Erziehung als Wertsphäre: Eine Institutionenanalyse nach Max Weber [1. Aufl.] 9783839411834

Max Webers Theorie der Wertsphären - zu denen beispielsweise Religion oder Politik zählen - hat eine Leerstelle: die Erz

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German Pages 254 Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung: Problemstellung und Verlauf der Arbeit
Erster Teil: Grundlegung des Erziehungsbegriffs
Begriffsschwierigkeiten und zwei Erziehungsextreme
Grundstruktur des Erziehungsbegriffs
Erziehung und Bildung
Zweiter Teil: Zu Max Webers Institutionentheorie
Grundbegriffe bei Max Weber
Sinn, Verstehen, Subjekt, soziales Handeln und Kultur
Ideen und Interessen
Rationalisierung und Rationalismus
Wertsphäre, Lebensordnung, Lebensführung und Lebensmächte
Institutionelle Differenzierung
Institution, Ordnung und Organisation
Von der Wertsphäre zur Ordnung
Dritter Teil: Status und Problematik der Wertsphäre Erziehung
Handlungsebene
Ordnungsebene
Stabilisierungseigenschaften
Schichtung
Wandelnder Wertcharakter
Vierter Teil: Institutionalisierung der Wertsphäre Erziehung
Das Grundmodell der Analyse
Strukturelle Analyseaspekte
Berufe und Professionsgesichtspunkte
Organisationen
Wer ist Erzieher, wer ist Lehrer?
Lehrerberuf und Schule
Antike
Mittelalter
Neuzeit
Zeit der Aufklärung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Gegenwart
Fazit
Reformpädagogik: Differenzierung und aktuelle Rolle heute
Frühpädagogische Einrichtungen
Vorgeschichte
Kindergarten
Hort
Kinderkrippe
Wohlfahrtsverbände
Erziehungsberufe
Fazit
Frühpädagogische Einrichtungen
Frühpädagogische Berufe
Fünfter Teil: Diskussion des sekundären Ordnungsstatus
Schluss: Zusammenfassung und offene Fragen
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Rechtsquellenverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
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Erziehung als Wertsphäre: Eine Institutionenanalyse nach Max Weber [1. Aufl.]
 9783839411834

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Robert Stölner Erziehung als Wertsphäre

2009-06-26 13-13-06 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b9213915398886|(S.

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Für meine Eltern

Robert Stölner (Dr. phil.) arbeitet bei der REGE Regionale Personalentwicklungsgesellschaft mbH und ist Lehrbeauftragter an der Universität Bielefeld. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Soziologische Theorie, Max Weber sowie die Bildungs- und Erziehungssoziologie.

2009-06-26 13-13-06 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b9213915398886|(S.

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Robert Stölner

Erziehung als Wertsphäre Eine Institutionenanalyse nach Max Weber

2009-06-26 13-13-06 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b9213915398886|(S.

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) T00_03 titel - 1183.p 213915398926

Eichstätt, Univ., Diss., 2008

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Robert Stölner Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1183-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2009-06-26 13-13-06 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02b9213915398886|(S.

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) T00_04 impressum - 1183.p 213915398958

Inhalt

Vorwort

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Einleitung: Problemstellung und Verlauf der Arbeit

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Erster Teil: Grundlegung des Erziehungsbegriffs Begriffsschwierigkeiten und zwei Erziehungsextreme Grundstruktur des Erziehungsbegriffs Erziehung und Bildung

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Zweiter Teil: Zu Max Webers Institutionentheorie Grundbegriffe bei Max Weber Sinn, Verstehen, Subjekt, soziales Handeln und Kultur Ideen und Interessen Rationalisierung und Rationalismus Wertsphäre, Lebensordnung, Lebensführung und Lebensmächte Institutionelle Differenzierung Institution, Ordnung und Organisation Von der Wertsphäre zur Ordnung

27 28 28 35 39 48 59 59 68

Dritter Teil: Status und Problematik der Wertsphäre Erziehung Handlungsebene Ordnungsebene Stabilisierungseigenschaften Schichtung Wandelnder Wertcharakter

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Vierter Teil: Institutionalisierung der Wertsphäre Erziehung Das Grundmodell der Analyse Strukturelle Analyseaspekte Berufe und Professionsgesichtspunkte Organisationen Wer ist Erzieher, wer ist Lehrer? Lehrerberuf und Schule

95 95 97 97 100 102 104

Antike Mittelalter Neuzeit Zeit der Aufklärung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Gegenwart Fazit Reformpädagogik: Differenzierung und aktuelle Rolle heute Frühpädagogische Einrichtungen Vorgeschichte Kindergarten Hort Kinderkrippe Wohlfahrtsverbände Erziehungsberufe Fazit Frühpädagogische Einrichtungen Frühpädagogische Berufe

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Fünfter Teil: Diskussion des sekundären Ordnungsstatus

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Schluss: Zusammenfassung und offene Fragen

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Abkürzungsverzeichnis

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Literaturverzeichnis

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Rechtsquellenverzeichnis

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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

