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German Pages 250 Year 2015
Anne von Oswald, Andrea Schmelz, Tanja Lenuweit (Hg.) Erinnerungen in Kultur und Kunst
2009-09-21 14-54-37 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ea221438431398|(S.
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Anne von Oswald, Andrea Schmelz, Tanja Lenuweit (Hg.) Erinnerungen in Kultur und Kunst. Reflexionen über Krieg, Flucht und Vertreibung in Europa
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Dieser Band erscheint anlässlich der Ausstellung »Heiss oder Kalt« und geht aus dem Dialogprojekt »Memory, Culture and Art« (2007-2009) hervor (www.memory-culture-art.org). Das Projekt wurde realisiert durch Netzwerk Migration in Europa e.V. (www.network-migration.org). Der Druck des Bandes erfolgte durch die Unterstützung des Programms »Europa für Bürgerinnen und Bürger« der Europäischen Union.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Franziska Morlok © 2009 für die abgebildeten Werke der Künstlerinnen und Künstler Katja Eydel, Flaka Haliti, Alen Hebilovic´, Ulrike Kuschel, . Mladen Miljanovic´, Nihad Nino Pusija, Piotr Zylin´ski Übersetzung: Justin Smyth Redaktionelle Mitarbeit: Sarah Becker, Karin Leiter Lektorat: Anne von Oswald, Andrea Schmelz, Tanja Lenuweit Satz: Alexander Masch, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1202-8 ^
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt Anne von Oswald, Andrea Schmelz, Tanja Lenuweit Einleitung ....................................................................................................
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I. Kunst und Erinnerungsdiskurs Artist talk with Albert Heta, Šejla Kamerić, Borka Pavičević, Branimir Stojanović and Milica Tomić, moderated by Rozita Dimova Do we Need Art for Remembrance? .......................................................... 25 Zoran Terzić Making up Things. On the Ideology and the Art of Remembrance ....... 41 Mladen Miljanović Mechanism of Relation, 2009 ................................................................... 55 Petra Reichensperger Art Matters ................................................................................................... 57
II. Reflexionen zu Erinnerungen an Krieg, Flucht und Vertreibung in den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens Anne Cornelia Kenneweg Writers in Conflict. Literature, Politics and Memory in Croatia and beyond ................................................................................. 63 Katja Eydel Zielscheibenkampagne ’99 ........................................................................ 79
Vladimir Tupanjac Art and a Public Affair. Serbia between 1989 and 2001 .......................... 83 Alen Hebilović Yugotrip, 2005 ............................................................................................. 97 Rozita Dimova Memory in Peril: Srebrenica as a »Commemorative Arena« .................. 99 Nihad Nino Pušija Bosnische Diaspora, 2004 .......................................................................... 109 Boris Buden Kunst und Macht im postsozialistischen Erinnerungsdiskurs. Interview von Zoran Terzić ...................................................................... 111 Flaka Haliti Our Death / Other’s Dinner ....................................................................... 123 Felicia Herrschaft Articulations of Remembrance in Art and Culture in Kosovo ................ 125 Daniel Šuber Semiotische Kämpfe im Nachkriegs-Serbien. Zur politischen Ikonographie der Straße anhand von Graffiti und Street-Art. Ein Forschungsbericht ................................................................................ 141
III.Reflexionen zu Erinnerungen an Krieg, Flucht und Vertreibung in Polen, Tschechien und Deutschland nach 1989 Matěj Spurný Erinnerung an Flucht und Vertreibung zwischen Tabuisierung und Instrumentalisierung. Tschechische und deutsche Geschichtspolitik und Erinnerungskultur im Vergleich ....................................................... 165 Petr Příhoda im Gespräch mit Doris Liebermann Die abgeschobene Geschichte .................................................................... 183
Ulrike Kuschel »Arisierte« Betriebe, 2008 ......................................................................... 195 Jörg Bernig Literatur der Erinnerung Interview von Anne von Oswald .............................................................. 197 Leszek Szaruga im Gespräch mit Doris Liebermann Deutsch-polnische Knoten ......................................................................... 203 Piotr Żyliński Abgeschlossen, 2009 .................................................................................. 215 Piotr Filipkowski und Anna Wylegała Kreuz/Krzyż Wielkopolski − Kreuzung deutscher und polnischer Erinnerung: Ein Oral-History-Werkstattbericht ............................................................. 217 Margit Eschenbach Weder hier noch dort – Vertreibung im Dokumentarfilm Interview von Andrea Schmelz ............................................................... 229 Autoren und Künstler ................................................................................. 237
Einleitung Anne von Oswald, Andrea Schmelz, Tanja Lenuweit
Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt mein Gedächtnis nach. Friedrich Nietzsche Wer sich nicht erinnert, der existiert nicht. Die Erinnerungen lassen den Menschen Wirklichkeit werden, verleihen der Vergangenheit Gestalt. György Konrad
Das Ende der deutschen und europäischen Teilung nach 1989/90 stellt das postsozialistische Europa vor neue Herausforderungen und Chancen im Umgang mit der Vergangenheit. In der Art und Weise wie sich Gesellschaften und Individuen ihrer Vergangenheit erinnern, entwickeln sich Identitäten und werden Kontinuitäten oder Brüche geschaffen. Diese gegenwärtigen Erinnerungen aber vollziehen sich mit dem Blick auf die Zukunft. Aus Sicht des Sozialpsychologen Helmut König geht es nicht um eine »Steigerung der Gedächtnisfähigkeit um ihrer selbst willen, sondern um Prävention. Die Erinnerung an die Vergangenheit tritt mit dem Versprechen auf, ihre Wiederkehr und ihr unkontrolliertes Fortwirken zu verhindern.«1 Mit seinem interdisziplinären Ansatz, der kontroverse Reflexionen von Künstlern, Schriftstellern, Intellektuellen und Wissenschaftlern gegenüber stellt, eröffnet der vorliegende Band neue vergleichende Pers1. Helmut König: »Erinnern und Vergessen. Vom Nutzen und Nachteil für die Politik«, in: Osteuropa, 58, 6/2009, S. 27-40, hier S. 34.
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pektiven auf europäische Erinnerungsdiskurse zu Krieg, Flucht und Vertreibung. Fokussiert werden zum einen die Diskurse, die in Tschechien, Polen und Deutschland über den Umgang mit der Erinnerung an Flucht und Zwangsmigrationen am Ende des Zweiten Weltkrieges geführt werden, und zum anderen die Erinnerungskämpfe, die in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien stattfinden. Erklärtes Ziel dieses Bandes ist das Zusammenführen diskursiver Stränge einer künstlerischen, literarischen, wissenschaftlichen und autobiografischen Auseinandersetzung für eine pluralistische Erinnerungskultur. Hinsichtlich der angestrebten Interdiszplinarität und Multiperspektivität wurde bewusst darauf verzichtet, die Beitragenden auf ein einheitliches methodisches Konzept von Erinnerung oder Erinnerungskultur festzulegen. Dieses wird entschieden offen gehalten, um keine bestimmte Sichtweise oder Interpretation vorzugeben. Gemeinsam ist jedoch allen die Überzeugung, dass es die eine wahrhaftige Erinnerung nicht gibt, weder mit kurzem Abstand zu den Geschehnissen, wie in den postjugoslawischen Gesellschaften, noch in größerer zeitlicher Distanz, wie in Polen, Tschechien und Deutschland. So geht es bei Erinnerung um ein Konstruieren, nicht um ein Rekonstruieren vergangener Ereignisse. Es entsteht ein sich stetig wandelndes Konstrukt aus zum Teil ambivalenten persönlichen und gesellschaftlichen Interpretationen des Vergangenen. Das gemeinsame Erkenntnisinteresse aller Beitragenden besteht darin, zu analysieren und zu verdeutlichen, unter welchen Bedingungen, wie und durch welche Einflussfaktoren, bestimmte Themen oder Inhalte erinnert bzw. verdrängt oder vergessen werden, und welche Funktion und Position die Kunst in dem sich stetig wandelnden Erinnerungsprozess und -diskurs über Krieg, Flucht und Vertreibung einnimmt. Zentrale Frage ist dabei, was Kunst überhaupt als aktiver Part des Erinnerungsprozesses leisten kann und welche Erwartungen sich an sie knüpfen. Inwieweit ist es für die Kunst möglich, die jeweils national geprägten öffentlichen Debatten zu öffnen und sich dem Diktat der offiziellen Erinnerung zu entziehen. Ist es nicht viel leichter, dass wir aus individueller wie kollektiver Perspektive vorzugsweise die Vergangenheiten erinnern, auf die wir stolz und ohne Scham oder Schuld zurückblicken? Im Falle der Divergenz von Selbstbild und geschichtlichen Ereignissen wird nicht das eigene oder kollektive Selbstbild relativiert, sondern die Erinnerung im Sinne einer Veränderung oder Anpassung der Vergangenheitsdeutung an die politischen Bedürfnisse der Gegenwart manipuliert. Dieses erstreckt sich nicht allein auf das Verdrängen, Manipulieren und Tabuisieren einzelner Aspekte, sondern durchdringt die Interpretation(en) der Ereignisse und Vorgänge im Kontext des Krieges in den beiden 10
Einleitung
Regionen Europas, die in diesem Band betrachtet werden: zum einen die Erinnerungen an einen Krieg sowie Vertreibungs- und Fluchterfahrungen, die bereits über sechs Jahrzehnte zurückliegen, wie in Polen, Tschechien und Deutschland, und zum anderen die Erinnerungen an einen Bürgerkrieg, der nicht einmal zwei Jahrzehnte vergangen ist, wie in Bosnien, dem Kosovo, Kroatien und Serbien. Die Beiträge dieses Bandes, ob in Form von künstlerischem Erinnern, wissenschaftlichen Analysen oder kritischen Reflexionen in Gesprächen, befassen sich mit der gesellschaftspolitischen Rolle von Kunst, Literatur, Fotografie und Film. Steckt in der Kunst das Potential, um eine Gegenerinnerung aufzubauen, die das Schweigen bricht, das Verdrängte hervorholt und Menschen eine Stimme gibt, die vergessen wurden? Mit unterschiedlichen Formen der Reflexionen versucht dieser Band auf diese zentrale Frage Antworten zu geben. Die Debatten um das Zentrum gegen Vertreibung und die Beneš Dekrete zeigen, wie stark Geschichte die aktuelle Politik und die Gesellschaft zu beeinflussen vermag. Wie sich Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung um die jüngste Geschichte sowohl auf nationale Identitäten als auch auf europäische Perspektiven auswirken, verdeutlichen die Prozesse in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Trotz der unterschiedlichen historischen Kontexte gibt es zwischen den beiden Regionen, wie auch den einzelnen Ländern, Parallelen in den Erinnerungsdiskursen über Krieg, Flucht und Vertreibung. Im wiedervereinigten Deutschland, in Polen und in Tschechien stellt die heutige öffentliche Debatte um Erinnerungskultur und -politik in erster Linie bisherige nationale Mythen in Frage und fordert die Beziehungen zwischen diesen drei Ländern neu heraus. Während sich der Systemwechsel in Mittel- und Osteuropa friedlich vollzog, erlebte das ehemalige Jugoslawien einen von Gewalt, Kriegen und Zwangsmigrationen gezeichneten Umbruch, der zur Bildung neuer Nationalstaaten führte. In den Nachkriegsgesellschaften des ehemaligen Jugoslawiens, in Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina wie im Kosovo, erweist sich die öffentliche Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit vor allem als ein national und ideologisch geprägter Erinnerungskampf. Geschichte und Erinnerung sind jedoch überall gegenwärtig und werden als Ressourcen der Macht genutzt. Je mehr Gegenerinnerungen, widersprüchliche Bilder und konkurrierende Erinnerungen die Diskurse in beiden Regionen prägen, umso mehr schaffen sie die notwendige Voraussetzung für eine pluralistische Erinnerungskultur.
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Der vorliegende Sammelband basiert auf den Ergebnissen des interdisziplinär ausgerichteten Projektes »MEMORY, CULTURE AND ART«. Ausgehend von einem kreativ-kritischen Dialog und Austausch zwischen Kunst, Kultur und Wissenschaft über den öffentlichen und privaten Umgang mit Vertreibung, Flucht und Krieg wurden in diesem Projekt nationale und transnationale Erinnerungskulturen und die Rolle der Kunst im Erinnerungsdiskurs hinterfragt. Der Band geht aus einem internationalen Dialogprojekt in den Jahren 2008 und 2009 hervor, das eine internationale Tagung, mehrere Workshops mit Künstlerinnen und Künstlern, eine Gesprächsrunde zwischen Künstlerinnen und Künstlern aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens sowie die Ausstellung »HEISS ODER KALT« umfasst. Im ersten Teil des Bandes wird über die Rolle der Kunst im Erinnerungsdiskurs und über das Konstruieren von Erinnerung reflektiert. Alle Beitragenden, ob Künstler, Intellektuelle oder Wissenschaftler, fordern einen kritischen Umgang mit den jeweiligen Instrumentalisierungen von Erinnerung ein. »Brauchen wir die Kunst für die Erinnerung« lautet die Leitfrage einer Gesprächsrunde von Kunst- und Kulturschaffenden aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens, die unter der Leitung von ROZITA DIMOVA (Berlin) im November 2008 im Goethe-Institut Belgrad stattfand. Im Sinne Adornos wurde Kunst als eine Sprache begriffen, die es möglich macht der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. BORKA PAVIČEVIĆ (Belgrad) unterstrich das Potential von Kunst, die Geschichte zeitlich, räumlich und geistig mit der Gegenwart zu verbinden. Sie sei aber auch ein Mittel, um Verwirrung zu stiften und so vermeintliche Realitäten in Frage stellen, denn nicht nur die Erinnerung sei ein Konstrukt, sondern auch die Realität, so ALBERT HETA (Prishtina). Das Bestreben, möglichst schnell zu vergessen, aber nicht zu vergeben, charakterisiere die momentane Situation in den Nachkriegsstaaten, stellte ŠEJLA KAMERIĆ (Sarajevo/ Berlin) fest, weshalb es auch in der Kunst immer darum gehe, zu erinnern, was man vergessen hat. Für MILICA TOMIĆ (Belgrad) und BRANIMIR STOJANOVIĆ (Belgrad) ist es eine Notwendigkeit, sich nicht nur mit Erinnerung, sondern auch mit ihren politischen und ästhetischen Manifestationen auseinander zu setzen. Sie verfolgen deshalb die Strategie, im Sinne eines fortwährenden künstlerischen Prozesses einen politischen Raum für Diskussionen zu generieren, in dem unterschiedliche Gruppen ihre politischen Positionen definieren. Um die Rolle der Erinnerungskultur, die heute den Status einer Religion erlangt hat, geht es im Beitrag von ZORAN TERZIĆ (Berlin). Er argumentiert, dass die Vergangenheit niemals in einem ideologisch freien 12
Einleitung
Raum erinnert wurde. Auch die Kunst war und ist nie apolitisch und wirkt niemals in einem apolitischen Raum. Seit jeher half die Kunst die Beziehung zwischen individuellen und kollektiven Konstruktionen der Erinnerung sowie den Hegemonieanspruch der Machtinhaber herzustellen. Anhand von Beispielen zeigt er in seiner kunstwissenschaftlichen Analyse, wie stark die Künstler in einem Spannungsverhältnis zu den gesellschaftlichen Erwartungen stehen, öffentlichen Aufträgen, den eigenen individuellen Erinnerungen und den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umständen, in denen sie leben. Gleichermaßen stehen Erinnerungsdiskurse wie auch Kunstfragen und die Kulturproduktion in Beziehung zu Machtfragen, die die Interpretation und Konstruktion der Ursachen maßgeblich beeinflussen können. Der Künstler MLADEN MILJANOVIĆ (Banja Luka) gehört zu der Generation, die den Balkankrieg als Kinder und Jugendliche miterlebt hat. Die Erfahrungen der Kriegszeit und der Nachkriegszeit im zerstörten, verarmten, ethnisch und territorial geteilten, und nach außen isolierten Bosnien und Herzegowina haben den Künstler ebenso geprägt wie seine Zeit bei der Militärakademie. Mladen Miljanović, der in bewusster Übernahme der militärischen Terminologie heute von sich sagt »I serve art«, sieht in der Kunst ein Mittel, um sich mit negativen Erfahrungen der Vergangenheit zu konfrontieren: »I use art as the means for sublimation of the negative forms of the past, taking performance, installation, image, photograph as media through which the forms of social trauma are being redefined.« Wie gehen Künstler mit Krieg um, fragt sich die Kuratorin PETRA REICHENSPERGER (Berlin). Die Mehrheit der Künstler haben die Opfer sowie Unterdrückten im Blick und setzen auf eine Gegenerinnerung und auf ihre gesellschaftliche Rolle als moralische Instanz. Dabei nehmen aus ihrer Sicht künstlerische Arbeiten, die sich mit Vergangenheit und Erinnerung beschäftigen, eine Schlüsselrolle ein und bestimmen mit, was verdrängt und was erinnert wird. Obwohl sie auch die Gefahr der Instrumentalisierung von Künstlern wie auch Kuratoren berücksichtigt, fragt sie sich, inwieweit das bestehende Potential der künstlerischen und kulturellen Gegenerinnerungen eine Wende in der kulturellen Praxis des Erinnerns herbeiführen kann. Der zweite Teil des Bandes fokussiert die Erinnerungen an Krieg, Flucht und Vertreibung in den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens. Wissenschaftler und Künstler analysieren und reflektieren aus unterschiedlichen Perspektiven heraus künstlerische und kulturelle Strategien. Innerhalb der Kulturproduktion untersucht ANNE KENNEWEG (Leipzig) die Rolle der Schriftsteller in der Übergangszeit zum kroatischen Nationalstaat und versucht ihren Einfluss – ob von außerhalb oder innerhalb 13
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der kroatischen Gesellschaft – zu bewerten. Um überhaupt die Komplexität und den Wandel von Transformationsprozessen zu begreifen, gilt es nach der Analyse der Autorin, die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Einflussfaktoren zu berücksichtigen und einzubeziehen: 1. die sozialen und politischen Bedingungen, unter denen Literatur entsteht, 2. die meist persönlich erlebten Kriegserfahrungen der Schriftsteller, 3. das Entstehen des ethnischen Nationalismus in Kroatien als dominantes kulturelles Konzept sowie 4. die rückwärts gewandte Bezogenheit auf das alte sozialistische Jugoslawien und gleichzeitig die Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses. Die Rolle der Schriftsteller während des Wandels positioniert sie zwischen Unabhängigkeit und einer gleichzeitigen Bindung zur eigenen Gesellschaft über Sprache und Sozialisation. Dabei wird dieses Spannungsverhältnis noch durch die Erwartungen der Öffentlichkeit verstärkt, eine aktive und stützende Rolle während des Übergangs zu Demokratie und Freiheit zu übernehmen. Insbesondere zu Beginn der 1990er Jahre unterstützen viele Schriftsteller und Intellektuelle das neue Regime in Kroatien. An verschiedenen Beispielen zeigt die Autorin die Ambivalenz der Erinnerungsarbeit in der kroatischen Literatur auf. Einerseits bietet sie im besten Fall kritische Interpretationen der Vergangenheit, andererseits besteht die Gefahr, dass die Kritik der Schriftsteller letztendlich dieselben Diskurse und Gedanken reproduziert, die eigentlich distanziert und kritisch analysiert werden sollten. Das Interesse der Künstlerin KATJA EYDEL (Berlin) gilt den gesellschaftlichen Modellen, die innerhalb menschlicher Lebenswelten erzeugt werden. In ihren Arbeiten greift sie gesellschaftliche Konstrukte und Rituale auf, um deren politische und mediale Repräsentanz zu untersuchen. Die in diesem Band gezeigten Fotos entstanden kurz nach Beendigung der NATO-Intervention im Juli und August 1999 in Belgrad, wo sie Gespräche mit verschiedenen Personen aus unterschiedlichen Initiativen führte. Für die Arbeit Zielscheibenkampagne’99 stellte Katja Eydel Fotos und Interviewausschnitte zusammen. Um die Reaktionen der Künstler und Kunstinstitutionen auf die Krise in Serbien geht es in dem Essay von VLADIMIR TUPANJAC (Belgrad). Es wird allgemein angenommen, dass die Kunstszene in Serbien es nicht geschaff t hat, während des Milošević Regimes der Herausforderung politischer und sozialer Umbrüche zu begegnen. Zunehmende Passivität und Rückzug sowie der Wandel eines »sozialen« (öffentlichen) Raumes in einen »bürgerlichen« oder »privaten« Raum kennzeichnen nach Analyse des Autors die serbische Kunstszene in den 1990er Jahren. Ein auffallender Mangel an Ausstellungen wird als Symptom eines sich zeigenden Unbehagens, das Fehlen institutionalisierter Aktivitäten, aber auch als eine Art Ermüdung in Momenten einer generellen Krise interpretiert. 14
Einleitung
Der Fotograf ALEN HEBILOVIĆ (Berlin), geboren 1973 in Prijedor, Bosnien und Herzegowina, kam 1993 als Kriegsflüchtling nach Berlin. In seinen Ausstellungen mischt er neue mit alten Aufnahmen, trennt Bilder aus Serien und Kontexten heraus und montiert sie zu neuen Sequenzen. So vermischt der Künstler Bilder der Nachkriegsgesellschaften Ex-Jugoslawiens mit dem Alltag der in Deutschland lebenden (ehemaligen) Flüchtlinge, verknüpft geografische wie auch Zeitebenen, kombiniert stille Landschaftsaufnahmen mit (scheinbar) dokumentarischen Bildern aus dem Nachkriegsbosnien. Dazwischen eingestreut sind immer wieder Selbstportraits, die so zu biografischen Referenzen der eigenen Kriegsund Fluchterfahrung werden. Ausgehend vom Begriff der »Arena der Erinnerungen« analysiert die Anthropologin ROZITA DIMOVA (Berlin) den Umgang mit der kollektiven Erinnerung an Srebrenica und die Verbrechen des Krieges von 1992-1993 in der bosnischen Postkonfliktgesellschaft. In der »Arena der Erinnerungen« konstruieren und bestimmen Akteure mit verschiedenen Erfahrungen, politischen Zielen und Interessen die kollektive Erinnerung. Am Beispiel des Widerstreits zwischen Serben und Muslimen bei der Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer von Srebrenica sowie der deutschen und europäischen Asylpraxis gegenüber Kriegsflüchtlingen aus Srebrenica zeigt Dimova die Kontroversen und Manipulationen von traumatischen Erinnerungen auf. Vor allem aber verdeutlicht sie, wie sehr das ethnisch gespaltene Schul- und Bildungssystem zum Kampffeld der Erinnerungen wird. Innerhalb dieser ethnopolitischen Spaltung erklärt Dimova Kunst und Kultur im Nachkriegsbosnien zu einer positiven »Arena der Erinnerungen«, da Künstler und Kulturschaffende sich in unterschiedlichen Genres außerhalb der ethnischen Pole bewegen können. Insbesondere das Sarajevo Filmfestival sieht Dimova als Zeichen der Hoffnung, des Multikulturalismus und des friedlichen Zusammenlebens. Ob Film und Kunst als »Arena der Erinnerung« auch breitere Teile der bosnischen Bevölkerung erreichen können, bleibt allerdings für Dimova eine durchaus offene Zukunftsfrage. Der 1965 in Sarajevo geborene Fotograf NIHAD NINO PUŠIJA (Berlin) begreift die Fotografie als Medium der Identitätsfindung. Im Zentrum seiner Bilder stehen Menschen mit ihren ganz eigenen Geschichten und Lebenswelten. Es sind oftmals die gesellschaftlich Marginalisierten, die ihn interessieren wie beispielsweise Roma. Die in diesem Band abgedruckten Fotos zeigen die bosnische Exilgemeinde in Berlin. BORIS BUDEN (Wien/Berlin) reflektiert im Gespräch mit ZORAN TERZIĆ (Berlin) die Funktion des Vergessens während des Transformationsprozesses und des Neubeginns nach dem Zerfall der postjugoslawischen Gesellschaften. Die eigene Mitwirkung an den Verbrechen, die eigene Unterstützung des Regimes von Tudjman und Milošević wurde kom15
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plett vergessen, die ehemaligen Führer für immer aus dem Gedächtnis verdrängt, als wäre nichts passiert. Allein die Kunst hat für Boris Buden das Potential, das Schweigen zu brechen und eine kritische Reflexion über die Grenzen hinaus zu übernehmen und zu artikulieren. »Should the victim get victimized for the second time if it is used as a concept for an artistic creation?« lautet die Frage der 1982 in Prishtina geborenen Künstlerin FLAKA HALITI (Frankfurt a.M.). Ist es legitim, den Opfern gegenüber ethisch vertretbar, wenn in Ausstellungen Fotos von Massakern, von Toten oder deren blutige Hinterlassenschaften gezeigt werden? Thema ihrer Video-Arbeit Our Death / Other’s Dinner sind die vermissten kosovarischen Kriegsopfer aus den Jahren 1997-1998. Dem Videoclip einer Rockband aus Prishtina, die mit einem Titel zu diesem Thema Erfolg hatte, stellt sie eine (Ton-)Aufnahme gegenüber: die einer hochemotionalen Diskussion, die in einer kosovarischen Familie über genau dieses Lied geführt wird. Mit einem dritten Video erfährt diese Arbeit eine Erweiterung. Es ist die Aufzeichnung eines Fernsehinterviews, in dem Flaka Haliti die Videoarbeit und ihre Fragestellung reflektiert. Der Frage, ob und inwieweit der unsichere und prekäre Status des Kosovo seinen Ausdruck in den Arbeiten von Kunst- und Kulturschaffenden findet, geht die Soziologin FELICIA HERRSCHAFT (Frankfurt a.M.) nach. In ihrem Aufsatz fasst sie die Ergebnisse einer umfangreichen Feldforschung zusammen, durchgeführt in den Jahren von 2005 bis 2008, mithin der Zeit vor der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo. Nach ihren Beobachtungen führt das Fehlen von staatlicher Souveränität dazu, dass Künstler und Künstlerinnen in ihren Arbeiten nach politischen Ausdrucksformen suchen, die Kunst wird zum Spielraum für die Schaff ung eigener sozialer Welten. Verarbeitet werden die eigenen Erfahrungen von Krieg und Flucht genauso wie das Gefühl marginalisiert, von Europa abgeschnitten zu sein. Kunst, so stellt Herrschaft fest, hat sich im Kosovo zu einer Strategie entwickelt, um mit der schwierigen und unklaren politischen und sozialen Situation einer Übergangsgesellschaft klarzukommen. DANIEL ŠUBER analysiert in seinem Forschungsbericht zur politischen Ikonografie im Nachkriegsserbien die Ergebnisse einer im Frühjahr und Herbst 2008 durchgeführten Feldstudie. Anhand von Graffiti wird hier das Repertoire der visuellen Selbstbeschreibung im Nachkriegsserbien untersucht. Überprüft werden sollte auch die gängige Vorstellung, dass die serbische Gesellschaft ein »ideologisch geschlossener Container« sei und die serbische Bevölkerung eine wehrlose und apathische Masse, die nahezu geschlossen hinter Milošević gestanden habe. Dem widerspricht die Untersuchung, sie zeichnet das Bild einer in zwei ideologische Lager gespaltenen Gesellschaft. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass sich ein semiotischer Krieg zwischen pro-europäisch orientierten und radikalna16
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tionalistischen Kräften beobachten lässt. Eine Analyse der serbischen Alltagseinstellungen weise auf ein distanziert-negativistisches Gesellschaftsverständnis hin, ein positiv ausgerichteter Gemeinschaftskurs fehle völlig. Das soziologische Stimmungsbarometer, so Daniel Šuber, scheine eher auf ›Sturm‹ als auf ›Entspannung‹ gestellt. Der dritte Teil des Bandes behandelt den Wandel der Erinnerungsdiskurse zu Flucht und Vertreibung in Deutschland, Polen und Tschechien. Die Beiträge zeigen auf, dass zum Abbau von Spannungen zwischen Gruppen mit gegensätzlichen Erinnerungen Pluralität, Kontroversität und Empathie für individuelle und kollektive Erinnerungen notwendig sind und nicht deren Verschweigen und Vergessen. Der tschechische Historiker MATĚJ SPURNÝ (Prag) analysiert den geschichtspolitischen Wandel des deutsch-deutschen und des tschechischen Erinnerungsdiskurses und arbeitet die wechselseitige Beeinflussung von individuellen und kollektiven Erinnerungen heraus. Im tschechisch-deutschen Vergleich zeigt Spurný auf, dass Offenheit, Dialogbereitsschaft und Kontroversität von kollektiven Geschichtsnarrativen sowohl zeitlichen Abstand zu traumatisierenden Geschehnissen als auch gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen erfordern, die plurale Deutungen zulassen. Der tschechische Erinnerungsdiskurs der Nachkriegszeit ist geprägt durch das Spannungsfeld von Selbstviktimisierung, Tabuisierung und allmählicher Pluralisierung im Geschichtsdiskurs seit den 1980er Jahren. Die ost- und westdeutschen Erinnerungsdiskurse zu Flucht und Vertreibung waren vor 1989/90 geteilt, und erst nach der Wiedervereinigung setzt in beiden deutschen Gesellschaften eine Europäisierung des Erinnerungsdiskurses ein. Im Gespräch mit DORIS LIEBERMANN (Berlin) schildert der Psychiater PETR PŘÍHODA (Prag), wie die sudetendeutsche Geschichte und die deutsch-tschechische Aussöhnung zu seinem Lebensthema wurde. Durch die Begegnung mit sudetendeutschen Patienten begann sein Interesse für die Geschehnisse der Vertreibung, die im öffentlichen Raum der tschecheslowakischen Nachkriegsgesellschaft tabuisiert waren. Ende der 1970er Jahre wurde Přihoda Mitautor des poetischen Buches Verlorene Geschichte. Bilder und Texte aus dem heutigen Sudetenland, in dem er gemeinsam mit dem Fotografen Josef Platz die Geschehnisse des ›Abschubs der Deutschen‹ verarbeitet. In sozialistischen Zeiten konnte das Buch nur von einem kleinen Kreis von Menschen rezipiert werden. Nach 1989 setzt er sich vor allem im direkten Gespräch mit Schülern für die deutsch-tschechische Aussöhnung ein, da seine publizistischen Reflexionen zum Thema heftige Kontroversen auslösten. Die 1970 geborene Künstlerin ULRIKE KUSCHEL (Berlin) setzt sich in zahlreichen ihrer Arbeiten mit der deutschen Geschichte des 20. Jahr17
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hunderts auseinander. Sie verfolgt dabei einen konzeptuellen Ansatz, indem sie kontextbezogene Recherchen mit fotografischem Dokumentarismus verbindet. Text- und Bilddokumente werden in ihren Arbeiten häufig durch dreidimensionale oder auch akustische Eingriffe ergänzt. Die im vorliegenden Band abgebildete Arbeit »Arisierte« Betriebe ist hierfür ein gutes Beispiel. Auf einer Litfaß-Säule sind zwei verschiedene Plakate geklebt, das eine, »echte« Plakat wirbt für eine heutige Zwanziger-Jahre-Revue, das andere, von der Künstlerin hergestellt, für eine fiktive Ausstellung namens »Arisierte« Betriebe. Für die Ausstellung »HEISS ODER KALT« setzt sich Kuschel mit der langwierigen Debatte um das Sichtbare Zeichen/Zentrum gegen Vertreibung auseinander. Der Autor JÖRG BERNIG (Radebeul) reflektiert in einem E-mail-Interview mit ANNE VON OSWALD (Berlin) die Rolle der Literatur in der Auseinandersetzung mit Vergangenheit. Bernig sieht Literatur als einen Baustein des kulturellen Gedächtnisses, die das Gewesene auf bewahrt. In der Auseinandersetzung mit der Erinnerung an Krieg, Flucht und Vertreibung handelt es sich um eine Verlusterzählung. Erzählen ist für ihn immer multiperspektivisch und jede Erinnerung hat ein eigenes Existenzrecht, das gleichermaßen über Rollenzuweisung wie über Tabuisierungen und Instrumentalisierungen hinausreicht. Diese Multiperspektive nimmt Bernig in seinem im Jahre 1946 angesiedelten Roman Niemandszeit ein: In einem abgeschiedenen Walddorf im Dreiländereck Deutschland, Polen und der Tschechoslowakei treffen dort gestrandete Flüchtlinge aufeinander und erzählen sich in Rückblenden ihre Lebensgeschichten. Deutsch-polnische Knoten ist der Titel von zwei Bänden, in denen Essays des bekannten polnischen Dichters LESZEK SZARUGA (Warschau) über Berlin und die polnische Erinnerungsliteratur erschienen sind. Seit Ende der 1980er Jahre befasst er sich intensiver mit Flucht und Vertreibung in der deutsch-polnischen Erinnerungskultur. Im Gespräch mit DORIS LIEBERMANN (Berlin) verdeutlicht Szaruga die vielschichtige Rolle der Literatur für die Enttabuisierung von Flucht und Vertreibung im gesellschaftspolitischen Diskurs und Gedächtnis vor und nach 1989. Er streicht vor allem die Kluft zwischen Literatur und der offiziellen Geschichtspolitik heraus: Während die Politik auf Machtverhältnisse und kulturelle Hegemonie abhebt, kann die Literatur die menschliche Seite politischer Machtverhältnisse bearbeiten. Die Installation des 1983 geborenen polnischen Künstlers PIOTR ŻYLIŃSKI (Posen) basiert auf Zeitzeugeninterviews aus Kreuz/Krzyż, die im Rahmen eines umfangreichen Oral-History-Projektes des KARTA Centre von PIOTR FILIPKOWSKI (Warschau) und ANNA WYŁEGALA (Warschau) durchgeführt wurden. Kreuz/Krzyż zählt zu den vielen Orten der osteuropäischen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte, wo sich nach dem 18
Einleitung
Zweiten Weltkrieg ein vollständiger Bevölkerungsaustausch vollzog: Die heutigen polnischen Bewohner der Stadt kamen nach dem Zweiten Weltkrieg in die Stadt, die die Deutschen zuvor zwangsweise verlassen hatten. Das Oral-History-Projekt möchte den Menschen eine Stimme geben, die sonst ungehört bleiben. Der Werkstattbericht der beiden Warschauer Soziologen über die Erinnerungen der ehemaligen und heutigen Bewohner der Kreuz/Krzyż gibt zwei eindrucksvolle Beispiele der insgesamt mehr als 40 Zeitzeugenerzählungen wieder. Der Künstler PIOTR ŻYLIŃSKI arbeitet mit der Vielstimmigkeit der Erzählungen aus Kreuz. Er möchte mit seiner Installation Abgeschlossen die Frage provozieren, ob für seine Generation, die in den 1980er Jahren geboren wurde, die Problematik von Flucht und Vertreibung noch von Bedeutung ist. Er packt die Stimmen in eine verschlossene Kiste – sie sind noch hörbar, aber nicht mehr zu verstehen. Die Verarbeitung der Zeitzeugeninterviews aus Kreuz/Krzyż durch Żyliński greift kontroverse Positionen des Erinnerungsdiskurses auf: Geht der Akt des Vergessens in der dritten Generation nicht zwangsläufig vonstatten? Oder: Bedarf es erst der Dokumentation und Erinnerung von Lebensgeschichten, von Gewalt, Leid und Trauer, um sie dann getrost ›wegschließen‹ zu können? Das OralHistory Projekt der Warschauer Soziologen steht für die Gegenposition zu Żyliński und sieht in der Aufzeichnung und Archivierung von Zeitzeugenerzählungen einen notwendigen Akt des Erinnerns, da heute dieser Teil der Geschichte von Kreuz in der Darstellung der Stadtgeschichte auf der Webpage nicht erscheint und gewissermaßen retuschiert wurde. Zwar sind die Stimmen n der künstlerischen Arbeit Abgeschlossen von Piotr Żyliński in einer ›Kiste‹ weggesperrt, aber sie sind zugleich als Archiv des Wissens im Dokumentationszentrum KARTA auf bewahrt. Der Balkan-Krieg in den 1990er Jahren und die eigene Familiengeschichte bilden den Hintergrund für die filmische Auseinandersetzung von MARGIT ESCHENBACH (Zürich) mit den Themen Flucht und Vertreibung, die das Interview mit ANDREA SCHMELZ (Berlin) aufgreift. In den beiden Autorenfi lmen Eigentlich sind wir (auch) von hier (2004) und Weder hier noch dort (2007) verarbeitet Eschenbach Kindheitserlebnisse in einer Vertriebenenfamilie und setzt sich mit den persönlichen Erinnerungen von Zeitzeugen an Flucht und Vertreibung auseinander. Eschenbach beabsichtigt mit ihren Filmen neue Möglichkeiten des Dialogs zu schaffen, vor allem um Tabus der Erinnerungen zu brechen. Ihre Filme wurden in Deutschland, Polen und der Schweiz gezeigt, und tragen dazu bei, den Opfer- und Täterdiskurs sowohl im Gespräch mit der älteren als auch der jüngeren Generation zu pluralisieren.
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von Oswald, Schmel z, Lenuweit
Danksagung Dieser Band entstand aus der zweieinhalbjährigen intensiven Zusammenarbeit im Rahmen des Projektes »MEMORY, CULTURE AND ART« mit Wissenschaftlern, Künstlern und Kulturschaffenden, Förderern und Freunden. Allen am Projekt Beteiligten sei sehr herzlich gedankt dafür, dass sie das Projekt durch ihre kritische Mitarbeit und Begleitung, durch wichtige Anregungen, neue Perspektiven und entscheidende Impulse möglich gemacht haben. Unser Dank geht zunächst an die Förderer des Projektes, die uns kontinuierliche Unterstützung und Vertrauen entgegen gebracht haben: Michael Thoss, Leiter der Allianz Kulturstiftung; Lothar Kopp, Stellvertretender Leiter des Medienzentrums der Bundeszentrale für politische Bildung; Dr. Robert Grünbaum, Bereichsleiter der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Unser Dank gilt auch unseren Kooperationspartnern in den beteiligten Ländern und ihren Mitarbeitern. Insbesondere sei Peter Winkels, Haus der Kulturen der Welt/Berlin, sehr herzlich dafür gedankt, dass er uns für die internationale Tagung, mehrere Workshops und die Ausstellung einen Ort des Dialogs gewährt hat. Gedankt sei auch Jutta Gehrig, Goethe-Institut, die uns in Belgrad ein Forum zur Verfügung gestellt hat, um Vertreterinnen und Vertreter aus Kunst und Kultur aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens miteinander ins Gespräch zu bringen. Vielen Dank auch an den Leipziger Kreis, insbesondere an Thomas Klemm, für die vielen anregenden und unterstützenden Gespräche. Darüber hinaus danken wir für die erfolgreiche Kooperation in den Projektländern mit Vertretern und Vertreterinnen der folgenden Organisationen: Antikomplex, Prag; Centre for Cultural Decontamination, Belgrade; The Documentation Centre of Wars 1991-1999, Belgrade; KARTA Centre, Warsaw; Youth Initiative for Human Rights mit ihren Vertretungen in Belgrad, Sarajevo und Prishtina. Die Herausgeberinnen des Bandes sind nicht nur den Autorinnen und Autoren sowie den Künstlerinnen und Künstlern zu Dank verpflichtet, sondern allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern unserer internationalen Tagung im Sommer 2008, der Workshops, der Gesprächsrunde in Belgrad und unseres Interviewprojekts. Im Besonderen möchten wir uns für die anregenden Dialoge mit den Schriftstellern Tanja Dückers und Beqë Cufaj und den Künstlern und Kulturschaffenden Albert Heta, Šejla Kamerić, Borka Pavičević, Branimir Stojanović und Milica Tomić bedanken. Ohne die tatkräftige Mitarbeit von Sergio Cortés, Vera Hanewinkel, Karin Leiter, Alexandra Jaik, Karina Schnatter, Holger Schnaars und Barry
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Einleitung
Wickenden hätten alle Teilprojekte von »MEMORY, CULTURE AND ART« nicht so erfolgreich durchgeführt werden können. Für die große Mühe der redaktionellen Mitarbeit danken wir sehr Sarah Becker und Karin Leiter sowie Justin Smyth für die redaktionelle Bearbeitung der englischen Texte. Ein ganz besonderer Dank geht an die Kuratorin der Ausstellung »HEISS ODER KALT« im Haus der Kulturen der Welt, Petra Reichensperger, die die kontroversen künstlerischen Arbeiten zur Konstruktion von Erinnerungen nach 1989 zu einer spannenden Ausstellung zusammen gefügt hat. Berlin, im Oktober 2009
Die Herausgeberinnen
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I. Kunst und Er innerungsdiskurs
Do we Need Ar t for Remembrance? Artist talk with Albert Heta, Šejla Kamerić, Borka Pavičević, Branimir Stojanović and Milica Tomić, moderated by Rozita Dimova
The artist talk »Do we need art for remembrance?« was organized by Network Migration in Europe as part of the Project »MEMORY, CULTURE AND ART«. It was hosted by the Goethe-Institute in Belgrade in November 2008. The discussion aimed to further examine the national and transnational cultural memory in post-war former Yugoslavia by focusing primarily on the role of art. The main premise was the idea that art and artists convey important social and political messages by challenging, subverting and reinforcing particular ideologies. The central question guiding the discussion was how artists are dealing with the culture of memory through their creative expressions. While the participants showed different approaches to the subject of (dealing with) memory and remembrance, art was seen as a language that allows possibilities for new dimensions to open up and as always engaged with politics or contextualized in a political framework.
The members of the panel Rozita Dimova is an anthropologist and historian. Currently she is a research fellow and project coordinator at the Institute for Eastern European Studies at the Free University in Berlin. Albert Heta was born and lives in Prishtina, Kosova. He is an artist and the co-founder of Stacion – Center for Contemporary Art Prishtina. In his work he is focusing on contemporary political and social realities including issues of identity, economy of travel restrictions to issues of (economy of)
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war. His works are often acts of intervention in an existing social condition, situation or object. Šejla Kamerić was born in Sarajevo, she lives and works in Sarajevo, London and Berlin. She is working with installation art, performance, video art and photography. In her work she deals with the issues of identity, displacement and memory. Borka Pavičević has worked as dramaturg and publisher. She is cofounder and director of the Centre for Cultural Decontamination in Belgrade which opened up in 1993 to counteract the politics of Milošević and all forms of nationalism, xenophobia, intolerance, hatred and fear and since then has been fostering various activities. Branimir Stojanović lives and works in Belgrade. He is a philosopher and psychoanalyst. He has published numerous essays, articles and studies. Milica Tomić lives and works in Belgrade. She is an artist working with photography, video art, performance and installation art. The issues of identity, political violence, nationality and memory are central to her work. Dimova: I would like to start by referring to Theodor Adorno. His assumption is that art is a language that brings us close to truth; it is not an immediate truth, but it allows us to get a better grasp of truth – something that I think the people on this panel, the artists and social theorists present today, have proven. Art is a language that allows possibilities for a new dimension to open up, and thus to crack open a chink in reality that gives us new insights into what is going on. Following this idea of Adorno that art brings us closer to truth, and also that art is inevitably and always engaged with politics or contextualized in a political framework, I’m very delighted about the talk with the panellists whose works have exemplified this linkage between art and politics. I would like to start by posing a question to you, Borka, as a pioneering figure who has initiated, investigated and revealed how powerful art is. The Centre for Cultural Decontamination has had this very subversive role since its foundation in 1993 to actually invert the whole idea of decontamination, which in the West means something else: it connotes xenophobia and getting free of everything that is external and alien. But in your centre, you show that the internal can also be contaminated by the internal, by itself. The complex and subversive dynamic of the Centre and of your work in the Centre since 1993 has had a major impact on society in Serbia. Your centre was founded during the Milošević era. Now it’s already a time to memorize that period by initiating collective and institutional memory the way you and your centre have been doing. How does the centre define its activities now and how was it then? What has changed?
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Pavičević: First, I think we are all a community of memory. Maybe I am the one who has the most memory because I’m the oldest one: that is very important, because the changes in the meantime – the changes in the territory, the place and time have been huge. What is special is that when you say decontamination and you say that something is contaminated from the inside, when you take the circumstances or context and, what we are actually talking about is disintegration of the ground in that particular time. I am talking about ages because each of us has passed through many ages – sometimes you feel like an Egyptian pyramid. We are merely talking about time and this is a phenomenon which relies on permanent change – disintegration, and discontinuity is the law of the day, so to establish and follow the continuity in memories for so many people it is like re-establishing your biography and destiny. So for Yugoslavia, a country with so many dislocated people – technically, bodily – this question of remembrance is theoretical but also a survival technique. The people are moved around – they are born in one place and die in another, they are digging up their graves and moving around – we are killing a lot, and Milica is going to talk about that. We were even moving the mass graves. The difference is that during that time when the Centre was established, I had this daily job to face the reality of what was going on – it was almost the past but also the reality and now all this past is the reality. It is interesting but also hard work to deal with this question of how to write and how to show that art is important. Let me give an example: we had a dance theatre at that time because we faced the question would humans dance or would they be destroyed? Should the human body produce the dance or be destroyed or is it going to destroy somebody else’s body? I mean this is a huge question but I want to add something to it: I think that people cry more in theatre than in reality. It’s different to cry in theatre, when you watch a scene, than it is when you see something in real life. I will be eager, open, brave enough to say that it is art which temporally, territorially and mentally connects history and the contemporary moment. This is a moment when you have these crossroads and possibilities. You know theory very well, modern and post-modern – when you are talking and writing about the past and future and at first glance you actually have this unfashionable mode: you have to know how to talk about the past. Today, in the streets of Belgrade we encounter our past and one has to read it through the surroundings because in every street, in every movement, in all our relations, in all our political life – the past is present. And such a quantity of the past – this sum of the past – is actually a non-elaborated area which makes people unproductive and non-creative because it is bound to the political life. It doesn’t mean that they don’t want to do anything; it means they can’t do anything. 27
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Dimova: So your Centre’s and your task is basically to make this translation possible? Pavičević: To find a language, to deal with the language, whether that is through theatre, an exhibition, a meeting or a personal guest, or our gathering, it means to make it visible. Dimova: Šejla, memory has been an underlying force in your work. Having grown up in Sarajevo during the siege and having suffered personal loss during the war – your father’s death – I was wondering how could you articulate or label this creative force: the force of memory in your work? It seems that in your last project in 2008, I remember, I forgot, you stated that memory is very elusive, very fluid. You don’t have a proper grasp of it, because even the message in the bottle has faded. Can you tell us something more about how memory, or the notion of memory, has driven or inspired your work? Has it changed over time for better or worse? Kamerić: It is obvious from my personal background why I am dealing with memory and why it is a necessity in the production of my art. From dealing with topics that have directly influenced my life, in one moment I was trying to forget, to make art without memory or to see if I am able to do that. That was a very interesting period in my life and somehow it was absolutely to opposite from what I wanted. I reconnected with my memories more deeply. Then, from that phase, very naturally came the phase of »new memory« or »memory imagination« which you noticed in my recent artwork that I made for Folkestone Triennale, entitled I remember, I forgot – in which I went to a, for me, unknown place: Folkestone, a small town on the coast of England, a place full of different realities and memories, a place that is undergoing huge transition and it is obvious that at this place an erasure of memory will happen. I know that for sure because I went through that phase myself: I know how impossible it is to completely erase everything: memories can only change and you can adapt and imagine different realities, but you can never really erase everything. For my work in Folkestone I created 12 stories followed by photographs, dealing with urban legends of the place – small stories that locals are proud of, historical facts… I try to keep them for the future in a way that they are easier to consume: you can repeat them and change them without fear. We can draw a parallel between what we’re trying to do in art, with technology. I just bought a new electronic device called a time capsule. It was a necessity in the computer world to create something that not only saves our data, not only is a server, but a time capsule. We think or pretend that history is something we are constantly creating and something we control. 28
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And this time capsule is true history: it captures all your movements in time. So, whenever we do something, the time capsule records it, everything is just there and you just need to remember what you forgot. It is fascinating for me to understand that this is reality and also this is true history. Dimova: Albert – your art has always had a very explicit political agenda – you’re very direct. Heta: Not really! Dimova: I mean in terms of subverting politics and intervening with the meaning of politics. Although, as I’ve mentioned, it has often been misinterpreted and misunderstood – but your intention, especially with the project Kosovar Venice Pavilion at the Venice Biennale, must have been to provoke emotions among people, and to give them a glimmer of happiness, as you say at one point. I was wondering if you could tell us what is the relationship between this intention you have of provoking emotions and making people not really see that there might be a different reality, but by making an imposition with a completely different reality? Could you say something more on this play between one reality versus another? What is reality for you and for your artistic work? Heta: Reality is something that you create. This work was not actually about producing happiness – that was a different project that I did through public television in Kosova1 – but this work was to create confusion and to question things which are around us, especially around the issue that we always would like to be in the past, like the issue of Kosovan independence and which is always filling the present and the question of the Venice Biennale as a structure. The idea was basically to go a step further than the first project, which was done for the Cetinje Biennale,2 and now to question two things: What is a Kosovar and what is an Albanian identity? When we say »Kosovan state« is that still a national project or is it not? Is this project based on a nationalistic agenda? In my opinion, it’s clearly not, as 1. Happiness – Independence Day: 1 Minute (2001) was broadcasted by the main public television station of Kosova. 2. For the Cetinje Biennale in Montenegro in 2004, Heta transformed the façade of the exhibition space, a building used to house the Serbian Embassy in the 19th Century into the Embassy of the Republic of Kosova with an Albanian fl ag hanging on the fl agpole. The intervention was vandalized, and attacked; it led to a public apology to the public opinion and not to the artist by the founder of the biennale and was finally removed. www.albertheta.com
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you can see if you analyze it carefully. And what is this old structure of national pavilions based on which the Venice Biennale functions? What if I don’t have a nation state? There are many issues and the challenge was directed in this case at the local context and the international – by local I mean Kosova – in comparison to the Cetinje Biennale project, which was site-specific and completely directed to the context where it appeared – Cetinje, then part of Serbia and Montenegro, and the most challenging issue for that country and that society. And in this case the project Kosovar Pavilion, Venice Bienale 2005 was also directed towards the context where the solution of a Kosovar state was supposed to be designed. My position is that the Kosovar state is the biggest challenge for the Albanians and the Albanian nation. It is not the challenge for the Serbs nor the Serbian nation – the actual challenge is for the Albanian national project whose aim was always to achieve the Albanian re-unification, and not the creation of another state which I see as the most subversive act done directly to the Albanian nation. The other side of the project, as I said earlier, was the Venice Biennale itself and e-flux as a great tool to raise these questions and produce reality. Dimova: But do you see this as an intended consequence or is it an unintended intervention? Heta: It depends on the narrative of different players that claim to have designed the project. However, the factual existences of it, and the factual results of it or of the production of it, are what I’ve just explained. You could talk about this from different perspectives, for example that the players who designed the project and implemented it – bear in mind that it’s a totally international project, not based anymore on the local context, designed as a subversion – regarding the national projects and ultimately designed it as a sort of the only pragmatic solution. We can discuss both of those. The reason why this project was not understood or intentionally misunderstood was the framework based on which this geography functions – colonial and nationalistic framework of reading reality. Maybe the same reason as for the other projects that tend to challenge contemporary hypocrisy that surrounds us, even in the contemporary art, and are not understood – there is inability and lack of will to read what these projects are all about. And then, the need of politics and the people of the establishment to appropriate projects of which they think are close to their agendas. Also, the lack of ability of curators, critics and people within the artistic context to reflect on these issues, as well as sociologists, journalists who should analyse media manipulation and the way the media acted during the wars in Former Yugoslavia. The way that the media acted after my work was shown 30
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in Cetinje Biennale was exactly the way that media acted in this country during war times – inflammatory propaganda politics. This time, they were not acting against the other people or against another nation, but they were acting against an artist, which to me was ridiculous. In other words, in my work I tend not to really deal so much with the past, I try to reflect and think about the present and the future. Dimova: Milica, looking back, you went through a wide range of artistic expression: painting, fi lm, video. Memory seems to have played an important role for you. It is evidently central to the last project that you are involved with, the Spomenik group3 (Monument group). Also, the project you did in Erlauf focused precisely on memory. What can you tell us about the role of memory in your current and earlier work? Tomić: Let me go back to the foundation of the Spomenik group which started as a Discussion About an Art Work group. In 2002 the city of Belgrade announced a public call for a monument with a very problematic title: »The Memorial to the Fallen Fighters and Victims Killed in the Course of the Wars from 1990-1999, including the Victims of the NATO bombing on the Territory of Former Yugoslavia«. Groups of artists, theorists and architects from this discussion group started to think and discuss what politics and ideologies were behind this public call. This was the starting point of the Spomenik group. Our first action was to cancel this public call and to open a public discussion with the title: Monument is a discussion – related, of course, to Jochen Gerz’4 idea that discussion can be a monument. But in contrast to Gerz we say: Monument is a relation between the place of enunciation and the content of the statement about the wars of the 1990s. So we decided to 3. Group Spomenik (Monument) was established in 2002 in Belgrade. The Monument Group has been analyzing the paradoxical attempts of the Belgrade City Assembly to erect a monument dedicated to victims of the wars in the 1990s on the territory of the former Yugoslavia. Through discussions and polemics Monument Group formulates its basic working axiom: monument = talk and develops the strategies of producing an autonomous discussion space within which a talk about ideology and politics in the background of this intention of the Belgrade City Assembly becomes possible.« (= Self-Definition, see: www.oktobarskisalon.org/49/index.php?option= com_content&task=view&id= 218&Itemid=73&lang=en) (accessed on 2 May 2009). 4. Conceptual artist Jochen Gerz includes the public in his work. One of his premises is that memory is within people not monuments. (»Denn die Orte der Erinnerung sind Menschen, nicht Denkmäler.«). His »antimonuments« deal with the subject of memory and suppression of the Shoah.
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initiate a project to create a public monument in the medium of discourse. Our idea is to generate a political space in which it will be possible to discuss the wars in the 1990s and the (post-)war collectivities in former Yugoslavia. Not through the models of reconciliations between subjects, but rather whereby each entity defines his/her own political position. We are very carefully trying to produce the circumstances to initiate a discussion with different political positions and groups. A very important topic for the Monument group is the politics of memory and we started to use this sintagma in Erlauf,5 where I started a serial of photos, actions, performances titled Remembering. At the same time Branimir wrote a text on this serial titled Politics of Memory. The first piece I did in Erlauf was actually about the meeting of two forces and two armies, the Soviet and American armies in May 9th in 1945, which meant at that time the end of WWII. This encounter happened in Erlauf, a very small Austrian town, which is really just a main street with houses around it. It marked the end of the war and the victory over Fascism at that very moment and that place, but the town forgot this, the people never mentioned it. Now, coming to the politics of memory – which for me is very important – there was a man who was an inhabitant of Erlauf and emigrated to the USA during the end of the 1930s because of racist reasons. Later on, in the 1960’s, he actually began researching the history of Erlauf and he realised that this final meeting and the end of WWII had happened there. He was the person who brought this memory back to Erlauf. The mayor of the city in the 1980s started to think about how to deal with this and he invited two artists – one from America, Jenny Holzer,6 and one from Russia, Oleg Komov,7 who built a monument dedicated to the event from the 1945, in the tradition of Socialist Realism formed with two soldiers, American and Soviet and an Austrian girl in between, hugging them. (laughter) In 2000, there was an international exhibition with the purpose to really rethink and actualize this moment of anti-Fascism; the date of the opening was May 9th. So an international group of artists was invited to do something.8 My idea was to refer on this social realistic monument of Oleg 5. Erlauf is a small town in Austria. 6. Jenny Holzer’s contribution consists of a pole, a fl ag spotlight and a number of her typical text pieces which allude very literally to experiences of shock and horror and have a strongly pacifist orientation. 7. Russian sculptor Oleg Komov (1932-1994) worked mainly in the monumental genre. His monuments can be found all over Russia. He died before the inauguration of his peace monument in Erlauf. 8. Invited were Milica Tomić, Ines Doujak, Nicole Knauer, Pia Lanzinger, Adrian Piper and Clemens Stecher.
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Komov. For my opinion the point of this monument was the Austrian girl standing between the two soldiers – and this was for me a political space par excellence. I invited the inhabitants of Erlauf and Austria to step between these two soldiers and I photographed them. This was supposed to actually rethink, what the moment of the victory over Fascism means today – it was in 2000, when Haider was an important figure in Austria. And what did it mean in Austria back in 1945: Defeat or Victory over fascism. Billboards of people standing between two metal soldiers were placed all over the town. But then, what happened was, that because the people from the billboards were inhabitants from all over Austria, not just from Erlauf, the citizens of Erlauf turned back all the billboards where an unknown (as far as they were concerned) face appeared, a face from somebody who wasn’t from Erlauf, the small Austrian place. They turned back the billboards during the night of May 9th, during the celebration of an antifascist celebration. This was a perfect example of how to understand »politics of memory« in artistic praxis and its consequences. It is about the »actualisation of something historical«! However, now I am speaking about politics and art, and more specifically about what makes art political. For that reason I will talk again about the Spomenik group. We use the art system and we have different strategies. To give an example: Our Politics of Memory publication series publishes the transcripts of different discussions. The entire production of these books is part of artistic display. Thousands of copies of the books are placed in the exhibition space – as distributive objects, participatory monuments. In this way, the publication which is are transcript of the (im)possibility of building a monument becomes a public discussion, stays in the hands of the viewer, and the exhibited installation in the form of the monument disappears as an aesthetic object. But the crucial moment of our work was our dislocation to Bosnia, so now we have new members of the group coming from Bosnia. One of the works which was very important for us is the work which took place at the October Salon9: Mathems of Reassociation. The method 9. The work presents the methods of the re-associating process of one case of a missing person in the Srebrenica genocide in 1995. The logic of presenting this case follows the construction of matema re-association, to wit the process of building and creating a number (a chain of letters and numbers) that leads to identity, to the name of a missing person. Chain of Custody is the basis of procedure of following re-association through which the mathematic record is being generated, matem, on: place/identity, skeleton remains/identity and DNA profile of missing person. (Description by the
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of this artistic work is dislocation. The work appeared in two mediums: the newspaper editorial board, and the newspaper. Within the exhibition space we established the editorial board for a newspaper called Mathems of Reassociation. We opened up a discussion within Serbia’s public and intellectual space about genocide in Srebrenica, a subject about which Serbia is in total denial. When you talk about Srebrenica genocide, in Serbia everybody behaves as if you were in the process of producing the genocide! Our idea was to dislocate and present to the Serbian public, which does not acknowledge the genocide, two communities from Bosnia and Herzegovina. The one involved was about contemporary criminologicalforensic science and theory, represented by the scientists working in the International Commission for Missing Persons (ICMP), a Sarajevo-based global institution that invented the re-association and identification process for the mortal remains of people killed in the Srebrenica genocide, whose bodies were found in mass graves, and to present their forensic work, the reassociation of the identity of those who were killed in genocide. The second one was a community of theoreticians, cultural workers and young artists who are also dealing with or trying to develop a theory of genocide, but also criticizing the actual policies of reconciliation in Bosnia and Herzegovina. Our goal was also to discuss, to question the international community’s impact on the local Bosnian community. Dimova: For me it’s such a fascinating thing because what you’re actually doing is reclaiming the power and importance of pure science, the numbers and its signification. It is perhaps the only way to honor the victims, who are nameless and haven’t been found, a way to honor their existence in the past? I was reading this material that Lacan coined and introduced where he used mathematical formulas to present the subject – the desire, the enjoyment, the real – all mathematical formulas. You are using the same kind of idiom of expression to convey the missing persons and to acknowledge their existence in the past. Can you tell us more about this process of signification that you are trying to develop with this Mathems of reassociation? Stojanović: It is paying homage to Jacques Lacan’s work, who said in the 1960’s that there isn’t anything that can’t be expressed in mathematical terms and that everything is mathematics. The science of the future according to Lacan is going to be criminology, forensic criminology. Coming from an age that was dominated by violence, we enter now a domain that is Monument-group, see: www.oktobarskisalon.org/49/index.php?option=com_ content&task=view&id=218&Itemid=73&lang=en).
