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German Pages 398 Year 1975
Betriebswirtschaftliche Schriften Heft 77
Entscheidungsorientierte Prüfungslehre
Von
Wolf F. Fischer-Winkelmann
Duncker & Humblot · Berlin
W O L F F. F I S C H E R - W I N K E L M A N N
Entscheidungsorientierte Prüfungslehre
Betriebswirtschaftliche Heft 77
Schriften
Entscheidungsorientierte Priifungslehre
Von Prof. Dr. Wolf F. Fischer-Winkelmann
DUNCKER &
HUMBLOT/BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1975 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1975 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 03401 5
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
9
Teil
Kapitel
A
Zum Wissenschaftsprogramm in der modernen Prüfungslehre
15
I: Reine Theorie
15
der Prüfung
als Wissenschaftsideal
1. Die Kennzeichen einer reinen Prüfungstheorie
15
2. Die praktische Relevanz dieses Wissenschaftsmodells
19
Kapitel II: Duplizität des Erkenntnisobjektes tuens der Prüfungslehre
Kapitel III: Entwurf Programmpunkt
wirtschaftswissenschaftlicher
als
Wissenschaftskonsti-
Prüfungstheorien
1. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip als maßgebendes prüfungstheoretischer Problemstellungen
als
Auswahlprinzip
2. Konsequenzen der Verankerung wirtschaftlichen Verhaltens Prüfungsbegriff
im
3. Probleme der expliziten Postulierung eines Wirtschaftlichkeitsprinzips als Identitätsprinzip
Kapitel IV: Rationales lehre
Verhalten
und entScheidungsorientierte
1. Z u r Logik des entscheidungsorientierten fungslehre
Prüfungs-
Ansatzes i n der
Prü-
28
42 42 44 50
54 54
2. Wissenschaftsspie^: Tautologien und/oder Ideologien
55
3. Wissenschaftsspiel 2 : empirische Prüfungstheorie
58
4. Wissenschaftsspiel s : Möglichkeitsanalyse
61
5. Wissenschaftsspiel 4 : normative Prüfungs- = theorie =
64
Kapitel
V: Der theoretische
Pluralismus
in der heutigen
Prüfungslehre
67
6
Inhaltsverzeichnis Teil
B
Forschungsstand und Forschungstendenzen in der modernen Prüfungslehre Kapitel I: Die Prämisse ordnungsmäßigen prüfungstheoretischer Forschung
Verhaltens
73
als proton
pseudos
E x k u r s : K ö n n e n Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten Prüfungswesen auch nicht-ordnungsmäßiges Verhalten erklären? Kapitel
II: Prüfungstheorie
als ökonomisches
im
Sprachsystem
73 89 97
1. Der erste prüfungstheoretische Ansatz: Kategoriale Analyse als Theorieersatz a) Vorbemerkung
97 97
b) Die Forschungsprämisse
100
c) Begriffsanalysen als untaugliche Strategie der Theorieentwicklung 102 d) Identifizierung von Metasätzen m i t prüfungstheoretischen Aussagen 106 2. Die weitere Entwicklung: Ausklammerung der Prüfungsrealität durch begriffsorientierte Analysen des Prüfungsprozesses 114
Kapitel III: theorie
Prüfungstheorie
als transponierte
Meß-
und
Stichproben -
127
1. Der problematische methodische Ansatzpunkt
127
2. Die meß theoretische Interpretation einfacher Prüfungen
128
a) Z u r Unterscheidung i n einfache u n d komplexe Prüfungen
128
b) Die Vernachlässigung des Auswahlprozesses
130
c) Die Messung von Soll-Ist-Abweichungen lungsprozeß
als
Fehlerfeststel-
131
d) Die Beurteilung gemessener Abweichungen
135
e) Zusammenfassung
138
3. Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen
139
a) Gesamturteilsbildung als komplexe Transformationen von E i n zelurteilen 139 b) Zufallsgesteuerte Urteilsbildung: Prüfung als Probalitätsrechnung 149 Kapitel IV: Informationstheoretische Prüfungsgeschehens
und erkenntnislogische
Modelle des
171
1. Informationstheoretische Erklärungsmodelle des Prüfungsprozesses 171 2. Urteilsbildung als erkenntnislogischer Vorgang
178
Inhaltsverzeichnis Kapitel V: Prüfungstheorie Produktionstheorie
als umgearbeitete
betriebswirtschaftliche
188
1. Der Grundgedanke u n d die Problemstellung
188
2. Z u m approach von C. A . Moyer
189
3. Prüfungen als betriebswirtschaftliche Produktionsprozesse
191
Kapitel
VI: Prüfungen
als mathematische
Spiele
206
1. Die prinzipielle Problematik einer Übersetzung Spieltheorie i n eine praktikable Prüfungstheorie
der
formalen
2. Kritische Anmerkungen zur literarischen Praxis
Kapitel VII: Prüfungetheorie nungslogik
als angewandte
betriebswirtschaftliche
216
Pla-
1. Einführende Vorbemerkung 2. Deterministische Prüfung
Input-Output-
206
228 228
bzw. Optimierungs-Modelle
der
234
3. Netzplantechnik u n d Prüfungsplanung
252
4. Prüfungstechnologie vs. Modellanalyse
273
5. Hinweise für eine Neuorientierung der Forschungsaktivitäten der = angewandten = Prüfungstheorie 290 Kapital VIII: Theoretische ten Prüfungslehre
Zielforschung
in der
entscheidungsorientier -
315
1. Z u r betriebswirtschaftlichen Hypothek der prüfungstheoretischen Zielanalyse 315 2. Das ökonomische Prinzip als die generelle Handlungsmaxime i m Prüfungswesen 319 3. Die Bestimmung des Ziels des Prüfungsbetriebes bzw. der P r ü fung: ein Paradigma f ü r die Vernachlässigung sozialer Zusammenhänge 335
Kapitel
IX: Ausblick
Literaturverzeichnis
359
369
Abkürzungen BFuP
= Betriebswirtschaftliche Forschung u n d Praxis
WPg
= Die Wirtschaftsprüfung
WiST
= Wirtschafts- u n d Sozialwissenschaftliches S t u d i u m
ZfB
= Zeitschrift f ü r Betriebswirtschaft
ZfbF
= Schmalenbachs Zeitschrift f ü r betriebswirtschaftliche Forschung
ZfhF
= Zeitschrift f ü r handelswissenschaftliche Forschung
„a science which hesitates to forget its founders is lost" Whitehead
Vorwort Dieses Buch handelt von der modernen oder „entscheidungsorientierten" Prüfungslehre. Das Prädikat „modern" soll signalisieren, daß i n dieser Arbeit jene Forschungsrichtung des traditionellerweise „Revisions- und Treuhandwesen", „(betriebswirtschaftliches) Prüfungswesen", „Revisionswesen", „Wirtschafts- oder Unternehmungsprüfung" usf. genannten Faches behandelt wird, die sich u m die „Schaffung einer Prüfungstheorie" (Loitlsberger), u m die „Entwicklung von allgemeinen Prüfungslehren" i m Sinne einer „allgemeinen Theorie der Prüfung" oder „theoretischen Prüfungslehre" (v. Wysocki) bemüht. Das für den Titel gewählte Prädikat „entscheidungsorientiert" soll die Richtung andeuten, i n der sich i n der modernen Prüfungslehre die Erkenntnisperspektive, die Interessenschwerpunkte sowie die Forschungsmethodik gegenüber früher verlagert haben: betrieb man früher Prüfungslehre als eine A r t handwerkliche Kunstlehre (einschließlich Berufskunde), i n der man sich auf prüfungstechnische Probleme vor allem bei Buchprüfungen i m weitesten Sinne und auf Entwürfe von Empfehlungskatalogen konzentrierte, welche Prüfungstechniken wann, wo und wie angewandt werden müßten, so dominieren das Forschungsprogramm heute die Beschäftigung mit Entscheidungsproblemen verschiedenster A r t (wie z. B. der Urteilsfindung) bei Prüfungen auf einem allgemeinen Niveau und Versuche, theoretische Lösungen für die aufgegriffenen (Entscheidungs-)Probleme zu finden. Dieses Buch ist der erste Versuch einer grundlegenden kritischen Diskussion der i n der modernen Prüfungslehre seit ihrem Bestehen bearbeiteten Probleme, angebotenen Forschungsergebnisse und gepflogenen Wissenschaftspraxis, einer Diskussion, die bisher i n der modernen Prüfungslehre zu Lasten des Erkenntnisfortschrittes nicht geführt wurde. Somit mag diese Untersuchung dem Fachwissenschaftler als eine erste Grundlage für die Reflexion der eigenen Forschungstätigkeit sowie die der anderen dienen. Der Nicht-Fachwissenschaftler
10
Vorwort
(z.B. der Prüfungspraktiker) erfährt, wie es u m die Praxisrelevanz der modernen Prüfungslehre bestellt ist bzw. welche Probleme mit welchem Erfolg bisher angepackt wurden. Denn eine der entscheidenden Untersuchungskriterien dieser Arbeit ist die Frage: „Sind die Forschungsergebnisse der entscheidungsorientierten Prüfungslehre in praxi anwendbar ?" Dieses i m Verlauf unserer Analyse noch näher erläuterte Beurteilungskriterium „praktische Brauchbarkeit" bedeutet für Studierende, die sich für die Richtung „Prüfungswesen" oder einen Studiengang „Steuerung und Kontrolle" usw. interessieren und dieses Buch zu Hand nehmen, daß ihnen dieses Buch keinen herkömmlichen, den kritiklosen Konsum gängiger Lehrmeinungen prämierenden Zugang zu den Ergebnissen, Problemen und konkreten Verfahrensweisen der modernen theoretischen Forschung i n der Prüfungslehre vermittelt. Es war mit eine meiner Absichten bei der Abfassung dieses Werkes, nicht ein Lehrbuch herkömmlichen Stiles zu schreiben, sondern studentische Leser zu einem kritischen Lernverhalten anzuregen, das i n einigen Reformkonzepten für das betriebswirtschaftliche Studium ausdrücklich als ein Ziel genannt wird. Kritisches Lernen bedeutet den Verzicht auf ein bloß-rezeptives „Schein-" oder Diplomstudium — und ist zweifellos mühsamer 1 . Kritisches Lernen besitzt für den Studenten jedoch u. a. einen nicht zu unterschätzenden Vorzug: es mindert die Wahrscheinlichkeit, daß die Studierenden sich erst nach ihrer Diplomierung i n der Praxis draußen bei der Konfrontation von Gelernten bzw. Gelehrtem m i t den Fakten über Diskrepanzen zwischen „Theorie und Wirklichkeit" klar werden und mühevoll das Brauchbare bzw. das Unbrauchbare heraussortieren müssen. Etwas salopp ausgedrückt, ein kritischer Wissenschaftskonsum beugt späteren Frustrationen i m Beruf vor. Eine m. E. notwendige Vorinformation des Lesers bedingt die K l ä rung der Frage, m i t welchem methodischen Werkzeug i n dieser Arbeit die entscheidungsorientierte Prüfungslehre auf ihre Praktikabilität h i n diskutiert bzw. von welcher methodischen Position aus argumentiert wird. Meine wissenschaftstheoretische Argumentationsbasis ist die des von Popper initiierten Kritischen Rationalismus (gelegentlich auch „ K r i t i 1 Dies bedeutet auch, daß Studierende durch die Lektüre dieses Büches nicht davon entlastet werden, sich m i t den von m i r behandelten Ansätzen zu einer entscheidungsorientierten Prüfungslehre i m Original zu befassen (einen teilw. Überblick über diese Ansätze gibt die umfangreiche Aufsatzsammlung B ä h r / Fischer-Winkelmann / M u n k e r t , Wirtschaftsprüfung. A l l gemeine Prüfungslehre. WiSo-Studientexte, 1974). Unser Buch k a n n dabei als „kritischer K o m m e n t a r " u n d Arbeitshilfe verwandt werden.
Vorwort
zismus" genannt) 2 , dessen methodischer und forschungstechnischer A p parat i n der Betriebswirtschaftslehre i m letzten Jahrzehnt engagierte Befürworter gefunden hat 3 und dessen Brauchbarkeit und Fruchtbarkeit hier am Beispiel der modernen Prüfungslehre zu demonstrieren versucht wird. Der von m i r präferierte Kritische Rationalismus bedeutet eine für manchen Betriebswirt recht imbequeme Wissenschaftsauffassung, da er zu einem konsequent-kritischen und damit auch von persönlichen Rücksichtnahmen freien Forschungsverhalten verpflichtet. Dieses kritisch-rationalistische Wissenschaftskonzept steht damit i n einem schroffen Gegensatz zu dem neuerdings für die moderne Prüfungslehre reklamierten 4 und — zugegeben — auf den ersten Blick so sympathisch anmutenden, w e i l so = versöhnlichen = (nicht-eliminativen) Methodenpluralismus, der praktiziert, i n der Prüfungslehre jede A r t von Forschung deckt und der kritischen Überprüfung enthebt. Diese der Forschung i n der modernen Prüfungslehre jede Freiheit ohne Verpflichtung einräumende Parole des Methoden-Laissez-faire bewirkt jedoch das Gegenteil dessen, was man m. E. m i t guten Gründen von einem funktionierenden Wissenschaftsbetrieb i n der Prüfungslehre erwarten kann: ständige Diskussion der theoretischen Ergebnisse bzw. der Forschungspositionen und -methoden; Suche nach und offenes Eingestehen bzw. Ausmerzen von Irrtümern (z.B. von unhaltbaren Prüfungstheorien); Suche nach neuen Ansätzen, die die Fehler der alten vermeiden. U m späteren Ergebnissen vorzugreifen, was die Prüfungslehre unserer Tage heute teilweise nicht zu ihrem Vorteil auszeichnet, ist eine aus dieser Sicht „kaputte" Kommunikation i n der Forschung, d.h. man diskutiert i n der Literatur nicht kritisch über gefundene Ergebnisse, sondern diskutiert, wenn überhaupt, dann i m Sinne der besagten „Versöhnungs-"Formel des Methodenpluralismus. Die Akzeptanz eines Methoden-Laissez-faire in der Prüfungslehre erhöht sich m. E. auch nicht dadurch, daß es (empirisch-)theoretische Forschung weiterhin inform einer A r t Sisyphus-Strategie zu betreiben 2 Die I m p l i k a t i o n e n des kritisch-rationalistischen Wissenschaftsmodells für die Betriebswirtschaftslehre habe ich ausführlich i n meinem Buch „Methodologie der Betriebswirtschaftslehre" (1971) darzustellen versucht. Wer sich eingehender m i t dem nicht n u r f ü r den wissenschaftlichen Bereich bedeutsamen kritischen Rationalismus beschäftigen w i l l , dem sei die Lektüre der i m Literaturverzeichnis aufgeführten Arbeiten meiner „Hauptgläubiger" Agassi, Albert, Bartley, Feyerabend, Lakatos, Popper u n d Watkins empfohlen. 8 Vgl. z. B. die i m Literaturverzeichnis aufgeführten Arbeiten von Beyer, Chmielewicz, Ganz, Fischer-Winkelmann, Jehle, Köhler, Schanz, Schmidt, W i l d u. a. 4 Vgl. v. Wysocki (73).
12
Vorwort
erlaubt, d.h. man sammelt theoretische Ansätze an, man produziert Theorien, die nicht miteinander konfrontiert werden (können) bzw. die auf den Prüfstand empirischer Untersuchungen zu stellen man gar nicht erst versucht. Dieses für die moderne Prüfungslehre kennzeichnende Fehlen jeglicher empirischer Testversuche für die theoretischen Lösungsvorschläge ist eine jener Praktiken, die die mißliche Konsequenz haben, daß der tatsächliche Stand bzw. die Qualität des vorhandenen theoretischen Wissens i m Dunkeln bleiben und Erkenntnisfortschritte einfach behauptet werden können. Die propagierte Methodentoleranz scheint zudem bei manchen Betriebswirten imgrunde doch recht intolerante Züge aufzuweisen und die Kommunikationsfähigkeit bzw. -bereitschaft empfindlich zu beeinträchtigen, sobald K r i t i k auftaucht. Bezeichnend dafür ist — wie Beispiele aus jüngster Zeit belegen 5 , daß man heute noch i n Verdacht, wenn nicht gar i n Verachtung zu geraten bzw. zum unwissenschaftlichen lächerlichen Tölpel gemacht zu werden droht, wenn man die für einen Wissenschaftler anscheinend so „dumme" Frage stellt und zu beantworten sucht, was man denn bisher de facto u n d nicht nur vorgeblich an Forschungsergebnissen erreicht habe und ob diese auch die Lösung der Probleme bringen, für deren Lösung sie entwickelt wurden. Der wissenschaftliche Fortschritt lebt auch i n der modernen Prüfungslehre von der permanenten K r i t i k . U n d so würde ich mich freuen, wenn diese Arbeit, i n der die Forschungsergebnisse der modernen Prüfungslehre aus einer i m = Fache = bisher ungewohnten Perspektive und zudem kritisch dargestellt sowie Orientierungshypothesen vielfältiger A r t für die weitere theoretische Forschung aufgestellt werden, K r i t i k auf breiter Linie provozieren und zu neuen Denkanstößen Anlaß geben würde. „ K r i t i k auf breiter Linie", die ich hier meine und die (nur?) m i r fruchtbar, w e i l fortschrittsfördernd i n der Wissenschaft erscheint, ist jene, die sich sachlich-argumentativ ausweist. Als K r i t i k i n diesem Sinne nicht zu akzeptieren sind m. E. dann Stellungnahmen 6 , die der Hoffnung keine Chance lassen, der K r i t i k e r habe sich zumindest umfassend, differenziert und aus erster Hand (d. h. z. B. nicht aus selektiven Unterzitaten bzw. aus Vorurteilen andere K r i t i k e r 7 ) über die zu „kritisierende" Auffassung informiert. Solche Beispiele für eine sich literarisch dokumentierende A r t der „Argumentationsverweigerung 6
Vgl. v. Wysocki (73); Dichtl (73); Marettek (73). Vgl. bspw. die von v. Wysocki (73); Marettek (73); Dichtl (73), (74), oder Schneiders Attacke gegen die analytische Wissenschaftstheorie i n Schneider (73). 7 Vgl. bspw. Dichtl (74); Marettek (73). 8
Vorwort
und Kommunikationsstörung i n der Wissenschaft" 8 , wie ich es neutral umschreiben möchte, machen m. E. nur das eine deutlich, welchen Grad an Irritation, an (wirklichen oder nur vorgeblichen) Mißverständnissen und teils auch welches Maß an Aggressionen i n der Betriebswirtschaftslehre heute noch teilweise die begründete Forderung nach einem k r i tischen Forschungsverhalten bzw. eine am Konzept des Kritischen Rationalismus orientierte K r i t i k eines Teils der betriebswirtschaftlichen Forschungspraxis auslösen kann bzw. freizusetzen vermag 0 . Nach den Erfahrungen, die ich m i t Publikationen und i n Diskussionen gemacht habe, erscheint es m i r wichtig, an dieser Stelle nochmals an folgende Sachverhalte zu erinnern, damit die durch die i n diesem Buche geübte K r i t i k ausgelösten Reaktionen weniger emotional gefärbt (und auf emotionale Wirkungen i n der wissenschaftlichen Umwelt abzielend) ausfallen und zu einer sachlichen Diskussion der Probleme führen: 1. I n einer wissenschaftlichen Diskussion steht immer nur die sachliche Seite der angeschnittenen Probleme i m Mittelpunkt der Analyse; die Bezugnahme auf Autoren dient lediglich der unvermeidlichen Quellenangabe. 2. Die teilweise i n der Betriebswirtschaftslehre zu beobachtende negative Einstufung kritischer Untersuchungen von Forschungsergebnissen rührt vielfach daher, daß man nicht zwischen der K r i t i k der Forschungsprodukte und der i m wissenschaftlichen Diskurs unangemessenen K r i t i k ad personam zu unterscheiden weiß oder aus verschiedenen Gründen, die hier nicht interessieren, differenzieren will. 3. Wer die K r i t i k der eigenen Forschungsergebnisse als persönliche Niederlage (wenn nicht gar als eine des vertretenen = Faches = ) wertet und dementsprechend „kritisch" reagiert, verzichtet für sich u. a. auf das Recht zum I r r t u m bzw. verkennt den erkenntnisfördernden Wert des I r r t u m und erweist dem = Fache = einen Bärendienst. 8 Eine sehr subtile u n d w o h l auch äußerst rare A b a r t begegnete m i r i n dem Versuch eines i n meinem Buch „ M a r k e t i n g " (1972) kritisierten Autors, m i t einer einstweiligen Verfügung die Weiterverbreitung des Buches zu unterbinden! 9 Wer i n der Betriebswirtschaftslehre seine emotionale Ablehnung von K r i t i k m i t abwertenden Schlagworten oder Pamphleten zu rationalisieren sucht, erinnert i n fataler Weise an eine bestimmte Species von Politikern, die da meinen, sich m i t bestimmten Auffassungen nicht mehr auseinandersetzen zu müssen, w e n n sie diese als „marxistisch" oder „kapitalistisch" etikettieren.
14
Vorwort
4. Es hat der persönliche Respekt vor einem Autor und seinen Leistungen nichts damit zu tun, daß man dessen Forschungsergebnisse bzw. Forschungspraktiken sowie Wissenschaftsauffassung nicht m i t stichhaltigen Argumenten kritisieren oder gar „bekämpfen" könnte. Zum Schluß sei allen Personen, m i t denen ich i n den vergangenen Jahren über die moderne Prüfungslehre bzw. über die Entwicklung dieser Arbeit diskutierte, an dieser Stelle für ihre kritischen Anregungen herzlich gedankt, die i n verschiedenen Punkten zu einer Modifizierung und Präzisierung meiner Ausführungen beigetragen haben. Mein besonderer Dank gilt jenen, die mich ermutigten, dieses Buch zu veröffentlichen bzw. die Entstehung auf verschiedene A r t gefördert haben. I m Sommer 1974 Wolf F. Fischer-Winkelmann
TEIL A
Z u m Wissenschaftsprogramm i n der modernen Prüfungslehre Kapitel
I
Reine Theorie der Prüfung als Wissenschaftsideal 1. Die Kennzeichen einer reinen Prüfungstheorie Es ist symptomatisch für die Prüfungslehre unserer Tage, daß bis auf wenige rühmenswerte Ausnahmen von Vertretern der Prüfungslehre zum Wissenschaftsprogramm für die von ihnen gepflegte Wissenschaft keine Gedanken publiziert wurden und daß das i m Fache praktizierte Problemlösungsverhalten für kritische Untersuchungen ein Tabu zu sein scheint. Man zieht es anscheinend lieber vor, „to work, undisturbed by methodology, on problems of immediate practical interest" 1 . I n der modernen Prüfungslehre sieht man aber dabei nicht oder w i l l es vielleicht auch nicht sehen, daß sich i n dieser (literarisch sich widerspiegelnden) Forschungspraxis bereits eine bestimmte Auffassung von „Wissenschaft" dokumentiert, deren Implikationen unreflektiert und i m Dunkeln bleiben. Die i n der Literatur vorliegenden programmatischen Äußerungen zur Basis einer modernen Prüfungslehre, d. h. zum Wissenschaftsziel und Forschungsobjekten, über mögliche Fragestellungen und Methoden, über Wege und Ansatzpunkte der Forschung und Anforderungen an die Aussagensysteme usw., sind knapp gehalten und besitzen mehr den Charakter methodologischer Randnotizen 2 . Geeignete Anknüpfungspunkte, um etwas über das i n bzw. für die moderne Prüfungslehre vertretene Wissenschaftsideal zu erfahren, mit dem die Spielregeln fixiert sind, die für die Wissenschaftspraxis gelten (sollen), bietet der Abriß der wissenschaftlichen Entwicklung der Prü1
Machlup (36), S. 46. Vgl. die A r b e i t e n von Loitlsberger (66), S. 17 ff.; M a n n (67); v. Wysocki (67), S. 17 ff.; Leffson (69); Wacker (70); Egner (70); Selchert (72 a), Bretzke (72), v. Wysocki (73). 2
16
A. I. Reine Theorie der Prüfung als Wissenschaftsideal
fungslehre von E. Loitlsberger. Denn dessen Charakterisierung der Prüfungslehre (insbesondere ihrer Forschungsmethodik) blieb bislang i m Fache unwidersprochen. Nach Loitlsberger 3 ist die wissenschaftliche Entwicklung i n der Prüfungslehre dadurch gekennzeichnet, daß diese bis zum I I . Weltkrieg den Charakter einer angewandten Wissenschaft getragen habe. Dann sei eine Zäsur eingetreten. Die Problemsituation habe sich gewandelt. Denn man bemühe sich seither u m die Schaffung einer „Prüfungstheorie", d . h . es würden Versuche unternommen, auch solche „Probleme" i n der Prüfungslehre aufzugreifen, die nicht mehr unmittelbar praktikabel seien, sondern die Erkenntnis über das Prüfungswesen vergrößern helfen sollen. Seit dieser Zeit, m i t der Verfolgung eines theoretischen Wissenschaftszieles, sei daher die Prüfungslehre der reinen Wissenschaft zuzurechnen. Ausgehend von der konstitutiven Grundfragestellung: „Was ist eine Prüfung?" versuche man i n der sich zur Prüfungstheorie wandelnden modernen Prüfungslehre die Zusammenhänge offenzulegen, die das Wesen einer Prüfung ausmachen sollen 3 . Welches Erkenntnisprogramm steckt dahinter, wenn eine Prüfungstheorie als reine Wissenschaft konzipiert w i r d bzw. werden soll? Loitlsberger selbst expliziert die Ausdrücke angewandte 4 bzw. ,reine Wissenschaft 4 nicht, sondern verweist zu den Begriffen , angewandte' und ,reine Wissenschaft 4 neben Moxter und H i l l vor allem auf Wöhe, der — und das ist i n diesem Zusammenhang entscheidend! — diese Begriffe wie er gebrauche 4 , und den w i r deshalb unbedenklich als Interpretationshilfe verwenden können und werden. Eine als reine Wissenschaft (Theorie) konzipierte Prüfungslehre (Prüfungstheorie) ist dem Programm nach eine nur auf Erkenntnis ( = Beschreibung und Erklärung) des Seienden, des Tatsächlichen abgestellte Wissenschaft, die aus der Freude an der wissenschaftlichen Erkenntnis u m ihrer selbst w i l l e n betrieben wird. I n einer reinen Theorie ist die Erkenntnis Selbstzweck 5 . Die größere Erkenntnisleistung einer reinen Wissenschaft rührt nach Meinung ihrer Apologeten daher, daß i n der Theorie nicht wie i n der angewandten Wissenschaft ( = wissenschaftlichen Kunstlehre) nur eine notwendige Grundlagenforschung gesehen wird, die lediglich soweit getrieben w i r d als es für die Erklärung, Beurteilung und Entwick3
Vgl. Loitlsberger (66), S. 17 ff. i. V. S. 58 f. Vgl. Loitlsberger (66), S. 107; Wöhe (59); Moxter (57), S. 35 ff.; H i l l (57), S. 11 ff. 5 Vgl. Wöhe (59), S. 33 ff. 4
1. Die Kennzeichen einer reinen Prüfungstheorie
17
lung praktischer Verfahren unbedingt für erforderlich erscheint. I n dem für eine reine Theorie kennzeichnenden bzw. m i t i h r geforderten Streben nach einer restlosen Erfassung und Durchdringung des Untersuchungsobjektes zieht man die Grenze für die theoretische Forschung nicht bereits dort, wo die unmittelbare Verwertbarkeit der theoretischen Ergebnisse für die Realisierung praktischer Ziele nicht mehr gegeben ist 6 . A u f die Prüfungslehre übertragen heißt das, daß man dort m i t dem Entwurf einer reinen Prüfungstheorie i n einem „zwecklosen" Erkenntnisstreben i n Gebiete vorzudringen imstande sein soll (sein will), die der angewandten Wissenschaft zugrunde liegenden theoretischen Forschung durch die Beschränkung auf „praktische" Zielsetzungen verschlossen bleiben. Wie gelingt das i n einer reinen Prüfungstheorie? Die A n t w o r t bei Loitlsberger lautet: durch die W a h l eines anderen Erkenntnisobjektes! Die Versuche zum Entwurf einer Prüfungstheorie, m i t denen die H i n wendung zum Ideal einer reinen Wissenschaft und der Beginn der modernen Prüfungslehre datiert wird, sind nach Loitlsberger durch einen Wechsel i m Erkenntnisobjekt gekennzeichnet. I n den prüfungstheoretischen Ansätzen werde nicht mehr wie i n der vergangenen Periode der angewandten Wissenschaft die Revisionstechnik, sondern das Wesen der Prüfung als Erkenntnisobjekt angesehen7. Alle bisherigen Versuche, i m Rahmen der Prüfungstheorie das Wesen der Prüfung zu deuten, sind zugleich als Erklärungsversuche der Prüfung anzusehen8. Durch die Deutung des Wesens der Prüfung gelangen w i r angeblich zu einer Erklärung des sozio-ökonomischen Geschehenskomplexes „Prüfung". Eine reine Prüfungstheorie allein befähigt uns (so müßte die Argumentation ihrer Vertreter lauten), die komplexen Zusammenhänge bei Prüfungen zu erfassen und zur letzten Erkenntnis all der Gesetze und Gesetzmäßigkeiten vorzustoßen, die das Prüfungsgeschehen bestimmen. Die aus der Erforschung des Wesens der Prüfung gewonnenen Erkenntnisse der reinen Prüfungstheorie haben wie die jeder reinen Theorie „keinen oder besser zunächst noch keinen unmittelbaren Wert für die Entwicklung praktischer Verfahren" 9 . Wie ist die Rede vom Wesen der Prüfung als dem Erkenntnisobjekt einer Theorie der Prüfung zu verstehen? Welche Vorstellungen ver6 7 8 9
Vgl. Wöhe (59), S. 33, 47 u. a. 34. Vgl. Loitlsberger (66), S. 18 f. Vgl. Loitlsberger (66), S. 59 u n d ders. (68), S. 161. Wöhe (59), S. 47; vgl. Loitlsberger (66), S. 18.
2 Fischer-Winkelmann
18
A . I. Reine Theorie der Prüfung als Wissenschaftsideal
bergen dahinter? Da sich dazu die Prüfungsliteratur nicht äußert, wollen w i r dem Hinweis auf Wöhe nachgehen. Bei dem Wesen, das eine reine Theorie offenzulegen habe, handelt es sich — so Wöhe — u m den logischen Grundgehalt der Erscheinungen, um die logische Seite ( = Sosein) des Forschungsobjektes. Jede empirische Wissenschaft, die das Sein ihres Gegenstandes beschreiben und erklären wolle, müsse zwei „Seiten", d. h. zwei Seinsmomente berücksichtigen, die sich an jedem realen Gegenstand finden lassen würden: das Sosein und das Dasein. Deshalb setze sich auch jede empirische Disziplin aus zwei gegenständlich getrennten Teildisziplinen zusammen, deren Aussagen zusammen den Inhalt der theoretischen Wissenschaft ausmachten. Das Sosein sei die logische Seite, das Wesen des Untersuchungsgegenstandes und als solches Objekt einer exakten theoretischen Wissenschaft oder reinen ( = exakten) Theorie. Das Dasein dagegen als die a-logische oder die existentielle Seite des Forschungsgegenstandes sei das Erkenntnisobjekt einer empirisch-realistischen theoretischen Wissenschaft, die zu Aussagen über Regelmäßigkeiten ( = Kausalgesetzmäßigkeiten) gelange, während die reine Theorie uns denknotwendige Aussagen über funktionale, akausale Größenrelationen liefere 1 0 . M i t einer reinen Theorie erstrebt man nicht die Erkenntnis realer Geschehensabläufe, sondern die Erkenntnis der logischen Merkmale und Bestimmungen. Reine Theorie ist zeitlos, w e i l sie sich nicht m i t historisch ( = zeitlich) bestimmten Sachverhalten befaßt, sondern durch Abstraktion vom realen Dasein der realen Gegenstände deren Sosein, = ideales Sein, = Wesen erschließt. Sie führt zur Kenntnis der logischen Beziehungen, die denknotwendig sind. Die i n einer reinen Theorie beschriebenen Wesensgesetze besitzen deshalb streng apodiktische Gewißheit und ausschließliche Gültigkeit, die den Aussagen einer empirisch-realistischen Theorie fehle. Auch wenn die reine Theorie ein IdeaZobjekt zum Gegenstand habe, das reduktiv bzw. konstruktiv gewonnen, i n dieser Reinheit niemals nachweisbar sei, so sei das Wissenschaftsziel doch letzten Endes die Erkenntnis der Empirie 1 1 ! Soweit die Charakteristika einer reinen Theorie, die auch diejenigen der theoretischen Ansätze sind, i n denen eine Deutung des Wesens der Prüfung angestrebt w i r d 1 2 . 10
Vgl. Wöhe (59), S. 36, 59 u. passim; (73), S. 17 ff., 25 ff. Vgl. Wöhe (59), S. 59, 68, 72, 73, 79; (73), S, 25 ff. 12 Wenn die von uns skizzierte Kennzeichnung einer reinen Theorie etwas schwer verständlich erscheint, dann ist dies dem Wesensdenken anzulasten, das zu seiner Begründung ein gewisses Maß an Sprachartistik zu verlangen scheint, u m als gehaltvoll erscheinen zu können. 11
2. Die praktische Relevanz dieses Wissenschaftsmodells
19
A l s (einige) wichtige Merkmale einer reinen Prüfungstheorie können w i r die folgenden festhalten: a) Das Erkenntnisstreben i n einer reinen Theorie der Prüfung ist auf die „reine" Erkenntnis des Seienden gerichtet. M i t i h r soll das tatsächliche Prüfungsgeschehen beschrieben u n d erklärt werden können. Die Erkenntnisse sind „nicht mehr unmittelbar praktikabel" 1 3 . b) Die explikative Zielsetzung impliziert, daß sie ,„rein' i m Sinne von ,frei von praktischen Zielsetzungen'", d.h. „frei von den Daseinsbeziehungen . . . also nur auf die logische Seite des Objektes bezogen" und somit „not-
wendigerweise
frei von Werturteilen"
u
ist.
c) Der Wechsel i m Erkenntnisobjekt der Prüfungslehre von der Revisionstechnik zur Wesensdeutung der Prüfung, d. h. der Schritt von einer mehr „handwerklichen" Kunstlehre h i n zu einer reinen Prüfungstheorie bringt auch einen Wechsel i n der Forschungsmethodik. Denn „der Forschungsweg, die Methode und damit auch der Grad der Abstraktion werden vom Erkenntnisgegenstand bedingt. Induktive u n d deduktive Methode sind . . . nicht eine Frage des Geschmackes, sondern bedingt durch den Allgemeinheitsgrad des Untersuchungsgegenstandes" 15 . I n einer reinen Theorie w i r d deshalb eine „deduktiv-isolierende Methode verwendet" 1 «.
Auch Mann v e r t r i t t die Ansicht, daß der zu untersuchende Gegenstand die anzuwendende Methode bestimme 17. V . Wysocki scheint ebenfalls der Auffassung zu sein, daß deduktives Vorgehen allein theoretisches Arbeiten i n der Prüfungslehre auszeichne u n d zu praktikablen Erkenntnissen verhelfe 1 8 . Die unter Betriebswirten weitverbreitete Vorstellung von der Gegenstandsadäquatheit der Forschungsmethode hat viel dazu beigetragen, daß nach dem (empirischen) Gehalt der Prämissen bei „theoretischen" Deduktionen wenig gefragt w i r d und betriebswirtschaftliche „Theorien" von der Kontrolle anhand der Erfahrungsdaten „befreit" blieben u n d bleiben. 2. Die praktische Relevanz dieses Wissenschaftsmodells Der logische Ausgangspunkt für eine kritische Würdigung der Brauchbarkeit des hinter einer reinen Prüfungstheorie steckenden Wissenschaftsmodells ist das Erkenntnisziel. 18
Loitlsberger (66), S. 18: vgl. a. Wöhe (59), S. 34, 47. Wöhe (59), S. 41 bzw. 40, H. d. V. 16 Wöhe (59), S. 92 f., s. a. S. 49 ff. oder (73), S. 25 ff. 16 Wöhe (59), S. 93. 17 Mann (67): „Solange bestimmte Probleme nicht i m realen Sein gründen, also nur ideales Sein aufweisen, sind sie einer Lösung m i t Hilfe der empirische-induktiven Methode nicht zugänglich." (S. 397). E i n „empirisch-induktives Vorgehen" stellt i n diesem Falle eine „gegenstandsinadäquate Methode dar"; vgl. a. S. 401. 18 Vgl. v. Wysocki (67), S. V I I f. 14
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A . I. Reine Theorie der Prüfung als Wissenschaftsideal
Wie w i r erfahren haben, besteht die mit einer reinen Prüfungstheorie verknüpften Zielsetzung darin, Erklärungen für gewöhnlich „Prüfungen" genannte Ereignisse i m Bereich der Wirtschaft zu finden. Geht man von den Spielregeln einer empirischen Wissenschaft aus, dann werden nomologische Aussagen über die Struktur der Prüfungsrealität oder — anders ausgedrückt — über strukturelle Invarianzen (Gesetzmäßigkeiten) des Prüfungsgeschehens gesucht, die man als „Gesetze" bezeichnen kann. Diese Erklärungsaufgabe meint man i n einer reinen Prüfungstheorie dadurch bewältigen zu können, daß man das Wesen der Prüfung enthüllt, d. h. die logische Seite der „Prüfung" analysiert und eine definitive A n t w o r t auf die Grundfrage einer reinen Prüfungstheorie: = Was ist eine Prüfung? = gibt. Dabei scheint es der Erklärungsaufgabe nicht abträglich zu sein, wenn die Produkte der rein prüfungstheoretischen Forschung, die Wesensgesetze der Prüfung, einerseits unser Wissen über das Prüfungswesen vertiefen, andererseits aber nicht mehr unmittelbar praktikabel sein sollen 19 . Daß die fehlende unmittelbare Praktikabilität der Resultate einer reinen Prüfungstheorie i n der modernen Prüfungslehre nicht als ein gravierender Mangel erkannt wird, liegt u. E. i m Konzept der reinen Theorie begründet. Denn für einen Vertreter einer reinen Theorie ist die fehlende Praktikabilität der Versuche, Prüfungen durch die Rückführung auf die einer Prüfung inhärenten wesentlichen Eigenschaften (oder ihre wesenhafte Beschaffenheit) zu erklären, gleichsam ein „natürliches", weil logisches Nebenprodukt des Forschungsmodells und darum von geringer Bedeutung. Das Argument, das zur Rechtfertigung der mangelnden unmittelbaren Praktikabilität rein-theoretischer Forschung (die aber dem Erklärungsanspruch keinerlei Abbruch tue) i n der Betriebswirtschaftslehre vorgebracht wird, scheint auf dem ersten Blick schlagend zu sein: Die Ursache für die fehlende unmittelbare Brauchbarkeit der Forschungsergebnisse sei einfach darin zu sehen, daß man sich unter einer rein theoretischen Zielsetzung i n einer empirischen Wissenschaft u m die restlose Erfassung des Untersuchungsobjektes bemühe und deshalb auch „einen Gegenstand von größerem Allgemeinheitsgrad als die 19 Vgl. Loitlsberger (66), S. 18. Die sich aus einem Umkehrschluß ergebende Meinung, daß die Ergebnisse der „vortheoretischen Lösungsversuche" (Kolarik [64], S. 10) der älteren Richtung i n der Prüfungslehre unmittelbar praktikable seien, dürfte nicht beweisbar sein. Denn das würde informative Aussagen voraussetzen. Beschreibungen von Prüfungstechniken, Aufstellen von Verhaltensregeln, die i n ihrem Normgehalt über den von Faustregeln nicht hinausgehen usw., w i e es f ü r die ältere Prüfungslehre charakteristisch
ist, besitzen weder eine explikative noch normative Relevanz, s. u.
2. Die praktische Relevanz dieses Wissenschaftsmodells
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empirisch-realistische Theorie" 2 0 zu erforschen habe, was einen größeren Abstraktionsgrad der Forschungsergebnisse bedinge. Dem Argument fehlt es aber aus zwei Gründen an Beweiskraft. Einmal ist das von den „reinen" Theoretikern herausgestrichene Streben nach einer restlosen Erfassung des Forschungsobjektes a priori bereits vergeblich, weil jede wissenschaftliche Fragestellung und die theoretischen Aussagen als Ergebnisse der Forschung i n einem großen Ausmaß selektiv sind. Z u irgendwelchen letzten Erklärungen u. ä. des Prüfungsgeschehens, die einen Abschluß des prinzipiell infiniten Erkenntnisprozesses i n der Prüfungslehre bedeuten würden, werden w i r nie vorstoßen 21 . Zum anderen ist die unter Betriebswirten weitverbreitete Meinung, daß der m i t Theorien größerer Allgemeinheit verknüpfte größere A b straktionsgrad der Aussagen deren unmittelbare Verwertbarkeit für „praktische" Problemstellungen beeinträchtige, nicht stichhaltig. Wenn w i r i n der Betriebswirtschaftslehre oder i n der Prüfungslehre unter einer empirisch-kognitiven Zielsetzung nach Aussagen größerer Allgemeinheit suchen — w o m i t auch ihr Abstraktionsgrad steigt — dann vergrößern diese Aussagen unsere Erkenntnis. Aber es steigt zugleich auch die praktische Brauchbarkeit unserer Forschungsergebnisse! Der Beweis für unsere manchem prima facie widersinnig erscheinende Behauptung einer steigenden praktischen Verwendbarkeit i m mer allgemeiner und „abstrakter" werdender Produkte empirischer Forschung in der Prüfungslehre läßt sich so führen: (1) Strikt universelle prüfungstheoretische Hypothesen höheren N i veaus sind „abstrakter" als solche niedrigeren Allgemeinheitsgrade i n dem Sinne, daß sie stärker als die weniger allgemeinen von der Vielzahl der A t t r i b u t e absehen, m i t denen w i r bestimmte erklärungsbedürftige Erscheinungen i m Prüfungswesen beschreiben können. (2) Die allgemeineren prüfungstheoretischen Aussagen besitzen aber zugleich auch einen größeren Erklärungswert. Denn sie informieren uns besser und „tiefer" über die Struktur der Prüfungsrealität, 20
Wöhe (59), S. 92. Die Idee einer letzten E r k l ä r u n g wirtschaftlichen Geschehens ist kennzeichnend f ü r den wirtschaftswissenschaftlichen Essentialismus. Jedoch: „Essentialism is . . . untenable. I t implies the idea of an ultimate explanation, for an essentialist explanation is neither need of, nor capable of, further explanation" (Popper [53], S. 28). H a t die reine Prüfungstheorie einmal das Wesen der Prüfung offengelegt, dann gibt es nichts mehr zu erkennen! 21
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A . I. Reine Theorie der Prüfung als Wissenschaftsideal
da w i r sie zur Erklärung einer größeren Zahl unterschiedlicher Phänomene anwenden können als die Aussagen niedrigeren A l l gemeinheitsgrades. (3) W i r können also sagen: Von zwei nur zur Verfügung stehenden Prüfungstheorien k l ä r t uns diejenige „tiefer" über die Prüfungswirklichkeit auf und vergrößert stärker unser Wissen, die als Theorie höheren Niveaus die andere erklärt bzw. erklärt, indem sie diese berichtigt 2 2 . Unsere Argumente zusammengefaßt bedeuten: der aus dem größeren Allgemeinheitsgrad resultierende höhere Informationsgehalt erhöht den Wert ( = die Brauchbarkeit) der betreffenden prüfungstheoretischen Aussagen für Erklärungen, Prognosen und (analytische) Transformationen i m Rahmen einer Prüfungstechnologie 23 . A m Allgemeinheitsgrad oder Abstraktionsgrad einer reinen Prüfungstheorie kann dann die fehlende unmittelbare Verwendbarkeit rein theoretischer Konstrukte nicht liegen. Sie liegt vielmehr i n den Anforderungen an die innere Beschaffenheit und i n der daraus resultierenden Struktur einer reinen Prüfungstheorie begründet, die eine explanatorische, prognostische und/oder technologische Verwendung reiner Prüfungstheorien verhindern. Das zeigt sich i n der folgenden Charakterisierung der Sätze reiner Theorien i n der Literatur: Die Sätze reiner Theorien gelten rein logisch! Die Deduktion aus den gesetzten Prämissen erfolgt ohne M i t w i r k u n g der Erfahrung. Der in reinen Theorien isolierte Zusammenhang ist aber, wenn die Wahrheitssicherung der Prämissen gelungen ist, ein Wesensmerkmal des Forschungsobjektes, wenn auch in dieser Reinheit niemals nachweisbar 24. Die Aussagen gelten unumstößlich, streng apodiktisch und keineswegs vorläufig 25. Die für die Erklärung des Seienden brauchbaren Aussagen über empirisch-invariante Zusammenhänge (einer Prüfungstheorie bspw.) gelten jedoch stets nur vorläufig, d. h. bis zu ihrer Widerlegung durch 22 M i t der „berichtigenden" E r k l ä r u n g ist meist ein Wandel i n der Sicht der Dinge verbunden, vgl. dazu Feyerabend (62) u n d (65 a), Popper (64 a), u n d den Schluß dieser Arbeit. 23 Vgl. zum Informationsgehalt als K r i t e r i u m für die Brauchbarkeit sozialwissenschaftlicher Theorien, zu denen auch eine empirische Prüfungstheorie zählt, Fischer-Winkelmann (71) u n d Opp (70 a), zur Prüfungstechnologie T e i l B, K a p i t e l V I I . 24 Vgl. Wöhe (59), S. 73. Wie soll sich niemals Nachweisbares i n seiner Wahrheit sichern lassen können? 25 Vgl. Eucken (47), S. 254 oder Wöhe (59), S. 66, 73.
2. Die praktische Relevanz dieses Wissenschaftsmodells
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Erfahrungsdaten! Sie müssen — i m Gegensatz zu den Sätzen einer reinen Theorie — durch Erfahrimg falsifizierbar sein, wenn sie überhaupt etwas über die Wirklichkeit aussagen sollen, und können i n ihrer Wahrheit nicht gesichert werden. Nomologische Aussagen als die gesuchten Ergebnisse real-theoretischen Forschens bleiben auch nach noch so vielfacher Bewährung i n strengsten Testungsversuchen ( = Widerlegungsversuchen) immer dem Risiko des Scheiterns an der Realität ausgesetzt. Sie können deshalb nie wie die Aussagen einer reinen Theorie von unumstößlicher Sicherheit und apodiktischer Gewißheit sein. Der Versuch einer Widerlegung der Sätze reiner Theorien ist bereits durch den Vorbehalt ausgeschlossen, daß sich die isolierten Zusammenhänge i n dieser Reinheit empirisch niemals nachweisen lassen. Zu der Illusion einer aus einem endgültigen Wissen fließenden unumstößlichen Gewißheit verhelfen aber die auf rein theoretischem Wege erschlossenen Wesensgesetze, die, „falls die logische Ableitung exakt war, immer richtig (sind). Sie sind denknotwendig und durch die Denknotwendigkeit in ihrer Wahrheit gesichert" 29. Eine Wahrheitssicherung der Aussagen reiner Theorien durch irgendwelche Verifikations- resp. Falsifikationsprozesse an der Realität ist dann nicht nur „völlig überflüssig" 2 6 oder unangebracht, sondern sogar unmöglich! Denn die logische Konsistenz eines Satzsystems ist nicht das ausreichende Wahrheitskriterium für eine Realtheorie, die die reine Theorie dem Anspruch ihrer Vertreter nach sein soll, sondern lediglich eine notwendige Bedingung. M i t dem Streben nach logisch wahren (nur „denknotwendig gesicherten") Sätzen w i r d der Erklärungsanspruch einer reinen Theorie auf den Gehalt logisch-wahrer Satzsysteme reduziert, für deren Überprüfung formallogische Kriterien ausreichen. Wom i t jeglicher nomologischer Gehalt der Sätze verschwindet! Der Versuch einer empirischen Kontrolle rein theoretischer Aussagen ist dann nicht nur überflüssig, sondern sinnlos, w e i l unmöglich. Die Sätze einer reinen Prüfungstheorie können uns dann bestenfalls die Kenntnis der logischen Beziehungen zwischen diesen Sätzen vermitteln, deren Gültigkeit von den i n ihnen enthaltenen Definitionen abhängig ist. Eine reine Prüfungstheorie ist so „zeitlos" wie eine Logarithmentafel, von so apodiktischer Gewißheit wie die Sätze der Logik, auf die w i r uns stützen müssen, wenn w i r untereinander vernünftig reden wollen. Ihre apriorische Geltung bezieht sie aus ihrem analytischen Charakter. Eine reine Prüfungstheorie besteht nur aus als Objektsätze ausgegebenen Metasätzen, die natürlich niemals m i t einem denkbaren Gesche26
Wöhe (59), S. 83, H. d. V.
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A. I. Reine Theorie der Prüfung als Wissenschaftsideal
hen i n der Prüfungsrealität i n Widerspruch stehen, geschweige denn einem experimentum crucis unterzogen werden können. „Keine denkbaren Tatsachen oder Ereignisse können ihre Wahrheit oder Falschheit beweisen, und ihre Notwendigkeit w i r d nicht dadurch deutlich, daß w i r sie m i t den Tatsachen vergleichen, sondern dadurch, daß w i r die Form dieser Sätze selbst betrachten 27 !" Die zu erklärende Wirklichkeit bleibt also bei dem Wissenschaftsspiel „reine Prüfungstheorie" ausgeklammert. Versuchen w i r ein erstes Fazit zu ziehen. Hinter den Wesensanalysen einer reinen Theorie verbirgt sich eine inakzeptable Ontologisierung sprachlicher Gebrauchsregeln. Das vertraute ökonomische Fachvokabular, das uns bspw. i n reinen betriebswirtschaftlichen Theorien begegnet, stellt den zur Selbst- und Fremdtäuschung erforderlichen Realitätsbezug her und suggeriert so den Eindruck, man spreche i n den reinen Theorien über faktisches Geschehen und nicht nur über eine Sprache. Auch die Form der Sätze trägt zu der irrigen Ansicht bei, es drehe sich bei reinen Theorien u m etwas anderes als u m eine sprachliche Frage, man spreche über Dinge und nicht ausschließlich über Worte 2 8 . Wenn ausgehend von der pseudo-objektiven Problemstellung (Carnap): „Was-ist-das-Wesen-der-Prüfung?" eine A n t w o r t inform einer reinen Prüfungstheorie durch die „Darstellung der Zusammenhänge, die das Wesen einer Prüfung ausmachen" 29 sollen, gegeben wird, dann geben die Autoren uns nur Aufschluß über ihre Definitionen (und deren Implikationen) i n impliziten Metasätzen, die keine prüfbare Beziehung zur Prüfungsrealität haben und deswegen anhand der W i r k lichkeit nicht nachgeprüft werden können 3 0 . I n einer reinen Prüfungstheorie w i r d über Fachsprachliches so gesprochen, als ob es u m empirische Sachverhalte ginge 3 1 . Sie kann uns keine Probleme des Prüfungswesens lösen helfen, w e i l sie nicht über das Prüfungswesen handelt! Zu einer empirischen Theorie der Prüfung steht sie i n einer Kontraposition. I m günstigsten Falle macht uns eine reine Prüfungstheorie m i t einem terminologischen Apparat bekannt, der sich eventuell bei einer Verwendung zum E n t w u r f empirisch bewährbarer Prüfungstheorien als zweckmäßig und fruchtbar erweisen 27
Hutchison (64), S. 274. Hutchison (64), S. 277. 29 Loitlsberger (66), S. 19. 30 Definitionen als w i l l k ü r l i c h e metasprachliche Festsetzungen gelten u n beschränkt u n d können deshalb niemals durch eine auf Erfahrung gestützte K r i t i k widerlegt werden; vgl. dazu Fischer-Winkelmann (71), S. 29 ff. 31 Z u den Als-ob-Sprachen i n den Wirtschaftswissenschaften vgl. z.B. Kroeber-Riel (72). 28
2. Die praktische Relevanz dieses Wissenschaftsmodells
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könnte 3 2 . Da „das Wahrheitskriterium für die Urteile der exakten Theorie . . . ihre logische Richtigkeit" ist und „die Wahrheit dieser U r teile . . . nicht an empirisch erfaßbaren Tatbeständen gesichert" 33 , d. h. überprüft werden kann, führt eine reine Prüfungstheorie i n der Prüfungslehre i n die Irre: sie verführt zu weltfremden Spekulationen! U m dem V o r w u r f zu begegnen bzw. vorzubeugen, w i r hätten bei unserer K r i t i k des Forschungskonzeptes einer reinen Theorie etwas Entscheidendes außer acht gelassen, wollen w i r uns noch kurz mit einer These befassen, die die Überprüfung der Wahrheit rein theoretischer Urteile an der Empirie für unnötig erklärt. Es ist die These von der „richtigen" Gewinnung der Wesenserkenntnis: „Entscheidend wichtig für die Durchführung des Erkenntnisprozesses und für die Erzielung wissenschaftlicher Erfolge ist es, daß das richtige Abstraktionsverfahren an der richtigen Stelle angewandt w i r d " 3 4 , d. h. für den Fall reiner Theorien die isolierend-fortschreitende Abstraktion 3 5 . Jedoch wer entscheidet, daß „richtig" an der „richtigen" Stelle abstrahiert worden sei? Die Forderung nach der „richtigen Gewinnung" ist eine Leerformel, d. h. ohne jeden Normgehalt. Sie öffnet dem Subjektivismus i n der wissenschaftlichen Erkenntnis T ü r und Tor. Denn jeder kann sich i m Besitze der „richtigen" Methode proklamieren, was man i h m bei einiger Geschicklichkeit oft auch abnehmen wird. Bei den Propagandisten reiner Theorien i m sozialwissenschaftlichen Bereich finden sich nirgends operable Anweisungen, wie man „richtig" abstrahiert 3 6 . Ein fundamentaler Fehler i n der These von der „richtigen Gewinnung" ist weiter, daß mit i h r die strikt auseinanderzuhaltenden Probleme der Genese und der Geltung von Theorien verquickt werden. Es läßt sich nicht i n der A r t einer apriorischen Erkenntnis entscheiden, welche Merkmale dem Forschungsgegenstand nun „wesenhaft" zuge32 D a n n muß aber auch die m i t dem Anspruch auf endgültige Gewißheit verknüpfte dogmatische A t t i t ü d e der reinen Theoretiker fallen. Denn ein f ü r allemal richtig gebildete u n d allgemeingültige Begriffe gibt es nicht. Der Erkenntnisfortschritt ist vielmehr durch den ständigen Wandel des terminologischen Apparates u n d damit der A r t u n d Weise, w i e die „Dinge" gesehen werden, gekennzeichnet. 33 Wöhe (59), S. 85 f. 34 Eucken (47), S. 226, vgl. a. Wöhe (59), passim. 35 Wöhe (59), S. 77. 36 F ü r die A r t , w i e das Verfahren der isolierenden A b s t r a k t i o n charakterisiert zu werden pflegt, ein Beispiel: „ M i t Hilfe der Methode der eidetischen Reduktion werden die idealen Strukturgesetzlichkeiten v o m Realen erkannt, isoliert u n d wesentlich gleichsam vor die K l a m m e r gezogen, während das existentielle Seinsmoment, an der die I n d i v i d u a l i t ä t der Gegenstände i m raumzeitlichen Zusammenhang haftet, ausgeklammert w i r d . V o m Dasein der Gegenstände w i r d abstrahiert." (Pahlow [68], S. 201).
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A. I. Reine Theorie der Prüfung als Wissenschaftsideal
hören und welche nicht. Behauptungen über wesenhafte oder nichtwesenhafte Zugehörigkeit kann jeder aufstellen und dabei zur Absicherung darauf hinweisen, „richtig" abstrahiert zu haben. Was ihm auf rationalem Wege nicht zu widerlegen ist! Die Forderung nach der „richtigen Gewinnung" ist auch ein probates M i t t e l zur intellektuellen Diffamierung wissenschaftlicher Gegner, m i t der diesen die Erkenntnisfähigkeit aberkannt werden kann. Ob man nun für die Denkmodelle reiner Theorien die Elemente aus der Realität n i m m t oder sie sich aus den Fingern saugt, das ändert nichts daran, daß man die Denkmodelle i n einen wie i m anderen Falle eben konstruieren muß 3 7 . Es ändert auch nichts daran, ob man diese Denkmodelle m i t wohltönenden Namen wie „Idealtypen", „Realtypen", „reine Formen", „Reduktiv-" oder „Konstruktivmodell" belegt oder in einer reinen Theorie sonstwie bezeichnet. Entscheidend ist allein, ob die betreffenden Satzsysteme prinzipiell empirisch kontrollierbar gestaltet und nicht gegen das Risiko des Scheiterns an der Erfahrung immunisiert werden 8 8 . Man mißverstehe uns nicht. Unsere K r i t i k richtet sich nicht gegen die Abstraktion schlechthin. Das wäre unsinnig, da jede theoretische Durchdringung der Realität wegen des dazu benötigten sprachlichen Instrumentariums notwendigerweise selektiv ist. W i r bestreiten nur, daß durch irgendein Abstraktionsverfahren wie „pointierend-hervorhebende", „generalisierende", „isolierende" etc. bestimmt werden könnte, welche Faktoren unter einer theoretischen Zielsetzung für die erstrebte Problemlösung bedeutsam seien oder welche nicht. Denn um dies nachprüfbar zu erfahren, müssen w i r unsere Hypothesen m i t den Tatsachen konfrontieren. Die A r t und Weise der Gewinnung dieser Aussagen, mag man sie auch durch irgendwelche ontologischen Spekulationen begründen, ist für die Überprüfung ihrer Wahrheit ohne Belang. Fassen w i r zusammen: a) Wer i n einer reinen Wissenschaft (Theorie) u n d damit i n der E n t w i c k l u n g reiner Prüfungstheorien das Wissenschaftsideal für die Prüfungslehre sieht, setzt f ü r die Prüfungslehre die „Spielregeln des Spiels ,empirische Wissenschaft'" 3 9 außer kraft. Das Ziel einer Vergrößerung unseres Wissens über das Prüfungswesen bleibt m i t einer reinen Prüfungstheorie ebenso unerreichbar, w i e das Ziel der E r k l ä r u n g des faktischen P r ü fungsgeschehens. 37
Vgl. K e m p s k i (64 a), S. 219. Vgl. dazu Hempel (64), S. 201 ff.; A l b e r t (63 a). 39 Popper (66), S. 39; zum „Wissenschaftsspiel" vgl. neuerdings Pyke (69). 38
Agnew/
2. Die praktische Relevanz dieses Wissenschaftsmodells
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b) Eine reine Prüfungstheorie ist v o m realwissenschaftlichen Standpunkt aus kein Fortschritt i n der wissenschaftlichen E n t w i c k l u n g unseres Faches, sondern eine Fehlentwicklung u n d ein Erkenntnishindernis. (Ob u n d w i e das Programm einer reinen Theorie der Prüfung sich i n den Versuchen zur „Schaffung einer = Prüfungstheorie = " (Loitlsberger) ausg e w i r k t hat, werden w i r i m T e i l I I noch zu untersuchen haben.) F ü r die Aussagen reiner Prüfungstheorien g i l t : c) „Was es, scheinbar, geben muß, gehört zur Sprache 40 ."