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Vorw ort

Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Fassung meiner eingereichten und angenommenen Dissertation an der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt im Jahr 2008. Sie hat eine sehr lange Entstehungsgeschichte, angefangen im September 2001 in Heidelberg mit einer längeren Unterbrechung bis Juni 2004 in Eichstätt. Dass ich die Arbeit nun in dieser Form präsentieren kann, liegt vor allem an zwei Personen. Zum einen an Thomas Schwinn, der mir die nötigen Freiräume ließ, sich Zeit für wichtige Diskussionen nahm und mich immer wieder auf den richtigen Weg zurückführte, zum anderen an meinem Bruder Thomas, der mir immer wieder wertvolle Tipps gab sowie das gesamte Werk textkritisch und redaktionell von Anfang bis Ende begleitete. Ähnliches gilt für meinen Bruder Reinhard und meine Schwägerin Doris, die stets ein offenes Ohr für meine Probleme hatten. Daneben möchte ich Karl Heinz Hausner danken, der mir den nötigen Anstoß in Richtung Promotion gab, sowie Stefan Bernhard und Matthias Pauldrach für viele Diskussionen in italienischer Atmosphäre, auch wenn es nur um den Gardasee ging, und allen anderen Personen, die irgendeiner Weise beteiligt waren. Ein ganz besonderer Dank gilt Marta, die mir in der lang gezogenen und schwierigen Endphase den notwendigen emotionalen Rückhalt gab und immer wieder Zeit für schwierige Gedankenexperimente hatte. Überdies danke ich der Eichstätter Universitätsstiftung für die finanzielle Unterstützung meiner Promotion. Schließlich möchte einen letzten Dank aussprechen, der an meine Eltern gehen soll. Ohne sie wäre diese Arbeit aus verschiedenen Gründen nie entstanden. Ihnen widme ich dieses Buch.

Bielefeld, 15. Juni 2009

Robert Stölner

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Einleitung: Proble mstellung und Verla uf der Arbe it

Was hält eine Gesellschaft zusammen? Diese Kardinalfrage, mit der sich die Soziologie seit jeher beschäftigt (Friedrichs/Jagodzinski 1999: 9 f.; Hauck 1984: 12), fußt auf einer Besonderheit des Menschen, nämlich dem individuellen Interesse des Menschen an einer Nutzenmaximierung und dem Interesse an kooperativem Handeln. Hieraus ergeben sich das Problem und zugleich die Fragestellung für die Soziologie, wie eine Lösung zwischen den antagonistischen Interessen hergestellt werden kann (Esser 2000a: 117). Die soziologische Terminologie subsumiert diesen Sachverhalt unter das Problem der sozialen Ordnung bzw. der Integrationsproblematik einer Gesellschaft.1 Eine Lösungsmöglichkeit für diese Problematik wird in einer moralischen Verpflichtung gesehen, also in bindenden Werten und Normen, was letztlich über die Installation von Institutionen erfolgt, welche im weiteren Verlauf der Arbeit noch thematisiert werden.2 Die soziale Ordnung „bezeichnet allgemein einen stabilen, dauerhaften, ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen und ihren Elementen aufgrund bestimmter Gesetzmäßigkeiten oder Prinzipien. Als soziologischer Grundbegriff bezieht sich Ordnung [dabei] auf den durch Weltanschauungen, Werte, 1

2

Analog dazu kann der Begriff der Systemintegration (Makroebene) angewendet werden, der „die geordneten oder konfliktgeladenen Beziehungen zwischen den Teilen eines sozialen Systems“ (Lockwood 1979: 125) umfasst. Damit soll auch die Abgrenzung zum Begriff der sozialen Integration (Mikroebene) hergestellt werden, der „die geordneten oder konfliktgeladenen Beziehungen der Handelnden eines sozialen Systems“ (ebd.) beinhaltet. Wenn von Integration in dieser Arbeit gesprochen wird, ist der Bezug zur Makroebene gemeint. Weitere Lösungsmöglichkeiten sind ein starker Staat mit einem eigenen Sanktionsapparat oder die Ordnung entsteht aus der antagonistischen Kooperation selbst und damit aus dem eigenen Interesse der Akteure an dieser Kooperation (Esser 2000a: 117 f.). 9