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apolitical and non-violent, seemingly, and this project is trying to find the link between violence and politics. If we’re in an epoch that is apolitical and non-violent, there’s nothing left but pure aggression and that’s why Lacan said that criminology or forensic criminology is the science of the future: because society becomes so intensively aggressive. There are two camps in contemporary Bosnian society – one that is purely scientific that tries to turn everything into science and to formulate and administrate crime and trauma. This process of scientification is followed by the erasure of politics surrounding the event, so basically the victims of genocide, the murdered victims of Srebrenica, become re-appropriated by this discourse of science that has been emerging through which these people become just missing people, not people who have been killed. So this means an erasure of the political context of how someone becomes a victim and was killed. For this process of scientification, the background is not scientific at all. It is very political and ideological. The victims were never counted in the Balkans; this was the first opportunity that science was used to objectively count the victims and it was used to count all the victims from all the wars that have happened. I want to ask, is this happening because the people are not capable of counting? (English translation by Rozita Dimova) Heta: They are seen as not being capable. Dimova: By whom? Pavičević: By the process. However, historians will tell you that Serbia does not know the number of victims from the First World War or for the Second World War and now it is the same. It is very similar to the number of refugees – the refugees are not systematically counted. Dimova: So it’s a deliberate kind of avoidance that makes it impossible to count victims. Coming back to you, Banimir, you said there were two camps? Stojanović: There is such a deeply embedded paradox in this project because on the one hand there is this intention to count and remember, but on the other hand by erasing the context and the circumstances, the project erases the memory itself and basically this is something that is administered by the international community. I would like to go back to the second camp, because this is really important for the project. The second camp are a group of young people from Tuzla who have had PhD training in England or the USA and have since returned and taken upon this task to investigate what is missing, the 35
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context, especially in the field of human rights and social anthropology. Also, to follow what these trials and the court justice actually mean; what it means to be a witness, to be witnessing and offer stories that are interpreted by different actors. This is a whole new chapter and something that has never been done: counting victims. The idea was to create a dialogue between these two camps – the scientists and these new emerging critics, but also the important task was to connect this with the situation in Serbia where there was a complete denial of the number of victims of genocide and of what the Serbian’s official politics did in the 1990’s and during this period of the ethnic wars. In Serbia, it’s important to generate discussion because these kind of scientific disciplines do not exist – these two camps are purely Westernimposed scientific and critical disciplines. As such, they don’t exist in Serbia. The idea was to ask why there is no existence of these two disciplines and also to pose the question of what kind of discussion would be raised. The first introduction of these disciplines in Serbia has generated much interest and many projects in the domain of architecture, archaeology and theories of genocide – it is a completely new approach to the problem. Milica and I went several times to Srebrenica and our impression is that even worse than the genocide is the contemporary situation of the coexistence between the communities, which is basically a re-experiencing of the trauma of the genocide day after day. These two communities live together side by side but they’ve never solved these issues – there’s just this lethargic situation… The Serbian community denies that it has ever committed genocide and the Muslim side has never acknowledged the presence of the »other«: this is the official politics in Serbia. (English translation by Rozita Dimova) Heta: Can I just say something? While you were translating, Rozita, you said »at the time of ethnic wars« – these were not ethnic wars! They were anything but ethnic wars. They were imperialist wars, colonizing wars, whatever – but there was never an ethnic war. They were about the politics of colonization. Pavičević: You said something extremely important, which I think is very historical: that actually the law of self-recognition should be that when you take over a nation you take over all of the nation and not only one ethnic group – this is very important because there’s so much misunderstanding. It is an absolute misunderstanding about Kosova. It should be all the people who live in Kosova, not only based on ethnic grounds. When Zoran Djindjic, the Premier of Serbia, was killed and buried, after several days a few people were damaging his grave. In an interview the manager of the graveyard 36
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said: »we can protect the grave with police and video cameras, but we can’t teach people how to respect the dead«. There are a lot of issues that we are dealing with and respect is one of them. Can you imagine the amount of prostitution of the term of »facing the past«? Let’s take the graveyard in Belgrade as an example. What is going on? When you have so many talks, historical talks, talks about history, about history, about history … and then these victims are neglected… Because of the victims of the Second World War were pushed out of their graves and so on… The condition of the graveyards in Belgrade is quite horrifying. The rituals are voyeuristic and fake and if you analyze the funerals of Djindjic and Milosevic, where and how it happened, you will get partly the story of the relationship towards the dead or the victims. Dimova: …which is basically just rhetorical without the act… Pavičević: This is a question of language: how you can make the subject clear, connect with people and raise empathy in any sense, instead of prostituting the victims at every moment, which is actually what’s going on now. I’m speaking specifically here, so in relation to what we were speaking about before, we don’t know numbers of victims from the First World War, we don’t know the numbers of the Second World War, the graves are in a horrible condition, you never know what’s going on at a funeral… I noticed the last time that everyone in the chapel was talking. When you go to a funeral and enter the chapel, everybody will say »hello, how are you« – it is some mixture of an opening night at the theatre, a social meeting and also attending a funeral. Something is definitely spoiled, contaminated in this social ritual throughout the relations of the victims and the »others« – it seems that you don’t recognize anything in real life because your relation to the people from Srebrenica is not recognizable – you don’t even know what’s going on with your friend. Heta: I think actually these are two different things; the value of human life is being lost and this is happening everywhere and people see funerals as social occasions everywhere, but this is different to the relation that you have to a genocide. That relationship is political and our disrespect for human life is not only political, it’s human and it’s everywhere – even in places that have experienced genocide. Kamerić: If I could just come back to memories; what was interesting to me was when you were talking about the Spomenik group, something I absolutely agree on. Explaining the situation in Bosnia one sees that instead of having a political influence that would allow one to live in the healthy 37
Heta, Kamer i ć , Pavi č ev i ć , Stojanov i ć , Tomi ć , Dimova
manner of not forgetting but forgiving. But the actual politics in Bosnia today are exactly the opposite, so the motto of our lives today in Bosnia and also in Serbia and in the whole Balkans is »forget as fast as you can and never forgive«. But what interests me as an artist is: Is this need to forget a natural process and whether or not we need it? To come back to what I said before about that particular phase in my life and production and the work of the Time Capsule: we can control what we remember but we can’t control what we forget. The key of what we are all doing, of what we are discussing now, is exactly that. I agree with you that it’s politics that was forced on us through the international community. But it’s also a basic human behavior to very quickly try to forget an oppressive situation that happened two seconds ago. So I would really like us to discuss that, because it’s not only because of politics or coincidence that this situation we’re living in is happening – this deliberate policy of forgetting, of not counting, of not making the records that would in fact help us to shape memories. Tomić: I agree very much in one sense, but I would like to speak now about the Spomenik group and one of our very important axioms which is: there is no memory without politics! And just to stress a difference, you were speaking about »policy« and I am speaking about »politics«. So, back to politics of memory: There is no memory, no remembering without politics. What does it mean? It means that if there is no political subject that can induce a memory of a certain emancipatory political event, or sequence in the past, then we only have a personal, private or historical memory. Dimova: So we’re talking about the accountability and responsibility that would come out of memory? Tomić: Actually, if we want to remember, we have to produce a political subject that is capable to »remember« certain politics. If we’re talking about emancipatory politics and our capacity to remember, it is a question of political subjectivation. What we are also trying within the Spomenik group is to find a way to produce a political subject… Dimova: I have one last question for Šejla: The latest generation of artists in Bosnia that are doing really groundbreaking work are women and gender plays a large role. Why is that so – what are the conditions that have pushed forth gender this way? Kamerić: Maybe I am too simplistic, too simplifying in dealing with these complex subjects, but the answer can be very simple: if you ask someone 38
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not involved with this area or in the field in Bosnia. During the war, the men went to war, were killed and the women were left at home and they were the ones who remained to act and play a normal life. The same thing happened in art. The role of men in the war was a very particular one. It is not by coincidence that men were put aside and killed – all of them, young and old while it is women who were left. You can draw parallels with what is happening in Iraq – before the war the main positions in education were taken by the women and now they have been taken out of the system. In the same way, we can talk about Japan, Cuba; it’s a repetition of those kinds of processes and they’re actually quite simple. It is the moment of opening up a space. But these explosions, these changes, are not giving the opportunity to women: it is the moment. Women also have other roles in their lives. We can talk about gender because women have a strong need to have a family, a child and emancipation and this is now the big issue in gender studies because for a woman, making art seemed not so important.
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Making up Things. On the Ideology and the Ar t of Remembrance Zoran Terzić
It should surprise us that we recall past internal and external events in the same fashion. Ludwig Wittgenstein Remembrance is always a completely false depiction. Thomas Bernhard, Heldenplatz
Humans have a poetic brain. We grasp meaning and form even when there is no meaningful intention. Imagine a dead tree with a branch that looks like a waving arm. We cannot help but feel cordially greeted by it. Once something looks familiar it is impossible to ignore the familiarity of it (a tendency called apophenia or pareidolia).1 Similarly, whatever we anticipate or remember, we always strive to adjust the form to a specific (familiar) content. This is what the discourse of commemoration is about. Instead of a tree, imagine a monument, a flag, a ritual, a speech – it always will ›greet‹ you, remind you and trigger specific familiar contents. The past has to make sense, and randomness has to vanish. But like a dead tree, the past is a vanished present, and in order to oppose its death we impose form and meaning. We impose fictitious life to live real life. These are necessary lies for culture’s sake, as Friedrich Nietzsche claimed – but not only for culture’s sake. Luis Buñuel describes 1. See: William Gibson: Pattern Recognition, New York: G.P. Putnam 2003.
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Abbildung 1: NN (ca. 2008) Retrieved from www.darkroastedblend.com/ (12. May 2008) in his memoirs how false memories turn into convictions and how life is meaningless and unreal without them.2 Similarly, Regis Debray notes: »Every culture defines itself through a consent on what to regard as real. […] We call this consent ›ideology‹.«3 That is, no one can step out of ideology, because there is no escape from the reality of meaning. Analogous to public commemorations, memories are aesthetic ›presentations‹ or ›acts‹: we remember specific images, sounds, movements etc. These internal representations are no more trustworthy or authentic than external symbolic procedures. After all, we have a ›poetic‹ brain, and authenticity or trust is not the poet’s business. Plato addresses this issue in the Phaedrus, where he introduces the distinction between mneme and hypomnesis – memory that activates itself and memory activated by a medium (text, object, movement, situation etc.). 4 However, as Jacques Derrida has pointed out, the concept of mneme is flawed: every recollection 2. Luis Buñuel (with Jean-Claude Carrière): Mon dernier soupir, Paris: Éditions Robert Laffont 1982. 3. Regis Debray: Jenseits der Bilder. Eine Geschichte der Bildbetrachtung im Abendland, Berlin: Avinus 2007, p. 335. 4. Plato’s distinction has been refuted by modern philosophy because the notion that mneme is something in itself that is caused by itself is baseless essentialism. True, we may be suddenly struck by memory, but we would not
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must be activated by a medium even if the medium is mind itself.5 Memory is always ›externalized‹, be it personal or public. This is one of the reasons why the exposure to official commemorative signifiers is so effective among the populace: because the distinction between what is authentically personal and what is medially political is ontologically blurred. It is blurred because the material existence of ideology coincides with the political body of the ideological subject.6 In the current political arena discourses on remembrance and ›cultural memory‹ almost have the status of a religion. No period in history has been so fanatical about commemorations as ours. One believes in the past like one believes in God. Festivities during commemorations have the flavor of sermons. The historical event that is celebrated is ›holy‹, and its ›believers‹ are told that the welfare of society is based on remembrance and that one cannot handle the future if one cannot handle the past, that ›all of us‹ stick fatefully together in the course of history, that past deaths, crimes, or glory justify the current order etc.7 Contrary to Ludwig Wittgenstein’s axiom »the world is everything that is the case« our world is actually everything that is not the case. Public commemorations create consequences and thus ›cases‹. When you think about the nationalist inflation of historiography and the viral intrusions into the past that the intellectual elites in Eastern Europe have initiated after 1989, you could describe it as a mnemonic attempt to sacralize history, to reframe it nationally, and to cleanse it from all ambiguities. An armada of publications – disguised as scholarship or claim that it is an autonomous ›thing‹ that came from ›outside‹. Instead, we would interpret it as an activity of our cerebral cortex that we are not aware of. 5. Jacques Derrida: Dissemination [translation of La dissemination. Paris, 1972], Chicago: Univ. of Chicago Press 1981, pp. 108ff. 6. »Ideas have disappeared as such (insofar as they are endowed with an ideal or spiritual existence), to the precise extent that it has emerged that their existence is inscribed in the actions of practices governed by rituals defined in the last instance by an ideological apparatus. It therefore appears that the subject acts insofar as he is acted by the following system (set out in the order of its real determination): ideology existing in a material ideological apparatus, describing material practices governed by a material ritual, which practices exist in the material actions of a subject acting in all consciousness according to his belief.« Louis Althusser: Lenin and philosophy and other essays [Part 2], New York: Monthly Review Press 1971, pp. 169f. 7. As an example, Germany annually commemorates the ›terrorist‹ Stauffenberg as a pioneer of ›German resistance‹ in order to link its spirit to the current state, although the military officer was initially a Nazi-careerist and remained an anti-Democrat nationalist.
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literature – set out to revise the past and inflame national sentiments, WW2 narratives were instrumentalized, socialist monuments were destroyed or displaced, nationalist monuments erected, textbooks were re-written, and political rhetoric re-designed to suit EU bureaucrats etc.8 The national historiography was adjusted and its continuity secured by newly refurbished national museums, commemorations, monuments, institutions, or publications. However, this is not a specific Eastern European symptom, if we, for instance, recall the debates that followed the German Historikerstreit in 1986.9 All those activations and transformations of remembrance have to be seen in the context of the re-framing of a post-WW2 order that was initiated by changes in economical, geostrategic, and last but not least intellectual paradigms. In Remembrance of Things Past Marcel Proust famously uses a Madeleine to illustrate the symbolic activation of memory. He juxtaposes the arbitrariness of »taste and smell« with the »vast structure of recollection« in order to point out how effective even the subtlest induction of memories can be.10 This vast structure, interpreted in a political sense, is the disposition of objects, knowledge, procedures etc., or, if you will, the dispositif (Foucault), that inscribes itself into society by various activation mechanisms: daily rituals, monuments, news coverage, political ceremonies, institutions, textbooks, 8. As was the case in former Yugoslavia with its Chetnik- and Ustasha-cults in the late 1980s that radicalized the political scene with their war-mongering attitudes rooted in WW2. 9. See: Peter Baldwin: Hitler, the Holocaust and the Historians Dispute. Boston, MA: Beacon Press 1990. Richard Evans: In Hitler’s Shadow: West German Historians and the Attempt to Escape the Nazi Past, New York: Pantheon Books 1989. 10. »And suddenly the memory revealed itself. […] The sight of the little madeleine had recalled nothing to my mind before I tasted it; perhaps because I had so often seen such things in the meantime, without tasting them […]; perhaps because of those memories, so long abandoned and put out of mind, nothing now survived, everything was scattered; […] But when from a longdistant past nothing subsists, after the people are dead, after the things are broken and scattered, taste and smell alone, more fragile but more enduring, more unsubstantial, more persistent, more faithful, remain poised a long time, like souls, remembering, waiting, hoping, amid the ruins of all the rest; and bear unflinchingly, in the tiny and almost impalpable drop of their essence, the vast structure of recollection.« Marcel Proust: Remembrance of Things Past. Volume 1: Swann’s Way: Within a Budding Grove [The definitive French Pleiade], New York: Vintage 1982, pp. 48ff.
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literature, fi lm etc. All of them bear political activation mechanisms, that is: a book, a news report, a film, a statement etc. can activate a reference to the past that is politically charged. As today virtually all states are nation states, these activation mechanisms affirm their ideological foundation, their ›nationalism‹. It is important to understand that nationalism is endemic to nation states, it is part of their ›logic‹, and thus it is not the reserve of political extremists, right wing ideologues, warmongers, or the like. The practice of playing the national anthem or celebrating a national holiday is nationalistic, but not many people mind because it is part of the reality of meaning. Michael Billig argues that »in the established nations, there is a continual ›flagging‹, or reminding, of nationhood. […] [N]ationhood provides a continual background for their political discourses, for cultural products, and even for the structuring of newspapers. In so many little ways, the citizenry are daily reminded of their national place in a world of nations. However, this reminding is so familiar, so continuous, that it is not consciously registered as reminding.«11 These familiar daily reminders or »flaggings« are usually benign and nonviolent, which is why Billig differentiates between hot and cold nationalism – hot being the version where political maps are being disputed or redrawn by force, and cold being the version – to use the same example – where political maps are being used symbolically. Think, for instance, of West Germany’s media practice since the 1960s and throughout the 1980s to ignore symbolically the de facto existence of the GDR. This was evident in the daily weather maps of news broadcasts that regularly invoked the political shape of a »unified« Germany. Flaggings are an externalized form of commemoration that often imply an ideal, e.g. primordial unity. Accordingly, German unification was called »re-unification«, implying that the ›same‹ unity existed before. All these reminders are the ›outposts‹ of a national dispositif.12 Today it is almost a paradigm to believe that the past is well preserved in an ideologically free zone that only has to be entered by righteous minds to do 11. Michael Billig: Banal Nationalism, London: Sage Publications 1995,
pp. 5ff. 12. Furthermore, the practice of fl agging (i.e. claiming a symbolical space) is an analogy to Louis Althusser’s notion of interpellation as it constitutes a retroactive ideological subject. There is no ›inner beginning‹ of having an identity. You ›have had it already‹ once you come to it. Flaggings remind you of what you have always been, once you are. See: Louis Althusser: Lenin and philosophy and other essays.
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Abbildung 2: Screenshot, 1983, Tagesschau, ARD (Hamburg) it justice – as if massacres and genocides cry for monuments that inscribe their activation mode for future generations. Monuments are not for those killed but for those who implicitly re-affirm the causes of killing, simply because they re-affirm the sovereignty of the cause. The sheer fact that one has the authority to erect a monument, make a symbolic/artistic statement, impose a discourse etc. reveals one’s power. The space that a monument claims, for example, is not only a ›sacred‹ space but it is a miniature model of the power structure it represents or mirrors. Thus, it is mainly a statement about this authority (either its tolerance or its autocracy), not necessarily about the monument’s reference. The Memorial to the Murdered Jews of Europe in Berlin, for example, is mainly a statement about the generosity and willingness of the German nation state to deal with its past. It is a display of the willingness of ›Germans‹ to commemorate the victims and to display a gulf between a ›Nazi past‹ and a ›German present‹.13 It is easy to publicly display generosity, but what if there were no monuments or commemorations – wouldn’t we have to remind ourselves much more often what a dangerous species we are? Are we more aware of the Holocaust since the memorial was erected in midst of Berlin? Wouldn’t we have been 13. See: Jan-Holger Kirsch: Nationaler Mythos oder historische Trauer? Der Streit um ein zentrales »Holocaust-Mahnmal« für die Berliner Republik, Köln: Böhlau 2003. Claus Leggewie/Erik Meyer: »Ein Ort, an den man gerne geht«. Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989, München: Carl Hanser Verlag 2005.
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as much stimulated if the Führerbunker had been rebuilt instead as a kind of evil reminder? What is it that we actually want to be reminded of? Our generosity or the evilness of the other – or something else again? Since the French Revolution, artistic activities have helped to establish links between subjectivist and objectivist constructions of memory and thus links to hegemonic forms of representation – think of commissioned art projects such as the afore mentioned memorial, national funds or scholarships, representations in museums, tabloids, mass media etc. Simultaneously, art practice not only potentially destroys these links but makes any culture of commemoration impossible – makes any ›culture‹ and any ›power‹ impossible. This attitude originates in the Modernist claim of the autonomy of art, and it has its history from the poète maudite, utopian and avant-garde movements to current forms of activism and independent networks. Some artists remain in this de(con)struction mode, the status of permanent rebellion, but some adapt the representational mode and mimic tyrants, state representatives, or global players (artist machismo, stardom, genius loci, public contractors, ›professionalism‹, international career networking etc.). An early Modernist example of how to approach these roles is the ›artistic‹ aftermath of the Franco-Prussian war of 1870/71. The conflict led to the first German nation state and a devastating defeat to France. After the war, the French cultural elite offered nationalist responses. Ernest Meissonier, for example, tried to turn defeat into triumph with his painting Siege of Paris (1872) by displaying ›victorious‹ French soldiers in the field – an attempt to glorify French resistance. Yet, Meissonier’s message fed mainstream politics and a public consciousness that was strained by a demoralizing defeat. In 1878, the French government declared a national holiday in an effort to celebrate France’s supposedly glorious recovery from war. But artists like Édouard Manet resisted nationalist myth-making, for example, with his Rue Mosnier with Flags (1878). In the foreground of his painting Manet depicted a one-legged man, a war veteran that symbolizes the persistence of defeat. Manet juxtaposed the crooked man with one of the grand Parisian streets. On the opposite side of the street he depicted a prosperous family that ignores the one-legged man, displaying the typical bourgeois ignorance of political reality. Manet reminds us of France’s willful negligence of the cost of war and its re-interpretation of history. It is not so much a painting about war as a statement about the discourse of war and its political reality. Although today Manet is regarded as one of the predecessors of Modernism and Meissonier’s oeuvre is regarded as academic mainstream both painters fulfi ll certain roles in the political arena: the affirmative Meissonier is a ›national pareidolic‹, he imagines structure and form even in the devastation of war for the sake of national 47
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integrity. Manet destroys affirmative remembrance, which places him close to what today is perceived as the paradigmatic role of the contemporary artist: an anarcho-liberal entrepreneur who opposes or escapes from established symbolic orders. Art history has produced many more forms and strategies of commemoration since. What symbolic procedures can one apply or have been applied in order to ›deal with the past‹? Typical 18th and 19th century sculptural monuments that display historic personae usually show upright figures placed on a pedestal. The pedestal indicates both elevation (importance, value, authority) and reflection (re-presentation, public exposure). Anything that is placed on a pedestal has an elevated meaning, and also it represents the historical subject as though on a platter. The design of such installation uses classic decorum language14: sublime, erect representations that relate to glory and sovereignty. Sovereignty is encoded in the sublime stature of form analogous to sacral or representational architecture: things and buildings look important and superior, and a visitor who stands in front of them feels insignificant and inferior. It is this insignificance and inferiority of the spectator that such architecture and art want one to be reminded of. The cause of remembrance is graver than any personal cause. The past is a sublime monster that is about to swallow you, and you cannot do anything about it because it is ›cultural heritage‹. However, this effect of the sublime, that once French utopian architect Étienne-Louis Boullée was famous for, is similar to modern white cube temples of the art world. The aura of the exhibiting artist is emphasized by the purism of the presentation, the public importance of the event, or by the graveness of the subject of the works. Sacral and political representations cope effectively with intimidation. For example, you can intimidate an audience by formalist abstraction, that no one dares to ask questions about, or by thematizing a subject that echoes experiences of trauma and war. The formal or sociopolitical importance of the art work takes precedence over its actual presence. Something that is presented as art in an art context implies that it is more than that: it additionally implies ›art‹ (in an elevated sense), politics, history, sociology etc. The truth is that this procedure very often fails to enlighten on the actual subject but willingly or unwillingly mimics state sovereignty instead. People who go to churches are meant to feel small, but the task of art is to enlighten, 14. Decorum does not mean décor, it is a pre-modern hegemonic system of representation, from the scepter to the red carpet, from triumph arcs to government buildings. Power has to be represented, and decorum theory describes traditionally values and sets of rules for appropriate representation. See: Heiner Mühlmann: Die Natur der Kulturen, Wien/New York: Springer 1996.
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not to make an audience feel smaller than the symbolic intervention they are exposed to. Accordingly, the only way is to de-sacralize the art context in which, for example, memory and history play a vital role. The usual attempt to approach this in the last decade or so is postmodern irony, but irony is not against hegemony, it addresses an exclusive network of discourse experts that are able to read it. Think of the ›golden‹ Bruce-Lee-monument erected in Mostar, Bosnia, in 2005 as a postmodern symbol of pre-war unity. Although the project had the best intentions by referring to the common popularity of Bruce Lee flicks among male youths in 1970’s Yugoslavia, it has been demolished since and later removed. As this episode tells us, one needs to recognize that there can be no symbol of unity if there is no political analogy of unity. You cannot escape into irony for the sake of escapism, it is still a political act and, obviously, it has been regarded as such by those who demolished it. Yet, paradoxically, one also has to realize that there is no other way than to continue this work of Sisyphus, which is the paradigmatic task of artists: repeated attempts and (potential) failure. That is: you cannot impose effects on political reality by applying artistic/symbolic procedures, but simultaneously, history teaches us that this is precisely the only way history evolves: by permanently producing impossible, atopic signifiers that one day may bear consequences. A monument cannot really fail even if it is destroyed or removed. Everything that is produced may have an effect on society. One only has to learn to read the traces of production. The core of imagining the past and thus of representation is not to represent the past in the sense of subjecting oneself to its authority and translate this authority into form. The past has no authority, authority uses the past. The point is to acquire the past as if you are transposing or translating yourself in a past situation, thus internalizing (and not externalizing) the past as a past present, i.e. as something entirely banal. For that reason many current artistic activities apply transformational procedures that address typical public representations of the past. To name just a few of these procedures: • personification • escapism • relationalism • transposition/inversion/intrusion • critical inquiry • destruction/erasure • mimicry of power • ›therapy‹ • etc.
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It is not a conclusive list, and some remarks are appropriate: The artistic strategy of personification uses witness accounts of historical events, personalizes remembrance via authorship, or individualizes public space, which sometimes is analogous to scientific accounts of microhistory.15 Grand narratives are juxtaposed with the existential condition of individuals, the individuality of the narration transcends historical narration. Anonymous, forgotten biography is brought back to life, rescued from hidden archives (e.g. Christian Boltanski), or the personal responsibility and authorship of individuals is inscribed into the public space: »The places of remembrance are people, not monuments.«16 Escapist strategies refuse to fulfill an act of remembrance via art work by either displaying the impossibility to remember at all, or by distracting from the actual subject of remembrance. Relationalism thematizes not only a political subject but also the conditions under which it is thematized.17 This approach holds that only by relation and context remembrance becomes substantial. There is no linear approach to remembrance, only networks of narrations exist that have to be woven apart or joint together in order to create a viable commemorative act. And this act is not presented to the subject but the subject engages in it, is part of the structure. The strategy of transposition dis- or relocates the act of remembrance by juxtaposing various symbolic levels and narratives. Martha Rosler’s series of collages Bringing the War Home: House Beautiful (1967-72) reflecting on the Vietnam war is an example of this approach. Also, some works by Hans Haacke, such as the temporary installation Und ihr habt doch gesiegt for the exhibit ›Bezugspunkte 38/88‹ in Graz, Austria, during the annual festival ›Styrian Autumn‹ in 1988, should be mentioned here. Haacke simply rebuilt a slightly altered Nazi installation and placed it in midst a public square in Graz in order to comment on the hypocrisy of Austria’s official dealing with its collaborationist past. A lesser known approach by Fluxus artist Robert Filliou from the 1960’s reflected on the First World War: Filliou suggested switching national monuments so that one nation would display the former rivals‹ memorial and vice versa. In 1963 Filliou also suggested commemorating the birth of art in the dawn of human history some one million years ago by declaring January 15. Giovanni Levi: »On Microhistory«, in: Peter Burke (ed.), New Perspectives on Historical Writing, Cambridge: Polity Press 1991, pp. 93-113. 16. Jochen Gerz: Rede an die Jury des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. 14. November 1997. 17. Cf. Nicolas Borriaud: Relational Aesthetics, Dijon: les presses du réel 2002.
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Abbildung 3: Robert Filliou: Teaching and Learning as Performance Arts, Köln/New York: 1970 p. 116 17th »Art’s Birthday«. This universal commemoration potentially harbors all other possible subjects of commemoration.18 The strategy of inversion can apply formally, as is the case with Rachel Whiteread’s cast sculptures: she inverts the interior space of (usually historical) buildings, which also represents the time signature of the lives of people who lived there, and casts it as a concrete form. Robert Musil once noted that monuments are invisible, but their signifiers are visible. Whiteread turns the temporal signature of interior space into a visible signifier of remembrance. Her memorial for 65.000 murdered Jews in Austria at the Viennese Judenplatz, for instance, uses the same technique to display a cast of an imaginary library or archive of names. In a narrow sense ›intrusive‹ artistic strategies like, for instance, Gunter Demnig’s stumbling blocks (Stolpersteine) access the public sphere subtly. These memorial stones (usually with a brass surface) are installed into the pavement of German (and other European) cities to remind of the people deported and killed by the Nazis. As this project intrudes the ›daily traffic‹, so to speak, and is not restricted to exquisite places for commemoration it was confronted with criticism: in some cases people just refused to be daily reminded of WW2 atrocities (which, however, is precisely the point of these monuments).19 18. See the current follow-up to this proposal: www.artsbirthday.net/. 19. See: www.goethe.de/kue/bku/thm/idd/de78940.htm and: www.stolper steine.com/start.html, accessed 27 May 2009.
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Other artists‹ strategies include documentations of critical inquiries in form of exhibits that resemble journalist or scientific approaches (usually as mixed media presentations), the strategy of erasure or destruction that emphasizes forgetting rather than remembrance, or the mimicry of power and a deliberate hypertrophic attachment to state representations (like with the Slovenian art collective Neue Slowenische Kunst). Related to this, particularly in Germany some artists use a ›therapeutic‹ approach that adopts traumata or stigmata from the past and plays with its radical references – in its both epic and pathetic form advanced by Anselm Kiefer or recently Jonathan Meese. In the early 1970’s Kiefer visited places in Eastern Europe that once had been occupied by German Wehrmacht and performed Hitler salutes, while – in a gesture of false pathos – pulling down his trousers and exposing his lower body.20 It would be wrong to regard all these artistic approaches as ›final solutions‹ for commemorative practices. Far from it. As Adorno noted in the Dialectics of Enlightenment, all reification equals forgetting the subject of reification.21 However, that does not mean that this kind of ›forgetting‹ is unproductive in itself: as we have implied above, it is only a transformed form of remembrance. There is no pure and straightforward remembrance, mneme, there is only reification, hypomnesis. There is only forgetting, and by indicating that there is only forgetting, we remember. The general question is whether artists or art-minded individuals today can claim a genuine space to produce and think in a justifiable alternative way (an ›alternative‹ is no value as such if it is not justified), or whether contemporary network-career structures force every artistic issue in a political, sociological, art historical, philosophical – even formally ›artistic‹ – framework (art that looks like art, art that is descriptively ›critical‹, ›communal‹, ›contextual‹, ›transgressive‹, ›activist‹, ›relational‹; art that is made for art critics etc.).22 However, the space of art production cannot be 20. See: Bazon Brock: »The Quest for the Total Art Work. Pathetic formulas
and energetic symbols of the unity between thought, will, and savoir-faire«, in: World Art Trends 1983/84, New York: Harry N. Abrams 1984, www.brock.uniwuppertal.de/Schrifte/English/Totalart.html, accessed 27 May 2009. 21. Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialectic of Enlightenment, New York: Continuum 1973. See: Marcus Hawel: Die normalisierte Nation. Vergangenheitsbewältigung und Außenpolitik in Deutschland [The Normalised Nation. Coming to Terms with the Past and Foreign Policy in Germany], Hannover: Offizin 2007, www.goethe.de/ges/pok/dos/dos/ern/vgp/en2756351.html, accessed 27 May 2009. 22. Hans Haacke has called this complex the »art syndrome«.
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Making up Things
and never was apolitical. This space is immanent to society in the sense of Adorno’s claim that the social function of art consists in that there is none. Yet, genuine individuality cannot establish itself within the white walls of commercial or non-commercial galleries or within the gray walls of urban landscapes. Nor can it establish itself by hiding behind an art or anti-art sticker. There is simply no appropriate place, which is the reason why one has to accept the Socratic paradigm of the atopoi – the inappropriateness of the productive attitude – and the mythical paradigm of Sisyphus. The ideal is to strive for the freedom of resorting to intellectual options and visions where needed, and to avoid restricting oneself to a cultural set of procedures that indoctrinates us what and how to think or remember. The maxim is: Feel at home wherever you go. German artist Jonathan Meese calls this state of mind/society the »dictatorship of art«. However, because it is always difficult to get rid of dictators, let us aim at the »democratization of perception« (Demokratisierung des Blickes) instead.23 The discourse of remembrance is related as much to issues of power as it is to issues of art. Think of the mythical anecdote that Zeus, the symbol of ultimate power, and Mnemosyne, the goddess of remembrance, slept together for nine consecutive nights and thereby created the nine Muses. However, Greek mythology is all about results. No scripture tells us about these nine nights, the procedure of creation, the procedure of power. What the subtext of the anecdote tells us is that power structures strive for eternal rule. Because an eternal empire is impossible due to historical circumstances – life span, enemies, resources etc. –, one founds a symbolical empire to overcome history: either by founding religions or by installing a system of insignias, dynasties, historiography etc. Symbols are the consequence of a striving for eternity. History is the result of the attempt to achieve it. If symbols are attacked or erased, this striving is addressed: once a Roman emperor’s reign ended in tyranny, like with Caligula, all depictions on official insignias were erased by the successor (damnatio memoriae). One answer to this »history of Roman type«, as Foucault has called it, is a cultural rebellion against the cause and course of history, a rebellion against Zeus – a rebellion in the sense of an ›atopic‹ history, history that does not create monsters or muses, history that does not know itself, in short: a history that simply does not take place but gives birth to place. And giving birth to place (and/or time) is what commemorative art practice should be about. Or to put it in another language: Sometimes a branch of a tree is just a branch of a tree.
23. See: Zoran Terzić: Kunst des Nationalismus, Berlin: Kadmos 2006.
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Mechanism of Relation, 2009 Mladen Miljanović
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Ar t Matters Petra Reichensperger
Krieg ist emotional, Kunst ebenfalls. Zumindest kann Kunst beim Betrachter Emotionen und Affekte auslösen. Krieg, der stets ein organisierter, gewaltsam ausgetragener Konflikt zwischen Staaten oder sozialen Gruppen ist, bringt Deregulierungen mit sich, die alte Gewissheiten auflösen und einstige Machtverhältnisse verschieben. Diesen Erosionen stellen einige Künstler mit ihren Arbeiten den ›Krieg der Bilder‹ entgegen. Das Anliegen klingt erst einmal spannend. Zumal ein ›Krieg der Bilder‹ Kontroverse verheißt. Die Mehrheit der Künstler setzen allerdings auf ein Gegengedächtnis, indem sie in ihren Arbeiten an die Opfer und Unterdrückten erinnern. Sie appellieren damit an ein Selbstverständnis vom Künstler als jemanden, der auf Umgang mit Leid und Ungerechtigkeiten aufmerksam machen möchte und damit zu einer moralischen Instanz wird. »Besessen von Vergangenheit – so könnte man unsere Gegenwart vielleicht beschreiben«,1 meinte Dominikus Müller kürzlich in einem Beitrag über die Verhältnisse von Vergessen, Erinnern und Identität. Statt blühender Landschaften blüht seit einigen Jahren eine wachsende Erinnerungsindustrie. Wie kommt das? Wo von Erinnerung die Rede ist, da ist auch Emotion, Emphase und Pathos. »Ich erinnere mich« gilt heute als beliebte Aufmerksamkeitsformel, die zudem therapeutische Befreiung verspricht von den dunklen Mächten der Verdrängung, der Verleugnung und der Verletzung. Und doch haben weder die populären noch die akademischen Erinnerungsdiskurse, deren Ursprünge in den angelsächsischen Cultural Studies liegen und die seit den 1990er Jahren mit zahlreichen Publikationen und Ausstellungen vorangetrieben wurden, bisher keine nachhaltige
1. Dominikus Müller: »In Lethes trüben Fluten – Erinnern, Vergessen, Demenz«, in: NGBK Berlin/Kunsthaus Dresden (Hg.), Die Kunst des Alterns, Berlin/ Dresden 2008, S. 96.
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ethische Wende in der kulturellen Praxis des Erinnerns von Seiten der offiziellen Geschichtspolitik erzeugen können. Und auch die Schlagzeilen über die drei K’s – Krieg, Konflikt und Krise –, die seit Jahren die internationalen Berichterstattungen bestimmen, konnten daran nichts ändern. Welche Auswirkungen haben die K-Berichte also auf den Umgang mit Bildern? Welche Rolle spielen dabei Politik und Kontrolle, die Blogger-Foren und die Inszenierungen auf YouTube? Tom Holert bringt die sich immer stärker herausbildende Situation auf den Punkt, wenn er sein neues Buch Regieren im Bildraum nennt.2 Nationen wie das zerfallene Jugoslawien und die USA unter der Bush-Regierung haben stets ihre mythisierenden Selbstbilder und Erinnerungskonstruktionen selbstgerecht aufrechtzuerhalten versucht und negierten im Zuge dessen bevorzugt die Opfer ihrer eigenen Geschichte. Ein gefundenes Fressen für Künstler, Aktivisten, Kulturwissenschaftler und Philosophen, die für ein Gegengedächtnis in ihren Praktiken eintreten. Auch wenn Gräuelbilder im Internet, die mit ihren Close-Ups völlig entstellter Opfer an Drastik wenig zu wünschen übrig lassen, die Bilderflut genormter Berichterstattung wachzurütteln vermögen, so erscheinen sie doch meist als namenloses Leid, ohne jeden Kommentar oder Kontext. Ihre Kontextlosigkeit und ihre mangelnde Bildqualität führen dazu, dass sie bisher zumindest nicht den Kanon der tradierten Ikonografie erfüllen. Zugegeben, diese Art von Bildern kann uns aufgrund ihrer rohen Gewalt heimsuchen. Aber vor allem klagen sie an. Susan Sontag hat pointiert in Das Leiden anderer betrachten darauf hingewiesen, dass Erzählungen »uns etwas verständlich machen. Fotos tun etwas anderes: sie […] lassen uns nicht mehr los.«3 Welche Rolle kann also in den stetig wachsenden Medialisierungen von Kriegserfahrungen und -vertreibungen die Kunst einnehmen? Gegenüber den Gräuelbildern im Internet hat die Kunst über die Jahrhunderte hinweg für Gewalt, Schmerz und Leid ein sublimes Repertoire von Repräsentationen, Darstellungen und Pathosformeln entwickelt. Diese lassen die schnell geschossenen Bilder ziemlich blass aussehen. Eine andere Strategie verfolgt Jonathan Horowitz, der in seinen Bildern und Filmen von Kriegsverbrechen die Grausamkeiten als Parodie auf das zunehmende ›Wartainment‹ ironisiert. Hier ist ein Künstler am Werk, der die Medienmaschinerie auseinander nimmt, gerade indem er ihre Produkte auf ungewohnte Art zusammenbringt: Idole der amerikanischen Kulturindustrie, Inszenierungen von Kriegen und die voyeuristische Gier. Angesichts der zunehmenden Verquickung von Krieg und Kino, von ›Wartainment‹ und Kultur, gewinnt seine Arbeit an Bedeutung. Das Besondere 2. Tom Holert: Regieren im Bildraum (=PoLYpeN), Berlin: b-books 2008. 3. Susan Sontag: Das Leiden anderer betrachten, München: Hanser 2003, S. 97.
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Ar t Matters
ist, dass Horowitz sich nicht von seinen Themen fortreißen lässt, sondern in seinen Bildern ziemlich nüchtern zeigt, wie Kulturindustrie und Krieg voneinander profitieren. Milica Tomić geht in ihren Videoarbeiten ähnlich distanziert und souverän wie Horowitz vor. Ihr gelingt dies, obleich ihre eigene Biografie von Kriegsereignissen beeinflusst ist. Immer wieder interessiert sich die Künstlerin für Widersprüche in der Geschichte, für die komplexen Beziehungen zwischen Identitäts- und Geschlechterrollen, Nationalismus und Rassismus, aber eben auch für die Möglichkeiten der subjektiven Kamera und für Verfremdungseffekte im Film. In einer Arbeit etwa, in deren Zentrum das krisenreiche Leben ihrer Mutter im auf brechenden ethnischen Nationalismus des ehemaligen Jugoslawiens steht, wählt sie analog zu den Bruchstellen in der Erzählung Schwarzfilm-Passagen mit bildhaft-geräuschvollen Tonsequenzen aus, um die Widersprüche und Zäsuren auch in den medialen Mitteln sichtbar zu machen. In einem anderen Video skandiert sie in 65 Landessprachen: »Ich bin Milica Tomić, ich bin ›Österreicherin‹, ›Serbin‹, ›Britin‹, ›Koreanerin‹.« 4 Jeder Satz (de-)konstruiert die Politik mit nationalen und ethnischen Identitäten. Bei aller Unterschiedlichkeit spielen beide Künstler mit den fi ktionalen Narrationen von Bildern und zeigen, wie sehr Bilder die Topoi von An- und Abwesenheit komplex miteinander zu verschränken im Stande sind. Von Beginn an sind Toten- und Abschiedsbilder in vielen Kulturen als die vorherrschende Motivation der Bildpraxis zu identifizieren: Das Bild verweist dabei auf die Abwesenheit des Verstorbenen und des Vermissten. An dieser komplexen Beziehung zeigt sich, wie sehr Bilder Anlass von memoria sein können. Gerade ihre Materialisierungen und Medialisierungen bestimmen aber im gleichen Maße die entstehenden Erinnerungsräume und die damit einhergehenden Verzeitlichungen und Verräumlichungen.5 Die Macht der Bilder auf die Konstruktion der Erinnerung und die Wahrnehmung der Wirklichkeit ist groß. Da sich aber der Blick auf die Wirklichkeit und auf die Geschichte stets ändert, wandelt sich auch der jeweilige Anspruch an Bilder. »Es hängt wohl mit diesem Anspruch zusammen, dass wir an Bilder glauben wollen, doch müssen sie diesen Glauben auch rechtfertigen«, schreibt Hans Belting in seinem Buch über Bildfragen als Glaubensfragen. »Mit den Begriffen Wirklichkeit und Glauben sind wir«, so führt der Kunsthistoriker weiter aus, »bereits im Bannkreis 4. Vgl. dazu ihr Video »I am Milica Tomić«, 1998/1999. 5. Für mehr Informationen zu den sich bedingenden Verhältnissen siehe meinen Aufsatz »A view to remember – Bewegungsprozesse voller Verräumlichungen und Verzeitlichungen« in: Felix Gonzalez-Torres (Hg.), NGBK, Berlin 2006, S. 29-45.
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der Religion, in der diese Bilderwartung einmal ihren ›Sitz im Leben‹ hatte. Sie repräsentierte eine Art absoluter Wirklichkeit hinter der Fassade der Dinge. Da diese Wirklichkeit empirisch und sinnlich nicht verfügbar war, machten die Hüter des Glaubens sie entweder durch Bilder anschaulich, über die sie Kontrolle ausübten, oder sie erließen ein Bilderverbot.«6 Dieser zensierte Umgang mit Bildern ist auch heute trotz Säkularisierung insbesondere in Zusammenhängen mit Kriegserfahrungen und Konflikten zu beobachten. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn genau dann werden, wie zu Beginn erwähnt, Machtverhältnisse neu verhandelt. Schließlich ist Macht keine opake gegebene Größe − unauflöslich und undurchdringbar −, sondern im Gegenteil kulturell geprägt und von symbolischen Deutungsstrategien durchdrungen. Und genau deswegen nehmen im Ringen um eine symbolische Deutungshoheit künstlerische Arbeiten, die sich mit Geschichte und Erinnerungen auseinandersetzten, eine Schlüsselrolle ein. Insbesondere da jede Macht immer zugleich auch auf die Anerkennung dessen, was sie unterdrückt oder unterdrückt hat, angewiesen ist. Im Ringen um Anerkennung und Staatssouveränität werden bis heute Auftragsarbeiten an Künstler vergeben und deren Kunst instrumentalisiert, unabhängig davon, ob die beauftragten Künstler politisch affirmativ arbeiten sollen, oder gängige Sichtweisen durch alternative Darstellungen befeuern sollen. In beiden Fällen erhält der Künstler jenseits von ästhetischen Kategorien eine übergeordnete Mission. Künstler sind diesem Dilemma ausgesetzt, aber auch Kuratoren, die von Seiten der Kulturpolitik Ausstellungsförderungen erhalten. Die Angst, vereinnahmt zu werden, ist berechtigt. Ungeachtet, ob für eine gute Sache oder eine moralisch verwerfliche. Antworten auf die Fragen, was Kunst jenseits der beiden Vereinnahmungstendenzen leisten kann, unter welchen Umständen sie subversiv ist und wie sie ästhetisch überzeugt, sind hehre Ziele, die in der künstlerischen Praxis und in Ausstellungen immer wieder neu ausgelotet werden müssen.
6. Hans Belting zit.n.: www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/ 479555/ (10. Juli 2009); für mehr Informationen siehe sein Buch: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen, München: Verlag C.H.Beck 2005.
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II. Reflexionen zu Er innerungen an Kr ieg, Flucht und Ver treibung in den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens
Wr iters in Conflict. Literature, Politics and Memor y in Croatia and beyond Anne Cornelia Kenneweg
Introduc tion : Views of Transition in Croatia and beyond The article deals with strategies and arguments that writers and intellectuals have used to position themselves in political and cultural discourses since the beginning of the 1990s. I will describe and exemplify some of the discursive and aesthetic strategies used in the interplay of literature and public discourse. Special emphasis will be placed on conflictive interactions, as they mirror the dynamically changing concepts of self-perception and discussions on the role of literature in post-socialist Croatian society. These strategies and concepts cannot be interpreted from an unbiased position. It is therefore important to make clear from which point of view the article is written. To write about Croatian literature, memory cultures and politics in the past two decades means to write about a time of transition and conflict: after the break-up of Yugoslavia the Croatian society had to deal with the change of the political and economical system, with the wars that the country was involved on its own territory and in Bosnia and Herzegovina, with the so-called second transition after president Tudjman had died in 1999 – to name a few keywords.1 Everyone who tries to understand, describe and judge this period faces a number of challenges. The first challenge one is confronted with is complexity and change. 1. See: Sabrina P. Ramte/Konrad Clewing/Reneo Lukić (eds.): Croatia since Independence. War, Politics, Society, Foreign Relations, München: R. Oldenbourg Verlag 2008.
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During the period of transition many factors influence politics and culture in often contradictory ways. The Zagreb- based social anthropologist Ines Prica assumes that »we do not witness some describable reality at all, but the simultaneity of parallel times in the paradigm of ›sociocultural laboratory‹.«2 She concludes that, in order to understand this simultaneity, the strengthening of trans-disciplinary discourse is necessary. Concerning literature and literary cultures Dean Duda observes similar difficulties in describing the developments of the past two decades. According to Duda, critics and scholars in Croatia do not dispose of suitable instruments for analysing current cultural phenomena. He criticises the lack of methodological innovation and the reluctance to study the social and political conditions in which literature is created.3 But how can these conditions be characterized briefly? Which momentous changes have to be considered? First of all, in the transition period after the break-up of Yugoslavia that is to be characterized as post-Yugoslav and post-socialist, the Croatian literature has to be related to the rise of nationalism, or more precisely ethnonationalism, as the dominating cultural concept. The attempts to homogenize society in the newly established nation states as well as the protagonists of these processes like political leaders, church authorities, intellectuals and the media strongly influenced the cultural sphere but also provoked opposition. Cultural politics and memory cultures are only two of many aspects that have to be considered in connection with nationalism and antinationalism in Croatia. And of course, the literary developments since the beginning of the 1990s cannot be separated from the experience of the war. The impact of war cannot be underestimated, as it is not only one of the main topics of literature but it also considerably determined the social reality and thus the conditions of writing. The conditions of writing were changed by the transformation of the economy. Cultural life was reorganized on the basis of market principles; many institutions, publishers, journals disappeared, others changed their character, new ones were founded and the way in which writers and other artists earned their livings and distributed their works had to be adjusted accordingly. Dean Duda and others speak of »literary neocapitalism«4 to indicate the significance of this reorganisation. Last but not least, transition in Croatia also has to be observed from 2. Ines Prica: »In Search of Post-Socialist Subject«, in: Narodna umjetnost 44/1 (2007), pp. 163-186, here p. 170. 3. Dean Duda: »Analiza književna neokapitalizma«, in: Fantom Slobode 1-2 (2004), pp. 6-33, here pp. 8ff. 4. Cf. ibid.
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a transnational perspective. Interpreting the past two decades as »postYugoslav« and »post-socialist« has raised questions about how the new political, economic and cultural system is related to the old socialist and Yugoslav one and how transition processes in the Balkans are related to similar developments in other parts of (East Central) Europe. Regarding the strong impact of the Europeanization process, the ambivalent attitudes towards »Europe« and the »West«, the desire to belong to Europe and at the same time disappointment about the political reality, have to be considered against the background of cultural discourses on images of the »Balkans« and »Europe« both within the region and outside of it. Taking all this into account, the period of transition appears as multifaceted, and whatever one writes about should somehow be related to at least a few of these questions. But out of the necessity to reduce complexity, the concepts and frameworks that have been developed and used, so far, to look at this period of change, usually emphasize just one of these aspects or processes. A second challenge one has to face is normativity and bias. Writing on literature, politics and memory cultures inevitably carries a normative undertone, as writing on post-socialist societies, post-Yugoslav developments and questions of transition and conflict to some extent always reveals a moral and political attitude towards these societies and developments. As Ines Prica remarks with regard to Western post-socialist studies, the scholar’s empathy with his or her subject matter usually produces certain expectations and − in the case of anthropological interpretations of transition in Croatia − results in disappointment and pessimism, if developments take the ›wrong‹ direction.5 Perspective is usually dependent on knowledge, on different theoretical approaches and on insights into the situation on-site. And this leads to the third challenge, the relation of inside and outside perspectives. I look at the cultural development in Croatia from an outside perspective. But distance does not guarantee the neutrality of non-involvement and every text will be read as an attempt to take sides for one position or another. Furthermore, the advantage of not being directly involved and affected by the described phenomena is not only outweighed by the lack of first-hand information, but it is also delusive. Not to live in the region does not necessarily imply not to take part in the discourses this paper focuses on, because intellectual discourses in Croatia are not isolated but intertwined with discourses in other former Yugoslav countries, in East Central Europe and on the global level. Writing on cultural developments and transnational networks, one always has to be aware that one’s own work is part of the discourses described. So, as developments in Croatia can only 5. I. Prica: In Search of Post-Socialist Subject, pp.164f.
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be understood in a broader framework, I will also take into account exile, international networks and cultural ties within the region. Taking these challenges into account, how can the role of writers be described and judged? In times of change writers usually act as public intellectuals, in a use of the term that is inspired by Edward Said and the vision of the intellectual he delivered in the BBC Reith Lectures in 1993.6 Said claims that the natural position of an intellectual in society is a position on the margin, with a certain distance from power. On the other hand, he reminds us of the fact that intellectuals are bound to their communities by language and socialisation, and − as they speak up in public – they openly represent ideas, opinions or social groups. Due to this tension between independence and representation, the role of intellectuals is often ambivalent and unstable, they challenge their surroundings but also have to constantly question themselves.
Wr iters – Vic tims or Villains? The role of writers in Croatia cannot be separated from questions of change and transition and from developments in former Yugoslavia altogether. So far, scholarly discussion on writers, artists and on intellectuals in general since the beginning of the 1990s has mainly concentrated on two topics: first, the contribution of writers to nationalism and to the disintegration of Yugoslavia, and second, opposition and exile. There is thus a tendency to present writers and intellectuals either as being responsible for fuelling the hatred in the eve of the wars or as dissidents and opponents of nationalist and authoritarian politics.7 Intellectuals were expected to play an important role during transition leading their societies to freedom and democracy. However, it seems that many of them were unwilling or unable to fulfi l that role. Jasna DragovićSoso summarizes her analysis of the end of the Yugoslav Writers‹ Union as follows: »Not only had critical intellectuals failed to create a genuine alternative to Yugoslavia’s moribund communist system and negotiate a democratic, compromise solution to the country’s complex ›national 6. Edward W. Said: Representations of the Intellectual: The 1993 Reith Lectures, New York: Pantheon Books 1994; In the following I will quote the German translation: Edward W. Said: Götter, die keine sind. Der Ort des Intellektuellen, Frankfurt/Wien: Büchergilde Gutenberg 1998. 7. See for example: Vedran Dzihic: Intellektuelle in der jugoslawischen Krise. Rolle und Wirken der postjugoslawischen Intellektuellen in Wien, Frankfurt a.M.: Lang 2003, pp. 71 and 93-134.
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question‹, but they had actually set a precedent for the disintegration of the common state.«8 Cultural politics were a means to gain and stabilize power and especially at the beginning of the 1990s many writers engaged in supporting the new regime in Croatia. The most prominent of the active promoters of nationalist politics is Ivan Aralica, who mainly writes historical novels and thus contributes to shaping a nationalist interpretation of the past. Aralica held a few influential positions in the Tudjman government and became one of the main targets of antinationalist criticism. Of course, not all intellectuals actively contributed to the disintegration of Yugoslavia and to the homogenization of the single national cultures, but there were also a number of very critical antinationalist intellectuals. Furthermore, they were also victims of the social situation. Writers were affected by war, by the restructuring of society and economy. Resulting from this, there were heavy conflicts and a strong political polarization among intellectuals in Croatia and also in the other post Yugoslav societies. Andrea Zlatar describes Croatian culture in the 1990s as divided into two completely separated spheres that only interact in form of conflict.9 The war and the sharpening of the cultural confl icts in the tense atmosphere of the Tudjman era forced intellectuals to take a stand. During the wars, the post-war period and the so-called second transition, writers were frequently drawn into conflicts about their role in society and their political position. Confronted with internal and external conflicts, with social and political change, they could choose how to react, but they could not choose not to react. Their role was ambivalent: partly the conflicts and the conflict related topics of discussion were forced on them, e.g. the constant debate on ethnic origin and biography, partly writers were able to set topics and influence the course of debate. This can be clearly observed in the dealing with memory. Personal as well as collective memory are important means of (re)constructing individual and collective identities in times of change. One can say that literature mediates between individual and collective experience, and thus between individual and collective memories. Literary texts offer interpretations of the past and the present and thus contribute to memory as a means of self-assurance. With their works and public appearances, writers can influence the way in which events or personalities of the recent or distant past are remembered. 8. Jasna Dragović-Soso: »Intellectuals and the collapse of Yugoslavia: The end of the Yugoslav writers’ union«, in: Dejan Djokić (ed.), Yugoslavism. Histories of a failed idea 1918-1992, London: Hurst 2003, pp. 268-285, here p. 285. 9. Zlatar, Andrea: »Kultura u tranzicijskom periodu u Hrvatskoj«, in: Re 61/7 (2001), pp. 59-74, here pp. 67f.
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Writers not only mediate between their individual experience and the cultural values of their community but also take part in interethnic and intercultural exchange. Especially those who chose or were urged to leave Croatia at the beginning of the 1990s are confronted with the expectations of their host societies and/or an international public. In a situation, where a writer is confronted with the above-mentioned conflicts and expectations, writing is simultaneously action and reaction to the circumstances. And even if the decisions on how to react, how to behave, if and what to write are taken in isolation, with his or her texts the writer re-enters public discourse. Writing can be interpreted as a strategy of coping with changes and difficulties, but also as a means of creating new views on the past and the present. At the same time writers offer interpretations of their own function in society. Although a lot has changed since the end of the war, writers still seem to be trapped in discourses, which highly politicize the field of literature. This leads to ambivalences in their self-representation as intellectuals and has effects on the works produced. The writers I will look at in the following attempted to escape this trap or to at least avoid some of its consequences.
Reclaiming Conf iscated Memor y : Dubravka Ugresić Dubravka Ugrešić’s work provides a very good and well researched example that shows how the need to position and re-position oneself as an intellectual is bound to reflections on memory. Ugrešić’s works are discussed as examples for contemporary South Slav autobiographical literature in exile10 and as an innovative way to write about memory in post-socialist literature.11
10. See Stef Jansen: »Homeless at Home: Narrations of Post Yugoslav Identities«, in: Nigel Rapport/Andrew Dawson (eds.), Migrants of Identity. Perceptions of Home in a World of Movement, Oxford: Berg 1998, pp. 85-109; Renata Jambrešić Kirin: »Egzil i hrvatska autobiografska književnost 90-ih«, in: Reč 61/7 (2001), pp. 175-197; Angela Richter: »Erinnern und Vergessen: Die Kroatin Dubravka Ugrešić und der Serbe David Albhari«, in: Die Welt der Slaven XLVIII (2003), pp. 263-274. 11. See Dagmar Burkhart: »Objekte der Erinnerung in Dubravka Ugrešićs quasi-autobiographischem Roman Museum der bedingungslosen Kapitulation«, in: Susi K. Frank (Hg.), Gedächtnis und Phantasma. Festschrift für Renate Lachmann, München: Sagner 2001, pp. 595-603; A. Richter: »Erinnern und Vergessen«; Svjetlan Lacko Vidulić: Sonderposten im jugoslawischen Erinnerungskrieg.
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Her biography, career and recent works are closely linked to the experience of transition in Croatia and beyond. At the beginning of the 1990s a media campaign was mounted against Ugrešić and other female intellectuals because of their opposition towards nationalist politics in Croatia. In an anonymous article, subtitled »the witches of Rio« 12 and published in the weekly newspaper Globus in december 1992, Ugrešić was accused of betraying the Croatian nation.13 They were not only attacked because of their criticism of the political situation in Croatia, but also because of their self-definition as intellectual women and their refusal to play the role that the then dominant nationalist ideology reserved for women.14 Being exposed to severe public pressure, Dubravka Ugrešić left Croatia and hence lived the life of an exiled writer in Germany, the US and the Netherlands. In her writings however, especially in many of her essays, Ugrešić continued her resistance against nationalist politics. Ugrešić’s position is radical. She perceives the society she comes from as extremely hostile and criticizes it from the position that was forced on her and that she finally accepted and re-interpreted: the exiled woman on the margins.15 From that position Ugrešić enters cultural and political debate, analyzing and criticizing the society she comes from as well as her new social environment in Western Europe and the United States. Her insights of what is going on in Croatia are always contextualized by comparisons and references to other societies. Many of her essays were originally published in German or Dutch newspapers, her works are translated into more than twenty languages16 and it is not too audacious to suggest that her writings considerably influenced the image of Croatia abroad. The aesthetic and discursive strategies she uses in her texts include the sharp-witted unmasking of nationalist rhetoric, irony, playfulness and reflections on her own biography. Uses and abuses of memory and nostalgia are a recurrent theme of her writings, linking the individual experience of war and exile with the Zur Exil-Prosa von Dubravka Ugrešić (05.07.2007), www.kakanien.ac.at/beitr/ fallstudie/SVidulic3.pdf, accessed 11 June 2009. 12. Rada Iveković, Dubravka Ugrešić, Slavenka Drakulić, Vesna Kesić and Jelena Lovrić at that time attended an international conference in Rio de Janeiro. The sexist and derogatory labelling as »witches« henceforward stuck to them. 13. See S. Jansen: »Homeless at Home«, pp. 86-89. 14. See Jasmina Lukić: »Pisanje kao antipolitika«, in: Reč, 64/10 (2001), pp. 73-102, here pp. 92ff. 15. See S. Lacko Vidulić: Sonderposten im jugoslawischen Erinnerungskrieg. 16. For a list of translations see: http://dubravkaugresic.com.
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observation of political and social changes. Her main concern is the loss or »the confiscation of memory«, as the title of her most important essay on memory suggests, which will also be the starting point of the following remarks. When Ugrešić writes about memory she often refers to personal but nevertheless common memories of her generation, to »an experience which marked the shared life in a particular country, in a particular culture, in a particular system, at a particular historical moment.« 17 According to Ugrešić, as the country, system and culture were destroyed, the shared experience can no longer function as a basis of identity. From her point of view, the devaluation of the socialist past during transition included the devaluation of childhood and youth memories of those who grew up in socialist times and causes their identities to be problematic, their biographies to be fragmented. In course of the construction of national memories in the 1990s, the multinational Yugoslav memory was confiscated. Ugrešić uses the term ›confiscation‹ to compare the manipulation of memory as »invisible loss« 18 to death and material losses of the war. The notion of ›confiscation‹ also implies that memory is taken away, but can still be perceived as missing part of oneself: »Confiscated memory behaves like a disabled body which from time to time suffers from the syndrome of the ›phantom limb‹.«19 In reaction to her being accused of Yugo-Nostalgia and the glorification of the socialist past, Ugrešić introduces the concept of nostalgia as an alternative to the nationalist concepts of memory. But nostalgia cannot be controlled. As »the strategies of its activity are deceit, capriciousness, subversion, suddeness, shock and surprise«,20 it may lead to anarchy. This is why, according to Ugrešić the nationalist elites perceived Yugo-Nostalgia as a danger and used the term Yugo-nostalgic to disqualify people as public enemies and traitors. Ugrešić herself not only admits her feelings of nostalgia for Yugoslavia but reevaluates the term and the concept behind it. Her identification with Yugo-nostalgia is related to her self-perceiption as an outsider. Thus, she presents the memory of everyday life in socialist Yugoslavia as countermemory to the dominant national ones and, at the same time, analyzes the processes of construction and deconstruction of individual as well as collective memory. 17. Dubravka Ugrešić: »The Confiscation of Memory«, in: Relations 1-2 (2004), pp. 167-176, here p. 169. 18. Cf. ibid., p. 172. 19. Cf. ibid., p. 174. 20. Cf. ibid.
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But despite her refusal to identify with the Croatian nation, Ugrešić is constantly drawn into discussions about her origin and position. As Maša Kolanović shows in her analysis of concepts of identity in Ugrešić’s essays, she cannot escape the discourse on national identity. Though marginalized by exile and the radical position she chooses, she remains part of the culture she criticizes, and therefore represents the kind of intellectual that Edward Said had in mind. Spending most of his life in exile himself, Said asserts that although the ties to the homeland are never broken completely, being outside enables the intellectuals to take a different, more independent stand. The exiled intellectual assumes a double perspective, as he or she sees everything in the light of what he or she left behind and in the light of what still has to come.21 This also holds true for Ugrešić’s nostalgic concept of memory.
FAK or »Nothing more than a Festival«? In the year 2000 Nenad Rizvanović and Hrvoje Osvadić initiated a literary project that became to be known as »Festival alternativne književnosti« or FAK (Festival of Alternative Literature), later renamed as »Festival A književnosti‹«. For almost four years FAK existed not only as a series of events with public readings taking place at different places in and outside Croatia but also functioned as a kind of »label« for a loose group of writers including Miljenko Jergović, Zoran Ferić, Ante Tomić, Edo Popović, Jurica Pavičić, Roman Simić and many others. One of the declared intentions of FAK was to revive the literary scene by seeking close contact with the audience. According to the initiators of FAK, literature should be performed. The locations chosen for the performances, mostly pubs and clubs, and the way the texts were presented established literature as a part of popular culture and many of the participants compared the atmosphere at the FAK literary readings to the atmosphere at rock concerts.22 Robert Perišić, who otherwise is rather critical towards FAK, positively remembers the new emotionalism, claiming that it introduced to Croatian literature a »gene of vibrancy, desirability, a promise of a feast – something that did not exist as part of the idea of the so-called elite culture.
21. See E. W. Said: Götter, die keine sind, p. 63. 22. The Zagreb-based literary magazine »Relations« published a collection of the most important articles and statements on FAK in English translation in 2006. I will use this collection, but I will indicate the origin of the quoted material when necessary.
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FAK infested literature with the spirit of rock’n’roll«23 and Andrea Radak stresses the point that the popularity of FAK as a festival – what she calls the »Dionysian component« – enabled a rebirth of literature in post-Tudjman Croatia.24 The performances proved to be an efficient marketing instrument for the authors involved and can be seen as an adaptation to changes in the cultural and economic system. Literature was perceived as determined by mechanisms of the market, and »literary capitalism« (as it was called by Jurica Pavičić), was hailed by some of the writers as being more democratic and free than the previous cultural system dominated by the state. At the performances FAK was presented almost as a trademark, and merchandising products such as shirts were sold. On the one hand, the festival character of FAK helped to popularize literature, but on the other hand, at the end, there was more discussion about the performance and the festival as such than about the texts. Borislav Mikulić states that when the text appears as a spoken representation it becomes secondary compared to the »bodily presence of the writer, his voice, gesture, appearance.«25 Using the performance of literature in a style similar to a rock concert as one of the main aesthetic strategies had more consequences for the (self)definition of the writers. Participants of FAK and literary critics agree on the fact that the festival not only popularized literature considerably, but also changed the relation of writers, audiences and the media, and thus transformed the literary scene in Croatia. The critic and university teacher Dean Duda even goes as far as to state that »literature in Croatia, after FAK, will never be the same again.«26 But, apart from the observation that FAK initiated noticeable changes concerning the interplay of literature and public discourse, there is no agreement on what FAK actually was, or what its initiators intended, apart from popularity. Therefore, from its beginning, FAK provoked a series of discussions and conflicts, that eventually led to its termination in 2003.27 23. Robert Perišić: »FAK has become a Vehicle for the Media Promotion of a Closed Circle of Authors«, in: Relations 1-2 (2006), pp. 19-21, here p. 19. Robert Perišić took part in several FAK events and is one of the writers, who later on started criticising FAK from within. For a description of the atmosphere see also: Kruno Lokotar: »FAK and Drugs and Rock’n‘Roll«, in: Relations 1-2 (2006), pp. 1317, here p. 14. 24. Andrea Radak: »Dugovi kulturne tranzicije«, in: Fantom slobode 1-2 (2004), pp. 56-64, here p. 61. 25. Borislav Mikulić: »Glasovi, znoj i diskurs. FAK kao nulti stupanj medija i povratak kulturne ugode«, in: Borislav Mikulić, Scena pjevanja i čitanja. Između Hesioda i FAKa. Dva ogleda iz epistemologije metaknjiževnog diskursa književnosti, Zagreb: Demetra 2006, pp. 200-267, here p. 209. 26. D. Duda: »Analiza književna neokapitalizma«, p. 28. 27. In mid-December the initiators publicly declared that FAK ceased to exist.
