jüngeren Nekropole oder Siedelung. Je mehr sich die Lücken schließen, desto stärker wird die Kontinuität, umso schwerer wird es, wirkliche Sprünge nachzuweisen." Vgl. Roth 1985, 171.
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die Herstellung „fremder" Formen möglich macht. Naturwissenschaftliche Analysen der Materialzusammensetzung vermögen allein die Herkunft des Rohstoffs zu klären, nicht jedoch den Produktionsort (ausgenommen wohl Keramik). Nur Werkstätten stellen einen eindeutigen Beleg dar. Die Chronologie der Funde hilft dagegen kaum weiter. Denn der Austausch wird anhand typologisch einander entsprechender Objekte greifbar, die deshalb innerhalb der archäologisch abgrenzbaren Zeitspanne als zeitgleich anzusehen sind und insofern keine Ausbreitungs- oder Wanderungsrichtung anzeigen können (Abb. 89). Ein chronologischer Unterschied und damit eine Ausbreitungsrichtung werden erst mit Veränderungen sichtbar, die dann jedoch eine zwar beeinflußte, aber unterschiedliche Entwicklung in benachbarten Räumen belegen. Eine „Wanderung" kann daraus nicht abgeleitet werden. Allenfalls sind indirekte Hinweise denkbar, die ζ. B. den (weitgehenden) Abbruch der Besiedlung im mutmaßlichen „Ausgangsraum" nahelegen. Aber auch in solchen Fällen ist zunächst zu überprüfen, ob sich eine fortdauernde Besiedlung nicht lediglich dem Nachweis entzieht. Denn Abwanderungen ganzer Bevölkerungen sind eine seltene Ausnahme und damit ein unwahrscheinlicher Sonderfall. Vorausgesetzt, eine bestimmte Fundverbreitung ist mit Wanderungen in Verbindung zu bringen, handelt es sich dann um den unmittelbaren materiellen Niederschlag der Migration selbst? Die Dynamik von Migrationen könnte dazu führen, daß während des raschen „Vordringens" kaum charakteristische Funde in den Boden gelangen. Erst mit dem Abschluß der Wanderung konsolidieren sich die Verhältnisse wieder und führen zu charakteristischen Befunden und Fundverbreitungen. Wanderungen bedeuten meist nicht das Abreißen der Verbindungen in die Herkunftsgebiete. Auch nach der „Niederlassung" an neuen Orten bestehen mehr oder weniger intensive Beziehungen „nach Hause", die auch „Rückwanderungen", d. h. die Bewegung von Individuen und Gruppen in die „Ausgangsgebiete", einschließt. Auf diese Weise folgen Austauschbeziehungen einer vorangegangenen „Auswanderung". Gleichartige Funde zwischen mutmaßlichem Herkunfts- und Zielgebiet belegen dann nicht das etappenweise Vordringen, sondern spätere synchrone Austauschverhältnisse und damit die strukturellen „Folgewirkungen" von Wanderungen, deren Ergebnis.844 Die genannte häufige Übereinstimmung von Wanderungs- und „traditionellen", langfristig genutzten Austauschrouten erschwert es zusätzlich, me844
Steuer 1998a zeigt dies für die Alemannen, die seit dem späten 3. Jahrhundert am Oberrhein überliefert sind, deren Beziehungen nach Nordosten jedoch erst mit dem 4. Jahrhundert zu fassen sind.
Strukturelle Alternativen
Abb. 89. Verbreitung der sogenannten „Elbefibeln" (Typ Almgren VI,174-176). Diese Fibeln stammen aus dem 3. und 4. Jahrhundert. Die Karte zeigt Beziehungen zwischen Südwestdeutschland (zwischen Main und Donau), Thüringen und der unteren Elbe. Ob diese Beziehungen zugleich „Wanderungen" größerer Gruppen nach Süden oder aber Kontakte nach der „Wanderung" reflektieren, ist umstritten (nach Steuer 1998a, 294 Abb. 3) thodisch begründet zwischen Austausch, Wanderung und Austausch als Folge v o n W a n d e r u n g zu unterscheiden. Die Ähnlichkeiten zwischen W i e l b a r k und C e r n j a c h o v - S î n t a n a - d e - M u r e j - K u l t u r
beispielsweise w e r d e n aufgrund
„Ethnische Deutung" oder strukturgeschichtliche Erklärung?
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der Gotengeschichte bei Jordanes als Wanderung der Goten interpretiert. Doch bereits die späteisenzeitliche Poienejti-Lukasevka-Kultur (ebenfalls im östlichen Rumänien und in Moldawien) zeigt Verbindungen zur Ostsee.845 Beide Befunde sprechen nicht nur für Wanderungen, sondern auch für jahrhundertelang anhaltende Verbindungen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer über Weichsel/Bug und Dnestr. Eine Wanderung läßt sich nur dann identifizieren, wenn die Sachkultur des Ausgangsraumes auf der Wanderschaft weitgehend unverändert erhalten bleibt. Änderungen des Habitus - Vereinfachung, Aufnahme fremder Einflüsse, „Akkulturation" und Anpassung - ergeben ein variables Erscheinungsbild, bis es im Extremfall völlig unkenntlich wird.846 Eindeutige Beziehungen zum Herkunftsgebiet lassen sich dann nicht mehr feststellen, so daß diffusionistische Modelle bevorzugt werden. Grundlage einer solchen WanderungsArgumentation wäre außerdem, daß die „beteiligten" Kulturen - Aus- und Einwanderungsraum - als weitgehend homogen und distinkt angesehen werden müssen. Anderenfalls könnten „fremde" Züge nicht als Personenbewegungen aufgefaßt werden. Kleidung ist in dieser Beziehung kaum ein geeigneter Indikator, weil sie primär Differenzierungen innerhalb einer Gesellschaft ausdrückt. Die - sollen Migrationen im archäologischen Material identifiziert werden- kaum aufzugebende Prämisse kultureller Homogenität verhindert zugleich, daß „Vorstöße" und personale Mobilität innerhalb desselben kulturellen Milieus festgestellt werden können. Kleinräumige „Verschiebungen" bleiben so im archäologischen Befund zwangsläufig unentdeckt, obwohl sie durchaus wahrscheinlich sind, denn Kontakte zwischen unmittelbaren Nachbarn dürften stets enger, häufiger und intensiver als Fernbeziehungen sein.847 Ebenso „unsichtbar" bleiben Migrationen ohne materiellen Niederschlag wie z. B. kurzfristige Bewegungen. Insgesamt steht daher nicht die Existenz von Wanderungen in Frage, sondern lediglich der methodisch überzeugende Nachweis von Bevölkerungsbewegungen - seien es größere oder kleinere Gruppen - bzw. der begründete Ausschluß anderer denkbarer Vorgänge (Kommunikation, Austausch, Handel). Allein schriftliche Quellen können, wie im Fall der spätantiken „Völkerwanderungen", Anhaltspunkte liefern, um archäologische Befunde in eine bestimmte historische Situation einordnen zu können. 845 846 847
Babe? 1993. Burmeister 1996; 1997; 1998. Ahnlich liegen die methodischen Probleme beim Nachweis von Exogamie; vgl. unten Kap. VII,22, a.
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Auch über einen „Umweg" kann die Archäologie Migrationen kaum auf die Spur kommen. „Übervölkerungen" als auslösender Faktor von „Völkerwanderungen" kannte bereits die antike Ethnographie, die diese Erklärung geradezu als Topos handhabte. 848 Bereits Herodot berichtete von Wellen von Barbaren, die aus dem Norden zum Mittelmeerraum vordrangen. 849 Übervölkerung ist jedoch ein relatives Problem, das vom jeweiligen wirtschaftlichen Rahmen abhängig ist und deshalb kaum anhand der archäologischen Fundplatzdichte „berechnet" werden kann. Andere Gründe wie klimatische Veränderungen, wirtschaftliche Krisen, mehrere aufeinanderfolgende Mißernten und Hunger, Verlockungen des zivilisierten und reichen Südens, Abenteuerlust und Bewährungsdrang der Barbaren gehören zu den Standarderklärungen der antiken und mittelalterlichen Beobachter wie der modernen Historiographie. Stichhaltige Belege dafür lassen sich allerdings kaum finden, auch wenn diese Angaben nicht unglaubwürdig zu sein scheinen. Wenngleich in unterschiedlichen Situationen verschiedene Faktoren eine Rolle gespielt haben dürften, ist meist mit mehreren Ursachen gleichzeitig zu rechnen. Die „Völkerwanderungen" der Spätantike wurden durch die schrittweise Transformation des Imperiums ausgelöst, als bisherige Verbindungen und Versorgungen immer weniger funktionierten - und den Barbaren damit Grundlagen bisheriger Existenz abhanden kamen. Strukturelle Voraussetzung für diese Entwicklungen waren langdauernde Kontakte und Begegnungen zwischen Hochkultur und Barbarenwelt. Nur unter diesen Voraussetzungen konnten „Germanenreiche" auf „Reichsboden" entstehen. Für eine strukturelle Betrachtung ist es nicht entscheidend, in welchem Maße Mobilität von Personen oder Güteraustausch vorliegen. Wichtig erscheint, was Kommunikation und Austausch im umfassenden Sinne - vom Modeeinfluß über technologische Übernahmen bis zur Beeinflussung sozialer Strukturen - für die jeweiligen Gesellschaften bedeuteten. „Luxuriöse Fremdgüter" dienten in den eisen- und kaiserzeitlichen Gesellschaften einer Elite zur Statusdemonstration im Grab. In welchem Maße beeinflußte aber dieser „Import" - sei er durch Handel, Gabentausch oder Plünderung erworben die soziale Differenzierung der barbarischen Gesellschaften? Welche strukturellen Folgen für Alltag, „Traditionen" und Vorstellungswelt hatten überregionale Elitenbeziehungen und die (wenn auch vielleicht nur vage) Kenntnis anderer „Kulturen"?
848 849
Jordanes, Getica 111,18 ff.; IV,26-28; Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1,1. Herodot, Historiae IV,13.
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Die Zufuhr römischer Bronzegefäße diente nicht allein Prestigebedürfnissen und dem „richtigen" Gebrauch dieser Kessel, Eimer, Kasserollen oder Schöpfkellen. Sekundär gewann man aus unbrauchbar gewordenen Stücken Rohmaterial für die Herstellung eigener Gefäße, eigenen Schmucks oder einheimischer Kleidungsbestandteile.850 Technologische Übernahmen konnten die Entwicklung neuer Handwerkszweige und Stile zur Folge haben und damit zugleich die wirtschaftlichen Strukturen verändern. Imitationen von Schmuck und Darstellungen führten u. U. - wie bei den völkerwanderungszeitlichen Tierstilen und Brakteaten - zur Veränderung der Symbolwelt. Inwieweit wurden mit den römischen „Militär-" und Amtsgürteln auch Teile des damit verbundenen Verständnisses von Rang und Amt übernommen? Der von einer Elite vollzogene Übergang zur Körperbestattung in der kaiserzeitlichen Germania, ebenso die Durchsetzung dieser Bestattungsform in Nordgallien und im Rheinland während der Spätantike oder in Ostmitteleuropa im 9./10. Jahrhundert, folgten südlichen bzw. westlichen Vorbildern und dürften religiöse und Jenseitsvorstellungen grundlegend verändert haben. Die Zufuhr arabischen Münzsilbers in den Ostseeraum (und die gleichzeitige Übernahme von Waagen und Gewichten aus dem Nahen Osten) ermöglichte erst die Entstehung einer Gewichtsgeldwirtschaft, die Silber als allgemeines Äquivalent voraussetzte und damit den Warenaustausch abwickelte. Diese und viele weitere Übernahmen und Einflüsse hatten nicht zwangsläufig tiefgreifende und einseitige kulturelle Wandlungen zur Folge. Der Austausch beeinflußte beide Seiten, und manchen Einflüssen konnte man sich verweigern. Dies zu berücksichtigen und vergleichend zu untersuchen, zählt zu den zentralen Aufgaben archäologischer Forschung.
e) Fremde oder Fremdgüter? Außergewöhnliche und damit „fremde" Objekte innerhalb des Sachguts lassen auf auswärtige „Herkunft" dieser Stücke schließen.851 Ebenso sind von der kulturellen „Regel" abweichende, aber anderswo verbreitete Bestattungen, Kleidungsbestandteile und Bauweisen als fremde Beeinflussungen zu werten. Als Erklärungen können einerseits Gabentausch, (Fern-)Handelsbzw. Prestigegut, „Tribut" (wie ζ. B. das von den Wikingern erpreßte Dane-
850 851
Voß/Hammer/Lutz 1999; Hoeper 1999. Vgl. Steuer 1992b; Kap. V,13.
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Strukturelle Alternativen
geld 852 oder die von Byzanz an Barbarenkönige entrichteten Jahrgelder 853 ) oder Plünderungsgut (wie die „Alemannenbeute" aus dem Rhein bei Neupotz 854 oder wikingisches Raubgut 855 ) dienen. Es mögen fremde „Moden" aufgenommen oder Kuriosa bzw. „Souvenirs" gesammelt, aber auch „Akkulturationsprozesse" initiiert worden sein. Andererseits kann auch die Mobilität von Personen angenommen werden - sei es die Zuwanderung kleiner Gruppen wie „Gefolgschaften", sei es die Einheirat „fremder" Frauen 856 durch exogame Heiratsbeziehungen. Wie läßt sich aber begründet entscheiden, ob es sich „nur" um den Austausch von Objekten oder aber um die unmittelbare Anwesenheit „fremder" Individuen handelt? 857 Joachim Werner formulierte die methodische Zielsetzung für die Frühgeschichte folgendermaßen: „Die Analyse dieser [langobardisch-alemannischen - S. B.] Kontakte ist eine weitere Aufgabe der Forschung, wobei die Begriffe .Handel' und .Import' zur Erklärung einzelner Phänomene heute nicht mehr ausreichen, sondern zunächst einmal alle Möglichkeiten der Mobilität von Personen bedacht werden müssen."858 Werner dachte hierbei primär an den direkten Nachweis „fremder" Individuen, vor allem aufgrund von Kleidungsbestandteilen. 859 Doch auch „Handel" und „Import", d. h. der Austausch von „Gütern", wird stets über die „Mobilität von Personen" abgewikkelt, auch wenn Fremdgüter selten im „Gepäck" einer Person über weite Strecken ausgetauscht, sondern meist „etappenweise" gehandelt werden. Die idealtypische Gegenüberstellung erweist sich im konkreten Einzelfall als heuristisches Dilemma - welcher Interpretation soll aufgrund welcher Kriterien der Vorzug gegeben werden? Häufig werden auch Grabausstattungen mit „einheimischen" und „fremden" Kleidungsbestandteilen unbesehen als „Fremde" interpretiert, ohne daß diese Entscheidung näher begründet werden könnte, denn das Gegenteil ist nicht weniger wahrscheinlich. Ebenso
852 853 854 855 856 897
858 859
Blackburn/Jonsson 1981, 150, 153. Hinsichtlich der Awaren vgl. Pohl 1988, 180-182; Kiss 1986. Künzl 1993. P. Sawyer 1990, 284 f., 287; Jansson 1987, 800 f. Das archäologische Konzept der „fremden Frau" geht wesentlich auf folgende Arbeiten zurück: Krämer 1961; J. Werner 1961; 1970. Zur Kritik vgl. Jordan 2000. Falls der Nachweis einer „fremden" Person mithilfe von Kleidungsbestandteilen oder auf anderem Wege gelingen sollte, ist damit noch nichts über deren „ethnische Identität" ausgesagt. „Fremdheit" kann auch anders definiert werden - als Herkunft von anderswo. J. Werner 1980a, 45 (Hervorhebung von mir - S. B.). Brugmann 1996, 79, zufolge lebte Werners Modell „unausgesprochen von der Vorstellung, daß ethnische Zugehörigkeit durch die Geburt festgelegt war und von einer Frau ihr Leben lang durch ihre Tracht signalisiert wurde - auch wenn sie durch Heirat in engen Kontakt mit einer fremden Kultur kam".
„Ethnische Deutung" oder strukturgeschichtliche Erklärung?
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problematisch scheint es, Grabinventare mit Objekten unterschiedlicher geographischer (und „ethnisch" interpretierter) Herkunft als „fremde Frauen" zu apostrophieren.860 Eine „eindeutige" regionale Herkunft läßt sich nicht feststellen, und dennoch soll es sich um eine „Fremde" handeln, statt daß eine „Einheimische" sich eine patchworkartige „exotische" Kleidung zugelegt hatte? An diesen Beispielen zeigen sich die Grenzen des Modells und die Vorzüge einer strukturellen Betrachtung. Exogame Verwandtschaftsverhältnisse sind eine verbreitete und nicht unwahrscheinliche Erklärung für „fremd" anmutende Grabausstattungen innerhalb von Nekropolen. Konkurrierende Interpretationen sind jedoch nicht a priori unwahrscheinlicher - denn daß „Frauen nur einmal im Leben Fibelschmuck erhielten"861 und diesen dann lebenslang unverändert trugen862, d. h. alle Moden ignorierten, bleibt ein unbewiesenes und unbeweisbares Postulat.863 Der Erwerb besonderer, „fremder" Kleidungsbestandteile oder Ausrüstungsteile oder eine abweichende „Trageweise"864 mögen aufgrund von „Exotik", Kuriosität oder Neuheit zusätzlich zum „Materialwert" soziales Prestige bedeutet und verschafft haben.865 Gabentausch dürfte eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben, und auch Plünderung und Raub waren nicht unwesentlich. Darüber hinaus ist die Orientierung an (prestigeträchtigen) kulturellen Vorbildern in Betracht zu ziehen. Die Einbeziehung in neue Herrschaftsräume und -Verhältnisse führt meist zu einer auch kulturellen Orientierung der einheimischen primores am nun politisch dominierenden Vorbild. Ihr Habitus mußte sich an dem der neuen Eliten ausrichten, wollten sie ihre soziale und politische Stellung bewahren. Einzelne „fränkisch" ausgestattete Gräber in der merowingerzeitlichen Alemannia können so den Zuzug von Franken widerspiegeln, aber auch die beginnende kulturelle Neuausrichtung der einheimischen Oberschicht am merowingischen Vorbild oder die Herausbildung einer neuen, kulturell „fränkisch" orientierten Elite. Die un-
860
861 862 863 864
865
Zu solchen „Mischinventaren" meint Jansson 1992, 76: „They must show more complex social interactions". U. Koch 1996b, 35. Schmauder 2003, 304. Gebrauchsspuren widersprechen dem; v. Richthofen 2000; Martin 1987. Eine fremde „Trachtlage", wie sie J. Werner 1970, 78, favorisierte, stellt ebenfalls kein zwingendes Argument für fremde „ethnische" Herkunft dar. Die Anbringung von Fibeln bzw. Nadeln deutet - wenn diese Stücke funktional verwendet wurden, was sich schwer nachweisen läßt - primär auf den Schnitt der Kleidung hin. Dies vermutet beispielsweise Wamers 1985, 42, für die insularen Beutestücke in wikingerzeitlichen Frauengräbern Norwegens, die häufig durch einen „Westzug" des Mannes oder naher Verwandter beschafft worden sein dürften.
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Strukturelle Alternativen
bestrittene Vorstellung großer personaler Mobilität in der Völkerwanderungszeit birgt die Gefahr, einseitig nur ein Interpretationsmodell einzusetzen. Exogame Regeln bestimmen, daß der Heiratspartner außerhalb der eigenen Gruppe gesucht werden muß, wodurch soziale Beziehungen geknüpft und bekräftigt werden. 866 Die beteiligten Gruppen befinden sich in der unmittelbaren oder näheren Nachbarschaft - im selben Dorf oder in den umliegenden Siedlungen, wodurch sie zur eigenen „ethnischen Gruppe" gehören. 867 Diese Beziehungen bzw. deren materieller Niederschlag entgehen der Archäologie meist, weil sie sich im selben kulturellen Milieu abspielen und deshalb keine „sichtbaren" Spuren hinterlassen. „Fremde" Objekte spiegeln Austausch über größere Entfernungen wider, so daß möglicherweise dahinterstehende Heiratsbeziehungen besser als „Xenogamie" bezeichnet werden müßten. 868 Die Anknüpfung derart weitreichender Verwandtschaftsnetze bleibt stets auf eine schmale Spitzengruppe beschränkt, für die „diplomatische Heiraten" handfeste Vorteile bedeuten. Für die „breite Masse" hatten überregionale familiäre Beziehungen weder sozial noch wirtschaftlich einen Sinn, weil sie für den Alltag keinen Gewinn bedeuteten. Im Einzelfall ist eine begründete Entscheidung zwischen „fremder" Person und „Fremdgut" kaum möglich. Kleidung und Person waren nicht lebenslänglich aneinander gekoppelt. Modewechsel, Gabentausch und Prestigegüter sprechen dagegen. So scheint eine Rekonstruktion individueller Lebensläufe allein anhand der Kleidungsbestandteile die Aussagemöglichkeiten der archäologischen Quellen zu überfordern: „Durch die Einzelanalyse des Trachtzubehörs und Schmucks, insbesondere durch Provenienzanalysen und akkulturationsgeschichtliche Überlegungen, konnten die Herkunft und das bewegte Schicksal (Mobilität der Person) der in Ficarolo beigesetzten Frau geklärt werden: Aufgewachsen im Karpatenbecken (als Gepidin, auch Ostgotin?) um oder bald nach der Mitte des 5. Jahrhunderts mit Erwerb ihres Trachtzubehöres (Fibel bzw. Fibelpaar [?], vielleicht auch die Gürtelschnalle als Trachtensemble), bald danach ins südwestliche alamannische Stammesgebiet bzw. wohl ans Basler Rheinknie gelangt und 496/497 bzw. 505/506 zusammen mit anderen Alamannen nach Oberitalien übergewechselt bzw. .geflüchtet'". 869 Hier bleiben Alternativen denkbar - bis hin zu der These, eine nie aus Italien
866 867
868 869
Lévi-Strauss 1981, 94-106. Gesellschaften sind prinzipiell exogam und endogam - Clans können z. B. exogam sein, während der übergreifende „Stamm" endogam bleibt. Pauli 1972, 118; vgl. Wotzka 1997. Bierbrauer 1993, 330; vgl. Büsing/Büsing 1998. Ein ähnliches Beispiel bei Kokowski 2001, 50, der den „Fürsten" von Rudka zum auf der Wanderung verstorbenen Gepiden erklärt.
.Ethnische Deutung" oder strukturgeschichtliche Erklärung?
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hinausgelangte Frau oder ihr Mann habe diese Stücke auf unterschiedliche Weise in der Nähe ihres Bestattungsortes erworben. Denn die Prämisse, Kleidung sei stets und überall lebenslang unverändert getragen worden, läßt sich nicht belegen oder gar absichern. Bezieht man die Anlage des Grabes in die Analyse mit ein und macht so den Gesamtbefund zum Ausgangspunkt, so können sich die Hinweise Form und Tiefe der Grabgrube, Sarg oder Steinkiste, Holzkammer, Pferdebestattung oder Reitzubehör - auf „fremde" Herkunft verdichten.870 Allerdings bleibt zu berücksichtigen, daß das Grab von den „Hinterbliebenen" angelegt und von diesen die Bestattung vollzogen wurde. Wenn der kulturelle Habitus des betreffenden Individuums auch eine spezifische Grabform und -ausstattung umfaßte, wie genau kannte dessen Familie die „Regeln" und berücksichtigte diese? Je mehr „fremde" Bestattungen innerhalb der Nekropole vorkommen, desto stärker neigt die Interpretation einem diffusionistischen (oder strukturellen) Erklärungsmodell zu, sieht also eine kulturelle Beeinflussung und nicht „auswärtige" Personen als Ursache an.871 Ein einzelnes „fremdes" Grab wird zumeist als „Zugereiste(r)" gedeutet, doch entzieht sich ein Einzelfall leicht der vergleichenden Einordnung. Und wie „fremd" muß ein Grab erscheinen, um innerhalb einer mehr oder weniger heterogenen Kultur als „fremd" zu gelten? Angesichts der diffizilen kulturgeschichtlichen Interpretation wird mitunter zusätzlicher Aufschluß durch anthropologische Untersuchungen erwartet. 872 Entsprechende Verwandtschaftsanalysen stützen sich auf epigenetische Merkmale an Skelett (hauptsächlich Schädel)873 und Zähnen874 sowie DNAAnalysen.875 Die verwendeten Verfahren erschließen die Ähnlichkeit von Individuen - und weder die exakte biologische Verwandtschaft noch gar die Generationenfolge. „Fremdheit" läßt sich auf diese Weise nur bedingt feststellen, da Abweichungen vom Populationsmittel aufgrund der hohen Merkmalsvariabilität keine fremd(„rassig")e Herkunft belegen. Voraussetzung verläßlicher, eindeutiger Aussagen wäre die statistisch abgesicherte Untersuchung ganzer Populationen und nicht nur von Grabgruppen. Die „Nichtverwandtschaft" von Individuen mit der übrigen Population kann eine Herkunft von weither, aber auch aus der unmittelbaren Nachbarschaft (im Zuge
870 871 872 873 874 875
Müller-Wille 1997, 788. Vgl. Brieske 2001, 269-274: „überregionale Kontake". Müller-Wille 1997, 781. Vgl. unten Kap. VII.22. Hauser/de Stefano 1989. Alt 1997; Alt/Vach 1994; Hillson 1996. Zu DNA-Untersuchungen und ihren methodischen Problemen vgl. Kap. VII,22.
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Strukturelle Alternativen
von Heiratsbeziehungen und -netzen) bedeuten. Der „Herkunftsort" ist praktisch nicht zu bestimmen, selbst wenn aus dem mutmaßlichen Gebiet anthropologische Untersuchungen vorliegen. Soziobiologische Untersuchungen bleiben deshalb in dieser Hinsicht im allgemeinen problematisch.876 Hinsichtlich der „Koexistenz" größerer Gruppen wie „Romanen" und „Germanen" im Merowingerreich, Skandinaviern, Slawen und Westeuropäern in den wikingerzeitlichen Handelsplätzen, Slawen und Deutschen im Rahmen des hochmittelalterlichen Landesausbaus lassen sich verschiedene kulturelle „Traditionen" ausmachen.877 Doch bleibt es ein methodisch kaum zu lösendes Problem, in diesen Kontaktsituationen kulturelle Merkmale eindeutig zuzuweisen. Denn Begegnung und Austausch („Akkulturation") verwischen die vermeintlich scharfen kulturellen Grenzen, so daß beide Seiten (bald) nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Interessant und weiterführend ist weniger die genaue Unterscheidung der einen und der anderen Kultur als vielmehr die kulturelle Synthese, sind die neuen Entwicklungen auf beiderseitiger Grundlage. Die jeweiligen Gruppen handelten innerhalb einer gemeinsamen Lebenswelt. Aufschlußreich sind dann nicht die vermuteten „ethnischen" Unterschiede, sondern die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten, die sich den Menschen - ungeachtet ihrer „Herkunft" - innerhalb dieser Gesellschaften boten. „Fremde" und „Minderheiten" lassen sich als Ergebnis oder „Sonderfall" von Wanderungen bzw. des Austausche betrachten, ebenso wie Ethnogenesen einen „Endpunkt" von Kontinuitäten darstellen. Daher gilt für „Fremdgüter" auch hier die Feststellung, daß es auf den Einfluß auf die jeweilige Gesellschaft bzw. Kultur ankommt. Vereinzelte, „exotische" Stücke dürften - seien sie ein Hinweis auf die Anwesenheit „Fremder" oder auf die örtliche Wertschätzung „fremdländischer" Objekte - nur geringe Wirkung gehabt haben. Dies sah sofort anders aus, sollten sie zum Vorbild vielfältiger „Nachahmungen" werden, wofür die auf mediterran-byzantinische Vorbilder zurückgehenden Ohr- und Schläfenringformen im Merowingerreich und im frühmittelalterlichen Ostmitteleuropa als ein Beispiel dienen mögen. Mit zunehmender Häufigkeit von „Fremdgütern" steigt auch die Wahrscheinlichkeit, daß sie auf die einheimische Sachkultur einwirkten. Möglicherweise lassen sich die „spätrömischen Militärgürtel" und deren Stileinfluß vor allem im Elb-Weser-Dreieck (Fibeln, hölzernes Mobiliar) hier einordnen. Ebenso kön-
876 877
Chapman 1993; Macbeth 1993; The biological basis 1999. Vgl. Kap. V,13,b.
»Ethnische Deutung" oder strukturgeschichtliche Erklärung?
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nen als Imitationen von Metallgefäßen zu verstehende Keramikformen - vom „etruskischen" Bucchero bis zu mittelalterlichen Gefäßen - gewertet werden. Eine strukturelle Analyse muß die Häufigkeit und Vorbildwirkung „fremder" Objekte berücksichtigen, um ihre relative Bedeutung für die „einheimischen" Verhältnisse einschätzen zu können. Unter diesem Blickwinkel auf die Grundzüge von Kommunikation und Austausch bleibt es sekundär, ob es sich um den Tausch von Gütern oder um die Mobilität von Individuen gehandelt haben mag.
f) Grundsätzliche Abwägung Ein Hauptproblem „ethnischer Interpretationen" archäologischen Materials liegt darin, daß zuallererst dieses Paradigma abgefragt wird, bevor andere Erklärungen in Erwägung gezogen werden.878 Damit wird eine primäre Erklärungskraft suggeriert, die anderen Interpretationen überlegen sein soll. Doch wie in den vorangegangenen Abschnitten erläutert wurde, läßt sich diese Bevorzugung eines Modells methodologisch nicht rechtfertigen. Im Vordergrund muß die Frage stehen, ob die dem archäologischen Material abverlangten Antworten methodisch zu(ver)lässig sind.879 Ungeachtet verbreiteter kultureller Heterogenität kann eine „ethnische Interpretation" aus prinzipiellen heuristischen Gründen nicht auf die Prämisse kultureller Homogenität verzichten. Denn nur homogene Gruppierungen lassen sich im Material identifizieren. Eindeutige Zuordnungen in einem heterogenen Material geraten dagegen rasch beliebig und damit kontrovers, denn wo sollten in einem sehr diffusen Bereich scharfe Grenzen gezogen und eindeutige Zuschreibungen möglich werden?880 Die methodische Forderung muß daher lauten: Verzicht auf monokausale Erklärungsmuster! Bei anderen Fragestellungen ist dies längst gang und gäbe: Depots werden als wirtschaftlich und religiös motiviert angesehen, Gräber mit sozialen und religiösen Motiven erklärt, und Siedlungen auf wirtschaftliche und soziale Strukturen zurückgeführt. Ganz abgesehen von der Verbreitung und Interpretation von Einzelobjekten, ist eine Vielzahl möglicher Faktoren in Betracht zu ziehen, wobei auch „ethnische Erklärungen" - in der gesamten Bandbreite des obigen Fünfer-Schemas (Abb. 21) - nicht a priori aus-
878 879 880
Vgl. Kap. V,15. Eggers 1950. Vgl. Kap. V.9-14.
566
Strukturelle Alternativen
geschlossen werden können. Aber die „ethnische Erklärung" entfernt sich sieht man einmal davon ab, daß diese unbesehen das moderne nationalstaatliche Modell auf die Frühgeschichte überträgt - weiter als strukturgeschichtliche bzw. kulturanthropologische Interpretationen von den archäologischen Quellen und deren Aussagemöglichkeiten, womit die Verläßlichkeit der gewonnenen Aussagen abnimmt. Strukturelle Erkenntnisse über Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft, die wiederum erst nach einer sorgfältigen „antiquarischen" Klassifikation und Analyse zu erlangen sind, bilden die unabdingbare Voraussetzung für weitergehende „ethnische Fragestellungen" (Tab. 22). Diese können erst dann verfolgt werden, wenn zuvor geklärt wurde, inwieweit Produktion und Technologie, Handel und Gabentausch, Sozialstrukturen und Kommunikation das Fundbild bestimmen. Die Analyse darf sich nicht vorzeitig auf die quellenfernste der drei oben unterschiedenen „Ebenen" der Interpretation begeben (Abb. 85). 881 Erst eine strukturelle, die grundlegenden Verhältnisse erfassende Betrachtung ermöglicht Abwägungen zwischen (konkurrierenden) Einzelfallerklärungen. Dabei kam einer „ethnischen Identität" für die meisten Zeitgenossen allenfalls sekundäre Bedeutung zu, denn im Alltag waren Zuordnungen und Abgrenzungen innerhalb einer Gesellschaft entscheidend. Jene methodischen Probleme, denen sich die „ethnische Interpretation" gegenübersieht, betreffen weitere „histor(ist)ische" Fragestellungen. Dazu gehören Versuche, konkrete rechtliche Verhältnisse (wie ζ. B. die Herausbildung des mittelalterlichen Adels), religiöse Vorstellungen (Jenseitsvorstellungen, Götterwelt), die detaillierte Konzeptualisierung der Landschaft (Ahnen, Territorien) und des „Kosmos", die (sakrale oder historische) Begründung von Herrschaft oder Mentalitäten zu beschreiben. Oben ist manche dazu zu zählende Erklärung als „strukturgeschichtlicher Ansatz" aufgeführt worden, wenn Schriftquellen zusätzliche Anhaltspunkte liefern und dadurch (wie im Fall der „ethnischen Deutung") die Interpretation im Einzelfall auf wenige „alternative" Möglichkeiten einschränken. Damit sollen jedoch weder die prinzipiellen Schwierigkeiten der Interpretation übergangen noch die Plausibilität einzelner Erklärungen behauptet werden. Konkrete Erklärungsversuche müssen die unmittelbare Aussagekraft des archäologischen Materials überfordern, weil aus diesem keine Anhaltspunkte hinsichtlich spezifischer Vorstellungen der Zeitgenossen zu gewinnen sind. Wichtig bleibt jedoch, diese Aspekte von Gesellschaften stets konzeptionell
881
Vgl. oben Kap. VI,18; Hafner/Suter 1999; Steuer 2001b.
Identitäten und Sachkultur
567
Tab. 22. Gegenüberstellung verschiedener Ansätze bzw. Möglichkeiten, räumlich und zeitlich eingeordnete archäologische Quellen zu interpretieren. Eine strukturelle Betrachtung bietet Grundlagen und Spielraum für verschiedene, konkurrierende Erklärungen, Modelle und Theorien im Detail. Welche Interpretationen im Einzelfall am wahrscheinlichsten sind, läßt sich nur dann feststellen, wenn Schriftquellen, Vergleiche oder die Gesamtbeurteilung der historischen Situation zusätzlichen Aufschluß geben strukturelle Ansätze
Befund bzw. Klassifikation
„ethnisches Paradigma" weitere „historistische" Erklärungen
„archäologische Kultur" Kommunikationsräu- „Stammesgebiet" me, Differenzierung zwischen verschiedenen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialenVerhältnissen kulturelle „Kontinuität" ungleichzeitige Entund kultureller Wandel wicklungen, Kontinuitätslinien und Brüche „fremde" bzw. „importierte" Objekte oder Merkmale
Austausch, „Fremdgüter", Kommunikation, kulturelle Vielfalt
Herrschaftsraum, Sprachraum, Rechtsverhältnisse
ethnische Kontinuität und Ethnogenese
Sprachentwicklung und -ausdifferenziening, Herrschaftsentwicklung
Wanderung von Personen und ethnisch „Fremde"
Herrschaftsverlagerung, „Stützpunkte"
Verhältnisse, Bezieethnische Gruppen und politische, rechtliche, hungen und Rahmen- Identitäten sprachliche Entwickbedingungen hingen
zu berücksichtigen, um nicht ein zu sehr vereinfachtes Bild der Vergangenheit zu zeichnen. 882 Wenn auch die „ideellen Verhältnisse" im weitesten Sinne von politischen Ereignissen über rechtliche Bestimmungen bis zu Mentalitäten - unzugänglich bleiben, so bildeten die strukturellen Verhältnisse doch deren Fundament. Analogien helfen, diese Strukturen näher zu interpretieren und damit zumindest Umrisse einstiger Vorstellungswelten zu beschreiben.
19. Identitäten und Sachkultur: Symbole im archäologischen Befund? Kollektive Identitäten, das Selbstbewußtsein und Selbstverständnis sozialer Gruppen, spiegeln die gesellschaftlichen Realitäten nicht unmittelbar wider. Diese Identitäten sind vielmehr das diskursiv vermittelte Bild, das sich diese
882 Veyne 1990, 186: „die Theorie [...] lehrt, daß ,die Dinge komplizierter sind, als man dachte'."
568
Strukturelle Alternativen
Gruppen von den Verhältnissen machen. Auch wenn diese Selbst- und Fremdbilder Wahrnehmungen darstellen, gewinnen sie als Verständnis- und Handlungsrahmen für die Beteiligten selbst unmittelbar Realität. Kollektive Identitäten suchen die „Gleichheit" aller „Gruppenmitglieder" hervorzukehren. Daß es sich dabei um bloße Behauptungen zum Zwecke der Abgrenzung gegen Andere handelt, liegt auf der Hand.883 Denn umfassende „Gleichheit" in vielerlei Hinsicht ist nicht möglich, zu unterschiedlich sind Individuen und deren jeweilige Gruppenbindungen. Die behauptete Gleichheit muß sich deshalb auf wenige ausgewählte Merkmale stützen und diese symbolisch zu den entscheidenden Kennzeichen erheben. Nur mit Hilfe solcher Zeichen werden scharfe Abgrenzungen möglich, die aber einer gewissen Willkür nicht entbehren und häufig auf bereits vorhandene literarische Stereotype zurückgreifen.884 Symbolisch verdeutlichte Abgrenzungen existieren zwischen Gesellschaften und innerhalb von Gesellschaften. Zwischen benachbarten Gesellschaften handelt es sich um „ethnische" Differenzierungen. Innerhalb von Gesellschaften suchen sich verschiedene soziale Gruppen voneinander zu unterscheiden - nach Rang und Status, Alter, Geschlecht, Profession oder Religion.885 Zur Kennzeichnung dieser Gruppen können Zeichen recht „willkürlich" gewählt werden, sofern sie den Beteiligten „plausibel" erscheinen - und damit auf bereits existierende Differenzen Bezug nehmen. Auf jeden Fall gibt es keine universalen Symbole oder Codes:886 „the context made the difference".887 Daher ist es schwierig, neben den Symbolen selbst auch noch deren konkrete Bedeutung zu erschließen.888 Wenn daher bestimmte Artefakte als Zeichen interpretiert werden können, läßt sich nicht begründet allein bzw. vorrangig nach ethnischen Zurechnungen suchen. Nicht minder wahrscheinlich sind andere Gruppenzugehörigkeiten, die innerhalb von Gesellschaften verankert sind. Darüber hinaus gibt es eine Fülle weiterer Symbole, die nicht der Gruppenabgrenzung dienen, sondern beispielsweise religiöse oder mythische Vorstellungen repräsentieren. Diese bleiben im folgenden außer Betracht.889
883 884 885 88é 887 888
889
Vgl. Niethammer 2000. Vgl. Kap. IV,5-6. Vgl. Steuer 1982a; Kap. VI,17,c. Eco 1977. Pohl 1998a, 20. Wheeler 1960, 222, fand dafür folgende Metapher: „Der Archäologe kann die Tonne finden, aber dennoch den Diogenes verfehlen." Vgl. aber oben Kap. VI,17,a.