ERZIEHUNG ALS W ERTSPHÄRE

Normen, Sanktionen und Herrschaftsverhältnisse stabilisierten Struktur- und Wirkungszusammenhang der Gesamtgesellschaft, gesellschaftlicher Teilbereiche und sozialer Gebilde“ (Hillmann 1994: 637). Soziale Ordnungen in einer Gesellschaft gliedern diese also in mehr oder weniger zusammenhängende Lebensbereiche auf. Man spricht hier auch von einer ausdifferenzierten Gesellschaft, wenn es sich um eine komplexe, moderne Gesellschaft handelt, in der verschiedenste soziale Ordnungen, wie z.B. Wirtschaft, Politik, Religion, Recht, Kunst etc., existieren, also „von partiell voneinander unabhängigen Teilkulturen bzw. Subsystemen“ (ebd.: 153).3 Wer sich mit den Fragen sozialer Ordnung heute auseinandersetzt, behandelt nicht nur eines der großen Makrothemen der Soziologie, sondern stößt, wie oben bereits angedeutet, unweigerlich auch auf den großen Komplex der gesellschaftlichen bzw. sozialen Differenzierung (Schimank 1996: 9 f.; Meulemann 2006: 177). Damit ist ein „Prozeß der Trennung, Besonderung und […] wirksamen Abgrenzung von zunächst homogenen sozialen Gebilden“ (Hillmann 1994: 153) gemeint. Tyrell spezifiziert Differenzierung, indem er den Vorgang einerseits als „’Trennung‘ und funktionsspezifischen Autonomiezuwachs […], Entlastung von externer Störung […], andererseits [als] die Vermehrung von koexistierender Heterogenität“ (1998: 127 f.) charakterisiert. In der Sprache der Systemtheorie wird nicht von sozialer, sondern von funktionaler Differenzierung gesprochen. Für Luhmann ist diese für ihn vorherrschende Differenzierungsform eine Teilung der modernen Gesellschaft in funktionsspezifisch unabhängige Teilsysteme (1985: 245-264; 1996a). Es handelt sich also um Teilbereiche oder in der weberschen Terminologie um Wertsphären. Die Zusammenhänge ihrer Teile und Elemente beruhen dabei auf bestimmten ’Gesetzmäßigkeiten‘ und institutionalisierten Vorgängen. Der angesprochene Differenzierungsprozess geht vor allem auf die berufliche Arbeitsteilung zurück, die besonders durch den technischen Fortschritt und die damit einhergehende Spezialisierung und Professionalisierung der Tätigkeiten bestimmt war und immer noch ist. Erste Differenzierungsvorgänge sind im wirtschaftlichen Sektor zu beobachten, die sich dann aber bald auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, besonders dort, wo große Organisationen, wie das Militär, die öffentliche Verwaltung oder das Bildungs- und Gesundheitswesen, vorherrschten, wiederfinden.4 Eine systematische Annäherung an die Differenzierungstheorie bietet der Aufsatz ’Anfragen an die Theorie der gesellschaftlichen Differenzierung‘ von Tyrell (1978). Er stellt in dem Artikel Fragen an die Differenzierungstheorie, 3

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Auf die Individuen betreffenden Aspekte, die durch die soziale Differenzierung ausgelöst wurden bzw. werden, wird in dieser Arbeit nur am Rande eingegangen. Die Ideengeschichte des Differenzierungskonzepts kann hier nur sehr bruchstückhaft beschrieben werden (ausführlicher Tyrell 1998: 122 ff.).

EINLEITUNG: PROBLEMSTELLUNG UND VERLAUF DER ARBEIT

die, trotz einer großen Anzahl von Arbeiten5 zu diesem Bereich, bis heute weitestgehend unbeantwortet sind.6 Auch die vorliegende Arbeit wird die Fragen Tyrells in den meisten Punkten unbeantwortet lassen und sich nur mit einem bestimmten Ausschnitt befassen – mit der Konstituierung eines bestimmten ’Teilbereichs‘ –, der Erziehung. Zu diesem Ausschnitt gibt es, vor allem aus systemtheoretischer Perspektive, bereits zahlreiche Abhandlungen. Konträr zu den bisherigen Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex ist mein Anliegen, den Bereich Erziehung aus dem Blickwinkel der Handlungsund Strukturtheorie Webers zu analysieren und zu charakterisieren. Die Sichtung des derzeitigen Forschungsstandes zeigt, dass gerade Max Webers Wertsphärenkonzept als ein mögliches Differenzierungsmodell und zugleich als eine Modernisierungstheorie u.a. Theorien (Tyrell 1998: 121), das gesellschaftliche Differenzierung beschreiben und erklären will, bisher ein unzureichend untersuchtes Gebiet ist.7 So ist, nach Schluchter, immer noch nicht geklärt, „welche Kriterien eigentlich erfüllt sein müssen, damit ein Ausschnitt des Handelns als Ausdruck einer Wertsphäre mit Eigenrecht und Eigengesetzlichkeit bezeichnet werden kann“ (1991a: 289). Genau an diesem Punkt soll die Arbeit ansetzen. Die forschungsleitende Fragestellung lautet daher, ob neben den von Weber unterschiedenen Wertsphären, wie Politik, Wirtschaft, Religion, Kunst, Wissenschaft, Erotik und Recht, auch Erziehung eine eigene Wertsphäre ist, der ein ideelles Eigenrecht und strukturelle Eigengesetzlichkeiten zugeschrieben werden können. Meine These hierzu lautet, dass Erziehung zwar eine eigene Wertsphäre ist, aber eine sekundäre, weil sie von sich aus nicht ordnungs- und verbandsfähig ist. Sie benötigt Stabilisierungsleistungen aus anderen Sphären, um ordnungs- und verbandstauglich8 zu sein. Mit der Fragestellung der Arbeit und der These verfolge ich zwei Ziele: (a) die Bestimmung der Wertsphäre Erziehung, der Erziehungsordnung und damit auch des Wertsphärenstatus, also wie und warum ist es zu dieser ’eigentümlichen‘ Ordnung kam, sowie (b) die Fruchtbarmachung des weberschen Theoriekonzeptes, das die Analysegrundlage für (a) bildet.9 Der Er-

