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German Pages 162 [181] Year 1959
Heft 3/4
Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Herausgegeben von den Mitgliedern de* Gerichtihofei
Entscheidungen des
Bundesarbeitsgerichts 6. Band
Berlin
Walter
de
1959
Gruyter
& Co.
vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung / J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Reimer / Karl J. Trübner / Veit & Comp.
I N H A L T Nr.
Seite
24 Anstellungsvertrag — Auslegung. Urteil vom 18. Juni 1958 (4 AZR 485/55) 145 25 Zur Frage der Revisionsgrenze (im arbeitsgerichtlichen Verfahren) bei der Streitwertrevision. Beschluß vom 22. Mai 1958 (GS 1/58) 26 Prüfung
der
sachlichen
Zuständigkeit
der
Arbeitsgerichte.
149 Urteil
vom
30. Juni 1958 (2 AZR 558/57)
160
27 Zu den Voraussetzungen der Verwirkung. Urteil vom 9. Juli 1958 (2 AZR 438/56) 28 Abgeltung für Nidhtforderung von Mehrarbeit.
165 Urteil vom 17. Juli 1958
(2 AZR 312/57)
170
29 Zeitakkordlohn. Urteil vom 24. Juli 1958 (2 AZR 287/55)
174
30 Zeitakkord. Urteil vom 24. Juli 1958 (2 AZR 351/56)
194
31 Zeitakkord. Urteil vom 24. Juli 1958 (2 AZR 172/57)
204
32 Akkordarbeit. Urteil vom 24. Juli 1958 (2 AZR 404/55)
215
33 Probearbeitsverhältnis. Urteil vom 29. Juli 1958 (3 AZR 49/56)
228
34 Mittelbares Arbeitsverhältnis. Urteil vom 8. August 1958 (4 AZR 173/55) . . 232 35 Neues Sachverständigengutachten als Restitutionsgrund? Urteil vom 9. September 1958 (3 AZR 11/58)
247
36 Klagerücknahme — Auschluß vom Bezug von Invalidenkohle. Urteil vom 19. September 1958 (2 AZR 487/55)
251
Fortsetzung 3. Umschlagseite
Nr.
Seite
37 Einwand der Rechtshängigkeit im Verhältnis zwischen Arbeits- und geriditsbarkeit. Dienstentlassung Angestellten einer A O K .
als Dienststrafe bei
Sozial-
dienstordnungsmäßigen
Urteil vom 23. September 1958 (3 A Z R 33/56) . . .
257
38 Eine „vom Dienstherrn zu gewährende" Versorgung nadi beamtenreditlichen Grundsätzen
i. S. des Regelungsgesetzes.
Urteil vom
23. September
1958
(3 A Z R 69/57)
272
39 Auflösung eines Lehrvertrages. Urteil vom 29. September 1958 (2 A Z R 324/57) 280 40 W e t t b e w e r b s v e r b o t e . Urteil vom 4. O k t o b e r 1958 (2 A Z R 200/55) 41 Urlaubsanspruch (4 A Z R 34/55) 42 Beginn
nach
bayer.
Url.
Ges.
Urteil
vom
der Verjährung nadi § 8 52 BGB. Rechtsweg
8.
für
Oktober
291 19 58
297
Schadensersatzan-
sprüdie wegen Unwirksamkeit der Beamtenernennung. Z u s a m m e n t r e f f e n von arbeitsgerichtlicher
Zuständigkeit
(Verwaltungsreditsweg
bei Mehrheit
Klagegründen). Urteil vom 9. O k t o b e r 1958 (4 A Z R 54/56)
von 300
ZITIERWEISE Für die Zitierung dieser Sammlung wird die Abkürzung BAG empfohlen, z. B. BAG 1,70 ( =
Band 1 Seite 70).
2 4 . Versorgung nadi beamtenreditlidien
Grundsätzen
145
legen haben sollte, wäre das bedeutungslos, weil ein solcher Wille im Tarifvertrag keinen auch nur irgendwie erkennbaren Niederschlag gefunden hat (vgl. Hueck-Nipperdey, a . a . O . , Bd.II, S. 268). Da, wie ausgeführt, das zu dem Kreiskrankenhaus gehörende landwirtschaftliche Anwesen nur eine unselbständige Betriebsabteilung der Anstalt ist, kommt § 3 Abs. 1 Buchst, c) B M T - G im vorliegenden Falle nicht zur Anwendung. Für den Kläger gilt also der B M T - G seit seinem Inkrafttreten e i n s c h l i e ß l i c h d e r z u g e h ö r i g e n Lohntarifverträge. Maßgebend ist demnach für seine Entlohnung in der, wie bemerkt, unstreitigen Lohngruppe A I V bis zum 11. September 1954 der Bundeslohn tarifvertrag Nr. 3 vom 31. März 1953 (vgl. § 11 Bundeslohntarifvertrag Nr. 4 vom 10. September 1 9 5 4 ) , ab 1. Dezember 1 9 5 3 in Verbindung mit dem Bezirkszusatztarifvertrag für Nordrhein-Westfalen vom 12. Oktober 1953 und der Lohntafel vom gleichen Tage und ab 12. September 1954 der Bundeslohntarifvertrag Nr. 4 nebst Lohntafel für Nordrhein-Westfalen.
24 Wenn in Angestelltenverträgen in gewissen Beziehungen eine Regelung vereinbart ist, wie sie bei entsprechenden Beamten üblich ist, so geht es dennoch nicht an, in falschem Perfektionismus solche Angestellte deswegen in aller und jeder Hinsicht Beamten einfadihin gleichzustellen. Der Angestellte bleibt Angestellter und damit Arbeitnehmer und kann im Wege des privatrechtlichen Dienstvertrages niemals in aller und jeder Hinsicht die Rechtsposition eines Beamten erlangen. BGB
§§
1 3 3, 1 5 7 ;
DBG
§§
1 0 7 ff.
IV. Senat. Urteil vom 18. 6 . 1 9 5 8 i. S. N. L. (Bekl.) w. H. (Kl.) 4 AZR
485/55.
I. Arbeitsgericht Hannover. — II. Landesarbeitsgeridit Hannover.
Der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Klägerin zu 2, H., war bei der Beklagten zuletzt Bankrat und bezog ein Gehalt nach der ReichsbesoldungsGr. A 2 c 2 Stufe 7. Am 13. September 1952 verunglückte er in Ausübung seines Dienstes. Zwischen H. und der Beklagten bestand ein schriftlicher Anstellungsvertrag, der in § 4 bestimmt: „Die Bestimmungen der Preußischen Besoldungsordnung über Ruhegehalt und Hinterbliebenenfürsorge finden entsprechende Anwendung." Seit 1942 hatte die Beklagte an die zuständige Berufsgenossenschaft der Unfallversicherung für H. Beiträge gezahlt. 10 Entscheid, d. B A G . 6
146
24. Versorgung nadi beamtenrechtlidien Grundsätzen
Die Klägerinnen haben von der Beklagten Unfallfürsorge nach Maßgabe des Deutschen Beamtengesetzes und des Reichsbesoldungsgesetzes zunächst in voller Höhe erhalten. Seit dem 1. Oktober 1953 hat die Beklagte jedoch die vertraglichen Leistungen gekürzt mit der Begründung, die Klägerinnen erhielten aus der gesetzlichen Unfallversicherung monatlich je 150— DM Witwen- bzw. Waisenrente. Die Beklagte zahlt seit dieser Zeit insgesamt nur nodi 543,13 DM monatlich anstatt bis dahin gezahlter 735,38 DM monatlich. Mit der Klage begehren die Klägerinnen Zahlung der für die Monate September 1953 bis März 1954 einbehaltenen Beträge von 133,08 DM monatlich für die Klägerin zu 1 und 59,17 DM monatlich für die Klägerin zu 2. Sie haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerinnen 1538 — DM nebst 4 % Zinsen seit dem 8. November 1954 zu zahlen. Die Beklagte hat gebeten, die Klage abzuweisen. Sie hat Widerklage erhoben mit dem Antrage festzustellen, daß die von der Berufsgenossenschaft für reichsgesetzliche Unfallversicherung in Hamburg seit dem 13. September 1952 an die Klägerinnen gezahlten und künftig zu zahlenden Renten von monatlich 150,— DM je Person auf die Hinterbliebenenversorgung voll anzurechnen sind, welche die Beklagte aufgrund des zwischen ihr und H. abgeschlossenen Vertrages vom 21. Dezember 1933 an die Klägerinnen zu leisten hat, hilfsweise festzustellen, daß die Anrechnung der vorerwähnten Renten auf die ebenfalls vorbezeichnete Hinterbliebenenversorgung der Klägerinnen in der Höhe zu erfolgen hat, daß der Gesamtbetrag der beiden Bezüge die nach Maßgabe des § 118 Abs. 2 DBG für die Hinterbliebenenversorgung festgelegte Höchstgrenze nicht überschreitet. Die Beklagte behauptet zur Begründung ihres Antrages auf Abweisung der Klage und zur Begründung der Widerklage, zwischen ihr und H. habe, seitdem Beiträge an die gesetzliche Unfallversicherung gezahlt worden seien, Einigkeit darüber bestanden, daß eventuelle Zahlungen der Unfallversicherung auf die Versorgungsleistungen der Beklagten anzurechnen seien. Sie hat für diese Behauptung den Bankrat i. R. Bl. als Zeugen benannt. Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Bekl. führte zur Zurückverweisung der Sache. Aus den G r ü n d e n : Die Beklagte räumt ein, daß den Klägerinnen aufgrund des Anstellungsvertrages des H. mit der Beklagten Unfallfürsorge gemäß den
24. Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen
147
einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften zusteht. Es herrscht zwischen den Parteien auch kein Streit über die Höhe des sich danach aus dem Anstellungsvertrag ergebenden Witwen- und Waisengeldes. Die Beklagte macht aber geltend, sie sei berechtigt, die Leistungen, die die Klägerinnen aus der Unfallversicherung erhalten, auf die vertraglichen Versorgungsbezüge anzurechnen. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsirrtum den in seinem Wortlaut unstreitigen Anstellungsvertrag des H. mit der Beklagten vom 21. Dezember 193 3 i. V. mit den darin in Bezug genommenen beamtenrechtlichen Vorschriften im Einklang mit der Vertragspraxis der Parteien dahin ausgelegt, daß für die Rechtsbeziehungen der Beklagten zu H. die beamtenrechtlichen Vorschriften über die Unfallfürsorge, insbesondere für den hier infrage stehenden Zeitraum die einschlägigen Bestimmungen des Deutschen Beamtengesetzes Gültigkeit haben. Wie das Landesarbeitsgericht hierzu zutreffend ausgeführt hat, enthalten die Bestimmungen der hier zur Anwendung kommenden §§ 107 ff. DBG, die die Unfallfürsorge regeln, keine Vorschriften, nach denen Renten der Klägerinnen aus der Unfallversicherung auf die von der Beklagten vertraglich geschuldete Hinterbliebenenversorgung anzurechnen wären. Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß der Anstellungsvertrag in Verbindung mit der in § 139 DBG getroffenen Regelung über den Übergang von Schadenersatzansprüchen des Versorgungsberechtigten auf den Dienstherrn die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung der Versicherungsrenten auf die Unfallfürsorge nicht rechtfertigt. Es fehlt an einer ausdrücklichen Vorschrift über die Anrechnung von Unfallrenten auf die Versorgungsleistungen der Beklagten. Wenn diese daher meint, ein solches Recht zur Anrechnung ergebe sich aus einem das Versorgungsrecht der Beamten beherrschenden Grundsatz, so kann dem nicht gefolgt werden. Das nach dem Anstellungsvertrag für die Versorgungsansprüche der Klägerinnen maßgebende DBG und seine Durchführungsvorschriften stellen einen Satz dieses Inhalts gar nicht auf. Ob eine solche Bestimmung in den von der Beklagten angeführten Vorschriften der Reichsversicherungsordnung oder der Dritten Verordnung zur Durchführung des Regelungsgesetzes enthalten ist, kann schon deswegen dahingestellt bleiben, weil diese Vorschriften im Anstellungsvertrage nicht in Bezug genommen sind. Die Revision übersieht offensichtlich, daß H. zu ihr lediglich in einem dem Arbeitsrecht unterliegenden Dienstverhältnis gestanden hat, so daß beamtenrechtliche Vorschriften überhaupt nur insoweit zur An1C*
148
2 4 . Versorgung nach beamtenrechtlichen
Grundsätzen
Wendung kommen können, als sie vertraglich in Bezug genommen worden sind und den Anstellungsvertrag ergänzen. Keineswegs ist es angebracht, in falschem Perfektionismus in aller und jeder Hinsicht die Rechtsbeziehungen der Parteien bzw. die der Beklagten zu dem verstorbenen H. zuvörderst unter beamtenrechtlichen Gesichtspunkten zu sehen, als ob H. Beamter und nicht Angestellter gewesen wäre. § 4 des Anstellungsvertrages besagt schlicht nur dies, daß H. oder seine Hinterbliebenen eine nach Grund und Höhe an einer bestimmten Besoldungsgruppe der Beamten orientierte Versorgung erhalten sollten, ohne daß es darauf ankäme, ob und warum die Berechtigten eventuell weitere Leistungen von Dritten erhalten würden. Ob unter diesen Umständen gegebenenfalls ein Angestellter oder dessen Hinterbliebene, auf die beamtenrechtliche Vorschriften anzuwenden sind, in bestimmten Fällen sich dadurch besser stehen, daß sie, anders als Beamte und deren Hinterbliebene, auch von dritter Seite nicht anzurechnende Bezüge erhalten, interessiert hier nicht. Denn es geht nicht an, Angestellte ohne ensprechende vertragliche Vereinbarung in aller und jeder Hinsicht Beamten gleichzustellen nur deswegen, weil in gewissen Beziehungen eine vertragliche Regelung erfolgt ist, wie sie bei entsprechenden Beamten üblich ist. Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht auch die Anwendung der Grundsätze über die Vorteilsausgleichung abgelehnt, die für Schadenersatzansprüche gelten, nicht aber gegenüber einem Anspruch auf Vertragserfüllung. Ist aber dem Anstellungsvertrage des H. mit der Beklagten vom 21. Dezember 1933 über eine Anrechnung von gesetzlichen Unfallver6icherungsrenten auf Versorgungsleistungen der Beklagten nichts zu entnehmen, so kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts entscheidend darauf an, ob die Behauptung der Beklagten zutrifft, die Vertragsparteien seien sich später bei Anmeldung des H. zur Unfallversicherung darüber einig gewesen, daß Zahlungen aus der Unfallversicherung auf die Versorgungsleistungen der Beklagten anzurechnen sind. Das Landesarbeitsgericht irrt, wenn es die Erhebung des von der Beklagten angebotenen Beweises mit der Begründung ablehnt, eine Vereinbarung über eine Unfallversicherung des H. bei der zuständigen Berufsgenossenschaft sei wegen der rechtlichen Unmöglichkeit einer freiwilligen Versicherung bei der Berufsgenossenschaft nichtig. Es kann hier dahingestellt bleiben, wie es versicherungsrechtlich um die Unfallversicherung des H. steht, insbesondere ob es sich hier nur um eine sogenannte „Formalversicherung" in der Sozialversicherung handelt, und wie es um ihre Wirksamkeit bestellt ist. Denn jedenfalls bleibt die von der Beklagten
25. Revisionsgrenze
149
behauptete Vereinbarung mit H., eventuelle Renten aus der Unfallversicherung sollten auf die vertraglichen Leistungen der Beklagten an H oder seine Hinterbliebenen angerechnet werden, hiervon unberührt. Inwiefern diese Vereinbarung nichtig sein soll, ist unerfindlich. Das Berufungsgericht wird also den von der Beklagten angebotenen Beweis über das Zustandekommen der vorgenannten Vereinbarung zu erheben haben. Wenn es hier zunächst auch nicht auf die Beweislast ankommt, so sei vorsorglich doch darauf hingewiesen, daß die Beklagte die Beweislast trägt. Sie hat zugegeben, den Anstellungsvertrag vom 21. Dezember 1933 geschlossen zu haben, der eine Anrechnung von Unfallversicherungsrenten nicht vorsieht. Andererseits hat sie aber behauptet, die weitere und zeitlich spätere Vereinbarung über die Anrechnung von Unfallrenten mit H. getroffen zu haben. Diese Vereinbarung hat mit dem Klagegrund nichts zu tun. Mit ihrem Zustandekommen behauptet die Beklagte eine Abänderung des ursprünglichen Vertrages, für die sie beweispflichtig ist. 25 Die Revision ist auf Grund der Bestimmungen des § 72 Abs. 1 Satz 4 und 5 ArbGG nach der z. Zt. in der ordentlichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit geltenden Revisionsgrenze erst statthaft, wenn der Streitwert (Satz 4) oder der Beschwerdewert (Satz 5) den Betrag von DM 6000,— übersteigt. ArbGG 1953 § 72 Abs. 1 Satz 4 und 5; Z P O § 546. Großer Senat. Beschluß vom 22. Mai 1958 i. S. 1. H. (Bekl.) w. St. (Kl.), 2. K. (Kl.) w. C. K. (Bekl.), 3. W. (Kl.) w. K. (Bekl.), 4. Fa. O. (Bekl.) w. B. (Kl.), 5. K. (Kl.) w. F.-W. AG. (Bekl.), 6. K. (Kl.) w. F.-W. AG. (Bekl.) GS 1/58. LAG Hamburg, München, Berlin u. Köln.
Aus den
Gründen:
I. Dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts liegen eine Reihe von Rechtsstreitigkeiten zur Entscheidung vor, in denen nach seiner Auffassung die Frage der Statthaftigkeit der Revision allein oder jedenfalls zugleich davon abhängig ist, ob es genügt, daß der Streit- bzw. Beschwerdewert den Betrag von DM 6000,— erreicht, oder ob es erforderlich ist, daß er diesen Betrag übersteigt. Der Zweite Senat hat daher
25. Revisionsgrenze
149
behauptete Vereinbarung mit H., eventuelle Renten aus der Unfallversicherung sollten auf die vertraglichen Leistungen der Beklagten an H oder seine Hinterbliebenen angerechnet werden, hiervon unberührt. Inwiefern diese Vereinbarung nichtig sein soll, ist unerfindlich. Das Berufungsgericht wird also den von der Beklagten angebotenen Beweis über das Zustandekommen der vorgenannten Vereinbarung zu erheben haben. Wenn es hier zunächst auch nicht auf die Beweislast ankommt, so sei vorsorglich doch darauf hingewiesen, daß die Beklagte die Beweislast trägt. Sie hat zugegeben, den Anstellungsvertrag vom 21. Dezember 1933 geschlossen zu haben, der eine Anrechnung von Unfallversicherungsrenten nicht vorsieht. Andererseits hat sie aber behauptet, die weitere und zeitlich spätere Vereinbarung über die Anrechnung von Unfallrenten mit H. getroffen zu haben. Diese Vereinbarung hat mit dem Klagegrund nichts zu tun. Mit ihrem Zustandekommen behauptet die Beklagte eine Abänderung des ursprünglichen Vertrages, für die sie beweispflichtig ist. 25 Die Revision ist auf Grund der Bestimmungen des § 72 Abs. 1 Satz 4 und 5 ArbGG nach der z. Zt. in der ordentlichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit geltenden Revisionsgrenze erst statthaft, wenn der Streitwert (Satz 4) oder der Beschwerdewert (Satz 5) den Betrag von DM 6000,— übersteigt. ArbGG 1953 § 72 Abs. 1 Satz 4 und 5; Z P O § 546. Großer Senat. Beschluß vom 22. Mai 1958 i. S. 1. H. (Bekl.) w. St. (Kl.), 2. K. (Kl.) w. C. K. (Bekl.), 3. W. (Kl.) w. K. (Bekl.), 4. Fa. O. (Bekl.) w. B. (Kl.), 5. K. (Kl.) w. F.-W. AG. (Bekl.), 6. K. (Kl.) w. F.-W. AG. (Bekl.) GS 1/58. LAG Hamburg, München, Berlin u. Köln.
Aus den
Gründen:
I. Dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts liegen eine Reihe von Rechtsstreitigkeiten zur Entscheidung vor, in denen nach seiner Auffassung die Frage der Statthaftigkeit der Revision allein oder jedenfalls zugleich davon abhängig ist, ob es genügt, daß der Streit- bzw. Beschwerdewert den Betrag von DM 6000,— erreicht, oder ob es erforderlich ist, daß er diesen Betrag übersteigt. Der Zweite Senat hat daher
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2 5. Großer Senat
in diesen Sachen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage angerufen: „Ist auf Grund der Bestimmungen des § 72 Abs. 1 Satz 4 und 5 ArbGG, wonach die Revision stattfindet, wenn der vom Arbeitsgericht oder Landesarbeitsgericht festgesetzte Wert des Streitgegenstandes oder bei Zahlungsansprüchen der Beschwerdewert die in der ordentlichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit geltende Revisionsgrenze erreicht, die Revision bereits bei einem Streit- bzw. Beschwerdewert von DM 6000,— statthaft, oder muß dieser Wert mehr als DM 6000,— betragen?" Der Große Senat hat sämtliche Verfahren zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden. II. Der Zweite Senat stützt seine Vorlage auf § 4 5 Abs. 2 Satz 2 ArbGG. Danach kann der erkennende Senat in einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung die Entscheidung des Großen Senats herbeiführen, wenn nach seiner Auffassung die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung es erfordern. Die vom Zweiten Senat dem Großen Senat vorgelegte Rechtsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung, da von ihrer Beantwortung die für das Verfahrensrecht und die Verfahrenspraxis wichtige Frage abhängt, ob eine Streitwertrevision schon bei einem Streit- bzw. Beschwerdewert von DM 6000,— statthaft ist oder ob dieser Wert mehr als DM 6000,— betragen muß. Die weitere Voraussetzung des § 4 5 Abs. 2 ArbGG sieht der Zweite Senat eindeutig als gegeben an, wie sich daraus ergibt, daß sich seine Vorlage ausdrücklich auf jene Vorschrift stützt. Es ist nicht Sache des Großen Senats nachzuprüfen, ob diese zweite Voraussetzung seiner Meinung nach im einzelnen Fall auch wirklich vorliegt, vielmehr kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes allein auf die Auffassung des vorlegenden Senats an. Ein Nachprüfungsrecht des Großen Senats wäre nur gegeben, wenn es im Gesetzestext statt „nach s e i n e r Auffassung" heißen würde: „nach d e s s e n Auffassung" (so im Ergebnis auch D i e t z - N i k i s c h , ArbGG, § 4 5 Anm. 11; G r ü l l , ArbGG, § 4 5 Anm. zu Abs. 2; anderer Ansicht, aber ohne Begründung: D e r s c h - V o l k m a r , ArbGG, 6. Aufl. § 45 ;^ Anm. 3). i ! Ob die vom Zweiten Senat dem Großen Senat vorgelegte Frage für die Entscheidung in den einzelnen Rechtsstreitigkeiten wirklich tragend ist, unterliegt — im Gegensatz zu der vom Großen Senat in früheren Entscheidungen (BAG 3, 1 ff., 2; 3, 66 ff., 6 9 ; 4, 207 ff., 2 0 8 ) vertretenen Auffassung — nicht der Nachprüfung durch den Großen Senat.
25. Befugnisse des Großen Senats
151
Zwar hat der Große Senat darauf zu achten, daß seine Entscheidung nicht auf die Erstattung eines Gutachtens in einer beim Bundesarbeitsgericht anhängigen Sache hinausläuft; das wäre unzulässig (vgl. Großer Senat BAG 3, 1 ff., 2). Davon kann aber in den vorgelegten Fällen keine Rede sein. Der Große Senat kann hingegen nicht nachprüfen, ob es in dem bei dem anrufenden Senat anhängigen Rechtsstreit auf die vorgelegte Rechtsfrage wirklich entscheidend ankommt und ob man nicht vielleicht — nach seiner Ansicht — diesen Rechtsstreit aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten unter Außerachtlassung der vorgelegten Rechtsfrage entscheiden könnte. Welche Rechtsfrage der anrufende Senat für seine Entscheidung als tragend ansieht, unterliegt vielmehr allein seiner Beurteilung. Wollte man eine andere Auffassung vertreten, so würde dies den Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen, nach dem niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Der Große Senat hat nicht über den Rechtsstreit als solchen, sondern lediglich über die spezielle ihm vorgelegte Rechtsfrage zu befinden; im übrigen bleibt der vorlegende Senat der für den zur Entscheidung stehenden Fall zuständige Richter (vgl. v o n M a n g o l d t , Komm. z. Grundgesetz, Art. 101 Anm. 3; Bundesverfassungsgericht 4, 412 ff., 416 u.a.m.). Eine Entscheidung des Großen Senats darüber, ob die vorgelegte Frage für die Entscheidung des vorlegenden Senats tragend ist oder nicht, könnte somit den anrufenden Senat insoweit auch gar nicht binden. Eine diesbezügliche Erörterung durch den Großen Senat könnte nur zu Unklarheiten über den Umfang der Bindungswirkung führen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Vorlage an den Großen Senat sind in den vorliegenden Fällen somit gegeben. III. § 7 2 Abs. 1 Satz 4 ArbGG 1953 bestimmt, daß die Revision stattfindet, wenn der vom Arbeitsgericht oder Landesarbeitsgericht festgesetzte Wert des Streitgegenstandes die in der ordentlichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit geltende Revisionsgrenze erreicht. Dies gilt gemäß Satz 5 jedoch nicht, wenn in Rechtsstreitigkeiten über Zahlungsansprüche der Beschwerdegegenstand die Revisionsgrenze nicht erreicht. Nach § 546 Abs. 1, 2. Halbsatz ZPO findet die Revision statt, wenn in Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche der Wert des Beschwerdegegenstandes DM 6000,— übersteigt. Die Beantwortung der dem Großen Senat vom Zweiten Senat vorgelegten Rechtsfrage hängt also davon ab, was unter dem Begriff „Erreichen der Revisionsgrenze" im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 4 und 5 ArbGG 1953 zu verstehen ist. Im Schrifttum gehen die Ansichten hierüber auseinander, wenn auch die überwiegende Meinung — allerdings ohne nähere Begründung — auf dem Standpunkt steht, daß die Streitwertrevision
152
25.
Revisionsgrenze
im arbeitsgerichtlichen Verfahren bereits zulässig ist, wenn der Streitoder bei Zahlungsansprüchen der Beschwerdewert mindestens DM 6000,— beträgt. Diese Auffassung vertreten insbesondere die Kommentare zum Arbeitsgerichtsgesetz von D e r s c h - V o l k m a r , 6. Aufl. 1955 § 7 2 Anm. 51; D i e t z - N i k i s c h , 1954, § 7 2 Anm. 4 7 , 53 und G r ü l l , 1953 § 7 2 Anm.I zu Abs. 1. Der gleichen Meinung sind — ebenfalls ohne Begründung — F i 11 i n g , BArbBl. 1953 S. 572 ff. (576); K a s k e l - D e r s c h , Arbeitsrecht, 5. Aufl. S. 3 1 9 ; K r a e g e l o h , Betrieb 1953, S. 614 Anm. 12; M a u s , Handbuch des Arbeitsrechts, X A 2 S. 143; M ü l l e r , RdA 1953 S. 241 ff. (244); N e u m a n n D u e s b e r g , J Z 1953 S. 626 ff. (628); N i p p e r d e y , BB 1953 S. 509ff. (510); S c h n o r r v o n C a r o l s f e l d , Arbeitsrecht, 2. Aufl. S . 4 9 1 Anm. 1. A u f f a r t h vertritt in „Die Betriebsverfassung" 1955 Nr. 6 S. 11 — ebenfalls ohne Begründung — die gleiche Ansicht, in NJW 57, 4 8 4 f. weist er aber in Anm. 13 auf die Zweifelhaftigkeit der Frage hin. Demgegenüber sind die Kommentare von Rohlfing-Rew o l l e , ArbGG § 7 2 A n m . 4 ; S t e i n - J o n a s , Z P 0 1 8 . Aufl. § 5 4 6 Anm. VII 1 und B a u m b a c h - L a u t e r b a c h , Z P O 25. Aufl. 1958, § 546 Anm. 5 — wenn auch ebenfalls ohne Begründung — der Ansicht, der Streit- bzw. Beschwerdewert müsse DM 6000,— übersteigen. Allerdings beziehen sich die Erläuterungen bei S t e i n - J o n a s offenbar noch auf das ArbGG 1926, wie aus den Anmerkungen V i zu § 511 a, II zu § 552, VII zu § 554 ZPO, die eindeutig nur das Arbeitsgerichtsgesetz von 1926 betreffen können, gefolgert werden muß. Auch R o h l f i n g R e w o 11 e gehen möglicherweise insofern noch von dem Text des ArbGG 1926 aus, wenn sie schreiben, daß der Streitwert „die Revisionsgrenze (z. Zt. DM 6000,—) übersteigen" müsse. Das B u n d e s a r b e i t s g e r i c h t hat die Frage, von welchem Streit- bzw. Beschwerdewert ab die Revision statthaft ist, bislang nur beiläufig in einer Reihe von Entscheidungen gestreift, in denen es auf diese Frage jedoch nicht entscheidend ankam. IV. 1. Der W o r t l a u t , von dem bei der Prüfung der rechtlichen Bedeutung einer Gesetzesvorschrift zunächst auszugehen ist, läßt eine eindeutige Schlußfolgerung nicht zu. Aus ihm ergibt sich lediglich, daß die Statthaftigkeit der Streitwertrevision nicht an eine absolut festgelegte Mindestsumme geknüpft, sondern daß sie in ein bestimmtes Beziehungsverhältnis zu der jeweiligen Regelung für die ordentliche Gerichtsbarkeit gesetzt ist. Es kann aber aus dem Wortlaut nicht mit Sicherheit gefolgert werden, bei welchem Betrag „die in der ordentlichen bürgerlichen Ge-
2 5. Revisionssumme
153
richtsbarkeit geltende Revisionsgrenze erreicht" ist. Eine Grenze ist im allgemeinen Sprachgebraudi eine Trennungslinie, die zwei benachbarte Bereiche voneinander scheidet. Sie ist „das Merkzeichen des räumlichen Aufhörens" ( P e k r u m , Das deutsche Wort, 2. Aufl. 1953 S. 342). Es ist daher denkbar, daß man von einem Erreichen der Grenze sprechen kann dann, wenn man unmittelbar vor ihr steht, sie also noch nicht überschritten hat, ebenso aber auch dann, wenn die Grenze überschritten ist. Das Erreichen der Trennungslinie wird im letzteren Falle erst als ihr Überwinden aufgefaßt. Hinzu kommt, daß die Zivilprozeßordnung den vom Arbeitsgeriditsgesetz verwendeten Begriff der Revisionsgrenze überhaupt nicht kennt. In der Zivilprozeßlehre spricht man vielmehr von der „Revisionssumme". Aber auch dieser Begriff wird im amtlichen Text der Z P O nicht verwendet, sondern findet sich nur in einer Reihe von Lehrbüchern und Kommentaren. Überwiegend wird hier unter der Revisionssumme ein Betrag von DM 6000,— verstanden; vgl. z. B. R o s e n b e r g , Lehrbuch, 7. Aufl. § 140 Anm. II, 1 S. 669; S t e i n - J o n a s , ZPO, 18. Aufl. in § 546 Anm. II und III; W i e c z o r e k , ZPO, Bd. III, § 546 Anm. A l a l . Diese Deutung des Begriffs „Revisionssumme" erscheint jedoch nicht unbedenklich. Nach natürlichem Sprachgebrauch dürfte unter dem Wort „Revisionssumme" nur der Betrag zu verstehen sein, der die Einlegung einer Revision z u l ä ß t und nicht — wie es die genannten Verfasser tun — ein Betrag, bei dessen Höhe Revision noch nicht eingelegt werden kann. Revisionssumme im Sinne der Z P O dürfte nach richtigem Sprachgebraudi somit nicht der Betrag von DM 6000,— sein, sondern der B e t r a g , v o n d e m a b die Revision im Zivilprozeß nach dem eindeutigen Wortlaut des § 546 Z P O z u l ä s s i g ist, also ein Betrag von m e h r als DM 6000,—. Für die hier zu entscheidende Frage kann aber jedenfalls aus dem Begriff „Revisionssumme" nichts Entscheidendes entnommen werden. 2. Läßt sich die vom Zweiten Senat gestellte Frage somit aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig beantworten, so ist zu prüfen, ob sie im Wege der Willensinterpretation geklärt werden kann, d. h. ob ein bestimmter Willensinhalt (im Sinne von Grund, Sinn und Zweck) in dem Gesetzgebungsakt herrschend geworden ist und im Gesetz einen, wenn auch nur unvollkommenen, Ausdruck gefunden hat. Hierbei können, wenn der Wortlaut die erforderliche Klarheit vermissen läßt, im Zusammenhang mit ihm u. U. auch die den Gesetzgebungsakt vorbereitenden und begleitenden Vorgänge und die die fragliche Zeit beherrschenden Bestrebungen, Anschauungen und Verkehrs Sitten wertvollen
154
25.
Revisionsgrenze
Aufschluß geben (vgl. E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y , Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 14. Aufl. § 5 4 I, III). Während § 7 2 Abs. 1 Satz 1 ArbGG 1926 bestimmte, die Revision gegen Urteile der Landesarbeitsgerichte sei zulässig, wenn der Wert des Streitgegenstandes die in der ordentlichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit geltende Revisionsgrenze ü b e r s t i e g und damit — auf die jetzige Fassung der Z P O angewandt — eindeutig einen Betrag von mehr als DM 6 0 0 0 — verlangte, sieht § 7 2 Abs. 1 Satz 4 ArbGG 1953 vor, daß die Revision stattfindet, wenn der Wert des Streitgegenstandes die in der ordentlichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit geltende Revisionsgrenze erreicht. Aus dieser unterschiedlichen Formulierung könnte man schließen, daß der Gesetzgeber mit der Ersetzung des Wortes „übersteigt" durch das Wort „erreicht" bewußt eine materielle Änderung des früheren Rechts herbeiführen wollte. Tatsächlich lassen sich aber anhand der Gesetzesgeschichte und der Gesetzesmaterialien, vor allem der Beratungen in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages und der Verhandlungen im Plenum des Bundestages, keinerlei Anhaltspunkte dafür finden, daß der Gesetzgeber mit dem Wechsel des Ausdrucks einen solchen Zweck verbunden hat. a) Die Materialien zum Arbeitsgerichtsgesetz 1953 bieten hierfür keinen Beleg. Der ursprüngliche Entwurf des Arbeitsgerichtsgesetzes 1953 sah überhaupt keine Streitwertrevision vor. Der Regierungsentwurf glaubte, mit der Zulassungsrevision und der Divergenzrevision auszukommen. In der Begründung zu § 8 Abs. 2 des Entwurfs (Drucksache Nr. 3516, Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949 vom 27. Juni 1952 S. 25 = RdA 1951, 463) wird dazu ausgeführt, daß „die Vorschriften des ArbGG 1926 über die Zulässigkeit der Revision wegen Übersteigung der zahlenmäßig festgelegten Revisionsgrenze gestrichen" worden seien, „da es im arbeitsgerichtlichen Verfahren besonders unbillig sei, die Revisionsfähigkeit einer Sache nach ihrem Geldwert zu beurteilen". Auch der Ausschuß für Arbeit glaubte noch in seiner 140. Sitzung vom 25. Februar 1953 trotz eines vom Rechtsausschuß gemachten Vorschlages auf die Streitwertrevision verzichten zu können. Erst in seiner 149. Sitzung vom 17. April 1953, folgte der Ausschuß einem Vorschlag des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, nachstehend Rechtsausschuß genannt, und nahm die Streitwertrevision in § 72 des Entwurfs auf. Der Rechtsausschuß hat sich in seiner 225. Sitzung vom 8. Januar 1953 und seiner 236. Sitzung vom 6. Februar 1953 mit dem Revisionswesen befaßt.
25. Revisionsgrenze
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In der 225. Sitzung ist das Problem der Streitwertrevision als solches erstmalig behandelt worden. Der Referent, Abgeordneter Dr. J a e g e r (CSU), hat in seiner Berichterstattung zu § 8 Abs. 3 des Entwurfs laut S. 10 des amtlichen Protokolls darauf hingewiesen, daß hier im Gegensatz zum Gesetz von 1926 „eine Streitwertgrenze zusätzlich nicht mehr vorgesehen" sei. Er hat zu erwägen gegeben, ob man hier nicht auch wieder eine Streitwertgrenze als allgemeine Revisionsgrenze einführen solle. In der folgenden Aussprache hat der Abgeordnete S ä b e l (CDU), der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit, hierzu erklärt, dieser Ausschuß sei von dem Gedanken ausgegangen, daß das Bundesarbeitsgericht nur mit der Entscheidung von grundsätzlichen Streitfragen beschäftigt werden sollte. Der Ausschuß habe geglaubt, daß bei zusätzlicher Festlegung einer Streitwertgrenze eine Überlastung des Bundesarbeitsgerichts eintreten könne. Reg.-Dir. F i 11 i n g (BMA) hat ausgeführt, die Lösung des Regierungsentwurfs in diesem Punkte stelle einen Versuch dar, einmal wieder „Pionierarbeit zu schaffen", nämlich die Revision so zu gestalten, wie ihr dies ihrem eigentlichen Wesen nach zukomme, d. h. nicht mit Ausrichtung auf die dabei in Betracht kommenden materiellen Interessen, sondern im Hinblick auf die Bedeutung der Revision für die Gestaltung der Rechtsprechung. Daher habe man auf eine Streitwertgrenze bei der Revision verzichtet. Demgegenüber hat der Abgeordnete Dr. W e b e r , Koblenz (CDU), das Fehlen einer Streitwertgrenze bedauert. Die Bedeutung der Fälle drücke sich vielfach in der Höhe der auf dem Spiel stehenden Geldsumme aus. Vielfach sei audi die spezielle Grundsätzlichkeit für das Berufungsgericht noch nicht erkennbar. Es sei nicht einzusehen, warum das Arbeitsrecht hier diese Einschränkung gegenüber dem sonstigen bürgerlichen Recht mache. Im übrigen habe man die Streitwertgrenze für die Revision früher auch im Arbeitsrecht gehabt, und es sei nichts von einer Überlastung des Reichsarbeitsgerichts durch diese Fälle bekannt geworden. Abgeordneter R i c h t e r (SPD) hat bemerkt, daß im Arbeitsgerichtsverfahren Fälle mit einem „Streitwert von über DM 6000,—" äußerst selten seien. Reg.-Dir. F i t t i n g (BMA) hat darauf hingewiesen, der Streitwert sei in der Regel sehr niedrig, denn wenn es bei der vorgeschlagenen Regelung bleibe, würde der „Streitwert von DM 6 000,—" gegeben sein, wenn jemand ein Monatsgehalt von DM 2000,— bezöge. Der Referent, Abgeordneter Dr. J a e g e r (CSU), hat abschließend erklärt, die Diskussion habe ergeben, daß „die Fälle über DM 6000,— Streitwert" in der Praxis keine sehr große Rolle spielten. Dann scheine aber der Gesichtspunkt des Abgeordneten Dr. Weber schwer zu wiegen, daß man im Arbeitsgerichtsverfahren die Parteien
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25. Revisionsgrenze
nicht schlechter stellen dürfe als im bürgerlichen Recht. Unter diesen Umständen schlage er vor, folgende Änderung in § 8 Abs. 3 einzufügen: „ . . . oder wenn der Wert des Streitgegenstandes die jeweils in der ordentlichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit geltende Revisionsgrenze übersteigt". Wie im Protokoll Seite 12 ausdrücklich festgestellt, wurden vom Ausschuß keine Bedenken gegen diesen Vorschlag geäußert. In der 236. Sitzung hat dann der Vertreter des Bundesministeriums der Justiz, Ministerialdirektor Dr. Petersen, nach S. 5 des amtlichen Protokolls über diese Sitzung angeregt, an Abs. 1 Satz 1 des § 72 die Worte anzufügen: „ . . . oder wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes die in der ordentlichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit geltende Revisionsgrenze e r r e i c h t". Er hat hinzugefügt: „dann habe man nämlich die 6000,— DM-Grenze". Die gleiche Formulierung findet sich auch im s t e n o g r a f i s c h e n Protokoll über diese Sitzung. Aus den Worten „dann habe man nämlich die 6000,— DM-Grenze" muß in Verbindung mit dem in der 225. Sitzung gemachten Vorschlag des Abgeordneten Jaeger entnommen werden, daß der Vertreter des Bundesministeriums der Justiz davon ausging, die Regelung in der Arbeitsgerichtsbarkeit solle insoweit — entsprechend dem früheren Recht — die g l e i c h e sein wie in der o r d e n t l i c h e n Gerichtsbark e i t ; denn es ist anzunehmen, daß er die Ausschußmitglieder ausdrück drücklich darauf aufmerksam gemacht hätte, wenn mit seinem Vorschlag bewußt eine unterschiedliche Regelung für die Arbeitsgerichtsbarkeit gegenüber dem zivilprozessualen Verfahren hätte eingeführt werden sollen. Für eine solche Absicht des Vertreters des Bundesministeriums der Justiz gibt aber weder das amtliche Kurzprotokoll noch das stenografische Protokoll irgendeinen Anhalt. Der Rechtsausschuß hat sich demgemäß auch — wie die Protokolle eindeutig ergeben — mit dem Begriff der Revisionsgrenze und mit der Frage, ob bei der Streitwertrevision hinsichtlich des Wertes als solchen etwa eine andere Regelung eingeführt werden solle als im Zivilprozeß, ü b e r h a u p t n i c h t b e f a ß t . Die Worte „erreicht" und „übersteigt" werden von den einzelnen Rednern in der 236. Sitzung vielmehr abwechselnd und ohne unterschiedlichen Sinn verwendet. So hat Ministerialdirektor Dr. P e t e r s e n , der in seinem oben wiedergegebenen Vorschlag davon spricht, daß die geltende Revisionsgrenze „ e r r e i c h t " sein soll, in derselben Sitzung (s. Seite 11
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Revisionsgrenze
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des amtlichen Protokolls) bei der Debatte über die Sprungrevision selbst den Vorschlag gemacht, daß diese u. a. zulässig sein soll, wenn der Wert des Streitgegenstandes die Revisionsgrenze „übersteigt"; er hat hierbei ausdrücklich auf § 72 Abs. 1 hingewiesen. Ebenso spricht er a. a. O. S. 10 von dem Ü b e r s t e i g e n der Revisionsgrenze. Auch hieraus muß geschlossen werden, daß der Vertreter des Bundesministeriums der Justiz nicht die Absidit hatte, dem Ausschuß hinsichtlich der Mindestsumme eine vom früheren Recht abweichende unterschiedliche Regelung gegenüber der Zivilprozeßordnung vorzuschlagen. Auch Mitglieder des Ausschusses verwenden sowohl den einen als auch den anderen Begriff. So spricht der Abgeordnete E w e r s (DP) mehrfach (S. 7, l l ) von „Übersteigen der Revisionsgrenze", der Vorsitzende, Abgeordneter Dr. A r n d t (SPD), S. 8 von „Nichterreichen der Revisionsgrenze". Im A u s s c h u ß f ü r A r b e i t hat das Problem der Revisionsgrenze als solchen ebenfalls keine Rolle gespielt. In dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit für den Bundestag, den der Abgeordnete Even erstattet hat (Drucksache Nr. 4 3 7 2 1. Wahlperiode 1949), heißt es auf S. 3 unten lediglich: „Ohne Zulassung findet die Revision ferner statt, wenn der festgesetzte Wert des Streitgegenstandes die in der ordentlichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit jeweils geltende Revisionsgrenze (zur Zeit DM 6000,—) erreicht " Wieso der Betrag von DM 6000,— die Revisionsgrenze ist und aus welchen Gründen der im Arbeitsgerichtsgesetz 1926 verwendete Ausdrude „übersteigt" durch „erreicht" ersetzt worden ist, wird aber mit keinem Wort gesagt. Das Plenum des Bundestages hat sich nach dem Protokoll der 270. Sitzung vom 11. Juni 1953 mit dem Problem ebensowenig befaßt wie der Bundesrat. Der fragliche Passus lautet nach dem Protokoll der 270. Sitzung des Bundestages vom 11. Juni 1 9 5 3 : „ P r ä s i d e n t D r . E h l e r s : Ich rufe auf die §§ 72 bis 79. — Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; angenommen." Die Gesetzesgeschichte und die Gesetzesmaterialien bieten also keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber den Willen hatte, mit der Verwendung des Wortes „erreicht" eine materielle Änderung hinsichtlich der bei der Streitwertrevision erforderlichen Mindestsumme gegenüber dem Rechtszustand vorzunehmen, wie er sich auf Grund des § 72 Abs. 1 Satz 1 ArbGG 1926 ergab.
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25. Revisionsgrenze
b) In der Tat ist auch nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber eine unterschiedliche Behandlung der Revision im zivilprozessualen und im arbeitsgerichtlichen Verfahren hinsichtlich der mindestens erforderlichen Streitwertsumme herbeiführen wollte. Die Bestimmung, daß die Revision zulässig ist, wenn ein bestimmter Betrag ü b e r s c h r i t t e n ist, findet sich in der Zivilprozeßordnung von Anfang an. Der Gedanke einer „summa revisibilis" ist zum erstenmal in der ersten Lesung im Reichstagsausschuß aufgetaucht (vgl. Hahn, Gesetzesmaterialien zur Z P O , Bandl, S. 721). Damals wurden zwei Anträge von den Abgeordneten Struckmann und Bähr gestellt, die — in verschiedenen Formulierungen — auf einen 1000,— (bzw. 1500,—) Mark ü b e r s t e i g e n d e n Wert des Streit- oder Beschwerdegegenstandes abstellten. Es ist dann —wie die Protokolle a. a. O . S. 721 bis 733 und 1057 bis 1070 ergeben — die Frage der Streitwertrevision eingehend erörtert worden. Alle Anträge auf Abänderung der Regierungsvorlage gingen von einem „Übersteigen" aus. Das mag darauf zurückzuführen sein, daß in Preußen die Revision bei Beträgen ü b e r 500 Talern statthaft war (vgl. Hahn I, S. 1060). Jedenfalls ist in der endgültigen Fassung des Gesetzes die Revision für zulässig erklärt worden, wenn der Streitwert 1000,— Mark übersteigt. Bei dieser Formulierung ist es — abgesehen von wiederholter Änderung der Beträge — bis jetzt, also rund 80 Jahre lang, geblieben. An diese Bestimmung hat das Arbeitsgerichtsgesetz 1926 angeknüpft. Hätte das Arbeitsgerichtsgesetz 1953 im Gegensatz zum Arbeitsgerichtsgesetz 1926 von dieser Übereinstimmung mit der Regelung der Zivilprozeßordnung abweichen wollen, so hätte dies klar und deutlich in der Formulierung des Gesetzestextes oder zum mindesten als Wille des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialien, vor allem in dem Bericht des Ausschusses für Arbeit, der die Grundlage für die Beschlußfassung des Bundestages bildete, zum Ausdruck kommen müssen. Das ist aber — wie oben ausgeführt — nicht geschehen. Daraus kann nur der Schluß gezogen werden, daß ein solches bewußtes Abweichen auch nicht beabsichtigt war und daß die Formulierung „Revisionsgrenze erreicht" keine Änderung gegenüber dem Arbeitsgerichtsgesetz 1926 und kein Abweichen von der diesbezüglichen Regelung in der Z P O bedeutet. Offenbar hat der Gesetzgeber den Ausdruck „erreicht" vielmehr nur gewählt, weil er auch in § 64 Abs. 1 ArbGG 1953 hinsichtlich der Berufungsgrenze — hier allerdings — wie die amtliche Begründung zu § 8 Reg.Entw. ergibt, in bewußter Abweichung vom Arbeitsgerichtsgesetz 1926 — verwendet worden ist.
2 5 . Revisionsgrenze
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3. Das vorstehende Ergebnis wird auch allein dem Gedanken einer möglichst einheitlichen Gestaltung unseres Prozeßrechts gerecht, wie er gerade in den letzten Jahren immer wieder, insbesondere auch vom Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Entwurf einer Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. Bundestags-Drucksache Nr. 5 5, 3. Wahlperiode, S. 6 6 ) , vertreten worden ist. Zwar weisen die gesetzlichen Bestimmungen für das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und für das arbeitsgerichtliche Verfahren eine Reihe von Unterschieden auf; sie beruhen aber durchweg auf sachlichen Erwägungen und sind die Folge gewisser struktureller Unterschiede beider Verfahren. Dies gilt z. B. hinsichtlich der Verkürzung gewisser Fristen im arbeitsgerichtlichen V e r fahren, die sich aus der Forderung nach Beschleunigung des Verfahrens (§ 9 Abs. 1 A r b G G 1 9 5 3 ) ergeben, und bezüglich der Zustellung von Urteilen von Amts wegen, die bereits in § 32 Gewerbegerichtsgesetz vorgeschrieben waren. Es ist hingegen kein sachlicher Grund erkennbar, warum die Mindestsumme, die für die Zulässigkeit einer Streitwertrevision erforderlich ist, im zivilprozessualen und arbeitsgerichtlichen Verfahren um einen Pfennig differieren und damit die insoweit nach früherem Recht bestehende Parallelität zwischen beiden Verfahren gestört werden sollte. Die Tatsache, daß § 7 2 Abs. 1 Satz 4 A r b G G 1 9 5 3 auf die ordentliche bürgerliche Gerichtsbarkeit, also auf die Zivilprozeßordnung verweist, spricht vielmehr durchaus dafür, daß die Frage der Streitwertrevision insoweit in gleicher Weise geregelt werden sollte wie in der Zivilprozeßordnung. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Regelung der Zivilprozeßordnung besonders glücklich ist; immerhin besteht sie seit rund 8 0 Jahren und hat sich in der Praxis eingespielt. Es kann daher auch nicht anerkannt werden, daß die Vorschrift des § 5 4 6 Abs. 1 Z P O zu Mißverständnissen bei Anwälten geführt habe und sich daher für das arbeitsgerichtliche Verfahren eine andere Regelung rechtfertige. V o n jedem Rechtsberater muß vielmehr erwartet werden, daß er die einschlägigen Vorschriften über die Zulässigkeit der Revision kennt. Aus allen diesen Gründen war die dem Großen Senat vom Zweiten Senat vorgelegte Frage daher dahin zu beantworten, daß die Revision auf Grund der Bestimmungen des § 7 2 Abs. 1 Satz 4 und 5 A r b G G nach der z. Zt. in der ordentlichen bürgerlichen Gerichtsbarkeit geltenden Revisionsgrenze erst statthaft ist, wenn der Streitwert (Satz 4 ) oder der Beschwerdewert (Satz 5) den Betrag von D M 6 0 0 0 , — übersteigt. O b im einzelnen Fall trotz Festsetzung des Streitwerts auf nur D M 6 0 0 0 , — die Revision doch statthaft sein kann, z. B. weil das Arbeitsgericht oder das Landesarbeitsgericht mit dieser Festsetzung einzig und allein eine Z u -
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26. Zuständigkeitsprüfung
lassung im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 1 ArbGG 1953 hat aussprechen wollen, kann der Große Senat nicht prüfen. Diese Frage zu entscheiden muß vielmehr dem vorlegenden Senat überlassen bleiben.
26 Ist bei der Klage eines Handelsvertreters gegen den Unternehmer auf Provisionszahlung streitig, ob der Handelsvertreter Arbeitnehmer im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches vom 6. August 1953 ist, so kann die Einrede des Unternehmers, die Gerichte in Arbeitssachen seien sachlich unzuständig, nicht durch Zwischenurteil mit der Begründung verworfen werden, für die Annahme der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte in Arbeitssachen genügten die schlüssigen zuständigkeitsbegründenden Behauptungen des Klägers. ArbGG § 2 Abs. 1 Ziffer 2 ; Z P O §§ 2 7 4 Abs. 1 Nr. 1, 275, 3 1 8 ; Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuches vom 6. August 1953 - BGBl. I 771 [776] - Art. 3 Abs. 1; HGB §§ 92 a, 87 ff. II. Senat. Urteil vom 30. 6. 1958 i. S. Fa. K. & G. (Bekl. w. K. (KL). 2 AZR 558/57. I. Arbeitsgericht Bremen. — II. Landesarbeitsgericht Bremen.
Der in Bremen wohnhafte Kläger hat von der in Solingen ansässigen Beklagten mit der vor dem Arbeitsgericht Bremen erhobenen Klage Zahlung rückständiger Provision im Nettobetrag von DM 300,— verlangt. Er hat dazu behauptet, er sei von dem in Bremen wohnenden Generalvertreter der Beklagten, D., in einer mündlichen Absprache für die Beklagte als Handelsvertreter für Silberbestecke und Uhren eingestellt worden mit der ausdrücklichen Abrede, daß er nur für die Beklagte arbeiten dürfe. Dementsprechend sei er in der Zeit vom 1. Januar 1955 bis zum 30. Juni 1955 ausschließlich für die Beklagte in Bremen und Umgebung tätig gewesen, wobei er ein monatliches Einkommen von weniger als DM 500,— gehabt habe. Aus dieser Tätigkeit seien eine Reihe von ihm vermittelter Geschäfte noch nicht abgerechnet, woraus ihm an Provision mindestens noch DM 300,— zustünden. Die Beklagte hat beantragt, die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, das angerufene Arbeitsgericht sei sachlich nicht zuständig, weil der Kläger nicht Einfirmenvertreter im Sinne des § 92 a HGB gewesen sei. Sie hat dazu behauptet, der Kläger sei in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1955 auch noch
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26. Zuständigkeitsprüfung
lassung im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 1 ArbGG 1953 hat aussprechen wollen, kann der Große Senat nicht prüfen. Diese Frage zu entscheiden muß vielmehr dem vorlegenden Senat überlassen bleiben.
26 Ist bei der Klage eines Handelsvertreters gegen den Unternehmer auf Provisionszahlung streitig, ob der Handelsvertreter Arbeitnehmer im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches vom 6. August 1953 ist, so kann die Einrede des Unternehmers, die Gerichte in Arbeitssachen seien sachlich unzuständig, nicht durch Zwischenurteil mit der Begründung verworfen werden, für die Annahme der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte in Arbeitssachen genügten die schlüssigen zuständigkeitsbegründenden Behauptungen des Klägers. ArbGG § 2 Abs. 1 Ziffer 2 ; Z P O §§ 2 7 4 Abs. 1 Nr. 1, 275, 3 1 8 ; Gesetz zur Änderung des Handelsgesetzbuches vom 6. August 1953 - BGBl. I 771 [776] - Art. 3 Abs. 1; HGB §§ 92 a, 87 ff. II. Senat. Urteil vom 30. 6. 1958 i. S. Fa. K. & G. (Bekl. w. K. (KL). 2 AZR 558/57. I. Arbeitsgericht Bremen. — II. Landesarbeitsgericht Bremen.
Der in Bremen wohnhafte Kläger hat von der in Solingen ansässigen Beklagten mit der vor dem Arbeitsgericht Bremen erhobenen Klage Zahlung rückständiger Provision im Nettobetrag von DM 300,— verlangt. Er hat dazu behauptet, er sei von dem in Bremen wohnenden Generalvertreter der Beklagten, D., in einer mündlichen Absprache für die Beklagte als Handelsvertreter für Silberbestecke und Uhren eingestellt worden mit der ausdrücklichen Abrede, daß er nur für die Beklagte arbeiten dürfe. Dementsprechend sei er in der Zeit vom 1. Januar 1955 bis zum 30. Juni 1955 ausschließlich für die Beklagte in Bremen und Umgebung tätig gewesen, wobei er ein monatliches Einkommen von weniger als DM 500,— gehabt habe. Aus dieser Tätigkeit seien eine Reihe von ihm vermittelter Geschäfte noch nicht abgerechnet, woraus ihm an Provision mindestens noch DM 300,— zustünden. Die Beklagte hat beantragt, die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, das angerufene Arbeitsgericht sei sachlich nicht zuständig, weil der Kläger nicht Einfirmenvertreter im Sinne des § 92 a HGB gewesen sei. Sie hat dazu behauptet, der Kläger sei in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 1955 auch noch
26. Zuständigkeitsprüfung
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für eine Möbelfirma als Vertreter tätig gewesen und sein monatliches Einkommen habe mehr als DM 5 0 0 — betragen. Sie hat weiter ausgeführt, der Kläger könne etwaige Provisionsansprüche deshalb nicht gegen sie geltend machen, weil sie mit dem Kläger nicht in vertraglichen Beziehungen gestanden habe. Sie hat dazu behauptet, D. habe den Kläger in eigenem Namen als Untervertreter eingestellt, wie er das auch bei vier weiteren Personen getan habe. Sie habe für den Kläger weder Steuern noch soziale Abgaben bezahlt. Sie habe auch nie mit dem Kläger über von ihm vermittelte Geschäfte abgeredinet, sondern nur mit D. abgerechnet, der seinerseits mit dem Kläger abgerechnet habe. Auch der dem Kläger zur Verfügung gestellte Personenkraftwagen sei von ihr für Rechnung des D. angeschafft worden, der Eigentümer des Wagens gewesen sei. Die beiden Vorinstanzen haben im Wege eines Zwischenurteils die Einrede der Beklagten, das Arbeitsgericht Bremen sei sachlich unzuständig, als unbegründet verworfen. Die Revision der Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Aus den
Gründen :
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, für die Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte in Arbeitssachen seien die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen zu Grunde zu legen, soweit sie mit den die Klage begründenden Tatsachen übereinstimmen. Das Arbeitsgericht habe deshalb nicht die angebotenen Beweise darüber zu erheben brauchen, ob der Kläger tatsächlich Einfirmenvertreter gewesen sei und sein monatlicher Verdienst unter DM 500,— gelegen habe. Diese beiden für die sachliche Zuständigkeit des Gerichts für Arbeitssachen hinsichtlich des Provisionsanspruchs eines Handelsvertreters entscheidenden Tatsachen stellten einen Bestandteil der klagebegründenden Tatsachen dar, weil eine Beweisaufnahme über die Eigenschaft des Klägers als Einfirmenvertreter und über die Höhe seines Verdienstes nur sinnvoll und möglich sei, wenn gleichzeitig eine Beweisaufnahme darüber durchgeführt werde, ob zwischen den Parteien überhaupt ein Handelsvertreterverhältnis bestanden habe. Deshalb sei aus prozeßökonomischen Rücksichten im Zwischenverfahren über die sachliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ausschließlich das Vorbringen des Klägers zugrundezulegen und in diesem Abschnitt des Rechtsstreits von einer Beweisaufnahme abzusehen. II. Diese Begründung des Landesarbeitsgerichts ist in mehrfacher Beziehung fehlerhaft. 11 Entscheid, d. B A G . 6
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26. Zuständigkeitsprüfung
1. Für Ansprüche eines Handelsvertreters gegen den Unternehmer auf Pro Visionszahlung sind, wie auch das Landesarbeitsgericht im G r u n d e erkennt, die Gerichte in Arbeitssachen nur dann sachlich zuständig, wenn der Handelsvertreter Arbeitnehmer ist und deshalb der Provisionszahlungsstreit als ein Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus einem Arbeitsverhältnis im Sinne v o n § 2 Abs. 1 Ziffer 2 A r b G G angesehen wird. Gemäß Art. 3 A b s . 1 des Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches v o m 6. A u g u s t 1953 — BGBl. I, 7 7 1 ff. [776] — gelten Handelsvertreter nur dann als Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsgerichtsgesetzes, wenn sie sogenannte „Einfirmenvertreter" im Sinne des § 92 a H G B sind und wenn sie während der letzten sechs M o n a t e des Vertragsverhältnisses, bei kürzerer Vertragsdauer während dieser, im Durchschnitt monatlich nicht mehr als D M 500,— auf Grund des Vertragsverhältnisses an Vergütung einschließlich Provision und Ersatz für die im regelmäßigen Geschäftsbetrieb entstandenen Aufwendungen bezogen haben. Sind diese besonderen Voraussetzungen nicht gegeben, dann sind für Provisionsansprüche, die ein Handelsvertreter g e g e n einen Unternehmer verfolgt, die ordentlichen Gerichte sachlich zuständig. 2. Vorschriften darüber, daß für bestimmte Rechtsstreitigkeiten die Arbeitsgerichte und für andere die ordentlichen Gerichte sachlich zuständig sind, sollen gewährleisten, daß ein Rechtsstreit der Sache nach v o n dem dafür zuständigen Gericht entschieden und damit die gegebene O r d n u n g der gerichtlichen Kompetenzen gewahrt wird. Das ist auch der Sinn der Zuständigkeitsregelungen für Provisionsansprüche eines Handelsvertreters gegen den Unternehmer. Über sie sollen die Arbeitsgerichte nur entscheiden, wenn der Handelsvertreter gemäß Art. 3 Abs. 1 des G e setzes v o m 6. A u g u s t 1953 als Arbeitnehmer gilt und damit ein Sozialtatbestand gegeben ist, der der Sache nach vor die Arbeitsgerichte gehört. Solange, wie im vorliegenden Rechtsstreit, nicht feststeht, ob der Kläger in dem erörterten Sinne Arbeitnehmer ist oder nicht, muß jede der beiden Gerichtssparten, die mit einer Provisionsklage befaßt werden kann, also die Gerichte in Arbeitssachen und die ordentlichen Gerichte, in Betracht ziehen, daß möglicherweise die andere Gerichtssparte sachlich zuständig ist. D i e Achtung vor der aus wohlüberlegten Gründen geschaffenen O r d n u n g der gerichtlichen Kompetenzen, welche O r d n u n g einen wesentlichen Z u g des A u f b a u s unserer Rechtspflege überhaupt darstellt, und auch das Interesse desjenigen, dem andernfalls das für ihn sachlich zuständige Gericht entzogen würde, führt daher dazu, daß ein angegangenes Gericht seine sachliche Zuständigkeit nur dann bejahen
26. Zuständigkeitsprüfung
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und sich nur dann mit der Sache materiell-rechtlich befassen darf, wenn zur Überzeugung des angegangenen Gerichts feststeht, daß die Voraussetzungen für seine sachliche Zuständigkeit gegeben sind. Lassen sich zuständigkeitsbegründende und anspruchsbegründende Behauptungen trennen, so hat sich das angegangene Gericht auf die Prüfung zu beschränken, ob die zuständigkeitsbegründenden Behauptungen schlüssig und bewiesen sind. Lassen sich die zuständigkeitsbegründenden und anspruchsbegründenden Behauptungen nicht trennen, so sind auch sie zunächst nur daraufhin zu prüfen, ob sie schlüssig die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergeben und bewiesen sind. Auf diese Weise ist gewährleistet, daß über Zuständigkeitsstreitigkeiten ohne überflüssige, prozeßverzögernde, kostenverursach ende und der materiellen Erörterung anderer Gerichte vorgreifende Prüfungen und Beweiserhebungen entschieden wird. 3. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, einer Beweiserhebung über schlüssige zuständigkeitsbegründende Behauptungen bedürfe es nicht, wenn sich zuständigkeitsbegründende und anspruchsbegründende Behauptungen vernünftigerweise nicht trennen lassen, und die hier gegebenen schlüssigen zuständigkeitsbegründenden Behauptungen des Klägers rechtfertigten dann aus prozeßökonomischen Gesichtspunkten die Verwerfung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit der Beklagten als unbegründet durch Zwischenurteil, ist aus mehreren Gründen nicht haltbar. a) Aus dem soeben erörterten Grundsatz, daß jede Gerichtsbarkeit die u. U. mögliche Zuständigkeit einer anderen Gerichtssparte zu respektieren und sich deshalb bis zur abschließenden Klärung der Frage der sachlichen Zuständigkeit einer Befassung mit dem materiellen Streit zu enthalten hat, verträgt schon seiner Grundsätzlichkeit wegen keine Verdrängung durch bloße prozeßökonomische Erwägungen. Hinzu kommt im vorliegenden Falle, daß die vom Landesarbeitsgericht angestellten prozeßökonomischen Erwägungen nicht zutreffen. Die materiell-rechtliche Frage, ob der Kläger gegen die Beklagte Provisionsansprüche in der geltend gemachten Höhe hat oder nicht, ist von der Frage, ob er Einfirmenvertreter im Sinne von § 92 a HGB war und ob sein Einkommen innerhalb der in Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 6. August 1953 genannten Grenzen lag, völlig unabhängig. Denn die Frage, ob der Kläger gegen die Beklagte Provisionsansprüche hat, bestimmt sich lediglich danach, ob er zu der Beklagten in einem Handelsvertretervertragsverhältnis stand, sowie weiter danach, ob die nach dem Handelsvertretervertrag vereinbarten Voraussetzungen oder andernfalls die gesetzlichen V o r n*
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2 6 . Zuständigkeitsprüfung —
Zwischenurteil
aussetzungen (§§ 87 ff. HGB) für die Entstehung von Provisionsansprüchen im übrigen gegeben sind. Dazu gehört aber nicht die Voraussetzung, daß der Kläger Einfirmenvertreter im Sinne von § 92 a HGB war und daß sein Einkommen den Grenzen des Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 6. August 1953 gerecht wurde. Diese Umstände hat der Gesetzgeber nur als zuständigkeitsbegründende, nicht als anspruchsbegründende Voraussetzungen geregelt. Es kann daher keine Rede davon sein, daß sich im vorliegenden Fall zuständigkeitsbegründende und anspruchsbegründende Voraussetzungen deckten und daß eine Klärung der Zuständigkeitsvoraussetzungen nur möglich sei, wenn gleichzeitig geklärt werde, ob und in welchen Vertragsbeziehungen der Kläger zu der Beklagten überhaupt stand. b) Mit seiner Auffassung, schon die schlüssigen Behauptungen des Klägers rechtfertigten die Verwerfung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit der Beklagten, verkennt das Landesarbeitsgericht aber auch das Wesen eines Zwischenstreites über die sachliche Zuständigkeit und das Wesen eines in einem solchen Streit ergehenden Zwischenurteils überhaupt. Zwischenurteile binden gemäß § 318 Z P O das Gericht, das sie erlassen hat. Zwischenurteile der hier in Rede stehenden Art sind gemäß §§ 274 Abs. 1 Nr. 1, 275 Z P O in betreff der Rechtsmittel Endurteile. Ihr Zweck geht dahin, den weiteren Prozeß vor dem Gericht, das das Zwischenurteil erlassen hat, von einem Streit über die verworfene Einrede der sachlichen Unzuständigkeit zu entlasten und einen solchen Streit zur Nachprüfung der ergangenen Entscheidung in den Reditsmittelzug zu verweisen, der gegen das Zwischenurteil möglich ist. Die vom Landesarbeitsgericht gebilligte Verwerfung der Einrede der sachlichen Unzuständigkeit durch das angefochtene Zwischenurteil lediglich auf Grund der als richtig unterstellten schlüssigen Behauptungen des Klägers führt jedoch zu einer prozessualen Situation, durch die der erörterte Zweck eines derartigen Zwischenurteils geradezu in sein Gegenteil verkehrt würde. Nach der Auffassung des Landesarbeitsgerichts müßte es möglich erscheinen, daß das Arbeitsgericht im Zuge der weiteren Beweisaufnahmen noch zu dem Ergebnis kommen könnte, wegen Fehlens der Einfirmenvertretereigenschaft oder wegen Überschreitung der Einkommensgrenzen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 6. August 1953 sei der Kläger kein Arbeitnehmer und das Arbeitsgericht daher nicht zuständig. Wäre das möglich, dann würde dem angefochtenen Zwischenurteil in Wahrheit eine Bindungswirkung fehlen und einer Korrektur durch das Gericht, das es selbst erlassen hat, zugänglich sein, eine Annahme, die sowohl mit § 318 ZPO wie damit unvereinbar ist,
27. Verwirkung
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daß Zwischenurteile einer Korrektur nur im Reditsmittelweg zugänglich sein sollen (§ 275 Abs. 2 ZPO). Es liegt offen zutage, daß bei einem solchen Verfahren naturgemäß der Zweck eines Zwischenurteils, den Rechtsstreit von prozessualen Streitigkeiten zu entlasten, nicht erreicht wird. 4. Somit ergibt sich, daß das Landesarbeitsgericht die von der Beklagten erhobene Einrede der sachlichen Unzuständigkeit nicht verwerfen durfte, ohne die von den Parteien erbotenen Beweise darüber zu erheben, ob die im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 6. August 1953 aufgestellten zuständigkeitsbegründenden Behauptungen des Klägers zutrafen oder nicht. Durch seine gegenteilige Handhabung ist § 275 Z P O verletzt, und darauf beruht das angefochtene Urteil im Sinne von § 549 Z P O deshalb, weil es möglich ist, daß bei richtigem Verfahren sich herausstellen könnte, daß bei dem Kläger die von ihm behaupteten zuständigkeitsbegründenden Voraussetzungen in Wahrheit nicht gegeben waren. Das macht gemäß § 564 Z P O die Aufhebung des angefochtenen Urteils und gemäß § 565 Abs. 1 und Abs. 3 Ziffer 1 Z P O die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz notwendig. 27 Zu den Voraussetzungen der Verwirkung. BGB § 242. II. Senat. Urteil vom 9. 7. 1958 i. S. Sch. (Kl.) w. B. (Bekl.). 2 AZR 438/56. I. Arbeitsgericht Bochum. —
II. Landesarbeitsgericht H a m m i. W .
Der Beklagte war vom 1. März 1933 bis zum 25. September 1952 gegen festes Gehalt bei der Klägerin, einer Aktiengesellschaft, angestellt. Diese betreibt den Ein- und Verkauf von Holz sowie dessen Einschnitt. Sie hat mehrere Niederlassungen. Der Beklagte war zuletzt Bevollmächtigter, Lagerleiter und „Geschäftsführer" der Niederlassung in B. Mit Schreiben vom 25. September 1952 kündigte die Klägerin das Vertragsverhältnis zum Beklagten fristlos. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut: „Die AG. kündigt das mit Ihnen bestehende Anstellungverhältnis fristlos zum heutigen Tage. Grund für diese Kündigung ist, daß Sie die AG. pflichtwidrig um 32 OOO DM geschädigt haben und zwar dadurch, daß Sie z. Teil die Ihnen zustehenden Befugnisse eigenmächtig überschritten haben.