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From the perspective of an outsider with limited insights into relationships within the literary scene in Croatia, it is difficult to give a detailed account of these conflicts.28 Nevertheless, I will try to show that FAK, and the different ways of dealing with literature that it introduced to Croatian culture, can be perceived as a reaction to change and transition in several aspects. The founders of FAK and some of the critics repeatedly stated that FAK was meant to be »nothing more than a festival.«29 In a situation where literature was extremely politicized, this seemingly harmless statement was in fact very political. By presenting literature as a part of popular culture, the protagonists of FAK distanced themselves from the previously common image of intellectuals and tried to avoid certain expectations concerning the function of writers in society. The participants of the festival saw themselves neither as part of the elitist academic literature nor as political writers promoting an idea or ideology30 and did not present themselves as protagonists of any sort of political movement. Nevertheless, Andrea Radak interprets the festival as a symptom of political and cultural transition in Croatia. She states that FAK possessed the potential of being a cultural phenomenon similar to fi lm in Spain after the end of the Franco regime.31 But although she observes the liveliness and subversive energy of the literary performances, she also points out that it amounted to little more than anti-Tudjmanism. Some of the participants of FAK were attacked by nationalist writers as »secret agents« of international organisations aiming at destroying the Croatian nation. Ivan Aralica, a confidant of Franjo Tudjman, even wrote a novel, a roman à clef, about Miljenko Jergović. Aralicas novel has to be seen in the context of the political changes after Tudjman’s death. The nationalist cultural establishment lost its power and formerly oppositional intellectuals – among them some of the FAK writers − gained public influence and were perceived as representatives of the new political order. But the conflicts related to these changes in the cultural elite did not directly involve FAK as a festival. Very soon, the market orientation that some of the participants adopted, 28. For first attempts to judge the relevance of FAK for literary history in Croatia see: Velimir Visković: U sjeni FAK-a (= Biblioteka Tridvajedan 63), Zagreb: V.B.Z. 2006. 29. Jagna Pogačnik: »In FAKt, what was that FAK?«, in: Relations 1-2 (2006), pp. 130-133, here p. 131. 30. The organizers of FAK tried to remain independent and refused to apply for public funding. 31. A. Radak: »Dugovi kulturne tranzicije«, p. 61.
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aiming at popularizing literature without being dependent on public funding, was criticized as replacing one sort of dependency by another.32 It was argued that serving the audience, writing literature that can be performed in a club or bar, would lead to mediocrity. Combined with a debate on the question of who was selected to take part in FAK events,33 this led to a major discussion on artistic quality and poetics. Another question that was repeatedly discussed was the relation of FAK to the media. Some of the writers involved earn their livings as journalists, which shapes their attitude towards writing. Apart from that, the coverage of events organized by FAK indicates that the festival is a product of a media society like it also exists in other parts of the world. This very short sketch already shows the wide range of aspects touched in the various discussions and conflicts, which all somehow have to do with the position of writers in society. But it was not the intention of the festival to trigger these discussions. In his defence of FAK34 against a number of accusations and misunderstandings, Jurica Pavičić self-critically admits that the initiators and regular participants of FAK avoided articulating, what they actually stand for: »we missed describing ourselves, the chance to make our own poetical project, critical anthology, to express our own credo.«35 At the end the writers were forced into the debates that they tried to avoid. The discussions about FAK are symptomatic of inner-Croatian changes, so to a certain extent FAK is a Croatian phenomenon. But on the other hand FAK was meant to go beyond the Croatian borders. It adopted ideas from elsewhere and the organizers of FAK cooperated with writers from abroad. These cooperations were based on two different networks: One network connected FAK to the British literary scene. The initiators of FAK, especially Borivoj Radaković, were inspired by similar ways of performing literature in Great Britain. They repeatedly invited writers from Great Britain and after the official end of FAK a tour of selected Croatian and British writers around the UK gave rise to an anthology. The second network connected FAK to the literary scenes of Croatia’s neighbouring countries, with the result that FAK can also be observed as a post-Yugoslav phenomenon. The organizers invited writers from the 32. R. Perišić: »FAK has become a Vehicle for the Media Promotion of a Closed Circle of Authors«. 33. It was argued, that FAK represented only a small number of young writers and that especially female writers were neglected and ignored. 34. Jurica Pavičić: »Fourteen Untruths about the Croatian New Prose. In defense of the Croatian literary phenomenon of our time or – parting with FAK«, in: Relations 1-2 (2006), pp. 106-118. 35. Cf. ibid., p. 118.
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neighbouring countries, and events outside of Croatia, especially in Serbia took place. FAK thus contributed to overcoming cultural isolation of the war and post-war period. In this context it is also important to point out that these kind of cultural ties within the region, were and still are an important precondition for stimulating communication and discussion on the recent past, especially the experience of the wars. On the first sight, it might not be obvious how the development of FAK and the discussions it provoked are connected to debates on memory, if we take a closer look, the changes that FAK caused in the interplay of literature and public discourse also changed the contribution of literature to collective memory. Most of the writers connected to FAK belong to a generation that is extremely affected by the wars of the 1990s. With their works they often challenged the official representation of the war simply by turning to descriptions of the social reality. Their texts often deal with the experiences of those who participated in the fighting or suffered from the consequences of war like flight and expulsion, as well as violence not only at the front lines but also in the rear. And I will mention only two works by FAK writers, that belong to those literary works that shaped and changed the perception of war: Miljenko Jergović’s volume of short stories Sarajevo Marlboro and Jurica Pavičić novel Ovce od gipsa«.36 Although I assume that only a few of the FAK writers would see themselves as intellectuals in Said’s definition, the conflicts that accompanied the phenomenon illustrate one of the main problems discussed by him: marginality and the relation to power. The renaming of FAK from »Festival alternativne književnosti« (Festival of Alternative Literature) to »Festival A književnosti« (Festival of A literature, in sense of first class literature), indicates that tension. The FAK writers tried to be rebels and mainstream at the same time, and the failure to clarify their claims eventually caused conflicts and the rapid termination of the project.
Conclusion The two examples represent different strategies of positioning towards politics. Whereas Dubravka Ugrešić transformed marginality into an instrument of analysis, FAK moved from the margin to the mainstream, thus changing the literary scene in Croatia from within.
36. Miljenko Jergović: Sarajevo Marlboro: Erzählungen (= Transfer Europa 7), Wien/Bozen: Folio 1996; Jurica Pavičić: Ovce od gipsa [Plaster Sheep], Zagreb: V.B.Z. 1997. Both were published before the beginning of FAK, but can be seen as examples of the kind of literature that was presented at the readings.
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A close look at confl icts and changes in the literary field helps to develop a more critical understanding of the role of literature and also helps to explain the ambivalence of memory work in Croatian literature: On the one hand, literature contributes to memory work, as it offers interpretations of the past and thus triggers discussions. On the other hand, literary texts and public statements of writers sometimes seem to reproduce the discourses and thoughts they criticize. Although they try to overcome the over-politicized and simplifying discourses of the war period, many authors seem to be trapped in conflicts about memory and about their own role.
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Zielscheibenkampagne ’99 Katja Eydel
»Wir können machen, was keine Organisation und keine Partei tun kann, die subversive Karte ausspielen, sprayen gehen und Farbeier auf JUL-Plakatwände schmeißen. Unsere Jugend gibt uns das Recht, über alles Witze zu machen, was man nur noch verlachen kann. Gleichzeitig fordern wir den Rücktritt Milosevics. Wir fordern, dass er die Verantwortung für seine Politik übernimmt. Und wir fordern faire Wahlen. Das heißt, die Änderung des Wahlrechts. […] Beim letzten Mal haben wir die Kundgebung an der so genannten ›Wand der Wahrheit‹ organisiert. Wir nennen den Bauzaun am Plato so. Das ist seit den Demonstrationen 1996 der symbolische Kundgebungsplatz des studentischen Widerstands an der philosophischen Fakultät. Vor einiger Zeit haben sie den Platz einfach mit einem Bauzaun abgesperrt. Auf den Zaun haben wir über Wochen und Monate Plakate mit Zeitungsausschnitten über Entlassungen von ProfessorInnen, Repressionen gegen Medien und Festnahmen von oppositionellen AktivistInnen geklebt. Die Polizei hat die Plakate heruntergerissen, und wir haben sie wieder hin geklebt.« Milja Jovanović, Otpor, Belgrad August 1999 »Es geht um eine lustige Situation: Auf der einen Seite haben wir eine Clique von Dichtern, die zu Vorsitzenden politischer Parteien wurden. Auf der anderen Seite haben wir Politiker und sogar Generäle, die Gedichte zu schreiben begannen. Beide Seiten schienen zu spüren, dass in der Poesie eine Kraft für die Nationalisierung der Gesellschaft liegt. […] Für einen Dichter war es einfach, die tabuisierten nationalistischen Formeln wieder auszusprechen. Beckovic machte den verbalen Testlauf, dann kam Milosevic und setzte die Sache politisch durch.« Dubravka Stojanović, Historikerin, Belgrad August 1999 »Das begann ungefähr Mitte der 80er Jahre als in Zeitungen, Büchern, Wochenmagazinen mehr und mehr Artikel erschienen, die das Konzept der Kultur, der Geschichte, der Bildung, der Politik neu zu definieren versuchten. Gleichzeitig
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begann 1985 der Prozess der gegenseitigen Separation: Kroatien von Serbien, Serbien von Slowenien, Slowenien von Montenegro etc. Der erste Impuls dieser brutalen Zerstörung von Staat und Gesellschaft kam nicht aus der Politik, sondern aus der Kultur.« Obrad Savić, Belgrader Kreis, Belgrad August 1999 »Vielleicht diskutieren wir den ästhetischen Kern des neuen nationalistischen Modells: Mercedes fahren, Lagerfeld tragen, Whisky trinken und die neue Weltordnung verachten. […] Die populistisch-nationalistische Bewegung hat die nationalen Institutionen zerstört. Sehen Sie sich die Krankenhäuser an, die Universitäten. Die neue Elite hat alles aufgegessen, das ganze Land und seine Einrichtungen. Und auf die Ruinen des Gesellschaftlichen hat sie ihren Kitsch gepfl anzt, diese Turbofolk-Ästhetik, diesen Kriegsgewinnler-Schick. […] Dieser Kitsch ist ein Simulakrum der Realität. […] 20.000 Mark, und schon hat man die Genehmigung, Häuser zu bauen, die allen behördlichen Aufl agen zuwider laufen. Der Kreis dieser Leute hat sich mehr und mehr verselbständigt. Sie haben ihre privaten Friseure, ihre privaten Bodyguards. Sie leben von der großen Masse von Leuten, die irgendetwas verschieben. Ihre Häuser haben die Ästhetik eines Grabes. Irgendetwas an dem ganzen Marmor ist krank. Er erinnert an Tod. Die Ökonomie, die sie aufgebaut haben, ist unproduktiv. Es wird nichts hergestellt. Alles ist im Umlauf. […] Eine enorme Anzahl von Kiosken ist entstanden, die billiger zu unterhalten sind als ein Ladengeschäft.« 1 Borka Pavičević, Zentrum für kulturelle Dekontamination (CZKD), Belgrad August 1999
1. Interviewausschnitte aus: Katja Diefenbach/Katja Eydel: Belgrad Interviews, Jugoslawien nach dem Nato-Angriff und 15 Jahren nationalistischem Populismus, Gespräche, Texte, Fotos, Berlin: b books 2000.
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Wall of Truth Katja Eydel
Aus der Serie »Zielscheibenkampagne ’99«
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Innenstadt Belgrad Katja Eydel
Aus der Serie »Zielscheibenkampagne ’99«
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Ar t and a Public Affair. Serbia between 1989 and 2001 Vladimir Tupanjac
An Ar tist as a Citizen »I’ll be brief and bitter: on March 9th Aleksandar Cvetković, one of the most important artists of our middle-aged generation of painters, was beaten black and blue, his eye was injured to such an extent that he is still undergoing a very difficult treatment.«1 »Well, I guess we are all, here and now, confronted with that panic-inducing choice between banal dabbling in the current politics which is horribly, disquietingly present, and the fear of quite simply remaining painters of still lives while dead people are happening around us.«2 »I am an artist!«3
Let us begin with a seemingly rhetorical and innocent dilemma: on whose behalf do they speak, these artists whose words, spoken from an already palpable historical distance, we have used here as an introduction? Do they speak for themselves, »as citizens«, equals among equals, or do they speak ›as artists‹, chosen, and responsible, by their own choice, and to a greater or lesser extent, obligated to speak and act publicly? Seemingly, it is a useless and certainly naïve question, argumentshifting which makes this dialectic inefficient and demagogical. On the other hand, the matter is not so complicated after all – the roles or positions 1. Mića Popović, Vreme, March 1991. 2. Mrđan Bajić, interview with Zoran Božović, 1995. 3. Nune Popović, upon being arrested in 1997.
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of an artist and a citizen are not mutually exclusive. On the contrary, an artist is a citizen to the extent that presupposes not only participation in the consumption of the everyday but also the other way round, his being inherent to its various forms and phenomena, differing in structure and intensity, and the very materiality in which the everyday appears to us. His need to escape at a moment’s notice from the role of a citizen in a given situation into the role of an artist could be explained by the indubitable trust in the system of ›civic values‹, where art, like politics, is an activity of a higher order. Within the framework of that system, an artist is allowed to make rough jokes at the expense of those with whose name, image or work it is not advisable to play, or to be protected by military and police forces in the given and unfortunate situation or, finally, to feel unease and an ethical dilemma, admitting that still life can be a genre, but also a dark metaphor… At the same time, expressing that need should not mean that an artist still believes in the so-called ideals of civic society – it is another dialectical relation: an artist, as a rule, believes in society to the extent that he is successful in that society when it comes to finding food for his symbolic-imaginary world. In a somewhat broader sense, the framework of the civic/social context serves as a kind of a safe reference zone, a place from which artists exhaust the identificational potential of their own role and importance, but also a place where one finds like-minded people, political collocutors and fellow-combatants in the struggle4 for preserving these ideals. And yet, one cannot avoid the impression that a game of sitting on two stools hides something inappropriate and discrediting for a citizen and, above all, for an artist. Is not an artist the one who should renounce the civic, and thereby the artistic, which, in the nature of things, is determined and contextualised by it, for the sake of higher values – values presupposed by the order of historical humanity, equality and the anti-opportunist idea of progress and sacrifice? Is not an artist’s sacrifice valid until the moment when he refers to the artificiality of his own presence and the artistic intention, which preceded a certain act? In other words, does not art provide the possibility of raising the representation or rhetoric of the everyday to the level of universal political discourse, that is, to the situation of real acting, proposing, appealing? Presented in relation to the parameters of the political and the cultural, 4. A case of literal identification with urban/civic identity/culture under the wartime living conditions in Sarajevo is described by Boris Buden in his text »Ispravna mržnja [The Rightful Hate]«, cf.: Boris Buden: Kaptolski kolodvor [The Captol Railway Station], Belgrade: Centar za savremenu umetnost 2001.
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the phenomenon of the civic is shown to be directly proportionate to all forms of culturalisation, culture is its material, the means of effecting a transfer of antagonisms that are potentially politically or socially determined. According to the already generally accepted theses of Fredric Jameson, culture no longer has any autonomy within the framework of social relations, it becomes a place where all social conflicts and crises are realised – culture makes possible a de-politicisation of society, which makes it impossible to speak of any critical distance that cultural practice could assume within a given social/political environment.5 In the case of artistic production, which is assumed to be created in changed political and social/historical circumstances,6 it seems that the abolishment of relativity in identifying ›civic‹ (in the text that follows, we shall try to connect this term with the term ›social‹) with artistic is necessary for a recognition of mutual relations, an analysis and a new integration of ›art‹ in ›the social circumstances‹.
Ar t in Cr isis »On the basis of numerous examples from the history of modernism, it is known that in individual critical moments and moments of crisis art reacts in two ways. One is to emphatically advocate the autonomy of art, the other is the engagement of artists for or against certain social and political options. In today’s circumstances, the latter solution has not been manifested here, at least not in the form of aesthetically relevant phenomena and achievements. Awareness of the nature of art is sufficiently formed and established here; owing to this awareness, the notion of art in its essential dimension has remained intact and has been preserved.«7 »[…] I imagine Serbia as a state where we shall go in for politics purely as a hobby, not out of necessity for survival.«8
5. Cf. Frederic Jameson: Postmodernism or The Cultural Logic of Late Capitalism, London: Verso 1991. 6. The operative word being »assumed«, because in this text we shall try to prove that in the period from the 1980s to 1995 there was almost no discontinuity, that is to say, the developments on the art scene were almost in no way directly conditioned by what might be called historical events in the region. 7. Ješa Denegri: »Umetnost u oskudnom vremenu [Art in a Time of Austerity]«, in: Projeka(r)t 3, (1994). 8. Petar Luković: »U to ime, ja vas pozdravljam [With That in Mind, I Greet You]«, in: Druga Srbija [The Other Serbia], Belgrade: Beogradski krug 1992.
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It is generally considered that the art scene in Serbia during the Milošević regime did not manage to face up to the challenge of political and social events within the framework, of which it was, to say the least, synchronously created.9 The most frequent complaints against the so-called social engagement of artistic practice have pointed to anachronicity and selfreferentiality, to the so-called lack of visible reality – priority being given to formal characteristics, as opposed to confronting a material, spiritual and, first of all, political crisis through the content and then also through the realisation/production of a work of art. If we proceed from the assumption that, in order to understand the nature of a work of art, it is necessary to locate it in the production relations in the society and the time it is created in,10 it may be said that there are almost no radical changes in the relations of art concerning production and realisation at the beginning of the 1990s. If we can view the symbolic location of the exhibition Yugoslav Dokumenta (Sarajevo1989), first of all, against the horizon of the coming historical events, that is, if we agree that its importance is limited and almost declarative for both politicians and fine arts critics, then the last Youth Biennial in Rijeka, held in the summer of 1991, and its apolitical continuation in Vršac in 1994 (it is interesting to note that the repetition of the names of artists receiving awards confirms the natural logic of the relation between the two events), may serve as an ideal illustration of the role of art as a factor of normalisation in the new social and political ambience. It is precisely this conspicuous lack of exhibitions that would, in various ways, gather established representatives of the art scene in Serbia at the beginning of the 1990s and correspond to the changed reality of the economic crisis and the wartime circumstances, that is a symptom of unease indicating, first of all, a lack of institutional activities,11 but also a kind of inertia of authority in the moments of a general crisis. Hence, the 9. Cf. inter alia: Branislava Anđelković/Branislav Dimitrijević: »Ubistvo ili srećni ljudi [Murder or Happy People]«, in: Branislava Anđelković/Branislav Dimitrijević (eds.), Murder One. Catalogue of the Second Annual Exhibition of the Centre for Contemporary Art, Belgrade: Belgrade Fund for an Open Society – Center for Contemporary Arts 1997; Stevan Vuković: »Politika, umetost i problemi sa stvarnošću [Politics, Art and Problems with Reality]«, in: Balkan Umbrella 1 (2001), p. 19. 10. Walter Benjamin: »Pisac kao proizvođač [A Writer as Producer]«, in: Walter Benjamin, Eseji [Essays], Belgrade: Nolit 1974. 11. What would be of interest is a comparison with the institutional policy of domestic theatres, but also with the so-called incident-prone cases within the framework of the practice of the theatrical institutions of the time in Belgrade and Serbia. Cf. the study »Pozorište u Srbiji 1990-2000 [Theatre in Serbia 1990-
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visibility of the social and political everyday life in the artistic production at the beginning of the 1990s was limited to a few cases of direct comments, that is, explication of political attitudes through the actual motif/content of the work in question: concerning artists already established on the scene, this period marked the beginning of Raša Todosijević’s great cycle Gott liebt die Serben, which would continue in various forms over the next 15 years, and the unexhibited series of works on paper entitled Wartime Period made by Peđa Nešković, whose exhibition activities from the beginning of the 1990s would also be marked by the protest gesture of taking down his pictures and turning them towards the wall in the course of the exhibition Needlepoint (in Serbian: Gobleni), held at the Sebastian Gallery in Belgrade in the spring of 1991. In the period that immediately followed (the first half of the 1990s), one may observe several parallel trends in the artistic production or the activities of artists in which it is possible to recognise direct forms of public engagement. In chronological terms, there was, first of all, a series of events proposing to shift the mechanisms of gathering and exhibiting works of art, be it partly or entirely, outside institutions (Private-Public, a project initiated by Raša Todosijević in early 1992, is the most ambitious attempt of this kind of self-organisation on the art scene). The next level of para-institutional activity can be recognised in the examples afforded by two collective projects stretching over a number of years, whose beginnings can be located in the spring and summer of 1993: these are a series of public events gathering, behind the common name of LED ART [ICE ART] (the eponymous later artistic collective was officially initiated in the course of one of the first events in May 1993), under the slogan Frozen Art, a number of representatives of the art scene in Serbia (it is interesting to note that the project unfolded almost simultaneously in Belgrade and Novi Sad), and a series of events which, under the ›label‹ of URBAZONE, were produced by an already quite stable institution of »the anti-regime Serbia« – Radio B92, under the ideological guidance of the highly respected Belgrade painter and radio activist Miomir Grujić Fleka [spot, blemish]. It can be said of both projects that they strategically ponder the public sphere from the position of an endangered minority, fi rst of all as a place of moral and existential questioning of the fate of culture and art under the circumstances in which we are not sure »whether one should create« and, if one does create after all, »which direction one should take.« 12 What these projects also have in common is a kind of negative enthusiasm, 2000]«, in: Teatron 118 and 119/120, Belgrade: Muzej pozorišne umetnosti Srbije 2002. 12. Gabrijela Pajević: »Vreme zamrzavanja [A Time of Freezing]«, supplement of the Vreme weekly, Belgrade, May 1993.
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a conditional optimism based on a collective spirit, but which does not hide its scepticism towards its immediate environment. While the academic scene gathered around LED ART took the opportunity of expressing its attitude of refusal to accept being instrumentalised by the institutions which constituted the art system at the time, deliberately »postponing« a confrontation, freezing its works to await »the possibility of a new healthy beginning«,13 the URBAN ZONE enabled us to feel secure and »amongst our own kind« by initiating a series of projects of revising the notion of ›urban space‹ within the register of qualitative (sub)cultural determinants that would, not infrequently, produce collateral effects of cultural racism14 and the so-called elitism and isolationism of the »streetcar no. 2 circle.«15 Around the mid-1990s, one can note a certain change of the iconographic model even in those artists who insist on a classical formal-linguistic framework in their work: Srđan Apostolović, as a representative of the generation of already established young Belgrade sculptors, produced a series of revolvers in terracotta (Hip-Hop, 1993). Mirjana Đorđević realised the emblematic work of the first half of the 1990s in Belgrade – the installation Star and Shadow (March 1994), while Mrđan Bajić (sculpture-stories Of Cities, Armaments, Internal Organs and Oblivion) and Milica Tomić (a cycle of monumental oils on canvas containing blow-ups of revolvers) produced their own works inspired by the iconography of weapons. The 1990s, so to speak, in the form and the mood we know them by from personal experience, entered art gradually, shyly and with a relatively slight lag – the consequences of this compromise with synchronicity would become evident in the years to come in the unsuccessful attempts to designate this period by way of the traditional modernist pattern of generationally determined artistic phenomena and trends. If institutions like museums, city galleries and large annual exhibitions could be said to operate as a kind of a buffer zone of protection or autonomy of artistic-exhibition practice, helping it »get over the shock of being faced with the events«,16 it is characteristic of the fine arts criticism of the first half of the 1990s that, to a greater or lesser degree, it successfully maintains 13. Ibid. 14. This can be illustrated by some films from the early period of the Radio B92 production, especially »Ghetto, the Secret Life of the City« by Ivan Markov and Mladen Matičević. Cf. also footnote no. 1. 15. The phrase refers to the central area of Belgrade, encircled by the route of the local streetcar no. 2 (translator’s note). 16. Cf. Lidija Merenik: »No Wave«, in: Art in Yugoslavia, 1992-1995, project of the Fund for an Open Society/Centre for Contemporary Art, Belgrade: Radio B92 1996.
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a balance between assessing the quantity of palpable everyday life and its inclusion in the reference framework of artistic production. Hence the characteristic constructs offered by art historians/curators such as »the new obscurity«, »discreet modernism« or »active escapism« mostly serve as an example of the passivisation on the part of art criticism and an expression of the need to take up a stance in relation to the production which is accepted as the only possible, necessary and justified one. The thesis about the identification of the extended practice of the 1980s, made in several texts17 published in the course of the first half of the 1990s, can be understood as a direct illustration of a situation dominated by a retreat into »the solitude of form«, »belief in fiction«, recognition of a subjective sphere in parallel structures, in a way, as the simplest formula of the anachronisms and autism brought about by the need to maintain a distance in relation to the reality of (collective) everyday life. If we try to explain such an attitude of the expert and acting public using any logical formulation based on ethical or psychological-political categories, we shall be faced with a seductive analogy: is not insistence on the autonomy and inviolability of the essence of art in times of an absolute social and political crisis actually the other side of the moral obligation expressed by numerous intellectuals (scientists, artists, journalists…) gathering on behalf of the collective identity of the newly-established Belgrade Circle in early 1992 and speaking, in the course of a series of public sessions of the Circle, in the name of the so-called »other Serbia«, the one that »had carried inside for a long time a painful feeling of nausea over the calamity that had befallen us.«18 Was it not there, at a place where all the Belgrade intellectuals gathered then, presenting their views of a different Serbia »before a large audience which experienced a kind of moral purification in the course of those sessions«, that a civic obligation of morality was established, the morality of participating in a project where political action boils down to the need for distancing oneself and rejection, and the rhetoric of critical reaction turns into an institution of civic conscience of dissident-expatriate provenance. The public sphere and the public statement, whose »return to dignity«19 is advocated by this kind of cultural-artistic engagement, would appear to be almost determined in advance at that moment – moral autonomy and autochthonous universality in the struggle for finding one’s 17. Cf. the thematic issue »Devedesete: aktuelna umetnička zbivanja u Jugoslaviji [The 1990s: the Current Artistic Developments in Yugoslavia]«, Projeka(r)t 3 (1994). 18. Cf. the Editor’s preface in: Druga Srbija [The Other Serbia], Belgrade: Beogradski krug 1992. 19. Ibid.
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own subjectivity in a new context, but also in the development of a new institutional hierarchy, would mark the activities of »the other Serbia« in the coming period.
Ar t and the Public Space »Then we saw what the demented final product of the ruling class was and burst out laughing. On the other side, beyond that madness, we could not discern any system.«20 »I remember myself, when I went to primary school, the first years of primary school, and the only gallery that existed in my town […] that was the Modern Gallery. In the course of those several years, I refrained from entering the Gallery, for I had no idea how one entered there, why one would want to enter, whether one paid to do so or not, no one ever entered there, communication with art was absolutely, in a way, a distant thing, almost forbidden.«21
There is almost no example of the transformation of a ›social‹ (public) space into a ›civic‹ or ›private‹ sphere more illustrative than the story of art periodicals in Serbia in the 1990’s. If the Moment magazine, »a voice of the pluralist climate of the 1980’s«,22 can be considered without any doubt whatsoever to have been the representative periodical of the preceding decade, in the 1990s this role was taken over by its two successors, both being equally symptomatic and representative of the ›production forces‹ on whose behalf they addressed us. Officially launched in early 1993, the New Moment magazine for visual culture, conceived as a »production machine«, open to pondering and production in various media, its content ranging from popular culture through theoretical journalism to literary fiction – in a nutshell, possessing the characteristics of what Geert Lovink calls a »sovereign medium«, 23 one which does not shun the complex challenges of contemporary society. On the other hand, there was a periodical that 20. Georg Gross: Art Is in Danger, Berlin 1925. 21. The Škart group, interview with Zoran Božović, 1999. 22. Ješa Denegri: »Časopisi devedesetih: New Moment i Projeka(r)t [Periodicals of the 1990s: New Moment and Projeka(r)t]«, in: Devedesete: teme srpske umetnosti [The 1990s: The Topics of Serbian Art], Novi Sad: Svetovi 1999. 23. Cf. Interview with Dejan Sretenović, in: Zoran Božović, Likovna umetnost osamdesetih i devedestih u Beogradu – Razgovori [The Fine Arts of the 1980’s and 1990‘s in Belgrade – Interviews], Belgrade: independent publication 1996.
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was supposed to address primarily the so-called expert public, the one, which simultaneously »believed in the spiritual project of the individual artist and in art as certainly the most vital and effective segment of out dismal social reality.«24 If, in the case of New Moment, the connection with the market logic of advertising is evident in the magazine’s look, as well as the nature of its publisher’s work (the most successful advertising agency on the local market at the time), the origin of the idea of Projeka(r)t as a »special-purpose« periodical could be located, first of all, in the need for a physical repositioning of traditional authority on the local scene, and in that sense, this magazine may appear to be closer to its historical predecessor.25 Still, both magazines reflect, first of all, the need for a new conquest of art; in both cases, they deal with the kind of artistic practice that is reproduced and »used for the purpose« of civic prestige. In that sense, the position of the editorial staff of Projeka(r)t is symptomatic because through its editorial policy the magazine imposes itself as a public medium of an almost antipolitical orientation, offering us a mimicric picture of a successfully autonomised art which, such as it is, will preserve the living spirit and the common sense of society. Even its distribution, theme-content oriented, produced an effect of exclusivity of the editorial policies (and thereby of the ownership-editorial representation) at the expense of the exclusivity of the material published – in this way, the abandoned ›socially-owned‹ project unsuccessfully multiplied, producing diverse effects of a referent system that was at the same time missing and superfluous. And yet, to speak of a direct link between artistic production and the production forces around which production is formed or reproduced does not, at the same time, mean to make a claim of »the instrumentalisation of art« by social or political power in various guises, but certainly opens up the possibility of recognising the mechanisms which identified a certain artistic production and represented it in a very specific way. If we apply the formula arising from the above to the general plan, one of the possible conclusions is that what was necessary for an artistic practice aiming to be realised and distributed in the public space was, fi rst of all, to recognise its own territory – the operative system in which it was possible for it to function at particular moments. In this sense, what is almost striking is a lack of artistic activities (campaigns, projects) that involved addressing institutions or figures of authority, be it from the political system or the cultural/artistic system. Until the second half of the 1990s, when a series of campaigns of the Magnet group, the student/civic protest (the autumn and 24. Dragomir Ugren: »Editorial«, in: Projeka(r)t 1 (1993). 25. Cf. Ješa Denegri, ibid.
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winter of 1996/7) and, somewhat later, performances by Saša Stojanović occurred, the art scene in Serbia, as regards the so-called activities in the public sphere, was almost dominated by projects with collective or individual authorship which based their operability and performative location on the presence of more or less accidental audiences in, as a rule, common and everyday circumstances, in other words, counting on the absence of even a mere possibility of a political or public incident. In such cases, the public space boils down to common, occasionally barely visible locations: streets, busy or, depending on various criteria, symbolic points or microlocalities in or outside the city. On the other hand, one could almost say that ›public art‹, in the form that such activities assume in environments with a developed art system, which presupposes orders on behalf institutions or organisers of big exhibitions, was absolutely unacceptable in Serbia. The first examples of such, only partially strategic investment in ›public art‹ (in the sense that it does not involve merely the traditional form of exhibiting sculptures in public spaces) occurred in the second half of the 1990s, when the fine arts production of the Belgrade Summer Festival (BELEF) was renewed (BELEF’s first ambitious fine arts programme Overground was realised in August 1998).26 Still, a lack of works that would involve, for example, the institutions of power or the real locations of political topography, does not rule out their subversive and critical dimension – on the contrary, the works of the Škart group, as a rule, situated in everyday situations, based on the principle of simultaneous provocation and empathy offered to consumers at random, are openly subversive in many respects, even when addressing the dominant system of art,27 as well as the system of distribution of material goods, public communications and institutions. At first glance, the majority of these works focus on the emotional curvatures within the framework of social 26. Selected by Milica Tomić and Branislav Dimitrijević, the programme entitled »Overground« featured, among others, the works of the AES artistic collective, Zoran Todorović, Zoran Naskovski, Dejan Anđelković and Jelica Radovanović, Ivan Ilić, Raša Todosijević. 27. The work of the Škart group to a great extent reproduces a kind of antiinstitutional attitude of denying their belonging to the system of art – first of all, when it comes to agreeing to exhibit in galleries and museums. The following testify to this: 1) the Škart group was rejected when it applied for the Young Artists’ Biennial in Rijeka in 1991 without any explanation whatsoever; 2) after the initial appearance at the »Imago« gallery in Zrenjanin in 1990, the Škart group’s next appearance in a gallery occurred only in 1994. The group very rarely exhibits today in the conventional sense of the word.
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relations; what is hidden behind them is most often a very precise and, as a rule, witty and sharp comment addressed to very specific critical points in the field of the so-called »second-degree ideological mechanisms«. In a similar manner, but also with a discreet overtone of critical intent, artists such as Talent or Saša Marković Mikrob realised their projects; their work was based in equal measure on »bringing the public« into the space of a gallery and, especially in Marković’s case, on the realisation of performancetype activities in the areas where the so-called urban culture gathered and was distributed. A considerable degree of political explicitness, both in terms of strategic approach to project realisation and in the course of realising it in space, may be seen in the work of Association Apsolutno, whose works, mainly quite directly and often quite pretentiously, refer to the culturological, ideological or historical aspects of the chosen spots within the social milieu. Based, as a rule, on precise and thorough investigations of selected problems and localities, their projects could be explained as ›devices‹ of sorts for re-examining the symbolic and material aspects of collective consciousness; their analysis provides a certain dialectical effect of (de)mystification and demythologisation which, according to Bourdieu, represents a process of »registering objective criteria«,28 thus making it close to a sociological analysis immersed, fi rst of all, in what Bourdieu calls »the mythical discourse« which, in itself, seems rather compact despite the fact that it can be based on very heterogeneous elements precisely because within it »there exists no need to say anything about the notions being linked.«29 As opposed to their production, examples like almost all the campaigns of the Magnet group or the performances of Saša Stojanović base their premise of »political activity« precisely on believing in the power (of sorts) of »the mythical discourse« or, to put it more precisely, believing in the physical and visible positioning of power in the institutions of the state and society (the building of the Academy of Science and Art, the offices of the Presidency of the Republic, the state television, the National Bank or the National Library). Their provisional success, at least in terms of the visibility of these projects, could be explained by the need to neglect objectivity in the name of a subjective attitude, a direct confrontation with the only position of subjectivisation, and that is the position of the leader, the supreme authority.30 The activities of the Magnet group dating 28. Pierre Bourdieu: Što znači govoriti [What It Means to Speak], Zagreb: Naprijed 1992. 29. Ibid. 30. Cf. Boris Buden: »Krv i smrt [Blood and Death]«, in: Boris Buden, Kaptolski kolodvor, Belgrade: Centar za savremenu umetnost 2001.
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from 1996 and 1997 deserve a special comment, fi rst of all because the members of this collective, through their campaigns, achieved a level of the marketing effect of visibility, clear rhetoric and significance not attained by any protagonist of the art scene in this period. Magnet’s recipe for success, marketing before artistic success, is based on simple political messages transmitted to the public by means of a markedly reduced language of group campaigns and performances. Perhaps even more importantly, in Magnet’s manner of addressing the public there is no scepticism, no ambiguity or stylistic figures, their message is easily understandable and requires no interpretation or mediation, and in this sense, this practice almost denies its own artistic impulses for the sake of pure provocation. The ideal result of their art was provocation whose consequences would be a direct penetration into the system of control and maintenance of the public space (response on the part of forces of law and order, leaving objects in areas where actions were performed or, quite simply, great media visibility); it was based on the idea of a disturbing provocation, only not addressed to accidental passers-by or public but to representatives of the regime (the police, politicians, officials, security staff ). »You see, the society we live in today is a very homogenous one. […] This means that if there is any space in our society where alternatives are negotiated, where they are discussed and represented, then it is within the boundaries of art. […] What makes art interesting for me are the very spaces earmarked for art, which function quite autonomously.«31
As opposed to the direct effects of the works of the Magnet group, whose critical evaluation does not occur separately from their direct results, in situ, in the case of most artistic projects carried out in the public sphere or conceived as some sort of political provocation, it is very difficult to distinguish their artistic effects and qualities from those which a work radiates on the level of a certain political objectivisation. Groys’s thesis about »the autonomous art space« can therefore be helpful to us when it comes to defining a unit of measure for evaluating the success of a work precisely as that form of manifesting interest, on the part of society, in accepting a certain form of artistic activity as important for it and for its own frame of reference. Unfortunately, it would appear that such projects have been entirely lacking in Serbia’s recent art history. Art products were consumed in parallel situations of sorts, artistic ›public speech‹, even when it presupposed an emphatic awareness of its environment, was often 31. Boris Groys, interview for the catalogue of the exhibition »Ausgeträumt«, Vienna: Secession 2002.
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addressed to accomplices, collocutors or, at best, like-minded individuals. This is due, among other things, to the ›independent culture‹ scene, very active since the mid-1990s: in the 1994-1995 period, the first permanent public cultural venues, the Rex Cinema and the Centre for Cultural Decontamination, started operating, and their programmes, with very focused and explicit political and provocative content, were performed almost on a daily basis. The production of context was thus in a way institutionalised again, which greatly contributed to the improvement of production conditions, but produced the end effect of creating a parallel and functional artistic scene, which has been maintained, with brief interruptions in the most critical moments, to the present day. In such circumstances, artistic production, still often based on personal initiatives, was simultaneously supported, encouraged and moderated – but examples of successfully going beyond its own parallel mechanisms of maintenance, reproduction and consumption were very rare. In this sense, Habermas’s thesis about »citizens becoming consumers of the state« could provisionally be applied to artistic production, even to those of its forms whose specific character relied on »a more or less explicit intention of dealing with matters pertaining to political or social relations.« That is why, it would appear, this very form of overcoming the usual forms of pure rhetoric presupposed the production of its own context and a system of reference. And that is why, it would appear, from a »never smart enough« historical distance, these issues of artistic practice should remain alive precisely in a period when recognising antagonisms will be a precondition for new forms of dealing with art.
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Yugotr ip, 2005 Alen Hebilovič
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In her remarkable book Between Vengeance and Forgiveness, Martha Minow 1 explores how those societies that had suffered mass murder and violence deal with these experiences. She contends that these societies are doomed to constantly grapple with questions such as how to acknowledge what had happened, whether and who to punish and how to recover. Moreover, a crucial question, according to Minow, is how to deal with the continuing presence of perpetrators, victims and bystanders after the violence has ended. How to balance between »too much memory and not enough? Between too much enshrinement of victimhood or insufficient memorializing of victims and survivors? Between too much past and too little acknowledgment of the past’s staging of the present?«2 Indeed, the questions posed by Minow are critical in grasping the dangers and difficulties surrounding those societies and individuals emerging from mass violence and trauma. Her forceful argument is that formal/legal responses to atrocities carry immense importance to this process since legal responses are »commitments to replace violence with words, and to replace terror with fairness.«3 The concepts ›truth and justice‹, sought and implemented by legal trials, truth commissions and reparations, play a significant role in the process of recovery and healing after mass genocide.
1. See Martha Minow: Between Vengeance and Forgiveness: Facing History after Genocide and Mass Violence, Boston: Beacon Press 1998. 2. Ibid., p. 3. 3. Cf. ibid, p. 5.
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The memory of what happened, individual and collective alike, becomes the place where this process occurs. Authors dealing with the problem of memory, such as Ashplant, Dawson and Roper, 4 for instance, have persuasively argued that to understand collective memory one needs to combine its political and psychological aspects. Commemorations often are implemented from above, when elites stage this process for primarily political reasons. Commemorations can also be grass-root events that take place from below where the main focuses are the psychological and subjective needs of individuals. This results in hegemonic (publicly articulated) and sectional (marginalized, suppressed, or oppositional) memories. Yet, the authors do not treat these binaries as static but remind us that there is a complex overlap »public and private, official and personal, hegemonic and sectional.«5 Experiences of suffering and trauma become meaningful only through pre-existing »templates« such as myths, tropes, dominant narratives that are very often those of the nation-state. They use the notion of »commemorative arena« as a primary terrain where the struggle for collective memory occurs. This space is constructed by and contingent on its different appropriation by the various actors who have different experiences, political aims and interests. My main task in this article is to use Srebrenica as a ›case-study‹ that represents, in its most condensed form, the complexity of dealing with collective memory in Bosnia and Herzegovina after the war in 1992-1995.6
4. See Timothy G. Ashplant/Graham Dawson/Michael Roper (eds.): The Politics of War, Memory and Commemoration (= Routledge studies in memory and narrative 7), London/New York: Routledge 2000. 5. Ibid., p. 3-85. 6. While most often the war in Bosnia and Herzegovina from 1992-1995 was designated as an ethnic war fought over territory after the disintegration of Yugoslavia between the Muslims, Croats and Serbs living in the republic, some authors have argued that due to larger international factors involved, this war could also be seen as an imperialist war with an aim to destroy any »successful« socialist remains, and in which different geo-strategic interests clashed (see for instance Susan L. Woodward: Balkan tragedy: chaos and dissolution after the Cold War, Washington, D.C.: Brookings Institution 1995 and Sabrina P. Ramet: Thinking about Yugoslavia: Scholarly Debates about the Yugoslav Break-up and the Wars in Bosnia and Kosovo, Cambridge: Cambridge University Press 2005). From the European countries, Germany, by recognizing Croatia as an independent country in 1991, has been viewed as directly implicated with the »ethnic« war in Yugoslavia, thus stirring strong Croat nationalism and militant reaction among the Serb minority living in Croatia.
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By using the questions posed by Minow 7 and the ideas laid out by Ashplant, Dawson and Roper,8 I want to analyze how Bosnia and Herzegovina has been emerging from and dealing with the memories of the Srebrenica massacre. Further, I want to assess this event by using it as a »commemorative arena« in which the Muslim and the Serb sides project and utilize different meanings and objectives.
Tracing the Ef fec ts of the Massacre Acknowledged as the largest massacre in Europe after WW2, when 8000 Muslim men were murdered by the Serbian military forces, Srebrenica became a symbol of the ethnic war in Bosnia and Herzegovina, signifying several simultaneous processes: the suffering and loss endured by the Muslims, atrocities committed by the Serbs, the divided territory of Eastern Bosnia after Dayton which continues to be a deadlock for the local population in dealing with the memories of the massacre, but also in making sense of the contemporary territorial division of the country, and the effects for people from different ethnicity. In his article Commemorating Srebrenica, Ger Duijzings9 underscores the role of Srebrenica for the collective memory of Muslims in Bosnia and Herzegovina. The first main commemoration of the massacre took place five years after the massacre had occurred, in July 2000. Attended by the political officials from Bosnia and Herzegovina, including Alija Izetbegovic, and representatives from the international community, the event was ignored by the officials in Republica Srpska. The Dayton peace agreement divided the territory of Bosnia and Herzegovina into the federation and Republika Srpska. Srebrenica and the surrounding area remained within the territory of Republika Srpska. Hence, Srebrenica, in addition to being a commemorative arena of the ethnic war and the atrocities affl icted, also symbolized the struggle over territory.10 Duijzings provides detailed insight into the intricacies of that first 7. See M. Minow: Between Vengeance and Forgiveness. 8. See T.G. Ashplant/G. Dawson/M. Roper: The Politics of War, Memory and Commemoration. 9. See Ger Duijzings: »Commemorating Srebrenica: histories of violence and the politics of memory in Eastern Bosnia«, in: Xavier Bougarel/Elissa Helms/ Ger Duijings (eds.), The New Bosnian Mosaic: Identitites, Memories and Moral Claims in a Post-War Society, Aldershot: Ashgate Publishing Company 2007, pp. 141-166. 10. Cf. ibid., p. 147.
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commemoration in 2000 when it became obvious that this process cannot proceed without establishing an obvious and material Muslim presence. A memorial in Potocari would thus acknowledge not only the atrocities that took place in Srebrenica, but would also deflect the Serb claims on the territory at the same time reclaiming Muslim presence in this region. Despite the significant delay of the first commemoration of the massacre of five years, the idea to build a memorial center in Potocari was initiated as a early as 1996, when the women from Srebrenica had expressed desire to bury their men in Potocari. The cemetery would be only one component. But the memorial complex would also consist of a museum and an education center thus having multiple functions and serving multiple needs. The initial idea was to transform the Dutch-but compound (the battery factory) into this large memorial complex to serve its many purposes.11 This complex started to actualize itself only after it was explicitly endorsed by the international community. More precisely, the direct involvement of the international community represented by the UN presence, became an inevitable component to the memory of the massacre. The explicit involvement of the international community in the massacre, that took place in a UN ›safe zone‹ and was in a way ›allowed‹ by the Dutch peacekeepers who had failed to protect the Muslims in the Srebrenica area, has turned the official remembrance into »commemorative arena« for the international community, too. »By becoming a point of reference for the international community in its attempt to deal with the sense of guilt and blame for their involvement, Srebrenica has also become a platform for the ritual declaration of guilt and responsibility by members of the international community who used the official commemorations to express their regret at having allowed the massacre to happen.« 12 Serbs reactions to the commemoration and the building of the memorial have oscillated between outright obstruction and reluctant cooperation. The first commemoration in 2000 was accompanied by incidents when the house of a Muslim returnee was burnt and stones were thrown at the bus carrying people to the commemoration. The Serb media claimed that the commemoration was a deliberate provocation and an attempt to invade Serb territory. The subsequent years were also marked by protests of the Serbs whose most common response to the massacre and its commemoration was demanding recognition of the Serb victims. The Serbs have thus built counter-monuments and have organized counter-commemorations such as in the villages of Kravica and Zalazje. With the July 11 commemorations in 11. Cf. ibid. 12. Cf. ibid., p. 157.
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Potocari becoming more and more established and institutionalized, the Serbs chose July 12, Petrovden (St. Peter’s Day) which has developed into the main commemorative date for local Serbs. On that day in 1992 Muslim forces killed dozen of Serbs in Zalazje and the surrounding villages. Initially the Serbs celebrated July 11 as a ›liberation day‹ and July 12 as a day of the Serbian victims. The shift from the stress on July 11 to July 12 was a gesture to counter the Muslim discourse but also to neutralize divisions within the Serb community about how not to commemorate the Srebrenica massacre.13 This leaves us with a situation of divided memories and separate commemorations in two neighboring villages Potocari and Kravica. Thus the commemoration of the Srebrenica massacre in Potocari becomes a stage with different stakes for the actors involved. For the relatives of the killed or missing the most important thing is the fact that they can bury their dead in Poticari and go there to mourn. The proper burial for their loved ones could help some of them to arrive at some kind of closure. The commemoration also becomes an act of reclaiming a space on a territory that is now a part of Republica Srpska and is occupied by Serbs.
Srebrenica : a »Commemorative Arena« for the Displaced in Berlin In my earlier research on the memory of Srebrenica among the refugees in Berlin, Germany,14 it became evident that Srebrenica is becoming a particular »commemorative arena« for the refugees who left Bosnia and Herzegovina. I identified an important contradiction embedded in the politics of memory, namely the tension between actual memories of past traumatic experiences and political impositions that shape such remembrances in a contemporary context. Current complications of the legal status of the refugees from Bosnia and Herzegovina in Berlin have generated a discourse of what I call »strategic remembrance«, one that draws on the past events in a very selective, planned and calculated manner. This strategic remembrance is 13. Cf. ibid. 14. See Rozita Dimova: »Remembering the past, forgetting the future: Cosmopolitanism as a class factor among Bosnians in Berlin«, Paper presented at ASN 11th Annual World Convention: Nationalism in an Age of Globalization. Harriman Institute, Columbia University, 23 – 25 March 2006, and Rozita Dimova: »Strategische Erinnerungen als ›Kampf um die Lebenden‹. Das Gedenken an das Massaker von Srebrenica bei in Berlin lebenden Bosniern«, in: Berliner Debatte Initial 4/5 (2007a), pp. 96-104.
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distinct from the question of authenticity, of any individual memory of »what really happened«. Rather, it concerns the legal/political context that shapes the economy of memory itself: its content, its performative aspect and the narratives surrounding the ›real pain and suffering‹. Instead of evaluating the accuracy of what people remember, during my research among refugees from Bosnia and Herzegovina in Berlin I identified the fractured and non-linear trajectory of memory which rests on compressed time/space axes: it draws on the past, acts upon the present, and aims at resolving legal status tensions for the future. My research in Berlin calls attention to multiple layers of trauma in the lives of the Bosnians who fled the war, reflected in the testimonies prepared for the Srebrenica commemoration. First, there was the massacre itself. The testimonies survivors were encouraged to prepare for the 10th commemoration of the Srebrenica massacre carried the message to Germans that Srebrenica was no longer a place for survivors to go back to. Yet the evocation of the suffering during Srebrenica, albeit genuine, purposefully targeted the need to persuade the authorities that remaining in Germany is the only option. Women’s testimonies were often silent about their equally fraught experiences of the ›tolerated‹ Duldung status in Germany, even though these experiences had real and immediate impact on their contemporary lives. Finally, many of those testifying found it burdensome and humiliating to have to justify their ongoing presence in Germany by emphasizing the endured trauma. Adela conveyed such fury as she lamented that loss of two sons and a husband was apparently not a good enough reason to want to escape the place where it had happened. In our casual conversation most of the women-participants in the Sreberenica group who had been meeting regularly for two months prior to the official commemoration in Berlin in July 2005 to mark the tenth year of the massacre acknowledged and expressed gratitude for the many individuals, organizations or churches in Germany that have been genuinely involved in helping the Bosnians to remain in Germany. The Methodist church in Kreuzberg, for example, sheltered an elderly Bosnian couple in their 70s on church premises after they received an Abschiebung (deportation) order. The couple occupied quarters fi xed up in the basement as an apartment for many months while the church undertook exceptional efforts to protect them. Church members provided their daily food. Concerned that the authorities would arrest the couple and deport them, the priest even went to Bosnia to look for a decent nursing home where they might be placed. High ranking officials objected too: Hans Koshnick (former EU administrator for Mostar and later the Federal Commissioner for Bosnian Refugees) criticized the two group deportations of 74 refugees from Berlin 104
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on July 1998 as grossly inhumane.15 The groups were deported in the middle of the night although they were awaiting status determinations for a third country resettlement. Another way Germans helped refugees was by generously sponsoring their children for university study.16 Many of refugee children, who did not have the right to attend a university due to the Duldung status, managed to matriculate thanks to such sponsorship (such sponsorship is needed for all foreign students who do not have financial resources). To do so, they would return to Bosnia voluntarily, receive formal sponsorship from a German person to enter college, and come back to Germany and join their parents while studying. The son of a Bosnian family, who did precisely this, is now in his final year at the Technical University in Berlin. Because he has been such an outstanding student, he received a job offer from Bosch and will move to Stuttgart in a few months when his studies are completed to begin his new job. His parents speak of him with pride and with gratitude for the German family that agreed to sponsor his university study. The well-intentioned German civil society assistance to refugees was not without its problems. The experiences of the refugees differ vastly along class, gender, ethnicity and age lines. Nonetheless, the contemporary Duldung trauma added a performative dimension to the previous suffering, in that civil society could turn it into a commodity to be objectified so that it could be used to redress the residence problems.17 Such a commodification of trauma inevitably has led to different forms of competition among the refugees: mutual accusations on the ›amounts of suffering‹ endured during the war; pointing fingers at each other that s/he did not actually suffer, was not raped, was not imprisoned etc. What remains clear however is that the German system as well as the European asylum policy have become a major source of traumatization of the people who have already been subjected to war distress. Those who left 15. See the 2002 report issued by the European Migration Centre Berlin: www.emz-berlin.de, accessed 4 May 2009. 16. Elsewhere I discuss the situation of the cosmopolitan class of younger people, mainly artists and young professionals who managed to establish personal bonds with Germans and marry them formally for obtaining resident permits or for real (See Rozita Dimova: »BalkanBeats Berlin: Producing Cosmopolitanism, Consuming Primitivism«, in: Ethnologia Balkanica 11 (2007b). 17. There have been a number of cases of children being imprisoned along with their parents or by themselves while waiting for the Abschiebung. The most noteworthy example was the case of the eleven-year-old Tatjana whose story was turned into a theater play entitled Hier Geblieben and performed by Grips Theater in Berlin.
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Germany, who went to the United States for instance, have also struggled with the displacement in a new environment different from the one either in Bosnia or Berlin. But arrival in the U.S. dispelled fears surrounding their legal residence − the U.S. government immediately issued them green cards and residence permits to those who qualified granting them rights on a par with other citizens. Most of the people received green cards within a six-month period after their arrival. With this, they were no longer considered refugees, were expected to find full-time employment and received very limited financial support from the state. Those who have stayed in Germany however, have been subjected to constant renewed fear of Abschiebung. Even after obtaining an Aufenthaltserlaubnis befristet (residence for a limited period which may be granted for different timeperiods, from six months up to three years), uncertainties remain.
Beyond Ethno-National Div isions? The case of Srebrenica commemoration reveals crucial aspects of the complexity of memory and the politics surrounding it. But it also becomes indicative of the inherent deadlock of the Dayton peace agreement in which the ethnic principle becomes a main regulatory principle of present Bosnia and Herzegovina. The post-Dayton setting, overdetermined by the ethnonationalist logic of a divided society, marks its presence in almost every sector of Bosnia and Herzegovina. The domain of education is especially affected by this process: it has become a battleground where ethno-national politics are implemented and disseminated from primary education onwards. During the war, the previously-centralized education system, prevalent in socialist Yugoslavia, fractured into three separate systems, at the same time mirroring but also creating further ethnic divisions in the rest of the society. The Serb education system for instance was fully imported from Serbia, the Croatian system came from Croatia. The Bosnian education system became a modified version of the earlier Yugoslav pre-war one but now with promotion of Islamic cultural and religious values. Constrained and frustrated by the limitations of such ethnic divisions, more progressive forces have attempted to seek places and bypass the ethno-nationalist divisions in the Bosnian and Herzegovina society. This is especially acute for those living in urban areas. The people of Sarajevo, for instance, for whom memories of the cosmopolitan legacy of the city remain strong, try to go beyond ethnic politics but at the same time inscribe divisions along class lines making distinctions such as local/newcomers or urban/rural divisions. These divisions are not solely a matter of different 106
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territorial origins or regional cultural characteristics but extend on »cultured vs. non-cultured people.«18 The legacy of the famous Sarajevski duh, the vibrant cosmopolitan spirit of the capital, which marks a cultural superiority of its native population, bypasses ethnic divisions. Despite the discriminatory and class-oriented − exclusionary − character of the Sarajevo’s cultural spirit, the domain of art and culture remains the most important field for bypassing the constraints of ethno-politics. Art has turned into the most potent sphere allowing artists from different genres to express themselves outside of the ethnic box. Although traversed by class and gender, art turns into a positive »commemorative arena« where artists can express loss, suffering, pain, disenchantment, hope and joy. The Sarajevo Film Festival, built on the solid tradition of the film school, has turned into an internationally renowned festival that promotes Bosnian cinematography but also brings the best from the world, the Balkans and Eastern Europe to Sarajevo. The fi lm festival has given birth to a longer linage of Bosnian cinematography sprouting after the war in 1996 and culminating with the Oscar winning film No Man’s Land in 2001. The new generation of Bosnian directors (e.g. Tanovic, Denovic, Zbalic, Zalica) have formulated a language of dealing with the political impossibility of naming winners or losers after the war. On one hand, the visual medium of film has been able to signify and acknowledge the atrocities, the pain and the horror endured by the Muslims during the war. On the other hand, the fi lms have also been forerunners in introducing political correctness by featuring a good »Serb«, or by having Serbian actors playing the role of Muslims (e.g. Esma in Grbavica is played by the Serbian actress Mirjana Karanovic). The Sarajavo Film Festival has had a central role in forging moving images as pivotal in representing pain and suffering, but also hope, multiculturalism and co-existence by drawing on the symbolic capital of Sarajevo as a cosmopolitan center prior and after the war. Thus the fi lms made in Bosnia and Herzegovina dealing with the war, along with the Sarajevo Film Festival, also become a kind of a »commemorative arena« to reconcile memories of the war, loss and suffering, but also to project visions of hope and healing. Whether the »commemorative arena« constructed in the domain of moving images, and arts in general, could be effective for the larger population in Bosnia and Herzegovina, and could counter the politics of ethnic division implemented on official level, remains to be seen.
18. Anders Steffanson: »Urban exile: locals, newcomers and the cultural transformation of Sarajevo«, in: X. Bougarel/E. Helms/G. Duijings (eds.), The New Bosnian Mosaic, pp. 59-78, here p. 61.
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Kunst und Macht im postsozialistischen Er innerungsdiskurs Boris Buden Interview von Zoran Terzić
Boris Buden arbeitet seit 1984 als freier Journalist und Publizist. Er veröffentlicht regelmäßig philosophische, politische und kulturkritische Essays über das ehemalige Jugoslawien, Westeuropa und die Vereinigten Staaten, so u.a. in der Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik, in Literatur und Kritik sowie im Wiener Kultur- und Kunstmagazin Springerin. Als Aktivist der jugoslawischen Friedensbewegung rief er 1993 die Zeitschrift arkzin ins Leben, ein kulturpolitisches und gesellschaftskritisches Publikationsorgan, das der internationalen Literatur, Kunst, Popkultur und den neuen Medien gewidmet ist. Zudem ist er Gründer und Chefredakteur des Bastard Verlags. Der in Berlin lebende Autor Zoran Terzić beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit dem Themenfeld Krieg und Kunst. Dabei geht es ihm um die »ästhetische« Analyse politischer Sachverhalte, wie etwa der Analyse von Konfliktumgebungen und der Rolle, die die Kulturproduktion (Kunst, Film, Literatur usw.) darin spielt. Zuletzt ist von ihm erschienen: Kunst des Nationalismus.1 Die Suche nach neuen Analyse- und Betrachtungsweisen ermöglicht einen unverbrauchten Blick auf gesellschaftliche Phänomene. Darin sieht Terzić den Vorteil, den die Kunst (bzw. deren inhärente Verfahrenslogik) dem Wissenschaftsfeld bieten kann.
1. Vgl. Zoran Terzić; Kunst des Nationalismus, Berlin: Kadmos 2007.
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Terzić: In den berühmten Milgram-Experimenten2 Mitte der 1960er Jahre spiegelt sich die Autoritätsparanoia einer Zeit, in der das Subjekt als biopolitische Masse, d.h. als manipulierbar und formbar begriffen wird. Nicht zufällig erscheint in dieser Zeit auch Althussers Traktat über die ideologischen Staatsapparate oder John Frankenheimers The Manchurian Candidate. Wenn wir heute auf das politische Subjekt – bzw. im Sinne Althussers: seine Subjektwerdung – blicken, könnten wir nicht sagen, dass der heutige Erinnerungs- und damit auch Kulturdiskurs eben jenen Versuchsauf bau Milgrams widerspiegelt? Es geht um eine Autorität (›Geschichte‹), in dessen Beisein Kommunikation (›öffentliche Erinnerung‹) stattfindet und je nach Verlauf Sanktionen nach sich zieht (Exklusion, Assimilation, Vergessen, Auf bauen/Zerstören der Archive, Monumente usw.). Die am rigidesten Sanktionierten wären folglich jene, die keine Kultur, kein Gedächtnis, kein Archiv und zuletzt keine Sprache repräsentieren, d.h. diejenigen Atopoi, wie Platon sie nennen würde, die der Geschichte nur falsche Antworten geben können und daher von ihren Handlangern (den Herrschenden) bestraft werden müssen. Würdest Du diesem Bild zustimmen oder wo siehst Du die politische Brisanz bzw. Rolle des Erinnerungsdiskurses heute? Buden: Interessanterweise veröffentlichte Alexander Mitscherlich ein Jahr nach Milgrams Experiment, also 1963, ein Buch zu einem ähnlichen Thema: »Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft«. Darin stellte er eine historische Transformation innerhalb des Autoritätsbegriffs fest. In der Welt des industriellen Modernismus verblasst das früher so prägende Vatervorbild und zerfällt die auf der Vaterrolle aufgebaute Hierarchie. Es kommt nicht mehr zum klassischen ödipalen Konfl ikt, der bekanntlich zur Verinnerlichung der moralischen Prinzipien, zur Ausbildung des Gewissens, zur Selbstkontrolle über das Triebleben usw. führte. Der alte ödipale Sohn war zwar gehorsam, doch seine Gehorsamkeit war in einer sowohl inneren als auch sozialen Verantwortungsstruktur eingebettet. Der postödipale, vaterlose Sohn hingegen ist persönlich und sozial unverantwortlich, er verlangt nach mehr subjektiver Autonomie und genießt sie gerne, er ist aggressiv und destruktiv, er befriedigt seine Triebe ungehindert von inneren Schranken usw. Er ist auch gehorsam, doch nicht im hierarchischen, sondern im 2. Stanley Milgram führte 1961-62 eine Testreihe über die Gehorsamskeitbereitschaft von Menschen gegenüber einer pseudowissenschaftlichen Autorität durch. »Ganz gewöhnliche Menschen«, folgerte Milgram, »die nur schlicht ihre Aufgabe erfüllen und keinerlei persönliche Feindseligkeit empfinden, können zu Handlangern in einem grausigen Vernichtungsprozeß werden.« Vgl. Stanley Milgram: Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamskeitbereitschaft gegenüber Autorität, Hamburg: Rowohlt Verlag 1974.