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Vgl. Luhmann 1996a, 2002; Saldern 1991; Jensen 1970; Stichweh 1992; Schimank 2005a etc. Dazu auch Nassehi 2004. Schimank bezeichnet Webers Wertsphären auch als gesellschaftliche Teilsysteme (1996: 60), wobei dies problematisch ist, denn Differenzierung meint hier nicht Dekomposition im Sinne eines Ganzen und seiner Teile, sondern mit Weber gesprochen das Entstehen von Lebensordnungen, in denen der Handelnde sein Handeln an bestimmten Kriterien orientiert (Tyrell 1994: 397; Schwinn 1995: 34). Dekomposition ist eben „nur eine empirische Variante“ (Mayntz 1988: 29), mit der man Ausdifferenzierungsprozesse beschreiben kann. Unter Webers Verbänden versteht man heute Organisationen (Schluchter 2006: 269). Das Verhältnis von Wertsphäre und Ordnung wird im Zweiten Teil erörtert. 11

ERZIEHUNG ALS W ERTSPHÄRE

ziehungsbereich war zwar, in der Sprache der Systemtheorie ’Teilsystem‘ oder ’Subsystem‘, aufgrund seiner gesellschaftlichen Relevanz und seiner möglichen Eigenständigkeit schon oft Gegenstand differenzierungstheoretischer Untersuchungen (vgl. Luhmann/ Schorr 1986; 1988; 1999; Luhmann 1987a; 1987b; 1996a; 1996b; 1997; 2002; Jensen 1970; Saldern 1991; Schäfer 1983), wobei jedoch das auf Max Weber zurückführende Konzept bisher auf ihn noch nicht angewendet wurde. Einen ersten Schritt, Weber in diese Richtung hin zu interpretieren, also Webers Wertsphärenmodell in seinen Zwischenbetrachtungen (Weber 1988a: 536-573) zu analysieren, unternimmt Schwinn (2001). Bei ihm findet sich ein Konzept für die Einteilung bzw. Klassifizierung der Wertsphären. Für die Erschließung der von mir zu untersuchenden Wertsphäre Erziehung werde ich auf dieses Konzept im Laufe der Arbeit noch zurückkommen und es in einigen Punkten erweitern. Aus erziehungstheoretischer Sicht ist Webers Wertsphärenmodell bereits bei Honig (2003) und Fend (2006) Gegenstand einer Institutionenanalyse. Für Kemper ist das Fehlen einer pädagogischen Institutionentheorie „eines der ältesten Desiderate erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung“ (Kemper 2001: 353). Gewinnbringende Überschneidungen für beide Disziplinen werden gerne in Kauf genommen. Die Fragestellung der Arbeit lässt sich für die folgende Analyse in zwei Unterfragen aufspalten, die den weiteren Verlauf der Arbeit bestimmen: (1) Wie lässt sich ausgehend vom Erziehungsbegriff (Erster Teil) und in Abstimmung mit der Theoriekonzeption von Max Weber (Zweiter Teil) eine Wertsphäre der Erziehung auf einer theoretisch-analytischen Ebene bestimmen (Dritter Teil)? (2) Welche Ergebnisse liefert der Institutionalisierungsverlauf von Erziehung, der mithilfe der Begriffe Webers durchleuchtet wird, hinsichtlich des Status der Wertsphäre (Vierter Teil)? Nur über eine historische Rekonstruktion erschließt sich der sekundäre Wertsphärenstatus völlig – wie und warum es dazu kam und nicht anders. Die verschiedenen Ausdifferenzierungsprozesse werden hierbei zum weberschen Begriffsapparat in Beziehung gesetzt, sodass eine enge Verzahnung zwischen historischem Material und begrifflichem Modell entsteht. Im Einzelnen bedeutet dies, dass im Ersten Teil eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Erziehungsbegriff stattfindet. Damit wird zum einen ein begriffliches Fundament gelegt, auf dem die anderen Teile aufbauen, zum anderen werden Abgrenzungen zu affinen Begriffen thematisiert, die für die Bestimmung der Wertsphäre bedeutsam sind. Der Zweite Teil steht im Zeichen der Handlungstheorie und der in der Forschungsliteratur bisher wenig beachteten weberschen Ordnungs- bzw. Institutionentheorie. Hierzu werden erst grundlegende Begriffe der Mikroebene (Handlungsebene) eingeführt, von der aus ein Weg zu Webers Institutionentheorie (Makroebene) beschritten wird, wodurch eine Verknüpfung zwischen 12