27. Verwirkung
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daß Zwischenurteile einer Korrektur nur im Reditsmittelweg zugänglich sein sollen (§ 275 Abs. 2 ZPO). Es liegt offen zutage, daß bei einem solchen Verfahren naturgemäß der Zweck eines Zwischenurteils, den Rechtsstreit von prozessualen Streitigkeiten zu entlasten, nicht erreicht wird. 4. Somit ergibt sich, daß das Landesarbeitsgericht die von der Beklagten erhobene Einrede der sachlichen Unzuständigkeit nicht verwerfen durfte, ohne die von den Parteien erbotenen Beweise darüber zu erheben, ob die im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 6. August 1953 aufgestellten zuständigkeitsbegründenden Behauptungen des Klägers zutrafen oder nicht. Durch seine gegenteilige Handhabung ist § 275 Z P O verletzt, und darauf beruht das angefochtene Urteil im Sinne von § 549 Z P O deshalb, weil es möglich ist, daß bei richtigem Verfahren sich herausstellen könnte, daß bei dem Kläger die von ihm behaupteten zuständigkeitsbegründenden Voraussetzungen in Wahrheit nicht gegeben waren. Das macht gemäß § 564 Z P O die Aufhebung des angefochtenen Urteils und gemäß § 565 Abs. 1 und Abs. 3 Ziffer 1 Z P O die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz notwendig. 27 Zu den Voraussetzungen der Verwirkung. BGB § 242. II. Senat. Urteil vom 9. 7. 1958 i. S. Sch. (Kl.) w. B. (Bekl.). 2 AZR 438/56. I. Arbeitsgericht Bochum. —
II. Landesarbeitsgericht H a m m i. W .
Der Beklagte war vom 1. März 1933 bis zum 25. September 1952 gegen festes Gehalt bei der Klägerin, einer Aktiengesellschaft, angestellt. Diese betreibt den Ein- und Verkauf von Holz sowie dessen Einschnitt. Sie hat mehrere Niederlassungen. Der Beklagte war zuletzt Bevollmächtigter, Lagerleiter und „Geschäftsführer" der Niederlassung in B. Mit Schreiben vom 25. September 1952 kündigte die Klägerin das Vertragsverhältnis zum Beklagten fristlos. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut: „Die AG. kündigt das mit Ihnen bestehende Anstellungverhältnis fristlos zum heutigen Tage. Grund für diese Kündigung ist, daß Sie die AG. pflichtwidrig um 32 OOO DM geschädigt haben und zwar dadurch, daß Sie z. Teil die Ihnen zustehenden Befugnisse eigenmächtig überschritten haben.
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27. Verwirkung
Sie haben darüber hinaus unter Außerachtlassung aller kaufmännischer Gepflogenheiten die A G . über den Stand der Ihnen anvertrauten Geschäfte nicht oder nur mangelhaft unterrichtet und der A G . dadurch weiteren, noch nicht übersehbaren Schaden zugefügt. Die A G . wird Sie wegen Ihres schuldhaften und widerrechtlichen Handelns noch straf- und zivilrechtlich belangen." Im einzelnen stützt die Klägerin ihren Schadenersatzanspruch auf die Behauptung, der Beklagte habe entgegen den Weisungen und unter Außerachtlassung der kaufmännischen Sorgfalt an drei Firmen hohe V o r schußzahlungen geleistet, ohne dafür die Ware oder sonstige Sicherungen erhalten zu haben. Die Klägerin beantragte beim Amtsgericht in B. einen dem Beklagten am 17. Oktober 1952 zugestellten Zahlungsbefehl über 10 0 0 0 , — D M als Teilbetrag des angeblich vom Beklagten verursachten Schadens. Der Beklagte legte dagegen am 22. Oktober 1952 Widerspruch ein. Die Klägerin hat auf den Widerspruch des Beklagten hin nichts veranlaßt, insbesondere nicht die zweite Hälfte der Prozeßgebühr eingezahlt. Am 24. Oktober 1952 schrieb die Klägerin dem Beklagten, es seien noch weitere Schäden durch sein Verhalten entdeckt worden, für die sieihn ebenfalls in Anspruch nehmen werde. Der Beklagte antwortete darauf am 29. O k tober 1952, daß er sich am Ersatz eines Schadens beteiligen werde, wenn seine Schuld an dessen Verursachung erwiesen sei. V o n da an ließen weder die Klägerin noch der Beklagte von einander etwas hören, bis die Klägerin am 22. Dezember 1954 die vorliegende Klage erhob, die dem Beklagten am 17. Januar 1955 zugestellt wurde. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen, letzteres mit der Begründung, der Anspruch der Klägerin sei verwirkt. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Aus den G r ü n d e n : I./II III. Das Landesarbeitsgericht stützt seine die Klage abweisende Entscheidung auf die Annahme einer nach allgemeinen Grundsätzen eingetretenen Verwirkung. Die Ausführungen des angefochtenen Urteils sind jedoch rechtlich nicht haltbar. Die Verwirkung ist ein Begriff, der zum Beispiel in §§ 1680, 1771 Abs. 2 BGB genannt wird; er hat hier Strafcharakter (Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl., 2. Band, S. 445). Rechtsprechung und Schrifttum haben jedoch unabhängig von diesem im Gesetz genannten Verwirkungsbegriff die Verwirkung als Rechtsinstitut auf der Grund-
27. Verwirkung und Verjährung
167
läge des Satzes von Treu und Glauben dahin entwickelt, daß sie ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung ist und nur eintritt, wenn es sich um eine so verspätete illoyale Geltendmachung von Rechten handelt, daß die Aufrechterhaltung dieser Rechte Treu und Glauben widerspricht (Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl., 2. Band, § 32, S . 4 4 4 und I.Band, § 5 9 IVa S. 536; Nikisdi, Arbeitsrecht, 2. Aufl., Band I, S. 319 ff.; Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 1 4 . Aufl. Allgem. Teil, B a n d l , 2 . Halbband, § 2 2 8 IV; ErmanGoerke, BGB, 2. Aufl., § 2 4 2 Erl. 18; Palandt, BGB, 17. Aufl., § 2 4 2 Erl. 9; RGR Kommentar 10. Aufl., § 242 Erl. 4; Auffarth, Betriebsverfassung 1956, S. 45 ff.) und Rechtsprechung (z. B. BAG AP Nr. 1, 3 und 4 z u § 2 4 2 BGB V e r w i r k u n g ; B G H , M d R 51, 2 2 5 ; R G Z 1 5 5 , 1 4 8 ; 106; 158,
159,
107).
Aus dieser Begriffsbestimmung ergeben sich die einzelnen Vorauseetzungen, unter denen ein Anspruch nach § 242 BGB verwirken kann. Es muß zuerst und immer der Grundsatz beachtet werden, daß die Verwirkung v o n Rechten, also von Positionen, die doch Wirklichkeit geworden waren, ein außerordentlicher Rechtsbehelf ist; bei Beurteilung der Voraussetzungen sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen. Verwirkung und Verjährung sind streng voneinander zu scheiden und in ihren Voraussetzungen und Wirkungen grundverschieden. Die Verjährung tritt durch reinen Zeitablauf und Untätigkeit des Gläubigers ein; sie wird rechtlich erst bedeutsam, wenn der Schuldner sich darauf beruft, ohne daß deshalb der Anspruch als solcher untergeht (§ 222 BGB). Die Verwirkung tritt, in Verbindung mit einem Zeitablauf (Zeitmoment), durch ein bestimmtes Verhalten des Gläubigers zusammen mit dem Sicheinrichten des Schuldners auf dieses Verhalten des Gläubigers (Umstandsmoment) ein, und zwar auch ohne einen auf den Eintritt der Verwirkung gerichteten Willen des Schuldners, jedoch stets mit dem Erfolg der Rechtsvernichtung. Sie greift im übrigen nicht nur bei Ansprüchen, sondern ganz allgemein ein (Enneccerus-Nipperdey, a. a. O., § 228 IV; Lehmann, Allg. Teil des BGB, 9. Aufl., S. 341). Der Schwerpunkt des Verwirkungsbegriffs liegt dabei im Umstandsmoment (BGHZ 2 5 , 4 7 [ 5 1 / 5 2 ] ; Lehmann, a. a. O . und derselbe in Enneccerus-Lehmann, 14. Aufl., Recht d. Schuldverhältnisse, S. 22). Ihm fällt weitgehend, wenn auch nicht völlig unabhängig vom reinen Zeitablauf seit Entstehen eines Anspruchs, die entscheidende Bedeutung zu. Als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung — das ist sie wegen der Bedeutung des Zeitmomentes bei ihr (Hueck-Nipperdey, a. a. O., S. 446; a. A. möglicherweise Lehmann, a. a. O., S. 342) — gilt auch für die Verwirkung
168
27. Verwirkung
der Grundsatz, daß ein V e r h a l t e n des Gläubigers vorliegen muß, das gegen Treu und Glauben verstößt. Bei der Verwirkung liegt dieses Verhalten des Gläubigers darin, daß er zunächst den ganzen Umständen nach beim Schuldner die berechtigte Annahme hervorgerufen hat, er werde sein Gläubigerrecht endgültig nicht mehr geltend machen, dann aber doch mit der Geltendmachung an den Schuldner herantritt. Dabei ist des weiteren zu beachten, daß der Schuldner sich mit Rücksicht auf das Verhalten des Gläubigers auch darauf eingerichtet haben muß, daß dieser das ihm zustehende Recht nicht mehr geltend machen werde; nur dann ist es gegenüber dem doch zunächst einmal entstandenen Recht des Gläubigers nach Treu und Glauben geboten, das Recht verwirken zu lassen. Mit der Verwirkung wird dem Verbot des gegensätzlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) Geltung verschafft und der Grundsatz gewahrt, daß jeder, der dem Verhalten eines anderen Rechtsgenossen berechtigterweise Vertrauen entgegenbringt, auch zu schützen ist. Die Beurteilung der Umstände, unter denen das Verhalten des Gläubigers dahin auszulegen ist, er werde einen Anspruch nicht mehr geltend machen, steht ganz unter dem Grundgedanken des § 242 BGB. Das gleiche gilt hinsichtlich der Beurteilung der Umstände, unter denen der Schuldner berechtigterweise annehmen kann, der Gläubiger werde den Anspruch nicht mehr geltend machen. Andernfalls würde es an einem einwandfreien und gleichzeitig erschöpfenden Maßstab der Bewertung fehlen. Im einzelnen gehört hierher auch eine Beurteilung der Art des Anspruchs, und zwar sowohl in rechtlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht in dem Sinne, daß bei rechtlich schwierigen und wirtschaftlich bedeutsamen Ansprüchen, die auch bei ihrer Feststellung tatsächlichen Schwierigkeiten begegnen (Nachlaßforderungen, schwierige Ursachen und Schadensermittlungen bei Unfallforderungen), die Verwirkung nicht so leicht, bei Ansprüchen aus den Geschäften des täglichen Lebens aber wenigstens sehr häufig leichter eintritt (vgl. Erman-Goerke, BGB, 2. Aufl., § 242, Erl. 18). IV. Die Anwendung der vorstehenden Erwägungen auf den hier zu entscheidenden Fall führt zu dem Ergebnis, daß der Anspruch der Klägerin nicht verwirkt ist. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin nach dem Widerspruch des Beklagten gegen den am 17. Oktober 1952 zugestellten Zahlungsbefehl „nichts mehr getan, was irgendwie eine Aufrechterhaltung des Anspruchs erkennen ließ". Das genügt aber nicht zu der Annahme einer Verwirkung. Denn dann hätte das angefochtene Urteil Umstände feststellen müssen, die nach Treu und Glauben dahin zu werten sind, die Klägerin wolle ihre bisher behaupteten Ansprüche
27. Verwirkung
169
nicht mehr geltend machen. Es ist zwar denkbar und möglich, daß ein Sich-Nichtrühren des Gläubigers während eines längeren Zeitablaufs den Umständen des konkreten Falles nach als ein Verhalten dieser Art aufgefaßt werden könnte, etwa wenn nur ein ganz geringfügiger Anspruch in Rede steht oder wenn der Gläubiger in anderen Fällen dem Schuldner gegenüber stets nachdrücklich aktiv geworden ist. Aus der Tatsache allein als solcher, daß die Klägerin nach dem Widerspruch des Beklagten gegen den Zahlungsbefehl das Verfahren nidit weiterbetrieben hat, läßt sich aber, zumal bei der Höhe der Forderung, noch kein Verhalten entnehmen, aus dem nach Treu und Glauben der Schluß gezogen werden könnte, die Klägerin wolle die Verfolgung des Anspruchs endgültig aufgeben (siehe auch Herschel, N J W 4 8 , 234). Denn selbst eine Klagerücknahme kann, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, nicht als Verhalten des Gläubigers gewertet werden, er wolle endgültig die Verfolgung seines Anspruchs fallen lassen. Umsoweniger kann das bloße Nichtweiterbetreiben eines Mahn- oder Streitverfahrens so aufgefaßt werden, daß der Gläubiger den Anspruch nidit mehr geltend machen wolle. Zur Annahme einer Verwirkung fehlt es deshalb an einer ausreichenden Tatsachenfeststellung zum Umstandsmoment, vor allem und. zunächst, was das Verhalten der Klägerin angeht. Darüber hinaus steht auch die Art des geltend gemachten Anspruchs hier der Annahme einer Verwirkung entgegen. Schon im Kündigungsschreiben der Klägerin kommt zum Ausdruck, daß die genaue Feststellung der Höhe des Schadens rechnerischen und tatsächlichen Schwierigkeiten begegnete. Das wußte audi der Beklagte, wie sein Schreiben an die Klägerin vom 24. Oktober 1952 erkennen läßt, in dem er sich bereit erklärt, an dem Ersatz des Schadens mitzuwirken, wenn seine Schuld an dessen Verursachung erwiesen sei. Eine genaue Feststellung des Anspruchs der Klägerin war bei den obwaltenden Umständen im übrigen erst dann möglich, wenn die Klägerin alle Mittel ausgeschöpft hatte, die vom Beklagten gewährten Vorauszahlungen wieder hereinzubekommen. Daß diese Bemühungen der Klägerin unter Umständen auch weit mehr als 21U Jahre dauern konnten, liegt insbesondere angesichts der Länge eines Konkursverfahrens, in das ein Kunde der Klägerin geraten ist, auf der Hand. Ihre hier in Rede stehenden Forderungen gegenüber dem Beklagten müssen als Gesamtkomplex gesehen werden, da sie alle auf ein bestimmtes Verhalten des Klägers in seiner leitenden Stellung gegründet wurden und auch von gleidher Natur sind
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28. Abgeltung für Nichtforderung von Mehrarbeit
28 1. Eine Abgeltung für die Nichtforderung von Mehrarbeit durch «ine Zahlung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber ist unzulässig. 2. Der Senat hält an der Rechtsprechung fest, daß tarifliche Ausschlußfristen eng auszulegen sind. BGB § 6 1 1 ; T V G § 1; M T V für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen vom 28. 12. 1951 § 2 0 . II. Senat. Urteil vom 17. 7. 1958 i. S. O. (Bekl.) w. Pf. u. a. (Kl.) 2 AZR 312/57. 1. Arbeitsgericht K ö l n . —
II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf (2. Kammer in K ö l n ) .
Die Klägerin Pf. war vom 15. Juli 195 5 bis zum 1. September 1956, die Klägerin B. von Anfang Mai 1955 bis April 1956 in einem der Barbetriebe des Beklagten als Serviererin beschäftigt. Ihre Arbeitsverhältnisse unterstanden dem für allgemein verbindlich erklärten Manteltarifvertrag für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes NordrheinWestfalen vom 28. Dezember 1953 (MTV). Die Klägerinnen erhielten bei einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden als Vergütung den von den Gästen eingezogenen 1 0 % i g e n Bedienungszuschlag. An jedem Arbeitstage zahlte jede von ihnen einen Betrag von 1 — DM an den Beklagten zu dem Zwecke, die von anderen Bediensteten übernommene Arbeit des Gläserspülens und sonstige dem Servierpersonal obliegende Putzarbeiten abzugelten. Mit der Begründung, dieses sogenannte Putzgeld sei zu Unrecht abgeführt worden, verlangen die Klägerinnen dessen Rückzahlung. Mit der am 28. September 1956 erhobenen Klage fordert die Klägerin Pf. 301,— DM, die Klägerin B., deren Klage am 31. Juli 1956 beim Arbeitsgericht einging, 264,— DM Putzgeld zurück. Beide Beträge sind rechnerisch nicht streitig. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Die Revision des Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Aus den
Gründen:
I. Das Landesarbeitsgericht stellt fest, daß die Klägerinnen an jedem Arbeitstage acht Stunden tätig waren. Nach den weiteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erfolgte die Zahlung des Putzgeldes an den Beklagten zu dem Zweck, die Klägerinnen von bestimmten Putzarbeiten freizustellen. Den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ist ferner die Feststellung zu entnehmen, daß die Klägerinnen die Putz-
28. A b g e l t u n g f ü r Nichtforderung v o n Mehrarbeit
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arbeiten, von denen sie bei Zahlung des Putzgeldes befreit waren, nur durch Mehrarbeit über die tägliche Arbeitszeit von acht Stunden (§ 3 Abs. 1 MTV) hinaus hätten ausführen können. Daß das Landesarbeitsgericht die Feststellung getroffen hat, die Zahlung des Putzgeldes seitens der Klägerinnen an den Beklagten hätte nach dem Willen beider Parteien den Zweck verfolgt, die Klägerinnen von der Leistung von Mehrarbeit freizustellen, ist aus seinen Ausführungen zu III der Entscheidungsgründe zu entnehmen. Dort ist gesagt, von den Klägerinnen habe, falls sie überhaupt zur Leistung der anfallenden Putzarbeiten verpflichtet gewesen wären, nicht verlangt werden können, Überstunden ohne Bezahlung zu leisten, und es habe dem Beklagten kraft seines Weisungsrechts freigestanden, die Leistung der Putzarbeiten während der regelmäßigen Arbeitszeit zu fordern. Diese Ausführungen sind nur verständlich, wenn sie zur Grundlage haben, die Zahlung des Putzgeldes sei erfolgt, um die sich bei Durchführung a l l e r Putzarbeiten zwangsläufig ergebende Mehrarbeit zu vermeiden. Damit muß das Revisionsgericht auch von einer dahin gehenden Feststellung ausgehen, daß der Teil der Putzarbeiten, für den die Klägerinnen das streitige Putzgeld an den Beklagten zahlten, nur außerhalb der täglich bereits geleisteten acht Stunden verrichtet werden konnte. II. § 3 Abs. 1 MTV („Die Arbeitszeit beträgt acht Stunden täglich bzw. 4S Stunden wöchentlich. Die Arbeitszeit kann bis zu 10 Stunden täglich ausgedehnt werden, wenn die Betriebsverhältnisse es erfordern.") läßt Mehrarbeit ausdrücklich zu, knüpft aber die Verpflichtung der Arbeitnehmer dazu an die Voraussetzung, daß die Betriebsverhältnisse es erfordern. Es kann hier zu Gunsten des Beklagten unterstellt werden, daß die Betriebsverhältnisse die Leistung von Mehrarbeit und damit die Ausdehnung der Arbeitszeit über acht Stunden hinaus notwendig machten. Denn selbst wenn dies der Fall war, so hat der Beklagte diese Mehrarbeit von den Klägerinnen nicht verlangt, wohl aber für dieses Nichtfordern von Mehrarbeit von den Klägerinnen täglich je 1,— DM erhalten. Weil der Beklagte die Mehrarbeit nicht verlangt hat, kann es auch offen bleiben, ob der Betriebsrat einer Regelung zustimmen mußte und zugestimmt hat, daß die Arbeitszeit über acht Stunden täglich ausgedehnt werden sollte. Wenn die Klägerinnen unter diesen Umständen täglich 1,—DM als Putzgeld an den Beklagten abgaben, so führte das unmittelbar zur Minderung ihres tariflichen Lohnes. Die Klägerinnen leisteten die acht Stunden Arbeit, zu der sie täglich verpflichtet waren. Hierbei ist es gleichgültig, ob sie innerhalb dieser
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2 8 . Abgeltung für Nichtforderung von Mehrarbeit
Zeit a l l e ihnen nach dem M T V obliegenden Putzarbeiten ausführten oder nicht, denn jedenfalls verrichteten sie in den acht Stunden täglich t a r i f l i c h e Arbeiten. Damit leisteten sie ihrerseits den tariflichen Pflichten genüge, und ihnen steht daher als Gegenleistung der Anspruch auf den vollen Tariflohn zu. Diesen erhielten sie jedoch vom Beklagten nicht, denn sie lieferten an ihn täglich 1,— DM mehr ab, als sie nach dem Ergebnis der täglichen Abrechnung abzuliefern verpflichtet waren. Die Ablieferung selbst geschah im Rahmen des Arbeitsverhältnisses. Eine rechtliche Aufteilung des tatsächlichen Abrechnungsvorgangs am Ende jedes Arbeitstages in eine Lohnzahlung einerseits und eine Putzgeldzahlung andererseits ist bei der Unmittelbarkeit des tatsächlichen Abrechnungsvorgangs wirklichkeitsfremd und daher nicht haltbar. III. Der Beklagte hat auch keinen Anspruch auf Ablieferung von täglich 1,— DM etwa deshalb, weil die Klägerinnen von Putzarbeiten, die nur in Mehrarbeit geleistet werden konnten, freigestellt waren. Denn eine Zahlung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber für Nichtleistung von Mehrarbeit ist unzulässig. Das Arbeitsverhältnis ist zwar seinem Wesen nach kein rein schuldrechtliches Austauschverhältnis, sondern in erster Linie eine personenrechtliche Bindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber (BAG 1, 338 [340]). Deshalb ist das wirtschaftliche Moment jedoch nicht ohne jegliche Bedeutung. Zu ihm gehört — der Fall des Praktikanten, Volontärs u. dgl. kann bei dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit außer Betracht bleiben — der Umstand, daß der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft einem anderen gegen Lohnzahlung zur Verfügung stellt; Leistung und Gegenleistung stehen einander gegenüber. Wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer zwar Mehrarbeit verlangen kann, sie jedoch nicht fordert, sondern sich einen Abgeltungsbetrag dafür geben läßt, so verbietet nun bereits die wirtschaftliche Seite des Arbeitsverhältnisses eine solche Regelung. Der Zahlung des Abstandsgeldes durch den Arbeitnehmer steht nämlich keine Gegenleistung des Arbeitgebers von wirtschaftlichem Wert gegenüber. Ein Anspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer wegen zu Unrecht abgelehnter Mehrarbeit wäre nur dann gegeben, wenn der Arbeitgeber einen Schaden erlitten hätte. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor; der Beklagte hat dafür substantiiert nichts vorgetragen. IV. Die Geltendmachung des Anspruchs der Klägerinnen verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben. Zwar ist dem Beklagten die Berufung auf eine Arglist der Klägerinnen nicht etwa deshalb versagt, weil tarifliche Ansprüche — und wie oben ausgeführt, ist der Anspruch der Klägerinnen ein Anspruch auf den tariflichen Lohn — grundsätzlich
2 8 . Tarifliche
Verfallklausel
173
weder verwirken noch verzichtbar sind (§ 4 T V G ) ; denn § 4 T V G hindert nicht den Einwand der Arglist ( B A G 4 , 59 [63]; Hueck-Nipperdey, T V G , 3. Aufl. § 4 Anm. 63). Dieser Einwand kann jedoch nur in besonders krassen Fällen durchgreifen (BAG a. a. O.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn wenn die Geltendmachung der Ansprüche durch die Klägerinnen rechtlich mißbilligt werden sollte, hätten sie zum mindesten bei der Zahlung des Putzgeldes wissen müssen, daß hierin ein Verstoß gegen den Tarifvertrag lag. In dieser Richtung ist aber nichts vorgetragen worden; nach der Lebenserfahrung ist im übrigen auch nicht anzunehmen, daß den Klägerinnen die Tragweite ihres Handelns bewußt war und sie die rechtlidi verwickelte Seite der Putzgeldzahlung zu überschauen vermochten. V. Eine endgültige Sachentscheidung ist dem Revisionsgericht jedoch nicht möglich, denn das Landesarbeitsgeridit hat die von Amts wegen zu berücksichtigende Verfallklausel des § 20 M T V nicht beachtet und daher auch keine dementsprechenden Feststellungen getroffen. § 20 M T V lautet: „Forderungen wegen Mehrarbeit und falscher tariflicher Einstufung verfallen, wenn sie nicht drei Monate nach Fälligkeit, alle sonstigen Ansprüche, wenn sie nidit ein Jahr nach Fälligkeit beim Arbeitgeber geltend gemacht worden sind." Der Senat geht davon aus, daß die geltend gemachten Ansprüche der Klägerinnen nicht zu den „Forderungen wegen Mehrarbeit" gehören, die drei Monate nach Fälligkeit verfallen. Eine tarifliche Verfallklausel ist nämlich grundsätzlich eng auszulegen; das ist notwendig im Hinblick auf die Schwere der mit der Versäumung einer solchen Ausschlußfrist verbundenen Folge, die im völligen Verlust des Anspruchs besteht (vgl. BAG 6, 52 [59]; ferner BGH vom 30. Januar 1958, V I I Z R 33/57,abgedr. in JR 58, 2 5 9 ; RAG ARS 28, 56 [59]). Deshalb verbietet sich hier die Anwendung des § 20 M T V auf Ansprüche auch wegen unzulässigen Abkaufs von Mehrarbeit und damit wegen ungerechtfertigter Herabsetzung des Tariflohnes. Für den Verfall der Ansprüche der Klägerinnen gilt vielmehr die Jahresfrist nach Fälligkeit. Die Klägerinnen haben nun bisher nicht näher vorgetragen, an welchen Kalendertagen sie jeweils Putzgeld an den Beklagten zahlten. Es fehlt dem Revisionsgericht deshalb die Möglichkeit, aus dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt zu entnehmen, wann die Forderungen der Klägerinnen für jeden einzelnen Tag ihrer Beschäftigungsdauer fällig geworden sind und wann die Klägerinnen ihre Ansprüche im Sinne des § 2 0 M T V zum ersten Mal beim Beklagten geltend gemacht
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29. Zeitakkord
haben. Allein wegen Fehlens dieser Feststellungen mußte die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden. 29 1. Das Wesen des Zeitakkordes ergibt weder, daß der Geldiaktor an den jeweiligen tariflichen Stundenlohn oder Akkordrichtsatz gebunden ist, noch daß die für eine Arbeitsverrichtung vorzugebende Zeit diejenige Zeit sein muß, die der normale Arbeiter unter normalen Bedingungen! für diese Arbeitsverrichtung benötigt. Zeitakkord liegt daher auch dann vor, wenn die vorgegebenen Zeiten objektiv unrichtig sind. 2. Auch der Rahmentarifvertrag für die Arbeiter in der Eisen«, Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalens vom 12. Januar 19 52 gibt dem Zeitakkord keinen anderen Inhalt. 3. Eine Erhöhung des tariflichen Zeitlohnes erhöht also nicht in jedem Falle automatisch auch den Geldfaktor (kein Automatismus). 4. Sind die Zeiten objektiv richtig, so muß der Geldfaktor, falls er den Akkordzuschlag enthält, dem Akkordrichtsatz (in der Form des Akkordminutenlohnes: dem 60. Teil des Akkordrichtsatzes), sonst dem tariflichen Stundenlohn (in der Form des Akkordminutenlohnes: dem 60. Teil des tariflichen Stundenlohnes) gleichen. Die Faktoren hängen wechselseitig voneinander ab. 5. Ob ein Akkordarbeiter im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 des zu 2 bezeichneten Rahmentarifvertrages in eine Arbeitsverrichtung eingearbeitet und in ihr voll geübt ist, richtet sich nach den besonderen Verhältnissen des Betriebes. 6. Der Einzelarbeitsvertrag des Zeitakkordarbeiters kann den besonderen Inhalt haben, daß ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgegebenen Zeiten der tarifliche Zeitlohn den Geldfaktor bestimmt und daß die einmal angewandten Zeiten auch weiterhin als die vorgegebenen gelten. 7. Die einzelvertragliche Bindung entfällt, sofern die Situation sich — etwa durdi die Verwendung anderen Materials oder neuer Werkzeuge, oder durch eine neue Arbeitsmethode — ändert. 8. O b die einzelvertragliche Bindung tarifbeständig ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. 9. Sind die Zeiten durch eine arbeitswissenschaftliche Methode gemessen, so spricht die Lebenserfahrung für ihre Tarifbeständigkeit.
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29. Zeitakkord
haben. Allein wegen Fehlens dieser Feststellungen mußte die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden. 29 1. Das Wesen des Zeitakkordes ergibt weder, daß der Geldiaktor an den jeweiligen tariflichen Stundenlohn oder Akkordrichtsatz gebunden ist, noch daß die für eine Arbeitsverrichtung vorzugebende Zeit diejenige Zeit sein muß, die der normale Arbeiter unter normalen Bedingungen! für diese Arbeitsverrichtung benötigt. Zeitakkord liegt daher auch dann vor, wenn die vorgegebenen Zeiten objektiv unrichtig sind. 2. Auch der Rahmentarifvertrag für die Arbeiter in der Eisen«, Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalens vom 12. Januar 19 52 gibt dem Zeitakkord keinen anderen Inhalt. 3. Eine Erhöhung des tariflichen Zeitlohnes erhöht also nicht in jedem Falle automatisch auch den Geldfaktor (kein Automatismus). 4. Sind die Zeiten objektiv richtig, so muß der Geldfaktor, falls er den Akkordzuschlag enthält, dem Akkordrichtsatz (in der Form des Akkordminutenlohnes: dem 60. Teil des Akkordrichtsatzes), sonst dem tariflichen Stundenlohn (in der Form des Akkordminutenlohnes: dem 60. Teil des tariflichen Stundenlohnes) gleichen. Die Faktoren hängen wechselseitig voneinander ab. 5. Ob ein Akkordarbeiter im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 des zu 2 bezeichneten Rahmentarifvertrages in eine Arbeitsverrichtung eingearbeitet und in ihr voll geübt ist, richtet sich nach den besonderen Verhältnissen des Betriebes. 6. Der Einzelarbeitsvertrag des Zeitakkordarbeiters kann den besonderen Inhalt haben, daß ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgegebenen Zeiten der tarifliche Zeitlohn den Geldfaktor bestimmt und daß die einmal angewandten Zeiten auch weiterhin als die vorgegebenen gelten. 7. Die einzelvertragliche Bindung entfällt, sofern die Situation sich — etwa durdi die Verwendung anderen Materials oder neuer Werkzeuge, oder durch eine neue Arbeitsmethode — ändert. 8. O b die einzelvertragliche Bindung tarifbeständig ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. 9. Sind die Zeiten durch eine arbeitswissenschaftliche Methode gemessen, so spricht die Lebenserfahrung für ihre Tarifbeständigkeit.
2 9 . Zeitakkord
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10. Die Parteien des Einzelarbeitsvertrages können an sich vereinbaren, daß bestimmte Zeiten unter allen Umständen als richtig gelten. Eine solche Vereinbarung schließt die weitere Vereinbarung ein, daß als Geldfaktor (der den Akkordzuschlag nicht enthält) der jeweilige tarifliche Stundenlohn gilt. 11. Das Fehlen der Mitbestimmung des Betriebsrates in einer Regelung von Akkordsätzen nach § 56 Abs. 1 Buchst, g BetrVC läßt den die Akkordsätze regelnden bisherigen Inhalt des Einzelarbeitsvertrages und den tariflichen Anspruch auf den Akkordrichtsatz unberührt. T V G § 4 Abs. 1 (Zeitakkord); BetrVG § 56 Abs. 1 Buchstabeg; Rahmentarifvertrag für die Arbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalens vom 12. Januar 1952 § 7. II. Senat. Urteil vom 24. 7. 1958 i. S. G. (Kl.) w. Rh. U. B. AG. (Bekl.) 2 AZR 287/55 I. Arbeitsgericht Gelsenkirchen. — II. Landesarbeitsgericht Hamm i. W .
Die Beklagte baut Brücken. Sie beschäftigt den Kläger in einem ihrer Betriebe in G. und zwar in der Abteilung Zusammenbau als Montageschlosser im Zeitakkord. Die Parteien sind gebunden an: 1. den Rahmentarifvertrag für die Arbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 12. Januar 1952 (kurz: R T V ) ; dort heißt es in § 7, der die Überschrift „Akkord" trägt: „1. Stücklöhne und Akkordzeiten sind so vorzugeben, daß der Arbeitnehmer bei normaler Leistung und normalen Betriebsverhältnissen mindestens 15 °/o über dem Tariflohn seiner Lohngruppe verdient (Akkordrichtsatz). Als normale Leistung gilt die normale berufsübliche Leistung bei einwandfreier Arbeit nach erfolgter Einarbeitung und voller Übung mit den vorgesehenen Betriebsmitteln und unter den im Betrieb bestehenden Verhältnissen, wenn die in der Vorgabezeit berücksichtigten Zeiten für persönliche Bedürfnisse und ggf. auch für Erholung eingehalten werden.
6. Ist ein Arbeitgeber oder Arbeitnehmer der Auffassung, daß ein vorgegebener Akkord nicht den tariflichen Bestimmungen oder der erzielte Verdienst nicht dem erbrachten Leistungsgrad entspricht, so wird der Akkord vom Arbeitgeber unter Hinzuziehung eines sachverständigen Mitgliedes des Betriebsrates oder einer
29. Zeitakkord
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betrieblichen Akkordkommission nachgeprüft und ggf. neu festgesetzt. Die Leistung der Akkordarbeit darf wegen Meinungsverschiedenheiten über die Richtigkeit des Akkordsatzes nicht verweigert werden. Der Abrechnung ist der endgültig festgesetzte Akkord zugrunde zu legen. 7. Im übrigen können bestehende Akkorde nur geändert werden, wenn technische oder organisatorische Änderungen eintreten oder wenn ein offensichtlicher Irrtum unterlaufen ist. Bestehende Akkorde sind nicht Probe- oder Einarbeitungsakkorde, die ausdrücklich als solche gekennzeichnet worden sind." 2. möglicherweise die Erläuterungen zu dem Schiedsspruch vom 26. September 1951 (kurz: „Erläuterungen"); diese sind von den Tarifpartnern unterzeichnet und besagen in der Ziffer A 2 : „Bei Akkordarbeiten ist der tarifliche Anspruch erfüllt, wenn die Akkorde so vorgegeben sind, daß bei Erbringung der Normalleistung der Akkordrichtsatz (Tariflohn + 15 °/o) erreicht wird. Eine bestimmte Form für die Akkordberechnung ist nicht vorgeschrieben. Es sind sowohl Zeit- wie Geldakkorde zulässig. Bei der Frage, ob bestehende Akkorde aus Anlaß des Schiedsspruches geändert werden müssen, sind folgende Fälle zu unterscheiden: a)
Zeitakkord. Sind die Zeiten richtig vorgegeben, d. h. entsprechen 60 vorgegebene Akkordminuten der Normalleistung, so müssen ohne Rücksicht auf die Höhe des tatsächlichen Akkordverdienstes nunmehr die sich aus dem neuen Lohnabkommen ergebenden Geldfaktoren zur Anwendung gebracht werden, d.h. für eine Akkordminute der neue Akkordrichtsatz geteilt durch 60. Betriebe, die bei einer ermittelten Normalleistung von 6 0 Akkordminuten plus 1 5 % = 69 Akkordminuten vorgeben, müssen für die Akkordminute den neuen Zeitlohnsatz geteilt durch 6 0 vergüten. b) In den Fällen, in denen überhöhte Zeiten der Akkordvorgabe zu Grunde gelegt werden, müssen ohne Rücksicht auf die zur Anwendung kommenden Zeit- und Geldfaktoren die Akkorde insoweit geändert werden, daß bei normaler Leistung ein neuer Akkordrichtsatz erreicht wird."
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3. das Lohnabkommen zwischen den gleichen Tarifparteien vom 5. Dezember 1952 (kurz: L T V 52); dieser L T V erhöht vom 1. Januar 1953 ab den Stundenlohn der Gruppe 5, der der Kläger angehört, von 1,38 DM auf 1,48 DM und verweist in § 3 Abs. 2 ausdrücklich auf die Erläuterungen zum Schiedsspruch vom 26. September 1951. Die Beklagte hatte den Betrieb im Jahre 1938 erworben und zunächst die bisherigen Geld- und Zeitfaktoren übernommen; der Geldfaktor lag damals nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts „ 1 0 %> unter dem Tariflohn". Am 1. September 1948 erhöhte ein Tarifvertrag die Zeitlöhne. Damals ließ die Beklagte mit Zustimmung des Betriebsrates „den bisherigen 10°/oigen Abzug beim Geldfaktor" wegfallen, kürzte dafür aber die Vorgabezeit um 8 °/o. Im Mai 1950 trat ein neues Lohnabkommen in Kraft. Die Beklagte legte „unter Mitwirkung des Betiiebsrats fest, daß der neue Tariflohn als Geldfaktor angewandt werde, jedoch sollte der effektive Akkordverdienst um 12 °/o gekürzt werden". In dieser 12 %>igen Kürzung sehen die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils „im Ergebnis eine Zeitenverkürzung". Darüber, welchem Faktor der Akkordzuschlag zugeschlagen worden ist, trifft das Landesarbeitsgericht keine klare Feststellung. Für die durch den L T V 52 mit Wirkung vom 1. Januar 1953 in Kraft gesetzte Lohnerhöhung einigte sich die Beklagte mit dem Betriebsrat nicht mehr. In ihrer Betriebsmitteilung vom 3. März 1953 behielt sie die „alten Zeiten" bei und sah — einseitig — einen „Multiplikator" (Geldfaktor) für die Gruppe 5 von 143 — trotz des neuen tariflichen Stundenlohnes von 1,48 DM — vor, wandte aber praktisch für den Kläger einen Geldfaktor von 1,45 DM an. In diesem „Multiplikator" war „die Leistungszulage nicht enthalten, die in alter Höhe als akkordfähig" hinzukommen sollte. Außerdem stellte sie die Überprüfung der Zeiten in Aussicht; die Überprüfung war bereits in die Wege geleitet, nach Angaben des Klägers seit Juni 1952. Der dem Kläger hiernach gezahlte Lohn überstieg noch den Akkordrichtsatz. Der Kläger errechnet seinen Lohn nach den bisherigen Zeiten und einem Geldfaktor von 1,48 DM und verlangt demnach für die Monate Januar bis März 1953 einen rechnerisch unstreitigen Mindestgeldbetrag von 39,60 DM. Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. 12 Entscheid, d. B A G . 6
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Auf die Revision des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Aus den
Gründen:
Der Kläger verlangt — zu dem ihm gezahlten Zeitakkordlohn — weiteren Zeitakkordlohn. Diesen errechnet er nicht, wie die Beklagte auf Grund eines Geldfaktors von 1,45 DM, sondern von 1,48 DM. Die Entscheidung hängt also davon ab, ob ihm — bei der Anwendung der ihm tatsächlich vorgegebenen und nicht angegriffenen Zeiten — als Geldfaktor der jeweilige tarifliche Stundenlohn, also seit dem 1. Januar 1953 ein Geldfaktor von 1,48 DM (d.h. in der üblichen Gestalt eines Akkordminutenlohnes: der 60. Teil dieses Betrages), rechtlich zustand. Als mögliche Rechtsgründe für die Anwendung eines Geldfaktors in dieser Höhe kommen das Wesen des Zeitakkordes (unten I), die den Arbeitsvertrag des Klägers beherrschenden Tarifverträge (unten II—IV), eine etwaige Betriebsvereinbarung (unten V) und schließlich der besondere Inhalt des Einzelarbeitsvertrages (unten VI) in Frage. I. Das Wesen des Zeitakkordes ergibt, wovon das Landesarbeitsgericht richtig ausgeht, nicht, daß der Geldfaktor an den jeweiligen tariflichen Zeitlohn oder, was im Ergebnis dasselbe ist, an den jeweiligen Akkordrichtsatz fest gebunden sei, daß weiter die für eine Arbeitsverrichtung vorzugebende Zeit nur die von dem normalleistungsfähigen Arbeiter — oder etwa von dem durchschnittliche oder übliche Leistungen erbringenden Arbeiter — für diese Arbeitsverrichtung benötigte sein dürfte und daß folgerichtigerweise eine Erhöhung des tariflichen Zeitlohnes von selbst (automatisch) eine entsprechende Erhöhung des Geldfaktors zur Folge hätte. Die hier entwickelte Rechtsansicht des erkennenden Senats (BAG 1, 147 [l 50]) wird auch von der Revision nicht mehr in Zweifel gezogen. Der Zeitakkord ist dadurch gekennzeichnet, daß dem Arbeitnehmer, ausgehend von der Erwägung, diese Zeit werde normalerweise, durchschnittlich oder dgl. für die Leistung einer Arbeitseinheit benötigt, eine bestimmte Zeit, eben der Zeitfakor, für die Erbringung der Arbeitseinheit „vorgegeben" und für jede Einheit der Vorgabezeit, die hier, wie im allgemeinen heute durchweg, mit einer Minute angesetzt ist, ein bestimmter Geldbetrag, der sogen. Geldfaktor, ausgeworfen wird; der tatsächliche Verdienst des Akkordarbeiters ergibt sich dann aus einer
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Multiplikation der Vorgabezeit mit dem Geldfaktor und den tatsächlich erbrachten Leistungseinheiten. Eine Bindung des Geldfaktors an den tariflichen Zeitlohn oder an den tariflichen Akkordrichtsatz sowie ein übereinstimmen des Zeitfaktors mit der normalen oder durchschnittlichen Zeit für die Leistung würde aus dem Wesen des Zeitakkordes sich nun dann ergeben, wenn die Höhe des Lohnes von Hause aus ausschließlich und allein auf diesen Berechnungsmomenten aufzubauen hätte. Für die Bestimmung des Entgeltes können und dürfen aber auch noch sonstige Gegebenheiten, etwa die Erwägung, sich die Belegschaft zu erhalten, einen Teuerungszuschlag zu gewähren usw., eine Rolle spielen. V o n dem Arbeitnehmer und Arbeitgeber in erster Linie interessierenden Lohnergebnis her gesehen ist es ferner gleichgültig, an welcher Stelle diese letzteren Umstände ihren rechnerischen Niederschlag finden. Unbeschadet dessen, daß auf diese Weise der gerade eine Faktorenklarheit bezweckende betriebswirtschaftliche Sinn des Zeitakkordes verlorengehen kann, ist es daher an sich statthaft, diese Faktoren frei festzusetzen. Damit aber ist deren weitgehende Selbständigkeit vom Tarifvertrag gegeben. Erst eine zusätzlich hinzukommende Regelung — durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung und auch durch den einzelnen Arbeitsvertrag — kann mit Bindungswirkung zu einer bestimmten Festlegung der Faktoren führen. Zeitakkord liegt also, was die Beklagte in Zweifel zieht, auch dann vor, wenn die Zeiten unrichtig sind. II. Daß der R T V den Geldfaktor an den jeweiligen tariflichen Zeitlohn binde, entnimmt das Landesarbeitsgericht dem § 7 Ziffer 1 R T V nicht. Die Revision vertritt den gegenteiligen Standpunkt und demnach den Grundsatz, daß eine Erhöhung des tariflichen Stundenlohnes von selbst — ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der Zeiten — den anzuwendenden Geldfaktor erhöhe (sogenannter „Automatismus"). Die Ansicht der Revision ist irrig. 1. Der klare Wortlaut des § 7 Ziffer 1 Abs. 1 R T V sagt über den Geldfaktor überhaupt nichts. Nur die vorzugebenden Zeiten erwähnt er; er beschränkt sich darauf, sie lediglich an das Ergebnis zu binden, „daß der Arbeitnehmer bei normaler Leistung und normalen Betriebsverhältnissen mindestens 15 % über dem Tariflohn seiner Lohngruppe verdient", enthält sich aber jeder näheren Bestimmung, wie im übrigen der Zeitfaktor und der Geldfaktor gestaltet sein müssen, damit dieses Ergebnis erzielt wird. Daß dieses Ergebnis auch durch andere als „richtige" Zeiten 12*
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in Verbindung mit einem von dem tariflidien Zeitlohn abweichenden Geldfaktor erreicht werden kann, liegt auf der Hand. Mit keinem Worte, auch nicht in § 7 Ziffer 1 Abs. 2, besagt der RTV, daß die Zeiten, die ein normal leistungsfähiger Arbeiter bei normalen äußeren Umständen für eine bestimmte Arbeitsverrichtung benötigt, die für diese Arbeitsverrichtung vorzugebende Zeit sein müßten. Auf welchem Wege, insbesondere durch welche einzelnen Faktoren das vom RTV als Akkordrichtsatz festgelegte Lohnergebnis erreicht wird, überläßt der RTV der Praxis der einzelnen den RTV ausführenden Betriebe. Freilich ist, wie die Revision richtig ausführt, der Geldfaktor seiner Natur nach einer klaren Bindung an den jeweiligen Zeitlohn zugänglich. Die vorzugebenden Zeiten dagegen unterliegen, wie die Revision weiter richtig sieht, nur in einem allgemeinen Rahmen der tariflichen Regelung, sie entziehen sich dagegen der tariflichen Regelung im einzelnen; denn die unübersehbare Mannigfaltigkeit der Arbeitsverrichtungen, die in der betrieblichen Wirklichkeit jedenfalls der hier in Frage kommenden Wirtschaftszweige möglich sind, und damit die Mannigfaltigkeit der für diese benötigten Zeiten schließt es aus, daß der Tarifvertrag die Zeiten im einzelnen festlegt. Wenn hiernach der RTV notwendigerweise die Zeiten nur in einem allgemeinen Rahmen regeln kann, so hat er doch mit seiner Regelung in § 7 Ziffer 1 die Möglichkeiten, die sich für eine auch nur rahmenmäßige Regelung des Zeitfaktors bieten, nicht einmal ausgeschöpft; denn die Vorschrift sagt eben nicht mit klaren Worten, daß als Zeit für eine bestimmte Arbeitsverrichtung stets die Zeit vorzugeben sei, die ein normalleistungsfähiger Arbeiter bei normalen Verhältnissen für diese Arbeitsverrichtung benötigt; sondern sie beschränkt sich darauf, lediglich auf das Lohnergebnis abzustellen. Dieses ist aber nur im Zusammenhang mit dem vom RTV gar nicht erwähnten Geldfaktor zu gewinnen. Aus dem Sinn dieser Regelung läßt sich die von der Revision gewünschte Auslegung nicht herleiten. Denn der zum Ausdruck gekommene Sinn ist eben nur die Erreichung des Akkordrichtsatzes als des Lohnes für den Normalarbeiter, und dieses Ergebnis kann auch erreicht werden, wenn der Geldfaktor in der Schwebe bleibt; nur muß eben wegen der wechselseitigen Abhängigkeit beider Faktoren einem den tariflichen Zeitlohn unterschreitenden Geldfaktor ein überhöhter Zeitfaktor entsprechen. Die — unvollkommene — Bestimmung lediglich des Zeitfaktors in § 7 Ziffer 1 RTV verliert also nicht, wie die Revision meint, ihren Sinti, wenn der Geldfaktor in der Schwebe bleibt.
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2. Auch die weiterhin von der Revision für ihre Ansicht angeführten Ziffern 6 und 7 des § 7 RTV ergeben nicht, daß der RTV in jedem Falle den Geldfaktor an den jeweiligen tariflichen Stundenlohn hat binden wollen. Weder den Geldfaktor noch den Zeitfaktor erwähnen diese Bestimmungen ausdrücklich; sie sprechen immer nur von den „vorgegebenen Akkorden", den „bestehenden Akkorden", dem „endgültig festgesetzten Akkord" oder dem „Akkord" in der Einzahl oder Mehrzahl. Sie beziehen sich offenbar sowohl auf den Stückakkord als auch auf den Zeitakkord. Gerade beim Stückakkord aber kommt es seinem Wesen nach sowieso nur auf das Lohnergebnis an; denn er unterscheidet nicht zwischen dem Geldfaktor und dem Zeitfaktor. Daher läßt auch die Vermischung der beiden Akkordarten des Stückakkordes und des Zeitakkordes in den bezeichneten beiden Bestimmungen den von der Revision gezogenen Schluß nicht zu, daß nach der Bedeutung dieser Tarifbestimmungen gerade beim Zeitakkord der Geldfaktor eine durch den tariflichen Zeitlohn genau bestimmte Größe haben müßte. Nichts anderes besagt die Ziffer 6. Sie regelt den Fall, „daß ein vorgegebener Akkord nicht der tariflichen Bestimmung oder der erzielte Verdienst nicht dem erbrachten Leistungsgrad entspricht". Damit sagt diese Tarifbestimmung nicht, wie die Zeiten — unabhängig von dem Geldfaktor — vorzugeben sind, sondern bringt unabhängig von den sonstigen tariflichen Bestimmungen, auf die sie ja verweist, überhaupt keine selbständige Regelung des Geldfaktors und des Zeitfaktors. Zur Auslegung dieser sonstigen Bestimmungen bringen die Ziffern 6 und 7 daher nichts Entscheidendes. 3. Auch die Entwicklung der tariflichen Bestimmungen führt nicht, wie die Revision meint, zu der von der Revision dem § 7 Ziffer 1 R T V gegebenen Auslegung. Allerdings spricht § 6 Abs. 1 des zwischen den gleichen Sozialpartnern am 10. September 1948 in Sch. abgeschlossenen Tarifvertrages nur von „Akkordsätzen", gliedert also den Akkord nicht, wie es § 7 Ziffer 1 RTV tut, in den Stückakkord und in den Zeitakkord auf. Auch die späteren, zwischen den gleichen Sozialpartnern abgeschlossenen Tarifverträge mögen diesen Unterschied im einzelnen teilweise nicht gemacht haben. Daraus, daß § 7 Ziffer 1 RTV die Akkorde in Stückakkorde und in Zeitakkorde aufgliedert, darf aber mangels sonstiger Anhaltspunkte nicht — entsprechend den Ausführungen der Revision — geschlossen werden, daß § 7 Ziffer 1 RTV einseitig die vorgegebenen Zeiten „anspreche" und daß dies nur sinnvoll sei, wenn der vom RTV überhaupt nicht erwähnte Geldfaktor sich aus dem tariflichen Zeitlohn von selbst ergebe. Die Unterscheidung zwischen Stück-
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akkord und Zeitakkord könnte auch, was sogar näher liegt, einfach einer Verdeutlichung dienen. 4. Der bei der Auslegung des hier umstrittenen § 7 Ziffer 1 R T V zu berücksichtigende Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist aus der gesamten Situation zu entnehmen, wie sie zur Zeit der Vereinbarung des RTV auf dem Gebiete des Zeitakkordes in seiner Anwendung in den Betrieben der von dem RTV erfaßten Wirtschaftszweige bestand. Diese Situation war aber, wie nicht nur aus den dem erkennenden Senat zur Entscheidung vorliegenden Rechtsstreitigkeiten, sondern auch aus den „Erläuterungen" hervorgeht, folgende: Keineswegs war es in allen Betrieben der in Betracht kommenden Wirtschaftszweige üblich, daß die vorgegebenen Zeiten genau gemessen und objektiv richtig waren. Gerade die „Erläuterungen" gingen in ihrer Ziffer A 2 b davon aus, daß die Zeiten in manchen Betrieben überhöht waren; sie zwangen aber diese Betriebe nicht etwa, die überhöhten Zeiten abzubauen und nunmehr nur noch richtige Zeiten anzuwenden, und außerdem den Geldfaktor stets dem jeweiligen Stundenlohn (oder, was im Ergebnis dasselbe ist, dem Akkordrichtsatz) zu entnehmen, sondern berührten die „zur Anwendung kommenden Zeit- und Geldfaktoren" als solche gar nicht und verlangen eine Änderung nur insoweit, „daß bei normaler Leistung der neue Akkordrichtsatz erreicht wird". Hätten die Tarifvertragsparteien aber den in ihren Wirtschaftszweigen bestehenden und ihnen doch offensichtlich bekannten Zustand, daß nicht ganz wenige Betriebe überhöhte Zeiten und dementsprechend wenigstens aller Wahrscheinlichkeit nach einen nicht aus dem jeweiligen Tariflohn entnommenen Geldfaktor anwendeten, durch den R T V rechtlich endgültig beenden und den von der Revision vorgetragenen rechtlichen Zustand schaffen wollen, so hätten sie — gerade mit Rücksicht auf den entgegengesetzten tatsächlichen Zustand — mit klaren Worten diese ihre Absicht gesagt und eindeutig in § 7 Ziffer 1 RTV zum Ausdruck gebracht, daß als Zeit für eine bestimmte Arbeitsverrichtung diejenige Zeit vorzugeben ist, die der Arbeiter mit normaler Leistungsfähigkeit berufsüblich bei einwandfreier Arbeit nach erfolgter Einarbeitung und voller Übung mit den vorgesehenen Betriebsmitteln und unter den in den Betrieben bestehenden Verhältnissen für diese Arbeitsverrichtung sowie für die Befriedigung seiner persönlichen Bedürfnisse und die Erholung benötigt, und daß der Geldfaktor — als Akkordminutenlohn — V«o des Akkordrichtsatzes betragen müsse. Gerade dies haben sie aber unterlassen. Dieses Verhalten der Tarifpartner mag auch darin eine Erklärung finden, daß sie den Betrieben die Freiheit haben lassen wollen.
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ein arbeitswissenschaftliches System, das den Akkordzuschlag dem Geldfaktor zuschlägt (Refasystem), oder ein anderes System zu wählen, das den Akkordzuschlag den Zeiten zufügt.