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horizontalen Sinn und zwar einer losen Masse gegenüber, mit der er sich utilitaristisch und opportunistisch identifiziert. Er gilt aber als eine autoritäre Persönlichkeit. Oft wird diese qualitative Transformation des Autoritätsbegriffs übersehen. Ein Beispiel sind die jugoslawischen Kriege der 1990er Jahre. So haben die Kritiker der jugoslawischen nationalistischen Leader, vor allem in den westlichen Medien, aber auch unter den heimischen Liberaldemokraten, immer wieder die angebliche Kontinuität zwischen den kommunistischen und nationalistischen Machtformen betont. So haben sie in Tudjman und Milošević jeweils einen verkleinerten, nationalistischen Tito gesehen, also die Fortsetzung der alten autoritären Macht mit ideologisch anderen, nationalistischen Mitteln. Doch der Unterschied konnte nicht größer sein. Tito war eine klassische, autoritative Vaterfigur mit der sich alle Jugoslawen ohne Rücksicht auf ihre kultur- bzw. nationalspezifische Zugehörigkeit identifizieren konnten. Er setzte ihren konkurrierenden Ansprüchen Grenzen und wirkte restriktiv, sozusagen freiheitshemmend, doch sicherte er dadurch Stabilität und Frieden unter den mehr oder weniger gleichberechtigten Brüdern – nicht zufällig war der Hauptslogan des Titoismus: »Brüderlichkeit und Einheit«. Der Verstoß gegen die Brüderlichkeit, »der Krieg unter Brüdern«, war das Kapitaldelikt des ehemaligen Jugoslawiens und zog eine gnadenlose Strafe des patriarchalen Vaters mit sich. Terzić: Entsprechen demnach die post-titoistischen Leader der Figur des postödipalen Ausbleibens des Konfliktes, und was bedeutet dies für den Prozess der Herrschaftsbildung? Buden: Tudjman und Milošević etwa verkörpern ideal die Transformation innerhalb des Autoritätsbegriffs. Beide entsprechen Mitscherlichs Modell eines Massenführers, der nichts mehr mit der Rolle eines patriarchalen Vaters zu tun hat. Vielmehr evoziert er die Imago einer primitiven Muttergottheit. Er fordert eine regressive Gehorsamshaltung, die an das Verhalten eines Kindes in der prä-ödipalen Phase erinnert. Dementsprechend ist der Slogan der 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien anders – Just do it! Bring deinen Nachbarn um, vergewaltige seine Frau, zünde sein Haus an und fahre davon in seinem Auto, ohne dich vor Strafe fürchten zu müssen, dein Führer hat es erlaubt. Oder, wenn das einem zu krass vorkommt, kann man sich eine friedlichere und der postkommunistischen Ideologie besser entsprechende Version vorstellen, etwa: Nimm teil an der Privatisierung des gesellschaftlichen Eigentums, reiße Fabriken, Banken, Hotelketten an dich, schmeiß die Arbeiter raus – oder besser, schick sie an die Front – und lass das von deinem Führer gutheißen. Er handelt sowieso im Einklang mit dem de113
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mokratischen Willen des Volkes und den eisernen Gesetzen des globalen Kapitalismus, bzw. den Interessen von dessen politischen Vertretern. Mehr noch, er ist nichts als ihre Puppe. Deshalb kann er, trotz all der Bewunderung und Gelöbnisse, jederzeit aufgegeben werden. Das ist auch passiert. Die postjugoslawischen nationalistischen Führer wurden alle nach ihrem Tod wie leere Bierdosen entsorgt, einfach auf den Müllhaufen der Vergangenheit geschmissen und sofort vergessen, als hätte es sie nie gegeben. Terzić: Na ja, im Gegensatz zu Milosevic hat es Tudjman immerhin zu ein paar Denkmälern gebracht. Aber was bedeutet es, unter diesen Bedingungen des ›Einweg-Führers‹, der historisch entsorgt wird, eine Vergangenheit zu ›bewältigen‹, oder eine Geschichte zu ›verarbeiten‹? Buden: Nach Mitscherlich erreicht die Bindung an solche post-ödipale Autoritäten nie das Moment der Gewissensbildung, die normalerweise von schwersten inneren Konflikten geprägt ist. So sind auch die postjugoslawischen Gesellschaften buchstäblich gewissenlos. Zuerst folgen sie blind den Befehlen ihrer Kriegsverbrecher, erklären diese zu Nationalhelden, liefern sie trotzdem an den internationalen Gerichtshof aus, und dann vergessen sie sie genauso wie ihre Beteiligung am Verbrechen. Als wäre nichts passiert. So kommt es auf keiner dieser Stufen zu einem Gewissenskonfl ikt. Der Zustand einer kollektiven Ur-Unschuld ist zu jedem Zeitpunkt aufs Neue abruf bar. Das ist gleichzeitig – und das möchte ich besonders betonen – auch eine ideologische Voraussetzung für den Prozess der so genannten postkommunistischen Transformation. Dieser funktioniert als eine Art Neustart nach dem Crash. Beziehungsweise, in der Sprache der politischen Theorie, wird mit dem Fall des Kommunismus der alte gesellschaftliche Vertrag aufgelöst, wodurch eine Art sozialer Nullpunkt impliziert wird, eben das, was ich den Zustand der Ur-Unschuld nenne, aus dem alleine ein neuer gesellschaftlicher Vertrag geschlossen werden kann. Dieses konzeptuelle Interregnum, das auch die Bedeutung eines Rückfalls in den Naturzustand, bellum omnes contra omnes, annehmen kann – so wurden die jugoslawischen Kriege oft wahrgenommen – legitimiert die Idee eines Neuanfangs, einer Neugeburt der Gesellschaft. So wird im ideologischen Sprachgebrauch der postkommunistischen Transformation oft von einer »Demokratie in den Windeln«, von den »ersten Schritten der Demokratie«, von einer »Schule der Demokratie« usw. geredet. So werden Menschen, die reif genug waren, um ein undemokratisches System – dem es by the way gelungen ist, jahrzehntelang den größten politischen und militärischen Mächten Widerstand zu leisten, ich meine das kommunistische System – zu stürzen, auf einmal zu hilflosen Kindern, die ihre ersten Schritte lernen müssen. 114
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Terzić: Diese gesamte Inszenierung des demokratischen ›Kindergartens‹ hat etwas Paradoxes. Oder nicht? Buden: Der ideologische Zweck dieses Paradoxons ist klar. Um die postkommunistischen Massen zu enteignen, muss man sie zuerst entmündigen. Kein Wunder, dass heute die hegemoniale liberale politische Theorie so gern mit Konzepten eines solchen Zustandes spekuliert. Man denke nur an Rawls und sein »veil of ignorance« oder später »original position«, also absolut neutrale Standpunkte, die erst als solche die Artikulation der Gerechtigkeit bzw. eine demokratische Gesellschaft ermöglichen. Die beste Kritik solcher sozialpolitischen Abstraktionen hat schon Rossellini in seinem Germania anno zero, Deutschland im Jahre Null, gegeben. Der Neubeginn hat nichts mit der Unschuld zu tun. Bekanntlich wird im Film ein Kind zum Verbrecher. Ein zwölfjähriger Junge vergiftet seinen kranken Vater, um, wie er glaubt, seine Familie vorm Verhungern zu retten. Doch tut er das nicht bloß, weil er sich in einem Naturzustand befindet. Rossellini ist hier klar: Es ist ein alter Nazilehrer, der die Ideologie des Naturzustands, die Logik vom Überleben der Stärkeren und notwendigen Untergang der Schwächeren predigt und den Jungen zum Verbrechen anstiftet. So war im Originalzustand immer schon ein Nazi mit seiner sozialdarwinistischen Ideologie zugegen, eine Schlange, die zur Sünde anstiftet. Terzić: Die Neu- und Originalzustände – ›Nullgesten‹ würde ich das generell nennen – schaffen nicht nur die politisch-ästhetischen Vorbedingungen künftiger Memorialkultur, sondern sie setzen eine narrative Zäsur, die zwischen einem Prä- und einem Post- unterscheidet. Und damit geht doch einher, dass die Ideologie des Danachs vieles von dem ausklammert, was das Vorher noch ausmachte? Buden: Natürlich setzt die Vorstellung eines sozialen Neubeginns eine Art damnatio memoriae, Verdammung des Gedächtnisses, voraus. Genauer gesagt, wird alles vergessen, was nicht in die ideologischen Identität des postkommunistischen Subjekts passt, vor allem aber all die Komplizenschaften mit dem untergegangenen Regime, kurz, der ambivalente Charakter der sozialistischen Gesellschaft. Was eigentlich vergessen wird, ist die Tatsache, dass Sozialismus auch ein Schauplatz sozialer, politischer und kultureller Kämpfe war, die mit dessen Untergang keinesfalls ihren Sinn und ihre Gründe verloren haben. In den postkommunistischen Gesellschaften müssen diese Kämpfe vergessen werden, damit ihre Fortsetzung verhindert wird.
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Terzić: Aber gleichzeitig boomt in denselben Gesellschaften die sogenannte Erinnerungskultur geradezu. Buden: Das ist kein Widerspruch. Es geht um verschiedene, oft sorgfältig ästhetisierte Formen des kulturellen Gedächtnisses, das seine Legitimation in der Artikulation der kulturellen Identität findet. Jede, sogar die banalste Facette unseres way of life, also unserer Kultur, wird lebenswichtig und darf dementsprechend nicht vergessen werden. Das gilt nicht nur für die postkommunistischen Gesellschaften. Auch Habermas, wenn er ganz allgemein von religiösen Gemeinschaften redet, versteht ihre partikulären Überlieferungen, also Kulturen könnten wir sagen, als wichtige Ressourcen der Sinnstiftung für alle, nicht nur für die jeweiligen Mitglieder dieser Gemeinschaften. Wer sich aber nicht zu einer bestimmten kulturellen Identität bekennen kann, ist verloren. Da hast Du vollkommen recht: jene, die keine Kultur, kein Gedächtnis, kein Archiv und zuletzt keine Sprache repräsentieren, sind die Atopoi Platons, diejenigen, deren Standort – bewusst sage ich nicht Identität – einfach unmöglich ist. Zum Beispiel Atheisten. Das erinnert mich an den berühmten Witz aus Nordirland. In der Nacht springt ein Vermummter vor einen Passanten und fragt ihn mit gezogener Pistole: Bist du Katholik oder Protestant? Ich bin Atheist, antwortet er. Na ja, bist du ein katholischer oder protestantischer Atheist? Terzić: Das erinnert mich an einen alten jüdischen Witz von auf einer einsamen Insel gestrandeten Siedlern. Als sie nach vielen Jahren entdeckt und evakuiert werden, fragt man sie, warum sie denn zwei Synagogen erbaut hätten. Eine hätte doch für die kleine Gruppe genügt. Daraufhin sagt der Dorfälteste, dass eine Synagoge für die täglichen Gebete gedacht sei und die andere dafür, dass man niemals einen Schritt in sie macht. Und ähnlich wäre auch mein Verständnis Deiner Analyse der postjugoslawischen Transformationen: Man hat eine Kirche der Erinnerung und eine Kirche des Vergessens und lenkt die Milgramschen Probanden sorgfältig aneinander vorbei in ihren jeweiligen Glaubenstempel. Aber ähnlich wie christliche Kirchen in Jahrhunderten bisweilen stockweise erbaut wurden, werden auch die Kirchen der Erinnerung und des Vergessens ständig ergänzt und verändert. Die 1990er Jahre sind daher in Hinsicht auf den Gedächtnisdiskurs Jahre der politischen Ergänzungen und Metamorphosen. Man denke z.B. an die öffentliche Bewertung der Partisanen in Kroatien seit 1991. Anfangs wurden hunderte von ihren Denkmälern als Epitaphe des »Serbo-Kommunismus«, wie es damals hieß, zerstört. Dann wandelte sich das Bild und man entdeckte plötzlich, dass kroatische Partisanen Kroaten waren und ebenfalls in den Korpus der kroatischen Historiographie eingeglie116
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dert werden konnten. Vor wenigen Jahren titelte dann eine kroatische Zeitung: »Wir sind stolz auf unsere Partisanen«. Und die ehemalige Regierungschefin Milka Planinc erzählte in einem Interview, dass kroatische Partisanen allein für Kroatien gekämpft hätten – fast, als ob deren Ziel das liberalisierte Kroatien Tudjmans gewesen sei. Analog hat sich Bundeskanzler Schröder vor einigen Jahren geäußert, als er darauf verwies, dass der D-Day nicht etwa eine Militäraktion gegen Deutschland, sondern eine Aktion für Deutschland gewesen sei – als ob englische und amerikanische Truppen einzig und allein für die heutige Bundesrepublik gekämpft hätten. Wie erschließt sich dir das Gestaltprinzip dieser – wenn man so will – retrospektiven Ergänzungen und Metamorphosen? Buden: Die Geschichte mit den Partisanendenkmälern in Kroatien ist nicht interessant, weil sie die barbarische oder auch totalitäre Seite der angeblich posttotalitären, demokratischen Neuordnung bloß legt, sondern weil sie uns einen direkten Einblick in den modus operandi ihrer ideologischen Mechanismen ermöglicht. Zuerst aber eine kleine Korrektur: In Kroatien sind nicht bloß hunderte, sondern mit Ausnahme Istriens fast alle Partisanendenkmäler entweder umkodiert (Kreuz katholischer Kirche statt roter Stern) oder buchstäblich zerstört worden. Es ging also um eine komplette Ausradierung der Spuren eines – eben antifaschistischen – Teils der gesellschaftlichen Vergangenheit. Gal Krin, einer aus der jüngsten Generation der slowenischen Philosophen, hat dieses Phänomen auch in Slowenien kritisch analysiert. Trotz des großen Unterschieds – in Slowenien wurden die Partisanendenkmäler nicht zerstört, sondern mit den neuen Denkmälern supplementiert, die den Opfer der anderen faschistischen bzw. kollaborationistischen Seite gewidmet wurden – das ideologische Setting ist gleich: Die sich auf posttotalitäre Ordnung berufende Entideologisierung. Die Erinnerung an den antifaschistischen Kampf und die davon untrennbare sozialistische Revolution wird als ideologisch ausgelöscht. Dabei gilt natürlich der rote Stern als Symbol einer fremden, verbrecherischen Ideologie; das Kreuz jedoch, das ihn ersetzt, wird als der wichtigste, ideologisch vollkommen neutrale Bestandteil der nationalen Identität repräsentiert. Es geht natürlich um die Ideologie der nationalen Versöhnung, die, wie Gal zeigt, nur asymmetrisch artikuliert werden kann. In ihrer schlimmsten Variante bedeutet diese Versöhnung die Rehabilitation des Faschismus, indem es gelingt, den Partisanenkampf mit der faschistischen Kollaboration gleich zu setzen und dabei das totalitäre Nachkriegsregime zu verurteilen. Am Ende tritt die faschistische Seite als moralischer Sieger auf, die sich vom faschistischen Verbrechen rein gewaschen hat. Die Versöhnung heißt dann, sich des Kommunismus zu schämen und den Faschismus zu bejahen. Dabei wird auch der antifaschistische Kampf in die Nationalgeschich117
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te symbolisch wieder integriert, doch nur in einer Dimension, nämlich als eine Episode im Jahrhunderte dauernden Kampf um nationale Selbstbestimmung. Was aber noch interessanter ist, ist die ideologische Selbstverblendung der liberalen Kritik dieser Erinnerungs- und Denkmalvernichtung. Diese, wie Gal demonstriert, basiert auf einer Unterscheidung zwischen ideologischen und angeblich authentisch künstlerischen Denkmälern. Einfach gesagt: Bei vielen antifaschistischen Denkmälern, die rein ideologisch und ästhetisch wertlos waren, ist es keine Schande, dass sie vernichtet wurden. Die Zerstörung jener rein künstlerischen und ideologisch neutralen ist dagegen ein Akt der unverzeihlichen Barbarei. Diese klassische posttotalitäre Entideologisierung beruht also auch auf einer Ideologie, nämlich der ästhetischen – auf der naiven Idee einer authentischen und rein künstlerischen Position, die ohne jeglichen Bezug auf die soziale Realität in der Luft schwebt. Das auch dürfen wir nicht vergessen – die Überzeugung, wir würden heute in einer postideologischen Zeit leben, gehört zu den gefährlichsten Illusionen unserer Zeit. Terzić: Ja, und Illusion ist ein ästhetischer Begriff, sein etymologisches Stammwort ist nicht zufällig lat. ludus, das Spiel. Und das Hauptgeschäft der Illusion sind die Aktivitäten der Kulturproduktion, wovon auch die folgende Frage handelt: Im Zusammenhang mit dem Kunstbegriff suggeriert der Begriff ›Aktivismus‹, dass bestimmte Protagonisten sich über ihr gesellschaftliches Engagement auch künstlerisch profi lieren. Nicht selten sind Protagonisten darunter, die z.B. entrechtete Arbeiterschaften in Südamerika, Indonesien oder China ausmachen und sofort ein Video darüber drehen, mit dem sie sich in Szene setzen können. Die Illusion, dass derartige Filme soziale Realitäten ändern können, ist die eigentliche Illusion dieser aktivistischen ›Kunst‹. Ist deren Rolle nicht eine schmerzhafte Analogie zum ebenfalls fruchtlosen künstlerischen Aktivismus der 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien? Wie siehst Du generell die Eingriffsmöglichkeiten der Kunst: Wenn sie wirkt, ist sie doch ›Politik‹, und wenn sie nicht wirkt, ist sie ›Kultur‹? Aber mit Kunst meinen wir in der Regel doch etwas, das beide Sphären transzendiert und politischer ist als Politik und kultureller als Kultur? Ist hier das Paradox Adornos gemeint, demzufolge die soziale Rolle der Kunst darin besteht, keine soziale Rolle zu haben? Wenn dies stimmt, gilt dies dann immer und überall? Buden: Ja, sagen wir zuerst, dass man auch der Kunst ein Recht auf Illusionen zusprechen kann. Seit 30 Jahren marschierte die ganze Welt im Rhythmus von neoliberaler Deregulierung und in einer unerschütterlichen Überzeugung, dass die unsichtbare Hand des Marktes alles im Griff 118
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hat. Wer versucht hat, an dieser historischen Evidenz zu zweifeln oder sie sogar in Frage zu stellen, wurde sofort an die Seite geschoben. Hätte ich vor paar Wochen gesagt, man solle die mächtigsten Finanzinstitutionen des westlichen Kapitalismus nationalisieren, wäre ich ausgelacht oder als Kommunist beschimpft worden. Doch über Nacht hat es an den Börsen »ge-crashed«. Die Blase sei geplatzt, sagt man jetzt. Bis vor kurzem aber war diese Blase noch die gesündeste, stabilste und einzig mögliche Realität. Eigentlich ist diese Realität selbst geplatzt. Erst nachdem sie geplatzt ist, also erst a posteriori wurde sie zur Blase, zur Illusion. Was ist also eine Illusion? Das Problem mit dem Wort liegt in seinem ideologischen Gebrauch. Es wird immer wieder im Dienste der existierenden Hegemonie verwendet, und zwar um unser Verhältnis zur Realität auf eine einzige Dimension zu reduzieren, die einer unkritischen Affirmation, bzw. deren andere Dimensionen, wie etwa die der Hoffnung oder Utopie, als prinzipiell unmöglich auszuschließen. Seien wir also nicht so streng, wenn wir die so genannte aktivistische Kunst beurteilen. Es muss sich dabei nicht unbedingt um die Illusion handeln, diese Kunst wolle die Welt verändern. Doch wir sind klüger und wissen schon, dass sie es nicht tun kann. Es kann aber auch sein, dass es gerade diese aktivistische Kunst ist, die eine andere Selbstverständlichkeit als Illusion bloßlegt, nämlich die von der Autonomie des Kunstfeldes, bzw. die Vorstellung von einer kompakten und autarken Erzählung, von jenem Kanon von Künstlern und ihren Meisterwerken, den wir noch immer Kunstgeschichte nennen. In der Form der aktivistischen Kunst äußert sich auch der Reflexionsdruck moderner Kunst, eine Art ihrer Selbstkritik. Sie ist auch ein Symptom eines Legitimationsdefizits der Kunst. Aktivistische Kunst ist nicht weniger Kunst als andere Kunstformen. Mehr noch, sie ist die Kunst ihrer Zeit. Ein anderes Problem ist aber, was das – aktivistische Kunst – eigentlich heißt. Wir sollten solche Versuche nicht allzu schnell mit der alten Vorstellung einer sozial engagierten Kunst verwechseln. Die Szene dieses Aktivismus ist eine andere, bzw. kann nicht umgehend als eine Gesellschaft identifiziert werden. Ich würde sogar sagen, dass heutige aktivistische Kunst geradezu unsozial ist, bzw. ihre Aktivität nicht in einer bestimmten Gesellschaft gründet. Vielmehr artikuliert sie eine Art sozialer Grundlosigkeit. Ihr eigentlicher Interventionsraum ist transnationale Öffentlichkeit – ein sehr ungenauer Begriff, dessen Bedeutung vielmehr auf eine Krise des klassischen – in einem geschlossenen Nationalraum und einer (nationalstaatlich) bestimmten Gesellschaft eingebetteten – Öffentlichkeitsbegriffs hinweist. Die transnationale Öffentlichkeit hat keinen eindeutig identifizierbaren politischen Adressaten. Wir wissen nicht, wo genau, von wem und wann die Interventionen der aktivistischen Kunst ins Politische über119
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setzt werden sollten. In dieser Hinsicht sollte man heute das Diktum Adornos über die soziale Rolle der Kunst verstehen. Nicht die Rolle der Kunst in einer Gesellschaft ist problematisch geworden, sondern die Gesellschaft selbst. Mit anderen Worten, Kunst kann sich sehr wohl mit ihrer sozialen Rolle identifizieren, doch findet sie keine Gesellschaft mehr, in der sie diese Rolle übernehmen könnte. Dazu kommt ein terminologisches Problem. Der Begriff des Aktivismus in diesem Kontext bezieht sich auf eine zivilgesellschaftliche Tätigkeit. Er schließt also eine im revolutionären Sinne verstandene Veränderung der Welt prinzipiell aus. Auch adressiert er kein revolutionäres Subjekt. Im Gegenteil, der Begriff »aktivistische Kunst« setzt eine durch liberale Ideologie perzipierte gesellschaftliche Realität voraus, in welcher sich die Sphäre der Zivilgesellschaft erst durch die Abgrenzung von einerseits politischen und andererseits ökonomischen Sphären artikulieren kann. Während das in einer hoch entwickelten, westlichen, kapitalistischen Gesellschaft noch einen Sinn macht, bleibt vollkommen unklar, was eine Zivilgesellschaft auf der transnationalen Ebene bedeuten sollte. Und genau darum geht es eigentlich in der aktivistischen Kunst. Sie ist die Kunst der so genannten antiglobalistischen Bewegung und wie diese schwer definierbar. Terzić: Heißt das, dass aktivistische Kunst einem Verkehrszeichen analog ist, für das erst noch eine Verkehrssituation erfunden werden muss? Oder etwas normaler gefragt: in welchen Zusammenhängen ist der Begriff sinnvoll? Buden: Ich würde sagen, die aktivistische Kunst ist ein Übergangsbegriff, der einen Sinn im Vokabular der hegemonialen liberalen Ideologie macht. Erst jenseits dieses Horizonts wird die alte Frage von der politischen Bedeutung der Kunst in einer anderen Sprache gestellt. Wenn »multitude« nicht mehr als ein Synonym für die »transnationale Zivilgesellschaft« wäre, hätten wir es gar nicht gebraucht. Terzić: Nun bist Du ja nicht nur ein Analyst, sondern gewissermaßen auch ein philosophischer Aktivist oder aktivistischer Philosoph, der konkrete Erfahrungen im medialen Umgang mit hegemonialen Setzungen und deren Bekämpfungen hat. Wie sind also Deine Erfahrungen diesbezüglich? Buden: Wenn es um meine eigenen Erfahrungen geht, dann habe ich aus meinem Engagement in einem medialen Projekt der kroatischen Friedensbewegung, dem Magazin arkzin, 3 folgendes gelernt: Kunst kann nicht auf 3. Als Aktivist der jugoslawischen Friedensbewegung rief Boris Buden im
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Kunst und Macht
ein dekoratives Element des politischen Aktivismus, eine Art ›Kunst am politischen Bau‹ zurückgeführt werden; sie ist auch kein Hilfsmittel seiner medialer Artikulation, etwa im Sinne eines effizienten Propagandamittels. Für mich war Kunst – und das ist für mich heute der tatsächliche Modus ihres politischen Engagements – eine Form des kritischen Denkens. Wenn sie es will, kann Kunst das heute zum Schweigen gebrachte bzw. verstummte Wort der kritischen Reflexion übernehmen. Kunst ist in der Lage, dort weiter zu denken, wo sich die gegenwärtige Philosophie, vor allem die liberale Apologetik alles Bestehenden, in eine erbärmliche Sophisterei verwickelt hat. Mit anderen Worten, wir müssen umgehend das, was ich Sphärendenken nenne, aufgeben. Ich meine den Glauben an voneinander klar abgrenzbare, essentialistisch konzipierte Bereiche von etwa Kunst, Wissen, Denken, Politik usw… Kurzum: Kunst denkt, vermittelt Wissen, artikuliert Kritik, sozialisiert, politisiert, produziert Ware… und dabei, nehme ich an, ändert sie auch die Welt. Terzić: Ich nehme an, Du sprichst auch das an, was seit einigen Jahren als »relationale Ästhetik« gehandelt wird: das Auf brechen der hermetischen symbolischen Räume in Kunst und Gesellschaft. Insofern ist Aktivismus ›aktiv‹, und insofern beinhaltet die Weltänderung, von der Du sprichst, auch die Änderungen der Wahrnehmung, in der man die Welt erfasst. Im historischen Rückspiegel erscheinen die Ereignisse ferner, als sie es tatsächlich sind. Insofern kann uns die Ideologie des »Danach« nicht von der Verantwortung des »Davor« abbringen.
Jahr 1993 die Zeitschrift arkzin ins Leben, ein kulturpolitisches und gesellschaftskritisches Publikationsorgan, das der internationalen Literatur, Kunst, Popkultur und den neuen Medien gewidmet ist.
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Our Death / Other ’s Dinner Flaka Haliti
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Ar ticulations of Remembrance in Ar t and Culture in Kosovo Felicia Herrschaft
To analyze art and culture in societies in transition like in Kosovo and Serbia, a method mix is necessary in order to understand through the personal and visual impressions of artists what state these societies are in. In Kosovo I worked with narrative interviews and participant observation;1 I then used the material for an analysis. Artists in post-war societies recover sources of vulnerability for new expressions in their society. These articulations stand in contrast to the efforts of the international community in stabilizing the political situation in Kosovo and Serbia. Artists in Kosovo and Serbia are erecting signposts indicating a rupture between Kosovo and Serbia and examining the new perspectives of a society through their remembrance. The investigation about art worlds2 in Kosovo began within the framework of an artists‹ exchange, organized in 2005 by the Städelschool, Frankfurt, and the EXIT Office,3 Prishtina, as part of the initiative project Relations
1. Participant observation is a research strategy used in sociology and cul-
tural anthropology to establish close and intimate involvements in a specific field through participation in everyday life practices. See further Harry F. Wolcott: Ethnography: A Way of Seeing, Walnut Creek: AltaMira 1999. 2. See further: Howard Becker: Artworlds, Los Angeles: University of California Press 1982. 3. EXIT was founded in summer of 1999 in Peja by the artists Sokol Beqiri and Erzen Shkololli as a direct response to the lack of curators and cultural managers in Kosovo. During the Relations-project the EXIT-Office in Prishtina was organized by several artists. It functioned as a meeting point where they held seminars.
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by the Kulturstiftung des Bundes. 4 I was able to meet some of the project’s participants from Prishtina in Frankfurt in 2005. In order to understand what is involved in this kind of art project, it was necessary for me to spend some time in Prishtina. I wanted to find out which projects the artists would be able to put into practice, and if these would correspond to the ideas they had expressed in Frankfurt.
Absence of Statehood in Kosovo During my first stay in Prishtina 2005, I framed a first hypothesis: the absence of statehood and the lasting precariousness of this society are affecting forms of cultural expression, democratization processes, and such new arenas of discourse in Kosovo’s civil society as are being formed. The topic of the absence of statehood,5 and the concomitant waiting for independence was to the fore in my interviews with Kosovar artists, and can be clarified by the statement of Billi Tmava 2006, a participant of the artist exchange program: »We are in a fog, but this fog will soon lift when independence comes«.6 In these vulnerable societies, however, efforts are constantly being made to test the formation of new kinds of public freedom, in order to develop the acceptance of diverse ways of life. Indefinite rituals are visible and recognized by artists in Kosovo in some areas of social life: a Neo-Oriental and Neo-Ottoman style in the public space and in new facades designed by individual house owners. The absence of statehood affects forms of cultural expression in Kosovo, and is captured in a precise way in the artworks. Indefinite rituals, as a symptom of lacking statehood, became visible in 2005 and were thematized by some artists. We invited those artists to the exhibition Indefinite rituals 7 in 2006, to work on this topic. Then we devel-
4. The project Relations took place as an exchange project between Germany and different European cities from 2003-2006. Among them was the exchange between Frankfurt and Prishtina: www.projekt-relations.de. 5. Sezgin Boynik, a sociologist from Kosovo, tries to establish a discourse about nationalism in Kosovo. On the discussions on the lack of statehood and nationalism see the various essays (including one by Boynik) in: Minna Henriksson, Sezgin Boynik (eds.), Contemporary Art and Nationalism: A Critical Reader, Kosovo: MM publications 2007. This anthology was financed within the project Relations. 6. Statement by Billi Tmava in Prishtina 2006. 7. The exhibition Indefinite rituals was presented by Leonhardi Kulturprojekte from 24 September – 29 October 2006.
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oped the project Reenacting Moments 8 in Prishtina and Belgrade in 2007. The last project dealt with the topic Plazma. 9 I will discuss these projects later on. The situation in Kosovo in 2008, nine years after the war, is now reported to be stable but fragile.10 The level of reported crime and inter-ethnic crime is low. Organized crime and corruption have been identified as the biggest threats to the stability and sustainability of its institutions. A future status process has been launched, and Kosovar authorities have been forced to accept that they cannot depend on the international community to solve their problems in establishing an independent state. During the occupation period, Kosovar Albanians had parallel institutions, e.g. schools. Children were educated in private houses. Until 2008 they were governed by three administrations: Serbian, Kosovar-Albanian, and UNMIK.11 But the result for them is that no one rules. Unemployment runs high, currently at 70 %. Poverty is widespread. The experiential space is different in which the young create and orient themselves in society, lacking as it does a regulated space with norms and rules. When they consider new rules, you can hear fear in their voices. They still don’t trust the police, nor a society that threatened them throughout their childhood. This could be defined as a permanent process of contemplation of independence. They deal with the approaching statehood by creating their own social realities. Nine years since the end of the war, large family clans build an area of retreat, shelter and supply, in which self-realization is tested and the feeling of being irreplaceable is conveyed. This centering on one’s own family can only roughly be described through indecisiveness due to the absence of institutionalized forms of statehood. For those who live in Kosovo, not only are processes of mutual accreditations of rights, like citizenship and civil rights, unknown, but also the acceptance and performance of rights of the future state, eventually to be governed by them. The focus on a traditional structure, and the importance of deep friendships is one response, and has to do with 8. The working meeting for Reenacting Moments: Culture and Art in Kosovo and
Serbia took place from 3-7 May 2007 in the Kosova Art Gallery in Prishtina, the second meeting was in Belgrade, from 19-21 October 2007 at the Goethe-Institute. 9. Plazma is the name of a variety of biscuits made in Serbia. These biscuits were enriched with vitamins to make them especially nutritious. They were used in all spheres of life in Yugoslavia. In Serbia they are still popular today, this is why we named the exhibition like the cookie Plazma. 10. On 17 February 2008 Kosovo declared its independence from Serbia. So for over three years, from 2005 to 2008, I could experience how artists deal with this undecided and unsettled situation. 11. UNMIK: United Nations Interim Administration Mission in Kosovo.
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the discrimination experienced by families, especially fathers who had lost there jobs. Because of this, many have taken an unmerciful attitude and articulate this as an insoluble situation that is linked to the question of the independence of Kosovo. The Kosovar Albanians allude to the immobility and constant threat from the Serbian state, that won’t give up its supremacy and can only be forced by the protection of the internationals, to accept this forthcoming state. In cultural youth radio-projects like the local radio station »urban fm« they try to attract the youth with alternative music, as opposed the traditional, national offerings of mainstream culture in Kosovo, to enhance diversity. From these cultural offerings of a committed public, one might hope for a pluralistic and freethinking society, because a many-voiced public is supported. These new social realities in the former Yugoslavia render it the first territory in Europe that can be described as having been »pixilated« after a breakdown of the state. The resulting small states can be called city-states. Artists identify this process of restructuring into city-states as happening from the bottom up, not top-down.12
Kosovo 2005 to 2008 : Exper iential Space The Ljubljana-based artist Marjetica Potrč describes the architecture in Prishtina as archetypal architecture. »You can see different houses, totally different from one to another. They don’t need architects. When they want to build a house, they choose a style of modernism – and oriental roots become more and more important, but there is no request for an authentic orientalism. It is a hybrid structure, because it is a personal expression: they express their own individuality. It is like a second skin.« For Marjetica Potrč, the house has become the new territory, »because you are taking care of the infrastructure for your own house if that is not provided by the city. It becomes a statement: I take care of my house and we are building a new citizenship, which is expressed in my house. The question asked by individuals is: what will our democracy look like?«13 The idea of a new democracy is expressed in the narratives provided by artists. Hybrid structures are emerging with personal expressions, because everything is improvised and informal; there is no state control regulating the public space. Next to the library in Prishtina on the opposite stands an orthodox church begun by Slobodan Milošević during the period of occupation, but never 12. Statement by Dubravka Sekulic, an architect from Belgrade, interviewed by the author in October 2007. 13. Interviewed by the author in 2006.
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completed.14 Albanian artists such as Florian Agalli are addressing these issues in their work. In his video work Rituals15 Agalli depicts a neo-Ottoman ritual: men gathering to pray at the library in Prishtina, opposite the orthodox church. In between the Faculty of Fine Arts is located, a concrete monument which not only destroys the unity of the city, but also makes it impossible to build on the rest of this otherwise undeveloped area of the city centre.
Illyr ian References in the Kosovar ian Culture Iliros is the name of the hiphop producer Ilir Osmani. His stage name can be seen as an attempt to construct a new, proud national identity. Going back beyond the thousand-year period of occupation, an appeal is being made to the Illyrian period when Kosovo was not yet occupied. Thirty years ago, the revival of a myth imposed by the Albanian dictator, Enver Hoxha, who organized conferences in the 1970s about Illyrian history in Albania, led to many children being given Illyrian names: Ilir, Agron, Alban, Dardan, Dita. They predate the experience of a democratic history, because their names are based on an Illyrian fantasy of Albania’s dictator Hoxha. Tiny Kosovo is still grounded between two poles of conflict: Tito and Hoxha. The indeterminacy of the toponym – Kosovo, ›belonging to the blackbird‹16 (and was it not the defeated Serbs who left the notorious battlefield as blackbirds?) – determines the ability of the Kosovar-Albanian art and culture scene to express itself. The effects of the absence of state14. This orthodox church in the center of the city remains an ongoing provocation for the Kosovar-Albanians. 15. »I decided not to keep provoking them … that would just serve their purposes, since that’s what they want, confrontation and public disorder… so… I am working on another direction now… I am building what I call counterweights… Practically, while they go on with their prayer I will invite people to tell me their stories of use and abuse of the library… you have to know that starting in 1990 all Albanian schools were closed, all Albanian personnel was dismissed, all Albanian structures of education were deleted… so…I will interview from the outside old workers of the library who will tell me about how they used to just look at the library from the outside, and in the background you (the viewer) will see these Islamic extremists praying on public educational ground… the last stop for the background is the golden cross on the concrete dome of the church… these guys do their prayer on the corner of the library closest to the church, so there is no fucking way to miss it… such a mess« (Florian Agalli, statement 2006). 16. The blackbirds in Kosovo are an allegory of the former Serbian annexation.
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hood for the cultural forms of expression in Kosovo are severe, in so far as the reflections on public privileges in this society could not be established again until the end of the war.
Negotiation of Independence Thirty years ago Fatime Kosumi’s parents emigrated from Kosovo to Rosenheim near Munich, where she grew up together with five siblings. Since 2005 she has lived in Prishtina. She came here for a song contest and met Iliros and DJ Blunt, who invited her for a collaboration with Donche, a Macedonian rapper. Fatime Kosumi is not yet a professional in Albanian, so she sings the song: Who Stays Down Loses in German: »Look at my face/Oh, you don’t believe it/but it’s us/from the realm of suppressed souls/feel the ending near/ away from this banishment/we’re coming/be assured with singing gutters/ even if no one believes/no one counts with us/we won’t let them steal our pride and dignity/stand up where you are/because who stays down loses.« The song is a reaction to an EU-commercial, says Fatime. On the blue EU-flag it said: »Europe we’re coming! We Albanians, we’re coming!« To Fatime, this seemed »simply ridiculous, because until now, we haven’t even started coming. We’re still far away from entering the EU, to fool the people into this, ridiculous. The lyrics are about the Albanian population; seventy percent are under the age of thirty. Those are the ones who have to stand up, and definitely can’t stay down. Those young people shouldn’t get any illusions.« 17 Because of the precarious situation of the labour market, it is nearly impossible to go your own independent way. Only by attending the university, can the time before the inevitable subsequent unemployment be extended. Fatime engages herself in the local and controversial activist group Lëvizja Vetëvendosje, 18 because in Kosovo »the illusion is spread, that if you achieve certain standards, you obtain independence and then you go to negotiations with Serbia and discuss, what can’t be discussed, because 17. Fatime Kosumi, 2006, interviewed by the author. 18. ›Lëvizja Vetëvendosje‹ means ›Movement for self-determination‹ and was founded 1997 by international activists with a manifest against UNMIK: »The UNMIK administration of Kosova is a non-democratic regime. What else can happen with a system when the essence of its mission is the denial of people’s will? The indeterminate duration of UNMIK’s rule has become unbearable. Its presence is the antithesis of our self-determination. That’s why we do not have freedom today.« After demonstrations in March 2007 Albin Kurti, initiator and one of the speakers of Lëvizja Vetëvendosje, was arrested, claiming, he had instigated the demonstrators.
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it’s about independence. If I can’t accept anything else, then I won’t go to negotiations, and then I won’t negotiate with the enemy. I’m not against the Serbians, I’m just against the state Serbia, which hasn’t even shown regret, for the genocide it has done here.«19 With Raptishizẽm, a reversal of the Serbian invective »shiptar« for Albanians, the hip-hop group NR comments on the building of the orthodox church in the center of Prishtina in their lyrics: »Even if we now tear down schools to build cathedrals, this is no minimal, real chance to get to Europe/ this is one of the abnormal ideas/that kill you slowly/terror, racism, commerce, stupidity/92 percent Muslims want a church/shouldn’t you quick build a tower of Pisa?/A monument as an argument for just one moment.«20 Flight and banishment form the experience of young artists that have gathered self-realization only through their close attachment to their families, and reflect this in their works. »There are three religions in my family«, says Zake Prelvukaj, a Muslim who emphasizes the multi-religiousness of the Kosovar-Albanian society that made it a very progressive and European one. She teaches at the arts department in Prishtina and is a painter. In her pictures she portrays her own sexuality, paints breasts and shocking figures of the experienced war. These artists have been profoundly affected by the experience of being driven out and forced to flee their homes. They deal with this experience in their works. One example of this is Alban Muja, who has drawn up a plan for a Museum for Contemporary History in his divided hometown because he is no longer allowed to visit the place where he lived as a child. Driton Hajredini, who had lived in Germany and now lives in Prishtina, paints blackbirds on suitcases, in order to express the meaning of Kosovo as the »field of blackbirds«. His picture The Guardians makes this strikingly clear, with its depiction of two birds perched on a suitcase, ready to depart. Indeterminacy can be seen in the works of young artists, just as the status of Kosovo is indeterminate. The artist group Lemonade may serve as an example with their art campaign The band U2 won’t come this summer. Using flyers and posters distributed all over Prishtina, Lemonade’s artists drew attention to the fact that U2 won’t come,21 nor will the independence that has been promised for years: »the story that U2 will come to Prishtina still continues to be an issue for many individuals who have created this in their imagination, a fact that also resulted from propa19. Fatime Kosumi, 2006, interviewed by the author. 20. The lyrics, written by Iliros, were a comment on the idea to build a catholic church as a counterweight to the orthodox church. 21. A concert of the band U2 was announced several times, but never happened.
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ganda. One thing is for sure, those people are still living with this dream since 1999 and together with all other Albanians they hope that one day their wish will be fulfilled. There are two dilemmas that have become a big concern, Kosova’s independence and U2’s arrival in Prishtina. Since we never had the chance to integrate in our politics because all decisions where made by others and we obeyed them, we did as much as we could by providing people with the poster that shows them that even this summer U2 will not come.«22 Using their own voices, they are coping with the unbearable situation of being marginalized as persons in the political deliberation process during the discussions of Kosovo’s status. They are opening up a world of action in which they build their own art spaces for the visitor, who is no longer someone experiencing a work of art but part of an action, as in Lemonade’s intervention.23 They are showing us a world distinguished by participation. Living in Prishtina means living in a heavily restricted city center with two big main streets, surrounded by 6000 UN associates, that block the city center with white and blue fences and large parking lots. In 2005 I had the impression that the civil society remains in a condition of hero-worshipping, and a feeling of being both committed to and hemmed in by the international interim government.
Ar tistic Strategies I interviewed Billi Tmava, Fitore Isufi and Mehmet Behluli, all of them participants of the Relations – project, in the EXIT-office in Prishtina. A day before the interview, I had witnessed the funeral of Enver Hajradinaj in Gllogjan/Glođane together with the Albanian artist Florian Agalli, who fi lmed it. When we met the artists for the interview, we talked about the grave being fi lled with concrete. They repudiated this, because they didn’t want to identify themselves with such a military gesture. »Of course, I don’t have that solution but in fact, it is worse how we can proceed with our history. How we can organize to reflect much more meanings that are useful for the future. I can not see much what they learned or how they remember or how they give their lives a better future. My opinion is that the concrete on the grave is a monument for a warrior of the last war. They are not making that for the heroes, but people make it for
22. Lemonade, Prishtina 2007. 23. In 2007 several new artspaces opened in Prishtina, e.g. Station Center for Contemporary Art, Rhizome, Agnes Room and the space Lemonade.
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themselves to gain something from their lives but not for them but for certain politicians.«24 Due to the funeral ceremony we could manage to speak about the past war and the dispersal. »To describe the wartime, it was really terrible. I often wanted to leave it as my background, because I really don’t feel it, even if you talk to people and you tell them that it is not a huge difference to feel the war and be a part of it and then to talk about the war and what we have been through. I think the whole world knows, we are alive and we are free today, we walk freely and we talk our mother tongue language, because we had the problems before, you had to learn Serbian language just to go to buy food and you had to talk their language even if you live in your own country.«25 The artist Fitore Isufi collects mysterious stories of her homeland (Gjilan), about the American airbase, that as it says has a tunnel eight meters in length, from which you could go directly to America or China. »I call it phenomena – how people exaggerate things, how they are able to invent all the stories which they believe and in which they want to believe. The protagonist of my video is my brother, he is talking about unbelievable things, about the power of America, about their super weapons they got and a lot of things and I was influenced by. I was inspired, because there is a US Base in Kosovo and there was a time when people started whispering about the mysteries of that place. That it has about some tunnels which are eight meters and from there you could go to America, to China, too.«26 During the war she lived with her family, all together 45 people, in Gjilan. To contribute something to the family life and help compensating the war, she played the clown: »I was there and my contribution was to make performances in my family. Up to the last day I made a clown of myself a lot of times. I did lots of things I wouldn’t do for myself during the war, but I did them just for my family because we were about 45 people at home all the time during the war. I don’t know, may be after the war everything changed. Before the war we were all talking Serbian, we all went home at eight o’clock, we didn’t have nightlife, we didn’t have a dynamic life as we have now, but everything exploded after the war and a lot of things changed. I don’t know, may be I can see them as the other see it, as my family always said: ›you are very different, when you don’t guess‹ and blah blah blah. May be I am now a more communicative person; I have a lot of friends now. I live in Prishtina, with my brothers. I am independent now I got my own job, I finished faculty of arts. Now I am in the master class in 24. Mehmet Behluli 2005, interviewed by the author. 25. Billi Tmava 2005, interviewed by the author. 26. Fitore Isufi 2005, interviewed by the author.
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the first year. I want to be like Americans or Germans, I want to be Kosovo artist, I want to reflect the way that we live in my art. I want to be only based in my life, that’s it.« Due to this artistic position, inventing stories which she understands as phenomena, and the distance that becomes evident in the stories, she compensates the absurd time of the Serbian suppression under Slobodan Milošević. In the work I Know I Don’t Know, Billi Tmava investigates how cities are imagined. As if she had to make up for the imagination she lost in the time of the war. She asked the participants of the Relations project, if they could answer questions in the interview, how they imagined Prishtina, without knowing it. She had developed this idea already, before her stay in Frankfurt. »I mean the idea was to interview people that were apart of this Relations project, how they see the city and how they create images inside of them, the city they had never been before, so this was the basic idea of my project and I started interviewing the participants.«27
Contemporar y Ar ts Librar y in Pr ishtina In fact some art projects of the Relations project in Prishtina failed. As part of the project, organized by art students from Städelschool, the Contemporary Arts Library was founded in Prishtina in 2005 in a room at the National Library, with approximately 600 donated books by a variety of artists. After a second donation of books by the Frankfurter Kunstverein in 2006, encompassing approximately 7000 books on art in German and English, the Prishtina National Library soon reached the limits of its capacities with respect to space and staffing. Two female art students from Prishtina who wanted to work at the Contemporary Arts Library were ignored by both sides, the founders of the library, who had participated in the Relations project, and the library’s directors. To this day, the Contemporary Arts Library has not been made available to the public. The Faculty of Fine Arts failed to communicate that there were art books there, and groups that wanted to work with the books are being ignored. Instead, the Contemporary Arts Library will now (in 2008) send books collected by three artists (from Canada, USA, Germany), all books that people in the area cannot read (as they are in German) as a »Library on Wheels«, on a bus trip to Krakow in order to present this library to a wider audience interested in the arts. Sustainable intervention within this art scene might consist in initiating translation projects that would enable a reception of these books, and thus lasting effects on the education of art students in Kosovo. Although many projects 27. Billi Tmava 2005, interviewed by the author.
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could not be put into practice in 2005, the exchange enabled young art students to establish contacts with the international »art world« and with artists who have appropriated their own space and cooperated with them, people who had enjoyed a free and uninterrupted arts education.
Reenacting Monuments During the first workshop in Prishtina for the project Reenacting Moments in 2007, for which we had invited young artists from Kosovo and Serbia, we saw that they all follow political developments closely, and address political topics in their work. We addressed in the working meeting the following questions: Will there be major changes in artistic production if Kosovo becomes an independent state? How are young artists from the region, who are from the same generation and confronting similar problems, dealing with current events and political developments that each group experiences in a different way? For these artists, current events and political changes are closely linked to childhood experiences. In view of their cultural differences, how can artists from these two regions elaborate joint projects? Together with the artists, we wanted to try to address these questions by looking at (amongst other topics) the history of monuments erected in public spaces during the Yugoslav period. During the working meeting in Belgrade, a video link was set up between Belgrade and Prishtina. On two public squares in each city, we projected material via the internet (using Skype), and so attempted to reach a broader public which was then be able to take part in discussions with artists.
Plazma : an Existential Form of the Social – and a Cookie After the investigation in Prishtina and also in Belgrade in 2007 we had asked ourselves, would this generation build unity, because it has experienced Yugoslavia in its full bloom, its collapse, as well as the war situation that lasted for over 15 years: the terror and propaganda of the Milošević regime. How would these artists deal with the topic Plazma: How can these memories, supplied by a cookie be united, if they find themselves on a landmass that keeps them as a population together? Madeleine is the title of a work by Ana Adamovic from Belgrade, a video that shows friendly families on a vacation in the 1970s at the Adriatic Sea. This memory turns bitter, when you compare it to the following story. To 135
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that time and until today, these cookies from former Yugoslavia named Plazma were eaten by all in their happy days and are still loved for this, for their flavor and their enrichment with vitamins: A formula for success, from the perished socialist culture in Yugoslavia. Children in Kosovo, who shared their room with their grandparents, also shared this pleasure, the grandfather, before falling asleep, sucking at the only Plazma cookie, dreaming of a golden time for Yugoslavia. Plazma cookies are a connective element for positive childhood memories. This culture of remembrance can also be understood as moldable, because artists from this region form a unified generation, and are geared to the same historic-cultural difficulty which they use in a different way for their artwork. To artists from both regions, Serbia and Kosovo, the cultural difference establishes the condition, for investigating the formability of cultural expression. In spite of the divisive political positions, this remains their aim, showing that memories are a part of the existential form of the social. Sweet things, like a Plazma cookie dipped in milk for a cat, or bitter like a Madeleine dipped in lime blossom tea, form particular moments of remembrance. 28 Memories carry the social as an existential form, like the taste of a past society. To Bruno Latour the plurality of the existential form of the social is just a fact, that has been ignored by sociology ever since, because it engaged itself too much in the task of modernization, instead of developing controversies, to stabilize and investigate its political relevance. In order to break the continuity of the network of knowledge he suggests throwing ourselves into the open ocean: our common unawareness. »It is as if at some point you had to leave the solid land and go to sea.«29 On a journey though a landscape of networks, that consists of empty rooms, wires, subways, airports, termite canals in the sociology of the social, the question arises, what substance, what mass actually holds the whole together? This background, the open sea of an unfathomable mass, is called »Plasma« by Latour, by which he understands, what »is not yet formated, not yet measured, not yet socialized, not yet engaged in metrological chains, and not yet covered, surveyed, mobilized, or subjectified.«30 To comprehend it we have to direct our attention outwards, achieve an infinity for this between that is unknown, like a memory that contains a moment of rec28. Igor Krstic: »Re-thinking Serbia: A Psychoanalytic Reading of Modern Serbian History and Identity through Popular Culture«, in: Other Voices: The (e) Journal of Cultural Criticism 2/2 (2002), www.othervoices.org/2.2/krstic/, accessed 13 July 2009. 29. Latour, Bruno: Reassembling the Social: An Introduction to Actor-Network-Theory, Oxford: Oxford University Press 2005, p. 244. 30. Cf. ibid.
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ognition. »It resembles a vast hinterland providing the resources for every single course of action to be fulfi lled, much like the countryside for an urban dweller, much like the missing masses for a cosmologist trying to balance out the weight of the universe.« 31 In her work artist Flaka Haliti focuses on the theme of remembrance, connecting the notions ›post art‹ ›post-history‹ ›post … etc., we get to the point of provoking expressions such as ›post-memory‹ to her work. The video Once Upon a Time shows a »story that has already been surpassed if we consider the meaning, or the essence, that it used to have. Now it is being told as a fairytale story – »once upon a time…« and is being used only as a metaphor: the game of the transforming of the shapes, as in the one of the ceramic and its function taking the shape of make-up and gaining a very different function as opposed to the initial one. Based on this, I often think that many stories that belong to the former-Yugoslavia now somehow are nothing more than just POST-MEMORY.«32 The artistic production in a post-war country like Kosovo is related to the political situation. Young artists from the region are dealing with current events and political developments as examples of the uncertainty they experience. On the other hand, artists use their creativity as a strategy to establish new ways of coping with unbearable situations, as I have attempted to show in this essay. Yet in the artistic disposition towards these social changes and normalizations in post-war societies, there is the sense that it remains an open wound.33 The situation in Kosovo isn’t so stabilized yet, that one could speak of a consolidation of the integration of artists in 31. Cf. ibid. 32. Artist statement by Flaka Haliti for the exhibition »Plazma« at Leonhardi Kulturprojekte. 33. Wagner, Thomas: »Die Wunde Beuys«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23 January 2006, p. 31: »In his ›biography—workography,‹ Beuys noted under the year of his birth, 1921: ›Kleve, exhibition of a wound closed up with a band-aid.‹ One of his installations, which led to a vehement debate when the Munich Lenbachhaus acquired it in 1979 because it unites two gurneys from the pathology, boxes with fat, lamps, tools, and glass jars sealed with gauze in a depressing ensemble addressing death as a hardening of the energy of life, bears the title, ›Zeige deine Wunde‹ [›Display Your Wound‹]. Another room, panelled with slabs of metal throughout, was entitled ›hinter den Knochen wird gezählt/ Schmerzraum‹ [›behind the bones a count is taken/pain room‹]. Beuys, a Schmerzensmann? One who prodded a finger into society’s wounds?« See also: Emmanuel Lévinas: Verletzlichkeit und Frieden. Schriften über Politik und das Politische (=TransPositionen 24), Zürich: Diaphanes 2007.
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the Kosovar society, although this society changes, and through its youth may see the development of a more pluralistic outlook. Since February 17th 2008 Kosovo has been independent, and a nine-year process of uncertainty is at last finished. The question of whether the international community accepts this status haunts the Kosovar. In the nine years since after the fi rst international action against Serbia with the Nato-bombing in 1999, Serbia and Russia have tried to mispresent the UN-resolution – although Serbia isn’t mentioned in this document and the sovereignty of Yugoslavia has been annulled. However this will have no devastating consequences for the newly installed Kosovar government. »We keep on suffering«, says Rron Quena 2007 in Prishtina alluding to the lasting injury of this society.
References Becker, Howard: Artworlds, Los Angeles: University of California Press 1982. Boynik, Sezgin: »Theories of Nationalism and Contemporary Art in Kosovo«, in: Henriksson/Boynik (eds.), Contemporary Art and Nationalism (2007), pp. 214-238. Buden, Boris: »Why not: Art and Contemporary Nationalism?«, in: Henriksson/Boynik (eds.), Contemporary Art and Nationalism (2007), pp. 12-17. Butler, Judith: Precarious Life. The Powers of Mourning and Violence, London, New York: Verso 2004. Dolar, Mladen: His Master’s Voice. Eine Theorie der Stimme, Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag 2007. Henriksson, Minna/Boynik, Szegin (eds.): Contemporary Art and Nationalism: A Critical Reader, Kosovo: MM publications 2007. Kagan, Sacha/Abbing, Hans: Polity Conventions in Art Worlds, Vienna STP&A Conference version 1.0, 2007. Krstic, Igor: »Re-thinking Serbia: A Psychoanalytic Reading of Modern Serbian History and Identity through Popular Culture«, in: Other Voices: The (e)Journal of Cultural Criticism 2/2 (2002), www. othervoices.org/2.2/krstic/, accessed 13 July 2009. Latour, Bruno: Reassembling the Social: An Introduction to Actor-NetworkTheory, Oxford: Oxford University Press 2005. Lévinas, Emmanuel: Verletzlichkeit und Frieden. Schriften über Politik und das Politische (=TransPositionen 24), Zürich: Diaphanes 2007. Mocnik, Rastko: »Identity and arts«, in: Henriksson/Boynik (eds.), Contemporary Art and Nationalism (2007), pp. 40-55.
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Suvakovic, Misko: »Outlines-Nationalism in post-socialist epoch: inquiries on art technology of construction and implementation of collective self«, in: Henriksson/Boynik (eds.), Contemporary Art and Nationalism (2007), pp. 34-39. Wagner, Thomas: »Die Wunde Beuys«, in F.A.Z., 23 January 2006, p. 31. Wolcott, Harry F.: Ethnography: A way of seeing, Walnut Creek: AltaMira 1999.
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Semiotische Kämpfe im Nachkr iegs-Serbien Zur politischen Ikonographie der Straße anhand von Graf f iti und Street-Ar t.* Ein Forschungsber icht Daniel Šuber
Das Trauma ist immateriell; wird es nicht gesehen […], existiert es letztlich nicht. Mark Terkessidis
Einführung zur sozialw issenschaf tlichen Analyse von Graf f iti in Serbien In unserer Studie möchten wir durch eine Analyse der gegenwärtigen Graffiti-Produktion in Serbien Charakteristika der serbischen visuellen Kultur erschließen. Die präsentierten Ergebnisse beruhen auf einer inhaltsanalytischen Auswertung von ca. 1000 Graphemen und sind als erster
* Die vorliegende Studie wurde im Rahmen eines durch den Exzellencluster 16 ›Die kulturellen Grundlagen von Integration‹ der Universität Konstanz geförderten Forschungsprojekts durchgeführt. Zu danken habe ich neben der Förderinstitution auch meinen Konstanzer Kollegen Slobodan Karamanić, Katrin Auspurg und Sigmar Papendick.
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Sondierungsschritt zu verstehen.1 Im Zentrum steht die Frage nach der Bedeutung visueller Medien wie Street-Art und Graffiti2 für die Vermittlung von Kultur und Politik im Kontext der serbischen Öffentlichkeit seit den 1990er Jahren. In einem großen Teil der sozialwissenschaftlichen Literatur, die sich mit den Gründen für Serbiens Eintreten in die kriegerischen Auseinandersetzungen seit Beginn der 1990er Jahre befasst, dominiert die Anschauung, dass die serbische Bevölkerung praktisch vollständig hinter Miloševićs Kriegspolitik gestanden habe. In den Medien verbreitete Bilder – etwa von der Gedenkfeier anlässlich des 600. Jubiläums der Schlacht auf dem Amselfeld, die 1989 vor angeblich zwei Millionen Menschen auf dem historischen Erinnerungsplatz in Gazimestan stattgefunden hatte, oder den initiierten »Volks«-Demonstrationen zu Beginn der 1990er Jahre – dürften zur Verbreitung dieses Bildes ihren Teil beigetragen haben. Bis in die Gegenwart sehen Analysten und politische Entscheidungsträger den Hauptgrund für die katastrophale Entwicklung Serbiens seit den Neunzigern im sturen Festhalten an mythomanischen Selbstbildern und nationalistischen Phantasmen, die einer ›realistischen‹ Wahrnehmung im Weg stünden.3 Die Behauptung eines Mangels an zivilgesellschaftlichen Gegeninstitutionen und demokratischer Kultur vervollständigt häufig das Bild der serbischen Gesellschaft als eines ideologisch geschlossenen Containers. Zur Erklärung wird auf die Wirkung der sorgfältig von Milošević geplanten Mobilisierungs- und Manipulationsprozesse zurückgegriffen. Nach dem Muster der NS – Verführungsthese wird hier die serbische Bevölkerung als wehrlose und apathische Masse beschrieben. 4 1. Dies soll im Rahmen des Projekts in Fokusgruppendiskussionen getestet werden. 2. Die Abgrenzung zwischen Street-Art und Graffiti ist nicht nur unter den Produzenten, sondern auch unter Spezialisten umstritten. Einen Überblick über die Debatten liefert Julia Reinecke: Street-Art. Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz, Bielefeld: transcript 2007, S. 13ff. Diverse Street-Art-Forscher haben die teilweise enge Anlehnung der Street-Artisten an künstlerische Herstellungstechniken und ästhetische Stilelemente hervorgehoben. Die Hinwendung von Graffiti zur high art wurde seit Beginn dieser Entwicklung von orthodoxen Graffitiproduzenten als Verrat an den Urmotiven der Writer-Bewegung verurteilt. Siehe Curwen Best: »Reading Graffiti in the Caribbean Context«, in: Journal of Popular Culture 36/4 (2003), S. 828-852, hier S. 841f. 3. Vgl. Boris Buden: »Mythos und Logos des serbischen Schicksals«, in: Jens Becker/Achim Engelberg (Hg.), Serbien nach den Kriegen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2008, S. 308-331, hier S. 308ff. 4. In der Faschismusforschung hat man erst relativ spät die Abkehr von ein-
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Im serbischen Fall verwenden nicht nur externe Beschreibungen ein solches Container-Bild, vielmehr ist dieses Bild auch innerhalb der serbischen Gesellschaft regelmäßig anzutreffen, so etwa bei der serbischen NGO-Aktivistin Sonja Biserko: Sie spricht in einem jüngst erschienenen Sammelband von einer »verarmten, kriminalisierten und aggressiven, zynisch, apathisch oder hilflos gewordenen Gesellschaft.«5 Zu diesem Bild passt die Beobachtung, dass in Interviews mit vermeintlichen Experten häufig sogar numerisch genaue Angaben über die Anzahl der aufgeklärten, »wahrhaften Demokraten Serbiens« gemacht werden, die meist zwischen 100 und 200 beziffert werden.6 Ein Informant, der sich in einem Interview stolz als Šešelj7-Wähler gebärdete, bezeichnete die Serben als »verblödetes Volk« (»blesav narod«) – eine Charakterisierung, die man auch in diversen Internetforen häufig seitens bekennender Serben lesen kann.8 Die nachstehende Analyse blickt auf die Street Art – Kultur, um der von Marion G. Müller angedeuteten Logik der spezifischen kulturellen Einfärbung der serbischen Wahrnehmungsperspektive9 oder – um einen weiteren seit neuestem in Gebrauch gekommenen Neologismus zu gebrauchen – dem in Serbien dominierenden »skopischen Regime«10 auf den Grund zu gehen. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ist den Vorannahmen des seitig makrostrukturellen und institutionalistischen Ansätzen und die Hinwendung zu akteurszentrierten und praxeologischen Perspektiven bewerkstelligt. Für einen Überblick siehe Sven Reichardt: »Neue Wege der vergleichenden Faschismusforschung«, in: Mittelweg 36/1 (2007), S. 9-25. 5. Sonja Biserko: »Macht und Ohnmacht der Zivilgesellschaft«, in: J. Becker/A. Engelberg, Serbien nach den Kriegen, S. 204-232, hier S. 232. 6. Vgl. Buden: Mythos und Logos, S. 320, 331. 7. Wegen seiner Rolle als Freischärlerführer während der jüngsten Balkankriege muss sich der amtierende Vorsitzende der »Serbischen Radikalen Partei« seit 2006 vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien für Kriegsverbrechen verantworten. 8. Ein älterer Serbe erklärte einmal einer norwegischen Journalistin: »We have no discipline. We’re not cultured, like the rest of you.« Siehe Åsne Seierstad: With Their Backs to the World. Portraits from Serbia, London: Virago 2005, S. 35. 9. Vgl. Marion G. Müller: »Politologie und Ikonologie. Visuelle Interpretation als politologisches Verfahren«, in: Birgit Schwelling (Hg.), Politikwissenschaft als Kulturwissenschaft. Theorien, Methoden, Problemstellungen, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 335-349. 10. W.J.T. Mitchell: »Showing Seeing: A Critique of Visual Culture«, in: Journal of Visual Culture 1/2 (2002), S. 165-181, hier S. 170.
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›Container‹-Modells gegenüber an sich, besonders aber im serbischen Fall, Skepsis angebracht. Meinungsumfragen in der serbischen Bevölkerung aus den frühen 1990ern belegen, »daß der Nationalismus nicht (sic!) die vorherrschende Ideologie unter der Bevölkerung Serbiens war.«11 In diesem Sinne hat auch der Soziologe Gordy betont, dass »the party in power has not once received a majority of votes in an election, and each election after 1990 has seen its support declining further.« 12 Der Rückgriff auf Graffiti scheint uns besonders geeignet, um serbische Alltagseinstellungen zu analysieren, denn dieses Medium ist eines der »most democratic media«13 schlechthin, weil es kaum materielle Anforderungen stellt. Der Ansatz, Graffiti zum Indikator für sozio-kulturelle Entwicklungs- und Wandlungsprozesse zu nehmen, kann in den Sozialwissenschaften bereits auf eine gewisse Tradition zurückblicken.14 In dieser Studie liegt der Fokus auf den dynamischen Eigenschaften von Graffiti als Medien zur Vermittlung sozio-kultureller Gehalte, wobei es allerdings nur um eine Sondierung des visuellen Selbstbeschreibungsrepertoires im Nachkriegsserbien gehen kann. Sie widmet sich der visuellen Vermittlung und Reflektion identitäts- und gemeinschaftsstiftender Bilder (im weitesten Sinne) und stellt die visuellen Erzeugnisse ins Zentrum, die einen an die Öffentlichkeit gerichteten Aufruf enthalten. Die folgende Datenanalyse soll erste Antworten auf die Fragen nach dem beobachtbaren Reservoire an symbolischen und ikonologischen Repräsentationen von nationaler Identität sowie nach den visuell vermittelten Gegenstrategien gegen die scheinbare Dominanz nationalistischer Symbolisierungen liefern.
11. Marija Obradović: »Der Krieg als Quelle politischer Legitimation. Ideologie und Strategie der herrschenden Partei«, in: Thomas Bremer/Nebojša Popov/ Heinz-Günther Stobbe (Hg.), Serbiens Weg in den Krieg. Kollektive Erinnerung, nationale Formierung und ideologische Aufrüstung, Berlin: Arno Spitz 1998, S. 359-377, hier S. 366. 12. Eric D. Gordy: The Culture of Power in Serbia. Nationalism and the Destruction of Alternatives, University Park, PA: The Pennsylvania State University Press 1999, S. 1. 13. Milena Dragičević-Sekić: »The Street as Political Space: Walking as Protest, Graffiti, and the Student Carnivalization of Belgrade«, in: New Theatre Quarterly 65 (1999), S. 74-86, hier S. 84. 14. Vgl. John A. Bates/Michael Martin: »The Thematic Content of Graffiti as a Nonreactive Indicator of Male and Female Attitudes«, in: The Journal of Sex Research 16/4 (1980), S. 300-315, hier S. 301.