Identitäten und Sachkultur
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a) Symbole ethnischer Identität Wenn sich Kulturen nicht mehr als homogene und distinkte „Einheiten" ansehen lassen, sondern sich die Sachkultur aus zahlreichen, unterschiedlich vorkommenden „Elementen" zusammensetzt, dann gewinnen Symbole an Bedeutung. Denn nur vereinfachende Zeichen sind angesichts einer vielfältigen Kultur in der Lage, „eindeutige" Zuordnungen zu demonstrieren. Solche Zeichen könnten der eigenen Gesellschaft und zugleich Fremden die regionale bzw. ethnische Zuordnung deutlich machen. Ideologisch „gesteigerte" Symbole böten damit auch der Archäologie die Chance, entsprechende rekonstruierende Zuordnungen zu versuchen. Unabdingbare Voraussetzung ist es, daß es sich um materielle Symbole oder „materialisierte" Symbole handelt.890 Nur wenn sich ethnisches Selbstverständnis darauf stützte, könnte es anhand dieser Zeichen rekonstruiert werden. Oft sind es aber ganz andere Dinge, die ethnische Abgrenzung auf symbolische Weise bezwecken - Habitus, Verhalten und Sichgeben in bestimmten Situationen, sprachliche Färbungen und Eßsitten, kulturelle Codes und Bildungsstrategien. Erst das Verhalten entsprechend den jeweiligen Erwartungen macht einen zum Angehörigen der einen oder anderen ethnischen Gruppe. Der Archäologie bleiben in diesen Fällen die jeweiligen ethnischen Strukturen unerreichbar - ebenso wie Sprachen, Verwandtschaftssysteme, rechtliche Beziehungen, politische Strukturen, kulturelle und kultisch-religiöse Aktivitäten. Die contextual archaeology bemüht sich um den Zugang zu Symbolen, indem der jeweilige „Kontext" der Artefakte rekonstruiert wird. 891 Denn die Kenntnis des Bedeutungszusammenhangs ermöglicht es, Symbole und Codes zu verstehen.892 Es besteht in methodischer Hinsicht die Gefahr des Zirkelschlusses, wenn aus den gefundenen Artefakten der „Kontext" rekonstruiert und daraus wiederum auf die Bedeutung der Objekte zurückgeschlossen wird. Ethnologische Analogien können lediglich strukturelle Möglichkeiten verdeutlichen, aber keine konkrete Erklärung beitragen. Alle relevanten, schriftlich festgehaltenen und überlieferten Beobachtungen stammen von fremden Beobachtern. Aus der Außensicht beurteilten und ordneten antike und frühmittelalterliche Ethnographen, Geographen und Histo-
890
Vgl. Kap. V,14,c. Hodder 1982. 892 Vgl. spätmittelalterliche und neuzeitliche Pilgerzeichen: L. Andersson 1989; Haasis-Berner 1999. 891
570
Strukturelle Alternativen
riker die „andere" Welt der „Barbaren". Ihre Berichte spiegeln daher ihr Fremdverständnis und nicht das Selbstverständnis der „Betroffenen" wider, auch wenn der Schilderung Autopsie oder authentische Berichte zugrunde liegen.893 Wenn die Identitäten nicht überliefert sind, fehlt es auch an der Kenntnis der relevanten Symbole. Archäologische Quellen allein lassen sich dann nicht im Hinblick auf Ethnizität bzw. deren Symbole auswerten. Denn weil Ethnizität diskursiv konstituiert und konstruiert wird, bedarf es zwingend der schriftlichen Uberlieferung.894 Anderenfalls gibt es keinen Zugang zum ethnischen Diskurs der betreffenden Gesellschaft - zu den Vorstellungen einer Gesellschaft und den jeweils verwandten Zeichen. Falls es der Archäologie gelingt, mögliche Symbole (signifiants) auszumachen, ist sie ohne Zusatzinformationen nicht in der Lage, deren „Funktion" bzw. Hintergrund (signifiés) genauer anzugeben.895 Dies betrifft ζ. B. die erwähnte durchgehende Ersetzung „byzantinischer" Vögel durch „awarische" Vierfüßer bei Beibehaltung der übrigen Ornamentik.896 Die frühmittelalterliche „Tierornamentik" wäre ohne Kenntnis der (späteren) literarischen Überlieferung ebensowenig wie christliche Darstellungen (Kreuz, Christus, Adler) zu entziffern, obwohl der Zeichencharakter der Darstellungen recht deutlich ist.
b) Symbole sozialer Identitäten Die Suche nach Symbolen, die andere soziale Zugehörigkeiten demonstrieren, begegnet denselben methodischen Problemen wie eine „ethnische Interpretation". Auch die Zurechnung zu sozialen Gruppen kann auf materielle Symbole verzichten. Die Codes erweisen sich ebenfalls als kultur- und zeitspezifisch, d. h. als historisch veränderliche und nicht als stabile Zeichen, und auch diese „Rollen" werden diskursiv ausgehandelt. Welche soziale Rolle durch welche Symbole in welcher Gesellschaft charakterisiert werden sollte, ist ohne Schriftquellen ebenfalls kaum zu beantworten. Verschiedene soziale Rollen und Gruppenzugehörigkeiten, Mentalitäten und Identitäten kamen jedem Individuum zu, das seine Zurechnungen mit mehreren Symbolen demonstrierte.897
893 894 895
896 897
Vgl. Kap. IV,7-8. J. M. Hall 1997, 142. Dies unterscheidet die prähistorische von der klassischen Archäologie, die auf antike literarische Quellen zurückgreifen kann; vgl. Giuliani 1986. Kap. VI,17,a. Vgl. Clark 1986.
571
Identitäten und Sachkultur
Tab. 23. Hierarchisch gestaffelte Kleidungsvorschriften in der Reichspolizeiordnung von 1530, Abschnitte 10 bis 14. Die Angaben zeigen sowohl graduelle Differenzierungen als auch deren Künstlichkeit (nach Bulst/Lüttenberg/Priever 2002, 33, 37 f.) Edelmetall
Peh Männer Adel
Frauen
Marder (= Rückenmarder)
Männer
Frauen
goldene Ringe, goldene Haarhauben, eine goldene Kette bis 200 fl.
Hausfrauen: - Kleidung mit Silber und Perlen verbrämt; - goldene Hauben bis 40 fl.; - Ketten, Halsbänder, Kleinodien bis 200 fl.; - Ringe; - goldene Borten und Gürtel bis 40 fl. J u n g f r a u e n : (-)
Bürger vom Rat, Marder von Geschlecht (= Rückenmarder) oder sonst vornehmen Herkommens und solche, die von Renten leben
Feh
goldene Ringe bis 50 fl.
Hausfrauen: - wie die Kaufleutefrauen; - zusätzlich eine goldene Kette bis 50 fl.; - ein Gürtel bis 30 fl. J u n g f r a u e n : (-)
Kaufleute, Handwerker im Rat
Feh
goldene Ringe, ohne Wertbegrenzung
Hausfrauen: - ein Gürtel bis 20 fl.; - vergoldete Kollerschließen bis 20 fl. Jungfrauen: - Haarband bis 10 fl.
kein Silber, kein Gold
Hausfrauen: - ein goldener Ring ohne Edelsteine bis 6 fl.; - ein Gürtel, mit Silber beschlagen, aber nicht vergoldet, bis 10 fl. Jungfrauen: - ein Samthaarband mit silbernem, aber nicht vergoldetem Beschlag
Kehlmarder
Handwerker und hochwertiges ihre Gesellen Lamm {Möschen), und Knechte, Fuchs, Iltis gemeine Bürger
Bauern, Tagelöhner
Lamm, Ziege kein Silber, kein (schlechte Gold beltz)
kein Silber, kein Gold
Kleidung erscheint hinsichtlich der Demonstration von Zugehörigkeit und Identität als „ideales" Mittel, weil es von jedermann jederzeit für jedes Individuum wahrgenommen werden kann. 898 Darin liegt stets zugleich auch eine Abgrenzung. Präsentation und Selbstdarstellung sind deshalb wesentliche Kennzeichen und „Absichten" von Kleidung, wobei Zeichen sehr differen-
8,8
Vgl. Kap. VI,17,a; siehe auch zwei neuere „volkskundliche" Fallstudien: Jacobs 1993; Schuhen 1993.
572
Strukturelle Alternativen
ziert gesetzt und unterschiedliche Signale der Zuordnung übermittelt werden. Die symbolische Vielfalt der Kleidung läßt sich nicht allein in modernen Gesellschaften feststellen 899 und aus antiken, spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kleiderordnungen erschließen, die den unablässigen Kampf um die Einhaltung der obrigkeitlich festgesetzten und ständig gebrochenen Regulierungen widerspiegeln (Tab. 23), bis die Herrschaft diese Auseinandersetzungen im 18. Jahrhundert verlorengab. 900 Ethnologische Studien zeigen, wie selbst „einfache" Gesellschaften Kleidung als komplexes Zeichensystem benutzen, weil eine Vielfalt von Zuschreibungen und Abgrenzungen in unterschiedlichen Zusammenhängen demonstriert werden soll und muß. 901 Dabei gibt es nirgends die Kleidung, d. h. ein ständig und unentwegt getragenes „Kostüm", denn Kleidung und deren Funktionen sind stets anlaß- und situationsgebunden. Das „Anlegen" der einen oder der anderen Kleidung hängt vom Zweck der Präsentation und von der Situation ab. 902 Wie läßt sich anhand von Grabausstattungen auf den sozialen Status und Gruppenzugehörigkeiten schließen, 903 d. h. wie eine Elite und Individuen an der Spitze der „sozialen Pyramide" identifizieren? Die Suche nach „normierten" Beigaben, d. h. regelhaften Beigabenvergesellschaftungen, führt rasch zur Identifizierung von „Rangabzeichen", die in „reichen" Gräbern wiederholt auftauchen. Die Ermittlung der Beigabenkombinationen stellt eine wissenschaftliche Klassifizierung dar. Sie sucht in der Ausstattung der Toten eine Ordnung zu finden, um Anhaltspunkte für eine Interpretation zu gewinnen. Für die späte Hallstatt-Zeit ergab eine neue eingehende Untersuchung, daß sich eine „Oberschicht" nur diffus und nicht distinkt von der Mehrzahl der Bestattungen unterscheidet, was eine „kontinuierliche Rangfolge" nahelegt. 904 Außerdem werden bei genauerem Hinsehen sowohl die meist „individuelle" Ausstattung elitärer Gräber als auch regionale und zeitliche Veränderungen deutlich, so daß mögliche „Insignien" sehr stark vom jeweiligen Kontext abhängen und keine allgemeine „Normierung" aufweisen (Tab. 24). 9 0 5 Gleiches gilt für die Merowingerzeit und den Versuch Rainer Christleins (1940-1983), anhand der Gräber „Besitzabstufungen" bzw. „Qualitätsgruppen" zu unterscheiden (Abb. 90). 9 0 6 So hilfreich diese analytische Kategorisierung für die
899 900 901 902 903 904 905 906
Bourdieu 1987, 277-354. Pekridou-Gorecki 1989, 112-114; van Dülmen 1992, 186-188; Eisenbart 1962. Burmeister 1997; Böth 1994. Sahlins 1994, 263 Abb. 11. Vgl. Kap. VI,17,c. Burmeister 2000, 179. Burmeister 2000, 180, 170; 2003. Christlein 1975.
573
Identitäten und Sachkultur
Tab. 24. Beigaben mit „hohem Statuswert bzw. mit Insigniencharakter" im Württemberg der späten Hallstatt-Zeit (Ha D). Die Analyse stützt sich auf eine „Berechnung" („materialimmanente' Gewichtung") der Beigaben mit Hilfe des PC-Programms Archan von Michael Gebühr. Vor allem im nördlichen, aber auch im südlichen Württemberg präsentieren sich in der Frühphase von Ha D die Frauengräber als „reich" ausgestattet, in der Spätphase dagegen die Männergräber. O b dahinter mehr als nur eine veränderte Repräsentation steckt, ζ. B. eine Veränderung der Geschlechterrollen, bleibt unklar. Eine scharfe Abgrenzung der Elitengräber und damit eine „normierte" Beigabenausstattung oder gar eindeutige „Insignien" sind nicht zu erkennen. - Normaldruck - Beigaben überwiegend in „reichen" Gräbern; kursiv - Beigaben nur in „reichen" Gräbern; in Klammern () - singulare Beigaben (verändert nach Burmeister 2000, 171 Tab. 17) frühe Stufe Ha D
späte Stufe Ha D
südliches Württemberg
nördliches Württemberg
südliches Württemberg
nördliches Württemberg
Perlenkette Pferdegeschirr Wagen bronzenes Geschirr (Import) [antike Beraubung] Gold Glas
bronzene Ohrringe bronzene Armringe Zierringe aus Bronze-ZGolddraht Perlenkette Perlenschmuck (Schieber) (Gold) Bernstein Glas
goldener Halsring goldener Armring Pferdegeschirr Wagen (Beil) (Spinnwirtel) Bernstein Koralle Gold
goldene Fibeln goldener Halsring goldener Armring Wagen Pferdegeschirr Import Metallgefäße (Axt) (Reinigungsgerät)
Frauengräber bronzene Fibeln (goldene Ohrringe) (Perlenkette) (Wagen) (Pferdegeschirr) (Import) (Gold) Glas
bronzene Fibeln bronzene Ohrringe bronzene Halsringe bronzene Tonnenarmbänder (Zierringe aus Bronze-ZGolddraht) Perlenkette Perlenschmuck Schieber (Gold) Bernstein Glas
(goldener Armring) (Spinnwirtel)
goldener Armring (Nadeln aus Gold oder Koralle) Perlenkette
Männergräber (eisernes Gürtelblech) Pferdegeschirr Wagen bronzenes Geschirr
bronzenes Gürtelblech (bronzener Halsring) (bronzener Armring) (Wagen)
bronzenes Gürtelblech goldener Halsring (goldener Armring) (Perlen) Dolch (Beil) (Wagen) (Pferdegeschirr) bronzenes Geschirr (Miniaturmesser) Gold (Glas)
goldener Halsring goldener Armring Goldschmuck Metallgefäße Wagen Pferdegeschirr (Messer) (Axt) (Reinigungsgerät) Rasiermesser (Miniaturmesser) (Import) Gold (Glas)
sämtliche Bestattungen
574
Strukturelle Alternativen
Identitäten und Sachkultur
575
sozialgeschichtliche Interpretation auch ist, so scheint doch der Symbolwert eher in der Ausstattung insgesamt und in der Edelmetallwenge als in einzelnen „Zeichen" zu bestehen. Insbesondere die rasche zeitliche Veränderung der Grabinventare während des 6. und 7. Jahrhunderts weist darauf hin, daß es keine „feststehenden" Kennzeichen oder Abstufungen gab. 907 O b es sich bei häufig wiederkehrenden Beigaben um „Insignien" oder „Standessymbole" im Verständnis der Zeitgenossen handelte, ist kaum zu beurteilen. „Seit spätrömischer Zeit trugen Barbarenfürsten einen schweren goldenen Kolbenarmring am rechten Handgelenk. Schon im Knabenalter wurde dieser nicht abstreifbare Ring umgelegt", 908 stellt Ursula Koch für die „Oberschichtgräber" des 5. Jahrhunderts und die in diesen enthaltenen „Insignien" fest. Auch wenn einige Kindergräber einen solchen goldenen 909 (oder auch silbernen 910 ) Armring enthalten (was mit einer besonderen sozialen Situation in einzelnen Familien zusammenhängen dürfte), 911 so konnte ein solcher Ring - zumal bei einem weichen Metall wie Gold - auch wieder aufgebogen und abgelegt werden. 912 Elitenangehörige werden nicht ihr ganzes Leben unentwegt mit goldenem Armring paradiert haben. Hier ist vielleicht ein Hinweis auf die römischen Verhältnisse hilfreich: Plinius beschrieb goldene Siegelringe als senatorische Amtszeichen in republikanischer Zeit 913 , die nur zu offiziellen Anlässen 914 und nicht von allen Senatoren getragen wurden. 915 In offenen Ranggesellschaften ohne starre rechdiche Abgrenzungen innerhalb sozialer „Hierarchien" kann es keine eindeutigen „Abzeichen" geben, weil kurzfristiger Erfolg und Prestige zu sozialem Rang verhelfen. Regelmäßig auftretende Beigaben charakterisieren deshalb primär nicht einzelne Individuen und deren „Ämter", sondern wohl Familien und deren „Spitze". Falls goldene Armringe in „reichen" Gräbern tatsächlich „ein hellenistisches Erbe"
907
908 909 910 911 912 91J
914
915
Donié 1999, 125 Tab. 27; 127 Tab. 28, für die Männer- und Frauengräber von Schretzheim. Der Versuch, vier bis sechs „Ausstattungsgruppen" in jeder der fünf Zeitphasen zu unterscheiden, muß für jede Phase von spezifischen Merkmalen ausgehen. U. Koch 2001b. J. Werner 1980b. U. Koch 2001c. Vgl. Kap. VI, 17,a.c. Wührer 2000, 128 f. Plinius, Historia naturalis XXXIII,4,11: Longo certe tempore ne senatum quidem Romanum habuisse áureos. Manifestum est iis tantum, qui legati ad exteras gentes ituri essent anuli publice debantur, credo ita exterorum honoratissimi intellegebatur. Plinius, Historia naturalis XXXIII,4,12: Hi quoque, qui ob legationem acceperant áureos, in publico tantum utebantur bis, intra domos vero ferrets. Plinius, Historia naturalis XXXIII,4,21: ne tunc quidem omnes senatores habuere, nipote cum memoria avorum multi praetura quoque functi in ferreo consenuerint.
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Strukturelle Alternativen
darstellen,916 dann können sie nicht als spezifische „Amtszeichen", sondern nur als allgemeine elitäre Kennzeichnung aufgefaßt werden. Die bei aller Typisierung dennoch recht individuelle Anfertigung der Hals- und Armringe und manche Schriftquellen deuten an, daß diese Stücke „nicht unbedingt Orden oder Rangabzeichen waren, sondern eher hochwertige Geschenke". 917 Abgestuft mag dies für Armringe aus anderem Material, ζ. B. Silber, Bronze oder Eisen, gelten. Auch sie beschreiben keine starren sozialen Gruppen. Je größer die Zahl der Ringe durch immer neue Entdeckungen wird, desto weniger exklusiv erscheinen sie.918 Eine Reihe weiterer charakteristischer Funde wird häufig als „Rangabzeichen" angesehen. Dazu gehören goldene (römische) Zwiebelknopffibeln, die als Abzeichen hoher römischer Militärs gelten und auch von Barbaren in römischen Diensten erworben wurden; Goldgriffspathas919 der Zeit um 500, deren Heft mit Goldfolie belegt wurde und die damit kaum zu handhaben waren; ältermerowingerzeitliche Ring(knauf)schwerter920, deren Knauf mit einem funktionslosen und daher als symbolisch angesehenen, goldenen Ring versehen ist; Textilien aus Goldbrokat921; Schlüsselpaare aus Edelmetall922; sogenannte „Amtsstäbe", die sich allerdings häufig als Lanzenschuhe oder Beschläge anderer Gerätschaften herausgestellt haben923; aufwendige und vielteilige Gürtel, 924 deren Vorbilder im spätantik-byzantinischen Bereich zu suchen sind925; Helm und Panzer als „Optimum" einer Waffenausstattung926 usw. Diese Ausstattungen zeichneten die jeweiligen Toten zweifellos aus. In flexiblen, mobilen und offenen Ranggesellschaften, innerhalb derer sich eine Elite gegen soziale Konkurrenz zu behaupten suchte, können wie erwähnt keine festgefügten, dauerhaften politischen Strukturen vorausgesetzt werden. Sollten dennoch feststehende „Symbole der Macht" erwartet werden?927
916 917 918 9,9 920 921 922 923 924 925 926
927
Tejral 2001. Warners 2000, 67. Vgl. Solberg 1985. Ament 1998. Evison 1967; 1975; Steuer 1987a; Verbreitungskarte: Lund Hansen 1995, 386 Abb. 16.1. Sasse 2000, 172-174; Stork 2001, 20. Steuer 1982b. V. Schmidt 1992, 28-30; Grochowska/Sachs 1981. Fehr 1999; Bálint 1992; J. Werner 1974. van Winter 1976; K. F. Werner 199a, 189, 210-212, 215-225. Steuer 1987a; zur Charakterisierung der Spangenhelme vom Typ Baldenheim als „byzantinische Offiziershelme" vgl. Quast 1993, 30-43. Am Beispiel der Waffenbeigabe zeigt Steuer 1982a, 311 Abb. 88, daß kein eindeutiger Bezug zum rechtlichen Status von Individuen möglich ist; vgl. ders. 1968.
Identitäten und Sachkultur
577
Ob bzw. inwieweit es sich bei all diesen Objekten um tatsächliche Symbole von Amt oder Herrschaft handelte, ob sie Rangabzeichen darstellten und in welchem Zusammenhang dies Bedeutung besaß928, läßt sich aus dem archäologischen Befund nicht verläßlich ableiten. Denn auch diese Symbole sind je nach Kultur verschieden (und insoweit „willkürlich"). Der rechtliche Charakter und der politische Rang der mit entsprechenden, auffallenden Attributen ausgestatteten Person bleiben letztlich unklar. Bereits die schriftliche Überlieferung erwähnt eine große Zahl von Insignien - von Triumphalgewand und Goldkranz, Zepter und Globus zur Kaiserzeit über paludamentum (Feldherrnmantel) und goldene Kaiserfibel, Purpurgewand und Torques, Lanze und Schild in spätantik-byzantinischer Zeit bis zu Krone und Zepter, Schwert und Thron (?) in der Karolingerzeit.929 Daneben sind eine Fülle weiterer Kennzeichen und Bestandteile imperialer und königlicher Kleidung überliefert, die insgesamt ihre Träger auszeichneten. Die in Prunk- und anderen hervorgehobenen Gräbern entdeckten Attribute lassen sich deshalb kaum als unmittelbare Amtszeichen beschreiben. Sie stellen vielmehr würdevolle, auszeichnende Objekte dar, die primär als Ensemble bewertet werden müssen. Die spezifische symbolische Bedeutung einzelner Objekte dürfte kaum zu entschlüsseln sein. Dies mag schließlich ein Beispiel unterstreichen, das sich anhand schriftlicher Uberlieferung gut beurteilen läßt. Spätmittelalterliche Wappen stellen ebenfalls Symbole dar, die nur aufgrund von Texten bzw. Erzählungen „dekodiert" werden können. Als Zeichen sind sie sofort erkennbar, doch ihre konkrete Aussage erschließt sich nur dem „Eingeweihten". Formen (Tiere, Waffen, Aufteilung) und Farben können sehr unterschiedlich besetzt sein. Gleiches Aussehen mag auf einen gemeinsamen symbolischen „Ursprung" verweisen und dennoch ganz unterschiedliche Gruppen bezeichnen.930 Ohne schriftlich fixierte Erklärung bzw. Zuweisung gibt es keine (archäologische) Möglichkeit, diese Symbolik (oder Zeichensprache) zu entschlüsseln.
928 929 930
Steuer 1982a, 457. Hardt 1999b; P. E. Schramm 1954-1956; Alföldi 1935; Wessel/Piltz/Nicolescu 1978. Paravicini 1998.
VII. Ausblick: ethnische Identitäten in der prähistorischen Archäologie? 20. Besonderheiten der Urgeschichte Für die Frühgeschichte bieten vor allem erzählende Quellen eine größere Zahl von - unterschiedlich verläßlichen - Angaben aus der Außensicht. Damit bleibt ihre Aussagekraft für das Selbstverständnis sozialer und ethnischer Gruppen zwar prinzipiell eingeschränkt, doch erhalten wir auf diese Weise wenigstens einen Eindruck von der Flexibilität und Heterogenität jener „Barbaren"-Gruppen sowie den Problemen, denen sich die antike mediterrane und die frühmittelalterliche Welt im Umgang mit diesen gegenübersahen.1 Der im eigentlichen Sinne „prähistorischen" Archäologie stehen allein archäologische Quellen zur Verfügung, um Kultur, Alltag und Geschichte vergangener Gesellschaften zu rekonstruieren. Das Fehlen „zusätzlicher" Anhaltspunkte aus zeitgenössischen schriftlichen Quellen bedeutet zugleich einen Verlust an (mit den anhand der Sachkultur gewonnenen Aussagen) konkurrierenden und korrigierenden Informationen. Nicht allein die Namen und Selbstbezeichnungen prähistorischer „ethnischer" Gruppen bleiben uns unbekannt. Für prähistorische Zeiten fehlen jegliche äußere Hinweise auf politische Strukturen und Entwicklungen.2
a) „Archäologische Kulturen" und prähistorische Gesellschaften In der prähistorischen Forschung bilden „archäologische Kulturen" ein zentrales Instrument, das Material zu ordnen. Ihre Gebräuchlichkeit und „Selbstverständlichkeit" führt(e) direkt zu der Frage, ob sie sich mit „ethnischen Gruppen" identifizieren lassen.3 Doch ist daran zu erinnern, daß jede „archäologische Kultur" zunächst nur ein analytisches Hilfsmittel darstellt, das
1 2 3
Vgl. Kap. IV,7-8. Vgl. Kap. VI.16. Vgl. Wendowski 1995.
580
Ausblick
nach wissenschaftlichen Kriterien das Fundmaterial ordnet und gruppiert. 4 Ausschlaggebend sind dabei nicht für die Zeitgenossen wichtige Kriterien, sondern die Auswahl durch die moderne Archäologie, die sich wiederum nur auf die erhaltenen materiellen Überreste einstiger Gesellschaften stützen kann. Für eine historische Interpretation der durch Klassifikation unterschiedenen, räumlichen und zeitlichen Gruppierungen erheben sich zwei zentrale Fragen: 1. Stellen die ermittelten „Kulturen" mehr als nur Materialgliederungen zu Verständigungs- und Ordnungszwecken dar? 2. Läßt sich wahrscheinlich machen, daß die beschriebenen Kennzeichen den Zeitgenossen auch bewußt und damit relevant für Identitäts-Konzepte waren? 5 Die zweite Frage ist kaum zu beantworten. Die Subjektivität von Gruppenzuordnungen macht einen gewissermaßen „universalen" und damit methodisch kontrollierbaren Zugang praktisch unmöglich. Das Fehlen von literarischen Selbst- oder Fremdzeugnissen verhindert jeden konkreten Zugang zur einstigen Vorstellungswelt. Kulturanthropologische Vergleiche unterschiedlicher Art können darauf hinweisen, welche Möglichkeiten denkbar und durch Beobachtungen belegt sind, aber nicht, was im jeweiligen Einzelfall tatsächlich wahrgenommen, reflektiert und „instrumentalisiert" wurde. Die Identifizierung ethnischer Symbole ist prinzipiell unmöglich. Denn nur der ideelle, diskursiv ausgehandelte Zusammenhang kann erklären, welche (materiellen oder habituellen) Zeichen und warum gerade diese zur Abgrenzung von Gruppen benutzt werden. Doch dazu erhält die Archäologie keinen Zugang. 6 Die erste Frage besitzt zwei Aspekte - einerseits unterschiedliche Einzelbeobachtungen und andererseits deren Kombination zu abstrakteren Modellen bis hin zu einer „archäologischen Kultur". Verbreitungsbilder von Gegenstandsformen und Typen lassen sich mit Hilfe der Quellenkritik daraufhin überprüfen, ob sie angesichts des momentanen Forschungsstandes und der Fundumstände ein verläßliches Bild liefern. Die Berücksichtigung der Fundgattung erlaubt Rückschlüsse darauf, ob tatsächliches Vorkommen und bestehende Beziehungen erfaßt oder lediglich die Beigabe in Gräbern oder die Deponierung in Horten widergespiegelt werden. Darauf aufbauend können Kommunikation und Verkehr, Bestattungsformen und Deponierungsarten, Technologien und Transport, Hausformen und Besiedlung, Wirtschafts- und
4 5 6
Vgl. Kap. 111,2,b. Wotzka 2000, 70-72. Vgl. die durch den ethnologischen Blick des 19. Jahrhunderts getrübte Interpretation neolithischer und chalkolithischer Figuralplastik; Hansen 2001b.
Besonderheiten der Urgeschichte
581
Sozialstruktur untersucht und damit wesentliche historische Erkenntnisse gewonnen werden. 7 Die Zusammenfassung der Detailergebnisse zu einer „archäologischen Kultur" ist eine weitergehende Abstraktion (Tab. 25). Die methodisch geforderte Berücksichtigung des regelhaften Zusammentreffens von Merkmalen aus verschiedenen Lebensbereichen bedeutet stets eine Auswahl. Welche Merkmale werden für die Abgrenzung überhaupt herangezogen, und wieviele dieser Merkmale müssen mindestens vorhanden sein, um - ζ. B. an der Peripherie einer „archäologischen Kultur" - noch dazugerechnet werden zu können? Beide Punkte zeigen, daß „archäologische Kulturen" immer Klassifizierungen der Archäologie darstellen, deren Bedeutung für die Zeitgenossen sich nicht beurteilen läßt. Die Gegenüberstellung „archäologischer Kulturen" und grundlegender wirtschaftlicher Verhältnisse zeigt, daß letztere sich in anderen Rhythmen und geographischen Räumen als beispielsweise Keramikstile entwickeln. 8 Außerdem hat ein Vergleich der räumlichen Ausdehnung von der Ethnologie beschriebener „ethnischer Gruppen" (so problematisch deren Abgrenzung im einzelnen auch immer ist) und „archäologischer Kulturen" deutlich gezeigt, daß letztere stets um ein Vielfaches umfänglicher ausfallen und wohl den Horizont und die Größe von Identitätsgruppen weit überstiegen haben würden. 9 Das Bemühen, „archäologische Kulturen" mit anderen historischen Gruppierungen zu parallelisieren, zielt nicht nur auf „ethnische" Interpretationen im engeren Sinne, sondern gelegentlich auch auf die Verbindung mit rekonstruierten Sprachgruppen. Die einem solchen Bemühen zugrundeliegende Erwartung, diese auf unterschiedlichen „Ebenen" angesiedelten Gruppen seien nicht nur mehr oder weniger homogen und distinkt, sondern auch kongruent, ist unwahrscheinlich und nur unter besonderen „Ausnahme"-Bedingungen und Insel-Situationen möglich. Merkmale und deren Kombinationen folgen bereits innerhalb von Ethnien, Sprachen und Sachkultur unterschiedlichen Rhythmen und Verbreitungen. Die Untersuchungen und Ergebnisse von Historiographie, Linguistik und Archäologie beleuchten unterschiedliche Aspekte einstiger Realität und besitzen jeweils quellenspezifische Zugänge zu historischen Entwicklungen. In der Kombination ergeben die verschiedenen
7
8 9
Bergmann 1970, 44, setzt Waffen in Männer- und Kleidungsbestandteile in Frauengräbern sowie Hortfundgruppen mit „ethnischen Einheiten" bzw. „Stämmen" gleich. Damit erfolgt die „ethnische Interpretation" bereits auf der Ebene der Formenkreise. Lüning 2000, bes. 210-213; Schibler/Jacomet/Hiister-Plogmann/Brombacher 1997, 352. Wotzka 1997.
582
Ausblick
Tab. 25. Methodische Probleme bei der Interpretation „archäologischer Kulturen". Entscheidend ist, daß ein deskriptives Konzept nicht unbesehen und unmittelbar zur Interpretation historischer Verhältnisse und Veränderungen dienen kann. Interpretationen orienierten sich des weiteren oft zu sehr an modernen nationalstaatlichen Verhältnissen. Außerdem erscheint die Kluft zwischen Sachkultur und Identitäten kaum zu überbrücken zu sein (zusammengestellt nach Wotzka 2000, 70-72) Kritik
Erläuterung
1.
Überforderung des Konzepts
„Archäologische Kulturen" sind deskriptive Modelle, die nicht unmittelbar zur Analyse und Interpretation eingesetzt werden können.
2.
Fehlen sozialer Bezugsgrößen
Welche historische Realität mit „archäologischen Kulturen" beschrieben und erfaßt wird, muß gezeigt und darf nicht einfach vorausgesetzt werden.
3.
Begrenzung der Aussagekraft
Das Fehlen von Selbstzeugnissen macht es unmöglich, etwaige Beziehungen zwischen Sachkultur und Identität zu erfassen.
4.
Arbitrarität von Zeichen
Durch die Sachkultur bzw. deren Elemente möglicherweise symbolisierte Abgrenzungen lassen sich ohne Kenntnis der verwendeten Zeichen nicht erkennen.
5.
räumlicher Umfang
„Archäologische Kulturen" besitzen sehr verschiedene räumliche Ausdehnungen, die meist erheblich größer ausfallen als bei ethnologisch beschriebenen Ethnien.
6.
Sachkultur und Identität
Weder gibt es einen unmittelbaren Bezug zwischen „archäologischer Kultur" und Selbstverständnis noch sind großräumige Identitäten von universaler Relevanz.
7.
Einfluß der Nachbarn
Staatlich verfaßte Gesellschaften prägen oft die politischen Strukuren ihrer „barbarischen" Nachbarn, die deshalb nicht als „ursprünglich" vorausgesetzt werden können.
8.
kulturelle Heterogenität
„Archäologische Kulturen" setzen Homogenität voraus, doch ist zu fragen, ob als aufeinanderfolgend angesehene „Kulturen" nicht auch gleichzeitg sein und einander durchdringen können.
9.
Merkmalsauswahl
Quellenüberlieferung und analytische Auswahl bestimmen die Abgrenzung „archäologischer Kulturen", nicht die einstige Realität.
10. „Objektivierung" des Konzepts „Archäologische Kulturen" dürfen aufgrund ihres deskriptiven Charakters (Nr. 1) nicht als historische „Entitäten" mißverstanden werden. 11. Einzelmerkmale
Das Vorhandensein bzw. Fehlen einzelner Merkmale kann zeidiche Veränderungen nicht angemessen erfassen.
Besonderheiten der Urgeschichte
583
Rekonstruktionen ein weiterführendes Bild der Vergangenheit (histoire totale), ohne daß sie unmittelbar zusammenpassen und sich gegenseitig ergänzen. Ein widerspruchsfreies Bild wird sich kaum ergeben können. „Interdisziplinäre" Ethnos-Vorstellungen und -Begriffe erscheinen damit als problematisch, weil sie zur Bezeichnung sehr verschiedener Zusammenhänge benutzt werden. Im folgenden seien einige, recht willkürlich herausgegriffene Beispiele angeführt, um die methodischen Probleme der prähistorischen Archäologie zu verdeutlichen. Für Neolithikum und Bronzezeit Mitteleuropas ist eine Vielzahl archäologischer Kulturen abgegrenzt und beschrieben worden. Gerade hinsichtlich der klassifikatorischen Differenziertheit des mitteldeutschen Neolithikums stellt sich die Frage, inwieweit die definierten „archäologischen Kulturen" tatsächlich Gesellschaften oder Kulturräume widerspiegeln. Neue 14 C-Analysen belegen die separate Entwicklung ζ. B. von Gefäßformen und -Verzierungen, so daß auch andere Kriterien wie Grabformen sowie weitere Beigaben (Geräte) eigenständige Veränderungen aufweisen dürften. 10 Bisherige, vor allem typologische Klassifizierungen konnten nicht zwischen chronologischen und anderen Faktoren für unterschiedliche Formen oder Typen unterscheiden. Die unabhängige naturwissenschaftliche Datierung zeigt nun deutlich, daß die bisher „geschlossen" erscheinenden Gruppierungen recht heterogener Natur sind. Manche Entwicklungen von Gefäßform und -ornamentik werden durch das nun klarer sichtbare zeitliche Neben- und Nacheinander verständlich, weil Einflüsse jetzt verfolgt werden können (Abb. 91). n Zugleich kann nicht mehr von distinkt neben- und nacheinander existierenden „Kulturen" ausgegangen werden. 12 Der differenzierten, je nach Merkmal räumlich und zeitlich unterschiedlichen kulturellen Entwicklung wird eine Ausgliederung von separaten, unabhängigen „Kulturen" nicht gerecht. Statt dessen ist zukünftig eine diese Differenziertheit berücksichtigende Rekonstruktion anzustreben. Das gilt ebenso für die Rekonstruktion der „Neolithisierung", der eine Dichotomie „Zuwanderung oder Akkulturation" 13 kaum gerecht werden kann. 1. Für die jüngere Bandkeramik hat Andreas Zimmermann jüngst auf zwei interessante Verbreitungsgrenzen aufmerksam gemacht (Abb. 92). Die Orna10
11 12 13
„Für die verschiedenen Zeitphasen konnten jeweils ein Ineinandergreifen der unterschiedlichen Keramikformen und die gleichzeitige Nutzung verschiedenster Grabtypen und Bestattungsformen nachgewiesen werden"; J. Müller 2001a, 418. J. Müller 2001a, 57-426; 2001b, 31-79; Hafner 2002; Suter 2002. Vgl. Kap. III,2,b. Für letzteres Kind 1998, während Gronenborn 1997, 132-139, eine Kombination von beidem annimmt.
584
Ausblick Chronologische Klassifikation
Stilistische Inventargruppen i
Jahr» v.Chr.
Perioden
Phasen
1750 Frühbroozezeit Aunjetitz 2000 -
Aunjetitz
s
Baja.
2250 -
GB sSN
Glockenbecher ttOBfc
mSN
2500 - j
Endneolithikum (Spätneollthikum) Schnurkeramik
KAK C/D
(SN
2750 - :
Bemburg 3000 Kugelampboren Zwetgltednges
'Saizmünd·" C
Ö
TBBV KAK A/B T R B IV
"Salzmünde* θ 3250 -
Spätneolithikum (Jüngern Mitteineolithikum)
>
~r
Dreigliedriges Waltemienburg
"Saizmünde· A
T R B III
3500 -
/ T R B II Baalberg 3750 Frühe Amphoren und Trtchterbecher
TRB I
4000 Gatenleben
Jungneolithikum (Altere· MittelneoMthlkum)
Besonderheiten der Urgeschichte
585
Abb. 91. Schema stilistischer Inventargruppen und chronologischer Klassifikationen im Mittelelbe-Saale-Gebiet auf der Grundlage von 14C-Datierungen. Die Grafik verdeutlicht die Gleichzeitigkeit und wechselseitige Beeinflussung von Keramikstilen, die diffuse kulturelle Abgrenzung und die klassifikatorische Unterteilung eines kulturellen Kontinuums. Periodenbegriffe nach Linning (und in Klammern nach Behrens); GB Glockenbecher; KAK Kugelamphorenkeramik; fSN frühe Schnurkeramik; mSN mittlere Schnurkeramik; sSN späte Schnurkeramik; TRB Trichterbecherkeramik (nach J. Müller 2001, 29 Abb. 1)
mentik der Gefäße ändert sich kleinräumig sowohl in der Wetterau als auch zwischen Werl und Soest an Ruhr und Lippe.14 In beiden Kleinregionen zeigt auch die Häufigkeit von Silex aus Rijckholt östlich von Maastricht einen deutlichen Abfall in südliche bzw. östliche Richtung.15 Dieser Befund steht an beiden Orten isoliert und läßt sich noch nicht großräumig miteinander verbinden. Sollten Stil- und Rohmaterial-Unterschiede nicht durch die Forschungsintensität bedingt sein, lassen sie sich als Zonen verminderter Kommunikation beschreiben. Denn naturräumliche Grenzen oder Verkehrshindernisse liegen nicht vor.16 Für die Erkenntnis der sozialen Beziehungen wäre dies ein interessantes Ergebnis, weil damit die Reichweite des Austausches faßbar würde. O b dahinter mehr als nur „praktische" (wirtschaftliche und kommunikative) Faktoren standen, entzieht sich dem analytischen Zugriff. Die auf solche Art, d. h. anhand einzelner „kultureller" Merkmale abgegrenzten Gruppen als „Stämme im archäologischen Sinne" zu bezeichnen, ist problematisch. Denn ob Keramikstilvarianten oder die Häufigkeit eines Feuersteinmaterials zur kulturellen und ethnischen Grenzziehung dienten, die zugleich auch Reflexionen von „Identitätsgruppen" sind, muß uns verschlossen bleiben.17 Deshalb sollte allein mit einer archäologischen Terminologie operiert werden. 18 2. Für das „Glockenbecher-Phänomen" - als solches bezeichnet, um die entsprechenden Grabfunde von „voll umfänglich dokumentierte[n] archäologische[n] Kultur[en]" abzusetzen 19 - wird eine Interpretation als „Ausdruck
14
15 16 17
18
19
Kneipp 1998, 158 Abb. 53 (Wetterau: Übergang zwischen „Leihgesterner Kammstrich" und „Plaidter Kammstrich"; Westfalen: Übergang zwischen „niederhessisch-westfälischem Schraffurstil" und Stilvarianten mit wenig Schraffur). A. Zimmermann 1995, 112 f. Abb. 37. A. Zimmermann 2003. Vgl· J· Müller 2000. - Und was wären „Stämme im archäologischen Sinne", wenn nicht umbenannte „archäologische Kulturen"? Davon bleibt unberührt, in der Bandkeramik allgemein eine soziale Entwicklung von band zu tribe anzunehmen, d. h. strukturelle Evolutionsprozesse anzunehmen; Kerig 2003. Strahm 1995, 7.