EINLEITUNG: PROBLEMSTELLUNG UND VERLAUF DER ARBEIT

beiden deutlich gemacht werden soll; denn eine Ordnung bzw. Institution ist letztlich ’nur‘ eine Handlungsstruktur, die aus koordinierten Handlungsorientierungen auf der Mikroebene entstanden ist (Schluchter 2000b: 131). Dies ist für den weiteren Verlauf der Arbeit in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: (1) grundlegende Explikation sowie Fruchtbarmachung von Webers Theoriekonzepts, (2) seine Anwendung auf der besagten theoretisch-analytischen Ebene (Dritter Teil), (3) Skizzierung des Institutionalisierungsverlaufs von Erziehung (Vierter Teil) sowie Diskussion (Fünfter Teil) und Darstellung der Dimensionen von Erziehung (Schluss) anhand der weberschen Handlungsund Institutionentheorie. Das erarbeitete Analyseschema aus dem Zweiten Teil aufnehmend, befasst sich der Dritte Teil mit dem Status und der Problematik der Wertsphäre. Wichtige Aspekte der Ordnungsbildungsfähigkeit und der Verbandstauglichkeit werden in den Kapiteln ’Stabilisierungseigenschaften‘, ’Schichtung‘ und ’wandelnder Wertcharakter‘ mithilfe des Schemas erörtert. Der Vierte Teil beginnt mit Ausführungen zu einem ’Grundmodell der Analyse‘, das auf den Erläuterungen des Zweiten Teils basiert, ergänzt um strukturelle Untersuchungsaspekte. Im weiteren Verlauf stehen die Organisation Schule, frühpädagogische Einrichtungen sowie ihre Berufe und die jeweilige Professionsgeschichte im Zentrum der Untersuchung. An ihren Institutionalisierungsverläufen, die mithilfe des Grundmodells analysiert werden, sollen wichtige Kriterien herausgearbeitet werden, die sowohl für eine eigenständige Erziehungsordnung sprechen als auch dazu verhelfen, ihren Status zu klären. Dazu werden der schulische Teilbereich aufgrund der umfassenden Zeitspanne nach Epochen und der frühpädagogische Bereich aufgrund der unterschiedlichen Organisationsformen und Berufe nach dem Typus eingeteilt. Ein zusätzliches Kapitel bildet der Institutionalisierungsverlauf der Reformpädagogik. Es ist wert, diesen Teilbereich zu untersuchen, weil er zunächst ohne fremde Stabilisierungsleistungen auskommt und seine Entwicklung damit konträr zur restlichen Erziehungsordnung steht. Die Ergebnisse sind für den anschließenden Fünften Teil bedeutsam, in dem die Erziehungsordnung, ihre Abgrenzungen sowie Verkoppelungen zu anderen Ordnungen diskutiert und ihre Position in der makrosoziologischen Wertsphärentheorie von Weber verortet wird. Eine zusammenfassende Darstellung und offene Fragen sind Bestandteil des Schlusses.

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Erster Te il: Grundle gung des Erz ie hungs be griffs

Um den Status der Wertsphäre Erziehung ermitteln zu können, muss zu Anfang geklärt werden, was der Begriff Erziehung beinhaltet und umfasst. Das Verständnis für die Intension und Extension des Begriffes ist von zentraler Bedeutung für die Arbeit, nicht nur, weil sich daraus Bestimmungen für die spätere Analyse der Ordnungsbildungs- und Verbandsfähigkeit ableiten lassen (Dritter Teil), sondern auch, weil eine unklare Abgrenzung des Begriffs andere Organisationen und Berufe als Untersuchungsgegenstände mit einbeziehen würde, wie z.B. den Bereich der Berufs- oder Erwachsenenbildung. Für die Explikation sind drei Kapitel vorgesehen. Das erste beleuchtet das allgemeine Verständnis von Erziehung und die äußeren Pole, was Erziehung sein kann. Im Anschluss daran wird der Begriff hinsichtlich einer Grundstruktur entfaltet, die bereits Dimensionen in Bezug auf seine Ordnungsbildungsfähigkeit freilegt, wie z.B. der Wertcharakter, die Zweierbeziehung etc. Schließlich enthält das letzte Kapitel eine Abgrenzung der beiden Begriffe Erziehung und Bildung. Aufgrund der engen Beziehung beider Begriffe zueinander ist eine Klärung des Verhältnisses von besonderer Bedeutung für die Arbeit, da nicht die Bildungs-, sondern mithilfe der Erläuterungen die Erziehungssphäre bestimmt werden soll. Die Erziehungs- ist mit der Bildungssphäre nicht gleichzusetzen, wenngleich sie sich zu einem gewissen Grade überschneiden, z.B. bei den Organisationen und Berufen.