III. Auch die „Erläuterungen", die den Rang eines Tarifvertrages haben (BAG 1, 147 [151/152]), ergeben, wie das Landesarbeitsgericht richtig ausführt, eine solche Bindung nicht. 1. Sie betonen in Ziffer A 2 Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich, daß eine bestimmte Form der Akkordberechnung nicht vorgeschrieben ist; als mögliche Formen meinen sie offenbar nicht nur die beiden im folgenden Satz 3 für zulässig erklärten Möglichkeiten des Zeit- und Geldakkordes, sondern darüber hinaus überhaupt die ganze Art der Berechnung. Nicht nur ist der Ausdruck „Akkordberechnung" ganz allgemein gehalten und Satz 3 von Satz 2 nicht durch ein Semikolon, sondern durch einen Punkt getrennt. Vor allem ist Satz 2 innerlich auch nur verständlich, wenn man ihn in Verbindung mit Satz 1 liest, wonach bei Akkordarbeitern der tarifliche Anspruch erfüllt ist, wenn die Akkorde so vorgegeben sind, daß bei Erbringung der Normalleistung der Akkordrichtsatz erreicht wird. Die Erläuterungen verlangen, was die Revision verkennt, in Ziffer A 2 a auch nur für den Fall, daß die Zeiten „richtig vorgegeben" sind, die Anwendung des sich aus dem Lohnabkommen ergebenden Geldfaktors. Für den nach der Ansicht des Landesarbeitsgerichts hier vorliegenden Fall, daß die Zeiten überhöht sind, lassen sie aber in Ziffer A 2 b den Parteien des Arbeitsvertrages durch die Worte „ohne Rücksicht auf die zur Anwendung kommenden Zeit- und Geldfaktoren" die Freiheit, die überhöhten Zeiten beizubehalten, und verlangen als Lohnergebnis lediglich, „daß bei normaler Leistung der neue Akkordsatz erreicht wird". Mit diesem lohnmäßigen Ergebnis begnügen sich hier die „Erläuterungen" genau so wie der R T V ; ebensowenig wie dieser sagen sie etwas darüber aus, wie dieses Lohnergebnis erreicht werden muß, insbesondere nicht, daß der Geldfaktor in jedem Falle ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der Zeiten den jeweiligen tariflichen Zeitlohn widerzuspiegeln habe. 2. Dieses Ergebnis widerspricht auch nicht der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (BAG 1, 147), auf die die Revision ihre gegenteilige Ansicht weiterhin stützt. Allerdings hat der erkennende Senat in dieser Entscheidung (Seite 151, 152) die „Erläuterungen" dahin ausgelegt, daß der Geldfaktor allein durch den tariflichen Zeitlohn bestimmt werde. Der Senat ist für den damals entschiedenen Fall aber
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von der tatsächlichen Lage ausgegangen, daß ein Fall der Ziffer A 2 a dieser „Erläuterungen" vorliege, daß also die vorgegebenen Zeiten richtig sind. Daß der erkennende Senat darüber hinaus ganz allgemein in jedem Falle ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der Zeiten den Geldfaktor auf den tariflichen Zeitlohn hat festlegen wollen, ergibt das bezeichnete Urteil nicht. 3. Bei diesem Ergebnis braucht nicht noch geprüft zu werden, o b die Erläuterungen zum Schiedsspruch vom 26. September 1951 etwa durch § 14 Abs. 1 R T V überhaupt außer Kraft gesetzt worden sind und lediglich durch die Bezugnahme in § 3 Abs. 1 LTV 52 überhaupt wieder normative Wirkung haben erlangen können; diese Rechtsfrage ist bisher offen geblieben (BAG 3, 303 [308]). IV. Bindet hiernach die tarifliche Regelung den Geldfaktor nicht grundsätzlich in jedem Falle an den jeweiligen tariflichen Stundenlohn, so tut sie dies doch notwendigerweise für den Fall, daß die Zeiten objektiv richtig sind. Der Geldfaktor und der Zeitfaktor stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind wechselseitig voneinander abhängig; denn ihr rechnerisches Zusammenwirken muß so sein, daß es, bezogen auf normale Leistungen und normale Betriebsverhältnisse, zu dem in § 7 Ziffer 1 R T V bezeichneten Lohnergebnis, nämlich dem Akkordrichtsatz führt. Sind die Zeiten „überhöht" (d. h. höher, als ein normaler Arbeiter bei normalen Bedingungen für die betreffende Arbeitsverrichtung an Zeit benötigt, natürlich unter Ausklammerung des etwa der Zeit zugefügten Akkordzuschlages), so kann tarifrechtlich der Geldfaktor im Verhältnis dieser Überhöhung unter dem tariflichen Zeitlohn (oder für den hier nicht vorliegenden Fall, daß der Akkordzuschlag im Geldfaktor enthalten ist: unter dem Akkordrichtsatz) zurückbleiben; auch dann erreicht der Arbeiter mit normaler Leistungsfähigkeit und unter normalen Betriebsverhältnissen immer noch den Akkordrichtsatz. Sind die Zeiten dagegen richtig bemessen (und lediglich der Akkordzuschlag den Zeiten hinzugefügt), so muß der Geldfaktor notwendigerweise mindestens dem tariflichen Zeitlohn (beim Akkordminutenlohn: dem 60. Teil dieses Betrages) gleichkommen; denn sonst könnte der effektive Lohn des unter normalen Betriebsverhältnissen arbeitenden normalleistungsfähigen Arbeiters den Akkordrichtsatz nicht erreichen. Es kommt daher darauf an, ob die Zeiten, die die Beklagte dem Kläger in dem hier zur Rede stehenden Zeitraum vorgegeben hat, überhöht sind oder nicht. Sind sie, wie der Kläger behauptet, nicht überhöht.
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also richtig, so ist die Klage begründet. Andernfalls, d. h. wenn die dem Kläger während des hier streitigen Zeitraums vorgegebenen Zeiten — natürlich nach Abzug des ihnen zuzuschlagenden Akkordzuschlags — verhältnismäßig mindestens um so viel überhöht sind, wie der tatsächlich angewandte Geldfaktor von 1,45 DM hinter dem tariflichen Zeitlohn von 1,48 DM zurückbleibt, scheidet jedenfalls die tarifliche Regelung als Klagegrundlage aus. Das Landesarbeitsgericht stellt auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen A. tatsächlich fest, „daß die Zeiten um 4 0 % überhöht sind" (Seite 14 des Urteils). Formelle Rügen hat die Revision gegen diese tatsächliche Feststellung nicht erhoben. Wohl aber sind die Überlegungen, die das Landesarbeitsgericht anstellt, um zu der bezeichneten tatsächlichen Feststellung zu gelangen, nicht frei von einem möglichen Gedankenfehler und einem möglichen Widerspruch. Dies rügt die Revision mit Recht. Auf der einen Seite geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß der Kläger einen Verdienst von „durchschnittlich 30 % über dem Tariflohn" erzielt habe (Seite 14 des Urteils). Was das Landesarbeitsgericht hier unter „Tariflohn" versteht, sagt es nicht ausdrücklich; es kann den tariflichen Zeitlohn (unten a) oder den Akkordrichtsatz (unten b) meinen. a) Überstieg der Effektivverdienst des Klägers nur den tariflichen Zeitlohn um 3 0 % , so ist die Lage folgende: 1 5 % über dem Zeitlohn liegt nadht § 7 Ziffer 1 R T V schon der Akkordrichtsatz und damit jedenfalls der Effektivlohn des unter normalen Betriebsverhältnissen arbeitenden normal leistungsfähigen Akkordarbeiters. Der Kläger hat dann aber durch seinen den Zeitlohn um 30 % übersteigenden Verdienst eben nur 1 5 % über dem Akkordrichtsatz verdient. Andererseits waren nach der Ansicht des Landesarbeitsgerichts die Zeiten um 4 0 % überhöht. Bei einer solchen Überhöhung hätte der normale Arbeiter fast 4 0 % über dem Akkordrichtsats (nicht über dem tariflichen Stundenlohn) effektiv verdienen müssen; denn der zur Anwendung gebrachte Geldfaktor lag nur unbedeutend, nämlich, wie das Landesarbeitsgericht richtig annimmt, nur 2 % unter dem tariflichen Zeitlohn. Der Kläger hat aber, wie ausgeführt, nach der möglichen Ansicht des Landesarbeitsgerichts nur 1 5 % über dem Akkordrichtsatz verdient; ein solcher effektiver Minderverdienst gegenüber dem normalen Arbeiter könnte nur auf eine entsprechende Minderleistungsfähigkeit des Klägers zurückgeführt werden. b) Hat das Landesarbeitsgericht aber gemeint, der Kläger habe 3 0 % über dem Akkordrichtsatz und nicht über dem tariflichen Zeitlohn ver-
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dient, so blieb gleichfalls seine Leistungsfähigkeit hinter der des normalen Arbeiters mindestens, wenn auch geringfügig, zurück; denn für diesen hätte notwendigerweise die 4 0 %ige Überhöhung der Zeiten — bei einem Geldfaktor, der 98 %> des tariflichen Zeitlohnes entsprach — sich dahin auswirken müssen, daß sein Effektivverdienst annähernd 4 0 %> und nidit nur 30 % über dem Akkordrichtsatz lag. c) Mit dieser in beiden erörterten Möglichkeiten notwendigerweise anzunehmenden Minderleistungsfähigkeit des Klägers ist es ganz unvereinbar, daß das Landesarbeitsgericht gleichzeitig in einem gewissen Ausmaß auch von übernormalen Leistungen des Klägers ausgeht. d) Dieser Widerspruch wird auch nicht durch die im Tatbestand wiedergegebenen Angaben des Sachverständigen aus der Welt geschafft, daß die überhöhten Zeiten sich wegen des ständigen Wechsels der Akkorde nicht auf den Effektivlohn in vollem Umfange ausgewirkt hätten. Wenn der Sachverständige, wie für die Revision als möglich angenommen werden muß, damit etwa hat sagen wollen, daß der ständige Wechsel im Arbeitsplatz oder der Arbeitsverrichtung und damit im Akkord eine Übung des Klägers in der einzelnen Akkordtätigkeit verhindert habe, so liegt es nahe, daß das Landesarbeitsgericht, das nach den Feststellungen des Urteils dem Sachverständigen insoweit gefolgt ist, den Begriff der normalen Leistung und der normalen Betriebsverhältnisse im Sinne des § 7 Ziffer 1 R T V verkannt hat. Allerdings läßt § 7 Abs. 1 Satz 2 R T V die normale betriebsübliche Leistung, auf die der Akkordrichtsatz aufgebaut ist, erst „nach erfolgter Einarbeitung und voller Übung" beginnen. Damit sind aber keine abstrakte Einarbeitung und keine abstrakte volle Übung gemeint, sondern die Einarbeitung und Übung, die sich „aus den im Betriebe bestehenden Verhältnissen" ergeben, an die die Vorschrift weiterhin anknüpft. Wechseln die Akkordarbeiten im Betriebe ständig und wird durch diesen ständigen Wechsel dem einzelnen Akkordarbeiter die Möglichkeit genommen, eine besondere Fertigkeit und Schnelligkeit bei der Ableistung der ihm aufgegebenen Arbeitsverrichtungen zu erlangen, so wäre es nämlich sinnwidrig, ihm noch keine erfolgte Einarbeitung und volle Übung zuzubilligen; für die Verhältnisse der Arbeitsumwelt, in der er seine Arbeit verrichten muß, auf die nach Treu und Glauben abzustellen ist, also für die Verhältnisse dieses Betriebes, der seine Arbeiter die einzelnen Arbeitsverrichtungen ständig wechseln läßt, hat er sich voll eingearbeitet, und ist er in voller Übung. Daß er etwa in anderen Betrieben durch viel längere Tätigkeit in einem und demselben Arbeitsgang eine viel größere Einarbeitung und Übung erlangen kann, kann für
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den tatsächlich anders gearteten Betrieb der Beklagten nicht ins Gewicht fallen. e) Der Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, daß die Zeiten um 4 0 % überhöht seien, läßt zudem nicht klar erkennen, ob es bei dieser Feststellung berücksichtigt, daß der Akkordzuschlag offenbar im Geldfaktor nicht enthalten ist. Dann ist er nämlich, wenn er nicht etwa in anderer Form berücksichtigt ist, den Zeiten zuzuschlagen. V. Daß die Beklagte mit dem Betriebsrat in der in § 52 Abs. 2 Satz 2 BetrVG vorgeschriebenen Schriftform Vereinbarungen über die Berechnung des Geldfaktors abgeschlossen habe, ergeben weder der Tatbestand des angefochtenen Urteils noch die zur Ausräumung etwaiger Mißverständnisse in der Revision erläuternd aufgestellten Behauptungen der Parteien. Die Ausführungen, die das Landesarbeitsgericht zu etwaigen Betriebsvereinbarungen macht, entbehren also der tatsächlichen Grundlage. Ob eine Betriebsvereinbarung, die den Geldfaktor ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der Zeiten an den jeweiligen tariflichen Zeitlohn bindet, gegen § 59 BetrVG verstößt und deswegen unwirksam ist (BAG 5, 226 [228]), braucht daher nicht entschieden zu werden. VI. Neben der tariflichen Regelung, die nach dem zu II bis I V Erörterten die Klage nur begründen kann, falls das Landesarbeitsgericht bei seiner weiteren Aufklärung die Richtigkeit der dem Kläger für die fragliche Zeit vorgegebenen Zeiten bejaht, und einer hier nicht infrage kommenden Betriebsvereinbarung kommt der besondere Inhalt des Einzelarbeitsvertrages als Klagegrundlage in Betracht. Der Einzelarbeitsvertrag des Zeitakkordarbeiters kann den Inhalt haben, daß — ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgegebenen Zeiten — als Geldfaktor stets der jeweilige tariflich Stundenlohn anzuwenden ist. 1. Die hier geltende tarifliche Regelung stellt lediglich einen Akkordrichtsatz auf und regelt dabei nur das lohnmäßige Ergebnis; im übrigen überläßt sie die Art und Weise, wie der Akkordlohn, beim Zeitakkord insbesondere der Geldfaktor und der Zeitfaktor, im einzelnen berechnet werden, den den Tarifvertrag ausführenden Betrieben (s. oben II). Die Regelung dieser Einzelheiten liegt dann im tariffreien Raum; sie wird durch die tarifliche Regelung nur von dem vom Tarifvertrag verlangten Lohnergebnis (Akkordrichtsatz) her eingeschränkt: Die Anwendung der einzelvertraglich geregelten Einzelheiten muß zu dem
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Ergebnis führen, daß der normalleistungsfähige Arbeiter bei normalen Verhältnissen mindestens den Akkordrichtsatz verdient. 2. Fehl geht die auch vom Landesarbeitsgericht nicht geteilte Ansicht, daß die Faktoren des Zeitakkordes nicht Gegenstand der arbeitsvertraglichen Bindung sein könnten. a) Wenn ein Arbeitgeber sich zu dem Zeitakkord entschließt, so gibt er eben — der den Zeitakkord wesenhaft kennzeichnenden Berechnungsart entsprechend — nicht, wie beim Stückakkord, lediglich das Produkt des Zeitfaktors und Geldfaktors seinen Akkordarbeitern vor. Sonst würde es unverständlich sein, daß er den Akkordarbeitern gegenüber überhaupt den Akkord in die beiden Faktoren zerlegt; er hätte sich auf den Stücklohn beschränken und die Art der Berechnung als eine interne Maßnahme seinen Akkordarbeitern vorenthalten können. Durch die Wahl des Zeitakkords bringt er zum Ausdruck, daß er eben nicht, wie beim Stückakkord, für das geleistete Stück eine bestimmte Arbeitsvergütung bezahlen will. Vielmehr wählt er die verfeinerte, dem Zeitakkord eigene Berechnung der Akkordvergütung, indem er die einzelnen Faktoren seinen Akkordarbeitern sichtbar macht. Im Gegensatz zum Stückakkord wird beim Zeitakkord nicht einfach für je eine bestimmte Arbeitsverrichtung (Leistungseinheit) eine bestimmte Akkordvergütung ausgeworfen, sondern für jede der vielzähligen möglichen Leistungseinheiten wird — sei es durch empirische Schätzung, sei es durch eine arbeitswissenschaftliche Methode — die zur Erzielung dieser Leistungseinheit normalerweise erforderliche Zeit angesetzt, den Akkordarbeitern mitgeteilt und dann mit dem festgesetzten Geldfaktor sowie der Zahl der Leistungseinheiten vervielfältigt und so der Effektiwerdienst ermittelt. Dadurch erhalten die einzelnen Faktoren regelmäßig eine Selbständigkeit und werden deswegen gegebenenfalls Gegenstand der einzelvertraglichen Bindung. Die Ansicht der Beklagten, daß dem Arbeitnehmer die Berechnungsart uninteressant und nur das Lohnergebnis wichtig sei, geht an der Auffassungsgabe des durchschnittlichen Arbeiters vorbei. Richtig ist, daß, betriebswirtschaftlich gesehen, der Zeitakkord zu dem gleichen Ergebnis führt wie ein in gleicher Weise errechneter Stückakkord. Dieses übereinstimmende betriebswirtschaftliche und lohnmäßige Ergebnis bewirkt aber noch nicht auch die Gleichheit der Rechtslage. Auch daß die Zeiten beim Zeitakkord neben der Lohnberechnung betriebswirtschaftlich noch der Kalkulation und der Rationalisierung dienen, schließt nicht aus, daß sie ebenso wie der Geldfaktor Gegenstand der arbeitsvertraglichen Bindung sein können.
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b) Eine solche arbeitsvertragliche Gestaltung der Faktoren widerspricht auch nicht der tariflichen Regelung. Allerdings legen § 7 Ziffer 1 R T V und — für den hier in Frage kommenden Fall der erhöhten Zeiten — die „Erläuterungen" nur auf das Lohnergebnis Wert, nämlich darauf, daß der normale Arbeitnehmer bei der Anwendung des Zeitfaktors und des Geldfaktors in der Stunde mindestens den Akkordrichtsatz verdient. Wenn die Tarifverträge auf diese Weise nur das Lohnergebnis ansprechen, so geben sie eben nur eine Rahmenbestimmung für die Bemessung beider Faktoren und besagen, daß beide Faktoren dem Tarifvertrag genügen, wenn sie im Zusammenwirken das bezeichnete Ergebnis erzielen. Dagegen besagen sie nicht darüber hinaus auch noch, daß die Faktoren, wenn sie einmal in diesem Rahmen betrieblich festgelegt und angewandt sind, jeder selbständigen einzelvertraglichen Bedeutung entbehren und — entsprechend ihrer wechselseitigen Abhängigkeit (Korrelation) — vom Arbeitgeber nun wieder beliebig verändert werden dürften, sofern nur das tarifliche Ergebnis, nämlich für den Normalarbeiter unter normalen Verhältnissen der Akkordrichtsatz, gewährleistet bleibt. c) Offenbar geht auch der R T V in § 7 Ziffer 6 und 7 davon aus, daß die Faktoren einzelvertraglich festgelegt werden. Denn er läßt, worauf die Revision richtig hinweist, die einseitige Änderung durch den Arbeitgeber nicht ohne weiteres, sondern eben nur unter ganz bestimmten (hier nicht erfüllten) Voraussetzungen zu; Ziffer 7 ist dabei als das grundsätzliche Verbot der einseitig vorgenommenen Änderung anzusehen. Nach § 7 Ziffer 6 R T V hat nämlich nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch der Arbeitgeber die Möglichkeit, ohne Änderungskündigung oder besondere Änderungsvereinbarung, also im Rahmen des laufenden Arbeitsvertrages, eine Berichtigung des Akkordsatzes, beim Zeitakkord also der Vorgabezeit, herbeizuführen und zwar in dem dort bezeichneten Verfahren. Danach muß der Arbeitgeber, wenn er die Akkordsätze ändern will, entweder ein sachverständiges Mitglied des Betriebsrates oder eine betriebliche Akkordkommission hinzuziehen; nur im Verein mit ihr soll er die Akkordsätze neu festsetzen dürfen. Diese Vorschrift würde, wenigstens soweit sie den Arbeitgeber angeht, unverständlich sein, wenn er selbst an die Akkordsätze nicht gebunden wäre und sie von sich aus, weil er sie für unrichtig hält, einseitig nach Gutdünken abändern dürfte. Allerdings spricht der R T V in § 7 Ziffer 6 nur allgemein von den „vorgegebenen Akkorden", meint aber damit, wie unter III 1 schon ausgeführt, entsprechend den in § 7 Ziffer 1 R T V zugelassenen beiden Mög-
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lichkeiten des Akkords, nämlich des Stückakkordes (Geldakkordes) und des Zeitakkordes, auch diese beiden Akkordarten. 3. O b die Einzelheiten, wie sie tatsächlich in den Betrieben gehandhabt werden, rechtlich auf Grund einer einseitigen Erklärung des Arbeitgebers nach § 3 1 5 BGB oder auf Grund einer ursprünglichen Einigung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer festgelegt werden, erörtert das Landesarbeitsgericht nicht und bedarf auch hier keiner vertiefenden rechtlichen Erörterung. Bei beiden rechtlichen Möglichkeiten tritt jedenfalls in gleicher Weise die hier allein interessierende Frage auf, wie lange eine einmal erfolgte Regelung nach dem Inhalt des Einzelarbeitsvertrags rechtlich Bestand haben soll. a) Daß die Regelung nicht nur für diejenige Lohnperiode, in der sie praktisch gehandhabt wird, sondern auch darüber hinaus für eine gewisse Z u k u n f t rechtliche Geltung haben sollte, entspricht der Erfahrung des Lebens. Denn es würde eine Unordnung bedeuten und jede Übersichtlichkeit rauben, wenn in der einen Lohnperiode in der einen Weise, in der nächsten wieder in ganz anderer Weise und so fort verfahren würde. Es würde auch das gegenseitige Vertrauensverhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer untergraben, wenn der Arbeitgeber etwa bei einer künftigen Lohnperiode ohne vernünftigen Grund einseitig andere Faktoren als die bisherigen der Berechnung zugrunde legen dürfte. Auch im vorliegenden Falle ist, in gewissen Zeiträumen, die Regelung die gleiche geblieben. b) Diese mögliche Bindung der Parteien des Einzelarbeitsvertrages kann natürlich nur solange Bestand haben, wie die der Berechnung zugrunde liegende Situation die gleiche bleibt. Ändert sie sich, z. B. durch die Verwendung neuer Maschinen, eines neuen Materials oder durch eine neue Arbeitsmethode, so ist die bisherige Bestimmung des Zeitfaktors ihrem Wesen nach gegenstandslos geworden und der Raum frei für eine ursprüngliche neue Festlegung des Zeitfaktors, möglicherweise auch des Geldfaktors mit der oben gekennzeichneten Wirkung. Eine solche Freistellung von der bisherigen Bindung bestätigt auch § 7 Ziffer 7 RTV ausdrücklich. Sonst sind die Parteien des Einzelarbeitsvertrags eben an die einmal rechtlich festgelegte Bestimmung der Faktoren gebunden und können von dieser Bestimmung nur durch eine Änderungskündigung abgehen. Freilich können der Tarifvertrag, wie z. B. der § 7 Ziffer 6 und 7 RTV, und im Rahmen tariflicher und etwaiger betriebsverfassungsrechtlicher (z. B. Betriebs Vereinbarung) Möglichkeiten auch der Einzelarbeitsvertrag Änderung ohne Kündigung vorsehen.
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c) Zweifelhaft kann nur sein, ob die bezeichnete Bindung der Parteien des Einzelarbeitsvertrags an die einmal angewandten Faktoren nach der Lebenserfahrung sich auf die zeitliche Geltungsdauer der jeweiligen lohntariflichen Regelung beschränkt oder diese Geltungsdauer übergreift. Hier wird es auf die besonderen Verhältnisse z. B. des einzelnen Wirtschaftszweiges oder des einzelnen Betriebes ankommen. Die Zeiten werden nach der Lebenserfahrung meist als tarifbeständig angesehen werden können. Denn wie lange Zeit ein Arbeiter für eine bestimmte Arbeitsverrichtung benötigt, ist von der Höhe des jeweilig geltenden Zeitlohnes ganz unabhängig; es ist ja gerade von Hause aus und an sich der Sinn der vorgegebenen Zeiten, eine objektive, von den sozialen Spannungen unabhängige Grundlage für die Bemessung des Lohnes zu gewinnen. Ganz besonders wird dies gelten, wenn die vorgegebenen Zeiten nicht geschätzt, sondern durch eine arbeitswissenschaftliche Methode gemessen und diese Messungen praktiziert worden sind; es wäre ganz sinnlos, bei jeder tariflichen Lohnänderung neue Zeiten zu messen. Ein solcher Fall von arbeitswissenschaftlich ermittelten Zeiten liegt hier aber nicht vor. d) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können die Zeiten nicht nur als die — ohne Rücksicht auf ihre Richtigkeit — einfach anzuwendenden, sondern auch als die in jedem Falle allein richtigen vereinbaren. Eine solche Vereinbarung kann nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit auch lediglich geschätzte Zeiten (wie hier) — mögen sie nun objektiv richtig oder falsch geschätzt sein — zum Gegenstande haben. Dann liegt aber der Schluß nahe, daß eine solche Vereinbarung die weitere Vereinbarung als selbstverständlich einschließt, als Geldfaktor solle der jeweilige tarifliche Stundenlohn gelten. Denn den richtigen Zeiten entspricht notwendig ein Geldfaktor in der Mindesthöhe des tariflichen Zeitlohnes (gegebenenfalls des Akkordrichtsatzes), wie oben zu IV ausgeführt ist. Die Einigung über die Richtigkeit des einen Faktors hat — wenigstens im allgemeinen — eben nur Sinn, wenn auch der andere Faktor gleichzeitig festgelegt wird, und verliert wegen der wechselseitigen Abhängigkeit beider Faktoren von einander an Wert, wenn der andere Faktor gleichzeitig in der Schwebe gelassen wird. Erwägungen in der aufgezeigten Richtung läßt das angefochtene Urteil vermissen. 4. Der hier angewandte Geldfaktor ist im September 1948 auf den tariflichen Stundenlohn angehoben worden und seitdem bis zum Beginn des Jahres 1953, also mehr als vier Jahre hindurch und über die durch
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den Schiedsspruch vom 26. September 1951 wohl erfolgte Lohnerhöhung hinweg, mit Zustimmung des Betriebsrates, also jedenfalls betriebsverfassungsrechtlich einwandfrei, für alle in Betracht kommenden Schichten der Arbeitnehmer auf der Höhe des jeweiligen tariflidien Zeitlohnes geblieben. O b hieraus zu schließen ist, daß die Parteien einzelvertraglich sich dahin gebunden haben, daß, zum mindesten unter dem Gesichtspunkt der günstigeren Regelung, als Geldfaktor auch in der Zukunft der jeweilige tarifliche Zeitlohn — ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgegebenen Zeiten — anzuwenden sei, ist eine Tatfrage, die die Tatsacheninstanz zu entscheiden hat. a) Das Landesarbeitsgericht stellt (Seite 6 und 7 des Urteils) fest, „daß eine Vereinbarung . . . . zwischen den Parteien darüber, daß der jeweilige Tariflohn beim Zeitakkord als Geldfaktor anzusehen sei, nicht vorliegt". Diese Tarifunbeständigkeit des Geldfaktors entnimmt das Landesarbeitsgeridit dem Umstände, daß die Beklagte mit dem Inkrafttreten eines neuen Lohnabkommens stets eine neue Vereinbarung mit dem Betriebsrat getroffen und dabei zwar den „Tariflohn" (gemeint ist der tarifliche Stundenlohn) als den Geldfaktor festgesetzt habe, „jedoch stets in Wechselwirkung zu einer Senkung der Akkordzeiten". b) Diese Erwägungen, auf die das Landesarbeitsgericht seine tatsächliche Feststellung stützt, sind nicht frei von einem möglichen Widerspruch "und können daher keinen Bestand haben. Das Landesarbeitsgericht übersieht, daß die Beklagte mit ihrem Betriebsrat nicht stets, wie das Landesarbeitsgericht (Seite 7 des Urteils) meint, die Zeiten gesenkt hat, wenn sie nach einer tariflichen Lohnerhöhung den tariflichen Stundenlohn als Geldfaktor neu festgelegt hat. Mindestens zwischen dem Lohnabkommen, das am 1. Mai 1950 in Kraft trat, und dem L T V 52 liegt der Schiedsspruch vom 26. September 1951, der offenbar die Löhne erhöht hat. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts blieb andererseits in der Zeit vom Inkrafttreten des Lohnabkommens im Mai 1950 bis zum Beginn des Jahres 1953, also über den Schiedsspruch vom 26. Sepember 1951 hinweg, die 12°/oige Kürzung unverändert, die die Beklagte im Mai 1950 vorgenommen hatte und die das Landesarbeitsgericht im Ergebnis für eine Kürzung der Zeiten hält. VII. Der Maßnahme, durch die die Beklagte den Geldfaktor für den Kläger auf 1,45 D M festgesetzt hat, hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der Betriebsrat nicht zugestimmt. Daß seine fehlende Zustimmung durch eine Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt
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worden sei, ergibt der festgestellte Sachverhalt nicht. Das Landesarbeitsgericht mißt diesem Fehlen der Mitbestimmung des Betriebsrates keine Erheblichkeit zu; die früheren mit dem Betriebsrat geschlossenen „Vereinbarungen" hätten, so führt das Landesarbeitsgericht aus, nur für die Dauer des jeweiligen Lohnabkommens gelten sollen; da der Beklagte mit dem Betriebsrat eine neue Betriebsvereinbarung noch nicht abgeschlossen habe, könne der Kläger eben nur auf den Tarifvertrag seine Ansprüche stützen. Jedenfalls im Ergebnis ist der Ansicht des Landesarbeitsgerichts, daß die fehlende Mitwirkung des Betriebsrats zu keinem dem Kläger günstigen Ergebnis führt, zuzustimmen. 1. Allerdings übersieht das Landesarbeitsgericht anscheinend, daß die Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 56 Abs. 1 BetrVG nicht der im § 52 Abs. 2 BetrVG für die Betriebsvereinbarung vorgeschriebenen Schriftform bedarf, sondern daß in diesen Fällen eine formlose Zustimmung des Betriebsrates genügt (BAG 3, 207 [212]). Aber auch formlos hat der Betriebsrat hier ja nicht zugestimmt. 2. Jedenfalls hat die Beklagte einseitig, ohne Mitwirkung des Betriebsrates und ohne Vereinbarung mit dem Kläger, seit dem 1. Januar 1953 den Geldfaktor von 1,38 DM auf 1,45 DM heraufgesetzt. Auch wenn der Standpunkt der Revision zutreffen sollte, daß diese Maßnahme der Beklagten wegen des Fehlens der Zustimmung des Betriebsrates rechtlich unbeachtlich sei, so führt dies für sich allein doch nicht dazu, daß aus betriebsverfassungsrechtlichen Gründen gerade der vom Kläger verlangte Geldfaktor von 1,48 DM zu gelten hat. Dies scheitert schon daran, daß die Betriebsleitung eine solche Festsetzung nicht vorgenommen hat; dem Betriebsrat allein fehlt die Befugnis zum Erlaß betriebsordnender Maßnahmen; von selbst tritt ein derartiges Ergebnis betriebsverfassungsrechtlich nicht ein. 3. Andererseits konnte der Umstand, daß nach dem Inkrafttreten des LTV 52 eine Einigung der Betriebsleitung der Beklagten und des Betriebsrates über den nunmehr anzuwendenden Geldfaktor ausgeblieben ist, den Kläger nicht rechtlos machen. Vielmehr blieb sein Arbeitsvertrag mit dem bisherigen Inhalt, der der Regelung entspricht, der der Betriebsrat früher zugestimmt hatte, bestehen und wurde durch das Fehlen der bezeichneten Einigung nicht unterbrochen oder geändert. Das Fehlen der etwa erforderlichen Zustimmung des Betriebsrates zu dem seit dem 1. Januar 1953 von der Beklagten angewandten Geldfaktor führt also letzten Endes nur zu dem Inhalt des Einzelarbeitsvertrages zurück. 13 Entscheid, d. BAG. 6
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Hatte der bisherige Einzelarbeitsvertrag den besonderen Inhalt, daß der jeweilige tarifliche Stundenlohn als Geldfaktor — ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der Zeiten — anzuwenden sei, so war die Beklagte an diesen Vertrag gebunden und konnte ihn nicht einseitig ändern; ihre Festsetzung des Geldfaktors auf nur 1,45 DM und nidht auf den vollen tariflichen Stundenlohn von 1,48 DM war schon aus diesem Grunde unwirksam. Es braucht nicht noch geprüft zu werden, ob sie auch noch wegen des Fehlens der Zustimmung des Betriebsrates der rechtlichen Wirkung entbehrte. Hatte der Arbeitsvertrag des Klägers dagegen nicht den bezeichneten besonderen Inhalt, so kann der Kläger überhaupt nur unmittelbar aus dem RTV und dem LTV 52 seine Ansprüche herleiten; sein Anspruch ist nur dann begründet, wenn die ihm vorgegebenen Zeiten richtig waren (oben IV). In diesem Falle steht ihm schon tarifvertraglich der geltend gemachte Anspruch zu; der tarifvertragliche Anspruch hängt von der Mitwirkung des Betriebsrates nicht ab. VIII. Das Erörterte ist zu dem folgenden Ergebnis zusammenzufassen: 1. Aus der tariflichen Regelung steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nur zu, wenn die ihm für die fragliche Zeit vorgegebenen Zeiten nicht überhöht, sondern objektiv richtig waren. Ob dies der Fall ist, wird das Landesarbeitsgericht erneut unter Berücksichtigung der Ausführungen zu IV zu prüfen haben. 2. Sonst steht dem Kläger der Anspruch nur zu, wenn sein Einzelarbeitsvertrag den besonderen Inhalt hatte, daß — unabhängig von der objektiven Richtigkeit der ihm vorgegebenen Zeiten — der jeweilige tarifliche Stundenlohn als Geldfaktor anzuwenden sei. Auch dies wird das Landesarbeitsgericht erneut entsprechend den Ausführungen zu VI erörtern müssen. 30 1. Sind beim Zeitakkord die vorgegebenen Zeiten richtig und enthalten sie nicht den Akkordzuschjag, so darf der Geldfaktor nicht niedriger als der Akkordrichtsatz sein. 2. Sind beim Zeitakkord die Zeiten durch genaue Zeitmessungen nadi einem arbeitswissenschaftlidien Verfahren festgestellt und in dieser Höhe widerspruchslos angewandt, so können sie gleichwohl objektiv falsch sein; der erste Anschein spricht allerdings dafür, daß sie richtig sind.
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Hatte der bisherige Einzelarbeitsvertrag den besonderen Inhalt, daß der jeweilige tarifliche Stundenlohn als Geldfaktor — ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der Zeiten — anzuwenden sei, so war die Beklagte an diesen Vertrag gebunden und konnte ihn nicht einseitig ändern; ihre Festsetzung des Geldfaktors auf nur 1,45 DM und nidht auf den vollen tariflichen Stundenlohn von 1,48 DM war schon aus diesem Grunde unwirksam. Es braucht nicht noch geprüft zu werden, ob sie auch noch wegen des Fehlens der Zustimmung des Betriebsrates der rechtlichen Wirkung entbehrte. Hatte der Arbeitsvertrag des Klägers dagegen nicht den bezeichneten besonderen Inhalt, so kann der Kläger überhaupt nur unmittelbar aus dem RTV und dem LTV 52 seine Ansprüche herleiten; sein Anspruch ist nur dann begründet, wenn die ihm vorgegebenen Zeiten richtig waren (oben IV). In diesem Falle steht ihm schon tarifvertraglich der geltend gemachte Anspruch zu; der tarifvertragliche Anspruch hängt von der Mitwirkung des Betriebsrates nicht ab. VIII. Das Erörterte ist zu dem folgenden Ergebnis zusammenzufassen: 1. Aus der tariflichen Regelung steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nur zu, wenn die ihm für die fragliche Zeit vorgegebenen Zeiten nicht überhöht, sondern objektiv richtig waren. Ob dies der Fall ist, wird das Landesarbeitsgericht erneut unter Berücksichtigung der Ausführungen zu IV zu prüfen haben. 2. Sonst steht dem Kläger der Anspruch nur zu, wenn sein Einzelarbeitsvertrag den besonderen Inhalt hatte, daß — unabhängig von der objektiven Richtigkeit der ihm vorgegebenen Zeiten — der jeweilige tarifliche Stundenlohn als Geldfaktor anzuwenden sei. Auch dies wird das Landesarbeitsgericht erneut entsprechend den Ausführungen zu VI erörtern müssen. 30 1. Sind beim Zeitakkord die vorgegebenen Zeiten richtig und enthalten sie nicht den Akkordzuschjag, so darf der Geldfaktor nicht niedriger als der Akkordrichtsatz sein. 2. Sind beim Zeitakkord die Zeiten durch genaue Zeitmessungen nadi einem arbeitswissenschaftlidien Verfahren festgestellt und in dieser Höhe widerspruchslos angewandt, so können sie gleichwohl objektiv falsch sein; der erste Anschein spricht allerdings dafür, daß sie richtig sind.
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3. Die Vereinbarung der Parteien des Einzelarbeitsvertrags, daß die gemessenen Zeiten unter allen Umständen als richtig gelten, schließt regelmäßig die weitere Vereinbarung ein, daß als Celdfaktor (der den Akkordzuschlag enthält) der Akkordriditsatz anzuwenden ist. T V G § 4 (Zeitakkord) II. Senat. Urteil vom 24. 7. 1958 i. S. Fa. v. D. & Co. (Bekl.) w. B. (Kl.) 2 AZR 3 51/56. 1. Arbeitsgericht Rheine. —
II. Landesarbeitsgericht Hamm i. W .
Die Beklagte betreibt eine Spinnerei in Gro. (Westf.). Im SchußDrosselsaal dieser Spinnerei war der Kläger als Absetzer im Zeitakkord beschäftigt. Den Arbeitsvertrag der Parteien regelte die jedenfalls im Jahre 1955 insoweit noch geltende Tarifordnung für die gewerblichen Gefolgschaftsmitglieder in der Textilindustrie des Wirtschaftsgebietes WestfalenNiederrhein vom 31. Januar 1939 (kurz: T O ) ; dort heißt es in § 13: „1. Bei Akkordarbeit sind die Akkordsätze (Akkordlöhne) so festzusetzen, daß die mit gleichartigen Arbeiten beschäftigten Gefolgschaftsmitglieder nach einem bestimmten Schlüssel (Akkordregler) bei betriebsüblicher Leistung und unter den im Betriebe üblichen Arbeitsbedingungen einen bestimmten Vomhundertsatz (Akkordzuschlag) über dem in der Lohntarifordnung oder Betriebsordnung festliegenden Zeitlohn (Akkordbasis) gleichartiger Arbeiter verdienen (Akkordrichtsatz). Der als Akkordbasis dienende Zeitlohn darf nur unterschritten werden, wenn die Gründe für den Minderverdienst nachweislich in der Person des Gefolgschaftsmitgliedes liegen. 2. Akkordsätze- und Bedingungen sind den Akkordarbeitern vor Beginn der Arbeit schriftlich oder durch Aushang in dem Betriebe oder der Betriebsabteilung bekanntzugeben. 3. Bestehen über die Richtigkeit eines Akkordlohnes Meinungsverschiedenheiten, so hat der Führer des Betriebes den Akkord nachzuprüfen. Die Nachprüfung ist von dem Führer des Betriebes oder seinem Beauftragten gemeinsam mit einem Vertrauensmann durchzuführen. Ein erfahrener Arbeiter aus dem Kreise der beteiligten Gefolgschaftsmitglieder ist hinzuzuziehen. Erfolgt auch hiernach keine Einigung, so hat der Führer des Betriebes zu entscheiden. Die Anrufung des Reidistreuhänders der Arbeit nach § 16 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit wird durch dieses Verfahren nicht ausgeschlossen. 13'
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4. Eine Änderung festgesetzter und ausgeprobter Akkordlöhne zuungunsten der Gefolgschaft durch den Führer des Betriebes kann, soweit eine Einigung nicht zustande kommt, nur nach vorheriger Ankündigung unter Einhaltung einer siebentägigen Frist erfolgen. Eine Herabsetzung der Akkordlöhne ist außer im Falle offenbarer Unrichtigkeit der Akkordberechnung nur zulässig, wenn sie durch a) Änderung des Arbeitsganges oder der Art des Materials; b) technische Verbesserungen; c) wesentliche Änderung in der Stückzahl gleichzeitig zu bearbeitender Teile oder gleichzeitig zu bedienender Produktionsmittel begründet ist. Die Bestimmungen des Abs. 3 gelten entsprechend. 5 " Am 28. Juli 1949 vereinbarten die Beklagte und der Betriebsrat schriftlich die Einführurng des Zeitakkordes und die Anwendung der „RS Methode" (RS heißt „Richtige Stellenzahl"). Demgemäß ermittelte die Beklagte seit 1949 auf Grund von Zeitmessungen Zeitwerte und teilte das Ergebnis der Messungen den Betriebsangehörigen für den Schußdrosselsaal mit der Bekanntmachung vom 9. Februar 1950 mit; die Bekanntmachung hat der Betriebsratsvorsitzende unterschrieben. In der Bekanntmachung heißt es: „Diese Zeitwerte sind feststehende Normen und sind solange gültig, als die Arbeitsart die gleiche bleibt. Die Zeitwerte werden mit der Häufigkeit des Vorkommens malgenommen und ergeben damit die Akkordzeiten für eine bestimmte Menge (100 kg Garn). Die Akkordzeiten werden mit dem Geldfaktor des tariflichen Akkordrichtsatz multipliziert und sind Akkordlohnsätze. Der Akkordrichtsatz beträgt z. Zt. 90 Pfg. pro Std. und ergibt einen Geldfaktor von 90 Pf. pro Std. = 1 , 5 0 Pfg. pro min. 60 Min. pro Std. Tatsächlich wandte die Beklagte als den Geldfaktor zunächst den jeweiligen tariflichen Akkordrichtsatz an, auch als die tariflichen Zeitlöhne und damit der Akkordrichtsatz am 1. November 1950 und am 1. Mai 1951 erhöht wurden. Erst als der Lohntarifvertrag für die Arbeiter und Arbeiterinnen m der Textilindustrie der Regierungsbezirke Münster, Arnsberg und Osnabrück vom 16. März 1953 (kurz: LTV 53) mit Wirkung vom 1. Januar
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19 5 3 ab die Löhne erhöhte, wich sie ab. Nach Ziffer B dieses Tarifvertrages betrug der Akkordrichtsatz 119 Deutsche Pfennige; die Beklagte wandte aber einen Geldfaktor von 117,4 Deutschen Pfennigen an; hierauf hatte sie sich wegen ihrer damaligen ungünstigen wirtschaftlichen Lage mit dem Betriebsrat geeinigt. Der Tarifvertrag für die gleichen Arbeiter vom 16. Februar 1955 (kurz: LTV 5 5) setzte in Ziffer B den Akkordrichtsatz ab 1. Dezember 1954 auf 127 Deutsche Pfennige fest. Die Beklagte wandte aber seit dem 1. Februar 1955 einen Geldfaktor von 119 Deutschen Pfennigen an. Daß der Betriebsrat dem zugestimmt hat, stellt das Landesarbeitsgericht nicht fest. Beide Parteien sind Mitglieder der Tarifvertragsparteien der oben bezeichneten Lohntarifverträge. Für die Zeit vom 23. Mai bis zum 4. Juni 1955, während der der dem Kläger ausgezahlte Lohn über dem Akkordrichtsatz lag, verlangt der Kläger die Berechnung seines Akkordlohnes nach einem Geldfaktor von 127 Deutschen Pfennigen unter Zugrundelegung der bisherigen Zeiten und demnach den Mehrlohn in der rechnerisch nicht streitigen Höhe von 7,72 DM. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgeridit hat dagegen der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil aufgehoben und zurückverwiesen. Aus den
Gründen:
Dem Kläger steht der von ihm verlangte, auf Grund eines Geldfaktors von 127 Deutschen Pfennigen errechnete weitere Akkordlohn zu, wenn ihm — bei Anwendung der ihm tatsächlich vorgegebenen Zeiten — als Geldfaktor der jeweilige Akkordrichtsatz, also seit dem 1. Dezember 1954 ein Geldfaktor von 127 Deutschen Pfennigen, zustand. I. Die Frage, ob schon das Wesen des Zeitakkordes ergibt, daß der Geldfaktor — ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgegebenen Zeiten — an den jeweiligen tariflichen Stundenlohn gebunden ist, läßt das Landesarbeitsgericht dahingestellt sein. Diese Frage ist zu verneinen. Das hat der erkennende Senat in dem zur Aufnahme in die Amtliche Sammlung des Gerichts vorgesehenen Urteils vom 24. Juli 1958 — 2 AZR 287/55 — BAG6, 174 ff. erneut ausgeführt. Auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird verwiesen.
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II. Tariflich ist, entgegen der nicht näher begründeten Ansicht des Landesarbeitsgeridits, der Geldfaktor beim Zeitakkord nicht an den Zeitlohn gebunden. 1. Die in § 13 Ziffer 1 T O nur rahmenmäßig und in den Lohntarifverträgen durch genaue Zahlen festgelegten Akkordrichtsätze besagen über die nähere Bemessung des Geldfaktors beim Zeitakkord nichts. Sie erwähnen den Geldfaktor überhaupt nicht. Die Regelung des § 1 3 Ziffer 1 T O verlangt nur, daß der Akkordarbeiter „bei betriebsüblicher Leistung und unter den im Betriebe üblichen Arbeitsbedingungen" den Akkordrichtsatz verdient, begnügt sich also damit, allein auf das lohnmäßige Ergebnis abzustellen, und enthält sich jeder Regelung der weiteren Frage, wie der Geldfaktor und der Zeitfaktor im einzelnen zu bemessen sind. Für diese Auslegung ist es ohne Einfluß, ob die T O den Akkordrichtsatz auf der Leistung des normalen oder, wie die Revision meint, des durchschnittlichen Arbeiters des Betriebes aufbaut. 2. Die besondere Festlegung des Akkordrichtsatzes für Akkordarbeiter schon im LTV 53 und im LTV 55 ergibt nichts anderes; sie kann, da mangels näherer Regelungen nach wie vor von § 63 T O als Grundlage auszugehen ist, nur den Akkordrichtsatz meinen, von dem § 13 Ziffer 1 T O spricht, und hat daher entgegen der Ansicht des Klägers keine weitergehende Bedeutung. Die allerdings nur im Zusammenhang mit § 59 BetrVG geäußerte Ansicht des Landesarbeitsgerichts, daß „angesichts dieser klaren und erschöpfenden tariflichen Regelung der Akkordverdienste für deren betriebliche Regelung in bezug auf den Geldfaktor kein Raum bleibe", ist jedenfalls insoweit irrig, als sie eine feste Bindung des Geldfaktors an den Akkordrichtsatz ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgegebenen Zeiten annimmt. 3. Auch die Vorschriften des § 13 Ziffer 3 und 4 T O können für sich allein, was auch das Landesarbeitsgericht offenbar nicht annimmt, die Klage nicht stützen. § 13 Ziffer 3 T O regelt nur ein Verfahren zur Nachprüfung des Akkordes, wenn über die Richtigkeit eines „Akkordlohnes" Meinungsverschiedenheiten bestehen. § 13 Ziffer 4 T O schreibt für das Abgehen von den einmal festgesetzten und ausgeprobten „Akkordlöhnen" ebenfalls ein bestimmtes Verfahren vor und legt die genauen Bedingungen fest, unter denen überhaupt nur zu ungunsten des Arbeitnehmers eine Abänderung der Akkordlöhne zulässig ist. Indes hat die Beklagte den „Akkordlohn" des Klägers jedenfalls zu seinen Ungunsten gar nicht geändert. Die bisherigen Zeiten hat sie beibehalten. Den Geldfaktor hat
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sie von 117,4 auf 119 Deutsche Pfennige erhöht. Die Frage, ob sie rechtlich gehalten war, den Geldfaktor noch weiter, nämlich auf den Akkordrichtsatz von 127 Deutschen Pfennigen zu erhöhen, ist gerade der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits und müßte bejaht werden, bevor die Vorschrift des § 13 Ziffer 4 TO überhaupt zum Zuge käme. III. Bindet hiernach die tarifliche Regelung den Geldfaktor nicht grundsätzlich an den jeweiligen tariflichen Akkordrichtsatz, so tut sie dies doch denknotwendigerweise für den Fall, daß die Zeiten objektiv richtig sind. Der Geldfaktor und der Zeitfaktor stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind wechselseitig voneinander abhängig; denn ihr rechnerisches Zusammenwirken soll zu dem in § 13 Ziffer 1 T O bezeichneten Lohnergebnis führen. Sind die Zeiten „überhöht" (das heißt höher, als ein normaler oder, nach der Ansicht der Revision, ein durchschnittlicher Arbeiter unter den im Betrieb üblichen Arbeitsbedingungen für die betreffende Arbeitsverrichtung an Zeit benötigt), so kann der Geldfaktor im Verhältnis dieser Überhöhung den Akkordrichtsatz unterschreiten; auch dann erreicht der Arbeiter mit der normalen oder durchschnittlichen Leistungsfähigkeit immer noch den Akkordrichtsatz. Sind die Zeiten dagegen richtig bemessen, so muß der Geldfaktor notwendigerweise dem Akkordrichtsatz mindestens gleichkommen; denn sonst könnte der effektive Lohn des normalen oder des durchschnittlichen Arbeiters den Akkordrichtsatz nicht erreichen. Daher kommt es darauf an, ob die Zeiten, die die Beklagte dem Kläger in dem hier zur Rede stehenden Zeitraum vorgegeben hat, überhöht sind oder nicht. Sind sie, wie der Kläger behauptet, nicht überhöht, also richtig, so ist die Klage begründet. Wenn dagegen die dem Kläger während des hier streitigen Zeitraums vorgegebenen Zeiten, wie die Beklagte behauptet, verhältnismäßig mindestens um so viel überhöht sind, wie der tatsächlich angewandte Geldfaktor von 119 Deutschen Pfennigen den tariflichen Akkordrichtsatz von 127 Deutschen Pfennigen unterschreitet, ist die Klage tarifrechtlich nicht getragen. 1. Der Zeitfaktor ist hier nicht geschätzt oder durch das Herkommen übermittelt. Vielmehr hat die Beklagte, insbesondere in dem Schußdrosselsaal, in dem der Kläger gearbeitet hat, genaue Messungen nach der „RS-Methode" ausführen lassen und so die Zeiten gefunden, die sie noch für den Klagezeitraum angewandt hat. 2. Sind die vorgegebenen Zeiten, wie hier, durch genaue Messungen auf Grund einer arbeitswissenschaftlichen Methode gefunden, so können
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sie gleidiwohl objektiv falsch sein. Diese objektive Unrichtigkeit kann z. B. auf unrichtigen Messungen beruhen. Der Fall, daß durch Änderungen der Situation, z. B. durch technische Verbesserungen, die Messungen gegenstandslos werden, gehört nicht hierher; denn für einen solchen Fall haben die früheren, unter einer anderen Situation vorgenommenen Messungen überhaupt keine Gültigkeit (Urteil des erkennenden Senates vom 24. Juli 1958 — 2 AZR 287/55 — BAG 6, 174 [190]). Diesen Fall hat auch die Beklagte nicht behauptet. Indes spricht bei Messungen auf Grund einer arbeitswissenschaftlichen Methode der erste Anschein dafür, daß die Messungen objektiv richtig sind. Freilich ist diese Vermutung widerlegbar. Besteht Streit über die Richtigkeit der Zeiten, so hat derjenige Teil, der die Unrichtigkeit behauptet, sie zu beweisen. Der Beklagten liegt also die Beweislast dafür ob, daß die dem Kläger während des Klagezeitraums vorgegebenen Zeiten objektiv überhöht sind und zwar in einem Umfange, daß sie im Zusammenwirken mit dem von ihr zur Anwendung gebrachten Geldfaktor von 119 Deutschen Pfennigen den im § 13 Ziffer 1 T O bezeichneten Zeitakkordarbeiter in den Stand setzen, den Akkordrichtsatz von 127 Deutschen Pfennigen zu verdienen. 3. Dieser erste Anschein ist hier noch nidit dadurch beseitigt, daß der im Einvernehmen mit dem Betriebsrat festgesetzte und fast 2 Jahre hindurch angewandte Geldfaktor den Akkordrichtsatz unterschritt. Denn diese Unterschreitung betrug doch zunächst nur 1,6 Dpf., während sie für den Klagezeitraum 8 Dpf. beträgt, und war auch von der Beklagten nicht damit, daß die Zeiten überhöht seien, sondern mit ihrer ungünstigen wirtschaftlichen Lage begründet. 4. Das Landesarbeitsgericht hält die Behauptung der Beklagten, die Zeiten seien überhöht, für unerheblich, weil die Beklagte die Zeiten nicht in dem in § 13 Ziffer 4 T O vorgesehenen Wege berichtigt habe. Mit dieser Ausführung verkennt das Landesarbeitsgericht die Bedeutung dieser Vorschrift. Daß die Vorschriften des § 13 Ziffer 3 und 4 T O für sich allein den Klageanspruch nicht rechtfertigen können, ist bereits oben (II 3) ausgeführt. Die bezeichneten Vorschriften, die auf die „Akkordlöhne" abstellen, haben sie damit nur in ihrem lohnmäßigen Ergebnis, nicht dagegen hinsichtlich der einzelnen Faktoren im Auge, die zu diesem Ergebnis führen. Sie mögen die Herabsetzung des Ergebnisses sperren, besagen aber nicht darüber hinaus, daß die einmal vorgegebenen und angewandten Zeiten, worauf es hier allein ankommt, solange als objektiv richtig zu gelten haben und demgemäß auch der jeweilige Akkord-
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richtsatz als Geldfaktor anzuwenden sei, bis die Zeiten auf dem Wege über § 13 Ziffer 4 T O geändert worden sind. 5. Hiernach bedarf die Frage der Klärung, ob die von der Beklagten angewandten Zeiten objektiv richtig sind. Diese Klärung ist Aufgabe der Tatsacheninstanz. IV. Das Landesarbeitsgericht spricht dem Kläger den von ihm verlangten Mehrbetrag deshalb zu, weil durch die Betriebsvereinbarung vom 9. Februar 1950 der Geldfaktor an den jeweiligen Akkordrichtsatz gebunden gewesen sei und diese Betriebsvereinbarung noch fortgelte. Auch wenn man mit dem Landesarbeitsgericht der Bekanntmachung vom 9. Februar 1950 die rechtliche Bedeutung einer Betriebsvereinbarung im Sinne des erst später in Kraft getretenen Betriebsverfassungsgesetzes mit normativer Wirkung nach § 90 Satz 2 BetrVG beimessen würde, ist, wie die Revision richtig ausführt, das Ergebnis des Landesarbeitsgerichts nicht zu billigen. Dahingestellt bleiben kann, ob, was das Landesarbeitsgericht verneint, die Beklagte sich mit dem Betriebsrat im Jahre 1953 dahin einig geworden ist, daß in der Zukunft nicht mehr der jeweilige Akkordrichtsatz als Geldfaktor gelten solle. Denn jedenfalls enthält, wie auch das Landesarbeitsgericht in einer Hilfserwägung richtig sieht, das Verhalten der Beklagten im Anschluß an die Lohnerhöhungen sowohl durch den LTV 53 als auch durch den LTV 55 eine klare Kündigung der mit dem Betriebsrat am 9. Februar 1950 getroffenen Vereinbarung, daß der jeweilige Akkordrichtsatz als Geldfaktor zu gelten habe. Anders kann vernünftigerweise die Erklärung der Beklagten, sie könne und werde als Geldfaktor den neuen Akkordrichtsatz nicht zahlen, gar nicht aufgefaßt werden. Eine Betriebsvereinbarung ist aber, wenn sich nicht aus ihr selbst oder aus allgemeinen Gründen — welche Umstände aber hier nicht vorliegen — etwas anderes ergibt, ihrer Rechtsnatur nach jeder Zeit kündbar (BAG4, 232 [238]; BAG AP Nr. 3 zu § 56 BetrVG). Zu Unrecht spricht das Landesarbeitsgericht dieser Kündigung deshalb die Wirksamkeit ab, weil sie „offensichtlich die unwirksame Neufestsetzung eines unter dem Akkordrichtsatz liegenden Geldfaktors zum Gegenstand haben würde." Das Landesarbeitsgericht geht dabei offenbar von der Auffassung aus, daß schon nach der tariflichen Regelung in jedem Falle, ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgegebenen Zeiten, der Geldfaktor den tariflichen Akkordrichtsatz nicht unterschreiten dürfe. Diese Auffassung ist aber rechtsirrig (siehe oben II).
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Das Abkommen vom 9. Februar 1950 hat also entgegen der Ansicht •des Landesarbeitsgerichts für den Zeitraum, auf den die Klageforderung •entfällt, keine Bedeutung mehr. V. Läßt sich hiernach die Bindung des Geldfaktors an den jeweiligen tariflichen Akkordriditsatz mit der vom Landesarbeitsgericht angenommenen Weitergeltung des Abkommens vom 9. Februar 1950 nicht aufrechterhalten, so kann doch, was das Landesarbeitsgeridit zu prüfen unterläßt und worauf der Kläger mit Recht hinweist, der Einzelarbeitsvertrag den besonderen Inhalt gehabt haben, daß — unabhängig von der Richtigkeit der vorgegebenen Zeiten — der jeweilige Akkordrichtsatz als der Geldfaktor anzuwenden sei. Daß eine solche einzelvertragliche Vereinbarung jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich zulässig ist, hat der erkennende Senat in dem Urteil vom 24. Juli 1958 - 2 AZR 287/55 - B A G 6 , 174 [l 87 ff.] — ausgesprochen. Auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird verwiesen. Eine einzelvertragliche Regelung scheidet hier jedoch als Klagegrund aus. 1. Der Geldfaktor war hier nach dem Abkommen vom 9. Februar 1950 ursprünglich auf den Akkordrichtsatz festgelegt. So blieb es aber nicht. Seit etwa März 1953 wurde als Geldfaktor nicht mehr der tarifliche Akkordrichtsatz, der damals 1,19 DM betrug, sondern ein niedrigerer Betrag, nämlich von 1,174 DM angewandt. Nachdem die Parteien des Arbeitsvertrages hiernach bis etwa Mai 1955, also etwa 2 Jahre lang, einen Geldfaktor angewandt haben, der niedriger war als der tarifliche Akkordrichtsatz und zwar auch mit der Billigung des Betriebsrats, ist für die Annahme einer stillschweigenden Vereinbarung, daß der Geldfaktor dem jeweiligen Akkordrichtsatz entsprechen solle, kein Raum mehr. 2. Wollte man annehmen, die Parteien hätten die hier gemessenen Zeiten ursprünglich nicht nur als die ohne Rücksicht auf ihre Richtigkeit einfach anzuwendenden, sondern auch als die richtigen vereinbart, so liegt allerdings der Schluß nahe, daß eine solche Vereinbarung die weitere Vereinbarung als selbstverständlich einschließt, als Geldfaktor solle der jeweilige Akkordrichtsatz gelten; denn den richtigen Zeiten entspricht denknotwendig ein Geldfaktor in der Mindesthöhe des Akkordrichtsatzes (s. oben III). Indes ist diese etwaige ursprüngliche Vereinbarung, die gemessenen Zeiten sollten in jedem Falle als richtig gelten, später dadurch aufgeweicht, daß seit März 1953 der Geldfaktor den Akkordrichtsatz nicht mehr erreicht hat.
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Es enthält an sich einen Widerspruch in sich selbst, daß einerseits die Zeiten durch ein arbeitswissenschaftliches, von der Beklagten selbst gewähltes und angewandtes Verfahren genau gemessen sind, andererseits seit März 1953 der den Akkordzuschlag enthaltende Geldfaktor aber — im Einvernehmen mit dem Betriebsrat — niedriger als der Akkordrichtsatz bemessen war. Dieser Widerspruch wurde 2 Jahre praktiziert, ohne daß der Kläger oder ein anderer Arbeitnehmer, wenigstens soweit der Tatbestand erkennen läßt, sich dagegen gewandt hätten. Bei dieser Sachlage ist die etwa ursprünglich bestehende vertragliche Bindung der Beklagten daran, daß die gemessenen Zeiten unter allen Umständen auch als die richtigen gelten, hinfällig geworden. Denn die Duldung des bezeichneten Widerspruchs während zweier Jahre läßt vernünftigerweise folgende Erklärung mindestens als möglich zu: Die Parteien des Einzelarbeitsvertrages wollten — wie der Betriebsrat — auch vom März 1953 ab tariftreu und nicht tarifuntreu handeln; auch die Berufung der Beklagten auf ihre wirtschaftliche Lage bei ihrer damaligen Vereinbarung mit dem Betriebsrat gibt bei der zu II ausgeführten Bedeutung des § 13 Ziffer 1 T O jedenfalls keinen genügenden Anhaltspunkt dafür, daß wenigsten sie tarifuntreu sein wollte. Tariftreu konnte jene Übung aber doch nur dann sein, wenn die dem Kläger vorgegebenen Zeiten verhältnismäßig mindestens um so viel überhöht waren, als der Geldfaktor hinter dem Akkordrichtsatz zurückblieb. Das Verhalten des Klägers läßt also die Deutung zu, daß er die Überhöhung der Zeiten als möglich anerkannt hat; sonst wäre sein Verhalten schwer verständlich und widerspräche es der Tariftreue. In diese Lage hat der Kläger sich nun einmal durch sein Verhalten während zweier Jahre begeben. Daher kann er sich darauf, daß einzelvertraglich die gemessenen Zeiten als die richtigen zu gelten haben und schon deshalb der Geldfaktor dem Akkordrichtsatz gleichen müsse, nicht mehr berufen. VI. Schließlich kann der Kläger seinen Anspruch auch nicht selbständig darauf stützen, daß der Betriebsrat der Festsetzung des Geldfaktors auf 119 Deutsche Pfennige seit dem 1. Februar 1955 nicht zugestimmt habe. Denn die etwaige betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit des Geldfaktors von 119 Deutschen Pfennigen hätte doch nicht die Folge, daß gerade der vom Kläger verlangte Geldfaktor von 127 Deutschen Pfennigen zum Zuge käme; diese Folge könnte immer nur dann eintreten, wenn die frühere betriebliche Regelung noch weiteren Bestand haben und beinhalten würde, daß bei den bisher vorgegebenen Zeiten stets der je-
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weilige tarifliche Stundenlohn als Geldfaktor anzuwenden sei. Die ursprünglich zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat hierüber bestehende Einigung ist jedoch, wie bereits oben unter IV ausgeführt ist, im Jahre 1953 hinfällig geworden. Die neue seit dieser Zeit zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat vereinbarte Regelung hatte den bezeichneten Inhalt nicht mehr. Das mögliche Fehlen der etwa erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats zu der von der Beklagten seit dem 1. Februar 1955 angewandten Akkordregelung ist also — entgegen der Ansicht des Klägers — für sich allein nicht geeignet, dem Kläger zum Siege zu verhelfen, sondern führt letzten Endes nur zu den anderen bereits erörterten Klagegründen zurück. VII. Das Ergebnis der Erörterungen ist das folgende: Als möglicher Klagegrund kommt nur die tarifliche Regelung infrage. Sind die Zeiten richtig — oder in einem geringeren Verhältnis überhöht, als der tatsächlich angewandte Geldfaktor von 119 Deutschen Pfennigen zu dem tariflichen Akkordrichtsatz von 127 Deutschen Pfennigen steht —, so ist die Klageforderung ganz — oder wenigstens zum Teil — zuzusprechen (oben III). Sonst ist die Klage abzuweisen. Der Aufgabe, die richtigen Zeiten festzustellen, wird sidi das Landesarbeitsgericht zu unterziehen haben, freilich unter Beachtung der oben zu III 2 bezeichneten Beweislast. 31 1. Der Grundsatz, daß die Tarifbeständigkeit einer außertariflichen Zulage sich nach dem Einzelarbeitsvertrag richtet (Urteil des erkennenden Senats vom 6. März 1958 - 2 AZR 457/55 - BAG 5, 221), gilt auch für die Akkordarbeit. 2. Ist beim Zeitakkord der Zeitfaktor richtig, der Geldfaktor jedoch höher als der Akkordrichtsatz bemessen, so kann darin eine einzel' vertragliche Vereinbarung liegen, daß den Zeitakkordarbeitern eine Zulage gewährt wird und daß diese Zulage gegenüber einer späteren Tariferhöhung beständig ist. 3. Der den Akkordrichtsatz übersteigende Teil des Effektivverdienstes des Akkordarbeiters ist dann kein übertariflicher, sondern der tarifliche Lohn, wenn dieser Mehrverdienst auf einer überdurchschnittlichen Leistungsfähigkeit des Akkordarbeiters beruht.