586
Ausblick
Abb. 92. Verbreitung von Gefäßornamentik und Feuerstein in der jüngeren Bandkeramik. Auffällige, kleinräumige Häufigkeitsunterschiede zeigen sich bei Soest und in der Wetterau. Daraus lä£t sich auf „verminderte Kommunikation" schließen, doch einer weitergehenden Interpretation fehlen weitere Hinweise. Geomorphologische Bedingungen scheiden als Erklärung wahrscheinlich aus, doch wäre auch zu prüfen, ob moderne Bedingungen die Forschung und damit auch das Fundbild unterschiedlich beeinflußt haben, a) Anteile jünger- und jüngstbandkeramischer Bandtypen (aufgrund einer Korrespondenzanalyse); b) Prozentanteil von Rijckholt-Feuerstein in bandkeramischen Inventaren der Phasen II bis IV nach Meier-Arendt („minimal curvature") (nach Kneipp 1998, 159 Abb. 54,a-b; Zimmermann 1991, 112 f. Abb. 37)
Besonderheiten der Urgeschichte
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einer neuen Ideologie" vertreten. Weil es sich nur um wenige Elemente der Sachkultur handelt - Glockenbecher, kupferner Griffzungendolch (mitunter zusätzlich V-förmig durchbohrte Knöpfe, Armschutzplatte, Pfeilspitzen) und ausschließlich Grabfunde vorliegen, wird eine Klassifikation als „archäologische Kultur" abgelehnt. Denn Childes Konzept einer „archäologischen Kultur" zufolge sollen möglichst Elemente aus allen „Lebensbereichen" vertreten sein bzw. berücksichtigt werden. Wieviele Kennzeichen für eine begründete Abgrenzung (unbedingt) notwendig sind, bleibt dabei offen. Daher ist es ein primär terminologisches oder klassifikatorisches Problem, ob man von einer „Glockenbecher-Kultur" sprechen oder lieber einen anderen Begriff verwenden will. Der vergangenen „Realität" kommen beide Varianten gleich nahe. Ausschlaggebend ist die an die Klassifikation anschließende Interpretation der „Kultur" oder des „Phänomens". Während „archäologische Kulturen" im allgemeinen als Reflex in gewisser Weise homogener Gesellschaften angesehen werden, gelten Glockenbecher und Kupferdolche nun als „Symbole" dafür, „that the participants of the Β [ell] Bfeaker] Phenomenon] distinguish themselves from their social surrounding by their ideology, and that a strong group identity welds them together".20 Mit einer Gruppenidentität wäre also keine „ethnische", sondern eine sich distinkt abgrenzende, homogene soziale Gruppe erfaßt. Funden und Befunden wird damit eine sehr weitreichende Aussage abverlangt. Eine weiträumige Verbreitung belegt Kommunikation und eine zeittypische „Mode". Bei aller hervorgehobenen „Einheitlichkeit" zeigen die Glockenbecherbefunde deutliche regionale Unterschiede. Die wenigen „Elemente" kommen nicht überall und in gleicher Weise miteinander kombiniert vor. Siedlungsbefunde und Grabformen unterscheiden sich regional. Welche „tieferen" Gründe der mitunter „isolierten" Verbreitung der „Kulturelemente" zugrunde lagen, ist schwer auszumachen. Eine grundlegende „Ideologie" - zurückhaltender vielleicht auch „Vorstellung" oder „Konzept" - als alleinige Erklärung für einige wenige, regional in unterschiedlichen Kombinationen vorkommenden Typen oder gar allein den namengebenden Glockenbecher anzusehen, setzt eine große soziale und kulturelle Homogenität voraus. Gerade die europaweite Verbreitung ist ein Hinweis auf verschiedene Hintergründe und heterogene „Kulturen", die eine „Mode mitmachten". Und um auf den Begriff der Ideologie zurückzukommen: Ideologien „erklären" die Welt für ihre Anhänger, beschreiben sie daher nicht unmittelbar - und können des-
20
Benz u. a. 1998, 184.
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halb auch kaum anhand eines einfachen „Satzes" von Kulturelementen erfaßt werden. Die Erklärung des „Glockenbecher-Phänomens" durch eine „Ideologie" begibt sich auf die dritte, ereignisgeschichtliche oder historistische Ebene des oben beschriebenen Modells21, die mit Hilfe archäologischer Quellen kaum zu erreichen ist. Man sollte sich wohl mit einer allgemeineren, struktur- und kulturgeschichtlichen Interpretation begnügen. Als völlig überholt dürfen im übrigen alle Überlegungen über eine besondere anthropologische Typisierung der „Glockenbecherleute" gelten - der auf Alfred Schliz (1849-1915) zurückgehende und für Wanderungshypothesen herangezogene „planoccipitale Steilkopf"22 ist nichts weiter als eine „rassentypologische" und metrische Fiktion. 3. Der Versuch, „fremde Frauen" in der mittleren Bronzezeit anhand ihrer „Tracht" nachzuweisen, ist wohl von der frühgeschichtlichen Archäologie angeregt worden. 23 Obwohl eine Vielzahl von möglichen Erklärungen für die Verbreitung metallener Kleidungsbestandteile und Schmuckformen zur Verfügung steht, verengt sich die Diskussion rasch auf die Postulierung exogamer Heiratsbeziehungen (Abb. 93).24 Warum erscheint diese „ethnische" Interpretation naheliegender als andere Erklärungen, die allenfalls genannt, aber nicht eingehender erörtert werden? Zwei Prämissen liegen der Argumentation zugrunde - 1. das Konzept einer regional einheitlichen „Tracht", die alle „Angehörigen" einer solchen „Trachtprovinz" unabhängig von sonstigen sozialen Differenzierungen tragen; und 2. die Vorstellung, diese Kleidung würde von der Initiation bzw. dem Erwachsenwerden bis zum Tode unverändert getragen. Dieses Modell weist bereits einige innere Widersprüche auf. Das lebenslange Tragen wird damit begründet, daß manche schweren Arm- oder Beinringe
21 22
23 24
Kap. VI,18 (Abb. 87). Die »maßgebende" Arbeit von Gerhardt stützt sich auf lediglich 130 herangezogene Skelette bzw. Schädel und widerspricht dennoch ausdrücklich der „oft und gern zitierte[n] Meinung von der somatischen Einheitlichkeit der Glockenbecherbevölkerung" (Gerhardt 1953, 154). Der als „Glockenbechertypus" bezeichnete „planoccipitale Steilkopf" macht - läßt man einmal alle wohlbegründeten Bedenken hinsichtlich solcher absurden „Rassentypologien" beiseite - ungefähr ein Achtel (!) aller berücksichtigen Schädel aus - und bildet selbst nur eine heterogene „Gruppe" („typologische Zuteilungen werden hier den tatsächlichen Verhältnissen eher gerecht werden, wenn sie weniger bestimmt eine möglichst genaue Deckung aller Formen und Werte verlangen, sondern schon den Indizienbeweis einzelner eindrucksbestimmender Merkmale und Züge positiv gelten lassen"; ebd., 122 [Hervorhebung im Original]). Damit wären der „Intuition" des Forschers Tür und Tor geöffnet. Jordan 2000; vgl. Kap. V,13,a; VI,18,e. Jockenhövel 1991.
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Abb. 93. Kulturgruppen der mittleren Bronzezeit und »fremde Frauen". Kleidungsbestandteile von Fundorten außerhalb ihres Hauptverbreitungsgebietes werden a priori als „persönliche Mobilität" interpretiert. Daß es sich bei weitem nicht immer um die Widerspiegelung exogamer Heiratsbeziehungen handeln kann, belegen die zahlreichen „Mischinventare" - Gräber mit einheimischen und fremden Kleidungsbestandteilen bzw. Schmuck. Kleidung war regional nicht derart festgelegt, als daß nicht .fremde" Accessoires aufgrund ihrer „Exotik" zur Statusdemonstration einheimischer Frauen dienen konnten (nach Jockenhövel 1991, 60 Abb. 1)
kaum wiederaufzubiegen gewesen seien. Wenn überhaupt, gilt diese Hypothese nur für einen Teil des Schmucks und sollte experimentell überprüft werden. Des weiteren wird bereits bei einem „fremden" Kleidungsbestandteil von einer „fremden Frau" ausgegangen, auch wenn die Bestattung zugleich viele „einheimische" Typen enthält. Denn Einheimische hätten sich an die Normen der eigenen Gesellschaft gehalten. Modische und andere Einflüsse von außen werden damit definitorisch ausgeschlossen, doch sind sie tatsächlich unwahrscheinlich? Wenn man Kleidung als relevant für regionale bzw.
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ethnische Identitäten ansieht, müßten dann diese „Mischinventare" durch diffuse, unsichere oder wechselnde Identitäten erklärt werden? Unter Statusund Prestige-Gesichtspunkten ließe sich argumentieren, daß „fremde", gewissermaßen „exotische" Formen nicht nur „schön", sondern wegen ihrer fernen Herkunft bzw. Seltenheit besondere Attraktivität (und Symbolkraft?) und damit soziale Unterscheidungskraft besessen haben mögen. Dies könnte auch für komplette „fremde" Kleidungen gelten, die ihre (einheimische) Trägerin umso mehr ausgezeichnet hätten. Umgekehrt bliebe zu fragen, warum die einerseits so strengen Kleidungsnormen der Gesellschaften eingeheiratete „Fremde" nicht andererseits zur Anpassung zwangen? Abgesehen davon, daß nur ein kleinerer Teil der Frauen - eine „Oberschicht" - mit bronzenen Kleidungsbestandteilen und Schmuck bestattet wurde, lassen sich keine starren, strengen „Ausstattungsnormen" feststellen. Zwar folgen die Ausstattungen groben „Regeln", doch blieb ein erheblicher (regionaler, sozialer und individueller) Spielraum. „Fremde Stücke" ließen sich als Möglichkeiten innerhalb dieser Spielräume verstehen. Schließlich scheint das Exogamie-Konzept selbst problematisch. Mit Claude Lévi-Strauss ist davon auszugehen, daß der Tausch von Heiratspartnern zwischen verschiedenen Gruppen sowohl der Sicherung des Fortbestands der Gruppe als auch der Knüpfung stabiler sozialer Beziehungen gilt. Welchen Sinn sollte es für eine kleinräumig orientierte, agrarisch ausgerichtete Gesellschaft haben, manche Töchter über 50 oder 100 km hinweg zu verheiraten? Dauerhafte, stabile und gegenseitige Beziehungen lassen sich nur zu den unmittelbaren Nachbarn herstellen. „Dynastische" Heiraten gibt es innerhalb überregionaler Eliten - wäre dies für die Bronzezeit in großer Zahl anzunehmen? Man müßte dann recht großräumige „Häuptlings"-Herrschaften voraussetzen, die einander in einem verzweigten Kommunikationsnetz verbunden gewesen waren. Die den kulturellen Ähnlichkeiten abzulesende weiträumige Kommunikation dürfte auf anderen sozialen Ebenen anzusiedeln sein. 25 Daß „fremde Männer" bislang nicht thematisiert wurden, beruht primär auf methodischen Schwierigkeiten. Waffenausstattungen sind seltener und weniger deutlich als Frauenschmuck und -kleidung regional abzugrenzen. 26 Nimmt man (aufgrund ethnologischer Parallelen) an, die Männer seien zumindest ebenso „mobil" wie ihre Frauen gewesen, wird deutlich, wie einge-
25 26
Hansen 2000. Vgl. etwa Hansen 1994, 27-43, zu älterurnenfelderzeitlichen Formen; Schauer 1971; Ottenjann 1969.
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schränkt die Perspektive der Archäologie sein kann - und wie unzureichend „historistische" Schlußfolgerungen ausfallen. Strukturgeschichtliche, d. h. weniger spezielle Erklärungen - Modeeinfluß, Kommunikation, Austausch - erscheinen ebenso plausibel und geraten nicht so schnell in die Gefahr, die Aussagekraft des Materials allzu sehr zu strapazieren. Dieser allgemeinere Ansatz läßt Spielraum für spezielle Entwicklungen. Großräumig vergleichende Untersuchungen zum bronze- und eisenzeitlichen Europa zeigen einerseits weitreichende Elitenkontakte und -beziehungen und andererseits regionale bzw. kleinräumige Unterschiede. Diese Parallelität oder Gleichzeitigkeit unterstreicht die „Kontaktfreudigkeit" und Offenheit prähistorischer Gesellschaften. „Isolationistische" Tendenzen oder gravierende Abgrenzungsversuche sind nicht auszumachen. Es fehlen homogene Gruppierungen und deutliche Grenzziehungen. Unterschiedliche Gegenstände Waffen, Geräte, Schmuck und Kleidungsbestandteile27, Keramik - sind verschieden verbreitet. Denn hinter den einzelnen Verbreitungsbildern ζ. B. der Hortzusammensetzungen stecken „unterschiedliche Informationsebenen, wie ζ. B. die Waffenausstattung der Männer, das spezialisierte Werkzeug der Schmiede, die bronzenen Teile der Frauentracht, und verschiedene Aspekte des gesellschaftlichen Lebens, darüber hinaus über die Verfügung der Bronzen, der soziale und politische Status der Besitzer, weiträumige Austauschbeziehungen, lokale Handwerkstraditionen, schließlich die Besonderheiten der im weitesten Sinne religiösen Sphäre."28 Statt „ethnischer" Abgrenzung spiegeln die Befunde sozialgeschichtliche Phänomene wider. Stellt man Identifikationsprozesse in den Mittelpunkt, so ist primär an soziale Zuordnungen zu denken - überregionale Selbstdarstellung von Elitenangehörigen und Repräsentation innerhalb lokaler und regionaler Gesellschaften. Dies schließt Beziehungen zwischen Lebenden und Toten (und Göttern) ein (Grab- und Hortausstattungen), auch hierbei wiederum vor allem innerhalb sozialer Systeme.29 Bemühungen um Abgrenzung richten sich mithin an die eigene, alltägliche soziale Umwelt, nicht an die entfernteren Nachbarn oder zufällig anwesende „Fremde"; letztere „Konfrontation" ergibt sich nur in speziellen Situationen. Funde und Befunde reflektieren demzufolge ein durch Kommunikation und Austausch zwischen prinzipiell ähnlich strukturierten Gesellschaften bewirktes räumliches Kontinuum der
27 28 29
Hansen 1994, 123-125, 233, 301-303, 306-368. Hansen 1994, 304. Hansen 1994, 368-396; Gaben an die Götter 1997.
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Sachkultur, das erst durch analytische Klassifikation in nur scheinbar distinkte „Regionalvarianten" bzw. „archäologische Kulturen" gegliedert wird. Auffällige kulturelle Grenzziehungen scheinen daher eine Ausnahme darzustellen, wobei dann immer noch die Frage bleibt, welche Ursachen dafür ausschlaggebend gewesen sein mögen. „Ethnische" Abgrenzung wäre lediglich eine unter mehreren vorstellbaren Erklärungen.
b) Historischer oder kulturanthropologischer Ansatz? Besonders in der mitteleuropäischen prähistorischen Archäologie diskutiert man über die Positionierung und damit über die methodologische Ausrichtung zwischen Geschichtswissenschaft einerseits und Kulturanthropologie andererseits. Die methodisch gebotene Bevorzugung struktureller gegenüber ereignis- bzw. politikgeschichtlichen Interpretationen verschiebt das Schwergewicht zwangsläufig in Richtung vergleichender Betrachtungen. Damit erlangen ethnologische Beobachtungen und Modelle an Bedeutung, die das Spektrum möglicher Interpretationen des vorliegenden archäologischen Materials abzustecken helfen. Unabhängig davon, ob diese Konzepte eine im Einzelfall zutreffende Erklärung zu liefern vermögen, sind sie von großem heuristischem Wert für die Archäologie. 30 Dennoch - der historische Charakter prähistorischer Forschung geht dabei keineswegs verloren. Dies gilt nicht allein deshalb, weil es sich - im Unterschied zu ethnologischen Beobachtungen moderner, zeitgenössischer Gruppen - um Einblicke in die Vergangenheit handelt. Die relativ genaue Datierung archäologischen Materials erlaubt es darüber hinaus, zeitliche Veränderungen zu registrieren und zu beschreiben. Die Ermittlung struktureller, längerfristiger Entwicklungen und Veränderungen dient unmittelbar der Gewinnung historischer Erkenntnis. Zweifel am historischen Charakter prähistorischer Forschung können sich nur dann einstellen, wenn der Ausgangspunkt eine eingeschränkte, auf Politikgeschichte fixierte Auffassung von Geschichtsschreibung ist. Spezifisch für die Erkenntnismöglichkeiten der Vorgeschichtsforschung bleibt eine Zwischenstellung zwischen Historiographie und Kulturanthropologie. 31 Sie vermittelt zwischen historischer Tiefe des ar-
30 31
Vgl. Gosden 1999a. Veit 1995. - In methodischer Hinsicht müßten auch die Naturwissenschaften berücksichtigt werden, so daß sich eine Zwischenstellung zwischen Historiographie, Kulturanthropologie und Naturwissenschaften ergäbe.
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chäologischen Materials und kulturanthropologisch vergleichender Interpretation - und ist damit letztlich eine „historische Kulturwissenschaft".32 Daher sind ein historischer und ein kulturanthropologischer Ansatz keine Alternativen, sondern gleichzeitig zu berücksichtigende Forschungsstrategien.
21. Die Verbindung von Sachkultur und Sprache a) Die „Indogermanen" Im allgemeinen wird auch das sogenannte „Indogermanen-Problem" dem Bereich der „ethnischen Interpretation" zugerechnet, doch handelt es sich bei den „Indogermanen" im weiteren Sinn um eine Sprachgruppe. Gleiches trifft aber, wie erwähnt, auch für Kelten, Germanen und Slawen zu.33 Die Suche nach den materiellen Hinterlassenschaften der „Indogermanen" gehört zu den methodologisch aufschlußreichsten Versuchen, „Völker" bzw. Sprachgruppen im Fundmaterial auszumachen.34 Anders als bei den stets anonym bleibenden „archäologischen Kulturen" steht hier scheinbar ein Name zur Verfügung, mit dem archäologische Gruppierungen verknüpft werden (können). Die „Indogermanen" entstammen - anders als Kelten, Germanen oder Slawen - nicht den Beschreibungen antiker Ethnographen. Sie sind eine moderne linguistische Rekonstruktion, die die Gemeinsamkeiten zahlreicher europäischer Sprachen zu erklären sucht.35 Als „Indogermanen" werden die Sprecher einer hypothetischen indogermanischen „Ursprache" bezeichnet.36 Es handelt sich, dies sei hier einleitend wiederholt, aus zwei Gründen nicht um eine „ethnische Interpretation" im eigentlichen Sinne. 1. Die Existenz einer „indogermanischen Ursprache" einmal vorausgesetzt, bleibt deren Rolle für mögliche Gruppenabgrenzungen völlig im dunkeln. Doch nur wenn die Sprache ein Merkmal bewußter Abgrenzung gewesen wäre, hätte sie ethnische Relevanz besessen. Soziologische Vergleiche zeigen jedoch, daß Sprache meist ein eher nachgeordnetes Merkmal ist.37 Erst der moderne Nationalismus des
32 33 34 35 36
37
Siegmund/Zimmermann 2000; Eggert 2001,14-18, 308-352. Vgl. Kap. V,9,a. Sims-Williams 1998. Schmitt 2000; Seebold 2000; Zimmer 1990. Zu den methodischen Problemen, eine indogermanische „Kultur" zu rekonstruieren, vgl. Schlerath 1995-1996. Mühlmann 1964; vgl. Kap. 111,4.
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19. Jahrhunderts erhob die Sprache zum konstituierenden Merkmal einer Nation. 38 2. Indoeuropäische Sprachen sind über einen weiten Raum verbreitet vom Atlantik bis nach Indien. Auch wenn die hypothetische „Urheimat" räumlich sehr viel begrenzter gewesen sein mag, so kann sie nicht nur eine beschränkte Region umfaßt haben. Auch die geographische Erstreckung spricht daher gegen ein Gemeinschaftsbewußtsein, das sich in Häuptlingsoder Stammes-Gesellschaften nur kleinräumig entwickeln kann. Der Versuch, „Sprechergemeinschaften" mit „archäologischen Kulturen" zu identifizieren, gleicht in methodischer Hinsicht der „ethnischen Deutung" - regionale Besonderheiten der Sachkultur bzw. der Sprache werden als Reflex einer ethnischen oder sprachlichen Gruppierung angesehen. Diese methodische Übereinstimmung und das gemeinsame Erkenntnisziel, im weiteren Sinne historische Gruppierungen im archäologischen Material auszumachen, begründen die Zuordnung des „Indogermanenproblems" zum Bereich der „ethnischen Interpretation". 39 Die Varianten der bislang für „indogermanisch" gehaltenen, d. h. mit den Sprechern der noch gemeinsamen „indogermanischen Ursprache" verbundenen archäologischen Kulturen sind nahezu unübersehbar. Über die geographische Lokalisierung und über die Datierung gehen die Ansichten weit auseinander (Abb. 94). Der Disput betrifft sowohl die Linguistik als auch die Archäologie. Zunächst zur historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft: Aus den offensichtlichen Übereinstimmungen vieler (moderner und „ausgestorbener") Sprachen zwischen Westeuropa und Indien in Vokabular und Grammatik wurde eine „Ursprache" rekonstruiert. Als Ergebnis der Rekonstruktion entstand ein Stammbaummodell, wie es bereits August Schleicher um 1850 vorschlug.40 Ein solches Modell berücksichtigt nur die Gemeinsamkeiten der Einzelsprachen. Unterschiede und separate Sprachentwicklungen werden grundsätzlich und systematisch ausgeblendet. Auch dieses Problem sah man bereits im 19. Jahrhundert. Der Schleicher-Schüler Johannes Schmidt präsentierte daher ein alternatives Wellenmodell.41 Damit wurden durch die geographische Nachbarschaft der Einzelsprachen gegenseitige Ähnlichkeiten aufgrund von Beeinflussungen erklärt. Dieses Vorgehen läßt sich als kontaktlinguistische Perspektive kennzeichnen. In der indogermanistischen Forschung setzte sich das Stammbaummodell
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Vgl. J. Grimm 1884; Anderson 1996; Hobsbawm 1996; Kap. IV.7-8. Vgl. Häusler 2000. Schleicher 1848; 1850. J. Schmidt 1872.
Die Verbindung von Sachkultur und Sprache
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Abb. 94. Vier hypothetische Modelle zur „Urheimat" und zur Ausbreitung der Indogermanen. Oie erstaunlich großen Unterschiede zwischen den Modellen zeigen, wie problematisch die Rekonstruktionen sind, und wie unterschiedlich Indizien berücksichtigt und gewertet werden können. Angesichts dieser Spielräume scheint es fraglich, ob ein solcher Ansatz bzw. diese Fragestellung zum Erfolg führen kann (nach Mallory 1997, 107 Abb. 7.4)
machtvoll durch. Es dominiert bis heute alle Ansätze, die „genetische Sprachverwandtschaft" zu erklären.42 Grundlage aller Rekonstruktionen sind einseitig die Gemeinsamkeiten der Einzelsprachen. Diese Einschränkung ist methodisch bedingt. Nur Übereinstimmungen bzw. Ähnlichkeiten ermöglichen es, über Vergleiche nach wechselseitigen Beziehungen zu suchen. Die Unterschiede bzw. Besonderheiten der Einzelsprachen können zwar konstatiert, aber nicht auf Beziehungen hin analysiert werden. Andere denkbare Sprachentwicklungen, wie Konvergenzen und Bildung aus verschiedenen „Wurzeln", bleiben so unerkannt, ohne daß sie ausgeschlossen werden könnten. Wesentliche Züge sprachlicher Entwicklungen, wie sie aufgrund aktualistischer Beobachtungen bekannt sind, werden damit prinzipiell ausgeblendet. Diese methodisch bedingten Einschränkungen der Untersuchungen bewirken, daß durch die Fixierung auf einen gemeinsamen „Ursprung" nur ein Aspekt sprachlicher Entwicklung berücksichtigt wird. Die sprachlichen Gemeinsamkeiten der Einzelsprachen betreffen aber nur einen kleinen, wenige
42
Zimmer 1990.
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Prozent betragenden Anteil der Grammatik der Einzelsprachen. Nur ein Bruchteil der Sprachentwicklung kann also mit Hilfe des Stammbaummodells erklärt werden. Schon deshalb bleibt das „Indogermanische" als „Ursprache" ein linguistisches Konstrukt. Außerdem werden soziale Verhältnisse überhaupt nicht berücksichtigt. Erst die stärkere Heranziehung soziolinguistischer Interaktionsmodelle (ζ. B. die Konkurrenz von Sprachvarianten) und der Blick auf limitische Strukturen - allmähliche Übergänge und nicht scharfe Sprachgrenzen - könnte es möglich machen, über die sprachlichen Elemente hinaus in Bezug auf die Sprecher der Sprache(n) methodisch voranzukommen. Bislang scheint die historische Linguistik allerdings von Grammatik und Soziolinguistik weitgehend isoliert.43 Eine Sprache wird von Menschen gesprochen. Obwohl die „indogermanische Ursprache" zunächst nichts anderes als eine linguistische (Re-)Konstruktion darstellt, vermutet man sehr häufig eine „Sprechergemeinschaft" dahinter. Postuliert wird nicht nur, daß die Sprecher der „Ursprache" miteinander kommunizierten, was eine zwingende Voraussetzung für die Verwendung einer Sprache darstellt. Zugleich sollen die „Indogermanen" aufgrund dieser Kommunikationsbeziehungen eine gemeinsame Kultur besessen haben und damit letztlich einer Gesellschaft angehört haben. Zur Voraussetzung für alle weiteren Hypothesen gehört die Schlußfolgerung, Sprache und (die übrige) Kultur der „Indogermanen" fielen zusammen. Mit Hilfe dieser These wird die Suche nach der „Urheimat", den ursprünglichen Siedlungsgebieten der „Indogermanen", begründet. Die linguistischen Argumente, den geographischen „Ursprung" der „Indogermanen" zu lokalisieren, lassen sich drei Ansätzen zuweisen: 1. Mit Hilfe der „linguistischen Paläontologie" wurden umfangreiche Versuche unternommen, die Umwelt zur Zeit der „Ursprache" zu ermitteln. Vielen Einzelsprachen gemeinsame Bezeichnungen für bestimmte Bäume und weitere Pflanzen, Tiere, Metalle sowie Gerätschaften schienen hierfür eine solide Grundlage zu bieten.44 Inzwischen hat sich herausgestellt, daß die etymologische Situation viel komplizierter ist. Namen gleichen sprachlichen Ursprungs bezeichnen oft sehr unterschiedliche Arten und geben daher wenig über Fauna und Flora im Umfeld der „Indogermanen" her. Die „ursprüngliche" Bedeutung der rekonstruierten Begriffe bleibt stets unklar, denn was mit dem einzelsprachlichen Wort für Buche oder Lachs anfangs gemeint war, kann aus der später gesicherten Bedeutung nicht geschlossen werden.
43 44
Blench 1997, 18. Vgl. Szemerényi 1990.
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2. Aus Lehnwortbeziehungen erschließt man des weiteren nicht nur frühere Nachbarschaften von Einzelsprachen, sondern ζ. B. auch die anfängliche Lebens- und Wirtschaftsweise.45 Wenn sich beispielsweise Wörter für Metalle, Rad und Wagen in vielen Einzelsprachen entsprechen, sollten bereits die „Indogermanen" damit vertraut gewesen sein. Wenn aber diese Begriffe in den Einzelsprachen in unterschiedlicher Weise entlehnt sind, müßte ihre Kenntnis sekundärer Natur sein. Dennoch besteht auch heute keine Klarheit darüber, ob die „Indogermanen" Nomaden oder Ackerbauern waren, denn für beide Annahmen lassen sich linguistische Hinweise im Vokabular ausmachen. 3. Ein weiterer Weg zur Lokalisierung der „Urheimat" stützt sich auf die Etymologie der - als konservativ geltenden - Gewässernamen. Mit ihrer Hilfe wurden bislang vor allem die „Urheimat" der Germanen oder der Slawen, d. h. Einzelsprachen in ihren älteren Stufen, gesucht.46 Eine ältere sprachliche „Schicht" sollten nach Hans Krähe (1898-1965) sogenannte „alteuropäische" Gewässernamen darstellen.47 Dabei handelt es sich um eine Art Zwischenstufe zwischen dem „Indogermanischen" und den späteren Einzelsprachen, ohne daß die Linguistik sich zu einer einheitlichen Meinung zu Krahes Thesen hat durchringen können. „Indoeuropäische" Gewässernamen scheinen sich (aufgrund sprachlicher Überformungen?) nicht mehr ausmachen zu lassen, so daß mit ihrer Hilfe kein Zugang zu einer „Urheimat" zu gewinnen ist. Selbst wenn man das „Indogermanische" nicht nur als linguistisches Konstrukt ansieht, sondern eine abgrenzbare „Sprechergemeinschaft" für wahrscheinlich hält, ist deren - auch nur ungefähre - geographische Lokalisierung mit sprachwissenschaftlichen Argumenten bislang nicht gelungen. Unterschiedliche Regionen wurden vorgeschlagen - mit unterschiedlicher naturräumlicher (topographischer, botanischer und zoologischer) Ausstattung, bei unterschiedlichen Wirtschaftsformen (Nomaden oder Ackerbauern). Dieses heuristische Dilemma der Linguistik führte zur Einbeziehung der Archäologie in die Urheimat-Debatte. Die unabdingbare Prämisse lautet dabei, daß Sprache und Sachkultur im Regelfall zusammentreffen. Beide Bereiche sollten nach innen weitgehend homogene und nach außen relativ scharf abgrenzbare Gruppierungen darstellen, die sich räumlich weitgehend decken. Mit anderen Worten: sprachliche und kulturelle Entwicklung werden unmittelbar parallelisiert bzw. aneinander gekoppelt. Nur unter dieser Voraussetzung läßt sich der Frage nachgehen, welche großräumig abgrenzbare „archäo-
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Sprache und Kultur der Indogermanen 1998. Udolph 1994; 1979a. Krähe 1963.
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logische Kultur" als die materielle Hinterlassenschaft der „Indogermanen" angesehen werden kann. Die zweite wesentliche Erwartung, die man bezüglich der Aussagemöglichkeiten der Archäologie hegt(e), betraf die zeitliche Einordnung der „Indogermanen" und ihrer Sprache. Da mit linguistischen Mitteln nur eine relative Chronologie sprachlicher Entwicklung erreicht und durch die frühesten einzelsprachlichen Überlieferungen nur ein terminus ante quem gewonnen werden kann, erhofft(e) man sich über die Identifizierung von „archäologischer Kultur" und „Sprechergemeinschaft" Aufschluß darüber, zu welchem Zeitpunkt sich das „Indogermanische" in die Einzelsprachen aufspaltete. Mindestens genauso groß wie die Zahl linguistischer Lokalisierungsversuche ist diejenige der archäologischen Hypothesen: „That the homeland has been discovered there can be no doubt as it has been sought anywhere from the North to the South poles and from the Atlantic to the Pacific", faßt James Mallory ironisch zusammen. 48 Auch in der prähistorischen Archäologie ist man von einem Konsens über eine auch nur ungefähre Lokalisierung weit entfernt. Da die Festlegung auf eine „archäologische Kultur" zugleich immer eine zeitliche Fixierung bedeutet, konkurrieren nicht nur unterschiedliche räumliche, sondern auch recht verschiedene zeitliche Vorstellungen miteinander. Die Datierungen variieren mehrheitlich etwa zwischen Mesolithikum und Aneolithikum, decken also ungefähr das 8. bis 3. vorchristliche Jahrtausend ab. 49 Eine „archäologische Kultur" läßt sich nicht aus sich selbst heraus als „indogermanisch" apostrophieren. Sprache schlägt sich nicht (unmittelbar) in der Sachkultur nieder. Es bedarf für die Identifizierung linguistischer Anhaltspunkte. Dazu gehören eine (wenn auch vage) Lokalisierung ebenso wie ein denkbares zeitliches Intervall. Durch diese sprachwissenschaftlichen Vorgaben wird die archäologische Suche nach der „Urheimat" von Beginn an auf bestimmte Bahnen gelenkt. Es läßt sich für jeden Raum, in dem die Linguistik die „Indogermanen" vermutet, und zu jeder Zeit eine „archäologische" Kultur vorweisen (sofern es sich um besiedeltes Gebiet handelt). Argumente und Gegenargumente hinsichtlich einer Gleichsetzung von Sprache und Kultur suchen vor allem Umwelt und Wirtschaftsweise einzubeziehen. Jüngst hat James Mallory die vier zur Zeit geläufigsten Hypothesen zur „Urheimat" zusammengefaßt, die von Seiten der Archäologie vorgeschlagen
48 49
Mallory 1997, 93. Eine Ansetzung vor 2000 v. Chr. deckt sich mit den Vorstellungen der Linguistik, da die ältesten einzelsprachlichen Schriftzeugnisse aus dem frühen 2. Jahrtausend stammen.
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werden.50 Allen Hypothesen liegt die problematische Gleichsetzung mit einer (großräumigen) „prähistorischen Kultur" zugrunde. Damit ist wie bereits erwähnt zugleich eine definitive Datierung verbunden: 1. Die zeitlich früheste Identifizierung lokalisiert die „Indogermanen" zwischen Rhein und Kaspischem Meer im Mesolithikum. Damit werden sie als autochthon angesehen. Alle anderen Hypothesen setzen (ausgedehnte) Wanderungen voraus.51 2. Die „Indogermanen" stammten aus Kleinasien, wo sie im frühen Neolithikum gelebt hätten (7. Jahrtausend v. Chr.).52 3. Die „Indogermanen" stünden hinter der Linienbandkeramik in Mittel- und Südosteuropa (um 5000 v. Chr.), seien also hier die ersten seßhaften Bewohner gewesen.53 Die Neolithisierung wird dann als Einwanderung aus Anatolien über Südosteuropa verstanden. 4. Im späten Neolithikum bzw. der Kupferzeit seien die „Indogermanen" als Steppennomaden aus dem Gebiet nördlich des Schwarzen und des Kaspischen Meeres nach Europa gekommen. Diese letzte Variante knüpft an die Vorstellungen des späten 19. Jahrhunderts von den steppennomadischen, kriegerischen „Streitaxtleuten" oder „Schnurkeramikern" an, wie sie auch Marija Gimbutas (1921-1994) vehement vertrat.54 Angesichts der grundlegenden methodischen Probleme scheint es wenig sinnvoll und erfolgversprechend, strittige Details dieser hypothetischen Gleichsetzungen zu erörtern. Ebenso wenig können hier die linguistischen Hypothesen, ihre Voraussetzungen und ihre Plausibilität im einzelnen diskutiert werden. Dies ist Gegenstand der indogermanistischen Sprachwissenschaft. Von zentraler Bedeutung ist jedoch die Fragestellung - die fast verzweifelt gesuchte Verbindung zwischen Sprache und Sachkultur. Die Vielzahl der konkurrierenden Hypothesen belegt, daß auch nach mehr als hundertjähriger Forschung keine Einigkeit über die methodischen Grundlagen erreicht werden konnte. Sonst könnten die zeitlichen und räumlichen Einordnungen nicht derart massiv divergieren. Wo liegen die Gründe dafür? Sie liegen nicht primär in einer ungenügend abgesicherten Methodologie der beiden beteiligten Disziplinen. Historisch-vergleichende Sprachwissenschaft und prähistorische Archäologie verfügen beide über ein breites, erprobtes Spektrum von Verfahren, das ihnen jeweils zur Verfügung stehende Material zu ordnen und zu analysieren. Das Problem ist vielmehr ein heuri-
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Mallory 1997, 107 Abb. 7.4. Häusler 1985. Renfrew 1987. Diakonoff 1985 aus linguistischer Sicht. Vgl. Renfrew 1987. Zuletzt Gimbutas 1994; vgl. dies. 1977; 1980; Die Indogermanen und das Pferd 1994; Raulwing 2000.
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stisches - es liegt in der Fragestellung und in der Interpretation der Quellen. Die Suche nach dem Zusammentreffen von Sprache und Sachkultur geht an der Aussagekraft der verfügbaren Quellen vorbei. Denn wiederum werden unterschiedliche Bereiche der Lebenswirklichkeit direkt miteinander verbunden. Dieses Vorgehen verspräche nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn beide Bereiche - Sprache und Sachkultur - über einen größeren Raum weitgehend homogen strukturiert und nach außen, d. h. zu den benachbarten Sprachen und Kulturräumen, scharf abgegrenzt waren. Daß dies die seltene Ausnahme darstellt, wurde oben bereits ausgeführt. Über größere Räume, wie sie für die „Indogermanen" von allen damit befaßten Wissenschaftlern vorausgesetzt werden, muß es erhebliche Differenzen in der Sprache (Dialekte) und in der Sachkultur - und damit eine heterogene Struktur - gegeben haben. Und scharfe äußere Grenzen sind nur an unüberwindlichen „natürlichen" Barrieren zu erwarten, die für keine der mutmaßlichen „Urheimaten" zutreffen. Breite Übergangsbereiche („limitische Strukturen") und Heterogenität sollten daher Sprache und Sachkultur auch zu jenen Zeiten geprägt haben, in denen man die „Indogermanen" vermutet. Dann wären allerdings höchstens vage Lokalisierungen möglich. Das eigentliche heuristische Problem ist jedoch das postulierte Zusammentreffen von Sprache und Sachkultur. Nur unter dieser Voraussetzung könnte eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Linguistik und Archäologie eine Chance auf Erfolg besitzen. Doch warum sollten die beschriebenen unscharfen Abgrenzungen von Sprache und Sachkultur regelhaft zusammentreffen? Sollte allein aufgrund einer rekonstruierten Sprache tatsächlich die Rekonstrukion einer Gesellschaft gelingen? Auf dieser unsicheren Prämisse beruht jedoch die gesamte Untersuchung. Der Indogermanist Bernfried Schlerath kommt zu dem Schluß, daß aus methodischen Gründen „eine Zusammenarbeit von Prähistorie und Sprachwissenschaft grundsätzlich nicht möglich ist" und es daher „eine Illusion [sei] zu glauben, daß eine intensivere und sorgfältigere Zusammenarbeit zwischen Prähistoriker und Sprachwissenschaftler' irgendwelche neuen Erkenntnisse bringen könnte". 55 Die unterschiedlichen Blickwinkel lassen sich nicht miteinander vereinbaren. Die archäologische Suche nach den „Indogermanen", ihrer „Kultur" und „Urheimat" bleibt wohl irrelevant, weil sie nicht ermittelt werden können. 56 Darüber hinaus wäre angesichts der methodischen Proble-
55 56
Schlerath 1992, 139, 136. Jacob-Friesen 1928, 194, bemerkte bereits: „Überlassen wir doch das Indogermanenvolk den Linguisten, die dies Volk, von dem sie selbst noch nicht wissen, ob es ein Volk gewesen ist, geschaffen haben!"