B e g r i f f s s c hw i e r i g k e i t e n u n d zwei Erziehungsextreme Ein Verständnis von Erziehung setzte Schleiermacher noch als bekannt voraus. Auch große Teile der Bevölkerung scheinen dem zunächst zuzustimmen. Wirft man dagegen einen Blick in die Literatur, verkehrt sich die Situation ins 15

ERZIEHUNG ALS W ERTSPHÄRE

Gegenteil (Gudjons 2003: 183; Tenorth 1988: 12). „Zu glauben, wenn von gesprochen werde, meinten alle dasselbe, ist leichtfertig. Weder im alltäglichen noch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch herrscht immer Klarheit oder gar Einigkeit darüber, was Erziehung “ (Heid 2004: 48). Als ähnlich schwierig sieht dies auch Winkler. Für ihn „treten die für Begriff und Sache der Erziehung charakteristischen Unsicherheiten und Spannungen am deutlichsten in der mit ihr befassten Disziplin und den durch sie akademisch ausgebildeten Professionen auf“ (2004: 60; vgl. Marotzki et al. 2005: 137). Aber nicht nur in der Erziehungswissenschaft, sondern auch die etymologische Seite des Begriffs, also die „Frage nach Herkunft, Entwicklung und Verwandtschaft des Wortes erweist sich als problematisch, wenn nicht sogar als irreführend“ (Heid 2004: 47). Hinzu kommt, dass Erziehung nicht eindeutig als abgrenzbarer Sachverhalt identifizierbar ist und oft mit dem Bildungsbegriff gleichgesetzt wird. Das Erzieherische läuft im alltäglichen Leben mit anderen Dingen mit. Das Kind wird nicht angezogen, gewaschen, ernährt, gepflegt und erzogen, sondern diese Dinge beeinflussen das Lernen positiv wie negativ, bilden den Charakter und formen diesen, erzeugen Ängste oder helfen, diese zu vermeiden etc. (Prange 2000: 38). Des Weiteren haftet dem Begriff Negatives, wie das Eingreifen in die Entwicklung von Kindern, der Einschränkung von Freiheit oder auch Fremdbestimmung, an. Impliziert sind damit Verbote, Drohungen, Beschimpfungen und andere Züchtigungsmaßnahmen. Außerdem war historisch gesehen nicht nur die sittliche und geistige Unabhängigkeit des Menschen, also dessen Mündigkeit, Zweck von Erziehung, sondern auch Unterwerfung unter politische, weltanschauliche oder religiöse Herrschaftssysteme (ebd.: 48). Ferner umfasst der Erziehungsbegriff mehrere Dimensionen, die verschiedenen Aspekte und Problemstellungen, die sich um den Begriff ranken, beleuchten. Eine Darstellung dieser Dimensionen soll helfen, sich einer Definition anzunähern und um Webers Theorieebenen und Kriterien eine Ausgangsbasis bzw. Plattform zu offerieren. Allgemein gesagt, versteht man unter Erziehung das Einwirken des Erziehers auf den Zögling (Durkheim 1972: 30), wobei das Einwirken zwischen zwei Polen verschiedene Stärken annehmen kann. Bei einem Pol handelt es sich um das ’klassische‘ Konditionieren, um die explizite Formung und Kontrolle des Zöglings durch den Erziehenden, was sich auch im Begriffspaar Befehl und Gehorsam bzw. einem autokratischen Erziehungsstil widerspiegelt. Der andere Pol gibt die Rousseausche Vorstellung von Erziehung wieder, nämlich den weitestgehenden Verzicht von Einwirkungen auf den Zögling, einer Erziehungstechnik des Laissez-faire, wie er es in seinem Erziehungsroman ’Emile‘ (1970)1 beschreibt. Neben einem weitestgehenden Verzicht auf 1 16

Erstmals erschienen 1762.

ERSTER TEIL: GRUNDLEGUNG DES ERZIEHUNGSBEGRIFFS

Einwirkungen von Seiten des Erziehers wird dessen Aufgabe vor allem auf das Fernhalten von negativen Einflüssen auf seinen Zögling beschränkt.2 Darüber hinaus soll er hier und da Anreize schaffen bzw. pädagogische Situationen aufbauen, durch die und in denen sich der Zögling aktiv mit seiner Welt auseinandersetzen kann. Der Erzieher greift also nie direkt in den Erziehungsprozess ein, sondern nur indirekt. In den zwei Polen spiegeln sich auch die zwei Grundverständnisse von Erziehung wider: Erziehung als einerseits ’herstellendes Machen‘ im Sinne einer klaren Zielvorgabe unter Hinzuziehung bestimmter Mittel, andererseits die Rousseausche Variante, in der Erziehung als die Aufzucht einer Pflanze im Sinne eines ’begleitenden Wachsenlassens‘ betrachtet wird. Der Erzieher zeigt sich hier im Bild des Gärtners und nicht des Handwerkers (Dollinger et al. 2007: 24; Gudjons 2003: 185 f.).