40
Wittgenstein (53), S. 25.
Kapitel
II
Duplizität des Erkenntnisobjektes als Wissenschaftskonstituens der Prüfungslehre „ W i r d das Revisions- und Treuhandwesen als Wissenschaft angesehen, so ist zu fragen, was das Erkenntnisobjekt dieser Wissenschaft ist; oder anders ausgedrückt: auf welchen Tatbestand beziehen sich die Fragen, die die Wissenschaft = Revisions- und Treuhandwesen = zu beantworten hat 4 1 ?" Löst man diese Frage i n der i n der Betriebswirtschaftslehre üblichen A r t und Weise, dann ist der Wissenschaftscharakter der Lehre vom Prüfungswesen bewiesen, oder anders ausgedrückt, man hat bewiesen, daß es sich dabei um eine (autonome) wissenschaftliche Disziplin mit einem wesenseigenen Problembestand handelt, der nicht i n den Problemkreis einer anderen Disziplin fällt. Das ist der Gedankengang, der hinter der i n dem Eingangszitat angedeuteten Problemlösung i n der modernen Prüfungslehre steckt. Die Herkunft aus der Rede vom Erkenntnisobjekt i n der betriebswirtschaftlichen Grundlagendiskussion ist offensichtlich. Aber ebenso offensichtlich ist, daß ein solcher — auch von anderen Autoren praktizierter — Versuch der Konstituierung einer Wissenschaft vom Prüfungswesen, die w i r „Prüfungslehre" nennen, der nämlichen K r i t i k ausgesetzt ist wie das entsprechende Bemühen, den Wissenschaftscharakter der Betriebswirtschaftslehre als Ganzes mithilfe eines Erkenntnisobjektes zu erweisen. Denn der Lösungsweg ist in beiden Fällen der gleiche, nur daß i m Falle der Prüfungslehre die Probleme i m Kleinen und i m Kleinsten wiederkehren 4 2 . Es geht nicht mehr um eine Wissenschaft „Betriebswirtschaftslehre", ihre Autonomie und Abgrenzung nach „außen", d. h. zu anderen Disziplinen, und ihren 41 Loitlsberger (66), S. 18. Statt von „Revisions- u n d Treuhandwesen" spricht m a n heute mehr von „Prüfungswesen". 42 Denn die L i t e r a t u r propagiert den Prüfungsbetrieb (Treuhandbetrieb) als Erkenntnisobjekt einer eigenen Theorie, die Funktion „ P r ü f u n g " als Gegenstand einer Prüfungstheorie, die Funktion „Beratung" als . . . M i t einem Erkenntnisobjekt operieren neben Loitlsberger noch M a n n (67), L e f f son (69), Egner (70) u n d Selchert (72 a).
A . I I . Duplizität des Erkenntnisobjektes der Prüfungslehre
29
Standort i n einem System der Wissenschaften. Es geht jetzt u m die Selbständigkeit von betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen und ihr Verhältnis zueinander, also gleichsam u m die Abgrenzung nach „innen". Die Richtigkeit dieser Diagnose bestätigt uns die folgende Feststellung Wackers: „zugespitzt geht es bei der erkenntniskritischen (?) Diskussion zum Objekt" einer Lehre vom Prüfungswesen „ u m folgende Fragen: — Selbständiges betriebswirtschaftliches Sondergebiet? — Betriebswirtschaftliche Zweiglehre, bzw. Quasi-Zweiglehre? — Betriebswirtschaftliche Funktionslehre oder quasi-funktionelles gebiet der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre" 4 3 ?
Teil-
Wacker rafft sich aber zu keiner K r i t i k an diesem Diskussionsmuster i n der modernen Prüfungslehre auf, obwohl er zuvor feststellte: „Das dogmatische Verharren auf vorgegebenen Erkenntnisobjekten und Prinzipien, die Vermengung von Forschungs- u n d Ausbildungsbedürfnissen sowie von Methoden- u n d Sachfragen brachte es m i t sich, daß Abgrenzungsprobleme, das Verständnis f ü r die Fachgebiete i n ihrem Verhältnis zur A l l gemeinen Betriebswirtschaftslehre i m Vordergrund standen" bzw. „Die methodologisch-systematischen Überlegungen richteten sich, dogmatisch durchtränkt u n d von den Ausbildungsbedürfnissen her stimuliert, i m Revisions- u n d Treuhandwesen . . . vorwiegend auf den Standort u n d die A b grenzung des Untersuchungsfeldes oder das Erkenntnisobjekt, weniger auf die Erkenntnisziele, den Geltungsbereich u n d die Vorgehensweisen der Forscher. Gegenwärtig werden große Anstrengungen gemacht, ausgehend von den morphologischen Abgrenzungen, extrem klassische u n d neuere betriebswirtschaftliche ,Identitätsprinzipien' i n diesen Bereichen bewußter anzusiedeln" 4 3 .
Man könnte sich naiv fragen, warum es denn heute überhaupt noch i n der Prüfungslehre als nötig angesehen wird, sich über die Frage nach dem Wissenschaftscharakter betriebswirtschaftlicher Teilgebiete den Kopf zu zerbrechen und i n erkenntniskritische (?) Diskussionen u m das (die) Erkenntnis-Objekt(e) einer Prüfungslehre einzusteigen, nachdem doch der Wissenschaftscharakter der Betriebswirtschaftslehre bereits diverse Male mithilfe von Erkenntnisobjekten „gesichert" worden ist. Denn der diverse Male „erfolgreich" geführte Nachweis, daß es sich bei der sog. „Betriebswirtschaftslehre" u m eine (selbständige) Wissenschaft handle, müßte ja dann auch die Prüfungslehre wie jede andere betriebswirtschaftliche Teildisziplin miteinschließen. I n der Prüfungsliteratur ist ja unbestritten, daß die Lehre vom Prüfungswesen der Betriebswirtschaftslehre zuzurechnen ist. Die Frage nach dem Wissenschaftscharakter der Prüfungslehre dann noch zu stellen und abzuhandeln, erscheint inkonsequent und ohne 43 Wacker (70), S. 346 bzw. 323, 334. Die K r i t i k an Wacker t r i f f t auch auf Selchert (72) zu.
A . I I . Duplizität des Erkenntnisobjektes der Prüfungslehre
= Sinn = zu sein, wenn der A n t w o r t auf diesem Hintergrund offensichtlich darauf mehr als ein illustrativer Wert beigemessen wird. Und da letzteres der F a l l ist, wie sich bei näherem kritischen Zusehen zeigt, signalisiert dies, daß i n die Objektdiskussionen i n der Prüfungslehre wissenschaftspolitische Gründe mithereinspielen, die als „erkenntniskritische" ausgegeben werden. Vorschub zu dieser Problemverschleierung leistet dazu ein Sprachgebrauch i n der Prüfungslehre, der zwischen »Wissenschaft 4, ,Disziplin 4 , ,Fach4, »Theorie 4 usw. nicht differenziert bzw. verschiedene Bedeutungsvarianten nebeneinander ohne H i n weis verwendet. Inkonsequent und ohne = Sinn = erscheint die Frage nach dem (den) Erkenntnisobjekt(en) einer Prüfungslehre aber dem i n der betriebswirtschaftlichen Tradition des Denkens i n Erkenntnisobjekten befangenen Betriebswirt nicht. Denn mithilfe des Erkenntnisobjektes w i l l man ja nicht — und kann man auch nicht! — bspw. den Nachweis erbringen, daß einzelne und/oder eine Gruppe von Forschern i n einem = Fache = empirische Wissenschaft praktizieren. Wobei die Fachbezeichnung oder -abgrenzung bzw. die wissenschaftssystematische Einordnung des = Faches = außerdem ohne wissenschaftslogische Relevanz wäre! Man w i l l mit einem Erkenntnisobjekt vielmehr primär die Autonomie und die Existenzberechtigung der „Disziplin 4 4 beweisen und erhärten und = i h r = einen ganz bestimmten Problembestand als „wissenschafts-" bzw. „wesenseigen44 vorzeichnen. Davon abweichende Fragestellungen werden dann als „nicht-fachspezifisch" ausgeklammert. Für viele Betriebswirte war und ist auch heute noch das Erkenntnisobjekt das taugliche Instrument, die Selbständigkeit der sog. „Betriebswirtschaftslehre 44 zu begründen und deren Grenzen zu anderen w i r t schaftswissenschaftlichen Disziplinen zu bestimmen. M i t der Frage nach dem (den) Erkenntnisobjekt(en) der Lehre vom Prüfungswesen w i r d daher i n der Literatur implizite auch die Frage nach ihrer A b grenzung zu anderen betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen und ihrer (nicht unangefochtenen) Autonomie aufgeworfen. Warum an der Klärung solcher erkenntnisirrelevanten Fragen i n neuerer Zeit i n der Prüfungslehre ein besonderes Interesse besteht, läßt sich u. a. damit erklären, daß durch die Institutionalisierung der Prüfungslehre als akademisches Lehrfach (teils i m Range einer speziellen Betriebswirtschaftslehre) das der traditionellen Einteilung der Betriebswirtschaftslehre i n eine Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und die Speziellen Betriebswirtschaftslehren zugrunde liegende Gliederungsprinzip durchbrochen w i r d 4 4 . Läßt sich dagegen beweisen, daß 44
Vgl. Wöhe (66), S. 9 ff.
A . I I . Duplizität des Erkenntnisobjektes der Prüfungslehre
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das (die) Erkenntnisobjekt(e) einer Prüfungslehre nur Teil des Objektes der Betriebswirtschaftslehre ist, dann genügt dies, u m der Prüfungslehre den Status einer selbständigen betriebswirtschaftlichen Teildisziplin abzusprechen. U n d m i t der dem Denken i n Erkenntnisobjekten immanenten Logik dann auch den Charakter einer „autonomen Wissenschaft". Welche Qualität die Lösungen des = Problems = : „Revisions- und Treuhandwesen, eine Spezielle Betriebswirtschaftslehre oder (unselbständiger) Bestandteil der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre" 45 i n der Literatur besitzen, demonstriert die folgende Argumentation exemplarisch. Es w i r d behauptet: „Die betriebswirtschaftliche Steuerlehre ist ebenso wie die Betriebswirtschaftslehre des Revisions- und Treuhandwesens keine Wirtschaftszweiglehre". Bei der = Begründung = dieser Behauptung w i r d zwar konzediert: „Die Betriebswirtschaftslehre des Revisions- und Treuhandwesens könnte man nur insoweit als spezielle Betriebswirtschaftslehre ansprechen, als sie sich m i t den Besonderheiten der Wirtschaftsprüfungsbetriebe beschäftigt." Das ist aber nur eine scheinbare Konzession. Denn kategorisch und programmatisch w i r d anschließend festgestellt: „ I h r Gegenstand ist aber i n erster Linie die Prüfung der Betriebe und nicht der Prüfungsbetrieb 45 ." Diese A r t von Beweisführung demonstriert unfreiwillig die ganze Willkürlichkeit, die den Objekt- und Wissenschaftsbestimmungsversuchen i n der Betriebswirtschaftslehre anhaftet. Diese Willkürlichkeit darf man aber nicht zugeben und muß als Erkenntnis bzw. „methodologisch" bemäntelt werden, wenn man der Rede vom Erkenntnisobjekt anhängt. Denn sonst wäre ja „die Zahl der Wissenschaften, die man auf diese Weise bilden kann, . . . ganz i n das Belieben der Forscher gestellt"; eine „solche Auffassimg erscheint... aber nicht haltbar" 4 6 . Uns scheint dagegen eine Auffassung unter Betriebswirten, die die Zahl der Wissenschaft irgendwie „ontisch" fixiert erscheinen läßt, genausowenig haltbar. W i r beabsichtigen i m folgenden nicht, an dieser Stelle nochmals die ganze Fragwürdigkeit der traditionellen Rede vom Erkenntnisobjekt i n der Betriebswirtschaftslehre aufzurollen 4 7 und i m Zusammenhang damit dann Fragen wie: „Die Prüfungslehre — eine Wissenschaft?" u. ä. abzuhandeln. W i r werden uns hier auf einige mit der i n der Literatur 46
Wöhe (66), S. 11. Wöhe (67), S. 19. 47 W i r haben dies bereits an anderer Stelle ausführlich getan, vgl. FischerW i n k e l m a n n (71), S. 142 ff. 46
A. I I . Duplizität des Erkenntnisobjektes der Prüfungslehre
herausgestellten = Duplizität des Erkenntnisobjektes = der Prüfungslehre verbundenen Probleme beschränken. Was dabei nicht von uns erwartet werden kann, dürfte bereits deutlich geworden sein: w i r werden uns nicht über eine Auseinandersetzung m i t diesen Problemen des zweifachen Erkenntnisobjektes, d. h. der literarischen Unterscheidung i n ein funktionales und i n ein institutionelles Erkenntnisobjekt 4 8 , selbst an einer Objektbestimmung versuchen. W i r würden uns damit selbst ad absurdum führen. Einer der Exponenten der neueren Prüfungslehre 40 hält es für erstaunlich, daß von den deutschsprachigen Autoren die Prüfungsbetriebe bisher noch nicht ausdrücklich zum Erkenntnisobjekt der Disziplin erhoben worden seien. Erstaunlich erscheint i h m dieser Sachverhalt deshalb, w e i l die Lehre vom Prüfungswesen seit jeher eine spezielle Betriebswirtschaftslehre sei. Erkenntnisobjekte der speziellen Betriebswirtschaftslehre seien aber traditioneller Weise Betriebe, d. h. also Institutionen und keine Funktionen, wie z. B. Prüfungen. Wäge man das Für und Wider ab, so komme man zu dem Schluß, daß i n der Lehre vom Prüfungswesen zunächst einmal der Prüfungsbetrieb ( = Treuhandbetrieb) zum Erkenntnisobjekt gewählt werden müsse. Denn geschehe dies nicht, so die Begründung, würden „alle Probleme, die m i t dem Treuhandbetrieb zusammenhängen . . . keine wissenschaftliche Behandlung finden . . . Dies rechtfertigt und erzwingt sogar die Wahl eines institutionellen Erkenntnisobjektes"* 9 ! Da andererseits aber „auch die durchzuführende Aufgabe, also die Funktion" = Prüfung = Probleme aufwerfe, die auch von Institutionen des Prüfungswesens m i t Nicht-Betriebscharakter gelöst werden müßten, sei es „gerechtfertigt . . . , neben dem institutionellen Erkenntnisobjekt = Treuhandbetrieb = auch die Funktion als Erkenntnisobjekt zu wählen" 4 9 . Es zeigt sich aber bei der Lektüre, daß es sich bei der = Duplizität des Erkenntnisobjektes = nur um eine façon de parier handeln kann. Denn der Erfinder dieser Objektduplizität der Prüfungslehre unterscheidet bereits selbst drei (!) = Funktionen = , die jede einzelne „als funktionales Erkenntnisobjekt zur Ableitung (!) einer geschlossenen Theorie . . . benützt" 5 0 werden könne. M i t der Theorie des Prüfungs48
Vgl. z. B. Loitlsberger (66), S. 18 ff., Wysocki (67), (72), passim. Vgl. Loitlsberger (66), S. 19 f.; bei der Aufzählung der Vertreter der „institutionellen" Richtung vermißt m a n z.B. Bertenrath (29) oder Richter (64). 50 (Vgl.) Loitlsberger (66), S. 20. 49
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betriebes und den anderen Theorien bestünde dann die „Wissenschaft = Revisions- und Treuhandwesen = " oder die Disziplin aus vier eigenständigen Theorien oder = Wissenschaften = : Theorie des Prüfungsbetriebes, Prüfungstheorie, Beratungstheorie und Treuhand-Theorie 50 . Die i m Schrifttum bisher unkritisierte = Duplizität des Erkenntnisobjektes = der Lehre vom Prüfungswesen dürfte u. U. unter dem Eindruck entstanden sein, daß zwar eine Prüfungstheorie bestehe, eine Beratungstheorie erst i n den Anfängen stecke und eine Treuhandtheorie noch gar nicht i n A n g r i f f genommen sei 51 . Warum aber der Autor an der = Duplizität des Erkenntnisobjektes = auch später festhält 5 0 , obwohl die Ausdrucksweise irreführend ist 5 2 und der Autor selbst m i t einer = Triplizität = ernst macht 5 3 , bleibt unerfindlich 5 4 . Das als „Schluß" aus einer Erkenntnis hingestellte Postulat, i n der Lehre vom Prüfungswesen müsse der Prüfungsbetrieb als Erkenntnisobjekt gewählt werden 5 5 , ist unter drei Voraussetzungen zwar verständlich, wenn auch deswegen nicht akzeptabler: Man muß erstens besonderen Wert auf die Bezeichnung „Spezielle Betriebswirtschaftslehre" legen. Und man muß zweitens i n Übereinstimmung m i t der betriebswirtschaftlichen Tradition „das konstituierende Element spezieller Betriebswirtschaftslehren i m relativ Besonderen abgegrenzter institutioneller Objetke" 5 6 erblicken. U n d man muß drittens berücksichtigen, daß die den Betriebswirten vertraute herkömmliche = Systematik = der sogenannten „Betriebswirtschaftslehre" samt deren Begründungsversuche eine normierende Wirkung auf das Problemlösungsverhalten ausüben dürfte. Einleuchtender w i r d der von Loitlsberger behauptete „Zwang der Wahl" für die Vertreter der modernen Prüfungslehre noch weiter, wenn man von einem betriebswirtschaftlichen Fachmethodologen erfährt, daß die Bezeichnung „Spezielle Betriebswirtschaftslehre", also eine rein nominalistische Angelegenheit, davon abhängig zu machen sei, daß sich das fragliche = Fach = i n das institutionelle Gliederungsschema der Betriebswirtschaftslehre logisch eingliedern lassen muß 5 7 , 51
Vgl. Loitlsberger (61), S. 20. U n d irregeführt hat, vgl. z. B. v. Wysocki (67), S. 19 f. 58 Vgl. Loitlsberger (66). 54 Wie ist es außerdem bei einer = Duplizität = oder = Triplizität = des Erkenntnisobjektes m i t der systematischen Einheit der Aussagen der „ W i s senschaft =Revisions- u n d T r e u h a n d w e s e n = " bestellt? Das Problem w i r d bei M a n n (67), S. 400, angesprochen u n d traditionell mittels eines —zentralen Bezugspunktes=, d. h. eines Identitätsprinzips gelöst. 65 Vgl. Loitlsberger (66), S. 20. M M a n n (67), S. 397. 57 Vgl. Wöhe (61), S. 51. 62
3 Fischer-Winkelmann
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da die Aufgliederung eines Wissensgebietes nach wissenschaftstheoretischen (!) Gesichtspunkten zu erfolgen habe. Denn die Aufnahme eines Faches i n Lehrpläne und Prüfungsordnungen an den Hochschulen und ihre Rubrizierung als „Spezielle Betriebswirtschaftslehre" beweise noch lange nicht, daß es sich dabei wirklich u m eine autonome, d. h. spezielle Betriebswirtschaftslehre handle 5 8 . Welchen fragwürdigen Nutzen solche angeblich „logischen" und „wissenschaftstheoretisch" untermauerten Begründungs- bzw. Rechtfertigungsversuche einer institutionellen, d. h. an einem Begriff „Betrieb" orientierten Aufgliederung der sogenannten „Betriebswirtschaftslehre" besitzen und zu welchen unsinnigen Konsequenzen sie letztlich führen, haben w i r an anderer Stelle am Beispiel der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre demonstriert 59 . Die Argumentation i n der Literatur krankt z. B. bereits daran, daß sie auf einer Chimäre basiert, nämlich auf der Annahme, es gäbe die Betriebswirtschaftslehre 60 . A l l die Beweise, daß die gegenwärtige Gliederung der „Betriebswirtschaftslehre" oder die Einordnung eines Faches i n diese sei = an sich so = , sei schon immer vorherbestimmt oder müsse so und nicht anders sein, sind Auswirkungen einer veralteten Methodologie, i n der verschiedene Problemebenen durcheinandergeraten 61 . Man sollte i n der Prüfungslehre diese Aufgliederungen der Betriebswirtschaftslehre als das hinnehmen, was sie de facto sind: Ergebnis einer historischen Entwicklung oder praktischer Überlegungen, die nicht den Rang eines erkenntnisrelevanten Tatbestandes beanspruchen können. Man sollte es i n dieser Frage m i t Schmalenbach halten, der einst davor warnte, einem gut preußischen Ordnungsgefühl zuliebe, rechts und links, vorn und hinten Grenzpfähle zu setzen und innerhalb dieses abgesteckten Feldes allgemeingültige Gliederungen einzuführen zu versuchen 62 . Für die Lösung unserer wissenschaftlichen Probleme gewinnen w i r damit gar nichts. Als eine Rechtfertigung für das Muß der Wahl eines institutionellen Erkenntnisobjektes i n der Prüfungslehre w i r d behauptet, daß sonst alle Probleme, die m i t den Prüfungsbetrieben zusammenhingen, keine wissenschaftliche Behandlung finden würden 6 3 . 58
Vgl. Wöhe (66), S. 10. Fischer-Winkelmann (73 a). 60 Vgl. zu Letzterem Fischer (70). 61 s. Fischer-Winkelmann (71). 62 Schmalenbach (11/12 a), S. 305. 63 Vgl. Loitlsberger (66), S. 20; zustimmend anscheinend z. B. M a n n (67) sowie v. Wysocki (67). 59
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I n dieser Behauptung kommt die vom Denken i m Erkenntnisobjekt geprägte Auffassung durch, daß ein „funktionales Objekt" wie z.B. Prüfungen „eine wissenschaftliche Behandlung der speziellen Probleme des Revisionsbetriebes nicht erlaube, weshalb den Ausgangspunkt des Erkenntnissystems ein institutionelles Objekt — nämlich der Revisionsbetrieb — bilden müsse" 64 . Denn Erkenntnisobjekte konstituieren ja nach herkömmlicher Meinung i n der Betriebswirtschaftslehre Wissenschaften m i t einem wesenseigenen Problembestand. U n d ist dann als Erkenntnisobjekt ein funktionales vorhanden, dann besteht quasi ein = Verbot = , wesenseigene Probleme einer anderen „Wissenschaft" zu behandeln, z. B. jener, i n der der Prüfungsbetrieb das Erkenntnisobjekt sein soll. Als Thesis über das Problemwahl- und Problemlösungsverhalten i n der Prüfungslehre dürfte das obige Argument nicht zu halten sein! Nehmen w i r beispielshalber einmal an, ein Wissenschaftler setze sich zur Aufgabe, Erklärungen für das Geschehen i n einem bestimmten Bereich sozialer Beziehungen zu finden, den man üblicherweise „Prüfungswesen" nennt. Zur Lösung dieser seiner selbstgesetzten Aufgabe benötigt er Aussagen, die die logische Eigenart nomologischer Hypothesen über invariante Zusammenhänge i n diesem Realitätsausschnitt besitzen. Dieser Wissenschaftler w i r d bei der Testung seiner theoretischen Aussagen bald feststellen, daß ohne eingehende Berücksichtigung des institutionellen Rahmens, d. h. des sozialen Raumes, i n dem sich Prüfungen abspielen, sich die für Erklärungen erforderlichen nomologischen Aussagen nicht gewinnen lassen. Ist dies der Fall, dann w i r d er sich nicht durch ein postuliertes institutionelles oder ein funktionales Erkenntobjekt für die Prüfungslehre oder sonstwie gezogene „Fach-"Grenzen abhalten lassen und nötigenfalls auch auf „fachfremde" Resultate anderer empirischer Disziplinen zurückgreifen, solange diese nur der Lösung des i h n interessierenden Problems dienlich sind und er ernsthaft an Erklärungen interessiert ist. Ob dieses Problemlösungsverhalten von anderen (bspw. Kollegen) als „institutionelle" oder als „funktionale" Betrachtungsweise qualifiziert oder i h m eine Vermischung angeblich heterogener Aspekte angekreidet wird, w i r d i h n ebenso zu bekümmern haben wie die Benennung des Faches, i n dem er gerade tätig ist 6 5 . Noch w i r d (hat) er einem falschen Respekt vor theoretischen Traditionen (zu) huldigen, wenn sie 64
M a n n (67), S. 397. Oder die i n den letzten Jahren erschienenen Aufsätze, „die sich besonders m i t dem Erkenntnisobjekt des Betriebswirtschaftlichen Prüfungswesens befaßten" (Selchert [72], S. 103). Die Aufsätze sind M a n n (67), L e f f son (69), Egner (70), Wacker (70), Kleinadam (71) u n d Selchert (72). 65
3*
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sich als hinderlich erweisen sollten! Als Theoretiker hat er ein Problem und sucht eine Lösung. Für die Überprüfung und K r i t i k der Forschungsergebnisse kann er auf die Hilfe der Wissenschaftslogik rechnen. Bei der Gewinnimg von Theorien oder von Informationen über lösungsrelevante Faktoren sollte er sich nicht von Erkenntnisobjekten stören oder verwirren lassen. Falls man i n der modernen Prüfungslehre nicht ganz darauf verzichten w i l l , ließe sich die Rede vom Erkenntnisobjekt reformulieren und so der = Duplizität des Erkenntnisobjektes = der Lehre vom Prüfungswesen ein anderer, von herkömmlichem Vorstellungsballast befreiter Sinn abgewinnen. Verzichten muß man dabei auf solche imaginativen Wesensheiten wie das = Treuhandwesen = oder den = Prüfungsbetrieb = oder die Funktion „Prüfung" usw. als Gegenstände einer Wissenschaft. Dann erhalten w i r eine mögliche Deutungshilfe für Bemerkungen wie: „Das Erkenntnisobjekt der Lehre vom Prüfungswesen ist . . . " . Die Behauptung einer = Duplizität des Erkenntnisobjektes = einer Prüfungslehre ist dann nicht mehr als der für andere Wissenschaftler unverbindliche, von den persönlichen Interessen bestimmte programmatische Hinweis eines Forschers auf den Bereich, i n dem sich die Probleme finden lassen, die seine theoretische Neugier erweckt haben und denen er sich zuwenden w i l l . Aus der Fachbezeichnung wie „Prüfungswesen", „Betriebswirtschaftliches Prüfungswesen" oder aus Namen wie „Treuhand-" bzw. „Revisionsbetrieb" oder „Prüfung" auf den Problembestand der Prüfungslehre schließen zu wollen, ist ein Unding. Die Logik der Definition ist eindeutig überfordert, wenn man i n der modernen Prüfungslehre aus einer subjektiv bedingten „Definition des Begriffes = betriebswirtschaftliche Prüfung = . . . Aussagen über den Problembestand, über das wissenschaftliche Programm der betriebswirtschaftlichen Prüfungslehre ableiten" 6 6 möchte. Denn sowenig sich aus irgendwelchen Prüfungsbegriffen Tatsachenbehauptungen über das Prüfungsgeschehen aufstellen lassen, sowenig lassen sich aus Prüfungsdefinitionen Schlüsse auf das Wissenschaftsprogramm einer Prüfungslehre ziehen, das es zudem nicht gibt! Der Problembestand einer Prüfungslehre und die A r t und Weise seiner wissenschaftlichen Bearbeitung zu einem bestimmten Zeitpunkt hängt von Grundentscheidungen der Wissenschaftler ab. Die Größen, M Egner (70), S. 781 bzw. 774, H. d. V. Neben Egner zählen dazu z. B. L o i t l s berger (53), (66); Z i m m e r m a n n (54); v. Wysocki (67); Leffson (69); Schulte (70).
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die das Selektionsverhalten bei der Problemwahl bestimmen, sind den Wissenschaftlern zu einem beträchtlichen Teil unbewußt. U n d auch das Wissen, daß ein Forscher i n einem Fache eine bestimmte Tradition bewahren möchte oder daß er sich einer bestimmten Denkrichtung oder „Schule" zugehörig fühlt, läßt nur Vermutungen über die Problemwahl zu. Es ist deshalb dann auch offensichtlich die Ansicht nicht haltbar, gehe „man . . . vom Revisionsbetrieb als dem Untersuchungsgegenstand aus, dann müssen alle jene Revisionsprobleme ausgeklammert werden, deren Bewältigung keinem Revisionsbetrieb aufgegeben ist. Eliminiert werden dann alle Probleme, die die interne Revision a u f w i r f t " 6 7 . Denn es gibt ja weder die Definition eines Prädikators „Betrieb" noch eine ausdrücklich vereinbarte oder allgemeine Konvention für den Gebrauch der Sprachsymbole „Revisionsbetrieb" oder „interne Revision". Man kann also nicht einfach eine intensionale oder extensionale Äquivalenz beim Gebrauch dieser Worte i n der Prüfungslehre voraussetzen. Es bleibt Prüfungstheoretikern unbenommen, die logische Grammatik der Ausdrücke so festzulegen, daß aufgrund der festgelegten Merkmale alle Institutionen des Revisions- und Treuhandwesens darunter fallen. Sie können aber auch andere Worte wählen, die aufgrund ihrer Lautgestalt für Betriebswirte weniger assoziativ vorbelastet sind als z.B. „Treuhandbetrieb" oder „Prüfungsunternehmung" 6 8 . Weniger assoziativ vorbelastet meinen w i r deshalb, w e i l man dann vielleicht nicht mehr so schnell bereit sein wird, beim Auftauchen von Namen wie „Betrieb" oder „Unternehmung" oder Verbindungen m i t „-betrieb" oder ,,-unternehmung" allein schon durch die Namensnennung und der Kenntnis der einen oder anderen Schulen i n der Betriebswirtschaftslehre auf ein bestimmtes Problemprogramm zu schließen bzw. beim Diskussionspartner das gleiche Auswahlverhalten oder eine Übereinstimmung i m Problemprogramm vorauszusetzen. Gemeinsamkeiten des Problemprogrammes i n der Prüfungslehre sind i n der Regel das Ergebnis des Zufalls oder koordinierender Vereinbarungen der Wissenschaftler. Da irgendwelche Abgrenzungen von Untersuchungsbereichen weder Rückschlüsse auf den Inhalt der Aussagen noch auf deren logische Natur zulassen, ist es auch nicht einsichtig, welche erkenntnisfördernde Bedeutung es i n der Prüfungslehre haben sollte, ob w i r ein institutionelles Erkenntnisobjekt wählen und/oder für ein funktionales votieren 67
M a n n (67), S. 397. Vgl. z.B. „Prüfungsorgan" Wysocki (67), S. 235. 88
bei Zimmermann (54), S. 24, 147 oder v.
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oder welche Prioritäten bei der Wahl beachtet werden müssen. Über die Faktoren, die w i r i m einzelnen Falle für eine theoretische Analyse des von uns gewählten Problems aus dem Prüfungswesen beachten müssen, belehrt uns die Bewährung — oder i m ungünstigen Falle das Scheitern unserer Hypothesen an der Wirklichkeit. Aber keinesfalls irgendwelche „Erkenntnisobjekte" oder als methodologisch verbrämte Systematiken oder Gliederungsprinzipien der sogenannten „Betriebswirtschaftslehre". Man kann die i n dem Postulat über die Wahl eines institutionellen Erkenntnisobjektes für die Prüfungslehre steckende präskriptive Komponente neutralisieren. Die = Duplizität des Erkenntnisobjektes = w i r d dann zu einer A r t wissenschaftstechnologischen Aussage. I n ihr w i r d der Erkenntnis Ausdruck verliehen bzw. der Hinweis gegeben, daß sich bei einer Beschäftigung m i t einem „funktionalen Erkenntnisobjekt" unter Abstraktion von der institutionellen Komponente, d. h. von den sozio-organisatorischen Bezügen 69 , z. B. i m Falle der Prüfungen keine haltbaren Erklärungen des Prüfungsgeschehens gewinnen lassen werden. Als Begründung ließe sich bspw. anführen, daß menschliches Verhalten keine Konstante gegenüber Organisationsstrukturen bzw. dem sozialen Raum zu sein pflegt, sondern m i t diesen variiert und diese Strukturen selbst wieder abändert, sich verschiedene Strukturen unterschiedlich auf die Leistungen bzw. das Verhalten der Individuen auswirken usw. Die notwendige Folge dieser Einsicht i n der modernen Prüfungslehre wäre aber dann unter anderem die Aufgabe jener „konsequenten Zweiteilung der Problemkreise, m i t denen sich eine betriebswirtschaftliche Prüfungslehre zu beschäftigen h a t " 7 0 , d . h . die i n der modernen Prüfungslehre übliche reinliche Trennung von „funktionaler" und „institutioneller" Betrachtungsweise i m Wissenschaftsbetrieb. Als naheliegende sprachliche Konsequenz ergäbe sich der Verzicht auf die = Duplizität des Erkenntnisobjektes = , die sowieso überflüssig ist, wenn man nicht auf solche essentialistischen Erfindungen wie den Treuhandbetrieb oder die Prüfung Wert legt. Die von Loitlsberger i n die moderne Prüfungslehre eingebrachte = Duplizität des Erkenntnisobjektes = hat sich außer bei i h m auch auf das Problemprogramm anderer Wissenschaftler ausgewirkt. So meint z.B. v. Wysocki: „Die betriebswirtschaftliche Prüfungslehre hat sich nicht nur m i t der Funktion Prüfung', sondern auch m i t den Prüfungs60 Diese scheint Selchert m i t seiner „Prüfungssituation" zu meinen, vgl. Selchert (72), S. 103. 70 v. Wysocki (67), S. 19.
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trägem, den Prüfungsorganen bzw. den einzelnen Prüfern zu beschäftigen. Insoweit muß Wirtz, Zimmermann und besonders Loitlsberger gefolgt werden, denn viele Probleme des betriebswirtschaftlichen Prüfungswesens können nur dann v o l l erfaßt werden, wenn sie, u m m i t Loitlsberger zu sprechen, von der funktionellen und von der institutionellen Seite betrachtet werden . . . Institutionelle Probleme können im Rahmen einer allgemeinen Prüfungslehre nur insoweit behandelt werden, wie sie m i t der Funktion ,Prüfung' zusammenhängen 71 ." Abstrahiert man vom normativen Element i n dieser programmatischen Feststellung, so reduziert sie sich zu einem persönlichen und zudem nicht sehr genauen Hinweis des Autors auf sein subjektives Problemprogramm für eine Prüfungslehre, indem sich die spätere A n lehnung gemäß der = Duplizität des Erkenntnisobjektes = bei der Problembehandlung bereits andeutet. Der bisher unwidersprochen gebliebenen K r i t i k v. Wysockis an der Prüfungslehre, es sei für das Schrifttum über das Prüfungswesen charakteristisch, daß abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen Versuche fehlen, das gesamte Stoffgebiet für eine Prüfungslehre programmatisch zu umreißen und zu systematisieren, es würden bei der Behandlung des Stoffgebietes zunächst nur die nach Meinung der Autoren gerade aktuellen Fragen i n den Vordergrund gerückt, fehlt das Fundament. Die K r i t i k geht nämlich davon aus, daß es so etwas wie einen a priori feststehenden Problembestand der von i h m „betriebswirtschaftliches Prüfungswesen" titulierten Disziplin gäbe, der sich i n ein allgemein verbindliches Programm zusammenfassen ließe. So etwas ist aber prinzipiell weder i n der Prüfungslehre noch sonst wo möglich 72 . Überprüft man außerdem, was der K r i t i k e r v. Wysocki selbst zu der eigenen Stoffabgrenzung sagt, so enthüllt sich seine Fixierung des Stoffprogrammes als das Resümee einer zeitlichen Querschnittsbetrachtung der i n der Literatur bis dato behandelten Probleme. Wobei man einen unergiebigen, w e i l unentscheidbaren Streit vom Zaune brechen könnte, was zu dieser Literatur alles zu zählen ist 7 3 . Wie wenig Aktualität solchen Versuchen, das gesamte Stoffgebiet der Prüfungslehre programmatisch zu umreißen, beschieden ist, zeigt sich z.B. schon daran, daß von Mann i m gleichen Jahr 7 4 Probleme ange71
v. Wysocki (67), S. 22. Bei Z i m m e r m a n n (54) finden sich keine programmatischen Äußerungen; m i t den Prüfungsorganen beschäftigt er sich vor allem unter dem P u n k t „ B . . . I V . 1.) Das Prüfungsorgan". 72 Siehe dazu Fischer-Winkelmann (71), S. 142 ff., 227. 73 Vgl. v. Wysocki (67), S. 11 ff. 74 Vgl. M a n n (67), S. 401 ff.; oder i n den späteren Arbeiten von Loitlsberger (68), Klages (68); Leffson / L i p p m a n n / Baetge (69), v. Wysocki (69);
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schnitten und zur Diskussion gestellt werden, die bei v. Wysocki noch gar nicht auftauchen. W i r können nur den Satz bekräftigen, daß entgegen einer weitverbreiteten Meinung noch zahlreiche Fragen ihrer wissenschaftlichen Beantwortung harren 7 5 — und immer harren werden. Fassen w i r zusammen: a) M i t unseren verschiedenen Einwänden gegen die Übernahme der Rede v o m Erkenntnisobjekt i n die Grundlagendiskussion u m die Prüfungslehre w o l l t e n w i r keineswegs das unbestreitbare Verdienst Loitlsbergers schmälern, sich als erster offen seine „Wissenschaft = Revisions- u n d Treuhandwesen = " u n d ihre Teile zum Problem gemacht zu haben u n d nicht w i e fast alle Autoren n u r implizite ein methodologisches Konzept zu vertreten, das dann einer K r i t i k weniger zugänglich wäre. b) F ü r uns ist es ein bedenkliches u n d beunruhigendes Zeichen, daß bislang (einmal von uns abgesehen) n u r von M a n n u n d von Wacker u n d bedingt von Egner die Grundlagendiskussion explizite aufgenommen wurde. Denn sowenig den P r a k t i k e r ein Desinteresse an wissenschaftlichen Ergebnissen davor bewahrt, selbst Theorien zu haben u n d anzuwenden — u n d zwar oft veraltete u n d irrtümliche — sowenig sind Wissenschaftler durch ein mangelndes methodologisches Interesse davor geschützt, eine methodologische Auffassung zu haben u n d diese auch zu praktizieren. U n d auch hier, i n der modernen Prüfungslehre, haben dann I r r t ü m e r u n d veraltete Anschauungen die besten Aussichten, i n der Wissenschaftspraxis ihren Einfluß geltend zu machen 7 6 . c) Es droht u . E . die Gefahr, daß m i t der Übernahme der Rede v o m Erkenntnisobjekt i n die Prüfungslehre die Basisdiskussion u m die Lehre v o m Prüfungswesen nach demselben Grundmuster zu verlaufen beginnt wie i n der sogenannten „Betriebswirtschaftslehre". Der Unterschied liegt dann n u r darin, daß m a n i n der Prüfungslehre anstatt über Wesenheiten wie „Betriebswirtschaftslehre", „Betrieb", „Unternehmung" usw. über die „Wissenschaft = Revisions- u n d Treuhandwesen = " , die Prüfung, die Beratung, den Prüfungsbetrieb zu sinnieren anfängt — u n d dem = Fache = zu einem falschen Selbstverständnis verholfen w i r d . d) W i r d das Denken i n Erkenntnisobjekten nicht i n seinen Konsequenzen offen kritisiert u n d diskutiert, dann könnte unter den Vertretern der Prüfungslehre der irrige Eindruck entstehen (bzw. weiter bestehen bleiben), m i t dem angeblichen Nachweis des Wissenschaftscharakters einer „Theorie der Prüfung", „ . . . der Beratung" usw. mittels Bestimmung des jeweils adäquaten Erkenntnisobjektes sei der Wissenschaftslogik i n der Prüfungslehre bereits Genüge getan. U n d es könnte die Auffassung gefördert bzw. konserviert werden, es handle sich bei der Wissenschaftslogik (sozialwissenschaftlicher Prägung) ansonsten u m ein i n bezug auf das Forschen i m Bereich des Prüfungswesens v ö l l i g neutrales Geschäft, weshalb m a n nicht allzuviel Zeit m i t wissenschaftslogischen Fragen einer operablen Prüfungslehre „verschwenden" sollte. Schulte (70), Schettler (71), Grünefeld (72), Weber (72), Fischer-Winkelmann (73 d); Sieben / Bretzke (72) u. a. 75 M a n n (67), S. 414. 76 Vgl. A l b e r t (64 c), S. 5.
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e) Unsere Befürchtungen kommen nicht von ungefähr ®* Denn die Problemsituation i n der modernen Prüfungslehre läßt, soweit w i r sie übersehen können, nicht gerade auf ein besonderes Interesse an G r u n d problemen des Faches schließen. M a n läßt durchgängig die praktizierte Wissenschaftskonzeption i m D u n k e l n u n d scheint sie f ü r selbstverständlich zu halten. U n d es dürfte dann dem Interesse an methodischen Reflexionen wegen des menschlichen Elementes nicht sonderlich förderlich sein, wenn sich die Grundlagendiskussion mangels expliziter Äußerungen zwangsläufig über kritische Analysen der wissenschaftlichen Leistungen i n der Prüfungslehre vollziehen muß. f) U n d noch etwas spricht u . E . gegen das Argumentieren m i t u n d das Räsonieren über Erkenntnisobjekte(n) i n der Prüfungslehre: (1) Es fördert den i n den Sozialwissenschaften feststellbaren Trend zur Desintegration durch eine Aufsplitterung i n eine i m m e r größere Z a h l von Einzeldisziplinen, die sich voneinander i m m e r stärker isolieren 7 7 . Das Integrationsproblem, von dem auch eine Prüfungslehre tangiert ist, wie w i r i m späteren K a p i t e l noch mehrmals zeigen werden, erfordert ein Umdenken. Denn die sozialwissenschaftlichen Integrationsbestrebungen zielen darauf ab, die „Autonomie" von Disziplinen, die man gerade i n der Betriebswirtschaftslehre unter anderem mittels Erkenntnisobjekte sich sichern w o l l t e u n d w i l l , u n d damit auch den Ressortpartikularismus zu überwinden 7 8 . A u f das Integrationsproblem f ü r die Prüfungslehre spielt z. B. M a n n m i t seiner Bemerkung an, es sei nicht auszuschließen, daß die gegenwärtigen Stadien i n der Prüfungslehre n u r Übergangszustände seien und die w i r t schaftswissenschaftlichen Disziplinen insgesamt letztlich i n einer allgemeinen menschlichen Verhaltenslehre aufgeben werden 7 9 . g) M i t der Bestimmung von Erkenntnisobjekten der Prüfungslehre w i r d der Eindruck gefördert, es gäbe eine inhaltlich und/oder methodisch streng gegenüber anderen Wissensbereichen abgrenzbare Prüfungslehre, f ü r die dann fachfremde Erkenntnisse ohne Bedeutung seien. Da jedoch solche Abgrenzungen i m m e r künstlich sind, ist v o m Wissensfortschritt her gesehen nicht das Problem der Abgrenzung der Prüfungslehre gegenüber anderen Wissensbereichen als bedeutsam anzusehen, sondern vielmehr die Frage, w i e sich die Forschungsergebnisse anderer Disziplinen zur K r i t i k der i n der Prüfungslehre erzielten Resultate u n d Problemlösungen verwenden lassen. Wenn m a n sich an Abgrenzungen der Prüfungslehre überhaupt versuchen w i l l , dann sollten diese Abgrenzungen n u r vorläufig gelten u n d außerdem so getroffen werden, daß die Möglichkeit der B e u r teilung der eigenen Problemlösungen anhand „fachfremder" Forschungsresultate nicht behindert, sondern als Fortschrittschance prämiert wird!
78a Vgl. z. B. die „verständnislose" Reaktion von v. Wysocki (73) auf Fischer-Winkelmann (73 d). 77 Vgl. dazu M a l e w s k i (67 a), S. 2 ff. u n d ders. (67 b). 78 I n d e m man z.B. eingehend prüft, ob sich i n anderen Disziplinen nicht allgemeinere Theorien finden lassen, die die bereits i m Fache vorhandenen erklären bzw. sie berichtigen. Sie wären dann wegen ihrer größeren Nähe zur Wahrheit u n d damit des größeren Erklärungswertes den bisherigen v o r zuziehen. 79 M a n n (67), S. 414.
Kapitel
III
Entwurf wirtschaftswissenschaftlicher Prüfungstheorien als Programmpunkt 1. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip als maßgebendes Auswahlprinzip prüfungstheoretischer Problemstellungen I n den letzten Jahren wurde in der Prüfungslehre das Feld der Untersuchungen auf verschiedenen Teilgebieten gegenüber den ersten prüfungstheoretischen „Gehversuchen" zu Anfang der 50er Jahre erheblich erweitert. Es ist der Zeitpunkt abzusehen, wo es nur unter beträchtlichen Anstrengungen gelingen wird, den Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung und die neuesten Entwicklungslinien wenigstens einigermaßen zu behalten. I n den jüngsten, als „prüfungstheoretisch" hingestellten oder als solche empfundenen Forschungsansätzen werden große Anstrengungen unternommen, eine quantitative (im Sinne von numerisch ausdrückbare) und zugleich operable Prüfungslehre unter Zuhilfenahme mathematischer Modellbildung aufzubauen. Man greift zu diesem Zweck z. B. auf die mathematische Spieltheorie, Informations- und Graphentheorie (einschließlich Netzwerkanalyse), kurz auf die Unternehmensforschung i m allgemeinen, die mathematisch-statistische Stichprobentheorie, die mathematisch-statistische Entscheidungsforschung usw. zurück 80 . Ob es sich dabei u m zukunftsträchtige Forschungsansätze für die Lösimg von Problemen aus dem Prüfungswesen bzw. um Beiträge zu einer allgemeinen (empirischen) Theorie der Prüfung handelt, die den als unbefriedigend empfundenen Erkenntnisstand der traditionellen Prüfungslehre überwindet, w i r d sich i m Verlaufe unserer Untersuchung noch erweisen. Eines ist aber den „prüfungstheoretischen" Ansätzen, vor allem denen des deutschen Schrifttums, trotz der manchen w o h l verwirrenden 80 Vgl. Buchner (71), Buchner / Reuter (72); Charnes / Davidson / Kortanek (64); Davis (63), (64); Klages (68); K n o b l e t t (70); K o l a r i k (64); Kraushaar (71); K r u g / K r a n e (68); Lef f son / L i p p m a n n / Baetge (69); Loitlsberger (68); Mertz (63); Sieben / Bretzke (72); Schettler (71); Schulte (70); Tracy (68), (69); W a l dron (67); Weber (72) u. a.
1. Wirtschaftlichkeitsprinzip als maßgebendes Aus Wahlprinzip
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Problemvielfalt gemeinsam: die Tendenz zu einer „wirtschaftlichen" Betrachtungsweise des Prüfungsgeschehens, d. h. „zur Entwicklung von wirtschaftswissenschaftlichen Prüfungstheorien, . . . von Aussagesystemen über betriebliche Prüfungen und ihre Träger unter dem einheitlichen Auswahlkriterium des ,Wirtschaftens"' 81 . Bei der allgemeinen Prüfungslehre unserer Tage, die die allen Prüfungsarten gemeinsamen Fragen beantworten soll (de facto sich aber fast nur mit Abschlußprüfungen beschäftigt), dreht es sich u m eine „betriebswirtschaftliche allgemeine Prüfungslehre", wie sie jüngst von einem ihrer bedeutendsten Vertreter charakterisiert wurde 8 2 . Das heißt, es werden Wirtschaftlichkeitserwägungen bei Prüfungen bewußt von den Autoren i n den Vordergrund der Betrachtungen gerückt. M i t anderen Worten, die „Wirtschaftlichkeit" der Prüfungsdurchführung ist für die heutige Prüfungslehre eines der Grundprobleme. Als Programmpunkt für die prüfungstheoretische Forschung normativ formuliert, bedeutet das: es muß als Auswahlprinzip der Problemstellungen in der Prüfungslehre das Wirtschaftlichkeitsprinzip herangezogen werden, um eine „geschlossene betriebswirtschaftliche Prüfungslehre . konzipieren" zu können 8 2 . Von Mann w i r d das klassische betriebswirtschaftliche Auswahl(Identitäts-)prinzip „Wirtschaftlichkeitsprinzip", das die logische Geschlossenheit wirtschaftswissenschaftlicher Prüfungstheorien und deren Wissenschaftscharakter zugleich sichern soll, so i n die Prüfungslehre eingeführt bzw. gerechtfertigt: „Ist Revision als ökonomischer Prozeß aufzufassen, der menschliches Tätigwerden bedingt und steht menschliches Tätigwerden unter dem Gebot der Rationalität, so muß als zentraler Bezugspunkt die Rationalität, d. h. hier das Wirtschaftlichkeitsprinzip fungieren 8 3 ." Unsere Aufgabe w i r d es unter anderem sein, die Implikationen dieses Wirtschaftlichkeitsdenkens i n der modernen Prüfungslehre aufzudekken und Klarheit darüber zu schaffen, wie die (explizit oder implizit) an Wirtschaftlichkeitsüberlegungen orientierten, d. h. i n diesem Sinne = wirtschaftswissenschaftlichen = Ansätze zu einer allgemeinen Theorie der Prüfung (kurz: Prüfungstheorie) a) unter Bezugnahme auf ein explikatives Wissenschaftsprogramm für die Prüfungslehre i n ihrer theoretischen Bedeutung, u n d
81
v. Wysocki (67), S. 19; (72), S. 20. Entlehnungen aus v. Wysocki (67), S. 17 - 22, bzw. (72), S. 20 ff. 83 M a n n (67), S. 401. Z u m Wirtschaftlichkeitsprinzip vgl. auch unsere Ausführungen i n Teil B, K a p i t e l V I I I , 2. 82
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b) unter einer „pragmatischen" Zielsetzung (im Sinne Kosiols u n d seiner Schüler) i n ihrer instrumentalen Bedeutung, d . h . i n ihrer Brauchbarkeit f ü r die Lösung ungelöster Gestaltungsprobleme i n der Prüfungspraxis
zu beurteilen sind. 2. Konsequenzen der Verankerung wirtschaftlichen Verhaltens im Prüfungsbegriff Die Zielsetzung einer unvoreingenommenen Erklärung des Prüfungsgeschehens i m weitesten Sinne ist ebenso wie die Abgrenzung des Untersuchungsbereiches und das Aufstellen eines Problemprogrammes das Ergebnis höchstpersönlicher, vorwissenschaftlicher Basisentscheidungen der Wissenschaftler 84 . Eine K r i t i k an diesen Basisentscheidungen ist nach neuerer Auffassung insofern logisch unangemessen, soweit man sich dabei nicht mehr auf wissenschaftslogische bzw. empirisch erhärtbare Argumente stützen kann. Man würde von den Wissenschaftlern eine Revision ihrer Entschlüsse i m Sinne der eigenen Wertschätzungen und Neigungen verlangen 8 4 4 . Die Wissenschaftslogik ist aber zuständig und eine K r i t i k hat z. B. Aussicht, akzeptiert zu werden, wenn es um die Frage geht, ob die von einem oder mehreren Autoren i n der Prüfungslehre gepflegte Praxis m i t der von ihnen deklarierten Zielsetzung für das wissenschaftliche Tun vereinbar ist. Unsere folgenden kritischen Bemerkungen zur wissenschaftlichen Praxis i n der heutigen Prüfungslehre = theoretischer = Ausrichtung richten sich also nicht gegen die W a h l des Prüfungsgeschehens als dem Untersuchungsgegenstand einer Prüfungstheorie, sondern auf Mängel i n der Realisierung einer prüfungstheoretischen Zielsetzung, wenn als Auswahlprinzip prüfungstheoretischer Fragestellungen ein „ W i r t schaftlichkeitsprinzip" fungiert und i n einem Prüfungsbegrrff verankert wird. Diese A r t , für eine Prüfungstheorie als den „zentralen Bezugspunkt . . . das Rationalitätsprinzip i n seiner ökonomischen Ausformung, d. h. das Wirtschaftlichkeitsprinzip" zu konstituieren, um den „Problembestand a priori i n seiner ganzen Komplexität zu erkennen" 8 5 , führte erstmals Loitlsberger i n die Prüfungslehre ein. Für Loitlsberger ist der Ausgangspunkt jeden Entwurfes einer Prüfungstheorie die Deutung des Prüfungsgeschehens als ein dem „ W i r t schaftlichkeitsprinzip unterliegender Beurteilungsprozeß", d.h. Prüfungen sind (für ihn) „eine durch den Auftrag sachlich abgegrenzte, dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unterliegende, planmäßig durchgeführte 84
Vgl. z. B . Fischer-Winkelmann (72 b), S. 25 ff. Das heißt aber nicht, daß Basisentscheidungen nicht k r i t i k f ä h i g ren, vgl. dazu bspw. Fischer-Winkelmann (74 a). 85 M a n n (67), S. 396. 84a
wä-
2. Verankerung wirtschaftlichen Verhaltens i m Prüfungsbegriff
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Veranstaltung, . . . die auf geistigen Arbeitsleistungen aufgebaut, i m Vergleich eines Istobjektes m i t einem (oder mehreren) Sollobjekt(en) und anschließender Urteilsbildung besteht" 8 6 . M i t dieser Definition eines möglichen Begriffes ,Prüfung* oder »Revision 4 — beide werden (wie i n neuerem Schrifttum überwiegend) synon y m verwandt — soll eine angeblich bestehenden Ergänzungsbedürftigkeit bisheriger Begriffsfassungen i n der Prüfungslehre behoben werden 8 6 . Betrachtet man es logisch, so möchte der Autor eine präzisere Anleitung für die Verwendung des Wortes „Prüfung" („Revision") geben. Er schlägt eine genauere Sprachregelung als bisher vor, die anhand der definitorisch festgelegten Merkmale den Wissenschaftlern die Entscheidung erlauben soll, ob es sich bei einer empirischen Erscheinung u m eine Prüfung handelt oder nicht. Weist ein Phänomen die i n der Definition genannten Merkmale auf, heiße sie „Prüfung"! Das verlangt, daß die = Merkmale = operativ formuliert sind 8 7 . W i r wollen dies für unsere Zwecke vorläufig einmal als gegeben annehmen. Das Erkenntnisobjekt einer Prüfungstheorie ist nach Loitlsberger das Wesen der Prüfung . Sofern man nun nicht das Wesen durch eine Begriffshypostasierung als enthüllt ansieht, w i r d m i t dem Erkenntnisobjekt lediglich ein H i n weis auf den Gegenstandsbereich gegeben, i n dem sich die Probleme finden lassen, die jeweils für untersuchungsbedürftig angesehen werden. Die Prüfungsdefinition dient dann schlicht der Abgrenzung des Untersuchungsbereiches. Loitlsberger hat zwar an den Anfang seiner prüfungstheoretischen Untersuchungen kein explizites Problemprogramm für eine Prüfungstheorie gestellt. Er hat aber auch (so wenig wie spätere Prüfungstheoretiker) nirgend zu erkennen gegeben, daß er den Problembereich für die Prüfungslehre anders abgegrenzt sehen wollte, wie er aufgrund der Tradition des Faches gesehen wird. Die Prüfungslehre kann als eine Tadition von Lösungsversuchen gesehen werden. U n d die neueren Ansätze zur Schaffung einer Prüfungstheorie sollen — so Loitlsberger — durch ihre Reichweite über die von der älteren Prüfungslehre angeschnittenen Problemlösungen noch hinausgehen, s. o. Was w i r damit sagen wollten ist dreierlei: a) das Erklärungsinteresse bei der E n t w i c k l u n g einer Prüfungstheorie ist auch nach Loitlsberger auf bestimmte empirische Phänomene gerichtet, die m a n i n der Prüfungslehre üblicherweise als „Prüfungen" bezeichnet, 89
Loitlsberger (66), S. 27. Das heißt nicht, daß die = Merkmale = auf unmittelbar Beobachtbares hinweisen müssen, vgl. zu diesem Problem z. B. Hempel (62), S. 29 ff. 87
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b) eine Prüfungstheorie bringt nach Loitlsberger keine engere Sicht der Dinge i m Prüfungswesen als bisher — i m Gegenteil, c) durch die von Loitlsberger vollzogene Präzisierung der Bedeutung des Sprachsymbols „Prüfung" soll die bisherige Extension des Ausdrucks, d. h. die Klasse der wohlunterscheidbaren Gegenstände, f ü r die der Ausdruck zutrifft, nicht verändert werden.