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weilige tarifliche Stundenlohn als Geldfaktor anzuwenden sei. Die ursprünglich zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat hierüber bestehende Einigung ist jedoch, wie bereits oben unter IV ausgeführt ist, im Jahre 1953 hinfällig geworden. Die neue seit dieser Zeit zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat vereinbarte Regelung hatte den bezeichneten Inhalt nicht mehr. Das mögliche Fehlen der etwa erforderlichen Zustimmung des Betriebsrats zu der von der Beklagten seit dem 1. Februar 1955 angewandten Akkordregelung ist also — entgegen der Ansicht des Klägers — für sich allein nicht geeignet, dem Kläger zum Siege zu verhelfen, sondern führt letzten Endes nur zu den anderen bereits erörterten Klagegründen zurück. VII. Das Ergebnis der Erörterungen ist das folgende: Als möglicher Klagegrund kommt nur die tarifliche Regelung infrage. Sind die Zeiten richtig — oder in einem geringeren Verhältnis überhöht, als der tatsächlich angewandte Geldfaktor von 119 Deutschen Pfennigen zu dem tariflichen Akkordrichtsatz von 127 Deutschen Pfennigen steht —, so ist die Klageforderung ganz — oder wenigstens zum Teil — zuzusprechen (oben III). Sonst ist die Klage abzuweisen. Der Aufgabe, die richtigen Zeiten festzustellen, wird sidi das Landesarbeitsgericht zu unterziehen haben, freilich unter Beachtung der oben zu III 2 bezeichneten Beweislast. 31 1. Der Grundsatz, daß die Tarifbeständigkeit einer außertariflichen Zulage sich nach dem Einzelarbeitsvertrag richtet (Urteil des erkennenden Senats vom 6. März 1958 - 2 AZR 457/55 - BAG 5, 221), gilt auch für die Akkordarbeit. 2. Ist beim Zeitakkord der Zeitfaktor richtig, der Geldfaktor jedoch höher als der Akkordrichtsatz bemessen, so kann darin eine einzel' vertragliche Vereinbarung liegen, daß den Zeitakkordarbeitern eine Zulage gewährt wird und daß diese Zulage gegenüber einer späteren Tariferhöhung beständig ist. 3. Der den Akkordrichtsatz übersteigende Teil des Effektivverdienstes des Akkordarbeiters ist dann kein übertariflicher, sondern der tarifliche Lohn, wenn dieser Mehrverdienst auf einer überdurchschnittlichen Leistungsfähigkeit des Akkordarbeiters beruht.
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4. Die Tarifbestimmung in dem Lohntarifvertrag für die Eisen', Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens „Außertarifliche Zulagen werden in ihrer Höhe durch den Abschluß dieses Abkommens nicht berührt", ist eine sogenannte „neutrale Klausel" (BAG 5, 226). TVG § 4 Abs. 1 (Zeitakkord); Lohntarifvertrag für die Eisen-, Metallund Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens. II. Senat. Urteil vom 24. 7. 1958 i. S. B. u. a. (Kl.) w. Fa. Sch. AG. (Bekl.) 2 AZR 172/57. I. Arbeitsgericht Hagen i. W. — II. Landesarbeitsgeridit Hamm i. W.
Die Beklagte hat in H./Westfalen einen Betrieb der Metallindustrie. In ihm arbeiteten der Kläger zu l) als Schweißer und sonstwie seit 4V2jahren, der Kläger zu 2) an verschiedenen Pressen und Stanzen seit 11 Jahren, der Kläger zu 3) überwiegend als „Warmarbeiter" seit etwa 11 Jahren. In früherer Zeit arbeiteten die Arbeiter, so audi die Kläger, im Geld-(Stück)Akkord. Wie die Parteien die Sätze dieses Stückakkordes ausgehandelt haben, stellt das Landesarbeitsgericht nicht fest. Im Jahre 1951 ging die Beklagte zum Zeitakkord über. Wie, insbesondere ob auf Grund einer arbeitswissenschaftlichen Methode, sie die vorgegebenen Zeiten errechnet hat, stellt das Landesarbeitsgeridit nicht fest. Es beschränkt sich auf die Feststellung, daß „die alten Stückakkordpreise im wesentlichen erhalten blieben" und danach der Geldfaktor ermittelt wurde. Als Mitglieder der Tarifvertragsparteien sind die Prozeßparteien an die folgenden Tarifverträge gebunden: 1. den Rahmentarifvertrag für die Arbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 12. Januar 1952 (kurz: RTV), 2. das Lohnabkommen für die gleichen Arbeiter vom 1. September 1954 (kurz: LTV 54), 3. das Lohnabkommen für die gleichen Arbeiter vom 11. November 1955 (kurz: LTV 55); es erhöht ab 1. November 1955 die Löhne der Zeitlohnarbeiter um 14 Dpf., die der Akkordarbeiter um 11 Dpf. und bestimmt in § 1: „2. Außertarifliche Zulagen werden in ihrer Höhe durch den Abschluß dieses Abkommens nicht berührt.
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31. Zeitakkord 3. Das Abkommen darf nicht zum Anlaß genommen werden, Tätigkeiten oder Arbeitnehmer in eine niedrigere Lohngruppe als bisher einzustufen. 4. Das Abkommen darf nicht zum Anlaß genommen werden, vorgegebene Akkordzeiten, Stück- und Mengenakkorde sowie Quantitäts- und Qualitätsprämien zu verringern." Ausdrücklich hat die Beklagte die Kläger in bestimmte Lohngruppen
nicht eingestuft; sie hat gezahlt: d e m K l ä g e r z u 1) vor dem 1. November 1955 einen Geldfaktor (in der Form des Akkordminutenlohnes) von 2,78 Deutschen Pfennigen, seit dem 1. November 1955 einen Geldfaktor von 2,94 Deutschen Pfennigen, d e m K l ä g e r z u 2) vor dem 1. November 1955 einen Geldfaktor von 2,76 Deutschen Pfennigen, seit dem 1. November 1955 einen Geldfaktor von 2,92 Deutschen Pfennigen, d e m K l ä g e r z u 3) vor dem 1. November 1955 einen Geldfaktor von 2,76 Deutschen und 2,88 Deutschen Pfennigen, seit dem 1. November 1955 einen Geldfaktor von 2,92 Deutschen Pfennigen und 3,04 Deutschen Pfennigen. Die Kläger machen folgendes geltend: 1. Die Beklagte habe durch ihre Bezahlung zu erkennen gegeben, daß sie sie in die Lohngruppe 4 der Lohntarifverträge einreihe; denn der Geldfaktor stimme mit dem 60. Teil des Akkordrichtsatzes der Gruppe 4 überein. 2. Der Unterschied zwischen dem Geldfaktor (in der Form Akkordstundenlohnes) und dem Akkordrichtsatz sei in jedem Falle tarifbeständige Zulage, sie berücksichtige „vorhandene Erschwernisse verschiedene Schwierigkeitsgrade der Arbeit"; sie werde daher von Erhöhung des tariflichen Akkordrichtsatzes nicht aufgesaugt.
des eine und der
Sie verlangen daher auf Grund der tariflichen Erhöhung des Akkordrichtsatzes durch den LTV 5 5 eine entsprechende Erhöhung auch des — in der Form des Akkordminutenlohnes bezeichneten — Geldfaktors, und zwar:
31. Zeitakkord
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der Kläger zu l ) auf 2,99 Deutsche Pfennige der Kläger zu 2) auf 2,97 Deutsche Pfennige der Kläger zu 3) auf 2,97 Deutsche Pfennige und 3,09 Deutsche Pfennige, und demnach eine — rechnerisch unstreitige — Nachzahlung für November 1955, und zwar: der Kläger zu 1 von 10,72 DM der Kläger zu 2) von 1 3 D M der Kläger zu 3) von 4,3 5 DM. Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revisionen der Kläger führten zur Aufhebung und Zurückweisung. Aus den G r ü n d e n : Die Kläger verlangen für die Errechnung ihres effektiven Akkordverdienstes die Anwendung eines höheren als des ihnen von der Beklagten seit dem 1. November 1955 gewährten Geldfaktors und demnach die Zahlung eines weiteren Akkordlohnes. Die Entscheidung hängt daher davon ab, ob ihnen aus r e c h t l i c h e n Gründen der von ihnen verlangte Geldfaktor — bei den vorgegebenen Zeiten — zusteht. I. Auf die tariflichen Bestimmungen können die Kläger ein Recht auf den von ihnen verlangten höheren Geldfaktor nicht unmittelbar stützen, wie das Landesarbeitsgericht richtig ausführt. 1. In erster Linie stützt die Revision ihre Rechtsauffassung, den Klägern stehe der von ihnen gewünschte Geldfaktor zu, auf den „Automatismus", d.h. auf den vermeintlichen Grundsatz, daß die Erhöhung des tariflichen Zeitlohnes von selbst den jeweils angewandten Geldfaktor — ohne Rücksicht auf dessen Höhe und ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgegebenen Zeiten — entsprechend erhöhe. Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht diese Rechtsansicht abgelehnt. Wie der erkennende Senat in dem zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmten Urteil vom 24. Juli 1958 — 2 AZR 287/55 —BAG 6, 174 [178]) ausgeführt hat, beinhalten weder das Wesen des Zeitakkords noch die hier zur Anwendung kommende tarifliche Regelung, daß die Erhöhung des tariflichen Zeitlohnes und damit des Akkordrichtsatzes in jedem Falle von selbst den Geldfaktor erhöhe. Auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird verwiesen. 2. Nur wenn die hier angewandten Geld- und Zeitfaktoren in ihrem Zusammenwirken dem § 7 Abs. 1 R T V nicht genügen würden.
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31. Zeitakkord
wären die Ansprüche der Kläger unter Umständen begründet. Wie die Kläger indes gar nicht bestreiten, setzen auch die von der Beklagten seit dem 1. November 1955 angewandten Geld- und Zeitfaktoren den normalen Arbeiter in den Stand, den Akkordriditsatz zu verdienen. 3. Sind die Zeiten, wie die Kläger hier nicht in Zweifel ziehen, objektiv richtig, so muß der Geldfaktor, falls er den Akkordzuschlag enthält, mindestens dem Akkordrichtsatz gleichen. Dies hat der erkennende Senat in dem zuvor bezeichneten Urteil vom 24. Juli 1958 ausgesprochen. Audi insoweit wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils verwiesen. Hiernach kommt es darauf an, ob die Beklagte mindestens den Akkordrichtsatz als den Geldfaktor angewandt bat; der Geldfaktor enthielt hier den Akkordzuschlag. Dies hat sie getan. a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gehört der Kläger zu l ) in die Gruppe 3; sein Akkordrichtsatz (in der Form des Minutenlohnes) beträgt dann 2,766 Deutsche Pfennige. Die Beklagte hat ihm aber einen Geldfaktor von 2,94 Deutschen Pfennigen zugebilligt. Die Kläger zu 2 und 3 gehören nach der Ansicht des Landesarbeitsgerichts in die Lohngruppe 2. Dann beträgt ihr Akkordriditsatz (in der Form des Minutenlohnes) aber 2,6 Deutsche Pfennige. Die Beklagte hat ihnen aber einen Geldfaktor von 2,92 oder 2,88 gewährt. b) Zu Unrecht greift die Revision diese vom Landesarbeitsgeridit vorgenommene Eingruppierung an. Die Revision meint, das Landesarbeitsgericht habe überhaupt eine Eingruppierung der Kläger unterlassen. Denn die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Eingruppierung beziehe sich auf Arbeiten im Zeitlohn, die die Kläger gar nicht geleistet hätten, jedenfalls nicht Gegenstand des Rechtsstreites seien, und nicht auf Arbeiten im Akkordlohn, die hier allein zur Entscheidung stünden. Allerdings sagt das Landesarbeitsgericht: „Die Kläger gehören, wie sie nicht bestreiten, im Zeitlohn den Gruppen 2 und 3 an". Damit hat sich das Landesarbeitsgericht aber offensichtlich nur im Ausdruck vergriffen. Es hat nicht feststellen wollen, daß die Kläger nur, wenn sie im Zeitlohn gearbeitet hätten, in die bezeichneten Gruppen einzugruppieren gewesen wären, aber ihre Eingruppierung als Akkordarbeiter dahingestellt gelassen. Vielmehr hat es offenbar sagen wollen, daß die von den Klägern geleisteten Arbeiten — und gerade auch die im Zeitakkord geleisteten — ihrer Art nach in die bezeichneten Gruppen gehören, daß die Kläger aber, da sie im Akkord gearbeitet haben, nicht den Zeitlohn, sondern — bei normalen Leistungen — den entsprechenden Akkordriditsatz
31. Außertarifliche Zulagen
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tariflich zu erhalten hätten. Dies geht mit der genügenden Deutlichkeit aus den weiteren Ausführungen des Landesarbeitsgerichts hervor. Denn das Landesarbeitsgericht geht unmitelbar in dem dem zitierten Satz folgenden Satz dazu über, den Akkordrichtsatz, der auf diese Lohngruppen entfällt, festzuhalten. 4. Die Kläger berufen sich weiterhin auf das in § 1 Ziffer 2 bis 4 des LTV 55 enthaltene „Verbot der Akkordverschlechterung". Das Landesarbeitsgericht legt diese Vorschrift dahin aus, daß sie dem Arbeitgeber untersage, die Lohnerhöhung durch den LTV 5 5 für eine der untersagten Verringerungen „zum Anlaß zu nehmen", daß sie aber im übrigen den außertariflichen Raum unangetastet lasse. Hiergegen wendet sich die Revision; sie sieht in der übertariflichen Entlohnung eine echte Leistungsklage und will deren Tarifbeständigkeit durch die bezeichneten Tarifbestimmungen gewährleistet wissen. Der Auslegung des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. a) Für die Auslegung des § 1 Ziffer 2 LTV 55 kann zugunsten der Kläger für die Revision davon ausgegangen werden, daß ihre übertarifliche Vergütung eine außertarifliche Zulage im Sinne dieser Bestimmung enthält. Dies führt aber nicht zu einem den Klägern günstigen Ergebnis. Dem Satz .Außertarifliche Zulagen werden in ihrer Höhe durch den Abschluß dieses Abkommens nicht berührt" geben die Parteien widersprechende Auslegungen. Die Beklagte legt die Bestimmung dahin aus, der Tarifvertrag selbst lasse die Zulagen einfach überhaupt unberührt, gestatte also ihre Änderung entsprechend ihrem bisherigen Wesen. Nach der Auslegung der Revision dagegen soll gerade der Arbeitgeber die beim Inkrafttreten des Tarifvertrags geltenden außertariflichen Zulagen unberührt lassen; die Vorschrift spreche also, so meint die Revision, den Arbeitgeber an und lege ihm eine Pflicht auf. Indes kann nur die erstgenannte Auslegung zutreffen. Denn die zweitgenannte Auslegung würde die in ihrer Höhe von Betrieb zu Betrieb und unter Umständen sogar, wie hier, innerhalb eines Betriebes von Arbeitnehmer zu Arbeitnehmer wechselnden Zulagen tariflich festlegen (zementieren). Eine solche Regelung wäre sehr weitgehend; deshalb hätte der Tarifvertrag sie, hätte er sie gewollt, mit eindeutigen Worten zum Ausdruck gebracht; er hätte ausdrücklich die Zulagen „aufrechterhalten" oder „weiter gewährleistet". Auch die in der Tarifbestimmung enthaltenen Worte „in ihrer Höhe" erhärten nicht die Ansicht der Revision, daß der LTV 5 5 gerade 14 Entscheid, d. BAG. 6
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31. Neutrale Klausel
den Arbeitgeber ansprechen und ihm aufgeben wolle, außertarifliche Zulagen — ohne Rücksicht auf ihr ursprüngliches Wesen — in ihrer bisherigen Höhe weiter zu zahlen. Die bezeichneten Worte mögen sich, wie die Revision ausführt, erstmalig in dem LTV 54 finden. Indes ergibt diese geschichtliche Entwicklung der Tarifbestimmung noch nicht, daß sie in Abweichung von dem Inhalt der früheren Anrechnungsbeschränkungen gerade ein besonderes Gebot an den Arbeitgeber enthalten sollte, außertarifliche Zulagen unberührt zu lassen, also in ihrer bisherigen Höhe weiter zu zahlen. Gerade die farblose Redewendung „bleiben . . . unberührt" ergibt, daß es sich um eine „neutrale Klausel" handelt. Der Tarifvertrag wollte eben nicht dem einzelnen Arbeitgeber eine besondere Auflage machen, sondern nur zum Ausdruck bringen, daß er zu den außertariflichen Zulagen überhaupt nichts sagen, sie also in ihrem bisherigen Wesen nicht antasten, also unberührt lassen wolle. So hat der erkennende Senat auch im Urteil vom 6. März 1958 — 2 AZR 230/57 — (BAG 5, 226) die bezeichnete Tarifbestimmung ausgelegt. b) Um eine Einstufung der Kläger in eine niedrigere Lohngruppe (§ 1 Ziffer 3) handelt es sich nicht. Ebensowenig hat die Beklagte die vorgegebene Akkordzeit oder Quantitäts- oder Qualitätsprämien verringert; ein Stückakkord liegt nicht vor (§ 1 Ziffer 4). c) Bei dieser Rechtslage braucht nicht erörtert zu werden, ob ein Anrechnungsverbot in dem von der Revision behaupteten Sinne überhaupt normativ wirken kann. II. Können hiernach die tariflichen Bestimmungen allein die Ansprüche der Kläger auf den verlangten weiteren Akkordlohn nicht stützen, so kann doch, wie das Landesarbeitsgericht richtig sieht, der besondere Inhalt des Einzelarbeitsvertrags im Zusammenhang mit der tariflichen Vergütung einen Klagegrund bilden. Der besondere Inhalt des Einzelarbeitsvertrags des Zeitakkordarbeiters kann den Geldfaktor unabhängig von der tariflichen Regelung und unabhängig von der Richtigkeit des Zeitfaktors in ganz bestimmter Höhe festlegen. Das hat der erkennende Senat in dem Urteil vom 24. Juli 1958 — 2 AZR 287/55 — (BAG 6, 174 [187]) ausgeführt. Auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird Bezug genommen. 1. In dieser Richtung behaupten die Kläger zunächst, die Beklagte habe sie stillschweigend in die Lohngruppe 4 eingruppiert. Das Landesarbeitsgericht lehnt dies mit der folgenden Erwägung ab: Der Geldfaktor
31. Zeitakkord
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von 2,76 Dpf. stimme zwar mit dem tariflichen Akkordrichtsatz der Lohngruppe 4 des LTV 54 überein; diese Übereinstimmung sei aber nur äußerlich; die Eingruppierung einer Arbeit in eine Lohngruppe und die Festsetzung des Geldfaktors beim Akkord lägen auf ganz verschiedenen Gebieten. Auch die besonderen Arbeiten, die die Kläger geleistet hätten, habe die Beklagte nicht in die Lohngruppe 4 eingereiht. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind rechtlich haltbar und werden von der Revision mit rechtlichen Gründen auch nicht mehr bekämpft. Reditlidi ist es an sich schon auf Grund der Vertragsfreiheit zulässig, daß der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer einzelvertraglich vereinbart, der Arbeitnehmer solle nach einer höheren Lohngruppe bezahlt werden, als der Tarifvertrag für seine Tätigkeit vorsieht. Ob dies aber der Fall ist, hängt von dem Inhalt des Einzelarbeitsvertrags, nidit von dem Inhalt des Tarifvertrages ab. Hier legt das Landesarbeitsgericht das Verhalten der Beklagten und damit den Inhalt der zwischen den Parteien geschlossenen Einzelarbeitsverträge aus. Die Ausführungen des Landesarbeitsgeridits führen insoweit zu einer tatsächlichen Feststellung. Sie lassen keinen Verstoß gegen Auslegungsregeln, Denk- und allgemeine Erfahrungssätze erkennen. Sie binden also das Revisionsgericht. 2. Weiter haben die Kläger vorgetragen, ihr übertariflicher Lohn enthalte eine echte Arbeitswert- und Erschwerniszulage; die Parteien hätten stillschweigend vereinbart, daß der ursprüngliche Unterschiedsbetrag zwischen dem Akkordrichtsatz und Geldfaktor zu dem jeweiligen Tariflohn hinzutreten solle. a) Bei der Auslegung des Einzelarbeitsvertrages geht das Landesarbeitsgericht von dem vom erkennenden Senat (BAG 3, 132) aufgestellten Satz aus, daß übertarifliche Zulagen, die besondere Leistungen oder besondere Umstände des einzelnen Falles abgelten sollen, auf eine Tariferhöhung nicht angerechnet werden. Dieser Grundsatz betrifft aber nur den dort entschiedenen Fall und besagt nicht etwa, daß nur die dort bezeichneten Zulagen tarifbeständig seien, alle Zulagen anderer Art aber in jedem Falle anzuredinen seien. Vielmehr hat der erkennende Senat (in dem Urteil vom 6. März 1958 - 2 AZR 457/55 — BAG 5, 221 [222]) den allgemeineren Grundsatz aufgestellt, daß eine übertarifliche Zulage jeder Art sich im tariflosen Raum bewegt und gemäß dem Grundsatz der dann vorhandenen Vertragsfreiheit die einzelvertragliche Vereinbarung im einzelnen Falle darüber entscheidet, ob die gewährte Zulage von einer künftigen Erhöhung des Tariflohnes aufgesaugt oder auf sie aufgestockt wird, und daß der Inhalt des Einzelarbeitsvertrags notfalls auf dem Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu ermitteln ist; 14'
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31. Effektivverdienst beim A k k o r d
dabei gibt der Zweck der Zulage lediglich ein Anzeichen für den zu ermittelnden Willen der Vertragsparteien. Dieser Grundsatz gilt auch für die Akkordarbeit. Demnach kommt es also darauf an, was die Parteien über die Tarifbeständigkeit des den Akkordrichtsatz übersteigenden Teiles des Geldfaktors vereinbart haben oder voraussichtlich vereinbart hätten, wenn sie diesen Punkt geregelt hätten. b) Das Landesarbeitsgericht meint, der Akkordlohn falle „seinem Wesen nach" nicht unter den Begriff des übertariflichen Lohnes und stelle keine „besondere Leistungszulage" neben dem Tariflohn (gemeint ist wohl: dem tariflichen Zeitlohn) dar. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind aber in dieser Allgemeinheit nicht richtig und können auf einem Rechtsirrtum beruhen. Richtig ist vielmehr das Folgende: aa) der Effektivverdienst eines Akkordarbeiters wird allein durch den Umstand, daß er den Akkordrichtsatz übersteigt, noch nicht zu einem übertariflichen; denn der Akkordrichtsatz gebührt dem Arbeiter mit nur normaler Leistung; der Effektivverdienst eines Akkordarbeiters, der eine übernormale Leistung erbringt, muß daher den Akkordrichtsatz überschreiten. Dadurch erhält der übernormale Arbeiter aber lediglich seinen tariflichen Akkordlohn, nicht aber etwa — in der Höhe des den Akkordrichtsatz übersteigenden Teils seines effektiven Lohnes — einen übertariflichen Lohn. Seine besondere übernormale Leistung wird durch den übernormalen Verdienst tarifgemäß und nicht übertariflich abgegolten. bb) Es kann aber auch, was das Landesarbeitsgericht nicht klar sieht, anders liegen. Der Zeitakkordarbeiter mit einer nur normalen Leistung kann in den folgenden möglichen Fällen mehr verdienen als den Akkordrichtsatz. Die für die Leistung vorgegebene Zeit kann höher sein als die, die der normale Arbeiter für die Vollbringung dieser Leistung braucht, der Geldfaktor entspricht aber dem Akkordrichtsatz; ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Oder die vorgegebene Zeit ist zwar, wie anscheinend hier, die normalerweise für diese Leistung erforderliche Zeit, aber der Geldfaktor kann — wie hier — höher als der Akkordrichtsatz liegen. In diesen möglichen Fällen verdient auch der normale Arbeiter mehr als den Akkordrichtsatz. Dieser Mehrverdienst ist tarifrechtlich zulässig, da auch der Akkordrichtsatz, wie jede Tarifbestimmung, den möglichen Verdienst des Arbeiters nur nach unten begrenzt; aber der durch einen überhöhten Geldfaktor bei richtigen Zeiten erzielte Mehrverdienst ist eben ein übertariflicher. Er wird nicht für eine übernormale Leistung, sondern für
31. Akkord und außertarifliche Zulage
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eine durchaus normale Leistung gewährt, für die der Tarifvertrag eine niedrigere Entlohnung vorsieht. cc) Der Arbeitgeber kann auch durchaus einen vernünftigen Grund haben, für die Leistung des normalen Zeitakkordarbeiters — sei es durch eine Überhöhung der Zeiten (bei einem dem Akkordrichtsatz entsprechenden Geldfaktor) oder (bei richtigen Zeiten) durch einen den Akkordrichtsatz übersteigenden Geldfaktor — eine besondere Zulage zu gewähren. Allerdings ist der Akkordlohn — im Gegensatz zum Zeitlohn — an sich ein Leistungslohn; der Arbeiter mit der höheren Leistung erhält im Akkord schon einen höheren Lohn; beim Zeitlohn würde er trotz seiner höheren Leistung den gleichen Lohn wie ein weniger tüchtiger Arbeiter erhalten. Diese Betrachtungsweise stellt es aber einseitig auf die Zeit und die Menge ab; derjenige Akkordarbeiter, der in der gleichen Zeit eine mengenmäßig höhere Leistung vollbringt, erhält auch einen höheren Lohn. Der Wert der Leistung ist aber nicht in jedem Falle allein von der Zeit, innerhalb deren sie vollbracht wird, und der der vollbrachten Leistungseinheiten abhängig. Auch andere Umstände sind auf den Wert der vollbrachten Leistung von Einfluß; so können die Hitze, die Kälte, der Schmutz oder andere Erschwernisse, die der Arbeiter bei der Arbeit ertragen muß, oder die Notwendigkeit einer besonders genauen Arbeitsweise den Wert der Arbeitsleistung neben der Zeit und der Menge mitbestimmen. Weiter kann auch eine sogenannte „Lohninsel" den Arbeitgeber veranlassen, seinen Arbeitern eine übertarifliche Zulage zu gewähren; auch hiermit erklärt die Revision hier die übertarifliche Höhe des Geldfaktors. Wenn der Arbeitgeber unter solchen besonderen Umständen eine besondere Zulage gewährt, so liegt auch eine stillschweigende einzelvertragliche Vereinbarung des Inhalts nahe, daß diese Zulage gerade diese besonderen Umstände abgelten solle. Dies muß auch dann gelten, wenn die Zulage als solche nicht besonders ausgewiesen ist, sondern nur in einer übertariflichen Entlohnung mit genügender Deutlichkeit — wie eben der Festsetzung eines den Akkordrichtsatz übersteigenden Geldfaktors bei richtigen Zeitvorgaben — in Erscheinung tritt. 3. Enthält hiernach die Erhöhung des Geldfaktors über den Akkordrichtsatz hinaus — bei richtigen Zeiten — im Gegensatz zu der Ansicht des Landesarbeitsgerichts eine außertarifliche Zulage, so kommt es allein noch darauf an, ob die Parteien des Einzelvertrags diese Zulage als tarifbeständig gewollt haben.
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31. A k k o r d und außertarifliche Zulage
Der rechtlich unklare Gedankengang des Landesarbeitsgerichts führt zu falschen Schlußfolgerungen: a) Das Landesarbeitsgericht glaubt eine besondere Arbeitswert- und Erschwerniszulage nicht feststellen zu können, soweit sie neben der Akkordvereinbarung liegt. Das überzeugt nicht. b) Die unter Beweis gestellte Behauptung der Kläger, die Geldfaktoren seien nach der Arbeitsschwierigkeit und den Umgebungseinflüssen abgestuft gewesen, hält es für unerheblich. Der vom Landesarbeitsgericht für seine Meinung angegebene Grund, es käme nicht auf die Frage der Stufen der Geldfaktoren untereinander an, übersieht, daß hier entscheidend sein kann, ob besondere Erschwernisse und welche besonderen Erschwernisse überhaupt im Betriebe der Beklagten gegeben waren. c) Daß die Beklagte die Zulagen unterschiedslos allen Beschäftigten gleichmäßig gewährt hat, sieht das Landesarbeitsgericht als einen Gegengrund gegen die von den Klägern behaupteten Erschwerniszulagen an. Das überzeugt nicht. Es ist durchaus denkbar, daß die Verhältnisse in dem Betriebe der Beklagten anders und schwieriger lagen als in den Durchschnittsbetrieben der Metallindustrie; solche besonderen Verhältnisse würden aber die Gewährung einer gleichmäßigen Zulage an alle Mitglieder der Belegschaft rechtfertigen. d) Die weitere Möglichkeit einer „Lohninsel" prüft das Landesarbeitsgericht überhaupt nicht. e) Schließlich kann es sich auch um eine generell bewußt gewährte Zulage handeln, durch die der Arbeitgeber sich einen überdurchschnittlichen Arbeiterstamm hat sichern wollen. Audi in diesem Falle könnte die einzelarbeitsrechtliche Vereinbarung dahin gehen, daß die Zulage, wenigstens in gewissen Grenzen — ähnlich wie bei den früheren Lohnerhöhungen — auf den jeweiligen Tariflohn aufzustocken ist. Hiernach sind die Erwägungen, aus denen das Landesarbeitsgericht den Einzelarbeitsvertrag dahin auslegt, daß die bisherige übertarifliche Entlohnung in der Form eines erhöhten Geldfaktors durch eine künftige tarifliche Erhöhung des Akkordrichtsatzes aufgesogen werden sollte, nicht haltbar. Die endgültige Auslegung ist Sache der Tatsacheninstanz. Mindestens die Frage der Erschwerniszulage ist auch durch eine Beweisaufnahme zu klären. Daher kann das Revisionsgericht die Auslegung nicht selbst vornehmen. III. Schließlich ist für die Entscheidung ohne Bedeutung, ob der Betriebsrat, was das Landesarbeitsgericht nicht feststellt, bei der Festsetzung des seit dem 1. November 1955 angewandten Geldfaktors mitgewirkt hat.
32. A k k o r d und außertarifliche Zulagen
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Für die vorliegende Entscheidung kann es dahingestellt bleiben, ob die Mitwirkung des Betriebsrates nach § 56 Abs. 1 Buchstabe g BetrVG sich auch auf die Festsetzung des Geldfaktors erstreckt. Auch wenn man dies annehmen wollte, ändert sich nichts an dem Ergebnis. Daß die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über den seit dem 1. November 1955 anzuwendenden Geldfaktor in der in § 52 Abs. 2 Satz 2 BetrVG vorgeschriebenen Schriftform abgeschlossen habe, behauptet sie selbst nicht. Die etwaige lediglich formlose Zustimmung des Betriebsrats zu der Festsetzung des Geldfaktors durch die Beklagte in der von ihr angewandten Höhe hat aber eben keine normative Wirkung. Andererseits hat das mögliche Fehlen der etwa erforderlichen Mitwirkung des Betriebsrats zur Bemessung des seit dem 1. November 1955 angewandten Geldfaktors nicht die Folge, daß die von den Klägern verlangten Geldfaktoren zur Anwendung kämen. Vielmehr bliebe dann der bisherige rechtliche Zustand eben bestehen. Letzten Endes kommt es also dann auf den Inhalt des Einzelarbeitsvertrages an; dieser ist als möglicher Klagegrund oben unter II erörtert. 32 1. Übertarifliche Zulagen liegen im außertariflichen Raum; ihre Anrechnung auf eine Erhöhung des Tariflohns richtet sich daher grundsätzlich nicht nach Tarifrecht. 2. Arbeitsbedingungen, die nach § 59 BetrVG nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können, können einzelvertraglich geregelt werden. 3. Der Verdienst, den ein Akkordarbeiter entsprechend seiner übernormalen Leistungsfähigkeit über den Akkordrichtsatz hinaus erzielt, ist kein übertariflicher, sondern sein tariflicher Lohn. T V G § 4 Abs. 1 (Zeitakkord); BetrVG § 59. II. Senat. Urteil vom 24. 7. 1958 i. S. D. u. a. (Kl.) w. Fa. G.-W. GmbH (Bekl.) 2 AZR 404/55. I. Arbeitsgericht Hagen i. W . —
II. Landesarbeitsgericht Hamm i. W .
Die Beklagte betreibt in H. eine Maschinen- und Elektromotorenfabrik. In ihr waren der Kläger zu 1 als Dreher, und zwar sowohl im Zeitlohn als auch im Zeitakkord, der Kläger zu 2 als Schlosser ausschließlich im Zeitlohn beschäftigt.
32. A k k o r d und außertarifliche Zulagen
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Für die vorliegende Entscheidung kann es dahingestellt bleiben, ob die Mitwirkung des Betriebsrates nach § 56 Abs. 1 Buchstabe g BetrVG sich auch auf die Festsetzung des Geldfaktors erstreckt. Auch wenn man dies annehmen wollte, ändert sich nichts an dem Ergebnis. Daß die Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über den seit dem 1. November 1955 anzuwendenden Geldfaktor in der in § 52 Abs. 2 Satz 2 BetrVG vorgeschriebenen Schriftform abgeschlossen habe, behauptet sie selbst nicht. Die etwaige lediglich formlose Zustimmung des Betriebsrats zu der Festsetzung des Geldfaktors durch die Beklagte in der von ihr angewandten Höhe hat aber eben keine normative Wirkung. Andererseits hat das mögliche Fehlen der etwa erforderlichen Mitwirkung des Betriebsrats zur Bemessung des seit dem 1. November 1955 angewandten Geldfaktors nicht die Folge, daß die von den Klägern verlangten Geldfaktoren zur Anwendung kämen. Vielmehr bliebe dann der bisherige rechtliche Zustand eben bestehen. Letzten Endes kommt es also dann auf den Inhalt des Einzelarbeitsvertrages an; dieser ist als möglicher Klagegrund oben unter II erörtert. 32 1. Übertarifliche Zulagen liegen im außertariflichen Raum; ihre Anrechnung auf eine Erhöhung des Tariflohns richtet sich daher grundsätzlich nicht nach Tarifrecht. 2. Arbeitsbedingungen, die nach § 59 BetrVG nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können, können einzelvertraglich geregelt werden. 3. Der Verdienst, den ein Akkordarbeiter entsprechend seiner übernormalen Leistungsfähigkeit über den Akkordrichtsatz hinaus erzielt, ist kein übertariflicher, sondern sein tariflicher Lohn. T V G § 4 Abs. 1 (Zeitakkord); BetrVG § 59. II. Senat. Urteil vom 24. 7. 1958 i. S. D. u. a. (Kl.) w. Fa. G.-W. GmbH (Bekl.) 2 AZR 404/55. I. Arbeitsgericht Hagen i. W . —
II. Landesarbeitsgericht Hamm i. W .
Die Beklagte betreibt in H. eine Maschinen- und Elektromotorenfabrik. In ihr waren der Kläger zu 1 als Dreher, und zwar sowohl im Zeitlohn als auch im Zeitakkord, der Kläger zu 2 als Schlosser ausschließlich im Zeitlohn beschäftigt.
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32. Akkord und außertarifliche Zulagen
Als Mitglieder der Tarifvertragsparteien waren die Parteien an die folgenden tariflichen Regelungen gebunden: 1. den Rahmentarifvertrag für die Arbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen vom 12. Januar 1952 mit der Ergänzung vom 6. Dezember 1952 (kurz: R T V ) ; dieser R T V besagt in § 6 a : „1- Der Tariflohn ist für Zeitlöhner der Mindestlohn. 2. Im übrigen soll die Entlohnung der während eines längeren Zeitraumes hindurch erbrachten individuellen Leistung Rechnung tragen. Die danach festzulegende Höhe der Zeitlöhne ist in betrieblich zu bestimmenden regelmäßigen Zeitabständen unter Hinzuziehung eines sachverständigen Mitgliedes des Betriebsrates oder einer Lohnkommission zu überprüfen und ggf. anderweitig zu regeln. 3. Soweit nicht einzelvertraglich etwas anderes vereinbart ist, gilt die nach den Bestimmungen der vorhergehenden Ziffer festgelegte Lohnhöhe als vereinbart." 2. Das Lohnabkommen vom 28. August 1954 (kurz: L T V 54). Dieser L T V 54 erhöht mit Wirkung vom 1. September 1954 den Stundenlohn der Gruppe 5, in die die beiden Kläger gehören, von 1,48 DM auf 1,56 DM, den Akkordrichtsatz des Klägers zu 1 von 1,70 DM auf 1 , 7 9 D M . Er bestimmt in § 3: „1. Außertariflidie Zulagen, die im Hinblick auf die persönliche Leistung oder auf die Anforderungen des Arbeitsplatzes gewährt werden, werden in ihrer Höhe durch den Abschluß dieses Abkommens nicht berührt. 2. Das Abkommen darf nicht zum Anlaß genommen werden, Tätigkeiten oder Arbeitnehmer in eine niedrigere Lohngruppe als bisher einzustufen. 3. Das Abkommen darf nicht zum Anlaß genommen werden, vorgegebene Akkordzeiten zu verringern." Die Beklagte hatte den Akkordarbeitern, wenn sie im Zeitlohn beschäftigt waren, nicht den tariflichen Stundenlohn, sondern einen höheren, aus ihrem durchschnittlichen Akkordverdienst errechneten Stundenlohn gezahlt. Dadurch lag ihre Vergütung im Stundenlohn nicht unerheblich höher als die der Arbeitnehmer, die ständig im Stundenlohn arbeiteten. Diesen von den Zeitlohnarbeitern als Unrecht empfundenen Unterschied wollten die Beklagte und der Betriebsrat ausgleichen; daher bestimmten sie in Ziffer II der schriftlichen Vereinbarung vom 3. Februar 1954:
3 2 . A k k o r d und außertarifliche Zulagen
„II. L o h n r e g e l u n g
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a b 1. 3. 1954.
1. Diese wird nach folgenden Grundsätzen durchgeführt: a) Es ist beabsichtigt, die insgesamt je Monat bisher gezahlte durchschnittliche Lohnsumme einschließlich Prämie nicht zu verändern. . . . Als Maßstab soll hierbei der DurdischnittBrutto-Stundenlohn je Kopf und Arbeitsstunde gelten. Deshalb soll die sogenannte Betriebsprämie in der neuen Lohneinstufung mit berücksichtigt werden, so daß deren getrennte Ermittlung und Ausweisung nicht mehr erfolgt. b) Unterschiedliche Fähigkeiten, Kenntnisse und Leistungen sollen auch in unterschiedlichen ü b e r t a r i f l i c h e n Löhnen Berücksichtigung finden. c) . . • • 2. Lohnfestlegung. a) Für jedes Belegschaftsmitglied wird individuell und unter Berücksichtigung aller einschlägigen Umstände unter Hinzuziehung der Lohnkommission von Herrn K. als zuständigem Sachbearbeiter ein ü b e r t a r i f l i c h e r Stundenlohn im Rahmen dieser Vereinbarung festgelegt. B e i T a r i f ä n d e r u n g e n k ö n n e n die ü b e r t a r i f l i c h e n L o h n b e s t a n d t e i l e g a n z o d e r t e i l w e i s e in A n r e c h n u n g g e b r a c h t werden. b) Diese Lohnfestlegung für jedes Belegschaftsmitglied wird jedes Halbjahr unter Hinzuziehung der Lohnkommission überprüft und evtl. anderweitig festgesetzt. c) . . . . d) 3. Lohnabrechnung. a) Alle Arbeiten im Zeitlohn werden mit dem übertariflichen Zeitlohn gemäß Ziffer 2 a) vergütet. b) Akkordarbeiten werden wie bisher verrechnet. *t
Die Beklagte errechnete hiernach dem Kläger zu 1 einen Betriebszuschlag von 35 °/o, demnach einen Stundenlohn von 2,—DM, dem Kläger zu 2 einen Betriebszuschlag von 3 8 % und demnach einen Stundenlohn von 2,05 D M . Dies teilte sie ihnen schriftlich mit, dem Kläger zu I mit dem Zusatz: „Bei Akkordarbeiten wird der Betriebszuschlag durch die erbrachten Akkordprozente ersetzt". Tatsächlich rechnete die Beklagte den Zuschlag nicht auf den Stundenlohn, sondern auf die Stundenzahl um.
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32. Außertarifliche Zulage
Obwohl der LTV 54 mit Wirkung vom 1. September 1954 in der Gruppe der Kläger den Stundenlohn um 0,08 DM erhöht hatte, zahlte die Beklagte den Klägern nur den früheren Stundenlohn und, soweit der Kläger zu 1 im Zeitakkord arbeitete, den früheren Geldfaktor weiter. Die Kläger verlangen demgegenüber eine Erhöhung ihres Stundensatzes um 0,08 DM. Dementsprechend verlangt der Kläger zu 1 — und zwar auch für den Zeitakkord — für September 1954 eine Nachzahlung von 27,68 DM, der Kläger zu 2 eine Nachzahlung von 23,76 DM. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie dagegen abgewiesen. Die Revision des Klägers zu 2 ist zurückgewiesen worden. Die Revision des Klägers zu 1 führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Aus den G r ü n d e n : A. ( Z e i t l o h n ) Beide Kläger, und zwar der Kläger zu 1, soweit er im Zeitlohn gearbeitet hat, verlangen die Aufstockung des ihnen bis zum 31. August 1954 zu ihrem tariflichen Zeitlohn gewährten Betriebszuschlags auf den höheren, seit dem 1. September 1954 gültigen tariflichen Stundenlohn und demnach die Zahlung eines weiteren Lohnes. Wie das Landesarbeitsgericht mit Recht annimmt, schließt die Anrechnungsklausel der Betriebsvereinbarung vom 3. Februar 1954 die von den Klägern verlangte Aufstockung aus. 1. Die Rechtsgrundlage für den von den beiden Klägern geltend gemachten Anspruch kann der Tarifvertrag nidit sein. Der Tarifvertrag enthält nach § 4 Abs. 3 TVG nur die Mindestbedingungen. Die zu dem tariflichen Lohn gewährte Zulage überschreitet diese Mindestbedingungen und befindet sich daher grundsätzlich im außertariflichen Raum. Nicht nach dem Inhalt des Tarifvertrages, sondern nach der außertariflichen Vereinbarung richtet sich daher die Frage, ob eine Änderung der Situation, unter der eine Zulage vereinbart ist, insbesondere eine Erhöhung des Tariflohns, auf die Verpflichtung zur weiteren Gewährung der außertariflichen Zulage von Einfluß ist (BAG 5, 221 [222]). 2. Die in der Betriebs Vereinbarung vom 3. Februar 1954 enthaltene Anrechnungsklausel ist an sich eindeutig; sie besagt mit klaren Worten, daß bei Tarifänderungen die übertariflichen Lohnbestandteile ganz oder teilweise in Anrechnung gebracht werden können. Daß unter die übertariflidien Lohnbestandteile der den Klägern gewährte Betriebszuschlag fällt, zieht auch die Revision an sich nicht in Zweifel.
32. Tarifliche Anrechnungsklausel
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3. Diese Anrechnungsklausel ist audi wirksam. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie, was das Landesarbeitsgericht verneint, als Betriebsvereinbarung gegen § 59 BetrVG verstößt und insoweit der Wirksamkeit entbehrt. Denn in jedem Falle ist die Anrechnungsklausel Bestandteil des Einzelarbeitsvertrags geworden, wie das Landesarbeitsgericht in seiner Hilfsbegründung rechtlich einwandfrei feststellt. Denn die Beklagte hat die Kläger auf diese Vereinbarung vom 3. Februar 1954 in der schriftlichen Mitteilung hingewiesen, als sie den Klägern die Höhe der ihnen zugebilligten Betriebszulagen mitgeteilt hat, und die Kläger haben den auf Grund dieser Mitteilung errechneten Lohn unbeanstandet angenommen. Gegen diese tatsächliche Feststellung des Landesarbeitsgerichts hat auch die Revision keine rechtlichen Rügen erhoben. Eine Arbeitsbedingung, die nach § 59 BetrVG nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein darf, ist damit nicht auch der einzelvertraglichen Regelung entzogen. 4. Die Anrechnung des den Zeitlöhnern gewährten Betriebszuschlages verstößt auch nicht gegen die in § 3 Ziff. 1 L T V 54 enthaltene Anrechnungsbeschränkung. a) Diese Anrechnung des Betriebszuschlags auf den durch den LTV 54 erhöhten Stundenlohn ist durch die Bestimmung des § 3 Ziffer 1 L T V 54 nicht, wie die Revision meint, grundsätzlich ausgeschlossen. Dem Satz „außertarifliche Zulagen . . . werden in ihrer Höhe durch den Abschluß dieses Abkommens nicht berührt", geben die Parteien widersprechende Auslegungen. Die Beklagte legt die Bestimmung dahin aus, der Tarifvertrag selbst lasse die Zulagen einfach überhaupt unberührt, gestatte also ihre Änderung entsprechend ihrem bisherigen Wesen. Nach der Auslegung der Revision dagegen soll gerade der Arbeitgeber die beim Inkrafttreten des Tarifvertrags geltenden außertariflichen Zulagen unberührt lassen; die Vorschrift spreche also, so meint die Revision, den Arbeitgeber an. Indes kann nur die erstgenannte Auslegung zutreffen. Denn die zweitgenannte Auslegung würde die in ihrer Höhe von Betrieb zu Betrieb und unter Umständen sogar, wie hier, innerhalb eines Betriebes von Arbeitnehmer zu Arbeitnehmer wechselnden Zulagen tariflich festlegen (zementieren). Eine solche Regelung wäre sehr weitgehend. Deshalb hätte der Tarifvertrag sie, hätte er sie gewollt, mit eindeutigen Worten
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32. Tarifliche Anrechnungsklausel
zum Ausdruck gebracht; er hätte ausdrücklich die Zulagen „aufrechterhalten" oder „weiter gewährleistet". Auch die in der Tarifbestimmung enthaltenen Worte „in ihrer H ö h e " erhärten nicht die Ansicht der Revision, daß der L T V 54 gerade den Arbeitgeber ansprechen und ihm aufgeben wolle, außertarifliche Zulagen — ohne Rücksicht auf ihr ursprüngliches Wesen — in ihrer bisherigen Höhe weiter zu zahlen. Die bezeichneten Worte mögen sich, wie die Revision ausführt, erstmalig in dem L T V 54 finden. Indes ergibt diese geschichtliche Entwicklung der Tarifbestimmung jedenfalls unter Berücksichtigung des vorstehend erwähnten Umstandes allein noch nicht, daß sie in Abweichung von dem Inhalt der früheren Anrechnungsbeschränkungen gerade ein besonderes Gebot an den Arbeitgeber enthalten sollte, außertarifliche Zulagen unberührt zu lassen, also in ihrer bisherigen Höhe weiter zu zahlen. Gerade die farblose Redewendung „werden . . . nicht berührt" ergibt, daß es sich, wie das Landesarbeitsgericht richtig sieht, um eine „neutrale Klausel" handelt. Sie scheiden auch „in ihrer Höhe" aus dem Wirkungsbereich der Tarifvereinbarung aus. Der Tarifvertrag wollte eben nicht dem einzelnen Arbeitgeber eine besondere Auflage machen, sondern nur zum Ausdruck bringen, daß er — der Tarifvertrag — zu den außertariflichen Zulagen überhaupt nichts sagen, sie also in ihrem bisherigen Wesen nicht antasten, also unberührt lassen wolle. So hat der erkennende Senat auch im Urteil vom 6. März 1958 (BAG 5, 226 [227/228]) eine insoweit gleichlautende Klausel — sie enthält übrigens ebenfalls die Worte „in ihrer Höhe" — eines zwischen den gleichen Tarifpartnern im Jahre 1955 abgeschlossenen Tarifvertrags ausgelegt. Zu dem Wesen der hier gewährten Betriebszulage gehört aber, daß sie von vornherein mit dem Vorbehalt der Anrechnung behaftet war. Dieser im außertariflichen Raum liegende Vorbehalt wurde ihr durch den L T V 54 nicht genommen. Bei dieser neutralen Bedeutung der Bestimmung des § 1 Ziffer 1 LTV 54 braucht nicht noch geprüft zu werden, ob einer tariflichen Bestimmung, die außertarifliche und dabei insbesondere nicht näher aufgeführte und in ihrem Umfang ganz unbestimmte Zulagen aufrecht erhält, überhaupt normative Wirkung zukommt. b) Zudem hat die Beklagte den Klägern nicht den ganzen Betriebszuschlag entzogen, sondern einen Zuschlagsteil von 0,08 DM je Stunde im Ergebnis auf die durch den L T V 54 gewährte Erhöhung des Stundenlohnes angerechnet. In dieser hier allein interessierenden Höhe war der Zuschlag aber weder durch die persönliche Leistung noch durch die An-
32. Außertarifliche Z u l a g e n
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forderungen des Arbeitsplatzes, wie es die bezeichnete Tarifbestimmung erfordert, bedingt. Das Landesarbeitsgericht nimmt, ohne es näher zu erörtern, von der Anredinungsbeschränkung die außertariflichen Zulagen aus, die nicht im Hinblick auf die persönliche Leistung und auf die Anforderung des Arbeitsplatzes gewährt werden. Dieser Auslegung durch das Landesarbeitsgericht ist zuzustimmen. Wenn § 3 Ziffer 1 des L T V 54 lediglich die leistungs- und funktionsbedingten übertariflichen Zulagen unberührt läßt, so läßt es damit mindestens zu, daß Zulagen anderer Art auf die Tariferhöhung angerechnet werden können, wenn eine solche Anrechnung in dem Einzelarbeitsvertrag vorgesehen ist. Im Ergebnis enthält der L T V 54 insoweit etwas Selbstverständliches. Das Landesarbeitsgericht entnimmt der Entstehungsgeschichte der im Betriebe der Beklagten den Arbeitnehmern gewährten Betriebszulage, daß die Beklagte grundsätzlich jedem Arbeitnehmer einen übertariflichen Lohn habe zahlen wollen und daß lediglich in der Relation der übertariflichen Löhne zu einander Unterschiede nach Fähigkeiten, Kenntnissen und Leistungen gemacht werden sollten. Alle Arbeitnehmer hätten mindestens eine übertarifliche Zulage von 20°/o erhalten; daraus gehe hervor, daß mindestens in dieser Höhe die übertarifliche Zulage weder leistungs- noch funktionsbedingt gewesen sei. Diese übertarifliche Zulage habe die Beklagte auch nicht an den jeweiligen Tariflohn gekoppelt, vielmehr habe sie sich in der Vereinbarung vom 3. Februar 1954 die Verrechnung bei einer künftigen Lohnerhöhung vorbehalten. Die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, daß die von der Beklagten ihren Arbeitnehmern gezahlte Betriebszulage mindestens in der Höhe von 20°/o weder leistungs- noch funktionsbedingt war, ist eine tatsächliche Feststellung. Sie ist rechtlich möglich und läßt einen Denkfehler — soweit der Zeitlohn in Frage steht — nicht erkennen. Dieser tatsächlichen Feststellung steht nicht entgegen, daß, worauf die Revision hinweist, weder soziale Gründe noch ein Vorgriff auf künftige Lohnerhöhungen zu der betrieblichen Zulage Anlaß gegeben hätten. Denn ein günstiger Geschäftsgang der Beklagten und die in der Vereinbarung vom 3. Februar 1954 zum Ausdruck gebrachte Absicht, die bis dahin gezahlte Gesamtlohnsumme nicht zu verändern, geben eine genügende Erklärung dafür, eine Zulage zu gewähren, die weder leistungs- noch funktionsbedingt ist. c) Möglich ist allerdings, daß diese tatsächliche Feststellung auf den Aussagen der beiden Zeugen K. und B. beruht; diese beiden Zeugen hat das Landesarbeitsgericht vernommen, den Inhalt ihrer Aussage aber in dem
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32. Zeugenaussagen
Protokoll nicht festgestellt; dagegen hat es in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils den Inhalt der Aussagen genau wiedergegeben. Zu Unrecht sieht die Revision in diesem Verfahren die Verletzung des § 161 und des § 313 Abs. 1 Nr. 3 Z P O . Die Wiedergabe der Aussagen im Tatbestand ist in sich verständlich; nur eine solche formelle Wiedergabe verlangt die Rechtsprechung (RGZ 145, 392; O G H brit. Z. 1, 169). Das Fehlen der m § 395 Abs. 2 Satz 1 Z P O vorgeschriebenen Angabe über Stand und Wohnort der Zeugen erscheint unerheblich, schon weil Zweifel an der Identität nicht auftreten können. Daß die vernommenen Zeugen nicht beeidigt sind, bedarf nicht, wie die Revision meint, stets der ausdrücklichen Aufnahme in das Protokoll. Fehlt die Feststellung der Beeidigung im Protokoll, so gilt der Zeuge eben als unbeeidigt, wie dies im Zivilprozeß nach § 391 Z P O die Regel ist. Die Frage, ob die Wiedergabe im Berufungsurteil richtig und vollständig ist, kann ihrem Wesen nach nicht im Revisionsverfahren, sondern nur im Berichtigungsverfahren von dem Berufungsgericht nachgeprüft werden. Einen solchen Antrag hat der Kläger auch gestellt; das Landesarbeitsgericht hat ihn aber zurückgewiesen. Ob die Revision mit Erfolg eine Verletzung des § 286 Z P O hätte rügen können, weil das Landesarbeitsgericht die Zeugen angeblich über vom Kläger aufgestellte Behauptungen nicht vernommen hat, braucht nicht geprüft zu werden; denn eine solche formelle Rüge hat die Revision eben nicht erhoben. Die erhobene Rüge einer Verletzung der § § 1 6 1 und 313 Z P O in eine Rüge umzudeuten, daß der § 286 Z P O verletzt sei, geht nicht an. 5. Schließlich verstößt die Anrechnung — wenigstens in dem hier in Frage kommenden LImfange — auch nicht, wie die Revision rügt, gegen § 6 a RTV. Diese Bestimmung sieht allerdings vor, daß die Entlohnung der individuellen Leistung des einzelnen Arbeiters Rechnung tragen solle. O b hiernach der einzelne Zeitlohnarbeiter auf einen Zuschlag, der lediglich durch seine individuelle Leistung gerechtfertigt ist, bereits einen tariflichen Anspruch hat, braucht hier nicht geprüft zu werden; denn jedenfalls der hier in Frage kommende Zuschlag von 20°/o ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts durch andere Gründe als die individuelle Leistung des einzelnen Arbeiters bestimmt und fällt daher nicht unter die Bestimmung des § 6 a RTV. 6. Zu Recht hat daher das Landesarbeitsgericht beiden Klägern eine Erhöhung ihres Verdienstes im Zeitlohn versagt. Welcher Teil der Klageforderung des Klägers zu 1 seine Arbeit im Zeitlohn betrifft, ergibt das angefochtene Urteil nicht. Deshalb ist es dem Revisionsgericht nicht
32. Z e i t a k k o r d
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möglidi, wegen dieses Teils der Klageforderung den Kläger zu 1, dessen Klage wegen seines Akkordverdienstes nach den unten zu B. zu machenden Ausführungen noch nicht entsdieidungsreif und daher an das Landesarbeitsgericht zurückzuweisen ist, abzuweisen. B.
(Zeitakkord).
Der Kläger zu 1 verlangt — neben einem höheren Stundenlohn, soweit er im Zeitlohn gearbeitet hat (oben zu A.) — auch, soweit er im Zeitakkord gearbeitet hat, eine Erhöhung des Geldfaktors entsprechend der Erhöhung des tariflichen Stundenlohnes. Die Beklagte hat für die Berechnung des Akkordlohnes des Klägers nach dem 1. September 1954 — in gleicher Weise wie zuvor — den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden tariflichen Stundenlohn von 1,48 DM und nicht den neuen tariflichen Stundenlohn von 1,56 DM als Geldfaktor angewandt. I. Auf die tariflichen Bestimmungen kann der Kläger ein Recht auf den von ihm verlangten höheren Geldfaktor nicht unmittelbar stützen. 1. In erster Linie stützt die Revision das Recht des Klägers auf den von ihm gewünschten Geldfaktor auf den von ihr bejahten „Automatismus", d. h. auf den vermeintlichen Grundsatz, daß die Erhöhung des tariflichen Zeitlohnes von selbst den jeweils angewandten Geldfaktor — ohne Rücksicht auf dessen Höhe und ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der vorgegebenen Zeiten — entsprechend erhöhe. Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht diese Ansicht abgelehnt. Der erkennende Senat hat in dem zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmten Urteil vom 24. Juli 1958 — 2 AZR 287/55 — (BAG 6, 174 [178]) ausgeführt, daß weder das Wesen des Zeitakkordes noch die hier zur Anwendung kommende tarifliche Regelung beinhalten, daß die Erhöhung des tariflichen Zeitlohnes in jedem Falle von selbst den Geldfaktor erhöht. Auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird verwiesen. 2. Nur wenn die hier angewandten Geld- und Zeitfaktoren in ihrem Zusammenwirken dem § 7 Abs. 1 R T V nicht genügen würden, wäre der Anspruch des Klägers zu 1 unter Umständen begründet. Der Kläger zu 1 trägt indes gar nicht vor, daß die von der Beklagten seit dem I. September 1954 angewandten Geld- und Zeitfaktoren den normalen Arbeiter unter normalen Verhältnissen nicht in den Stand setzen, den Akkordrichtsatz zu verdienen.
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32. Zeitakkord
3. Sind die Zeiten nicht überhöht, sondern objektiv richtig, so muß der Geldfaktor, falls er den Akkordzuschlag enthält, mindestens dem Akkordrichtsatz gleichen. Dies hat der erkennende Senat in dem zuvor bezeichneten Urteil vom 24. Juli 1958 ausgesprochen. Audi insoweit wird auf die Entsdheidungsgründe dieses Urteils verwiesen. Daß hier die Zeiten überhöht sind, trägt aber der Kläger zu 1 auch nidit vor. II. Nur der besondere Inhalt des Einzelarbeitsvertrages kommt daher, was das Landesarbeitsgericht richtig sieht, als möglicher Rechtsgrund für den vom Kläger zu 1 verlangten Geldfaktor in Betracht. Die Revision meint, die Beklagte habe mindestens durch die Vereinbarung vom 3. Februar 1954 den Geldfaktor an den jeweiligen tariflichen Stundenlohn gebunden. 1. Daß der besondere Inhalt des Einzelarbeitsvertrages besagen kann, als Geldfaktor habe ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der Zeiten stets der jeweilige tarifliche Stundenlohn zu gelten, hat der erkennende Senat in dem oben bezeichneten Urteil vom 24. Juli 1958 (BAG 6 , 1 7 4 [187]) ausgeführt. Auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird auch insoweit verwiesen. Bei dem Abkommen mit dem Betriebsrat vom 3. Februar 1954 könnten jedenfalls in diesem Zusammenhang auch hier keine betriebsverfassungsrechtlichen Bedenken erhoben werden. 2. Das Landesarbeitsgericht lehnt eine solche Bindung ab, da die Beklagte unstreitig bisher unterschiedliche Geldfaktoren bei dem gleichen tariflichen Stundenlohn von 1,48 DM angewandt habe. Worin diese verschiedenen Geldfaktoren bestehen sollen, sagt das Landesarbeitsgericht jedoch nicht. Nach den Feststellungen im Tatbestande wurde dem Kläger zu 1 seit dem 1. März 1954 ständig der gleiche Geldfaktor von 1,48 DM gutgebracht; ob auch schon vor diesem Zeitpunkt, ist möglich, aber nicht festgestellt. Insoweit sind die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts unklar und nicht frei von einem möglichen Widerspruch; sie lassen die Möglichkeit zu, daß das Landesarbeitsgericht den Geldfaktor mit dem Zeitfaktor verwechselt. Denn der Zeitfaktor, nicht der Geldfaktor enthielt die Betriebszuschläge. 3. Das Landesarbeitsgericht lehnt die Erhöhung des Geldfaktors auf den neuen tariflichen Stundenlohn weiterhin — wie angenommen werden muß, auch unter dem Gesichtspunkt des besonderen Inhalts des Einzelarbeitsvertrages — mit der Begründung ab, daß die Zeiten erhebliche Zuschläge enthielten und daher überhöht seien; der Kläger habe den Akkordrichtsatz von 1,79 DM erhalten; die 7 %ige Lohnerhöhung
32. Zeitakkord
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durch den LTV dürfe die Beklagte mit den überhöhten Zeitzusdilägen verrechnen. a) Ob die Beklagte die reinen Zeiten, d. h. die Zeiten ohne den Betriebszuschlag, durch Zeitmessungen auf Grund einer arbeitswissenschaftlichen Methode gefunden oder durch Schätzung ermittelt hat, klärt das Landesarbeitsgericht überhaupt nicht auf. Es muß also für die Revision zu Gunsten des Klägers zu 1 davon ausgegangen werden, daß die Zeiten auf Grund einer arbeitswissenschaftlichen Methode gefunden worden sind. Dann muß sie aber die Beklagte in der so gemessenen Höhe, d. h. ohne die „Betriebszuschläge''', grundsätzlich gegen sich gelten lassen. b) Soweit das Landesarbeitsgericht aus den Zuschlägen Schlüsse zieht, sind seine Ausführungen unklar. Die Beklagte hat ihren Akkordarbeitern Betriebszuschläge nicht ausdrücklich gezahlt; die Akkordarbeiten wurden nach der Betriebsvereinbarung vom 3. Februar 1954 „wie bisher verrechnet"; die Beklagte hatte dem Kläger zu 1 auch mitgeteilt, daß „bei Akkordarbeiten der Betriebszuschlag durch die erbrachten Akkordprozente ersetzt" werde. Ob die nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts überhöhten Zeiten den in § 7 Ziffer 1 Satz 1 R T V vorgesehenen Akkordzuschlag von 15 °/o enthielten, sagt das Landesarbeitsgericht nicht; zu Gunsten des Klägers muß dies für die Revisionsinstanz angenommen werden. Dann enthalten aber die Zeiten zunächst den 15 Voigen Akkordzuschlag. Die Überhöhung war dann um 15 %> geringer, als das Landesarbeitsgericht annimmt. Hierauf weist die Revision mit Recht hin. Dem Kläger zu 1 hat die Beklagte, wenn er im Zeitlohn arbeitete, einen Betriebszuschlag von 3 5 % gewährt. Es liegt also nahe, daß er, wenn er im Akkord arbeitete, auch effektiv etwa 3 5 % mehr als den tariflichen Stundenlohn verdient hat. Rechnet man hiervon den ihm allemal zustehenden Akkordzuschlag von 1 5 % ab, so überstieg der vom Kläger zu 1 erzielte Verdienst den Akkordrichtsatz nur noch um 2 0 % und nicht etwa um 3 5 % . c) Die Möglichkeit, daß das Landesarbeitsgericht die ganzen Zusammenhänge weder nach der rechtlichen noch nach der tatsächlichen Seite hin mit der nötigen Schärfe erkannt hat, liegt umso näher, als es davon spricht, daß „nach wie vor sein — des Klägers zu 1 — tariflicher Anspruch auf Erreichung des Akkordrichtsatzes von 1,79 DM erfüllt sei". Ob ein konkreter Arbeitnehmer den Akkordrichtsatz erreicht oder nicht, darauf kommt es nach dem R T V überhaupt nicht an. Denn der Akkordrichtsatz des R T V ist keine Akkordsicherungsklausel (BAG 1, 147 [149]); entscheidend ist nach § 7 Ziffer 1 Satz 1 R T V lediglich, daß der normale 15 Entscheid, d. B A G . 6
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3 2 . Tarifliche Anredinungsklausel
Arbeiter unter den dort bestimmten Voraussetzungen den Akkordrichtsatz erreicht. Einem persönlich unternormal leistungsfähigen Akkordarbeiter versagt § 7 Ziffer 2 Satz 1 ausdrücklich den Akkordrichtsatz. Dafür ist der Verdienst, den ein Akkordarbeiter entsprechend seiner übernormalen Leistungsfähigkeit über den Akkordrichtsatz hinaus erzielt, kein übertariflicher, sondern sein tariflicher Lohn. Hat der Kläger zu 1 also bis zum 1. September 1954 einen Zeitakkordlohn erzielt, der den Akkordrichtsatz um 2 0 °/o überstieg, so ist dieser Mehrverdienst jedenfalls insoweit kein übertariflicher, als der Kläger zu 1, was für die Revision nicht auszuschließen ist, mehr als der normale Arbeiter leistete. 4. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, der Einzelarbeitsvertrag habe nicht den besonderen Inhalt gehabt, daß — ohne Rücksicht auf die vorgegebenen Zeiten — der jeweilige tarifliche Stundenlohn als Geldfaktor anzuwenden sei, sind also so unklar, daß sie keinen Bestand haben können. 5. Die Anwendung der Anredinungsklausel der Betriebsvereinbarung vom 3. Februar 1954 auf die etwa erhöhten Zeiten prüft das Landesarbeitsgericht mit Recht nicht besonders. Diese Anrechnungsklausel, die — ebenso wie für die Zeitlöhner — auch für die Akkordarbeiter jedenfalls als Bestandteil des Einzelarbeitsvertrages Geltung haben könnte, bezieht sich ihrem Wesen nach aber nur auf die Betriebszuschläge; diese wurden als solche eben nur den Zeitlöhnern, nicht den Akkordlöhnern, bei denen sie „durch die erbrachten Akkordprozente ersetzt" wurden, gewährt. Bei den Akkordlöhnern fällt die Frage der Anrechnung der etwa überhöhten Zeiten auf eine tarifliche Lohnerhöhung notwendigerweise mit der bereits oben zu 1. bis 3. behandelten Frage zusammen, ob nach dem besonderen Inhalt des Einzelarbeitsvertrages der bei den erhöhten Zeiten gewährte Geldfaktor überhaupt dem jeweiligen tariflichen Stundenlohn gleichen sollte oder nicht. 6. Richtig ist ferner entgegen der Auffassung der Revision die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, daß auch die Anrechnungsbeschränkung des § 3 Ziffer 3 L T V 54 dem Kläger nicht zum Siege verhelfen kann. Denn die Zeiten hat die Beklagte ja nicht gekürzt, sie hat lediglich den Geldfaktor nicht erhöht. Dasselbe gilt von der Anrechnungsbeschränkung der Ziffer 1, was das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhange nicht noch besonders prüft; denn diese Anrechnungsbeschränkung hat nur die Bedeutung einer „neutralen Klausel" (s. oben A 4 a).