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Semiotische Kämpfe im Nachkr iegs-Serbien
Graf f iti-Kultur in Serbien : Hintergründe und Hypothesen Spätestens seit den von Studierenden gemeinsam mit politischen Oppositionskräften lancierten Protesten gegen das Milošević-Regime im Jahre 1996/97 zählen Graffiti zum Alltagsbild in Serbien.15 Jeder Serbien-Reisende kann die Verbreitung und Allgegenwart von Graffiti beobachten, die sich nicht auf die urbanen Ballungsgebiete beschränken, sondern auch in der serbischen Provinz verbreitet sind. Auch wenn diese Studie sich auf Wort-Graffiti konzentriert, sollen hier anhand einiger Beispiele die Grundmotive der serbischen Street-Art-Szene umrissen werden. Auffallend ist zunächst, dass der größte Anteil der StreetArt-Produkte in Serbien nach der Jahrtausendwende auf das Engagement einer übersichtlichen Zahl meist weiblicher Künstler zurückgeht. Wie die serbische Kunsthistorikerin Ljiljana Radošević in einem historischen Aufriss der Entwicklung der Street-Art in Belgrad seit 1996 dargelegt hat,16 waren die Schaffensantriebe der unterschiedlichen Szenegruppen bereits seit der ersten Hochphase in der Regel unpolitischer Natur, was angesichts der für Serbien politisch turbulenten Jahre der zweiten Hälfte der 1990er selbst für die Autorin erstaunlich scheint.17 Typischerweise ging es den Straßenkünstler/innen darum, das triste Alltagsbild der Hauptstadt durch ihre Werke zu »verschönern.« 18 Die Street Artisten wollten sich bewusst jenseits des Politischen bewegen, da das politische Feld als von Miloševićs Regime okkupierter und kontaminierter Raum wahrgenommen wurde. Neben genuiner Street-Art, die in unserer Datenanalyse nur berücksich15. Zur Geschichte der jugoslawischen Graffitikultur, die sich bereits in den 1980er Jahren entwickelte, siehe Dražen Lalić/Anči Leburič/Nenad Bulat: Grafiti i subkultura, Zagreb: Alinea 1991. 16. Vgl. Ljiljana Radošević: »›Nevidna‹ energija bejograjskih ulic«, in: Časopis za kritiko znanosti 36 (2008), S. 291-306, hier S. 293. 17. Statistische Untersuchungen über die politische Kultur unter der ›mittleren‹ Generation der 25-35-Jährigen aus dem Jahre 1999 brachten ein verbreitetes Desinteresse für politische Fragen zum Vorschein, welche nicht in unmittelbarem Zusammenhang zur eigenen Lebenssituation standen. Das Kosovo-Problem etwa wurde dazumal von weniger als einem Prozent der Befragten als relevant angesehen. Der Autor sah zum damaligen Zeitpunkt in dieser Kohorte »a growing rationality in the social mind-set« am Wachsen. Siehe Vladimir Ilić: »Middle generation might change the predominant anti-Western sentiment«, in: Helsinki Committee for Human Rights in Serbia (Hg.), Spezialausgabe 2000. 18. Siehe dazu die B92-Dokumentation zu Belgrader Street-Art Kunst unter dem Titel ›Yellow Cab‹ in der Reihe ›Tranz-Art‹ aus dem Jahre 2006.
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tigt wurde, wenn sie offenkundig einen politischen Appell enthielt, sind Graffiti ausgeklammert, die der Fußball- und Basketballfankultur zuzurechnen sind. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben Graffiti, die dem ausschließlichen Zweck der territorialen Markierung dienen und meist nur die Unterschrift der Urheber wiedergeben. Bei den von uns untersuchten Graffiti handelt es sich um geschriebene Worte und Sätze, für die sich in der Literatur Bezeichnungen wie »Wort-Graffiti« oder auch »verbale Symbole«19 finden.20
Datenbasis und Kategor isierung Ausgangspunkt der Studie bildet ein während zweier Erhebungsaufenthalte im Frühjahr und Herbst 2008 in Serbien erhobenes Datenmaterial, das dokumentiert auf über 2000 Digitalfotografien vorliegt. Ziel der Erhebung war es, das geographische Gebiet Serbiens möglichst flächendeckend abzudecken, um bei der Auswertung so zentrale Parameter berücksichtigen zu können, wie das einflussreiche Stadt/Land-Gefälle sowie den Einfluss regionalspezifischer Problemlagen. Anders als bei dem Gros der Arbeiten zu Street-Art sollen hier also explizit auch vermeintlich graffitiarme Räume miteinbezogen werden, ohne Repräsentativität zu beanspruchen. Darüber hinaus fand auch nur ein Bruchteil der erhobenen Gesamtmenge an Graffiti Eingang in unsere inhaltsanalytische Auswertung, wobei die Auswahl nach den oben aufgeführten Kriterien erfolgte. Die Grundmenge der hier vorgenommenen inhaltsanalytischen Bearbeitung beträgt 1030. Die verwendeten Beschreibungskategorien lassen sich grob in formale und inhaltliche Gesichtspunkte untergliedern. Dadurch soll es möglich sein, einen etwaigen Zusammenhang typographischer und politischer Ausprägungen festzustellen. Die formalen Aspekte umfassen die Kriterien ›Größe‹, ›künstlerischer Aufwand‹ und ›Kommunikationsmodus‹. Die Oberkategorie ›Größe‹ ist unterteilt in die Subkategorien ›groß‹, ›mittel‹ und ›klein‹ und bezieht sich auf den Grad der Sichtbarkeit der analysierten Graffiti. Die Kategorie ›künstlerischer Aufwand‹ erlaubt es, den Graphemen einen bestimmten 19. Thomas Northoff: Graffiti. Die Sprache an den Wänden, Wien: Löcker 2005, S. 109. 20. In der klassischen Studie von Bates/Martin: Graffiti as a Nonreactive Indicator, S. 305, wird zwischen »picture graffiti« und »prose graffiti« unterschieden. Baudrillards Diktion zufolge wären lediglich die bedeutungsleeren Graphismen als Graffiti zu begreifen. Politische Slogans an den Wänden wie auch ›murals‹ bezeichnet er dagegen als »Wandmalerei«. Siehe Jean Baudrillard: Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen, Berlin: Merve 1978, S. 35f.
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Semiotische Kämpfe im Nachkr iegs-Serbien
ästhetischen Wert – ›gering‹, ›mittel‹, ›hoch‹ – zuzuweisen. Einen hohen Wert auf dieser Skala bekommen zumeist solche Werke attribuiert, die man gemeinhin unter die Rubrik ›Street-Art‹ fasst wie etwa Stencils, Aufkleber und Billboards. Rein handschriftliche Wort-Graffiti dagegen würden hier einen entsprechend niedrigen Wert zugewiesen bekommen. Die dritte formale Oberkategorie ›Kommunikationsmodus‹ unterscheidet solche Produkte, die rein symbolisch, d.h. bildlich gestaltet sind, von solchen, die ausschließlich über verbalen Ausdruck Bedeutung generieren und solchen, die beide Ausdrucksmittel verwenden. Die Oberkategorie ›lokales Umfeld‹ ist in die Subkategorien ›Metropole‹, ›Stadt‹ und ›Dorf‹ aufgeteilt und soll Informationen über den lokalen Kontext der Daten festhalten. Als ›Metropolen‹ wurden hier Städte ab ca. 150.000 Einwohnern behandelt. Unter ›Städte‹ wurden Ortschaften unter 100.000 Einwohnern bis ca. 10.000 Einwohner rubriziert. ›Dörfer‹ wurden hier nach subjektiver Einschätzung eingestuft und weisen weniger als 2000 Einwohner auf.21 Der politische Gehalt der Graffiti wurde in unterschiedliche Subkategorien differenziert: ›nationalistisch‹, ›anti-nationalistisch‹, ›philosophisch‹, ›faschistisch‹, ›anti-NATO/EU‹, ›nostalgisch‹ und ›anti-kommunistisch‹ (siehe dazu Tabelle 1). Die angewandte Skala konnte nur bedingt der besonderen politischen Ideologienlandschaft Serbiens angepasst werden, um den politischen bzw. weltanschaulichen Gehalt der Daten zu rubrizieren. Dies manifestiert sich etwa darin, dass etwa die Symbolisierung der ›drei Finger‹ oder der ›vier C‹ ebenso wie die Glorifizierung nationalistischer Politiker und Bewegungen unter die Unterkategorie ›nationalistisch‹ fielen, obwohl sich dahinter jeweils unterschiedliche und gelegentlich sogar sich widersprechende politische Hintergründe oder Ziele verbergen mögen. Die Oberflächlichkeit der Subkategorie ›anti-nationalistisch‹ kommt darin zum Vorschein, dass sie sowohl Anti-Milošević-Skandierungen als auch AntiŠešelj-Slogans subsumiert, deren politische Ziele offensichtlich divergent waren. Die Unterkategorie ›philosophisch‹ umfasst solche Verlautbarungen, die nur indirekt zu tagespolitischen Problemen Stellung nehmen und – häufig auf abstrakte und sarkastische Weise – persönliche Ideologien und
21. Unsere Untersuchungen fanden statt in Belgrad, Niš, Novi Sad, Kragujevac (Metropolen); Ćaćak, Bor, Jagodina, Majdanpek, Negotin, Novi Beograd, Pančevo, Paraćin, Požarevac, Požega, Smederovo, Sombor, Subotica, Šabac, Užice, Valjevo, Vršac, Zajećar, Zemun und Zrenjan(Städte); in Bačka Palanka, Bačka Topola, Begec, Bela Crkva, Deliblato, Kljajićevo, Knjaževac, Kovin, Kučevo, Kula, Lalić, Lazarevo, Mali Iđoš, Plandište, Rabrovo, Ratkovo, Sevojno, Srbobran und Sivac (Kleinstädte und Dörfer).
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Lösungsstrategien lancieren.22 Zur Erfassung einer gewissen zeitspezifischen Stimmung geben solche Verlautbarungen signifikanten Aufschluss. Die Kategorie ›nostalgisch‹ schließt insbesondere Bezugnahmen auf das titoistische Jugoslawien, Titos Persönlichkeit oder den Kommunismus als Ideologie mit ein. Ein überraschender Befund war die Häufigkeit von Swastika-Symbolen, für die die Kategorie ›faschistisch‹ gebildet wurde.
Erste Ergebnisse der Auswer tung von serbischen Graf f iti Im Folgenden sollen anhand der Ergebnisse der inhaltsanalytischen Auswertung einige Grundzüge der serbischen Graffitiproduktion vorgestellt werden (siehe Tabelle 1). Beinahe die Hälfte aller berücksichtigten Fälle (48 %) weist auf der Ästhetik-Skala einen geringen Wert auf, woraus man zunächst schließen kann, dass der Transport eines bestimmten politischen Gehalts in den meisten Fällen das ausschlaggebende Motiv für die Graffitiproduktion darstellt. Dieses Resultat widerspricht der oben skizzierten Interpretation der Kunsthistorikerin Ljiljana Radošević, wonach es den Graffitisten primär um die Verschönerung städtischen Raums ging. Dieser hohe Anteil mag zu einem Teil ein Effekt unserer Schwerpunktsetzung auf politisch motivierte Bildkommunikation sein. Andererseits wurde auf den höchstens indirekt politischen Charakter der serbischen Street-Art, der sich hier am deutlichsten in der Verteilungsstruktur der Oberkategorie ›künstlerischer Aufwand‹ widerspiegelt, bereits hingewiesen. Dieses Bild passt jedoch auch zu unserer Ausgangshypothese, wonach in Serbien die visuelle Form der gesellschaftspolitischen Kommunikation eine vergleichsweise weite Verbreitung hat. Vor diesem Hintergrund wäre das Vorherrschen rein ›stilistischer Kriege‹23 von vornherein überraschend gewesen. Unsere Vergleichsergebnisse über die unterschiedliche Graffiti-Praxis in Metropolen, Städten und Dörfern bestätigen, dass man hinsichtlich der politischen Orientierung in Serbien von einem Stadt/Land-Gefälle ausgehen kann.24 Während in ländlichen Gebieten nationalistische Nachrichten 22. Vgl. Dragana Antonijević/Ljubomir Hristić: »Belgrade Graffiti: Anthropological Insights into Anonymous Public Expression of ›Worldview‹«, in: Ethnologie Balkanica 10 (2006), S. 279-290, hier S. 286. 23. ›Style Wars‹ lautete der Titel einer einfl ussreichen filmischen Dokumentation der Hip-Hop-Szene Nordamerikas aus dem Jahre 1985. 24. Zur Bedeutung dieser Kluft im serbischen Kontext allgemein siehe Marko Živković: »Stories Serbs Tell Themselves. Discourses on Identity and Destiny
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Semiotische Kämpfe im Nachkr iegs-Serbien
deutlich überwiegen, nimmt der Anteil an politischen Graffiti in Städten und Großstädten ab.
Oberkategorie
Unterkategorie
n
Anteil (%)
Gering
494
48,00 %
Mittel
435
42,20 %
Hoch
101
9,80 %
Stadt
486
47,20 %
Metropole
388
37,70 %
Kleinstadt/Dorf
156
15,10 %
Künstlerischer Aufwand
Lokales Umfeld
Politischer Gehalt Nationalistisch
445
43,20 %
Anti-nationalistisch
209
20,30 %
Philosophisch
121
11,70 %
Anti-NATO/EU/DOS/LDP/B92
74
7,20 %
Faschistisch/rassistisch
62
6,00 %
Nostalgisch
58
5,60 %
Anti-kommunistisch
61
6,00 %
Größe Groß
527
51,17 %
Mittel
401
38,93 %
Klein
102
9,90 %
Kommunikationsmodus Verbal
591
57,38 %
Symbolisch
227
22,04 %
Gemischt
212
20,58 %
(n = 1030)
Tabelle 1: Gesamtmenge der Graffiti nach inhaltlich-formalen Kriterien An dieser Stelle scheinen zur adäquaten soziologischen Einordnung des Phänomens einige Anmerkungen zum staatlichen Umgang mit der Graffiti-Produktion angebracht. Bis in die jüngste Vergangenheit standen die serbischen Autoritäten dem Phänomen der sich seit Mitte 1996 stetig ausin Serbia since the Mid-1980s«, in: Problems of Post-Communism 44/4 (1997), S. 22-29, hier S. 25ff.
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breitenden Graffiti gleichgültig gegenüber. Die ersten strafrechtlichen Maßnahmen seitens der politischen Autoritäten wurden in Serbien erst im Jahre 2005 eingeleitet. Und selbst dieser vermeintliche »›Kampf‹ gegen Graffiti«25 zeigte sich in der serbischen Praxis als halbherzig. Ein härteres Durchgreifen erfolgte fast ausschließlich gegenüber politischen Graffiti. Insbesondere nach 2004 wurde in der lokalen Presse immer häufi ger über rechtsextreme und antisemitische Graffiti berichtet.26 Deren Beseitigung wurde zudem häufig politisch instrumentalisiert. Insbesondere Stadtzentren und Marktplätze wurden in den letzten Jahren nicht nur in Belgrad regelmäßig von störenden politischen ›Schmierereien‹ gesäubert. Dagegen konnten Street-Artisten häufig mit dem Desinteresse der Polizei rechnen. Das vermeintliche Stagnieren der Graffiti-Produktion, das Ljiljana Radošević nach 2005 diagnostiziert, wäre also keineswegs mit der Erhöhung des gerichtlichen Strafmaßes zu erklären, sondern geradezu mit dem mangelnden Verfolgungsinteresse der Polizei, was offenbar einen entscheidenden Anreizverlust bei potentiellen Sprayern bewirkt hatte.27 Konzentriert man sich nun auf die Verteilung der ideologischen Gehalte, so stellt man schnell fest, dass nationalistische Obertöne an den serbischen Hauswänden eindeutig dominieren. Nimmt man die genuin nationalistische Symbole zitierenden Graffiti zusammen mit solchen, die sich gegen demokratische Kräfte (transatlantischer, europäischer oder innerserbischer Provenienz) richten, so machen diese zusammen mehr als die Hälfte (50,4 %) der erhobenen Daten aus. Bedeutsam ist darüber hinaus, dass ein Fünftel der Gesamtmenge ›anti-nationalistisch‹ ausgerichtet war. In dieser Verteilungsstruktur reflektiert sich zum einen das in den vergangenen Jahren nicht nur von serbischen, sondern auch von europäischen Medien gezeichnete Bild einer in zwei ideologische Lager gespaltenen Gesellschaft. Zum anderen zeigt sich darin auch die Richtigkeit des Vorschlags von Andrej Ivanji, dass man das ideologische Schisma, welches die serbische Bevölkerung spaltet, nicht in ›demokratisch/undemokratisch‹, sondern präziser in ›pro-europäisch/nationalistisch‹ klassifizieren sollte.28 Diese Konstellation wurzelt letztlich in der wachsenden Enttäuschung der Bürger über den vermeintlich wirkungslos gebliebenen Demokratisierungsprozess nach dem Oktober 2000, die sich nach der Ermordung Djinjićs im mehrmaligen Scheitern von Präsidentschafts-
25. Radošević: Nevidna energija bejograjskih ulic, S. 306. 26. Siehe zusammenfassend den Helsinki-Bericht des Jahres 2005, S. 332f. 27. Vgl. Radošević: Nevidna energija bejograjskih ulic, S. 306. 28. Vgl. Andrej Ivanji: »Wie eine Parteilandschaft entstand«, in: J. Becker/A. Engelberg, Serbien nach den Kriegen, S. 141-179, hier S. 175.
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wahlen29 und schließlich im politischen Patt des Wahlergebnisses zu den Parlamentswahlen vom 28. Dezember 2003 deutlich niederschlug. Noch in den Ergebnissen der Präsidentschaftswahlen dieses Jahres (2008) wird diese ideologische Spaltung vernehmlich.
›Kampf der Kulturen in Serbien‹: Semiotische Auseinandersetzungen zw ischen Nationalisten und Pro-Europäern Eine Untersuchung des Verhältnisses von künstlerischem Aufwand im Vergleich zur politischen Einstellung zeigte, dass sich die ästhetischen Vorlieben unter den Graffitisten des nationalistischen und anti-nationalistischen Lagers nicht auff ällig unterscheiden. Ästhetisch aufwendige Bilder sind auf jeweils beiden Seiten deutlich gering ausgeprägt (siehe Tabelle 2). Politische Einstellung anti-
philoso- nationa- anti-NATO, faschis-
nationa- phisch
listisch
-EU,-etc.
Gesamt
tisch
listisch gering
Anzahl
111
53
197
42
34
437
Prozent
53,1 %
43,8 %
44,3 %
56,8 %
54,8 %
48,0 %
KünstleriAnzahl mittel scher Prozent Aufwand Anzahl hoch Prozent Gesamt
Anzahl Prozent
74
48
217
22
26
387
35,4 %
39,7 %
48,8 %
29,7 %
41,9 %
42,5 %
24
20
31
10
2
87
11,5 %
16,5 %
7,0 %
13,5 %
3,2 %
9,5 %
209
121
445
100,0 % 100,0 % 100,0 %
74
62
911
100,0 %
100,0 %
100,0 %
Tabelle 2: Kombinationshäufigkeit Künstlerischer Aufwand/Politische Einstellung
Dieser überraschende Befund bestätigte sich uns beim Blick auf die Häufigkeitsverteilung des bevorzugten Darstellungsmodus mit den jeweiligen politischen Einstellungen. Auch hier stimmen die relativen Proportionen unter anti-nationalistisch bzw. nationalistisch orientierten Writern fast überein. Wie lässt sich dieser erstaunliche Befund, wonach sich die visuellen Strategien zwischen den beiden ideologisch antagonistischen Kräften in formal-ästhetischer Hinsicht beinahe entsprechen, aufklären? Um diesen Zusammenhang interpretieren zu können, sind Erläuterungen zum Hintergrund der gegenwärtigen politischen Ikonologie und deren Instrumen29. In der Folge blieb das Amt für ganze 18 Monate vakant. Erst eine Verfassungsänderung ermöglichte eine erfolgreiche Wahl.
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talisierung durch die Anhänger unterschiedlicher politischer Ideologien Serbiens vorausgesetzt. Dabei lässt sich zeigen, dass sich die weltanschaulichen Verhandlungen in den serbischen Straßen aus einem sehr übersichtlichen Repertoire an Ikonen bedienen. Häufig zitieren ›nationalistische‹ Graffiti Slogans in Kombination mit der Verbildlichung etablierter Symbole wie etwa der Landesflagge oder Elementen des Staatswappens. Seit Beginn der 1990er Jahre haben sich in Serbien diverse nationalistische Ikonen etabliert, die heute ganz im Sinne von Mitchells »hypericons« fungieren.30 Die am weitesten verbreitete nationalistische Ikonologie greift unvermittelt auf Motive des Kosovo-Mythos zurück. So replizieren Graffiti, die im Geist des Nationalismus entstanden, am häufigsten jene vier kyrillischen ›S‹, die für den Slogan »Nur Einigkeit kann die Serben retten« (»Samo sloga Srbina spasava«) stehen und neben dem doppelköpfigen Drachen, der heraldischen Repräsentation der Dynastie der Nemanjiden, das Nationalitätswappen zieren (siehe Abb. 1). Gelegentlich findet man den Ausspruch der vier kyrillischen ›S‹ sogar in ausgeschriebener Form als Wort-Graffiti zitiert. Auf diese kulturelle Semantik rekurriert ebenfalls ein ›hypericon‹ neueren Datums, nämlich jene ›drei Finger‹ (siehe Abb. 2), die heute gemeinhin als Grußform und Symbol serbischer Solidarität und nationalen Selbstbewusstseins Verwendung finden.31 Dabei rekurriert diese Bedeutung keineswegs auf eine alterhergebrachte Überlieferung, sondern geht vielmehr auf den Politiker und Schriftsteller Vuk Draškovićs zurück, der während einer politischen Demonstration zu Beginn der 1990er diese Geste zur Beschwörung von Solidarität unter seinen Anhängern bzw. aller echten Serben eingesetzt hatte. Seither wurde jene Geste unzählige Male zitiert und von dem ursprünglichen parteiideologischen Kontext abgelöst, wobei die rituelle Funktion der Solidaritätsstiftung konserviert wurde. Dieser Sinngehalt fügt sich jedoch unmittelbar in das Grundnarrativ der national(istisch)en politischen Mythologie ein, indem es das Motiv des tradierten Kosovo-Gelübdes (›kosovski zavet‹) aktualisiert. Vor diesem Hintergrund
30. Solche Bilder haben Mitchell zufolge die Fähigkeit, »to encapsulate an entire episteme, a theory of knowledge«. Siehe W.J.T. Mitchell: Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representation, Chicago: Chicago University Press 1994, S. 49. 31. Vgl. Zoran Terzic: Kunst des Nationalismus. Kultur, Konflikt, (Jugoslawischer) Zerfall, Berlin: Kadmos 2007, S. 102f. Mittlerweile hat sich dieses Verhaltensmuster als beliebtes Siegerehrenritual bei serbischen SportlerInnen etabliert (siehe Abb. 3).
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Abbildung 1 erklärt sich auch, weshalb das Zeichen der ›drei Finger‹ vorwiegend von nationalistisch gesinnten Gruppen und Graffitisten benutzt wird. In Bezug auf die visuellen Strategien gegennationalistischer Strömungen in Serbien wagen wir die Hypothese, dass hier die visuellen Artikulationsformen in Ermangelung einer kulturell-historisch überlieferten Tradition
Abbildung 2
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oder einer generischen, demokratisch-bürgerlichen Narration recht eingeschränkt sind und aus diesem Grund häufiger auf abstrakt-visuelle und ironisch-distanzierende Strategien setzen. In jedem Fall ist es erst der Protestbewegung des Jahres 2000 gelungen, auf der visuellen Ebene ein Symbol für die serbische Demokratisierungsbewegung zu etablieren. Hierbei war die Belgrader Studentenschaft die treibende Kraft. Sie formte – bereits 1998 – die Oppositionsgruppe »Otpor« (Widerstand), die entscheidend zur Demission Miloševićs im Oktober des Jahres beigetragen hatte. Das Logo, das sich die Initiatoren erfanden, findet – wie aus unserer Graffiti-Erhebung ersichtlich – noch aktuell als anti-nationalistisches Symbol Verwendung. Es zeigt eine geballte Faust (siehe Abb. 3), die in unzähligen Formen verbreitet wurde. Auch wenn man die Widerstandsbewegung heute sicherlich der Vergangenheit zurechnen muss, so scheint sich die hier definierte Symbolik verselbständigt zu haben. Eine vollständige Aufklärung der aktuellen Bedeutung dieses Phänomens ist durch das Fehlen zeitlicher Indizes bei Graffiti letztlich unmöglich, aber die häufig auff ällig gute Konservierung der »Otpor«-Symbolik zum einen wie auch deren Präsenz an zentralen Orten lassen die Erklärung, dass es sich hierbei einfach nur um Relikte aus dem Jahre 2000 handelt, unplausibel erscheinen.32
Abbildung 3 32. Erklärungswürdig wäre hier etwa, warum so viele ›Otpor‹-Graffiti auch die seit Ende 2004 gestarteten Säuberungswellen der Polizei überstanden.
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Semiotische Kämpfe im Nachkr iegs-Serbien
Die imagologische Relevanz von »Otpor« manifestiert sich nicht nur in dem Überleben seiner Symbolik, sondern letztlich auch darin, dass die visuellen Strategien der demokratischen Bewegung nach 2001 von ihren Gegnern nicht nur kopiert, sondern zumeist im gleichen Zugriff parodiert wurden. Was sich in den Jahren nach 2003 in den serbischen Straßen kontinuierlich gesteigert hat, ließe sich als semiotischer Krieg zwischen Anhängern eines pro-europäisch orientierten, ›anderen Serbiens‹ einerseits und radikalnationalistischen Kräften, die unter der Rubrik der ›Neuen Rechten‹ zusammengefasst werden, andererseits beschreiben.33 Letztere sucht die Grundlagen für eine geistige Neubegründung der Gesellschaft jenseits von westeuropäischen Werten in den religiös-orthodoxen und auch vaterländischen Grundfesten der serbischen Geschichte. Vor allem in den letzten Jahren machte sich nicht nur in den Straßen Serbiens, sondern auch auf kulturellem Gebiet eine Studentenbewegung unter dem Namen »Vaterländische Bewegung ›Ehre‹« (»Otačastveni Pokret ›Obraz‹«) stark bemerkbar. Ganz ähnlich derjenigen von »Otpor«, setzt man hier auf eine weniger aggressiv-verbale, sondern eine subtilere Marketingstrategie und beschränkt sich auf die Verbreitung eines markant gestalteten Logos (siehe Abb. 4). Die konkrete politische Botschaft wird – ebenfalls nach dem Modell von »Otpor« – in Memoranden, über Zeitschriftenorgane und Internetseiten verkündet und mannigfaltig verbreitet, etwa mit Aufklebern, Postern und Plakaten. Einige Interpreten halten diese formalen Kontinuitäten der Äußerungsformen zwischen pro-europäischen und nationalistischen Kräften im heutigen Serbien für keineswegs zufällig, sondern stellen auch auf metapolitischer Ebene einige ideologische Verbindungslinien zwischen Demokratiebewegung und nationalistischen Trägergruppen wie der Serbisch-Or-
Abbildung 4
33. Vgl. Holm Sundhaussen: »Serbiens extremes Zeitalter«, in: J. Becker/A. Engelberg, Serbien nach den Kriegen, S. 28-56, hier S. 45f.
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thodoxen Kirche und der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste her.34 Diese seien folglich nicht nur in ihrer anti-kommunistischen Grundhaltung, sondern auch im »Patriotismus, Ethnozentrismus und einer Feindseligkeit gegenüber anderen ethnischen Gruppen« vereinigt.35 Die von Dragićević-Šešić unter dem Eindruck der bunten Proteste von 1996/97 getroffene Behauptung, dass »graffiti here carry a true message of revolt and resistance, subversive in substance and with much longer durability than in western societies«,36 stellt sich retrospektiv jedenfalls sicher als voreilig und historisch in der behaupteten Einseitigkeit falsifiziert dar. Die bereits angedeuteten semiotischen Kämpfe um die bildliche Eroberung der Städte werden also nicht nur auf der Ebene von Graffiti ausgefochten, sondern gehen darüber hinaus. Zum Zeitpunkt unserer Erhebung – dem Jahr der Präsidentschaftswahlen und der einseitigen Ausrufung der Unabhängigkeit des Kosovo – dominierten auf Seiten der konservativen Strömungen in ganz Serbien Slogans wie »Kosovo ist Serbien« oder »Kosovo ist das Herz Serbiens«. Neben der »Otpor«-Faust hat sich selbst nach der ›serbischen Oktoberrevolution‹ vom Oktober 2000 kein zweites ›hypericon‹ als ein generalisiertes Symbol eines ›anderen Serbien‹ in der Öffentlichkeit dauerhaft etabliert. Der visuell geführte Krieg gegen die nationalistische Symbolik manifestiert sich in den Straßen auch hier zumeist in der Form der Persiflage oder der negativen Kommentierung vorhandener nationalistischer Nachrichten (siehe Abb. 5). Die in unserer Analyse aufgewiesene hohe Interreferentialität der in den symbolischen Straßenkämpfen zur Schau gestellten Ikonen erklärt die oben in den Tabellen 2 und 3 zum Vorschein getretene Ähnlichkeit der ästhetisch-gesterischen Vorlieben seitens nationalistischer und anti-nationalistischer Graffitisten.
34. Vgl. Vladimir Marković: »Od Ljotića dva putića: ›Novi društveni pokret‹ u Srbiji krajem devedesetih i slika njegove ideologije«, in: Prelom. Časopis škole za istoriju i teoriju umetnosti 1/1 (2001), S. 27-41, hier S. 36ff. und Slobodan Karamanić: »Protests against Milošević in Serbia – 1991-2000«, in: Immanuel Ness (Hg.), The International Encyclopedia of Revolution and Protest: from 1600 to the Present, Oxford: Blackwell, im Erscheinen. 35. Vgl. Andjelka Milić/Ljiljana Čičkarić: Generacija u protestu – Sociološki portret učesnika Studentskog protesta 96/97 na Beogradskom univerzitetu, Belgrad: ISIFF 1998, S. 73. 36. Dragičević-Sekić: The Street as Political Space, S. 83.
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Abbildung 5
Visuelle Kultur und die Stimmung der Straße Unsere bisherige Fokussierung auf politische Graffiti hat den Eindruck einer weltanschaulich gespaltenen Gesellschaft bestätigt. Dass die serbische Gesellschaft auch acht Jahre nach Milošević noch mitten im Prozess der Identitätsfindung begriffen ist, drückt sich in unserem Sample deutlich in der Häufigkeit der Bezugnahme auf nationale Symbole aus. Dominantes Thema der letzten Jahre, sichtbar in den Straßen Serbien, war die Frage nach dem zukünftigen Status des Kosovo. Dass die Kosovo-Frage seit jeher die Gretchenfrage der nationalen Identitätsbildung in Serbien ist, wurde unzählige Male beschrieben und braucht hier nicht weiter ausgelegt zu werden. In der politischen Mythologie der Serben stellt der Ausgang der Schlacht auf dem Amselfeld seit den ersten Versionen des Kosovo-Mythos das traumatische Ereignis schlechthin in der Geschichte der Serben dar. Die angebliche Niederlage in der Schlacht wird hier als Ursache für den Zerfall der nationalen Größe und die Jahrhunderte währende Unterdrückung durch die Osmanen memoriert. Die Rolle, welche der Reaktualisierung dieser insbesondere im 19. Jahrhundert erfolgreich medialisierten »mental map«37 für die Mobilisierung der Kriegsbereitschaft unter den Serben seit Mitte der 1980er zugewiesen werden muss, zählt gleichfalls zur bekannten Vorgeschichte 37. Sundhaussen: Serbiens extremes Zeitalter, S. 32.
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der letzten Kriege auf dem Balkan.38 Nicht ganz zu Unrecht hat man behauptet, dass selbst die kriegerischen Auseinandersetzungen der Serben mit ihren Nachbarvölkern in den 1990ern eigentlich in der seit Beginn der 1980er wieder aufgeflammten ungelösten ›serbischen Frage‹ – gemeint ist das Schicksal der auf dem Gebiet des Kosovo als Minderheit lebenden Serben – wurzelten. Nur vor diesem Hintergrund ist die Virulenz des Themas auf der visuellen Ebene in der Gegenwart nachvollziehbar. Signifi kant scheint dabei zugleich, dass man unter den Graffitiwerken – dem wohl anonymsten Verbreitungsmedium überhaupt – den heiligen Status des Kosovo unangetastet findet und man nach ironischen Kommentierungen, geschweige denn Bekundungen der Akzeptanz eines unabhängigen Kosovo, vergeblich sucht. Gemäß einer genuin kulturwissenschaftlichen Deutung von kollektivem Trauma müsste man kollektive Traumata keineswegs zwingend mit einem vermeintlich auslösenden Ereignis in Zusammenhang bringen, vielmehr wäre es sogar denkbar, dass »events that are deeply traumatizing may not actually have occurred at all.«39 Auch »imaginierte Ereignisse« könnten also traumatogene Auswirkungen zeitigen. 40 Ein ›kulturelles‹ Trauma liegt gemäß dieser (konstruktivistischen) Perspektive dann vor, wenn sich für eine Gesellschaft das Vorherrschen des Eindrucks von der Unwirksamkeit der kulturellen Grundlagen gemeinschaftlicher Solidarität nachweisen lässt. Die Auf klärung der konkreten kulturellen Mechanismen, über die eine solche Wahrnehmungsweise vermittelt wird – Alexander spricht hierbei von »trauma process« 41 –, stellt die Aufgabe der Sozialwissenschaften dar. Dass im serbischen Fall insbesondere die 38. Vgl. Daniel Šuber: »Kollektive Erinnerung und nationale Identität in Serbien. Zu einer kulturalistischen Interpretation des Anfangs vom Ende Jugoslawiens«, in: Bernhard Giesen/Christoph Schneider (Hg.), Tätertrauma. Nationale Erinnerungen im öffentlichen Diskurs. Konstanz: UVK, S. 347-379. 39. Jeffrey C. Alexander: »Toward a Theory of Cultural Trauma«, in: Ders .u.a. (Hg.), Cultural Trauma and Collective Identity, Berkeley: University of California Press 2004, S. 1-30, hier S. 8. 40. Wie Terkessidis herausgestellt hat, gelangte bereits Freud, einer der Begründer des (individualistischen) Traumakonzepts, nach jahrelanger therapeutischer Beschäftigung mit Hysterikern zu der »sicheren Einsicht, dass es im Unbewussten ein Realitätszeichen nicht gibt, so dass man die Wahrheit und die mit Affekt besetzte Fiktion nicht unterscheiden kann«. Mark Terkessidis: »Die Öffnung der Gräber. Fotographische Traumata in einer pathologischen Öffentlichkeit«, in: Tom Holert (Hg.), Imagineering. Visuelle Kultur und Politik der Sichtbarkeit, Köln: Oktagon 2000, S. 110-126, hier S. 113. 41. J. C. Alexander: Theory of Cultural Trauma, S. 11.
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visuellen Medien ausgebeutet wurden, um den Eindruck einer gegebenen Gefährdung durch äußere wie innere Feinde – eine Konstellation, die der Dramaturgie des Vorabends der Schlacht auf dem Amselfeld von 1389 ähnelt – zu nähren, wurde oben bereits angedeutet. Auch wenn die Analyse von Graffiti vielleicht keinen Aufschluss darüber gibt, ob man in möglicherweise auffi ndbaren traumatischen Spuren die Ursache oder Wirkung eines kulturellen Traumas im oben beschriebenen Sinne zu sehen hat, so gibt sie sicherlich plausible Anhaltspunkte für die Einschätzung, im serbischen Kontext von kulturellem Trauma sprechen zu können. 42 Um solche Anhaltspunkte detektieren zu können, werden Kriterien benötigt. Zu diesem Zweck erscheint uns die Aufl istung von typischen »sozialen Stimmungen« als Bestimmungsfaktoren für das Vorliegen eines kollektiven Traumas von Piotr Sztompka anschlussfähig zu sein. 43 Er differenziert zwischen folgenden Aspekten, die selbst-explikativ sind und hier lediglich aufgezählt zu werden brauchen: (1) »a general climate of anxiety, insecurity, and uncertainty«, (2) »syndrome of distrust, both toward people and institutions«, (3) »a disorientation concerning collective identity«, (4) »widespread apathy, passivism, and helplessness«, (5) »pessimism concerning the future.«44
Um die Stimmung der serbischen Straße einfangen zu können, bieten sich in hervorragender Weise solche Grapheme an, die wir als ›philosophisch‹ kategorisiert haben. Sie geben persönliche Kommentare zur zeitgenössischen Situation und bringen individuelle Bewältigungs- und Überlebensstrategien zum Ausdruck. Auffallend an unserem Ergebnis ist die Tatsache, dass hier eine extreme Form eines bitter-ironischen Sarkasmus und Zynismus dominiert. 45 Diese manifestiert sich insbesondere als typische 42. Bei oberfl ächlicher Betrachtung kann es geradezu als zynisch erscheinen, unter den am Balkan-Krieg beteiligten Volksgruppen ausgerechnet den Serben ein kollektives Trauma zuzuschreiben, da auf dem serbischen Territorium – die NATO-Bombardements des Jahres 1999 ausgenommen – keine nennenswerten Kriegszerstörungen zu verzeichnen sind und im allgemeinen das serbische Volk als Täternation angesehen wird. 43. Vgl. Piotr Sztompka: »The Trauma of Social Change: A Case Study of Post-communist Societies«, in: J. C. Alexander u.a., Cultural Trauma, S. 155-195, hier S. 166. 44. Vgl. ebd. 45. Zu einem analogen Befund kam im Übrigen auch unsere Analyse von Kriegsfilmen, die in den 1990ern in Serbien produziert wurden. Siehe Daniel Šuber: »Der Balkan-Krieg im serbischen Kriegsfilm der 1990er Jahre. Kulturwis-
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Form der serbischen Selbstcharakterisierung im eingangs bereits angedeuteten Sinne als »verblödetes Volk«: »Demenz« (»demencija«), »You ignorant human«,46 »Sie sind dumm geboren, leben dumm, arbeiten dumm und werden dumm sterben« (»Rođeni glupi, žive glupi, rade glupi i umreće glupi«), »Wir sind runtergekommen« (»Propado smo«), »God hates us!«, »System fucked up!«, »Niemand mag uns!« (»Niko nas ne voli!«).
In dieser bizarr anmutenden Rhetorik der Selbst-Degradierung kann man eine spezifische Ausprägung eines allgemeineren, von Mattijs van de Port als »obstinate otherness« 47 bezeichneten Serbien-spezifischen Phänomens sehen. Gemeint ist hier eine typische Form der Selbstexotisierung, die sich am häufi gsten in der kommunikativen Strategie widerspiegelt, zu behaupten, dass ein Nicht-Serbe die Serben niemals vollständig verstehen könne. 48 Als eigentümlich und kurios darf in vergleichender Perspektive die in den zitierten Graffiti offenbarte Ausprägung einer negativen Selbstexotisierung eingestuft werden. Hier mit Sztompka von einem »Syndrom des Misstrauens« zu sprechen, scheint beinahe schon untertrieben. Untermauert wird das hier geschilderte Bild auch durch solche (›philosophischen‹) visuellen Statements, welche auf den gegenwärtigen Zustand der serbischen Gesellschaft und Institutionen Bezug nehmen: »Warzone«, »System fucked up«, »Alles ist kaputt, Mann« (»Sve je to sjebano, čoveče«), »Armut« (»Beda«), »Alptraum«, »Wonderland.«49
senschaftliche Anmerkungen zu einem Genre«, in: Davor Beganović/Peter Braun (Hg.), Krieg sichten. Zur medialen Darstellung der Kriege in Jugoslawien, München: Fink 2007, S. 203-228, hier S. 221f. 46. Antonijević/Hristić: Belgrade Graffiti, S. 287. 47. Mattijs van de Port: »›It takes a Serb to know a Serb‹. Uncovering the roots of obstinate otherness in Serbia«, in: Critique of Anthropology 19/1 (1999), S. 7-30, hier S. 7. 48. Siehe etwa die serbische Redewendung: »Um einen Serben kennen zu lernen, muss man 300 kg Salz mit ihm verspeisen«, die sich bei Seierstad: With Their Backs to the World. Portraits from Serbia, S. 27, und Birgit Bock-Luna: The Past in Exile. Serbian Long-Distance Nationalism and Identity in the Wake of the Third Balkan War, Berlin: LIT 2007, S. 51, belegt findet. 49. Filmtitel aus den 1990er Jahren lauten »Verwundetes Land« (»Ranjena zemlja«), »Staat der Toten« (»Država mrtvih«) oder auch »Pulverfass« (»Bure baruta«).
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In diesen Auszeichnungen wird deutlich ein distanziert-negativistisches Gesellschaftsverständnis unterbreitet. Und auch die in den Straßen bekundeten Bewältigungsstrategien lassen ein apathisch-pessimistisches Zukunftsbewusstsein überdeutlich erkennen: »Haß gewinnt« (»Mržnja vins«), »Ich trinke, rauche, und dröhne mich zu« (»Pijem, pušim, drogiram se«), »Lebe schnell, sterbe jung, sei schön« (»živi brzo, umri mlad, budi lep«), »No dope, no hope«, »Nur der Tod ist ein sichere Arbeit« (»Samo je smrt siguran posao«), »No future«, »Halts‹ Maul, schlucke und arbeite« (»Ćuti, trpi, radi »), »Legalisiert Marihuana« (»Legalizujte Marihuanu«).
Der aktuell in den serbischen Straßen noch immer weit verbreitete Negativismus, der sich in diesen und ähnlichen Slogans bekundet, lässt unserer Meinung nach die Einschätzung von Antonijević/Hristić, welcher zufolge die Entwicklung in Serbien nach 2000 zu einer »Erleichterung der Spannungen und zu einer größeren Verbreitung urbaner, kollektiver und individueller Gehalte und Sehnsüchte«50 geführt habe, in zweifelhaftem Licht erscheinen. Nicht nur scheint sich in der aktuellen Gegenwart jenseits der visuell-politischen Auseinandersetzungen an den Wänden noch immer kein positiv ausgerichteter Gemeinschaftsdiskurs etabliert zu haben, sondern vielmehr bestätigen unsere Befunde das Vorliegen der von Sztompka vorgeschlagenen Erkennungskriterien einer kulturellen Traumatisierung. Umfragedaten einer UNDP-Studie aus dem Jahre 2005 über die politischen Einstellungen der Serben bestätigen den Eindruck, dass unter derjenigen Generationseinheit, die in den 1990er Jahren sozialisiert wurde, das Vorhandensein von ethnischem Zentrismus unter allen Bevölkerungsgruppen am höchsten war.51 Eine andere Befragung der serbischen Studentengewerkschaft an 1027 Studierenden der Universitäten in Belgrad, Niš, Kragujevac und Novi Sad aus dem Jahre 2004 dokumentierte ebenfalls sehr deutlich ein hohes Ausmaß an Xenophobie unter den Befragten.52 Insgesamt lässt die Bilderproduktion der Amateurkünstler in den vergangenen Jahren die soziologischen Stimmungsbarometer eher auf ›Sturm‹ denn auf ›Entspannung‹ eingestellt erscheinen. Die Ausführungen zur gegenwärtigen Ikonographie des serbischen Alltags können als Beitrag zur Erforschung der Reproduktion des »banalen 50. Antonijević/Hristić: Belgrade Graffiti, S. 289. 51. Vgl. Helsinki Committee for Human Rights in Serbia: Human Security in an Unfinished State. Serbia 2005, Belgrad: Zagorac 2006, S. 332. 52. Vgl. Helsinki Committee for Human Rights in Serbia: Human Rights and Collective Identity. Serbia 2004, Belgrad: Zagorac 2005, S. 585.
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Daniel Šuber
Nationalismus«53 in Serbien angesehen werden. Wir gingen dabei von der Hypothese aus, dass insbesondere in einer Erinnerungskultur, die von dem Glauben geprägt ist, wonach »narrative is the most suitable form for discourse on important national topics«,54 die Fokussierung auf visuelle Kommunikation höheren Aufschluss über die ›eigentümliche Logik der Verknüpfung von Politik und Kultur‹ (Müller) verspricht, als der gewöhnliche sozialwissenschaftliche Zugang über textuelle Daten. Im Rahmen des Projektzusammenhangs erhoffen wir uns über die Durchführung von Fokusgruppen mit Mitgliedern unterschiedlicher Altergruppen, in denen diverse visuelle Produkte diskutiert werden sollen, nähere Aufschlüsse über die Prozesse der Veralltäglichung kultureller Symbole in Serbien. Allein über den notwendigen Umweg einer solchen Absicherung können letztlich die eingangs geschilderten Verkürzungen – ›Container‹-Modell, ›Verführungs‹-These – überwunden werden.
53. Michael Billig: Banal Nationalism, London: Sage 1995. 54. Ivan Čolović: The Politics of Symbols in Serbia: Essays in Political Anthropology, London: Hurst & Company 2002, S. 5.
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III. Reflexionen zu Er innerungen an Kr ieg, Flucht und Ver treibung in Polen, Tschechien und Deutschland nach 1989
Er innerung an Flucht und Ver treibung zwischen Tabuisierung und Instrumentalisierung Tschechische und deutsche Geschichtspolitik und Er innerungskultur im Vergleich Matěj Spurný
Im heutigen deutschen und tschechischen Erinnerungsdiskurs gehören Flucht und Vertreibung zu den zentralen Themen. Die Erzählungen von Zeitzeugen spielen eine wichtige Rolle in den Erinnerungsdebatten. Häufig werden Betroffene der Erlebnisgeneration aufgefordert, zu erzählen, wie es wirklich gewesen ist. Doch weder die Historiker noch die Zeitzeugen sind in der Lage, zu sagen, wie es wirklich gewesen ist: Erinnerungen rekonstruieren jeweils nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit und sind beeinflusst durch Emotionen, die mit dem geschilderten Ereignis verbunden sind und einem gewünschten Selbstbild entsprechen. Die Erinnerung eines Zeitzeugen ändert sich zudem im Verlauf der Zeit oft maßgeblich. Unser Gedächtnis ist lückenhaft und selektiv, vor allem aber wird es von verschiedenen politischen, sozialen und kulturellen Kontexten mitbestimmt, die unser Denken beeinflussen. Um die persönlichen Erinnerungen kritisch zu reflektieren, sind sowohl der politische Hintergrund dieser Debatten in beiden Ländern als auch die geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der Vergangenheit einzubeziehen, gerade weil Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945 zu den in der Öffentlichkeit viel beachteten Themen gehören. 1 1. Zu den öffentlichen Debatten gehören hier auch die Diskussionen in verschiedenen Semi-Öffentlichkeiten, zum Beispiel in Kreisen des tschechischen
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Matĕj Spurný
Geschichtspolitik und Konstruktion der nationalen Meistererzählungen »Es war am 21. Mai 1938, am Tag unserer ersten und ruhmvollen Mobilisierung […] Ich habe damals in meiner Rede zu einer gemäßigten und versöhnlichen Haltung, zur gegenseitigen Verständigung aufgerufen. Ich habe betont, dass Politik in der Demokratie kein Diktat der einen über die anderen ist, und ich sagte, dass sich die Deutschen nicht beirren lassen sollen, dass irgendetwas unser demokratisches System zerspalten würde. Gleichzeitig habe ich den Deutschen großartige nationale Konzessionen und ihre Gleichberechtigung in unserem Staat angeboten. Die ganze Welt weiß heute, wie unsere Deutschen antworteten: mit Verrat, mit Gewalt, mit Konzentrationslagern für unsere tschechischen Bürger, mit dem Versuch, unsere Demokratie zu zerstören und das totalitäre nazistische Regime zu etablieren. Kann sich also noch jemand auf der ganzen großen Welt wundern, dass wir diese, unsere Deutschen für immer loswerden wollen? […] Entscheiden wir uns doch dafür, dass wir die Republik entgermanisieren müssen, überall und in allem. Denken wir darüber nach, wie wir es machen. Es wird sich um die Entgermanisierung von Namen, Kreisen, Städten und Bräuchen handeln – es geht um alles, was man überhaupt entgermanisieren kann.« 2 Edvard Beneš
Die Erinnerungspolitik zu Flucht und Vertreibung setzte ein noch bevor die Vertreibung abgeschlossen war. Alle Akteure, sowohl die Betroffenen als auch die Verantwortlichen der Vertreiberstaaten, suchten durch ihre eigene Interpretation das kollektive Gedächtnis zu prägen. Das historische Narrativ von »Schuld und Strafe« auf der einen Seite und von »verführten Opfern der Weltgeschichte« auf der anderen Seite spielte eine wichtige Rolle – und dies gilt nicht nur für den tschechischen Staatspräsident Edvard Beneš. Schon kurze Zeit nach Beneš Rede verhinderte der Eiserne Vorhang den Austausch von Erinnerungen und Sichtweisen zwischen Ost und West über Jahrzehnte.
antikommunistischen Widerstandes. Diese waren sowohl in der Zeit der offiziellen Tabuisierung des Themas vor 1989 als auch für die Strukturierung der Debatten in den 1990er Jahren wichtig. Siehe dazu auch das Interview »Die abgeschobene Geschichte« mit Petr Příhoda von Doris Liebermann in diesem Band. 2. Rede in Tábor, 16. Juni 1945, in: Edvard Beneš, Odsun Němců z Československa [Der Abschub der Deutschen aus der Tschechoslowakei], Praha: Dita 1996, S. 146-148 (Übersetzung M.S.).
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Die Tschechoslowakei : Zw ischen nationaler Meistererzählung, Tabuisierung und Vermittlung In der Tschechoslowakei etablierte sich rasch, noch parallel zum Vertreibungsgeschehen, die Meistererzählung von der gerechten ersten tschechoslowakischen Republik, deren großzügige Angebote die Deutschen abgelehnt hatten, um sie am Ende zu verraten. Die Vertreibung von etwa drei Millionen Sudetendeutschen (in der Tschechoslowakei als odsun, Abschub, bezeichnet) erschien so als eine logische Folge der früheren Ereignisse. Die Flucht der etwa 250.000 Tschechen aus den Grenzgebieten im Jahre 1938 wurde in Einklang mit dieser Interpretation ebenfalls odsun genannt, um die Unterschiede zwischen beiden Ereignissen zu verwischen. Der zweite odsun war aus dieser Perspektive nur die logische Folge des ersten. Während der erste Abschub als ein Ausdruck der deutschen Bestialität interpretiert wurde, galt der Abschub der Deutschen wiederum als ein Akt der historischen Gerechtigkeit. Dabei gilt es zum einen zu beachten, dass sich diese tschechische Lesart auf das Argument der internationalen Anerkennung der Zwangsaussiedlung der Deutschen berief – obwohl doch die Abtrennung der Sudetengebiete im Jahre 1938 ebenfalls international vereinbart und damit gebilligt worden war. Zum anderen sind sowohl das Pochen auf die historische Gerechtigkeit als auch die Behauptung, dass die Vertreibung keinen Widerspruch zur tschechischen humanistischen Tradition darstellte, zu relativieren. Obwohl im Jahr 1947 einige derer, die brutal gegen die Deutschen vorgegangen waren, namentlich ermittelt wurden und dabei deutlich wurde, dass zumeist staatliche Armee- oder Polizeieinheiten die Ausschreitungen gegen Sudetendeutsche zu verantworten hatten, gingen diese als minder schwere Taten einiger »kriminellen Elemente« in das kollektive Gedächtnis ein. Nach der Machtübernahme durch die KPTsch (Kommunistische Partei der Tschechoslowakei) ließen sich bestimmte Elemente der historischen Narrative nicht aufrechterhalten: Die erste tschechoslowakische Republik wurde angesichts ihres ›bürgerlichen Nationalismus‹ nun negativ konnotiert, und das Bild von der gerechten und großzügigen Haltung den Deutschen gegenüber ließ sich damit nicht mehr verbinden. Zugleich war die Partei darum bemüht, die etwa 200.000 verbliebenen Deutschen in die neue sozialistische Gesellschaft zu integrieren und gute Beziehungen mit der DDR zu pflegen. Aus diesen Gründen schwächte sich nach 1948 die antideutsche Nachkriegsrhetorik ab. Die Interpretation der von der KPTsch von Anfang an massiv unterstützten Vertreibung konnte allerdings nicht wesentlich umgedeutet werden, ohne dass sich die Partei in dieser Angelegenheit völlig unglaubwürdig gemacht hätte. Die Zwangsaussiedlung 167
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der Deutschen wurde weiterhin als eine historische Notwendigkeit interpretiert, und dies geschah nun eher mit Rücksicht auf die zukünftige Entwicklung. Die nationale Revolution wurde in dieser Interpretation zur notwendigen Vorstufe der bedeutenderen sozialen Revolution erklärt. Die KPTsch bewegte sich in einem Dilemma zwischen dem Nationalismus der Nachkriegszeit und der eigenen internationalistischen Ideologie. Dieser Balanceakt und das Bewusstsein der eigenen Verstrickung in das Vertreibungsgeschehen führten seit den frühen 1950er Jahren zum Bemühen, die Vertreibung aus dem kollektiven Gedächtnis zu verdrängen. Das staatlich geförderte Vergessen erreichte seinen Höhepunkt in den 1970er und 1980er Jahren, als eine Generation heranwuchs und sozialisiert wurde, die kein selbst erlebtes Wissen über die Geschehnisse in der Nachkriegszeit mehr hatte, aber oft auch von der Rolle der Deutschen in der Geschichte böhmischer Länder allgemein nichts wusste. Das Thema verschwand damit sowohl aus den Schulbüchern als auch aus der Öffentlichkeit. Dennoch gelang es nicht, die Deutschen und die Vertreibung ganz aus dem Geschichtsbewusstsein zu verdrängen, denn es gab Menschen, die sich erinnerten und Historiker, die nicht schweigen wollten. Es blieben auch Spuren in der Landschaft der Regionen zurück, die stark von der Zwangsaussiedlung der deutschen Bevölkerung gekennzeichnet waren. Zwar konnte nach 1968 über die Vertreibung nur im Samizdat3 oder in den Exilzeitschriften diskutiert werden, aber diese vom Regime unerwünschten Veröffentlichungen mündeten trotzdem in einen kritischen Vertreibungsdiskurs, der in den Debatten nach der Wende eine wichtige Rolle spielen sollte. Nach 1989 zog die sudetendeutsche Frage in der Tschechoslowakei von neuem die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Dies erklärt sich teils mit der langen Tabuisierung des Themas im öffentlichen Raum, teils mit seiner internationalen politischen Brisanz. Von Anfang an polarisierte sich die Debatte: Die ehemaligen Dissidenten, mit Václav Havel an der Spitze, präsentierten der überraschten Öffentlichkeit die sudetendeutsche Vertreibung als ungelöstes moralisches Problem. Nachdem allerdings die Sudetendeutsche Landsmannschaft ins Spiel kam, verteidigte die tschechische Politik radikal die »nationalen Interessen«, was im Jahr 2002 in die Verabschiedung des »Lex Beneš« 4 mündete. Dabei ist zu bedenken, dass die 3. Samizdat bezeichnete in der UdSSR und später auch in anderen so genannten realsozialistischen Staaten die Verbreitung von alternativer, nicht systemkonformer Literatur über nicht offizielle Kanäle, zum Beispiel durch Handschrift, Abtippen oder Fotokopie und das Weitergeben der so produzierten Exemplare. 4. Mit der Formel »Edvard Beneš hat sich um den Staat verdient gemacht«, die als Gesetz einstimmig von allen Abgeordneten verabschiedet wurde, versetz-
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meisten der damals einflussreichen tschechischen Politiker zu der unwissenden Generation gehörten, die in den 1970er Jahren sozialisiert und erst spät mit dem Thema konfrontiert worden war. Im Kontext der sich verändernden Erinnerungskultur ist auch das Verhalten der tschechischen Historiker von besonderem Interesse. Die meisten tschechischen Historiker reagierten irritiert auf die Pluralisierung der Erinnerungskultur und die publizistischen Geschichtsdebatten der 1990er Jahre, denn sie waren im Verständnis der vom Marxismus-Leninismus diktierten Eindeutigkeit des historischen Geschehens sozialisiert worden. Diese Historiker wurden nun gewissermaßen zu Verteidigern des nationalen Geschichtsbildes. Die Zwangsaussiedlung der Deutschen bildete für sie einen zentralen Referenzrahmen in der Deutung der nationalen Meistererzählung. Wie Pavel Kolář in seinem Artikel über die Vertreibung im tschechischen fachhistorischen Diskurs nach 1989 bemerkt, wurde entweder auf Interpretationen der unmittelbaren Nachkriegszeit zurückgegriffen oder »es wurde an jene vor der Wende geltenden, massiv nationalisierte Metanarrative des historischen Materialismus angeknüpft.«5 Die Texte dieser Historiker blieben so »dem traditionellen Geschichtsbild der Nationalbewegung weiterhin verhaftet, weil sie eine kollektive Identität im Sinne der ethnisch-nationalen Gemeinschaft konstruieren und deren Homogenität in die Vergangenheit projizieren, weil sie auf einem polaren Weltbild basieren und gewisse historische Perioden, Ereignisse und Gestalten stark wertnormativ beurteilen.«6 Kritischen Publizisten, ehemaligen Dissidenten und einigen Vertretern der jüngsten Generation gegenüber beriefen sich die marxistisch-leninistisch orientierten Historiker auf die Notwendigkeit einer breiteren Kontextualisierung des Nachkriegsgeschehens. Bei ihrer Argumentation handelte es sich allerdings nicht um Kontextualisierung, sondern um Beharrung auf einer verkrusteten, alles erklärenden Monokausalität (vom deutschen Nationalismus des 19. Jahrhunderts zur ersten tschechoslowakischen Republik, zu Krieg und Vertreibung/odsun der Tschechen, schließlich zur Vertreibung/odsun der Deutschen). Die Verbreitung einer solchen Lesart der Geschichte, gekennzeichnet durch eine eigenwillige Kombination aus Objektivitätsglaube und Verfechtung der nationalen Narrative, gipfelte in der vom Kultusministerium heraus-
te sich die Abgeordnetenkammer des tschechischen Parlaments in die Position des höchsten Richters der Geschichte. 5. Pavel Kolář: »Vertreibung zwischen nationaler Meistererzählung und Deutungspluralität«, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 10 (2005), S. 925940, hier 929f. 6. Vgl ebd.
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gegebenen Broschüre Geschichte verstehen,7 die Beiträge von Vertretern der tschechischen Historikerzunft enthält. In diesen Abhandlungen, die gewissermaßen eine Gesamterklärung der tschechischen Geschichte beanspruchten, postulierten die führenden tschechischen Historiker der Neuzeit sowie tschechische Rechtshistoriker die These der Vertreibung als unausweichliche Entwicklung der Geschichte. Im Vergangenheitsdiskurs in Tschechien entwickelten sich allerdings auch alternative Interpretationen, die sich nicht nur auf die bereits genannten Exdissidenten oder kritischen Publizisten beschränken. Kritische Perspektiven sind auch unter Politikern oder Historikern zu fi nden, vor allem auch unter Vertretern der jüngeren Generation. Unter jungen Historikern hat sich schon seit den 1990er Jahren eine kleinere Gruppe gebildet, die ihre historiographische Aufgabe vor allem in der Dokumentation des Vertreibungsgeschehens sieht. 8 Obwohl ihre Vorgehensweise in einigen Fällen eher der Ermittlung von Kriminalfällen gleicht und kaum theoriegeleitet ist, brachte diese wertvolle Hinweise hervor, die weiterführende Debatten auslösten und verdrängte Erinnerungen hervorriefen. Die Kontextualisierung der diskursiven Zusammenhänge (Feinddiskurs, ethische Reinheit, Kriegsmetaphorik usw.) und die analytische Einbeziehung der Vertreibung in die Entstehungsgeschichte der sozialistischen Diktatur in der Tschechoslowakei bleibt allerdings eine Aufgabe für die kommende tschechische Historikergeneration.
Die DDR : Verschmelzungsprozesse fördern Die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in die Gesellschaft der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und später der DDR begann zu einer Zeit, in der sich die Alleinherrschaft der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) politisch durchsetzte. Die Integrationspolitik für die so genannten Umsiedler wurde von der SED im Einvernehmen mit der sowjetischen Besatzungsmacht formuliert. Das Integrationsverständnis von SED und Besatzungsmacht gestand den Neuankömmlingen in der SBZ 7. Zdeněk Beneš (et al.): Rozumět dějinám: vývoj česko-německých vztahů na našem území 1848-1948 [Geschichte verstehen: die Entwicklung der deutschtschechischen Beziehungen in unserem Territorium 1848-1948], Praha: Gallery 2002. 8. Der Vorreiter dieser Richtung, Tomáš Staněk, gehört zwar nicht zu denen, die die Position der tschechischen Geschichtsforschung über Flucht und Vertreibung zu formulieren versuchen, ist dafür jedoch der Produktivste der Autoren, die die Vertreibung der Sudetendeutschen beschreiben und analysieren.