Loitlsberger w i l l also die gleichen empirischen Erscheinungen als Prüfungen ansehen, die man bisher i n der Prüfungslehre als „Prüfungen" bezeichnet hatte. Der entscheidende Fehler, der Loitlsberger bei seiner Begriffsanalyse unterlief, m i t der die angebliche Ergänzungsbedürftigkeit älterer Prüfungsdefinitionen behoben werden sollte 86 , und der sich auf die logische Natur der m i t seinem Prüfungsbegriff formulierten prüfungstheoretischen Aussagen auswirkte, war der: Die zusätzliche Aufnahme des Merkmals „Wirtschaftlichkeitsprinzip" i n den (Loitlsbergschen) Prüfungsbegriff ist eine intensionale Variation, die sich auf die Extension und negativ auf eine prüfungstheoretische Zielsetzung auswirkt 8 8 . Das Merkmal „Wirtschaftlichkeitsprinzip" besagt i n etwa soviel wie „wirtschaftliches Verhalten", was auf das Prüfungsgeschehen übertragen z. B. nach Loitlsberger bedeutet, daß Prüfungen als „wirtschaftliche Veranstaltungen . . . nur dann Sinn" haben, „wenn der durch sie gestiftete Nutzen die Kosten ihrer Durchführung übersteigt" 8 9 , was das auch immer besagen mag. Es interessiert hier weniger der Informationsgehalt des Loitlsbergerschen „Wirtschaftlichkeitsprinzips" als vielmehr das Faktum, daß i n der Festlegung der Bedeutung des Wortes „Prüfung" mithilfe eines Merkmals „Wirtschaftlichkeitsprinzip" ein Widerspruch zum Untersuchungsziel einer (empirischen) Theorie der Prüfung evident wird. Denn mit dem Ziel: „Erklärung des realen Prüfungsgeschehens" 90 , ist die Loitlsbergersche Beseitigung der = Ergänzungsbedürftigkeit = bisheriger Prüfungsdefinitionen (einschließlich seiner eigenen früheren) und Präzisierung unverträglich. Es w i r d m i t dem neuen Prüfungsbegriff jedem, der ihn benützt, die Möglichkeit verbaut, eine unvoreingenommene und umfassende Erklärung des empirischen Prüfungsgeschehens zu verwirklichen. Wie ist das zu verstehen? 88 Z u r Beziehung „Intension-Extension" vgl. Fischer-Winkelmann (71), S. 34 f. 89 Loitlsberger (66), S. 84. Weder von Loitlsberger noch v o m Schriftum wurde bisher bemerkt, daß aufgrund der veränderten Prüfungsdefinition i n Loitlsberger (66) die Aussagen i n Loitlsberger (66) einen ganz anderen Sinn als i n Loitlsberger (61) besitzen! 90 M a n n (69), S. 225. Dies t r i f f t auch auf Leffson zu, obwohl dieser feststellt: „Ferner muß u . E . i n die Definition nicht aufgenommen werden, daß die Prüfung dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unterliegt, da alle betriebswirt-
2. Verankerung wirtschaftlichen Verhaltens i m Prüfungsbegriff
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Man kann sich i n der Prüfungslehre nicht zu einem explikativen Ziel für eine Prüfungstheorie bekennen und sich dann bei seinen Aussagen, bei dem Entwurf einer Prüfungstheorie, einer Prüfungsdefinition bedienen, i n der bereits eine bestimmte Verhaltensnorm, nämlich das „Wirtschaftlichkeitsprinzip" enthalten ist, wie das von Loitlsberger explizit (und von anderen implizit) gehandhabt wird, dessen definitorische Praxis nach Mann exemplarisch für die Prüfungslehre ist 9 1 . Da Prüfungen nur dann Verhaltensnormen — wie das unter Betriebswirten so oft berufene — „Wirtschaftlichkeitsprinzip" besitzen, internalisieren oder danach handeln können, wenn man Prüfungen zu Quasi-Subjekten erhebt 9 1 a , kann sich das „Wirtschaftlichkeitsprinzip" nur auf das Verhalten der die Prüfungen durchführenden bzw. davon tangierenden Menschen beziehen. Es dürfte aber hier auch ohne detaillierte Beweise für jedermann einsichtig sein, daß unter der Zielsetzung einer unvoreingenommenen und umfassenden Erklärung des Prüfungsgeschehens zuerst die das bei Prüfungen tatsächlich feststellbare Verhalten von Personen bestimmenden Verhaltensinvarianten ermittelt werden müssen, bevor Behauptungen über den Einfluß irgendwelcher Verhaltensnormen i n der Prüfungslehre ein Erklärungswert zugesprochen werden kann. Werden jedoch die Ergebnisse prüfungstheoretischer Forschung in der Weise = vorweggenommen = , daß Aussagen über Verhaltungsinvarianzen m i t Verhaltenspostulaten wie dem „Wirtschaftlichkeitsprinzip" identifiziert und zum konstituierenden Merkmal eines Prüfungsbegriffes erhoben werden, so werden — vorsichtig ausgedrückt — Behauptungen über Tatsachen i m Prüfungswesen durch Behauptungen über die Sprache ersetzt, m i t der diese interessierenden ( = erklärungsbedürftigen) Tatsachen erst beschrieben werden sollen. Wie kann man denn als Prüfungstheoretiker bereits vor Beginn der eigentlichen Untersuchung wissen, auf welche Verhaltensregelmäßigkeiten man bei der späteren Analyse der Prüfungsrealität stoßen wird, wenn man nicht übermenschliche Fähigkeiten für sich i n Anspruch nehmen will? Wenn man wie Loitlsberger m i t dem „Wirtschaftlichkeitsschaftlichen Prozesse der erwerbswirtschaftlich orientierten Unternehmung (und die Prüfung ist mit Sicherheit ein solcher Prozeß) diesem Prinzip unterliegen." Leffson f ü h r t das „Wirtschaftlichkeitsprinzip" nicht explizit i n seine Prüfungsdefinition, sondern durch eine H i n t e r t ü r ein. E r betrachtet
Prüfungen mit Sicherheit als betriebswirtschaftliche
Prozesse, für die auf-
grund seiner logischen G r a m m a t i k für den Ausdruck ,erwerbswirtschaftlich orientiertes Unternehmen' das Wirtschaftlichkeitsprinzip = gilt = ; vgl. L e f f son (69), S. 394, H. d. V. 91 M a n n (69), S. 225. »la v g l . i n diesem Zusammenhang unsere Ausführungen i n T e i l B, Kapitel V I I I .
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A. I I I . Wirtschaftswissenschaftliche Prüfungstheorien
prinzip" oder Mann m i t dem „Rationalitätsprinzip" 0 1 (in = ökonomischer = Ausformung) oder v. Wysocki m i t einem „Unabhängigkeitspostulat" 9 2 usw. bereits i n die Prüixmgsdefinition eine Verhaltensmaxime aufnimmt, muß man i m vornherein auf den Anspruch verzichten, eine unvoreingenommene und umfassende Erklärung bestehender Verhältnisse, des menschlichen Handelns i m Realitätsausschnitt „Prüfungswesen" liefern zu können! Das ist einfach zu beweisen. Jede metasprachliche Fixierung eines Prädikators »Prüfung 1 informiert uns immer nur über die vorgeschlagenen Gebrauchsregeln des Wortes und nicht wie die objeJctsprachlichen Hypothesen einer echten Prüfungstheorie über empirische Verhaltenskonstanten. M i t Prüfungsdefinitionen lassen sich dann keine empirisch nachprüfbaren = Annahmen = über das Prüfungsgeschehen treffen! Das besagt zugleich: Wer als Prüfungstheoretiker eine Verhaltensnorm m i t zum Inhalt seines Prüfungs-„Begriffes" macht, den er dann bei seinen Aussagen über das Prüfungswesen zu verwenden wünscht, klammert damit kurzerhand einen Großteil des Realgeschehens aus dem Kreis seiner Betrachtungen aus. Denn alle empirischen Ereignisse, die man bisher als Prüfungen zu begreifen pflegte, bei denen aber ein von der prüfungs-,,begrifflich" erfaßten Verhaltensmaxime abweichendes Verhalten sich feststellen läßt, sind aufgrund der de/initorisch fixierten Merkmale nicht als Prüfungen i m Sinne des Autors anzusehen. Das Erklärungsinteresse ist i n diesen Fällen de facto auf Probleme gerichtet, die bei Prüfungen auftauchen, i n denen das Handeln der beteiligten Personen nach einem „Wirtschaftlichkeitsprinzip" — sofern dieses operabel formuliert w i r d und nicht wie üblich eine pseudonormative Leerformel darstellt 9 1 4 —, d.h. ein „wirtschaftliches Verhalten" i m Falle Loitlsberger et al. die Verhaltensweise ist. Daß diese Konsequenzen der eigenen (wie anderen ähnlichen) sprachlichen Festsetzungen von Vertretern der modernen Prüfungslehre nicht gesehen und trotzdem behauptet wird, m i t den Aussagen den gesamten Bereich der Prüfungen abzudecken, ist auf die i n der modernen Prüfungslehre durchgängig fehlende strikte Trennung zwischen Metaund Objektsprache zurückzuführen. Es sind aber auch Konsequenzen des Konzepts einer reinen Prüfungstheorie, das = erlaubt = , da begriffliche Festsetzungen zu treffen, wo angeblich Faktenaussagen beabsichtigt sind und sich über die Unterschiede zwischen Begriffsbildung und Tatsachenaussage hinwegzusetzen. 92
v. Wysocki (69), S. 7 ff., (72), S. 7 ff.
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I n dem Bestreben, dem „Wirtschaftlichkeitsprinzip" als dem Auswahlprinzip der Problemstellungen einer = wirtschaftswissenschaftlichen = Prüfungslehre gerecht zu werden und „wirtschaftliches Verhalten" bei Prüfungen zu der Attitüde zu = erklären = , w i r d (nicht nur) von Loitlsberger eine Prüfungsdefinition nicht dazu verwandt, u m eine syntaktische und/oder semantische Substitutionsregel für das Wort „Prüfung" vorzuschlagen, sondern um eine (zudem krypto — normative) Aussage i n den Aussagenzusammenhang einzuschmuggeln. Diese Aussage ist allein schon wegen ihres definitorischen Charakters empirisch nicht nachprüfbar. Jede zwingende Widerlegung scheidet a priori aus, da man sich die Rückzugsposition gesichert hat, von der Prüfungsdefinition her allen nicht ins Konzept passenden Gegenbeispielen auszuweichen. W i r d dennoch der Anspruch einer umfassenden Faktenerklärung behauptet, hat das zur Folge, das das ganze Aussagensystem, d. h. die betreffende Prüfungs-„theorie" ideologisch w i r d ! Dem i n diesem Zusammenhang denkbaren, aber unter prüfungstheoretischen Blickwinkel völlig belanglosen Gegenargument, daß es doch ein Wesenszug aller Prüfungen sei, wirtschaftliche Veranstaltungen zu sein, d. h. dem Wirtschaftlichkeitsprinzip zu unterliegen, was i n der Prüfungsdefinition stärker hervorgekehrt werden müsse, müßten w i r entgegenhalten, daß uns i n einer explikativen Analyse des Prüfungsgeschehens nicht irgendwelche denkbare Welten oder Räsonnements über die Fachsprache interessieren, sondern die nomologischen Sätze einer Prüfungstheorie, die für eine Erklärung dieser Welt allein taugen. Z u dem Versuch, ein „Wirtschaftlichkeitsprinzip" als Auswahlprinzip prüfungstheoretischer Fragestellungen i n einem Prüfungsbegrrff zu verankern, läßt sich abschließend folgendes sagen: a) Von einer (empirisch-kognitiven) Prüfungstheorie sind nomologische Hypothesen möglichst hohen Erklärungswertes zu verlangen. Es ist dann unzweckmäßig, einer Prüfungstheorie eine Prüfungsdefinition vorauszuschicken, i n der ein Handlungsprinzip empirisch unwiderlegbar f i x i e r t ist. b) W i r d ein „Wirtschaftlichkeitsprinzip" ( = „wirtschaftliches Vorhalten", „Wirtschaftlichkeit") über einen Prüfungsbegriff i n den Aussagen v e r ankert, ist das Forschungsziel einer umfassenden u n d unvoreingenommenen E r k l ä r u n g des Prüfungsgeschehens bereits preisgegeben. Durch die Beschränkung auf ein bestimmtes Verhaltensprinzip aus der Vielzahl i n d i v i d u e l l und/oder k o l l e k t i v gesetzter Rahmenbedingungen des P r ü fungsgeschehens w i r d die reale Problematik aus der betreffenden P r ü fungslehre fast v ö l l i g eliminiert. c) Die Mißachtung des trivialen, jedoch grundlegenden Unterschiedes zwischen Begriffsbildung (in Metasätzen) u n d Tatsachenbehauptungen über das Prüfungsgeschehen (in Objektsätzen), d . h . zwischen verschiedenen Sprachstufen einer Prüfungstheorie, hat i m Zusammenhang m i t 4 Fischer-Winkelmann
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A . I I I . Wirtschaftswissenschaftliche Prüfungstheorien dem Wirtschaftlichkeitsprinzip
eine fatale Konsequenz: statt
theorie wird Prüfungsideologie
getrieben. Denn die Prüfungsrealität w i r d
Prüfungs-
n u r selektiv zugunsten eines bestimmten Erkenntnisinteresses = e r k l ä r t " bzw. die vorgeblich sachbezogenen Aussagen können an der Prüfungsrealität nicht mehr bewahrheitet werden. Es w i r d i n ihnen das Prüfungsgeschehen an einem „wirtschaftlichen Verhalten i m Prüfungswesen" — was das auch i m m e r i m Einzelfall heißen mag — beurteilt. E i n solches wissenschaftliches Handeln bezeichnet man als „ideologisch" 9 3 . Es w i r d dabei m i t dem f ü r Bewertungen logisch notwendigen Wertmaßstab ein Versteckspiel betrieben: die Wertprämisse w i r d über eine Prüfungsdefin i t i o n i n den Aussagenzusammenhang eingeführt! Das hat den Effekt, daß die Adressaten dieser Aussagen deren k r y p t o - n o r m a t i v e n Charakter nicht so leicht entdecken. Auch hier liegt die N o r m „verborgen i m Begriff, das ist das i m m e r wiederkehrende Versteckspiel i n der ökonomischen Theorie" 9 4 u n d Doktrinbildung.
3. Probleme der expliziten Postulierung eines Wirtschaftlichkeitsprinzips als Identitätsprinzip Mittels einer Prüfungsdefinition ein Wirtschaftlichkeitsprinzip als maßgebendes Auswahlprinzip prüfungs-,,theoretischer" Fragestellungen i n die Prüfungslehre einzuführen, ist die definitorische Variante einer i n der Betriebswirtschaftslehre verbreiteten Praxis. Über die Postulierung von Identitäts- oder Auswahlprinzipien wie z.B. des Rentabilitäts-, Gewinnmaximierungs- oder Wirtschaftlichkeitsprinzips usw. versucht(e) man, zu einem systembildenden Prinzip, zu einer systembildenden Idee u. ä. zu gelangen, das den Wissenschaftscharakter des Faches sichern soll 9 5 . Die andere = betriebswirtschaftliche = Variante, d. h. die explizite Postulierung eines Auswahlprinzips, findet sich i n der modernen Prüfungslehre bspw. bei v. Wysocki, den w i r exempli causa herausgreifen wollen: „Da das betriebswirtschaftliche Prüfungswesen eine Disziplin der Wirtschaftswissenschaften ist, muß als maßgebendes Auswahlprinzip der Problemstellungen das Wirtschaftlichkeitsprinzip herangezogen werden 9 6 ." Dieser Versuch ist wie all die anderen, „extreme klassische oder neuere betriebswirtschaftliche ,Identitätsprinzipien 4 " i n der Prüfungslehre „bewußter anzusiedeln" 97 , von problematischer Auswirkung. 93 Vgl. bspw. Geiger (68), insb. S. 28 ff., 97 ff. oder die diesbezüglichen Beiträge i n L e n k (64). 94 M y r d a l (32), S. 290. 95 Vgl. dazu bspw. Forker (60), S. 125 ff.; Mellerowicz (58), S. 41; Wöhe (59) oder Risse (70). 98 v. Wysocki (67), S. 22, H. d. V.; bei M a n n bspw. finden w i r beide V a r i a n ten, vgl. M a n n (69), S. 225 u n d ders. (67), S. 401, 396. 97 Wacker (70), S. 334.
3. Probleme eines explizit postulierten Wirtschaftlichkeitsprinzips
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I n dem Zitat w i r d Prüfungstheoretikern so etwas wie ein logischer Zwang zur Wahl eines bzw. eines bestimmten Auswahlprinzips für die Erforschung des Prüfungswesens suggeriert, indem der wahre Sachverhalt verschleiert wird. Ein „Muß" zur Wahl bestimmter Problemstellungen besteht i n der Prüfungslehre für Wissenschaftler wie auch anderswo n u r dann, wenn diese „Wahl" durch Gewalt entgegen die subjektiven Interessen erzwungen wird. Aus der jedermann frei stehenden Zurechnung des Faches „Betriebswirtschaftliches Prüfungswesen" kann weder m i t den M i t t e l n der Vernunft abgeleitet werden, daß ein bestimmtes Auswahlprinzip bei der prüfungstheoretischen Arbeit zu beachten sei, noch läßt sich kognitiv ein Allgemeinverbindlichkeitsanspruch für die Wahl nur dieses einen oder eines Auswahlprinzips überhaupt rechtfertigen. Und so bleibt von dem zitierten Postulat lediglich eine mehr oder minder aufschlußreiche Mitteilung über einen (persönlichen) Entschluß bzw. über einen Vorschlag übrig, als Auswahlprinzip für eine allgemeine Theorie der Prüfung ein „Wirtschaftlichkeitsprinzip" zu verwenden. Der Gedankengang, der hinter der für die Prüfungslehre erhobenen Forderung nach der Wahl eines bestimmten Identitätsprinzips steckt, kommt bei anderen Autoren deutlicher als bei v. Wysocki zum Ausdruck. Mann bspw. vertritt die Auffassung, durch die Fixierung des zentralen Bezugspunktes erschließe sich für die Wissenschaftler die — ihnen ansonsten nicht offenstehende — Möglichkeit, den Problembestand einer Prüfungslehre a priori i n seiner ganzen Komplexität zu erkennen 08 . U n d da die Prüfung eine „wirtschaftliche" Veranstaltung ist und deshalb — was vielen Wirtschaftswissenschaftlern ohne weiteres einsichtig ist — dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unterliegt (was i n der Prüfungsliteratur unbestritten ist), muß als zentraler Bezugspunkt (Auswahl-, Identitätsprinzip) das Wirtschaftlichkeitsprinzip fungieren. Daß der i n dieser Argumentation steckende circulus i n probando nicht entdeckt zu werden pflegt, ist i n wirtschaftswissenschaftlicher Wissenstradition begründet und soll hier nicht weiter erörtert werden". Vom prüfungstheoretischen Standpunkt aus betrachtet ergibt sich die widerspruchsvolle Erscheinung, daß ein Wirtschaftlichkeitsprinzip zugleich die Stellung eines „Auswahlprinzips" als auch „Erklärungsprinzips" i n der Prüfungslehre einnehmen können soll. Wie bereits gesagt, läßt sich aber weder der Problembestand einer Prüfungslehre i m voraus abschätzen oder = wissen = noch ist es m i t 98 99
4*
Vgl. M a n n (67), S. 396. Vgl. dazu bspw. Fischer-Winkelmann (72 a), S. 531 ff.
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A . I I I . Wirtschaftswissenschaftliche Prüfungstheorien
einer prüfungstheoretischen Zielsetzung verträglich, in den Problemformulierungen bereits die definitive Problemlösung zu präsentieren: indem über das postulierte Auswahlprinzip ein und zwar das angeblich alles Prüfungsgeschehen bestimmende Handlungsprinzip eingeführt wird. Dieser Kunstgriff von Prüfungstheoretikern, eine Frage an die W i r k lichkeit und die endgültige A n t w o r t angeblich i n einem bieten zu können, ist w o h l nur auf der Basis einer apriorischen Wesenserkenntnis der Prüfung möglich, die mit einer nach den Spielregeln einer empirischen Wissenschaft aufgebauten Prüfungstheorie aber nichts gemein hat. Der unter Wirtschaftswissenschaftlern verbreitete Glaube, i m „Wirtschaftlichkeitsprinzip" ein Grundaxiom (im Sinne der klassischen Axiomatik) zu besitzen, dessen Gewißheit und ontologische Priorität selbstevident sei, ist ein Relikt eines metaphysischen Fundamentalism u s ö l a . Es dürfte auch noch der ästhetische Wunsch nach Einfachheit hereinspielen, d. h. der Wunsch, mit einem M i n i m u m an „Erklärungsprinzipien" wirtschaftswissenschaftliche = Theorien = aufzubauen. Sieht man einmal von der wissenschaftslogisch seltsamen Doppelfunktion des „Wirtschaftlichkeitsprinzips" für die Prüfungslehre ab, dann ließe sich ein selektives Erkenntnisinteresse und der Ideologieverdacht i n der Prüfungslehre nur auf diese Weise abstreiten: man gibt offen zu erkennen, für das Wort „Erklärung" eine Interpretation anzuwenden, die es erlaubt, eine „Grund-"Annahme über menschliches Verhalten bei Prüfungen des eventuell vorhandenen empirischen Gehaltes völlig zu entleeren. Da dann eine Widerlegung an der Prüfungs^ realität ausgeschlossen ist, betreibt man Wissenschaft i m Elfenbeinturm. M i t dem Auswahlprinzip „Wirtschaftlichkeitsprinzip" pflegt i n den Versuchen zur Konstruktion wirtschaftswissenschaftlicher Prüfungstheorien eine Norm für das Handeln i m Objektbereich und zugleich die Wertprämisse i n das Aussagensystem (unbemerkt) eingeführt zu werden, die es dann = erlaubt = , ein von dieser Norm i n der Prüfungsrealität abweichendes Verhalten (z.B. als „unwirtschaftlich") i n einer Prüfungstheorie (!) abzuqualifizieren 100 . Es ist w o h l mit der Befangenheit i m = ökonomischen Denken = zu erklären, daß i n der modernen Prüfungslehre Verstöße gegen das Werturteilsfreiheitsprinzip als einer grundlegenden Spielregeln für eine explikative Prüfungstheorie sowie gegen die Logik der Imperative nicht auf K r i t i k stoßen. Die Verstöße werden begangen, wenn mittels 100 Vgl. z.B. die Arbeiten von Loitlsberger (53), Schulte (70); Schettler (71), (66), (68); Z i m m e r m a n n (54); W u l f (59); L e f f s o n / L i p p m a n n / B a e t g e (69) u.a.
3. Probleme eines explizit postulierten Wirtschaftlichkeitsprinzips
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einer „schlechten L o g i k " 1 0 1 aus einer angeblich deskriptiven Verhaltensprämisse ohne die Ergänzung durch eine Norm — die logisch zwingend eine Entscheidung des Wissenschaftlers voraussetzt — Verhaltensanweisungen deduziert werden, d. h. wenn das „Wirtschaftlichkeitsprinzip" i n den Ansätzen zu wirtschaftswissenschaftlichen Prüfungstheorien zugleich die Rolle eines Erklärungsprinzips des faktischen und eines normativen Axioms des „richtigen" Handelns i m Prüfungswesen übernimmt. Ein Vertreter der modernen Prüfungslehre muß sich also entscheiden, wenn er als Auswahlprinzip das „Wirtschaftlichkeitsprinzip" nimmt, welches Sprachspiel er unter dem Namen „Prüfungstheorie" betreiben w i l l : Empirische Theorie oder Ideologie. Die Beliebtheit einer „ w i r t schaftlichen Betrachtung" des Prüfungswesens unter den Vertretern der heutigen Prüfungslehre macht diese Prüfungslehre zu einem Fundplatz für die Ideologiekritik, weil man zwischen verschiedenen Wissenschaftsspielen nicht zu differenzieren versteht. Zu den Problemen, explizit für die Prüfungslehre ein „Wirtschaftlichkeitsprinzip" als Auswahlprinzip zu postulieren, läßt sich abschließend folgendes sagen: a) Sind die i n den Auswahlprinzipien enthaltenen Verhaltensannahmen als Tatsachenbehauptungen gedacht, so sind die faktischen Konsequenzen hinsichtlich des Geltungsbereiches der Aussagen die nämlichen w i e bei den definitorischen: Aufgabe des Anspruchs, eine umfassende E r k l ä r u n g des Prüfungsgeschehens geben zu können, da sich die Forschungsperspektive auf jenen Ausschnitt verengt, i n dem das vorausgesetzte Verhalten zutrifft. b) W i r d uneingeschränkte Allgemeinheit u n d explikativer Gehalt der auf einem „Wirtschaftlichkeitsprinzip" basierenden Aussagen behauptet — was auf die Ansätze zur E n t w i c k l u n g einer wirtschaftswissenschaftlichen Prüfungstheorie z u t r i f f t — w i r d trotz der anderslautenden Erklärungen oder Andeutungen der Verfasser nicht Prüfungstheorie, sondern P r ü fungsideologie betrieben. Was die wahre logische N a t u r dieser Prüfungsideologien nicht sogleich offenkundig werden läßt, ist ihre äußerlich m i t einer Prüfungstheorie identische sprachliche Einkleidung, i h r Als-obCharakter. Das heißt, es werden Werturteile so ausgesprochen, als ob es u m Beschreibungen u n d Erklärungen des Prüfungsgeschehens ginge (wertende Sätze werden als deskriptive Sätze verwandt).
101 W e i l es ein logisch aussichtsloser Versuch ist u n d n u r auf dem Wege der „logisdien Erschleichung" zu bewerkstelligen ist, vgl. zur Werturteilsproblematik Fischer-Winkelmann (71), S. 100 ff.; Ruffner (70); A l b e r t (56 b), (60 c), (63 b); Albert / Topitsch (71); Schanz (72) u. a.
Kapitel
IV
Rationales Verhalten und entscheidungsorientierte Prüfungslehre 1. Zur Logik des entscheidungsorientierten Ansatzes in der Prüfungslehre Wenn i n der modernen Prüfungslehre m i t einem Rationalprinzip (in „ökonomischer" Ausformung) explizit oder implizite operiert und offene Probleme einer verhaltensorientierten Prüfungslehre wie z.B. rationale Informationsgewinnung, Verteilungs-, Reihenfolge- und Zuordnungsentscheidungen, Urteilsgewinnung und Urteilsabgabe zur Diskussion gestellt 1 0 2 und diskutiert werden, so zeigt dies an, daß i n der heutigen Prüfungslehre — analog einem Forschungstrend i n der Betriebswirtschaftslehre — 1 0 8 ein = entscheidungsorientiertes = Denken immer mehr an Boden zu gewinnen beginnt. M a n befaßt sich seit gut einem Jahrzehnt m i t Ablauf- und Gestaltungsproblemen von Entscheidungs-r und Problemlösungsprozessen i m Prüfungswesen unter der Prämisse „rationalen" bzw. „wirtschaftlichen Verhaltens", auch wenn das i n den einzelnen literarischen Arbeiten nicht immer so deutlich herausgestellt wird. Das Verhalten der Menschen i m Bereich des Prüfungswesens und die diesem Verhalten zugrundeliegenden Entscheidungen rücken i n der modernen Prüfungslehre immer mehr i n den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses, wobei sie mittels der Prämisse „rationales Verhalten" unterschiedlich problematisiert werden. Über diesen Sachverhalt, d. h. m i t der Frage, welche Auswirkungen für die logische Natur und die Reichweite der Aussagen einer Prüfungslehre ein unterschiedlicher Einsatz der Annahme „rationalen Verhaltens" bei der „theoretischen" Behandlung des Verhaltens i m Prüfungswesen hat, hat man sich i n der heutigen Prüfungslehre noch wenig Gedanken gemacht. Wenn w i r einen kritischen Blick auf die deutsche Betriebswirtschaftslehre werfen, so ist dort die Problemsituation nur geringfügig besser. Man hat sich zwar m i t der Logik des entscheidungs102 103
Vgl. M a n n (67), S. 401 ff. Vgl. bspw. Heinen (66 b), (69), (71 a), (72 a).
2. Wissenschaftsspiel
: Tautologien und/oder Ideologien
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orientierten Ansatzes i n der Betriebswirtschaftslehre programmatisch beschäftigt, jedoch m i t wenigen Ausnahmen auf die Verarbeitung neuerer wissenschaftslogischer Einsichten verzichtet 1 0 4 bzw. davon einen problematischen Gebrauch gemacht 1043 -. W i r werden deshalb kurz auf die Logik des m i t der Verhaltensprämisse „rationales Verhalten" operierenden entscheidungsorientierenden Ansatzes i n der modernen Prüfungslehre eingehen, der sich m i t Entscheidungen und Entscheidungsregeln i m bzw. für das Prüfungswesen befaßt. I n der Prüfungslehre lassen sich prinzipiell insgesamt vier mögliche Sprach- oder Wissenschaftsspiele unterscheiden, die (in verschiedenen Varianten) unter dem Namen „Prüfungstheorie" betrieben werden können, wenn die „Rationalität des Verhaltens, d . h . hier das W i r t schaftlichkeitsprinzip" 1 0 5 zum zentralen Bezugspunkt einer Prüfungslehre erhoben wird. Je nach dem Sinn, der der Rationalitätsprämisse i m Forschungsprozeß (z.B. über ein Axiomen-System und Entscheidungsregeln) beigelegt wird, ändert sich der Charakter, der m i t ihrer Hilfe formulierten Aussagen über das Prüfungswesen. Wenn w i r i m folgenden i n erster Linie die „Rationalität des Verhaltens" i m Prüfungswesen und nicht das i n der Prüfungslehre bevorzugte „Verhalten gemäß dem Wirtschaftlichkeitsprinzip" behandeln, so hat dies zwei Gründe: Erstens besitzt die Annahme „rationales Verhalten" (sofern „rational" und „wirtschaftlich" nicht als Synonyma aufgefaßt werden) für die Prüfungslehre den umfassenderen Geltungsbereich. Und zweitens tauchen bei der = ökonomischen Ausformung = (Mann) bzw. = Konkretisierung = 1 0 6 eines, z.B. des klassischen Rationalprinzips zu einem Wirtschaftlichkeitsprinzip i n der Prüfungslehre noch weitere Probleme auf, die w i r i m Teil B, Kapitel V I I I behandeln werden. 2. Wissenschaftsspielj: Tautologien und/oder Ideologien „Rationales Verhalten i m Prüfungswesen" als Verhaltensaxiom kann einmal heißen, daß i n der Prüfungslehre von der Annahme ausgegangen wird, daß jedes menschliche und damit auch das i m Prüfungswesen beobachtbare Verhalten immer und überall unter dem Gebot der Rationalität stehe, d. h. stets durch ein Rationalprinzip gesteuert werde 1 0 7 . 104
s. z. B. Heinen (69), (70), (71 a), (72 a) oder Glaeser (70). Vgl. z.B. Kirsch (68a), (68b), (70), (71b), (72b); Meffert (68); Schanz (73 a); Reber (73) u. a. 105 M a n n (67), S. 401. 108 Loitlsberger (55), S. 32. 104a
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A . I V . Rationales Verhalten u n d moderne Prüfungslehre
Diese Annahme, vor allem wenn sie als selbstevident hingestellt wird, klingt plausibel. Man ist ja nur allzuleicht geneigt, die eigenen alltäglichen Handlungen als „rational" anzusehen — auch wenn sie nur nachträglich rationalisiert wurden — und diese introspektive Erfahrung dann i n einer (unzulässigen!) Verallgemeinerung allen anderen Menschen ebenfalls zuzuschreiben 108 . Als ein Grundaxiom jedoch, auf dem sich eine explikativ taugliche und technologisch verwendbare Prüfungstheorie aufbauen ließe, ist diese A r t von Rationalitätsprämisse ungeeignet. A n die Stelle einer für Erklärungen notwendigen nomologischen Aussage w i r d eine Explikation und gleichzeitige Verwendungsde/initton gesetzt, die uns über eine mögliche Sprachregelung für den Ausdruck „rationales Verhalten" informiert. Denn es w i r d durch diese Verwendung einer Rationalitätsprämisse das Verhalten i m Prüfungswesen wie jedes andere menschliche Verhalten schlechthin einfach als „rational" definiert. Eine solche = allgemeine = Fassung einer Rationalitätsannahme ist z. B. für die Entwicklung einer praktikablen Prüfungstheorie unbrauchbar. Denn daraus entwickelte Aussagen über das Prüfungsgeschehen schließen keine denkbare Verhaltensmöglichkeit i m Prüfungswesen als „verboten" aus. Sie sind jeder intersubjektiven Überprüfungsmöglichkeit entzogen, w e i l sie als Verhaltensspielraum dem Verhalten i m Prüfungswesen den ganzen logischen Raum überlassen. Es gilt zwar eine Aussage über das Verhalten i m Prüfungswesen, die den möglichen Spielraum dieses Verhaltens nicht einengt (weil jedes Handeln als m i t dem Rationalprinzip übereinstimmend = erklärt = wird), wie eine nomologische Aussage immer und überall. I m Gegensatz zu dieser ist sie aber unabhängig von Erfahrungsdaten, weil ein K o n f l i k t m i t Sätzen über ein andersgeartetes faktisches Verhalten i m Prüfungswesen ausgeschlossen ist. Der tautologische Charakter macht diese Rationalitätsaussage für Erklärungen und Prognosen des Verhaltens i m Prüfungswesen unbrauchbar. Prüfungstheorie degeneriert i n diesem Falle dann zu einer A r t entscheidungslogischer Sprachanalyse, die nur verbal einen Bezug zum Prüfungswesen hat. Nicht anders unter realtheoretischem Aspekt ist die Situation, wenn in der modernen Prüfungslehre mit dem „Rationalprinzip in seiner ökonomischen Ausformung" (Mann) als dem Identitätsprinzip einer wirtschaftswissenschaftlichen Prüfungs-„theorie" die Behauptung aufgestellt bzw. darauf aufgebaut w i r d : „Alles Handeln bei Prüfungen 107
Welche Bedeutung dem Wort „rational" i m einzelnen Falle beigelegt u n d wie rationales Handeln dann strukturiert ist, ist f ü r den Verlauf unserer Argumentation unwichtig. 108 Vgl. Gäfgen (68), S. 60.
2. Wissenschaftsspiel
: Tautologien und/oder Ideologien
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unterliegt wie jedes andere Handeln i m Bereich der Wirtschaft dem Wirtschaftlichkeitsprinzip", was immer und ausnahmslos gelte 1 0 9 . Diese Verhaltensaussage läuft auf die Trivialität hinaus, daß ein wirtschaftliches, d. h. dem ominösen ökonomischen Prinzip entsprechendes Verhalten immer dann i m Prüfungswesen vorliege, wenn jeder sich so verhalte, wie er es i n der jeweiligen Situation für angemessen oder richtig halte. Die uneingeschränkte Gültigkeit und Reichweite solcher Behauptungen w i r d über den Leerformelcharakter erkauft. Auf die Frage: „Warum etwas so geschehe", erhalten w i r als A n t w o r t : „Weil es eben so geschehe." Es ist eine zirkeiförmige Erklärung, mit der sich i n einer Prüfungstheorie nichts anfangen läßt, weil der einzige Grund für das Explikans das Explikandum selbst ist. I n die empirische Gehaltlosigkeit teilen sich auch jene Aussagen, die aus der skizzierten Verwendungsart einer Rationalitätsprämisse = abgeleitet = werden. Was uns unter einer prüfungstheoretischen Zielsetzung als ein gravierender Mangel jeder tautologischen Formulierung „rationalen Verhaltens i m Prüfungswesen" erscheint, ist unter einer anderen Zielsetzung i n der bzw. für die Prüfungslehre ein nicht zu unterschätzender Vorzug. Denn gerade die scheinexplikative (tautologische) Als-ob-Formulierung einer Rationalitätsprämisse erlaubt ihre Verwendung i n ideologischer Absicht in der Prüfungslehre. Die empirische Unanwendbarkeit steht ja bekanntlich paradoxerweise in einem engen Zusammenhang m i t der ideologischen Allverwendbarkeit: solche pseudo-empirischen Leerformeln lassen sich für beliebige Zwecke manipulieren 1 1 0 . Zusammenfassend laßt sich sagen: Wenn eine entscheidungsorientierte Prüfungstheorie auf der Annahme errichtet w i r d , das Verhalten der Menschen i m Prüfungswesen sei i m m e r u n d überall „rational" (in einem näher zu bestimmenden Sinne), dann sind Tautologien i n F o r m von Explikationen u n d Verwendungsdefinitionen v e r schiedener Begriffe „rationales Verhalten i m Prüfungswesen" und/oder Ideologien zu erwarten.
109 j p ü r Betriebswirte wäre daran nichts Ungewöhnliches, denn es w i r d bereits i n den einführenden Lehrbüchern gelehrt: „Das wirtschaftliche H a n deln unterliegt w i e jedes auf Zwecke gerichtete menschliche Handeln dem
allgemeinen Vernunftsprinzip 110
(Rationalitätsprinzip)" (Wöhe [73], S. 3).
Z u dieser Eigenschaft von Leerformeln vgl. Topitsch (52), S. 104 f., ders. (53), S. 504 f., ders. (60), ders. (67 b), oder A l b e r t (54), S. 28.
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A . I V . Rationales Verhalten u n d moderne Prüfungslehre
3. Wissenschaftsspiel 2: empirische Prüfungstheorie Wenn „rationales Verhalten" als Forschungsprämisse einer entscheidungsorientierten Prüfungslehre herausgestellt wird, so kann das auch heißen, daß das wissenschaftliche Interesse darauf gerichtet ist zu erfahren, wann, unter welchen Bedingungen i m Prüfungswesen ein (natürlich präzise zu charakterisierendes) rationales Verhalten auftritt bzw. zu erwarten ist. M i t dieser A r t von Forschungsprämissen w i r d nicht einfach behauptet, daß rationales Verhalten eine jedem Menschen inhärente und zugleich invariante Verhaltensweise sei. Man geht vielmehr davon aus, daß sich das Handeln i m Prüfungswesen nicht immer und überall rational vollziehe. U m den tatsächlichen Bereich eines (in bestimmtem Sinne) rationalen Verhaltens i m Prüfungswesen aufdecken zu können, muß die Annahme rationalen Verhaltens so formuliert werden, daß empirisch-gehaltvolle Hypothesen aufgestellt werden können, die auch ein „nichtrationales" Verhalten i m Prüfungswesen als möglich und feststellbar erlauben. Das bedeutet, daß alle prüfungstheoretischen Aussagen über rationales Verhalten i m Prüfungswesen den Anforderungen des Falsifikationskriteriums empirischer Theorien genügen müssen. Der Geltungsbereich dieser nicht gegen eine Widerlegung an der Empirie abgesicherten Aussagen über rationales Verhalten einer entscheidungsorientierten Prüfungslehre hängt davon ab, welche Erfolgsmaßstäbe des Handelns gewählt und wie der Gebrauch des Wortes „rational" (mittels Axiome bzw. Theoreme „vernünftigen" Entscheidens) geregelt wird. Bei der Fixierung eines bestimmten Rationalitätsbegriffes für explikative Zwecke sollte man i n der Prüfungslehre den bei Betriebswirtschaft zu beobachtenden Fehler vermeiden, eine bestimmte Zielsetzung als „rational" hinzustellen und damit zwangsläufig andere als „nichtrational" u. ä., da dies auf ein Werturteil hinausliefe. Verstöße gegen das Werturteilsfreiheitsprinzip als einer der unabdingbaren methodischen Regeln einer empirischen Theorie sind i n der Prüfungslehre bei den Ansätzen zu einer wirtschaftswissenschaftlichen Prüfungstheorie regelmäßig dann festzustellen, wenn das Rationalprinzip 1 1 1 = ökonomisch = so ausgeformt wird, daß bestimmte Zielsetzungen als „ w i r t schaftliche" hingestellt und ohne empirische Zielforschung sozusagen aus der Sache heraus begründet werden. Über eines sollte man sich i n der Prüfungslehre klar sein: Wenn man m i t einer bestimmten Rationalitätsannahme als Forschungsprämisse an 111
M i t wenigen Ausnahmen w i r d die klassische Maximumversion wandt, vgl. T e i l B, insb. K a p i t e l V I I I dieser Arbeit.
ver-
3. Wissenschaftsspielg: empirische Prüfungstheorie
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den Entwurf theoretischer Aussagen über das Prüfungswesen herangeht, geht damit automatisch eine Verengung der Forschungsperspektive auf eine bestimmtstrukturierte A r t des Handelns i m Prüfungswesen einher. Die Forschungspraxis entspricht dann nicht mehr der Zielsetzung einer umfassenden Erklärung. Es wäre denkbar, daß gegen unsere letzte Feststellung als prima facie durchschlagkräftiges Argument ins Feld geführt wird, es gäbe für die Prüfungslehre keine andere theoretische Alternative als die Rationalitätsprämisse, wenn man menschliches Verhalten i m Prüfungswesen erklären wolle. Denn ein Teil menschlichen Verhaltens entziehe sich jeder wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Prämisse „rationales Handeln" sei (wäre) somit der umfassendste Ansatzpunkt den man sich in der entscheidungsorientierten Prüfungslehre wählen könne. Dieses Argument wäre offensichtlich eine erkenntnistechnologische Hegel, die besagt, daß menschliches Verhalten i m Prüfungswesen, wenn, dann immer nur soweit erklärbar sei, als es sich rational vollziehe. So fernliegend wäre u. E. diese A r t der Verteidigung einer Rationalitätsprämisse und gleichzeitig eines umfassenden Erklärungsanspruches in der Prüfungslehre nicht. Denn auch i n der Betriebswirtschaftslehre w i r d behauptet, daß menschliches Handeln nur dann einer wissenschaftlichen Analyse zugänglich sei, wenn es rational vollzogen, d. h. ausschließlich auf Zielvorstellungen und vernünftiges Entscheiden des Handelnden zurückgeführt werden kann. Tätigkeiten, die sich nicht rational begründen (nachvollziehen) ließen, könnten nicht m i t Verstandesmitteln begriffen werden 1 1 2 . Wenn i m gleichen Atemzug aber zugegeben wird, daß die Grundhypothese eines ausschließlich rationalen, zweckorientierten Handelns sich m i t der Empirie nicht vertrage, andererseits aber diese Grundhypothese dennoch notwendig sei, falls durch die wissenschaftliche Forschung die Wirtschaftspraxis gefördert werden solle, so ist dies eine paradoxe Argumentation, die dem Erkenntnisprozeß nur hinderlich ist 1 1 3 . Wenn i n der Prüfungslehre eine empirische Prüfungstheorie zu entwickeln versucht wird, dann kommt es nicht darauf an, daß w i r als Wissenschaftler das Verhalten von Menschen bei Prüfungen oder in Prüfungsbetrieben bspw. m i t unseren „Verstandesmittel" begreifen, daß es uns eingängig, da nachvollziehbar, weil aus Zielvorstellungen, Rationalprinzip und Beschreibung der Entscheidungssituationen deduzierbar erscheint. ,Erkennen 4 würde auf diese Weise m i t „Verstandes112 113
Vgl. bspw. Koch (57), S. 581, ders. (61), S. 15. Vgl. Koch (57), S. 581.
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A. I V . Rationales Verhalten u n d moderne Prüfungslehre
mittein begreifen" definiert und die Ratio, die Vernunft und nicht die Prüfungswirklichkeit zum Prüfstein der prüfungstheoretischen Aussagen erhoben werden. Ob jedoch das menschliche Handeln, das analysiert und erklärt werden soll, auch verstanden wird, ist für den Erklärungswert und die materielle Wahrheit der nomologischen Aussagen unerheblich. Wenn i n der entscheidungsorientierten Prüfungslehre die Entscheidungsprozesse, also geistige Akte, und ihre unterschiedliche Realisierungen und Auswirkungen auf das Problemlösungsverhalten i m Prüfungswesen zum zentralen Phänomen der Forschung erhoben werden und zur Erklärung des Verhaltens das Zustandekommen der Entscheidungen sowie die in ihnen wirksam werdenden Einflußfaktoren untersucht werden sollen, so ist Vorsicht bei der Übertragung von Forschungsergebnissen anderer Disziplinen geboten. Das Konstrukt des gewinnmaximierenden homo oeconomicus der klassischen Unternehmenstheorie z. B. ist völlig unbrauchbar, wenn es u m Erklärungen der individuellen und/oder kollektiven ( = multipersonalen = ) Entscheidungs- und Problemlösungsprozesse i m Prüfungswesen geht. Es dürfte heute weiter einleuchtend sein, daß sich für theoretische Analysen der Entscheidungsprozesse i m Prüfungswesen, die u. a. Such-, Informations- und kreative Denkprozesse umfassen, die Integration einer = betriebswirtschaftlichen = Entscheidungstheorie, die nichts anderes als eine A r t = betriebswirtschaftlich = verbrämter Entscheidungslogik ist, i n die Prüfungslehre keine Hilfe bringt. Es würde nur die Entscheidungslogik der traditionellen Rationalitätsanalyse der Unternehmenstheorie m i t der faktischen individuellen und kollektiven Entscheidungs-„Logik" der i m Prüfungswesen tätigen Menschen identifiziert. Denkt man an die bei Mehrpersonenprüfungen oder i n den Prüfungsbetrieben fallenden Entscheidungen, so t u t man i n einer empirischen Theorie des Entscheidungsverhaltens i m Prüfungswesen auch gut daran, auf = Theorien = aus der Unternehmenstheorie zu verzichten, i n denen Gruppen (soziale Organisationen) als Entscheidungseinheiten aufgefaßt oder von einer einheitlichen Präferenzordnung der Mitglieder ausgegangen und ausschließlich kooperatives Sozialverhalten unterstellt w i r d 1 1 4 . Unter einem entscheidungsorientierten Ansatz wären i n der Prüfungslehre unter anderem beispielshalber zu klären 114 Wie z.B. i m Falle der Anreiz-Beitrags-„Theorie" (Barnard [38], ders. [48], S. 111 ff.; Simon [57 b], S. 165 ff., ders. [61], S. 110 ff.; M a r c h / S i m o n [58], S. 83 ff.) oder der Koalitions-„Theörie" (Cyert / March [63], S. 26 ff., 114 ff.; dies. [59] oder der „Teamtheorie" (Marschak [54], [55]; Radner [59]).
61
4. WissenschaftsspieLj: Möglichkeitsanalyse a) wie laufen die Zielbildungs- und -Veränderungsprozesse welchen Gesetzmäßigkeiten laufen sie ab,
und
nach
b) welche Regeln beherrschen die kognitiven Suchprozesse nach Problemlösungsalternativen i m Prüfungswesen, d.h. die (psycho-^logischen und kreativen geistigen A k t e bei der Informationsgewinnung und «Verarbeitung, c) welche Invarianzen bestimmten das Verhalten gegenüber dem Problem der unvollkommenen Information, d) wie sind die „Prognose"-Prozesse sungsalternativen bzw.
der Konsequenzen der
Problemlö-
e) die „Bewertungs"-Prozesse der = prognostizierten = Konsequenzen strukturiert, usw. Das s i n d n u r H i n w e i s e auf einige Probleme, m i t denen m a n k o n f r o n t i e r t w i r d , w e n n m a n eine entscheidungsorientierte P r ü f u n g s l e h r e i n A n g r i f f n i m m t , d i e zu E r k l ä r u n g e n v e r w e n d b a r sein soll. Fassen w i r zusammen: a) Ist die Grundannahme „rationales Verhalten" so konstruiert, daß empirisch-universelle Aussagen über das Prüfungswesen formulierbar sind, kann die Prüfungslehre als empirisches Wissenschaftsspiel betrieben werden. Der Geltungsbereich der empirischen .Theorie rationalen Verhaltens umfaßt i n diesem Falle aber nicht den ganzen Bereich des menschlichen Verhaltens i m Prüfungswesen. b) Eine empirische Theorie rationalen Verhaltens i m Prüfungswesen vermag ausschließlich über die Bedingungen zu informieren, unter denen m i t einem (bestimmten) rationalen Verhalten i m Prüfungswesen zu rechnen ist. Aus i h r lassen sich keine Aussagen über jene Bedingungen deduzieren, unter denen i m Prüfungswesen m i t dem Auftreten nichtrationaler Verhaltensweisen zu rechnen i s t 1 1 4 a .
4. Wissenschaftsspiel s : Möglichkeitsanalyse „ R a t i o n a l e s V e r h a l t e n i m P r ü f u n g s w e s e n " als Forschungsprämisse einer entscheidungsorientierten P r ü f u n g s l e h r e k a n n w e i t e r auch h e i ßen, daß e i n in einem bestimmten Sinne rationales V e r h a l t e n i m P r ü fungswesen als D e s i d e r a t u m f ü r eine technologische A n a l y s e hypothetisch u n t e r s t e l l t w i r d 1 1 5 . Solche M ö g l i c h k e i t s a n a l y s e n k ö n n t e n z. B . ü b e r die bestehenden H a n d l u n g s m ö g l i c h k e i t e n i n f o r m i e r e n , u m d i e B e d i n g u n g e n realisieren zu können, denen Prüfungsprozesse „ g e n ü g e n m ü s sen, u m als r a t i o n a l e r V o l l z u g g e w e r t e t w e r d e n zu k ö n n e n " 1 1 6 . 114a
Der Beweis für diese Behauptung läßt sich analog dem i m Exkurs, Teil B, Kapitel I geführten erbringen. 115 Zum Technologieproblem vgl. z.B. Fischer-Winkelmann (71), S. 126ff. und Teil B, Kapitel V I I , 4, 5 dieser Arbeit. 116 Mann (67), S. 401.
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A. I V . Rationales Verhalten u n d moderne Prüfungslehre
Was die „Frage nach den Bedingungen optimalen Vollzugs" 1 1 6 i n der Prüfungslehre angeht, so müssen für die A n t w o r t — falls sie sich nicht i n der analytischen Bestimmung von Optima für irgendwelche definitorisch angenommene Entscheidungssituation erschöpfen soll — entscheidungsrelevante Aussagen über die zu beachtenden Gesetzmäßigkeiten verfügbar sein, die — technologisch transformiert — über die jeweils zur Realisierung der unterstellten Zielsetzungen bestehenden Aktionsmöglichkeiten und deren Auswirkungen informieren. Das heißt, daß für technologische Analysen des Problems rationalen Verhaltens i m Prüfungswesen für die Lösung der empirisch-kognitiven Teilproblematik von Entscheidungsproblemen unter anderem Gesetzeshypothesen als empirisches Fundament zur Verfügung stehen müssen. Theoretische Aussagen über „Ursache-Wirkungs-Beziehungen" i m rationalen Verhalten werden tautologisch i n „Ziel-Mittel-Aussagen" über mögliches rationales Verhalten umgeformt. Ehe man also i n der modernen Prüfungslehre „offene Probleme einer verhaltensorientierten Prüfungslehre" (im Sinne einer angewandten Wissenschaft) 116 wie rationale Urteilsgewinnung usw. sinnvoll diskutieren und die Verwendbarkeit von Theoremen einer Logik rationalen Wahlverhaltens zur Lösung des formalen ( = entscheidungslogischen) Aspekts des jeweiligen Entscheidungsproblems untersuchen kann, muß zuvor das nötige theoretische Wissen für die Lösung der empirischkognitiven Teilproblematik vorhanden sein. Bei Explikationen von Möglichkeiten eines bestimmten rationalen Verhaltens i m Prüfungswesen sollte man sich i n der Prüfungslehre vor einem Fehler hüten, den man i n der klassischen wie entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre neuerer Prägung bei der Beschäftigung mit Problemen einer = rationalen Unternehmenspolitik = häufig beobachten kann. I n den „Aussagen über die Zweckadäquanz verschiedener Handlungsalternativen" 1 1 6 treten implizite Werturteile auf 1 1 7 ! Es ist der sog. „instrumentalistische Fehlschluß" der moralischen Neutralität des Bereiches der Mittelbewertung und -entscheidung, der i n der Betriebswirtschaftslehre die unauffällige bzw. unbemerkte Übergangsmöglichkeit von theoretischen Überlegungen bzw. technologischen Informationen zum normativen Appell verschafft und vor dem w i r hier warnen. E i n technologisches System kann uns nachweislich i n keiner Form die für den Ausschluß von Alternativen bzw. die für die Abgabe von Verhaltensanweisungen aus logischen Gründen notwendigen normativen Prämissen zur Verfügung stellen. Möglichkeitsanalysen „ratio117 Vgl. dazu Fischer-Winkelmann (71), S. 136 ff. u n d die Abschnitte 4, 5 des Kapitels V I I von T e i l B dieser Arbeit.
4. Wissenschaf tsspiel^: Möglichkeitsanalyse
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nalen Verhaltens i m Prüfungswesen" sind zwar die Grundlage für die Entwicklung operabler Verhaltensempfehlungen i n der Prüfungslehre. Sie sind aber nichts anderes als = praktisch angewendete = informative Theorie ohne normativen Wertakzent und erlauben deswegen weder die Ableitung einer Forderung nach rationalem Handeln i m Prüfungswesen noch haben sie eine solche Forderung zur Voraussetzung. Bei der technologischen Variante der Forschungsprämisse rationalen Verhaltens i m Prüfungswesen ist die = ökonomische Ausformung = (Mann) oder = Konkretisierung = (Loitlsberger) dieses rationalen Handelns nur scheinbar ein rein kognitiv entscheidbares Problem. Die Bestimmung eines Sachverhaltes, dessen Realisierung mithilfe eines rationalen Handelns i m Prüfungswesen als erstrebenswert hypothetisch für technologische Analysen unterstellt wird, ist ebenso wie unterstellte Mittelbeschränkungen eine Frage der persönlichen Präferenzen der Wissenschaftler. Ein Wissenschaftler kann bei der Wahl seiner Zielhypothese(n) sich an tatsächliche i m Prüfungswesen verfolgte Zielsetzungen orientieren und beliebige davon herausgreifen. Er glaubt dabei vielleicht, den i n der Betriebswirtschaftslehre vielberufenen Belangen der Praxis besser als ein anderer Forscher gerecht zu werden, der eine beliebige andere Zielsetzung hypothetisch seinen technologischen Überlegungen zugrunde legt. M i t kognitiven M i t t e l n allein läßt sich nicht entscheiden, was = besser = für die Praxis sei oder wer einer = pragmatischen = Ausrichtung eher gerecht werde. Es wäre höchst müßig, darüber zu streiten 1 1 8 . Wie sollte sich z. B. i n der Prüfungslehre die Frage, welches „wichtige" oder „unwichtige" Zielsetzungen i m Prüfungswesen seien, anders als durch Werturteile entscheiden lassen? Eine Zielhypothese, die m i t einer i m Prüfungswesen verfolgten Zielsetzung übereinstimmt, ist ebenso „ökonomisch" oder „unökonomisch" wie jede beliebige andere, ohne den Hinweis auf die Empirie gewählte. Fassen w i r zusammen: a) Möglichkeitsanalysen rationalen Verhaltens i m Prüfungswesen setzen voraus, daß explikative Hypothesen zur (tautologischen) Transformation i n technologische Aussagen über zweckrelevante Einwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. b) Die Forschungsprämisse „rationales Verhalten i m Prüfungswesen" zählt i n den technologischen Analysen w i e die Zielsetzungen u n d M i t t e l b e schränkungen zu den hypothetisch unterstellten Desiderata, die sich als Einschränkungen der Aktionsspielräume i m Prüfungswesen auswirken. 118 Z u m sog. „pragmatischen Standpunkt" i n der Betriebswirtschaftslehre vgl. Fischer-Winkelmann (71), S. 123 ff.; Beyer (70 b).
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A . I V . Rationales Verhalten u n d moderne Prüfungslehre
5. Wissenschaftsspiel 4: normative Prüflings- = theorie = Wieder ein anderes Wissenschaftsspiel w i r d unter dem Namen „Theorie" i n der Prüfungslehre i n Angriff genommen, wenn über die Rationalitätsprämisse i n normativer Absicht auf das Geschehen i m Prüfungswesen Einfluß genommen werden soll. Die Spielregeln des Falles (2) bzw. des Falles (3) gelten nicht. M i t dem Falle (1) hat dieses Wissenschaftsspiel jedoch die Apriorität der Aussagen gemeinsam. Die Forschungsprämisse „rationales Verhalten i m Prüfungswesen" nimmt i m WissenschaftsspieL* die folgende Form an: „Alles menschliche Verhalten i m Prüfungswesen muß (soll) stets rational vollzogen werden!" I n der Forschungspraxis muß aber die präskriptive Seite i n der jeweiligen sprachlichen Formulierung der Rationalitätsprämisse nicht so deutlich wie bei uns zum Vorschein kommen. Der sprachlichen Einkleidung der normativen Rationalitätsprämisse ist i n der Prüfungslehre oft nicht anzumerken, daß sie der impliziten Einführung normativer Urteile i n den Aussagenzusammenhang dient und als normative Prämisse i m logischen Sinne für die Deduktion von Verhaltensanweisungen fungiert. Systemen krypto-normativer ( = ideologischer) Aussagen w i r d auf diese Weise der Schein des Objektiven bewahrt. M i t der Rationalitätsprämisse i n der normativen Version w i r d die Norm aufgestellt, nach der sich sämtliches menschliche Verhalten i m Prüfungswesen richten soll. Der i m Prüfungswesen mögliche Handlungsspielraum w i r d auf den i n der Rationalitätsprämisse erlaubten Teilbereich eingeschränkt. Der Geltungsbereich dieser normativen = Theorie = rationalen Verhaltens i m Prüfungswesen erstreckt sich zwar auf das gesamte Prüfungswesen, die unbedingte Gültigkeit dieser = Theorie = resultiert aber aus dem Fehlen jeglicher Wahrheitsmöglichkeiten ihrer Aussagen. Soll i n einer entscheidungsorientierten Prüfungslehre eine normative = Theorie = rationalen Verhaltens i m Prüfungswesen die ihr zugedachte regulative Funktion erfüllen können, so setzt dies einmal voraus, daß die Norm „rationales Verhalten" nicht als Tautologie, sondern gehaltvoll formuliert wird, d. h. kein analytisch-normativer Satz ( = Leerformel) ist, der keine mögliche Verhaltensweise „verbietet" bzw. nicht normativ nur das ausschließt, was faktisch i n konkreten Entscheidungssituationen sowieso nicht zu realisieren ist. Die Entwicklung realisierbarer und insofern „sinnvoller" normativer Urteile inform von Grundsätzen, Prinzipien, Verhaltensregeln -maximen usw. einer normativen = Theorie = des Rationalverhaltens i m
5. Wissenschaftsspiel 4 : normative Prüfungs- = t h e o r i e =
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Prüfungswesen setzt neben einem Normgehalt der Rationalitätsprämisse als weiteres die Kenntnis technologischer Ziel-Mittel-Zusammenhänge und/oder deren theoretische Basis voraus. Ohne diese technologische (oder theoretische) Fundierung lassen sich i n der Prüfungslehre nicht die Verhaltensprinzipien deduzieren, die die Realisierung des normgerechten „rationalen" Verhaltens i m Prüfungswesen sicherstellen bzw. nicht-normgemäßes Handeln = verhindern = helfen können sollen. Denn auch hier gilt: „Sollen impliziert können!" Wie bei einer Technologie rationalen Handelns i m Prüfungswesen ist es bei einer normativen = Theorie = erforderlich, daß die Wissenschaftler aufzeigen, welche Rationalitätsvorstellungen sie m i t dem normativen Gebrauch des Sprachsymbols „rational" verbinden. I n einer expliziten normativen = Theorie = des Rationalverhaltens i m Prüfungswesen kommt das moralisch-politische Engagement der Wissenschaftler i n den (Wert)prämissen des Aussagesystems zum Ausdruck, deren bekenntnishafter und normativer Charakter so offenkundig gemacht und so deutlich vom Bereich des wissenschaftlich Erkennbaren deutlich abgesetzt wird. Das ist nicht der F a l l bei der ideologischen Spielart einer normativen = Theorie = des Rationalverhaltens, i n der Werturteile i n der täuschenden Als-ob-Form indikativischer (deskriptiver) Aussagen gefällt werden. Die Schwierigkeit, solche als Tatsachenbehauptungen über das Verhalten i m Prüfungswesen aufgeputzten und getarnten normativen Sätze als krypto-normative Aussagen zu erkennen und zu demaskieren, rührt u. a. daher, daß ein und derselbe Satz über rationales Verhalten i m Prüfungswesen logisch verschiedene Rolle spielen kann. Isoliert für sich läßt sich i m vorherein gar nicht entscheiden, ob es sich dabei u m eine empirische, analytische oder normative Aussagen handelt. Ihre aktuelle bzw. spezifische Aussagefähigkeit und damit ihre logische Natur w i r d erst durch eine Kontextanalyse ersichtlich. Für beide Fälle, die explizite wie die implizite Variante einer normativen = Theorie = des Rationalverhaltens i m Prüfungswesen gilt, daß man die normative Sinnkomponente i n diesen beiden Wissenschaftsspiele neutralisieren, d. h. die normativen Urteile i n semantisch äquivalente technologische Aussagen transformieren und so die wissenschaftliche Diskussion i n einer entscheidungsorientierten Prüfungslehre auf die intersubjektive Ebene der Möglichkeitsanalyse zurückführen k a n n 1 1 9 ' 1 1 9 a . Das Rationalitätspostulat übernimmt nach dieser Proze119 Durch Abstraktion von ihrer „pragmatischen" Dimension, vgl. FischerW i n k e l m a n n (71), S. 135.