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me zu fragen, inwieweit derartige Apostrophierungen oder Zuschreibungen der Sachkultur einen Gewinn an historischer Erkenntnis bedeuteten. b) Kelten, Germanen und Slawen und weitere Sprachgruppen Kelten, Germanen und Slawen sind zunächst sprachwissenschaftliche Kategorisierungen. Der Versuch, sie im archäologischen Material zu identifizieren, geht von Sprachgruppen und nicht vom historischen Kelten-, Germanenoder Slawen-Begriff der zeitgenössischen, antiken bzw. fränkischen und byzantinischen Beobachter aus. Diese bezeichneten in geographischer und ethnographischer Typisierung die „Barbaren" bestimmter Regionen als „Kelten", „Germanen" bzw. „Slawen", nicht die Sprecher einer bestimmten Sprache.57 Die antike bzw. frühmittelalterliche Terminologie und moderne linguistische Rekonstruktionen fallen dabei nicht zusammen. Kein zeitgenössischer Ethnograph rechnete beispielsweise die Goten zu den Germanen, obwohl diese aus sprachwissenschaftlicher Sicht heute als „Ostgermanen" gelten. Die archäologische Identifizierung aller drei „Großgruppen", die schon aufgrund ihrer Größe und räumlichen Erstreckung kein Gemeinsamkeitsbewußtsein (keine ethnische Identität) entwickelt haben dürften, bezweckt daher eine unmittelbare Parallelisierung von Sachkultur und Sprache.58 Welchen methodischen Problemen sich die Archäologie dabei gegenüber sieht, ist oben bereits erläutert worden.59 Sprache gehört zur „Kultur".60 Sie ist zugleich ein Medium der Kultur, mit dem grundlegende Vorstellungen ausgedrückt werden.61 Damit besitzt die Sprache im Unterschied zur „Kultur" eine eindeutige Funktion - sie soll Kommunikation ermöglichen. Aber ebensowenig wie „die Kultur" eine homogene und scharf begrenzte „Einheit" darstellt, ist eine Sprache klar abzugrenzen. Sie ist in sich durch zahlreiche regionale und soziale Varianten differenziert, und zu benachbarten Sprach(gebiet)en bestehen fließende Übergänge. Je nach Auswahl der relevanten Merkmale lassen sich unterschiedliche Abgrenzungen und Gruppierungen erreichen. Ist bereits dadurch eine Parallelisierung mit dem ebenso diffusen archäologischen Befund sehr erschwert,
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Vgl. Kap. IV,7. Dies ist auch die Grundannahme folgender Tagungsbände: Archaeology and language 19971999. Vgl. Kap. V,9. Zum Begriff: Kap. 111,4. Hines 1996.
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so tritt noch eine weitere prinzipielle Schwierigkeit hinzu. Ebensowenig wie „ethnische Identität" spiegeln sich Grammatik, Syntax und Semantik auch nur mittelbar in der Sachkultur wider.62 Läßt sich die sprachliche und kulturelle Entwicklung zwischen rekonstruiertem „Indoeuropäischen" und dem Auftreten der indoeuropäischen Einzelsprachen näher beschreiben? Neben Kelten, Germanen und Slawen wurden weitere Sprachgruppen im archäologischen Material vermutet. Dabei ging es sowohl um heute noch existierende „Einzelsprachen" als auch inzwischen „ausgestorbene" Sprachen. Bei letzteren führten Identifikationsvorschläge kaum zu engagierten Diskussionen, weil moderne nationale Identitäten höchstens indirekt berührt waren. Anders verhielt es sich, wenn beispielsweise die Zuschreibung der Lausitzer Kultur als „illyrisch"63 oder „thrakisch"64 mit einer „(ur)slawischen"65 Interpretation konkurrierte. Eine solche Konkurrenz konnte nationale Identitäten wieder ins Spiel bringen und die Diskussion anheizen. Im Grunde war damit das Problem möglicher kultureller Kontinuitäten bzw. Zurückschreibungen „archäologischer Kulturen" berührt.66 Wie bereits am Beispiel der „Indogermanen" erläutert, können sprachliche und kulturelle Entwicklung nicht unmittelbar „synchronisiert" werden. 1. sind „Sprache" und „Kultur" wissenschaftliche Kategorisierungen anhand einiger ausgewählter Merkmale. Die formale Verknüpfung beider Modelle sagt noch nichts über tatsächliche Zusammenhänge aus. 2. Während archäologische Befunde zeitlich hervorragend eingeordnet werden können, läßt sich die Chronologie des „Indogermanischen" und der Herausbildung der „Einzelsprachen" nur sehr vage bestimmen. Wie sollte dann nach Verbindungen gesucht werden, zumal Kelten, Germanen und Slawen zu recht verschiedenen Zeitpunkten historische Bedeutung erlangten? Damit erscheint eine Datierung des Beginns einzelsprachlicher Entwicklung durch die Archäologie praktisch unmöglich. 3. Ebenso verhält es sich mit räumlichen Kombinationen. Ehemalige „Sprachgebiete" lassen sich, wenn überhaupt, nur sehr ungenau eingrenzen. Die verfügbaren linguistischen Quellen sind dafür geographisch zu sporadisch verteilt. Weitere Probleme erwachsen im Einzelfall aus der mangelnden Quellenlage. Die Identifizierung des Illyrischen (ζ. B. mit der jungbronzezeitlichen
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Graves 1994. Kossinna 1902; 1921. Kossinnas Auffassungen gerade in dieser Frage wechselten häufig, ohne daß sich die Argumente änderten. Götze 1900, 233 f. Kostrzewski 1962; 1965. Vgl. Kap. V,10.
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Lausitzer Kultur) bleibt aufgrund nur spärlich vorhandener Informationen über diese Sprache recht schwierig und unsicher. Schließlich sollen Bezeichnungen wie „/»roiokeltisch", „«rgermanisch" oder „urslawisch" die gravierenden Interpretationsprobleme verdecken. Sie entbehren jeder analytischen Kraft und täuschen sprachliche oder kulturelle Kontinuitäten vor. Einer historischen Interpretation sind weder eine „urslawische" Lausitzer Kultur noch die Suche nach bronzezeitlichen Kelten und Germanen dienlich, die als historische, politisch-ethnische oder auch geographische Größen eben viel jünger sind. Es hat wenig Sinn, die antike bzw. frühmittelalterliche Geschichte dieser „Barbaren" mit einer älteren, aber nicht genauer anzusetzenden Sprachentwicklung zu verbinden. Bislang mangelt es an sprachgeschichtlichen Modellen, die sich historisch verifizieren lassen. Offen ist ζ. B., inwieweit es in prähistorischer Zeit räumlich deutlich getrennte Sprachen oder eher sprachliche Kontinua gab. Offen ist auch, wie aus einem solchen diffusen Kontinuum durch Ausdifferenzierung verschiedene Sprachen entstanden und welche Rolle dabei geographische bzw. soziale Trennungen spielten.67 Modelle zur Entstehung von Sprachen - oder vielleicht besser zum „Sprachwandel"68 - bietet die Linguistik nur unzureichend. Der Fall der karibischen Kreolsprachen scheint nicht unbedingt ein allgemeiner Modellfall sprachlicher Ausgliederung und Neuformierung zu sein.69 Kreolsprachen entstanden unter den Bedingungen einer dominanten europäischen Kolonialsprache aus sogenannten Pidginsprachen, die eine Mischung aus europäischen und Versatzstücken beteiligter lokaler Sprachen darstellen. Pidginsprachen fehlen wichtige Charakteristika einer „lebendigen" und differenzierten Sprache; sie bilden eher einen sprachlichen „Trümmerhaufen".70 Stammbaum- und Wellentheorie können zwar sprachliche Gemeinsamkeiten moderner „indoeuropäischer" Einzelsprachen erklären, doch über die Entstehung derselben sagen sie nichts aus. Und über das Verhältnis des „Indogermanischen" zu anderen, geographisch und zeitlich benachbarten „Ursprachen" ist praktisch nichts bekannt. Beim gegenwärtigen Stand ist an Schleraths pessimistischer Feststellung nicht zu rütteln.
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Seebold 1996a; 1998; Neuß 1998. Keller 1994. Polomé 1979; dagegen Zimmer 1990, 26-32, der Kreolisierung als Modell der „Indogermanisierung" begreift. Linke/Nussbaumer/Portmann 1994, 98; vgl. Ludwig 1996 als Fallbeispiel.
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22. Physische Anthropologie und Archäologie Die Untersuchung der sterblichen Überreste dient zunächst der Bestimmung von Geschlecht und Sterbealter, von Krankheitsbelastungen und Ernährungszustand, mitunter auch der Ermittlung der Todesursache.71 Darüber hinaus gibt es Bemühungen, durch weitere detaillierte Untersuchungen Herkunft und Verwandtschaft von Individuen und Populationen zu ermitteln. Dabei werden Verhältnisse und Beziehungen sowohl innerhalb unterschiedlicher Gruppen (Gräberfelder) als auch zwischen Gruppen (Populationen) untersucht. Im ersten Fall dreht sich die Fragestellung um Familienbeziehungen und -strukturen, im zweiten neben Exogamiebeziehungen um „Bevölkerungsdynamik" wie Migrationen. Insbesondere beim Populationsvergleich erhofft man sich von Untersuchungen der genetischen Ausstattung (aDNAAnalysen), aber weiterhin auch von Schädelmessungen Aufschluß über die biologische Verwandtschaft. Die gewonnenen Ergebnisse werden nicht nur mit der rekonstruierten kulturellen und sprachlichen Entwicklung verglichen, sondern häufig unmittelbar parallelisiert.72 Dies betrifft nun sowohl die prähistorische als auch die frühgeschichtliche Archäologie,73 doch für die Prähistorie erbringen diese Analysen die einzigen nicht-kulturellen Informationen und besitzen daher besondere Bedeutung.
a) Verwandtschaftsanalysen innerhalb von Gräberfeldern Bevor naturwissenschaftliche Verfahren zur Verwandtschaftsanalyse erörtert werden, sei der kulturelle Aspekt betrachtet. Verwandtschaft stellt für Gesellschaften keine unumstößliche biologische Tatsache dar. Wie Verwandtschaft definiert wird und wie sich daraus vielfältige soziale Beziehungen ableiten, ist eine kulturelle Konstruktion. Schon die Entscheidung, ob die männliche (patrilinear) oder die weibliche Linie (matrilinear) oder beide (kognatisch) als ausschlaggebend für Abstammung und Vorfahren-Verehrung angesehen werden, weist auf den sozialen Charakter von Verwandtschaft hin. Die Verwandtschafts-Nomenklatur bestimmt des weiteren unmittelbar den Kreis der Blutsverwandten und der Schwiegerverwandten. Zentrale Kategorien sind
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Vgl. Herrmann/Grupe/Hummel/Piepenbrink/Schutkowski 1990. Cavalli-Sforza 1999; Cavalli-Sforza/Cavalli-Sforza 1995; Ethnogenese europäischer Völker 1986. Vgl. Périn 1981, 133 f.; Buchet 1996; Effros 2000 zur frühgeschichtlichen Archäologie.
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„Abstammung" (Deszendenz) und „Heirat" (Affinalität). Verwandtschaftssysteme sind „Systeme, welche die Heirat mit einem bestimmten Typus von Verwandten festlegen; oder, wenn man es lieber will, Systeme, die zwar alle Mitglieder der Gruppe als Verwandte definieren, diese jedoch in zwei Kategorien unterteilen: mögliche Gatten und verbotene Gatten".74 Die Gattenwahl besitzt weitreichende Implikationen. Heiratspartner werden zwischen Gruppen getauscht und knüpfen auf diese Weise soziale Netze. Diese exogamen Heiratssysteme verhindern die soziale Abschottung nach außen. Prinzipiell läßt sich mit Lévi-Strauss festhalten: „Heiraten sind Tauschakte, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit beruhen und darauf abzielen, Allianzen zwischen sozialen Gruppen herzustellen."75 Diese Allianzsysteme können elementar (Gruppe festgelegt, aus der der Heiratspartner stammen muß) oder komplex ausgestaltet sein (verbotene Heiratspartner festgelegt). Der Tausch der Partner muß dabei nicht direkt erfolgen, sondern kann auch asymmetrisch und verzögert abgewickelt werden. Auf diese Weise bleiben die Tauschsysteme dynamisch und offen, wodurch zugleich die soziale Ordnung stabilisiert und bekräftigt wird. Bei aller kulturspezifischen „Ausgestaltung" lassen sich diese strukturellen Grundzüge in allen Gesellschaft erkennen. Daß zwischen Mutter und Kind eine direkte biologische Beziehung besteht, ist offensichtlich. Daran knüpfen sich soziale Klassifikationsmuster, die um diesen tatsächlichen „Kern" herum soziale Verhältnisse zu ordnen suchen. Denn schon beim Vater ist die biologische Eindeutigkeit nicht mehr gegeben. Deshalb besaßen die Römer die juristische Formel: pater semper incertus. Die Kategorie der Vaterschaft ist als primär soziale Zuordnung aufzufassen. Der Vater in sozialer Hinsicht muß nicht unbedingt auch der biologische sein (in bestimmten Gesellschaften wie den polynesischen Trobriandern ist dies durch das Verwandtschaftssystem ausgeschlossen - dort tritt der Mutterbruder an dessen Stelle). Die Analyse biologischer Verwandtschaftsverhältnisse kann deshalb prinzipiell nur einen Teil der sozialen Wirklichkeit vergangener Gesellschaften erfassen.76 Ob bzw. inwieweit sich die sozialen Klassifikationsmuster einer Gesellschaft an der biologischen Verwandtschaft (der Zeugung des Nachwuchses) orientierten, ist mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht zu ermitteln. Dieser soziale Hintergrund bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen mit naturwissenschaftlichen Methoden Verwandtschaft analysiert werden kann.
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Lévi-Strauss 1981, 15. Kohl 1993, 43. Zum Verhältnis kultureller und biologischer Faktoren vgl. Vowinckel 1995.
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Entsprechende Untersuchungen stützen sich zur Zeit weitgehend auf epigenetische Merkmale. Dabei handelt es sich um Merkmale, die als erblich bedingt angesehen werden, ohne daß dies in den meisten Fällen (mit Ausnahme einiger Zahnmerkmale) durch rezente Beobachtungen nachgewiesen wäre. Die Erblichkeit ist meist eine, wenn auch nicht unplausible, Annahme. Zu diesen zur Verwandtschaftsanalyse herangezogenen epigenetischen Merkmalen gehören im wesentlichen Skelettvariationen77 und Zahnanomalien78. Diese Besonderheiten eignen sich zur Analyse, weil sie sich an den am besten erhaltenden sterblichen Überresten manifestieren. Gegenstand der Untersuchungen sind daher nicht die wahrscheinlichen Vererbungen selbst, sondern lediglich deren sekundäre Manifestation an äußerlich feststellbaren Kennzeichen. An die Merkmale sind weitere Anforderungen zu richten, d. h. nicht jede „Anomalie" eignet sich zur Verwandtschaftsanalyse. Um „Abweichungen" vom „Durchschnitt" bzw. einer normalen Ausprägung muß es sich in jedem Fall handeln, weil sonst die überwiegende Mehrzahl der Individuen diese Merkmale besitzen und Verwandtschaftsbeziehungen dann nicht festzustellen sind. „Die allgemeinen Kriterien für die Auswahl von Merkmalen, die sich für eine Verwandtschaftsanalyse eignen, sind hohe Heritabilität, niedrige Frequenz in der Bevölkerung, hinweiskräftige Merkmalsausprägung, leichte Erhebbarkeit, geringe Alters- und Geschlechtsvariabilität und Unabhängigkeit untereinander".79 Diese methodischen Anforderungen lassen sich im Moment noch kaum erfüllen, denn eine „Vielzahl der bisher für Verwandtschaftsanalysen favorisierten epigenetischen Merkmale ist noch nicht ausreichend auf das Erfüllen oben genannter Kriterien hin untersucht".80 Daraus ergeben sich nicht unerhebliche methodische Bedenken hinsichtlich der Zuverlässigkeit, mit der biologische Verwandtschaft anhand epigenetischer Merkmale festgestellt werden kann. Möglich sind allenfalls Ähnlichkeitsaussagen (wie bei heutigen Vaterschaftstests anhand der DNA). Dies gilt auch deshalb, weil das Kriterium der Heritabilität (Erblichkeit) Umwelteinflüsse auf die Merkmalsausprägung des Phänotyps per definitionem ausschließt. Weitere Einschränkungen ergeben sich daraus, daß nur Individuen mit gut erhaltenem Skelett in den Vergleich einbezogen werden können (ähnlich, wie zum archäologischen Vergleich nur Gräber mit Beigaben oder feststellbarer Grabarchitektur herangezogen werden können). Außerdem erscheinen kleine
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Die meisten dieser Merkmale werden am Schädel beschrieben: Hauser/de Stefano 1989. Alt 1997. Alt/Vach 1994, 60. Alt/Vach 1994, 60.
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Gruppen mit übereinstimmenden Merkmalen leicht als irrelevant, weil sie statistisch kaum abzusichern sind, obwohl sie realiter durchaus von Bedeutung gewesen sein können. „Familien" werden bei diesem Verfahren durch die Nachweisbarkeit familientypischer Merkmale definiert, wodurch nicht nur manche Individuen (bei rezessivem Erbgang), sondern auch ganze Familien (ohne äußerlich auffällige Merkmale) unberücksichtigt bleiben. Würde man die Häufigkeit eines Merkmals als ausschlaggebend ansehen, würde jedes Merkmal eine „Familie" definieren - eine an der Realität vorbeigehende Vorstellung. Des weiteren ist die Unabhängigkeit verschiedener Merkmale ohne aDNA-Analyse kaum abzusichern. Außerdem handelt es sich bei phänotypischen Merkmalen, wie sie diesen Analysen zugrunde liegen, häufig um polygene und multivariate Kennzeichen, die letztlich recht komplexe Untersuchungen (und nicht nur einfache Häufigkeitsbeobachtungen) erforderten. Und schließlich variiert eine große Zahl von Merkmalen kontinuierlich, wodurch die individuellen Werte einer Normalverteilung folgen und Abgrenzungen demzufolge schwierig sind. Vorausgesetzt, diese methodischen Probleme wären gelöst, bleibt die Frage, welche Aussagen hinsichtlich der Verwandtschaft möglich sind. Das Vorhandensein eines erblichen Merkmals bei verschiedenen Individuen belegt deren biologische Verwandtschaft. Diese läßt sich aber (ohne aDNA-Analyse) nicht genauer klassifizieren. Familiäre Beziehungen können zwar anhand epigenetischer Variationen wahrscheinlich gemacht werden, doch bleibt deren exakte Zuordnung unsicher. Nicht möglich sind die Abgrenzung von Kernfamilien sowie die Bestimmung der Generationenfolge.81 So können weder einzelne Familien unterschieden noch Kinder, Eltern oder Großeltern zueinander in Beziehung gesetzt werden - biologisch gesehen sind sie alle gleichermaßen miteinander „verwandt". 82 Eine biologisch definierte „Familie" ist eine unscharf begrenzte, diffuse Menge - zwischen allen Individuen bestehen genetische Beziehungen, denn alle haben Anteil am Genpool. Die Grenzziehung, d. h. bis zu welchem Anteil am gemeinsamen Erbgut „Verwandtschaft" verstanden wird, ist eine wissenschaftliche Klassifikation. Damit bleiben wesentliche soziale und kulturelle Gesichtspunkte im Unklaren. Große Erwartungen richtet die Archäologie deshalb an aDNA-Analysen. 83
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„Reichtumsunterschiede" zwischen Familien oder Generationen lassen sich daher nicht zuordnen. Vgl. Alt/Munz/Vach 1995; Alt/Vach/Wahl 1995. - Da sich archäologische Chronologien kaum auf Generationen genau festlegen lassen, dürfte auch auf diesem Wege eine im Einzelfall verläßliche Rekonstruktion von Familienverhältnissen kaum möglich sein. Scholz/Pusch 1999.
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Diese Erwartungen scheinen berechtigt, seitdem aDNA auch aus sehr alten Funden (bis zum Neanderthaler und darüber hinaus) und bei schlechten Erhaltungsbedingungen für organische Substanzen extrahiert und untersucht werden kann. Schwierigkeiten bereiten zwei methodische Probleme. Zunächst müssen Kontaminationen mit moderner menschlicher D N A ausgeschlossen werden können, d. h. es muß steril gearbeitet werden. Des weiteren eignet sich allein die nukleare bzw. Kern-DNA zur individuellen Verwandtschaftsanalyse, die jedoch um Größenordnungen (1000-2000mal) seltener als (die stets von der Mutter ererbte) mitochondriale D N A vorkommt. Das Ziel der DNA-Untersuchungen besteht primär in der Ermittlung von Generationenbeziehungen, die mit anderen Mitteln nicht erkannt werden können. Gefragt wird also vor allem nach Kindern und den zugehörigen (biologischen) Eltern, da Kinder bekanntlich eine Hälfte ihrer Gene von der Mutter und die andere vom Vater erben. Außerdem sind Residenzverhalten (Patri- oder Matrilokalität) und Heiratskreise von großem Interesse.84 Der hohe Aufwand erbringt dennoch selten eindeutige Ergebnisse. Dies liegt kaum daran, daß die Funktionen einzelner DNA-Abschnitte noch weithin unbekannt sind,85 denn diese sind für den Vergleich des „Erbgutes" unerheblich. Hauptursache ist die Erhaltung der aDNA. Auch wenn sie sich offenbar häufig noch extrahieren läßt, so sind doch stets nur einzelne, mehr oder weniger lange Abschnitte und nie die gesamte aDNA erhalten. Der Vergleich kann sich daher nur auf diese Abschnitte stützen. Biologische Verwandtschaft läßt sich damit zwar beurteilen, doch nur wenn das gesamte Erbgut verglichen werden kann, sind Parental- und Filialgenerationen zu bestimmen.86 Denn unberücksichtigte Abschnitte können das am übrigen Material gewonnene Ergebnis in Frage stellen. Ein weiteres Problem sind Mutationen am Genmaterial. Strenggenommen müssen Mutationen ausgeschlossen werden, um aus dem aDNA-Vergleich auf Verwandtschaft und nicht auf zufällige Abweichungen schließen zu können. Dies dürfte bei nur wenige Abschnitte betreffenden Unterschieden weniger problematisch sein. Bei nur bruchstückhafter Erhaltung und beim Vergleich zwischen Populationen (bzw. von Stichproben daraus) potenziert sich
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Vgl. Gerstenberger 2002, 121-132, für das frühmittelalterliche Gräberfeld von Weingarten. Vgl. die weltweiten Bemühungen um die erst am Anfang stehende Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes im Rahmen des Human Genome Project (http://www.nhgri.nih.gov). Scholz u. a. 1999. - Gerstenberger 2002, 72, verweist auf Erhaltungs- und Auswertungsprobleme: von den ausgewählten Individuen ließen sich nur 39 % hinsichtlich der autosomalen ShotTandem-Repeats auswerten, immerhin 68 % ergaben Ergebnisse für die mitochondrialen Sequenzen, und lediglich 28 % waren bezüglich der Y-Short-Tandem-Repeats zu beurteilen.
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die Unsicherheit rasch bis zur Unklarheit.87 Angesichts dessen ist die anfängliche Euphorie - wohl zwangsläufig wie bei jeder neuen Methode - einer Ernüchterung gewichen, ohne daß der Wert dieser Analysen in Frage gestellt wird.88 Eine weitere neue Methode ist hier anzuführen - die Untersuchung der Häufigkeit von Strontium-Isotopen in den Knochen. Es handelt sich hierbei nicht um eine direkte Analyse von Verwandtschaft. Aber mit Hilfe der Isotopen sollen „fremde" Individuen innerhalb einer Population (eines Gräberfeldes) entdeckt werden. Auf diese Weise würde indirekt Nicht-Verwandtschaft postuliert. Damit könnten mittelbar exogame Heiratsbeziehungen und damit Verwandtschaftsstrukturen rekonstruiert werden. Insofern könnte das Verfahren sowohl der Analyse von Gräberfeldern als auch dem Populationsvergleich dienen.89 Die Methode beruht darauf, daß sich die Anteile der Strontium-Isotopen 86 und 87 in Abhängigkeit von der Geologie je nach Standort unterscheiden. Strontium wird mit der Nahrung und dem Wasser vom Organismus aufgenommen und in Knochen und Zähnen eingebaut. Dort bleibt das IsotopenVerhältnis erhalten. Da Knochen sich ständig regenerieren, repräsentieren sie die „aktuelle" Lebensumwelt - den Aufenthaltsort der letzten Jahre. Zähne und Zahnschmelz dagegen bleiben weitgehend unverändert, so daß sie die Umgebung während des Erwachsenwerdens (während der Bildung des bleibenden Gebisses) widerspiegeln. Eine Beispiel-Analyse des Laboratory for Archaeological Chemistry at the University of Wisconsin at Madison und des Instituts für Anthropologie und Humangenetik der Ludwig-Maximilians-Universität München erfaßte 67 „Glockenbecher-Bestattungen" von verschiedenen Gräberfeldern in Bayern, überwiegend südlich der Donau.90 Das Isotopen-Verhältnis 87Sr/86Sr nordöstlich der Donau liegt aufgrund der dortigen Granite meist über 0,710 und bei durchschnittlich 0,750. Südlich des Flusses beträgt es infolge karbonatreicher Böden zwischen 0,708 und 0,709. Individuen mit hohem Isotopen-Verhältnis (ab 0,710) werden südlich der Donau als „Immigranten" aus dem Norden angesehen. Dies betrifft mit 14 der 67 untersuchten Skeletten immerhin jedes
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Pusch/Broghammer/Czarnetzki 2001, 122 f. Pusch/Broghammer/Czarnetzki 2001. Vgl. daher auch das folgende Kap. VII,22,b. Grupe u. a. 1997; Grupe/Price/Schröter 2001; Price/Burton/Bentley 2002, 131. Vgl. Für die Bandkeramik Price u. a. 2001.
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fünfte Individuum. Abgesehen davon, daß es sich auf den ersten Blick nur um einen minimalen, kaum signifikanten Unterschied (0,001) in den Konzentrationen handelt, ist die scharfe Unterscheidung nicht unproblematisch. Sollte statt scharfer Grenzen nicht mit allmählichen räumlichen Unterschieden in der Isotopen-Häufigkeit gerechnet werden? Treffen die Schlußfolgerungen zu, einige Individuen seien nicht am Ort ihres späteren Lebens geboren worden, so wäre dies möglicherweise ein indirekter Hinweis auf exogame Strukturen. Woher die „fremden" Individuen kamen, bleibt bei dieser Analyse wohl offen. Denn deren Ergebnis ist ein primär negatives - sie schließt höchstens die Geburt am Ort aus. Ob ein(e) Fremde(r) aus der näheren Umgebung oder aus einer weiter entfernten Region mit ähnlichen geologischen und Isotopen-Verhältnissen gekommen war, ist (wie bei ähnlichen mineralogischen Herkunftsuntersuchungen) nicht zu entscheiden. Diese kritischen Bemerkungen sollen die Notwendigkeit und Bedeutung humanbiologischer Verwandtschaftsanalysen keineswegs in Frage stellen. Derartige Analysen sollten - soweit finanziell und technisch möglich - immer unternommen werden, weil sie wichtige Informationen liefern, die mit rein archäologischen Methoden nicht zu gewinnen sind. Es ist jedoch auf die Möglichkeiten und Grenzen der Aussagemöglichkeiten aufmerksam zu machen und darauf, daß sich biologische und kulturelle Tatsachen nicht decken. Die Aufgabe der Forschung besteht gerade darin, die unterschiedlichen Erkenntnisse und verschiedenen Entwicklungen zu einem Gesamtbild zusammenzuführen. Dabei kann es nicht um den Versuch gehen, anthropologische und kulturelle Phänomene zur Deckung zu bringen, sondern sie als verschiedene, in Grenzen voneinander unabhängige Aspekte der Vergangenheit zu verstehen. Die auftretenden „Widersprüche" zwischen kulturellen und biologischen sind als „systematische", quellenbedingte Diskrepanzen zu behandeln. Sie stellen keinen unmittelbaren Hinweis auf eine fehlerhafte Interpretation der einen oder anderen Disziplin dar, sondern belegen deren jeweils spezifischen Zugriff.
b) Populationsgenetik: Großgruppen im Vergleich Von diesen Verwandtschaftsanalysen, die Beziehungen innerhalb von Gruppen untersuchen, unterscheiden sich Populationsvergleiche. Von ihnen erhofft man sich Aufschluß über die Herkunft von Individuen und Bevölkerungen. Hier mehren sich jedoch die methodischen Schwierigkeiten enorm. Zunächst potenzieren sich die Quellenverluste. Von den zu vergleichenden Populatio-
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nen (Gräberfeldern) stehen nur Stichproben zur Verfügung, so daß nur wenige Individuen miteinander verglichen werden können. Mehr als Anhaltspunkte lassen sich daher kaum gewinnen. Auch bei völlig fehlenden Übereinstimmungen kann Verwandtschaft nicht ausgeschlossen werden. Die angesichts der Flexibilität kultureller Merkmale erhoffte Eindeutigkeit ist wohl auch mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht ohne weiteres zu gewinnen. Dies zeigen bereits die metrischen Untersuchungen prähistorischen Skelettmaterials (vor allem an Schädel und Körperhöhe). Die einzelnen Werte fallen innerhalb einer jeden Population derart heterogen aus, daß die Unterscheidung zwischen „Fremden" und „Einheimischen" bzw. zwischen benachbarten Bevölkerungen nicht möglich ist. Wenngleich sich leicht differierende, statistische Mittelwerte berechnen lassen, so bleiben die Unterschiede innerhalb von Gräberfeldern bzw. Siedlungen, Siedlungskammern oder Großräumen stets größer als zwischen diesen.91 Für prähistorische Zeiten werden nicht selten rezente Blutgruppenverteilungen zur Rekonstruktion von Bevölkerungsgeschichte und -Verschiebungen herangezogen. Diese werden dann mit der kulturellen und sprachlichen Entwicklung parallelisiert, um auf diese Weise sowohl die Herkunft der Indogermanen als auch umfangreiche weitere Wanderungsbewegungen zu (re-)konstruieren.92 Das methodische Fundament dieser Theorien ist allerdings brüchig. Zunächst ein elementarer kulturgeschichtlicher Einwand:93 Eine „Parallelität zwischen zwei derart verschiedenen Evolutionen" wie der Sprach- und Genverbreitung läßt sich nicht „sehr einfach" erklären, wie dies Luigi Luca Cavalli-Sforza tut: „Zwei voneinander isolierte Populationen differenzieren sich sowohl genetisch wie sprachlich".94 Wenn dies für die Genverbreitung zutreffen mag, so nicht unmittelbar für die Sprachentwicklung. Das heutige Europa beispielsweise kannte in prähistorischer und frühgeschichtlicher Zeit keine kulturellen „Isolationen", sondern steten Austausch, wie die Archäologie mit zahlreichen Funden belegen kann. Sprachliche Differenzierung fand dennoch statt. Sie folgte aber kulturellen und nicht biologischen „Regeln".
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Vgl. Kap. 111,3,b; Gould 1988. Vgl. die Untersuchungen von Cavalli-Sforza 1999. Der Versuch, die räumlichen Variationen der Gene durch Wanderungen zu erklären, geht auf die Thesen Marija Gimbutas' zurück; zuletzt Gimbutas 1994. Es ist sachlich vollkommen falsch, wenn aus der Ähnlichkeit eines mitochondrialen DNAAbschnittes des Gletschermannes („Ötzi") mit „dem heutiger Mittel- und Nordeuropäer [...] die zweifelsfreie ethnische Zuordnung der Eismumie als Mitteleuropäer" erschlossen wird; Kaup/Weser 2000, 575 (Hervorhebung von mir - S. B.). Allenfalls kann damit eine regionale Zuordnung gemeint sein. Cavalli-Sforza 1999, 171.
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Allenfalls in kleinräumigen Inselsituationen wie in Polynesien fallen sprachliche und genetische Isolation mitunter zusammen, doch gibt es auch in diesen anscheinend idealtypischen Fällen zahlreiche Ausnahmen.95 Von einer regelhaften „Parallelität" von Sprache bzw. Kultur und Genen kann daher keine Rede sein. Sie müßte im Einzelfall belegt und darf nicht a priori vorausgesetzt werden. Doch bereits die humanbiologischen Grundlagen solcher Thesen sind methodisch nicht unproblematisch. Die vielfach publizierten Blutgruppenverteilungen beruhen erstens auf Untersuchungen der heutigen Bevölkerung. Dabei muß man sich schon aus rein praktischen Gründen zweitens stets auf mehr oder weniger umfangreiche Stichproben beschränken. Lassen sich damit mehrere Jahrtausende europäischer Bevölkerungsgeschichte beschreiben? Vorauszusetzen wären folgende Prämissen: vor Beginn der Verschiebungen müßte es regional deutlich unterschiedliche Blutgruppenverteilungen, d. h. relativ homogene und distinkte Gruppen, gegeben haben, und es dürften kaum andere Gründe als Bevölkerungsverschiebungen für die heutige Blutgruppenverteilung verantwortlich zu machen sein. Beide Annahmen sind grundsätzlich problematisch. Zunächst ist schwer zu sagen, wann die heutige Gen-Verteilung zustande kam. Wahrscheinlich überdeckt die moderne Mobilität von Personen in starkem Maße ältere Verhältnisse. Grundsätzlich bieten die monogenen Blutmerkmale ein „relativ junges Verbreitungsbild"96, das raschen Veränderungen unterworfen ist. Die Projektion in die Vorgeschichte ist bereits deshalb problematisch. Des weiteren waren auch in prähistorischer Zeit (von bestimmten Inselsituationen und geographischen Barrieren abgesehen) die Bevölkerungen keineswegs voneinander isoliert, sondern standen in mehr oder weniger intensivem Austausch. Exogame Beziehungen dürften nicht nur in der engeren Nachbarschaft, sondern mittelbar auch über größere Entfernungen die „Durchmischung" des Genpools und eine Gendrift bewirkt haben. Deshalb sind „ursprünglich" homogene Genpools nicht zu erwarten, die auch evolutionistisch gesehen nachteilig sind, weil sie keine Anpassung an veränderte Lebensbedingungen zulassen und damit das „Aussterben" „riskieren" (natürliche Selektion). Darüber hinaus sind die Ursachen für die Häufigkeit unterschiedlicher Gene bzw. Allele vielfältig. Bevölkerungsbewegungen stellen dabei nur ein
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Vgl. Bellwood 1998; 1997. Knußmann 1996,421.
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Erklärungsmodell unter vielen dar. So beeinflußt das Klima in erheblichem Maße mittelbar die Häufigkeit von Genen, so daß sich Nord und Süd bei einem fließenden, diffusen Übergang an den Endpunkten deutlich unterscheiden können.97 Dichtezentren und Ost-West-Unterschiede98 mögen durch ähnliche klimatische Faktoren, vielleicht im Wechselspiel mit weiteren (geographischen, naturräumlichen oder kulturellen) Ursachen bedingt sein.99 Eine Hauptursache läßt sich nicht mit Sicherheit ausmachen, weil die Prämissen nicht abgesichert werden können: „Das Gen R h - ist kompatibel mit der Annahme einer Ausbreitung der neolithischen Ackerbauern vom Mittleren Osten aus, wenn man annimmt, sie seien überwiegend (oder möglicherweise zu 100 %) Rh+ und die paläolithischen Europäer überwiegend (oder vielleicht auch zu 100 %) R h - gewesen. Doch sind auch andere Erklärungen möglich." 100 Da die prähistorischen Blutgruppen-Verteilungen völlig unbekannt sind, läßt sich zwar viel spekulieren und manche Hypothese diskutieren, doch keine Gewißheit gewinnen. Das Ergebnis hängt nämlich stets von den Ausgangsannahmen ab. Zirkelschlüsse sind nicht zu vermeiden. Insgesamt läßt sich konstatieren: anthropologische Untersuchungen können für prähistorische Zeiten in keiner Weise das Fehlen schriftlicher Quellen „ausgleichen".
Vgl. Cavalli-Sforza 1999, 131 Abb. 10. Vgl. Cavalli-Sforza 1999, 128 Abb. 9; 133 Abb. 11. 9 9 Erinnert sei hier auch an die bekannte Sichelzellanämie, die homozygot zwar tödlich ist, heterozygot aber eine größere Resistenz gegen Malaria verleiht und deshalb einen Selektionsvorteil in Malariagebieten darstellt; vgl. etwa v. Schilcher 1988, 146 f.; Freye 1990, 88-90. 1 0 0 Vgl. Cavalli-Sforza 1999, 125 (Hervorhebung von mir - S. B.). 97 98
VIII. Zusammenfassung: ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie I. „Ethnische Interpretationen" von Bodenfunden gelten häufig als zentrales Anliegen archäologischer Forschung. Die Identifizierung „ethnischer Gruppen" im archäologischen Material gilt dann als eminent „historische" Erkenntnis der Archäologie, die ihren Charakter als historische Wissenschaft bestimme. Doch genau so lange, wie man sich um „ethnische Interpretationen" bemühte, stritt man auch um die jeweils „richtige" Zuweisung. Mitunter wurde, wenn auch relativ selten, die Möglichkeit der Identifizierung überhaupt in Frage gestellt. Doch meist begnügte man sich mit der Kritik an überzogenen, offensichtlich einseitig „ethnischen Interpretationen". Abseits zeitweiliger politischer Instrumentalisierung von Forschungsergebnissen stellt sich deshalb die Frage nach den methodischen Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen dieser Interpretation. Die langwierigen Diskussionen um die Identifizierung einzelner „archäologischer Kulturen" und „ethnischer Gruppen", aber auch um die Parallelisierung mit sprachlichen Entwicklungen oder um die Suche nach sozialen Identitätsgruppen deuten an, daß dafür die methodischen Grundlagen kein stabiles Fundament bilden. Daß die Gleichsetzung in manchen Fällen möglich, in anderen dagegen ausgeschlossen sei, stellt einen Gemeinplatz in der Archäologie dar. Wie ließe sich vor diesem Hintergrund ein globales, stringentes Modell voraussetzen? Gibt es allgemeine Regeln, mit deren Hilfe sich beispielsweise „ethnische Gruppen" von Wirtschafts- und Kulturräumen, Kommunikations- und Austauschbeziehungen von Wanderungen, Ethnogenesen von kulturellen Wandlungen unterscheiden lassen? Seitdem sich die Sozialwissenschaften seit den 1960er Jahren und angesichts heutiger politischer Entwicklungen verstärkt mit „Ethnizität" und sozialen „Identitäten" beschäftigten, haben damit verbundene Fragen auch für die Archäologie an Bedeutung und Aktualität gewonnen. Ein Ausdruck dessen ist u. a. die Herausbildung der contextual Archaeology, die „Kultur", d. h. vor allem die Sachkultur, wieder stärker als „Bedeutungsträger" versteht. Damit
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sind die historischen Aussagemöglichkeiten der Archäologie insgesamt berührt. Diese werden primär durch die Charakteristik der Quellen bestimmt, so daß nach quellenadäquaten, d. h. angemessenen Modellen zu fragen ist. Kann die Archäologie subjektiven Zuordnungen, d. h. sozialen Identitäten, nahekommen und die dazu verwendeten materiellen Symbole identifizieren? Wo liegen hier grundsätzliche methodische Grenzen der Interpretation? „Ethnische Interpretationen" in der Archäologie sehen sich aus mehreren Perspektiven begründeter, prinzipieller Kritik ausgesetzt: 1. Der Versuch, archäologische Funde den eigenen Vorfahren zuzuschreiben, diente der Bekräftigung moderner nationaler Identitäten. Deren zentrale Auffassungen innerer Homogenität und distinkter äußerer Abgrenzung in kultureller und sprachlicher, ethnischer oder gar „rassischer" Hinsicht stellen bloße Behauptungen dar, denn sie blenden die Binnendifferenzierung von Gesellschaften vollkommen aus. 2. Dieses nationalstaatliche „Modell" kann nicht auf frühere Verhältnisse zurückprojiziert werden. Zwar erwähnen antike und frühmittelalterliche Berichte eine Vielzahl von „Völkernamen", doch handelt es sich dabei primär um klassifizierende, ordnende Beschreibungen aus der Außensicht, die über Vorstellungen und Verhältnisse bei den heterogenen und flexiblen Barbarengruppen allenfalls bedingten Aufschluß geben. 3. Für eine ethnische und für jede andere Gruppenidentität ist eine subjektive, diskursiv vermittelte Zuschreibung entscheidend, die allein aus der Innensicht der Mitglieder rekonstruiert werden kann. Die Demonstration der Gruppenzugehörigkeit stützt sich auf ausgewählte kulturelle Symbole, die eine plausible Inklusion bzw. Exklusion von Individuen begründen (sollen und müssen). Jedermann gehört verschiedenen sozialen Gruppen an und besitzt daher verschiedene Gruppenidentitäten, die je nach Situation relevant werden; ethnische Identität ist nur eine dieser - flexibel und situationsabhängig demonstrierten - Identitäten. 4. Der archäologische Nachweis kann keine kulturell homogenen Gruppierungen a priori voraussetzen, und nicht jede archäologisch ermittelte Gruppierung darf unbesehen als den Zeitgenossen bewußt und als identitätsrelevant angesehen werden. Der Zugang zu Identitätsgruppen ist allein über die benutzten Symbole möglich, die als solche aufzuspüren und deren konkrete Bedeutung jedoch kaum ohne (schriftliche) Zusatzinformationen zu identifizieren sind - sofern die Zeichen überhaupt materieller Natur waren.1
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Kap. I.