Grundstruktur des Erziehungsbegriffs Erziehung kann nach einer gewissen Grundstruktur entfaltet werden. Begonnen werden soll mit der Notwendigkeit von Erziehung, was sich unter die Frage (1) ’Warum erziehen?‘ subsumieren lässt. Das ’warum‘ der Erziehung, also die eben erwähnte erzieherische Funktion, wird durch drei Blickwinkel betrachtet, die bereits einige der noch folgenden Merkmale implizit vorwegnehmen: (a) Erziehung zur mündigen Person, (b) Machtausgleich zwischen Kind und Eltern und (c) das Generationenverhältnis zwischen Jung und Alt. Alle drei Aspekte führen auf die anthropologische Frage ’Was ist der Mensch?‘ zurück. Der Mensch als ’Mängelwesen‘ im Sinne Arnold Gehlens und Kultur als Kompensation dieses Mangels (Gehlen 1961: 41). Zudem wird der Mensch als geistbegabtes Wesen gesehen. Dabei ist Kultur die Verkörperung dieses Reichtums. Beide anthropologischen Grundauffassungen sind Ausgangspunkt für die oben genannte Frage. Die pädagogische Anthropologie beispielsweise betrachtet den Menschen in Hinblick auf Fragestellungen und Resultate der Erziehungswissenschaft. Der Mensch wird hier als erziehungsfähiges und erziehungsbedürftiges Wesen erforscht (Gudjons 2003: 175-183). In diesem Zusammenhang macht es Sinn, die Take-Off-Phase der Erziehung mit der Geburt des Kindes beginnen zu lassen.3 Die Eltern haben zunächst die ’Totalverantwortung‘ für das Kind, es zu ernähren, zu pflegen, vor negativen Einflüssen zu bewahren etc., die mit dem Laufe der Zeit zurückgehen. Man spricht hier auch von einer Notwendigkeit der Fürsorge (Marotzki et al. 2005: 137-139; Gudjons 2003: 83 f., 176; Giesecke 1994: 70). 2 3

Dies wird auch als negative Erziehung bezeichnet (Marotzki et al. 2005: 138). Es würden sich hier sicherlich auch gut begründete Meinungen finden lassen, die die pränatale Phase unter Erziehung subsumieren würden, was aber hier nicht weiter verfolgt wird. 17

ERZIEHUNG ALS W ERTSPHÄRE

Unter dem ersten Blickwinkel (a) fallen Begriffe wie Mündigkeit oder Entwicklung als Person. Unter Mündigkeit versteht man, den Menschen zum ’richtigen‘, ’vollwertigen‘ Menschen zu erziehen und dass dieser Sachverhalt mit Mündigkeit erreicht ist. Letztlich sollen heranwachsende Menschen in die Gesellschaft integriert werden. Sie lernen, die Regeln der Gesellschaft zu befolgen. Erst, wenn der Mensch gelernt hat, Regeln zu folgen, kann er später seinen eigenen Regeln folgen. Erziehung eröffnet in diesem Sinne die Chance, sich überhaupt als Mensch zu entwickeln. Auch Kant prägte den Erziehungsbegriff, indem „der Mensch nur Mensch werden kann durch Erziehung“ (Kant 1978: 699). Mit dieser Argumentationsfigur sind allerdings einige Probleme verbunden. Erstens ist es fraglich, ob der Mensch erst ab Mündigkeit ein ’richtiger‘ Mensch ist. Zudem ist es schwierig, aus dem schwammigen Status des ’vollwertigen Menschseins‘ Normen für erzieherisches Handeln abzuleiten. Trotz all dieser Kritik gehört diese Argumentationsfigur zum festen Bestandteil, warum erzogen werden muss. (b) Neben ihrer Verantwortung für das Kind haben die Eltern auch eine ’uneingeschränkte‘ Macht gegenüber dem Kind. Ein ’warum erziehen‘ wird damit begründet, dass dieses Machtgefälle durch Erziehung allmählich ausgeglichen werden kann und wird (Marotzki et al. 2005: 137-139; Gudjons 2003: 83 f., 176, 194). Der letzte Gesichtspunkt (c) beschäftigt sich mit dem Generationenverhältnis. Schleiermacher nimmt in seinen Vorlesungen aus dem Jahre 1826 dazu wie folgt Stellung: „Es muß also eine Theorie geben, die von dem Verhältnis der älteren Generation zur jüngeren sich die Frage stellt: Was will denn eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren? […] Auf dieser Grundlage des Verhältnisses der älteren zu jüngeren Generation, was der einen in Beziehung auf die andere obliegt, bauen wir alles, was in das Gebiet dieser Theorie fällt“ (1957: 9). Im Grunde genommen geht es Schleiermacher darum, dass die jüngere Generation nicht von vorne anfängt, sondern das Wissen und die Erfahrung von der älteren Generation übernehmen soll. „In dem Maße als dieses Zusammenwirken zunimmt, nimmt die Einwirkung der älteren Generation auf die jüngere ab, und wird am Ende gleich Null. Dann hat Erziehung aufgehört“ (ebd.: 12). Schleiermacher impliziert damit zwei Ebenen: zum einen die Mündigkeit des Einzelnen auf der individuellen Ebene, zum anderen die Integration des Einzelnen in die Gesellschaft, sein Mitwirken und seine Teilhabe am kollektiven Geschehen. Alle drei Argumentationsfiguren der Notwendigkeit von Erziehung haben eins gemeinsam, nämlich das ’Ende‘ von Erziehung, dessen Prozess in der Regel mit dem Jugendalter aufhört. Damit ist nicht gemeint, dass erzieherische Handlungen im Erwachsenenalter nicht mehr vorkommen oder nicht mehr Gegenstand von Untersuchungen sind, aber die Akzentuierung von Erziehung liegt vornehmlich im Bereich des Heranwachsenden (Marotzki et al.