5 Fischer-Winkelmann
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A . I V . Rationales Verhalten u n d moderne Prüfungslehre
d u r d a n n als h y p o t h e t i s c h u n t e r s t e l l t e s D e s i d e r a t u m d i e F u n k t i o n i m S a t z z u s a m m e n h a n g , d i e es z u v o r als n o r m a t i v e P r ä m i s s e i n d e r n o r m a t i v e n = Theorie = übernommen hatte. Z u s a m m e n f a s s e n d l ä ß t sich sagen: a) „Rationalität des Verhaltens" als Forschungsprämisse i n der entscheidungsorientierten Prüfungslehre k a n n auch bedeuten, daß diese P r ü fungslehre als normative Wissenschaft betrieben w i r d , i n der SollensVorstellungen über rationales Handeln i m Prüfungswesen entwickelt werden. b) F ü r dieses Wissenschaftsspiel gilt, daß die Prädikate „faktisch-wahr" oder „faktisch-falsch" f ü r die Aussagen nicht zutreffen, die Wertprämissen jedoch keineswegs k r i t i k i m m u n sind 1 1 9 ». c) I n der sozialwissenschaftlichen Methodendiskussion besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß eine explizit als solche ausgegebene normative „Theorie" auf jeden F a l l der impliziten ( = ideologischen) F o r m m i t den versteckten Werten des Geschehens i n f o r m scheinbar rein explikativer Aussagen vorzuziehen s e i 1 1 9 a .
119a Z u m Problem „Technologie v. s. normative Theorie" s. bspw. die jüngste Diskussion zwischen Staehle (73), (74), Fischer-Winkelmann (74 a) u n d Schanz (74) u n d die dort aufgeführte Literatur.
Kapitel V
Der theoretische Pluralismus in der heutigen Prüfungslehre Die A r t und Weise, wie i n zwei Standardwerken der modernen Prüfungslehre die einigen wenigen Ansätze zur Entwicklung = w i r t schaftswissenschaftlicher = Prüfungstheorien vorgestellt werden 1 2 0 , erscheint uns ein begründeter Anlaß, einige kritische Anmerkungen zur „prüfungstheoretischen" Forschungspraxis i n der Prüfungslehre zu machen. Es geht uns hier dabei nicht u m eine K r i t i k der sehr freizügigen und unreflektierten Verwendung bzw. Inanspruchnahme des Prädikates „theoretisch" i n der Prüfungslehre für irgendwelche Aussagenmengen oder u m die Abklärung der Frage nach dem Erklärungswert bzw. der wahren logischen Natur der bisherigen Versuche u m die „Schaffung einer = Prüfungstheorie = " 1 2 1 , sondern u m etwas Prinzipielles: die unkritische A r t der Präsentation bisheriger prüfungs-„theoretischer" Ansätze ist Ausfluß einer Wissenschaftspraxis i n der Prüfungslehre, die die methodische Regel des theoretischen Pluralismus 1 2 2 zum Schaden eines Erkenntnisfortschrittes auf dem Gebiete prüfungstheoretischer Forschung gründlich mißversteht. Man kann den Sachverhalt härter auch so beschreiben: i n der modernen Prüfungslehre w i r d i n der Regel weder das gepflegte Problemlösungsverhalten noch die bisher angebotenen Problemlösungen einer fundierten inhaltlichen und logischen Nachprüfung unterzogen. Für den kritischen Betrachter der Szene besteht ein Teil der prüfung.« theoretischen Forschungspraxis (soweit sie sich literarisch dokumentiert) unter anderem i n der Ausklammerung der Praxis einer k r i t i schen Auseinandersetzung m i t voneinander abweichenden Auffassungen und der Befolgung einer Regel des „muddling through" etwa des Inhalts: „Selbst ist der M a n n 1 2 2 a ! " K r i t i k beschränkt sich regelmäßig 120
Vgl. Loitlsberger (66), S. 58 ff.; v. Wysocki (67), S. 17 ff., (72), S. 20 ff. Loitlsberger (66), S. 59. 122 Vgl. dazu Popper (66), S. 18 ff., ders. (65 a), S. 119 ff., ders. (65 b), S. 215 ff., Feyerabend (63), (65 a), (65 c), A l b e r t (68), Lakatos (68), (70), Spinner (71), Schanz (73 a), Jehle (73). 121
5*
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A . V. Der theoretische Pluralismus i n der heutigen Prüfungslehre
auf Nebensächlichkeiten und w i r d behutsam, sozusagen i n Fußnoten, oder durch Nicht-Zitieren geübt. Davon überzeugt z.B. ein Blick i n die literarische Produktion der letzten zehn Jahre. Da w i r davon ausgehen dürfen, daß man auch i n der modernen Prüfungslehre unter einer theoretischen Zielsetzimg nach Erkenntnis der wirklichen Welt und somit nach Aussagen strebt, die eine möglichst große Erklärungskraft besitzen, erscheint uns das sich i n der Prüfungsliteratur zeigende Fehlen einer kritizistischen Attitüde unter den Prüfungstheoretikern als ein bedenkliches Zeichen i m Hinblick auf den Erkenntnisfortschritt. Denn man verzichtet i n der modernen Prüfungslehre (vorläufig noch) darauf, eine permanente gegenseitige K r i t i k der vertretenen verschiedenster Meinungen und Auffassungen i m Forschungsprozeß als Instrument zur Korrektur von Vorurteilen und zur Elimination falscher Theorien bzw. von erkenntnishemmenden Praktiken zu institutionalisieren. Man verzichtet also für die Prüfungslehre auf die Anwendung jener Methode, die bisher i m Laufe der Wissenschaftsgeschichte die größten Erfolge aufzuweisen hat, nämlich auf die Methode des „tentativen Lösungsversuches (oder Einfalles), der von der schärfsten K r i t i k kontrolliert w i r d " 1 2 3 . Wenn i n der Prüfungslehre das Ziel auf die Formulierung wahrer, präziser und informativer Aussagen über das Prüfungsgeschehen gerichtet ist, dann gilt es, die methodische Regel: „Versuche die theoretischen Aussagen einer möglichst strengen K r i t i k zu unterziehen!", institutionell i n der modernen Prüfungslehre zu verankern. Denn das wissenschaftliche T u n i n der Prüfungslehre ist ein i n einem sozialen Kontext eingebettetes, teilweise institutionell fixiertes Problemlösungsverhalten. Eine konkrete, aber von der modernen Prüfungslehre bedauerlicherweise bisher nicht wahrgenommenen Möglichkeit, eine Prüfungstheorie zu kritisieren, zu korrigieren (unter Bewahrung des Erkenntnisgehaltes) und eventuell zu eliminieren, ist deren Prüfung durch die Konfrontierung m i t alternativen Prüfungstheorien. Diese Überprüfungsund Fortschrittsmöglichkeit w i r d i n der modernen Prüfungslehre nicht genutzt, w e i l man sich i n einer = Theorien-Toleranz = wie MethodenToleranz übt, die letztlich jede angeblich „prüfungstheoretische Behauptung" als gleich akzeptabel erscheinen lassen 1 2 3 a . 122a
Die Replik v. Wysocki i n v. Wysocki (73) auf Fischer-Winkelmann (73 d) widerlegt nicht, sondern bestätigt vielmehr diese Feststellung. 123 Popper (62), S. 235, H. d. V. i23a Wobei m a n diesen Zustand noch als besonders w e r t v o l l betrachtet, vgl. v. Wysocki (73).
A. V. Der theoretische Pluralismus i n der heutigen Prüfungslehre
Exemplarisch sichtbar w i r d diese vom Standpunkt einer prüfungstheoretischen Zielsetzung unannehmbare, m i t einer entsprechenden Methoden-Toleranz korrespondierende, Theorien-Toleranz der heutigen Prüfungslehre bei Loitlsberger 1 2 4 . Loitlsberger präsentiert fünf verschiedene Ansätze zur Schaffung einer Prüfungstheorie, ohne sie kritisch gegeneinander abzuwägen. Jeder einzelne dieser Ansätze scheint unter dem Erklärungsaspekt gleich positiv zu sein. Dem Leser w i r d der Eindruck suggeriert, es handle sich dabei gleichsam u m einen Satz wechselseitig konsistenter Ansätze prüfungstheoretischer Konzeptionen und nicht u m heterogene und i n unterschiedlichem Ausmaß miteinander „rivalisierender" Versuche zu einer = Erklärung = des Prüfungsgeschehens. Wenn der Autor dann z. B. einen Ansatz lobt 1 2 5 , er sei sehr entwicklungsfähig und mache viele Probleme bei Prüfungen aus neuer Sicht darstellbar, dann frägt man sich, warum dieser Ansatz nicht an den = vielen Problemen = ausprobiert und so auf seine = Entwicklungsfähigkeit = getestet wird. Z u einem kritischen Selektionsverhalten wäre außerdem Loitlsberger als Verfechter des Konzepts einer reinen Prüfungstheorie (s. o.) gewissermaßen verpflichtet gewesen. Denn die Auswahl des „explikat i v besten" Ansatzes hätte näher an das Ziel der restlosen Erfassung des Untersuchungsobjekts herangeführt, wie es die Wissenschaftskonzeption einer reinen Theorie verlangt (s. o.). Ein theoretischer Pluralismus 1 2 6 i n der Prüfungslehre wie eine Theorien-Toleranz sind unter einer rein-theoretischen Zielsetzung gleichermaßen = verboten = . Denn das Konzept einer reinen Theorie prämiert i m Kerne einen theoretischen Monismus, honoriert die Abschirmung gegen eine rationale K r i t i k und inhibiert die Revision irrtümlicher Auffassungen. Bei dem i n der neueren Prüfungslehre gepflogenen Abart eines = theoretischen Pluralismus = scheinen alle prüfungstheoretischen Entwürfe quasi außer Konkurrenz miteinander zu stehen, obwohl sie den gleichen erklärungsbedürftigen Sachverhalt, nämlich Prüfungen, betreffen sollen. M i t anderen Worten gesagt: Für die Vertreter der modernen Prüfungslehre stellen die bisherigen prüfungstheoretischen Ansätze anscheinend keine Alternativen dar, von denen einer (vorläufig) den 124 Vgl. Loitlsberger (66), S. 59 ff., oder bei v. Wysocki (67), S. 17 ff.; (72), S. 20 ff. 125 Vgl. Loitlsberger (66), S. 59. 126 I m Sinne eines „simultaneos use of m u t a l l y inconsistent theories" (Feyerabend [65 a], S. 149).
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A . V. Der theoretische Pluralismus i n der heutigen Prüfungslehre
anderen vorzuziehen wäre, w e i l er eine größere Erklärungskraft als die anderen besitzt, bereits aufgedeckte Irrtümer anderer vermeidet bzw. Irrtümer aufdeckt oder Lösungen für Probleme bringt, die i n der Prüfungslehre bislang ungelöst waren. „Größere Erklärungskraft" bzw. „größere Problemlösungskapazität" bedeutet i n diesem Zusammenhang, daß von zwei i n Konkurrenz m i t einander stehenden prüfungstheoretischen Aussagen die informativere neue testbare Konsequenzen besitzt und u.a. die von der weniger gehaltvollen Hypothese „verbotenen" Ereignisse i m Prüfungsgeschehen befriedigend zu erklären vermag. Besteht die informativere Aussage strengste Widerlegungsversuchen an der Prüfungsrealität, so ist sie der weniger gehaltvollen vorzuziehen. Denn sie ist besser prüfbar, kommt der Wahrheit damit näher und eignet sich besser für Erklärungen und Prognosen des Prüfungsgeschehens bzw. für technologische Transformationen. Wenn sich unter mehreren prüfungstheoretischen Lösungsvorschlägen i n der Konkurrenz einer (momentan) als der „beste" herausstellt, so heißt das nicht, daß man damit zu einem letzten und anzweifelbaren Wissen über das Prüfungswesen vorgestoßen wäre, sondern daß er vorläufig akzeptiert wird, u m „weiter diskutiert und kritisiert zu werden" 1 2 7 . Dies gelingt nicht zuletzt am effizientesten, i n dem man sich bemüht, neue Prüfungstheorien zu erfinden, die man strengem Falsifizierungstest unterwirft, und die den bestehenden Prüfungstheorien widersprechen usw. Was w i r zuletzt angedeutet haben, basiert auf der Methode „ t r i a l and error — conjectures and réfutations" (Popper) und entspricht einem theoretischen Pluralismus, der einer zum Denken i n theoretischen Alternativen verpflichteten Methodologie der kritischen Prüfung entspringt 1 2 8 . Nachdem w i r uns der Haltbarkeit unserer Erklärungsversuche auf keinem Wissensgebiet sicher sein können, auch wenn sie alle unsere Probleme zu lösen scheinen, dann ist es u. E. sinnvoll, auch i n der Prüfungslehre die (infinite) Suche nach (möglichst „revolutionären") theoretischen Alternativen nicht abzubrechen bzw. aufzugeben, die möglicherweise besser als die bisherigen sind. Die Aufdeckung von Schwächen und die Widerlegung unserer theoretischen Konstruktionen i n der Prüfungslehre durch diesen bewußt auf Elimination von Theorien abzielenden, andererseits die Theorienproduktion anregenden Suchprozeß nach „Widersprüchen" ist jedesmal 127
Popper (62), S. 235. Die auf Popper zurückgeht u n d neben Bartley besonders v o n Lakatos, Feyerabend u n d i m deutschen Bereich von A l b e r t ausgebaut wurde. 128
A . V. Der theoretische Pluralismus i n der heutigen Prüfungslehre
ein Schritt vorwärts 1 2 9 : „Criticism of our conjectures is of decisive importance: by bringing out our mistakes i t makes us understand the difficulties of the problem we are trying to solve. This is how we come more better aquainted w i t h our problem, enable to propose more mature solutions: the very refutations of a theory — that is, of any serious tentative solution to our problem — is always a step forward that takes us nearer to the truth . A n d this is how we can learn from out mistakes 1 8 0 ." Und da die Widerlegung unserer Prüfungstheorien anhand von Erfahrungsdaten aus dem Prüfungswesen wie anhand bestätigter alternativer („widersprüchlicher") Theorien erfolgen kann, i m p l i ziert eine kritizistische Wissenschaftsauffassimg i n der Prüfungslehre eine unablässige Suche nach rivalisierenden Theorien und deren k r i t i schen Vergleich. Nur diese A r t von theoretischem Pluralismus, der i n der Prüfungslehre zur permanenten K r i t i k bestehender Theorien und der ständigen Suche nach neuen theoretischen Alternativen zwingt, und nicht die i n der heutigen Prüfungslehre dominierende und jeden Ansatz tolerierende Abart h i l f t weiter, wenn Prüfungstheorien unsere Erkenntnis über das Prüfungsgeschehen zu vergrößern i n der Lage sein sollen. Das Streben nach einer Situation einer permanenten Konkurrenz von bewährbaren Prüfungstheorien i n der Prüfungslehre ist dem Erkenntnisprogreß nur förderlich. Die explikativ-prognostische und damit auch die technologische (wie auch sozial- und ideologiekritische) Relevanz prüfungstheoretischer Aussagen steigt u m so mehr, je fundamentaler, je umfassender und je strenger bewährt die von ihnen widerlegten sind, d. h. je radikaler also die neuen (die alten widerlegenden) Aussagen das bisherige theoretische = B i l d = der Prüfungsrealität und die = gewohnte = Sicht der Dinge i m Prüfungswesen verändern und bisherige Denkgewohnheiten brechen 131 . 129 - ^ i r können an dieser Stelle nicht auf a l l die Gründe, die f ü r diese A r t von theoretischen Pluralismus unter einer explikativen Zielsetzung sprechen, oder näher auf den Konnex zwischen empirischen Gehalt, Erklärungswert, Bereitschaft zur kritischen Prüfung u n d das Approximationsmodell der Wahrheit eingehen, vgl. dazu Fischer-Winkelmann (71), (74 a); Schanz (73 a); Spinner (71) sowie die dort angegebene Literatur. 130
Popper (65 b), S. V I I , H. d. V., vgl. auch die L i t e r a t u r i n Fn. 122. Es könnte i n der Prüfungslehre die Situation eintreten, daß p r ü fungstheoretische Aussagen formuliert werden, die trotz ihres empirischen Gehaltes (noch) nicht überprüft werden können, w e i l die Schaffung der falsifizierenden experimentellen Situation vorläufig auf Schwierigkeiten stößt. Besitzen w i r i n diesem Falle die dazu alternative („rivalisierende") u n d prüfbare Theorie, die den E i n t r i t t v o n Ereignissen vorhersagt, die nach den momentan unüberprüfbaren prüfungstheoretischen Aussagen = v e r b o t e n = sind, so sind die letzteren i n d i r e k t falsifiziert u n d als die „schlechtere" A l t e r native ausgezeichnet. E i n weiteres A r g u m e n t f ü r das Prinzip eines theoretischen Pluralismus als K r i t i k u n d E n t w i c k l u n g alternativer Theorien! (vgl. Feyerabend [64], S. 349 ff.). 131
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A. V. Der theoretische Pluralismus i n der heutigen Prüfungslehre
D e r g e g e n w ä r t i g e T h e o r i e n - „ P l u r a l i s m u s " i n der P r ü f u n g s l e h r e ist l i b e r a l i n d e m Sinne, daß er j e d e m den k r i t i s c h e n D i a l o g m i t theoretischen K o n z e p t e n anderer Wissenschaftler z u m e i d e n u n d sich d a r a u f z u beschränken e r l a u b t , die eigene K o n z e p t i o n auszubauen u n d i m m e r fester u n d sicherer z u begründen. A m besten g e l i n g t dies, w e n n m a n d i e P r ü f u n g s r e a l i t ä t n u r z u r I l l u s t r a t i o n u n d S t ü t z u n g der theoretischen B e h a u p t u n g e n b e m ü h t b z w . die E m p i r i e ( z . B . d u r c h ad-hocA n n a h m e n ) i m S i n n e der eigenen T h e o r i e i n t e r p r e t i e r t . W o z u e i n solches V e r h a l t e n f ü h r t , zeigt folgendes Z i t a t : es f ü h r t z u r „ e l i m i n a t i o n of evidence t h a t m i g h t be c r i t i c a l f o r t h e defended t h e o r y ; i t l o w e r s t h e e m p i r i c a l c o n t e n t of t h i s t h e o r y a n d m a y t u r n i t i n t o a dogmatic metaphysical system"182. Ziehen w i r ein Fazit: a) A n die Stelle der herrschenden Theorien-Toleranz sollte i n der Prüfungslehre ein theoretischer Pluralismus treten, der die kritische Reflexion über die prüfungstheoretische Praxis u n d die kritische Beleuchtung ihrer Gewohnheiten u n d ihrer Probleme fördert. b) Die gegenwärtig feststellbare u n d teils als Positivum gepriesene 132 » Theorien-Toleranz trägt n u r dazu bei, daß man i n der Prüfungslehre die kritischen Auseinandersetzungen vermeidet, die aufzutreten pflegen, wenn man die Probleme prüfungstheoretischer Forschung ernst genug nimmt. Es kommt nicht darauf an, daß jeder den „theoretischen" Ansatz des anderen toleriert, indem er i h n für = auch richtig = gelten läßt, sondern darauf, daß durch kritische Reflexionen geklärt wird, welcher Ansatz (momentan) die theoretische Zielsetzung am besten erfüllt. „ A critical examination is an examination i n the light of alternatives 1 3 3 ."
132 Feyerabend (65 a), S. 149, vgl. a. ders. (63). Vgl. z. B. v. Wysocki (73), 133 Feyerabend (65 a), S. 151. „Put i n a nutshell, the methodology requires a theoretical pluralism . . . This plurality of theories must not be regarded as a preliminary stage of knowledge that w i l l at some time i n the future replaced be the ,one true theory' . . . Alternatives must . . . be developed i n such detail that problems already »solved4 by accepted theory can again be treated i n a new and perhaps also more detailed manner" (S. 149). 132a
TEILB
Forschungsstand und Forschungstendenzen i n der modernen Prüfungslehre Kapitel
I
Die Prämisse ordnungsmäßigen Verhaltens als proton pseudos prüfungstheoretischer Forschung Wenn i n der neueren ( = entscheidungsorientierten) Prüfungslehre ernsthaft eine Vergrößerung des Wissens über die Prüfungsrealität angestrebt wird, dann werden unter dieser ( = theoretischen) Zielsetzung wahre Aussagen inform von gehaltvollen Allsätzen über strukturelle Zusammenhänge i n diesem Realitätsausschnitt gesucht. I n der Prüfungslehre benötigen w i r für befriedigende Erklärungen individueller Tatbestände i m Prüfungswesen (historischer Zustände, Ereignisse, Abläufe) wie zur Erklärung empirisch feststellbarer Regelmäßigkeiten Realtheorien. Das sind Systeme empirisch überprüfbarer (überprüfter), implikativ miteinander verknüpfter nomologischer Aussagen. Eine entscheidende Voraussetzung für das Funktionieren dieses „Suchprozesses" nach praktikablen Prüfungstheorien ist die intersubjektive Überprüfbarkeit der gefundenen Aussagen. Dies involviert, daß prüfungstheoretische Aussagen werturteilsfrei formuliert sein müssen. Unter einem prüfungstheoretischen Forschungsziel kann über das Prüfungsgeschehen nur gesagt werden, „wie es ist, nicht wie w i r möchten, daß es wäre" 1 . Offen oder verborgen i n = theoretischen = Aussagen über die Prüfungsrealität enthaltene Werturteile behindern die Gewinnung objektiver Erkenntnis und erlauben es nicht bzw. nur auf beschwerlichen Umwegen festzustellen, ob das theoretische Wissen über das Prüfungswesen Fortschritte gemacht hat 2 . 1
Rieger (64), S. 81, 44. Z u r Werturteilsproblematik i n der Betriebswirtschaftslehre, insbesondere zu den miteinander verflochtenen definitorischen, logischen, methodologischen Dimensionen vgl. Fischer-Winkelmann (71), S. 100 ff., (74 a), Chmielewicz (70 a); Ruffner (70); Schanz (72) u n d die dort angegebene Literatur. 2
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B. I. Die Prämisse ordnungsmäßigen Verhaltens als proton pseudos
Als „ideologisch" pflegt man i n der neueren Erkenntniskritik solche = theoretische = Aussagen zu bezeichnen, die ihrer äußeren sprachlichen Form und dem i n ihnen ausgedrückten Sinne nach sich als echte theoretische Sachaussagen geben, die aber a-theoretische, nämlich verborgene normative Bestandteile enthalten 3 . Der wahre normative Charakter dieser krypto-normativen Aussagen (wie sie auch noch genannt werden), w i r d meist nicht ohne weiteres entdeckt, w e i l i n ihnen kognitive und normative Elemente so miteinander verwoben sind, daß man diese Aussagen prima facie als rein kognitive ( = theoretische) zu akzeptieren bereit ist, und w e i l für sie ein Erkenntnisanspruch reklamiert wird. Wenn w i r hier i n diesem Kapitel oder an anderen Stellen dieses Buches das Prädikat »ideologisch' für die Klasse prüfungs-„theoretischer" Aussagen krypto-normativer Natur verwenden, so ist diese Kennzeichnung nicht i n einem moralisch-abwertenden Sinne zu verstehen. Sie signalisiert lediglich, daß die betreffenden Aussagen m i t einer empirisch-prüfungstheoretischen Zielsetzung inkompatibel und erkenntnishinderlich sind! Denn die Frage, ob ideologischen Aussagen i n der Prüfungslehre nicht nur das Prädikat „faktisch-wahr" abgesprochen wird, sondern sie weiter auch als „unmoralisch" zu bezeichnen sind, ist hier nicht zu entscheiden. Es ist ein raetawissenschaftlichdefinitorisches Problem, dessen Lösung für den weiteren Verlauf unserer Diskussion sekundär ist. W i r überlassen die Entscheidung dem Leser. A u f die m i t einer theoretischen (und auch einer prüfungstechnologischen) Zielsetzung i n der Prüfungslehre selbstgesteckten Grenzen der Forschungsaktivitäten i m Sinne einer Abstinenz vor Bewertungen und Versuchen der Steuerung des Verhaltens i m Prüfungswesen nochmals hinzuweisen, erschien uns wichtig, da w i r uns diesem Abschnitt m i t einer Forschungsattitüde i n der modernen Prüfungslehre beschäftigen werden, die das i n der Literatur erkennbare Problemlösungsverhalten deutlich prägt und die u. E. die Verwirklichung eines (prüfungs-) theoretischen Wissenschaftsprogramms bis heute nachhaltig m i t bewenn nicht gar verhindert hat. U m das Ergebnis unserer folgenden kritischen Bestandsaufnahme vorweg zu einer Vorinformation anzudeuten: es handelt sich u m einen die bisherigen prüfungs-theoretiscTien Aussagen ideologisierenden „Defekt" i m Forschungsbetrieb i n der modernen Prüfungslehre, der i m Schrifttum 4 bisher weder beschrieben noch kritisiert worden ist. 8 Geiger (68), S. 58 spricht von „para-theoretischen Aussagen", zur K r i t i k an der Ideologieauffassung Geigers aus kritizistischer Perspektive vgl. z . B . A l b e r t (68), S. 80 ff.
B. I. Die Prämisse ordnungsmäßigen Verhaltens als proton pseudos
Ursächlich für diesen „Defekt" ist unserer Ansicht nach, daß i n der Prüfungslehre die regulative Funktion eines kritizistischen Problemlösungsverhaltens i m Wissenschaftsbetrieb noch nicht entdeckt bzw. zu schätzen gelernt wurde. Kritische Reflexionen über die Voraussetzungen und Annahmen, die der prüfungstheoretischen Forschung zugrunde liegen, und über die Regeln, Konventionen und Kriterien, die i n der prüfungstheoretischen Forschungsarbeit — oft unbewußt — befolgt und angewendet werden, hätten u. E. die sich aussagesteuernd auswirkende existentielle Befangenheit der Prüfungstheoretiker i m deutschen Prüfungswesen (vornehmlich Wirtschaftsprüfungswesen) und die daraus entspringende a-theoretische Forschungsperspektive bald ans Licht gebracht: durchgängig ist i m Schrifttum feststellbar, daß die als prüfungstheoretisch ausgegebenen Ansätze am Verhaltensleit- und Wunschbild eines fiktiven „sich-immer-und-überall-ordnungsgemäßverhaltenden-Prüfers", vor allem „des (deutschen) Wirtschaftsprüfers" orientiert sind 5 . Diese Ausrichtung prüfungs-„theoretischer" Aussagen steht zwar i m Einklang m i t einer traditionellen Übung i n der Prüfungslehre (nicht nur i m deutschsprachigen Bereich) seit deren Anfängen. Sie läßt sich aber m i t einer explikativen Zielsetzung für das Wissenschaftsprogramm nicht vereinbaren. I n der Prüfungsliteratur w i r d eine aus bestimmten, bspw. i m = Pflichtenkodex des (deutschen) Wirtschaftsprüfers" oder i n den Aufgaben der Internen Revision enthaltenen bzw. hineininterpretierten Vorstellungen über erlaubtes und verbotenes T u n i m Prüfungswesen konstruierte Idealfigur des „Prüfers" (offen oder verdeckt) zu einer Grundannahme und zum Bezugspunkt der = theoretischen = Kommentierung des Prüfungsgeschehens gemacht. Damit ist die zur Produktion (berufs-)ideologischer Aussagen geradezu prädisponierende Sicht des Prüfungswesens bezogen und die explikative Fragestellung verlassen. „Theoretische Analyse" w i r d i n der modernen Prüfungslehre regelmäßig als „(normative) Aufgabenanalyse" mißverstanden 6 . Die = Verifizierung = der daraus resultierenden (berufs-)ideologischen Produkte vollzieht die Literatur teils — um es bewußt überspitzt auszudrücken 4 Außer i n den Arbeiten des Verfassers, vgl. bspw. Fischer-Winkelmann (72 a), (73 d); (74 d). 5 Vgl. unter diesem Aspekt z . B . die Arbeiten v o n Loitlsberger (53), (66), (68); Härle (66), (67); Z i m m e r m a n n (54); K o l a r i k (64); Richter (64); Leffson/ L i p p m a n n / Baetge (69); Schettler (71); Schulte (70); Grünefeld (72). Besonders deutlich ist diese versteckt-wertende „funktionale" Betrachtungsweise i n den Arbeiten über die sog. „ I n t e r n e Revision" zu verspüren (ein Gebiet, das von der = T h e o r i e = i n der Prüfungslehre bislang n u r kursorisch behandelt wird), vgl. bspw. B l o h m (57); B l o h m / Brenneis (64); B r i n k / C a s h i n (62); Breng (55); Lehmann (66); Petersen (55); B a l l m a n n (62), (67); B r i m b e r g (62), Proksch (59), Ronneberger (64) u. a.
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— nach dem Morgensternschen Motto: „Was nicht sein darf auch nicht sein kann!" Als exemplarischen, w e i l besonders augenfälligen Fall für diese A r t einer Bewährung = theoretischer = Aussagen über das Prüfungswesen sei auf die literarischen Äußerungen zum absatzpolitischen Verhalten i m Prüfungswesen verwiesen, i n denen Honorarordnungen und interpretationsbedürftige Berufsgrundsätze bzw. -pflichten zur = Deduktion = wie zur = Verifikation = der Aussagen herangezogen, de facto aber nur als Tatsachenbehauptungen getarnte Werturteile gefällt werden 6 . Unter einer = ökonomischen = Betrachtungsweise betriebene Versuche i n der Prüfungslehre 7 , Honorarordnungen theoretisch eine analoge Wirkung nachzuweisen wie sie die neoliberale Wirtschaftsideologie dem Konstrukt des freien Marktes zuschreibt, führen wie jede Apologie empirischer Sachverhalte nicht zu explikativen Aussagen, sondern zu Ideologien. Die unter einer kognitiven Zielsetzung für die Forschungsbemühungen grundlegende Fehlorientierung der Wissenschaftspraxis i n der heutigen Prüfungslehre r ü h r t daher, daß Wissenschaftler i n Verkennung der einem Theoretiker gezogenen Grenzen es fälschlicherweise als ihre Auigabe betrachten darzulegen, wie denn „ordnungsmäßiges" oder „pflichtgemäßes Verhalten" i m Prüfungswesen auszusehen habe, bzw. daß sie meinen, das tatsächliche Geschehen unter dem Aspekt „ordnungsmäßiges Verhalten" interpretieren zu müssen. Stellungnahmen und Verhaltensforderungen werden so m i t theoretischen Sätzen verwechselt! Warum „ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen" als die Verhaltensprämisse und axiologisches A x i o m der theoretischen Erforschung des Prüfungswesens statt zu Erklärungen zu Bewertungen des sozialen Geschehens i m Prüfungswesen führt, w i r d klar, wenn man die Formel „ordnungsmäßiges Verhalten" logisch betrachtet. Diese Formel gehört zu der Klasse pseudo-normativer Leerformeln, die umgangssprachlich bereits zwar einen positiven Wertakzent, aber keinen deskriptiven Gehalt, d.h. keine deskriptive Sinnkomponente besitzen 8 . Der fehlende Normgehalt dieser Formel gestattet es nicht 6 Vgl. z.B. Loitlsberger (66), insb. S. 22ff., 40ff.; v. Wysocki (67), insb. S. 200ff.; L e f f s o n / L i p p m a n n / B a e t g e (69), insb. S. 15 ff.; Selchert (71); Schettler (71), insb. S. 27 ff.; Richter (64); Seicht (65); B r a n d l / B l e y e r (68) u n d andere. 7 Wie der Richters (64), S. 36 ff., zur K r i t i k siehe Fischer-Winkelmann (72 a), S. 660 ff. u n d T e i l B, K a p i t e l V I I I dieser Arbeit. 8 Z u r Unterscheidung einer deskriptiven (neutralen) u n d einer normativen Sinnkomponente, des Sachgehalts u n d des Wertcharakters von Wertausdrücken siehe K r a f t (51), S. 12 u. passim.
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bspw. festzustellen, welche faktisch möglichen oder denkbaren Verhaltensweisen i m Prüfungswesen als verboten oder welche als erlaubt anzusehen sind. Jedes Verhalten eines Einzelnen oder von Gruppen sind m i t dieser Formel widerspruchslos vereinbar. Unter einem „ordnungsmäßigen Verhalten i m Prüfungswesen" kann jeder das verstehen, was er gerne darunter verstehen möchte; seine Behauptungen sind logisch wie empirisch unwiderlegbar. Denn aus dieser Formel läßt sich jede beliebige und zugleich keine Verhaltensannahme bzw. -forderung deduzieren! Das bedeutet aber auch, daß jede inhaltliche und als umfassende theoretische Aussage ausgegebene A u f füllung dieser Formel nichts anderes als Implikationen einer willkürlichen Entscheidung der betreffenden Wissenschaftler sind, die sich einer intersubjektiven Nachprüfung entziehen. Eine bestimmte Definition ordnungsmäßiges Verhalten* als allgemeingültig i n der Prüfungslehre zu akzeptieren, heißt sich m i t der darin steckenden Weltanschauung zu identifizieren! Wenn man den Leerformelcharakter des Ausdrucks „ordnungsmäßiges Verhalten" berücksichtigt, dann erscheint die Wahl „ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen" als des umfassenden Axioms theoretischer Forschung und als Basis zur Ableitung theoretischer Aussagen i n der Prüfungslehre als ein irreführender Ansatzpunkt. Denn es ist ein grundlegender Satz der Logik, daß durch Deduktionen niemals mehr an Gehalt gewonnen werden kann als i n den Ausgangssätzen bereits enthalten ist. Die von Topitsch 9 bei einer Untersuchung der Leerformelproblematik gezogene Parallele zu Taschenspielerkunststücken liegt nahe, wenn von der theoretischen Richtung i n der Prüfungslehre prinzipiell „ordnungsmäßiges Verhalten" m i t dem faktischen Verhalten i m Prüfungswesen identifiziert und über eine Prüfungs-„theorie" i n die Wirklichkeit projiziert wird. Denn diese Identifizierung von Sein und Sollen i m Prüfungswesen ist nur dann möglich, wenn man die entsprechenden (persönlichen) Sollensvorstellungen von einem ordnungsmäßigen Verhalten i m Prüfungswesen zuerst i n die Leerformel hineinpraktiziert, u m sie dann mittels einer schlechten Logik wieder hervorzuholen. „Schlecht" ist diese i n der Prüfungslehre gepflogene Logik wegen des Zirkelschlusses und w e i l diese Gleichsetzung von (in einem bestimmten Sinne) ordnungsmäßigen Verhalten m i t dem faktischen Verhalten i m Prüfungswesen auf eine Bewertung und nicht auf eine Erklärung des Geschehens hinausläuft und somit gegen ein Hauptprinzip der Logik präskriptiver Sätze verstößt: ein Werturteil kann nur dann abgeleitet 9
Vgl. Topitsch (60), S. 237.
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werden, sofern in den Prämissen nicht wenigstens eine Norm ist 1 0 .
enthalten
Man muß sich als Theoretiker i n der Prüfungslehre darüber i m klaren sein, daß die Verwendung der Formel „ordnungsmäßiges Verhalten" darüber entscheidet, welches Sprachspiel unter dem Namen „Theorie" faktisch betrieben w i r d . Wenn unter einer theoretischen Zielsetzung jegliche Beurteilung der „Ordnungsmäßigkeit" des Verhaltens i m Prüfungswesen = verboten = ist, so besagt das aber nicht, daß solche leeren, wertbehafteten und emotional aufgeladenen Formeln i m Prüfungswesen keine realen Auswirkungen hätten und z. B. zur Rechtfertigung gesetzgeberischer Maßnahmen, zur Durchsetzung von „Standesinteressen" (eine weitere klassische Leerformel) oder zur Verbrämung von Eigeninteressen der m i t solchen Formeln Argumentierenden nicht wirkungsvoll eingesetzt werden könnten bzw. nicht eingesetzt wurden. I h r Gebrauch, nicht zuletzt inform der »pseudo-objektiven Deutungsversuche i n der Prüfungsliteratur, und die damit erzielten Wirkungen i m Prüfungswesen sind vielmehr empirische Phänomene, die das Interesse der Forscher verdienen würden, das sie aber bisher wegen deren Befangenheit i n „Ordnungsmäßigkeitsvorstellungen" noch nicht erringen konnten. Diese Formeln bzw. die m i t ihrer Hilfe formulierten Verhaltensmaximen zählen zu den Wertungen i m Untersuchungsbereich der Prüfungslehre. I h r Einfluß auf die praktischen Einstellungen und Verhaltensweisen sind theoretischen Analysen keineswegs entzogen. Man darf aber als Theoretiker nicht der Versuchung erliegen und i n den Fehler verfallen, die Formel „ordnungsmäßiges Verhalten" zur Wertprämisse des Aussagesystems (im logischen Sinne) zu erheben und z.B. durch i m Prüfungswesen vorgefundene Ordnungsmäßigkeitsvorstellungen zu substantiieren und diese höchst subjektive Selektion und Auffüllung i m pars-pro-toto-Verfahren als das Ganze des Erfahrbaren auszugeben. Weder i n explikativer noch i n technologischer Form gibt dem Theoretiker seine Wissenschaft „Prüfungslehre" das Recht, vom bloßen Konstatieren der unterschiedlichen Vorstellungen über „ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen" abzugehen, eine als die allein = richtige = hinzustellen und so irgendeine Lösung der moralischen Problematik ordnungsmäßigen Verhaltens für die i m Prüfungswesen tätigen Menschen verpflichtend zu machen. Wer i n vorgeblich theoretischen Ansätzen (d. h. m i t Anspruch auf wissenschaftliche Erkenntnis und Objektivität) Ordnungsmäßigkeits10 A u f diesen Sachverhalt hat vor Hare (49), (52) bereits Jörgensen (37) h i n gewiesen.
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Vorstellungen über das Prüfungswesen entwickelt, w i r d zum Ideologen resp. Politiker, der i n pseudo-kausalen Analysen politisch-programmatische Vorstellungen über das Prüfungswesen entwirft. Für jeden Wissenschaftler jedoch, der die Spielregeln einer empirischen Wissenschaft für rationale Argumentationen schätzen gelernt hat, ist eine solche methodische Praxis nicht annehmbar. Über eine pseudo-objektive Analyse der Realität kann man i n der Prüfungslehre i m vornherein nicht hinausgelangen, wenn das persönliche Interesse an einem „ordnungsgemäßen (pflichtgemäßen) Verhalten" die Wissenschaftler dazu verleitet, die zur Ausfüllung der leeren Formel notwendige(n) Norm(en) i n Begriffe zu verankern, und dieses Interesse so die = theoretischen = Aussagen normativ präformiert. Wenn das jeglichen explikativen Absichten widerstreitende Vorurteil für „berufswürdiges" Verhalten i m Prüfungswesen Wissenschaftler bspw. dazu verführt, das i m Interesse der Urteilsobjektivität erhobene Postulat der Unabhängigkeit der Prüfer zum konstituierenden Merkmal des Prüfungsbegriffes zu machen 11 bzw. die Beachtung von Berufsgrundsätzen wie der Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit usw. zu Bestandteilen des Definiens von ,Treuhandbetrieb 1 oder ,Prüfungsunternehmimg 4 zu erheben 12 , dann sind alle die mithilfe dieser Begriffe konstuierten = theoretischen = All-Aussagen über das Geschehen i m Prüfungswesen nichts anderes als krypto-normative Urteile. Dieses Versteckspiel von Wertprämissen i n Begriffe ist ein altes Erbübel der wirtschafts-theoretischen Forschung. Durch die eben beschriebene Kombination von Definition und Werturteil ist i n der Prüfungslehre der intendierte Erkenntnisprozeß vor Beginn der eigentlichen Analyse des erklärungsbedürftigen Geschehens sprachlich normativ bereits so vorentschieden, daß dem Forschungsprozeß theoretische Resultate nicht mehr entspringen können. I n der Prüfungstheorie w i r d so das Muster einer i n normativen Sinne idealen Veranstaltung, d.h. eine „Recht und Ordnung" entsprechend gestaltete Prüfung nur als die Prüfung i m eigentlichen Sinne anerkannt und als Faktum i n die Prüfungswirklichkeit hineinverlegt. Der i n der modernen Prüfungslehre dominierende implizite Gebrauch „ordnungsmäßigen Verhaltens" als pseudo-objektiver Forschungsprämisse führt bspw. dazu, daß der „Grundsatz ordnungsmäßiger Prüfungsdurchführung und die Haftungsbestimmungen" 13 zu 11
v. Wysocki (67), S. 7; (72), S. 8 f.; Egner (70), S. 773. Vgl. Loitlsberger (66), S. 212 ff. (einschließlich der Fußnoten), oder L e f f son / L i p p m a n n / Baetge (69), S. 15 ff.; Schettler (71), S. 22 ff.; Selchert (71). 18 Loitlsberger (66), S. 95 bzw. 84. 12
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„Wirtschaftlichkeitsfaktoren der Prüfung" 1 3 , Prüfer zu durch Prüfungsordnungen determinierten (ausschließlich fremdbestimmten) Elementen der Prüfung degradiert 1 4 und normative Zwänge als faktische Zwänge oder faktisches Müssen hingestellt werden. Die i n (kodifizierten und nicht-kodifizierten) gruppenspezifischen Normen wie Berufsgrundsätzen, Standesregeln usw. formulierten Grenzen und Einengungen des jeweils möglichen Aktionsspielraumes zu akzeptieren bzw. zu respektieren w i r d i n der heutigen Prüfungslehre nicht als eine denkbare Möglichkeit des Verhaltens, sondern als die Verhaltensattitüde schlechthin i m Prüfungswesen begriffen. Wie sehr das Erkenntnisinteresse i n der Prüfungslehre durch den Bezugspunkt „ordnungsmäßiges Verhalten" gelenkt und so die W i r k lichkeit selektiv zugunsten dieses Erkenntnisinteresses und damit ideologisch interpretiert wird, sieht man auch daran, daß neben den eben angedeuteten Normen i n der modernen Prüfungslehre i n den = theoretischen = Ansätzen keine anderen sozialen Normen oder gar individuelle Wert- bzw. Zielvorstellungen der i m Prüfungswesen Tätigen eine handlungsbestimmende Rolle spielen, obwohl sich davon i n einer theoretischen Analyse nicht abstrahieren läßt. Man kann nicht die einzelnen i m Prüfungswesen tätigen Menschen als eigene Träger von Interessen und ganz individueller Maximen für das eigene Verhalten und von Erwartungen über das Verhalten anderer sowie das Phänomen der sozialen Willens- und Entscheidungsbildung mit ihren inhärenten konfliktären Elementen i m Prüfungswesen als Problemfaktoren einfach ausklammern, wenn ernstlich Erklärungen für das faktische Geschehen i m Prüfungswesen, d. h. Theorien gesucht werden. W i r wollen darauf noch i m vorletzten Kapitel dieser Arbeit zu sprechen kommen. Man muß kein Prophet sein, u m der Prüfungslehre vorherzusagen: Solange i n der modernen (entscheidungsorientierten) Prüfungslehre ein von Ordnungsmäßigkeitsvorstellungen geprägtes Problemlösungsverhalten vorherrscht und das Problem des (individuellen bzw. sozialen) normativen Rahmens menschlichen Verhaltens i m Prüfungswesen i n der Exegese und Anwendung (nationaler) berufsständischer Normen 1 6 als = theoretisch = erschöpfend gelöst betrachtet wird, bleibt das Problem der Existenz überindividueller wie individueller Normen als Einflußfaktoren des Geschehens i m Prüfungswesen ungelöst und brauchbare theoretische Aussagen i n weiter Ferne.
14 Vgl. Loitlsberger (53), S. 20 ff.; v. Wysocki (67), S. 27 ff., 208, (72), S. 29 ff.; Selchert (71), S. 29 ff. oder Schulte (70), S. 32 ff. 15 Deren Operabilität bisher niemand i n der Prüfungslehre hinterfragte.
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Es dürfte einleuchten, daß das Kunstprodukt eines „sich-immer-undüberall-rollengemäß-verhaltenen-Prüfers" 16 theoretisch unfruchtbar ist und eine als eine A r t „Rollenanalyse" 1 7 betriebene Prüfungstheorie inform einer Theorie konformistischen Prüferverhaltens ohne explikative Bedeutung ist, weil die Persönlichkeitsfaktoren und die Tatsache ignoriert wird, daß eine bestimmte Rolle = Prüfer = nur ein mögliches Verhalten, d. h. „erlaubte" Verhaltensspielräume i m Prüfungswesen beschreibt. Prüfer verhalten sich aber nicht stets rollengemäß! Ein Prüfer ist nicht ein „Mann ohne Eigenschaften" 18 , dessen Verhalten sich einfach m i t irgendwelchen sozialen Normvorschriften gleichsetzen bzw. über diese Identifizierung erklären ließe. Er ist kein bloßes Funktionswesen ( = A u f gaben Vollstrecker), dessen persönliche Spontaneität sich i n A n passungsleistungen an seine von außen an ihn herangetragenen „Funktionen" ( = Aufgaben) erschöpfen und das keine eigenen (und z.B. m i t ihn betreffenden sozialen Normen inkompatiblen) Zielsetzungen entwickeln und verfolgen würde usw. U m Mißverständnissen vorzubeugen: Unsere K r i t i k bedeutet nicht, daß man sich i n der Prüfungslehre unter einer prüfungstheoretischen Zielsetzung nicht m i t Rollen wie der des „(deutschen Wirtschafts-) Prüfers" oder „Innenrevisors" bspw. als sozialer Größe beschäftigen dürfte oder könnte. Denn man ist ja als Prüfungstheoretiker keineswegs zu der Annahme gezwungen, Prüfer würden sich ohne Ausnahme rollenkonform verhalten. U. E. wäre es interessant zu wissen, unter welchen Bedingungen z. B. bei Prüfungen m i t rollenkonformen oder rollenwidrigen ( = „abweichendem" = ) Verhalten zu rechnen ist. Es mag ein Wissenschaftler die i n gesetzlichen, i n berufsrechtlichen Regelungen oder i n irgendwelchen Grundsätzen der Berufsausübung als Standesregeln enthaltenen Vorstellungen über das Sein-Sollen i m Prüfungswesen als bejahenswert empfinden. Es mag i h m die strikte Beachtung von = Recht und Ordnung = i m Prüfungswesen als „selbstverständlich", „rational", „einzig vernünftig" usw. erscheinen und für ihn die bedingungslose Pflichterfüllung eine gerade i m Prüfungswesen 16 Die von Prüfungen i n ihren Interessen u n - bzw. m i t t e l b a r tangierten Personen wie z. B. die Geprüften werden i n der Prüfungslehre n u r „ e r w ä h n t " , das Interesse konzentriert sich vornehmlich auf den Prüfer. 17 M i t „Rollenanalyse" meinen w i r hier nicht den Fall, daß i n der P r ü fungslehre eine neutrale Beschreibung von empirischen Rollenvorschriften versucht u n d zu erfahren getrachtet w i r d , welche faktischen Auswirkungen sie auf das (individuelle bzw. kollektive) Verhalten haben, sondern den Fall, daß Wissenschaftler ein bestimmtes Verhaltensleitbild des Prüfers präferieren u n d zur Bezugsbasis ihrer = theoretischen = Interpretation des P r ü fungswesens machen. 18 Dahrendorf (64), S. 27.
6 Fischer-Winkelmann
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besonders hoch zu schätzende Tugend sein. Doch darf dieses persönliche Interesse an einem = ordnungsmäßigen Verhalten = i m Prüfungswesen i h n i n seiner Eigenschaft als Theoretiker nicht zur Abspiegelung von Ordnungsmäßigkeitsvorstellungen i n als „theoretisch" ausgegebenen Aussagen auf das Prüfungswesen und zu der Behauptung verleiten, das skizzierte normenkonforme Verhalten — das er sich wünscht — konterfeie die Wirklichkeit: Mehr als Wunschbilder, Bilder einer denkbaren idealen (Prüfungs-)Welt erhält man durch solche von bestimmten Ordnungsmäßigkeitsvorstellungen ausgehenden Deutungen der Vorgänge i m Prüfungswesen nicht. Wer ernsthaft i n der Prüfungslehre die Auffassung vertreten möchte, daß sich i n Standesregeln, Berufsgrundsätzen oder i n den Verlautbarungen von Berufsverbänden des Prüfungswesens die individuellen Vorstellungen der einzelnen Mitglieder der Berufsorganisationen adäquat oder zumindest approximativ widerspiegeln, erliegt einer für alles Mögliche, aber nur nicht für theoretische Zwecke geeigneten Repräsentationsfiktion. Bedient man sich als Prüfungstheoretiker dieser Fiktion und läßt so über das Prüfungswesen entwickelten Ordnungsmäßigkeitsvorstellungen eine logisch widersinnige explikativ-normative Doppelaufgabe zukommen, argumentiert man interessenorientiert und vermittelt m i t seiner „Theorie" Ideologien. Das ist einfach zu beweisen. Denn nur mithilfe der aus der W i r t schaftswissenschaft bekannten „kommunistischen Fiktion" (Myrdal) oder eines sozialen Induktionsmechanismus lassen sich widerstreitende bzw. indifferente Zielvorstellungen, d. h. die einer verschiedenen Sinngebung des Lebens entsprechenden Präferenzordnungen der Organisationsmitglieder „Prüfer" auf eine gemeinsame (kollektive) Präferenzskala transformieren und ein = gemeinsamer = Wille der Organisationsmitglieder fingieren, über den dann als Normen formulierte politische Entscheidungen einzelner Mitglieder als Interpretationen des gemeinsamen Interesses der davon Betroffenen legitimiert werden können. Die Berufsverbände sind aber keine Entscheidungs- oder Handlungseinheiten, keine sozialen Organisationen m i t quasi naturgegebener Interescenkonvergenz der Mitglieder, und auch nicht von sozialen Konflikten verschont — auch wenn für die „Öffentlichkeit" i n der Verbandsarbeit ein anderes B i l d gezeichnet werden mag. A n solchen „ b u i l t - i n sources of conflict" 1 9 wie z. B. der fehlenden einheitlichen Präferenzskala der Mitglieder der i n Berufsverbänden organisierten Gruppe „Prüfer" kann ein haltbarer Erklärungsversuch heute ebensowenig vorbeigehen wie an einem Konflikt-„Modell" für Prü19
K a h n / Wolfe / Quinn / Snoek (64), S. 99.