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5. Entgegen diesen Voraussetzungen müßte die Archäologie aber homogene und deutlich abzugrenzende „Kulturen" annehmen, wenn deren ethnische Interpretation nicht den Anschein methodischer Beliebigkeit erhalten soll. „Archäologische Kulturen" als der Versuch, mehr oder weniger homogene Räume abzugrenzen, nehmen jedoch meist ein recht großes geographisches Gebiet ein, dessen Umfang bereits die Existenz eines „Gemeinsamkeitsglaubens" oder einer „Identität" unwahrscheinlich macht. Diese methodische Kritik und der Gang der Argumentation seien im folgenden noch einmal kurz erläutert.
II. Von Beginn an war es für die Altertumsforschung eine wichtige Frage, welcher Zeit und damit welchem alten „Volk" die Bodenfunde zuzurechnen sind. Dabei spielten die antike und frühmittelalterliche Geschichtsschreibung, Ethnographie und Geographie eine wichtige Rolle, die eine Fülle von Angaben über mehr oder weniger „barbarische Stämme" boten. Doch als entscheidend erwiesen sich die politischen Verhältnisse und Konzepte des 19. Jahrhunderts. Die Herausbildung moderner Nationalstaaten führte zu scharf gezogenen politischen Grenzen und eindeutiger politischer Zuordnung (Steuern, Schule, Militär). Das politische Ideal stellte eine ethnisch, sprachlich und historisch homogene Staatsnation dar. Dieses Idealbild, das erst allmählich zur politischen Realität wurde, übertrug man unbesehen auch auf die entferntere Vergangenheit. Die altertumskundlichen Disziplinen machten sich diese Vorstellung zu eigen, weil sie sich im 19. Jahrhundert etablierten - gleichzeitig mit der Entwicklung nationaler Identitäten. Daraus erklärt sich wohl die Heftigkeit, mit der um die „ethnische Zuweisung" von Bodenfunden gerungen wurde. Denn wissenschaftlich handelte es sich um ein eher peripheres Problem. Wichtig waren die Ordnung und Klassifizierung des unablässig anwachsenden Materials, vor allem die Klärung der chronologischen Grundzüge. Auseinandersetzungen um das Drei-PeriodenSystem wurden häufig mit „ethnischen" Argumenten geführt. Denn von der Datierung hing es ab, ob es sich um keltische, germanische oder slawische Funde handeln konnte. Ethnische Bezeichnungen ließen sich, wurden sie als Datierungshinweis und chronologische Chiffren gebraucht, als Indiz für eine spezielle „völkische" Deutung verstehen. Die Diskussion drehte sich solange im Kreis, solange weder das eine noch das andere Klassifizierungs- und Interpretationsproblem gelöst war. Die politische Instrumentalisierung archäologischer Interpretationen (be-
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Zusammenfassung
sonders zwischen 1860 und 1940) spielte für die Methodendiskussion eine höchstens marginale Rolle. Die Frage nach der „ethnischen Zuweisung" der Funde galt nahezu allen Archäologen nicht nur als „legitime", sondern als zentrale Aufgabe ihrer Forschungen. Diese Fixierung legt nahe, daß diese Fragestellung primär der Konstruktion nationaler Identitäten im 19. und 20. Jahrhundert geschuldet ist. Daneben mag ein gewisses „Minderwertigkeitsgefühl" gegenüber den „klassischen" Disziplinen eine Rolle dafür gespielt haben, daß man sich auf histori(sti)sche Fragestellungen konzentrierte. Die Aussagekraft der archäologischen Quellen wurde damit einerseits überstrapaziert und konnte andererseits nicht ausgeschöpft werden.2
III. Von entscheidender Bedeutung für das „ethnische Paradigma" sind vier zentrale Begriffe, auf die sich unterschiedliche Argumentationen stützen - Volk, Kultur, Rasse und Sprache. Auch wenn häufig nicht alle vier Kategorisierungen berücksichtigt werden, gehören sie implizit zur entsprechenden Argumentation. Voraussetzung für ihre Verbindung war die Herausbildung des modernen Nationalstaats und der dessen Begründung bzw. Rechtfertigung dienende Diskurs. Denn das nationale Ideal strebte eine „ethnisch" und kulturell homogene, eine Sprache sprechende Staatsnation an. Dieses Modell setzte sich schließlich nicht nur machtvoll gegen politische Alternativen (ζ. B. den „Vielvölkerstaat" Österreich-Ungarn) durch, sondern wurde auch in die (mittelalterliche und vorgeschichtliche) Vergangenheit zurückprojiziert. 1. „Volk" und „Stamm", „Ethnos" oder „ethnische Gruppe" werden heute weithin synonym gebraucht, auch wenn Nuancen spürbar sind. Diese Gruppen werden durch eine gemeinsame Identität zusammengehalten, die sich zur Abgrenzung ausgewählter kultureller Symbole bedient. Damit werden in bestimmten Situationen Zugehörigkeiten zu einer Gesellschaft demonstriert, die im Alltag durch ihre innere soziale Differenzierung geprägt ist. Ethnien sind daher in sich stark differenzierte, nach außen eher diffus begrenzte Gruppierungen. Ihre Relevanz ergibt sich aus dem jeweiligen politischen Kontext und damit verbundenen Interessen, nicht quasi aus sich selbst heraus. Zugehörigkeiten können daher wechseln bzw. mehrere Zurechnungen gleichzeitig bestehen. Staatlich verfaßte Gesellschaften prägen die politischen und ethnischen Strukturen ihrer anders organisierten Gegenüber, weil sie auf dortige
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Kap. II.
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Ansprechpartner angewiesen sind und deren Stellung nach eigenen Erwartungen formen. „Stammesgesellschaften" - seien es Gallier, Germanen, Slawen oder afrikanische Kolonialvölker - sind daher oft ein sekundäres Produkt einer derartigen Konfrontation. 2. Der Kulturbegriff hat sich heute meist auf einen semiotischen Akzent verlagert, so daß Disziplinen wie Ethnologie und Archäologie mit ihren materiellen Quellen diese Kategorie als Leitbegriff zu verlieren drohen. In einem weiteren Sinne als die Produkte von Gesellschaften verstanden, wird jedoch auch die Sachkultur erfaßt. Die Sachkultur bildet keine abgeschlossenen Gruppen, sondern wird durch kontinuierliche Übergänge charakterisiert. Dabei sind - im Sinne des „polythetischen Kulturmodells" David Clarkes - je nach Merkmalsauswahl und -kombination unterschiedliche Abgrenzungen möglich. Das „Geschlossenheitskriterium" im Sinne Childes wäre dagegen eine Rückkehr zu romantisch-nationalen Konzepten. Eine Unterscheidung zwischen (homogenem) Zentrum und (diffuser) Peripherie greift zu kurz, weil sie auf der Merkmalsauswahl beruht - bei anderen Merkmalen fallen Zentren und Randbereiche anders aus. Neben ihrem klassifikatorischen Charakter, ihrer inneren Heterogenität und unscharfen äußeren Abgrenzung stellt auch die beachtliche räumliche und zeitliche Ausdehnung „archäologischer Kulturen" ein wichtiges Argument gegen eine „ethnische Interpretation" dar, weil Identitätsgruppen vom Umfang her beschränkt und wechselnd sind. 3. Zwar wird der Begriff der „Rasse" heute meist vermieden, doch bleiben anthropologische Differenzierungen von Bevölkerungen unbestritten. Je nach Merkmalsauswahl ergeben sich unterschiedliche Abgrenzungen, und innerhalb jeder Population fallen die Unterschiede größer als diejenigen zwischen verschiedenen Populationen aus. Großräumige „Abstammungsgemeinschaften" lassen sich nicht erkennen, weil Heiratsbeziehungen kleinräumig orientiert sind und damit die Nachbarschaft den Ausschlag gibt. Außerdem erweist sich die Annahme „ursprünglich" homogener Populationen als romantisches Postulat. 4. Sprachen werden von Dialekten nur durch die Zahl der Übereinstimmungen unterschieden, so daß die Differenzen gradueller und politischer Natur sind. Das Zusammentreffen sprachlicher und politischer Grenzen ist ein Resultat der modernen Nationalstaaten. Für frühgeschichtliche Zeiten muß wahrscheinlich mit diffusen Sprachkontinua und zweisprachigen Verhältnissen gerechnet werden. Alle vier Begriffe - Volk, Kultur, Rasse und Sprache - stellen wissenschaftliche Kategorisierungen unterschiedlicher Disziplinen dar - Historiographie, Ethnologie und Archäologie, Anthropologie und Linguistik. U m sie miteinander in Verbindung bringen und möglichst parallelisieren zu können, muß
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man sie als nach innen homogene und nach außen distinkte Gruppierungen interpretieren. Setzt man außerdem eine räumliche Kongruenz und eine im gleichen Rhythmus verlaufende historische Entwicklung voraus, ließen sich die Ergebnisse der beteiligten Disziplinen direkt miteinander korrelieren. Eine „archäologische Kultur" wäre dann mit einem in antiken literarischen Quellen erwähnten „Volk" in Verbindung zu bringen, die von deren „Trägern" gesprochene Sprache könnte ermittelt, und anhand anthropologischer Analysen könnte nach Zusammensetzung und Herkunft der Population gesucht werden. Einem solchen Vorhaben stehen grundsätzliche methodische Bedenken entgegen. Da es sich um klassifikatorische Bezeichnungen handelt, reflektieren sie primär die Ordnungsbemühungen der Wissenschaft. Dies läßt sich bereits dadurch unterstreichen, daß Definitionen und Abgrenzungen unterschiedlich ausfallen. Entscheidend sind die jeweils berücksichtigten Merkmale, die wiederum von der verfolgten Fragestellung abhängen. Diese „variable", kontextabhängige Bestimmung unterstreicht, daß weder Völker noch Kulturen, weder Rassen noch Sprachen homogene und distinkte Gruppierungen darstellen. Daß es sich (zumindest häufig) um synchrone und kongruente Entwicklungen handelt, erscheint nur als historischer Sonderfall denkbar. Als verläßliche Ausgangs-Prämisse für eine „ethnische Interpretation" archäologischen Materials taugen diese Annahmen nicht. Die genannten Charakteristika stehen nur in einer lockeren Verbindung miteinander, so daß von der Kultur nicht unmittelbar auf die Sprache, von anthropologischen Kennzeichen nicht direkt auf ethnische Identität geschlossen werden kann.3 Allein letztere kann Gegenstand einer ethnischen Interpretation sein. IV. Ethnologie, Soziologie und Geschichtswissenschaft sehen das Selbstverständnis der betreffenden Gruppen als das entscheidende Kriterium für eine „ethnische Gruppe" oder eine „Nation" an. Diese „Identität" - dem Wortsinne nach Gleichheit und Wesensübereinstimmung - erweist sich bei näherem Hinsehen als Behauptung. Denn allein hinsichtlich der Abgrenzung zu Nachbargesellschaften sind alle Gruppenmitglieder „gleich" - nur unter diesem Blickwinkel lassen sich stets vorhandene Differenzierungen innerhalb einer
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Kap. III.
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Gesellschaft ausblenden. Alter, Geschlecht, Tätigkeit und Familie, Rang und Status werden angesichts dieser einen „Alterität" scheinbar unwichtig. Soziale „Identität" ist damit stets ein subjektives Zuschreibungsphänomen. „Ethnische Identität" ist von der jeweiligen Konfrontation mit „den Anderen" abhängig, auch wenn sie ebenso inklusive Funktionen besitzt. In unterschiedlichen Situationen oder Kontexten werden verschiedene „Identitäten" relevant. Denn jedes Individuum gehört zugleich mehreren, verschiedenen sozialen Gruppen an. Es besitzt daher auch mehrere Identitäten, die in unterschiedlichen Zusammenhängen in verschiedener Weise Bedeutung erlangen (können). In einer Art „Rollenspiel" machen Menschen dabei zielgerichtet von der einen oder anderen Identität Gebrauch, je nachdem, auf welche Abgrenzung es gerade ankommt. Von primärer, im Alltag jederzeit zu erfahrender Bedeutung sind Unterscheidungen und Abgrenzungen innerhalb der eigenen Gesellschaft. Demonstration und Präsentation von Zugehörigkeit zielen auf Status, Rang und Prestige innerhalb eines engeren sozialen Umfeldes. Die Konfrontation mit „Anderen" findet vergleichsweise selten statt und fällt daher oft „abstrakter" aus. Ethnische Abgrenzungen sind zwar prinzipiell dynamisch und flexibel; sie können unter Umständen aber auch zu rigiden und scheinbar unveränderlichen Unterscheidungen führen. Angesichts wechselnder, kontextabhängiger Abgrenzungen wird deutlich, daß „grundsätzliche" Unterschiede nur in Ausnahmefällen vorhanden sind. Wirtschaftsgrundlagen und Siedlungstypen sind ebenso wie Bestattungsformen oft recht weiträumig verbreitet. Meist werden deshalb einzelne kulturelle Merkmale zur Abgrenzung ausgewählt. Diese Auswahl durch die jeweiligen Gruppen muß passende und plausible Symbole verwenden, um die gewünschte abgrenzende Wirkung erzielen zu können. Die ausgewählten Zeichen werden ideologisch gesteigert bzw. zu prinzipiellen Differenzen überhöht, die „schon immer" die eigene Gesellschaft ausgezeichnet hätten. Das „kulturelle Gedächtnis" behauptet damit eine ungebrochene, langdauernde Kontinuität. Dabei kann es sich um materielle Symbole, aber auch um Aspekte des Habitus, der Lebensstile und der Bildung handeln. Diese Symbole zu identifizieren, stellt für die Archäologie ein kaum lösbares Problem dar. Selbst wenn in Einzelfällen der Zeichencharakter bestimmter Ornamente usw. aufgrund mangelnder Alternativinterpretationen wahrscheinlich gemacht werden kann, so bleibt doch die konkrete Bedeutung unklar. Denn eine Vielzahl von Zugehörigkeiten, Vorstellungen und Absichten kann symbolisch ausgedrückt werden, unter denen ethnische Identität nur eine von vielen Möglichkeiten darstellt, und Symbole können prinzipiell „willkürlich" gewählt werden. Literarische Quellen der Antike und des frühen Mittelalters beschreiben eine Vielzahl „ethnischer Gruppen". Diese Berichte über „barbarische Völ-
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ker" jenseits der antiken Zivilisation können jedoch nicht als realitätsnahe Zeugnisse „ethnischer Identitäten" gelten. Sie thematisierten den Gegensatz zwischen Zivilisation und Barbaren, während doch für die meisten Barbaren „die Anderen" die ebenso barbarischen Nachbarn waren und daher nicht primär die Konfrontation mit dem Mittelmeerraum die Identitätsbildung bestimmte. Griechen und Römer beobachteten diese fremde Welt von außen und suchten sie mit ihren Augen und Begriffen zu ordnen. Stereotype Barbarentopoi und literarische Schemata bestimmten die Sicht auf eine „Gegenwelt", die so ganz anders als die eigene schien. Waren die „Völker" an der Peripherie des Mittelmeerraums (ζ. B. die Kelten) schon halbwegs zivilisiert, so nahm die „Barbarei" zum Rande der Welt hin immer mehr zu. Geographische, klimatische und kulturelle Faktoren dienten der Klassifikation. Die dabei verwendeten Bezeichnungen, die in der Neuzeit als „ethnische" Termini angesehen wurden, konnten auch politische, kulturelle, soziale, militärische oder geographische Differenzen meinen. Die Innensicht der Betroffenen und damit deren Identitäten scheinen in diesen Quellen nicht auf. Auch die erwähnten vorgeblichen Symbole ethnischer Zugehörigkeit - der „suebische" Haarknoten, die „fränkische" Franziska, der „sächsische" Sax - erweisen sich bei näherem Hinsehen entweder als Zeichen sozialer Gruppen oder als retrospektive Projektion. Schließlich läßt sich nicht erkennen, daß „ethnische Identität" in Antike und Mittelalter eine so herausragende Bedeutung besaß, wie man seit dem 19. Jahrhundert annahm.4
V. „Ethnische Interpretationen" archäologischen Materials lassen sich - bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze und der variablen (analytisch irreführenden) Inanspruchnahme des Begriffs „Ethnos" auch für kulturell, linguistisch oder gar biologisch definierte Gruppen - in systematischer Weise wie folgt zusammenfassen, auch wenn das „ethnische Paradigma" selten so eindeutig und suggestiv formuliert wird: Ausgangspunkt ist stets die Gleichsetzung bestimmter kultureller Kennzeichen mit einer „ethnischen Gruppe" - in einem fest umrissenen Raum in einem bestimmten Zeitabschnitt (1). Über die Verfolgung ausgewählter kultureller Kontinuitäten in die Vergangenheit hinein gilt es, auch ethnische Kontinuitäten zu bestimmen (2) und schließlich bis zur
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Kap. IV.
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Ethnogenese vorzustoßen, die an kulturellen „Brüchen" angesetzt wird (3). In umgekehrter zeitlicher Richtung werden Wanderungen (unterschiedlicher Gruppen) beschrieben (4), die schließlich zu „Fremden" bzw. „Minderheiten" in einem kulturell anders geprägten Milieu führen (5). Diese fünf Aspekte können damit in eine (imaginäre) zeitliche Ordnung gebracht werden, ohne daß diese formal logische Ordnung etwas über die Plausibilität der historischen Argumentation aussagt. Neben diesem „5-Phasen-Modell" lassen sich - wiederum in rein systematischer Übersicht vorhandener Ansätze - drei methodische Varianten ausmachen, wie „ethnische Gruppen" im archäologischen Material identifiziert werden. Große Gruppierungen wie ζ. B. Sprachgruppen - Kelten, Germanen, Slawen - werden meist mit komplexen „archäologischen Kulturen" (Latène-, Jastorf-, Prag-Koròak- bzw. Sukow-Szeligi-Kultur) gleichgesetzt (1). Weniger umfassende Gruppen wie „Stammesverbände" werden durch ein Bündel ausgewählter Kulturelemente definiert, neben denen etliche Gemeinsamkeiten mit den Nachbargruppen existieren (2). Einzelne „Stämme" - „Ethnien" im engeren Sinne - können aufgrund ihrer geringen Größe nur durch einzelne Kulturelemente erfaßt und von anderen unterschieden werden (3); die meisten archäologisch zu erfassenden Charakteristika teilen sie mit ihren Nachbarn. Mit anderen Worten: je umfassender die gesuchte Gruppe, desto mehr „charakteristische" Merkmale können ihr zugeschrieben werden. Je kleiner eine Gruppe, desto eher verliert sie sich in einem größeren Kulturraum. Unabdingbare und immanente Voraussetzung dieses Vorgehens wäre die Existenz nach innen homogener und nach außen scharf abgrenzbarer Gruppierungen, die sich über lange Zeiträume nahezu unverändert erhielten. Dabei ergeben sich jedoch drei zentrale methodische Probleme. „Archäologische Kulturen" sind deskriptive Klassifikationen und kein unverfälschtes Abbild historischer, den Zeitgenossen bewußter Realität oder gar ihrer Identität(en) (1). Antike und frühmittelalterliche Quellen beschreiben von außen gewonnene, ebenfalls klassifizierende Eindrücke eines Fremdverständnisses (2). Es fehlt daher an Selbstzeugnissen aus der Innensicht (3), die die einzige Möglichkeit der Annäherung an subjektive „Identitäten" und an deren mögliche Symbole darstellen. Außerdem wird die Fixierung auf räumliche Phänomene dem sozialen Charakter von Identitäten nicht gerecht. Es verwundert daher kaum, daß hinsichtlich „ethnischer Interpretationen" archäologischen Materials in methodischer Hinsicht keine Einigkeit erzielt werden konnte. Die primär sprachlich definierten (und daher keine Ethnien repräsentierenden) Kelten, Germanen und Slawen lassen sich nicht einer homogenen „archäologischen Kultur" zuordnen, sondern werden jeweils mit einer größeren Zahl von Regionalgruppen in Verbindung gebracht, ohne daß damit alle Spre-
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cher erfaßt und deutliche Widersprüche zu historischen Nennungen ausgeräumt sind. Kleingruppen („Stämme") können ebenfalls nicht sicher mit einer archäologischen Kultur gleichgesetzt werden. Wie weit all diese Gruppen über „kulturelle Kontinuitäten" in die fernere Vergangenheit zurückverfolgt werden, hängt davon ab, wie „Traditionen" und „Neuerungen" jeweils gewichtet werden, denn „Kontinuitäten" lassen sich seit dem Neolithikum beobachten. Doch welche davon waren für ethnische Neuformierungen und Identitäten entscheidend? Ethnogenesen, wozu häufig (wenngleich unzutreffend) auch die Herausbildung von Sprachgruppen gezählt wird, sind ebenso schwer auszumachen. Eine Ansetzung am zeitlichen Ende einer bzw. am Beginn einer anderen „archäologischen" Kultur vernachlässigt, daß es sich dabei zunächst lediglich um eine klassifikatorische „Grenze" innerhalb eines kulturellen, sich unablässig wandelnden Kontinuums handelt. Migrationen größerer Gruppen können mit der Ausweitung bzw. Verlagerung von Kulturräumen verwechselt werden. Typologisch identischen Funden fehlt die zeitliche Differenzierung, um eine Wanderung bzw. deren Richtung ausmachen zu können; sie müssen als gleichzeitig angesehen werden. Handelt es sich dagegen um typologisch unterscheidbare Gegenstände, fragt sich dem „ethnischen Paradigma" entsprechend, ob es sich noch um dieselben Leute handelt. „Fremde" und „Minderheiten" fallen in einem kulturell verschiedenen Milieu durch ungewöhnliche, exotische Gegenstände auf. Bei dieser Interpretation bleibt unerklärt, warum diese „Fremden" derart unbeirrt an „überkommenen Traditionen" festgehalten haben sollen. Eine Angleichung an das kulturelle Umfeld bleibt ebenso denkbar wie ein „Faible" der Mehrheit für „Exotisches" oder eine zeitlich begrenzte kulturelle „Mode" innerhalb einer Gesellschaft. Angesichts dieser Interpretationsprobleme wird deutlich, daß dieses Vorgehen keine aus dem archäologischen Material selbst entwickelte Frage darstellt. Es sind vielmehr Fragen der Nachbardisziplinen, die mit Hilfe von Bodenfunden beantwortet werden sollen. Genau darin liegen die methodischen Probleme begründet, so daß die Aussagekraft archäologischer Quellen grundsätzlich berührt ist. Unterschiedliche Quellen - schriftliche, sprachliche oder archäologische - bedürfen einer je adäquaten Klassifizierung und Auswertung, um jeweils spezifische Aussagen zur Vergangenheit zu erlauben. Die Vermengung von Quellen und Fragestellungen muß unlösbare methodische Probleme mit sich bringen. Denn unterschiedliche Aspekte oder Bereiche der Vergangenheit (Sprache, Sachkultur, Politik) folgen - bei aller wechselseitigen Abhängigkeit und Beeinflussung - unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Entwicklungen; Kongruenz und Synchronität kommen nur in Ausnahmefällen vor. Klassifikatorische Begriffe wie „gotische Fibeln" oder „slawi-
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sehe Keramik" werden dabei rasch mißverstanden, wenn man die explizit oder implizit mit ihnen verbundenen Konnotationen „wörtlich" nimmt.5 Daher ist darauf zu achten, daß eine „ethnische Interpretation" nur dann angemessen (und das Vorgehen auf diese Weise zutreffend bezeichnet ist) ist, wenn es sich um identitätsrelevante symbolische Selbstzuordnungen zu ethnischen Gruppen handelt; in allen übrigen Fällen stehen kulturräumliche Übereinstimmungen und Entwicklungen im Mittelpunkt des Interesses, die auf einer strukturellen Ebene zu betrachten sind und deren Bedeutung für das subjektive Selbstverständnis der Betroffenen unklar bleibt. Ethnographische und linguistische Klassifikationen sind nicht mit ethnischen Gruppen zu verwechseln. VI. Das traditionelle „ethnische Paradigma" läßt sich nicht durch ein einziges Alternativmodell ersetzen, denn ein solches Modell würde denselben absoluten Geltungsanspruch erheben müssen. Damit aber kann man dem Wechselspiel unterschiedlicher historischer Entwicklungen nicht gerecht werden. Archäologische Quellen spiegeln vor allem strukturelle Entwicklungen wider, während sich Einzelfälle der vergleichenden Bewertung weithin entziehen. Diese längerfristigen Veränderungen entsprechen den von kurzfristigeren Zyklen (Ereignissen und Konjunkturen) unterschiedenen Wandlungen der longue durée. Die idealtypische Unterscheidung mehrerer Ebenen archäologischer Interpretation vermag zu verdeutlichen, daß sich eine historische Erklärung zwischen den beiden „Extremen" antiquarischer, positivistischer Selbstbeschränkung einerseits und historistischer Ereignisschilderung andererseits bewegen muß, wenn sie den Quellen adäquat ausfallen soll. Dieser „Mittelweg" gibt den Anspruch historischer Interpretation keinesfalls auf, denn die Ermittlung längerfristiger, struktureller Verhältnisse und Veränderungen gehört zu den wesentlichen Aufgaben bzw. Zielen moderner Geschichtsschreibung. Die Alternative zum „ethnischen Paradigma" liegt in der Konzentration auf eine andere, quellennähere Ebene der Interpretation. Dies ist die Ursache dafür, daß beide Ansätze nicht unmittelbar miteinander verglichen werden können - und die jeweils angeführten („traditionellen" und „alternativen") Beispiele anscheinend isoliert nebeneinander stehen,6 was auch
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Kap. V. Vgl. Kap. V mit Kap. VI.
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die Verständigung innerhalb der Archäologie erschwert. Doch nur durch die Veränderung der Perspektive lassen sich die prinzipiellen methodischen Probleme einer „ethnischen Interpretation" erkennen; anderenfalls würde sich die Diskussion auf unterschiedliche Bewertungen im Detail beschränken. Für die Archäologie sind aufgrund ihrer Quellen besonders kultur-, wirtschafts- und sozialgeschichtliche Fragestellungen interessant, während politische, rechtliche und ideengeschichtliche Entwicklungen weithin unerreichbar bleiben bzw. höchstens schemenhaft erkennbar sein dürften. Ebensowenig wie sich beispielsweise rechtliche Abgrenzungen ähnlich der des frühmittelalterlichen Adels aufgrund archäologischer Quellen erfassen lassen, so wenig gelingt die Ermittlung ethnischer Identitäten, doch können in beiden und ähnlichen Fällen die strukturellen Bedingungen subjektiver Zuordnungen beschrieben werden. Eine Reihe von Beispielen soll diese Perspektiven erläutern. Kulturgeschichtliche Aspekte liegen bei Quellen aus dem Bereich der Sachkultur besonders nahe. Dazu gehören typen- und stilgeschichtliche Fragen bis hin zu Akkulturationsprozessen, Kleidung und ihrer Symbolik sowie Essen und Trinken. Entsprechende Untersuchungen reichen damit weit über eine rein antiquarische Altertumskunde hinaus, wenngleich diese eine wesentliche Voraussetzung für weitergehende historische Interpretationen bildet. „Die Kultur" bildet, auch wenn mit Hilfe der Archäologie nur Aspekte der materiellen Überreste beschrieben werden können, ein wesentliches Kennzeichen von Gesellschaften. Konkrete Symbole und individuelle Bedeutungen sind ohne Einblick in das Selbstverständnis der Zeitgenossen nicht zu gewinnen. Dessen ungeachtet können Regeln und Regelmäßigkeiten analysiert werden, um strukturelle Verhältnisse und sozialen Kontext zu erschließen. Zu wirtschaftsgeschichtlichen Themen vermag die Archäologie unmittelbar beizutragen. Dazu gehören - in enger Zusammenarbeit mit naturwissenschaftlichen Disziplinen - Untersuchungen zu Landwirtschaft sowie handwerklicher Tätigkeit und Technologie, aber auch zur Natur- bzw. Kulturlandschaft. Des weiteren interessieren Austausch- bzw. Kommunikationsbeziehungen sowie Siedlungen als Orte wirtschaftlicher Tätigkeit und alltäglichen Lebens. Damit lassen sich Einblicke in Lebensumstände, -möglichkeiten und -Verhältnisse gewinnen. Die eingehende Analyse der wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglicht es, sowohl strukturelle Zwänge als auch allgemeine Möglichkeiten des Handelns zu bestimmen. Auf dieser Grundlage läßt sich auch beurteilen, wie eng die Wechselwirkungen zwischen „Wirtschaft" und „Kultur" waren - und in welchem Maße beide ein „Eigenleben" führten. Soziale Differenzierungen sind nicht nur horizontale Abgrenzungen im Sinne gesellschaftlicher Hierarchien. Ebenso wichtig für die Beteiligten waren
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weitere Gruppenbildungen „diagonaler" Art wie Gliederungen nach Alter, Lineage, Familie, Dorf, Tätigkeit oder Religion. Außerdem bildeten Geschlechterdifferenzierungen im Sinne der Genderforschung eine Grenze, die Gesellschaften vertikal trennte. Siedlungen und Gräberfelder erlauben des weiteren die Ermittlung von Siedlungsgrößen und demographische Schätzungen. Die Vielfalt sozialer Zugehörigkeiten ist wegen ihrer wechselseitigen Überschneidungen (unterschiedlicher Gruppen und Rollen) nicht leicht zu erfassen, doch vermittelt sie eine Vorstellung sozialer Komplexität. Die selten klare, eindeutige Unterscheidung ζ. B. verschiedener „Ranggruppen" unterstreicht (so analytisch unbefriedigend sie auf den ersten Blick scheinen mag), daß frühgeschichtliche Gesellschaften keineswegs durch statische Verhältnisse gekennzeichnet waren, sondern vielmehr soziale „Konkurrenz" dynamische Strukturen schuf. Strukturgeschichtliche (und kulturanthropologische) Ansätze bieten weder ein geschlossenes Alternativmodell anstelle des „ethnischen Paradigmas" noch feststehende Interpretationen. Viele Fragen sind bislang unbeantwortet. Häufig konkurrieren mehrere Erklärungen miteinander und deuten damit kompliziertere, mehrschichtige historische Prozesse an. Betrachtungen unter strukturgeschichtlichem Blickwinkel vermeiden eine vorschnelle Festlegung auf eine Einzelfallerklärung und eröffnen damit Spielräume für unterschiedliche, einander ergänzende oder widersprechende Interpretationen im Detail sowie für die Anwendung verschiedener Theorien. Denn auf der Beschreibung grundlegender Verhältnisse aufbauend, läßt sich abwägen, welche Faktoren und Entwicklungen gleichzeitig oder gemeinsam diese Verhältnisse bestimmten und veränderten. Strukturgeschichtliche Fragestellungen können breites Interesse beanspruchen, weil sie einen eigenen, quellenadäquaten Zugang zur Vergangenheit darstellen (1), weil sie historische Aussagen im eigentlichen Sinne ermöglichen (2) und weil sie jene Voraussetzungen und Bedingungen erfassen, die für die Zeitgenossen im sozialen Alltag unmittelbar relevant und lebensbestimmend waren (3), auch wenn sie von diesen gar nicht wahrgenommen wurden. Für alle oben erwähnten fünf systematischen Aspekte des „ethnischen Paradigmas" können - läßt man einmal die methodisch problematischen Prämissen von Homogenität, Distinktion, Kongruenz und Synchronität beiseite - alternative Interpretationen vorgeschlagen werden. Kulturraum oder „Stammesgebiet", kulturelle oder ethnische Kontinuität, Kulturwandel oder Ethnogenese, Migrationen oder Austauschbeziehungen, Fremde oder Fremdgüter heißen mögliche Alternativen, die gegeneinander abzuwägen sind und mit denen wohl häufig zugleich gerechnet werden muß. Die begründete Entscheidung im historischen Einzelfall bedarf zusätzlicher, nicht im archäologi-
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sehen Material selbst vorhandener Informationen. Das bedeutet, daß es keine universale archäologische Methode „ethnischer Interpretation" gibt, die andere Erklärungen prinzipiell unwahrscheinlicher macht oder gar auszuschließen erlaubt.7 Hinweise in schriftlichen, meist literarischen Quellen (und die modernen Nationalstaatsvorstellungen) waren es vielmehr, die die Suche nach „ethnischen Gruppen" und ihrer Geschichte angeregt haben. Über das „ethnische Paradigma" hinaus können weitere methodologische Folgerungen gezogen werden. Strukturelle - und das heißt auch statisch erscheinende, allgemeine - Bedingungen lassen sich der Sachkultur leichter als kurzfristige und besondere Entwicklungen ablesen. Der Einzelfall entzieht sich der begründeten Beurteilung, doch die ihn ermöglichenden, einschränkenden oder auch verhindernden Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen, werden sichtbar. Historische Interpretationen müssen deshalb, aufbauend auf diesen grundlegenden Verhältnissen, mehrere Faktoren in Betracht ziehen, um Strukturen und deren Veränderungen zu erklären. Monokausale und eindimensionale Erklärungen können differenzierten historischen Situationen und Prozessen nicht gerecht werden, weil sie über Gebühr vereinfachen. Identitäten und Mentalitäten sind ebenso wie Zeichen und Symbole im einzelnen nicht zu erfassen - doch können Rahmenbedingungen und strukturelle Verhältnisse, der „Kontext", beschrieben werden.8
VII. Für die prähistorische Archäologie, der keinerlei schriftliche Uberlieferungen - weder aus der Außen- noch aus der Innensicht - zur Verfügung stehen, ergeben sich hinsichtlich einer „ethnischen Interpretation" zusätzliche methodische Probleme. Denn es fehlen alle Hinweise sowohl auf die Vorstellungen der Zeitgenossen als auch auf die von ihnen benutzten bzw. wahrgenommenen Symbole ethnischer Abgrenzungen. Allein aufgrund der Sachkultur, d. h. ohne Kenntnis des geistigen Hintergrundes, lassen sich politische und strukturelle Entwicklungen nicht auseinanderhalten. „Ethnische Gruppen", Wanderungen und „Fremde" können daher nicht ausgemacht und begründet gegen andere Erklärungen abgewogen werden. Darüber hinaus ist gerade für
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„Die Verbindung einer archäologischen Gruppierung mit einem Stamm, Stammesverband usw. kann möglich sein und auch die beste Erklärung bieten. Sie braucht aber nicht das einzige Modell zu sein"; Willroth 1998, 520 f. Kap. VI.
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prähistorische Zeiten noch einmal darauf hinzuweisen, daß „archäologische Kulturen" weder homogene noch distinkte Gruppierungen darstellen und als wissenschaftliche Klassifikationen keineswegs direkte Rückschlüsse auf die Abgrenzung „realer" Gesellschaften erlauben. Damit verschiebt sich das Schwergewicht der Interpretationen in Richtung kulturanthropologischer Perspektiven. Denn ethnologische Vergleiche können das Spektrum möglicher Erklärungen abstecken. Nichtsdestotrotz behält der historische Aspekt seine Bedeutung. Die Möglichkeiten, das archäologische Material eindeutig und relativ genau zu datieren, verleihen den Interpretationen zeitliche Tiefe und gestatten die Rekonstruktion historischer Veränderungen und Entwicklungen. Deshalb bleibt die prähistorische Forschung unbestritten „ein Teil der allgemeinen Geschichtswissenschaft".9 Bei der Suche nach den „Indogermanen", d. h. bei der Identifizierung ihrer „Urheimat" und ihrer „Wanderungen", handelt es sich nicht um eine „ethnische Interpretation" im engeren Sinne, denn über die vorausgesetzten großräumigen Entfernungen hinweg kann ein Gruppenbewußtsein nicht erwartet werden. Doch wie bei Kelten, Germanen und Slawen wird auch bei dieser Sprachgruppe eine homogene und distinkte Kultur vorausgesetzt, um nach dem „ethnischen Paradigma" verfahren zu können. Allerdings ist nicht nur die angenommene Synchronität und Kongruenz sprachlicher und kultureller Entwicklung problematisch. Auch die sprachwissenschaftlichen Grundannahmen sind in die Kritik geraten. Die einseitige Bevorzugung des Stammbaummodells der Sprachentwicklung suggeriert eine stets zunehmende Differenzierung und einen einzigen sprachlichen „Ursprung", doch werden dabei Interaktionsmodelle - Konvergenzen oder Bildung aus verschiedenen „Wurzeln" - prinzipiell ausgeschlossen. Die auf diese Weise rekonstruierten sprachlichen Gemeinsamkeiten machen nur einen Bruchteil in den modernen Einzelsprachen aus, so daß auch nur ein Aspekt der Sprachentwicklung dadurch erklärt werden kann. Das rekonstruierte „Indogermanische" kann deshalb nicht als tatsächlich gesprochene Sprache, sondern lediglich als linguistisches Modell angesehen werden. Eine „Sprechergemeinschaft" bleibt deshalb bloße Spekulation - und ebenso eine Verbindung zu „archäologischen Kulturen". Darauf beruht die Vielzahl konkurrierender Versuche. Angesichts problematischer kultureller und sprachlicher Abgrenzungen richten sich die Erwartungen neuerdings wieder verstärkt an die physische Anthropologie. Wenn Sprachen und Kulturen flexibel sind und sich „unab-
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U. Fischer 1987, 176.
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Zusammenfassung
hängig" von Bevölkerungsbewegungen verbreiten, so sollten doch biologische Charakteristika „eindeutige" Anhaltspunkte liefern, woher Einzelne und Gruppen stammten. Im Mittelpunkt des Interesses stehen sowohl Verwandtschaftsanalysen (ζ. B. innerhalb von Gräberfeldern) als auch der populationsgenetische Vergleich mit Hilfe moderner DNA-Analysen. Abgesehen von systematisch-methodischen Problemen (Probenerhaltung, -Sterilität und -repräsentativität) läßt sich nicht übersehen, daß Populationen einerseits Gruppen mit beachtlicher Merkmalsvariabilität darstellen (so daß Differenzen nur im statistischen Mittel sichtbar werden) und andererseits Verwandtschaft ein in wesentlichen Teilen kulturell definiertes Verhältnis ist. „Eindeutige" Ergebnisse sind deshalb auch von der Anthropologie nicht zu erwarten. Dennoch bedeuten deren Resultate wichtige, unverzichtbare Aufschlüsse über Siedlungsgemeinschaften, weil sie eine zusätzliche Perspektive beitragen.10
VIII. Insgesamt läßt sich ein erheblich „bunteres" Bild einstiger Lebenswelten gewinnen, wenn die einseitige Fixierung auf „ethnische Interpretationen" überwunden wird. Eine Vielzahl von Faktoren beeinflußte die Ausbreitung und Veränderung verschiedener Elemente der Sachkultur. Interpretationen, die diese Vielfalt zu berücksichtigen versuchen, werden der komplexen historischen Realität daher eher gerecht als monokausale Erklärungen. Interpretationen müssen außerdem auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Wenn einerseits konkrete Identitäten, Vorstellungen, Gruppen und Ereignisse umstritten bleiben dürften, so können andererseits deren Rahmenbedingungen und Voraussetzungen unter einer strukturgeschichtlich und kulturanthropologisch ausgerichteten Perspektive beschrieben werden. Dies bedeutet keinen Verzicht auf historische Erkenntnis, sondern lediglich eine methodisch gebotene Ausrichtung und Differenzierung. Nicht die Existenz der in literarischen Quellen beschriebenen Gruppen steht in der Kritik, sondern deren eindeutige Identifizierung in der Sachkultur angesichts situationsabhängiger Selbstzuordnungen von Individuen. Die Archäologie stellt eine selbständige historische und anthropologische Disziplin mit spezifischen Quellen dar. Sie bedarf eines eigenen quellenspezifischen Methodenrepertoires und darf sich daher nicht vorrangig um die
10
Kap. VII.