32. Zeitakkord und Betriebsrat
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II. Die Revision bekämpft das angefochtene Urteil, soweit es den Zeitakkord betrifft, schließlich mit der Rüge, daß es das Recht des Betriebsrates nach § 56 Abs. 1 Buchstabe g BetrVG, in der Regelung von Akkord- und Stücklohnsätzen mitzubestimmen, übersehen habe. Die Beklagte habe ein bestimmtes betriebseigenes System des Zeitakkordes entwickelt. Ihre vorgegebenen Zeiten enthielten nämlich drei Bestandteile: 1. die eigentlichen — gemessenen oder geschätzten — Zeiten, 2. den Akkordzuschlag, 3. einen besonderen der Höhe nach bestimmten betrieblichen Zuschlag. Bei diesen Zeiten habe sie als Geldfaktor den tariflichen Stundenlohn angewandt. Auf dieses einmal gewählte System habe sich die Beklagte festgelegt. Ohne Mitwirkung des Betriebsrats könne sie von ihm nicht abweichen. Diese Mitwirkung habe das Landesarbeitsgericht aber nicht festgestellt. Die Abweichung sieht die Revision in dem folgenden: Die Beklagte habe allerdings rechnerisch die Zeiten am 1. September 1954 nicht verkürzt; dagegen habe sie den Geldfaktor nicht auf den durch den LTV 54 erhöhten tariflichen Stundenlohn heraufgesetzt; gerade diese Nichterhöhung des Geldfaktors rechtfertige sie aber mit den erhöhten Zeiten. Im Ergebnis wolle sie also von ihrem einmal festgelegten System abweichen. Für die vorliegende Entscheidung kann dahingestellt bleiben, ob die Mitwirkung des Betriebsrats sich auch auf die Festsetzung des Geldfaktors erstreckt und ob die von der Beklagten nach der Darstellung des Klägers zu 1 vorgenommene Änderung der Berechnungsart, wie die Revision meint, eine Änderung des gesamten Akkordsystems bedeutet und daher in jedem Falle der Mitbestimmung des Betriebsrates unterlag. Die etwaige betriebsverfassungsrechtliche Unwirksamkeit des Geldfaktors oder der ganzen Berechnungsmethode, die die Beklagte seit dem 1. September 1954 angewandt hat, wäre, was die Revision übersieht, für sich allein nicht imstande, dem Kläger zum Siege zu verhelfen. Denn wäre der von der Beklagten seit dem 1. September 1954 angewandte Geldfaktor oder das von ihr seitdem angewandte ganze System rechtlich unwirksam, so wäre die Folge hiervon doch nicht, daß gerade der vom Kläger verlangte Geldfaktor oder das von ihm gewünschte System zum Zuge käme; diese Folgen könnten immer nur dann eintreten, wenn dadurch das frühere System, über das die Beklagte und der Betriebsrat einig waren, bestehen geblieben wäre und dieses System den 15'
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33. Probearbeitsverhältnis
von der Revision behaupteten Inhalt (nämlich daß bei den bisher vorgegebenen Zeiten stets der jeweilige tarifliche Stundenlohn als Geldfaktor anzuwenden sei) gehabt hätte. Falls die frühere Einigung die Form einer Betriebsvereinbarung (§ 52 Abs. 2 BetrVG) und daher normative Wirkung gehabt hatte (BAG 3 , 1 [4]), war sie am 1. September 1954 betriebsverfassungsrechtlich wirkungslos geworden. Denn die Betriebsvereinbarung ist zu jeder Zeit kündbar (BAG 4, 232 [23 8]); das das bisherige System ablehnende Verhalten der Beklagten enthielt eine klare Kündigung. Die Betriebsvereinbarung wirkt auch normativ nicht nach (BAG 3, 1 [5]). Hatte der Betriebsrat früher aber nicht in der Form einer Betriebsvereinbarung, sondern formlos zugestimmt, so hat diese Zustimmung ihrer Natur nach erst recht keine weitergehende Wirkung als eine Betriebsvereinbarung haben können. Das Ende der Wirkung der Mitbestimmung des Betriebsrates kann aber keinen rechtlosen Zustand herbeiführen. Vielmehr ist der Einzelarbeitsvertrag mit dem bisherigen Inhalt, der der vom Betriebsrat früher gebilligten Regelung entsprach, bestehen geblieben. Das mögliche Fehlen der etwa erforderlichen Zustimmimg des Betriebsrats zu der von der Beklagten seit dem 1. September 1954 angewandten Akkordregelung ist also — entgegen der Ansicht der Revision — für sich allein gar nicht geeignet, dem Kläger zum Siege zu verhelfen, sondern führt letzten Endes nur zu dem Inhalt des Einzelarbeitsvertrags zurück; dieser ist als möglicher Klagegrund oben unter II erörtert. Hatte der Einzelarbeitsvertrag den besonderen Inhalt, daß der anzuwendende Geldfaktor dem jeweiligen tariflichen Stundenlohn entsprechen müsse (oben zu I), so gilt eben die Berechnungsart, mit der der Kläger zu 1 seinen Akkordlohn errechnet. An diesen möglichen Inhalt des Einzelarbeitsvertrags war die Beklagte gebunden; von ihm durfte sie zu ungunsten des Klägers sich nicht einseitig lösen. Wandte die Beklagte gleichwohl eine dem besonderen Inhalt des Einzelarbeitsvertrags widersprechende niedrigere Berechnungsart an, so hat dies eben nur gegenüber dem Kläger zu 1 keine rechtliche Wirkung; der Kläger zu 1 behielt seinen höheren Anspruch aus dem bisherigen besonderen Inhalt seines Einzelarbeitsvertrags. 33 1. Wird ein Arbeitnehmer zur Probe angestellt, so ist, wenn eine gegenteilige Vereinbarung fehlt, die Probezeit als Beginn eines Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit anzusehen.
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33. Probearbeitsverhältnis
von der Revision behaupteten Inhalt (nämlich daß bei den bisher vorgegebenen Zeiten stets der jeweilige tarifliche Stundenlohn als Geldfaktor anzuwenden sei) gehabt hätte. Falls die frühere Einigung die Form einer Betriebsvereinbarung (§ 52 Abs. 2 BetrVG) und daher normative Wirkung gehabt hatte (BAG 3 , 1 [4]), war sie am 1. September 1954 betriebsverfassungsrechtlich wirkungslos geworden. Denn die Betriebsvereinbarung ist zu jeder Zeit kündbar (BAG 4, 232 [23 8]); das das bisherige System ablehnende Verhalten der Beklagten enthielt eine klare Kündigung. Die Betriebsvereinbarung wirkt auch normativ nicht nach (BAG 3, 1 [5]). Hatte der Betriebsrat früher aber nicht in der Form einer Betriebsvereinbarung, sondern formlos zugestimmt, so hat diese Zustimmung ihrer Natur nach erst recht keine weitergehende Wirkung als eine Betriebsvereinbarung haben können. Das Ende der Wirkung der Mitbestimmung des Betriebsrates kann aber keinen rechtlosen Zustand herbeiführen. Vielmehr ist der Einzelarbeitsvertrag mit dem bisherigen Inhalt, der der vom Betriebsrat früher gebilligten Regelung entsprach, bestehen geblieben. Das mögliche Fehlen der etwa erforderlichen Zustimmimg des Betriebsrats zu der von der Beklagten seit dem 1. September 1954 angewandten Akkordregelung ist also — entgegen der Ansicht der Revision — für sich allein gar nicht geeignet, dem Kläger zum Siege zu verhelfen, sondern führt letzten Endes nur zu dem Inhalt des Einzelarbeitsvertrags zurück; dieser ist als möglicher Klagegrund oben unter II erörtert. Hatte der Einzelarbeitsvertrag den besonderen Inhalt, daß der anzuwendende Geldfaktor dem jeweiligen tariflichen Stundenlohn entsprechen müsse (oben zu I), so gilt eben die Berechnungsart, mit der der Kläger zu 1 seinen Akkordlohn errechnet. An diesen möglichen Inhalt des Einzelarbeitsvertrags war die Beklagte gebunden; von ihm durfte sie zu ungunsten des Klägers sich nicht einseitig lösen. Wandte die Beklagte gleichwohl eine dem besonderen Inhalt des Einzelarbeitsvertrags widersprechende niedrigere Berechnungsart an, so hat dies eben nur gegenüber dem Kläger zu 1 keine rechtliche Wirkung; der Kläger zu 1 behielt seinen höheren Anspruch aus dem bisherigen besonderen Inhalt seines Einzelarbeitsvertrags. 33 1. Wird ein Arbeitnehmer zur Probe angestellt, so ist, wenn eine gegenteilige Vereinbarung fehlt, die Probezeit als Beginn eines Arbeitsverhältnisses auf unbestimmte Zeit anzusehen.
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33. Probearbeitsverhältnis
2. Bei einem solchen Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit k a n n vereinbart werden, daß während der Probezeit mit einer kürzeren als der gesetzlichen Frist, u. U. sogar ohne Frist gekündigt werden darf. 3. Bei einem Angestellten kann allein aus dem Sinn der Erprobung das Recht zur entfristeten Kündigung während der Probezeit nicht entnommen werden. BGB § 620. III. Senat. Urteil vom 29.7. 1958 i. S. D. B. (Bekl.) w. L. (Kl.) 3 AZR 49/56. I. Arbeitsgericht Heidelberg. — II. Landesarbeitsgericht
Mannheim.
Die Klägerin wurde mit Wirkung vom 1. Dezember 1954 als kartographische Zeichnerin bei einer Einheit der amerikanischen Armee mit einem Bruttogehalt von 324 —DM angestellt. In dem Anstellungsschreiben ist festgelegt: „Dauerbeschäftigung ist abhängig von zufriedenstellender Ableistung einer Probezeit von 90 Kalendertagen". Am 21. Februar 1955 erkrankte die Klägerin und war arbeitsunfähig bis zum 11. April 1955. Am 28. Februar 1955 gegen 18 Uhr erhielt sie durch Boten ein vom 25. Februar 195 5 datiertes Schreiben ihrer Dienststelle, in dem es u. a. heißt: „ I . Es wurde beantragt, Sie a m 2 8 . F e b r u a r 1955 aus folgendem Grunde zu entlassen. 2. Es besteht der Eindruck, daß Sie für die Stelle, die Sie gegenwärtig innehaben, nicht geeignet sind, weil Sie nach angemessener Probezeit noch nicht den Ansprüchen einer kartographischen Zeichnerin genügen. 3. Sie haben das Recht, bis zum 28. Februar 195 5, 17.30 Uhr auf diesen Brief zu antworten. Ihre Antwort wird voll berücksichtigt, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Falls keine Antwort eingeht, wird die Maßnahme auf Grund der augenblicklich vorliegenden Unterlagen durchgeführt. 4 Dieser Brief hebt das Datum vom 31. März 1955 auf." Mit der Post erhielt die Klägerin am 3. März 1955 ein weiteres, schon vorher abgesandtes Schreiben der gleichen Dienststelle, ebenfalls mit Datum vom 25. Februar 1955, das auszugsweise lautet: „ I . Es wurde beantragt, Sie a m 3 1. M ä r z 1955 aus folgendem Grund zu entlassen. 2. ( l ) Siehe wie oben unter 2 . " Durch Benachrichtigung vom 21. April 195 5 wurde das Gehalt der Klägerin rückwirkend ab 1. Februar 1955 auf 359,—DM erhöht.
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33. ProbearbeitsVerhältnis
Mit der Klage begehrt die Klägerin das Gehalt für den Monat März 1955. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das angefochtene Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Aus den G r ü n d e n: I. Der Tarifvertrag für Arbeitnehmer der alliierten Behörden und Streitkräfte vom 28. Januar 1955 (TVAL), der zwar entgegen der Ansicht des angefochtenen Urteils grundsätzlich dieselben Wirkungen wie ein echter Tarifvertrag hat (BAG 5, 130 [135]), ist auf die Beziehungen zwischen den Parteien nicht anwendbar, weil die Klägerin unstreitig nicht organisiert war und auch die Beklagte nicht behauptet hat, daß die Geltung des TVAL irgendwie vereinbart worden ist. II. Wird ein Arbeitnehmer — wie hier die Klägerin — zur Probe angestellt, so ist die Probezeit im Zweifel als Beginn eines Dienstverhältnisses auf unbestimmte Zeit anzusehen. Die Vertragspartner gehen nämlich davon aus, daß sich der Arbeitnehmer in der Regel auf der neuen Stelle bewähren wird und daher auch nach Ablauf der Probezeit auf seinem Arbeitsplatz verbleiben soll (— im Ergebnis übereinstimmend — RAG ARS 31, 177 [178 f.]; Endemann, AR-Blattei, D, Probearbeitsverhältnis A I 1 und C II; Hueck in Hueck-Nipperdey, Arbeitsrecht, 6. Aufl., Bd. 1, S. 488; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl., Bd. 1, S. 558; Siebert, BB1950 S. 946). Anderes kann nur gelten, wenn ein entgegengesetzter Wille der Parteien eindeutig hervortritt. Die mit der Klägerin getroffene Vereinbarung: „Dauerbeschäftigung ist abhängig von der zufriedenstellenden Ableistung einer Probezeit von 90 Kalendertagen" hat das Landesarbeitsgericht dahin ausgelegt, daß nicht ein auf 90 Kalendertage befristetes Arbeitsverhältnis, sondern ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit bestanden habe. Diese Auslegung ist frei von Rechtsirrtum und für das Revisionsgericht bindend. III. Wird eine Probezeit im Rahmen eines Dienstverhältnisses auf unbestimmte Zeit vereinbart, so k a n n das unter Umständen bedeuten, daß während der Probezeit die Vertragsparteien — soweit keine zwingenden gesetzlichen Vorschriften entgegenstehen — sogar ohne Einhaltung einer Frist zu kündigen berechtigt sein sollen. Ob das der Fall ist, ergibt sich aus dem evtl. durdi Auslegung zu ermittelnden Inhalt des Vertrages. Für die Klägerin bestanden zwar keine gesetzlich zwingenden Kündigungsfristen; sie war weder kaufmännische noch gewerbliche Angestellte. Die Parteien hätten daher ein jederzeitiges Kündigungsrecht vereinbaren
33. Probearbeitsverhältnis
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können. Das ist jedoch weder ausdrücklich noch stillschweigend geschehen. Die Vereinbarung von gerade 90 Kalendertagen als Probezeit hat das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsirrtum dahin gewürdigt, daß sie den Ablauf des Monats Februar 1955 bezeichnet. Aus dem Sinn einer Erprobung a l l e i n ist ein Recht zur entfristeten Kündigung eines Angestellten nicht zu entnehmen. Es wird zwar in der Literatur (vgl. insbesondere Hueck in Hueck-Nipperdey, Arbeitsrecht, 6. Aufl., Bd. I, S. 489 f.; Soergel, 8. Aufl., § 620 Anm. 3; Staudinger-Nipperdey-Neumann, 11. Aufl., § 620 Anm. 32) vielfach die Ansicht vertreten, bei Angestellten, die hinsichtlich der Kündigungsfristen und -termine keinem besonderen Schutz unterstehen, müsse man im Zweifel annehmen, daß ihnen nach dem mit dem Zweck der Probezeit verbundenen Parteiwillen zum Schlüsse eines jeden Tages ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden könne; andernfalls würden nämlich als Kündigungsfristen die gesetzlichen Fristen gelten und dann habe die Vereinbarung der Probezeit überhaupt keinen Sinn mehr. Dieser Rechtsansicht kann der Senat nicht folgen. Angestellten kann, wenn nichts anderes vereinbart worden ist, auch während der Probezeit im Zweifel nur zum Ende eines Monats, und zwar, wenn andere Anhaltspunkte fehlen, mit der gesetzlichen Kündigungsfrist gekündigt werden. Das ergibt sich daraus, daß Angestellte ihre Stelle üblicherweise nur zum Monatsersten wechseln. Ein Angestellter hat daher ein berechtigtes Interesse daran, daß ihm nur zum Monatsende gekündigt werde, damit die Kündigung von Außenstehenden nicht als Kündigung aus wichtigem Grunde beargwöhnt wird und er ohne Unterbrechung eine neue Stelle antreten kann. Er hat weiter auch ein starkes Interesse an der Einhaltung einer Kündigungsfrist, damit er Zeit hat, sich eine neue Stelle zu einem Termin zu suchen, an dem üblicherweise ein Stellenwechsel stattfindet. Allein aus dem Wesen eines Probearbeitsverhältnisses läßt sich demgegenüber kein entgegengesetzter Parteiwille unterstellen und nicht die Berechtigung einer entfristeten Kündigung des Angestellten ableiten (vgl. B A G 2, 245 [249]; RGRK-Denecke, 10. Aufl., § 620 Anm. 1 und Palandt-Gramm, 17. Aufl., § 620 Anm. 4, jeweils im Gegensatz zu den früheren Auflagen). Die Vereinbarung einer Probezeit behält auch ohnedem ebenso einen Sinn wie bei kaufmännischen und gewerblichen Angestellten, soweit ihnen (nach § 67 Abs. 1 Halbs. 2 HGB, § 133 aa Abs. 1 Halbs. 2 GewO) eine zwingende Kündigungsfrist zur Seite steht. Der Sinn der Probe besteht dann darin, dem Arbeitnehmer vor Augen zu halten, daß er sich erst noch bewähren müsse, wenn er Aussicht haben wolle, bei seinem Dienstherrn weiter auf Dauer beschäftigt zu werden. Da mit der Klägerin keine
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34. Mittelbares Arbeitsverhältnis
besondere Kündigungsfrist oder eine Befreiung davon vereinbart worden ist, konnte sie am 28. Februar 1955 nicht mit sofortiger Wirkung entlassen werden; vielmehr durfte ihr gemäß § 6 2 1 Abs. 3 BGB erst zum Schlüsse des folgenden Monats gekündigt werden. Durch das der Klägerin am 28. Februar 1955 zugegangene Schreiben der Dienststelle vom 25. Februar 1955, das vom Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit beiden Parteien als Kündigung aufgefaßt worden ist, hat daher das Arbeitsverhältnis erst zum 31. März 195 5 sein Ende gefunden. Die Klägerin hat somit für den Monat März noch Anspruch auf Lohn. IV. Zwar ist die Klägerin seit dem 21. Februar 1955 wegen Krankheit an der Dienstleistung verhindert gewesen. Hierdurch hat sie jedoch ihren Gehaltsanspruch nicht verloren. Gemäß § 616 BGB kann ein Angestellter die ihm vertraglich zugesicherte Vergütung weiter verlangen, wenn er nicht über sechs Wochen an der Dienstleistung verhindert gewesen ist. Die Klägerin war bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses am 31. März 1955 noch nicht sechs Wochen von diesem Arbeitsplatz ferngeblieben, so daß schon aus diesem Grunde ihr Dienstherr den Lohn weiterzahlen mußte. Aber selbst wenn man der Ansicht ist, daß im Rahmen des § 616 BGB auch eine Krankheitszeit, die sich unmittelbar an eine Entlassung anschließt, mit berücksichtigt werden müsse, würde der Klägerin für die ersten sechs Wochen ihrer Krankheit doch die vertragliche Vergütung zustehen; denn ein Angestellter hat gemäß § 6 1 6 BGB auch bei einer Krankheit von erheblicher Dauer für die ersten sechs Wochen einen Anspruch auf Weiterzahlung seines Lohnes (vgl. BAG 1, 338).
34 1. Zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses bedarf es eines Arbeitsvertrages. 2. Aus dem als „mittelbares Arbeitsverhältnis" bezeichneten Tatbestand — ein Arbeitnehmer verpflichtet sich gegenüber einem anderen (Mittelsmann), der selbst Arbeitnehmer eines Dritten ist, zur Leistung von Arbeit, wobei die Arbeit tatsächlich mit Wissen des Dritten unmittelbar für diesen geleistet wird — entstehen noch keine Lohnansprüche des Arbeitnehmers gegen den Dritten. Soll der Dritte dem Arbeitnehmer die Vergütung schulden oder für sie haften, sei es allein und unmittelbar oder neben dem Mittelsmann oder subsidiär nach ihm, so bedarf es hierfür eines besonderen Verpflichtungsgrundes.
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34. Mittelbares Arbeitsverhältnis
besondere Kündigungsfrist oder eine Befreiung davon vereinbart worden ist, konnte sie am 28. Februar 1955 nicht mit sofortiger Wirkung entlassen werden; vielmehr durfte ihr gemäß § 6 2 1 Abs. 3 BGB erst zum Schlüsse des folgenden Monats gekündigt werden. Durch das der Klägerin am 28. Februar 1955 zugegangene Schreiben der Dienststelle vom 25. Februar 1955, das vom Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit beiden Parteien als Kündigung aufgefaßt worden ist, hat daher das Arbeitsverhältnis erst zum 31. März 195 5 sein Ende gefunden. Die Klägerin hat somit für den Monat März noch Anspruch auf Lohn. IV. Zwar ist die Klägerin seit dem 21. Februar 1955 wegen Krankheit an der Dienstleistung verhindert gewesen. Hierdurch hat sie jedoch ihren Gehaltsanspruch nicht verloren. Gemäß § 616 BGB kann ein Angestellter die ihm vertraglich zugesicherte Vergütung weiter verlangen, wenn er nicht über sechs Wochen an der Dienstleistung verhindert gewesen ist. Die Klägerin war bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses am 31. März 1955 noch nicht sechs Wochen von diesem Arbeitsplatz ferngeblieben, so daß schon aus diesem Grunde ihr Dienstherr den Lohn weiterzahlen mußte. Aber selbst wenn man der Ansicht ist, daß im Rahmen des § 616 BGB auch eine Krankheitszeit, die sich unmittelbar an eine Entlassung anschließt, mit berücksichtigt werden müsse, würde der Klägerin für die ersten sechs Wochen ihrer Krankheit doch die vertragliche Vergütung zustehen; denn ein Angestellter hat gemäß § 6 1 6 BGB auch bei einer Krankheit von erheblicher Dauer für die ersten sechs Wochen einen Anspruch auf Weiterzahlung seines Lohnes (vgl. BAG 1, 338).
34 1. Zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses bedarf es eines Arbeitsvertrages. 2. Aus dem als „mittelbares Arbeitsverhältnis" bezeichneten Tatbestand — ein Arbeitnehmer verpflichtet sich gegenüber einem anderen (Mittelsmann), der selbst Arbeitnehmer eines Dritten ist, zur Leistung von Arbeit, wobei die Arbeit tatsächlich mit Wissen des Dritten unmittelbar für diesen geleistet wird — entstehen noch keine Lohnansprüche des Arbeitnehmers gegen den Dritten. Soll der Dritte dem Arbeitnehmer die Vergütung schulden oder für sie haften, sei es allein und unmittelbar oder neben dem Mittelsmann oder subsidiär nach ihm, so bedarf es hierfür eines besonderen Verpflichtungsgrundes.
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34. Mittelbares Arbeitsverhältnis
3. Es ist jedoch bei dem bezeichneten Tatbestand zu prüfen, ob nicht von den Beteiligten in Wirklichkeit ein unmittelbares Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Dritten gewollt ist. BGB § 6 1 1 . IV. Senat. Urteil vom 8. 8. 1958 i. S. D. (Kl.) w. B. F. (Bekl.) 4 AZR 173/55. 1. Arbeitsgericht München. —
II. Landesarbeitsgericht Bayern
(München).
Der Kläger wurde am 1. Oktober 1949 von dem Kapellmeister G. als Solobratscher in dem Orchester G. eingestellt. Dieses Orchester bestand seit dem Jahre 1945 mit einem Stamm von 45 Musikern. Der Kläger war in ihm bis zum 31. Oktober 1951 tätig. Am 26. Oktober 1949 schloß der Kapellmeister G. mit der beklagten Rundfunkanstalt folgende Vereinbarung: „Der . . . Rundfunk verpflichtet Herrn G. mit seinem Orchester von 45 Mann für die Zeit vom 1. 11. 4 9 bis 31. 3. 1950, wobei ein wöchentlicher Einsatz von 36 Stunden vorgesehen ist. Eventuelle Mehreinsätze sind jeweils von Fall zu Fall festzulegen und gesondert zu honorieren. Sowohl Herr G. als seine sämtlichen Orchestermitglieder treten zum Rundfunk in keinerlei festes Anstellungsverhältnis, und es besteht ausdrücklich Übereinstimmung, daß Herr G. und die sämtlichen Mitglieder seines Orchesters nach wie vor freie Mitarbeiter des Rundfunks sind und für ihre Steuerverpflichtungen selbst aufzukommen haben. Herr G. hat seine Orchestermitglieder selbst auszubezahlen, wird aber der Leitung des Rundfunks monatlich eine Liste über die von ihm beschäftigten Personen und deren Bezüge übergeben. Innerhalb der Dauer des gegenwärtigen Übereinkommens wird Herr G. spätestens in den letzten drei Tagen des Vormonats für den kommenden Monat einen Verpflichtungsschein entgegennehmen. Soweit das gegenwärtige Übereinkommen nichts Abweichendes bestimmt, gelten für die rechtlichen Beziehungen zwischen Herrn G. und dem Rundfunk die allgemeinen Angaben auf dem üblichen Verpflichtungsschein. Herr G. kann z. B. auch für Hörspiele, Kabarettveranstaltungen und sonstige Wort- und Tonsendungen eingesetzt werden. Der Rundfunk bezahlt an Herrn G. im Rahmen der hiermit vorgesehenen Einsätze den festen Betrag von monatlich DM 25 000,— jeweils in nachhinein, wobei für Dirigieren, Aufstellung des Orche-
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34. Mittelbares Arbeitsverhältnis
sters, Verwaltungsunkosten usw. für Herrn G. im Rahmen der obigen Pauschalsumme D M 1500,— vorgesehen sind. Audi wenn die gegenwärtige Vereinbarung über den vorgesehenen Zeitablauf hinaus längere Zeit in Kraft bleiben sollte, besteht für den Rundfunk keinerlei Verpflichtung, Herrn G., sein Orchester in seiner Gesamtheit oder einzelne seiner Mitglieder jemals als Festangestellte zu übernehmen. Es wird seitens des Rundfunks Herrn G. ausdrücklich zugesichert, daß er selbst 4mal monatlich das Orchester dirigieren kann. In diesem Fall erfolgt die Ansage unter der Bezeichnung „Orchester G . " . In den Fällen, in denen nicht Herr G., sondern ein anderer Kapellmeister das Orchester dirigiert, ist der Rundfunk berechtigt, das Orchester unter der Bezeichnung „Studio Orchester" anzusagen. Mitteilungen an die Presse und Pressebesprechungen, die mit Herrn G. oder seinem Orchester in Beziehung stehen, dürfen nur in Zusammenarbeit mit der Intendanz des Rundfunks erfolgen. Der Rundfunk behält sich ausdrücklich das Bestimmungsrecht über die Besetzung einzelner Instrumente vor. Für alle internen Vorgänge innerhalb des Orchesters haftet ausschließlich Herr G. Dem Rundfunk gegenüber haftet Herr G. für die Erfüllung der Vereinbarung auf Grundlage der heutigen Qualität, Zusammensetzung und Quantität des Orchesters. Mündliche Abreden bestehen nicht und sind auch für die Zukunft ausgeschlossen. Insbesondere bedarf eine Verlängerung der gegenwärtigen Vereinbarung der ausdrücklichen Schriftform, d. h. der Unterzeichnung durch beide Teile." Am 1. November 1 9 4 9 legte G. den Musikern seines Orchesters einen Vertragsentwurf vor, nach dem sich der einzelne Musiker gegenüber G. verpflichten sollte, im „Orchester G . " sowie im „Studio-Orches t e r " in dem Monat November 1 9 4 9 bei dem Beklagten wöchentlich 36 Stunden gegen eine bestimmte monatliche Vergütung zu spielen. Die Vereinbarung sollte sich, wenn nichts Gegenteiliges bis zum 15. eines Monats mitgeteilt wurde, jeweils um einen Monat verlängern. Gegen gesonderte Bezahlung war auch die Beschäftigung für andere Einsätze des Orchesters (Film, Konzerte) vorgesehen. Die Mitwirkung des Musikers in anderen Kapellen sollte der Zustimmung von G. bedürfen. Während die Mehrzahl der Musiker diesen Vertragsentwurf unterzeichnete, wurde die Unterzeichnung vom Kläger und einigen anderen Musikern abgelehnt. Die Tätigkeit des Orchesters für den Beklagten wickelte sich zunächst entsprechend dem Vertrage vom 26. Oktober 1 9 4 9 ab. Seit dem
34. Mittelbares Arbeitsverhältnis
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1. April 1950 ließ der Beklagte nur noch Tonbänder bespielen und zahlte dafür eine Vergütung von 1410,— DM je Aufnahme. Die Vergütung des Klägers wurde von dem Kapellmeister G. festgesetzt. Er erhielt im Jahre 1950 von Januar bis April ein Monatsgehalt von 580,.—DM, von Mai bis September 1950 von 740,—DM, im O k t o ber und November von 400,- DM und im Dezember von 600,—DM. Wiederholte Bemühungen des Klägers, als Bratscher im großen Rundfunkorchester des Beklagten angestellt zu werden, blieben erfolglos. Neben der Tätigkeit für den Beklagten war das Orchester G. — zum Teil in kleinerer Besetzung — gegen besondere Vergütung auch für Schallplattenaufnahmen und für den Film tätig; es gab auch unter der Bezeichnung „Bavaria-Sinfonieorchester" eigene Konzerte. Der Kläger ist der Auffassung, er habe als Angehöriger des Orchesters G. in einem Arbeitsverhältnis zum Beklagten gestanden, da er in dessen Betrieb eingeordnet und seinen Weisungen unterworfen gewesen sei. Er meint, daß ihm nach einer vom Beklagten abgeschlossenen Betriebsvereinbarung als Solobratscher ein Monatsgehalt von 900,—DM, ferner Kindergeld, Instrumentengeld und Kleidergeld und ein Urlaub von 28 Kalendertagen zustehe. Mit der Klage hat er vom Beklagten Zahlung von 4840,—DM gefordert, nämlich 2980,— DM als Gehaltsdifferenz, 600 — DM Kindergeld, 300,—DM Instrumentengeld, 120,—DM Kleidergeld und eine Urlaubabgeltung von 840,— DM. Die Klage blieb in allen drei Instanzen ohne Erfolg. AusdenGründen: I. Die verfahrensrechtlichen Rügen der Revision greifen nicht durch (wird ausgeführt). II. Der Kläger stützt seine Ansprüche auf die Betriebsvereinbarung B vom 1. Januar 1950. Deren Geltungsbereich erstreckte sich nach Ziffer 1 auf alle über 18 Jahre alten, auf unbestimmte Zeit festangestellten Arbeitnehmer des . . . Rundfunks. Voraussetzung für Ansprüche gegen den Beklagten auf Grund dieser Betriebsvereinbarung ist also, daß zwischen den Parteien während des Anspruchszeitraums (1950) überhaupt ein Arbeitsverhältnis bestanden hat (vgl. B A G 3 , 8). Das hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint. 1. Hierbei hat es das Landesarbeitsgericht zutreffend darauf abgestellt, ob zwischen den Parteien ein Arbeits v e r t r a g zustande gekommen ist. Unter einem Arbeitsverhältnis, wie es hier vorausgesetzt wird, ist ein Rechtsverhältnis zu verstehen, auf Grund dessen eine Einzelperson (Arbeitnehmer) einem andern (Arbeitgeber) gegenüber verpflichtet
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ist, in persönlicher Abhängigkeit Dienste zu leisten. Zur Begründung einer solchen Verpflichtung bedarf es einer Willenseinigung, zur Entstehung eines Arbeitsverhältnisses also eines Arbeitsvertrages (vgl. BAG 5, 58; H u e c k - N i p p e r d e y , Lehrbuch I, 6. Aufl., S. 105 ff.; a. M.: N i k i s c h , Lehrbuch I, 2. Aufl., S. 140 ff.). Der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Vergütung richtet sich gegen den Vertragspartner, der die Dienstleistungen zu fordern hat und dafür eine Vergütung ausdrücklich oder stillschweigend versprochen hat ( § § 6 1 1 , 612 BGB). Dasselbe gilt für den Anspruch auf Urlaub, d. i. auf zeitweilige Befreiung von der Dienstleistungspflicht unter Weitergewährung der Vergütung. Hierbei ist es unerheblich, ob ein anderer als der Dienstberechtigte einzelne „Funktionen" des Arbeitgebers, insbesondere die dem Arbeitgeber zustehende Weisungsbefugnis, ausübt. Denn die Ansprüche des Arbeitnehmers ergeben sich aus dem Arbeitsvertrage und richten sich gegen den Vertragspartner, dem gegenüber der Arbeitnehmer zur Befolgung von Weisungen bei der Arbeitsleistung nach seinem Arbeitsvertrage v e r p f l i c h t e t ist. Die Frage kann nur dahin gestellt werden, ob daraus, daß jemand tatsächlich eine Weisungsbefugnis wie ein Arbeitgeber ausübt, auf einen Vertragswillen der Beteiligten zu schließen ist, daß er Anspruch auf die Arbeitsleistung haben und die Vergütung schulden, also als Arbeitgeber Vertragspartner eines Arbeitsverhältnisses sein soll. Ebenso bildet die Einordnung in den Betrieb nur einen wesentlichen Umstand bei der Ermittlung des Vertragswillens, insbesondere dafür, ob dieser auf die Leistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit gerichtet ist. 2. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß ein Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und dem Beklagten im Anspruchszeitraum des Jahres 1950 nicht bestanden hat und insbesondere nicht durch den Kapellmeister G. als rechtsgeschäftlichen Stellvertreter zustandegekommen ist. Nach seinen Feststellungen sind zwischen dem Kläger und dem Beklagten unmittelbar irgendwelche Abmachungen nicht getroffen worden. Auch ist nach seiner Auffassung ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht dadurch begründet worden, daß der Kläger am 1. Oktober 1949 von G. in das Orchester aufgenommen wurde. Das Berufungsgericht begründet das damit, daß der Vertrag zwischen G. und dem Beklagten erst am 26. Oktober 1949 geschlossen worden sei, während das Orchester unter Leitung von G. damals bereits vier Jahre bestanden habe; das Orchester sei also von G. nicht erst für die beabsichtigten Verpflichtungen gegenüber dem Beklagten zusammengestellt worden, und es fehle jeder Anhaltspunkt dafür, daß etwa der Kläger durch seine Einstellung in das
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Orchester eine andere Rechtsposition habe erlangen sollen als die schon vorhandenen Orchestermitglieder. Hiergegen sind rechtliche Bedenken nicht zu erheben. Eine andere Beurteilung könnte sich auch nicht ergeben, wenn G. mit der Einstellung des Klägers das Orchester bereits im Hinblick auf künftige Abmachungen mit dem Beklagten erweitern wollte; das Landesarbeitsgericht hat daher, wenn es das unerörtert ließ, seine Aufklärungspflicht entgegen der Meinung der Revision nicht verletzt. 3. Das Berufungsgericht führt weiter aus, daß audi der Abschluß des Vertrages vom 26. Oktober 1949 zwischen G. und dem Beklagten und dessen Durchführung nicht zu einem Arbeitsvertrage zwischen dem Kläger und dem Beklagten geführt habe. Hierbei geht es zunächst zutreffend davon aus, daß das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien nicht schon deshalb verneint werden kann, weil G. und der Beklagte in dem Vertrage vom 26. Oktober 1949 übereingekommen sind, daß die Musiker in keinerlei Anstellungsverhältnis zum Beklagten treten, sondern ebenso wie G. selbst nach wie vor freie Mitarbeiter sein sollten. Denn maßgebend für die Rechtsfolgen ist nicht die rechtliche Beurteilung seitens der Beteiligten, sondern ihr aus den gesamten Umständen zu ermittelnder wirklicher Wille (§§ 133, 157 BGB). Eine vertraglich zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht ist daher unbeachtlich, wenn sich aus dem sonstigen Inhalt des Vertrages und (oder) der Art und Weise seiner Durchführung ergibt, daß die Vertragsparteien in Wirklichkeit etwas anderes gewollt haben. Ergäbe sich also aus den Umständen, daß sich die Musiker und insbesondere der Kläger gegenüber dem Beklagten zur Leistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet haben, so wäre auch eine Abrede des Beklagten mit den Musikern selbst, daß Arbeitsverhältnisse nicht entstehen sollten, ohne rechtliche Wirkung. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß der Beklagte dem Kapellmeister G. keine Vertretungsmacht eingeräumt hatte, namens des Beklagten mit den Musikern Einzelarbeitsverträge abzuschließen, daß G. audi den Musikern gegenüber nicht als Vertreter des Beklagten aufgetreten ist und weder er noch der Beklagte durch ihr Verhalten den Anschein einer solchen Vertretungsmacht erweckt haben. Der Kläger hatte das audi nicht behauptet. Das angefochtene Urteil führt aus, die Musiker hätten, wenn sie beim Beklagten spielten, ihre Tätigkeit aus einem mit G. bestehenden Rechtsverhältnis ausgeübt. Es hat davon abgesehen, dieses Rechtsverhältnis der Musiker zu G. eindeutig und erschöpfend zu beurteilen. Es lehnt die Annahme eines gesellschaftsähnlichen Verhältnisses zwischen der Gesamtheit der Musiker (einschließlich des Kapellmeisters G. und des Ge-
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schäftsführers) ab, weil der Mitgliederbestand und der Einsatz des Orchesters allein von G., dem Gründer und künstlerischen Leiter, und von dem organisatorisch tätigen Geschäftsführer bestimmt worden sei und alle Unternehmerfunktionen nur bei diesen beiden gelegen hätten. Die Verträge, die diese als Unternehmer mit den wechselnden Auftraggebern von Funk, Film und Schallplattenfirmen abgeschlossen hätten, bezeichnet das Landesarbeitsgericht als Werkverträge. Im Verhältnis zum Beklagten seien die Musiker an der unternehmerischen Leistung, zu der sich G. dem Beklagten durch den Vertrag vom 26. Oktober 1949 verpflichtet habe, beteiligt gewesen. Audi diesen Vertrag will das Berufungsgericht offenbar als Werkvertrag ansehen, weil G. nicht für die Erbringung von Einzelarbeitsleistungen seiner Musiker, sondern für die Erfüllung einer Leistung durch das Gesamtorchester, also für das Ergebnis einer Leistung, gehaftet habe. Dazu, ob die Musiker in einem Arbeitsverhältnis zu G. gestanden haben, nimmt das Landesarbeitsgeridit nicht eindeutig Stellung. Es sagt lediglich, es habe ein Abhängigkeitsverhältnis der Musiker allenfalls zu G., nicht aber zum Beklagten bestanden. Allerdings wäre es rechtlich bedenklich, hätte das Landesarbeitsgericht das Nichtbestehen von arbeitsvertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien allein damit begründet, daß der zwischen G. und dem Beklagten geschlossene Vertrag vom 26. Oktober 1949 ein Werkvertrag sei. Denn auch wenn die Musiker, indem sie bei dem Beklagten spielten, Dienste leisteten, kommt es für die entscheidende Frage, ob sie hierfür einen Vergütungsanspruch gegen den Beklagten aus einem (unmittelbaren) Arbeitsverhältnis hatten, darauf an, ob sie sich d e m B e k l a g t e n zur Leistung dieser Arbeit in persönlicher Abhängigkeit vertraglich verpflichtet haben. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die das verneint, wird von seinen Feststellungen aber auch unabhängig davon getragen, daß es den zwischen G. und dem Beklagten geschlossenen Vertrag als Werkvertrag ansieht. Es führt aus, G. habe durch seinen Vertrag mit dem Beklagten vom 26. Oktober 1949 nicht unmittelbar über die Arbeitsleistungen der einzelnen Mitglieder des Orchesters, sondern ausschließlich über die von seiner Dirigentenpersönlichkeit her geprägte musikalische Leistung des Orchesters als Ganzes verfügt. Damit ist gesagt, daß G. durch diesen Vertrag nicht einzelne Musiker als deren Stellvertreter dem Beklagten zu Dienstleistungen verpflichtet hat. Diese Auslegung ist mit dem Wortlaut des Vertrages vereinbar. Ein Verstoß gegen Denkgesetze oder anerkannte Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) oder die Außerachtlassung von wesentlichem Auslegungsstoff ist hierbei ebensowenig erkennbar wie bei der Würdigung der gesamten tatsächlichen Feststellun-
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gen, aus denen das Landesarbeitsgericht insbesondere entnimmt, daß der Beklagte die Weisungsbefugnis eines Arbeitgebers gegenüber den Musikern nicht ausgeübt habe, so daß hier nicht aus einer bestehenden Weisungsbefugnis der Schluß gezogen werden könne, es sei zwischen dem Beklagten und den Musikern in Wirklichkeit ein (unmittelbares) Arbeitsverhältnis gewollt. Hierbei stützt es sich auf folgende Feststellungen: Das Orchester hat bereits vier Jahre in persönlicher Unabhängigkeit von den Auftraggebern bestanden. Die Einstellung von Musikern in das Orchester und ihre Entlassung wurde ausschließlich von G. oder dem Geschäftsführer bestimmt. Das Orchester hatte ein künstlerisches Niveau und gab unter besonderem Namen auch eigene Konzerte von künstlerischem Rang. Der Kläger, der schon vor dem Abschluß des Vertrages vom 26. Oktober 1949 zwischen G. und dem Beklagten in das Orchester eingestellt worden war, erhielt ebenso wie die übrigen Musiker von dem Inhalt dieses Vertrages keine Kenntnis. G. konnte das Orchester nach Belieben teilen und ergänzen und setzte es neben der Arbeit beim Beklagten auch für Film- und Schallplattenaufträge ein. Diese Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht nicht nur für die frühere Zeit, sondern auch für das Jahr 1950, den Zeitraum des Klageanspruchs, getroffen. Es stellt nämlich fest, daß sich die innere Struktur des Orchesters seit dem Abkommen G.s mit dem Beklagten vom 26. Oktober 1949 auch durch die tatsächliche Entwicklung nicht geändert habe, und verweist in diesem Zusammenhang auf die Aussagen von Zeugen, nach denen das Orchester im Jahre 1950 neben der Tätigkeit für den Beklagten auch in 32 Filmen mitgewirkt hat. Den jeweiligen Einsatz der Musiker bestimmte G. Den Inhalt des Vertragsentwurfs vom 1. November 1949, den G. für eine mit ihm zu schließende Vereinbarung den Musikern und auch dem Kläger vorlegte, hat das Berufungsgericht nicht erörtert. Dazu war es auch nicht gehalten, weil der Kläger diesen Entwurf nicht unterzeichnet hat, und zwar nach seiner vor dem Landesarbeitsgericht abgegebenen Erklärung deshalb nicht, weil er in ein festes Vertragsverhältnis zum Beklagten kommen wollte. Die tatsächliche Gestaltung der Tätigkeit des Klägers war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts so, daß der Kläger von G. zum Spielen beim Beklagten eingesetzt wurde und hierfür von ihm eine von G. festgesetzte, also zwischen dem Kläger und G. vereinbarte Vergütung erhielt. Mit Recht sieht es das Landesarbeitsgericht für unerheblich an, ob gerade der Kläger nur in sehr geringem Umfange bei Film- und Schallplattenaufnahmen mitgewirkt hat. Das ändert nichts an der Tatsache, daß auch sein Einsatz allein von den Weisungen G.s abhing, weil es nämlich dem Beklagten, wie das angefochtene
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34. Mittelbares Arbeitsverhältnis
Urteil feststellt, überhaupt nicht auf die Mitwirkung bestimmter einzelner Musiker, sondern nur eines Klangkörpers in der mit G. vereinbarten Zusammensetzung und Qualität ankam. Demgemäß hat G. in einem Falle einen Musiker fristlos entlassen, ohne hierüber den Beklagten zu verständigen. Die Dienstpläne für den Einsatz des Orchesters bei dem Beklagten waren nicht Anweisungen des Beklagten gegenüber den Musikern, sondern beruhten auf Vereinbarungen zwischen G. und dem Beklagten und wurden in gemeinsamen Besprechungen, an denen audi andere Kapellmeister teilnahmen, festgelegt. Aus eigenem Recht hätte also der Beklagte einzelne Musiker nicht zum Spielen in das Funkhaus beordern können; sie folgten vielmehr insoweit den Weisungen des Kapellmeisters G. An diesen wurden die Musiker auch von den Angestellten des Beklagten wegen ihrer Wünsdie auf Dienstbefreiung verwiesen, und G. erteilte auch die Dienstbefreiung oder genehmigte, daß sich ein Musiker durdi einen anderen vertreten ließ. Mit Redit hat es das Landesarbeitsgericht für das Bestehen arbeitsvertraglicher Beziehungen zwischen den Musikern und dem Beklagten für unwesentlich angesehen, daß das Orchester überwiegend unter Dirigenten, die bei dem Beklagten angestellt waren, gespielt hat, während G. selbst das Orchester bei dessen Tätigkeit für den Beklagten nur viermal monatlich dirigierte. Denn die Unterordnung unter einen künstlerischen Willen ist bei jeder musikalischen Darbietung, die von einer Gruppe von Musikern erbracht wird, notwendig. Das trifft beispielsweise auf ein Streichquartett ebenso zu wie auf ein Orchester, das als selbständiger Verein unter der Leitung eines von ihm angestellten Dirigenten eigene Konzerte gibt. Eine solche künstleriche Leitung ist etwas anderes als das Direktionsrecht, kraft dessen ein Arbeitgeber Zeit, Ort und Art der Ausführung der Dienstleistungen seiner Arbeitnehmer bestimmt. Auch besagt die Tatsache der künstlerischen Unterordnung der Musiker unter die beim Beklagten angestellten Dirigenten noch nichts darüber, wem gegenüber sie sich zu dieser Art Unterordnung verpflichtet hatten. Es ist daher unerheblich, ob die vom Landesarbeitsgericht gewählte und von der Revision beanstandete Bezeichnung „Gastdirigenten" für die beim Beklagten angestellten Kapellmeister, soweit diese das G.'sche Ordiester dirigierten, am Platze ist. Weisungen, wie sie sich aus der Direktionsbefugnis eines Arbeitgebers ergeben, hat jedenfalls der Beklagte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den Musikern nicht erteilt. Es erhebt sich daher hier gar nicht die Frage, ob aus der Erteilung und Befolgung solcher Weisungen unter Berücksichtigung aller
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sonstigen Umstände auf arbeitsvertragliche Bindungen zwischen den Musikern und dem Beklagten geschlossen werden könnte. Nicht zu beanstanden ist es, wenn das Berufungsgericht es als unwesentlich für das Bestehen arbeitsvertraglicher Beziehungen der Parteien ansieht, unter welchem Namen das Orchester nach den zwischen G. und dem Beklagten getroffenen Vereinbarungen bei den Sendungen angesagt wurde. Endlich sind auch keine Bedenken gegen die Auffassung des Berufungsgerichts zu erheben, es könne aus der zwischen G. und dem Beklagten in dem Vertrage vom 26. Oktober 1949 getroffenen Vergütungsregelung nichts dafür gefolgert werden, daß der Kläger Arbeitnehmer des Beklagten gewesen sei. Nach diesem Vertrage sollten von dem monatlichen Gesamthonorar von 25 000,— DM auf G. selbst 1500,— DM entfallen; das übrige Geld sollte er also an die Musiker ausschütten; G. sollte auch dem Beklagten monatlich eine Liste über die von ihm beschäftigten Personen und deren Bezüge übergeben. Da G. in dem Einsatz der Musiker, die von dieser Abmachung nichts erfuhren, völlig frei war, begründete schon deshalb diese Abmachung keine Vergütungsansprüche der Musiker gegen den Beklagten und umgekehrt keine Ansprüche des Beklagten gegen einzelne Musiker auf Dienstleistungen. Im übrigen hatte der Beklagte auch ohne arbeitsvertraglichen Bindungen zu den Musikern ein Interesse daran, daß G. die Musiker an der ihm gezahlten Vergütung angemessen und regelmäßig beteiligte. Somit hat das Landesarbeitsgericht arbeitsvertragliche Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten ohne Rechtsverletzung verneint. III. 1. Die Ansprüche des Klägers lassen sich entgegen der Meinung der Revision auch nicht damit begründen, daß zwischen den Parteien ein sogenanntes „mittelbares Arbeitsverhältnis" bestanden habe. Von einem solchen wird im Schrifttum und in der Rechtsprechung dann gesprochen, wenn ein Mittelsmann, der selbst Arbeitnehmer eines Dritten ist, im eigenen Namen Hilfskräfte einstellt, die mit Wissen des Dritten unmittelbar für diesen Arbeit leisten. Es müßte also der Kapellmeister G. Arbeitnehmer des Beklagten und der Kläger Arbeitnehmer von G. gewesen sein. Unterstellt man das, so ist jedoch damit, daß man einen solchen Sachverhalt als mittelbares Arbeitsverhältnis bezeichnet, über die rechtlichen Beziehungen zwischen dem sogenannten mittelbaren Arbeitgeber (Beklagten) und der Hilfskraft des Mittelsmanns (Kläger) noch nichts ausgesagt. Der Dritte Senat des erkennenden Gerichts hat in einer ähnlich liegenden Sache in einem Urteil vom 9. April 1957 — 3 AZR 435/54 — 16 Entscheid, d. BAG. 6
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34. Mittelbares Arbeitsverhältnis
(BAG 4, 93) ausgesprochen, daß der Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage wegen einer ihm vom Mittelsmann ausgesprochenen Kündigung allein gegen diesen zu richten habe. Weiter heißt es in dieser Entscheidung, da bei einem mittelbaren Arbeitsverhältnis im oben bezeichneten Sinne dem Dritten (sogenannten mittelbaren Arbeitgeber) der Nutzen aus den geleisteten Arbeiten unmittelbar zugute komme, solle er auch — wenigstens subsidiär — für die Erfüllung der Ansprüche des Arbeitnehmers einstehen (ebenso übernommen von S t a u d i n g e r N i p p e r d e y - M o h n e n , 11. Aufl., Vorbem. 276 vor § 611 BGB; insoweit kritisch H u e c k , Anm. in AP Nr. 2 zu § 611 BGB Mittelbares Arbeitsverhältnis und H e r s c h e l , ArbuR 1957, 283). Dieser Auffassung hinsichtlich einer subsidiären Haftung des sogenannten mittelbaren Arbeitgebers für die gegen den Mittelsmann bestehenden Ansprüche der Hilfskraft kann nicht ohne Einschränkungen beigetreten werden; sie ist in jener Entscheidung auch nur beiläufig geäußert, da der Dritte Senat allein über eine Klage auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses entschieden hat. Dabei soll die Betrachtung auf Lohn- und Urlaubsansprüche beschränkt werden, wie sie hier vom Kläger geltend gemacht sind. Eine subsidiäre Haftung des sogenannten mittelbaren Arbeitgebers für solche Verpflichtungen des Mittelsmannes kann nach der Auffassung des erkennenden Senats nicht schon daraus hergeleitet werden, daß die Arbeitsleistungen der Hilfskraft des Mittelsmannes dem sogenannten mittelbaren Arbeitgeber unmittelbar zugute kommen und dem Mittelsmann, wenn er selbst nur Arbeitnehmer ist, regelmäßig die materiellen Grundlagen fehlen, um das Arbeitgeberrisiko tragen zu können. Diese Erwägung könnte wirtschaftlich und sozialpolitisch auch eine alleinige oder gesamtschuldnerische Haftung des sogenannten mittelbaren Arbeitgebers gerechtfertigt erscheinen lassen. Es haftet aber derjenige, dem die Leistung eines anderen wirtschaftlich zugute kommt, dem Leistenden nicht schon allein wegen dieses Umstandes. Es muß vielmehr noch ein besonderer R e c h t s grund hinzukommen, also ein Vertrag oder ein gesetzliches Schuldverhältnis wie Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigte Bereicherung. Rechtlich erfüllt die Hilfskraft des Mittelsmannes, wenn sie im Betriebe des sogenannten mittelbaren Arbeitgebers arbeitet, eine Verpflichtung gegenüber dem Mittelsmann, mit dem sie einen Arbeitsvertrag geschlossen hat. Soll für die Vergütung, die der Mittelsmann hierfür versprochen hat, der sogenannte mittelbare Arbeitgeber gegenüber der Hilfskraft haften, so bedarf es, in welcher Form auch immer eine solche Haftung eintreten soll, zu ihrer Begründung einer entsprechenden Willenseinigung, die sich auch aus
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den Umständen ergeben kann. Bestimmungen einer Tarifordnung oder eines Tarifvertrages, nach denen der mittelbare Arbeitgeber den Anspruch auf die Arbeitsleistung haben und Schuldner des Lohnes sein soll, greifen hier nidit Platz, so daß sich ein Eingehen auf die rechtliche Wirkung solcher Normen erübrigt. Fehlt es aber an anderslautenden Vereinbarungen oder normativen Bestimmungen, so kann sich der Lohnanspruch nur gegen den Vertragspartner richten, der den Anspruch auf die Arbeitsleistung hat und sie zu vergüten versprochen hat oder sie nur gegen eine Vergütung erwarten kann. An der Einheitlichkeit dieses auf dem Arbeitsvertrag beruhenden Rechtsverhältnisses ändert sich auch nichts, wenn eine Teilung in der Ausübung von „Arbeitgeberfunktionen" eintritt, z. B. wenn der sogenannte mittelbare Arbeitgeber gegenüber der vom Mittelsmann eingestellten Hilfsperson Weisungen wie ein Arbeitgeber erteilt (was hier aber nicht der Fall ist). Denn solche Weisungen erfolgen nicht auf Grund einer der Hilfskraft gegenüber bestehenden u n m i t t e l b a r e n Weisungsbefugnis. Vielmehr leitet sich die Weisungsbefugnis des sogenannten mittelbaren Arbeitgebers, wenn und soweit sie im Einzelfalle besteht, aus der Rechtsstellung des Mittelmannes gegenüber seiner Hilfskraft ab, der ihre Ausübung mit dem Einverständnis der Hilfskraft an seinen Arbeitgeber überträgt. Das Arbeitsverhältnis erfordert zwar eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers, es ist aber nicht notwendig, daß derjenige, der die Dienste zu fordern hat, die dem Arbeitgeber zustehende Weisungsbefugnis auch selbst ausübt. Rechtlich besteht eine persönliche Abhängigkeit der Hilfsperson, d. h. die im Arbeitsvertrage wurzelnde Gehorsamspflicht bei der Arbeitsleistung, nur gegenüber der Mittelsperson. Eine Aufspaltung von Arbeitgeberfunktionen tritt also allenfalls tatsächlich, nicht aber rechtlich ein. Ebensowenig liegt die „Lohnzahlungsfunktion" begriffsnotwendig beim Hauptarbeitgeber (so D e r s c h in seiner Anm. zu dem Urteil des Dritten Senats vom 9. April 1957, AR-Blattei D, Arbeitsvertrag- Arbeitsverhältnis III, Entscheidung l). Vielmehr beruht auch die Verpflichtung zur Lohnzahlung auf dem Arbeitsvertrage und obliegt demjenigen, der den vertraglichen Anspruch auf die Arbeitsleistung hat; sie ergibt sich aber nicht schon aus der Ausübung einer Weisungsbefugnis oder aus der Eingliederung in einen Betrieb. Auch N i k i s c h (Lehrbuch I, S. 208) ist der Meinung, daß sich der Lohnanspruch der Hilfskraft gegen die Mittelsperson richtet, wie er auch dem Leiharbeiter einen Lohnanspruch nur gegen den Verleiher geben will, weil die Lohnzahlungspflicht auf dem Arbeitsvertrage beruhe (a. a. O. S. 215 und S. 217 Fußnote 50). Wohl können sich aus einem Tatbestand, wie er als mittel16'
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34. Mittelbares Arbeitsverhältnis
bares Arbeitsverhältnis bezeichnet wird, auf anderen Gebieten auch Rechtsfolgen für die Beziehungen zwischen dem sogenannten mittelbaren Arbeitgeber und der Hilfskraft des Mittelsmannes ergeben, so insbesondere im Gebiet der Sozialversicherung und des Arbeitnehmerschutzrechts (vgl. H u e c k - N i p p e r d e y , Lehrbuch I, 6. Aufl., S. 110 Fußnote 16). Auch können der Hilfskraft aus den Abmachungen zwischen der Mittelsperson und deren Arbeitgeber Ansprüche als begünstigtem Dritten erwachsen (vgl. RGZ 164, 397). Aus dem als mittelbares Arbeitsverhältnis bezeichneten Tatbestand allein kann jedenfalls ein Lohnanspruch der Hilfsperson gegen den sogenannten mittelbaren Arbeitgeber nicht hergeleitet werden. Auch der Entwurf des Arbeitsrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht für ein Gesetz über das Arbeitsverhältnis (1938) sah in § 121 lediglich vor, daß der „Unternehmer", falls zu befürchten sei, daß der Mittelsmann seinen Hilfskräften den Lohn nicht zahle, auf deren Verlangen berechtigt und verpflichtet sein sollte, den Hilfskräften den Lohn unmittelbar auszuzahlen, d. h. die vom Mittelsmann geschuldete Leistung — gegebenenfalls aus dem diesem versprochenen Gesamtlohn — unmittelbar an die Hilfskräfte zu bewirken; der Entwurf hielt also selbst für eine solchermaßen beschränkte Haftung des sogenannten mittelbaren Arbeitgebers einen besonderen Rechtsgrund für erforderlich und wollte einen solchen durch eine ausdrückliche Gesetzesbestimmung schaffen. 2. Die Klage könnte aber auch nicht nach der vom Dritten Senat vertretenen Auffassung durchdringen. Danach soll der Gehilfe des Mittelsmannes den sogenannten mittelbaren Arbeitgeber nur dann in Anspruch nehmen können, wenn er gegenüber dem Mittelsmann nicht zu seinem Recht kommt, weil dieser sich seinen Verpflichtungen entzieht oder zu ihrer Erfüllung unfähig ist. Der Kläger aber macht keine Ansprüche geltend, die er gegen G. hat und nur nicht durchsetzen kann, sondern solche, die über die von ihm mit G. getroffenen Vereinbarungen hinausgehen. Allerdings wird man bei einem Tatbestand, wie er als mittelbares Arbeitsverhältnis bezeichnet wird, in erster Linie fragen müssen, ob nicht gerade im Hinblick darauf, daß der Mittelsmann selbst Arbeitnehmer ist, in Wirklichkeit ein unmittelbares Arbeitsverhältnis zwischen dem Gehilfen und dem Arbeitgeber des Mittelsmannes gewollt ist. Diese Erwägung kann aber hier das vom Berufungsgericht gewonnene Ergebnis, daß ein mittelbares Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht begründet worden ist, nicht beeinflussen, da das angefochtene Urteil ohne
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Rechtsirrtum auch ein Arbeitsverhältnis zwischen G. und dem Beklagten verneint hat. Zwar kann der zwischen G. und dem Beklagten geschlossene Vertrag vom 26. Oktober 1949 nicht insgesamt als Werkvertrag angesehen werden. Er ist aber jedenfalls kein Arbeitsvertrag. Soweit G. persönlich als Dirigent des Orchesters tätig wurde, kann es sich um Werk- oder Dienstleistungen gehandelt haben. Diese Leistungen traten aber hinter seinen übrigen Verpflichtungen durchaus zurück. Während nämlich das Orchester im Durchschnitt an 25 Tagen im Monat 6 Stunden zu spielen hatte, hat G. nur viermal monatlich dirigiert; ganz überwiegend wurde das Orchester, wenn es für den Beklagten spielte, von den beim Beklagten angestellten Kapellmeistern dirigiert. Ob es sich bei G.s Dirigiertätigkeit, die ihm in dem Vertrage mehr zugesichert als auferlegt wurde, um weisungsgebundene Arbeit handelte, bedarf keiner Feststellung. Denn durch diese wenig umfangreiche Tätigkeit wurde ein Arbeitsverhältnis zwischen G. und dem Beklagten schon deshalb nicht begründet, weil das Schwergewicht seiner Verpflichtungen in Aufgaben lag, die entweder überhaupt nicht Inhalt eines Arbeitsvertrages sein konnten, jedenfalls aber von ihm in persönlicher Unabhängigkeit zu erfüllen waren. Er haftete dem Beklagten dafür, daß das Orchester in einer Stärke von 45 Mann und bestimmter Zusammensetzung und Leistungsfähigkeit dem Beklagten für die vereinbarte Zeit zu Dienstleistungen zur Verfügung stand. Das ist nicht die Zuziehung von Hilfskräften zur Erbringung eines Teiles der von G. zu leistenden Dienste. Denn es war von vornherein klar, daß G. nicht die Dienstleistungen eines ganzen Orchesters erbringen konnte. Seine Verpflichtung richtete sich also, soweit sie die Leistungen der Musiker betraf, nicht auf die Leistung eigener Arbeit unter Zuziehung von Hilfskräften, sondern auf die Verschaffung der Dienste der Musiker. Ein solcher Dienstverschaffungsvertrag wird als gesetzlich nicht näher geregelter Vertragstypus eigener Art anzusehen sein (so L a r e n z , Schuldrecht II, 2. Aufl., S. 159). Er ist nicht Dienstvertrag ( E n n e c c e r u s - L e h m a n n , Schuldrecht, § 145, I 1 f.). Wohl kann er mit einem Arbeitsvertrage verbunden werden. Keinesfalls kann aber die Verschaffung fremder Dienste Inhalt eines Arbeitsvertrages sein ( H u e c k - N i p p e r d e y , Lehrbuch I, 6. Aufl., S. 181; N i k i s c h , Lehrbuch 1, 2. Aufl., S. 240). Denn der Arbeitsvertrag ist auf die Leistung eigener Arbeit in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit gerichtet. In der Erfüllung seiner Dienstverschaffungspflicht aber war G. vom Beklagten persönlich völlig unabhängig.