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ERSTER TEIL: GRUNDLEGUNG DES ERZIEHUNGSBEGRIFFS

2005: 137-140; Gudjons 2003: 83 f., 176, 190; Koller 2004: 164; Giesecke 1994: 70). (2) Ein weiterer Bestandteil der Grundstruktur ist der Erziehende. Darunter fallen nicht nur die Eltern, sondern das gesamte pädagogische Personal, das (3) in den folgenden Orten der Erziehung vorkommt: Haus, Krippe, Kindergarten, Hort und Schule. Den vier Letztgenannten wird in dieser Arbeit besondere Beachtung geschenkt, da sie die vier wesentlichen Orte bzw. Stationen abbilden, in denen professionelle kindliche Erziehung stattfindet. Inwieweit damit die institutionell-organisatorische Ebene angesprochen ist und es sich dabei um Laien oder Virtuosen handelt, muss noch geklärt werden. Nach Prange umfasst die Hauserziehung Erziehung und Lernen. Er hebt das Intentionale und das Erzieherische hervor, weil der Erziehende in das Lernen eingreift, es steuert, es in gewisser Weise formt etc. Geht man aus der Familie zu den außerfamiliären Stationen der Erziehung über, spricht man vom expliziten Wissen über Erziehung. Dieses Wissen der Erzieher wird über eine spezialisierte Ausbildung angeeignet und in dieser Arbeit unter dem Professionalisierungsbegriff subsumiert. Professionalisierung meint u.a., dass im Gegensatz zu den Eltern, die Erzieher und Lehrer über eine entsprechende spezialisierte pädagogische Ausbildung verfügen. Die Frage nach dem (4) ’Wer soll erzogen werden?‘ richtet sich auf Kinder und Jugendliche.4 Geht man anfangs von einer hohen Erziehungsnotwendigkeit aus, so nimmt diese im Laufe der Zeit ab. Erziehung ist, wie oben bereits erwähnt, lebensgeschichtlich ’begrenzt‘. (5) ’Wie soll erzogen werden?‘ Die Frage beschäftigt sich mit den Mitteln der Erziehung. Das Problem besteht darin, dass wir letztlich nicht wissen können, ob die eingesetzten Mittel zum gewünschten Erfolg führen. Eine eindeutige Rückführung der Erfolge auf die Mittel ist nicht möglich. Ein Stück Ungewissheit bleibt. (6) ’Welche Intentionen stecken hinter den erzieherischen Handlungen?‘ Grundlegend für die Erziehung ist, dass nur absichtsvolles Handeln auch erzieherisches Handeln sein kann. Zudem muss es sich dabei um erzieherische Intentionen handeln (Marotzki et al. 2005: 140 f.). „Erziehung ist, und darin liegt der Unterschied zu Sozialisation, intentionalisiertes und auf Intention zurechenbares Handeln“ (Luhmann 1996a: 330; vgl. Tenorth 1988: 17). Sozialisation umfasst auch die ungeplante Beeinflussung des anderen und grenzt sich dadurch vom Erziehungsbegriff ab.5 Zudem bezieht sich der Sozialisationsbegriff auf den lebenslangen Prozess, wohingegen Erziehung, wie bereits erwähnt, sich auf Kinder und Jugendliche beschränkt (Löw 2003: 22; Marotzki 4 5

Der Übergang zwischen Kindern und Jugendlichen ist als fließend zu verstehen. Außerdem gibt es keine eindeutige Grenze, wann das Jugendalter endet. Wichtig dabei ist, dass die Beeinflussung schon immer gesellschaftlich vorstrukturiert ist, die oder der Erziehende ist bereits vergesellschaftet. 19

ERZIEHUNG ALS W ERTSPHÄRE

et al. 2005: 141; Giesecke 1994: 69 f.; Heid 2004: 51-54).6 Berger und Luckmann verstehen unter Sozialisation „die grundlegende und allseitige Einführung des Individuums in die objektive Welt einer Gesellschaft oder eines Teiles einer Gesellschaft“ (2001: 140 f.). Dieser Integrationsaspekt wird zwar auch über Erziehung geleistet, aber eben vorwiegend unter dem Sozialisationsbegriff problematisiert, weil dieser stärker auf den gesellschaftlichen Aspekt fokussiert ist. Darüber hinaus lassen sich beide Begriffe über ihren Neutralitäts- bzw. Normbezug unterscheiden. Sozialisation wird eine „wertneutrale >BeobachtungsperspektiveHandlungsperspektive