Zusammenfassung
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Verifizierung von Ergebnissen der Nachbardisziplinen bemühen. Vielmehr muß sie eigene Fragestellungen und Lösungsansätze entwickeln und verfolgen, die den archäologischen Quellen gerecht werden und mit deren Hilfe zu beantworten sind. Kurz: Es geht um quellenadäquate Interpretationen, die nicht primär von Fragen der Nachbardisziplinen oder den Erwartungen des breiten Publikums bestimmt werden dürfen, sondern die Aussagemöglichkeiten der Sachquellen in den Mittelpunkt stellen müssen. Dazu bedarf es in stärkerem Maße als bisher regionen- und zeitphasenübergreifender Vergleiche, um die durch Klassifikationen konstruierten räumlichen und zeitlichen Grenzziehungen nicht als von vornherein gegeben und ausschlaggebend anzusehen - und diese nicht die historischen Interpretationen bestimmen zu lassen.11 Denn zwei Hauptproblemen steht die „ethnische Deutung" gegenüber, die ihr die sichere methodische Grundlage entziehen. 1. Ein modernes, nationalstaatliches Verständnis, das von kulturell, sprachlich und politisch homogenen und distinkten Gruppen ausgeht, erweist sich als frühgeschichtlichen Verhältnissen nicht angemessen. 2. Das Verhältnis zwischen Sachkultur und „Identität(en)" ist ein komplexes und mehrfach gebrochenes, so daß direkte und einfache Rückschlüsse nicht möglich sind. Die Schwierigkeiten der Zuordnung sind allenfalls unter Berücksichtigung literarischer Quellen einzugrenzen, aber nicht eindeutig zu lösen: „Der Archäologe kann die Tonne finden, aber dennoch den Diogenes verfehlen."12 Damit bleiben „ethnische Deutungen" zwar eine unter vielen denkbaren Möglichkeiten historischer Interpretation archäologischen Materials;13 da aber literarische und archäologische Quellen verschiedene Aspekte bzw. Ebenen der Vergangenheit erfassen14, können archäologische Aussagen über ethnische Gruppen aufgrund von Angaben der Schriftquellen keinen Primat gegenüber anderen Erklärungen beanspruchen - sie entfernen sich vielmehr weiter von den Quellen als strukturgeschichtliche Interpretationen.
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12 13 14
Ebensowenig dürfen klassifikatorische Begriffe wie „gotische Fibeln" oder „slawische Keramik" bereits als historische Interpretation mißverstanden werden. Wheeler 1960, 222. Eggers 1950, 58. Eggers 1986,271.
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Register 1. Personenregister Nicht aufgenommen sind im Text erwähnte und zitierte Autoren der Gegenwart. Zu Bezeichnungen von gentes und „Völkern" vgl. das Sachregister. Kursive Seitenzahlen verweisen auf Abbildungen. Die Bemerkung „(A.)" bezeichnet die Nennung in einer Anmerkung. Adam von Bremen (f vor 1085) 140 (Α.), 277 Adelung, Johann Christoph (1732-1806) 53 Agathias (ca. 536-582) 141, 194, 289 Albiso von Langres (reg. 501-506) 146 Alfred d. Gr. (reg. 871-899) 270 (A.) Ambigatus (6. Jh. v. Chr.) 242 Ammianus Marcellinus (ca. 330-ca. 395) 232 Ankermann, Bernhard (1859-1943) 63 Appian (2. Jh.) 174 Aristoteles (384-322 v. Chr.) 119, 125 Ariovist (1. Jh. v. Chr.) 175, 240 Arkadios (reg. 395-408) 143 Arminius (1. Jh.) 20, 108, 226 Arndt, Ernst Moritz (1769-1860) 38 Ar(n)egunde (6./7. Jh.) 344 (Α.), 393 Aubin, Hermann (1885-1969) 47 (Α.) Augustus (reg. 27 v. Chr.-14 η. Chr.) 400 Aunemund von Lyon (7. Jh.) 147 (A.) Bachofen, Johann Jakob (1815-1887) 43 v. Bändel, Ernst (1800-1876) 20 Bastian, Adolf (1826-1905) 43, 61 Beda Venerabiiis (ca. 673-735) 139, 268 f., 271 Bellovesus (6. Jh. v. Chr.) 242 Berchar ( t 688) 144, 192 Bernadette, Jean Baptiste Jules (1763-1844) 39 Bernheim, Ernst (1850-1942) 63, 328,329 Bloch, Marc (1886-1944) 351 Blücher, Gerhard Leberecht (1742-1819) 39 Boas, Franz (1858-1942) 69 Boeckh, August (1785-1867) 38 Boehm, Max Hildebert (1891-1968) 46 Bonifatius (672/3-754) 149 f. Borkovsky, Ivan (1897-1976) 186
Boucher de Perthes, Jacques (1788-1868) 26 Bourdieu, Pierre (1930-2002) 109 Brackmann, Albert (1871-1952) 34 (A.) Braudel, Fernand (1902-1985) 347, 348, 362, 539 Broca, Paul (1824-1880) 80 (A.) Brunichilde (f 613) 505 Buccelenus (6. Jh.) 289 Burckhardt, Jakob (1818-1897) 38, 43 Büsching, Johann Gustav Gottlieb (1783-1829) 16 Butilin (6. Jh.) 289 Cäsar, C. Julius (100-44 v. Chr.) 128, 129 f. (Α.), 132-134, 137, 164 f., 167, 173-175, 177 f., 180-183, 204, 210 f., 221 f., 224-226, 241, 247 f., 464 Cassiodor, Flavius Magnus Aurelius (ca. 485ca. 580) 229 f., 258 Cassius Dio (3. Jh.) 174 Childe, Vere Gordon (1892-1957) 65, 67, 72, 84, 162, 309, 526, 533, 587, 619 Childerich (f 481/2?) 151, 344 (Α.), 454, 489 (Α.), 493 Chilperich I. (reg. 561-584) 409 (A.) Chlodwig (ca. 481/2-511) 151, 155, 232, 256 Chlothar II. (reg. 584-629) 344 (A.) Christlein, Rainer (1940-1983) 572 Christus 311, 366, 368, 401, 570 Clarke, David Leonhard (1937-1976) 73, 332, 527, 536, 619 Claudius II. (reg. 268-270) 143 Conze, Werner (1910-1986) 34 (Α.), 47
782
Register
Dagobert I. (reg. 623-639) 344 (Α.) Dareios (f 486 ν. Chr.) 120 (Α.) Darwin, Charles (1809-1882) 82 Déchelette, Joseph (1862-1914) 169, 208 Demokrit (5./4. Jh. v. Chr.) 127 (A.) Dexippos (t 267) 142 Diocletian (reg. 284-305) 133 Diogenes von Sinope (f 323 ν. Chr.) 568 (Α.), 631 Dionysios I. von Syrakus (ca. 430-367 v. Chr.) 242 Dilthey, Wilhelm (1833-1911) 39 (Α.), 43, 340 (Α.)
Domitian, Titus Flavius (reg. 81-96) 132 Dopsch, Alfons (1868-1953) 290 Droysen, Johann Gustav (1808-1884) 328,329 Durkheim, Émile (1858-1917) 44 Ebert, Max (1879-1929) 26 Edwards, William Frédéric (1777-1842) 78 Egbert (Ecgberht) (639-729) 269 Eggers, Hans Jürgen (1906-1975) 5 (Α.), 27, 217,331, 350, 522 Einhard (ca. 770-840) 314 Eratosthenes (3. Jh. v. Chr.) 131 (A.) Erikson, Erik H. (1902-1994) 97 (A.) v. Falke, Jacob (1825-1897) 404 (A.) Febvre, Lucien (1878-1956) 351 Feist, Sigmund (1865-1943) 26 Ferguson, Adam (1723-1816) 35 Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814) 37 Fischer, Eugen (1874-1967) 83 (Α.), 85 Fontane, Theodor (1819-1898) 17 Fredegunde (t 597) 505 Frick, Wilhelm (1877-1946) 83 Frobenius, Leo (1873-1938) 61 f. Gamillscheg, Ernst (1887-1971) 290 f. (A.) Geographus Bavarus (9. Jh.) 202 Geographus Ravennatis (7./9. Jh.) 145, 150 Giesebrecht, Ludwig (1792-1873) 18 (A.) Gildas (6. Jh.) 268 (A.) Gimbutas, Marija (1921-1994) 599 de Gobineau, Josef Arthur Comte (1816-1882) 81
Godtowski, Kazimierz (1934-1995) 200 Göring, Hermann (1893-1946) 83 v. Görres, Johann Joseph (1776-1848) 36 Götze, Alfred (1865-1948) 64 Gould, Stephen Jay (1941-2002) 525 Gradmann, Rudolf (1888-1962) 85
Graebner, Fritz (1877-1934) 63 Gregor von Tours (ca. 538-594) 139, 143, 296, 316 Grimm, Jacob (1785-1863) 39, 40, 41 Grimm, Wilhelm (1786-1859) 39-41 Gumplowicz, Ludwig (1838-1909) 44 Günther, Hans Friedrich Karl (1891-1968) 83 Hadrian (reg. 117-138) 400 Hahne, Hans (1875-1935) 46, 85 Haimo von Auxerre (9. Jh.) 153 (A.) Haller, Johannes (1867-1945) 291 (A.) Hannibal (f 183 v. Chr.) 167 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (1770-1831) 38, 279 Heinrich V. von Mecklenburg (reg. 1503-1552) 12 Hekataios von Milet (ca. 500 v. Chr.) 123, 131 (Α.), 166, 208 Helmold von Bosau (ca. 1120-nach 1177) 140 (A.)
Herder, Johann Gottfried (1744-1803) 34, 38, 53, 90 Herodot (ca. 484-420 v. Chr.) 118-121, 123, 127 f., 131, 143, 166, 168, 171, 208, 216, 221, 380, 558 Hieronymus (ca. 347-419) 142 Hildebrand, Hans (1842-1913) 61 Hitler, Adolf (1889-1945) 83 Hoernes, Moritz (1852-1911) 26 Homer (8. Jh. v. Chr.) 118 Husserl, Edmund (1859-1938) 357 (A.) Ibn Fadian (10. Jh.) 380, 507 Isidor von Sevilla (ca. 560-636) 148, 316, 317, Isokrates (436-338 v. Chr.) 120 Jacob-Friesen, Karl-Hermann (1886-1960) 26 Jahn, Friedrich Ludwig (1778-1852) 37 Jankuhn, Herbert (1905-1990) 34 (A.) Jones, William (1746-1794) 79 (A.) Jordanes (t ca. 552) 135, 139, 141, 143, 184 f., 197, 228-231, 255 f., 260 f., 542, 552, 557 Julian (reg. 361-363) 312 (A.) Justinian (reg. 527-565) 135,136, 148, 150, 185, 229 Kant, Immanuel (1724-1804) 34 (Α.), 35, 53 Karl d. Gr. (reg. 768-814) 150 f., 202, 489 (A.) Klemm, Gustav Friedrich (1802-1867) 15 f., 59 Knorr, Heinz Arno (1909-1996) 204 Konstans II. (reg. 641-668) 311
Personenregister Kossinna, Gustaf (1858-1931) 2, 4, 15, 22, 24, 27, 34 (Α.), 65, 66, 67, 70 (Α.), 84, 90, 158 (Α.), 162, 178, 219, 307, 309, 326 (Α.), 462 (Α.), 526, 537, 539, 541 Kostrzewski, Józef (1885-1969) 2, 216, 539 Krahe, Hans (1898-1965) 597 Kruse, Friedrich Karl Hermann (1790-1866) 17
(A.)
de Lagarde, Paul (1827-1891) 44 Lamprecht, Karl (1856-1915) 39 (Α.), 43, 69 Langbehn, Julius (1851-1907) 45 Lehmann, Julius Friedrich (1864-1935) 84 (A.) Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646-1716) 14 (A.) Leuthari (6. Jh.) 289 v. Lilienfeld, Paul (1829-1903) 43 f. Lindenschmit, Ludwig (1809-1893) 15, 292 Lindenschmit, Wilhelm (1806-1848) 79, 292 Lisch, Georg Christian Friedrich (1801-1883) 18 (Α.), 60 Livius (59 v. Chr.-17 n. Chr.) 241-243 Lubbock, John (Lord Avebury) (1834-1913) 61 Malinowski, Bronislaw (1884-1942) 352 Marbod (f 37) 453 (A.) Marc Aurel (reg. 161-180) 138 Marr, Nikolaj Jakovlevic (1864-1934) 25, 50 (Α.), 545 (Α.) Marschalk, Nicolaus (ca. 1470-1525) 12,13 Martial (ca. 40-ca. 100) 312 Martin, Rudolf (1864-1925) 83 (A.) de Masdeu, Juan Francisco (1744—1817) 53 Maurer, Friedrich (1898-1984) 177 Maximian (reg. 286-305) 232 (A.) Meiners, Christoph (1747-1810) 79 (A.) Menghin, Oswald (1888-1973) 67 Merhart v. Bernegg, Gero (1886-1959) 84 Meyer, Eduard (1855-1930) 26 Mielke, Robert (1863-1935) 85 Miklosich, Franz (1812-1891) 94 Mithoff, Georg Friedrich (1638-1691) 14 (A.) Mommsen, Theodor (1817-1903) 2, 69 Montelius, Oscar (1843-1921) 18 de Mortillet, Gabriel (1821-1898) 26 Moser, Justus (1720-1794) 36 Much, Rudolf (1862-1936) 85 Mühlmann, Wilhelm Emil (1904-1988) 50 MüUenhoff, Karl (1818-1884) 176 Müller, Andreas 12 (A.) Mussolini, Benito (1883-1945) 25 Napoleon I. (1769-1821) 38 f. Napoleon III. (1808-1873) 19
783
Odoaker (reg. 476-493) 147, 149, 290 (A.) Ogburn, William Fielding (1886-1959) 58 Olearius, Johann Christoph (1668-1747) 12
(A.)
Orosius, Paulus (Anfang des 5. Jh.) 142, 167 Otfrid von Weißenburg (ca. 800-ca. 870) 153 Paulus Diaconus (ca. 720-799) 139, 144, 314, 552 Pearson, Karl (1857-1936) 83 (A.) Petersen, Chr. 18 (A.) Petri, Franz (1903-1993) 290 (Α.), 291 Piccolomini, Enea Silvio (1405-1465) 11 (A.) Pippin II. (der Minlere) (reg. 679-714) 144, 146, 193 Pippin III. (der Jüngere) (reg. 751-768) 457 Pirenne, Henri (1862-1935) 291 Pius II. s. Piccolomini, Enea Silvio Plinius d. Ä. (23/4-79) 135, 200, 229, 258, 442, 575 Pompeius Tragus (1. Jh.) 242 (A.) Poseidonios (135-51 v. Chr.) 119, 132 (Α.), 167 Postumus (reg. 259-268) 192 (A.) Preusker, Karl (1786-1871) 16 Priscus (ca. 420-474) 257 Prokop von Kaisareia (ca. 500-nach 562) 135, 143, 184 f., 199, 311 Protagoras (ca. 481-ca. 411) 127 (A.) Ptolemaios (ca. 100-nach 160) 131 (Α.), 135, 229, 256, 258 Radcliffe-Brown, Alfred Reginald (1881-1955) 352 v. Ranke, Leopold (1795-1886) 279 Ratzel, Friedrich (1844-1904) 61 f. Reche, Otto (1879-1966) 85 Regino von Prüm (ca. 840-915) 145 Renan, Ernest (1823-1892) 50 Rhode, Andreas Albert (1682-1724) 12 Rhode, Christian Detlev (1653-1717) 12 v. Richthofen, Bolko (1899-1983) 2 Riehl, Wilhelm Heinrich (1823-1897) 41 f. Rygh, Olof (1833-1899) 61 v. Savigny, Friedrich Karl (1779-1861) 43 v. Schäffle, Albert Eberhard (1831-1903) 43 Scheidt, Karl Walter (1895-1976) 84 Schemann, Ludwig (1852-1938) 85 Schieder, Theodor (1908-1985) 34 (Α.), 47 v. Schiller, Friedrich (1759-1805) 54 (A.) Schleicher, August (1821-1868) 81, 94 f., 594 Schliemann, Heinrich (1822-1890) 19
784
Register
Schliz, Alfred (1849-1915) 80, 588 Schmidt, Johannes (1843-1901) 95, 594 Schmidt, Wilhelm (1868-1954) 67 Schräder, Chilian (1650-1721) 14 (A.) Schreiber, Heinrich (1793-1872) 15 Schröter, Hans Rudolf (1798-1842) 17 (A.) Schuchardt, Hugo (1842-1927) 94 Schuchhardt, Cari (1859-1943) 26 Schwalbe, Gustav (1844-1916) 83 (A.) Schwantes, Gustav (1881-1960) 84, 178, 180 Schwarzenberg, Karl (1771-1820) 39 Scipio Nasica (t 141 v. Chr.) 312 (A.) Seger, Hans (1864-1943) 2 (A.) Seneca (ca. 4 v. Chr.-65 n. Chr.) 125 Sergius I. (reg. 687-701) 149 Sidonius Apollinaris (ca. 430-ca. 486) 134, 312 Sirokogorov, Sergej Michajlovic (1887-1939) 50 Spearman, Charles (1863-1945) 83 (A.) Spencer, Herbert (1820-1903) 64 vom und zum Stein, Heinrich Friedrich Karl (1757-1831) 36 Steinbach, Franz (1895-1964) 291 Steinthal, Heymann (1823-1899) 43 Stephanos von Byzanz (6. Jh.) 166 Strabon (ca. 63 v. Chr.-nach 26 n. Chr.) 229, 258, 386 Sudomarius (4. Jh.) 232 Synesios von Kyrene (370-413) 143 Tacitus (ca. 55-117) 119, 121, 124, 127 f., 129 (Α.), 135, 175, 177, 180, 200 f., 229, 245, 258, 310, 485 Tarquinius Priscus (reg. um 600 v. Chr.) 242 Thegan (vor 800P-849/53) 314 Theoderich (reg. 493-526) 147 f., 229, 257, 373 (A.)
Theophylaktos Simokates (ca. 580/90-nach 628) 135, 185
Theudebert I. (reg. 534-547) 289 Theuderich III. (reg. 673-691) 144, 192 Thierry, Amédée (1797-1873) 78 Thierry, Augustin (1795-1856) 78 Thietmar von Merseburg (975-1018) 140 (Α.) Thomsen, Christian Jürgensen (1788-1865) 18 (A.)
Thukydides (ca. 460-400 v. Chr.) 11, 127 (Α.), 344 Thurnwald, Richard (1869-1954) 84 Trajan (reg. 98-117) 138 v. Treitschke, Heinrich (1834-1896) 22 (A.) Tylor, Edward Burnett (1832-1917) 60 Vadomarius (4. Jh.) 232 Varrò, M. Terentius (116-27 ν. Chr.) 122 Varus, Publius Quinctilius (f 9) 226 Vercingetorix (f 46 v. Chr.) 226 Victor von Vita (6. Jh.) 298 (A.) Virchow, Rudolf (1821-1902) 22, 24, 26, 59, 61 Voltaire (1694-1778) 52 Wahle, Ernst (1889-1981) 2 (Α.), 5 (Α.), 9, 84, 218 Weber, Max (1864-1920) 39 (A.) Wenskus, Reinhard (1916-2002) 112, 141, 260, 523 Werner, Joachim (1909-1994) 292 f., 560 Widukind von Corvey (ca. 925-nach 973) 316 Wilhelm I. (1797-1888) 20 Wilhelm II. (1859-1941) 19 Willibald (8. Jh.) 150 Zacharias (reg. 742-751) 146 Zeiß, Hans (1895-1944) 85, 292, 307, 410 (Α.), 534 Zosimos (Anfang des 6. Jh.) 142
Ortsregister
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2. Ortsregister Zu jedem (Fund-)Ort sind die heutige Verwaltungszugehörigkeit und der offizielle Name angegeben. Dabei werden die heutigen Staaten folgendermaßen abgekürzt: A - Österreich; Β - Belgien; BG - Bulgarien; BY - Weißrußland; C H - Schweiz; CRO - Kroatien; CZ - Tschechien; D - Deutschland; DK Dänemark; DZ - Algerien; E - Spanien; ET - Ägypten; F - Frankreich; FIN - Finnland; GR - Griechenland; H - Ungarn; I - Italien; IND - Indien; IRQ - Irak; Ν - Norwegen; N L - Niederlande; Ρ - Portugal; PL - Polen; RO - Rumänien; RUS - Rußland; S - Schweden; SK - Slowakei; SLO - Slowenien; SM - San Marino; SYR - Syrien; TR - Türkei; TU - Tunesien; U A Ukraine; Y U - Jugoslawien. Kursiv gesetzt sind überlieferte Ortsnamen, die heute nicht mehr bestehen bzw. einen anderen Namen tragen oder deren Identifizierung bis heute nicht gelungen ist. Kursive Seitenzahlen verweisen auf Abbildungen. Die Bemerkung „(A.)" bezeichnet die Nennung in einer Anmerkung. Ortsnamen in Tab. 1, Abb. 13, Abb. 35 und Abb. 92 sind nicht berücksichtigt. Aachen, Nordrhein-Westfalen, D 233 Abydos, Oberägypten, E T 19 (A.) Adamklissi (Tropaeum Traiant), jud. Constanza, R O 138 Albelda de Iregua, prov. Logroño, La Rioja, £ 302 Aleppo (Halab), SYR 364 f . Alesia (Alise-Seinte-Reine), dép. Côte-d'Or, Bourgogne, F 19, 21 Almería, Andalucía, £ 68 Altenerding, Kr. Erding, Bayern, D 283 f. Amarna, Oberägypten, E T 19 (A.) Ampurias, prov. Gerona (Girona), Catalunya, E 415, 452 Antiochia, SYR 149 Apahida, jud. Cluj, R O 493 Aquincum, Budapest, H 134 Archsum auf Sylt, Kr. Nordfriesland, Schleswig-Holstein, D 463 Arcy-Sainte-Restitue, dép. Aisne, Picardie, F 28} Arnstadt, Ilmkr., Thüringen, D 12 (Α.) Ârslev, Fyn, D K 484, 507 Asperg, Kr. Ludwigsburg, Baden-Württemberg, D 376, 416 Athen, G R 19 (Α.), 54 (Α.), 120 (Α.), 344 Audun-le-Tiche, dép. Moselle, Lorraine, F 495
Augsburg, Bayern, D 93 Aunjetitz s. Unëtice Baalberge, Kr. Bernburg, Sachsen-Anhalt, D 584 Bad Dürkheim, Rheinland-Pfalz, D 376 Bad Nauheim, Wetteraukr., Hessen, D 452 Baden b. Wien, Niederösterreich, A 68 Bzkkegârd b. 0sterlars, Bornholm, D K 482 (Α.) Baldenheim b. Sélestat, dép. Bas-Rhin, Alsace, F 576 (A.) Bancerovsina, obi. Minsk, B Y 187 Basel-Bernerring, C H 502, 504 Belgrad, Serbien, Y U 238 Beloozero, obi. Vologda, RUS 280, 281 Belymer, resp. Tatarstan, RUS 281 Berezan', obi. Cherson, UA 281 Bergen, Hordaland, Ν 42 Berlin, D 44, 46, 54 (A.) Berlin-Spandau, D 479 Bernburg, Sachsen-Anhalt, D 584 Bescheid, Kr. Trier-Saarburg, Rheinland-Pfalz, D 376 Bialçcino, pow. Slawno, woj. Pomorze Zachodnie, PL 484 Biljar(sk), resp. Tatarstan, RUS 281
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Register
Bodrogkeresztúr, kom. Borsod-Abaúj-Zemplén (Miskolc), H 68 Bologna, Emilia Romagna, I 137 (Α.), 169 Bologna-Arnoaldi, Emilia Romagna, I 414 Bol'soe Timerëvo, obi. Jaroslavl", RUS 280, 281 Bonn, Nordrhein-Westfalen, D 233 Boomborg-Hatzum, Kr. Leer, Niedersachsen, D 463 Bornstein, Kr. Rendsburg-Eckernförde, Schleswig-Holstein, D 484 Bourges, dép. Cher, Centre, F 144 Brandenburg/Havel, Brandenburg, D 479 Breclav-Pohansko, kr. Jizni Morava, CZ 465, 467 Breslau s. Wroclaw Budapest, H 54 (Α.) Bulgar (Bolgary), resp. Tatarstan, RUS 281 Burgsdorf, Kr. Mansfelder Land, Sachsen-Anhalt, D 484 Byzanz s. Istanbul Cadaevo, obi. Vladimir, RUS 281 Caesarea (Cherchel), DZ 290 Camino de los Afligidos, prov. Madrid, E 302 Carpentras, dép. Vaucluse, Provence-AlpesCôte-d'Azur, F 137 Casa Herrera, prov. Badajoz, Extremadura, E 302 Casale Marittimo, prov. Pisa, Toscana, I 418 Castel Trosino, prov. Ascoli Piceno, Marche, I 495 Cejkov, kr. Zemplín, SK 484 Celle, Niedersachsen, D 14 (A.) Cem Saj, obi. Vjatka, RUS 281 Cernigov (Cernihiv), UA 280, 281 Certosa, prov. Bologna, Emilia-Romagna, I 414, 430 (A.) Chaouilley, dép. Meurthe-et-Moselle, Lorraine, F 408 Chersones, Krym, UA 132 Clunia, prov. Burgos, Castilla y León, E 302 Coligny, dép. Ain, Rhône-Alpes, F 388 Cortaillod, Kt. Neuchâtel, CH 68 Cortrat, dép. Loiret, Centre, F 395 Courbillac-Herpes, dép. Charente, PoitouCharente, F 447 Czéke s. Cejkov Daganzo de Arriba, prov. Madrid, E 302 Danilovka, obi. Saratov, RUS 281 Dankirke, Ribe amt, DK 479 Dejbjerg, Ringkebing amt, DK 420 (A.)
Delphi, Phokis, GR 19 (Α.), 137, 241, 246, 247 Deza, prov. Soria, Castilla y León, E 302 Diarville, dép. Meurthe-et-Moselle, Lorraine, F 376 Diedenhofen s. Thionville Domagnano, SM 493 Dörth, Kr. Rhein-Hunsrück-Kr., RheinlandPfalz, D 376 Dresden, Sachsen, D 15, 59 Duratón, prov. Segovia, Castilla y León, E 302 Düsedau, Kr. Stendal, Sachsen-Anhalt, D 584 f. Eberdingen-Hochdorf, Kr. Ludwigsburg, Baden· Württemberg, D 377, 391 (Α.), 392, 416, 429 f. Eigenbilzen (Eygenbilsen) b. Tongern, prov. Limburg, Β 376 Ejsbal, Senderjyllands amt, DK 383, 385 El Tesorillo, prov. Malaga, Andalucía, E 302 Elche, prov. Alicante, Comunidad Valenciana, E 418 Elee, obi. Lipeck, RUS 281 Elgg, Kt. Zürich, CH 297 Emersleben, Kr. Halberstadt, Sachsen-Anhalt, D 484 Emporion s. Ampurias Ennery, dép. Moselle, Lorraine, F 408, 502, 503 Ephesos (Selçuk), il Izmir, T R 19 (Α.) Ercávica, prov. Cuenca, Castilla-La Mancha, E 302 Eningen, Kr. Biberach, Baden-Württemberg, D 377 Espenfeld, Ilm-Kr., Thüringen, D 406 Espirdo, prov. Segovia, Castilla y León, E 302 Esslingen, Baden-Württemberg, D 484 Este-Benvenuti, prov. Padova, Veneto, I 414, 430 (Α.) Eußenheim, Kr. Main-Spessart, Bayern, D 378 Ewattingen, Kr. Waldshut, Baden-Württemberg, D 377 Fatjanovo, obi. Jaroslavl', RUS 68 Fayyüm, Unterägypten, ET 19 (A.) Feddersen Werde, Kr. Cuxhaven, Niedersachsen, D 462, 463 Feldberg, Kr. Mecklenburg-Strelitz, Mecklenburg-Vorpommern, D 205, 253 Ferschweiler, Kr. Bitburg-Prüm, RheinlandPfalz, D 376 Ficarolo, prov. Rovigo, Veneto, I 562 Fischbeck, Kr. Stendal, Sachsen-Anhalt, D 584f.
Ortsregister Flögeln, Kr. Cuxhaven, Niedersachsen, D 463 Flurstedt, Kr. Weimarer Land, Thüringen, D 484 Frederiksdalvej, Arhus amt, DK 474 f. Freiburg i. Br., Baden-Württemberg, D 83 (A.) Friedenhain, Kr. Straubing, Bayern, D 234 Garde, Gotland, S 509 Gatersleben, Kr. Quedlinburg, Sachsen-Anhalt, D 584 Gebesee, Kr. Sömmerda, Thüringen, D 480 Geldrop b. Eindhoven, prov. Noordbrabant, NL 468 (A.) Genf, CH 447 Gerena, prov. Sevilla, Andalucía, E 302 Gibraltar, GB 166 Glauberg b. Glauburg, Kr. Friedberg, Hessen, D 418, 429, 506 Gnëzdovo, obi. Smolensk, RUS 280, 281 Golancz Pomorska, gm. Trzebiatów, pow. Gryfice, woj. Pomorze Zachodnie, PL 253 Gommern, Kr. Jerichower Land, Sachsen-Anhalt, D 430, 484, 486 (A.) Görlitz, Sachsen, D 16 Gostyn, pow. Glogów, woj. Dolny Sl^sk, PL 253 Göttingen, Niedersachsen, D 44,79 (Α.), 80 (Α.) Grabow, Kr. Ludwigslust, Mecklenburg-Vorpommern, D 484 Greifswald, Mecklenburg-Vorpommern, D 63 Gredbygârd, Bornholm, DK 482 (A.) Grentoft b. Narre Omme, Ringkebing amt, DK 463, 466, 474 f. Groß Rohrheim, Kr. Bergstraße, Hessen, D 376 Groß Umstadt, Kr. Darmstadt-Dieburg, Hessen, D 315 Großenhain, Kr. Riesa-Großenhain, Sachsen, D 16 Großörner, Kr. Mansfelder Land, Sachsen-Anhalt, D 484 Gudme, Fyn, DK 479 Gumelniça, jud. Giurgiu, RO 68 Gundestrup b. Ars, Nordjyllands amt, DK 247 Gündlingen b. Breisach, Kr. Breisgau-Hochschwarzwald, Baden-Württemberg, D 377 Güttingen, Kr. Konstanz, Baden-Württemberg, D 393 Haarhausen, Kr. Erfurt, Thüringen, D 448, 449, 455 Hagenbach, Kr. Germersheim, RheinlandPfalz, D 459
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Hágerup, Fyn, DK 484 Hahnheim, Kr. Mainz-Bingen, RheinlandPfalz, D 535 Haina, Kr. Gotha, Thüringen, D 484 Haithabu, Kr. Schleswig-Flensburg, SchleswigHolstein, D 277-279, 443 Haldensleben, Sachsen-Anhalt, D 584 f. Halle, Sachsen-Anhalt, D 46, 85 Hallein, Salzburg, A 452 Hallstatt, Oberösterreich, A 171, 415, 452 Hamburg, D 18 (A.) Hannover, Niedersachsen, D 20 Haßleben, Kr. Sömmerda, Thüringen, D 371, 421, 484, 506 Havdhem, Gotland, S 509 Häven b. Langen Jarchow, Kr. Parchim, Mecklenburg·Vorpommern, D 484 Hedelisker b. Skedstrup, 0ster Lisbjerg h., Arhus amt, DK 385 Heilbronn, Baden-Württemberg, D 8 Helgö, Ekerö sn., Uppland, S 479, 552 Helle, Gem. Bad Zwischenahn, Kr. Ammerland, Niedersachsen, D 395 Helmesdorf, Kr. Mansfelder Land, SachsenAnhalt, D 484 Helsingfors (Helsinki), FIN 42 Herbertingen-Hundersingen, Kr. Sigmaringen, Baden-Württemberg, D 377 Herculaneum, prov. Napoli, Campania, I 343 Herrera de Pisuerga, prov. Palencia, Castilla y León, E 302 Heuneburg b. Herbertingen-Hundersingen, Kr. Sigmaringen, Baden-Württemberg, D 415, 476 Himlingeje, Storstroms amt, DK 484, 507 Hirschlanden, Kr. Ludwigsburg, Baden-Württemberg, D 418 Hjortspring auf Als, Senderjyllands amt, DK 383, 385 Hochdorf s. Eberdingen-Hochdorf Hodde, Ribe amt, DK 463, 466, 474f. Hodorf, Kr. Itzehoe, Schleswig-Holstein, D 463 Hohenberg, Steiermark, A 443,444 Hohmichele b. Altheim-Heiligkreuztal, Kr. Biberach, Baden-Württemberg, D 377, 381, 391 (Α.), 418 Hoppstädten, Kr. Birkenfeld, Rheinland-Pfalz, D 376 Horgen, Kt. Zürich, CH 68 Hornhausen, Kr. Oschersleben, Sachsen-Anhalt, D 368
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Register
Horzabad (Dur-Sarrukin) b. Mosul, IRQ 19 (A.) Hügelsheim, Kr. Rastatt, Baden-Württemberg, D 377 Hundersingen s. Herbertingen-Hundersingen Husby, Kr. Schleswig-Flensburg, SchleswigHolstein, D 420 (A.) Illemose, Bjerge h., Fyn, DK 385 Illerup-Âdal b. Skanderborg, Ârhus amt, D K 383, 385 Issendorf, Kr. Stade, Niedersachsen, D 272 Istanbul, T R 157, 229, 311, 314 Izborsk, obi. Pskov, RUS 280 Jaroslavl', RUS 280 Jelling, Vejle amt, D K 388 Jena, Thüringen, D 83 Jesendorf, Kr. Nordwestmecklenburg, Mecklenburg-Vorpommern, D 484 Jordanów ál^ski, pow. ároda Sl^ska, woj. Dolny ál^sk, PL 584 Jordansmühl s. Jordanów ál^ski Kalkriese b. Bramsche, Kr. Osnabrück, Niedersachsen, D 344 (A.) Kalkutta, IND 79 (A.) Karanovo b. Nova Zagora, okr. Burgas, BG 539 (A.) Karthago s. Tunis Kemnitz, Kr. Potsdam-Mittelmark, Brandenburg, D 499, 500 Kielce, woj. Góry àwiçtokrzyskie, PL 447 Kiev (Kyïv), UA 279 f., 281 Kirchheim b. München, Bayern, D 465 Kebenhavn, DK 54 (A.) Köln, Nordrhein-Westfalen, D 145, 197, 374, 407, 487, 533 Köln-Müngersdorf, Nordrhein-Westfalen, D 502, 504 Kolocin, obi. Gomel' (Hornel*), B Y 187, 226 Konstantinopel s. Istanbul Kopenhagen s. Kebenhavn Korcak, obi. 2itomir, UA 253 Kothen, Sachsen-Anhalt, D 12 (A.) Kragehul, Fyn, D K 385 Kraghede b. 0ster Branderslev, Nordjyllands amt, D K 420 (A.) Krefeld-Gellep, Nordrhein-Westfalen, D 395 Krogsbelle, Fyn, DK 385 La Guardia, prov. Jaén, Andalucía, E 302 La Tène b. Neuchâtel, CH 171, 242, 415
Ladoga, obi. St. Petersburg, RUS 280 Langa, Fyn, D K 420 (A.) Las Delicias, prov. Granada, Andalucía, £ 302 Las Huertas, prov. Sevilla, Andalucía, £ 302 Lauchheim, Ostalbkr., Baden-Württemberg, D 407, 465 (Α.), 511 Lavoye, dép. Meuse, Lorraine, F 406, 408, 495 Leipzig, Sachsen, D 16, 39, 61, 69 Leubingen, Kr. Sömmerda, Thüringen, D 484 Leuna, Kr. Merseburg-Querfurt, Sachsen-Anhalt, D 371, 421, 484 Levy Hradec, okr. Praha-západ, kr. Stredni Cechy, CZ 465 London, GB 44, 54 (Α.), 80 (Α.) Los Millares b. Gádor, prov. Almería, Andalucía, E 68 Lubieszewo, pow. Gryfice, woj. Pomorze Zachodnie, PL 371, 421 Lübsow s. Lubieszewo Lüchow, Kr. Lüchow-Dannenberg, Niedersachsen, D 14 (A.) Ludwigsburg, Baden-Württemberg, D 377, 416 Ludwigslust, Mecklenburg-Vorpommern, D 17 (A.) Lundeborg, Fyn, D K 479 Luxeuil, dép. Haute-Saône, Franche-Comté, F 144 Lyon, dép. Rhône, Rhône-Alpes, F 147 (A.) Madison, Wisconsin, USA 609 Madrona, prov. Segovia, Castilla y León, E 302 Magdalenenberg bei Villingen, SchwarzwaldBaar-Kr., Baden-Württemberg, D 381, 494, 496 Magdalenska gora b. Smarje, SLO 414 Mahndorf, Bremen, D 395 Majkop, resp. Adygeja, RUS 68 Mainz, Rheinland-Pfalz, D 15, 17, 43, 78 (Α.), 197, 447, 533 Manching, Kr. Ingolstadt, Bayern, D 173 (A.) Marpingen, Kr. St. Wendel, Saarland, D 376 Marseille, dép. Bouches-du-Rhône, Alpes-Côte-d'Azur, F 132, 166, 171, 208, 415, 452 Martinsheim-Enheim, Kr. Main-Spessart, Bayern, D 378 Marzabotto b. Bologna, Emilia Romagna, 1242 Massalia s. Marseille Mästermyr, Gotland, S 450 (Α.) Metz, dép. Moselle, Lorraine, F 406, 487 Michajlovskoe, obi. Jaroslavl', RUS 281 Michelsberg b. Bruchsal-Untergrombach, Kr. Karlsruhe, Baden-Württemberg, D 68
Ortsregister Mikulcice, okr. Hodonín, kr. Jizní Morava, CZ 427, 465 Mondsee, Oberösterreich, A 68 Mont Auxois s. Alise-Sainte-Reine Mont Lassois s. Vix Moskau, RUS 50 (Α.), 157 Mülheim-Kärlich, Kr. Mayen-Koblenz, Rheinland-Pfalz, D 376, 416 München, Bayern, D 609 Musov, okr. Breclav, kr. Jizní Morava, CZ 138 (Α.), 421 (Α.), 430 f. Mykene, Argolis, GR 19 Naqäda, Oberägypten, ET 19 (A.) Neuburg, Bayern, D 15 Neuchâtel, CH 169 Neuenburg s. Neuchâtel Neupotz, Kr. Germersheim, Rheinland-Pfalz, D 459, 560 Nieder-Florstadt, Wetteraukr., Hessen, D 314 (A .),315 Nijmegen, prov. Gelderland, NL 395 Nimrüd b. Mosul, IRQ 19 (A.) Ninive b. Mosul, IRQ 19 (A.) Nippur, IRQ 19 (A.) Nocera Umbra, prov. Perugia, Umbria, I 495, 498 Nordendorf, Kr. Augsburg, Bayern, D 15 Nordhausen, Thüringen, D 484 Nordrup b. Ringsted, Vestsj»Hands amt, DK 484 Narre Snede, Vrads h., Vejle amt, DK 474 f. Novgorod, obi. St. Petersburg, RUS 280, 281 Noviodunum 136 Novosëlki, obi. Smolensk, RUS 281 Novyj Bychov, obi. Mogilev (Mahilëv), BY 281 Nürnberg, Bayern, D 17, 43, 54 (Α.), 404 (Α.) Nydam b. Sottrup, Senderjyllands amt, DK 383, 385 Nymwegen s. Nijmegen Oldenburg, Kr. Ostholstein, Schleswig-Holstein, D 465, 479 Olympia, Elis, GR 19 (A.) Ostermoor b. Brunsbüttel, Kr. Dithmarschen, Schleswig-Holstein, D 463 Ostrovany, okr. Presov, SK 484 Osztrôpataka s. Ostrovany Oudenburg, prov. Westvlaanderen, Β 395 Ozingell, Kent, GB 286