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keine eigene Identität zu, sondern verlangte ihnen die Assimilation in eine als homogen verstandene Gesellschaft ab, die sich aus Einheimischen, Flüchtlingen und Vertriebenen zusammensetzen sollte. Die zugewanderten Deutschen sollten sich in die bereits bestehende deutsche Gesellschaft eingliedern. Dass von den Vertriebenen Anpassung, also Assimilation, erwartet wurde, spiegelt sich in den Formulierungen einiger offizieller Dokumente der SED wider, beispielsweise im Beschluss zur »Weiterführung des Assimilationsprozesses der Umsiedler« vom 08. November 1948. Dieser Beschluss, wie auch viele andere Beschlüsse, warnt davor, dass das Fortbestehen der Umsiedlerbehörden »den Verschmelzungsprozeß durch die Herausstellung besonderer Umsiedlerinteressen […] behindern« würde.9 Die Unterdrückung der kulturellen Identität sowie die politische und ideologische »Umerziehung«10 der Vertriebenen erklärt sich aus der geplanten Umgestaltung der gesamten Nachkriegsgesellschaft. Die SEDMachthaber hielten den »Umerziehungsprozess« der Vertriebenen für besonders bedeutungsvoll, da befürchtet wurde, dass diese aufgrund des Heimatverlustes die damalige Nachkriegssituation nur schwer als berechtigte Folge des Krieges akzeptieren würden. 11 Bereits im Oktober 1948 erklärte die SED die Integration der Umsiedler und Flüchtlinge in der SBZ offiziell für beendet. Das offizielle Ende dieses Kapitels der Geschichte der SBZ sollte unter anderem durch die Aktionswoche Neue Heimat – Neues Leben öffentlich gefeiert werden. Den Redeentwürfen zufolge sollten im Rahmen dieser Aktionswoche vor allem die folgenden Themenbereiche behandelt werden: Nationalsozialismus als Ursache der Aussiedlung, Leistungen der SBZ bei der Ansiedlung der Neubürger, Bodenreform als Sicherung einer festen Grundlage für die Umsiedler oder die schwierige Lage der Umsiedler in den Westzonen.12 Überwiegend aus außenpolitischen Gründen sollte nicht nur verhin9. Zitiert in: Manfred Wille (Hg.), Die Vertriebenen in der SBZ/DDR – Dokumente, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2004, S. 3f. 10. Irina Schwab: Flüchtlinge und Vertriebene in Sachsen 1945-1952. Die Rolle der Kreis- und Stadtverwaltungen bei Aufnahme und Integration, Frankfurt a.M.: Peter Lang Verlag 2001, S. 207. 11. Mehr zu dem Integrationskonzept der SED in: Notker Schrammek, Alltag und Selbstbild von Flüchtlingen und Vertriebenen in Sachsen 1945-1952, Frankfurt a.M.: Peter Lang Verlag 2004, S. 179-201. Wichtige Quelle dazu: Paul Merker: Die nächsten Schritte zur Lösung des Umsiedlerproblems, Berlin: SED Zentralsekretariat 1947. 12. Der Wortlaut des stichwortartigen Manuskriptvorschlags für Redner im Rahmen der Aktionswoche ist abgedruckt in: Andreas Thüsing/Wolfgang Tischner/Notker Schrammek, »Umsiedler« in Sachsen – Aufnahme und Integration von
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dert werden, dass die Vertriebenen ihre Interessen politisch artikulierten, sondern es sollte auch keine kollektive, von einem Opferdiskurs geprägte nationale Geschichtsnarration entstehen. Die DDR musste daher ihre Geschichtspolitik in Übereinstimmung mit den Interpretationen der sozialistischen Bruderländer formulieren. Nicht akzeptabel waren Schuldzuweisungen an die Tschechoslowakei, Polen oder sogar an die Rote Armee. Die Erinnerung bzw. die tabuisierte Erinnerung an die Vertreibung ließ sich zudem politisch für das Selbstbild des antifaschistischen deutschen Staates und somit als bewusste Gegenposition zur »revanchistischen« Bundesrepublik instrumentalisieren. Viele Vertriebene konnten die Verdrängung ihrer Geschichte aus dem öffentlichen Diskurs nur schwer akzeptieren. Folgende Worte aus dem anonymen Manifest eines Vertriebenen sprachen in der frühen DDR wohl vielen »Umsiedlern« aus der Seele: »Wenn nun jetzt […] ein Häufchen einfallsreicher Köpfchen glaubt, die müden Heimatlosen mit in ihren Strudel zu ziehen, um somit Verzicht auf ihre Heimat zu erreichen, und altes deutsches Gebiet verkaufen zu wollen, so werden sie erkennen müssen, dass dieselben Menschen, die nun jahrelang still und geduldig ein hartes Los tragen, ihr Einziges, was ihnen noch Freude und Hoffnung gibt, niemals aufgeben werden […] Die Heimat gibt ein ehrlicher, anständiger Mensch niemals auf!«13 Während der 1950er Jahre verlor das Problem der »Umsiedler« zunehmend an politischer Brisanz – zum einen, weil sich viele »Umsiedler« tatsächlich relativ erfolgreich in die Gesellschaft der DDR integriert hatten, zum anderen weil sich ihre Zahl durch massenhafte Flucht in die Bundesrepublik deutlich verkleinerte. Obwohl die Problematik der Vertriebenen in der DDR offiziell nicht existierte und zumindest die materiellen Unterschiede zwischen den Einheimischen und den »Neubürgern« relativ beseitigt wurden, verschwand das Thema auch hier gesellschaftspolitisch nicht völlig von der öffentlichen Bildfläche. Die Unterscheidung zwischen »wir« und »die anderen« ist dennoch oft lange erhalten geblieben, obwohl viele Erfahrungen und Konflikte in der Öffentlichkeit unterdrückt wurden. Erst nach 1989 konnten die Erlebnisgeneration und ihre Kinder ihre traumatischen Erfahrungen, schwierigen Erinnerungen und ihre Beziehung zur alten Heimat auch öffentlich thematisieren.
Flüchtlingen und Vertriebenen 1945-1952. Eine Quellensammlung, Berlin/Leipzig: Edition Kirchhof & Franke 2005, S. 268-271. 13. Vgl. Andreas Thüsing/Wolfgang Tischner/Notker Schrammek: »Umsiedler« in Sachsen, S. 396ff.
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Westdeutschland : Europäisierung des Opferdiskurses? Die Integration von Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen war auch in Westdeutschland unausweichlich. In einer demokratischen Gesellschaft ließ sich diese allerdings nicht durch die völlige Relativierung einer eigenen Identität realisieren. Die konservative Politik begriff recht schnell, dass die große Zahl der Vertriebenen ein wichtiges Wählerpotential darstellte. Ihre Sonderstellung wurde daher politisch unterstützt und ihre schmerzhaften Verluste von Heimat und Eigentum wurden nicht nur öffentlich anerkannt, sondern häufig sogar besonders hervorgehoben. Politisch fand diese Entwicklung ihren konkreten Ausdruck im Lastenausgleichgesetz, das 1952 beschlossen wurde und Ausgleichzahlungen vorsah. Dadurch bestätigte sich die herausgestellte Position der Flüchtlinge und Vertriebenen in der westdeutschen Gesellschaft der Ära Adenauer. Die besondere Aufmerksamkeit, die die Opfer der Vertreibung erfuhren, war nicht nur primär durch das Interesse an ihren Wählerstimmen bestimmt. Das Leiden der eigenen, deutschen, Kriegsopfer spielte vor allem in den 1950er Jahren eine wichtige Rolle als »funktionales Äquivalent zu der massiven Konfrontation mit dem Schrecken der NS-Verfolgung.« 14 Constantin Goschler zeigt in seinem Artikel über Versöhnung und Viktimisierung wie in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit des ersten Nachkriegsjahrzehnts zwischen Opfern des Nationalsozialismus und deutschen Opfern des Krieges bzw. der Nachkriegszeit kaum unterschieden wurde. Durch die Viktimisierung großer Teile der deutschen Gesellschaft wurde vielmehr lediglich eine kleine Gruppe der Parteielite um Hitler und Himmler für die Verbrechen des Nazi-Regimes verantwortlich gemacht. Ein solcher Umgang mit der Vergangenheit bedeutete allerdings keinesfalls, dass die individuellen Erinnerungen der Vertriebenen automatisch anerkannt und die Vertriebenen aktiv integriert worden wären. Erfahrungen des Leidens und Verlustes, die die Vertriebenen artikulierten, wurden Teil der deutschen Meisterzählung der Nachkriegszeit, und dennoch fehlte es in vielen Begegnungen an Empathie gegenüber den Leidtragenden der Vertreibung. In den 1970er Jahren änderte sich der Vergangenheitsdiskurs. Das nationalsozialistische Terrorregime und vor allem der Holocaust wurden als einzigartiges und unvergleichbares Geschehen anerkannt. Die Vertriebe14. Constantin Goschler: »›Versöhnung‹ und ›Viktimisierung‹: Die Vertriebenen und der deutsche Opferdiskurs«, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 10 (2005), S. 873-884, hier S. 875.
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nen wurden dadurch zu zweitrangigen oder sogar unerwünschten Opfern erklärt. Aus dieser Zeit rührt das subjektive Gefühl vieler Vertriebener her, dass ihr Schicksal auch in Westdeutschland bis in die 1990er Jahre hinein tabuisiert wurde. In diesen Jahren gerieten die Vertriebenenverbände politisch ins Abseits. Während sich die in der Bundesrepublik verbreitete Selbstviktimisierung inzwischen delegitimiert hatte, wurde der Opferdiskurs in den Vertriebenenkreisen konserviert – gleich einem abgeschotteten Glashaus, in dem sich unreflektierte Stereotype ungestört von äußeren Einflüssen vermehren konnten. Seit den 1980er Jahren etablierte sich das Thema der Vertreibung erneut im öffentlichen Diskurs, verstärkt noch durch die Vereinigung Deutschlands. Die Wiederbelebung der Debatten zur Vertreibung bedeutet allerdings keine Rückbesinnung auf die 1950er Jahre. Sie findet in einer pluralistischen Gesellschaft statt, in welcher der Einfluss der Vertriebenenverbände deutlich geringer ist als in der Nachkriegszeit. Obwohl laut Umfragen immer noch fast die Hälfte der bundesdeutschen Öffentlichkeit das Thema Zwangsaussiedlung der Deutschen für wichtig hält und sich in irgendeiner Weise damit beschäftigt, verbindet nur eine kleine Minderheit das Thema mit den Vertriebenenverbänden, die zumeist sehr kritisch eingeschätzt werden.15 Nach der Vereinigung Deutschlands und dem Fall des Eisernen Vorhangs erfuhr die bislang eher innerdeutsche Thematik eine deutliche Europäisierung, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen: Einerseits ging es um die Umwandlung der sudetendeutschen Meistererzählung in die Sprache politischer Forderungen, die von den bayrischen CSU-Landesregierungen nachdrücklich und von den CDU-Bundesregierungen halbherzig unterstützt wurden. In diesem Kontext verband sich die Erinnerung mit dem verlorenen Eigentum oder zumindest mit der Heimatrhetorik. Gleichzeitig aber erfolgte eine räumliche wie auch zeitliche Neukontextualisierung der historischen Forschung zu Flucht und Vertreibung. Diese Forschung, die in den 1950er Jahren unter dem Einfluss von Kreisen der Vertriebenen in erster Linie das Ausmaß der Tragödie dokumentierte und in den 1970er und 1980er Jahren weniger intensiv betrieben wurde, hat sich inzwischen emanzipiert. Dies gibt Hoffnung auf einen multiperspektivischen Umgang mit diesem Teil deutscher Geschichte, der sowohl das Vergessen und Verdrängen als auch den unkritischem Opferdiskurs vermeidet.
15. Mehr dazu: Thomas Petersen: Útěk a nucené vysídlení z pohledu německého, polského a českého obyvatelstva [Flucht und Zwangsaussiedlung aus der Sicht der deutschen, polnischen und tschechischen Bevölkerung], Bonn: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 2005.
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Kollektives Gedächtnis und indiv iduelle Er innerung »Es war schrecklich. Jetzt darf man schon sprechen, ich werde es also sagen. Aber wissen Sie, ich habe immer noch ein bisschen Angst, auch wenn ich weiß, dass mir nichts passieren kann. Es war im Jahre 1945. Plötzlich gab es überall Bekanntmachungen, dass alle deutschen Männer zwischen 15 und 60 oder 70 Jahren sich morgen früh um neun an dem Platz vor der evangelischen Kirche versammeln müssen, dort wo sich heute die städtischen Bäder befinden. Die Bekanntmachung habe ich noch irgendwo. Wir waren davon nicht betroffen; wir hatten zwar noch nicht die tschechische Staatsbürgerschaft, aber als Antifaschisten hatten wir an der Tür eine Bestätigung, in der es hieß, dass uns keiner was Schlimmes tun darf. Aber mein Onkel arbeitete damals bei der Bahn, und obwohl er nicht aus Komotau kam, haben sie ihn auch geschnappt. Ja, und dann spielte sich auf dem Platz ein Massaker ab. Viele Leute haben dort ihr Leben gelassen. Die Männer mussten ihre Hemden ausziehen und zeigen, ob sie tätowiert waren, ob sie also bei der SS waren. Die, die so was hatten, wurden gleich auf der Stelle umgebracht, das ist klar. Das ist halt der Krieg! Das kann man noch verstehen! Aber ich habe von denen, die diesen Vormittag überlebt haben, Schlimmes gehört. Wenn sie diese Leute nur umbringen würden, könnte man es begreifen, aber sie haben sie unmenschlich gequält. Sie haben zum Beispiel Zeitungen angezündet und sie diesen Menschen zwischen die Beine gehalten. Können Sie sich das vorstellen? Und sie haben sie getreten, bis sie tot waren. Das muss schrecklich gewesen sein. Es ist weg, es ist weg… Und dann wurden sie nach oben zur Grenze getrieben. Wer nicht mehr konnte, wurde erschossen. Es war ein etwa drei Kilometer langer Zug von Menschen. Oben, bei dem Ort Deutsch Neudorf, haben sie dann drei Tage und drei Nächte gelagert, weil die Sowjets sie nicht annehmen wollten. Die Deutschen lagen völlig erschöpft in der Hitze auf der Straße. Nicht mal die Hälfte hat überlebt. Und dann mussten sie zurück. Sie freuten sich, dass sie wieder nach Hause kommen. Aber da haben sie sich geirrt. Inzwischen hatte man für sie ein Konzentrationslager gebaut.« Hedvika Hurníková16
Im ersten Teil des Aufsatzes wurden die wichtigsten geschichtspolitischen Entwicklungen geschildert, die zum Wandel des kollektiven Gedächtnisses 16. Hedvika Hurníková konnte als Tochter eines deutschen Sozialdemokraten nach 1945 in der Tschechoslowakei bleiben. Sie lebt in Chomutov. Interviewführung und Übersetzung: Matěj Spurný. Das ganze Gespräch wurde in Tschechisch abgedruckt in: Matěj Spurný (Hg.), Sudetské osudy, Nakladatelství Český les pro o.s. Antikomplex, Domažlice 2006.
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im Hinblick auf das Thema Flucht und Vertreibung in den jeweiligen Gesellschaften führten. Die individuelle Erinnerung ist weder ein Gegenpol noch eine einfache Widerspiegelung dieser Meistererzählungen. Vielmehr werden beide Erinnerungsebenen in den Erzählungen zumeist sehr eng miteinander verflochten, so dass sich im Gespräch mit einem Zeitzeugen das individuelle vom kollektiven Gedächtnis kaum trennen lässt. Einige Hinweise können für den Historiker oder den interessierten Zuhörer hilfreich sein, um den Einfluss des kollektiven Gedächtnisses auf die jeweilige individuelle Erzählung einzuschätzen. So beispielsweise im zitierten Abschnitt aus dem Gespräch mit der in Tschechien verbliebenen Deutschen Hedvika Hurníková: »Jetzt darf man schon sprechen, ich werde es also sagen. Aber wissen Sie, ich habe immer noch ein bisschen Angst, auch wenn ich weiß, dass mir nichts passieren kann.« Betroffene Zeitzeugen benennen oder reflektieren oft ihre eigene Angst – falls sie nicht mehr oder in einem geringeren Maße als früher vorhanden ist. Es gibt jedoch andere Mechanismen, wie Selbstviktimisierung, Ideologisierung, Scham oder Verdrängung des Unerträglichen, die nicht angesprochen werden und daher nur sehr schwierig zu entschlüsseln sind. Charakteristisch für Erinnerungen ist, dass sich die meisten Betroffenen viel intensiver an das Unrecht erinnern, das sie am eigenen Leibe erfahren haben, als an Situationen, in denen sich andere in der »Opferrolle« befanden. Privilegiert zu sein, erscheint oft als normal oder nicht so wichtig, diskriminiert zu werden hingegen schreibt sich tief ins Gedächtnis ein. In dieser Hinsicht sind das persönliche und das kollektive Gedächtnis häufig ähnlich strukturiert. Anders ausgedrückt ist das individuelle Gedächtnis so vorstrukturiert, dass es für die Akzeptanz der nationalen Meistererzählung im Sinne des Opferdiskurses aufnahmefähig ist. Die Zeitzeugen können allerdings im Gegensatz zum nationalen Kollektiv gegen diese Manipulation des Gedächtnisses ›immunisiert‹ sein, z.B. durch prägende Erlebnisse, die der vereinfachten Geschichte widersprechen. In den meisten Erzählungen kommen sowohl allgemeinere als auch sehr konkrete Beschreibungen zum Ausdruck. Diese können sich stark voneinander unterscheiden, was den Wert vieler persönlicher Erinnerungen ausmacht. Durch die kritische Analyse solcher Erzählungen lassen sich mindestens teilweise authentische Erfahrungen von Erinnerungsschichten des kollektiven Gedächtnisses trennen. Aufgrund der Selbstviktimisierung (und des Verdrängens der Erinnerungen an das Leid der Anderen) spielt der Nationalsozialismus in vielen sudetendeutschen Erinnerungen als Vorgeschichte der Vertreibung kaum eine Rolle. In Geschichtsbroschüren von Heimatmuseen und Heimatarchiven verschiedener Orte im Sudetenland ist über die Zeit 1938-1945 nur wenig zu lesen. Diese Schilderungen der Vergangenheit suggerieren, dass in 176
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einigen Landstrichen, in denen das Leben ruhig zu verlaufen schien, plötzlich wilde tschechische Banden einbrachen, die grundlos die Deutschen schikanierten. In den mündlichen Überlieferungen erfahren wir meist mehr über die Kriegszeit. Die heutigen Zeitzeugen waren damals Kinder und haben diese Jahre in der Regel ohne Vater verbracht. Dies charakterisiert aus ihrer Sicht die Kriegsjahre und unterscheidet sie von der Zeit davor. Erwähnt werden in den Zeitzeugenberichten manchmal auch die Kriegsgefangenen, die in einigen Orten im Sudetenland interniert waren. Die Jahre 1945-1947 sind für die meisten Sudetendeutschen unvergleichbar wichtiger als etwa die fünf oder zehn vorangegangenen Jahre. Neben einigen, meist dramatischen individuellen Erlebnissen tauchen in den Erzählungen auch oft kollektiv überlieferte Bilder von Lagern oder Transportzügen auf. Eigene Erlebnisse von kollektiven Überlieferungen zu trennen, ist für die Zeitzeugen sehr schwierig. Vor allem nach 1989 waren viele Sudetendeutsche darum bemüht, zur Versöhnung beizutragen. In diesem Kontext erinnern sie sich nun häufiger auch an Erlebnisse, die der kollektiven Meistererzählung der eigenen Volksgruppe widersprechen. So z.B. Werner Czerny aus Wontsch (Ohnič) in Nordböhmen: »Bei uns im Bahnhof hat der frühere Bahnhofsvorsteher gewohnt, auch ein früheres Mitglied der Partei und bei den Tschechen nicht so beliebt, weil er streng war zu den Tschechen oder vielleicht hart oder ungerecht, ich weiß es nicht. Jedenfalls, da kam ein Trupp von Tschechen, sie klopften an, rissen die Tür auf, stürmten rein und haben ihn in der Wohnung zusammengeschlagen. Wir haben gegenüber gewohnt und das haben wir Kinder gehört, man hörte schon den Krach, wenn die unten hochkamen. Als sie dort fertig waren, ging´s rüber, zu uns. Da haben wir alle gezittert. Und da passierte es eben, und das vergisst man auch nicht: Da kamen Tschechen und haben sich vor die Tür gestellt und meinten‹ ›hier wohnt Herr Czerny und das ist einer, der hat zu den Tschechen an sich immer ein gutes Verhältnis gehabt, der hat ihnen geholfen und hier wird nicht geprügelt‹.«17 Einige dieser Erinnerungen wurden sicher auch in den Jahrzehnten vor 1989 ausgesprochen. Es scheint allerdings, dass in den Zeitzeugenerzählungen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bestimmte erlebte Situationen, welche die nationalen Stereotype von Opfern und Tätern relativieren, stärker akzentuiert werden. Eine Abweichung zwischen einer allgemeinen, mit Stereotypen durchsetzten, und einer authentischeren Erzählweise lässt sich besonders bei vielen Tschechen feststellen, die unmittelbar nach dem Krieg ins Sudetenland gekommen sind. Wenn diese Menschen über die Deutschen »an sich« sprechen, geschieht dies meist aus dem Bedürfnis heraus, die eigene, nach 17. Aus der CD-Reihe »Vertrieben«, hg. durch SMI, CD 1/22.
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dem Krieg getroffene Entscheidung (d.h. die Grenzgebiete zu besiedeln und sich ehemals deutsches Eigentum anzueignen) zu legitimieren. Dabei hilft ihnen der Rückgriff auf die tschechische Meistererzählung, die lautet: Die Deutschen wollten nicht mit uns leben, sie haben den Staat verraten und wurden gerecht bestraft. Es war nicht mehr möglich, zusammen mit ihnen in der Tschechoslowakei zu leben, weil sie alle zu fanatischen Nazis geworden waren. Diese Zeitzeugen haben allerdings oft noch etwa ein Jahr mit einer deutschen Familie zusammen gewohnt, bevor diese ausgesiedelt wurde. Wenn Tschechen heute vor dem Hintergrund des gemeinsamen Alltags über »ihre« Deutschen erzählen, ist meistens von »netten Menschen, die uns sehr geholfen haben« die Rede. Manchmal erfahren wir sogar, dass »wir alle geweint haben, als sie weg mussten.«18 Die Zeitzeugen sind sich in der Regel dieses Widerspruchs bewusst, der zwischen dem erzählerischen Rückgriff auf das kollektive Gedächtnis, das dem eigenen Schicksal eine Logik verleihen soll, und der Erzählung konkreter Erfahrungen besteht, die sich in das individuelle Gedächtnis so fest eingeschrieben haben, dass sie ungeachtet der vorherrschenden Meistererzählung bis heute erinnert werden. Die persönliche Erinnerung ist − wie an diesen Beispielen aufgezeigt – nicht ein unzerbrechliches Gefäß, in dem die historische Wahrheit sicher auf bewahrt ist, sondern eher etwas, was gegen die Wirkung der Zeit nicht immun ist und nur in einigen Fällen trotz allem relativ unverzerrt bleibt. Nach 1989 wurden, wie ich bereits aufgezeigt habe, im öffentlichen Diskurs in Tschechien auch die problematischeren Aspekte der Vertreibung thematisiert. Dies erlaubte den Zeitzeugen, über einige früher verdrängte Erfahrungen zu sprechen. Psychologisch erwies sich diese Situation allerdings für viele Betroffene als schwierig, weil sich ihre Erfahrungen nicht mit der tradierten und inzwischen internalisierten Meistererzählung in Einklang bringen ließen. Entstehende Widersprüche in den Erinnerungen gehen häufig mit einer gewissen erzählerischen Selbstverteidigung einher. Bruchstücke der Meistererzählung tauchen dann etwa zwischen den traumatischen Erfahrungen auf, als ob es rituelle Pflichtformeln wären. So z.B. bei Frau Kučerová, die 1938 als Tschechin aus den Grenzgebieten mit ihren Eltern ins Innere des Landes flüchtete und 1945 in ihren Heimatort zurück kam. Dort wurde sie Zeugin der Vertreibung derer, die sie schon
18. Aus mehreren Interviews aus den früh besiedelten Gebieten (LeitmeritzLitoměřice, Saaz-Žatec usw.), die der Autor durchgeführt hat. Ähnliches auch in einigen polnischen Erinnerungen in: Johannes Moser/Karsten Jahnke, »Dieser Schmerz bleibt. Lebenserinnerungen vertriebener Polen und Schlesier«, ISGV 2004, CD 2.
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aus der Vorkriegszeit kannte. Sie beschreibt die Ereignisse mit folgenden Worten: »Am 10. Juni 1945 kam ich zurück nach Osseg. An den Häusern, wo die Deutschen wohnten, hingen weiße Fahnen. An den schlimmen Übergriffen gegenüber den Deutschen waren nicht die einheimischen Tschechen beteiligt. Es kamen Revolutionsgarden aus Kladno. Und das war wirklich ein Lumpengesindel. Die hiesigen, die kannten sich doch, auch wenn die einen Tschechen und die anderen Deutschen waren. Es ist anders, wenn Sie einen Fremden misshandeln, als wenn Sie mit Franz Keller zu tun haben, mit dem Sie sich gestern noch ganz normal unterhielten. Anonymität gibt den Menschen die Macht, sich wie ein Schwein zu benehmen. Als dann der Tag des Abschubs ausgerufen wurde, ist so eine Gruppe der Funktionäre von der Abschubskomission durch die Straßen gezogen, die den Deutschen Gold und andere Sachen nahm. Unsere Leute sind zu Hause geblieben, und ich habe das Gefühl, dass sie sich schämten. Weil wir doch einen anderen Charakter als die Deutschen haben! Es waren hier eben die Revolutionsgarden und die haben die Deutschen immer irgendwohin geführt, vielleicht zum Marktplatz, ich weiß nicht. Wir durften nicht raus gehen. Sie haben sie dann weggefahren. Aber es gab auch eine Zeit, in der sie, die Deutschen, zu Fuß über die Berge laufen mussten. Ich erinnere mich, dass hier, nicht weit von uns, so ein behinderter Junge wohnte. Damals war er schon 40 oder 50 Jahre alt, und ich weiß noch, wie sie den Rollstuhl mit ihm schieben mussten. Das waren schlimme Sachen, aber das ist doch Krieg. Ich denke, dass wir nicht die Einzigen waren, die so was getan haben. Und wir wollten diesen Krieg nicht… Viele Deutsche wurden nicht abgeschoben, weil sie schon früher geflohen waren. Oder in Teplitz, da sind nicht weit vom Bahnhof zwei Straßen, wo alle Selbstmord begangen haben. Aber das ist einfach so, für alles muss man bezahlen… Ich verstehe, dass sich die Deutschen schrecklich fühlen oder fühlten und was Heimweh bedeutet. Für diese Gefühle habe ich Verständnis. Aber sie waren so böse uns gegenüber. Sie haben doch Pogrome veranstaltet, nachdem sie 1938 gekommen waren!«19
Da eine kritische öffentliche Reflexion der eigenen Geschichte in Tschechien seit 1989 möglich ist, taucht nun häufig auch Kritik an den »eigenen Landsleuten« auf. Meistens werden diese »bösen Tschechen« auf verschiedene halbkriminelle Einheiten reduziert – wie beispielsweise auch die Revolutionsgarden bei Frau Kučerová. Vor allem die aus dem Sudetenland 19. Marta Kučerová, in Osseg geboren, kommt aus einer tschechischen Familie. Mit ihren Eltern musste sie die Stadt 1938 verlassen, sie kam nach dem Krieg wieder zurück. Interviewführung und Übersetzung: Matěj Spurný. Das ganze Gespräch wurde in Tschechisch abgedruckt in: Matěj Spurny (Hg.), Sudetské osudy, Nakladatelství Český les pro o.s. Antikomplex, Domažlice 2006.
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stammenden Tschechen (oder Personen aus deutsch-tschechischen Familien) sind gegenüber den später gekommenen Neusiedlern häufig besonders kritisch. Als Beispiel hierfür kann die Erinnerung von Frau Novotná aus Petzer dienen: »Im Sommer 1946 haben sich alle Deutschen, die abgeschoben werden sollten, dort versammelt, wo heute in Petzer der Selbstbedienungsladen steht. Es waren meistens Frauen mit Kindern, weil die Männer entweder noch in Gefangenschaft oder gefallen waren, jedenfalls gab es sie nicht. Und dann gab es da natürlich viele alte Menschen. Sie saßen auf den Bänken und auf dem Boden, nur ein paar Meter von der Stelle, wo wir sechs Jahre zuvor mit dem Kinderwagen auf Herrn Holin warteten, der uns nach Nymburk bringen sollte […]. Als der Abschub begann, sagte mein Vater: ›Es gibt doch irgendeine Gerechtigkeit, wenn sich das jetzt so gewandelt hat.‹ Aber dann, als er den Menschen half, die ausgesiedelt werden sollten, änderte er seine Meinung. Außerdem mussten auch unsere Tanten Anna und Hilda in das Sammellager in Mladé Buky. An dieses Sammellager kann ich mich noch erinnern. Es war ein eigenartiges Gefühl, als wir am Stacheldrahtzaun standen, hinter dem beide Tanten, zwei Cousinen und zwei Cousins waren, und wir waren diesmal wieder auf der anderen Seite […]. Die neuen Tschechen, die dann nach Petzer kamen, hatten oft Angst vor meinem Vater, weil er wusste, was sie den Deutschen angetan haben in den ersten Monaten nach dem Krieg. Uns wurde auch gesagt, dass wir aus unserer Hütte in eins der großen Häuser umziehen können, meinem Vater wurde das Amt des Nationalverwalters der besten Hotels angeboten. Aber meine Eltern wollten nicht in diese Häuser; im Gegensatz zu den neuen Tschechen wussten sie von jedem Bett, wer da früher geschlafen hat.«20
Eva Novotná ist mit ihrer indirekten Kritik nicht allein, einige Zeitzeugen äußern diese kritische Haltung heute auch direkter. Zu den Zeiten, als die Ideologie vorherrschte, welche die Besiedlung als slawische Wiedergewinnung des Landes feierte, hatten Menschen allerdings oft nicht den Mut, ihre Erfahrungen und Meinungen öffentlich zu artikulieren. Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass unterschiedliche individuelle Erinnerungen in einem kollektiven Gedächtnis zusammenfl ießen. 20. Eva Novotná, in Patzer geboren, kommt aus einer deutsch-tschechischen Familie. Ihr Vater war tschechischer Postbeamter, ihre Mutter stammte aus einer deutschen Familie. Die Familie musste 1938 das Sudetenland verlassen, kam jedoch gleich nach dem Kriegsende nach Petzer zurück. Interviewführung und Übersetzung: Matěj Spurný. Das ganze Gespräch wurde Tschechisch abgedruckt in: Matěj Spurny (Hg.), Sudetské osudy, Nakladatelství Český les pro o.s. Antikomplex, Domažlice 2006.
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Er innerung an Flucht und Ver treibung
Obgleich die überlieferten kollektiven Meistererzählungen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht verschwunden sind, haben sie doch ihre frühere unangezweifelte Eindeutigkeit verloren. Diese Entwicklung lässt sich vor allem in den früheren kommunistischen Staaten, in Tschechien und in den neuen Bundesländern, verfolgen. Weniger sichtbar ist diese Pluralisierung in Bevölkerungskreisen, die den sudetendeutschen Landsmannschaften nahe stehen: Ihre Erinnerungsstrukturen haben das Ende des Kalten Krieges scheinbar ohne größere Erschütterungen überlebt. Doch auch in diesen Kreisen lassen sich Zweifel an den über Jahrzehnte hinweg versteinerten Erinnerungsmustern beobachten, die durch die Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen tschechischen Realität aufgebrochen wurden. Die in früheren Zeiten »unerwünschten« oder für ihre Träger sogar »gefährlichen« Erinnerungen können heute als Ausnahmen in die Struktur der nationalen Meistererzählung integriert werden. Es scheint, dass sich die Gedächtnisse bedingt durch die Wiedergabe und Wahrnehmung von persönlichen Erinnerungen pluralisieren und das kollektive Narrativ maßgeblich verändern. Den individuellen Erinnerungen Raum zu geben, bedeutet, bereit zu sein, die Erinnerungen des anderen mit Empathie zu akzeptieren. Nicht das Vergessen, sondern gerade das Pluralisieren und Problematisieren von Erinnerung trägt dazu bei, dass die Spannungen zwischen Gruppen mit gegensätzlichen kollektiven Erfahrungen langsam abgebaut werden. Vielleicht wird mit einem gewissen Zeitabstand zum Erlebten auch in den Teilen Europas ein kritischer Dialog möglich, in denen der durch Krieg, Flucht und Vertreibung verursachte Schmerz noch viel traumatischer ist, als im tschechisch-deutschen und polnisch-deutschen Verhältnis.
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Die abgeschobene Geschichte Petr Příhoda im Gespräch mit Doris Liebermann
Der Psychiater Petr Příhoda spielt eine herausragende Rolle innerhalb der deutsch-tschechischen Verständigungs- und Versöhnungsbemühungen. Geboren wurde er 1939 in Netolice (Südtschechien). Sein Vater war Mitglied einer Widerstandsgruppe, wurde 1940 von der Gestapo festgenommen und wegen Hochverrats verurteilt. Er starb im Zuchthaus Waldheim. Nach dem Abitur studierte Petr Přihoda Medizin in Brno/Brünn und promovierte an der dortigen medizinischen Fakultät. Als junger Psychiater arbeitete er fast zehn Jahre lang in der Bezirkspsychiatrie in Litoměřice/ Leitmeritz (Nordböhmen). Unter seinen Patienten befanden sich daher immer auch einige Sudetendeutsche, die von der Vertreibung verschont geblieben waren. Durch die Begegnung mit diesen Patienten geriet Petr Příhoda in einen tiefen inneren Konflikt. Er wollte sich Klarheit verschaffen, begann zu lesen, nachzufragen, sich für die genauen Umstände der Vertreibung zu interessieren. Seit jenen Jahren in der Nervenklinik Litoměřice/Leitmeritz hat ihn die deutsch-tschechische Problematik nicht mehr losgelassen. Sie ist zu seinem Lebensthema geworden. Er war noch zu sozialistischen Zeiten, als das Thema »Vertreibung« tabu war, Mitautor des poetischen Buches Verlorene Geschichte. Bilder und Texte aus dem heutigen Sudetenland 1, das nur im Samizdat 2 erscheinen konnte. Er hat weitere Bücher und Artikel zur tschechisch-(sudeten-)deutschen Problematik verfasst. 1. Vgl. František Jedermann: Verlorene Geschichte. Bilder und Texte aus dem heutigen Sudetenland, Köln: Bund Verlag 1995. 2. Samizdat (russisch сам – selbst, издательство/isdatel’stvo – Verlag) bezeichnete in der UdSSR und später auch in anderen so genannten realsozialistischen Staaten die Verbreitung von alternativer, nicht systemkonformer Literatur über nichtoffizielle Kanäle, zum Beispiel durch Handschrift, Abtippen oder Fotokopie, und das Weitergeben der so produzierten Exemplare.
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Petr Příhoda, Dor is Liebermann
Nach dreißig Jahren Tätigkeit in verschiedenen Kliniken wurde er nach der »samtenen Revolution« 1989 Pressesprecher des damaligen tschechischen Ministerpräsidenten Petr Pithart. Mit Pithart3 zusammen hat er ein politisch-historisches Lesebuch über die deutsch-tschechische Geschichte mit dem Titel Die abgeschobene Geschichte4 herausgegeben. Zusammen mit Pithart und dem Historiker Milan Otahal hat er auch die historische Abhandlung über Tschechen in der Geschichte der Neuzeit5 veröffentlicht. Seit 1992 leitet Petr Příhoda das Institut für ärztliche Ethik an der Prager Karlsuniversität und ist als freier Publizist und Kommentator tätig. Er ist in deutsch-tschechischen Gesprächskreisen und in der Ackermann-Gemeinde6 engagiert. Liebermann: Herr Přihoda, im Umgang der tschechischen Gesellschaft mit der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg reden Sie von einem »sudetendeutschen Komplex«. Was meinen Sie damit? Příhoda: Ich bin der Meinung, ja ich bin sogar überzeugt davon, dass das gesamte sudetendeutsche Thema sich im tschechischen Bewusstsein wie ein neurotischer Komplex verhält, das heißt, dass es verdrängt wurde und in dieser Verdrängung absichtlich weiter gehalten wird. Aber es passiert manchmal doch, dass es aus dem Unbewussten nach außen dringt. In 3. Petr Pithart war von 1990 bis 1992 tschechischer Ministerpräsident (des tschechischen Teilstaates), von 1996 bis 1998 und von 2000 bis 2004 Senatspräsident. 4. Die abgeschobene Geschichte. Ein politisch-historisches Lesebuch. Zusammenstellung, Kommentierung und Einleitung von Petr Pithart und Petr Příhoda, München: Inst. Bohemicum 1999. 5. Petr Pithart/Petr Příhoda/Milan Otahal: Wo ist unsere Heimat? Geschichte und Schicksal in den Ländern der böhmischen Krone, München: Langen Müller 2003. 6. Als Verband innerhalb der katholischen Kirche setzt sich die AckermannGemeinde für die Aussöhnung zwischen Deutschen, Tschechen und Slowaken ein. Die Gemeinde wurde 1946 durch den Zusammenschluss von Mitgliedern ehemaliger katholischer Bünde und Gemeinschaften des Sudetenlandes gegründet. Der Name ist der spätmittelalterlichen Dichtung des Johannes von Saaz Der Ackermann aus Böhmen aus dem Jahre 1400 entlehnt, ein Zeugnis für die Jahrhunderte alte Verwurzelung der deutschen Kultur in den böhmischen Ländern. Ihren Sitz hat die Ackermann-Gemeinde in München, seit 1991 gibt es auch eine Niederlassung in Prag.
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Die abgeschobene Geschichte
der Psychoanalyse gibt es einen Fachbegriff dafür – die Rückkehr des Verdrängten. Das wird immer als sehr belastend erlebt, weil es Angst macht und Gefühle einer Bedrohung hervorruft. Solche Gefühle können auch politisch instrumentalisiert werden, so wie die Kommunisten sie in ihrer Propaganda benützt haben, auch manche andere politischen Parteien arbeiten damit. Es ist im Prinzip eine populistische Strategie, die leider erfolgreich ist. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ist überhaupt die Gefahr des Populismus in allen postkommunistischen Ländern riesig groß, und bei uns hat der Populismus diese Form. Das Wirken einer Reihe unserer politischen Parteien, leider gerade der zahlreichsten, der im Parlament stärksten, arbeitet absichtlich damit. Ich denke, dass die tschechisch-sudetendeutschen Beziehungen die Form eines unterirdischen Flusses haben, es gibt hier Zeitabschnitte, in denen alles zu ruhen scheint, aber dann kommt es zu einem Rückfall, zu einer erneut aufgekommenen Nervosität der gesamten Nation. Das Thema Beneš-Dekrete zum Beispiel hat den überwiegenden Teil unserer Öffentlichkeit in gewisser Hinsicht vereint. Ich schätze, es waren 70 bis 75 Prozent, und zu dieser Zeit war unter anderem auch interessant, dass die Wahlprioritäten für die Kommunisten gestiegen sind. Es ist ein Trend, den ich überhaupt nicht begrüße. Ich denke, dass er gefährlich ist, nicht nur wegen der schwierigeren Integration in Europa, sondern auch, weil es uns an unserer eigenen Geschichtsbewältigung hindert. Der amerikanische Philosoph George Santayana7 sagte einmal, wenn ein Volk seine Vergangenheit nicht bewältigt, ist es dazu verurteilt, sie leider noch einmal zu erleben. Und dieses Risiko nehme ich als ein aktuelles wahr, und daher bleibt das tschechisch-sudetendeutsche Thema mein Lebensthema. Liebermann: Ihre Mutter konnte den Deutschen nie verzeihen, dass sie ihren Mann – Ihren Vater – während des Zweiten Weltkrieges umgebracht hatten. Sie sind sehr anti-deutsch aufgewachsen und hielten die Deutschen für die größten Feinde des tschechischen Volkes. Was am Kriegsende während der Vertreibung der Sudetendeutschen passierte, davon hatten Sie nur eine ungenaue Vorstellung. Wann sind Sie zum ersten Mal mit Deutschen bewusst in Berührung gekommen? Příhoda: Erst als Arzt an der Psychiatrischen Klinik in Nordböhmen, als ich auch deutsche Patienten betreute und die Gelegenheit hatte, mit ih7. Der Schriftsteller und Literaturkritiker spanischer Herkunft George Santayana wurde 1863 in Madrid geboren und starb 1952 in Rom. Santayana ist einer der einflussreichsten Vertreter der amerikanischen Philosophie des 20. Jahrhunderts und gilt ebenso als führender Vertreter des kritischen Realismus.
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Petr Příhoda, Dor is Liebermann
nen sowie mit ihren Verwandten zu sprechen. Es war die nordböhmische psychiatrische Bezirksklinik im Kreis Leitmeritz. Es war eine Anstalt auf dem Lande, sie lag in einem Dorf, hatte etwa tausend Betten, und sie fungierte als Einrichtung für den gesamten nordböhmischen Bezirk. Das Einzugsgebiet reichte von Chomutov (Kommotau) bis Decín (Tetschen). Liebermann: Und was haben Sie da erlebt? Příhoda: Dort habe ich etwa zehn Jahre gearbeitet, es waren abenteuerliche Anfänge, auch in beruflicher Hinsicht. Am meisten haben mich die Zeugnisse meiner deutschen Patienten beeinflusst. Sie haben mir geholfen, mich von bestimmten Vorurteilen zu befreien und frei die Realität wahrzunehmen, die eben die böhmischen Deutschen und ihre Schicksale betrafen. Ich muss gestehen, dass es mir ziemlich große Mühe machte, weil es eine Erfahrung war, die in einem eindeutigen Kontrast dazu stand, was ich durch meine Erziehung erfahren hatte. An diesem kognitiven Konflikt habe ich zwei, drei, vier Jahre lang zu arbeiten gehabt. Aber ich denke, dass es mir gelungen ist, mich von alldem zu befreien, was mich daran gehindert hätte, dieses Thema zu begreifen. Liebermann: Noch zu sozialistischen Zeiten – Ende der 70er Jahre – erschien im tschechoslowakischen Samizdat ein Foto-Buch über das »Grenzland«, das ehemalige Sudetengebiet, aus dem die deutschen Bewohner nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben worden waren. Es trug den Titel Verlorene Geschichte. Bilder und Texte aus dem heutigen Sudetenland. Als Autor zeichnete ein »František Jedermann«. Das Buch erschien in wenigen Exemplaren im Samizdat, ein Erscheinen in einem staatlichen Verlag war zu dieser Zeit aussichtslos. Verfasser des Textes waren Sie. Wann haben Sie angefangen, sich mit der sudetendeutschen Geschichte auch publizistisch zu beschäftigen? Příhoda: Mein erster Versuch, dieses Thema irgendwie zu erfassen und publizistisch zu bearbeiten, datiert, wenn ich mich richtig entsinne, aus den späten 1970er Jahren bzw. frühen 1980er Jahren. Er erschien in einer Exilzeitschrift, die Das Zeugnis hieß und in Frankreich erschien. Ihr Chefredakteur war Pavel Tigrid, der später, in den 1990er Jahren, tschechischer Kulturminister wurde. Ich habe den Text nach Paris schmuggeln lassen, dort ist er unter einem Pseudonym erschienen. Das war mein erster Versuch. Dann haben wir uns entschlossen, aber das war schon Mitte der 1970er Jahre, gemeinsam mit Freunden, mit Dissidenten, ein Buch herauszugeben – es waren Fotografien aus dem damaligen tschechischen Grenzland, also dem ehemaligen Sudetenland, die mit einem Begleittext 186
Die abgeschobene Geschichte
versehen waren. Die Fotos hat Josef Platz gemacht, er arbeitet heute im Tschechischen Fernsehen, und ich habe den Text geschrieben. Ein Exemplar davon haben wir ins Ausland geschmuggelt. In der Zeitschrift Svedectví in Paris erschien dann das komplette Begleitwort, mit einigen Fotos dazu. Das Buch wurde später auch in Deutschland übersetzt und ist 1985 im Bundverlag unter dem Titel Verlorene Geschichte erschienen. Die Fotos wurden dort vollzählig abgedruckt, es ist ein sehr schön gestaltetes Buch geworden. Liebermann: Es ist ein sehr poetisches Buch mit ausgesprochen melancholischen Fotografien. Josef Platz hat das unbewohnte, verlassene Sudetengebiet fotografiert, vor allem verfallene Gehöfte, Ruinen, verwilderte Treppen, verwaiste Friedhöfe und beschädigte Heiligenstatuen. Wie haben Sie an dem Buch Verlorene Geschichte gearbeitet? Příhoda: Ich bekam sehr viele Fotos gebracht und habe sie mir einige Tage oder sogar Wochen angeschaut. Dann habe ich mich an die Schreibmaschine gesetzt, mir ein Glas Wein eingegossen und angefangen zu schreiben. Ich muss sagen, dass ich nicht so ganz unvorbereitet war, die Botschaft dieser Fotografien aufzunehmen, weil ich diese Landstriche früher oft besucht hatte. Meine Großeltern, die Eltern meines Vaters, haben sich im Sudetenland ein Haus kaufen dürfen, in Jirkov (Görkau), nahe bei Chomutov (Kommotau). Sie selbst hielten es für eine Art Wiedergutmachung, weil sie ihren Sohn durch die Nazis verloren hatten, und nun hatten sie eine Art Entschädigung bekommen. Ich verbrachte dort als kleiner Junge immer die Ferien, und auf mich hat dieses Umfeld auf eine sonderbare Art und Weise gewirkt, denn viele Häuser dort waren menschenleer. Ich habe zusammen mit meinen Kameraden die Häuser erforscht, auf den Dachböden fand ich verschiedene Dokumente, verschiedenes Material, zum Beispiel Familienalben, Möbel, Besteck, Geschirr, und es hatte auf mich eine Schockwirkung. Obwohl die Bedeutung all dieser Sachen vieldeutig war, habe ich seit dieser Zeit – da war ich vielleicht in der zweiten oder dritten Klasse der Grundschule – diese Landschaft wahrgenommen, als ob auf ihr eine unbekannte Last liegen würde, als ob sie verflucht, verwunschen wäre. Aber ich wurde von ihr angezogen. Ich fuhr später nicht in die DDR in den Urlaub, sondern ich wanderte im böhmischen Grenzland umher und habe es erforscht – von Schlesien über das Adlergebirge, Reichenberg, Erzgebirge, Egerland bis zum Böhmerwald. Bei der Betrachtung der Fotos kamen mir diese Eindrücke wieder in den Sinn, so dass ich dann sehr leicht den Begleittext schreiben konnte. Außerdem, als ich in der Psychiatrie in Nordböhmen arbeitete, hat sich das Einzugsgebiet für meine fachärztliche Zuständigkeit auf die Landkreise Brüx und Teplitz erstreckt, 187
Petr Příhoda, Dor is Liebermann
von dort kamen hauptsächlich meine Patienten. So hatte ich die Möglichkeit, die Patienten kennen zu lernen und habe auch immer wieder diesen Landstrich besucht, so dass ich auch mit der demografischen Situation jener Landkreise vertraut war. Ich wurde mit den Folgen der menschlichen Zerstörung konfrontiert, der Landkreis Most (Brüx) zum Beispiel stand in einer Reihe statistischer Kennziffern an der Spitze, wie im Alkoholismus, der Suizidrate, der Scheidungsrate, im Aufkommen angeborener Störungen usw. Als ich mich dann also an die Fotos herangemacht habe, las ich eine mir bereits vertraute Schrift. Die Eindrücke aus meiner Kindheit und den späteren Wanderungen im Grenzland sind recht sonderbar. Ein amerikanischer Autor, Joseph Heller, hat ein Buch mit dem Titel: Something happened 8 – Etwas ist geschehen, etwas ist vorgefallen – geschrieben. Und so würde ich meine Eindrücke formulieren: Hier ist etwas vorgefallen. Etwas Schwerwiegendes, etwas Ungutes, und dies war eigentlich der erste Impuls für meine späteren Nachforschungen, der zwar für eine Weile etwas in den Hintergrund geraten ist, dann aber wieder zum Erwachen kam. Der erste Impuls kam von der Landschaft um Chomutov und der sonderbaren Botschaft, die sie ausstrahlte. Später, als Hochschulstudent und Erwachsener, hat es mich weiter angezogen, so dass ich jede Gelegenheit nutzte, um diese Landschaft kennen zu lernen. Es war eigentlich ein heimatkundliches Erforschen. Ein Einzelgänger war ich dabei nicht, denn zum Beispiel Josef Platz, der die Fotos gemacht hat, war ebenso fasziniert von dieser Landschaft, in der etwas vorgefallen war. Es stellte sich heraus, dass wir mehrere waren, heute gehören auch die jungen Leute der Prager Gruppe »Antikomplex« dazu. Sie haben vor einigen Jahren ein Buch über das Verschwundene Sudetenland 9 herausgegeben, das meinem heimatkundlichen Interesse ziemlich nahe steht. Aber es ist schon wahr, dass dieses Hobby von einer wirklichen Minderheit gepflegt wird. Ich habe erlebt, dass ein mir unbekannter Leser des Buches Verlorene Geschichte sich schriftlich an mich gewandt hat. Es war ein junger Mann aus Broumov, der mich gebeten hat, ihm behilflich zu sein, um mit den vertriebenen Deutschen aus seiner Region Kontakte zu knüpfen. Das habe ich natürlich getan. Ich bin also nicht ganz allein, es geht auch anderen Menschen durch den Kopf. Im Jahre 2002 wurde ein Denkmal, ein Versöhnungskreuz, auf dem Buchenberg bei Broumov 8. Dt: Was geschah mit Slocum? (Josef Heller: Was geschah mit Slocum?, Frankfurt a.M.: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1979). 9. Zmizelé Sudety. Das verschwundene Sudetenland. Katalog der Ausstellung, Red. Petr Mikšiček/Matěj Spurný/Ondřej Matějka/Susanne Zetsch, für Antikomplex e. V. herausgegeben vom Verlag Český les 2004.
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errichtet – sein Schicksal ist Ihnen wahrscheinlich bekannt – es wurde verunglimpft, beschädigt, sogar zweimal. Die Initiatoren des Denkmals sind junge Leute, zwei Generationen schon jünger als ich, die sich auch sehr stark von dem Problem angezogen fühlen. Ich fühle mich also mit meinem Interesse nicht einsam. Liebermann: Wie waren damals, noch zu sozialistischen Zeiten, die Reaktionen auf die wenigen Exemplare Ihres Buches Verlorene Geschichte? Wer hat das Buch gelesen? Příhoda: Das war eine sehr private Angelegenheit inmitten des kleinen Kreises von Dissidenten. Wir haben es eigentlich für uns selbst getan und haben nicht einmal damit gerechnet, dass es breit publiziert wird. Die Reaktionen waren am Anfang sehr ambivalent, als ich immer weitere Seiten meines Manuskripts den Buchherstellern gegeben habe. Es rief fast eine Alarmreaktion hervor, ob ich vielleicht nicht zu weit gehen würde? Ich musste mich mit ihnen auseinandersetzen. Ich weiß, dass ich damals intensiv zu rauchen anfing, weil das alles für mich voller Spannung war. Aber manche Menschen haben schließlich ihre Einstellung geändert, auch die, die am Anfang sehr ablehnend waren wie zum Beispiel auch die Schriftstellerin Eda Kriseová, sie hat ihre Meinung geändert und schrieb dann sogar das Vorwort zu dem Buch. Liebermann: Bei uns in Deutschland ist nur sehr wenig bekannt, dass einige der »Charta 77« angehörende oder ihr nahe stehende Historiker, die zum Teil nach der Niederschlagung des »Prager Frühlings« ihre Professuren an staatlichen Universitäten verloren hatten und ihr Leben als Wasservermesser, Fensterputzer oder Heizer fristeten, sich schon vor 1989 um einen differenzierten Blick auf das von der offiziellen Geschichtsschreibung ideologisch instrumentalisierte Thema »Abschub der Deutschen« bemühten und gegen die Kollektivschuldthese der Deutschen antraten. Ihr Einfluß war gering, der Zugang zu Primärquellen in aller Regel für sie verschlossen, dennoch gelang es der »Charta 77«, einige Dokumente zu diesem heiklen und emotional stark belasteten Thema zu veröffentlichen. Sie sind heute eindringliche Zeugnisse demokratischen Denkens und Handelns unter totalitären Bedingungen, und sie waren bereits damals, als dies völlig unrealisierbar schien, auf die Überwindung der Teilung Europas ausgerichtet. Auch Ihr Buch Verlorene Geschichte. Bilder und Texte aus dem heutigen Sudetenland ist ein herausragendes Beispiel für diese Haltung zu jener Zeit, auch Sie haben sich schon damals gegen die Kollektivschuldthese ausgesprochen.
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Aber Sie haben sich nicht nur vor, sondern auch nach 1989 weiter mit der Thematik auseinandergesetzt. Příhoda: Nach der politischen Wende 1989 habe ich auch viel zu diesem Thema geschrieben, zum Beispiel in der Zeitung Lidové noviny, die gleich nach dem November 1989 legal erscheinen konnte; mein Beitrag wurde gleich in der zweiten Nummer abgedruckt. Nach der damaligen so genannten Entschuldigung von Václav Havel bei den Sudetendeutschen wegen der Vertreibung in Deutschland habe ich der Zeitung meinen Kommentar angeboten, er wurde veröffentlicht. Dann schrieb ich recht häufig in verschiedenen anderen Zeitungen und Zeitschriften. Nach einer gewissen Zeit hörte ich damit jedoch auf, weil ich feststellen musste, dass, wenn man mit diesem Thema vor die tschechische Öffentlichkeit tritt, man auf ein Parkett außerhalb jeder Rationalität gelangt. Ich verlasse mich also mehr auf einen Kontakt von Angesicht zu Angesicht so wie bei Vorträgen in Schulen, also mehr auf eine lebendige Kommunikation als auf die Presse. Ich habe natürlich auch später publiziert. Mit dem Politiker Petr Pithart zusammen habe ich ein Buch herausgegeben, das eine Auswahl von Medienechos zu der Deutsch-Tschechischen Erklärung von 1996 beinhaltet – mit unserem Kommentar. Es nennt sich Lesebuch der abgeschobenen Geschichte. Es wurde auf deutsch unter dem Titel Die abgeschobene Geschichte von der Ackermann-Gemeinde in München herausgegeben.10 Wenn sich eine Gelegenheit bietet, so spreche ich zu diesem Thema im Sender Tschechischer Rundfunk 6, das ist ein publizistisches Programm, wo ich als ständiger freier Mitarbeiter, als Kommentator für Innenpolitik, mitarbeite. Aber immer wenn ich mich zu diesem Thema äußere bekomme ich eine ganze Reihe von Hörerzuschriften. Es sind meist ältere Menschen, die mir schreiben und die es mir übel nehmen, dass ich dieses Thema in irgendeiner Form anspreche. Liebermann: Stichwort »Gegenkultur«. Sie haben schon Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre begonnen, neben dem erwähnten poetischen Buch Verlorene Geschichte. Bilder und Texte aus dem heutigen Sudetenland mit Petr Pithart auch eine Art Lehrbuch über die tschechische Geschichte zu schreiben. Příhoda: Ursprünglich dachten wir, dass es nötig wäre, ein Antilehrbuch zum Beispiel für Gymnasialschüler zu schreiben. Dann hat sich die Arbeit immer mehr ausgeweitet, und das Buch ist dann 1990 unter dem Titel Tschechen in der Geschichte der Neuzeit erschienen. Unser Autorenkollektiv 10. Siehe Fußnote 2.
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hieß PODIVEN (zu deutsch: Verwundert). Wir haben den Plan nicht zu Ende geführt, denn ursprünglich war es als ein dreibändiges Werk konzipiert. Der erste Band sollte die neuere tschechische Geschichte seit der Zeit der Aufklärung bis zur Entstehung eines eigenständigen Staates behandeln, der zweite Teil sollte die Zwischenkriegszeit beinhalten, also die Erste Tschechoslowakische Republik, und der dritte Teil sollte der neuesten tschechischen Geschichte in den totalitären Regimes gewidmet sein. Das heißt, es sollte mit der deutschen Besatzung beginnen und bis heute fortreichen. Die politische Wende im November 1989 hat uns daran gehindert, diese Arbeit fortzusetzen, so dass wir sie mit März 1939 beendeten. Nebenbei bemerkt, dieses Buch wurde von der Historikergemeinde mit großer Unzufriedenheit aufgenommen, aber man kann nicht sagen, dass es zu dilettantisch wäre, denn es wurde vom Verlag Academia in einer zweiten Auflage herausgegeben. Dies sagt nun doch auch etwas aus. Dass Pithart Mitautor dieses Buches war, wurde das größte Hindernis bei seiner Kandidatur um den Posten des Staatspräsidenten. In den Fraktionen, bei denen er sich bemühte, Unterstützung für seine Wahl zu finden, wurde ihm dies als seine größte politische Sünde vorgeworfen. Liebermann: Was ich sehr interessant finde, ist Ihr Blick – der Blick eines Psychiaters – auf eine Nation. Ich weiß nicht, ob es so etwas in der Medizin, in der Psychiatrie gibt: Therapie eines Volkes… Příhoda: Das werfen mir auch die professionellen Historiker am meisten vor, dass ich psychologisiere. Aber es existiert ein Wissenschaftsfach Psychohistorie. Das wird in den westlichen Ländern normal gepflegt, aber die hiesige Historikergemeinde ist davon bis jetzt völlig unberührt geblieben. Wenn also ein Psychiater beginnt, die Geschichte zu interpretieren, da steigt ihr Adrenalinspiegel: er sei ein Eindringling, der eigentlich gar kein Recht habe, mitzureden. Liebermann: Ich finde es gerade interessant, es ist ein anderer Blick. Příhoda: Der magnus parens der Psychohistorie war im 19. Jahrhundert der deutsche Psychologe Wilhelm Wundt. Aber die neuere Psychohistorie, die sich von der Psychoanalyse inspirieren lässt, ist in der Lage, sehr interessante Einblicke gerade in das Irrationale zu gewähren, wovon zum Beispiel die öffentliche Meinung gebildet wird, ja, auch in Prozesse wie Verdrängung, Unterdrückung usw. Das gibt es und es ist ungeheuer interessant. Natürlich könnte das zu einer gewissen Pauschalisierung führen, man muss sehr kritisch sein, man darf sich nicht davon faszinieren lassen, aber es ist möglich. Man kann die Gesellschaft so betrachten, denn manchmal 191
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verhält sich die Gesellschaft wie ein Individuum: ein nicht allzu intelligentes, ein emotionales, ja ein mit einem Minderwertigkeitskomplex belastetes Individuum. Liebermann: Wie sind denn die Reaktionen hier in der Öffentlichkeit auf Sie, wenn Sie sich zur Vertreibung so äußern? Příhoda: Sie meinen auf mich persönlich? Meistens ist die Reaktion nicht wohlwollend, sie ist beunruhigt. Wenn ich manchmal – organisiert durch die Gruppe »Antikomplex«11 – Vorträge in Schulen halte, nicht nur für Schüler, so konnte ich die Erfahrung machen, dass es keinen Sinn hat, Menschen über 40 dieses Thema vorzubringen, denn ihre Reaktion ist so irrational, so angsterfüllt, so aggressiv. Daher spreche ich junge Menschen an. Es ist einfach prognostisch gesehen besser, mit jungen Menschen zu sprechen. Dennoch habe ich das Gefühl, dass ich mich bemühe, einen ehrlichen Rückwärtskampf zu führen, aber eben einen Rückwärtskampf. Dass das Irrationale, der Populismus, Pragmatismus, Zynismus, dass all dieses schließlich doch gewinnen wird. Und das ist kein gutes Gefühl. Liebermann: Und doch gibt es Initiativen, die Hoff nung machen: Die MIP, die »Jugend für interkulturelle Verständigung« in Brünn/Brno um den heutigen Bildungsminister Ondřej Liška, der damals noch Student in Brünn war, hat sich schon vor gut zehn Jahren mit den genauen Umständen des »Brünner Todesmarsches«12 auseinandergesetzt, bei dem viele Deutsche starben; der junge Dramatiker Miroslav Bambušek hat 2006 den Brünner Todesmarsch in dem Theaterstück Trost des Feldweges auf die Bühne gebracht und viel Applaus bei der Urauff ührung in Prag bekommen. Zuvor hat Bambušek sich schon in einem anderen Theaterstück mit dem Titel Porta Apostolarum mit dem Pogrom von Postoloprty/Postelberg auseinandergesetzt. Es gibt auch andere, nicht so spektakuläre Beispiele in der Literatur, in denen die Vertreibung thematisiert wird, zum Beispiel Erzählungen von Daniela Fischerová in dem Band Fern und nah. 13 Die Prager Gruppe »Antikomplex« organisiert beeindruckende Ausstellungen, in denen sie Fotos von damals und heute aus ehemals sudeten11. Antikomplex ist eine NGO von Historikern mit Sitz in Prag, die sich mit den Thema Vertreibung befasst. 12. Als »Brünner Todesmarsch« wird die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung Brünns – 27.000 Deutschen – Ende Mai 1945 durch einen Fußmarsch nach Wien bezeichnet. Die Zahl der Opfer wird sehr unterschiedlich angegeben, von mehreren hundert bis zu 8000. 13. Daniela Fischerová: Fern und nah, Berlin: Elfenbein Verlag 2002.
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deutschen Orten gegenüberstellt und sie vermittelt Zeitzeugen in Schulen. Auch Sie treten als Referent auf. Die Literatur, das Theater führt beispielhaft die Notwendigkeit der Aufarbeitung von Geschichte vor Augen, so, wie Sie es schon vor 30 Jahren mit Ihrem Buch »Verlorene Geschichte. Bilder und Texte aus dem heutigen Sudetenland« begonnen haben. Aber wie schätzen Sie die Wirkung von Kunst zu diesem Thema ein? Příhoda: Die Flucht sowie die Vertreibung nehme ich als menschliche Grenzsituationen wahr. Die Kunst hat sicherlich weit gehende Möglichkeiten, sie dem Leser, dem Zuschauer, dem Hörer näher zu bringen, ihn im empathischen Verständnis zu unterstützen, ihn aufzurütteln, seine Solidarität zu wecken. Meine reale Erfahrung (die Erfahrung eines Tschechen, heute 70 Jahre alt) bietet jedoch eine nur begrenzte Möglichkeit, um diesen Zusammenhang zu belegen. Mein Land war lange (1938-1989) nicht frei; die offiziell erlaubte, an die Mehrheitsgesellschaft gerichtete künstlerische Tätigkeit war Dienerin der Ideologie. Diese »fundamentale Verlogenheit« ermöglichte es nicht, die Grenzsituationen wahrheitsgemäß aufzudecken. Die nonkonformen Werke, einheimische sowie übersetzte, waren Ausnahmen, ihre Wirkung war begrenzt. Flucht und Vertreibung sind nur in begrenztem Maße Inhalt des tschechischen Geschichtsgedächtnisses. Auf der Ebene des Faktischen (dessen, was tatsächlich geschah) ist das dominierende Thema die Vertreibung der böhmischen Deutschen, es wird jedoch weiterhin verdrängt. Zum Beispiel der Roman von Jaroslav Durych Gottes Regenbogen,14 der für mich persönlich bemerkenswert ist, ist wenig bekannt u.a. auch deshalb, weil das ›Handicap‹ des Autors darin bestand, dass er Katholik war. Außerdem: Die tschechisch-(sudeten)deutschen Beziehungen waren ›Material‹ für einen zahlreich produzierten literarischen sowie fi lmischen Schund, der hier einige Jahrzehnte breit konsumiert wurde. Künstlerisches Aufgreifen erlebte das Thema der Vertreibung in Form von jüdischem Schicksal in der Zeit der relativen politischen Lockerung (1968). Liebermann: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Kunst für eine europäische Erinnerungskultur? Příhoda: Ich werde ähnlich antworten: die Möglichkeiten der Kunst sind umfangreich, aber sie werden in meinem Land leider wenig genutzt. Für diese 14. Jaroslav Durych: Gottes Regenbogen, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999.
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Beschränkung sehe ich drei Gründe. Erstens: Wir Tschechen en bloc haben Schwierigkeiten mit der Reflexion unserer nicht weit zurückliegenden Vergangenheit (ich sollte hier die Pluralform verwenden: unserer nicht weit zurückliegenden Vergangenheiten, denn wir haben mehrere, und jede einzelne stellt ein Problem dar). Das Bedürfnis, sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen, ist Angelegenheit einer Minderheit in der Gesellschaft. Zweitens: Wir Tschechen en bloc haben Schwierigkeiten mit unserem Europäertum, wir fühlen leider viel zu provinziell. Drittens: Nach der politischen Wende 1989 zeigt es sich, dass unsere intellektuelle Elite zerstört ist, wertmäßig sowie weltanschaulich desorientiert, ihre Aufgabe wird von der Journalistik ersatzweise wahrgenommen, und der leer gewordene Raum wird von der Popkultur gefüllt, die allerdings Grenzsituationen eher meidet. Es gibt vereinzelte Versuche jüngerer Autoren, vielleicht erste Vorboten, wir werden sehen. Ein spezifisch tschechischer Beitrag zur geistigen europäischen Integration bewegt sich meiner Meinung nach bislang auf einem sehr minimalen Niveau (dem entspricht auch die Einstellung der tschechischen politischen Repräsentanten). Es fällt mir schwer, das so zu äußern, denn daheim könnte ich sehr leicht als Verleumder bezeichnet werden, aber ich fühle es so.