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34. Mittelbares Arbeitsverhältnis
Aus einem sogenannten mittelbaren Arbeitsverhältnis kann der Kläger somit Ansprüche auf Vergütung und Urlaubsabgeltung nicht herleiten, weil der sogenannte mittelbare Arbeitgeber ohne besonderen Verpflichtungsgrund solche Leistungen nicht schuldet und außerdem hier der Tatbestand eines sogenannten mittelbaren Arbeitsverhältnisses nicht vorliegt, da G. nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Beklagten stand. IV. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die vom Beklagten mit G. über den Einsatz des Orchesters getroffenen Abmachungen der Umgehung zwingender Normen hätten dienen sollen, auf Grund deren dem Kläger die mit der Klage verfolgten Ansprüche gegen den Beklagten zugestanden hätten. Tarifverträge, unter die ein unmittelbares Arbeitsverhältnis des Klägers zum Beklagten gefallen wäre, bestanden nicht. Der Kläger will im Ergebnis ebenso gestellt werden wie ein Solobratscher im großen Sinfonieorchester des Beklagten. Diese im festen Anstellungsverhältnis zum Beklagten stehenden Musiker wurden nach der Tarifordnung für Kulturorchester (TO.K) behandelt, und auch nur für diese bestimmte das die Betriebsvereinbarung B vom 1. Januar 1950. Auch wenn die Musiker des Orchesters G., das für Unterhaltungsmusik eingesetzt wurde, in ein Arbeitsverhältnis zum Beklagten getreten wären, hätten sie daher nicht dieselben Ansprüche wie die Angehörigen des Sinfonieorchesters gehabt. Damit entfielen, auch wenn die Betriebsvereinbarung B auf den Kläger Anwendung fände, die Ansprüche auf höheres Gehalt, Instrumenten- und Kleidergeld. Denn diese sind auch in der Betriebsvereinbarung nicht geregelt; insbesondere enthält diese keine konkrete Regelung der Grundvergütung. Wenn der Kläger als Angestellter des Beklagten in einzelnen Beziehungen (Kindergeld, Urlaub) nach der Betriebsvereinbarung besser gestanden hätte, so könnte deshalb die getroffene Regelung noch nicht als ein unzulässiges Umgehungsgeschäft angesehen werden, ganz abgesehen davon, daß die Betriebsvereinbarung erst später geschlossen worden ist als die von G. mit dem Beklagten und mit den Musikern über deren Einsatz beim Beklagten getroffenen Vereinbarungen. V. Anspruch auf Gleichbehandlung kann der Kläger gegenüber dem Beklagten schon deshalb nicht erheben, weil er zu ihm nicht in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat. Auf die sonstigen Voraussetzungen einer Anwendung des sogenannten Gleichbehandlungsgrundsatzes kommt es daher nicht mehr an.
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35. Gutachten als Restitutionsgrund
35 1. Ein ärztliches Sachverständigengutachten ist keine Urkunde im Sinne von § 5 8 0 Nr. 7 b Z P O . 2. Es bestehen Bedenken dagegen, ein solches Gutachten, das erst nach der Rechtskraft des mit der Restitutionsklage angegriffenen Urteils erstattet ist und eine neuere wissenschaftliche Methode anwendet, auf dem Wege der Rechtsanalogie oder der Rechtsschöpfung als Restitutionsgrund anzuerkennen. 3. Jedenfalls kommt ein solches Gutachten als Restitutionsgrund dann nicht in Betracht, wenn es seinem Inhalte nach nicht eindeutig und abschließend eine andere als die getroffene Entscheidung rechtfertigt. Z P O § 5 8 0 Nr. 7 b. III. Senat. Urteil vom 9. 9. 1958 i. S. M. (Rest. Kl.) w. L. N. (Rest. Bekl.) 3 A Z R 11/58. I. Arbeitsgericht Hildesheim. —
II. Landesarbeitsgericht
Hannover.
Der Kläger war von 1 9 4 7 bis 1956 als Angestellter im Forstdienst des verklagten Landes tätig. Er ist Schwerbeschädigter. Am 18. Mai 1956 wurde er fristlos entlassen, weil er an den Forstmeister F., der ihn ungünstig beurteilt hatte, einen Drohbrief geschrieben habe. Die gegen diese Entlassung gerichtete Klage ist in zwei Instanzen rechtskräftig abgewiesen worden. Zur Begründung seiner Restitutionsklage hat der Kläger geltend gemacht, zu den Akten beim Versorgungsamt O., die bereits im Berufungsverfahren verwertet worden sind, seien inzwischen ein nervenärztliches Gutachten des Dr. B. vom 5. Dezember 1956 und ein ebensolches Gutachten des Prof. Dr. P. vom 26. März 1 9 5 7 gekommen. Aus diesen beiden Gutachten gehe hervor, daß der Kläger bei seiner Wehrdienstbeschädigung im Jahre 1937 nicht nur, wie bisher angenommen wurde, eine bereits abgeklungene Gehirnerschütterung (commotio cerebri), sondern eine Gehirnverletzung (contusio cerebri) mit nachhaltigen Folgen erlitten habe. Diese beiden Gutachten, von denen der Kläger erst am 30. September 1957 erfahren habe, seien als Urkunden im Sinne von § 5 8 0 Ziffer 7 b Z P O anzusehen und rechtfertigten eine andere Beurteilung des Verhaltens des Klägers, das zu seiner fristlosen Entlassung geführt hat, als die vom Landesarbeitsgericht verwerteten früheren Gutachten von 1948, 1953 und vom 8. August 1956. Das Landesarbeitsgericht hat die Restitutionsklage als unzulässig abgewiesen. Die Revision des Klägers ist zurückgewiesen worden.
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3 5. Gutachten als Restitutionsgrund
Aus den
Gründen:
I. Die Revision ist auf Verletzung des § 580 Nr. 7 b Z P O gestützt. Nach dieser Vorschrift findet die Restitutionsklage statt, wenn die klagende Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Als solche Urkunden sieht der Kläger die beiden Sachverständigengutachten vom 5. Dezember 1956 und vom 26. März 1957 an. Darin ist ihm das angefochtene Urteil mit Recht nicht gefolgt. Zwar sind die beiden Gutachten nach Form und Inhalt insofern Urkunden, als in ihnen tatsächliche Feststellungen und daraus gezogene Folgerungen schriftlich niedergelegt sind, sie also eine Kette von Wahrnehmungen und Gedanken verkörpern. Deswegen sind sie aber noch nicht ohne weiteres geeignet, im Wege des Urkundenbeweises verwertet zu werden. Ihr Beweiswert beruht nicht auf ihrer Urkundenform, sondern auf ihrem Charakter als Sachverständigengutachten. Sie wollen nicht durch ihre Schriftform von der Wahrheit von Tatsachen überzeugen, sondern den Richter, dem sie vorgelegt werden, veranlassen, ihren gedanklichen Inhalt zu prüfen und sich zu eigen zu machen. Aus diesem Grunde können sie nicht als Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 b Z P O angesehen werden. § 580 Z P O läßt nämlich, anders als § 3 59 Nr. 5 StPO, nicht allgemein jedes neue Beweismittel, also auch neue Zeugen und neue Sachverständige, sondern nur neue Urkunden als Restitutionsgrund zu. Daß neue Zeugen und neue Gutachten im Zivilprozeß als Restitutionsgrund grundsätzlich ausgeschlossen sind, ergibt sich auch aus § 580 Nr. 3, wonach die Restitutionsklage insoweit lediglich dann in Betracht kommt, wenn bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat. Wollte man darüber hinaus nicht nur einen solchen auf strafbarer Verletzung der Wahrheitspflicht beruhenden Mangel eines bereits vorhandenen und verwerteten Gutachtens, sondern auch im Vorprozeß noch nicht verwertete neue Sachverständigengutachten als Restitutionsgrund gelten lassen, und zwar lediglich deshalb, weil sie äußerlich die Form einer Urkunde haben, so wäre das mit dem aus dem Zusammenhang der einzelnen Tatbestände des § 580 Z P O zu ermittelnden Sinn der Nr. 7 dieser Vorschriften nicht vereinbar. Einer ausdehnenden Auslegung dieser Vorschriften sind enge Grenzen gesetzt, weil es sich dabei um Ausnahmevorsdhriften gegenüber der Absolutheit der Rechtskraftwirkung handelt, die im Interesse der Rechtssicherheit so weit wie möglich geschützt werden muß (ebenso
3 5. G u t a c h t e n als R e s t i t u t i o n s g r u n d
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R G Z 8 0 , 2 4 0 für den Fall ärztlicher Gutachten über Unfallfolgen; BGHZ 1, 218 für den Fall eines erbbiologischen Gutachtens). Davon abgesehen muß eine Urkunde, um als Grundlage für eine Restitutionsklage geeignet zu sein, grundsätzlich zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozeß schon vorhanden und nur verborgen gewesen sein. Von diesem Grundsatz hat die höchstrichterliche Rechtsprechung eine Ausnahme nur für nachträglich errichtete Geburtsurkunden anerkannt, weil und insofern aus ihnen mit Sicherheit auf in der Vergangenheit liegende Tatsachen (z. B. Beginn der Empfängniszeit vor der letzten mündlichen Verhandlung) geschlossen werden kann (BGHZ 2, 2 4 5 ; 5, 157; 6, 355; vgl. auch schon R G Z 123, 304). Diese Ausnahme läßt sich nicht ohne weiteres verallgemeinern und auf ein schriftliches Gutachten übertragen. Die in Rede stehenden nervenärztlichen Gutachten sind erst nach Erlaß des landesarbeitsgerichtlichen Urteils erstellt und daher auch aus diesem Grunde nicht geeignet, die Voraussetzungen für eine Restitutionsklage zu schaffen. II. Es wird allerdings auch die Ansicht vertreten, die Tatbestände, an die § 580 Z P O die Statthaftigkeit einer Restitutionsklage knüpft, seien zu eng, um in allen Fällen, in denen es aus Gründen der Gerechtigkeit unbedingt notwendig ist, die Änderung eines rechtskräftigen Urteils zu ermöglichen. Insbesondere soll nach diesen Bestrebungen die Restitutionsklage schon nach geltendem Recht auch dann zulässig sein, wenn eine Partei erst nach Rechtskraft eines Urteils in die Lage versetzt wird, ein neues Beweisverfahren zu verwerten, das allein oder in Verbindung mit anderen Beweismitteln geeignet ist, eine wesentlich andere Entscheidung herbeizuführen (vgl. Stein-Jonas ZPO, 18. Aufl. Anm. IV 4 zu § 580; Baumbach-Lauterbadh ZPO, 23. Aufl. Anm. 4 G zu § 580; Schönke-SchröderNiese, Zivilprozeßrecht, 8. Aufl. S. 421). Dabei handelt es sich, wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, nach Ansicht des Senats nicht mehr um eine analoge Anwendung etwa des im § 580 Nr. 7 b Z P O enthaltenen Ausnahmeprinzips oder um die Ausfüllung einer Lücke im Gesetz, sondern um eine Fortbildung des Rechts, die lediglich an die genannte Gesetzesvorschrift anknüpft, hauptsächlich, um auch neue wissenschaftliche Methoden zum Zwecke einer Wiederaufnahme des Verfahrens zum Zuge kommen zu lassen. Die Frage, ob das in dieser Weise möglich ist, hat der Bundesgerichtshof in seiner bereits genannten Entscheidung vom 26. Februar 1951 (BGHZ 1 , 2 1 8 [223]) unentschieden gelassen. Mehrere Landgerichte haben sie inzwischen bejaht (LG Göttingen vom 6. 1. 1953 in MDR 53 S. 6 2 5 ; LG Mainz vom 6. 7. 1955 in
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35. Gutachten als Restitutionsgrund
NJW 55 S. 1363; LG Stade vom 13. 6. 1956 in MDR 51 S. 621), andere Gerichte haben sie verneint (u.a. OLG Hamm vom 11. 7. 1950 JMinBl. N R W 50 S. 2 3 9 ; LG Lüneburg vom 11. 6. 1953 in MDR 53, 626). Der Senat hat Bedenken, schon vom geltenden Recht her der bejahenden Meinung zu folgen, weil sie das Prinzip der Rechtskraft und damit die Rechtssicherheit stark erschüttern, der Wiederaufrollung rechtskräftig abgeschlossener Zivilprozesse viel Raum geben und eine unübersehbare Entwicklung einleiten könnte. Eine abschließende Entscheidung dieser Frage ist jedoch hier aus folgendem Grunde nicht notwendig. Um darzutun, daß seine fristlose Entlassung entgegen dem im Vorprozeß ergangenen rechtskräftigem Urteil unwirksam war, müßte der Kläger beweisen, daß die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zu der Kündigung deshalb erforderlich war, weil die Kündigung aus einem Grunde erfolgt ist, der in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner gesundheitlichen Schädigung steht ( § 1 9 Abs. 3 Satz 2 SchwBeschG). Dazu wäre erforderlich und würde genügen, daß dem Kläger wegen eines Verhaltens gekündigt worden ist, das durch seine Wehrdienstbeschädigung hervorgerufen worden ist (BAG 3, 39). Das könnte dann der Fall sein, wenn der Kläger, als er seinen Drohbrief vom 26. März 1956 schrieb, infolge seiner Wehrdienstverletzung von 1937 vermindert zurechnungsfähig war. Die beiden von ihm vorgelegten neurologischen Sachverständigengutachten, die mit Hilfe der übrigens nicht neuen, sondern bereits schon längere Zeit erprobten Methode der Encephalographie erstattet sind, sollten nicht etwa den Grad der Zurechnungsfähigkeit des Klägers, sondern den Grad seiner Erwerbsminderung feststellen. Wenn dabei das Gutachten von Dr. B. zum Ergebnis gekommen ist, daß beim Kläger infolge seines Unfalls eine Hirnatrophie mit Persönlichkeitsänderungen vorliege, was eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 °/o bedinge, und das Gutachten von Prof. Dr. P. zwar ebenfalls an dem Vorliegen eines hirnatrophischen Prozesses nicht zweifelt, jedoch nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 °/o daraus herleitet, dann ist damit noch nichts darüber gesagt, ob diese Gehirnverletzung ihrer Art nach geeignet ist, die Bedenklichkeit seines Schreibens vom 26. März 1956 zu motivieren. Auch der Kläger hat in dieser Richtung weiter nichts vorgebracht. Als selbstverständlich oder auch nur dem ersten Anschein nach gegeben ist aber ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Unfall und der in dem Brief vom 26. März 1956 enthaltenen Drohung nicht anzunehmen. Auch ein nicht hirnverletzter Mensch mit unverminderter Zurechnungsfähigkeit könnte auf eine ungünstige dienstliche Beurteilung ebenso reagiert haben. Hiernach kann man, selbst wenn man
36. Deputatkohle
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nachträglich erstattete Gutachten dieser Art troz der erwähnten Bedenken an und für sich als Restitutionsgrund zulassen wollte, nicht sagen, daß die beiden hier vorliegenden Gutachten eine andere als die getroffene Entscheidung herbeigeführt hätten. Audi unter dem Gesichtspunkt einer Fortbildung des Rechts könnten dazu nur solche Gutachten geeignet sein, die ihrem Inhalte nach eindeutig und abschließend eine andere als die getroffene Entscheidung rechtfertigen, d . h . hier solche Gutachten, aus denen ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Hirnverletzung des Klägers und dem anstößigen Inhalt seines Drohbriefes eindeutig und abschließend gefolgert werden könnte. 36 1. Ein gerichtlicher Vergleich lediglich des Inhalts, daß der Kläger im Einvernehmen mit dem Beklagten seine Klage zurücknimmt, ist kein Vergleich im Sinne des § 7 7 9 BGB und enthält auch keinen Verzicht auf den Klageanspruch. 2. Die Bestimmungen der „Richtlinien des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau von 1953 über die Abgabe von Hausbrandkohlen an vor Inkrafttreten des Manteltarifvertrages für die Arbeiter des rheinisch' westfälischen Steinkohlenbergbaus (1. Mai 1953) ausgeschiedene Berginvaliden und deren Witwen" über den zeitlich begrenzten Ausschluß des Bezuges von Hausbrandkohlen im Falle des Verstoßes gegen die Richtlinien gelten nicht für Invalide, die bereits unter der Geltung der Richtlinien von 1948 gemäß Ziff. III Satz 3 endgültig von der Gewährung von Hausbrandkohlen ausgeschlossen worden sind. BGB § 779, Z P O § 794 Abs. 1 Ziff. 1. Richtlinien der Deutschen Kohlenbergbau-Leitung von 1948 und des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau von 1953 über die Abgabe von Hausbrandkohlen an Berginvalide und deren Witwen. Manteltarifvertrag für die Arbeiter des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus vom 7. April 1953 §§ 74 ff. II. Senat. Urteil vom 19. 9. 1958 i. S. A. B. AG. (Bekl.) w. B. u. a. (Kl.) 2 AZR 4 8 7 / 5 5 I. Arbeitsgericht Hamm. i. W . —
II. Landesarbeitsgeridit Hamm i. W .
Die jetzigen Kläger sind die Erben des am 22. Juli 1956, also nach Erlaß des landesarbeitsgerichtlichen Urteils, verstorbenen früheren Klägers, des Invaliden B. Dieser war von 1924 bis zum 25. Oktober 1949 mit Unterbrechung insgesamt fast 16 Jahre als Hauer auf der Schacht-
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nachträglich erstattete Gutachten dieser Art troz der erwähnten Bedenken an und für sich als Restitutionsgrund zulassen wollte, nicht sagen, daß die beiden hier vorliegenden Gutachten eine andere als die getroffene Entscheidung herbeigeführt hätten. Audi unter dem Gesichtspunkt einer Fortbildung des Rechts könnten dazu nur solche Gutachten geeignet sein, die ihrem Inhalte nach eindeutig und abschließend eine andere als die getroffene Entscheidung rechtfertigen, d . h . hier solche Gutachten, aus denen ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Hirnverletzung des Klägers und dem anstößigen Inhalt seines Drohbriefes eindeutig und abschließend gefolgert werden könnte. 36 1. Ein gerichtlicher Vergleich lediglich des Inhalts, daß der Kläger im Einvernehmen mit dem Beklagten seine Klage zurücknimmt, ist kein Vergleich im Sinne des § 7 7 9 BGB und enthält auch keinen Verzicht auf den Klageanspruch. 2. Die Bestimmungen der „Richtlinien des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau von 1953 über die Abgabe von Hausbrandkohlen an vor Inkrafttreten des Manteltarifvertrages für die Arbeiter des rheinisch' westfälischen Steinkohlenbergbaus (1. Mai 1953) ausgeschiedene Berginvaliden und deren Witwen" über den zeitlich begrenzten Ausschluß des Bezuges von Hausbrandkohlen im Falle des Verstoßes gegen die Richtlinien gelten nicht für Invalide, die bereits unter der Geltung der Richtlinien von 1948 gemäß Ziff. III Satz 3 endgültig von der Gewährung von Hausbrandkohlen ausgeschlossen worden sind. BGB § 779, Z P O § 794 Abs. 1 Ziff. 1. Richtlinien der Deutschen Kohlenbergbau-Leitung von 1948 und des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau von 1953 über die Abgabe von Hausbrandkohlen an Berginvalide und deren Witwen. Manteltarifvertrag für die Arbeiter des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus vom 7. April 1953 §§ 74 ff. II. Senat. Urteil vom 19. 9. 1958 i. S. A. B. AG. (Bekl.) w. B. u. a. (Kl.) 2 AZR 4 8 7 / 5 5 I. Arbeitsgericht Hamm. i. W . —
II. Landesarbeitsgeridit Hamm i. W .
Die jetzigen Kläger sind die Erben des am 22. Juli 1956, also nach Erlaß des landesarbeitsgerichtlichen Urteils, verstorbenen früheren Klägers, des Invaliden B. Dieser war von 1924 bis zum 25. Oktober 1949 mit Unterbrechung insgesamt fast 16 Jahre als Hauer auf der Schacht-
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anlage R. der Beklagten beschäftigt. Seit 1954 bezog er neben seiner Knappschaftsrente eine Silikoserente von 5 0 % . Nach seiner Abkehr infolge Invalidität im Jahre 1949 gewährte ihm die Beklagte nach den „Richtlinien über die Abgabe von Hausbrandkohlen an invalide Arbeiter und Arbeiterwitwen (Fassung Februar 1948)" ab 15. Dezember 1949 verbilligte Hausbrandkohlen. Wegen fortgesetzten verbotenen Handels mit Deputatkohlen schloß die Beklagte den Kläger ab 20. September 1951 von dem Bezug verbilligter Hausbrandkohlen endgültig aus, und zwar auf Grund der Ziff. III der genannten Richtlinien: „Die Brandkohlen werden ausschließlich für den eigenen Bedarf und nur ab Zeche gewährt. Ihre entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe hat den Ausschluß des Bezuges von Brandkohlen zu ermäßigtem Preise für die Dauer von sechs Monaten zur Folge. Im Wiederholungsfalle entfällt die Gewährung von Hausbrandkohlen endgültig." Anfang 1953 erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Klage auf Wiedereinräumung des Bezuges verbilligter Hausbrandkohlen. In diesem Verfahren trafen die Parteien nach durchgeführter Beweisaufnahme im Termin vom 27. Mai 1953 ausweislich der Niederschrift folgende Regelung: „Der Kläger zieht im Einvernehmen mit der Beklagten seine Klage zurück." Mit einer Ende 1954 erhobenen weiteren Klage verlangte der verstorbene Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Lieferung von 50 Ztr. Hausbrandkohlen, und zwar unter Bezugnahme auf die §§ 74 ff. des mit Wirkung vom 1. Mai 1953 in Kraft getretenen Manteltarifvertrages für die Arbeiter des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus (MTV) und die vom Unternehmensverband Ruhrbergbau erlassenen Richtlinien über die Abgabe von Hausbrandkohlen an vor Inkrafttreten des M T V ausgeschiedene Berginvaliden und deren Witwen, die mit Wirkung vom gleichen Tage an die Stelle der Richtlinien von 1948 getreten waren. Beide Bestimmungen sehen einen endgültigen Ausschluß von der Gewährung von Hausbrandkohlen nicht mehr vor, sondern nur noch einen auf sedis Monate befristeten Ausschluß. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile die Klage abgewiesen. Aus den G r ü n d e n : 1. Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, daß die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche im Hinblick auf den im Vorprozeß
36. Vergleich i. S. von § 7 7 9 BGB
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vor dem Arbeitsgericht H. abgeschlossenen „Vergleich" unbegründet seien. Hierbei handelt es sich nämlich gar nicht um einen materiell-rechtlichen Vergleich im Sinne des § 779 BGB, sondern um eine nur äußerlich in die Form eines Prozeßvergleichs gekleidete Rücknahme der Klage. Ein materiell-rechtlicher Vergleich liegt gemäß § 779 BGB nur dann vor, wenn der Streit oder die Ungewißheit über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Unter gegenseitigem Nachgeben sind gegenseitige Zugeständnisse irgendwelcher Art zu verstehen, wobei der Ausdruck „gegenseitiges Nachgeben" nicht im juristisch-technischen Sinne, sondern nach dem Sprachgebrauch des Lebens aufzufassen ist ( R G J W 1911, 6 4 8 ; Palandt, BGB, 17. Aufl., § 779 Anm. 3). Kein Vergleich in diesem Sinne ist es hingegen, wenn nur eine Partei nachgibt (RGZ 116, 143 [146]; R G Z 146, 355 [358]). Im vorliegenden Fall hatte der verstorbene B. lediglich seine Klage zurückgezogen, ohne daß irgendeine Gegenleistung der Beklagten erfolgt ist. Wenn die Revision meint, die Beklagte sei dem damaligen Kläger dadurch entgegengekommen, daß sie auf eine Feststellung seiner — sogar weitgehend strafrechtlichen — Verfehlungen im Wege eines Urteils verzichtet und ihm damit in einer für ihn wesentlichen Frage etwas aufgeopfert habe, so kann dem nicht gefolgt werden. Dieser Gesichtspunkt könnte vielleicht dann von Bedeutung sein, wenn die Beklagte eine Feststellungswiderklage erhoben hätte oder eine Verpflichtung übernommen hätte, sie nicht zu erheben oder wenn sie — soweit dies überhaupt zulässig gewesen wäre — sich verpflichtet hätte, keine Strafanzeige gegen den früheren Kläger zu erstatten oder eine etwa erstattete Strafanzeige zurückzunehmen. Von alledem kann hier aber keine Rede sein. Daß die Beklagte mit ihrem nach Beginn der mündlichen Verhandlung notwendigen Einverständnis zur Klagerücknahme die Möglichkeit einer gerichtlichen Entscheidung in dem damaligen Prozeß aufgab, bedeutet keine Leistung im substantiellen Sinne (a. A. wohl Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., S. 600). 2. Die Erklärung des verstorbenen Klägers, daß er die Klage zurücknehme, und die Zustimmung der Beklagten zu dieser Klagerücknahme kann auch nicht etwa als Verzichtsvertrag gewertet werden. Ein Verzichtswille hätte schon mit Rücksicht auf die Vorschrift des § 271 Abs. 4 Z P O in der Erklärung eindeutig und unmißverständlich zum Ausdruck kommen müssen, z. B. in der Form, daß B. unter Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch seine Klage zurückgenommen hätte. Das ist aber nicht geschehen; die einfache Klagerücknahme kann somit nur als die prozessuale Erklärung des damaligen Klägers gewertet werden, auf die
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36. Deputatkohle
weitere Verhandlung und die Entscheidung in dem s e i n e r z e i t i g e n R e c h t s s t r e i t zu verzichten (vgl. Stein-Jonas-Pohle, Z P O , 18. Aufl., § 271 Anm. 11). Der verstorbene Kläger war daher, wie sich gerade aus § 271 Abs. 4 Z P O eindeutig ergibt, in der Lage, seinen angeblichen Anspruch im Wege einer neuen Klage erneut aufzugreifen. 3. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß der Anspruch nicht auf den am 1. Mai 1953 in Kraft getretenen M T V gestützt werden kann. Die §§ 74 bis 80 MTV gewähren zwar ausgeschiedenen Berginvaliden und deren Witwen unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Hausbrandkohlen. Diese Regelung gilt aber nur für solche Bergarbeiter, die erst nach Inkrafttreten des M T V invalide werden. Gemäß § 9 4 ist nämlich der M T V am 1. Mai 1953 in Kraft getreten. Eine Bestimmung, daß er sich rückwirkende Kraft beilegt, enthält er nicht. Zwar kann ein Tarifvertrag sich im Rahmen rechtsstaatlicher Grundsätze solche rückwirkende Kraft beilegen, doch muß ein solcher Wille des Tarifpartners mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck kommen, wie der Erste Senat in mehreren Entscheidungen zutreffend ausgesprochen hat (vgl. Urteile vom 5. März 1957 AP Nr. 1 zu § 1 T V G Rückwirkung und vom 20. Juni 1958 - 1 AZR 245/57, AP Nr. 2 zu § 1 T V G Rückwirkung). Im vorliegenden Fall ergibt sich für eine Rückwirkung der Bestimmungen über die Invalidenkohle kein Anhalt. Die in § 74 M T V an mehreren Stellen auftauchende Formulierung „invalide w e r d e n d e Arbeiter" spricht vielmehr dafür, daß die Vorschriften über Hausbrandkohlen nur für solche Arbeitnehmer gelten sollen, die n a c h Inkrafttreten des M T V invalide werden. 4. Zu Unrecht hält aber das Landesarbeitsgericht den Anspruch des. verstorbenen Klägers im Hinblick auf die Richlinien von 1953 für begründet. Es leitet seine Auffassung aus dem angeblichen Sinn der Richtlinien ab. Es meint, nachdem durch den Tarifvertrag den zukünftigen Invaliden und deren Witwen ein Rechtsanspruch auf Hausbrandkohlen gewährt worden sei, hätten die hiervon nicht erfaßten früheren Invaliden den „tariflichen" Invaliden nach Voraussetzung und Umfang des Kohlenbezuges gleichgestellt werden sollen, auch wenn sie einen tariflichen Anspruch nicht erwarben. Das ergebe sich aus der Fassung der Richtlinien, die mit der tariflichen Regelung übereinstimmten. Wenn es sich auch nur um eine fürsorgerische freiwillige Leistung handele, so habe sich die Beklagte nach den Richtlinien doch so festgelegt, daß allenfalls der Bezug für sechs Monate ausgeschlossen werden könne, aber nicht für dauernd. Weder in der tariflichen Regelung noch in den Richtlinien sei eine Vorschrift darüber enthalten, daß ein unter der Geltung der
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Richtlinien von 1948 Ausgeschlossener auch nadi der Neuregelung ausgeschlossen bleiben sollte. Vielmehr sei aus der gleichen Behandlung der dem Tarifvertrag und den Richtlinien von 1953 Unterworfenen zu schließen, daß kein Invalide völlig vom Kohlenbezug ausgeschlossen sein solle. Hätten die Richtlinien von 1953 die schon Ausgeschlossenen nicht erfassen sollen, so hätte das zum Ausdruck kommen müssen. Dieser Auffassung des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen; sie verstößt gegen den Grundsatz des § 133 BGB, daß bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen ist. Aus Ziffer III der Richtlinien von 1948, die nach aller Lebenserfahrung B. jedenfalls auch bekannt waren, ergibt sich eindeutig, daß ein Invalide vom Bezug von Hausbrandkohlen zu ermäßigtem Preis endgültig ausgeschlossen werden konnte, wenn er wiederholt gegen das Verbot der entgeltlichen oder unentgeltlichen Abgabe verstieß. Der Sinn dieser Bestimmung ist eindeutig; es sollte damit ein wiederholter Verstoß gegen die Richtlinien durch einen für alle Zeiten erfolgenden Ausschluß von der Belieferung mit Brandkohlen geahndet werden. Auf Grund dieser Bestimmung ist der verstorbene Kläger dann auch von dem Kohlenbezug für dauernd ausgeschlossen worden, so daß sein Fall für die Beklagte, aber auch für ihn selbst, endgültig erledigt war. Wenn das Landesarbeitsgericht daher meint, in den Richtlinien von 1953 hätte besonders zum Ausdruck kommen müssen, wollten sie auch die bereits endgültig vom Bezug von Brandkohlen ausgeschlossenen Invaliden weiterhin ausschließen, so bedeutet dies geradezu eine Umkehrung der Erklärung. Nicht die Absicht, die bisherige Regelung b e i z u b e h a l t e n , hätte in den Richtlinien zum Ausdruck gebracht werden müssen, sondern — bei der Endgültigkeit eines auf Grund von Ziffer III der früheren Richtlinien erfolgten Ausschlusses — gegebenenfalls ein Wille, diese Situation gegenüber dem bisherigen Zustand grundlegend zu ä n d e r n , nämlich den auf Grund der Richtlinien von 1948 endgültig vom Bezug ausgeschlossenen Invaliden die Möglichkeit hierzu wieder einzuräumen. Einen derartigen Hinweis enthalten die Richtlinien von 1953 aber nicht. Ein Wille, auch bereits endgültig abgeschlossene Fälle wieder aufzurollen und Invaliden, die bereits für alle Zeiten vom Bezug ausgeschlossen waren, wieder in den Genuß der Invalidenkohlen zu bringen, kommt in ihnen in keiner Weise zum Ausdruck. Vielmehr sollten offensichtlich und verständlicherweise nur diejenigen Invaliden und Witwen, die zwar nicht unter die Regelung des neuen Manteltarifvertrages fallen, wohl aber nach den bisherigen Richtlinien bis zu deren Wegfall Invalidenkohlen erhielten, den Invaliden und Witwen gleichgestellt werden, die in Zukunft einen tariflichen An-
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sprudi nach dem MTV haben würden. Ein weitergehender Sinn der fraglichen Regelung hätte besonders und eindeutig zum Ausdruck kommen müssen. Auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse von 1948 und 1953 nicht vergleichbar seien, da die „Bestrafung mit dem völligen Ausschluß wohl 1948 am Platze gewesen sein möge, nicht aber mehr im Jahre 1953", vermögen nicht zu überzeugen. Die Richtlinien von 1948 wurden nun einmal erst mit Wirkung ab 1. Mai 1953 aufgehoben, und es ist auch überhaupt nicht unbillig, bei einer wiederholten verbotswidrigen Abgabe der Hausbrandkohlen den endgültigen Verlust ihres weiteren Bezuges vorzusehen. Die Verfehlungen des früheren Klägers selbst haben sich eben unter der Geltung der Richtlinien von 1948 ereignet. 5. Es kann schließlich auch keine Rede davon sein, daß, wie die Kläger meinen, die von der Beklagten getroffene Regelung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße. Letzterer kommt hier schon deswegen nicht in Betracht, weil der verstorbene Kläger auf Grund seiner Verfehlungen gemäß den Richtlinien von 1948 endgültig ausgeschlossen war. Auf eine später erfolgende anderweite Regelung kann er sich daher nicht unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung berufen. Darüber, daß auch noch andere Invalide in gleicher Weise wie der verstorbene Kläger gegen die Richtlinien von 1948 verstoßen hätten und trotzdem vom Bezug von Invalidenkohlen nicht endgültig ausgeschlossen worden seien, ist im Rechtsstreit nichts vorgetragen und vom Landesarbeitsgericht in einer erkennbaren Weise auch nichts festgestellt worden. 6. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts unterliegt daher in jedem Falle der Aufhebung, weil es anerkannten Auslegungsregeln widerspricht und somit auf einer Gesetzesverletzung beruht. Es brauchte infolgedessen auch nicht auf den Rechtscharakter der Richtlinien, insbesondere der von 1953, eingegangen zu werden, vor allem nicht darauf, ob es sich bei ihnen um eine den Invaliden zwar bekannte, im übrigen aber interne Verwaltungsregelung oder um eine nach außen ausgesprochene einseitige Selbstbindung der Beklagten oder um ein Vertragsangebot der Beklagten an ihre Arbeitnehmer und Invaliden, das stillschweigend angenommen werden konnte, handelt. Es bedarf, da das Landesarbeitsgericht gegen anerkannte Auslegungsregeln verstoßen hat, auch nicht einer Prüfung, ob es sich bei den Richtlinien um eine typische Rechtsfigur handelt, die unbeschränkt der Revision unterliegen würde oder um eine Einzelregelung, die nur beschränkt revisibel wäre.
3 7. Dienstordnungsangestellte
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Da die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf ein festgestelltes Sachverhältnis erfolgt (vgl. gerade für den Fall eines Verstoßes gegen die Anwendungsregeln des § 13 3 BGB das Urteil des Ersten Senats vom 12. Juli 1957 - 1 AZR 418/55 = AP Nr. 6 zu § 550 ZPO) und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hatte der Senat gemäß § 565 Abs. 3 Z P O in der Sache auch selbst zu entscheiden.
37 1. Der Einwand der Rechtshängigkeit ist auch im Verhältnis der Sozialgerichtsbarkeit zur Arbeitsgerichtsbarkeit zu beachten. 2. Die § § 1 1 und 12 MDO verstoßen nicht gegen die zwingende Vorschrift des § 626 BGB. 3. Der Arbeitgeber kann eine vorsorgliche zweite Kündigung für den Fall aussprechen, daß die erste Kündigung aus formellen Gründen für unwirksam erklärt wird. Eine vorsorgliche Kündigung für den Fall, daß die erste Kündigung aus sachlichen Gründen für unwirksam erklärt werden sollte, ist jedoch nur dann zulässig, wenn nach Ausspruch der ersten Kündigung neue Kündigungsgründe entstanden sind oder der Arbeitgeber von älteren Kündigungsgründen erst später Kenntnis erlangt hat. 4. Die Wirksamkeit einer Dienststrafe gemäß § 10 MDO hängt grundsätzlich davon ab, daß der Angestellte vorher gehört worden ist. 5. Jedoch braudit der Angestellte ausnahmsweise nicht mehr gehört zu werden, wenn es sich um eine zweite vorsorgliche Dienstentlassung handelt, der Angestellte sich nicht mehr im Dienst befindet und über die erste Dienstentlassung ein gerichtliches Verfahren anhängig ist. 6. Der Anspruch nach § 11 Abs. 5 MDO auf mindestens das halbe Gehalt bis zum Abschluß des gegen die Dienstentlassung eingeleiteten Beschwerdeverfahrens ist nach Wegfall des § 358 RVO auch während des Arbeitsgerichtsverfahrens, jedoch in der Regel nur bis zum Abschluß des Berufungsverfahrens, gegeben. R V O § 354, § 358; SGG § 94 Abs. 2, § 215 Abs. 2, § 224 Abs. 3 Nr. 1; ArbGG § 111 Abs. 1 Satz 1, § 118 Abs. 3; Z P O § 263; BGB § 626; Musterdienstordnung vom 27. 9. 1940 (RAB1. II 348) §§ 1 0 - 1 2 . III. Senat. Urteil vom 23. 9. 1958 i. S. F. (Kl.) w. AOK B. (Bekl.) 3 AZR 33/56. 1. Arbeitsgericht Stuttgart. — II. Landesarbeitsgericht Stuttgart. 17 Entscheid, d. BAG. 6
3 7. Dienstordnungsangestellte
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Da die Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf ein festgestelltes Sachverhältnis erfolgt (vgl. gerade für den Fall eines Verstoßes gegen die Anwendungsregeln des § 13 3 BGB das Urteil des Ersten Senats vom 12. Juli 1957 - 1 AZR 418/55 = AP Nr. 6 zu § 550 ZPO) und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hatte der Senat gemäß § 565 Abs. 3 Z P O in der Sache auch selbst zu entscheiden.
37 1. Der Einwand der Rechtshängigkeit ist auch im Verhältnis der Sozialgerichtsbarkeit zur Arbeitsgerichtsbarkeit zu beachten. 2. Die § § 1 1 und 12 MDO verstoßen nicht gegen die zwingende Vorschrift des § 626 BGB. 3. Der Arbeitgeber kann eine vorsorgliche zweite Kündigung für den Fall aussprechen, daß die erste Kündigung aus formellen Gründen für unwirksam erklärt wird. Eine vorsorgliche Kündigung für den Fall, daß die erste Kündigung aus sachlichen Gründen für unwirksam erklärt werden sollte, ist jedoch nur dann zulässig, wenn nach Ausspruch der ersten Kündigung neue Kündigungsgründe entstanden sind oder der Arbeitgeber von älteren Kündigungsgründen erst später Kenntnis erlangt hat. 4. Die Wirksamkeit einer Dienststrafe gemäß § 10 MDO hängt grundsätzlich davon ab, daß der Angestellte vorher gehört worden ist. 5. Jedoch braudit der Angestellte ausnahmsweise nicht mehr gehört zu werden, wenn es sich um eine zweite vorsorgliche Dienstentlassung handelt, der Angestellte sich nicht mehr im Dienst befindet und über die erste Dienstentlassung ein gerichtliches Verfahren anhängig ist. 6. Der Anspruch nach § 11 Abs. 5 MDO auf mindestens das halbe Gehalt bis zum Abschluß des gegen die Dienstentlassung eingeleiteten Beschwerdeverfahrens ist nach Wegfall des § 358 RVO auch während des Arbeitsgerichtsverfahrens, jedoch in der Regel nur bis zum Abschluß des Berufungsverfahrens, gegeben. R V O § 354, § 358; SGG § 94 Abs. 2, § 215 Abs. 2, § 224 Abs. 3 Nr. 1; ArbGG § 111 Abs. 1 Satz 1, § 118 Abs. 3; Z P O § 263; BGB § 626; Musterdienstordnung vom 27. 9. 1940 (RAB1. II 348) §§ 1 0 - 1 2 . III. Senat. Urteil vom 23. 9. 1958 i. S. F. (Kl.) w. AOK B. (Bekl.) 3 AZR 33/56. 1. Arbeitsgericht Stuttgart. — II. Landesarbeitsgericht Stuttgart. 17 Entscheid, d. BAG. 6
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37. Dienstordnungsangestellte
Der im Jahre 1924 geborene Kläger war seit 1939 bei der Beklagten tätig, zuletzt als dienstordnungsmäßiger Verwaltungsinspektor mit einem Monatsgehalt von 456,— DM. Durch Beschluß des Ausschusses der Beklagten vom 1. Juni 1953 wurde er mit sofortiger Wirkung aus dem Dienst entlassen. Begründet wurde die Entlassung mit dienstlichen und außerdienstlichen Verfehlungen in 20 Fällen, wie unzulässiger Gewährung von Kassenleistungen, unberechtigtem Krankfeiern sowie verschwenderischer Lebensführung, die sich besonders im Schuldenmachen bei Autovermietern und Gastwirten zeige. Während eines gegen die Dienstentlassung gerichteten Beschwerdeverfahrens sollte dem Kläger die Hälfte seines Gehalts weitergezahlt werden. Der Kläger legte auch gegen die Dienstentlassung gemäß § 3 58 RVO Beschwerde beim Versicherungsamt ein, von wo aus das Verfahren nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes an die Sozialgerichtsbarkeit abgegeben wurde, wo es jetzt in der zweiten Instanz noch anhängig ist. Am 1. März 1954 hat die Beklagte die Zahlung der halben Dienstbezüge eingestellt. Darauf hat der Kläger beim Arbeitsgericht auf Fortzahlung des halben Gehalts geklagt. In ihrer Klageerwiderung vom 23. September 1954 hat die Beklagte wegen ihr inzwischen bekanntgewordener weiterer Verfehlungen, wie Aufnahme von Darlehen bei Leuten, mit denen der Kläger dienstlich zu tun hatte, und unsittliches Verhalten auf geschlechtlichem Gebiet in einem Falle, vorsorglich noch eine „Kündigung aus wichtigem Grunde" ausgesprochen. Der Kläger hat dann vor dem Arbeitsgericht beantragt, die Unwirksamkeit der Dienstentlassung vom 1. Juni 1953 und der Kündigung vom 23. September 1954 festzustellen und die Beklagte zur Zahlung des halben Gehalts in Höhe von monatlich 228,— DM für die Zeit bis zum Abschluß des Beschwerdeverfahrens zu verurteilen. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 2964,— DM nebst Zinsen verurteilt, im übrigen aber die Klage abgewiesen, weil die Kündigung vom 23. September 1954 zum 31. März 1955 wirksam geworden sei und die Beklagte nur bis dahin das halbe Gehalt zu zahlen habe. Demgegenüber hat die Beklagte zur Begründung ihrer Berufung die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 23. September 1954 sei eine fristlose Entlassung und deshalb mit ihrem Zugang an den Kläger am 27. September 1954 wirksam geworden. Die Verpflichtung zur Zahlung des halben Gehalts bis dahin hat sie anerkannt. Sie hat deshalb beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit es dem Kläger mehr als 1596,— DM nebst Zinsen zuspricht.