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Paderborn, Nordrhein-Westfalen, D 371 Palmella, distr. Setúbal, Ρ 68 Paris, Île-de-France, F 21, 44, 54 (Α.), 79, 80 (Α.), 90, 138 (Α.), 312 Pavia, Lombardia, I 447 Pellingen, Kr. Trier-Saarburg, Rheinland-Pfalz, D 376 Peñarrubia, prov. Lugo, Galicia, E 302 Pen'kovka (Pen'kivka), obi. Cerkasy, UA 186, 226 Pergamon (Bergama), il Izmir, TR 19 (Α.) Petrovskoe, obi. Jaroslavl', RUS 281 Piazza Armerina, prov. Enna, Sicilia, I 399 (A.) Pietroasä, jud. Ploiejti (Prahova), RO 493 Piña de Esgueva, prov. Valladolid, Castilla y León, E 302 Pleidelsheim, Kr. Ludwigsburg, Baden-Württemberg, D 284 Plocnik b. Prokuplje, Serbien, YU 68 Podbolot'e, obi. Vladimir, RUS 281 Polock (Polack), obi. Vitebsk, BY 281 Pompeji, prov. Napoli, Campania, I 343 Porskzr b. Horsens, Vejle amt, DK 385 Posen s. Poznan Poznan, woj. Wielkopolska, PL 2 Prag s. Praha Praha, CZ 54 (Α.), 253 Prest'ovice, okr. Strakonice, kr. Jizni Cechy, CZ 234 Providence, New York, USA 414 Pskov, RUS 280,281 Pürgen, Kr. Landsberg/Lech, Bayern, D 377 Pyrênê 166, 243 (Α.) Raffelstetten, Gem. Asten, Bez. Linz-Land, Oberösterreich, A 457 Ralswiek, Kr. Rügen, Mecklenburg-Vorpommern, D 277 Ramersdorf b. München, Bayern, D 286 Ravenna, Emilia Romagna, I 255 Reinheim, Kr. St. Ingberth, Saarland, D 376, 416, 506 (A.) Remedello, prov. Brescia, Lombardia, I 68 Remmesweiler, Kr. St. Wendel, Saarland, D 376 Reutlingen, Baden-Württemberg, D 288 Rhenen, prov. Utrecht, NL 395 Rijckholt, prov. Limburg, NL 585 Rinaldone, prov. Viterbo, Lazio, I 68 Rjurikovo gorodisce b. Novgorod, obi. St. Petersburg, RUS 281 Rom s. Roma
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Roma, Lazio, I 11, 54 (Α.), 137, 149, 171, 241, 243, 374 (Α.), 400, 415 Römerhügel s. Ludwigsburg Rositz, Kr. Altenburg, Thüringen, D 285 Rostock, Mecklenburg-Vorpommern, D 11, 13, 17 (A.) Rostov-na-Donu, RUS 281 Rudka, pow. Dubno, woj. Wolyn, PL 562 (A.) Runder Berg b. Bad Urach, Baden-Württemberg, D 478 Rüssen, Kr. Leipziger Land, Sachsen, D 253 Sackrau s. Zakrzów Saffig, Kr. Mayen-Koblenz, Rheinland-Pfalz, D 447 Sahlenburg, Kr. Land Hadeln, Niedersachsen, D 395 Saint-Denis b. Paris, Île-de-France, F 344 (Α.), 374 Säleufa, jud. Dolj (Craiova), RO 68 Salzmünde, Saalkr., Sachsen-Anhalt, D 584 Sanderumgird, Fyn, DK 484 St. Emmeram (Regensburg), Bayern, D 144 St. Petersburg, RUS 279 Saqqära, Unterägypten, ET 19 (A.) Sarkel (Belaja Veza), obi. Rostov, RUS 281 Sarskoe gorodisce b. Rostov Velikij, obi. Jaroslavl', RUS 281 Schönfeld, Kr. Stendal, Sachsen-Anhalt, D 584f. Schretzheim, Kr. Dillingen, Baden-Württemberg, D 283, 394, 495, 497, 575 (A.) Schwarzenbach, Kr. Birkenfeld, RheinlandPfalz, D 376 Schwerin, Mecklenburg-Vorpommern, D 18 (Α.), 60 Segóbriga, prov. Cuenca, Castilla-La Mancha, E 302 Selzen, Kr. Mainz-Bingen, Rheinland-Pfalz, D 15 (Α.), 292 Sestovica, obi. Cernigov (Cernihiv), UA 281 Simris, Skàne, S 484 Siracusa, Sicilia, I 242 Skedemosse, Gärdslösa sn., Öland, S 385 Skovgárde, Arhus amt, DK 484 Slusegárd, Bornholm, DK 482 (A.) Soest, Nordrhein-Westfalen, D 585, 586 Somme-Bionne, dép. Marne, Champagne-Ardenne, F 376 Soné Muid, Bornholm, DK 479 Sparta, Lakonien, GR 344 Spong Hill, North Elmham, Norfolk, GB 272
Stanga, Gotland, S 509 Stara Shipia, pow. Kielce, woj. Góry Swiçtokrzyskie, PL 449 Staraja Ladoga, obi. St. Petersburg, RUS 280 Staré Mesto, okr. Uherské Hradistë, kr. Severni Morava, CZ 427 Starigard s. Oldenburg Stettin s. Szczecin Stevns, Storstroms amt, DK 479, 484 Stockholm, S 54 (A.) Strasbourg, dép. Bas-Rhin, Alsace, F 83 (A.) Straß b. Langenlois, Niederösterreich, A 285 Straßburg s. Strasbourg Stráze b. Piest'any, kr. Trnava, SK 484 Sukow, Kr. Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern, D 253 Sutton Hoo b. Woodbridge, Suffolk, GB 493 Suzdal', obi. Vladimir, RUS 280 Syrakus s. Siracusa Szczecin, woj. Pomorze Zachodnie, PL 18 (A.) Szeligi, pow. Plock, woj. Mazowsze, PL 253 Szwajcaria, pow. Suwaiki, woj. Podlasy, PL 484 Taranto, Puglia, I 415 Tarent s. Taranto Telamón, prov. Grosseto, Toscana, I 312 Tello (Lagas), IRQ 19 (A.) Tertry b. St. Quentin, dép. Somme, Picardie, F 144,192 Theben, Oberägypten, ET 19 (Α.) Thionville, dép. Moselle, Lorraine, F 457 Thorsberg b. Süderbrarup, Kr. FlensburgSchleswig, Schleswig-Holstein, D 383, 385 Tilleda, Kr. Sangerhausen, Sachsen-Anhalt, D 480 Tiryns, Argolis, GR 19 Tornow, Kr. Oberspreewald-Lausitz, Brandenburg, D 205, 253, 450 (A.) Toropec, obi. Pskov, RUS 281 Toulouse, dép. Haute-Garonne, Midi-Pyrénées, F 256, 259 Tournai, prov. Hainault, B 151, 344 (Α.), 493 Trier, Rheinland-Pfalz, D 197, 533 Tripol'e (Trypil'e) b. Kiev (Kyïv), UA 68 Troja, il Çannakale, TR 19 Tuna in Badelunda, Västermanland, S 507 Tunis, TU 171 Tusemlja, obi. Smolensk, RUS 187 Unëtice b. Roztoky, okr. Praha-západ, kr. Strední Cechy CZ 584
Ortsregister Uppsala, Uppland, S 388 Urach, Kr. Reutlingen, Baden-Württemberg, D 478 (A.) Vace, Bez. Ljubljana, SLO 414, 430 (A.) Vallerbzk, Viborg amt, DK 385 ValLaby, Storstrams amt, DK 484 Varpelev, Storstrams amt, DK 484 Vega del Mar, prov. Málaga, Andalucía, E 302 Ventosilla y Tejadilla, prov. Segovia, Castilla y León, E 302 Vermand, dép. Aisne, Picardie, F 395 Versailles, dép. Yvelines, Île-de-France, F 46 Vert-la-Gravelle, dép. Marne, Champagne-Ardenne, F 395 Vienne, dép. Isère, Rhône-Alpes, F 144 Vilsingen, Kr. Sigmaringen, Baden-Württemberg, D 377 Vimose b. Odense, Fyn, DK 385 Vinca b. Belgrad, Serbien, YU 68 Vistalegre, prov. Alicante, Comunidad Valenciana, E 302 Vix, dép. Côte-d'Or, Bourgogne, F 506 Vladimir, RUS 280 Vladimirskie kurgany, RUS 281 Voigtstedt, Kyffhäuserkr., Thüringen, D 484 Vorbasse, Ribe amt, DK 468 (Α.), 469, 474 f . Vucedol b. Vukovar, CRO 68 Walgalgesheim, Kr. Bad Kreuznach, Rheinland-Pfalz, D 506 (Α.) Walternienburg, Kr. Zerbst, Sachsen-Anhalt, D 584 Warschau s. Warszawa
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Warszawa, PL 54 (A.) Washington DC, USA 54 (Α.), 80 (Α.) Weimar, Thüringen, D 285 Weingarten, Kr. Ravensburg, Baden-Württemberg, D 519 (Α.), 608 (Α.) Weiskirchen, Kr. Merzig-Wadern, Saarland, D 376 Wenigumstadt, Kr. Aschaffenburg, Bayern, D 314 (Α.), 378 Werl, Kr. Soest, Nordrhein-Westfalen, D 585 Wetschen, Kr. Diepholz, Niedersachsen, D 447 Wien, A 80 (Α.), 365, 404 (Α.) Wiesloch, Kr. Rhein-Neckar-Kr., Baden-Württemberg, D 315 Wijster, prov. Drenthe, N L 463 Wingles, dép. Pas-de-Calais, Nord-Pas-de-Calais, F 447 Woldegk, Kr. Mecklenburg-Strelitz, Mecklenburg-Vorpommern, D 484 Wolin, pow. Kamien Pomorski, woj. Pomorze Zachodnie, PL 480 (A.) Wroclaw, woj. Dolny ál^sk, PL 16 Zähringer Burgberg b. Freiburg i. Br., BadenWürttemberg, D 478 Zakrzów b. Wroclaw, woj. Dolny &%sk, PL 484, 506 Zalachtov'e, obi. Pskov, RUS 281 Zaozere, obi. St. Petersburg, RUS 280 Zeuzleben b. Werneck, Kr. Schweinfurt, Bayem, D 378 Zók, kom. Baranya, H 68 Zülpich, Kr. Euskirchen, Nordrhein-Westfalen, D 233
792
Register
3. Sachregister Aufgenommen sind neben sachlichen Bezeichnungen, wissenschaftlichen Klassifikationen und Quellenbegriffen auch geographische Namen und diejenigen antiker und frühmittelalterlicher gentes. Ständig verwendete Begriffe wie Ethnos, Ethnizität und Identität, Antike und Mittelalter, Gruppe und Grenze sind nicht berücksichtigt. Kursive Seitenzahlen verweisen auf Abbildungen. Die Bemerkung „(A.)" bezeichnet die Nennung in einer Anmerkung. Abodriten 12, 13, 202, 203, 207, 236-238, 252, 253, 255, 305, 549 f. Abstammung, -sgemeinschaft 6, 36 f., 51, 77, 127, 128 (Α.), 313, 319-321, 604 f., 619 Achaier 118 (A.) Ackerbau 433, 435-437,439,465,467,469, 471, 515, 529, 551 Adel 91, 117 (Α.), 144, 286 f., 296, 300, 403, 456, 491 f., 514, 566, 571, 626 Adler 365 f., 570
aediftcium 464 Aestii 201, 260
Ägypten, Ägypter 123, 131 Aisne-Marne-Kultur 529 Akkulturation 161 (Α.), 185,218,239-243,247, 249, 279, 282, 287, 290, 295 f., 305, 327, 412-428, 515, 527, 530, 536, 557, 560, 562, 564, 583, 626 Alanen 143, 184, 213, 227, 256 f., 532 Alemannen 15, 142, 148 f., 156 f., 192-197, 207, 231-236, 240, 283, 285, 287-290, 294 (Α.), 305-307,31!, 316, 319 f., 322 (Α.), 445, 447, 521, 545, 549 f., 555 (Α.), 560, 562 Alemannia 142, 150 f., 157, 197,232 f., 235,290 (Α.), 561 Alltag 8, 56, 113, 115, 120, 156, 236, 313, 333, 337 f., 340, 346, 347, 353, 363, 373, 379 f., 387, 389, 411 f., 417, 432, 439, 456, 471 f., 480, 488, 494, 513, 516, 524, 550, 558, 562, 579, 618, 621, 626 f. Alter s. Generationen Altheimer Kultur 72 Altsachsen 269 Altsteinzeit s. Paläolithikum Amaler 229 Amazonen 122, 137, 140 (A.) Amulett 382, 387 Äneolithikum s. Chalkolithikum
Angeln 239, 268-276 Angelsachsen 268 (Α.), 269, 275, 447 Anten 135, 136, 184 f., 216 f. antike Ethnographie 117-140, 154, 165, 167, 174 f., 199, 201, 208, 218, 222, 241, 244 f., 257, 260, 306, 308, 312, 322, 516, 520, 528, 530, 541, 547, 551, 558, 569, 593, 601, 617 antike Geographie 132, 175, 229, 569, 617 Aquitanien, Aquitanier 130 f., 144, 167 (Α.), 174 archäologische Kultur 3 f., 9 (Α.), 31 f., 59, 65, 70-76,161-163,171,178,180,182,197,199, 201, 205, 209 f., 214, 215, 217 f., 220, 231, 247, 265, 304, 306, 308 f., 319, 326, 332, 338, 349, 354, 517 f., 523, 526-529, 531-533, 536 f., 540, 543, 546 f., 567, 579-594, 597599, 602, 615, 617, 619 f., 623 f., 629 Argiver 118 (A.) Arier 81 Armring 246, 390, 393, 410, 443, 573, 575 f., 588 Arras-Kultur 529 Äthiopien, Äthiopier 123, 131 Austausch 161 (Α.), 234, 243, 247, 282, 330, 337 f., 413 f., 416, 427, 432, 434, 440, 447, 450-462, 479 f., 510, 514 f., 527, 530, 532 f., 539, 551-560, 564 f., 567, 585, 591, 605, 612, 615, 626 f. Austrasien, Austrasier 144, 193 Awaren 108, 135, 143 f., 155, 318, 339 (Α.), 363 f., 365, 398,426,441, 443,459, 485, 528, 552, 570 Axt 194, 195, 196, 295, 315 f., 317, 360, 361, 362, 573 - s. a. Waffen Aylesford-Kultur 529
Bagoaria 150
Bajuwaren s. Bayern
Sachregister Balten 187, 214 f., 256, 281, 529 f. Bancerovscina-Kultur 187 Bandkeramik 551, 583, 585 (Α.), 586, 599, 609 (Α.) Barbaren, Barbaricum 35, 53 f., 105, 117-138, 140 f., 147, 154, 158, 161 (Α.), 163, 165 f., 168 f., 172, 176 (Α.), 192, 199, 208, 217 f., 220,225,228, 231 f., 241,245,257, 266, 286, 296, 298, 300, 307 f., 310 (Α.), 311 f., 314, 321, 366, 380, 388 (Α.), 391, 398,400,412 f., 415, 418, 422, 424, 427 f., 452, 458 f., 470, 477 f., 483, 489 (Α.), 521, 528, 530, 531, 535, 543, 547, 558, 570, 575 f., 579, 582, 601, 603, 616 f., 621 f. Bart 138, 311, 390, 399 f. Basken 189-192 Bastarnen 138, 261 (A.) Bataver 312, 422 (A.) Bayern 193, 36, 284, 491, 549 f. Becherkulturen 68, 72 Befestigung s. Burgwall Beigaben s. Grabbeigaben Beinring 390, 588 Belger 130 f., 167 f., 174, 181 Belgica 1295 Belgica II 295 Beneventanen 149 Beruf s. Profession Bestattung s. Grab Beute s. Plünderung Bevölkerung 31, 40, 80, 86 f., 95, 141, 156, 165, 177,180 f., 185, 188, 190,210, 219,238, 249, 258, 265, 269-272, 282, 290, 293-295, 301, 303, 319 f., 336, 341, 381, 418, 466, 471 f., 476 f., 479, 510-513, 515, 528 f., 541, 545, 548, 552, 555, 557, 563, 604, 606, 608-613, 619 f., 627, 630 Bewaffnung s. Waffen Bildung, -sstil, -sstrategie 52 f., 99, 108, 569, 621 Billendorfer Gruppe 179, 181 Blemmyer 122 Blutgruppen 190 f., 611-613 Bogaczewo-Kultur 201 Böhmen 207 Boier, Boti 183 (Α.), 312 Boot 380,382, 383, 446, 461 Boructuarii 269 Brisigavi 232 Briten 270 f. Brizanen 202 Brokat 391
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Bronzegefäß 172, 416, 421, 429, 451, 453, 456, 479, 506, 559, 565, 573, 574 Bronzezeit 12, 13, 18, 27, 66, 178, 206, 207, 208, 210 f., 215 f., 218 f., 239, 381, 383 (Α.), 388 (Α.), 413, 436, 443 (Α.), 462, 543, 547, 583, 584f., 588, 589, 590 f., 602 f. Bügelfibel 284, 288, 300, 313, 315, 393 f., 397, 445, 487, 535, 574 - s. a. Fibel Bulgaren 143, 155, 318, 532 Burg, -enbau s. Burgwall Burgunder 147, 149, 201, 532, 543 Burgwall 205, 210, 238, 251, 252, 253 f., 307, 323, 342, 384 (Α.), 446, 450, 478 f., 481, 519 (Α.), 533, 537, 542, 544 Busanen 203 Bylany-Kultur 249 (A.) Byzantiner, byzantinisches Reich 136,139, 141, 157, 185, 188, 216 f., 227-230, 235, 251, 280, 282, 311, 363, 365, 393 f., 398 f., 410, 424, 426 f., 443, 458 f., 530, 542, 560, 564, 570, 576 f. Caerost 182 Carnuten 134, 174 Castro-Kultur 529 Caturiges 242 Cenomani 242 Cernjachov-Kultur 186 f., 199 f., 213, 214, 215, 231, 259-261, 263, 264 f., 529, 532, 543, 556 Cernoles-Kultur 543 Chalkolithikum 416 (Α.), 598 f. Chamaven 183 Chatten 131, 312 Chazaren 143, 532 Cherusker 108 Christen 140 f., 203, 265, 268, 279, 367 f., 371373, 377, 379, 381, 386, 388, 426, 489 (Α.), 540 Chronologie s. Datierung unguium müitiae 235, 300, 393, 424 - s. a. Gürtel civitas 141, 420, 464 Clan 102, 104, 105, 401, 408, 495, 505 cognitive archaeology s. contextual archaeology Condrusi 182 contextual archaeology 51, 71, 318, 325, 327, 338, 353, 362, 387, 389, 524, 569, 615 Dadosanen 203 Daker 25, 138, 171, 200, 532, 543 Daleminzer 203 Danaer 118 (A.)
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Register
Dänen 202, 203, 269, 277 f. Darzau-Stufe 211 Datierung 40, 74, 205, 208, 259, 262, 284, 330, 333, 349-351, 354 f., 358 f., 385, 499, 512, 521, 523, 533, 545, 547, 555, 583, 584f., 592, 594, 598 f., 602, 617, 629 Demographie s. Bevölkerung Deponierung, Depot 3, 8, 75, 323, 328, 329, 330, 332, 341, 367, 369, 378, 382, 383, 384, 385-387, 389, 427,458, 472, 479, 483, 493 f., 507, 508, 514, 520, 565, 580, 591 Deutsche 276, 301-304, 320, 564 Dithmarscher 203 DNA-Analyse 499, 563, 604, 606-608, 611 (Α.), 630 Dolch 360, 407 (Α.), 587 - s. a. Waffen Dollkeim-Kultur s. Kovrovo-Kultur Dorf 105, 303, 333, 344, 467, 471, 473, 475, 476 f., 509, 513, 516, 536, 562, 627 Doudleben 203 Doxane 203 Drei-Perioden-System 18, 19 (Α.), 617
Ebenen der Interpretation 159, 176, 185, 201, 204, 219 f., 232, 242, 306, 313, 320, 344,348, 350, 356, 514, 520 f., 522, 528, 531, 566, 581, 588, 625, 631 Eburones 182 Einwanderung s. Wanderung Einzelgrab-Kultur 211, 546 (A.) Eisenzeit s. vorrömische Eisenzeit Elbgermanen 177, 234, 529, 543 Elite 53, 102, 105, 112 f., 134, 139, 156-158, 170, 176, 193, 209 f., 221, 240,258, 266, 277, 286, 288, 289 f., 298, 338, 364, 371 f., 375, 398, 401, 410, 413-416, 417, 420-422, 424, 425,427, 429, 431, 452, 453, 457, 461, 476 f., 479 f., 484-487,488, 489, 490, 492, 505, 511, 519, 531, 541, 558 f., 561, 572, 575 f., 590 f. emporium s. Seehandelsplatz Epitaph 374 Ereignis, -geschichte 40, 99, 339, 344, 347-350, 352, 354, 513, 522, 588, 592, 625, 630 Ernährung 324, 330, 338, 351, 358, 428, 472, 513, 604 Essen 428-431, 515, 569, 626 estnische Gruppe 182 Ethnogenese 50 (Α.), 153, 156, 160, 161, 207, 209, 218-239, 279, 284, 526, 544-551, 564, 567, 615, 623 f., 627 Ethnographie s. antike Ethnographie
Etrurien, Etrusker 123, 171, 172, 242 f., 376, 414, 416, 418, 430, 565 exercitus s. Heer Exogamie 286, 551, 557 (Α.), 560-562, 588, 589, 590, 604 f., 609 f., 612 Familie 98, 100, 102, 103 f., 105, 116, 270, 272, 329, 336, 337, 374, 381, 401 f., 407-409, 411 f., 430, 454, 466, 470, 472 f., 476, 480, 482, 486, 488, 491-495, 497f., 499, 501 f., 505, 507-509, 511, 515 f., 562 f., 575, 604, 607, 621, 627 Fauna 432 f., 435, 596 Feldberg-Golañcz-Gruppe 252, 253, 529, 543 Fibel 5 (Α.), 162, 170 f., 181, 234, 236 (Α.), 244 (Α.), 246, 263 (Α.), 264 f., 266f.,
268, 272,
273, 280, 282 (Α.), 283 f., 286 f., 289, 292, 295 f., 298 f., 307, 313 f., 322, 333, 356, 360, 363, 390-394, 397-399, 410, 412, 422-424, 443, 445, 447, 454 (Α.), 456, 487, 499, 500, 507, 517, 534, 536 f., 553, 556, 561 f., 564, 574, 576 f., 624 Figur s. Stele Fingerring 393, 574, 575 Finnen 281, 282 Flamen 301 Flora s. Vegetation Foederaten, foedus 124, 256 f., 269 Folienkreuz s. Goldblattkreuz Franchonolant 144 Francia 144, 149, 235 francus 134, 144, 146 f., 294 f. Franken 108, 139-146, 148 f., 152-154, 156, 192-197, 202, 207, 232 f., 252, 254, 283 f., 286 f., 289-291, 295 f., 300, 305-307, 312 f., 315 f., 317, 319 f., 422 (Α.), 445, 459, 485, 505, 517, 521, 535, 561 Franziska 195 (Α.), 315 f., 317, 622 Fremde 84, 112, 117 (Α.), 160, 161, 276-304, 403, 510, 559-565, 567, 569, 610 f., 623 f., 627 f. Friesen 269 Frisur s. Haar „Fürstengrab" s. Prunkgrab „Fürstensitz" 170, 451, 476, 478, 481 Fußschattner s. Skiapoden Gabentausch 286, 398 f., 416, 443, 451, 453 f., 457, 459, 485, 515, 530, 558 f., 561 f., 566, 576 Gaesaten 167 Galater 131, 137, 143, 167, 170, 246
Sachregister Gallia, Gallien 125, 128 (Α.), 132, 134, 149, 154, 157, 168, 171, 174 f., 180, 197, 221 f., 240-242, 244 f., 249, 256, 262, 266-268, 290 f., 292 (Α.), 294, 296, 300 f., 362, 378, 386, 391, 413, 418, 422 (Α.), 423, 426, 437, 465, 490, 508, 533, 547 Gallia cisalpina 242 Gallia Narbonensis 132, 167 Gallia transalpina 242 Gallier 130, 137, 149, 167, 171, 207, 246, 290, 300, 418, 530, 619 Gallograeá 132 Gallorömer 1, 293, 420 Gefäß s. Keramik Gefolgschaft 240, 255-276, 280, 283, 286, 308, 310 (Α.), 378, 403, 414, 421, 485, 488, 529, 560 Gehöft s. Hof Gender 7, 99, 100, 103, 337, 373, 401 f., 407, 482, 494 f., 499, 501 f., 503, 504-510, 513, 515 f., 568, 604, 606, 621, 627 Generationen 7, 48, 77, 98, 99, 100, 103, 115, 204, 283, 337, 343, 345, 349, 373, 401 f., 403, 406-408, 411 f., 472, 482, 494 f., 499, 501 f., 504 f., 513, 515 f., 563, 568, 604, 606-608, 621, 627 gens 33, 104, 128, 130, 140 f., 150, 159, 162, 164, 183, 194, 206, 233,238,250 f., 254, 264, 310, 524, 531, 538, 541, 550 Gepiden 199, 213, 215, 227, 260, 532, 543, 562 Gerät s. Werkzeug Germanen 1, 11, 15 f., 18, 22, 26 f., 66, 72, 79, 90, 117, 121, 128-134, 136-139, 142 f., 147, 152, 155, 161 (Α.), 163, 165, 168, 171, 174184, 188, 197, 199, 201, 204, 206, 207, 210213, 215, 217-221, 223-226, 228, 232, 234, 241, 247, 250, 257, 263, 269, 271, 274, 276, 290-301, 304 f., 307, 310, 312 f., 319 f., 368, 378, 400, 403, 412, 420-423, 426 f., 445, 453 f., 468, 470, 478, 485 f., 509, 521, 528531, 537, 543, 545, 547 f., 558, 564, 593, 597, 601-603, 617, 619, 623, 629 Germani àsrhenani 174, 178, 182 Germania, Germanien 125, 128 (Α.), 132, 142, 144, 154, 157, 175, 180, 182,221, 225 f., 256, 269, 421, 424, 437, 440, 448, 453-455, 533, 543, 559 Germania inferior 133, 192 Germania superior 133, 192 Germania 1 133, 234 Germania II 133, 295 Geschlecht s. Gender
795
Gesellschaft 49, 51, 57, 58, 61, 771., 98 f., 101, 103 f., 106 f., 109-111, 113, 114, 115-117, 119, 122, 124, 148, 173, 196, 272, 286, 294, 298 f., 301, 318, 325, 327-330, 331, 332 f., 335-340, 345 f., 350, 352-355, 357, 359, 369-373, 375, 378, 380, 383, 389, 401 f., 404, 406, 412 f., 422,427, 430-434, 439,451,454, 462, 471 f., 477, 481-486, 488, 493-495, 496, 504, 506 f., 509 f., 516, 518 f., 522, 523-526, 529, 531, 534 f., 543, 548 f., 557 f., 564, 566, 568-570, 572, 574, 579-592, 594, 596, 600, 605, 618 f., 621, 624, 626 Geten 138 Geto-Daker 187, 199, 214 Gewässerfunde 384 Gewässernamen 168, 177, 184, 221 f., 227, 597 Glas(gefäß) 196, 296, 307, 451, 453, 454 (Α.), 479, 533, 573, 574 Glockenbecher-Kultur, -Phänomen 71, 209, 584f., 587 f., 609 Glockengräber-Kultur 543 Goldblattkreuz 235 f., 367, 382, 424, 425, 426, 491 Goldbrakteat 366 f., 382, 559 Goldgriffspatha 196, 235, 361, 486, 576 - s. a. Waffen Goplanen 203 Göritzer Gruppe 179, 181 Goten 3, 108, 135, 139, 140 (Α.), 141, 143, 145, 148 f., 155-157, 183, 187, 197-201, 213, 215, 227-231, 240, 250, 255-268, 286, 296, 322 (Α.), 356, 542, 543, 545, 552, 557, 601, 624 Gotones 229 Goútones 229 Grab, -beigabe, -fund 8, 11 (Α.), 12, 15 f., 17 f. (Α.), 40, 75, 98, 162, 181,182, 186-189, 194, 197, 203, 205, 210,234 f., 239, 243, 250, 252, 253, 258 f., 262 (Α.), 264, 266, 268 f., 272, 275, 277-280, 282-284, 287, 289, 292 f., 295, 298-301, 302, 307, 313, 318, 323, 328, 329, 330, 333, 337 f., 341, 343, 350, 354, 358, 360 f., 363, 367, 369 f., 373-379, 381, 382, 383, 384, 385, 387-390, 393 f., 395, 406, 408 f., 411, 416, 417, 420, 423 f., 427, 430, 452, 454, 456 f., 465 (Α.), 468 f., 472 f., 476 f., 479-508, 510-512, 514, 519 f., 533 f., 536 f., 539, 542, 544, 550, 554 (Α.), 558-561, 563, 565, 572 f., 574, 575, 580, 583, 587, 591, 604-611, 621, 627, 630 Gräberfeld s. Grab Grabhügel 250, 261, 278, 280, 371 f., 374, 388, 477, 483, 488, 489, 494 f., 496
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Register
Grabraub 381 Greutungen 256 Griechen, Griechenland 11, 12 (Α.), 22, 117— 122, 127, 130, 133 f., 141, 161 (Α.), 166, 171 f., 217, 221, 225, 243 f., 311 f., 375 f., 379, 400 f., 414, 415, 418, 452, 458 f., 479, 528, 530, 622 Grundherrschaft 381, 448, 456, 470, 490, 492 guldgubber 366, 382 Gürtel, -schnalle und -beschlag 235 f., 263 (Α.), 265, 297, 298 f., 307, 314, 318, 333, 363, 364f., 390-394,396, 398-400, 409-412, 414, 418, 424, 426, 443, 444, 456, 499, 500, 508, 536, 559, 562, 564, 573, 576 - s. a. dngulum militine Gürtelgehänge 390, 394, 400 Gußform s. Model Giithones 229 Guiones 229, 231, 256, 258
Haar, -knoten 137 f., 310-312, 390, 399-401, 411 f., 459, 622 Habitus 55, 109, 125, 130, 188, 197, 210, 218, 243, 261, 275, 279, 289, 298, 314, 329, 346 (Α.), 353, 380, 401, 414 f., 421 f., 423 (Α.), 424, 428, 430 (Α.), 515, 538, 557, 561, 563, 569, 580, 621 Hagenauer Gruppe 587 Hallstatt-Kultur 166, 169, 171, 206-210, 221, 244, 304, 430, 528 (Α.), 540 Hallstatt-Zeit 207, 209, 242, 249 (Α.), 360, 361, 371,375, 377,381 f., 392, 407 (Α.), 414, 416, 417, 451, 476—478, 483, 496, 506, 544, 547, 572 f. Halskette 393 f., 398, 410, 441, 456, 508, 573, 574 Halsring 390, 410, 506 f., 573, 576 Hammer 362 - s. a. Werkzeug Handel 129, 141, 277, 282, 287, 330, 398, 421, 451-455, 457-461, 479, 509 f., 512, 514 f., 551, 554, 557-560, 566 Handeln, Handlung 8, 56, 98, 108 f., 146, 149, 154, 157,232, 313 (Α.), 326,329, 330, 339 f., 343, 345,346, 347, 352 f., 359, 374, 432,483, 505, 513, 520, 545, 548, 568, 626 Handwerk 276, 282, 330, 403, 409, 432, 434, 439-451, 447, 450 f., 479 f., 488, 515, 534, 554, 559, 571, 626 Harpstedt-Nienburger Gruppe 179,182, 529 Häuptling 129, 381, 392, 477 f., 486, 530, 590, 594
Haus, -bau 186-188, 238, 250 f., 252, 253, 307, 323, 333, 338, 342, 420, 431-433, 435-437, 438, 446, 462, 463, 464 f., 468, 470-473, 474, 476, 479 f., 511, 529, 533, 536 f., 539, 542 f., 559, 580 Heer 33, 144-148, 152, 230 f., 240, 255-276, 286, 289 f., 294-296, 298, 362, 378, 383-385, 417, 552, 553 - s. a. Krieger, Militär Heeresausrüstungsopfer 379, 382, 383, 384, 385, 479, 486 (A.) Heiden 35, 140, 368, 374, 377, 403, 489 Heiligtum 272, 333, 384, 386 Heirat 48, 190, 276, 285 f., 295, 337, 407-409, 411, 451, 485, 499, 502, 507, 509, 515, 551, 554, 560, 562, 564 Hellenen 134, 140 Helm 137 f., 391,411, 417, 574, 576 - s. a. Waffen Helvetier 128, 181, 183 (Α.), 224, 464 (Α.) Herkunft 112 f., 128 (Α.), 233, 285, 287, 294, 303,316, 351, 403, 440, 538, 545, 554 f., 557, 559, 561 f., 564, 604, 610 Herrschaft 113, 116, 118, 139, 148, 152, 161 (Α.), 187, 194, 265, 280, 282, 292, 303 f., 335 (Α.), 336, 338, 345, 378, 446, 451, 456, 461, 471, 479 f., 486, 490, 505, 514, 534, 549 f., 561, 566 f., 572, 577, 590 Heruler 13 Hessen 150 Heveller 202, 203, 236 f., 253, 305 Hippopoden 122 histoire totale 336, 340, 583 „Hochkultur" 69, 113, 120, 127, 412, 483, 486, 530, 535, 558 Hof 283, 323, 338, 386, 432, 446, 453, 456, 463, 465-467, 471 f., 474f., 476-478, 480, 491, 495, 511 f., 536 Höhensiedlung 170, 451, 477 f. Hortfund s. Depot Hosen 137 f., 314, 391, 398-400, 412, 428 Hunnen 135, 143 f., 149, 187, 200, 213, 227, 230, 256 f., 269, 311, 314, 459, 552 Hunsrück-Eifel-Kultur 170, 529 Hydronymie s. Gewässernamen Hyperboräer 123 Iberer 123, 166,171, 243-245 Illyrer 25, 66, 169 (Α.), 171, 543, 602 „Import" 210, 286, 303, 322, 337, 420 f., 428, 430,440,451, 453 f., 455, 456,460, 476,479, 482, 485 f., 501, 554, 558-565, 567, 573 Inder 120 (Α.), 123, 131
Sachregister Indoeuropäer, Indogermanen 79, 81, 90, 94, 178, 189, 219 f., 593-601, 611, 629 indoskythia 132 ingenuas 144, 294 interpretative archaeology s. contextual archaeology Iraner 543 Italiker 243, 414, 543 Jagd 298, 399, 428, 435, 437, 465 (Α.), 485, 515 Jastorf-Kultur 172, 178, 179, 180 f., 182, 183 f., 206, 210-213, 214, 217, 223 f., 247 f., 304, 529, ¡43, 544, 547, 623 Juchnov-Kultur 214 Juden 86, 402, 409 Jungsteinzeit s. Neolithikum Jüten 239, 268-276 Juthungen 142 Kaiserzeit s. römische Kaiserzeit Kamm 234, 400, 446, 458 Kamm- und Grübchen-Keramik 68 Kannibalen 12 Karer 11 Karolinger, -reich 146, 151 f., 233, 235, 255, 314, 316, 457, 535 f. Karolingerzeit 144,151,193, 290,373,427,445, 448, 457, 464, 470, 479, 483, 542, 577 karpatische Kurgane 214 Karpodaker 25 Karthager 242 Kelten 1, 15 f., 66, 117, 128 (Α.), 123, 130-133, 136 f., 143, 161 (Α.), 163, 165-175, 180, 182-184, 188, 206-211, 214, 217-222, 225 f., 228, 239-249, 304 f., 312, 319 f., 371, 391, 403, 410, 412, 452, 486, 517, 521, 528-530, 538, S43, 545-548, 593, 601-603, 617, 622 f., 629 Keltiberer 132, 166, 170,171, 222, 244 Keltikë (gê) s. Gallia Keltoskythen 132, 166, 174 Keramik 5 (Α.), 17, 74, 172, 182, 186 f., 204 f., 234,238, 243, 246,251, 252,253 f., 259, 272, 276, 295, 302 f., 307, 310, 322, 333, 338, 362 f., 382, 416, 420, 429,439,441, 445, 448, 449, 450 f., 452, 453, 454 (Α.), 455-458,476, 505, 524, 533, 536 f., 539, 542, 544, 550 f., 553, 555, 565, 581, 583, 584f., 591, 625 Kerbschnitt 363, 393, 426, 442, 530 Kessiner 203 Kiever Kultur 187, 213, 214, 215 Kiever Rus' 279-283
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Kimbern 12, 174, 178, 180, 241 Kimmerier 552 Kirchen 374, 388, 425, 479, 487, 490, 492 f., 509, 511 f. Klassifikation 331-333, 477 f., 517, 521, 522, 523, 526, 532, 536 f., 540, 549, 566 f., 572, 580, 583, 584f., 587, 592, 602, 617, 619, 622-625, 631 Kleidung, -sbestandteil 34 f., 43, 75, 108, 122, 137, 141,147,194, 264 f., 276 (Α.), 284-287, 289, 295, 299-301, 307, 313 f., 333, 358-360, 362, 369 f., 374 f., 387, 390-412, 421, 424, 454,485 (Α.), 499-501, 506 f., 510, 515, 534, 536 f., 551, 553, 557, 559-563, 571 f., 577, 588-591, 626 Kleinfibel 284, 299, 393, 397, 487 - s. a. Fibel Kleriker 409 Klientelwesen 486 Klima 124 f., 130, 140, 180, 188, 191, 251, 312, 351, 433, 435 f., 537, 543 f., 558, 613, 622 Kolo£in-Kultur 187, 214, 529 Kolonisation 184 Kommunikation 8, 108,114, 116, 164,194,235, 261, 306, 321, 359, 434, 460 f., 519 f., 532, 537, 548, 550, 552, 553, 554, 557 f., 565-567, 580, 585, 586, 587, 590 f., 596, 615, 626 kommunikatives Gedächtnis 114, 115 f. Konjunktur 347, 348, 625 Kontinuität 31, 157, 159, 161, 162, 184, 187, 189, 191,205-219,224,226 f., 230,258, 260, 270, 289 f., 327, 517, 528, 537-547, 550, 554 (Α.), 564, 567, 602 f., 621 f., 624, 627 Kovrovo-Kultur 201 Kreisgraben 278, 488 (Α.), 489 Kreuz(anhänger) 367, 570 Krieger 137 f., 142, 155, 180, 230, 233, 242 f., 246,270, 286, 311 f., 315, 360, 361 (Α.), 368, 378 f., 385, 403, 407, 409, 414, 418, 485 f., 503-505, 509, 512, 529, 551, 554, 599 - s. a. Heer, Militär Kriegsbeuteopfer s. Heeresausrüstungsopfer Kroaten 203, 238, 255 Kugelamphoren-Kultur 68, 584 f. Kultplatz 324, 329, 330, 338 Kultur 6, 29, 30, 31, 37, 40, 46, 49, 51-76, 86, 89, 96, 106 f., 109,112, 116, 124, 159 f., 161, 170, 191, 209, 305, 313, 316, 320, 322, 326, 328, 335,336, 340,341, 350, 353-355, 358 f., 406, 413 f., 420, 423, 439, 476, 513, 516, 519-521, 522, 523, 527, 531 f., 543, 548, 550, 557 f., 563 f., 566 f., 569, 577, 579, 596, 598, 600 f., 612, 615 f., 618-620, 622, 629
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Register