Literatur verzeichnis Die abgeschobene Geschichte. Ein politisch-historisches Lesebuch. Zusammenstellung, Kommentierung und Einleitung von Petr Pithart und Petr Příhoda, München: Inst. Bohemicum 1999. Durych, Jaroslav: Gottes Regenbogen, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999. Fischerová, Daniela: Fern und nah, Berlin: Elfenbein Verlag 2002. Heller, Josef: Was geschah mit Slocum?, Frankfurt a.M.: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1979. Jedermann, František: Verlorene Geschichte. Bilder und Texte aus dem heutigen Sudetenland, Köln: Bund Verlag 1995. Pithart, Petr/Příhoda, Petr/Otahal, Milan: Wo ist unsere Heimat? Geschichte und Schicksal in den Ländern der böhmischen Krone, München: Langen Müller 2003. Zmizelé Sudety. Das verschwundene Sudetenland. Katalog der Ausstellung, Red. Petr Mikšiček/Matěj Spurný/Ondřej Matějka/Susanne Zetsch, für Antikomplex e. V. herausgegeben vom Verlag Český les 2004.
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»Ar isier te« Betr iebe, 2008 Ulrike Kuschel
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Literatur der Er innerung Jörg Bernig Interview von Anne von Oswald
Jörg Bernig wurde 1964 in Wurzen (Sachsen) geboren und ist seit 1999 als Schriftsteller tätig. Seit 2005 ist er Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Seine literarischen Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit einem Stipendium des Deutschen Literaturfonds. Seine jüngsten Veröffentlichungen: Weder Ebbe noch Flut, Roman (2007), wüten gegen die stunden, Gedichte (2009), Mitherausgabe: Deutsch-deutsches Literaturexil. Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der DDR in der Bundesrepublik (2009). Oswald: Wie würden Sie die Rolle der Literatur in der Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit, insbesondere mit Flucht und Vertreibung, beschreiben? Bernig: Literatur ist ja nur ein Medium der Erinnerung und ein Baustein für das kulturelle Gedächtnis eines Volkes. Literatur ist somit zunächst einmal Auf bewahrung. Zum anderen fällt ihr einiges zu, wenn es um Fragen der Identität geht. Woher kommen wir? ist eine Frage, die sich gerade im Kontext von Flucht und Vertreibung dezidiert stellt. Und das betriff t nicht nur die so genannte Erlebnisgeneration, sondern auch und gerade die ihr folgenden Generationen. Das wird derzeit besonders deutlich, da jene nach und nach aussterben, die den Zweiten Weltkrieg sowie die Zeit davor und auch die Zeit unmittelbar danach bewusst erlebt haben und davon erzählen können. Diese Generation wies Literatur sicher oft die Rolle zu, Gewesenes zu evozieren. Literatur über Vertreibung (Aussiedlung, Bevölkerungstransfer, ethnische Säuberung, Zwangsmigration und wie es sonst genannt werden mag) ist mithin per se eine Verlusterzählung. Sie spricht von dem, was nicht mehr ist. Sie ist Elegie und Requiem in einem. Sie hält das Gewesene im Erzählen (noch einmal) lebendig.
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Oswald: Welche Erinnerungen an Krieg und Vertreibung sind in der heutigen Gesellschaft präsent? Bernig: Da haben wir zunächst (noch) die ganz individuellen Erinnerungen. Dann sind da diejenigen, die über Kommunikation in den Erinnerungshaushalt der nach dem Krieg geborenen Menschen eingegangen sind. Das wird zwei, drei Generationen mitgenommen, solange jene noch leben, die die Menschen der Primärerzählung kennen. Darüber hinaus wissen wir aus der Traumaforschung, dass zuweilen Traumatisierungen an die Kinder von Traumatisierten weitergegeben werden. Auch das ist – eine besonders traurige – Form von Erinnerung, die Kinder von Vertriebenen manchmal mit sich herumtragen. Dann haben wir das, was als Literatur, als Kunst überhaupt, und wissenschaftliche Forschung vorliegt. Beeinflusst wird das auch von Fragen der Erinnerungspolitik, wobei es hier nicht immer synchron zugeht… Und dann haben wir, wenn es um den Krieg geht, da etwas, das uns so sehr vor Augen steht, dass wir es glatt übersehen. Ich meine unsere Städte. Sie sind eine einzige große Erinnerung an die Kriegszeit. Unsere Städte sind noch immer versehrt und gezeichnet und erzählen auf diese Weise vom Bombenkrieg. Der Verlust jahrhundertealter Stadtkultur wurde zwar überbaut, aber nicht selten hebt diese Bebauung den Verlust umso deutlicher hervor. Paradoxerweise scheinen wir uns gerade daran gewöhnt zu haben. Oswald: Welche Deutungen und auch ›Geschichtskorrekturen‹ sind für Sie wichtig, wenn sie sich dem Thema Flucht und Vertreibung nähern? Bernig: Ich denke nicht in diesen Kategorien, wenn ich mich einem Thema – gleich welchem – literarisch nähere. Zudem nähern sich die Themen eher mir als umgekehrt. Oswald: Welche Rolle schreiben Sie sich selbst zu in der Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit? Bernig: Die eines Erzählers. Oswald: Aus welcher Motivation heraus beschäftigen Sie sich in Ihrem Buch Niemandszeit mit dem Thema Flucht und Vertreibung? Bernig: Die uns während der Balkankriege erreichenden Nachrichten, die Aussagen der Vertriebenen, die Auslöschung der – jeweils anderen – Kulturen, all das kannte ich aus einer sudetendeutschen Familienerzählung, die vor meiner Geburt eingesetzt hatte, in die ich hineingeboren worden 198
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bin. So war mir das, was uns während der 1990er vom Balkan berichtet wurde, bekannt. Lediglich die Ortsnamen und Familiennamen waren andere. Das stieß mich dann noch einmal darauf, dass Vertreibung ja eine kollektive mittelosteuropäische Erfahrung ist, die von Deutschen, Polen, Ungarn und vielen anderen geteilt wird. Die Motivation für meinen Roman war aber keine thematische, sondern eher eine literarische. Die Frage Wie das erzählen? war und ist für mich interessanter als die bloß faktische Widerspiegelung von Gewesenem oder die Abarbeitung eines Themas. Die Vielzahl der Erinnerungen klang ja bereits einmal an. Wenn ich mir darüber im Klaren bin, dass es die Erinnerung nicht gibt, dann ist Erzählen stets multiperspektivisch. Und jede Erzählung erhält angesichts der Pluralität der Erinnerungen ein ganz eigenes Existenzrecht, das weit über Rollenzuweisungen, politische Konjunkturen von Themen, Tabuisierungen oder Instrumentalisierungen hinausreicht. Oswald: Welche Resonanz fand Ihr Buch in Deutschland und Tschechien? Bernig: Das Buch hatte eine gute Resonanz, es wurde gelesen, von Rezensenten und auch von der Literaturwissenschaft wahrgenommen. Rezensenten klammerten sich freilich doch oft an das Inhaltliche, hatten nur Augen für das Vertreibungsthema. Literarische Umsetzung, Ästhetik und Sprache geraten bei solcher Perspektivenverengung gezwungenermaßen ins Hintertreffen. Die Fokussierung auf Thema, Aktualität und politischen Gebrauchswert führt – so scheint es – aber folgerichtig zur Blindheit gegenüber formalen, gegenüber künstlerischen Aspekten… Es gab zahlreiche Lesungen und somit Kontakt mit Lesern. Schüler haben den Roman im Unterricht besprochen, haben darüber Aufsätze geschrieben und mich zu Schullesungen eingeladen. Ich lernte ganz neue Formen literarischen Lebens kennen, als die Stadt Bad Hersfeld Niemandszeit zur Stadtlektüre wählte. Mein Roman wurde in Lesezirkeln, Kirchengemeinden, Bibliotheken, Schulen usw. gelesen und diskutiert. Ich wurde für eine Woche eingeladen, las selbst aus dem Roman. Am Schluss vor mehreren hundert Menschen in der Stadthalle. Andernorts kamen nach einer abendlichen Lesung zwei ältere Frauen auf mich zu, um mir zu sagen, dass sie in jenem ›letzten Ort der Welt‹ meines Romans eine Zeitlang gelebt hätten. Dass es ein fi ktiver Ort ist, störte sie nicht. Nun, Bücher scheinen immer Anekdoten nach sich zu ziehen, solche und solche. Hier noch eine von der unangenehmen Art. Noch vor Auslieferung meines Romans erschien irgendwo eine Besprechung. Kurz darauf und noch immer vor Auslieferung des Buches bekam ich Post ohne Absender. Hier der Wortlaut der Postkarte. Drucken Sie es ab, wenn Sie wollen. ›Schmierfink 199
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Jörg Bernig. Du Arschloch u. Hetzer. Verleumdest nicht die Henlein Nazis als 5. Kolonne sondern die Tschechen. Was weißt du von dieser Zeit? Dein Vater hatte dich noch gar nicht gefickt. Geh nach Afghanistan u lasse dir die ›Eier‹ rösten! Ein alter Sudetendeutscher!‹ Niemandszeit wurde mehrfach ausgezeichnet und ist in Deutschland momentan vergriffen. Auf Tschechisch ist der Roman allerdings erhältlich! Er erschien 2005 bei Mlada Fronta in Prag. Die Resonanz in Tschechien ist jedoch auf die Kreise beschränkt, die sich ohnehin um das deutsch-sudetendeutschtschechische Verhältnis kümmern. Dort wird – sei das bei Antikomplex, bei der Union für gute Nachbarschaft oder bei der tschechischen Ackermann Gemeinde – eine so beherzte wie wichtige Arbeit geleistet. Aber diese Kreise sind – das kann man nicht anders sagen – eine Minderheit. Wir bewegen uns auf heiklem Gelände, denn ein Großteil der tschechischen Gesellschaft steht der Vertreibungsgeschichte wohl doch ziemlich indolent gegenüber und wehrt alles mit dem Hinweis auf die an Tschechen begangenen Verbrechen der Nationalsozialisten ab. Zudem hat es nie eine Strafverfolgung von Vertreibungsverbrechen gegeben, was zumindest eine juristische Auseinandersetzung gewesen wäre. Im Gegenteil wurde 1946 ein Gesetz erlassen, mit dem ausdrücklich auf die Verfolgung solcher Verbrechen verzichtet wurde. Da reicht dann manches gezwungenermaßen bis tief in die Familien hinein, wo vielleicht heute noch dieser oder jener Täter lebt. Es ist nicht zu erwarten, dass man unter solchen Umständen auf einen Roman wie Niemandszeit wartet und über seine Ästhetik, sprachliche Gestaltung und Poetologie sprechen möchte.
Auszug aus dem Roman Niemandszeit von Jörg Bernig 1 »Der Präsident in der Hauptstadt arbeitete bis tief in die Nacht zum dritten September neunzehnhundertsechsundvierzig. Es gab so viel zu tun, seit er aus dem Exil zurückgekehrt war, und er hatte Großes vor. Er wollte sein Land zur Mitte Europas machen. Er wollte weder zu den einen gehören noch zu den anderen. Er wollte sie für seine Zwecke einsetzen, die westlich und östlich seiner Republik einander in Feindschaft gegenüberliegenden Kriegsverbündeten von gestern. Die Stunde war gekommen, daß Nation, Staat und Volk eins wären. Das hatte er vom ersten Präsidenten der Republik gelernt, daß dies das höchste Ziel der Politik sein müsse in einer 1. Jörg Bernig: Niemandszeit, Stuttgart, München: Deutsche Verlags-Anstalt 2002, S. 15-17.
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durcheinandergewürfelten Welt, wie sie die österreichische Monarchie geschaffen und hinterlassen hatte. Sie sollen sie haben, die saubere Trennung! dachte der Präsident schon in England, als noch Krieg war. Der Präsident arbeitete bis tief in jene Nacht, und vielleicht glaubte er, daß er sich einschrieb in das Buch der Geschichte. Saubere Striche! Anders ging es nicht. Auch wenn dafür drei Millionen aus dem Land gejagt werden mußten. Die Grenzen des Landes, der Länder überhaupt, sollten auch die Grenzen der Völker sein, der Sprache, der Art zu leben. Es war eine einmalige Gelegenheit. Saubere Striche! Es hatte schon begonnen, und noch ehe er zurückkehrte, ging die Hatz durch die Straßen von Prag: Jagt sie! Findet sie! Tötet sie! Der Präsident hatte erreicht, was er wollte. Er war durch das Land gereist und hatte verkündet, daß es bald, sehr bald, kein fremdes Volk mehr geben würde in der wiedererstandenen Republik. Er hatte dazu Dekrete erlassen, die für rechtmäßig erklärten, was getan werden mußte. Er hatte Gesetze unterschrieben, daß keiner je würde befragt werden können nach seinem Tun während der Zeit der Austreibung, der Säuberung. Ein Land in der Mitte Europas. Die zu der einen Seite hatten zugesehen und alles Geschehen gebilligt. Die zu der anderen hatten nur matt Einspruch erhoben und sich abgewandt. Sie hatten sich abgewandt, auch dann, als Nachrichten von der Säuberung Brünns und aus dem Internierungslager Pohrlitz bei ihnen eintrafen. Der Präsident hatte nicht erreicht, was er wollte. Das Land war nicht die Mitte Europas geworden. Es war dem Osten zugefallen. Er war zurückgekehrt aus dem Exil und hatte sich an die Arbeit gemacht. In der Nacht zum dritten September neunzehnhundertsechsundvierzig gönnte er sich nur wenig Ruhe.«
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Deutsch-polnische Knoten Leszek Szaruga im Gespräch mit Doris Liebermann
Leszek Szaruga zählt zu den bekannten Dichtern in Polen. Er wurde 1946 als Alexander Wirpsza in Krakau geboren. Er hat über 20 Gedicht- und mehr als 20 Essaybände veröffentlicht und zahlreiche Preise erhalten. 1 Außerdem ist er Redakteur der Zeitschriften Novaja pol’ša2 und Przegląd polityczny.3 Über Berlin und die polnische Literatur hat er mehrere Essays geschrieben, die in den beiden Bänden Deutsch-polnische Knoten erschienen sind. Seit seiner Berliner Zeit in den späten 1980er Jahren beschäftigt sich Szaruga mit der Vertreibungsthematik. Von 1992 bis 2004 arbeitete er an der Universität Stettin, 2003 habilitierte er an der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań zum Thema Geschichte, Staat, Literatur. Heute lehrt er Deutsche Literatur am Lehrstuhl für Interkulturelle Beziehungen in Mittel- und Osteuropa an der Staatlichen Universität Warschau. Seine Schwerpunkte sind die polnisch-deutschen und die polnisch-ukrainischen Beziehungen. 1967 debütierte Leszek Szaruga in der Zeitschrift Życie literackie mit ersten Gedichten unter seinem Pseudonym »Szaruga«, was soviel bedeutet 1. Auf deutsch ist von Leszek Szaruga der Band Eiszeit. Steinzeit, Hamburg 1999 erhältlich. Gedichte von Leszek Szaruga sind in zahlreichen Anthologien zu finden, z.B. in: Panorama der polnischen Literatur. Poesie. Band 2, herausgegeben von Karl Dedecius, Zürich: Ammann-Verlag 1996. 2. Die Zeitschrift Novaja pol’ša ist eine Zeitschrift über Polen für russische Leser, die in russischer Sprache erscheint. 3. Przegląd Polityczny wurde 1983 von den Danziger Historikern Donald Tusk und Wojciech Duda gegründet. Vor der Wende erschien das Blatt im Untergrund und befasste sich vor allem mit politischen und wirtschaftlichen Fragen. Seit Mitte der neunziger Jahre entwickelte es sich zu einer renommierten Kulturzeitschrift, literarische, philosophische sowie historische Texte traten in den Vordergrund.
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wie »Unwetter« oder »Landregen«. Damals stand es als Synonym für die politische Haltung seiner Generation – der polnischen 68er – gegen den starren Realsozialismus. Gleichzeitig galt es als literarisches Credo seiner Lyrikergeneration, der so genannten »Neue Welle« (Nowa Fala). Sein Philosophiestudium an der Warschauer Universität konnte er nicht beenden. 1968 wurde er als aktives Mitglied der Studentenbewegung festgenommen. Nach der Entlassung verdingte er sich als Schlosser, dann bei einer Hotelzeitschrift, nahm schließlich ein Fernstudium der Polonistik auf und promovierte über Polnische Lyrik seit 1939. Einen Namen als Dichter machte er sich überwiegend im literarischen Untergrund, im sogenannten »zweiten Umlauf«, wo seine Gedicht- und Essaybände erschienen. Leszek Szaruga ist von Kindheit an mit den Werken der Weltliteratur vertraut. Seine Mutter, Maria Kurecka, war eine bekannte Übersetzerin aus dem Deutschen ins Polnische, sein Vater war der Schriftsteller Witold Wirpsza. Die Eltern emigrierten 1970 nach West-Berlin. Jahrelang verweigerten die polnischen Behörden Leszek Szaruga eine Besuchsreise zu seinen Eltern. Nach dem Tod des Vaters zog er 1987 nach West-Berlin, um die kranke Mutter zu betreuen. Hier lernte er Deutsch und begann, deutsche Gedichte ins Polnische zu übersetzen u.a. von Else Lasker-Schüler, Sarah Kirsch und Johannes Bobrowski. Liebermann: Polen ist wie kein anderes Land in Europa von den Gewalterfahrungen und Totalitarismen des 20. Jahrhunderts geprägt. Stichworte: Zweiter Weltkrieg, Ermordung der Juden, Deportation von Polen nach Sibirien, Katyń, Verschiebung des polnischen Territoriums nach Westen, Vertreibung der Polen aus Lemberg und Wilna, Vertreibung der Deutschen aus den ehemals deutschen Ostgebieten, antisemitische Ausschreitungen 1968 bis hin zur Zersetzung der oppositionellen Milieus durch die Geheimdienste. Viele Themen wurden zu sozialistischen Zeiten verzerrt dargestellt oder waren ganz tabu. Welche Rolle spielt im Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung – sowohl die der Polen als auch die der Deutschen – in der polnischen Erinnerungskultur die Kunst, vor 1989 und nach 1989? Szaruga: Es stimmt, vor 1989 waren viele der von Ihnen genannten Themen tabu. Man muss sich vorstellen, nach dem Krieg war Polen ein Land, das von Osten nach Westen verschoben worden war. Ein Drittel der Gebiete im Osten waren verloren und neue Gebiete im Westen waren dazu gekommen. Man wusste das, aber man konnte darüber offiziell nicht schreiben. Die Kunst hat die Tabus an manchen Stellen gebrochen. Ich denke etwa an die Prosa von Tadeusz Konwicki, der seine Erinnerungen an Wilna niedergeschrieben hat, aber nicht realistisch, sondern 204
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in einer Art Imagination oder Traum. 4 Spuren davon, dass die Leute ihre Heimat verloren haben, waren nicht zu übersehen, dennoch konnte man nicht offen darüber reden. Eines Tages fiel mir eine medizinische Landkarte Polens in die Hände. Darauf war die Häufigkeit von Herzkrankheiten dargestellt. Am höchsten waren sie genau in diesen Gebieten, die wir nach dem Krieg bekommen hatten, also in den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Dort ließen sich die vertriebenen Polen aus dem Osten nach dem Krieg nieder, aber sie konnten nicht – wie z.B. die deutschen Vertriebenen in Westdeutschland – ihre Vertriebenen- oder Flüchtlingsorganisationen gründen. Die Leute konnten ihre Identität nicht behalten, und ich meine das Beispiel der hohen Zahl von Herzerkrankungen steht als Synonym dafür, wie es vor 1989 in Polen war. Dennoch haben vor allem die Schriftsteller an Wilna oder Lemberg erinnert, aber offen konnte man nicht darüber schreiben. Es gab Erzählungen, z.B. von Katarzyna Suchodolska aus Stettin, die schon in den 70er Jahren über die Probleme schrieb, die jemand hat, der in einer fremden Landschaft seinen Platz finden muss. Die zugewanderten Polen haben die Straßen der ehemals deutschen Orte unter sich mit den alten Namen der von ihnen verlassenen Gebiete benannt, offiziell bekamen die Straßen Namen von polnischen Königen oder polnischen Helden, um zu zeigen, dass dies nun eine polnische Stadt sei. So war die offizielle Politik. Dann, noch vor 1989, entwickelte sich allmählich eine Strömung in der Literatur, wo junge Autoren, die schon nach dem Krieg geboren waren, über die Vertreibungs- und Fluchtprobleme schrieben. Mirosław Spychalski,5 ein Breslauer Autor, hat im Untergrund eine Erzählung veröffentlicht, in der er eine Szene schildert, wie ein Deutscher nach Breslau kommt und die Restaurierung eines Hauses beobachtet, in dem sich früher seine Wohnung befand. Er möchte die Wohnung gerne ansehen. Einer der Arbeiter sagt zu ihm: »Deutscher, gib mir 20 Mark dafür.« Und der Meister sagt zu dem Arbeiter: »Du bist ein Unmensch, dass du Geld willst.« Denn der Meister stammt aus Lemberg und sagt, man soll für die Erinnerung kein Geld nehmen. Das Thema war sehr wichtig in der polnischen Literatur, wenn auch jahrelang tabuisiert. Es war nicht so einfach: die offizielle Propaganda war gegen die Vertriebenen4. Tadeusz Konwicki, geboren 1926 in Litauen, ist Autor von zahlreichen Romanen, Regisseur und Drehbuchautor. Seine Romane Das Loch im Himmel (1959), Das Tier-Mensch-Monster (1969), Chronik der Liebesunfälle (1974) sowie Bohin (1987) werden als Wilnaer Zyklus bezeichnet. 5. Miroslaw Spychalski wurde 1959 in Wrocław (Breslau) geboren. Er studierte Polonistik; 1988 ging er nach New York, heute lebt er in Wrocław. Er veröffentlichte Erzählungen, Reportagen, Gedichte in polnischen, deutschen und amerikanischen Schriften.
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verbände in Westdeutschland gerichtet. Dass Breslau oder Stettin ehemals deutsch waren, war ein Tabu. Der Vers von Tadeusz Rózewicz, dass »die Steine hier deutsch sprechen«, war eine Ausnahme. Liebermann: Um bei der Stadt Lemberg zu bleiben: ukrainisch Lviv, polnisch Lwów, eine von Polen, Ukrainern, Deutschen, Juden und Armeniern geprägte Stadt des alten Mitteleuropa, fiel bei der ersten Teilung Polens 1772 durch Russland, Preußen und Österreich an die Habsburger Monarchie. Lemberg wurde Hauptstadt des Königreichs Galizien und Lodomerien, wie der Österreich zugeschlagene Teil der alten polnischen Adelsrepublik fortan offiziell hieß. Erst nach dem Ersten Weltkrieg 1918 wurde die Stadt wieder polnisch, wenn auch nicht für lange. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt besetzte die Rote Armee im September 1939 den östlichen Teil Polens, von Lemberg aus fanden 1940 und 1941 die Massendeportationen polnischer Staatsbürger nach Sibirien und Kasachstan statt. 1941 zogen Hitlers Truppen in die Stadt ein, Ende Juli 1944 wurde sie von sowjetischen Einheiten erobert. Nach dem Krieg fiel die Stadt an die Sowjetunion. Der größte Teil der polnischen Bevölkerung wurde vertrieben. Viele Polen fanden, wie Sie schon sagten, im gerade von den Deutschen entvölkerten Breslau eine neue Heimat. Wusste man zu sozialistischen Zeiten überhaupt etwas von der polnischen Geschichte Lembergs? War sie völlig tabuisiert? Es leben auch heute noch fünfundzwanzig- bis dreißigtausend Polen in Lemberg, im heute ukrainischen Lviv. Es steht ein großes Denkmal des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz auf dem Lemberger Mickiewicz-Platz. Szaruga: Der Dichter Zbigniew Herbert6 hat zu sozialistischen Zeiten über Lemberg nur in Assoziationen geschrieben. Über die weiße Villa im Wald, unweit von Lemberg, wo man die Ferien verbrachte. Aber er hat den Namen Lemberg nie genannt. Auch Stanisław Lem7 hat in seinem Buch über Lemberg die Stadt nicht beim Namen genannt. Sein Buch über Lemberg heißt Das hohe Schloß. Der Schlossberg ist ein wichtiger Ort in Lemberg, aber der Name der Stadt fällt nicht. Das ist sehr wichtig. Liebermann: Aber die Eingeweihten haben doch erkannt, wovon die Rede war. Szaruga: Ja, natürlich. Das war ein Spiel der Autoren und der Leser mit der Zensur. Wir wussten, wovon die Rede war, aber niemand konnte offen 6. Zbigniew Herbert, 1924 in Lemberg geboren, starb 1998 in Warschau. 7. Stanisław Lem, 1921 in Lemberg geboren, starb 2006 in Krakau.
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darüber reden. Man konnte zwar eine Rezension über Lems Roman schreiben, aber man konnte nicht schreiben: Lem erinnert sich an die Stadt seiner Kindheit, Lemberg, die für ihn bis heute als Heimatstadt wichtig ist. So ein Satz hätte die Zensur nicht passiert. Außerdem hätte es so ausgesehen, als ob der Kritiker Lem hätte denunzieren wollen. Erst nach 1989, und zwar bis zum Ende seines Lebens, hat Lem wiederholt, dass Lemberg wieder polnisch werden muss. Ich würde es so sagen: meine Generation, aber auch die Leute von der Exil-Zeitschrift Kultura in Paris, wussten, dass man bezahlen muss, um etwas zu bekommen. Wir haben die Gebiete im Westen bekommen und mussten die im Osten aufgeben, um uns in den neuen Gebieten zu Hause zu fühlen. Die deutschen Flüchtlinge, die deutschen Vertriebenen haben ihre Heimat verloren, aber sie hatten ein Vaterland. Die polnischen Vertriebenen haben ihre Heimat verloren aber kein Vaterland bekommen, sondern nur einen Platz auf fremder Erde, nicht auf polnischen Gebieten. Die Deutschen sind nach Deutschland gekommen, die Polen in ein Niemandsland. Das ist ein Unterschied. Liebermann: Wie ging es Ihnen da wo Sie aufgewachsen sind? Sie haben als Kind in Stettin gelebt, ihre Mutter stammte aus Danzig. Wussten Sie mehr als andere? Szaruga: Ich bin in Stettin aufgewachsen, ich habe dort bis zu meinem zehnten Lebensjahr gelebt. Schon als Kind habe ich dort die Spuren der ehemals deutschen Bewohner entdeckt. Mein Vater hat zum Beispiel eine sehr große Bibliothek bekommen, die 42 Bände von Goethe und Werke von Heine enthielt. Heine war im Dritten Reich verboten. Die Bibliothek stammte aus der Villa eines Gestapo-Funktionärs, und er hatte Heine zu Hause! Auf dem Wasserhahn habe ich gelesen: »Warm – Kalt«, auf deutsch. In alten zerstörten Gebäuden habe ich Küchenutensilien gefunden, Gefäße für Salz, Pfeffer, Zucker, alles deutsch beschriftet. Auf den Straßen konnte man Kanaldeckel mit deutschen Inschriften sehen. Auf den Häuserwänden waren deutsche Schriftzüge zu erkennen. Das war für mich eine ganz normale Erfahrung meiner Kindheit, dass ich in einem Gebiet, das nicht ganz polnisch ist, aufwachse. Liebermann: Sind diese Erfahrungen Metaphern Ihrer Lyrik geworden? Szaruga: Nein. Meine Lyrik bewegt sich in einem metaphysischen Raum. Aber meine Essays und meine Prosa bewegen sich in der Realität. Und seit der Zeit, da ich Kontakt mit deutschen Kolleginnen und Kollegen habe, mit 207
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deutschen Freunden, finde ich es sehr wichtig, über diese nationalen und persönlichen Erfahrungen zu reden. Nach 1989 wollte ich – ich arbeitete damals im Polnischen Kulturinstitut in Berlin – eine Podiumsdiskussion über Flucht und Vertreibung organisieren mit dem Titel Verlorene Gebiete. Gemeinsame Erfahrungen von Polen und Deutschen. Das hat mir das polnische Außenministerium damals verboten. Das Thema war zu heiß. Liebermann: Aber ich erinnere mich, dass ein paar Jahre später – 1995 – auf Anregung des damaligen polnischen Botschafters in Deutschland, Janusz Reiter, im Polnischen Kulturinstitut in Berlin eine Podiumsdiskussion zu genau dieser Problematik stattfand. Reiter sprach damals von zwei nationalen Wahrheiten, zwei Geschichtsbildern, die nicht zusammenpassten. Das polnische war geprägt vom Leid der polnischen Bevölkerung während der NS-Besatzung und von der Unsicherheit der Existenz in den veränderten Grenzen. Die deutsche Wahrheit war geprägt vom Verlust der Heimat von Millionen Deutschen, aber sie hatte kein Nachdenken darüber eingeschlossen, wie die polnische Bevölkerung in die früheren deutschen Ostgebiete, nach Schlesien oder Pommern, kam. Reiter wollte ein Nachdenken über diese beiden Geschichtsbilder anregen, denn vor 1989 baute die polnische Arbeiterpartei PVAP durch die von ihr zensierten Medien ein Feindbild von der Bundesrepublik auf, um die Einbindung Polens in den sowjetischen Block zu rechtfertigen. Aber auch das polnische Verhältnis den DDR-Deutschen gegenüber war von Misstrauen begleitet, wenn auch offiziell der Eindruck erweckt wurde, dort lebten die besseren Deutschen – die, die an den Nazi-Verbrechen keine Schuld trugen. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks sind neue Prioritäten in Europa entstanden: Die Auffassung, dass nach dem Ende des Kalten Krieges in einem neuen europäischen System historische Aufrichtigkeit und Objektivität vonnöten sind, bestimmte zunehmend die polnisch-deutsche Diskussion nach 1989 – auch wenn es wieder populistische Rückfälle gab, bedenkt man die Reaktionen auf Erika Steinbach und die Pläne, ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu bauen. Szaruga: Ich würde das nicht sagen. Das ist eine andere Sache. Das ist die sogenannte offizielle Politik. Ich rede über menschliche Erfahrungen. Liebermann: Kann man also sagen, dass die Literatur und die offizielle Geschichtspolitik weit auseinandergehen? Szaruga: Das war immer so. Die offizielle Politik muss nicht immer genau so sein wie die Haltung von Leuten, die über individuelle und menschliche Probleme reden. Ein Beispiel ist die Prosa des Danziger Schriftstellers 208
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Paweł Huelle.8 Er redet über polnisch-deutsche Probleme oder deutschpolnische Probleme in einem ganz menschlichen Sinne, nicht in einem politischen. Für ihn sind die Gefühle der Menschen sehr wichtig, für die Politik ist das uninteressant. Politiker reden darüber überhaupt nicht. Günter Grass hat z.B. die Erzählung Unkenrufe über einen gemeinsamen Friedhof für die polnischen Vertriebenen aus Wilna und die deutschen Vertriebenen aus Danzig geschrieben. Das ist Kunst. Das ist eine Erzählung über menschliche Gefühle, nicht über Politik. Das hat mit Politik nichts zu tun. Liebermann: Und doch war es anfangs auch mit den Gefühlen nicht so einfach. Ich habe einmal ein Interview mit dem Danziger Schriftsteller Stefan Chwin gemacht, als sein Roman Tod in Danzig 1997 auf Deutsch erschien. In Polen heißt der Roman wie die Hauptfi gur, »Hanemann«. Der Roman spielt auf drei Zeitebenen, vor dem Krieg, im Jahre 1945, als die Deutschen fluchtartig Danzig verlassen, und kurze Zeit nach dem Krieg, als in die verlassenen Häuser der Deutschen Polen einziehen, ihrerseits Vertriebene aus den von den Sowjets besetzten polnischen Ostgebieten. Auch die Eltern von Stefan Chwin, der 1949 in Gdańsk/Danzig geboren wurde, kamen als polnische Flüchtlinge in die Stadt, in eine fremde Kultur, in fremde Häuser, in denen sich fremde Dinge befanden. Im Roman ist die Figur Hanemann ein Medizinprofessor, der gut polnisch spricht. Er wird Zeuge des historischen Prozesses, der die deutsche Stadt Danzig in die polnische Stadt Gdańsk verwandelt. Stefan Chwin sagte, er habe beim Schreiben des Buches Schuldgefühle gegenüber seinen Eltern und seiner Großmutter gehabt, weil er eine andere Perspektive als sie eingenommen hatte. Ihr Bild von den Deutschen basierte auf schlimmen Erfahrungen, aber er suchte eine symbolische Sprache für Dinge, die die polnisch-deutsche Geschichte überschreiten, die das Geheimnis des Todes oder des Sterbens berühren. Er wollte über weitaus allgemeinere menschliche Dinge schreiben als über die konkrete Geschichte. Aber noch einmal zu der Frage zurück: Welche Rolle spielt die Kunst in der Erinnerungskultur? Szaruga: Eine immer größere. Das ist interessant, weil wir nach 1945 nicht offen über die polnische Geschichte reden konnten. Es erscheinen immer mehr Romane und Erzählungen, auch Poesie, Texte, die über historische Erfahrungen erzählen, und zwar immer aus der menschlichen, individu8. Paweł Huelle wurde 1957 in Danzig geboren. Sein erster Roman »Weiser Dawidek« erschien 1987 (dt. 1992). Das Buch wurde von der polnischen Kritik als Meisterwerk und wichtigstes Werk der 1980er Jahre gefeiert.
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ellen Perspektive, nicht der politischen. Ich würde so sagen: politisch ist es eine gute Sache, dass die Deutschen ihre Ostgebiete verloren haben, das ist der Preis, den sie für den Krieg zahlen mussten. Das bedeutet aber nicht, dass die Leute, die ihre Heimat verloren haben, ohne Rechte sind, ohne Recht auf ihre Erinnerungen, ohne Recht auf ihre Gefühle. Und wenn die ehemaligen Einwohner nach Stettin, nach Breslau, nach Ostpreußen kommen, verstehen das die Leute immer mehr. Warum? Weil sie selbst Vertriebene sind. Die deutschen Gebiete sind besiedelt von polnischen Flüchtlingen, die ihre Heimat im Osten verloren haben. Das ist sehr wichtig, um das zu verstehen. Die meisten Deutschen wissen das einfach nicht. Die Deutschen wissen nicht, dass auch die Polen ihre Heimat verloren haben. Ich habe das Ende der 1970er Jahre sehr schmerzhaft in Deutschland erfahren, dass sie keine Ahnung davon haben. Ich habe bei einer Lesung in West-Berlin das Publikum gefragt. Das bestand aus jungen Schriftstellern, die zu der Lesung eines polnischen Oppositionellen gekommen waren, es waren keine einfachen Leute. Ich habe gefragt, welche Länder zwischen Polen und Russland liegen. Es war ein Schock, sie wussten das nicht. Dann habe ich ganz offen gesagt: Weißrussland, Litauen, Ukraine. Wow! Ich meine, Günter Grass ist so ziemlich der einzige Schriftsteller in Deutschland, der etwas darüber weiß, weil er aus Danzig kommt. Liebermann: Aber Siegfried Lenz und andere deutsche Autoren kommen auch aus den ehemals deutschen Ostgebieten und wussten es immer. Szaruga: Sie haben Recht. Auch Johannes Bobrowski gehört dazu, es gibt schon mehrere Autoren. die etwas davon verstehen. Aber mir scheint, dass die jüngere Generation in Deutschland kein Interesse daran hat. In Polen ist das anders. Es interessiert auch die jungen Autoren, und zwar Männer wie Frauen. Ein Beispiel ist der 2007 im Verlag Czarne9 unter dem Titel Małgorzatas Haus erschienene Roman von Ewa Kujawska. Er spielt in einer Stadt ohne Namen, die am Meer gelegen ist. Dort lebt Hildegard, schon vor dem Krieg. Die Männer müssen in den Krieg und kommen nicht zurück. 1945 taucht Małgorzata auf, die ihr Haus im Osten verloren hat und nun das Haus von Hildegard bekommt. Sie will aber nicht, dass Hildegard weggeht, beide Frauen leben zusammen in dem Haus. Zum Schluss fährt Hildegard nach Deutschland, trotzdem fühlt sich Małgorzata nicht völlig heimisch in diesem Haus. Das ist ein interessanter Roman, geschrieben von einer ganz jungen Autorin. Sie ist in den 1970er Jahren geboren, es ist ihr Debütroman. Er ist voller Empathie sowohl für Hildegard als auch 9. Der Verlag wurde 1996 von dem Schriftsteller Andrzej Stasiuk und seiner Frau Monika Sznajderman gegründet.
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für Solche Geschichten sind aus literarischen Gründen interessant, nicht aus politischen. Was passiert mit diesen Leuten, wie kommen sie ins Gespräch? Außerdem ist es ein Appell, die Spuren der deutschen Kultur zu schützen. Liebermann: Der Name der polnischen Exil-Zeitschrift Kultura ist bereits gefallen. Sie spielte zu Zeiten der Volksrepublik Polen in Paris die Rolle einer nicht-offiziellen Botschaft eines unabhängigen Polen und beeinflusste ein halbes Jahrhundert lang – zwischen 1947 und 2000 – das Geistesleben in der Volksrepublik vom Exil aus. Zu ihren Mitarbeitern gehörten die exzellentesten polnischen Publizisten und Emigrationsschriftsteller. Die Publikationen der Kultura spielten eine fundamentale Rolle bei der Bildung eines polnischen politischen Unabhängigkeitsbewusstseins sowie des europäischen Einheitsgedankens. Bereits 1981 hat der Publizist Jan Józef Lipski in der Kultura einen Essay mit dem Titel Zwei Vaterländer – zwei Patriotismen veröffentlicht, in dem er sich auf den Hirtenbrief der polnischen Bischöfe von 1965 berief, die den Deutschen die Hand zur Versöhnung gereicht hatten. Der Essay wurde in Deutschland nur wenig beachtet, in Polen löste er 1981 eine heftige Diskussion aus. Im November 1994 hat sich die Kultura erneut mit der polnisch-deutschen Thematik der Diskussion gestellt. Sie machte in polnischer Übersetzung ihre Leser zum ersten Mal mit literarischen Texten deutscher Autoren bekannt, die in den ehemaligen deutschen Ostgebieten spielen, Romanfragmente, Erinnerungen und Gedichte von Marion Gräfin Dönhoff, Siegfried Lenz, Johannes Bobrowski, Horst Bienek, Christian Graf von Krockow, Golo Mann. Sie haben diese Ausgabe der Kultura als Redakteur mitbetreut und die Texte ausgewählt. Enttäuschend für die Kultura und für Sie war die Reaktion in Deutschland. Szaruga: Der Chefreakteur der Kultura, Jerzy Giedroyc, hatte die Hoffnung, dass die deutsche Presse auf diese Ausgabe reagieren werde. Die Resonanz in der polnischen Presse war freundlich, und in der deutschen Presse gab es überhaupt keine Reaktion. Das war für uns, und auch für mich, eine große Überraschung, dass die Deutschen diese Ausgabe gar nicht bemerkt haben. Aber ich habe mich trotzdem weiter mit diesen Themen beschäftigt, ich habe z.B. über Johannes Bobrowski geschrieben, der über den polnischen Dichter Adam Mickiewicz und sein Wilna geschrieben hat. Es gibt auch einen Essay von mir darüber, dass die deutsche Sprache die erste Fremdsprache der polnischen Literatur ist. Alle Nobelpreisträger und Nobelpreiskandidaten aus Polen waren schon in der deutschen Sprache bekannt, bevor sie den Preis bekamen. 211
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Liebermann: Zwei Ihrer Essay-Bände haben Sie Deutsch-polnische Knoten genannt. Szaruga: Die polnisch-deutsche oder die deutsch-polnische Geschichte ist kompliziert. Für die Polen war Deutschland immer ein sehr wichtiger politischer Partner. Für Deutschland war Polen ein Nebenland, es lag im Osten, es war nicht so wichtig. Als ich mir deutsche Schulbücher angesehen habe, habe ich festgestellt, dass Polen keine Rolle darin spielt. In polnischen Schulbüchern spielt Deutschland dagegen eine sehr große Rolle. Hier besteht ein Ungleichgewicht. Wir haben gemeinsame Probleme. Wir müssen etwas mit diesen ehemaligen Ostgebieten machen, wir haben offene Fragen über die Interpretation der deutsch-polnischen oder polnisch-deutschen Geschichte, weil das nicht dasselbe ist. Wir müssen einen Dialog führen, und er entwickelt sich schon seit Jahren. Es gibt die Zeitschrift Dialog in Berlin. Sie hat zwei Untertitel. Auf polnisch: Polnischdeutsches Magazin. Auf deutsch: Deutsches Polen-Magazin. Das ist eine ganz gute Idee, um die Zeitschrift zu charakterisieren. Auch vor 1989 war diese Zeitschrift interessant, wenn auch verschiedene Themen tabu waren. Seit 1989 reden wir ohne Tabus. Es gibt Texte von polnischen Autoren, es gibt Texte von deutschen Autoren, und wir können verschiedene Haltungen zeigen, ohne dass das als politisch bedrohlich empfunden wird. Es gibt auch verschiedene andere Beispiele. Nach 1989 haben mehrere polnische Zeitschriften den Schwerpunkt auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete gelegt. Zum Beispiel die Zeitschrift Odra in Breslau oder die Zweimonatszeitschrift Pogranicza in Stettin. Es gibt noch andere Zeitschriften, die sich mit der polnisch-deutschen Vergangenheit und Zukunft beschäftigen. Wir können unsere Zukunft nicht ohne ein wahrhaftiges Wissen um die Vergangenheit bauen. Meiner Meinung nach war es eine tolle Idee, dass der Bürgermeister von Breslau den englischen Historiker Norman Davies beauftragt hat, eine Geschichte der Stadt zu schreiben. Sie erschien 2002 zeitgleich auf englisch, polnisch und deutsch mit dem Titel Breslau. Die Blume Europas. Liebermann: Wie ist es mit Ihren Studenten. Lesen sie historische Stoffe? Szaruga: Meine Studenten sind Ende der 1980er Jahre geboren. Für sie sind diese ganzen Probleme Urgeschichte. Zur Politik verhalten sie sich distanziert. Die Politik in Polen ist uninteressant für die jungen Leute. Sie bietet keine interessante Perspektive für diese Generation. Wenn ich in meinen Vorträgen über die polnisch-deutschen Probleme oder generell über Grenzprobleme rede, bis hin über die zwischen Islam und Christentum, nehmen sie dies eher theoretisch als praktisch auf. Für sie sind die 212
Deutsch-polnische Knoten
Probleme zwischen Polen und Ukraine, Polen und Litauen, Polen und Deutschland historische Probleme, keine aktuellen. Sie meinen, das läge alles hinter uns. Sie leben in einer anderen Realität, sie leben auch in der Massenkultur. Liebermann: Geben Sie Ihnen Texte zu lesen? Szaruga: Ja, natürlich. Nicht nur von Olga Tokarczuk, sondern auch Texte über die polnische Schuld gegenüber Weißrussland in der Zwischenkriegszeit, als es in Polen verboten war, weißrussische Schulen zu öffnen. Sie lesen darüber und reden darüber wie über historische Probleme. Sie sehen keinen Zusammenhang zwischen Geschichte und Gegenwart. Zum Schluss möchte ich eine Anekdote erzählen. Eines Tages fand in Olsztyn (ehemals Allenstein) eine Konferenz statt, die die Gesellschaft Borussia organisiert hatte. Olga Tokarczuk, Wojcimierz Kowalewski, Jarosław Klejnowski, ein Lyriker und Prosaiker, und ich, saßen danach noch bei einem Glas Wein zusammen. Ich habe gesagt: Thomas Mann war nie in Allenstein. Wollen wir nicht eine fi ktive Erzählung darüber schreiben, wie Thomas Mann hier eine Lesung hatte? Na ja, haben sie gesagt … Olga Tokarczuk hat eine Erzählung geschrieben, Wojcimierz Kowalewski hat eine Erzählung geschrieben, Jarosław Klejnowski hat ein Gedicht darüber geschrieben. Nur ich habe nichts geschrieben! (lacht) Aber das ist ein Zeichen dafür, dass wir mit dieser Geschichte spielen können. Wir, die Literaten, die Schriftsteller, die Künstler, haben schon genug Distanz zu ihr, um ohne Emotionen darüber reden zu können. Die Politiker haben das leider nicht. Für die europäische Erinnerungskultur glaube ich, dass Kunst die wichtigere Rolle hat. Es gibt den Aphorismus eines polnischen Autors, dessen Namen ich vergessen habe. Der Aphorismus lautet: »Länger lebt der Künstler als der Politiker.«
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Abgeschlossen, 2009 Piotr Żyliński
Das Schlüsselelement der Installation Abgeschlossen ist der Klang vieler Stimmen. Dieser entsteht durch Erzählungen von (ehemaligen) Einwohnern der Stadt Kreuz, in der früher ausschließlich Deutsche gelebt haben und in die nach dem II. Weltkrieg Polen aus dem Osten umgesiedelt wurden. Vor dem Krieg gehörte Kreuz zu Deutschland, heute ist es polnisch. Deutsche Einwohner wurden massenhaft ausgesiedelt, umgesiedelte Polen zogen in die zurückgelassenen Häuser ein. Ihre Erinnerungen werden in einer Holzkiste verschlossen – daher der Titel meiner Installation: Abgeschlossen. Der Titel muss per se Fragen aufwerfen. Der Akt des ›Abschließens‹ wirkt auf den ersten Blick skurril und ironisch. Die Aussage der Installation ist jedoch eine andere. Mit dem Wegschließen der Kreuzer beziehungsweise Krzyżowian Erinnerungen in eine Kiste tauchen viele Fragen auf. Zentral ist dabei die Frage, ob dieses Thema abgeschlossen ist oder ob eine weitere Diskussion notwendig ist? Welchen Bezug haben junge Menschen, Menschen meiner Generation, zu diesem Thema? Von Bedeutung ist, dass der Akt des Abschließens in dieser Arbeit von mir, einem 26-jährigen Mann, vorgenommen wird, der nie Zeuge der dargestellten Geschehnisse gewesen ist. Habe ich überhaupt das Recht dazu? Die heutige junge Generation geht eindeutig anders mit Erinnerungen an die Zwangsmigrationen, die durch den Zweiten Weltkrieg ausgelöst wurden, um. Deshalb stellt sich zwangsläufig die Frage, ob an dieser Stelle tiefer zu graben, nachzufragen oder Bilanz zu ziehen ist? Oder sollen die Stimmen der Menschen aus Kreuz für immer weggeschlossen werden?
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Pjotr Żyliński
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Kreuz/Krzyż Wielkopolski − Kreuzung deutscher und polnischer Er innerung : Ein Oral-Histor yWerkstattber icht Piotr Filipkowski und Anna Wylegała
Über das Oral-Histor y-Projekt in Kreuz/Krzyż Seit Mai 2007 führt das Zentrum KARTA unter der Leitung der Soziologen Piotr Filipkowski und Anna Wylegała in Krzyż ein Forschungsprojekt zur Dokumentation der Biografien und Erinnerungen ehemaliger und heutiger Bewohner der Stadt Kreuz/Krzyż durch.1 KARTA ist eine Warschauer Nichtregierungsorganisation, die sich mit der Dokumentation und Wissensvermittlung der neuesten Geschichte Polens und Mitteleuropas befasst. Das Projekt möchte Zeitzeugen eine Stimme geben – vor allem denen, deren Biografie zu »gewöhnlich« ist und daher nie Eingang in ein Geschichtsbuch oder das Programm einer Akademie finden würde. Die Stadt Kreuz war vor 1945 kein besonderer Ort, genauso wenig wir Krzyż es heute ist, es hat auch keine »außergewöhnliche« Geschichte. Im Gegenteil, es scheint eine Kleinstadt zu sein, die für diesen Teil der polnischen »wiedergewonnen Gebiete« typisch ist. Aber die Schicksale der ehemaligen und heutigen Bewohner, der Deutschen und der Polen, zeigen sehr eindrucksvoll die wichtigsten gesellschaftlichen Prozesse, die sich seit 1945 in diesem Teil Europas vollzogen haben. Von Sommer 2007 bis Frühjahr 2009 haben wir dort insgesamt 42 polnische und zwölf deutsche Interviews aufgezeichnet. Die lebensge1. Vgl. zur Theorie der Erinnerung u.a. Harald Welzer: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München: C.H. Beck 2005.
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schichtlichen Erzählungen fokussieren als zentrale biografische Wendepunkte die Zwangsmigrationen der Deutschen sowie der Polen und der damit einhergehende Verlust der Heimat.
Über die Zwangsmigrationen von Kreuz/Krzyż Im Nordwesten Polens, im Schnittpunkt dreier Regionen – Großpolens, Pommerns und des Landes Lebus – liegt die Kleinstadt Kreuz Ostbahn (Krzyż Wielkopolski). Die Stadt ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt für die Nord-Süd- und die Ost-West-Verbindung durch Polen. Alle Züge der Strecke Stettin – Posen halten in Krzyż. Krzyż gehört zu den zahlreichen Orten in diesem Teil Europas, wo nach dem Zweiten Weltkrieg ein vollständiger Bevölkerungsaustausch stattfand.2 Die Deutschen verließen die Stadt während und nach dem Ende des Krieges, die heute dort ansässigen Polen ließen sich nach dem Krieg in Krzyż nieder. Über die Flucht, Vertreibungs- und Umsiedlungserfahrungen der Deutschen und Polen während und nach dem Zweiten Weltkrieg ist in der stadtgeschichtlichen Beschreibung auf der Homepage von Krzyż wenig zu lesen, die Geschichte der ehemals deutschen Stadt Kreuz bleibt unerwähnt. Nach den Ergebnissen des Oral-History-Projektes lassen sich für die Deutschen, die Kreuz verließen, und für die Polen, die sich in Krzyż ansiedelten, verschiedene Gruppen und Phasen der Vertreibung unterscheiden.3 Die erste Phase der Vertreibung begann mit der Flucht der Deutschen Ende 1944, als ein großer Teil der Bevölkerung auf die Nachricht hin, dass die Rote Armee sich näherte, nach Westen flüchtete. Einige kamen nach dem Durchmarsch der Front zurück, fanden aber ihre Stadt bereits unter polnisch-sowjetischer Verwaltung vor. Ein Teil der Deutschen verließ Kreuz, andere warteten ab, was passieren würde. Was genau in Kreuz von in der ersten Hälfte des Jahres 1945 passiert ist, lässt sich auf Grundlage der gesammelten Erinnerungen nur schwer rekonstruieren. Gerade aus dieser Region mangelt es an Zeugnissen über 2. Bekannteste Stadt im heutigen Polen, die einen kompletten Bevölkerungsaustausch erlebte, war Breslau/Wrocław, siehe u.a. Gregor Thum: Die fremde Stadt Breslau 1945, Berlin: Siedler Verlag 2003. 3. Zu diesen verschiedenen Phasen von Flucht und Vertreibung in vergleichender Perspektive siehe u.a. Philipp Ther: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998.
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»wilde Vertreibungen«. Dafür haben wir Erzählungen von Deutschen zusammengetragen, die – auf verschiedenen Wegen – nach dem Durchzug der Front nach Hause zurückkehrten in der Hoffnung, dort bleiben zu können. Zudem haben wir Berichte von Polen gesammelt, die in jener Zeit an diesen für sie unbekannten und ungewissen Ort kamen (oder deportiert wurden). Diese erzwungene, teilweise aber auch freiwillige Migration kann als zweite Phase der Umsiedlung bzw. Vertreibung gekennzeichnet werden. Nach der Potsdamer Konferenz im August 1945, als die Grenzen Europas neu gezogen wurden, begann mit der organisierten Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Krzyż die dritte Phase. Dieser Prozess hielt bis Oktober 1946 an, als der letzte Transport den Bahnhof in Krzyż verließ. Bis dahin lebten die Deutschen mit den Polen zusammen, oft in einem Haus oder in einer Wohnung, sie arbeiteten miteinander, verbrachten den Alltag gemeinsam. Die Kontakte zwischen den beiden Gruppen gestalteten sich unterschiedlich: Viele Polen sahen in den Deutschen Vertreter der Besatzungsnation, die jetzt für die deutschen Verbrechen aus der Kriegszeit büßen sollten. Häufig wurden die Deutschen von den Polen daher schlecht behandelt, zu schwerer Zwangsarbeit herangezogen und gedemütigt. Es gab jedoch auch Polen, die aus ihrer eigenen Erfahrung der Zwangsmigration heraus Verständnis für die Deutschen auf brachten. Nur eine deutsche Familie entschied sich für den Verbleib in Krzyż. Die Bewohner, die die Stadt als Flüchtlinge verließen, kamen in die westliche Besatzungszone. Diejenigen, die nach dem August 1945 vertrieben wurden, kamen größtenteils in die sowjetische Besatzungszone. 4 Die Polen, die direkt nach dem Krieg nach Krzyż kamen, lassen sich wiederum in drei Gruppen unterteilen: Als erste kamen Einwohner aus umliegenden Dörfern und Kleinstädten in die Stadt, jene Nachbarn »hinterm Fluss«, die den Ort aus der Vorkriegszeit kannten und sich auf eigene Faust in der entleerten Stadt niederließen aus der die deutsche Bevölkerung vor der Roten Armee geflüchtet war. Ein Teil von ihnen hatte während des Krieges als Zwangsarbeiter in Kreuz gearbeitet. Nach dem Durchzug der sowjetischen Truppen kamen sie aus eigenem Willen in die Kleinstadt zurück. Die zweite Gruppe bildeten die so genannten Repatriierten aus Ost4. Zur unterschiedlichen Erinnerungskultur im geteilten Deutschland siehe u.a. Alexander von Plato: »Flucht und Vertreibung. Lebensgeschichte, Erinnerung und Realgeschichte. Vom geteilten kollektiven Gedächtnis in Deutschland«, in: Jan Motte/Rainer Ohliger (Hg.), Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik, Essen: Klartext 2004, S. 131-144.
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polen, Bewohner der östlichen Wojewodschaften, die bis 1939 Polen und ab 1945 den Sowjetrepubliken Litauen, Ukraine und Weißrussland angehörten. Die ersten Transporte von Ostpolen erreichten Kreuz in den ersten Tagen im Mai 1945, also noch vor Kriegsende, und die letzten über zwei Jahre später im Herbst 1947. Zur dritten Gruppe gehörten jene Einwohner, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Krzyż kamen und sich hier bessere Lebensbedingungen erhoff ten, wie es ihnen die neuen Machthaber der Volksrepublik versprochen hatten. Dieser Teil der Migranten kam vor allem aus Groß- und Zentralpolen, aber auch aus den Gegenden von Rzeszów und Lublin. Im Folgenden stellen wir die Lebensgeschichten einer deutschen und einer polnischen Frau vor, die nicht repräsentativ, aber doch typisch für die erlebte Zwangsmigration auf beiden Seiten sind. Aus den Fragmenten dieser Erinnerungen wird eine Geschichte von Kreuz/Krzyż (und vom Wandel von Kreuz zu Krzyż) sichtbar, wie sie heute in der offiziellen Version der Stadtgeschichte verschwiegen wird.
Eine deutsche Lebensgeschichte »Es war furchtbar.« Diese Worte sagt Frau Irmgard am häufigsten. »Es war furchtbar.« Sie spricht über ihre Flucht vor der Roten Armee nach Potsdam im Januar 1945. Nach Kriegsende kehrte sie nach Kreuz zurück, doch war Hinterpommern inzwischen polnisch geworden. Im April 1946 flüchtete sie erneut, um aus Polen heraus zu kommen. »Es war furchtbar«, sagt sie, »es war furchtbar.« Diese beiden Erlebnisse der Zwangsmigration sind bei ihr heute noch so gegenwärtig, dass sie sich an viele Details erinnern kann. Als ihre Mutter sie im Januar 1945 Hals über Kopf mit dem neunjährigen Bruder und der vierjährigen Schwester in den Zug Richtung Westen setzte, wurde sie, nach ihrer Aussage, schlagartig erwachsen. Plötzlich waren nicht mehr die Mutter oder der Vater verantwortlich für sie und ihre Geschwister, sondern sie allein. Sie war damals 15 Jahre alt – und für alle ging es um Leben und Tod: Der Zug wurde von sowjetischen Tieffliegern beschossen, mehrmals drohten sie zu erfrieren in jenem Winter, der tausende Flüchtlinge das Leben kostete. Wer ein Treffen von Vertriebenen und Flüchtlingen besucht und mit ihnen über die Vergangenheit spricht, der hört vor allem eine Geschichte: die Flucht. Nicht nur bei Frau Irmgard, sondern bei Millionen Deutschen, vor allem Frauen, hat sich diese Erinnerung tief eingeprägt. Die Flucht wurde oft als das schlimmste und traumatischste Ereignis ihres Lebens beschrieben. Dass sich in den letzten Jahren die öffentliche Debatte aus220
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schließlich auf die »Vertreibung« der Deutschen aus den Ostgebieten konzentriert, tut diesen Menschen Unrecht. Für sie war es die Flucht vor der Roten Armee und nicht die spätere Ausweisung, Umsiedlung oder Vertreibung aus Polen, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und anderen Staaten, die ihr Leben geprägt hat. Die meisten Deutschen in den Ostgebieten hatten im Laufe des Jahres 1944 noch nicht viel vom Krieg mitbekommen: Zwar wurden Menschen aus den ausgebombten Städten im Westen auch nach Kreuz evakuiert. Der Krieg im eigentlichen Sinne, die Front, schien weit weg. Im Herbst 1944 jedoch erreichte die Rote Armee das deutsche Reichsgebiet und fiel in Ostpreußen ein: Mit einem Schlag war alles Gerede vom entscheidenden Gegenschlag, der kurz bevor stehen sollte, Makulatur. Die Propaganda berichtete viel von sowjetischen Gräueltaten gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung. Sie waren größtenteils nicht einmal erfunden und sollten den Kampfgeist der Deutschen stärken, führten aber dazu, dass Millionen Deutsche im Osten unter keinen Umständen den Einmarsch der Sowjets erleben wollten und überstürzt die Flucht ergriffen; unvorbereitet, im tiefsten Winter. Anfang des Jahres 1945 näherte sich die Front der Stadt Kreuz. »Ich hatte auch eine Wahnsinnsangst, es liefen ja furchtbare Gräuelparolen, nicht Parolen, was ja auch Tatsachen waren, was die Russen mit den deutschen Frauen machten. Und ich sag: ›Ich will hier weg! Ich will hier weg!‹«, erinnert sich Frau Irmgard. Die Mutter wollte jedoch nicht flüchten, sie blieb in Kreuz, um auf das Haus aufzupassen. Sie setzte die 15-jährige Tochter mit den beiden Geschwistern in einen überfüllten Lazarettzug: »Dann fuhr der Zug bis ungefähr Driesen, ein Stück, dann kamen russische Tiefflieger, ja, Tiefflieger sagte man. Und dann wurde dieser Zug mit MGs beschossen! Also, Sie glauben gar nicht, es war furchtbar! Obgleich der ganz groß gekennzeichnet war als, als… mit Rotkreuz. Und diese MGs, da saßen bloß zwei oder drei Russen drin, ja. Das waren so kleine Flugzeuge. Und die, die flogen so, dass sie in die Scheiben schießen konnten. Also, es war ein Schreien in dem Zug. Und der hielt natürlich an, der konnte auch nicht weiterfahren… […]. Wir sahen dann, wie diese, diese Flugzeuge – da konnte man die Chaussee einsehen, wo die Trecks, die Flüchtlingstrecks unterwegs waren, wie die Flugzeuge dann im Tiefflug den Treck beschossen haben, wo die Menschen auf ihren Wagen saßen, und die Pferde galoppierten hoch und kippten um. Also, Sie können sich das nicht vorstellen, wie furchtbar das alles war…«
Die Fahrt von Frau Irmgard und ihren Geschwistern endete in Küstrin an der Oder, nach einigem Warten fuhr ein Güterzug Richtung Berlin. Zwar ging die Fahrt weiter, doch gab es zugleich ein anderes Problem: »Und 221
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diese Kälte. Also wir waren fast alle am Erfrieren, wir sind dann ganz dicht zusammen gekrochen, haben uns alle umklammert…« Sie hielten hinter Königswusterhausen südöstlich von Berlin, mit verschiedenen Zügen kamen sie zu Verwandten nach Potsdam. »Und dann war mein Cousin an der Tür, der Hansi, der war ein Jahr jünger, oder zwei Jahre jünger als ich… Der war sprachlos. Ich sag: ›Hansi, wir mussten flüchten, der Russe steht vor Kreuz‹. Da sagt der Hansi: ›Wat denn, wat denn? Det glob ich nech‹. Das hör ich noch: ›Det glob ich nech‹. Der konnte das gar nicht begreifen! Der Russe ist ja damals so schnell vorgerückt.«
Eine Woche später kamen auch die Eltern nach Potsdam. Die Mutter war wenig später doch geflüchtet, der Vater war Lokführer und mit einem Zug in den Westen gelangt. Am 14. April 1945 erlebten sie die Bombardierung Potsdams: »Also, das war die Hölle! Wir saßen in den Kellern… das Ganze, der Keller war wie ein Schiff, so ging das immer. Und diese, diese, diese Bomben, dieses Getöse! Wir waren… Das brannte draußen auch alles. Wir waren mit den Köpfen so, dass die Köpfe auf dem Fußboden, immer tiefer. So ein Druck, diese Druckwellen….« Kaum war der Krieg vorbei, fuhren die Eltern per Rad nach Kreuz zurück. Niemand hatte damals erwartet, dass die Gebiete direkt hinter der Oder polnisch werden sollten, also machten sich viele wieder auf den Weg nach Hause. Nach mehreren Wochen kehrte die Mutter zurück und holte die Kinder ab, diesmal fuhren sie mit dem Zug. Dreimal wurden sie überfallen, zweimal von sowjetischen Soldaten, die alle Koffer mitnahmen und anschließend mehrere Frauen aus dem Zug holten und vermutlich vergewaltigten, und am Ende der Reise raubten polnische Jugendliche die Reisenden aus. »Mit Rasiermessern haben die nach unseren Handgelenken geschnitten, weil wir nichts festhalten durften. Alles was wir noch hatten, haben sie weggenommen. Also, es war furchtbar«, erinnert sich Frau Irmgard. Als sie in Kreuz ankam, war das Entsetzen groß: Kreuz gab es nicht mehr – die Stadt war jetzt Krzyż. »Und die ist ja voller Polen«, musste sie erstaunt feststellen. Das Wohnhaus ihrer Eltern war schwer beschädigt, die Möbel waren alle weg. Ihr Vater und sie selbst mussten schwere Zwangsarbeit leisten, für Polen oder für Sowjets. Der Vater fuhr keine Loks mehr, sondern musste sie nun reparieren. Frau Irmgard wurde zum Verlegen von Gleisen und zur Demontage von Fabriken eingesetzt, die in die Sowjetunion geschaff t wurden. »Wir durften nicht auf dem Bürgersteig gehen, wir mussten auf’m Fahrdamm gehen. Und Schuhe hatten wir überhaupt keine mehr, wir liefen mit Holzpantoffeln rum. Und wurden auch bespuckt. Aber von jungen Polen, ja, die waren ja natürlich auch alle auf222
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gehetzt«, erinnert sich Frau Irmgard. Die Mutter fand Anstellung im katholischen Pfarrhaus als Wirtschafterin des Pfarrers. Bei vielen polnischen Katholiken, so erinnert sich Frau Irmgard, stieß es auf wenig Gegenliebe, dass gerade eine Deutsche dem polnischen Pfarrer den Haushalt führte, doch konnte sie diese Stellung bis zur Ausreise im Oktober 1946 behalten. Ihr war sogar angeboten worden, mit ihrer Familie in Polen bleiben zu können, doch sie wollten nach Deutschland. Im April 1946 hieß es in Krzyż, dass die jungen Deutschen zum Wiederauf bau nach Warschau gebracht werden sollten. Frau Irmgard entschied sich, erneut zu fliehen. Zusammen mit ihrer Schulfreundin Ingrid versteckte sie sich im Kohlentender eines Zuges, der Richtung Westen fuhr. »Und dann sind wir da rein gekrochen, in diesen Werkzeugkasten beide. Wurde der Deckel zugemacht, da lag natürlich Hammer und alles Mögliche drin und da lagen wir nun drin, auf diesem Werkzeug.« Doch waren die beiden Freundinnen nicht die einzigen Flüchtlinge in dem Zug. Weitere Zivilisten versteckten sich in den Waggons, deutsche Soldaten, die aus Gefangenenlagern geflüchtet waren, hingen unter dem Zug: »Und in Küstrin, das war ja nun vor der Oder noch, hielt der Zug lange. Und da haben sie alle rausgeholt, die sich da – och, diese, diese Frau auch mit den Kindern aus dem, die da versteckt war in dem Waggon wo die Eisenbahner drin waren. Und ein Geschrei, und dann haben sie die gefunden, die sich auch unter die Züge, unter die Waggons gebunden haben, die Soldaten. Und dann hörte man immer, wie das klatschte, da mit Gummiknüppel drauf. Und ein Geschrei. Und auf Polnisch. Und wir da in dem Kasten! Na, haben wir gedacht: ›Jetzt holen sie uns auch raus‹. Was glauben Sie, da hatte sich ein Russe drauf gesetzt, auf den Kasten, oben auf den Tender. Auf diesen Werkzeugkasten. Wo wir drin lagen.«
Sie wurden jedoch nicht entdeckt, sondern fuhren bis Strausberg nordöstlich von Berlin. Als sie aus ihrem Versteck herauskamen, wurden die sowjetischen Soldaten, die im nächsten Waggon ihr Quartier hatten, auf sie aufmerksam: »Und da wollten sie uns mit Gewalt in ihren Waggon rein haben, ja. Und die Ingrid hatten sie schon gepackt.« Noch rechtzeitig schritt die russische Polizei ein und verhaftete die beiden Frauen. Nach einigen Tagen kamen die beiden wieder frei und wurden in ein Auffanglager in Berlin-Lichtenberg gebracht. Von dort schlugen sie sich bis zum Harz durch, um die Grenze zwischen der sowjetischen und der britischen Besatzungszone zu überqueren, denn die ältere Schwester war seit 1944 in Braunlage. Der erste Versuch misslang, drei Tage lang befanden sie sich erneut in sowjetischem Arrest. Beim zweiten Anlauf bezahlten sie zwei junge Männer, um über die Grenze geführt zu werden. »Und dann sind wir die ganze Nacht gelaufen, gelaufen! Wir konnten schon nicht mehr. 223
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Durch kleine, kleine Bäche da durch. Ingrid hat ’nen Schuh verloren. Es war furchtbar!« Schließlich erreichten sie die britische Zone und Braunlage. Damit war ihre Odyssee, die anderthalb Jahre zuvor begonnen hatte, beendet. Weiter wollte Frau Irmgard, so erinnert sie sich, nicht mehr, sie hatte genug. Noch heute lebt sie im Harz.