37. Dienstordnungsangestellte
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Der Kläger hat Anschlußberufung eingelegt und beantragt, 1. festzustellen, daß die Dienstentlassung vom 1. Juni 1953 und die Kündigung vom 23. September 1954 unwirksam sind; 2. die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an den Kläger seit dem 1. Oktober 1954 bis zur rechtskräftigen Beendigung des vom Kläger gegen die fristlose Entlassung vom 1. Juni 1953 eingeleiteten Beschwerdeverfahrens 228,— DM monatlich nebst 4 % Zinsen aus je 228,— DM seit dem Beginn eines jeden Monats vom 1. Oktober 1954 ab zu zahlen, und zwar die bisher fällig gewordenen Beträge sofort, die künftig fällig werdenden am Ersten eines jeden Monats. Außerdem hat der Kläger einen Hilfsantrag gestellt, in dem er vorsorglich eine Abtretung seiner Gehaltsansprüche an den Bezirksnotar S. berücksichtigt. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Beklagten entsprochen, die Anschlußberufung des Klägers dagegen zurückgewiesen. Die Revision des Klägers, mit der er seine vom Landesarbeitsgeridit abgewiesenen Klageansprüche weiter verfolgt, hatte teilweise Erfolg. Aus den
Gründen:
I. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag des Klägers, die Unwirksamkeit der Dienstentlassung vom 1. Juni 1953 festzustellen, zu Recht für unzulässig angesehen; denn diesem Antrag gegenüber greift der Einwand der Rechtshängigkeit durch. Gegen die Dienstentlassung hatte der Kläger noch vor Beginn des gegenwärtigen Prozesses beim Versicherungsamt B. Beschwerde gemäß § 358 R V O eingelegt. Diese Vorschrift der Reichsversicherungsordnung wurde in § 224 Abs. 3 Nr. 1 SGG mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes am 1. Januar 1954 ausdrücklich aufgehoben; in § 215 Abs. 2 SGG ist ferner bestimmt, daß die vor dem 1. Januar 1954 bei den Versicherungsämtern, Oberversicherungsämtern und Versorgungsgerichten rechtshängigen Sachen auf das zuständige Sozialgericht übergehen. Auf Grund dieser Vorschrift hat das Versorgungsamt B. das vom Kläger anhängig gemachte Beschwerdeverfahren an das Sozialgericht St. abgegeben. Das war nicht richtig. Denn der erkennende Senat vertritt in Übereinstimmung mit dem Bundessozialgericht (BSG 2, 53; AP Nr. 15 zu § 2 ArbGG 1953, am Ende der Urteilsgründe) die Rechtsansicht, daß die frühere Zuständigkeit der Versicherungs- und Oberversicherungsämter zur Entscheidung über Beschwerden von dienstordnungsmäßigen Angestellten schon vor Inkraft17*
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37. Rechtshängigkeit
treten des Sozialgerichtsgesetzes, nämlich schon am 1. Oktober 1953 mit Inkrafttreten des Arbeitsgerichtsgesetzes weggefallen ist. Daß die Rechtsstreitigkeiten zwischen den dienstordnungsmäßigen Angestellten und den Versicherungsträgern zu den Arbeitssachen gehören, ist jetzt allgemeine Meinung (BSG a . a . O . ; BAG 1, 81; BVerwG, DVB1. 56, 267). Auf diese Rechtsstreitigkeiten ist deshalb § 111 Abs. 1 Satz 1 ArbGG anzuwenden, wonach die Arbeitsgerichte mit Inkrafttreten des Arbeitsgerichtsgesetzes von 1953 an die Stelle der anderen Gerichte, Behörden und Stellen treten, die vorher zur Entscheidung oder Beilegung von Arbeitssachen zuständig waren. Die Vorschrift des § 3 58 R V O ist deshalb schon mit Inkrafttreten des Arbeitsgerichtsgesetzes am 1. Oktober 1953 gegenstandslos geworden; daß sie durch § 224 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausdrücklich aufgehoben worden ist, hatte somit nur deklaratorische Bedeutung. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich der gesetzliche Übergang derartiger Sachen an die Arbeitsgerichte auf die Fälle beschränkt, in denen die vorher mit dem Verfahren befaßte Stelle die Sache irgendwann tatsächlich an das z u s t ä n d i g e Gericht abgegeben hat, in den anderen Fällen dagegen ein förmlicher Überweisungsbeschluß des zuständigen Gerichts unentbehrlich ist. Denn steht man auf dem Standpunkt, daß das vom Kläger beim Versicherungsamt anhängig gemachte Beschwerdeverfahren seit Inkrafttreten des Arbeitsgerichtsgesetzes beim zuständigen Arbeitsgericht bereits anhängig ist, dann greift der Einwand der Rechtshängigkeit ohne weiteres durch. Das gleiche gilt aber auch, wenn man jenes Verfahren als noch in der Sozialgerichtsbarkeit anhängig ansieht; denn der Einwand der Rechtshängigkeit ist auch zwischen den Sozialgerichten und den Arbeitsgerichten zu beachten. Im Schrifttum wird hierzu zwar auch die Ansicht vertreten, der Einwand der Rechtshängigkeit sei nur im Verhältnis der Zivilgerichtsbarkeit zu der Arbeitsgerichtsbarkeit zu beachten (Rosenberg 7. Aufl. § 98 II 1; Baumbach-Lauterbach, Z P O , 25. Aufl. § 263 Anm. 2 A). Der Senat vermag jedoch dieser Ansicht nicht zu folgen. Die Klagesperre infolge Rechtshängigkeit dient dem Zweck, doppelte und einander widersprechende gerichtliche Entscheidungen zu vermeiden, die Beklagten vor mehreren sachlich gleichartigen und gleichzeitigen Prozessen zu schützen sowie das unnötige Anrufen von Gerichten zu verhindern (BAG 4, 301). Dies sollte grundsätzlich aber auch im Verhältnis aller Gerichtsbarkeiten zueinander gelten, weil seit Inkrafttreten des Grundgesetzes die Gerichte aller Zweige mit unabhängigen Richtern besetzt sind und deshalb auch außerhalb der Zivilgerichte und ihrer Sondergerichte vom „ordentlichen
37. Rechtshängigkeit
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Rechtsweg" gesprochen werden könnte (vgl. Schönke-Schröder-Niese, Zivilprozeßrecht, 8. Aufl. S. 67 ff.). Abgesehen hiervon steht der Senat mit Wieczorek (ZPO § 263 Anm. A I IV a) auf dem Standpunkt, daß der Einwand der Rechtshängigkeit jedenfalls mit Bezug auf die Gerichtsbarkeiten gegeben ist, die im Verweisungsverhältnis zueinander stehen, und das ist zwischen Sozialgerichtsbarkeit und Arbeitsgerichtsbarkeit der Fall, wie sich aus § 52 SGG und § 48 a ArbGG ergibt. Daß gegenüber dem Antrag des Klägers, die Dienstentlassung vom 1. Juni 1953 für unwirksam zu erklären, der Einwand der Rechtshängigkeit gegeben ist, folgt übrigens auch auch § 94 Abs. 2 SGG. Nach dieser Vorschrift ist eine neue Klage unzulässig, wenn die Streitsache schon bei einem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit rechtshängig ist. Unter „neuer Klage" ist nach dem Willen des Gesetzgebers jede Klage bei irgendeinem Gericht zu verstehen (Bundestags-Drucksache der ersten Wahlperiode, Nr. 4357 zu § 42; vgl. auch LSG Bayern, Amtsblatt des Bayerischen Ministeriums für Arbeit und Soziale Fürsorge, 1955 B 146; HofmannSchroeter, SGG, 2. Aufl. § 94 Anm. 2; Peters-Sautter-Wolff, SGG, § 94 Anm. 3). Nach alledem ist die Revision hinsichtlich des Antrages, die Unwirksamkeit der Dienstentlassung vom 1. Juni 1953 festzustellen, nicht begründet. II. Der weitere Antrag, die Unwirksamkeit der „Kündigung vom 23. September 1954" festzustellen, ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Insoweit ist dem Urteil des Landesarbeitsgerichts, wenn auch nicht in der Begründung, so doch im Ergebnis beizutreten. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung vom 23. September 1954 als eine außerordentliche unbefristete Kündigung im Sinne von § 626 BGB angesehen. Hierbei hat es jedoch die rechtliche Bedeutung der §§ 10—12 der bei der Beklagten zur Zeit des Ausspruchs dieser Kündigung gültigen, auch auf den Kläger anwendbaren Dienstordnung vom 29. Oktober 1940 (im folgenden kurz: DO) verkannt. 1. Nach § 10 D O können gegen DO-Angestellte, die ihre Dienstpflichten verletzen, Dienststrafen verhängt werden. Dienststrafen sind: Mündliche Verwarnung, schriftlicher Verweis, Geldstrafe bis zur Höhe des einmonatigen Diensteinkommens, Gehaltskürzung im Höchstbetrag von einem Fünftel der jeweiligen Dienstbezüge auf längstens fünf Jahre, Dienstentlassung, Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehalts. In § 11 D O sind die Gründe, die zu einer Dienstentlassung berechtigen, im einzelnen aufgezählt. Von Bedeutung sind hier die „schwere Verletzung von Dienstpflichten" (Abs. 1 Nr. 3) und das „sonstige, auch außerdienst-
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37. Dienstordnungsangestellte
liehe Verhalten, das den Angestellten der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig erscheinen läßt" (Abs. 1 Nr. 8). Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 D O kann dem DO-Angestellten außerdem aus einem wichtigen Grunde gekündigt werden; die Kündigungsfrist beträgt in diesem Falle grundsätzlich sechs Monate zum Schluß eines Kalendervierteljahres. Diese §§ 10—12 D O stimmen wörtlich überein mit der Musterdienstordnung, die der frühere Reichsarbeitsminister durch Erlaß vom 27. September 1940 (RAB1. II S. 348) bekanntgegeben hat. 2. Für die Auslegung und das Verhältnis dieser Bestimmungen zueinander ist zu beachten, daß die nach § 3 54 Abs. 4 R V O vorbehaltene Kündigung aus wichtigem Grunde immer scharf von der disziplinaren Dienstentlassung getrennt wurde. Diese Dienstentlassung sollte nur bei bewußt rechtswidrigen groben Dienstverletzungen (RAG, ARS 33, 363; vgl. auch ARS 17, 506; 27, 107; 31, 254; 39, 463), die Kündigung aus wichtigem Grunde nur dann möglich sein, wenn kein Verschulden des Angestellten vorliegt (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 15. Aufl. 1954, § 354 R V O Anm. 2). Das erklärt auch, warum die meisten Dienstordnungen diese Kündigung nur mit einer Frist vorsahen und daß nach Ansicht des Reichsarbeitsministers (Erlaß vom 29. Juni 1942, RAB1. II 408) bei einer derartigen Kündigung die Ansprüche auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung bestehen bleiben sollten, was auch heute noch als rechtens angesehen wird (Werner Weber, ZBR 1955, 129; Brackmann, Handbuch S. 1 7 2 b ; Peters a . a . O . 16. Aufl. § 354 Anm. 2). 3. Das Landesarbeitsgericht hat die von der Beklagten am 23. September 1954 ausgesprochene vorsorgliche Kündigung als eine fristlose Entlassung im Sinne des § 626 BGB angesehen. Nach seiner Ansicht kann das unabdingbare Recht zur fristlosen Entlassung durch eine Dienstordnung nicht im voraus ausgeschlossen werden. Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Im arbeitsrechtlichen Schrifttum wird zwar mehrfach die Ansicht vertreten, auf das Recht zur fristlosen Entlassung könne nicht von vornherein verzichtet und dieses Recht dürfe auch nicht erschwert werden (vgl. Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl. Bd. I § 59 VII; Staudinger-Nipperdey-Neumann, Kommentar zum BGB, 11. Aufl. § 626 Anm. 52; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl. Bd. I § 50 I 3). Die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit aus allgemeinen arbeitsrechtlichen Gründen das Recht zur außerordentlichen Kündigung eingeschränkt werden kann, braucht jedoch hier nicht abschließend beantwortet zu werden. Die in den Dienstordnungen der Sozialversicherungsträger
37. Dienstordnungsangestellte
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üblichen Einschränkungen sind nämlich allein schon deshalb rechtlich nicht zu beanstanden, weil es sich hier um Angestellte handelt, die im öffentlichen Dienst stehen und öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmen. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der Gesetzgeber der Reichsversicherungsordnung dadurch, daß er in den §§ 351 ff. R V O den Erlaß von Dienstordnungen vorsah, die Möglichkeit schuf, die Rechtsstellung des bei den Versicherungsträgern tätigen Stammpersonals möglichst weitgehend dem Beamtenrecht anzugleichen. Die dienstordnungsmäßigen Angestellten üben in ihren Behörden die gleichen Funktionen aus wie beim Staat und bei den Gemeinden die Beamten. Sie erlassen Verwaltungsakte, gegen die der Rechtsweg zu besonderen Verwaltungsgerichten, nämlich den Sozialgerichten gegeben ist. Durch den Erlaß von Dienstordnungen und durch die Ernennung von dienstordnungsmäßigen Angestellten genügen die Sozialversicherungsträger ferner dem Verfassungsauftrag des Art. 33 Abs. 4 GG, wonach die Ausübung hoheitsrechtlidier Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen ist, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn die DO-Angestellten nur unter ähnlichen Voraussetzungen wie Beamte entlassen werden können (so auch Nikisch a. a. O. § 50 I 3). Das verstößt auch nicht gegen § 3 54 Abs. 4 RVO. Nach dieser Vorschrift darf die Kündigung oder Entlassung für Fälle, in denen ein wichtiger Grund vorliegt, nicht ausgeschlossen werden. Diese Vorschrift verbietet bei sinngemäßer Auslegung nur einen allgemeinen Ausschluß des außerordentlichen Kündigungsrechts; Beschränkungen dieses Rechts, wie sie in den Dienstordnungen normalerweise vorgenommen werden, gehören nicht hierher (so schon das RAG in ARS 28, 24). 4. Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, daß die Kündigung vom 23. September 1954 nicht auf § 626 BGB gestützt werden kann. Ihre Rechtswirksamkeit folgt aber aus den §§ 10, 11 DO. Denn sie beruht auf schuldhaften, groben Dienstvergehen des Klägers. Allerdings können derartige Vergehen nur unter Beachtung der §§ 10, 11 D O geahndet werden. Obwohl diese Kündigung von der Beklagten nicht ausdrücklich unter formellem Hinweis auf die Dienstordnung ausgesprochen wurde, ist sie dennoch der Sache nach eine disziplinäre Dienstentlassung und daher demgemäß zu beurteilen. Sie ist als Dienstentlassung betrachtet auch rechtswirksam. 5. Die Revision meint allerdings, die Entlassung vom 23. September 1954 sei schon deswegen unwirksam, weil das Dienstverhältnis
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37. Dienstentlassung
zwischen den Parteien bereits durch die frühere Entlassung vom 1. Juni 1953 aufgelöst worden sei und die zweite Entlassung vom 23. September 1954 daher ins Leere gehe. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die zweite Entlassung ist von der Beklagten vorsorglich ausgesprochen worden. Das kann hier bedeuten: diese Entlassung sollte für den Fall wirksam werden, daß die erste Entlassung aus irgendwelchen förmlichen oder sachlichen Gründen von den Gerichten für unwirksam angesehen werden sollte. Das zweite Ziel, das die Beklagte mit dieser vorsorglichen Entlassung verfolgte, war, ihrer Pflicht, gemäß § 11 Abs. 5 DO bis zur Beendigung des Beschwerdeverfahrens das halbe Gehalt an den Kläger zahlen zu müssen, durch eine Kündigung aus wichtigem Grunde ein Ende zu setzen. Das Landesarbeitsgericht hat die Verfolgung dieses zweiten Zieles rechtlich anerkannt, indem es die vorsorgliche Entlassung als eine fristlose Kündigung gemäß § 626 BGB ansah und hinsichtlich der Pflicht zur Fortzahlung des halben Gehaltes ein „abgeschwächtes" Dienstverhältnis annahm, das durch eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde beendet werden konnte. Ob das Landesarbeitsgericht ein abgeschwächtes Dienstverhältnis zu Recht angenommen hat, kann dahingestellt bleiben. Denn die vorsorgliche Kündigung ist als eine zweite vorsorgliche Dienstentlassung im Sinne von § 11 DO anzusehen. Deshalb ist durch sie die Pflicht zur Fortzahlung des halben Gehalts nicht beendet. Daneben bleibt aber das erste Ziel bestehen: Die vorsorgliche Entlassung kann dann Bedeutung gewinnen, wenn aus irgendeinem Grunde die erste Entlassung nicht wirksam sein sollte. Im vorliegenden Falle haben sich die Tatsachen, auf Grund derer die zweite vorsorgliche Entlassung ausgesprochen wurde, zwar nur zum Teil nach Ausspruch der ersten Entlassung ereignet; sie sind nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts indessen alle erst nachher der Beklagten bekannt geworden. Deshalb hätte die Beklagte diese Gründe zur Begründung der ersten Dienstentlassung nachschieben können (vgl. BAG 2, 245 [250]; 3, 13); es ist aber auch rechtlich nicht zu beanstanden, daß die Beklagte aus diesen Gründen unter Hinzunahme dei neuen, erst später eingetretenen Gründe eine neue vorsorgliche Entlassung ausgesprochen hat (vgl. BAG in AP Nr. 11 zu § 626 BGB), zumal noch nicht feststeht, ob die erste Entlassung formell wirksam ist. Der Senat sieht sich auch nicht gehindert, über die zweite Entlassung sachlich zu entscheiden, obwohl über die Wirksamkeit der ersten Entlassung wegen des Einwands der Rechtshängigkeit noch keine Entscheidung getroffen werden kann. Denn es widerspräche dem Grundsatz der
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Prozeßökonomie, die Entscheidung über die zweite Entlassung nur deshalb zurückzustellen, weil die Reditswirksamkeit der ersten Entlassung noch nicht feststeht. Durch eine vorweggenommene Entscheidung über die zweite, vorsorgliche Entlassung hat niemand einen Nachteil, wenn man davon absieht, daß der Kläger durch eine Verzögerung des Prozesses allenfalls den Anspruch auf die Hälfte seines Gehalts länger als notwendig behielte. Daran hat er aber kein berechtigtes Interesse. Die danach zulässige weitere Prüfung der Rechtswirksamkeit der zweiten Entlassung führt zu folgenden Ergebnissen: 6. Nach § 10 Abs. 1 Satz 3 D O werden Dienststrafen vom Leiter der Ortskrankenkasse verfügt. Das ist seit dem Gesetz vom 22. Februar 1951 über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiete der Sozialversicherung (BGBl. 1951, 124) der Vorstand. Hier ist die Entlassung vom 23. September 1954 zwar von einem Rechtsanwalt während eines schwebenden Gerichtsverfahrens ausgesprochen worden; der Rechtsanwalt hat jedoch insoweit als bevollmächtigter Vertreter des Vorstands der Beklagten gehandelt. Die Entlassung ist also von der Stelle ausgesprochen worden, die auch für den Ausspruch einer Dienstentlassung zuständig gewesen wäre. Die Entlassung vom 23. September 1954 genügt aber auch der Vorschrift des § 10 Abs. 4 Satz 1 D O , wonach bei einigen Dienststrafen, zu denen auch die Dienstentlassung gehört, ein schriftlicher Bescheid mit Gründen zu erteilen ist. Ein solcher Bescheid ist in dem Schriftsatz vom 23. September 1954 zu sehen, in dem die Beklagte die hier zur Entscheidung stehende Entlassung als vorsorgliche Kündigung ausgesprochen und eingehend begründet hat; eine Abschrift dieses Schriftsatzes ist dem damaligen Prozeßbevollmächtigten des Klägers zugegangen. 7. Nach § 10 Abs. 1 Satz 4 D O ist der Angestellte, gegen den eine Dienststrafe ausgesprochen werden soll, allerdings vorher zu hören. Diese Anhörung ist eine Wirksamkeitsvoraussetzung für alle Dienststrafen. Das entspricht der Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts (ARS 31, 259, 260). Das Gegenteil ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Ersten Senats zur rechtlichen Bedeutung des § 66 Abs.. 1 BetrVG (BAG 1, 69). Nach dieser Entscheidung ist die vorherige Anhörung des Betriebsrats keine Voraussetzung der zivilrechtlichen Wirksamkeit der Kündigung. Dort handelte es sich aber um die Mitwirkung des Betriebsrats, also um ein Anhörungsrecht auf der betriebsverfassungsrechtlichen Ebene. Hier handelt es sich dagegen um die Anhörung des betreffenden Arbeitnehmers, also um eine Anhörungspflicht, die sich im Rahmen des einzelnen Arbeitsverhältnisses hält. Aus diesem Grunde be-
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37. Dienstentlassung
stehen keine Bedenken, anzunehmen, daß die in der Dienstordnung vorgeschriebene Anhörung der zu bestrafenden Angestellten eine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Dienststrafe enthält. Zum gleichen Ergebnis 'führt der Blick auf das Beamtenrecht: Nach § 21 Bundesdisziplinarordnung hat der Dienstvorgesetzte Vorermittlungen anzustellen, wenn Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Hierbei ist der Beschuldigte über die ihm zur Last gelegte Verfehlung unter Aufnahme einer Niedersdirift zu hören. Nach allgemeiner Ansicht sind die Vorermittlungen mit Anhörung des Beschuldigten ein notwendiger Bestandteil des Disziplinarverfahrens; eine ohne Vorermittlungen erlassene Disziplinarverfügung ist auf Beschwerde des Beamten •oder von Amts wegen aufzuheben (BDH 1 , 9 1 ; Behnke, Bundesdesziplinarordnung, § 21 Anm. 4 und 9). Da in den Dienstordnungen das Dienststrafrecht dem Disziplinarrecht der Beamten nachgebildet ist, kann also auch hieraus der Schluß gezogen werden, daß auch im Dienstordnungsrecht eine ohne vorherige Anhörung des Angestellten ausgesprochene .Dienststrafe unwirksam ist. Der Senat ist jedoch der Ansicht, daß unter den besonderen Umständen des Falles eine ausdrückliche Anhörung des Klägers vor der nochmaligen Dienstentlassung nicht notwendig war. Denn der Kläger -stand tatsächlich nicht mehr im Dienst der Beklagten, und es schwebte bereits ein Rechtsstreit, in dem er zu den Gründen der ersten Entlassung gehört worden war, und der auch die volle Gewähr dafür bot, daß er in gleicher Weise zu den meist ähnlichen Gründen der zweiten Dienstentlassung gehört werden werde. Hiernach wäre es eine leere Form, wenn man entsprechend dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 4 D O verlangen wollte, daß der Kläger vor der zweiten Entlassung außergerichtlich zu hören gewesen sei. Daran hatte er nach dem Sinn dieser Vorschrift kein rechtsschutzbedürftiges Interesse, und von der Beklagten war die Einhaltung einer solchen äußeren Form daher nicht zu verlangen. 8. Die Gründe, aus denen das angefochtene Urteil die Entlassung vom 23. September 1954 als fristlose Entlassung gemäß § 626 BGB für berechtigt hält, reichen auch für eine Dienstentlassung nach § 11 D O aus. Das Landesarbeitsgericht hat nämlich im einzelnen folgendes festgestellt und ausgeführt: In der Zeit nach der früheren Entlassung vom 1. Juni 1953 seien der Beklagten weitere Schulden des Klägers bekannt geworden. Die Schulden seien dadurch zustandegekommen, daß der Kläger verschwenderisch gelebt habe (häufige Fahrten mit Mietautos, Einkehren in Gaststätten und Kaffeehäusern). Ein derartiges Verhalten eines gehobenen
37. Dienstpfliditverletzung
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Angestellten des öffentlichen Dienstes spreche sich in kleinen Städten wie S. und B. schnell herum. Erschwerend komme hinzu, daß der Kläger größere Darlehen bei Personen aufgenommen habe, zu denen die verklagte A O K dienstliche Beziehungen unterhalte; wäre der Kläger bei der Beklagten nicht Abteilungsleiter gewesen, so meint das Landesarbeitsgericht, dann hätte er diese Darlehen sicher nicht bekommen. Der Kläger könne sich nicht damit entschuldigen, er habe die Darlehen für das Friseurgeschäft seiner Frau benötigt; das Interesse seiner Frau sei unmittelbar auch sein eigenes. Der Kläger habe einem der Darlehensgeber ehrenwörtlich versprochen, das Darlehen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzuzahlen; dieses Ehrenwort habe er nicht eingehalten. Der Kläger habe sich außerdienstlich in einem weiteren Falle unwürdig benommen. Es sei unbestritten, daß er am Sonntag, dem 9. November 1953, die ledige F. E. anläßlich eines Besuches bei ihm und seiner Frau aufgefordert habe, mit ihm geschlechtlich zu verkehren. Seine Ehefrau sei damit einverstanden gewesen. Das Mädchen habe jedoch abgelehnt. Sie habe dann unter Tränen von einem ehebrecherischen Verhältnis zu einem verheirateten Manne erzählt. Der Kläger und seine Frau hätten dieses Gespräch auf Tonband aufgenommen und es dem Mädchen vorgespielt. Der Kläger habe dann das Mädchen gefragt, was es tun würde, wenn er das Band der Frau jenes Mannes vorspielen würde. Das Mädchen habe dies als ein Druckmittel angesehen, um es den Wünschen des Klägers gefügig zu machen. Es habe dann im Schlafzimmer des Klägers zusammen mit der Frau übernachtet. Der Kläger sei gekommen und habe sich zwischen beide Frauen gelegt. Das Mädchen habe seine erneute Aufforderung zum Geschlechtsverkehr wiederum zurückgewiesen; der Kläger habe dann mit seiner Frau verkehrt. Danach habe er das Mädchen ein letztes Mal erfolglos aufgefordert. In S. sei über diese Angelegenheit viel gesprochen worden. Obwohl es sich bei den hier wiedergegebenen Tatsachen lediglich um das handelt, was der Beklagten nach der ersten Entlassung bekannt geworden ist und was vom Kläger nicht bestritten wird, genügen diese Feststellungen zur Rechtfertigung der zweiten Entlassung. Nach § 11 Abs. 1 D O ist die Dienstentlassung unter anderem zulässig bei schwerer Verletzung der Dienstpflichten (Nr. 3) und wegen eines sonstigen, auch außerdienstlichen Verhaltens, daß den Angestellten der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwürdig erscheinen läßt (Nr. 8). Diese beiden Tatbestände werden durdi die vom Landesarbeitsgericht festgestellten Tatsachen erfüllt. Ein dienstordnungsmäßiger Verwaltungsinspektor, der sich unter Ausnutzung seiner Dienst-
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37. Dienststrafen
Stellung Darlehen gewähren läßt, verschwenderisch lebt und — wie es der Kläger im Falle des Mädchens getan hat — grob unsittliche und besonders verwerfliche Handlungen begeht, ist als Angehöriger des öffentlichen Dienstes fehl am Platz. Die Entlassung vom 23. September 1954 ist deshalb auch sachlich gerechtfertigt. 9. Die Revision macht hierzu geltend, die Beklagte hätte den Kläger, der aus Unerfahrenheit und jugendlichem Leichtsinn gehandelt habe, nicht gleich entlassen dürfen. Sie sei verpflichtet gewesen, dem Kläger gegenüber zuerst die anderen milderen Dienststrafen des § 10 D O auszusprechen. Der Kläger habe jedoch niemals eine Verwarnung oder einen Verweis erhalten. Dieser Angriff der Revision geht fehl. Es gibt keinen Rechtssatz des Inhalts, daß bei einem Katalog von Dienststrafen vor Anwendung der höchsten Dienststrafe eine mildere Dienststrafe auszusprechen sei. Im Gegenteil: Die Disziplinargerichte für die Beamten haben immer wieder den Grundsatz aufgestellt, daß bei gewissen Straftaten grundsätzlich die Höchststrafe verwirkt ist, wenn nicht außergewöhnliche Umstände eine mildere Beurteilung zulassen (Behnke a . a . O . § 4 Anm. 11). Dies entspricht dem arbeitsrechtlichen Grundsatz, daß einer außerordentlichen Kündigung nicht ganz allgemein, sondern nur unter bestimmten Umständen eine Abmahnung vorausgehen müsse (Molitor, Die Kündigung, 2. Aufl. 1951 S. 278). Der Grundsatz, daß sofort die höchste Dienststrafe ausgesprochen werden kann, schließt selbstverständlich nicht aus, daß im Einzelfalle eine Dienstentlassung für unwirksam erklärt werden kann mit der Begründung, die festgestellten Tatsachen rechtfertigten keine Dienstentlassung, sondern nur eine mildere Dienststrafe, wie einen Verweis oder eine Gehaltskürzung. Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht gegeben. Der Kläger war zwar zur Zeit der ihm zur Last gelegten Verfehlungen erst knapp 30 Jahre alt. Er hatte jedoch trotzdem schon die Dienststellung eines Inspektors erreicht. In erster Linie kommt es deshalb nicht auf sein Alter, sondern auf seine Dienststellung an. Sein niedriges Lebensalter steht deshalb der Wirksamkeit der Entlassung vom 23. September 1954 nicht entgegen. Denn seine Verfehlungen sind vom angefochtenen Urteil ohne Rechtsirrtum als so schwer angesehen worden, daß sie ohne weiteres zur Entlassung des Klägers ausreichten. 10. Die Beklagte hatte das Recht zum Ausspruch der zweiten Entlassung nicht verwirkt, obwohl die Gründe, die zu dieser Entlassung geführt haben, zum Teil schon über ein Jahr vor Ausspruch dieser Entlassung eingetreten sind. Daß auch das Recht auf Kündigung verwirkt
37. Dienstentlassung
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werden kann, ist allgemein anerkannt. Eine Verwirkung liegt vor, wenn der Schuldner dem Verhalten des Gläubigers entnehmen mußte, daß dieser den Anspruch nicht mehr geltend machen werde, und der Schuldner sich hierauf einrichten durfte (BAG, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Wenn, wie im vorliegenden Falle, gegenüber dem Arbeitnehmer schon eine Entlassung ausgesprochen ist, über deren Rechtswirksamkeit noch keine Klarheit besteht, und wenn der Arbeitnehmer seit der ersten Entlassung von der Arbeit freigestellt ist, dann ist das Recht zur Kündigung auch dann nicht verwirkt, wenn inzwischen eine längere Zeit verstrichen ist. Der Arbeitgeber hat in einem solchen Falle nichts getan, woraus der Arbeitnehmer hätte schließen dürfen, daß der Arbeitgeber von seinem Kündigungsrecht, sei es auch nur in Form einer vorsorglichen Kündigung, keinen Gebrauch mehr machen würde. I I . Als Ergebnis ist somit festzustellen: Die von der Beklagten am 23. September 1954 ausgesprochene „vorsorgliche Kündigung" ist. als eine Dienstentlassung im Sinne von § 11 DO mit ihrem Zugehen am 27. September 1954 wirksam geworden. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb den Antrag des Klägers, „die Unwirksamkeit der Kündigung vom 23. September 1954 festzustellen", zu Recht abgewiesen. III. Das angefochtene Urteil ist jedoch aufzuheben, soweit es den Anspruch des Klägers auf Zahlung des halben Gehalts für die Zeit vom 1. Oktober 1954 bis zum 30. September 1955 zurückgewiesen hat. 1. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 11 Abs. 5 DO. Danach werden während des gegen eine Dienstentlassung eingeleiteten Beschwerdeverfahrens die Dienstbezüge ganz oder zum Teil, mindestens im halben Betrage des zuletzt bezogenen Gehalts, weitergezahlt. Die Vorschrift spricht von „Beschwerdeverfahren" und meint damit das in § 358 RVO geregelte Verfahren vor den Versicherungsämtem und den Oberversicherungsämtern. Nach Aufhebung dieser Vorschrift ist an die Stelle des Beschwerdeverfahrens das Verfahren vor den Arbeitsgerichten getreten, so daß die Pflicht zur Fortzahlung mindestens des halben Gehalts auch noch während des arbeitsgerichtlichen Verfahrens besteht (Urteil des Senats vom 15. Oktober 1957 - 3 AZR 395/56 - ) . 2. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Zahlung des halben Gehalts für die Zeit nach dem 1. Oktober 1954 deshalb abgewiesen, weil es die Entlassung vom 23. September 1954 als eine fristlose Entlassung im Sinne des § 626 BGB angesehen hat. Da indessen aus den oben dargelegten Gründen diese Entlassung nicht als eine außerordentliche Kündigung, sondern als eine Dienstentlassung im Sinne
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37. Dienstentlassung
der Dienstordnung anzusehen ist, kann der Kläger auch noch für die Zeit nach Ausspruch der zweiten Entlassung die Zahlung des halben Gehalts verlangen. 3. Dieser Anspruch besteht jedoch nur bis zum Abschluß des Verfahrens in der Berufungsinstanz. Das in § 358 RVO geregelte Beschwerdeverfahren, das § 11 Abs. 5 DO allein im Auge hatte, kannte lediglich zwei Instanzen. Die entsprechende Anwendung des § 11 Abs. 5 DO darf den DO-Angestellten grundsätzlich nicht besser stellen, als er unter der Geltung des § 3 58 RVO gestanden hat. Deshalb kann jetzt der Anspruch auf Fortzahlung des halben Gehaltes nur bis zum Ablauf zweier Instanzen, also bis zur Beendigung des Verfahrens vor dem Landesarbeitsgericht als der letzten Tatsacheninstanz, anerkannt werden. Auf die Dauer eines Revisionsverfahrens, das sich auf die rechtliche Überprüfung der zweitinstanzlichen Entscheidung beschränkt, erstreckt sich der Anspruch grundsätzlich nicht. Denn das würde ihn in der Regel sinnwidrig ausweiten und für den Dienstherrn eine unzumutbare geldliche Belastung bedeuten. Soweit der Senat in seiner oben genannten Entscheidung 3 AZR 395/56 von einer anderen Ansicht ausgegangen ist, wird diese aufgegeben. Ob ausnahmsweise etwas anderes dann gilt, wenn der Angestellte im Berufungsverfahren gesiegt hat, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist am 14. September 1955 verkündet worden. Im Hinblick darauf, daß, ebenso wie bei den Beamten das Gehalt, auch das halbe Gehalt bei disziplinärer Entlassung monatlich im voraus zu zahlen ist, ist als Endzeitpunkt der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung des halben Gehalts der 30. September 1955 anzunehmen. 4. Ohne Bedeutung ist es, daß über die erste Entlassung vom 1. Juni 1953 noch keine sachliche Entscheidung getroffen worden ist und deshalb die Ansicht vertreten werden könnte, dem Kläger stehe das halbe Gehalt bis zur Entscheidung auch über die Wirksamkeit der ersten Entlassung zu. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die Fortzahlung des halben Gehalts bis zum Abschluß der Disziplinarverfahren bezweckt, die DO-Angestellten solange zu sichern, bis feststeht, ob sie zu Recht oder zu Unrecht aus dem Dienst entlassen worden sind. Dieser Zweck kann aber im vorliegenden Falle überhaupt nicht mehr erfüllt werden, da mit Erlaß des vorliegenden Urteils rechtskräftig feststeht, daß das Dienstverhältnis zwischen den Parteien am 27. September 1954 sein Ende gefunden hat. Es besteht deshalb für die spätere Zeit keine Ungewißheit mehr, so daß es keinen Sinn hätte, dem Kläger auch weiterhin
37. Dienstentlassung
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das halbe Gehalt zu zahlen. Der Streit um die Wirksamkeit der ersten Entlassung hat nur noch für die Frage Bedeutung, ob der Kläger für die Zeit zwischen der ersten und der zweiten Entlassung das volle Gehalt beanspruchen kann. 5. Dem Anspruch des Klägers auf Zahlung des halben Gehalts ist somit noch für die Zeit vom 1. Oktober 1954 bis 30. September 1955, also für zwölf Monate stattzugeben. Sein Anspruch für die frühere Zeit ist vom Landesarbeitsgericht rechtskräftig zuerkannt worden, so daß darüber keine Entscheidung mehr zu treffen ist. Der Kläger hat für jeden Monat 228,—DM eingeklagt, so daß für zwölf Monate eine Verurteilung in Höhe von 2736,—DM auszusprechen ist. Nachdem die Zeit, für die dem Anspruch des Klägers entsprochen wird, in der Vergangenheit liegt, bestehen keine rechtlichen Bedenken, von der auf künftige Leistung gerichteten Fassung des Klagantrags abzuweichen und die Beklagte zur Zahlung des gesamten noch geschuldeten Betrags zu verurteilen. Der Anspruch auf 4 %> Zinsen folgt aus § 291 BGB. Hierbei ist als Zeitpunkt des Beginns der Zinspflicht der Einfachheit halber der mittlere Zeitpunkt, d. h. der 1. April 1955, eingesetzt worden. 6. Der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des halben Gehalts an den Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 1954 bis 30. September 1955 steht auch nicht entgegen, daß der Kläger den pfändbaren Teil dieses halben Gehalts an den Bezirksnotar S. in W. abgetreten hatte. Bezirksnotar S. hat nämlich später den Kläger ermächtigt, die abgetretenen Beträge gerichtlich geltend zu madien und Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Beträge an den Kläger zu beantragen. Der Kläger handelt demnach insoweit in gewillkürter Prozeßstandschaft. Die gewillkürte Prozeßstandschaft ist zulässig, wenn der Kläger ein eigenes rechtsschutzbedürftiges Interesse an der Geltendmachung der ihm materiell-rechtlich nicht zustehenden Ansprüche hat (BGH LM Nr. 6 zu § 50 ZPO, mit weiteren Hinweisen). Ein solches Interesse ist hier ohne weiteres gegeben. 7. Ob dem Kläger ein Anspruch auf Unterhaltsbeitrag gemäß § 11 Abs. 4 DO zusteht (vgl. BAG 2, 200), kann dahingestellt bleiben, da er einen solchen Anspruch nach der Fassung und dem Sinn seines Klageantrages nicht geltend gemacht hat.
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38. Versorgung nach beamtenrechtlichen
Grundsätzen
38 1. Die A n w a r t s c h a f t auf eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen wird nicht ohne weiteres dadurch ausgeschlossen, daß nach der Versorgungsregelung ein Rechtsanspruch auf die Versorgung nicht eingeräumt oder die Widerruflichkeit vorbehalten war. 2. Unschädlich ist es auch, wenn die Versorgung in der Form eines Zusatzes zu den öffentlichen Renten gewährt wird. 3. Auch eine geringere Beteiligung der Arbeitnehmer an ihrer Versorgung steht der Annahme einer Versorgung nach beamtenreditlidien Grundsätzen nicht im Wege. 4. Durch eine Versorgungseinrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit wird eine „ v o m D i e n s t h e r r n zu gewährende" Versorgung nach beamtenreditlidien Grundsätzen im Sinne des Regelungsgesetzes dann nicht ausgeschlossen, wenn das der Versorgung dienende Vermögen der Versorgungseinrichtung überwiegend von dem öffentlichen Dienstherrn aufgebracht wird u n d der öffentliche Dienstherr die Verpflichtung übernommen hat — wenn auch nur mittelbar —, für die Versorgungsleistungen einzustehen oder ohne eine besondere Rechtspflidit sich unter Berücksichtigung aller Umstände ergibt, daß der öffentliche Dienstherr für diese Leistungen tatsächlich einstehen wollte. Regelungsgesetz § 52; 3. D V O zum Regelungsgesetz § 1. III. Senat. Urteil vom 23. 9. 1958 i. S. C. (Kl.) w. P-F. d. Rh. (Bekl.) 3 AZR I. Arbeitsgericht Düsseldorf. —
69/57.
II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf.
Der im Jahre 1901 geborene Kläger war als Angestellter seit dem 11. Mai 1927 zuerst bei der Oberschlesischen Provinzial-Feuersozietät und nach deren Vereinigung mit der Niedersdilesisdien Provinzial-Feuersozietät zur Schlesischen Provinzial-Feuersozietät bei dieser bis zum Kriegsende tätig. Die Schlesische Provinzial-Feuersozietät war ebenso wie ihre Vorgängerinnen eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Den Angestellten der Sdilesischen Feuersozietät bzw. ihren Hinterbliebenen wurden im Falle der Invalidität und des Todes Leistungen gewährt. Eine Unterstützungseinrichtung wurde im Jahre 1937 in der Form eines rechtsfähigen Vereins errichtet. Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten als der nach § 3 der 9. D V O zum Regelungsgesetz vom 31. Juli 1954 (BGBl. I S. 234) zuständigen Aufnahmeeinrichtung für die Zeit vom 1. Mai 1954 bis zum 30. November 1954 die ihm nach dem Regelungsgesetz zustehenden
38. Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen
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Übergangsbezüge nebst 4 °/o Zinsen von jeder Monatsrate seit Beginn jeden Monats. Die Beklagte hat im Wege der Widerklage beantragt, festzustellen, ¿ a ß dem Kläger über die Klageforderung hinaus keinerlei Ansprüche, insbesondere auf Grund des Regelungsgesetzes, gegen die Beklagte bis zur Höhe eines Betrages von 6 1 0 0 DM zustehen. — Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Revision des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht dem Klageantrag entsprochen und die Widerklage abgewiesen. Aus den
Gründen:
I. Der Kläger stand am 8. Mai 1945 in Diensten der Schlesischen Provinzial-Feuersozietät, einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Diese fällt unter die in Nr. 14 der Anlage A des Regelungsgesetzes aufgeführten öffentlich-rechtlichen Sachversicherungsanstalten. Der Kläger gehört daher gemäß § 2 Abs. 1 des Regelungsgesetzes zu dem Kreis der vom Regelungsgesetz erfaßten Personen (vgl. BAG 5, 264). Nach § 6 1 des Regelungsgesetzes in Verbindung mit den Bestimmungen der 9. D V O vom 31. Juli 1954 (BGBl. I S. 234) ist die Beklagte zur Unterbringung und Versorgung verpflichtet (vgl. §§ 1, 3 und Verzeichnissel Nr. 14 und II Nr. 2 1 der 9 . D V O ) . Der Ansicht der Beklagten, daß die Bestimmungen der § § 2 , 61 des Regelungsgesetzes und der 9. D V O mit den Art. 3, 14 und 120 GG unvereinbar und deshalb verfassungswidrig seien, kann nicht gefolgt werden. Der Senat verbleibt bei seiner in dem Urteil vom 18. März 1958 (BAG 5 , 2 6 4 [ 2 6 9 ] ) begründeten Auffassung, daß die Bestimmung des § 2 des Regelungsgesetzes nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG verstößt, wenn sie Arbeitnehmer der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die sich mit Bank- und Versicherungsunternehmen befassen, dem Regelungsgesetz unterstellt. Der dem Gesetzgeber in Art. 131 G G erteilte Auftrag, die Rechtsverhältnisse der Personen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen, zu regeln, umfaßt die Ermächtigung, in Abweichung von Art. 120 GG andere Institutionen, wie Länder, Gemeinden (vgl. BVerfGE 1 , 1 6 7 [ 1 7 7 ] ) und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts zu verpflichten und ihnen die zur Unterbringung und Versorgung der in Betracht kommenden Personen erforderlichen Lasten aufzuerlegen (vgl. v. Mangoldt, Bonner Grundgesetz, Art. 131 Anm. 2 S. 642). Die Bestimmungen der § § 2 , 61 des Regelungsgesetzes und die Bestimmungen der 9. D V O hinsichtlich der Verpflichtungen der Auf18 Entscheid, d. B A G . 6
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Versorgung nach beamtenreditlichen Grundsätzen
nahmeeinrichtungen werden durch den Verfassungsauftrag des Art. 131 GG gedeckt. II. Der Kläger, der vom 11. Mai 1927 bis zum 8. Mai 1945 bei der Schlesischen Provinzial-Feuersozietät bzw. ihrer Reditsvorgängerin in Diensten gestanden und seinen Arbeitsplatz bei seiner untergegangenen Dienstherrin aus anderen als tarifrechtlichen Gründen verloren hat, erfüllt die Voraussetzungen des Regelungsgesetzes für einen Anspruch auf Übergangsgehalt, wenn er am 8. Mai 1945 i. S. des § 52 des Regelungsgesetzes einen vertraglichen Anspruch auf Altersversorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen hatte. Wann ein solcher Anspruch vorliegt, hat der Gesetzgeber zuerst in § 1 der 3. D V O vom 7. April 1952 (BGBl. I S. 230) und sodann in dem durch das 2. Gesetz zur Änderung des Regelungsgesetzes vom 11. September 1957 (BGB1.I S. 1275) neu gefaßten § 52 Abs. 2 des Regelungsgesetzes näher bestimmt. Voraussetzung für eine Altersversorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen ist danach, daß durch Dienstordnung, Ruhelohnordnung, Satzung, Statut oder Vertrag für den Fall der Arbeitsunfähigkeit oder des Erreichens einer Altersgrenze eine vom Dienstherrn zu gewährende lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenenversorgung auf der Grundlage des Arbeitsentgelts und der Dauer der Dienstzeit zugesichert und durch Erfüllung der in der Versorgungsregelung vorgesehenen Voraussetzungen eine Anwartschaft auf die Versorgung erworben worden ist. 1. Der Berufungsrichter verneint zunächst überhaupt eine Anwartschaft auf Versorgung im Sinne der genannten Bestimmung, weil nach § 1 Ziffer 3 Satz 2 der Satzung der Unterstützungseinrichtung der Niederschlesischen Provinzial-Feuersozietät e. V. ein Rechtsanspruch auf die Leistungen nicht besteht. Dieser Auffassung des Berufungsrichters kann nicht gefolgt werden. Die Anwartschaft wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß nach der Versorgungsregelung ein Rechtsanspruch auf die Versorgung nicht eingeräumt oder die Widerruflichkeit vorbehalten war, sofern von diesen Einschränkungen, außer in den Fällen disziplinarähnlicher Art, in langjähriger Übung kein Gebrauch gemacht worden ist. Diese Rechtsansicht ist für den Fall, daß der Dienstherr die Versorgung unmittelbar gewährt, in der Neufassung des § 52 Abs. 2 Satz 3 des Regelungsgesetzes gesetzlich niedergelegt worden. Sie ergab sich bereits vorher aus dem Sinn und Zweck des Regelungsgesetzes (vgl. dazu Urteil des BAG vom 18. November 1957 — 3 AZR 392/55 —) und muß sinngemäß auf die von einer juristisch selbständigen Unterstützungseinrichtung gewährte Versorgung übertragen werden, deren Mittel ganz oder überwiegend vom
38. Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen
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Dienstherrn aufgebracht werden. Dies ist um so mehr anzunehmen, als die Satzungen der Pensionskasse oder der sonstigen Einrichtungen vielfach durch steuergesetzliche Bestimmungen (vgl. Körperschaftssteuergesetz vom 16. Oktober 1934, § 4 Abs. 1 Nr. 7 und 1. D V O vom 6. Februar 1935 — RGBl. I S. 165 — §§ 14, 15) hinsichtlich der Gewährung oder Versagung eines Rechtsanspruchs auf Versorgung beeinflußt worden sind. 2. Unschädlich ist es auch, wenn die Versorgung in der Form eines Zusatzes zu den öffentlichen Renten gewährt wird. Das Regelungsgesetz geht selbst davon aus, daß eine Ruhegeldversorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen für Angestellte und Arbeiter auch vorliegen kann, wenn eine Anrechnung der öffentlichen Renten erfolgt. Es ordnet diese Anrechnung zum mindesten für die verdrängten früheren öffentlichen Bediensteten ausdrücklich an, so daß die Ruhegeldversorgung sich in diesen Fällen auf die Differenz zwischen dem nach der Satzung zu errechnenden Ruhegeld und der Altersversorgung beschränkt. Es kann aber keinen Unterschied machen, ob eine Anrechnung durch Abzug erfolgt oder von vornherein sich die Ruhegeldregelung auf den auch bei einem Abzug im Ergebnis eintretenden Zusatz zur Altersversorgung beschränkt. Wesentlich ist, daß sich eine Versorgung ergibt, die unter Zusammenrechnung der Renten und des Zusatzes der Versorgung eines vergleichbaren Beamten entspricht. 3. Auch eine geringere Beteiligung der Arbeitnehmer an ihrer Versorgung steht der Annahme einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht im Wege. Dies ergibt sich insbesondere wiederum daraus, daß nach der neuen Fassung des § 52 Abs. 2 Satz 4 des Regelungsgesetzes die in einer Versorgungsregelung vorgesehene Anrechnung von Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht ausschließt. In den gesetzlichen Rentenversicherungen leisten aber die Arbeitnehmer regelmäßig selbst Beiträge; sie sind also durch eine Anrechnung der von ihnen miterworbenen Renten an einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen beteiligt. Wenn aber das Regelungsgesetz selbst die Anrechnung der Versicherungsrenten für die Annahme einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht als hinderlich ansieht, kann auch eine unmittelbare geringe Beteiligung der Arbeitnehmer an ihrer Versorgung nicht gegen die Annahme einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen sprechen. Von einer solchen Versorgung wird nur dann keine Rede mehr sein können, wenn die Leistungen der Arbeitnehmer derart erheblich sind, daß die Versorgungsregelung den Charakter einer gleichwertigen Versorgung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewinnt. Dies bedarf der 18*
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38. Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen
tatsächlichen Feststellung im einzelnen Falle. Audi das Urteil des erkennenden Senats vom 1 2 . November 1 9 5 7 — 3 AZR 3 5 5 / 5 6 — (BAG 5 , 5 2 ) will nicht sagen, daß j e d e Beitragsleistung des Arbeitnehmers eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen ausschließt. 4. Die Entscheidung hängt daher wesentlich davon ab, und der Streit der Parteien geht auch in erster Linie darum, ob die Versorgungsanwartschaft, die im vorliegenden Falle gegenüber der Unterstützungseinrichtung der Niederschlesischen Provinzial-Feuersozietät e. V. als einer selbständigen juristischen Person bestand, bei verständiger Betrachtung als gegen die damalige Dienstherrin selbst gerichtet angesehen werden kann, so daß es sich um eine „vom Dienstherrn" zu gewährende Versorgung handelt. Mit dieser Frage, ob also und gegebenenfalls unter welchen Umständen bei Einschaltung einer Versorgungskasse in Form einer selbständigen juristischen Person zwischen dem Dienstherrn und dem Arbeitnehmer Ansprüche aus § 52 Regelungsgesetz bestehen können, hat sich der Senat in dem bereits erwähnten Urteil (BAG 5, 52) befaßt. Er hat dabei folgenden Grundsatz aufgestellt: Hat ein Arbeitgeber des öffentlichen Rechts seinen Arbeitnehmern zur Pflicht gemacht, einer von ihm gegründeten rechtlich selbständigen Versorgungskasse beizutreten, so ist die Alters- und Hinterbliebenenversorgung dieser Kasse keine „vom Dienstherrn zu gewährende" Versorgung. An diesem Grundsatz hält der Senat fest. Es ist nicht angängig, über die ausdrückliche Vorschrift, daß es sich um eine „ v o m D i e n s t h e r r n zu gewährende" Versorgung handeln muß, leicht hinweg zu gehen, d. h. sie auf den Fall ohne weiteres auszudehnen, daß der Dienstherr die Versorgung nicht selbst gewährt, sondern sie einer selbständigen Versorgungskasse überlassen hat. Der innere Grund dafür, daß das Regelungsgesetz nur an eine „vom Dienstherrn zu gewährende" Versorgung anknüpft, ist darin zu sehen, daß der Gesetzgeber den unter das Regelungsgesetz fallenden Personen zwar soweit wie möglich dieselbe Rechtsstellung wie früher geben will, aber doch keine bessere. Würde man dem Arbeitnehmer an Stelle eines früher allein gegen die Versorgungskasse begründeten Anspruchs jetzt einen Anspruch gegen den Dienstherrn selbst oder den nach dem Regelungsgesetz anstatt seiner verpflichteten Dienstherrn des öffentlichen Rechts ohne weiteres geben, so wäre das eine Verstärkung des Rechtsanspruchs, die nicht dem Sinn des Regelungsgesetzes entspricht. Sie würde auch zu Ungerechtigkeiten gegenüber etwaigen neueren nach 1945 eingestellten Bediensteten führen können, denen wie-
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Grundsätzen
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derum ein Anspruch nur gegen eine Versorgungskasse, aber nicht gegen den Dienstherrn eingeräumt ist. Der Senat hat in der damaligen Entscheidung aber die Möglichkeit offengelassen, daß die Versorgungskasse trotz ihrer formalrechtlichen Selbständigkeit nur eine bloße Funktion des Dienstherrn gewesen oder nachträglich dazu geworden sein könne mit der Folge, daß dann der Dienstherr doch der eigentliche „Gewährende" ist. Diese Rechtsansicht findet darin ihren Grund, daß das Regelungsgesetz frühere Rechtsstellungen nicht als solche aufrechterhält (vgl. § 77), sondern an sie nur als tatbestandsmäßige Voraussetzung für die gesetzliche Regelung anknüpft und daß es in einer Reihe von Bestimmungen (vgl. etwa Art. 131 GG selbst „aus anderen als tarifrechtlichen Gründen a u s g e s c h i e d e n " oder den bereits erwähnten § 52 neuer Fassung u. a.) nicht allein auf die formalrechtliche Gestaltung, sondern auf die tatsächliche Entwicklung oder Handhabung abstellt. Liegt der Sachverhalt daher so, daß der Dienstherr ganz oder doch überwiegend die Last der Versorgung zu tragen hat, so steht der Umstand, daß der Versorgungsansprudi sich nicht gegen den eigentlichen Dienstherrn, sondern gegen die juristisch selbständige Versorgungseinrichtung richtet, der Annahme einer vom Dienstherrn gewährten Versorgung im Sinne des § 52 des Regelungsgesetzes jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der öffentliche Dienstherr die Verpflichtung übernommen hat — und sei es auch nur mittelbar — für die Versorgungsleistungen einzustehen oder ohne eine solche Rechtspflicht sich unter Berücksichtigung aller Umstände ergibt, daß der öffentliche Dienstherr für diese Leistungen tatsächlich einstehen wollte. In solchen Fällen würde es dem Sinn und Zweck des Regelungsgesetzes nicht gerecht, wenn trotz Vorliegens einer tatsächlichen Anwartschaft auf beamtenreditliche Versorgung wegen der Zwischenschaltung einer juristisch selbständigen Versorgungseinrichtung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die vom Regelungsgesetz daran geknüpften Rechte entfielen. In diesen Fällen ist die Versorgungseinrichtung eine bloße Funktion des öffentlichen Dienstherrn. 5. Einer hiernach anzunehmenden Versorgung durch den Dienstherrn nach beamtenrechtlichen Grundsätzen stehen auch nicht Satzungsbestimmungen der Versorgungseinrichtungen über eine Beschränkung auf die vorhandenen Mittel oder über eine Liquidation der Versorgungseinrichtung entgegen. Auch die beamtenrechtliche Versorgung kann eine Kürzung erfahren, wenn eine allgemeine Katastrophenlage des Staates oder der öffentlich-rechtlichen Einrichtung eintritt. Die Bestimmungen über die Liquidation der Versorgungseinrichtung beruhen regelmäßig auf gesetz-
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38- Versorgung nach beamtenreAtlidien Grundsätzen
liehen Vorschriften über die Auflösung der für die Versorgungseinrichtung gewählten Rechtsform und stehen auch mit steuerrechtlidien Bestimmungen über eine Steuerbefreiung oder Ersparnis im Zusammenhang. Sie ändern aber wirtschaftlich gesehen nichts an dem Willen der öffentlich-rechtlichen Dienstherren, ihren Arbeitnehmern eine Altersversorgung im Rahmen einer beamtenrechtlichen Versorgung zukommen zu lassen. Sie sind mit den Fällen zu vergleichen, in denen eine beamtenrechtliche Versorgung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht vom Dienstherrn selbst versprochen wird, der Dienstherr aber von dieser Einschränkung, außer in dem Fall disziplinarähnlicher Art, in langjähriger Übung keinen Gebrauch gemacht hat. Wenn nach ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung ein solcher Vorbehalt einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht entgegenstehen soll, muß dasselbe auch für eine Liquidationsbestimmung einer Versorgungseinrichtung gelten, die doch regelmäßig nur für einen äußersten Fall gedacht ist und an dem Willen des öffentlich-rechtlichen Dienstherrn, die Versorgungseinrichtung ihrer Natur entsprechend als eine Dauereinrichtung bestehen zu lassen, nichts ändert. Zusammenfassend ist also davon auszugehen, daß durch eine Versorgungseinrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit eine vom Dienstherrn zu gewährende Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen im Sinne des § 52 Abs. 2 des Regelungsgesetzes dann nicht ausgeschlossen ist, wenn das der Versorgung dienende Vermögen der Versorgungskasse überwiegend von dem öffentlichen Dienstherrn aufgebracht wird u n d der öffentliche Dienstherr die Verpflichtung übernommen hat — wenn auch nur mittelbar, d. h. etwa durch Nachschuß an die Kasse —, für die Versorgungsleistungen einzustehen, oder ohne eine besondere Rechtspflicht sich unter Berücksichtigung aller Umstände ergibt, daß der öffentliche Dienstherr für diese Leistungen tatsächlich einstehen wollte. Dabei ist jedoch zu beachten, daß die durch die Versorgungseinrichtung zu gewährende Versorgung im übrigen eine den beamtenrechtlidien Grundsätzen entsprechende sein muß, d. h. daß es sich um eine lebenslängliche Versorgung für den Fall der Arbeitsunfähigkeit oder des Erreichens einer Altersgrenze und eine Hinterbliebenenversorgung auf der Grundlage des Arbeitsentgelts und der Dauer der Dienstzeit handelt. Leistungen der Zusatzversorgungsanstalten, die auf versicherungsrechtlichen Grundsätzen beruhen oder Leistungen von allgemeinen Versicherungsgesellschaften stellen keine beamtenrechtliche Versorgung dar (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 14. Januar 1958 — 3 AZR 379/55). Ebenso können Leistungen von Bankunternehmen aus einem vom Arbeitgeber zugunsten
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eines Arbeitnehmers gebildeten Versorgungsstock nicht als eine beamtenrechtliche Versorgung angesehen werden. III. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Rechtsausführungen ist nach der Satzung der Unterstützungseinrichtung der Niedersdilesischen Provinzial-Feuersozietät e . V . eine Anwartschaft des Klägers auf eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen zu bejahen. Der Kläger war auf Grund seiner mehr als 15jährigen Beschäftigung nadi § 2 der Satzung Mitglied des Vereins. Er hatte nach § 3 Abs. 5 der Satzung Anspruch auf ein Ruhegehalt, wenn er entweder dauernd dienstunfähig wurde oder das 65. Lebensjahr beendete und nicht im Dienste verblieb. Das Rühegehalt wurde nach § 3 Abs. 1 und 2 der Satzung in der Form einer Zusatzrente zu den Bezügen gezahlt, die der Angestellte oder seine Hinterbliebenen aus der Angestellten- oder Invalidenversicherung erhielten, wobei der Angestellte einem Beamtenpensionär seiner Gehaltsstufe gleichbehandelt werden sollte. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Versorgung auf der Grundlage des Arbeitsentgelts und der Dauer der Dienstzeit sind also gegeben, da der Angestellte wie ein entsprechender Beamtenpensionär behandelt werden sollte. Daß nach der Satzung (§ 1 Abs. 3) ein Rechtsanspruch auf die Leistungen nicht besteht und diese audi nur nach Maßgabe der vorhandenen Mittel gewährt werden sollten, kann nach den obigen Reditsausführungen der Annahme einer Versorgung nach beamtenrechtlidien Grundsätzen nicht entgegenstehen. Ebenfalls kann nicht hinderlich sein, daß nach § 2 Abs. 2 der Satzung der Angestellte durch eine Kündigung aus dem Verein ausscheiden und damit auf seine Rechte hinsichtlich einer Versorgung verzichten konnte. Wenn auch ein Beamter auf die ihm zustehende Pension grundsätzlich nicht im voraus verzichten kann, so wird deshalb der hier vorgesehenen Regelung nicht der Charakter einer beamtenrechtlichen Versorgung abzusprechen sein. Es muß genügen, daß die wesentlichen Merkmale einer solchen Versorgung gegeben sind. Daß ein Angestellter auf seine Versorgung verzichten kann, was er wohl regelmäßig nicht tun wird, betrifft einen durchaus nebensächlichen Punkt. Die Mittel des Vereins, deren er für seine Versorgungsleistungen bedarf, wurden ausschließlich von dem Dienstherrn selbst ohne Beteiligung der Arbeitnehmer aufgebracht (§ 4 der Satzung), so daß nach den obigen Ausführungen der Umstand, daß nur der Verein allein auf die Zahlung der Leistungen in Anspruch genommen werden kann, der Annahme einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht entgegensteht.
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39. Grundurteil und Revisionszulassung
Audi die Bestimmungen über die Auflösung des Vereins ( § 1 1 der Satzung) ändern nach den obigen Ausführungen hieran nichts. Die Sdilesische Provinzial-Feuersozietät und der Verein haben nadh den Feststellungen seit 1937 ständig die Versorgung der Arbeitnehmer nach den Satzungen des Vereins erfüllt. Es liegt also eine langjährige Übung vor, die nach § 52 Abs. 2 Satz 3 des Regelungsgesetzes einer solchen Versorgung trotz der Versagung eines Rechtsanspruchs und des Vorbehalts der Widerruflichkeit den Charakter einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht nehmen soll. Der Kläger erfüllt danach die Voraussetzungen des § 52 des Regelungsgesetzes in Verbindung mit den §§ 1, 2 der 3. D V O i. d. F. vom 10. Juni 1955 (BGBl. I S. 283). Er kann daher nach § 37 des Regelungsgesetzes eine Übergangsvergütung beanspruchen. Die Zinsforderung ist nach § § 2 8 4 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB begründet. Der Klage war daher unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile stattzugeben, während die Widerklage abzuweisen war. 39 1. Die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht in einem über den Betrag entscheidenden Endurteil unterstellt auch ein vorangegangenes Grundurteil der Nachprüfung durch das Revision sgeridit. 2. Werden von einer Revision mehrere Ansprüche bekämpft, dann muß die Revisionsbegründung sich auf alle von der Revision bekämpften Ansprüche erstrecken. 3. Zur Auslegung eines Musterlehrvertrages über die Schadenersatzfolgen bei vorzeitiger und verschuldeter tatsächlicher und rechtlicher Auflösung eines Lehrvertrages. 4. § 254 Abs. 1 BGB ist verletzt, wenn bei schadensursächlichem Mitverschulden eines Geschädigten nicht alle von ihm gesetzten Schadensursachen erschöpfend gewürdigt sind. ArbGG §§ 64 Abs. 3, 61 Abs. 5, 69 Abs. 3, 72 Abs. 1; Z P O §§ 304. 554 Abs. 3 Ziffer 2, 554 a Abs. 1; BGB §§ 157, 254 Abs. 1, 276 Abs. 1. II. Senat. Urteil vom 29. 9. 1958 i. S. B (Bekl.) w. K. (Kl.) 2 AZR 324/57. I. Arbeitsgericht Oberhausen. — II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Die am 21. März 1938 geborene Klägerin war vom 15. Juni 1953 bis zum 5. Januar 1955 als kaufmännischer Lehrling im Großhandelsbetrieb des Beklagten für Gemüse, Obst und Südfrüchte tätig. Während
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39. Grundurteil und Revisionszulassung
Audi die Bestimmungen über die Auflösung des Vereins ( § 1 1 der Satzung) ändern nach den obigen Ausführungen hieran nichts. Die Sdilesische Provinzial-Feuersozietät und der Verein haben nadh den Feststellungen seit 1937 ständig die Versorgung der Arbeitnehmer nach den Satzungen des Vereins erfüllt. Es liegt also eine langjährige Übung vor, die nach § 52 Abs. 2 Satz 3 des Regelungsgesetzes einer solchen Versorgung trotz der Versagung eines Rechtsanspruchs und des Vorbehalts der Widerruflichkeit den Charakter einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht nehmen soll. Der Kläger erfüllt danach die Voraussetzungen des § 52 des Regelungsgesetzes in Verbindung mit den §§ 1, 2 der 3. D V O i. d. F. vom 10. Juni 1955 (BGBl. I S. 283). Er kann daher nach § 37 des Regelungsgesetzes eine Übergangsvergütung beanspruchen. Die Zinsforderung ist nach § § 2 8 4 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB begründet. Der Klage war daher unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile stattzugeben, während die Widerklage abzuweisen war. 39 1. Die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht in einem über den Betrag entscheidenden Endurteil unterstellt auch ein vorangegangenes Grundurteil der Nachprüfung durch das Revision sgeridit. 2. Werden von einer Revision mehrere Ansprüche bekämpft, dann muß die Revisionsbegründung sich auf alle von der Revision bekämpften Ansprüche erstrecken. 3. Zur Auslegung eines Musterlehrvertrages über die Schadenersatzfolgen bei vorzeitiger und verschuldeter tatsächlicher und rechtlicher Auflösung eines Lehrvertrages. 4. § 254 Abs. 1 BGB ist verletzt, wenn bei schadensursächlichem Mitverschulden eines Geschädigten nicht alle von ihm gesetzten Schadensursachen erschöpfend gewürdigt sind. ArbGG §§ 64 Abs. 3, 61 Abs. 5, 69 Abs. 3, 72 Abs. 1; Z P O §§ 304. 554 Abs. 3 Ziffer 2, 554 a Abs. 1; BGB §§ 157, 254 Abs. 1, 276 Abs. 1. II. Senat. Urteil vom 29. 9. 1958 i. S. B (Bekl.) w. K. (Kl.) 2 AZR 324/57. I. Arbeitsgericht Oberhausen. — II. Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Die am 21. März 1938 geborene Klägerin war vom 15. Juni 1953 bis zum 5. Januar 1955 als kaufmännischer Lehrling im Großhandelsbetrieb des Beklagten für Gemüse, Obst und Südfrüchte tätig. Während
39. Auflösung eines Lehrverhältnisses
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dieser Zeit unterhielt der Beklagte mit ihr geschlechtliche Beziehungen. Als am 5. Januar 1955 die Ehefrau des Beklagten die Parteien beim Austausch von Zärtlichkeiten überraschte, kam es zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf die Ehefrau des Beklagten die Klägerin aufforderte, den Betrieb nicht mehr zu betreten. Dem entsprach die Klägerin. Aus Anlaß einer durch die Auseinandersetzung vom 5. Januar 195 5 entstandenen Verhandlung vor dem Schiedsmann in O. am 11. Januar 1955 verpflichtete sich die Ehefrau des Beklagten in einem schriftlichen Vergleich, im Hinblick auf die am 5. Januar 1955 erfolgte Unterbrechung des Lehrvertrags sich mit den zuständigen amtlichen Stellen (Arbeitsamt und Industrie- und Handelskammer) in Verbindung zu setzen und dafür zu sorgen, daß von dort für die Klägerin eine Lehrstelle festgelegt werde, in der die Lehre unter Anrechnung der von der Klägerin beim Beklagten verbrachten Lehrzeit fortgesetzt werden könne. Zu diesem Vergleich gab der Vater der Klägerin seine Zustimmung unter dem Vorbehalt, daß die Ehefrau des Beklagten ihn in Kenntnis zu setzen habe, falls ihr die Ausführung ihrer Zusage nicht möglich sein werde, damit er dann die Möglichkeit habe, mit dem Beklagten „gemeinsam einen Weg zu finden und eine eventuelle Vertragsmöglichkeit zur Fortsetzung der unterbrochenen Lehre". Es kam jedoch in der Folge zu keiner weiteren Einigung. Mit der am 17. Februar 1955 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin vom Beklagten aus dem Gesichtspunkt der verschuldeten vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses unter Berufung auf § 7 Ziffer 3 des zwischen den Parteien schriftlich abgeschlossenen Lehrvertrages vom 18. Juni 1953 Schadenersatz für verspäteten Eintritt in ein Angestelltenverhältnis, für Unkosten aus Anlaß der Beschaffung einer neuen Lehrstelle und für Unkosten aus Anlaß des gegen den Beklagten entstandenen Strafverfahrens im Gesamtbetrag von 1900,— D M verlangt. Weiter hat sie Verurteilung zur Zahlung von 35,— DM rückständiger Erziehungsbeihilfe begehrt. § 7 des Lehrvertrages, abgeschlossen auf einem von der Industrieund Handelskammer Essen herausgegebenen Mustervordruck, lautet wie folgt: „§ 7. Auflösung des Lehrvertrages. 1. Nach Ablauf der Probezeit kann das Lehrverhältnis ohne Einhaltung einer Frist nur dann gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Die Kündigung ist nicht zulässig, wenn die zugrundeliegenden Tatsachen dem zur Kündigung Berechtigten länger als zwei Wochen bekannt sind.