kulturelles Gedächtnis 56, 104-117, 139, 154, 228, 230, 346, 549, 621 Kulturgeschichte 338, 349, 351, 356-431, 521, 530, 626 Kulturkreis 59, 61, 63, 65, 67, 69, 82 Kumanen 143 Kutriguren 187 Kyneten 244 Landesausbau 276, 304, 467, 470, 550 f., 564 Landnahme 3, 234, 239, 241 f., 268-276, 291, 294 (Α.), 550-552 Landschaft 387 f., 389, 432 f., 566, 626 Landschaftsarchäologie 388 Landwirtschaft 324, 330, 388, 389, 432-439, 469, 480, 515, 539, 550, 626 Langobarden 3, 139, 148 f., 153, 233, 236, 240, 284, 286, 296, 298 f., 301 (Α.), 311-313, 314 (Α.), 424, 426, 552, 560 Langobardta 150 Lanze, -nspitze 162, 194, 195, 309, 360, 361, 368, 385, 424, 506, 574, 577 - s. a. Waffen Latène-Kultur, -Stil 3, 25, 166, 169 f., 171, 172, 181, 183, 206-211, 214, 217, 221-224, 243 f., 246-249, 304, 309, 415, 422, 517, 529 f., 540, 543, 623 Latène-Zeit 207, 362, 371, 375 f., 382, 392, 414, 416,451 f., 464,473, 478,483, 506, 508, 531, 544, 547 Lausitzer Kultur 25, 216, 543, 546, 602 f. Lebensstil, -Verhältnisse, -weise 55 f., 70, 114, 119, 130, 140, 153, 155, 163, 244, 293, 296, 300, 304, 309, 326 f., 330, 333 f., 338, 347, 350, 353, 357, 375, 380, 389, 413, 415, 421423, 432, 480, 485, 494, 499, 533, 564, 597, 600, 621, 626, 630 Leges barbarorum 151 Leipziger Gruppe 253 Lemuzi 203 Lendzianen 203 Lentienses 232 Lex Salica 145, 151, 407 Lex Ribvaria 145, 295, 407 Libyen, Libyer 123 Liby-Phoinikës 132 Ligurer 171 limes 180, 197, 211, 231, 233 f., 240, 311, 420 f., 535 Lineage 102-104, 105, 408, 495, 505, 627 Lingones 242 Linonen 203 Lipec-Kultur 214
Little-Woodbury-Kultur 529 longue durée 75, 347 f., 350, 625 Lucanen 203 Lugdunensis II 295 Lugier 200 f., 229, 260, 532 Luka-Rajkoveckaja-Kultur 529 Lüneburger Gruppe 587 Lusizi 203, 251, 252, 253 Lutizen 372, 386 Luxusgüter 172, 451, 461, 558 Lyder123 Mähren, Mährer 203, 238, 255 Main-Wenden 203 Mantel 295, 299, 391-394, 398 f., 411 f., 487, 577 Marcane 203 Markomannen 138 Marne-Kultur 170 Masowier 203 Massageten 143 Maxima Sequanorum 234 Meder, Medien 123, 312 Mediterrannée 120, 124, 130 f., 142, 166, 168, 172, 174, 187, 366, 375, 377, 391, 394, 398 f., 412-414, 415, 417 f., 419, 422, 426-428, 430 (Α.), 458, 470, 477-479, 483, 485, 530 f., 547 f., 558, 564, 579,622 Megalithgrab, -Kultur 15, 68, 178, 211, 218 f., 481, 546 (A.) Mehrfachbestattung 380 f., 499 memoria 56, 374, 424 Menkendorf-Szczecin-Gruppe 529 Merkmal von Gruppen s. Symbol Merowinger, -reich 146,151 f., 232 f., 235, 283287, 290 (Α.), 293, 296, 301, 306, 311, 313, 316, 400, 403, 427, 456, 465, 483, 487, 488, 534, 561, 564 Merowingerzeit 145, 192 f., 195, 235, 290, 300, 349, 360, 361, 365, 373-375, 377, 378, 379, 381, 393 f., 396, 397, 406, 410, 422 (Α.), 446-448, 456, 464, 473, 486 f., 489, 493, 497, 503, 509, 511 f., 533, 561, 572, 574, 576 Meseta-Kulturen 244 Mesolithikum 538, 598 f. Messer 360,361, 362, 400, 573, 574 Migration s. Wanderung Militär 119, 141, 158, 176, 225 f., 229, 241, 295 f., 298, 311 f., 378, 399, 420 f., 459, 576, 622 - s. a. Heer, Krieger Milogrady-Kultur 182, 214 Milzener 203, 251, 252, 253
Sachregister Minderheiten s. Fremde Mittelmeerwelt s. Mediterranée Möbel, Mobiliar 363, 426, 430 f., 485, 564 Mode 236 (Α.), 264 (Α.), 299, 363, 401 f., 535, 537, 551, 558, 560-562, 587, 589, 624 Model 444, 446 f., 450, 458 f., 534 Mongolen 143 Moorleiche 382, 386, 392, 401, 429 Moravanen s. Mährer Mühle 448, 450 Münze 129, 137, 280, 282, 311, 356, 367, 383, 418, 443, 451, 453 f., 456-458, 529 f., 559 Müntzer 202, 203 Myser 138, 143 Mythos 34, 48, 77, 114, 115 f., 118 (Α.), 154, 158,329, 515, 568
426, 591,
379, 461,
128,
Nadel 171, 181, 333, 393, 399, 443, 500, 536, 573, 574 Nahrung 343, 358, 375, 428-430, 433, 439, 515, 609 natio 104, 130, 141, 254 Nation (modern) 29, 33 f., 36 f., 40, 42, 45-47, 50, 54, 77, 82, 89, 91, 100, 105, 116 f., 163, 319, 326 f., 332, 339, 404 (Α.), 528, 546 (Α.), 566, 593 f., 602, 616-620, 627, 631 »Naturvolk" 55, 118 (Α.), 129 Nekropole s. Grab Neolithikum 12, 13, 25, 68, 72, 190, 206, 209, 211, 219, 413, 416, 432, 467, 470, 481, 538, 545 f , 551 f., 583, 584 f., 599, 613, 624 Neustrien, Neustrier 144, 192, 394, 505 New Archaeology 4, 51, 70, 325, 327, 338, 353 f., 358 (Α.), 524 Nordseegermanen 177 Nordwestslawen 201-205, 236-239, 305, 307, 533, 537, 542 Oberschicht s. Elite Obolus 284, 379 Ockergrab-Kultur 68 Ohrring 390, 398, 407 (Α.), 410, 427, 564, 573, 574 Oksywie-Kultur 529 Onomastik s. Ortsnamen Opolanen 203 Opfer s. Depot oppidum 172, 173, 453, 464, 478, 481, 529 f. Orient 127, 137, 280, 391, 410, 414, 456, 458, 552, 559
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origo 11, 22, 128, 140, 152, 154, 228, 260, 542, 549 Ornament, Ornamentik s. Stil Ortsnamen 168, 222, 224, 245, 274, 529 Osmanen 143 ostbaltische Wald-Kulturen 182 Ostgoten (Osthrogoti) 147, 199 f., 233, 256 f., 259, 262, 263, 284 f., 296, 301 (Α.), 313, 459, 532, 562 ostpommersche Gruppe 179 Ostsiedlung 303, 356, 467, 550 f. Paemani 182 Paläolithikum 26, 190, 216 Panuatier 122 Panzer 138, 391, 411, 417 f., 574, 576 - s. a. Waffen Pecenegen 143 Pelz 391, 400, 451, 459, 571 Pen'kovka-Kultur 187, 214, 529, 543 peplos 265, 295, 300, 314, 394 Pergamener 242, 246 Perlenkette s. Halskette Perser, Persien 118, 120 (Α.), 123, 131, 143, 311 f., 314 Pfeil und Bogen 360, 361, 385, 424, 503, 574, 587 - s. a. Waffen Pflug 362, 435, 551 Pfyn-Altheimer Gruppe 72 Pfyner Kultur 72 Phönizier 243, 290 (A.) Pikten 168, 245 Pioni 203 Plünderer, Plünderung 129, 137, 156, 161 (Α.), 175, 185, 192, 216, 218, 232 f., 240 f., 243, 247-249,256 f., 260, 286, 421,451, 459, 461, 486, 509 f., 514 f., 531, 551 f., 554, 558, 560 f. Podklesev-Kultur 214 Poienejti-Lukasevka-Kultur 214, 529, 557 Polaben 202, 203 Polanen 202, 203 Politik 40, 56, 57, 77, 111, 119, 124, 132, 141, 148,157,225,233,280, 282 f., 290, 326, 335, 336,339 f., 345, 355, 403, 418, 476-480, 486, 520, 522, 523, 549, 567, 569, 576 f., 579, 622, 624, 626, 628 Politikgeschichte 336, 349-351, 354, 533, 592 polythetisches Kulturmodell 332, 527, 536, 619 pommersche Kultur 182, 543 Pomoranen 203 Population s. Bevölkerung
800
Register
populas 33, 104, 128, 130, 140 f., 164, 254 port of trade s. Seehandelsplatz postprocessual archaeology s. contextual archaeology Prag-Korcak-Kultur 184, 186, 188, 213, 214, 217, 252, 253, 305, 529, 543, 623 Prestige 210, 276, 287, 310, 313, 370, 389, 391, 403, 408, 410, 417, 420, 443, 452, 454, 458, 470, 480,485, 515, 527, 533, 559, 561 f., 590, 621 - s. a. Rang, Status Preußen 203 processual archaeology s. New Archaeology Profession 7, 48, 98, 99, 100, 337, 401, 403, 408 f., 411 f., 482, 499, 515, 568, 621, 627 Prunkgrab 209, 218, 372, 375, 382, 42CM22, 430 f., 453, 472, 483, 506, 531 Przeworsk-Kultur 181, 200 f., 213, 214, 215, 260, 264 (Α.), 423 f., 529, 532, 543 Ptolemäer 242 Puchov-Kultur 529 Pygmäen 123 Pyrzyczanen 203 Quaden 138 Qualitätsgruppen 519, 572, 574 Raetia II 234 Ranen 203 Rang 336, 337, 374, 389, 424, 454, 472, 481 f., 487, 488, 493 f., 505, 515 f., 519 (Α.), 559, 568, 572, 575-577, 621, 627 - s. a. Prestige, Status Rasse 6, 29,30, 31 f., 40, 42, 44, 77-89, 96, 191, 320, 327, 341, 521, 563, 588 (Α.), 616, 618620 Raub s. Plünderung Recane 203 Recht 51, 106, 313, 335,336, 339,346, 370,403, 484, 488, 493, 499, 515, 520, 522, 523, 531 (Α.), 566 f., 569, 577, 626 Redarier 203 reges criniti 311, 400 Regnitz-Wenden 203 Reichtumszentrum 272, 453, 455, 479 Reihengräber 235, 284, 292 f., 295 f., 371, 378, 394, 422, 428, 473, 487, 490, 492, 495, 502, 509, 511 f., 543 Religion 7, 57, 76, 100, 128, 173, 247, 279, 307, 328, 335, 336, 338, 340, 346, 403, 479-482, 494, 499, 504 f., 520, 523, 565 f., 568 f., 591, 627 Religionsarchäologie 386
Rhein-Donau-Kreis 170 Rhein-Main-Gruppe 587 Rhein-Weser-Germanen 177, 529 Rhömaioi 134, 141, 157 Ribvarier 144 f. Riemenzunge s. Gürtel Ring(knauf)schwert 486, 576 - s. a. Waffen Ripdorf-Stufe 211 rites de passage 111, 380 Ritual, Ritus 278, 294, 330, 339, 343, 478 Rolle, -nverhalten 98, 101, 134, 149, 403, 407 f., 472, 499, 501 f., 503, 505, 507, 510 f., 515, 522, 570, 621, 627 Rom, Römer, römisches Reich 12, 15, 22, 117— 122, 124 f., 126, 128, 130, 133 f., 136, 139, 141, 144 f., 147 f., 157 f., 161 (Α.), 175 f., 183, 211, 217, 221-226, 228, 231 f., 234, 245 f., 256, 258 (Α.), 262, 264 f., 266, 270, 275 f., 286, 290 f., 294-296, 298-301, 307, 311 f., 362, 366 f., 371, 378, 386, 400 f., 402 (Α.), 403, 404 (Α.), 409, 415, 418, 420-423, 427, 437, 440, 448, 449,452, 454, 458 f., 464, 478, 486, 489 (Α.), 508, 519 (Α.), 528, 530, 533, 539, 543, 547, 559, 575 f., 605, 622 Romanen, romani 72, 79, 144, 147, 149, 152, 155, 262 f., 276, 283, 290-301, 307, 422 (Α.), 423, 564 römische Kaiserzeit 183, 200, 206, 207, 213, 215,230,260,361, 371 f., 378,382, 383,384, 392 f., 404 (Α.), 410, 420 f., 424, 430, 435, 440, 442, 446 f., 453, 454 (Α.), 462, 463, 464, 466, 468, 473, 479, 483, 484, 486, 499, 500, 501, 506, 508, 543, 546, 553, 558 f., 577 Romny-Borsevo-Kultur 529 Rugier, Rugini 149, 199, 269 Runen 387 Russen 143 Rüssener Gruppe 252 Sachsen 150, 198, 202, 239, 252, 268-278, 289, 312, 316, 372, 485, 489 (A.) Salier 145 Saltovo-Majaki-Kultur 188, 532 Sarmaten 143, 187, 199,214, 215, 227, 257, 312, 532 Sax 194, 195, 196, 316, 360, 574, 622 - s. a. Waffen Saxonia 150 Schädeldeformation 265 Schalenfibel 398, 458 - s. a. Fibel Schatzfund s. Depot Scheibenfibel 236 (Α.), 393, 397 f. - s. a. Fibel
Sachregister Schild 137 f., 368, 385,418,424, 506, 574, 577 s. a. Waffen Schläfenring 280, 318 (Α.), 390, 398, 427, 564 Schmied 409, 446, 480, 591 Schmuck 74, 182, 243, 285, 287, 362 f., 369, 387, 390, 395, 410, 412, 421, 427, 440, 447, 454, 456, 458, 485, 501, 505, 507 f., 510, 533 f., 536, 539, 550 f., 559, 588, 589, 590 f. Schnalle s. Gürtel Schnurkeramik 207, 218, 584 f., 599 Schuhe 391, 400 Schwert 137 f., 170, 195 (Α.), 244, 280, 295, 316, 360, 361, 385, 414, 424, 453, 506, 577 s. a. Waffen Sclaveni s. Sklaveni Scot(t)i 168, 245 Seedorf-Stufe 211 Seehandelsplatz 277-279, 282, 445, 457 f., 479481, 564 Segetier 138 Seide 391, 411 Selguquen 143, 157 Semiten 81 Semnonen 134 Senones 242 Sense 465 Serben 238 Sichel 435, 465 Siedlung 40, 76, 87, 162, 172, 204, 324, 329, 330,336, 337 f., 342, 354,389, 432-434,438, 451, 462-481, 483, 492, 494, 510, 512, 515, 526, 529-531, 536, 545, 547, 550, 554 (Α.), 562, 565, 587, 611, 621, 626 f., 630 Siedlungsarchäologie 65, 462 Siedlungsgebiet, -gefilde, -kammer, -struktur 160, 162-205, 217, 234, 236 f., 245, 254 f., 265, 272, 308, 316, 333, 434, 460, 467, 472, 476, 478, 512 f., 518, 532 f., 536, 555, 580, 611 Silingen 201, 532 Sîntana-de-Mureç-Kultur 200, 213, 231, 259261, 263, 264 f., 529, 532, 556 Sinti und Roma 86 Skiapoden 122,123 Skiren 149 Sklaveni, Sklavinen 135,136, 184 f., 216 f. Sklavinia 150 Skordisker 246 Skritobinen 140 (A.) Skythen 123, 130 f., 135, 137, 142 f., 166, 171, 183, 199, 214, 216, 257, 312, 380, 552 Skytbia 257
801
Slawen 3, 16, 25, 79, 117, 130, 135, 139, 140 (Α.), 155, 161 (Α.), 163, 165, 168, 184-189, 199-202, 206, 207, 213-221, 226-228, 239 f., 249-255, 261 (Α.), 276, 278 f., 281, 282, 301-304, 312, 318-320, 322 (Α.), 379, 386, 412, 427, 436, 443, 445, 457, 465 (Α.), 468, 470, 483, 493, 528-532, 538, 543, 545-548, 550, 564, 593, 597, 601-603, 617, 619, 623625, 629 Slenzanen 203 Slovaken 203, 238 Slovenen 238 Söldner 147,156,161 (Α.), 167, 241 f., 244, 269, 276, 286, 295, 298, 363, 421, 531 Sorben 202, 203, 238, 251, 252, 253 soziale Differenzierung, Sozialstruktur 8, 30, 49, 56, 76, 98, 100, 111, 125, 162, 170, 187, 190, 217, 236, 239, 245, 250, 254, 277, 322, 325, 329 f., 335-337, 341, 346, 350, 354 f., 370, 402,403, 409 f., 412,423, 462, 471-473, 476, 480-494, 504, 510, 513, 515, 519-521, 527, 530, 533, 558, 564-567, 581, 596, 618, 622, 626 Sozialgeschichte 100, 340, 341, 349, 351, 356358, 471-513, 524, 575, 626 Spaten 362, 435 Spatha 194,195, 242, 385, 574 Speisebeigabe 300, 372, 375, 377,378 Speiseservice 375, 377 Spinnwirtel 409 Spoletiner 149 Sporen 500, 574 Sprache 6, 24, 29, 30, 31 f., 34, 36 f., 40, 45, 52, 79, 81, 89-96, 106, 108, 116, 141, 152, 159, 164 f., 170, 176, 184, 189-191, 199, 205, 208 f., 211, 217, 219-221, 223-225, 227 f., 245, 250,292, 304 f., 309, 314 (Α.), 319-321, 327, 329, 341, 345, 528 f., 538, 540-542, 544 f., 548, 567, 569, 581, 593-603, 611 f., 615 f., 618-620, 623 f., 629 Spreewanen 203 Stamm, -esverband 7, 78, 80,104,105, 107 (Α.), 120, 128, 131, 144, 159, 162, 164, 167, 192, 201 f., 204, 207, 237, 242, 245, 251, 253 f., 305-307, 320 f., 421, 486, 517 f., 526-538, 539 (Α.), 549, 567, 585, 594, 617-619, 623 f., 627, 628 (A.) Status 7, 99, 300, 318, 336, 337, 360, 362, 367, 370, 373-375, 377 f., 381, 389 f., 404, 408 (Α.), 412, 424, 472, 481, 483 f., 487, 488f., 495, 502, 504, 506-508, 515, 519, 558, 568, 572, 589, 590 f., 621 - s. a. Prestige, Rang
802
Register
Steinzeit 18, 22, 178, 219 Stele 172, 366, 418, 419, 530 Stil 205, 284, 288, 358-369, 392, 402, 413, 418, 426 f., 440, 441, 443, 515, 550, 559, 564, 570, 581, 584 f., 626 Stodoranen s. Heveller Stratigraphie 331 Streitaxt-Kultur 68, 178, 218, 599 Stress 368 Struktur, -geschichte 99, 323-577 Suavia 150 Sueben 129, 131, 134, 142 f., 175, 178, 180, 201, 229, 240, 310, 311 (A.) Suebenknoten s. Haar Sugambrer 183 Sukow-Dziedzice-Kultur 184, 305, 529 Sukow-Szeligi-Gruppe 188, 252, 253, 543, 623 Symbol 7, 9, 58, 75, 100, 104, 106, 108, 110, 113, 130, 158,163 f., 268, 285, 308-318, 320, 323, 327 f., 333, 338 f., 353, 358 f., 362-367, 374, 382, 387 f., 390, 402, 405, 409, 411, 424, 426, 431, 506, 514, 518-520, 541, 550, 559, 567-577, 580, 587, 616, 618, 621, 623, 626, 628 Symposion 375, 416, 485 Synkretismus 368 Syrer 149 Taifalen 256 Tätigkeit s. Profession Taurisker 24 Tauroskythen 132, 143 Technologie 330, 336, 441, 439-451, 515, 530, 551, 558 f., 566, 580, 626 Tenkterer 183 Terwingen 200, 256 Teutonen 12, 174, 178, 241 Textilien 390, 394 (Α.), 399 f., 411 f., 425, 456, 576 Thraker 123, 131, 138, 143, 171, 247, 543, 602 Thüringen, Thüringer 149, 198, 233, 252, 283 f., 285, 289, 313, 322 (Α.), 485 Tierstil 291 f., 368, 426, 447, 559, 570 Toga 400 Tollenser 203 Tornow-Gostyn-Gruppe 252, 253, 529, 543 Torques 170, 312 f., 410, 418, 577 Totenfolge 380 Tracht s. Kleidung Tradition 49, 51, 55, 58, 103, 112 f., 114, 116, 128, 152, 154, 158, 195 (Α.), 196, 215, 220 f., 230 f., 238, 251, 256, 264 f., 276-279, 282,
284 f., 292, 294, 296, 297, 298, 300-303, 306 f., 309, 313 f., 328, 329, 330, 414, 419, 422-424, 427, 444, 446, 470 f., 489, 537 f., 541, 543, 544, 549, 558, 564, 591, 624 Traditionskern 7,101, 105, 152 f., 155, 229, 238, 240, 250, 257, 260, 529, 541 Trankbeigabe 300, 372, 375, 377 Trepanation 387 Triballer 138 Tribut 282, 451, 461, 514 f., 531, 554, 559 Trichterbecher-Kultur 211, 584 f. Trinkservice 375-377, 416, 420 f., 429, 485 Troglodyten 122 Trziniec-Kultur 543 Tunika 300, 394, 398 f. Turingia 150 Türken 143, 552 Tusemlja-Kultur 187 Typologie 331, 359-369, 515, 522 Tyrrhener s. Etrusker Überrest 329, 330, 341 f., 353, 515 Ukranen 203 Umhang s. Mantel Umwelt 70, 99, 122, 124, 325, 330, 332, 346, 351, 353, 387, 432-435, 439, 468 f., 515, 532, 596, 606, 609 Umweltarchäologie 433 Ungarn 135, 143 f., 550, 552 Urnenfelder-Kultur 221, 339 (Α.), 543 Urnenfelder-Zeit 207, 209, 546, 590 (A.) Usipeter 183 Vandalen, Vendili 129 (Α.), 148, 199-201, 229, 240, 260, 296, 301 (Α.), 459, 532, 543 Vegetation 388, 432-435, 537, 596 Veneter, Venethi 135, 136, 169 (Α.), 171, 183, 185, 216, 255, 543 Veränderung s. Wandel Verkehrs-Leitlinien 432, 460 f., 534, 552, 553 Verwandtschaft 99,336,337, 339,408, 411, 472, 494, 499, 505, 513, 523, 561-563, 569, 604611,630 viens 464 Viehhaltung 433, 435-439, 454, 459, 462-465, 467, 469, 515, 529, 551 Viereckschanze 386, 477 f. viUa 102, 399 (Α.), 420 Volgabulgaren 380 Volk 1 f., 5 f., 11, 13, 14, 29, 30, 31-53, 60, 65, 67, 77-80, 83 f., 86, 89 f., 96, 120, 138, 143, 146, 148, 154 f., 162, 182, 184, 194, 197, 199,
Sachregister 205, 215, 217, 225, 239, 242, 260, 309, 320, 327, 341, 518, 520, 523-525, 528 f., 541 f., 544-546, 549, 593, 616-622 Völkerwanderung, -szeit 39, 71, 145, 161 (Α.), 184 f., 187,207,213, 216, 226,238, 250,290, 292, 299, 316, 360, 361, 383, 384, 410, 426 (Α.), 435, 442, 453, 479, 486, 493, 551 f., 557-559, 562 Volyncevo-Kultur 529 vorrömische Eisenzeit 18, 117, 179, 180-182, 212,215, 218 f., 223,242, 247, 316, 360,361, 366, 378, 382, 383, 384, 385, 387, 391-392, 399, 409 f., 412, 415, 416, 419, 429 f., 435, 437,438, 445 f., 454,459, 462, 464,466, 473, 474 f., 477, 483, 493 f., 506 f., 508, 512, 543, 547 (Α.), 553, 557 f., 591 Votiv s. Depot Waagen und Gewichte 456, 458, 559 Waffen 11 (Α.), 12, 15 (Α.), 17 (Α.), 74 f., 138, 153, 194, 195, 226, 243, 264, 275, 283, 292, 295 f., 298-301, 306, 318, 333, 360, 361, 378 f., 382, 383-385, 390, 407, 409, 411, 413, 417 f., 423 f., 453, 458, 485 f., 500 f., 503 f., 506 f., 539, 576, 590 f. Wagen 170, 375, 416, 417, 461, 506, 573, 597 Wagrier 203 Wandel 31, 49, 58, 74, 115 (Α.), 205,208 f., 217, 219,222, 227, 238, 240,275,296, 304, 325 f., 333, 340, 345, 348 f., 352, 355, 359 f., 362, 369, 372, 381 f., 390, 392, 404, 408, 412 f., 418, 472, 483, 486, 493, 516, 539, 541 f., 544-551, 567, 579, 603, 612, 615, 620, 627 Wanderung 3, 30, 62, 80, 84, 128 f., 160, 161, 162, 168 f., 185, 188 f., 197, 200, 204, 206, 213, 216, 219, 222, 230, 236, 239-276, 284287, 294, 302, 327, 517, 537, 539, 551-560, 564, 567, 583, 588, 599, 604, 609, 611, 615, 623 f., 627-629 Warnower 203 Waräger 279-283 Wergeid 407, 502
803
Werkstatt 8,299,329, 333, 336, 342 f., 363,364, 446, 450, 456, 459, 487, 534, 555 Werkzeug 360, 362, 383, 409, 435, 446, 450, 501, 591, 596 Werra-Fulda-Gruppe 587 westbaltische Grabhügel-Kultur 182 Westgoten (Visigoti) 153, 199 f., 256, 259, 262, 263, 296, 301 (Α.), 302, 307, 459, 532 Wielbark-Kultur 199 f., 214, 231, 258-261, 264, 529, 556 Wikinger 240, 279, 459, 559 f. Wikingerzeit 360, 361, 383, 430, 462, 464, 474 f., 552, 554, 564 Wilzen 202, 236 f., 251, 252, 253, 305, 545, 549 f. Wirtschaft 56, 57, 75 f., 111, 130, 162, 236 f., 239, 290, 302, 304, 322, 325, 328, 330, 335, 336, 338, 341, 346, 350, 354 f., 383, 387 f., 403, 413, 422 f., 431 f., 439, 448, 40, 463, 471, 476-481, 493, 495, 499, 513, 516, 520 f., 522, 526 f., 529-533, 542 f., 550, 558, 564567, 580, 585, 597, 615, 621 Wirtschaftsarchäologie 432 Wirtschaftsgeschichte 341, 349, 351, 356-358, 428 f., 431-472, 534, 626 Wislanen 203 wolhynisch-podolische Kultur 214 Woliner 203 Wurt 433, 468 Xenogamie 286, 485, 562 Zange 362 Zarubincy-Kultur 213, 214, 215, 543 Zeichen s. Symbol Zentralort 354, 455, 476, 479, 481 Zirzipanen 203 Zivilisation 53-55, 57, 59-61, 118, 120 f., 124, 125, 126, 130, 133 (Α.), 140, 163, 165, 168, 172 f., 197, 210 f., 218, 229, 235, 415, 418, 420, 428, 529, 558, 622 Zlicane 203
804
Register
4. Quellenindex Kursive Seitenzahlen verweisen auf Abbildungen. Die Bemerkung „(A.)" zeichnet die Nennung in einer Anmerkung. Adam von Bremen, Gesta Hammaburgi ecclesiae pontificum IV,14 122 (A.) IV, 17 122 (A.) IV,19 122 (A.) IV.25 122 (A.) Agathias, Historiae 1,2,3-4 141 (A.) 1,3 311 (A.) 1.6 f. 194 (A.) 1.6.2 289 (A.) 1.6.3 232 (A.) 1.7 140 (A.) 11,5,3 314 (A.) V,ll 143 (A.) V,25 143 (A.) Ammaianus Marcellinus, Res gestae XX,4,18 312 (Α.) XXXI,2,17 153 (Α.) Annales regni Francorum ad a. 808 237 (Α.) ad a. 894 144 (A.) ad a. 896 144 (A.) ad a. 900 144 (A.) Anonymus Valesianus XII,61 264 (A.) Aristoteles, De partibus animalium II,2,648b 125 (A.) Aristoteles, Politela I,8,1256a-b 125 (A.) VII,7,1327 f. 125 (Α.), 125 (A.) Asinius Quadratus fr. 21 232 (A.) Augustinus, Epistulae 93,5 140 (A.) 93,16-17 140 (A.) Bonifatius, Epistulae 73 149 (Α.), 269 (A.) Capitulado Paderbrunnense 22 489 (A.) Cäsar, Bellum Gallicum 1,1,1 130 (Α.), 131 (Α.), 167 (Α.) 1,2,1 128 (Α.)
1,5 464 (Α.) I,31,10 175 (Α.) II,3,4 221 (Α.) 11,4,1-2 181 (Α.) II,4,10 182 (Α.), 221 (Α.) III,22 486 (Α.) IV,1 470 (Α.) IV,1,7 129 (Α.) IV,1-3 131 (Α.) rV,22 470 (Α.) V,12 453 (Α.) V,14,4 129 (Α.) V I A 3 221 (Α.) VI,10,5 108 (Α.) VI,11-24 133 (Α.) VI,13 134 (Α.), 164 (Α.) VI,13,10 174 (Α.) VI,15 486 (Α.) V U 4 . 4 - 5 133 (Α.) VI, 17,1-2 128 (Α.) VI.21 175 (Α.) VI,21,5 129 (Α.) VI,22,1 129 (Α.) VI,24,1-2 181 (Α.) VI,32,1 221 (Α.) VII,29 21 VII,40 486 (Α.) VIII,5 464 (Α.) Cassiodor, Varíae IV,34 373 (Α.) 1X^4,4-6 154 (Α.) Cassius Dio, Historia Romana LXXVI,16,5 129 (A.) Cato, Praecepta ad filium fr. 1 119 (A.) Cicero, De finibus bonorum et malorum 11,49 119 (A.) Cicero, De re publica I,58 119 (A.) CIL III 3576 134 (Α.) Claudian, De consulatu Stilichonis II,243 142 (Α.) Codex Theodosianus XIV,10,2 399 (Α.)
Quellenindex XIV,10,3 399 (Α.) XIV,10,4 400 (Α.) Dexippos, Skythica fr. 6 142 (Α.) Diodor, Bibliotheca histórica V,28 312 (Α.) V,32,7 129 (Α.) V,33,1-5 166 (Α.) V,33 f. 132 (Α.) V,38,5 452 (Α.) XXV,10,1 244 (Α.) Edictum Diocletiani 7,42 314 (Α.) 7,44 314 (Α.) Eumenius, Oratio XVIII,3 192 (Α.) Fredegar, Chronica, Continuationes 2 144 (Α.), 146 (Α.) 23 150 (Α.) 26 150 (Α.) 33 146 (Α.) 35 150 (Α.) 38 146 (Α.) 42 146 (Α.) 43 146 (Α.) Galenus, De temperamentis 11,5 312 (Α.) Geographus Ravennatis, Cosmographia II 131 (A.) V,31 269 (A.) Gregor von Tours, Historiae Francorum 11,2 142 (Α.), 143 11,27 316 (Α.) VI,2 409 (Α.) Herodot, Historiae 11,33 166 (Α.) 11,33,3 243 (Α.), 244 (Α.) 11,35,2-3 121 (Α.) 11,57 118 (Α.) II,59,2 128 (Α.) III,38 103 (Α.), 120 (Α.) 111,89 133 (Α.) III,104,2 122 (Α.) IV,5-15 216 (Α.) IV,13 558 (Α.) IV,46-58 216 (Α.) IV,71 380 (Α.)
805
IV,71-72 342 IV,180,5-6 129 (Α.) IV,196 132 (Α.) Hesiod, Werke und Tage 109-173 124 (Α.) Hieronymus, Vita S. Hilarionis 22 142 (A.) Historia Augusta, Quadriga tyrannorum 13,3 142 (Α.), 234 (Α.) Historia Augusta, Tyranni triginta 8,11 142 (Α.) Homer, Ilias II,867 118 (Α.) XIII,5 129 (Α.) Ine, Gesetze 23,3 270 (Α.) 24,2 270 (Α.) 32 270 (Α.) 46.1 270 (Α.) 54.2 270 (Α.) Isidor von Sevilla, Etymologiae sive origines IX¿,105 140 (Α.) XI,3,12-39 122 (Α.) XIV,2 131 (Α.) XVIII,6,9 315 (Α.) Isokrates, Panegyricus 50 120 (Α.) Jordanes, Getica 1,4 131 (Α.) III,18 ff. 558 (Α.) IV,25 260 (Α.) IV.26-28 558 (Α.) V,32 131 (Α.) V,39 f. 141 (Α.) V,45 131 (Α.) VII,49-52 140 (Α.) VIII,56-60 140 (Α.) XXIV,127 f. 140 (Α.) XXXIV-XXXV 136 LV.280 143 (Α.) Justin XXIV,4,1 242 (Α.) Justinian, Novellae 24.3 150 (Α.) 25 praef. 150 (Α.) 29,1 150 (Α.) Liber Historiae Francorum 27 144 (Α.) 35-37 144 (Α.)
806 38 144 (Α.) 41 144 (Α.) 43 144 (Α.) 45 f. 144 (Α.) 51 144 (Α.) 53 144 (Α.) Liber Pontificata 93,3 149 (Α.) 93,19 144 (Α.) 93,25 144 (Α.) Livius, Ab urbe condita V,33-34 241 (Α.), 242 (Α.) XXIV,42,8 244 (Α.) XXXI,29,15 119 (Α.) XXXVI,40,9 312 (Α.) XXXVIII,17,4 312 (Α.) XXXVIII,17,9 132 (Α.) Mamertinus, Panegyricus Maximiano V,1 192 (Α.), 232 (Α.) Martial, Epigrammata Vili,20 312 (Α.) Vili,33 312 (Α.) XIV,26-27 312 (Α.) 1. Mose (Genesis) 10,1-32 140 (Α.) 11,7-9 90 (Α.) Orosius, Historia adversus paganos IV, 13,5 167 (A.) VII,22 142 (A.) VII,29 142 (A.) Panegyricus Constantio VIII,3 192 (A.) XVII,1-2 192 (A.) Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1,1 558 (A.) 1,5 140 (A.) 1,8 311 (A.) 1,23 314 (A.) I,27 144 (A.) II,7-8 144 (A.) III,19 311 (A.) IV,38 311 (A.) Plinius, Historia naturalis III,22 189 (A.) IV,27 122 (A.) IV,99 229 (Α.), 256 (A.) IV,99-100 200 (A.) IV,110 f. 189 (A.) V,8 122 (A.)
Register V I U 122 (A.) XXIX,14 119 (A.) XXXIII,4,11 575 (A.) XXXIII,4,12 575 (A.) XXXIII,4,21 575 (A.) XXXIII,15 312 (A.) XXXVII,35-51 460 (A.) Plutarch, Marius XI,7 132 (Α.) Polybios, Historiae 11,17,12 486 (Α.) 11,22,1 167 (Α.) 11,29 312 (Α.) II,31 312 (Α.) III,4 132 (Α.), 244 (Α.) Pomponius Mela, Chorographia 111,3 ff. 189 f. (Α.) Priscus, Historiae fr. 8 (Müller) = fr. 11,2; 13,3 (Blockley) 257 (A.) Prokop, Anecdota 7,10 311 (Α.) 7,11-14 314 (Α.) Prokop, Bellum Gothicum I,1,3 143 (A.) II,15 140 (A.) II,25 140 (A.) III,2,1 143 (A.) 111,14 135 (Α.), 140 (Α.), 312 (Α.), 470 (Α.) III,24 470 (Α.) IV,6 131 (Α.) Prokop, Bellum Vandalicum 1,2 199 (Α.) 1,2,2 143 (Α.) I,3,1 143 (Α.) II,6 129 (Α.) Ptolemaios, Geographica II,7 190 (Α.) III,5,8 256 (Α.), 264 (Α.) 111,5,7-9 135 (Α.) 111,5,8 229 (Α.) VII,1,55 132 (Α.) Seneca, De ira II,19,1-2 125 (Α.) Sidonius Apollinaris, Carmina V,238-242 312 (Α.) Sidonius Apollinaris, Epistulae VIII,9,5 (ν. 23-27) 312 (Α.) Strabon, Geographica 1,2,27 132 (Α.) III,4,5 132 (Α.), 166 (Α.)
Quellenindex III,7 189 (Α.) IV,1,1 167 (Α.) IV,4,3 122 (Α.), 392 (Α.) IV,4,5 386 (Α.) IV, 10 189 (Α.) V.212 167 (Α.) VII,1,2 174 (Α.) VII,1,3 229 (Α.), 256 (Α.) Synesios von Kyrene, Oratio de regno ad Arcadium imperatorem 15 143 (A.) Tacitus, Agrícola 11 245 (Α.) 11,3 245 (Α.) Tacitus, Annales 2.62.2 229 (Α.), 256 (Α.) 2.62.3 453 (Α.) Tacitus, Germania 2.2 200 (Α.) 4 312 (Α.) 5,1 129 (Α.) 5.3 129 (Α.) 6,1-4 486 (Α.) 11,1-2 486 (Α.) 12,1-3 486 (Α.) 13,1-3 486 (Α.) 14,1-3 486 (Α.) 15,1-2 486 (Α.) 18.1 129 (Α.)
20.2 121 (Α.) 26 470 (Α.)
807
30,1 132 (Α.) 31,3 127 (Α.) 36,1 108 (Α.) 38,1-3 310 38,3 310 (Α.) 43,3 128 (Α.) 44,1 229 (Α.), 256 (Α.) 45 201 46 135 (Α.) Theophylaktos Simokates, Historia VI,2,10 186 (Α.) Thukydides, Historiae I,3,1-3 118 (A.) 1,8 11
Varrò, Res rusticae de agri cultura II,4,10 437 (Α.) Victor Vitensis, Historia 11,3-4 298 (Α.) Vitruv, De architectura VI,1,3-11 125 (A.) Widukind von Corvey, Res gestae saxonicae 1,7 316 (A.) Willibald, Vita Bonifatii 6 150 (A.) Xenophon, Hellenika VII,1,20 242 (A.) Zosimos, Historia nova 1,37 f. 142 (A.)
Reallexikon der Germanischen Altertumskunde - Ergänzungsbände Hrsg. v. Heinrich Beck, Dieter Geuenich und Heiko Steuer
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Namenwelten
Orts- und Personennamen in historischer Sicht Herausgegeben von Astrid van Nahl, Lennart Elmevik und Stefan Brink 2004. XVII, 813 Seiten. 26 Abbildungen. Leinen. ISBN 3-11-018108-8 (Band 44) Friedrich Lotter
• Völkerverschiebungen im Ostalpen-MitteldonauRaum zwischen Antike und Mittelalter (375-600) Unter Mitarbeit von Rajko Bratoz und Helmut Castritius 2003. 282 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-017855-9 (Band 39)
• Runica - Germanica - Mediaevalia Herausgegeben von W i l h e l m Heizmann und Astrid van Nahl 2003. XV, 1024 Seiten. 192 Abbildungen. Leinen. ISBN 3-11-017778-1 (Band 37)
• Kontinuität und Diskontinuität Germania inferior am Beginn und am Ende der römischen Herrschaft. Beiträge des deutsch-niederländischen Kolloquiums in der Katholieke Universiteit Nijmegen (27. bis 30.06. 2001) Herausgegeben von Thomas Grünewald und Sandra Seibel 2003. XVI, 435 Seiten. Zahlreiche Abbildungen, Tafeln und Karten. Leinen. ISBN 3-11-017688-2 (Band 35)
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Reallexikon der Germanischen Altertumskunde - Ergänzungsbände Hrsg. v. Heinrich Beck, Dieter Geuenich und Heiko Steuer
• Zur Geschichte der Gleichung „germanisch - deutsch'' Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer und Dietrich Hakelberg 2004. XXII, 711 Seiten. 38 Abbildungen. Leinen. ISBN 3-11-017536-3 (Band 34)
Mechthild Müller
• Die Kleidung nach Quellen des frühen Mittelalters Textilien und Mode von Karl dem Großen bis Heinrich III 2003. VIII, 450 Seiten. 20 Seiten Tafeln. Leinen. ISBN 3-11-017219-4 (Band 33)
• Person und Name Herausgegeben von Dieter Geuenich, Wolfgang Haubrichs und Jörg Jarnut 2001. X, 319 Seiten. Leinen. ISBN 3-11-016880-4 (Band 32)
• Kontinuitäten und Brüche in der Religionsgeschichte Festschrift für Anders Hultgârd zum 65. Geburtstag am 23. Dezember 2001 Herausgegeben von Michael Stausberg In Gemeinschaft mit Olof Sundquist und Astrid van Nahl 2001. XIV, 674 Seiten. 60 Abbildungen. Leinen. ISBN 3-11-017264-X (Band 31)
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