Eine polnische Lebensgeschichte Frau Walentyna wurde 1915 in einer Kleinstadt bei Nowogródek (heute Weißrussland) in eine wohlhabende Bauernfamilie geboren. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg schloss sie ein Lehrerseminar ab und arbeitete in einer allgemein bildenden Schule auf dem Lande. 1939 erhielt sie einen Studienplatz an der Pädagogischen Fakultät der Lemberger Universität, doch der Kriegsausbruch durchkreuzte ihre Pläne und sie musste nach Hause zurückkehren. Während der sowjetischen und der deutschen Besatzung arbeitete sie in einer Schule mit weißrussischer Unterrichtssprache. Als Nowogródek 1944 erneut von der Roten Armee eingenommen wurde, ordneten die neuen Behörden die »Repatriierung« der Polen an – alle Polen sollten die Ostgebiete verlassen und nach Polen in die so genannten »wiedergewonnenen Gebiete« ausreisen. Frau Walentyna entschied sich mit ihrem Mann und der zweijährigen Tochter im April 1945 für die Ausreise. »Die Ausreise nach Polen, die Repatriierung, war nicht unter Zwang. Aber wer sich als Pole fühlte und Patriot war, nutzte diese Gelegenheit gerne. Damals, als mein Mann sich schon eingetragen hatte, und meine Familie größtenteils auch, kam so ein sowjetischer Beamter und fragte meinen Mann auf Russisch: ›Herr Jerzy, warum fahren Sie da nach Polen? Mein Mann antwortete darauf: Da sind Polen, polnische Schulen, ich werde in meinem Land arbeiten. […] Dieser Fuß, der hier geht, wird auch da gehen. […] Aber das wird anders sein.‹ − Und es war so wie er sagte… Und deswegen fuhren wir mit gemischten Gefühlen. Ich hatte schon ein zweijähriges Kind, ich war schwanger, hochschwanger, nach der Ankunft kam im September das Kind. Jeder hat geguckt und gesagt: ›Na, Mädchen, wo willst du denn hin? Hier hast du dein Heim, hier wurdest du geboren, sind deine Geschwister.‹ Aber meine Schwestern machten sich auch fertig für die Ausreise. Und alle reisten aus. […] Es war nicht einfach, sich für die Ausreise zu entscheiden – man musste seine Heimat für immer verlassen, das Haus, vertraute Orte. Man hatte Angst davor, was einen am neuen Wohnort erwarten würde. Die sowjetische Propaganda sprach von reichen, leeren Städten, die auf die Umsiedler warteten, aber die Nachrichten von denen, die bereits ausgereist waren, klangen ganz anders – es war die Rede von zerstörten Häusern und Menschen, die den Umsiedlern gegenüber feindlich eingestellt waren. Auch die Reise selbst war
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nicht einfach, schon gar nicht für eine Schwangere mit einem kleinen Kind. […] Schließlich reisten wir aus. Man gab uns Güterwagen. Es fuhren auch Bauern und Landwirte, sie nahmen ihr Vieh mit, Pferde, landwirtschaftliche Geräte. Es fuhr also so ein großer Zug. Die Vorbereitungen dauerten lange. Ich habe Zwiebäcke getrocknet, denn wir wussten nicht, wie das sein wird. Meine Mutter machte ein ganzes Glas Butter. Wir fuhren los, wir fuhren wohl über eine Woche, am 09. Mai kamen wir an, am Tag der Befreiung. Wir, mein Mann, ich und unsere Tochter, wir hielten uns an die Familie der älteren Schwester, sie kamen vom Bauernhof, da hatten sie Kühe, zwei wohl, da hatten wir Milch. Wir fuhren zusammen in einem Waggon. Wir schliefen auf Stroh, so gepolstert, wer Matratzen hatte, schlief auf Matratzen. Wenn wir hielten, gingen wir raus, das Vieh versorgen, wir hielten oft. Sie mussten füttern, den Kindern musste man was kochen, sie machten Feuer.«
Am 9. Mai 1945 kam der Transport in Krzyż an. In der Stadt gab es noch keine polnische Verwaltung, nur das Staatliche Repatriierungsamt bestand bereits. »Am 10. Mai waren wir schon am Bahnhof in Krzyż. Das kam uns alles hier komisch vor, die Aufschriften waren überall noch in Deutsch, am Bahnhof stand »Kreuz«. Wir haben gezeltet, auf dem Platz neben dem Bahnhof, später wurden wir verteilt, auf einzelne größere Gebäude. Aus meinem Transport, in dem meine Nachbarn und meine Familie überwogen, zelteten alle bei der Schule an der die Aufschrift »Hermann Göring Schule« war. Das war die deutsche Mittelschule. Hier übernachteten wir einige Nächte, und als das Wetter nicht mehr entsprechend war, hat man uns mit den Kindern Schlafquartiere in der Schule vorgeschlagen. Dort haben wir für die kleinen Kinder auch Essen gekocht. In der Stadt entstand schon das Repatriierungsamt, das so genannte Staatliche Repatriierungsamt. Da sind unsere Männer hingegangen, um einen Arbeitsplatz und eine erste Möglichkeit zu finden, wo wir uns niederlassen können. Mein Mann, obwohl wir Lehrer waren, mein Mann war nicht erpicht darauf, in einer Schule zu arbeiten, da das System schon sozialistisch war, kommunistisch. Und gerade wir hatten damit schon Erfahrung, wir hatten also keine Lust auf Arbeit im Schulwesen. Na, und er bekam einen ehemals deutschen Bauernhof zugeteilt und dahin haben wir uns mit der Familie meiner Schwester und dem Schwager aufgemacht.«
Die Stadt in den von den sowjetischen Behörden so genannten »wiedergewonnenen Gebieten« machte auf Frau Walentyna einen sehr schlechten Eindruck. Krzyż war zerstört, es fehlte an Grundlebensmitteln, Reinigungsmitteln, Medikamenten. Die Häuser und Geschäfte im Stadtzentrum waren leer, die meisten Bewohner waren vor der nahenden Front geflohen, und das Mobiliar hatten sich die Polen aus den umliegenden Dörfern geholt. In der Stadt war es nicht sicher. Durch den Bahnhof kamen zahlreiche 225
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Militärtransporte, durch die Straßen streunten zurückgebliebene sowjetische Soldaten. Auch aus diesem Grund entschied die Familie, sich auf dem Lande außerhalb von Krzyż niederzulassen. Auf dem Bauernhof, den sie zugeteilt bekommen hatten, lebten noch Deutsche. »Das Zusammentreffen mit den deutschen Bauern, die dort noch lebten, war sehr angespannt. Mein erster Eindruck war sehr traurig, denn die Deutschen, das ist verständlich, traten uns mit einer Abneigung entgegen, geradezu wie Usurpatoren, wie Angreifer auf ihr Gebiet. Aber wir haben ihre Lage verstanden, denn wir haben im Osten etwas Ähnliches erlebt, denn zu uns waren auch schon Leute aus dem Osten gekommen, aus der Gegend von Minsk und entfernten weißrussischen, sowjetischen, russischen Ortschaften. Das Zusammentreffen mit dem deutschen Bauern war sehr traurig, aber schon eher versöhnlich. Er kam zu uns und schlug uns selber vor, seinen Hof zu übernehmen. Ich erinnere mich, dass das Bauer Ikert war, an den Namen erinnere ich mich. Ein sehr freundlicher älterer Herr. Zusammen mit meinem Mann sind wir herumgegangen, ausführlich zeigte er uns seine Ländereien, seine Nutzfl ächen und Wiesen. Denn die Ländereien lagen an der Netze, die Höfe lebten eher von der Viehzucht, denn hier waren ertragreiche, schöne Wiesen. Na, er hat uns genau herumgeführt, zeigte die Grenzen, alles war schon ausgesät. Traurig war das. Ich weiß, dass ihn das sehr mitgenommen hat, er hat gute Miene zum bösen Spiel gemacht, aber es fiel ihm schwer, das ist verständlich. Danach gingen wir ins Haus, da saßen die Frauen. Und Frauen gehen mit allem immer sehr emotional um, erleben das tief, sie wollten einfach nicht mit uns reden. Ich habe fünf Jahre lang, ja sieben Jahre lang Deutsch gelernt, ich konnte mich verständigen, also legte ich los… Da saß so eine Großmutter, und eine junge Frau, deren Mann an der Front war, sie wartete auf seine Rückkehr. Na und irgendwie habe ich mich mit den deutschen Frauen unterhalten und irgendwie wurden sie sanfter, sie begannen mir zu zeigen, wo sie die vorbereiteten Obstvorräte haben, sie haben uns sogar was angeboten, sie erzählten, wie sie das gemacht haben und ich zeigte, dass ich mich für alles interessiere… Ich erinnere mich, dass der Deutsche erklärte, warum er zu uns gekommen war und uns selbst den Hof angeboten hat. Weil er wissen und sich einprägen wollte, wer auf den Hof kommt. Er hat sich sogar unsere Namen und Vornamen notiert. Und er sagte, dass es ihm angenehm sei, denn ›Sie sind Lehrer, also gehe ich davon aus, dass Sie ehrlich arbeiten werden, und ehrlich den gesamten Besitz, den wir zurücklassen, nicht zerstören.‹ […] Die Deutschen wurden ein halbes Jahr nach unserer Ankunft in den Westen ausgesiedelt. Das waren sehr, sehr schmerzliche Momente, denn die sowjetischen Soldaten haben sich nicht immer korrekt verhalten. Es gab Plünderungen, Vergewaltigungen. Ich erinnere mich, es gab so ein Fräulein, die Tochter, sie hatte Angst, alleine zu ihrer Freundin zu gehen, die noch in irgendeinem der Häuser wohnte und bat mich immer, sie zu begleiten, weil sie Angst hatte. Das waren schmerzliche Momente. Sehr schmerzlich war es,
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als aus unserem Hof, den wir übernommen hatten, der Großvater mit der Großmutter und eine junge Frau hinter einem Soldaten hergingen, mit drei Kindern. Ich weiß nicht mehr, wie sie zum Bahnhof in Krzyż gekommen sind. Am nächsten Tag kamen sie weinend zurück, weil, wie sie erzählten, ›sie uns ausgeraubt haben‹, sie hatten keine Schuhe mehr, nichts, ›und auf dem Dachboden‹, sagten sie, ›haben wir noch welche.‹ Sie fragen uns also, ob sie auf den Dachboden können. Ich sage: ›Das ist alles noch euer. Geht und nehmt, was ihr braucht.‹ Na, sie nahmen die alten Schuhe, zogen sie an, sie fanden irgendwelche alten Jacken. Was sie fanden, zogen sie an, wenn es denn ging. Und dann sind sie wirklich zum Bahnhof gegangen, oder mit irgendeinem Wagen, weiß ich nicht mehr, und fuhren alle nach Deutschland.«
Nach der Vertreibung der Deutschen aus Krzyż kamen mehr und mehr Siedler, nicht nur aus dem Osten, sondern auch aus Groß- und Zentralpolen. Es kamen vor allem Polen, die vor dem Krieg direkt auf der anderen Grenzseite gewohnt hatten. Obwohl alle Migranten gleicher Nationalität waren, unterschieden sie sich in ihrer Kultur und Sprache: »Sie, die von hier waren und vor dem Krieg unweit von Kreuz gewohnt hatten, traten uns ein bisschen mit Spott entgegen, als würden sie fühlen, dass ihre Kultur irgendwie höher sei. Die Bäuerinnen fühlten sich im Kontakt mit unseren Landfrauen besser, höher, das konnte man merken. Sie begannen, uns spöttisch »Hadziaje« zu nennen, denn auf Russisch heißt ›haziajin‹ Landwirt. Und unsere Sprache war auch nicht das Polnische der gebildeten Schichten. Es kamen Leute aus Dörfern, oft mit Dialekt, eine weißrussisch-russische Mischung. Wenn sie das hier geredet haben, dann nannte man die schon ›Hadziaje von hinterm Bug‹ (›zabużańscy hadziaje‹). Und wenn unsere loslegten, dass man hier auf dem Lande nicht ›Kartoffel‹ (›kartofle‹) sagt, sondern ›Pyry‹, dann nannten sie sich gegenseitig ›Pyry‹. Hier trafen sich ›Hadziaje‹ und ›Pyry‹. Schon von sich aus ein großer Unterschied. Die Dörfer sind hier so geordnet, wie aufgereiht. Ich schaue auf diese Häuser… sie haben Kanten, Ecken, rechte Winkel, weil das alles gemauert war. Und bei uns im Osten eher so leicht, weil aus Holz, Holzplanken. Eher so eine weiche Bauweise, wohlwollend, leicht. Und hier so steife, geordnete, gerade Dörfer. Jetzt hat sich das schon ausgeglichen, so viele Jahre, schon 60 Jahre. Sie haben sich schon miteinander verheiratet, es gleicht sich schon an. Aber irgendwo sind noch solche Echos von den ›Hadziaje‹ und ›Pyry‹. Die Leute aus dem Osten sind herzlicher, überschwänglich, nachbarschaftlich, würde ich sagen. Hier – die deutsche Art, alles wird abgezählt, sie geben dir nichts, stellen dir nicht sofort einen Kaffee hin, bewirten nicht. Bei uns kommt sofort alles auf den Tisch. Aber hier zählen sie.«
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Filipkowski, Wylegała
Frau Walentyna wohnte mit ihrer Familie vier Jahre auf dem Land. Unter den Bedingungen der Stalinisierung der polnischen Schulbildung wollte sie nicht in den Lehrerberuf zurückkehren. Doch mangelte es in den »wiedergewonnenen Gebieten« an Lehrern; Kinder gingen nicht in die Schule, weil es niemanden gab, der sie hätte unterrichten können. 1949 entschied sich Frau Walentyna mit ihrem Mann, in der örtlichen Grundschule zu arbeiten. Weil sie als Landlehrer verpflichtet waren, die Eltern der Kinder zum Beitritt zur Kolchose zu werben, zogen sie 1951 nach Krzyż um. In der dortigen Grundschule arbeitete Frau Walentyna bis zur Rente. Mitarbeit und Übersetzung: Roland Borchers
Literatur verzeichnis Borodziej, Włodzimierz/Lemberg, Hans (Hg.): Niemcy w Polsce 1945-1950. Wybór dokumentów, t. III, Województwa poznańskie i szczecińskie, Warszawa: Neriton 2001. Plato, Alexander von: »Flucht und Vertreibung. Lebensgeschichte, Erinnerung und Realgeschichte. Vom geteilten kollektiven Gedächtnis in Deutschland«, in: Jan Motte/Rainer Ohliger (Hg.), Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft. Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik, Essen: Klartext 2004, S. 131-144. Ther, Philipp: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. Thum, Gregor: Die fremde Stadt Breslau 1945, Berlin: Siedler Verlag 2003. Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung, München: C.H. Beck 2005.
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Weder hier noch dort – Ver treibung im Dokumentar film1 Margit Eschenbach Interview von Andrea Schmelz
Die Filmemacherin Margit Eschenbach wurde 1948 als Tochter einer Vertriebenenfamilie in Lübeck geboren. Heute lebt die Filmemacherin in der Schweiz, wo sie als Professorin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich tätig ist. Nach dem Studium der Geschichte, Sozialwissenschaften und Pädagogik in Frankfurt a.M. war sie zwischen 1982 und 1991 als Dozentin an der Film- und Fernsehakademie Berlin und an der Akademie der Künste in Berlin tätig. Seit 1985 arbeitete Margit Eschenbach an eigenen Filmen als Autorin, Regisseurin und Produzentin. Sie beteiligte sich an vielen internationalen Filmfestivals und erhielt zahlreiche Preise. Der Balkan-Krieg in den 1990er Jahren und die eigene Familie waren der ausschlaggebende Anstoß zu ihrer fi lmischen Auseinandersetzung mit den Themen Flucht und Vertreibung, die in den beiden Autorenfi lmen Eigentlich sind wir (auch) von hier (2004) und Weder hier noch dort (2007) bearbeitet werden. Aktuell arbeitet Margit Eschenbach an einem audiovisuellen Projekt zur Vergangenheitsaufarbeitung (Arbeitstitel: Welche Zukunft hat unsere Vergangenheit?) Schmelz: Welche Themen behandeln Sie in Ihren Filmen? Eschenbach: Meine großen Themen sind Erinnerung, Gedächtnis, Erinnerungskultur. Ich habe auch über Buchenwald gearbeitet und einen Film gemacht, der in der Gedenkstätte Buchenwald zu sehen ist. Das Thema ist weltweit stark in der Öffentlichkeit und bewegt die Menschen, zum Bei1. Das Interview fand im September 2008 in Berlin statt.
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Margit Eschenbach
spiel auch in Japan. Das Motto des japanischen Pavillons auf der letzten Kunstbiennale in Venedig (2007) lautete: Welche Zukunft hat unsere Vergangenheit? Auch die jüngeren Historiker bewegt das Thema Vertreibung, Heimat und Heimatverlust weiter. Insgesamt ist das Thema Flucht und Vertreibung in Deutschland nicht tabuisiert, wohl aber einige Aspekte waren es lange, wie z.B. die massenhafte sexuelle Gewalt gegen deutsche Frauen. Schmelz: Was hat Sie dazu veranlasst, sich mit dem Thema Vertreibung fi lmisch auseinanderzusetzen? Eschenbach: Es gibt mehrere Gründe, warum ich Filme zum Thema Flucht und Vertreibung mache. Das Interesse ist einmal darauf zurückzuführen, dass meine Familie aus Ostpreußen stammt und 1945 von dort fl iehen mußte. Mit meiner Mutter habe ich zu ihrem 85. Geburtstag im Jahre 2001 eine Fahrt in ihre Heimat unternommen. Ganz zentral für meine fi lmische Auseinandersetzung war der Balkan-Krieg: Im Fernsehen liefen Bilder über den Monitor von Menschen, die vertrieben wurden und die aussahen wie du und ich, modern in Jeans gekleidet … Und erneut gab es massenhafte Vergewaltigungen. Aber die Frauen, die das erlebt haben, fingen an, darüber zu reden. Auch Begriffe, die ich aus der Kindheit kannte, mit denen ich nicht so genau umzugehen wusste, wie z.B. Heimatverlust, Trauer und Traumata, über die nicht geredet wurde und die dennoch präsent waren. Seit dem Vietnamkrieg gibt es die Traumaforschung, und der Krankheitsbegriff »posttraumatisches Syndrom« wurde geprägt. Den hat man früher auf die Vertriebenen gar nicht angewendet, für sie hieß es: funktionieren. Wissenschaftlich hat das Thema Verarbeitung von Kriegs- sowie Fluchtund Vertreibungserfahrungen wieder Konjunktur. Es gab beispielsweise einen Kriegskinderkongress 2005 in Frankfurt. Dort wurde thematisiert, was aus der Holocaustforschung schon längst bekannt ist, nämlich das Weiterreichen der Traumata von Generation zu Generation. Mich hat dies schon immer interessiert, ebenso auch die Biographienforschung. Es gab für mich also vielfältige Motive für die Beschäftigung mit Flucht und Vertreibung. Schließlich spielte auch der Fall des Eisernen Vorhangs eine Rolle. Zuvor waren die Orte so weit weg, und jetzt waren sie wieder leichter erreichbar. Schmelz: Hängt Ihre fi lmische Auseinandersetzung mit Flucht und Vertreibung mit Ihrer eigenen Familiengeschichte zusammen? Eschenbach: In der Schweiz, in der ich seit vielen Jahren lebe und als Hochschullehrerin tätig bin, wurde ich öfter gefragt: »Wo kommst Du her? » 230
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oder »Wo kommt deine Familie her?«. Die Frage war für mich nicht ganz einfach zu beantworten. Meine Mutter hat ihre ostpreußische Heimatstadt Braunsberg, die sie verlassen musste, nur einmal nach ihrer Flucht besucht. Meine Familie war nicht so explizit interessiert an ihrer Vertreibungsgeschichte. Sie war in keinerlei Verbänden oder Vereinen von Vertriebenen und Flüchtlingen aktiv. Ich bin durch die gemeinsame Reise mit meiner Mutter neugierig geworden. Es brauchte dann eine gewisse Inkubationszeit. Irgendwie gab es das Thema, aber es war nicht wirklich virulent. Vielleicht brauchte ich auch noch eine Weile, um es zuzulassen. Schmelz: Welche Intentionen verfolgen Sie mit Ihren Dokumentarfilmen? Eschenbach: Ich habe mich in meinen Filmen immer für Minderheiten interessiert, für Außenseiter, für Drogenabhängige, für die radikale Frauenbewegung. Ich habe Filme über die 1950er Jahre gedreht, über die Geschichte der Frauenbewegung, die Remilitarisierung Deutschlands. Themen, die mich interessierten, waren die Auf bauphase der Bundesrepublik Deutschland und die Rekonstruktion der traditionellen Geschlechterrollen. Dies hatte zunächst nichts mit dem Vertreibungsthema zu tun, das für mich noch weit weg war, auch in meiner Familie. Es brauchte wirklich diese Erfahrungen der Vertreibungen auf dem Balkan in den 1990er Jahren, um mein Interesse auf die Thematik von Flucht und Vertreibung zu lenken. Dokumentarfi lme haben den Anspruch, möglichst dicht an der Realität zu sein. Die Chance von Dokumentarfi lmen besteht darin, durch ihre Darstellung die Möglichkeit zu einer Diskussion zu eröff nen, die sonst nicht ohne weiteres stattfinden würde. Ich mache meine Filme mit der Intention, dass Menschen, die über ein Thema wenig wissen, mehr erfahren, und dass Menschen, die bereits Wissen zum Thema haben, darüber reden können. Meine Filme sind oft »Einstiegsfi lme«, die als solche in Universitäten, in Ausbildungsinstitutionen und in Ausstellungen eingesetzt werden. Ich versuche, nicht ideologisch zu sein. Ich versuche, Lücken, die ich selbst hatte, zu füllen, indem ich mir das Material aneigne. Ich greife auf, recherchiere und stelle dar, um Themen anderen zugänglich zu machen. Auch meine Filme zu Flucht und Vertreibung eröff nen neue Möglichkeiten zur Diskussion und zum Dialog in unterschiedlichen Kontexten. Einerseits ist Wissen über Krieg und Vertreibung in Deutschland da, aber andererseits gab es lange Zeit viele Denkhemmungen, vor allem auch in der 68er Generation, der ich angehöre. Sie fällte voreilige Urteile in der Schuldfrage. Es gab keine Ausdifferenzierung, keine Nuancierung in der Argumentation, es war klar: die Deutschen waren schuld, und dem wurde 231
Margit Eschenbach
alles andere untergeordnet. Es gab wenig Verständnis dafür, differenzierter hinzuschauen. Vertreibung ist per se Unrecht, auch wenn es eine Folge ist. Die Vertriebenen sind nicht immer die Schuldigen, Täter bleiben nicht immer nur Täter. Es wurde oft schwarz-weiß gedacht und bewertet. Es ging mir auch darum, Menschen eine Möglichkeit zum Reden zu geben, die Vertreibung und Flucht erlebt haben, aber lange darüber nicht sprechen konnten. Mich hat es gereizt, mein eigenes Denken und auch das meiner Freunde zu öff nen. Schmelz: In welchen Kontexten wurden Ihre Filme gezeigt und welche Reaktionen haben Ihre Filme ausgelöst? Eschenbach: Es gab viele Filmpräsentationen in unterschiedlichen Zusammenhängen. Mit meinem ersten Film, in dem ich mich mit Erinnerung an Vertreibung beschäftigt habe (Eigentlich sind wir [auch] von hier), war ich von der Universität Olstyn/Allenstein in Polen eingeladen. Der Film lief im Heimat-Museum Berlin-Neukölln, in Zürich im Kino, im Schweizer Fernsehen und auf Filmfestivals. Ältere Damen haben ihn bei mir bestellt. Diese Filme gehen Wege, die man vorher nicht kennt. Ich werde mit den Filmen auch zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen. Ich diskutiere, und das ist manchmal heikel, weil die Menschen Erinnerungsmomente haben, die tragisch, traurig, erschütternd, traumatisch sind. Mit meinem letzten Film Weder hier noch dort wurde ich in Salons eingeladen, in private Kreise und auch in Seminare. Teilweise gab es eine sehr heftige Abwehrreaktion unter der einheimischen Bevölkerung, unter den Menschen, die nicht vertrieben wurden. In den Diskussionen wurde geäußert: »Diese Leute haben uns aus unsren Wohnzimmern `rausgetrieben. Wegen denen mussten wir unser Haus räumen. Diese Evakuierten haben unser Leben durcheinander gebracht.« Die Einheimischen kamen durch den Film in eine große Ambivalenz, dass sie diese Leute schon immer gehasst und sich von ihnen gestört gefühlt haben. Jetzt, durch den Film, wurde ihnen deutlich, was die Vertriebenen durchmachen, welche Verluste und Diskriminierungen sie verkraften mußten abgesehen von der zu leistenden Integration. Der Historiker Michael Schwarz spricht vom zweiten Schock, nach dem ersten Schock: Weggehen zu müssen, alles zurück zu lassen, der Totalverlust von sozialem Status, dem Freundeskreis, der vertrauten Kultur und Umgebung. Wenn jemand aus dem Sudetenland oder Bessarabien vertrieben wurde, kam er in ein anderes Land, aber in denselben Kulturkreis, zu den eigenen Leuten. Dann schlecht behandelt, diskriminiert und abgelehnt zu werden, das war ein zweiter Schock. Ich wurde mit meinem Film Weder hier noch dort auch nach Halle ein232
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geladen. In der DDR war das Thema Vertreibung der Deutschen nicht erwünscht, das Wort Vertreibung wurde explizit vermieden. Die Vertriebenen mußten Umsiedler oder Neubürger genannt werden. Heute hat das Thema daher in den neuen Bundesländern eine große Bedeutung, weil man endlich darüber sprechen kann. Wir müssen über das Leid von Deutschen durch Flucht und Vertreibung reden, obwohl wir die historische Verantwortung für die Shoah und den Kriegsbeginn haben. Wie müssen mit diesen Widersprüchen leben, der Täter ist Täter, aber er oder Mitglieder seiner Familie können in anderen Zusammenhängen auch Opfer sein. Es wurde Dankbarkeit dafür geäußert, dass ich dieses Thema sachlich anpacke, so wurde dies empfunden. Ich sehe diesen Film eher als innenund weniger als außenpolitischen Film. Für die Dreharbeiten zum Film Eigentlich sind wir (auch) von hier war ich sieben Mal in Polen. Ich konnte mich mit Polen sehr schnell über das Thema unterhalten. Wir haben uns die Geschichte unserer Familien gegenseitig in einer intensiven Weise erzählt, wie das mit manchen Westdeutschen gar nicht möglich ist. Viele Westdeutsche stellen nicht die passenden Fragen, hören nicht zu, wissen nicht, was gemeint ist. Mein Eindruck ist, dass über dieses Thema mehr, differenziert und ohne Denkhemmung gesprochen werden sollte. Mich hat erstaunt, dass es auf der Alltagsebene, besonders in der älteren Generation deutscher Vertriebener viele Kontakte zu ihrer alten Heimat und den Menschen gibt, die dort heute leben. Das Publikum in Polen fand es sehr interessant, nicht immer nur die Täterseite zu sehen, sondern auch vom Leid der Vertreibung zu erfahren. Bemerkenswert ist, dass es eine Art Solidarität gibt, weil die Menschen, die aus Ostpolen in die ehemaligen deutschen Ostgebiete gekommen sind, auch eine Vertreibung erleben mußten. Schmelz: Welche Chancen sehen Sie in einem Europäischen Zentrum gegen Vertreibungen? Eschenbach: Ich finde ein Zentrum gegen Vertreibungen als Ort der Begegnung, Information und Kommunikation sehr wichtig, wenn man bedenkt, dass nach Alexander von Plato nahezu 17 Millionen Menschen vertrieben wurden, das entspricht etwa der Einwohnerzahl der DDR. Es gilt auch, die Ursachen von Vertreibungen aufzuzeigen. Ich denke, dass ein Teil dieser Problematik nicht entstanden wäre, wenn es diese Nationalstaatsgrenzen nicht geben würde. Natürlich gab es immer Spannungen zwischen den verschiedenen Kulturen oder Ethnien. Aber es gab auch die Erfahrung, dass die unterschiedlichsten Menschen in manchen Regionen lange zusammen gelebt haben, z.B. im Habsburger Reich oder auch im Osmanischen Reich. Natürlich gab es immer Eliten und auch 233
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Spannungen, aber erst als diese Nationalstaatsidee so stark wurde, entstanden diese Grenzen: Du gehörst dazu, Du gehörst nicht dazu. Ein Teil Ostpreußens war lange Zeit der polnischen Krone unterstellt, die Bewohner mussten aber nicht alle polnisch werden. August der Starke war König über Polen, hat aber nicht angeordnet, dass jetzt alle Polen weg müssen und die Sachsen eingesetzt werden. Wir werden sehen, ob heute Europa, also die EU, eine Chance dafür bietet, dass sich das ändert. Schmelz: Wie gehen Männer und wie gehen Frauen mit der Erinnerung an Flucht und Vertreibung um? Eschenbach: Männer gehen grundsätzlich anders mit einer Opferrolle um. Sie geben sehr viel schwerer zu, dass sie Opfer sind. Ich kann nicht sagen, dass es in der Rezeption meiner Filme zur Vertreibung geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, zumindest nicht bei denen, die als Kinder oder Jugendliche geflohen sind. Männer erzählen manchmal sehr erschütternde Geschichten über Geschwister, die sie haben sterben sehen. Sie werfen sich noch heute vor, dass sie nicht immer alles erfüllen konnten, was Erwachsene im Krieg und auf der Flucht von ihnen erwartet und ihnen zugemutet haben. Bei einem meiner Besuche in Polen sah ich auf einer Anhöhe deutsche Männer stehen und dachte, dass sie sich Kriegsgeschichten erzählen. Es ging jedoch um Fluchterlebnisse, darum dass Pferde nicht mehr zu bändigen waren, dass der Hund mit dem Schwanz am Eis festgefroren war, dass das Fuhrwerk außer Kontrolle geriet; auf dem Fuhrwerk war die schwangere Mutter und die kleine Schwester, und der Bruder hatte doch dem Vater versprochen, auf alle aufzupassen. Einer erzählte, wie seine Mutter zu Tode vergewaltigt wurde und er mehr als zehn Jahre brauchte, um das seiner Frau erzählen zu können. Es ist wichtig, dass auch Männer in meinen Filmen vorkommen. Das macht das Rezipieren für Männer einfacher. Männer können sich als Zuschauer mehr öffnen, wenn nicht nur das Leiden von Frauen dargestellt wird. Schmelz: Konnten Sie durch Ihre Filme auch die jüngere Generation für die Geschichte von Flucht und Vertreibung interessieren? Eschenbach: Inwieweit sich die jüngere Generation für das Thema Flucht und Vertreibung interessiert, weiß ich nicht. Im Heimat-Museum Berlin-Neukölln, wo mein Film Eigentlich sind wir (auch) von hier im Rahmen der Jahresausstellung 2005/6 Tiefe Spuren – Kriegsflüchtlinge 1945-2005 gezeigt wurde, erzählte mir die Kuratorin, dass 234
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die Besucher, darunter auch Kinder der zweiten und dritten Generation aus Serbien, Kroatien, aus Griechenland, der Türkei, sich am stärksten für meinen Film über die Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen interessierten. Schmelz: Spielen Ihre Filme zu Flucht und Vertreibung in der Ausbildung der Studierenden an der Hochschule in Zürich eine Rolle? Eschenbach: Wenn ich ausführlicher mit Studierenden über ihre Familiengeschichten rede, erfahre ich interessanterweise oft, dass ein Eltern- oder Großelternteil aus Ungarn, aus Tschechien, also in Zusammenhang mit den politischen Ereignissen von 1956 oder 1968 oder dem Balkan-Krieg in die Schweiz gekommen ist. Ich habe eine lange Zeit gesagt, bei Vertreibung handele es sich um ein Migrationsthema, um Zwangsmigration. Jetzt benutze ich lieber das Wort »Vertreibung«, da in diesem Wort auch das Gewalttätige, der Zwang, das Unfreiwillige enthalten ist. Ich möchte exemplarisch an bestimmten Biographien etwas klar machen und zum Nachdenken anregen. Ich möchte diese Menschen ernst nehmen in dem was sie erzählen. Viele von ihnen sind sehr lange auf der Flucht gewesen, teilweise fast ein ganzes Jahr. Schmelz: Wie machen Sie Ihre Filme? Verarbeiten Sie in Ihren Filmen zu Flucht und Vertreibung auch Ihre eigene Familiengeschichte? Eschenbach: In meinem Film Eigentlich sind wir (auch) von hier sage ich, dass über Vertreibung in meiner Familie nicht gesprochen wurde. Ich stelle im Off-Text fest, dass bei uns zuhause alles kleiner und neuer war. Wir hatten kein Auto, und wir fuhren nicht ans Meer. Es stellte sich auch die Frage, warum mein Vater kein Klavier mehr spielte – wir hatten eben keines mehr. Es war zu wenig Geld da und die Wohnung zu klein. Wir gehörten zu diesen atomisierten Kleinfamilien, die nach dem Krieg irgendwo landeten, weil das Schiff zufällig dort ankam. Meine Mutter kam zufällig in Lübeck an. Ich produziere meine Filme ganz subjektiv. Ich mache bewusst vorher kein perfektes Drehbuch und gebe das etwa an eine Redaktion, sondern möchte künstlerisch, formal und inhaltlich unabhängig sein und allein entscheiden, wie der Film gemacht wird. Ich verzichte daher auf Koproduzenten und damit auf Geld.
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Autoren und Künstler Jörg Bernig wurde 1964 in Wurzen (Sachsen) geboren und ist seit 1999 als Schriftsteller tätig. Seit 2005 ist er Mitglied des P.E.N.-Zentrums Deutschland. Seine literarischen Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit einem Stipendium des Deutschen Literaturfonds. Seine jüngsten Veröffentlichungen: Weder Ebbe noch Flut, Roman (2007); wüten gegen die stunden, Gedichte (2009); Mitherausgabe: Deutsch-deutsches Literaturexil. Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der DDR in der Bundesrepublik (2009). Boris Buden arbeitet seit 1984 als freier Journalist und Publizist. Er veröffentlicht regelmäßig philosophische, politische und kulturkritische Essays über das ehemalige Jugoslawien, Westeuropa und die Vereinigten Staaten, so u.a. in der Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik, in Literatur und Kritik sowie im Wiener Kunst- und Kulturmagazin Springerin. Als Aktivist der jugoslawischen Friedensbewegung rief er 1993 die Zeitschrift arkzin ins Leben, ein kulturpolitisches und gesellschaftskritisches Publikationsorgan, das der internationalen Literatur, Kunst, Popkultur und den neuen Medien gewidmet ist. Zudem ist er Gründer und Chefredakteur des Bastard Verlags. Rozita Dimova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin und arbeitet an einem internationalen Forschungsprojekt zur Nationalstaatenbildung in Südosteuropa. Sie untersucht das Verhältnis zwischen Kunst, Ideologie und Macht. Sie promovierte 2004 an der Stanford University in Anthropologie. Von 2004 bis 2005 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle/Saale tätig. Ihre zahlreichen Veröffentlichungen behandeln vor allem die Themen Ethnizität, Nationalismus, Klasse, Gender, Flüchtlinge und humanitäre Politiken.
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Er innerung in Kultur und Kunst
Margit Eschenbach wurde 1948 als Tochter einer Vertriebenenfamilie in Lübeck geboren. Nach dem Studium der Geschichte, Sozialwissenschaften und Pädagogik in Frankfurt a.M. war sie in Berlin zwischen 1982 und 1991 als Dozentin an der Film- und Fernsehakademie Berlin und an der Akademie der Künste in Berlin tätig. Seit 1991 ist sie Professorin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich. Katja Eydel wurde 1969 geboren und lebt in Berlin. Sie arbeitet überwiegend fotografisch. Wiederkehrende Themen sind die Realitäten gesellschaftlicher Vorstellungen, die ihren Ursprung in politischen Umbrüchen, utopischen Momenten, oder tradierten Systemen haben. Ein weiteres Thema ihrer Arbeit befasst sich mit der Frage, wie sich Politik und politisches Wollen in ästhetischen Formen realisiert. Ausstellungen (Auswahl): Modernologies – Macba, Barcelona; Model ve Sembol – Neue Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin, Kunstverein Salzburg; Ökonomien der Zeit – Akademie der Künste Berlin, Museum Ludwig Köln, Migros Museum Zürich; Zielscheiben-Kampagne 99 – Plattform Berlin Publikationen: Model ve Sembol. Die Erfindung der Türkei, Katja Eydel – Berlin/NY: Sternberg Press; Teilt mit, Katja Eydel – Berlin: Goldrausch IT; Belgrad Interviews, Katja Diefenbach/Katja Eydel – Berlin: b_books. Piotr Filipkowski arbeitet seit 2002 für die Stiftung KARTA – eine Nichtregierungsorganisation, welche die Geschichte Polens und Osteuropas im 20. Jahrhundert dokumentiert und öffentlich macht. Er promovierte 2008 in Soziologie an der Polnischen Akademie der Wissenschaften über biografische Interviews mit Überlebenden von Konzentrationslagern. Filipkowski führt bei KARTA als wissenschaftlicher Mitarbeiter Zeitzeugenbefragungen durch. Darüber hinaus ist er als Interviewer und Koordinator im Projekt ZeitzeugInnenprojekt Mauthausen und dem International Slave and Forced Labour Documentation Project tätig. Flaka Haliti wurde 1982 in Prishtina geboren. Sie studierte Kunst an der Universität von Prishtina und nahm an zahlreichen Kunst- und Ausstellungsprojekten teil: Academy Remix, National Museum – Prishtina; Missing Identity, Porticus – Frankfurt; »Kosovar Artist are the avangarde of…« – Sparwasser, Berlin; Festval, Exodus Onstage Manchester; Untitled, NoD – Prag; Exception, Museum of Modern Art – Novi Sad; Balls!Balls!Balls!, Stacion – Prishtina. Seit Herbst 2008 studiert sie an der Städelschule in Frankfurt a.M.. Alen Hebilović wurde 1973 in Bosnien und Herzegowina geboren. Er kam 1993 als Kriegsflüchtling nach Deutschland. Zwischen 1996 und 2003 studierte er Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in 238
Autoren und Künstler
Leipzig. 2005 schloss er sich der Künstlerinitiative SYNTHETIC FORCES (www.s-for.de) an. Alen Hebilović lebt und arbeitet als Fotograf in Berlin. Er veröffentlichte den Katalog Out of Bosnia. Ausstellungen (Auswahl): ArtBosna, Bremen (2007); S-FOR, ABEL Neue Kunst, Berlin; S-For, Frankfurt (2007); Out of Bosnien, ABEL Neue Kunst, Berlin (2005). Felicia Herrschaft studierte Philosophie, Kulturanthropologie, Psychoanalyse und Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt a.M. und unterrichtet dort das Fach Soziologie. 2005 gründete sie das Internetprojekt www.fehe.org in Zusammenarbeit mit Künstlern und Künstlerinnen. In ihrer Dissertation (2009) über experimentelle Öffentlichkeit untersucht sie Ausdrucksformen und Handlungsweisen bildender Künstlerinnen und Künstler. Im Rahmen ihrer Radiosendung (Redaktion Universal und Axiom auf Radio X) präsentieren u.a. Kunstschaffende ihre eigenen Arbeiten. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kritische Theorie, Kunstsoziologie, Biografieforschung und philosophische Ästhetik. Albert Heta, geboren 1975, lebt und arbeitet in Prishtina. Er ist Künstler und Mitgründer von Stacion – Center for Contemporary Art Prishtina. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich mit gegenwärtigen politischen und sozialen Themen u.a. mit Fragen der Identität, mit Reisebeschränkungen und der Kriegsökonomie. Er nutzt oft Mittel der Intervention in einer gegebenen sozialen Situation oder bei einem gegebenen Objekt. Ausstellungen (Auswahl): It’s Time To Go Visiting: No Visa Required (2003); Happiness- Independence Day: 1 Minute (2001); Kosovarischer Pavilion, Biennale 2005 in Venedig; Embassy of the Republic of Kosova, Biennale 5 in Cetinje (2004). Šejla Kamerić wurde in Sarajevo geboren. Sie arbeitet mit Installationen, Performances, Videokunst und Fotografie. In ihrem Werk beschäftigt sie sich mit den Themen Identität, Verdrängung und Gedächtnis. Kamerić lebt und arbeitet in Sarajevo, London und Berlin. Ausstellungen (Auswahl): Šejla Kamerić, Galerie im Taxispalais, Innsbruck (2008); What Do I Know, DAAD Galerie Berlin, Germany (2008); Mit tudok/What Do I Know, Trafo – House of Contemporary Arts, Budapest, Hungary (2007); Sometime, Never, May·be, public project, Sarajevo/Berlin/ Geneva (2007); The Final Sale, Karver, Podgorica, Montenegro (2006); Šejla Kamerić (Another Expo – Beyond the Nation-States), Gallery SOAP, Kitakyushu, Japan; Bosnian Girl, öffentliches Projekt (Poster, Werbeflächen, Anzeigen in Magazinen, Postkarten) (2003); Closing the Border (Welcome to the ancient land of freedom), öffentliche Intervention.
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Er innerung in Kultur und Kunst
Anne Cornelia Kenneweg studierte slawische Philologie, Geschichte und Philosophie an der Universität Leipzig und promovierte über städtische Erinnerungen in Bulgarien und Serbien an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit Sommer 2006 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leipziger Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in der Projektgruppe Zwischen religiöser Tradition, kommunistischer Prägung und kultureller Umwertung: Transnationalität in den Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas seit 1989. Ulrike Kuschel, geboren 1972 in Berlin (DDR), hat von 1991 bis 1998 an der Hochschule der Künste in Berlin studiert. 2006 wurde sie mit dem GASAGKunstpreis ausgezeichnet. Außerdem erhielt sie ein Arbeitsstipendium der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur sowie ein Stipendium der Stiftung Kunstfonds Bonn. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich vor allem mit Aspekten der deutschen Geschichte, hauptsächlich des 20. Jahrhunderts. Sie verbindet kontextbezogene, zum Teil ortspezifische Recherche mit Formen des fotografischen Dokumentarismus. Die programmatische Beschäftigung mit den unterschiedlichen Potenzen von Bild- und Textdokumenten wird durch dreidimensionale oder auch akustische Eingriffe ergänzt. Kuschel lebt in Berlin. Tanja Lenuweit studierte Kulturwissenschaften und Kulturelle Kommunikation an der Humboldt Universität Berlin. Ihre Themenschwerpunkte sind u.a. Gender, jüdische Geschichte, Erinnerungskultur und Antisemitismus. Sie arbeitete für Ausstellungs- und Kunstprojekte und ist in der historisch-politischen Bildung tätig. Als Mitglied von Netzwerk Migration in Europa e.V. ist sie Teil der Projektleitung bei »MEMORY, CULTURE AND ART«. Doris Liebermann, 1953 in Thüringen geboren, studierte Theologie in Jena. Nach einer Unterschriftensammlung gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns wurde sie vorübergehend festgenommen und 1977 zusammen mit der so genannten »staatsfeindlichen Jenaer Gruppe« um den Schriftsteller Jürgen Fuchs nach West-Berlin ausgebürgert. Sie studierte Osteuropäische Geschichte und Slavistik an der Freien Universität. Seit 1983 arbeitet sie als freie Autorin für Funk, Fernsehen und Printmedien und realisierte zahlreiche Feature-Produktionen zu Osteuropa- und DDR-Themen. 1998 veröffentlichte sie gemeinsam mit Jürgen Fuchs die Anthologie Dissidenten, Präsidenten und Gemüsehändler. Tschechische und ostdeutsche Dissidenten 1968-1998. Im Jahr 2005/2006 arbeitete sie mit dem Polnisch-Übersetzer Karl Dedecius an dessen Autobiografie Ein Europäer aus Lodz (Suhrkamp 2006). Danach schrieb sie mit dem Maler Hans-Hendrik Grimmling des240
Autoren und Künstler
sen Künstlerbiografie Die Umerziehung der Vögel (Mitteldeutscher Verlag Halle 2008). Mladen Miljanović wurde 1981 in Zenica, Bosnien und Herzegowina, geboren. Er absolvierte ein Studium an der Kunstakademie in Banja Luka (BiH), wo er lebt und arbeitet. Ausstellungen (Auswahl): Holiday of discomfort, Antje Wachs Galerie, Berlin (2009); Sit-No, Duplex Gallery, Sarajevo (2009); I serve art, National Gallery of BiH, Sarajevo (2008); Busan biennial International exhibition of video art, Busan, South Korea (2008); Occupo, Neue Galerie Graz, Graz (2007); Relations, FABRIK culture, Hegenheim (France). Anne von Oswald, Dr. Phil., studierte von 1983-1989 Geschichte und Sozialwissenschaften an den Universitäten Perugia und Mailand (Italien). 1994 promovierte sie an der Freien Universität Berlin zum Thema »Die deutsche Industrie in Italien, 1882-1945«. Von 1994-1998 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin und arbeitete zur italienischen Arbeitsmigration in Deutschland. Sie lehrte an der Freien Universität Berlin, der Humboldt Universität Berlin und der Fachhochschule für Verwaltung Berlin. Sie ist Mitbegründerin und Vorstandsmitglied von Netzwerk Migration in Europa e.V. Publikationen und Projekte im Internet: Migration – Citizenship – Education: www.migrationeducation. org; The Unwanted, Online-Dokumentations- und Lernportal zu Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert: www.the-unwanted.com und http:// lernportal.the-unwanted.com Borka Pavičević arbeitet als Dramaturgin und Herausgeberin. Sie hat zahlreiche Kunst- und Kulturprojekte realisiert und ist Mitgründerin und Direktorin des Centre for Cultural Decontamination in Belgrad, das 1993 eröffnete, um der Politik Miloševićs und allen Formen von Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Hass und Angst entgegenzuwirken. Petr Příhoda, geboren 1939 in Netolice (Südtschechoslowakei), studierte und promovierte in Medizin in Brno/Brünn. Als junger Psychiater arbeitete er fast zehn Jahre lang in der Bezirkspsychiatrie in Litomìøice/Leitmeritz (Nordböhmen). Seit 1992 leitet Petr Příhoda das Institut für ärztliche Ethik an der Prager Karlsuniversität und ist als freier Publizist und Kommentator tätig. Er ist in deutsch-tschechischen Gesprächskreisen und in der Ackermann Gemeinde engagiert. Nihad Nino Pušija wurde in Sarajevo, Bosnien und Herzegowina, geboren und lebt seit 1992 in Berlin. Er arbeitet seit 1994 als Projektleiter von 241
Er innerung in Kultur und Kunst
Zyklop Foto Fabrik, einer Gruppe junger Künstler, die ihr Studium wegen des Krieges im früheren Jugoslawien aufgeben mussten. Die Gruppe wird vom Kunstamt Kreuzberg und der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK) in Berlin unterstützt. Pušija nahm an zahlreichen Ausstellungen in Deutschland und im Ausland teil. Die Hauptthemen seiner künstlerischen Arbeit sind Bosnien, Flüchtlinge, Konfliktlösung, Identität, Integration und Roma in Europa. 2007 stellte er seine Fotografien bei der Kunstbiennale in Venedig aus (Paradise Lost, Roma Art Pavillon, La Biennale di Venezia, 2007). Petra Reichensperger kuratiert innerhalb des Gesamtprojektes »MEMORY, CULTURE AND ART« die Ausstellung »HEISS ODER KALT« im Haus Kulturen der Welt. Sie hat Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis studiert und über den Kunstdiskurs der 1960er Jahre promoviert. Seit 2005 gibt sie regelmäßig kunsttheoretische Seminare an Kunstakademien; im Sommersemester 2009 unterrichtete sie »Experimentielle Systeme« und »Body Ego«. Zu ihren Publikationen zählen Eva Hesse. Die dritte Kategorie beim Silke Schreiber Verlag; Berlin Alexanderplatz. The Making of Alex beim Revolver Verlag und Steffi Weismann. Intermedia Performances/ Audiovisual Works beim Verlag für moderne Kunst Nürnberg. Seit 2008 ist sie Künstlerische Leiterin vom M.1 der Arthur Boskamp-Stiftung, ein 800 Quadratmeter großer Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst und eine Stipendiatenstätte. Andrea Schmelz promovierte zum Thema Migration und Politik im geteilten Deutschland an der Humboldt Universität Berlin. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für internationale Politik der FU Berlin, dem Centre for the Studies of Violence and Reconciliation in Johannesburg/Südafrika sowie der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung/ International Youth Foundation tätig. Derzeit arbeitet sie als Projektleiterin im Netzwerk Migration in Europa e.V. Sie ist zudem als Beraterin für das Sektorvorhaben »Migration und Entwicklung« (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit/Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit) tätig und lehrt an der Katholischen Fachhochschule Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind u.a.: Migrations- und Integrationspolitik in Europa; Internationale Migration und Entwicklung; Menschenrechte; Bildung und Jugend; Erinnerungspolitik und Vergangenheitsaufarbeitung in Postkonfliktgesellschaften. Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen gehören: www.migrationeducation.org; Die kamerunische Diaspora in Deutschland (2008); Die ghanaische Diaspora in Deutschland (2009).
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Autoren und Künstler
Matej Spurný studierte Geschichte an der Karls-Universität in Prag. Seit den späten 1990er Jahren arbeitet er schwerpunktmäßig über modernen Nationalismus in Zentraleuropa, insbesondere über die sudetendeutsche Frage und das tschechische Grenzland. Als Mitglied der Initiative Antikomplex veröffentlichte er mehrere Publikationen zu den tschechischen Grenzgebieten u.a. Das verschwundene Sudetenland. Seine Promotion über Bevölkerungsbewegungen in Nordböhmen, Schlesien und Sachsen nach dem 2. Weltkrieg wurde im April 2008 in Deutschland veröffentlicht. Branimir Stojanović wurde 1958 geboren und lebt und arbeitet in Belgrad. Er absolvierte ein Studium der Philosophie an der Universität Belgrad und hat eine Vielzahl von Essays, Artikeln und Studien zur Philosophie des 20. Jahrhunderts und zu Theorien der Psychoanalyse veröffentlicht. Daniel Šuber lehrt und forscht seit 1999 in der Abteilung für Soziologie der Universität Konstanz. Seit 2007 ist er Projektleiter des Exzellenzcluster 16 »Kulturelle Grundlagen von Integration« (Projekt: »Kultur der Wunde« über die visuelle Routinisierung des kulturellen Traumas in Serbien). 2006 promovierte er zum Thema Zur soziologischen Kritik der philosophischen Vernunft. Zum Verhältnis von Soziologie und Philosophie um 1900. Zu seinen Forschungsinteressen gehören soziologische Theorie, Kulturtheorie, Religionssoziologie, visuelle Soziologie und Soziologie Osteuropas, insbesondere Serbiens. Leszek Szaruga wurde 1946 als Alexander Wirpsza in Krakau geboren. Er zählt zu den bekannten Dichtern in Polen, hat zahlreiche Gedicht- und Essaybände veröffentlicht und viele Preise erhalten. Von 1992 bis 2004 arbeitete er an der Universität Stettin, 2003 habilitierte er an der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań zum Thema »Geschichte, Staat, Literatur«. Heute lehrt er Deutsche Literatur am Lehrstuhl für Interkulturelle Beziehungen in Mittel- und Osteuropa an der Staatlichen Universität Warschau. Seine Schwerpunkte sind die polnisch-deutschen und die polnisch-ukrainischen Beziehungen. Zoran Terzić wurde 1969 in Banja Luka geboren und lebt als unabhängiger Autor in Berlin. An Nürnberger Hochschulen studierte er Soziologie, Kommunikations-Design, Jazz-Piano und anschließend in Wuppertal am Lehrstuhl für nicht-normative Ästhetik und Kulturvermittlung unter Bazon Brock. 1998 erhielt er ein Auslandsstipendium des DAAD für ein Studium der Bildenden Kunst (Malerei/Video) an der School of Visual Arts in New York u.a. bei Jessica Stockholder, Will Insley und Tommy Lanigan-Schmidt. Seit 2002 ist er assoziiertes Mitglied der Forschungsgruppe 243
Er innerung in Kultur und Kunst
Kultur und Strategie, die mehrere Konferenzen und einen Sammelband zum Themenfeld Kunst und Krieg initiiert. 2005 konzipierte und leitete er am Goethe Institut in Zagreb den Workshop Alternativen der Kunst. 2006 war er Teilnehmer der Werkleitz Biennale in Halle. Im selben Jahr folgte die kulturwissenschaftliche Promotion in Wuppertal. 2007 erhielt er ein Forschungsstipendium am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien und 2008 am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) in Berlin. 2009 leitet er ein Seminar über Ästhetik und Politik an der Humboldt Universität zu Berlin. Milica Tomić wurde 1960 in Belgrad geboren, wo sie auch heute lebt und arbeitet. Sie arbeitet mit Fotografie, Video, Lichtinstallationen, Fotomontagen und Webprojekten. In ihren Arbeiten thematisiert sie die Frage nach Identität, politische Gewalt, Nationalität und Erinnerung. Ausstellungen (Auswahl): Performing the East, Kunstverein Salzburg (2009); Why here is always someone else, Badischer Kunstverein Karlsuhe (2008); New Economy, Artists Space, New York (2007); Global Feminism, Brooklyn Museum of Modern Art (2007); Alone/Reading Capital, artspace Sydney (2006); Reading capital, Charim Galerie, Wien (2005); Populism, CAC. The Contemporary Art Centre, Vilnius, Litauen/National Museum of Art, Oslo, Norwegen/ Stedelijk Museum, Amsterdam, Niederlande/Frankfurter Kunstverein, Frankfurt, Deutschland (2005); Biennale Venedig (2003); Biennale Istanbul (2003). Vladimir Tupanjac wurde 1974 in Novi Sad, Jugoslawien, geboren. Er ist unabhängiger Kunstkritiker und Kurator. Seit 1998 arbeitet er für unterschiedliche Kunst & Kultur Magazine, darunter Nezavisni (Novi Sad), Vreme (Belgrad), Re (Belgrad), »Umelec (Prag), Praesens (Budapest), Springerin (Wien) und Svet Umetnosti (Ljubljana). Seit 2004 arbeitet er insbesondere für das Center for Cultural Decontamination in Belgrad. Anna Wylegała studierte Soziologie an der Universität Warschau in Polen, Harvard Ukrainian Research Institute und der Ivan Franko Lviv National University. Derzeit ist sie Doktorandin an der Akademie der Wissenschaften in Warschau. Sie ist zudem am Warschauer KARTA Center in OralHistory-Projekten und als Übersetzerin im Lviv Center of Urban History tätig. Sie lehrt auch »ukrainische Kultur« am Institute of Polish Culture an der Universität Warschau. Zu ihrem Forschungsinteressen zählen insbesondere kollektives Gedächtnis und nationale Identität in Osteuropa, insbesondere in Polen und der Ukraine.
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Autoren und Künstler
Piotr Żyliński wurde 1983 in Kolo/Polen geboren. Er studierte visuelle Kommunikation und vergleichende Medienstudien. Żyliński arbeitet vor allem mit den Medien Fotografie und Video. Er ist der Gründer von artsiders-internetvision about art und lebt und arbeitet in Posnań. Ausstellungen (Auswahl): Samsung Art Master, CSW Zamek, Warschau (2008); Art must be beautyful, Stary Browar, Poznań (2008); Die Gegenwart des Vergangenen, Tapetenwerk, Lipsk (2007); Intymność, Galeria Pf, Poznań (2007); Plastic People, C2C Galerie, Prag (2006); Vidioci, Stary Browar, Poznań (2005).
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Kultur- und Medientheorie Erika Fischer-Lichte, Kristiane Hasselmann, Alma-Elisa Kittner (Hg.) Kampf der Künste! Kultur im Zeichen von Medienkonkurrenz und Eventstrategien Dezember 2009, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-89942-873-5
Jürgen Hasse Unbedachtes Wohnen Lebensformen an verdeckten Rändern der Gesellschaft Juni 2009, 254 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1005-5
Thomas Hecken Pop Geschichte eines Konzepts 1955-2009 September 2009, 568 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-89942-982-4
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3) ANZ1202.p 221422482102
Kultur- und Medientheorie Christian Kassung (Hg.) Die Unordnung der Dinge Eine Wissens- und Mediengeschichte des Unfalls Juni 2009, 476 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-721-9
Susanne Regener Visuelle Gewalt Menschenbilder aus der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts Dezember 2009, ca. 220 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-89942-420-1
Karlheinz Wöhler, Andreas Pott, Vera Denzer (Hg.) Tourismusräume Zur soziokulturellen Konstruktion eines globalen Phänomens Februar 2010, ca. 330 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1194-6
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3) ANZ1202.p 221422482102
Kultur- und Medientheorie Cristian Alvarado Leyton, Philipp Erchinger (Hg.) Identität und Unterschied Zur Theorie von Kultur, Differenz und Transdifferenz
Barbara Gronau, Alice Lagaay (Hg.) Ökonomien der Zurückhaltung Kulturelles Handeln zwischen Askese und Restriktion
Dezember 2009, ca. 450 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1182-3
Dezember 2009, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1260-8
Moritz Csáky, Christoph Leitgeb (Hg.) Kommunikation – Gedächtnis – Raum Kulturwissenschaften nach dem »Spatial Turn«
Insa Härtel Symbolische Ordnungen umschreiben Autorität, Autorschaft und Handlungsmacht
Februar 2009, 176 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-8376-1120-5
Stephan Ditschke, Katerina Kroucheva, Daniel Stein (Hg.) Comics Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums August 2009, 366 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1119-9
Gunther Gebhard, Oliver Geisler, Steffen Schröter (Hg.) Von Monstern und Menschen Begegnungen der anderen Art in kulturwissenschaftlicher Perspektive November 2009, ca. 250 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1235-6
April 2009, 326 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1042-0
Rebekka Ladewig, Annette Vowinckel (Hg.) Am Ball der Zeit Fußball als Ereignis und Faszinosum Juli 2009, 190 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-8376-1280-6
Christoph Neubert, Gabriele Schabacher (Hg.) Verkehrsgeschichte und Kulturwissenschaft Analysen an der Schnittstelle von Technik, Kultur und Medien November 2009, ca. 250 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1092-5
Sacha Szabo (Hg.) Kultur des Vergnügens Kirmes und Freizeitparks – Schausteller und Fahrgeschäfte. Facetten nicht-alltäglicher Orte Oktober 2009, 315 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1070-3
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ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften
Karin Harrasser, Helmut Lethen, Elisabeth Timm (Hg.)
Sehnsucht nach Evidenz Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2009 Mai 2009, 128 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-1039-0 ISSN 9783-9331
ZFK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent: Neben innovativen und qualitativ hochwertigen Ansätzen besonders jüngerer Forscher und Forscherinnen steht eine Masse oberflächlicher Antragsprosa und zeitgeistiger Wissensproduktion – zugleich ist das Werk einer ganzen Generation interdisziplinärer Pioniere noch wenig erschlossen. In dieser Situation soll die Zeitschrift für Kulturwissenschaften eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über Kultur und die Kulturwissenschaften bieten. Die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur, historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus kann so mit klugen interdisziplinären Forschungsansätzen fruchtbar über die Rolle von Geschichte und Gedächtnis, von Erneuerung und Verstetigung, von Selbststeuerung und ökonomischer Umwälzung im Bereich der Kulturproduktion und der naturwissenschaftlichen Produktion von Wissen diskutiert werden. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften lässt gerade auch jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen, die aktuelle fächerübergreifende Ansätze entwickeln.
Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen die Ausgaben Fremde Dinge (1/2007), Filmwissenschaft als Kulturwissenschaft (2/2007), Kreativität. Eine Rückrufaktion (1/2008), Räume (2/2008) und Sehnsucht nach Evidenz (1/2009) vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected] www.transcript-verlag.de