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fungsbetriebe. Daß irgendwelche Berufsverbände, präziser ihre jeweiligen Sprecher, über ein = gemeinsames = Interesse die divergierenden Interessenlagen der Mitglieder adäquat zu interpretieren und an deren Stelle in deren Sinne Entscheidungen beurteilen bzw. zu treffen i n der Lage seien, die für jeden Einzelnen gleich akzeptabel seien, ist eine illusionäre, wenn auch politisch bzw. ideologisch recht brauchbare Idee 20 . Selbst wenn sich alle Mitglieder der Gruppe „Prüfer" rational verhalten und einen Mehrheitsentscheid für sich als bindend ansehen wollten, wäre es z.B. nicht möglich, eine rationale, d.h. hier eine transitive Präferenzordnung der Gruppe „Prüfer" aufzustellen 21 . Nach dem bisher Gesagten w i r d i n der Prüfungslehre der falsche Ansatz zu einer realwissenschaftlichen Behandlung des Problemkreises „Interne Revision" gewählt, wenn die Analyse sich unter anderem auf die publizierten Ansichten des Instituts für Interne Revision über die Aufgaben der Internen Revision oder des Institute of Internal Auditors über das = umfassende = Ziel der Internen Revision (!) bzw. Literaturauffassungen stützt 2 2 . Diese publizierten Ansichten der Institute usw. über die Aufgaben der Internen Revision sind Werturteile i m Untersuchungsbereich der Prüfungslehre. U m aus diesen i n der Prüfungslehre irgendwelche Stellungnahmen, Entscheidungen oder Empfehlungen ableiten zu können, müssen die Wissenschaftler zu Methoden und Schlußverfahren greifen, die einer K r i t i k nicht standzuhalten vermögen. Symptomatisch für die A r t der bisherigen wissenschaftlichen Behandlung der Innenrevision ist z. B., daß i n den Untersuchungen nicht nach den Zielvorstellungen der Innenrevisoren gefragt w i r d und deren Entscheidungen nicht von theoretischem Interesse zu sein scheinen, sondern daß ihnen Ziele (Aufgaben) von der Prüfungslehre gesetzt, vorgegeben werden und ihr Verhalten funktional vom Unternehmensgesamt her analysiert, d. h. aus der Sicht der „Unternehmensleitung" her einer Zweckmäßigkeitsbeurteilung unterzogen w i r d 2 3 . 20 Vergleichbar der Meinung, der „ V o l k s w i l l e " ließe sich durch den Gesetzgeber oder durch irgendwelche Rechtssprechungsorgane adäquat repräsentieren oder deuten. 21
Es sei an das bekannte A r r o w - P a r a d o x o n erinnert, vgl. A r r o w (51). Vgl. bspw. v. Wysocki (67), S. 165 ff., (72), S. 190 ff., der sich auf folgende Publikationen bezieht: Institute für Interne Revision e.V. (59), Institute of I n t e r n a l Auditors (58), (69); vgl. a. B r i n k / Cashin (62), S. 20 ff. Vgl. zu diesem Problemkreis das letzte K a p i t e l unserer Arbeit. 23 A u f einen P u n k t ist i n diesem Zusammenhang hinzuweisen. Die I n terne Revision ist ein A b s t r a k t u m u n d k a n n als solche weder Träger noch Subjekt von Wertungen sein, handeln etc. Diesem A b s t r a k t u m Entscheidungs- u n d Handlungsfähigkeit zuzuschreiben, wie dies i n der L i t e r a t u r geschieht, verschleiert die Realitätsferne der Analysen u n d sichert den Zweckmäßigkeitsüberlegungen den Schein des Objektiven. 22
6*
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Auch wenn ein spezieller normativer institutioneller Rahmen für das Geschehen i m Prüfungswesen auffindbar ist, so bleibt i n der Prüfungslehre — sofern die Analyse bei diesem Gerüst sozialer Normen ansetzt — immer zu berücksichtigen, daß das zu erforschende Verhalten unter diesem Aspekt immer nur ein mögliches Verhalten darstellt. Dies gilt auch für den F a l l rationalen Verhaltens i n der Wirklichkeit. Denn dann hängt die Befolgung dieser speziellen Normen davon ab, ob sie der Handelnde internalisiert hat und ob i n konkreten Entscheidungssituationen ein normgemäßes Verhalten m i t höherwertigen Werten des Handelnden i n K o n f l i k t geraten würde oder nicht. Bewußtes Zuwiderhandeln gegen Berufsgrundsätze i m Prüfungswesen bspw. generell als „nicht-rational" zu kennzeichnen, enthielte ein Werturteil, das über eine (spezielle) Definition nationalen Handelns' = erschlichen = werden müßte. Denn bewußtes Zuwiderhandeln gegen soziale Normen i m Prüfungswesen besagt doch nur, daß der Einzelne sie i m konkreten Falle nicht als für sich verbindlich ansieht und er durch bewußtes Übertreten von Verhaltensvorschriften eventuelle bei der Entdeckung ausgelöste negative Sanktionen (wie z. B. zivil-, strafrechtlicher und berufsrechtlicher Art) nicht fürchtet und sie bei seiner Entscheidung für eine „verbotene" Verhaltensweise bereits m i t i n seinen K a l k ü l einbezogen hat. Der bewußte Verstoß gehört i n diesem Falle zur Wahl des geeignetsten Mittels, zu welchem Zweck auch immer. Ein vorsätzliches Z u w i derhandeln gegen (bestimmte) soziale Normen i n der Prüfungslehre „nicht-rational" zu nennen, zeigt nur, daß der Urteilende die i n Frage stehenden Normen persönlich als bejahenswert empfindet bzw. sich von den Sanktionsandrohungen von einem Zuwiderhandeln abschrekken ließe und daß er mithilfe der Wertung „rational" i n diesem Sinne Handlungen i m Prüfungswesen vorentscheiden möchte. Das vom die Wirklichkeit entproblematisierenden und ideologisierenden Interesse an der Einhaltung von „Recht und Ordnung" beherrschte Problemlösungsverhalten der Prüfungstheoretiker i n der neueren Prüfungsliteratur — die damit eine Tradition der älteren Richtung fortsetzen — hat paradoxerweise dazu geführt, daß der spezielle normative Rahmen sowie die übrige soziale Raum als Einflußfaktoren des Prüfungsgeschehens i n seiner Bedeutung für eine praktikable Prüfungstheorie noch gar nicht entdeckt worden ist. Die Beschäftigung m i t der idealen Welt eines „ordnungsmäßigen Verhaltens" i m Prüfungswesen hatte zudem den unbestreitbaren Vorzug, die Analysen zu erleichtern. Das menschliche Handeln i m Prüfungswesen braucht nicht mehr als Problemfaktor m i t all seinen moti-
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vationellen Verkettungen und Verursachungen in der Prüfungs-„Theorie" sozusagen mitgeschleppt werden. Der Mensch w i r d i n der gegenwärtigen Prüfungslehre einzig i n der Eigenschaft als Adressat von Verhaltensweisungen bzw. -empfehlungen benötigt. Verschwindet so der Mensch als Problemfaktor bereits vom Ansatz her von der Bühne der Prüfungs-„Theorie", dann sind i n der Prüfungslehre auch bspw. Fragen nicht mehr relevant, welche Verhaltenskonstanten sich unter dem Einfluß dieses speziellen normativen institutionellen Rahmens i m Prüfungswesen herausbilden und wie sie das Geschehen bestimmen. M i t anderen Worten, es braucht dann z.B. die verschiedenartige soziale Beeinflussung von Präferenzordnungen und Handlungssituationen i m Prüfungswesen nicht wie für eine empirischkognitive Prüfungstheorie problematisiert werden. Unsere K r i t i k an der auch i n der neueren Prüfungsliteratur feststellbaren Verschleppung eines persönlichen Interesses an einem bestimmten „ordnungsmäßigen Verhalten" i m Pxüfungswesen i n die Prüfungslehre impliziert keinesfalls die Behauptung, daß ein Interesse des Wissenschaftlers an einem „ordnungsmäßigen Verhalten" zwangsläufig apologetisch sei oder sich nicht m i t einer kognitiven Zielsetzung i n Einklang bringen ließe. Wenn w i r i n nachprüfbarer und das heißt dann auch, i n theoretischer Weise zu wissen wünschen, wann i m Prüfungswesen i n welchem Ausmaß m i t der Befolgung bestimmter (z.B. i n der Empirie existenter) Verhaltensnormen zu rechnen ist, so benötigen w i r gehaltvolle Hypothesen — die uns aber nicht zugleich auch darüber informieren, wann dann ein abweichendes Verhalten zu erwarten ist bzw. verwirklicht werden kann 2 4 . Normwidriges Verhalten als mögliches Verhalten i m Prüfungswesen ist kein Problem, daß sich einer theoretischen Lösung entziehen würde, sondern eine Tatsache, die z.B. i n einer Prüfungstheorie zu berücksichtigen wäre, für die aber der Ansatzpunkt nicht das erwünschte, sondern nur das tatsächliche Verhalten sein kann 2 5 . 24 E i n von bestimmten Normen abweichendes Verhalten zählt zu den von den H y p o t h e s e n über = ordnungsmäßiges Verhalten = verbotenen Ereignissen, deren faktisches Auftauchen bei Vorliegen der Antecedensbedingungen der Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i n einer raum-zeitlich fixierten Situation f ü r diese tödlich sind, w e i l sie diese Hypothesen dann falsifizieren. Umgekehrt lassen sich aber gehaltvolle Aussagen über abweichendes Verhalten i m Umkehrschluß n u r i n einem sehr allgemeinen Sinne f ü r Prognosen normgemäßen Verhaltens heranziehen (s. den Exkurs unten). Sie informieren uns lediglich darüber, welche Sachverhaltenskonstellation die V e r w i r k l i c h u n g ordnungsmäßigen Verhaltens = v e r h i n d e r n = . E i n empirisches Phänomen w i e (— ein näher zu bestimmendes —) nicht-ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen erklären heißt zugleich auch zeigen zu können, wie es i m Prinzip vermieden werden könnte. 26 A l l e i n die Besinnung auf die Tatsache, daß i m westlichen K u l t u r k r e i s bspw. speziell auf das Prüfungswesen zugeschnittene gesetzliche u n d be-
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U m i n der Prüfungslehre den Anschluß an die Wirklichkeit zu gewinnen, sollte man die i m Prüfungswesen tätigen Menschen so nehmen, wie sie nun tatsächlich sind — und nicht normative Idealfiguren zum Ausgangs- oder Referenzpunkt angeblich theoretischer Aussagen über das Prüfungswesen machen und das soziale Geschehen i n diesem Bereich entproblematisieren. Das bedeutet, daß man i n der Prüfungslehre Abschied vom pseudo-objektiven A x i o m „ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen", dem proton pseudos der theoretischen Richtung, nehmen und i n diesem Punkte das Forschungsprogramm reformulieren muß, wenn man i n Zukunft den V o r w u r f vermeiden w i l l , man treibe unter der Etikette „Theorie" Ideologie. Würde man sich i n der Prüfungslehre theoretischen Intentionen entsprechend mit der Erforschung der tatsächlichen Verhältnisse i m Prüfungswesen beschäftigen, so ließen sich die theoretischen Resultate zu einer kritischen Kommentierung von innerhalb des Prüfungswesens und i n der sog. „Öffentlichkeit" verbreiteten Vorurteilen über das Prüfungswesen verwenden. A u f diese Weise würde durch den bloßen Hinweis auf das Faktische oder das faktisch Mögliche der Dogmatisierung bzw. der Weckung falscher Erwartungen entgegengewirkt. W i r denken i n diesem Zusammenhang bspw. an das (glorifizierende) Bild, das von Berufsorganisationen i n Publikationen usw. vom „ W i r t schaftsprüfer" oder „Innenrevisor" gezeichnet wird, das auch i n Gesetzgebungsverfahren eine Rolle spielt und m i t dem (inner- und außerhalb des Berufsstandes) Auffassungen über den „Prüfer" aufgebaut bzw. verstärkt werden, die sich bei einer Konfrontation mit bewährbaren Aussagen über das faktische Verhalten als weit- und wohlgepflegte (soziale) Vorurteile erweisen dürften. Soziale Vorurteile, denen auch Fachautoren erliegen bzw. die diese noch zu verbreiten und verfestigen helfen, indem sie die = theoretisch = zu legitimieren anstatt zu demaskieren versuchen. Bei der eben angedeuteten kritischen Anwendung theoretischen Wissens auf das Prüfungswesen würden durch die Prüfungslehre nicht rufsrechtliche Verhaltensvorschriften existieren, hätte i n der Prüfungslehre die Berücksichtigung des = n i c h t p f l i c h t - = oder = - n o r m g e m ä ß e n = Verhaltens i m Prüfungswesen als einem der Bestimmungsfaktoren nahegelegt. Denn solche sozialen Normen u n d die m i t ihnen verknüpften Sanktionsandrohungen hätten keinerlei angebbaren Sinn, w e n n bei ihrer Formulierung nicht m i t der Möglichkeit abweichenden Verhaltens gerechnet u n d dieses u n erwünschte, aber mögliche Verhalten zu verhindern getrachtet wurde. U n d gibt man i n der Prüfungslehre, i n der m a n den faktischen Verhaltensspielraum auf den Spielraum des von den meist impliziten Ordnungsmäßigkeitspostulaten „Erlaubten" eingeschränkt sehen möchte, nicht zu, daß die zwar = verbotenen = u n d = t h e o r e t i s c h = geleugneten Verhaltensweisen faktisch dennoch möglich sind?
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irgendwelche Werte angegriffen, sondern lediglich soziale Vorurteile über Prüfer und das (Wirtschafts-)Prüfungswesen gestürzt. Die Möglichkeit, daß eine nicht nur angeblich nach den Spielregeln einer empirischen Wissenschaft betriebene Erforschung des Prüfungswesens zu einer Revision weitverbreiteter und propagierter Meinungen über das Verhalten von Prüfern und das m i t Prüfungen z. B. faktisch Erreichbare führen könnte 2 6 , dürfte kein ernstzunehmender Hindernisgrund für die Suche nach Theorien sein. Ein auf die Prinzipien des kritischen Rationalismus verpflichtetes ( = kritizistisches) Problemlösungsverhalten, das unter anderem die Idee der Selbstbefreiung durch ein überprüfbares Wissen mitumschließt, w i r d bspw. nicht den Anschein zu erwecken versuchen, man habe es bei den „Berufsauffassungen" i m Prüfungswesen m i t irgendwelchen unrevidierbaren und objektiven Erkenntnissen zu tun. Wer aus der sozialkritischen Verwendungsmöglichkeit bzw. Auswirkung einer empirisch-theoretischen Erforschung des Prüfungswesens den V o r w u r f ableiten möchte, eine so verstandene Wissenschaft vom Prüfungswesen führe zu Wertnihilismus-, -anarchie, -auflösung u. ä., würde von falschen Vorstellungen ausgehen. Denn was bei einer solchen Anwendung theoretischen Wissens auf das soziale Geschehen i m Prüfungswesen i m Gegensatz zum heutigen Wissenschaftsbetrieb i n der Prüfungslehre i n Gefahr geraten würde 2 7 , „sind ja nicht ,Werte 4 , wie das die Dogmatiker ideologischen Denkens ihrem Publikum oft zu suggerieren versuchen, sondern Scheinargumente, Trugschlüsse, Dogmen, Hypostasierungen, Suggestiv-Definitionen und ähnliche Instrumente einer Pseudo-Legitimierung, die das ideologische Denken auszeichnen" 28 . Es gehört keine prophetische Gabe dazu vorherzusagen, daß das = Interesse der Allgemeinheit = oder das = Uberwachungsinteresse der Öffentlichkeit = , der berühmte = Aktionärsschutz = bzw. = M i n derheitenschutz = oder = Gläubigerschutz = 2 9 ebensowenig eine ernsthafte Überprüfung überstehen wie literarische Versuche, ein „versittlichtes Rentabilitätsstreben" 30 i m Prüfungswesen oder dessen = volkswirtschaftliche Bedeutung = bzw. = Funktionen = nachzuwei28
W e i l sich bisher gepflegte Meinungen aufgrund des gefundenen theoretischen Wissens als nicht mehr haltbare Vorurteile erweisen. 27 Ohne daß die Einführung von Wertprämissen oder eine Normativierung der Aussagen nötig wäre. 28 A l b e r t (60 c), S. 228. 29 Alles „ M o t i v e " , die bspw. von v. Wysocki als für die „ E i n f ü h r u n g von Pflichtprüfungen maßgebend" aufgezählt u n d i n der L i t e r a t u r immer wieder berufen werden (vgl. v. Wysocki [67], S. 32; [72], S. 34 f.). 30 Schettler (71), S. 29; Richter (64), S. 14; Schigut (34).
88
B. I. Die Prämisse ordnungsmäßigen Verhaltens als proton pseudos
sen. Sie s i n d einige j e n e r wirtschaftspolitischen Ü b e r z e u g u n g s f o r m e l n (Parolen) v o n Wirtschaftswissenschaftlern, „ d e r e n empirischer G e h a l t i n d i r e k t p r o p o r t i o n a l ist i h r e m W o h l k l a n g " 3 1 u n d der d u r c h sie auslösb a r e n e m o t i o n a l e n W i r k u n g e n . E i n e K o n f r o n t a t i o n der i n das P r ü fungswesen gesetzten E r w a r t u n g e n m i t d e m faktisch M ö g l i c h e n w ä r e einer eingehenden U n t e r s u c h u n g w e r t , die aber solange ausstehen w i r d als i n der P r ü f u n g s l e h r e das O r d n u n g s m ä ß i g k e i t s d e n k e n das F e l d beherrscht! U n d noch eine i m H i n b l i c k auf den Wissensfortschritt nicht zu u n t e r schätzende W i r k u n g h ä t t e e i n sich bewährendes u n d b e w ä h r t e s theoretisches Wissen ü b e r das P r ü f ungs wesen: es d e m a s k i e r t e die ideologischen P r o d u k t e i n der P r ü f u n g s l i t e r a t u r , die j a selbst zu d e n e r k l ä r u n g s b e d ü r f t i g e n S a c h v e r h a l t e n i m Untersuchungsbereich zählen. Z i e h e n w i r e i n Resümee: a) Die feststellbare Ausrichtung der theoretischen Forschung i n der Prüfungslehre an einem Verhaltensleit- u n d Wunschbild eines fiktiven „sichimmer-und-überall-ordnungsmäßig-verhaltenden-Prüfers", vor allem „des (deutschen) Wirtschaftsprüfers" führt zu einer ideologischen Interpretation der Wirklichkeit. b) Die auf Ordnungsmäßigkeitsvorstellungen basierenden Aussagen über das Verhalten i m Prüfungswesen sind ideologisch wegen ihres zweifachen Als-ob-Charakters: (1) es werden i n diesen Aussagen Werturteile und Verhaltensforderungen so ausgesprochen, als ob es u m die Beschreibung und Erklärung des Verhaltens i m Prüfungswesen ginge, und es werden (2) Aussagen m i t einem a priori begrenzten, d. h. auf das deutsche Prüfungswesen bezogenen und historisch-relativierten = Erklärungswert = so gebraucht, als ob es u m generelle Erklärungen ginge. c) Auch i n der modernen entscheidungsorientierten Prüfungslehre w i r d gar nicht der Versuch unternommen, die Bedingungen des Verhaltens i m Prüfungswesen als reale Problematik zu erfassen, w e i l das Blickfeld der = theoretischen = Forschung durch vorausgesetzte Werthaltungen der Forscher begrenzt wird. Die Forschung ist existentiell so i m deutschen Prüf ungs wesen verankert, daß hinter dem ideologisierenden Raster „ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen" die reale Problematik aus dem Problemkatalog der theoretischen Ansätze verschwindet. Das soziale Geschehen i m Prüfungswesen w i r d entproblematisiert. d) Auch wenn „ordnungsmäßiges Verhalten" eine pseudo-normative Leerformel ist und Ordnungsmäßigkeitsvorstellungen Einflußfaktoren des Geschehens i m Prüfungswesen sind, so stellt sich für die prüfungstheoretische Forschung niemals das Problem, selbst entscheiden zu müssen, was denn n u n als „ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüf ungs wesen" anzusehen sei. Für sie ist dieses Problem quasi die gleichgültigste Frage der Welt. 31
Kade (69), S. 151.
E x k u r s : Erklärungsgehalt von Hypothesen ordnungsmäßigen Verhaltens 89 e) Daraus, daß subjektive Wertungen die A u s w a h l der Forschungsstrategien u n d -probleme i n der Prüfungslehre bestimmen oder daß Normen m i t Untersuchungsgegenstand sind, folgt keineswegs unumgänglich, daß normative Urteile (in verschiedener äußerer sprachlicher Form) i m objektsprachlichen Zusammenhang auftauchen müßten. Wenn auch Sollensvorstellungen das Selektionsverhalten von Wissenschaftlern bestimmen 3 2 , so besagt das nicht, daß die theoretischen Aussagen diese Vorstellungen als Werturteile der F o r m : „Das u n d das muß i m Prüfungswesen so u n d so sein!" als Prämissen i m logischen Sinne aufweisen müßten. f) Pseudo-objektive Verhaltensaxiome wie „ordnungsmäßiges Verhalten", die den ganzen Spielraum des Möglichen f ü r sich haben, sind hervorragend geeignet, i n der Prüfungslehre den Denkprozeß eben an der Stelle zu suspendieren, w o weiteres Fragen ins Leere stoßen müßte. Dieses A x i o m bildet sozusagen ein = natürliches = dogmatisches Scheinfundament f ü r die = theoretische = Rechtfertigung bestehender oder angestrebter Ordnungen i m Prüfungswesen. g) Wenn man i n der Prüfungslehre als Prüfstein der theoretischen A u s sagen über das Prüfungswesen den = Pflichtenkodex = eines „ W i r t schaftsprüfers" oder „Innenrevisors" zu akzeptieren bereit ist, w i r d das Falsifikationskriterium als unabdingbare Spielregeln theoretischer Forschung außer K u r s gesetzt. Die H a l t b a r k e i t theoretischer Aussagen w i r d dann von den offen oder versteckt abgegebenen Stellungnahmen bzw. Werturteilen der Wissenschaftler abhängig gemacht, i n denen diese i h r persönliches Interesse an einer bestimmten Verhaltensausformung i m Prüfungswesen dokumentieren. Werden objektbezogene Werturteile i n der Prüfungslehre als Bewährungskriterium theoretischer Forschung a k zeptiert, ist eine intersubjektive Nachprüf bar keit der wissenschaftlichen Aussagen nicht mehr möglich, da das Wahrheitskriterium von W e l t anschauungen abhängig gemacht w i r d . h) Wenn m a n i n der Prüfungslehre haltbare Erklärungen möglich machen w i l l , dann g i l t es die Zustände i m Prüfungswesen „so w i e sie sind möglichst vorurteilslos zu untersuchen u n d m i t äußerster Sachlichkeit zu schildern — gleichgültig, ob w i r sie billigen oder nicht. Jedes H i n e i n tragen von Wünschen verbietet sich i n wissenschaftlichen Dingen von selbst . . . Wer bestimmte Zustände ablehnt, andere empfiehlt u n d anstrebt, ist P o l i t i k e r " 3 3 , — u n d t u t er dies (gewollt oder ungewollt) m i t dem Anspruch auf Erkenntnis u n d wissenschaftlicher O b j e k t i v i t ä t i m Rahmen einer vorgeblich wissenschaftlichen Argumentation — Ideologe, also Interessenvertreter.
Exkurs: Können Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen auch nicht-ordnungsmäßiges Verhalten erklären? I m letzten Abschnitt haben w i r behauptet, daß das i n der heutigen Prüfungslehre dominierende Interesse an einem ordnungsmäßigen Ver32 U n d als Voraussetzungen zur (prinzipiell diskutier- u n d kritisierbaren) existentiellen Wertbasis der jeweiligen wissenschaftlichen Beschäftigung m i t dem Prüfungswesen gehören. 33 Rieger (64), S. 44.
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B. I. Die Prämisse ordnungsmäßigen Verhaltens als proton pseudos
halten i m Prüfungswesen nicht zwangsläufig apolegetischer Natur sein müsse bzw. sich m i t einer explikativen Zielsetzung ohne weiteres i n Einklang bringen ließe. Es ist ohne Schwierigkeiten möglich, das bisherige Ordnungsdenken i n der Prüfungslehre zu entideologisieren, d. h. das Interesse an normgemäßen Verhalten einer theoretischen Zielsetzung gemäß so zu kanalisieren, daß nach nomologischen Hypothesen gesucht wird, die uns informieren können, unter welchen Bedingungen ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen auftritt. Sind solche Hypothesen gefunden, dann ließen sie sich zu Erklärungen bzw. Prognosen ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen bzw. für (technologische) Überlegungen verwenden, wie ordnungsmäßiges Verhalten sichergestellt werden könnte. I n diesem Exkurs wollen w i r kurz die Frage prüfen, ob es i n der Prüfungslehre eine zweckmäßige bzw. fruchtbare Strategie wäre, die Forschungsbemühungen auf die Suche nach Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten zu konzentrieren, um das ganze Spektrum von Verhaltensweisen i m Prüfungswesen erklären bzw. prognostizieren zu können. Diese Frage ohne nähere Begründung einfach als irrelevant m i t dem Hinweis abzutun, daß es i n der modernen Prüfungslehre doch „vor allem um die Schaffung einer = Prüfungstheorie = geht" 3 4 und nicht um eine Theorie ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen, wäre u. E. für den künftigen Reflexionsprozeß i n der Prüfungslehre über Möglichkeiten, wie man zu einer (empirischen) Prüfungstheorie vorstoßen könnte, nicht sehr förderlich. Denn es ist denkbar, daß zur Verteidigung einer Ausrichtung des Forschungsinteresses auf den Entwurf von Theorien ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen m i t dem Argument gefochten wird, daß dies für die Prüfungslehre der Weg „zu einer allgemeinen Theorie der Prüfung" 3 5 sei, die das gesamte Verhalten i m Prüfungswesen erklären könne. Zur Begründung dieser Auffassung könnte ein auf den ersten Blick sehr einleuchtendes Argument ins Feld geführt werden: Nomologische Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen sagten uns nicht nur, unter welchen Bedingungen ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen auftritt, sondern sie sagten uns gleichzeitig damit auch, unter welchen Bedingungen m i t einem nicht-ordnungsmäßigen Verhalten i m Prüfungswesen zu rechnen ist. Denn es sei doch offensichtlich so: Wenn w i r wissen, daß unter diesen und diesen Bedin34 33
Loitlsberger (66), S. 59. v. Wysocki (67), S. V I I I .
Exkurs: Erklärungsgehalt von Hypothesen ordnungsmäßigen Verhaltens 91
gungen ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen auftrete, dann heiße dies doch imgrunde nichts anderes als daß m i t nicht-ordnungsmäßigem Verhalten jedesmal dann zu rechnen ist, wenn die Bedingungen ordnungsmäßigen Verhaltens nicht gegeben seien. Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen seien dann genau das, was unter einer prüfungstheoretischen Zielsetzung zu suchen seien, da sie normgemäßes wie normwidriges Verhalten und somit das gesamte Verhaltensspektrum i m Prüfungswesen zu erklären bzw. vorauszusagen i n der Lage seien. Die eben skizzierte Argumentation, Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen könnten ordnungsmäßiges und nichtordnungsmäßiges Verhalten zugleich erklären, läuft formal betrachtet auf die Behauptung hinaus, aus nomologischen Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen seien Hypothesen über nicht-ordnungsmäßiges Verhalten deduzierbar! Ist diese Behauptung jedoch nicht stichhaltig, dann bedeutet dies> daß i n der Prüfungslehre eine Einschränkung der Forschungsaktivitäten auf den Entwurf von Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten nicht sinnvoll wäre, wenn man eine (allgemeine) Prüfungstheorie konzipieren möchte, die ordnungsmäßiges wie nichtordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen zu erklären imstande sein soll. Für die Klärung der Frage, ob sich aus Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen auch Hypothesen über nichtordnungsmäßiges Verhalten deduzieren lassen, benötigen w i r keine konkrete Hypothese. Denn das Problem der Ableitbarkeit hängt von der Form der Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen und nicht von deren konkreten Inhalt ab. Es sind dann verschiedene mögliche Formen von Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen zu prüfen, u m sagen zu können, welche Informationen diese Hypothesen uns über nicht-ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen liefern können 3 6 . W i r müssen zwei verschiedene Formen von Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen unterscheiden. Eine Hypothese über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen kann einmal als wenn-dann-Aussage i m Sinne einer (materialen) Implikation formuliert werden 3 7 . Nehmen w i r ein Beispiel: „Wenn Prüfer eine geringe 86 Die folgende Gedankenführung verdankt diverse Anregungen der A r b e i t von Opp (70 b). 37 Über die von uns i m folgenden benutzten logischen Sachverhalte inform i e r t jedes Logik-Lehrbuch, vgl. z.B. Essler (69); Carnap (69); Kutschera (67); Harbeck (63); Hasenjaeger (62); Suppes (57).
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B. I. Die Prämisse ordnungsmäßigen Verhaltens als proton pseudos
Machtposition besitzen, dann werden sie sich ordnungsmäßig verhalten 3 8 ." Bezeichnen w i r nun den wenn-Teilsatz der Hypothese m i t „ A " , den dann-Teilsatz mit „ B " und die wenn-dann-Beziehung m i t einem P f e i l , e r h a l t e n w i r d e n f o l g e n d e n Satz 1: „ A
B".
A u s d e r u n t e n s t e h e n d e n W a h r h e i t s t a f e l k ö n n e n w i r e n t n e h m e n , daß dieser Satz 1 i m m e r n u r d a n n falsch ist, w e n n „ A " w a h r u n d „ B " falsch ist ( = F a l l 2).
Mögl. Wahrheitswerte „A" „B" Fall Fall Fall Fall
1: 2: 3: 4:
W W F F
W F W F
Implikation „ w e n n A , dann B " „A->B"
Äquivalenz „.wenn, u n d n u r w e n n A , dann B " „ A B "
W F W W
W
F F W
Abb. 1: Wahrheitstafel
W i r wollen i m folgenden davon ausgehen, daß der Satz 1, also die Hypothese „ A B " wahr sei. Dann taucht die Frage auf: wenn nun „ A " wahr ist ( = Fall 1), können w i r dann neben der Voraussage, daß B der F a l l sein wird, auch noch prognostizieren, daß i n bestimmten Fällen nicht-ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen (symbolisiert durch „C") zu beobachten bzw. nicht zu beobachten sein wird? Die A n t w o r t auf diese Frage muß aus zwei Gründen negativ ausfallen. Der erste Grund ist darin zu sehen, daß sich aus dem Satz 1 logisch nicht ein Satz 2 der Form „ A (B A C)" folgern läßt, wie sich mittels Wahrheitstafeln zeigen läßt. Der zweite Grund liegt darin, daß der Satz 2 einen größeren empirischen Gehalt als der Satz 1 besitzt 39 . Denn „zwischen Informationsgehalt der Wenn- und Dann-Komponenten und dem gesamten Gehalt der nomologischen Aussagen . . . besteht folgende Beziehung: Sinkender (steigender) Gehalt der Wenn- bzw. steigender (sinkender) Gehalt der Dann-Komponente führt bei jeweils gegebenem Gehalt der Dann- bzw. Wenn-Komponente zu steigendem (sinkendem) Gehalt der nomolo38 F ü r die Argumentation ist es ohne Bedeutung, ob i n den Hypothesen deterministische Beziehungen zwischen den Variablen (wie i n unserem Beispiel) oder probabilistische beschrieben werden u n d w i e es u m die Meßbarkeit der Variablen bestellt ist. 39 Da bei gleichem Gehalt der Wenn-Komponente die Dann-Komponente des Satzes 2 informativer ist. Z u m Informationsgehalt von Hypothesen vgl. z . B . A l b e r t (64c), S. 2 2 - 2 7 ; Opp (70a), S. 166ff. oder Fischer-Winkelmann (71), passim.
E x k u r s : Erklärungsgehalt von Hypothesen ordnungsmäßigen Verhaltens 93
gischen Aussage. Je allgemeiner (Wenn-Komponente) und je präziser (Dann-Komponente) diese Aussagen sind, u m so größeren Informationsgehalt besitzen sie und u m so brauchbarer sind sie für die Wissenschaft" 40 . Durch eine Deduktion läßt sich aber der Gehalt einer Aussage nicht vergrößern! Aus Satz 1 als der weniger gehaltvollen Aussage ist dann Satz 2, der einen höheren Gehalt als Satz 1 besitzt, nicht deduzierbar. Es zeigt sich außerdem, daß Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen inform materialer Implikationen m i t dem Auftreten beliebiger Arten nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen vereinbar sind. Denn aus Satz 1 ist der Satz „ A ( B v C v D v E ) " deduzierbar . („C", „D", „ E " fungieren hier als Symbole für verschiedene Arten nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens). Als ein erstes Teilergebnis können w i r festhalten: werden Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen als wenndann-Aussagen inform materieller Implikationen formuliert, lassen sich aus ihnen auf keine logisch stichhaltige Weise Informationen über das Eintreten nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen entnehmen. Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen lassen sich auch i n der Form einer materialen Äquivalenz, also als genau-dann-wenn-Aussagen formulieren. Wenn w i r wieder unsere obige Beispielshypothese nehmen und umformulieren, d.h. i n die Form „AB" ( = Satz 3) bringen, würde sie lauten: „Wenn, und nur wenn Prüfer eine geringe Machtposition besitzen, dann werden sie sich ordnungsmäßig verhalten." Wie nun ein Blick auf die Wahrheitstafel (s. o.) beweist, ist unsere Beispielshypothese als Äquivalenz immer nur i n den Fällen 2 und 3 falsch, d. h. wenn einer der Teilsätze wahr und der andere falsch ist. Wahr ist sie, wenn beide Teilsätze wahr bzw. falsch sind (Fälle 1 und 4). Aus der Wahrheitstafel können w i r weiter entnehmen, daß Satz 3 weniger oft als Satz 1 wahr ist. Satz 3 informiert uns deshalb genauer als Satz 1 über die Wirklichkeit. M i t anderen Worten, unsere Beispielshypothese als Äquivalenz formuliert, besitzt einen größeren Informationsgehalt, eine größere Erklärungskraft als wenn w i r sie als Implikation aufstellen. A u f die Prüfungslehre übertragen bedeutet diese Feststellung: man versuche Verhaltenshypothesen inform von Äquivalenzen zu entwickeln und zu bewähren, da damit gegenüber der Form der Implikation ein größerer Erkenntnisfortschritt zu erzielen ist! 40
Fischer-Winkelmann (73 c), S. 369.
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B. I. Die Prämisse ordnungsmäßigen Verhaltens als proton pseudos
Fragen w i r nun, welche Informationen uns die i n Satz 3 symbolisierte Hypothese über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen über das Eintreten nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen liefern kann. Zur Klärung dieser Frage wollen w i r wiederum sinnvollerweise annehmen, daß „ A " sowie die Hypothese (Satz 3) insgesamt wahr sei (Fall 1 der Wahrheitstafel). Diese Annahme berechtigt uns zur Voraussage, daß B der F a l l sein wird. Ist es nun aber möglich, mit diesem wahren Satz 3 gleichzeitig auch irgendeine Prognose über nicht-ordnungsmäßiges Verhalten der Prüfer zu machen? Nehmen w i r ein Beispiel: läßt sich mittels des Satzes 3 prognostizieren, ob bei einer bestimmten Prüfung Prüfer Gesetzesvorschriften oder Standesregeln zuwider handeln, andere Verhaltensvorschriften dagegen einhalten werden, d. h. können w i r aus Satz 3 folgern „A (B A C)"? Dies ist logisch nicht möglich! W i r können also aus einer i n die Form einer materialen Äquivalenz gebrachten Hypothese über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen nicht eine einzige gehaltvolle Aussage darüber ableiten, ob ein nicht-ordnungsmäßiges Verhalten auftreten w i r d oder nicht. Die Hypothese schließt auch das Auftreten nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens von Prüfern nicht aus. Denn aus ihr läßt sich zwar nicht die Hypothese „ A (B v C)" folgern, diese Hypothese widerspricht ihr aber nicht. W i r können also sagen: Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen i n der Form materialer Äquivalenzen schließen weder nicht-ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen aus noch erlauben sie irgendwelche Prognosen über eine bestimmte A r t nichtordnungsmäßigen Verhaltens zu deduzieren. Sie werden nicht dadurch widerlegt, wenn irgendwelche nicht-ordnungsmäßige Verhaltensweisen beobachtet werden bzw. nicht auftreten. Es wäre jedoch etwas voreilig, wie w i r sehen werden, aus dieser Feststellung den Schluß ziehen zu wollen, Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen inform von materialen Äquivalenzen würden sowenig über nicht-ordnungsmäßiges Verhalten etwas aussagen wie Hypothesen inform von materialen Implikationen, nämlich überhaupt nichts. Die Informationen über nicht-ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen, die uns als (materiale) Äquivalenzen formulierte Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten bieten können, hängen davon ab, wie i m Einzelfalle ,ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen 4 als Bestandteil der Dann-Komoonente definiert wird.
Exkurs: Erklärungsgehalt von Hypothesen ordnungsmäßigen Verhaltens 95
Denn je größer die Extension von ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen' gehalten wird, d. h. je größer die Menge der Verhaltensweisen ist, die als »ordnungsgemäß' bezeichnet werden soll, desto mehr sagen die Hypothesen über ordnungsmäßigen Verhaltens etwas über das Auftreten nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen aus: die Menge der nicht-ordnungsmäßigen Verhaltensweisen, die i m Prüfungswesen auftreten bzw. nicht auftreten können, wenn die Hypothese wahr ist, w i r d u m so kleiner, je größer die Extension ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen' fixiert ist. Anders formuliert und auf unsere Beispielshypothese (Satz 3) bezogen heißt das: liegen die i n der Wenn-Komponente des Satzes 3 beschriebenen Bedingungen nicht vor (ist also „ A " nicht wahr), dann w i r d eine um so größere Menge von ordnungsmäßigen Verhaltensweisen aus der Menge des möglichen Verhaltens als „empirisch nicht möglich" ausgeschlossen, u m so größer die Extension von ordnungsmäßigem Verhalten i m Prüfungswesen' in der Dann-Komponente der Hypothese bestimmt ist. Es zeigt sich also, daß Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen i n der Form materialer Äquivalenzen i n einem gewissen Sinne über das Auftreten nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen zu informieren vermögen. Es zeigt sich aber auch, daß die diesen Hypothesen entnehmbaren Informationen nicht zu Erklärungen bzw. Prognosen nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen taugen können. Denn die als materiale Äquivalenzen formulierten Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen lassen einzig die Folgerung zu, daß irgendeine oder auch beliebige nicht-ordnungsmäßige Verhaltensweisen i m Prüfungswesen auftauchen können oder auch nicht! Sie schließen — je nach Umfang der Dann-Komponente — nur eine bestimmte Menge nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen als m i t i h r nicht vereinbar aus. M i t anderen Worten, die als (materiale) Äquivalenzen formulierten Hypothesen sind, soweit es sich nicht um das von ihnen zu erklärende Verhalten i m Prüfungswesen handelt, m i t dem Auftreten und Nichtauftreten jeglichen ordnungsmäßigen und nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen vereinbar. Sie sagen nichts über die Bedingungen aus, unter denen m i t dem Auftreten all jener Formen (ordnungsmäßigen wie nicht-ordnungsmäßigen) Verhaltens i m Prüfungswesen zu rechnen ist, die nicht m i t dem Verhalten identisch sind, das sie zu erklären i n der Lage sind. Fassen w i r zusammen: a) Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen, seien sie als materiale I m p l i k a t i o n e n oder als materiale Äquivalenzen f o r m u -
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B. I. Die Prämisse ordnungsmäßigen Verhaltens als proton pseudos liert, vermögen ausschließlich über die Bedingungen zu informieren, unter denen m i t ordnungsmäßigem Verhalten i m Prüfungswesen zu rechnen ist. Aus ihnen lassen sich keine Aussagen über jene Bedingungen ableiten, unter denen i m Prüfungswesen m i t dem Auftreten nicht-ordnungsmäßigen Verhaltens zu rechnen ist.
b) Werden die Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen als materiale Implikationen formuliert, dann können diese H y p o thesen keinerlei Informationen über nicht-ordnungsmäßiges Verhalten liefern. Hypothesen i n f o r m materialer Äquivalenzen informieren dagegen u m so mehr über nicht-ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen, je größer die Extension von »ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen 4 f i x i e r t ist. Die ableitbaren Informationen sind aber i n jedem Falle äußerst gering. Sie haben keinen nomologischen Charakter. c) Da Hypothesen über ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen nicht imstande sind, ordnungsmäßiges Verhalten u n d nicht-ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen zugleich zu erklären, wäre es u n zweckmäßig i n der Prüfungslehre, eine Prüfungstheorie, die das gesamte Verhalten i m Prüfungswesen zu erklären i n der Lage sein soll, als Theorie ordnungsmäßigen Verhaltens i m Prüfungswesen konzipieren zu wollen. Diese Prüfungstheorie ist vielmehr als eine allgemeine Verhaltenstheorie zu entwerfen, aus der sich dann Theoreme über ordnungsmäßiges w i e nicht-ordnungsmäßiges Verhalten i m Prüfungswesen deduzieren lassen!
Kapitel
II
Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem 1. Der erste prüfungstheoretische Ansatz: Kategoriale Analyse als Theorieersatz a) Vorbemerkung Welches ist der erste prüfungstheoretische Ansatz i n der deutschen Prüfungslehre? Darüber schien bis zum Jahre 1967 i m Schrifttum kein Dissens zu bestehen. Denn bis zu diesem Jahr blieb die Auffassung von Loitlsberger 1 in der Literatur ohne Widerspruch, daß das Stadium, i n dem man Prüfungslehre als eine A r t handwerklicher Kunstlehre (und Berufskunde) mit vorzugsweiser Beschränkung auf die Prüfungstechnik bei Buchprüfungen i m weitesten Sinne betrieb, erst zu Beginn der 50er Jahre durch eine Phase der Neuorientierung abgelöst worden sei, in der man sich um die „Schaffung einer = Prüfungstheorie = " 2 bemühte. Nach der Loitlsbergerschen Einteilung von Entwicklungsstadien i n der Prüfungslehre datiert die moderne, m i t der Entwicklung von Theorien beschäftigte Prüfungslehre mit dem Erscheinen seiner eigenen Arbeit „ Z u r Theorie der Prüfung" 3 . I m Jahre 1967 kritisiert v. Wysocki — ohne direkten Bezug auf Loitlsbergers Einteilung — daß i n der jüngeren Literatur zum betriebswirtschaftlichen Prüfungswesen von den einigen wenigen Ansätzen i m deutsch-sprachigen Schrifttum, wirtschaftswissenschaftliche Prüfungstheorien zu entwickeln, die Arbeit von Wirtz aus dem Jahre 19404 zu Unrecht übersehen worden sei 5 . W i r meinen, dieser = Streit = , wer denn nun den ersten prüfungstheoretischen Versuch vorgelegt hat und ob die Arbeit von Wirtz zu Unrecht i n der jüngeren Literatur übersehen worden sei, läßt sich entscheiden. Der behauptete „Versuch, eine geschlossene betriebswirtschaftliche Prüfungslehre zu konzipieren" 6 , wurde von Wirtz gar nicht i n Angriff 1 2 3 4 5 6
Vgl. Loitlsberger (66), S. 20 f., 58 f. Loitlsberger (66), S. 59. Loitlsberger (53). W i r t z (40). v. Wysocki (67), S. 17; (72), S. 20. v. Wysocki (67), S. 17.
7 Fischer-Winkelmann
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
genommen. Wirtz plädiert zwar für den Verzicht auf eine Kunstlehre und den Entwurf einer theoretisch (allgemeinen) Prüfungslehre, weil seiner Ansicht nach „der Versuch einer Entwicklung von Prüfungsnormen oder Prüfungsschemata . . . bei einer so komplexen und verschiedenartigen Tätigkeit wie es die Prüfung i n ihren kaum auf einen Nenner zu bringenden Arten, Objekten und Methoden ist, den gegebenen Verhältnissen nicht gerecht werden (kann)" 7 . Was aber dann von Wirtz gebracht wird, ist lediglich die skizzenhafte „Darlegung eines eigenen abgerundeten Vorschlages für die Entwicklung einer Prüfungslehre" 8 , wobei sein Beitrag zur = theoretischen (allgemeine) Prüfungslehre = i m wesentlichen i n folgendem Gliederungsentwurf besteht: A . Theoretische (allgemeine) Prüfungslehre 1. Begriffsumschreibung wesens
und
geschichtliche
Entwicklung
des
Prüfungs-
2. Prüfungsträger, Berufs- u n d Prüfungsrecht 3. Prüfungsobjekte, Prüfungszwecke, des Prüfungsumfanges
Prüfungsarten,
Bestimmungsgründe
4. Wertung u n d Systematik der einzelnen Prüfungshandlungen 5. Prüfungsbericht, Bestätigungsvermerk u n d Prüfungsverfolgung 6. Der Einfluß der Buchführungsformen auf die Prüfungstechnik 9 .
Wenn v. Wysocki zu Wirtz vermerkt, es gehe aus dem Vorschlag Wirtzs leider nicht deutlich hervor, „was unter dem Begriff ,Theorie' verstanden werden soll" 1 0 , so stimmt es, daß Wirtz den Leser i m unklaren darüber läßt, was er m i t solchen Ausdrücken wie „theoretische", „theoretisch (allgemeine)" oder „wissenschaftliche Prüfungslehre", „Wissenschaft oder Kunstlehre", die alle bei seinem Vorschlag zur „Entwicklung einer wissenschaftlichen Prüfungslehre t( auftauchen, präzise besagen w i l l . Die von v. Wysocki an Wirtz geübte indirekte K r i t i k an der Sprache fällt auf den K r i t i k e r jedoch selbst zurück, da dieser seinerseits den Leser über seine Grammatik für die von ihm gebrauchten Ausdrücke wie „allgemeine Theorie der Prüfung", „allgemeine Prüfungslehre", 7
W i r t z (40), S. 244. W i r t z (40), S. 244 (H. d. V.). 9 Vgl. W i r t z (40), S. 244. 10 v w y s o c k i (67), S. 18, (72), S. 20. v. Wysocki meint streng genommen w o h l „was unter dem W o r t ,Theorie' verstanden werden soll", denn sonst wäre die Aussage unverständlich, w e i l kontradiktorisch. Denn besitzen w i r einen „Begriff ,Theorie'", dann wissen w i r auch, „was unter dem Ausdruck ,Theorie' verstanden werden soll"! 8
1. Der erste Versuch: Kategoriale Analyse als Theorieersatz
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„betriebswirtschaftliche (allgemeine) Prüfungslehre", „Theorie", „geschlossene betriebswirtschaftliche Prüfungslehre" usw. i m Dunkeln läßt 1 1 . Es kann deshalb v. Wysocki auch nicht überzeugend klarmachen, warum Wirtzs Vorschlag zur Entwicklung einer wissenschaftlichen Prüfungslehre einen von der jüngeren Literatur zum Prüfungswesen zu Unrecht übersehener Versuch darstellen soll, eine geschlossene betriebswirtschaftliche Prüfungslehre zu konzipieren. Einen Gliederungsentwurf 12 , dessen nicht sonderlich ausführliche Kommentierung nicht erkennen läßt, daß unter dem Titel „wissenschaftliche Prüfungslehre" etwas geboten werden soll, das sich von dem bis dahin Gebotenen grundlegend unterscheiden würde 1 3 , als Ansatz zur Entwicklung einer wirtschaftswissenschaftlichen Theorie hinzustellen, ist eine persönliche Entscheidung. Die K r i t i k jedoch, daß dieser = Ansatz = zu Unrecht von der jüngeren Literatur übersehen worden sei, steht auf schwachen Füßen. Von einer Prüfungstheorie erwartet man sich auch heute i n der Prüfungslehre mehr als nur Gliederungsentwürfe. Und wenn v. Wysocki den Vorschlag von Wirtz zur Entwicklung einer (wissenschaftlichen) Prüfungslehre als einen „ E n t w u r f " herausstellt, der „einen vollständigen Überblick über die möglichen Gegenstände einer umfassenden betriebswirtschaftlichen Prüfungslehre" 1 4 gibt, so ist das wiederum ein subjektives Urteil, das solange nicht diskutierbar ist als der Autor die Argumente vorenthält, auf die er sein Urteil abstützt 15 . Wenn auch w i r i m folgenden den Vorschlag von Wirtz = übersehen = , so liegt darin nach dem eben Gesagten keine Diskriminierung. W i r wenden uns direkt dem „Stadium der Konsolidierung (Theorien für die Hauptbereiche)" 16 i n der Lehre vom Prüfungswesen und dort dem ersten Versuch zur „Entwicklung einer umfassenden Theorie" 1 7 der Prüfung zu, der sich prägend auf die jüngere Literatur zum betriebswirtschaftlichen Prüfungswesen ausgewirkt hat. 11
Vgl. v. Wysocki (67), (72), passim. Wacker (70), S. 341, spricht euphemistisch von einem „Systementwurf". 13 Vgl. Wirtz (40), S. 245 ff. 14 v. Wysocki (67), S. 18; (72), S. 20 f. 15 Der Versuch z. B., einen „vollständigen Überblick" darüber zu geben, was unter einer kognitiven Zielsetzung einmal auf dem Gebiet des P r ü fungswesens erforscht w i r d , wäre ein auf einem Nichtwissen oder auf einem ebenso unbeachtlichen apriorischen Wissen beruhende = Prognose=. 16 Wie es Wacker (70), S. 342 bezeichnet. 17 Loitlsberfier (53), S. 56. 12
7*
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
b) Die Forschungsprämisse Seinen Aufsatz „ Z u r Theorie der Prüfung" leitet Loitlsberger mit dem folgenden Satz ein, der ein Schlüsselsatz ist, w e i l in i h m die Voraussetzung formuliert ist, von der dieser Versuch zur Entwicklung einer umfassenden Prüfungstheorie ausgeht: „Wenn i n dieser Arbeit wichtige Tatsachen des Prüfungswesens untersucht und herausgearbeitet werden sollen, ist es notwendig, zunächst eine Bestimmung des Begriffes Prüfung überhaupt zu geben 18 !" Es ist zu begrüßen, gleich zu Beginn einer Untersuchung zu erfahren, was ein Autor meint, wenn er das Wort „Prüfung" gebraucht, da eine Fachterminologie fehlt. Man ist dann nicht auf eine oft sehr mühselige Kontextanalyse angewiesen, um den individuellen Gebrauch der Vokabel „Prüfung" herausfiltern zu müssen. Nicht zu halten ist jedoch die i n dem Zitat sich dokumentierende Auffassung, daß es für eine prüfungstheoretische Untersuchung, die sich mit wichtigen Tatsachen des Prüfungswesens beschäftigt, notwendig sei bzw. daß es gelingen könne, eine Bestimmung des Begriffes ,Prüfung e überhaupt zu geben. Dies ist aus logischen Gründen nicht möglich und erscheint nur Essentialisten erreichbar, die Aussagen rein definitorischen Charakters oder aus Definitionen abgeleiteten (Meta-)Sätzen trotz deren tautologischer Natur und deshalb fehlenden eigenständigen Informationsgehaltes einen Erkenntnisanspruch zubilligen möchten. Was aus solchen als „notwendig" ausgegebenen Versuchen einer Bestimmung des Begriffes „Prüfung" überhaupt lediglich entspringen kann, ist eine vom Autor dem Leser auf weniger anspruchsvolle und irreführende Weise vermittelbare Information über seine beabsichtigte Verwendungsweise des Sprachzeichens „Prüfung", d. h. über seine logische Grammatik dieses Wortes, die sich bekanntlich nicht anhand der Kriterien „faktisch-wahr" oder „faktisch-falsch" beurteilen läßt — aber nicht mehr! Die i n Metasätzen ( = Aussagen über den Sprachgebrauch, grammatischen Sätzen) erfolgende Fixierung einer logischen Grammatik eines (deskriptiven) Prädikators »Prüfung 4 für eine theoretische Untersuchung verdankt ihre Gültigkeit einer logisch betrachtet willkürlichen ( = subjektiven) Entscheidung des Forschers 19 . Die Verwendungsregeln des Wortes werden vom Einzelnen oder aufgrund einer ausdrücklichen oder stillschweigenden sprachlichen Konvention normiert, indem aus der Vielzahl der semantischen Möglichkeiten der Vokabel „Prüfung" eine ausgewählt und so ein Terminus „Prüfung" konstituiert wird. 18 19
Loitlsberger (53), S. 21. Vgl. dazu Fischer-Winkelmann (71), S. 29 ff.
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Daß bei dem ersten Versuch, zu einer umfassenden Prüfungstheorie vorzustoßen, die Bestimmung des Begriffs „Prüfung" überhaupt zu geben für möglich wie für notwendig gehalten und dieses logisch aussichtslose Programm nach einer einleitenden kurzen K r i t i k an bisherigen Begriffsfassungen über eine Darstellung des Elementaraufbaues des Begriffes „Prüfung" im allgemeinen und einer abschließenden Definition von „Prüfung" zu verwirklichen getrachtet w i r d 2 0 , scheint uns eine Auswirkung des unter Wirtschaftswissenschaftlern noch weit verbreiteten Irrglaubens an den = einzig-richtigen-Begriff = , i n unserem Falle an den der „Prüfung" zu sein. Es handelt sich um einen Irrglauben, der von der Vernachlässigung der an sich trivalen, aber dennoch grundlegenden Unterscheidung verschiedener Sprachstufen i n einer Prüfungstheorie lebt (Meta- und Objektsprache) und den Spielregeln empirischer Forschung zuwiderläuft 2 1 . W i r brauchen unsere K r i t i k keineswegs auf Loitlsbergers ersten prüfungstheoretischen Versuch beschränken, da er nur ein exemplarischer F a l l aus der Prüfungsliteratur ist. Unsere K r i t i k t r i f f t bspw. auch auf die unter der Überschrift „Begriff und Abgrenzung der Prüfung" 2 2 zu findenden Ausführungen v. Wysockis zu und man kann sie, soweit sie sich auf die Verquickung verschiedener Sprachstufen bezieht, ohne Einschränkungen auf die gesamte literarische Auseinandersetzung um „Prüfung" („Revision") und „Kontrolle" erweitern, für die w i r wegen ihrer = Sinnlosigkeit = wenig Verständnis aufzubringen vermögen 23 . „Sinnlos" erscheint die Auseinandersetzung deshalb, w e i l sie sich letztlich an der Suche nach der = einzig-richtigen-Bedeutung = entzündet. Bei der literarischen K r i t i k der (offenen oder verdeckten) individuellen Wortverwendungen von „Prüfung" und „Kontrolle" i n der Prüfungslehre w i r d nicht beachtet 24 , daß die Diskussion über den metasprachlichen Bereich des Definitorischen geht. Durchgängig w i r d mißachtet, daß erstens irgendwelche definitorischen Festsetzungen nicht 20
Vgl. Loitlsberger (53), S. 21 ff. Bzw. der Logik. Die Sätze sollen zugleich objektsprachlich etwas über einen nicht-sprachlichen Sachverhalt „Prüfungen" und metasprachlich über die individuellen Wortverwendungsregeln f ü r „Prüfung", d. h. etwas über sich selbst aussagen! 22 v. Wysocki (67), S. 3 ff.; (72), S. 3 ff. 23 Vgl. dazu v. Wysocki (67), S. 3 ff.; (72), S. 3 ff.; Hardach (67), S. 1 ff.; B a l l m a n n (67), S. 30, 129 ff.; Lehmann (66), S. 11 ff.; H i n t n e r (65), S. 232 f.; B l o h m / B r e n n e i s (64), S. 16; Ronneberger (64), S. 11 ff.; Z i m m e r m a n n (63), S. 308 ff.; v. Wysocki (63), S. 211 ff.; B a l l m a n n (62), S. 18 ff.; Bussmann (60), S. 15 ff.; W a l l (60), Sp. 4677 f.; Isaac (56), S. 3 f.; Hasenack (52 a), (52 b), (54); Zimmermann (54), S. 17 ff.; Klebba (53), S. 11 ff.; Danert (52), S. 13 ff.; Isaac (o. J.), S. 7 ff.; Leitner (34), S. 4 ff.; Raschenberger (34), S. 25 ff.; Schreier (25), S. 1; Gerstner (21), S. 3 ff. 24 M i t Ausnahme der beachtenswerten A r b e i t von Bretzke (72). 21
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
zu irgendwelchen Erkenntnissen über die Erfahrungswelt verhelfen können, und daß zweitens eine logisch akzeptable (meta-metasprachliche) K r i t i k individueller Verwendungsregeln für Worte wie „Prüfung" („Revision") oder „Kontrolle" immer nur i m Hinblick auf den jeweiligen Untersuchungszweck angemessen ist 2 5 . Irgendwelche Termini „Prüfung" oder „Kontrolle" können nicht als = an sich richtig = oder = falsch = angesehen oder bemängelt werden. Denn die jeweils normierte Wortverwendung vermag immer nur eine, aber niemals die eine, d. h. die einzig-richtige Bedeutung eines Wortes anzuzeigen. Sprachliche Festsetzungen i n der Prüfungslehre können lediglich mehr oder minder fruchtbar oder zweckmäßig sein, je nachdem, ob sie i n dieser Form etwas zur Realisierung des Forschungsvorhabens beizusteuern vermögen. Wenig sinnvoll sind dann auch Versuche, über die „Etymologie des Wortes . . . Revision" den „Begriff ,Prüfung 4 " zu erschließen und so ein „wesentliches, den Unterschied von Revision und Kontrolle charakterisierendes M e r k m a l " 2 6 herauszuarbeiten, denn die Etymologie hat mit Definitionen nichts zu schaffen 27 . Die i n der Diskussion fehlende übliche Differenzierung zwischen der formalen und materialen Redeweise zeigt sich z. B. sehr deutlich i n folgendem Zitat: „Während Revision vergangenheitsbezogen ist und die Überwachung abgeschlossener Vorgänge bezeichnet, ist Kontrolle gegenwartsbezogen und betrifft die permanente Überwachung geschehener Vorgänge" 2 6 . Dieses Zitat ist streng genommen unverständlich, w e i l „Revision" und Revision bzw. „Kontrolle" und Kontrolle nicht auseinandergehalten werden, d.h. Zeichen und Bezeichnetes 28 . c) Begriffsanalysen als untaugliche Strategie der Theorieentwicklung Bevor w i r uns m i t dem Versuch, auf dem Elementaraufbau des Begriffes „Prüfung" im allgemeinen den Entwurf einer Prüfungstheorie zu gründen, kritisch auseinandersetzen, dürfte es nützlich sein, kurz klarzulegen, warum eine kategoriale Analyse wie die des Elementar25 Vgl. Fischer-Winkelmann (71), passim, oder Kroeber-Riel (69), S. 61. „Wether a concept is useful depends on the use we w a n t to put i t to" (Kapl a n [64], S. 51). 26 Schulte (70), S. 13 ff. 27 Wie bereits Erdmann 1910 nachdrücklich betonte, vgl. Erdmann (10), S. 162. Etymologische Untersuchungen informieren uns einzig über die historische Entwicklung der u n d über die vorwissenschaftliche Wortverwendung. 28 Der Verstoß gegen die Lehre von den semantischen Stufen f ü h r t zu einem semantischen Un-Sinn. Z u m Gebrauch der Anführungszeichen siehe Bochenski (65), S. 60 f.
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aufbaues eines Begriffes „Prüfung" i m allgemeinen kein effizienter Ansatz zur Konstruktion praktikabler Prüfungstheorien sein kann. Dieser für den allgemeinen Erkenntnisfortschritt wichtige Sachverhalt w i r d nicht nur i n der Prüfungslehre allzuleicht übersehen bzw. ist noch unbekannt. Der Grund für die Unzweckmäßigkeit eines solchen Forschungsansatzes für eine prüfungstheoretische Untersuchung ist einfach: Die angestrebte Prüfungstheorie, soll sie praktikabel sein, ist kein Komplex von Termini, sondern ein durch Verknüpfung von = Begriffen = gebildetes System objektsprachlicher Aussagen über reale Zusammenhänge i m Prüfungswesen. I m Rahmen einer begrifflichen Analyse i n der Prüfungslehre jedoch — gleichgültig, ob sie als solche deklariert w i r d oder nicht — bewegt man sich ausschließlich auf metasprachlicher Ebene, d. h. hier i m Sprechen über eine Sprache, i m rein verbalen Bereich der Definitionen, wie man auch sagt. Man beschäftigt sich m i t einem sprachlichen Instrumentarium zur Erschließung eines bestimmten Realitätsausschnittes, „Prüfungswesen" genannt, d. h. m i t einem sprachlichen Apparat, der uns die Formulierung der als erklärungs- und lösungsbedürftigen empfundenen Probleme sowie die Entwicklung der zu ihrer Lösung notwendigen gehaltvollen Hypothesen erlauben soll. Wie gut die gesuchten Aussagen die Lösung der gestellten Erklärungsaufgaben gestatten, danach beurteilt sich die Zweckmäßigkeit und die Fruchtbarkeit der getroffenen sprachlichen Festsetzungen. Das heißt aber auch, was i n der Prüfungslehre übersehen zu werden pflegt, daß sich deskriptive Begriffsbildungen i n der Prüfungslehre nicht losgelöst von der Theoriebildung sinnvoll kritisieren lassen, es sei denn, es liegen sprachlogische Verstöße vor. Wenn i n der Prüfungslehre i m Zusammenhang m i t einem prüfungstheoretischen Forschungsprogramm Begriffe zu definieren ( = konstruieren) begonnen wird, so heißt das, daß subjektive Entscheidungen über die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken getroffen werden (weil sie vorläufig i n t u i t i v so zweckmäßig erscheint) und ein terminologischen Apparat aufzubauen versucht wird. Diese Sprachregelungen sind nur vorläufig, da sie sich i m Gange des Forschungsprozesses als unzweckmäßig und nicht länger haltbar erweisen können usw. Begriffliche Analysen sind ein Sprechen über eine Sprache, mit der Aussagen über die Realität gemacht werden sollen oder gemacht w u r den. Aus diesem Grunde können diese Analysen niemals i n einen Gegensatz zur Wirklichkeit geraten oder ihre Ergebnisse einem Wahrheitsentscheid an der Wirklichkeit als objektiver Schiedsinstanz unter-
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zogen werden 2 9 . Nur die objektsprachlichen Sätze vermögen i n der Prüfungslehre etwas über die Prüfungsrealität auszusagen, wenn sie über einen Dialog mit dieser Realität prinzipiell widerlegt bzw. vorläufig widerlegt werden können. A u f diesem Hintergrund dürfte es eingängig sein, daß Begriffsanalysen ein völlig ungeeignetes M i t t e l i n der Prüfungslehre sind, um ein theoretisches Wissen über die Prüfungswirklichkeit zu erwerben. Von der Theoriebildung abgelöste Begrrf/sanalysen i n der Prüfungslehre tragen lediglich zur Klärung des (individuellen oder kollektiven) Sprachgebrauchs i n der Prüfungslehre bei, sie bringen aber keinerlei Erkenntnisse der erklärungsbedürftigen Wirklichkeit. Analysen von Begriffen gehen über die Sprache, über die A r t und Weise, wie Worte gebraucht werden, und vermitteln uns deshalb nur eine A r t = Erkenntnis = in dem Sinne, daß sie unsere Aufmerksamkeit auf den spezifischen Sprachgebrauch richten, der unserer Beachtung sonst vielleicht entgangen wäre. Aus Reflexionen über eine Wissenschaftssprache bzw. über ihre Elemente läßt sich auf keine Weise ein nomologisches Wissen über die Erfahrungswelt gewinnen. Ersetzen w i r ein zur Diskussion stehendes Definiendum durch sein Definiens oder wählen w i r ein anderes Definiens, so ändert sich dadurch unser Wissen über die Welt nicht. Auch i n der Prüfungslehre kann sich die Vermehrung des prüfungstheoretischen Wissens niemals i n der Metasprache i n Meta sätzen vollziehen. Aus Begriffsanalysen können wir, auch wenn die Prüfungsliteratur eine andere Auffassung nahezulegen scheint, keine Auskunft erwarten, wie die von den einzelnen Zeichen bezeichneten Sachverhalte (Designate) i m Prüfungswesen beschaffen sind, welche Bedingungen zusammen m i t welchen empirischen Invarianzen diesen so und so gestalteten Sachverhalt hervorgerufen haben usw. Begriffe sind lediglich Bausteine für eine mögliche Prüfungstheorie, die je nach Zweckmäßigkeit der Begriffsbildung mehr oder weniger gut zur theoretischen Interpretation des Prüfungsgeschehens eingesetzt werden können. Definitorische Sätze können deshalb keine Beschreibungen oder Erklärungen der Wirklichkeit liefern. Wie die Begriffe gebildet und zu prüfungstheoretischen Aussagen verknüpft werden sollen, ist ein kreatives Konstruktionsproblem, das auf intuitivem Wege von den Wissenschaftlern gelöst w i r d 3 0 . 29 Vgl. dazu z. B. Zetterberg (65), S. 540; K r a f t (60), S. 350; Weingartner (65), S. 55 ff. 80 Daß w i r das nämliche Vokabular zur Formulierung einander w i d e r sprechender Aussagen verwenden können, ist eines der Gegenargumente gegen den Glauben an „den" Begriff.
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Auch wenn i n der modernen Prüfungslehre die vergebliche Suche nach dem Begriff „Prüfung" immer noch andauert 24 , so steht dennoch eines fest: das Wort „Prüfung" hat für sich genommen überhaupt keine Bedeutung! Es gewinnt diese erst i m Zusammenhang der Redesituation, d. h. durch den individuellen Sprachvollzug. I n der Umgangssprache ist das Symbol „Prüfung" mehrdeutig. Es besitzt einen Fächer semantischer Verwendungsmöglichkeiten, die durch den Sprachvollzug i n unterschiedlichem Ausmaß realisiert werden. Aus dem Faktum jedoch, daß in der Prüfungslehre für eine theoretische Analyse eine präzisere Ausdrucksweise als i m Alltag vonnöten und die umgangssprachliche bzw. vorwissenschaftliche Mehrdeutigkeit durch eine kontexinvariante Eindeutigkeit ersetzt werden muß, sollte man keine falschen Schlüsse ziehen. Denn die Normierung einer Bedeutung des Wortes „Prüfung" ist willkürlich. Zwischen verschiedenen deskriptiven Begriffen „Prüfung" gibt es bestenfalls Unterschiede der Brauchbarkeit, aber keinesfalls solche der Richtigkeit. W i r können festhalten: a) I n der Prüfungslehre verliert unter einer theoretischen Zielsetzung die begriffliche Aufgabenstellung jegliche autonome, d. h. von der Theoriebildung losgelöste Bedeutung. b) T e r m i n i sind sprachliche Festsetzungen u n d Bestandteile prüfungstheoretischer Hypothesen. Ihnen k o m m t kein eigenständiger Erkenntnisw e r t zu. c) Kategoriale Analysen i n der Prüfungslehre betreffen metasprachliche Probleme der Prüfungslehre u n d können deshalb nichts über die Realität aussagen. Sie informieren n u r über den Sprachgebrauch u n d können die prüfungstheoretische Forschung nicht ersetzen. d) Bemühungen u m die Bestimmung des Begriffes „ P r ü f u n g " lassen sich nicht dem Wissenschaftsspiel „(empirische) Prüfungstheorie" zuordnen. W i r erfahren durch derartige = fundamentale = Definitionsversuche lediglich die vorgeschlagenen Wortverwendungsregeln f ü r „Prüfung". e) Die Begriffsbildung i n einer Prüfungstheorie ist instabil i n dem Sinne, daß einmal getroffene sprachliche Festsetzungen i m Zuge des Erkenntnisprogresses n u r solange invariant bleiben können, als sie die Formulierung von Hypothesen bzw. die Umformulierung gescheiterter Hypothesen nicht behindern bzw. der Erkenntnisfortschritt keine Abänderung verlangt oder herbeiführt 3 1 .
31
„ I n t r o d u c i n g a new theory involves changes . . . i n the meaning of even the most »fundamental' terms of the languages employed" (Feyerabend [62], S. 29); vgl. a. Feyerabend (65 a), S. 179 ff.; Feigl (49), S. 499; K a p l a n (64), S. 53 f.
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d) Identifizierung von Metasätzen mit prüfungstheoretischen Aussagen Wenn i m ersten Versuch zur Schaffung einer umfassenden Prüfungstheorie die Meinung vertreten wird, es müsse zuerst der Elementaraufbau des Begriffes „Prüfung" näher dargestellt werden, ehe an eine eigene Prüfungsdefinition herangegangen werden könne 3 2 , so ist zu dem behaupteten „Müssen" folgendes zu sagen. Das Müssen erweckt den Anschein, als sei es nicht so, daß die als Ergebnis beabsichtigte eigene Prüfungsdefinition so willkürlich wie jede beliebige andere ist, die sich i m Gegensatz dazu nicht auf einen unbegründbaren EZementaraufbau des Begriffes „Prüfung" abstützt. Wenn w i r einen Begriff „Prüfung" definieren, so heißt das, daß er durch bereits bekannte Begriffe des Definiens = erklärt = wird. Die Auswahl und Zuordnimg dieser bekannten Termini ist i n das freie Belieben gestellt und geschieht nach nicht vorausbestimmbaren Kriterien. Damit ist die Idee = des = Elementaraufbaues des Begriffes „Prüfung" i m allgemeinen und die behauptete Notwendigkeit seiner Darstellung als Vorbedingung einer eigenen Prüfungsdefinition bzw. Prüfungstheorie ad absurdum geführt. Das „Müssen" reduziert sich somit zur Ankündigimg einer terminologischen Analyse. Einer Analyse, i n der ein möglicher Prüfungsbegriff analytisch auf seine Elemente, seine innere Struktur und seine strukturellen Beziehungen zu anderen Elementen des sprachlichen Instrumentariums untersucht wird. Die Grenzen eines solchen Unterfangens sind unter einer prüfungstheoretischen Zielsetzung klar: Wenn man dem Wort „Prüfung" eine spezifische Bedeutung unterlegen w i l l , muß man sich vorsehen, nicht Hypothesen (oder gar Wertungen) i n die Definition mit hineinzunehmen. Denn diese Hypothesen lassen sich als Metasätze nicht wie prüfungstheoretische Sätze anhand der Tatsachen des Prüfungswesens nachkontrollieren. Zum Elementaraufbau des Begriffes „Prüfung" i m allgemeinen möchte Loitlsberger über eine Darstellung der Unterbegriffe gelangen, da wie jeder Begriff sich auch der Begriff „Prüfung" i n mehrere Unterbegriffe (Glieder, Elemente) ausgliedere, die i n einem bestimmten hierarchischen Verhältnis zueinander stünden 33 . Die irrige Auffassung, daß sich durch eine Untersuchung irgendwelcher (vorgeblich i n einem hierarchischen Verhältnis stehender) Unterbegriffe irgendetwas über den Elementaraufbau eines Prüfungs82 33
Vgl. Loitlsberger (53), S. 22. Vgl. Loitlsberger (53), S. 22.
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begriffes i m allgemeinen aussagen ließe, beruht auf der Gleichsetzung von Elementen eines Terminus „Prüfung" m i t Unterbegriffen eines Prüfungsbegriffes. Ein Prüfungsbegriff ist nichts anderes als normierte Verwendung des Wortes „Prüfung", die durch eine Definition festgelegt wird. Diese Definition kann als Gleichung zwischen einem Definiendum und einem Definiens dargestellt werden, wobei auf der linken Seite das Definiendum (das den neu einzuführenden imbekannten Terminus „Prüfung" enthält) und auf der rechten Seite das Definiens (ein Komplex bereits bekannter Begriffe) steht. Hierarische Verhältnisse lassen sich hier offensichtlich nicht entdecken. Zu sog. „Unterbegriffen" gelangt man außerdem nur durch eine (jeweils zulässige) intensionale Variation eines bereits bekannten Prädikators „Prüfung". Das heißt m i t anderen Worten nur, daß es wenig sinnvoll, weil sprachlogisch nicht möglich ist: (1) über irgendwelche Unterbegriffe eines Prüfungsbegriffes sprechen zu wollen, wenn dieser Prüfungsbegriff zuvor nicht eindeutig festgelegt worden ist, und (2) zu versuchen, über die einzelnen Unterbegriffe eines unbekannten Prüfungsbegriffs 34 folgende zusammenfassende Prüfungsdefinition zu geben: „Zusammenfassend können w i r unter ,Prüfung' . . . eine einmalige, durch eine Prüfungsordnung präzisierte, von einem Prüfer planmäßig durchgeführte Veranstaltung verstehen, die, auf geistigen Arbeitsleistungen aufgebaut, i n einem Vergleich eines Istzustandes mit einem Sollzustand m i t abschließender Urteilsbildung besteht 35 ." Diese Prüfungsdefinition Loitlsbergers setzt die Kenntnis seines Prüfungsbegriffes bereits voraus; i m Definiens ist „Prüfung" schon über die = Unterbegriffe = enthalten. Anders ausgedrückt, ohne Kenntnis dessen, was Loitlsberger unter „Prüfung" versteht — aber nicht sagt — ist man nicht i n der Lage, die zusammenfassende Prüfungsdefinition zu verstehen, w e i l i n dieser „Prüfung" durch „Prüfung" definiert, also Unbekanntes durch Unbekanntes erklärt wird. Es ist eine Zirkeldefinition, da die Reihenfolge, in der innerhalb eines Prädikatorensystems einer Prüfungstheorie Begriffe wie „Prüfung", „Prüfungsordnung", „Prüfungsplan" usw. eingeführt werden müßten, nicht eingehalten wird. Potentiellen kritischen Einwänden gegen seine nähere Untersuchung der wichtigsten Unterbegriffe der „Prüfung" sei entgegenzuhalten, 34
Das sind bei Loitlsberger „Prüfungsordnung", „ U r t e i l " , „Prüfer", „ P r ü fungsverfahren", „Prüfungshandlungen", u n d „Prüfungsplan". 35 Loitlsberger (53), S. 29 (H. d. V.); vgl. a. (61), S. 27.
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m e i n t L o i t l s b e r g e r , „ d a ß diese U n t e r b e g r i f f e b e i a l l e n P r ü f u n g e n i n z w a r a r t e i g e n a b g e w a n d e l t e r Weise, aber so doch i m Wesen w i e d e r kehren"36. Dieses A r g u m e n t k a n n n i c h t als s t i c h h a l t i g a k z e p t i e r t w e r d e n , d e n n es ü b e r f o r d e r t das V o r s t e l l u n g s v e r m ö g e n . W i e s o l l d e n n das v o n s t a t t e n gehen, daß Unterbegriffe, d i e j a als s u b o r d i n i e r t e E l e m e n t e eines ( u n bekannten) Prüfungsbegriffes u n d somit kontex-invariante Elemente einer Sprache, mit der m a n e t w a s über das reale Prüfungsgeschehen aussagen möchte, als Denkwerkzeuge (so d i e L o i t l s b e r g e r s c h e „ B e griffs"-Charakterisierung) b e i a l l e n P r ü f u n g e n i n z w a r a r t e i g e n abgew a n d e l t e r Weise, aber so doch i m W e s e n w i e d e r k e h r e n ? D i e gleichen S c h w i e r i g k e i t e n b e r e i t e t folgende B e h a u p t u n g : „ A l s Elemente dieser", d. h. der oben zitierten zusammenfassenden Prüfungsdefinition, „sind also besonders hervorgehoben: Die Einmaligkeit, die Prüfungsordnung, die beiden Prüfungsobjekte, der Prüfer, der Prüfungsplan, die Prüfungshandlungen sowie das als Z i e l der Prüfung folgende U r teil. Diese Elemente gelten zwar an sich f ü r jede Prüfung, i n ihrer a r t eigenen Gestaltung ergeben sie doch verschiedene Prüfungstypen" 3 7 . D i e „ E l e m e n t e dieser D e f i n i t i o n " s i n d Begriffe. W ä r e dieser Sachv e r h a l t i m Z i t a t d u r c h d i e A n f ü h r u n g s z e i c h e n , . . d e u t l i c h gemacht, so w ä r e offensichtlich, daß d e r Satz: „ D i e s e E l e m e n t e g e l t e n . . . " ohne a n g e b b a r e n S i n n ist. D u n k e l i s t auch d e r S i n n des f o l g e n d e n Passus, m i t d e m L o i t l s b e r g e r seine A n a l y s e d e r e i n z e l n e n U n t e r b e g r i f f e e i n l e i t e t : „Jede Prüfung besteht . . . aus einer Mehrzahl von Elementen. Diese sind aber von N a t u r aus nicht eindeutig präzisiert, sondern vielmehr v ö l l i g u n bestimmt u n d nicht aufeinander abgestimmt. Es bedarf somit i m m e r zunächst einer Bestimmung u n d Präzisierung der einzelnen Elemente u n d ihrer gegenseitigen Abstimmung. Diese Aufgabe v o l l b r i n g t i m A u f b a u der Prüfung die Prüfungsordnung . . . Die Prüfungsordnung stellt einen E i n heitsbezug innerhalb der einzelnen Elemente der Prüfung her. Dieser E i n heitsbezug ist f ü r den A u f b a u der Prüfung logisch notwendig. Da die P r ü fungsordnung an der Konkretisierung der anderen Elemente maßgebend m i t w i r k t , so k a n n sie logisch nicht auf der gleichen Ebene m i t den anderen durch sie gestalteten Elementen gestellt werden, sondern m a n muß i h r diesen anderen Elementen gegenüber einen logischen Vorrang einräumen. Die P r ü fungsordnung w i r d nicht durch die anderen Elemente bestimmt, sondern sie bestimmt u n d konkretisiert die anderen. Aus diesem logischen Vorrang heraus ergibt sich, daß die Prüfungsordnung innerhalb des Gliederbaues der Prüfung an erster Stelle zu behandeln ist 3 8 ." 38 37 38
Loitlsberger (53), S. 22. Loitlsberger (53), S. 29. Loitlsberger (53), S. 22 f.
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Die Verständnisbarriere besteht darin, daß es sich ja bei diesen Elementen nach Loitlsbergers eigener Ankündigung und Festsetzung u m Glieder seines Prüfungsbegrif/es i m allgemeinen und somit bei den zitierten Sätzen um verdeckte Metasätze handeln muß. Auch i m jüngsten Schrifttum w i r d die zitierte Passage so verstanden, daß es sich bei den einzelnen Elementen u m einzelne Elemente (s)eines Prüfungsbegriffes handelt 3 9 . Und es w i r d auch das Loitlsbergersche Argumentationsmuster übernommen, ohne dessen Widersinnigkeit zu sehen, wie das folgende Zitat beweist: „Die Prüfung wurde . . . definiert als ein von natürlichen, prozeßunabhängigen Personen durchgeführte Veranstaltung, die aus einem Vergleich von Ist-Objekten m i t den dazugehörigen Soll-Objekten u n d anschließender Urteilsbildung besteht. Loitlsberger hebt hervor, daß eine beliebige i n d i v i duelle Prüfung durch diese Definition noch nicht hinreichend umschrieben sei. Vielmehr müßten die einzelnen Elemente des Prüfungsbegriffs konkretisiert werden, denn diese Elemente seien von N a t u r aus nicht eindeutig präzisiert, sondern v ö l l i g unbestimmt u n d nicht aufeinander abgestimmt. Die Aufgabe der Konkretisierung u n d gegenseitigen A b s t i m m u n g der P r ü fungselemente untereinander komme der Prüfungsordnung zu: ,Unter P r ü fungsordnung soll dabei das Ganze der Vorschriften u n d Bestimmungen verstanden werden, durch die die einzelnen . . . Elemente der Prüfung bestimmt u n d i n ihrem gegenseitigen Verhältnis festgelegt werden 4 4 0 ."
V. Wysocki bringt i m ersten Satz dieses Zitats eine eigene Prüfungsdefinition, die er i m zweiten Satz unter Berufung auf Loitlsberger für nicht ausreichend, w e i l inoperabel, erklärt, wie der 3. Satz ergibt (die einzelnen Elemente des Prüfungsbegriffes seien nicht eindeutig präzisiert, völlig unbestimmt ...). Weiter verlangt er (mit Loitlsberger), daß die einzelnen Elemente des Prüfungsbegriffes konkretisiert werden müßten, was logisch gesehen die Forderung nach einer operationalen Prüfungsdefinition beinhaltet, die aber dann ein Element des Prüfungsbegriffes, nämlich die „Prüfungsordnung" leisten soll! Solange w i r nicht eine hinreichend präzise Festsetzung eines Prüfungsbegriffes haben, können w i r gar nicht sagen, wann „eine beliebige individuelle Prüfung" vorliegt. Und je nach den vorgeschlagenen oder vereinbarten Prädikatorenregeln für „Prüfung" kann sehr Verschiedenes eine „beliebige individuelle Prüfung" sein. Wenn Loitlsberger oder v. Wysocki einer Prüfungsordnung die „Aufgabe der Konkretisierung und Abstimmung der ,Prüfungs'-Elemente" zukommen lassen wollen, so läßt sich kein vernünftiger Satz über Prüfungen bzw. das Prüfungswesen formulieren! Es sind Verstöße gegen einfache Regeln der Semantik, die das Verständnis der beispielhaft zitierten Passagen so sehr beeinträchtigen, 39 40
Vgl. v. Wysocki (67), S. 27; Schulte (70), S. 32. v. Wysocki (67), S. 27, (72), S. 29.
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
der i n fast allen neueren Arbeiten zu findenden unreflektierte Sprachgebrauch bei Operationen m i t Begriffen i n der modernen Prüfungslehre. Loitlsberger t r i f f t bei seinem ersten Ansatz zu einer umfassenden Prüfungstheorie keine klare Unterscheidung zwischen sach- und den sprachbezogenen Aussagen. Die metasprachliche Analyse von Unterbegriffen (Gliedern, Elementen) eines Begriffes „Prüfung" i m allgemeinen, die dessen Elementaraufbau sichtbar werden lassen soll, dient i h m als Instrument, um eigene Ansichten über den Elementaraufbau der Prüfung näher darzulegen und durch eine zusammenfassende zirkuläre Prüfungsdefinition abzusichern, der anscheinend empirische Dignität zukommen soll 4 1 . Wenn man sich wie Loitlsberger oder v. Wysocki „beim Reden über Begriffe und bei der Explikation begrifflicher Zusammenhänge der ,materialen Sprechweise' bedient", so trägt dies „ n u r zur Selbsttäuschung und zur unbeabsichtigten Täuschung anderer bei, denen die Voraussetzungen fehlen, die nun einmal notwendig sind, um zwischen materialer Redeweise und inhaltlichen Aussagen zu unterscheiden" 42 . Unsere K r i t i k w i r d durch eine Feststellung unterstrichen, m i t der Loitlsberger rückblickend i m Jahre 1966 seine Bemühungen u m eine Bestimmung des Begriffes „Prüfung" i m allgemeinen (im Jahre 1953) so charakterisiert: die traditionellen Prüfungsdefinitionen „waren i n mehrfacher Hinsicht ergänzungsbedürftig. So waren vor allem Ziel (Aufgabe) und innere Struktur der Prüfung noch nicht genügend klar herausgearbeitet; dazu mußten die Begriffe (!) Prüfungsordnung', ,Prüfungsobjekte' (d. h. ,Soll-' und ,Istobjekt'), ,Vergleich' (oder ,Fehlerfeststellung) und ,Urteil' i n die Definition aufgenommen werden" 4 3 . Die analytische Festsetzung eines Terminus „Prüfung" soll also wider die Logik der Definition i n der Lage sein, etwas über die innere Strukt u r von Prüfungen, d. h. über realstrukturelle Zusammenhänge auszusagen. Eine Prüfungsdefinition vermag lediglich über die Struktur eines möglichen Prüfungsbegriffes zu informieren! Ein Prüfungsbegriff handelt nicht von erfahrbaren Tatsachen i m Prüfungswesen, m i t i h m w i r d lediglich gedacht bzw. gesprochen. Es dürfte unmittelbar einleuchtend sein, daß eine Darstellung der wichtigsten Unterbegriffe der „Prüfung" 4 4 nichts darüber aussagen 41 42 43 44
Vgl. Loitlsberger (53), S. 22 ff. A l b e r t (62 a), S. 151. Loitlsberger (66), S. 27 (H. d. V.). Vgl. dazu Loitlsberger (53), S. 22 ff.
1. Der erste Versuch: Kategoriale Analyse als Theorieersatz
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kann, welche Faktoren des Prüfungsgeschehens als kausal relevant anzusehen sind oder ob sich alle kausal relevanten Größen m i t dem jeweils vorhandenen terminologischen Instrumentarium erfassen lassen. Jede begriffliche Apparatur, die w i r zur Erforschung des Prüfungswesens schaffen, ist notwendigerweise selektiv und seine Brauchbarkeit erweist sich bei der Testung der m i t seiner Hilfe entwickelten Hypothesen 45 . W i r beabsichtigen hier keine lückenlose Analyse der Ausführungen Loitlsbergers zu den wichtigsten Unterbegriffen seines Prüfungsbegriffes, w e i l diese keine Aufschlüsse über strukturelle Wirkungsbeziehungen i m Prüfungsgeschehen bieten können. Jeder Versuch, eine Bestimmung des Begriffes „Prüfung" überhaupt zu geben und darauf eine umfassende Theorie der Prüfung zu gründen, führt die prüfungstheoretische Forschung zwangsläufig i n eine Sackgasse. Faßt man die Äußerungen über den Begriff der Prüfung zusammen 46 , so besteht die Quintessenz der Überlegungen Loitlsbergers zum Elemmentaraufbau des Begriffes Prüfung i m allgemeinen resp. über die = innere Struktur von Prüfungsprozessen = i n der Skizzierung eines normativen Ideals, das über eine Prüfungsdefinition abgesichert werden soll: Prüfungen dürfen nach Ansicht des Autors nur dann als „Prüfungen" bezeichnet werden, wenn sie planmäßig so gestaltet werden, wie es den i n den Prüfungsordnungen niedergelegten Vorschriften und Bestimmungen bzw. den Vorstellungen des Autors über den Elementaraufbau einer Prüfung entspricht. Dessen sollte sich der bewußt sein, der Loitlsbergersche Prüfungsdefinition übernimmt oder sich an diese anlehnt 4 7 . Als Beispiel für die problematische A r t der Erörterung der Unterbegriffe wollen w i r einige Aussagen Loitlsbergers herausgreifen und kurz kommentieren. Über das Urteil schreibt Loitlsberger: „ E i n anderer Unterbegriff . . . ist der Begriff des Urteils als der Begriff, der formal die Aufgabe der Prüfung zeigt. Jede Prüfung dient dazu, ein U r t e i l zu ermöglichen; umgekehrt ist eine Prüfung ohne Urteil nicht denkbar 4 8 ." 45 E i n Beispiel, w i e man sich m i t Hilfe der Loitlsbergerschen = Elemente der Prüfung = die Prüfungsrealität so zurechtmachen kann, daß man darauf Überlegungen über die Eignung mathematisch-statistischer Methoden für „optimale Prüfungen" basieren kann, findet man bei Schulte (70), S. 29 ff. 48 Vgl. Loitlsberger (53), S. 21 ff. 47 Die Verpflichtung auf = prüfungsordnungsgemäßes = Verhalten erstreckt sich bei Loitlsberger auf Prüfer w i e auf Auftraggeber! 48 Loitlsberger (53), S. 24.
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
Das ist offensichtlich wiedersprüchlich. Denn wenn jede Prüfung dazu dient, ein Urteil zu ermöglichen, sind Prüfungen ohne Urteil sehr wohl denkbar. Hört man die für das angeblich Nicht-denkbare angebotene Begründung: „ . . . denn wenn kein Urteil gefällt wird, ist auch nicht geprüft worden" 4 8 , so w i r d klar, daß hier mit zwei Bedeutungen von „Prüfung" argumentiert und ein normatives Urteil gefällt wird. Der Autor w i l l sagen, daß die Etikette „Prüfung" nur solchen Prüfungen vorbehalten bleiben soll, bei denen ein Urteil gefällt wird, w e i l für ihn „das Urteil . . . ein unabdingbares Erfordernis einer Prüfung" 4 8 darstellt. Setzt man dies fest, dann sind bei Prüfungen i n diesem Sinne = eine Prüfung ohne Urteil nicht denkbar = , außer man verstößt gegen die Logik. Bei anders verlaufenden Prüfungen bleibt das Fehlen eines (abschließenden) Urteils jedoch denkbar, sollte aber nach Ansicht Loitlsbergers nicht vorkommen. Dieses implizite Werten findet man bei Loitlsberger auch an anderer Stelle, wo er das Fehlen eines Gesamturteils als Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsprinzip verdeckt bewertet: „Das Urteil ist ein so wesentlicher Bestandteil der Prüfung, daß eine Prüfung ohne abschließende Urteilsbildung keine ökonomische Tätigkeit darstellt 4 0 ." Das in diesem Satz als Tatsachenbehauptung getarnte Werturteil ist ein Schluß aus der vom Autor zuvor festgesetzten Synonymität von „Prüfung" und „ein dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unterliegender Beurteilungsprozeß" 60 . Der folgende Schluß aus der A n t w o r t auf die zuvor aufgeworfene Frage, wovon z. B. der verschiedene Inhalt der Urteile bestimmt sei, beruht u. a. auf einem circulus i n probando: „Die A r t des Urteils muß i n der Prüfungsordnung niedergelegt sein. Damit zeigt sich das Urteil i m logischen (?) Aufbau der Prüfung als von der Prüfungsordnung abhängig und durch sie bestimmt 5 1 ." Auch die folgenden Überlegungen zu den Prüfungsobjekten bringen kein Faktenwissen, sondern machen lediglich m i t krypto-linguistischen und normativen Festsetzungen und deren Konsequenzen bekannt: „ B e i jeder Prüfung soll ein Zustand, der vorgefunden w i r d oder als existent angenommen w i r d (Istzustand) m i t einem idealen Sollzustand (Vollkommenheitszustand) verglichen u n d daran beurteilt werden. Daraus folgt, daß bei jeder Prüfung zwei Objekte der Prüfung vorhanden sein müssen: 49 50 51
Loitlsberger (66), S. 68. Vgl. Loitlsberger (66), S. 27. Loitlsberger (53), S. 25 (H. d. V.).
1. Der erste Versuch: Kategoriale Analyse als Theorieersatz
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der Vollkommenheitszustand (Vergleichzustand) u n d Istzustand (Prüfungsobjekt i m engeren Sinne). Daran ändert sich auch dadurch nichts, daß m a n scheinbar zwei tatsächlich vorhandene Zustände miteinander vergleichen u n d beurteilen kann. Denn auch i n diesem Falle muß ein Zustand den Maßstab abgeben, an dem der andere gemessen w i r d ; eine Prüfung ohne einen solchen Zustand, an dem ein anderer gemessen w i r d , gibt es nicht 62"
Das sind Tautologien kombiniert mit Wertungen! Denn i n dem Zitat w i r d nur über die Sprache gesprochen und (teils verdeckt) gewertet, d. h. es werden Verhaltensforderungen aufgestellt. Diese wenigen Beispiele mögen genügen u m zu zeigen, daß der erste prüfungstheoretische Versuch i n der modernen Prüfungslehre losgelöst von der Prüfungsrealität entwickelt wird. Er „geht vom Einheitsbezug, der durch die Prüfungsordnung hergestellt wird, aus und versucht von dort her die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Prüfungshandlungen aufzuzeigen" 53 ; nur sind die aufgezeigten Zusammenhänge nicht die, die die Prüfungsrealität charakterisieren. Das gleiche U r t e i l gilt für die „Theorie der Prüfung" 5 4 , die Zimmermann i m Jahre 1954 über eine Analyse der „Elemente einer Prüfung (Begriffsbildung)" 5 4 zu erreichen suchte und i n der „die bei allen Prüfungen gültigen Grundsätze erforscht werden" 5 5 sollen. Wenn Hasenack die Arbeit von Zimmermann als „ein bedeutsamer Schritt auf dem Wege der theoretischen Fundierung der Prüfungsvorgänge i n der Richtung einer begrifflichen Normung... und einer A r t fachlicher Phänomenologie" 56 erscheint und bewertet, so zeugt diese Einschätzung davon, daß er wie Zimmermann eine Theorie der Prüfung als Begriffsbildung mißversteht. Bei Zimmermann führt dies u. a. „zu einer eigenwilligen, aber doch zum großen Teil nachhaltigen Begriffsbildung" 5 7 ; cum grano salis treffen die Einwände, die w i r gegenüber Loitlsbergers ersten Versuch erhoben haben, auch auf i h n zu. W i r fassen zusammen: a) Der erste Versuch i n der modernen Prüfungslehre, eine umfassende Prüfungstheorie zu konzipieren, w a r a p r i o r i zum Scheitern verurteilt. Die dort gegebene „Darstellung der Zusammenhänge . . . , die das Wesen der Prüfung ausmachen" 5 8 sollen, offeriert i m Grunde nichts anderes als Begriffsbestimmungen u n d krypto-normative Wertungen. Das angeb52 63 54 65 56 67 58
Loitlsberger (53), S. 25 (H. d. V.). Loitlsberger (66), S. 59. Z i m m e r m a n n (54), S. 17. Z i m m e r m a n n (55), S. 10. Hasenack (54), S. 5 (H. d. V.). Wacker (70), S. 342. Loitlsberger (66), S. 19.
3 Fischer-Winkelmann
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
liehe Wesen der Prüfung der Sprache.
ergibt
sich in Wirklichkeit
aus dem
Gebrauch
b) Charakteristisch f ü r diesen Versuch ist, daß metasprachliche Aussagen über einen (Elementar-)Aufbau eines Begriffes „ P r ü f u n g " m i t o b j e k t sprachlichen, d. h. prüfungstheoretischen Aussagen über den = Elementaraufbau der Prüfung i m allgemeinen = gleichgesetzt werden u n d z w i schen sprachlichen „Invarianzen" u n d den das Prüfungsgeschehen bestimmenden empirischen Regelmäßigkeiten nicht differenziert w i r d . c) Eine (krypto-normative) Analyse eines möglichen kein Ersatz f ü r eine praktikable Prüfungstheorie.
Prüfungsbegriffes
ist
d) I n diesem ersten prüfungstheoretischen Versuch dokumentieren sich erstmals die negativen A u s w i r k u n g e n der i n der modernen Prüfungslehre verbreiteten Idee des Begriffes „Prüfung", der alle notwendigen u n d für wesentlich anzusehenden Eigenschaften des empirischen Phänomens „Prüfung" erfassen u n d so den Zugang zur Prüfungsrealität, den f a k t i schen Invarianzen i n Prüfungsprozessen, d. h. zur = inneren S t r u k t u r von Prüfungen = erschließen können soll. Das ist aber eine ebenso metaphysische Illusion w i e etwa die Vorstellung von der Theorie der Prüfung. Der Glaube an den Prüfungsbegriff w i e an die Prüfungstheorie ignoriert die jeder Problemwahl u n d jeder wissenschaftlichen Sprache inhärente Selektivität u n d damit auch die der formulierten Hypothesen u n d Theorien. e) Das Schwergewicht einer beabsichtigten theoretischen Erforschung des Prüfungsgeschehens k a n n nicht i n einer Begriffsanalyse, sondern n u r i n dem E n t w u r f u n d kritischem Gebrauch von Prüfungstheorien liegen. 2. D i e weitere Entwicklung: A u s k l a m m e r u n g der Prüfungsrealität durch begriffsorientierte Analysen des Prüfungsprozesses D i e V e r k e n n u n g d e r verschiedenen R o l l e n , d i e d i e Meta- u n d Objektspräche i n e i n e r p r a k t i k a b l e n P r ü f u n g s t h e o r i e spielen, k e n n z e i c h n e t auch A n s ä t z e i n d e n 60er J a h r e n , „ d i e P r ü f u n g als f u n k t i o n a l e s E r k e n n t n i s o b j e k t z u r A b l e i t u n g e i n e r geschlossenen T h e o r i e (der = P r ü fungstheorie = ) " 5 9 zu benutzen. D i e seinen e r s t e n p r ü f u n g s t h e o r e t i s c h e n V e r s u c h c h a r a k t e r i s i e r e n d e Sprach-, d. h. B e g r i f f s o r i e n t i e r u n g f i n d e t sich b e i L o i t l s b e r g e r i n seiner verdienstvollen Monographie „Treuhand- u n d Revisionswesen"60 wieder, w o er das W e s e n e i n e r P r ü f u n g d u r c h e i n e „ A n a l y s e d e r b e i d e n Prüfungen erforderlichen Teilprozesse" 61 darzulegen u n d der theoretischen P r ü f u n g s l e h r e eine neue P e r s p e k t i v e z u v e r m i t t e l n versuchte. Seine P r o b l e m l ö s u n g w u r d e z u m M u s t e r f ü r andere, w e s h a l b w i r sie analysieren wollen. 59 60 61
Loitlsberger (66), S. 20. Loitlsberger (66). v. Wysocki (67), S. 20.
2. Die weitere Entwicklung: Ausklammerung der Prüfungsrealität
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Der Gebrauch, den Loitlsberger bei seiner Analyse des Prüfungsprozesses von seiner Prüfungsde/inition macht, zeigt u. a., daß Definitionen und deren Implikationen inform von Ist-Sätzen (sog. „implizite Metasätze") als prüfungstheoretische Aussagen (miß-)verstanden werden. Für den Leser t r i t t dieser Sachverhalt nur deshalb nicht augenfällig i n Erscheinung, w e i l zwischen der Festsetzung des Prüfungsbegriffes und der daran orientierten Analyse der Prüfungsteilprozesse 40 Seiten liegen 62 . U m die zwischen der Loitlsbergschen Prüfungsdefinition und der = theoretischen = Untersuchung des Prüfungsprozesses bestehenden Verbindungslinien aufzeigen zu können, müssen w i r uns deshalb zunächst der Prüfungsdefinition zuwenden. Zieht man die beiden Auflagen der Monographie „Treuhand- und Revisionswesen" zu Rate, merkt man, was der Autor m i t seiner Prüfungsdefinition alles zu erreichen hofft. Aufschlußreich ist die Begründung, die der Autor für die Ergänzungs- und Verbesserungsbedürftigkeit traditioneller Prüfungsdefinitionen gibt: „So waren vor allem Ziel (Aufgabe) und innere Struktur der Prüfung noch nicht genügend klar herausgearbeitet" 63 , wenn man dazu die Bemerkungen zur eigenen Prüfungsdefinition i n der 1. Auflage als Interpretationshilfe heranzieht: „Die genannten Definitionen erscheinen i n mehrfacher Hinsicht ergänzungsbedürftig: Jede Prüfung hat ein Ziel, das sich aus dem angestrebten U r t e i l ergibt. U m dieses Z i e l zu erreichen, bedarf es einer systematischen Ordnung der möglichen Prüfungselemente, damit die P r ü f u n g eine innere S t r u k t u r erhält. Außerdem k o m m t die Bedeutung der Prüfungsordnung als gestaltendes Element nicht zum Ausdruck. A u f g r u n d dieser Überlegungen
läßt sich folgende Definition der Prüfung formulieren: Die Prüfung ist eine einmalige, durch eine Prüfungsordnung präzisierte, von einem Prüfer planmäßig durchgeführte Veranstaltung, die, auf geistigen Arbeitsleistungen aufgebaut, in einem Vergleich eines Istobjekts mit einem Sollobjekt und anschließender Urteilsbildung besteht® 4." N u n können Prüfungen als Prüfungen keine Ziele haben. Und was von der Bedeutung der „Prüfungsordnung" als gestaltendem Element zu halten ist, wurde bereits dargelegt. Festzuhalten ist, daß über eine mögliche Definition von „Prüfung" vom Autor die Verwendbarkeit Prädikators „Prüfung" von dem Vorliegen einer systematischen Ordnung möglicher Prüfungselemente abhängig gemacht wird, = damit die Prüfung eine innere Struktur erhält = . Das heißt anders gesagt: weisen Prüfungen nicht die i n dieser Prüfungsdefinition fixierte = innere Struktur = auf, dann ist auf diese Prüfungen der Loitlsbergersche Prädikator „Prüfung" nicht anwendbar! 62 63 64
8»
Vgl. Loitlsberger (66), S. 67 ff. i. V. S. 26 ff. Loitlsberger (66), S. 27. Loitlsberger (61), S. 27.
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
Nichts deutet an der oben zitierten Stelle darauf hin, daß der Autor diese extensionale Einengung sehen würde oder diese von i h m beabsichtigt wäre. Diese Merkmale sollen vielmehr auf alle Prüfungen zutreffen, d. h. der Autor verlangt m i t seiner Prüfungsdefinition (!), daß alle Prüfungen „eine einmalige, durch eine Prüfungsordnung präzisierte, . . . planmäßig durchgeführte Veranstaltung" sind, „die, auf geistigen Arbeitsleistungen aufgebaut...". Der Autor meint m i t der zitierten Prüfungsdefinition genügend klar herausgearbeitet zu haben, welche zieladäquate „innere Struktur" faktische Prüfungsprozesse aufweisen sollten bzw. welche systematische Ordnung der möglichen Prüfungselemente von seinem Standpunkt aus für wünschenswert anzusehen ist. Zugleich sollen damit Mängel bisheriger Prüfungsdefinitionen behoben und Fortschritte erzielt sein. Das ergibt sich unschwer aus der i n der 2. Auflage zu findenden Begründung für die Ergänzungsbedürftigkeit bisheriger Prüfungsdefinitionen: „So waren vor allem Ziel (Aufgabe) und innere Struktur der Prüfung noch nicht genügend klar herausgearbeitet; dazu mußten die Begriffe (!) ,Prüfungsordnimg', ,Prüfungsobjekte' (d. h. ,Soll-' und ,Istobjekt'), »Vergleich' (oder ,Fehlerfeststellung') und ,Urteil' i n die Definition aufgenommen werden 6 5 . M i t der = Ergänzungsbedürftigkeit = bisheriger Prüfungsdefinitionen w i r d den anderen Fachautoren unterstellt, daß auch sie Ziel (Aufgabe) und innere S t r u k t u r einer Prüfung metasprachlich und somit empirisch unangreifbar festlegen wollten bzw. eine Sprachregelung so verstanden haben, als ginge es dabei um die Beschreibung faktischer Sachverhalte aus dem Prüfungswesen. Ohne nun fruchtlose Definitionsstreitigkeiten vom Zaune brechen zu wollen, läßt sich feststellen, daß Loitlsbergers Ansichten über die Ergänzungsbedürftigkeit bisheriger literarischer Versionen eines Prüfungsbegriffes seinerseits der K r i t i k genügend Angriffspunkte bieten. Er versäumt es bspw., die prüfungstheoretische = Notwendigkeit = der behaupteten Ergänzungsbedürftigkeit anhand von K r i t e r i e n wie zu geringe theoretische Fruchtbarkeit, Exaktheit, Einfachheit usw. nachzuweisen. Was sich aber nur anhand einer relevanten Theoriebildung i n der Prüfungslehre hätte bewerkstelligen lassen 66 ! Das geschieht jedoch nicht und darum geht es Loitlsberger bei seiner indirekten K r i t i k am Schrifttum auch nicht. 65
Loitlsberger (66), S. 27 (H. d. V.). •• Wobei sich auch zeigen würde, daß einem Prüfungsbegriff außer der Abgrenzung eines Untersuchungsbereiches keinerlei theoretische Bedeutung zukommt.
2. Die weitere Entwicklung: Ausklammerung der Prüfungsrealität
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Das zeigt sich beispielhaft i n der Unzufriedenheit Loitlsbergers m i t seiner eigenen früheren Prüfungsdefinition 6 7 . Ziel (Aufgabe) und innere Struktur einer Prüfung scheinen i h m zwar genügend klar herausgearbeitet, i n der Prüfungsdefinition (!) fehle jedoch die stärkere Hervorhebung, daß es sich bei einer Prüfung u m eine = wirtschaftliche = Veranstaltung handle, die dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unterliege und bei der es darum gehe, ein bestimmtes Urteil m i t möglichst geringem Mitteleinsatz und umgekehrt m i t einem bestimmten Mitteleinsatz ein möglichst sicheres Urteil zu erreichen 68 . M i t solchen = Ergänzungen = befindet man sich i n der Prüfungslehre nicht mehr auf einer Vorstufe zu einer brauchbaren Hypothesenbzw. Theoriebildung, sondern i m Bereich der Wertungen, auch wenn die Ergänzung äußerlich-sprachlich den Eindruck erweckt und auch leicht so verstanden werden wird, als ob sie lediglich zu einer Beschreibung einer Tatsache aus dem Prüfungswesen verwendet würde. Wenn nun Loitlsberger unter Berücksichtigung der i h m notwendig erscheinenden Ergänzungen bisheriger Prüfungsdefinition u m Ziel (Aufgabe), innere Struktur und Wirtschaftlichkeitsprinzip Prüfung als eine „durch den Auftrag sachlich abgegrenzte, dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unterliegende, planmäßig durchgeführte Veranstaltung" definiert, „die auf geistigen Arbeitsleistungen aufgebaut, i m Vergleich eines Istobjektes m i t einem (oder mehreren) Sollobjekt(en) und anschließender Urteilsbildung besteht" 8 9 , so w i r d hier mithilfe einer Prüfungsdefinition das B i l d einer idealen Veranstaltung skizziert und als real gegeben i n das Prüfungsgeschehen projiziert. Zugleich w i r d bzw. ist i n dieser Prüfungsdefinition der Verlauf der späteren Untersuchung der Teilprozesse der Prüfung programmatisch umrissen und fixiert. Die Analyse der Prüfungsteilprozesse leitet sich m i t der folgenden Feststellung ein: „Da zur Durchführung einer Prüfung die einzelnen Prüfungshandlungen i n einen Zeit- und Sachzusammenhang (= Prozeß) gebracht werden müssen", soll „nach dem Zusammenwirken der einzelnen Teilprozesse i n einer Prüfung gefragt" werden 7 0 . 67
Vgl. Loitlsberger (66), S. 27, (61), S. 27 u n d (53), S. 29. Vgl. Loitlsberger (66), S. 27; zur Prüfung als = wirtschaftlicher = V e r anstaltung siehe auch Richter (64) u n d K o l a r i k (64). 89 „ K ü r z e r k a n n sie als ein dem Wirtschaftlichkeitsprinzip unterliegender Beurteilungsprozeß bezeichnet werden." (Loitlsberger [66], S. 27). 70 Loitlsberger (66), S. 67. „ D a die Prüfung außerdem", f ä h r t Loitlsberger fort, „eine =•wirtschaftliche Veranstaltung ist", präziser, zu sein hat, „muß darüber hinaus untersucht werden, welche Faktoren die Wirtschaftlichkeit der Prüfungsdurchführung beeinflussen". A u f eine eingehende kritische Analyse der Ausführungen Loitlsbergers zu den Wirtschaftlichkeitsfaktoren der Prüfungsdurchführung können w i r verzichten, da es sich dabei nicht u m 68
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
Daß jede einzelne (historische oder auch nur gedachte) Prüfungshandlung immer i n einem Zeit- und Sachzusammenhang steht, ist eine triviale Feststellung, die durch Ausstattung m i t einer normativen Komponente nichts an Informationsgehalt dazugewinnt. U m eine Trivialität ist es aber Loitlsberger bei seiner Untersuchung der Prüfungsteilprozesse nicht zu tun, i n der nicht das faktische Zusammenwirken von Prüfungshandlungen bei Prüfungen analysiert oder die diese Zusammenwirken bestimmenden Invarianzen aufzudecken versucht wird. Es w i r d vielmehr dargelegt, i n welcher systematischen Ordnung Prüfungshandlungen bei Prüfungen zu bringen sind, welche innere Struktur Prüfungen aufweisen müssen, damit Prüfungen „als = Beurteilungsprozeß = bezeichnet werden" 7 1 dürfen! Und wie i n diesem Falle die einzelnen Prüfungshandlungen i n einen Zeit- und Sachzusammenhang ( = Prozeß) gebracht werden müssen, ist bereits durch die Prüfungsdefinition i m prinzipiellen festgelegt: es muß sich u m eine planmäßige durchgeführte Veranstaltung handeln, die . . . i m Vergleich eines Istobjektes m i t einem (oder mehreren) Sollobjekt(en) und anschließender Urteilsbildung besteht, s. o. Bei seiner K r i t i k an der bisherigen literarischen Beschäftigung m i t dem Problem der Prüfungshandlungen macht Loitlsberger den Autoren 7 2 den Vorwurf, die (in seiner eigenen Prüfungsdefinition) fixierte Aufgabe und innere Struktur einer Prüfung nicht erkannt, d. h. Prüfungen nicht (wie er) als Beurteilungsprozeß m i t einer ganz bestimmten (definitorisch festgelegten) Abfolge von Aktionsphasen gedeutet zu haben: Die bisher übliche „Einteilung der Prüfungshandlungen nach dem der Tätigkeit" weise zwar „den Vorteil großer Anschaulichkeit" auf, sie habe aber den „Nachteil, daß sie nicht aus der Aufgabe abgeleitet ist, die diese Tätigkeiten i m Rahmen der gesamten Prüfung zu erfüllen haben, und daß sie außer dem nicht beachtet, daß diese Handlungen niemals isoliert, sondern i n zeitlicher und sachlicher Abfolge m i t anderen Handlungen, also als Prozeß ausgeführt werden". Versuche man dagegen die einzelnen Prüfungshandlungen nicht mehr wie bisher i n der Literatur üblich, allein und „isoliert, sondern i n ihrer sinngemäßen Verbundenheit darzustellen", so müsse man davon ausgehen, „daß jede Prüfung der Beurteilung von Zuständen und Tatbeständen dient" 7 3 . eine empirisch-kognitive Problemstellung dreht. Loitlsbergers Analyse der Wirtschaftlichkeit der Prüfungsdurchführung (S. 84 ff.) zeitigt n u r pseudonormative Leerformeln u n d unverbindliche (d. h. nicht nachkontrollierbare) Behauptungen. 71 Loitlsberger (66), S. 68. 72 Z. B. Gerstner (21); H i n t n e r (49); Isaac (o. J.); Z i m m e r m a n n (54).
2. Die weitere Entwicklung: Ausklammerung der Prüfungsrealität
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Ex definitione! Denn dieser von Loitlsberger geforderte Ansatzpunkt beim U r t e i l ist nichts weiter als eine I m p l i k a t i o n seiner mittels seiner Prüfungsdefinition (!) getroffenen (normativen) Festsetzung, daß das Ziel (die Aufgabe) einer Prüfung das U r t e i l zu sein habe! Die K r i t i k Loitlsbergers am Schrifttum wegen der fehlenden Aufgab enorientierung der Analyse der Prüfungshandlungen ist vom Standp u n k t des K r i t i k e r s aus konsequent — w e n n auch unter prüfungstheoretischem Aspekt nicht zu akzeptieren! Denn die Forderung, f ü r die Analyse der Prüfungshandlungen bei deren sinngemäßen Verbundenheit anzusetzen, weist vom prüfungstheoretischen Gesichtspunkt her keinerlei wissenschaftsstrategische Vorzüge gegenüber der bisherigen = isolierenden = Vorgehensweise auf, i h r liegt nämlich eine Problemstellung zugrunde, die Fortschritte bei der Aufstellung bzw. die E x i stenz von Prüfungstheorien voraussetzt. Jeder Versuch i n der Prüfungslehre, eine von irgendeiner Aufgabe der Prüfung abgeleitete Zuordnung (Einteilung) von Prüfungshandlungen zu einem zweckvollen Zeit- u n d Sachzusammenhang ( = Prozeß) herauszuarbeiten 7311 , k l ä r t nicht über die faktische Struktur des k o m plexen Handlungsprozesses „Prüfung", d . h . über die zwischen den Aktionselementen bei Prüfungen tatsächlich existierenden Relationen auf. Er informiert vielmehr über an irgendwelchen vorausgesetzten Zielvorstellungen (und Mittelbeschränkungen) orientierte Zweckmäßigkeitsüberlegungen des Autors, die m i t prüfungstheoretischen Fragen n u r i n einem indirekten Zusammenhang stehen. Die systematische Erforschung der Prüfungsrealität, d. h. die Theoriebildung, ist ein Schritt, der vor den Möglichkeitsanalysen i m Sinne von (wissenschafltich untermauerten) „Zweckmäßigkeitsüberlegungen" liegt, u n d i n der Prüfungslehre nicht einfach ausgelassen werden kann, wenn die Überlegungen einen praktischen W e r t besitzen sollen 7 4 . Das bedeutet aber, daß der Versuch Loitlsbergers, „die einzelnen Prüfungshandlungen nicht mehr isoliert, sondern i n ihrer sinngemäßen V e r b u n denheit darzustellen" 7 5 , nicht m i t einer prüfungstheoretischen I n t e r pretation des Prüfungsgeschehens identisch sein kann.
73
Loitlsberger (66), S. 68, H. d. V. Gleichgültig, ob man nun beim U r t e i l ansetzt oder das = Z i e l der Prüfung = anders bestimmt. 74 Es sei denn, man hängt dem irrigen Glauben an, man könne die zur Formulierung von prüfungstechnologischen Aussagen notwendige prüfungstheoretische Fundierung i m Wege der Modell-Bildung umgehen. Zur P r ü fungstechnologie vgl. Teil B, Kapitel V I I . 75 Loitlsberger (66), S. 68. 73a
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
Das Neue an der Darstellung der Prüfungshandlungen durch Loitlsberger liegt einzig darin, daß einzelne Prüfungshandlungen bzw. Handlungskomplexe anders als bisher üblich geordnet (gruppiert) werden können. Ordnungskriterium ist ein erstmals von Loitlsberger aufgestelltes und anderen Autoren inzwischen zum Vorbild gewordenes Schema von Teilprozessen der Prüfung, das folgende zeitliche Sukzession vorschreibt: Prüfungsplanungsprozeß, Istobjektermittlungsprozeß, Vergleichs(Soll-)objektermittlungsprozeß, Vergleichs- oder Fehlerfeststellungsprozeß, Beurteilungsprozeß i. e.S., Urteilsmitteilungsprozeß und Prüfungskontroll- bzw. -prüfungsprozeß. Daß m i t diesem Phasenschema nichts über die Prüfungswirklichkeit ausgesagt wird, zeigt die bloße Lektüre der Ausführungen Loitlsbergers 76 . Loitlsberger wendet letztlich nur seine Definition von „Prüfung" an, m i t der er den Gebrauch der Vokabel „Prüfung" für die Bezeichnung eines i n verschiedene Prozeßschritte (Aktionsphasen) zerfallenden und ein bestimmtes zeitliches Grundschema i m Phasenablauf zeigenden (komplexen) Handlungsvorganges reservierte und neben dem Ziel (der Aufgabe) der Prüfung noch deren = innere Struktur = fixieren wollte. Als A n t w o r t auf die vom Autor selbst gestellte Frage nach dem Zusammenwirken der einzelnen Teilprozesse bei Prüfungen erhalten w i r von i h m ein Gliederungsschema für eine aufgabenorientierte Einteilung und Erörterung von Prüfungshandlungen an die Hand, das seine Geltung aus einer logisch willkürlichen ( = begrifflichen) Festsetzung bezieht. Aus der definitionsgemäßen Verbundenheit der Loitlsbergerschen = Teilprozesse der Prüfung i m allgemeinen = leitet sich die sinngemäße Verbundenheit der Prüfungshandlungen her, wie sie der Autor i m Abschnitt „Die Teilprozesse der Prüfung i m besonderen" näher untersucht und darstellt 7 7 . Charakteristisch für die an einer Definition (des Beurteilungsprozesses resp. der Prüfung) aufgehängten Darstellung von Prüfungshandlungen i n ihrer = sinngemäßen Verbundenheit = Loitlsbergers ist bspw., daß darüber hinweggegangen wird, daß Prüfungen durch eine Person bzw. inform von Mehrpersonenprüfungen durchgeführt werden. A u f eine kurze Formel gebracht, es w i r d bei der Anlage des Prüfungsprozesses das Faktum ignoriert, daß die Träger von Prüfungshandlungen immer Menschen sind. I n einer operablen Prüfungstheorie w i r d man jedoch bei einer Beschäftigung m i t dem Problemkreis „Prüfungshandlungen" ohne Hypo76 77
Vgl. Loitlsberger (66), S. 68 ff. A m Beispiel der Buchprüfung, vgl. Loitlsberger (66), S. 70 ff.
2. Die weitere Entwicklung: Ausklammerung der Prüfungsrealität
121
thesen über Verhaltensweisen und deren Bestimmungsgründe der (einzeln oder i n Gruppen tätigen) Prüfer nicht das Auslangen finden. Wer nach einer Prüfungstheorie strebt, kann nicht einfach den Faktor „Mensch" als Gestaltungsgröße, d. h. hier die Prüfer, aus der „Theorie" ausklammern oder implizite einer mechanistisch-instrumentalen Interpretation unterziehen, indem man irgendwelche Prüfungshandlungen (die ja u. a. Resultate von Problemlösungs- und Entscheidungsprozessen sind) losgelöst von ihren Trägern diskutiert. M i t dem von Loitlsberger vorgeschlagenen und nicht nur von i h m auch praktizierten Konzept einer aufgaben- und prozeßorientierten Erörterung von Prüfungshandlungen w i r d zwar die traditionelle Perspektive i n der Prüfungslehre verlassen. Aber irgendwelche Erkenntnisfortschritte sind von diesem Ansatz solange nicht zu erhoffen als Prüfer nur abstrakte Funktionswesen bleiben, deren Verhaltensweisen sich völlig definitorisch vorgegebenen = Zielen = und = Teilprozessen der Prüfung = unterordnen bzw. einfügen. Es sind die Prüfer und ihr Handeln, die für den realen Prüfungsablauf und das sonstige Geschehen i m Prüfungswesen mitbestimmend sind. U n d so müssen auch die Probleme ihres Verhaltens und dessen Bestimmungsfaktoren notwendige Bestandteile prüfungstheoretischer Fragestellungen, Aussagen und Problemlösungen sein 7 7 a . Da dieses „Müssen" von den Vertretern der modernen Prüfungslehre — aus welchen Gründen auch immer — (bisher noch) nicht akzeptiert wird, steht die moderne Prüfungslehre abseits der Prüfungsrealität. Es überrascht dann nicht mehr, daß man bei Loitlsberger, der als erster Prüfungen als Beurteilungsprozesse i n den Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses schob, nichts darüber erfährt, wie sich die U r teilsbildungsprozesse bei Einzel- oder Mehrpersonenprüfungen vollziehen, auf welche faktischen Invarianzen man bei ihrer theoretischen Analyse stößt usw. Statt z. B. die Bedingungen der Subjektivität der Urteilsbildung zu erforschen — die er als einen Mangel empfindet — sieht Loitlsberger eine der Aufgaben der neueren Prüfungs-„theorie" darin, die Subjektivität i m Urteilsbildungsprozeß auszuschalten (!) und zu diesem Zwecke die Verwendbarkeit mathematisch-statistischer Methoden zur Fixierung objektiver Fehlerkriterien zu untersuchen 78 . Von einer prüfungstheoretischen Zielsetzung jedoch werden Probleme wie die Frage nach Kriterien, nach denen i m Prüfungswesen die Schwere entdeckter Fehler zu beurteilen ist, oder all die Versuche i n 77a
s. dazu auch unsere Ausführungen i n T e i l B, K a p i t e l V I I I . Vgl. Loitlsberger (66), S. 81, der kurz die Lösungen von V a n c e / N e t e r (56), Mackenzie (58) u n d K o l a r i k (64) skizziert. 78
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
der modernen Prüfungslehre, „objektive" Fehlerkriterien zu fixieren 7 9 , nicht gedeckt. Es ist dabei gleichgültig, ob i n der Prüfungslehre nun auf mathematisch-statistische Verfahren zu „Definitionen eines Fehlergewichtungsschemas" 80 zurückgegriffen w i r d oder nicht. Wie i n praxi Fehler gewichtet werden, ist für den echten, an Erklärungen interessierten Prüfungstheoretiker zwar auch ein Problem. Nur gilt es für ihn die Subjektivität der Urteilsbildung zu erforschen und deren Bestimmungsfaktoren aufzudecken — und nicht, diese Subjektivität auszuschalten! Überlegungen, wie Indizes für die Schwere von Fehlern verschiedenster A r t zu konstruieren sind und welche formuliert werden sollen, welche Toleranzbereiche erlaubt und welche Interpretationsspielräume gelassen werden sollen, betreffen keine prüfungstheoretischen Fragestellungen. I n den bisherigen literarischen Versuchen, den Urteilsbildungsprozeß zu objektivieren, w i r d außerdem ein wichtiges Prinzip ignoriert: Sollen impliziert Können! Das heißt aber, daß prüfungstechnologische Reflexionen, wie sich die (näher zu bestimmende) Subjektivität aus der Urteilsbildung i n praxi eliminieren läßt, ob und i n welchem Ausmaß dies überhaupt möglich ist, auf die Vorarbeit des Prüfungstheoretikers, d. h. auf technologisch transformierbare prüfungstheoretische Aussagen als die Resultate seines Tuns angewiesen sind. Alles andere wären auf wahrheitsunverbindlichen Annahmen gründende Möglichkeitsanalysen (modellhafte Überlegungen) denkbarer Prüfungsgestaltungen oder ebensowenig brauchbare Rezeptsammlungen. Loitlsbergers begriffsorientierte Analyse des Prüfungsprozesses als Beurteilungsprozeß bzw. der Prüfungshandlungen hat sich auf die moderne Prüfungslehre ausgewirkt. V. Wysocki z. B. hält das Loitlsbergersche Problemlösungsmuster für geeignet, die Basis für den eigenen Beitrag zu einer allgemeinen Theorie der Prüfung abzugeben (auch wenn v. Wysocki nicht ausdrücklich auf Loitlsberger verweist). Denn v. Wysocki leitet das Kapitel I V „Prüfungshandlungen" seines Standardwerkes folgendermaßen ein: „Wesentlicher Bestandteil jeder betriebswirtschaftlichen Prüfung ist . . . der Vergleich zwischen den durch eine Prüfungsordnung bestimmten P r ü fungsobjekten (Ist-Objekten) u n d den ebenfalls durch die Prüfungsordnung bestimmten Normen (Soll-Objekten). Die Beurteilung der Schwere der evtl. festgestellten Abweichungen zwischen den Merkmalsausprägungen der Soll79
Vgl. zu einem Überblick K o l a r i k (64), v. Wysocki (67) u n d Schulte (70). Wie es Schulte (70), S. 23, ungewollt sehr treffend ausdrückt. A u f mathematisch-statistischen Methoden aufbauende Festsetzungen von Gewichtungsschemas sind Tautologien! 80
2. Die weitere Entwicklung: Ausklammerung der Prüfungsrealität
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u n d der Ist-Objekte bringt den Prüfungsprozeß i m engeren Sinne zum A b schluß. Es bedarf i n den Fällen, i n denen die Prüfungshandlungen v o n den Prüfungsberechtigten nicht selbst durchgeführt werden, der M i t t e i l u n g des Prüfungsergebnisses an die Auftraggeber u n d an die sonstigen durch die Prüfungsordnung bezeichneten Personen oder Personengruppen. Gegenstand einer Untersuchung der Prüfungshandlungen können demnach die folgenden Teilprozesse sein: — Feststellung der nach Angaben der P r ü fungsordnung zu beurteilenden Merkmale der Ist-Objekte. — Feststellung der nach den Angaben der Prüfungsordnung zur Beurteilung der I s t Objekte heranzuziehenden Merkmalsausprägungen der Soll-Objekte. — V e r gleich der Merkmale der Ist-Objekte m i t den ihnen entsprechenden M e r k malen der Sollobjekte, d. h. Feststellung des Vorhandenseins u n d gegebenenfalls der Richtung u n d des Umfanges der Abweichungen. — Beurteilung der Schwere der evtl. festgestellten Abweichungen. — Gegebenenfalls Urteilsm i t t e i l u n g an die durch die Prüfungsordnung bezeichneten Personen u n d Personengruppen 8 1 ."
Auch bei v. Wysocki ergibt sich der Gegenstand einer Untersuchung der Prüfungshandlungen, die Perspektive sowie der Ablauf der Analyse als Implikationen von Metasätzen, d. h. aus seiner (krypto-normativen) Prüfungsdefinition 8 2 . Die Ähnlichkeit des = theoretischen = Frageansatzes bei der Behandlung des Problemkomplexes „Prüfungshandlungen" mit dem Loitlsbergers ist u. E. kein zufälliges Zusammentreffen. Das beweist z. B., daß auch für v. Wysocki die Fragestellung einer Untersuchung der Prüfungshandlungen wie i m Falle Loitlsbergers 83 „zweifacher A r t (ist): Es sind zuerst die sachlichen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilprozessen der Prüfungsdurchführung zu klären". Denn „die Beachtung dieser sachlichen Zusammenhänge ist die Voraussetzung für die Erreichung des Prüfungszieles: Wenn der Prüfer das durch die Prüfungsordnung präzisierte Urteil abgeben soll, dann können weder die erforderlichen Vergleichshandlungen noch die Prozesse der Beurteilung und der Urteilsmitteilung willkürlich durchgeführt werden . . . Die Suche nach den Bedingungen, unter denen Prüfungen wirtschaftlich gestaltet werden können, ist . . . die zweite Aufgabe einer Untersuchung der Prüfungshandlungen" 8 4 . A n diesen programmatischen Formulierungen läßt sich deutlich ablesen, daß die Aufgabenstellungen einer allgemeinen Theorie der Prüfung i m Sinne v. Wysockis nicht i n die empirisch-kognitive Richtung zielen. Die von v. Wysocki selbst gegebene Charakterisierung seiner Vorgehensweise zeigt, daß die vorgeblich „sachlichen" Zusammenhänge 81 82 83 84
v. Wysocki (67), S. 207 (H. d. V.). Vgl. v. Wysocki (67), S. 3 - 9 i. V. S. 207 ff. Vgl. Loitlsberger (66), S. 67 f. v. Wysocki (67), S. 207 f. (H. d. V.).
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
zwischen den einzelnen von i h m herausgestellten Prüfungsteilprozessen nur rein definitorischer ( = begriffliche) sind: I m Kapitel I V „Prüfungshandlungen", schreibt v. Wysocki, „ist . . . deduktiv gearbeitet worden ... Ausgehend von den Elementen des Prüfungsbegriffs (!) werden die allgemeinen Probleme der Erfassung von Soll- und Ist-Objekten, der Messung von eventuellen Abweichungen und der Bildung von Einzelund Gesamturteilen über das Prüfungsobjekt analysiert.. ," 85. Das von uns kritisierte Problemlösungsmodell, zur Analyse von Prüfungshandlungen bei definitorisch vorgegebenen Teilprozessen der Prüfung bzw. Überwachung anzusetzen, findet sich bspw. auch i n dem jüngst veröffentlichten Werk „Quantitative Methoden der Urteilsgewinnung bei Unternehmensprüfungen" von Schulte. Nach Schulte ist von folgender Aufspaltung des Prüfungsprozesses auszugehen: „1. Feststellung des Istzustandes oder des Vorganges, der durch das w i r t schaftliche Handeln erreicht werden soll (Sollobjekt), 2. Feststellung des Zustandes oder Vorganges, der tatsächlich erreicht worden ist (Istobjekt), 3. Feststellung von Abweichungen durch den Vergleich einander zugeordneter I s t - u n d Sollobjekte, 4. Feststellung der Ursachen eingetretener A b w e i chungen, 5. Analyse der Möglichkeiten, durch Variation des wirtschaftlichen Handelns die Ursachen eingetretener Abweichungen f ü r die Z u k u n f t zu eliminieren 8 6 ."
Wenn Schulte anschließend an das Zitat feststellt: „Diese fünf Teilschritte bilden die logische Komponente jeder Überwachungsaufgabe. Sie sind derart miteinander verknüpft, daß ein Teilschritt jeweils auf den Ergebnissen des vorhergehenden aufbaut" 8 7 , so ergeben sich die = logischen = Komponenten bzw. Teilschritte und deren Verknüpfung aus seinem Überwachungsbegriff. Denn die Aufspaltung der Überwachungsaufgabe i n Aktionsphasen bestimmter zeitlicher Aufeinanderfolge bei Schulte ist letztlich nichts anderes als Schultes verdeckte Definition von ,Überwachung* bzw. »Prüfung 4, die teils an v. Wysocki orient i e r t 8 8 ist. Zum Abschluß möchten w i r nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß das von Loitlsberger i n die moderne Prüfungslehre eingebrachte prozessuale Konzept der Darstellung von Prüfungshandlungen so original nicht ist wie es scheint. Denn i m Kerne findet es sich bereits in dem i m Jahre 1921 (!) erschienenen Werk „Die Kontrolle i n gewerblichen Unternehmungen" von G r u l l wieder. Grull, der nicht zwischen „Prüfung" und „Kontrolle" differenziert, geht von folgendem plan85 89 87 88
v. Wysocki (67), S. V I I (H. d. V.), vgl. dazu S. 207 ff. Schulte (70), S. 11. Schulte (70), S. 12. Vgl. Schulte (70), S. 11 f.
2. Die weitere Entwicklung: Ausklammerung der Prüfungsrealität
125
m ä ß i g e n „ A u f b a u d e r K o n t r o l l t ä t i g k e i t " aus: „ a ) F e s t s t e l l u n g des S o l l zustandes, b) F e s t s t e l l u n g d e r zulässigen A b w e i c h u n g e n , c) F e s t s t e l l u n g des Istzustandes, d) V e r g l e i c h des S o l l - u n d Istzustandes u n d F e s t s t e l l u n g d e r tatsächlich v o r h a n d e n e n A b w e i c h u n g e n , e) E n t s c h e i d u n g ü b e r d i e B e s e i t i g u n g v o n A b w e i c h u n g e n , f) A u f d e c k u n g u n d B e s e i t i g u n g v o n G e f a h r e n q u e l l e n 8 0 . " Diese e i n z e l n e = Teilprozesse = w e r d e n i n verschiedenen A b s c h n i t t e n d a n n v o n G r u l l a n a l y s i e r t 9 0 . W i r fassen z u s a m m e n : a) Die Vertreter der modernen Prüfungslehre bemängeln an der t r a d i t i o nellen Prüfungslehre zurecht, daß i n dieser das reale Prüfungsgeschehen nicht als komplexer Handlungsprozeß, sondern Prüfungshandlungen isoliert f ü r sich betrachtet werden. Doch die als Gegenposition zur klassischen isolierenden bevorzugte prozessuale Betrachtungsweise i n der modernen Prüfungslehre brachte bis heute keinen theoretischen Fortschritt, w e i l m a n i n der Nachfolge Loitlsbergers „ausgehend von den Elementen des Prüfungsbegriffes (!) . . . die allgemeinen Probleme der Erfassung von Soll- u n d Ist-Objekten, der Messung von eventuellen Abweichungen u n d der B i l d u n g von Einzel- u n d Gesamturteilen über das Prüfungsobjekt analysiert" u n d auf dieser Basis „die sachlichen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilprozessen der P r ü f u n g " 9 1 aufzudecken trachtet. Implizite Meta-Sätze werden als echte prüfungstheoretische Aussagen ausgegeben bzw. mißverstanden. b) Solange man i n der modernen Prüfungslehre das Problem der P r ü fungshandlungen dadurch zu bewältigen versucht, daß m a n die Prüfungsrealität i n w i l l k ü r l i c h e Prüfungsdefinitionen zwängt, ist die Erforschung der (uni- und/oder multipersonalen) komplexen Willens- bzw. Entscheidungsbildungs- u n d Handlungsprozesse „Prüfungen" noch gar nicht i n A n g r i f f genommen. M i t deduktiven Folgerungen aus wahrheitsunverbindlichen Festsetzungen ist das empirische Phänomen der Urteilsbildung noch nicht einmal tangiert. c) W i r d über irgendwelche Prüiungsdefinitionen festgesetzt, wie die einzelnen Prüfungshandlungen i n einen Zeit- u n d Sachzusammenhang ( = Prozeß) gebracht werden müssen (Loitlsberger), dann sucht m a n nicht nach den Gestaltungsfaktoren von Prüfungsprozessen, sondern das 89
G r u l l (21), S. 14 f. U. E. ist nicht Wirtz, sondern G r u l l „ein erster, . . . von der jüngeren L i t e r a t u r zu Unrecht übersehener Versuch, eine . . . Prüfungslehre zu konzipieren". (v. Wysocki [67], S. 17). M a n vergleiche bspw. n u r die A u s f ü h r u n gen Grulls zum A u f b a u der Kontrollarbeiten m i t entsprechenden Darlegungen Loitlsbergers oder v. Wysocki zum Prüfungsaufbau. Wo v. Wysocki z. B. von „Toleranzbereichen" spricht (S. 231 ff.), spricht G r u l l von der „ E r m i t t l u n g u n d Festlegung der zulässigen Abweichungen" u n d v o n „Spielräumen" (S. 19 ff.). Was v. Wysocki m i t „ B i l d u n g von Prüfungsketten, das ,Stufengesetz der Prüfung'" (S. 248 ff.) anreißt, w i r d von G r u l l unter „4. K o n t r o l l ketten" angedeutet (S. 150ff.). Allokationsprobleme behandelt G r u l l z.B. sehr ausführlich. U n d selbst die heute als so modern empfundene u n d propagierte Verwendung der Netzwerktechnik bei der Prüfungsplanung findet sich der Grundidee nach rudimentär bereits bei G r u l l usw. 91 v. Wysocki (67), S. V I I , 207. 90
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B. I I . Prüfungstheorie als ökonomisches Sprachsystem
Problem w i r d einfach anhand von aus bestimmten Sollens(Aufgaben-)vorstellungen abgeleiteten Idealbildern von Prüfungen vor Beginn der Untersuchungen bereits normativ entschieden. Die zur angeblich theoretischen Analyse der Zusammenhänge i n Prüfungs- resp. Beurteilungsprozessen benutzten Prüfungsbegriffe der modernen Prüfungslehre sind regelmäßig pseudo-positive T e r m i n i 9 2 , d . h . Modelle m i t impliziten Wertungen, die u.a. die (normative) Prämisse des sich „ i m m e r u n d überall ordnungsgemäß verhaltenden Prüfers" enthalten. d) Abstrahiert m a n von den (krypto-)normativen Akzenten der bisherigen = prozessualen = Analysen des Prüfungsprozesses, so bleiben mögliche Klassifikationsschemata f ü r mögliche aufgaben- oder prozeßorientierte Einteilungen bzw. Erörterungen von Prüfungshandlungen über. e) Fragen, w i e z.B. Prüfungshandlungen „sinngemäß", „rational", „zweckmäßig", „ o p t i m a l " usw. miteinander kombiniert werden können oder sollten, gehören nicht i n den Problemkatalog einer Prüfungstheorie 9 2 * f) Was die bisherigen begriffsorientierten Analysen des Prüfungsgeschehens neben ihrer verdeckten normativen Seite noch weiter auszeichnet, ist der Leerlauf einer terminologischen Apparatur, w e i l die Verknüpfung m i t einer empirischen Theoriebildung v ö l l i g fehlt. g) „Die Methode, das zu = postulieren = , was man braucht", sagt Rüssel, „hat viele Vorteile. Es sind dieselben, w i e die Vorteile des Diebstahls gegenüber der ehrlichen A r b e i t " 9 3 .
92
92a
93
Vgl. dazu Streeten (64), S. 22. V g l # Fischer-Winkelmann (73 d), S. 530 f. Rüssel (o. J.), S. 85.
Kapitel
III
Prüfungstheorie als transponierte Meß- und Stichprobentheorie 1. Der problematische methodische Ansatzpunkt Der jüngste originäre Versuch, das Phänomen „Urteilsbildung" aufzuhellen und einen Beitrag zu einer (allgemeinen) Prüfungstheorie zu liefern, wurde durch v. Wysocki i m Kapitel I V „Prüfungshandlungen" seines i m Jahre 1967 publizierten Werkes „Grundlagen des betriebswirtschaftlichen Prüfungswesens" vorgelegt. Während die vorhergehenden Kapitel des Werkes i m wesentlichen den Charakter einer durch einen internationalen Überblick angereicherten Berufskunde m i t normativem Einschlag haben, werden i n diesem Kapitel I V dem Programm nach Probleme der Bestimmung von Soll- und Istobjekten und der Vergleichshandlungen bei einfachen und komplexen Prüfungen zum Gegenstand der Betrachtung erhoben. Das Neuartige für die Prüfungslehre bei v. Wysocki ist, daß von i h m erstmals der Versuch unternommen wurde, „Erkenntnisse der Meßtheorie . . . auf das betriebswirtschaftliche Prüfungswesen anzuwenden" 1 , während Versuche zur Abbildung von Beurteilungsprozessen mittels der mathematisch-statistischen Stichprobentheorie bereits früher unternommen wurden 2 . Der von v. Wysocki gegebene Anstoß, den Prüfungsprozeß i m engeren Sinne 3 mithilfe der formalen Meßtheorie einer = theoretischen = Interpretation zu unterziehen, nahmen bisher Schettler und Sieben / Bretzke auf 4 . Der von v. Wysocki i n dem Kapitel über die Prüfungshandlungen erstrebte Beitrag zu einer allgemeinen Prüfungstheorie konnte jedoch a priori von i h m nicht realisiert werden, da er (in der Nachfolge Loitlsbergers) die Analyse bei den Elementen (s)eines Prüfungsbegrif1
v. Wysocki (67), S. V I I . Vgl. z.B. A r k i n (57), (63); Buchner (61); Dinter (62); Eimendorff (63); Gomm (55); Johnson (57); K i n g (64); K l e i n (11/12); K o l a r i k (64); K ö n i g (65); Loitlsberger (66); Mackenzie (58); Rackles (61); V a n c e / N e t e r (56); K r a f t (68); Charnes / Davidson / Kortanek (64) u. a. 3 Vgl. dazu v. Wysocki (67), S. 207. 4 Schettler (71), S. 77 ff.; Sieben / Bretzke (72). 2
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B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
fes ansetzt 5 und damit das Scheitern vorprogrammiert: Solange i n der Prüfungslehre weiterhin die sachlichen Zusammenhänge zwischen Prüfungsteilprozessen m i t den analytischen zwischen Elementen eines Prüfungsbegriffes identifiziert werden, läßt sich kein theoretisches Wissen über Urteilsbildungsprozesse gewinnen oder vermitteln. Eine Prüfungsdefinition bzw. die Darlegung ihrer Implikationen sind nun einmal kein Ersatz für einen Komplex prüfungstheoretischer Hypothesen, die als Axiome fungieren und aus denen dann empirischgehaltvolle Theoreme über strukturelle Beziehungen i n Prüfungsprozessen deduziert und i n prüfungstechnologische Aussagen transformiert werden könnten. Von diesem bereits i m vorigen Abschnitt kritisierten methodischen Ansatzpunkt muß sich die moderne Prüfungslehre lösen, wenn der Vorstoß zu einer empirischen und i n der Prüfungspraxis brauchbaren Prüfungstheorie gelingen können soll. Durch die Verwendung meßtheoretischer Theoreme sowie der mathematischen Statistik vermittelt v. Wysocki eine neue Sicht traditioneller, aber bisher nur dürftig behandelter Probleme. Durch den problematischen methodischen Ansatz ist aber bereits das Urteil auf die Frage präjudiziert — der w i r anschließend nachgehen wollen —, wie die von v. Wysocki auf meßtheoretischer Grundlage angebotenen Lösungen der Probleme der Soll- bzw. Istobjektermittlung, der Vergleichshandlungen usw. unter prüfungstheoretischem Aspekt zu qualifizieren sind. 2. Die meßtheoretische Interpretation einfacher Prüfungen a) Zur Unterscheidung in einfache und komplexe Prüfungen Für die Analyse des Prüfungsprozesses i m engeren Sinne, der die Aktionsphasen Istobjekt-, Sollobjekt- und Fehlerermittlung sowie die Beurteilung evtl. gefundener Abweichungen (Fehler) umfaßt, wählt v. Wysocki ein zweistufiges Verfahren. Es erscheint i h m „zweckmäßig, den sachlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Teilprozessen einer Prüfung zunächt bei den sog. einfachen Prüfungen nachzugehen, d. h. bei Prüfungen, die nur aus einer einzigen Vergleichshandlung und dem darauf aufbauenden einzigen U r t e i l bestehen", da bei den „sog. komplexen Prüfungen . . . einige Probleme" auftreten, „die einer besonderen Erörterung bedürfen" 6 . Dieses Programm führt v. Wysocki auch durch: auf die Analyse der Vergleichshandlungen und Urteilsbildung bei einfachen Prüfungen 5 6
Vgl. v. Wysocki (67), S. V I I , S. 207 ff. v. Wysocki (67), S. 208.
2. Die meß theoretische Interpretation einfacher Prüfungen
129
folgt die Untersuchung der Vergleichshandlungen und Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen, i n der die Besonderheiten komplexer Prüfungen i m Gegensatz zu den einfachen Prüfungen herausgearbeitet werden sollen 7 . N i m m t man das Bemühen u m einen Beitrag zu einer echten Prüfungstheorie zur Richtschnur, dann tauchen bereits anläßlich v. W y sockis Festlegung der beiden prädikativen Ausdrücke „einfache" bzw. „komplexe" Prüfung Zweifel an der Zweckmäßigkeit der von ihm vorgenommenen Zweiteilung der = theoretischen = Analyse des Prüfungsprozesses i. e. S. auf. Denn als konkrete Beispiele für Prüfungen, bei denen immer nur ein einziger Vergleich durchzuführen sei und dementsprechend nur ein einziges U r t e i l verlangt werde, also für einfache Prüfungen, führt v. Wysocki Prüfungen einzelner Investitionsentscheidungen an 8 . Durch dieses Beispiel jedoch, das die sprachlichen Festsetzungen erläutern helfen soll, w i r d von v. Wysocki selbst die Möglichkeit einer einwandfreien Zuordnung der „Prüfungen" genannten Erscheinungen zu zwei Klassen wohlunterscheidbarer Gegenstände m i t den (Klassen-)Namen „einfache Prüfungen" bzw. „komplexe Prüfungen" verneint und der Bezugsbereich der Aussagen nicht feststellbar. W i r wollen dies kurz erläutern. Zum „Begriff der ,komplexen Prüfung'" stellt v. Wysocki ausdrücklich fest: „ I m Gegensatz zu den »einfachen Prüfungen* soll i m m e r dann von »komplexen 4 oder »zusammengesetzten Prüfungen 4 gesprochen werden, w e n n die Prüfungsordnung von dem Prüfer bzw. von dem Prüfungsorgan die Abgabe eines Urteils verlangt, das aufgrund einer Mehrzahl von Einzelvergleichen zu bilden ist. Die meisten i n der Praxis durchzuführenden Prüfungen sind als »komplexe Prüfungen' zu bezeichnen, w e i l es bei ihnen u m die Beurteil u n g einer Vielzahl v o n Ist-Objekten geht 9 ."
Zu der Klasse wohlunterscheidbarer empirischer Erscheinungen, für die der Ausdruck „komplexe Prüfung" zutreffen soll, sollen Prüfungen einzelner Investitionsentscheidungen nicht zugehören. Ohne nun eine konkrete Prüfung einzelner Investitionsentscheidungen i n extenso als = widerlegenden Fall = beschreiben zu müssen, läßt sich anhand weniger Überlegungen zeigen, daß die die komplexen Prüfungen m i t kennzeichnenden Merkmale „Vielzahl von Istobjekten" bzw. „Mehrzahl von Einzelvergleichen" auch bei Prüfungen einzelner Investitionsentscheidungen erfüllt sind. Unsere Behauptung dürfte bereits intuitiv plausibel sein, wenn man sich einen konkreten Fall vor 7 8 9
Vgl. v. Wysocki (67), S. 209 ff., 237 ff. Vgl. v. Wysocki (67), S. 28; (72), S. 29 f. v. Wysocki (67), S. 237 (H. d. V.).
9 Fischer-Winkelmann
130
B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
Augen hält, z.B. die Prüfung, ob die (Investitions-)Entscheidung der Korf-Gruppe, M i n i - bzw. Midi-Stahlwerke i n der BRD bzw. i n der USA zu errichten, „richtig" waren. Investitionsentscheidungen umfassen Entscheidungskomplexe unterschiedlicher struktureller Ausprägung. Ganz grob gesehen gibt es z. B. i n dem singulären Falle eine Investitionsentscheidung mindestens soviel „Istobjekte" wie von den Entscheidungsträgern Möglichkeiten zur Realisierung einer ganz bestimmten Zielsetzung bzw. eines „Zielsystems" i n Betracht gezogen und i n den Entscheidungskalkül einbezogen wurden. Jede dieser Handlungsalternativen umfaßt wieder einen Komplex von Entscheidungstatbeständen. Und auch bei der Bestimmung der „optimalen" Alternative (die wiederum eine Kombination parallel bzw. nacheinander auszuführenden Einzelaktionen beschreibt), die verschiedenen Anforderungen genügen muß, kann unterschiedlich verfahren werden usw. Die Erkenntnis, daß das, was man i n der Betriebswirtschaftslehre als „Investitionsentscheidungen" zu bezeichnen pflegt, einen ganzen Komplex von Entscheidungsaktivitäten betrifft (die jede einzelne bei einer Prüfung dann zu potentiellen Istobjekten werden), ist heute keine neue Erkenntnis mehr. Kurz, betrachtet man eine Investitionsentscheidung näher, so bietet sich eine Fülle von Einzeltatbeständen dar, die zu Istobjekten eines Vergleichs m i t Sollgestaltungen unterschiedlichen Inhalts 1 0 werden und je nach Prüfungsintensität zu einer mehr oder minder umfangreichen „Mehrzahl von Einzelvergleichen" führen können. Bei der Prüfung von Investitionsentscheidungen werden außerdem oft ganz verschiedene Kombinationen urteilsrelevanter Eigenschaften (z. B. Auswirkungen auf Liquidität, Rentabilität, Wachstum usw.) miteinander verglichen und die Merkmalswerte auf = einen Nenner = gebracht. Es läßt sich also behaupten, daß Prüfungen einzelner Investitionsentscheidungen (die zudem auch von mehreren Prüfern durchgeführt werden können!) keine einfachen Prüfungen i m Sinn v. Wysockis sind, ohne befürchten zu müssen, widerlegt zu werden. b) Die Vernachlässigung
des Auswahlprozesses
Das Problem, das v. Wysocki durch seine Unterscheidung i n einfache und i n komplexe Prüfungen ansprechen und präzisieren wollte, wurde i n den auf v. Wysocki aufbauenden späteren Arbeiten entweder nicht gesehen oder i m Interesse der Arbeitserleichterung übergangen 11 . 10 11
Das Potential urteilsrelevanter Merkmale liegt zwischen > 1 u n d n. Vgl. Schettler (71), S. 75 ff. u n d Sieben / Bretzke (72).
2. Die meßtheoretische Interpretation einfacher Prüfungen
131
Der begrüßenswerte Versuch v. Wysockis, von den bisherigen literarischen Problemlösungen teilweise abzugehen und i n die Prüfungslehre einen neuartigen Interpretationsansatz der Urteilsbildung bei Prüfungen einzuführen, weist noch einen weiteren grundlegenden Mangel auf. Dem Programm nach stand die Klärung der sachlichen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilprozessen der Prüfungsdurchführung bei einfachen Prüfungen an. Die Erörterung des Prüfungsprozesses i. e. S. bei einfachen Prüfungen erstreckt sich aber dann bereits thematisch nur auf die Vergleichshandlungen und die Urteilsbildung bei einfachen Prüfungen. Es wären jedoch gemäß v. Wysockis eigener Systematik der Prüfungsteilprozesse auch die dem Fehlerfeststellungsprozeß i m Rahmen der Prüfungshandlungen vorgelagerten Prüfungsteilprozesse: — Feststellung der nach Angaben der Prüfungsordnung zu beurteilenden Merkmale der Istobjekte u n d — Feststellung der nach den Angaben der Prüfungsordnung zur Beurteil u n g heranzuziehenden Merkmalsausprägungen der Sollobjekte
für den F a l l der einfachen Prüfungen zu behandeln gewesen 12 . Das geschieht bei v. Wysocki jedoch nicht. Die zeitlich-sachlichen Verknüpfungen von Prüfungshandlungen bei der Istobjekt- und der Sollobjektermittlung und die sich daraus ergebenden inneren Strukturierungen dieser beiden Prüfungsteilprozesse bleiben — wie i n der übrigen prüfungstheoretischen Literatur auch — unbearbeitet. Wie die Bestimmung und Auswahl der Ist- und Sollobjekte vonstatten geht, erfährt man nicht! Wenn man aber solche allgemeinen Probleme der Ist- und Sollobjektermittlung ausklammert, fehlt den Ausführungen über die Messung von Abweichungen zwischen Soll- und Istobjekten 1 3 zumindest der systematische Unterbau. c) Die Messung von
Soll-Ist-Abweichungen
als Fehlerfeststellungsprozeß Die Fehlerermittlung i m Rahmen einer Prüfung w i r d i n der modernen Prüfungslehre neuerdings i n Anlehnung an v. Wysocki als Messung von Abweichungen zwischen Soll- und Istobjekten gedeutet 14 und es w i r d zur Analyse auf das Instrumentarium der Meßtheorie zurückgegriffen. 12 13 14
(72). 9*
Vgl. dazu v. Wysocki (67), S. 207 ff. Oder der F i x i e r u n g einer Beurteilungsfunktion bei Sieben / Bretzke (72). Vgl. v. Wysocki (67), S. 215 ff.; Schettler (71), S. 77 ff. u n d Sieben / Bretzke
132
B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
V. Wysockis erster Versuch i n der Prüfungslehre, mithilfe der (rein formalen und somit empirisch leeren) Meßtheorie das Problem der Vergleichshandlungen und der Urteilsbildung einer = theoretischen = Lösung näherzubringen, basiert auf der sinngemäßen Gleichsetzung von „Vergleichen" (bei Prüfungen) m i t „Messung von Abweichungen". Nach v. Wysocki ist „Messimg i m weitesten Sinne" als die „Zuordnung von Zahlen oder Symbolen (Meßwerten) zu Objekten (Maßgrößen) nach bestimmten Regeln" zu verstehen 15 . Diese Messungsdefinition stimmt i n etwa m i t der unter den angelsächsischen Meßtheoretikern üblichen überein 1 6 . Ebenso verhält es sich bei der folgenden = Voraussetzung = v. Wysockis: „Voraussetzung der Zuordnung von Meßwerten zu Meßgrößen ist, daß die Menge, der die zu messenden Maßgrößen angehören, geordnet werden kann und daß die Struktur der so geordneten Menge durch die Zuordnung von Symbolen oder Zahlen zu den einzelnen Elementen durch Meßwerte auf einer sog. Skala (isomorph, d. V.) abgebildet werden kann" 1 7 , auch wenn der Sprachgebrauch v. Wysockis etwas verwirrend ist 1 8 . „Die Messung von Abweichungen", so fährt v. Wysocki an der zitierten Stelle fort, „setzt dementsprechend (!) voraus, daß das zu prüfende Merkmal des Istobjektes als Maßgröße des Istobjektes (!) auf der gleichen Skala durch einen Meßwert abgebildet werden kann, wie die zur Norm erhobene Eigenschaft des zugehörigen Soll-Objektes. Durch die Bestimmung des Verhältnisses (? s. u.) beider Meßwerte auf der betreffenden Skala sind dann Aussagen über die A r t und gegebenenfalls über die Richtung und den Umfang der Abweichungen der Maßgröße des Ist-Objektes von der Maßgröße des Soll-Objektes möglich". Die zitierten Ausführungen zur Messung von Abweichungen geben Anlaß zu verschiedenen kritischen Fragen: wie vertragen sich diese Ausführungen m i t den Feststellungen des Autors anderenorts, daß das (wie?) Festgestellte an Normen bzw. Sollobjekten zu messen ist, Soll15
Vgl. v. Wysocki (67), S. 216. Vgl. Stevens (46), S. 677; (51), S. 18; Churchman (59), S. 83; Caws (59), S. 5. 17 v. Wysocki (67), S. 216. 18 Denn bspw. heißen „quantitative Begriffe (z. B. Länge, Gewicht, Temperatur, Grad der Aufmerksamkeit, Preis) . . . auch Maßgrößen, w e i l das V e r fahren zur Feststellung ihres Wertes das der Messung ist" (Carnap [59], S. 15), u n d werden auch „Größenbegriffe" oder „quantiative T e r m i n i " genannt. Die ='Voraussetzung = v. Wysocki entspricht dem folgenden meßtheoretischen Grundsatz: Die Menge M (die als Klasse aller möglichen I n t e n sitäten [Valenzen] des zu messenden Merkmals bzw. als die Menge aller Objekte gedeutet werden kann, die das betreffende M e r k m a l i n irgendeiner Intensität aufweisen) ist so auf die Menge der reellen Zahlen abzubilden, daß die S t r u k t u r der Bildmenge isomorph zur S t r u k t u r von M ist! Aus der S t r u k t u r der Bildmenge lassen sich dann Rückschlüsse auf die S t r u k t u r der abgebildeten Menge ziehen, vgl. Pfanzagl (59), S. 10. 16
2. Die meßtheoretische Interpretation einfacher P r ü f u n g e n 1 3 3
objekte als Vergleichsmaßstäbe heranzuziehen seien, Normen als Beurteilungsmaßstäbe (Soll-Objekte) fungieren, jede Prüfung Bewertungsmaßstäbe (Normen) voraussetze, an denen das zu Prüfende gemessen wird, oder daß die von den Prüfern heranzuziehenden Ziele wirtschaftlicher Betätigung zugleich die Maßstäbe enthalten, nach denen das bisher Erreichte (Zustände, Strukturen) bzw. die Methoden der Zielerreichungen (Handlungen, Verfahren) beurteilt werden können usw. 19 ? Welche logische Struktur und Funktion haben die auf die Prüfungsobjekte anzuwendenden Normen, wonach beurteilt sich ihre Operabilität? Ergeben sich bspw. irgendwelche Besonderheiten i m Prüfungsprozeß daraus, daß Normen z. B. als Gebots-, Verbots- und Erlaubnissätze formuliert sein und Verbots- durch Gebots- oder Erlaubnissätze, Gebotsdurch Verbots- und Erlaubnissätze und Erlaubnis- durch Gebots- und Verbotssätze „übersetzt" werden können? Beinhalten gehaltvolle Normen durch ihre operative Formulierung als „Beurteilungs-Maßstäbe" (v. Wysocki) nicht etwa Bewertungs- oder — wenn man so w i l l — Meßkriterien (-Vorschriften)? Was geschieht i n der Empirie, wenn die urteilsrelevanten Normen Leerformeln sind? Ergeben sich daraus i n der Prüfungspraxis wie für den literarischen Modellfall „rationale Prüfung" nicht ganz unterschiedliche = Meßprobleme = und verschieden strukturierte = Meßprogramme = ? Welche = Regeln = beherrschen den (komplexen) Meßvorgang „Messung von Abweichungen", d. h. die verschiedenen Meßoperationen? M i t diesen Fragen an dieser Stelle fortzufahren, ist wenig sinnvoll. Denn sie werden weder bei v. Wysocki noch i m übrigen Schrifttum 4 berührt. Die Sollobjektermittlung bei Prüfungen bspw. ist ein unbestelltes Feld i n der Prüfungslehre. Was v. Wysocki zur Fehlermittlung mittels „direkter Messung von Abweichungen" ausführt 2 0 , bleibt i m Bereich des Nichts-Besagenden, d. h. Tautologischen, dem die von i h m i n der Untersuchung verwandten meßtheoretischen Theoreme auch entstammen. Imgrunde werden von i h m nur die formalen Eigenschaften eindimensionaler Meßverfahren, d. h. von Skalen expliziert. Die Prüfer als Träger der Prüfungshandlungen und als Problemloser (Beurteiler) tauchen i n der Analyse nicht auf, i n der zudem auch der Fehlerfeststellungsprozeß keinen Handlungs- oder Prozeßcharakter besitzt 2 1 . Die Beziehung zum Geschehen i m 19 Fundstellen v. Wysocki (67), S. 209, 28, 212 und (63), S. 211, hier auch: „Einer der Vergleichstatbestände w i r d zum Maßstab erhoben, zur Norm, an denen der zu überprüfende Tatbestand gemessen, beurteilt wird." (H. d. V.). 20 Vgl. v. Wysocki (67), S. 216 ff. 21 Diese und die folgende K r i t i k t r i f f t auch v o l l auf Schettler (71), S. 75 ff. zu.
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B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
Prüfungswesen bleibt rein verbaler Natur. Denn die Analyse ist nichts anderes als die Beschreibung der syntaktischen Strukturen von vier Skalenarten (Nominal-, Ordinal-, Intervall- und Kardinalskala) sowie zulässiger Skalentransformationen 22 und läuft auf die implizite Festlegung von vier Urteilskategorien hinaus. Was über die Fehlerfeststellung i m Sinne direkten Messens bei v. Wysocki gesagt wird, kann schlicht, kürzer und weniger irreführend durch die bekannten meßtheoretischen Axiome beschrieben werden, die i m Falle der Nominal-, Ordinal-, Intervall- und Kardinalskala erfüllt sein müssen 23 . Auch die Erörterung des Problems des (wähl- oder zwangsweisen) indirekten Messens bei Prüfungen ist i m Kerne meßtheoretischer und damit analytischer Natur und stellt eine komprimierte Wiedergabe der Gedankengänge Szyperskis dar 2 4 , die dieser zu sprachlichen Problemen i n der Betriebswirtschaftslehre entwickelt hat. Durch die Hinweise auf die sog. „indirekten Prüfungshandlungen" 2 5 oder auf Schätzverfahren w i r d durch v. Wysocki ein illustrativer Bezug zum Prüfungswesen herzustellen versucht — und zwar für Soll-Wert-Bestimmungen! Solche illustrierenden Hinweise vermögen aber hier sowenig wie i m Falle des direkten Messens das Faktum zu vertuschen, daß man i n der modernen Prüfungslehre sich bis jetzt vergeblich der Meßtheorie zur Erhellung des Urteilsbildungsphänomens zu bedienen versuchte. Der Versuch mußte scheitern, weil etwas Entscheidendes mißachtet wurde: I n der Meßtheorie beschäftigt man sich nicht m i t den faktischen Problemen der Messung von Sachverhalten! A u f diese Selbstbeschränkung und auf den rein formalen Charakter der Meßtheorie weisen deren Vertreter teils mit Nachdruck h i n 2 6 . Solange man i n der Prüfungslehre die analytische Natur der „Erkenntnisse" der Meßtheorie verkennt und meßtheoretische Kalküle nur verbal i n eine PrüfungsfteilJtheorie zu transponieren versucht, bleibt weiterhin ungeklärt, wie sich die Fehlerfeststellung i n der Prüfungswirklichkeit vollzieht und welche Faktoren das Geschehen prägen. Wer bspw. wissen möchte, welche = Meßverfahren = i n der Empirie wie und wann angewandt werden, wie Prüfer beim Fehlen operativer Beurteilungsmaßstäbe (also beim Fehlen praktikabler Meßvorschriften) agieren und wie sie m i t unterschiedlichen Operabilitäten von anzuwen22 Wobei sich v. Wysocki vor allem auf A d a m (59) u n d Mattessich (59) stützt. 23 Vgl. dazu Pfanzagl (59) oder A d a m (59). 24 Vgl. Szyperski (62), S. 67 ff. i. V. v. Wysocki (67), S. 224 ff. 25 Vgl. WP-Handbuch 1973, S. 536 f. M Vgl. z. B. Pfanzagl (59).
2. Die meßtheoretische Interpretation einfacher Prüfungen
135
denden Normen fertig werden, wie sich Prüfungshandlungen als = Meßvorgänge = verknüpfen usw., w i r d dazu vergebens das Schriftt u m befragen. d) Die Beurteilung
gemessener Abweichungen
Auch die bei v. Wysocki dreiphasig aufgebaute Erörterung des Problems der Beurteilung von Abweichung bringt sowenig wie die Ausführung der anderen Autoren, die ebenfalls Vergleichen als Messen und das Beurteilen von Abweichungen als einfache bzw. komplexe Transformationen der Meßergebnisse i n Urteile deuten 27 , die Prüfungslehre i n die Nähe einer Prüfungstheorie. Explikativ oder prüfungstechnologisch brauchbare Ergebnisse konnten den Untersuchungen nicht entspringen, w e i l ein grundlegender Fehler wiederholt w i r d : Wurde i n der literarischen Behandlung der direkten bzw. indirekten Messung von Abweichungen ( = Fehlermittlung) das Messen als prüferische(s) Tätigkeit (Prüfungshandlung) bzw. Entscheidungsproblem ausklammert, so w i r d auch die Analyse der Beurteilung von gemessenen Abweichungen ohne Bezug auf den Prüfer bzw. die Prüfer als Problemfaktoren bestritten. Für die Literatur scheinen Einpersonen- bzw. Mehrpersonenprüfungen weder bei = einfachen = noch bei = komplexen = Prüfungen bezüglich der Urteilsbildung unterschiedliche Probleme zu bieten oder eine mentale Dimension zu besitzen, sondern sich quasi auf einen unipersonalen, jedoch zugleich wiederum entindividualisierten Vorgang reduzieren zu lassen! So modern die Anwendung meß theoretischer Erkenntnisse anmutet, m i t diesem Problemlösungsverhalten steht man i n der modernen Prüfungslehre noch ganz i n der Tradition des Faches. W i r kommen noch darauf zurück. Bei v. Wysocki werden drei Komponenten der Beurteilung von A b weichungen herausgestellt und unterschiedlich ausführlich behandelt: die Berücksichtigung fehlerfreier Bereiche ( = Toleranzen), von Unschärfebereichen und der Schwere der festgestellten Fehler 2 8 . Die beiden ersten Komponenten beziehen sich darauf, wann „ein I s t - O b j e k t , . . als ,fehlerhaft' bezeichnet werden" 2 0 darf (wenn nämlich eine evtl. festgestellte Abweichung die durch die jeweilige Norm bestimmte Toleranz überschreitet und z. B. aus Interpretationsschwierigkeiten der anzuwendenden Normen resultierenden Unschärfebereichen durch die Prüfer Rechnung getragen ist). 27 28 29
Vgl. v. Wysocki (67), S. 231 ff.; Schettler (71), S. 82 ff.; Sieben / Bretzke (72). Vgl. v. Wysocki (67), S. 231 ff. v. Wysocki (67), S. 231 (H. d. V.).
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B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
Auch die dritte Beurteilungskomponente, die Schwere der Fehler, besteht aus einer Festsetzung v. Wysockis: Die „Schwere" eines unter Berücksichtigung der i n den jeweiligen Normen festzulegenden Toleranzen (Fehlerspielräumen) und der zu beachtenden Unschärfebereiche „festgestellten Fehlers kann nach dem absoluten oder relativen Umfang der über den Toleranzbereich hinausgehenden Abweichungen 3 0 und nach dem Sicherheitsgrad, m i t dem diese Abweichungen feststellbar sind, bestimmt werden" 8 1 . A l s weiterer „Index für die Schwere eines festgestellten Fehlers" w i r d noch der „Grad der Verbindlichkeit bestimmt", der „der bei der Prüfung herangezogenen Norm zukommt" 3 2 . Interessant an den Ausführungen v. Wysockis zur Schwere der gefundenen Fehler (Fehlergewichtung) erscheint uns das folgende: er spricht i n diesem Zusammenhang zweimal direkt und einmal indirekt von „Index", also von Maßzahlen (Indikatoren), ohne jedoch i n diesem Falle wie bei der Analyse der Fehlerermittlung Erkenntnisse der Meßtheorie auf das Prüfungswesen anzuwenden. Wenn m i t Indizes bei der Beurteilung von Abweichungen (Fehlern) argumentiert wird, wäre dies nahegelegen und nur konsequent gewesen. Hätte v. Wysocki seinen meßtheoretischen Ansatz auch zur Analyse der Fehlerbeurteilung herangezogen, hätte er feststellen müssen: (1) I n dem Abschnitt über die Beurteilung von Abweichungen w i r d nicht die Urteilsbildung bei einfachen Prüfungen untersucht, sondern werden wiederum Vergleichs-, oder was nach v. Wysocki das Gleiche ist, Meßprozesse behandelt. Die Folge ist, daß die Urteilsbildung w e i t e r h i n außerhalb der Betrachtung bleibt. Schettler stellt richtig fest: „Die Fehlerfeststellung erfordert nach v. Wysocki das Messen der Abweichung und die nachträgliche Prüfung, ob die Abweichung außerhalb eines durch Toleranzen oder Meßungenauigkeiten definierten Bereich liegt 3 3 ." (2) Die Definition „einfache Prüfung" ist zu revidieren oder anders zu bestimmen, w e i l sie der Problembehandlung nicht gerecht w i r d , also unzweckmäßig ist. Denn die Darstellung der Beurteilung von A b w e i chungen bei = einfachen = Prüfungen bezieht sich letztlich auf Messungen besonderer A r t , nämlich auf das komplexe, d. h. mehrdimensionale Messen u n d damit auf mehrfaches Vergleichen u n d Urteilen. (3) Konsequent durchgeführt, f ü h r t die Darstellung der Fehlerbestimmung u n d -gewichtung zu einem i n f i n i t e n Regreß, w i e sich zeigen ließe.
30
Was hier abstandsskalierbare Merkmalsausprägungen voraussetzt! v. Wysocki (67), S. 231, vgl. a. S. 234 f. 32 v. Wysocki (67), S. 235. Das Problem der Meßunschärfe, von v. Wysocki „Fehlerunschärfe" genannt, ist ein altbekanntes Problem der Physik; zur Erfassung von Unschärferelationen s. z. B. A d a m (59). 33 Schettler (71), S. 81 (H. d. V.). 81
2. Die meßtheoretische Interpretation einfacher P r ü f u n g e n 1 3 7
Der von v. Wysocki i n die Prüfungslehre eingeführte Ausdruck „Schwere der festgestellten Fehler" bezieht sich auf einen mehrdimensionalen Sachverhalt. Das bedeutet, daß die zu messende Eigenschaft „Schwere" nicht durch einfache Skalen der von v. Wysocki explizierten A r t isomorph abgebildet werden kann. Da v. Wysocki drei Indizes anführt, ist das Merkmalspotential prima faci mindestens > 3. Keiner der Indizes ist für sich allein i n der Lage, die Struktur des „Schwere der Fehler" bezeichneten Sachverhaltes abzubilden. Es handelt sich also bei der „Schwere der festgestellten Fehler" um eine mehrdimensionale Maßgröße. Meßtheoretisch gesehen, möchte v. Wysocki die Schwere der Fehler durch einen Maßausdruck charakterisieren, dessen Maßzahl kein Skalar mehr, sondern höheren Charakters (Tensorstufung) ist 3 4 , und dessen Maß- = Einheit = dreidimensional aufgebaut ist, nämlich aus den Größen: Umfang der Abweichungen bzw. deren Richtung, Sicherheitsgrad und Grad der Verbindlichkeit der anzuwendenden Norm(en). Diese mehrdimensionale Maßgröße „Fehlerschwere" leidet aber an dem Mangel, daß sie inoperabel formuliert ist, d. h. v. Wysocki keine Meßvorschriften für die Erfassungen der Ausprägungen der verschiedenen Merkmale und keine Regeln der Transformation der Meßwerte i n ein Urteil über die Schwere der Fehler fixiert. Es bleibt z. B. die Frage der Maß- = Einheit = als eines zusammengesetzten Ausdrucks (eindimensionaler und/oder mehrdimensionaler?) Größen offen. Denn es w i r d nicht präzisiert, ob zur Ermittlung der i n dem komplexen Sachverhalt „Schwere der festgestellten Fehler" auftretenden Merkmalsausprägungen einfache (und wenn, welche) Skalierungsverfahren anzuwenden sind oder ob es sich bei den genannten Komponenten wiederum u m Merkmale komplexer Struktur handelt, wie sich dann i n diesem Falle ein gemeinsamer Maßstab für die einzelnen (Unter-)Merkmale finden läßt, der diese Merkmale untereinander vergleichbar macht, wie die Aggregierung vor sich geht, die Indexbildung sich vollziehen oder eine Amalgamierung vorgenommen werden soll. Sind die = Gewichtungen = der Merkmale unabhängig von den jeweiligen Ausprägungen und/oder von den Ausprägungen anderer Merkmale, wie sind Interdependenzen zu erfassen? Vor welche Probleme die eindeutige Bestimmung der „Schwere festgestellter Fehler" stellt, kann man sich selbst einmal klar machen, wenn man auf ein einfaches Beispiel zurückgreift. Nehmen w i r z. B. an, ein Prüfer habe einen Auszahlungsbeleg auf folgende Merkmale zu 34 Vgl. dazu Oberdorf er (56), S. 108. N u l l t e Stufe = = V e k t o r ; zweite Stufe = M a t r i x . . .
Skalar; erste Stufe
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B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
beurteilen: doppelte Unterschrift, Unterschriftsberechtigung, Verwendung des richtigen Formulars, richtige Datierung, richtige Kontierung, richtiger Betrag. Man versuche eine operable Maßgröße „Schwere der festgestellten Fehler" zu konstruieren! Wenn Loitlsberger sich beklagt, daß die Literatur „der Bedeutung der festgestellten Abweichungen ( = Fehler = ) " i m Rahmen der U r teilsbildung „bis jetzt nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt" 35 hat, so charakterisiert dies auch den gegenwärtigen Stand i n der Prüfungslehre 8 6 , wenn man die Erforschung der tatsächlichen Urteilsbildung (die j a nichts anderes als eine bestimmte A r t von Entscheidungsbildung und Problemlösen bei Prüfungen ist) zum Referenzpunkt nimmt. Wie sich die Beurteilung von Abweichungen, d. h. von Fehlern i n praxi abspielt, ist auch nach den Darlegungen v. Wysockis weiterhin i n der Prüfungslehre ungeklärt. e) Zusammenfassung I n diesem Abschnitt haben w i r uns kritisch m i t dem Versuch i n der modernen Prüfungslehre auseinandergesetzt, Erkenntnisse der (formalen) Meßtheorie i n die Prüfungslehre zu integrieren und prüfungstheoretisch zu verwerten. W i r sind bei unserer Untersuchung u. a. zu folgenden Ergebnissen gelangt: a) Die Unterscheidung i n einfache und komplexe Prüfungen
ist unzweck-
mäßig getroffen worden, da sich i m konkreten Falle nicht sagen läßt, w a n n Prüfungen einfache u n d w a n n komplexe sind. Es zeigte sich außerdem, daß die Analyse der Vergleichshandlungen u n d der Urteilsbildung bei einfachen Prüfungen der Unterscheidung nicht gerecht w i r d . b) Wenn m a n i n einer Untersuchung einfacher Prüfungen die Probleme der Bestimmung u n d A u s w a h l von I s t - u n d Sollobjekten einfach ausklammert, ist die Analyse der Fehlerermittlung bei einfachen Prüfungen i m vornherein so angelegt, daß i h r keine brauchbaren Ergebnisse entspringen können. c) Der Rückgriff auf Ergebnisse der formalen Meßtheorie bringt i n der Prüfungslehre solange keinen theoretischen Fortschritt, als die Analyse der Fehlerermittlung eine m i t fachlichem Vokabular angereicherte = E r k l ä r u n g = von A x i o m e n u n d Theoremen der Meßtheorie bleibt. d) Die Darstellung der Beurteilung von Abweichungen bei einfachen P r ü fungen behandelt — ohne daß dies angedeutet oder erkannt w ü r d e — komplexes, d. h. mehrdimensionales Messen u n d d a m i t mehrfaches V e r gleichen u n d Urteilen. 85
22 ff.
Loitlsberger (66), S. 81. E i n Überblick findet sich bei Schulte (70), S.
86 Vgl. v. Wysocki (67), S. 254: „Weder Prüfungstheorie noch Prüfungspraxis (?!) haben der Analyse des Prozesses der Urteilsbildung . . . bislang besondere Aufmerksamkeit gewidmet."
3. Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen
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e) Bei der Interpretation der Fehlerfeststellung als eines Messens von evtl. Soll-Ist-Abweichungen w i r d von der individualen (z.B. mentalen, psychischen) u n d der sozialen Dimension der Urteilsbildung bei P r ü f u n gen „abstrahiert"; der Entscheidungs- u n d Handlungs- oder Prozeßaspekt bei der Fehlermittlung w i e -gewichtung taucht i n der Problembehandlung nicht auf. f) Unter welchen Bedingungen w a n n i n der Prüfungsrealität Fehlerfeststellen u n d -bewerten „Messen" i m Sinne von „relationstreuen A b b i l d e n " ist, d. h. w a n n welche meß theoretischen A x i o m e bzw. Theoreme = befriedigt = werden, w i r d m a n i n der Prüfungslehre dann wissen, w e n n man einmal eine bewährte Prüfungstheorie besitzt.
3. Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen a) Gesamturteilsbildung als komplexe Transformationen von Einzelurteilen I n seinem als Standardwerk der modernen (deutschen) Prüfungslehre zu klassifizierenden „Grundlagen des betriebswirtschaftlichen Prüfungswesens" weist v. Wysocki kritisch auf einen weißen Fleck auf der Landkarte der prüfungstheoretischen Forschung hin: die Prüfungstheorie habe bislang dem Prozeß der Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen, d. h. der Bildung eines Gesamturteils aufgrund einer Mehrzahl von Einzelurteilen, Verdichtung zu Zwischenurteilen usw. m i t Ausnahme von Zimmermann keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es wurde von i h m „deshalb der Versuch unternommen, die wesentlichen Elemente eines solchen Urteilsbildungsprozesses zusammenzustellen" 36 . Ob es v. Wysocki gelungen ist, die von i h m aufgespürte Lücke i n der Prüfungsliteratur durch eine das Prädikat „theoretisch" zurecht tragende Analyse zu schließen, werden w i r zu untersuchen haben. Der Verweis auf die Ausführungen Zimmermanns über die Bildung des Gesamturteils aus Einzelurteilen bzw. die Methoden der Urteilsbildung (Bildung von Gesamturteilen) 37 als der Ausnahme weist auf den „desolat" zu nennenden Zustand der prüfungstheoretischen Forschung auf dem Gebiet der Urteilsbildung hin. Denn man erfährt zwar bei Zimmermann, daß das von der vorherigen Beurteilung von Einzeltatbeständen abhängige Gesamturteil den = krönenden = Abschluß der Prüfung bilden soll und nicht das „Kollektivurteil" (d. h. eine A u f l i stung der vom Prüfer festgestellten Fehler), bei dem die = Verdichtung = zu einem Gesamturteil den Berichtsempfängern überlassen bleibe. Oder daß sich das Gesamturteil aus der = Summe = der Urteile über die gegenseitigen Beziehungen der Prüfvorgänge, Prüffelder und 37
Vgl. Z i m m e r m a n n (54), S. 35 ff., 124 ff.
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B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
Prüfgruppen ergebe. Mehr aber nicht; das faktische Wie der Verknüpfung von Einzelurteilen zu einem Gesamturteil bei Prüfungen bleibt bei Zimmermann i m Dunkeln 8 8 . Neben v. Wysocki waren es jüngst Sieben / Bretzke, die sich m i t der Verknüpfung und Verdichtung von verschiedengewichtigen Einzelurteilen ( = komplexen Transformationen) zu einem Gesamturteil beschäftigten und einen solchen Urteilsbildungsprozeß auf ein mathematisches Modell abzubilden versuchten 39 . M i t ihrem Ansatz werden w i r uns i m Anschluß an unsere Analyse der Darstellung der Vergleichshandlungen und Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen v. Wysockis auseinandersetzen. Der von v. Wysocki zur Erhellung des Urteilsbildungsphänomens bei = komplexen = Prüfungen gewählte methodische Ansatz, u m die Verdichtung der durch Einzelurteile gewonnenen Aussagen über die Merkmalsausprägungen der zu einem Prüfungskomplex zusammengefaßten Vielzahl an Istobjekten zu einer Aussage über den gesamten Prüfungskomplex zu demonstrieren, ist imgrunde recht einfach. V. Wysocki baut auf seine Analyse der = einfachen = Prüfungen auf, m i t der er die Einzelurteilsproblematik fälschlich für = theoretisch = abgeklärt hält (s. o.). Wurde bei den = einfachen = Prüfungen i n nominal-, ordinal- und intervall- bzw. kardinalskalierbare Fehler (Soll-Ist-Abweichungen) unterschieden, so werden entsprechend dieser Fehlerklassifikation nun für den Bereich = komplexen = Prüfens die zu verknüpfenden und zu verdichtenden Einzelurteile i n Alternativurteile, Rangurteile und quantitative Urteile unterteilt. Das stimmt i n etwa m i t der Unterscheidung Loitlsbergers überein, der als = wichtigste = Urteilsarten Alternativurteile, Gradurteile und Quantitätsurteile herausstellt, aber nicht weiter behandelt 40 . Gemäß seiner Urteilsklassifikation, d. h. nach den verschiedenen U r teilsarten aufgeteilt und für jede isoliert diskutiert v. Wysocki als erstes die Zusammenfassung lückenlos ermittelter unverbundener Einzelurteile i n dieser Reihenfolge: 38
Vgl. Z i m m e r m a n n (54), S. 35 ff., 124 ff. Sieben / Bretzke (72). Schettlers Ausführungen zur Gesamturteilsbildung beschränken sich auf Hinweise der Fehlergewichtungsverfahren von Vance / Neter (56) u n d K o l a r i k (64), auf die auch Loitlsberger (66), S. 81 f. hinweist. 40 Vgl. Loitlsberger (66), S. 82. Loitlsberger rückt damit von früher ab, vgl. Loitlsberger (53), S. 25: „Das U r t e i l k a n n dialektischen oder analytischen Charakter haben, d. h. das U r t e i l k a n n entweder ein A l t e r n a t i v u r t e i l (falsch, richtig, ja, nein) oder ein Gradurteil (z. B. sehr gut, gut, genügend u n d nicht genügend) sein." 39
3. Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen
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— Zusammenfassung von unverbundenen Alternativurteilen — Zusammenfassung unverbundener Rangurteile — Zusammenfassung unverbundener quantitativer Urteile, um den i n diesen Modellfällen möglichen Verfahren zur Bildung von Teil- oder Gesamturteilen auf der Basis von Einzelvergleichen nachzugehen 41 . Anschließend kommt er auf das Problem der Fehler- oder Abweichungsfortpflanzung bei der Verkettung von Einzelurteilen 4 2 i m Rahmen sog. „Abstimmungsprüfungen" sowie auf das die Zusammenfassung verbundener Einzelurteile kennzeichnende Interdependenzproblem kurz zu sprechen, das er „an Hand eines einfachen Modellfalles" — so die Eigencharakteristik — demonstriert 4 3 . Den Problemkreis „Vergleichshandlungen und Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen" schließen Ausführungen zur Bildung von Gesamturteilen mithilfe von Stichproben 44 ab, auf die w i r gesondert zurückkommen. W i r wollen hier den Ausführungen v. Wysockis zu den einzelnen von i h m angeschnittenen Teilproblemstellungen nicht i m Einzelnen nachgehen, sondern w i r werden uns auf prinzipielle kritische Anmerkungen dazu unter dem Gesichtspunkt beschränken, ob hier ein Beitrag zu einer (allgemeinen) Theorie der Prüfung i n Sicht ist. Als erstes wäre kritisch anzumerken, daß die v. Wysocki gepflogene isolierende, d. h. unverbunden nebeneinanderstehende und aufeinander folgenden Behandlung möglicher Verfahren einer Zusammenfassung oder Verdichtung von Einzelurteilen zu einem Gesamturteil den entscheidenden Nachteil hat, daß die Prüfungsrealität i n der Analyse nicht auftaucht. Diese isolierende und von der Prüfungswirklichkeit abstrahierende Betrachtungsweise bietet aber für eine Untersuchung der Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen unbestreitbar „Vorzüge": (1) man braucht nicht explizit bspw. auf die Fälle einzugehen, bei denen die Gesamtheit der zusammenzufassenden Einzelurteile sich aus A l t e r 41 Vgl. v. Wysocki (67), S. 239 - 248. E r beschäftigt sich also m i t einem „Gesamturteil, durch das eine Mehrzahl unabhängig voneinander ermittelter Einzelurteile (Einzelvergleiche) zusammengefaßt werden soll" (S. 239) für den F a l l der Vollprüfung. 42 Dem Z i m m e r m a n n m i t seinem bekannten Stufengesetz der Prüfung begegnen wollte. Z u r Qualifikation des Zimmermannschen Stufengesetzes s. Fi scher-Winkelmann (74 d) u n d unten. 43 Vgl. v. Wysocki (67), S. 248 ff.; zur deterministischen bzw. stochastischen Fehlerrechnung vgl. Leffson / L i p p m a n n / Baetge (69), S. 46 ff., die deren P r a k t i k a b i l i t ä t bzw. Effizienz w e i t überschätzen! 44 Vgl. v. Wysocki (67), S. 255 - 280. I n der Prüfungsliteratur spricht m a n i n diesem Zusammenhang überwiegend v o n „Prüfungen i n Stichproben", „Stichprobenprüfung" oder „Stichprobenweiser Prüfung".
142
B.
I. Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
nativurteilen und/oder Hangurteilen und/oder quantitativen Urteilen zusammensetzt u n d als Gesamturteil ein A l t e r n a t i v u r t e i l oder Rangu r t e i l oder quantitatives U r t e i l verlangt ist, u n d sich somit auch nicht m i t dem Problem herumschlagen, w i e i n diesen Fällen sich die = Aggregierung = bzw. = Amalgamierung = der unterschiedlichen Einzelurteile zu einem (verlangten) Gesamturteil vollzieht. Diese Probleme sind j a auch bei der Jahresabschlußprüfung — dem bevorzugten Untersuchungsobjekt der Prüfungslehre — relevant. Der Aspekt, daß die „Beurteilungsprozesse i m Rahmen von Jahresabschlußprüfungen . . . aufgrund des umfangreichen Merkmalspotentials der Beurteilungsobjekte als hochgradig komplexe Transformationen" 4 5 von = Meßergebnissen = i n ein Gesamturteil anzusehen sind, w i r d ausgeklammert; (2) daß das Problem komplexer („mehrdimensionaler") Beurteilungsmaßstäbe u n d des komplexen Beurteilens = Entscheidens = „Messens" aus der Untersuchung herausgehalten werden kann. D u r c h diese Isoliermethode
w i r d w e i t e r die M ö g l i c h k e i t o f f e n g e h a l -
ten, i n f o l g e n d e r Weise z u a r g u m e n t i e r e n : (3) Wären die zusammenfassenden Einzelurteile sämtliche Alternativurteile u n d wäre dies u n d jenes der Fall, dann könnte m a n bei Prüfungen eine E r m i t t l u n g ungewogener Fehleranteilswerte bspw. durchführen oder sich eine getrennte Erfassung u n d A n t e i l s w e r t e r m i t t l u n g f ü r die v e r schiedenen (in sich homogenen) Fehler„klassen" überlegen, ein i n der L i t e r a t u r bereits vorhandenes Fehlergewichtungsschema propagieren oder ein beliebiges anderes definieren, u m unter einer expliziten Berücksichtigung von Fehlerklassen zu einem einheitlichen Meßwert f ü r die Fehlerhaftigkeit des durch die zusammenzufassenden Einzelurteile repräsentierten Prüfungskomplexes zu gelangen 46 . (4) Wären sämtliche Einzelabweichungen (Fehler) als Soll-Ist-Differenzen m i t h i l f e von Abstands- oder Kardinalskalen sowohl der Richtung als auch dem Umfange nach ermittelbar, so könnten diese Abweichungen durch Errechnung ihrer M i t t e l w e r t e und/oder ihrer Streuung zu „ M a ß ausdrücken" über die Fehlerhaftigkeit bzw. Fehlerfreiheit des durch die Einzelvergleiche erfaßten Prüfungskomplexes zusammengefaßt werden, die dann ein zusammenfassendes = B i l d = dieses Prüfungskomplexes bieten würden, usw. 4 7 . O b die v o n v . W y s o c k i p r ä s e n t i e r t e n V e r f a h r e n z u r B i l d u n g v o n T e i l und/oder Gesamturteilen überhaupt u n d w e n n ja, w a n n u n d w i e bei P r ü f u n g e n m i t e i n a n d e r = k o m b i n i e r t = u n d r e a l i s i e r t u n d so z u E l e m e n t e n d e r U r t e i l s b i l d u n g i n d e r P r ü f u n g s r e a l i t ä t w e r d e n , w i e sich d i e Verdichtung v o n E i n z e l - z u G e s a m t u r t e i l e n de facto v o l l z i e h t , d a r ü b e r w i r d n i c h t s ausgesagt. U n d d a r ü b e r „ k a n n " v . W y s o c k i auch nichts aussagen, d a d i e faktische U r t e i l s b i l d u n g w e d e r b e i v . W y s o c k i noch b e i den v o n i h m i n d i r e k t k r i t i s i e r t e n V e r t r e t e r n der modernen 45 46 47
Sieben / Bretzke (72), S. 323. Vgl. v. Wysocki (67), S. 240 ff. Vgl. v. Wysocki (67), S. 243 ff.
3. Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen
143
Prüfungslehre zum Problem erhoben wird. Wenn auch eine Erörterung der Vergleichshandlungen und der Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen i n der Kapitalüberschrift versprochen w i r d 4 8 , so ist i n den Ausführungen weder von einem Handlungs- noch von einem Prozeßaspekt etwas zu verspüren. Wenn man die Aufgabenstellung einer Untersuchung des Urteilbildungsprozesses bei komplexen Prüfungen darin sieht, „die Besonderheiten komplexer Prüfungen i m Gegensatz zu den einfachen Prüfungen herauszuarbeiten, d. h. den möglichen Verfahren zur Bildung von Teil- oder Gesamturteilen auf der Basis einer Mehrzahl von Einzelvergleichen nachzugehen" 49 , so bewegt man sich damit nicht i m Bereich der Prüfungstheorie, sondern auf dem Gebiet der MögrlichJceitsanalyse, die auf theoretische Kenntnisse der faktischen Urteilsbildung angewiesen ist, soll ihr etwas Praktikables entspringen können. Die möglichen Verfahren Urteilsbildung ohne bezug auf eine historische oder hypothetisch unterstellte Bedingungskonstellation aufzeigen zu wollen, ist zudem eine unlösbare Aufgabe! M i t einer i n ihrem K e r n auf folgender Grundlage: angenommen, die Prüfungsrealität wäre den gemachten (expliziten wie impliziten) Voraussetzungen entsprechend konstruiert bzw. die gesetzten Prämissen seien erfüllt, vorangetriebenen „Möglichkeits"-Analyse (wie der v. W y sockis) ist auch der Prüfungspraxis nicht gedient. Denn dieser Analyse kann nicht das entnommen werden, was v. Wysocki an den Prüfungsordnungen (!) bemängelt, nämlich „präzise Angaben über die A r t , über den Umfang und über die Reihenfolge der durchzuführenden Einzelvergleiche und über die A r t der Zusammenfassung der Vergleichsergebnisse zu Teil- oder Gesamturteilen" i m konkreten Falle. Bezeichnend für das Problemlösungsmuster einer Erörterung der Urteilsbildung i n der modernen Prüfungslehre ist, daß v. Wysocki den Komplex „Prüfungshandlungen und Urteilsbildung" losgelöst von den Aktoren diskutiert 6 0 . Von einer echten Prüfungstheorie müßte man erwarten können, daß sie uns i n haltbarer Weise darüber Aufschluß verschafft, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen Urteile verschiedener A r t Zustandekommen. Das dürfte einmal ohne systematische Berücksichtigung des sozialen Kontextes (sozialen Bezugsrahmen, sozialen Feldes) von Prüfungen nicht gelingen. I n der modernen Prüfungslehre, die Prüfungen als Beurteilungsprozesse aufzufassen pflegt, wurde bislang 48 49 69
Vgl. v. Wysocki (67), S. 237. v. Wysocki (67), S. 238. (H. d. V.). Z u m folgenden vgl. Fischer-Winkelmann (74 d).
144
B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
übersehen, daß eine empirische Prüfungstheorie u. a. als eine A r t empirische (oder deskriptive) Entscheidungstheorie begriffen werden muß, die als Verhaltenstheorie z. B. das faktisch beobachtbare UrteilsVerhalten der Prüfer untersucht und dabei Erklärungen für diese Verhaltensweisen z. B. unter Rückgriff auf die Motive, Einstellungen, kognitiven Prozesse, Lernen usw. der Prüfer und die Elemente der verschiedenen Prüfungssituationen finden w i l l . Diese Prüfungstheorie müßte auch berücksichtigen, daß die Urteilsmöglichkeiten i n einer Prüfungssituation keine den Prüfern etwa vorgegebenen Größen sind, sondern i m Wege eines kognitiven Suchprozesses gefunden werden, i n dem durch Beobachtung bzw. Befragung der Umwelt Informationen beschafft und durch logische und kreative Akten, also über mentale Prozesse durch die Prüfer = weiterverarbeitet = werden. Auch die Prüfer als Urteilende handeln unter unvollkommener Information. Eine Erklärung des individuellen und kollektiven Urteilsverhaltens w i r d darum nicht an der individuellen Einstellung der Prüfer gegenüber dem Risiko und der Risikohandhabung vorübergehen können. Weiterhin wäre zu beachten, daß die Urteile der Prüfer zwar die objektiven Daten der Umwelt berücksichtigen, die Wahrnehmungen der Prüfer aber nur ein unvollständiges und zudem subjektiv gefärbtes B i l d der tatsächlichen Urteilssituation widerspiegeln. Die Auswahl urteilsrelevanter Informationen stützt sich sozusagen auf ein vereinfachendes, personenabhängiges „Modell" der Prüfungssituation usw. Kurz, eine Prüfungstheorie, die individuelles und kollektives Urteilen bei Prüfungen zu erklären imstande sein soll, müßte Verhaltensaspekte berücksichtigen, u m nicht bei einer Konfrontation m i t der Prüfungswirklichkeit zu scheitern. Fragen bspw., wie Prüfer aus ihren individuellen Beurteilungsprämissen Urteile „deduzieren", wie sie zu diesen Urteilsprämissen 51 gelangen, wie sie Einzelurteile i n Gesamturteile transformieren, wurden von der modernen Prüfungslehre noch nicht aufgegriffen. Die Vokabel „deduzieren" haben w i r hier bewußt i n Anführungszeichen gesetzt, um dem eventuellen Trugschluß vorzubeugen, daß sich die i n ihrer Ausw i r k u n g auf die Ergebnisse von Urteilsprozessen noch nicht untersuchte subjektive Prüfer-Logik m i t einer logischen, mathematischen bzw. 51 „Urteilsprämissen" = „alle Informationen, die Prüfer ihren Urteilen zugrunde legen". Z u klären wäre bspw. i n der Prüfungslehre, unter welchen Bedingungen Informationen zu „Urteilsprämissen" werden, welche Verhaltensmuster die Such- u n d Selektionsprozesse prägen . . .
3. Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen
mathematisch-statistischen Regeln genügenden formalen identisch sein müßte.
145
Urteilslogik
Diese subjektive Prüfer-Logik weist vielmehr eine individuell bzw. sozial geformte Struktur auf. Unter „subjektiver Prüfer-Logik" verstehen w i r „ a l l jene intraindividuellen Prozesse, i n denen Prüfer (persönliche und/oder vorgeschriebene) Ziele, subjektive und/oder überindividuelle (kodifizierte und/oder nicht-kodifizierte) Sollensvorstellungen und (wahre bzw. falsche) Vorstellungen über die faktische Sachlage i n (logisch gültigen und/oder ungültigen) ,Schlußverfahren 1 , also psycho-logisch 61a i n Urteile überführen, Urteile verknüpfen usw.". I n konkreten Prüfungssituationen können also Problemlösungen (Urteile) für einen objektiven Beobachter ohne weiteres auf formallogisch widerspruchsvolle Weise Zustandekommen, i m Sinne der subjektiven Urteilslogik der einzelnen Prüfer jedoch widerspruchslose ( = konsistent) sein. W i r finden es sehr erstaunlich, daß man sich m i t der Urteilsbildung bei Prüfungen als mentalem ( = „kognitiven") Prozeß 62 , als einem Denkund Problemlösungsprozeß i n der modernen Prüfungslehre theoretisch noch nicht beschäftigt hat, obwohl i n den klassischen Prüfungsdefinitionen beispielsweise die „geistigen Arbeitsleistungen" als das Essentiale einer jeden Prüfung besonders hervorgekehrt zu werden pflegen. Das Phänomen der intra-personellen Konflikte i n Beurteilungssituationen w i r d i n der Prüfungslehre nicht behandelt. Die moderne Prüfungslehre geht durchwegs von einer „konfliktlosen Welt" aus. Für sie existieren weder intra-personelle Konflikte noch interpersonelle Konflikte. Warum sollten aber gerade Prüfer vor intrapersonellen K o n f l i k ten wie „kognitiven Dissonanzen" 53 bei der Urteilsbildung bspw. verschont sein. Zur Klärung der kognitiven Prozesse bei der Urteilsbildung bietet sich für die Prüfungslehre die fachübergreifende Kooperation m i t anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen zur K r i t i k und Weiterentwicklung der bisherigen Problemlösungen geradezu an. Es sind uns aus der Literatur weiter keine Forschungsprojekte i n der Prüfungslehre bekannt, die von den Auswirkungen der sozialen Umwelt der Prüfer bzw. deren M i t w i r k u n g an kollektiven Urteilsbildungs5ia Z u r subjektiven Psycho-Logik 52
vgl. z. B. Abelson / Rosenberg (58).
Z u m Problemkreis „kognitive Prozesse" bzw. „ k o g n i t i v e Problemlösungsprozesse" s. z. B. Price-Williams (64); Jones / Gerard (67); M i l l e r (64); Bruner (65); Gagné (66); B r i m / Glass / L a v i n / Goodman (62). 6S Vgl. dazu z.B. Festinger (57), (64); B r e h m / C o h e n (62); Feldman (66); J o n e s / G e r a r d (67), Aronson (69); Festinger (70); Raffée / Sauter / Silberer (73) u n d die dort angegebene Literatur. Erste Hinweise (ohne Vertiefung) auf individualpsychologische Momente i n Beurteilungsprozessen finden sich bei Grünefeld (72), die aber nicht weiter verfolgt werden, da Grünefeld auf „rationale Beurteilungsprozesse" abzielt, s. u. 10 Fischer-Winkelmann
146
B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
Prozessen i m Rahmen von Mehrpersonenprüfungen (verschiedener Organisationsform) auf die A r t und Weise der Gewinnung und Weiterverarbeitung der von dem einzelnen (bzw. den) Prüfer(n) als beurteilungsrelevant angesehenen Informationen ausgehen und i n denen gezeigt würde, wie sich unterschiedliche Bedingungssituationen auf die Urteilsfindung und Gestaltung der Urteile auswirken. I n der prüfungstheoretischen Literatur w i r d man weiter vergeblich nach der Berücksichtigung und Verarbeitung des Prüfungspraktikern wohlbekannten Faktums suchen, daß Urteile teilweise z. B. i m Rahmen der sog. „Schlußbesprechung" bei Jahresabschlußprüfungen oder Betriebsprüfungen regelrecht ausgehandelt werden oder daß Prüfungen teilweise so durchgeführt werden, daß ihnen als Ergebnis das vom Auftraggeber gewünschte Urteil entspringt. Hält man sich vor Augen, daß Mehrpersonenprüfungen bspw. bei Jahresabschlußprüfungen keineswegs eine seltene Erscheinung, sondern die Regel i m (klassischen) Prüfungswesen zu sein pflegen, erscheint die Ausklammerung der interpersonellen Urteilsbildung i n neueren prüfungstheoretischen Ansätzen schlicht unverständlich. Sowenig Brauchbares über die individuelle Urteilsbildung und Urteilslogik i n den neueren Untersuchungen vorgelegt wird, sowenig informiert die moderne Prüfungslehre über die Urteilsbildung bei Mehrpersonenprüfungen, d . h . über die Bestimmungsgrößen der komplexen, i n einem bestimmten sozial-organisatorischen Rahmen ablaufenden multipersonalen Beurteilungsprozesse. Welche Rolle für die interpersonelle Urteilsbildung spielen z. B. vorhandene (nicht vorhandene), echte (vorgetäuschte) usw. Kooperationsbereitschaft, das Konkurrenzverhalten, wechselseitige Anerkennung bzw. Aberkennung von Autorität oder von Fachkenntnis, gegenseitiges Vertrauen, persönliche Zuneigungen, soziale Herkunft, informelle Beziehungen, Drohungen, Bluffs, Versprechungen usw.? Man w i r d i n der Prüfungslehre für den Entwurf von brauchbaren Prüfungstheorien nicht daran vorbeikommen, das Sozialisations- und Kommunikations- und vor allem Macht- und Manipulationsprozesse auf den Ablauf wie das Ergebnis individueller und kollektiver Beurteilungsprozesse i m Prüfungswesen einen Einfluß ausüben. Welche Einflüsse i m einzelnen wie hier hereinspielen, hätte eine empirische Prüfungstheorie zu eruieren. Die heutige Praxis i n der Prüfungslehre, individual-, sozial-psychologische und soziologische Aspekte i n der „theoretischen" Interpretation des Prüfungsgeschehens als eines Beurteilungsprozesses quasi zu ignorieren und Prüfungen i n den theoretischen Ansätzen i n einer A r t sozialen und mentalen Vakuum ablaufen zu lassen, hat „erfolgreich"
3. Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen
die Gewinnung explikativ oder prüfungstechnologisch Einsichten über die Urteilsbildung verhindert.
147
verwendbarer
Irgendeinen Grund, an dieser oder einer anderen vorangehenden Behauptung über die gegenwärtige Theoriesituation i n der modernen Prüfung etwas zurückzunehmen oder gar davon abzurücken, liefert auch der kürzlich vorgelegte Versuch von Sieben / Bretzke nicht, komplexe Beurteilungsprozesse auf ein mathematisches Modell abzubilden 54 und auf dieser Grundlage der Frage der Automatisierbarkeit von Beurteilungsprozessen nachzugehen. Positiv an diesem Versuch ist u. E. vor allem zu werten, daß die Autoren teils die Prämissen ihrer Analyse herauszuarbeiten versuchen und selbstkritisch genug sind, über die beschränkte Aussagefähigkeit ihrer Analyse zu reflektieren, auch wenn sie sich über die fehlende praktische Verwertbarkeit analytisch-konditionaler Aussagen nicht v o l l i m klaren zu sein scheinen. Sieben / Bretzkes Modell eines komplexen Beurteilungsprozesses basiert u. a. auf folgenden explizit aufgeführten Prämissen 55 : (1) Gegeben sei eine bestimmte Klasse von Beurteilungsobjekten. (2) Jedes Klassenelement (Beurteilungsobjekt) besitze eine nierte Menge M von urteilsrelevanten kardinalskalierbaren M,: { M = M 1 , . . . , M J .
genau defiMerkmalen
(3) Das über ein Beurteilungsobjekt M i zu fällende U r t e i l Uj sei Element
einer endlichen Menge U von zulässigen Rangurteilen mit dem Umfang U = {u h ..., uk} . (4) Einem Beurteilungsobjekt M i darf immer net werden.
nur
ein U r t e i l Uj zugeord-
(5) Das U r t e i l Uj über ein Beurteilungsobjekt ist als abhängige Variable der Merkmalsausprägungen m i der Merkmale M i dieses Beurteilungsobjektes aufzufassen: Uj = f ( m i _ o M i , . . . , M i _ o M w ) .
Mithilfe weiterer spezieller Voraussetzungen, die hier nicht weiter von Belang sind, w i r d von Sieben / Bretzke dann eine Beurteilungsfunktion aufgestellt, m i t deren Definition ein komplexer Beurteilungsprozeß, d. h. die Beurteilung von Objekten m i t mehreren urteilsrelevanten und zu gewichtenden Merkmalen „vollständig determiniert" sein soll 5 6 . Bereits anhand der (oben beschriebenen) Prämissen, von denen Sieben / Bretzke ausgehen, läßt sich erkennen, daß von ihnen keine Ana54
Vgl. Sieben / Bretzke (72). Vgl. Sieben / Bretzke (72), insbesondere S. 324 ff. 56 Vgl. Sieben / Bretzke (72), S. 322; zum Modelldenken vgl. Fischer-Winkelmann (71). 65
10*
148
B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
l y s e d e r faktischen U r t e i l s b i l d u n g bei k o m p l e x e n P r ü f u n g e n geboten w i r d . U . E . ist die u n t e r Betriebswirten weitverbreitete Fehleinschätz u n g des = E r k e n n t n i s w e r t e s = v o n M o d e l l a n a l y s e n a n i h r e m I r r t u m s c h u l d 6 6 , sie k ö n n t e n m o d e l l a n a l y t i s c h grundsätzliche Einsichten i n die A r t der gedanklichen Operationen bei Beurteilungsvorgängen i n der Prüfungspraxis gewinnen. H e r v o r h e b e n s w e r t i s t d e r H i n w e i s v o n Sieben / B r e t z k e , daß b e i Mehrpersonenprüfungen die Gewichtung unterschiedlicher Fehler bzw. die A m a l g a m a t i o n verschieden-gewichtiger Einzelurteile zu einem G e s a m t u r t e i l „ E r g e b n i s eines k o l l e k t i v e n Entscheidungsprozesses" u n d e i n e r r e i n logischen L ö s u n g n i c h t z u g ä n g l i c h s e i 5 7 . Es i s t z u b e d a u e r n , daß sie diesen G e s i c h t s p u n k t n i c h t w e i t e r v e r f o l g t e n . I n a l l e r K ü r z e l ä ß t sich folgendes F a z i t ziehen: a) Eine brauchbare Analyse der Vergleichshandlungen u n d Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen k a n n nicht darauf verzichten, die Bestimmung u n d A u s w a h l der einzelnen zu beurteilenden Elemente u n d die B i l d u n g von Einzelurteilen miteinzubeziehen, w e n n nicht i m = luftleeren Raum = diskutiert werden soll. Analytisch-konditionale Modelluntersuchungen (v. Wysocki bzw. Sieben / Bretzke), i n denen die Urteilsbildung bei k o m plexen Prüfungen von den Urteilenden losgelöst u n d v o m Verhaltensbzw. Prozeßaspekt abstrahiert w i r d , i n denen Prüfungen i n einem „sozialen" bzw. „mentalen V a k u u m " sich abspielen, i n denen die = Transformat i o n = v o n Einzelurteilen divergierender „meßtheoretischer" S t r u k t u r u n d unterschiedlichen Gewichts i n ein Gesamturteil auf Rechenverfahren reduziert u n d die „menschliche Dimension" zum Verschwinden gebracht w i r d , sind kein annehmbarer Ersatz f ü r eine theoretisch haltbare I n t e r pretation des Urteilbildungsphänomens. b) W i r haben darauf hingewiesen, daß eine Prüfungstheorie — soll sie f ü r Erklärungen der Urteilsbildung bei Prüfungen tauglich sein — u . a . die Einflußbeziehungen zwischen den Urteilenden (Prüfern) u n d ihrer U m welt, die kognitive Beschränkung der Rationalität der Prüfer sowie die von ihrer individuellen „Urteilslogik" auf die Urteilsbildung ausgehenden Einflüsse systematisch berücksichtigen müßte. c) Wenn i n der modernen Prüfungslehre nach Erklärungen der Urteilsb i l d u n g gesucht w i r d u n d die prüfungstheoretische Zielsetzung v e r w i r k licht werden soll, dann w i r d m a n auch daran nicht vorbeikommen, daß die Prüfer als Träger der Urteilsbildung = problem solvers and decision makers = sind (was sich teils überschneidet), die Such-, Informationsverarbeitungs- u n d kreative Denkprozesse bewältigen. F ü r die Deutung der Urteilsbildung als unipersonaler bzw. multipersonaler Entscheidungsu n d Problemlösungsprozesse könnte sich ein interdisziplinärer Ansatz w i e z. B. der Rückgriff auf psychologische u n d sozialpsychologische Theoreme des Wahrnehmens, des Denkens oder des Lernens, der Soziologie (z. B. einiger der Rechtssoziologie) usw. empfehlen 5 8 . 67
Vgl. Sieben / Bretzke (72), S. 326. Es scheint uns, als hätten die beiden folgenden impliziten — u n d das Arbeiten wesentlich erleichternden — heroischen Annahmen die moderne 58
3. Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen
149
b) Zufallsgesteuerte Urteilsbildung: Prüfungen als Probalitätsrechnung Aus unserer kritischen Durchsicht der literarischen Beiträge zum Problemkreis „Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen" haben w i r bis jetzt jenen Teil des Schrifttums ausgespart, der den Problemen gewidmet ist, die m i t der nicht vollständigen Prüfimg aller Prüfelemente i n der Prüfungspraxis auftauchen. Es handelt sich u m den Bereich der sog. „Auswahlprüfungen" als dem Gegenstück zu den „Vollprüfungen", bei denen sämtliche Prüfelemente i n die Urteilsbildung miteinbezogen werden. Untersuchungsthemen w i e „Quantitative Methoden der Urteilsgewinn u n g " 5 0 oder „Bildung von Gesamturteilen mithilfe von Stichproben" 8 0 oder „Buchprüfung als Allokationsproblem heterograder Wahrscheinlichkeitsstichproben" 61 signalisieren die sich i m deutschen Sprachbereich i n den letzten Jahren (auf angloamerikanische Vorbilder hin) verstärkende Tendenz, zur Analyse der Urteilsbildung zunehmend „Erkenntnisse . . . der mathematischen Statistik . . . auf das betriebswirtschaftliche Prüfungswesen anzuwenden" 6 2 . Diese verschiedenen Ansätze zu Integrierung des Instrumentariums der mathematischen Statistik i n die Prüfungslehre pflegen i m Fache ebenfalls jener Richtung zugerechnet zu werden, der es „ v o r allem u m die Schaffung einer = Prüfungstheorie = geht" 6 8 . I n der Prüfungsliteratur wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß bei der Jahresabschlußprüfung — dem Prototyp der Untersuchungsobjekte der älteren wie der neueren Prüfungslehre — i n der Praxis eine Beurteilung sämtlicher Prüfelemente i n der Regel nicht durchführbar ist und die Prüfer über die Auswahl der zu beurteilenden Prüfelemente entscheiden müssen. Prüfungslehre bisher m i t von einer Beschäftigung m i t der Urteilsbildung als kognitiven Problemlösungsprozessen bewahrt: (1) Der zur F ä l l u n g eines „ordnungsmäßigen" Urteils notwendige Informationsgrad sei bei den P r ü fern stets gegeben (die Prüfer kennen z.B. i m m e r alle offenstehenden P r o blemlösungsalternativen u n d deren Konsequenzen). (2) Prüfer w ü r d e n und könnten stets gemäß den anzuwendenden Normen — deren Operabilität i m m e r gegeben sei — die zu beurteilenden Sachverhalte = o r d n e n = . (Nach der individuellen D e n k - u n d Kombinationsfähigkeit bspw. braucht m a n aufgrund dieser Prämisse nicht mehr zu fragen!) 50 Vgl. Schulte (70), S. 255 ff. 60 Vgl. v. Wysocki (67), S. 255 ff. oder Leffson / L i p p m a n n / Baetge (69), S. 24 ff. 61 Vgl. K o l a r i k (64). 62 v. Wysocki (67), S. V I I . 63 Loitlsberger (66), S. 59; vgl. außer Loitlsberger z.B. v. Wysocki (67), K o l a r i k (64), Schettler (71), Schulte (70).
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B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie
Es mag angesichts dieser Tatsache etwas überraschend erscheinen, daß die deutsche Prüfungslehre erst relativ spät die mathematische Statistik für sich entdeckte und sich m i t den Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung reger zu beschäftigen begann. Nach ersten Hinweisen 8 4 auf Einsatzmöglichkeiten mathematisch-statistischer Verfahren dauerte es bis i n die 60er Jahre, ehe i n der Literatur die Thematik = zufallgesteuerte Stichprobenprüfungen = wieder aufgegriffen und (teils erkennbar auf Anregungen i m amerikanischen Schrifttum hin) auf breiterer Basis abgehandelt wurde 6 5 . Lag der Schwerpunkt der literarischen Diskussion anfänglich bei den klassischen Schätz- und Testverfahren der Statistik des homograden Falles i m Rahmen einer uneingeschränkten Zufallsauswahl der Prüfelemente (einfache Stichprobenverfahren), so wandte sich das wissenschaftliche Interesse i n den letzten Jahren verstärkt dem Problem zu, welche Modifizierungen der uneingeschränkten Zufallsauswahl der Prüfelemente eine noch weitergehende Einschränkung des Stichprobenumfanges und damit der Prüfungshandlungen erlauben würde. I n der Diskussion sind zwei Möglichkeiten: (1) eine Weiterentwicklung des für die statistische Qualitätskontrolle industriell gefertigter Produkte entworfenen doppelten Stichprobenverfahrens (s. n. S.), das Sequentialtestverfahren (homograde Fragestellung) 68 und (2) unter Verwendung des Satzes von Bayes entwickelte Stichprobenverfahren (die sowohl für die Behandlung homograder wie heterograder Fragestellungen geeignet sind) 67 , deren Leistungsfähigkeit durch die Verknüpfung m i t sog. „Informationswertberechnungen" noch gesteigert werden können soll 6 8 a . Exkurs Von engagierten Verfechtern „quantitativer" Methoden der Urteilsvorbereitung i n der Prüfungslehre w i r d für die Anwendung mathema64
Vgl. K l e i n (11/12) u n d Schmalenbach (11/12 b). Vgl. Rackles (61); Buchner (61); Dinter (62); Elmendorf (63); K o l a r i k (64); K ö n i g (65); Loitlsberger (66); v. Wysocki (67); K r ü g e r (68); Louwers (69); Leffson / L i p p m a n n / Baetge (69); Schulte (70); Eimendorff (70); Buchner (71); Weber (72); Strobel (74); Henning (74); Buchner / Reuter (72). 69 Vgl. Schulte (70), S. 129 ff.; Leffson / L i p p m a n n / Baetge (69), S. 62 ff.; Buchner / Reuter (72). Die amerikanischen Vorläufer sind Charnes / D a v i d son / Kortanek (64) u n d T r e n t i n (68). Bei Schulte sind sie nicht, bei Leffson u. M i t . ist n u r T r e n t i n aufgeführt. Z u r Begründung des Sequentialtestverfahrens vgl. W a l d (47); W a l d / Wolfowitz (48); B a r t k y (43) u n d Barnard (46). 67 Vgl. Buchner (71) u n d Weber (72). Die Anregung ging aus von K r a f t (68); Tracy (69 a) u n d (69 b); Sorensen (69); K n o b l e t t (70). 68a Vgl. Schettler (71), S. 99 ff. u n d Weber (72), S. 107 ff. Z u r „ I n f o r m a tionswertberechnung" vgl. Weber (70) u n d die dort angegebene Literatur. 85
3. Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen
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tisch-statistischer Stichprobenverfahren bei Abschlußprüfung die Prüfungspraxis damit umworben, daß man ihr als besondere Nachteile der von ihr bisher gepflogenen nicht-zufallgesteuerten Auswahlprüfungen vorführt, daß bisher das subjektive prüferische Ermessen über den Umfang wie die Auswahl der Prüfelemente entscheide und sie, die Prüfungspraxis deshalb grundsätzlich nicht i n der Lage sei 1. zu beweisen, ob die Auswahl der Prüfelemente wirklich repräsentativ sei, 2. nicht i n der Lage sei, exakt anzugeben, wie groß der erforderliche Auswahlsatz der Prüfelemente sein muß, u m ein Urteil abgeben zu können, dessen Unsicherheit und Ungenauigkeit bzw. Sicherheit und Genauigkeit eindeutig berechenbar bzw. angebbar sei. A l l diese Probleme würden dagegen beim Einsatz mathematischstatistischer Methoden bei Abschlußprüfungen vermieden. I m folgenden werden w i r uns mit diesem Anspruch anhand einiger mit der exakten Vorausberechnung des optimalen Stichprobenumfanges verknüpften Probleme kritisch auseinandersetzen. Die Berechnung des zur Wahrung der vom Prüfer gewünschten Sicherheit und Genauigkeit seines Urteils notwendigen Umfanges der mittels Zufallsauswahl einem Prüffeld zu entnehmenden Prüfelemente sowie die Auswertung der bei der Auswertung der gezogenen Prüfelemente gewonnenen Informationen mithilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung scheint nach der Prüfungsliteratur 6 8 b für die Prüfungspraxis keine sonderlichen Probleme aufzuwerfen. I n der Regel w i r d dem an einer möglichen Anwendung statistischer Methoden interessierten Prüfer die Berechnung als eine m i t einer mehr oder minder umfangreichen Rechenarbeit verbundene Angelegenheit dargestellt, die durch die Benützung der EDV des zu prüfenden Unternehmens zudem noch sehr erleichtert werden könnte. Es läßt sich nun aber gerade anhand der für die Berechnung des optimalen Stichprobenumfanges von der Prüfungsliteratur bzw. -lehre angebotenen Formeln demonstrieren, daß 1. die durchgängige Behauptung, die Verwendung mathematisch-statistischer Methoden bei Abschlußprüfungen helfe die Subjektivität in der prüferischen Urteilsbildung entscheidend reduzieren, wenn nicht gar zu eliminieren und so den Urteilsprozeß zu objektivieren, w e i l sich doch die Genauigkeit und die Sicherheit des prüferischen 08b v g l . dazu die i n Fn. 65 - 68 aufgeführte Literatur, kritisch dazu neuerdings Bretzke / Hövermann / Löcherbach (72) u n d teils Goronzy / Löcherbach (73).
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B. I I I . Prüfungstheorie als Meß- u n d Stichprobentheorie Schema eines einfachen statistischen Testverfahrens (homograder Fall) Ziehe aus der Grundgesamtheit N eine Stichprobe i m Umfang n !
1 E r m i t t l e den Fehleranteil i n der Stichprobe!
1 Ist der gefundene Fehleranteil > p'?* ja i Nullhypothese ist abzulehnen!
nein I Nullhypothese ist anzunehmen!
*p' = gerade noch zulässiger Fehleranteil
Schema eines doppelten statistischen Testverfahrens (homograder Fall) Ziehe aus der Grundgesamtheit N eine Stichprobe i m Umfang n x !
I E r m i t t l e den Fehleranteil i n der Stichprobe!
1 Ist der gefundene Fehleranteil
3. Urteilsbildung bei komplexen Prüfungen
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Urteils exakt quantitativ fixieren läßt, aus anderen als den früher schon von uns skizzierten Gründen als fragwürdig, d . h . nochmals Überdenkenswert anzusehen ist, und daß 2. die Berechnung des notwendigen Stichprobenumfanges jeden Prüfer streng genommen bei Abschlußprüfungen vor ein von i h m logisch unlösbares Entscheidungsproblem, d. h. vor ein logisches Dilemma stellt, das vorläufig nur einer willkürlichen Lösung zugänglich ist. W i r werden die angedeutete Problematik zuerst einmal exemplarisch am Beispiel einer Schätzstichprobe für den homograden F a l l skizzieren, also für die bei Abschlußprüfungen gewiß nicht atypische Prüfungssituation, daß aufgrund von Beobachtungen zweier sich gegenseitig ausschließender Merkmalsausprägungen „ordnungsgemäß" bzw. „nichtordnungsgemäß" an den Prüf dementen ein Urteil über die „Ordnungsmäßigkeit" des gesamten Prüffeldes gefällt werden soll. Weiter wollen w i r annehmen, daß der Prüfer das Zufallsauswahlsowie das Beurteilungsverfahren für die zu beurteilenden Prüfelemente festgelegt habe. Denn dann reduziere sich unter einer bestimmten Zielsetzung prüferischen Tuns, so jüngst ein Anhänger quantitativer Methoden (Schettler), die Wahl der optimalen Prüfungsstrategie für den Prüfer bei der Abschlußprüfung auf die Berechnung des Prüfungsumfanges, d. h. i n unserem Falle auf die Lösung des Problems: wie groß muß die Zahl der Prüfelemente in der Stichprobe sein, damit der Schluß vom Ergebnis der Überprüfung der einzelnen Elemente auf den unbekannten Parameter der Grundgesamtheit und damit das Urteil über das Prüffeld ein bestimmtes, präzise angebbares Maß an Genauigkeit und Sicherheit besitzt? W i r wollen des weiteren noch unterstellen, unser Prüfer hole sich für die Lösung dieses Problems Hat aus dem Vademecum der deutschen Wirtschaftsprüfer, aus dem WP-Handbuch (1973). Als Problemlösung w i r d i h m da (S. 967) folgende Berechnungsformel vorgeschlagen:
oder was bekanntlich das Gleiche ist
die aus der Gleichung (2a)
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durch Auflösung nach n hergeleitet werden kann, wenn e = P — p gesetzt wird. Der Endlichkeits-Korrekturfaktor ist hierbei vernachlässigt und spielt für die weiteren Überlegungen keine Rolle. Von Bedeutung w i r d aber i n diesem Zusammenhang noch werden, was i m WP-Handbuch nicht erwähnt wird, daß zur Ableitung dieser Stichprobenformel wegen der leichteren rechentechnischen Handhabbarkeit unterstellt wurde, daß alle möglichen Stichprobenergebnisse (p) normalverteilt sind. A u f die m i t dieser Unterstellung einer Normalverteilung verbundenen Probleme kommen w i r später noch zurück. Wenn w i r jetzt hergehen und diese Formeln (1) i n eine Entscheidungsanweisung für Prüfer übersetzen, dann lauten sie: „Berechne den notwendigen Stichprobenumfang n, indem D u ein bestimmtes t, also ein Maß für die Sicherheit, und e, d. h. ein Maß für die Genauigkeit Deines späteren Urteils sowie den Dir unbekannten Fehleranteilswert (p) i n der Stichprobe i n die Formel einsetzt!" W i r haben i n dieser, i n eine Handlungsanweisung transformierten Rechenformel auf die Prüfungssituation bezogen eine — wie man in der Wissenschaftslogik sagt, eine analytische Norm oder pseudo-normative Leerformel vor uns. Denn i n der Literatur w i r d doch mit der Empfehlung dieser Formel von den Prüfern etwas verlangt, was ihnen in ihrer Entscheidungslage bei Abschlußprüfungen aus logischen Gründen unmöglich ist: die Prüfer können den optimalen Stichprobenumfang nach dieser Formel gar nicht berechnen, weil sie dazu a priori das Ergebnis ihrer Prüfung der Stichprobenelemente sowie deren Auswertung kennen müßten, und zwar eben der Stichprobenelemente, deren Anzahl sie erst berechnen wollen! Diese logisch auswegslose Entscheidungssituation, i n die Prüfer bei der Ermittlung des optimalen Stichprobenumfanges bei Schätzstichproben gebracht werden, wenn sie Literaturempfehlungen folgen, und die Ursache dafür w i r d klarer, wenn w i r uns die folgende aus einem bekannten Statistiklehrbuch stammende und auch in zwei Standardwerken (Loitlsberger, v. Wysocki) der modernen Prüfungslehre zu findende Planungsformel für den Stichprobenumfang etwas näher ansehen: (3a)
ff • P • Q
e2
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oder was wiederum das Gleiche bedeutet, t2 • P • (1 - P)
(3b)
e2
Aus dieser letzten Formel (3 b) läßt sich eindeutig entnehmen, daß der Prüfer den notwendigen Stichprobenumfang immer erst dann und nur dann exakt berechnen kann, wenn für i h n das Ziehen und Auswerten einer Stichprobe bei der (Abschluß)Prüfung überflüssig ist, nämlich dann, wenn i h m der unbekannte wahre Fehleranteil P i m fraglichen Prüffeld jeweils schon bekannt ist. Diese vertrackte Entscheidungslage, i n die der Prüfer m i t der empfohlenen A r t der Vorausberechnung des optimalen Stichprobenumfanges gebracht wird, sowie die Konsequenzen ihrer Lösung werden von den Befürwortern einer Verwendung mathematisch-statistischer Methoden bei Abschlußprüfungen nicht explizit herausgestellt, sondern m i t der Empfehlung gleichsam kaschiert, für P einfach einen Schätzwert einzusetzen! Es w i r d also empfohlen, statt mit der Berechnungsformel (3 b) bei (Abschluß)Prüfungen mit der Formel
(4)
n =
t*.P-(l - P ) e2
als adäquatem Ersatz für die Formeln (3) zu operieren. Die Dächer über den Symbolen i n der Formel (4) sollen anzeigen, daß es sich dabei um vom Prüfer zu bestimmende Größen handelt. Das P m i t dem Dach ist also der a priori-Schätzwert des Prüfers für das ihm unbekannte P. Die von der modernen Prüfungslehre durchwegs ausgesprochene Empfehlung an den Prüfer, als Ersatz für die von i h m nicht lösbare Gleichung (3 b) auf die Formel (4) als ihrer (angeblich) adäquaten Modifikation zurückzugreifen, hat nun aber folgende mißliche Konsequenz: nur i n dem Falle, i n dem der vom Prüfer angesetzte Schätzwert P für den unbekannten wahren Fehleranteil P i m Prüffeld auch tatsächlich m i t diesem wahren P identisch ist, kann dieser nachweisen, sein Urteil mit der seiner Stichprobenberechnung zugrunde gelegten Genauigkeit und Sicherheit auch tatsächlich abgegeben zu haben. Denn der Prüfer stützt sich bei Benutzung von Formel (4) auf die Existenz einer Wahrscheinlichkeitsbeziehung zwischen P, t und e, die i n Formel (3 b) beschrieben ist und die nur für den Schluß vom bekannten wahren Fehleranteil P einer Grundgesamtheit auf den zu erwartenden (unbekannten) A n t e i l fehlerhafter Elemente (p) i n der Stichprobe nachweisbar ist.
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Die Prüfungssituation der Prüfer bei einer Abschlußprüfung ist doch jedoch genau umgekehrt! Der Prüfer möchte auigrund seiner Untersuchung und Beurteilung der Stichprobenelemente den A n t e i l der fehlerhaften Prüfelemente an der Gesamtheit der i n einem Prüffeld zusammengefaßten Prüfelemente wissen, d. h. ermitteln. M i t anderen Worten heißt das, ob die Voraussetzungen des zur Berechnung von n mittels Formel (4) benutzte Modell m i t den Bedingungen i n einer singulären Prüfungssituation bei einer Abschlußprüfung übereinstimmen, ließe sich vom Prüfer erst exakt durch eine Vollprüfung beweisen. Aus dem bisher Gesagten geht hervor, daß die als der große Vorzug mathematisch-statistischer Verfahren herausgestellte Möglichkeit, die Sicherheit und die Genauigkeit des Prüferurteils präziser ( = numerisch) bestimmbar zu machen und die Urteilsfindung zu objektivieren, doch m i t einiger Skepsis zu betrachten ist. Denn die der Prüfungspraxis empfohlene Planungsformel vom Typ (4) für den (optimalen) Umfang der Prüfungshandlungen ist 1. eine Aufforderung an die Prüfer, denjenigen Stichprobenumfang zu schätzen, der den von ihnen vorgegebenen Sicherheits- und Genauigkeitsgrad ihres zukünftigen Urteils über das Prüffeld erst zu garantieren i n der Lage ist, ohne daß 2. die Güte dieser ihrer Schätzung, d. h. die Abweichung der tatsächlichen Werte für die Sicherheit und Genauigkeit des Urteils von den vorgegebenen Werten quantifizierbar ist, da sie wiederum von der Güte des Schätzwertes P , d. h. dessen Abweichung vom wahren Fehleranteil P i m Prüffeld abhängt. Quantifizierbar wäre diese A b weichung wenn überhaupt, dann nur durch eine nachträgliche lükkenlose Prüfung des Prüffeldes, womit sich aber der Sinn einer zufallsgesteuerten Stichprobenprüfung verkehren würde. Es ist nun denkbar, daß gegen unsere Feststellung an dieser Stelle der Einwand gebracht wird, die fehlende Kenntnis des wahren Fehleranteils sei für die Prüfungspraxis nicht so schwerwiegend. Man könne doch den i n der mittels Formel (4) berechneten Stichprobe gefundenen Fehleranteil (p) gleichsam als eine unverzerrte Schätzung für den wahren Fehleranteil P verwenden und für jede positive Abweichung des Fehleranteils i n der Stichprobe (p) vom Schätzwert P den Stichprobenumfang erneut berechnen und diesen so an den tatsächlich erforderlichen approximieren. Doch dieser Einwand bzw. Vorschlag, der i n der Literatur der Prüfungspraxis auch unterbreitet w i r d (z.B. von Schulte), bietet keine logisch akzeptable Problemlösung. Denn dieser Vorschlag läuft auf ein
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logisch fehlerhaftes, weil zirkuläres Verfahren hinaus, die eigene Fehlerhypothese P nachträglich durch Ergebnisse bestätigen zu wollen, deren Haltbarkeit jedoch ihrerseits wiederum von der Gültigkeit eben jener eigenen Fehlerschätzung abhängt. Die Prüfung eines Prüffeldes mithilfe von Schätzstichproben i n der von der Literatur vorgeschlagenen Form würde weiter bedeuten, daß sich das Prüferurteil i m Rahmen einer ebenfalls auf Stichprobenbasis durchgeführten Metaprüfung begründet nur auf seine Haltbarkeit i n bezug auf die Einhaltung methodischer statistischer Standards bei der Urteilsgewinnung überprüfen läßt. Über die Richtigkeit des zu unterstellenden Fehleranteils, des Schätzwertes P könnte intersubjektiv nur dann entschieden werden, wenn dafür operable Kriterien fixiert wären, die es aber noch nicht gibt. Die i m WP-Handbuch 1973 (wie auch bspw. von Adler / Düring / Schmaltz) ausgesprochene Empfehlung an die Prüfer, vorsichtig den Schätzwert P m i t 50 °/o ( = 0,5) anzusetzen, ist offenbar bei (Abschluß)Prüfungen unzweckmäßig. Es w i r d auf diese Weise zwar die Einhaltung der i n die Vorausberechnung des Stichprobenumfanges eingesetzten Maße t und e für die Sicherheit und Genauigkeit i n jedem Falle gewährleistet, gleich welchen Wert der wahre Fehleranteil P i m Prüffeld de facto besitzt. Der generelle Ansatz eines 50 °/oigen Fehleranteils ist jedoch nicht nur unrealistisch, sondern führt auch zu einem unnötigen Umfang der Prüfungshandlungen. Die Formel (4) zur Festlegung des optimalen Stichprobenumfanges ist für (Abschluß)Prüfer noch aus einem weiteren Grunde als sehr proble* matisch anzusehen. Denn eine der unabdingbaren Voraussetzungen dafür, die Genauigkeit und die Sicherheit des Prüferurteils bei A b schlußprüfungen inform zufallsgesteuerter Stichprobenprüfungen exakt quantifizieren zu können ist, daß das den Berechnungen zugrundeliegende wahrscheinlichkeitstheoretische Modell m i t den Voraussetzungen i n der Prüfungsrealität übereinstimmt, d.h. anders gesagt, daß zwischen der Problemstruktur der Prüfungssituation und der Modellstruktur des Kalküls Isomorphie besteht. Die Gültigkeit der Formel (3 b), deren offensichtliche Modifikation die Formel (4) ist, basiert auf der Voraussetzung, daß die Fehleranteile (p) aller denkbaren Stichproben normalverteilt sind. Diese Voraussetzung der Normalverteilung ist aber bei (Abschluß-)Prüfungen regelmäßig schon deswegen nicht gegeben, w e i l die geprüften Prüfelemente nicht der Untersuchungsgesamtheit wieder zugeführt werden. Eine zweite Prüfung eines Prüfelements wäre für den Prüfer ja ohne angebbaren Sinn.
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Dem tatsächlichen prüferischen Vorgehen bei Abschlußprüfungen entspricht also mehr das wahrscheinlichkeitstheoretische Modell „Ziehen ohne Zurücklegen". Bei der Berechnung des notwendigen Stichprobenumfanges müßte der Prüfer dann also von einer hypergeometrischen Verteilung als dem adäquaten Verteilungstyp für die rechnerische Ermittlung der i n die Stichprobe aufzunehmenden Prüfelemente bei einer Abschlußprüfung ausgehen. Das bringt jedoch diffizile rechentechnische Probleme mit sich. Es läßt sich nun zeigen — wobei uns hier die mathematischen Details nicht zu interessieren brauchen —, daß unter ganz bestimmten Bedingungen für die hypergeometrische Verteilung eine Normalverteilung als eine gute Approximation unterstellt werden kann, was die relativ einfache Errechnung des optimalen Stichprobenumfanges gemäß Formel (4) insofern möglich machen würde. Für den Prüfer bedeutet das: Liegen die Bedingungen für die Approximation der hypergeometrischen Verteilung durch die Normalverteilung i m konkreten Falle vor, dann und nur dann könnte die Formel (4) c. p. (s. o.) verwendet werden! Woran kann der Abschlußprüfer nun beurteilen, ob diese Approximationsbedingungen in seinem konkreten Falle vorliegen? Als Entscheidungskriterium, d. h. als sog. Approximationsregel w i r d i h m dafür i n der Prüfungsliteratur bspw. angeboten: „Wenn der Umfang (N) der Prüfelemente i n einem Prüffeld genügend groß ist und das Produkt aus n • P • (1 — P) > 9 ist, dann darf als Verteilung der Fehleranteile (p) aller möglichen Stichproben i m Falle des Ziehens ohne Zurücklegens eine Normalverteilung unterstellt werden!" Für den (Abschluß-)Prüfer stellt diese Approximationsregel jedoch offensichtlich ein untauglichen Entscheidungskriterium dar, da diese Hegel von i h m wiederum etwas Unmögliches verlangt! Der Prüfer kann doch anhand dieses Kriteriums über die Zulässigkeit der Unterstellung einer Normalverteilung für seine Vorausberechnung des optimalen Stichprobenumfanges erst dann entscheiden, wenn er neben dem i h m ja unbekannten wahren Fehleranteil P noch den notwendigen Stichprobenumfang kennt. Und diesen notwendigen Stichprobenumfang kann er aber nur dann wiederum präzise berechnen, wenn er die Zulässigkeit der Normalverteilungshypothese beweisen kann und i h m wiederum der wahre Fehleranteil P bekannt ist! Das ist ein logischer Zirkel, i n den der Prüfer dadurch gebracht wird, daß i h m i m Schrifttum eine Approximationsregel nahegelegt wird, die nur für den Fall konstruiert ist und nur dort ohne jegliche logischen Komplikationen anwendbar ist, der bei (Abschluß-)Prüfungen regelmäßig nicht gegeben ist, nämlich für den wahrscheinlichkeitstheoreti-
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sehen Schluß von einer bekannten Grundgesamtheit auf alle möglichen Stichprobenergebnisse (p). Daß ein nachträglicher Beweis, ein auf welche Weise auch immer vom Prüfer bestimmter Stichprobenumfang genüge dem mittels des Schätzwertes P folgendermaßen umgewandelten Approximationskriterium: n • P • (1 — P) > 9, und bestätige nachträglich so die Zulässigkeit der Normalverteilungshypothese, logisch unzulässig und nicht akzeptabel ist, dürfte intuitiv eingängig sein. Es wäre ein circulus i n probando. Die gleichen Probleme ergeben sich übrigens auch für die Unterstellung einer Poisson- oder eine Binomialverteilung, die wie die Normalverteilung den praktischen Vorzug für den Prüfer besitzen würden, gut vertafelt zu sein. A n unserem Beispiel der Vorausberechnung des notwendigen Stichprobenumfanges bei (Abschluß)Prüfungen — gleichgelagerte Probleme ließen sich auch für den F a l l der Annahmestichprobe mit ergebnisunabhängigem Stichprobenumfang nachweisen — zeigte sich, daß die als der große Vorteil i n der Literatur gepriesene Möglichkeit der Verwendung mathematisch-statistischer Verfahren bei ( A b s c h l u ß p r ü fungen, die Sicherheit und die Genauigkeit des Prüferurteils berechenbar zu machen, nicht überbewertet und die sich daraus ergebenden Probleme für die Prüfungspraxis in der Prüfungslehre eingehend diskutiert werden sollten. Die tatsächliche Sicherheit und Genauigkeit eines auf Schätzstichproben basierenden Prüferurteils hängt i m geschilderten Falle von der Güte des subjektiven Schätzwertes P des Prüfers für den wahren Fehleranteil P sowie noch von der Güte der Approximation der hypergeometrischen Verteilung durch die unterstellte Verteilung ab, worüber aber i n beiden Fällen keine exakten Angaben gemacht werden können. Die Vorgabe von präzisen Maßen für die Sicherheit und die Genauigkeit des Prüferurteils bei der Planung des notwendigen Stichprobenumfanges, also für t und e, z. B. durch Gesetz, Standesorganisationen, usw. könnte i n der Prüfungspraxis wie bei den Urteilsinteressenten leicht falsche Hoffnungen wecken. Und zu jenem „frommen Selbstbetrug" führen, der sich einstellt, wenn i n der Praxis mit gelehrt aussehenden statistischen Formeln hantiert wird, ohne daß die Voraussetzungen ihrer Anwendbarkeit eingehend hinterfragt wurden. Diese mögliche Gefahr sehen w i r auch bei einer in den letzten drei Jahren i n den Vordergrund des literarischen Interesses gerückten Variante des mehrfachen Annahmestichprobenverfahren, dem sequenziellen Quotiententestverfahren gegeben, das von seinen literarischen
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Befürwortern 6 6 als das für (Jahresabschluß)Prüfungen Stichprobenverfahren hin- und herausgestellt wird.
geeignetste
Denn i n dem Bestreben, der Prüfungspraxis das Sequentialtestverfahren vor allem aus Kostengesichtspunkten, d . h . wegen der damit möglichen Einschränkung des notwendigen Stichprobenumfanges gegenüber anderen Verfahren, nahezubringen, wurde i m Schrifttum über die ausführliche Darstellung der mathematisch-statistischen Grundlagen und der speziellen Entscheidungstechnik bei dieser Stichprobenprüfungsvariante die eingehende Diskussion der faktischen Anwendungsproblematik leider vernachlässigt. Oder anders formuliert, statt einer für die Prüfungspraxis relevanten prüfungstechnologischen Analyse betrieben die Verfechter einer Verwendung des sequenziellen Hypothesentest bei (Abschluß-)Prüfungen bislang Modelianalyse, wobei trotz der einseitigen Bevorzugung der formalen Aspekte auf einige für die Prüfungspraxis bedeutsamen entscheidungslogische Probleme dieses statistischen Prüfverfahrens die Prüfungspraxis nicht hingewiesen wird. Die an quantitativen Methoden interessierten Prüfer auf einige m i t einer sequenziellen Stichprobenprüfung verbundenen Probleme ausdrücklich aufmerksam zu machen, erscheint uns insofern auch wichtig zu sein, als dieses i n der Literatur sehr eingängig geschilderte Verfahren auf Praktiker aus zwei Gründen besonders attraktiv wirken dürfte: 1. es bietet einmal gegenüber einem herkömmlichen Hypothesentest mit uneingeschränkter Zufallsauswahl der Prüfelemente und i m voraus festzulegenden Stichprobenumfang die Möglichkeit, die Zahl der notwendigen Prüfungshandlungen bei gleicher statistischer Qualität des Urteils noch weiter zu reduzieren. Denn bei der Sequenzstichprobe ist der notwendige Stichprobenumfang vom Ergebnis der Beurteilung sukzessiv nacheinander gezogener Prüfelemente abhängig. Für die mögliche Einschränkung des Stichprobenumfanges w i r d z. B. die Zahl 50 °/o genannt. Und 2. w i r d Praktikern nach der Lektüre der entsprechenden Literatur das Sequentialtestverfahren als eine streng systematisierte Form ihres bisherigen prüferischen Vorgehens bei bewußter Auswahl erscheinen, sich über eine Kette aufeinanderfolgender Beurteilungsvorgänge i n einem Lernprozeß ein U r t e i l über das Prüffeld zu bilden. Denn auch der sequenzielle Hypothesentest verlangt vom Prüfer, nach jeder Ziehung und Beurteilung zufällig entnommener Prüfelemente sich zu entscheiden, ob er nun das Prüffeld als Ganzes aufgrund der bisher von i h m aufgedeckten Fehler mit der vorgebenden Sicherheit annehmen oder ablehnen kann oder ob er noch weiterprüfen muß.
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Diese mögliche Verringerung der Prüfungshandlungen bei einer Sequenzstichprobe gegenüber einem klassischen Hypothesentest, d.h. einem Test m i t festem Stichprobenumfang, beruht darauf, daß man sich folgenden Sachverhalt zunutze macht: es läßt sich zeigen, daß die gleiche statistische Situation, die sich nach Abschluß einer Annahmestichprobe klassischer Prägung ergibt, m i t hoher Wahrscheinlichkeit bereits zuvor einmal oder mehrmals während der Ziehung der einzelnen Prüfelemente aufgetreten ist. Hieran anknüpfend bietet das Sequentialtestverfahren die Möglichkeit, schon beim ersten Auftreten dieser stochastischen Situation über die Annahme bzw. die Ablehnung des fraglichen Prüffeldes zu entscheiden.
Abb. 2: Entscheidungstechnik bei sequenzieller Stichprobenprüfung: graphische Lösung
Als Entscheidungshilfe kann sich der Prüfer ein Entscheidungsdiagramm konstruieren, wie es vereinfacht Abb. 2 zeigt, oder sich eines Zahlentableaus bedienen, von der Abb. 3 einen Ausschnitt wiedergibt. E i n solches Entscheidungsdiagramm wie i n Abb. 2 kann sich der Prüfer mithilfe komplizierter Rechenformel entwickeln, wenn er zuvor die bekannten Testparameter einer Annahmestichprobe festgelegt hat: 1. seine Nullhypothese Po, also den Fehleranteil, bei dem er das Prüffeld für „gerade noch ordnungsgemäß" ansehen w i l l 2. seine Gegenhypothese Pi, also den Fehleranteil, bei dem er das Prüffeld „gerade nicht mehr für tolerierbar" hält 11 Fischer-Winkelmann
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Z a h l der f ü r eine Annahme/Ablehnung des Prüffeldes; notwendigen fehlerhaften Elemente m i t P 0 = 0,01; P x = 0,03 Z a h l der gezogenen Prüfelemente