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39. Auflösung eines Lehrverhältnisses
2. Bei Aufgabe oder Übertragung des Betriebes oder bei seiner Verlegung nach einem anderen O r t wird der Lehrbetrieb bemüht sein, den Lehrling auf Wunsch bei einem anderen ortsansässigen Betrieb in einer möglichst gleichwertigen Lehrstelle unterzubringen. 3. Wird das Lehrverhältnis durch Verschulden des Lehrlings oder des Lehrbetriebes vorzeitig aufgelöst, so ist der nichtschuldige Vertragspartner berechtigt, von dem anderen eine Entschädigung zu verlangen, die im 1. Lehrjahr DM 50,— im 2. Lehrjahr DM 100,— im 3. Lehrjahr DM 1 5 0 , im 4. Lehrjahr DM 150,— beträgt. Sie ist in dieser Höhe mit der tatsächlichen Auflösung des Lehrverhältnisses fällig. Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen. Der Anspruch auf die Entschädigung erlischt, wenn er nicht innerhalb von vier Wochen nach der Auflösung des Lehrverhältnisses im Wege der Klage oder Einrede geltend gemacht wird. 4. Die unberechtigte Auflösung des Lehrverhältnisses durch einen Vertragspartner setzt die in Ziffer 3 vereinbarte Frist erst dann in Lauf, wenn der nichtschuldige Vertragspartner sich mit der Auflösung des Lehrverhältnisses einverstanden erklärt hat." Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag behauptet, die Klägerin habe in sittlicher und betrieblicher Beziehung ein schwerwiegendes Fehlverhalten an den Tag gelegt. Sie sei sittlich verwahrlost gewesen, habe Nächte in Bars und bei Tanzveranstaltungen verbracht, im Betriebe offen über ihre geschlechtlichen Erlebnisse mit anderen Männern gesprochen und seine Ehefrau im Betriebe mit gröbsten Schimpfworten verächtlich gemacht. Er hat geltend gemacht, seine ehebrecherischen Beziehungen zu der Klägerin seien für die ihr gegenüber ausgesprochene fristlose Kündigung und die dadurch gegebene vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses nicht ursächlich gewesen, und das von ihm behauptete, oben im einzelnen erwähnte Fehlverhalten der Klägerin in sittlicher und betrieblicher Beziehung ergebe, daß die Klägerin die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses allein verschuldet habe. Das Landesarbeitsgericht hat in einem Grundurteil vom 29. O k tober 1956 festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 2 /'s des durch die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses entstandenen Schadens zu ersetzen. Durch Urteil vom 6. März 1957 hat das Landesarbeitsgericht einen der Klägerin aus der vorzeitigen Auflösung des
39. Grundurteil und Revisionszulassung
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Lehrverhältnisses entstandenen Schaden in Höhe von 1245,— DM als gegeben erachtet und der Klägerin hiervon 2/s = 830,— DM zuzüglich 35,— DM unstreitig rückständiger Erziehungsbeihilfe aus der Zeit vor dem 5. Januar 1955 zuerkannt und den Beklagten somit insgesamt zur Zahlung von 865,— DM unter Abweisung der Schadenersatzklage im übrigen verurteilt. Die Revision des Beklagten führte überwiegend zur Aufhebung und Zurückverweisung. Aus den
Gründen:
I. Mit seiner Revision wendet sich der Beklagte gegen seine in dem Urteil vom 6. März 1957 geschehene Verurteilung zur Zahlung von 35,— DM rückständiger Erziehungsbeihilfe sowie gegen seine in dem Urteil vom 29. Oktober 1956 dem Grunde nach und in dem Urteil vom 6. März 1957 dem Betrage nach geschehene Verurteilung zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 830,— DM. In diesem Umfang ist die Revision des Beklagten statthaft, weil das Landesarbeitsgericht in dem Urteil vom 6. März 1957 die Revision zugelassen hat. Diese Zulassung der Revision in dem Urteil vom 6. März 1957 eröffnet die Nachprüfung durch das Revisionsgericht auch insoweit, als in dem Urteil vom 29. Oktober 1956 über das Schadenersatzbegehren der Klägerin dem Grunde nadi entschieden worden ist. Soweit die §§ 64 Abs. 3, 61 Abs. 5 ArbGG, in Abweichung von der Vorschrift des § 304 Abs. 2 Z P O , für das arbeitsgeriditlidie Verfahren Grundurteile nicht als rechtsmittelfähige Endurteile im Sinne von § 72 Abs. 1 ArbGG behandeln, geht der Sinn dieser Regelung keineswegs dahin, Grundurteile jeder Nachprüfung im Rechtsmittelwege zu entziehen; diese Regelung erstrebt vielmehr nur eine Verfahrensbeschleunigung in der Weise, daß sie einen besonderen Reditsmittelweg gegen Grundurteile ausschließt und den Rechtsmittelkläger darauf verweist, das Grundurteil zusammen mit dem über den Betrag entscheidenden Endurteil anzugreifen (vgl. Dietz-Nikisch, ArbGG, 1954, § 61 Bern. 34; Dersch-Volkmar, ArbGG, 6. Aufl., 1955, § 6 1 Bern. 110). Da es Sinn der Zulassung der Revision ist, das g a n z e Urteil der Vorinstanz der Nachprüfung durch die Revisionsinstanz zu unterstellen (vgl. Dietz-Nikisch, ArbGG, 1954, § 6 9 Anm. 26; Dersch-Volkmar, ArbGG, 6. Aufl., 195 5, § 69 Anm. 22), eine solche totale Nachprüfung aber nicht möglich ist, wenn sie sich nidit auch auf das Grundurteil erstreckt, umfaßt die Revisionszulassung in einem über den Betrag erkennenden Endurteil auch die Zulassung der Revision gegen ein vorangegangenes Grundurteil. Daß vorab über den Grund entsdiie-
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39. Begründung der Revision
den werden kann, soll nämlidi nur einer schmiegsamen prozeßwirtsdhaftlichen Erledigung des Verfahrens dienen. Wenn die Rechtsmittelzulassung sich bei dem Verbot des besonderen Rechtmittelwegs gegenüber einem Grundurteil ausschließlich auf das Endurteil allein beschränken würde, stünde es auch im Belieben des Gerichtes, in dessen Ermessen die Aufgliederung der Entscheidung in ein Grund- und in ein Betragsurteil liegt, die Wirkungsmöglichkeit des Rechtsmittels entscheidend einzuengen. Demnach unterstellt die Revisionszulassung in dem Urteil vom 6. März 1957 auch das Urteil vom 29. Oktober 1956 der Nachprüfung durch die Revisionsinstanz insoweit, als das Urteil vom 29. Oktober dem Grunde nach über das bezifferte Schadenersatzbegehren der Klägerin entschieden hat. Formgerecht eingelegt und damit zulässig im Sinne von § 5 54 a Abs. 1 ZPO ist die statthafte Revision des Beklagten jedoch nur, soweit sie sich gegen Grund und Höhe der Verurteilung zur Zahlung von 830,— DM Schadenersatz wendet. Insoweit enthält die Revisionsbegründung des Beklagten die in § 554 Abs. 3 Ziffer 2 Z P O geforderte Angabe von Revisionsgründen. Mit der geschehenen Verurteilung zur Zahlung von 3 5,— DM rückständiger Erziehungsbeihilfe dagegen befaßt sich die Revisionsbegründung des Beklagten weder ausdrücklidi noch irgendwie erkennbar. Werden von einer Revision aber mehrere Ansprüche bekämpft, wie das hier der Fall ist, dann muß die Revisionsbegründung sich auf alle von der Revision bekämpften Ansprüche erstrecken (vgl. statt aller: Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl., § 554 Anm. III A 2). Da dies in dem erwähnten Umfang nicht geschehen ist, muß gemäß § 554 a Abs. 1 ZPO die Revision des Beklagten insoweit als unzulässig verworfen werden, als sie sich gegen die geschehene Verurteilung zur Zahlung rückständiger Erziehungsbeihilfe im Betrage von 3 5,— DM richtet. II. 1. Für den von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzanspruch ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, gemäß § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages ergebe sich eine Schadenersatzpflicht des Beklagten schon dann, wenn er das Lehrverhältnis schuldhaft vorzeitig t a t s ä c h l i c h aufgelöst habe. Es hat angenommen, das Lehrverhältnis der Parteien sei am 5. Januar 1955 tatsächlich aufgelöst worden. Es hat ausdrücklich unentschieden gelassen, ob das Lehrverhältnis vom Beklagten „mit Recht" aufgelöst worden ist, was nur dahin verstanden werden werden kann, daß es sagen will, es bleibe unentschieden, ob der Lehrvertrag rechtlich — z.B. durch Kündigung einer der Parteien oder kraft Vereinbarung zwischen den Parteien — aufgelöst worden ist. Es hat dazu im einzelnen ausgeführt, der Beklagte und die Klägerin hätten die tat-
3 9 . Auflösung eines Lehrverhältnisses
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sächliche Auflösung des Lehrverhältnisses am 5. Januar 1955 durch die Unterhaltung der intimen Beziehungen gemeinsam verschuldet. Das der Klägerin von dem Beklagten vorgeworfene sonstige Fehlverhalten dagegen sei für die tatsächliche Auflösung des Lehrverhältnisses nicht ursächlich gewesen, weil das der Klägerin vorgeworfene sonstige Fehlverhalten am 5. Januar 1955 dem Beklagten nicht bekannt gewesen sei. Hiervon ausgehend hat es angenommen, der Beklagte habe gemäß § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages und § 2 5 4 Abs. 1 BGB zwei Drittel des der Klägerin aus der vorzeitigen tatsächlichen Auflösung des Lehrverhältnisses entstandenen Schadens, den es in Höhe von 1245,— DM als erwiesen angesehen hat, zu tragen und daher 830,— DM an die Klägerin zu zahlen. 2. Mit Recht rügt demgegenüber die Revision, daß damit das Landes— arbeitsgericht im Endergebnis § 254 Abs. 1 BGB verletzt hat. a) Das Revisionsgericht kann in vollem Umfange nachprüfen, ob die von dem Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung des § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages zutrifft, daß eine vorzeitige und verschuldete tatsächliche Auflösung des Lehrverhältnisses eine Schadenersatzpflicht des schuldhaft Handelnden auslöse. Denn es handelt sich bei dem hier in Betracht kommenden Lehrvertrag um einen solchen, der unter Benutzung eines Vordruckes der Industrie- und Handelskammer in Essen geschlossen worden ist, in gleichlautender Form von einer größeren Anzahl von Industrie- und Handelskammern der Bundesrepublik herausgegeben und in zahlreichen Fällen, und zwar übrigens in den verschiedensten Kammerbezirken, auch gebraucht wird. Es liegt daher ein typischer Vertrag vor, bei dem das Revisionsgericht nicht, wie bei sonstiger Vertragsauslegung, auf die Nachprüfung beschränkt ist, ob die Auslegung denkgesetzlich und nach den Regeln der Erfahrung möglich ist und ob die gesetzlichen und allgemein anerkannten Auslegungsregeln beachtet sind (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil des Zweiten Senates vom 15. Dezember 1956 — 2 AZR 364/56 — AP Nr. 4 zu § 549 Z P O mit zustimmender Anmerkung von Pohle). b) Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung des § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages ist fehlerhaft. Erkennbarer und sogar eindeutiger Sinn dieser Regelung ist, im wohlverstandenen Interesse beider Parteien eines Lehrvertrages, denjenigen, der schuldhaft eine vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses verursacht, für den dem anderen Teil dadurch entstehenden Schaden haftbar zu machen. Dabei zieht § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages, wie aus § 7 Abs. 3 Satz 2 und aus § 7 Abs. 4 hervorgeht, in Betracht, daß eine verschuldete
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39. Auflösung des Lehrverhältnisses
vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses in zwei besonderen Formen praktisch werden kann, nämlich in der Form der vorzeitigen verschuldeten r e c h t l i c h e n Auflösung des Lehrvertrages selbst und der vorzeitig verschuldeten t a t s ä c h l i c h e n Auflösung des Lehrverhältnisses. Eine schuldhaft verursachte vorzeitige r e c h t l i c h e Auflösung eines Lehrvertrages liegt vor, wenn Parteien des Lehrvertrages sich so verhalten, daß die von ihnen gesetzten Schuldtatsachen ursächlich zu einer Auflösung des Lehrvertrages im Wege der wirksamen Kündigung oder kraft gültiger vertraglicher Absprache oder kraft eines sonstigen gesetzlichen Auflösungsgrundes führen. Eine schuldhaft verursachte vorzeitige t a t s ä c h l i c h e Auflösung eines Lehrverhältnisses dagegen liegt nur vor, wenn der Lehrvertrag selbst rechtlich gültig weiterbesteht, das Lehrverhältnis von den Parteien oder einer Partei entgegen den bestehenden Vertragspflichten jedoch tatsächlich und schuldhaft so gehandhabt wird, als bestehe ein Lehrvertrag rechtlich nicht. Bei der tatsächlichen Auflösung eines Lehrverhältnisses muß immer ein rechtlicher Lehrvertrag gegeben sein, und es müssen die sich daraus ergebenden Pflichten zur Fortführung des Lehrverhältnisses schuldhaft mißachtet werden. Wenn keine rechtlichen Lehrvertragspflichten zwischen den Parteien bestehen, ist eine schuldhafte vorzeitige tatsächliche Auflösung eines Lehrverhältnisses begrifflich nicht denkbar. Denn wenn und soweit keine rechtlichen Lehrvertragspflichten bestehen, ist für ein Auflösungsverschulden wegen vorzeitiger tatsächlicher Auflösung des Lehrverhältnisses deshalb kein Raum, weil schuldhaft und damit vorwerfbar nur sein kann, was nachdem Gesetz oder nach vertraglichen Regeln verboten ist. Ist eine vorzeitige rechtliche Auflösung des Lehrvertrages erfolgt, so ist mit der rechtlichen Auflösung des Lehrvertrages auch die tatsächliche Auflösung des Lehrverhältnisses rechtsordnungsgemäß deshalb, weil die rechtliche Auflösung des Lehrvertrages die Pflicht zur Fortführung eines Lehrverhältnisses gerade mit der rechtlichen Auflösung in Wegfall kommen läßt. Geschieht daher eine vorzeitige verschuldete tatsächliche Auflösung eines Lehrverhältnisses im Gegensatz zu einem rechtlich weiterbestehenden Lehrvertrag und folgt der tatsächlichen Auflösung des Lehrverhältnisses die rechtliche Auflösung des Lehrvertrages nach, so kann die verschuldete vorzeitige tatsächliche Auflösung des Lehrverhältnisses nur insoweit und solange ein schadenersatzbegründender Umstand im Sinne des § 7 Ziffer 3 des Lehrvertrages sein, als die verschuldete vorzeitige tatsächliche Auflösung des Lehrverhältnisses im Widerspruch zu dem rechtlich fortbestehenden Lehrvertrag gestanden hat und dadurch dem anderen Teil ein Schaden entstanden ist. Sobald der verschuldeten tatsächlichen Auf-
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lösung des Lehrverhältnisses eine redhtlidie Auflösung des Lehrvertrages nachfolgt, entspricht die ab diesem Zeitpunkt gegebene tatsächliche Auflösung des Lehrverhältnisses dem Rechtszustand, der sidi aus der rechtlichen Auflösung des Lehrvertrages notwendig ergibt, und ist ab diesem Zeitpunkt der dann rechtsordnungsgemäße Zustand der tatsächlichen Auflösung des Lehrverhältnisses nicht mehr geeignet, selbständig ein schadenersatzbegründender Umstand im Sinne des § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages zu sein. Vielmehr kommt es für dann entstehende Schäden nur noch darauf an, ob die vorzeitige rechtliche Auflösung des Lehrvertrages selbst durch Umstände verursacht ist. die eine Partei schuldhaft gesetzt hat. § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages besagt also in Wahrheit gar nichts anderes als das, was sich bereits aus allgemeinen rechtlichen Vorschriften ergibt: Wer als Vertragsbeteiligter eines Lehrvertrages den rechtlichen Bestand eines Lehrvertrages schuldhaft mißachtet und entgegen der bestehenden Rechtspflicht schuldhaft tatsächlich ein Lehrverhältnis nicht durchführt und es als aufgelöst behandelt, ist für den dem anderen Teil dadurch entstehenden Schaden aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung ebenso ersatzpflichtig wie derjenige, der schuldhaft Tatsachen dafür setzt, daß es zu einer vorzeitigen rechtlichen Auflösung des Lehrvertrages kommt. Der letzteren Annahme steht nicht entgegen, daß § 628 Abs. 2 BGB ebenso wie § 70 Abs. 2 HGB, der kraft Verweisung in § 77 Abs. 3 HGB speziell für kaufmännische Lehrverträge gilt, eine Schadenersatzfolge nur für den Fall aussprechen, daß ein Vertragsteil durch vertragswidriges Verhalten — das schuldhaft sein muß (so die h. M. zu § 628 Abs. 2 BGB ebenso wie zu § 70 Abs. 2 HGB: vgl. statt aller: RGZ 112, 34; Staudinger-Nipperdey, 11. Aufl., 1958, § 628 Bern. 42; Geßler-Hefermehl-Hildebrand-Schröder, HGB, 2. Aufl., Bd. I, § 70 Anm. 20; Molitor, Die Kündigung, 2. Aufl., 1951, S. 305—307) — die Kündigung des anderen Teiles veranlaßt. § 628 Abs. 2 BGB ebenso wie § 70 Abs. 2 HGB sprechen in zu enger Fassung nur klarstellend das aus, was sich ohnehin bereits aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung ergibt. Denn Sinn des § 628 Abs. 2 BGB und des § 70 Abs. 2 HGB ist der, denjenigen mit Schadenersatzfolgen zu belasten, der schuldhaft eine unzumutbare Situation schafft und deshalb eine vorzeitige Vertragsauflösung herbeiführt. Dann ist aber der Anknüpfungspunkt für die vom Gesetz in § 628 Abs. 2 BGB und § 70 Abs. 2 HGB geregelte Schadenersatzpflicht nicht der formale Gesichtspunkt, wer auf die schuldhaft herbeigeführte unzumutbare Situation mit einer außerordentlichen Kündigung reagiert, sondern sinnvollerweise nur die Frage, wer die unzumutbare Situation verschuldet und dadurch die vorzeitige
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Auflösung des Vertragsverhältnisses verursacht hat (vgl. auch Molitor, a . a . O., S. 3 0 5 zu Fußnote 2). c) Bei einem solchen Inhalt des § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages durfte sich das Landesarbeitsgeridit im vorliegenden Fall aber nicht mit der Feststellung begnügen, daß das Lehrverhältnis am 5. Januar 1 9 5 5 tatsächlich aus beiderseitigem Verschulden der Parteien vorzeitig aufgelöst worden ist. Es ist zwar zutreffend, wenn es bei der von ihm angenommenen tatsächlichen vorzeitigen Auflösung ein dafür ursächliches V e r schulden des Beklagten in erheblichem Umfange in Betracht gezogen hat. Durch die intimen ehebrecherischen und strafbaren Beziehungen hat der Beklagte seine Lehrherrnpflichten auf das gröbste verletzt und damit zum wenigsten dazu beigetragen, daß es zu der tatsächlichen Beendigung des Lehrverhältnisses am 5. Januar 1 9 5 5 kam. Soweit die Revision dies in Frage zu stellen versucht, ist ihre Ansicht eindeutig abwegig. Hätten n u r die intimen Beziehungen der Parteien als Schuldtatsachen für die vorzeitige Auflösung in Rede gestanden, so hätte, da die Parteien sich im Ergebnis nicht nur über die tatsächliche, sondern auch über die irgendwann und irgendwie erfolgte rechtliche vorzeitige Auflösung jedenfalls einig sind, das Landesarbeitsgericht wohl darauf verzichten können zu erörtern, ob eine tatsächliche oder rechtliche vorzeitige Auflösung erfolgt war. Denn solchenfalls hätten n u r die intimen Beziehungen der Parteien und deren Aufdeckung durch die Ehefrau des Beklagten als Schuldursachen in Betracht kommen können und wäre deren Ursächlichkeit hierfür in jedem Fall gewiß gewesen. Es wären dann dieselben Schuldtatsachen gewesen, die für den von der Klägerin verfolgten Schadenersatzanspruch sowohl bei der Annahme einer tatsächlichen wie bei der einer rechtlichen Auflösung im Rahmen des § 2 5 4 Abs. 1 BGB zu würdigen gewesen wären, ohne daß es bei der nach § 2 5 4 Abs. 1 B G B gebotenen Abwägung an sich einen Unterschied hätte machen können, ob sie für eine tatsächliche oder für eine rechtliche vorzeitige Auflösung ursächlich waren. Anders war jedoch die nach § 2 5 4 Abs. 1 B G B gebotene Abwägung vorzunehmen, wenn nicht nur die intimen Beziehungen der Parteien als Schuldursachen für die vorzeitige Auflösung in Betracht kamen, sondern auch andere Umstände, hier also das vom Beklagten behauptete Fehlverhalten der Klägerin in sittlicher und betrieblicher Beziehung als Schuldursachen für die Auflösung geltend gemacht wurden. Hätte das Landesarbeitsgericht nämlich erkannt, daß eine tatsächliche vorzeitige Auflösung eines Lehrverhältnisses nur dann angenommen werden kann, wenn die tatsächliche vorzeitige Auflösung im Widerspruch zu einer bestehenden
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Rechtspflicht, insbesondere im Widerspruch zu einem rechtlich fortbestehenden Lehrvertrag geschieht, dann konnte es die Kausalität eines etwaigen Fehlverhaltens der Klägerin nicht mit der von ihm gegebenen Begründung verneinen. Dann mußte es in Betracht ziehen, daß eine tatsächliche vorzeitige Auflösung sehr wohl zunächst auf dem Entdecken der intimen Beziehungen der Parteien, später aber auch auf anderen Gründen, insbesondere einem dann bekanntgewordenen sonstigen Fehlverhalten der Klägerin, beruhen oder mitberuhen konnte, das Fehlverhalten also ebenfalls eine von der Klägerin gesetzte Schuldursache war, die nach § 254 Abs. 1 BGB zu Lasten der Klägerin mit zu bewerten war. Ebenso konnte ein etwaiges Fehlverhalten der Klägerin auch dann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn eine rechtliche Auflösung des Lehrvertrages stattgefunden hat, was, wie oben schon gesagt, zu irgend einem Zeitpunkt erfolgt ist. Die tatsächliche und für die Revisionsinstanz bindende Feststellung des Landesarbeitsgerichts darüber, daß dem Beklagten am 5. Januar 1955 anläßlich der faktischen Beendigung des Lehrverhältnisses durch die Ehefrau des Beklagten das von ihm behauptete Fehlverhalten der Klägerin nicht bekannt war, besagt nämlich dann noch nicht, daß das von dem Beklagten behauptete Fehlverhalten der Klägerin für ihn nicht auch kausal war, als das Lehrverhältnis rechtlich beendet wurde. Denn mangels tatsächlicher Feststellungen des Landesarbeitsgerichts über den Zeitpunkt einer rechtlichen Beendigung des Lehrverhältnisses muß als möglich in Betracht gezogen werden, daß diese später als am 5. Januar 1955 geschehen ist und daß dem Beklagten zu dem späteren Zeitpunkt das behauptete Fehlverhalten der Klägerin bekannt und dieses für die rechtliche Beendigung des Lehrverhältnisses mit ursächlich war. d) Damit ergibt sich, daß das Landesarbeitsgericht nicht mit der von ihm gegebenen Begründung das vom Beklagten behauptete Fehlverhalten der Klägerin im Rahmen von § 254 Abs. 1 BGB unberücksichtigt lassen durfte. Es hat, was das Revisionsgericht feststellen kann, § 254 Abs. 1 BGB durch eine nicht erschöpfende Würdigung der möglicherweise von der Klägerin schuldhaft gesetzten Schadensursachen verletzt (vgl. statt aller: BGH, Urteil vom 25. 9. 1952 - I I I ZR 334/51 = NJW 1952, 1329 Nr. l ) , wodurch der Beklagte schon deshalb beschwert ist und weshalb das Urteil auf dieser Rechtsverletzung beruht, weil es möglich erscheinen muß, daß bei einer etwaigen Würdigung eines etwaigen Fehlverhaltens der Klägerin die Quote, mit der der Beklagte dem Grunde nach belastet worden ist, günstiger als geschehen ausgefallen wäre. 19 Entscheid, d. BAG. 6
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3. Das Revisionsgericht kann mangels geeigneter tatsächlicher Feststellungen nicht entscheiden, ob und inwieweit eine tatsächliche oder rechtliche vorzeitige Auflösung in dem oben erörterten Sinne in Frage steht und ob und inwieweit sich in dem einen oder anderen Falle ein etwaiges Fehlverhalten der Klägerin kausal ausgewirkt hat und im Rahmen von § 254 Abs. 1 BGB zu bewerten ist. Von der sich daraus gemäß § 564 Abs. 1 Z P O ergebenden N o t wendigkeit der teilweisen Aufhebung der angefochtenen Urteile vom 29. Oktober 1956 und 6. März 1957, soweit diese sich nämlich dem Grunde und der Höhe nach über die von der Klägerin verfolgten und ihr zuerkannten Schadenersatzansprüche verhalten, wird das Revisionsgericht auch nicht durch die in § 7 Ziffer 3 und Ziffer 4 enthaltene Ausschlußfrist entbunden. Diese bezieht sich nach ihrem Wortlaut nur auf die in § 7 Ziffer 3 genannten Fixentschädigungen, nicht auf die Fälle der Geltendmachung eines bewiesenen Schadens, wie er hier allein in Rede steht. Ein vernünftiger Anlaß, die Ausschlußregelung weiter auszudehnen, als ihr Wortlaut besagt, ist nicht zu erkennen, zumal es einem allgemeinen Grundsatz entspricht, rechtsbeschneidende Ausschlußfristen eng auszulegen (vgl. Bundesarbeitsgericht, Zweiter Senat, Urteil vom 10. Oktober 1957 - 2 AZR 48/55 — AP Nr. 12 zu § 1 TVG Auslegung, Ziffer B 4 der Gründe; Urteil vom 27. März 1958 — 2 AZR 221/56 — BAG6 52 [59] und vom 17. Juli 1958 - 2 AZR 312/57 - BAG 6 170 [174] RAG ARS 28, 56 [59]; BGH vom 30. Januar 1958 - VIIZR 33/57 — JR 1958, 259 [260]). Demnach ist gemäß § 565 Abs. 1 und Abs. 3 Z P O der Rechtsstreit in dem erörterten Umfang zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgeridit zurückzuverweisen. Dieses wird, um der durch § 254 Abs. 1 BGB gebotenen erschöpfenden Abwägung der beiderseits gesetzten schadenstiftenden Handlungen gerecht zu werden, zweckmäßigerweise zunächst festzustellen haben, ob der Klägerin überhaupt ein sonstiges sdiuldhaftes Fehlverhalten mit dem vom Beklagten behaupteten Inhalt vorgeworfen werden kann. Dabei wird das Landesarbeitsgericht, wenn sich objektiv ein derartiges Fehl verhalten der Klägerin feststellen läßt, prüfen müssen, ob dieses der Klägerin im Hinblick auf § 276 Abs. 1 Satz 2 und § 828 Abs. 1 BGB überhaupt als kausales Auflösungsmitverschulden im Sinne von § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages zugerechnet werden kann, und ob es nicht, was nahe liegt, einfach darauf beruht, daß der Beklagte die jugendliche Klägerin verdorben hat, ihr sonstiges Fehlverhalten also nichts anderes ist als die letztlich zwangsläufige Folge seines eigenen verwerflichen und schuldhaften Ver-
40. Wettbewerbsverbot
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haltens, dessen er sich an der Klägerin schuldig gemacht hat und das er sich als eigenes Auflösungsverschulden im Sinne von § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages selbst zuredinen lassen müßte. Sollte das Landesarbeitsgericht aber zu der Feststellung kommen, daß die Klägerin sich eines Fehlverhaltens in der vom Beklagten behaupteten Weise schuldig gemacht hat, so wird es klarstellen müssen, wann der Lehrvertrag der Parteien rechtlich beendet worden ist. Es wird dann weiter klarstellen müssen, ob bis zur rechtlichen Beendigung des Lehrvertrages ein vorwerfbares Fehlverhalten der Klägerin mitursächlich dafür war, daß der Beklagte die am 5. Januar 1955 geschehene tatsächliche Auflösung des Lehrverhältnisses entgegen dem weiterbestehenden rechtlichen Bande aufrechterhalten hat. Audi hinsichtlich der rechtlichen Beendigung wird es klarstellen müssen, inwieweit ein etwaiges schuldhaftes Fehlverhalten der Klägerin mitursachlich war. Unter Umständen wird es dann aber zu Lasten des Beklagten auch noch in Betracht ziehen müssen, ob ihn nicht noch ein zusätzlich gesetzter schadensursächlicher Vorwurf deshalb trifft, weil er es unterlassen hat, den Lehrvertrag rechtzeitig zu beenden, nachdem die Situation durch das Aufdecken seiner intimen Beziehungen durch seine Ehefrau und der damit gegebenen Gefährdung seiner Ehe untragbar geworden war. 40 1. Wettbewerbsverbote verstoßen nicht gegen Art. 12 GG. 2. Die Grundsätze der §§ 74 ff. HGB sind auf andere Arbeitnehmer als Handlungsgehilfen nicht entsprechend anwendbar. 3. Ein Wettbewerbsverbot, das die Betätigung als Helfer in Steuer» sachen einschränkt, ist nidit in jedem Falle unsittlich. 4. Eine untragbar lange Wettbewerbsbeschränkung ist nicht schlechthin nichtig, sondern für einen erträglichen Zeitraum gültig. GG Art. 12; BGB § 138; HGB §§ 74 ff. IL Senat. Urteil vom 4. 10. 1958 i. S. Sp. (Bekl.) w. V. (KL). 2 AZR 200/55. I. Arbeitsgericht Detmold. — II. Landesarbeitsgericht Hamm i. W.
Der Kläger, ein Rechtsanwalt und Notar, der auch Fachanwalt für Steuerrecht ist, stellte durch den schriftlichen Vertrag vom 10. Januar 1949 den Beklagten, einen Diplomkaufmann, als wissenschaftlichen Mitarbeiter auf dem Gebiete des Steuerrechts in seine in L. betriebene Anwalts-, Notariats- und Steuerrechtspraxis ein. 39*
40. Wettbewerbsverbot
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haltens, dessen er sich an der Klägerin schuldig gemacht hat und das er sich als eigenes Auflösungsverschulden im Sinne von § 7 Abs. 3 des Lehrvertrages selbst zuredinen lassen müßte. Sollte das Landesarbeitsgericht aber zu der Feststellung kommen, daß die Klägerin sich eines Fehlverhaltens in der vom Beklagten behaupteten Weise schuldig gemacht hat, so wird es klarstellen müssen, wann der Lehrvertrag der Parteien rechtlich beendet worden ist. Es wird dann weiter klarstellen müssen, ob bis zur rechtlichen Beendigung des Lehrvertrages ein vorwerfbares Fehlverhalten der Klägerin mitursächlich dafür war, daß der Beklagte die am 5. Januar 1955 geschehene tatsächliche Auflösung des Lehrverhältnisses entgegen dem weiterbestehenden rechtlichen Bande aufrechterhalten hat. Audi hinsichtlich der rechtlichen Beendigung wird es klarstellen müssen, inwieweit ein etwaiges schuldhaftes Fehlverhalten der Klägerin mitursachlich war. Unter Umständen wird es dann aber zu Lasten des Beklagten auch noch in Betracht ziehen müssen, ob ihn nicht noch ein zusätzlich gesetzter schadensursächlicher Vorwurf deshalb trifft, weil er es unterlassen hat, den Lehrvertrag rechtzeitig zu beenden, nachdem die Situation durch das Aufdecken seiner intimen Beziehungen durch seine Ehefrau und der damit gegebenen Gefährdung seiner Ehe untragbar geworden war. 40 1. Wettbewerbsverbote verstoßen nicht gegen Art. 12 GG. 2. Die Grundsätze der §§ 74 ff. HGB sind auf andere Arbeitnehmer als Handlungsgehilfen nicht entsprechend anwendbar. 3. Ein Wettbewerbsverbot, das die Betätigung als Helfer in Steuer» sachen einschränkt, ist nidit in jedem Falle unsittlich. 4. Eine untragbar lange Wettbewerbsbeschränkung ist nicht schlechthin nichtig, sondern für einen erträglichen Zeitraum gültig. GG Art. 12; BGB § 138; HGB §§ 74 ff. IL Senat. Urteil vom 4. 10. 1958 i. S. Sp. (Bekl.) w. V. (KL). 2 AZR 200/55. I. Arbeitsgericht Detmold. — II. Landesarbeitsgericht Hamm i. W.
Der Kläger, ein Rechtsanwalt und Notar, der auch Fachanwalt für Steuerrecht ist, stellte durch den schriftlichen Vertrag vom 10. Januar 1949 den Beklagten, einen Diplomkaufmann, als wissenschaftlichen Mitarbeiter auf dem Gebiete des Steuerrechts in seine in L. betriebene Anwalts-, Notariats- und Steuerrechtspraxis ein. 39*
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4 0 . Wettbewerbsverbot und Grundgesetz
Die Ziffer IV des Anstellungsvertrages lautet: „Nach Auflösung des Vertragsverhältnisses verpflichtet sich Herr Dr. Sp. (d. i. der Kläger) 3 Jahre lang weder selbständig noch als Angestellter in einer Anwalts-, Notariats- oder Steuerrechtspraxis in L. tätig zu sein. Im Falle der Zuwiderhandlung wird eine Vertragsstrafe von 3000,— DM vereinbart, die sich bei wiederholter Zuwiderhandlung für jedes Geschäftsjahr wiederholt." Der Beklagte bezog anfangs ein Gehalt von mindestens 200,— DM monatlich; seit dem 1. April 1951 stellten sich seine Bezüge auf monatlich 58 5 , - DM brutto. Das Vertragsverhältnis wurde auf unbestimmte Zeit eingegangen, war jedoch bis zum 1. Januar 1953 unkündbar. Von diesem Zeitpunkt an war jährliche Kündigung zum Jahresschluß mit Mi-jährlicher Kündigungsfrist vereinbart. Am 2. April 1952 kündigte der Beklagte jedoch das Anstellungsverhältnis ohne Innehaltung einer Kündigungsfrist. Der Kläger bestätigte diese Kündigung am 7. April 1952 und erklärte sich mit dem Ausscheiden des Beklagten einverstanden. Der Beklagte wurde Ende 1952 von dem Finanzamt als Helfer in Steuersachen vorläufig und gegen Mitte Februar 195 5 als solcher endgültig zugelassen. Der Kläger hat den Beklagten nunmehr auf Zahlung eines Betrages von 3000,— DM als einer für die Zeit vom 1. April 1952 bis zum 31. März 1953 aus der Wettbewerbsabrede des Anstellungsvertrages verwirkten Vertragsstrafe in Anspruch genommen. Der Beklagte bestreitet seine Zahlungspflicht. Er ist der Ansicht, das Wettbewerbsverbot sei unwirksam, auch habe er dem Wettbewerbsverbot nicht zuwidergehandelt. Schließlich sei auch die vereinbarte Vertragsstrafe unangemessen. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg. Aus den G r ü n d e n : 1. Das Wettbewerbsverbot, auf das der Kläger die Klage stützt, verstößt nicht, wie der Beklagte — erstmalig in der Revision — meint, gegen Art. 12 GG. Nach Art. 12 GG haben zwar alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Diese Bestimmung des Grundgesetzes sichert nicht nur das Recht der freien Berufswahl, sondern auch das der freien Berufsausübung. Dabei handelt es sich aber zunächst um ein Grundrecht, das das Verhältnis des Bürgers zum Staate regelt. Inwieweit das Grundrecht des Art. 12 auch auf den Privatrechtsverkehr und damit auf die Rechtsbeziehungen zwischen Personen des Privatrechts unmittelbar einwirkt, mag dahingestellt bleiben. Jeden-
•40. Sittenwidriges Wettbewerbsverbot
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falls widerspricht ein freiwillig vereinbartes Wettbewerbsverbot, das den einen Vertragspartner in seiner Berufsausübung beschränkt, nicht dem Art. 12 und ist damit auch nicht nach § 134 B G B nichtig. Dies hat der erkennende Senat in dem Urteil vom 2 1 . Februar 1 9 5 7 (BAG 3, 2 9 6 ) im Anschluß an die im Schrifttum überwiegend vertretene Meinung (vgl. Schlegelberger-Schröder, H G B , 3. Aufl., 1 9 5 5 , § 7 4 Anm. 1; Würdinger, H G B 1 9 5 3 , § 7 4 Anm. 2) bereits ausgesprochen. An dieser seiner Rechtsprechung hält der Senat fest. Ungeachtet des Art. 12 G G beherrscht der Grundsatz der Vertragsfreiheit die Rechtsbeziehungen zwischen den Personen des Privatrechts. Danach können frei vereinbarte Abmachungen auch solche Rechte beschränken, die im Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern in Art. 12 grundgesetzlich verankert sind. Auch der Gesetzgeber des Bundes sieht frei vereinbarte Wettbewerbsabreden — auch wenn es sich um solche zwischen selbständigen Gewerbetreibenden handelt — als mit dem Grundgesetz vereinbar an, denn in § 9 0 a H G B in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 6. August 1 9 5 3 , also nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, hat er die Wettbewerbsabrede mit Handelsvertretern zugelassen. 2. M i t Recht hält das Landesarbeitsgericht das Wettbewerbsverbot nicht allein deshalb für unverbindlich, weil es dem Beklagten für die Dauer der Wettbewerbsbeschränkung keine Entschädigung gewährt. Die hiergegen von der Revision erhobene Rüge geht fehl. Die Bestimmung des § 7 4 Abs. 2 H G B , die die Verbindlichkeit eines zwischen einem Kaufmann und seinem Handlungsgehilfen vereinbarten Wettbewerbsverbots von der Vereinbarung einer Karenzentschädigung abhängig macht, gilt nicht für die Parteien; denn der Kläger war nicht Kaufmann, der Beklagte nicht Handlungsgehilfe. Eine entsprechende Anwendung dieser für einen ganz anderen Berufsstand gegebenen Vorschrift auch auf andere Berufe, wie die Revision es erstrebt, geht nicht an. Die Tatsache, daß der Beklagte für die Dauer der Wettbewerbsbeschränkung eine Entschädigung nicht erhält, kann nur, wie noch zu erörtern sein wird, unter dem Gesichtspunkt erheblich sein, ob die W e t t bewerbsabrede im Hinblick auf Art, Dauer und räumliche Begrenzung gegen die guten Sitten verstößt (vgl. Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl., Bd. 1, S. 2 3 7 ) . 3. Das Landesarbeitsgericht hält das Wettbewerbsverbot auch nicht für sittenwidrig nach § 13 8 BGB. a) Es sei, so führt das Landesarbeitsgericht aus, schon fraglich, ob die Gesichtspunkte, die nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts ein Wettbewerbsverbot zwischen Ärzten und zwischen Anwälten unsittlich
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40. Sittenwidriges Wettbewerbsverbot
machten, überhaupt hier anwendbar seien, da der Beklagte „als Betriebswirt bzw. Steuerberater nicht ohne weiteres zu den Standesgenossen des Klägers zähle"; jedenfalls gehe die Rechtsprechung des Reichsgerichts „über das Ziel hinaus" und werde „den heutigen Anschauungen von der Berufsauffassung der Rechtsanwälte und den in ihren Kreisen bestehenden beruflichen Gepflogenheiten nicht mehr gerecht". Entgegen den Ausführungen der Revision ist der Ansicht des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis beizutreten. Der Senat sieht sich im vorliegenden Fall einer Entscheidung darüber enthoben, ob an der Rechtsprechung des Reichsgerichts im Hinblick auf die gewandelten Zeitverhältnisse festzuhalten ist. Jedenfalls kann eine Wettbewerbsabrede, durch die ein Arbeitnehmer gehindert wird, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sich in einer Steuerrechtspraxis als Helfer in Steuersachen zu betätigen, nicht als schlechthin sittenwidrig im Sinne des § 13 8 BGB angesehen werden. Die Stellung des Helfers in Steuersachen ist nach der deutschen Rechtsordnung von der des Arztes oder Rechtsanwaltes wesensverschieden. Insbesondere scheitert ein Vergleich zwischen der Rechtsstellung und den Pflichten und Aufgaben des Rechtsanwaltes und des Arztes einerseits und des Helfers in Steuersachen andererseits daran, daß für den Helfer in Steuersachen ein staatlich anerkanntes festes Berufsrecht sich noch nicht gebildet hat. Auch sind die Aufgaben eines Helfers in Steuersachen und die des Rechtsanwaltes und Arztes ihrem Wesen nach verschieden. Daß die Aufgaben eines Rechtsanwaltes und eines Arztes uneingeschränkt von Wettbewerbsabreden wahrgenommen werden können, liegt in weit stärkerem öffentlichen Interesse, als die Wahrnehmung der Aufgaben eines Helfers in Steuersachen. b) Abgesehen von dieser allgemeinen Frage entnimmt das Landesarbeitsgericht auch den Besonderheiten des Falles keinen Verstoß gegen die guten Sitten. Durch einen wirtschaftlichen Druck sei der Beklagte zu der Wettbewerbsbeschränkung nicht genötigt worden. Die Erschwerung des Fortkommens des Beklagten in räumlicher und zeitlicher Hinsicht sei nicht unbillig. Zu Unrecht bekämpft die Revision diese Ausführungen. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, daß Wettbewerbsabreden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die den im Wettbewerb Beschränkten im Hinblick auf Art, Umfang, zeitliche und räumliche Geltung in untragbarer Weise belasten, gemäß § 13 8 BGB nichtig sind. O b aber eine solche untragbare Belastung vorliegt, kann nur durch die genaue Prüfung des Inhalts und der Tragweite der getroffenen Wettbewerbsabrede festgestellt werden. Denn erst der genaue, gegebenenfalls durch
40. Sittenwidriges Wettbewerbsverbot
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Auslegung zu ermittelnde Inhalt des Wettbewerbsverbots läßt die Beurteilung zu, ob dieses Wettbewerbsverbot sittenwidrig ist (BAG 3, 296 1301]). Die zeitliche Ausdehnung des Wettbewerbsverbots auf 3 Jahre geht •allerdings recht weit. Indes handelte es sich bei dem zwischen den Parteien zustande gekommenen Anstellungsvertrag um einen langfristigen Vertrag. Dem Beklagten sollte nach der übereinstimmenden Darstellung beider Parteien eine Lebensstellung verschafft werden. Dem entspricht es, daß der Vertrag auf 4 Jahre fest abgeschlossen war und auch danach nur zum Jahresschluß mit einer Kündigungsfrist von einem halben Jahr gekündigt werden konnte. Bei einem solchen Vertrag ist die Übernahme einer auf mehr als 1 Jahr erstreckten Berufsbeschränkung nicht unbillig. Einer abschließenden Entscheidung darüber, ob die Frist von 3 Jahren nicht übermäßig lang ist und durch eine kürzere Frist von etwa 2 Jahren zu ersetzen ist, bedarf es aber nicht. Denn selbst wenn eine Frist von mehr als einem Jahr eine übermäßig stärkere zeitliche Beschränkung des Wettbewerbs darstellen würde, so würde daraus nicht die Nichtigkeit der ganzen Wettbewerbsabrede nach § 13 8 BGB folgen. Eine der Zeit nach zu lang ausgewählte Wettbewerbsbeschränkung ist nicht schlechthin nichtig, vielmehr verkürzt sie sich dann auf die Zeit, die als tragbar und angemessen angesehen werden kann. Ein der Zeit nach übermäßig ausgedehntes Wettbewerbsverbot ist also für die Zeit, für die eine Wettbewerbsbeschränkung zulässigerweise auferlegt werden könnte, rechtswirksam. Da der Kläger hier nur die Vertragsstrafe für 1 J a h r verlangt, braucht nur geprüft zu werden, ob die Beschränkung auf 1 Jahr unbillig und sittenwidrig wäre (vgl. RGZ 101, 379). Dagegen aber, daß der Beklagte in seinem Wettbewerb auf 1 Jahr beschränkt wird, bestehen im Hinblick auf § 138 BGB keine Bedenken. Die örtliche Beschränkung, die dem Beklagten auferlegt worden ist, stellt ebenfalls keine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Beklagten dar. Das Wettbewerbsverbot gilt nur für L., also für einen verhältnismäßig kleinen Raum. Ein so vereinbartes Wettbewerbsverbot stellt keine nach dem örtlichen Geltungsbereich übermäßige Beschränkung des Beklagten dar. Dies gilt auch, wenn man berücksichtigt, daß im Jahre 1952 die Beschaffung von Wohn- und Praxisräumen für den Beklagten sicherlich schwerer gewesen ist, als dies vor dem Kriege oder heute der Fall ist. Auch gegenständlich sind die dem Beklagten auferlegten Beschränkungen nicht so einschneidend, daß deshalb die Abrede als sittenwidrig angesehen werden müßte.
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40. Sittenwidriges Wettbewerbsverbot
Eine selbständige Tätigkeit als Anwalt oder Notar schied für den Beklagten, der die juristische Staatsprüfungen noch nicht abgelegt hat und deshalb weder als Anwalt zugelassen noch zum Notar ernannt werden konnte, aus. Beschränkt war der Beklagte nach der Wettbewerbsabrede also nur dahin, daß er nicht selbständig eine Steuerpraxis betreiben durfte und nicht als Angestellter in einer Anwalts-, Notariats- oder Steuerpraxis tätig sein durfte. Nach der eigenen Darstellung des Beklagten, der sich als beratender Betriebswirt bezeichnet, befaßt er sich in seiner nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger eröffneten Praxis vornehmlich mit betriebsorganisatorischen und betriebswirtschaftlichen Fragen; steuerliche Fragen fielen nur am Rande an. Der Beklagte ist aber nach der Wettbewerbsabrede nur insoweit beschränkt, daß er nicht in einer Steuerpraxis tätig sein darf. Er darf insbesondere als beratender Betriebswirt sich mit betriebsorganisatorischen und betriebswirtschaftlichen Fragen befassen, ohne gegen die Wettbewerbsabrede zu verstoßen. Wenn der Kläger sich also einer Tätigkeit in einer Steuerpraxis enthält und insbesondere sich nicht selbst mit der Bearbeitung steuerlicher Fragen für seine Auftraggeber befaßt, so verstößt er auch nicht gegen das Wettbewerbsverbot. Da nach seiner eigenen Darstellung steuerliche Fragen in seiner Praxis nur am Rande anfallen, ist er also nur auf einem am Rande liegenden Teilgebiet seiner möglichen Betätigung eingeschränkt. Eine soldie Beschränkung kann nicht als sittenwidrig angesehen werden. Bei dieser Sachlage ist die zeitliche, örtliche und gegenständliche Beschränkung auch in ihrer Gesamtheit nicht so schwerwiegend, daß die Wettbewerbsabrede, die der Beklagte freiwillig eingegangen ist, als sittenwidrig angesehen werden müßte. Dies gilt auch, wenn berücksichtigt wird, daß der Beklagte von dem Kläger während der Dauer der Wettbewerbsbeschränkung keine Entschädigung erhalten sollte. Es ist zwar nicht zu verkennen, daß auch eine weniger starke Wettbewerbsbeschränkung ein schwereres Gewicht dadurch erhalten kann, daß sich der Schuldner dieser Beschränkung unterwerfen muß, ohne andererseits dafür einen Ausgleich in Form einer Geldleistung des durch die Abrede begünstigten Gläubigers zu erhalten. Die hier vorliegende Wettbewerbsbeschränkung gewinnt aber auch unter diesem Gesichtspunkt kein so schweres Gewicht, daß sie wegen der Nichtzahlung einer Entschädigung als sittenwidrig bezeichnet werden müßte. Dies gilt jedenfalls für das erste Jahr der zeitlichen Geltung der Wettbewerbsbeschränkung. Nur insoweit macht aber der Kläger im vorliegen Rechtsstreit Ansprüche geltend.
41. Bayerisches Urlaubsgesetz
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41 1. Nach dem bayerischen Urlaubsgesetz entfällt der Urlaubsanspruch nicht deshalb, weil der Arbeitnehmer aus eigenem Versdiulden fristlos entlassen wird. 2. Nach § 11 Abs. 6, Satz 1 TO. A entfällt der Anspruch auf Urlaub, wenn der Arbeitnehmer aus eigenem Versdiulden entlassen wird. 3. Bei der Günstigkeitsabwägung zwischen bayerischem Urlaubs* gesetz und den Urlaubsvorschriften der TO. A sind bei einer fristlosen Entlassung des Arbeitnehmers allein diejenigen Bestimmungen auf ihre Cünstigkeit hin miteinander zu vergleichen, die die urlaubsrechtliche Lage des Arbeitsnehmers im Zeitpunkt seiner Entlassung bestimmen. Hiernach ist die Regelung des bayerischen Urlaubsgesetzes für aus eigenem Verschulden fristlos entlassene Arbeitnehmer im Hinblick auf ihren Urlaubsanspruch bzw. Urlaubsabgeltungsanspruch günstiger als die Regelung der TO. A. 4. Die Geltendmachung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs kann auch nach dem bayerischen Urlaubsgesetz wegen Verstoßes gegen den das gesamte Recht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben rechtsmißbräuchlich sein. Bayerisches Urlaubsgesetz vom 11. Mai 1950 Art. 1, 7, 9; T O . A. § 11. IV. Senat. Urteil vom 8. 10. 1958 i. S. L. (Kl.) w. St. R. (Bekl.) 4 AZR 34/55. I. Arbeitsgericht Nürnberg. — II. Landesarbeitsgericht Bayern (Nürnberg)
Der Kläger war seit dem 1. März 1926 als Hilfsarbeiter und seit 1943 als Schlachthofaufseher bei der Beklagten beschäftigt. In dieser Eigenschaft erhob er von den Schlachthofbenutzern für den Gebrauch von Kühlzellen Gebühren. Bei einer Überprüfung der Kasse im Oktober 1953 wurde festgestellt, daß der Kläger in mehreren Fällen Gebühren erhoben hatte, ohne darüber eine Quittung zu erteilen, und daß er Gebühren in Höhe von etwa 15,—DM für sich verwendet hatte. Deswegen wurde der Kläger am 12. Dezember 1953 fristlos entlassen. Das Schöffengericht Ansbach verurteilte ihn am 22. April 1954 wegen Amtsunterschlagung und Untreue zu einer Gefängnisstrafe von 3 Monaten und 1 Woche sowie zu einer Geldstrafe. Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß die fristlose Kündigung unwirksam sei, und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 410,—DM Urlaubsabgeltung und 60,—DM Weihnachtsgeld zu zahlen.
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41. Urlaubsabgeltung
Die Beklagte hat den Anspruch auf Weihnachtsgeld anerkannt; hierüber hat das Arbeitsgericht Anerkenntnisurteil erlassen. Im übrigen hat die Beklagte gebeten, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, dem Kläger sei zu Recht aus wichtigem Grund fristlos gekündigt worden; gegenüber dem Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat sie eingewendet, der Kläger sei aus eigenem Verschulden entlassen worden; er habe daher keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers war erfolglos; seine Revision führte zur Zurückverweisung der Sa die. Aus den G r ü n d e n : Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger meinen Urlaubsanspruch und damit seinen Hilfsanspruch auf Urlaubsabgeltung nicht schon dadurch verloren, daß er aus eigenem Verschulden fristlos entlassen worden ist. Gemäß Art. 7 Abs. 3 des bayerischen Urlaubsgesetzes vom 11. Mai 1950 (GVB1. S. 81), dessen Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. April 1958 (2 BvL 32/56; 34/56 und 3 5/56) - AP Nr. 2 zu § 1 UrlaubsG Hamburg bejaht werden muß, ist eine Abgeltung des Urlaubs zwar nur statthaft, w e n n das Beschäftigungsverhältnis gelöst wird, ohne daß der zustehende Urlaub eingebracht wurde. Das ist hier aber der Fall. D e n n das Arbeitsverhältnis ist durch die Beklagte fristlos gelöst worden, so daß der dem Kläger, wie unter den Parteien unstreitig, bis zur Lösung des Arbeitsverhältnisses zustehende Urlaub als solcher ihm gar nicht gewährt werden konnte. Nach dem bayerischen Urlaubsgesetz erlischt aber der Urlaubsanspruch nicht dadurch, daß der Kläger aus eigenem Verschulden fristlos entlassen worden ist. Eine entsprechende Bestimmung enthält dieses Gesetz nämlich nicht. Der Gesetzgeber hat vielmehr eine derartige V o r schrift, die als Absatz 5 dem Art. 9 im Regierungsentwurf angefügt war, bewußt gestrichen. Dort war nämlich folgende vom Wortlaut des Art. 10 des bayerischen Urlaubsgesetzes vom 27. August 1948 zwar abweichende, ihm aber nach Sinn und Zweck entsprechende Bestimmung vorgesehen: „Der Anspruch auf noch nicht eingebrachten Urlaub für das laufende Urlaubsjahr entfällt, wenn der Arbeitnehmer aus eigenem Verschulden berechtigt fristlos entlassen wird oder wenn er das Arbeitsverhältnis unberechtigt vorzeitig löst." Der bayerische Gesetzgeber hat diese vom Regierungsentwurf vorgesehene Bestimmung im Anschluß an Art. 174 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung deswegen bewußt fallen gelassen, weil •er der Auffassung war, daß der Urlaub vorab zu den Arbeitsbedingungen
41. Günstigkeitsvergleidi
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gehöre und einen Teil des Entgelts im Rahmen des Arbeitsvertrages darstelle. Unter diesen Gesichtspunkten blieb für die Beibehaltung der vorgesehenen Verfallklausel kein Raum. Hiernach ist also der Urlaubsanspruch des Klägers nach dem bayerischen Urlaubsgesetz allein wegen seiner verschuldeten fristlosen Entlassung nicht entfallen, so daß audh der Anspruch auf Urlaubsabgeltung aus diesem Gesichtspunkt nicht unbegründet sein kann. Die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, der Anspruch des Klägers sei nicht nach dem bayerischen Urlaubsgesetz, sondern nach § 11 Abs. 6 T O . A zu beurteilen, ist irrig. Denn die Urlaubsregelung des bayerischen Urlaubsgesetzes geht als die günstigere der des § 11 T O . A vor. Für den Günstigkeitsvergleidi kommt es nicht, wie das Berufungsgericht meint, darauf an, ob die Urlaubsregelung des bayerischen Urlaubsgesetzes oder die der T O . A in ihrer Gesamtheit und völlig losgelöst vom Einzelfall die günstigere ist. Zunächst ist bei dem erforderlichen Günstigkeitsvergleich nicht darauf abzustellen, ob die Urlaubsregelung der TO. A gegenüber der des bayerischen Urlaubsgesetzes, das eine gesetzliche unabdingbare Mindestregelung des Urlaubsanspruchs enthält (abgesehen von Art. 9 Abs. 3, dessen Anwendung nicht zur Entscheidung steht), für a l l e Arbeitnehmer der Beklagten günstiger ist. Vielmehr ist auf den e i n z e l n e n Arbeitnehmer abzustellen, welche Regelung für ihn die günstigere ist. Das ergibt sich aus Art. 11 des bayerischen Urlaubsgesetzes, der tarifliche, betriebliche oder einzelvertragliche Regelungen, „die für d e n Arbeitnehmer günstiger sind", dem Gesetz vorgehen läßt. Folglich ist erst recht darauf abzustellen, ob die gesetzliche Urlaubsregelung für d e n Arbeitnehmer, also gerade für den Kläger, günstiger ist als die gleichfalls in Frage kommende der TO. A. Sodann kommt kein Vergleich einzelner, für sich betrachteter Bestimmungen des Gesetzes und der T O . A, aber auch kein Gesamtvergleich aller Bestimmungen der T O . A über den Urlaub und des Urlaubsgesetzes in Betracht. Vielmehr muß die Günstigkeitsabwägung in der Weise erfolgen, daß die in einem offensichtlich inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen der TO. A und die entsprechenden des Urlaubsgesetzes mit Blick auf die Lage des Klägers verglichen werden. Dann aber ergibt sich, daß es allein darauf ankommt, diejenigen Regeln sowohl des Urlaubsgesetzes als auch der T O . A unter dem Gesichtspunkt der Günstigkeit zu prüfen, die die urlaubsrechtliche Lage des Klägers im Zeitpunkt seiner fristlosen Entlassung bestimmen. Das hat das Berufungsgericht übersehen.
300
42. Beginn der Verjährung
Günstiger ist die Regelung des bayerischen Urlaubsgesetzes. Denn hiernach hat der Kläger einen Anspruch auf Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung, obwohl er aus eigenem Verschulden (Amtsunterschlagung und Untreue) fristlos entlassen worden ist, während er einen solchen Anspruch nach § 11 Abs. 6 Satz 1 T O . A entgegen der Meinung der Revision nicht hat. Dort ist nämlich bestimmt, daß der Urlaub auch Belegschaftsmitgliedern gewährt wird, die sieb in gekündigter Stellung befinden, es sei denn, daß sie aus eigenem Verschulden entlassen werden. In letzterem Fall erlischt der Anspruch auf Urlaub und damit auch auf Urlaubabgeltung. Nach allem ist die Revision begründet. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts vom 15. Dezember 1954 war gemäß § 564 Abs. 1 Z P O aufzuheben. Der Senat konnte jedoch in der Sache selbst keine Entscheidung treffen, sondern mußte die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen (§ 565 Abs. 1, Abs. 3 ZPO). Denn das Landesarbeitsgericht hat es, von seinem Rechtsstandpunkt aus verständlich, verabsäumt zu prüfen, ob die Geltendmachung des Abgeltungsanspruchs durch den Kläger im Hinblick auf sein Verhalten gegenüber der Beklagten so sehr gegen den das gesamte Recht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben verstößt, daß sie hier eine unzulässige Rechtsausübung ist. Allerdings wird das Berufungsgericht bei einer erneuten Prüfung des Sachverhalts, der ggf. durch weiteren Parteivortrag ( § 1 3 9 Z P O ) und entsprechende Feststellungen ergänzt werden muß, zu beachten haben, daß insbesondere angesichts des völligen Zurücktretens des Fürsorgepflichtgedankens bei der gesetzlichen Urlaubsregelung in Bayern nicht etwa schon allein die Tatsache einer strafbaren und vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Klägers die Geltendmachung des Klageanspruchs als rechtsmißbräuchlich erscheinen läßt. Der Ausspruch über die Kosten bleibt der vom Landesarbeitsgericht zu treffenden Endscheidung vorbehalten.
42 1. Die nach § 852 BGB für den Beginn der Verjährung erforderliche Kenntnis vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen ist gegeben, wenn der Geschädigte auf Grund der ihm bekannten Tatsachen jedenfalls eine Feststellungsklage mit einigermaßen sicherer Erfolgsaussicht erheben kann, wenn er also vernünftigerweise alle Voraussetzungen des Schaden-
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42. Beginn der Verjährung
Günstiger ist die Regelung des bayerischen Urlaubsgesetzes. Denn hiernach hat der Kläger einen Anspruch auf Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung, obwohl er aus eigenem Verschulden (Amtsunterschlagung und Untreue) fristlos entlassen worden ist, während er einen solchen Anspruch nach § 11 Abs. 6 Satz 1 T O . A entgegen der Meinung der Revision nicht hat. Dort ist nämlich bestimmt, daß der Urlaub auch Belegschaftsmitgliedern gewährt wird, die sieb in gekündigter Stellung befinden, es sei denn, daß sie aus eigenem Verschulden entlassen werden. In letzterem Fall erlischt der Anspruch auf Urlaub und damit auch auf Urlaubabgeltung. Nach allem ist die Revision begründet. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts vom 15. Dezember 1954 war gemäß § 564 Abs. 1 Z P O aufzuheben. Der Senat konnte jedoch in der Sache selbst keine Entscheidung treffen, sondern mußte die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen (§ 565 Abs. 1, Abs. 3 ZPO). Denn das Landesarbeitsgericht hat es, von seinem Rechtsstandpunkt aus verständlich, verabsäumt zu prüfen, ob die Geltendmachung des Abgeltungsanspruchs durch den Kläger im Hinblick auf sein Verhalten gegenüber der Beklagten so sehr gegen den das gesamte Recht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben verstößt, daß sie hier eine unzulässige Rechtsausübung ist. Allerdings wird das Berufungsgericht bei einer erneuten Prüfung des Sachverhalts, der ggf. durch weiteren Parteivortrag ( § 1 3 9 Z P O ) und entsprechende Feststellungen ergänzt werden muß, zu beachten haben, daß insbesondere angesichts des völligen Zurücktretens des Fürsorgepflichtgedankens bei der gesetzlichen Urlaubsregelung in Bayern nicht etwa schon allein die Tatsache einer strafbaren und vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Klägers die Geltendmachung des Klageanspruchs als rechtsmißbräuchlich erscheinen läßt. Der Ausspruch über die Kosten bleibt der vom Landesarbeitsgericht zu treffenden Endscheidung vorbehalten.
42 1. Die nach § 852 BGB für den Beginn der Verjährung erforderliche Kenntnis vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen ist gegeben, wenn der Geschädigte auf Grund der ihm bekannten Tatsachen jedenfalls eine Feststellungsklage mit einigermaßen sicherer Erfolgsaussicht erheben kann, wenn er also vernünftigerweise alle Voraussetzungen des Schaden-
4 2 . Verwaltungsrechtsweg
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ersatzanspruchs mit Ausnahme des Schadenbetrages für gegeben halten muß. 2. Ist für Klagen wegen Verletzung der dem Dienstherrn einem Beamten gegenüber obliegenden Fürsorgepflicht der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (hier § 180 LBG Nordrhein-Westfalen), so ist der Verwaltungsrechtsweg auch für solche Schadenersatzansprüche gegeben, die darauf gestützt werden, daß infolge Verletzung dieser Fürsorgepflicht eine Ernennung zum Beamten mangels Wahrung der Formerfordernisse nicht wirksam geworden sei. 3. Ist das Arbeitsgericht bei einem einheitlichen Klageanspruch nur für die Entscheidung über einen Klagegrund zuständig, während für einen daneben geltend gemachten Klagegrund der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, so hat das Arbeitsgericht über den letztgenannten Klagegrund sachlich nicht zu befinden, sondern insoweit die Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs in den Gründen festzustellen. GG Art. 34; BGB §§ 839, 852, 6 1 8 ; DBG § 36; LBG (Nordrhein-Westfalen) § 180; ArbGG § 7 3 ; Z P O § 549. IV. Senat. Urteil vom 9. 10. 1958 i. S. K. (Kl.) w. St. K. (Bekl.) 4 AZR 54/56. I. Arbeitsgericht Köln. — II. Landesarbeitsgeridit Düsseldorf ( K ö l n )
Der Kläger stand von 1933 bis 1937 und wiederum seit 1938 als Angestellter im Dienste der beklagten Stadtgemeinde. Im April 1945, als das linksrheinische Stadtgebiet der Beklagten bereits von alliierten Truppen besetzt war, wurde ihm eine Urkunde über seine Ernennung zum städtischen Verwaltungsrat unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ausgehändigt. Die Stelle des verstorbenen Oberbürgermeisters der Beklagten war damals nicht besetzt; die Ernennungsurkunde war „in Vertretung" allein von dem Ersten Bürgermeister der Beklagten unterzeichnet. Nach seiner Entnazifizierung wurde der Kläger von Juli 1948 ab von der Beklagten wieder als Angestellter beschäftigt. Seine Ernennung zum Beamten erkannte die Beklagte nicht an. Ein erneutes Gesuch des Klägers vom 29. November 1948 um Wiedereinberufung als städtischer Verwaltungsrat wurde am 5. Januar 1949 von der Beklagten dahin beschieden, daß die ihm ausgehändigte Ernennungsurkunde nicht den zwingenden Formvorschriften der Deutschen Gemeindeordnung entsprochen habe, deshalb nicht rechtsverbindlich sei und nicht zur Begründung eines Beamtenverhältnisses geführt habe. Mit Schreiben vom 26. Februar 1954 beantragte der Kläger, der 195 3 geheiratet hatte, nochmals bei der Beklagten
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42. Amtspfliditverletzung
die Zuerkennung der Beamteneigenschaft. Als dieser Antrag, nunmehr mit Rechtsmittelbelehrung, abgelehnt wurde, erhob er vor dem Landesverwaltungsgericht Klage auf Feststellung, daß er durch Urkunde vom 1. April 1945 zum städtischen Verwaltungsrat der Beklagten ernannt worden sei. Das Landesverwaltungsgericht wies durdi Urteil vom 28. September 1954, das rechtskräftig wurde, die Klage ab mit der Begründung, daß zur Wirksamkeit der Ernennung des Klägers gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 DGO die Unterzeichnung der Ernennungsurkunde durch zwei vertretungsbereditigte Beamte oder Angestellte erforderlich gewesen sei. Nunmehr nimmt der Kläger die Beklagte auf Schadenersatz in Anspruch. Er erblickt in der Nichtbeachtung der bei einer Beamtenernennung zu beobachtenden Bestimmungen eine Amtspflichtverletzung sowie eine Verletzung der der Beklagten nach § 618 BGB und § 36 DBG obliegenden Fürsorgepflicht; er meint, daß die Beklagte auch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoße, weil sie in zwei anderen Fällen unwirksame Beamtenernennungen nach dem Kriege anerkannt habe. Mit der im März 195 5 vor dem Landgericht erhobenen Klage hat der Kläger als Teilbetrag des Unterschiedes zwischen seinem Angestelltengehalt und den Bezügen, die er bei wirksamer Ernennung zum Beamten erhalten hätte, Zahlung von 1000,—DM gefordert. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat eine Schadenersatzpflicht bestritten und die Einrede der Verjährung erhoben, soweit der Klageanspruch auf unerlaubte Handlung gestützt ist. Das Arbeitsgericht, an das der Rechtsstreit vom Landgericht verwiesen worden ist, hat die Klage abgewiesen. Berufung und Revision des Klägers blieben erfolglos. Aus den
Gründen:
I. Soweit als Grundlage des Klageanspruchs Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB in Betracht kommt, ist die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts dadurch begründet worden, daß das insoweit gemäß § 71 Abs. 1 Ziff. 2 GVG an sich ausschließlich sachlich zuständige Landgericht den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat. Durch diese gemäß § 48 Abs. 1 ArbGG, § 276 Abs. 2 ZPO bindende Verweisung wird auch nicht etwa entgegen Art. 34 Satz 3 GG der ordentliche Rechtsweg ausgeschlossen; denn bei der Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen den ordentlichen und den Arbeitsgerichten handelt es sich nicht um eine Frage des Rechtswegs, sondern der sachlichen Zuständigkeit. Inwieweit der festgestellte Sachverhalt oder der zum Teil bestrittene Sachvortrag des Klägers geeignet ist, die Annahme einer Amtspflichtver-
42. Beginn der Verjährung
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letzung im Sinne des § 839 BGB zu rechtfertigen, braucht nicht näher erörtert zu werden. Denn das Berufungsgericht ist ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß dem Schadenersatzanspruch des Klägers, soweit er auf unerlaubte Handlung gestützt ist, die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegensteht. Gemäß § 852 BGB verjährt ein solcher Anspruch in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Entgegen der Auffassung der Revision ist dieser Zeitpunkt nicht erst mit dem Erlaß des Urteils anzusetzen, durch das das Landesverwaltungsgericht den Kläger mit seiner Klage auf Feststellung der Wirksamkeit seiner Ernennung zum Verwaltungsrat abwies. Die in § 852 BGB geforderte Kenntnis ist gegeben, wenn der Geschädigte auf Grund der ihm bekannten Tatsachen jedenfalls eine Feststellungsklage mit einigermaßen sicherer Erfolgsaussicht erheben kann, wenn er also vernünftigerweise alle Voraussetzungen des Schadenersatzanspruchs mit Ausnahme des Schadenbetrages für gegeben halten muß (vgl. R G Z 157, 18; 168, 219). Der Schaden des Klägers besteht darin, daß er wegen der Fehlerhaftigkeit der Ernennungsurkunde die Rechtsstellung eines Verwaltungsrats nicht erlangt hat. Die Kenntnis hiervon ist gleichbedeutend mit der Kenntnis des Schadens, dessen künftige Auswirkungen noch nicht übersehbar zu sein brauchen. Diese Kenntnis hatte der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts spätestens durch das Schreiben der Beklagten vom 5. Januar 1949 erlangt. Hierin beschied sie den Kläger auf ein erneutes Gesuch um Wiedereinberufung als städtischer Verwaltungsrat unmißverständlich dahin, daß die ihm 1945 ausgehändigte Ernennungsurkunde nicht den zwingenden Formvorschriften der damals geltenden Deutschen Gemeindeordnung entspreche, daher nicht rechtsverbindlich sei und nicht zur Begründung eines Beamtenverhältnisses geführt habe. Demgegenüber kann sich der Kläger nicht darauf berufen, daß er trotzdem bis zum Erlaß des Urteils des Landesverwaltungsgerichts vom 28. September 1954 von der Wirksamkeit seiner Ernennung überzeugt gewesen sei. Zutreffend führt das Berufungsgericht aus, daß es nicht in der Hand des Klägers liegen konnte, durch beliebig langes Zuwarten eine gerichtliche Klärung der Wirksamkeit seiner Ernennung und damit den Beginn der Verjährungsfrist nach seinem Belieben auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben. Tatsächlich hat der Kläger seit dem Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 1949 mehr als fünf Jahre gewartet, bis er sich mit Schreiben vom 26. Februar 1954 erneut an die Beklagte wandte. Daß ihm gegen die erneute Ablehnung der Verwaltungsrechtsweg offen stand,
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42. Verletzung der Fürsorgepflidit
ist auf die Verjährung nach § 852 BGB ohne Einfluß. Für deren Beginn genügt regelmäßig die Kenntnis der die Schadenersatzpflicht begründenden Tatsachen. Die Rechtsnormen, auf die der Ersatzanspruch sich gründet, brauchen dem Geschädigten nicht bekannt zu sein. Rechtsunkenntnis hätte für den Beginn der Verjährung nur von Bedeutung sein können, wenn sie den Kläger gehindert hätte, von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis zu nehmen (vgl. R G Z 142, 3 5 0 f . ; 157, 19); das ist aber nicht der Fall. Nachdem der Kläger auf die rechtlichen Folgen des Fehlens einer zweiten Unterschrift hingewiesen worden war, hatte er vielmehr ausreichende Möglichkeit, sich die zutreffende Erkenntnis über die wahre Rechtslage zu verschaffen und Klage zu erheben. Durch den im Schrifttum bestehenden Meinungsstreit, ob sich die Bestimmung des § 36 Abs. 2 Satz 3 D G O auch auf die Ernennung von Beamten beziehe, war er daran nicht gehindert. Selbst wenn man aber dem Kläger zubilligen will, daß er zunächst eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit seiner Ernennung herbeiführen durfte, wäre der Beginn der Verjährung zum mindesten mit dem Zeitpunkt anzusetzen, in dem der Kläger über die Rechtslage Gewißheit erlangt hätte, wenn er den erst im Jahre 1954 beschrittenen Weg alsbald eingeschlagen hätte, nachdem die Beklagte im Januar 1949 es mit eingehender Begründung abgelehnt hatte, seine Ernennung anzuerkennen. Die zur Begründung einer Amtspflichtverletzung vorgetragenen Tatsachen waren ihm bereits damals bekannt. In jedem Falle war die dreijährige Verjähiungsfrist im Zeitpunkt der Klageerhebung — März 1955 — bereits vollendet. II. Aus einer Verletzung der auf dem Arbeitsverhältnis beruhenden Fürsorgepflicht ( § 6 1 8 BGB) kann der Kläger einen Schadenersatzanspruch wegen der Unwirksamkeit seiner Ernennung zum Beamten nicht herleiten. Es mag sein, daß die Tätigkeit, die der Kläger als Angestellter bei der Beklagten ausgeübt hat, für seine Ernennung zum Beamten von Einfluß gewesen ist. Diese war aber auf die Begründung eines öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnisses gerichtet. Soweit eine Verpflichtung der Beklagten gegenüber dem Kläger zur Wahrung der hierbei zu beobachtenden Vorschriften zu bejahen ist, kann eine solche Verpflichtung jedenfalls nicht aus dem bestehenden privatrechtlichen Dienstverhältnis hergeleitet werden. In seiner Rechtsstellung als Angestellter der Beklagten aber hat der Kläger durch die Unwirksamkeit seiner Ernennung zum Beamten keine Einbuße erlitten. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verneint. Dieser Grundsatz kann, soweit er überhaupt anzuerkennen ist, nur im Rahmen des Arbeits-
BEITRÄGE ZUM AUSLÄNDISCHEN UND PRIVATRECHT
INTERNATIONALEN
Herausgegeben vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht 27
Internationales Arbeitsrecht (Arbeitsverweisungsrecht) von
Dr. Franz Gamillscheg Professor an der Universität Göttingen XVI, 454 Seiten. 1959. DM 53,—; Ganzleinen DM 58,— Das Buch hat das internationale Privatrecht auf dem Gebiet des Arbeitsrechts zum Gegenstand, d. h. die kollisionsrechtlichen Fragen, die sich aus der Auslandsberührung eines Arbeitsverhältnisses ergeben. Dabei wird das Arbeitsverhältnis systematisch in allen seinen Erscheinungen, vom Abschluß des Arbeitsvertrags bis zu seinen Nachwirkungen, ebenso aber auch das Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsrecht untersucht. Neben dieser Seite der Arbeit, die der Lösung praktischer Fragen dient, werden in dem Buch eine Reihe theoretischer Grundfragen gestellt und beantwortet, die sich aus dem Ineinandergreifen von privatem und öffentlichem Recht ergeben, das für das Arbeitsrecht typisch ist und einen der Gründe für die besonderen Schwierigkeiten der kollisionsrechtlichen Behandlung des Themenkreises bildet. Der Verfasser verzichtet dabei bewußt auf allgemeine Formeln, die der Vielfalt der Problematik nicht gerecht werden können, und entwickelt einen eigenen „Allgemeinen Teil" des internationalen Arbeitsrechts: eine Methode, die auch zur Bewältigung der ähnlichen Problematik des internationalen Wirtschaftsrechts fruchtbar gemacht werden kann. In allen Punkten der Darstellung folgt das Buch der rechtsvergleichenden Methode, wobei der Rechtszustand in einer Reihe von Nachbarländern eingehend untersucht wird. Zum Schluß werden international-zivilprozessuale Fragen, soweit sie für das arbeitsgerichtliche Verfahren Besonderheiten aufweisen, behandelt. Das Werk hat in seiner Anlage im in- und ausländischen Schrifttum kein Vorbild.
W A L T E R DE G R U Y T E R
& CO.
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J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen